Urteil und Erfahrung: Kants Theorie der Erfahrung. Zweiter Teil [1 ed.] 9783666302008, 9783525302002

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Urteil und Erfahrung: Kants Theorie der Erfahrung. Zweiter Teil [1 ed.]
 9783666302008, 9783525302002

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Rainer Enskat

Urteil und Erfahrung Kants Theorie der Erfahrung. Zweiter Teil

Rainer Enskat

Urteil und Erfahrung Kants Theorie der Erfahrung Zweiter Teil

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-30200-8

Dem Andenken meines Vaters, des Kirchenmusikers Paul Walter Enskat * 1914  † 1945

Unsere gemeine Sprache enthält schon alles das, was die Transzendentalphilosophie mit Mühe herauszieht. Ich bin mit meinen Schriften um ein Jahrhundert zu früh gekommen; nach hundert Jahren wird man mich erst recht verstehen und dann meine Bücher aufs neue studieren und gelten lassen. Man kann … das Talent der Vernunft in der Befolgung ihrer allgemeinen Prinzipien an gewissen vorhandenen Versuchen üben, doch immer mit Vorbehalt des Rechts der Vernunft, jene selbst in ihren Quellen zu untersuchen und zu bestätigen oder zu verwerfen. Kant

Inhalt

Dimensionen des Urteilsgegenstandes II . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

13. Die Gebrauchsbedingungen der Kategorien: Warum die transzendentale Deduktion der Kategorien nötig und möglich ist . . 13 13.1. Noch einmal: Urteilen, Urteilsfunktionen, Kategorien . . . . . . . 13 Exkurs über »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 13.2. Wie die Selbstaffektion zur Erkenntnis der Identität, der Existenz und der zeitlichen Existenzform des denkendurteilenden Subjekts der möglichen Erfahrung führt . . . . . . . . 48 13.2.1. Wie die Selbstaffektion zur Erkenntnis der reinen zeitlichen Form der Anschauung a priori und des inneren Sinns führt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

14. Die Gebrauchsformen der Kategorien: Wie die transzendentale Deduktion der Kategorien möglich ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 14.1. Wie die Deduktionen von unten und von oben sowie die subjektive und die objektive Deduktion miteinander verschränkt sind . . . . . 74 14.2. Zur Frage des empirischen, des reinen und des transzendentalen Gebrauchs der Kategorien . . . . . . . . . . . 82 14.3. Reine Kategorien oder reine kategoriale Urteilsformen? Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion (I) . . 86 14.4. Wie die Logik der Wahrheit erweitert werden kann und muß: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion II . . . 117 14.5. Wie die Form der zeitlichen Anschauung apriori die Übereinstimmungs- bzw. Korrespondenz-Struktur der Wahrheit von Erfahrungsurteilen vollständig durchsichtig macht: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion III . . 133 14.6. Zur Frage der Kohärenz der Transzendentalen Deduktion: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion IV . . 164 Exkurs über Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 14.7. Wie die reine Form der zeitlichen Anschauung apriori die Transzendentale Deduktion der Kategorien möglich macht und warum diese wegen ihrer scheinbaren methodischen Inkohärenz so überaus schwierig ist: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion der Kategorien V . . . . . . . . . 188

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Inhalt

Exkurs über die Anschaulichkeit der reinen sinnlichen Form apriori der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 14.8. Ob die Kategorien ein spezifisches Gesetzförmigkeits-Potential besitzen: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Dimensionen der Urteilswahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

15. Urteilskraft oder Kriterien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 16. Ob ein Gefühl der Urteilskraft hilft, wahrheitsfähige Erkenntnisurteile zu bilden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 17. Empirische versus transzendentale Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . 245 18. Die kriterielle und die ›critische‹ Rolle der Schemata . . . . . . . . . . 251 19. Warum und wie der reine Gebrauch der Kategorien mit Hilfe der Schemata zu beweisbaren synthetischen Urteilen apriori über die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände führt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

20. Inwiefern die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung auch die Bedingungen der Fruchtbarkeit der Erfahrung sind . . . . . . . . 265 20.1. Wie wir von der Empirie zur Erfahrung gelangen können . . . . . . 276



Exkurs über die Reinheit und die Apriorität der zeitlichen Form der Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Exkurs über das Daseinsgefühl des denkend-urteilenden Subjekts . . 284 20.1.1. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn bei allem Wechsel der Erscheinungen etwas weder vermehr- noch verminderbar Beharrliches bleibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Exkurs über die eminente Rolle der transzendentalen Apperzeption für die Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 20.1.2. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alles, was geschieht (anhebt zu sein), etwas voraussetzt, worauf es nach einer Regel folgt . . . . . . 316 20.1.3. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alle Substanzen, sofern sie paarweise zugleich sind, in durchgängiger Gemeinschaft bzw. Wechselwirkung untereinander sind . . . . . . . . . . . . . 343

Inhalt

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20.2. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn in allen Empfindungen das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad hat . . . . . . 350 20.2.1. Über die funktionalen Anteile der Qualitäts-Kategorien an Erfahrungsurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Exkurs über eine gravierende systematische Inkohärenz . . . . . . . 368 20.3. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alle Anschauungen extensive Größen sind . . . . . . . . . . . 372 20.4. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alle Objekte, die möglich sind, alle Objekte, die wirklich sind, und alle Objekte, die notwendig sind, interdependent sind . . 387

Urteile jenseits möglicher Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

21. Warum ein kritischer Test der Theorie der Erfahrung nötig und wie er möglich ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 22. Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 22.1. Der Paralogismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 22.2. Der Antinomie vierter Widerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 23. Die Tragweiten der Paradigmen und die praktischen Grenzen ihrer Tragweiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Zum Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Sonstige Quellenliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Stellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Namensverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

13.

Die Gebrauchsbedingungen der Kategorien: Warum die transzendentale Deduktion der Kategorien nötig und möglich ist

13.1. Noch einmal: Urteilen, Urteilsfunktionen, Kategorien Kant greift im Zusammenhang der methodologischen Reflexionen, mit denen er seine Arbeit auf Schritt und Tritt begleitet, immer wieder von neuem auf die dafür angemessenen Kriterien zurück. Durch die unmittelbaren thematischen Zusammenhänge dieser Rekurse können diese Kriterien allerdings nur allzu leicht  – aber auch verständlicherweise  – den Eindruck erwecken, es handle sich ausschließlich um spezifisch transzendentalphilosophische Kriterien. Die Formulierung eines dieser Kriterien gehört zum Auftakt jener Überlegungen, mit denen »der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe gemacht [ist]«.1 Das hier zunächst einschlägige Kriterium besagt, daß zum »Erkenntnisse […] nämlich zwei Stücke gehören: erstlich der Begriff, dadurch überhaupt ein Gegenstand gedacht wird (die Kategorie), und zweitens die Anschauung, dadurch er gegeben wird«.2 Doch dieses Kriterium gilt ganz unbeschadet der 1 B 144, Kants Hervorhebung. 2 B 146. In der Seitenfolge B 144–146 argumentiert Kant noch irritierend elementar, fast sogar – wie dieses Argument zeigt – noch prä-transzendental. Die von Dieter Henrich, Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion, (amerik. 19671), in: Gerold Prauss (Hg.), Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, Köln 1973, S. 90–104, entwickelte Auffassung von dieser Beweisstruktur mißt den in dieser Seitenfolge von Kant vorgetragenen Überlegungen daher ein übermäßiges Gewicht bei. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß Kant selbst im dritten Satz, nachdem »im obigen Satze […] also der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe gemacht [ist]«, B 144, von dem »obigen Beweise«, B 145, spricht. Bei diesem ›obigen Beweise‹ handelt es sich, abgesehen von dem unmittelbar vorangegangenen Ausblick auf das für den § 26 ins Auge gefaßte Ziel(!), vgl. B 145–146, ausschließlich 1.) um das Eingeständnis, daß man im ersten Satz der Deduktion – also im ersten Satz des § 21 – »noch von der Art, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde, abstrahieren muß«, B 144, Hervorhebung R. E., und 2.) um die zum ersten Mal für die Kategorien herausgestrichene spezifisch kognitions-anthropologische »Gültigkeit  a apriori in Ansehung aller Gegenstände unserer Sinne«, B 145, Hervorhebung R. E. Die Wichtigkeit dieser kognitionsanthropologischen Bedingung betont mit Blick auf die amerikanische Fassung von Henrichs Aufsatz auch Raymond Brouillet, Dieter Henrich et ›The Proof-Structure of Kant’s

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

Rolle, die Kant ihm hier im unmittelbaren thematischen Zusammenhang der Transzendentalen Deduktion der Kategorien verleiht, auch mit Blick auf empirische Begriffe. Die spezifische Rolle dieses Kriteriums für die transzendentale Kategorien-Deduktion wird durch den Klammerzusatz »… (die Kategorien)…« lediglich notdürftig angedeutet, aber durch den eigentlich kriteriellen Inhalt der Formulierung nicht wirklich spezifiziert. Denn auch mit Blick z. B. auf einen empirischen Begriff wie den der Tulpe gilt: »Sich einen Gegenstand denken, und einen Gegenstand erkennen, ist also nicht einerlei«.3 Ein Gegenstand dieses Begriffs und aller anderen empirischen Begriffe kann mit Hilfe verfügbarer, ebenso empirischer Merkmale – z. B. glockenförmige gelbe, rosa oder rote Blüten sowie Zwiebeln als mit der Wurzel verbundene Überdauerungsorgane – zwar gedacht werden; jedoch erkannt werden kann ein solcher Gegenstand nur vermittelst einer sinnlich-anschaulichen Wahrnehmung in der Gestalt eines seiner individuellen, raum-zeitlich gegebenen Exemplare. Die pünktliche Ausarbeitung der Kriterien, die spezifisch für die Erkenntnisse sind, die nur durch den Gebrauch von Kategorien gewonnen werden können, ist indessen eine Angelegenheit der Schematismus-Konzeption. Transcendental Deduction’. Réflexions critiques, in: Dialogues XIV, 4 (1975), S. 639–648, hier: S. 647–648; ebenso beton auch schon Herbert James Paton, Kant’s Metaphysic of Experience. A Commentary on the First Half of the Kritik der reinen Vernunft. In Two Volumes (19361), In Two Volumes, London / New York 19613, mehrmals die Wichtigkeit des Charakters der »human intuition«, I, S. 534, Patons Hervorhebung. Vor allem Günther Zöller, Theoretische Gegenstandsbeziehung bei Kant, Berlin / New York 1984, setzt sich unter diesem wichtigen Aspekt zu Recht kritisch mit Henrichs Auffassung von der von ihm so apostrophierte Beweisstruktur der B-Deduktion auseinander, vgl. bes. S. 135–136. Denn hier liegt, ungeachtet allen Respekts für die Kant hier noch bevorstehende HerkulesAufgabe dieser Deduktion, nicht nur kein Beweis für irgendetwas vor, sondern noch nicht einmal ein ernstzunehmender Schritt eines Beweises. Es handelt sich ausschließlich um sehr vorsichtige und sorgfältige Schritte zugunsten der vollständigen Formulierung der Aufgabe dieser Deduktion. Beim Spannungsbogen vom § 20 zum § 26 handelt es sich daher auch nicht um »zwei Argumente mit verschiedenem Resultat …, die zusammen den einen Beweis der transzendentalen Deduktion ergeben«, Henrich, Beweisstruktur, S. 91. Hans Wagner, Der Argumentationsgang in Kants Deduktion der Kategorien, in: Kant-Studien 72 (1980), S. 352–365, schließt sich dennoch, ungeachtet kritischer Vorbehalte in anderen Punkten, dieser beweisstrukturellen Hauptthese Henrichs an, vgl. bes. S. 353–354. Wie auch Wolfgang Carl, Die transzendentale Deduktion in der zweiten Auflage (B 129–B 169), in: Georg Mohr und Marcus Willaschek (Hg.), Klassiker Auslegen. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Berlin, 1998, p. 189–216, ernsthaft und entgegen Kants ausdrücklicher Selbstauskunft meinen kann, daß nicht »Im obigen Satze«, B 144, sondern in allen voran­ gegangenen »§§ 15–20 … ›der Anfang einer Deduktion‹ gemacht wird (B 144)«, S. 208, ist mir ausnahmsweise ganz unverständlich. Vgl. zu diesem Fragenkreis auch unten S. 16, Anm. 7, S. 28, Anm. 56 und S. 142, Anm. 479. Nimmt man diesen nun wirklich ›sonnenklaren‹ ›obigen Satz‹ Kants so ernst, wie man es angesichts seiner Sonnenklarheit doch gar nicht anders kann, dann verschwinden alle von Henrich und seinen konsensualen Mitstreitern mit Blick auf die §§ 15–20 thematisierten Beweisprobleme. 3 B 146, Kants Hervorhebungen.

Die Gebrauchsbedingungen der Kategorien

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Das generelle Kriterium für den Unterschied zwischen dem Denken und dem Erkennen eines Gegenstandes wird in der Empirie des wissenschaftlichen und des nicht-wissenschaftlichen Alltag in der Regel stillschweigend gebraucht, weil es sich von alters her schon längst auf vielfältigste Weise in unreflektierten Formen bewähren konnte: »[…] der bloß mit seinem empirischen Gebrauche beschäftigte Verstand« kann »sehr gut fortkommen« auch dann, wenn er »über die Quellen seiner eigenen Erkenntnis nicht nachsinnt«.4 Wenn das Kriterium des Unterschieds zwischen dem Denken und dem Erkennen eines Gegenstandes ausdrücklich in der Einführung in die Transzendentale Deduktion der Kategorien thematisiert wird, dann ist dies ausschließlich mit Blick auf die methodologischen Besonderheiten nötig, die sich aus der besonderen methodischen Situation ergeben, in der man sich am Grenzübergang von der Metaphysischen zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien befindet. Denn das Denken eines ›Gegenstandes = X‹ einer Kategorie hängt, wie die Metaphysische Deduktion der Begriffe dieses Typs gezeigt hat, ganz und gar nicht davon ab, daß man über irgendwelche empirischen Merkmale dieser Begriffe verfügen müßte oder auch nur könnte. Dieses Denken hängt vielmehr ausschließlich davon ab, daß man über die eine und die andere Urteilsfunktion verfügt, mit Blick auf die ein solcher an sich ganz unbestimmter Gegenstand in einer bestimmten formalen Rolle fungiert. In dieser Rolle fungiert er als das, »was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, oder beliebig … bestimmt seien«:5 Er fungiert also als der hinreichende Grund dafür, die urteilsinternen Rollen, die eine solche Urteilsfunktion festlegt, in einer bestimmten Verteilung zu beanspruchen, aber eben nicht – wie es die formale Logik erlaubt – ›aufs Geratewohl‹ oder ›nach Belieben‹.6

4 A 238, B 297. Auch »Reine Mathematik […] hätte […] zum Behuf ihrer eigenen Sicherheit und Gewißheit keiner dergleichen Deduktion bedurft«, IV, 327, Kants Hervorhebungen. 5 A 104. 6 Vgl. Erster Teil, 11. Ab., bes. S. 254 f., 257–258. Martin Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik (19291), Frankfurt / M. 19653, setzt sich ausführlich mit der dawider-Rolle des ›Gegenstands = X‹ auseinander, vgl. S. 72–74, 80–85, sowie Erster Teil, S. 253–260. Rund dreißig Jahre später, vgl. Der Satz vom Grund, Pfullingen 1957, bringt er mit Blick auf Kants Auffassung vom Format und von der Rolle dieses Gegenstandes die »Gegenständigkeit des Gegenstandes«, S. 132–134, 136–138, 147–150, 153–154, zur Sprache. Hier schreibt er ihm ebenfalls ausdrücklich eine Schlüsselrolle im Zusammenhang mit »dem zureichenden Grund« zu, allerdings eine Rolle »für die Gegenstände …, d. h. für die Gegenstände als Gegenstände des seiner selbst bewußten vorstellenden Subjekt«, S. 132, aber nicht die Rolle als zureichende Gründe für die Bestimmung der logischen Rollenverteilung der Vorstellungen im Urteil. Tatsächlich ist Heideggers Charakterisierung der Rolle der ›Gegenständigkeit des Gegenstandes‹ insofern nur »ein vereinzelter, schwacher Lichtstrahl«, S. 123, wenngleich einer, der in einen sonst regelmäßig fast ganz vernachlässigten thematischen Zusammenhang von Kants Gegenstands-Konzeption fällt.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

Doch obwohl »reine Verstandesbegriffe … a prori auf Objekte gehen«,7 sind sie wie Begriffe aller anderen Typen  – vor allem auch die des empirischen Typs – dadurch charakterisiert, daß ihr Besitzer »von ihnen […] keinen anderen Gebrauch machen [kann], als daß er dadurch urteilt«.8 Kant setzt also ganz offensichtlich sogar schon ganz unabhängig von irgendeinem seiner theorie­ internen Schritte voraus, daß auch die Kategorien alleine schon deswegen an diese urteilsförmige Brauchbarkeitsbedingung gebunden sind, weil sie Begriffe sind. Da überdies »Alle Erkenntnis […] in Urteilen [besteht]«,9 gilt alles, was Kant über die Dawider-Rolle sagt, in der der Gegenstand der Erkenntnis als der hinreichende Grund dafür fungiert, daß unsere Erkenntnisse nicht ›aufs Gerate­ wohl oder beliebig‹ ausfallen, trivialerweise ebenso für die diese Erkenntnisse formal strukturierenden Urteile, also für die Erkenntnisurteile. Doch indem Kant die präpositionale Bedeutungskomponente des Wortes »Gegen-Stand« mit Hilfe der Dawider-Paraphrase ein wenig kryptisch-etymologisch verschlüsselt, gelingt ihm weitaus mehr als nur eine linguistische Klärung. Er konzipiert auf dem status quaestionis der ersten Auflage der Ersten Kritik nicht mehr und nicht weniger als die Keimzelle des Gedankens, der in der zweiten Auflage nicht nur einfach die Nominaldefinition des Kategorien-Begriffs bildet. Er bildet darüber hinaus vor allem auch den Leitgedanken der Metaphysischen Deduktion der Kategorien: »Sie sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird«.10 Denn es ist diese urteilsfunktionale Bestimmtheit der Anschauung des Gegenstands der Erkenntnis bzw. des Erkenntnis-Urteils, 7 A 79, B 105. – In seinen methodisch vorbildlichen Untersuchungen gibt Manfred Baum, Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur Kritik der reinen Vernunft, Königstein / Ts, 1986, zu bedenken, »daß der erste Teil der Deduktion die ontologische Bedeutung der Kategorien erweist, während der zweite Teil erkenntnistheoretisch von ihnen als konstitutiven Bedingungen der Möglichkeit unserer Wahrnehmung und damit unserer Erfahrung handelt«, S. 12. Doch schon die allererste, noch ganz unbestimmte Charakterisierung der ›metaphysisch deduzierten‹ »reine[n] Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen«, A 79, B 105, Hervorhebung R. E., macht im direkten Gegensatz zu aller Ontologie, von der Kant sein transzendentalphilosophisches Unternehmen radikal abgrenzt, auf das zentrale kognitive Moment aufmerksam, dessen sich die ganze Transzendentale Deduktion von Anfang an in einer subtilen erkenntnistheoretischen Schrittfolge annimmt. Denn die traditionelle Ontologie, die Kant im Auge hat, sucht ja gerade durch direkte Analyse von entsprechenden Begriffen (determinationes inrinsicae rerum sive entis), vgl. Erster Teil, S. 272–274, – also ohne entsprechende kognitive Vermögen beanspruchen zu müssen – zu Erkenntnissen von entsprechenden Entitäten durchzudringen 8 A 68, B 93. 9 R 4638. 10 B 128, Kants Hervorhebungen. Es ist mehr als verwunderlich, daß Henry E. Allison, Kant’s Transcendental Deduction. An Analytical-Historical Commentary, Oxford 2015, nur ein Bruchstück und ein überdies eher irrelevantes Bruchstück dieser Arbeitsdefinition zitiert, vgl. S. 166; vgl. hierzu im einzelnen unten S. 95, Anm. 333.

Die Gebrauchsbedingungen der Kategorien

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durch die das formallogische ›Geratewohl und die Beliebigkeit der Erkenntnis‹ überwunden ist.11 Zwar ist das Denken eines Gegenstandes eines empirischen Begriffs ebenso wie das Denken eines Gegenstandes einer Kategorie ›nicht einer­ lei‹ mit der Erkenntnis eines Gegenstands sowohl des einen wie des anderen Begriffstyps. Doch weil es andererseits »außer der Anschauung, keine andere Art, zu erkennen, [gibt] als durch Begriffe«,12 muß Kant in der methodischen Situation des Grenzübergangs von der Metaphysischen zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien planmäßig nach »Bedingungen irgendeines Gebrauchs (in Urteilen)«13 suchen, die dem Gebrauch der Begriffe vom apriori-Typus der Kategorien in Urteilen durch eine spezifische Anschauungsform angemessen sind. Denn die Kategorien sind nun einmal Begriffe, die ›apriori auf Objekte gehen‹, so daß die Bedingungen ihres Gebrauchs in Urteilen die Frage nach den für solche Begriffe spezifisch angemessenen Gebrauchsbedingungen in der Anschauung wachrufen. Mit Blick auf die gesamte Aufgabenstellung der Transzendentalen Deduktion ist es von schwer zu überschätzender Wichtigkeit, daß Kant die Antwort auf die Frage nach den Gebrauchsbedingungen der Kategorien im Rahmen dieses Resümees jedenfalls auch von Bedingungen abhängen sieht, die die Kategorien an ihren Gebrauch in Urteilen binden. Damit faßt Kant zwar nur einen speziellen Fall der allgemeinen Auffassung ins Auge, daß man von Begriffen ›keinen anderen Gebrauch machen kann, als daß man dadurch urteilt‹. In Verbindung mit der noch zu erörternden Begründung der Auffassung, daß die Kategorien »von bloß empirischem […] Gebrauche sind«,14 ergibt sich jedoch nicht nur die offenkundige Konsequenz, daß die Kategorien nur in empirischen Urteilen gebraucht werden können, sofern es um das Erkennen von möglichen Gegenständen der Kategorien geht.15 Die weniger offenkundige, aber umso wichtigere Konsequenz ergibt sich aus Kants erst in den Prolegomena ausgereifter Entdeckung der Urteilstypen der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile16. Denn Erfahrungsurteile beziehen ihren empirischen Gehalt aus den an ihrem methodischen Erwerb unabdingbar beteiligten Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen. Es sind daher ausschließlich diese Erfahrungsurteile, in denen Kategorien charakteristischerweise empirisch gebraucht werden können. Daher

11 12 13 14 15

Vgl. Erster Teil, bes. S. 253–262. A 67, B 92–A 68, B 93. A 248, B 305. A 139, B 178; vgl. auch A 246, B 303. Zu der Frage, welche Rolle die Kategorien im Rahmen der Formulierungen, Beweise und Erörterungen der Grundsätze spielen, die gerade keine empirischen Urteile sind, weil sie von Kategorien keinen empirischen, sondern einen reinen Gebrauch machen, vgl. unten 14.2. Ab. 16 Vgl. IV, 298–301.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

lassen sich auch nur in ihrem Medium wachsende Anteile an der den Menschen möglichen Erfahrung erwerben. Indessen läßt Kant auf den »Satze«, in dem »der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe gemacht [ist]«,17 unmittelbar den § 22 mit der Überschrift-These Die Kategorie hat keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung folgen. Unter den ausgereifteren urteilstheoretischen Voraussetzungen der Prolegomena zeichnet sich für diese These offensichtlich ein Modifikationsbedarf ab, der die gesamte Aufgabenstellung dieser Deduktion betrifft. Denn ihre entsprechende Leitthese besagt mit dieser Modifikation, daß die Kategorie eine vorzügliche Form ihres Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge in dem Gebrauch findet, den urteilsfähige Subjekte von ihr in den empirischen Erfahrungsurteilen machen können, indem sie sie auf konkrete wirkliche Gegenstände der möglichen Erfahrung anwenden. Herman J. de Vleeschauwer hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß es Kant mit Hilfe der urteilstheoretischen Einsichten der Prolegomena zugunsten dieser Deduktion gelungen ist, »à mettre en évidence le rôle primordial du jugement«.18 Man muß deswegen zwar nicht so weit gehen, diese rôle primordial du jugement als Hinweis darauf zu interpretieren, daß Kant nunmehr »en posession complète du nouveau principe de la déduction«19 sei. Dennoch gibt de Vleeschauwer zusammen mit Kants urteilstheoretischem Fortschritt einen Wink in eine Richtung, die unter verschiedenen Aspekten beträchtliche sachliche Tragweiten für die zweite Fassung der Transzendentalen Deduktion mit sich bringt. Diese Tragweiten werden sich in dem Umstand zeigen, daß die in diese Fassung der Deduktion eingeführten Fallerörterungen von Wahrnehmungs- und von Erfahrungsurteilen dazu führen, daß neben dem Hauptweg dieser Deduktion in Richtung auf das Schematismus-Thema und das Thema der synthetischen Urteile apriori auch mehrere methodologisch und systematisch 17 B 144. 18 Herman J. de Vleeschauwer, La déduction transcendentale dans l’œuvre de Kant. Tome troisième. La déduction transcendentale de 1787 jusqu’à L’opus postumum, Antwerpen / Paris / ’S Gravenhage 1937, S. 16; vgl. hierzu auch schon Erster Teil, bes. S. 50134. Auf derselben Linie gibt Herbert J. Paton, Kant’s Metaphysic of Experience. A Commentary on the First Half of the Kritik der reinen Vernunft. In Two Volumes (19361), Volume One, London / New York 19613, im Rahmen seines Vergleichs der A- mit der B-Deduktion zu bedenken, daß »A […] greater defect of the earlier version is that it does not make explicit the connexion of the categories with the forms of judgement, and the necessity for judgement if we are to have knowledge of objects … – to call understanding a power of concepts or a power of judgement is the same thing, when properly understood«, S. 499. Zur Rechtfertigung dieser Auffassung gibt er selbst den trefflichen Hinweis auf A 126: »Wir haben den Verstand oben auf mancherlei Weise erklärt: durch eine Spontaneität der Erkenntnis, […] durch eine Vermögen zu denken, oder auch ein Vermögen der Begriffe, oder auch der Urteile«, Kants Hervorhebung; zur sachlichen Tragweite dieses »…  der Begriffe, oder auch der Urteile«, vgl. unten 14.3. Ab. 19 Vleeschauwer, Déduction II, S. 284.

Die Gebrauchsbedingungen der Kategorien

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wichtige Nebenwege eröffnet werden.20 Diese Nebenwege führen vor allem zu dem Ergebnis, 1.) daß die Kategorien mit Kants eigenen Mitteln als reine kategoriale Urteilsformen konzipiert werden können und müssen (vgl. unten 14.3. Ab.), 2.) daß das Kriterienproblem von Kants transzendentaler Logik der Wahrheit (vgl. A 57, B 82–A 64, B 88) mit Kants eigenen Mitteln erweitert werden muß und kann (vgl. unten 14.4. Ab.), 3.) daß die Orientierung der Transzendentalen Deduktion an der Möglichkeit der Erfahrung mit Kants eigenen Mitteln revidiert werden muß und kann (vgl. unten 14.5. Ab.), und 4.) daß die strikte Form der Korrespondenzstruktur der Wahrheit von Erfahrungsurteilen mit Kants eigenen Mitteln geklärt werden muß und kann (vgl. unten 14.6. Ab.). Noch viel ernster als bisher muß daher der Werkstattbericht in den Prolegomena genommen werden. Er zeigt zwar schon an sich in ganz unmißverständlicher Form auch in Kants Augen le rôle primordial du jugement. Denn er berichtet nun einmal in unmißverständlicher Klarheit, daß »ich mich nach einer Verstandeshandlung um[sah], die alle übrigen enthält und sich nur durch die verschiedenen Modifikationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellungen unter die Einheit des Denkens zu bringen, und da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urteilen«.21 Bei diesen Modifikationen handelt es sich sowohl um die den Urteilsakt modifizierenden Urteilsfunktionen wie um die ihn ebenfalls modifizierenden Kategorien. Diese Modifikationen haben nicht den Status von Widerfahrnissen, denen das urteilende Subjekt passiv ausgesetzt wäre. Sie werden dem jeweiligen Urteilsakt vielmehr ausschließlich durch den spontanen Gebrauch verliehen, den nur das urteilende Subjekt sowohl von den Urteilsfunktionen wie von den Kategorien machen kann. Die 20 Zu diesen verschiedenen Aspekten und den mit ihnen verbundenen Tragweiten bzw. Nebenwegen vgl. unten 14.3.–14.8. Ab. Es fällt auf, daß Zöller, Gegenstandsbeziehung, in seiner Auflistung des »Ausmaß[es] der Differenz der beiden Fassungen«, S. 134, die Wahrnehmungs- und die Erfahrungsungsurteile gar nicht erwähnt, die Kant in der zweiten Fassung zum ersten Mal berücksichtigt. Er läßt daher auch die Tragweite dieses urteilsanalytischen Fortschritts für die zweite Fassung außer Acht. Das ist nicht zuletzt deswegen verwunderlich, weil er Vleeschauwers Erörterungen der B-Deduktion regelmäßig die verdiente sorgfältige Aufmerksamkeit widmet. Doch Kant gibt selbst ganz unmißverständlich zu verstehen, wie außerordentlich groß er die Tragweite einschätzt, die sich ihm aus der Einsicht ergeben hat, wie »die Bedingung ihres [der Kategorien, R. E.] Gebrauchs genau bestimmt werden«, IV, 324, kann. Denn sie »[…] bedürfen [es], daß sinnliche Anschauung zum Grunde liege«, ebd., wenn man von ihnen Gebrauch zu machen sucht, weil sie »alsdann nur dazu dienen, empirische Urteile … in Ansehung derselben [der Kategorien, R. E.] zu bestimmen … und vermittelst ihrer Erfahrungsurteile überhaupt möglich zu machen«, ebd., Kants Hervorhebung. Die Tragweite dieser Einsicht könnte Kant kaum schärfer pointieren als durch die Konsequenz aus der Vernachlässigung dieser Bedingung ihres empirischen Gebrauchs in Erfahrungsurteilen: »… ohne diese Einsicht (die ganz genau von der … Deduktion derselben abhängt) sind sie gänzlich unnütz und ein elendes Namenregister, ohne Erklärung und Regel ihres Gebrauchs«, ebd., Hervorhebungen R. E. 21 IV, 323.

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Prolegomena bieten daher nicht nur einen abstrakten, wenngleich emphatischen Werkstattbericht über die Entdeckung des Leitfadens des Urteilens. Vielmehr machen sie vor allem durch die konkreten Fortschritte der Arbeit an der Theorie der Wahrnehmungs- und besonders der Erfahrungsurteile darauf aufmerksam, daß und wie der Leitfaden der Urteile endgültig einen der beiden wichtigsten Leitfäden auch der Transzendentalen Deduktion der Kategorien bildet – indem die Urteile, die die Prolegomena als Typus der Erfahrungsurteile prägen, das genuine Medium des empirischen Kategoriengebrauchs bilden. Zusammen mit Kants emphatischem Werkstattbericht über die Entdeckung des Leitfadens des Urteilens tragen seine urteilstheoretischen Fortschritte dazu bei, die internen Komplikationen der Transzendentalen Deduktion der Kategorien durch die Einführung von entsprechenden Fallerörterungen (B 142 f., 162 f. und 162–163) unter jeweils einem neuen Aspekt besser durchsichtig zu machen. Zwar haben diese speziellen transzendentalen Untersuchungen, wie Kant im ersten Anlauf berichtet, »mir die meiste […] Mühe gekostet«22. Und noch im zweiten Anlauf – also auch noch nach den in den Prolegomena dokumentierten urteils-theoretischen Fortschritten und auch noch im Blick auf die entsprechenden Revisionen in der aktuellen zweiten Auflage – räumt Kant ein, daß »in der Darstellung […] noch viel zu tun [ist]«.23 Einiges Wenige von diesem Vielen zeichnet sich speziell in dem »Die logische Form aller Urteile«24 betreffenden § 19 ab. Er bietet Kant innerhalb der buchtechnischen Präsentation dieser Deduktion die erste Gelegenheit, den strukturellen Unterschied zwischen der subjektiven und der objektiven Gültigkeit von Wahrnehmungs- bzw. Erfahrungsurteilen in musterhafter Weise zu erörtern.25 Doch dieser von Kant hier paradigmatisch erörterte Unterschied zwischen den beiden Geltungsmodi solcher Urteile entspricht nicht nur dem neu entdeckten typologischen Unterschied zwischen Erfahrungs- und Wahrnehmungsurteilen. Denn das exemplarische Urteil »der Körper […] ist schwer«26 ist nicht nur einfach ein Beispiel für ein objektiv gültiges Urteil. Es ist mit Blick auf die Transzendentale Deduktion der Kategorien vor allem ein Musterbeispiel dafür, daß und vor allem wie das urteilende Subjekt von einer Kategorie – hier der Kategorie von Ursache und Wirkung – Gebrauch macht. Zwar scheint dieses exemplarische Urteil wegen seiner teils sprachlich-grammatischen und teils logisch-kategorischen Oberflächenform auf den ersten Blick auf den Gebrauch der Kategorie von Substanz und Akzidenz zu verweisen. Doch dieser Schein kann durch einen Rückgriff auf das zugrunde liegende Wahrnehmungsurteil »Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen 22 A XVI; vgl. auch A 98 f., Vorläufige Erinnerung, erster Satz. 23 B XXXVIII . 24 B 140. 25 Vgl. B 142. 26 Ebd.

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Druck der Schwere«27 korrigiert werden. Denn bei der Rede vom Druck macht man im Rahmen dieses Urteils von einer in der Umgangssprache eingebürgerten Konfundierung einer spezifischen Wahrnehmungs- und einer spezifischen kausalen Komponente Gebrauch: Man gibt den Druck nicht nur als das zu verstehen, was subjektiv spürbar ist, sondern auch als Wirkung von etwas Ursächlichem. Man macht also ebenso in rudimentärer Weise von der Kausal-Kategorie Gebrauch wie – wenngleich nicht so offensichtlich und daher erst bei genauerem Hinsehen – bei der Rede vom Schwersein im entsprechenden Erfahrungsurteil. Doch Schwere und Druck sind nur Resultate der substantivierten Verbalformen beschweren und drücken (auf), die als zweistellige Prädikate … beschwert … und … drückt (auf)  … in der Grammatik der gewachsenen Umgangssprache analog ein Kausalverhältnis zur Sprache bringen wie das zweistellige Prädikat … erwärmt …, mit dessen Hilfe Kant in den Prolegomena das paradigmatische Erfahrungsurteil Die Sonne erwärmt den Stein analysiert. Und analog wie Kant hier eine äquivalente Umformung in das Urteil »Die Sonne ist durch ihr Licht Ursache der Wärme«28 vornehmen kann, läßt sich das Erfahrungsurteil Der Körper ist schwer in das äquivalente und offensichtliche Kausalurteil Der Körper ist durch seine Schwere Ursache des Drucks auf meinen Körper umformen.29 Noch mehr von dem Vielen, was nach Kants eigenem Bekunden ›in der Darstellung noch zu tun ist‹, hat, wie Kant ebenfalls bekundet, auch in der zweiten Fassung dieser Deduktion »weggelassen oder abgekürzt werden müssen«, weil es sich »durch Einschaltungen nicht bewerkstelligen ließ«.30 Das mit der Überschrift des § 22 zum systematischen Auftakt dieser Deduktion gemachte Thema des Kategoriengebrauchs wirft indessen ein umso bedeutsameres Licht auf das Wenige, was die kurze, am Ende des § 19 ›eingeschaltete‹ urteilstheoretische Fallerörterung über den objektiven und den subjektiven Geltungsmodus von Urteilen zu verstehen gibt. Denn der Unterschied zwischen diesen beiden Geltungsmodi hängt unmittelbar vom Gebrauch bzw. vom Nicht-Gebrauch einer 27 B 142. Angesichts dieser Fallerörterung und der Wahrnehmung des Gefrierens von Was­ ser (B 162) ist es unverständlich, daß ein generell so sorgfältiger Leser wie Allison, Deduction, davon sprechen kann, daß Kant »does not refer to judgements of perception, much less preliminary judgements«, S. 363. Denn zum einen sind Wahrnehmungsurteile preliminary judgements sofern sie die genuinen Vorläufer von Erfahrungsurteilen sind. Zum anderen gehört ein Gefühl wie das der Schwere – ebenso wie das der Wärme bzw. der Kälte  – zu den jenseits der fünf klassischen Wahrnehmungsmodi beheimateten Wahrnehmungsmodi. 28 IV, 312. 29 Zu einer formal noch einige Grade subtileren, sogar nomologischen Analyse des scheinbar kategorischen, in Wahrheit aber kausal-thematischen Erfahrungsurteils Die Luft ist elastisch vgl. IV, 300–301, sowie die vorzügliche Erörterung durch Michael Wolff, Die Analyse der Erfahrung in Kants Prolegomena, in: Kants Prolegomena. Ein kooperativer Kommentar, S. 127–167, bes. S. 132–134. 30 B XLII .

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Kategorie in solchen Urteilen, also in solchen empirischen Urteilen ab. Doch »der kleine […] Verlust für den Leser, der nicht zu verhüten war«,31 wird angesichts der entsprechenden ›Weglassungen und Abkürzungen‹ nicht schon durch diese kleine urteilstheoretische ›Einschaltung‹ genügend wettgemacht. Kant rahmt daher sogar die gesamte Deduktion im selben Sinne ein, indem er in ihrem letzten mikro-analytischen § 26 nicht nur die »Transzendentale Deduktion des allgemein möglichen Erfahrungsgebrauchs der reinen Verstandesbegriffe«32 zum hauptsächlichen Thema macht. Darüber hinaus schaltet er in diesem Paragraphen in genauer Entsprechung zum systematischen Auftakt vom Ende des § 19 eine exemplarische kausal-analytische Erörterung eines solchen Erfahrungsgebrauchs der Kausal-Kategorie ein. Sie thematisiert den Fall, daß »ich […] das Gefrieren des Wassers wahrnehme,« so daß »[…] ich zwei Zustände (der Flüssigkeit und der Festigkeit) als solche [apprehendiere], die in einer Relation der Zeit gegeneinander stehen«.33 In einem solchen Fall gilt generell das Bedenken, daß »Es […] a priori nicht klar [ist],« warum »auf etwas A [z. B. den flüssigen oder den festen Zustand, R. E.] was ganz verschiedenes B [z. B. der feste bzw. der flüssige Zustand, R. E.] nach einer Regel [a priori, d. i. notwendig34] gesetzt wird«,35 obwohl unzweifelhaft ist, daß ich die beiden Zustände sukzessiv »unmittelbar als wirklich, durch Empfindung«36 vorstelle. Die Frage bleibt daher in dieser Hinsicht offen, ob denn in einem solchen Fall »jene Relation nicht in einer Anschauung bestimmt (in Ansehung der Zeitfolge) gegeben werden könnte«,37 also so, daß bestimmt ist, daß im Fall des Gefrierens der feste auf den flüssigen Zustand ›nach einer Regel, a priori, d. h. notwendig‹ folgt. Die von Kant in der Transzendentalen Deduktion intendierte Antwort soll nun einmal begründen, daß dies nur dann in dieser Form bestimmt ist, wenn »die Apprehension in einer solchen Begebenheit, mithin diese [Begebenheit, R. E.] selbst der möglichen Wahrnehmung nach, unter dem Begriffe des Verhältnisses der Wirkungen und Ursachen [steht], und so in allen anderen Fällen«38 – also z. B. in dem im § 19 erörterten Fall des Urteils über die Schwere eines Körpers. In der Fallerörterung des § 26 kann Kant sich daher jedenfalls und mindestens darauf verlassen, daß der Leser das hier verwendete Wahrnehmungsurteil Ich nehme das Gefrieren des Wassers wahr ohne Mühe auch selbst mit Hilfe der Kausalkategorie in das Erfahrungsurteil Die (hinreichend) kalte das Wasser unmittelbar umgebende Luft läßt das Wasser gefrieren umformen kann – und damit auch in das äquivalente 31 B XLII . 32 B 159, Hervorhebung R. E. 33 B 162. 34 Ich folge hier den Nachträgen XLIX in Kants Handexemplar. 35 A 90, B 122. 36 B 147. 37 B 163; zur Rolle dieser (kategorialen) Form der Bestimmtheit vgl. Erster Teil, 11. Ab. 38 Ebd., Hervorhebung R. E.

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explizite Kausalurteil Die das Wasser unmittelbar umgebende hinreichend kälter werdende Luft ist die Ursache der Zustandsänderung des Wassers vom Flüssigen zum Festen des Eises bzw., wenn man Heideggers treffliche kausal-syntaktische Erörterung berücksichtigt,39 Weil die das Wasser unmittelbar umgebende Luft hinreichend kälter wird,40 deshalb wird der Zustand des Wassers vom Flüssigen zum Festen des Eises geändert.41 39 Vgl. Martin Heidegger, Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (Ein Vorlesungstext vom WS 1935–36), Tübingen 1962, S. 108–109. Der erste, der diese wichtige kausal-syntaktische Erörterung der weil-Verknüpfung von Kausal-Urteilen im Zusammenhang mit Kants Kausalitäts-Theorie geführt hat, war allerdings Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System. Zweiter Band, Leipzig 1925, S. 283–290. Zwar erörtert Riehl dieses Thema im Unterschied zu Heidegger unabhängig von Kants urteils-analytischen Untersuchungen der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile in den Prolegomena. Dafür zeigt er ebenfalls im Unterschied zu Heidegger einen klareren Blick für die Tragweite, die die Bindung der Kausalitätsstruktur an diese Syntax für Kants Auseinandersetzung mit Humes Kausalitäts-Skepsis und für ein strukturelles Verständnis der Ursachenforschung der Naturwissenschaften mit sich bringt. Zu Kants eigener, wenngleich buchtechnisch verspäteter Berücksichtigung (vgl. B 288) einer vollständigen weil …, deshalb muß …-Grammatik für die Kausal-Kategorie, vgl. unten S. 102–112. 40 Zur weil-Grammatik und zum logischen Status sowie zur logischen Rolle der hinreichenden Bedingung in Kausalurteilen vgl. Erster Teil, bes. S. 46 f. bzw. 260 f. 41 Ein analoges Kausal-Beispiel, bei dem allerdings nicht der Zustand eines Zustandsträgers durch eine Zustandsänderung der Umgebung dieses Zustandsträgers kausal geändert wird, sondern umgekehrt der Zustand der Umgebung eines Zustandsträgers durch dessen kausale Rolle geändert wird, exponiert Kant A 202, B 247–B 248, wenn er einen geheizten Ofen als Ursache für die vorgefundene (und teilweise gleichzeitige!) Wärme der umgebenden Stube charakterisiert. Kants Beispiele alltäglicher kausal-thematischer Urteile sind auch mit Blick auf erkenntnistheoretische Erörterungen der Gegenwart von erheblicher Bedeutsamkeit. Denn Kant trägt mit der kategorial-analytischen Erörterung solcher Urteile unmittelbar zu einer aktuellen erkenntnistheoretischen Konzeptionen bei. Unter Aspekten der einen Konzeption macht er darauf aufmerksam, daß die von ihm thematisierten Kategorien zu der von Michael Polanyi, Personal Knowledge, Towards a Post-Critical Philosophhy (19581), Chicago 1974, sowie ders., The Tacit Dimension, London 1966, und ders., Knowing and Being, Marjorie Green (Hg.), London 1969, ana­ lysierten tacit dimension of knowledge gehören. Zwar ist Polanyi zur Zeit seiner systematischen philosophischen Arbeit in einem vor allem durch Patons Kommentar-Werk schon überwundenen wissenschaftsphilosophischen Vorurteil befangen: »Kant tried to salvage the justification of mechanics … from the objectivistic dilemma by deducing their basic concepts as a priori categories or forms of experience«, S. 306–307, P.s Hervorhebung. Doch dieses Vorurteil hindert nicht, daß Elemente seiner Analysen der tacit dimension of knowledge bestens geeignet sind, die spezifische von Kant erschlossene tacit dimension of knowledge auf Begriffe zu bringen. In diesem Sinne wissen wir im Licht von Kants kategorialen Analysen alltäglicher Beispiele für Erfahrungsurteile zwar nicht ausdrücklich, thematisch oder gegenständlich, was Kategorien sind – nämlich urteilsfunktionale Gegenstandsbegriffe –, so wenig wie wir in dieser Form wissen, daß Kategorien Begriffe apriori sind, die wir gebrauchen, wenn wir uns durch Formulierungen solcher Urteile wohlbestimmte Ausschnitte unserer objektiven Erfahrungswelt erschließen. Wohl aber wissen wir stillschweigend – und zwar seit unüberschaubar langen Zeiten –, wie man diese

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Die Orientierung mit Hilfe des Leitfadens des Urteilens reicht deduktions­ intern auch noch bis in den dem Resultat dieser Deduktion der Verstandesbegriffe gegenständlich unbekannten Kategorien gebrauchen kann und muß, wenn man sie in dieser fruchtbaren Weise zu gebrauchen sucht. Denn diese Kategorien gehören zu den »intellectual tools«, Knowledge, S. 59, in dem Sinne, daß sie »suppositions« sind, »which underlie the method by which these assertions [z. B. die von Kant analysierten Erfahrungsurteile, R. E.] are arrived at«, ebd; »[w]e assimilate most of these presuppositions [z. B. die von Kant thematisierten Kategorien, R. E.] by learning to speak of things [z. B. von der Sonne und ihrer Wärme sowie von Steinen, die in der Sonne liegen, und deren Wärmerwerden, R. E.] in a certain language«, ebd., z. B. in der Sprache des alltäglichen Kausalitätsvokabulars, das in Form von asymmetrischen zweistelligen Prädikaten wie erwärmen, aufweichen, gefrieren, härten und unzähligen anderen Prädikaten dieses Typs gebraucht wird. Was aber mit Blick auf die von Polanyi erarbeiteten Kriterien der tacit dimension of knowledge noch wichtiger ist: Die von ihm eingehend erörterte Form des »contact with reality« Knowledge, S. 5, 64, 116, 313, 315 f., bindet er an die Bedingung, daß »we have hit upon a feature of reality«, Michael Polanyi, Society, Economics, and Philosophy. Selected Papers, ed. By R. T. Allen, New Brunswick 1997, S. 225. Kant selbst bindet dieses feature an das Kriterium: »die Wahrnehmung aber ist der einzige Charakter der Wirklichkeit«, A 225, B 273, so daß »… die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, […] Wahrnehmung [fordert], mithin Empfindung«, A 225, B 272. Wahrnehmung und Empfindung bilden jedoch nur gleichsam die Kontakt-Medien  – wenngleich die unerläßlichen  – des auf objektive Erkenntnis zielenden Zugangs zur Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist – ebenso wie jeder beliebige Ausschnitt dieser Wirklichkeit – innerhalb der Grenzen von Wahrnehmung und Empfindung auch für Kant, wie Polanyi formuliert, zumindest vorläufig »something hidden«, Tacit, S. 21. Doch wer, wie Kant es in den Prolegomena analysiert, Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteile fruchtbar macht, indem er sie mit Hilfe einer geeigneten Kategorie z. B. in kausalthematische Erfahrungsurteile transformiert, der unterstellt schon vor diesem transformatorischen Akt, daß er im Medium seiner Wahrnehmungen und Empfindungen sowie in Gestalt von something hidden mit einem realen Fall von Kausaltät ›in Kontakt‹ gekommen ist. Wer daher in einer bestimmten Situation z. B. auf seinem Handrücken einen stechenden Schmerz empfindet und an der schmerzenden Stelle einen winzigen Blutstropfen sieht, unterstellt ebenfalls spontan, daß er im Medium dieser Wahrnehmungen und Empfindungen sowie in Gestalt von something hidden mit einem realen Fall von Kausaltät ›in Kontakt‹ gekommen ist, und urteilt in diesem Sinne spontan und im Zutrauen in seine kognitiven Fähigkeiten sowie im Vertrauen auf eine korrespondierende kausale Teil-Struktur der Wirklichkeit Irgendein blutsaugendes Tierchen hat mich in den Handrücken gestochen. Kants Theorie der Erfahrung bildet den bedeutendsten neuzeitlichen Fall einer Theorie, die eine festumrissene tacit dimension der Erkenntnis mit großer Tragweite in allen Einzelheiten vollständig zur Sprache und auf Begriffe zu bringen sucht. Ganz ähnlich, aber mit konzentrierter thematischer Gewichtung sieht vor allem Claudia Bickmann, Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Einheitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Kants, Hamburg 1996, die von Kant analysierten Erkenntnisbedingungen in einer tacit dimension aufgehoben, wenn sie den »apriorische[n] Verknüpfungsleistungen« zu Recht einen »präprädikative[n] Status«, S. 52 u. v. a., im Gewebe unserer alltäglichen Erkenntnisbemühungen zuschreibt. Eine vorzüglich sorgfältige Erörterung der wichtigsten Einzelheiten und ihrer systematischen Kohärenz und Tragweite in Polanyis philosophischem Werk hat erstmals Helmut Mai, Michael Polanyis Fundamentalphilosophie. Studien zu den Bedingungen des modernen Bewusstseins, Freiburg / München 2009, vorgelegt.

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gewidmeten § 27. Hier macht Kant »die objektive Gültigkeit unserer Urteile«42 zum Schlußthema dieser Deduktion mit der Begründung, daß »der Skepti­ ker«43  – offensichtlich eine typologische Stilisierung der Rolle Humes  – im Rahmen einer polemischen Abgrenzung dieser Deduktion die wichtigste Gegengestalt abgibt. Denn das, was dieser »am meisten wünscht«, besteht darin, daß »alle unsere Einsicht, durch vermeinte objektive Gültigkeit unserer Urteile, nichts als lauter Schein [ist]«.44 Den wichtigsten Hinweis auf die kohärenzstiftende Rolle, die der Leitfaden des Urteilens auch noch unmittelbar jenseits dieser Deduktion ausübt, gibt Kant jedoch selbst noch innerhalb der Formulierung, die dieser abschließende Paragraph primär dem ›Resultat dieser Deduktion‹ bietet. Denn indem die Deduktion selbst ausschließlich die Eigenarten der Bedingungen erörtert, von denen die Legitimierbarkeit des Gebrauchs der Kategorien abhängt, läßt sie analog wie die Konzeption der Urteilsfunktionen und die Metaphysische Deduktion der Kategorien aus Gründen ihrer methodologischen Unzuständigkeit die unmittelbar weiterführende Wie-Frage offen: »Wie sie [die Kategorien, R. E.] aber die Erfahrung möglich machen, und welche Grundsätze der Möglichkeit derselben sie in ihrer Anwendung auf Erscheinungen [also in ihrem auf Erscheinungen angewandten Gebrauch, R. E.] an die Hand geben?«.45 Für die Antworten auf diese beiden Fragen verweist Kant den Leser auf »das folgende Hauptstück«.46 Denn dieses handelt »von dem transz. Gebrauche der Urteilskraft«47, also von der transzendentalen Form des Gebrauchs desjenigen kognitiven Vermögens, dessen Produkte von allen möglichen Typen und Varianten von Urteilen gebildet werden. Die Transzendentalphilosophie analysiert auf ihrem ›critischen Weg‹ planmäßig diejenigen Urteilstypen, die 1.) mindestens die identitätstiftenden Bedingungen der reinen und ursprünglichen Apperzeption erfüllen (vgl. Erster Teil, 7. Ab.), bzw. die 2.) darüber hinaus auch von den von ihr entworfenen Urteilsfunktionen geprägt sind (vgl. Erster Teil, 10. Ab.) und die 3.) auch darüber noch hinaus von den von ihr entworfenen Kategorien geprägt sind (vgl. Erster Teil, 11. Ab.). Mit der Thematisierung des ›transzendentalen Gebrauchs der Urteilskraft‹ leitet Kant innerhalb der Ersten Kritik nur allzu offensichtlich den konstruktiven Anfang des Wegs ein, auf dem er schon lange vor den ersten Schritten auf dem ›critischen Weg‹ an den Punkt gelangt war, an dem er anfing, planmäßig die ›geheime Kraft‹ im Auge zu behalten, ›durch die das Urteilen möglich wird‹ (vgl. Erster Teil, S. 10 ff. sowie 1.–6. Ab.): Innerhalb der Ersten Kritik erreicht Kant mit der Erörterung des ›transzendentalen Gebrauchs der 42 B 168. 43 Ebd. 44 Ebd., Hervorhebung R. E. 45 B 167. 46 Ebd. 47 Ebd.

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Urteilskraft‹ den Punkt, an dem sich innerhalb der Theorie der Erfahrung die größte Tragweite zeigt, mit der Licht auf das Geheimnis der Urteilskraft fällt, also eine erste Aufklärung über die Urteilskraft gelingt.48 Der Leitfaden des Urteilens zeigt seine orientierende Funktion für die Arbeit an der Theorie der Erfahrung bis zum Ende dieser Deduktion also schon an vier systematischen Stellen: 1.) In geradezu revolutionärer Form dadurch, daß Kant, ohne durch irgendein traditionelles Muster angeregt zu sein und ohne in der folgenden Geschichte der Logik eine ebenbürtige Entsprechung zu finden, diese Arbeit mit der Analyse der Bedingung beginnt, durch deren Berücksichtigung jedes urteilende Subjekt im Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption – und nur in diesem Akt – diejenige Form der Einheit unter seinen Vorstellungen zu stiften vermag, ohne die es sich in gänzlicher passiver Hilflosigkeit in einer restlosen empirischen ›Zerstreuung‹ unverfügbarer alogischer Vorstellungen verlieren würde; 2.) in ebenso revolutionärer Form dadurch, daß er diese Analyse mit einem systematischen Entwurf logischer Urteilsfunktionen fortsetzt, deren Gebrauch dieser ursprünglichen Einheit erst diverse spezielle logische Formen von Urteilen verleiht; 3.) in nicht weniger revolutionärer Form dadurch, daß der Leitfaden des Urteilens mit Mitteln einer Metaphysischen Deduktion dahin führt, traditionsreiche ontologische Kategorien wie die der Substanz und der Ursache auf Begriffe zurückzuführen, deren Gegenstände dadurch charakterisiert sind, daß ihre Anschauungen an wohlbestimmte funktionale Stellen in logisch wohlgeformten Urteilen gebunden sind;49 und schließlich 4.) in erhellender Form dadurch, daß dieser Leitfaden im Licht der Entdeckung der strukturellen Unterschiede und funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen dahin führt, die Frage der Transzendentalen Deduktion der Kategorien nach den Bedingungen der Möglichkeit des Gebrauchs der Kategorien im zweiten Anlauf gezielt auch an der Frage nach der Form ihres empirischen Gebrauch in Urteilen zu orientieren. Im unmittelbaren Licht des Resultats der Metaphysischen Deduktion – und damit auf der Grenze zur Transzendentalen Deduktion – muß man sich indessen zunächst mit der Einsicht bescheiden, daß dieser besondere Gebrauch »Bedin48 Zu beachten ist, daß Kant vom transzendentalen Gebrauch der Urteilskraft spricht und nicht etwa von einem von ihm für unmöglich gehaltenen transzendentalen Gebrauch der Kategorien, wie A 296, B 352 zur Genüge einschärft. Auf den Anteil, den eine einzigartige reine Form der Emotionalität am Geheimnis der Urteilskraft teilhat, wirft, wie Wolfgang Wieland, Urteil und Gefühl. Kants Theorie der Urteilskraft, Göttingen 2001, gezeigt hat, die Dritte Kritik das entscheidende Licht. 49 »Kant [darf], selbst wenn seine Kategorientafel unvollständig und daher anfechtbar ist, doch für sich in Anspruch nehmen […], nachgewiesen zu haben, daß wir beim Fällen objektiver empirischer Urteile Kategorien anwenden. Das ist für unser Denken eine bedeutsame Tatsache, die Kants empiristische Vorläufer nicht sahen oder nicht sehen wollten«, Stephen Körner, Kant (engl. 19551), Göttingen 1967, S. 44.

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gungen erfordert, von denen ich nichts weiß«50 – jedenfalls nicht schon dank dieser Metaphysischen Deduktion allein. Analog wie am Ende des Entwurfs der Urteilsfunktionen ergibt sich auch am Ende der Metaphysischen Deduktion der Kategorien ein spezifisches methodologisch bedingtes Nicht-Wissen. Dieses Nicht-Wissen erlaubt dem Denken von Gegenständen der Kategorien Formulierungen von gelegentlich geradezu einfältigen Formen wie »Ich denke die Substanz, die Ursache usw.«.51 In einer elaborierteren, urteilsfunktional orientierten Form zeigt sich dieses Denken z. B. der Substanz in einer Formulierung wie Ich denke »Etwas […], welches bloß als Subjekt (ohne wovon ein Prädikat zu sein) stattfinden kann«,52 und das Denken z. B. der Ursache in einer Formulierung wie Ich denke »etwas, woraus sich auf das Dasein eines anderen schließen läßt«.53 Doch wie elaboriert auch immer man die urteilsfunktionalen Kategorien charakterisieren mag, so muß die im Anschluß an ihre Metaphysische Dedukton fällige Suche nach dem Wie ihres möglichen Gebrauchs angesichts der methodischen Grenzen dieser Deduktion zunächst mit der verlegenen Auskunft beginnen, »wie aber, bleibt hier unbestimmt«.54 An dieser Unbestimmtheit der Antwort auf diese Wie-Frage ändert sich auch dann nichts, wenn man die Metaphysische Deduktion am Leitfaden von Kants vereinzelten Winken so durchführt, daß der urteilsfunktionale Charakter der Kategorien in unmittelbarer formaler Verflechtung mit ihrem Bezug auf einen Gegenstand = X durchsichtig wird (vgl. Erster Teil, bes. S. 265–26855). Umso wichtiger wird diese urteilsfunktionale und formale Durchsichtigkeit, wenn es darum geht zu klären, wie denn nun genau ›die Anschauung eines solchen Gegenstandes = X in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen bestimmt‹ ist (vgl. hierzu unten 14.7. Ab.). Mit dem Hier des Unbestimmtbleibens dieses Wie wird jedenfalls punktgenau die Grenzsituation markiert, in der der Grenzübergang von der Metaphysischen zur Transzen50 51 52 53

A 243, B 301. A 343, B 401. A 242, B 300–A 243, B 301. A 243, B 301. Zu noch genaueren Analysen und Formulierungen vgl. Erster Teil, 11. Ab. Zur Schlüsselformulierung Kants, die den Blick dafür öffnet, daß es sich bei den Kategorien wegen ihres urteilsfunktionalen Kerns um kategoriale Urteilsformen handelt, vgl. unten S. 109–116. 54 B 145. Hervorhebung R. E. Zu Recht berücksichtigt der Herausgeber Raymund Schmidt in einer Fußnote zu diesem § 21 Verweise von Hans Vaihinger und Theodor Valentiner auf § 10 bzw. § 14, die verdeutlichen, daß und warum sogar § 21 immer noch zur Metaphysischen Deduktion gehört. Insbesondere repräsentiert die zitierte Auskunft Kants über die methodologisch unumgängliche Unbestimmtheit des Wie des Modus des Gegebenseinmüssens des Mannigfaltigen der Anschauung den status quaestionis, der sich an der Grenze dieser Deduktion zu ihrer transzendentalen Fortsetzung ergibt. Denn die Antwort auf diese Wie-Frage bildet einen wesentlichen Teil der mit dieser Fortsetzung intendierten Resultate; vgl. hierzu unten S. 29–33. 55 In der Formel auf S. 268 müssen in der rechten Pfelverknüpfung die beiden Index-Ziffern »2« und »1« offensichtlich durch die Index-Ziffern »3« und »4« ersetzt werden.

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dentalen Deduktion der Kategorien beginnt. Dieser Übergang hat die Form der Frage, warum eine Transzendentale Deduktion der Kategorien über deren Metayphysische Deduktion hinaus überhaupt nötig ist. Erst bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß eine Transzendentale Deduktion der Kategorien deswegen nötig ist, weil die urteilsfunktionale Charakterisierung der Kategorien, die durch ihre Metaphysische Deduktion zuwege gebracht wird, aus inneren, methodologischen Gründen ihrer Unzuständigkeit nicht nur die Eine wichtige weiterführende Frage, sondern sogar die zwei wichtigsten weiterführenden Fragen offen lassen muß – nicht nur die Frage, wie man von Kategorien in Urteilen Gebrauch machen kann, sondern ebenso die Frage, ob sich mit den formalen Mitteln der transzendentalen Reflexion und Analyse Bedingungen überhaupt auffinden lassen, mit deren Hilfe man apriori erkennen kann nicht nur, daß, sondern auch wie man von Kategorien in Urteilen zugunsten der Erkenntnis von Gegenständen Gebrauch machen kann. Gleichzeitig zeigt der Rückgriff auf das prätranszendentale, geradezu alltägliche Kriterium der Anschaulichkeit für den Unterschied zwischen dem Denken eines Gegenstandes mit Hilfe von dessen Begriff und seinem Erkennen unter Zuhilfenahme der Anschauung, daß Kant seine transzendentalen Untersuchungen auch mit Hilfe eines externen methodenkritischen Blicks, also gleichsam von außen zu kontrollieren sucht  – also aus dem Blickwinkel des Gebrauchs von empirischen Begriffen und dem diesen Gebrauch spezifisch regulierenden empirischen Anschaulichkeits-Kriterium. Von hier aus läßt sich das Desiderat eines Anschaulichkeits-Kriteriums für den erkenntnisbeflissenen Gebrauch von Begriffen gut verallgemeinern. Denn auch der erkenntnisbeflissene Gebrauch von nicht-empirischen Begriffen wie den Kategorien ist an ein Anschaulichkeits-Kriterium gebunden. Gleichwohl orientiert das generelle Kriterium des Unterschiedes zwischen dem Denken und dem Erkennen eines Gegenstandes in der methodischen Grenzsituation zwischen den beiden Deduktionen lediglich in gänzlich vorläufiger Weise darüber, daß für das Wie eines möglichen Gebrauchs speziell von Kategorien in Urteilen zumindest irgendeine Form von Anschauung in Frage kommen muß: »Die reinen Verstandesbegriffe beziehen sich durch den bloßen Verstand auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, unbestimmt ob sie die unsrige oder irgendeine andere, doch sinnliche, sei«.56 Der Begriff der Anschauung fungiert 56 B 150; da Kant jedoch bis in die Mitte des § 21 offen läßt, welche Sorte von Anschauung den Gegebenheitsmodus für mögliche Gegenstände der Erkenntnis, insbesondere der Erfahrung abgibt, und da in Kants Augen in gänzlich unmißverständlicher Weise erst mit dem zweiten Satz des § 21 »der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe gemacht«, B 144, ist, können die in den §§ 15–20 mitgeteilten Überlegungen nicht einen solchen Anfang bilden. Sie bilden Dokumente, in denen sich Kant zweier Voraussetzungen einer solchen Deduktion vergewissert: 1.) Daß und inwiefern die reinen Kategorien, also »die Kategorien unabhängig von Sinnlichkeit«, B 144, Kants Hervorhebungen, »unter einem reinen Selbstbewußtsein … stehe[n]«, ebd., und 2.) warum diese Kategorien an­

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in dieser ganz besonderen methodischen Situation daher als ein zumindest vorläufig noch partiell unbestimmter Begriff desjenigen kognitiven Vermögens, das, falls es konkret genug bestimmt werden kann, das für den Gebrauch der Kategorien in Urteilen spezifisch angemessene Mannigfaltige unmittelbar zugänglich zu machen befähigt.57 Die partielle Bestimmtheit dieses Begriffs ergibt sich indessen aus der zu Kants Zeit konventionellen empirisch-psychologischen Komponente, Anschauung als das kognitive Vermögen aufzufassen, das wesentlich dazu beiträgt, daß das empirisch sinnenfällige Mannigfaltige in seiner Individualität unmittelbar zugänglich wird, so daß es mit Hilfe von Begriffen zu einer urteilsdienlichen Brauchbarkeit zusammengefaßt werden kann. Auf der Grenze zwischen der Metaphysischen und der Transzendentalen Deduktion der Kategorien findet man sich indessen in einer methodischen Situation, in der Kant selbst dank der Geschicke seiner persönlichen Werkstatt­ geschichte einen besonderen methodischen Kunstgriff zu Hilfe nehmen kann und muß – er »[muß] noch von der Art, wie das Mannigfaltige zu einer empi­ rischen Anschauung gegeben ist, abstrahieren […]«.58 Durch diesen vorläufigen abstraktiven Kunstgriff macht er darauf aufmerksam, daß er nach dem themagesichts des allgemeinen Kriteriums der Anschauungsangewiesenheit auch von empirischen Erkenntnissen und wegen ihrer Reinheit auf einen für ihren Gebrauch spezifisch tauglichen reinen sinnlichen Anschauungsmodus von Manigfaltigem angewiesen sind. Erst mit dem § 21 wird durch den Rekurs auf die schon zur Verfügung stehende Trans­ zendentale Ästhetik in Erinnerung gerufen, daß hierfür »nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinung bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kann«, A 22, B 35. Daher stimme ich ausnahmsweise nicht mit Manfred Baum, Transzendental Proofs in Kant’s ›Critique‹, in: P. Bieri / R .-P. Horstmann / L . Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology Dordrecht 1979, S. 3–26, überein, wenn er behauptet, daß »The first part of the deduction is completed by the second part«, S. 23, Hervorhebungen R. E., und argumentiert, daß »It is already settled in the first part of the deduction that the objects which necessarily correspond to those categories are appearances«, ebd. Denn um was für eine Sorte von »appearances« es sich überhaupt handeln kann, bleibt genauso bis zum § 21 unbestimmt wie die Sorte von Anschauung, die mögliche Gegenstände der Erkenntnis bzw. Erfahrung zu Erscheinungen für uns stempelt. Auch unter diesem Aspekt bilden die §§ 15–20 keinen »first part of the deduction«, sondern eine Hinführung zur Antwort auf die stillschweigende Frage, warum eine Transzendentale Deduktion nötig und wie sie möglich ist. 57 Auf diesen wichtigen Zusammenhang macht daher zur Recht de Vleeschauwer, La déduction III, S. 472, aufmerksam, indem er eine besonders prägnante Passage aus Kants Erstem Entwurf zur Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik kommentiert, die ihm in Vorländers Separat-Edition vorliegt: »Il n’y a rien de particulier à signaler hormis l’alinéa destiné à créer un passage logique de la déduction métaphysique à la déduction transcendentale […] Les catégories supposent [genauer: la question de l’usage possible des catégories suppose, R. E.] nécessairement une intuition correspondante, mais pas nécessairement une intuition à formes spatio-temporelles. Elles sont de pures formes de la pensée d’un objet d’intuition en générale«, Hervorhebung R. E. In der Akademie-Ausgabe findet sich diese von Vleeschauwer kommentierte Passage XX , 272. 58 B 144, Hervorhebung R. E.

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tisierten Wie nicht eigentlich mehr suchen muß, weil er die damit verbundene Wie-Frage eben dank der besonderen Geschicke seiner persönlichen Werkstattgeschichte ohne weiteres mit Hilfe der ihm schon länger zur Verfügung stehenden Transzendentalen Ästhetik beantworten kann: Die Frage kann durch den Rückgriff auf diese Theorie mit der inner-theoretischen Erinnerung beantwortet werden, daß wir »laut der transz. Ästhetik«59 »Formen der äußeren sowohl als der inneren sinnlichen Anschauung a priori an den Vorstellungen von Raum und Zeit [haben]«.60 Diese Theorie muß zwar wegen ihrer methodischen und ihrer sachlichen Unzuständigkeit wiederum die Frage offen lassen, »ob es Dinge geben könne, die in diese[n] Form[en] angeschaut werden müssen«.61 Denn »[wir] [isolieren]… in der transzendentalen Ästhetik die Sinnlichkeit«62. Doch da einerseits wiederum »[d]ie Kategorien des Verstandes […] uns gar nicht die Bedingungen vor[stellen], unter denen Gegenstände gegeben werden können«,63 und da andererseits Die Analytik der Begriffe (A 65, B 90–A 83, B 116) umgekehrt und ebenfalls aus methodologischen Gründen die Begriffe, also die Kategorien ›isoliert‹, liegt am Ende der Metaphysischen Deduktion der Kategorien nichts näher, als zu prüfen, ob sich das entsprechende allgemeine methodologische Postulat auch speziell mit Blick auf die Kategorien fruchtbar machen läßt: »Daher erfordert man auch, einen abgesonderten Begriff sinnlich zu machen, d. i. das ihm korrespondierende Objekt in der Anschauung darzulegen, weil, ohne dieses, der Begriff (wie man sagt) ohne Sinn, d. i. ohne Bedeutung bleiben würde«.64 Mithin prüft man im Sinne dieses Postulats, ob sich die ›abgesonderten‹, also abstrakten, durch ihre Metaphysische Deduktion gewonnenen urteilsfunktionalen, kategorialen Begriffe dadurch ›sinnlich machen‹ lassen, daß man die ›Formen der äußeren sowohl als der inneren sinnlichen Anschauung a priori von Raum und Zeit‹ mit den Bedingungen identifiziert, ›unter denen Gegenstände gegeben werden können‹, so daß diese Begriffe also ›Sinn, d. i. Bedeutung‹ haben können. An diesem Punkt überschneiden sich offensichtlich unterschiedliche Formu­ lierungen desselben formalen Kriteriums, mit dessen Thematisierung eine Enleitung in die Untersuchungen der Transzendentalen Deduktion gelingen kann. Denn bei den Bedingungen, unter denen Begriffen Gegenstände gegeben werden können bzw. unter denen Begriffe Sinn, d. i. Bedeutung haben können bzw. gebraucht werden können, handelt es sich generell um die »Bedingungen der 59 B 136. 60 B 160; Kant verweist im unmittelbaren Anschluß an die Wie-Frage, B 144, selbst auf diesen § 26.  61 B 147; die Plural-Grammatik habe ich mit Blick auf den inhaltlichen Zusammenhang der beiden Zitate angepaßt, ohne den von Kant intendierten sachlichen Zusammenhang zu stören. 62 A 62, B 87. 63 A 89, B 122. 64 A 240, B 299, Kants Hervorhebung.

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sinnlichen Anschauung«.65 Eine tranzendentale Deduktion der Kategorien, also eine transzendentale Rechtfertigung66 des Gebrauchs der Kategorien ist indessen deswegen nötig, weil die Kategorien in einem nicht leicht zu meisternden, paradoxen logischen und methodologischen Spannungsfeld verortet sind: 1.) Sie sind einerseits Begriffe apriori, also (ihrem Ursprung nach) nicht-empirische Begriffe; 2.) aber gleichwohl »[können] [sie, R. E.)] jederzeit nur von empirischem Gebrauche sein«.67 Doch diese unmißverständlich starke modale These über den jederzeit ausschließlich empirisch möglichen Gebrauch der Kategorien kann wiederum keine empirisch, sondern nur eine nicht-empirisch begründbare These sein.68 Sie kann daher auch nicht unter Berufung auf den empirischen Typ ›sinnlicher Anschauung‹ begründet werden. Durch ihn werden uns in konkreten (empirischen) Einzelfällen von Empfindungen, Wahrnehmungen und 65 B 137. 66 Vgl. bes. A 84, B 116–A 85, B 117. Angesichts der grandiosen syllogistisch-deduktionslogischen Mißverständnisse des Argumentationsformat der Transzendentalen Deduktion durch Magadalena Aebi, Kants Begründung der deutschen Philosophie, Basel 1947, war es nützlich, daß Dieter Henrich, Diskussionsbeiträge, in: Die Beweisstruktur der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe  – eine Diskussion mit Dieter Henrich, in: B. Tuschling, (Hg.), Probleme der »Kritik der reinen Vernunft«. Kant-Tagung Marburg 1981, Berlin / New York 1984, S. 41–96, ausdrücklich und ausführlich an die nicht-syllogistische und auch sonst nicht-deduktionslogische Argumentationsform dieser Transzendentalen Deduktion erinnert hat, vgl. bes. S. 84–92. Dennoch sollte die frühere, denselben Punkt betreffende, von beißendem Spott durchdrungene Rezension des Buches von Aebi durch Julius Ebbinghaus, Magdalena Aebi und Immanuel Kant (19541), wieder abgedr. in: ders., Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden, Darmstadt, 1968, S. 120–139, bes. S. 134 ff. nicht vergessen werden. Vgl. jedoch auch schon die lakonische Klarstellung bei Martin Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik (19511), Frankfurt / M. 1965, S. 76 f. Doch ebenso wenig wie es sich bei dieser Deduktion um eine Deduktion von irgendwelchen Konklusionen aus irgendwelchen Prämissen nach irgendwelchen formal-logischen Ableitungsregeln handelt, handelt es sich bei ihr – ganz unbeschadet der Übernahme des Terminus Deduktion aus der zeitgnössischen Sprache der Juristen, vgl. A 84, B 116–A 85, B 117 – um so etwas wie einen transzendentalen Spezialfall einer juridischen ›Deduktion‹. Kants Unterscheidung zwischen der Frage quid facti und der Frage quid iuris, vgl. A 84, B 116 f., sollte nicht zu der Auffassung verleiten, es gehe in dieser Deduktion um die Frage nach dem Recht auf oder an oder in irgendetwas. Mit guten Gründen hat Kant den Terminus Deduktion für dieses transzendentale Unterfangen gewählt und paraphrasiert ihn im selben Zusammenhang durch seine Rede von der »Rechtfertigung«, A 96, und zwar der Rechtfertigung »ihres [der Kategorien] Gebrauchs«, A 85, B 117, Hervorhebung R. E., nämlich ihres »Gebrauchs in Urteilen«, A 248, B 305. Insofern gibt es wenigstens eine Analogie zum rein juridischen Fall der Deduktion, also der Rechtfertigung des Gebrauchs eines (körperlichen) Sache, vgl. VI, S. 361 ff. 67 A 246, B 303; vgl. auch A 139, B 178. Zu der nur relativen Berechtigung, den Gebrauch der Kategorien auf ihre empirische Gebrauchsform einzuschränken vgl. oben S. 17–18. 68 Daß die Apriorität einer These, eines Urteils oder eines Satzes vor allem eine Eigenschaft der Gründe ist, auf denen deren Wahrheit beruht, und in diesem indirekten Sinne dann auch eine Eigenschaft der These, des Urteils bzw. des Satzes selbst, deren Wahrheit auf solchen Gründen beruht, zeigt V, 221.

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anderen sensitiven Widerfahrnissen Vorstellungen von Entitäten vermittelt, die im Hier oder Dort des Raumes lokalisiert und im Jetzt, im Früher oder Später oder im Nacheinander der Zeit datiert werden. Es muß sich vielmehr um eine Anschauung apriori handeln, wenn man im nicht-empirischen Rekurs auf sie Sätze zu begründen sucht – also mit Hilfe der gelegentlich so apostrophierten transzendental arguments69 –, die den ausschließlich empirisch möglichen Ge69 Peter F. Strawson, Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics (19591), London 1971, hat das Stichwort für den Typus eines solchen Arguments mit traditionsstiftender Tragweite gegeben, vgl. S. 40 f.. Der Terminus transcendental arguments wird von ihm als Teil einer Antwort auf eine Frage eingeführt, die »already foreshadowed«, S. 38, ist: »…, is there any one distinguishable class or category of particulars which must be basic from the point of view of particular-identification«, ebd. Aus dem Zusammenhang ist indessen klar, daß Argumente dieses Typs in Strawsons Augen die – und nur die – Rolle haben, die Einzigartigkeit eines Kategoriensystems und eines raum-zeitlichen Koordinatensystems plausibel zu machen, das der demonstrativen raum-zeitlichen Identifizierung und Reidentifizierung von materiellen Entitäten dient, vgl. S. 119–120, bes. S. 119: »… the theoretical indis­ pensability of a demonstrative element in identifying thoughts about particulars is … a necessary feature of any conceptual scheme, of any ontology, in which particulars occur«. Zwar kann nicht gut bestritten werden, daß Kants Theorie der Erfahrung im ganzen und unter Zuhilfenahme seiner Raum-Zeit-Theorie u. a. auch diesem Ziel dienstbar gemacht werden kann; vgl. Strawsons entsprechende Anspielung auf Kants »saying that space and time are our only forms of intuition«, S. 119; vgl. hierzu unten S. 38, Anm. 107. In seinem Buch The Bounds of Sense. An Essay on Kants Critique of Pure Reason, London 1966, hat Strawson die wichtigsten Züge des von ihm favorisierten Typs eines transzendentalen Arguments in Kants Transzendentaler Deduktion ausfindig zu machen gesucht und in seiner gegliederten Gestalt in sechs Thesen skizziert, »which Kant assumes or argues for«, S. 24. Wie man jedoch mit Hilfe einer Überlegung aus unveröffentlichten Manuskripten Rudolf Carnaps zeigen kann – vgl. hierzu den Bericht bei Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Band IV. Personelle und statistische Wahrscheinlichkeit, Berlin / Heidelberg / New York 1973, S. 507–513, bes. S. 510–513 –, läuft der Rückgriff Strawsons auf ein entsprechendes Koordinatensystem auf einen Zirkel hinaus. Denn jedem dieser konventionellen raum-zeitlichen Koordinatensysteme liegt ein von Carnap so apostrophiertes absolutes Koordinatensystem zugrunde, dessen Ursprung selbst schon durch einen deiktischen, demonstrativen Ich-bin-jetzt-hierAkt festgelegt werden muß. Carnaps Argument macht darauf aufmerksam, daß kein Benutzer eines der konventionellen, also relativen raum-zeitlichen Koordinatensysteme durch Orientierung bloß mit dessen Hilfe wissen kann, wie er einen Weg von seinem gegenwärtigen Hier-und-jetzt-Aufenthaltsort zu irgendeinem der von diesem Koordinatensystem umfaßten Ort finden kann, solange er dieses Koordinatensystem nicht direkt mit dem empirischen Ursprung seines deiktisch-demonstrativ festgelegten Ich-bin-jetzthier-Koordinatensystems koordinieren kann. Dem raum-zeitlichen Koordinatensystem, innerhalb von dem nach Strawson demonstrative raum-zeitliche Identifizierungen und Reidentifizierungen von individuellen Entitäten möglich sein sollen, muß vom identifizierenden Subjekt ein Ich-bin-jetzt-hier-Koordinatensystems vorgeschaltet werden, wenn es für die kognitiven Aufgaben des Suchens und Findens von Wegen zu demonstrativ identifizierbaren und reidentifizierbaren Entitäten innerhalb eines der konventionellen raum-zeitlichen Koordinatensysteme brauchbar sein soll; zu dieser Strawson-Kritik vgl. schon vom Verf., Wahrheit und Entdeckung. Logische und erkenntnistheoretische Un-

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brauch der nicht-empirischen Kategorien betreffen. Nur dann kann es gelingen, zu einer Erkenntnis apriori zu gelangen, die Kants Teilkriterium des Transzendentalen genügt, nämlich zu einer Erkenntnis, »dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden können«.70 Die für eine solche transzendentale Erkenntnis nötige Verfügung über eine apriorische bzw. reine Anschauung71 hat Kant auf die »formalen Bedingungen des Raumes und der Zeit«72 zurückgeführt. Deren Apriorität besteht indessen gerade in ihrer Formalität,73 also darin, daß man sich auf diesen Typ der (reinen, also nicht-empirischen) Anschauung berufen kann, wenn man Behauptungen zu begründen sucht, die zu verstehen geben, in welchen reinen, also nicht-empirischen zeitlichen bzw. räumlichen Formen, also »wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde«.74 Weil Kant in Gestalt der »transzendentalen Ästhetik« über eine Theorie verfügt, die »so gewiß und ungezweifelt sei, als jemals von einer Theorie gefordert werden kann«, verläßt er sich darauf, daß sie »zum Organon dienen«75 kann, also zum Werkzeug, mit dessen Hilfe man innerhalb aller anderen Verzweigungen der Transzendentalphilosophie mit uneingeschränktem Zutrauen arbeiten kann. Ihre erste Bewährungsprobe kommt auf die Werkzeug-Rolle dieser Theorie mit den Aufgaben der Transzendentalen Deduktion der Kategorien zu.76 Im

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tersuchungen über Aussagen und Aussagenkontexte, Frankfurt / M., 1986, bes. S. 323–332. Zu der ganz anderen Frage, ob transzendentale Argumente des von Strawson inaugurierten Typs für den Typ der Argumentation spezifisch charakteristisch sind, die Kant insbesondere innerhalb der Transzendentalen Deduktion der Kategorien entwickelt, vgl. jedoch unten 14. Ab. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem von Strawson inaugurierten Typ transzendentaler Argumente im Kontext der Auseinandersetzung mit Kants Transzendentaler Deduktion der Kategorien vgl. schon vor allem die Beiträge von Manfred Baum, Wolfgang Carl und Günther Patzig in: P. Bieri / R .-P. Horstmann / L . Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht 1979. Zu dem einzigen scharf profilierbaren Typus eines transzendentalen Arguments im Kantischen Kontext vgl. unten S. 163, Anm. 525. A 56, B 80, Hervorhebungen R. E. Zur Reinheit dieser Anschauung (von allem Empirischen), vgl. vor allem A 20, B 34–A 21, B 35. B 136, Hervorhebung R. E. Zur Formalität des Apriorischen und zur Apriorität des Formalen vgl. vor allem A 21, B 34 f. B 144. A 46, B 64. Rückt man die methodische Rolle dieser ersten Bewährungsprobe in den Mittelpunkt der instrumentellen Rolle der Transzendentalen Ästhetik, dann gewinnen Kants Bemerkungen zu einem Vorhaben Johann Sigismund Becks besondere Bedeutsamkeit: »Wie wenn Hr. Bek von den categorien, die für sich keine Bedeutung haben, aber doch Begriffe a priori sind, anfinge, dann zu Anschauung a priori, die ihnen correspondieren, fortschritte und so auf Raum, Zeit … käme«, R 6353, S. 679; ebenso die Bemerkung: »Ich sehe nicht ein, warum man nicht mit Hrn. Bek von den categorien Anfangen sollte, doch so, daß davon

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Rahmen dieser Deduktion kommt es indessen vor allem auf die eine der von ihr analysierten Dimensionen der reinen sinnlichen Anschauung a priori an – auf die (reine) zeitliche Anschauung (apriori). Denn »alle unsere Erkenntnisse [sind] zuletzt doch der formalen Bedingung unseres inneren Sinns, nämlich der Zeit unterworfen […], als in welcher sie insgesamt geordnet, verknüpft und in Verhältnisse gebracht werden müssen«.77 Vor allem Paton hat gleichwohl zu Recht nachdrücklich betont, »detrimental to the argument [of the deduction as a whole, R. E.] is [Kant’s, R. E.] failure, in the first edition, to stress sufficiently the importance of time as the connecting link between apperception and the manifold of sense. He does indeed assert, at the very outset, that his whole argument rests upon the fact that all our cognitions are subject to time as the form of inner sense«.78 Paton verweist selbst auf A 99 und ergänzt: »[…] but as he proceeds time is so little emphasised that it might seem to be a mere parallel to the unity of apperception, rather than the medium through which the categories must apply to the sensible world«.79 Auch diese von Paton zu Recht betonte Überlegung Kants ist – analog wie bei der Erörterung des Begriffs des Gegenstands der Erkenntnis das Argument mit Hilfe der dawider-Etymologie80 – nur dann verständlich und sachlich plausibel, wenn man berücksichtigt, daß ›alle Erkenntnis in Urteilen besteht‹.81 Denn dies impliziert, daß unmittelbar auch ›alle unsere Urteile zuletzt doch der formalen Bedingung unseres inneren Sinns, nämlich der Zeit unterworfen sind, als in welcher sie insgesamt geordnet, verknüpft und in Verhältnisse gebracht werden müssen‹. Wie vor allem die Überlegungen der Drei-Synthesen-

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zugleich gestanden würde, daß diese reine Verstandesbegriffe, ohne ihnen Sinnlichkeit als Materia circa quam unterzulegen, gar kein Erkentnis hervorbringen könnten. … Nun würde er die letztere [die Categorien, R. E.] auf die Erscheinungen überhaupt in Raum und Zeit als Anschauungen anwenden«, R 6358, S. 684. Paton, Experience I, geht sogar so weit zu bedenken zu geben, daß »Kant’s doctrine [of space and time, R. E.], if this [i. e. Paton’s, R. E.] interpretation is correct, can be understood only in the light of Transcendental Deduction of the Categories«, S. 150. Genauer gibt Paton zwar zu verstehen, daß »The intimate connection of space and time is not treated adequately [by Kant, R. E.]«, S. 151; doch es könnte ein methodischer Fehler Patons sein, von der Plausibilität dieser intimate connection das Urteil darüber abhängig zu machen, ob die Raumtheorie für sich und die Zeittheorie für sich tragfähig ist. A 99. Paton, Experience I, S. 499–500. Zu Klärung der These, daß und vor allem wie, also in welcher Form die Selbstaffektion ›the connecting link between apperception and the manifold of sense‹ bildet, vgl. unten 13.2.–13.3. Ab. S. 500. Aus guten Gründen stimmt daher Paul Guyer, Kant and the Claims of Knowledge, Cambridge 1987, mit Patons kritischen Bedenken wegen Kants Unterbelichtung der temporalen Form nicht nur kategorien-geleiteter Erkenntnisse überein, vgl. S. 87–90; wie Paton betont er die Wichtigkeit vor allem von A 99, vgl. S. 89 f.; allerdings erwähnt er die zuerst von Paton formulierten wichtigen Vorbehalte nicht; vgl. daher unten S. 35, Anm. 83. Vgl. Erster Teil, 11. Ab., bes. S. 254–260, 268 f. sowie oben S. 15–16. Vgl. R 4638 und Erster Teil, S. 10, 103, 226370.

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Konzeption (A 98–104) zu verstehen geben, sind alle unsere Erkenntnisse der formalen Bedingung des inneren Sinns, der Zeit insofern unterworfen, als sie wegen ihrer urteilsförmigen Struktur nicht nur dem Gebrauch der Urteilsfunktionen durch das urteilende Subjekt unterworfen sind. Außerdem sind sie ebenso der Bedingung unterworfen, daß das Subjekt des Urteilens von den im Urteil gebrauchten Vorstellungen bzw. von den diese Vorstellungen ausdrückenden Worten nur nacheinander, sukzessiv Gebrauch machen kann, und zwar stets und nur in integraler Verbindung mit der Synthesis der Apprehension, der der Reproduktion und der der Rekognition.82 Die sentenzenförmige Zusammenfassung dieser Mikroanalyse der zeitlichen Form des Urteilsakts hat Kant mit der Reflexion gefunden: »Nun ist in jedem Urteilsakt subjektiv eine Zeitfolge«.83 Daß es sich bei der temporalen, sukzessiven Form der Anschauung um eine Form der Anschauung apriori handelt, bedeuet in Kants Theorie bekanntlich in der am prominentesten gewordenen Form, daß es sich um eine von aller Erfahrung unabhängige (und insofern auch um eine reine, also um eine von allen empirischen Elemente reine)  Form handelt.84 Doch auch das Kriterium der Erfahrungsunabhängigkeit bleibt von der Revision nicht unberührt, mit der in den Prolegomena die formalen Beziehungen gänzlich neu konzipiert werden, die in der ersten Auflage der Ersten Kritik vorläufig noch als die Beziehungen charakterisiert werden, die lediglich zwischen vielen Wahrnehmungen und der Einen Erfahrung bestehen. Erst unter den Vorzeichen des urteilsana­ lytischen Fortschritts der Prolegomena kann man durchschauen, daß es sich bei den ›vielen Erfahrungen‹, die hier kritisch aufs Korn genommen werden, um Pseudo-Erfahrungen und in Wahrheit um den Unterschied zwischen vielen Wahrnehmungen und vielen Erfahrungs-urteilen handelt.85 Die terminologisch standardisierte Charakterisierung der Apriorität als die Unabhängigkeit von aller Erfahrung bedeutet daher im Licht dieser Revision die Unabhängigkeit 82 Vgl. Erster Teil, 8. Ab. 83 XX , 369. Wie wichtig die Erinnerung an die in diesen Untersuchungen schon öfter zitierte Einsicht Kants in die interne und unthematische Zeitlichkeit des Urteilsakts ist, läßt sich auch indirekt ermessen. Guyer, Knowledge, behandelt ausgerechnet im Kapitel Transcendental idealism and the theory of judgement, vgl. S. 371–383, ausschließlich »judgements about temporal relations«, bzw. »judgements of time-determination«, S. 371, Hervorhebungen R. E., also Urteile, durch die zeitliche Relationen ausdrücklich und gegenständlich thematisiert werden. Wie schon der Abschnitt The deduction and time-determination, vgl. S. 87–90, zeigt, ist Guyer durch seine thematische Konzentration auf das Thema der durch den Kategorien-Gebrauch ermöglichten objektiven Erkenntnis von Anfang an so befangen, daß die nicht-determinierte interne Zeitlichkeit des Urteilsakts selbst ausgeblendet bleibt. Derselbe blinde Fleck zeigt sich auch in seiner Behandlung des Themas der Selbstaffektion, vgl. S. 4612. Zu der Frage, warum dies gerade auch bei diesem Thema ein ›blinder Fleck‹ ist, vgl. unten S. 73, Anm. 231. 84 Vgl. z. B.: »apriori (völlig unabhängig von aller Erfahrung)«, A 85, B 117, Hervorhebung R. E.; »a priori und vor aller Erfahrung gültig«, A 159, B 198, Hervorhebung R. E. 85 Vgl. Erster Teil, Einleitung, bes. S. 48–51.

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von allen Erfahrungs-urteilen und nur insofern auch die von ›aller Erfahrung‹, also auch von dem »absolute[n] Ganze[n] aller möglichen Erfahrung«.86 Diese Revision öffnet jedoch gleichzeitig auch den Blick dafür, daß die einfache Berufung darauf, daß »meine Vorstellungen [einander] [folgen]« und daß »wir […] uns ihrer, als in der Zeitfolge, d. i. nach der Form des inneren Sinnes, bewußt [sind]«,87 nicht ausreicht, um sicherzustellen, daß diese Form nicht eine emprische Form »dieses oder jenes Sinns … ist«,88 sondern »eine reine Form der sinnlichen Anschauung«89 bzw. »der inneren Anschauung«90 bzw. »des inneren Sinns«.91 Entsprechend macht das Urteil über diese reine, also nicht-empirische Form der (inneren) Anschauung bzw. des inneren Sinns nicht den Inhalt eines empirisch-psychologischen Urteils geltend, sondern den Inhalt eines nicht-­ empirischen Urteils, das aus einer formal-transzendentalen Reflexion und Analyse hervorgegangen ist. Diese thematisiert und klärt zwar eine Form, in der noch vor allen Erfahrungs-urteilen und insofern vor bzw. unabhängig von aller Erfahrung »alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Gegenstände [z. B. die Sonne, einen Stein, eine Portion Wachs, eine Portion Ton oder einen Ofen R. E.] haben oder nicht [z. B. Empfindungen wie Wärme, Helligkeit, Süße, Lautstärken, Gerüche, R. E.], […] doch an sich selbst, als Bestimmungen des Gemüts, […] unter die formale92 Bedingung der inneren Anschauung, mithin die93 Zeit [gehören]«.94 Doch so vielfältig und unmißverständlich Kants Bekundungen auch sein mögen, daß sich diese so apostrophierte reine Form mit Mitteln der formaltranszendentalen Reflexion und Analyse ausfindig machen läßt, so sehr lassen diese Bekundungen doch auch ein methodisches Desiderat offen, dessen sich solche Reflexionen und Analysen auf ihrem weiteren Weg annehmen müssen. Denn von den Leitaspekten, die Kant solchen Reflexionen und Analysen in Gestalt der vier Paare von Reflexionsbegriffen mit auf den Weg gibt,95 hat er den in diesem thematischen Zusammenhang in gewisser Weise wichtigsten zumindest 86 87 88 89 90 91 92 93 94

IV, 328.

A 37, B 54*. A 45, B 62. A 31, B 47, Hervorhebung R. E. A 34, B 50. A 37, B 54*. Vorländers Kasus-Konjektur. Vorländers Kasus-Konjektur. A 34, B 50. Daß der Begriff der Sukzessivität bzw. des Nacheinander ein Resultat der nachträglichen, transzendentalen Reflexion auf die an sich nicht-begriffliche temporale Form der Anschauung ist, wie Manfred Baum, Erkennen und Machen, in: B. Tuschling (Hg.), Probleme der »Kritik der reinen Vernunft«. Kant-Tagung Marburg 1981, S. 161–177, zu Recht betont, vgl. S. 171 ff., sollte sich inzwischen zwar von selbst verstehen, bedarf aber anscheinend immer wieder einmal der ausdrücklichen Erinnerung. 95 Vgl. A 262, B 317–A 263, B 319.

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am stiefmütterlichsten behandelt. Denn wo man mit Hilfe dieser Leitaspekte zu Einsichten in die Form von etwas gelangt, gehört es zu den methodischen Pflichten, so genau wie möglich auch den Typ der Materie zu bestimmen, die die Rolle des … etwas innehat, dessen Form die apostrophierte Form ist. Andernfalls bleibt unbestimmt, durch Reflexion auf welche genuine Materie und durch Analyse welcher genuinen Materie man zu der Einsicht gelangen kann, daß die Sukzessivität bzw. das Nacheinander ihre reine Form ist. Doch welches ist die reine, also von allen empirischen Momenten reine Materie, durch deren formal-transzendentale Analyse man zur Einsicht in die behauptete Reinheit der (Form der) reinen inneren Anschauung bzw. des reinen inneren Sinns gelangen kann? Irritierenderweise bemerkt Kant selbst, daß »darin [in der inneren Anschauung, R. E.] die Vorstellungen äußerer Sinne den eigentlichen Stoff ausmachen«.96 Doch wie ist die von Kant behauptete Reinheit dieser Form der inneren Anschauung bzw. des inneren Sinns gegen den Vorbehalt gefeit, daß sie in Wahrheit die spezifische empirische Form des sukzessiven Affiziert-werdens durch Vorstellungen äußerer Sinne, also durch optische, akustische und andere wahrnehmungsrelative Vorstellungen sei? Es ist daher kein Zufall, daß die §§ 24–25 mit Hilfe einer deutlich markierten ›Einschaltung‹ ausführlich darum bemüht sind, »das Paradoxe … verständlich zu machen«, »was jedermann bei der Exposition des inneren Sinnes (§ 897) auffallen mußte«.98 Vor allem wird hier in ganz unmißverständlicher Form der Verdacht zerstreut, daß die Reinheit der zeitlichen Form der inneren Anschauung bzw. des inneren Sinns auch nur im mindesten dadurch gestört sein könnte, daß diese Form durch das Affiziert-werden des Subjekts von empirischen ›Vorstellungen der äußeren Sinne‹ gleichsam verunreinigt sein könnte. Denn das Affiziert-werden, um das es im Rahmen dieser ›Einschaltung‹ geht, hängt ausschließlich davon ab, »wie wir innerlich von uns selbst affiziert werden«.99 Das Wie der damit erneut thematisierten Selbstaffektion erläutert Kant mit Hilfe eines bedeutungsanalytischen »d. i.«100 als den Modus, in dem wir, »was die innere Anschauung betrifft, unser eigenes Subjekt … erkennen«.101 Durch die Erkenntnis des eigenen Subjekts, die damit der Selbstaffektion als ihr charakteristischer kognitiver Erfolg zugeschrieben wird, gewinnt man zwar nicht eine Einsicht, »wie … unser eigenes Subjekt … an sich selbst ist«, aber doch immerhin die Einsicht, wie es »als Erscheinung«102 ist. Gleichwohl »ist mein eigenes Dasein nicht

96 B 67, Kants Hervorhebungen. 97 Korrektur Gawronsky. 98 B 152. 99 B 156, Hervorhebungen R. E. 100 Ebd. 101 Ebd., Hervorhebung R. E. 102 Ebd.

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Erscheinung«,103 also die Tatsache meines Daseins ist ›nicht Erscheinung‹. An dieser Erkenntnis des eigenen Subjekts und der Tatsache seines Daseins ist, weil sie die Erscheinung und nicht das An-sich-sein des eigenen (denkenden ) Subjekts betrifft, auch ein anschauliches Moment beteiligt, durch das die apostrophierte Erkenntnis des eigenen Subjekts eine Form der »Selbstanschauung«104 gewinnt. Deren ›anschaulicher‹ Charakter hängt davon ab, daß die fragliche Erkenntnis »eine a priori gegebene Form, d. i. die Zeit zum Grunde liegen hat«.105 Die schwierigen Interpretations- und Beurteilungsprobleme, die Kants Charakterisierungen der Selbstaffektion in diesen §§ 24–25 bereiten, orientieren sich zwar in unübersehbarer, wenngleich oft nur in stillschweigender Weise an dem für die Thematisierung der Selbstaffektion zentralen Ausgangspunkt des Urteils Ich denke. Doch dieses Urteil ist bei genauerem Hinsehen elliptisch. Denn es hat zwar eine »logische Funktion«.106 Indessen erläutert Kant diese logische Funktion, indem er zu bedenken gibt, daß »Ich, als denkend Wesen, […] das absolute Subjekt aller meiner möglichen Urteile [bin]«.107 In diesem Sinne fehlt dem Urteil 103 B 157. 104 B 157*. 105 Ebd 106 B 428. 107 B 429. In seinem Kant-Buch macht Peter F. Strawson, The Bounds of Sense, An Essay on Kants’ Critique of Pure Reason, London 1966, von dem von ihm geprägten Terminus transcendental arguments zwar nicht Gebrauch, wohl aber in seinem systematischen Buch Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics, London 1959, vgl. S. 40 f. Trotzdem ist unübersehbar, daß er charakteristische Merkmale eines solchen Arguments in seinem Kant-Buch in sechs Punkten zusammenzufassen sucht. Denn er versucht »to show what the limiting features must be of any notion of experience which we can make intelligible to ourselves«, S. 24. Das zweite dieser Merkmale verlangt, »that there must be such unity among the members of some temporally extended series of experiences as is required for the possibility of self-consciousness, or self-ascription of experiences, on the part of a subject of such experiences«, ebd. Doch damit stellt Strawson die von Kant ins Auge gefaßten Bedingungszusammenhänge geradezu auf den Kopf. Denn es ist nicht irgendeine beliebige ›unity among the members of some temporally extended series of experiences‹, was ›is required for the possibility of self-consciousness, or self-ascription of experiences, on the part of a subject of such experiences‹. Es ist vielmehr umgekehrt die »logische Funktion«, B 429, des unthematisch und spontan fungierenden Ich denke, die diese und jede andere ›unity‹ zugunsten der logischen Form eines Urteils stiftet, vgl. hierzu Erster Teil, 7.–8. Ab. Außerdem ist ›self-consciousness‹ im Sinne Kants nicht an einen sprachlichen Akt von ›self-ascription‹ von was auch immer gebunden, sondern bedeutet das Bewußtsein eines Subjekts, den Akt der Verbindung von Vorstellungen zugunsten der logischen Form eines Urteils selbst, also spontan bzw. selbsttätig zu vollziehen. ­Strawson bleibt diese Form der spontanen Stiftung der logischen Einheit eines Urteils durch ein unthematisch denkend-fungierendes Ich fremd, weil er in seiner Interpretation an einer Cartesischen und damit an einer substanz-ontologischen Konzeption eines Ego orientiert bleibt, vgl. bes. S. 95–96, 163–169. Rüdiger Bubner, Transcendental Arguments and the Problem of Deduction, in: Review of Metaphysics 28 (3), 1975, S. 453–467, scheint so etwas wie den singulären Typ des transcendental argument mit der gesamten Transzendenta-

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Ich denke zwar die formale Komponente, die den Umstand ausdrücklich, aber formal repräsentiert, daß »ohne den Stoff zum Denken … […] der Aktus, Ich denke, doch nicht stattfinden [würde]«.108 Doch da Kant ebenso zu verstehen gibt: »Wir können nur durch Urteile denken«,109 kann und muß dieses insofern elliptische Urteil so ergänzt werden, daß der ›Stoff zum Denken‹ durch das dafür nötige Urteil formal repräsentiert wird. Dies ist offensichtlich möglich unter Zuhilfenahme der formalen Komponente … daß-p, die in unbestimmter, also abstraktiv andeutender Form das Urteil-überhaupt repräsentiert, durch das allein wir diesen Stoff denken können – also in der Form Ich denke, daß-p.110 Nur vom Urteil Ich denke bzw. Ich denke, daß-p ausgehend, können sich Kants Analysen der Selbstaffektion u. a. in die Urteile verzweigen »Ich, als … denkend Subjekt, erkenne mich selbst als gedachtes Objekt«111 bzw. Ich, der ich denke, bin identisch mit dem von mir gedachten (denkenden) Subjekt112 und »Ich, der ich denke, [bin, R. E.] von dem Ich, das sich selbst anschaut, unterschieden, … und doch mit diesem letzteren als dasselbe Subjekt einerlei […]«113 bzw. Ich, der ich denke, bin identisch mit dem angeschauten (denkenden) Ich.114 Kants bekanntes Schwanken zwischen dem »Begriff, oder, wenn man lieber will, len Deduktion zu identifizieren, von der aus aus Kants Feder immerhin zwei gründlich verschiedene Fassungen gibt. Er hebt hervor, daß »… the argument of the transcendental type makes a decisive advance over the merely factual demonstration [of having knowledge, R. E.]«, S., und identifiziert es damit doch allzu einfach mit der Antwort auf die quaestio iuris. Ähnlich simplifizierend behauptet Richard Rorty, Transcendental Arguments, Self-Reference, and Pragmatism, in: P.  Bieri / R .-P.  Horstmann / L .  Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht / Boston / London 1979, S. 77–103, daß »Such an argument has as its paradigms the arguments (… of the Transcendental Deduction and the Refutation of Idealism«, S. 79. Zum einzigen mit Kants Mitteln scharf profilierbaren Typ eines trans­zendentalen Arguments vgl. unten S. 163, Anm. 525. 108 B 422*. 109 R 5650. 110 Vgl. hierzu auch Erster Teil, bes. S. 91–92 und 129–134. 111 B 155, Kants Hervorhebungen; vgl. auch unten S. 39, Anm. 113; zu weiteren Verzweigungen vgl. unten S. 39–47. 112 Zu Kants eigenem Kriterium für die sachliche Angemessenheit dieser subjekt-identitären Paraphrase von Kants Formulierung vgl. unten Ab. 13.2, bes. S. 48–51. 113 B 155, Hervorhebung R. E. Es ist außerordentlich bemerkenswert, daß Kant schon hier, in der zweiten Auflage der Ersten Kritik und insbesondere im Rahmen der Erörterungen der Form der Selbstaffektion die subjekt-identitäre Grammatik des Ich, der ich … nutzt, die er in der wichtigen späteren Reflexion 3145 nutzt, um Licht in die subjekt-identitäre Tiefengrammatik der Wahrnehmungsurteile zu bringen; vgl. hierzu Erster Teil, S. 3376, 38 f., 68197. Diese subjekt-identitäre Urteilsform bildet in Kants Theorie offensichtlich ganz unabhängig von den Urteilsfunktionen der Urteilstafel die elementarste Form einer die Identität eines denkend-urteilenden Subjekts stiftenden ›Synthesis‹; vgl. hierzu unten S. 43–44 sowie vor allem mit Blick auf die Form der Selbstaffektion unten bes. S. 48–65. 114 Zur Kant-Konformität und sachlichen Angemessenheit auch dieser Paraphrase vgl. ebenfalls unten 13.2. Ab., bes. 48 f.

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[dem, R. E. ] Urteil Ich denke«,115 repräsentiert nur allzu offenkundig einen nicht nur vorläufigen, sondern vor allem defizitären Stand seiner Klärung von Urteils­ typen. Die entsprechenden Defizite sind schon in den Prolegomena nicht nur durch die Unterscheidung der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile,116 sondern vor allem durch die Berücksichtigung des Typs der Prädikate- bzw. Urteile-des-inneren-Sinns117 und deren repräsentativer Trias »Ich bin, Ich denke, Ich handele«118 überwunden. Im Rahmen seiner Untersuchungen zum reinen Geschmacksurteils in der Form »[…] die Rose, die ich anblicke, erkläre ich für schön«119 ist er schließlich darauf aufmerksam geworden, daß es im Sinne dieses Kriteriums nicht nur zu den Urteilen-des-inneren-Sinns gehört, sondern den sogar einzigartigen Fall eines Reflexionsurteils bildet. Alle diese mehr als dreißigjährigen urteilsanalytischen Arbeitserfahrungen120 haben Kant dennoch früh auch mit Blick auf den logischen Status und die logische Form des in seiner Theorie eminenten Gebildes Ich denke die abschließenden Sicherheit in der Einschätzung verliehen: »Der logische Akt Ich denke (apperceptio) ist ein Urteil (iudicium) …. Es ist ein logischer Akt der Form nach ohne Inhalt«.121 Diese Einschätzung macht durch eine kunstvolle Zuhilfenahme der Reflexionsunterscheidung zwischen Form und Inhalt – also zwischen Form und Materie122 – implizit auf zwei strukturelle Eigentümlichkeiten dieses Urteils aufmerksam: Es hat insofern keinen Inhalt – also keine Materie –, als in der vervollständigten Urteilsform Ich denke, daß-p, gerade die Formkomponente …, daß-p ihrem Inhalt, also ihrer Materie nach gleichsam leer bleibt, mit deren Hilfe ein Urteil115 A 341, B 399. 116 Vgl. IV, 298–301. 117 Vgl. IV, 334, sowie Erster Teil, S. 89–91, 134–150. Mit diesem Urteilstyp und seinen drei Musterrepräsentanten eröffnet Kant mit transzendental-logischen Mitteln auf einen Schlag das ganze Themenfeld, das Ludwig Wittgenstein, Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie, Bd.1/2, Frankfurt / M. 1982, seit den dreißiger Jahren mit seinen teils sprachphilosophischen und teils sozialanthropologischen Mitteln immer intensiver beschäftigt hat. Zur Sprach- und Sozialanthropologie des sog. späten Wittgenstein vgl. vor allem die vorzüglichen Untersuchungen von Eike von Savigny, Zum Begriff der Sprache, Stuttgart 1983, ders., Wittgensteins Philosophische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt / M. 19942/1996, sowie ders., Der Mensch als Mitmensch, München 1996. 118 XXVIII.1, 266 119 V, 215, Hervorhebungen R. E. 120 Zum terminus ab quo dieser Arbeitserfahrungen vgl. die ingeniöse Zusammenfassung seiner Lektionen aus der Lektüre von Rousseaus Émile in der Form der Frage, »was denn dasjenige für eine geheime Kraft sei, wodurch das Urteilen möglich wird«, II, 60; zu den Einzelheiten des Zusammenhangs zwischen Rousseaus Konzeption des Urteilens und der Urteilskraft und Kants durch diese Rousseau-Lektüre revolutionierten methodischen und thematischen Einstellungen zugunsten von planmäßigen Urteilsanalysen vgl. vom Verf., Krise und Kritik der Urteilskraft, in ders. Bedingungen der Aufklärung. Philosophische Untersuchungen zu einer Aufgabe der Urteilskraft, Weilerswist 2008, S. 515–557. 121 XXII, 95. 122 Vgl. A 261, B 317.

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überhaupt in unbestimmter Form angedeutet wird. Dieses Urteil-überhaupt kann nur durch den Gebrauch der reinen und ursprünglichen Apperzeption des Ich denke aus einer geeigneten Verbindung von dafür geeigneten Elementen eines Manngfaltigen von Vorstellungen gewonnen, mit einer logischen und einer kategorialen Form versehen und mit geeigneten Inhalten gefüllt werden. Es hat eine (logische) Form insofern, als es von dem kategorisch fungierenden Subjekt Ich … und von dem ebenso kategorisch fungierenden Prädikat … denke bzw. … denke, daß-p gebildet wird. Die schwierigen Interpretations- und Beurteilungsprobleme, die Kants Charakterisierungen der Selbstaffektion bereiten, haben immer wieder einmal zu der ernstzunehmenden Einschätzung geführt, »daß Kant hier zwar wohl ein Problem gesehen, aber nicht gelöst hat«.123 Mario Caimi faßt angesichts dieser von ihm ebenso eingeschätzten Situation den nicht weniger ernstzunehmenden, beherzten Entschluß, daß »[…] wir es wohl wagen [dürfen], den Weg zu einer

123 Klaus Düsing, Cogito, ergo sum? Untersuchungen zu Descartes und Kant, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 19 (1987), S. 95–106, hier: S. 103 – vorausgesetzt, ein philosophisches Problem, das diesen Namen verdient, ist überhaupt jemals einer definitiven Lösung fähig und nicht auch im günstigsten Fall lediglich einer jeweils besseren Klärung; Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretationen von Kants Kritik der reinen Vernunft, Frankfurt / Main 1977, der das Problem der Selbstaffektion in unmittelbarer Verbindung mit dem Problem der Einheit der Subjektivität erörtert, vgl. S 395–399, sieht dieses Doppel-Problem durch Kant »am Ende noch nicht einmal zureichend gestellt,« S. 396. Ähnlich wie Düsing urteilt Mario Caimi, Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis in Kants transzendentaler Deduktion, in: Dietmar H. Heidemann (Hg.), Probleme der Subjektivität in Geschichte und Gegenwart, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, S. 85–106, vgl. bes. S. 97–98. Carl, Deduktion in der zweiten Auflage, der sonst in viele der von ihm behandelten Probleme Licht zu bringen versteht, klammert den ganzen Problemkreis der Selbstaffektion aus. Wie schwierig diese Probleme sind, zeigt der von Mario Caimi, Kant’s B-Deduction (frz. 20071), Cambridge 2014, kritisierte Umstand, daß einige Interpreten den § 24 behandeln, »as if it … has no connection with the hitherto developed argument«, S. 8935. Immerhin läßt Kant die Thematisierung der Selbstaffektion im gedruckten Text durch drei markante Asterikse separieren. Doch der scheinbar fehlende Zusammenhang mit dem Problem der Transzendentalen Deduktion der Kategorien besteht offenkundig darin, daß durch die Ausführungen dieses Paragraphen auch komplexe Voraussetzungen der These analysiert werden, daß »der Satz Ich denke … alle Kategorien als ihr Vehikel begleitet«, A 347, B 406, z. B. in den Formen »Ich denke die Substanz, die Ursache usw.«, A 343, B 401. Daraus folgt indessen weder, daß der entsprechende Teil des § 24 nicht »an interruption of the hitherto developed argument«, Caimi, B-Deduction, S. 8935, ist, noch folgt daraus, daß überhaupt kein Aspekt in Frage kommt, unter dem durch die Selbst­ affektion eine Erkenntnis gewonnen wird. Schon Kants eigenes Zeugnis B 156, vgl. oben S. 37 f., spricht dagegen. Es folgt aus dem hitherto developed argument lediglich, daß eine solche Erkenntnis jedenfalls nicht durch den Gebrauch einer Kategorie gewonnen werden kann, weil das Ich unter keinerlei kategorialem Aspekt ein Objekt einer Erkenntnis sein kann. Das betont zu Recht und erläutert mit der nötigen Kürze schon Klaus Reich, Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel (19321), Berlin 19482, S. 29–32.

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möglichen Lösung zu erkunden«.124 Doch welcher Schritt auf diesem Weg eines Wagnisses kann oder muß der erste Schritt sein, da er doch nach Möglichkeit nicht von Anfang an in die falsche Richtung führen sollte? Die fraglichen Interpretations- und Beurteilungsprobleme hängen allerdings nicht zuletzt auch damit zusammen, daß im komplexen funktionalen Gewebe der von Kant charakterisierten kognitiven Vermögen (Verstand, Anschauung, innerer Sinn, Einbildungskraft), kognitiven Akte (Apperzeption, Synthesis, bestimmen) und kognitiven Erfolge (erkennen) gerade das Urteil und seine logische Form im Dunkeln bleiben, an die die apostrophierte ›Erkenntnis des eigenen Subjekts‹ gebunden ist.125 Doch strittig ist auch, ob Kant mit der Selbstaffektion nur eine oder mehr als eine Erkenntnis verbunden sieht. Beispielsweise Vleeschauwer thematisiert eine mit der Selbstaffektion verbundene Erkenntnis ausschließlich als die Erkenntnis der Existenz des (denkenden) Ich, also als »la connaissance de l’existence du moi«.126 Aber je nach dem, ob an der Selbst­ affektion eine oder mehr als eine Erkenntnis beteiligt ist, muß auch irgendeine Urteilsform in Frage kommen, die der fraglichen Erkenntnis durch ihre spezifische logische, subjekt-identitäre Form entspricht.127 Indessen gehört zu der ›Erkenntnis des eigenen Subjekts‹, die an der Selbstaffektion beteiligt ist, nach

124 Caimi, Selbstbewußtsein, S. 98. 125 Vor allem Dieter Henrich, Über die Einheit der Subjektivität, in: Philosophische Rundschau 3 (1955), S. 28–69, hat die Einheit der Subjektivität in einer methodisch vorbildlichen Abhandlung als die Einheit dieser subjektiven kognitiven Vermögen erörtert; vgl. auch unten S. 55, Anm. 170. Die von Henrich berührten Probleme »einer innersubjektiven Teleologie«, S. 45, der Erkenntniskräfte und ihrer »Harmonie«, ebd., sind am Leitfaden des von Kant in der Dritten Kritik konzipierten harmonischen Spiels der Erkenntniskräfte in der Beurteilung des Schönen erst von Wieland, Urteil und Gefühl, mit Hilfe von Kants eigenen Methoden einer komplexen Urteilsanalyse geklärt worden. Zur nicht-harmonischen, aber gleichwohl erfolgsorientierten und erfolgsträchtigen Funktion der Erkenntniskräfte vgl. Erster Teil, bes. S. 25–31. 126 Vleeschauwer, La déduction III, S. 226. 127 Doch bei allen diesen Schwierigkeiten, Fragen und Erwägungen kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß sie teilweise auch auf Kants späte Entdeckung des Paralogismus zurückzuführen sind, von Adickes an Hand der Reflexion 5553 auf die Jahre 1779–1783 datiert. Nachdem das Ich denke in der ersten Auflage der Ersten Kritik ausschließlich als Zentrum eines Zirkels des Selbstbewußtseins und als Conclusio eines Fehlschlusses der überlieferten Substanz-Ontologie der Seele ernstgenommen wird, brauchte Kant noch die Zeit bis zur zweiten Auflage, um das Potential dieses Satzes für den ›höchsten Punkt allen Verstandesgebrauchs, der Logik und der Transzendentalphilosophie‹ zu entdecken. Angesichts von Kants außerordentlich schwieriger arbeitsökonomischer Situation auf dem Weg zur zweiten Auflage – aber auch zur Grundlegung der Metaphysik der Sitten, zu den Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft und zur Kritik der prakti­ schen Vernunft – braucht es nicht zu verwundern, wenn es ihm nicht restlos gelungen ist, außer der Konzeption des ›höchsten Punkts‹ auch noch die damit aufs engste verwobene Konzeption der Selbstaffektion in allen Einzelheiten kohärent ausreifen zu lassen.

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dem Zeugnis von B 155 aber jedenfalls und mindestens die Erkenntnis der Identität des denkenden Subjekts (vgl. oben S. 37 f. bzw. vor allem unten Ab. 13.2). Wenn die Selbstaffektion zu einer Erkenntnis des eigenen Subjekts führt, dann macht der außerordentlich wichtige formelhafte Gedanke »Alle Erkenntnis besteht in Urteilen«128 auf ein Erkenntnis-Kriterium aufmerksam, das mit Blick auf eine ›Erkenntnis des eigenen Subjekts‹, die diesen Namen verdient, eine ganz spezifische Bedeutsamkeit gewinnt. Denn zwar »zum Erkenntnisse eines von mir verschiedenen Objekts [bedarf ich] … (… der Kategorie) … […]«.129 Doch das, was zur Erkenntnis des eigenen Subjekts gehört, hängt mit Blick auf die so in Anspruch genommene Erkenntnis nur allzu offensichtlich gerade nicht vom Gebrauch irgendeiner Kategorie ab, wohl aber ebenso offensichtlich davon, daß für eine solche Erkenntnis eine angemessene Urteilsform zur Verfügung steht. Die Offensichtlichkeit, mit der dies der Fall ist, bildet eines der Motive für die Verwunderung, mit der Kant bemerkt, daß er »[nicht] [sehe], wie man so viel Schwierigkeiten darin finden könne, daß der innere Sinn von uns selbst affiziert werde«, und diese Offensichtlichkeit mit der Erinnerung an das alltägliche Phänomen erläutert, daß »[j]eder Aktus der Aufmerksamkeit […] uns ein Beispiel davon geben [kann]«.130 Denn das wichtigste strukturelle Merkmal jeder Form der Aufmerksamkeit besteht darin, daß »[d]er Verstand […] darin jederzeit den inneren Sinn der Verbindung, die er denkt, gemäß [bestimmt], zur inneren Anschauung, die dem Mannigfaltigen in der Synthesis des Verstandes korrespondiert«.131 Ein passendes Beispiel für einen alltäglichen Fall von 128 R 4638. 129 B 158, Hervorhebung R. E. Caimi, Selbstbewußtsein, argumentiert in seiner vorzüglichen Analyse daher insofern konsequent, als »Erkenntnis im eigentlichen Sinne […] jede Erkenntnis aus reinem Selbstbewußtsein aus[schließt]«, S. 90. Allerdings formuliert er sein Argument mit einem exklusiven kritischen Ziel, weil »Dem gesunden Menschenverstand […] eine vom Selbstbewußtsein unzertrennliche Selbsterkenntnis als unumgänglich [erscheint]«, S 90–91, und unterstellt dem gesunden Menschenverstand, daß sich ihm »Insbesondere […] die Existenz des Ichs als eine zumindest minimale Erkenntnis an[bietet]«, S. 91. Diese minimale Erkenntnis in der nicht näher qualifizierten Form des gesunden Menschenverstandes verwirft Caimi zu Recht als ein »Cartesianisches Moment«, das »inmitten einer transzendentalen Beweisführung … in keinem Zusammenhang steht«, ebd. Er identifiziert dieses Cartesianische Moment mit Rekurs auf R 4675 ebenso zu Recht als ein »Überbleibsel aus den siebziger Jahren …, als Kant die Zugehörigkeit der Gedanken zum Ich als die Zugehörigkeit der Akzidentien zu einer Substanz auffaßte«, ebd. Mit Blick auf diesen von Caimi hervorgehobenen substanztheoretischen Aspekt von R 4675 betont Wolfgang Carl, Der schweigende Kant. Die Entwürfe zu einer Deduktion der Kategorien vor 1781, Göttingen 1989, daher zu Recht, daß in diesem ›stummen Jahrzehnt‹ Kants »Konzeption von Apperzeption nicht nur verschieden von, sondern inkompatibel mit seiner Position von 1781 ist«, S. 101 – und daher umso mehr mit der von 1787. 130 B 156*. 131 Ebd., Hervorhebungen R. E.; im selben Sinne formuliert Kant, allerdings noch ohne die Selbstaffektion beim Namen zu nennen, schon A 177: »Denn die ursprüngliche Apperzeption bezieht sich auf den inneren Sinn (den Inbegriff aller Vorstellungen), und

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Aufmerksamkeit, der mit der von Kant abstrakt charakterisierten Struktur der Aufmerksamkeit verbunden ist, liegt im Licht von Kants Konzeption der Wahrnehmung vor, wenn ein Subjekt der Wahrnehmung z. B. eines roten Turms seine Aufmerksamkeit eben dieser Wahrnehmung widmet und ›der Verstand darin den inneren Sinn der Verbindung, die er denkt, gemäß bestimmt, zur inneren Anschauung, die dem Mannigfaltigen in der Synthesis des Verstandes korrespondiert‹. Denn bei der Verbindung, die der Verstand ›in‹ dieser Aufmerksamkeit denkt, handelt es sich offensichtlich um eine urteilsförmige vom Verstand gestiftete Verbindung von Vorstellungen. Hierfür kommt nur die von Kant für die Aufmerksamkeit auf Wahrnehmungen erst spät fruchtbar gemachte subjekt-identitäre Urteilsform Ich, der ich den Turm wahrnehme, nehme an ihm die rote Farbe wahr in Frage.132 Bei ihr handelt es sich um die für solche Fälle spezifische Verbindung, der ›gemäß der Verstand den inneren Sinn zu der inneren Anschauung bestimmt, die dem Mannigfaltigen von wahrgenommenem Turm und wahrgenommener roter Farbe in der subjekt-identitären Synthesis des Verstandes korrespondiert‹. Entsprechend handelt es sich bei der ›inneren Anschauung, zu der der Verstand den inneren Sinn durch diese subjekt-identitäre Form der urteilsförmigen Verbindung von Wahrnehmungen bestimmt‹, um die temporale Form, in der das urteilende Subjekt im Vollzug eines Urteilsakts wie Ich, der ich den Turm wahrnehme, nehme an ihm die rote Farbe wahr die Verbindung der Elemente dieses Urteils sukzessiv, nacheinander ›anschaulich macht – weil es »jene Verbindung nur nach Zeitverhältnissen … anschaulich machen … kann«.133 Kant kann die Struktur der Selbstaffektion nur deswegen durch abstrakte Bemerkungen zur Struktur ›jedes Akts der Aufmerksamkeit‹ erläutern, weil die Selbstaffektion dieselbe Struktur hat – allerdings mit dem gravierenden Unterschied, daß es sich bei der Selbstaffektion um einen Akt der Aufmerksamkeit handelt, wie er auch nur vom transzendental-logisch reflektierenden und anazwar a priori auf die Form desselben«, also auf die sukzessive Form der Zeit; speziell zu der Bedingung ›a priori auf die Form desselben‹ vgl. unten 13.3. Ab. Nicht nur in der Behandlung des Problems der Selbstaffektion stimme ich mit der vorzüglichen komprimierten Argumentations-Skizze von Dieter Scheffel, Kants Idee der kopernikanischen Wendung, in: Enskat, R. (Hg.), Kants Theorie der Erfahrung, Berlin / Boston 2015, bes. S. 246–251, überein. 132 Vgl. R 3145 sowie Erster Teil, bes. S. 32–42; Akte der Aufmerksamkeit haben daher die Form von ich-Urteilen, durch die Inhalte der ›inneren Wahrnehmung‹ thematisiert werden; denn die Tatsache, daß ich z. B einen Turm wahrnehme, ist ein Akt der ›inneren Wahrnehmung‹, obwohl das Wahrnehmen eines Turmes ein Akt der äußeren Wahrnehmung ist. Diese Zusammenhänge werden – wenngleich ohne direkte Kant-Bezüge und in strikt sprachanalytischer Einstellung – vorzüglich in dem Buch von Harald Delius, Self-Awareness. A Semantical Inquiry, München 1981, bes. ch. VI., erörtert; vgl. hierzu auch unten S. 403, Anm. 48. 133 B 159.

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lysierenden Subjekt mit den für seine Tätigkeit charakteristischen Mitteln ausgeübt werden kann.134 Die mit Hilfe dieser Mittel gewonnene subjekt-identiäre Urteilsform Ich, der ich ---, … kommt daher als einzige von der transzendentallogischen Reflexion zur Verfügung gestellte Urteilsform in Frage, die die Aussicht bietet, zur Klärung der Struktur der Selbstaffektion beizutragen. Falls es sich bei ihr tatsächlich um die für die Struktur der Selbstaffektion angemessene Urteilsform handelt, muß sie offensichtlich auch die Gewähr bieten, daß sich die Selbstaffektion als ein Modus des Erkenntnisgewinns erweist – wenngleich als ein atypischer, schwacher, also nicht zur kategorialen Objektivität führender Modus. Denn auf diesem Weg kommt es dann vor allem darauf an, diese von der transzendental-logischen Reflexion und Analyse berücksichtigte Urteilsform so zu Hilfe zu nehmen, daß sich ein solcher Erkenntnisgewinn – also die ›Erkenntnis des eigenen Subjekts‹ – nicht nur abstrakt andeuten oder beschwören, sondern mit urteilsförmiger Klarheit auch zeigen läßt. Exkurs über »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können« Hier ist eine Gelegenheit, eine Klärung nachzuholen, wie sie zu Recht schon im 7. Abschnitt des Ersten Teils erwartet werden konnte. Ohne mich an einer Erklärung meines Versäumnisses zu versuchen, geht es um das Folgende. Der berühmt-berüchtigte und vielerörterte Satz »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können«,135 gibt durch die Wendung … muß … können zunächst einmal informell eine notwendige Bedingung der Möglichkeit dafür zu verstehen, daß eine Vorstellung meine Vorstellung ist. Kants Formulierung läßt indessen offen, ob mit dem Ich denke hier auf einen sprachlich formulierten Satz oder auf das unthematisch fungierende Ich des Akts der Apperzeption Bezug genommen wird. Es ist jedoch unumgänglich zu unterstellen, daß auf den sprachlich formulierten Satz Bezug genommen wird. Denn mit der oben zitierten Überlegung Kants zur Funktion des denkenden Ich als absolutes Subjekt aller ihm möglichen Urteile gibt Kant offensichtlich zu verstehen, daß das denkende Ich in dieser von ihm ausgeübten Funktion spontan jedes ihm mögliche Urteilüberhaupt als sein Urteil-überhaupt nicht nur begleitet, sondern als Urteilüberhaupt und als sein Urteil-überhaupt sogar möglich macht. Das spontan und unthematisch denkend-fungierende und dadurch jedes seiner Urteile ermög­ 134 Es ist daher aufschlußreich, daß Kant auch in einem spezifisch transzendental-logischen Zusammenhang auf einen ›Aktus der Aufmerksamkeit‹ rekurrieren kann, indem er die »Aufmerksamkeit auf die Gründe der Wahrheit«, A 261, B 316, von Urteilen als eine für eine transzendental-logische »Untersuchung«, ebd., Kants Hervorhebung, charakteristische kognitiv-methodische Einstellung anspricht. 135 B 131.

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lichende Ich bzw. absolute Subjekt bedarf daher gar nicht eines Postulats, durch das es auf eine Begleitung aller ihm möglichen Vorstellungen festlegt würde. Wohl aber ist es sinnvoll, die ›Meinigkeit‹ jeder Vorstellung dadurch grammatisch zu testen, daß man sie auf ihre Begleitbarkeit durch den sprachlich formulierten Mikro-, Quasi- oder Pseudo-Satz Ich denke prüft.136 Den springenden Punkt für die Funktion, die das Ich der Apperzeption ausübt und die durch den (sprachlich formulierten) Satz Ich denke nachträglich thematisiert wird, markiert Kant jedoch erst B 133, wenn er betont, daß es für die ›Meinigkeit‹ verschiedener Vorstellungen nicht ausreicht, »daß ich jede [meine Hervorhebung, R. E.] … mit Bewußtsein begleite, sondern, daß ich eine zu der anderen [meine Hervorhebungen, R. E.] hinzusetze und mir der Synthesis derselben bewußt bin« [Kants Hervorhebung], sie also in irgendeiner logischen Form von Urteil verbinde. Kant formuliert damit das urteilslogische Kriterium der ›Meinigkeit‹ von Vorstellungen, also ein spezielles logisches Kontext-Prinzip: Vorstellungen sind nur im Kontext von Urteilen meine Vorstellungen, also indem ich sie spontan in der (passenden) logischen Form eines Urteils verbinde.137 136 Vgl. hierzu auch die stillschweigende Annahme eines allgemeinen linguistischen Expressibilitäts-Postulats durch Kant: Erster Teil, S. 82–83. 137 Zu Recht und im Anschluß an Reich, Vollständigkeit, vgl. S. 42–43, betont Scheffel, Wendung, daß die damit charakterisierte »synthetische Einheit der Apperzeption … weder unter die Grundidee des traditionellen Vernunftschlusses fällt noch unter die Grundidee der formalen Folgerichtigkeit der modernen mathematischen Logik«, S. 2474. Mit einer kritischen Akzentverschiebung, aber im selben Sinne betont Reich darüber hinaus, daß die die Einheit eines Mannigfaltigen (von Vorstellungen, Termen, Worten) im Urteil stiftende logische Funktion des unthematisch fungierenden Ich »war Aristoteles und ist der heutigen sog. mathematischen Logik verborgen«, S. 43, Hervorhebung R. E. Die Tragweite dieser Verborgenheit zeigt sich am deutlichsten in dem bedeutenden Aufsatz Gottlob Freges, Der Gedanke (1918–19191), wieder abgedr. in: Günther Patzig (Hg.), ders., Logische Untersuchungen, Göttingen 1966, S. 30–53, in dem Frege die zentralen Ergebnisse seiner Lebensarbeit zur Logik, Ontologie, Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie zusammenfaßt; wichtige Elemente finden sich allerdings schon in einem Manuskript von 1897 unter dem Arbeitstitel Logik, vgl. Gottlob Frege, Schriften zur Logik und Sprachphilosophie. Aus dem Nachlaß (Hg. Gottfried Gabriel), Hamburg 1971, S. 35–73. Im Mittelpunkt steht in beiden Schriften Freges ontologische Auffassung: »Wenn man einen Gedanken … denkt, so schafft man ihn nicht, sondern tritt nur zu ihm, der schon vorher bestand, in eine gewisse Beziehung«, Gedanke, S. 445, Hervorhebung R. E. Daher »[ist] der Gedanke vom Denkenden unabhängig […]«, Logik, S. 48. Im Unterschied hierzu unterscheidet Kant vom konkreten, inhaltlich bestimmten Gedanken die »bloße Gedankenform«, B 148, Hervorhebung R. E. Diese wird durch die spontane Verknüpfungsleistung der »logische[n] Funktion« des »logischen Subjekts« geprägt. Der konkrete Inhalt jedes beliebigen bestimmten Gedankens ist im Licht von Kants Theorie genauso von der spontanen Verfügung des denkenden Subjekts unabhängig wie im Licht von Freges Theorie. Doch Kant sieht die Verbindung einer mindestens zweifältigen Mannigfaltigkeit von Vorstellungen, Worten oder Begriffen zugunsten der Form eines Gedankens bzw. Urteils von der entsprechenden logischen Fähigkeit des denkenden Subjekts abhängen. Dagegen argumentiert Frege, Über Begriff und Gegenstand (18921), in: Gün-

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Erst im Zusammenhang mit diesem speziellen logischen Kontext-Kriterium oder -Prinzip wird unter Aspekten der Formalen Logik auch deutlich, daß der Satz Ich denke ein elliptischer Satz ist. Denn der durch ihn thematisierte Akt der Verbindung von Vorstellungen zur logischen Form eines Urteils kann nur dann angemessen durch ihn repräsentiert werden, wenn er zugunsten der Form Ich denke, daß-p, komplettiert wird, die in Form der propositionalen …, daß-p-Konstruktion den Inhalt eines solchen Urteils abstrakt, also unbestimmt, aber allgemein andeutet. Deswegen kommt Kant mit Blick auf diese relativ komplizierte Struktur schließlich zu der gänzlich angemessenen Einschätzung: »Der logische Akt Ich denke … ist ein Urteil (iudicium) […]. Es ist ein logischer Akt der Form nach ohne Inhalt«.138 Der von der Epistemischen Logik entworfene formale Kunstgriff, die propositionalen Inhalte von Resultaten kognitiver Akte abstrakt und unbestimmt durch …, daß-p-Konstruktionen anzudeuten, ist daher wie geschaffen, den fehlenden Inhalt des der Form nach logischen Akts des Urteils Ich denke in der Form Ich denke, daß-p, zu repräsentieren.

ther Patzig (Hg.), ders., Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien Göttingen 1966, S. 66–80, zugunsten der These, daß die »Teile […] eines Gedankens … aneinander haften«, mit Hilfe eines ingeniösen formalen Kunstgriffs, indem er das »Bindemittel«, ins Auge faßt, »was man in der Analysis Funktion nenn[t]« S. 80. Kants Gedanke, daß auch eine Funktion, insbesondere eine logische Funktion eine »Handlung«, A 68, B 93, ist, durch die eine »Funktion[…] in Urteilen«, B 132, Hervorhebung R. E., spontan vom urteilenden Subjekt ausgeübt wird, indem »ich eine [Vorstellung, R. E.] zu der anderen hinzusetze, und mir der Synthesis derselben bewußt bin«, B 133, also meines Urteilsakts bewußt bin, ist für Frege und die auf seiner Linie arbeitenden Logiker bis heute, wie Reich zu Recht zu bedenken gibt, ›verborgen‹. Umso bemerkenswerter ist, daß der Frege-Spezialist, Kant-Kenner und Logik-Experte Günther Patzig mit Blick auf die von der zeitgenössischen Logik untersuchten logischen Formen denselben SpontaneitätsAspekt berührt, wenn er mit einer kraftvollen Halb-Metaphorik geradezu gegen Freges Auffassung betont, daß »wir den Bereich der Urteilsformen ›denkend in unserer Gewalt‹ [haben]«, Günther Patzig, Gottlob Frege, in: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie: Zweiter Band: Von Immanuel Kant bis Jean-Paul Sartre, München 1981, S. 251–273, hier: S. 255. Kant verwendet die Phrase in seiner Gewalt haben gelegentlich sogar selbst, um die Spontaneität zu charakterisieren, mit der wir Vorstellungen logisch, also in Urteilen – und nur in Urteilen – gebrauchen können, vgl. VIII, S. 131. Auch Scheffel, Wendung, greift diese Phrase zur Charakterisierung der logischen Spontaneität auf, vgl. S. 247. Sie ist es, die Frege und den auf der Linie seiner Logik-Konzeption arbeitenden Logiker ›verborgen‹ ist. Ungeachtet dieser Differenzen bleibt es vor allem wichtig zu beachten, daß Kants gesamte Logik-Konzeption darauf zielt, logische Funktionen mit Hilfe eines Kriteriums so auszuwählen und zu charakterisieren, daß sie tauglich sind, den funktionalen Kern von Kategorien zu bilden, die als die elementaren Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung gerechtfertigt, ›deduziert‹ werden können. 138 XXVIII.1, 266.

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13.2. Wie die Selbstaffektion zur Erkenntnis der Identität, der Existenz und der zeitlichen Existenzform des denkendurteilenden Subjekts der möglichen Erfahrung führt Da nur die Selbstaffektion zu einer Erkenntnis des eigenen Subjekts führen kann, handelt es sich bei dieser Erkenntnis offensichtlich um eine Form der Erkenntnis, wie sie jedenfalls und mindestens auch eine bestimmte identitäre Beziehung betrifft, die dieses Subjekt zu sich selbst gewinnt und unterhält.139 Kant hat zumindest so etwas wie die Proto-Materie einer Urteilsform berücksichtigt, die für den genuinen transzendental-logischen Zugang zu einer solchen (reflexiven) identitären Beziehung in Frage kommt – das Urteil: Ich denke bzw. Ich denke, daß-p (vgl. oben S. 32–34). Durch diese urteilend-denkende Thematisierung des unthematisch spontan denkend-urteilend fungierenden Ich eröffnet sich das transzendental-logisch reflektierende und analysierende Subjekt ein spezifisches Untersuchungsfeld. Ihr fruchtbarstes unmittelbares Eindringen in dieses Untersuchungsfeld zeigt sich in der Drei-Synthesen-Konzeption der Ersten Auflage der Ersten Kritik, in der sie eine nahezu vollständige Analyse der Mikrozeitlichkeit des Urteilsakts Ich denke bzw. Ich denke, daß-p, dokumentiert.140 Gleichzeitig erweist sich das transzendental-logisch reflektierende und analysierende Subjekt sogar noch direkt am abstraktesten, ›höchsten Punkt‹ seiner Untersuchungen als Mitglied der Gemeinschaft der Subjekte, die ihr unthematisch spontan denkendurteilend fungierendes Ich zugunsten jedes beliebigen der ihnen möglichen Urteile fruchtbar machen. Für das transzendental-logisch reflektierende und analysierende Subjekt eröffnet sich dann jedoch ein trivialer iterativer Schritt: Es kann das unthematisch spontan denkend-urteilend fungierende Ich, von dem es selbst Gebrauch macht, indem es dieses Ich am ›höchsten Punkt‹ durch das transzendental-logische Urteil Ich denke bzw. Ich denke, daß-p urteilend thematisiert, noch ein weiteres Mal in der iterierten Form Ich denke, daß ich denke thematisieren.141 Einen Weg zur Klärung einer entsprechend angemessenen subjekt-identitären Urteilsform hat Kant dadurch eröffnet, daß er mit Blick auf dieses im Rahmen seiner Theorie eminente Urteil nicht nur ein prädikat-logisches Kriterium zu bedenken gegeben hat. Im Licht dieses Kriteriums »[…] beziehen sich [alle Prädikate des inneren Sinnes] auf das Ich als Subjekt, und dieses kann nicht

139 Im Folgenden wird lediglich vorläufig von einer identitären Beziehung die Rede sein, in der das denkend-urteilende Subjekt bzw. Ich zu sich selbst steht. Zu den Gründen der Unzulänglichkeit dieser relationalen Sprechweise vgl. unten S. 52 f. 140 Vgl. hierzu Erster Teil, 8. Ab. 141 Vgl. zum Thema solcher Iterierungen Erster Teil, vor allem S. 144–148.

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weiter als Prädikat eines anderen Subjekts gedacht werden«.142 Darüber hinaus hat er im Rahmen der Trias »Ich bin, Ich denke, Ich handele«143 zu verstehen gegeben, daß das Urteil Ich denke bzw. Ich denke, daß-p als eines von drei solchen Urteilen-des-inneren-Sinns einzustufen ist.144 Dem eminenten Urteil-desinneren-Sinns Ich denke hat Kant aber auch in ganz unmißverständlicher Weise die Abhängigkeit vom inneren Sinn zugeschrieben: »Der Satz aber Ich denke … kann ohne den inneren Sinn nicht stattfinden«.145 Da Kant unter einem Satz »Ein assertorisches Urteil«146 versteht, also einen Akt des Urteilens, ist es auch nur konsequent, daß er das ›Stattfinden‹ des Satzes Ich denke vom inneren Sinn abhängig macht, also davon, daß das transzendental-logisch reflektierende Subjekt die Verbindung der Vorstellung Ich und der Vorstellung Denken im Urteil Ich denke »nur nach Zeitverhältnissen … anschaulich machen … kann«.147 Doch gerade die Umformung dieses eminenten Urteils-des-inneren-Sinns in eine explizite subjekt-identitäre Form hat Kant im Rahmen seiner Erörterung der Selbstaffektion ganz unmißverständlich vorbereitet. Denn das Subjekt, um die Erkenntnis von dessen Identität es im Fall der Selbstaffektion jedenfalls auch geht, wird hier eindeutig sowohl als Träger einer identitären Beziehung wie als Teil des Inhalts der Erkenntnis dieser identitären Beziehung charakterisiert: »Ich, als … denkend Subjekt, erkenne mich selbst als gedachtes Objekt ».148 Da die Identität eine reflexive Relation ist, hat Kant die Form des identitären Inhalts dieser Erkenntnis zu Recht mit Hilfe des Reflexivpronomens mich treffend als eine reflexive Erkenntnis charakterisiert. Kant formuliert zwar kein reines Identitätsurteil, sondern, wenn man die gegenwärtig aktuelle Terminologie verwendet, ein epistemisches Urteil, weil es die Erkenntnis einer Identität, aber nicht diese Identität selbst und für sich formuliert. Indessen ist es leicht möglich, diese Erkenntnis in der inzwischen standardisierten Form zu formulieren und von da aus ihren identitären Inhalt auch um seiner selbst willen zur Sprache zu bringen: Ich erkenne, daß ich als denkendes Subjekt identisch mit dem von mir gedachten (denkenden) Subjekt bin; und dies impliziert wegen der wahrheits-konservativen Rolle des Begriffs der Erkenntnis das reine Identitätsurteil: Ich als denkendes Subjekt bin identisch mit dem von mir gedachten (denkenden) Subjekt. Im selben Atemzug gibt Kant indessen sogleich auch zu verstehen, daß die Selbstaffektion ebenso zu einer Erkenntnis führt, deren Inhalt er direkt mit Hilfe der subjekt-identitären ich, der ich …-Form eines Urteils-des-inneren-Sinns präsentiert – zu der Erkenntnis, daß »Ich, der ich denke, von dem Ich, das sich 142 143 144 145 146 147 148

IV, 334, Kants Hervorhebungen. XXVIII.1, 266 Vgl. hierzu auch Erster Teil, S. 89–91, 134–150. B 429. VIII, 193*, Hervorhebung R. E. B 159. B 155, Kants Hervorhebungen.

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selbst anschaut, unterschieden, … und doch mit diesem letzteren als dasselbe Subjekt einerlei sei«.149 Es liegt – ungeachtet der zunächst noch irritierenden anschaulichen Inhaltskomponente dieser zweiten Variante der subjekt-identitären Urteilsform – auf der Hand, daß Kant in beiden Fällen überhaupt eine Identitätsrelation ins Auge faßt, die das denkende Ich zu sich selbst unterhält. Zwar wird im ersten Fall das Relatum, zu dem das denkende Ich diese Relation unterhält, als das von ihm gedachte Objekt erkannt; im zweiten Fall wird es als das von ihm angeschaute Objekt erkannt. Beide Urteile lassen sich angesichts der von Kant selbst erprobten ich, der ich …-Form der subjekt-identitären Urteile-des-innerenSinns leicht in ihre klaren subjekt-identitären Formen transformieren: Ich, der ich denke, bin identisch mit dem von mir gedachten (denkenden) Subjekt und Ich, der ich denke, bin identisch mit dem von mir angeschauten (denkenden) Subjekt. Doch der Objekt-Charakter der Relate dieser beiden Identitätsrelationen ist deswegen einzigartig unter allen Objekten, die in Kants Theorie als solche apostrophiert werden, weil »Ich, das Subjekt, […] mich selbst zum Objekt [mache]«.150 Der Akt, durch den das Subjekt sich selbst, also spontan zum Objekt macht, ist offensichtlich in beiden Fällen der Akt der Selbstaffektion. Der Charakter dieses Subjekts, ein Objekt zu sein, ist indessen deswegen nicht un­ 149 B 155, Hervorhebung R. E. Es ist außerordentlich bemerkenswert, daß Kant schon hier, in der zweiten Auflage der Ersten Kritik die subjekt-identitäre Grammatik des Ich, der ich … nutzt, die er in der wichtigen späteren Reflexion 3145 nutzt, um Licht in die subjektidentitäre Tiefengrammatik der Wahrnehmungsurteile zu bringen; vgl. hierzu Erster Teil, S. 3376, 38 f., 68197. Diese subjekt-identitäre Urteilsform bildet in Kants Theorie offensichtlich ganz unabhängig von den Urteilsfunktionen der Urteilstafel die elementarste Form einer die Identität eines denkend-urteilenden Subjekts stiftenden ›Synthesis‹. Das übersieht Allison, Deduction, mit Blick auf die formale Struktur der Wahrnehmungsurteile, wenn er mit Blick auf die »transcendental apperception« meint, daß Kant »assigns to it the objectifying role«, S. 297, Hervorhebung R. E. Gewiß ist diese Apperzeption an der »objectifying role« beteiligt, nämlich – und zwar strikt und ausschließlich – im Zuge des Akts des Gebrauchs primär der dafür spezifischen Relations-Kategorien, vgl. hierzu unten 14.4. Ab. Doch die primäre Funktion dieser Apperzeption besteht darin, daß sie »die Beziehung auf die Identität des Subjekts« zu stiften befähigt, indem sie es befähigt, daß es »eine [Vorstellung] zu der anderen hinzusetz[t] und [sich] der Synthesis derselben bewußt [ist]«, B 133. Kants Transformation des Wahrnehmungsurteils aus der konventionellen Form »Ich sehe einen roten Turm« in die subjekt-identitäre Form »Ich, der ich einen Turm sehe, nehme an ihm die rote Farbe wahr«, R 3145, ist paradigmatisch für die elementarste urteilsförmige ›Synthesis‹, die die Identität eines zunächst (sukzessiv) ›zerstreut‹ wahrnehmenden Subjekts stiftet, ohne eine der drei Relationskategorien zu Hilfe zu nehmen, die für die objektive Gültigkeit eines Urteils ausschlaggebend sind. Mit seiner irrigen Einschätzung knüpft Allison, wie seine Referenz S. 30125 zeigt, an die ebenfalls irrige Einschätzung von Konstantin Pollock, Wie sind Erfahrungsurteile möglich?, in: H. Lyre und O. Schliemann (Hg.), Kants Prolegomena. Ein kooperativer Kommentar Frankfurt / Main 2012, S. 103–125, bes. S. 120–121, an. Zu Pollocks irrtümlichen sach­ lichen und werkstattgeschichtlichen Einschätzungen vgl. Erster Teil, S. 68195. 150 XXII, 93, Hervorhebung R. E.; vgl. ebenso 58, 69, 72, 77, 79, 87, 89 usw.

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verträglich mit dem Charakter, ein Subjekt zu sein, weil »das Ich des Menschen […] zwar der Form (der Vorstellungsart) nach, aber nicht der Materie (dem Inhalt) nach zwiefach [ist]«151 Der Charakter, das denkende Subjekt zu sein, ist der invariante kognitive Status-Charakter, das insofern »absolute Subjekt aller meiner möglichen Urteile«152 zu sein; indessen ist der Charakter, in der gedachten bzw. angeschauten Form ein Objekt zu sein, offensichtlich ein variabler kognitiver Rollen-Charakter, den das Subjekt selbst schafft, indem es sich selbst durch den urteilsförmigen Akt der Selbstaffektion sowohl in die Rolle eines gedachten wie in die eines angeschauten Objekts versetzt und sich als derselbe Inhaber dieser beiden kognitiven Rollen erkennt.153 Durch diese beiden von ihm selbst, also spontan geschaffenen (kognitiven) Objekt-Rollen hört das Subjekt offensichtlich nicht auf, das spontan denkende, ›absolute Subjekt aller seiner möglichen Urteile‹ zu sein. Zwar macht sich das transzendental-logisch reflektierende und analysierende Subjekt in dieser Form von selbst, also spontan zu seinem thematischen Objekt. Doch gerade deswegen machen die Status- und die Rollen-Unterschiede zwischen denkendem bzw. gedachtem und angeschautem Ich es nötig, die rollen- und status-invariante Identität des Inhabers dieses invarianten denkenden Status und dieser variablen, gedachten bzw. angeschauten Objekt-Rollen zu erkennen. Sie machen es also nötig, den einen und selben Inhaber der beiden kognitiven Objekt-Rollen nicht mit zwei Objekten zu verwechseln, die vom denkenden Subjekt in irgendeiner Hinsicht real verschieden und unabhängig wären und daher von ihm durch einen wie auch immer sublimen Akt der Entdeckung vorgefunden 151 VII, 134*. 152 A 348. 153 Das verkennt – trotz hellsichtiger Erläuterungen zur zeitlichen Form der Selbstaffektion – auch Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretationen von Kants Kritik der reinen Vernunft, Frankfurt / M. 1977, wenn er bemerkt, daß »[…] Kant das Ich hier als etwas [nimmt], das denkt und so sich jederzeit als dieses denkende Ding vorfinden kann«, S. 396, Hervorhebungen R. E. Heideggers Vorfindlichkeits-These verkennt, daß der Objekt-Charakter des gedachten Ich der Charakter einer Rolle ist, in die das denkende Ich im Medium der transzendental-logischen Reflexion sich spontan, also selbst bzw. von selbst versetzt. Es fungiert in dieser Rolle als das von ihm selbst hervorgebrachte Thema. Heideggers VorfindlichkeitsThese ist daher so gut wie ununterscheidbar von einem Cartesianischen substanz-ontologischen Mißverständnis, wie es Caimi, Selbstbewußtsein, S. 91 f., und Carl, Entwürfe, S. 101, zu Recht verwerfen, vgl. oben S. 43, Anm. 129; zu Heideggers weiteren Erörterungen der Selbstaffektion vgl. auch unten S. 53, Anm. 186, und S. 65, Anm. 194. Robert Paul Wolff, Kant’s Theory of Mental Activity. A Commentary on the Transcendental Analytic of the Critique of Pure Reason, Gloucester, Mass. 1973, erörtert Kants Konzeption der Selbstaffektion und des inneren Sinns vorbildlich ausführlich, vgl. S. 191–202. Von entscheidendem Nachteil für seinen Klärungsversuch bleibt jedoch, daß er übersieht, daß die für die Selbstaffektion charakteristische »activity of synthesis« deswegen nicht eines »coherent non-metaphorical account«, S. 202, bedarf, weil es sich bei dieser activity um nichts anderes als um den zeitlich kurzen UrteilsAkt Ich denke des transzendental-logisch reflektierenden Subjekts handelt.

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werden könnten. Das von Kant B 152 ff. betonte Paradoxe des Scheins von zwei Subjekten, die an der Selbstaffektion beteiligt sind, verschwindet daher, wenn man berücksichtigt, daß das scheinbare zweite Subjekt in Wahrheit identisch mit dem ersten, dem denkenden Subjekt ist, jedoch von ihm selbst durch den Akt der Selbstaffektion in die von ihm ebenfalls selbst geschaffene kognitive Rolle eines gedachten Objekt-Subjekts versetzt wird. Um die Frage, wie diese identitäre Struktur mit ihren teilweisen Rollen-Komponenten ausfällt, wenn es sich bei dem Träger der Objekt-Rolle nicht um das vom denkenden Subjekt gedachte (denkende) Subjekt, sondern um das von ihm angeschaute (denkende) Subjekt handelt, geht es bei der Paradoxie des inneren Sinns. Durch die Klarstellung des sich-selbst-zum-Objekt-machenden Charakters des Akts der Selbstaffektion ist Kants Konzeption der Selbstaffektion hinreichend scharf gegen alle in der Gegenwart aktuellen Konzeptionen von SelbstReferenz, Selbst-Beziehung und Selbst-Verhältnis abgegrenzt. Diese Konzeptionen sind immer noch mit der Auffassung zumindest verträglich – wenn sie sie nicht sogar unterstellen oder implizieren –, daß das Subjekt der ich-Referenz, der ich-Beziehung oder des ich-Verhältnisses das Objekt dieser Referenz, dieser Beziehung oder dieses Verhältnisses in irgendeinem Sinne vorfindet. Dagegen stellt Kant mit den Formulierungen des op. post. unmißverständlich klar, daß die Eigenschaft des denkenden Subjekts, ein Objekt seines Denkens bzw. seiner Anschauung zu sein, ein von diesem Subjekt durch den Akt der Selbstaffektion geschaffenes kognitives Rollenattribut ist.154 Bei der Erkenntnis, die diesen Fall von Identität zum Thema hat, handelt es sich zweifellos mit Blick sowohl auf ihren Inhalt wie auf ihre Form um einen extremen Grenzfall minimaler Erkenntnis. Man kann diesen Grenzcharakter und diese Minimalität am besten einschätzen, wenn man den Fall berücksichtigt, in dem ein des Erkennens und Urteilens an sich fähiges Subjekt diese Erkenntnis verfehlt. Denn es würde sich dann um den elementarsten denkbaren 154 Scheffel, Wendung, macht zu Recht darauf aufmerksam, daß es sich bei der Selbstsetzungs-Konzeption des opus postumum nur um eine terminologische Variation der Selbstaffektions-Konzeption der zweiten Auflage der Ersten Kritik handelt; vgl. S. 2495. Vleeschauer, La déduction III, faßt seinen im übrigen trefflichen Kommentar zum Thema der Selbstaffektion, vgl. S. 203–221, so zusammen: »L’unité qu’elle [l’apperception, R. E.] communique … à la diversité [d’une multiplicité du sens interne, R. E.] prendra le nom de catégorie«, S. 207. Wenn das zuträfe, dann leitete Kant mit der Charakterisierung dieses Akts der einheitstiftenden communication in die Metaphysische Deduktion der Kategorien ein. Zu der Frage, wie Kant in diese Deduktion einleitet, vgl. Erster Teil, S. 251–262. Zwar bleibt Vleeschauwers unmittelbar vorangehende These richtig, daß »L’apperception est la source dernière de toute liaison synthétique, quelle qu’elle soit«, ebd. Doch die Metaphysische Deduktion, in deren Rahmen diese liaison synthétique thematisiert und auf den Namen der Kategorie getauft wird, abstrahiert systematisch von jeder spezifischen »matière intuitive«, ebd., insbesondere auch von der spezifisch menschlichen sinnlichen Anschauungsform.

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Fall eines zumindest zeitweisen kognitiven Selbstverlusts handeln, der einem solchen Subjekt überhaupt widerfahren kann – um den Fall, in dem es sich über den Status nicht nur einfach täuscht, Inhaber jenes »Radikalvermögen[s] aller unserer Erkenntnis«155 zu sein, das uns befähigt, daß »Wir […] nur durch Urteile denken [können]«,156 indem ich »eine [Vorstellung] zu der anderen hinzusetze und mir der Synthesis derselben bewußt bin«.157 Es wäre in einem solchen Fall dieses Radikalvermögens und, da es um ›das Ich des Menschen‹ (s. o. oben S. 51 f.) geht, damit seiner selbst zumindest zeitweise auch als Mensch verlustig gegangen. Doch da jedes Resultat einer mit Erfolg ausgeübten Synthesis ein Urteil ist, da überdies »Alle Erkenntnis […] in Urteilen [besteht]«158 und da schließlich »Ich, als … denkend Subjekt, […] mich selbst als gedachtes Objekt [erkenne]«,159 besteht dieser Selbstverlust in diesem extremen Fall in einem einzigartigen, nur mit Mitteln der Transzendentalen Logik abstrakt charakterisierbaren Fall: Ein mit diesem Radikalvermögen ›an sich‹ begabtes Subjekt versäumt in einem solchen Fall zumindest zeitweise die Möglichkeit, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen und sich als denkendes Subjekt zu erkennen. Da es sich bei dem Subjekt oder Ich, das in diesen zumindest zeitweisen Selbstverlust verstrickt ist, jedoch um ›das Ich des Menschen‹ handelt, bildet dieser zumindest zeitweise Selbst­verlust einen nur mit Mitteln der Transzendentalen Logik abstrakt charakterisierbaren para-anthropologischen Fall. Nur abstrakt ist dieser Fall aus zwei Gründen charakterisierbar. Zum einen läßt sich der fragliche Selbstverlust nicht durch ein exemplarisches Urteil konkret zur Sprache bringen, das sich einem solchen seiner selbst verlustig gegangenen Subjekt als dessen authentisches Urteil zuschreiben ließe. Denn als Urteil wäre es bereits wieder – und zwar im pragmatischen Widerspruch zum unterstellten Selbstverlust  – ein gelungener Akt jenes Subjekts, das als das ›absolute Subjekt aller seiner möglichen Urteile‹160 einen solchen Selbstverlust gar nicht durchmachen wür155 A 114. 156 R 5650, S. 300. 157 B 133. 158 R 4638. 159 B 155, Kants Hervorhebungen. Das Sich-selbst-zum Objekt-machen ist also jedenfalls strikt verflochten mit einem Akt der Erkenntnis, und zwar der Selbsterkenntnis. Das ist deswegen erläuterungsbedürftig, weil der Begriff der Erkenntnis im Rahmen der Transzendentalen Analytik normalerweise an eine Standardbedingung gebunden ist – an den Gebrauch einer Kategorie zugunsten einer objektiv gültigen Erkenntnis. Deswegen betont Kant aus Gründen einer entsprechenden Abgrenzung: »Zum Erkenntnisse eines von mir verschiedenen Objekts [bedarf ich] … (… der Kategorie) … […]«, B 158, Hervorhebungen R. E. Kant macht im Rahmen der Erörterung der Selbstaffektion also offenkundig von einem schwächeren, nicht kategoriengebundenen Erkenntnisbegriff bzw. -kriterium Gebrauch, weil eine Erkenntnis des eigenen Subjekts trivialerweise keine Erkenntnis eines von einem solchen Subjekt real verschiedenen Objekts bildet. 160 Vgl. A 348.

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de.161 Zum anderen ist das logisch und transzendental reflektierende Subjekt selbst ein Mitglied der Gemeinschaft der ›absoluten Subjekte aller ihrer mög­ lichen Urteile‹ und könnte – ebenso wie jedes beliebige andere Mitglied dieser Gemeinschaft – durch den Akt eines solchen exemplarischen ›Vor-Augen-Stellens‹ eines solchen Urteil – und zwar wiederum im pragmatischen Widerspruch zu seiner Intention – lediglich dementieren, was es exemplarisch als einen Fall des von ihm thematisierten Selbstverlusts ›vor Augen zu stellen‹ suchte.162 Die Identität des denkend-urteilenden Subjekts ist ausschließlich für das logisch und transzendental spontan reflektierende Subjekt eine Angelegenheit einer thematischen Erkenntnis und damit eines diese Erkenntnis strukturierenden Urteils, des einzigartigen subjekt-identitären Urteils-des-inneren-Sinns Ich, der ich denke, bin identisch mit dem von mir gedachten (denkenden) Ich (vgl. B 155 bzw. oben S. 49–52). Daher führt Kant einen noch komplexeren Fall einer solchen Identität und damit einen noch komplexeren Fall der urteilsförmig strukturierten Erkenntnis dieser noch komplexeren Identität vor Augen, wenn er zu bedenken gibt, daß »Ich, der ich denke, von dem Ich, das sich selbst anschaut, unterschieden, … und doch mit diesem letzteren als dasselbe Subjekt einerlei sei«.163 Die größere Komplexität dieser Identität und ihrer urteilsförmigen Erkenntnis ergibt sich daraus, daß, unbeschadet der behaupteten Identität des denkenden mit dem angeschauten (denkenden) Ich, dieses angeschaute (denkende) Ich in einer kognitiven Rolle erscheint, die im Vergleich mit der kognitiven Rolle des vom denkenden Ich gedachten Ich-Objekts anschaulich geprägt ist. Diese Komplexität scheint sogar Züge einer Paradoxie, wenn nicht sogar einer Inkonsistenz 161 Es fällt auf, daß Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil. Phänomenologie der Erkenntns (19291), Darmstadt 1964, obwohl er mit Kants Kritik der reinen Vernunft, besonders mit Kants Konzeption speziell des zeitlichen Selbstbewußseins vertraut ist, vgl. z. B. S. 199 f., 226–227, im Rahmen seiner Behandlung von Agnosien, vgl. S. 271–282, diese tiefste mögliche agnostische Störung gar nicht erörtert. 162 Es ist bemerkenswert, daß man auch diesen para-anthropologischen Grenzfall nur mit Hilfe der Grammatik der negativen irrealen Konditionale charakterisieren kann. Ihrer bedient sich Kant, wenn er den anderen para-anthropologischen Grenzfall ins Auge faßt, in dem ›das empirische Bewußtsein an sich zerstreut ist‹, sofern es kontrafaktisch nicht unter der Obhut und Regie der Fähigkeit steht, ›eine Vorstellung zu der anderen hinzuzusetzen und sich der Synthesis derselben bewußt zu sein‹, vgl. B 133; vgl. hierzu Erster Teil, S. 117–121, 159–161, 165–167, 173–175, 214–216. Die strukturelle Verwandtschaft dieser beiden para-anthropologischen Grenzfälle besteht offensichtlich darin, daß sowohl die von Kant thematisierte Zerstreuung des empirischen Bewußtseins-an-sich wie der Selbstverlust eines des denkenden Urteilens und der Selbstaffektion an sich fähigen Wesens davon abhängt, daß die zu denkend-urteilenden Akten befähigende ›reine und ursprüngliche Apperzeption‹ ausfällt. 163 B 155; in der terminologischen Form eines theoretischen Satzes formuliert Kant dies auch so: »… ich existiere als Intelligenz, die sich lediglich ihres Verbindungsvermögens bewußt ist«, B 158; zur vollständigen Version dieses Satzes vgl. unten S. 58, Anm. 172.

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zu zeigen. Denn wie kann ein denkendes Ich im Rahmen der Selbstaffektion überhaupt jemals ein anderes Objekt-Rollen-Attribut gewinnen als den eines gedachten (denkenden) Ich? Setzt Kant seine Konzeption der Selbstaffektion durch die Berücksichtigung eines vom denkenden Ich angeschauten denkenden Ich nicht dem Verdacht aus, diese Konzeption im Widerspruch zu seinen kritischen Bemerkungen zur intellektuellen Anschauung164 durch Beanspruchung eben einer solchen Anschauung zumindest inkohärent zu machen – in Form eines ›vom denkenden Ich angeschauten denkenden Ich‹?165 Die meisten Probleme, die diese Zusammenhänge bereiten, können jedoch darauf zurückgeführt werden, daß Kant im Rahmen des Themas der Selbst­ affektion ein Element seiner Theorie stiefmütterlich behandelt, das ihm durchaus zur Verfügung steht. Doch im Zuge der immer wieder einmal unvermeidlichen ›Erkenntnis in Zerstreuung‹166 ist er in einem thematischen Zusammenhang befangen geblieben ist, auf den er zum Nachteil einer kohärenten Erörterung der Selbstaffektion versäumt hat, ausführlich genug zurückzugreifen. Es handelt sich dabei um ein Element, das im Sinne von Kants Kriterium für die Prädikate- bzw. Urteile-des-inneren-Sinns167 und der exemplarischen Trias solcher Urteile168 außerordentlich wichtig für eine solche Darstellung ist. Denn es hat einerseits selbst die Form eines solchen Urteils – die des Urteils-des-inneren Sinns »Ich existiere denkend«.169 Andererseits bietet es gleichsam die Proto-Materie, die sich mit Hilfe einer bestimmten formalen Reflexion und Analyse zugunsten einer Klärung des anschaulichen Charakters des vom denkenden Ich ›unterschiedenen, aber mit ihm identischen Ich‹ fruchtbar machen läßt. Denn sofern das Denken bzw. das denkende Urteilen der sublimste Modus der Existenz des Ich ist,170 betrifft dieser Modus die »Bestimmbarkeit meines Daseins bloß in Anse164 Vgl. B 72 f., 148–149. 165 An die von Kants Text hinterlassenen Probleme eines ›vom denkenden Ich angeschauten denkenden Ich‹ knüpft Fichte mit seinen scharfsinnigen formalen Mikro-Analysen an; vgl. Johann Gottlieb Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, in: Fichtes Werke, herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte (1845/61), Bd. I. Zur theoretischen Philosophie I, Berlin 1971, S. 83–328, bes. 229 ff.; die Selbstaffektion thematisiert er direkt unter ihrem von Kant geprägten Namen bes. S. 239 ff.; vgl. hierzu auch unten S. 64, Anm. 193. 166 Vgl. hierzu Erster Teil, S. 22–24. 167 IV, 334 f. – Zu Kants Einführung und Erörterung der Prädikate-des-inneren-Sinns vgl. Erster Teil, S. 88–89, 134–135, zu den Urteilen-des-inneren-Sinns vgl. Erster Teil, bes. S. 89–91, 134–150. 168 XXVIII, 1, 166. 169 B 420, Kants Hervorhebungen. 170 Henrich, Subjektivität, verfehlt daher den springenden Punkt, wenn er urteilt, daß »Was das Ich sei, indem es zu sich selbst Ich sagend ist, was es ist, kann nicht einmal seiner logischen Struktur nach ausgesagt werden«, S. 51, Henrichs Hervorhebung; vgl. auch: »Ich heißt sich auf sich beziehen (Kant: zu sich Ich sagen können)«, S. 57. Doch es geht in diesem Punkt in Kants Theorie gar nicht um ›das Ich, das zu sich selbst Ich sagt bzw.

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sagen kann‹; in diesem Fall würde es sich um das von Kant gelegentlich persiflierte Tagebuch-Ich, VII, 132, handeln; vgl. hierzu schon Caimi, Selbstbewußtsein, S. 101 f. Zuletzt hat sich Tobias Rosefeldt, Das logische Ich. Kant über den Gehalt des Begriffs von sich selbst, Berlin 2000, unbeschadet der vorbildlichen methodischen Konsequenz und Kohärenz seiner Untersuchung, irrigerweise an diesem Tagebuch-Typ des Ich orientiert, vgl. z. B. »›ich‹ kann in einem Urteil nur an Subjektstelle vorkommen«, S. 69, Hervorhebung R. E. Auch Martin Heidegger, Sein und Zeit (19271), Tübingen 1960, faßt Kants Konzeption des Ich irrtümlich als eine (phänomenologische) Erörterung des Ich-sagens auf, vgl. S. 318–323. Erst in seiner Auseinandersetzung mit den Thesen von Ernst Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, Frankfurt / Main 1979, scheint Dieter Henrich, Noch einmal in Zirkeln. Eine Kritik von Tugendhats semantischer Erklärung von Selbstbewußtsein, in: Mensch und Moderne. Helmut Fahrenbach zum 60. Geburtstag, Würzburg 1989, S. 93–132, seine frühere Tagebuch-Auffassung vom Ich zugunsten der Auffassung überwunden zu haben, daß es »bei der Aufklärung von Selbstbewußtsein« darauf ankommt, »sich nach anderem als dem umzusehen, was mit dem geläufigen trivialen Begriff einer Person gegeben ist, die als solche kompetenter Sprecher ist«, S. 101, vgl. hierzu auch Erster Teil, S. 141120. Es geht vielmehr darum, daß das mit Hilfe der transzendental-logischen Reflexion thematisch zur Sprache gebrachte und in jeder anderen Einstellung unthematisch spontan denkend-urteilend fungierende Ich, vgl. hierzu Erster Teil, bes. § 7, mit Hilfe eben dieser spezifischen Reflexion als das denkend-urteilend existierende Ich der Form nach entdeckt wird, also im Sinne einer der von Kant so apostrophierten ›Entdeckungen-der-Form-nach‹, vgl. hierzu A 6, und Erster Teil, S. 96271. Was das von Henrich thematisierte Ich ›sei‹, kann in der Tat ›seiner logischen Struktur nach nicht ausgesagt werden‹, und zwar deswegen nicht, weil es keine logische Struktur hat. Wohl aber hat das eminente Urteil-des-inneren-Sinns Ich denke, durch das das unthematisch spontan denkend-urteilend fungierende Ich mit Hilfe der transzendental­ logischen Reflexion thematisierend-entdeckend zur Sprache gebracht wird, eine logische Struktur – nach Kants Standards die eines Urteils der kategorischen Form. Erst und nur innerhalb dieser logischen Struktur bzw. Form gewinnt dies Ich … die logisch analysierbare Funktion des kategorisch fungierenden Subjekts des ebenso kategorisch fungierenden Prädikats … denke bzw. … denke, daß-p; zur eigentlichen logischen Struktur des kategorische Urteils – seiner kategorischen Subjekt-Bedingung und seines kategorischen Prädikat-Bedingten – vgl. Erster Teil, 10. Ab., bes. S. 224–229. Günther Patzig, Immanuel Kant: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?, in: J. G. Speck (Hg.), Grundprobleme großer Philosophen. Philosophie der Neuzeit II. Göttingen 1976, S. 9–70, hat den Status des großgeschriebenen »Ich« in Kants Theorie durch eine scharfsinnige Analogie gegen das Programm eines »Abstieg[s] vom Ich zum ›ich‹« bei Tugendhat, Selbstbewußtsein, S. 68–90, resistent gemacht. Tugendhat hat diese vor allem in Texten der Philosophie des sog. Deutschen Idealismus präsentierte Großschreibung sowohl als Ausdruck wie als Suggestion eines grotesken sachlichen Mißverständnisses kritisiert. In seiner Analogie fingiert Patzig jemand, »der von den handelnden Person in Homers Gedicht vom Kampf um Troja hört und Achilles, Menelaos, Hektor, Helena und Paris kennt und nun fragt: Und wer ist eigentlich diese Ilias?«, S. 63. Tugenhat ist in der Auffassung befangen, daß das Erste Personalpronomen sinnvoll prinzipiell nur kleingeschrieben als Antwort auf eine wer-Frage fungieren könne. Er verkennt, daß das großgeschrieben Erste Personalpronomen in Kants Theorie eine analoge Funktion hat wie das Wort »Ilias«: Dieses Wort hat die Funktion, den einheitlichen narrativ-literarischen Zusammenhang sämtlicher sprachlicher Elemente zu thematisieren, mit deren Hilfe der altgriechische Rhapsode vom Kampf um Troja spricht – es ist also ein spezieller narrativ-literarischer Ein-

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hung meiner Vorstellungen in der Zeit«.171 Doch für die Klärung der Struktur der Selbstaffektion noch wichtiger als die Möglichkeit bzw. Fähigkeit – also die subjektive Möglichkeit – der ›Bestimmung meines Daseins bloß in Ansehung meiner Vorstellungen in der Zeit‹ ist selbstverständlich der Akt dieser Bestimmung selbst. Denn die Selbstaffektion ist gar nichts anderes als eben dieser Akt – vollzogen in der Form des eminenten Urteils-des-inneren-Sinns Ich denke, und heits-Funktor; analog hat das großgeschriebene Erste Personalpronomen in Kants Theorie den Status eines – und zwar sogar des zentralen – logischen Funktors: Er drückt in dem formalen Satz Ich denke bzw. Ich denke, daß-p, die logische Funktion des denkendurteilend unthematisch fungierenden Subjekts aus, die formale Einheit von logisch unförmigen zerstreuten Vorstellungen bzw. den sie ausdrückenden Worten in einem wahrheitsfähigen Urteil zu stiften. Einen einzigartigen Typ eines Funktors scheint allerdings Kant selbst im Auge zu haben, wenn er das großgeschriebene Ich als das »Correlatum der Einheit der Apperzeption«, A 250, charakterisiert; vgl. auch A 123. Denn in Kants Theorie ist »das denkende Ich […] die Seele«, A 361; vgl. auch IV, 334, vgl. hierzu auch schon Erster Teil, S. 143–144. Das denkende Ich ist daher im ›critischen‹ NachfolgeStatus der Seele ein einzigartiger nicht-sprachlicher Funktor, dessen ›beseelende‹ Funktion darin besteht, das denkende Urteilen durch Verbindung von Vorstellungen in der logischen Form von Urteilen-überhaupt zu ermöglichen. Im Unterschied hierzu ist sein großgeschriebener Ausdruck »Ich« in der Formel Ich denke im normalen Sinne der SyntaxTerminologie der entsprechende sprachliche Funktor. Diesen Typ des sprachlichen Funktors scheint Kant im Auge zu haben, wenn er das großgeschriebene »Ich« als »Vorwort«, IV, 542, charakterisiert. Im Licht dieser gespaltenen Funktor-Konzeption greift die Kritik von Rosefeldt, Logisches Ich, an Heiner F. Klemme, Kants Philosophie des Subjekts. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Verhältnis von Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis, Hamburg 1995, zu kurz, wenn er dessen Aufnahme dieser Vorwort-Charakteristik, vgl. S. 291, kritisiert: Er hält ihm vor, »In welche Schwierigkeiten man gerät, wenn man in diesem Zusammenhang nicht sieht«, S. 54, daß der »Ausdruck ›Vorwort‹ […] nämlich nichts anderes als eine Eindeutschung des lateinischen grammatikalischen Ausdrucks ›pronomen [ist]‹«, S. 54. Die Tatsache, daß diese Übersetzung naheliegt, trägt jedoch nicht das geringste zur Antwort auf die Frage bei, wie man die analoge Funktion, die dieses Vorwort bzw. Pronomen in Kants Theorie offensichtlich hat, ohne Zuhilfenahme einer simplen schulgrammatischen Analogie charakterisieren kann. Man wird auch die Analogie von Willard Van Orman Quine, Logic as a Source of Syntactical Insights (19601), in: The Ways of Paradox and other Essays, New York 1973, S. 42–47, nicht mit guten Gründen kritisieren oder gar verwerfen können, »that variables … are the pronouns of logic«, S. 47. Das unthematisch denkendurteilend fungierende Ich ist analog zur Seele der nicht-sprachliche ›beseelende‹ Funktor der urteilsförmig verbindenden Funktion, während das Subjekt »Ich …« des sprachlich formulierten Urteils »Ich denke« der diesen seelischen Funktor zur Sprache bringende Ausdruck ist, dessen Prädikat »… denke« die entsprechende seelische Funktion zur Sprache bringt. Setzt man diese Syntax-Analogie noch um einen letzten Schritt fort, dann bildet in dem komplettierten Urteil Ich denke, daß-p, das Teilprädikat …, daß-p den entsprechenden Argumentausdruck, der auf das (noch unbestimmte)  ›Argument‹ zu dieser Funktion verweist. Die ›seelische‹ Charakterisierung des großgeschriebenen »Ich« nimmt Rosefeldt lediglich mit der Beiläufigkeit zur Kenntnis, vgl. z. B. S. 69, die ihr keinerlei für den ›seelischen‹ Status des Ich relevante Bedeutsamkeit beimißt. 171 B 420.

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zwar ausschließlich in Ansehung der denkend-urteilend in der Zeit gebrauchten Vorstellungen des Ich als Subjekt des Denkens und des Akts des Denkens als des genuinen Attributs dieses Subjekts, wie sie in der logisch verbundenen Form des Urteil-des-inneren-Sinns Ich denke thematisierend gebraucht werden.172 Gleichwohl ist es offenkundig schwieriger, die Form der ›Erkenntnis des eigenen Subjekts‹ genauer durchsichtig zu machen, wenn es außer um die Erkenntnis der Identität des denkenden Subjekts mit dem von ihm gedachten (denkenden) Subjekt geht, auch um die Erkenntnis der Identität geht, in der »Ich, der ich denke, [mit, R. E.] dem Ich, das sich selbst anschaut, …, … als dasselbe Subjekt einerlei sei«.173 In diesem Fall ist es ersichtlich nicht damit getan, die Rolle des kognitiven Objekts in derselben kognitiven Dimension (des Denkens) zu verorten, in der das spontan denkend-urteilende Subjekt zu Hause ist. Das von Kant mit einem gewissen Rest offen gelassene Problem ergibt sich vielmehr gerade dadurch, daß aus seinen Texten nicht wirklich direkt und restlos klar werden kann, wie sich das spontan denkend-urteilende Subjekt durch den Akt der apostrophierten Selbstaffektion spontan auch in eine Objekt-Rolle versetzen kann, in der es einer gänzlich anderen kognitiven Dimension als der angehört, in der es den invarianten Status des denkend-urteilenden Subjekts ausübt. Doch Kant hat außer der Erkenntnis der Identität des eigenen Subjekts in unterschied­ lichen kognitiven Objekt-Rollen nur noch eine einzige andere ›Erkenntnis des eigenen Subjekts‹ zur Sprache gebracht, die auch einen ganz anderen Inhalt als diese Identität hat – die Erkenntnis der Existenz ›des eigenen Subjekts‹ in der Urteilsform Ich existiere denkend. Es zeichnet sich daher ab, daß es am Leitfaden von Kants Skizze der Selbst­ affektion nicht nur nötig, sondern auch möglich ist, zwei verschiedenen Erkenntnissen auf die Spur zu kommen – sowohl der Erkenntnis der Identität des eigenen Subjekts in zwei unterschiedlichen kognitiven Rollen wie auch der Er172 Hier wird die Vervollständigung des oben S. 54, Anm. 163, fragmentarisch zitierten Satzes wichtig: »… ich existiere als Intelligenz, die sich lediglich ihres Verbindungsvermögens bewußt ist, in Ansehung des Mannigfaltigen aber, das sie verbinden soll, einer einschränkenden Bedingung, die sie den inneren Sinn nennt, unterworfen [ist], jene Verbindung nur nach Zeitverhältnissen anschaulich [zu] machen«, B 158–159, Hervorhebung der Vervollständigung R. E. Denn insbesondere auch die Verbindung der minimalen Mannigfaltigkeit der Vorstellungen des Ich und des Denkens in dem Urteil Ich denke ist nur nach Zeitverhältnissen anschaulich zu machen. Diese Zusammenhänge übersieht Rosefeldt, Logisches Ich, vgl. bes. S. 78–79. Durch seine Konzentration auf die seelensubstanz-ontologischen Paralogismen, vgl. S. 31–184, vernachlässigt er die ›critische‹ Konzeption der Selbstaffektion: Durch den apperzeptiven Akt des Ich denke affiziert das so denkende Ich sich selbst, indem es sich als Subjekt dieses zeitlichen Akts selbst, also spontan in der Rolle eines nicht-kategorialen Objekts ›nach Zeitverhältnissen anschaulich macht‹, sich also als das ›zeitigende‹ Subjekt dieses Akts quasi-objektivierend selbst thematisiert. 173 B 155, Hervorhebung R. E.

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kenntnis von dessen anschaulicher, also zeitlicher Form der denkend-urteilenden Existenz. Man muß jedoch, da es sich um Erkenntnisse handelt und da »Alle Erkenntnis […] in Urtheilen [besteht]«,174 auch hier wieder zwischen Formen von Urteilen unterscheiden, die diesen Erkenntnissen und den Unterschieden ihrer Inhalte angemessen sind. Für die Erörterung der Struktur der Selbstaffektion hat Kant drei Formen der Urteile-des-inneren-Sinns direkt geprägt (1., 3., 4.) und eine unmißverständlich zu verstehen gegeben (2.): 1. Ich denke, 2. Ich, der ich denke, bin einerlei mit dem von mir gedachten (denkenden) Objekt,175 3. Ich, der ich denke, bin einerlei mit dem von mir angeschauten (denkenden) Objekt176 und (4.) Ich existiere denkend. Man kann gar nicht genügend betonen, welche Tragweite mit der zur Sprache gebrachten Urteilsform Ich existiere denkend verbunden ist. Denn sie ist unmittelbar mit dem Urteil Ich denke verbunden, weil sie das elementarste mit transzendental-logischen Mitteln bestimmbare Existenz-Attribut eines denkend-urteilenden Wesens thematisiert. Die Tragweite, die dieses Urteil speziell mit Blick auf Kants Theorie der Erfahrung hat, kommt daher, daß »die Form der Apperzeption … jeder Erfahrung […] als bloß subjektive Bedingung derselben [anhängt]«.177 Das Urteil Ich existiere denkend charakterisiert daher ebenso den elementarsten bestimmbaren Existenzmodus, den ein der Erfahrung fähiges Wesen durch Akte des (urteilenden) Denkens vollziehen kann. Daher gibt Kant ausdrücklich zu bedenken: »Also ist Denken so viel als Urteilen«,178 und verschärft die Deutlichkeit gelegentlich noch ein wenig bis zur gänzlichen Unmißverständlichkeit: »Wir können nur durch Urteile denken«179. Der Urteilscharakter auch des »Ausspruch[s] des Selbstbewußt-seins«180 Ich denke ist gerade im Rahmen der Frage nach der durch die Selbstaffektion herbeigeführten Erkenntnis der Existenz des denkend-urteilenden Ich so wichtig, weil »[…] in jedem Urteil subjektiv eine Zeitfolge [ist]«.181 Auch in dem Urteil Ich denke als dem eminenten Urteil-des-inneren Sinns ›ist‹ daher ›subjektiv eine Zeitfolge‹. Kant hat den mit dem Selbstbewußtsein – also dem Selbst- bzw. Spontaneitäts-Bewußtsein – des selbst bzw. von selbst denkend-urteilenden Subjekts unmittelbar verbundenen Zeitcharakter mit aller wünschenswerten Deutlichkeit hervorgehoben. Denn er betont: »… in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir 174 175 176 177

R 4638. Vgl. B 155. Vgl. ebd. A 354; vgl. auch die bedeutungsäquivalente These von der »Einheit des Bewußtseins, die wir selbst nur dadurch kennen, daß wir sie zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich brauchen«, B 420. 178 IV, 304. 179 R 5650. 180 A 346, B 404. 181 XX, 369.

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dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt«.182 Diese ›ganze Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin‹, ist im Zusammenhang des Themas der Selbstaffektion indessen nichts anderes als die Zeitfolge, die ›in‹ dem Urteil Ich denke ›subjektiv‹ genauso ›ist‹ wie in jedem anderen Urteil.183 Verständlich und plausibel wird die zugrundeliegende Überlegung Kants allerdings vor allem dann, wenn man den Handlungs- oder Aktcharakter gebührend berücksichtigt, der ein zentrales Bedeutungsmoment von Kants Urteilsbegriff bildet. In der ­(partiellen) Arbeitsdefinition des Urteilsbegriff in der langen Fußnote der Vorrede zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft hat er diesem Bedeutungsmoment sogar quasi-definitorisches Format verliehen.184

182 A 362. Diese These Kants enthält den Schlüssel, um das von Paton kritisierte »[failure] [Kant’s] to explain clearly … the distinction between apperception and inner sense«, Paton, Experience I, S. 499, zu beheben. Schon Heidegger, Interpretationen, hat die Schlüsselrolle gebührend berücksichtigt, die diesem Gedanken im Rahmen von Kants Konzeption der Selbstaffektion zukommt, vgl. S. 396 f. Indessen ist selbstverständlich nicht zu übersehen, daß Heidegger seine Behandlung dieses Themas trotz solcher punktuellen Hellsichtigkeiten durch Fehlinterpretationen und vor allem durch Interpolationen von Voraussetzungen stört, die er seiner kurz zuvor beendeten Arbeit an der existentialanalytischen Ontologie des Daseins entnommen hat. Das ist umso unverständlicher als ihm sein Urteil über den Kerngehalt von Kants Drei-Synthesen-Konzeption aus den ersten drei Nummern der ersten Auflage der Transzendentalen Deduktion der Kategorien, vgl. S. 390 f. sowie unten S. 61, Anm. 186, das wichtigste Potential für eine zeit- und urteilsanalytische Vertiefung sowohl des Arguments von A 362 wie von Kants Konzeption der Selbstaffektion geboten hätte. 183 Diese temporale Charakterisierung des Urteilsakts Ich denke zeigt eine unmittelbare Verwandtschaft mit der Überlegung, die René Descartes, Meditationes de prima philosophia (16411), wieder abgedr. in: Œuvres de Descartes. Publiées par Ch. Adam et P. Tannery. Nouvelle présentation, en coédition avec le Centre National de la Recherche Scientifique, vol. VII, Paris 1964, S. 1–90, zu bedenken gibt, wenn er auf eine temporale Form des egozentrischen Akts des Denkens rekurriert, indem er meditiert: »[…] ego sum, ego existo, certum est. Quandiu autem? Nempe quandiu cogito«, Med. II, sect. 6. Daß Descartes’ temporale Charakterisierung gleichwohl einen ganz anderen theoretischen Status hat als die Kantische, hat zwei Gründe: 1.) Durch den Vollzug des egozentrischen Akts Ich denke vergewissert sich das Cartesisch meditierende Subjekt seiner Existenz als einer Substanz, während sich im Licht von Kants Theorie jedes denkend-urteilende Subjekt durch jeden beliebigen Akt des Urteilens auch ohne ausdrückliche Aktualisierung des Urteilsakts Ich denke seiner spontan denkend-urteilenden Existenzweise bewußt ist; 2.) während Descartes den Begriff des Denkens als Oberbegriff von speziellen Akten des Denkens wie des Zweifelns, Einsehens, Bejahens, Verneinens, Wollens, Nichtwollens, Imaginierens und Fühlens auffaßt, vgl. ebenfalls Med. II, sect. 8, auffaßt, faßt Kant den Begriff des Denkens als Funktionalbegriff auf, als den Begriff des Akts, durch dessen spontanen unthematischen Vollzug sein Subjekt die Funktion ausübt, ›eine Vorstellung zu der anderen hinzuzusetzen und sich der Synthesis derselben bewußt zu sein‹, so daß ihm irgendein beliebiger urteilsförmiger Akt gelingen kann. 184 Zu dem wichtigen vorläufigen, arbeitsdefinitorischen Charakter dieser Definition vgl. Erster Teil, S. 9–12.

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Doch auch ohne definitorische Reflexionen ist der Handlungscharakter des Urteils durch die entsprechenden Formen substantivierter Infinitive in Kants Texten immer wieder präsent und für das Verständnis und die sachliche Beurteilung seiner Überlegungen wichtig.185 Da die Erörterungen und Analysen von Kants Drei-Synthesen-Konzeption (A 97–103) genau auf die entsprechende Mikro-Zeitlichkeit jedes Urteilsakts abgestimmt sind, erfassen sie genauso auch die Mikro-Zeitlichkeit des eminenten Urteils-des-inneren-Sinns Ich denke: Dieses Urteil kann als spontaner, also vom denkend-urteilenden Subjekt selbst oder von selbst vollzogener Akt nur so vollzogen werden, daß es die in irgendeinem beliebig kurzen Augenblick apprehendierte Vorstellung Ich in einem entsprechend späteren Augenblick reproduziert und ›rekognisziert‹ sowie mit der im späteren Augenblick apprehendierten Vorstellung denken spontan, also selbst oder von selbst zum Urteil Ich denke verbindet.186 Erst mit Hilfe dieser urteilsanalytischen Erörterungen des eminenten MikroUrteils-des-inneren-Sinns Ich denke kann das von Kant ›gestellte, aber nicht gelöste Problem‹ (Düsing) der Selbstaffektion zumindest um einige Grade weiter geklärt werden: 1. Da jedes beliebige Urteil  – und daher auch jedes noch so minimale Mikro-Urteil – primär eine zeitliche, sukzessiv vollzogene Handlung bildet, bildet auch das eminente Mikro-Urteil-des-inneren-Sinns Ich denke eine solche zeitlich vollzogene Handlung; 2. von allen anderen Handlungen des Urteilens unterscheidet sie sich dadurch, daß sie ausdrücklich und thematisch ausschließlich vom Subjekt der transzendental-logischen Reflexion vollzogen wird, das durch sie den eigentlich unthematisch fungierenden Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption überhaupt erst thematisch zur Sprache und in die Form dieses eminenten Urteils-des-inneren-Sinns bringt; 3. dieses Urteil ist daher ein Resultat seiner transzendental-logisch reflektierenden Urteils185 Vgl. hierzu auch die Hinweise bei Wieland, Urteil, bes. S. 88 f. 186 Vgl. zur ausführlichen Erörterung der Drei-Synthesen-Konzeption Erster Teil, Ab. 8. Vgl. hierzu auch den Kommentare von Wolfgang Carl, Die transzendentale Deduktion der Kategorien in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Ein Kommentar, Frankfurt / Main 1992: »[…] der von ihm [sc. Kant, R. E.] entwickelte Zusammenhang von Apprehension, Reproduktion und Rekognition [besagt], daß die Verbindung einer Mannigfaltigkeit gegebener Vorstellungen zu einem ›Ganzen‹ nur in der Form eines Urteils vollzogen werden kann«, S. 165–16657. Speziell zur zeitlichen Form des eminenten Urteils-des-inneren-Sinns Ich denke vgl. im selben thematischen Zusammenhang Heidegger, Interpretationen, § 25.c) Die Zeitbezogenheit der drei Synthesen und ihre Zugehörigkeit zum Selbst aufgrund der Zeitbeziehung mit der trefflichen und prägnanten Charakterisierung dieses Urteils »als die ursprünglich einige Gliederung der Urhandlung des Ich als Ich-denke – das Kant auch als ›Ich-verbinde‹ nennt«, S. 390. Schon in einer ein Jahr früheren Vorlesung gibt Martin Heidegger, Logik. Die Frage nach der Wahrheit, Frankfurt / M. 1976, »die Frage … nach dem Zusammenhang von Ich denke und Zeit«, S. 344, zu bedenken; vgl. auch S. 309. Er fragt jedoch schließlich in aporetischer Form: »Ist die Zeit ein Modus des Ich denke oder das Ich denke ein Modus der Zeit?«, S. 346. Zu Kants Antwort auf diese Frage vgl. unten S. 63–64.

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kraft; 4. ausschließlich mit Blick auf dieses urteilsförmige Resultat seiner trans­ zendental-logischen Reflexion hat das Subjekt dieser Reflexion die thematische Gelegenheit, durch einen weiteren Schritt dieser Reflexion zu entdecken,187 daß es durch den spontanen Vollzug dieses Urteils spontan die temporale Form der Sukzessivität als die zeitliche Form seiner denkenden Existenz ausübt – und zwar ganz unabhängig von allen Affektionen durch Empfindungen, Gefühle, Stimmungen bzw. Wahrnehmungen äußerer Gegenstände und andere empirische Widerfahrnisse; denn nur weil es den denkend-urteilenden Akt, durch dessen thematisierende Funktion es sich spontan affiziert, also selbst bzw. von selbst ausübt, ist der Terminus Selbst-Affektion gänzlich angemessen; 5. als Urteil steht auch das eminente Mikro-Urteil-des-inneren-Sinns Ich denke bzw. sein Vollzug unter der Regie des unthematisch fungierenden, die Einheit in einem Urteil-überhaupt stiftenden Akts der reinen und ursprünglichen Apperzeption, der durch dieses Urteil des transzendental-logisch reflektierenden Subjekts als tiefster möglicher Analyse-Punkt jeder Theorie des Urteilens thematisiert und zur Sprache gebracht wird; 6. die vom Subjekt der transzendental-logischen Reflexion fruchtbar gemachte Möglichkeit, vermöge eines unthematisch fungierenden reinen und ursprünglichen Apperzeptionsakts auch diesen Akt und dessen Subjekt spontan zum thematischen Objekt eines Urteils zu machen, erschöpft die Möglichkeiten dieser Reflexion noch nicht. Denn zur Fruchtbarkeit dieser Möglichkeiten gehört auch noch das subjekt-identitäre Urteil-des-inneren-Sinns Ich, der ich denke, existiere denkend ›in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner (durch einen Urteilsakt) denkend bewußt bin‹ .188 Bei der von Kant apostrophierten Selbstaffektion handelt es sich also um einen Akt der transzendental-logischen Reflexion, durch den der unthematisch fungierende Akt der ursprünglichen Apperzeption als solcher, also als der Akt thematisiert wird, den jedes Subjekt diesseits der transzendental-logischen Reflexion unthematisch ausübt, während es denkend urteilt. Durch diese tempo­rale Form seines thematischen Materials gibt sich das transzendentallogisch re­f lektierende Subjekt für sich selbst als das zu erkennen, was und wie es gemeinsam mit jedem anderen unthematisch fungierendes Subjekt ist – ein in der Form der Zeit denkend-urteilendes Subjekt. Die einzige sprachlich-grammatisch-logische Form, die dem reflektierenden Subjekt dieser thematisierenden Erkenntnis seiner Identität und Akt-Tätigkeit aus der Region diesseits der transzendental-logischen Reflexion zugunsten der Thematisierung dieses an sich unthematischen Materials zur Verfügung steht, wird von der Funktion des sprachlich-grammatisch-logischen Subjekts Ich … und dem Prädikat … denke gebildet. Für die Charakterisierung dieser denkend-urteilenden Akt-Tätigkeit 187 Zu dem formalen Entdeckungsbegriff, unter den die von der transzendental-logischen Reflexion intendierbaren Entdeckungen für Kant gehören, vgl. Erster Teil, S. 96271. 188 Vgl. A 362 sowie oben S. 59–60.

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des denkend-urteilenden Subjekts steht dem transzendental-logisch reflektierenden Subjekt keine andere Form zur Verfügung als die, die jede unthematische Aktivität eines solchen Subjekts prägt – die anschauliche zeitliche, sukzessive Form des ›inneren Sinn‹. Die transzendental-logische Reflexion auf den unthematisch fungierenden Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption führt daher zu der ›affektiven‹ Erkenntnis der Identität des denkenden Ich mit dem ›angeschauten‹ (denkenden) Ich in der Form des subjekt-identitären MikroUrteil-des-inneren-Sinns Ich, der ich denke, existiere denkend ›in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner (durch einen Urteilsakt) denkend bewußt bin‹. Diese Selbstaffektion bildet den spontanen apperzeptiven »Aktus, mein Dasein zu bestimmen«189 – zu bestimmen nämlich die ursprüngliche Form dieses Daseins als die Form des zeitlich-sukzessiv existierenden Subjekts seiner spontanen denkend-urteilenden Akte. Kants Sprechweise vom ›Bestimmen meines Daseins‹ ist allerdings systema­ tisch zweideutig: Im strikten thematischen Zusammenhang seiner Erörterung der Selbstaffektion bedeutet sie die Bestimmung des Daseins des spontan denkend-urteilende Subjekts als die Form des zeitlich-sukzessiven Daseins des Subjekts der spontanen denkend-urteilenden Akte. Außerhalb dieses thematischen Zusammenhangs  – vor allem im Rahmen der Widerlegung des Idealismus  – bedeutet diese Sprechweise das »bloße, aber empirisch bestimmte, Bewußtsein meines eigenen Daseins«, das »[…] das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir [beweist]«.190 Auch diese Bestimmtheit des eigenen Daseins hat eine temporale Form, weil sie mit einer relativen empirischen Datierung meines Daseins verbunden ist, indem »wir die Bestimmung der Zeitlänge, oder auch der Zeitstellen für alle inneren Wahrnehmungen, immer von dem hernehmen müssen, was uns äußere Dinge Verständliches darstellen …, sofern … wir äußerlich affiziert werden«.191 Doch es kommt entscheidend darauf an, diese alltäglichen(!) Fälle des empirisch vom Dasein äußerer Gegenstände bestimmten Bewußtseins meines eigenen (datierbaren) Daseins von dem ausgezeichneten Fall zu unterscheiden, in dem das transzendental-logisch reflektierende Subjekt den normalerweise unthematisch fungierenden Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption am Leitfaden des thematisch zur Sprache gebrachten Urteils-des-inneren-Sinns Ich denke auf seine interne Form hin analysiert. Denn in diesem ausgezeichneten Fall geht es gerade nicht darum ›Zeitlängen‹ oder ›Zeitstellen‹ der sukzessiven Daseinsform des spontan denkend-urteilend fungierenden Ich zu bestimmen. Es geht in diesem Fall auschließlich darum, die sukzessive, denkend-urteilend fungierende Daseinsform dieses Ich zu charak-

189 B 157*. 190 B 275, Hervorhebungen R. E.; vgl. zu diesem Thema unten 21.4. Ab. 191 B 156; vgl. hierzu ebenfalls unten 21.4. Ab.

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terisieren.192 Durch diese formale Analyse gewinnt das transzendental-logisch reflektierende und analysierende Subjekt die Erkenntnisse, die mit ihren minimalen kognitiven Inhalten die Identität, die Existenz sowie die temporale, sukzessive Daseinsform des spontan denkend-urteilend fungierenden Subjekts zum Inhalt haben. Für diese Erkenntnisse kann das transzendental-logisch reflektierende Subjekt die beiden subjekt-identitären Urteilsformen zur Verfügung stellen: Ich, der ich denke, bin identisch mit dem von mir gedachten (denkenden) Ich und Ich, der ich denke, existiere denkend ›in der ganzen Zeit, darin ich mir (durch einen Urteilsakt) meiner selbst zeit-anschaulich-sukzessiv bewußt bin‹.193 Im Licht dieser Voraussetzungen – vor allem dank des Potentials seiner Erhellung der subjekt-identitären Form der Urteile-des-inneren- Sinns – trägt Kant

192 Diese Zusammenhänge verkennt Klaus Düsing, Zeit und Substanz in Kants »Kritik der reinen Vernunft«, in: Claudia Jáuregui / Fernando Molego / Hernán Pringe / Marcos ­T histed (Hg.), Crítica y Metafísica. Homenaje  a Mario Caimi, Hildesheim-Zürich-­ NewYork 2015, S. 140–163, wenn er argumentiert, »daß die zweifelsfreie Selbstwahrnehmung und -bestimmung des zeitlichen und empirischen Ich im inneren Sinn unabhängig, ja nur möglich ist aufgrund von Gegebenheiten im äußeren Sinn, d. h. letztlich auf Grund einer real existierenden Außenwelt, wie sie uns gegeben ist«, S. 159. Daß dieses sukzessiv denkend-urteilend fungierende Subjekt darüber hinaus in jedem leibhaftigen indviduellen Menschen verkörpert ist, der gleichzeitig stets auch äußerlich affiziert wird, ändert nichts an dem davon unabhängigen aktinternen sukzessiven Charakter seiner denkend-urteilend fungierenden Daseinsform. Diese bedarf als solche keiner ›Bestimmung ihrer Zeitlänge, oder auch ihrer Zeitstellen‹, also keiner Messung oder Datierung bzw. Schätzung. Zur internen temporalen und kognitiven Mikro-Struktur des Urteilsakts vgl. Erster Teil, 8. Ab. 193 Im Unterschied zu dieser wohlbestimmten elementarsten Form der Identität des denkend-urteilenden Subjekts mit dem in seiner denkend-urteilenden Zeitlichkeit (formal) anschaulichen Subjekt läßt Peter Bieri, Zeit und Zeiterfahrung. Exposition eines Problembereichs, Frankfurt / M. 1972, seinen »Versuch, den Zusammenhang von Zeit und Subjektivität«, S. 9, zu klären, in die Vermutung einer noch unbestimmten Form von »Identität … des Bewußtseins in der Zeit«, S. 220, münden. Auch Rosefeldt, Logisches Ich, übersieht, daß die mit dem inneren Sinn erfaßte ›Anschaulichkeit‹ des ›angeschauten Subjekts‹ ausschließlich die anschaulich-zeitliche Form des vom denkend-urteilenden Ich ausgeübten Akts der denkend-urteilenden Apperzeption betrifft. Zu Recht kritisiert Rosefeldt indessen im Anschluß an seine Erörterung der Selbstanschauung, vgl. S. 225–226, und bes. mit Blick auf die §§ 25–26 der Ersten Kritik, die an Fichtes Wissenschaftslehre orientierte Auffassung von Manfred Frank, Einführung in Schellings Philosophie, Frankfurt / M. 1985, Kant sei durch seine Konzeption der Selbstaffektion »in irgendeiner Weise darauf verpflichtet, die Fähigkeit intellektueller Anschauung anzunehmen«, S. 225. Es kann zwar nicht gut bezweifelt werden, daß das subjekt-identitäre Urteil-des-inneren-Sinns »… Ich, der ich denke, [bin] von dem Ich, das sich selbst anschaut, unterschieden, … und doch mit diesem letzterem als dasselbe Subjekt einerlei«, B 155, den zentralen interpretatorischen Fundus für Fichtes Konzeption einer intellektuellen Anschauung bildet. Doch Fichte fehlen mit seinem Ansatz von Anfang die auch von Rosefeldt, Ich, vgl. bes. S. 11–12, zu Recht betonten planmäßigen, sorgfältigen und weit ausgreifenden sowie tiefenscharfen formalen Urteilsanalysen Kants.

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mit seiner Konzeption der Selbstaffektion offensichtlich auch zu einer subtilen Klärung des komplexen Doppel-Verhältnisses bei, das Denken und Sein mit Sein und Zeit verbindet: Das zeitliche Sein des spontan denkend-urteilenden Subjekts ist für Seiendes dieses Typs die ursprüngliche Form des ›eigentlichen‹, des spontanen Seins in der Zeit.194 13.2.1. Wie die Selbstaffektion zur Erkenntnis der reinen zeitlichen Form der Anschauung a priori und des inneren Sinns führt Die Erkenntnis des besonderen Falles und der besonderen Form der Identität des eigenen Subjekts zeigt offensichtlich, daß ein solches Subjekt seine Identität im Medium einer von ihm spontan urteilsförmig verbundenen Mannigfaltigkeit von Vorstellungen erkennt und als Identität mit dem Träger jeder 194 Heideggers kritischer seinsgeschichtlicher Gedanke, daß die Metaphysik meine, »das Sein lasse sich am Seienden finden«, Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), Frankfurt / M. 1989, S. 170, Hervorhebung R. E., gerät hier offensichtlich an eine Grenze. Denn das zeitliche Sein des denkend-urteilenden Subjekts wird unter Kants Voraussetzungen nicht ›an‹ einem unabhängig davon vorfindlichen Seienden ›gefunden‹; zum ontologischen Format dieses Irrtums vgl. oben S. 51, Anm. 153. Zu Kants Voraussetzungen gehört zum einen, daß die Philosophie  – also die nicht-empirische disziplinäre Anstrengung der Ersten Kritik, vgl. A 841, B 869, – mit ihren Mitteln der logischen und der transzendentalen Reflexion, vgl. A 262, B 319–A 268, B 324, ausschließlich zu »der Form nach neuen Einsichten«, A 6, also zu Funden-der-Form-nach gelangen kann. Das zeitliche Sein des denkend-urteilenden (menschlichen) Subjekts wird unter dieser Voraussetzung ebenfalls nur der Form nach gefunden. Denn das unthematisch fungierende denkend-urteilende (menschliche)  Ich zeigt sich zusammen mit seinem zeitlichen Seinsmodus von selbst, indem es seit unvordenklichen Zeiten tagtäglich sowohl die elementarsten wie die komplexesten ihm jeweils möglichen Akte des Urteilens selbst, also spontan vollzieht. Das Sein dieses denkend-urteilenden Subjekts wird wegen dieses in den alltäglichsten Formen des Urteilens spontan sich zeigenden und ›zeitigenden‹ So-seins nicht erst von ›metaphysischen‹ Untersuchungen wie den Kantischen ›an‹ irgendeinem Seienden ›gefunden‹ – auch nicht ›an‹ diesem so seienden Subjekt. Das so seiende Subjekt macht sich mit den Mitteln der logischen und der transzendentalen Reflexion lediglich nachträglich durchsichtig, als was es sich von sich aus auch ohne diese Reflexion tagtäglich zeigt. Heideggers Frage, »Offenbart sich die Zeit selbst als Horizont des Seins«, Heidegger, Sein und Zeit, S. 437, H.s Hervorhebungen, findet unter Kants Voraussetzungen die Antwort, daß die Zeit selbst die anschauliche Form des Seins des denkend-urteilenden Subjekts möglicher Erfahrung ist. Heideggers Horizont-Charakterisierung der Zeit ist allerdings durch die alltägliche, also ursprüngliche Bedeutungskomponente des Begriffs des Horizonts mit einer störenden systematischen Zweideutigkeit belastet. Denn einen Horizont gibt es für Menschen aus objektiven Gründen nur deswegen, weil die Erde eine Kugelgestalt hat; aus subjektiven Gründen gibt es ihn für Menschen indessen nur insofern, als er vom jeweiligen Standort eines individuellen Menschen abhängt. Diese systematische Zweideutigkeit trägt Heidegger in seine Frage, ohne sie aufzulösen.

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dieser Vorstellungen beurteilt. Unter den Urteilsformen, die Kant im Laufe von fast drei Jahrzehnten auf ihre Tauglichkeit und Wichtigkeit für die Untersuchungen der transzendentalen Logik analysiert und erprobt hat, haben sich fast zuletzt die Urteile-des-inneren-Sinns bewährt. Sie bilden nicht nur eine spezielle, subjekt-identitäre Form logischer Einheit und verdanken sich dem »Vermögen das Mannigfaltige der [inneren, R. E.] Anschauung zu verbinden, d. i. unter eine ­Apperzeption … zu bringen«, so »daß der innere Sinn dadurch affiziert werde«.195 Wie das so wichtige Musterbeispiel eines solchen Urteils aus dem Zentrum von Kants Analyse der Selbstaffektion zeigt – »Ich, der ich denke, [bin, R. E.] von dem Ich, das sich selbst anschaut, unterschieden, … und doch mit diesem letzteren als dasselbe Subjekt einerlei […]«196 –, bewährt sich diese Urteilsform hier darin, den elementarsten ›Erkenntnissen unseres eigenen Subjekts‹ überhaupt erst die Form zu verleihen, die ihren subjekt-identitären Inhalten angemessen ist. Mit der Überlegung, daß der innere Sinn durch Akte affiziert werde, die das Mannigfaltige der inneren Anschauung unter eine Apperzeption bringen, rekurriert Kant innerhalb der zweiten Auflage der Transzendentalen Deduktion der Kategorien auf die ebenfalls erst in der zweiten Auflage der Allgemeinen Anmerkung zur Transzendentalen Ästhetik gewonnenen Einsicht in die Form und die Tragweite der Selbstaffektion.197 Innerhalb dieser Allgemeinen Anmerkung fällt dieser Einsicht eine schwer zu überschätzende methodische Rolle zu. Ihr Format wird in seiner Bedeutsamkeit vielleicht erst dann hinreichend deutlich, wenn man den methodisch-didaktischen Stil beachtet, in dem Kant seinen Lesern sowohl die Metaphysische wie die Transzendentale Erörterung des Begriffs der Zeit vorträgt.198 Hier werden nur allzu offensichtlich Auffassungen formuliert, deren Inhalte wie die Inhalte eines Lehrbuchs präsentiert werden, das noch uninformierte Leser über Einsichten zu informieren scheint, die in der Expertengemeinschaft seit hinreichend langer Zeit und in hinreichendem Umfang alle wichtigen Bewährungsproben bestanden haben. Dieser methodischdidaktische Mitteilungsstil hat viel mehr Ähnlichkeit mit der dogmatischen Lehrart der Wolffschen Schule als mit der »zetetischen Methode«,199 deren Übung Kant in der Phase seiner beginnenden Überwindung des methodischen

195 B 154–155. Auf der Linie von Vleeschauwer, vgl. oben S. 52, Anm. 154, bilden daher die von Kant erst spät entdeckten Urteile-des-inneren-Sinns mit ihrer besonderen logischen, subjekt-identitären Form die spezifische Einheit, die durch die liaison synthétique gestiftet wird, die die Apperzeption communique à la diversité d’une multiplicité du sens interne. 196 B 155, Hervorhebung R. E. 197 Vgl. B 68–69. 198 Vgl. A 30, B 46–A 32, B 49. 199 II, 307 f.

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Erbteils der Wolffschen Schule so überaus zu schätzen lernt. Auf der Linie des dogmatischen methodisch-didaktischen Mitteilungsstils der Wolffschen Schule bleibt indessen gänzlich dunkel, welche methodischen Schritte jeder sachlich Interessierte tun kann und muß, wenn ihm – wenn schon nicht von selbst so doch wenigstens in Form eines methodisch kontrollierbaren Nachvollzugs – ein Weg zu diesen Einsichten gelingen können soll. Doch daß Kant die zetetische Methode – also die Methode, die der Suche nach analysierbaren formalen Bedingungen der Erkenntnis dient – auch in der buchtechnischen Einführung in die Resultate seiner Untersuchungen beherrscht, zeigen in musterhafter Weise sowohl die Prolegomena wie die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und wie schließlich auch die Analytik der ästhetischen Urteilskraft. In diesem letzten Dokument des ›critischen Wegs‹ gelingt es ihm sogar, den Leser am Leitfaden der vier klassischen formal-logischen Urteils-Aspekte Schritt für Schritt zur Einsicht in die apriorische Tiefenstruktur von Urteilen zu bringen, die in der denkbar einfachsten logischen Form nach dem sprachlich-grammatischen Schema Dies ist schön zur Erscheinung von schönen Naturdingen wie einer Tulpe Stellung nehmen. Die ersten Schritte gerade auf einem solchen ›zetetischen‹ Weg sind es indessen, auf die Kant in der Allgemeinen Anmerkung zur Transzendentalen ­Ästhetik mit der hier erstmals skizzierten Form und Tragweite der Selbstaffektion aufmerksam macht. In diesem Sinne wird gerade der in der zweiten Auflage neue II. Abschnitt ausdrücklich mit der methodologischen Absicht formuliert, »Zur Bestätigung dieser Theorie von der Idealität des äußeren sowohl als des inneren Sinnes«200 beizutragen. Doch gerade mit Blick auf den inneren Sinn geht es offensichtlich um mehr als nur um eine Bestätigung. Denn Kant macht gerade in diesem Punkt ausdrücklich auf eine »Schwierigkeit« aufmerksam, wie sie »[…] jeder Theorie gemein [ist]«,201 weil »[h]ierbei […] alle Schwierigkeit nur darauf [beruht], wie ein Subjekt sich selbst innerlich anschauen könne«.202 Mit dieser indirekten Wie-Frage macht Kant nur allzu offensichtlich auf das Methodenproblem aufmerksam, wie man zeigen kann, wie die Schritte zur Einsicht in die zeitliche Form des »Bewußtsein[s] seiner selbst«203 so gelingen können, daß dadurch die Idealität – also die mit der transzendentalen Idealität verbundene Reinheit, Apriorität und Formalität  – des inneren Sinns nicht gestört wird. Gewiß ist dieser Weg alles andere als einfach. Denn schon in der Allgemeinen Anmerkerkung macht Kant ganz unmißverständlich darauf aufmerksam, daß schon der erste Schritt auf diesem Weg die Überlegungen voraussetzt, durch

200 B 66. 201 B 68. 202 Ebd. 203 Ebd.

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die in seiner Theorie »das Vermögen sich bewußt zu werden«204 analysiert wird. Denn da dieses Vermögen – also das Vermögen der ursprünglichen und reinen Apperzeption – »das, was im Gemüt liegt, aufsuchen (apprehendieren) soll, so muß es dasselbe affizieren, und kann allein auf solche Art eine Anschauung seiner selbst hervorbringen, deren Form aber, … die Art, wie das Mannigfaltige im Gemüte beisammen ist, in der Vorstellung der Zeit bestimmt«.205 Doch der Akt, sich bewußt zu werden – also der Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption –, hat die Form des eminenten Urteils-des-inneren-Sinns Ich denke bzw. Ich denke, daß-p. Bei dem Mannigfaltigen, dessen Form bzw. dessen Wie des Beisammenseins im Gemüt bestimmt wird, handelt es sich daher an diesem ›höchsten Punkt‹ um die Zwei-Faltigkeit der in diesem Urteil als Subjekt fungierenden Vorstellung Ich … und der als Prädikat fungierenden Vorstellung … denke bzw. … denke, daß-p. Doch auch auf diese Form bzw. auf dieses Wie, das Beisammensein dieser beiden Vorstellungen ›in der Vorstellung der Zeit‹ zu bestimmen, trifft Kants generelle Überlegung zu, daß ›in jedem Urteil subjektiv eine Zeitfolge ist‹.206 Es ist aber diese temporale Bestimmung, für deren Urteilsförmigkeit Kants Logik der subjekt-identitären Urteile-des-inneren-Sinns, wie sich gezeigt hat (vgl. oben S. 62–65), das ausgezeichnete Urteil-des-inneren-Sinns Ich, der ich denke, existiere denkend ›in der ganzen Zeit, darin ich mir (durch einen Urteilsakt) meiner selbst zeit-anschaulich-sukzessiv bewußt bin gewinnen läßt. Der Rekurs auf dieses Ergebnis der Erörterung der Analyse der Selbstaffektion ist im Rahmen der Konzeption des inneren Sinns so wichtig, weil mit diesem ausgezeichneten Urteil-des-inneren-Sinns der letzte Schritt getan ist, der zur Einsicht in die Reinheit, Formalität und Apriorität des inneren Sinns und der zeitlichen Anschauungsform führt. Nur deswegen hat Kant die erst auf dem Weg zur zweiten Auflage der Ersten Kritik entworfene Konzeption des ›höchsten Punkts‹ – also des Vermögens und des Akts der reinen und ursprünglichen Apperzeption – innerhalb des Texts der Transzendentalen Ästhetik auch zum ersten Mal mit der Konzeption des inneren Sinns verflochen; und nur deswegen ist er wiederum im § 24 auf »das Paradoxe« dieser »Exposition der Form des inneren Sinns«207 zurückgekommen, um diese Exposition unter Rückgriff auf die hier schon ausformulierte Konzeption vor allem des Akts der reinen und ursprünglichen Apperzeption (§§ 15–17) besser »verständlich zu machen«.208 Denn nur durch die Reflexion auf diesen Akt und auf die spezifische Vorstellungs-Materie, die mit der genuinen Urteilsform dieses Akts verbunden ist  – also mit der Reflexion auf die beiden spezifischen, sukzessiv vom urteilenden Subjekt ge204 B 68. 205 B 68–69, Hervorhebungen R. E. 206 Vgl. XX, 369. 207 B 152. 208 Ebd.

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brauchten Vorstellungen in der Subjekt-Rolle Ich … und in der Prädikat-Rolle … denke – ist es mit transzendental-logischen Mitteln möglich, die transzendentallogische Zweideutigkeit zu vermeiden, durch die die Form der Zeit, also die Form des inneren Sinns bzw. die Form der sinnlichen Anschauung auch eine Form aposteriori zu sein scheinen könnte. Diese Zweideutigkeit liegt deswegen so irritierend nahe, weil insbesondere auch die Wahrnehmungen äußerer Gegenstände – also die Wahrnehmungen, die wir »immer von dem hernehmen müssen, was uns äußere Dinge Veränder­ liches darstellen«209  – als Wahrnehmungen direkt mit der Form des inneren Sinns konform sind. Denn »die Sukzession im Apprehendieren [ist] allerwärts einerlei … […]«.210 Daher kann es so scheinen, als wenn die Reflexion auf Wahrnehmungs-Urteile wie »Ich, der ich den Turm wahrnehme, nehme an ihm die rote Farbe wahr«211 genau dasselbe entdecken könnte wie die Reflexion auf das eminente subjekt-identitäre Urteil-des-inneren-Sinns Ich denke – daß nämlich der Verstand mit Hilfe der an diese Urteilsform gebundenen subjektidentitären »Synthesis … die Sinnlichkeit innerlich in Ansehung des Mannigfaltigen, was der [zeitlichen, R. E.] Form ihrer Anschauung nach [dem Verstand] gegeben werden mag, zu bestimmen vermögend ist«.212 Denn das syntaktische Subjekt des Akts des Wahrnehmungsurteils Ich, der ich den Turm wahrnehme, … wird sukzediert von dem Prädikat … nehme an ihm die rote Farbe wahr. Doch Wahrnehmungsurteile sind, wie schon Vleeschauwer bemerkt hat, einer Umkehrung (juxtaposition) fähig,213 in diesem Fall also der Umkehrung zu Ich, der ich die rote Farbe wahrnehme, nehme sie am Turm wahr. Die wechselseitige Umkehrbarkeit dieser Urteile ist jedoch offensichtlich ein Teil der Tragweite, die Kants wahrnehmungs-theoretischer Satz für die Urteils-analyse mit sich bringt: »Die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehension ist … keine bestimmte Ordnung«:214 Sie beruht also nicht auf der Symmetrie der Identitätsrelation, die in den beiden subjekt-identitären Wahrnehmungsurteilen in Anspruch genommen wird, sondern auf der internen Unbestimmtheit der Sukzessionsordnung der beiden apprehendierten Wahrnehmungen, also genauer: auf der Unbestimmtheit der zeitlichen früher-später-Ordnung der (wahrnehmungs-relativen) Gegenstände.215 Durch die Wahrnehmungs­

209 B 156. 210 A 194, B 239. 211 R 3145. 212 B 153. 213 Vgl. Vleeschauwer, Déduction III, S. 145–147, sowie Erster Teil, S. 39–40, bes. S. 40101. 214 A 192, B 237–A 193, B 238. 215 Der Gegenstands-Status von Wahrnehmungsinhalten  – hier also der GegenstandsStatus des Turms und der roten Farbe  – entspricht Kants außerordentlich liberalem Gegenstands-Kriterium, in dessen Licht »[…] man … alles, und sogar jede Vorstellung,

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abhängigkeit dieser temporalen Unbestimmtheit ist ein empirisches Moment an der Struktur der subjekt-identitären Wahrnehmungsurteile beteiligt, das sie offensichtlich untauglich macht, der Reflexion ein Material (Reflexionsbegriff der Materie!) zu bieten, durch dessen Analyse sich die Reinheit, Formalität oder Apriorität der zeitlichen Anschauung bzw. des inneren Sinns entdecken ließe. Denn die reine Form der Zeit »können wir allein a priori, d. i. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen«.216 Gerade in diesem Punkt ist es mit dem Vorstellungsmaterial des eminenten und ebenfalls subjekt-identitären Urteils-des-inneren Sinns Ich denke ganz anders bestellt. Denn »der erste Act des Erkenntnisses …: ich bin mir selbst ein Gegenstand des Denkens (cogitabile)  und der Anschauung (dabile) zuerst als reiner217 (nicht empirischer) Vorstellung … [enthält] … ein Prinzip der Ver­ knüpfung des Mannigfaltigen [der, R. E.] Vorstellungen … unabhängig von aller Wahrnehmung«.218 Nur deswegen kann Kant den im Akt des Urteils-desinneren-Sinns Ich denke vollzogenen Akt der Apperzeption auch als »reine Apperzeption«219 charakterisieren. Diese Auffassung der Unabhängigkeit der beiden im Urteil-des-inneren-Sinns Ich denke gebrauchten Vorstellungen von aller Wahrnehmung ist gut begründet: Die Vorstellung Ich ist schon von Hause aus »bloß logisch«220 und verliert diesen Status umso weniger in der logischen Rolle des Subjekts Ich … dieses Urteils; ebenso drückt das Prädikat … denke bzw. … denke, daß-p dieses Urteils »bloß die logische Funktion«221 aus. Der urteilsförmige Akt der ›reinen Apperzeption‹ ist daher insofern rein als er rein von allen empirischen Momenten und Komponenten ist. Da dieser Akt aber ebenso ein ›ursprünglicher‹ Akt ist, bildet er durch die ›Zeitfolge‹, die ›subjektiv in ihm ist‹ – also durch das Nacheinander des Gebrauchs, den das urteilende Subjekt von den Vorstellungen des Ichs und des Denkens in den Rollen des Subjekts Ich … und des Prädikats … denke von ihnen macht – das genuine, also ursprüngliche und reine Reflexionsmaterial für die Entdeckung der zeitlichen Anschauungsform als einer reinen Anschauungsform apriori: Weil die Sukzessivität die zeitliche Form des Akts der reinen und ursprünglichen Apperzeption und seines Vollzugs in der Form des eminenten subjekt-identitären Urteils-des-inneren-Sinns Ich denke bildet, ist sie ebenso ursprünglich die reine Form des inneren Sinns und eine apriorische Form deswegen, weil sie unabhängig von aller Erfahrung,

216 217 218 219 220 221

sofern man sich ihrer bewußt ist, Objekt nennen [kann]«, A 189, B 234; vgl. hierzu auch Erster Teil, bes. S. 185 f. A 42, B 60, Hervorhebung R. E. Kants Hervorhebung. XX, 79, Hervorhebungen R. E. B 132, Kants Hervorhebungen, Fettdruck R. E. B 419. B 428.

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also von allen Erfahrungs-urteilen ist und damit vom ›absoluten Ganzen‹ der möglichen Erfahrung.222 Da die Einsicht in den Zusammenhang von zeitlicher Form und Subjektivität durch die Reflexion auf die temporale Form des Akts des eminenten Urteils-desinneren-Sinns Ich denke gewonnen wird (vgl. oben 13.2. Ab.) – also des Akts der Selbstaffektion des inneren Sinns durch den Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption –, bildet dieser Urteilsakt auch das transzendental-logische Leit­ paradigma für die Prägung jedes Urteilsakts durch die kognitive Mikrozeitlichkeit, die Kant im Rahmen der Drei-Synthesen-Konzeption analysiert.223 Wie diese Konzeption zu verstehen gibt, ist jede in einem Urteilsakt gebrauchte Vorstellung an drei Typen mehr oder weniger komplexer kognitiver Teilakte ihres zeitförmigen Gebrauchs gebunden – an einen Teilakt ihrer augenblicklichen Apprehension, an einen (oder mehr als einen) Teilakt ihrer beliebig kurz späteren Reproduktion und an einen (oder mehr als einen) Teilakt ihrer ebenfalls beliebig kurz späteren, aber mit ihrer Reproduktion auch gleichzeitigen Rekognition.224 222 Die damit gesicherte Unabhängigkeit der Einsicht in die Apriorität und Reinheit der temporalen Form der Anschauung von aller Erfahrung macht die Auffassung von Bieri, Zeiterfahrung, abwegig, den kognitiven Zugang zum Format der Zeit mit Blick auf Kants Theorie ohne weiteres als eine ›Erfahrung‹ zu charakterisieren, vgl. bes. S. 80–82. Generell leidet seine in methodischer Hinsicht souveräne Exposition des thematisierten Problembereichs darunter, daß er von Anfang nicht klarstellt, daß »das Realitätsproblem bezüglich der Zeit«, S. 11, schon unter seinen eigenen Voraussetzungen insofern überhaupt kein Problem ist, als die von ihm apostrophierte Zeit-Erfahrung die subjektive Realität der Zeit beweist; zu dieser klaren Erfassung der subjektiven Realität der Zeit in Kants Theorie vgl. A 37, B 53: »Die Zeit … hat also subjektive Realität in Ansehung der inneren Erfahrung«. Doch diese innere Erfahrung hat als innere eine gänzlich andere Struktur als die Erfahrung, deren Möglichkeitsbedingungen Kant hauptsächlich analysiert. (Deswegen kann Kant ohne Inkohärenz und Inkonsistenz ebenso von »inneren Wahrnehmungen«, B 156, sprechen und könnte stattdessen am neutralsten und sachgemäßesten im Sinne von B 68 auch vom Apprehendieren sprechen.) Man kann den Unterschied von Kants zwei Sprechweisen aber nicht durch das quasi-definitorische Dogma zum Verschwinden bringen: »Dann und nur dann, wenn Zeit eine Struktur der [objektiven, R. E.] Wirklichkeit wäre, gleichgültig, ob und wie wir sie erfahren, könnte man sie ›real‹ nennen«, S.11, Hervorhebungen R. E. Nicht nur die Zweideutigkeit der Rede von Erfahrung kommt in Bieris Exposition von Kants Theorie zu kurz. Seine Exposition des Problems einer »objektiven Zeit«, S. 83, B.’s Hervorhebung, verkennt, daß Kants strikt subjektivistische Theorie der Zeit mit der Konzeption eines solchen Typus von Zeit unverträglich ist. Wohl aber erwägt Kant »das Dasein [der Erscheinungen, R. E.], und ihr Verhältnis untereinander in Ansehung ihres Daseins«, A 178, B 220, Kants Hervorhebungen, also »das Verhältnis im Dasein des Mannigfaltigen, … wie es objektiv in der Zeit zusammengestellt ist«, B 219, mithin »das objektive Verhältnis (Kants Hervorhebungen) … der einander folgenden (Hervorhebungen R. E.) Erscheinungen«, B 234. 223 Vgl. Erster Teil, 8. Ab., bes. S. 155–179 bzw. 169–179. 224 In den bedeutenden zeittheoretischen Untersuchungen Edmund Husserls, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893–1917) [The Phenomenology of internal time-consciousness (1893–1917)] (Hg.) Rudolf Boehm, The Hague, 1969, entspricht das

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Doch ungeachtet der mehr oder weniger komplexen kognitiven Verschränkungen zwischen den apprehensiven, reproduktiven und rekognitiven Teilakten jedes Urteilsakts – der Grad dieser Komplexität hängt vom Grad der Komplexität der logischen Form des jeweiligen Urteilsakts ab – werden die mindestens zwei in einem Urteil gebrauchten Vorstellungen bzw. die sie ausdrückenden Worte sukzessiv, nacheinander gebraucht. Daher kann auch die transzendental-logische Thematisierung der unthematisch spontan fungierenden reinen und ursprünglichen Apperzeption225 durch den Urteilsakt Ich denke nur dann gelingen, wenn auch das Subjekt der transzendental-logischen Reflexion nach der Apprehension der Vorstellung Ich und ihrem anfänglichen urteilsförmigen Gebrauch in der Rolle des Subjekts Ich … diese Vorstellung und ihren Gebrauch mit Hilfe eines Akts der Synthesis der Einbildungskraft und eines gleichzeitigen Akts der Rekognition im Begriff als dieselbe reproduziert bzw. ›rekognisziert‹, bevor es den urteilenden Akt Ich denke durch Verbindung des schon gebrauchten Subjekts Ich … mit Hilfe der Vorstellung des Denkens durch den Gebrauch des Prädikats … denke vollendet. Auf diese Weise zeigt sich, wie buchtechnisch und werkstattgeschichtlich ›zerstreute‹ Elemente von Kants Untersuchungen (B 68–69, 129–139, 152–159, A 97–103) einen kohärenten Teil seiner Theorie der Erfahrung bilden: 1.) In Gestalt des urteilsförmig thematisierten Akts Ich denke bzw. Ich denke, daß-p, der an sich unthematisch fungierenden reinen und ursprünglichen Apperzeption übt das transzendental-logisch reflektierende Subjekt dieses Urteils die Selbst­ affektion aus, durch die es zu der Einsicht kommt, 1.1.) daß »Ich, als … denkend Subjekt, […] mich selbst als gedachtes Objekt [erkenne]«,226 und 1.2.), daß »Ich, der ich denke, [mit, R. E.] dem Ich, das sich selbst anschaut, …, … als dasselbe Jetzt-bewußtsein der augenblicklichen Apprehension und die von ihm konzipierte Retention den Akten der Reproduktion und der Rekognition gemeinsam. Die von ihm konzipierte Protention, durch die Husserl den kognitiv-intentionalen Bezug auf die Zukuft des zeitbewußten Subjekts geprägt sieht, hat in Kants Konzeption kein Gegenstück. Im Gegensatz zu Husserl ist Kant nicht am Augustinischen Modell von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bzw. memoria, intuitus und praemeditatio (expectatio) orientiert; und im Gegensatz zu Kant erarbeitet Husserl die intentional-kognitiven Momente von Jetztbewußtsein, Retention und Protention nicht als Momente des Urteilsakts. Zu einer Musterprobe, daß eine strikt augustinische Orientierung an Vergangenheit, Gegenwart und Zukuft bzw. an memoria, intuitus und praemeditatio (exspectatio) bzw. an JetztBewußtsein, Retention und Protention zur Diagnose einer Zerreißung, Zersplitterung oder Zerstreuung des Bewußtseins führt, wenn man sie nicht wie Kant an die logische Einheit des Bewußtseins des urteilenden Subjekts bindet, vgl. vom Verf., Zeit, Bewegung, Handlung und Bewußtsein im XI. Buch der Confessiones des hl. Augustinus, in: E. Rudolph (Hg.), Zeit, Bewegung, Handlung. Studien zur Zeitabhandlung des Aristoteles, Stuttgart 1988, S. 193–221. 225 Zu dieser Thematisierung des unthematischen spontanen Fungierens dieses Apperzeptionsakts vgl. Erster Teil, bes. S. 136–152. 226 B 155, Kants Hervorhebungen.

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Subjekt einerlei sei«;227 2.) diese durch die Selbstaffektion in Form des subjektidentitären Urteilsakts Ich, der ich denke, bin identisch mit dem Ich, das sich selbst anschaut erzielte urteilsförmige »Selbstanschauung … [hat] eine a priori gegebene Form, d. i. die Zeit, zum Grunde liegen […]«;228 daher verfügt das mit diesem Ergebnis reflektierende Subjekt 3.) nicht nur über die »Bestimmbarkeit [s]eines Daseins bloß in Ansehung [s]einer Vorstellungen in der Zeit«,229 darüber hinaus übt es durch den urteilsförmigen Akt der Selbstaffektion auch aktuell diesen spontanen apperzeptiven »Aktus, [s]ein Dasein zu bestimmen«230 aus – also den Akt, sein ›Dasein bloß in Ansehung seiner Vorstellungen in der Zeit‹ zu bestimmen; 4.) daß das Dasein dieses Subjekts so unmittelbar mit dem denkendurteilenden Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption verbunden ist, so daß dieser Akt sogar den sublimsten Modus dieses Daseins bildet, gibt Kant durch die Formulierung des Urteils-des-inneren-Sinns Ich existiere denkend zu verstehen; 5.) da »… [ich] in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, … mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt [bin]«,231 hat 227 B 155. Hervorhebung R. E. Da Kant an einer rein funktionalistischen Konzeption der Einheit des denkend-urteilend fungierenden Ich-Subjekts – der ›Seele‹, vgl. A 361 und IV, 334, sowie Erster Teil, S. 143–144 – arbeitet, »läßt sich mit Überlegungen zum logischen Ich gar nichts über das (materielle oder immaterielle) Wesen des Menschen aussagen«, Udo Thiel, Die Einheit des Bewusstseins und die »Gefahr des Materialismus«, in: U. Thiel / G. Motta (Hg.), Immanuel Kant: Die Einheit des Bewusstseins, Berlin / Boston 2017, S. 181–194, hier: S. 190. Zu Recht kritisiert Thiel daher den irrigen Versuch von Eric Watkins, Kant on Materialism, in: British Journal for the History of Philosophy, 24 (2016), S. 1035–1052, Kants Konzeption in dieser Hinsicht mit irgendwelchen »ontologischen Festlegungen«, S. 188–190, zu beschweren. Watkins führt diese vermeintlichen ontological commitments darauf zurück, daß »Kant conceives of reason in such a way that it demands a commitment to the existence of the unconditioned«, so daß »the subject of our thoughts« deswegen »unconditioned« sei, Watkins, Materialism, S. 1049. Doch der Gedanke, daß »Ich […] das absolute [also unbedingte, R. E.] Subjekt aller meiner möglichen Urteile [bin]«, A 348, entspringt nicht einem Verfahren, durch das Kant – oder die Vernunft? – im episyllogistischen Rückgang von vielen ›bedingten‹ Urteilen zum Ansatz einer Existenz dieses unbedingten Subjekts gelangen würde. Dieser Gedanke ergibt sich vielmehr aus der Einsicht, »daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann«, so daß es nur dadurch »[…] möglich [ist], daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle«, B 133, Kants Hervorhebungen. 228 B 157; deswegen kann Kant das alltägliche »Bewußtsein seiner selbst, nach den Bestimmungen unseres Zustandes, bei der inneren Wahrnehmung« auch zu Recht als »bloß empirisch«, A 107, Hervorhebung R. E., charakterisieren. 229 B 420. 230 B 157*. 231 A 362; vgl auch analog A 364. Diese Zusammenhänge nicht berücksichtigt zu haben, zeigt den schon betonten ›blinden Fleck‹ in der Untersuchung von Guyer, Knowledge, vgl. oben S. 35, Anm. 83. Dagegen hat schon Heidegger, Interpretationen, die Schlüsselrolle gebührend berücksichtigt, die diesem Zusammenhang im Rahmen von Kants Konzeption der Selbstaffektion zukommt, vgl. S. 396 f. Indessen ist selbstverständlich nicht zu über-

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

die Selbstanschauung, zu der die Selbstaffektion dem transzendental-logisch reflektierenden Subjekt verhilft, die logische Form Ich, der ich denke, existiere denkend ›in der ganzen Zeit, darin ich mir (durch einen Urteilsakt) meiner selbst zeit-anschaulich-sukzessiv bewußt bin.

14.

Die Gebrauchsformen der Kategorien: Wie die transzendentale Deduktion der Kategorien möglich ist

14.1. Wie die Deduktionen von unten und von oben sowie die subjektive und die objektive Deduktion miteinander verschränkt sind Kant hat auf die Frage, wie die transzendentale Deduktion der Kategorien möglich ist, vier schematische Antworten gegeben – von unten232 bzw. von oben233 und subjektiv234 bzw. objektiv235. Die Kontroverse, die in der Kant-Forschung sehen, daß Heidegger seine Behandlung dieses Themas trotz solcher Hellsichtigkeiten durch Fehlinterpretationen und vor allem durch Interpolationen von Voraussetzungen durchkreuzt, die er seiner kurz zuvor beendeten Arbeit an der existential-analytischen Ontologie des Daseins entnommen hat. Das ist um so unverständlicher als ihm sein Urteil über den Kerngehalt von Kants Drei-Synthesen-Konzeption aus den ersten drei Nummern der ersten Auflage der Transzendentalen Deduktion der Kategorien, vgl. S. 390 f. sowie oben S. 61, Anm. 186, das wichtigste Potential für eine zeit- und urteilsanalytische Vertiefung sowohl des Arguments von A 362 wie von Kants Konzeption der Selbstaffektion geboten hätte. Daß ausschließlich der zeitliche Handlungscharakter des Urteilsakts die radikale Existenzform eines des Urteilens fähigen Subjekts ausmacht, übersieht auch Margret D. Wilson, Kant and the Refutation of Subjective Idealism, in: Lewis W. Beck (Hg.), Kant’s Theory of Knowledge, Dordrecht / Boston 1974, S. 208–217, wenn sie argumentiert: »›I know I exist in time‹ entails … that I have or have had veridical perceptions of a permanent entity in time«, S. 216, Wilsons Hervorhebung. Läßt man das in diesem Zusammenhang ohnehin problematische I know-Präfix fallen, dann gilt vielmehr umgekehrt: That I have or have had veridical perceptions of a permanent entity in time, entails that I exist resp. existed. 232 Vgl. A 119 f. 233 Bei der Deduktion ›von oben‹, vgl. A 116, handelt es sich um die Schrittfolge, die Kant im Kontrast zu der ›von unten‹, vgl. A 119, als die charakterisiert, die »von der reinen Apperzeption anfängt«. 234 Vgl. A 97 den Hinweis darauf, daß »[…] wir die subjektiven Quellen, welche die Grundlage a priori zu der Möglichkeit der Erfahrung ausmachen, erwägen [müssen]«. 235 Die jüngste gründlich ins einzelne gehende Auseinandersetzung mit den wichtigsten Beiträgen – von Alois Riehl (1908) bis Paul Guyer (1987) – findet sich zuletzt bei Carl, Der schweigende Kant, im Abschnitt Die Gliederung der Deduktion, S. 42–54. Zu Riehl vgl. allerdings schon oben S. 23, Anm. 39.

Die Gebrauchsformen der Kategorien

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seit vielen Jahrzehnten in der Auseinandersetzung mit dieser Deduktion geführt wird, ist nicht zuletzt dem Verständnis und der Beurteilung der analysierenden und argumentierenden Schritte gewidmet, durch die Kant die Antworten in concreto erarbeitet, die geeignet sein sollen, diese Schemata zu erfüllen. Wie auch immer die Interpreten dieses Verständnis mit Blick auf jeden dieser Schritte im einzelnen gewinnen und ihre entsprechende Beurteilungen begründen, so sind doch zwei Leitaspekte maßgeblich, von deren angemessener Berücksichtigung Kant das Gelingen nicht nur dieser Deduktion, sondern auch seiner Arbeit an der ganzen Theorie der Erfahrung abhängig macht – von dem Gedanken, daß »die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung«236 sind, und anscheinend von dem Gedanken, daß sie, »Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt worden, … von bloß empirischem […] Gebrauche sind«,237 weil sie »[…] keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnis der Dinge [haben]«238 und diese Erkenntnis »heißt Erfahrung«.239 Indessen hat Kants Arbeit vor allem am Gedanke des bloß empirisch möglichen Gebrauchs der Kategorien erst in der zweiten Auflage der Ersten Kritik immerhin Spuren einer weitreichenden Vertiefung und Verschärfung gezeitigt. Diese Spuren zeigen sich als Spuren in den immer noch relativ abstrakten kasuistischen Erörterungen des Unterschieds zwischen dem bloß logischen und dem kategorialen Gebrauch des Verstandes (B 128–129), zwischen subjektiver und objektiver Gültigkeit von Urteilen (vgl. B 142 f.), zwischen einer empirischen Anschauung und der Synthesis des Gleichartigen in einer Anschauung mit Hilfe der Kategorie der Größe (vgl. B 162 f.) sowie zwischen der Apprehension von zwei Zuständen in der Zeit und des Verhältnisses von Wirkung und Ursache (vgl. B 119 und 162–163). Um nicht mehr als um Spuren einer solchen Vertiefung und Verschärfung handelt es sich bei diesen relativ abstrakten kasuistischen Erörterungen, weil die eigentliche Arbeit Kants, die hier in Form solcher Spuren an die Oberfläche des Textes tritt, durch die Prolegomena dokumentiert werden. Hier zeigt Kant ausführlich vor allem am paradigmatischen Leitfaden der Kausal-Kategorie, wie man die strukturellen Unterschiede und die funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen durchschauen und für die Theorie der Erfahrung insgesamt fruchtbar machen kann.240 Erst im Licht dieser neu erarbeiteten speziellen Urteilskonzeption gelingt es ihm, die »Bedingungen irgendeines Gebrauchs (der Kategorien, R. E.) (in 236 B 161, vgl. auch B 167 f.; vgl. aber auch schon A 95–97. 237 A 139, B 178; zur These des bloßen Anscheins ihres ausschließlich empirischen Gebrauchs vgl. unten S. 84–86. 238 B 147. 239 Ebd., Kants Hervorhebung; vgl. auch die Überschriften der §§ 22, 26. 240 Vgl. IV, 298–301; vgl. hierzu auch schon die präliminaren Ausführungen Erster Teil, vor allem S. 45–52.

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Urteilen)«241 zu klären und mit der Antwort auf die zu Recht gestellte KontrollFrage systematisch und konkret zu verbinden, »wie bestimmte (apriorische) Begriffe etwas zur Möglichkeit der Erfahrung beitragen können«.242 Denn die Antwort auf diese Wie-Frage hängt davon ab, daß es gelingt, die Bedingungen dieses Wie, also die Formen des Gebrauchs von Kategorien in Urteilen zu klären. Diese Klärung ist Kant mit einem weitreichenden Schritt jedenfalls und mindestens durch die Analyse der strukturellen Unterschiede und der funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen gelungen. Der empirische Gebrauch von Kategorien in Urteilen gelingt dem jeweils urteilenden Subjekt in drei formalen Schritten: 1.) Mit dem ersten Schritt rekurriert es auf die von ihm im Laufe der Zeit approbierten und erinnerten »Wahrnehmungen«, so daß es sie 2.) mit Hilfe von Wahrnehmungsurteilen »verknüpf[t]«.243 Mit Blick auf diese Wahrnehmungsurteile hat Kant später die subjekt-identitäre Standardform Ich, der ich …, … entworfen,244 aber auch die hypothesenförmige Standardform Wenn ich …, dann … ich ….245 Diese subjektidentitäre Form kann auf Anhieb einen der wichtigsten formalen Aspekte zur Verfügung stellen, unter dem Wahrnehmungsurteile im dritten Schritt einer wohlbestimmten Transformation fähig und bedürftig sind: Kants eigenes Beispiel eines Wahrnehmungsurteils im Kontext der B-Deduktion »Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere«246 hat offensichtlich ebenfalls eine subjekt-identitäre, wenngleich hypothetisch geknüpfte Form. Es kann deswegen zu Wenn ich einen Druck der Schwere fühle, so trage ich einen Körper konvertiert werden und umgekehrt. Indessen hätte Kant dem Gehalt dieses so geformten Wahrnehmungsurteils ohne inhaltliche Einbuße offensichtlich auch die Form Ich, der ich einen Körper trage, fühle einen Druck der Schwere geben können, so daß es in Ich, der ich einen Druck der Schwere fühle, trage einen Körper konvertiert werden kann und umgekehrt; 3.) indem das urteilsfähige und -beflissene sowie erfahrungsfähige und -beflissene Subjekt die für es verfügbaren und dafür geeigneten Wahrnehmungsurteile mit Hilfe von entsprechenden Kategorien in eine entsprechende kategoriale Form transfomiert, gewinnt es Erfahrungsurteile z. B. der scheinbar substanz-kategorialen, in Wahrheit aber kausal-kategorialen Form »… der Körper … ist schwer«.247 241 A 248, B 305. 242 Rolf-Peter Horstmann, Die metaphysische Deduktion der Kategorien in Kants »Kritik der reinen Vernunft«, in: Tuschling, Burkhard (Hg.), Probleme der »Kritik der reinen Vernunft«. Kant-Tagung Marburg 1981, Berlin / New York 1984, S. 424, Hervorhebung R. E. 243 IV, 304. 244 Vgl. R 3145. 245 Vgl. B 142. 246 B 142. 247 Ebd. Zur grammatisch gleichsam verborgenen kausal-kategorialen Form dieses Urteils vgl. ausführlich unten S. 102–113. Es kann hier nur vorläufig angedeutet werden, daß der in diesem Urteil thematisierte Körper nicht im uneingeschränkten Sinne der Substanz-

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Diese zunächst noch vorläufigen urteilsanalytischen Bemerkungen zu den Spuren, die Kants in den Prolgemena formulierte Einsicht in die strukturellen Unterschiede und die funktionalen Zusammenänge zwischen Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen in der B-Deduktion gezeitigt haben, können die Gründe verständlich machen, aus denen Vleeschauwer diese Einsicht für »l’essence de la nouvelle déduction«248 hält und sogar für das »nouveau principe de la déduction«249. Essentiell neu im Vergleich mit dem status quaestionis der A-Deduktion ist jedenfalls und mindestens, wie Vleeschauwer zu Recht hervorhebt, daß Kant mit der in den Prolegomena zuerst ausgearbeiteten Einsicht über »une plus saine conception du jugement«,250 verfügt. Ebenfalls zu Recht betont Vleeschauwer, daß der Behandlung dieses Themas durch die Prolegomena die methodisch-diadaktische Rolle zufällt, »à mettre en évidence le rôle primordial du jugement«.251 Denn dem abstrakten urteils-analytischen Leitfaden-Programm Kants – der programmatischen rôle primordial du jugement: »… […] ich [sah] mich nach einer Verstandeshandlung um, die alle übrigen enthält und sich nur durch die verschiedenen Modifikationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellungen unter die Einheit des Denkens zu bringen, Analogie den Status einer Substanz hat, sondern im Sinne von R 5312 den Status einer comparativen Substanz, weil er »nur … das substratum einer Erscheinung« ist; vgl. auch direkt R 5294: »Der Korper ist substantia comparativa, substratum phaenomenorum«; ebenso ist die in diesem Urteil thematisierte Schwere nicht im uneingeschränkten Sinne der Substanz-Analogie ein Akzidenz, sondern entsprechend ein ›comparatives Akzidenz‹; den systematischen Ort für diese Klärung bilden das Schematismus- und das Grundsatz-Kapitel; vgl. zur Konzeption der komparativen Substanzen auch die späte differenzierte Bemerkung zum »Inbegriff der Substanzen welche als Gegenstände der Sinne schon in der Erfahrung gegeben sind um sie bloß zu classifizieren«, XXII, S. 482, z. B. als Körper, als Gase bzw. als Flüssigkeiten; vgl. hierzu auch unten 21.1.1.–21.1.2. Ab. 248 Vleeschauwer, Déduction II, S. 476. 249 Déduction III, S. 17. 250 S. 284. – Georg Simmel, Über den Unterschied der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile, Kant-Studien 1 (1897), S. 416–425, war der erste, der Kants urteils-analytische Entdeckung aus den Prolegomena mit dem Scharfsinn und dem Tiefsinn ans Licht der Kant-Forschung gebracht hat, durch die er im Laufe der Zeit die verdiente Anerkennung auf den Feldern der Soziologie und der Sozialphilosophie gefunden hat: »Man kann diesen Unterschied als das Zentralproblem behandeln, um die Darstellung aller Grundmotive der Vernunftkritik daran anzuschließen. Denn mit ihm war der entscheidende Schritt über allen sensualistischen Empirismus hinaus geschehen«, S. 416, Hervorhebung R. E. Es ist nur allzu verständlich, daß Simmels großartiger Zugriff auf dieses Thema und dessen Tragweite angesichts des allgemeinen Standes der Kant-Forschung seiner Zeit einige unvermeidliche Vorläufigkeiten und Unzulänglichkeiten zeigt. Eine erkennbare Neuorientierung der Kant-Forschung hat er nicht mit sich gebracht. Doch auch noch vierzig Jahre später hat das außerordentliche Gewicht, mit dem der eminente Kant-Forscher de Vleeschauwer, vgl. Erster Teil, S. 50134, und oben S. 69 f., die Aufmerksamkeit auf Kants urteils-analytische Entdeckung gelenkt hat, genauso wenig Beachtung gefunden. 251 S. 17; zu Vleeschauwers Einschätzungen in diesem Punkt vgl. auch schon die präliminaren Hinweise Erster Teil, S. 50134.

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und da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urteilen«,252  – wird durch die Prolegomena-Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile tatsächlich ein Grad von Augenfälligkeit (évidence)  verliehen, wie er sonst nur noch durch die auch buchtechnisch augenfällig gemachte systematische Leitfaden-Rolle der Urteils-Tafel überboten wird. Bei genauerem Hinsehen werden durch diese Prolegomena-Konzeption überhaupt zum ersten Mal die beiden Urteilstypen hinreichend genau konkretisiert und erörtert, die für die transzendental-logischen Kernuntersuchungen der Transzendentalen Deduktion sowohl spezifisch wie von einzigartiger Fruchtbarkeit sind. Wohl wird man ­V leeschauwer insofern nur unter Vorbehalt zustimmen können, als er nicht wirklich klarstellt, inwiefern diese beiden Urteilstypen das neue Prinzip dieser Deduktion bilden. Jedenfalls und mindestens bilden sie das Prinzip dieser Deduktion von unten. Denn erst am Leitfaden der formalen Genese der Erfahrungsurteile aus den Wahrnehmungsurteilen und der Wahrnehmungsurteile aus den Wahrnehmungen kann man genau das Unten des kognitiven Orts bestimmen, an dem das empirisch-kognitive Wahrnehmungs-Material zu Hause ist, von dem aus urteilsfähige Subjekte durch die Bildung von Wahrnehmungsurteilen und von Erfahrungsurteilen aus dafür geeigneten Wahrnehmungsurteilen schrittweise an dem ›absoluten Ganzen‹ der ihnen möglichen Erfahrung teilhaben können. Es wird eine erhebliche Tragweite für die hier erprobte Auseinandersetzung mit der B-Deduktion mit sich bringen zu zeigen, zu welchen und zu wie vielen außerordentlich wichtigen Verzweigungen von Aufgaben und Zielen der Transzendentalen Deduktion die scheinbar nur beiläufigen und scheinbar nur illustrativen Kasuistiken führen, die Kant im Ausgang vom urteils-analytischen Fortschritt der Prolegomena in die B-Deduktion integriert hat (vgl. hierzu unten 14.3.–14.6. Ab.). Bei dem von Vleeschauwer apostrophierten nouveau principe de la déduction, zu dem dieser Fortschritt geführt hat, handelt es sich auf dieser Linie um ein ›Prinzip‹, das neue Teil-Aufgaben und Teil-Ziele dieser Deduktion sowohl nötig wie möglich macht. Diese neuen Teil-Aufgaben und Teil-Ziele gehören zu der von Vleeschauwer apostrophierten l’essence de la nouvelle déduction. Über den Weg der Deduktion von oben sollten indessen angesichts von Kants Apostrophierung des höchsten Punkts und von dessen buchtechnischer Verortung fast ganz am Anfang des Texts der B-Deduktion keine wirklichen Unklarheiten entstehen können. Die Stenogramme »Ich denke die Substanz, die Ursache usw.«,253 mit deren Hilfe Kant gleichsam formelhafte Blickfänge entwirft, die die Bedeutsamkeit des ›höchsten Punkts‹ für die Schritte der Deduktion von oben vor Augen stellen können, sprechen in dieser Hinsicht eine hinreichend deutliche Sprache. Sie bilden auch gleichsam stenographische Erläuterungen zu der abstrakten These, daß »der Satz: Ich denke … alle Kategorien als 252 IV, 323. 253 A 343, B 401.

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ihr Vehikel begleitet«.254 Mit dieser These und diesen Stenogrammen markiert Kant allerdings – wenngleich an zerstreuten Stellen, die sich außerdem relativ weit entfernt von ihrem angemessenen systematischen Ort finden – den Auftakt gerade nicht für die Transzendentale, sondern für die Metaphysiche Deduktion der Kategorien. Wenn man sich darüber hinaus von der Vehikel-These nicht zu der irrigen Auffassung verleiten läßt, das Ich denke sei ausschließlich für die Kategorien das Vehikel, dann bleibt der Blick auch frei für die Aussicht darauf, daß das Ich denke trotz seiner verspäteten buchtechnischen Verortung genauso – und sogar mit systematischem Vorrang – das Vehikel der Urteilsfunktionen bildet.255 Denn Kants gliederungstechnische Kontrastierung einer Deduktion von oben gegen eine solche von unten lenkt den Blick bei genauerem Hinsehen auf einen systematischen Ort nicht nur ›oberhalb‹ der Transzendentalen Deduktion, sondern sogar ›oberhalb‹ der sog. Urteilstafel bzw. auf den unmittelbaren Anfang Des transzendentalen Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe (A 67, B 92–A 69, B 94) – also auf das Ich denke als das Vehikel der »Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen«.256 Vleeschauwers überaus wichtige Einschätzung der plus saine conception du jugement, die Kant in den Prolegomena mit der Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile gelungen ist, macht daher, obwohl sie nicht uneingeschränkt so etwas wie das nouveau principe de la déduction präsentiert, gleichwohl in einem präzisierbaren Sinne direkt auf einen Teil der essence de la nouvelle déduction aufmerksam: Sie bildet die ›Essenz‹ der Deduktion von unten. Deswegen trifft Vleeschauwer auch den springenden Punkt, den diese ›reifere‹ Urteilskonzeption für diese Deduktion mit sich bringt, wenn er sie mit »la ­question de l’usage«257 der Kategorien verbindet. Denn es sind die Wie-Fragen nach dem Gebrauch der Kategorien, die zum ersten Mal im Rahmen dieser ›reiferen Urteilskonzeption‹ nicht nur auf einem reiferen Niveau beantwortet werden kann. Erst und nur mit ihrer Hilfe läßt sich auf diesem reiferen Niveau auch zeigen, wie die Transzendentale Deduktion der Kategorien jedenfalls und mindestens von unten möglich ist – durch den Nachweis, 1.) daß und wie die urteils- und erfahrungsfähigen und -beflissenen Subjekte jeweils geeignete Wahrnehmungen nur mit Hilfe von subjekt-identitären Verknüpfungsformen in bestimmte Wahrnehmungsurteile transformieren können, und 2.) daß und wie sie jeweils geeignete Wahrnehmungsurteile nur mit Hilfe von Kategorien in bestimmte Erfahrungsurteile transfomieren und mit ihrer Hilfe auch immer wieder von neuem neue Anteile an dem ›absouten Ganzen‹ der ihnen möglichen

254 A 348, B 406; zu verbreiteten Mißdeutungen dieses Satzes vgl. Erster Teil, S. 89255. 255 Vgl. hierzu Erster Teil, 7. Ab., S. 123–135, 10.3. Ab. und 11. Ab., S. 201–202. 256 A 69, B 94. 257 Vleeschauwer, Déduction III, S. 18.

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Erfahrung erwerben können.258 Daher ist Kant mit der plus saine conception du jugement der Prolegomena nicht nur innerhalb des zwei widerläufige methodische Orientierungen markierenden Schemas dieser Deduktion die Deduktion von unten gelungen. Diese Deduktion ist gleichzeitig mit der von ihm apostrophierten objektiven Deduktion verschränkt. Denn da »Wir […] den Gegenstand [erkennen], indem wir über ihn urtheilen«,259 und da Erfahrungsurteile die einzigen Formen von Urteilen bilden, durch die wir Gegenstände (möglicher Erfahrung) auf empirischen Wegen erkennen können, ist mit der Deduktion von unten auch ein Beitrag zur objektiven Deduktion von unten gelungen. Die Momente, die die subjektiven Charakteristika der ›subjektiven Deduktion‹ bilden, sind zwar selbstverständlich auch an dieser Deduktion von unten beteiligt. Denn die Wahrnehmungs- und die Erfahrungsurteile sind selbstverständlich sowohl als Urteile wie als Früchte der Wahrnehmung und als Beiträge zum Erwerb von Anteilen am ›absoluten Ganzen‹ aller möglichen Erfahrung Resultate von Akten der komplexen kognitiven Subjektivität des urteilenden Subjekts. Dennoch sind diese Momente in der bisherigen thematischen Er­ örterung dieser beiden Urteilsformen auch nur allenfalls implizit berücksichtigt worden. Umso bedeutsamer ist es, daß gerade demjenigen subjektiven Moment eine Bedingungsrolle für die Erfahrung zufällt, das Kant ausdrücklich an jenem ›höchsten Punkt‹ verortet, »an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendentalphilosophie heften muß«.260 Denn die mit dem Ich denke thematisierte reine und usprüngliche Apperzeption bildet nun einmal, »die Form […], die jeder Erfahrung anhängt, […] als bloß subjektive Bedingung derselben«.261 In dieser Rolle fällt dieser Apperzeption eine Tragweite zu, wie sie sowohl aus dem methodischen Blickwinkel der Deduktion von unten wie aus dem der Deduktion von oben gar nicht größer gedacht werden kann. Denn das Subjekt dieser Apperzeption übt durch seine apperzeptiven Akte die Rolle aus, in der es »… als denkend Wesen, […] das absolute Subjekt aller

258 Kant zeigt schon durch seine Kritik an der pluralen Redeweise von Erfahrung-en und deren Korrektur durch die plurale Redeweise von Wahrnehmung-en sowie die unitäre Redeweise von der Einen Erfahrung, vgl. A 110, sowie Erster Teil, S. 48 f., daß er auf ­einem Weg ist, auf dem ihm schließlich durch die Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile das letzte urteilsanalytische und systematische Verbindungsglied für die kohärente Deduktion von unten gelingt; vgl. hierzu auch die fast gleichlautende Erörterung XXII, 611 f. 259 R 5923, S. 386; diese Reflexion bildet offensichtlich nur eine objekt-referentielle Spezifizierung der allgemeinen Reflexion »Alle Erkenntnis besteht in Urteilen«, R 4638; vgl. hierzu schon Erster Teil, S. 10 f. 260 B 133*. 261 A 354; vgl. auch sinngemäß die Bemerkung zu der »Einheit des Bewußtseins, die wir selbst nur dadurch kennen, daß wir sie zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich brauchen«, B 420; vgl. hierzu auch schon Erster Teil, S. 36–40, 91–97.

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[s]einer möglichen Urteile [ist]«.262 In dieser Rolle übt dieses Subjekt dank dieses »Radikalvermögens aller unserer Erkenntnis«263 – und das bedeutet angesichts des Gedankens, daß alles Erkenntnis im Urteilen besteht, so viel wie: dank dieses Radikalvermögen aller unserer Erkenntnis-Urteile – trivialerweise jeden Akt solchen Urteilens spontan, also von selbst aus – vom eminenten Urteil-des-innerenSinns Ich denke über die Wahrnehmungsurteile bis zu den Erfahrungsurteilen und den synthetischen Urteilen apriori. Denn durch diese jeden beliebigen Urteilsakt vorstrukturierende Apperzeption »[setze] ich eine [Vorstellung] zu der anderen hinzu […] und [bin] mir der Synthesis derselben bewußt […]«,264 so daß sie deren »Grund der Einheit … in Urteilen … enthält«.265 Nur deswegen kann und muß diese Apperzeption als »der höchste Punkt« aufgefaßt werden, an dem man »selbst die ganze Logik … heften muß«266 – jedenfalls insofern, als es eine genuine Aufgabe der Logik ist, nicht nur »die Funktionen der Einheit in den Urteilen«267 oder die »truth-functional modes of statement composition … in any discourse, mathematical or otherwise«268 zu klären, sondern auch zu klären, warum es überhaupt einer Verbindung von irgendeiner andernfalls zerstreuten Mannigfaltigkeit zu einer wie auch immer aufzufassenden logischen Einheit bedarf.269 Mit Hilfe der von Kant berücksichtigten Apperzeption, die als subjektive Bedingung jeder Erfahrung ›anhängt‹, setzt das urteilende Subjekt daher insbesondere zwei Sorten von Vorstellungen zueinander hinzu, indem es sich ihrer Synthesis bewußt ist – Wahrnehmungen, so daß es in unterschied­ lichen subjekt-identitären Formen Wahrnehmungsurteile gewinnt, und Wahrnehmungsurteile, so daß es durch unterschiedliche kategoriale Transformationen von Wahrnehmungsurteilen Erfahrungsurteile gewinnt und damit immer wieder von neuem neue Anteile an dem ›absoluten Ganzen‹ aller möglichen 262 A 348; vgl. hierzu auch schon Erster Teil, bes. S. 129–132. 263 A 114. 264 B 133. 265 B 131. 266 B 133*. 267 A 69, B 94. 268 Willard V. Orman Quine, Mathematical Logic (19401), Cambridge 1965, S. 11. 269 Zu Recht betont daher Reich, Vollständigkeit, mit Blick auf diesen die logische, urteilsförmige Einheit in der Mannigfaltigkeit von zerstreuten a-logischen Elementen stiftenden subjektiv-kognitiven Akt: »Dieser freilich war Aristoteles und ist der heutigen sog. mathematischen Logik verborgen«, S. 43. Z. B. die truth-functional modes of statement composition in any discourse, von denen u. a. Quine spricht, werden wie apparative Operatoren behandelt, die, wenn die entsprechenden Apparate erst einmal eingeschaltet sind, gleichsam automatenhaft ihr ›kompositorisches‹ Werk verrichten. Mit Blick auf die Zusammenfügung einer zerstreuten Mannigfaltigkeit von Worten vgl. Wolfgang Carl, Freges Unterscheidung von Gegenstand und Begriff, in: M. Schirn (Hg.), Studien zu Frege II. Logik und Sprachphilosophie Stuttgart-Bad Cannstatt 1976, S. 33–49, bes. S. 44 f., sowie Erster Teil, S. 116 49; mit Blick auf eine andernfalls zerstreute Mannigfaltigkeit von Vorstellungen, vgl. Erster Teil, bes. S. 114–127.

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Erfahrung. Da die Apperzeption in dieser Rolle der subjektiven Bedingung, die jeder Erfahrung anhängt,270 durch ihre ursprüngliche, noch nicht spezifisch urteilsförmige Verknüpfungsfunktion auch noch die Wahrnehmungsurteile und die Erfahrungsurteile vorstrukturiert, trägt die Deduktion von unten offensichtlich auch noch zur subjektiven Deduktion bei bzw. umgekehrt.

14.2. Zur Frage des empirischen, des reinen und des transzendentalen Gebrauchs der Kategorien Der genauere Blick auf diese vierfache Verschränkung der zwei-plus-zwei gegenläufigen methodischen Orientierungen der Transzendentalen Deduktion der Kategorien (von unten, von oben, subjektiv bzw. objektiv) braucht selbstverständlich nicht davon abzulenkten, daß sich die methodologische Haupt- und Leitfrage dieser Deduktion danach erkundigt, »wie sich Begriffe  a priori auf Gegenstände beziehen können«.271 Denn ohne eine Antwort auf diese Frage »[verfährt] [der Leser] sonst blind […], und, nachdem er mannigfaltig umher­ geirrt ist, [muß] [er] doch wieder zu der Unwissenheit zurückkehren […]«272 – also zu der Unwissenheit, ›wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können‹. Auch die skizzierte Verschränkung der vier methodischen Orientierungen dieser Deduktion orientieren noch nicht im geringsten über den Inhalt der Antwort auf diese Frage. Denn die Antwort auf die Frage nach dem Gebrauch der zunächst metaphysisch deduzierten Kategorien273 wird auf dem systematischen Grenzübergang von ihrer Metaphysischen zu ihrer Transzendentalen Deduktion bei genauem Hinsehen an einer dreigliedrigen Alternative orientiert. Von den drei Gliedern dieser Alternative wird unmißverständlich ausschließlich nur die eine verworfen. Denn »Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt worden, wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen, sich über die Frage zu entschließen: ob diese reinen Verstandesbegriffe von bloß empirischem oder auch von transzendentalem Gebrauche sind«,274 da nämlich »… der Verstand … von allen seinen Begriffen keinen anderen als empirischen, niemals aber 270 Durch den Gebrauch des distributiven Quantors jede im Kontrast zum kollektiven Quantor alle signalisiert Kant in der zitierten Passage A 354, daß er mit dieser ›logischen Grammatik‹ seiner Rede von Erfahrung schon an der distributiven Struktur orientiert ist, durch die die in den Prolegomena konzipierten Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile die entsprechend urteilenden Subjekte am kollektiven Ganzen der ihnen möglichen Erfahrung teilhaben lassen. Doch wie vor allem A 110 zeigt, vgl. oben S. 80, Anm. 258, und Erster Teil, S 48 f., verfügt er im status quaestionis der ersten Auflage noch gar nicht über die entsprechende Konzeption. 271 A 85, B 117. 272 A 88, B 121. 273 Vgl. hierzu Erster Teil, 11. Ab. 274 A 139, B 178.

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einen transzendentalen Gebrauch machen könne«.275 Denn ihr transzendentaler Gebrauch würde, wie Kant durch eine »d. i.«-Erläuterung festhält, so viel bedeuten wie »von … über die Erfahrungsgrenze hinausreichendem Gebrauche sein«.276 Er spricht daher ausdrücklich auch vom »transzendentalen … Mißbrauch«277 dieser Begriffe. Innerhalb der dreigliedrigen Gebrauchs-Alternative hebt Kant jedoch an prominentester Stelle diejenige Gebrauchsform für die Kategorien hervor, die für »die transzendentale Deduktion derselben«278 ausschlaggebend ist. Denn »Unter den mancherlei Begriffen […], die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis ausmachen, gibt es einige, die auch zum reinen Gebrauch a priori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind, und dieser ihrer Gebrauch bedarf jederzeit einer Deduktion; weil zu der Rechtmäßigkeit ihres Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind, man aber doch wissen muß, wie diese Begriffe sich auf Objekte beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen«.279 Mit der Wie-Frage nach der Tauglichkeit der Kategorien für den reinen Gebrauch eröffnet Kant indessen einen viel weiteren Ausblick als nur den auf die Aufgabe ihrer Transzendentalen Deduktion: »Denn ohne diese ihre Tauglichkeit würde nicht erhellen, wie alles, was unseren Sinnen nur vorkommen mag, unter den Gesetzen stehen müsse, die apriori allein aus dem Verstand entspringen«.280 In diesem weiten Vorblick faßt er daher vor allem auch die spezifischen Urteilsformen ins Auge, durch die die urteils- und erfahrungsfähigen und -beflissenen Subjekte von den Kategorien den apostrophierten reinen Gebrauch machen können. Denn die apostrophierten Gesetze haben in so einzigartiger Form den Status von synthetischen Urteilen apriori, daß »Die Erklärung der Möglichkeit synthetischer Urteile […] … in einer transzendentalen Logik das wichtigste Geschäft unter allen [ist], und sogar das einzige, wenn von der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori die Rede ist«.281 Indessen ist es von Anfang an wichtig zu beachten, daß es nicht der trans­ zendental reflektierende und analysierende Logiker ist, der als das Subjekt dieser synthetischen Urteile apriori fungiert. Vielmehr bringt der transzendentale Logiker durch die Formulierungen dieser Urteile lediglich nachträglich mit den Mitteln der logischen und der transzendentalen Reflexion und Analyse die Inhalte von mehr oder weniger stillschweigenden Unterstellungen auf Begriffe, von denen alle urteils- und erfahrungsfähigen und -beflissenen Subjekte Ge275 A 238, B 297. 276 A 296, B 352–353. 277 A 296, B 352, Kants Hervorhebung; vgl. auch A 247, B 304: »Der bloß transzendentale Gebrauch also der Kategorien ist in der Tat gar kein Gebrauch«. 278 A 85, B 117, Kants Hervorhebung. 279 Ebd., Hervorhebungen R. E. 280 B 160. 281 A 154, B 193.

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brauch machen, wenn sie Anteile am ›absoluten Ganzen‹ der ihnen möglichen Erfahrung intendieren. Dem transzendentalen Logiker gelingen daher mit den für seine Tätigkeit spezifischen Mitteln auch in diesem Zusammenhang immer nur – aber immerhin – doch auch »der Form nach neue […] Einsichten«,282 also Entdeckungen-der-Form-nach.283 Denn in alltäglichen synthetischen Urteilen apriori wie »Alles, was geschieht, hat eine Ursache«284 »… liegt … ein gewisses Geheimnis verborgen, dessen Aufschluß allein den Fortschritt in dem grenzen­ losen Felde der reinen Verstandeserkenntnis sicher und zuverlässig machen kann: nämlich mit gehöriger Allgemeinheit den Grund der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori aufzudecken«.285 Von diesem verborgenen Geheimnis – den Kategorien in der Rolle, in der sie die elementaren »Gründe der Möglichkeit der Erfahrung enthalten«286 – machen die urteils- und erfahrungsfähigen und -beflissenen Subjekte auf Schritt und Trittt einen ihnen selbst geheimnisvoll verborgenen reinen Gebrauch, indem sie sich auf die Wahrheit der von ihnen mehr oder weniger stillschweigend beanspruchten synthetischen Urteile apriori verlassen.287 Wenn Kant im entschiedenen Ton gleichwohl die These vom ausschließlich empirischen Gebrauch der Kategorien formuliert, dann tut er dies verständ­ licherweise vor allem im überschwenglichen Bewußtseins des so bedeutsamen urteilsanalytischen Fortschritts, der ihm mit der Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile in den Prolegomena gelungen ist. Denn es sind die Erfahrungsurteile, mit denen das urteilende Subjekt unter Rückgriff auf geeignete Wahrnehmungsurteile, die es bei Gelegenheit geeigneter Wahrnehmungen gewonnen hat, von Kategorien empirischen Gebrauch macht. Indessen ist unübersehbar, daß diese These, ganz unbeschadet des mit ihr verbundenen Fortschritts, zumindest einen Anschein von Unverträglichkeit mit der These vom reinen Gebrauch der Kategorien mit sich bringt. Doch vielleicht zeigt sich 282 A 6. 283 Vgl. hierzu auch schon Erster Teil, S. 96271. 284 A 9. Vor allem Paton, Experience II, hat zu Recht zu bedenken gegeben, daß das von Kant auf Begriffe gebrachte Prinzip der Kausalitat »one of the most fundamental, if not indeed the most fundamental, of all the presuppositions accepted alike by science and by ordinary experience«, S. 221, ist, und daß ebenso das von ihm auf Begriffe gebrachte Prinzip »of permanent substance is a necessary presupposition, not only of […] physics, but of ordinary everyday experience«, S. 218. 285 A 10, Hervorhebung R. E. 286 B 167. 287 »Unsere gemeine Sprache enthält schon alles das, was die Transzendentalphilosophie mit Mühe herauszieht«, XXIX, 1, 804. Zu der Frage, inwiefern die Reinheit des Gebrauchs der Kategorien in diesen Urteilen trotz der vor allem von Konrad Cramer, Nicht-reine synthetische Urteile  a priori. Ein Problem der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants, Heidelberg 1985, erörterten Nicht-Reinheit vor allem der Kausal-Analogie der Erfahrung gegeben ist, vgl. unten S. 271, Anm. 25.

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hier nur eine begriffliche Unschärfe, die dem Umstand zuzuschreiben ist, daß Kant nicht beizeiten einen Weg gesehen hat, drei Komponenten seiner Theorie begrifflich konsistent und kohärent und gleichzeitig hinreichend trennscharf aufeinander abzustimmen – 1.) die Rolle der Kategorien als elementare Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, 2.) ihre empirische Gebrauchsform in Urteilen288, also in Erfahrungsurteilen, und 3.) ihre reine Gebrauchsform in Urteilen, also in synthetischen Urteilen apriori über Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. Wie überaus nahe beieinander die beiden Gebrauchsformen in methodologischer Hinsicht verortet sind, gibt Kant selbst zu verstehen. Denn zu den Kategorien als den elementaren Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung bemerkt Kant, daß »ihre Anwendung jederzeit in der Erfahrung muß gezeigt werden können«.289 Eben dieses Zeigen der Anwendung in der Erfahrung, also des empirischen Gebrauchs der Kategorien wird durch Akte der von Kant erst relativ spät durchschauten kategorialen Transformation von geeigneten Wahrnehmungsurteilen in Erfahrungsurteile vollzogen. Wie unmittelbar in methodischer Hinsicht Kants Formulierungen, Beweise und Erörterungen der synthetischen Urteile apriori mit dem Gewinnen von Erfahrungsurteilen aus Wahrnehmungsurteilen zusammenhängen, zeigt der Umstand, daß er einen und denselben methodologischen Aspekt buchtechnisch auf zwei auch werkstattgeschichtlich ganz disparate Texte verteilt hat. Anläßlich der Erörterung der synthetischen Urteile apriori – also der für den reinen Gebrauch der Kategorien typischen Urteilsformen – betont Kant sowohl in der ersten Auflage der Ersten Kritik wie in den Prolegomena im selben Sinne, daß »Es […] darauf an[kommt], im Beispiel zu zeigen«290 bzw. »in concreto (in irgendeinem Beispiele einer möglichen Erfahrung)«,291 daß und wie die urteils- und erfahrungsfähigen und -beflissenen Subjekte ›im Beispiel‹ bzw. in concreto an dem ›absoluten Ganzen‹ der ihnen möglich Erfahrung teilhaben können – eben durch kategoriale Transformationen geeigneter Wahrnehmungsurteile in Erfahrungsurteile auf dem »fruchtbaren Bathos der Erfahrung« (IV, 373*) und damit durch konkrete, wirkliche Früchte der Fruchtbarkeit der möglichen Erfahrung. Es scheint daher, daß es Kant aus einem eher beiläufigen Grund nicht gelungen ist, die scheinbar unverträglichen Thesen vom ausschließlich empirischen und vom reinen Gebrauch der Kategorien in eine widerspruchsfreie Form zu bringen: Er hat nicht mit ausdrücklicher Trennschärfe unterschieden zwischen dem reinen Gebrauch der Kategorien in Urteilen, die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung formulieren, und dem empirischen Gebrauch von Kategorien 288 289 290 291

Vgl. A 248, B 305. A 310, B 367, Hervorhebungen R. E. A 196, B 241, Hervorhebung R. E. IV, 295; entsprechend kann Kant sogar von einer Kategorie sagen, sie sei ein »Erfahrungsbegriff, der nichts als ein Verstandesbegriff in concreto ist,« A 567, B 595, Hervorhebung R. E.; vgl. hierzu auch Cramer, Urteile, S. 115–117.

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in Urteilen, durch die konkrete und exemplarische Anteile an dieser möglichen Erfahrung ›in concreto‹ gewonnen und ›gezeigt‹ werden können. Kants starke These vom ausschließlich empirischen Gebrauch der Kategorien ist womöglich durch die Absicht zusätzlich motiviert, jenen Gedanken ihres transzendentalen Gebrauchs möglichst trennscharf abzuwehren, der den »transzendentalen … Mißbrauch«292 mit sich bringen würde, sie könnten von »über die Erfahrungsgrenze hinausreichendem Gebrauche sein«.293 Die These vom möglichen reinen Gebrauch der Kategorien in Urteilen hat daher, ganz ungeachtet ihres gezielten Ausblicks auf die zu gewinnenden, zu formulierenden und zu beweisenden synthetischen Urteile apriori, einen entscheidenden Anteil am unmittelbaren Auftakt zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien.

14.3. Reine Kategorien oder reine kategoriale Urteilsformen? Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion (I) Die ausführlichen Erwägungen A 84, B 116–A 92, B 124, der »Bedingungen, unter denen allein die Erkenntninis eines Gegenstandes möglich ist«,294 erinnern zunächst noch einmal an die für Kant traditionelle, aber empiristische Standardauffassung, daß dafür »erstlich Anschauung, dadurch derselbe [der Gegenstand, R. E.], aber nur als Erscheinung, gegeben wird«, nötig ist, und »zweitens Begriff, dadurch ein Gegenstand gedacht wird, der dieser Anschauung entspricht«.295 Da die Metaphysische Deduktion der Kategorien jedoch auf den Nachweis eingeschränkt ist, daß die Kategorien Begriffe apriori sind, dadurch Gegenstände gedacht werden, zeichnet sich mit diesem Resultat dieser Deduktion auch unmittelbar ein neuer Klärungsbedarf ab, der auch eine neue Wie-Leitfrage nötig macht  – nämlich »wie sich Begriffe  a priori auf Gegenstände beziehen können«.296 Diese Leitfrage macht die Aufgabe der Transzendentalen Deduktion nötig nachzuweisen, daß sich Begriffe apriori nur dann auf Gegenstände 292 A 296, B 352. 293 A 296, B 352–353. Eine Formulierung, die sowohl der empirischen wie der reinen Form des Gebrauchs der Kategorien besser gerecht wird, findet Kant in der Fassung, »daß die Kategorien … gar keinen anderen Gebrauch, als bloß in Beziehung auf Gegenstände der Erfahrung haben können«, IV, 475*, Hervorhebung R. E. Bei einer anderen Gelegenheit des Vorwurfs einer widersprüchlichen Formulierung entgegnet Kant daher zu Recht: »Ich will bei dieser Gelegenheit nur noch mit Wenigem den Vorwurf entdeckter vorgeblicher Widersprüche in einem Werke von ziemlichem Umfange, ehe man es im Ganze wohl gefaßt hat, berühren. Sie schwinden insgesamt, wenn man sie in der Verbindung mit dem Übrigen betrachtet«, VIII, 183. 294 A 92, B 125. 295 Ebd. 296 A 85, B 117. Die Wichtigkeit dieser Wie-Frage-Form betont auch Klemme, Subjekt, bes. S. 160 f., 163–164.

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beziehen können, wenn der Nachweis »der objektiven Gültigkeit und Schranken ihres Gebrauchs«297 in Urteilen gelingt. Indessen gibt Kant an drei Knotenpunkten der Transzendentalen Deduktions-Antwort auf diese Wie-Frage die stillschweigende Selbstverständlichkeit zu verstehen, daß Begriffe niemals sich auf Gegenstände beziehen als wären sie selbsttätige objekt-referentielle Agenten. Sie können stets und nur von urteilenden Subjekten auf Gegenstände bezogen werden, indem diese sie in Urteilen gebrauchen. Mit Hilfe der mehr oder weniger ausführlichen Fallerörterungen B 142, 162 und 162–163 (vgl. oben S. 75 f.) greift er zwar auf die urteilsanalytischen Fortschritte zurück, die ihm bis zu den Prolegomena mit den Erörterungen der formalen Unterschiede und der funktionalen Zusammenänge zwischen den Wahrnehmungs- und den Erfahrungsurteile gelungen sind. Doch auf der Linie der Leitfrage der Transzendentalen Deduktion dienen die hier exemplifizierten Urteile ausschließlich dem argumentativen, ›deduktiven‹ Ziel, die Bedingungen zu klären, von denen abhängt, daß die Kategorien durch ihren – und nur durch ihren  – Gebrauch in Urteilen garantieren, daß diese objektiv gültig ausfallen können. Indessen hängt diese Garantie nicht von irgendwelchen Eigenschaften ab, die für die Kategorien an sich charakteristisch wären. Andernfalls würde ihre Transzendentale mit ihrer Metaphysischen Deduktion zusammenfallen. Diese Garantie hängt vielmehr, wie die §§ 22 ff. zeigen sollen, ausschließlich davon ab, daß »ein […] reine[r] Verstandesbegriff bei uns … auf Gegenstände der Sinne bezogen wird«,298 also von mit seiner Hilfe urteilenden menschlichen Subjekten auf Gegenstände der Sinne bezogen werden kann. Nur durch diesen urteilsförmigen Gebrauch »[dienen] [sie] nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis«.299 Da die Kategorien auch als »Funktionen des Verstandes«300 charakterisiert werden können, kann die oben (S. 75–76.) zitierte und erörterte Version der WieFrage auch in der Form gestellt werden, »wie nämlich subjektive Bedingunge des Denkens sollen objektive Gültigkeit haben, d. i. Bedingungen der Möglichgkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben«.301 Die Antwort auf diese Wie-Frage wird von Kant sogar so vorbereitet, daß sie auf eine der nicht wenigen Paradoxien der Ersten Kritik aufmerksam macht. Denn nicht nur müssen die Kategorien von uns auf Gegenstände bezogen werden können, sie können bei uns außerdem auch nur auf Gegenstände der Sinne bezogen werden. Die systematische Antwort auf diese leitende Wie-Frage bereitet Kant daher mit Hilfe »unserer transzendentalen Ästhetik« vor, die »so gewiß und ungezweifelt sei, als jemals von einer Theorie gefordert werden kann, die zum Organon 297 298 299 300 301

A 88, B 120, Hervorhebung R. E. B 147, Hervorhebungen R. E. Ebd., Kants Hervorhebungen. A 89, B 122. A 89, B 122–A 90.

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dienen soll«.302 Denn wenn es gelingen soll zu zeigen, wie Begriffe von urteilenden Subjekten apriori auf Gegenstände bezogen werden können, dann kann nur mit Hilfe dieses Organons die Forderung erfüllt werden: »Ihr müßt … euren Gegenstand a priori in der Anschauung geben«.303 Doch mit Hilfe des trans­ zendental-ästhetischen Organons – und nur mit seiner Hilfe – kann Kant radikal über die für ihn traditionelle Standardauffassung von der empirischen Anschau­ ung hinausgehen und argumentieren: »Wäre also nicht der Raum (und so auch die Zeit) eine bloße Form eurer Anschauung, welche Bedingungen a priori enthält, unter denen allein Dinge für euch Gegenstände sein können, die ohne diese subjektive Bedingungen an sich nichts sind, so könntet ihr a priori gar nichts über äußere Gegenstände synthetisch ausmachen«.304 Denn diese Anschauungsformen bilden die »Bedingungen der Möglichkeit, wie uns Gegenstände gegeben werden können«305 bzw. »dadurch denn die Kategorien … objektive Realität, d. i. Anwendung auf Gegenstände, die uns in der Anschauung gegeben werden können, … bekommen«,306 indem sie in entsprechenden Urteilen gebraucht werden. Mit ihnen hat man daher – wie sonst nur noch in Gestalt der Kategorien – »eines von den erforderlichen Stücken zur Auflösung der allgemeinen Aufgabe der Transzendentalphilosophie: wie sind synthetische Sätze  a priori möglich?, nämlich durch307 reine Anschauungen  a priori«.308 Denn nur mit ihrer Hilfe kann man »im Urteile a priori über den gegebenen Begriff hinausgehen« und »dasjenige antreffen, was nicht im Begriffe, wohl aber in der Anschauung, die ihm entspricht, entdeckt werden und mit jenem synthetisch verbunden werden kann, welche Urteile aber aus diesem Grunde nie weiter, als auf Gegenstände der Sinne reichen, und nur für Objekte möglicher Erfahrung gelten können«.309 Für die Beantwortung der beiden leitenden Wie-Fragen der Transzendentalen Deduktion der Kategorien sind damit Elemente zur Verfügung gestellt, die diese Antwort schon im Vorgriff unter verschiedenen Aspekten ins Auge zu fassen 302 A 46, B 63. 303 A 48, B 65. 304 A 48, B 66. Auch hier macht Kant wieder von der Argumentationsform des irrealen negativen Konditionals Gebrauch; mit ihr gibt man in solchen Zusammenhängen zu verstehen, daß man das Gegenteil dessen für wahr hält, was die beiden Teilsätze formulieren. Vgl. zu dieser Argumentationsform und ihrer sachlichen Tragweite bei Kant im einzelnen Erster Teil, S. 120–121, 159–161, 165–167, 173–175, 214–216. Auf die Wichtigkeit dieser Argumentationsform in Kants Kontext macht, wie ich nachträglich sehe, punktuell und speziell mit Blick auf die Konzeption des Spontaneitätsbewußtseins auch Wilfried Hinsch, Erfahrung und Selbstbewußtsein. Zur Kategoriendeduktion bei Kant, Hamburg 1986, S. 47 f., aufmerksam, indem er an einen entsprechenden Hinweis bei Vleeschauwer, Déduction III, S. 106, anknüpft, vgl. S. 4754. 305 B 148, Hervorhebung R. E. 306 B 150–151. 307 Konjektur Mellin. 308 B 73. 309 Ebd.

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erlauben. Zum einen zeigt sich, daß die Apperzeption, die ›jeder Erfahrung als subjektive Bedingung derselben anhängt‹, mit der subjektiven Bedingung unmittelbar verknüpft ist, in deren Rolle die reine zeitliche und die reine räumliche Form der Anschauung apriori der Erfahrung ebenfalls als deren subjektive Bedingungen ›anhängen‹. Damit sind auch diese beiden Bedingungen als integrale Elemente nicht nur der genuinen subjektiven Transzendentalen Deduktion der Kategorien qualifiziert.310 Im selben Atemzug werden diese beiden Bedingungen auch als integrale Elemente dieser genuinen Deduktion gleichsam von oben qualifiziert, also der Deduktion, sofern sie gleichsam von oben bei den kognitiven Vermögen der urteils- und erfahrungsfähigen und -beflissenen Subjekte und bei den von ihnen erfüllten subjektiven Bedingungen ansetzt und nicht gleichsam von unten bei den Wahrnehmungen bzw. Empfindungen, den wahrnehmungs-relativen Gegenständen wie z. B. Steinen, Öfen, Türmen, Sonnen, Ton- und Wachsportionen311 sowie bei möglichen Erfahrungsgegenständen in concreto wie z. B. denen, daß die Sonne den Stein erwärmt, daß sie die Portion Wachs aufweicht und daß sie die Portion Ton härtet.312 Das von Paton zu Recht kritisierte »failure, in the first edition, to stress suffi­ ciently the importance of time as the connecting link between apperception and the manifold of sense«,313 ist indessen auch in der zweiten Auflage noch nicht zureichend überwunden – und zwar obwohl gerade in dieser Auflage und gerade in deren Deduktionsfassung und der ausdrücklichen Wie-Frage der Rekurs auch auf den temporalen inneren Sinn ausdrücklich in die Klärung der notwenigen und hinreichenden Bedingungen dafür eingeschlossen wird, ›wie uns Gegenstände gegeben werden können‹ (vgl. B 148). Zugunsten von Kants anfänglicher Vernachlässigung dieses Zusammenhangs in der ersten Auflage kann man immerhin zu bedenken geben, daß die Konzeption der Apperzeption hier noch weit von der Schärfe der Konturierung und des internen Differenzierungsgrades in der zweiten Auflage entfernt ist. Dennoch ist dieser Mangel auch und gerade hier nach wie vor »detrimental to the argument [of the deduction as a whole]«.314 Denn, wie Paton unter Berufung auf A 99 zu Recht betont, »his 310 Auf sie kann Kant daher bei Gelegenheit der Einführung ins Grundsatz-Kapitel mit Selbstverständlichkeit zurückgreifen, wenn er A 158, B 197 die Möglichkeit synthetischer Urteile apriori u. a. auf »die formalen Bedingungen der Anschauung a priori« und auf die »transzendentale[…] Apperzeption« zurückführt. 311 Zu Status und Rolle der wahrnehmungs-relativen Gegenstände vgl. Erster Teil, S. 39–42. 312 Die dreifache propositionale daß-Grammatik dieser kausalen Erfahrungsgegenstände in concreto erweist sich als wichtiges Moment in Kants Theorie der Erfahrung. Denn Kant selbst verwendet vor allem im Rahmen der Erörterung der Kausal-Analogie mit gänzlicher Selbstvertsändlichkeit mehrmals diese propositionale Grammatik, wenn er von Geschehnissen- bzw. Begebenheiten-daß spricht, vgl. A 191, B 236; A 195, B 240; A 200, B 245. 313 Paton, Experience I, S. 500. 314 Ebd.

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whole argument rests upon the fact that all our cognitions are subject to time as the form of inner sense«315 und daß ebenso »time is … the medium through which the categories must apply to the sensible world«.316 Doch nicht weniger hellsichtig ist Patons Bemerkung, daß ebenfalls »A … greater defect of the earlier version is that it does not make explicit the connexion of the categories with the forms of judgement, and the necessity for judgement if we are to have knowledge of objects«.317 Zweifellos hat Kant diesen Mangel in der zweiten Auflage wenigstens in einer Hinsicht um einige Grade gemildert. Diese eine Hinsicht betrifft ausschließlich the necessity for judgement if we are to have knowledge of objects. In den Fallerörterungen B 142, B 162 und B 162–163 zeigt Kant mit Hilfe von Musterxemplaren objektiv gültiger Urteile – also mit Hilfe von paradigmatischen Erfahrungsurteilen –, inwiefern diese notwendige urteilsförmige Gebrauchsbedingung der Kategorien für den möglichen Besitz des knowledge of objects in konkreten Einzelfällen erfüllt sein kann. Indessen wird auch hier der von Paton zu Recht kritisierte greater defect insofern nicht überwunden, als Kant auch hier versäumt, to make explicit the connection of the categories with the forms of judgement. Vor allem versäumt er auch hier, diesen Zusammenhang allgemein, also für alle Urteilsformen und für alle entsprechenden Kategorien Schritt für Schritt explizit zu machen. Doch es ist nur allzu offensichtlich, daß sich in diesem Versäumnis Kants sein Versäumnis nur gleichsam vererbt, daß er diese connexion, deren primäre Ausarbeitung eigentlich eine Aufgabe der Metaphysischen Deduktion der Kategorien ist, zusammen mit dieser ganzen Deduktion im Dunkeln gelassen hat. Es ist allerdings kein Zufall, daß Paton im selben Atemzug nicht nur das Versäumnis herausstreicht, to stress sufficiently the importance of time as the connecting link between apperception and the manifold of sense, sondern ebenso das Versäumnis, die Wichtigkeit der Tatsache zu betonen, that all our cognitions are subject to time as the form of inner sense. Denn die (anschauliche zeitliche) Form des inneren Sinns – also die Sukzessivität – sowie die Formen der Urteile und die der Kategorien bilden nun einmal den fast vollständigen Fundus der Formen, von deren Berücksichtigung das Gelingen der Transzendentalen Deduktion der Kategorien abhängt. Zur gänzlichen Vollständigkeit muß dieser Fundus allerdings noch durch die reine und ursprüngliche Apperzeption ergänzt werden, deren elementare Verbindungsfunktion sowohl für die Konzeption der Urteilsfunktionen, insbesondere für die der drei relationalen Urteilsfunktionen318 wie für die der drei entsprechenden Relations-Kategorien maßgeblich ist. Doch ge315 316 317 318

S. 499–500. S. 500. S. 499. Zu dem von der Verbindungsfunktion der Apperzeption abhängigen Primat der kategorischen, der hypothetischen und der disjunktiven Urteilsfunktion innerhalb des Systems der Urteilsfunktionen vgl. Erster Teil, bes. S. 216–218, 222–223, 224–236.

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nauso wenig wie sich Kant Schritt für Schritt an der Metaphysischen Deduktion der Kategorien versucht hat, hat er sich an einer transzendentalen Schritt-fürSchritt-Deduktion versucht. Unter diesen Umständen lohnt es sich, das Format vor allem der zweiten von Kant publizierten Fassung dieser Deduktion in einer Weise zu erörtern, die im Text gezielt nach Elementen sucht, die sich vorzüglich zumindest für eine teilweise Schritt-für-Schritt-Deduktion eignen. Einen besonders nützlichen indirekten Fingerzeig bietet in dieser Hinsicht die letzte hier von Kant präsentierte Fallerörterung. Mit dem Fall des Gefrierens des Wassers,319 bereitet er immerhin das Resultat dieser Deduktion der Verstandesbegriffe vor. Dem damit erreichten vorletzten status quaestionis dieser Deduktion entspricht es denn auch, daß Kant den präsentierten Fall zum Anlaß nimmt zu zeigen, wie alle mit Hilfe der vorangegangenen Deduktionsschritte gewonnenen theoretischen Voraussetzungen so fruchtbar gemacht werden müssen und können, daß sich die komplexe kognitive Struktur dieses scheinbar so einfachen Falls durchsichtig machen läßt. Auch hier spielt der Ausgang von einem Wahrnehmungsurteil eine Rolle: »… ich … [nehme] das Gefrieren des Wassers wahr […]«, gefolgt von dem unmittelbar von Kant abstrakt kommentierten Apprehensionsurteil »[ich] apprehendiere […] zwei Zustände (der Festigkeit und Flüssigkeit) als solche, die in einer Relation der Zeit zueinander stehen«.320 In einem zweiten Reflexionsschritt berücksichtigt Kant nur noch mit gänzlich abstrakt-theoretischen Mitteln die »Zeit, die ich der Erscheinung [also dem suzessiven Wechsel vom flüssigen zum festen Zustand, R. E.] als innerer Anschauung zum Grunde lege,« und stellt sich »die notwendige synthetische Einheit des Mannigfaltigen [der beiden apprehendierten Zustände, R. E.] vor«, in »der ich das Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt verbinde,« indem ich »die Kategorie der Ursache … auf meine Sinnlichkeit anwende ».321 Die wichtigsten Fingerzeige, die diese Fallerörterung bietet, sind also durch vier Bemerkungen Kants gegeben: 1.) Durch die Betonung des Akts der Verbindung des Mannigfaltigen (der beiden sukzessiv apprehendierten Zustände) in einer Anschauung überhaupt rekurriert Kant auf die Verbindung dieses Mannigfaltigen durch einen Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption;322 319 Vgl. B 162–163. 320 B 162, Hervorhebungen R. E. Dieses abstrakt kommentierte Apprehensionssurteil fällt in seiner in Reflexion 3145 konzipierten subjekt-identitären Form offensichtlich so aus: Ich, der ich vorhin das flüssige Wasser apprehendiert habe, apprehendiere jetzt das festgefrorene Wasser; vgl. zu dieser Form von Urteilen, die nicht nur situative Zeitfaktoren enthalten, sondern auch Erinnerungsurteile voraussetzen, Erster Teil, bes. S. 40–42. 321 B 162–163, Kants Hervorhebungen. 322 Mit diesem Rekurs zeigt Kant, wie innerhalb dieser Fallerörterung der abstrakte Gedanke aus dem »Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe«, B 144, Hervorhebung R. E., fruchtbar gemacht wird, »daß das empirische Bewußtsein eines gegebenen Mannigfaltigen [flüssiger Zustand-fester Zustand, R. E.] Einer Anschauung [Gefrieren, R. E.] … unter einem reinen Selbstbewußtsein a priori [der Apperzeption, R. E. ] … stehe«, ebd.

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2.) durch die Betonung der Zeit bzw. der Relation der Zeit, die einer Erscheinung wie dem Gefrieren des Wassers vom seine Wahrnehmungen beurteilenden Subjekt in der inneren Anschauung zugrunde gelegt wird, rekurriert Kant auf die Rolle der reinen Form der zeitlichen, sukzessiven Anschauung apriori;323 3.) durch die Betonung der Anwendung der Kategorie der Ursache (und der Wirkung) auf die Sinnlichkeit rekurriert er auf die spezifische synthetische Verbindungsfunktion, die die Anwendung dieser Kategorie auf das vom inneren Sinn sukzessiv apprehendierte Mannigfaltige ausübt;324 und 4.) indem er auf diese Funktion dieser Kategorie rekurriert, rekurriert er implizit auf die ihrer ›metaphysischen Deduktion‹ zugrunde liegende hypothetische Urteilsfunktion.325 Allerdings liegt es bei genauerem Hinsehen auf der Hand, daß Kants Erörterung dieses Falls von Kausalität auch nach seinen eigenen Maßstäben unvollständig ist, weil sie auf einem punktuellen Reflexions- und Analyseversäumnis beruht. Die für dieses Versäumnis wichtigen formalen Maßstäbe hat er sich, wie die bisher schon oft genug berücksichtigten einschlägigen Erörterungen der Prolegomena zeigen, mit der Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile erarbeitet. Denn es kommt mit Blick auf die von Kant hier präsentierte Form der Transzendentalen Deduktion der Kategorien nicht nur darauf an, in abstrakter Form über zeitliche Relationen, über die Kategorie der Ursache und deren Anwendung sowie über andere formale Strukturen wie z. B. die hypothetische Urteilsrelation zu sprechen. Es kommt vor allem auch darauf an, im Rahmen solcher Fallerörterungenen Punkt für Punkt die konkreten thematischen ›Materien‹ der exemplarischen Urteile zu bestimmen und zu präsentieren, die den Komponenten dieser formalen Strukturen entsprechen. Legt man die in den Prolegomena von Kant benutzten Maßstäbe an, dann wird das entsprechende Reflexions- und Analyseversäumnis der Fallerörterung B 162–163 besonders deutlich: Kant hat das Apprehensions- bzw. Wahrnehmungsmaterial, das für die von ihm abstrakt behauptete Anwendung der Kategorie der Ursache nötig ist, gar nicht berücksichtigt. Denn selbstverständlich kommt auch unabhängig von 323 Mit diesem Rekurs zeigt Kant, wie innerhalb der Fallerörterung der abstrakte Gedanke aus demselben Kontext fruchtbar gemacht wird, daß »… empirische Anschauung [Relation der Zeit, R. E.] unter einer reinen sinnlichen, die gleichfalls a priori statt hat, stehe«, B 144. 324 Mit diesem Rekurs zeigt Kant, wie innerhalb der Fallerörterung der abstrakte Gedanke aus demselben Kontext fruchtbar gemacht wird, wie »Ein Mannigfaltiges, das in einer Anschauung, die ich die meinige nenne, enthalten ist, […] durch die Synthesis des Verstandes als zur notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt [wird], und dieses geschieht durch die Kategorie«, B 144, Kants Hervorhebung. Allerdings gehört es zu den defizitären Pointen dieser Fallerörterung, daß Kant die hier mögliche Synthesis durch die Kategorie der Kausalität lediglich abstrakt ankündigt, aber nicht in concreto zeigt; vgl. hierzu unten S. 92–93. 325 Dieser Rekurs versteht sich angesichts von Kants abstrakter Zuordnung der KausalKategorie zur hypothetischen Urteilsfunktion von selbst.

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Kants Theorie der Erfahrung der flüssige Zustand des Wassers auch dann nicht ersthaft als Ursache für den festen, gefrorenenen Zustand des Wassers in Frage, sofern er ihm lediglich zeitlich vorhergeht. In Analogie zum Wärmer-werden eines Steins durch das Bestrahlt-werden durch die Sonne kommt als Ursache nur das hinreichende Kälter-werden der das Wasser unmittelbar umgebenden Luft für dessen Gefrieren bzw. dessen Übergehen vom flüssigen zum festen, gefrorenen Zustand in Frage. Doch eben dieses Kälter-werden der umgebenden Luft wird in den von Kant exemplifizierten Wahrnehmungs -und Apprehen­ sionsurteilen gar nicht thematisiert. Deswegen zielt die von ihm hier behauptete Anwendung der Kategorie der Ursache ›auf meine Sinnlichkeit‹ ins Leere. Denn gerade diese Teil-Kategorie der Kategorie der Kausalität wird hier gar nicht in concreto auf irgendetwas angewendet. Auch diese punktuelle Kritik gehört nicht zum Typus »kleinliche[r] Ausstellungen an dem Werk … eines Mannes, zu dem wir, um mit den von Gottlob Freges in einem ähnlichen Zusammenhang benutzten Worten zu sprechen, ›nur mit dankbarer Bewunderung aufblicken können‹«.326 Einen weiteren, indirekten Anlaß zur Bewunderung bietet die Kritik an diesem punktuellen Fehler vielmehr gerade deswegen, weil er mit den von Kant selbst erarbeiteten urteilsana­lytischen Mitteln nicht nur durchschaut werden kann. Er kann mit diesen Mitteln sogar zugunsten der von Kant lediglich abstrakt reklamierten ›Anwendung der Kategorie der Ursache auf meine Sinnlichkeit‹ im wahrsten Sinne des Wortes verbessert werden – zugunsten des kausalthematischen Erfahrungsurteils Die (hinreichend) kalte Luft läßt das (von ihr unmittelbar umgebene) Wasser gefrieren bzw., wenn man Heideggers treffliches syntaktisches Paraphrase-Muster nutzt,327 Weil die das Wasser unmittelbar umgebende Luft (hinreichend) kalt ist, darum gefriert es. Das Gefrieren selbst ist ja lediglich die Zustandsänderung, die als Wirkung auf die entsprechende Ursache zurückgeführt wird. Die drei mit der B-Deduktion verflochtenen Fallerörterungen B 142, 162 und 162–163 verweisen daher nicht nur auf den urteilsanalytischen Fortschritt, der Kant mit der Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile in den Prolegomena gelungen ist. Nimmt man noch die in Reflexion 3145 berücksichtigte, aber ausdrücklich schon B 155 für die Erörterung der Selbstaffektion benutzte subjekt-identitäre Urteilsform hinzu, dann ist es Kant bis zur zweiten Auflage der Ersten Kritik gelungen, drei für die Ausarbeitung seiner Theorie 326 Günther Patzig, Die logischen Formen praktischer Sätze in Kants Ethik (19661), wieder abgedr. in: ders.:, Gesammelte Schriften I. Grundlagen der Ethik, Göttingen 1994, S. 209–233, hier: S. 232; da auch der bibliograpische Nachweis des Zitats aus Gottlob Frege, Grundlagen der Arithmetik (18841), Neudruck Darmstadt / Hildesheim 1961, S. 101. 327 Vgl. Heidegger, Die Frage, S. 108 f.; zur entscheidenden Verbesserung der urteils-funktionalen Struktur der Kausal-Kategorie durch Kant – über Heideggers ingeniöse weil …, darum …-Syntax hinaus – vgl. unten S. 102–112.

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der Erfahrung wesentliche urteilsanalytische Klärungen zu gewinnen. Sie machen im Zusammenhang darauf aufmerksam, daß nicht nur die A-Deduktion, sondern sogar die gesamte erste Auflage der Ersten Kritik spürbar hinter den Ansprüchen zurückbleibt, die mit dem urteilsanalytischen Generalprogramm des ›critischen Wegs‹ verbunden sind: »Ich sah mich nach einer Verstandeshandlung um, die alle übrigen enthält und sich nur durch die verschiedenen Modifikationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellungen unter die Einheit des Denkens zu bringen, und da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urteilen«.328 In der ersten Auflage verfügt Kant im Rahmen seiner Theorie eigentlich nur über die in der Urteilstafel mit Hilfe ihrer traditionellen Namen abstrakt aufgelisteten Urteilsfunktionen und über deren teilweise abstrakte und teilweise exemplarische, aber traditionell-konventionelle Erläuterungen (vgl. A 71, B 96–A 76, B 101). Es ist angesichts des status quaestionis, den Kant in den Prolegomena erreicht hat, und angesichts der Ansprüche seines urteilsanalytischem Generalprogramms in gewissem Maß verständlich, wenn Vleeschauwer mit diesem status quaestionis und angesichts der entsprechenden Defizite der ersten Auflage einen Durchbruch am Werk sieht, der in seinen Augen sogar zur »possession complète du nouveau principe de la déduction«329 führt und entsprechend »l’essence de la nouvelle déduction«330 mit sich bringt. Doch es gibt ernstzunehmende Gründe, diese überschwengliche Einschätzung zu mäßigen. Es genügt, sich mit Vleeschauwers eigener mäßigender Einschätzung darauf zu beschränken, daß es Kant mit Hilfe dieser bedeutsamen neuen Klärungen »grace à une plus saine conception du jugement »331 gelungen ist, »à mettre en évidence le rôle primordial du jugement«332 – also die Leitfadenrolle des Urteils und die der Analyse seiner ›Modifikationen und Momente‹ vor Augen zu führen. Nimmt man über die urteilsanalytischen Prolegomena-Fortschritte hinaus auch noch die neue Berücksichtigung der subjekt-identitären Urteilsform der Wahrnehmungs­urteile hinzu, dann ergeben sich auf der Linie von Vleeschauwers Akzentsetzungen – wenngleich in entsprechend gemäßigter Form – zumindest auch einige neue Fragen zum urteilsanalytischen Reflexionsniveau der Transzendentalen Deduktion in der zweiten Auflage. Diese Fragen ergeben sich aus einem unintendierten, aber komplementären Zusammenspiel von Vleeschauwers gemäßigten Akzentsetzungen und Patons Kritik an gewissen analytischen Versäumnissen Kants in der Deduktion dieser Auflage (vgl. oben S. 89–90). Denn diese Versäumnisse können ausgeglichen werden, wenn man einerseits die plus saine conception du jugement berücksich328 IV, 323. 329 Vleeschauwer, La déduction III, S. 17. 330 Vleeschauwer, La déduction II, S. 476. 331 Vleeschauwer, La déduction III, S. 284. 332 S. 17.

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tigt, die Vleeschauwer Kant im Licht der urteilsanalytischen Fortschritte der Prolegomena zuschreibt, während Paton sie vernachlässigt, und wenn man andererseits berücksichtigt, daß auch die zweite Auflage im Sinne Patons does not make explicit the connexion of the categories with the forms of judgement, and the necessity for judgement if we are to have knowledge of objects. Diese von Paton vermißte Explikation kann jedoch auf Kants Auskunft rekurrieren: »Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt«.333 Als 333 A 79, B 104–105. Es ist daher bei einem generell so sorgfältigen Leser wie Allison, Deduction, verwunderlich, daß er in so irreführender Weise – und dies auch noch »More precisely«  – schreibt, daß »the same concepts [i. e. the categories, R. E.], which when considered in relation to the table of judgement forms in general logic, serve as logical functions of judgement«, S. 172. Er stellt damit – man weiß nicht recht, ob in subtiler oder in grober Weise – alles auf den Kopf, was Kant selbst unmißverständlich zu bedenken gibt. Denn es sind nicht mehrere »concepts« – und auch nicht die Kategorien –, die »serve as logical functions of judgement«. Es ist vielmehr, wie Kant unmißverständlich schreibt, »Dieselbe Funktion …«, die sowohl die logische Form der Einheit von Vorstellungen in Urteilen wie die kategoriale Form der Einheit in Anschauungen stiftet. Allison zitiert und kommentiert den diesen Punkt exponierenden Absatz A 79, B 104–105 sogar ausführlich und hermeneutisch korrekt, vgl. S. 177 f. Dennoch läßt er sich in seinem der »metaphysical deduction (proper)«, S. 171, gewidmeten, jedoch im buchstäblichen Sinne verkehrten »Setting the Stage«, vgl. bes. S. 171–180, nicht beirren. Doch die offensichtliche Inkohärenz zwischen dem Inhalt von Kants Absatz, Allisons Kommentar und dessen ›verkehrter‹ Zusammenfassung zeigen nur, daß er sich auf Gründe der Berechtigung von Kants Kernthesen über »Dieselbe Funktion …« keinen sachlich und methodologisch plausiblen Reim zu machen versteht. Schließlich unterstellt er Kant sogar »a strict identification of logical function and category«, S. 179, indem er selbst die logische Funktion der Einheitsstiftung mit der kategorialen Funktion der Einheitsstiftung identifiziert. Doch er vernachlässigt nicht nur, daß das Gemeinsame beider Funktionen in der Stiftung der Form (Reflexionsbegriff der Form!) einer Einheit besteht, er vernachlässigt ebenso, daß ihr Unterschied in den Materialien (Reflexionsbegriff der Materie!) besteht, deren andernfalls ›zerstreute‹ Vielheit mit Hilfe derselben Funktion zugunsten einer jeweils spezifischen Form von Einheit  – logische Urteilsform bzw. überhaupt-anschaulicher Gegenstand – überwunden wird. Allisons Diagnose, daß Kant »is begging the main issue in question«, S. 178, ist eine spiegelverkehrte Projektion seiner eigenen ›Verkehrung‹ von Kants main issue. Die Schieflage seines Ansatzes zeichnet sich in gewisserweise Weise schon ab, indem er »the main point … inasmuch as the categories are defined (nominally)« mit einem nahezu irrelevanten Bruchstück der Version B 128 »concepts of an object as such [überhaupt], …«, S. 166, identifiziert. Den in vieler Hinsicht springenden Punkt dieser Version, also ihre Vervollständigung »… dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird«, B 128, Kants Hervorhebungen, vernachlässigt er. Es ist mehr als verwunderlich, wie er angesichts dieser Vernachlässigung von Kants wichtigstem und komprimiertestem Knotenpunk für den Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe (A 66, B 91 ff.) überhaupt noch zuversichtlich sein kann, »›the clue‹«, S. 166, hierfür rekonstruieren zu können. Zu einer Durchführung der Metaphysischen Deduktion unter systematischer Berücksichtigung dieses Knotenpunkts im einzelnen vgl. Erster Teil, 11. Ab.

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Explikationsaufgabe ist sie zwar primär eine Angelegenheit der Metaphysischen Deduktion der Kategorien. Doch das Ergebnis dieser Deduktion sollte, sobald es vorliegt, wie Paton zu bedenken gibt (vgl. oben S. 89–90), genauso explizit zu machen erlauben, inwiefern the connexion of the categories with the forms of judgement notwendig ist for judgement if we are to have knowledge of objects. Die Wichtigkeit von Patons Betonung, daß es auf den formalen Aspekt ankomme, wenn es auch im Rahmen der Transzendentalen Deduktion um die connexion of the categories with the forms of judgement geht, kann aber offensichtlich nicht auf die Metaphysische Deduktion beschränkt sein. Zwar ist Patons Einschätzung dieser notwendigen Bedingung wohl zu stark, wenn er diese für notwendig erachtet, if we are to have knowledge of objects. Denn da »die Kategorien … die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt enthalten«334 und uns daher »[…] keine Erkenntnis a priori möglich [ist], als lediglich von Gegenständen möglicher Erfahrung«335, ist es angemessener, die Einschätzung dieser connexion darauf abzustimmen, daß sie notwendig ist, if we are to have the possibility of experience of objects. Dennoch bleibt es auch in der B-Deduktion ein Defizit, daß es Kant nicht gelungen ist, den formalen Aspekt wirklich fruchtbar zu machen, unter dem den Formen bzw. den Funktionen der Urteile nicht nur in der Metaphysischen, sondern vor allem auch in der Transzendentalen Deduktion die Leitfadenrolle zukommt. Die trockene Versicherung, daß an den Kategorien dieselben Funktionen beteiligt seien, die den Urteilsfunktionen ihren einheitstiftenden Charakter verleihen, reicht dafür offensichtlich nicht aus. Ebenso greift der Rückgriff auf die materialen Komponenten der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile, zu dem ihm der urteilsanalytische Fortschritt der Prolegomena verholfen hat, hier trotz seiner weiterführenden Orientierungshilfen ganz offensichtlich zu kurz. Denn in den Konkretionen, also ›Verwachsungen‹ der kategorialen, nicht-empirischen Formen und der empirischen Materien dieser exemplarischen Urteile verschwimmt gerade die an diesen Erfahrungsurteilen entscheidend beteiligte reine Form der kategorialen Komponenten fast bis zur Undurchschaubarkeit. Denn was macht bei zweistelligen Prädikaten wie … erwärmt …, … härtet …, … weicht … auf oder … gefriert … die reine, also nicht-empirische kategoriale Form aus, sofern sie der hypothetischen wenn …, dann …-Form der hypothetischen Urteilsfunktion entspricht, aus der die Kausal-Kategorie ›metaphysisch deduziert‹ werden können soll? Doch gerade diese syntaktische Quasi-Undurchschaubarkeit der an diesen Urteilen beteiligten reinen kategorialen Form bildet im Rahmen der Transzendentalen Deduktion nicht nur einen wichtigen, sondern sogar den wichtigsten Störfaktor. Denn die Transzendentale Logik, zu der nun einmal auch diese 334 B 167. 335 B 166.

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Deduktion gehört, bildet im Rahmen von Kants Konzeption des Gesamtgebiets der Logik immer noch einen Teil der reinen Logik.336 Diese Reinheit wird auch dadurch nicht gestört, daß diese Deduktion zeigen soll, daß der Gebrauch der Kategorien nur dadurch möglich ist, daß das urteilende Subjekt sie im Rekurs vor allem auf die zeitliche Form der Anschauung apriori gebraucht. Denn bei dieser Anschauung handelt es sich, wie die Transzendentale Ästhetik zu zeigen unternimmt, um eine reine Form dieser Anschauung (vgl. hierzu oben 13.3. Ab.). Wenn dies nicht wegen des traditionellen Organon-Typs der Formalen Logik zu Mißverständnissen führen würde, könnte Kant daher sogar die Transzendentale Logik nicht nur als reine, sondern sogar auch als einen außerordentlichen Spezialfall einer formalen Logik präsentieren. Viel wichtiger als solche Erwägungen möglicher nomineller disziplinären Gebiets-Arrondierungen der Logik ist indessen der Umstand, daß es Kant auf dem Weg von den Prolegomena zur zweiten Auflage der Ersten Kritk nicht gelungen ist, die an den Erfahrungsurteilen beteiligten reinen kategorialen Urteils-Formen sowohl generell wie in allen wichtigen Einzelheiten ans Licht zu holen. Die Mißlichkeit dieses Defizits liegt daran, daß »die objektive Gültigkeit der Kategorien«337 nur im Licht dieser reinen kategorialen Urteils-Formen und nur mit den methodischen Mitteln der Transzendentalen Deduktion einsichtig gemacht werden kann – weil »durch sie [die Kategorien, R. E.] allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei«.338 Doch diese ›Form des Denkens‹ wird eben nur deswegen durch den »Begriff, dadurch ein Gegenstand gedacht wird«,339 – also durch die ›metaphysisch deduzierte‹ Kategorie – festgelegt, weil die Kategorie »Dieselbe Funktion« enthält, »welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt«.340 Zwar unterscheidet sich die Kategorie trotz ihres urteils-funktionalen Kerns dadurch von den reinen Urteilsfunktionen, daß sie »der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschau336 Vgl. hierzu die instruktive Klärung dieser Zusammenhänge durch Michael Wolff, Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay über Freges Begriffsschrift, Frankfurt / M. 1995, bes. S. 204–230. 337 A 93, B 126. 338 Ebd., Hervorhebung R. E. 339 A 93, B 125, Kants Hervorhebung. 340 A 79, B 104–105; gelegentlich sagt Kant von den Kategorien bzw. reinen Verstandesbegriffen sogar, »daß sie für sich selbst nichts als logische Funktionen sind«, IV, 324; die Form, in der ihre logische Funktion für ihren Gebrauch in Urteilen relevant ist, erläutert er durch die Charakterisierung, daß dieser Gebrauch dazu dient, »bloß die logische Form des Urteils in Ansehung gegebener Anschauungen zu bestimmen«, 316; diese logische Form erläutert er wiederum durch die noch differenziertere Charakterisierung, daß die »gegebene Anschauung […] unter einem Begriff subsumiert werden [muß], der die Form des Urteilens überhaupt in Ansehung der Anschauung bestimmt …; dergleichen Begiff ist ein Verstandesbegriff«, IV, 300. Damit werden bei genauerem Hinsehen die Verstandesbegiffe bzw. Kategorien ganz allgemein als kategotiale Urteilsformen charakterisiert.

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ung Einheit [gibt]«.341 Dennoch bleibt die irritierende Frage offen, warum Kant die Kategorien angesichts ihres urteils-funktionalen Kerns nicht direkt auch in der zweiten Fassung der Transzendentalen Deduktion als kategoriale Urteilsformen charakterisiert hat. Denn sie sind im Anschluß an die entsprechenden Charakterisierungen durch die Prolegomena (vgl. oben S. 97, Anm. 340) die Funktionen, mit deren Hilfe das urteilende Subjekt die Anschauung eines Gegenstandes so zur Einheit eines Urteils verbinden kann, daß »dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird«342 – und zwar sowohl eine reine Anschauung apriori wie auch eine empirische Anschauung aposteriori. Sofern mit ihrer Hilfe reine Anschauungen apriori zu Urteilen verbunden werden, gelingen reine synthetische Urteile apriori, und sofern mit ihrer Hilfe empirische Anschauungen zu Urteilen verbunden werden, gelingen – wie zuerst die Prolegomena zeigen – nicht-reine Erfahrungsurteile, also spezielle, kategorial geformte synthetische Urteile aposteriori. Das Irritierende der offen bleibenden Frage wird sogar noch gesteigert, wenn man die Arbeitsdefinition des Kategorien-Begriffs berücksichtigt, wonach sie »[…] Begriffe von einem Gegenstand überhaupt [sind], dadurch dessen An­ schauung in Ansehung einer der logischen Funktionen343 zu urteilen als bestimmt angesehen wird«.344 Denn diese Bestimmung wird selbstverständlich nicht einfach direkt durch die Kategorien herbeigeführt, als wären sie gleichsam von außen und selbsttätig in die Anschauung eingreifende Faktoren. Sie wird vom jeweils urteilenden Subjekt vermöge dessen formaler Urteils-Spontaneität durch den Gebrauch einer – oder mehr als einer – Kategorie in dem von ihm getroffenen Urteil ausgeübt – also vom kategorial urteilenden Subjekt. Kurz: Warum hat Kant die Kategorien nicht als spezifisch kategoriale Urteilsfunktionen oder -formen charakterisiert und die objektive Gültigkeit, die sie als Begriffe zu ihrer Eigenschaft bloß zu haben scheinen, nicht direkt als die objektive Gültigkeit spezifisch kategorial geformter Urteile? Die Frage nach der kategorialen Form der Erfahrungsurteile setzt offensichtlich die Antwort auf die Frage nach der reinen kategorialen Urteilsform voraus. Die Tragweite dieser irritierenderweise offen bleibenden Frage zeigt sich bei entsprechend eingestellten Interpreten in zwei auffälligen Formen. Vor allem Peter F. Strawson, der in seinem Buch The Bounds of Sense von objective validity so gut wie ausschließlich als von einer Eigenschaft von judgements spricht, bleibt Kants eigene Rede von der objektiven Gültigkeit der Kategorien offensichtlich so sehr ein ›Brief mit sieben Siegeln‹, daß er sie allenfalls gelegentlich in zitierender Form verwendet. Zwar sieht Strawson ganz richtig, daß ein wichtiges Indiz 341 A 79, B 104–105. 342 B 128, Kants Hervorhebungen. 343 Kants Hervorhebung. 344 Ebd., Hervorhebung R. E.

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oder sogar das ausschlaggebende Kriterium für die objektive Gültigkeit einer Kategorie ihr Gebrauch in einem objectively valid judgement bildet.345 Doch da dieses Indiz genauso mit Blick auf die objektive Gültigkeit empirischer Begriffe relevant ist, bleibt die einzigartige argumentative Rolle, die der Transzendentalen Deduktion der Kategorien mit Blick auf die apostrophierte objektive Gültigkeit gerade der (nicht-empirischen) Kategorien zukommt, gänzlich unterbelichtet. Das liegt bei Strawson zwar zum einen daran, daß er die urteils-funktionenabhängige Rolle der Kategorien vernachlässigt, die Anschauungen von Gegenständen in Ansehung von Funktionen des Urteilens zu bestimmen. Doch diese Vernachlässigung liegt wiederum daran, daß er weder Kants Konzeption der Urteilsfunktionen noch ihrer Rolle als Leitfaden zur Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe auch nur das geringste Zutrauen schenkt.346 Im Unterschied hierzu führt Wolfgang Carl in seinen luziden und klärenden Analysen von Kants zehnjähriger schweigender Werkstatt-Arbeit im einzelnen auch die wenigen bei Strawson fehlenden Schritte vor, durch die die von Kant apostrophierte objektive Gültigkeit von Kategorien auf die objektive Gültigkeit der Urteile zurückgeführt werden kann, in denen sie gebraucht werden.347 Gleichwohl bleibt es trotz der klaren und klärenden Schrittfolge dieser Zurückführung mißlich, daß damit auch hier implizit dasselbe urteils-relative Gebrauchs-Kriterium für die Eigenschaft der Kategorien, objektiv gültig zu sein, in Anspruch genommen wird, wie es genauso auch für empirische Begriffe relevant ist. Von dieser Mißlichkeit bleibt der Umstand selbstverständlich ganz unberührt, daß Carl ein klares Bewußtsein davon hat, daß die Transzendentale Deduktion in die Obhut einer speziellen Metaphysik, also einer nicht-­

345 Vgl. Strawson, Bounds, bes. S. 73–74, 98–99. 346 Vgl. zu beiden Themen Erster Teil, 10.–12. Ab. Zu weiteren Unzulänglichkeiten von Strawsons Auseinandersetzung mit Kants Theorie vgl. auch Carl, Kategorien, S. 211–215; zu Recht schränkt Carl die Bedeutsamkeit von Strawsons Kant-Buch darauf ein, in der Gegenwart das meiste »für die philosophische Aktualität von Kants theoretischer Philosophie … geleistet«, S. 211, Hervorhebung R. E., zu haben. Man kann allerdings auch umgekehrt der Auffassung sein, daß die in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter dem Schibboleth Analytische Philosophie in Deutschland einsetzende, nahezu irrational kriterienarme Wertschätzung für philosophische Publikationen aus dem angelsächsischen Sprachraum der Analytischen Philosophie der Kant-Interpretation Strawsons eine entsprechende nahezu irrationale Aktualität verliehen hat – irrational deswegen, weil der enorme Grad dieser Aktualtät in keinerlei ernstzunehmender Proportion zum Grad der Unzulänglichkeit vieler Auseinandersetzungen dieser philosophisch ambitionierten Untersuchungsrichtung mit Kants Überlegungen steht. Die durch Formulierungen Strawsons ausgelöste vielgestaltige Auseinandersetzung um die so apostrophierten transcendental arguments bildet nur einen exemplarischen Anfang; vgl. zu den teilweise krassen Niveauunterschieden von Kant-Interpretationen durch bekennende Analytische Philosophen zwei klassische Muster unten S. 131, Anm. 440. 347 Vgl. Carl, Der schweigende Kant, bes. S. 35–38.

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emprischen Disziplin gehört.348 Doch gerade deswegen bleibt die Frage in umso irritierenderer Weise offen, wie diese nicht-empirische Transzendentale Deduktion der Kategorien gelingen kann, wenn die für sie nötige nicht-empirische Reinheit faktisch durch mehrere Rückgriffe auf paradigmatische empirische Erfahrungsurteile  – und zwar sogar noch unmittelbar vor der Formulierung des Resultats dieser Deduktion der Verstandesbegriffe (§ 27) – durchkreuzt wird. Überdies sind diese Urteile gerade in der paradigmatischen Form, in der sie in den Prolegomena präsentiert werden, als Urteile von Kategorien geprägt. Doch wie kann es sein, daß diese Urteile als Urteile und ihrer Form nach von Kategorien geprägt sind, ohne daß die Kategorien ganz unabhängig von den durch sie geprägten Urteilen auch selbst in einer spezifisch kategorialen Urteilsform müssen ausgeprägt werden können? Ein Prägestock muß die prägende Form in sich tragen. In diesem Sinne betont Kant sogar selbst – und dies gerade in den für diese Zusammenhänge maßgeblichen Erörterungen der Prolegomena  –, eine Kategorie sei, streng genommen, ein »Begriff, der die Form des Urteilens überhaupt in Ansehung der Anschauung bestimmt«.349 Der für die Kohärenz und Konsistenz der Transzendentale Deduktion als transzendentales Unternehmen gravierendste Umstand liegt also in der Tatsache begründet, daß es sich bei den einzigen in ihr präsentierten konkreten Beispielen von Urteilen, in denen Kategorien gebraucht werden, um empirische Urteile handelt, also um Urteile, in denen Kategorien empirisch gebraucht werden. Damit wird zumindest vordergründig nur allzu offensichtlich von Kant selbst der spezifisch transzendentale Anspruch durchkreuzt, der mit dem Ziel eines solchen Unternehmens verbunden ist, nämlich Erkentnisse zu gewinnen, »dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden oder möglich sind«.350 Der zuversichtliche Verdacht liegt daher nahe, daß sich die Kategorien als die reinen kategorialen Urteilsformen wenigstens der paradigmatischen nichtreinen, empirischen Erfahrungsurteile sollten darstellen lassen können. Tatsächlich findet dieser Verdacht seine klarsten und zuverlässigsten Anhaltspunkte in Gestalt von fünf, allerdings buchtechnisch zerstreuten Schritten, die Kant anläßlich verschiedener Erörterungen der Kategorien und ihres Gebrauchs in Urteilen anstellt:

348 Vgl. ebd., bes. S. 38–41 den Abschnitt: Metaphysik und Deduktion. 349 IV, 300, Hervorhebung R. E.; vgl. auch A 245. Das berücksichtigt auch Paton, Experience II, in aller Klarheit: »The categories in their purely logical significance are … identical with the empty forms of judgement«, S. 338. Zur einzigen von Kant ausdrücklich formulierten kategorialen Urteilsform, die Paton allerdings nicht berücksichtigt, vgl. B 288 und unten S. 115, Anm. 388; er sieht daher auch nicht, daß vor allem die empirischen Erfahrungsurteile den Urteilstyp bilden, dessen empty forms die Kategorien bilden. 350 A 56, B 80, Hervorhebung R. E.

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1. Den ersten Anhaltspunkt und Schritt bildet die in dieser Hinsicht wichtige »Erklärung der Kategorien […]. Sie sind Begriffe von einem Gegenstand überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen351 zu urteilen als bestimmt angesehen wird«.352 Der Blick auf die Urteilsförmigkeit der Kategorien wird hier lediglich durch die von Kant gebrauchte Grammatik versperrt. Eine einfache formale Modifikation dieser ›Erklärung‹ kann diese Sperre aufheben: X ist ein Gegenstand überhaupt, sofern die logische Funktion, sich urteilend auf X zu beziehen, seine Anschauung als bestimmt ansehen läßt. Kants eigene unmittelbar folgende Fallerörterung (vgl. B 128–129) macht deutlich, wie er selbst diesen Fall auf eine Analyse in diesem modifizierten Sinn vorbereitet. Denn nachdem er »in Ansehung des bloß logischen Gebrauchs« der Rollenverteilung von Subjekt und Prädikat im kategorischen Urteil Alle Körper sind teibar geklärt hat, daß diese im Rahmen dieser ›bloß logischen Gebrauchsform‹ »unbestimmt«353 bleibt, stellt er ebenso klar, daß diese Rollenverteilung »Durch die Kategorie der Substanz … […] bestimmt [wird]«.354 Denn durch diese Kategorie werde bestimmt, »daß [des jeweiligen Gegenstandes a, R. E.] empirische Anschauung in der Erfahrung immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat betrachtet werden müsse«355 – so daß also im Rahmen des konkret erörterten Unterschieds zwischen dem ›bloß logischen Gebrauch‹ und dem kategorialen Gebrauch von zwei Begriffen a und b in einem Urteil mit kategorischer Form das anschauliche gegenständliche Korrelat des als Subjekt gebrauchten Begriffs a ›immer nur‹ als Substanz, hingegen das anschauliche gegenständliche Korrelat des als Prädikat gebrauchten Begriffs b ›immer nur‹ als Akzidenz betrachtet werden muß.356 Indessen ist im Zusammenhang 351 Kants Hervorhebung. 352 B 128, Hervorhebung R. E. 353 Ebd.; in der Regel verwendet Kant die Buchstaben »a« und »b«, wenn er die Verteilung von Vorstellungen auf die logischen Rollen von Subjekt und Prädikat in Urteilen kategorischer Form repräsentiert; vgl. auch unten S. 104–105. 354 B 129, Hervorhebung R. E. 355 Ebd. Kant verwendet hier nur allzu offensichtlich – wie auch sonst nicht selten – die logischen Termini Subjekt und Prädikat im uneigentlichen Sinne zur Charakterisierung der eigentlich angezeigten anschaulich-gegenständlichen, substantiellen bzw. akzidentellen Korrelate der Vorstellungen, die im logischen Sinne als Subjekt bzw. Prädikat gebraucht werden. 356 Im Anschluß an R 5294, vgl. oben S. 76, Anm. 247, ist klar, daß es sich bei einer Entität wie einem Körper bei genauerem Hinsehen um eine »substantz … nur comparative«, R 5312, und bei seiner Schwere entsprechend um eine Akzidenz auch nur comparative handelt. Denn die in der Ersten Analogie thematisierte Substanz ist jedenfalls nicht im Sinne eines Körpers nur comparative Substanz: Während ein Körper in dem von Kant unterstellten konventionellen Sinne – also z. B. ein Stein, eine Portion Wachs, eine Portion Ton und sogar die Sonne – durch natürliche Verfallsprozesse irgendwann aufhört, der Körper zu sein, als der er in dem jeweils entsprechenden Erfahrungsurteil mit kategorischer Form thematisiert wird, legt die Substanz-Analogie die von ihr thematisierte Substanz

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der Fallerörterung B 128–129 die unscheinbare Schlußbemerkung Kants von der größten Tragweite – » … und so in allen anderen Kategorien«: Also mit allen anderen Kategorien verhält es sich auch so, daß ihr Gebrauch in einem Urteil dazu führt, daß eine jeweils unbestimmt-beliebige logische Rollenverteilung der Vorstellungen in einem Urteil in eine kategorial wohlbestimmte Rollenverteilung in einem entsprechend anders geformten Urteil transponiert wird. 2. Den zweiten Anhaltspunkt und Schritt bietet die Fallerörterung B 142, die mit dem seiner grammatischen Form nach ebenfalls kategorischen Urteil »er, der Körper, ist schwer«357 arbeitet. Sie ist in diesem Zusammenhang bedeutsam, weil Kant einerseits auch hier den radikalen Unterschied zwischen formallogisch unbestimmter bzw. beliebiger und kategorial bestimmter Rollenverteilung der beiden Vorstellungen Körper und Schwer im Urteil betont. Eine wirklich eingehende Erörterung widmet er der Frage des Gegenstandbezugs des Urteils-im-ganzen, also seines Bezugs auf den Gegenstand-überhaupt = X jedoch nicht. Denn er erörtert diese Frage gerade nicht mit Blick auf die von den beiden logischen Rollen im Urteil abhängigen gegenständlichen Korrelat-Entitäten der in diesen Rollen gebrauchten Vorstellungen. Zwar thematisiert er gleichsam im Vorübergehen den ›Gegenstand überhaupt = X‹ des Urteils-im-Ganzen. Denn nur mit Blick auf die Bedingung fest, daß sie »Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt«, B 224, Hervorhebung R. E. Das »immer nur« und das »niemals«, B 129, stehen daher in einem sachlichen Spannungsverhältnis zum transitorischen Charakter von Körpern, wie sie die Fallerörterung exemplarisch unterstellt. 357 Warum dieses Urteil nur seiner grammatischen, aber nicht seiner kategorialen Form nach ein kategorisches, sondern ein grammatisch gleichsam verkapptes kausal-thematisches Urteil ist, das entsprechend nur aus dem zuvor erörterten Wahrnehmungsurteil mit hypothetischer Form gewonnen werden kann, zeigt Wolff, Erfahrung, S. 16370. Ungeachtet seiner methodisch vorzüglichen Behandlung seines Themas, zeigt diese Behandlung beim Blick auf das ganze der von Kant in der Ersten Kritik beanspruchten bzw. präsentierten Theorie der Erfahrung einen tiefgehenden Zwiespalt. Einerseits beschränkt Wolff, Vollständigkeit, den systematischen und den historischen Rang von Kants Konzeption der Urteilsfunktionen darauf, »einen Beitrag zur Systematisierung und damit zum Abschluß der ›allgemeinen Logik‹ geleistet zu haben«, S. 241. Irgendwelche auch noch so schwachen Anzeichen dafür, daß er dieser Konzeption auch das zutraut, was Kant mit ihrer Hilfe ausschließlich intendiert hat – am Leitfaden der von ihm ausgewählten Urteilsfunktionen genau die von ihm aufgezählten Kategorien zu gewinnen –, finden sich in seinen Texten nicht. Da er unter dieser Voraussetzung aber auch nicht mit Gründen zur Frage der Reinheit und der Apriorität der Kategorien Stellung nehmen kann, ist er andererseits genötigt, ihnen – vor allem der Kausal-Kategorie – im Rahmen der Erfahrungsurteile stillschweigend nicht mehr als die Rolle zuzuschreiben, die Hume ihnen bzw. ihr, ungeachtet aller skeptischen Vorbehalte gegen so etwas wie ihre ›objektive Realität‹, zugeschrieben hat – empirisch brauchbar und vor allem fruchtbar brauchbar zu sein. Unter seinen ausdrücklichen und seinen stillschweigenden Voraussetzungen geht Wolff, Erfahrung, daher wie ein Hume vor, der sich von Kant wenigstens über die komplexen strukturellen Verzweigungen dieses Gebrauchs hat orientieren lassen.

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auf ihn kann er formulieren, daß »diese beiden Vorstellungen […] im Objekt … beisammen [sind]«.358 Dennoch liegt es auf der Hand, daß er hier – unbeschadet der prinzipiellen Überlegenheit seines formalen Reflexionsniveau über das, was in diesen Fragen zu seiner Zeit lege artis war – gleichwohl zu unscharf formuliert. Denn selbstverständlich kann es nicht sein, daß die beiden Vorstellungen (vom Körper und von seiner Schwere) im Objekt ›beisammen‹ sind. Es sind vielmehr die beiden vorstellungs-relativen Gegenstände Körper und Schwer, die im Objekt-überhaupt = X des Urteils-im-Ganzen ›beisammen‹ sind.359 Doch es ist gerade die spezifisch kategoriale Form dieses ›Beisammenseins‹, also die Form der kategorialen Beziehung dieses ›Beisammenseins‹ im Objekt, was Kant im Dunkeln läßt. Solange diese Form von der Form der logischen Beziehung des ›Beisammenseins‹ von Vorstellungen im Urteil nicht mit hinreichender Bestimmtheit unterschieden ist, bleibt Kants Bemerkung über das ›Beisammensein der Vorstel­lungen im Objekt‹ ein Ausdruck einer zumindest vorläufigen kategorial-analytischen Verlegenheit: Sie bleibt die Analyse und Charakterisierung der kategorialen Form des Urteils-im-ganzen schuldig, die dem Erfahrungsurteil Der Stein ist schwer dessen genuine kategoriale Form einprägt. Gleichwohl bildet diese Verlegenheit wegen ihrer provozierenden kategorial-analytischen Unzulänglichkeit eines noch unbestimmten ›Beisammenseins im Objekt‹ auch den wichtigsten Ausdruck der noch unerledigten Aufgabe der entsprechenden Kategorial-Analyse und -Charakteristik. 3. Den dritten Anhaltspunkt und Schritt bildet eine unscheinbare Bemerkung Kants, aus der hervorgeht, daß er von Begriffen und von Urteilen geradezu im synonymen Sinne sprechen kann: »Wir haben den Verstand360 oben auf mancherlei Weise erklärt: durch eine Spontaneität der Erkenntnis, …durch ein Vermögen zu denken, oder auch ein Vermögen der Begriffe, oder auch der Urteile«.361 Das zweimalige oder auch wird offensichtlich im Sinne des lateinischen sive verwendet und bedeutet in diesem Zusammenhang an dem fraglichen Punkt, daß sich das Vermögen, Begriffe zu gebrauchen, direkt auch in dem Vermögen zeigt, Urteile zu bilden und umgekehrt. Es handelt sich um eine Abbreviatur der Auffassung, daß der Verstand »Von … Begriffen […] … keinen anderen Gebrauch machen [kann], als daß er dadurch urteilt«,362 und der dadurch offensichtlich implizierten Auffassung, daß der Verstand nicht anders urteilen kann als dadurch, daß er von Begriffen Gebrauch macht.

358 B 142, Hervorhebung R. E. 359 Zum Begriff des vorstellungsrelativen Gegenstandes vgl. Erster Teil, S. 187–189; zur Abgrenzung dieses Gegenstandsbegriffs vom urteils- bzw. erkenntnisrelativen Gegenstandsbegriffs vgl. a. a. O. S. 189–191. 360 Kants Hervorhebung. 361 A 126, Hervorhebungen R. E. 362 A 68, B 93.

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4. Den vierten Schritt und Anhaltspunkt bietet Kant, indem er darauf aufmerksam macht, daß sich Begiffe nicht nur durch ihre kognitiven Typen als empirische und als nicht-empirische oder als konstruierte und als erworbene unterscheiden. Es kommt vielmehr auch darauf an, auf »die logische Form des Begriffs«363 zu achten. Die logische Form, die den reinen Verstandesbegriffen bzw. Kategorien eingeprägt ist, wird von Kant daher in der unmißverständlichsten und geradezu förmlichen Weise thematisiert. Denn es ist die Form, die auf »Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt«,364 zurückgeführt werden kann. Orientiert man sich an dem in syntaktischer Hinsicht besonders klaren Fall der logischen Form des hypothetischen Urteils, dann drückt die wenn ---, dann …-Form seines sprachlichen Ausdrucks in einem noch zu klärenden Sinne auch die ›logische Form des Begriffs‹ aus, unter den das Verhältnis von Ursache und Wirkung fällt, also die logische Form der Kausal-Kategorie. Diese ist dann gar nicht im engen und strengen Sinne ein Begriff, sondern eine kategoriale Urteilsform. 5. Den fünften und in mehrfacher Hinsicht wichtigsten Anhalspunkt und Schritt einer solchen Analyse bietet die Reflexion 4678: »Aber in synthetischen Sätzen ist das x dasjenige, worin a [bestimmend ist, R. E.] und durch die Bedingung von a b bestimmt wird«.365 Innerhalb der Schrittfolge, durch die Kant selbst das thematische Problem sowohl in seiner dokumentierten Werkstatt-Arbeit wie in seinen Publikationen immer wieder von neuem unter anderen Aspekten behandelt, besteht der Gewinn dieser Reflexion zum einen darin, daß sie die kategoriale Form des Gegenstandes-überhaupt = X des Urteils-im-Ganzen behandelt. Diese (kategoriale) Form charakterisiert Kant damit ebenfalls, ohne auf irgendwelche konkreten Begriffe oder deren Inhalte Rücksicht zu nehmen. Zum anderen bieten die zwei thematisierten a und b alleine schon durch ihre graphische Präsentation den Vorteil, daß der Leser sie direkt als die vorstellungsrelativen Gegenstände eines kategorischen Urteils-im-Ganzen interpretieren kann, die ›in‹ x ›beisammen‹ sind, wie es B 142 formuliert. Der wichtigste sachliche Gewinn besteht indessen darin, daß Kant hier die Gelegenheit nutzt, die Form dieses ›Beisammen‹-seins ganz unmißverständlich so zu charakterisieren, daß es auf dem Reflexionsniveau der Ersten Kritik der Gegenstand-überhaupt = X eines Urteils-im-Ganzen mit kategorischer Form ist, der durch die konditionale 363 A 239, B 298, Hervorhebung R. E. 364 A 79, B 104, Kants Hervorhebung. 365 R 4678, S. 662, Hervorhebung R. E. Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Reflexion aus dem Duisburger Nachlaß um eine nicht publizierte, relativ frühe Vorarbeit. Doch durch ihr internes Format eignet sie sich so vorzüglich wie keine andere, sie für die hier behandelte Frage fruchtbar zu machen. Außerdem bildet sie nicht etwa eine Definition des Begriffs des synthetischen Satzes, sondern eine Charakterisierung der Form eines Satzes bzw. Urteils, die durch die Synthesis-Funktion einer dafür tauglichen Kategorie geprägt ist.

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Beziehung von a zu b charakterisiert wird. Denn x wird hier nicht nur dadurch charakterisiert, daß a in ihm irgendeine Funktion hat, diese Funktion wird vielmehr direkt konditionalistisch charakterisiert, indem a im Verhältnis zu b als die Bedingung aufgefaßt wird, die b zu dem bestimmt, als das es in x fungiert – als das durch a Bedingte. Indem Kant hier den Gegenstand x als ein konditionales Gefüge aus einer Bedingung a und dem durch sie Bedingten b charakterisiert, gewinnt er avant la lettre nicht nur der B-Deduktion, sondern vor allem der Metaphysichen Deduktion der Kategorien die kategoriale Charakterisierung des Gegenstands-überhaupt = X eines Urteils-im-Ganzen mit kategorischer Form: a und b, die vorstellungs-relativen Gegenstände der Subjekt- bzw. Prädikat-Vorstellungen »a« und »b« fungieren im Gegenstand-überhaupt = X eines solchen Urteils in einer unumkehrbaren, anti-symmetrischen konditionalen Relation.366 366 Damit weiche ich von der Interpretationslinie ab, die Carl, Der schweigende Kant, am Leitfaden seiner vorzüglich ausgearbeiteten Untersuchung der Werkstattarbeit bietet, die Kant während seines stummem Jahrzehnts auf Probleme der späteren KategorienDeduktion verwandt hat. Sein Leitfaden ist vor allem den entsprechenden Überlegungen überlegen, die Theodor Haering, Der Duisburgsche Nachlass und Kants Kritizismus um 1775, Tübingen 1910, demselben Thema als erster gewidmet hat. Die bislang jüngste eindringliche Erörterung desselben Themas durch Alison Laywine, Kant’s Metaphysical Reflections in the Duisburg Nachlaß, in: Kant-Studien 97 (2006), S. 79–113, schließt sich in den Grundzügen ausdrücklich Carls Untersuchung an. Allerdings geht Laywine – im Gegensatz zu Carl – auf die oben zitierte und erörterte Teil-Formulierung der Reflexion 4678 gar nicht ein. Meine Interpretation dieser Formulierung zeigt selbstverständlich nicht an, daß ich Carls (und Laywines) Interpretationslinie für abwegig halten würde. Sie beruht darauf, daß ich mit Selbstverständlichkeit unterstelle  – und das selbstverständlich ebenfalls nicht im Gegensatz zu Carls oder Laywines Untersuchungen –, daß die Arbeit des ›schweigenden‹ Kant an Problemen dieser späteren Deduktion von der unvermeidlichen Erkenntnis in Zerstreuung, vgl. Henrich, Werke im Werden, S. 132–168, nicht verschont geblieben ist. Es bildet ja gerade das Ziel von Carls ebenso sorgfältiger wie weitgespannter Untersuchung, inmitten dieser Zerstreuung während Kants stummem Jahrzehnt einen Leitfaden zu rekonstruieren, der schrittweise und kohärent mit den zerstreuten Knotenpunkten von Kants Arbeit an diesen Problemen während dieses Jahrzehnts verknüpft wird. Doch ganz unabhängig von einem solchen Ziel kann man gerade in der oben zitierten Teil-Formulierung der Reflexion 4678 auch einen Knotenpunkt finden, an dem Kant sein in der Reflexion 4672 formuliertes Programm zu einem punktuellen Abschluß bringt. Die Formulierung dieses Programms ist, obwohl gewiß nicht intentional und nicht ganz ohne vorläufige Unschärfen, tauglich, als unmittelbare Folie für das Programm der Metaphysischen Deduktion nicht nur der SubstanzAkzidenz-Kategorie zu dienen: »Zuerst müssen gewisse Titel des Denkens seyn [also zur Verfügung stehen, R. E.], worunter Erscheinungen an sich selbst gebracht werden [durch den Gebrauch dieser zur Verfügung stehenden Titel, R. E.]: z. E. ob sie als Größe oder als subiekt oder als Grund … angesehen werden. … Ich werde um deswillen in der Erscheinung nicht, was ich will, als subiect ansehen, oder, wie ich will, entweder als subiect oder praedicat, sondern es ist bestimmt [Hervorhebung R. E.] als subiekt respective als Grund. Was vor eine logische Function also eigentlich von einer Erscheinung in Ansehung der andern gültig sey, ob die der Größe oder des subiects, also welche function der Urtheile. Denn sonst können wir nach Belieben logische functionen brauchen, ohne auszu­machen,

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Aus dieser buchtechnisch und werkstattgeschichtlich zerstreuten Folge von vier Schritten Kants läßt sich daher bis an die Grenze zur restlosen Eindeutigkeit der Gedanke gewinnen, daß es sich bei den Kategorien in Wahrheit um reine kategoriale Urteilsformen handelt. Insbesondere bei den Relations-Kategorien handelt es sich, wie die Reflexion 4678 in musterhafter Weise durch die Substanz-Akzidenz-Kategorie zu verstehen gibt, um konditionale reine kategoriale Urteilsformen. Im Licht der vorangegangenen abstrakten Beschreibung dieser paradigmatischen kategorialen Urteilsform wird der Gebrauch der Vorstellun­gen »a« und »b« in den logischen Rollen von Subjekt bzw. Prädikat eines kategorischen Urteils durch die Substanz-Akzidenz-Kategorie dafür tauglich gemacht, daß ihr Gegenstand a als Bedingung ihres respektiven Gegenstands b anzusehen ist und nicht umgekehrt. Sucht man von einer solchen abstrakten Beschreibung in der Reflexionssprache von Kants Logik zu einer Formel einer Darstellungssprache zu gelangen, die Kants Logik und der von ihm gelegentlich postulierten ›technischen Methode‹ angemessen ist,367 dann ergibt sich für die aus der kon-

auch ohne wahrzunehmen, daß das obiect einer mehr als der andern angemessen ist«, Hervorhebungen R. E. Dieses Programm formuliert in einer ersten, rudimentären, aber klaren Form die Kriterien für den »logische[n] Vorzug«, A 243, B 301, z. B. »daß ich mir [z. B., R. E.] Etwas vorstelle, welches bloß als Subjekt (ohne wovon ein Prädikat zu sein) stattfinden kann«, A 242, B 300–A 243, B 301, und kommt mit der Reflexion 4678 zu einem punktuellen Abschluß, dessen oben zitierte Formulierung diesen logischen Vorzugskriterien genau entspricht. Doch sowohl Laywine wie auch Guyer, Knowledge, vgl. S. 25–70, erörtern gerade diesen Teil der Reflexion 4678 gar nicht. Klemme, Subjekt, geht in seiner Auseinandersetzung mit dem Duisburger Nachlaß, vgl. S. 126–138, ebenfalls nicht auf sie ein, allerdings wohl vor allem deswegen, weil nicht das Problem der Kategorien-Deduktion, sondern das Thema des Selbstbewußtseins im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit steht. Indessen ist er vorsichtiger als Carl in der Frage, ob die Kategorien und insbesondere die Relations-Kategorien noch Züge von ontologischen Kategorien tragen, vgl. S. 129 f. Carl sieht in dem oben zitierten Teil der Reflexion 4678 eine Zusammenfassung seiner Erörterungen zum Thema Die Exposition der Erscheinungen, vgl. S. 75–80, bes. S. 77–80, vernachlässigt jedoch die in diesem Teil dieser Reflexion einzigartige konditionalistische Charakterisierung der Beziehung von a zu b in x. Kants in der Reflexion 4672 formuliertes Programm gehört allerdings, wie ich im Ersten Teil, 11. Ab., bes. S. 267–269, zu zeigen gesucht habe, in das Programm der Metaphysischen und nicht der Transzendentalen Deduktion der Kategorien. Guyer, Knowledge, zieht aus der Reflexion 4676, S. 657, »one crucial passage«, S. 66, heran, in der Kant mit Hilfe von auch sonst von ihm genutzten Anleihen bei der »technische[n] Methode«, R 4937, der Algebraiker Buchstaben und Hilfsformeln wie a: b und a + b = x verwendet. Doch Kant tut dies in dieser Reflexion, um ebenso wie in der Reflexion 4678 die Beziehungen zwischen Begriffen im kategorischen Urteil bzw. des kategorischen Urteils-im-ganzen zum Gegenstand x eines solchen Urteils-im-ganzen zu charakterisieren. Zu Recht hält Guyer diese Formen von Kants Erörterungen für Vorarbeiten zur »(… so-called metaphysical deduction)«, S. 66. 367 Zum Unterschied von Reflexions- und Darstellungssprache der Logik vgl. Erster Teil, bes. S. 217–265.

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ditionalen logischen Form des kategorischen Urteils ›metaphysisch deduzierten‹ konditionalen Substanz-Akzidenz-Kategorie die Formel (KSubstanz / Akzidenz) [(v1x ⇒ v2x)X].368 Doch diese Formel stellt, sofern sie angemessen ist, die reine kategoriale Form des Urteils über den Gegenstand-überhaupt = X dar, in dem der Gegenstand x der Vorstellung v1 die ›substantiale‹ Bedingung des akzidentellen Gegenstands x der Vorstellung v2 abgibt. Denn es ist dieser Gegenstand-überhaupt = X, der ›­dawider‹ ist (vgl. A 104), daß wir »[…] logische functionen [nach Belieben] brauchen, ohne auszumachen, … daß das obiect einer mehr als der andern angemessen ist«.369 Doch sofern er ›wider‹ einen solchen ›beliebigen‹ Gebrauch logischer Funktionen (zu urteilen) ist, ist er ›dafür‹, daß »es […] bestimmt [ist]«,370 wie eine logische Funktion zu gebrauchen ist – nämlich so, daß die Rollenverteilung der Vorstellungen im Urteil durch den Gegenstand-überhaupt = X des jeweiligen Urteils bestimmt ist. Es ist diese Form gegenständlicher oder objektiver Bestimmtheit der Rollenverteilung der Vorstellungen im Urteil, was durch die reinen kategorialen Urteilsformen repräsentiert wird, exemplarisch durch die konditionale und damit anti-symmetrische Urteilsform der Substanz-AkzidenzKategorie (KSubstanz / Akzidenz). Erst durch die Zurückführung der ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorien auf reine kategoriale Urteilsformen werden zwei Klärungen möglich. Zum einen wird auf diese Weise fast buchstäblich ›vor Augen gestellt‹, welche konkrete formale Tragweite es für die Kategorien mit sich bringt, daß sie durch ihre Meta­ physische Deduktion an den logischen Urteilsfunktionen teilhaben – eben dies, daß sie selbst gleichsam eine urteilsfunktionale Stammzelle haben, von der die Form ihres Gegenstandsbezugs abhängt. Zum anderen wird es auf diese Weise möglich, das begriffliche Spannungsverhältnis aufzulösen, das Kant durch seine Redeweise von der objektiven Gültigkeit der Kategorien in die Transzendentale Deduktion trägt. Denn auf diese Weise wird ebenfalls fast buchstäblich ›vor Augen gestellt‹, also evident gemacht, daß und inwiefern die Kategorien selbst durch ihre gleichsam bloß verkappte (reine)  Urteilsform Bedingungen dafür abgeben, daß die Urteile, die solche Formen haben, jedenfalls und mindstens Kandidaten für die Trägerschaft objektiver Gültigkeit bzw. Wahrheit sind. Indessen steht der formelhafte Stil, in dem Kant den Kategorien objektive Gültigkeit zuschreibt, unter dem wichtigen legitimatorischen Vorbehalt, daß sie ausschließlich in dem Sinne objektiv gültig sind, daß nur denjenigen Urteilen 368 Vgl. hierzu Erster Teil, bes. S. 264–268; zur konditionalen logischen Form des katego­ rischen Urteils vgl. bes. S. 224–226. 369 R 4672. 370 Ebd.

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objektive Gültigkeit zukommt, in denen sie gerechtfertigterweise gebraucht werden. Zwar ist klar, daß die entsprechende Rechtfertigung das Ziel ihrer transzendentalen Rechtfertigung (›Deduktion‹) bildet. Doch diese Rechtfertigung muß angesichts des mit den Prolegomena erreichten urteilsanalytischen Fortschritts sowohl einen Hauptweg wie mehrere Nebenwege einschlagen. In der A-Dedukton – also noch vor dem Gelingen dieses urteils-analytischen Fortschritts – war Kants Blick ausschließlich auf den Weg gerichtet, der direkt bis zu den wahren ›transzendentalen Sätzen‹ führt, deren Wahrheit in Gestalt der reinen synthetischen Urteile apriori des Abschnitts über die synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes er sogar für beweisfähig hält. In der B-Deduktion – also nach dem Gelingen dieses Fortschritts – sieht er sich in die ganz neuartige methodologische Situation versetzt, diesen Hauptweg mit mehreren Nebenwegen zu verbinden. Auf dem ersten Nebenweg muß der paradox scheinende Versuch gelingen, den empirischen Gebrauch von Kategorien in Erfahrungsurteilen – paradigmatisch in kausal-thematischen Erfahrungsurteilen – transzendental zu rechtfertigen. Ohne eine solche Rechtfertigung bliebe die Behauptung, daß in Erfahrungsurteilen wie Die Sonne erwärmt den Stein die Kausal-Kategorie gebraucht werde, nicht nur eine durch nichts gerechtfertigte Behauptung, sondern vor allem auch eine ohne weiteres nicht im mindesten nachvollziehbare Behauptung. Denn sie ließe die Frage nicht nur faktisch unbeantwortet, sondern auch unbeantwortbar, was zweistellige Prädikate wie --- erwärmt …, .---schmelzt …, --- härtet …, --- gefriert … u. ä. sowohl miteinander wie mit einer Kausal-Kategorie gemeinsam haben, die durch eine Metaphysische Deduktion aus der hypothetischen Urteilsfunktion soll gewonnen werden können. Doch es ist gerade diese methodologische Situation, aus der Heideggers schon mehrfach zitierte und eher beiläufig formulierte syntaktische Paraphrase des zweistelligen kausalen Prädikats --- erwärmt … ein erstes Licht auf den ersten auf diesem Nebenweg nötigen Schritt wirft.371 Gleichwohl läßt sie trotz des ingeniösen Blicks für die zugrundeliegende 371 Deswegen handelt es sich bei Heideggers schon mehrfach zitierter syntaktischer weil ---, deswegen …-Paraphrase von Kants paradigmatischem kausal-thematischen Erfahrungsurteil Die Sonne erwärmt den Stein auch nicht um einen gleichsam freischwebenden, wenn auch ingeniösen Einfall, sondern um eine in Kants publizierten systematischen Überlegungen immerhin auch noch nachträglich fest verankerbare, genuin kantische Einsicht. Man kann im übrigen vermuten, daß Heideggers Spürsinn für solche aufschlußreichen syntaktischen ›Tiefengrammatiken‹ von lexikalischen Formen vor allem durch sein langjähriges Studium von Edmund Husserl, Logische Untersuchungen (19011), Tübingen 1968, geübt und geschärft worden ist. Hier kommt als sein richtungweisendes Studienfeld vor allem der Zweite Band, I. Teil, IV. Der Unterschied der selbständigen und unselbständigen Bedeutungen und die Idee der reinen Grammatik in Frage. Indessen ist Heideggers syntaktische Paraphrase des zweistelligen prädikativen Kausal-Vokabulars anscheinend aus einer eigenen Einsicht hervorgegangen. Husserl selbst ist in allen einschlägigen Teilen seiner Untersuchungen in irritierendem Maß in der Orientierung an der Subjekt-Prädikat-Form des kategorischen Urteils befangen. Das

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suffizienz-konditionale weil ---, deswegen …-Syntax dieses Einzelfalls den über diesen Einzelfall hinausreichenden Blick vermissen, der den ganzen Nebenweg ins Auge faßt, auf dem die ›metaphysische deduzierten‹ Kategorien – vor allem die Relations-Kategorien – auf reine kategoriale Urteilsformen zurückgeführt werden können.372 Ohne den entsprechenden Nachweis zielte Kants Berufung auf den Gebrauch der Kausal-Kategorie in Gestalt von zweistelligen Prädikaten wie --- erwärmt … in solchen Erfahrungsurteilen nicht nur ins Leere. Er stünde dann mit dieser Berufung ähnlich mit leeren Händen da wie Hume, wenn dieser mit Blick auf »The Idea of Necessary Connection«373 zu dem negativen Ergebnis kommt: »It is not, therefore, from any one instance [of perception of two objects, R. E.] that we arrive at the idea of cause and effect, of a necessary connection«.374 Kant müßte dann zu dem analogen negativen Ergebnis kommen, daß wir in keinem Fall der Analyse eines mit Hilfe eines zweistelligen Prädikats formulierten kausal-thematischen Erfahrungsurteils zu einer Urteilsform gelangen können, die eine syntaktische Isomorphie mit der hypothetischen Urteilsform zeigt, obwohl sie mit ihr isomorph sein müßte, wenn die Kausal-Kategorie aus der hypothetischen Urteilsfunktion durch eine ›metaphysische Deduktion‹ soll gewonnen sein können. Kants faktische Rückgriffe auf paradigmatische (empirische)  Erfahrungsurteile innerhalb des Rahmens der zweiten Fassung der Transzendentalen Deduktion werfen daher jedenfalls und mindestens de facto einen empirischen bzw. empiristischen Schatten auf sie, »weil zu der Recht­ mäßigkeit eines solchen Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind«.375 Dieser Schatten verschwindet nicht schon dadurch, daß Kant behauptet, daß in empirischen Erfahrungsurteilen reine Kategorien empirisch gebraucht werden. Die Deduktion ist vielmehr um ihres transzendentalen Charakters willen auf den Nachweis angewiesen ist, daß ein Nebenweg gangbar ist, auf dem gezeigt wird, daß die reinen Kategorien die kategorialen Formen empirischer Erfahrungsurteile nur deswegen prägen können, weil sie in Wahrheit selbst reine kategoriale Urteilsformen sind. Ein abstraktes indirektes Licht fällt auf diesen

gilt auch für die grammatisch-logischen Orientierungen seines späteren Werks: Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik der logischen Vernunft, Halle / Saale 1929, in dem die grammatisch-logische bzw. kategoriale Form von kausal-thematischen Urteilen genauso ausgeblendet bleibt. 372 Longueness, Judgement, entgeht in ihrer sorgfältigen formalen Erörterung der hypo­ thetischen wenn ---, dann …-Wahrnehmungsurteile und der korrespondierenden kausal-thematischen Erfahrungsurteile, vgl. S. 175–180, die wichtige Pointe der weil ---, deswegen …-Syntax. 373 David Hume, A Treatise of Human Nature. In Two Volumes. Volume One. Introduction by A. D. Lindsay, London / New York 1964, S. 153–170. 374 S. 161. 375 A 85, B 117.

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Charakter kategorialer Urteilsformen durch die Bemerkung, »daß wir … ohne Kategorien gar nicht von Dingen urteilen können«.376 Unter diesen Umständen ist es für die wirklichen Schritte auf dem in der B-Deduktion unausweichlich gewordenen  – wenngleich von Kant nicht ausdrücklich oder gar programmatisch eröffneten  – Nebenweg überaus wichtig, daß Kant selbst mindestens Eine reine kategoriale Urteilsform konzipiert. Er konzipiert sie nicht zufällig im Rückblick auf das letzte systematische Hauptstück der Transzendentalen Analytik und ebenso wenig zufällig mit dem Blick vom reifsten, dem durch die Prolegomena und durch die Arbeit an der zweiten Fassung der Transzendentalen Deduktion erreichten Reflexions- und AnalyseNiveau. Die Syntax dieser ausgezeichneten reinen kategorialen Urteilsform ist sogar, wie sich zeigen läßt, ganz allgemein tauglich, mit Blick auf alle drei Relations-Kategorien ›vor Augen zu stellen‹, daß und inwiefern diese in Wahrheit eine homogene Gruppe reiner kategorialer Urteilsformen bilden. Kant führt diese eine ausgezeichnte kategoriale Urteilsform zwar ein, um unmittelbar zunächst nur die Urteilsförmigkeit der reinen Kausal-Kategorie möglichst prägnant zu verdeutlichen. Ihre Prägnanz soll jedenfalls ausreichen, um außerdem besser plausibel machen zu können, »daß wir die Möglichkeit keines Dinges nach der bloßen Kategorie einsehen können, sondern immer eine Anschauung bei der Hand haben müssen, um an derselben die objektive Realität des reinen Verstandesbegriffs darzulegen«.377 Darüber hinaus streicht diese prägnante Form nicht nur die spezifisch kausal-kategoriale syntaktische Sub-Struktur von zweistelligen Kausal-Prädikaten wie erwärmen, härten, aufweichen, gefrieren u. ä. heraus, die in umgangssprachlich formulierten kausal-thematischen Erfahrungsurteilen verwendet werden; sie macht darüber hinaus auch nicht nur die syntaktische Isomorphie mit der hypothetischen wenn ---, dann …-Form evident; nicht zuletzt wiederbelebt sie auch die in der Reflexion 4678 so erratisch thematsierte konditionale Relation zwischen zwei gegenständlichen Relaten a und b, die ›im‹ Gegenstand x eines Urteils ›beisammen‹ sind. Alle drei Komponenten mit ihren gemeinsamen anti-symmetrischen Beziehungen der reinen kausal-kategorialen Urteilsform faßt Kant in dem einfachen formalen Gedanken zusammen, daß »darum, weil etwas ist, etwas anderes sein müsse«.378 Das kopula-förmig 376 VIII, 223. 377 B 288. 378 Ebd., Hervorhebungen R. E. Daß die grammatisch-syntaktische weil---, darum / deshalb muß …-Form die für die Darstellung des Ursache-Wirkungsverhältnis einzig angemessene Form ist, betont zu Recht und ausführlich auch Josef König, Bemerkungen über den Begriff der Ursache (19491), in: G. Patzig (Hg.), ders., Vorträge und Aufsätze, Freiburg / München 1978, S. 295–296. Zu einem ersten Musterbeispiel dafür, wie bzw. in welcher Form der Gebrauch von Kategorien in Verbindung mit der sinnlichen, ins­besondere der temporalen (Form der) Anschauung zu empirischen Erkenntnissen führen kann, vgl. unten S. 119–121.

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gebrauchte ist wird hier ebenso wenig als Kopula oder als Existenz-Prädikat gebraucht wie das Hilfsverb sein hier zum Ausdruck der Existenz gebraucht wird. Eine angemessene Paraphrase ergibt vielmehr: Weil etwas der Fall ist, darum muß etwas anderes der Fall sein bzw., wenn man die in dieser Untersuchung eingeführte ›technische Methode‹ zur Darstellung der ⇒ -Beziehung zwischen einer hinreichenden Bedingung und dem durch sie Bedingten benutzt: (KUrsache / Wirkung) {[[(v1x ⇒ v2 x)X] ⇒ [(v3x ⇒ v4 x)X]]X}.379

Offensichtlich wird der konditionale Suffizienzcharaker der weil-Ursache hier in ebenso bedeutsamer wie einfacher Form unmittelbar mit der Notwendigkeit verknüpft, die für die darum-Wirkung – und nur für sie – einer solchen Ursache charakteristisch ist. Doch für die methodologische Stellung der so gewonnenen paradigmatischen kategorialen Urteilsform ist es von entscheidender Wichtigkeit, daß Kant sie unter die Vorzeichen einer mit Mitteln der Metaphysischen Deduktion grundsätzlich nicht beantwortbaren Frage-Form stellt: »Wie … darum, weil etwas ist, etwas anderes sein müsse, … läßt sich gar nicht aus bloßen Begriffen einsehen«.380 Erst durch die Form der Wie-Frage, »wie bestimmte (apriorische) Begriffe etwas zur Möglichkeit der Erfahrung beitragen«,381 leitet Kant insgesamt in die Trans­ zendentale Deduktion ein. Ihre Beantwortung leitet er mit dem ersten genuin transzendental-deduktiven § 21 ein, indem er zweimal die Wie-Frageform wiederholt.382 Die Antwort umreißt er im zweiten genuin transzendental-deduktiven § 22 mit der Erinnerung, daß »[…] alle uns mögliche Anschauung sinnlich [ist]«,383 sowie mit der daraus sich ergebenden Konsequenz, daß »[…] uns die Kategorien [Erkenntnis von Dingen] … nur durch ihre mögliche Anwendung auf empirische Anschauung [liefern], d. i. sie dienen nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis. Diese aber heißt Erfahrung«.384 Kant markiert daher durch die Form der späten Wie-Frage, mit der er die darum, weil ---, muß … -Grammatik der Urteilsform der reinen Kausal-Kategorie einführt, genau die Grenze, an der die Metaphysische Deduktion der (reinen) Kategorien endet und an der mit der ausdrücklich gestellten Wie-Frage die Transzendentale Deduktion anfängt. Doch bei dieser Verwendung der darum, weil ---, muß … -Grammatik zur Formulierung einer speziellen kategorialen Ur379 Zu der vorläufigen Grenze, bis zu der diese ›technische Methode‹ in dieser Untersuchung der Transzendentalen Deduktion der Kategorien fruchtbar gemacht wird, vgl. unten S. 139471. 380 B 288, Hervorhebung R. E.; fast wörtlich ebenso vgl. IV, 257, mit der ausdrücklichen Hervorhebung, daß diese Urteilsform das ist, was »[…] der Begriff Ursache [sagt]«. 381 Horstmann, Deduktion, S. 424, Hervorhebung R. E. 382 Vgl. B 144–145. 383 B 146. 384 B 147, Kants Hervorhebungen.

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teilsform handelt es sich um alles andere als um einen erratischen Einfall. Denn diese Grammatik ist nur mit einem von drei Ansätzen verbunden, die mit solchen Mitteln in erster Linie ganz gezielt ein neues Licht auf die drei reinen Relations-Kategorien werfen. Denn auch die Wechselwirkungs-Kategorie wird unter diesem Aspekt ihrer Urteilsförmigkeit so mit der Form der Wie-Frage verbunden, daß man sich erkundigen kann, »wie, wenn mehrere Dinge … sind, daraus, daß eines derselben … ist, etwas auf die übrigen und so wechselseitig folge«.385 Die propositionale daß-Grammatik macht hier unübersehbar darauf aufmerksam, daß es um die Charakterisierung eines Gegenstands geht, der die Form eines Sachverhalts hat und daher nur durch eine entsprechende kategoriale Urteilsform thematisiert werden kann. Kant macht an der Stelle B 288 also, wie der thematische Zusammenhang ganz unzweideutig zeigt, zur Erläuterung der Form der reinen Relations-Kategorien zweimal von propositionalen, urteilsförmigen Grammatiken Gebrauch. Mit Blick auf die reine Substanz-Kategorie sieht er sich jedoch offenkundig in der Verlegenheit, über eine angemessene Grammatik für ihre Urteilsförmigkeit gar nicht direkt zu verfügen. Er greift daher in dieser Verlegenheit auf die für solche Urteilsförmigkeit unempfindliche Nominal-Grammatik der Rede von Subjekt und Bestimmung eines Subjekts zurück (vgl. ebd.). Umso mehr fallen die beiden anderen urteilsförmigen Charakterisierungen der zweiten und der dritten reinen Relations-Kategorie ins Gewicht. Zum einen gibt Kant durch diese Charakterisierung zu verstehen, daß die so apostrophierten ›Etwasse‹, also Gegenstände, die unter diese Kategorien fallen, die Struktur von Sachverhalten haben, also eine Struktur, wie sie nur durch die reine kategoriale Form eines Urteils, daß ›darum, weil etwas (der Fall) ist, etwas anderes (der Fall) sein muß‹ bzw. daß, ›wenn mehrere Dinge … (der Fall) sind, daraus, daß eines derselben … (der Fall) ist, etwas (was der Fall ist) auf die übrigen und so wechselseitig

385 B 288, Hervorhebungen R. E. In Kants authentischer Formulierung dieser Frage-Form »wie, wenn mehrere Dinge da sind, daraus, daß eines deren da ist, etwas auf die übrigen und so wechselseitig folge«, habe ich das zweimalige da getilgt. Sein Gebrauch beruht offensichtlich auf dem Versehen Kants, in der Charakterisierung der reinen kategorialen Urteilsform der Wechselwirkung ein räumliches, also ein zweites sinnlich-anschauliches Element zu berücksichtigen. Doch die gesamte Argumentation B 288–294 zielt im Rückblick darauf, noch einmal die Reinheit der reinen Kategorien bzw. kategorialen Urteilsformen von solchen Elementen einzuschärfen. Nur so kann ebenso noch einmal eingeschärft werden, wie wichtig die Möglichkeit und die Einsicht in die Notwendigkeit ist, mit Hilfe der Theorie der beiden reinen sinnlichen Anschauungsformen über das Resultat der Metaphysischen Deduktion der reinen Kategorien hinauszugehen und mit der Transzendentalen Deduktion zu beginnen. Die Frage, ob die Raum-Bedingung im Rahmen der Dritten Analogie berücksichtigt werden muß, bedarf einer besonders sorgfältigen Klärung. Scheffel, Substantialität, ist wegen der Rolle der Raumbedingung nicht nur mit Blick auf die Dritte Analogie besonders skeptisch.

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folgen muß‹ charakterisiert werden kann.386 Dennoch bleibt vorläufig der doch ehebliche Unterschied zwischen beiden urteilsförmigen Charakterisierungen bestehen, daß nur die darum, weil ---, muß … -Syntax ganz unmißverständlich nicht nur die Urteilsförmigkeit der Kausal-Kategorie herausstellt, sondern damit auch deren Rolle als der Faktor, der die kategoriale Form der konkreten, also mit empirisch sinnlich-anschaulichen Inhalten verbundenen kausal-thematischen Erfahrungsurteile prägt.387 Es bildet daher offensichtlich nur einen unerheb­ lichen Mangel an Striktheit in Kants Behandlung dieses Themas, daß er für die Charakterisierung der Urteilsförmigkeit der reinen Wechselwirkungs-Kategorie nicht eine eindeutige weil ---, darum muß …-Syntax und deren Umkehrung verwendet, obwohl diese Kategorie doch eine unmittelbare Verwandte der reinen Kausal-Kategorie bildet. Indessen enthält die kategoriale Darum-weil-etwas-ist-muß-etwas-anderessein-Urteilsform das Potential zu mehr als zur Charakterisierung nur der kausalkategorialen Urteilsform. Gewiß ist die weil ---, darum muß …-Grammatik in 386 Daher argumentiert auch Hoppe, Synthesis, zu Recht, wenn er zunächst mit Hilfe eines Plausibilitätsargument zu bedenken gibt, daß wir »in jedem verrnünftigen Begriff von ›Erfahrung‹ … […] stets auch Sachverhalte [erkennen]«, S. 7433, und dann argumentiert: »Genau das ist dann auch Kants Lösung: ohne den ursprünglichen synthetischen Zusammenhang der Vorstellungen nach dem Schema der Kategorien kann es für uns überhaupt keine Gegenstandserkenntnis geben …; wenn aber unsere Vorstellungen synthetisch zusammenhängen und wir Gegenständliches erkennen, dann immer auch Gegenstandszusammenhänge«, ebd., H.s Hervorhebung. Diese Auffassung faßt auch Carl, B-Deduktion, ins Auge, wenn er mit Blick auf objektiv gültige Urteile wie Der Stein ist schwer, B 142, davon spricht, daß sie »[das] beschreiben […], was der Fall ist«, S. 200, also bestehende Sachverhalte. Damit wird indessen die in methodischer Hinsicht vorausgehende Frage wachgerufen, welche (kategoriale)  Form solche Sachverhalte im Licht von Kants Theorie ganz unabhängig davon haben, ob sie bestehen oder nicht, bzw. welche (kategoriale) Form solche Urteile ganz unabhängig davon haben, ob ihre Form erfüllt ist oder nicht. Auch König, Ursache, macht, wenngleich nur indirekt mit Blick auf Kant, auf »den ungemein verfänglichen Reflexionsfehler«, S. 192, aufmerksam, nicht zu berücksichtigen, daß das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung nur durch daßSätze angemessen formuliert werden kann, also ein Verhältnis zwischen Sachverhalten bildet, vgl. S. 192–195. Es bildet also gerade nicht ein Verhältnis zwischen dinghaften Entitäten, wie es durch die Formel a ist die Ursache von b dargestellt zu werden scheint. Denn a ist Relat von b kann auch einen konkreten Sachverhalt wie Der Mond ist Trabant der Erde abstrakt charakterisieren. 387 Die signifikanten Unterschiede zur kausal-kategorialen Urteilsform liegen auf der Hand: Statt der kategorialen weil-darum muß-Verknüpfung verwendet er die formal-logische wenn-dann-Verknüpfung; der Modal-Faktor der Notwendigkeit in Form eines … folgen müsse fehlt; außerdem fehlt die ausformulierte Umkehrung, die durch das wechselseitig nur angedeutet ist.  – Da Baum, Deduktion, die so bedeutsame Prägung der kausalkategorialen Urteilsform weil ---, darum muß … durch Kant entgangen ist, muß er sich »Am Beispiel des Begriffs der Ursache«, S. 61, mit unzulänglichen Mitteln wie der Charakteristik »daß ›auf etwas A was ganz Verschiedenes B nach einer Regel gesetzt wird‹«, ebd. behelfen.

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der eingebürgerten umgangsspachlichen Gebrauchsform sowohl in Kants Zeit wie in der Gegenwart geeignet, Fälle von Kausalität zur Sprache zu bringen. Doch am Leitfaden der einschlägigen Textindizien hat sich schon ermitteln lassen, daß Kant die Ursache als einen Typ der hinreichenden Bedingung auffaßt. Außerdem hat sich gezeigt, daß sich sowohl die drei relationalen Urteilsfunktionen wie die entsprechenden drei Relations-Kategorien als formal und funktional unterschiedliche Fälle von Beziehungen hinreichender Bedingungen zu den von ihr Bedingten auffassen lassen. Unter diesen Voraussetzungen zeigt die von Kant fruchtbar gemachte weil ---, darum muß …-Grammatik ein deutlich größeres Potential als nur zur speziellen Charakterisierung der reinen kausalkategorialen Urteilsform. Dieses Potential zeigt sich mit Blick auf alle drei reinen Relations-Kategorien in Gestalt von drei entsprechenden reinen kategorialen Urteilsformen, denen die weil ---, darum muß …-Grammatik gemeinsam ist: 1. Weil etwas subjekt-referentiell ist, darum muß etwas anderes prädikabel sein (Substanz-Akzidenz-Kategorie), 2. Weil etwas ursache-förmig ist, darum muß etwas anderes wirkungs-förmig sein (Ursache-Wirkungs-Kategorie), und 3. Weil etwas ursache-förmig ist, darum muß etwas anderes wirkungs-förmig sein und umgekehrt (Wechselwirkungs-Kategorie). Auf dem hier eingeschlagenben Nebenweg zeigt sich daher mit Hilfe von nachträglichen Revisionen, daß es sich bei den ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorien gar nicht um Begriffe im strengen und engen Sinne handelt, sondern um einen besonderen, kategorialen Typ von Urteilsformen. Doch da diese kategorialen Urteilsformen reine, also von empirischen Komponenten reine Urteilsformen sind, bilden sie auch dann keine empirischen Störfaktoren einer nicht-empirischen, transzendentalen Deduktion, wenn eine solche Deduktion zu bedenken gibt, daß und inwiefern die Menschen sowohl in ihrem nichtwissenschaftlichen wie in ihrem wissenschaftlichen Erkenntnisstreben von solchen nicht-empirischen Urteilsformen empirischen Gebrauch machen. Denn es bleibt eine transzendentale Einsicht, daß es solche ›metaphysisch deduzierten‹ kategorialen Urteilsformen sind, von denen sie in allen solchen exemplarischen Fällen Gebrauch machen. Allerdings ist damit auch lediglich geklärt, daß der transzendentale Charakter dieser Deduktion durch solche Fallerörterungen nicht gestört ist. Gleichzeitig bleibt die nicht weniger wichtige Frage immer noch offen, ob und gegebenenfalls warum solche Fallerörterungen im Rahmen einer solchen Deduktion überhaupt nötig sind (vgl. hierzu unten 14.6. Ab.). Es handelt sich daher auch um alles andere als um einen äußerlichen buchtechnischen Umstand, daß Kant zur Darstellung der reinen kausal-kategorialen Urteilsform erst fast am Ende der Transzendentalen Analytik und überdies auch erst in der zweiten Auflage der Ersten Kritik gelangt ist. Dieser Umstand gibt vielmehr zu verstehen, daß Kant nach der ersten Auflage nicht aufgehört hat, über die Tragweite des urteils-funktionalen Kerns speziell der Kausal-Kategorie nachzudenken, und daß er erst fast ganz am Ende der letzten systematischen

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Gelegenheit zu einer unmißverständlichen Klärung dieser Tragweite gelangt ist.388 Er hat damit auf einem von mehreren Nebenwegen einen der wichtigsten Schritte selbst getan, die durch nichts so sehr zu einem Desiderat geworden sind wie durch die syntaktische Undurchsichtigkeit der kausal-thematischen Erfahrungsurteile mit ihren alltagssprachlichen zweistelligen Prädikaten. Dabei reicht diese Tragweite nur allzu offensichtlich über eine Klärung der reinen, ›metaphysische deduzierten‹ kausal-kategorialen Urteilsform hinaus. Denn offensichtlich verfügt auch die Transzendentale Deduktion der Kategorien erst dann über eine hinreichend durchsichtige von ihr erst noch transzendental zu ›deduzierende‹ reine Kausal-Kategorie, wenn diese ihr nicht nur unter ihrem terminologischen Namen, sondern auch in einer Form zur Verfügung steht, deren syntaktische Isomorphie mit der hypothetischen Urteilsform nicht nur behauptet wird, sondern auch wirklich klar ›vor Augen steht‹, also evident ist: Die logische wenn ---, dann …-Form des hypothetischen Urteils ist evidenterweise ebenso von einer anti-symmetrischen Beziehung charakterisiert wie die reine kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, darum muß ….389 Es gehört nun einmal 388 Das Faktum, der Grad und die Art des damit erreichten Fortschritts werden deutlich, wenn man die parallelen, thematisch ebenso zentrierten nachträglichen Bemerkungen Kants zu den reinen Kategorien auf den Seiten A 242, B 300–A 243, B 301 zum unmittelbaren Vergleich heranzieht, bes. die Charakterisierung der reinen Kausal-Kategorie, A 243, 301. Strawson, Bounds, spricht in seinem Buch von objective validity so gut wie ausschließlich als von einer Eigenschaft von Urteilen, vgl. S. 74–110. Er hat sich anscheinend gar nicht ernsthaft gefragt, wie die Festlegung Kants »objektive Gültigkeit, d. i. Wahrheit«, A 788, B 816, an der er sich offensichtlich und zwar zu Recht orientiert, mit seiner regelmäßigen Rede von einer objektiven Gültigkeit der spezifischen Begriffe namens Kategorien verträglich ist. Selbstverständlich kann man, wie Strawson es tut, versuchen, diese Redeweise zu rechtfertigen, indem man sie darauf zurückführt, daß sie die objektive Gültigkeit der Urteile bedeutet, in denen sie gebraucht werden, vgl. S. 73–75. Doch eine solche Zurückführung hat den empfindlichen Nachteil, daß sie den Blick auf den Weg versperrt, der für Kant mit der allgemeinen Einsicht der Prolegomena beginnt, daß der Verstandesbegriff »die Form des Urteilens überhaupt in Ansehung der Anschauung bestimmt«, IV, 300, und anschließend zu der Einsicht B 288 geführt hat, daß es sich bei den ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorien bei genauerem Hinsehen um reine kategoriale Urteilsformen handelt, also z. B. um die reine kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, darum muß …. Unter dieser Voraussetzung erweist sich die objektive Gültigkeit einer Kategorie als die objektive Gültigkeit des empirischen Erfahrungsurteils, dessen Form durch die entsprechende kategoriale Urteilsform geprägt ist. Es ist unter derselben Voraussetzung nur allzu verständlich, daß und warum Strawson – und nicht nur er – zu dem Ergebnis kommt, daß die von Kant apostrophierte Metaphysische Deduktion der Kategorien »is such as to render almost pointless any ciritcal consideration of the detail of Kant’s derivation of the categories from the Table of Judgements«, S. 82. 389 Im Zuge der kritischen Rekonstruktion von Lehrstücken der überlieferten Logik ist eine solche durch syntaktische Analysen gewonnene Evidenz besonders durch Patzig, Syllogistik, in lehrreicher Weise erörtert worden. Die aristotelische Behauptung, daß es sich bei den Syllogismen der Ersten Figur um vollkommene Schlüsse handle, hat Patzig mit Hilfe einfacher Mittel der modernen Relationen-Logik plausibel gemacht. Dies gelang

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zu den Charakteristika von syntaktischen Isomorphien, daß sie durch eine Einszu-eins-Zuordnung der sie tragenden Elemente müssen veranschaulicht werden können. Was sich in diesem konkreten Fall prinzipiell nicht veranschaulichen läßt, ist die funktionale Eigenschaft der reinen kausal-kategorialen Urteilsform, die konkreten Urteile, die diese Form durch einen empirischen Inhalt erfüllen, zu objektiv gültigen, also objektiv wahren Urteilen zu stempeln – denn »objektive Gültigkeit, d. i. Wahrheit«.390 nur, indem er die von Aristoteles eingeführte Umkehrung der A ist B-Grundform der Teilsätze eines Syllogismus in die B kommt A zu-Form systematisch ernst nahm, vgl. bes. S. 19–23. Unter dieser Voraussetzung konnte er zeigen, daß die Terme B-A der ersten Prämisse, die Terme A-C der zweiten Präisse und die Terme B-C der Conclusio nur in dieser formalen Ordnung garantieren, daß die Beziehung dieser Terme in allen Modi der Ersten Figur evidentermaßen in einer transitiven Beziehung stehen, bes. S 56–70. Eben die Evidenz, also Augenfälligkeit dieser Transitivität macht die von Aristoteles behauptete Vollkommenheit dieser Schlüsse aus. Zu Recht hat Wolfgang Wieland, Zur Deutung der Aristotelischen Logik. Rezension von Patzig, Syllogistik, in: Philosophische Rundschau Heft 1, 14. Jg. (1966), S. 1–27, diese Deutung Patzigs als »ein Glanzstück seiner Untersuchung«, S. 13, eingeschätzt. Die anti-symmetrische Isomorphie der hypothetischen Urteilsform mit der ebenso anti-symmetrischen kausal-thematischen kategorialen Urteilsform ist ebenfalls durch eine solche syntaktische Evidenz ausgezeichnet. Zu der zweiten wichtigen Evidenz einer sogar dreigliedrigen Isomorphie anti-symmetrischer Relationen in Kants transzendentaler Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit vgl. unten S. 142–152. 390 A 788, B 816. Es ist daher zumindest fraglich, ob die Zwischentitel-These von Caimi, B-Deduktion, wirklich tragfähig ist, daß »The Objective Validity Of A Judgement Is Not Truth«, S. 53. Er hat zwar die bedenkenswerte Überlegung entwickelt, daß, falls »the ground of synthetic connection be the objective unity of apperception« in einem Urteil ist und falls diese »connection be a connection in the object and not just in myself (as an empirical subject)«, dann sei diese connection »necessary even if the judgment were false. For even a false judgment belongs to the (possible) experience of objects and is not just the passive record of subjective perceptions«, S. 54. Es hat jedoch den Anschein, daß Caimi in diesem Punkt nicht sorgfältig genug zwischen dem ›ground of synthetic connection being the objective unity of apperception‹ und dem claim, dem Anspruch des urteilenden Subjekts unterschieden hat, den ›ground of synthetic connection‹ in Form der ›objective unity of apperception‹ seines Urteils getroffen zu haben. Einen solchen Anspruch zu erheben, setzt zwar auch dann voraus, einen solchen Grund, also ›a connection in the object‹ getroffen zu haben, wenn das Urteil objektiv falsch ist. Doch das Meta-Urteil, daß ein mit Anspruch auf objektive Wahrheit getroffenenes Urteils objektiv falsch sei, setzt voraus, daß der Grund seiner Falschheit darin besteht, daß dem mit ihm verbundenen Anspruch, eine ›connection in the object‹ gefunden zu haben, nachgewiesen werden kann, daß die tatsächlich in Anspruch genommene ›connection in the object‹ nicht gefunden werden kann. Diesem Zusammenhang wird Prauss, Wahrheitsproblem, mit seinem Ansatz bei einem Kriterium der Wahrheitsdifferenz zwischen objektiver Wahrheit und objektiver Falschheit besser gerecht, vgl. unten S. 127, Anm. 426. Andererseits ist es auch nicht so einfach wie Gerold Prauss, Einleitung, in: Gerold Prauss (Hg.), Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, Köln 1973, S. 11–23, meint, daß »Erfahrung […] jeweils in Form des empirischen Urteils gemacht [wird], das entweder wahr oder falsch ist«, S. 18. Mit diesen empirischen Urteilen meint Prauss wohl die von

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14.4. Wie die Logik der Wahrheit erweitert werden kann und muß: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion II Es ist kein Zufall, daß Wolfgang Carl im Anschluß an seine Rückführung der objektiven Gültigkeit der Kategorien auf die objektive Gültigkeit der Urteile, in denen sie gebraucht werden – im Abschnitt Metaphysik und Deduktion seines Kommentars (vgl. S. 35–38) –, auf Elemente von Kants programmatischer Konzeption der Transzendentalen Logik, speziell der Transzendentalen Analytik (A 52, B 76–A 62, B 87) zurückgreift. Dieser Rückgriff kommt mit Blick auf die Aufgabe, die Kant der Transzendentalen Analytik stellt, ganz zu Recht zu dem Resumee, daß »Die Lösung der Aufgabe […] der Nachweis der objektiven Gültigkeit dieser Begriffe [ist]«.391 Es ist in diesem Zusammenhang jedoch umso beachtenswerter, daß Kant die spezielle Konzeption der Transzendentalen Logik, auf die Carl hier zurückgreift, auch ausdrücklich als »eine Logik der Wahrheit«392 auffaßt. Zwar wird »Die Namenerklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Gegenstande sei, … hier geschenkt«.393 Doch sie wird definitiv nicht in dem Sinne ›geschenkt‹, daß der mit ihr Beschenkte damit verfahren könnte, wie ihm beliebt. Sie wird hier vielmehr von Kant selbst zugunsten der Arbeit an seiner Theorie »vorausgesetzt«.394 Die Wichtigkeit Kant in den Prolegomena zum ersten Mal berücksichtigten Erfahrungsurteile; diese sind zwar objektiver Wahrheit und Falschheit fähig, ihre Beziehungen zur definitiven objektiven Wahrheit bzw. Falschheit sind allerdings aus methodologischen Gründen komplex; denn sie sind »Urtheile […], die durch Versuch und Erfolg continuierlich bewährt werden«, VIII, 140, Hervorhebung R. E., einer solchen Bewährung aber offenkundig auch bedürfen. Sie gehören daher zum Typ der von Kant mit einer anderen Zielrichtung so apostrophierten unerweislichen Urteile, von denen er ausdrücklich sagt, »unerweislich Urteil kann doch wahr sein«, XXIV, 1.2, 767. Hervorhebung R. E.; ein Erfahrungsurteil kann daher wegen seiner kontinuierlichen Bewährungsbedüftigkeit auch nur entweder wahr oder falsch sein. Vgl. zu Prauss’ Kant-Interpretationen auch schon Erster Teil, bes. S. 3789, 39100, 48124, 51135, 68197. 391 Carl, Kommentar, S. 40. 392 A 62, B 87. 393 A 58, B 82. 394 Ebd. Zu der Zuversicht, mit der Kant diese Voraussetzung für tragfähig hält, bemerkt Carl, Kommentar, anläßlich der Parallel-Stelle A 104 zu Recht: »Wirft man einen Blick in die Sekundärliteratur, so wird man den Optimismus von Kant kaum teilen können«, S. 16863. Auf den Seiten 16862–16964 erläutert Carl sorgfältig, warum die von Kant vorausgesetzte ›Namenerklärung‹ der Wahrheit beim Versuch ihrer Anwendung auf konkrete, aber nicht näher bestimmte Fälle von Erkenntnissen bzw. Erkenntnisurteilen zu verschiedenen grundsätzlichen methodischen Schwierigkeiten führt, für deren Überwindung Kant probate Mittel nicht direkt zur Verfügung zu stellen scheint. Allenfalls andeutungsweise kommt hierfür, wie Carl zu Recht bemerkt, eine spezifisch transzendentallogische holistische und kohärenztheoretische Wahrheitskonzeption in Frage, die am Ganzen der uns möglichen Erfahrung orientiert ist vgl. S. 16863; vgl. hierzu unten S. 122,

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dieser ›geschenkten‹ Voraussetzung wird indessen nicht im geringsten dadurch in Frage gestellt, daß man nach Kants Auffassung bei genauerem Hinsehen auf die mit der Wahrheitsfrage verbundenen Intentionen ›eigentlich‹ »[…] … zu wissen [verlangt], welches das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis sei«.395 Dieses Verlangen wird von Kant mit Hilfe einer schlagenden reductio ad contradictionem zu Recht verworfen. Doch auch als Kant dieses spezifisch transzendental-logisch orientierte wahrheitstheoretische Programm skizziert, ist er noch einige Jahre von der publizierten Einsicht der Prolegomena entfernt, daß der kognitive Alltagshaushalt der Menschen seit unüberschaubar langen Zeiten von Urteilen des Typs der Erfahrungsurteile bevölkert ist. Weil die Urteile dieses Typs aber empirisch geprägte Kandidaten für die Trägerschaft von objektiver Gültigkeit bzw. Wahrheit sind,396 verändert ihre erstmals auf dem Weg zu den Prolegomena erarbeitete Analyse in zunächst nicht vorhergesehener Weise auch die Orientierung über das Zuständigkeitsfeld der als Logik der Wahrheit konzipierten Transzendentalen Logik. Denn diese sowohl urteils- wie kategorial-analytische Arbeit verhilft gerade der methodologischen Konkretisierung dieser Logik der Wahrheit zu einem entscheidenden Fortschritt. Zwar kann Kant sie in dieser methodologischen Hinsicht schon in der ersten Auflage wenigstens in abstrakter Form als einen »Kanon der Beurteilung des empirischen Gebrauchs [des Verstandes bzw. der Kategorien]«397 konzipieren. Doch erst durch die urteils- und kategorial-analytischen Einsichten der Prolegomena in die strukturellen Unterschiede und die funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und ErAnm. 412. Der wichtigste Autor, der die Kant von Carl zu Recht unterstellte Zuversicht in diese Wahrheitskonzeption teilt, ist Gerold Prauss, Zum Wahrheitsproblem bei Kant, in: Kant-Studien 60 (1969), S. 166–182. Zu Recht widmet Prauss der von Kant so prominent ausgezeichneten transzendentalen Logik der Wahrheit seine hauptsächliche Aufmerksamkeit, betont ebenso zu Recht, daß sie eine Logik der »Wahrheitsdifferenz« ist und macht auf die Aufgabe einer solchen Logik aufmerksam, ein »Kriterium«, auszuarbeiten, mit dessen Hilfe man die Differenz von (objektiver) Wahrheit und (objektiver) Falschheit in konkreten Einzelfällen beurteilen kann, vgl. bes. S. 81–82. Er beschränkt sich jedoch auf abstrakte, von Kants Text nahegelegte begriffs- und argumentations-analytische Erwägungen zur Tragweite dieser ihn zu Recht leitenden Hypothese. Ein konkretes von Kant selbst ins Spiel gebrachtes Kriterium zugunsten irgendeines konkreten Wahrheitskandidaten findet sich bei ihm nicht; auch einen Ausblick auf eine bei Kant vielleicht zu findende Kriteriologie dieser Wahrheitsdifferenz bietet er nicht; vgl. zu den Gründen dieser zumindest vorläufigen Unzulänglichkeit unten S. 127, Anm. 426. Zur konstruktiven, strikt übereinstimmungs- bzw. korrespondenz-theoretischen Überwindung dieser Schwierigkeiten mit Kants eigenen Mitteln vgl. jedoch vor allem unten 14.5. Ab. 395 A 58, B 82. 396 Dazu, daß sie durch die in ihnen gebrauchten Kategorien lediglich Kandidaten für die Trägerschaft von Wahrheit, aber nicht deren verbürgte Träger sind – also am Wahrheitsanspruch auch scheitern können –, vgl. oben S. 116, Anm. 390. 397 A 63, B 88.

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fahrungsurteilen ist die logische und die kategoriale Form dieses Gebrauchs zum ersten Mal erfaßt und mikro-analytisch geklärt: Die transzendentale Logik der Wahrheit stellt mit ihrem Kanon zur Beurteilung der Berechtigung des empirischen Gebrauchs von Kategorien in wahrnehmungsbasierten und -bewährten Erfahrungsurteilen nachträglich einen ihrer wichtigsten methodologischen Beiträge zur transzendentalen Theorie der Erfahrung zur Verfügung. Innerhalb dieses Kanons wird das Kriterien-Problem der Wahrheit aber nicht etwa vernachlässigt. Vielmehr wird es mit Hilfe unterschiedlicher Wie-Fragen in der Form neu justiert, die dem mit den Prolegomena erreichten status quaestionis entspricht. Denn auf diesem Niveau läßt sich die Frage, »wie die Wahrnehmung zu diesem Zusatze [einer Kategorie zugunsten eines Erfahrungsurteils, R. E.] komme …«, so beantworten: »… darüber muß die Kritik im Abschnitte von der transzendentalen Urteilskraft, S. 137 f. nachgelesen werden«398  – also im Abschnitt Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe (A 137, B 176–A 147, B 187). In ihm wird die Frage erörtert, »wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können«.399 Beantwortet wird sie, wie der wörtliche Rückgriff auf die Arbeitsdefinition des Kategorien-Begriffs B 128 zeigt, so: »Der Schematism zeigt die Bedingungen an, unter denen eine Erscheinung in Ansehung der logischen Function bestimmt ist und also unter einer Kategorie steht«.400 Da die Schemata für die drei den kategorialen Kern der Erfahrungsurteile bildenden Relations-Kategorien aber ausschließlich temporale Bedingungen enthalten,401 bilden temporale Kriterien den Schlüssel zur Beurteilung der Wahrheit von Erfahrungsurteilen. Durch den Rekurs der B-Deduktion auf paradigmatische Wahrnehmungsund Erfahrungsurteile begibt sich Kants transzendentale Logik der Wahrheit daher, wie diese Zusammenhänge zeigen können, mit einer erheblichen methodischen Neuorientierung auf den zweiten von mehreren Nebenwegen. Denn zwar stellt sich diese Logik die Aufgabe »Kriterien der Wahrheit dar[zu]legen«.402 Doch obwohl dieses Kriterienproblem für die Transzendentale Logik so zentral charakteristisch ist und obwohl es innerhalb der B-Deduktion durch die hier 398 IV, 305*. Das Stellenverzeichnis dieses Buchs zeigt eine scheinbar übermäßige Repräsentation dieser Fußnote. Doch damit soll lediglich auf einer technischen Oberfläche signalisiert werden, welche außerordentlich weit verzweigte und tiefe Tragweite die in dieser Fußnote andeutungsweise und daher unscheinbar mitgeteilten Einsichten für das Ganze von Kants Theorie der Erfahrung mit sich bringen. Diese Tragweite macht es jedenfalls und mindestens gut verständlich, daß Wolff, Erfahrung, sich berechtigt findet, die um diese Fußnote zentrierten Ausführungen Kants im Titel seiner Mikro-Interpretationen und -Analysen sogar als dessen »Analyse der Erfahrung«, S. 127, Hervorhebung R. E., zu apostrophieren. 399 A 138, B 177. 400 R 5933; vgl. auch R 5932. 401 Vgl. A 144, B 183–184. 402 A 59, B 83.

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eingeführten paradigmatischen Erfahrungs- und Wahrnehmungsurteile unmittelbar aktuell ist, wird es innerhalb des Textes dieser Fassung der Deduktion von Kant mit keiner Silbe thematisiert. Dabei wäre es für ihn in Entsprechung zu der Fußnote der Prolegomena IV, 305*, eine simple buchtechnische Angelegenheit gewesen, in den Text der B-Deduktion eine entsprechende Fußnote mit einem entsprechenden Hinweis auf eben diese Fußnote und auf das Schematismus-Kapitel einzufügen. So wäre auch innerhalb der B-Deduktion wenigstens angezeigt, daß für den Schritt von bestimmten Wahrnehmungen und entsprechenden Wahrnehmungsurteilen zu bestimmten Erfahrungsurteilen der Rekurs auf geeignete Schema-Kriterien für den empirischen Gebrauch bestimmter Kategorien unerläßlich – aber auch fruchtbar – ist. Dieses einfache buchtechnische Versäumnis ist umso bemerkenswerter als Kant in den Prolegomena unabhängig von seinem buchtechnischen Hinweis auf die Unerläßlichkeit dieses Rekurses eine für den Leser gut durchschaubare, also auch ausdrückliche kriteriologische Erörterung der paradigmatischen kausalthematischen Erfahrungsurteile eingeschaltet hat. Diese Erörterung spielt hier sogar eine so prominente Rolle, daß sie gar nicht mehr überboten werden könnte. Denn sie rahmt auf den Seiten IV, 311–315, nichts Geringeres ein als Kants »Versuch an Humes problematischem Begriff (diesem seinem crux metaphysicum«.403 Schrittweise verwendet Kant Formulierungen, die für die Thematisierung des Kriterienproblems charakteristisch sind. Es beginnt mit der typisch kriteriologischen Form der Frage nach einem »Merkmal …, woran ich erkennen könnte, daß [ein Gegenstand, R. E.] … unter den Begriff der Substanz oder der Ursache oder … der Gemeinschaft gehöre«, also – unter dem Aspekt der kategorialen Beurteilung bzw. Subsumtion des Gegenstandes  – mit der Frage, »wie Dinge als Gegenstände der Erfahrung unter jene Verstandesbegriffe können und sollen subsumiert werden«.404 Ihre Antwort finden diese Kriterien-Fragen beider Formen mit Blick speziell auf den Begriff der Ursache durch eine zunächst nur ganz abstrakte Bemerkung. Sie gilt dem Merkmal, woran man erkennen kann, ob ein Gegenstand unter einen solchen Begriff gehört: Es können »nur der Erfahrung anhängende Bedingungen« sein, nämlich in Form »von Erscheinungen und ihrer Zeitfolge«.405 Konkretisiert wird diese abstrakte Antwort schließlich mit 403 IV, 312, Kants Hervorhebung. 404 311, Hervorhebungen R. E. Zu einer terminologisch unverschleierten Rede von Kriterien bzw. Anwendungs- bzw. Beurteilungs- bzw. Subsumtionsregeln bzw. -prinzipien hat Kant trotz der systematischen Schlüsselrolle von Kriterien nur in eher erratischer Weise gefunden. Auch im Kontext der Praktischen Philosophie verhält es sich ähnlich. Den kategorischen Moral-Imperativ kann er dann als »principium der diiudication«, ­X XVII, 1, S. 274 f., sowie XXVII, 2.2, S. 1428 f., charakterisieren und das entsprechende Beurteilungsprinzip des Rechts als »das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht … erkennen könne«, VI, 229. 405 IV, 312, Hervorhebungen R. E.

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Blick auf die kausal-thematischen Erfahrungsurteile durch die klare Verknüpfung des Inhalts der Kausal-Kategorie bzw. der kategorialen Urteilsform mit einem qualitativen empirischen, vom Medium der Wahrnehmungen abhängigen Häufigkeits-Kriterium: »Der Begriff der Ursache enthält eine Regel, nach der aus einem Zustande ein anderer notwendigerweise folge; aber die Erfahrung kann uns nur zeigen, daß oft und, wenn es hochkommt, gemeiniglich auf einen Zustand ein anderer folge«.406 Ausgerechnet im thematischen Zusammenhang mit der definitiven Demonstration seines reflexiven und kategorial-analytischen Wegs zur Überwindung von Humes crux metaphysicum stellt Kant also in den Prolegomena unmißverständlich und wieder in paradigmatischer Weise den kriteriologischen Rekurs klar, aus dem auch die Erfahrungsurteile gewonnen werden, die Kant erst anschließend zum ersten Mal in die Argumentation der B-Deduktion einführt. Nur einmal kommt Kant innerhalb der B-Deduktion direkt auf die Auseinandersetzung mit Hume zurück, wenngleich mit Hilfe einer typologischen Stilisierung. Denn ausgerechnet am Ende einer zusammenfassenden Skizze der ›critisch‹ 406 IV, 315. Heiner Klemme, Die Aufhebung von »Humes Zweifel«, in: H. Lyre und O. Schliermann (Hg.), Kants Prolegomena. Ein kooperativer Kommentar, Frankfurt / M. 2012, S. 169–193, vernachlässigt das systematische kriteriologische Format der hiermit in Anspruch genommenen Schematismuskonzeption. Das führt auch dazu, daß er sogar innerhalb seiner Behandlung von Kants Hume-Thema in den Prolegomena diese Verknüpfung des kategorial-analytischen Inhalts des Begriffs der Ursache und der kriteriellen Rolle des Zeitfaktors in Kants Behandlung der empirischen kausal-thematischen Erfahrungsurteile verkennt, vgl. bes. S. 181–183. – Bei Prauss, Wahrheitsproblem, handelt es sich um einen kasuistischen Fehler, daß er als Musterbeispiele für Urteile, auf die Kants transzendental-logisches Kriterienproblem der Wahrheit zugeschnitten sein soll, Urteile vom Typ Die Sonne scheint wählt, vgl. S. 80 f. Denn dieses Urteil ist ein bloß subjektiv wahres, verkapptes Wahrnehmungsurteil, das in der von Kant für solche Urteile reservierten subjekt-identitären Form die Form Ich, der ich die Sonne sehe, nehme ihr Scheinen wahr hat, vgl. zu diesem Urteilstyp ausführlich Erster Teil, bes. S. 38–42. Das Scheinen, das hier von der Sonne prädiziert wird, ist ein so ausschließlich und strikt an den Augen­ schein gebundenes Phänomen, daß es nicht etwa zum Typ des ›Drucks der Schwere‹ gehört, den Kant B 142 im Consequens eines hypothetischen Urteils mit einem Antecedens formal-logisch verknüpft, in dessen Inhalt dasselbe Subjekt, das diesen ›Druck der Schwere‹ spürt, gleichzeitig einen Körper trägt. Dieses hypothetische Urteil kann, wie Wolff, Erfahrung, S. 16370, gezeigt hat, auf Grund seiner logischen Struktur und seines Inhalts von Kant in das prädikativ gleichsam verschleierte kausal-thematische Urteil Der Körper ist schwer transformiert werden. Wahrnehmungsurteile bilden an sich nicht im mindesten irgendwelche spezifisch transzendental-logischen Kriterienprobleme. Sie gehören spätestens seit Platons Dialog Theaitet bis in die Erkenntnistheorien der Gegenwart  – und ebenso für Kant  – geradezu trivialerweise zu den transzendentallogisch vergleichsweise unerheblichen, bloß subjektiv gültigen Urteilen. Wie ein Wahrnehmungsurteil des von ihm ausgezeichneten Typs in ein Erfahrungsurteil umgeformt werden kann, hat Prauss ebenso wenig gezeigt wie er gezeigt hat, inwiefern ein Urteil dieses Typs – analog wie das Urteil Der Körper ist schwer – ein durch seine prädikative Form nur gleichsam verschleiertes Erfahrungsurteil sein könnte.

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analysierten Kausalstruktur407 bemerkt er mit sarkastischem Unterton, daß »der Skeptiker am meisten wünscht«,408 daß Kants Analyse nicht tragfähig sei. Damit faßt er offenkundig den Typus des Skeptikers ins Auge, der sich am liebsten und häufigsten auf Humes empiristische Vorläuferschaft in Fragen der Kausalstruktur beruft. Den kriteriologisch orientierten Rekursen Kants vor allem auf die kausal-thematischen Erfahrungsurteile ist es aus methodologischen, logischen und erkenntnistheoretischen, spezifisch transzendental-logischen Gründen vorbehalten, in kontingenten empirischen Einzelfällen von Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen immer wieder von neuem zum Zuge kommen zu können. Doch für diese Rekurse ist es eben genauso charakteristisch, daß ihre Erfolge nicht im geringsten auf die Ausarbeitung einer philosophischen Theorie vom Typus der Transzendentalen Logik bzw. ihrer entsprechenden Logik der Wahrheit angewiesen sind. Sie gelingen im Geschäft der ›gemeinen Erkenntnis‹ seit unvordenklichen Zeiten und im Geschäft der wissenschaftlichen Erkenntnis so lange, wie dieses Geschäft an seinen wohlverstandenen internen Erfolgskriterien orientiert bleibt – in Kants Vergangenheit nicht weniger als in seiner Gegenwart und in seiner unbestimmt weit hinausreichenden Zukunft. Denn solange »[…] der Verstand … auf seinem eigentümlichen Boden [ist], nämlich dem Felde von lauter möglichen Erfahrungen, deren Gesetzen er nachspüren, und vermittelst derselben er seine sichere und faßliche Erkenntnis ohne Ende erweitern kann«,409 ist er »in seiner Art brauchbar, wenn es auf Urteile ankommt, die in der Erfahrung ihre umittelbare Anwendung finden«,410 und zwar sogar dann, wenn er »über die Quellen seiner eigenen Erkenntnis nicht nachsinnt«.411 Die Kriterien der Wahrheit von Erfahrungsurteilen – also der Übereinstimmung ihrer anschaulichen Gegenstände mit den Kategorien bzw. kategorialen Urteilsformen – »in allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen«412 darzu­ 407 Vgl. B 168 f. 408 B 168. 409 A 468, B 496. 410 IV, 260. 411 A 238, B 297. Auch »Reine Mathematik […] hätte […] zum Behuf ihrer eigenen Sicherheit und Gewißheit keiner dergleichen Deduktion bedurft«, IV, 327, Kants Hervorhebungen. 412 A 136, B 175. Mit dieser an den Schematismus gerichteten Aufgabenstellung, die ›allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen darzulegen‹, in deren Licht ›Gegenstände in Übereinstimmung mit jenen Begriffen  – den Kategorien R. E.  – gegeben werden können‹, formuliert Kant den Ausblick auf die mit den Mitteln seiner Theorie mögliche allgemeine Lösung des speziellen transzendental-logischen Problems des Wahrheitskriteriums. Mit der Rede von den ›allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen‹ bietet Kant gleichzeitig die Möglichkeit, die von Zöller, Gegenstandsbeziehung, vermißte ›philologische Rechtfertigung‹, vgl. unten S. 127, Anm. 426, dafür zu geben, Kant einen Weg zur Lösung dieses speziellen Wahrheitskriterien-Problems zuzuschreiben. Denn im Unterschied zu seiner reductio ad contradictionem des Verlangens, »das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis«, A 58, B 82, Hervorhebungen R. E., anzugeben, durch »das hinreichende, und doch zugleich allgemeine Kennzeichen

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legen, ist indessen ein Geschäft, das wegen andernfalls unvermeidlicher riskanter kognitiver Grenzfälle nötig ist. Denn da »der bloß mit seinem empirischen Gebrauch beschäftigte Verstand« nicht immer zuverlässig »[…] unterscheiden [kann], ob gewisse Fragen in seinem Horizonte liegen, oder nicht, so ist er niemals seiner Ansprüche und seines Besitzes sicher, sondern darf sich nur auf vielfältige beschämende Zurechtweisungen Rechnung machen, wenn er die Grenzen seines Gebiets (wie es unvermeidlich ist) unaufhörlich überschreitet, der Wahrheit«, A 59, B 83, Hervorhebungen R. E ., präsentiert würden, geht es mit dem Schematismus um so viele verschiedene Kennzeichen der Wahrheit wie es Kategorien gibt, die in wahrheitsfähigen Urteilen gebraucht werden können. Das kriterielle Format und die kriterielle Funktion der Schemata bleibt in Kants Text durch die traditionelle Redeweise von Kennzeichen, Subsumtion und Anwendung verschleiert. Diese Verschleierung durchschaut auch Josef König, Josef König, Bemerkungen über den Begriff der Ursache (19491), in: Patzig, Günther (Hg.), ders., Vorträge und Aufsätze, Freiburg / München 1978, S. 338–367, nicht vollständig. Er meint irrtümlich, »daß die Subsumption von empirischen Anschauungen unter apriorische Begriffe … in demselben Sinne des Worts ›Subsumption‹ eine Subsumption ist wie die unter empirische Begriffe«, S. 365, Hervorhebungen R. E. Doch die Subsumption unter apriorische Begriffe – also jedenfalls unter die in Königs thematischem Kontext einschlägigen Relations-Kategorien – ist insofern in einem anderen Sinne eine Subsumtion, als sie von einem reinen, also nicht-empirischen temporalen Schema-Kriterium geleitet wird. Die Subsumption unter empirische Begriffe wird dagegen, wie das Beispiel der Subsumtion unter den Begriff des Hundes zeigt, vgl. A 141, B 180, von empirischen Schema-Kriterien, beispielsweise u. a. vom empirischen Schema-Kriterium der Vierfüßigkeit geleitet. Gleichwohl ist sie andererseits in beiden Fällen insofern im selben Sinne eine Subsumption als in beiden Fällen ein Einzelnes der Anschauung unter ein Generelles des Verstandes subsumiert wird – im einen Fall ein anschauliches Einzelnes wie ein exemplarischer Hund unter einen empirischen Begriff, im anderen Fall ein anschauliches Einzelnes wie der Sachverhalt, daß die Sonne den Stein erwärmt, unter den nicht-empirischen, kategorialen Begriff der Ursache. Diese kriteriologischen Zusammenhänge verkennt am gründlichsten Eric Watkins, Kant and the Metaphysics of Causality, Cambridge 2005. Er erklärt einen Schritt wie den oben, S. 121 f., exemplarisch erörterten Schritt von einem kausal-kategorial geformten Urteil der von Kant selbst eingeführten Form Weil p, darum (notwendigerweise) q zu dem temporalkriterien-geleiteten Urteil q ist jederzeit der Fall, nachdem p der Fall ist für einen »illicit slide in both the application and the sense of necessity«, S. 205. Doch der kriterielle, also gerade der applikativ relevante sense of necessity ist die Omnitemporalität – was notwendigerweise der Fall ist, ist stets der Fall, wenn die dafür hinreichende Bedingung erfüllt ist. Watkins Unverständnis für diese kriteriologischen Zusammenhänge wird zu Recht von Mario Caimi, Der Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, in: Kants Theorie der Erfahrung, R. Enskat (Hg.), S. 201–237, kritisiert, vgl. S. 21827. Auch Wolfgang Detel, Zur Funktion des Schematismuskapitels in in Kants Kritik der reinen Vernunft, in: Kant-Studien 69 (1978), S. 17–45, übersieht – ganz unbeschadet aller hermeneutischen Subtilität – den radikalen Unterschied zwischen der leitenden legitimatorischen Frage der Transzendentalen Deduktion Kann und gegebenenfalls wie kann der Gebrauch von Kategorien in (Erkenntnis-)Urteilen über Gegenstände gerechtfertigt werden? und der leitenden kriteriologischen Frage des Schematismus-Kapitels Wie können der (transzendental schon gerechtfertigte) Gebrauch der Kategorien so auf sinnlich anschauliche Gegenstände von Urteilen angewandt werden, daß solche Urteile (objektiv) gültig bzw. wahr ausfallen?.

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und sich in Wahn und Blendwerke verirrt«.413 Unter den möglichen philosophi­ schen Grundhaltungen ist es daher vor allem »der Skeptiker«, den Kant ›critisch‹ ins Auge faßt, weil dieser »am meisten wünscht«, daß »[…] alle unsere Einsicht, durch vermeinte objektive Gültigkeit unserer Urteile, nichts als lauter Schein [ist]«.414 Doch gerade deswegen hat es sich der »sogenannte (eigentlich kritische)  Idealismus«415 zur Aufgabe gemacht, »Kriterien der Wahrheit«416 ›in allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen‹ darzulegen, damit es stets zuverlässig möglich ist, »in ihr [der Erfahrung, R. E.] Wahrheit von Schein zu unterscheiden«.417 Da Kant diese Aufgabe so schon in der ersten Auflage und damit noch vor dem urteils-analytischen Fortschritt der Prolegomena formuliert, ist sie auch ausschließlich auf die ursprüngliche Aufgabe des Schematismus-Abschnitts zugeschnitten, die Kriterien auf Begriffe zu bringen, die zur Antwort auf die Frage verhelfen, wie synthetische Urteile apriori möglich sind. Indessen macht es dieser urteils-analytische Fortschritt möglich und nötig, nicht nur »die Urteile, die der Verstand unter dieser kritischen Vorsicht [der Schema-Kriterien, R. E.] wirklich a priori zustande bringt, in systematischer Verbindung darzustellen«.418 Es ist unter seiner Voraussetzung vielmehr darüber hinaus möglich und nötig, mit transzendental-logischen Mitteln zu zeigen, wie es möglich ist, in Erfahrungsurteilen trotz ihrer wahrnehmungsabhängigen, kontingenten Genese gleichwohl von Begriffen apriori, den Kategorien bzw. kategorialen Urteilsformen einen aposteriori-Gebrauch zu machen ›wenn die jeweils urteilenden Subjekte dies unter der ›kritischen Vorsicht‹ tun, die jeweils nötigen Schema-Kriterien angemessen zu berücksichtigen. Durch den urteils-analytischen Fortschritt der Prolegomena hat sich Kant zwar nicht, wie Vleeschauwer mit verständlicher, aber dennoch übertriebener Zuspitzung formuliert, in den ›vollständigen Besitz des neuen Prinzips der Transzendentalen Deduktion‹ gebracht.419 Dennoch hat Vleeschauwer als erster und wie kein anderer die prinzipielle Tragweite erfaßt, die dieser Fortschritt für Kants Transzendentale Logik mit sich bringt. Denn durch ihn wird die spezielle, transzendentale Logik der Wahrheit der transzendentalen Sätze über »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt« sowie über »die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung«420 hinaus erweitert  – und zwar zugunsten einer nach wie vor transzendentalen 413 A 238, B 297, Hervorhebung R. E. 414 B 168. 415 IV, 375. 416 Ebd. 417 Ebd., Hervorhebung R. E. 418 A 148, B 187. 419 »possession complète du nouveau principe de la déduction«, Vleeschauwer, La déduction III, S. 17, Hervorhebung R. E. 420 A 158, B 197.

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Logik der Wahrheit auch von nicht-transzendentalen, empirischen Erfahrungsurteilen über wirkliche Anteile an der möglichen Erfahrung sowie über wirk­ liche Gegenstände dieser möglichen Erfahrung. Denn gleichwohl bleibt es eine transzendentale Einsicht, daß in solchen Erfahrungsurteilen ›metaphysisch de­ duzierte‹ Kategorien empirisch gebraucht werden. Daher kann die kategoriale Form solcher Urteile, wie das paradigmatische Beispiel der kausal-thematischen Urteile besonders deutlich zeigen kann, auf die reine kategoriale Urteilsform Weil ---, darum muß … zurückgeführt werden, die ihrerseits durch eine nichtempirische, ›metaphysische Deduktion‹421 aus der syntaktisch isomorphen, ebenfalls anti-symmetrischen logischen wenn ---, dann …-Urteilsform gewonnen werden kann. Unter diesen Voraussetzungen zeigt sich, wie und mit welcher sachlichen Tragweite die methodologische Verspannung nicht nur aufgelöst werden kann, die durch das pure Faktum der Einführung der empirischen Erfahrungsurteile in die Transzendentale Deduktion erzeugt wird. Diese Verspannung bildet lediglich den Ausgangspunkt zu ihrer Auflösung mit Hilfe von Mitteln, wie sie bisher schon auf einem ersten Nebenweg so weit wie möglich dem von Kant erarbeiteten Fundus solcher Mittel sollten entnommen werden können (vgl. oben S. 106–112). Indessen war die mit den Prolegomena gewonnene Einsicht in die Möglichkeit, durch den empirischen Gebrauch von Kategorien in Erfahrungsurteilen unablässig neue Anteile an dem ›absoluten Ganzen‹ dieser möglichen Erfahrung zu gewinnen, für Kant offensichtlich so wichtig, daß er diese Einsicht innerhalb der transzendentalen Rechtfertigung des Gebrauchs dieser Kategorien auch um den Preis fruchtbar gemacht hat, ihr diese methodologische Verspannung einzuhandeln. Wie schon die Überlegungen des ersten bisherigen Nebenwegs zeigen können, ist dieser Preis nicht zu hoch, weil er sich aus dem Stammkapital der von Kant selbst erarbeiteten Mittel entrichten läßt.422 421 Zu Kants hier einschlägigem methodologischem Kriterium für eine Synonymie von meta­ physisch und nicht-empirisch vgl. A 841, B 869 sowie Erster Teil, S. 62174, 13195. 422 Carl, Der schweigende Kant, gibt im Fazit seiner Rekonstruktion von Kants WerkstattArbeit an der Deduktion zu verstehen, daß Kant von Beginn dieser Arbeit an zum einen von der »Frage nach der Erklärung des Möglichkeit des realen Verstandesgebrauchs«, S. 179, in Atem gehalten worden ist; vgl. hierzu im einzelnen S. 17–28. Ihre Bearbeitung hat ihn andererseits dahin geführt, daß sich, gemessen am status quaestionis der Dissertation, gerade »sein Begriff der empirischen Erkenntnis […] geändert hat«, ebd., Hervorhebung R. E. Doch es ist die Änderung gerade dieses Begriffs, die erst mit dem urteils-analytischen Fortschritt der Prolegomena und mit der Einsicht in den empirischen Gebrauch der Kategorien durch Erfahrungsurteile endgültig an ihr Ende gelangt: Die Erfahrungsurteile bilden das genuine Medium der empirischen Erkenntnis. Denn sie sind es, in denen sich – abgesehen von den reinen synthetischen Urteilen apriori – endgültig zeigt, »wie es zugehe, daß demjenigen, was blos ein Produkt unseres isolierenden Gemüths ist [den ›intellektuellen Vorstellungen‹, R. E.], Gegenstände correspondieren«, R 4473, also, wie Carl angesichts des status quaestionis von 1772 vorsichtigerweise negativ formuliert, »daß gewisse Begriffe nicht leer sind«, S. 27.

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Die Klärung der für die Möglichkeit der Erfahrung zentralen drei reinen relations-kategorialen Urteilsformen (vgl. oben 14.3. Ab.) zielt selbstverständlich nicht darauf, die von Kant apostrophierte objektive Gültigkeit der Kategorien auf eine objektive Gültigkeit eben dieser Urteilsformen selbst zurückzuführen. Eine solche Urteilsform ist als Form eines Urteils selbstverständlich nicht schon selbst ein Urteil, dessen Form sie charakterisiert. Deswegen können die kategorialen Urteilsformen als Formen von Urteilen auch nicht selbst wahr oder falsch bzw. objektiv gültig oder ungültig sein. In dieser Hinsicht stimmen sie daher auch mit den Kategorien überein, denen Kant eigentlich nur im Stil eines konventionellen Sprachgebrauchs objektive Gültigkeit zuschreibt. Die in begrifflicher, also auch in sachlicher Hinsicht unverfänglichste Charakterisierung der Form der Beziehung der Kategorien zur Wahrheit bzw. objektiven Gültigkeit bietet Kant, wenn er sie »wegen der objektiven Gültigkeit und Schranken ihres Gebrauchs«423 – nämlich ihres Gebrauchs in Urteilen – ins Auge faßt. Daher steht die objektive Gültigkeit, die Kant ihnen im formellen Stil zuschreibt, in seinen eigenen Augen sogar in dem denkbar engsten und strengsten Zusammenhang mit der Wahrheit von propositionalen Gebilden – denn »objektive Gültigkeit, d. i. Wahrheit«.424 Zwar zeigt der Zusammenhang dieser bedeutungsanalytischen d. i.-Erläuterung, daß es Kant hier unmittelbar darum geht, im Rückblick zu erläutern, daß und inwiefern »[…] ein jeder transzendentaler Satz«425 objektive Gültigkeit im Sinne von Wahrheit zur Eigenschaft hat. Nicht-transzendentale Sätze unterscheiden sich daher von transzendentalen Sätzen lediglich dadurch, daß sie nicht schon als Sätze objektiv gültig bzw. wahr sind, sondern nur entweder wahr oder falsch bzw. jedenfalls und mindestens wahrheits- und falschheits-fähig. Auf den beiden bis hier eingeschlagenen Nebenwegen zeigt sich, daß und warum die Transzendentale Deduktion mit ihren Rückgriffen auf die urteilsanalytischen Einsichten der Prolegomena in die kategorialen Formen der empirischen Erfahrungsurteile auf den Nachweis angewiesen ist, daß diese Nebenwege gangbar sein müssen, wenn auf ihren transzendentalen Charakter nicht ein empirischer bzw. empiristischer Schatten fallen soll. Indessen hat sich auf diesen Nebenwegen in concreto gezeigt, daß es sich bei den ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorien gar nicht um Begriffe im engen und strengen Sinne handelt, sondern um einen besonderen, kategorialen Typ von Urteilsformen bzw. -funktionen. Erst auf dem entsprechenden Nebenweg zeigt sich daher auch der urteilsfunktionale Kern, den die Kategorien durch ihre behauptete ›metaphysische Deduktion‹ aus den entsprechenden Urteilsfunktionen tatsächlich gewinnen. Die Striktheit dieses Zusammenhangs springt wegen der auch für Kant unvermeidlichen ›Zerstreuung der Erkenntnis‹ (Henrich) nur in einer paradigmatischen, buchtech423 A 88, B 120, Hervorhebung R. E. 424 A 788, B 816, Hervorhebung R. E. 425 A 787, B 815, Hervorhebung R. E.

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nisch nahezu erratischen Charakterisierung durch Kant selbst in die Augen – durch seine gelegentliche Verwendung der kausal-kategorialen weil ---, darum muß …-Syntax in der konvertierten darum, weil ---, muß …-Form (vgl. B 288). Erst diese Charakterisierung stellt die durch die ›metaphysische Deduktion‹ intendierte formale Übereinstimmung der Kategorien mit den Urteilsfunktionen durch die paradigmatische syntaktische Isomorphie der anti-symmetrischen kausal-kategorialen Urteilsform mit der ebenfalls anti-symmetrischen logischen, hypothetischen wenn ---, dann …-Urteilsform ›vor Augen‹, macht sie also evident. Wenn der Schematismus die Kriterien dafür anzeigt, daß und wie eine Erscheinung in zutreffender Form unter eine Kategorie subsumiert werden kann, dann dient die buchtechnische Behandlung dieses Subsumtionsproblems in der Ersten Kritik jedoch in erster Linie der Vorbereitung auf das »Geschäft: die Urteile, die der Verstand … wirklich  a priori zustande bringt, in systematischer Verbindung darzustellen«.426 Doch eben dieses Geschäft wird vom urteils-analytischen Fortschritt der Prolegomena durchkreuzt. Denn wie die Fußnote IV, 305*, zu verstehen gibt, macht die Einsicht in den funktionalen Zusammenhang und in die strukturellen Unterschiede zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen es nötig und mög426 A 148, B 187, Hervorhebung R. E. Zu Recht faßt Prauss, Wahrheitsproblem, das Kriterienproblem der Wahrheit als ein theoretisches Kernproblem der Wahrheit in Kants Theorie auf, vgl. bes. S. 81–82. Dieser Auffassung schließt sich zumindest in programmatischer Form auch Zöller, Gegenstandsbeziehung, mit einer ins einzelne gehenden Erörterung an, vgl. S. 92–96. Die von Kant ›geschenkte‹, aber eben auch ›vorausgesetzte‹ Übereinstimmungs-Konzeption des Begriffs der Wahrheit wird von ihm abschließend jedoch in nicht nachvollziehbarer Weise ausgeblendet, indem er nur noch »die kriteriologisch gefaßte Wahrheitsfrage«, S. 77–78, Hervorhebung R. E., ins Auge faßt. Gleichzeitig hält er es jedoch für »textphilologisch schwer zu rechtfertigen«, S. 94, die so gefaßte Wahrheitsfrage wie Prauss in einen Brennpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Zu der Frage, wie dieses Zwielicht in ›philologisch gerechtfertigter‹ Weise aufgelöst werden kann und warum Kant mit seiner Wahrheitskriterien-Konzeption die von ihm selbst durchsichtig gemachten Fallstricke des ›Verlangens nach dem Einen allgemeinen und hinreichenden Kennzeichen der Wahrheit‹ von Urteilen konstruktiv vermeidet, vgl. unten S. 128, Anm. 433, sowie vor allem 17. Ab. Doch sowohl die Definitions-Frage mit ihrer ›geschenkten‹, aber auch ›vorausgesetzten‹ übereinstimmungs-theoretischen Antwort wie die KriterienFrage bleiben für Kants Arbeit an der transzendentalen Logik der Wahrheit die beiden auf systematisch durchdachte Antworten wartenden Schlüsselfragen. Vielleicht ist Kants insofern zweigeteilte Wahrheitstheorie bei Zöller in diesem Punkt deswegen in ein entsprechendes Zwielicht geraten, weil weder er noch Prauss sieht, daß Kants Konzeption des Schematismus die Wahrheitskriterien für Urteile – und zwar nur für solche Urteile – auf Begriffe bringt, in denen Kategorien gebraucht werden. Auch Klemme, Aufhebung, übersieht das systematische kriteriologische Format der Schematismus-Konzeption, obwohl er wie viele andere der Subsumtions- und Anwendungs-Terminologie Kants durchaus in angemessener Weise Rechnung trägt; zu diesem ›blinden Fleck‹ in Klemmes im übrigen hermeneutisch sorgfältigem Kommentar vgl. auch oben S. 121, Anm. 406.

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lich, den Schritt von Wahrnehmungen bzw. Wahrnehmungsurteilen zu einem Erfahrungsurteil mit einer Revision des zunächst in ersten Linie ins Auge gefaßten Geschäfts zu verbinden. Hier ist es nicht um das Geschäft zu tun, ›die Urteile, die der Verstand wirklich apriori zustande bringt, in systematischer Verbindung darzustellen‹. Hier verlangt das Geschäft vielmehr immer wieder von neuem, jedes einzelne aus kontingentem(!) Anlaß, also aposteriori gewonnene Erfahrungsurteil der kriteriellen Prüfungsfrage zu unterziehen, ob es ein Wahrheitskandidat ist oder nicht, wenn es z. B. unter die Kategorie von Ursache und Wirkung subsumiert wird. Erwägt jemand ein kausal-thematisches Erfahrungsurteil der kategorialen Form Weil ---, darum muß …, dann orientiert sich die Beurteilung der Wahrheit des erwogenen konkreten empirischen Weil ---, darum muß …-Urteils an einem zweifachen Kriterium: Wegen der in Verbindung mit der hinreichenden weil-Bedingung in Anspruch genommenen Notwendigkeit der darum-…-Komponente427 muß diese jederzeit (Omnitemporalitäts-Kriterium der Notwendigkeit428) der Fall sein, nachdem (Sukzessivitäts-Krierium der Ursache-Wirkungs-Ordnung429) die weil-Bedingung erfüllt ist. Omnitemporalität und Sukzessivität bilden in diesen Formen die Kriterien der Wahrheit jedes einzelnen kausal-thematischen Erfahrungsurteils, das im Ausgang von kontingenten Anlässen geeigneter Wahrnehmungen bzw. Wahrnehmungsurteile gewonnen wird. Doch da diese Wahrnehmungen »[…] ins Unendliche erstreckt [sind]«,430 findet sich jedes Erfahrungsurteil in der besonderen methodischen Situation, daß es »[…] sich auf … durchgängige Bewährung [stützt]«,431 aber eben auch auf eine ›ins Unendliche erstreckte‹ Bewährung. Jedes Erfahrungsurteil ist daher zwar ein »Unerweisliches Urteil«.432 Aber »Unerweisliches Urteil kann doch wahr sein«,433 seine Wahrheitsbedingungen können also durchaus 427 Zum formalen Zusammenhang zwischen einer hinreichender Bedingung und der Notwendigkeit, mit der das durch sie Bedingte – hier: die Wirkung der Ursache – der Fall ist, vgl. Erster Teil, S. 260 f., sowie oben S. 111–112 und unten S. 152 f., 313–314. 428 Vgl. das Schema der Notwendigkeit A 145, B 184 und das jederzeit-Kriterium des KausalSchemas A 144, B 183. 429 Vgl. das worauf … folgt-Kriterium des Kausal-Schemas A 144, B 183. 430 XXI, 95. 431 IV, 327. 432 XXIV, 1.2, 767. Es sind diese Zusammenhänge, die die Einschätzung durch Carl, Kommentar, rechtfertigen, daß Kants Theorie der Wahrheit der (empirischen) Erfahrungsurteile letzten Endes mit einem kohärentistischen und holistischen Wahrheitskriterium verbunden ist, also so, daß die Wahrheit jedes einzelnen Erfahrungsurteils sich nur im Zusammenhang mit buchstäblich allen anderen Erfahrungsurteilen und somit am Maßstab des ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹ bewährt, vgl. IV, 328, sowie oben S. 117, Anm. 394. 433 XXIV, 1.2, 767. Da Zöller, Gegenstandsbeziehung, und Prauss, Wahrheitsproblem, die kriteriellen Schlüsselrollen der Schemata für die Wahrheit empirischer Erfahrungsurteile außer Acht lassen, vgl. oben S. 127, Anm. 426, muß Zöller konsequenterweise, wenn auch eben irrigerweise von einer »Entlastung des Wahrheitsbegriffs der transzendentalen

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erfüllt sein. Die Wahrheit eines unerweislichen Urteils  – also die Erfülltheit seiner Wahrheitsbedingungen  – kann lediglich niemals definitiv ›erwiesen‹ werden. Gleichwohl können sich die Erfahrungsurteile dank »Erfahrenheit langer Zeiten«434 in solchem Maß bewähren, daß die so erfahrenen Subjekte sie berechtigterweise für wahr halten können. Diese Erfahrenheit langer Zeiten bildet den spezifisch geschichtlichen Modus einer empirischen Berechtigung des Gebrauchs von Kategorien in entsprechenden empirischen Erfahrungsurteilen. Mit Blick auf das Wahrheitskriterium, das Kant zunächst als das ›eigentlich interessierende‹ apostrophiert, gibt er sogleich im Irrealis zu bedenken, daß »[…] ein allgemeines Kriterium dasjenige sein [würde], welches von allen Erkenntnissen, ohne Unterschied ihrer Gegenstände, gültig wäre«.435 Mit Blick auf ein solches Kriterium »[…] ist [es] aber klar, daß, da man bei demselben von allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ein Objekt) abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt sei, nach einem Merkmale der Wahrheit dieses Inhalts zu fragen, und daß also ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden könne«.436 Zwar macht Kant mit Hilfe dieser gelungenen reductio ad absurdum plausibel, daß ›das Eine allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis‹ den für ein solches Kriterium allerdings vernichtenden Nachteil hätte, daß es als das Eine allgemeine gerade das nicht leisten könnte, was man von ihm zu verlangen hat. Denn »Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand besteht, so muß dadurch dieser Gegenstand von jedem anderen unterschieden werden«.437 Zu Recht verlangt Kant von einem Wahrheitskriterium daher die Tauglichkeit, im

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Analytik von der Begründung der faktischen Wahrheit empirischer Erkenntnis«, S. 96, sprechen. Ihre Begründung gelingt, wie Kant selbst im Kontext der Kategorialanalyse paradigmatischer empirischer Erfahrungsurteile an der Stelle IV, 305*, ganz unmißverständlich klarstellt, durch den Rekurs auf das für eine bestimmte Kategorie, speziell eine Relationskategorie jeweils angemessene kriterielle Schema. – Die paradigmatische kasuistische Analyse eines kausal-thematischen Erfahrungsurteils in den Prolegomena spielt mit Blick auf die Erörterungen der B-Deduktion eine außerrodentlich bedeutsame Schlüsselrolle. Doch die zunächst vielleicht überproportional häufig scheinenden Verweise des Stellenregisters auf den Text von IV, 305*, sind gerade dieser Bedeutsamkeit angemessen. In sachlicher Hinsicht zeigt sich diese Bedeutsamkeit zuerst in dem Umstand, daß die Transzendentale Deduktion der Kategorien neben ihrem von Kant präsentierten Hauptweg im Licht von IV, 305*, sechs Nebenwege, vgl. hier 14.3–14.8. Ab., eröffnet, auf denen Schlüsselprobleme der Transzendentalen Logik einer Klärung zugänglich gemacht werden können. Zu einer parallelen Kasuistik eines spezifisch substanz-thematischen Erfahrungsurteils kommt es erst im Rahmen der Erörterung des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz, A 185, B 228 f., vgl. hierzu unten S. 279–282. R 5645, S. 287–288. R 4645, S. 287–288. A 58, B 83–A 59, Hervorhebung R. E. A 58, B 83.

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konkreten Einzelfall einer Erkenntnis bzw. eines Erkenntnis-Urteils die Übereinstimmung mit dem (intendierten) Objekt (Sachverhalt) treffend zu beurteilen und dieses Objekt eben dadurch auch von jedem anderen Objekt jeder anderen Erkenntnis bzw. jedes anderen Erkenntnisurteils zu unterscheiden. Gerade die Allgemeinheit des verlangten Einen Kriteriums bildet daher für die charakteristische gegenstands-relative Einzelfalltauglichkeit eines solchen Kriteriums das unüberwindliche Hindernis. In den bisherigen Untersuchungen dieses Buchs hat der Gebrauch der Kategorien durch entsprechend urteilende Subjekte nur mit Blick auf die empirischen Formen dieses Gebrauchs in Erfahrungsurteilen bzw. in der kategorialen Transformation von geeigneten Wahrnehmungsurteilen in geeignete Erfahrungsurteile eine wichtige Rolle gespielt. Angesichts der Aufgabe, die der Transzendentalen Deduktion der Kategorien im ganzen gestellt ist, nötigt der Leitaspekt für die Erörterung der Gebrauchstauglichkeit der Kategorien darüber hinaus noch zu einer grundsätzlich anderen Fragestellung und zu einer damit verbundenen grundsätzlich anderen methodischen Orientierung. Denn nur dann kann »die Absicht der Deduktion allererst völlig erreicht werden«, wenn mit Blick auf die Kategorien gezeigt werden kann, daß »ihre Gültigkeit  a priori in Ansehung aller Gegenstände unserer Sinne erklärt wird«438 – also wenn gezeigt werden kann, daß, warum und inwiefern Kategorien auch rein, also nicht-empirisch gebraucht werden können, nämlich durch synthetische Urteile apriori, wie sie im Rahmen Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes formuliert, bewiesen und erörtert werden. Doch im Gegensatz zu jedem synthetischen Urteil apriori ist jedes Erfahrungsurteil von der Bewährung in den okkasionellen Situationen abhängig, in denen das urteilende Subjekt Wahrnehmungen hat bzw. über Wahrnehmungsurteile verfügt, die es mit Hilfe von Kategorien in geeignete Erfahrungsurteile transformieren kann. Indessen sind die synthetischen Urteile apriori bzw. die apostrophierten Grundsätze, wie Kant es im Anschluß an das Kriterien-Problem der Wahrheit mit Blick auf die von ihm anvisierte transzendentale Logik der Wahrheit ausführt, nichts anderes als »die Prinzipien, ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann«, weil ihnen »[…] keine Erkenntnis widersprechen [kann], ohne daß sie zugleich allen Inhalt verlöre, d. i. alle Beziehung auf irgendein Objekt, mithin alle Wahrheit«.439 Nur allzu offensichtlich formuliert Kant damit im Rahmen seiner am weitesten gespannten Kriterien-Konzeption der Wahrheit ein holistisches negatives Wahrheitskriterium  – also ein Kriterium für den Fall, in dem es überhaupt kein objektiver Wahrheit fähiges empirisches Urteil geben könnte: Die von ihm konzipierten Erfahrungsurteile, die das genuine Medium für einen wahrheitsfähigen empirischen Gebrauch der Kategorien bilden, könnten im Fall eines 438 B 145, Hervorhebung R. E. 439 A 62, B 87–A 68, Hervorhebungen R. E.

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solches Widerspruchs – also im Fall, daß die Negationen dieser synthetischen Urteile apriori bzw. Grundsätze wahr wären – nicht nur überall nicht wahr sein; es könnte, genau genommen, gar kein Erfahrungsurteil geben, bzw. gewonnen werden. Denn wenn sie unter diesen Voraussetzungen allen ›Inhalt‹ verlieren, dann verlieren sie auch denjenigen Teil ihres Inhalts, der ihnen andernfalls durch den legitimen Gebrauch der Kategorien verliehen würde und sie überhaupt erst zu Erfahrungsurteilen stempeln würde. Ganz zu Recht läßt Kant seine Leser im unmittelbaren Rückblick auf seine eigenen Arbeitserfahrungen mit der Transzendentalen Deduktion während seines ›stummen Jahrzehnts‹ nicht im Unklaren darüber, daß die »Untersuchungen, die zur Ergründung des Vermögens, welches wir Verstand nennen, und zugleich zur Bestimmung der Regeln und Grenzen seines Gebrauchs, … welche ich … unter dem Titel der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, angestellt habe, […] mir die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Mühe gekostet [haben]«.440 440 A XVI; Strawson, Sense, der bei genauerem Hinsehen kaum ein gutes Haar an Kants Deduktion läßt, findet immerhin, diese Untersuchung sei »one of the most impressing and exciting, in the whole of philosophy«, S. 25. Obwohl bzw. gerade weil sie für ihn gleichzeitig »the most abstruse passages of argument«, ebd., enthält, bleibt er unter den klassischen Analytischen Philosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zumindest in anregender Weise »the sympathetic critic«, S. 85, ihres Unternehmens. Der Umstand, daß Kant selbst gerade in den beiden Deduktions-Versionen mehrfach signalisiert, daß er Einschätzungen von Abstrusität bei seinen Lesern einkalkuliert – »wohl sehr wider­ sinnig und befremdlich«, A 114, vgl. auch A 127, »übertrieben«, A 127, »das Paradoxe«, B 152 –, hat Strawson allerdings nicht veranlaßt, seine ungünstige Einschätzung noch einmal zu überprüfen, um denjenigen seiner Auffassungen auf die Spur zu kommen, die ihm den Blick auf Kants hellsichtige antizipatorische hermeneutische Skepsis verstellen und seinen irregeführten Eindruck von Abstrusität begünstigt haben. – Das rüde Urteil von Jonathan Bennett, Kant’s Analytic, Cambridge 1966, daß die Transzendentale Deduktion »a botch«, S. 100, sei, ist nicht mehr als ein Armutszeugnis für den Autor. Es gewinnt auch nicht dadurch an Seriösität, daß er sie, »Since it contains some good things«, nicht für »a negligible botch«, S. 100, hält. Kants Deduktion enthält auf jeder Seite mehr good things als beide Bücher Bennetts zur Ersten Kritik zusammen. Doch das kommt dabei heraus, wenn sich ein auf was auch immer eingeschworener orthodoxer, also rechtgläubiger sogenannter ›Analytiker‹ an der Interpretation und Beurteilung von etwas versucht, was fast in jeder Hinsicht mit seinen orthodoxen methodologischen Glaubenssätzen inkommensurabel ist. An den Interpretationen und Beurteilungen von Kants Deduktion durch Bennett läßt Carl, Kommentar, denn auch zu Recht fast kein ›gutes Haar‹, vgl. bes. S. 17, 40, 70 f., 99, 100 f., 128, 151. Daß Kant – neben Platon und Aristoteles  – der bis heute bedeutendste philosophische Analytiker der überlieferten Philosophiegeschichte ist, bleibt dieser Spielart Analytischer Philosophie verschlossen. Mit einem gespielten pseudosportlichen Respekt für solche rüden hermeneutischen Attitüden und ihre unvermeidlichen Insuffizienzen fördert man lediglich – und zwar vor allem bei den jungen Adepten der Philosophie – Haltungen, durch die die philosophische Arbeit zu einer Art von Kampfsport um ›das‹ sogenannte ›beste Argument‹ degeneriert, als der sie in vorklassischen Zeiten der Philosophie von entsprechend degenerierten Spielarten der Sophistik praktiziert worden sein mag. Damit ist weder das geringste gegen den

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Bemerkenswert an diesem Rückblick ist über seinen Inhalt hinaus der Umstand, daß Kant ihn schon in der Vorrede zur ersten Auflage formuliert. Die Arbeitserfahrungen mit den Mühen, die ihn die gänzliche Umarbeitung der Deduktion bis zur zweiten Auflage gekostet hat, berücksichtigt er daher zunächst noch gar nicht im einzelnen. Doch der durch die Prolegomena und die B-Deduktion erreichte status quaestionis wirft auch ein schärferes Licht auf die spezifischen Träger der Übereinstimmungs-Relation, die das Zentrum der von Kant der Sache nach nicht nur ›geschenkten‹, sondern auch ›vorausgesetzten‹ Nominal-Definition des Wahrheitsbegriffs bilden. Zu Recht rücken durch diesen jüngsten status quaestionis die Anteile in einen Brennpunkt der Aufmersamkeit, den die Relations-Kategorien durch ihre relationalen Substanz-Akzidens- bzw. UrsacheWirkungs-­Komponenten an dieser Übereinstimmungs-Relation haben. Denn da eine Übereinstimmung schon ihrem Begriff nach eine Übereinstimmung von mindestens zwei Relationen ist, muß auch eine als Übereinstimmung konzipierte Form der Wahrheit mindestens zwei Relationen zu ihren Trägern haben. Darüber hinaus liegt es angesichts von Kants immer wieder von neuem wichtiger Reflexion 4638 »Alle Erkenntnis besteht in Urtheilen« auf der Hand, daß diese Übereinstimmung stets auch die Übereinstimmung eines Urteils, genauer: eines ›Erkenntnisurteils‹ mit seinem Gegenstand bildet. Daher wird der eine Träger dieser als Übereinstimmung konzipierten Form der Wahrheit durch die Urteile, in denen diese Relations-Kategorien gebraucht werden, nicht nur als Urteil-überhaupt festgelegt. Der so gebrauchte Verstandesbegriff ist darüber hinaus sogar ein »Begriff, der die Form des Urteilens uberhaupt bestimmt«.441 Diese Auffassung Kants von der die Form des Urteils prägenden Funktion des im Urteil gebrauchten Verstandesbegriffs zeigt sich in den im 14.3. Abschnitt in Erinnerung gerufenen Musterbeispielen, die Kant selbst für die beiden wich»›agonalen‹ Charakter der Griechen«, Olof Gigon, Sokrates. Sein Bild in Dichtung und Geschichte (19471), Bern, 2., ergänzte Auflage 1979, S. 68, gesagt noch zugunsten eines »vornehme[n] Ton[s] in der Philosophie«, VIII, S. 387–406. Doch die unübersehbaren Mühseligkeiten, mit denen z. B. Stephen Körner, On Bennett’s ›Analytical Transcendental Arguments‹, in: Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht / Boston / London, 1979, S. 65–69, und Günther Patzig, Comment on Bennett, in: dass., S. 71–75, bemüht sind, dem Artikel von Jonathan Bennett, Analytic Transcendental Arguments, in: dass., S. 45–64, einen pflichtschuldigen kollegialen Respekt zu erweisen, bilden lediglich wortreiche moderne Varianten des Urteils, das Platon seinem Sokrates im Euthydem über die Einlassungen seiner beiden sophistischen Gesprächspartner abschließend in den Mund legt – daß sie nämlich »mehr Schein als Gedeihn«, 305e 5–6 [Schleiermachers poetische Übersetzung], enthalten. Wie eine ›gedeihliche‹ Behandlung von Kants Erster Kritik durch einen formal trainierten – und in Cambridge ausgebildeten – Philosophen ausfallen kann, wenn er gleichzeitig auch ein sympathetic critic (Strawson) ist, zeigt in musterhafter Weise Körner, Kant. 441 IV, 300, Hervorhebung R. E.; vgl. auch A 245.

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tigsten kategorialen Urteilsformen geprägt hat: Sie können die Formen von entsprechenden Erfahrungsurteilen nur deswegen bestimmen, weil sie deren Formen gleichsam in abstrakter Reinkultur schon selbst haben, so daß sie diesen Urteilen durch ihren – und nur durch ihren – richtigen Gebrauch eingeprägt werden. Die ganze Tragweite des Übereinstimmungs-Gedankens442 und des mit ihm verbundenen Kriterien-Problems wird daher am deutlichsten, wenn man beachtet, daß er gleichsam wie eine Klammer die ganze Transzendentale Analytik und implizit auch die Transzendentale Ästhetik umgreift – von der traditionellen »Namenerklärung der Wahrheit«443 bis zur Charakterisierung der Funktion der synthetischen Urteile apriori, also der Grundsätze als »Quell aller Wahrheit, d. i. der Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten«.444  Der Erfolg von Kants Behandlung des Kriterien-Problems der Wahrheit hängt daher vor allem davon ab, daß seine Theorie die Mittel für eine befriedigende Klärung aller spezifisch verschiedenen Relationen bereitstellt, die an der als Übereinstimmung konzipierten Wahrheit von Erfahrungsurteilen beteiligt sind.

14.5. Wie die Form der zeitlichen Anschauung apriori die Übereinstimmungs- bzw. Korrespondenz-Struktur der Wahrheit von Erfahrungsurteilen vollständig durchsichtig macht: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion III Hat man das von Kant in der Einleitung in die Transzendentale Logik so prominent behandelte Kriterienproblem der Wahrheit mit Blick auf den status quaestionis neu justiert, der durch die urteils-analytischen Fortschritte der Prolegomena erreicht ist, dann kann man in der dadurch gewonnenen metho­ dischen Einstellung auch wieder zur Erörterung der Wahrheitskonzeption zurückkehren, von der dieses Kriterienproblem bei Kant auf den Plan gerufen wird. Indessen bleibt diese Rückkehr trotz dieser Neujustierung eine Aufgabe, deren Schwierigkeitsgrad nach wie vor vor allem vom Schwierigkeitsgrad der Transzendentalen Deduktion und dem der Interpretation ihres Textes vor allem in der B-Fassung abhängt. Zwar lenkt Kant die Aufmerksamkeit von der an sich wohlfeilen Nominaldefinition des Wahrheitsbegriffs sogleich auf die mit ihrer Übereinstimmungs-Bedingung verbundene und sachlich vor allem interessierende Frage der Wahrheitstheorie, »welches das allgemeine und sichere

442 Vgl. auch A 104–105. 443 A 58, B 82; vgl. auch A 58, B 83–A 60, B 84. 444 A 237, B 296, Hervorhebung R. E.

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Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis sei«445 – also auf das methodische Mittel, mit dessen Hilfe der Gegenstand einer Erkenntnis »von anderen unterschieden werden«446 können muß. Doch dieses Interesse an einem allgemeinen Kriterium der Übereinstimmung einer Erkenntnis bzw. eines Erkenntnisurteils mit ihrem bzw. seinem Gegenstand führt Kant sogleich mit schlagenden Argumenten ad contradictionem bzw. ad absurdum (vgl. oben 14.4. Ab., S. 129–130). Die Einlösung der zwar ›geschenkten‹, aber für die weitere ebenso konstruktive wie ›critische‹ Arbeit auch ›vorausgesetzten‹ Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit bildet nicht nur ganz allgemein eine Aufgabe der Transzendentalen Logik und damit der Logik der Wahrheit. Diese Aufgabe reicht auch über die Trans­ zendentale Analytik hinaus bis in die Transzendentale Dialektik. Die Analytik soll zwar in Gestalt der Formulierungen, Beweise und Erörterungen Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes zum vollständigen Einblick in den »Quell aller Wahrheit, d. i. der Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten«447 führen. Doch diese Dialektik setzt auch erklärtermaßen voraus, daß es in dieser Analytik gelungen ist, das ganze »Land der Wahrheit (ein reizender Name) […] nicht allein [zu] durchreis[en], und jeden Teil davon sorgfältig in Augenschein [zu nehmen], und jedem Dinge auf demselben seine Stelle [zu] bestimm[en]«.«448 Mit dem Vorsatz, dieses Land der Wahrheit zu »verlassen«449, beginnt für die Transzendentale Logik darüber hinaus eine Grenzerörterung. Sie macht es nötig, »zuvor noch einen Blick auf die Karte des Landes zu werfen«,450 innerhalb von dessen Grenzen »allein dem reinen Verstand sein Spiel erlaubt ist«.451 Denn jenseits dieser Grenzen gerät man in eine ganz neue Region, die »überall keine Demarkation erkennt«.452 Sie ist identisch mit »dem eigentlichen Sitz des Scheines«.453 Doch diesen Schein kann man nur dann durchschauen, wenn man aus der Transzendentalen Analytik »einen Probierstein der Richtigkeit«454 bzw. der Wahrheit schon mitbringt. Die Arbeit der Transzendentalen Logik an der Augabe zu zeigen, wodurch der von ihr ins Auge gefaßte Probierstein überhaupt tauglich ist, seine kriterielle Funktion zu erfüllen, beginnt daher auch schon mit ihrem frühest möglichen Schritt. Sie beginnt sogar erklärtermaßen in aller Form und methodischen Strenge mit dem »obigen Satze«, mit dem »[…] also der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe gemacht [ist]«.455 Dieser 445 A 58, B 82, Hervorhebung R. E. 446 A 58, B 83. 447 A 237, B 296. 448 A 235, B 294. 449 A 236, B 295. 450 Ebd. 451 A 296, B 352. 452 Ebd. 453 A 236, B 295. 454 A 295, B 352. 455 B 144, Kants Hervorhebung.

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Satz bildet den Auftakt zur systematischen transzendental-logischen Berücksichtigung der einzigen und gleichzeitig »alle[r] uns mögliche[n] Anschauung«.456 Denn durch sie werden »die Grenzen des Gebrauchs der reinen Verstandesbegriffe in Ansehung der Gegenstände … als die Grenzen des Gebrauchs der reinen Form unserer sinnlichen Anschauung bestimmt[…]«.457 Es sind diese Grenzen, jenseits von denen die Transzendentale Logik auf den von der Transzendentalen Analytik, der Logik der Wahrheit analysierten Probierstein der Wahrheit bzw. der Richtigkeit des Gebrauchs der reinen Verstandesbegriffe angewiesen ist, wenn sie die Strukturen des »transzendentalen Schein[s]«458 in Abgrenzung gegen die Strukturen der Wahrheit abzugrenzen sucht. Die Gründe für die außerordentlichen sachlichen und methodischen Schwierigkeiten, die die Transzendentale Deduktion Kant selbst und dann auch allen an Kants Sach- und Methodenfragen interessierten Lesern bereitet, reichen daher weit über sie selbst und ihren Text hinaus. Sie hängen ebenso von dem extremen systematischen Spannungsbogen ab, der in seiner Mitte von dieser Deduktion getragen wird. Dieser Spannungsbogen beginnt nun einmal damit, daß eine ­Logik der Wahrheit am Übereinstimmungs-, Entsprechungs- bzw. Korrespondenzgedanken orientiert wird, und endet damit, daß Formulierungen, Beweise und Erörterungen von synthetischen Urteilen apriori präsentiert werden, die durch ihre Beweise, Formulierungen und Erörterungen zwei Garantien einsichtig machen sollen. Die eine Garantie hängt von zwei Bedinungen ab – zum einen davon, daß die Einsicht gelingt, daß und inwiefern Erfahrung dann und nur dann möglich ist, wenn »Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Objekt Wahrheit ist«;459 zum anderen davon, daß auf dem Weg zu dieser Einsicht »nur nach den formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit gefragt werden kann«.460 Die andere Garantie hängt davon ab, daß die Einsicht gelingt, daß diese Form von Wahrheit und dieser Typus von Erfahrung immer wieder von neuem durch immer wieder neue paradigmatische empirische Erfahrungsurteile umrissen wird, wie wir sie im nicht-wissenschaftlichen ebenso wie im wissenschaftlichen Alltagsleben gewinnen können. In der Mitte dieses Spannungsbogens analysiert die Transzendentale Deduk­ tion die Beziehung zwischen den Kategorien bzw. den kategorialen Urteilsformen, deren Gegenständen und deren urteilsfunktional ›bestimmten‹ Anschauungen. Wenn man sich mit Hilfe des wahrheitstheoretischen Gedankens der Übereinstimmung, der Entsprechung bzw. der Korrespondenz an dieser Beziehung orientiert, dann zeigt sich, wie der Gedanke dieser Beziehung unmittelbar mit Blick auf die Aufgabe wichtig ist, zu deren Auflösung diese Deduktion 456 B 146. 457 B 148. 458 A 295, B 352, Kants Hervorhebung. 459 A 191, B 236; vgl. auch A 57, B 82–A 60, B 84; A 104, 105; B 146. 460 Ebd., Hervorhebungen R. E.; vgl. auch A 294, B 350: »das Formale der Wahrheit«.

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ausgearbeitet wird  – »zur Auflösung der allgemeinen Aufgabe der Transzendentalphilosophie: wie sind synthetische Sätze a priori möglich?«.461 Wie Kant im buchtechnischen Vorblick auf die Deduktion, aber im werstattgeschichtlichen Rückblick auf ihre Erarbeitung betont, kann die Antwort auf diese Frage deswegen nur mit Hilfe solcher Sätze bzw. Urteile gegeben werden, weil man nur mit ihrer Hilfe »im Urteile a priori über den gegebenen Begriff hinausgehen«462 kann, nämlich über den jeweils gegebenen bzw. im Urteil gebrauchten katego­ rialen Begriff des Gegenstandes. Denn nur durch dieses Hinausgehen kann man »dasjenige antreffen, was nicht im Begriffe, wohl aber in der Anschauung, die ihm entspricht, a priori entdeckt werden kann«.463 Die damit angesprochene Entsprechung zwischen urteilsfunktionaler Kategorie, urteilsfunktional bestimmter Anschauung und dem in ihr Entdeckbaren bildet den springenden Punkt für die durch die Deduktion vorzubereitende ›Auflösung der allgemeinen Aufgabe der Transzendentalphilosophie‹. Die für diese Entsprechung bzw. Übereinstimmung charakteristische Bedingung formuliert Kant daher punktgenau im § 14, wenn er den Übergang zur transzendentalen Deduktion der Kategorien »zweitens« davon abhängen sieht, daß der »Begriff,464 dadurch ein Gegenstand gedacht wird«, mit Blick auf die »Anschauung,465 dadurch derselbe … gegeben wird, … dieser Anschauung entspricht«466 bzw. mit ihr übereinstimmt. Denn in der Deduktion wird das Leitthema von der genauen Analyse der Bedingungen gebildet, die notwendig und hinreichend für den Nachweis sind, daß und wie man über die reinen kategorialen Begriffe bzw. reinen kategorialen Urteilsformen unter Rekurs vor allem auf die zeitliche Form der reinen Anschauung apriori hinausgehen und die in ihr entdeckbaren bzw. durch sie gegebenen und ihr entsprechenden bzw. mit ihr übereinstimmenden Gegenstände charakterisieren kann.467 Das Ziel 461 B 73. 462 Ebd. 463 Ebd., Hervorhebung R. E. 464 Kants Hervorhebung. 465 Kants Hervorhebung. 466 A 92, B 126–A 93, Hervorhebung R. E. 467 Angesichts von Kants charakteristischer Redeweise vom Hinausgehen über eine Kategorie mit Hilfe der reinen zeitlichen bzw. räumlichen Anschauung apriori legt sich die Vermutung nahe, daß er den Terminus transzendental im Anschluß an die wörtliche Bedeutung des lateinischen Worts transcendens gezielt geprägt hat, um diese ›critische‹ Form des Hinausgehens über einen Begriff gegen die un-›critische‹ Form abzugrenzen, die in den §§ 22–23 durch die Erörterung der »Grenzen des Gebrauchs der reinen Verstandesbegriffe«, B 148, zum ersten Mal eingehend zur Sprache gebracht wird und als »transzendentale[r] … Mißbrauch«, A 296, B 352, Kants Hervorhebung, abgewiesen wird. Am deutlichsten hebt Kant selbst den leitenden Aspekt für diese Unterscheidung hervor, indem er betont: »Daher sind transzendental und transzendent nicht einerlei«, und als transzendent alle Ansprüche und Gebrauchsformen von Begriffen auffaßt, die »über die Erfahrungsgrenzen hinausreichen…«, A 296, B 353. Unter diesem Aspekt ist der Gebrauch der Worte transzendental und critisch geradezu synonym.

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dieser Analyse bildet der Nachweis, daß die Kategorien  – in Kants formeller Redeweise – ›objektiv gültig‹ sind. Doch gerade mit Kants formeller Rede von der objektiven Gültigkeit der Kategorien hat es eine Bewandtnis, die auch innerhalb der Transzendentalen Deduktion noch nicht ausreichend erfaßt wäre, wenn man sie darin erschöpft sein ließe, daß Kant ›eigentlich‹ die objektive Gültigkeit bzw. Wahrheit der Urteile im Auge hat, in denen Kategorien gebraucht werden bzw. die durch spezifisch kategoriale Urteilsformen geprägt sind. Diese ›eigentliche‹, urteilsspezifische Bedeutung von Kants Rede von der objektiven Gültigkeit der Kategorien – und empirischer Begriffe – bleibt zwar für das Verständnis und die sachliche Beurteilung von Kants Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit auf Schritt und Tritt leitend. Doch sie enthält eine Komponente, die ebenso auf Kants Rede von der Wahrheit von Urteilen, speziell von Urteilen übertragen werden muß, in denen Kategorien gebraucht werden – und daher auch auf seine Rede von der Wahrheit von empirischen Erfahrungsurteilen. Kants Rückgriff auf paradigmatische Erfahrungsurteile innerhalb der B-Deduktion läßt außer der syntaktischen Isomorphie der kausal-kategorialen Urteilsform mit der logischen Form der hypothetischen Urteile diese hier bislang noch nicht ausführlich erörterte Komponente dieser kategorial geprägten Urteile in einen Brennpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Es handelt sich um die schon in Kants Arbeitsdefinition des Kategorienbegriffs berücksichtigte Bedingung, daß es die Anschauung eines ›Gegenstandes = X‹ ist, was mit Blick auf ›eine der Funktionen zu urteilen als bestimmt‹ angesehen wird (vgl. B 128). Diese Bedingung einer hier noch nicht näher spezifizierten Anschauung erweist sich als einer der wichtigsten Orientierungspunkte der Metaphysischen Deduktion der Kategorien.468 Eine angemessene Erörterung sowohl dieser Arbeitsdefintion wie der kategorialen Urteilsformen wie der Erfahrungsurteile – und sei es auch nur in einer ihrer paradigmatischen Gestalten – ist auf die Berücksichtigung dieser anschaulichen Komponente angewiesen. Denn es ist die Anschauung eines ›Gegenstands = X – im Rahmen der Arbeitsdefinition allerdings nur irgendeine Form von Anschauung –,469 die mit Blick auf eine der Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird, sofern ein Urteil bzw. 468 Vgl. hierzu Erster Teil, 11. Ab. 469 Um lediglich irgendeine Anschauung handelt es sich beim status quaestionis, der mit dieser Arbeitsdefinition erreicht ist, deswegen, weil innerhalb der Aufgabenstellung der Metaphysischen Deduktion, zu der sie gehört, aus methodologischen Gründen noch unbestimmt bleiben muß, von welcher spezifischen Form die Anschauung ist oder sein muß, von der abhängt, ob und gegebenenfalls wie ein solcher kategorialer ›Gegenstand = X‹ mit Hilfe einer bestimmten Urteilsfunktion nicht nur gedacht, sondern auch erkannt werden kann. Klar ist von Anfang an aber immerhin, daß es sich bei der von hier an berücksichtigten Anschauung – ganz ungeachtet ihrer vorläufig noch unbestimmten Form und im Gegensatz zur Urteilsfunktion bzw. -form – um die zentrale a-logische Komponente einer Kategorie bzw. kategorialen Urteilsform handelt.

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urteilendes Subjekt mit Hilfe einer Kategorie bzw. kategorialen Urteilsform auf einen solchen Gegenstand Bezug nimmt. Wie die Formeln (KSubstanz / Akzidenz) [(v1x ⇒ v2 x)X]

und (KUrsache / Wirkung) {[[(v1x ⇒ v2x)X] ⇒ [(v3x ⇒ v4 x)X]]X} der beiden paradigmatischen kategorialen Urteilsformen zeigen, stellen sie sowohl die Rolle der Anschauung eines solchen Gegenstandes = X wie die Form der urteilsfunktionalen Bestimmtheit seiner Anschauung in angemessener Weise ›vor Augen‹. Denn die ganze Bedeutsamkeit der Anschauungs-Bedingung ergibt sich aus der radikalen Verschiedenartigkeit von logischer Urteilsfunktion und a-logischer Anschauung des ›Gegenstands = X‹ einerseits und andererseits aus der funktionalen Verflechtung beider: Das a-logische, anschauliche Format des ›Gegenstands = X‹ ist der formal-logischen Urteilsstruktur extern; gleichwohl ist die Gegenständlichkeit eines solchen anschaulichen Gegenstands dieser formallogischen Struktur funktional intern, weil ein solcher Gegenstand eben nur insofern die Rolle eines Gegenstands haben kann, als seine Anschauung in Ansehung einer mit dieser Struktur verflochtenen Funktion zu urteilen bestimmt ist.470 Es ist diese Verflechtung von a-logischer, anschaulicher Externität und logischer, urteilsfunktionaler Internität des ›Gegenstands = X‹ eines kategorial geprägten Urteils, die sich mit Hilfe der von Kant selbst geforderten ›technischen Methode‹ und mit Blick auf die beiden ersten ›metaphysisch deduzierten‹ Relations-Kategorien in der Form der oben noch einmal gezeigten Formeln ›vor Augen stellen‹ läßt. Über diese ›technische‹ Darstellung hinaus kann man zur Klärung der Bedeutsamkeit der beiden so dargestellten ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorien zwei eher beiläufig und nachträglich von Kant formulierte Formulierungen nutzen. Sie machen auf den Akt der Spontaneität aufmerksam, der mit der ›Deduktion‹ dieser beiden Kategorien verbunden ist: »Ich denke die Substanz, 470 Vleeschauwer, Déduction II, schwankt in seiner Interpretation der Passage A 104 mit Blick auf den ›Gegenstand = X‹ zwischen den Alternativen »en dehors de la conscience« und »en dedans d’elle«, S. 274. Doch dies sind, wenn man die Arbeitsdefinition des Kategorien-Begriffs, B 128, berücksichtigt, keine einander ausschließenden Alternativen. Unter ihrer Voraussetzung ist es möglich, scharf zwischen der Externität zu unterscheiden, in der der Gegenstand als anschaulicher zur formallogischen Urteilsstruktur steht, und der urteilsfunktionalen Internität, mit der derselbe Gegenstand als Gegenstand in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird. Offensichtlich vernachlässigt Vleeschauwer in seinem Kommentar zu A 104 die Rücksicht auf den im wahrsten Sinne funktionalen Zusammenhang zwischen der alogischen Anschauung des ›Gegenstandes = X‹ und der logischen Bestimmtheit seiner Anschauung ›in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen‹.

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die Ursache usw.«.471 Die beiden Akte, die beiden spezifischen kategorialen Gegenstandsstrukturen zu denken, die durch diese beiden Formeln dargestellt werden, können im Anschluß an diese beiden Wendungen mit Hilfe der beiden ›metaphysisch deduzierten‹ kategorialen Urteilsformen offensichtlich so dargestellt werden: Ich denke, daß- [(v1x ⇒ v2x)X], und Ich denke, daß-{[[(v1x ⇒ v2x)X] ⇒ [(v3x ⇒ v4 x)X]]X}. Unter dieser Voraussetzung zeigt sich so deutlich wie möglich, daß ein Gegenstand, dessen ›Anschauung in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen bestimmt‹ ist, den Status eines Sachverhalts- daß-p hat.472 Die ›metaphysisch deduzierten‹ (kategorialen) Gegenstands- bzw. Sachverhaltsbegriffe sind jedoch als ›metaphysisch deduzierte‹ Begriffe lediglich Begriffe von (kategorialen) Formen von Sachverhalten, aber nicht Begriffe von definitiv bestehenden oder definitiv nicht-bestehenden Sachverhalten. Doch eben deswegen sind sie gar nicht im engen und strengen Sinne Begriffe, sondern (kategoriale) Urteilsformen, deren Erfülltsein oder Nicht-Erfülltsein im Rahmen der Metaphysischen Deduktion ebenso wenig Thema sein kann wie die Frage des Bestehens oder Nicht-Bestehens der mit ihrer Hilfe formal konzipierten Sachverhalte der entsprechenden (kategorialen Urteils-) Formen. In abstrakter und genereller Form hat Kant diese Sachverhalts-Konzeption der Gegenstände von Kategorien wohl durch die Überlegung formuliert, daß eine reine, also eine ›metaphysisch deduzierte‹ Kategorie »ein Gedanke der Form nach«473 ist, also ein Sachverhalts-Gedanke, daß-p. Unter diesen Voraussetzungen gewinnt gerade mit Blick auf die Transzendentale Deduktion der Kategorien auch die zunächst irritierende Verschiebung der objektiven Gültigkeit vom Status einer Eigenschaft von Urteilen und Sätzen hin zum Status einer Eigenschaft von Begriffen die wünschenswerte Durchsichtigkeit. Denn diese irritierende Redeweise kann mit ihrer Hilfe nicht nur darauf zurückgeführt werden, daß sie bei genauerem Hinsehen an der objektiven Gültigkeit von Urteilen mit kategorialen Formen orientiert ist. Darüber hinaus wird die in der Nominal- bzw. Arbeitsdefinition des Kategorien-Begriffs berücksichtigte, wenngleich noch ganz unspezifische Anschauungs-Bedingung zusammen mit der Eigenschaft von transzendental ›deduzierten‹ Kategorien bzw. reinen kategorialen Urteilsformen, objektiv gültig zu sein, zu einer notwen471 A 343, B 401. – Auf der Linie von Kants ›technischer Methode‹ werde ich über die bisher eingeführten formalen Stilisierungen von formallogischen und kategorialen Elementen von Kants Theorie – außer durch gelegentlich interne Ergänzungen – nicht mehr hinausgehen. Das schließt nicht aus, daß dies grundsätzlich möglich und vielleicht auch nützlich ist. Doch auf der Linie der hier durchgeführten Untersuchungen zeichnet sich dadurch kein nennenswerter methodischer Vorteil ab. 472 Vgl. zum Thema der Sachverhalts-Struktur des ›Gegenstands-überhaupt = X‹ auch oben S. 112–113. 473 B 146; vgl. auch B 148: »bloße Gedankenformen«, und B 150: »bloße Gedankenformen«, Kants Hervorhebung.

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digen Bedingungen eben dieser objektiven Gültigkeit und damit der Wahrheit, denn »objektive Gültigkeit, d. i. Wahrheit«.474 Kants Argumente innerhalb dieser Deduktion erweisen sich unter dieser Voraussetzung zwar nicht als korrekturbedürftig, aber doch als bedürftig einer Ergänzung, die auf einen dritten Nebenweg führt. Eine solche Ergänzung ist umso nützlicher, als man auf diesem Nebenweg unter einem dritten Aspekt den Störfaktor neutralisieren kann, daß die nicht-empirische, also reine und apriorische Argumentation dieser Deduktion an Schlüsselstellen ausschließlich auf paradigmatische empirische Urteile – Wahrnehmungsurteile und Erfahrungsurteile – zurückgreift, um zu zeigen, in welchen empirischen Gebrauchsformen die Kategorien zur Möglichkeit der Erfahrung beitragen. Selbstverständlich ist es, wie sich auf den ersten beiden Nebenwegen schon gezeigt hat, gänzlich widerspruchfrei und kohärent zu argumentieren, daß sie in diesen empirischen Formen zu dieser Möglichkeit beitragen. Doch ihr Beitrag in diesen Formen bildet nicht nur nicht die einzige Form ihres Beitrags zu dieser Möglichkeit. Auf dem Hauptweg dieser Deduktion bildet die Suche nach der Möglichkeit, reine synthetische Urteile apriori zu gewinnen, zu formulieren, zu beweisen und zu erörtern, nun einmal ihre unmittelbare Aufgabe. Man braucht deswegen nicht zu bestreiten, daß Kant durch die plus saine conception du jugement (Vleeschauwer), die er in den Prolegomena durch die Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile und deren Paradigmen ausgearbeitet hat, auch dieser Deduktion im zweiten Anlauf ebenfalls zu einer plus saine conception ihrer selbst verholfen hat. Doch die größere Reife dieser Deduktion besteht unter diesen Voraussetzungen auch ausschließlich darin, daß sich ihr außer dem Hauptweg zur Einsicht in die Möglichkeit reiner synthetischer Urteile apriori auch zwei erste Nebenwege eröffnen: Der Nebenweg zur transzendentalen, apriorischen Einsicht in die Möglichkeit der nicht-reinen, empirischen synthetischen Erfahrungsurteile aposteriori – und damit in die Bedingung der Fruchtbarkeit der Erfahrung475; und der Nebenweg zur Erweiterung der (transzendentalen) Logik der Wahrheit durch die Einsicht, daß die speziellen Kriterien der Wahrheit, die Kant in Form der Schemata berücksichtigt, nicht nur der Vorbereitung der Einsicht in die Wahrheit und in die Beweisbarkeit der transzendentalen Sätze über die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände dienen, sondern auch der Einsicht in die Wahrheit bzw. Wahrheitsfähigkeit, also in die objektive Gültigkeit der empirischen Erfahrungsurteile und ihrer Paradigmen. 474 A 788, B 816. 475 Zu der vom Wechselspiel der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile abhängigen Fruchtbarkeit der Erfahrung vgl. Erster Teil, bes. 33–44; statt von der Fruchtbarkeit der Erfahrung spricht Kant vom »Zuwachs des empirischen Erkenntnisses«, A 210, B 255, wenn er die Tragweite des Zusammenspiels aus Wahrnehmungen, Wahrnehmungs­ urteilen und Erfahrungsurteilen zur Sprache bringt

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Dadurch, daß Kant innerhalb dieser Deduktion mehrmals einige kasuistische Schritte auf solchen Nebenwegen gelingen, wird die Tragweite dieser Deduktion, falls sie im ganzen gelingt, zweifellos um ganz neue Dimensionen erweitert. Dennoch ist es zweifellos genauso wichtig, die Schritte auf dem Hauptweg innerhalb der Hauptdimension nicht durch Schritte auf solchen Nebenwegen in den entsprechenden Nebendimensionen in ein Zwielicht geraten zu lassen – in das Zwielicht, als könnte der Beitrag der Kategorien zur Möglichkeit reiner synthetischer Urteile apriori nur um den Preis der Inkohärenz auch einen Beitrag zur Möglichkeit der nicht-reinen synthetischen Erfahrungsurteile aposteriori in Ausscht stellen. Zwar läßt Kant zu Recht keinen Zweifel daran, daß die transzendentalen Sätze, also die synthetischen Urteile apriori »nicht allein a priori wahr sind, sondern sogar der Quell aller Wahrheit, d. i. der Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten«.476 Doch erst im Licht der paradigmatischen urteilsanalytischen Fortschritte der Prolegomena läßt sich wirklich durchschauen, daß der Quantor alle in diesem Zuammenhang im distributiven Sinne gebraucht werden muß und kann, weil er die Wahrheit qualifiziert, die entsprechend auf alle möglichen einzelnen empirischen Erfahrungsurteile verteilt ist, aber nicht etwa irgendeinem kollektiven Ganzen als solchem eigen ist. Dennoch führt das Zwielicht, das die Kasuistik der Paradigmen für Wahrnehmungs- und für Erfahrungsurteile innerhalb der Deduktion verbreitet, de facto unzweifelhaft dazu, daß die Schritte, die zur reinen kategorialen Urteilsform führen, nur allzu leicht ›verschwimmen‹ und daher dieselben Schritte zu sein scheinen, die zur nicht-reinen kategorialen Urteilsform der Erfahrungsurteile und ihren Paradigmen führen. Wenn man diese beiden Schrittfolgen auf diesen beiden Nebenwegen in ihren beiden Dimensionen jedoch so scharf wie möglich unterscheidet, dann läßt sich ganz unvermittelt gerade auch die kategoriale Rolle viel klarer bestimmen, die der ›bloßen Synthesis‹ zukommt, ›verschiedenen Vorstellungen in einer Anschauung Einheit zu geben‹ (A 79, B 104–105). Denn es ist die durch diese (kategoriale)  Synthesis gestiftete Einheit, in deren Form der Gegenstand = X anschaulich gegeben ist, auf den das entsprechend urteilsfähige Subjekt durch den Gebrauch einer Kategorie bzw. einer reinen kategorialen Urteilsform Bezug nehmen kann. Doch es ist diese im Rahmen der Metaphysischen Deduktion und der Arbeitsdefinition des Kategorienbegriffs noch ganz unspezifische anschauliche Einheit, die durch Kants Symbol »X« für den Gegenstand-überhaupt sowohl dessen anschauliche Einheit wie seine funktionale Bindung an die eine oder andere Urteilsform bzw. -funktion ›vor Augen stellt‹. Erst mit dieser Klärung der komplexen urteilsfunktionalen und anschauungsabhängigen Form der ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorie bzw. kategorialen Urteilsformen ist der Punkt erreicht, an dem wirklich im Detail verständlich 476 A 237, B 296, Hervorhebung R. E.

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werden kann, welche Gründe Kant hat, allen Ernstes erst sechs Paragraphen nach dem buchtechnischen Anfang der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe zu betonen, daß »Im obigen Satze (dem zweiten Satz des § 21, R. E.) […] also der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegiffe gemacht [ist]«.477 Denn erst mit diesem zweiten Satz thematisiert Kant zum ersten Mal innerhalb dieser Deduktion das Erfordernis »einer reinen sinnlichen [Anschauung]«478 und schreibt ihr die im ersten Satz formulierte Rolle der Bedingung zu, daß ich »Ein Mannigfaltiges, das in einer Anschauung enthalten ist, [die … meinige nennen kann]«.479 Denn sie ist es, die den spezifisch anthro477 B 144. Durch nichts als durch diese ausdrückliche Orientierungshile könnte Kant klarer zu verstehen geben, was in den Untersuchungen dieses Buchs von Anfang an unterstellt wird  – daß die Paragraphen 15 bis einschließlich 20 keine Argumente enthalten, die charakteristische Teile der Transzendentalen Deduktion bilden würden. Entgegen dem buchtechnischen Titel, unter den Kant sie gleichwohl gestellt hat, wären sie angemessener ebenfalls noch unter dem Titel des vorangegangenen § 14 Übergang zur Transzendentalen Deduktion aufgehoben und teilweise – vor allem §§ 15–19 – sogar noch unter dem Titel des § 9 Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt; vgl. zu diesem letzten Punkt Erster Teil, 11. Ab. 478 B 144. 479 Ebd., Hervorhebung R. E. Zwar erwähnt Kant die sinnliche Anschauung schon am Anfang des § 20 beiläufig, indem er direkt nur »Das mannigfaltige in einer sinnlichen Anschauung Gegebene«, B 143, Hervorebungen R. E., thematisiert. Doch diese beiläufige, wenngleich argumentativ nicht vorbereitete Erwähnung ist von vergleichsweise verschwindendem argumentativem Gewicht gegenüber der am Anfang des § 21 formulierten Meinigkeits-Bedingung. Kant hätte im ersten Satz des § 20 ohne jeden inhaltlichen Verlust auf die Sinnlichkeits-Spezifizierung der erwähnten Anschauung ganz verzichten können. In der also-Schlußfolgerung des ganzen § 20 verzichtet er denn auch ganz auf die Sinnlichkeits-Spezifizierung. Bei dem hier direkt thematisierten ›mannigfaltigen in einer sinnlichen Anschauung Gegebenen‹ handelt es sich bei genauerem Hinsehen um den in einer solchen Anschauung gegebenen ›Gegenstand = X‹, also um den zwar noch nicht spezifisch, aber jedenfalls mit Hilfe irgendeiner Kategorie bestimmten Gegenstand – »denn dies geschieht durch die Kategorie«, B 144. Denn er ist der Gegenstand, sofern seine ›Anschauung in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen bestimmt‹ ist, und zwar unabhängig davon, in welcher spezifischen Anschauungsform er gegeben ist. Noch im entscheidenden § 21 benutzt er die Wendung »nach dem § 20«, um sich auf die da thematisierte unspezifische »Anschauung überhaupt«, B 145, zu berufen. Wenn Cramer, Nicht-synthetische Urteile, mit Blick auf die §§ 15–20 behauptet, daß Kant diesen »ersten Teilbeweis der transzendentalen Deduktion der Kategorien als einen Beweis verstanden haben will, der für jedes erkennende Wesen gilt, dessen Erkenntnis unter der Bedingung der Selbstzuschreibung gegebener Vorstellungen steht, und das diese Bedingungen durch Aktivitäten realisiert, in denen die Formen des Urteils der kantischen Urteilstafel in Funktion gesetzt werden«, S. 265, dann irrt er doppelt: Zum einen handelt es sich bei diesem Teil nicht um einen Teilbeweis der Transzendentalen Deduktion, vgl. oben S. 13, Anm. 2, und zum anderen handelt es sich bei Cramers Charakterisierung dessen, was er für den Inhalt dieses angeblichen Teilbeweises hält, in Wahrheit um eine sehr abstrakte Charakterisierung der von Kant niemals vorgeführten Metaphysischen Deduktion der Kategorien. Mit seiner irrigen Einschätzung der §§ 15–20 als eines Teilbeweises der Trans­ zendentalen Deduktion folgt Cramer derselben irrigen Einschätzung durch Henrich, Be-

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pologischen Charakter zeigt, daß »Raum und Zeit die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind«.480 Die Meinigkeits-Bedingung, die von der erforderlichen Anschauungsform erfüllt werden muß, ist daher auch nicht etwa dieselbe Meinigkeits-Bedingung, als die im § 16, bes. B 134–136, der Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption fungiert, sofern ein des Urteilens fähiges Subjekt sich mit Hilfe dieses Akts spontan zwei oder mehr als zwei a-logisch, nämlich zeitlich zerstreute Vorstellungen in einer Form der Einheit zueigen macht, die für eine spezifisch urteilsförmige Differenzierung tauglich ist. Die von Kant im § 21 zum ersten Mal argumentativ thematisierte sinnliche Anschauungsform erfüllt diese Meinigkeits-Bedingung vielmehr unabhängig von der logik-spezifischen MeinigkeitsBedingung dieser Apperzeption, weil »… das Mannigfaltige für die Anschauung noch vor der Synthesis des Verstandes, und unabhängig von ihr, gegeben sein müsse«,481 nämlich mir gegeben sein muß. Indem Kant im selben AnfangsParagraphen 21 überdies auch zum ersten Mal die spezifisch anthropologische Verallgemeinerungsformel verwendet, die diese sinnliche Anschauungsform »in Ansehung aller Gegenstände unserer Sinne«482 thematisiert, stellt er klar, daß die individualistisch klingende Rede von der Anschauung, »die ich die meinige nenne«,483 nur einen gewissermaßen abkünftigen Modus der Sprache bildet, in der Kant im Anschluß an die Ausführungen der Transzendentalen Ästhetik mit Hilfe der angemessenen pronominalen Grammatik zu verstehen gibt: »Nun ist alle uns mögliche Anschauung sinnlich (Ästhet.)«.484 Mit aller konzeptionellen anthropologischen Ausdrücklichkeit wird die ›Abkünftigkeit‹ der Teilhabe der weisstruktur S. 90–104, bes. S. 91 f.; vgl. auch hierzu oben S. 13, Anm. 2. Eine vorsichtige Kritik an Details von Henrichs Analyse der Beweisstruktur übt Klemme, Subjekt, bes. S. 159–163; seine Kritik leidet indessen darunter, daß sie wie so viele andere Interpretationen des Texts der B-Deduktion nach wie vor voraussetzt, daß die §§ 15–20 einen für diese Deduktion spezifischen Teilbeweis enthalten. Doch das dafür Spezifische beginnt, wie Kant selbst im § 21 mit unübersehbarer Ausdrücklichkeit erklärt, mit der Berücksichtigung der spezifisch menschlichen (reinen) sinnlichen Anschauung. Die Rekurse der vorangehenden Paragraphen auf eine noch gänzlich unbestimmte Anschauungüberhaupt dienen nicht zuletzt dem Ziel, ausführlich zu klären, daß und inwiefern die in der Arbeitsdefinition des Kategorien-Begriffs B 128 thematisierte ›Bestimmtheit der Anschauung eines Gegenstands in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen‹ nicht nur von den ›Funktionen der Einheit in Urteilen‹ abhängt, sondern eben deswegen auch von der reinen und ursprünglichen Apperzeption. Denn diese bildet auch das ›Vehikel‹ der Urteilsfunktionen, vgl. B 131, und nicht, wie ebenso regelmäßig wie irrtümlich unterstellt wird, nur das der Kategorien; vgl. hierzu ausführlich Erster Teil, 7. Ab. bes. S. 142121. 480 B 146, Hervorhebung R. E.; vgl. auch Kants kursivierte Hervorhebung des Possessivpronomens Erste Person Plural, B 148: »… unsere sinnliche Anschauung …«, und B 149: »Unsere sinnliche … Anschauung« sowie weitere Stellen.. 481 B 145. 482 Ebd. 483 B 144, Hervorhebungen R. E. 484 B 146, Hervorhebung R. E.

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individuellen sinnlichen Anschauung an der allen Menschen gemeinsamen sinnlichen Anschauung durch die Thematisierung »… unserer (der menschlichen) Anschauung«485 klargestellt. Doch da es sich bei dieser sinnlichen Anschauung, wie es die Transzendentale Ästhetik in den wichtigsten Einzelheiten darlegt, um eine reine Form der Anschauung apriori handelt, bleibt diese spezielle Ästhetik mitsamt dieser anthropologischen Orientierung ein integraler Teil der formaltranszendentalen Anthropologie, um die es sich jedenfalls und mindestens bei Kants Theorie der Erfahrung im ganzen handelt.486 Beginnt man unter den bisher gesammelten Voraussetzungen so, wie Kant selbst es am Anfang des § 21 tut, mit der Untersuchung der Frage, wie die Trans­ zendentale Deduktion der Kategorien möglich ist, dann bilden die beiden Formeln der reinen kategorialen Urteilsformen (vgl. oben S. 138 f.), also die beiden ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorien (vgl. Erster Teil, S. 265 f. bzw. 268 f.) den wichtigsten Ausgangspunkt. Denn das von Kant eingeführte Symbol »X« für den Gegenstand-überhaupt symbolisiert diesen auf irgendeinen anschaulichen Gegegebenheits-Modus angewiesenen Gegenstand, sofern dessen Anschauung ›in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen bestimmt‹ ist. Mit Hilfe der beiden Formeln für die beiden reinen kategorialen Urteilsformen läßt sich die Leitfrage der Transzendentalen Deduktion im Rekurs auf die reinen sinnlichen Anschauungsformen apriori daher darauf konzentrieren, zwei Fragen zu untersuchen. Mit der ersten Frage untersucht diese Deduktion auf der Linie ihres Hauptwegs erklärtermaßen, wie der ›Gegenstand = X‹ in der einen oder der anderen dieser beiden reinen sinnlichen Anschauungsformen apriori so gegeben sein kann, daß seine entsprechende sinnliche Anschauung in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen so bestimmt ist, daß sie zur transzendentalen Wahrheit synthetischer Urteile apriori beiträgt. Mit der zweiten Frage muß die Deduktion angesichts der irritierenden Rolle der von ihr de facto berücksichtigten empirischen Erfahrungsurteile auf der Linie ihres nunmehr dritten Nebenwegs eine neue Frage untersuchen: Wie kann der ›Gegenstand = X‹ in der einen oder der anderen dieser beiden reinen sinnlichen Anschauungsformen aposteriori so gegeben sein, daß seine entsprechende sinnliche Anschauung zur objektiven Gültigkeit bzw. Wahrheit der empirischen Erfahrungsurteile beiträgt? Es liegt in gewisser Weise auf der Hand, wie eine angemessene Antwort auf diese zweite Frage ausfallen muß, so daß sich diese Antwort in einer ersten Näherung wenigstens hypothetisch formulieren läßt: Wenn die eine der beiden reinen Anschauungsformen apriori zu dieser Übereinstimmungsrelation der Wahrheit beiträgt, dann nur dadurch, daß sie eine mit der anti-symmetrischen Relation der reinen Kausal-Kategorie strikt ›übereinstimmende‹ – also isomorphe – Relation bereithält. 485 B 150. 486 Vgl. hierzu im einzelnen Erster Teil, bes. S. 120–123, 13195, 160–161, 214–216.

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Es ist daher wichtig, darauf zu achten, wie wenig die reductio ad absurdum des Gedankens eines allgemeinen und sicheren Wahrheitskriteriums Kants eigene Arbeit am Wahrheitsproblem innerhalb seiner Theorie der Erfahrung stört. Das zeigt sich, wie schon beim zweiten Nebenweg hervorgehoben, zunächst einmal in dem Umstand, daß er die Transzendentalen Analytik offensichtlich ganz bewußt auch noch im unmittelbaren und engsten Horizont dieser reductio ad absurdum – rund viereinhalb Druckseiten später – als eine Logik der Wahrheit auffaßt. Doch wie kann die äußerst zuversichtliche Auffassung, mit der Kant die Tragfähigkeit der ›geschenkten‹ Nominaldefinition des Wahrheitsbegriffs ›voraussetzt‹, nicht nur subjektiv verständlich oder sogar berechtigt sein, sondern auch sachlich gerechtfertigt werden? Und wie kann sie davor bewahrt werden, durch eine entsprechend absurde kriteriologische Konzeption der kurz zuvor so überzeugend entwickelten reductio ad absurdum zum Opfer zu fallen? Immerhin schreibt Kant seiner Logik der Wahrheit die methodische Tauglichkeit zu, ein Kanon zur Beurteilung des empirischen Gebrauchs des Verstandes bzw. der Kategorien zu sein  – also ein Kanon, mit Hilfe von dessen Kriterien-Katalog auch der empirische Gebrauch von Kategorien in Erfahrungsurteilen in jedem konkreten Einzelfall eines solchen Gebrauchs daraufhin beurteilt werden können muß, ob und gegebenenfalls inwiefern solche Urteile wahr sind. Doch ein solcher Kanon kann mit Blick auf den thematischen Inhalt einer solchen Logik der Wahrheit und angesichts der vorangegangenen reductio ad absurdum gar nichts anderes als eine entsprechend nicht-allgemeine kriteriologische Konzeption der Wahrheit sein. Sie kann also angesichts des zentralen von dieser Logik präsentierten Inventars möglicher Wahrheitsbedingungen solcher Urteile nur eine solche sein, die ausschließlich mit Blick auf die speziellen Urteile konzipiert ist, in denen Kategorien gebraucht werden. Empirisch werden Kategorien indessen ausschließlich in jenen empirischen Erfahrungsurteilen gebraucht, deren Einführung in die B-Deduktion mit deren transzendentalem Charakter so inkohärent zu sein scheint. Denn die entsprechende Teil-Definition des Begriffs des Transzendentalen legt die mit den Mitteln einer Transzendentalen Deduktion intendierbaren Erkenntnisse nun einmal auf solche fest, »dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden oder möglich sind«.487 Doch gerade um solche 487 A 56, B 80, Hervorhebung R. E. Eine andere, ergänzende Teil-Definition bieten die Prolegomena: »Das Wort transzendental bedeutet bei mir […] eine Beziehung […] nur aufs Erkenntnisvermögen«, IV, 292. Wenn man in ihrem Licht die überzeugende Rekonstruktion der Werkstattgeschichte der Ersten Kritik von Carl, Deduktion, zu Hilfe nimmt, dann faßt Kant mit dieser Teil-Definition im Rückblick abschließend zusammen, inwiefern er den Schlüssel zum Geheimnis der Metaphysik, S. 38–50, während dieser Werkstattarbeit mit der Einsicht in die Möglichkeit entdeckt hat, »die Grundbegriffe der Ontologie als metaphysische und somit epistemologische zu fassen«, S. 39, Hervorhebung R. E.; vgl. hierzu auch Erster Teil, S. 272–276.

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Erkenntnisse handelt es sich bei den durch empirischen, also aposteriorischen Gebrauch der Kategorien intendierbaren Erkenntnissen klarerweise nicht. Die vor allem interessierende sachliche Rechtfertigung für Kants zuversichtliches Zutrauen in die Tragfähigkeit der Übereinstimmungs-, Entsprechungsbzw. Korrespondenz-Konzeption der Wahrheit stammt aus einer Quelle, die ihrem Inhalt nach zwar zu den bekanntesten Elemente von Kants Theorie gehört. Trotzdem wird dieses Element so gut wie nie – und zwar auch von Kant selbst nicht  – als das ausschlaggebende Moment der methodischen Grundsituation wahrgenommen, in der seine Zuversicht gerechtfertigt ist. Bei diesem Element handelt es sich um die Einschränkung auf die zweimal zwölf in seiner Logik der Wahrheit relevanten Urteilsfunktionen und Kategorien. Alleine schon durch diese Einschränkung vermeidet Kants Ansatz die entscheidende Schwachstelle, an der der Angriff mit Hilfe seiner reductio ad absurdum andernfalls zum Zuge käme. Denn unter dieser Voraussetzung kann es gar nicht mehr um ein einziges und unqualifiziert allgemeines Kriterium für die Wahrheit aller möglichen Erkenntnisse aller möglichen Gegenstände gehen. Es kann dann nur noch um ein kanonisches Repertoire von so vielen bzw. so wenigen Kriterien gehen, wie sie für die Beurteilung derjenigen Erkenntnisse bzw. Erkenntnisurteile488 und ihrer Gegenstände relevant sind, die an diese und nur diese zweimal zwölf Urteilsfunktionen und Kategorien gebunden sind. Doch diese unmißverständliche Spezialisierung des Kriterienproblems bildet nicht nur die von Kant nicht als solche apostrophierte Konsequenz aus der reductio ad absurdum des Verlangens nach dem ›allgemeinen und sicheren Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis‹. Auch die Nominaldefinition des Wahrheitsbegriffs erscheint unter dieser Voraussetzung in einem ganz anderen Licht, weil die zentrale Übereinstimmungs- bzw. Korrepsondenzbedingung unter dieser Voraussetzung nur mit Blick auf dieselbe spezielle Klasse von Urteilen eingeschränkt sein kann. Die gesamte methodische Grundsituation von Kants Arbeit an der Transzendentalen Logik der Wahrheit gewinnt im Licht dieser doppelten wahrheitstheoretischen, definitorischen bzw. kriteriologischen Spezialisierung eine entsprechend spe­ zielle Orientierung. Ohne daß es in seinen Schriften authentische Belege dafür zu geben scheint, daß Kant sich des Potentials dieser methodischen Grundsituation bewußt gewesen ist, ist dieses Potential für einen heutigen Leser gleichwohl klar erkennbar. Denn das Spannungsfeld zwischen seiner kriteriologischen reductio ad absurdum einerseits und andererseits der Einschränkung des Urteilsfunktionen- und Kategorien-Inventars seiner Theorie ist in wichtigen Hinsichten 488 Den rein epistemologischen Begriff der Erkenntnis korrigiert Kant spät, aber nur allzu offensichtlich im Licht seiner strikt formal-logischen Orientierung an den Strukturen von Urteilen diversester Typen zugunsten des Begriffs des Erkenntnisurteils, vgl. V, 209, sowie im einzelnen Erster Teil, S. 9–12.

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einem methodischen und theoretischen Spannungsfeld strikt analog, in das die Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts ebenfalls in der Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsproblem geraten war. Die Bedeutsamkeit des Potentials, das Kant mit dieser methodischen und theoretischen Grundsituation schon am Ende des 18. Jahrunderts gewonnen hat, kann man vielleich erst dann angemessen einschätzen, wenn man es direkt mit dem analogen Spannungsfeld aus dem 20. Jahrhundert vergleicht. Analog zu Kants kriteriologischer reductio ad absurdum hat Gottlob Frege die Auffassung entwickelt, daß »[…] es wahrscheinlich [ist], daß der Inhalt des Wortes ›wahr‹ ganz einzigartig und undefinierbar ist«.489 Frege begründet diese Auffassung zwar nicht mit Hilfe einer reductio ad absurdum, wohl aber mit Hilfe einer analogen formalen Kritik an einer doppelten methodischen Ausweglosigkeit, in die man sich mit dem Versuch einer Definition des Wahrheitsbegriffs begebe – teilweise in einen infiniten Regreß und teilweise in einen Zirkel. Diese Formen der Ausweglosigkeit ergeben sich in Freges Augen, »wenn man die Wahrheit als Übereinstimmung einer Vorstellung mit etwas Wirklichem bestimmt«.490 Er erwägt daher probeweise die Frage, ob »[…] man nicht festsetzen [kann], daß die Wahrheit bestehe, wenn die Übereinstimmung in einer gewissen Hinsicht stattfinde«.491 Zwar setzt er selbst durchaus nicht – etwa in exemplarischer Form – eine solche ›gewisse Hinsicht‹ fest. Er gibt vielmehr die kriteriologische Kontrollfrage zu bedenken: »Was müßten wir dann aber tun, um zu entscheiden, ob etwas wahr wäre?«.492 Diese Frage beantwortet er, indem er den Irrweg in die Regreßaporie zu bedenken gibt: »Wir müßten untersuchen, ob es wahr wäre, daß – etwa eine Vorstellung und ein Wirkliches – in der festgesetzten Hinsicht übereinstimmten. Und damit ständen wir wieder vor einer Frage derselben Art, und das Spiel könnte von neuem beginnen«.493 Mißlich ist jedoch, daß dieses Aporie-Argument nur deswegen konsequent ist, weil Frege, statt eine ›gewisse Hinsicht‹ exemplarisch festzusetzen, ausschließlich an der unspezifischen Hinsicht der Übereinstimmung festhält. Anstatt also durch eine exemplarische ›gewisse Hinsicht‹ eine tragfähige Brücke von der hypothetisch angenommenen Nominaldefinition des Wahrheitsbegriffs zu einem Kriterium für die Anwendung dieses Begriffs zu schlagen, schlägt er, um ein treffliches Bild aus einem analogen Zusammenhang zu verwenden, eine Brücke, »die den für eine Brücke allerdings vernichtenden Mangel hat, auf demselben Ufer zu

489 Gottlob Frege, Der Gedanke (1918–19191), wieder abgedr. in: G. Patzig (Hg.), ders., Logische Untersuchungen, Göttingen 1966, S. 30–53, hier: S. 32. 490 Ebd. 491 Ebd. 492 Ebd. 493 Ebd.

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enden, von dem aus sie geschlagen worden war«,494 eben auf dem Ufer einer nicht spezifizierten Übereinstimmungsrelation. Sieht man einmal von Freges Vernachlässigung eines konkreten Wahrheitskriteriums und der sich aus dieser Vernachlässigung ergebenden Aporie ab, dann ist erst wenig mehr als ein Dutzend Jahre später durch Alfred Tarski die ingeniöse methodische Möglichkeit entdeckt und fruchtbar gemacht worden, die einen endgültigen Ausweg aus solchen Aporien eröffnet.495 Es handelt sich dabei um den Weg, auf dem man die Bedeutung des Wortes wahr vor allem davon abhängen sieht, mit Blick auf den logischen Typus welcher speziellen Aussagen, Sätze bzw. Urteile es gebraucht wird. Tarski selbst hat für seine Klärung des Wahrheitsbegriffs die Aussagen, Sätze bzw. Urteile gewählt, die in ihrem logischen Kern durch die Element-Klasse-Relation sowie durch einige wenige elementare logische Konstanten geprägt sind.496 Er gewinnt damit eine von ihm so apostrophierte fragmentarische Definition497 des Wahrheitsbegriffs für Aussagen, Sätze, Urteile dieses – und nur dieses – Typs. Doch man kann auf diesem Weg so viele verschiedene fragmentarische Definitionen des Wahrheitsbegriffs gewinnen wie man homogene logische bzw. semantische Typen von Aussagen, Sätzen bzw. Urteilen der Umgangssprache oder von speziellen Wissenschaftssprachen randscharf unterscheiden kann. Mit dieser von Tarski erstmals planmäßig erprobten methodischen Möglichkeit, fragmentarische Klärungen der Bedeutung des Wortes wahr anzustreben, indem man das Gelingen von der randscharfen Einschränkung auf Aussagen, Sätze bzw. Urteile eines bestimmten logischen bzw. semantischen Typs abhängen sieht, ist ein bewährungsfähiges 494 Günther Patzig, Kritische Bemerkungen zu Husserls Thesen über Evidenz und Wahrheit, in: Neue Hefte für Philosophie 1, (1971), S. 12–32, hier: S. 29. Vor allem Michael Dummett, Frege. Philosophy of Language, London 1973, hat auf die Mißlichkeit in Freges Über­ legung aufmerksam gemacht, daß er unkritisch, wenngleich nur probeweise von dem mit mancherlei problematischen Voraussetzungen belasteten Übereinstimmungbegriff der Wahrheit Gebrauch macht, vgl. bes. S. 442–444. 495 Vgl. Alfred Tarski, Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen (poln. 19331), in: Studia Philosophica 1 (1936), S. 261–404. 496 Vgl. S. 282–284. 497 Vgl. S. 27910. Diese Anregung Tarskis ist mit Blick auf die Umgangssprache später vor allem durch Donald Davidson, Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 1984, systematisch fruchtbar gemacht worden. Den ersten Schritt in diese Richtung hat allerdings Rudolf Carnap, Introduction to Semantics, Mass, 1943, im Ausgang von der Anwendung von Tarskis Konvention W, vgl. Tarski, Wahrheitsbegriff, S. 268 f., auf umgangssprach­ liche Sätze getan, die den einfachsten quantorenlogischen Formen genügen. Carnap war auch der erste, der Tarskis Begriff der Erfüllung einer Aussagefunktion durch Gegenstände, vgl. bes. S. 307–313, durch den Begriff der Erfüllung der Wahrheitsbedingungen eines Satzes durch den mit seiner Hilfe beschriebenen Sachverhalt ersetzt hat. Einen weiteren bedeutenden semantischen Fortschritt auf dieser Linie hat Günther Patzig, Satz und Tatsache (19641), wieder abgedr. in: ders., Gesammelte Schriften IV. Theoretische Philosophie, Göttingen 1996, S. 9–42, erzielt, indem er plausibel gemacht hat, daß und inwiefern Tatsachen erfüllte Wahrheitsbedingungen von Sätzen sind.

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methodisches Muster entworfen worden, an dessen Leitfaden man offensichtlich auch andere Auseinandersetzungen mit dem Wahrheitsproblem auf den Grad ihrer Konformität mit diesem Muster prüfen kann. Selbstverständlich sollte man auch in solchen Fällen vorsichtig sein, dieses Muster nicht zu verabsolutieren oder zu dogmatisieren, sondern sich für andere bzw. ergänzende methodische Muster und deren mögliche Fruchtbarkeit offen halten. Doch der bisherige Bewährungsgrad des von Tarski erstmals erprobten Methoden-Musters ist zu bedeutsam, als daß man ohne hinreichend gute Gründe darauf verzichten sollte, sich bis auf weiteres an diesem Muster auch in anderen wahrheitstheoretischen Zusammenhängen zu orientieren.498 Unter diesen Umständen liegt es fast auf der Hand, daß Kants transzendentale Logik der Wahrheit mit ihrer Einschränkung auf zwei-mal-zwölf Urteils­ funktionen und Kategorien in einer methodischen Situation verortet ist, die analog eine ähnlich günstige Aussicht auf eine fruchtbare, fragmentarische Behandlung des Wahrheitsproblems bietet. Günstig ist diese methodische Situation sogar in zweifacher Hinsicht – sowohl mit Blick auf eine fragmentarische Definition des Wahrheitsbegriffs wie mit Blick auf einen entsprechenden Katalog von Kriterien, also einen ›Kanon‹ für die Beurteilung des Gebrauchs des Wahrheitsbegriffs. Denn unter diesen beiden speziellen Voraussetzungen geht es auch in diesem Kanon um die Beurteilung von Wahrheit und Falschheit ausschließlich der speziellen Urteile, in denen Kategorien empirisch gebraucht werden. Nur deswegen kann Kant im Schutz dieser beiden Voraussetzungen in der Vorbereitung auf die kriteriellen Funktionen der Schemata für die zwölf Kategorien sogar dieselbe Sprache verwenden, die in der anfänglichen Erörterung des Kriterienproblems mit der reductio ad absurdum des überspannten Kriteriendesiderats verbunden ist. Und ebenfalls nur deswegen kann Kant in derselben Sprache wie in dieser reductio ad absurdum seiner konkreten, auf den Gebrauch von Kategorien in Urteilen eingeschränkten wahrheitstheoretischen KriterienKonzeption die Aufgabe stellen, daß »sie […] … die Bedingungen, unter welchen Gegenstände in Übereinstimmung mit jenen Begriffen [den Kategorien, R. E.] gegeben werden können, in allgemeinen aber hinreichenden Kennzeichen darlegen [muß]«.499 Doch nur allzu offensichtlich verwendet Kant mit der Rede 498 Ich vernachlässige in diesem an Kants Theorie orientierten Zusammenhang aus ökonomischen Gründen weitere wichtige methodische Kunstgriffe Tarskis wie die Einführung des Begriffs der Erfüllung einer Satzfunktion durch Gegenstände und die Unterscheidung von Objekt- und Metastufen von Sprachen; zu Tarskis Konvention W vgl. unten S. 156, Anm. 514. Seine Pionierarbeit hat Tarski zehn Jahre später auf Englisch zusammengefaßt, vgl. The Semantic Conception of Truth and the Foundations of Semantics, in: Philosophy and Phenomenological Research IV, 3 (1944), S. 341–375. Bei dieser Gelegenheit hat er zumindest andeutungsweise auch darauf aufmerksam genacht, daß er mit seiner Konzeption nicht im mindesten zur Klärung eines Kriteriums der Wahrheit beiträgt. 499 A 136, B 175, Hervorhebungen R. E. Zur Klärung der Übereinstimmungsrelation der Wahrheit vgl. unten bes. S. 153–163.

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von ›allgemeinen aber hinreichenden Kennzeichen‹ dieselbe Wendung nun mit konstruktiver Intention, die er in der reductio ad absurdum des Verlangens nach einem ›hinreichenden und doch zugleich allgemeinen Kennzeichen der Wahrheit‹ (vgl. A 59, B 83) aus guten Gründen mit destruktiver Intention verwendet. Diese konstruktive Intention ist von Anfang an – wenngleich nicht sogleich in programmatischer Ausdrücklichkeit – an die konstruktive methodische Aufgabe gebunden, die »ein Kanon der Beurteilung des empirischen Gebrauchs«500 des Verstandes bzw. der Kategorien zu übernehmen hat. Doch die methodische Aufgabe dieses Kanons gewinnt eben auch erst durch die Berücksichtigung des strukturellen Unterschieds und des funktionalen Zusammenhangs der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile in den Prolegomena ihre einzige mögliche konkrete Orientierung über den Typus der Erfahrung, zugunsten von deren Möglichkeit der empirische Gebrauch von Kategorien in Urteilen notwendig und hinreichend ist. Mit Blick auf die Beurteilung der Richtigkeit dieses Gebrauchs fungieren zwar die Schemata als die maßgeblichen Kriterien. Doch der Umfang des Kanons macht mit diesen Schemata auf der Hauptlinie von Kants Arbeit an der Theorie der Erfahrung lediglich den unerläßlichen Auftakt. Tatsächlich reicht er auf dieser Hauptlinie noch über den Inhalt des Schematismus-Hauptstücks hinaus. Denn erst gemeinsam mit der Analytik der Grundsätze (A 137, B 176–A 235, B 294) wird die kanonische, kriteriologische Aufgabe vollendet, »welche eine transzendentale Doktrin der Urteilskraft notwendig macht, um nämlich die Möglichkeit zu zeigen, wie reine Verstandesbegriffe501 auf Erscheinungen überhaupt502 angewandt werden können«.503 Nichts macht den beson500 A 63, B 88, Hervorhebung R. E. Zwar bemerkt Paton, Experience II, zutreffenderweise, daß Kant sowohl die direkte Einleitung A 132, B 171–A 136, B 175 in die transzendentale Kriterien-Konzeption  – also in die Schematismus-Konzeption  – wie die Darstellung selbst A 137, B 176–A 147, B 187 dieser Konzeption »without any reference to the forms of judgement«, S. 20, durchführt. Er verbindet diese Bemerkung allerdings mit dem äußerst skeptischen probeweisen Vorbehalt, »If we reject his derivation of the categories [from the forms or functions of judgement, R. E.]«, ebd. Doch wenn, wie in dieser Untersuchung gezeigt werden konnte, die ›metaphysisch deduzierten‹ Kategorien bei genauerem Hinsehen auch für Kant reine kategoriale Urteilsformen sind, vgl. oben 14.3. Ab., dann bleibt zwar Kants Vernachlässigung von any reference to the forms of judgement innerhalb des Schematismus-Kapitels eine buchtechnische Tatsache. Doch wenn man Kants eigene – wenngleich erratische – Präsentationen solcher kategorialen Urteilsformen gebührend ernst nimmt, dann ergibt sich in einem ganz anderen Sinne als es von Paton intendiert ist »the possibility of making a fresh start – und zwar nicht die Möglichkeit »of justifying the categories from the nature of time«, ebd., sondern, wie es Kant selbst gesehen hat, die ihrer metaphysischen, also nicht-empirischen ›Deduktion‹ aus den Funktionen zu urteilen. Unabhängig von Kants eigenen Prägungen von reinen kategorialen Urteilsformen im Sinne von B 288 vgl. auf dieser Linie die reinen kategorialen Urteilsformen, wie sie mit Hilfe einer ›technischen Methode‹ formuliert werden können: Erster Teil, 11. Ab. 501 Kants Hervorhebung. 502 Hervorhebung R. E. 503 A 138, B 177.

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deren kriteriologischen Zuschnitt der Analytik der Grundsätze, insbesonder den der für die Möglichkeit der Erfahrung zentralen Analogien der Erfahrung deutlicher als der Umstand, daß Kant die Erörterung der Ersten und der Zweiten Analogie mehrfach mit Rekursen verbindet, die die für sie wichtige kriterielle Funktion des jeweils einschlägigen Schemas auch wörtlich berücksichtigen.504 Besonders deutlich wird zumindest die Verflechtung der Analogien mit kriteriellen Funktionen, wenn Kant die Erörterung der Dritten Analogie ohne Verwendung des technischen Terminus mit der zentralen kriteriologischen Frageform anfängt: »Woran erkennt man aber: daß [Dinge] in derselben Zeit sind?«.505 Vernachlässigt man den Umstand nicht, daß der Kanon der transzendentalen Logik der Wahrheit eigentlich sowohl den Schematismus der reinen Verstandes­ begriffe wie die Analytik der Grundsätze – also die ganze Transzendentale Doktrin der Urteilskraft – umfaßt, dann ist es auch ohne hermeneutisches Risiko möglich, sich wegen der Frage der Wahrheit der in die B-Deduktion integrierten empirischen Erfahrungsurteile vorläufig nicht nur auf den ersten Teil dieses Kanons, sondern innerhalb dieses Kanons ausschließlich auf die drei Schemata der Relations-Kategorien zu konzentrieren. Kant gibt ja durch die schon mehrfach herangezogene Prolegomena-Stelle IV, 305*, ebenso unmißverständlich wie in paradigmatischer Weise zu verstehen, daß diese Konzentration den springenden Punkt für die Klärung der systematischen Antwort auf diese spezielle Wahrheits-Frage bildet. Wie die drei Schemata zeigen, legen sie die kriteriellen Bedingungen für den wahrheitsfäigen Gebrauch der drei Relations-Kategorien (in Urteilen) auf die Berücksichtigung von mehreren verschiedenen, aber in unterschiedlich miteinander verflochtenen Teil-Kriterien fest. Hebt man unter diesen Kriterien die gemeinsamen spezifischen temporalen Kriterien hervor,506 504 Vgl. A 189, B 232 und A 203, B 249, vgl. auch die entsprechende generelle Bemerkung hierzu A 181, B 223. 505 A 211, B 258, Hervorhebung R. E.; zu den Gründen, diese kriteriologische Frage nicht mit der Leitfrage der Dritten Analogie zu verwechseln, vgl. unten S. 347, Anm. 322, 330–332. 506 Das wichtigste nicht-temporale Teil-Kriterium faßt Kant mit der vielleicht allzu unscheinbaren Bedingung »wenn es nach Belieben gesetzt wird«, A 144, B 183, des Kausalitäts-Kriteriums ins Auge. Dieses ist nur allzu offensichtlich ein in formaler Sprechweise formuliertes Experimental-Kriterium. Ihm trägt Kant konsequenterweise im Rahmen der Erörterung der Zweiten Analogie Rechnung, indem er den zwar banalen alltäglichen, aber seiner Strukur nach quasi-experimentellen Fall erörtert, »Wenn ich eine Kugel … auf das Kissen lege, so folgt auf die vorige glatte Gestalt desselben das Grübchen«, A 203, B 248. Man kann das Beispiel aber gewiß auch als ein Beispiel für Handlungs-Kausalität deuten. Unter den auch grundlagentheoretisch arbeitenden Mathematikern und Physikern hat vor allem Hermann Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft (19281), München 19663, das Experimental-Kriterium der Kausalität besonders klar erfaßt, wenn er formuliert: »Für den Experimentator sind die [kausalen, R. E.] Bedingungen derjenige Teil des Geschehens, der in seiner Gewalt steht«, S. 244, Weyls Hervorhebungen; vgl. hierzu auch unten S. 313–314. In seinen tiefgründigen sowohl werkstattgeschichtlichen wie systematischen Untersuchungen macht Dieter Scheffel, Kants Theorie der

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dann erhält man die folgenden Kriterien für den wahrheitsfähigen Gebrauch der Relations-Kategorien in Urteilen: 1.) Das Substanz-Schema legt den wahrheitsfähigen Gebrauch der SubstanzKategorie (in Urteilen) auf die Berücksichtigung der Bedingung fest, daß irgendetwas Reales immer (beharrlich, vgl. A 144, B 183) der Fall ist, während (indem, vgl. ebd.) alles andere Reale, von dessen der-Fall-sein dieses irgendetwas Reale die Bedingung ist, (nacheinander) wechselt (vgl. ebd.); 2.) das Kausal-Schema legt diesen wahrheitsfähigen urteilsförmigen Gebrauch der Kausal-Kategorie auf die Berücksichtigung der Bedingung fest, daß etwas Reales, was in der Rolle der Wirkung einer Ursache der Fall ist, jederzeit der Fall ist, nachdem etwas anderes Reales der Fall ist, was in der Rolle seiner Ursache der Fall ist (vgl. ebd.);507 3.) schließlich legt das Wechselwirkungs-Schema den wahrheitsfähigen urteilsförmigen Gebrauch der Wechselwirkungs-Kategorie auf die Berücksichtigung der Bedingung fest, daß etwas so komplex Reales R1, wie es dem SubstanzSchema entspricht, mit etwa anderem ebenso komplex Realem R n gleichzeitig der Fall ist, wenn R1 nach dem Kausalschema in Beziehung zu R n steht und umgekehrt (vgl. A 144, B 184). Es liegt auf der Hand, daß es sich beim Wechselwirkungs-Schema  – und entsprechend bei der Wechselwirkungs-Kategorie – um eine extrem komplexe Verflechtung von Elementen der beiden anderen Schemata bzw. Kategorien handelt. Da es beim gegenwärtigen Hauptthema aber ausschließlich um die Klärung der spezifischen Übereinstimmungs-Relation geht, die die Struktur des von Kant konzpierten spezifisch transzendental-logischen Wahrheitsbegriffs bildet, darf vom Experimental-Teilkriterium abstrahiert werden. Seine Relevanz kommt erst zum Tragen, wenn diese Struktur um ihrer selbst willen geklärt ist. Abstrahiert man von diesem spezifischen Teilkriterium, dann kommt es hier auschließlich auf die formalen Eigenschaften der zeitlichen Faktoren an – also auf das Immer bzw. die Omnitemporalität, auf das Nacheinander bzw. die Sukzessivität sowie auf die Gleichzeitigkeit. Die gemeinsame die Form der Übereinstimmungsrelation vervollständigende temporale Struktur bildet die Sukzessivität. Sie ist genauso anti-symmetrisch wie die Relation der hinreichenSubstantalität. Untersuchung ihrer Entwicklungsgeschichte, Köln / Wien 1979, scharfsinnig darauf aufmerksam, daß Kants Experimental-Kriterium schon mit Blick auf die Substanz-Kategorie die negative Funktion hat, »daß im Falle der Subjektfunktion der positive Begriff A als reales Prädikat … prinzipiell meinem Gebrauche entzogen ist«, S. 135. Doch ebenso zu Recht macht er darauf aufmerksam, daß und warum weitere Einzelheiten von Weyls eigener Theorie des Experiments in ihrer Anwendung auf Elemente von Kants Substanztheorie zu mehr als problematischen Konsequenzen nicht nur für eine angemessene Beurteilung von Kants Theorie, sondern auch für Grundfragen sowohl der Chemie wie der Physik führt, vgl. bes. S. 161–162 507 Vgl. A 144, B 183.

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den Bedingung zu dem durch sie Bedingten, die in dieser Untersuchung sowohl für die Charakterisierung der drei relationalen Urteilsfunktionen wie für die der drei Relations-Kategorien fruchtbar gemacht worden ist (vgl. Erster Teil, 10. bzw. 11. Ab.). Beide Relationstypen sind, ganz ungeachtet ihrer Verschiedenartigkeit, nicht nur anti-symmetrisch, sondern auch isomorph. Als der wichtigste systematische Vorläufer dieses Falls von Isomorphie hat sich im Rahmen von Kants Theorie schon die Isomorphie zwischen der ebenfalls anti-symmetrischen relationalen Form des hypothetischen Urteils und der ebenso anti-­symmetrischen Relation erwiesen, die durch die aus dieser logischen Form ›metaphysisch deduzierte‹ reine kategoriale Urteilsform der Kausalität präsentiert wird (vgl. oben S. 110–116). Die Berücksichtigung der zweiten Isomorphie ist, obwohl auch sie in dieser ausdrücklich thematisierten Form ersichtlich über Kants ­eigenen ausdrücklichen begrifflichen Klartext hinausgeht, nicht weniger wichtig. Denn sie bringt einen Gedanken sowohl dieser Deduktion wie von Kants ganzer Theorie der Erfahrung auf klare Begriffe, der in Kants Text zumeist in einer bis zur Unkenntlichkeit unscheinbaren Ausdrucksweise präsent ist. Es geht dabei um das von Kant wiederholt angesprochene Übereinstimmungs-, Entsprechungsbzw. Korrespondenz-Verhältnis zwischen Erkenntnissen, sofern sie Kategorien enthalten, und ihren Gegenständen. Die traditionelle und für Kant kanonische Auffassung dieses Verhältnisses, die er in der Namenerklärung der Wahrheit (vgl. A 58, B 82 f.) formuliert,508 wird lediglich immer wieder einmal von neuem verschärft, um sie mit den beiden Bedingungen zu verflechten, von denen in seiner Theorie abhängt, daß diese Auffassung zu einem Format ausgearbeitet werden kann, in dem sie eine ernstzunehmende Tragfähigkeit und Tragweite gewinnt  – also zum einen mit der Bedingung, daß das Subjekt einer solchen Erkenntnis sie durch den Gebrauch einer oder mehr als einer Kategorie (bzw. kategorialen Urteilsform) prägt, und zum anderen mit der Bedingung, daß es eine solche Erkenntnis ebenfalls durch eine reine oder eine empirische sinnliche Anschauung mit deren Gegenstand verbindet.509 Doch es ist diese Isomorphie, 508 Vgl. auch A 58, B 83; A 59, B 84; A 61, B 86; B 115; A 237, B 296. 509 Vgl. z. B. A 66, B 91; A 89, B 121–A 94, B 127; B 146; A 136, B 175; A 239, B 298–A 240, B 300. – In diesem Punkt hat den sonst so trefflichen Paton, Experience I, seine reflektierende Urteilskraft ausnahmsweise einmal im Stich gelassen. Obwohl er Kants Auffassung »that truth is the correspondence of thought with its object«, S. 193, respektiert, und dies auch weiterhin bekundet, vgl. bes. S. 548–552, diskutiert er das »judgement ›This house is red‹«, S. 549, allen Ernstes als Beispiel für ein Urteil, das in diesem korrespondenztheoretischen Sinn von Wahrheit wahr sein kann. Kants unmißverständliche Auffassung, daß Wahrnehmungsurteile nur subjektiv gültig oder wahr sein können, vgl. IV, 298 f., und daher als solche grundsätzlich nicht mit irgendeinem Objekt ›übereinstimmen‹ können, sondern allenfalls mit denselben Wahrnehmungsurteilen anderer Subjekte in derselben Situation, blendet er unverständlicherweise aus. Mit Blick auf die Unabdingbarkeit des Gebrauchs von Kategorien zugunsten der Möglichkeit der objektiven Gültigkeit oder Wahrheit von Urteilen ist Vleeschauwer, Déduction II, unbeirrbarer gewesen, vgl. bes. S. 366–368.

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die den strukturellen Kern der Übereinstimmungsrelation der von Kant ins Auge gefaßten Wahrheit ausmacht. Wie sieht dieser Kern im einzelnen und so konkret wie möglich aus? Abstrakte Andeutungen, Versicherungen oder Beschwörungen dieser Isomorphie blieben sowohl hinter dem, was hier nötig ist, wie auch hinter dem, was hier möglich ist, in mehr als unvorteilhafter Weise zurück. Den wichtigsten Ausgangspunkt für diese Klärung bilden Kants paradig­ matische (empirische) Erfahrungsurteile und die sie prägenden reinen Katego­ rien bzw. reinen kategorialen Urteilsformen. Die paradigmatischen substanz​­thematischen Erfahrungsurteile gibt mit hinreichender Klarheit und Trennschärfe, obwohl nur gleichsam für den Blick durch das transparente Medium der entsprechenden Wahrnehmungsurteile, B 162 zu verstehen: Das Wasser ist fest, Das Wasser ist flüssig und Das Wasser ist dampf- bzw. gasförmig; das paradigmatische kausal-thematische Erfahrungsurteil bleibt das Prolegomena-Beispiel (IV, 305*) Die Sonne erwärmt den Stein. Aus der für Kants Entwurf der reinen kategorialen Urteilsformen zentralen Stelle B 288 ergibt sich eine Schwierigkeit insofern, als für die paradigmatischen substanz-thematischen Erfahrungsurteile keine Urteilsform präsentiert wird, die in Entsprechung zum kausal-thematischen Gegenstück darum, weil ---, muß … ebenfalls eine charakteristische syntaktische Verknüpfung präsentieren würde. Er beschränkt sich wie auch sonst darauf, die abstrakten Namen der charakteristischen Funktionselemente der kategorischen Urteilsform Subjekt und Prädikat zu verwenden. Zur spezifischeren Charakterisierung hätte Kant auf die A 350 eingeführte Redeweise vom realen Subjekt als dem kategorialen Pendant des logischen Subjekts zurückgreifen können. Die reine substanz-thematische kategoriale Urteilsform würde dann als die Form des ›Etwas, das nur als reales Subjekt, nicht als bloße (reale) Bestimmung anderer Dinge existieren, d. i. Substanz sein kann‹, charakterisiert. Dieser vergleichsweise formale Nachteil gegenüber der grammatisch vollständig durchsichtig gemachten reinen kausal-thematischen kategorialen Urteilsform läßt sich jedoch ausgleichen. Das in gewisser Weise wichtigste Hilfsmittel bildet die von Kant gelegentlich genutzte, in dieser Untersuchung jedoch systematisch zu Hilfe genommene konditionalistische Konzeption der relationalen Urteilsfunktionen und der Relations-Kategorien. Die spezielle Relation der hinreichenden Bedingung zu dem von ihr Bedingten wurde unter Berücksichtigung der ebenso elementaren wie plausiblen Überlegung Georg Henrik von Wrights in unterschiedlichen Formen fruchtbar gemacht. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Formen der Gedanke, daß, falls eine hinreichende Bedingung erfüllt ist, das von ihr Bedingte notwendigerweise der Fall ist. Allerdings sagt Kan selbst über alle »a priori verknüpfende[n] Begriffe«, daß »diese nun jederzeit zugleich Notwendigkeit bei sich führen«.510 Doch offensichtlich wird die Form dieses Bei-sich-führens der Notwendigkeit mit Blick auf die Relations-Kategorien erst 510 B 219, Hervorhebungen R. E.

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dann in jeder Hinsicht am befriedigendsten einsichtig, wenn man beide Notwendigkeits-Momente berücksichtigt, die an diesem Bei-sich-führen beteiligt sind. Denn zum einen bildet beim Gebrauch dieser Begriffe in Urteilen der Rekurs des jeweils urteilenden Subjekts auf die reine und ursprüngliche Apperzeption die notwendige Bedingung für die urteilsförmige Einheitsstiftung des in solchen Urteilen thematisierten Mannigfaltigen. Zum anderen kommt es speziell im Fall der kausal-thematischen Erfahrungsurteile darüber hinaus darauf an, den zweiten beteiligten Notwendigkeits-Faktor syntaktisch bei dem Bedingten zu verorten, das notwendigerweise der Fall ist, wenn seine ursächliche, hinreichende Bedingung erfüllt ist. Im Schutz und im Licht dieser zweiten Voraussetzung muß es möglich sein, eine in Kants systematischem Rahmen kohärente syntaktische Form zu finden, die auch die substanz-thematische reine kategoriale Urteilsform mit Hilfe der weil ---, darum muß …-Grammatik zur Sprache bringt. Orientiert man sich zu diesem heuristischen Zweck am Leitparadigma der drei durch B 162 zu verstehen gegebenen empirischen substanz-thematischen Erfahrungsurteile Das Wasser ist fest, Das Wasser ist flüssig und Das Wasser ist dampf- bzw. gasförmig, dann ist zu berücksichtigen, daß es sich bei diesen Urteilen – ebenso wie bei den korrespondieren kausal-thematischen Erfahrungsurteilen – um Urteile über substanz-thematische phänomenale Einzelfälle handelt. Offensichtlich mit Blick auf solche Einzelfälle hat Kant in der Reflexion 5312 den Typus der komparativen Substanz berücksichtigt: »Ein phaenomenon, was ein substratum ist von anderen phaenominis, ist darum nicht substantz als nur comparative«.511 Ein ›Phänomen‹ wie das Wasser bildet offensichtlich deswegen eine nur komparative Substanz, weil es sich bei ihr nicht um die in der Ersten Analogie behandelte Substanz handelt, die »Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt … und das Quantum derselben … in der Natur weder vermehrt noch vermindert [wird]«.512 Sie bildet jedoch das ›Substrat‹ einiger anderer ›Phänomene‹ – ihres flüssigen, festen bzw. dampf- oder gasförmigen Zustands. Da sich die möglichen Zustands-Phänomene dieser komparativen Substanz in diesen drei einander ausschließenden, aber in den vier Sukzessions-Alternativen flüssig-fest, fest-flüssig, flüssig-dampf- bzw. gasförmig oder dampf- bzw. gasförmig-flüssig erschöpfen, nimmt das entsprechende substanz-thematische Erfahrungsurteil im Rahmen der weil ---, darum muß …-Grammatik unterschiedliche Formen an: Weil dies Wasser flüssig ist, darum muß es danach entweder fest oder dampf- bzw. gasförmig sein, Weil dies Wasser fest ist, darum muß es danach flüssig sein und Weil dies Wasser dampf- bzw. gasförmig ist, darum muß es danach flüssig sein. Die zugrundeliegende reine substanz-kategoriale Urteilsform kann daher mit Blick auf alle möglichen substanz-thematischen Erfahrungsurteile

511 Kants Hervorhebungen. 512 B 224, Hervorhebung R. E.

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offensichtlich so präsentiert werden: Weil etwas Scomp F1 ist, darum muß Scomp danach entweder F2 , F3 oder … oder Fn sein (n ≥ 2). Die drei möglichen Formen für das substanz-thematische Erfahrungsurteil über das Wasser mögen durch die Bindung an die deiktische dies-Referenz auf den ersten Blick irritieren. Doch das paradigmatische kausal-thematische Erfahrungsurteil mit dem referentiellen Ausdruck Die Sonne … kann dieser deiktischen Form der Referenz nur deswegen entbehren, weil dieses Himmels-Objekt im Horizont unserer alltäglichen Wahrnehmung ohnehin singulär ist und daher durch seinen astronomischen Titel normalerweise auch ohne deik­tische referentielle Hilfsmittel eindeutig und individuell identifiziert werden kann. Immerhin kann der damit erreichte status quaestionis auch darauf aufmerksam machen, daß die Integration von Erörterungen empirischer Erfahrungsurteile in die ­B-Deduktion auch die von Kant aus der Formalen Logik ausgeschlossenen und für die Transzendentale Logik reservierten Themen der einzelnen und der so apostrophierten unendlichen Urteile auf den Plan ruft.513 Unter diesen Voraussetzungen lassen sich die beiden Substrukturen, die sich seit Tarskis methodischem Muster für die Klärung der Struktur der Wahrheit als charakteristisch bewährt haben, sogar mit Blick auf Kants ÜbereinstimmungsKonzeption der Wahrheit fruchtbar machen. Bei diesen beiden Substrukturen handelt es sich zum einen um die wahrheits-konditionale Substruktur und zum anderen um die von dieser Substruktur abhängige kriterielle Substruktur. Es geht daher bei der geforderten (vgl. oben S. 154 f.) möglichst konkreten und detaillierten Charakterisierung der Isomorphie, die den Kern von Kants Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit bildet, um die möglichst konkrete und detaillierte Formulierung sowohl der Wahrheitsbedingungen wie der Wahrheitskriterien, die wegen dieser Isomorphie für die substanz- und für die kausalthematischen Erfahrungsurteile charakteristisch sind. Um der methodischen Übersichtlichkeit willen wird es zweckmäßig sein, beiden Desideraten zunächst am Leitfaden der beiden paradigmatischen Erfahrungsurteile nachzukommen und erst danach diesen Desideraten allgemein für die Erfahrungsurteile dieser beiden Typen nachzukommen. Beide Aufgaben sind mit Blick auf die Wahrheitsbedingungen an der von Tarski entworfenen Konvention W514 orientiert, die erste direkt, die zweite, da sie von der ersten abhängt, indirekt:

513 Vgl. A 71, B 96–B 97 und A 71, B 97–A73, B 98. 514 Vgl. Alfred Tarski, Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen (poln. 19331), in: Studia Philosophica 1 (1936), S. 261–404, hier: S. 268 f. Zur Rolle dieser W-Konvention im Zusammenhang mit der legitimatorischen Rolle transzendentaler Argumente in Kants Transzendentaler Deduktion der Kategorien vgl. auch die vorsichtigen Erwägungen von Wolfgang Carl, Comment on Rorty, in: P. Bieri / R .-P. / Horstmann / L . Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht / Boston / London 1979, S. 105–112, bes. S. 110–111.

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WBcomp / sub: Weil dieses Wasser flüssig ist, darum ist es notwendigerweise weder fest noch dampf- bzw. gasförmig, ist wahr dann und nur dann, wenn, weil dieses Wasser flüssig ist, darum ist es notwendigerweise weder fest noch dampf- bzw. gasförmig. Analog wie kausal-thematische Erfahrungsurteile eine kategoriale ›Tiefenstruktur‹ haben, an der ein an ihrer alltäglichen ›Oberflächenstruktur‹ nicht direkt zugänglicher Notwendigkeitsfaktor beteiligt ist, der vom ebenfalls nicht direkt zugänglichen hinreichenden Charakter der ›ursächlichen‹ Weil-Bedingung abhängt, haben substanz-thematische Erfahrungsurteile ebenfalls eine an ihrer alltäglichen ›Oberflächenstruktur‹ nicht direkt zugängliche kategoriale ›Tiefenstruktur‹. Zu dieser gehört sowohl der hinreichende Charakter der Weil-Bedingung wie die von dieser Bedingung abhängige Notwendigkeit der disjunkten Sukzessions-Zustände der komparativen Wasser-Substanz.515 Das Wahrheitskriterium für das Urteil mit den so charakterisierten Wahrheitsbedingungen hat entsprechend dem Substanz-Schema die Form: WKcomp / sub: Weil dieses Wasser flüssig ist, darum ist es notwendigerweise entweder nicht-fest oder nicht-dampf- bzw. gasförmig, ist wahr, weil dieses Wasser jederzeit (»beharrlich«) entweder flüssig ist, nachdem es dampf- bzw. gasförmig war, oder fest ist, nachdem es flüssig war, oder dampf- bzw. gasförmig ist, nachdem es flüssig war. Die drei Sukzessions-Disjunktionen (nachdem) des Kriteriums entsprechen dem im Substanz-Schema berücksichtigten ›Wechsel der Erscheinungen‹, deren ›substratum‹ das Wasser im Status einer komparativen Substanz bildet. Den tempora­len Kern der Beharrlichkeits-Bedingung bildet die Jederzeitigkeit, die das Schema-Kriterium der Notwendigkeit bildet.516 Vor allem aber zeigt sich unter diesen Voraussetzungen, daß Kants Orientierung an der ÜbereinstimmungsKonzeption der Wahrheit ihren der Sache nach wichtigsten Anhaltspunkt aus der Rolle der drei Wie-Fragen gewinnt, durch die er an der späten Schlüsselstelle B 288 bei genauerem Hinsehen die Leitfrage der Transzendentalen Deduktion mit den drei Relations-Kategorien verbindet. Denn es »läßt sich gar nicht aus

515 Es gehört offensichtlich zum empirischen Charakter substanz-thematischer Erfahrungsurteile, daß sich die disjunkten Sukzessions-Zustände unter spezifizierbaren geschicht­ lichen Umständen als unvollständig erweisen können. Das Paradigma der komparativen Substanz des Wassers kann daher darauf aufmerksam machen, daß jedenfalls zu Kants Zeit die Möglichkeit noch unbekannt war, daß ein dampf- bzw. gasförmiger Zustand unter bestimmten kausalen Bedingungen sukzessiv in den später so apostrophierten ›vierten Aggregat-Zustand‹ des Plasmas übergehen kann. 516 Vgl. A 145, B 184.

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bloßen Begriffen einsehen«, wie etwas »existieren … könne«, was insbesondere mit den »drei Kategorien der Relation«517 übereinstimmt. Diese Fragen müssen offen bleiben, »[s]olange es … an Anschauung fehlt«,518 vor allem an der reinen zeitlichen Form der Anschauung a priori, der Sukzessivität. Das Wie der Existenz einer (phänomenalen) komparativen Substanz und der (phänomenalen) komparativen Akzidenzien, deren Substrat sie ist, wird daher von ihrer Jederzeitigkeit bzw. von den drei disjunkten Sukzessivitäten ihrer Akzidenzien gebildet. Die isomorphe Form der Übereinstimmung, die den formalen Kern der Wahrheit solcher substanz-thematischen Erfahrungsurteile bildet, besteht darin, daß die anti-symmetrische weil ---, darum muß …-Relation, die solchen Urteilen durch den Gebrauch der reinen substanz-kategorialen Urteilsform eingeprägt wird, isomorph mit der anti-symmetrischen Sukzessivitäts-Relation ist, die solche Urteile zur Charakterisierung der empirischen Relation des jeweiligen phänomenalen ›substratum‹ und jeweils einer seiner charakteristischen phänomenalen Sukzessions-Akzidenzien in Anspruch nehmen. Schon hier zeichnet sich ab, daß die von Kant ›geschenkte‹, aber gleichwohl ›vorausgesetzte‹ Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit ihren springenden Punkt vor allem aus seiner Orientierung an dem ›critisch‹ relativierten Kriterium der Wahrheit gewinnt. Denn die Sukzessivitäts-Relation bildet schon auf dem Weg zur ersten Auflage der Ersten Kritik einen festen Faktor seiner im ernstesten Sinne ›critischen‹ Auffassung von den Möglichkeiten der Philosophie. Kein anderer Faktor kommt daher für die ausdrücklich, konkret und detailliert zur Sprache gebrachte Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit in sachlich plausibler Nachvollziehbarkeit in Frage als die mit der antisymmetrischen Weil ---, darum muß …-Relation isomorph ›übereinstimmende‹ Sukzessivitäts-Relation. Umgekehrt ist es aber auch die reine kategoriale Weil ---, darum muß …-Relation, die nach einer solchen nicht nur ›übereinstimmenden‹, sondern auch anschaulichen Relation verlangt. Denn »Solange es an Anschauung fehlt, weiß man nicht, ob man durch die Kategorie ein Objekt denkt, … und [sie, R. E.] für sich gar keine Erkenntnis […]«519 ist. Erst mit der reinen zeitlichen 517 B 288. 518 Ebd. 519 Ebd., Kants Hervorhebung. – Rüdiger Bubner, Kant, Transcendental Argument and the Problem of Deduction, in: The Review of Metaphysics 28 (1975), S. 454–464, beginnt seine umsichtige und scharfsinnige Erörterung mit der an Wittgenstein orientierten These, daß die Sätze der Logik (the logical propositions, vgl. Zitat S. 454) eine »structural identity in the relationship between logic and reality«, S. 454, voraussetzen (presuppose). Er gewinnt aus Wittgensteins Bemerkung die Prämisse, daß »Logic does not, as it were, overtake this presupposition; it builds upon it«, S. 455. Er bemängelt indessen, daß »Wittgenstein falls back upon the traditional concept of the transcendental to ascribe to logic the function of making empirical knowledge possibe«, ebd., und argumentiert, daß »This … must be secured in advance of an analysis«, S. 455–456. Zu Recht gibt er zu bedenken, daß »The analysis must presuppose something without which it could not

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Anschauung apriori der Sukzessivität verfügt die an den reinen RelationsKategorien bzw. reinen kategorialen Urteilsformen orientierte Theorie über operate«, S. 456. Doch der neuralgische Punkt in Bubners Argumentation zeigt sich nachträglich, indem er die Präsupposition als eine ausschließlich und spezifisch »logical presupposition«, ebd., charakterisiert. Denn dieser neuralgische Punkt ist bloß gleichsam die Spätfolge einer subtilen Zweideutigkeit, mit der er seine oberste Prämisse belastet hat. Indem er behauptet, daß ›logic does not, as it were, overtake this presupposition; it builds upon it‹, vernachlässigt er die Möglichkeit, daß die Logik eine solche Präsup­ position sowohl übernehmen wie auch auf sie bauen kann. Jedenfalls ist dies offenkundig widerspruchsfrei möglich. Es kommt dann lediglich darauf an, zwei Punkte zu klären: Zum einen muß Wittgensteins viel zu starke Identitäts-Präsupposition zugunsten einer schwächeren Übereinstimmungs- oder Korrespondenz-Präsuppositions aufgegeben werden, weil nicht jeder Fall von Übereinstimmung bzw. Korrespondenz ein Fall von Identität ist; vgl. hierzu schon die vorsichtige syntaktisch orientierte Wittgenstein-Kritik und -Korrektur bei Erik Stenius, Wittgenstein’s Tractatus. A Critical Exposition of its Main Lines of Thougt, Oxford 1960, bes. S. 133 ff., sowie die schlagende grundsätzliche Kritik an Wittgensteins Auffassung von der identitären Form des Abbildungs-Verhältnisses zwischen Satz und Tatsache durch Günther Patzig, Satz und Tatsache (19641), wieder abgedr. in: ders., Gesammelte Schriften IV. Theoretische Philosophie, Göttingen 1996, S. 9–42, S. 18–20; zum anderen muß geklärt werden, welches das von der Logik verschiedene Medium sein kann, in dem einer Isomorphie-Präsupposition im Unterschied zu der Identitäts-Präsupposition eine Schlüsselrolle zukommt. (Ich sehe hier auch davon ab, daß Bubner Stenius’ wichtige Unterscheidung zwischen »the relation between  a linguistic description and the reality described by it« und »the relation between language as  a system and reality«, S. 177, Stenius’ Hervorhebungen, vernachlässigt.) Mit Blick auf die Übereinstimmungs- bzw. Korrespondenz-Konzeption der Wahrheit, die Kant innerhalb seiner Theorie der Erfahrung skizziert und die in dieser Untersuchung erörtert wird, handelt es sich bei diesem Medium sowohl um die ›gemeine Erfahrung‹ wie um die spezifisch wissenschaftliche Form der Erfahrung. Zwar übernimmt Kants Transzendentale Logik diese Präsupposition, doch sie baut nicht auf sie in dem Sinne, daß sie sich auf so etwas wie ihre Wahrheit blind verlassen würde. Stattdessen sucht sie die zureichenden Gründe überhaupt erst einmal zu klären, aus denen man berechtigt und gerechtfertigt ist, von ihr sowohl im Medium der ›gemeinen Erfahrung‹ wie in dem der spezifisch wissenschaftlichen Form der Erfahrung Gebrauch zu machen und sich auf ihre Wahrheit zu verlassen. Der Klärung dieser Gründe ist die Transzendentale Deduktion der Kategorien gewidmet. Doch gerade wegen des ganz andersartig strukturierten Verhältnisses von presuppose und build upon von Kants Transzendentaler Logik ist sie bzw. insbesondere die Transzendentale Deduktion gerade nicht, wie Bubner im Schatten der einseitigen Auflösung seiner zweideutigen Prämisse schließlich argumentiert, ein Fall von »self-referentiality«, S. 467; vgl. hierzu auch S. 456, 460, 463. Bei der Wahrheit insbesondere der Isomorphie-Präsupposition selbst handelt es sich um die spezifische von Kant im Rahmen der Beweise und Erörterungen des Grundsatz-Kapitels intendierte »transzendentale Wahrheit«, A 222, B 269, im Unterschied zur (objektiven) Wahrheit bzw. Wahrheitsfähigkeit der (empirischen) Erfahrungsurteile. Im Vergleich mit anderen Teilnehmern an den Diskussionen um transzendentale Argumente führt Bubner – trotz seiner einseitigen Prämisse – zwar eine umsichtige und scharfsinnige Überlegung vor. Doch zusammen mit der mangelhaften Tragfähigkeit seiner einseitigen Prämisse büßen seine Erörterungen gleichwohl auch ihre Relevanz für das Thema von Kants Transzendentaler Deduktion ein.

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das isomorph ›übereinstimmende‹ relationale Requisit, das in der Rolle eines Kriteriums maßgeblich zur Beurteilung darüber beiträgt, ob ein Phänomen den Status einer komparativen Substanz hat oder nicht und somit auch durch ein objektiv wahres bzw. wahrheitsfähiges empirisches Erfahrungsurteil thematisiert werden kann. Eine Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit kann Kant also nur deswegen ins Auge fassen, weil er damit so etwas wie eine sowohl wahrheits-konditionalistische wie wahrheits-kriteriologische Zwillings-Theorie ins Auge faßt. Unter diesen Voraussetzungen fällt es relativ leicht, die Wahrheitsbedingungen substanz-thematischer Urteile auch unabhängig von irgendeinem empirischen Paradigma, also nur mit Blick auf die reine substanz-kategoriale Urteilsform Weil etwas Scomp F1 ist, darum muß Scomp entweder auch F2 , F3 oder … oder auch Fn sein (wobei n ≥ 2) (vgl. oben S. 155–156) zu charakterisieren: WBrein / sub: Weil etwas Scomp F1 ist, darum ist Scomp notwendigerweise entweder auch F2 , F3 oder … oder Fn, ist wahr dann und nur dann, wenn Weil etwas Scomp F1 ist, darum ist Scomp notwendigerweise entweder auch F2 , F3 oder … oder auch Fn . Das Wahrheits-Kriterium solcher Urteile hat unabhängig von irgendeinem empirischen Paradigma – wiederum entsprechend dem Substanz-Schema-­K riterium und dem Notwendigkeits-Schema – daher die Form: WK rein / sub: Weil Scomp F1 ist, darum ist Scomp notwendigerweise auch entweder F2 , F3 oder … oder Fn sein, ist wahr, weil Weil etwas Scomp F1 ist, darum ist Scomp danach jederzeit auch entweder F2 , F3 oder … oder Fn. Die Schritte zu den Charakterisierungen der Wahrheitsbedingungen und zur Formulierung der Wahrheitskriterien paradigmatischer kausal-thematischer Erfahrungsurteile fallen im Licht dieser Vorgaben vergleichweise viel leichter. Sie müssen zunächst lediglich berücksichtigen, daß an den entsprechenden Wahrheitsbedingungen jeweils zwei Wahrnehmungsurteile pW1 und qW2 unmittelbar beteiligt sind, die durch das jeweilige empirische Erfahrungsurteil mit Hilfe der reinen Kausal-Kategorie bzw. reinen kausal-kategorialen Urteilsform in der anti-symmetrischen konditionalen Form der hinreichende Weil-Bedingung und des durch sie Bedingten verknüpft werden. Für das in dieser Untersuchung paradigmatische Standard-Urteil können die Wahrheitsbedingungen leicht charakterisiert werden: WBemp / kaus: Weil die Sonne den Stein bescheint, (darum) wird er notwendigerweise erwärmt, ist wahr dann und nur dann, wenn Weil die Sonne den Stein bescheint, wird er notwendigerweise erwärmt.

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Das entsprechende Wahrheits-Kriterium nimmt dann im Sinne des KausalitätsSchemas und des Notwendigkeit-Schemas die Form an: WKemp / kaus: Weil die Sonne den Stein bescheint, wird er notwendigerweise erwärmt, ist wahr, weil Der Stein jederzeit erwärmt wird, nachdem die Sonne ihn bescheint.520 Seine Wahrheitsbedingungen sind gemäß der W-Konvention leicht charakterisiert: Weil pW1der Fall ist, darum ist notwendigerweise qW2der Fall, ist wahr dann und nur dann, wenn Weil pW1der Fall ist, darum ist notwendigerweise qW2 der Fall.521 520 An diesem kriteriologischen Punkt zeigt sich eine in der Regel vernachlässigte, gleichsam spiegelverkehrte Verwandtschaft von Kants Theorie der Kausalität mit der von Hume. Denn in der Section XV Rules by which to judge of cause and effect des Part III des Book I des Treatise of Human Nature formuliert Hume mit der zweiten Regel The cause must be prior to the effect und der dritten Regel There must be a constant union betwixt the cause and the effect die kriteriologischen Vorläufer von Kants Sukzessivitäts- bzw. Jederzeitigkeits-Teilkriterium. Hume formuliert also paradoxerweise Kriterien für die wahrheitsträchtige Anwendung eines Begriffs von Ursache und Wirkung, über den er nicht nur gar nicht verfügt. Er hält die Bemühungen um eine Klärung eines solchen und an einen Notwendigkeitsfaktor gebundenen Begriffs auch mit der empiristischen Begründung für vergeblich, weil »there are no objects which, by the mere survey, without consulting experience, we can determine to be the cause of any other«, S. 170, Hervorhebung R. E. Daher formuliert Baum, Deduktion, in unvorsichtiger, aber gewiß nicht intentionaler Weise bereits dadurch ein subtil zu großes Zugeständnis an die Adresse nicht nur Humes, sondern auch Lockes, wenn er in der Darstellung ihrer Auffassungen des Kausalitätsproblems, vgl. S. 74–75, z. B. von »Humes Rückführung der Kategorie der Ursache auf eine in der inneren Erfahrung öfter angetroffene Assoziation der Vorstellungen«, S. 74, Hervorhebung R. E., spricht. Genau genommen, kennen beide Autoren lediglich das Wort »cause« und seine von ihnen registrierten und empiristisch analysierten alltäglichen Gebrauchsbedeutungen. Im Rahmen einer systematischen Kant-Interpretation wie der von Baum exportiert man alleine schon durch den Gebrauch des Wortes »Kategorie« in eine Darstellung von Lockes und Humes entsprechenden Auffassungen ein subtil un­ angemessenes transzendental-logisches Moment. 521 Josef König, Bemerkungen über den Begriff der Ursache (19491), in: G.  Patzig (Hg.), ders., Vorträge und Aufsätze, Freiburg / München 1978, S. 122–255, hat im Rahmen seiner subtilen und aufschlußreichen kausal-theoretischen Erörterung der Rolle der weilKonjunktion, vgl. S. 147–242, auf die durch Schopenhauer prominenter gewordene Unterscheidung von Erkenntnisgrund und Seinsgrund zurückgegriffen, vgl. S. 222–255. Zu Recht betont er vorab in einem programmatischen Hinweis, »daß die radikale Trennung zwischen dem logischen Verhältnis zwischen Grund und Folge [also Erkenntnisgrund, R. E.] und dem angeblich realen, translogischen Verhältnis von Ursache und Wirkung [also Seinsgrund], de sich hauptsächlich in der Zeit nach Leibniz durchgesetzt hat, kein Fortschritt war und in dem entscheidenden Punkt … zurückgenommen werden muß«, S. 125. Ziel seiner Untersuchung ist es zu zeigen, daß im Rahmen des Kausalproblems ein strikter funktionaler Zusammenhang zwischen Erkenntnisgrund und Seinsgrund besteht. Indessen irrt er mit der Einschätzung, »daß … auch Kant der fraglichen Einsicht

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Das Kriterium seiner Wahrheit ergibt sich indessen aus Kants Kausal-Schema und seinem Notwendigkeits-Schema: Weil pW1der Fall ist, darum ist notwendigerweise qW2 der Fall, ist wahr, weil qW2 jederzeit der Fall ist, nachdem pW1 der Fall ist. Unter diesen Voraussetzungen ist jedoch ein wichtiger Aspekt zu beachten, unter dem dieses Wahrheits-Kriterium von Kant selbst in der Tragweite seiner Anwendung auf den Einzelfall eingeschränkt wird. Denn es ist der Typus des charakteristischen empirischen Erfahrungsurteile, auf den Kants gelegent­ liche methodologische Reflexionen zugeschnitten sind: Er »stützt sich […], obgleich aus reinen Quellen des Verstandes entsprungen, dennoch auf […] durch­gängige Bestätigung«,522 sowie »Unerweisliches Urteil kann doch wahr sei«.523 Die Durchgängigkeit des Bestätigungsbedarfs ist nur allzu offensichtlich an dem Jederzeitigkeits-Teilkriterium orientiert, dem sich die Wahrheitsansprüche sowohl der substanz- wie der kausal-thematischen Erfahrungsurteile stellen müssen. Weil dieses Teil-Kriterium selbstverständlich auch durch eine beliebig lange ›Erfahrenheit langer Zeiten‹ niemals erschöpfend erfüllt werden kann, gehören die Urteile dieses Typs zu den ›unwerweislichen‹ Urteilen. Aber da auch ein solches Urteil ›doch wahr sein kann‹, ist es umso wichtiger, wenigstens die Bedingungen der Wahrheit solcher Urteile zu klären und im Anschluß daran die Kriterien ihrer Wahrheit. Auf diesem Weg zeigt sich zum unübersehbaren Vorteil von Kants Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit, daß diese nicht etwa in einem inkommensurablen Verhältnis zur so apostrophierten semantischen Konzeption der Wahrheit und ihrer zentralen W-Konvention steht. Es zeigt sich vielmehr, daß die Wahrheitsbedingungen solcher Urteile geradezu trivialerweise dieser W-Konvention genügen. Wohl aber müssen sie durch die für ihre Wahrheitsbedingungen charakteristische anti-symmetrische weil …, darum muß-Relation in strikter, isomorpher Übereinstimmung mit dem SukzessivitätsKriterium ihrer Wahrheit stehen.524 Kants Übereinstimmungs -Konzeption der ermangel[t]«, S. 130. Doch die in dieser Untersuchung erprobte urteilsförmige KausalKategorie zeigt das Gegenteil: Der Gebrauch der weil-urteilsförmigen Kausalkategorie fungiert als der Grund der möglichen Erkenntnis des Vorliegens eines individuellen wahrnehmungsbasierten Falles der Ursache bzw. der hinreichenden Bedingung – des ›Seinsgrundes‹ – einer Wirkung. 522 IV, 327, Hervorhebung R. E. 523 XXIV, 1.2, 767. 524 Jay F. Rosenberg, Linguistic Representation, Dordrecht-Boston-London 1974, und ders., Beyond Formalism. Naming and Necessity for Human Beings, Philadelphia 1984, hat zuletzt am ernsthaftesten daran gearbeitet, die Isomorphie-Bedingung mit der Korrespon­ denz-Konzeption der Wahrheit zu verbinden, vgl. Representation, S. 120–121, und Be­ yond, S. 164 f. Die am tiefsten gehende Differenz unter den vielfältigen Differenzen zwischen Rosenbergs Untersuchungen und den hier berücksichtigten Elementen von

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Wahrheit steht und fällt daher mit ihrer Bindung an diesen kriteriologischen Teil. Nur in der integralen Verbindung mit diesem kriteriologischen Teil bildet die Transzendentale Logik, deren integralen Teil wiederum diese Konzeption bildet, in nachvollziehbarer und lehrreicher Weise die von Kant in Anspruch genommene Logik der Wahrheit.525 Kants Theorie zeigt sich an einer Konsequenz, die Rosenberg aus seinen Untersuchungen zieht: »… we must not make the mistake … that correspondence is the criterion of truth«, Representation, S. 120, Rosenbergs Hervorhebung. Da Kant den Schemata kriterielle Funktionen zuschreibt, ist klar, daß an der Isomorphie zwischen anti-symmetrischen Relations-Kategorien und ihrem gemeinsamen anti-symmetrischen SukzessivitätsSchema eben ein solches Kriterium beteiligt ist. Nicht irgendeine unbestimmt bleibende Korrespondenz bzw. Übereinstimmung hat im Licht von Kants Theorie eine kriterielle Funktion, sondern das Kriterium ist ein echter Teil der ins Auge gefaßten isomorphen Übereinstimmung bzw. Korrespondenz zwischen der kategorialen Form des jeweiligen Erfahrungsurteils und der anschaulich-temporalen, sukzessiven Form des beurteilten Gegenstands bzw. Sachverhalts. Verblüffenderweise versucht sich Jay F. Rosenberg, Accessing Kant. A Relaxed Introduction to the Critique of Pure Reason, Oxford 2009, nicht im geringsten an einer Erörterung der Korrespondenz-, Entsprechungs- bzw. Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit, die Kant so unübersehbar in der Einleitung in die Transzendentale Logik unter dem Titel einer Logik der Wahrheit in den Mittelpunkt stellt. Nicht weniger verblüffend ist der Umstand, daß Rosenberg einerseits seine tiefe Dankesschuld für die Untersuchungen von Wolff, Vollständigkeit, bekundet, vgl. S. 988, aber ausgerechnet im Zusammenhang der Erörterung der »judgemental or propositional form«, S. 92, ernsthaft in der Sprache von Freges Logik behaupten kann, daß »For Kant, the ›unsaturated‹ judgemental logical form ›Fx‹ is the fundamental unity«, S. 94, R.’s Hervohebung. Doch von nichts unterscheiden sich die von Kant konzipierten »Functions of unity in judgements«, S. 97, mehr als von den von Frege konzipierten unsaturated judgemental logical forms. Von den so konzipierten Funktionen führt daher auch kein Weg zur Metaphysischen oder zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien. 525 Richard Rorty, Transcendental Arguments, Self-Reference, and Pragmatism, in: P. Bieri /  R.-P.  Horstmann / L .  Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht / Boston / London 1979, S. 77–103, erörtert die Tragweite, die die Konvention W nach seiner Auffassung für die Möglichkeit transzendentaler Argumente mit sich bringt, wenn man seine Interpretation von Davidsons einschlägigen wahrheitstheoretischen Texten teilt: »… the most effective recent argument against the possibility of transcendental philosophy. But … [is, R. E.] itself a piece of transcendental argumentation«, S. 99. In seinem anschließenden Kommentar macht Carl, Comment on Rorty, in: dies., dass., S. 105–111, darauf aufmerksam, daß Rorty – abgesehen von nicht wenigen wichtigen Defiziten an Klarheit, vgl. S. 105–106 – die Tragweite verkennt, die Davidsons Gedanke mit sich bringt, daß, wie Carl Davidson zustimmend zitiert, »Convention T embodies our best intuition as to how the concept of truth is used«, S. 110. Wie sich gezeigt hat, werden die Wahrheitsbedingungen der von Kant herausgearbeiteten empirischen Erfahrungsurteile von dieser best intuition der Konvention W ebenso bestens erfaßt wie die vieler anderer Urteilstypen, an denen in der Tradition Tarskis ›metaphysisch deduzierte‹ Kategorien nicht beteiligt sind. Carl fährt fort, indem er, ohne es beim Namen zu nennen, auf das die Wahrheitsbedingungen ergänzende Kriterium der Wahrheit zielt: »… we cannot make our statements true just by saying so, because we have, with Davidson and the Convention T, the notion of an objective truth. To answer the

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14.6. Zur Frage der Kohärenz der Transzendentalen Deduktion: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion IV Die buchtechnische Thematisierung der Transzendentalen Deduktion legt diese auf die Aufgabe fest, die objektive Gültigkeit mit Blick auf alle ›reinen Verstandesbegriffe‹ nachzuweisen. Zwar ist unübersehbar, daß die Texte dieser Deduktion in beiden Fassungen weit davon entfernt sind, eine entsprechende Schritt-für-Schritt-Deduktion für jeden einzelnen der zwölf in der KategorienTafel namentlich aufgelisteten Verstandesbegriffe vorzuführen. Doch Kant hat selbst dafür gesorgt, daß man man dies nicht für einen grundsätzlichen Mangel zu halten braucht. Denn nachdem er generell, aber abstrakt auf die Frage eingegangen ist, wie wir »durch einen reinen Verstandesbegriff …, sofern dieser auf Gegenstände der Sinne bezogen wird [,] … Erkenntnisse a priori von Gegenständen (in der Mathematik) bekommen«,526 formuliert er eine Einschränkung, die ein Kriterium impliziert, das eine Präferenzordnung für die Kategorien festlegt, die in deren Transzendentaler Deduktion vor allem berücksichtigt werden sollte: »Folglich verschaffen die reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden, nur sofern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können. Folglich liefern uns die Kategorien vermittelst der reinen527 Anschauung auch keine Erkenntnis von quaestio iuris, to legitimaze knowledge claims, is nothing else but to give an account of or to show what makes a statement true«, S. 111, Hervorhebungen R. E. Der account of what makes a statement true ist gar nichts anderes als das, was durch die jeweils einschlägigen Kriterien der Wahrheit festgelegt ist. Im Fall der paradigmatischen kausal-thematischen Erfahrungsurteile ist dies zum einen das Schema-Kriterium der Sukzessivität, mit der das ›effektive‹ Phänomen auf das ursächliche Phänomen in der Wahrnehmung folgt, und zum anderen das Schema-Kriterium der Jederzeitigkeit für die Notwendigkeit, mit der das ›effektive‹ Phänomen auf das ursächliche Phänomen in der Wahrnehmung folgt. Die Jederzeitigkeit, mit der das ›effektive‹ Phänomen auf das ursächliche Phänomen in der Wahrnehmung folgt, wird durch die subjektive Berechtigung verliehen, das entsprechende kaual-thematische Erfahrungsurteil zu bilden, die transzendentale Deduktion der Kausal-Kategorie verleiht hingegen die objektive Rechtfertigung bzw. Legitimation, sich ein solches Urteil zueigen zu machen. Wenn man überhaupt einen einzelnen scharf umreißbaren Typ eines transzendentalen Arguments zur Beantwortung der quaestio iuris-Frage im Zusammenhang von Kants Transzendentaler Deduktion profilieren kann, dann ist es daher dieser: Mit einem empirischen Urteil kann man berechtigter- und gerechtfertigterweise einen Anspruch auf objektive Wahrheit dann und nur dann verbinden, wenn es sich um ein Erfahrungsurteil handelt, in dem von der Substanz- bzw. der KausalKategorie in einer Form Gebrauch gemacht wird, die die Schema-Wahrheitskriterien respektiert, die für den wahrheitsgemäßen Gebrauch dieser Kategorien in solchen Urteile charakteristisch sind. 526 B 146–147, Hervorhebung R. E. 527 Hier schließe ich mich der Konjektur Goldschmids an.

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Dingen, als nur durch ihre mögliche Anwendung auf empirische Anschauung, d. i. sie dienen nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis. Diese aber heißt Erfahrung.528 Folglich haben die Kategorien keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als nur sofern diese als Gegenstände möglicher Erfahrung angenommen werden«.529 Damit legt Kant die Aufgabenverteilung für die Transzendentale Deduktion klarerweise auf die primäre Berücksichtigung derjenigen Kategorien fest, die direkt für die Gegenstände möglicher Erfahrung relevant sind. Erst zweitrangig kommen unter dieser Voraussetzung diejenigen Verstandesbegriffe für eine Berücksichtigung durch die Deduktion in Betracht, die ›auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden‹. Denn mit Blick auf die empirische Erkenntnis erfüllen sie ausschließlich eine Dienstfunktion, wie sie vom jeweils urteilenden Subjekt mit ihrer Hilfe erst dann ausgeübt werden kann, wenn es durch den empirischen Gebrauch einer der dafür direkt relevanten Relations-Kategorien schon einen der wirklichen Gegenstände möglicher Erfahrung erfaßt hat. Spätestens im Rückblick vom status quaestionis, der mit der Thematisierung der drei Analogien der Erfahrung erreicht ist, kann klar werden, daß damit für die Transzendentale Deduktion die Berücksichtigung der drei RelationsKategorien an der Spitze der Aufgaben steht.530 Mindestens genauso bedeutsam 528 Kants Hervorhebungen. 529 B 147–148, Hervorhebung R. E. 530 Mit unmißverständlicher Klarheit notiert Kant daher in diesem Sinne, daß »Die categorie des Verhältnisses … […] die Vornehmste unter allen [ist]«, R 5854. Mit gutem Grund betont daher auch Alejandro G. Vigo, Kategoriale Synthesis und Einheit des Bewusstseins. Zu Kants Lehre vom Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Erfahrung, in: R. Enskat (Hg.), Kants Theorie der Erfahrung, Berlin / New York 2015, S. 169–199, »dass die entscheidende Rolle bei der Ermöglichung eines ›echten‹ bzw. ›vollen‹ Gegenstandsbezugs gerade den Kategorien der Relation zukommt«, S. 197; vgl. hierzu seine ausführlichen Erörterungen bes. S 187–196, sowie seine Leitthese, daß »der Primat hier [in der Transzendentalen Deduktion, R. E.] den von Kant so genannten ›dynamischen‹ Kategorien und darunter insbesondere den Kategorien der Relation zukommt«, S. 169. Dem entspricht aus denselben Gründen unmittelbar, daß »[…] der Leser […] [am meisten] auf die Beweisart der Grundsätze, die unter dem Namen der Analogien der Erfahrung vorkommen, aufmerksam sein [muß]«, IV, 309. Ähnlich gbt Allison, Deduction, zu bedenken, »that the conversion of perceptions into experience … is the epistemic task of the relational categories«, S. 423. Auch Wagner, Argumentationsgang, hebt mit Blick auf die transzendentale Deduktion die Gültigkeit der »gegenständlich gewandten formal-logischen Relationstypen«, S. 362, Hervorhebung R. E. hervor. Allison, Deduction, verkennt dieses wichtige Präferenzkriterium gewissermaßen haarscharf, wenn er eines von »three problems«, darin sieht, daß »Kant’s analysis applies only to the categories of relation«, S. 302, Hervorhebungen R. E. Denn sie ist nicht ausschließlich anwendbar auf sie; vielmehr gilt dieser Form ihrer Anwendbarkeit auf sie aus den oben und von Vigo herausgearbeiteten, spezifisch erfahrungstheoretischen Gründen Kants primäre analytische Aufmerksamkeit. Kants erfahrungstheoretische Präferenz der Relations-Kategorien und der entsprechenden Grundsätze ist darüber hinaus durch den urteilslogischen Gedan-

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für diesen Vorrang dieser drei Kategorien ist der Umstand, daß Kant den vorletzten, den § 26 der Deduktion beschließt, indem er die Kategorien in der Rolle sieht, »den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriff aller Erscheinungen … Gesetze  a priori vorzuschreiben«.531 Denn »Natur …, materialiter betrachtet, ist der Inbegriff aller möglichen Erfahrung«.532 Damit sind die drei Relations-Kategorien auch durch ihre Schlüsselfunktion für die drei Analogien der Erfahrung ausgezeichnet. Denn sie sind es, von denen abhängt, daß »Das Prinzip derselben ist: Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich«.533 Allerdings gebraucht Kant den Notwendigkeits-Faktor nicht nur hier notorisch unscharf.534 Denn nicht die Verküpfung selbst und als solche ist notwendig. Vielmehr ist es zum einen für ein wahrnehmendes und Wahrnehmungen beurteilendes Subjekt eine für die Möglichkeit der Erfahrung notwendige Bedingung, »Erfahrung … durch verknüpfte Wahrnehmungen«535 zu gewinnen. Zum anderen kann dies, wie er im Beweis dieses Prinzips argumentiert, »nur durch a priori verknüpfende Begriffe geschehen«, die »jederzeit zugleich Notwendigkeit bei sich führen«.536 Doch auch die Notwendigkeit, die diese die Wahrnehmungen verknüpfenden Relations-Kategorien ›bei sich führen‹, charakterisiert gerade nicht nur die apperzeptive Bedingung der durch sie gestifteten Verknüpfung als solche. Wie Kants unmißverständliche Charakterisierung der Kausal-Kategorie zeigt, »[sagt] z. B. der Begriff der Ursache … die Notwendigkeit eines Erfolges unter einer vorausgesetzten Bedingung aus […]«.537 Durch die Notwendigkeit, die die RelationsKategorien in spezifischer Weise ›bei sich führen‹, ist also nur ein bestimmtes Glied einer konditionalen Relation, aber nicht die Relation selbst charakterisiert, zu deren Gunsten das urteilende Subjekt geeignete Wahrnehmungen jeweils mit Hilfe einer bestimmten Relations-Kategorie verknüpft. Nun hat sich in dieser Untersuchung sowohl für die korrespondierenden Urteilsfunktionen wie für die Metaphysische Deduktion der entsprechenden Relations-Kategorien die

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ken präformiert, daß »[ich] [i]n allen Urteilen […] nur immer das bestimmende [Kants Hervorhebung] Subjekt desjenigen Verhältnisses [Hervorhebung R. E.] [bin], welches das Urteil ausmacht«, B 407. B 163. IV, 295; vgl. auch sinngemäß IV, 320: »Natur und mögliche Erfahrung [ist] ganz und gar einerlei«. Vgl. zu diesen Thesen Kants vom Verf., Kausalitätsdiagnosen: Die Muster­ bedingung der Möglichkeit der Erfahrung in Kants transzendentaler Beschreibung der Natur, in: Lothar Schäfer und Elisabeth Ströker (Hg.), Naturauffassungen in Philosophie, Wissenschaft, Technik Band III. Aufklärung und späte Neuzeit, Freiburg / München 1995, S. 149–223. A 176, B 218; vgl. zu demselben Thema auch IV, 309–310. Vgl. hierzu Exkurs über Notwendigkeit, unten S. 182–188. B 161. B 217. B 168, Hervorhebung R. E.

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konditionalistische Unterscheidung zwischen der hinreichenden Bedingung und des durch sie Bedingten ohne Schwierigkeiten bewährt.538 Daher darf Kants syntaktische Verortung des Notwendigkeits-Faktors beim Hinterglied der Ursache-Wirkungs-Relation auch mit Blick auf die syntaktische Verortung dieses Modalfaktors bei den beiden anderen kategorialen Relationen in Anspruch genommen werden.539 Durch Kants Präferenz-Argument bzw. -Kriterium B 147–148 für die erfahrungstheoretische Rolle der Relations-Kategorien wird innerhalb der Trans­ zendentalen Deduktion indirekt eine methodologische Rechtfertigung auch dafür geboten, daß die kasuistischen Erörterungen B 142 f., 162 f. und 162–163 vor allem auf Erfahrungsurteile und auf die eine und andere Kategorie dieses Relations-Typs konzentriert sind.540 Doch gerade deswegen würden die Orientierungen dieser Deduktion auch trotz der drei fruchtbaren Nebenwege (vgl. oben 14.3.–14.5. Ab.) weiterhin durch einen blinden Fleck getrübt bleiben, wenn man diese Konzentration nicht auf einem vierten Nebenweg fruchtbar machen würde, auf dem dieser blinde Fleck durch wenige Schritte zum Verschwinden gebracht werden kann. Ohne diese Schritte würde gerade die zu Recht vor allem von Horstmann zugespitzte Frage, »wie bestimmte (apriorische) Begriffe etwas zur Möglichkeit von Erfahrungserkenntnis beitragen«,541 innerhalb dieser Deduktion ohne gerechtfertigte Orientierung bleiben. Denn die Erfahrungsurteile erweisen sich im Licht der urteils-analytischen Entdeckung der Prolegomena als das genuine empirische Medium der Erfahrungserkenntnis. Doch damit ist die methodische Rolle, die Kants dreifacher direkter bzw. indirekter Rekurs auf Elemente dieser Entdeckung innerhalb der Transzendentalen Deduktion spielt, trotz der drei ersten fruchtbaren Nebenwege am Leitfaden dieser Elemente immer noch nicht vollständig geklärt. Vor allem die herausragende Stellung, die die beiden Rekurse im letzten Paragraphen 26 unmittelbar vor der Formulierung immerhin des Resultats dieser Deduktion der Verstandesbegriffe spielen (B 162–163), macht eine entsprechend vollständige Klärung nötig. Ohne sie bliebe diese Deduktion – ungeachtet der schon aufgezeigten fruchtbaren Nebenwege – 538 Vgl. Erster Teil, 10. bzw. 11. Ab. 539 Die Rollen der Dritten Analogie und der sie prägenden Kategorie dürfen hier vorläufig offen bleiben, weil diese Analogie mit einer internen Schwierigkeit behaftet zu sein scheint, vgl. hierzu Erster Teil, S. 232, sowie unten 21.1.2. Ab. Zum Typus dieser internen Schwierigkeit und zu den Aspekten ihrer Überwindung vgl. auch die Hinweise bei Scheffel, Wendung, S. 2606. 540 Allison, Deduction, geht angesichts der Einführung und der Erörterung der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile in den Prolegomena sogar so weit, diese Einführung und Erörterung schon selbst als The Transcendental Deduction in the Prolegomena, vgl. S. 292–298, zu apostrophieren. Indessen ist es umgekehrt die Einführung dieser beiden Urteilstypen in die B-Deduktion, was eben der Deduktion, wie zuerst Vleeschauwer bemerkt hat, einen komplizierten Gestaltwandel abverlangt. 541 Horstmann, Deduktion, S. 424, Hervorhebung R. E.

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in ein tiefes methodologisches Zwielicht getaucht. Denn es kann angesichts der inneren Gliederung, durch die Kant die Transzendentale Analytik innerhalb der Transzendentalen Logik funktional verortet, kein begründeter Zweifel daran aufkommen, daß die transzendental ›deduzierten‹ Kategorien über ihre Trans­ zendentale Deduktion hinaus noch der Erörterung eines ›Schematismus‹ bedürfen. Erst mit seiner Hilfe kann die alles entscheidende Leitfrage beantwortet werden, wie reine synthetische Urteile apriori möglich sind. Und erst mit seiner Hilfe kann vor allem auch die Einsicht in die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände gewonnen werden.542 Diese Schlüsselrolle des Schematismus markiert jedoch gleichzeitig einen der neuralgischen systematischen Punkte, an denen die methodische Kohärenz der Transzendentalen Deduktion in der zweiten Aufkage durch den wiederholten Rekurs auf Elemente des urteilsanalytischen Forschritts der Prolegomena gestört zu sein scheint. Denn im Rahmen seiner in dieser Schrift ausführlich präsentierten urteilsanalytischen Entdeckung macht Kant ausdrücklich mit Hilfe eines unmißverständlichen buchtechnischen Hinweises darauf aufmerksam, daß man den methodischen Schritt vom Wahrnehmungsurteil zum Erfahrungsurteil – also »den Zusatz des Verstandesbegriffs … zur Wahrnehmung«543 – nur dann 542 Es ist angesichts dieses Zusammenhangs verwunderlich, daß Günther Patzig, Immanuel Kant: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?, in: J. G. Speck (Hg.), Grundprobleme großer Philosophen. Philosophie der Neuzeit II. Göttingen 1976, S. 9–70, seine thematische Erörterung dieser Schlüsselfrage mit der Behandlung der Transzendentalen Deduktion abschließt, ohne diese alles entscheidende Rolle des Schematismus im mindesten zu berücksichtigen; das hat zu Recht schon Dieter Scheffel, Substantialität, S. 3033, bemängelt. Detel, Schematismus, geht – in gewisser Weise in der zu Patzig umgekehrten Richtung, aber auch gegen Kants klare buchtechnische Signale – so weit zu bedenken zu geben, daß »das Schematismuskaptel […] nicht … als Wiederholung oder Ersatz der transzendentalen Deduktion, wohl aber als Ausarbeitung ihres dritten Teils – der Vollendung der Deduktion – gelten [kann]«, S. 41; vgl. hierzu im einzelnen unten 15. Ab. 543 IV, 305*; von der Wahrnehmung zum Erfahrungsurteil sind es, genau genommen, zwei Schritte, weil der erste Schritt von den Wahrnehmungen zu ihrer Verknüpfung zugunsten eines Wahrnehmungs-Urteils führt, vgl. hierzu Erster Teil, bes. S 3789.  – Baum, Deduktion, gibt hellsichtig zu bedenken, daß Kant eine »ihn selbst überfordernde Neuheit seiner Theorie«, S. 40, der strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhänge von Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen vor Augen habe; dies »dürfte Kant in der zweiten Auflage der Kritik dazu bewogen haben, die Deduktion der Kategorien nicht mehr anhand der Verwandlung von Wahrnehmungs- in Erfahrungsurteile zu erörtern«, ebd. Angesichts der Tatsache, daß Kant in den Prolegomena, IV, 298–308, alle wesentlichen Elemente dieser Theorie präsentiert und erörtert, ist es tatsächlich auffällig, auf welcher unauffälligen Schwundstufe er in dieser Fassung dieser Deduktion von ihnen Gebrauch macht. Hier hat inzwischen schon Wolff, Erfahrung, klarer gesehen. Jedenfalls verläßt sich Kant im Rahmen dieser Deduktion auf die vollständige Erörterung aller wesentlichen Elemente dieser Theorie durch die Prolegomena, macht sie allerdings nur äußerst behutsam unter wechselnden Aspekten vor allem B 142 f., B 162 f. und B 162–163 fruchtbar. Doch gerade diese Behutsamkeit bil-

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verstehen und seine Berechtigung und Rechtfertigung nur dann durchschauen kann, wenn »darüber die Kritik im Abschnitte von der transzendentalen Urteilskraft, S. 137 f. nachgelesen werde[…]«544 – also im Abschnitt Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe. Zwar liegt es auch ganz unabhängig von diesem Hinweis auf der Hand, daß durch die Rekurse innerhalb der Trans­ zendentalen Deduktion auf den urteilsanalytischen Fortschritt der Prolegomena entsprechend viele konkrete empirisch gestützte Argumentationsgelenke mit dieser Deduktion verflochten werden. Der empiristische bzw. empirische Schatten, der dadurch auf die Berechtigung des mit ihr charakteristischerweise verbundenen Anspruch auf reine transzendentale, also apriorische Argumentativität fallen kann, konnte auf dem zweiten Nebenweg zwar mit Blick auf den empirischen Charakter der Erfahrungsurteile schon aufgelöst werden (vgl. oben bes. S. 125 f.). Dies ist der Schatten, der auf die Berechtigung ihres Anspruchs fällt, »daß  … […] nur die [Erkenntnis  a priori], dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich apriori angewandt werden, oder möglich sind, transzendental (d. i. die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori) heißen müsse«.545 Ohne Zweifel zeigt sich ihr reiner Gebrauch apriori ausschließlich in den Grundsätzen des reinen Verstandes,546 die eben deswegen innerhalb der Transzendentalen Logik als einzige Urteilsformen den beweisbaren Anspruch auf den Status objektiv gültiger »synthetischer Urteile a priori«547 erheben können. Doch obwohl Erfahrungsurteile nun einmal die paradigmatischen Beispiele für den empirischen und gerade nicht für den reinen Gebrauch apriori von det das bedeutsamste Indiz für die Richtigkeit von Baums Einschätzung, daß Kant sich angesichts der radikalen Neufassung der Grundlinien der Transzendentalen Deduktion überfordert gesehen hat, in diesem Rahmen auch noch die Tragweiten zu berücksichtigen, die die urteilsanalytische Entdeckung der Prolegomena in dieser Neufassung mit sich bringen. Tatsächlich führen diese Tragweiten, wie nicht nur die Ab. 14.3.–14.8. dieses Zweiten Teils meiner Untersuchung zeigen sollen, dazu, daß sich außer dem Hauptweg dieser von Kant präsentierten Neufassung sechs Nebenwege eröffnen lassen, auf denen sich diese Tragweiten zeigen lassen. 544 IV, 305*. 545 A 55, B 79, Hervorhebung R. E. Allison, Deduction, sieht eine einzige »difficulty of integrating [judgements of perception] into the structure of the deduction«, 363. Abgesehen davon, daß er trotz B 162–163 verwunderlicherweise meint, daß »Kant does not consider judgements of perception in the B-Deduction«, S. 367, sieht er diese Schwierigkeit, darin, daß »this would require showing how they involve the categories«, S. 363, Hervorhebung R. E. Doch in Wahrnehmungsurteilen, die Wärme, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit u. ä. thematisieren, sind gar nicht »the categories« involviert, sondern allenfalls »the mathematical categories«, S. 367, wie vor allem B 162 f. zeigt. Gerade die für die Möglichkeit der Erfahrung und der objektiven Gültigkeit von Urteilen spezifischen Relationskategorien sind darin nicht involviert. 546 Vgl. A 158, B 197–A 235, B 294. 547 A 154, B 193.

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Kategorien bilden, bleibt es eine spezifisch transzendentale Einsicht, also eine Einsicht apriori, daß und inwiefern es reine Begriffe apriori bzw. reine kategoriale Urteilsformen apriori sind, die in Erfahrungsurteilen berechtigterweise und gerechtfertigterweise empirisch gebraucht werden können. Denn die Einsicht in das Faktum, daß sie es sind, von denen in Erfahrungsurteilen ein ebenso berechtigter wie gerechtfertigter empirischer Gebrauch gemacht wird, setzt die spezifisch transzendentalen Einsichten ihrer Metaphyischen Deduktion voraus; und die Einsicht in das Inwiefern ihres berechtigten und gerechtfertigten empirischen Gebrauchs setzt die ebenfalls transzendentale Einsicht in die kriteriellen Rollen der jeweils angemessenen Schemata voraus. Denn ganz allgemein »sind die Schemate der reinen Verstandesbegriffe die wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte, mithin Bedeutung zu verschaffen«,548 und zwar Bedeutung sowohl in der Form ihres reinen Gebrauchs apriori wie ihres empirischen Gebrauchs aposteriori. Innerhalb der Transzendentalen Deduktion ist jeder einzelne Schritt aber nun einmal von Hause aus darauf abgestimmt nachzuweisen, daß sich die Kategorien »[…] … notwendigerweise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung [beziehen]«.549 Auf diesen Nachweis ist »[muß] die ganze Nachforschung gerichtet werden […]«.550 Nun liegt es allerdings auf der Hand, daß sich im Rahmen von (empirischen) Erfahrungsurteilen nicht nur die Kategorien, sondern auch die jeweils angemessenen kriteriellen Schemata definitiv nicht apriori auf Gegenstände der Erfahrung beziehen bzw. von den entsprechend urteilenden Subjekten definitiv nicht apriori auf mögliche Gegenstände der Erfahrung bezogen werden. In diesem Sinne und aus diesen Gründen scheint die systematische Einheit der Transzendentalen Deduktion durch die Rekurse auf Erfahrungsurteile bzw. auf Wahrnehmungsurteile zumindest de facto auch durch den unerläßlichen, wenngleich impliziten Rekurs auf Schema-Kriterien gestört zu werden. Es fragt sich daher ernsthaft, ob Kant in ihrer Gestalt wirklich ein nouveau principe de la déduction (Vleeschauwer) in seine possession complète gebracht hat. Durch seinen wie auch immer exemplarischen Rückgriff bzw. Vorgriff auf solche Urteile innerhalb dieser Deduktion erweckt er sogar den fatalen Eindruck, er habe vielleicht ein Anti-Prinzip zu den Prinzipien einer transz. Deduktion überhaupt551 in diese Deduktion eingeführt. Denn »Unter den mancherlei Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis ausmachen, gibt es einige, die auch zum reinen Gebrauch a priori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind«.552 Die Störung des Weges, auf dem der Nachweis der damit in Aussicht gestellten reinen Gebrauchsform gelingen können sollte, erweckt 548 A 145, B 185–A 146, Kants Hervorhebung. 549 A 93, B 126, Hervorhebung R. E. 550 A 94, B 126. 551 A 85, B 117. 552 Ebd.

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daher den Anschein, sie beruhe auf einer petitio principii. Denn einerseits soll die Transzendentale Deduktion dasjenige Format der Kategorien erst einsichtig machen, das sie sowohl einer Schematisierung wie vor allem eines reinen Gebrauchs in synthetischen Urteilen apriori bedürftig bzw. fähig macht. Andererseits setzt der Schritt von den Wahrnehmungen bzw. von den Wahrnehmungsurteilen zum empirischen Gebrauch der reinen Kategorien in Erfahrungsurteilen voraus, daß die Schemata als Kriterien der Angemessenheit auch dieses empirischen Kategoriengebrauchs in Anspruch genommen werden. Doch obwohl die Deduktion die Angewiesenheit jeglichen Kategoriengebrauchs – sowohl des empirischen wie des reinen – auf diese Inanspruchnahme der Schemata erst einsichtig machen soll, präsentiert sie Fälle des empirischen Kategoriengebrauchs und somit Fälle dieser kriteriellen Beanspruchung mit unkommentierter Selbstverständlichkeit als Hilfsargumente ihrer transzendentalen Schrittfolge.553 Der Anschein einer Störung der systematischen Einheit dieser Deduktion hat daher die Form einer petitio principii. Dieser Anschein ergibt sich also daraus, daß Kant durch die Fallerörterungen, die er im Rahmen der Transzendentalen Deduktion präsentiert, den Gebrauch eines Prinzips ›erbittet‹, dessen Inhalt bis zum Ende auch einer perfekt gelungenen Transzendentalen Deduktion gänzlich unbekannt und dessen Unverzichtbarkeit bis dahin  a fortiori auch gänzlich uneinsichtig bleiben müßte – den Gebrauch des Prinzips, »daß reine Begriffe a priori, außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die allgemeinen Bedingungen enthalten, unter denen die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann«,554 z. B. im Rahmen der Fallerörterung B 162–163 die (unterdrückte!) Anwendung der Kausal-Kategorie auf das Gefrieren eines Gewässers. Man braucht den Anschein dieser petitio mit Blick auf das Ganze von Kants Theorie der Erfahrung nicht zu überschätzen. Es ist allerdings insofern wichtig, diesen Anschein in Rechnung zu stellen, als es darum geht, das systematische und das methodische Format der in der zweiten Auflage faktisch vorliegenden Transzendentalen Deduktion nicht zu verkennen und ihm in Übereinstimmung mit den Prinzipien einer transz. Deduktion überhaupt (A 84, B 116) gerecht zu

553 Kommentiert wird diese empirische Form ihres Gebrauchs in Erfahrungsurteilen mit angemessener Ausdrücklichkeit nur in dem insofern besonders wichtigen Hinweis, den die Fußnote der Prolegomena, IV, 305*, auf die Schemata gibt. 554 A 139, B 178–A 140. Dieses nur scheinbar innerhalb der Einführung des Schematismus dienliche Argument wird von Kant mit der unmißverständlichen Bemerkung eingeleitet: »Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt worden, wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen …«, A 139, B 178. Es bildet also eine von vielen durch die Deduktion gewonnenen Voraussetzungen, auf die sich die Einführung in den Schematismus verlassen können muß.

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werden.555 Es liegt daher auf der Hand, daß der Anschein einer entsprechenden petitio prnicipii dem Interpreten und sachlich interessierten Leser eine doppelte Aufgabe nahelegt: Er sollte einerseits die von Kant faktisch präsentierten Fallerörterungen und die mit ihnen verbundenen Voraussetzungen und Konsequenzen zwar so ernst wie möglich nehmen; doch er sollte andererseits zu klären suchen, ob die systematische und die methodische Kohärenz der Transzendentale Deduktion durch solche Fallerörterungen vielleicht doch nur scheinbar gestört wird, während diese Fallerörterungen in Wahrheit ein unverzichtbares, wenngleich irritierendes methodisches Hilfsmittel abgeben, ihr gleichsam subsidiär zu dem Weg zu verhelfen, auf dem sie in methodisch gleichwohl kohärenter Form ihr Ziel einsichtig machen kann – zu zeigen, daß, warum und inwiefern die transzendental schon ›deduzierten‹ Kategorien noch eines ›Schematismus‹ bedürftig und fähig sind, »um nämlich die Möglichkeit zu zeigen, wie556 reine

555 Damit taucht innerhalb der Transzendentalen Deduktion ein Problemtyp auf, dem Norbert Hinske, Kants Weg zur Transzendentalphilosophie. Der dreißigjährige Kant, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1970, zu Recht mit Blick auf Kants gesamte WerkstattGeschichte einen eigenen Paragraphen unter dem Titel »Der Vorrang des Methodenproblems«, S. 119, vgl. auch S. 119–133, widmet. Immerhin apostrophiert Kant selbst die Erste Kritik sogar als einen »Traktat von der Methode«, B XXII. Ob und gegebenenfalls welche konkreten Einzelschritte in der Ausarbeitung dieses Traktats insbesondere in der zweiten Auflage im Licht des bestimmten Artikels ›der Methode‹ Resultate einer Kant zur Verfügung stehenden Einheitsmethode bilden, ist allerdings mehr als fraglich. Allenfalls in zwei Hinsichten kommen einigermaßen generalisierbare und einheitstiftende Aspekte in Frage. Einen erkenntnistheoretische Aspekt gibt Kant durch seine Bemerkung »das Wort transzendental bedeutet bei mir eine Beziehung aufs Erkenntnisvermögen«, IV, 292, zu verstehen. Darüber hinaus kommt kaum mehr in Frage als die in der buchtechnischen Gliederung der Ersten Kritik zum Ausdruck kommende methodische Ordnung. Wie R 6358, S. 684, zu verstehen gibt, hält Kant sogar J. S. Becks Erwägung in methodologischer Hinsicht für bedenkenswert, die Transzendentale Ästhetik aus ihrer buchtechnischen Auftaktrolle zu lösen und an den Anfang der Transzendentalen Deduktion zu stellen; vgl. hierzu oben S. 33, Anm. 76. Wenn Hinske Kants klassische Arbeitsphase gerade in methodologischer Hinsicht einem »kritischen Lösungsmodell«, S. 127, zuordnet, so ist das gerade in dieser Hinsicht mehr als unzureichend. Wie Scheffel, Kopernikanische Wendung, noch einmal zu Recht gegen die Orientierung an »Kant … als Systemdenker«, S. 241, in Erinnerung gerufen hat, »[muss] dem systematischen Geschäft […] das kritische vorhergehen. Es setzt die Raum- und Zeittheorie der Trans­ zendentalen Ästhetik der Kritik der reinen Vernunft als Organon der Kritik voraus«, S. 244. Das ›kritische Lösungsmodell‹ ist zumindest nicht primär ein methodologisches, sondern das für das ›critische‹ Geschäft entscheidende sachliche ›Lösungsmodell‹. Sein methodologischer Charakter ergibt sich erst sekundär, wenngleich mit großer, eben ›critischer‹ Tragweite aus seiner Organon-Funktion. Doch wie die Transzendentale Deduktion zeigen kann, tauchen gravierende Methodenprobleme nicht nur in Gestalt des Unterschiedes zwischen deren beiden Fassungen auf, sondern sogar innerhalb der zweiten Fassung, die immerhin Kants letztes öffentliches Wort zu diesem Thema bildet. 556 Hervorhebungen R. E.

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Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können«,557 also »Wie sie Erfahrung möglich machen«.558 Doch »daß … die Kategorien von seiten des Verstandes die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt enthalten«,559 sucht die Transzendentale Deduktion, sofern sie gelingt, zumindest erklärtermaßen mit ihren eigenen methodischen Möglichkeiten zu zeigen. Allerdings führt ein entsprechender Nachweis auch nur bis zu der Einsicht, daß die Kategorien »als Bestimmungen der Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt«560 definitiv in Frage kommen. Erst jenseits ihrer methodischen Möglichkeiten soll sich mit Hilfe des Schematismus die methodische Möglichkeit eröffnen, daß man »zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden sollen«.561 Denn einzig »Das Schema zeigt die Bedingungen an, unter denen eine Erscheinung in Ansehung der logischen Funktion bestimmt ist und also unter einer Kategorie steht«.562 Damit ist mehr als deutlich zu verstehen gegeben, inwiefern Kant mit den kasuistischen Erörterungen innerhalb der Transzendentalen Deduktion zumindest den Anschein riskiert, über die methodischen und die systematischen Grenzen dieser Deduktion in dreifacher Hinsicht hinauszugreifen: 1.) Indem er Erör­terungen von empirischen Urteilen bemüht, verläßt er die methodische Linie einer solchen Deduktion jedenfalls insofern mit dem weitesten möglichen Sprung, als er über das eigentliche Ziel hinausspringt, die Möglichkeit reiner synthetischer Urteile apriori zu zeigen; 2.) indem er empirische Fälle wie die des Gefrierens eines Gewässers erörtert, greift er speziell über die mit Hilfe des Schematismus apriori ›anzeigbaren‹ reinen Fälle hinaus; 3.) gleichzeitig greift er durch solche speziellen Einzel-Fallerörterungen über die Allheit der Fälle hinaus, mit Blick auf die erst das Grundsatz-Kapitel Sätze über die definitiven notwendigen und hinreichenden Bedingungen aller möglichen Fälle der Erfahrung und ihrer Gegenstände formulieren, beweisen und erörtern soll. Es ist kein Zufall, daß es wiederum Vleeschauwer ist, der sowohl die metho­ dischen wie die systematischen Verspannungen am klarsten erfaßt hat, von denen die Transzendentale Deduktion unter diesen Voraussetzungen als ganze durchzogen ist. Das Ganze dieser Deduktion ist deswegen von dieser zweifachen Verspannung durchzogen, weil diese Verspannung schon B 142  – also noch unmittelbar vor dem von Kant selbst deklarierten systematischen »Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe »563 – mit dem ersten Kontrast-

557 A 138, B 177. 558 B 167, Hervorhebung R. E. 559 Ebd., Hervorhebung R. E. 560 B 168–169, Kants Hervorhebungen. 561 A 135, B 174–B 175, Hervorhebung R. E. 562 R 5933, S. 392–393, Hervorhebungen R. E. 563 B 144, Kants Hervorhebung.

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Beispiel eines Wahrnehmungs- bzw. Empfindungsurteils und eines Erfahrungsurteils erzeugt wird. Der letzte Knotenpunkt wird schließlich B 162–163 im § 26 mit der letzten Kasuistik dieses Typs geknüpft – also im Paragraphen unmittelbar vor der Formulierung des § 27 mit dem Resultat dieser Deduktion der Verstandesbegriffe. Die im engeren Sinne methodischen Probleme dieser Deduktion hat Vleeschauwer mit mehreren Abstufungen von Gewichtigkeit darauf zurückgeführt, daß Kant die in den Prolegomena zum ersten Mal erörterten Schritte von den Wahrnehmungen über die Wahrnehmungsurteile zu den Erfahrungsurteilen in die B-Deduktion eingeführt hat. Doch auch auf die im engeren Sinne systematischen Probleme, die mit dieser Einführung unmittelbar verbunden sind, hat Vleeschauwer aufmerksam gemacht. Denn er gibt gezielt zu bedenken, »que l’application des catégories différentes aux contenus distincts de la perception exige l’intervention du schème«.564 Dennoch lokalisiert er den buchtechnischen Anfang dieser Probleme, die er zu Recht mit impliziten Rekursen auf das Schema verbunden sieht, irritierenderweise deutlich zu spät, indem er sie an »les §§ 22–26«565 bindet. Denn jeder Schritt von geeigneten Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen zu einem Erfahrungsurteil ist, wie Kant mit dem deswegen so außerodentlich wichtigen Hinweis in den Prolegomena ganz unmißverständlich klarstellt,566 an den Rekurs auf so viele Schemata angewiesen, wie Kategorien im jeweiligen Erfahrungsurteil verwendet werden. Daher gehört schon § 19 mit dem ersten Kontrast-Beispiel B 142 in die Obhut der Rückgriffe auf ein oder mehr als ein Schema. Dennoch handelt es sich bei diesen Vorgriffen nicht etwa um methodische und systematische Fehlleistungen, an denen die Deduktion scheitern könnte. Denn es ist trotz der methodischen und systematischen Vorgriffe, die Kant hier tatsächlich tut, nur allzu offensichtlich, daß sie vielmehr umgekehrt eine mehr als nur didaktische Hilfsrolle spielen: Sie führen inmitten der hochabstrakten formalen, nicht-empirischen Erörterungen der subjektiven, der objektiven und der Deduktion ›von oben‹ am Leitfaden von konkreten (empirischen) Erfahrungsurteilen Paradigmen dessen ›vor Augen‹, wovon konkret die Kategorien, die hier transzendental deduziert werden sollen, die Bedingungen der Möglichkeit sind. Angesichts des bisher hier ereichten status quaestionis ist es nötig, an diesen Gesichtspunkt zu erinnern. Denn die Transzendentalphilosophie zielt nicht darauf, »vom Subjektiven als vom Ersten und Absoluten auszugehen, und das Objektive aus ihm entstehen zu lassen«.567 Sie sucht daher auch nicht, 564 Vleeschauwer, Déduction III, S. 270. 565 Ebd. 566 IV, 305*. 567 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, System des transzendentalen Idealismus (1800), in: Friedrich Wilhelm Josef Schelling. Historischkritische Ausgabe. Reihe I: Werke 9,1, S. 32, Hervorhebungen R. E.; vgl. hierzu auch ausführlicher Erster Teil, S. 94–97.

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die Kategorien mit Hilfe von irgendwelchen formalen Mitteln gleichsam in freischwebender Apriori-Konstruktion als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zu entwerfen. Sie sucht stattdessen mit Hilfe der logischen und der transzendentalen Reflexion (vgl. A 262, B 318–B 319) nach einer Möglichkeit, den empirisch schon längst bewährten alltäglichen Gebrauch der Kategorien nachträglich ›auf Begriffe zu bringen‹ (vgl. A 78, B 103) und zu rechtfertigen, indem sie allgemein und prinzipiell nachweist, »daß … die Kategorien von seiten des Verstandes die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt enthalten«.568 Doch eben wegen dieses grundsätzlich nur nachträglich möglichen AufBegriffe-bringens kann sie sich gar nicht zutrauen, den Gebrauch der Kategorien ohne jeden Rückblick oder Seitenblick auf ihren faktischen empirischen Gebrauch zu rechtfertigen. Denn der empirische Gebrauch der Kategorien stellt, wie Kant sich erst auf dem Weg zu den Prolegomena klargemacht hat, lediglich in paradigmatischen Formen ›vor Augen‹, daß und wie die Menschen in Form der Erfahrungsurteile – sowohl von alters her wie bis in alle Zukunft – immer wieder von neuem neue konkrete Anteile am »absolute[n] Ganze[n] aller möglichen Erfahrung«569 gewinnen können. Die Transzendentale Deduktion der Kategorien könnte daher gar nicht nachweisen, ›daß die Kategorien von seiten des Verstandes die Gründe der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt enthalten‹, wenn sie nicht wenigstens über eine definitive paradigmatische Orientierung über den Typus der Erfahrung verfügen würde, deren Möglichkeitsgründe sie nachzuweisen sucht. Erst dank der in den Prolegomena dokumentierten Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile verfügt Kant über eine entsprechende urteilsanalytische und paradigmatische Orientierung über diesen Typus. Zum transzendentalen Teil der transzendentalen Rechtfertigung (›Deduktion‹) der Kategorien gehört daher aus zwingenden methodologischen Gründen, daß man empirisch bewährte Formen des Kategorien-Gebrauchs – also konkrete Erfahrungsurteile – als Paradigmen zu Hilfe nimmt. Nur durch deren teils formale und teils materiale Differential-Analysen kann man klären, in welchem Maß transzendental rechtfertigbare, ›deduzierbare‹ und rechtfertigungsbedürftige Begriffe an diesem Gebrauch beteiligt sind. Diese Paradigmen werden dem immensen Fundus unserer ›gemeinen Erkenntnisse‹ entnommen. Ohne diese mit Hilfe von exemplarischen Erfahrungsurteilen präsentierten Paradigmen bliebe die Rede von Erfahrung, Möglichkeit der Erfahrung und Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sowie ihrer Gegenstände gerade im entscheidenden transzendentalen status quaestionis der Transzenentalen Deduktion gänzlich

568 IV, 305*, Hervorhebungen R. E. 569 328, Kants Hervorhebung.

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unbestimmt und ziellos.570 Zwar präsentiert jedes Erfahrungsurteil stets nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem von Kant ins Auge gefaßten ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹. Doch entsprechend der jeweils konkreten in einem Erfahrungsurteil gebrauchten Kategorien könnte durch eine in dieser kategorialen Hinsicht vollständige Liste von Erfahrungsurteilen auch ein in dieser kategorialen Hinsicht vollständiges Paradigma sogar dieses absoluten Ganzen präsentiert werden.571 570 Strawson, Bounds, spricht zwar gelegentlich von »judgements of experience«, S. 82111. Doch er tut dies nur allzu offensichtlich ohne Bezug auf die so außerordentlich wichtigen Analysen, die Kant in den Prolegomena den strukturellen Unterschieden und funktionalen Zusammenhängen zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen sowie der empirischen Fom des Gebrauchs von Kategorien in Erfahrungsurteilen widmet. Daher bleibt ihm aber nicht nur die von Vleeschauwer zuerst entdeckte Tragweite verborgen, die diese Analysen vor allem für Ausarbeitung der B-Deduktion mit sich bringen. Vor allem bleibt ihm verborgen, daß es nur die paradigmatischen Beispiele von Erfahrungsurteilen sind, die innerhalb dieser Deduktion zur paradigmatischen Charakterisierung des spezifischen Typus von Erfahrung verhelfen können, ohne die die Rede von den Kategorien – speziell der Relations-Kategorien – als Bedingungen der Möglichkeit von so etwas wie Erfahrung gänzlich leer und bedeutungslos bliebe. Zwar sieht er selbst­ verständlich, »that it is by no means simply a matter of the definition of ›experience‹ that experience involves knowledge of objects«, S. 92. Aber da er den entscheidenden Beitrag nicht sieht, den die Paradigmen von Erfahrungsurteilen mit ihren ebenfalls paradigmatischen Objekten wirklicher Erfahrung innerhalb der B-Deduktion erstmals zur typologischen Klärung der hier thematischen Erfahrung leisten, bleibt für ihn die Rede von Erfahrung innerhalb der Transzendentalen Deduktion dunkel und ungerechtfertigt, vgl. bes. S. 89–93. Er greift daher beständig auf den Aspekt der »unity and connectedness of representations as extending to the whole course of experience«, S. 89, Hervorhebung R. E., und passim, vor, der in Kants Theorie erst mit den Analogie der Erfahrung leitend wird. 571 Vleeschauwer, Déduction III, hat also wohl doch tiefer gesehen, wenn er zu bedenken gibt, daß Kant sich dank der Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile der Prolegomena »en possession complète du nouveau principe de la déduction«, S. 17, Hervorhebung R. E., gebracht habe, als er die B-Deduktion ausgearbeitet hat, und zwar »grâce a une plus saine conception du jugement«, S. 284, »dans l’élévation du jugement au rang d’opération objectivante fondamentale«, S. 16. Denn Vleeschauwer ergänzt diese abstrakte Diagnose in dem einschlägigen thematischen Zusammenhang durch die überaus wichtige werkstattgeschichtliche Bemerkung, daß »En 1787, le jugement fait son entrée dans la déduction transcendentale comme élément d’objectivation … Dans la première déduction, les catégories étaient les conditions de l’expérience possible; leur objectivité ne pouvait être déduite qu’en postulant la réalité de l’expérience«, S. 282, Hervorhebung R. E. Dadurch, daß »En 1787, le jugement fait son entrée dans la déduction transcendentale«, ebd., – und zwar in Form des Erfahrungsurteils –, gibt Kant zu verstehen, daß es eigentlich von Anfang an gar nicht nötig war, »la réalité de l’expérience« lediglich zu postulieren, weil sich diese Wirklichkeit ausschließlich in den Erfahrungsurteilen zeigt. Damit gelingen Kant gleichzeitig sogar zwei Fortschritte – nicht nur die paradigmatische Charakterisierung der Objektivierungsfunktion der Kategorien, sondern vor allem auch auch die paradigmatische Charakterisierung des Typs der wirklichen Erfahrung, als deren elementarste Möglichkeitsbedingungen die Kategorien fungieren. Die Erfahrung ist

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Unter diesen Voraussetzungen fällt umso mehr auf, daß Kant im transzendentalen Teil seiner Logik vollständige Charakterisierungen und Formulierungen der hier erörterten Elemente ausschließlich in Gestalt der Schemata und der Grundsätze präsentiert hat. Weder an vollständigen metaphysischen noch an vollständigen transzendentalen Deduktionen aller einzelnen Kategorien hat er sich versucht. Der Leser und Interpret, der sich im Medium der Texte, die Kants Theorie dokumentieren, auch darum bemüht zu lernen, was er möglicher­ weise im Text-Medium keiner anderen Theorie lernen kann, wird diese Defizite nicht vollständig durch eigene Anstrengung nachträglich ausgleichen können. Dennoch bieten auch die sehr wenigen und in kategorial-applikativer Hinsicht extrem einseitig ausgewählten Paradigmen Kants bereits hinreichend zielgenaue Leitfäden zur Orientierung über den Typ der Erfahrung, als deren Möglichkeitsbedingungen die Kategorien nachgewiesen werden sollen. Vor allem aber gewinnt diese eingeschränkte paradigmatische Orientierung ihr eigenes theoretisches Gewicht durch Kants ausdrückliche Ausgrenzung der »reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden«.572 Die in der Mathematik anwendbaren Verstandesbegriffe sind daher nur funktional, aber nicht direkt  – auch nicht regulativ  – an der Möglichkeit der Erfahrung beteiligt. Denn »Erfahrung [ist] ein Erkenntnis der Objekte durch Wahrnehmung«,573 aber eben nicht vermittelst Anschauungen ein in allen geschichtlich schon verfügbar gewordenen Erfahrungsurteilen schrittweise manifest gewordenes distributives Faktum. In dieses Faktum setzen die Menschen angesichts der geschichtlich und empirisch gewachsenen Bewährungsgrade dieser Urteile berechtigterweise ihr Zutrauen. Die Transzendentalphilosophie sucht indessen nach der grundsätzlichen Rechtfertigung dieses Zutrauens, also nach einer Rechtfertigung, die dieses Zutrauen prinzipiell und damit auch mit Blick auf alle Zukunft tragen kann; vgl. hierzu ausführlich auch schon Erstes Teil, 2. Ab., bes. S. 42–54. Es ist also die paradigmatische Orientierung an den Erfahrungsurteilen, durch die sich Kant in methodologischer Hinsicht ›en possession complète du nouveau principe de la déduction‹ bringt. Diesen methodologisch so wichtigen Punkt berührt mit der nötigen Treffsicherheit sonst nur noch Vigo, Synthesis, wenn er »Kants geschickte Wahl der Beispiele in TD-B«, S. 193, in der B-Deduktion hervorhebt und, wie dieselbe Akzentuierung schon S. 172 zeigt, zu einem Leitfaden seiner Untersuchung macht. Im Unterschied hierzu reserviert Caimi, B-Deduction, zwar das ganze Chapter Three. The Application of the Categories to Real Objects auf das damit angeschnittene Problem, schränkt dessen methodologische Relevanz jedoch ganz auf § 26 mit dessen kategorien-applikativer Behandlung des Falls des Gefrierens des Wassers ein, weil er in der in diesem Paragraphen erörterten application zwar zu Recht The Completion of the Deduction sieht. Indessen sieht er darin nicht das letzte der nicht wenigen kategorien-applikativen Paradigmen des zuerst von Vleeschauwer gesehenen neuen methodologischen Teil-Prinzips der B-Deduktion. Im Gegensatz zu Caimi identifiziert Detel, Schematismus, erst »Das Schematismuskapitel« mit »der Vollendung der Deduktion«, S. 41. Zu dem Mißverständnis, das zu dieser irrigen Identifikation führt vgl. oben S. 112, Anm. 412. 572 B 147. 573 B 219.

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apriori wie in der Mathematik, weil wir in der Mathematik »wirklich … keiner Erfahrung bedürfen«574 und daher auch keiner Wahrnehmung. In der Form der Erfahrungsurteile und ihrer formalen Genese aus jeweils entsprechenden Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen hat Kant jedoch, wie die Prolegomena zeigen, eine in der ersten Auflage der Ersten Kritik noch gar nicht erfaßte oder gar durchschaute Form des Gebrauchs der Kategorien entdeckt. Diese sowohl urteilsanalytische wie kategorien-applikative Entdeckung ist mit einer methodologischen Tragweite für eine neue Orientierung der Transzendentalen Analytik verbunden. Denn sie ist mit der Entdeckung verbunden, daß die Schemata nicht, wie es die erste Auflage noch mit Ausschließlichkeit zu verstehen gibt und wie es an sich ja auch das systematische und das methodische Ziel der ganzen Transzendentalen Ästhetik und Analytik ist, an den reinen Gebrauch der Kategorien gebunden sind, wie er durch die Formulierungen, Beweise und Erörterungen der Grundsätze nachgewiesen werden soll. Das Schematismus-Kapitel selbst schließt die Möglichkeit eines anderen als reinen mit Hilfe der Schemata möglichen Gebrauchs der Kategorien zumindest nicht aus. Erst Kants beiläufiger Hinweis auf den für den empirischen Gebrauch der Kategorien in Erfahrungsurteilen nötigen und möglichen Rekurs auf die jeweils geeigneten Schemata575 markiert daher den für die Arbeit an der Theorie der Erfahrung so außerordentlich wichtigen Wendepunkt. Denn erst mit dieser Entdeckung ist sichergestellt, daß die Kategorien auch wirklich und nachweislich als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung fungieren können, als die sie im Text der B-Deduktion ja bloß behauptet werden. Denn ihr schema-applikativer Gebrauch in Erfahrungsurteilen aktualisiert so viele wirkliche Anteile am ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹ wie Menschen über solche empirisch bewährten Erfahrungsurteile verfügen. Deswegen schickt Kant seinem kasuistischen, aber paradigmatischen »Versuch an Humes576 problematischem Begriff (diesem seinem crux metaphysicum), nämlich dem Begriffe der Ursache«,577 indirekt, aber unmißverständlich eine Erinnerung an die generelle Funktion der Schemata voraus: Das Schema einer Kategorie hat die kriterielle Funktion, das eine oder andere Merkmal zu präsentieren, »woran ich erkennen [kann], daß es578 in Ansehung eines oder des andern gedachter Momente [der jeweils gebrauchten Kategorie, R. E.] bestimmt sei, d. i. unter den gegebenen Begriff der Substanz oder der Ursache oder (im Verhältnis gegen andere Substanzen) unter den Begriff der Gemeinschaft gehöre)«.579 Kants ›Versuch an Humes problema574 575 576 577 578 579

A 157, B 196; vgl. auch A 159, B 198–A 160, B 199. Vgl. IV, 305*, aber auch 316 f. Kants Hervorhebung. IV, 312, Hervorhebung R. E. Ich schließe mich hier der Korrektur Erdmanns an. IV, 311, Hervorhebung R. E.

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tischem Begriff‹ bietet daher geradezu planmäßig das wichtigste Paradigma für den Gebrauch von Schemata, und zwar sowohl des Schemas »der Ursache und der Kausalität«580 wie des Schemas »der Notwendigkeit«.581 Denn das Schema der Notwendigkeit – »das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit«582 – bildet selbst einen echten Teil des Schemas der Ursache und der Kausalität: »… das Reale, worauf … jederzeit etwas anderes folgt«.583 Indessen erörtert Kant im Rahmen seines ›Versuchs an Humes problematischem Begriff‹ in den Prolegomena die zuvor (IV, 305*) eingeführten paradigmatischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile nicht nur unter dem kriteriologischen Aspekt der Schemata. Er berücksichtigt vor allem den nomologischen Aspekt, der in der zweiten Auflage der Ersten Kritik erst im letzten Abschnitt (B 163–165) des § 26 der Deduktion in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird. Denn er betont im Rahmen seines ›Versuchs‹, daß das Erfahrungsurteil Die Sonne erwärmt den Stein »als notwendig und allgemein angesehen« werde und »[…] nunmehr [also nach seiner formalen, kategorien-applikativen Genese aus dem vorangehenden Wahrnehmungsurteil, R. E.] als Gesetz angesehen [wird]«.584 Notwendigkeit und Allgemeinheit sind in Kants Theorie die ausschlaggebenden nomologischen Charaktere. Kant hat zwar – entsprechend dem vergleichweise niedrigeren mikrologischen Grad syntaktischer Differenzierung seiner Zeit – nicht jedesmal die syntaktische Stelle innerhalb oder außerhalb eines Urteils bestimmt, an dem diese nomologischen Charaktere zu verorten sind. Für den Notwendigkeitsfaktor hat Kant diese Verortung jedoch zweimal, wenngleich nur abstrakt, also ohne Integration in ein konkretes Erfahrungsurteil präsentiert, wenn er, wie schon gezeigt (vgl. oben S. 128 f.), klarstellt, daß »der Begriff der Ursache … die Notwendigkeit eines Erfolgs [also einer Wirkung, R. E.] unter einer vorausgesetzten Bedingung aussagt«.585 Macht man an diesem Punkt die kriterielle Funktion des Kausal-Schemas fruchtbar, dann ergibt sich entsprechend, daß ›der Begriff Ursache die Jederzeitigkeit oder Omnitemporalität eines Erfolgs, also einer Wirkung unter einer vorausgesetzten Bedingung aussagt‹. Integriert man nun diese beiden in diesen syntaktischen Verortungen geklärten mikrologischen Kausal-

580 A 144, B 183. 581 A 145, B 184. 582 Ebd., Hervorhebung R. E. 583 A 144, B 183, Hervorhebung R. E. 584 IV, 312. 585 B 168, Hervorhebungen R. E.; dies ist innerhalb der Deduktion – und dies auch noch innerhalb der Formulierung ihres förmlichen Resultats – offensichtlich gleichzeitg die klarste Präsentation seiner konditionalistischen Auffassung vom Kausalverhältnis; daß es sich bei der angesprochenen (ursächlichen) Bedingung wegen ihrer Verknüpfung mit der Notwendigkeit des ›Erfolgs‹ überdies um den Typ der hinreichenden Bedingung handeln muß, ist dann leicht mit Hilfe des Arguments von von Wright, Logic, S. 96 f., vgl. Erster Teil, S. 224363, 26028, plausibel zu machen.

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faktoren in ein konkretes kausal-thematisches Erfahrungsurteil wie Die Sonne erwärmt den Stein, dann erhält man zunächst Kants eigene modale Version, daß »diese Erwärmung notwendig aus der Beleuchtung durch die Sonne erfolge«,586 und anschließend die temporale, mit Hilfe des Schema-Kriteriums modifizierte Version, »daß auf die Beleuchtung durch die Sonne jederzeit Wärme folge«.587 Notwendigkeit und Allgemeinheit im Sinne von Omnitemporalität verweisen daher aus kriteriologischen Gründen aufeinander: Notwendig ist, was zu jeder Zeit der Fall ist, und umgekehrt. Wenn man die von Kant zu verstehen gegebene interne modale und temporale Mikro-Form des zentralen pararadigmatischen Erfahrungsurteils ausdrücklich geklärt hat, dann ist damit die Tragweite durchaus noch nicht erschöpft, die Kants dreimalige Berücksichtigung der Erfahrungsurteile – aber auch der Wahrnehmungen und der Wahrnehmungsurteile  – in der B-Deduktion für deren Gelingen mit sich bringt. Klar kann lediglich schon sein – aber dies immerhin –, daß man ohne diese Form der Berücksichtigung gar nicht wissen könnte, von welchem Typus von Erfahrung hier überhaupt die Rede ist, wenn die Kategorien als die elementarsten Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung ›deduziert‹ werden sollen. Von der griechischen ἐμπειρία über die lateinische experientia bis zur britischen experience bzw. französischen expérience und zur vorkantischen deutschen Erfahrung ist in unzähligen empiristischen und quasi-empiristischen Theorien etwas in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt worden, was mit dem von Kant thematisierten Typ von Erfahrung bzw. Erfahrungserkenntnis zumindest in einem von zwei Punkten verwandt ist. Denn vor allem der unerläßliche Anteil, den die Wahrnehmungen bzw. Wahrnehmungsurteile am Erwerb von Erfahrungserkenntnissen haben, bilden so, wie Kant diese analysiert, diese Verwandtschaftskomponente.588 Und eine Generation nach Kant wird Hegel in der Phänomenologie des Geistes eine Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins entwerfen. Durch sie wird Erfahrung als ein Widerfahrnis des Bewußtseins konzipiert, das dem Bewußtsein immer wieder von neuem zu Gelegenheiten verhilft, Selbstkritik an obsolet gewordenen Beurteilungsmaßstäben zu üben 586 IV, 305*, Hervorhebungen R. E. 587 Ebd., Hervorhebungen R. E. Diese beiden zentralen nomologischen Charaktere kausalthematischer Erfahrungsurteile verdienen auch mit Blick auf die von Thöle, Gesetz­ mäßigkeit, thematisierten Probleme genauer berücksichtigt zu werden; vgl. hierzu unten 14.8. Ab. 588 Den typologischen Kontrast von Kants Konzeption der Erfahrung zu den von der klassischen griechischen Antike bis zu seiner Zeit überlieferten Konzeptionen skizziert in knapper, aber wohlbalancierter Form Oliver S. Scholz, Art. Erfahrung, in: Heinz Thoma (Hg.), Handbuch Europäische Aufklärung. Begriffe, Konzepte, Wirkung, Stuttgart / Weimar 2015, S. 150–160, bes. S. 157 f.; zu dem hier der Sache nach einschlägigen Unterschied zwischen Empirie und Erfahrung vgl. unten S. 277, Anm. 42.

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und durch diese Selbstkritik auf den Weg zum Erwerb von jeweils verbesserten Maßstäben zu gelangen. Doch Kants Theorie der Erfahrung ist in diesem Panorama die einzige, die eindeutig, strikt und in komplexer Kohärenz Erfahrung als die Dimension der schrittweise gelingenden Erfolge, Resultate bzw. Produkte von ganz bestimmten, kategorialen Formen des spontanen und auf unbegrenzte Bewährungen angewiesenes Urteilens zu durchschauen lehrt bzw. Urteile dieser bestimmten Formen als Bedingungen der Möglichkeit des schrittweisen Erwerbs von Anteilen an dieser Erfahrung zu durchschauen lehrt. Der Haupttitel der beiden Teile dieses Buchs soll daher auch ganz gezielt und besonders im Kontrast zu ­Edmund ­Husserls Alterswerk Erfahrung und Urteil589 auf diese von Kant geklärte Form der Abhängigkeit der Erfahrung von Urteilen dieses bestimmten Typs aufmerksam machen. Bei dem in den Prolegomena thematisierten ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹ (vgl. IV, S. 328) handelt es sich daher um das kollektive absolute Ganze aller überhaupt möglichen Erfahrungs-urteile, das aber prinzipiell niemals ausgeschöpft werden kann. Hingegen ist ein mehr oder weniger umfassendes distributives Ganzes möglicher Erfahrung zu jedem beliebigen Zeitpunkt der Geschichte durch die jeweils bis dahin hinreichend bewährten Erfahrungsurteile erreicht. Dieses distributive Ganze ist stets auf die Erfahrungsurteile aller jeweils zerstreut auf der Erde lebenden Menschen verteilt, also ein distributiver und historisch relativer Besitz der Gattung. Kants Paradigmen für Erfahrungsurteile machen indessen unmißverständlich darauf aufmerksam, daß der von ihm analysierte Typ von Erfahrung – ganz ungeachtet seiner komplexen formalen und funktionalen Urteilsabhängigkeit und den beteiligten modalen und temporalen Faktoren – angesichts der Inhalte dieser Erfahrungsurteile weitgehend mit der Erfahrung übereinstimmt, die in prä-reflexiver und insbesondere prä-transzendentaler Weise schon »Aus der gemeinen Erkenntnis«590 vertraut ist. Sie hat Kant daher auch im Auge, wenn er von der »Erfahrenheit langer Zeiten«591 spricht. Diese Erfahrenheit langer Zeiten bildet den geschichtlichen Modus der Erfahrung, der mit jedem empirisch, also durch angemessene Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteile hinreichend bewährten und kategorien-geprägten Erfahrungsurteil verbunden ist.592 Dieser Modus ist gleichsam 589 Vgl. Edmund Husserl, Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik. Ausgearbeitet und hrsg. von Ludwig Landgrebe, Prag 1939. 590 IV, 322. 591 R 5645, S. 287–288. 592 Kants Wendung von der Erfahrenheit langer Zeiten spielt innerhalb seiner transzendentalen, also nicht-empirischen Theorie der Erfahrung zumindest eine analoge Rolle, wie sie in Humes empiristischer Theorie die Gewohnheit (custom, habit) spielt, mit der die Menschen z. B. von ›Ursachen‹ und ›Wirkungen‹ reden. Denn nach Humes Auffassung orientieren sie sich an den empirischen Kriterien der contiguity, resemblance und succession, in deren Licht ›ursächliche‹ und ›effektive‹ Phänomene für sie ausschließlich

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der nie an ein Ende gelangende, also geradezu ewige Vorläufer des absoluten Ganzen der möglichen Erfahrung. Exkurs über Notwendigkeit Die Tragweite, die die Berücksichtigung dieser paradigmatischen Erfahrungsurteile für die Deduktion der Kategorien mit sich bringt, wird noch in einer anderen als der erfahrungsurteils-internen modalen Hinsicht deutlich. Diese Hinsicht ist mit Kants Erörterung des Notwendigkeitsfaktors verbunden. Die notorische Unschärfe, mit der Kant diesen Faktor auch in der Deduktion berücksichtigt, macht es nötig, aber auch möglich, von noch einem weiteren Aufschluß zu profitieren, die eine seiner Verwendungsweisen dieser Modalität mit sich bringt. Denn es ist nun eimal in jedem Fall seiner unscharfen Verwendung unumgänglich zu klären, ob er z. B. im Sinne einer notwendigen Bedingung oder der relativen Notwendigkeit gebraucht wird, mit der eine Konsequenz aus ge­ gebenen Prämissen folgt, oder im Sinne der Notwendigkeit, mit der eine Wirkung aus einer hinreichenden (›ursächlichen‹) Bedingung folgt, oder ob er die

zusammengehören. – Kants urteils-analytische Entdeckung der wahrnehmungsbasierten und vom Gebrauch der Kategorien geprägten Erfahrungsurteile eröffnet dagegen nicht nur die nicht-empiristiche, transzendental-logische Einsicht in die von diesem wahrnehmungsbasierten Kategoriengebrauch ermöglichte ›Erfahrenheit langer Zeiten‹. Sie macht auch auf eine außerordentlich wichtige Bedeutungsverschiebung aufmerksam, die Kants Satz durchmacht, daß »[…] die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung [sind]«, B 161. Insbesondere in Verbindung mit der ergänzenden Bemerkung, daß »sie […] nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis [dienen]«, B 147, eröffnet diese urteils-analytische Entdeckung die Einsicht, daß die Kategorien im Rahmen ihres empirischen Gebrauchs in wahrnehmungsbasierten Erfahrungsurteile in einem grundsätzlich schwächeren Sinne Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung abgeben als im Rahmen ihres reinen Gebrauchs durch die Grundsätze, insbesondere durch die Analogien. In diesem schwächeren Sinne geben sie Bedingungen der Möglichkeit ab, kontingenterweise immer wieder von neuem bei Gelegenheit von geeigneten Wahrnehmungen in Form von neuen Erfahrungsurteilen neue Anteile am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung zu erwerben. Diese Kontingenz des wahrnehmungsbasierten Erwerbs von neuen Erfahrungsurteilen bildet ein untilgbares Moment der Möglichkeit der Fruchtbarkeit der Erfahrung. Im Unterschied dazu dient ihr reiner Gebrauch im Rahmen der Grundsätze, insbesondere der Analogien im uneingeschränkt starken, universellen Sinne den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. Denn in diesem Rahmen wird argumentiert, daß wir uns gerechtfertigterweise darauf verlassen können, daß wir immer wieder von neuem bei Gelegenheit von geeigneten Wahrnehmungen in Form von neuen Erfahrungsurteilen neue Anteile am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung erwerben können. Zu der Frage, inwiefern Kants urteils-analytische Entdeckung auch dazu beiträgt, den immer wieder erhobenen Vorwurf eines Zirkels in dieser Argumentation gegenstandslos zu machen, vgl. unten S. 265, Anm. 2.

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»notwendige593 Übereinstimmung594 der Erfahrung mit den Begriffen von ihren Gegenständen«595 meint. Die erste dieser Verwendungsweisen innerhalb der Transzendentalen Deduktion findet sich in dem Satz formuliert, von dem Kant selbst ausdrücklich sagt, daß mit ihm »[…] der Anfang einer Deduktion der reinen Verstandes­begriffe gemacht [ist]«:596 »Ein Mannigfaltiges, das in einer Anschauung, die ich die meinige nenne, enthalten ist, wird durch die Synthesis des Verstandes als zur notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt, und dieses geschieht durch die Kategorie«.597 Kant formuliert hier auch in einer sehr wichtigen Hinsicht unscharf. Unscharf ist seine Formulierung deshalb, weil sie irreführenderweise zu verstehen gibt, daß jedes ›Mannigfaltige, das in einer Anschauung, die ich die meinige nenne, enthalten ist, durch die Synthesis des Verstandes als zur notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt wird, und dieses geschieht durch die Kategorie‹. Doch eben dies – also daß es ›durch die Kategorie geschieht‹ – gilt auch in Kants Augen gerade nicht für jedes Mannigfaltige. Ganz und gar angemessen sollte die Formulierung mit Blick auf das Problem der KategorienDeduktion so ausfallen: ›Ein Mannigfaltiges, das in einer Anschauung, die ich die meinige nenne, enthalten ist, kann durch die Synthesis des Verstandes mit Hilfe der Kategorie als zur notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt werden‹. Doch auch »die formale Anschauung [gibt] … Einheit der Vorstellung […] … von Raum und Zeit«; aber »[…] die Einheit dieser Anschauung apriori [gehört] … nicht zum Begriffe des Verstandes«,598 ., – also nicht zur Kategorie –, sondern unmittelbar zur »Spontaneität, welche … unter dem Namen der Einbildungskraft … Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt«.599 Es liegt zwar am nächsten, daß Kant von Notwendigkeit hier im Sinne einer notwendigen Bedingung spricht. Doch als diese notwendige Bedingung fungiert hier auch nach seinem faktischen Wortlaut gerade nicht der Verstand bzw. die Kategorie bzw. der ›Begriff des Verstandes‹, sondern die ›Zugehörigkeit zur Einheit des Selbstbewußtseins‹. Eine mögliche verdeutlichende Paraphrase dieses ersten Deduktions-Satzes und vor allem eine Klärung der Rolle der Modalität kann daher durch eine bestimmte Form der Zerlegung in einen ›Wenn …, dann … schon und nur dann …, wenn …-Satz‹ gelingen: ›Wenn ich ein Mannigfaltiges Einer Anschauung durch die Synthesis des Verstandes als die meine auffasse, 593 594 595 596 597 598 599

Kants Hervorhebung Hervorhebung R. E. B 167. B 144. Ebd., Kants Hervorhebung. B 160–161*, Hervorhebung R. E. B 162.

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dann ist dies schon und nur dann möglich und wirklich, wenn ich dieses Mannigfaltige mit Hilfe einer Kategorie als zur Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorstelle‹. Doch, wie eben erläutert, kann ein Mannigfaltiges Einer Anschauung auch durch die Spontaneität ›unter dem Namen der Einbildungskraft‹ als die meine aufgefaßt werden. Wie zentral die Spontaneität  – auch ›unter dem Namen der Einbildungskraft‹– in der Rolle der notwendigen Bedingung aller möglichen Einheitsstiftungen ist, zeigt die dem Text der gesamten Deduktion unmittelbar vorangeschickte »Erklärung der Kategorien«600 erst zusammen mit den unmittelbaren Implikaten 2.)- 5.4): Da die Kategorien 1.) »[…] Begriffe von einem Gegenstande überhaupt [sind], dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird«601, da 2.) »in diesen [den logischen Funktionen, R. E.] aber […] schon Einheit, mithin Verbindung … gedacht [ist]«602, da wir 3.) »[…] den Grund der Einheit … in Urteilen [noch höher suchen] [müssen]«,603 nämlich in demjenigen, was in der Rolle dieses Grundes 4.) »die Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält«604 und da 5.) diese »Möglichkeit … […] notwendig auf dem Verhältnis [der uns gegebenen Vorstellungen, also auch der Anschauungen R. E.] zu dieser Apperzeption als einem Vermögen [beruht]«,605 also auf dem Verhältnis zum Vermögen 5.1) »des Aktus der Spontaneität«,606mithin eines Aktes 5.2) wie »er nur vom Subjekt selbst verrichtet werden kann«,607 das eben damit 5.3) »bloß die logische Funktion«608 ausübt, 5.4) »als denkend Wesen … das absolute Subjekt aller meiner möglichen Urteile«609 zu sein. Dieser kleine Exkurs zu Kants vielfältigen, aber zu häufig unscharfen Verwendungsweisen der Notwendigkeits-Modalität kann wenigstens – aber immerhin – mit Blick auf die Spontaneität der logischen Verknüpfungsfunktion der Apperzeption deren konditionalen und modalen Charakter als einer notwendigen Bedingung aller überhaupt möglichen kognitiven Einheitsstiftungen klarstellen. In dieser modalen konditionalen Rolle bildet sie »die Form der Apperzeption«, die sogar »jeder Erfahrung anhängt als bloß subjektive Bedingung derselben«.610 Doch das distributive jeder, das Kant hier in der ersten Auflage der Ersten Kritik verwendet, bildet bereits die unscheinbare grammatische Anspielung auf das erst in den Prolegomena auf Begriffe gebrachte logische, kategoriale und 600 B 128, Kants Hervorhebung. 601 Ebd., Kants Hervorhebung. 602 B 131. 603 Ebd. 604 Ebd., Hervorhebungen R. E. 605 A 117*, Kants Hervorhebung. 606 B 129. 607 B 130, vgl. auch B 157*. 608 B 428. 609 A 348. 610 A 354, Hervorhebung R. E.

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kognitive Medium der Erfahrungsurteile. Nur mit Blick auf dies Medium ist es sinnvoll, in distributiver Form von Erfahrung zusprechen – nämlich von jedem Erfahrungs-urteil und dem dadurch erworbenen Anteil am ›absoluten Ganzen der uns möglichen Erfahrung‹. Doch in jedem Erfahrungsurteil vom paradigmatischen Typ Die Sonne erwärmt den Stein ist die Notwendigkeit, mit der die ›subjektive Bedingung‹ namens Apperzeption einem solchen Urteil zugunsten von dessen Möglichkeit ›anhängt‹, auch mit der Notwendigkeit verflochten, mit der die Erwärmung des Steins ›aus der Beleuchtung durch die Sonne erfolgt‹ (IV, 305*). So unmißverständlich diese Notwendigkeit an die Abhängigkeit einer kausalen Wirkung von einer kausal hinreichenden Bedingung gebunden ist, so irritierend bleibt Kants Integration von empirischen(!) Erfahrungsurteilen mit solchen Notwendigkeitsfaktoren in die Transzendentale Deduktion der Kategorien, solange man nicht die methodische Unentbehrlichkeit berücksichtigt, die die Vor- bzw. Rückgriffe auf solche Urteile für die paradigmatische Bestimmung des Erfahrungs-Typs besitzen, an dem diese ganze Deduktion Schritt für Schritt orientiert ist. Der Leser, Interpret und sachlich Interessierte tut daher gut daran, den durch diese Vor- bzw. Rückgriffe entstehenden Anschein der methodischen Inkohärenz der faktisch vorliegenden Deduktion zu berücksichtigen. Nur so kann er mit berechtigter Aussicht auf Erfolg danach trachten, ihr gerecht zu werden. Zu diesem Zweck ist es zwar selbstverständlich wichtig, die Fallerörterungen ernst zu nehmen, jedoch auch nicht um ihrer selbst willen. Vor allem ist es wichtig, sich auf diejenigen thematischen Leitaspekte und Elemente dieser Erörterungen zu konzentrieren, die ausschlaggebend für das Hauptziel der Schrittfolge der Transzendentalen Deduktion sind  – zu zeigen, daß und inwiefern ›unter den mancherlei Begriffen, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis ausmachen‹, die Kategorien dadurch ausgezeichnet sind, daß sie – und nur sie – ›auch zum reinen Gebrauch apriori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind‹ (vgl. A 85, B 117 und oben S. 108–110). Denn erst ihr reiner Gebrauch, wie ihn »das folgende Hauptstück von dem transz. Gebrauche der Urteilskraft«611 vor allem durch die Formulierungen und die Beweise der »Grundsätze der Möglichkeit der [Erfahrung]«612 – insbesondere die der Analogien der Erfahrung – zeigen soll, charakterisiert die Bedingungen dieser Möglichkeit in der größten möglichen Allgemeinheit. Zwar erörtert Kant das letzte empirische Paradigma innerhalb der Deduktion nicht wie in den Prolegomena am Leitfaden eines Erfahrungsurteils wie Die Sonne erwärmt den Stein und mit Blick auf dessen Notwendigkeits- bzw. Omnitemporalitätsfaktors (vgl. oben S. 28 f.). Stattdessen orientiert es sich an dem exemplarischen Fall des (hypo­ thetischen) Wahrnehmungsurteils »Wenn ich (in einem anderen Beispiele) das 611 B 167. 612 Ebd.

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Gefrieren des Wassers wahrnehme, so apprehendiere ich zwei Zustände (der Flüssigkeit und Festigkeit) als solche, die in einer Relation der Zeit gegenein­ander stehen«.613 Doch es ist auch ohne weiteres klar, daß es sich bei der Festigkeit des gefrorenen Wassers um die hier nicht als solche thematisierte Wirkung der ebenfalls nicht thematisierten Ursache in Form der das Wasser unmittelbar umgebenden hinreichend kalten Luft handelt. Nur deswegen kann Kant »… […] die Apprehension einer solchen Begebenheit, mithin diese selbst, der möglichen Wahrnehmung nach« abstrakt damit kommentieren, daß sie »unter dem Begriffe des Verhältnisses der Wirkungen und Ursachen [steht]«, und in unbestimmter Form verallgemeinern: »… und so in allen anderen Fällen«.614 Und nur deswegen kann Kant im Resultat dieser Deduktion der Verstandesbegriffe (§ 27) mit Blick auch auf nicht als solche thematisierte Wirkungen wie die Festigkeit gefrorenen Wassers abstrakt bemerken, daß auch diese »Wirkung […] mit der Ursache im Objekte (d. i. notwendig) verbunden [ist]«.615 Unter den ›mancherlei Begriffen, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis ausmachen‹, »[gehört] den Kategorien die Notwendigkeit … wesentlich an[…]«616. Sie bildet daher in Gestalt z. B. der Kategorie der Kausalität ein solches Element in diesem Gewebe. Denn »z. B. der Begriff der Ursache [sagt] … die Notwendigkeit eines Erfolges unter einer vorausgesetzten Bedingung aus[…]«.617 613 614 615 616 617

B 162. B 163, Kants Hervorhebungen. B 168, Hervorhebung R. E. B 167, Kants Hervorhebung. B 168. Die Rolle des Notwendigkeits-Faktors in (empirischen) Erfahrungsurteilen verkennt Guyer, Claims, daher gründlich, wenn er es »shocking« findet, daß Kant der Auffassung sei, daß »empirical judgements are a form of necessary truth«, S. 114. In der Guyer irreführenden Passage formuliert Kant offensichtlich ein begriffs-analytisches Argument: »… wenn ein Urteil mit einem Gegenstand übereinstimmt, … so bedeutet die objektive Gültigkeit des Erfahrungsurteils nichts anderes als die notwendige Allgemeingültigkeit desselben«, IV, 298, Hervorhebungen R. E. Zum Begriff der Übereinstimmung eines Erfahrungsurteils mit seinem Objekt gehört unter Kants Voraussetzungen dessen notwendige Allgemeingültigkeit. Deswegen kann Kant anschließend auch kommentieren: »Es sind daher objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit (für jedermann) Wechselbegriffe«, ebd. Doch daraus folgt nicht im geringsten, daß ein Erfahrungsurteil als solches und in den Situationen, in denen es getroffen wird, objektiv gültig und daher notwendigerweise allgemeingültig ist. Zu Recht gibt Allison, Deduction, daher wenigstens ganz vorsichtig zu bedenken: »Obviously, the mere fact that one intends (wollen) to make an objectively valid judgement does not make it so«, S. 295, Hervor­hebung Allison. Andernfalls hätte ein Erfahrungsurteil es nicht nötig, daß es »[…] sich […], obgleich aus reinen Quellen des Verstandes entsprungen, dennoch auf […] durchgängige Bestätigung [stützt]«, IV, 327, bzw. hätten Erfahrungsurteile es nicht nötig, daß sie »durch Versuch und Erfolg continuierlich bewährt werden«, VIII, 140. Insbesondere auch mit Blick auf die kontinuierlich bewährungsbedürftigen Erfahrungsurteile gilt daher, was Kant abstrakt formuliert: »Unerweisliches Urteil kann doch wahr sein«, XXIV,1.2, 767.

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Es sind daher der nicht-empirische Charakter der Kategorien, speziell der Relations-Kategorien und der nicht-empirische Charakter der speziell mit ihnen verbundenen Notwendigkeits-Modalität, die innerhalb der Transzendentalen Deduktion durch ihren empirischen Gebrauch in paradigmatischen Erfahrungsurteilen den Schein der Inkohärenz dieser Deduktion erzeugen. Dieser Schein ist von umso größerer Tragweite als die Rekurse auf solche Erfahrungsurteile in unmittelbarer Verbindung mit der Zielsetzung der Deduktion stehen, die Einsicht vorzubereiten, daß und inwiefern die Kategorien – und nur sie – ›auch zum reinen Gebrauch apriori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind‹. Man kann den komplexen Schein dieser Inkohärenz nur auflösen, indem man die beiden unverzichtbaren methodischen Funktionen ernst nimmt, die die Rekurse auf solche Erfahrungsurteile innerhalb der Deduktion ausüben: Zum einen haben sie die Funktion, den Typus der Erfahrung paradigmatisch zu umreißen, als Bedingungen von deren Möglichkeit die Kategorien gerechtfertigt werden sollen; zum anderen haben sie die Funktion, die durch die Prolegomena schon gewonnene Evidenz der Alltäglichkeit ihres empirischen Gebrauchs als günstiges Vorzeichen für die Berechtigung der Zuversicht fruchtbar zu machen, daß es sich lohnt, die Möglichkeit ihres reinen Gebrauchs zu erkunden. Der § 27 Resultat dieser Deduktion der Verstandesbegriffe wird das Ziel dieser Erkundung durch die Frage »Wie [die Kategorien] aber die Erfahrung möglich machen«618 ins Auge fassen. Die Rekurse auf den empirischen Gebrauch der Kategorien in Erfahrungsurteilen zeigen ja lediglich – aber immerhin –, daß die dafür geeigneten Kategorien durch diesen empirischen Gebrauch wirkliche fragmentarische Ausschnitte aus einem bestimmten Typus des Ganzen einer ins Unbestimmte

Kant selbst findet daher etwas ganz anderes als Guyer für seine Leser shocking, konkret: »befremdlich«, nämlich daß »[…] der Erfahrungssatz sofern allemal zufällig [ist]«, IV, 305*, insofern nämlich als ein Erfahrungsurteil nur bei Gelegenheit der Wahrnehmungen getroffen werden kann, die vom urteilenden Subjekt für geeignet gehalten werden, mit Hilfe eines entsprechenden Wahrnehmungsurteils und mit Hilfe (von mindestens) einer geeigneten Kategorie in ein Erfahrungsurteil transformiert zu werden. Doch es ist – abgesehen von experimentellen und quasi-experimentellen Situationen – eben allemal zufällig, ob ein entsprechend urteilsfähiges Subjekt eine entsprechend geeignete Wahrnehmung empfängt oder nicht. Die einzige Form von Notwendigkeit, die jedes kausal-thematische Erfahrungsurteil enthält, besteht darin, daß die »Wirkung […] mit der Ursache im Objekte (d. i. notwendig) verbunden [ist]«, B 168, Hervorhebung  R. E. Das hat allerdings nicht das geringste damit zu tun, daß die Kausal-Relation eine »necessary connection«, Allison, Deduction, S. 191, Hervorhebung R. E., enthalten würde. Vielmehr ist die Wirkung necessarily connected mit der Ursache bzw. die Wirkung wird von der Ursache necessitated. Außerdem ist es im Sinne einer notwendigen Bedingung notwendig, Wahrnehmungen bzw. Inhalte von Wahrnehmungsurteilen mit Hilfe einer Relations-Kategorie in der geeigneten Form zu verknüpfen, wenn man ein Erfahrungsurteil zu gewinnen sucht. 618 B 167, Hervorhebung R. E.

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wachsenden wirklichen Erfahrung möglich machen. Die Antwort auf die das Ganze dieses Typs möglicher Erfahrung ins Auge fassende Wie-Frage des § 27 ist dadurch mit gerechtfertigter Zuversicht allenfalls vorbereitet. Denn diese Antwort soll eine bis zu dieser Frage noch nicht geklärte Form der Notwendigkeit einsichtig machen – wie die »notwendige Übereinstimmung der Erfahrung mit den Begriffen von ihren Gegenständen gedacht werden kann«.619 Denn damit wird die Übereinstimmung, die den Kern von Kants Konzeption der Wahrheit bildet (vgl. oben 14.5. Ab.), auch mit Blick auf ›das absolute Ganze der Erfahrung‹, das die Prolegomena apostrophieren, als eine notwendige Bedingung charakterisiert: Sie fungiert hier als eine notwendige Bedigung dafür, daß der Erfahrung als ganzer eine Wahrheit innewohnt, von der die Wahrheiten aller partikularer Erfahrungsurteile die fragmentarischen Ausschnitte bilden.

14.7. Wie die reine Form der zeitlichen Anschauung apriori die Transzendentale Deduktion der Kategorien möglich macht und warum diese wegen ihrer scheinbaren methodischen Inkohärenz so überaus schwierig ist: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion der Kategorien V Angesichts der Rekurse auf die reine anschauliche Form apriori der Zeit, die sich im Text der B-Deduktion in ausdrücklicher Form ohnehin mehrfach finden, gewinnt dieses Thema eine zusätzliche Bedeutsamkeit, wenn man die unausdrückliche Beteiligung der reinen anschaulichen Form der Sukzessivität an der formalen Struktur der im Text behandelten Erfahrungsurteile berücksichtigt. Gewiß sind es die §§ 24–25, in denen der thematische Schwerpunkt, abgesehen vom digressiven Thema der Selbstaffektion (vgl. hierzu oben 13.2.–13.3. Ab.), mit unübersehbar ausschließlichem Gewicht auf der methodischen Rolle liegt, die diese reine sinnliche Anschauung apriori der zeitlichen Form der Sukzessivität, des Nacheinander für die Transzendentale Deduktion im ganzen spielt. Kant argumentiert hier von Anfang an zugunsten der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne überhaupt620 in zwei Schritten: »Weil in uns aber eine gewisse Form der sinnlichen Anschauung a priori zum Grunde liegt, welche auf der Rezeptivität der Vorstellungsfähigkeit (Sinnlichkeit) beruht, so kann der Verstand, als Spontaneität, den inneren Sinn durch das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen der synthetischen Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen«.621 Weil die Berücksichtigung der Form des inneren, zeitlichen Sinns apriori in der Transzendentalen Deduktion methodisch vorrangig ist – 619 B 166, Kants Hervorhebung. 620 Überschrift von § 24, B 150. 621 B 150, Hervorhebungen R. E.

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und nur deswegen –, ist es im ersten Schritt nötig und wichtig, daß Kant den gesamten zweiten Teil des § 24 und den ganzen § 25 ausschließlich den Bemühungen widmet, »das Paradox, was jedermann bei der Exposition der Form des inneren Sinnes (§ 6) auffallen mußte, verständlich zu machen«.622 Die in diesen beiden Paragraphen entwickelte Konzeption der Selbstaffektion ist nur allzu offensichtlich von der festen und klaren Intention getragen, die Gründe dieses methodischen Vorrangs der Form des inneren, zeitlichen Sinns apriori  – wenngleich mit nicht immer gleich ganz durchsichtigen Argumenten  – auch in buchtechnisch unübersehbarer Form für den Rest der Transzendentalen Deduktion mit auf den Weg zu geben. Doch dieser methodische Vorrang der reinen zeitlichen Form der Anschauung apriori für die Bearbeitung der Aufgabe der Transzendentalen Deduktion könnte von Kant im Rückblick auf den zweiten Schritt im § 26 Transzendentale Deduktion des allgemein möglichen Erfahrungsgebrauchs der reinen Verstandesbegriffe623 gar nicht deutlicher zur Geltung gebracht werden als durch die nachträgliche Mahnung: »Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt worden, wird hoffentlich niemand im Zweifel stehen, … daß reine Begriffe a priori, außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes)  a priori enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann«.624 Es ist unter diesen Voraussetzungen verständlich und konsequent, daß Paton als der schärfste Kritiker der Vernachlässigung der Rolle der Zeit in der ersten Fassung der Transzendentalen Deduktion625 vor allem die letzte kategorien-­ geleitete Kasuistik eines Erfahrungsurteils im § 26 besonders aufmerksam erörtert. Denn gerade in ihrem Rahmen wird vorzugsweise die Rolle der »temporal relation«, der »time-sequence«626 und der »one common time«627 betont, in der »[two states (fluidity and solidity) … are to be objectively determined] [When I perceive the freezing of water]«.628 Dennoch überspringt Paton ebenso wie Vleeschauwer und zuletzt Longueness und auch Caimi dies tun, die diese

622 B 152. 623 Fettdruck R. E. Es ist äußerst wichtig zu beachten, daß die Rede vom allgemein möglichen Erfahrungsgebrauch der Kategorien nicht bedeutungsgleich mit der Rede vom empirischen Gebrauch der Kategorien ist; die Rede vom allgemein möglichen Erfahrungs­ gebrauch zielt sogar in erster Linie auf die (notwendigen und hinreichenden) »Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt«, A 158, B 197, Kants Hervorhebungen, von denen dieser ›allgemein mögliche Erfahrungsgebrauch‹ abhängt. 624 A 139, B 178–A 140, Hervorhebungen R. E. 625 Vgl. oben S. 34 f., 80 f. 626 Paton, Experience I, S. 544. 627 S. 545. 628 S. 544.

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Kasu­istik ebenfalls genauer erörtern,629 die für die Transzendentale Deduktion zentrale Frage, in welcher Form genau die reine zeitliche Form der Anschauung des ›Gegenstands = X‹ der reinen Kategorie der Kausalität ›in Ansehung einer der Funktionen zu urteilen bestimmt ist‹. Paton weicht der Frage aus, indem er freimütig bekennt: »We are not in  a position to estimate this contention [i. e. the contention that causality is necessary to maintain the unity of time630] until we have examined the Second Analogy«.631 Unter den eindringlichen Kom629 Vgl. Vleeschauer, La déduction III, S. 256–257, Longueness, Judgement, S. 226–227, 241 f. und Caimi, B-Deduction, S. 109–113. Für Guyer, Knowledge, ist der Zusammenhang von »deduction and time-determination«, S. 87–90, gar kein genuines Thema der transzendentalen Deduktion, weil nach seiner Auffassung erst das Schematismus- und das Grundsatz-Kapitel »really do contain the basic materials for his only successful deduction of the categories«, S. 157; doch abgesehen von der abwegigen Auffassung von der successful deduction of the categories durch das Schematismus- und das GrundsatzKapitel zeigt diese Einschätzung vor allem, daß er die außerordentlich wichtige Rolle der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile in der B-Deduktion verkennt. Denn die formale Genese der Erfahrungsurteile aus entsprechenden Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen ist, wie Kant in den Prolegomena, IV, 305*, unmißverständlich zu verstehen gibt, nur im Rekurs auf entsprechende Schemata möglich; zu Guyers weiteren Mißverständnissen dieser Zusammenhänge vgl. auch unten S. 224, Anm. 753. 630 Vgl. Paton, Experience I, S. 5454. 631 Paton, Experience I, S, 545; Patons definitive estimation of his contention findet sich in Experience II, S. 273–275. Die Vertagung seiner estimation of his contention auf diese Passage ist gemäß den Regeln und Kriterien einer strikt kommentarischen Interpretation und Beurteilung zweifellos konsequent. Doch sie ist auch ein Indiz für zwei Mißverständnisse Patons: Zum einen dafür, daß Paton das methodische und das systematische Gewicht der Kasuistiken innerhalb der B-Deduktion erheblich unterschätzt; zum anderen dafür, daß Paton die Einheit der Zeit von der Struktur der Kontinuität der zeitlichen Verlaufsform kausaler Prozesse abhängig macht. Die letzte Kasuistik, um die es in der B-Deduktion zu tun ist, macht gerade wegen Kants Konzentration auf die temporalen Strukturmomente des Gefrierens des Wasser die Berücksichtigung bestimmter Aspekte der Kontinuität nötig, ohne daß dies systematisch oder methodologisch fehlerhaft wäre; zu diesen Aspekten gehört auch die Rolle des Begriffs der Grenze, mit dessen Hilfe Kant das Ende eines Zustands mit dem Anfang des unmittelbar nachfolgenden Zustands einer Zustandsänderung identifiziert, vgl. unten S. 197, Anm. 656. Was also für eine strikt kommentarische Interpretation wie ein illegitimer Vorgriff auf Kants Erörterung der Kontinuität der Zeit im Zweiten Analogien-Abschnitts aussieht, ist unter den Vorzeichen von Kants Integration paradigmatischer Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile in die B-Deduktion nur eine Konsequenz aus dem Umstand, daß diese Kontinuität eine integrale Komponente einer kausal-thematischen Kasuistik bildet, wie Kant sie B 162–163 erörtert. Viel gewichtiger zur Einschätzung von Patons Vertagung des KontinuitätsProblems der Zeit ist in sachlicher Hinsicht etwas anderes: Sowohl in der Passage der Zweiten Analogie zur Kontinuität, auf die Paton sich beruft, vgl. A 208, B 253–A 209, wie auch in der parallelen Passage zur Kontinuität im Abschnitt Antizipationen der Wahrnehmung behandelt Kant gar nicht die Kontinuität der Zeit, sondern die »[…] Kontinuität [der Erscheinungen, Hervorhebung R. E.] im Zusammenhang der Zeiten«, A 199, B 244, Kants Hervorhebungen, bzw. die »Eigenschaft der Größen, nach welcher an ihnen kein Teil der kleinstmögliche (kein Teil einfach) ist, und heißt Kontinuität«, A 169, B 211,

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mentatoren der B-Deduktion betont Vleeschauwer in seiner Erörterung dieser Kausistik »l’unité du temps«632 ebenso wie Longueness, Caimi und Allison sie unter der Kenzeichnung der »synthesis speciosa« bzw. »figurative synthesis«633 erörtern. Doch alle vier Autoren stellen nicht im geringsten das Risiko einer methodischen Inkohärenz in Rechnung, das Kant durch die wie auch immer indirekte Teilhabe der Empirie an dieser  – und an jeder vorangegangenen  – Fallerörterung innerhalb der Transzendentalen Deduktion in Kauf zu nehmen scheint, obwohl diese vor allem der Vorbereitung des Nachweises gewidmet ist, daß die Kategorien außer für den empirischen auch für den nicht-empirischen, reinen Gebrauch tauglich sind. Mit dem Rekurs auf die Einheit der Zeit, der in solchen Fallerörterungen eine argumentative Rolle spielt, hat es indessen eine besondere Bewandtnis. Man kommt der Besonderheit dieser Bewandtnis auf die Spur, wenn man vor allem Kants letzte Fallerörterung in dem angedeuteten Sinne (vgl. oben S. 91–97) zwar ernst nimmt, jedoch nicht um ihrer selbst willen. Denn sie bietet eine besonders günstige Gelegenheit, einen der thematischen Zusammenhänge und Leitaspekte dieser Erörterung ins Auge zu fassen, die ausschlaggebend für die weitere Schrittfolge der Transzendentalen Deduktion sind. Denn diese Schrittfolge führt dahin zu zeigen, daß und inwiefern ›unter den mancherlei Begriffen, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntniß ausmachen‹, die Kategorien dadurch ausgezeichnet sind, daß sie – und nur sie – ›auch zum reinen Hervorhebungen R. E. Die Kontinuität der Zeit besteht im Unterschied hierzu in der Form des Nacheinander, das jedes temporale Etwas als unmittelbaren Nachfolger irgendeines anderen temporalen Etwas anschaulich sein läßt. Es ist diese unmittelbar anschau­ liche temporale Nachfolgerschaft von jedem beliebigen Etwas, was die Kontinuität der Zeit ausmacht; vgl. hierzu unten S. 333–334. Alle anderen Formen von Kontinuität haben an dieser strikt temporalen Kontinuität zwar teil, sind aber nicht identisch mit ihr. Es trifft zwar zu, wie Paton argumentiert, daß »Kant’s doctrine of time forms a strand which runs through his whole diskussion«; doch es trifft nicht zu, daß »it finds its clearest, and in some ways, its most diffucult, expression in the special argument which deals with the continuity and irreversibility of time«, S. 273. Paton scheint in der Auffassung befangen zu sein, daß die Zeit kontinuierlich und irreversibel sei, weil diese beiden Eigenschaften der Zeit »its clearest … expression« in der Kontinuität und Irreversibilität der kausal geprägten Erscheinungen finden. Doch solche Erscheinungen sind, wenn sie kontinuierlich und irreversibel sind, nicht schon wegen der Kontinuität und Irreversibilität der Zeit kontinuierlich und irreversibel. Denn das Nacheinander – die Form der Zeit – ist ganz unabhängig davon kontinuierlich und irreversibel, ob Fälle von Kausalität in temporaler Hinsicht kontinuierlich und irreversibel sind oder nicht. Ohne die entsprechenden Termini zu verwenden, charakterisiert Kant die Kontinuität und die Irreversibilität der Zeit – also des Nacheinander – daher schon da, wo es systematisch hingehört – auf den Seiten A 31, B 47; A 31, B 47–A 32, B 48 und A 33, B 49–50 des Abschnitts Von der Zeit; zur Kontinuität von Zustandsänderungen vgl. unten S. 335–339. 632 Vleeschauwer, La Décuction III, S. 256. 633 Longueness, Judgement, S. 212–233, 240–242, Caimi, B-Deduction, S. 104–113, Allison, Deduction, S. 408–423.

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Gebrauch apriori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind‹ (vgl. A 85, B 117). Zwar argumentiert Kant im Auftakt auch zu dieser letzten Fallerörterung innerhalb der Transzendentalen Deduktion: »Aber Raum und Zeit sind nicht bloß als Formen der sinnlichen Anschauung, sondern als Anschauungen selbst (die ein Mannigfaltiges enthalten) also mit ihrer Bestimmung der Einheit des Mannigfaltigen in634 ihnen a priori vorgestellt«.635 Diese Form der Einheit des Mannigfaltigen in der Zeit bzw. im Raum apostrophiert Kant hier zum ersten Mal als »formale Anschauung«.636 Die so apostrophierte Form der Einheit, auf die sich auch Paton, Vleeschauwer, Longueness, Allison und Caimi zur Recht berufen, muß jedoch sorgfältig von einer Form der temporalen Einheit unterschieden werden, die eine ganz andere Binnenstruktur hat. Beiden Formen der Einheit werden Kants Formulierungen zwar von Anfang an gerecht. Doch im Zusammenhang mit seiner letzten Fallerörterung wird eine wichtige formale Differenzierung nötig. Für beide Formen gilt, was er von der »Vorstellung der Zeit« sagt, daß nämlich »einiges … in verschiedenen Zeiten (nacheinander) sei«637 und diese verschiedenen Zeiten »nur durch Einschränkungen einer einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich sei[en]«.638 Der ganze Unterschied, auf den es bei diesem Thema ankommt, hängt davon ab, daß durch die Struktur des letzten paradigmatischen empirischen Urteils auch eine paradigmatische Struktur solcher ›Einschränkungen einer einigen zum Grunde liegenden Zeit‹ relevant wird. Denn in konkreten Fällen wie z. B. dem des »Gefrieren[s] des Wassers«639 bilden der zuerst wahrgenommene flüssige Zustand des Wassers640 und der danach wahrgenommene feste Zustand des gefrorenen Wassers641 zwar offensichtlich ›einiges in verschiedenen Zeiten nacheinander‹. Doch Kant gibt unmißverständlich zu verstehen, daß das Gefrieren des Wassers ein Paradigma für »alles, was geschieht«,642 bildet, so daß »eine[…] solche[…] Begebenheit unter dem Begriffe des Verhältnisses der Wirkungen und Ursachen, und so in allen anderen Fällen«643 steht. Was die Interpretation und Beurteilung von Kants Präsentation dieses Paradigmas und seiner abstrakten Erläuterung indessen so problematisch macht, sind vier Umstände: Zum einen gehört die paradigmatische ›Begebenheit‹ bzw. das para634 Hervorhebung R. E. 635 B 160. 636 B 160*; vgl. auch die impliziten argumentativen Rekurse Kants auf diese beiden formalen Anschauungen B 136* und einseitig auf den Raum B 155*. 637 A 30, B 46; vgl. auch A 31, B 46–47. 638 A 32, B 48; zur entsprechenden Charakterisierung der formalen Anschauung des Raumes als der für ihn charakteristischen Form der Einheit vgl. vor allem A 24, B 39–B 41. 639 B 162. 640 Vgl. B 162. 641 Vgl. ebd. 642 B 163, Kants Hervorhebungen. 643 Ebd., Kants Hervorhebungen.

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digmatische ›Geschehnis‹ des Gefrierens des Wasser nicht schon an und für sich ›unter den Begriff des Verhältnisses der Wirkungen und der Ursache‹, sondern nur unter die Teil-Kategorie der Wirkung; zum anderen wird diese ›Begebenheit‹ bzw. dieses ›Geschehnis‹ durch das strikt empiristische Präfix »Wenn ich … das Gefrieren des Wassers wahrnehme …«644 eingeführt; darüber hinaus wird die für das Gefrieren des Wassers konkrete hinreichende Bedingung – also die Ursache in Form der das Wasser unmittelbar umgebenden hinreichend kalten Luft – zugunsten einer abstrakten Bemerkung über alle möglichen Fälle des Verhältnisses von Ursache und Wirkung vernachlässigt; und schließlich konzentriert sich Kant nur allzu offensichtlich so gut wie ausschließlich auf die temporale Erörterung des Falls. Der gesamten Präsentation und Erörterung dieses Falls wird dadurch eine Unschärfe mitgeteilt, die eine Klärung jedes einzelnen dieser vier diese Unschärfe erzeugenden Umstände verlangt. Hält man sich zunächst an die offenkundige temporale Orientierung, der Kants konkrete Erörterung folgt, dann kommt es darauf an, den kausalen Aspekt vorläufig zu vernachlässigen. Umso mehr kommt es darauf an, für das thematisierte Gefrieren des Wassers eine nicht-kausale Charakterisierung zu finden, die im Vergleich mit den undifferenzierten Begriffen des Geschehnisses und der Begebenheit sowohl der Binnendifferenz zwischen dem flüssigen und dem festen Zustand wie der zeitlichen Relation zwischen beiden der Sache nach gerecht wird. Spätestens im Rahmen seiner Erörterungen der Kausal-Analogie wird Kant unmißverständlich zu verstehen geben, daß es sich bei Wirkungen von Ursachen wie z. B. dem des Gefrierens des Wassers ganz unbeschadet ihres teil-kategorialen Status stets um Zustandsänderungen handelt.645 Diese Berücksichtigung von Zustandsänderungen als solchen wird nicht nur buchtechnisch spät formuliert, sondern kommt auch unverändert in beiden Auflagen der Ersten Kritik zum Zuge. Umso bedeutsamer ist das Späte dieser Berücksichtigung in beiden Auflagen. Denn es verweist darauf, daß Kant das empirische Paradigma des Gefrierens von Wasser in den vorletzten Paragraphen der B-Deduktion einführt, ohne den wichtigen Unterschied zwischen dessen nicht-empirischem, teil-kategorialem Status als Wirkung und dessen empirischem Status als Zustandsänderung so trennscharf zu berücksichtigen, wie es dieser schon in der ersten Auflage berücksichtigte Status-Unterschied erlaubt hätte. Damit wird nicht nur der Schein der Inkohärenz fortgesetzt, den die Einführung empirischer Wahrnehmungs- und empirischer Erfahrungsurteile in die B-Deduktion ohnehin erzeugt. Dieser Präsentation und Erörterung dieses letzten paradigmatischen Falls wird auch eine an Zweideutigkeit grenzende Unschärfe mitgeteilt: Soll es sich um einen durch ein Wahrnehmungsurteil präsentierten Fall einer Zustandsänderung oder 644 B 162 Hervorhebungen R. E. 645 Vgl. vor allem A 191, B 236; A 206, B 252–A 209, B 254.

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um einen am Leitfaden eines im Hintergrund bleibenden kausal-thematischen Erfahrungsurteils präsentierten Fall einer Wirkung handeln?646 Löst man diese Unschärfe im Licht von Kants Charakterisierungen des Gefrierens als eines Falles von Zuständen auf, die »in einer Relation der Zeit zueinander stehen«,647 und insofern zur »inneren Anschauung«648 gehören, dann präsentiert der Fall insofern und »in Ansehung der Zeitfolge«649  – aber auch nur insofern  – offensichtlich eine Zustandsänderung und dies vor allem mit Blick auf sein temporales Format. Doch die ›Relation der Zeit zueinander‹ ist in diesem Fall nicht irgendeine beliebige Relation zwischen möglichen Zuständen 646 Longueness, Capacity, macht daher zu Recht mit aller Vorsicht auf die methodische Unschärfe aufmerksam, die Kant durch die Diskrepanz zwischen seiner kategorial-applikativen Intention und seiner faktischen kategorial-applikativen Abstinenz erzeugt. Denn sie gibt zu bedenken: »But the temporal character of the freezing of water is of a different kind [than a form of the affection of inner sense by the act of apprehension, R. E.]. It seems not to depend on our act of apprehension, but on the empirical object itself«. Mit ihrer Erwägung, daß der temporale Charakter des Gefrierens des Wassers vom empirischen Objekt abzuhängen scheint, unterstellt sie, wenngleich nur stillschweigend, zu Recht und ganz unbeschadet aller Vorsicht ihrer Erwägung, daß es sich bei dieser Zustandsänderung, sofern sie ein empirisches Objekt ist, um einen Fall einer bei Kant verkappt bleibenden Form der Anwendung der Kausal-Kategorie handelt. Was sie indessen nicht berücksichtigt, ist die wichtige Frage, um welche Form ihrer Anwendung es sich handelt. Denn den springenden Punkt bildet der Umstand, daß es sich beim Gefrieren des Wassers um einen paradigmatischen Fall der partiellen Anwendung der Kausal-Kategorie handelt, um die Anwendung der Teil-Kategorie der Wirkung auf die Zustandsänderung des Gefrierens. Denn sie ist es, die als Objekt dieser Teil-Kategorie durch die von Kant gegen seine erklärte Intention vernachlässigte Ursache ausgelöst wird, eben durch das hinreichende Kälterwerden der das Wasser unmittelbar umgebenden Luft.  – Einer mit Longueness’ Erwägung unmittelbar verwandten, aber strikt kategorial-analytisch klareren Erwägung folgt, Allison, Deduction, im Rahmen seiner Analyse dieser letzten Kasuistik Kants innerhalb der B-Deduktion, wenn er argumentiert: »The basic point of this illustration appears to be that the representation of a determinate sequence in time (in this case the succession in the states of the water) presupposes the representation of the synthetic unity of time and thus a synthesis by a category, which, since it concerns a succession of states, is identified with causality«, S. 423, Hervorhebung R. E. Allison gibt zu verstehen, daß die bestimmte (determinate) Folge der beiden thematisierten Aggregat­ zustände des Wassers die Anwendung der Kausal-Kategorie voraussetzt (presupposes). Es wird gleichwohl nicht restlos klar, ob er das Gefrieren selbst schon als solches für einen vollständigen Fall von Kausalität hält. Doch da es eine Zustandsänderung wie diese des Wassers ist, was Kant im Sinne unmißverständlicher Überlegungen mit der Wirkung einer noch näher zu bestimmenden Ursache identifiziert, bleibt auch Allisons Kommentar wie der von Longueness trotz seiner schärferen Zielrichtung immer noch in einer Unschärfe befangen: Er verkennt, daß die Zustandsänderung selbst lediglich unter die Teil-Kategorie der Wirkung fällt, obwohl diese kausale Teil-Struktur selbstverständlich voraussetzt (presupposes), daß diese Wirkung ihre spezifische Ursache im hinreichenden Kälterwerden der unmittelbar umgebenden Luft hat. 647 B 162. 648 B 163, Kants Hervorhebung. 649 Ebd.

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des Wassers und auch nicht eine beliebige zwischen den beiden Zuständen der Flüssigkeit und der (gefrorenen) Festigkeit.650 Die Thematisierung des Gefrierens als eines solchen macht unmißverständlich klar, daß es sich, wie auch Allison klarstellt, um die ganz und gar bestimmte (determinate) Relation der früheren Flüssigkeit zur unmittelbar späteren Festigkeit handelt. Damit ist auch genauso unmißverständlich – wenngleich nur implizit – zu verstehen gegeben, daß das thematisierte Gefrieren, wie auch Allison klarstellt, voraussetzt (presupposes), daß es als Wirkung nur aus der Synthesis durch eine Kategorie (a synthesis by a category) – die der Kausalität – gewonnen werden kann. Die zu einer solchen Synthesis gehörende Ursache in Gestalt der das Wasser umgebenden hinreichend kälter werdenen Luft bleibt in der Präsentation des Falles durch Kant und in den Erläuterung durch Kant selbst sowie durch Longueness und Allison lediglich unthematisiert. Indessen kann nur die Berücksichtigung der unmittelbaren Konzentration Kants auf das temporale Format des konkreten Falls des Gefrierens des Wassers verständlich machen, warum es konsequent ist, daß auch dieser Fall durch die Wendung »… in einem anderen Beispiele …«651 direkt unter die Vorzeichen der unmittelbar zuvor (B 160*) erörterten Einheit der Zeit gestellt wird. Doch bei der Einheit der Zeit, um die es bei einer Zustandsänderung bzw. Wirkung wie dem Gefrieren geht, handelt es sich um eine andere Form der Einheit der Zeit als diejenige, die Kant unter dem Terminus der formalen Anschauung berücksichtigt. Allison trifft den für diese Form der Einheit der Zeit relevanten springenden Punkt,652 wenn er sie als die synthetische Einheit der Zeit (the synthetic unity of time)  erläutert und auf eine Synthesis durch eine Kategorie (a synthesis by a category), eben durch die Kausal-Kategorie zurückführt, wenngleich nur durch die Teil-Kategorie der Wirkung. Für die Charakterisierung dieser empirischen Form der Einheit der Zeit z. B. von Zustandsänderungen verfügt Kant über den auch alltäglich gebräuchlichen Begriff der Dauer.653 Allerdings ist diese empirische Form der Einheit der Zeit nicht definitorisch auf die temporale Form von Zustandsänderungen festgelegt, sondern muß offensichtlich auch für andere empirische Fälle eines bestimmten Typus charakteristisch sein, für die Kants letzte 650 Es handelt sich also gerade nicht, darum, »daß der eine oder der andere in der Zeit vorhergehe«, B 233, Hervorhebung R. E. 651 B 162. 652 Zu den folgenden Formulierungen von Allison, Deduction, vgl. oben S. 194, Anm. 646. 653 Vgl. A 183, B 226; die Dauer wird hier durch »das Dasein in verschiedenen Teilen der Zeitreihe nacheinander«, Kants Hervorhebung, charakterisiert, das durch diese temporale Form des Daseins »[…] … Größe [bekommt]«, Kants Hervorhebung, also meßbar ist. Das Gefrieren des Wassers bildet hier also in temporaler Hinsicht Kants paradigmatisches Beispiel für die Dauer einer Zustandsänderung, also für das temporale Binnenformat einer Wirkung. Das Wasser selbst bildet im Sinne von R 5312 die (gegenüber allen seinen möglichen Zustandsänderungen invariante) ›komparative Substanz‹, deren ›Dasein in verschiedenen Teilen der Zeit‹ Zustandsänderungen durchmacht.

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Fallerörterung ebenfalls das nächstliegende Paradigma bietet – Zustände wie die »der Festigkeit und der Flüssigkeit … als solche«.654 Die Dauer des zuerst wahrgenommenen flüssigen Zustands des Wassers und die Dauer des nachfolgend wahrgenommenen festen Zustands bilden daher wiederum (zwei) ›Einschränkungen‹ derjenigen Einheit der Zeit, die ausschließlich die Zustandsänderung des Gefrierens als Eine zeitlich einheitliche Form prägt. Doch alle Fälle von Dauer – sowohl die von Zuständen wie die von Zustandsänderungen – bilden gemeinsam Einschränkungen derjenigen Einheit der Zeit, die Kant als formale Anschauung konzipiert und die nicht selbst wieder eine Einschränkung einer umfassenderen Einheit der Zeit bildet. Denn als formale Anschauung bildet sie den einzigen, auf keinen anderen kognitiven Zugang zur Einheit der Zeit zurückführbaren Zugang zu dieser Einheit.655 654 B 162. 655 In einer instruktiven Untersuchung erörtert Erhard Scheibe, Die Einheit der Zeit, in: Erich Fries (Hg.), Festschrift für Josef Klein zum 75. Geburtstag, Göttingen 1967, S. 53–72, dasselbe Thema unter Aspekten der Physik mit, wenngleich unintendiert, prinzipiell übereinstimmenden Resultaten. Statt wie Kant vor allem Zustandsänderungen zu thematisieren, vgl. bes. A 207, B 252*, thematisiert Scheibe durchweg Veränderungen, vgl. S. 57–72. Daß Kant nur Zustandsänderungen als Veränderungen auffaßt, betont zu Recht schon Peter Plaass, Kants Theorie der Naturwissenschaft. Eine Untersuchung zur Vorrede von Kants »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft«, Göttingen 1965, vgl. S. 97–98. Die von Kant benutzten formalen Kriterien für die Klärung des Spannungsverhältnisses der Einheit der Zeit und der Vielheit der Teile der Zeit wird von Scheibe um das meßtechnische Kriterium erweitert, das durch »die moderne Frage­ stellung nach der ›richtig‹ gehenden Uhr«, S. 61, wichtig geworden ist. Mit Blick auf die auch von Kant berücksichtigten Zustände und Zustandsänderungen wie die des Wassers bzw. seines Gefrierens verlangt dieses meßtechnische Kriterium bekanntlich »eine Zustandsfunktion der Zeit, also eine Funktion, die jedem Zeitpunkt einen Zustand des Objekts zuordnet«, S. 66. Das Ziel von Kants Überlegungen zum Thema Einheit versus Vielheit der Zeit könnte man nicht besser zusammenfassen als mit der Zusammenfassung, die Scheibe seinen Überlegungen gibt – das Ziel, »den Satz von der systematischen Durchsetzung der Einheit der Zeit gegenüber der Vielheit der Veränderungen«, S. 72, Sch.s Hervorhebungen, zu begründen. Allerdings gehört Kants Theorie der Einheit der Zeit angesichts der von ihm entwickelten Überlegungen ganz gewiß nicht zum Typ »einer aprioristischen Theorie«, für die »[…] das Problem der Einheit der Zeit im Grunde überhaupt nicht [existiert]; es wird von ihr gewissermaßen per definitionem als gelöst angesehen«, ebd. Vielmehr kann Kant die ohnehin subtilere These von der Einen Zeit und der (abzählbar unendlichen) Vielheit ihrer Einschränkungen mit dem formalen Argument begründen, daß alleine schon die probeweise Erwägung einer ›zweiten Einen‹ Zeit nicht nur zu einem Widerspruch in sich, sondern auch zu einer in doppelter Hinsicht überflüssigen Verdoppelung der Einen Zeit führen würde – in empirischer Hinsicht überflüssig, weil, wie auch Scheibe zeigt, der zeitliche Charakter aller empirisch ermittelten quantitativen und qualitativen zeitlichen Verhältnisse restlos bereits als ›Einschränkungen‹ oder Teile derselben Einen Zeit erklärt werden können; und in theoretischer Hinsicht überflüssig, weil eine so apostrophierte Eine Zeit nicht Teil einer ›anderen‹ Einen Zeit sein kann. Die Eine und selbe Zeit steht zu ihren ›Einschränkungen‹ oder Teilen nicht im Verhältnis einer Menge zu ihren Elementen, sondern im Verhältnis des einen und selben gemein-

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Da jede Zustandsänderung in Entsprechung zum Paradigma des Gefrierens des Wassers die Dauer des früheren Zustands durch die Dauer des unmittelbar nachfolgenden Zustands fortsetzt, bildet jede Zustandsänderung zwar wiederum eine besondere, empirische Form der Einheit der Zeit. Doch auch sie kann durch unterschiedliche interne Gestaltdifferenzen charakterisiert werden – durch die wie auch immer lange bzw. kurze Dauer, die vom Ende der Dauer des früheren Zustands bis zum Anfang der Dauer des unmittelbar folgenden späteren Zustands währt – also in den Formen z. B. des Erstarrens, des Sublimierens, des Kondensierens bzw. des Schmelzens;656 aber auch durch die wie auch immer lange oder kurze Dauer, die vom Anfang der Dauer des früheren Zustands bis zum Ende der Dauer des unmittelbar folgenden späteren Zustands währt. Diese beiden empirischen Formen der Einheit der Zeit einer Zustandsänderung haben wiederum in den beiden verschiedenartigen Phasen ihrer Dauer ihre charakteristischen (empirisch bestimmten) Einschränkungen. Kants Konzeption der formalen (zeitlichen) Anschauung trägt daher sowohl unserer ›vulgären‹, alltäglichen wie der alltäglichen wissenschaftlichen Auffassung Rechnung,

samen sukzessiven Charakters zu allem und jedem, was überhaupt an diesem zeitlichen Charakter teilhat. Hätte sie das genuine Format einer Menge, dann wäre die Frage nach einer anderen Menge immerhin noch sinnvoll möglich, deren echte Teilmenge sie selbst sein könnte. Doch da die Sukzessivität lediglich den einheitlichen subjektiven Charakter der Form der Anschauung der Zeit und eine einzigartige kognitive Hervorbringung ihrer formalen Anschauung bildet, ist diese Frage nicht sinnvoll; zum theoretischen Kern von Kants Konzeption der Einheit der Zeit vgl. jedoch unten S. 285–286. 656 Die Dauer von Zustandsänderungen hängt von Fall zu Fall von unterschiedlichen kausalen Faktoren und von den spezifischen Eigenschaften der Stoffe ab, die Träger der jeweiligen Zustände sind. Innerhalb seiner Theorie der Erfahrung mach Kant von den temporalen Begriffen des Anfangs und des Endes nur zur Charakterisierung des Anfangens und Beendens der kognitiven Tätigkeit des Apprehendierens einen ana­lytischen Gebrauch, vgl. A 192, B 237–B 238. Wohl aber macht er vom Begriff der Grenze Gebrauch, um mit Blick auf eine Zustandsänderung das Ende des früheren Zustands mit dem Anfang des unmittelbar nachfolgenden Zustands zu identifizieren, vgl. A 208, B 253. Eine solche Grenze charakterisiert er mit Blick auf diesen unmittelbar nachfolgenden Zustand daher auch direkt als »Anfangsaugenblick«, vgl. A 208, B 254, der aber identisch ist mit dem Endaugenblick des unmittelbar vorhergehenden Zustands; vgl. auch die prägnante zusmmenfassende Formulierung: »Die Grenze der Zeit [ist] der Augenblick«, XXII, 74. Allerdings ist Kant nicht an so etwas wie einer starren Einheitsbedeutung des Worts Augenblick orientiert; vgl. auch unten S. 337–338. Es bleibt daher verwunderlich, daß Niko Strobach, The Moment of Change. A Systematic History in the Philosophy of Space and Time, Dordrecht / Boston / London 1998, ungeachtet seiner hermeneutischen Kautelen, vgl. 115 f., den in Kants Theorie der Zeit entscheidenden Punkt übergeht. Er vernachlässigt, daß es sich bei dem von Kant thematisierten moment of change gerade nicht, wie es Strobachs moment-Terminologie nahelegt, um ein spezifisch temporales Moment handelt, sondern um eine an sich a-temporale Grenze, die lediglich funktional – also dadurch daß sie identisch mit dem Ende eines vorigen und dem Anfang eines nachfolgenden Zustands ist – pseudo-temporale Züge verliehen bekommt.

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daß jede Dauer irgendeines Zustands bzw. irgendeiner Zustandsänderung Einen charakteristischen Teil derselben Einen Zeit bildet. Die komplexen Voraussetzungen, von denen Kants letzte Kasuistik im Licht seiner Theorie der Erfahrung getragen wird, sind damit jedoch noch nicht erschöpft. Es bleibt noch die Rolle und die Tragweite zu klären, die der Umstand mit sich bringt, daß Kant diese Kasuistik mit der für einen solchen hypothetischen Fall angemessenen logischen Form einführt, aber auch unüberseh­ barerweise als Fall der Wahrnehmung ›Wenn ich … das Gefrieren des Wassers wahrnehme‹. Durch diesen Wahrnehmungsfaktor ist ein weiteres der Klärung bedürftiges Spannungsmoment in diese Kasuistik eingeführt. Denn da es sich beim Gefrieren des Wassers sowohl um eine Wirkung einer nicht direkt thematisierten Ursache handelt wie um eine Zustandsänderung, versetzt Kant diesen paradigmatischen Fall in das Spannungsfeld zwischen den Fragen, ob es sich um ein Wahrnehmungsurteil oder um ein Erfahrungsurteil handelt oder um einen kognitiven Zwilling aus beiden Urteilstypen. Immerhin hat Kant aus der Konzeption der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile der Prolegomena die wohldurchdachte Auffassung in die B-Deduktion übernommen, daß kein Erfahrungsurteil ohne eine kategoriale Verknüpfung aus zwei geeigneten Wahrnehmungsurteilen gewonnen werden kann. Innerhalb jedes Erfahrungsurteils sind daher jeweils die spezifischen (strikt empirischen) Wahrnehmungsgehalte von zwei typischen Wahrnehmungsurteilen mit kategorialen Mitteln im dreifachen Hegelschen Sinne aufgehoben – sie sind als Wahrnehmungsgehalte bewahrt, die sie primär präsentierenden, bloß subjektiv gültigen Wahrnehmungsurteile sind mit Hilfe der jeweils angemessenen kategorialen Mittel zugunsten von entsprechenden Erfahrungsurteilen überwunden und auf die Stufe objektiv wahrer bzw. wahrheitsfähiger Erfahrungsurteile gehoben worden. Diese Struktur der formalen, kategorialen Genese von Erfahrungsurteilen aus Wahrnehmungsurteilen (und Wahrnehmungen) macht es jedenfalls zulässig, die Beteiligung von Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen an Erfahrungsurteilen gelegentlich auch um ihrer selbst willen zu akzentuieren. Im Rahmen seiner letzten Kasuistik führt Kant den Fall des Gefrierens des Wassers aber auch deswegen in der hypothetischen Form eines Wenn …-Satzes ein, weil er ihn syntaktisch mit dem ›…so apprehendiere ich zwei Zustände (der Flüssigkeit und Festigkeit) als solche‹-Satz fortsetzt. Offensichtlich wird in dieser Form vorausgesetzt, daß ›ich zwei Apprehensionen habe‹, die des Zustands der Flüssigkeit und die des Zustands der Festigkeit des Wassers. Doch damit ist es ganz und gar verträglich, daß derselbe Fall des Gefrierens des Wassers durch ein fragmentarisches, lediglich eine Wirkung repräsentierendes kausal-thematisches Erfahrungs-urteil hypothetisch eingeführt wird: Wenn ich das Gefrieren des Wassers erfahre …. Denn in der syntaktischen Fortsetzung dieses Satzes wird zu verstehen gegeben, daß die Erfahrung dieser Wirkung zwei Wahrnehmungen bzw. Apprehensionen von zwei verschiedenen Zuständen des Wassers vor-

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aussetzt. Kant versäumt daher lediglich, die beiden entsprechenden Wahrnehmungsurteile zu präsentieren. Macht man sich die identitäre Form zunutze, die Kant in der Reflexion 3145 für Wahrnehmungsurteile erprobt,657 dann gewinnt man die beiden Wahrnehmungs- bzw. Apprehensionsurteile Ich, der ich das Wasser sehe, nehme an ihm das Flüssige wahr und Ich, der ich das Wasser sehe, nehme an ihm das (gefrorene) Feste wahr. Doch nicht nur die beiden Zustände ›stehen in einer Relation der Zeit zueinander‹, auch die beiden Wahrnehmungsbzw. Apprehensionsurteile berücksichtigen ›eine Relation der Zeit zueinander‹, in der die beiden Wahrnehmungen bzw. Apprehensionen eines und desselben Subjekt stehen: Ich, der ich vorhin das Wasser gesehen habe, habe an ihm das Flüssige wahrgenommen und Ich, der ich jetzt das Wasser sehe, nehme jetzt an ihm das (gefrorene) Feste wahr. Gewiß werden solche subjekt-identitären Urteile, die einerseits Erinnerungen an frühere Wahrnehmungen bzw. Apprehensionen formulieren bzw. gegenwärtige Wahrnehmungen bzw. Apprehensionen formulieren, nicht ausdrücklich in Kants Text präsentiert. Doch erst ihre ausdrücklichen Formulierungen machen direkt auf die zwei Stufen aufmerksam, auf denen in Kants Analyse der letzten Kasuistik innerhalb der B-Deduktion Phänomene in ›einer Relation der Zeit zueinander‹ stehen: Der flüssige Zustand des Wassers ist ebenso früher als sein fester Zustand wie die Wahrnehmung bzw. Apprehension seines flüssigen Zustands früher als die Wahrnehmung bzw. Apprehension seines festen Zustands ist. Unter diesen Voraussetzungen zeigt sich, warum es aus innertheoretischen Gründen nötig ist, die von Kant in der letzter Kasuistik innerhalb der B-Deduktion eher beiläufig hervorgehobenen temporalen Komponenten ausführlich zu erörtern. Denn die unter dem besonderen Namen der formalen (zeitlichen) Anschauung berücksichtigte Einheit der Zeit soll nur allzu offensichtlich plausibel machen, daß und warum unterschiedliche Teile der Zeit wie z. B. die Dauer des flüssigen Zustands des Wassers und die Dauer seines festgefrorenen Zustands nicht zu so etwas wie einer Zersplitterung der Zeit in diskrete Teile der Zeit führen.658 Solche temporalen Teile bilden vielmehr kontinuierlich miteinander 657 Vgl. hierzu Erster Teil, S. 3376, 38–42. 658 Augustinus gelangt unter seinen Voraussetzungen zu dem Ergebnis, daß »ego in t­ empora dissilui«. XI, 29, 39, zersprungen nämlich in den intuitus der Gegenwart, in die memoria der Vergangenheit und in die praemeditatio der Zukunft. Anders als Kant sieht Augustinus keinen Weg der Reflexion bzw. Meditation, auf dem sich eine Einsicht in eine spezifische Einheit dieser Zeiten gewinnen ließe. Einen Weg zur Überwindung seiner Zerstreuung in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zugunsten einer Einheit findet er nur in der gottergebenen Zuversicht, »donec in te confluam«, ebd.; vgl. hierzu im einzelnen vom Verf., Augustinus, bes. S. 207–212. Unter den Vorzeichen von Kants Konzeption der apperzeptiven Einheit des Bewußtseins fungiert das ego in Augustinus’ Satz ego in tempora dissilui als Funktor der Stiftung der Einheit des Bewußtseins der drei tempora dissoluta. Augustinus durchschaut also nicht, daß er im Satz ego in tempora dissilui eine solche Einheit des temporalen Bewußtseins bereits zum Ausdruck bringt.

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verbundene Einschränkungen der Einen Zeit, die durch Grenzen voneinander unterschieden sind, durch die das Ende eines Zustands mit dem Anfang des unmittelbar späteren bzw. der Anfang eines Zustands mit dem Ende des unmittelbar vorigen Zustands identifiziert werden kann.659 Innerhalb dieser letzten Kasuistik kommt daher in Gestalt der von Kant hervorgehobenen temporalen Komponenten besonders deutlich – wenngleich nur indirekt und im Anwendungsmodus – die erhebliche innere Komplexität von Kants Theorie der Zeit selbst zum Zuge. Gleichwohl macht Kants unmittelbare Erörterung des präsentierten Falls des Gefrierens des Wassers gerade die ganze zeitliche Struktur dieses Falls nicht gänzlich klar. Deswegen ist es durchaus verständlich, daß Paton seinen Versuch, diese zeitliche Struktur zu klären, mit der Ankündigung abbricht, diese Klärung bei Gelegenheit der Auseinandersetzung mit der Zweiten Analogie und von Kants Erörterung der Kontinuität der Zeit fortzusetzen (vgl. oben S. 189 f.). Tatsächlich hat Kants Thematisierung der formalen Anschauung der Einheit der Zeit in dem von ihm gewählten Zusammenhang, wie Patons Reaktion und die anderer Interpreten zeigt, erratische Züge. Denn sie scheint ausschließlich um ihres Inhalts willen eingeführt zu werden. Doch dieser Schein kann nur dann trügen, wenn man die hier nun schon mehrfach betonte außerordentliche Wichtigkeit der in die B-Deduktion integrierten paradigmatischen Kasuistiken von Wahrnehmungs- und von Erfahrungsurteilen verkennt. Vor allem die letzte Kasuistik, die sich in unübersehbarer Weise mit einem unübersehbar kausalkategorialen Paradigma dieses Typs beschäftigt, ist hier ausschlaggebend. Daß Kant sie ausdrücklich als Paradigma der Wahrnehmung des Gefrierens des Wassers einführt (vgl. B 162–163), ändert nichts daran, daß, wie er formuliert, »[…] die Apprehension dieser Begebenheit, mithin diese selbst, der möglichen Wahrnehmung nach, unter dem Begriffe des Verhältnisses der Wirkungen und Ursachen [steht]«.660 Doch ein individueller Fall wie der des Gefrierens des Wassers kann nur dann unter den Begriff des Verhältnisses der Wirkungen und Ursachen subsumiert werden, wenn, wie die Prolegomena zuerst einschärfen, das subsumierende Subjekt auch auf eine für diese Subsumtion in Frage kommende Ursache wie die das Wasser unmittelbar umgebende hinreichend kälter werdende Luft und auf das temporale Schema der Kausalität (vgl. IV, 305*) rekurriert.661 Erst wenn man diese von Kant gleichsam im Schatten dieser Kasuistik gelassenen Komponenten ans Licht holt, ist deren ganze zwar indendierte, aber undeutlich gebliebene temporale und kausal-kategoriale Struktur klargestellt.

659 Zur methodischen Legitimität, das von Kant für den Analogien-Abschnitt vorbehaltene Thema der temporalen Kontinuität schon hier zu berücksichtigen vgl. oben S. 189–191. 660 B 163, Kants Hervorhebungen. 661 Vgl. IV, 305*.

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Unter dieser Voraussetzung kann die sachliche Funktion verständlich werden, die der Einführung der Konzeption der formalen Anschauung der Einheit der Zeit noch vor den beiden letzten Kasuistiken zufällt. Denn selbstverständlich ist Kant sich ganz und gar klar darüber, daß jeder konkrete individuelle Fall von Kausalität – also z. B. das Gefrieren des Wassers ebenso wie das Verdampfen des Wassers – während einer für den jeweiligen Fall charakteristischen Dauer stattfin­ det. Der Einführung der Konzeption der formalen Anschauung der Einheit der Zeit in diesem Kontext fallen daher sogar zwei wichtige Funktion zu: Die unzähligen kausalen Prozesse mit ihren stets wechselnden Eigenzeiten können vor dem Mißverständnis bewahrt werden, sie legten so viele verschiedenen Einheiten der Zeit fest wie sie unter Zuhilfenahme ihrer Eigenzeiten bestimmt werden könnten; und die Einführung der formalen Anschauung der Einheit der Zeit klärt, daß es sich bei den vielen verschiedenen möglichen Eigenzeiten der kausalen Prozesse ausschließlich um ›Einschränkungen‹ dieser Einen Zeit handelt. Für das Gelingen der Transzendentalen Deduktion ist, wie die Kasuistik des Gefrierens des Wassers zuletzt noch einmal besonders deutlich zeigt, die Rolle der reinen sinnlichen Anschauung apriori der Zeit, also der Sukzessivität ausschlaggebend. Denn diese Kasuistik zeigt am Beispiel der Kausal-Kategorie noch einmal wie in einem Brennpunkt, wie wichtig die Isomorphie zwischen den anti-symmetrischen Relations-Kategorien und der ebenso anti-symmetrischen Sukzessivität für die Übereinstimmungs-Konzeption der Wahrheit ist (vgl. oben 14.4. Ab.). Damit zeigt sie indessen ebenso in einem paradigmatischen Brennpunkt, wie die Auszeichnung der zentralen konditionalen Rolle der Relations-Kategorien für die Möglichkeit der Erfahrung (vgl. B 147–148 sowie oben 14.6. Ab.) ausschließlich in konkreter »empirischer Erkenntnis. Diese aber heißt Erfahrung«662 Gestalt annimmt. Für die nähere Bestimmung der spezifischen Form des argumentativen Anspruchs, der mit der Transzendentalen Deduktion verbunden werden kann – Beweis oder Plausibilitätsargument –, ist es offensichtlich von erheblicher Tragweite, daß Kant die konditionale Rolle der Kategorien für die Möglichkeit der Erfahrung ausschließlich durch Paradigmen ihres empirischen Gebrauchs in Erfahrungsurteilen in nachvollziehbarer Form präsentiert. Allgemeine Behauptungen über notwendige Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände lassen sich bis zu dem mit drei Asteriksen separierten Abschnitt gegen Ende von B 163 nur in drei Hinsichten formulieren und begründen: 1.) Für jede Bildung irgendeines Urteils ist es notwendig, daß der Urteilende über die Fähigkeit der reinen und ursprünglichen Apperzeption verfügt, beliebige Vorstellungen überhaupt zugunsten irgendeiner logischen Einheit im Urteilüberhaupt zu verknüpfen (vgl. Erster Teil, 7. Ab.); 2.) für jede Bildung eines

662 B 147, Kants Hervorhebungen.

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spezifischen Urteils ist es notwendig, daß der Urteilende über die Fähigkeit des ›logischen Verstandesgebrauchs überhaupt‹ verfügt, Vorstellungen durch den Gebrauch von spezifischen ›Funktionen der Einheit in den Urteilen‹ zugunsten von Urteilen entsprechender logischer Formen zu verknüpfen (vgl. Erster Teil, 10. Ab.); 3.) für jede wohlbestimmte Bezugnahme eines Urteils auf einen urteils­ externen Gegenstand ist es notwendig, daß der Urteilende über die Fähigkeit verfügt, die urteilsinternen Rollenträger (Vorstellungen bzw. deren sprachliche Ausdrücke) so auf den urteilsexternen Gegenstand zu beziehen, daß »dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird«663 (vgl. Erster Teil, 11. Ab.). Doch die Metaphysische Deduktion der Kategorien, die diesen kategorialen Gegenstandsbezug des Urteils zuerst erörtert, »[abstrahiert] von aller Bedingung der sinnlichen Anschauung […]«,664 so daß durch »eine reine Kategorie […] kein Objekt bestimmt [wird]«665 bzw. »kein bestimmter Gegenstand erkannt wird«.666 Daher obliegt es in der nächsten Schrittfolge der Transzendentalen Deduktion der Kategorien zu klären, inwiefern der Anspruch gerechtfertigt werden kann, daß »wir […] den Gegenstand [erkennen], indem wir über ihn urtheilen«,667 wenn wir mit Erfolg nach »Bedingungen irgendeines Gebrauchs [der Kategorien, R. E.] in Urteilen«668 suchen. Es kann daher gar nicht ernst genug genommen werden, daß Kant noch im Rückblick auf den Abschluß der Transzendentalen Deduktion als ihr generelles Resultat festhält, daß »diese reinen Verstandesbegriffe von bloß empirischem … Gebrauche sind«,669 also nur in empirischen Erfahrungsurteilen »als Bedingungen einer möglichen Erfahrung«670 gebraucht werden können. Diese Einschränkung auf den exklusiven empirischen Gebrauch der Kategorien ist umso bemerkenswerter als Kant sie in dem Zusammenhang formuliert, in dem er durch die Ausarbeitung des Schematismus der Kategorien planmäßig dazu ansetzt, den allgemein möglichen reinen, also nicht-empirischen Gebrauch der Kategorien durch synthetische Urteile apriori nachzuweisen. Angesichts der faktischen, außerordentlich bedeutsamen methodischen Rolle, die die B-Deduktion den Paradigmen für den empirischen Gebrauch der Kategorien in Form von wahrnehmungsgestützten Erfahrungsurteilen zuschreibt, gibt Kants Formulierung im Rahmen dieses Rückblicks auf das von ihm intendierte Resultat der Transzendentalen Deduktion als solcher einen entsprechend bedeutsamen Hinweis. Denn da er in der ersten Auflage über die Einsicht in 663 B 128. 664 A 247, B 304. 665 Ebd. 666 B 150. 667 R 5923, S. 386. 668 A 248, B 305. 669 A 139, B 178, Hervorhebung R. E. 670 Ebd.

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die strukturellen Differenzen und funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen noch gar nicht verfügt, gewinnen die Rekurse auf sie in der B-Deduktion die Rolle einer systematischen urteils-analytischen Bekräftigung des Ziel der Transzendentalen Deduktion, den Anspruch auf die objektive Gültigkeit der Kategorien durch den Nachweise ihrer empirischen Brauchbarkeit in Erfahrungsurteilen zu rechtfertigen. Doch diese Rechtfertigung gewinnt durch diese zentrale methodische Rolle der Paradigmen für Erfahrungsurteile, also für den empirischen Gebrauch der Kategorien und damit für die schrittweise Möglichkeit der Erfahrung  – ihre Fruchtbarkeit  – einen zwiespältigen Status: Durch die Wahrnehmungs­ gehalte dieser Urteile haben sie – wenngleich auf der Stufe der transzendentalen Reflexion und Analyse – indirekt an der Empirie teil; durch die transzendentallogisch durchsichtig gemachte kategoriale Form dieser Urteile und deren Ana­lyse wird sie unmittelbar dem transzendentalen, metaphysischen Status gerecht, den sie von der Metaphysischen Deduktion der Kategorien erbt.671 Die Transzendentale Deduktion der Kategorien ist also eine Deduktion, die jedenfalls und mindestens den paradigmatischen empirischen Gebrauch von Kategorien in Erfahrungsurteilen rechtfertigt. Sie provoziert damit die Frage, ob und gegebenenfalls wie allgemeine Sätze über die notwendigen und hinreichenden Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung-überhaupt und der ihrer Gegenstände-überhaupt so formuliert werden können, daß sie auch abschließend und endgültig begründet werden können. Sie läßt diese von ihr provozierte Frage jedoch konsequenterweise offen, weil deren Beantwortung ihre an paradigmatische Einzelfall-Erörterungen gebundenen methodischen Möglichkeiten übersteigt. Ihr fehlen daher die für die Beurteilung dieser beiden Möglichkeitsbedingungen angemessenen allgemeinen Kriterien. Doch immerhin kann Kant diese Frage zumindest mit der Zuversicht verbinden, daß sich der für jedes einzelne paradigmatische Erfahrungsurteil nötige Rückgriff auf ein geeignetes Schema-Kriterium, wie es die Prolegomena für ihr Paradigma Die Sonne erwärmt den Stein vorsehen (vgl. IV, 305*), auch für diese allgemeine und prinzipielle Aufgabe der Theorie der Erfahrung als fruchtbar erweist. Exkurs über die Anschaulichkeit der reinen sinnlichen Form apriori der Zeit Angesichts der wichtigen Rolle, die die Konzeption der formalen Anschauung der Zeit im § 26 spielt, ist es wichtig, die davon verschiedene reine zeitliche Form der Anschauung apriori zu klären, die Kant durch die Entdeckung der zeitlichen Form der Sukzessivität, des Nacheinander erarbeitet hat und die vier 671 Zum metaphysischen Status der gesamten Ersten Kritik vgl. A 841, B 869, sowie Erster Teil, S. 62174.

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ganz bestimmte formale Bedingungen erfüllt – zum einen 1.) liegt sie als die elementarste allen anderen zeitlichen Verhältnissen zugrunde (s. u. 1.1.); zum anderen 2.) erschließt sie sich als diese elementarste nur im spezifischen kognitiven Modus sinnlicher Anschauung (s. u. 2.1.); überdies erschließt sie sich in diesem kognitiven Modus 3.) als die Relation, in der sich einem Subjekt, das überhaupt zeitlicher Auffassungen fähig ist, unmittelbar die primitivsten, logisch noch ganz ungeformten ›Materialien‹, seine Vorstellungen darbieten (s. u. 3.1.); und schließlich 4.) handelt es sich bei der zeitlichen Form der Anschauung um eine reine, also um eine nicht-empirische Form der Anschauung apriori (s. u. 4.1.): 1.1.) Daß die von Kant thematisierte Sukzessivität, das Nacheinander672 die elementarste Form zeitlicher Relationen bildet, läßt sich leicht durch einen einfachen formalen Vergleich mit den beiden anderen Formen zeitlicher Verhältnisse erkennen, denen in der Geschichte der Zeittheorie Hauptrollen zugeschrieben worden sind: Das Verhältnis vom Früheren zum Späteren, das im Rahmen der aristotelischen Zeittheorie im Mittelpunkt steht,673 kann offensichtlich auf das Nacheinander zurückgeführt werden, in dem das Spätere zum Früheren steht; die nicht weniger prominente, vor allem durch das 11. Buch der Confessiones des Augustinus wichtig gewordene Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als den fundamentalen zeitlichen Modi674 kann genauso auf das Nacheinander zurückgeführt werden, in dem sowohl die Gegenwart zur Vergangenheit wie die Zukunft sowohl zur Gegenwart wie (mittelbar ) zur Vergangenheit steht. 2.1.) Dafür daß es sich bei der Relation der Sukzessivität, des Nacheinander um eine anschauliche und nicht z. B. um eine begriffliche oder um eine logische Relation handelt, hat Kant schon früh auf ein trennscharfes Kriterium – also auf ein Prinzip der Beurteilung aufmerksam gemacht: Alles, was du als in der Zeit gesetzt auffaßt, wird nicht als unter ihrem allgemeinen Begriff gesetzt aufgefaßt675 – also nicht unter einen conceptus communis; andernfalls könnte alles das, was unter den allgemeinen Begriff der Zeit fiele, nur indirekt  – nämlich durch entsprechend viele begriffliche Subordinationsakte  – miteinander verglichen und voneinander unterschieden werden, also so wie z. B. Menschen durch das Urteil Menschen sind zweibeinige Säugetiere von Pferden durch das Urteil Pferde sind vierbeinige Säugetiere unterschieden werden, aber durch die gemeinsame Subsumtion unter den Begriff des Säugetiers gleichzeitig in einer partiellen begrifflichen Übereinstimmung aufgefaßt werden; doch der Geist unterscheidet dies [alles, was als in der Zeit gesetzt aufgefaßt wird] nur durch

672 673 674 675

Vgl. bes. A 31, B 47; B 48–49; A 37, B 54*; B 67, B 154, B 155. Vgl. Arist., Phys., Viertes Buch, 219 b 1. Vgl. hierzu vom Verf., Zeit. »omnia concipis in tempore posita … non sub ipsius notione generali posita«, II, 399.

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einen einzelnen Akt der Anschauung voneinander676; denn jedes, das als in der Zeit aufgefaßt wird, wird nicht mittelbar durch mehr als einen begriffslogischen Subordinationsakt aufgefaßt, sondern wird ›nur durch einen und denselben Akt der Anschauung‹ als das aufgefaßt, was nach jedem beliebigen anderen folgt, und eben deswegen gemeinsam mit jedem beliebigen anderen seiner Nachfolger auch als in derselben Einen Zeit des Nacheinander aufgefaßt. Die verschiedenen Teile der Einen Zeit verhalten sich daher zu dieser Einen Zeit nicht indirekt, indem sie sich im Status verschiedener sub-ordinierter Begriffe zu ihrem Einen gemeinsamen Oberbegriff verhalten; sie verhalten sich zu dieser Einen Zeit, indem sie sich direkt zueinander in der Form des Nacheinander verhalten – das Nacheinander ist ihr gemeinsamer formaler Einheitscharakter. Würden sich die Teile der Zeit zu der Einen Zeit wie subordinierte Begriff zu ihrem Einen gemeinsamen Oberbergiff verhalten – der ihnen als ihr höchster conceptus communis superordiniert wäre –, dann könnte z. B. der Umstand, daß der Teil der Zeit, während dem der gefrorene Zustand eines Gewässer auf den flüssigen Zustand dieses Gewässers folgt, nur dadurch als nachfolgender Zustand aufgefaßt werden, daß mit Erfolg nach einem Oberbegriff namens Folgt-auf gesucht würde, den der Begriff Gefrorener Zustand des Wassers als Teilmerkmal enthielte. Doch es gehört ganz und gar nicht zum Begriff des gefrorenen Zustands des Wassers, auf dessen flüssigen Zustand zu folgen. Andernfalls könnte schon aus begriffs-logischen Gründen nicht, wie die Erfahrung gleichwohl immer wieder einmal zeigt, auf den gefrorenen Zustand des Wassers dessen flüssiger Zustand folgen. Der feste Zustand des Wassers wäre andernfalls aus begriffs-logischen Gründen gleichsam dazu verurteilt, nichts anderes als Nachfolger-Zustand des flüssigen Zustands zu sein. Er könnte also nicht ohne logischen Widerspruch als Vorgänger-Zustand seines neuen flüssigen Zustands aufgefaßt werden. 3.1.) In unmittelbarer Form erschließen sich die ›primitivsten‹, logisch gänzlich ungeformten ›Materialien‹ (Reflexionsbegriff der Materie)  der zeitlichen Anschauung in der Form (Reflexionsbegriff der Form) der (›zerstreuten‹) Vorstellungen, die einem entsprechend befähigten Subjekt durch »Jede[n] Aktus der Aufmerksamkeit«677 sukzedierend, nacheinander zugänglich werden (vgl. hierzu oben 13.2.–13.3. Ab.). 4.1.) Einer reinen sinnlichen Anschauung erschließt sich die zeitliche Form des Nacheinander, weil sie sich durch eine nicht-empirische  – also wahrnehmungsunabhängige – formale Analyse des Nacheinander erschließt, mit dem die Vorstellungen des Ich und des Denkens in dem logischen Urteilsakts gebraucht werden, der durch den Satz Ich denke bzw. Ich denke, daß-p, ausgedrückt wird 676 »mens illud [hier: im Fall von omnia quod concipis in tempore, R. E.] discernit, nisi per intuitum singularem«, II, 399; vgl. zum analogen Spannungsverhältnis zwischen conceptus communes und anschaulichen räumlichen Charakteren, unten S. 379, Anm. 424. 677 B 156*, Kants Hervorhebung.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

(vgl. hierzu ebenfalls oben 13.2.–13.3. Ab.); denn er drückt seinerseits den Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption aus, der normalerweise stillschweigend und unthematisch als das charakteristische logische Präfix jedes beliebigen Urteils als eines Urteils fungiert (vgl. Erster Teil, 7. Ab.).

14.8. Ob die Kategorien ein spezifisches Gesetzförmigkeits-Potential besitzen: Hauptweg und Nebenwege der Transzendentalen Deduktion VI In dieser Untersuchung wird die Tragweite, die die Entdeckung des funktionalen Zusammenhangs und des strukturellen Unterschieds zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen für die B-Deduktion mit sich bringt, fast so prinzipiell ernst genommen wie dies de Vleeschauwer tut:678 Diese Tragweite wird hier nicht im Sinne des neuen Prinzips, wohl aber im Sinne eines neuen Prinzips der Deduktion behandelt. Als ein solches neues Prinzip eröffnet es der Deduktion die Möglichkeit, außer ihrem Hauptweg mehrere Nebenwege einzuschlagen (vgl. oben 14.3.–14.7. Ab.). In diesem Abschnitt wird der sechste und letzte dieser Nebenwege eingeschlagen. Sein Gelingen ist in methodischer Hinsicht schwieriger als das der anderen Nebenwege. Kant hat diesem Gelingen mit seinen Thesen zum Gesetzförmigkeits-Potential der Kategorien in dem auch graphisch deutlich separierten letzten Absatz des § 26 (B 163–165) ein in hermeneutischer und argumentations-analytischer Hinsicht besonders schwieriges Hindernis in den Weg gelegt. Denn in der gesamten diesen Seiten vorhergehenden Überlegung der B-Deduktion hat Kant nichts vorbereitet, woraus sich auch nur die geringsten plausiblen, kohärenten und konsequenten Argumente zugunsten dieser These gewinnen ließen. Man muß dieses Hindernis daher zunächst mit möglichst angemessenen hermeneutischen und argumentations-analytischen Mitteln überwinden (vgl. unten S. 215–220). Erst wenn dies gelungen ist, kann man mit Hilfe von wie auch immer indirekten Andeutungen der vorangegangenen Überlegungen der B-Deduktion versuchen, einen Nebenweg – zumindest in Gestalt eines ganz schmalen Pfads – zur These vom Gesetzförmigkeits-Potential der Kategorien zu suchen (vgl. unten S. 220–223). Kant nimmt die beiden abschließenden Kasuistiken der B-Deduktion (B 162– 163) zum Anlaß, direkt einen auch graphisch markierten Sprung zu zwei erratischen Thesen am Anfang des letzten Absatzes B 163–164 des § 26 zu unternehmen. Das Erratische dieser Thesen ergibt sich nicht nur daraus, daß sie alles andere als Zusammenfassungen von zuvor in der B-Deduktion entwickelten Überlegungen bilden. Außerdem hat Kant ihre Inhalte mit einer in gramma­ 678 Vgl. Erster Teil, bes. S. 50134, und oben S. 176, Anm. 571.

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tischer Hinsicht nicht ganz unkomplizierten Proportionalitätsabwägung (erster Satz des zweiten Absatzes innerhalb des Separatums) verflochten. Sie soll die Befremdlichkeit679 relativieren, die in Kants Augen die Inhalte dieser beiden Thesen beim Leser auslösen können. Die Weite des Sprungs, den er mit diesen zwei Thesen unternimmt, ist deswegen so außerordentlich irritierend, weil er mit ihnen in der komprimiertesten Form den Übergang zu den beiden an die Transzendentale Deduktion unmittelbar anschließenden Hauptstücken der trans­ zendentalen Doktrin der Urteilskraft vorbereitet und damit sogar noch den erst folgenden § 27 Das Resultat dieser Deduktion der Verstandesbegriffe überspringt. Zum einen formuliert er die anspruchsvolle These, »Kategorien sind Begriffe, welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriffe aller Erscheinungen (natura materialiter spectata), Gesetze  a priori vorschreiben«.680 Der erste Teil der Proportionalitätsabwägung präsentiert lediglich eine kunstvolle Umkehrung dieses Satzes, indem er formuliert, daß »die Erscheinungen in der Natur mit dem Verstande und seiner Form a priori, d. i. seinem Vermögen das Mannigfaltige überhaupt zu verbinden, … übereinstimmen müssen«.681 Die fehlende unmittelbare Plausibiltät der ersten These und ihrer Umkehrung ist offensichtlich dem Umstand zuzuschreiben, daß Kant mit ihr bei genauerem Hinsehen in stenographischer Kürze das Ergebnis des gesamten GrundsätzeHauptstücks, vor allem aber das des Analogie-Abschnitts vorwegnimmt.682 Denn bei den thematisierten ›Gesetzen a priori‹ handelt es sich nur allzu offen679 Vgl. B 164, erster Satz. 680 B 163. Unter den eindringlichen Interpreten bemerkt daher Thöle, Gesetzmäßigkeit, soweit ich sehe, als einer der verschwindend wenigen Interpreten  – und zu Recht  –, daß sich »Im Text der zweiten Auflage […] aber bis dahin nicht die Spur eines Argumentes für diese Behauptung [findet]«, S. 30813. In seiner Auseinandersetzung mit § 26, vgl. S. 285–298, klammert er daher konsequenterweise Kants Wiederholung dieser Tauglichkeits-These (vgl. B 164, erster Teil der Befremdlichkeits-Proportionalitätsabwägung) ganz aus und konzentriert sich auf das Thema der formalen Anschauungen von Raum und Zeit, vgl. B 160–161. 681 B 164, Kants Hervorhebung. 682 Wenn hier und im folgenden immer wieder einmal die besonders wichtige Rolle der Analogien hervorgehoben wird, dann ist dies durch Kants eigenes Argument B 147–148 gerechtfertigt: »Folglich verschaffen die reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden, nur sofern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können. Folglich liefern uns die Kategorien vermittelst der reinen Anschauung auch keine Erkenntnis von Dingen, als nur durch ihre mögliche Anwendung auf empirische Anschauung, d. i. sie dienen nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis. Diese aber heißt Erfahrung. Folglich haben die Kategorien keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als nur sofern diese als Gegenstände möglicher Erfahrung angenommen werden«; vgl. hierzu ausführlich oben 14.6. Ab. sowie IV, 309–310. Gewiß erhalten durch dieses Argument auch die Antizipationen der Wahrnehmung und die Postulatate des empirischen Denkens einen besonderen Rang. Doch ihre Inhalte stehen vor allem im Dienst dessen, was die Analogien formulieren.

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sichtlich um eben die Grundsätze, die erst in diesem Hauptstück ausführlich formuliert, bewiesen und erörtert werden sollen. Die universalisierende Form, in der er von ›den Erscheinungen, mithin der Natur‹, also der Natur im ganzen ›als dem Inbegriff aller Erscheinungen‹ bzw. von ›den Gesetzen der Erscheinungen in der Natur‹ spricht, kann denn auch erst im Licht gelungener Formulierungen, Beweise und Erörterungen der Grundsätze, insbesondere denen der Analogien gerechtfertigt sein. Daß Kant mit diesen weit ausgreifenden Thesen außerdem unmittelbar und weit über die zwei vorangegangenen kategorien-applikativen Fallerörterungen (vgl. B 162–163) hinausgeht, zeigt darüber hinaus deutlich genug, daß er sich des Anteils bewußt ist, den Kontingenz und Situativität in untilgbarer Form an der Möglichkeit der Fruchtbarkeit der Erfahrung haben – also an noch so vielen und noch so paradigmatischen Erfahrungsurteilen wegen deren untilgbarer Wahrnehmungsabhängigkeit.683 Denn diese wahrnehmungsabhängige Kontingenz und Situativität hindert solche Kasuistiken trotz der in ihnen gebrauchten kategorialen Begriffe apriori grundsätzlich daran, von ihnen aus direkt einen plausiblen argumentativen Schritt zu der strikten Universalität zu tun, mit der Kant seine These von der die Gesetzförmigkeit aller Erscheinungen apriori vorschreibenden Tauglichkeit der Kategorien formuliert. Wohl aber meldet er mit ihr gezielt die über solche Fallerörterungen weit hinaus reichende Intention an, die allerdings erst mit gelungenen Formulierungen, Beweisen und Erörterungen der Grundsätze, insbesondere denen der Analogien in Erfüllung gehen kann. Wie inkohärent Kant mit den erratischen Anfangs-Thesen dieses deutlich separierten Absatzes umgeht, zeigt die Umkehrung der These, mit der er den separierten Absatz einleitet. Die argumentative Rolle dieser konversen These wird außerdem durch ihre Integration in die nicht ganz unkomplizierte Pro­ portionalitätsabwägung überschattet, die die Befremdlichkeit684 relativieren soll, die Kant wohl nicht zu Unrecht beim Leser dieser Thesen ausgelöst sieht. Denn bei der konversen These, daß »die Gesetze der Erscheinungen in der Natur mit dem Verstande und seiner Form a priori, d. i. seinem Vermögen, das Mannigfaltige zu verbinden, … übereinstimmen müssen«,685 kommt es zunächst darauf an, das müssen als Ausdruck einer notwendigen Bedingung zu interpretieren. Ihr begrifflicher Klartext lautet daher: Dafür, daß etwas ein Gesetz der Erscheinungen in der Natur ist, ist es notwendig, daß es mit dem Verstande und seiner Form apriori, d. h. seinem Vermögen, das Mannigfaltige zu verbinden, übereinstimmt. Mit dieser These greift Kant allerdings nicht ganz und gar vor, sondern greift auch auf die vier funktional miteinander verflochtenen Ausprägungen des 683 Zur wahrnehmungsbedingten Kontingenz und Situativität der Erfahrungsurteile vgl. Erster Teil, 2. Ab., sowie oben S. 181, Anm. 592. 684 Vgl. B 164, erster Satz. 685 Ebd., Kants Hervorhebung.

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Vermögens zurück, das Mannigfaltige zu verbinden: Ihr Gebrauch durch ein urteilsfähiges Subjekt bildet eine notwendige Bedingung dafür, daß es etwas als ein Gesetz der Erscheinungen in der Natur auffassen kann. Diese notwendige Bedingung ist daher im Vergleich mit Kants kunstvoll verkürzter Formulierung recht komplex. Denn ein solches Subjekt muß zum einen 1.) von seinem Vermögen der ursprünglichen Apperzeption Gebrauch machen, das Mannigfaltige seiner Vorstellungen-überhaupt zu irgendeiner Einheit zu verbinden; ein solches Subjekt muß dieser ursprünglichen Einheit daher zum anderen 2.) vermöge seines spezifisch ›logischen Verstandesgebrauchs‹686 mit Hilfe der dafür geeigneten ›Funktionen der Einheit in den Urteilen‹687 spezielle logische Urteilsformen einprägen; 3.) ein solches Subjekt muß darüber hinaus die Rollenträger eines entsprechend geformten Urteils, also die von ihm in bestimmten logischen Rollen fungibel gemachten Vorstellungen  – bzw. die sprachlichen Ausdrücke dieser Vorstellungen688 – auf urteils-externe Gegenstände-überhaupt beziehen können, die exklusiv für die Bezugnahme durch ganz bestimmte urteilsinterne Träger logischer Rollen in Frage kommen;689 und schließlich muß ein solches Subjekt die in seinen Urteilen gebrauchten Vorstellungen 4.) so auf urteils-externe Gegenstände beziehen können, daß es sich bei diesen Gegenstände um solche handelt, die ihm im kognitiven Status von Erscheinungen ausschließlich in den sinn­ lichen Anschauungsformen apriori von Zeit und Raum zugänglich werden.690 Nur dann, wenn ein Subjekt diese komplexe, vierfältige notwendige Bedingung erfüllt, kann es etwas als ein ›Gesetz der Erscheinungen in der Natur‹ auffassen und beurteilen. Denn diese komplexe Bedingung umfaßt in Gestalt von vier funktional verschiedenen, aber miteinander verflochtenen Vermögen eines urteilsfähigen Subjekts ausschließlich vier subjektive Teil-Bedingungen für die Auffassung und die Beurteilung von etwas als einem ›Gesetz der Erscheinungen in der Natur‹. Lediglich der vierten dieser Teil-Bedingungen fällt eine außerordentlich anspruchsvolle Grenzfunktion zwischen Subjektivität und Objektivität zu. Denn speziell diese Bedingung hat Kant im Auge, wenn er auf der Grenze von der Metaphysischen zur Transzendentalen Deduktion der Kategorien fragt, »wie nämlich subjektive Bedingungen des Denkens sollten objektive Gültigkeit haben, d. i. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben«.691 Doch in welchem Maß auch immer diese Transzendentale Deduktion bis unmittelbar vor der Formulierung dieser vierten Bedingung und 686 Vgl. A 67, B 92. 687 Vgl. A 69, B 94. 688 Zu der von Kant stillschweigend vorausgesetzten sprachlichen Ausdrückbarkeit von Vorstellungen durch Worte vgl. Erster Teil, 1. Ab., bes. S. 77–83. 689 Vgl. hierzu Erster Teil, 11. Ab.: Die urteilsfunktionalen Kategorien. Die metaphysische Deduktion der Kategorien. 690 Vgl. KrV, §§ 21 ff. 691 A 89, B 122–A 90, Kants Hervorhebungen.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

der drei anderen Bedingungen gelungen sein mag – auch im günstigsten Fall gelingt ihr kein plausibler Schritt bis zu der These, daß ›subjektive Bedingungen des Denkens Bedingungen aller Erkenntnisse der Gegenstände abgeben‹ bzw. in Gestalt der Kategorien eine die Gesetzförmigkeit aller Erscheinungen apriori vorschreibenden Tauglichkeit besitzen. Sie kann diese Tauglichkeit an der Grenze zur Analytik der Grundsätze692 bzw. Der transzendentalen Doktrin der Urteilskraft693 alleine mit den Mitteln der Transzendentalen Deduktion auch im günstigsten Fall nicht sicherstellen. Sie kann lediglich mit Hilfe der in den Prolegomena entdeckten funktionalen Zusammenhänge und strukturellen Differenzen zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen einzelne Paradigmen dafür ›vor Augen führen‹, daß und inwiefern Kategorien durch ihren empirischen Gebrauch als Bedingungen der Möglichkeit des durch diesen Gebrauch umrissenen Typs von Erfahrung fruchtbar gemacht werden können, und zwar in Form von mehr oder weniger einzelnen Erkenntnissen von wirklichen Gegenständen möglicher Erfahrung. Die weit und prinzipiell darüber hinausgehende Tauglichkeit der Kategorien, den Erscheinungen Gesetze vorzuschreiben bzw. alle Erkenntnisse solcher Gegenständen zu ermöglichen, kann die Deduktion mit Hilfe von hinreichenden Gründen nur als ein Problem plausibel machen und ihren Nachweis lediglich als Desiderat einer weiter­f ührenden Untersuchung überlassen. Eben dieser weiterführenden Untersuchung nimmt sich Die Analytik der Grundsätze bzw. die transzendentale Doktrin der Urteilskraft an.694 Daher signalisiert Kant im vorsichtigen Ton einer 692 A 130, B 169. 693 A 137, B 176. 694 Caimi, B-Deduction, verschleiert den systematischen Sprung, den Kant mit der Thema­ tisierung der Natur und ihrer Gesetze hier macht, indem er von ihm sagt, daß er lediglich »enriches both the formulation of the task of the Deduction and the Principle of Apperception«, S. 114, Hervorhebung R. E., vgl. auch S. 116. Denn das enrichment durch die Thematisierung der Natur und ihrer Gesetze ist so groß, daß es, um ein anderes Bild als das des Sprungs zu gebrauchen, nicht nur the task of the Deduction, sondern auch ihre Möglichkeiten ganz einfach sprengt. Wenn Caimi im Schutz seiner enrichmentPrämisse argumentiert, daß »Consequently, nature is subject to the categories, which thus prove not to be empty concepts«, S. 116, dann verkennt er darüber hinaus, daß einer der wichtigsten springenden Punkte der B-Deduktion gerade in der von Kant in den Prolegomena entdeckten Rolle der paradigmatischen Erfahrungsurteile besteht zu zeigen, daß Kategorien in dieser empirischen Form ihres Gebrauchs – und nur in dieser Gebrauchsform – keine leeren Begriffe sind. Durch die mit den Formulierungen, Beweisen und Erörterungen vor allem der durch die Analogien präsentierten »Gesetze, und zwar a priori, welche zuerst eine Natur möglich machen«, A 216, B 263, wird daher auch nicht im mindesten nachgewiesen, daß die Kategorien keine leeren Begriffe sind. Wohl aber wird mit ihnen, falls sie gelingen, nachgewiesen, daß Natur bzw. Erfahrung nur dann möglich ist, wenn »alle Erscheinungen […] in einer Natur [liegen]«, ebd., Hervorhebung R. E., also durchgängig unter die in Erfahrungsurteilen empirisch gebrauchten Kategorien fallen. Paton, Experience I, macht von dem separierten Schlußstück des § 26 wenig Aufhebens, indem er lediglich konstatiert, daß »Kant’s final conclusions add little

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vorbeugenden Einschränkung, wenngleich mit demselben universalistischen und apodiktischen Vorgriff schon zuvor, daß »ohne diese ihre Tauglichkeit […] nicht erhellen [würde], wie alles, was unseren Sinnen nur vorkommen mag, unter den Gesetzen stehen müsse, die a priori aus dem Verstande allein entspringen«.695 Doch die Wiederholung und Differenzierung dieser Tauglichkeits-These in der Passage B 163–165 fügt ihrer Begründung nichts hinzu, was aus schon er­ arbeiteten Mitteln der B-Deduktion schöpfen könnte. Zu Recht apostrophiert Kant den Inhalt dieser Tauglichkeits-These daher sogleich als die Präsentation eines »Rätsels«.696 Dessen »Auflösung«697 formuliert er, wie es auch bei alltäglichen Rätseln üblich ist, in der Form eines einzigen Satzes. Doch dieser Satz wird in der unübersehbaren Form des nächsten unversalistisch und apodiktisch formulierten Rätsels präsentiert, daß »die Erscheinungen selbst mit der Form der sinnlichen Anschauung  a priori übereinstimmen müssen«,698 also vor allem auch mit der zeitlichen Anschauung apriori. Kants Kommentar, daß diese zweite These »[…] um nichts befremdlicher [ist]«699 als die erste These, benutzt offensichtlich einen rhetorischen Kunstgriff. Denn das Eingeständnis, daß die zweite These die Rätselhaftigkeit bzw. Befremdlichkeit der ersten These zumindest nicht steigere, nimmt weder der ersten noch der zweiten These das geringste von ihrer im Kontext der B-Deduktion übergroßen Rätselhaftigkeit bzw. Befremdlichkeit. Denn auch mit Blick auf die zweite These gilt analog, daß sich in den bis dahin entwickelten Überlegungen der B-Deduktion ›nicht die Spur eines Argumentes für diese Behauptung findet‹ (Thöle). Doch die Auflösung der Rätselhaftigkeit bzw. Bedenklichkeit der zweiten These liegt ebenfalls in dem Umstand, daß auch sie wieder eine vorgreifende Zusammenfassung formuliert, diesmal die des Resultats des SchematismusHauptstücks: »Also sind die Schemate der reinen Verstandesbegriffe die wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte, mithin Bedeuto what he has said in the corresponding passage of the first edition«, S. 545. Doch gerade weil er in the corresponding passage of the first edition, also A 125–128, dieselben Strukturen thematisiert, hat Kant hier sogar ein überdeutliches Bewußtsein vom Erratischen seiner Behauptungen. Er findet selbst, daß sie in den Ohren seiner Leser »übertrieben« und »widersinnig lauten«, A 127. Doch gerade übertrieben sind sie in dem Sinne, daß sie die Möglichkeiten der Transzendentalen Deduktion überspannen, indem sie mehr behaupten, als mit ihren Mitteln eingelöst werden kann. Daher hat sich an der Zumutung, die diese Thesen durch ihren Vorgriff auf den Inhalt des Zweiten Buchs der Analytik für den Leser mit sich bringen, im Rahmen der entsprechenden Passage der B-Deduktion wenig geändert. Diese Zumutung sieht Kant in der B-Deduktion immerhin noch in der Befremdlichkeit dieser Thesen, vgl. B 164, erster Satz. 695 B 160, Hervorhebungen R. E. 696 B 163. 697 Ebd. 698 B 164, Hervorhebungen R. E. 699 Ebd.

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tung700 zu verschaffen, und die Kategorien sind daher von keinem anderen, als einem möglichen empirischen Gebrauch, indem sie [die Schemate, R. E.] bloß dazu dienen, … sie [die Kategorien, R. E.] … zur durchgängigen Verknüpfung in einer [d. h. Einer, R. E.] Erfahrung schicklich zu machen«.701 Den springenden Punkt, in dem beide Thesen vor allem zusammengehören, bildet indessen die Übereinstimmungs-Bedingung am Ende der gesamten Proportionalitäts-These. Es kann gar nicht sorgfältig genug beachtet werden, daß das grammatische Übereinstimmungs-Prädikat am Ende dieser verschachtelten langen These das gemeinsame grammatische Prädikat sowohl des Teil-Satzes über die ›vom Verstand und seiner Form a priori abhängigen Gesetze der Erscheinungen‹ wie des Teil-Satzes bildet, der die ›Form der sinnlichen Anschauung a priori‹ thematisiert. Denn auf diese Weise rekurriert das Übereinstimmungs-Prädikat nicht nur einfach noch einmal auf den Leitbegriff von Kants Wahrheitskonzeption. Mit der strikten Bindung der thematisierten Übereinstimmung sowohl an die Anschauungen apriori wie an die vom Verstand und seiner Form apriori abhängigen Gesetze der Erscheinungen gibt Kant zu verstehen, daß diese Übereinstimmung, wie der 14.4. und 14.5. Abschnitt im einzelnen gezeigt haben, die spezifisch kriterielle Komponente der von ihm konzipierten Wahrheit bildet. Diese Übereinstimmung ist darüber hinaus, wie sich ebenfalls in diesen beiden Abschnitten gezeigt hat, unmittelbar mit der These verbunden, daß die Kategorien, vor allem die Relations-Kategorien eine den Erscheinungen Gesetzes­förmigkeit vorschreibende Funktion haben. Denn es sind die Relations-Kategorien, deren anti-symmetrische konditionale Form sie in einzigartiger Form für die iso­ morphe Übereinstimmung mit der ebenfalls anti-symmetrischen temporalen Form der Sukzessivität tauglich sein läßt, die in die Obhut der Form der sinnlichen Anschauung apriori gehört. Der springende Punkt des Zusammenhangs zwischen beiden Thesen erschließt sich allerdings nur, wenn man Kants immer noch ontologisch klingende Formulierungen von der Natur  – sei es der »natura materialiter spectata«702 oder der »natura formaliter spectata«703 – in die genuin transzendental-logische Formulierung überführt. Das gelingt am besten mit Hilfe der entsprechenden Schlüsselformulierung der Prolegomena: »Natur und mögliche Erfahrung ist ganz und gar einerlei«.704 Denn unter dieser Voraussetzung greifen die beiden Thesen im Zusammenhang auf die zentrale identifikatorische transzendentale These vor, daß »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt […] zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung [sind]«.705 700 701 702 703 704 705

Kants Hervorhebung. A 146, B 185, Hervorhebung R. E. B 163. B 165. IV, 320; vgl. auch XX, 208–211. A 158, B 197, Kants Hervorhebungen.

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In der komprimiertesten stenographischen Kürze geben diese beiden Thesen in ihrem Zusammenhang daher zu verstehen, daß Erfahrung sive Natur dann und nur dann möglich ist, wenn die durch den Gebrauch der Kategorien, vor allem der Relations-Kategorien gesetzförmig und apriori geprägten Erscheinungen mit der Form der sinnlichen Anschauung apriori, insbesondere der der zeitlichen Anschauung apriori, also der Sukzessivität übereinstimmen. Gewiß ist der Weg, den Kant mit dem letzten Absatz des § 26 einschlägt, kein Holzweg, denn er wird durch die beiden ersten Hauptstücke des nachfolgenden Zweiten Buchs der Ersten Kritik fortgesetzt. Doch er gehört schon deswegen nicht zum Hauptweg der Deduktion, weil er nur durch einen Sprung auf ihn gelangt. Immerhin findet sich in den vorangegangenen Überlegungen der B-Deduktion wenigstens ein Anküpfungspunkt für die Suche nach einem Pfad, der wenigstens indirekt zur These vom Gesetzförmigkeits-Potential der Kategorien führen kann. Denn Kant charakterisiert die Kategorien in der Vorbereitung auf die Deduktion des § 13 durch die Tauglichkeit, »Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände ab[zu]geben«.706 Die universelle Komponente dieser These steht in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zu den Überlegungen der B-Deduktion gerade dann, wenn man Kants Kasuistiken paradigmatischer Wahrnehmungsurteile und Erfahrungsurteile innerhalb dieser Fasssung der Deduktion auch nur überhaupt ernst nimmt. Denn innerhalb dieser Kasuistiken wird nun einmal jeweils nur Eine solche paradigmatische Erkenntnis berücksichtigt. Und selbst dann, wenn man in Rechnung stellt, daß die Menschen sowohl in ihrer nicht-wissenschaftlichen wie in ihrer wissenschaftlichen Erfahrung über unzählig viele dieser von Kant in den Prolegomena zum ersten Mal ins Auge gefaßten Paradigmen dieses Typs verfügen, ist man buchstäblich unendlich weit davon entfernt, über alle Erkenntnisse von Gegenständen möglicher Erfahrung zu verfügen. Kant wird daher im späten Rückblick auf seine Theorie der Erfahrung nicht müde zu betonen, daß man das Maß der schrittweisen Fruchtbarkeit, also der Fortschritte der Teilhabe am ›absoluten Ganzen der möglichen Erfahrung‹ grundsätzlich nicht überschätzen kann. Denn man kann sich diesem absoluten Ganzen im Medium der immer wieder neuen direkten bzw. experimentell hervorgerufenen Wahrnehmungen sowie mit Hilfe wahrnehmungsbasierter Erfahrungsurteilen stets nur »asymptotisch«707 annähern. Man kann es jedoch niemals definitiv erschöpfen. Daher kann ein unmittelbarer Teilnehmer an dieser Form des geschichtlichen Fortschritts auch zu keinem geschichtlichen Zeitpunkt dieser Fortschritte zuverlässig beurteilen, an welchem Punkt der asymptotischen Annäherung er sich mit ihnen befindet. Denn er verfügt nicht über ein von dieser asymptotischen Annäherung unab-

706 A 89, B 122–A 90, Kants Hervorhebungen. 707 XXII, 8, 102, 103, 104, 107.

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hängiges Maß für den Abstand von einem Anfang bzw. von einem Ende des Fortschritts, der diese Form hat. Unabhängig von dieser asymptotischen Form des Wegs der schrittweisen Annäherung in der Richtung auf das absolute Ganzen der möglichen Erfahrung hat Kant dennoch eine methodische Möglichkeit ausgearbeitet, zu definitiven Einsichten über das absolute Ganze der möglichen Erfahrung bzw. über alle möglichen Erfahrungserkenntnisse zu gelangen. Kein individueller Mensch – auch nicht das genus humanum im Status eines geschichtlich wachsenden Kollektiv-Subjekts – kann also zwar jemals endgültig über alle möglichen Erfahrungserkenntnisse definitiv verfügen. Wohl aber hat Kant einen reflexiven und analytischen Weg vorgezeichnet, auf dem man durch entsprechend sorgfältige transzendental-logische Analysen zu entsprechenden reflexiven Einsichten gelangen kann. Den ausdrücklichen Anfang dieses reflexiven und analytischen Wegs bilden Kants so erratische Thesen über das Gesetzförmigkeits-Potential der Kategorien im letzten Absatz des vorletzten Paragraphen der B-Deduktion. Ungeachtet der sprunghaften Inkohärenz, durch die diese Thesen vom Hauptweg der Deduktion abweichen, bieten die erstmals in der B-Deduktion präsentierten Kasuistiken der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile trotz ihrer wahrnehmunsbedingten Situativität und Kontingenz einen möglichen Ausgangspunkt, der zu einem gut begehbaren Pfad in die Richtung dieser Thesen führt. Auf den wichtigsten Aspekt, unter dem dieser Ausgangspunkt sichtbar wird, hat Kant nicht zufällig in dem thematischen Zusammenhang aufmerksam gemacht, in dem er die Entdeckung der funktionalen Kohärenz und strukturellen Differenz zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen zum ersten Mal mitgeteilt hat. Denn seine These, daß Erfahrungsurteile durch eine kategoriale Tranformation aus geeigneten Wahrnehmungsurteilen – und nur dadurch – gewonnen werden können (vgl. IV, 305*), verbindet er mit dem in sachlicher und methodischer Hinsicht zentral wichtigen buchtechnischen Hinweis auf das Schematismus-Kapitel: »Wie die Wahrnehmung zu diesem Zusatze [der Kategorie, R. E.] komme, darüber muß die Kritik im Abschnitte von der transzendentalen Urteilskraft, S. 137 f. nachgelesen werden«.708 Den Ausgangspunkt, der diesen buchtechnischen Hinweis nötig macht, bildet die vorangegangene Kasuistik. Sie erläutert den Übergang von dem Wahrnehmungs­ urteil »Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm« zu dem Erfahrungsurteil » … die Sonne erwärmt den Stein«709 dadurch, daß »[…] über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff hinzu[kommt]«. Das Wie dieser Transformation dieses Wahrnehmungsurteils in dieses Erfahrungsurteils durch diesen ›Zusatz‹ des Verstandesbegriffs der Ursache kann, wie Kant in der Fortsetzung (IV, 305*) dieser Kasuistik erläutert, nur dadurch geklärt werden, daß 708 IV, 305*. 709 301, Kants Hervorhebung.

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man das Schematismus-Hauptstück der Ersten Kritik und darin das »Schema der Ursache und der Kausalität«710 zu Rate zieht. Alle Schemata dienen indessen dazu, »die allgemeine Bedingung« zu präsentieren, »unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann«.711 Sie dienen also, wenn man den Subsumtions-Schritt statt des Anwendungs-Schritts ins Auge faßt, als Kriterien zur Beurteilung ›irgendeines Gegenstandes‹ auf seine Tauglichkeit, unter irgendeine Kategorie subsumiert zu werden. Kants Fortschritt zur Einsicht in die funktionale Kohärenz und strukturelle Differenz zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen eröffnet neben manchen anderen weiterführenden Einsichten auch die Einsicht, daß die kriterielle Frage der Tauglichkeit eines Gegenstandes, insbesondere unter die Kategorie der Ursache und der Kausalität subsumiert zu werden, modifiziert werden muß. Denn ›der Gegenstand‹, um dessen Tauglichkeit es dabei in einem solchen kausal-spezifischen geht, liegt in der Form eines Wahrnehmungsurteils wie »Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm«712 vor. Ein solches Wahrnehmungsurteil kann ein solches Warmwerden sogar als eine Zustandsänderung berücksichtigen, die »jederzeit«713 eintritt, nachdem der Zustand eingetreten ist, auf den die berücksichtigte Zustandsänderung folgt. Doch den springenden Punkt für die kriteriengeleitete Beurteilung der Tauglichkeit dieses wahrnehmungsurteilsförmigen ›Gegenstands‹, unter den Begriff der Ursache und der Kausalität subsumiert zu werden, bildet die Notwendigkeit,714 mit der die vom Wahrnehmungsurteil thematisierte Zustandsänderung im Format einer Wirkung auf den von ihm thematisierten unmittelbaren Vorgängerzustand im Format seiner Ursache folgt. Denn als Schema-Kriterium der Notwendigkeit fungiert »das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit«,715 also, wie das Schema-Kriterium der Ursache und der Kausalität zu verstehen gibt, das, was »jederzeit … folgt«, sobald ein früheres Reales »nach Belieben gesetzt wird«.716 Mit dieser Verortung der Notwendigkeit als dem lokalen Charakter der Zustandsänderung, die im Licht des schematisch-temporalen Notwendigkeitskriteriums ›jederzeit‹ folgt, nachdem ein früheres Reales ›nach Belieben gesetzt wird‹, ist der zentrale interne Charakter eines Gesetzes thematisiert. Intern ist dieser Charakter, weil er »die Notwendigkeit der Wirkung […]«717 und damit »das Merkmal der Notwendigkeit im Dasein«718 der ›effektiven‹ Zustandsände710 A 144, B 183. 711 A 140, B 179. 712 IV, 301*. 713 305*. 714 Vgl. 301* und 305*. 715 A 145, B 184, Hervorhebung R. E. 716 A 144, B 183, Hervorhebung R. E. 717 A 227, B 280, Kants Hervorhebung. 718 Ebd., Hervorhebung R. E.

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rung in den Mittelpunkt rückt. Dagegen wird der Notwendigkeits-Faktor von Kant auch als externer Charakter von Gesetzten dann verwendet, wenn er von »notwendiger Gesetzmäßigkeit«719 spricht. Doch in dieser externen Verwendung bedeutet der Notwendigkeits-Faktor, daß die so charakterisierten Gesetze »als notwendige Bedingungen … ihrer [der Erfahrung, R. E.] Möglichkeit gewiesen werden«720 können.721 Vor allem der Klärung des internen Notwendigkeits-Faktors fällt die größte Bedeutsamkeit zu, wenn es darum geht, Kants Thesen über das Gesetzförmigkeits-Potential insbesondere der Relations-Kategorien innerhalb der B-Deduk­ tion gerecht zu werden. Hier kommt es im Rahmen der Kasuistiken dieser Deduktion auf den Notwendigkeits-Faktor an, der an dem – allerdings nur zur Hälfte analysierten – kausal-thematischen Erfahrungsurteil über das Gefrieren des Wassers beteiligt ist (vgl. B 162–163). Die einzige fast vollständige Analyse eines solchen Urteils führt Kant in der schon mehrfach bemühten Passage der Prolegomena (IV, 305*) durch. Auf die für eine solche Analyse maßgeblichen Methodenregeln  – also für ihr Wie  – verweist Kant durch seinen buchtechnischen Hinweis auf die hierfür einschlägigen Schemata für den empirischen Gebrauch der Kausal-Kategorie in kausal-thematischen Erfahrungsurteilen. Doch einerseits thematisiert Kant in der Kasusitik des gefrierenden Wassers ganz direkt nur die Zustandsänderung, durch die dieses Gefrierens in Erscheinung tritt, und damit einseitig den Kanditaten für die Subsumtion unter die kausale 719 IV, 296 f. 720 A 157, B 196. 721 Es fällt auf, daß Thöle, Gesetzmässigkeit, dem wichtigen Unterschied zwischen diesem externen und dem internen Notwendigkeits-Faktor gar keine besondere Aufmerksamkeit schenkt, obwohl seine Berücksichtigung für das Verständnis der strukturellen und der funktionalen Charaktere der diversen Gesetzestypen, die Kant erörtert, offensichtlich von erheblicher Tragweite ist. Da Kant von den allgemeinen Gesetzen und den synthetischen Urteilen apriori des Grundsatz-Hauptstücks synonym spricht und da unter den Grundsätzen wiederum die Analogien der Erfahrung zentral sind, von denen Thöle ausführlich ausschließlich die Formulierung, den Beweis und die Erörterung der Kausalitäts-Analogie behandelt, vgl. 128–211, entgeht ihm durch die Vernachlässigung des Unterschieds zwischen dem externen und dem internen Notwendigkeits-Faktor von Gesetzen ein wichtiges von Kant zur Verfügung gestelltes Analyse-Mittel. Thöle spricht hin und wieder von notwendigen Gesetzen, vgl. z. B. S. 2, 122, Kant vergleichsweise selten, z. B. IV, 310, gelegentlich auch von »apodiktischen Sätzen«, IV, 294. Doch dieser externe Notwendigkeits-Faktor kann nur bedeuten, daß die von Kant ausgearbeiteten »allgemeinen Gesetze«, IV, 294 f., 319 f. – also vor allem die Analogien der Erfahrung – als notwendige Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung fungieren und in demselben konditionalen Sinn die für die Möglichkeit der Erfahrung »notwendige Gesetzmäßigkeit aller Gegenstände der Natur«, IV, 296, entwerfen. Wenn es also nicht möglich wäre, eine für die Möglichkeit der Erfahrung notwendige Gesetzmäßigkeit aller Gegenstände der Natur mit Hilfe notwendiger Gesetze zu entwerfen, dann wäre Erfahrung – also die Durchgängigkeit der schrittweisen Annäherung an das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung durch immer wieder neue Erfahrungsurteile – nicht möglich.

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Teil-Kategorie der Wirkung. Anschließend analysiert er diesen spezifischen Fall, indem er ausdrücklich die beiden in der Zustandsänderung nacheinander sich zeigenden Zustände als solche »(der Flüssigkeit und Festigkeit)« unterscheidet, »die in einer Relation der Zeit gegeneinander stehen«.722 Gemessen an den Analyse-Regeln, über die Kant in der entsprechenden Prolegomena-Passage mit Blick auf ein kausal-thematisches Erfahrungsurteil informiert, ist seine Analyse jedoch nicht nur sehr unvollständig. Er konzentriert sich sogar auf die dem entsprechenden Erfahrungsurteil vorhergehende Stufe der Wahrnehmung bzw. des Wahrnehmungsurteils. Erst durch den »Zusatz des Verstandesbegriffs (der Ursache)«723 in Gestalt der material-spezifischen und kausal-spezifischen Vokabel gefrieren kann der Leser es in das ensprechende kausal-thematische Erfahrungsurteil Die das Wasser unmittelbar umgebende hinreichend kalte Luft gefriert das Wasser transfomieren. Doch nicht nur unterläßt Kant diese gemäß den Analyse-Regeln der Prolegomena einfache Transformation. Er setzt schon hier zu einem inkohärenten Sprung an, indem er direkt vom Beispiel der Wahrnehmung des Gefrierens des Wasser bzw. des Wahrnehmungsurteils über diese Zustandsänderung zu der universalistischen These übergeht, wonach ich »[durch] die Kategorie der Ur­ sache […] … wenn ich sie auf meine Sinnlichkeit anwende, alles, was geschieht, in der Zeit überhaupt seiner Relation nach bestimme«.724 Doch durch diesen Sprung vernachlässigt Kant den einzigen in der B-Deduktion möglichen Anknüpfungspunkt für die Thesen über das Gesetzförmigkeits-Potential der so zentralen Relations-Kategorien, speziell der Kausal-Kategorie. Denn nur gemäß den in den Prolegomena von Kant ausdrücklich befolgten Analyse-Regeln kann man ein geeignetes Wahrnehmungsurteil in ein entsprechendes kausal-thematisches Erfahrungsurteil transformieren und durch dessen kategoriale Analyse einen für Gesetze charakteristischen Notwendigkeits-Faktor  – und zwar den internen  – ans Licht holen. Nur dieser interne Notwendigkeits-Faktor qualifiziert die jeweils thematische Zustandsänderung im Status einer Wirkung als das, was notwendigerweise bzw. jederzeit der Fall ist, wenn bzw. weil ein als hinreichende Bedingung bzw. als Ursache qualifizierter unmittelbarer Vorgänger-Zustand dieser Zustandsänderung der Fall ist. Formuliert man den hierfür springenden Punkt in unmittelbarer grammatischer Parallele zur Analyse des in den Prolegomena (IV, 305*) erörterten Erfahrungsurteils, dann erhält man für das ganze kausal-thematische Erfahrungsurteil über das Gefrieren des Wassers die Version Das Gefrieren des Wassers erfolgt notwendig bzw. jederzeit durch die das Wasser unmittelbar umgebende hinreichend kalte Luft.

722 B 162. 723 IV, 305*. 724 B 163, Kants Hervorhebungen.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

Erst im Licht dieser Version des ganzen kausal-thematische Erfahrungsurteil über das Gefrieren des Wassers wird deutlich, inwiefern Kant bereits durch seine universalistische These über ›alles, was geschieht‹, einen Sprung über die Grenze des bis hier mit guten Gründen Behauptbaren unternimmt. Eine subtile begriffliche Unschärfe ins Kants Erörterungen von Fällen von Kausalität muß allerdings zunächst ins Reine gebracht werden. Es geht um den Unterschied zwischen Begebenheiten725 und Geschehen726 bzw. dem oder allem, was geschieht727 bzw. der Tatsache, daß etwas geschieht728. Orientiert man sich an diesen zentralen thematischen Schlüsselstellen, dann thematisiert Kant in diesem Sprachgebrauch in der Regel die in die Wahrnehmung fallenden Zustandsänderungen wie die vom flüssigen Zustand des Wassers zu seinem festen, gefrorenen Zustand als Begebenheiten; mit den grammatisch variierenden Reden von Geschehnissen thematisiert Kant in der Regel ganz abstrakt und allgemein – also ohne ein paradigmatisches kausal-thematisches Erfahrungsurteil zu Hilfe zu nehmen – die ganze kausale Struktur, die für jeden Sachverhalt charakteristisch ist, den man mit Hilfe eines empirischen, also jeweils wahrnehmungs-spezifischen kausalthematischen Erfahrungsurteils thematisieren können muß. Die unübersehbar dichte Häufung dieses Vokabulars in Kants Erörterung der Kausal-Analogie zeigt ebenso unübersehbar an, daß und inwiefern Kant mit der universalisierenden Rede über ›alles, was geschieht‹, im Anschluß an die Erörterung des Falls des Gefrierens des Wassers einen Sprung über die Grenze dessen macht, was bis zu ihr mit den Mitteln der B-Deduktion in nachvollziebar und plausibel begründbarer Form behauptet werden kann: Kant formuliert mit Hilfe dieser unscheinbaren, geradezu alltäglichen Sprechweise nicht weniger als eine Abbreviatur der ausgereiften Formulierung, die er in der ersten Auflage der Ersten Kritik für die Kausalitäts-Analogie gefunden hat: »Alles, was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt«.729 Mißlich an dieser Formulierung ist indessen, daß Kant hier von seiner sprachlichen Regel abweicht, das (universelle) Geschehen mit der ganzen Kausalstruktur aus Ursache und Wirkung zu verbinden. Doch er gleicht diese Abweichung, als habe er sie bemerkt, sogleich aus, indem er im selben Atemzug zu verstehen gibt, daß das geschieht synonym mit dem anhebt zu sein ist. Doch da Anheben-zu-sein das Charakteristikum einer Zustandsänderung ist und Zustandsänderungen von ihm regelmäßig auch als Begebenheiten apostrophiert werden,730 ist diese Formulierung der Kausalitäts-Analogie gleichbedeutend mit den Formulie­ 725 Vgl. z. B. A 192, B 237; A 193, B 239; A 194, B 239; A 195, B 240; A 198, B 244; A 201, B 246–A 202 u. a. 726 Vgl. z. B. A 192, B 237. 727 Vgl. z. B. A 193, B 238 f.; A 196, B 241; A 198, B 243. 728 A 195, B 240; A 196, B 241; A 198, B 243. 729 A 189, Hervorhebungen R. E. 730 Vgl. oben S. 218, Anm. 725.

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rungen Jede Zustandsänderung setzt etwas voraus, worauf sie nach einer Regel folgt und Jede Begebenheit setzt etwas voraus, worauf sie nach einer Regel folgt. Noch eine andere, allerdings nicht bloß gebrauchssprachliche Mißlichkeit ist Kant in seiner originalen Formulierung der Kausalitäts-Analogie in der ersten Auflage unterlaufen. Denn daß jede Zustandsänderung bzw. Begebenheit als etwas charakterisiert wird, das etwas voraussetzt, worauf sie nach einer Regel folgt, verrät die Intention, innerhalb dieser Formulierung auf die von ihm als empirische Regeln aufgefaßten empirischen Naturgesetze der empirisch vorgehenden Naturwissenschaften zu rekurrieren. Selbstverständlich ist es mit Blick auf die methodologischen Grundzüge der empirischen, insbesondere der experimentellen Ursachen-Forschung der Physik und der Chemie zutreffend, daß sie für empirisch vorfindliche Zustandsänderungen bzw. Klassen von Zustandsänderungen nach Regularitäten sucht, deren Formulierungen als Regeln es möglich machen, sowohl die zeitlichen Verlaufsformen solcher Zustandsänderungen wie die zeitlichen Differenzen zwischen ihrem Anheben-zu-sein und dejenigen Zuständen zu berechnen, worauf sie nach der entsprechenden Regel folgen. Es fällt daher besonders auf, daß Kant drei kausal-thematische Erfahrungsurteile exemplifiziert, die in diesem Sinne zu einer homogenen Klasse von Erfahrungsurteilen gehören: Die Sonne härtet den Ton, Die Sonne schmelzt, das Wachs,731 und Die Sonne erwärmt den Stein.732 Bevor die Molekularbewegung im Übergang des neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert empirisch zuverlässig nachgewiesen und ihre materialspezifischen temporalen Verlaufsformen mit Hilfe geeigneter mathematischer Modelle – also mit Hilfe von entsprechenden Differentialgleichungen – generell berechenbar wurden, war es für die Physiker bis in Kants Zeit am nächstliegenden, nach wahrnehmungs- und materialspezifischen Kräften zu suchen, auf die man zur Erklärung von entsprechenden Zustandsänderungen des Härtens, des Schmelzens und des Erwärmen rekurrieren konnte. Doch gerade Kants konditionalistische Kausalitäts-Konzeption, die schon mit der Kategorie von Ursache und Wirkung verbunden ist,733 bietet die Möglichkeit, für diese drei – und alle anderen – wahrnehmungs- und materialspezifischen Zustandsänderungen auf die rein formale, also nicht-empirische Ursache vom Typ der hinreichenden Bedingung zurückzugreifen. Nur deswegen kann Kant die als Begebenheit apostrophierte Zustandsänderung auch als »das Bedingte« charakterisieren und argumentieren, daß es »auf irgendeine Bedingung sichere Anweisung gibt«,734 nämlich auf eine hinreichende Bedingung, also Ursache. Nur wegen dieses hinreichenden Charakters einer ursächlichen Bedingung kann Kant mit Blick auf die durch sie jeweils bedingte Begebenheit 731 732 733 734

Vgl. A 765, B 793–A 766, B 794. Vgl. IV, 305*. Vgl. Erster Teil, bes. S. 224363, 225367, 258–259. A 194, B 239.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

bzw. Zustandsänderung wiederum argumentieren, daß »jederzeit und notwendigerweise diese Begebenheit folgt«.735 Kants Erörterungen der Kausalitäts-Analogie machen ganz unabhängig von den Fragen ihrer Tragfähigkeit und Tragweite hinreichend deutlich, daß ihm die in den Prolegomena dokumentierte Entdeckung der strukturellen Differenzen und funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen nur allzu offensichtlich im unmittelbaren Ausgang von diesen Erörterungen gelungen ist. Er hat sich im Rahmen dieser Erörterungen und mit Blick auf die wichtigsten Zusammenhänge und Differenzen zwischen Wahrnehmung und Erfahrung sogar selbst die methodologische Anweisung gegeben »Es kommt also darauf an, im Beispiele zu zeigen«,736 in welchen Formen sie zusammenhängen bzw. differieren. Die in den Prolegomena dokumentierten Ergebnisse (vgl. bes. IV, 297–305*) haben über ihre Inhalte hinaus die außerordentlich wichtige Tragweite mit sich gebracht, daß die in der A-Deduktion bloß behauptete, aber nicht gezeigte Form des ›empirischen Gebrauchs‹ der Kategorien erstmals in der kategorialen Form der empirischen, weil wahrnehmungs-gestützen Erfahrungsurteile nachgewiesen werden konnte. Es ist daher nicht nur konsequent, sondern auf der Linie von Kants WerstattGeschichte sogar kohärent, Elemente aus Kants erster Formulierung und Erörterung der Kausalitäts-Analogie zu verwenden, um der Antwort auf die in diesem Abschnitt leitende Frage auf die Spur zu kommen, ob Kants im § 26 der B-Deduktion so erratische Behauptungen über das Gesetzförmigkeits-Potential der Kategorien auch auf Gründe zurückgreifen können, wie sie durch die vorangegangenen Überlegungen der Deduktion bereitgestellt werden. Der einzige auszeichnende Charakter, der Gesetzen bzw. Gesetzmäßigkeiten zukommt und im Abschnitt B 163–165 ausdrücklich in unzweideutiger Form herausgestellt wird, ist der der »notwendigen Gesetzmäßigkeit … der Erscheinungen in Raum und Zeit«737 und der »notwendigen Gesetze[…]«738. Der Gebrauch dieses externen Notwendigkeits-Faktors bedeutet in Kants Kontext, daß die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung bildet. Doch diese Gesetzmäßigkeit hängt ihrerseits davon ab, ob gezeigt werden kann, daß »bloße Kategorien den Erscheinungen Gesetze a priori vor[…]schreiben«.739 Indessen bleibt diese zentrale Ob-Frage im Kontext der ­B-Deduktion auch dann offen, wenn man berücksichtigt, daß ihre Beantwortung außerdem von vier elementareren von Kant sorgfältig aufgezählten Bedingungen 735 A 193, B 239. 736 A 196, B 242. 737 B 164–165; vgl. auch IV, 296 ff. 738 IV, 310. 739 B 165.

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abhängt – 1.) von dem obersten »verknüpfende[n] Vermögen«,740 also der reinen und ursprünglichen Apperzeption, 2.) von der »Einbildungskraft, die vom Verstande der Einheit ihrer intellektuellen Synthesis, und von der Sinnlichkeit der Mannigfaltigkeit der Apprehension nach abhängt,«741 3.) »von der Synthesis der Apprehension«,742 und diese aber 4.) »von der transzendentalen [Synthesis], mithin den Kategorien«.743 Denn die zentrale Ob-Frage – also die Frage, ›ob bloße Kategorien den Erscheinungen Gesetze a priori vorschreiben‹ – wird erst durch die Formulierungen, Beweise und Erörterungen eben dieser Gesetze apriori, also der synthetischen Urteile apriori der Analytik der Grundsätze beantwortet. Hält man fest, daß Kant es mit den in der B-Deduktion erarbeiteten Mitteln nicht weiter als bis zur Ausarbeitung dieser Ob-Frage bringen kann, dann bleibt es dennoch wichtig zu beachten, daß diese Frage am Ende dieser Deduktion nicht einfach vom Himmel fällt. Denn man kann durchaus eimal davon absehen, daß die These von der Gesetze apriori vorschreibenden Funktion der Kategorien die Möglichkeiten dieser Deduktion überschreitet. Stattdessen zeigt sich umso klarer, daß die vier genannten elementareren Bedingungen gerade von den in diese Deduktion integrierten Erfahrungsurteilen bzw. den entsprechenden jeweils von ihnen vorausgesetzen spezifischen Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen erfüllt werden. Die von Kant thematisierte Wahrnehmung bzw. Apprehension des Gefrierens des Wassers kann entsprechend den in den Prolegomena (IV, 305*) geklärten Analyse-Regeln in das vollständige wahrnehmungsgestützte Erfahrungsurteil Das Gefrieren des Wassers erfolgt notwendig bzw. jederzeit durch die das Wasser unmittelbar umgebende hinreichend kalte Luft. Der interne Notwendigkeits-Faktor solcher kausal-thematischen Erfahrungsurteile bildet den einzigen in der B-Deduktion zugänglichen Anknüpfungspunkt für die Ob-Frage. Denn diese kann in Anknüpfung an diesen Punkt und unter Verwendung des von Kant im Text der Erörterung der Kausalitäts-Analogie verwendeten Sprachgebrauchs als die Frage formuliert werden, ob jede Begebenheit notwendigerweise (bzw. jederzeit) auf etwas folgt, worauf als ihre Ursache bzw. hinreichende Bedingung sie ›einen Hinweis gibt‹. Transformiert man diese Frage in den entsprechenden assertorischen Satz, dann erhält man die positive Antwort auf diese Frage: Jede Begebenheit folgt notwendigerweise (bzw. jederzeit) auf etwas, worauf als ihre Ursache bzw. hinreichende Bedingung sie ›einen Hinweis gibt‹. Doch dieser Satz bildet nur eine von mehreren möglichen Varianten der Zweiten Analogie in der ersten Auflage: »Alles, was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel

740 B 164. 741 Ebd. 742 Ebd. 743 Ebd.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

folgt«.744 Unter den von Kant in der Passage B 163–165 apostrophierten Gesetzen apriori bzw. unter den in den Prolegomena (§§ 14 ff.) apostrophierten notwendigen Gesetzen formuliert der aus dem kausal-thematischen Erfahrungsurteil Das Gefrieren des Wassers erfolgt notwendig bzw. jederzeit durch die das Wasser unmittelbar umgebende hinreichend kalte Luft durch Abstraktion und Verallgemeinerung gewonnene Satz Jede Begebenheit folgt notwendigerweise (bzw. jederzeit) auf etwas, worauf als ihre Ursache bzw. hinreichende Bedingung sie ›einen Hinweis gibt‹ eines dieser Gesetze apriori bzw. notwendigen Gesetze. In dieser externen Verwendung bedeutet der Notwendigkeits-Faktor, daß das so charakterisierte Gesetz eines von den Gesetzen ist, die »als notwendige Bedingungen … ihrer [der Erfahrung, R. E.] Möglichkeit gewiesen werden«.745 Zwar läßt sich durch diese Schritte zeigen, daß auf die Frage, ob jede Begebenheit notwendigerweise (bzw. jederzeit) auf etwas folgt, worauf als ihre Ursache bzw. hinreichende Bedingung sie ›einen Hinweis gibt‹, mehrere Varianten formal korrekter positiver Antworten formulieren lassen, die gleichbedeutend mit der Kausalitäts-Analogie der ersten Auflage sind. Doch mit guten systematischen und methodologischen Gründen hat Kant die Formulierung dieses Gesetzes apriori bzw. notwendigen Gesetzes nicht nur auf eine Schrittfolge vertagt, die alle für die Möglichkeit der Erfahrung notwendigen und hinreichenden Bedingungen in Gestalt des Systems aller Grundsätze des reinen Verstandes formuliert, beweist und erörtert. Die so aus systematischen Gründen vertagte Schrittfolge setzt darüber hinaus aus methodologischen Gründen die Schrittfolge voraus, die Von dem Schematismus des reinen Verstandes handelt und alle Schema-Kriterien formuliert, die für den Gebrauch von Kategorien in wahrheitsfähigen Urteilen notwendig und hinreichend sind. In der ersten Auflage diente die Erörterung aller dieser Schema-Kriterien jedoch noch ausschließlich dem Ziel, mit dem System aller Grundsätze des reinen Verstandes die notwendigen und hinreichenden Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer möglichen Gegenstände durch synthetische Urteile apriori zu formulieren, zu beweisen und zu erörtern – also durch Urteile, in denen von den Kategorien ein reiner, nicht-empirischer Gebrauch gemacht wird. Erst auf dem Weg zur zweiten Auflage der Ersten Kritik hat Kant entdeckt, daß der Rückgriff zumindest auf einige dieser Kriterien auch dann nötig und möglich ist, wenn man sie für die Analyse von Paradigmen der ebenfalls neu entdeckten strukturellen Differenzen und funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und empirischen Erfahrungsurteilen fruchtbar macht – und damit zu744 A 189, Kants Hervorhebungen. Diese Fassung ist derjenigen der zweiten Auflage in jeder Hinsicht vorzuziehen, weil diese den erheblichen Nachteil hat, daß sie den formalen, konditionalen Zusammenhang zwischen dem (effektiven) ›Geschehnis‹ und dem von ihm ›vorausgesetzten‹ (ursächlichen) ›Etwas‹ undurchsichtig läßt 745 A 157, B 196; vgl. hierzu oben S. 221–222.

Die Gebrauchsformen der Kategorien

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gunsten von Urteilen, in denen von den Kategorien ein nicht-reiner, empirischer Gebrauch gemacht wird. Mit den in der B-Deduktion ausgearbeiteten Mitteln, insbesondere den hier exemplifizierten Fällen von Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und kausal-thematischen Erfahrungsurteilen kann Kant daher im günstigsten Fall zur Formulierung der Frage gelangen, ob jede Begebenheit notwendigerweise (bzw. jederzeit) auf etwas folgt, worauf als ihre Ursache bzw. hinreichende Bedingung sie ›einen Hinweis gibt‹. Mit dieser Frage könnte er sich erkundigen, ob ein notwendiges Gesetz bzw. Gesetz apriori der Kausalität formuliert und bewiesen werden kann. Darüber hinaus könnte er fragen, ob alle Gesetze dieses Typs formuliert und bewiesen werden können, die aus der Anwendung der Kategorien gewonnen werden können. Da er aber im Licht seiner Erörterung des paradigmatischen kausal-thematischen Erfahrungsurteils in den Prolegomena (IV, 305*) schon geklärt hat, daß man auf ein Schema-Kriterium für den richtigen Gebrauch von Kategorien in Urteilen angewiesen ist, könnte er nicht nur, sondern müßte sogar sich selbst den Vorbehalt machen, daß die Antwort auf diese allgemeine Frage voraussetzt, daß man über ein dem vollständigen System der Kategorien entsprechendes vollständiges System von Schema-Kriterien verfügt. Doch die Aufgabe der Transzendentalen Deduktion ist zu zeigen, daß es mit nicht-emprischen, transzendentalen Mitteln gerechtfertigt werden kann, nichtempirische Begriffe vom Typus der Kategorien überhaupt so zu gebrauchen, daß dieser Gebrauch zu objektiv wahrheitsfähigen, urteilsförmigen Erkenntnissen führt. Dieses Ziel erreicht diese Deduktion erst mit den neuen, erstmals in den Prolegomena dokumentierten Mitteln der zweiten Auflage der Ersten Kritik jedenfalls und mindestens in paradigmatischer Form: Die Struktur einer unüberschaubaren Vielzahl empirischer, kausal-thematischer Erfahrungsurteile sowohl des nicht-wissenschaftlichen wie des wissenschaftlichen, primär der naturwissenschaftlichen Erkenntnisstrebens kann mit transzendental-logischen Mitteln auf den Gebrauch der reinen, nicht-empirischen Kausal-Kategorie zurückgeführt werden. Die Mikro-Analyse dieser Urteile kann auf den mit dieser Kategorie verbundenen Notwendigkeits- bzw. Omnitemporalitäts-Faktor aufmerksam machen, der die notwendige bzw. jederzetige Form des Eintretens der Wirkung einer Ursache charakterisiert. Doch von dieser Mikro-Analyse er­ öffnet sich kein kohärenter Weg zu den assertorischen allgemeinen Sätzen Kants im § 26 über das gesetzförmigkeits-Potential der Kategorien, sondern auch im günstigsten Fall nur zu teilweise paradigmatischen und teilweise allgemeinen, aber offen bleibenden Fragen wegen eines solchen Potentials. Indessen ergibt sich mit solchen Fragen am Ende der Transzendentalen Deduktion eine analoge methodische Situation wie auf der Grenze, die vom Entwurf der Urteils-Tafel zum Entwurf der Kategorien-Tafel führt,746 und wie 746 Vgl. Erster Teil, bes. S. 250–257.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

auf der Grenze, die vom Entwurf der Kategorien-Tafel – der Metaphysischen Deduktion dieser Kategorien – zur Transzendentalen Deduktion führt:747 Jedesmal wird in einem für die jeweilige methodische Grenzsituation spezifischen Sinne gefragt, ob und gegebenenfalls wie die Schritte über die jeweils erreichte Grenze hinaus nötig bzw. möglich sind. Aber jedesmal bildet auch ein spezifisches Element diesseits der jeweiligen Grenze den fruchtbaren Anknüpfungspunkt für die Formulierung der jeweils weiterführenden Frage. An der Grenze von der Formalen Logik der Urteilsfunktionen zur Transzendentalen Logik der Kategorien bietet die Berücksichtigung der assertorischen Modalität diesen Anknüpfungspunkt für eine solche Grenzerörterung; denn sie ist es, die »[…] von logischer Wirklichkeit oder Wahrheit [sagt]«748, also durch die das jeweils urteilende Subjekt sein Urteil auf einen urteilsexternen ›Gegenstand = X‹ bezieht, mit Blick auf den es einen Anspruch auf objektive Gültigkeit bzw. Wahrheit seines Urteils erhebt; doch dieser Anspruch bedeutet in Kants Theorie an dieser Grenze, daß ein solcher ›Gegenstand = X‹ wegen »dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird«.749 Analog bietet am Ende des Entwurfs der Kategorien-Tafel der noch nicht näher bestimmte Typ der so apostrophierten Anschauung den Anküpfungspunkt für die weiterführende Frage, welches denn der wohlbestimmte Typ der Anschauung ist, »die ich die meinige nenne«750 und die »die Grenzen des Gebrauchs der reinen Verstandesbegriffe [in Urteilen, R. E.] bestimmt[…]«.751 Denn erst mit der Vergewisserung, daß die »Möglichkeit empirischer Erkenntnis«752 in Form von Urteilen von »der reinen Form unserer sinnlichen Anschauung«753 abhängt, 747 Vgl. Erster Teil, 12. Ab. sowie oben 13. Ab. 748 A 74, B 101. 749 B 128. 750 B 144, Hervorhebung R. E. 751 B 148, Hervorhebung R. E. 752 B 147, Kants Hervorhebungen. 753 B 148, Hervorhebung R. E. Die ausdrückliche Bindung des Gebrauchs der Kategorien an Urteile folgt einem noch diesseits der Transzendentalphilosophie beheimateten und von Kant respektierten Grundsatz: Der Verstand kann nicht nur von den Kategorien, sondern ganz allgemein von »Begriffen … keinen anderen Gebrauch machen …, als daß er dadurch urteilt«, A 68, B 93. Diese in Kants Theorie der Erfahrung durchgängige Leitfadenrolle des Urteils – »le rôle primordial du jugement«, Vleeschauwer, Déduction III, S. 16 – übersieht Guyer, Knowledge, wenn er Kants theory of judgement, vgl. S. 371–383, von einer nicht nur verwirrenden, sondern auch durchaus verworrenen Menge von Prämissen über die Tragfähigkeit und die Tragweite seiner Theorie von Raum und Zeit abhängig macht. Hier hätte ein genauer Blick in Kants Analyse der strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen weiterhelfen können. Doch diesen Blick hat sich Guyer durch seine doppelt abstruse Auffassung verstellt, daß »It is from the conception of judgements of experience as universal and necessary that the need for categories is deduced«, S. 100, Guyers Hervorhebungen. Denn zum einen wird die Einsicht, daß es nötig ist, über Kategorien zu verfügen, durch die Überlegung gewonnen, daß die logischen, also die

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ist die Fruchtbarkeit der weiterführenden Frage gesichert, wie empirische Erkennnisse durch den urteilsförmigen Gebrauch von Kategorien innerhalb der Grenzen unserer reinen sinnlichen Anschauung möglich sind. Indessen zeigt sich die Grenze, die der Transzendentale Deduktion aus internen methodologischen Gründen gezogen ist, in der B-Deduktion mit noch schärferer Klarheit als in der A-Deduktion darin, daß eine solche Deduktion im günstigsten Fall die mit ihren Mittel nicht mehr beantwortbare Frage erarbeiten kann, ob Kategorien ein Gesetzförmigkeits-Potential eigen ist oder nicht. Dank der Einführung paradigmatischer kausal-thematischer Erfahrungsurteile in die B-Deduktion und dank deren mikro-analytischer Klärung in den Prolegomena kann eine Transzendentale Deduktion über die bloße Formulierung dieser Frage hinaus noch zur Formulierung einer hypothetischen Bedingung für eine erfolgreiche Beantwortung dieser Frage gelangen: Daß die Kategorien ein Gesetzförmigkeits-Potential besitzen, kann dann gezeigt werden, wenn sich zu jeder Kategorie – und nicht nur zur Kausal-Kategorie – ein Schema-Kriterium finden läßt, das zeigt, inwiefern die jeweilige Kategorie zugunsten ihres gesetzförmigen Gebrauchs in einem entsprechenden Urteil fruchtbar gemacht werden kann. Doch da der gesetzförmige Gebrauch der Kategorien auf die Urteile vom urteils-internen, logischen Formen der Urteile keine Formen von Beziehungen auf urteils-externe Gegenstände von Urteilen bilden. Deswegen – und nur deswegen – müssen die Formen solcher Beziehungen von Urteilen auf urteils-externe Gegenstände nicht nur mit Blick auf die urteils-internen Mikro-Formen der Urteile, sondern auch mit Blick auf die möglichen anschaulichen Gegebenheitsweisen solcher Gegenstände überhaupt erst einmal bestimmt werden. Zum anderen sind die Erfahrungsurteile zwar insofern zufällig, als es von zufälligen Anlässen der Wahrnehmung abhängt, ob ein urteilendes Subjekt sich veranlaßt findet oder nicht, im Ausgang von einer solchen Wahrnehmung ein entsprechendes Erfahrungsurteil zu erproben und durch zukünftige Wahrnehmungen bestätigen zu lassen. Im übrigen behauptet Kant in diesem thematischen Zusammenhang nirgendwo allgemein, daß »judgements of experience … universal and necessary«, S. 100, seien. Wohl aber behauptet er, wie Guyer korrekt die englische Übersetzung zitiert, daß »all judgements [of experience] concerning the same object« die Schlußfolgerung erlauben, daß »the objective validity of the judgement of experience [concerning the same object, R. E.] signifies nothing other than its necessary and universal validity«, ebd., Hervorhebung R. E. Doch Kant erörtert in den §§ 19, 20 und 22 ausschließlich Erfahrungsurteile, die denselben Typ von Objekt, nämlich den Objekt-Typ der Kausalität betreffen. In seinem paradigmatischen mikro-analytischen Kommentar stellt Kant mit Blick auf jedes kausal-thematische Erfahrungsurteil klar, daß »[…] in dem Erfahrungsurteile [Die Sonne erwärmt den Stein, R. E.], (vermöge des Begriffs der Ursache) [Erwärmung notwendig aus der Beleuchtung durch die Sonne erfolge]«, IV, 305*, Hervorhebungen R. E. Da Kant durch den unmittelbar folgenden Hinweis auf das Schematismus-Kapitel unmißverständlich zu verstehen gibt, daß das Kriterium der Notwendigkeit eines solchen ›Erfolgens‹ von der Jederzeitigkeit eines solchen ›Erfolgens‹ gebildet wird, bedeuten Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit im Fall kausal-thematischer Erfahrungsurteile die Notwendigkeit und Jederzeitigkeit dessen, was sukzessiv ›erfolgt‹, sobald die Ursache vorliegt, also die thematische hinreichende Bedingung unmittelbar zuvor erfüllt ist.

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Dimensionen des Urteilsgegenstandes II

Typ der synthetischen Urteile apriori im System aller Grundsätze des reinen Verstandes eingeschränkt ist, lautet die Antwort auf die Frage, wie synthetische Urteile aprioi möglich sind754 – durch den kriteriell regulierten Gebrauch der einen oder anderen dieser schematisierten Kategorien in solchen Urteil-en.

754 Vgl. zuerst IV, 276, und anschließend B 19 sowie A 154, B 193–A 158, B 197.

Dimensionen der Urteilswahrheit

15.

Urteilskraft oder Kriterien?

Im Ausgang von seiner durch Rousseau angeregten, jedoch verwunderten Frage, was das für eine geheime Kraft ist, durch die das Urteilen möglich wird,1 hat Kant einen weiten werkstattgeschichtlichen Bogen gespannt. Dieser führt zunächst zur Entdeckung des Leitfadens, der den Analysen der Formen des Urteilens die wichtigste methodische Quelle aller seiner weiteren Untersuchungen eröffnet2. Am systematischen Höhepunkt dieser Untersuchungen gelingt es Kant, diesen Leitfaden mit der Entdeckung der Möglichkeit zu verknüpfen, sogar Von der transzendentalen Urteilskraft3 und deren »verborgene[r] Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele«4 in eindringlicher Weise Rechenschaft abzulegen. Indessen hat die anfängliche Verwunderung über das Geheimnis der Urteilskraft auf so produktive Pfade der formalen und der materialen Urteils­ ananysen geführt, daß sogar genügend Blicke in die Abgründigkeit dieses Geheimnisse möglich werden. Es läßt sich daher sogar ermessen, daß wir der Urteils­k raft ›in den Tiefen der menschlichen Seele‹ verborgene »wahre Handgriffe … der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augel legen werden«.5 Die Verortung des Geheimnisses der Urteilskraft in den schwerlich auslotbaren Tiefen der menschlichen Seele sollte indessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die aus diesen geheimnisvollen Tiefen stammenden Kunstgriffe dennoch beständig gleichsam an einer jedem Menschen vertrauten und leicht zugänglichen Oberfläche zeigen. Diese Kunstgriffe zeigen sich an dieser Oberfläche durch das alltägliche Geschäft »alle[r] Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff«.6 Bei dieser Subsumtion selbst und an sich handelt es sich zwar nicht um den thematisierten geheimnisvollen Kunstgriff. Denn solche Subsumtionen werden ihrer Form nach – also als Subsumtionen von Gegenständen unter Begriffe – auch dann vollzogen, wenn sie zu falschen

1 Vgl. II, 60, und Erster Teil, bes. S. 10–11, 73–75, 101–102, sowie vom Verf., Krise und Kritik der Urteilskraft, in: Bedingungen der Aufklärung. Philosophische Untersuchungen zu einer Aufgabe der Urteilskraft, Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2008, S. 515–557. 2 Vgl. Erster Teil, 5. Ab. 3 Vgl. A 132, B 171–A 147, B 187. 4 A 141, B 180. 5 A 141, B 180–B 181. 6 A 137, B 176.

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Urteilen führen, also in Form von »Fehltritte[n] der Urteilskraft«7 alles andere als das zeigen, was den Namen von Kunstgriffen verdienen würde. Denn solche Fehltritte zeigen, daß die subsumierende Instanz mit Blick auf den von ihr jeweils gebrauchten Begriff gerade nicht beurteilen kann, »ob etwas darunter stehe oder nicht«.8 Die so apostrophierten Kunstgriffe zeigen sich also, obwohl sie aus einer nur schwer auslotbaren Tiefe der menschlichen Seele stammen, in Form von Subsumtionen, durch die das jeweils urteilend-subsumierende Subjekt in seinem jeweiligen urteilsförmigen Umgang mit einem Begriff zeigt, daß es zutreffend beurteilen kann, ob etwas unter ihm steht oder nicht. Die Kunstgriffe selbst, die dem urteilend-subsumierenden Subjekt zu den Orientierungen verhelfen, denen es seine zutreffenden subsumierenden Beurteilungen verdankt, tauft Kant auf den terminologischen Namen der Schemata.9 Unter den kognitiven Vermögen, von denen urteilende Subjekte beständig einen mehr oder weniger trefflichen Gebrauch machen, führt Kant das Schema, dessen Orientierung das Subjekt seine zutreffenden Urteile verdankt, auf »ein Produkt der Einbildungskraft«10 zurück. Es ist diese Einbildungskraft, die ›in den Tiefen der menschlichen Seele‹ das Vermögen bildet, dessen ›wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augel legen werden‹. Die Kehrseite der schweren Unzugänglichkeit und mangelhaften Transparenz dieser Hand- bzw. Kunstgriffe besteht darin, daß die »Einbildungskraft eine[…] blinde[…], obgleich unentbehrliche[…] Funktion der Seele [ist], ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, deren wir uns aber selten nur einmal bewußt sind«.11 Eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen wir uns dieser Funktion bewußt werden können, ergibt sich indessen regelmäßig dann, wenn wir fragen, »was denn das für eine geheime Kraft sei, durch die das Urteilen möglich wird«.12 So evident es auch ist, daß die Urteilskraft hier mit Hilfe einer einfachen Wortzerlegung zu einem problemorientierten Thema der philosophischen Arbeit gemacht wird, so evident ist es ebenfalls, daß diese Arbeit erst mit der Konzeption der Schemata und der Konzeption der produktiven Einbildungskraft als ihrer kognitiven ›Produktionsstätte‹ dahin gelangt, das Geheimnis transparent zu machen, das dieser Kraft zu ihren mehr oder weniger häufigen Erfolgen in der Form von zutreffenden Urteilen verhilft. Allerdings hat diese Transparenz ganz offensichtlich paradoxe Züge, weil sie selbst nur wieder Züge eines Geheimnisses durchsichtig macht – des Geheimnisses, wie eine ›blinde Kraft‹ dem urteilenden Subjekt zu den Kunstgriffen verhelfen kann, die ihm von Fall zu Fall die ›Augen‹ dafür öffnen, wie ein gegebener Gegenstand so unter einen Begiff subsumiert 7 8 9 10 11 12

A 135, B 174. A 133, B 172. Vgl. A 140, B 179–A 141, B 181. A 140, B 179. A 78, B 103. II , 60.

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werden kann, daß eine solche Subsumtion ihm zu einem wahren Urteil, einer zutreffenden Beurteilung dieses Gegenstandes verhilft. Ganz unbeschadet dieser erkenntnistheoretischen Paradoxie, lassen sich gleichwohl die formalen und funktionalen Anforderungen an ein Schema bestimmen: Es muß »in allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen darlegen«,13 woran das urteilende Subjekt erkennen kann, ob ein gegebener Gegenstand so unter einen zur Dispositionen stehenden Begriff subsumiert werden kann, daß ihm ein zutreffendes Urteil über diesen Gegenstand gelingen kann oder nicht. Die Funktion eines Schemas, das diese formalen Bedingungen erfüllt, bildet in terminologisch zugespitzter Form »das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt … erkennen könne«,14 ob das urteilende Subjekt einen gegebenen Gegenstand unter einen zur Disposition stehenden Begriff in zutreffender Weise subsumieren kann oder nicht. Mit der Erörterung dieser kriteriellen Funktion der Schemata wird der Zugang zu dem zentralen, kriteriologischen Teil der Logik der Wahrheit eröffnet, die in Gestalt der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft das abschließende Schlüsselstück der Transzendentale Analytik bildet.15 In diesem Teil sind daher auch die wichtigsten unterschiedlichen Typen von Begriffen und die zu diesen Typen passenden Kriterien sorgfältig zu unterscheiden, mit denen man sich auf den verzweigten Wegen solcher Untersuchungen vertraut machen sollte und kann. Empirische Begriffe wie der des Hundes,16 geometrische Begriffe wie der des Dreiecks,17 arithmethische Begriffe wie der der Zahl Fünf18 und die reinen Verstandesbegriffe bzw. Kategorien19 unterscheiden sich durch ihre Typen ebenso wie die Typen der Gegenstände, die unter sie subsumiert werden können, und wie die Typen der Schema-Kriterien, die erkennen lassen, wie ein Gegenstand eines bestimmten Typs so unter einen Begriff des entsprechenden Typs subsumiert werden kann, daß aus der jeweiligen Subsumtion ein auf den jeweiligen Gegenstand zutreffendes Urteil eines ebenfalls passenden Typs gewonnen werden kann. Von den empirischen Begriffen unterscheiden sich die Verstandesbegriffe bzw. Kategorien – abgesehen von den geometrischen und den arithmetischen Begriffen – vor allem dadurch, daß die Schema-Kriterien für ihren zutreffenden urteilsförmigen Gebrauch nicht nur 13 A 136, B 175. 14 VI, 230. 15 Vgl. A 62, B 87–A 63, B 88, sowie unten bes. 14.4. Ab. – Mit erfrischender Lakonie stellt Manfred Baum, Transzendental Proofs in Kant’s ›Critique‹, in: P.  Bieri / R .-P.  Horstmann / L . Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology Dordrecht 1979, S. 3–26, fest, daß ein Schema »the criterion (the schema) of the category«, S. 17, ist. 16 Vgl. A 141, B 180. 17 Vgl. Ebd. 18 Vgl. A 140, B 179. 19 Vgl. A 76, B 102–A 83, B 109.

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durch allgemeine und hinreichende, sondern auch durch vollständige Kennzeichen dargelegt werden können. Die Länge des rund zwanzigjährigen werkstattgeschichtlichen Wegs, den Kants Untersuchungen bis zur zweiten Auflage der Ersten Kritik durchmessen haben, gibt auch ein Maß für die ›Tiefe der menschlichen Seele‹, in der man schließlich auf die ›Kunstgriffe‹ stoßen und sie wenigstens in Gestalt der neun Schema-Kriterien für den Gebrauch der Kategorien in Urteilen vollständig und ›unverdeckt vor Augen legen‹ kann. Ein solcher Weg ist angesichts der unvermeidlichen ›Zerstreuung der Erkenntnis‹ (Henrich) selbstverständlich alles andere als kontinuierlich. Dieser von Umwegen und gelegentlichen Holzwegen geprägte Weg beschränkt sich jedoch nicht auf den teilweise erratischen, aber auch immer wieder von ›großem Licht‹ erhellten Weg des ›schweigenden Jahrzehnts‹. Auf dem weiteren Weg von der ersten zur zweiten Auflage der Ersten Kritik erzielt Kant vor allem durch die Arbeit an der Schema-Kriteriologie einen tiefgehenden Fortschritt. Denn die in den Prolegomena dokumentierte Ent­ deckung der strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen entzündet ein in der ersten Auflage noch ganz unverhofftes ›großes Licht‹. Es fällt vor allem auf die in der ersten Auflage noch ganz dunklen Evozierungen der in den ›Tiefen der menschlichen Seele‹ beheimateten ›Kunstgriffe‹, die durch die ›blinde, obgleich unentbehrliche Funktion der Seele‹ – durch die produktive Einbildungskraft – ausgeübt werden, ›ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, deren wir uns aber selten nur einmal bewußt sind‹. Durch den harmlos scheinenden buchtechnischen Hinweis, »Wie die Wahrnehmung zu diesem Zusatze [der Kategorie der Kausalität im Erfahrungsurteil, R. E.] komme, dazu muß die Kritik im Abschnitte von der transzendentalen Urteilskraft, S. 137 f. nachgelesen werden«,20 werden die durch diese Evozierungen thematisierten, aber dunkel bleibenden Zusammenhänge plötzlich in helles Licht getaucht. Denn damit wird nicht weniger als ein paradigmatischer, nahezu kognitions-anthropologischer Umstand erhellt. Es geht dabei um jeden Schritt, durch den wir im praktischen Alltag oder im wissenschaftlichen Alltag zu einem Erfahrungsurteil gelangen, das in irgendeiner Sprache mit Hilfe eines KausalVokabulars wie erwärmen, härten, schmelzen, beschweren, drücken, bewegen und mit unzähligen anderen entsprechenden Vokabeln oder deren Synonymen, aber auch durch propositionen-syntaktische Formen wie weil ---, deswegen muß … das Bewirken einer Zustandsänderung durch eine Ursache thematisiert. Wann immer wir einen solchen unscheinbaren, sprachlich-grammatisch konventionell gewordenen Schritt tun, verlassen wir uns, ohne daß wir uns dies ›unverdeckt vor Augen legen‹ würden, auf eine ›Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele‹. Sie entlastet uns jedesmal mit einem ihrer ›Handgriffe‹ nicht nur von der äußerst 20 IV, 305*.

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komplizierten, wahrscheinlich sogar allzu komplizierten Ausarbeitung eines hinreichend komplexen Kriteriums. Sie entlastet uns ebenso von einer ähnlich umständlichen Einzelprüfung des jeweils zu beurteilenden Falles im mehr oder weniger trennscharfen Licht eines solchen Kriteriums. So gelingt es durch die Entdeckung des unreflektierten alltäglichen Gebrauchs von Schema-Kriterien im paradigmatischen Fall kausal-thematischer Erfahrungsurteilen, ein weiteres Geheimnis der ›geheimen Kraft, durch die das Urteilen möglich wird‹, zu lüften: Streng genommen, profitieren die Menschen auf Schritt und Tritt von dem Anteil, den die produktive Einbildungskraft an ihrer Urteilsbildung nimmt. Sie ist es, die bei genauerem Hinsehen die untergründige Kraft bildet, durch die das Urteilen möglich wird. Die so apostrophierte Urteilskraft ist insofern auch nur in dem Maß ›kräftig‹, in dem die produktive Einbildungskraft in der lebenslangen Auseinandersetzung urteilsfähiger Subjekte mit ihren beständig wechselnden Lebenssituationen immer wieder von neuem kriterielle Kunstgriffe ausbildet, die diese Subjekte disponieren, in solchen Situationen hinreichend trennscharf zu unterscheiden, also zu beurteilen, was jeweils der Fall ist und was nicht. Es ist daher auch nicht ausschließlich die so apostrophierte Urteilskraft, die »gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will«.21 Denn das Maß der so apostrophierten Kraft der Urteilskraft hängt direkt auch von dem Maß ab, in dem das Potential der Einbildungskraft, bei Gelegenheiten von Urteilsakten immer wieder neue bzw. komplexere kriterielle Kunstgriffe auszubilden, durch eine unablässige Übung solcher situativen Urteilsakte gesteigert wird.22 Die originäre Kraft der so apostrophierten Urteilskraft kommt daher direkt erst und nur dadurch mit Erfolg zum Zuge, daß sie sich in jeder aktuellen konkreten Situation unter den von der produktiven Einbildungskraft gebildeten kriteriellen Kunstgriffen desjenigen Kunstgriffs bedient, der zu der einzigen zutreffenden Beurteilung dessen verhilft, was in dieser Situation der Fall ist und was nicht. Die kriteriellen Formen dieser aus den Produktionen der produktiven Einbildungskraft hervorgehenden Kunstgriffe erreichen in der Regel nicht die Stufe des Bewußtseins, auf der die Urteiskraft von ihnen Gebrauch macht. Sie bilden in der Regel gerade nicht gegenständliche Themen einer kriteriologischen Reflexion auf sie, sondern erschöpfen sich in ihrem unthematisch bleibenden Gebrauch durch die unmittelbaren situativen Akte der Urteilskraft. Dennoch ist 21 A 133, B 172. 22 Es ist insofern auch kein Zufall, daß Kant bei derselben Gelegenheit, die ihn zum ersten Mal zur Frage nach dem Geheimnis der Urteilskraft veranlaßt, implizit die Begabung des Menschen mit »natürlicher Urteilskraft«, A 134, B 173, als ein Unterscheidungsmerkmal des Menschen vom Tier betont; denn zwar »können Tiere Dinge voneinander unterscheiden, aber nicht den Unterscheid der Dinge erkennen«, II, 60, Kants Hervorhebungen, also nicht in der propositionalen Form eines Erkenntnisurteils, daß die Dinge verschieden sind, erkennen.

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die Urteilskraft in der jeweils aktuellen zur Beurteilung anstehenden individuellen Situation trotz aller ihr von der produktiven Einbildungskraft dargebotenen schema-kriteriellen Kunstgriffe ganz auf sich selbst gestellt. Denn auch diese kriteriellen Kunstgriffe gehören gerade wegen ihres schematischen Charakters zu »einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft«,23 das »keine einzelne Anschauung … zur Absicht hat«.24 Es obliegt daher in jeder zur Beurteilung anstehenden Situation einzig und alleine der Urteilskraft, ihre auf Wahrheit des situativen Urteils abzielende Tätigkeit so auf die wahrheitsrelevanten Kennzeichen der Situation abzustimmen, daß ihr finaler diagnostischer Akt in ein wahres Urteil mündet. Ob diese jeweils wahrheitsrelevanten Kennzeichen auch in irgend­ einem ihr von der Einbildungskraft bereitgestellten schema-kriteriellen Kunstgriffe repräsentiert sind, spielt für diesen finalen Akt keine unmittelbare Rolle. In den individuellen zur Beurteilung anstehenden Situationen fungieren diese schema-kriteriellen Kunstgriffe daher ›in den Tiefen der menschlichen Seele‹ gleichsam wie die von einem Fischer ausgeworfenen Netze: Obwohl diese Netze durch die beständige Übung der produktiven Einbildungskraft im Dienst der Urteilskraft beständig engmaschiger geknüpft werden können, erreicht ihre Engmaschigkeit doch niemals denjenigen Grad individueller situativer Paßgenauigkeit, der die Tätigkeit der Urteilskraft überflüssig machen könnte. Denn selbst da, wo ein schema-kriterieller Kunstgriff trotz seiner Generalität in einer bestimmten individuellen Situation einmal mit allen relevanten Merkmalen des zu beurteilenden Falles kongruiert, obliegt es der diesem Fall unmittelbar zugewandten Urteilskraft, die charakteristischen individuellen Merkmale eines solchen Falles zu identifizieren und ihre Kongruenz mit dem in Frage kommenden schema-kriteriellen Kunstgriff zu beurteilen. Die Urteilskraft ist daher einerseits gleichsam sehenden Auges der jeweiligen zur Beurteilung anstehenden individuellen Situation zugewandt und mustert sie mit Blick auf diejenigen ihrer Komponenten, die für die Wahrheit des von ihr intendierte Urteils relevant sind; andererseits läßt sie sich von den in den ›Tiefen der menschlichen Seele‹, also der produktiven Einbildungskraft gleichsam auf Abruf wartenden schemakriteriellen Kunstgriffen Kandidaten zuspielen, die der Kongruenz mit der von ihr ermittelten Konfiguration wahrheitsrelevanter Situationskomponenten am nächsten kommen. Selbstverständlich kann sich die Urteilskraft im Licht dieser Konzeption hin und wieder auch vergreifen. In solchen Fällen ruft sie angesichts einer zur Beurteilung anstehenden aktuellen Situation kriterielle Kunstgriffe aus dem Reservoir der produktiven Einbildungskraft ab, die auf die Beurteilung mehr oder weniger anders strukturierter Situationen als der aktuell zur Beurteilung anstehenden Situation zugeschnitten sind. In solchen Fällen zeigt die jeweils 23 A 140, B 179. 24 A Ebd.

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aktuelle Situation der noch nicht hinreichend geübten Urteilskraft Züge, die den Zügen von kriteriell schon durchdrungenen Situationen so sehr zum Verwechseln ähnlich sind, daß sich die Urteilskraft zum Rekurs auf einen situativ zwar schon bewährten, aber aktuell dennoch unpassenden kriteriellen Kunstgriff verführen läßt. Sie verfehlt dann gerade das wie auch immer mehr oder weniger subtil Widerspenstige, das die aktuelle Situation mit Blick auf die situativ schon bewährten kriteriellen Kunstgriffe zeigt. In solchen Situationen öffnet sich für das Zusammenspiel der Urteilskraft und der produktiven Einbildungskraft die Möglichkeit, durch die Auseinandersetzung mit einer solchen irritierend widerspenstigen Situation den einen oder den anderen von zwei möglichen Pfaden einzuschlagen – entweder den Pfad, der durch fortgesetzte Übung progressiv zur bereichernden Differenzierung des bislang nur unzulänglich bewährten kriteriellen Kunstgriffs führt, oder den Pfad, der durch Befangenheit in der Aporie einer Fehlbeurteilung regressiv zur sterilen Konservierung des an sich schon bewährten kriteriellen Kunstgriffs führt. Unter diesen Voraussetzungen zeigt sich daher, daß die Frage der zweigliedrigen Alternative Urteilskraft oder Kriterien? die Antwort jedenfalls dann in eine falsche Richtung lenkt, wenn sie als die vollständige Alternative zwischen gegenständlich thematisierten und formulierten Kriterien einerseits und andererseits einer kriterienlos, dezisionistisch agierenden Urteilskraft mißverstanden wird. Vor allem macht sie darauf aufmerksam, daß auch scheinbar dezisionistische urteilsförmige Stellungnahmen stets unter dem Vorbehalt stehen, daß der Schein ihrer Kriterienlosigkeit auf einem hyper-rationalistischen Vorurteil beruht. Im Schatten dieses Vorurteils scheint ein urteilendes Subjekt, das nicht oder nur unzureichend über seine Beurteilungskriterien Rechenschaft ablegen kann, überwindungsbedürftige Defizite im rationalen Umgang mit seinen Urteilsbildungen zu verraten. Doch nicht nur die Konzeption des Zusammenspiels von produktiver Einbildungskraft und Urteilskraft weist in eine andere Richtung. Auch eine knappe kriteriologische Erörterung des unscheinbaren Beispiels des empirischen Begriffs des Hundes kann einen Ausblick mit großer Reichweite eröffnen. Denn in kriteriologischer Hinsicht » [bedeutet] [d]er Begriff des Hundes […] eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres verzeichnen kann, ohne auf irgendeine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein«.25 Es liegt auf der Hand, daß das kriterielle Kennzeichen einer ›gewissen vierfüßigen Gestalt‹ nur ein Minimum dessen repräsentiert, was im duchschnittlichen kognitiven Haushalt der Menschen zum Kriterium für die Subsumtion eines Phänomens unter den Begriff des Hundes gehört. Durch die betonte Rede von einer ›gewissen vierfüßigen Gestalt‹ wird im Zusammenhang einer zwar knappen, aber dennoch 25 A 141, B 180 f.

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extrem anspruchvollen kriteriologischen Skizze ganz beiläufig zu verstehen gegeben, daß ›gewisse‹ andere Gestalt-Kennzeichen wie z. B. ein Schweif und eine relative durchschnittliche Größe der vierfüßigen Gestalt genauso zu demselben Schema-Kriterium gehören. Noch einen wichtigen Schritt weiter geht in dieser schema-kriteriologischen Hinsicht das Beispiel »des Tonkünstlers, wenn er viele Noten im Phantasieren zugleich greift«.26 Dieses Beispiel ist charakteristisch dafür, daß »ein gewisser Grad des Bewußtseins, der aber zur Erinnerung nicht zureicht, […] selbst in manchen dunklen Vorstellungen anzutreffen sein [muß], weil ohne alles Bewußtsein wir in der Verbindung dunkler Vorstellungen keinen Unterschied machen würden, welches wir doch bei den Merkmalen mancher Begriffe (wie … des Tonkünstlers, wenn er viele Noten im Phantasieren zugleich greift) zu tun vermöchten«.27 Das Bewußtsein, dessen Grad hier exemplarisch thematisiert wird, ist ebenfalls von anthropologischer Bedeutsamkeit. Denn ›wir vermögen‹, ›in der Verbindung dunkler Vorstellungen‹ trotz ihrer Dunkelheit einen Unterschied zu machen,28 weil unserer Urteilskraft aus den ›Tiefen der menschlichen Seele‹ und der ihr zugehörigen produktiven Einbildungskraft kriterielle Kunstgriffe zugespielt werden, wie wir sie in solchen und unzähligen anderen Situationen nach hinreichend langer Übung auf einem bestimmten Feld der Urteilsbildung fruchtbar machen können. Für die äußerste Spärlichkeit seiner Exemplifizerung solcher schema-krite­ riellen Kunstgriffe der produktiven Einbildungskraft am Beispiel des Begriffs des Hundes und des äußerst elementaren Gestalt-Kriteriums der Vierfüßigkeit hat Kant selbst die beste Erklärung gegeben: Wir werden diese Kunstgriffe ›kaum jemals unverdeckt vor Augen legen können‹. Räumliche Gestalten bilden, wie sein Beispiel zu verstehen gibt, diejenigen Momente solcher kriteriellen Kunstgriffe, die wir in methodisch kontrollierbarer Form noch am ehesten und am besten ›unverdeckt vor Augen legen können‹.29 Kant macht hier also von der 26 B 414*. 27 Ebd. 28 Auch hier verwendet Kant ein allerdings verkapptes negatives irreales Konditional, um eine kognitionsanthropologische Einsicht zu formulieren. Wenn man die Verkappung syntaktisch rückgängig macht, erhält man den konditionalen Klartext Wenn wir in der Verbindung dunkler Vorstellungen nicht einen hinreichenden positiven Grad eines Bewußtseins hätten, dann würden wir zwischen ihnen nicht einen Unterschied zu machen vermögen. Zur anthropologischen Bedeutsamkeit negativer irrealer Konditionale bei Kant vgl. auch Erster Teil, bes. S. 159–161, 165–167, 173–175, 214–216. 29 Ernst Tugendhat, Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, Frankfurt / M. 1976, macht darauf aufmerksam, daß die von Aristoteles erörterten Substanzprädikate Gestaltprädikate sind, ein Prinzip der Zählbarkeit enthalten und zum Typus der Sortalprädikate gehören, vgl. S. 4534 und 4545. Kant macht dagegen darauf aufmerksam, daß Prädikate wie … ist ein Hund nicht etwa Gestaltprädikate sind, sondern an Kriterien ihrer Brauchbarkeit in wahren Urteilen gebunden sind, die u. a. Gestalten als charakteristische kriterielle Momente enthalten.

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methodischen Möglichkeit Gebrauch, mit Hilfe eines einzelnes Paradigmas ein Licht in eine sonst nur äußerst schwer zugängliche Dimension unserer präreflexiven kognitiven Tätigkeiten zu werfen. Doch ganz unabhängig von solchen gestaltabhängigen Schema-Kriterien gilt ganz allgemein, daß »Das Schema … […] eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft [bedeutet]«,30 also »ein[…] allgemeine[s] Verfahren der Einbildungskraft«,31 »wodurch32 ein Gegenstand unter [den Begriff] subsumiert werden kann«,33 speziell unter die jeweils angemessene Kategorie. Darüber hinaus bietet dieser paradigmatische Ansatz zur Charakterisierung des kriteriellen Zusammenspiels von Urteilskraft und produktiver Einbildungskraft ein Erklärungspotential für die unübersehbare kognitions-anthropologische Tatsache, daß den Menschen seit unvordenklichen Zeiten sowohl in ihrem praktischen und technischen wie in ihrem wissenschaftlichen Alltag immer wieder von neuem unübersehbar viele treffliche situative Fallunterscheidungen gelingen, ohne daß sie in thematisch-gegenständlicher Form über Formulierungen von entsprechenden Kriterien verfügen würden. Das Erklärungspotential läßt sich daher wieder in Form eines negativen irrealen Konditionals formulieren: Wenn wir nicht auf Schritt und Tritt von einem prä-reflexiven Dienst der kriteriell produktiven Einbildungskraft zugunsten der bestimmenden Urteilskraft profitieren würden, dann wären wir an der Überfülle der sich in jeder neuen Situation in neuer Form darbietenden Beurteilungsaufgaben von Anfang an gescheitert, also zugrunde gegangen bzw. dann wären wir als die Gattung urteils- und erkenntnisfähiger Lebewesen, als die wir uns bis heute faktisch bewährt haben, gar nicht erst in den Gang der Evolution eingetreten.34 Die kriterienproduktive Einbildungskraft fungiert daher vermöge der prä-reflexiven Bildung ihrer schema-kriteriellen Kunstgriffe als ein natürliches Entlastungspotential, das der bestimmenden Urteilskraft ermöglicht, ihre Tätigkeit der situativen Fallunterscheidungen auszuüben, ohne auf die Mühseligkeiten warten zu müssen, durch die sich die reflektierende Urteilskraft immer erst wieder von neuem auf den Weg machen müßte, um situativ angemessene Kriterien in gegenständlich thematisierender Weise auf Begriffe zu bringen.35 30 31 32 33 34

A 141, B 180. A 140, B 179. Erdmanns Konjektur. A 247, B 304. Dieses Zusammenspiel steht also in gattungsspezifischer Hinsicht im Dienst einer geradezu evolutionär angelegten Entlastung der reflexiven Urteilskraft von Bemühungen um eine gegenständliche Thematisierung von situativ geeigneten Kriterien. 35 Zu reflexiv-bewußten Strategien, Techniken und Konventionen zur Umgehung der Urteilskraft vgl. Wolfgang Wieland, Was heißt und zu welchem Ende vermeidet man den Gebrauch der Urteilskraft? Strategien zur ihrer Umgehung, in: (Hg. Frithjof Rodi), Urteilskraft und Heuristik in den Wissenschaften. Beiträge zur Entstehung des Neuen, Weilerswist 2003, S. 9–33.

236

16.

Dimensionen der Urteilswahrheit

Ob ein Gefühl der Urteilskraft hilft, wahrheitsfähige Erkenntnisurteile zu bilden

Zweifellos ist für jede Erkenntnis bzw. für jedes wahre Erkenntnisurteil das prä-reflexive Zusammenspiel zwischen dem Begriffspotential des Verstandes, der kriterien-produktiven Einbildungskraft und der von ihr profitierenden bestimmenden Urteilskraft zentral. Dennoch hinterläßt das funktionale Zusammenspiel der zur Generalität verurteilten schema-kriteriellen Kunstgriffe der produktiven Einbildungskraft und der auf den Einzelfall zielenden Urteilskraft eine Unschärfe für die Orientierung der Urteilskraft. Diese Unschärfe verurteilt die generellen Schema-Kriterien dazu, hinter der Individualität des jeweils zu beurteilenden Falles zurückbleiben, während es die auf die Individualität dieser Fälle zielende Urteilskraft umgekehrt dazu verurteilt, von diesen schemakriteriellen Kunstgriffen gerade wegen ihrer Generalität niemals eine direkte irrtumsresistente Orientierungshilfe zu erlangen. Die Urteilskraft scheint daher nicht nur wegen der für ihre kognitive Natur charakteristischen Orientierung an der Individualität des individuellen Einzelfalls auf sich selbst gestellt zu sein. Wie die Urteilskraft unter diesen Voraussetzungen überhaupt jemals dahin gelangen kann, dem von ihr Gebrauch machenden Erkenntnisbeflissenen zu objektiv gültigen bzw. wahren Urteilen zu verhelfen, scheint an ein (irrationales) Wunder zu grenzen, also an eine kognitions-anthropologische Tatsache, für die erklärende Faktoren grundsätzlich nicht mehr scheinen zugänglich gemacht werden zu können. Zugunsten einer solchen Grenze der Erklärbarkeit scheint auch der Umstand zu sprechen, daß sich die Urteilskraft gleichsam naturalistisch scheint reduzieren zu lassen. Denn Kant gibt sie als »eine Naturgabe vorläufig zu urteilen, wo die Wahrheit wohl möchte zu finden sein,«36 zu bedenken. Doch bevor man diese Formel voreilig für das letzte Wort einer naturalistischen Reduktion hält, sollte man auch den weiteren transzendental-logischen Weg der Urteilsanalyse berücksichtigen. Auf diesem Weg lassen sich Resultate erzielen, die in den unmittelbaren und mittelbaren Umkreis der Entdeckung der reinen Geschmacksurteile gehören. Deren Analysen zeigen, daß für die Urteile dieses Typs eine einzigartige »Einhelligkeit im Spiel der Gemütskräfte«37 charakteristisch ist. Dem ein solches Urteil bildenden Subjekt teilt sich diese Einhelligkeit in dem Modus mit, sie »mit Lust zu empfinden«.38 Diese Lust muß indessen »notwendig bei jedermann auf den nämlichen Bedingungen beruhen, weil sie subjektive Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis

36 VII, 223. 37 V, 228. 38 292; vgl. hierzu Wieland, Urteil und Gefühl, bes. VI . Kap.

Gefühl der Urteilskraft und wahrheitsfähige Erkenntnisurteile 

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überhaupt sind«.39 Auch für die vom reinen Geschmacksurteil verschiedenen Urteile, also vor allem für die Erkenntnisurteile und insbesondere für die Erfahrungsurteile sind daher sowohl Formen des Zusammenspiels der Erkenntniskräfte wie Formen der Reflexionslust und Modi ihres Empfindens durch das jeweils urteilende Subjekt charakteristisch. Bei der von Kant so apostrophierten Erkenntnis-überhaupt handelt es sich jedoch nicht etwa um so etwas wie die allgemeinste mögliche Erkenntnis oder um eine Erkenntnis, wie sie jeder anderen möglichen Erkenntnis als eine singuläre Art impliziter Erkenntnis zugrunde liegen würde. Mit der Rede von der Erkenntnis-überhaupt wird vielmehr die Dimension umrissen, die jenseits bzw. diesseits der reinen Geschmacksurteile den Einzugsbereich für alles und jedes bildet, womit überhaupt ein Anspruch auf objektive Gültigkeit bzw. Wahrheit verbunden werden kann, also für jedes beliebige Erkenntnisurteil. Die Urteile, die in der Dimension der Erkenntnis-überhaupt gebildet werden, haben daher ebenfalls an der emotionalen Struktur teil, die in ihrer reinsten Form im reinen Geschmacksurteil zu Hause ist. Der Unterschied zwischen beiden Urteilstypen zeigt sich am prägnantesten, indem es gelingt, die Lust des Urteilenden am Vollzug des reinen Geschmacksurteils gegen die Lust des Urteilenden am Objekt des Erkenntnisurteils abzugrenzent: »Die Lust ist an diesem Urteil, nicht an dem Objekt desselben«.40 Sobald die primäre Intention des Urteilenden der Erkenntnis eines Objekts gilt, verläßt er daher die von keiner Erkenntnis- bzw. Objekt-Intention gestörte Reinheit der emotionalen Dimension des Geschmacksurteils. Zwar ist die harmonische Stimmung der Erkenntniskräfte hier – und nur hier – beheimatet. Doch da die Möglichkeit der Erkenntnis von denselben subjektiven Bedingungen bzw. kognitiv relevanten Gemütskräften abhängt, die im reinen Geschmacksurteil durch ein harmonisches Zusammenspiel verbunden sind, geht dem Erkenntnisurteil die Teilhabe an einer Stimmung des Zusammenspiels der Erkenntniskräfte nicht gänzlich verloren. Dieses Zusammenspiel gerät lediglich aus dem Lot der Harmonie, so daß »die Stimmung der Erkenntniskräfte […] nach Verschiedenheit der Objecte, die gegeben werden, eine verschiedenen Proportion [hat]«,41 aber jedenfalls nicht mehr harmonisch ist.42 Da Kant anscheinend niemals versucht hat, diese objektabhängige Verschiedenheit der Stimmungsproportionen der Erkenntniskräfte um ihrer selbst willen genauer zu klären, kann man diese unbestimmte, 39 40 41 42

V, 292. R 988. VII , 238. Vgl. hierzu auch schon die thematische Hervorhebung Erster Teil, S. 25–31. Im gegenwärtigen Zusammenhang zeigt sich diese spezifische Relevanz jedoch speziell in der Rolle, in der die Stimmung der Erkenntniskräfte an dem Zusammenspiel teilnimmt, in dem die schemakriteriell produktive Einbildungskraft und die Urteilskraft gemeinsam zugunsten spezieller Erkenntnisurteile fungieren.

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aber stimmungsspezifische Verschiedenheit zunächst nur als ein Faktum in Rechnung stellen, dem mit Blick auf alle Erkenntnisurteile gleichwohl definitiv eine entsprechend spezifische Relevanz zukommt.43 Tatsächlich ist die objektabhängige Verschiedenheit der Stimmungsproportionen der Erkenntniskräfte von großer Tragweite gerade für die Theorie der Erfahrung, speziell der Erfahrungsurteile ist. Diese Tragweite wird unmißver­ ständlich deutlich, wenn Kant direkt an den Gedanken der Reflexionslust anknüpft, in deren Modus die mehr oder weniger harmonische Stimmung der Erkenntniskräfte für das urteilende Subjekt fühlbar werden kann. Denn er argumentiert, daß auch »die gemeinste Erfahrung ohne sie nicht möglich sein würde«.44 Bei dieser ›gemeinsten Erfahrung‹ handelt es sich um die »Synthesis der Gegenstände wirklicher Erfahrung, welche jederzeit empirisch ist«.45 Sie – also sowohl die ›gemeinste Erfahrung‹ wie diese Form der Synthesis – zeigt sich ausschließlich, wie es in demselben Kontext exemplifiziert wird, in alltäglichen Erfahrungsurteilen vom Typ Die Sonne erwärmt den Stein, Die Sonne schmelzt das Wachs und die Sonne härtet den Ton.46 Solche im Medium der ›gemeinsten Erfahrung‹ beheimateten Erfahrungsurteile sind es daher, die ›ohne die Reflexionslust nicht möglich wären‹, in der jeweils irgendeine nicht-harmonische Stimmung der Erkenntniskräfte für das urteilende Subjekt fühlbar wird. An diesem Punkt zeigt sich die in mehrere Richtungen führende sachliche Tragweite, die Kants buchtechnischer Hinweis in den Prolegomena auf den Schematismus-Abschnitt der ersten Auflage der Ersten Kritik mit sich bringt. Vordergründig gibt er zu verstehen, daß die Transformation des paradigmatischen Wahrnehmungsurteils Auf die Beleuchtung des Steins durch die Sonne folgt jederzeit Erwärmung des Steins47 in das ebenso paradigmatische kausalthematische Erfahrungsurteil Die Sonne erwärmt den Stein48 nur durch den Rückgriff auf das entsprechende temporale Schema-Kriterium gelingt. Doch hintergründig zeigt sich, daß die Menschen Erfahrungsurteile dieses Typs in unübersehbar vielen verschiedenen Formen schon seit urgeschichtlichen Zeiten gewonnen und zugunsten ihres technischen und praktischen Alltagslebens fruchtbar gemacht haben, ohne die transzendental-logischen Reflexion zu üben, die dieses Kriterium im Jahr 1781 zum ersten Mal in wohlformulierter und jedem Interessierten zugänglichen Form ausdrücklich zur Sprache bringt. Noch einen 43 Mit Blick auf die praktischen Erkenntnisurteile kommt Kant bei der Auseinandersetzung mit diesem erkenntnistheoretischen Proportionalitätsproblem immerhin zu der Einschätzung, daß dem Menschen eine seiner »praktischen Bestimmung … weislich angemessene … Proportion seiner Erkenntnisvermögen«, V, 146, zuteil geworden ist. 44 V, 187. 45 A 766, B 795. 46 Vgl. A 765, B 793–A 766, B 794. 47 Vgl. IV, 305*. 48 Vgl. ebd.

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Grad tiefer unter der Oberfläche von Kants buchtechnischem Hinweis zeigt sich im Licht dieses Resultats der transzendental-logischen Reflexion eine dritte Tragweite: Die unzähligen Erfahrungsurteile der ›gemeinsten Erfahrung‹ gelingen den Menschen seit urgeschichtlichen Zeiten, ohne daß eine transzendentallogische Reflexion die geringsten dokumentierten Spuren in der von Kant zur Sprache gebrachten strikten Form hinterlassen hätte. Es ist gewiß unbestreitbar, daß die kausal-thematischen Erfahrungsurteile sowohl für die kognitive wie für die praktische und die technische Weltorientierung und -­ gestal­tung der erkenntnisbeflissenen Menschen von eminenter Wichtigkeit sind. Gleichwohl werden ihnen die für die Bildung solcher Urteile unentbehrlichen Schema-Kriterien seit urgeschichtlichen Zeiten in einer prä-reflexiven Gestalt und in einem präreflexiven Modus zugespielt  – in Gestalt der entsprechenden aus den ›Tiefen der menschlichen Seele‹ stammenden schema-kriteriellen Kunstgriffe und im Modus der diese Kunstgriffe überhaupt erst fühlbar werden lassenden Reflexionslust. Doch das prä-reflexive Zusammenspiel zwischen den zur Generalität verurteilten schema-kriteriellen Kunstgriffen, der begrifflichen Generalität der in Gebrauch genommenen Kategorien und der auf sie angewiesenen, aber auf Individualität zielenden bestimmenden Urteilskraft scheint gerade für die entsprechende Orientierung der Urteilskraft die ausschlaggebende Unschärfe zu hinterlassen. Angesichts der Individualität des jeweils zu beurteilenden Einzelfalls scheint diese Unschärfe sie im wahrsten Sinne des Wortes hilflos auf sich selbst und ihre Einzelfall-Orientierung gestellt sein zu lassen. Doch der Urteilskraft stehen drei unentbehrliche, wenngleich heterogene Hilfskräfte zur Verfügung, die ebenfalls im Dienst des Ziels stehen, dem für die Erkenntnis jeweils günstigsten Grad der Stimmung der Erkenntniskräfte nachzuspüren. Eine dieser beiden Hilfskräfte bildet eine funktionale, aber spezifisch kognitive Hilfe der Urteilskraft: »Scharfsinn ist das Vermögen, auch die kleinste Einstimmung oder Widerstreit beider zu bemerken, ist also Eigenschaft der Urteilskraft«.49 Wird der Scharfsinn im Zusammenhang mit der Insuffizienz berücksichtigt, die die schema-kriteriellen Kunstgriffe und die Kategorien wegen ihrer irreversiblen Generalität mit sich bringen, dann liegt es auf der Hand, warum gerade hier die Funktion des Scharfsinns so ins Gewicht fällt. Denn seine Funktion ist es, die gleichsam durch die Maschen vor allem der Schema-Generalität fallenden »kleinsten Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeit zu bemerken«,50 durch die die Struktur des jeweils zu beurteilenden Einzelfalls den im eigentlich einschlägigen, aber generellen Schema-Kriterium ähnlich bzw. unähnlich ist. Daß der Scharfsinn auf diese Weise zwar unmittelbar, aber auch nur zur Hälfte in dem für die Urteilskraft eigentümlichen Dienst der Erkenntnis steht – also der Erkenntnis der Wahrheit über den jeweiligen Einzelfall –, wird angesichts der 49 R 988; vgl. auch A 654, B 682. 50 VII, 201.

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spezifischen Leistungsfähigkeit des zweiten kognitiven Helfers der Urteilskraft deutlich. Es geht dabei um die Funktion der dem Scharfsinn fast zum Verwechseln ähnlichen Sagazität. Während der Scharfsinn zu einer riskanten Neigung ausarten kann, »leere Spitzfindigkeiten oder eitle Vernünfteleien«51 hervorzubringen, bewährt sich die Sagazität als die Nachforschungsgabe, »Bescheid zu wissen, wie man gut suchen soll: eine Naturgabe vorläufig zu urteilen, wo die Wahrheit wohl möchte zu finden sein; den Dingen auf die Spur zukommen und die kleinsten Anlässe der Verwandtschaft zu benutzen, um das Gesuchte zu entdecken oder zu erfinden«.52 Obwohl beide Talente im unmittelbaren Dienst der auf die Erkenntnis der Individualität zielenden Urteilskraft stehen, steht der auch auf die ›kleinsten Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten‹ bedachte Scharfsinn doch deutlich im Schatten der Sagaziät. Denn für das an einem Optimum orientierte Talent der Sagazität, ›Bescheid zu wissen, wie man gut suchen soll‹, kann das riskante Talent des Scharfsinns, auch ›leere Spitzfindigkeiten und Vernünfteleien‹ hervorzubringen, unter Umständen zu einem Hindernis werden, in zutreffender Weise auch bloß ›vorläufig zu urteilen, wo die Wahrheit wohl möchte zu finden sein‹. Damit wird die Urteilskraft jedoch einer weiteren Form von Verlegenheit ausgesetzt. Sie muß nicht nur die Verlegenheit überwinden, in der sie sich mit ihrer Intention auf Erkenntnis der Indivualität wegen der Generalität der schema-kriteriellen Kunstgriffe und der Generalität der jeweils in Gebrauch genommenen Kategorien befindet. Sie muß auch die Verlegenheit überwinden, in der sie sich wegen der ungleichen kognitiven Konkurrenz zwischen ihren Hilfskräften in Gestalt des Scharfsinns und der Sagazität befindet. Doch wie kann die Urteilskraft im Einzelfall beurteilen, ob der Scharfsinn die Grenze zu leeren Spitzfindigkeiten und Vernünfteleien überschritten hat und die Suche, ›wo die Wahrheit wohl möchte zu finden sein‹, in die Irre führt, aber gleichzeitg mit einem Anspruch der Sagazität konkurriert, besser ›Bescheid zu wissen, wie man gut suchen soll und wo die Wahrheit wohl möchte zu finden sein‹? Die beiden kognitiven Hilfskräfte der Urteilskraft würden sich unter solchen Vorzeichen in konkurrierende Prätendenten der jeweils besten Hilfe verwandeln. Sie selbst bliebe angesichts einer solchen prätentiösen Konkurrenz unter ihren Hilfskräften und mit Blick auf den jeweils zu beurteilenden Einzelfall nicht nur in der Unschärfe befangen, die ihr durch die Generalität der schemakriteriellen Kunstgriffe und der von ihr in Gebrauch genommenen Kategorien beschert wird. Die Verlegenheit, die diese Unschärfe für ihren finalen Urteilsakt ohnehin schon mit sich bringt, würde durch eine solche störende Konkurrenz ihrer kognitiven Hilfskräfte sogar noch einmal durch ein weiteres aporetisches Momente gesteigert.

51 VII, 201. 52 VII, 223.

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Unter diesen Voraussetzungen liegt es fast schon auf der Hand, welchem Moment unter den für die Akte der Urteilskraft charakteristischen Hilfen die finale Schlüsselrolle zufällt. Wie sich gerade unter diesen Voraussetzungen besonders deutlich zeigt, fällt dem Gefühl der objekt-proportionalen Reflexionslust zugunsten der Erkenntnisurteile, vor allem der Erfahrungsurteile mit ernstzunehmenden Gründen eine besonders wichtige Rolle zu.53 Ihm kommt die Funktion zu, durch seinen spezifisch emotionalen Beitrag die untilgbare kognitive Unschärfe und Verlegenheit zumindest maximal, wenngleich nicht optimal zu überwinden, in der die an generellen Begriffen des Verstandes und an generellen SchemaKriterien der produktiven Urteilskraft orientierten Urteilskraft andernfalls befangen bliebe. Dieses Gefühl bildet im Medium der Erfahrungsurteile zwar nicht mehr einen Modus, der auf eine harmonische oder einhellige Stimmung der an ihnen beteiligten Erkenntniskräfte verweisen würde: »Gleichwohl aber muß es eine geben, in welcher dieses innere Verhältnis zur Belebung (einer durch die andere) die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist; und diese Stimmung kann nicht anders als durch das Gefühl (nicht nach Begriffen) bestimmt werden«.54 Denn dieses Gefühl bildet »die subjektive bloß empfindbare Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft«,55 also desjenigen Gebrauchs der Urteilskraft, der im Medium ihres paradigmatischen objektiven Gebrauchs den Ausschlag zugunsten eines jeweils in Frage stehenden Erfahrungsurteils gibt. Diesem Gefühl kommt daher zugunsten der Erfahrungsurteile die ausschlaggebende kriterielle Funktion zu: Nur durch seine an die individuelle Situation gebundene ebenfalls individuelle emotionale Prägung signalisiert es dem urteilsbeflissenen Subjekt die ›in Absicht auf die Erkenntnis und für die beiden Erkenntniskräfte zuträglichste Stimmung der beiden Erkenntniskräfte‹ und gibt damit den Ausschlag zugunsten des den Wahrheits- und Erkenntnisanspruch anmeldenden Akts eines Erfahrungsurteils.56 53 Vgl. VII, 238, sowie oben S. 223–225. 54 V, 238–239, Hervorhebung R. E. 55 VII, 201. 56 Wieland, Urteil und Gefühl, macht in dem den Erkenntnisurteilen gewidmeten Kapitel seines Buchs, vgl. S. 344–381, zu Recht darauf aufmerksam, daß die kriterielle Beteiligung dieses Gefühls an den Akten der Erkenntnisurteile, vor allem der Erfahrungsurteile im Licht von Kants Analysen des reinen Geschmacksurteils auf einen inneren, funktionalen Zusammenhang von Erkenntnis und Geschmack verweist. Dennoch scheint er diesem Gefühl lediglich die Rolle eines begleitenden Phänomens innerhalb der Vorgeschichte der Erkenntnis bzw. der Erkenntnisurteile zuzuschreiben. Vielleicht liegt diese eher marginalisierende Rollenbeschreibung nahe, wenn man sich der Struktur der Erkenntnis bzw. der Erkenntnisurteile im Ausgang von den Strukturanalysen des reinen Geschmacksurteils nähert. Denn in dieser Struktur bildet das charakteristische Gefühl der Reflexionslust das einzigartige Medium der monovalenten Wahrheit eines solchen Urteils. Im Fall der Erkenntnisurteile kommt dem für ihre Gegenstandsbezüge charakteristischen objekt-

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Dennoch sollte nicht übersehen werden, daß dieses Gefühl – im Gegensatz zu seiner Bedeutsamkeit für das reine Geschmacksurteil – nicht auf eine optimale, harmonische Stimmung der Erkenntniskräfte verweist, sondern auf eine suboptimale Stimmung, die für das erfolgsträchtige Zusammenspiel der Erkenntniskräfte aber immerhin die zuträglichste ist. Dieser von Kant unmißverständlich hervorgehobene Unterschied verweist implizit auf eine entsprechend bedeutsame Tragweite, die die mindere Stimmung der Erkenntniskräfte für die Erkenntnisurteile, also vor allem für die Erfahrungsurteile mit sich bringt.57 Diese Tragweite kommt vor allem durch den Umstand zum Tragen, daß sich die reinen Geschmacksurteile im Gegensatz zu den Erfahrungsurteilen nicht »auf … durchgängige Bestätigung«58 zu stützen brauchen. Ihre monovalente Wahrheit hängt nicht von den Wahrnehmungen ab, anläßlich von denen sie gebildet werden, sondern auschließlich vom einzigartig reinen emotionalen Gehalt des Prädikats … ist schön. Zwar kann auch ein Erfahrungsurteil nur anläßlich von geeigneten Wahrnehmungen gebildet werden. Doch im Gegensatz zu den reinen Geschmacksurteilen haben die ein Erfahrungsurteil jeweils veranlassenden Wahrnehmungen am kognitiven und am semantischen Gehalt dieses jeweiligen Erfahrungsurteil einen unmittelbaren und konstitutiven Anteil. Die konstitutive Wichtigkeit dieses Anteils geht weit über den ersten Anlaß hinaus, den eine Wahrnehmung bzw. ein Wahrnehmungsurteil für die Bildung eines Erfahrungsurteils abgibt. Denn die Wahrnehmungen sind in der zeitlichen Dimension »ins Unendliche erstreckt«.59 Mit einem Erfahrungsurteil ist indessen ein charakteristischer Anspruch auf Allgemeingültigkeit verbunden. Daher bedeutet die Form dieser Allgemeingültigkeit vor allem auch die Gültigkeit zu jeder Zeit, zu der Wahrnehmungen, wie sie zum kognitiven und zum semantischen Gehalt eines Erfahrungsurteils gehören, von einem Proponenten dieses Urteils

proportionalen Gefühl jedoch eine zwar ungleichartige, aber genauso wichtige kriterielle Rolle zu: Ganz unbeschadet der Anteile der schema-kriteriellen Kunstgriffe und der kognitiven Hilfen des Scharfsinns und der Sagazität bildet es wegen deren spezifischen Insuffizienzen auch hier förmlich das Zünglein an der Waage. 57 Die Rolle, die dieses Gefühl insbesondere für die Erfahrungsurteile spielt, ist nicht nur deswegen bemerkenswert, weil es im gegenwärtigen Zusammenhang ausschließlich um die Struktur dieser Urteile geht. Denn auch die praktischen Urteile gehören im Licht von Kants Theorie zu den Erkenntnisurteilen, vgl. V, 209 f. Doch für sie ist dem Menschen eine seiner »praktischen Bestimmung … weislich angemessene … Proportion seiner Erkenntnisvermögen«, V, 146, zuteil geworden, also eine Proportion, der eine ganz andere Form von Relevanz zukommt als sie für die Erfahrungserkenntnis charakteristisch ist. Denn die Relevanz, die dieses Gefühl an die Erfahrungsurteile bindet, ist an die kognitive Bestimmung des Menschen gebunden, durch diese Urteile schrittweise immer mehr am ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹, vgl. IV, 328, teilzuhaben. 58 IV, 327. 59 XXI, 95.

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in Form der entsprechenden bestätigenden Wahrnehmungsurteile registriert und in bestätigender Form fruchtbar gemacht werden müssen. Umso bedeutsamer ist die Unumgänglichkeit der kriteriellen Rolle, die das situativ und daher vor allem individuell geprägte Gefühl der Reflexionslust im Zusammenspiel mit den generellen Schema-Kriterien ausübt: Auch zugunsten der Erfahrungsurteile übt dieses Gefühl – und zwar schon lange vor aller thematischen transzendental-logischen Reflexion auf die Schema-Kriterien für die gelungene Transformation von dafür angemessenen Wahrnehmungsurteilen in entsprechende Erfahrungsurteile  – die Funktion aus, der Urteilskraft des erkenntnisbeflissenen Subjekts zu der ausschlaggebenden Orientierungshilfe über die Individualität des zu beurteilenden Sachverhalts zu verhelfen. Stellt man Kants Formel »Natur und mögliche Erfahrung ist ganz und gar einerlei«60 gebührend in Rechnung, dann ist auch die kognitions-anthropologische Tragweite verständlich, die dem Gefühl der entsprechenden Reflexionslust trotz eines unübersehbaren gattungsgeschichtlich bedingten Ausfallsphänomens zukommt: »Zwar spüren wir an der Faßlichkeit der Natur […] keine merkliche Lust mehr«.61 Denn es sind gerade die empirischen Erfahrungsurteile, in deren Medium die Natur schrittweise immer wieder von neuem in neuen Ausschnitten immer faßlicher wird. Doch dafür, daß die Menschen die Reflexionslust im Medium ihrer alltäglichen Erfahrung nicht mehr merklich spüren, ist eine Erklärung möglich, die das Ausfallsphänomen der Reflexionslust auf eine kognitionspsychologische Entwicklung im gattungsgeschichtlichen Maßstab zurückführt: »… aber sie [die Reflexionslust, R. E.] ist gewiß zu ihrer Zeit gewesen, und nur weil die gemeinste Erfahrung ohne sie nicht möglich sein würde, ist sie allmählich mit dem bloßen Erkenntnisse vermischt und nicht mehr besonders bemerkt worden«.62 Denn gerade die gemeinsten Erkenntnisse gehören der »Erfahrenheit langer Zeiten«63 an. Sie sind für die entsprechend lange erfahrenen Menschen so alltäglich und zur Gewohnheit geworden, daß »das Alltägige oder Gewohnte […] [die Aufmerksamkeit] aus[löscht]«.64 Erst die thematische Aufmerksamkeit der logischen und der transzendentalen Reflexion auf die verschiedenartigen, aber ›vermischten‹ Struktur- und Funktionskomponenten der ›bloßen‹ Erkenntnisse macht den Anteil wieder bewußt, den die Reflexionslust wenigstens ›zu ihrer Zeit‹ auch an ihnen genommen haben muß – also zu der Zeit, als die Natur bzw. einer ihrer charakteristischen Ausschnitte jeweils durch eines der Erfahrungsurteile zum ersten Mal ›gefaßt‹ worden ist, mithin durch einen »Zuwachs des empirischen Erkenntnisses, und … Fortschritt der Wahrnehmung«.65 Denn 60 IV, 320. 61 V, 187, Hervorhebungen R. E. 62 Ebd. 63 R 5645. 64 Ebd. 65 A 210, B 255.

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»Durch das Neue, wozu auch das Seltene und das verborgen Gehaltene gehört, wird die Aufmerksamkeit belebt. Denn es ist Erwerb«.66 Daß dieser ursprünglich belebende Anteil der Reflexionslust an den kognitiven ›Erwerbungen‹ durch Erfahrungsurteile im Laufe der Zeit immer weniger merklich geworden ist, ist selbstverständlich unmittelbar damit verträglich, daß neue Entdeckungen von bisher ›verborgen Gehaltenem‹ durch neue ›Erwerbungen‹ dieses Typs immer wieder von neuem genauso zum unmittelbaren Empfinden der Reflexionslust an ihnen führen wie bei früheren Gelegenheiten dieser Art. Denn »Weil die Selbstempfindung der letzte Beziehungsgrund von allen unseren Tätigkeiten ist, so bezieht sich alles auf das Gefühl«.67 Gewiß verweist dieses Gefühl der Reflexionslust im Fall der Erfahrungsurteile nicht darauf, daß das urteilende Subjekt sie der Disposition des »selbst eigene[n] Vermögen[s]«68 verdankt, das der Geschmack in der autonomen Gestalt der Urteilskraft69 ausschließlich zugunsten der reinen Geschmacksurteile bildet. Dennoch verweist auch das Gefühl der minderen, aber immerhin ›zuträglichsten‹ Reflexionslust, das an der Grenze zum Akt des Erfahrungsurteils ins Spiel kommt, auf einen Abkömmling dieser autonomen Gestalt der Urteilskraft. Denn angesichts der sonst durch nichts überwind­ 66 VII, 163. Das Emphatische dieses Erwerbs-Modus von Erkenntnissen ist auf die von Kant herausgearbeitete Spontaneität bzw. Selbsttätigkeit zurückzuführen, mit der Erkenntnisurteile als Urteile gebildet werden. Einen unmittelbar verwandten Modus dieser Spontaneität charakterisiert Kant als »Authentizität«, IX , 72*, Jäsches Hervorhebung, »der eigenen Erfahrung«, ebd., also den Charakter dessen, was wir »selbst erfahren«, S. 78. – Den formalen Handlungscharakter der Authentizität habe ich zuerst am Leitfaden der in logischer Hinsicht elementarsten kognitiven ›Erwerbungen‹ des deiktischen bzw. demonstrativen Urteils-Typs Dies [ist] [ein / e] F[-t] erörtert, um die innere Grenze für die erkenntnistheoretische Tragweite der Epistemischen Logik aufzuweisen. Denn was man spontan, also von selbst tut, daß tut man auch selbst, also in authentischer Form: vgl. hierzu vom Verf., Wahrheit und Entdeckung. Logische und erkenntnistheoretische Untersuchungen über Aussagen und Aussagenkontexte, Frankfurt / M., 1986, bes. S. 183–414. Daß mit dem Aufweis dieser Grenze für einen reinrassigen Epistemischen Logiker eine besonders neuralgische Grenze berührt ist, zeigen die unbeherrschten Abwehrreaktionen von Wolfgang Lenzen, Über Rainer Enskats ›Wahrheit und Entdeckung‹, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 15.3 (1990), S. 87–91; eine Verallgemeinerung des Authentizitäts-Format des Erwerbs von Erkenntnissen zeigt mein Nachweis, daß sich ein Ausweg aus den Aporien der Gettier-Tradition der Erkenntnistheorie finden läßt, indem man im Anschluß an Arbeiten von G. E. Moore, J. L. Austin, G. Ryle u. a. im nur authentisch brauchbaren Know-how des methodisch-technischen Erwerbs-Wissens die zentrale notwendige Bedingung des propositionalen Wissens, daß-p, sieht; vgl. hierzu vom Verf., Authentisches Wissen. Prolegomena zur Erkenntnistheorie in praktischer Hinsicht, Göttingen 2005. 67 R 711. 68 V, 232. 69 Zur Autonomie des Geschmacks als einer Gestalt der Urteilskraft vgl. V, 282: »Der Geschmack macht bloß auf Autonomie Anspruch«, sowie: »In Ansehung der Seelenvermögen überhaupt, sofern sie als obere, d. i. als solche, die eine Autonomie enthalten, betrachtet werden, [ist es] für das Gefühl der Lust und Unlust […] die Urteilskraft«, S. 196.

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baren Generalität der Schema-Kriterien, der jeweils gebrauchten Kategorien und der schwer durchschaubaren Konkurrenz zwischen riskantem Scharfsinn und wahrheitsträchtiger Sagazität gibt es mit seiner situationsabhängig individuellen Prägung jeweils den Ausschlag zugunsten jedes einzelnen dieser Urteilsakte. Dieses Gefühl ist durch seine situationsabhängige individuelle Prägung in einer ebenso irreduziblen wie unverzichtbaren Form mit dem jeweiligen Urteilsakt verbunden. In dieser Form bildet es das quasi-autonome emotionale Medium, in dem zumindest jeder Akt eines Erfahrungsurteils vollzogen wird, durch den etwas ›Neues, wozu auch das Seltene und das verborgen Gehaltene gehört,‹ zugänglich wird, ›denn es ist Erwerb‹. Eine Garantie von Wahrheit bzw. Erkenntnis geht zwar auch von ihm nicht aus. Doch ohne seinen finalen Anteil fehlte der Urteilskraft das einzige ›Zünglein an der Waage‹, an dem sie sich schließlich orientieren kann.

17.

Empirische versus transzendentale Wahrheit

Unauslotbar vielen und komplexen schema-kriteriellen Kunstgriffen im Medium der Erfahrungsurteile bleibt es in den prä-reflexiven ›Tiefen der menschlichen Seele‹ vorbehalten, Geheimnisse des Zusammenspiels von produktiver Einbildungskraft, zuträglicher Reflexionslust und Urteilskraft zu bleiben. Die Klärung der Faktizität dieses mit rationalen, transzendental-logischen Mitteln erfaßbaren Geheimnisses ist geeignet, den unvermeidlichen Aporien vorzubeugen, in die hyper-rationalistische Vorurteile über eine restlose Klärungsbedürftigkeit der internen kriteriellen Formate dieser Kunstgriffe geraten können.70 Kant hat sich durch seinen tiefenscharfen Blick für diese Zusammenhänge jedenfalls in nachvollziebarer Weise berechtigt gesehen, sich nicht um die Klärung von etwas zu bemühen, was »wir der Natur schwerlich jemals abraten, und … unverdeckt vor Augen legen werden«.71 Umso konzentrierter läßt sich am unmittelbaren Leitfaden der Kategorien jenes im weiten Vorgriff ins Auge gefaßte Desiderat einlösen, der Transzendentalen Logik im Rahmen ihrer Analytik zu einer »Logik der Wahrheit«72 zu verhelfen. Diese spezielle Logik antwortet auf die Frage, 70 Mai, Fundamentalphilosophie, hat am Leitfaden der Wissenschaftsphilosophie Michael Polanyis sowie im Rahmen von Fallerörterungen von Entdeckungen naturwissenschaftlicher Gesetze gezeigt, inwiefern an solchen Entdeckungen ein durch methodisch ›geübte Urteilskraft‹ kultiviertes (emotionales) Gespür der Entdecker beteiligt ist, aber gerade nicht ein für den instrumentellen Gebrauch verfügbarer, rational geklärter KriterienKatalog; vgl. z. B. bes. S. 38–41, im Ausgang von Einsteins Konzeption der Allgemeinen Relativitätstheorie, S. 44–46, im Ausgang von einem Experiment Charles Darwins, sowie S. 167–172, im Ausgang von Kopernikus’ Einstellung zum heliozentrischen System u. ä. 71 A 141, B 181. 72 A 62, B 87.

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Dimensionen der Urteilswahrheit

»wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können«73 und läßt sich als ein »Kanon des empirischen Gebrauchs«74 der reinen Verstandesbegriffe Punkt für Punkt in einem knappen Register entwerfen. Am Leitfaden dieser Wie-Frage formuliert dieses Register mit Blick auf jede Kategorien »die allgemeine Bedingung …, unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann«.75 Alle in diesem Register formulierten Bedingungen – die Schemata – eignen sich zu »allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen«,76 die jene »Kriterien der Wahrheit77 bilden, denen »[…] keine Erkenntnis widersprechen [kann], ohne daß sie zugleich allen Inhalt verlöre, d. i. alle Beziehung auf ein Objekt, mithin alle Wahrheit«.78 Auch diese spezifisch transzendental-logische Wahrheits-Kriteriologie ist stillschweigend an einer Auffassung vom Status und der Rolle von Wahrheitskriterien orientiert, wie sie noch vor aller Transzendental-Philosophie in der nur allzu alltäglichen Auffassung von diesem Status und dieser Rolle beheimatet ist: Sätze, Aussagen, Urteile, Propositionen und andere wahrheitsdifferente Kandidaten, die mit einem Wahrheitsanspruch verbunden werden können und unterschiedliche 73 74 75 76

A 138, B 177, Kants Hervorhebungen. A 63, B 88. A 140, B 179. A 136, B 177. Für die Einschätzung der Tragfähigkeit dieser Charakterisierung ist die plurale Grammatik von entscheidender Wichtigkeit: Nur wenn man sie sorgfältig beachtet, wird der zentrale Unterschied klar, durch den sich »das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit«, A 58, B 82, Hervorhebung R. E., in seiner aporieträchtigen Einzigkeit, vgl. A 57, B 82–A 59, B 83, von den vielen allgemeinen und hinreichenden kriteriellen Kennzeichen unterscheidet, die in Gestalt der Schemata die konstruktive, spezifisch transzendental-logische Lösung des Kriterien-Problems der Wahrheit vorbereiten. So treffsicher Prauss, Wahrheitsproblem, Kants kriteriologischen Ansatz beim Wahrheitsproblem auch herausgearbeitet hat, vgl. oben S. 127, Anm. 426, so ist ihm doch die Sicht auf dieses Kernstück des konstruktiven Beitrag zum Kriterien-Problem verschlossen geblieben. 77 A 59, B 83. 78 A 62, B 87. Kants Berufung auf das Widerspruchs-Kriterium bildet in diesem speziellen Zusammenhang nur allzu offensichtlich eine hochabstrakte Abbreviatur eines nicht ganz unkomplizierten Arguments. Denn wie kann eine Erkenntnis, also eine objektiv-gültige Erkenntnis, also ein objektiv-gültiges Erfahrungsurteil mit einer transzendentalen Wahrheit – also z. B. mit der Kausalitäts-Analogie – überhaupt in einem Widerspruch stehen? In strikt formaler Hinsicht, müßte es die Form einer Negation dieser Analogie bilden. Doch das wäre nur allzu offensichtlich eine in jeder Hinsicht absurde Auffassung. Denn die Negation eines Erfahrungsurteils bringt ganz einfach die ganz und gar harmlose Verwerfung eben dieses Urteils als eines objektiv-gültigen Urteils zum Ausdruck. Wenn es im Rahmen des behaupteten Widerspruchs andererseits ›allen Inhalt verlöre, d. i. alle Beziehung auf ein Objekt, mithin alle Wahrheit‹, dann bedeutete dies im Rahmen der von Kant ausdrücklich zur Verfügung gestellten Kriterien, daß es im günstigsten Fall auf das Format eines bloß subjektiv-gültigen Wahrnehmungsurteils zurückfallen würde. Denn sein charakteristischer, vom Inhalt des entsprechenden Wahrnehmungsurteil unterschiedener ›Inhalt‹ wird gerade von seiner kategorialen Form, z. B. von der kausal-kategorialen Form des weil …, deshalb muß … gebildet.

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semantische Gehalte haben, können mit Blick auf ihre definitive Wahrheit bzw. Falschheit auch nur mit unterschiedlichen Kriterien beurteilt werden. Um beurteilen zu können, ob z. B. ein Pilz giftig ist oder nicht, bedarf es ebenso spezifisch angemessener Kriterien wie um zu beurteilen, ob eine Beerenfrucht giftig ist oder nicht – und diese Kriterien machen wiederum im Laufe des geschicht­ lichen ›Zuwachses des empirischen Erkenntnisses und des Fortschritts der Wahrnehmungen‹ ihrerseits mehr oder weniger gravierende Wandlungen durch, und zwar sowohl in der Dimension der ›gemeinsten Erkenntnisse‹ der alltäglichen Erfahrung wie in der Dimension der wissenschaftlichen Erfahrung. Allerdings macht die transzendentale Schemata-Kriteriologie der Wahrheit in den wenigen Jahren von Kants Werkstatt-Arbeit von der ersten zur zweiten Auflage der Ersten Kritik selbst einen gravierenden, wenngleich konstruktiven Funktionswandel durch. Denn auch dieser Wandel ist durch die Entdeckung der strukturellen Unterschiede und der funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrhnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen bedingt. In der ersten Auflage steht diese Kriteriologie noch ganz ausschließlich im Dienst der Aufgabe zu zeigen, wie sie »die transzendentale Wahrheit, die vor aller empirischen vorhergeht, … möglich macht«.79 Doch mit der Entdeckung des gravierenden kognitiven und logischen Unterschieds zwischen den beiden empirischen Urteilstypen wird nicht mehr nur die transzendentale Wahrheit der synthetischen Urteile apriori, sondern auch die empirische Wahrheit der Erfahrungsurteile von der kriteriologischen Tragweite der Schemata unmittelbar erfaßt. Kants unscheinbarer buchtechnischer Hinweis in den Prolegomena, IV, 305*, daß die Transformation eines Wahrnehmungsurteils in ein entsprechendes Erfahrungsurteil nur mit Hilfe der Schematismus-Konzeption zu verstehen sei, bildet die entscheidende Zäsur auch in der Werkattgeschichte der Wahrheits-Kriteriologie dieser Konzeption.80 Welche subtile Tragweite diese Zäsur mit sich bringt, läßt sich an Kants Formulierung studieren, gemäß der die ›transzendentale Wahrheit aller empirischen vorhergeht‹. Denn im Licht der Prolegomena-Zäsur kann sie zunächst die verwunderte Frage provozieren, wie die transzendentale Wahrheit aller empirischen Wahrheit vorhergehen kann, wenn wir doch seit urgeschichtlichen Zeiten über unzählige empirische Wahrheiten bzw. Wahrheitskandidaten in Form der entsprechenden alltäglichen Erfahrungsurteile verfügen, ohne über eine einzige Formulierung und einen einzigen Beweis der von Kant zuerst formulierten und mit Beweisen versehenen transzendentalen Wahrheiten zu verfügen. Dabei ist die Frage, ob die von Kant in Anspruch genommenen und mit Beweisen versehenen transzendentalen Wahrheiten auch in einem nachvollziehbaren Sinn Wahrheiten sind, noch gar nicht in befriedigender Form abschließend beantwortet. 79 A 146, B 185, Hervorhebung R. E.; vgl. auch A 124–125. 80 Vgl. hierzu schon ausführlicher oben 14.4. Ab. im ganzen.

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Dimensionen der Urteilswahrheit

Indessen ist der Gedanke, daß die transzendentale Wahrheit aller empirischen Wahrheit vorhergeht, vorzüglich geeignet, das Gespür für den strukturellen Unterschied zu schärfen, der zwischen den pragmatischen Einstellungen der Menschen zu diesen beiden Sorten von Wahrheit besteht. Die eine Form dieser beiden pragmatischen Einstellungen thematisiert Kant immer wieder einmal, jedoch ohne sich ihrer selbst und als solcher durch eine direkte reflexive und analytische Erörterung anzunehmen. Umso bemerkenswerter ist es, daß jedenfalls ihre thematische Formulierung an den prominentesten Knotenpunkten seiner Theorie ansetzt. Indem in der Transzendentalen Analytik mit dem Abschnitt Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt81 der systematische Anfang gemacht wird, wird der pragmatische Aspekt des Gebrauchs von Anfang an als der Aspekt berücksichtigt, der sogar die Behandlung der »logischen Funktion des Verstandes in Urteilen«82 bzw. der »logische[n] Funktionen in allen möglichen Urteilen«83 leitet. Denn indem wir vom Verstand den logischen Gebrauch machen, machen wir von den ›logischen Funktionen in allen möglichen Urteilen‹ Gebrauch. Doch indem jemand urteilt, kann er wiederum »Von Begriffen … keinen anderen Gebrauch machen, als daß er dadurch urteilt«.84 An diesen noch ganz prä-transzendentalen und traditionellen Gebrauchsaspekt der Urteils-Logik85 knüpft Kant an, indem er mit Blick auf die elementarsten seiner ganz und gar nicht-traditionellen Untersuchungsergebnisse – also mit Blick auf die reinen Verstandesbegriffe bzw. Kategorien – schon in der ersten Auflage zu bedenken gibt, daß »diese reinen Verstandesbegriffe von bloß empirischem … Gebrauche sind«.86 Sieht man von der Vernachlässigung des gerade in diesem Kontext eigentlich vorbereiteten Nachweises der Möglichkeit des reinen Gebrauchs der Kategorien (in synthetischen Urteilen apriori) ab, dann dokumentiert Kant hier ganz unintendiert den vorläufigen, aber außerordentlich wichtigen defizitären status quaestionis, noch nicht zu durchschauen, in welchen noch ganz und gar prä-transzendentalen Formen die Menschen seit urgeschichtlichen Zeiten von den Kategorien Gebrauch machen. Eben diese geradezu allzu alltäg81 82 83 84 85

A 67, B 92–A 69, B 94. A 70, B 95. A 79, B 105. A 68, B 93. Ein gutes Beispiel für die pragmatische Tradition, an die Kant hier anknüpft, bietet Christian Wolff, Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkenntnis der Wahrheit (17131), Herausgegeben und bearbeitet von Hans Werner Arndt, Hildesheim / New York 1978. Im 2. Capitel. Von dem Gebrauche der Wörter betont er zunächst § 3., daß »[…] mit einem jeden Wort ein gewisser Begriff verknüpft werden [muß]«, und ergänzt diese Bedingung im 3. Kapitel. Von den Sätzen § 2. durch die Bedingung, daß, »wenn wir urtheilen, […] wir zwey Begriffe miteinander [verknüpfen]«. Beide Bedingungen zusammen implizieren, daß wir urteilen, indem wir Worte und die mit ihnen verknüpften Begriffe gebrauchen. 86 A 139, B 178.

Empirische versus transzendentale Wahrheit

249

liche Gebrauchsform entdeckt er mit dem in den Prolegomena zum ersten Mal berücksichtigten und sorgfältig geklärten typologischen Unterschied zwischen den Wahrnehmungs- und den Erfahrungsurteilen: Die Erfahrungsurteile bilden die genuinen Formen des empirischen Gebrauchs der Kategorien. In welchem mikro-analytischen Maß Kant diesen Gebrauchsaspekt auch noch darüber hinaus fruchtbar macht, zeigt der unscheinbare buchtechnische Hinweis, mit dem er in diesem Kontext (vgl. IV, 305*) zu verstehen gibt, daß man den Schritt von Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen zu einem dazu passenden Erfahrungsurteil nur machen kann, wenn man von den dafür relevanten SchemaKriterien ihres wahrheitsfähigen Gebrauchs Gebrauch macht. Sogar der ›höchste Punkt‹ ist in diese pragmatische Orientierung eingeschlossen, und zwar sogar im eminenten Sinne. Denn der Akt, durch den die Menschen »die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt«87 vollziehen, »ist ein Aktus der Spontaneität« auch dann, wenn »wir … uns ihrer (der Spontaneitat der Verbindung, R. E.) [nicht] bewußt … werden […]«.88 Doch indem wir diesen spontanen Akt der Verbindung von Elementen eines Mannigfaltigen vollziehen, machen wir spontan von der »reine[n] … oder auch ursprüngliche[n] Apperzeption«89 Gebrauch. Denn sie wiederum »[enthält] den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche […]«.90 Wie sich zeigt, bildet der Gebrauchsaspekt an jedem systematischen Knoten­ punkt von Kants Theorie der Erfahrung einen der zentralen pragmatischen Leitaspekte. Doch es ist die mit diesem Gebrauchsaspekt verbundene Spontaneität, von der nicht nur abhängt, daß die Menschen seit urgeschichtlichen Zeiten und also noch lange vor aller transzendental-logischen Reflexion und Analyse von den reinen Verstandesbegriffen bzw. Kategorien im Vollzug von (empirischen) Erfahrungsurteilen einen emprischen Gebrauch machen können und auch tatsächlich Gebrauch machen. Die mit diesem Gebrauchsaspekt verbundene Spontaneität erklärt außerdem auch, warum sie von ihnen ohne diese strikte Form der thematischen Reflexion und Analyse einen empirischen Gebrauch machen können und auch tatsächlich Gebrauch machen. Unter dem Gebrauchsaspekt zeigt sich vor allem mit Blick auf die Katego­rien eine pragmatische Form von deren Dienlichkeit und geradezu alltäglichen Indienstnahme durch urteils- und erkenntnisbeflissene Subjekte, die sich mit Hilfe einer Hermeneutik-Analogie pointiert als eine Transzendentale Hermeneutik charakterisieren läßt: »Sie dienen gleichsam nur, Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können«.91 So wird beispielsweise die Beleuch87 88 89 90 91

B 129. B 130, Kants Hervorhebung. B 132. B 131. IV, 312.

250

Dimensionen der Urteilswahrheit

tung eines Steines durch die Sonne, wenn auf diese Beleuchtung regelmäßig die Erwärmung des Steines folgt, mit Hilfe des schematischen Kausalitäts-Kriteriums als Ursache und die Erwärmung des Steines als Wirkung ›buchstabiert‹, um den temporalen Zusammenhang zwischen den beiden regelmäßig wahr­ genommenen Erscheinungen mit Hilfe eines kausal-thematischen weil …, darum muß …-Erfahrungsurteils als wirklichen Beitrag zu der möglichen Erfahrung zu ›lesen‹. Die Kausalitäts-Analogie faßt mit unüberbietbarer Pointiertheit zusammen, daß und inwiefern die Menschen die ihnen zugänglichen Erscheinungen von alters her in der Rolle von prä-transzendentalen Hermeneuten spontan durch den Gebrauch der Kategorien ›buchstabieren‹, um sie als wirkliche Beiträge zu der ihnen mög­lichen Erfahrung ebenso spontan zu ›lesen‹  – ohne jedoch im mindesten über eine transzendentale Logik zu verfügen. Gemeinsam mit dem Gebrauchs-Aspekt, aber doch in einer subtil andersartigen pragmatischen Einstellung rekurrieren die Menschen ebenso spontan auf ein anderes Repertoir von Elementen, das erst die planmäßige transzendentallogische Reflexion und Analyse ausdrücklich auf Begriffe bringt. Diese Einstellung zeigt ihre innere Verwandtschaft mit der Einstellung, die die Menschen unter dem Gebrauchaspekt ausüben, dadurch, daß sie gleichsam die stille Begleiterin der spontanen logischen, kategorialen und kriteriellen Gebrauchformen bildet, die immer wieder von neuem in den unzähligen schon wirklich gewonnenen Erfahrungsurteilen zutage treten. Denn indem die Menschen diese Gebrauchsformen immer wieder von neuem spontan ausüben, bekunden sie ein stillschweigendes beständiges Vertrauen auf die transzendentale Wahrheit der Grundsätze, ›die aller empirischen Wahrheit vorhergehen‹  – z. B. auf die transzendentale Wahrheit des Grundsatzes »Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt«.92 Andernfalls würden wir nicht immer wieder von neuem und immer wieder mit Erfolg die passenden logischen, kategorialen und kriteriellen Gebrauchsformen spontan ausüben und z. B. kausal-thematische Erfahrungsurteile durch Transformationen aus passenden Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen gewinnen und bewähren. Die transzendentale Wahrheit geht der empirischen Wahrheit also in dem Sinne ›vorher‹, daß wir im beständig erprobten und bewährten empirischen Gebrauch der logischen Funktionen, der Kategorien und der Schema-Kriterien stillschweigend voraussetzen, daß wir uns auf die transzendentale Wahrheit der diesen Gebrauch leitenden Grundsätze verlassen können.

92 A 189.

 Die kriterielle und die ›critische‹ Rolle der  Schemata

251

18. Die kriterielle und die ›critische‹ Rolle der Schemata Der unthematische alltägliche und empirische Gebrauch der Urteilsfunktionen, der Kategorien und der Schema-Kriterien ist nicht darauf angewiesen, mit Mitteln der transzendentalen Reflexion und Analyse eindringlich und ausführlich thematisiert zu werden. Dieser unthematische Gebrauch hat sich in der ›Erfahrenheit langer Zeiten‹ in einem Maß bewährt, das eine solche Reflexion und Analyse überflüssig erscheinen läßt. Die komplexen thematisierenden und analysierenden Untersuchungen dieser Elemente, die zum normalen ­transzendental-logischen Geschäft gehören, sollten daher auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß »wir … durch diese kritische Untersuchung nichts Mehreres lernen, als was wir im bloß empirischen Gebrauche des Verstandes, auch ohne so subtile Nachforschung, von selbst wohl würden ausgeübt haben«.93 Dies ist offensichtlich ein mehr als nur ahnungsvoller Vorgriff auf die Tragweite, die die urteils-analytische Entdeckung der Prolegomena für die Einsicht mitbringt, daß es der alltägliche, von Schema-Kriterien geleitete Gebrauch von Kategorien in wahrnehmungsgestützten Erfahrungsurteilen ist, ›was wir im bloß empirischen Gebrauche des Verstandes, auch ohne so subtile Nachforschung, von selbst wohl würden ausgeübt haben‹. Doch erst den unablässigen transzendental-logischen Untersuchungen jenseits der Grenzen, die diesen äußerst fruchtbaren spontanen Gebrauchsformen des Verstandes gezogen sind, eröffnet sich deren wahre Tragweite: »Allein es gibt doch einen Vorteil, der auch dem schwierigsten und unlustigsten Lehrlinge solcher transzendentalen Nachforschung begreiflich, und zugleich angelegen gemacht werden kann, nämlich diesen: daß der bloß mit seinem empirischen Gebrauche beschäftigte Verstand, der über die Quellen seiner eigenen Erkenntnis nicht nachsinnt, zwar sehr gut fortkommen, eines aber gar nicht leisten könne, nämlich, sich selbst die Grenzen seines Gebrauchs zu bestimmen, und zu wissen, was innerhalb oder außerhalb seiner ganzen Sphäre liegen mag«.94 Es ist also vor allem der ›critische‹ Charakter dieser Untersuchungen, um dessen willen sich die mit ihnen verbundenen Bemühungen auch schon im status quaestionis der ersten Auflage der Ersten Kritik vor allem lohnen. Dennoch hat dieser ›critische‹ Charakter durch die Klärung der strukturellen Unterschiede und der funktionalen Zusammenhänge zwischen den Wahrnehmungs- und den Erfahrungsurteilen in den Prolegomena gerade auch mit Blick auf den Schematismus eine neue Zuspitzung gewonnen. Denn durch die buchtechnische Stellung, die für den Schematismus zwischen der Trans­ zendentalen Deduktion der einen Verstandesbegriffe und der Transzendentalen

93 A 237, B 296. 94 A 237, B 297.

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Dimensionen der Urteilswahrheit

Doktrin der Urteilskraft reserviert ist, wird ihm in der ersten Auflage eine einzig­artige Aufgabe zugedacht. Er soll »in allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen darlegen«,95 wie »die Schemate der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren«.96 Die unmittelbare Rolle dieser kriteriologischen Aufgabe dient in diesem ersten status quaestionis noch ausschließlich der letzten systematischen Vorbereitung auf die Arbeit an dem Ziel, »die Urteile, die der Verstand unter dieser kritischen Vorsicht wirklich a priori zustande bringt, in systematischer Verbindung darzustellen«.97 Es ist indessen die Ausschließlichkeit dieser Aufgabenstellung, die ebenfalls durch die urteils-analytische Entdeckung der Prolegomena durchkreuzt wird. Die Tragweite dieser Entdeckung zeigt sich am prägnantesten in dem Umstand, daß der Schematismus vor dieser Entdeckung ausschließlich im Dienst der Aufgabe stand, die Einsicht in die »transzendentale Wahrheit«98 der Urteile zuwege zu bringen, ›die der Verstand unter dieser kritischen Vorsicht wirklich a priori zustande bringt‹. Erst nach dieser Entdeckung war den transzendental-logischen Untersuchungen die Möglichkeit eröffnet, der empirischen Wahrheit systematisch gerecht zu werden, die im Licht von unaufhörlich neuen Wahrnehmungen und neuen Wahrnehmungsurteile immer wieder von neuem durch den empirischen, wahrnehmungsgestützten Gebrauch der Kategorien in Erfahrungsurteilen gewonnen werden kann. Eben diese Möglichkeit verdanken diese Untersuchungen der Einsicht, daß die Kriterien des Schematismus ›die allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen auch dafür darlegen‹, wie man beurteilen kann, ob gegebene Wahrnehmungen und und schon gewonnenene Wahrnehmungsurteile mit Hilfe geeigneter Kategorien in empirisch wahre Erfahrungsurteile transformiert werden können. Zwar stehen diese Kennzeichen gerade im Rahmen des alltäglichen empirischen Gebrauchs der Kategorien genauso wenig in der gegenständlichen Form von thematischen instrumentellen Orientierungshilfen zur Verfügung wie die Kategorien selbst, über deren Gebrauchstauglichkeit sie orientieren. Doch sie melden sich seit urgeschichtlichen Zeiten in der verläßlichen Form jener ›in den Tiefen der menschlichen Seele verborgenen Kunstgriffe‹, denen die Menschen ›in langer Erfahrenheit‹ den immensen Fundus der Erfahrungsurteile verdanken, die ihnen auch zu ihrer technischen und pragmatischen Weltorientierung verhelfen. Dennoch ist das kriteriologische Register der Schemata (vgl. A 142, B 182A 145, B 184) nicht nur einfach unabhängig von den Tragweiten, die diese urteilsanalytische Entdeckung für die Umorientierung vor allem der Transzendentalen Deduktion in ihrer gründlich revidierten zweiten Fassung mit sich bringt. Den Erfolg, die Schema-Kriterien für den Gebrauch der Kategorien in wahrheits­ 95 96 97 98

A 136, B 175. A 147, B 185–186. A 148, B 187. A 222, B 269.

 Die kriterielle und die ›critische‹ Rolle der  Schemata

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fähigen synthetischen Urteilen apriori nicht nur ›unverdeckt vor Augen zu legen‹, sondern auch vollständig, verdankt die transzendentale Reflexion und Analyse alleine den Anstrengungen während Kants ›stummem Jahrzehnt‹. Aus der Arbeit dieses Jahrzehnts ist mit Blick auf das kriteriologische Register der Schemata indessen die Einsicht nicht nur in deren Tauglichkeit hervorgegangen, »in allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen dar[zu]legen«,99 wie »die Schemate der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren«.100 Weit darüber hinaus geht die ebenfalls schon im ›stummen Jahrzehnt‹ gewonnene und im emphatischen Sinne ›critische‹ Einsicht: Es sind dieselben durch diese SchemaKriterien formulierten ›allgemeinen, aber hinreichenden Kennzeichen‹, die den Gebrauch der Kategorien »gleichwohl auch restringieren, d. i. auf Bedingungen einschränken, die außer dem Verstande liegen (nämlich in der Sinnlichkeit)«.101 Die Tragweite dieser restriktiven Funktion der Schema-Kriterien zeigt sich mit der Einsicht, daß deren Vernachlässigung die un-›critische‹ Verführung wachruft, von den Kategorien einen »bloß transzendentalen Gebrauch[…]«102 zu machen. Die Mißachtung dieser Restriktion verführt dann zu einem Gebrauch der Kategorien in »irgendeinem synthetischen und vermeintlich transzendentalen Grundsatze, als: alles, was da ist, existiert als Substanz, oder …: alles Zufällige existiert als Wirkung eines anderen Dinges, nämlich seiner Ursache, usw.«.103 Doch solche Sätze sind es, die den Kern dessen ausmachen, was in der von Kant kritisierten überlieferten Philosophie unter »de[m] stolze[n] Name[n] einer Ontologie« zu bedenken gegeben worden ist, »welche sich anmaßte, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben«.104 Indessen ist jedes solche ›Ding überhaupt‹ unter den Voraussetzungen dieser Ontologie nichts als ein »Etwas, d. i. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand«, woraus »[…] nun der Begriff von einem Noumenon [entspringt], der aber gar nicht positiv ist, und eine bestimmte Erkenntnis von irgendeinem Dinge, sondern nur das Denken von etwas überhaupt bedeutet, in welchem ich von aller Form der sinnlichen Anschauung abstrahiere«.105 Doch von der von Kant hier ›critisch‹ ins Auge gefaßten Ontologie läßt sich gar nicht ohne Vorbehalt sagen, daß sie über ›Dinge überhaupt‹ sowie über deren Existenz und Existenzformen Behauptungen aufstellen würde, indem sie ›von aller Form der sinnlichen Anschauung abstrahiert‹. Denn ihr steht der »durch die transz. Ästhetik eingeschränkte Begriff der Erscheinungen«106 im Gegensatz zu Kants Theorie gar 99 100 101 102 103 104 105 106

A 136, B 175. A 146, B 185–186. A 147, B 185–186. A 258, B 314. A 259, B 314; vgl. auch B 288–289. A 247, B 303. A 252. A 249.

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Dimensionen der Urteilswahrheit

nicht zur Verfügung. Daher traut sich diese Ontologie ohne die entsprechende ›critische‹ Selbstkontrolle zu, einen von keinen solchen Bedingungen restringierten Gebrauch solcher Begriffe zu machen, und meint irrigerweise, dadurch ›synthetische Erkenntnisse‹ über die Existenz und die Existenzformen von ›Dingen überhaupt‹ zu gewinnen und zu formulieren, die unter die so gebrauchten Begriffe zu fallen scheinen. Sie verkennt gründlich, »daß wir die Möglichkeit keines Dinges nach der bloßen Kategorie einsehen können, sondern immer eine Anschauung bei der Hand haben müssen, um an derselben die objektive Realität des reinen Verstandesbegriffs darzulegen ».107 Denn »Eben daher kommt es auch, daß aus bloßen Kategorien kein synthetischer Satz gemacht werden kann«.108 Die im engsten und strengsten Sinne ›critische‹ Möglichkeit, den entsprechenden Versuchungen der traditionellen Ontologie nicht nur vorzubeugen, sondern die Insuffizienzen ihres kriterienlosen, transzendentalen Gebrauchs der Kategorien konstruktiv zu überwinden, eröffnen daher die Schema-Kriterien. Denn »die Lehre vom Schematismus [enthält] die Lösung auf die Frage, wie sind synthetische Urteile a priori möglich […]«.109 Die kriterielle und die ›critische‹ Funktion der Schemata gehen daher an dieser Schlüsselstelle von Kants Theorie der Erfahrung unmittelbar Hand in Hand.110

107 B 288. 108 B 289. 109 Klaus Reich, Kritik der reinen Vernunft. Marburger Vorlesung vom WS 1965–1966. Maschinenschriftliche Reinschrift einer stenographischen Mitschrift von Petra Matusche M. A., 245 S., hier: S. 231. Die kleine sprachliche Mißbildung Lösung auf die Frage ist nur allzu offensichtlich auf eine der üblichen Fehlleistungen zurückzuführen, wie sie eben auch Reich im Zuge einer in freier Rede gehaltenen Vorlesung unterlaufen und in einer sorgfältigen stenographischen Mitschrift dokumentiert werden. Reichs glanzvollsouveräner Rekonstruktion von Kants mikro-analytischer Werkstatt-Arbeit an den Fragen und Problemen sowie an den Antworten bzw. Lösungen der Kritik der reinen Vernunft – nicht des gleichnamigen Buchs! – verdanke ich jedenfalls eine durch nichts zu ersetzende Initiation in die Kant-Forschung, auch wenn meine hier dokumentierten Untersuchungen von seinen aufschlußreichen werkstattgeschichtlichen Mikro-Analysen kaum noch etwas direkt erkennen lassen. 110 Ich sehe hier von den Fragen ab, die sich ergeben, wenn man die Möglichkeit erwägt, daß der Begriff des Noumenon »[…] doch immer noch … (vielleicht [zu] dem praktischen) Behufe einer Bestimmung seiner Anwendung … fähig sein [konnte]«, V, 54.

 Gebrauch der Kategorien mit Hilfe der Schemata  

19.

255

Warum und wie der reine Gebrauch der Kategorien mit Hilfe der Schemata zu beweisbaren synthetischen Urteilen apriori über die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände führt

Im Gegensatz zum alltäglichen unthematischen und empirischen Gebrauch der Urteilsfunktionen, der Kategorien und der Schema-Kriterien ist die reine Form ihres Gebrauchs in synthetischen Urteilen apriori auf eine planmäßige transzendental-logische Reflexion und Analyse angewiesen. Im alltäglichen kognitiven Haushalt der Menschen ist durch den unthematischen empirischen Gebrauch der Kategorien seit urgeschichtlichen Zeiten ein unüberschaubarer Fundus von auch technisch und praktisch immer wieder von neuem bewährten Erfahrungsurteilen angewachsen. Diese werden in sprachlichen Formulierungen zum Ausdruck gebracht, die in den unterschiedlichsten Sprachen in den unterschiedlichsten idiomatischen Formen mehr oder weniger krude die jeweils gebrauchten Kategorien thematisieren – z. B. in den von Kant berücksichtigten Formen zweistelliger Kausal-Prädikate wie … erwärmt …, … weicht … auf, … härtet …, aber auch in der von ihm berücksichtigten syntaktisch-propositionalen Form der weil …, deshalb muß …-Grammatik. Doch alles das gehört zu dem, »was wir im bloß empirischen Gebrauche des Verstandes, auch ohne so subtile Nachforschung, von selbst wohl würden ausgeübt haben«.111 Anders steht es, um nur das prominenteste Beispiel zu berücksichtigen, mit dem, was in den empirisch orientierten Erörterungen vor allem von Physikern unter dem Namen eines Kausalitätsprinzip ausdrücklich zur Sprache gebracht wird. Ohne hier auf die variierenden Formulierungen des Prinzips dieses Namens einzugehen, ist für den Vergleich mit Kants Auffassung ausschlaggebend, daß das Prinzip dieses Namens von den Physikern im Gegensatz zu Kants Theorie nicht als ein beweisbarer Satz aufgefaßt wird, sondern als »methodischer Grundsatz«,112 als »claim of causality in ordinary physics«, als »usual demand for causality«113 oder als »ein heuristisches Prinzip, ein Wegweiser«.114 Damit wird dem Gebrauch des Prinzips dieses Namens für die Arbeit der Physik dieselbe Funktion methodischer Fruchtbarkeit zugeschrieben und zugetraut, die Hume dem Gebrauch des Kausal-Begriffs zugeschrieben und zugetraut hat.115 Der Ge111 A 237, B 296. 112 Hermann Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft (19281), München 19663, S. 246. 113 Niels Bohr, The Quantum of Action and the Description of Nature (19291), in: ders., Atomic Theory and the Description of Nature, Cambridge 1961, S. 105 bzw. 107. 114 Max Planck, Die Kausalität in der Natur (19321), in: ders., Vorträge und Erinnerungen, Darmstadt 1973, S. 268. 115 Vgl. zu diesem Fragenkreis auch schon Erster Teil, 3. Ab., bes. S. 57–60.

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Dimensionen der Urteilswahrheit

danke der Beweisbarkeit eines wie auch immer zu formulierenden Kausalitäts­ prinzips liegt nicht nur in der Physik  – und angesichts ihrer empiristischen Grundorientierung ja auch zu Recht  – in der geradezu unerreichbaren Ferne jenseits dieses Horizonts.116 Die Erörterungen der Schema-Kriterien sind angesichts der primären syste­ matischen Orientierung der Ersten Kritik an den Formulierungs- und den Beweismöglickeiten synthetischer Urteile apriori auf die Sicherung einer einzigen Möglichkeit festgelegt. Sie sollen zeigen, »daß reine Begriffe  a priori, außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter welcher die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann«.117 Die Bedeutsamkeit der Allgemeinheit, mit der ›namentlich der innere Sinn‹ bzw. die formale temporale Bedingung der Sinnlichkeit dafür in Anspruch genommen werden kann, daß ›die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann‹, läßt sich besonders kontrastreich erhellen, wenn man sich an der einzelnen An­ wendung orientiert, die man von einer Kategorie in einem exemplarischen Erfahrungsurteil machen kann. Denn jedes exemplarische Erfahrungsurteil ist eben auch ein Repräsentant nur einer solchen einzelnen Anwendung. Es wirft aber von sich aus nicht das geringste Licht auf die Antwort auf die Frage, ob man von der verwendeten Kategorie ganz allgemein in solchen Urteilen Gebrauch machen kann. Doch gerade wegen dieser aus methodologischen Gründen unvermeidlich mangelnden allgemeinen Tragweite des empirischen und schema-kriteriengeleiteten Einzelfall-Gebrauchs der Kategorien in Erfahrungsurteilen wird die Frage unmittelbar wichtig, ob es möglich ist, zu wohlbegründbaren oder sogar zu beweisbaren Urteilen über den allgemein möglichen Gebrauch von Kategorien in solchen Urteilen zu gelangen.

116 In seiner Auseinandersetzung mit dem Substanz-Prinzip in Kants Erster Kritik spricht Carl Friedrich von Weizsäcker, Kants »Erste Analogie der Erfahrung« und die Erhaltungssätze der Physik, in: H. Delius u. G.  Patzig (Hg.), Argumentationen. Festschrift für Josef König, Göttingen 1964, S. 256–75, die Distanz des heutigen Physiker zu Kants Beweisversuch zwar vorsichtig, aber mit erfrischender Unverblümtheit aus: »Auf diesem Weg kann ihm der heutige Physiker nicht ohne weiteres folgen«, S. 274. Allerdings macht von Weizsäcker dieses Unvermögen des heutigen Physikers von der irrigen Meinung abhängig, daß Kants historischer Respekt für die zeitgenössische physikalische Charakterisierung »des Parameters ›Masse‹ als ›Materiemenge‹«, die heute »keinen unmittelbaren Sinn mehr gibt«, ebd., für seinen Beweisversuch auch nur die geringste Bedeutsamkeit besitzen würde. Peter Mittelstaedt, Philosophische Probleme der modernen Physik, Mannheim 1966, hält die von Kant in der Ersten Analogie charakterisierte Substanz und deren Akzidenzen irrtümlich für »Alle Eigenschaften eines Dinges«, S. 140, Hervor­ hebung R. E.; vgl. hierzu auch unten S. 281, Anm. 132, 283, Anm. 134. 117 A 139, B 178–179, Hevorhebungen R. E.

 Gebrauch der Kategorien mit Hilfe der Schemata  

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Daher ist die ausgereifte und prägnanteste Charakterisierung dieser allgemeinen Tragweite wohl auch erst im Rückblick auf die tatsächlich erarbeiteten Formulierungen und Beweise dieser gesuchten Urteile möglich: Sie »[sind] nicht allein a priori wahr […], sondern sogar der Quell aller Wahrheit, d. i. der Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten, dadurch, daß sie den Grund der Möglichkeit der Erfahrung, als des Inbegriffs aller Erkenntnis, darin uns Objekte gegeben werden, in sich enthalten«,118 »nämlich wie sie als Gegenstände der Erfahrung, im durchgängigen Zusammenhange der Erscheinungen müssen vorgestellt werden«.119 Daher ist die transzendentale Wahrheit der synthetischen Urteile apriori gerade in ihrer metaphorischen ›Quell‹-Funktion »keine absolute Wahrheit«, sondern »relativ auf den kontinuierlichen Fortschritt der Erfahrung, relativ auf den erweiterten Prozeß der Erfahrung«.120 Er ist es, der immer wieder von neuem »Alle[n] Zuwachs des empirischen Erkenntnisses, und jede[n] Fortschritt der Wahrnehmung«,121 also jeden neuen Gewinn eines neuen Erfahrungsurteils bzw. synthetischen Urteils aposteriori ausmacht.122 118 A 237, B 296, Hervorhebungen R. E.; zur Struktur der Übereinstimmung der Erkenntnis mit gegebenen Objekten vgl. oben 14.5. Ab. 119 A 258, B 313–314, Hervorhebung R. E. 120 Reich, Kritik, S. 238. Daß die transzendentale Wahrheit keine absolute Wahrheit ist, bedeutet auch, daß sie »keine innere … Wahrheit«, S. 234, 238, hat. – Paton, Experience II, stimmt mit Reichs Einschätzung in einer weniger zugespitzten Form überein. Kants Satz »ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung«, A 158, B 197, vgl. Patons Übersetzung S. 94, nimmt er zum Ausgangspunkt für zwei wichtge Bemerkungen: »This formula expresses Kant’s supreme principle from the side of the object« und »It should now be clear that this formula applies to synthetic a posteriori judgements«, S. 94, P.’s Hervorhebung. Damit gibt er ähnlich  – wenngleich nicht mit derselben systematischen Zuspitzung wie Reich – zu verstehen, daß das höchste Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung sich nicht in der Prinzipienfunktion für die anschließend erörterten synthetischen Urteile apriori erschöpft, sondern ebenso die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungsurteile und damit die Bedingungen Möglichkeit des Fortschritts, der Fruchtbarkeit der Erfahrung einschließt. Mit Blick auf die Erste Kritik findet es Paton daher zwar zu Recht »unfortunate that Kant does not deal more explicitly with synthetic  a posteriori judgements«, S. 93, P.s Hervorhebung, und daß »Kant himself makes no special reference to synthetic  a posteriori judgements«, S. 95. Doch Kants ausführliche Erörterung dieses Urteilstyps in den Prolegomena berücksichtigt er nicht. Das liegt jedoch nicht etwa daran, daß Paton seinen Commentary der Ersten Kritik an einer allzu engen ›kommentarischen‹, immanenten Interpretationsmaxime des Textes der Ersten Kritik ausrichten würde. Wie eine vorangehende Stelle (vgl. S 512) exemplarisch zeigen kann, zieht er die Prolegomena durchaus immer wieder einmal in Betracht. Doch die Bedeutsamkeit, die die entsprechenden Erörterungen der Erfahrungsurteile in den Prolegomena sogar für das sachliche Verständnis der Grundsätze, vor allem der Analogien mit sich bringt, ist ihm entgangen. Hier hat de Vleechauwer offensichtlich schärfer – vielleicht sogar ein wenig überscharf – gesehen. 121 A 210, B 255. 122 Vgl. hierzu auch schon Erster Teil, S. 33–54.

258

Dimensionen der Urteilswahrheit

Die Schema-Kriterien sind daher gerade mit Blick auf ihren möglichen reinen Gebrauch im denkbar engsten funktionalen Zusammenhang mit den zu formulierenden und zu beweisenden synthetischen Urteilen apriori verbunden. Deren transzendentale Wahrheiten bringen ganz allgemein die ›Quell‹-Funktion für alle möglichen empirischen Wahrheiten aller möglichen Erfahrungsurteile mit sich. Sie formulieren insofern sogar die »formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit«.123 Über diesen wichtigsten systematischen Anteil vor allem der temporalen Schema-Kriterien an diesen transzendentalen Wahrheiten und ihrer Funktion für die empirische Wahrheit der Erfahrungsurteile braucht Kants extrem vorsichtige und daher unscheinbare vorläufige Charakterisierung dieser Kriterien als der ›allgemeinen Bedingung, unter welcher die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann‹, nicht hinwegzutäuschen. Unter diesen Voraussetzungen fällt auf eine merkwürdig psychologisierende arbeitsökonomische Bemerkung ein Licht, mit der Kant das Register der SchemaKriterien einleitet: Er wolle sich nicht »bei einer trockenen und langweiligen Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schematen reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird, auf[…]halten, … und sie lieber nach der Ordnung der Kategorien und in Verknüpfung mit denselben darstellen«.124 Doch zu was für wichtigen Aufschlüssen könnte eine ›trockene und langweilige Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schematen reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird‹, über deren ›Zergliederung und Darstellung in Verknüpfung mit den Kategorien‹ hinaus verhelfen? Immerhin ist die nicht weniger trockene ›Darstellung der Schemata in Verknüpfung mit den Kategorien‹ schon innerhalb des Schematismus-Hauptstücks für die ebenso universelle wie ›critisch‹ restringierte Einsicht ausreichend, daß »Man […] nun aus allem diesem [sieht], daß das Schema einer jeden Kategorie … die Zeit selbst, als das Korrelatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre, enthalte und vorstellig mache. Die Schemate sind daher nichts anderes als Zeitbestimmungen125 a priori in Ansehung aller möglichen Gegenstände«,126 nämlich aller möglichen Gegenstände aller möglichen Erfahrungsurteile.127 Nicht weniger wichtig und aufschlußreich wird der Schematismus in demselben Kontext resümierend durch die Einsicht kommentiert, daß es darauf ankomme, konkret zu zeigen, daß und vor allem wie in allen Einzelheiten »der Schematismus des Verstandes … auf nichts anderes, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in dem inneren Sinne, und so indirekt auf die Einheit 123 124 125 126 127

A 191, B 236. A 142, B 181. Kants Hervorhebung. A 145, B 184–185, Hervorhebungen R. E. Die jüngste sorgfältige Erörterung der Schemata bietet Mario Caimi, Der Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, in: R. Enskat (Hg.), Kants Theorie der Erfahrung, Berlin / New York 2015, S. 201–237.

 Gebrauch der Kategorien mit Hilfe der Schemata  

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der Apperzeption, als der Funktion, welche dem inneren Sinn … korrespondiert, hinauslaufe«.128 Doch das, worauf der Schematismus in diesem Sinne ›hinausläuft‹, ist gar nichts anderes als das System aller Grundsätze des reinen Verstandes. Denn nur in allen diesen Grundsätzen ist auch ›die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung des inneren Sinns‹ berücksichtigt. Ebenso kann ›die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung des inneren Sinns‹ wiederum durch gar nichts anderes gestiftet werden als durch den (schema-kriterien-geleiteten) Gebrauch der Kategorien. Doch dieser ist wiederum ›indirekt‹, aber strikt an die reine und ursprüngliche Apperzeption gebunden. Denn diese, formuliert durch den »formale[n] Satz Ich denke,«129 ›begleitet‹ nicht nur »alle Kategorien als ihr Vehikel«130, sie bildet auch »… die Form …, die jeder Erfahrung anhängt als bloß subjektive Bedingung derselben«.131 Doch der distributive Quantor jeder ist im Gegensatz zum kollektiven Quantor aller gerade nicht auf ›das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung‹ bezogen. Er ist – im Licht der Einsicht der Prolegomena in die strukturellen Differenzen und die funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen – distributiv auf jedes Erfahrungsurteil, also auf jeden einzelnen ›Zuwachs des empirischen Erkenntnisses und Fortschritt der Wahrnehmung‹ (A 210, B 255) durch ein jeweils neues Erfahrungsurteil bezogen. Das ›absolute Ganze aller möglich Erfahrung‹ ist daher nur dann eines der möglichen Erfahrung, wenn »Jede[r] einzelne[n] Erfahrung«,132 also jedem einzelnen Erfahrungsurteil, mithin jedem ›Zuwachs des empirischen Erkenntnisses und Fortschritt der Wahrnehmung‹ die reine und ursprüngliche Apperzeption jeder solchen einzelnen Erfahrung als bloß subjektive Bedingung derselben anhängt. Denn nur dann handelt es sich bei jeder solchen einzelnen Erfahrung um einen Anteil am absoluten Ganzen der möglichen Erfahrung, der in der Form einer Erfahrungsurteils-Bildung auch spontan, also selbsttätig vom jeweils urteilenden Subjekt erworben worden ist. Noch innerhalb des Schematismus-Hauptstücks verklammert Kant hier also selbst die ›Darstellung der Schemata in Verknüpfung mit den Kategorien‹ durch universalisierende, aber ›critisch‹ restringierte Bezugnahmen auf ›alle möglichen Gegenstände‹ (der Erfahrung) bzw. auf ›alles Mannigfaltige der Anschauung in dem inneren Sinne‹ mit den charakteristischen universellen, aber ›critisch‹ 128 A 145, B 185, Hervorhebung R. E.; die Charakterisierung der ›Einheit der Apperzeption, als der Funktion, welche dem inneren Sinn korrespondiert‹, bildet eine Kurzformel für die Form der Selbstaffektion. In der Form eines Theorems der transzendentalen Reflexion und Analyse wird diese Form durch den Satz charakterisiert: »… in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt«, A 362; vgl. hierzu oben 13.2.–13.3. Ab., bes. S. 57–65. 129 A 354. 130 A 348, B 406. 131 A 354, Hervorhebung R. E. 132 IV, 327.

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restringierten Ansprüchen aller Grundsätze. Im unmittelbaren Anschluß hieran wartet die abschließenden Aufgabe, »die Urteile, die der Verstand unter dieser kritischen Vorsicht wirklich  a priori zustande bringt, in systematischer Verbin­dung darzustellen«.133 Denn sie ist »in einer transzendentalen Logik das wichtig­ste unter allen Geschäften«.134 Ganz offensichtlich handelt es sich bei den vorsichtigen Vorgriffen auf die abschließende systematische Aufgabe dieser Theorie der Erfahrung um die letzte ihrer geradezu regelmäßigen internen Grenzerörterungen. Mit diesen Grenzerörterungen bereitet Kant jeweils auf die Aufgaben vor, die diesseits der jeweils erreichten Grenzen aus sachlichen und methodologischen Gründen nicht mehr bearbeitet werden können, denen sich jedoch mit Hilfe vorsichtiger Vorgriffe auf entsprechende Hilfsmittel zumindest eine hypothetische Aussicht auf einen erfolgversprechender Weg jenseits dieser Grenzen eröffnen läßt.135 Es sind daher die universalisierenden Vorgriffe  – ›alle möglichen Gegenstände‹ (der Erfahrung) bzw. ›alles Mannigfaltige der Anschauung in dem inneren Sinne‹ – und die mit ihnen verbundenen ›critisch‹ restringierten Rücksichten, die bei genauerem Hinsehen eine hypothetische Erfolgsbedingung für die Arbeit an der bevorstehende abschließenden Aufgabezu bedenken geben: Falls es gelingt, Urteile apriori über ›alle möglichen Gegenstände‹ (der Erfahrung) bzw. ›alles Mannigfaltige der Anschauung in dem inneren Sinne‹ zu formulieren und zu beweisen, dann ist nachgewiesen, daß »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt […] zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung [sind]«.136 Auch hier wird in einer Weise, wie sie ohne die Prolegomena-Entdeckung der strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhänge der Wahrnehmungs- und der Erfahrungsurteile gar nich zureichend durchsichtig wäre, die antizipatorische Funktion charakterisiert, die die Formulierungen der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung durch die Grundsätze für die Form der möglichen Erfahrung und dadurch für die Form haben, die die möglichen Gegenstände der Erfahrung im Licht der sie erschließenden Erfahrungsurteile zeigen.137 Die ›Quell‹-Funktion, die die transzendentale Wahrheit in diesem Sinne für die empirische Wahrheit der Erfahrungsurteile mitbringt, wird daher sogleich durch eine scharfsinnige linguistische Erläuterung der spezifisch transzenden­ 133 A 148, B 187. 134 A 154, B 193. 135 Vgl. zu diesen vorangegangenen Grenzerörterungen, die die Schritte von der Konzeption der Urteilsfunktionen zur Metaphysischen Deduktion der Kategorien, von dieser Deduktion zur Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe und von dieser Deduktion zur Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft betreffen, Erster Teil, bes. S. 253–259, bzw. oben S. 10–12 bzw. S. 210–212. 136 A 158, B 197, Kants Hervorhebungen. 137 Mit Blick auf die Form dieser Gegenstände ist es wichtig zu beachten, daß sie die Form von Sachverhalten haben; vgl. hierzu oben S. 99–102, 128–129.

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talen Bedeutung des Wortes Grundsätze auf Begriffe gebracht: »Grundsätze a priori führen diesen Namen …, auch weil sie die Gründe anderer Urteile enthalten«.138 Auch so wird, was Reich in so bedeutsamer Weise betont (vgl. oben S. 257 f.), in unmißverständlicher Weise eingeschärft, daß die transzendentale Wahrheit der Grundsätze strikt mit der empirischen Wahrheit der Erfahrungsurteile verbunden ist. Das bedeutet nicht, daß diese transzendentale Wahrheit in irgendeiner Form von empirischen Bewährungen durch die Erfahrungsurteile abhängen würde. Es bedeutet aber, daß die Grundsätze und deren Beweise – vor allem derjenigen, »die unter dem Namen der Analogien der Erfahrung vorkommen«139  – die »Form einer möglichen Erfahrung … antizipieren«.140 Diese antizipierte (kategoriale) Form wird in zwei Dimensionen realisiert. Denn zum einen wird durch den empirischen Gebrauch der jeweils angemessenen Kategorien in jedem neuen Erfahrungsurteil mit Hilfe von jeweils neuen Wahrnehmungen jeweils ein neuer wirklicher Anteil an der möglichen Erfahrung spontan erworben; und zum anderen bestimmen die in einem Erfahrungsurteil gebrauchten Kategorien mit Blick auf den durch sie jeweils erschlossenen wirklichen Anteil an der möglichen Erfahrung dieselbe Form, die die jeweils zugrundeliegenden Grundsätze antizipieren. Deswegen lassen sich generalisierend sogar alle Grundsätze durch den Gedanken charakterisieren, daß »Man […] alle Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört [also die Form der möglichen Erfahrung, R. E.], a priori erkennen und bestimmen kann, eine Antizipation nennen [kann]«.141 Denn im Laufe des ›Zuwachses 138 A 148, B 188; in formeller Übereinstimmung damit schreibt schon Christian Wolff, Prima philosophia, sive Ontologia, methodo scientifica pertractata, qua omnis cognitionis humanae principia continentur. Editio nova, Frankfurt und Leipzig 1736, § 70: »principium dicitur id, quod in se continet rationem alterius«. Allerdings handelt es sich bei den altera, deren Gründe die Grundsätze des reinen Verstandes enthalten, um die durch Kategorien und Wahrnehmungsgehalte strukturierten Erfahrungsurteile; außer­dem ›enthalten‹ sie deren Gründe in dem – und nur – in dem Sinne, daß sie deren kategoriale Formen antizipieren, vgl. hierzu unten S. 261–263; unabhängig von dieser antizipierenden Funktion sind diese Grundsätze in Kants Theorie außerdem dadurch charakterisiert, daß sie »auch … nicht in höheren und allgemeineren Erkenntnissen gegründet sind«, A 148, B 188. 139 IV, 309; vgl. hierzu und zur entsprechenden Rolle der diese speziellen Grundsätze prägenden Kategorien auch schon oben S. 165–168 und bes. auch 165, Anm. 530. 140 A 246, B 303, Hervorhebung R. E.; Paton, Experience II, vernachlässigt in seinem Kommentar zur antizipatorischen Funktion aller Grundsätze – »they all anticipate experience«, S. 134 – deren genaue Funktion, die Form einer möglichen Erfahrung zu antizipieren; zu der wichtigen Einbuße an sachlicher Einsicht, die er sich damit einhandelt, vgl. unten S. 261, Anm. 141. 141 A 166, B 208, Hervorhebungen R. E. Dadurch, daß Paton übersieht, daß die Grundsätze nicht die Erfahrung, sondern die Form der Erfahrung antizipieren, vgl. oben S. 261, Anm. 140, entgeht ihm der so wichtige Gedanke, daß es sich bei dieser antizipierten Form jeweils um die kategoriale Form der entsprechenden Erfahrungsurteile handelt und damit um die jeweils wirklichen Anteile an der möglichen Erfahrung. – Die Bedeutsamkeit,

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dieses empirischen Erkenntnisses und des Fortschritts der Wahrnehmung‹ wächst sich die in den Grundsätzen antizipierte Form der möglichen Erfahrung und die ihrer möglichen Gegenstände in the long run durch unaufhörliche neue Erfahrungsurteile schrittweise immer umfassender zu derselben Form der wirklichen Erfahrung und der ihrer wirklichen Gegenstände aus. In den Rahmen dieser antizipier-enden Einsichten apriori der Grundsätze und ihrer transzendentalen Wahrheit gehört die antizipier-te paradigmatische Einsicht, daß und inwiefern die reine sinnliche Form der Anschauung der Zeit – die Sukzessivität – und die reine Kategorie bzw. kategoriale Urteilsform der Kausalität142 an »einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft«,143 beteiligt sind, »wodurch144 ein Gegenstand unter [den Begriff der Kausalität] subsumiert werden kann«.145 Die außerordentliche, zuerst von de Vleeschauwer hervorgehobene Bedeutsamkeit dieser paradigmatischen Einsicht der Prolegomena, zeigt sich in ihrem wahren Format erst im Licht dieser antizipatorischen Charakterisierung der Funktion aller Grundsätze. Denn ausschließlich dieses

142 143 144 145

die dieser Begriff der Antizipation nicht nur mit Blick auf seine lange Vorgeschichte und auf die Vorurteils-Kritik des 18. Jahrhunderts, des Taufjahrhunderts der Aufklärung, sondern auch mit Blick auf die Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts mit sich bringt, kannn nur schwer überschätzt werden; vgl. hierzu zuletzt die konzentrierte erhellende Erörterung durch Oliver Scholz, Vorläufige Urteile statt Vorurteile  – Zur Kritik neuerer Versuche einer Rehabilitierung des Vorurteils in den Wissenschaften, in: Zeitschrift für Angewandte Philosophie 1 (2018), S. 78–90. Immerhin haben alle Vorurteile, wie schon die lexikalische Semantik des Wortes zu verstehen gibt, eine antizipierende Funktion – den Beurteilungsmustern früherer Einzelfälle wird zugetraut, auch allen Beurteilungen zukünftiger Einzelfälle gerecht zu werden. Der berechtigten Kritik fallen alle diejenigen Vorurteile zum Opfer, deren Beurteilungsmustern in der konkreten Urteilspraxis voreilig, also ohne skeptische Vorbehalte das Potential zugetraut wird, auch gegenwärtigen und künftigen irgendwie vergleichbaren Einzelfällen antizipierend gerecht zu werden. Versuche einer »grundsätzlichen Rehabilitierung des Begriffs des Vorurteils und einer Anerkennung dessen, daß es legitime Vorurteile gibt«, Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (19601), Tübingen 41975, S. 261, verfehlen ihr Ziel so lange, wie sie eben nicht grundsätzlich klarstellen, daß die antizipatorische Rolle von Beurteilungsmustern nur dann legitim ist, wenn sie an den ebenfalls antizipatorischen, aber skeptischen Vorbehalt von deren grundsätzlicher Widerrufbarkeit gebunden ist. Im Licht von Kants Theorie gehören die von ihm apostrophierten antizipatorischen Funktionen der Grundsätze zu einem ganz anderen Typ. Denn durch sie werden nicht die Inhalte von irgendwelchen Beurteilungen von Einzelfällen antizipiert, sondern die logischen und die kategorialen Formen ausschließlich derjenigen Beurteilungen von Einzelfällen, die zum Typ der Erfahrungsurteile gehören; vgl. hierzu die antizipierte logische und kategoriale Form der (kausal-kategorialen) Beurteilungen von Einzelfällen von Kausalität unten S. 310–311. Zur Frage, ob die reinen Kategorien, genau genommen, reine kategoriale Urteils formen sind, vgl. oben 14.3. Ab. A 140, B 179. Erdmanns Konjektur. A 247, B 304.

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Paradigma eines kausal-thematischen Erfahrungsurteils zeigt in allen wichtigen formalen Einzelheiten, inwiefern eine Form der wirklichen Erfahrung und die einer ihrer wirklichen Gegenstände durch die Form antizipiert werden, die der entsprechende Grundsatz der Kausalität einer Form der möglichen Erfahrung und der ihrer möglichen Gegenstände zuschreibt. Die antizipatorische Charakterisierung der Funktion aller Grundsätze verweist daher auch am direktesten auf die von Reich (vgl. oben S. 257 f.) betonte Relativität, mit der die transzendentale Wahrheit dieser Grundsätze strikt auf die objektive Wahrheit, Wahrheitsfähigkeit und Bewährungsbedürftigkeit und -fähigkeit der empirischen, wahrnehmungsgestützten Erfahrungsurteile bezogen ist.

Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände

20. Inwiefern die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung auch die Bedingungen der Fruchtbarkeit der Erfahrung sind Kants transzendental-logische Untersuchungen zielen nicht nur dahin zu klären, daß und inwiefern »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt […] zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung [sind]«.1 Wie sich inzwischen zur Genüge gezeigt hat, kann man auf den Hauptwegen, den Nebenwegen und den unvermeidlichen gelegentlichen Holzwegen dieser Untersuchungen auch dahin gelangen, die Bedingungen der Fruchtbarkeit der Erfahrung, also des ›Zuwachses des empirischen Erkenntnisses und des Fortschritts der Wahrnehmung‹ zu klären. Jeder einzelne Fall eines solchen Zuwachses bzw. Fortschritts gelingt jeweils durch ein neues Erfahrungsurteil. In jedem neuen Erfahrungsurteil  – und damit in jedem einzelnen Fall eines solchen Zuwachses bzw. Fortschritts – sind der empirische Gebrauch von Kategorien und von temporalen Schema-Kriterien sowie die Wahrnehmungen und die Wahrnehmungsurteile auf das engste miteinander verbunden.2 1 A158, B 197. 2 Vgl. hierzu Erster Teil, 2. und 4. Ab., sowie zu den sachlichen Tragweiten dieser speziellen, aber außerordentlich bedeutsamen Klärung oben 14.3–14.8. Ab. Baum, Proofs, geht konzentriert auf die Rolle der Kategorien und der Grundsätze ein, »not only the sufficient, but also the necessary conditions of the possibility of experience«, S. 6, vgl. auch S. 7, 8, zu sein. Er gibt zu bedenken, daß die Beschränkung von Interpreten wie Strawson und Körner auf diese Rolle vor allem den Status der Grundsätze, synthetische Urteile apriori zu sein, zu Unrecht in einen Schatten stelle, wie Konrad Cramer, Comment on Baum, in: P. Bieri / R .-P. / Horstmann, L. Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht / Boston / London 1979, S. 37–43, Baums Hauptargument zusammenfaßt, vgl. S. 37. Allerdings blendet Baum die außerordentliche Tragweite aus, die die von Kant in den Prolegomena mitgeteilte urteils-analytische Entdeckung der strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen sowohl der Sache nach wie für die argumentative Gestaltung der zweiten Auflage der Ersten Kritik mit sich gebracht hat. Diese Entdeckung und ihre Tragweite verschwinden für Baum hinter dem Schleier, den seine Konzentration auf die Rolle des Unterschieds zwischen der sog. synthetischen Darstellungart der Ersten Krik und der sog. analytischen Darstellungsart der Prolegomena über beides legt; vgl. hierzu unten S. 267, Anm. 10. Doch diese Entdeckung und ihre Tragweite verlei-

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Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände

Diese strikte Verbindung bringt unmittelbar eine Tragweite für eine differenzierte Rangordnung mit sich, in der die im System der Grundsätze erörterten Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der Möglichkeit ihrer Gegenstände untereinander stehen. Dieser differenzierten Rangordnung entspricht direkt eine differenzierte Gewichtung der methodischen Rollen, in denen die einzelnen Grundsätze im System der Grundsätze mehr oder weniger vorrangig sind. Schon im Rahmen der Transzendentalen Deduktion ist es möglich klarzustellen, daß die Kategorie »[…] nur zur Möglichkeit empirischer Verhältnisses … […] die Vornehmste unter allen [ist]«.3 Noch deutlicher wird ein eindeutiger Vorrang von Grundsätzen durch den Ratschlag, daß »[…] der Leser [am meisten] auf die Beweisart der Grundsätze, die unter dem Namen der Analogien der Erfahrung vorkommen, aufmerksam sein [muß]«.4 Denn man muß darauf hen der Rolle vor allem der Grundsätze, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zu formulieren, nicht nur ein noch größeres Gewicht als in der ersten Auflage, sondern vor allem auch einen neuen und bedeutsamen Differenzierungsgrad. Denn erst in ihrem Licht wird endgültig klar, was es mit dieser Rolle und dem in der Kant-Literatur immer wieder tradierten, aber irrigen Verdacht auf sich hat, Kant setze beim Argumentieren zugunsten von Sätzen über die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung so etwas wie ein ›Faktum der Erfahrung‹ voraus. Salomon Maimon, Versuch über die Transzendentalphilosophie (17891), wieder abgedr. in: ders., dass., eingeleitet und mit Anmerkungen sowie einer Beilage herausgegeben von Florian Ehrensberger, Hamburg 2004, kommt das Verdienst zu, diesen wenngleich irrigen Verdacht in so scharfsinniger Weise entwickelt zu haben, daß er die Kant-Forschung der folgenden mehr als zweihundert Jahre auf ein nur schwer zu klärendes Interpretations- und Beurteilunsproblem aufmerksam gemacht hat, vgl. S. 105 f. Dem mit diesem Irrtum verbundenen Verdacht eines Zirkels tritt Baum zu Recht entgegen – wenngleich ohne den Rekurs auf die hierfür entscheidende urteils-analytische Entdeckung der Prolegomena. Denn erst in ihrem Licht zeigt sich das Faktum der ›Erfahrenheit langer Zeiten‹, daß wir durch den empirischen, also wahrnehmungsbasierten Gebrauch von geeigneten Kategorie in Erfahrungsurteilen seit urgeschichtlichen Zeiten immer wieder einmal von neuem kontingenterweise neue Anteile am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung erwerben; vgl. hierzu schon oben S. 181, Anm. 592. Doch erst die gelungenen Begründungen der Grundsätze – vor allem der Analogien – zeigen, daß und warum wir darin gerechtfertigt sind, uns darauf zu verlassen, daß solche Neuerwerbungen immer wieder von neuem möglich sind – also daß Erfahrung im emphatischen Sinne der unaufhörlichen, asymptotischen Annäherung an das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung im Medium von Erfahrungsurteilen möglich ist. Erst im Licht der urteils-analytischen Entdeckung der Prolegomena kann die transzendentallogische Einsicht in das vom empirischen Gebrauch von Kategorien in Erfahrungsurteilen ermöglichte geschichts-anthropologische Faktum der Erfahrenheit langer Zeiten von der ebenso transzendental-logischen Einsicht in die notwendigen und hinreichenden Bedingungen aller möglichen Erfahrung trennscharf genug unterschieden werden. Und erst im Licht dieser urteils-analytischen Entdeckung und ihrer Tragweite erledigt sich der ebenso zählebige wie irrige Vorwurf eines Zirkels in Kants Argumenten zugunsten der Wahrheit der Grundsätze und insbesondere der Analogien. 3 R 5854. 4 IV, 309. – Dem fast ein wenig im Vorbeigehen gegebenen Ratschlag Kants, auf die ›Beweisart‹ der Analogien zu achten, kommt angesichts seiner Bindung an die Entdeckung der

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aufmerksam sein, »daß diese Analogien… als Grundsätze … bloß des empirischen Verstandesgebrauchs … ihre alleinige Bedeutung und Gültigkeit haben, mithin auch nur als solche bewiesen werden können«.5 Daher kann man z. B. den Grundsatz der Kausalität »nur von Objekten möglicher Erfahrung beweisen … und zwar … nur als Prinzip der Möglichkeit … der Erkenntnis eines in der emprischen Anschauung gegebenen Objekts«.6 Am empirischen Charakter des Verstandesgebrauchs sind diese Analogien und deren Beweise insofern orientiert, als »Die Erfahrung […] nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich [ist]«7 bzw. als »Alle Erscheinungen8 […], ihrem Dasein nach, a priori unter Regeln der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander in der Zeit [stehen]«.9 Deswegen »[müssen] die Analogien … […] dergleichen Regeln sein«.10 strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhäng zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen eine außerordentlich Bedeutsamkeit zu. Denn für das Format der ›Beweise‹, die – abgesehen von den Postulaten des empirischen Denkens – auch allen anderen Grundsätzen beigefügt sind, steht Kant weder aus der Methodenlehre seiner Zeit noch aus eigener Anstrengung so etwas wie ein standardisiertes oder standardisierbares Kriterium zur Verfügung, an dem sich die innere Gestaltung dieser ›Beweise‹ strikt orientieren könnte. Cramer, Comment on Baum, irrt daher schon aus diesem Grund, wenn er argumentiert, es sei »not so much« ein Problem, »that they are claimed to be proofs of a specific structure«, S. 42. Baum, Proofs, kommt gerade deswegen das Verdienst zu, einige mit diesen ›Beweisen‹ verbundene Strukturprobleme an exponierter Stelle in Angriff genommen zu haben; zu einer wichtigen Unschärfe seiner Interpretation und Analyse vgl. unten S. 267, Anm. 10. 5 A 180, B 223–A 181. 6 B 289, Kants Hervorhebungen; nichts macht deutlicher als dieser Kommentar zur ›Beweisart‹ der Analogien, daß sie die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungsurteile, also der Urteile über die ›in der empirischen Anschauung gegebenen Objekte‹ zu formulieren und zu beweisen suchen. 7 B 218, Hervorhebungen R. E. 8 Vgl. B 207: »Erscheinungen als Gegenstände der Wahrnehmung«, Hervorhebung R. E. 9 A 176, Hervorhebungen R. E. 10 A 178, B 220. – Die von Baum, Proofs, so konzentriert erörterte Frage der Struktur der ›Beweise‹ der meisten Grundsätze birgt ein zu wenig beachtetes methodologisches Problem. Denn angesichts jeglichen Fehlens eines verläßlichen Beweis- bzw. Beweisbarkeits-Kriteriums bildet jeder dieser ›Beweise‹ bei genauerem Hinsehen lediglich eine konzentrierte und auf Kohärenz bedachte Zusammenfassung von einigen wenigen Formulierungen, wie sie mit fast demselben Inhalt, verteilt über den Text der jeweils nachfolgenden Erörterungen oder Erläuterungen, ebenfalls gebraucht werden. Angesichts eines fehlenden Beweis- bzw. Beweisbarkeits-Kriteriums bildet es ein so ernst zu nehmendes Indiz für eine entsprechend informelle ›Beweisart‹ der Grundsätze, daß ein so sorgfältiger Interpret wie Paton, Experience II, mit Blick auf die Kausalitäts-Analogie nicht weniger als »Six Proofs of Causality«, S. 224, unterscheidet. Die in gewisser Weise wichtigste Unschärfe von Baums Interpretationen und Analysen ist gleichsam verborgen in seiner methodologischen Auffassung, »that the presentation of the results of the Critique in the Prolegomena, for didactic reasons, takes its point of departure from these results«, S. 7. Doch Kants Ratschlag, auf die ›Beweisart‹ der Analogien zu achten, vgl. IV, 309, sowie oben S. 266,

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Es sind daher zwei verschiedenartige Gründe zu berücksichtigen, die dem empirischen Charakter der Erkenntnis und damit dem Wahrnehmungsmoment dieses Charakters eine Schlüsselrolle für die Behandlung des Zentralthemas des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes verleihen: Wichtig ist nicht nur die strikte, wenngleich auch nur teilweise Orientierung der Analogien an der Rolle der Wahrnehmung für die Möglichkeit der empirischen Erkenntnis; nicht weniger wichtig ist indessen die ebenso strikte Orientierung an der Fruchtbarkeit der Erfahrung durch die Orientierung am ›Fortschritt der Wahrnehmung‹ in Verbindung mit dem ›Zuwachs des empirischen Erkenntnis‹, das ›Erfahrung heißt‹. Indem die Analogien teilweise sogar selbst strikt am Wahrnehmungsmoment des empirischen Charakters der empirischen Erkenntnis orientiert sind, berücksichtigen sie insofern auch selbst die Bedingungen der Fruchtbarkeit der Erfahrung, also des ›Zuwachses des empirischen Erkenntnis‹ durch den ›Fortschritt der Wahrnehmung‹.11 Aus allen diesen Gründen fallen unter den anderen Grundsätzen wiederum den Antizipationen der Wahrnehmung und unter den Postulaten des empirischen Denkens besonders dem Postulat Anm. 4, hat buchstäblich nichts mit irgendwelchen Resultaten zu tun, deren sich die Prolegomena nicht mehr »by the synthetic (progressive) method«, ebd., der Ersten Kritik der ersten Auflage annehmen würden. Dieser Ratschlag ist vielmehr strikt und ausschließlich mit der Einsicht in die Tragweite der Entdeckung verbunden, die die Prolegomena mit den Erörterungen der strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen präsentieren. Baums Unschärfe zeigt sich daher in der wiederholten Betonung, daß allgemein »The proof of the analogies of experience« zeige, »that, for the empirical knowledge of certain objects, perception is insufficient and categories are therefore needed«, S. 19, bzw. »taking into account the insufficiency of perception for this task«, ebd., nämlich für die Aufgabe zu zeigen, »that … experience of certain objects is possible«, ebd. Selbstverständlich trifft es zu, daß dafür perception is insufficient. Doch den springenden Punkt der urteils-analytischen Entdeckung der Prolegomena bildet die Einsicht, daß für das Gelingen empirischer Erfahrungsurteile – und das heißt: für experience of certain objects – Wahrnehmungen nicht weniger notwendig sind als es der angemessene Gebrauch von Kategorien ist. Für das Empirische der Erfahrungsurteile sind deren Wahrnehmungsgehalte notwendig und charakteristisch, für ihr Erfahrungsformat indessen die verwendeten Kategorien. Vgl. zu Baum, Proof, auch unten S. 268, Anm. 11 und 324, Anm. 235. 11 Diese Zusammenhänge hat Reich, Kritik, offensichtlich im Auge, wenn er betont, daß die transzendentale Wahrheit der Grundsätze – also speziell die der Analogien – ›keine absolute Wahrheit‹ ist, sondern ›relativ auf den kontinuierlichen Fortschritt der Erfahrung, relativ auf den erweiterten Prozeß der Erfahrung‹, vgl. oben S. 257–260. Da diese Beziehung der transzendentalen Wahrheit auf den kontinuierlichen wahrnehmungsabhängigen Fortschritt der Erfahrung von den in den Prolegomena entdeckten funktionalen Zusammenhängen zwischen Wahrnehmungen, Wahrnehmungsurteilen und Erfahrungsurteilen abhängt, zielt auch die Suche von Baum, Proofs, nach einer gleichsam selbstgenügsamen Struktur von Beweisen einer gleichsam selbstgenügsamen Wahrheit von »transcendental propositions«, S. 8, haarscharf an dieser strikt auf den kontinuierlichen wahrnehmungsabhängigen Fortschritt der Erfahrung relativierten Beweis- und Wahrheitsintention vorbei.

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der Wirklichkeit12 die wichtigsten unmittelbar subsidiären Rollen zu.13 Die Axiome der Anschauung bilden, obwohl auch die Antizipationen der Wahrnehmung zu diesem Grundsatz-Typus zählen, im engsten und strengsten Sinne »die mathematischen«14 Grundsätze, weil auf ihnen »[…] sich die Mathematik der Ausdehnung (Geometrie) [gründet]«, aber, wie die exemplarischen Bemerkungen zu den elementaren Rechenarten zeigen,15 auch die Arithmetik. Ungeachtet der Evidenzunterschiede und der methodischen Relevanzunterschiede, die den verschiedenen Grundsätzen unterschiedlich gewichtige Rollen im System der Grundsätze verleihen, sind ihnen doch zwei einzigartige, spezifisch transzendentale konditionale Rollen gemeinsam. Denn die Identität der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung mit denen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung bedeutet für jeden einzelnen der acht Grundsätze, daß er eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der Möglichkeit ihrer Gegenstände formuliert; für die Konjunktion aller acht Grundsätze bedeutet dies, daß sie deren hinreichende Bedingung formuliert. Die sorgfältige Berücksichtigung dieser beiden konditionalen Rollencharaktere kann im Einzelfall von beträchtlicher Reichweite für die sachliche Beurteilung des Inhalts eines solchen Grundsatzes bzw. einer entsprechenden Gruppe dieser Grundsätze sein. Am instruktivsten sind mit Blick auf diese Tragweite die Analogien. Exemplarisch für diese Tragweite ist daher neben dem leitenden Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz: »Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert«,16 ebenso auch der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität17: »Alles was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt«.18 Nimmt man beide Grundsätze ausschließlich in der Form ihrer propositio­ nalen Gehalte ernst, dann liegt ein gravierendes Mißverständnis nahe. Die Quelle dieses Mißverständnisses läßt sich besonders gut sichtbar machen, wenn man mit diesen Formulierungen eine bescheidene quantorenlogische Stilisie12 Vgl. A 225, B 272–280. 13 Das von Kant benutzte Kriterium des unterschiedlichen Evidenzgrades zwischen den beiden Gruppen von Grundsätzen, vgl. A 160, B 199–A 161, B 200, tritt daher hinter dem Kriterium ihrer unterschiedlichen Grade methodischer Relevanz für die Möglichkeit der Erfahrung zurück. Reich, Vollständigkeit, war der erste, der, geleitet durch sachliche Überlegungen, schon mit Blick auf die Urteilstafel darauf aufmerksam gemacht hat, daß schematische Darstellungen Kants von systematischen Rangordnungen bei genauerem Hinsehen einer Revision – nicht eigentlich einer inhaltlichen Korrektur – bedürftig sein können, vgl. S. 45 ff. 14 A 162, B 201. 15 Vgl. A 164, B 205–A 165, B 206. 16 A 182. 17 B 232. 18 A 189, Kants Hervorhebung.

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rung vornimmt: 1.) Bei allem Wechsel der Erscheinungen gibt es / existiert etwas, was beharrt, und dessen Quantum in der Natur weder vermehrt noch vermindert wird; 2.) Zu allem, was geschieht (anhebt zu sein), gibt es / existiert etwas, worauf es nach einer Regel folgt. In diesen Formen würden diese Grundsätze durch die es gibt / existiert etwas-Komponenten unmißverständlich nicht nur als ontologische Grundsätze zu verstehen gegeben. Mit der Behauptung der Existenz eines Etwas wären sie außerdem auf einen empirischen Nachweis der behaupteten Existenz des fraglichen Etwas angewiesen. Doch unter diesen Voraussetzungen würde nicht nur der Anspruch durchkreuzt, daß »die Grundsätze […] bloß Prinzipien der Exposition der Erscheinungen [sind], und der stolze Name der Ontologie … muß dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen«.19 Im selben Atemzug würde durch den empirischen Charakter dieser Existenz-Komponente auch der Anspruch durchkreuzt, daß alle Grundsätze »reine […] synthetische Urteile«20 sind, weil sie »[…] a priori21 (d. i. unabhängig von aller Erfahrung) erkannt … werden [können und müssen]«.22 Doch es ist dieses doppelte sowohl ontologische wie empiristische Mißverständnis, das durch eine exklusive Konzentration auf die propositionalen Gehalte des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz und des Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität unvermeidlicherweise nahegelegt wird. Indessen kann dieser irreführenden propositionalistischen Konzentration mit Leichtigkeit vorgebeugt werden. Denn die spezifisch transzendentalen konditionalen Rollen, die diese beiden Grundsätze innehaben, verlangen zu ihrer vollständigen, also spezifisch transzendentalen Formulierung auch den spezifisch transzendental-konditionalen Prä-Text. Mit dieser Komplettierung haben sie die Formen: 1.1) Erfahrung und ihre Gegenstände sind nur dann möglich, wenn bei allem Wechsel der Erscheinungen die Substanz beharrt und deren Quantum in der Natur weder vermehrt noch vermindert wird, bzw. wenn es bei allem Wechsel der Erscheinungen etwas gibt / existiert, was beharrt, und dessen Quantum in der Natur weder vermehrt noch vermindert wird, bzw. 2.1) wenn es zu allem, was geschieht (anhebt zu sein), etwas gibt / existiert, worauf es nach einer Regel folgt.23 In diesen spezifisch transzendental-konditionalen Formen liegen zum einen keine mehr oder weniger verkappten ontologischen Behauptungen vor. Denn es wird nicht die Existenz von irgendetwas behauptet und daher auch nicht eine empirische Abhängigkeit des Geltungsmodus dieser Grundsätze ins

19 20 21 22 23

A 247, B 303. A 157, B 197, Hervorhebung R. E. Kants Hervorhebung. IV, 319, Hervorhebungen R. E. Die Dritte Analogie gewinnt entsprechend die Form: Erfahrung und ihre Gegenstände sind nur dann möglich, wenn alle Substanzen, sofern sie im Raume als zugleich existierend wahrgenommen werden können, in durchgängiger Wechselwirkung sind.

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Spiel gebracht. Stattdessen werden die Formen antizipiert,24 in denen die thematisierten propositionalen Kerngehalte nur dann der Fall sind, wenn die möglichen Gegenstände der Erfahrung durchgängig wirklich sind, also die antizpierten Formen erfüllen.25 Daher wird unter dieser Voraussetzung noch nicht einmal 24 Vgl. A 246, B 303, sowie oben S. 260–263. 25 Es ist daher diese spezifisch transzendentale und strikt ›critische‹ Einschränkung, wodurch dem Fehler vorgebeugt wird, daß man sich mit einem solchen Grundsatz und ohne diese Einschränkung nach seinen eigenen Kriterien in irgendetwas Abwegiges »verlaufe…«, König, Ursache, S. 187. Ganz unbeschadet aller hermeneutischen Sorgfalt und alles berechtigten sachlichen Zutrauens in die Tragfähigkeit von Kants Theorie der Erfahrung verfehlt Cramer, Nicht-reine synthetische Urteile a priori, daher den springenden Punkt, wenn er die Analogien insgesamt, vgl. S. 316–320, und in paradigmatischer Konzentration das Prinzip der Kausalität, vgl. S. 27–75, als nicht-reine synthetische Urteile  a priori auffaßt. In den Formen und mit den propositionalen Gehalten, die er durchweg für sie in Anspruch nimmt, hat zwar auch Kant deren Unreinheit gelegentlich betont – allerdings ausschließlich in der Einleitung B 3, vgl. S. 27 ff. Doch diese von Kant direkt auf die Formulierung Eine jede Veränderung hat ihre Ursache gemünzte Unreinheitsthese überträgt Cramer auf alle von Kant formulierten Varianten dieses Prinzips, vor allem auch auf dessen Formen und propositionale Gehalte in der A- und der B-Fassung, vgl. A 189 bzw. B 232, vgl. S. 31 f. Zu Recht wundert er sich über den »Widerspruch in terminis«, S. 35, in den sich Kant mit der Bemerkung verwickelt, daß zu den »notwendige[n] und im strengsten Sinne allgemeine[n], mithin reine[n] Urteile[n] a priori«, B 4, auch »der Satz« gehört, »daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse«, B 5, vgl. S. 35. Doch mit seinen Bemühungen, diesen zweifellosen Widerspruch in terminis zum Verschwinden zu bringen, optiert Cramer nicht nur einfach irrtümlich zugunsten seiner allgemeinen Unreinheitsthese. Er verkennt vor allem auch den für den transzendental-logischen Status des Kausalitätsprinzips – und auch der beiden anderen Analogien – entscheidenden Aspekt. Denn sie sind nur deswegen Analogien der Erfahrung, weil jede von ihnen nur in Verbindung mit dem Prä-Text Erfahrung und ihre Gegenstände sind nur dann möglich, wenn … vollständig ist. Unter dieser Voraussetzung ist ihre Gültigkeit – im Gegensatz zu den prätextlosen Varianten – nicht mehr abhängig von den empirischen Bedingungen, die normalerweise, also im nicht-transzendental-logischen Kontext mit dem Gebrauch des empirischen Begriffs der Veränderung und äquivalenter Begriffe verbunden sind. Wären sie davon anhängig, dann würde ihre Gültigkeit vom empirischen Faktum des Vorkommens von Veränderungen abhängen. Doch im Schutz des transzendentallogischen Präfix behaupten sie weder noch implizieren sie noch unterstellen sie irgendeine Abhängigkeit ihrer Gültigkeit von solchen Fakten. Sie behaupten vielmehr ausschließlich, daß Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn es solche Fakten gibt. Die Frage, ob es solche Fakten gibt, kann mit nicht-empirischen, transzendental-logischen Mitteln nicht nur nicht beantwortet werden, sie kann mit diesen Mitteln noch nicht einmal sinnvoll gestellt werden. Jedenfalls würde eine transzendental-logische Theorie sich selbst mißverstehen, wenn sie diese ob-Frage in der Erwartung stellen würde, sie mit ihren Mitteln beantworten zu können. Deswegen ist es für sie methodologisch nötig und einzig richtig, nicht nach nicht-reinen synthetischen Urteilen  a priori zu suchen. Daher irrt auch Watkins, Causality, wenn er meint, daß »Kant’s arguments in the Second […] Analogy unite ontological and epistemological elements by claiming that certain ontological commitments – causality – are presupposed by the epistemic claims concern­ ing our knowledge of successions«, S. 425, Hervorhebungen R. E. Dennoch gehört der indirekte Bezug der Analogien auf die Empirie, also vor allem auf die Wahrnehmung zu

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behauptet, daß Erfahrung möglich ist. Es wird lediglich  – aber immerhin  – behauptet, daß Erfahrung nur dann möglich ist, wenn alles, was existiert, die kategorialen Formen der Erfahrungsurteile erfüllt, deren kategoriale Formen jedenfalls auch im Rahmen der Analogien antizipiert werden. Indessen sind die propositionalen Kerngehalte sogar aller drei Analogien ausschließlich an den möglichen Gegenständen der Erfahrung orientiert. Doch zu den vollständigen transzendentalen Gehalten dieser drei Grundsätze gehören nicht nur genauso, sondern sogar primär die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. Es wäre daher nicht damit getan, diesen Kerngehalten lediglich durch den spezifisch transzendentalen Prä-Text Erfahrung ist nur dann möglich, wenn … Rechnung zu tragen. Eine von Kants okkasionellen Arbeitsdefinitionen – »Das Wort transcendental [bedeutet] … bei mir … eine Beziehung unserer Erkenntnis … nur aufs Erkenntnisvermögen«26 – erinnert daher daran, wie wichtig es ist, die Erkenntnisvermögen zu berücksichtigen, die sich »auf ein mögliches Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen« – »die formalen Bedingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft, und die notwendige Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption«.27 Gewiß sind diese speziellen subjektiven Erkenntnisbedingungen – also Erkenntnisvermögen – hier in der abstrakten terminologischen Sprache formuliert, die Kant für Gelegenheiten stenographischer nomineller Zusammenfassungen vorgesehen hat. Doch der konkrete Sinn und die konkrete Bedeutung der Rede von Erkenntnisvermögen erschließt sich erst dann, wenn jeweils hinreichend konkret, differenziert und trennscharf geklärt ist, welches die spezifischen mentalen Akte und welches die spezifischen kognitiven Erfolge sind, deren ein Subjekt vermöge der entsprechend spezifischen subjektiven Erkenntnisbedingungen fähig ist, die es erfüllt. Die drei genannten Erkenntnisvermögen, die für die Möglichkeit der Erfahrung und zugleich für die Möglichkeit ihrer Gegenstände konditional sind, hat Kant bis zu ihrer abstrakt-nominellen Zusammenfassung am Eingang zur Systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze in diesen Hinsichten schon genügend erläutert. Die apostrophierte transzendentale Apperzeption ist in diesem thematischen Zusammenhang gleichsam auf zwei nach unten verihren wichtigsten funktionalen Momenten. Kant hat diesen indirekten Bezug und dieses funktionale Moment überaus trefflich zur Sprache gebracht: Für die Grundsätze und deren Beweise – vor allem derjenigen, »die unter dem Namen der Analogien der Erfahrung vorkommen« – ist es charakteristisch, daß sie die »Form einer möglichen Erfahrung … anti­zipieren«, A 246, B 303; doch deswegen gehören ontological elements nicht zu den Inhalten (Watkins) der Zweiten Analogie; sie gehören stattdessen zu der von ihr antizipierten Form der empirischen, wahrnehmungsbasierten kausal-thematischen Erfahrungsurteile; zu dieser antizipierten Form vgl. oben S. 260–263. 26 IV, 293, Kants Hervorhebung. 27 A 158, B 197, Kants Hervorhebungen.

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laufenden funktionalen Stufen präsent. Auf der obersten Stufe berücksichtigt das logisch und transzendental reflektierende Subjekt die zentrale Funktion der transzendentalen Apperzeption – die reine und ursprüngliche Apperzeption. Denn durch diese – sprachlich artikuliert durch den ›formalen Satz‹ Ich denke bzw. Ich denke, daß-p – stiftet dieses Subjekt auf der zweiten Stufe für die beiden anderen Erkenntnisvermögen – also für ›die formalen Bedingungen der Anschauung a priori und die Synthesis der Einbildungskraft‹ – ›die notwendige Einheit‹, also die Einheit, die als notwendige Bedingung dafür fungiert, daß die »Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche«,28 vom transzendental-logisch reflektierenden Subjekt zugunsten von synthetischen Urteilen aprori fruchtbar gemacht werden kann. Denn es sind nicht unmittelbar die apostrophierten Erkenntnisvermögen, für die die reine und ursprüngliche Apperzeption als notwendige Bedingung ihrer Einheit in synthetischen Urteilen apriori fungiert. Unmittelbar sind es vielmehr die von der (produktiven) Einbildungskraft entworfenen Schema-Kriterien und die reinen formalen, vor allem temporalen Anschauungen, die durch Akte der reinen und ursprünglichen Apperzeption zugunsten der logischen Einheit in solchen Urteilen verbunden werden. Es fällt nicht schwer, die Funktion, die die reine und ursprüngliche Apperzeption für die Verknüpfung dieser Elemente in einem synthetischen Urteil apriori unmittelbar und als solche zur Sprache zu bringen. Berücksichtigt man in dem schon vielfach erörterten Sinne29 die vollständige Form Ich denke, daß-p, des ›formalen Satzes‹ Ich denke, dann gewinnt z. B. der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz die Form Ich denke, daß bei allem Wechsel der Erscheinungen die Substanz beharrt und das Quantum derselben in der Natur weder vermehrt noch vermindert werden kann Wie in allen anderen Fällen von Urteilen hat diese Apperzeption an ihnen stets ihren unthematisch fungierenden, die Form des Urteils-überhaupt stiftenden Anteil. Auch an den im Text der Ersten Kritik formulierten acht synthetischen Urteilen apriori hat sie in dieser unthematisch fungierenden Form ihren Anteil. Mit Hilfe des ›formalen Satzes‹ Ich denke, bzw. Ich denke, daß-p, wird diese unthematisch fungierende, aber die Form eines Urteils als Urteil stiftende Apperzeption auch in diesen Fällen lediglich nachträglich ausdrücklich und thematisch zur Sprache gebracht. Kant hat diese für die Möglichkeit der Erfahrung zentrale Rolle der Apperzeption sogar selbst, wenngleich vorläufig nur indirekt berücksichtigt. Denn 28 B 131. – Zur Tragweite, die die ursprüngliche und reine Apperzeption für die ›Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauch‹ mit sich bringt, vgl. unten S. 324, Anm. 235. 29 Vgl. vor allem Erster Teil, bes. S. 91–92.

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die reine und ursprüngliche Apperzeption bildet auch »die Form, die jeder Erfahrung als bloß subjektive Bedingung derselben anhängt«.30 Der distributive Quantor jeder macht darauf aufmerksam, daß Kant hier »Jede einzelne Erfahrung« im Auge hat, die »[…] nur ein Teil von der ganzen Sphäre ihres [der Erfahrung, R. E.] Gebiets [ist]«31 und von der Form jedes einzelnen Erfahrungsurteils gebildet wird. Zwar ist »das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung … selbst keine Erfahrung«.32 Von diesem absoluten Ganzen kann daher in direkter Form auch nur in der negativen Form die Rede sein, daß es selbst und als solches ›keine Erfahrung‹, also kein Thema irgendeines Erfahrungsurteils sein kann. Es kann daher auch nicht in die Obhut eines Aktes der reinen und ursprünglichen Apperzeption gehören. Doch mit den reinen synthetischen Urteilen des Systems der Grundsätze hat die transzendental-logische Reflexion und Analyse Urteilsformen ans Licht gebracht, die in ihrem Zusammenhang erlauben, dieses absolute Ganze in einer indirekten Form zu thematisieren. Denn jeder dieser acht Grundsätze bringt das von ihm Thematisierte mit Hilfe desselben Allquantors zur Sprache. Durchmustert man alle diese Grundsätze schematisch unter diesem Aspekt, dann erhält man für Das Prinzip der Axiome der Anschauung (Ax) die Komponente »Alle Anschauungen …«,33 für Das Prinzip der Antizipationen der Wahrnehmung (Ant) die Komponente »In allen Erscheinungen …«,34 für die Erste Analogie (AnSubst) die Komponente »Bei allem Wechsel der Erscheinungen …«,35 für die Zweite Analogie (AnKaus) die Komponente »Alles, was geschieht …«,36 für die Dritte Analogie (AnWechs) die Komponente »Alle Substanzen …«37 und für die Postulate des empirischen Denkens (Post) mit Hilfe einer trivialen entsprechenden Quantoren-Ergänzung die Komponente »[Alles] was bzw. dessen …«.38 Mit Hilfe der Konjunktion dieser allquantifizierten Urteile (Ax) & (Ant) & (AnSubst) & (AnKaus) & (AnWechs) & (Post)39

30 A 354; vgl. auch die Bemerkung, daß wir die »die Einheit des Bewußtseins« stiftende reine und ursprüngliche Apperzeption »zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich brauchen«, B 420. 31 IV, 328, Hervorhebung R. E. 32 Ebd. 33 B 202. 34 B 207. 35 B 224. 36 A 189. 37 A 211 bzw. B 256. 38 A 218, B 265–266; zur Rolle des Allquantors für die Charakterisierung der Durchgängig­ keit der Erfahrung vgl. unten S. 277, Anm. 48. 39 In dieser Formel werden nur sechs statt der angedeuteten acht Grundsätze genannt, weil mit (Post) die drei Postulate zu ihrem Einen Prinzip zusammengefaßt sind.

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ist offensichtlich eine urteilsförmige Thematisierung alles dessen möglich, was zur internen Struktur des absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung gehört. Doch in Verbindung mit dieser urteilsförmigen konjunktiven Thematisierung ist daher auch eine ausdrückliche Thematisierung des ursprünglich unthematisch fungierenden Aktes der reinen und ursprünglichen Apperzeption möglich, durch den das transzendental-logisch reflektierende und analysierende Subjekt diese konjunktive Urteilsform bildet: Ich denke, daß (Ax) & (Ant) & (AnSubst) & (AnKaus) & (AnWechs) & (Post).40 Für die vollständige spezifisch transzendental-logische Präsentation der Struktur, die mit Hilfe der Grundsätze ins Auge gefaßt wird, ist aber selbstverständlich zuletzt die Berücksichtigung der konditionalen, notwendigen und hinreichenden Rolle nötig, die die Konjunktion dieser Grundsätze mit Blick auf die Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände innehat: Ich denke, daß Erfahrung und ihre Gegenstände dann und nur dann möglich sind, wenn (Ax) & (Ant) & (AnSubst) & (AnKaus) & (AnWechs) & (Post).

40 Die Verknüpfung der die logische Einheit des Urteils-überhaupt spontan stiftenden ursprünglichen und reinen Apperzeption mit einer Konjunktion, also mit einer wahrheitswert-funktionalen logischen Verbindung, scheint angesichts des von Kant entworfenen Systems logischer Funktionen einen Störfaktor zu bilden. Denn die von Kant berücksichtigen logischen Funktionen sind ausschließlich mit dem spezifisch transzendentallogischen Ziel konzipiert, an ihrem Leitfaden kategoriale Funktionen eines möglichen Gegenstandsbezugs von Urteilen zu erfassen. Die wahrheitswert-funktional konzipierte Konjunktion gehört nicht dazu. Doch das macht die die logische Einheit des Urteilsüberhaupt spontan stiftende Apperzeption ganz und gar nicht untauglich, diese spezifische Einheit mit Blick auf logische Funktionen auch eines ganz anderen Typs zu stiften. Diesen Spontaneitäts-Faktor hat der Frege-, Kant- und Logik-Kenner Günther Patzig, Gottlob Frege, in: Klassiker der Philosophie. Zweiter Band: Von Immanuel Kant bis JeanPaul Sartre (Hg. O. Höffe), München 1981, S. 251–273, gelegentlich fruchtbar gemacht, um den spontanen Charakter des Gebrauchs der logischen Funktionen zu betonen, die in der modernen formalen Logik behandelt werden. In seinem Frege-Artikel wird die Sponta­ neitätsbedingung im Blick auf die moderne Logik mit Hilfe einer robusten Metapher durch den Gedanken betont, daß »[…] wir den Bereich der Urteilsformen ›denkend in unserer Gewalt‹ [haben]«, S. 255. Kant verwendet die Phrase in seiner Gewalt haben gelegentlich sogar selbst, um die Spontaneität zu charakterisieren, mit der wir Vorstellungen nur in Urteilen spontan gebrauchen können, vgl. VIII, 131. Es ist ja auch ganz unübersehbar, daß die Konjunktion ganz unabhängig von ihren wahrheitswert-funktionalen Eigenschaften an einer übergedordneten Funktion teilhat, durch wir jeweils zwei beliebige wahrheitsdifferente Gedanken (Urteile, Sätze, Propositionen u. ä.) spontan, also ›denkend so in unserer Gewalt haben‹, daß wir sie zu Einem wahrheitsdifferenten Gedanken verbinden können.

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Daß jeder einzelne der Grundsätze eine notwendige Bedingung dieser Möglichkeit thematisiert, versteht sich dann von selbst. Kants verschiedentliche Auszeichnungen der Schlüsselrolle der Relations-Kategorien und der mit ihnen strikt verbundenen Analogien der Erfahrung bilden auch der Sache nach ernst zu nehmende Hinweise darauf, mit ihrer Erörterung den Anfang zu machen. Allen anderen Grundsätze fällt dann, ganz ungeachtet ihrer ebenbürtigen konditionalen Rollen, die Rolle zu, Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände nach allen Regeln der transzendental-logischen Kunst zu thematisieren, die in den Formulierungen, Beweisen und Erörterungen dieser Analogien lediglich mehr oder weniger beiläufig erwähnt oder zu Hilfe genommen werden. Diese anderen Grundsätze werden daher im folgenden auch direkt in der Funktion von Hilfs-Grundsätzen der Analogien erörtert.

20.1. Wie wir von der Empirie zur Erfahrung gelangen können Die transzendental-logische Theorie der Erfahrung macht mit besonderer begrifflicher und argumentativer Trennschärfe darauf aufmerksam, daß das Empi­ rische der empirischen Erkenntnis, die durch den Gebrauch von Kategorien in Erfahrungsurteilen erworben wird, sorgfältig von der Erfahrung bzw. dem Ganzen aller möglichen Erfahrung unterschieden werden muß, zu der der progressive Erwerb von immer neuen Erfahrungsurteilen in unvollendbarer Form beiträgt. Denn den empirischen Gehalt von Erfahrungsurteilen gewinnt das jeweils urteilende Subjekt, ganz ungeachtet seines Gebrauchs der nicht-empirischen Kategorien, nur durch den unabdingbaren empirischen Rückgriff auf die okkasionellen Wahrnehmungen, die für die Angemessenheit des Gebrauchs bestimmter Kategorien in Frage kommen. Auf die empirische Wahrnehmungsbasiertheit dieser Erfahrungsurteile, also synthetischen Urteile aposteriori müssen auch die zentralen synthetischen Urteilen apriori Rücksicht nehmen, wenn sie den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände gerecht werden sollen. Denn Erfahrung und deren Gegenstände wären für urteilsfähige und -bedürftige Subjekte auch dann nicht möglich, wenn sie nicht immer wieder von neuem den empirischen Rekurs auf Wahrnehmungen vollziehen könnten, die für einen angemessenen Gebrauch der nicht-empirischen Kategorien in Frage kommen. Kant hat die komplexen konditionalen Beziehungen zwischen der Empirie der Wahrnehmungen und der kategorien-geprägten Erfahrung gelegentlich sogar besonders suggestiv mit Hilfe einer einfachen Zweck-Mittel-Beziehung charakterisiert: »Die Erfahrung ist nicht das Mittel sondern der Zweck der Erkenntnis der Sinenobjekte«.41 Umgekehrt bilden dann die Wahrnehmungen – also die ›Erkenntnisse der Sinnenobjekte‹ – das Mittel, das im Medium 41 XXII, 493.

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wahrnehmungsbasierter und kategorien-geprägter Erfahrungsurteile zugunsten des Zwecks namens Erfahrung unablässig fruchtbar gemacht werden kann.42 Die Unabdingbarkeit, mit der Erfahrung an die Empirie des Rekurses auf Wahrnehmungen gebunden ist, muß daher auch durch das Prinzip der Analogien der Erfahrung berücksichtigt werden: »Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich«.43 Der Beweis dieses Prinzips erläutert das Erfordernis der ›Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen‹ durch die Erinnerung daran, daß die »synthetische Einheit des Mannigfaltigen derselben in einem Bewußtsein«44 eine notwendige Bedingung ist  – notwendig dafür, daß das jeweils urteilende Subjekt die jeweilige Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungen durch einen unthematischen Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption in derjenigen Einheit des Bewußtsein verknüpfen kann, die die logische Einheit in einem Urteil-überhaupt stiftet. Nur durch diesen Akt kann dem jeweils urteilenden Subjekt die Möglichkeit eröffnet werden, die spezielle kategoriale Verknüpfung des Mannigfaltigen der Wahrnehmungen in der logischen Einheit eines Erfahrungsurteils zu erzielen und »zu … [s]einem eigenen45 … Erkenntnisse« zu machen, »mithin ein Gegenstand für mich werden kann«.46 Der Satz, der das Prinzip bzw. »das Gesetz«47 der Analogien formuliert, ist daher erst dann vollständig, wenn er diesen an sich unthematisch fungierenden Akt mit Hilfe des ›formalen Satzes‹ Ich denke bzw. Ich denke, daß-p thematisch zur Sprache bringt: Ich denke, daß Erfahrung nur dann möglich ist, wenn eine durchgängige Verknüpfung aller Wahrnehmungen mit Hilfe der Relations-Kategorien und der ihren Gebrauch regulierenden temporalen Schema-Kriterien möglich ist48 42 Kant hat den radikalen Unterschied zwischen dem Empirischen bzw. der Empirie und der Erfahrung schließlich unmittelbar auf der entsprechenden Reflexionsstufe als die »Amphibolie der Erfahrungsbegriffe«, XXII, 323, thematisiert. Ein geradezu anschau­ liches, buchtechnisches Indiz für den strikten funktionalen und sachlichen Unterschied zwischen dem Empirischen und der Erfahrung bietet das von Gerhard Lehmann entworfene Register zu den beiden Bänden des opus postumum. Es führt die Nachweise für die Vorkommnisse der beiden Stichworte in Kants Formulierungen, sorgfältig getrennt, auf den Seiten XXII, 653–654 bzw. 657–660 auf. 43 B 218. Die Formulierung der ersten Auflage spricht – wenngleich synonym – statt von Wahrnehmungen von Erscheinungen und berücksichtigt das temporale Sukzessions­ verhältnis zwischen den Erscheinungen, also den Wahrnehmungen. In der Formulierung der zweiten Auflage ist dieses temporale Verhältnis stillschweigend als etwas unterstellt, was sich von selbst versteht. 44 Ebd.; vgl. auch B 220 f. 45 Vorländers Korrektur von »einigem«. 46 B 218. 47 A 179, B 220. 48 Daß es auf die Verknüpfung aller Wahrnehmungen ankommt, trägt Kant B 220 ebenso nach wie den Rekurs auf die kriterielle Rolle der Schemata; die Rede von der Durch­

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Diese besondere kategoriale Verknüpfung »[macht] das Wesentliche einer Erkenntnis der Objekte der Sinne, d. i. der Erfahrung aus[…]«.49 Bei der Notwendigkeit, die die Kategorien »jederzeit zugleich … bei sich führen«,50 handelt es sich allerdings um die in syntaktischer Hinsicht lokale Notwendigkeit, die das von einer hinreichenden Bedingung abhängige Bedingte charakterisiert.51 Doch die Wahrnehmungen als Wahrnehmungen »kommen nur zufälligerweise zueinander«52 und stellen sich daher – als rein subjektive Widerfahrnisse – auch nicht in objektiv bestimmter Sukzessivität ein. Daher »kann die Bestimmung der Existenz der Objekte [der Wahrnehmungen, R. E.] in der Zeit nur durch ihre [dieser Objekte, R. E.] Verbindung in der Zeit überhaupt, … nur durch a priori verknüpfende Begriffe geschehen«,53 also durch die Relations-Kategorien, die die Objekte der Wahrnehmungen apriori auf die konditionalen Rollen der hinreichenden Bedingung und des durch sie Bedingten festlegen. Indessen ist die anti-symmetrische Relation der hinreichenden Bedingung zu dem durch sie Bedingten durch das entsprechende Schema-Kriterium auf den temporalen Charakter der mit ihr isomorphen anti-symmetrischen Sukzessivität festgelegt; entsprechend ist das durch eine hinreichende Bedingung Bedingte notwendigerweise der Fall, wenn die hinreichende Bedingung erfüllt ist, so daß durch die Relations-Kategorien nicht nur ›die Bestimmung der Existenz der Objekte der Wahrnehmungen in der Zeit durch die Verbindung dieser Objekte in der Zeit überhaupt‹ bestimmt ist. Darüber hinaus ist auch die Notwendigkeit, die die Relations-Kategorien ›jederzeit mit sich führen‹, eindeutig mit denjenigen Relaten der drei Relationen verknüpft, die durch diese Kategorien bzw. ihren Gebrauch in Urteilen auf die Rolle des durch eine hinreichende Bedingung Bedingten festgelegt werden. Die drei Analogien orientieren also deswegen über den Weg, der von der Empirie zur Erfahrung führt, weil sie die Bedingungen klären, von denen abhängt, gängigkeit dieser Verknüpfung bildet das Schlüsselwort, das Kant sich vor allem für die Retraktationen dieses Themas im op. post. aufgehoben hat, vgl. die Register-Nachweise XXII , 657, Stichwort Erfahrung – –; – als durchgängige Bestimmung …. Vgl. jedoch auch schon die systematisch zentralen Theoreme A 110: »Die durchgängige und synthetische Einheit der Wahrnehmungen macht nämlich gerade die Form der Erfahrung aus«, und vor allem A 146, B 185 »… Erscheinungen allgemeinen Regeln der Synthesis … unterwerfen, und sie dadurch zur durchgängigen Verknüpfung in einer Erfahrung schicklich … machen«. 49 B 218–219. 50 B 219. 51 Zu der für die drei Relations-Kategorien charakteristischen Notwendigkeit dessen, was in der Rolle eines Bedingten von einer hinreichenden Bedingung abhängig ist, vgl. Erster Teil, 11. Ab.; zu derselben die relationalen Urteilsfunktionen charakterisierenden konditionalen Relation vgl. ebd. 10.3. Ab., bes. S. 224–236. 52 B 219. 53 Ebd.

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daß sich urteilsfähige Subjekte diesen Weg nur dadurch bahnen können, daß sie die ihnen unaufhörlich widerfahrenden Wahrnehmungen immer wieder von neuem im Rahmen von neuen wahrnehmungsbasierten, aber kategoriengeprägten und schema-kriteriell geleiteten Erfahrungsurteilen zugunsten von neuen Anteilen am ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹ fruchtbar machen, also schrittweise  – aber »asymptotisch«, wie das opus postumum es immer wieder einschärft54 – zugunsten des kohärenten Ganzen aller möglichen Erfahrungsurteile. Exkurs über die Reinheit und die Apriorität der zeitlichen Form der Anschauung Mit ihrem reflexiven und analytischen Blick auf die Schritte, die die urteilsfähigen Subjekte auf ihrem Weg von der Empirie zur Erfahrung tun können, ist die Transzendentalphilosophie bis zuletzt auf diesen Weg konzentriert. Ganz zuletzt lenkt sie die Aufmerksamkeit ihrer Reflexion auf diejenige Gestalt der Urteilskraft, der es vorbehalten ist, »die reinen Verstandesbegriffe zu synthetischen Urteilen zu brauchen«, und zwar zugunsten der »Urteile, die der Verstand … wirklich a priori zustande bringt«.55 Diese Form des Gebrauchs der Kategorien fällt nicht mehr in die empirische Obhut der bestimmenden Urteilskraft, jeweils schon gewonnene Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteile mit Hilfe geeigneter Kategorien in Erfahrungsurteile zu transformieren. Der eminenten, apriorischen Gebrauchsform der Kategorien ist es vielmehr vorbehalten, die Grundsätze »in systematischer Verbindung darzustellen«,56 auf deren Wahrheit sich die bestimmende Urteilskraft des empirisch orientierten ›gemeinen Verstandes‹ regelmäßig stillschweigend verläßt, wenn sie immer wieder von neuem auf dem empirischen Weg solche Erfahrungsurteile zu gewinnen sucht. Denn sie kann solche Erfahrungsurteile nur dann immer wieder von neuem mit legitimierbarer Aussicht auf Erfolg intendieren, wenn die Erfolgsträchtigkeit bzw. Fruchtbarkeit dieser Intention durch die Wahrheit von entsprechenden stillschweigenden Unterstellungen (presuppositions) über die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände garantiert ist. Die Klärung dieser Bedingungen ist es indessen, die zur Einsicht in die reinen, also nicht-empirischen Formen des Gebrauchs der Kategorien führen kann. Doch für diese eminente Gebrauchsform der Kategorien ist ausschließlich »die transzendentale Urteilskraft«57 zuständig. Bevor ihre eminente Gebrauchsform untersucht werden kann, ist es indessen nötig, daß die »allgemeinen Bedin54 Vgl. den Stellenindex zum Stichwort Erfahrung – und Wahrnehmung, XXII, S. 657. 55 A 148, B 187. 56 Ebd. 57 Ebd.

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gungen erwogen« werden, »unter denen sie allein die reinen Verstandesbegriffe zu synthetischen Urteilen [a priori, R. E.] zu brauchen befugt ist«.58 Bei diesen allgemeinen Bedingungen für diese Befugnis handelt es sich um die »in dem vorigen Hauptstücke«59 erwogenen transzendentalen Schemata. Diese »sind … nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Ansehung aller möglichen Gegenstände«.60 Wegen dieser ihrer Apriorität – und nur ihretwegen – »sind die Schemate der reinen Verstandesbegriffe die wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte, mithin Bedeutung zu verschaffen zu verschaffen, und die Kategorien sind daher am Ende von keinem anderen, als einem empirischen Gebrauche, indem sie bloß dazu dienen, durch Gründe einer a priori notwendigen Einheit (wegen der notwendigen Vereinigung alles Bewußtseins in einer ursprünglichen Apperzeption61) Erscheinungen allgemeinen Regeln der Synthesis zu unterwerfen, und sie dadurch zur durchgängigen Verknüpfung in einer Erfahrung schicklich zu machen«.62 Unter diesen Voraussetzungen fällt den temporalen Formen der ›Zeitbestimmungen  a priori nach Regeln‹  – also den Schemata  – eine einzigartige Schlüsselrolle zu: Erst die Berücksichtigung ihrer kriteriellen Funktion für den reinen Kategoriengebrauch führt zu der vollständigen intendierten Einsicht apriori – zur Einsicht in jene Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände, auf deren Erfülltsein sich die urteilsfähigen Subjekte stillschweigend verlassen müssen, indem sie es ebenso stillschweigend für garantiert halten, daß ihre empirischen Intentionen auf einen immer wieder neuen Gewinn von immer wieder neuen Erfahrungsurteilen schrittweise in Erfüllung gehen können. Doch es ist diese Schlüsselrolle der temporalen Schemata apriori, die noch einmal der abschließenden Vergewisserung der Gründe dafür bedarf, daß die Zeit eine Form der zeitlichen Anschauung apriori ist, also aus nicht-empirischen Gründen als eine solche Form in Anspruch genommen werden kann und muß. Kant gewinnt die Einsicht in die Apriorität der Form der (reinen) zeitlichen Anschauung aus einer temporalen Analyse der logischen Form des unthematisch fungierenden Akts der reinen und ursprünglichen Apperzeption, der durch den 58 A 148, B 187. 59 Ebd. 60 A 145, B 184–185, Kants Hervorhebungen; vgl. auch R 5933: »Der Schematismus zeigt die Bedingungen an, unter denen eine Erscheinung in Ansehung der logischen Funktionen bestimmt ist und also unter einer Kategorie steht«. 61 Die hier apostrophierte notwendige Einheit bzw. notwendige Vereinigung ist die Einheit bzw. Vereinigung, die als notwendige Bedingung für die Möglichkeit der am Ende des Satzes thematisierten »eine[n] Erfahrung« – also Einen Erfahrung – fungiert. 62 A 146, B 185.

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›formalen Satz‹ Ich denke zur Sprache gebracht wird.63 Denn dieser Akt wird durch zwei unmittelbar logisch relevante seiner Charaktere auf eine wohlbestimmte, nicht-modifizierbare temporale Ordnung festgelegt. Zum einen »… [ist] dieses Ich […] sowenig Anschauung, als Begriff von einem Gegenstand«.64 Da es aber vor allem »… gar kein Begriff«65 ist, kann es auch »nicht als Prädikat … gebraucht werden«.66 Es muß daher als »das absolute Subjekt«67 des unthema­ tisch fungierenden urteilstiftenden Akts des Denkens bzw. der reinen und ursprüng­lichen Apperzeption gebraucht werden. Es muß jedoch ebenso in der Subjekt-Rolle Ich … des diesen apperzeptiven Akt thematisierenden kategorischen Urteils Ich denke bzw. Ich denke, daß-p als absolutes Subjekt zur Sprache gebraucht werden.68 In der Verbindung mit dem Prädikat … denke bzw. … denke, daß-p fungiert es daher in einer anti-symmetrischen, also unumkehrbaren kategorischen Relation, die auch die temporale, sukzessive Form des entsprechenden Urteilsakts definitiv festlegt. Denn da »… […] in jedem Urteil subjektiv eine Zeitfolge [ist]«,69 wird eine besondere Art von temporaler Normalform des Gebrauchs der Vorstellungen – also der Begriffe, Nicht-Begriffe und Anschauungen bzw. Nicht-Anschauungen – in einem Urteil durch die logische Form des jeweiligen Urteils und durch die logischen Eigenschaften dieser gebrauchten Vorstellungen festgelegt: In den einfachsten Normal-Fällen wird im kategorischen Urteil das 63 In diesem Exkurs skizziere ich in kurzer Form den zentralen Zusammenhang, der in Kants Konzeption der Selbstaffektion zur Einsicht in die Apriorität der reinen zeitlichen Form der Anschauung führt; vgl. zur ausführlichen Erörterung oben 13.2.–13.3. Ab. 64 A 382. 65 IV, 334; zur Begründung der These, daß die Zeit nicht eine begriffliche, sondern eine anschauliche Form hat, vgl. oben S. 204–205. 66 334*. 67 334, Kants Hervorhebungen. 68 Die Absolutheit dieser doppelten Subjekt-Rolle ist unter den Vorzeichen der traditionellen Begriffs-Logik, an der Kant sich mit diesen Erläuterungen orientiert, gut verständlich. Denn bei dem Typ von Begriffen, um den es im Rahmen dieser negativen Abgrenzung geht, handelt es sich um die conceptus communes, für deren Rollen im kategorischen Urteil es wegen ihrer klassifikatorischen Über- bzw. Unterordnungsbeziehungen charakteristisch ist, daß sie sowohl als Subjekte wie als Prädikate gebraucht werden können. Z. B. der Begriff des Menschen kann nicht nur als Subjekt eines solchen Urteils relativ zum prädikativen Gebrauch des Begriffs des Säugetiers gebraucht werden, er kann in der Rolle des Prädikats auch relativ zum Subjekt-Begriff des Königsbergers gebraucht werden. Da das Ich kein solcher Begriff ist, wohl aber ein absolutes, also unbedingtes Subjekt, schließt die Korrektheit seines Gebrauchs diese doppelte Rollen-Relativität seines Gebrauchs im kategorischen Urteil strikt aus. Es kann in einem solchen Urteil ausschließlich als Subjekt gebraucht werden. Die Prädikate, die wie z. B. … denke in kategorischer Verbindung mit ihm gebraucht werden können, sind gleichsam Erben der Absolutheit dieses Subjekts, weil sie nicht statt seiner in der kategorischen Subjekt-Rolle gebraucht werden können. Sie sind durch seine Absolutheit dazu verurteilt, ausschließlich als seine ›absoluten Prädikate‹ gebraucht werden zu können. 69 XX , 369.

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Prädikat nach dem Subjekt und im hypothetischen Urteil das Consequens nach dem Antezedenz gebraucht.70 Das nach Kants logischen Kriterien einzigartige kategorische Ausnahme-Urteil Ich denke bzw. Ich denke, daß-p ist allerdings auf solche Konventionen für eine Normalform nicht angewiesen. Denn der nicht-begriffliche und nicht-anschauliche und daher für die prädikative Brauchbarkeit untaugliche logische Status des Ich als ›absolutes Subjekt‹ macht es von Hause aus und nicht erst dank einer Konvention resistent gegen eine Umkehrung des dieses Ich thematisierenden Subjekt-Prädikats-Urteils Ich denke bzw. Ich denke, daß-p. Diesen logischen Status hat Kant mit den ihm zur Verfügung stehenden konzeptionellen Mitteln zwar annäherungsweise angemessen, aber nicht wirklich zureichend bestimmt. So sagt er vom Akt der spontanen reinen und ursprünglichen Apperzeption zwar, daß er »[…] bloß die logische Funktion [ist]«71 bzw. »die logische Funktion der Urteile«.72 Und von dem diesen spontanen Akt thematisierenden sprachlichen Gebilde sagt er, daß es »der formale Satz der Apperzeption«73 ist. Mit der wohl ausgereiftesten Reflexion zu diesem Thema bemerkt Kant: »Der logische Akt Ich denke … ist ein Urteil (iudicium) […]. Es ist ein logischer Akt der Form nach ohne Inhalt«.74 Denn dieser Akt ist ein Urteilsakt der kategorischen Form, der aber gerade in der vervollständigten Form seiner sprachlichen Repräsentation Ich denke, daß-p, mit der spezifisch propositionalen Komponente …, daß-p vom propositionalen Inhalt abstrahiert und in diesem abstraktiven Sinne ohne Inhalt ist. Dennoch zeigt Kant, daß er sich bewußt ist, in einer zumindest vorläufigen Verlegenheit zu sein, sofern es um die Charakterisierung des logischen Typs des ›iudicium‹ Ich denke geht. Kants annäherungsweisen Charakterisierungen lassen sich mit den konzeptionellen Mitteln unserer Tage zu einer zweifachen syntaktischen Charak­ terisierung zuspitzen. Zweifach muß diese Charakterisierung sein, weil man den sprachlichen Ausdruck des ›großgeschriebenen Ich‹ (Tugendhat) in dem sprachlich artikulierten Urteil Ich denke bzw. Ich denke, daß-p sorgfältig von 70 Auch für diese Verflechtung logischer und nicht-logischer Formen zugunsten einer konventionellen Normalform hat Patzig, Syllogistik, ein aufschlußreiches Analogon in der Aristotelischen Syllogistik fruchtbar gemacht. Denn mit Blick auf die von Aristoteles behauptete Evidenz (φανῆναι) der Schlüssigkeit der Syllogismen der Ersten Figur hat er überzeugend gezeigt, daß es die äußere Umkehrung der alltäglichen grammatischen Subjekt-Prädikat-Form in die Prädikat-Subjekt-Form der beiden Prämissen und der Conclusio dieser Figur sowie die äußere Anordnung der oberen und der unteren Prämisse sind, die zusammen die Schlüssigkeit des Syllogismus durch die Transitivität der Schritte gleichsam unmittelbar sichtbar, ›evident‹ machen, die von der Form der oberen Prämisse über die der unteren Prämisse zu der der Konklusion führen, vgl. S. 52–93. 71 B 428. 72 B 143. 73 A 354. 74 XXVIII .1, 266.

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dem unthematisch fungierenden Ich unterscheiden muß, das durch diese Formulierung thematisiert wird: Das ›großgeschriebenen Ich‹, das als ›absolutes‹ Subjekt Ich … in diesem Urteil gebraucht wird, ist ein (einstelliger) Funktor bzw. Funktorausdruck, der als seinen charakteristischen sog. Argumentausdruck das traditionell sog. Prädikat … denke bzw. … denke, daß-p als ›absolutes‹ Prädikat ›nach sich zieht‹; das unthematisch, aber spontan fungierende Ich ist dagegen der höchste nicht-sprachliche Funktor, der strikt mit der urteilstiftenden Funktion des Denkens-daß-p verbunden ist. Von ihm kann Kant in einer geradezu revolutionären Formulierung sagen, »das denkende Ich […] die Seele«75 und »Ich, als denkend, […] Seele [heiße]«.76 Es sind daher die formal-funktionalen Eigenschaften des unthematisch, aber spontan fungierenden Akts des das Urteil-überhaupt stiftenden reinen und ursprünglichen Apperzeption, deren Analyse Kant die Einsicht in die Apriorität der reinen sinnlichen Form der Anschauung der Zeit eröffnen. Er analysiert diese Eigenschaften geradezu in sprachanalytischer Einstellung am Leitfaden der formal-funktionalen Eigenschaften des diesen an sich unthematischen Akt thematisierenden ›formalen Satzes‹ Ich denke. Den Leitfaden dieser Einstellung bildet die Einsicht, daß ›der logische Akt Ich denke ein Urteil (iudicium) ist, aber ein logischer Akt der Form nach ohne Inhalt‹ (vgl. XXVIII.1, 266). Doch zur Formalität dieses inhaltsleeren logischen Urteilsakts gehört unter der Voraussetzung, daß ›in jedem Urteil subjektiv eine Zeitfolge ist‹, auch der formale Charakter der Zeitfolge. Diese Zeitfolge ist durch die logische, kategorische Form der anti-symmetrischen Beziehung des ›absoluten‹ Subjekts Ich … zum ›absoluten‹ Prädikat … denke bzw. … denke, daß-p, als die Sukzessivität festgelegt, 75 A 361. 76 A 342, B 400; vgl. auch IV, 334: »Dieses denkende Selbst (Seele)«; vgl. hierzu auch ausführlicher Erster Teil, S. 143–144. Das unthematisch, aber spontan denkend-fungierende Ich übt unter dem terminologischen Namen der ursprünglichen und reinen Apperzeption die Funktion aus, durch die spontane Stiftung der Urteilbildung den alles ›beseelenden‹ Ursprung des Menschseins auszumachen. Denn es bewahrt den Menschen durch die Spontaneität seiner Bildung von Urteilen-überhaupt davor, nichts anderes zu sein als ein passives Medium einer andernfalls unüberwindbaren ›Zerstreuung‹ in den Affektsturm von unzusammenhängenden sukzessiven Widerfahrnissen sinnlicher Reize; vgl. hierzu die zentrale Zerstreuungs-These, B 133, sowie deren Erläuterungen, Erster Teil, S. bes. 113–127. Die ›beseelende‹ Tragweite dieses spontanen Akts der Urteilsstiftung zeigt dessen anthropologische Tragweite auch noch darin, daß diese Spontaneität bzw. SelbstTätigkeit sogar noch das Schlüsselelement der praktischen Auto-Nomie (ἀυτός / selbst, νόμος / Gesetz) ist. Sie ist es, die das zu spontaner Urteilsbildung fähige Subjekt auch zur spontanen gesetzesförmigen Beurteilung des moralischen Formats seiner praktischen Maximen und maximenkonformen Handlungsweisen befähigt; vgl. hierzu vom Verf., Spontaneität oder Zirkularität des Selbstbewußtseins? Kant und die kognitiven Voraussetzungen der praktischen Subjektivität (20131), wieder abgedr. in: ders., Vernunft und Urteilskraft. Kant und die kognitiven Voraussetzungen vernünftiger Praxis, Freiburg / Br. 2018, S. 277–309.

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mit der im Urteilsakt der Gebrauch dieses ›absoluten‹ Prädikats nicht anders als auf den Gebrauch dieses ›absoluten‹ Subjekts folgen kann. Diese unumkehrbare, teilweise logische und teilweise zeitliche Struktur ist charakteristisch für alle Urteile-des-inneren-Sinns, also für alle Urteile, in denen das ›absolute‹ Subjekt Ich … mit einem ›absoluten‹ Prädikat-des-inneren-Sinns wie z. B. »… bin, … denke, … handle«77 kategorisch verbunden wird.78 Ausschlaggebend ist im Fall des die Selbstaffektion ausübenden Urteils Ich denke ausschließlich der Gefühls-Modus, in dem die reine, also nicht-empirische logische Form und die reine, also nicht-empirische temporale Form des eminenten Urteils Ich denke dem urteilenden Subjekt im Medium dieses seines Urteils zugänglich wird. Der technische Terminus innerer Sinn ist im Kontext von Kants Theorie daher strikt an die Bedingung gebunden, daß er als Name ausschließlich für eine und dieselbe kognitive Fähigkeit bzw. Einstellung fungiert: Durch sie – und nur durch sie – erschließt sich einem urteilsfähigen Subjekt die temporale Form der Sukzessivität als die Form der Urteilsakte, in denen es ›in der ganzen Zeit, darin es sich seiner bewußt ist, sich dieser Zeit, als zur Einheit seines Selbst gehörig, bewußt ist‹. Dieser innere Sinn ist daher nicht etwa das Medium der Kultivierung einer Innerlichkeit, wie z. B. Hegel sie in der Gestalt der schönen Seele als eine emotionale Verfallsform des subjektiven und entfemdeten Geistes erörtert.79 Er bildet vielmehr eine durch die logische Form der Urteile-desinneren-Sinns gehegte Gestalt der authentischen kognitiven Auseinandersetzung urteilsfähiger Subjekte mit sich selbst und den zeitlich-sukzessiven Formaten ihrer kognitiven Akte und emotionalen Zustände. Kants konsequenter und scharfsinniger urteils-analytischer Einstellung ist es daher auch in diesem thematischen Zusammenhang zuzuschreiben, daß er der Reinheit der subjektiven Form der temporalen Anschauung apriori durch die Analyse der temporalen, sukzessiven Form des elementarsten aller Urteilsakte auf die Spur kommt. Exkurs über das Daseinsgefühl des denkend-urteilenden Subjekts Die Einsicht in die temporale Daseinsform des denkend-urteilenden Subjekts findet ihre kürzeste Formulierung in dem Satz Ich existiere denkend. Kant gewinnt sie durch die Reflexion auf die temporale Form, die für den eminenten Urteilsakt Ich denke genauso charakteristisch ist wie für jeden anderen Akt des 77 XXVIII, 1, 266. 78 Zu Kants Einführung und Erörterung der Prädikate-des-inneren-Sinns vgl. Erster Teil, S. 88–89, 134–135, zu den Urteilen-des-inneren-Sinns vgl. Erster Teil, bes. S. 89–91, 134–150. 79 Vgl. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden, Hermann Glockner (Hg.), Zweiter Band, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1965, bes. S. 503–504.

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Urteilens. Doch dieser Urteilsakt bildet darüber hinaus den charakteristischen Knotenpunkt für einige teilweise widersprüchliche Erwägungen über den kog­ nitiven bzw. nicht-kognitiven Modus, in dem sich dem transzendental-logisch reflektierenden Subjekt diese Einsicht in die Daseinsform des denkend-urteilenden Subjekts mitteilt, die es mit jedem denkend-urteilenden Subjekt gemeinsam hat. In der Auseinandersetzung mit diesen Erwägungen ist die besondere methodische Situation zu berücksichtigen, in der transzendental-logische Überlegungen sich diesem Thema widmen. Kant selbst hat diese besondere methodische Situation sorgfältig durchleuchtet. In dieser Situation hat man es »nicht mit den Gegenständen selbst zu tun, um geradezu von ihnen Begriffe zu bekommen, sondern [mit dem, R. E.] Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen können«.80 Im transzendental-logischen Normalfall gilt: »… alle Urteile, ja alle Vergleichungen bedürfen einer Überlegung, d. i. einer Unterscheidung der Erkenntniskraft, wozu die gegebenen Begriffe gehören«.81 Doch ein solcher Normalfall ist im Fall von Urteilen wie Ich denke und Ich existiere denkend nicht gegeben, weil »das Ich […] gar kein Begriff [ist]«.82 Dieses Ausfallsphänomen bringt verständlicherweise sowohl für »die logische Reflexion« wie für »die transzendentale Reflexion«83 eine teilweise irritierende Aufgabe mit sich. Denn die Reflexion muß sich darauf einstellen, daß sie sich unter dieser Voraussetzung zwar nach wie vor ›zuerst dazu anschickt, um subjektive Bedingungen ausfindig zu machen‹, aber eben nicht solche, ›unter denen wir zu Begriffen gelangen‹. Sie muß stattdessen nach einer subjektiven Bedingung suchen, unter denen wir zur Einsicht in die begriffs-lose Vorstellung des IchSubjekts der reinen und ursprünglichen Apperzeption gelangen. In dieser irritierenden methodischen Situation erwägt die Reflexion zum Teil widersprüchliche Alternativen.84 Der einen Alternative gilt die Erwägung, daß »Das Ich denke […] … ein empirischer Satz [ist]«,85 ebenso wie der »Satz … ich existiere denkend … […] empirisch [ist]«.86 Ein verführerisches Indiz zugunsten dieser empiristischen Erwägung bildet die Erwägung, daß es sich bei dem Modus, in dem das denkend-urteilende Subjekt seiner selbst und seines Daseins inne wird, um den Modus einer »unbestimmte[n] Wahrnehmung«87 handelt. 80 81 82 83 84

A 260, B 316. A 261, B 317. IV, 334. A 262, B 318–319, Kants Hervorhebungen. Zusammenfassende Übersichten bietet Manfred Frank, Selbstgefühl. Eine historischsystematische Erkundung, Frankfurt / M. 2002, bes. S. 41–50, 226–227. 85 B422*; vgl. ebenso auch B 427. 86 B 420. Diese Erwägung hält Frank, Selbstgefühl, für Kants letztes Wort in dieser Frage, vgl. S. 42 f., 226–227. 87 422*. Dieses Indiz ist für die empiristische Interpretation von Frank, Selbstgefühl, ausschlaggebend vgl. S. 43–44.

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Doch ein Satz bzw. Urteil ist im Licht von Kants Theorie nur dann empirisch, wenn er bzw. es einen Wahrnehmungsgehalt hat, »was bloß als Gegenstand äußerer Sinne gedacht wird«, mithin im »gänzliche[n] Unterschied eines Gegenstandes des inneren Sinnes«,88 also einen Gehalt, wie ihn Wahrnehmungsurteile und die aus ihnen gewonnenen Erfahrungsurteile in paradigmatischen Formen präsentieren. Die Unbestimmtheit der thematisierten Wahrnehmung hängt also davon ab, daß diese Wahrnehmung – im Gegensatz zu den Wahrnehmungen, die die Gehalte von paradigmatischen Wahrnehmungsurteilen wie »Ich, der ich einen Turm sehe, nehme an ihm die rote Farbe wahr«89 bilden – keinen einer äußeren Sinneswahrnehmung zugänglichen Gegenstand hat. Deswegen können die die beiden eminenten Urteilsakte Ich existiere und Ich existiere denkend dokumentierenden Sätze keine empirischen Sätze sein. Gleichwohl bedürfen sie einer angemessenen Bestimmung des Modus, durch den sich ihre Inhalte und Formen dem urteilenden Subjekt mitteilen. Ein Zwischenschritt zu einer solchen angemessenen Bestimmung gelingt dem transzendental-logisch reflektierenden Subjekt daher, indem es sich in dieser schwierigen methodischen Situation der Struktur der Selbstaffektion noch einmal durch eine besonders sorgfältige Reflexion annimmt. Die Thematisierung der unthematisch fungierenden reinen und ursprünglichen Apperzeption in der Sprache der Urteilsakte Ich denke und Ich existiere denkend macht in dieser Situation darauf aufmerksam, daß sie »de[n] Zustand des Gemüts« evozieren, in dem »[…] es nicht mit dem Gegenstand selbst zu tun [hat]«,90 sondern »unmittelbar mit der bloßen Beurteilung«91 des subjektiven Modus des Existenzbewußtseins, dessen es als ein Subjekt denkender Urteilsakte inne ist.92 Unter den alternativen Reflexionsurteilen, die die transzendental-logische Reflexion Kants auf dieser Linie erwägt, bewährt sich schließlich in widerspruchsfreier Form ein ganz und gar nicht-kognitivistisches Urteil über den Modus, in dem sich dem denkendurteilenden Subjekt dessen temporale Daseinsform mitteilt. Es handelt sich bei

88 IV, 334. Das übersieht Frank, Selbstgefühl, vgl. oben S. 285, Anm. 86, während Klemme, Subjekt, dies treffend ins Feld führt, vgl. S. 30052. 89 R 3145. 90 A 260, B 316. 91 V, 289. 92 Zwar betont Klemme, Subjekt, daher zu Recht daß »Dieses Gefühl […] auf einer Selbstaffektion [beruht], setzt also bereits voraus, daß es ein handelndes Subjekt gibt«, S. 300. Doch ungeachtet seiner konzentrierten und trefflichen Analysen, die Frank, Selbstgefühl, zum Nachteil seiner Untersuchung vernachlässigt hat, scheint Klemme zu verkennen, daß dieses handelnde Subjekt eben dasselbe Subjekt ist, das sich seiner ursprünglichen Daseinsform durch die Reflexion auf den »Aktus der Spontaneität«, B 130, Hervorhebung R. E., bewußt wird. Denn nur durch dessen Vollzug fühlt es, daß »… [ich] in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, … mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt [bin]«, A 362; vgl. auch analog A 364.

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diesem Modus – also bei der ›unbestimmten Wahrnehmung‹ – um »nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff«.93 In Kants weitgespannten und engmaschigen Urteilsanalysen wird auch das sublime Gefühl ausgezeichnet, das unmittelbar mit dem reinen Geschmacksurteils nach dem Schema Dies ist schön verbunden ist. Es wird ausführlich und eindringlich durch die logischen und die transzendentalen Reflexionen und Analysen der Kritik der ästhetischen Urteilskraft auf Begriffe gebracht.94 Das Gefühl, das in diesem Urteil die logische Rolle des Prädikats innehat, übt darüber hinaus die ebenfalls sublime, aber indirekte kognitive Funktion aus, »die zuträglichste … in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt«95 zu sein. Doch als Urteil hängt auch dieses reine Geschmacksurteil von derselben Bedingung ab, von der jedes Urteil insofern abhängt, als es »[…] … eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt [hat], darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird«.96 Im konkreten Fall des reinen Geschmacksurteils handelt es sich also um ein einzigartiges Zweifaltiges, für das diese Beziehung auf das Ich denke notwendig ist, um in demselben Subjekt angetroffen zu werden – um die (empirische) Wahrnehmung des äußeren Gegenstands, dessen Anblick den Anlaß für die Bildung eines solchen Urteils abgibt, und um das reine, von der wahrnehmungsbasierten Erfahrung unabhängige, also apriorische Gefühls des Schönen, das sich dem Subjekt in der Form eines solchen – und nur eines solchen – Urteils mitteilt.97 Die Verbindung einer solchen Wahrnehmung und eines solchen Gefühls in der Form des reinen Geschmacksurteil ist – wie jede Verbindung von Elementen eines Manngfaltigen in einem Urteil  – an einen »Aktus der Spontaneität«98 gebunden. Doch wegen dieses Aktus der Spontaneität ist dem Subjekt des so strukturierten Urteilsakts im Modus eines spezifischen Gefühls auch sein aktuelles denkend-urteilendes Dasein bewußt, so daß es ›in der ganzen Zeit, darin es sich seiner bewußt ist, sich dieser Zeit, als zur Einheit seines Selbst gehörig, bewußt ist‹. Im Akt des reinen Geschmacksurteils durchdringen das Gefühl des Schönen und das Daseinsgefühl des Urteilenden einander in einzigartiger Weise. In Gestalt dieser Durchdringung sind diese beiden strukturell und funktional so verschiedenen Gefühle für das aktuelle Bewußtsein des Urteilenden allerdings ununterscheidbar. Erst die transzendental-logische Reflexion und Analyse kommt ihnen in ihren strukturellen und 93 94 95 96 97

V, 334*.

Vgl. hierzu Wieland, Urteil und Gefühl.

V, 238–239.

B 132. Zur Zeit der Publikation der zweiten Auflage der Ersten Kritik hatte Kant allerdings lediglich die Mannigfaltigkeit »der Anschauung, oder der mancherlei Begriffe«, B 130, bedacht. Das empirische Faktum des reinen Gefühls des Schönen war noch nicht im Horizont seiner logischen und transzendentalen Reflexion und Analyse aufgetaucht. 98 B 130, Hervorhebung R. E.

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funktionalen Eigenarten auf die Spur, indem sie die Einsichten der Analytik der ästhetischen Urteilskraft, die einschlägigen der Paralogismen und die der §§ 15 ff. der zweiten Auflage der Ersten Kritik nachträglich und im Zusammenhang fruchtbar macht. Da »das Ich […] … rein intellektuell [ist]«,99 ist auch sein unmittelbares funktionales, prädikatives Komplement … denke intellektuell. Wegen dieser Bindung an den rein intellektuellen Akt der reinen und ursprünglichen Apperzeption ist das Gefühl, durch das sich dem denkend-urteilenden Subjekt dessen denkend-urteilendes Dasein mitteilt, ebenso rein, also unabhängig von aller wahrnehmungsbasierten Erfahrung, mithin apriorisch wie das Gefühl des Schönen, das sich dem Subjekt des reinen Geschmacksurteils im Medium dieses Urteils mitteilt. Indessen ist mit Blick auf das Generalthema der Erfahrung zu berücksichtigen, daß wir die für jede beliebige Urteilsbildung nötige reine und ursprüngliche Apperzeption des Ich denke »zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich brauchen«.100 Nur durch sie »allein [ist] eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung möglich […]«101  – also eine »Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen«.102 Denn auch die Wahrnehmungen »würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten«,103 also zu dem Bewußtsein, daß ich sie selbst bzw. von selbst, also spontan immer wieder von neuem mit Hilfe der jeweils geeigneten Kategorien so zu neuen Erfahrungsurteilen verknüpfen kann, daß eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung nicht nur möglich ist, sondern annähernd wirklich wird. Doch Erfahrungsurteile bilden als Urteile und durch den prägenden Anteil der reinen und usprünglichen Apperzeption an ihnen genauso ein Medium für die Gewinnung des Daseinsgefühls ihrer urteilenden Subjekte. Das Maß, in dem ein Subjekt von Erfahrungsurteilen durch seine Erfahrungsurteile eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung gewinnt, ist daher nicht nur das Maß, in dem es ›in der ganzen Zeit, darin es sich seiner bewußt ist, sich dieser Zeit, als zur Einheit seines Selbst gehörig, bewußt ist‹. Es ist auch das Maß, in dem es des Gefühls seines Daseins inne ist. Selbstverständlich ist Kants sich im klaren darüber, daß »[…] die subjektive Bedingung aller möglichen Erfahrung das Leben [ist]«.104 Angesichts der Endlichkeit des menschlichen Lebens kann das dreifache Maß, in dem ein menschliches Subjekt von Erfahrungsurteilen 1.) eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung gewinnen kann, 2.) sich ›in der ganzen Zeit, darin es sich seiner bewußt ist, sich dieser Zeit, als zur Einheit 99 422*. 100 B 420. 101 A 447, B 475. 102 B 161. 103 B 132, Kants Hervorhebung. 104 IV, 335.

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seines Selbst gehörig, bewußt‹ sein kann und 3.) sich des Gefühls seines Daseins inne sein kann, nur ein endliches Maß sein – das Maß seines Lebensgefühls. Angesichts dieses dreifachen endlichen Maßes aller individuell möglichen Erfahrung ist es umso bedeutsamer, daß Kant im Rahmen des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes die konditionale Struktur des unbegrenzten, universellen, also von aller individuellen Erfahrung unabhängigen Maßes des ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹ behandelt. Innerhalb dieses Systems bildet es eine zweifellos nicht ganz unintendierte Pointe, daß an der Spitze dieses Systems der Grundsatz steht, der im Kontrast zur Vergänglichkeit menschlicher Subjekte von Erfahrungsurteilen dasjenige erörtert, was ›bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt, und dessen Quantum derselben in der Natur weder vermehrt noch vermindert wird‹. 20.1.1. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich ist, wenn bei allem Wechsel der Erscheinungen etwas weder vermehrnoch verminderbar Beharrliches bleibt105 Die Behandlung dieser Frage und der Weg zu ihrer Beantwortung steht in einer philosophischen Theorie der Erfahrung »an der Spitze«106 der Fragen, von denen die abschließende Klärung der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung 105 Von Substanz bräuchte Kant auch im Rahme der Formulierung dieses Prinzips nicht ausdrücklich zu sprechen. Denn die Substanz ist im Rahmen dieses Prinzip das Etwas, dessen einzigartige Charaktere und dessen konditionale Rolle für die Möglichkeit der Erfahrung hier thematisiert werden. Das … auch … in meiner Formulierung soll darauf verweisen, daß auch noch andere Bedingungen der Möglichkeit notwendig sind, die erst alle gemeinsam die dafür hinreichende Bedingung bilden. – Julius Ebbinghaus, Kant und das 20. Jahrhundert (19541), in: ders., Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden, Darmstadt 1968, S. 97–119, schreibt Kant irrtümlich die Auffassung zu, daß das, was im Licht der Ersten Analogie »erhalten bleibt, ein im Raum unveränderlich vorhandenes Quantum Materie«, S. 108, sei. Doch in der Formulierung dieses Grundsatzes ist mit keiner Silbe von einer Raumbedingung oder von Materie die Rede. Dieses negative Formulierungsindiz ist umso wichtiger als eine solche Raumbedingung in die Formulierung des Grundsatzes der Dritten Analogie wenigstens in der zweiten Auflage ausdrücklich berücksichtigt ist; vgl. hierzu auch unten S. 343, Anm. 310. Indessen nimmt Ebbinghaus irrtümlicherweise auch die Bedingung eines ›Quantums Materie‹ ins Visier seiner Kritik. Zwar rekurriert Kant mit seiner Holz-Feuer-Asche-Kasuistik und mit dem damit verbundenen Gewichts-Kriterium der Materie, vgl. A 185, B 228 f., zweifellos auf die wissenschaftsgeschichtlich bloß vorläufige empirische Masse-Konzeption der Physik seiner Zeit, vgl. hierzu auch ausführlich unten S. 295, Anm. 132. Doch dieses Element spielt innerhalb der Formulierung des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz nicht die geringste Rolle. Die Beharrlichkeit ist eine rein temporal-universelle Bedingung der hier thematisierten Substanz. Auf die Masse-Konzeption der Materie läßt sich daher im Rahmen der Begründung dieses transzendentalen Beharrlichkeitsgrundsatzes ohne jeglichen Verlust verzichten. 106 A 184, B 227.

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und der ihrer Gegenstände abhängt. Für diese bevorzugte systematische Stellung und Rolle sowie für den Beweis und die ausführliche Erörterung des Grundsatzes eines beharrlichen »Subtratum[s] alles Wechsels der Erscheinungen«107 ist es von beträchtlicher Bedeutsamkeit, daß »zu allen Zeiten nicht bloß der Philosoph, sondern selbst der gemeine Verstand diese Beharrlichkeit … vorausgesetzt haben«.108 Indessen liegt es auch ohne jede transzendental-logische Reflexion auf der Hand, daß mit jeglicher Auffassung von Beharrlichkeit – sei es mit der des ›gemeinen Verstandes‹, der des Philosophen, aber auch der des tätigen Wissenschaftler oder der des modernen Wissenschaftstheoretikers – eine Auffassung verbunden ist, die die Beharrlichkeit – aber auch die Kausalität und die Wechselwirkung – in der einen oder anderen Form an ein zeitliches Format bindet.109 Angesichts des geradezu geschichtsinvarianten spontanen Zutrauens 107 A 184, B 227. 108 Ebd. Dieser unscheinbare Rekurs auf den gemeinen Menschenverstand bildet einerseits den wichtigsten Hinweis darauf, daß Kant diese Teile seiner Theorie der Erfahrung ganz und gar nicht, wie z. B. Wolfgang Stegmüller, Gedanken über eine mögliche Rekonstruktion von Kants Metaphysik der Erfahrung (11967–68), wieder abgedr. in: ders., Aufsätze zu Kant und Wittgenstein, Darmstadt 1974, S. 1–61, in der Tradition vor allem von Hermann Cohen und Heinrich Scholz, Einführung in die Kantische Philosophie (1943/44), in: ders., Mathesis Universalis. Abhandlungen zur Philosophie als strenger Wissenschaft (Hg. H. Hermes, F. Kambartel, J. Ritter), Darmstadt 21969, S. 152–218, irrtümlich meint, als Oberprämissen einer Theorie einer spezifischen wissenschaftlichen Form von Erfahrung konzipiert, vgl. bes. S. 11 ff.; vgl. auch Erster Teil, 4. Ab.; vgl. hierzu auch vom Verf., Kants Paradoxie der Erfahrung, in: Enskat, Rainer (Hg.), Kants Theorie der Erfahrung, Berlin / Boston 2015, S. 9–46, bes. S. 37–43. Zwar hat schon Paton, Experience II, gegen eine wissenschaftstheoretische Präokkupation der Auseinandersetzung mit Kants Theorie der Erfahrung zu Recht betont, daß das von Kant auf Begriffe gebrachte Prinzip »of permanent substance is a necessary presupposition, not only of […] physics, but of ordinary everyday experience«, S. 218, Hervorhebungen R. E. Entsprechend argumentiert er genauso zu Recht mit Blick auf das von Kant formulierte Kausalitäts-Prinzip, es sei »one of the most fundamental, if not indeed the most fundamental, of all the presuppositions accepted alike by science and by ordinary experience«, S. 221, Hervorhebungen R. E.; vgl. auch S. 218–219. Trotzdem argumentiert er, daß »It should be clearly understood that Kant’s main, although not his sole, object in the Analytic of Principles is to establish the ultimate basis of mathematics and physical sciences«, S. 106. Hier verfehlt der sonst so treffliche Gelehrte den springenden Punkt haarscharf. Denn was Kant unternimmt zu klären, sind primär diejenigen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände, die urteilsfähigen und -bedürftigen Subjekten die Möglichkeit von deren ordinary experience eröffnen. Die spezifisch wissenschaftliche Erfahrung ergibt sich erst sekundär – und zwar gerade auch kulturgeschichtlich sekundär – aus einer methodisch radikalisierten Form, von eben diesen selben Bedingungen mit wachsendem Erfolg Gebrauch zu machen. Der Weg der wissenschaftlichen Erfahrung bildet im Licht von Kants Theorie eine methodisch radikalisierte Fortsetzung des Weges der alltäglichen Erfahrung. 109 Stegmüller, Rekonstruktion, formuliert diese Auffassung – wenngleich mit strikter Orientierung an der Physik – so: »Alle physikalischen Zustände und Vorgänge sind Zustände und Vorgänge in der Zeit«, S. 39, St.’s Hervorhebungen. Die »zeitliche Grundrelation

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in die außerordentliche Wichtigkeit eines entsprechenden Grundsat­zes ist es darüber hinaus auch naheliegend anzunehmen, daß die beiden, allerdings sehr verschiedenartigen Autoritäten  – der gemeine Verstand und der Philosoph – dies auch in Zukunft »jederzeit als ungezweifelt annehmen werden«.110 Für eine Theorie der Erfahrung, die sogar die Beweisbarkeit eines entsprechenden Grundsatzes unterstellt, ist es darüber hinaus nur konsequent zu bedenken zu geben, daß dies in Zukunft ungezeifelt auch angenommen werden muß. Indessen hängt vor allem mit Blick auf die Frage der Beweisbarkeit eines entsprechenden Grundsatzes nicht wenig davon ab, »daß der Philosoph sich hierüber etwas bestimmter ausdrückt«111 als jedenfalls der gemeine Verstand.112 Wie heikel die Frage nach dem Grad der Bestimmtheit ist, die der Philosoph bei der Formulierung eines Grundsatzes der Beharrlichkeit berücksichtigen sollte, kann man leicht den Mißverständnissen entnehmen, die Kants eigene Formulierung des ensprechenden Grundsatzes in der zweiten Auflage der Ersten Kritik nahegelegt hat. Denn in der Fassung »Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur etwas weder vermehrt noch vermindert«113 führt sie bei manchem Leser zu der Auffassung, daß dieser Grundsatz ebenso wie der Kausalitäts-Grundsatz mit dem Anspruch verbunden sei, »wahre Aussagen über Tatsachen«114 ›in der Natur‹ zu sein. Doch nicht nur die programmatische Grundorientierung darüber, daß »Auf solche Weise […] synthetische Urteile a priori möglich [sind]«, nämlich Urteile über »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt«, die »[…] zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung [sind]«,115 sollte in diesem Punkt für skeptische Vorbehalte zumindest genügend hellhörig machen. Darüber hinaus wird auch durch den Typen-Titel Analogien der Erfahrung noch einmal ganz gezielt verdeutlicht, daß die zentrale Rolle dieser Grundsätze im Rahmen dieses Programms allem anderen dient als wahre Aussagen über

›früher als‹«, S. 38, ist zwar von der von Kant konzipierten zeitlichen Grundrelation der Sukzessivität, des Nacheinander verschieden, kann aber insofern auf sie als die logisch einfachere zeitliche Relation zurückgeführt werden, als alles, was nacheinander ist, sowohl das einschließt, was früher ist, wie auch das einschließt, was später ist. 110 A 184, B 227. 111 Ebd. 112 Allerdings »[…] ist [es] in der Tat sehr merkwürdig, daß die Metaphysiker jederzeit so sorglos über den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanzen weggeschlüpft sind, ohne jemals den Beweis davon zu versuchen«, IV, 335*; zu Kants irritierender pluraler Redeweise von Substanzen im Kontext des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Einen Substanz, vgl. unten S. 299–300 und 301–303. 113 B 224. 114 Stegmüller, Rekonstruktion, S. 9. 115 A 158, B 197, Kants Hervorhebungen.

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Tatsachen der Natur zu formulieren.116 Vor allem die Formulierung des »Prinzips derselben«  – also des Prinzips dieser Grundsätze  – schärft noch einmal ausdrücklich ein, daß nur unter Voraussetzung ihrer (transzendentalen) Wahrheit »Erfahrung […] … möglich [ist]«.117 Sie beanspruchen also ausschließlich, Aussagen über drei verschiedenartige, aber kohärente notwendige Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände zu sein. Eben deswegen ist der Grad der Bestimmtheit, den der Philosoph bei der Formulierung dieser Grundsätze beachten sollte, auch erst dann erreicht, wenn jeder dieser Grundsätze mit dem spezifisch transzendentalen Prä-Text Erfahrung und deren Gegenstände sind nur dann möglich, wenn …verbunden ist.118 Gerade die Frage ihrer Beweisbarkeit hängt ja nur allzu offensichtlich von einer der Sache nach angemessenen Formulierung ab. Ohne das spezifisch transzendentale Präfix wird daher ersichtlich auch eine ganz andere Beweislast ins Spiel gebracht. Denn ohne dieses Präfix legen sie unmittelbar die von Kant strikt zurückgewiesene dogmatisch-ontologische Lesart nahe und verlieren damit ihre alles entscheidende, spezifisch ›critische‹ und transzendentale Bedeutsamkeit.119 Der Beweis, den Kant unmittelbar auf diesen ›etwas bestimmter ausgedrückten Grundsatz‹ folgen läßt, enthält auch ein irritierendes, hier schon mehrmals ausführlich erörtertes empirisches Element. Es wird mit »den Gegenständen der Wahrnehmungen, d. i. den Erscheinungen«120 thematisiert. Doch erst mit Blick auf das Gelingen dieses Beweises gerät es unter die methodologische Anspannung, zur Beweiskräftigkeit auch in wohlbestimmter Weise beizutragen. Neu sind im Rahmen dieses Beweises auschließlich die Elemente, denen ihre beweiskräftige Rolle durch die spezifischen Inhalte des ›etwas bestimmter ausgedrückten Grundsatzes‹ zufallen. In Kants notorisch vieldeutiger Rede von Gegenständen121 ist es die Bedeutung der Rede von ›Gegenständen der Wahrnehmungen, 116 Kants prägnante Formel »Natur und mögliche Erfahrung ist ganz und gar einerlei«, IV, 320, verdeutlicht darüber hinaus, daß die Natur im Licht seiner Theorie ganz anders strukturiert ist als eine ausgezeichnete ontische Region. Sie ist vielmehr die einzigartige Region, mit Blick auf die es aus nicht-empirisch einsehbaren Gründen garantiert ist, daß man in ihr mit Aussicht auf Erfolg nach Gegenständen suchen kann, über die immer wieder von neuem neue objektiv wahrheitsfähige empirische Urteile  – die wahrnehmungsbasierten Erfahrungsurteile – gewonnen werden können. 117 B 218. 118 Vgl. auch die entsprechende Klarstellung, »daß jenes Gesetz der Beharrlichkeit der Substanzen nur zum Behufe der Erfahrung stattfinde«, IV, 335*, Hervorhebungen R. E. 119 Zu Kants Abweis der ontogischen Ansprüche vgl. die klassische Stelle A 247, B 303. In diesem Abweis verfängt sich Stegmüller, Rekonstruktion, wenn er mt Blick speziell auf die Analogien von »Existenzhypothese[n]«, S. 11 ff., spricht, also von Hypothesen über die Existenz von substantiellen und kausalen Tatsachen in der wirklichen Welt. Zu Kants Abweis des dogmatischen, also nicht-›critischen‹ Ansatzes vgl. die nicht weniger klassische Stelle A 216, B 263, A 217, B 264. 120 B 225; vgl. auch B 207. 121 Vgl. Erster Teil, S. 185 f.

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d. i. Erscheinungen‹, die einer besonderen, dem Beweisanspruch angemessenen Klärung bedarf. Diese Klärung hat Kant zu Recht unmittelbar dem Beweis der Antizipationen der Wahrnehmung vorbehalten. Da dieser Grundsatz und sein Beweis sowie seine Erörterungen hier zunächst lediglich hilfsweise im Dienst der Auseinandersetzung mit den Analogien genutzt werden soll, bevor er um seiner selbst willen erörtert wird, ist diese Klärung hier von unmittelbarem Nutzen. Denn die ›Gegenstände der Wahrnehmungen, d. i. Erscheinungen‹ werden hier abschließend dadurch charakterisiert, daß sie »[… ] … die Materie zu irgendeinem Objekte überhaupt (wodurch etwas Existierendes im Raume oder Zeit vorgestellt wird), d. i. das Reale der Empfindung … in sich [enthalten]«.122 Macht man diese Klärung für den Beweis der Ersten Analogie fruchtbar, dann macht sie vor allem auf die Aktualität der Spezialisierung der das Grundsatz-Kapitel leitenden General-Frage aufmerksam. Denn im Rahmen der Ersten Analogie, ihres Beweises und ihrer Erörterungen kommt es ausschließlich auf die Beantwortung der Frage an, welche Bedingungen notwendig und hinreichend dafür sind, daß man das ›Reale der Empfindung‹ nicht nur als ›die Materie zu irgendeinem Objekte überhaupt‹ auffassen kann, sondern als Materie sogar zu einem Objekt möglicher Erfahrung. Die nominelle, aber leerlaufende Antwort wäre selbstverständlich, daß dieser anspruchsvollste Objekt-Status von der Beharrlichkeit abhängt, mit der das Objekt existiert, zu dem das Reale der Empfindung die Materie abgibt. Diese Antwort wäre zwar insofern nicht inkorrekt, als sie mit der Beharrlichkeit auf die (temporale) Form abhebt, in der diese empfindungsrelative Materie existiert, und damit die beiden für diese Antwort relevanten Reflexionsbegriffe zu Hilfe nimmt. Doch die formelle Korrektheit dieser Antwort kann über ihre sachliche Unzulänglichkeit nicht hinwegtäuschen. Denn das für die Beweiskräftigkeit des Beweises charakteristische Element wird durch den Gedanken eingeführt, daß die thematisierte temporale Beharrlichkeit des Daseins der fraglichen Materie durch die Bedingung charakterisiert ist, daß diese Materie »als Substrat alles Wechsels immer dasselbe bleibt«,123 also omnitemporal invariant gegenüber »alle[m] Wechsel der Erscheinungen«124 existiert. Insofern – und nur insofern – bildet dieses Substrat »die Substanz, an welcher alles, was zum Dasein gehört, nur als Bestimmung kann gedacht werden«.125 Da diese Substanz wegen der temporalen Invarianz ihrer Daseinsform gegenüber diesen Bestimmungen trivialerweise »im Dasein nicht wechseln kann, so kann ihr Quantum in der Natur auch weder vermehr noch vermindert werden«.126 Da aber »Natur und mögliche Erfahrung […] ganz und gar einerlei [ist]«,127 122 B 207, Hervorhebungen R. E. 123 B 225, Hervorhebungen R. E. 124 B 224–225 125 B 225. 126 Ebd. 127 IV, 320.

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bedeutet die Nicht-Vermehr- und Nicht-Verminderbarkeit des Quantums der Substanz ›in der Natur‹, daß es im Rahmen der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände trivialerweise deswegen weder vermehrt noch vermindert werden kann, weil die Substanz mitsamt diesem omnitemporal invarianten Quantum selbst zu diesen Bedingungen gehört. Insbesondere ist sie die omnitemporal invariante, also beharrliche Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung von jeglichem Wechsel.128 Die Tragfähigkeit und die Tragweite des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz zeigen sich also nur dann, wenn man buchstäblich auf Schritt und Tritt seine spezifisch transzendentale Relevanz für die Möglichkeit der Erfahrung und für die ihrer Gegenstände berücksichtigt. Andernfalls degeneriert er ebenso schrittweise zu einem ontologischen Mißverständnis. Denn »dergleichen Sätze [sind] nur in Beziehung auf mögliche Erfahrung gültig […], [können] mithin auch nur durch eine Deduktion der Möglichkeit der letzteren bewiesen werden […]; so ist es kein Wunder, wenn er zwar bei aller Erfahrung zum Grunde gelegt (weil man dessen Bedürfnis bei der empirischen Erkenntnis fühlt), niemals aber bewiesen worden ist«.129 Der transzendentale Prä-Text Erfahrung und deren Gegenstände sind nur dann möglich, wenn … bietet jedenfalls die einfachste formelle Möglichkeit, jeden dieser Grundsätze mit Hilfe eines spezifisch transzendental-logischen Präfixes vor dem ontologischen Mißverständnis in Schutz zu nehmen. Doch der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz muß noch vor einem anderen Mißverständnis in Schutz genommen werden. Ein solches Mißverständnis legt Kant sogar selbst nahe, indem er im Rahmen der auf den Beweis folgenden Erörterungen eine an sich äußerst wichtige substanz-theoretische Fallerörterung präsentiert. Die Wichtigkeit dieser Fallerörterung ist deswegen so groß, weil sie die einzige hinreichend genaue Parallele zu der nicht weniger wichtigen kausal-theoretischen Fallerörterung der Prolegomena (IV, 305*) bietet: »Ein Philosoph wurde gefragt: wieviel wiegt der Rauch? Er antwortete: ziehe vom Gewichte des verbrannten Holzes das Gewicht der übrigbleibenden Asche ab, 128 Wenn Paton, Experience II, argumentiert, daß Kants »Argument for a permanent substratum of change is independent of the derivation of the categories from the forms of judgement«, S. 202, dann ist dies angesichts von Kants faktischer Darstellung sowohl der Urteilsformen wie der Kategorien und ihres Zusammenhangs zwar durchaus verständlich. Nimmt man auf der Linie der Arbeit von Reich, Vollständigkeit, das Verhältnis von Bedingung und Bedingtem des Gebrauchs von Vorstellungen mit Blick sowohl auf die relationalen Urteilsfunktionen wie mit Blick auf die Relations-Kategorien ernst – wenngleich mit beträchtlichen Modifikationen, vgl. Erster Teil 10.–11. Ab., – dann ergibt sich auch mit Blick auf die Erste Analogie ein anderes, plausibles theoretisches Muster. Denn unter diesen Voraussetzungen fällt der Substanz, die omnitemporal invariant gegenüber allem Wechsel ist, die Rolle der unbedingten Bedingung dafür zu, die Möglichkeit der Erfahrung von allem Wechsel zu eröffnen. Die Möglichkeit der Erfahrung von allem Wechsel ist das durch die omnitemporal invariante Existenzform der Substanz Bedingte. 129 A 184, B 228–A 185, Kants Hervorhebung.

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so hast du das Gewicht des Rauchs«.130 Doch von dieser an sich bescheidenen, vor allem quantitäts-orientierten und meßtechnischen Fallerörterung geht Kant unmittelbar zu einem präsuppositionen-analytischen Argument über, das diese Fallerörterung direkt in den Dienst einer Art von empirischen Bewährungsprobe des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz stellt: »Er setzte also unwidersprechlich voraus: daß, selbst im Feuer, die Materie (Substanz) nicht vergehe, sondern nur die Form derselben eine Abänderung erleide«.131 Doch mit diesem Übergang unterläuft Kant nur allzu offensichtlich eine zwar einfache, aber auch aufschlußreiche und substanz-theoretisch sogar weiterführende Unvorsichtigkeit. Denn durch diesen nahtlosen Übergang legt er nicht nur die Auffassung nahe, daß ›die Materie (Substanz)‹ des Holzes, die ›selbst im Feuer nicht vergeht‹, denselben Status habe wie die Substanz, die das Thema des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz und seines Beweises ist. Er legt außerdem ebenso das Mißverständnis nahe, als wenn dieser beweisfähige und schon bewiesene Grundsatz außerdem auch noch einer solchen empirischen Bewährungsprobe bedürfte. Aber darüber hinaus legt er auch noch das Mißverständnis nahe, als wenn es sich bei der Substanz, die Thema des Grundsatzes und seines Beweis ist, um eine Entität handeln würde, die quantitativ und meßtechnisch durch Abschätzen bzw. Abwägen ihres Gewichts erfaßt und bestimmt werden könnte.132 130 A 185, B 228. 131 Ebd. 132 Diesem Mißverständnis ist am prominentesten Carl Friedrich von Weizsäcker, Kants »Erste Analogie der Erfahrung« und die Erhaltungssätze der Physik, in: H. Delius u. G. Patzig (Hg.), Argumentationen. Festschrift für Josef König, Göttingen 1964, S. 256–75, erlegen, vgl. bes. S. 265 f. Hier wird die Holz-Feuer-Asche-Rauch-Kasuistik allen Ernstes als ein Beispiel für die ›Anwendung‹ des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz in Anspruch genommen. Er meint daher: »Unter dem Quantum der Substanz versteht er [Kant, R. E.] dabei in der konkreten Anwendung das, was man im 18. Jahrhundert meist die Materiemenge nannte, wofür wir heue Masse sagen«, S. 256. Doch es gibt im Licht dieses Grundsatzes nicht so etwas wie eine ›konkrete Anwendung des Quantums der Substanz‹, die zur Identifizierung dieses Quantums mit der Materiemenge führen würde. Wenn v. Weizsäcker resümiert: »Auf diesem Wege kann ihm der heutige Physiker nicht ohne weiteres folgen, weil ihm, wie im 1. Abschnitt auseinandergesetzt, die Deutung des Parameters ›Masse‹ als ›Materiemenge‹ keinen unmittelbar klaren Sinn mehr ergibt«, S. 274, dann verweigert der Physiker diesem Weg schon deswegen berechtigterweise die Gefolgschaft, weil es gar nicht Kants Weg ist, sondern v. Weizsäckers eigener irriger Weg dieser ›Deutung‹. Die Erste Analogie macht weder mit ihrem propositionalen Gehalt noch mit ihrem Beweis auch nur die geringste Andeutung darüber, was als empirisch bestimmbares Substrat des thematisierten Quantums in Frage kommt. Wenn v. Weizsäcker festhält: »Der moderne Physiker … wird nicht umhin können, Kant dafür zu bewundern, daß ihm ein so abstraktes und fruchtbares Prinzip hat einfallen können, das hoch über der Bindung fast aller älteren Theorien an konkrete Modell steht«, S. 256–257, dann zeigt er mehrere Mißverständnisse gleichzeitig. Zum einen ist Kant hier nichts ›eingefallen‹, weil er mit diesem Prinzip vielmehr auf die selbst gestellte Frage anwortet, von welcher spezifischen Bedingung die Möglichkeit der Erfahrung jeglichen Wechsels unter den

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Doch die Auflösung dieser ein wenig verwickelten argumentativen Unvorsichtigkeit ist nicht nur relativ einfach, sie gelingt sogar mit Hilfe eines von Kant selbst ersonnenen speziellen substanz-theoretischen Hilfsmittels. Zunächst sollte klar sein, daß es sich bei der ›Materie (Substanz)‹ des Holzes um das Substrat handelt, das ›selbst im Feuer nicht vergeht‹ und daher durch das gemeinsame Gewicht von Asche und Rauch quantitativ erfaßt und sogar meßtechnisch bestimmt werden kann. Doch dieses für Holz spezifische empirische Substrat ist nur offensichtlich nicht dasselbe Substrat, das omnitemporal invariant allem möglichen Wechsel in der Natur zugrundeliegt und vor allem eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände bildet. Doch für den Typ eines spezifisch empirischen substantiellen Substrats hat Kant eine außerordentlich wichtige Hilfskategorie ersonnen: »Ein phaenomenon, was ein substratum ist von anderen phaenomenis, ist darum nicht substantz als nur Phänomenen abhängt. Zum anderen hängt die von v. Weizsäcker betonte Fruchtbarkeit dieses Prinzips gerade davon ab, daß Kant angesichts dieser Fragestellung von allen möglichen Kandiaten abstrahiert, die als empirisch ermittelbare Substrate des thematisierten Quantums in Frage kommen. Und schließlich ist es v. Weizsäcker selbst, der durch seine irrige Identifizierung eines solchen Substrats mit der Materiemenge dafür sorgt, daß Kants Prinzip lediglich ›hoch über der Bindung fast aller älteren Theorien an konkrete Modelle‹ steht. Doch Kants Prinzip steht gerade wegen seines im wahrsten Sinne radikalen Abstraktionsniveaus hoch über allen möglichen ›Modellen‹ dieses Typs. Seine Fruchtbarkeit besteht daher gerade darin, daß es wegen dieses Abstraktionsniveaus offen für jeden Substrat-Kandidaten ist, der von den Forschungen der Physik erwogen werden kann, auch für den Kandidaten, der sich erst am Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Identifizierung von Masse und Energie ergeben hat. Paton, Experience II, gibt daher zu Recht zu bedenken: »I can see nothing in Kant’s statement [concerning the permanence of the quantum of substance, R. E.] which justifies us in refusing to interpret it in the most general so that it may apply to any empirical reality, whether mass or energy or anything else which science may discover to be permanent in space«, S. 209. Der methodische Grundzug von v. Weizsäckers Erörterungen, Kants Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz als einen lediglich sehr abstrakten physikalischen Erhaltungssatz zu deuten, läßt ihn Kants Theorie nicht nur mit einer Art von empiristischer Ontologie der Substanzerhaltung verwechseln. Er läßt ihn auch den springenden transzendentalen Punkt verkennen, daß es Kant bei diesem Thema um die Klärung einer notwendigen und unbedingten Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung jeglichen Wechsels ›in der Natur‹ geht. In seiner vorzüglichen Untersuchung betont Hernán Pringe, Critique of the Quantum Power of Judgement. A Transcendental foundation of quantum objectivity, in: Kant-Studien. Ergänzungshefte 154, Berlin-New York 2007, daher auch zu Recht, daß »In fact, for von Weizsäcker, there are no absolute a priori cognitions, i. e. cognitions which express the conditions of the possibility of any experience«, S. 227, P.s Hervorhebungen. Schon früh hatte Carl Friedrich von Weizsäcker, Zum Weltbild der Physik (19431), Göttingen 197011, das ausschließlich für die Historiographie der Physik taugliche historisch-relativistische Kriterium eines relativen Apriori eingeführt, vgl. bes. S 107–112. Befangen in seiner Auffassung von Kants Theorie als eines Grundlegungsversuch für die Physik hat er irrtümlicherweise gemeint, man könne Kants Theorie mit solchen Mitteln korrigieren.

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comparative. In den Erscheinungen können wir nicht etwas als substantz erkennen (dieses ist nur ein Begriff der apperzeption), sondern etwas erscheint nur als substratum der Erscheinung, dem alles in der Erscheinung beigelegt wird«.133 Diese Hilfskategorie der komparativen Substanz ist offensichtlich ganz und gar angemessen für die Anwendung auf die ›Materie (Substanz)‹ des Holzes. An Kants argumentativer Fehlleistung ist indessen nur allzu offensichtlich auch der geschichtliche Stand von Chemie und Biologie seiner Zeit beteiligt. Denn eine angemessene Chemie und Biologie des ›phaenomenons, was ein substratum ist von anderen phaenomenis‹ stand mit Blick auf diesen Fall noch nicht zur Verfügung. Das zelluläre und das nicht-zelluläre ›phaenomenon, was ein substratum ist von anderen phaenomenis‹ – z. B. von den ›phaenomenis‹ Asche und Rauch des Holzes – war zu Kants Zeit noch niemand empirisch-experimentell zugänglich. Mit der Hilfs-Kategorie der komparativen Substanz hat Kant ein formales Mittel ersonnen, das erlaubt, alle empirisch zugänglichen Phänomene entsprechend ihrem relativen Status als komparative Substanzen zu sortieren. Um die Frage einer absoluten, also empirisch unerkennbaren, aber für die Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände notwendigen Substanz-Bedingung bräuchte man sich unter ihren kategorialen Vorzeichen gar nicht zu kümmern.134

133 R 5312. – Allen Verwechslungen der von der Ersten Analogie thematisierten Substanz und den substantiae comparativae hat daher Scheffel, Substantialität, zu Recht einen Riegel vorgeschoben, indem die von der Ersten Analogie thematisierte Substanz als die charakterisiert wird, die »sogar die einzige in ihrer Art ist«, S. 145. 134 Strawson, Individuals, scheint geradezu in einem horror substantiae befangen zu sein. Er beschreibt einen »way so that its wrongness … is obvious«, weil er »leads to the unknowable substratum«, S. 2101. Doch gleichzeitig formuliert er mit Blick auf »one distinguishable class or category of particulars which must be basic from the point of view of particular-identification«, S. 38, eine klassische, wenngleich schwache temporale Beharrlichkeits-Bedingung: »… they must be … objects with some endurance through time«, S. 39. Es liegt auf der Hand, daß z. B. ein Stück Holz diese Bedingung erfüllt. Doch dieselbe Entität bildet im Licht von Kants Kriterium ein ›phaenomenon, was ein substratum ist von anderen phaenomenis‹ – z. B. von Asche und Rauch. Insofern sind die von Kant konzipierten substantiae comparativae gar nichts anderes als die von Strawson konzipierten basic particulars. Auch in seinem Kant-Versuch spricht Strawson, Bounds, im Plural davon, daß »we must perceive some objects as enduring objects«, S. 125. Mit Blick auf Kants Argumentation zugunsten der Notwendigkeit einer omnitemporal invarianten, substantialen Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung von jeglichem Wechsel bemerkt Strawson lediglich hilflos: »The first Analogy argues obscurely for the necessity of a permanent«, S. 126. v. Weizsäcker, Erste Analogie, formuliert lediglich ohne jede Reflexion: »Substanz kann auch das konkrete Einzelding heißen: dieser Apfel, der einmalige Mensch Sokrates. Diese Einzeldinge aber beharren nur eine Weile, dann vergehen sie«, S. 264; es handelt sich also um Strawsons basic particulars bzw. Kants substantiae comparativae; vgl. auch v. Weizsäckers Beispiele für solche quasi-substantialen Entitäten, S. 272–273. Immerhin hält er einschränkend fest: »Kant fragt nach einem schlechthin Beharrenden«, ebd.

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Die Hilfs-Kategorie der substantia comparativa eröffnet auch die von Kant ausgeblendete Möglichkeit, den Typ des spezifisch substanz-thematischen Erfahrungsurteils zu klären. Im kausal-thematischen Erfahrungsurteil, das Kant in paradigmatischer Form in der Schlüsselpassage der Prolegomena (IV, 305*) präsentiert und analysiert, ist nur allzu offensichtlich mindestens ein solches substanz-thematisches Erfahrungsurteile implizit vorausgesetzt. Denn der Stein, der wärmer wird, weil ihn die Sonne bescheint, macht im Status einer substantia comparativa eine Zustandsänderung, also einen graduellen Wechsel seiner thermischen accidentiae comparativae durch. Auch er ist ein ›phaenomenon‹, was ein substratum ist von anderen phaenomenis’ – sowohl von den ›phaenomenis‹, die innerhalb einer und derselben Dimension wie der thermischen wechseln wie auch derjenigen, die wie z. B. die mechanischen ›phaenomenis‹ als Wirkungen anderer Typen von Ursachen in einer anderen Dimension wechseln. Zu Recht macht Kant daher vorsorglich darauf aufmerksam, daß eine solche »Kausalität einer Veränderung ganz außerhalb der Grenzen einer Transzendental-Philosophie [liegt], und empirische Prinzipien voraussetzt[…]«.135 Man wird daher innerhalb dieser Grenzen »der allgemeinen Naturwissenschaft, welche auf gewisse Grunderfahrungen gebaut ist, nicht vorgreifen«.136 Doch das Spannungsverhältnis der Transzendental-Philosophie zu solchen Grund­ erfahrungen wird aus spezifisch urteils-theoretischen Gründen noch von einer ganz besonderen methodologischen Aufmerksamkeit bestimmt. Wie die außerordentlich wichtige Rolle der ebenso unverzichtbaren wie paradigmatischen Rekurse auf Erfahrungsurteile in der B-Deduktion gezeigt hat, ist sie genötigt, einen Gedanken ernster zu nehmen, als es zunächst nötig schien. Denn zwar »[führen] Grundsätze a priori […] diesen Namen nicht bloß deswegen, weil sie die Gründe anderer Urteile mit sich führen«.137 Doch wie diese Rekurse zeigen können, führen die Grundsätze ihren Namen jedenfalls auch deswegen mit sich. Denn eben diese Erfahrungsurteile bilden gerade die ›anderen Urteile‹, deren Gründe sie ›mit sich führen‹. Damit ist nur in verkürzter Form der ausführlich formulierte Gedanke zusammengefaßt, daß diese Grundsätze »nicht allein a priori wahr sind, sondern sogar der Quell aller Wahrheit, d. i. der Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten, dadurch, daß sie den Grund der Möglichkeit der Erfahrung, als des Inbegriffs aller Erkenntnis, darin uns Objekte gegeben werden, in sich enthalten«,138 »nämlich wie sie als Gegenstände der Erfahrung, im durchgängigen Zusammenhange der Erscheinungen müssen vorgestellt wer­den«.139 Die transzendentale Wahrheit der Grundsätze ›führt‹ 135 136 137 138

A 171, B 213. A 171, B 213–A 172. A 148, B 188. A 237, B 296, Hervorhebungen R. E.; zur Struktur der Übereinstimmung der Erkenntnis mit gegebenen Objekten vgl. oben 14.5. Ab. 139 A 258, B 313–314, Hervorhebung R. E.

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gerade in ihrer metaphorischen ›Quell‹-Funktion ›die Gründe anderer Urteile mit sich‹, nämlich aller derjenigen Urteile, in denen sich im Status und in der Rolle der Erfahrungsurteile »Aller Zuwachs des empirischen Erkenntnisses, und jeder Fortschritt der Wahrnehmung«,140 zeigt. Auffälligerweise im Kontext der Erörterungen eines dieser Grundsätze, der Zweiten Analogie findet sich die ebenso unscheinbare wie außerordentlich wichtige methodologische Erläuterung des Zusammenhangs, der zwischen den Grundsätzen apriori und den ›anderen‹ Urteilen besteht, deren ›Gründe sie mit sich führen‹: »Es kommt also darauf an, im Beispiele zu zeigen, daß wir niemals, selbst in der Erfahrung die Folge (einer Begebenheit, da etwas geschieht, was vorher nicht war) dem Objekt beilegen, … als wenn eine Regel zum Grunde liegt, die uns nötigt, diese Ordnung der Wahrnehmungen eher als eine andere zu beobachten, ja daß diese Nötigung es eigentlich sei, was die Vorstellung einer Sukzession im Objekt allererst möglich macht«.141 Doch die Beispiele, die dergleichen ›selbst in der Erfahrung zeigen‹, sind gar keine anderen als die auf dem Weg zu den Prolegomena entdeckten, konzipierten und analysierten paradigmatischen Erfahrungsurteile. Parallel zu dem, was ›selbst in der Erfahrung‹ ein kausal-thematisches Erfahrungsurteil zeigt, zeigt auch ein substanzthematisches Erfahrungsurteil ›selbst in der Erfahrung‹ etwas, was sowohl in kategorialer wie in wahrnehmungs-spezifischer Hinsicht paradigmatisch ist. Denn es zeigt, daß ›wir niemals, selbst in der Erfahrung die Zustandsänderung (da etwas, was vorher war, zugunsten von etwas anderem wechselt, das später ist) dem Objekt beilegen, als wenn eine Regel zum Grunde liegt, die uns nötigt, diese Ordnung der Wahrnehmungen eher als eine andere zu beobachten, ja daß diese Nötigung es eigentlich sei, was die Vorstellung einer Beharrlichkeit im Objekt allererst möglich macht‹. So liegt beispielsweise der Erfahrung, die durch Verbrennen einer Portion Holz zu Portionen von Asche und Rauch führt, eine entsprechende Regel zugrunde: Sie nötigt uns, durch Abwägen der Materiemenge des Holzes und der Materiemenge der Asche sowie durch Bildung der Differenz der Materiemengen der Asche und des Holzes ›diese Ordnung der Wahrnehmungen eher als eine andere zu beobachten, so daß diese Nötigung es eigentlich ist, was die Vorstellung einer für dieses Objekt spezifischen Beharrlichkeit im Objekt bzw. Invarianz der Materiemengen-Summe aus Asche und Rauch allererst möglich macht‹. Es ist angesichts der konventionellen Grammatik, die im nicht-wissenschaft­ lichen und im wissenschaftlichen Alltag für das Sprechen über solche substantiae comparativae gebraucht zu werden pflegt, nicht ganz leicht, ein substanz-thema­ tisches Erfahrungsurteil zu formulieren, das der Syntax von Kants kausalkategorialer Urteilsform weil ---, deshalb muß … entspricht. Daß die von Kant 140 A 210, B 255, Hervorhebungen R. E. 141 A 196, B 241, A 197, B 242.

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ins Auge gefaßte kategorische Urteilsform hier versagt, liegt auf der Hand. Doch in dieser Untersuchung wird unterstellt, daß die Schritte vor allem von den relationalen Urteilsfunktionen zu den Relations-Kategorien nur dann in plausibler Weise gelingen können, wenn man ihnen gemeinsam die Syntax der Relation einer Bedingung zu einem von ihr Bedingten unterstellt, aber auch die Ein­ stufung einer solchen Bedingung als hinreichend und des durch sie Bedingten als desjenigen, was notwendigerweise mit dem Gebrauch der jeweiligen Bedingung verbunden ist.142 Im Schutz und im Licht dieser Voraussetzung eröffnet sich die Möglichkeit, eine solche Weil ---, deshalb muß …-Syntax auch für die substanzthematischen Erfahrungsurteile fruchtbar zu machen. Mit Blick auf das HolzAsche-Rauch-Paradigma Kants ergibt sich dann die Urteilsform Weil in einem Stück Holz etwas Meßbares beharrt, während durch sein Verbrennen Asche und Rauch entstehen, deshalb müssen Asche und Rauch die meßbaren Akzidenzien dieses meßbaren beharrenden Etwas sein. Dennoch macht diese Form eines substanz-thematischen Erfahrungsurteils auf einen methodologischen Aspekt aufmerksam, der mit Blick auf die von Kant angedeutete Konzeption der substantiae comparativae besonders wichtig ist. Denn ein solches empirisches, aber von der Substanz-Kategorie geprägtes und vom Schema-Kriterium der Substanz geleitetes Urteil fällt den Menschen, die mit Holz, Feuer, Asche und Rauch zu tun haben, nicht gleichsam wie vom Himmel in den Schoß. Es ergibt sich erst nach unbestimmt vielen Beobachtungen und nach unbestimmt langer – auch geschichtlich langer – Zeit. Erst nach solchen Beobachtungen und nach einer solchen Zeit ergibt sich irgendwann eine Situation mit einem teils kognitions-psychologischen und teils epistemologischen Kulminationspunkt. Mit Blick auf diesen Kulminationspunkt gilt in Analogie zu Kants berühmten drei wissenschaftshistorischen Diagnosen in der Vorrede zur zweiten Auflage: ›Als jemand zuerst ein Stück Holz abwog und anschließend die aus seiner Verbrennung entstandene Asche‹, »so ging allen … ein Licht auf. Sie begriffen, daß …«143 die Materiemengen-Differenz aus dem Holz und seiner Asche auf das Gewicht des Rauchs verweist und die Materiemengen-Summe aus der der Asche und des Rauchs auf etwas materiemengenförmig Beharr­ liches im Holz. Doch von solchen in analogen Formen gewonnenen substanzthematischen Erfahrungsurteilen wimmelt der geschichtlich gewachsene alltägliche Erfahrungshaushalt der Menschen ebenso wie von kausal-thematischen Erfahrungsurteilen, die nach dem Muster gebildet sind, das in den Prolegomena (IV, 305*) eingeführt und analysiert wird. Den wichtigsten konzeptionellen Knotenpunkt, von dem aus diese Zusammenhänge sichtbar werden können, hat Kant beiläufig mit der Reflexion 5312 und der hier skizzierten Konzeption der substantia comparativa geknüpft. 142 Vgl. Erster Teil, 10.–11. Ab. 143 B XIII, Hervorhebungen R. E.

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Behält man diese Zusammenhänge im Blick, dann ergibt sich aus ihrer Berücksichtigung eine überraschende Tragweite für das sachliche Verständnis der Konzeption der Einheit der Zeit, die Kant unmittelbar und strikt an die Gültigkeit des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz bindet. Denn die Beharrlichkeit der Substanz im Sinne einer omnitemporalen Invarianz gegen jeglichen Wechsel ist »selbst die einzige Bedingung der empirischen Einheit der Zeit. … Denn es ist nur Eine Zeit, in welcher alle verschiedenen Zeiten … nacheinander gesetzt werden müssen«.144 Auch damit wird wiederum die unmittelbare Tragweite eines dieser Grundsätze für die Empirie und damit vor allem für die Erfahrungsurteile zur Geltung gebracht, die durch den Gebrauch insbesondere der Relations-Kategorien und deren temporale Schema-Kriterien ›alle verschiedenen Zeiten‹ direkt in Anspruch nehmen. Alleine schon der Wechsel von einem Stück Holz und seinen phänomenalen Eigenschaften zu seiner Asche und seinem Rauch sowie deren phänomenalen Eigenschaften nimmt jeweils – entsprechend der Holzart und der Intensität des verwendeten Feuers – ›verschiedene Zeiten‹, also unterschiedliche Dauer in Anspruch. Die damit implizit in Anspruch genommenen Hilfs-Kategorie der substantiae comparativae berücksichtigt Kant ausdrücklich, wenn er bemerkt: »Substanzen (in der Erscheinung)145 sind die Substrate aller Zeitbestimmungen«,146 also aller Datierungen und anderen temporalen Maßbestimmungen. Doch obwohl die Beharrlichkeit der Substanz, also ihre omnitemporale Invarianz gegen jeglichen Wechsel die nicht-empirische Bedingung der Einheit der Zeit bildet, würde das »Entstehen einiger, und das Vergehen anderer derselben, […] selbst die einzige Bedingung der empirischen Einheit der Zeit aufheben«.147 Daher verweist die abstrakt-unbestimmte Rede vom ›Entstehen einiger und Vergehen anderer‹ ›Substanzen in der Erscheinung‹, also von substantiae comparativae auf eine stillschweigend übergangene, aber wichtige Fallerörterung. Denn es sind gerade solche substantiae compara­tivae, von denen die verschiedenen möglichen Formen von Zeitbestimmungen abhängen. Man braucht nur die beiden geschichtsinvariant paradigmatischen substantiae comparativae zu berücksichtigen, von denen die unter Menschen faktisch genutzte Möglichkeit aller Zeitbestimmungen abhängt – also Sonne und Mond.148 Denn Sonne und Mond fungieren nicht nur als diese paradigmatischen substantiae comparativae aller faktisch in Anspruch genommenen irdischen Zeitbestimmungen. Sie bilden auch paradigmatische Konkretisierungen der abstrakt-unbestimmten Rede vom ›Vergehen anderer‹ substantiae comparativae: 144 A 188, B 231–A 189, B 232, Kants Hervorhebungen. 145 Also ›phaenomena, welche substrata sind von anderen phaenomenis‹, wie R 5312 sie ins Auge faßt. 146 A 188, B 231. 147 Ebd.; Hervorhebung R. E. 148 Vgl. hierzu auch die trefflichen Fallerörterungen bei Arthur Melnick, Kant’s Analogies of Experience, Chicago 1973, S. 61–63, 70 f.

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Würden Sonne und Mond vergehen, dann würde – abgesehen von allen anderen Konsequenzen – jedenfalls und mindestens auch eine ausgezeichnete ›empirische Einheit der Zeit‹ aufgehoben.149 Unter diesen Voraussetzungen kommt zwar grundsätzlich jede natürliche ›Substanz in der Erscheinung‹ für die Rolle eines Substrats aller ihrer Zeitbestimmungen in Frage. Denn jeder solchen substantia comparativa ist durch den Anfang und das Ende ihrer natürlichen Existenz eine spezifische Eigenzeit gegeben. Nicht nur ein Stück eines ›phaenomenon‹ namens Holz, ›welches ein substratum ist von anderen phaenomenis‹ – z. B. auch von Asche und Rauch –, gäbe ein solches Substrat aller ihrer Zeitbestimmungen im Wechsel zu Asche und Rauch ab. Auch z. B. das B 162–163 thematisierte Wasser mitsamt seinem Gefrieren  – aber auch seinem Verdampfen  – ist ein Beispiel für eine solche ›Substanz in der Erscheinung‹ und damit ein mögliches Substrat aller ihrer Zeitbestimmungen, wie sie durch ihren Wechsel zu Eis bzw. Dampf in Erscheinung treten. Doch substantiae comparativae dieser Sorten kommen für die Rolle eines solchen Substrats aller Zeitbestimmungen offensichtlich deswegen nicht ernsthaft in Frage, weil ihnen die wichtigste Voraussetzung dafür fehlt. Denn am wichtigsten für die Eignung einer substantia comparativa für die Rolle eines Substrats der empirischen Einheit der Zeit ist ein außerordentlich großes Maß an Uniformität und Einfachheit des Wechsels der kinematischen phaenomena,150 deren Substrat sie ist. Ein solches Maß bieten gerade die kinematischen phaenomena von Sonne und Mond. 149 Die Kritik, die Longueness, Judgement, an Melnicks Überlegungen, vgl. oben S. 301, Anm. 148, übt, vgl. S. 343–345, leidet unter einer nicht ganz überwundenen Unschärfe ihrer Behandlung des Unterschied zwischen »the permanent substance« »in all apperances«, S. 344, und den substantiae comparativae, von denen »some are ›more permanent‹ than others«, ebd. Daß »Kant’s problem is … how we generate our representations of an unified time in the first place«, ebd., schließt nicht aus, daß Kants Problem an zweiter Stelle darin besteht zu klären, wie wir unter der Voraussetzung der Klärung dieses übergeordenten Problems die Möglichkeit der Zeitbestimmungen klären. Man wird ebenso wie Melnick zur Kenntnis nehmen müssen, daß Kant, wenn auch in einer verklausulierten Form, seinen Ansatz zu einer solchen Klärung präsentiert hat. Zwar erinnert Longueness selbstverständlich zu Recht daran, daß die Beantwortung der Frage, »how we situate appearances in time«, ebd., noch viel mehr voraussetzt – »our ability to determine the temporal relations of appearances (constituting temporal frames of reference, calculating duration, elaborating a mathematical science of motion«, S. 345. Doch das ändert nichts daran, daß alle diese Faktoren nur und erst dann eingeführt werden können, wenn man über eine durch Konvention festgelegte Standard-substantia comparativa mit einer hinreichend permanenten Existenz verfügt, vgl. auch unten S. 288, Anm. 150. 150 Es ist diese kinematische Dimension, mit Blick auf die Longueness, Judgement, zu Recht betont, daß Kants knappe Bemerkungen zur Grundlage der Zeitbestimmungen wegen der Abhängigkeit auch von räumlichen Komponenten zumindest innerhalb der temporal orientierten Erörterungen der Zweiten Analogie an ihre innere Grenze stoßen; vgl. oben S. 302, Anm. 149.

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Indessen wird die Gültigkeit des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz und die durch ihn garantierte nicht-empirische Einheit der Zeit durch Fragen nach der Möglichkeit ihrer empirischen Einheit gar nicht berührt. Denn die hierdurch thematisierte »Beharrlichkeit drückt überhaupt die Zeit, als das beständige Korrelatum alles Daseins der Erscheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung aus«.151 Sie bildet also, wenn sie als eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände erst einmal erwiesen ist, auch eine notwendige Voraussetzung für die Gültigkeit der Zweiten und der Dritten Analogie. Denn diese nehmen, wenn dieser Erste Grundsatz gültig ist, ›die Zeit als das beständige Korrelatum‹ sowohl alles Wechsels (Zweite Analogie) wie aller Begleitung (Dritte Analogie) in Anspruch. Vor allem deswegen »[…] steht [der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz] auch …, wie es ihm doch gebührt, an der Spitze der reinen und völlig a priori bestehenden Gesetze …«.152 Wäre dieser Grundsatz nicht gültig, dann würden jedoch nicht nur die beiden anderen Analogie haltlos. Mit der Haltlosigkeit der drei Analogien wäre im buchstäblich prinzipiellen Sinne auch die Durchgängigkeit nicht mehr garantiert, mit der immer wieder von neuem neue Erfahrungsurteile der drei möglichen Typen gewonnen werden könnten. Ein Gewinn von Urteilen dieses Typs wäre dann zwar durchaus immer noch möglich. Er wäre aber zur prinzipiellen Kontingenz verurteilt. Denn ohne die Gültigkeit der drei Analogien würde jegliche Legitimität des Zutrauens in die durchgängige Möglichkeit dieses Gewinns fehlen, also dessen, was Kant im ebenso ›critischen‹ wie emphatischen Sinne als Erfahrung analysiert,. Der empirische Gebrauch der Kategorien und der Rekurs auf die für ihren richtigen Gebrauch leitenden Schema-Kriterien würde zu einem wildwüchsigen Spiel mit den Gelegenheitsursachen der Wahrnehmungen und ihrer Stimuli entarten. Auf einen wichtigen inneren Zusammenhänge der Ersten mit der Zweiten Analogie hat Kant selbst mit dem letzten Schritt der Ersten Analogie unmittelbar vor der Zweiten Analogie mit der Frage aufmerksam gemacht, »Was aber das empirische Kriterium dieser notwendigen Beharrlichkeit und mit ihr der Substantialität der Erscheinung sei«.153 Die Antwort auf diese für die Arbeit an der Transzendental-Philosophie zunächst irritierende Frage nach einem solchen empirischen Kriterium wird mit der Bemerkung vertagt, daß »[uns] davon […] die Folge Gelegenheit geben [wird], das Nötige anzumerken«.154 Doch irritierend ist Kants abschließende Frage nur dann, wenn man verkennt, daß diese Frage jedenfalls im Rahmen der Erörterungen – nicht des Beweises – des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz fast auf Schritt und Tritt implizit aktuell ist. In 151 A 183, B 226, Hervorhebungen R. E. 152 A 184, B 227. 153 A 189, B 232. 154 Ebd.

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aller Ausdrücklichkeit wird sie durch die Kasuistik des Wechsels aktuell, den eine Portion Holz durch ihr Verbrennen zugunsten ihrer Asche und ihres Rauchs durchmacht. Denn mit diesem Verbrennen wird das Thema der Kausalität in die an sich dem Thema der Substantialität gewidmeten Erörterungen eingeführt: Analog wie in Kants paradigmatischem Beispiel in den Prolegomena das kausalthematische Erfahrungsurteil Die Sonne erwärmt den Stein einen singulären Fall von Kausalität thematisiert thematisiert das kausal-thematische Erfahrungs­ urteil Das Feuer verbrennt das Holz zu Asche und Rauch einen anderen solchen Fall. Ebenso analog kann dieses kausal-thematische Erfahrungsurteil mit Hilfe der von Kant geprägten Weil …, deshalb muß …-Syntax für die Kausal-Kategorie in die entsprechende Urteilsform transfomiert werden: Weil das Feuer das Holz verbrennt, deshalb müssen Asche und Rauch entstehen. Solche impliziten Anteile von ursächlichen Bedingungen am Wechsel der phänomenalen Zustände von ›Substanzen in der Erscheinung‹, also von substantiae comparativae sind es, die die Frage nach dem empirischen Kriterium der ›notwendigen Beharrlichkeit und mit ihr der Substantialität der Erscheinung‹ innerhalb der Erörterungen des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz nicht nur zu einer konsequenten Frage stempeln. Diese Frage kann sich genauso konsequenterweise – am ausdrücklichsten mit Blick auf die Feuer-Holz-AscheRauch-Kasuistik  – auf die Unerläßlichkeit der kausal-thematischen Elemente verlassen, die an den Argumenten dieser Erörterungen fast auf Schritt und Tritt beteiligt sind. Nur deswegen bilden der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausaltät, sein Beweis und seine Erörterungen auch die erste ›Gelegenheit in der Folge‹, das empirische Kriterium der ›notwendigen Beharrlichkeit und mit ihr der Substantialität der Erscheinungen‹ zu klären.155 Paton bringt mit seiner Bemerkung, daß dieses »criterion of substance … presupposes the truth of causality«,156 die sachlichen und die methodischen Verflechtungen jedenfalls und mindestens der Ersten und der Zweiten Analogie zwar am prägnantesten auf den springenden Punkt: Im Rahmen der Zweiten Analogie wird eine Präsupposition der Ersten Analogie analysiert, also eine Wahrheit, die zugunsten der Wahrheit der Ersten Analogie vorausgesetzt werden muß. Doch trotz der Prägnanz von Patons Formulierung ist dieses präsuppositionale Verhältnis wegen der Rolle dieses empirischen Kriteriums verwickelter als es diese Prägnanz vermuten läßt. Die in Aussicht gestellte Gelegenheit, zu diesem Kriterium ›das Nötige anzumerken‹, läßt Kant nicht verstreichen. Allerdings nutzt er diese Gelegenheit, eine Modifikation des zunächst bloß abstrakt skizzierten Kriteriums vorzunehmen: 155 Zu Recht integriert daher auch Paton, Experience II, den § 9, The Empirical Criterion of Substance, in sein Chapter XLII. Substance, mit der Begründung, »because it presupposes the truth of causality«, S. 215. 156 Vgl. oben S. 305, Anm. 155.

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»Allein das empirische Kriterium einer Substanz, sofern sie sich nicht durch Beharrlichkeit der Erscheinung, sondern besser und leichter durch Handlung zu offenbaren scheint, kann ich nicht unberührt lassen«.157 Der Schein einer besseren und leichteren Evidenz, den dieses Kriterium erweckt, ist allerdings in einer präzisierbaren Hinsicht trügerisch: »Denn nach dem Grundsatze der Kausalität sind Handlungen immer der erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen, und können also nicht in einem Subjekt liegen, was selbst wechselt, weil sonst andere Handlungen und ein anderes Subjekt, welches diesen Wechsel bestimmte, erforderlich wären. Kraft dessen beweist nun Handlung, als ein hinreichendes empirisches Kriterium, die Substantialität«.158 Eric Watkins meint das Trügerische dieses Scheins darauf zurückführen zu können, »that Kant’s notion of activity is obscure«.159 Doch weder Kants Begriff der Tätigkeit noch der ihn einschließende Begriff der Handlung (vgl. A 204, B 250 f.) ist dunkel. Vielmehr werden sie gerade im Zusammenhang des Kausalitätsproblems lediglich zweideutig gebraucht. In der deskriptiven Naturforschung kann man nicht nur zu Kants Zeit z. B. von der Tätigkeit eines Vulkans oder der eines Feuers sprechen; und in den lateinischen Texten der Physik seiner Zeit ist regelmäßig von actiones die Rede, wenn z. B. von Planetenbewegungen die Rede ist. Andererseits kann im Zusammenhang mit Experimenten sowohl von der Tätigkeit des Experimentators wie von seinen experimentellen Handlungen die Rede sein. Gerade die experimentale Bedeutung des Handlungsbegriffs wird in den Er­ örterungen der Zweiten Analogie wichtig, weil Kant ein zwar geradezu rührend einfaches, aber dennoch wichtiges und eindeutig experimentelles Beispiel einer Handlung präsentiert: »… wenn ich die Kugel auf das Kissen lege, so folgt auf die vorige glatte Gestalt desselben ein Grübchen«.160 Ebenso kann das Verbrennen eines Stücks Holz – mitsamt den Wirkungen in Gestalt von Asche und Rauch – sowohl durch ein natürliches Feuer wie durch die experimentelle oder auch nicht-experimentelle Verbrennungstätigkeit eines Menschen herbeigeführt werden. Nur deswegen gibt Kant mit Bedacht zu verstehen, daß sich die Substanz, sofern sie sich ›nicht durch Beharrlichkeit der Erscheinung‹ offenbart, sondern durch ihr empirisches Kriterium ›besser und leichter durch Handlung zu offen­baren 157 A 204, B 249, Hervorhebung R. E. 158 Ebd. 159 Watkins, Causality, S. 296. 160 A 203, B 248–249. Trotz seiner rührenden Einfachheit präsentiert dieses Beispiel innerhalb der Erörterungen der Struktur der Kausalität ein Muster einer quasi-experimentellen Handlung bzw. – noch stärker verallgemeinert – ein Muster von HandlungsKausalität. Wegen dieser Musterhaftigkeit kann es sogar zugunsten der Erörterung der Strukturen fruchtbar gemacht werden, die beliebig komplexe experimentelle Handlungen bzw. Situationen im Licht von Kants Theorie der Kausalität zeigen; vgl. hierzu unten S. 312–315.

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scheint‹. Denn zwar ist dieses Kriterium empirisch tauglich. Dennoch kann es das Kriterium der ›Beharrlichkeit in der Erscheinung‹ nicht ersetzen, also mit ihm methodisch nicht äquivalent sein. Denn es führt, wenn man es konsequent mit dem Ziel fruchtbar zu machen sucht, dieses Kriterium zu ersetzen, in einen unendlichen Regreß: »Denn nach dem Grundsatze der Kausalität sind Handlungen immer der erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen, und können also nicht in einem Subjekt liegen, was selbst wechselt, weil sonst andere Handlungen und ein anderes Subjekt, welches diesen Wechsel bestimmte, erforderlich wären«.161 Doch sowohl Experimentatoren wie (natürliche)  substantiae comparativae sind, ganz ungeachtet dessen, daß man beide  – wenngleich zweideutig  – als Subjekte von Handlungen oder Tätigkeiten charakterisieren kann, ›Subjekte, die wechseln‹. Das personale Subjekt, das eine Kugel mit Hilfe einer leibhaftigen Bewegung auf ein Kissen legt – aber auch die Kugel, die durch ihr Gewicht das Grübchen kausal hervorbringt –, wechselt ebenso seine phänomenalen Eigenschaften wie das Feuer, in dem das Stück Holz zu Asche und Rauch verbrennt. Alle drei Subjekte sind mit ihren jeweiligen Zuständen außerdem selbst aus unterschiedlichen ursächlichen Formen des Wechsels ihrer Zustände hervorgegangen. Das empirische Kriterium der Substanz taugt daher ausschließlich zur kausalen Beurteilung von individuellen substantiae comparativae. Leibhaftige menschliche Personen müssen und können aus methodologischen, empirisch-kriteriologischen Gründen ebenfalls als substantiae comparativae behandelt werden, ohne daß dadurch ihr personaler Status oder ihr Status als Menschen auch nur im mindesten berührt oder gar verletzt werden könnte. Die Thematisierung und die Erörterung des empirischen Kriteriums der ›notwendigen Beharrlichkeit und mit ihr der Substantialität der Erscheinung‹ (A 189, B 232) machen jedenfalls und ungeachtet der Komplikationen, die sich dadurch ergeben, noch einmal darauf aufmerksam, wie unmittelbar auch der nicht-empirische Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz mit der empirischen Dimension verflochten ist. Denn in dieser Dimension sind die substanzthematischen Erfahrungsurteile zu Hause, durch die ›phaenomena, die substrata von anderen phaenomenis‹ sind, thematisiert werden. Doch diese speziellen Erfahrungsurteile – und nur sie – sind es, die für den Gebrauch dieses Kriteriums tauglich sind. Z. B das ›phaenomenon‹ eines Stücks Holz ist selbst aus einem Wechsel der phänomenalen Eigenschaften von Größe und Gewicht des Baumstammes hervorgegangen, aus dem es durch die mechanisch-ursächliche Tätigkeit mit Hilfe z. B. einer Säge gewonnen worden ist. Trotzdem zeigt dieses ›phaenomenon‹ eines Stücks Holz, daß im Verlauf seiner Verbrennung dasselbe Substrat beharrt, das auch beim Verbrennen eines ganzen Baumstamms in Form des Gewichts von Asche+Rauch beharrt. Selbstverständlich bringt die Iteration 161 A 205, B 250, Hervorhebungen R. E.

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dieses empirischen kriteriellen Verfahrens niemals »das erste Subjekt der Kausalität alles Entstehens und Vergehens … (im Felde der Erscheinungen)«162 ans Licht. Es bleibt schon deswegen in extrem engen Grenzen seiner Fruchtbarkeit befangen, weil es im regressiv-iterativen Ausgang von einem konkreten substanz-thematischen Erfahrungsurteil stets und strikt an dem Typ des ›phaenomenon, das substratum von anderen phaenomenis‹ ist, orientiert bleibt, von dem seine regressiv-iterative Anwendung ihren Ausgang nimm, also z. B. an dem Typ, der durch das ›phaenomenon‹ eines Stücks Holz und durch dessen substantia comparativa repräsentiert wird. Das empirische Kriterium der Substantialität wird im Rahmen der Erörterungen der Kausalität zu Recht, aber auch zu Recht mit Bedacht behandelt. Mit berechtigtem Bedacht wird es behandelt, weil dem Schein vorgebeugt werden sollte, daß es in irgendeiner Form von Konkurrenz oder Äquivalenz zum Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz stehen würde. Doch da dieser Grundsatz durch keinerlei kriterielle Momente geprägt ist, sondern eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände thematisiert – nämlich ›das erste Subjekt der Kausalität alles Entstehens und Vergehens im Felde der Erscheinungen‹ –, ist man innerhalb der Grenzen der durch ihn teilweise ermöglichten Erfahrung und Erfahrungsgegenstände auf ein ›hinreichendes empirisches Kriterium der Substantialität‹ (vgl. A 204, B 249) angewiesen. Denn innerhalb dieser Grenzen bilden die Gegenstände substanz-thematischer Erfahrungsurteile die spezifisch wirklichen möglichen Gegenstände der Erfahrung. Das empirische Kriterium der Substanz soll und kann daher in jedem konkreten Fall eines substanz-thematischen Erfahrungsurteils hinreichend sein zu beurteilen und zu erkennen, daß und inwiefern die durch dieses Urteil thematisierte substantia comparative wie z. B. ein Stück Holz an einer spezifischen Form von Beharrlichkeit teilhat, ohne deswegen ›das erste Subjekt der Kausalität alles Entstehens und Vergehens im Felde der Erscheinungen‹ sein zu können.163 Die 162 A 205 B 251, Hervorhebungen R. E. 163 Mit der Berücksichtigung dieses Kriteriums und des mit seinem Gebrauch verbundenen teilweise empirischen und teilweise formalen Beurteilungsproblems fällt unter den von Kant berücksichtigten kognitiven Vermögen der Urteilskraft eine Schlüsselrolle zu, allerdings nicht ihrem transzendentalen Gebrauch. Denn dieser ist schon durch die Ermittlung, die Formulierungen und die Beweise der Grundsätze erschöpft. Im Licht von Kants Theorie zeichnen sich daher schon am Beispiel alltäglichster Fälle von Erfahrungsurteilen kriteriologische Beurteilungsprobleme ab, die mit Hilfe der Ersten oder der Zweiten Analogie grundsätzlich nicht ins Auge gefaßt werden können. Kants rührend schlichtes Muster einer experimentellen bzw. Handlungs-Kausalität ist musterhaft daher auch für jedes andere von einer beliebig komplexen experimentellen Situation provozierte Beurteilungsproblem dieses sowohl empirischen wie formalen Typs. Pringe, Quantum Power, sieht daher die von ihm erörterten Grundlagenprobleme der Quanten-Physik mit Blick auf Kants Theorie und in erkenntnistheoretischer Hinsicht zu Recht bei der Urteilskraft, insbesondere bei ihrer reflektierenden Funktion aufgehoben, vgl. bes.

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Rolle der Grundsätze und speziell die der Analogien besteht ausschließlich darin, durch ihre Inhalte zu zeigen, in welchen Formen die Durchgängigkeit gesichert werden kann und muß, mit der alle möglichen Erfahrungsurteile ›das absolute Ganze der möglichen Erfahrung‹ erschöpfen.164 Exkurs über die eminente Rolle der transzendentalen Apperzeption für die Analogien Diese Zusammenhänge scheinen am besten geeignet zu sein, auf vier transzendental-logische Knotentpunkte ein besonderes Maß an Sorgfalt zu verwenden. Es ist das Maß, das nötig ist, um innerhalb des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes ein eigenes theoretische Netz transparent zu machen. Dieses Netz verbindet diese Knotenpunkte im Abschnitt Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile – also im Schlußpunkt der transzendentalen Philosophie der Erfahrung  – durch eine beiläufige, aber wichtige Charakterisierung der Funktion aller Grundsätze und schließlich speziell durch den Grundsatz, der ›an der Spitze‹ (vgl. A 184, B 227) der drei Analogien steht.165 Der erste Knotenpunkt findet sich am Ende des Abschnitts des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes und wird von einer extrem abstrakten und allgemeinen, aber zu Recht auch besonders prominenten Charakterisierung der Grundsätze gebildet: »Auf solche Weise sind synthetische Urteile a priori möglich, wenn wir die formalen Bedingungen der Anschauung  a priori, die Synthesis der Einbildungskraft, und die notwendige Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption, auf ein mögliches Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen«.166 Die Knotenpunkt-Rolle innerhalb dieses ersten Knotenpunkts fällt damit der transzendentalen Apperzeption zu, die in ihrer ›reinen und ursprünglichen‹ Form und Funktion generell »den Grund der Einheit … in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält«.167 Gewiß spricht Kant auch schon in elementareren Zusammenhängen von der spezifisch transzendentalen Apperzeption.168 Hier genügt es, die in den Prolegomena formulierte Arbeitsdefnition des Transzendentalen

164 165 166 167 168

S. 145 ff.; denn es kommt hierbei darauf an, spezifisch transzendental-logisch reflektierend zu beurteilen, ob und gegebenenfalls in welchen Formen vor allem die Substanzund die Kausalkategorie an Sätzen über quantenmechanische Objekte beteiligt sind, speziell an Sätzen über quantenmechanische Experimente und deren Ergebnisse; vgl. hierzu auch unten S. 308, Anm. 164, S. 318, Anm. 203. Diese Durchgängigkeit thematisiert Pringe, Quantum Power, wenn er nach der Logical and Transzendental Systematicity in the Quantum Realm, S. 150–155, fragt. Diese Transparenz wird für jeden weiteren Grundsatz an Ort und Stelle nachgeholt. A 158, B 197. B 131. Vgl. z. B. A 107.

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zu berücksichtigen, wonach »das Wort transzendental […] bei mir […] eine Beziehung nur aufs Erkenntnisvermögen [bedeutet]«.169 Doch in dem transzendentalen Gebrauchsmodus, in dem die reine und ursprüngliche Apperzeption die notwendige Bedingung dafür bildet, daß »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt … zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung«170 sind, kommt sie zugunsten der Bildung der logischen Einheit von eminenten Urteilen, eben der synthetischen Urteile apriori zum Zuge.171 Deswegen greift an diesem Punkt vor allem die andere, ergänzende Arbeitsdefinition des Transzendentalen, »daß nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder möglich sind … transzendental heißen müsse«.172 Dieses eminente funktionale Merkmal des Transzendentalen entspricht dem Umstand, daß es in diesen Urteilen nicht einfach nur darum geht, irgendein »Mannigfaltige[s] der Vorstellungen«173 in einer logischen, urteilsförmigen Einheit zu verbinden. Auch z. B. ein ›Zweifaltiges‹ von Vorstellungen bildet ein entsprechendes Mannigfaltiges, sofern es um deren Verbindung zugunsten der Bildung z. B. eines Urteils der kategorischen Form zu tun ist. In ihrer abstrakten Charakterisierung stiftet diese eminente Funktion der transzendentalen Apperzeption zwar die ›notwendige Einheit der formalen Bedingungen der Anschauung a priori und der Synthesis der Einbildungskraft‹. Doch wodurch konkret die reine und ursprüngliche Apperzeption in dieser eminenten transzendentalen Rolle über die normale transzendentale Rolle der »Verbindung des Mannigfaltigen«174 hinausgeht und nur dadurch die notwendige Bedingung der logsichen Einheit jedes einzelnen synthetischen Urteils apriori bildet, kann nur durch die Aufmerksamkeit auf die logische Form jedes einzelnen dieser Urteile geklärt werden. Der dritte Knotenpunkt zeigt sich daher in dem schon hervorgehobenen Umstand, daß für diese Urteile bzw. Grundsätze das urteils-logische Moment charakteristisch ist, ihre spezifischen Themen durchweg mit Hilfe des ­A llquantors zur Sprache bringen: Die Axiome der Anschauung durch die Phrase 169 IV, 292. 170 A 158, B 197. 171 Analog wie Kant den transzendentalen Gebrauch der Urteilskraft von ihrem nichttranszendentalen Gebrauch unterscheidet, kommt es darauf an, den transzendentalen Gebrauch der Apperzeption von ihrem reinen und ursprünglichen Gebrauch zu unterscheiden. Transzendentalen Gebrauch macht man von beiden ausschließlich im Rahmen der transzendentalen Reflexion und Analyse zugunsten der Bildung von transzendentalen Urteilen, ihr reiner und ursprünglicher Gebrauch kommt zugunsten der Bildung von Urteilen-überhaupt ausschließlich außerhalb der Transzendentalphilosophie zum Zuge – deswegen bildet er hier die betont ursprüngliche Form des Gebrauchs der Apperzeption. 172 A 56, B 80. 173 B 129. 174 B 130.

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»Alle Anschauungen …«, Das Prinzip der Antizipationen der Wahrnehmung durch die Phrase »In allen Erscheinungen …«, die Erste Analogie durch die Phrase »Bei allem Wechsel der Erscheinungen …«, die Zweite Analogie durch die Phrase »Alles, was geschieht …«, die Dritte Analogie durch die Phrase »Alle Substanzen …« und die Postulate des empirischen Denkens  – mit Hilfe einer trivialen entsprechenden Quantoren-Ergänzung – durch die Phrase »[Alles] was bzw. dessen …«.175 Diese quantoren-logische Form der universellen Thematisierung bildet zunächst einmal einen echten Teil der ›Einheit in Urteilen und der Möglichkeit des Verstandes sogar in seinem logischen Gebrauch‹, deren ›Grund‹ die Apperzeption im Zusammenhang mit diesen Urteilen apriori durch ihren eminenten transzendentalen Gebrauch bildet. Doch es liegt auch auf der Hand, daß durch diese universelle Thematisierung jeweils ein außerordentliches Mannigfaltiges, das Maximum eines Mannigfaltigen thematisiert wird. Im selben Atemzug wird es mit Hilfe einer jeweils ganz bestimmten Kategorie (Analogien bzw. Postulate)  bzw. eines jeweils ganz bestimmten Kategorien-Typs (Axiome bzw. Antizipationen) in ein in formaler Hinsicht jeweils ganz bestimmtes synthetischen Urteils apriori integriert. Darüber hinaus verweist sie auf den vierten Knotenpunkt, auf eine von Kant eher marginal mitgeteilte, aber dennoch zentrale Verdeutlichung der Funktion dieser Urteile: »Man kann alle Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört, a priori erkennen und bestimmen kann, eine Antizipation nennen«.176 Denn zum einen wird durch jede Erkenntnis apriori dessen, was zur empirischen Erkenntnis gehört, eben das, was zu ihr gehört, antizipiert; zum anderen wird durch jede derartige Antizipation die so nur abstrakt gekennzeichnete ›empirische Erkenntnis‹ vor allem mit einem der drei Typen möglicher Erfahrungsurteile identifiziert; und schließlich wird durch jede solche antizipierte Identifikation das methodische Desiderat akut, »Es kommt […] darauf, im Beispiel zu zeigen«,177 nämlich »in irgendeinem Beispiele einer möglichen Erfahrung«,178 wie solche Erfahrungsurteile wenigstens paradigmatisch präsentiert und im Rahmen entsprechender Kasuistiken erörtert, also analysiert und charakterisiert werden können. Denn nur durch ihre Analyse kann gerade dasjenige konkret ans Licht gebracht werden, was ›zur empirischen Erkenntnis gehört und apriori erkannt und bestimmt werden kann‹ – also vor allem ihre kategorialen und ihre temporalen Formen. Doch erst durch die in allen Grundsätzen so zentral gebrauchten Allquantoren wird die Tragweite hinreichend durchsichtig, die die abstrakt-formelhafte Identifizierung der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung mit den Bedin175 176 177 178

Vgl. hierzu ausführlich oben S. 274 f. A 166, B 208. A 196, B 241. IV, 295.

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gungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung mit sich bringt. Denn bei diesen möglichen Gegenständen handelt es sich bei genauerem Hinsehen um die Sachverhalte,179 die, sofern sie wirklich sind, ausschließlich durch Erfahrungsurteile thematisiert werden, also durch die empirischen Urteile, in denen wir vor allem von Relationskategorien und temporalen Formen Gebrauch machen. Denn sie sind die Urteile, die durch ihre mögliche Gesamtheit nicht nur ›allen Wechsel der Erscheinungen‹, ›alles, was geschieht‹ und ›alle Substanzen‹ erschöpfen. Zusammen mit diesen spezifisch verschiedenen Formen von allem erschöpfen sie auch das, was jede dieser drei spezifischen Formen von Universalität jeweils spezifisch voraussetzt, so daß Erfahrung möglich ist – also das ›was in der Natur beharrt und weder vermehr- noch verminderbar ist‹, das ›worauf es nach einer Regel folgt‹ bzw. um ›durchgängige Wechselwirkung‹. Der sachliche Zusammenhang zwischen den vier erörterten transzendentallogischen Knotenpunkten Des Systems der Grundsätze des reinen Verstandes bedarf der Durchsichtigkeit daher offensichtlich um seiner selbst willen. Denn nur so wird die Tragweite deutlich, die innerhalb der abstrakten GrundsatzFormel dieses Systems der transzendentalen Apperzeption zugeschrieben wird: Als Apperzeption des Ich denke erfaßt sie – und nur sie – »die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden«180, weil »[…] alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt [hat], darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird«,181 Aber auch nur dadurch, daß diese notwendige Bedingung erfüllt ist, also der Akt der Apperzeption durch das denkende Subjekt ausgeübt wird, wird immer wieder von neuem die »Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen«182 gestiftet. Diese Ausübung der reinen und ursprünglichen Apperzeption zugunsten der Einheit von Begriffen in Urteilen – und damit zugunsten der Einheit des jeweils urteilenden Subjekts und seines Selbstbewußtseins in der Form des Ich denke  – bildet mit Blick auf jede beliebige Urteilsbildung innerhalb und außerhalb der Wissenschaft eine notwendige Bedingung. Im Unterschied zu diesem Typ von Einheit fungiert »die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins« ausschließlich zugunsten der »Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr«183, also zugunsten der synthetischen Urteile apriori. Diese werden im System der Grundsätze des reinen Verstandes – und nur in diesem System – in aller Form zur Sprache gebracht, bewiesen und erörtert. Ihre ›transzendentale Einheit‹ kann nur durch Akte der spezifisch ›transzendentalen Apperzeption‹ (vgl. A 158, B 197) gestiftet werden. Denn das Mannigfaltige der Vorstellungen, das hier zugunsten einer ›Einheit in Urteilen‹ verbunden ist, ist so einzigartig, 179 Zum Status dieser Gegenstände als Sachverhalte vgl. oben S. 112–113, 139 f. 180 B 132. 181 Ebd. 182 B 131. 183 B 132, Kants Hervorhebung.

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daß es für keine andere »Verbindung« zugunsten »der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen«184 disponibel ist als durch Akte der spezifisch ›transzendentalen Apperzeption‹. Die Akte der reinen und ursprünglichen Apperzeption sind auf ihre Beteiligung an der Verbindung von solchem Mannigfaltigen eingeschränkt, wie es mit Blick auf die schrittweise Möglichkeit der Erfahrung und die der schrittweisen Thematisierung ihrer möglichen Gegenstände immer wieder von neuem nur durch neue Erfahrungsurteile gelingen kann. Doch deren Gelingen hängt außer von den Akten der reinen und ursprünglichen Apperzeption ausschließlich von dem empirischen Gebrauch ab, den man vor allem von den Relations-Kategorien mit Blick auf geeignete individuelle Fälle von Wahrnehmungen bzw. Wahrnehmungsurteilen machen kann und muß. In Gestalt der Analogien wird dagegen nicht nur einfach der so apostrophierte reine und ursprüngliche Gebrauch geübt. Vor allem wird diese Form ihres Gebrauchs mit Blick auf alle möglichen Fälle von wechselnden Erscheinungen und deren beharrendes Substrat, mit Blick auf alle möglichen Fälle von Geschehnissen, also Zustandsänderungen und deren notwendige Voraussetzung sowie mit Blick auf alle möglichen Substanzen und deren Wechselwirkung geübt. Es liegt auf der Hand, daß diese universellen Urteile nicht in denselben logischen und kategorialen Formen gelingen können wie individuelle substanz-, kausal- bzw. wechselwirkungs-thematische Erfahrungsurteile. Die Urteile, mit deren Hilfe sich ›die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände‹ in universeller Form thematisieren, beweisen und erörtern lassen, müssen unter diesen Voraussetzungen nur allzu offensichtlich durch andere Formen geprägt sein als die Erfahrungsurteile. Gleichwohl müssen diese Formen ebenso offensichtlich ihren Ursprung in den Relations-Kategorien respektieren. Andernfalls wäre die innere Kohärenz von Kants Theorie ebenso offensichtlich empfindlich gestört. Zwar hat Kant zumindest für die unmittelbare Durchsichtigkeit dieser Kohärenz nicht übermäßig gesorgt. Dennoch bietet er direkt bzw. indirekt drei Anhaltspunkte, die zu einer solchen Durchsichtigkeit verhelfen können. Den wichtigsten Anhaltspunkt innerhalb der beiden hier zentralen Analogien bietet eine formale Komponente der Formulierung der Kausalitäts-Analogie der ersten Auflage: Alles was geschieht, setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt. Die ausdrückliche Setzt-etwas-voraus-Komponente fehlt zwar in der Formulierung der zweiten Auflage. Andererseits legt sich diese Komponente wiederum in der ersten Fassung Substanz-Analogie nur allzu offensichtlich fast wie ein bloß vernachlässigtes Desiderat nahe: Aller Wechsel der Erscheinungen setzt etwas voraus, was beharrt und weder vermehrt noch vermindert werden kann. Den zweiten, indirekten Anhaltspunkt bietet Kants so außerordentlich wichtiges syntaktisches weil …, deswegen muß …-Urteils-Schema für die Kausal184 B 130, Kants Hervorhebung.

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Kategorie.185 Dieses Schema macht unmißverständlich darauf aufmerksam, daß die Ursache im Licht seiner Theorie als hinreichende Bedingung aufzufassen ist.186 Doch offensichtlich bildet dieses spezifische konditionale Suffizienz-Verhältnis der Ursache zu ihrer Wirkung – und nur dieses Verhältnis – das formale Muster für den argumentativ zwingenden Schritt zur universellen Thematisierung der Kausal-Struktur durch die Zweite Analogie. Denn der wichtigste formale Aspekt, unter dem dieser Schritt gelingt, besteht darin, daß man die durch die weil ---, deswegen muß …-Struktur präformierte konditionale Asymmetrie des Verhältnisses der Ursache zur Wirkung zugunsten der Asymmetrie des Verhältnisses der Wirkung zur Ursache lediglich umzukehren braucht: Wenn sich eine Wirkung in der Form einer Zustandsänderung und unter dem Namen eines Geschehnisses notwendigerweise bzw. jederzeit187 einstellt, sobald eine dafür hinreichende Bedingung erfüllt ist, dann setzt jedes188 Geschehnis dieses Typs umgekehrt notwendigerweise voraus, daß eine für es hinreichende Bedingung erfüllt ist, auf deren Erfülltsein es nach einer Regel folgt. Nur in dieser Version handelt es sich gerade nicht um den von Kant zu Recht für transzendental-logisch irrelevant erachteten analytischen Satz, daß jede Wirkung eine Ursache hat.189 Sie orientiert sich vielmehr an der kausal-kategorialen Urteilsform weil ---, deswegen muß …, also an deren konditionalem SuffizienzFormat, am Jederzeitigkeits-Kriterium der Notwendigkeit (vgl. A 145, B 184) und am Sukzessions-Kriterium der Wirkung (vgl. A 144, B 183): »Daher, weil es 185 Vgl. B 288 sowie oben S. 110 f. 186 Vgl. hierzu die aus den aktuellen konditionalistischen Kausalitäts-Analysen zu Hilfe genommenen Erläuterungen Erster Teil, S. 224363, 260 f., sowie oben S. 154 f. 187 Die Jederzeitigkeit ist das empirische Schema-Kriterium der Notwendigkeit, vgl. A 145, B 184, mit der das durch eine hinreichende weil-Bedingung Bedingte der Fall ist 188 Ich unterstelle, daß der Allquantor in der Teilphrase Alles, was geschieht, … des Grundsatzes der Kausalität im distributiven Sinne Jedes, das geschieht … bzw. einfach Jedes Geschehnis … gebraucht wird. Würde er im kollektiven Sinne gebraucht, ergäbe sich eine Struktur, die diesen Grundsatz in eine irreführende formale Verwandtschaft mit der Thesis des Vierten Widerstreits der transzendentalen Ideen der Antinomie der reinen Vernunft, vgl. A 452, B 480, bringen würde. Deswegen macht Kant selbst in Form einer Mahnung darauf aufmerksam, daß »wir die distributive Einheit des Erfahrungs­ gebrauchs des Verstandes in die kollektive Einheit eines Erfahrungsganzen« nur »dialektisch verwandeln«, A 582, B 610, Kants Hervorhebungen, können. Denn mit der kollektiv gebrauchten Alles, was geschieht, …-Phrase würde die Totalität aller Geschehnisse als das charakterisiert, was ›etwas voraussetzt, wonach es nach einer Regel folgt‹; doch es ist jedes einzelne Geschehnis, das etwas voraussetzt, worauf es nach einer Regel folgt; im Rahmen des Vierten Widerstreit, in dem es auf diesen Unterschied zwischen distributiver und kollektiver Allgemeinheit besonders ankommt, sieht Kants sich daher auch genötigt, den propositionalen Kerngehalt der Zweiten Analogie punktgenau im distributiven Sinne zu formulieren: »Eine jede Veränderung aber steht unter ihrer Bedingung, die der Zeit nach vorhergeht, und unter welcher sie notwendig ist«, A 453, B 481, Hervorhebungen R. E.; zu dem entsprechenden Aspekt des Vierten Widerstreits vgl. unten S. 407, Anm. 61. 189 Vgl. A 9 bzw. B 12–13.

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doch etwas ist, was folgt, so muß ich es notwendigerweise auf etwas anderes überhaupt beziehen, was vorhergeht, und worauf es nach einer Regel, d. i. notwendigerweise folgt, so daß die Begebenheit [was geschieht, R. E.], als das Bedingte, auf irgendeine Bedingung sichere Anweisung gibt, diese aber die Begebenheit bestimmt«.190 In dieser Erläuterung wird unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß die suffizienz-konditionale Form des Verhältnisses der Ursache zu ihrer Wirkung den formalen Kern der Kausalität bildet. Respektiert man diese Form, dann ist es trivialerweise erlaubt, die Relate des von ihr geprägten Verhältnisse auch in der umgekehrten Form zu thematisieren und davon zu sprechen, daß das Bedingte in diesem Verhältnis das Erfülltsein seiner Bedingung ›voraussetzt‹. Daher zeigt sich, daß die Voraussetzungs-Struktur, die die Kausalitäts-Analogie in der ersten Auflage thematisiert, stillschweigend an der suffizienz-konditionalen Form des Kausalitäts-Verhältnisses orientiert ist, das A 194, B 239 (s. o. S. 314190) direkt zur Sprache bringt. Diese Zusammenhänge bilden eine wichtige Bewährungsprobe für die Tragfähigkeit und die Tragweite der konditionalistischen Strukturen, die schon im Rahmen der Erörterung der Vollständigkeit der Urteilstafel191 und der Metaphysischen Deduktion der Kategorien192 fruchtbar gemacht werden konnten.193 Eine (komplexe) konditionale Form kann nicht nur für das hypothetische Urteil,194 sondern auch – und zwar sogar von Kant selbst – für die ihr korrespondierende weil ---, deswegen muß …-Form kausal-thematischer Urteile fruchtbar gemacht werden. Doch auch dem kategorischen Urteil liegt im Rahmen von Kants Theore, wie sich gezeigt hat, eine – wenngleich einfache – konditionale Form zugrunde, wie sie für die Tragfähigkeit und Tragweite zugunsten der Mög190 A 194, B 239, Hervorhebungen R. E. 191 Vgl. Erster Teil, bes. S. 224–232. 192 Vgl. Erster Teil, bes. S. 266–272. 193 Bei der Erörterung der konditionalen Form, die unter dieser Voraussetzung die Gebrauchsform der Vorstellungen im kategorischen Urteils prägt, vgl. Erster Teil, S. 224 f., ist mir, wie ich jetzt sehe ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen. Ich habe formuliert, daß die kategorische Urteilsform »die konditionale Form des Akts ist, durch den das urteilende Subjekt eine (formallogisch nicht weiter zerlegbare)  Vorstellung v1x als (notwendige) Bedingung des Gebrauchs einer anderen (formallogisch nicht weiter zerlegbaren) Vorstellung v2 x gebrauchen kann«, S. 224. Falsch war es, hier von einer notwendigen Bedingung zu sprechen. Richtig wäre es schon hier gewesen, von einer hinreichenden Bedingungen, und entprechend auch bei der Rolle des Antecedens der hypothetischen Urteilsfunktion, vgl. S. 229–230, und ebenso bei den entsprechenden Gliedern der disjunktiven Urteilsfunktion, vgl. S. 230–236. ›Notwendig‹ ist es in allen drei Fälle lediglich, den logischen Charakter dieser drei Urteilsformen überhaupt konditionalistisch zu konzipieren – und zwar notwendig ausschließlich mit Blick darauf, daß sie tauglich sein müssen(!), den Weg in eine so apostrophierte metaphysische und in eine so apostrophierte transzendentale Deduktion von möglichen kategorialen Gegenstandsbezügen zu eröffnen und gangbar zu machen. 194 Vgl. Erster Teil, S. 224–226.

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lichkeit und des Gelingens der beiden ›Deduktionen‹ der Substanz-Kategorie nötig ist.195 Daher kann das, was sich im Rekurs auf die konditionale Grundform der Kausal-Relation zugunsten des Kausalitätsprinzips fruchtbar machen läßt, ebenso im Rekurs auf die konditionale Grundform der Substanz-Relation zugunsten des Substantialitätsprinzips fruchtbar sein. Auch hier hat man es im Licht des Allquantors mit einem Maximum eines Mannigfaltigen  – mit ›allem Wechsel der Erscheinungen‹ – zu tun; auch hier hat man es daher mit der eminenten transzendentalen Funktion der reinen und und ursprünglichen Apperzeption zu tun, dieses Maximum eines Mannigfaltigen in die ›Einheit im Urteil‹ und hier sogar in die Einheit eines synthetischen Urteils apriori zu integrieren; und auch hier hat man es mit Blick auf die konditionale Grundform der Substanz-Kategorie mit der Möglichkeit zu tun, die Relate des von ihr geprägten Verhältnisse auch in der umgekehrten Form zu thematisieren und davon zu sprechen, daß das Bedingte in diesem Verhältnis – ›aller Wechsel der Erscheinungen‹ – das Erfülltsein seiner Bedingung – daß ›etwas beharrt, dessen Quantum weder vermehrt noch vermindert wird‹ – voraussetzt‹.196 Denn diese 195 Vgl. Erster Teil, S. 264–268. 196 Im Unterschied zur distributiven Bedeutung des Allquantors im Kausalitäts-Prinzip, vgl. oben S. 313, Anm. 188, ist der Allquantor im Substantialitäts-Prinzip auf die kollektive Bedeutung festgelegt. Der Akzent liegt, negativ formuliert, darauf, daß nicht ein einziger von allen Wechseln der Erscheinungen das als Substanz apostrophierte Etwas vermindert oder vermehrt. Würde der Allquantor hier distributiv gebraucht, dann ginge es bei dem als Substanz apostrophierten Etwas um die unzähligen comparativen Substanzen, vgl. R 5293, 5312, und um allen Wechsel von deren spezifischen Erscheinungen, z. B. um den Wechsel der Holz-Kohle-Rauch-Erscheinungen und deren Substrat. Doch unter dieser Voraussetzung hätte sich das so verstandene Substantialitätsprinzip angesichts der molekular- und der kernchemischen Entwicklung und ihrer experimental-technischen Tragweiten für die Auflösung des molekularen – und sogar des atomaren – Substrats einer comparativen Substanz wie z. B. der des Holzes früher oder später als empirisch falsch erwiesen. Spätestens dann – also spätestens 1938 seit der ersten Spaltung eines Uran-Atoms in ein leichteres Barium- und ein leichteres Radium-Atom – wäre für die Naturforscher die Frage akut geworden, welches das gegenüber allem Wechsel der Erscheinungen aller möglichen komparativen Substanzen invariante, weder vermindernoch vermehrbare Etwas ist. Doch die Struktur dieser Frage bildet auch die Struktur der Antwort, die Kant in Gestalt des Substantialitätsprinzips formuliert. Es kann insofern im Rahmen des transzendental-logischen Substantialitätsprinzips und im Licht seines Allquantors nur um allen Wechsel der Erscheinungen aller komparativen Substanzen gehen. Beim Kausalitäts-Prinzip liegt der Akzent dagegen, wiederum negativ formuliert, darauf, daß nicht ein einziger Fall dessen, was geschieht, nicht etwas voraussetzt, worauf es nach einer Regel folgt. Doch jedes dieser beiden Prinzipien, das kann mit Blick auf sonst nur allzu naheliegende ontologische und wissenschaftstheoretische Mißverständnisse gar nicht oft genug betont werden, hat seinen spezifisch transzendental-logisch springenden Punkt: Jedes von ihnen formuliert ausschließlich eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände, aber weder eine Behauptung über eine Struktur der Welt noch eine ontologische Prämisse speziell der naturwissenschaftlichen Forschung; zu diesen Mißverständnissen vgl. Erster Teil, S. 54–65.

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Bedingung fungiert im selben funktionalen Sinne auch als ›das erste Subjekt der Kausalität alles Entstehens und Vergehens im Felde der Erscheinungen‹ (vgl. A 205, B 251). Nur unter der Voraussetzung der (transzendentalen) Wahrheit des so verstandenen Grundsatzes der Beharrlichkeit kann mit Blick auf alle beständig wechselnden Erscheinungen eingesehen werden, »wie sie als Gegenstände der Erfahrung, im durchgängigen Zusammenhange der Erscheinungen müssen vorgestellt werden«.197 Unter diesen Voraussetzungen wird die durch die eminenten transzendentalen Akte der reinen und ursprünglichen Apperzeption gestiftete ›Einheit in Urteilen‹ im Fall aller drei Analogien nur und erst dann vollständig zur Sprache gebracht, wenn jede von ihnen mit dem spezifisch transzendentalen Präfix Ich denke, daß Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn … verbunden wird. 20.1.2. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alles, was geschieht (anhebt zu sein), etwas voraussetzt, worauf es nach einer Regel folgt198 Die Verflechtung der nicht-emprischen Substanz-Bedingung der möglichen Erfahrung und ihrer möglichen Gegenstände mit dem kausal-spezifischen empirischen Kriterium der Substanz nötigt zur Auflösung dieser Verflechtung nicht nur um ihrer selbst willen. Sie macht auch ein weiteres Mal auf die irritierende 197 A 258, B 313–314, Hervorhebung R. E. 198 Die Formulierung des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität bildet ausschließlich in der Version der ersten Auflage einen in allen wichtigen propositionalen Details behauptbaren und daher eines Beweises überhaupt zugänglichen Satzes. In der zweiten Auflage werden gerade diese wichtigsten Details durch den nominellen Rekurs auf das »Gesetz […] der Verknüpfung der Ursache und Wirkung«, B 232, verschleiert. Nur in der ersten Auflage wird eben dieses Gesetz mit seinem vollständigen propositionalen Gehalt formuliert und entspricht daher den Anforderungen, die an den propositionalen Differenzierungsgrad der Formulierung der Ersten Analogie der Sache nach auch in der zweiten Auflage gestellt werden. Für die Frage der Beweisbarkeit beider Analogien spielt die zumindest annäherungsweise propositionale Vollständigkeit dieser Formulierungen selbstverständlich die entscheidende Rolle. Wie schwankend und inkohärent Kants Einstellungen in dieser alles anderen als oberflächlichen Formulierungsangelegenheit sind, zeigt sich unmittelbar in dem Umstand, daß die syntaktische Struktur der Formulierung der Ersten Analogie in der zweiten Auflage der der Formulierung der Zweiten Analogie in der ersten Auflage unmittelbar entspricht, obwohl er diese für die zweite Auflage verworfen hat. Diese syntaktische Entsprechung besteht darin, daß der Quantorenausdruck Bei allem Wechsel der Erscheinungen … dem Quantorenausdruck Alles, was geschieht … entspricht. Denn die Formulierung der Zweiten Analogie könnte ohne jeglichen inhaltlichen Verlust auch mit Hilfe des Quantorenausdrucks Bei allem, was, geschieht, … formuliert werden.

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buchtechnische Ordnung von Kants Darstellung auf diesem thematischen Feld aufmerksam. Sie ist nur unzureichend geeignet, den punktuellen Abhängigkeiten gerecht zu werden, durch die die zentrale nicht-empirische Doktrin der Grundsätze mit der wichtigen Rolle der Empirie der Erfahrungsurteile verflochten ist: Während die Holz-Asche-Rauch-Kasuistik der Ersten Analogie durch die Thematisierung des empirischen Kriteriums der Substanz implizt auf ein kausal-thematisches Erfahrungsurteil vorgreift (vgl. oben S. 299–302), bildet die Kugel-Kissen-Grübchen-Kasuistik der Zweiten Analogie ein Paradigma für die experimentelle Handlungs- bzw. Experimental-Kausalität, die durch dieses Kriterium auf den Plan gerufen wird. Gleichzeitig bildet dieselbe Kugel-KissenGrübchen-Kasuistik den Rahmen für ein kausal-thematisches Erfahrungsurteil, das innerhalb der Zweiten Analogie in paradigmatischer Weise auf die Tragweite verweist, durch die der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität mit jedem beliebigen kausal-thematischen Erfahrungsurteil verflochten ist. Denn er – und nur er – ist es, der die Möglichkeit der Durchgängigkeit garantiert, mit der alle möglichen kausal-spezifischen Erscheinungen  – ›alles, was geschieht‹ bzw. alle Geschehnisse – innerhalb der Grenzen des ›absoluten Ganzen der möglichen Erfahrung‹ miteinander verflochten sind, also »wie sie als Gegenstände der Erfahrung, im durchgängigen Zusammenhange der Erscheinungen müssen vorgestellt werden«.199 Der Verdeutlichung dieser Tragweite dient auch mit Blick auf den Grundsatz der Kausalität der Gedanke, daß »Man […] alle Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört, a priori erkennen und bestimmen kann, eine Antizipation nennen [kann]«.200 Denn zum einen wird durch jede Erkenntnis apriori dessen, was zur empirischen Erkenntnis gehört, eben das  – aber auch nur das  – antizipiert, was zu ihr ausschließlich im Licht der jeweiligen Erkenntnis apriori gehört. Daher gilt allgemein für die Grundsätze und deren Beweise, was vor allem für diejenigen gilt, »die unter dem Namen der Analogien der Erfahrung vorkommen«,201 daß sie nämlich die »Form einer möglichen Erfahrung … antizipieren«.202 Aus demselben Grund wird durch jede derartige Antizipation die zunächst nur abstrakt gekennzeichnete ›empirische Erkenntnis‹ (vgl. A 166, B 208) mit einem der drei Typen möglicher Erfahrungsurteile und deren wirklichen kategorialen Formen und kate­gorial bestimmten Gegenständen identifiziert; und schließlich wird durch jede solche antizipierte Identifikation das methodische Desiderat akut, solche Erfahrungsurteile wenigstens paradigmatisch zu präsentieren und im Rahmen von entsprechenden Kasuistiken zu erörtern, also ihre kategorialen 199 A 258, B 313–314, Hervorhebung R. E.; zum Zusammenhang dieser Durchgängkeit mit der A 660, B 688 erörterten lex continui in natura vgl. unten S. 334–337. 200 A 166, B 208. 201 IV, 309; vgl. hierzu und zur entsprechenden Rolle der diese speziellen Grundsätze prägenden Kategorien auch schon oben S. 164–167 und bes. auch 165, Anm. 530. 202 A 246, B 303, Hervorhebung R. E.

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Formen zu analysieren und zu charakterisieren. Denn nur durch ihre Analyse kann gerade dasjenige ans Licht gebracht werden, was ›zur empirischen Erkenntnis gehört und apriori erkannt und bestimmt werden kann‹ – also vor allem ihre wirklichen kategorialen Formen und ihre wirklichen möglichen Gegenstände.203 Z. B. die wirkliche kategoriale Form der kausal-thematischen Erfahrungsurteile wird durch die kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, deswegen muß … antizipiert. Durch diese Antizipation wird ›apriori erkannt und bestimmt, was zur empirischen Erkenntnis‹ jedes einzelnen Falles von Kausalität gehört. In keinem anderen Kontext bringt Kant die konditionale Form der Kategorie, die zur Form einer der Analogien beiträgt, so eindeutig und so häufig direkt zur Sprache wie in den Erörterungen des Kausalitäts-Prinzips.204 Aber auch implizit wird diese konditionale Form regelmäßig durch einen modalen Charakter zur Sprache gebracht, wenn die Wirkung einer Ursache als dasjenige charakterisiert wird, was notwendigerweise der Fall ist, wenn ihre Ursache der Fall ist.205 Denn die Notwendigkeit, mit der die Wirkung der Fall ist, wenn ihre Ursache der Fall ist, verweist auf den hinreichenden Charakter der Bedingung, als die diese Ursache fungiert. Im selben Sinne wird die konditionale Relation implizit durch ihren temporal-kriteriellen Charakter zur Sprache gebracht, indem das Eintreten der Wirkung unmittelbar mit der Jederzeitigkeit, der temporalen Allgemeinheit verknüpft wird, mit der sie eintritt.206 Denn 203 Gerade wegen dieser Zusammenhänge ist es im Sinne der sich hier abzeichnenden trans­ zendental-logischen Methodologie Kants ganz und gar kohärent und konsequent, daß und wie Pringe, Quantum Power, gerade auch quanten-mechanische Fallerörterungen in seine transzendental-logischen Grundlagenerörterung einbezieht. 204 Vgl. A 193, B 238–B 239; A 194, B 239–240; A 198, B 244; A 200, B 246; A 207, B 252. Watkins, Causality, berücksichtigt zwar ausdrücklich »a relation of condition to conditioned, i. e. that of the causal dependence of successive states on a cause«, S. 210; er verkennt jedoch den ausschlaggebenden hinreichenden Charakter der kausalen condition. Er kann sich daher auch nicht den entsprechenden konditionalistischen Reim auf die von Kant doch eigentlich unmißverständlich klargestellte Notwendigkeit machen, mit der das durch eine solche Bedingung Bedingte im Status einer Wirkung (jederzeit bzw. notwendigerweise) sukzediert; vgl. unten S. 302, Anm. 205–206. 205 Vgl. A 193, B 238–239; A 194, B 239; A 194, B 239–240; A 196, B 241; A 198, B 243; A 198, B 243–244; A 200, B 245–246; A 201, B 246; A 201, B 247; A 202, B 247. Da Watkins, Causality, die für die Wirkung einer konditional-suffizienten Ursache  – und speziell für sie – charakteristische Notwendigkeit verkennt, vgl. oben S. 318, Anm. 204, bleibt er irrtümlich auf eine »relation of necessity«, S 212, fixiert; vgl. unten S. 318, Anm. 206. Auch sein Hinweis, daß »Kant does suggests that an effect ›… necessarily follows‹ from its cause (A193/B245)«, S. 215, veranlaßt ihn zu keiner Revision. 206 Vgl. A 193, B 238–239; A 195, B 241; A 196, B 241; A 198, B 243; A 200, B 246. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang die Stelle A 196, B 241. Denn hier wird eine Begebenheit, sofern sie den Status einer Wirkung hat, durch »Allgemeinheit und Notwendigkeit« charakterisiert. Doch der thematische Zusammenhang läßt keinen Zweifel daran, daß es sich bei dieser Allgemeinheit um die temporale Form der Allgemeinheit handelt, also um die Jederzeitigkeit. Es lohnt sich daher, die Interpretations-

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die Jederzeitigkeit bildet die kriterielle temporale Form der Notwendigkeit. Sie verweist insofern ebenfalls implizit auf den hinreichenden Charakter der ursächlichen Bedingung, von der das jederzeitige Eintreten der Wirkung abhängt, sobald diese ursächliche, hinreichende Bedingung erfüllt ist. Sowohl der Umfang wie der begriffliche und der argumenative Differenzierungsgrad der Erörterungen, die Kant der Zweiten Analogie – über deren Beweis hinaus – widmet, bilden ein Vielfaches dessen, was er den beiden anderen Analogien widmet. Man darf vermuten, daß diese beiden Maße direkt auf den Grad der Wichtigkeit verweisen, den die Auseinandersetzung mit der »Erinnerung des David Hume«207 über Kants Werkstattgeschichte hinaus bis in diese abschließende Behandlung »des Humeschen Problems«208 angenommen hatten. Der Beweis der Zweiten Analogie beginnt daher auch mit einer Überlegung, die unmittelbar auf der empiristischen, wahrnehmungstheoretischen Reflexionsstufe ansetzt, die Humes Behandlung dieses Problems, streng genommen, nie verlassen hat: »Ich nehme wahr, daß Erscheinungen aufeinander folgen, d. i. daß ein Zustand der Dinge zu einer Zeit ist, dessen Gegenteil im vorigen Zustande war«.209 Auf derselben Humeschen Reflexionsstufe berücksichtigen wir die daraus gewonnene Regel, »der gemäß gewisse Begebenheiten auf gewisse Erscheinungen jederzeit folgen«, und sind »dadurch zuerst veranlaßt worden, uns den Begriff von Ursache zu machen«.210 Doch auf dieser Reflexionsstufe »würde Hypothese zu erproben, daß Allgemeinheit in Verbindung mit Notwendigkeit stets temporale Allgemeinheit, also die kriterielle Jederzeitgkeit bedeutet. Da Watkins, Causality, die argumentative Schlüsselrolle der Notwendigkeit für die modale Charakterisierung der konditional-suffizient bedingten Wirkung verkennt, vgl. oben S. 318, Anm. 205, veranlaßt ihn auch sein Hinweis, daß »Kant does suggests that an effect ›always … follows‹ from its cause (A193/B245)«, S. 215, zu keiner Revision. Doch das always bildet das temporale Kriterium der Notwendigkeit 207 IV, 260, Kants Hervorhebung. 208 261. 209 B 233. 210 A 195, B 240–241. Da der Begriff der Ursache im Sinne seiner Metaphysischen Deduktion einen urteilsfunktionalen Kern hat, der erst durch die Urteilsform weil p, deswegen muß q, vgl. B 288, unmißverständlich zur Sprache gebracht wird, liegt es auf der Hand, daß mit Hilfe dieser Urteilsform im strikt funktionalen Sinne ausschließlich die Frage der Form Warum q? beantwortet werden kann. Diese Form der Warum-Frage gehört daher strikt zum urteilsfunktionalen Kern des Begriffs der Ursache. Wenn Kant von der in gewissen regelmäßigen Wahrnehmungen bzw. Erscheinung liegenden Veranlassung spricht, ›den Begriff der Ursache zu machen‹, dann gehört es zu diesem Machen des Begriffs der Ursache im strikt urteilsfunktionalen Sinne auch, die Warum-q-Frage zu stellen, auf die nur mit Hilfe der urteilsfunktionalen Kategorie weil p, deswegen muß q geantwortet werden kann. Zu den problemgeschichtlichen und den systematischen Verzweigungen dieser Frage nach der Ursache vgl. die bislang umfassendsten und eindringlichsten – auch an Kants Theorie orientierten – Untersuchungen von Robert Schnepf, Die Frage nach der Ursache. Systematische und problemgeschichtliche Untersuchungen zum Kausalitätsund zum Schöpfungsbegriff, Göttingen 2006.

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dieser Begriff bloß empirisch sein, und die Regel, die er verschafft, daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, würde ebenso zufälltig sein, als die Erfahrung selbst: seine Allgemeinheit und Notwendigkeit wären alsdann nur angedichtet, und hätten keine wahre Allgemeingültigkeit, weil sie nicht a priori … gegründet wären«.211 Nicht nur einfach die fehlende Notwendigkeit fällt hier ins Gewicht; vor allem der syntaktisch eindeutig lokalisierte Notwendigkeitsfaktor gibt hier den Ausschlag, den Kant in Form der kausal-kategorialen Urteilsform weil ---, deswegen muß … (vgl. B 288) unmißverständlich zur Sprache bringt. Kant hat den langen Weg, auf dem er von der ›Erinnerung des David Hume‹ bis zu dieser Einsicht in die urteilsförmige reine Kausal-Kategorie gelangt ist, daher gerade auch im Rahmen der Erörterungen des Kausalitäts-Prinzips in der knappsten möglichen und gleichzeitig allgemeinsten Form charakterisiert: Auf diesem Weg kommt es darauf an, daß »ich meine Begriffe von einem Gegenstande bis zur transzendentalen Bedeutung steigere«.212 Der Begriff bzw. die reine Kategorie bzw. die urteilsförmige Kategorie der Ursache ist insofern das Ergebnis einer transzendentalen Steigerung der mangelhaften empirischen Gebrauchsbedeutung dieses Begriffs, dessen empirische, nicht-transzendentale Bedeutung »[…] Hume niemals in Zweifel gezogen [hatte]«.213 Zwar konnte Kant »… immer nur langsame Schritte tun«,214 um alle zu dieser Familie gehörende Begriffe bis zu dem Punkt ihrer transzendentalen Bedeutung zu steigern, der sich schließlich in deren Metaphysischer und deren Transzendentaler Deduktion zeigt, aber auch im Schematismus ihrer kriteriellen Gebrauchsbedingungen. Denn zu den Schritten, die bis zu diesem Punkt führen, gehört zunächst eine eindringliche »logische Reflexion«215 und parallel dazu, wenngleich mit einer über die Grenzen der logischen Reflexion planmäßig hinausgehenden Orientierung, eine ebenso eindringliche, aber ganz und gar präzedenzlose »transzendentale Reflexion«.216 211 A 196, B 241. Die Wichtigkeit der Phrase  a priori gegründet sein kann angesichts der geläufigen turbulenten Gebrauchsformen der Rede vom Apriori auch in der KantForschung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Apriorität ist, wie es später auch V, 215, einschärft, vgl. hierzu auch schon Erster Teil, S. 9, eine funktionale Eigenschaft von Sätzen, sofern mit ihrer Hilfe andere Sätze in nicht-empirischer Form begründet werden. Die scheinbar ganz anders strukturierte Rede z. B. von einer Anschauung apriori ist daher darauf zurückzuführen, daß gewisse Sätze z. B. über Strukturen des Raumes und der Zeit mit Hilfe von Sätzen begründet werden können, die ausschließlich auf die nicht-begrifflichen, anschaulichen Formen apriori von Raum bzw. Zeit rekurrieren. 212 A 190, B 235. 213 IV, 258. 214 260–261. 215 A 262, B 318, Kants Hervorhebungen; vgl. zu den Resultaten dieser logischen Reflexion in Gestalt des Ich denke bzw. der reinen und ursprünglichen Apperzeption Erster Teil, 7. Ab., und in Gestalt der Urteilstafel 10. Ab. 216 A 262, B 319, Kants Hervorhebungen; vgl. zu den Resultaten dieser transzendentalen Reflexion in Gestalt der Metaphysischen Deduktion Erster Teil, 11. Ab., in Gestalt der

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In den Erörterungen des Kausalitäts-Prinzips zeigen sich daher gleichsam wie in einem perfekten Spiegelbild der ›Erinnerung des David Hume‹ alle Auflösungen der thematischen Problemknoten, die Kant während der ungefähr eineinhalb Jahrzehnte seit der Humschen Erinnerung mit Mitteln der logischen und der transzendentalen Reflexion durchdacht hat. Der Ansatz, den sein Beweis der Zweiten Analogie auf der Reflexionsstufe Humes bei der Wahrnehmung der Sukzessivität von Zuständen der Dinge und deren Gegenteil macht, wird unmittelbar mit einem ersten vorsichtigen skeptischen Vorbehalt überboten. Denn man »kann … gedachte zwei Zustände auf zweierlei Art verbinden, so daß der eine oder der andere vorhergeht«.217 Sie können also »ebensowohl rückwärts als vorwärts genommen werden«.218 Mit diesem vorsichtigen skeptischen Vorbehalt tut man den ersten Schritt, um »dem Skeptizismus, den [Hume] … einführen wollte«,219 die Spitze zu nehmen. Denn man macht auf das Problem der Beurteilung aufmerksam, das mit der Frage verbunden ist, ob ›der eine oder der andere vorhergeht‹. Gleichzeitig unterstellt man, daß es zumindest möglich ist zu beurteilen, »daß im Objekte der eine Zustand vor dem anderen vorhergehe«220 und nicht bloß »meine Imagination eines vorher, das andere nachher setze«.221 Denn »[…] durch die bloße Wahrnehmung [bleibt] das objektive Verhältnis der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt«.222 Erst dann, wenn man sich den »Begriff des Verhältnisses der Ursache und Wirkung«223 so durchsichtig macht, daß seine urteilsfunktionale Form weil ---, deswegen muß … gewonnen ist, kann auch mit objektiv gültiger Bestimmtheit beurteilt werden, daß in der wahrnehmbaren Sukzession von zwei Erscheinungen »die erstere die letztere in der Zeit, als die Folge … bestimmt«224 – und zwar, weil die ursächliche Erscheinung das kategoriale Format einer hinreichenden Bedingung hat, während die ›effektive‹ das kategoriale Format einer notwendigerweise bzw. jederzeit sich einstellenden Folge dieser ursächlichen Erscheinung hat.225 Transzendentalen Deduktion vgl. oben 13.–14 Ab., sowie in Gestalt des Schematismus vgl. oben 15.–19. Ab. 217 B 233. 218 A 201, B 246; es ist zu beachten, daß Kant hier räumliche Anschauungen verwendet, um eine temporale Alternative zu formulieren. Er macht also von dem so apostrophierten »Schematismus«, R 6359, S. 687, von Zeit und Raum Gebrauch. 219 IV, 360. 220 B 233, Hervorhebungen R. E. 221 Ebd.; vgl. in diesem Sinne auch die Bemerkung über »ein Spiel der Sinne«, A 194, B 239. 222 B 234; vgl. ebenso A 194, B 239. 223 Ebd., Kants Hervorhebungen. 224 Ebd; der Folge wird durch diese kategoriale Urteils-Form also ihre »a priori bestimmte Stelle in der Zeit zuerk[a]nnt«, A 199, B 245. 225 So daß also »jederzeit und notwendigerweise diese Begebenheit folgt«, A 193, B 239; vgl. ebenso A 200, B 246–A 201. Auch Longueness, Judgement, sieht, daß die Notwendigkeit, die zur Anwendung der Kausal-Kategorie auf Erscheinungen gehört, die »necessary succession«, S. 361, Longueness’ Hervorhebungen, einer ursächlich bedingten Erschei-

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Von dem vorsichtigen skeptischen Vorbehalt gegen die zwar berechtigte empirische, aber gleichwohl defizitäre Gebrauchsbedeutung des Begriffs der Ursache führen viele reflexive und analytische Schritte bis zum höchsten Punkt der ›transzendentalen Steigerung‹ seiner Bedeutung. Sie führen schließlich zur Einsicht in seinen urteilsfunktionalen Kern, aber damit auch zur Berücksichtigung von zwei funktional verschiedenen Notwendigkeitsfaktoren. Die Notwendigkeit, mit der eine Erscheinung auf ihre ursächliche, konditional hinreichende Erscheinung folgt, stempelt diese Sukzession zu einem objektiv gültigen kausalen Verhältnis. Davon ganz verschieden ist die Rolle der Notwendigkeit, auf der der »allgemeine Grundsatz aller drei Analogien beruht«.226 Daher beruht auch die Zweite Analogie »auf der notwendigen Einheit der Apperzeption, in Ansehung alles möglichen empirischen227 Bewußtseins, zu jeder Zeit, folglich, da jene  a priori zum Grunde liegt, auf der synthetischen Einheit aller Erscheinungen nach ihrem Verhältnis in der Zeit«.228 Dieser zweite Notwendigkeits-Faktor kommt also durch die ›Einheit der Apperzeption in Ansehung alles möglichen empirischen Bewußtseins‹ zum Zuge. In dieser Funktion bildet er im Fall der Zweiten Analogie die notwendige Bedingung dafür, daß ›alles mögliche empirische Bewußtsein‹, wie es speziell in allen möglichen empirischen, also wahrnehmungsbasierten und kausal-thematischen Erfahrungsurteilen zum Zuge kommt, »zu meinem (d. i. meinem einigen Erkenntnisse) gehören …«229 kann.230 Diese nung betrifft. Doch da sie den suffizienz-konditionalen Charakter verkennt, den eine Ursache im Licht von Kants Theorie hat, verkennt sie auch den spezifischen Bedingungszusammenhang, von dem diese Notwendigkeit abhängt. 226 A 177, B 220. 227 Hervorhebung R. E. 228 Ebd., Kants Hervorhebung. 229 Ebd. Deswegen betont Allison, Deduction, auch schon im Zusammenhang der Trans­ zendentalen Deduktion zu Recht die Wichtigkeit der »conversion of perceptions into experience through their connection in consciousness in general, i. e. the synthetic unity of apperception«, S. 423. Die Zweite Analogie gibt die Universalität dieser ›Konvertierbarkeit‹ of perceptions into experience through their connection in consciousness in general speziell mit Hilfe der Kausal-Kategorie als eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände zu bedenken. 230 An dieser Funktion vor allem der drei Analogien, notwendige Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände zu sein, sind Formulierungen Kants orientiert, die nicht wenige Kant-Experten irritieren. Dazu gehört vor allem seine bekannte These »Kategorien sind Begriffe, welche den Erscheinungen, mithin der Natur, als dem Inbegriffe der Erscheinungen (natura materialiter spectata), Gesetze a prori vorschreiben«, B 163. Für Allison, Deduction, bildet diese Formulierung »The riddle [which] arises from the characterization of the categories as ›concepts that presribe a priori laws to nature‹«, S 426. Doch Kant greift hier, wenn er von Gesetzen spricht, nur allzu offensichtlich auf den Typus von Gesetzen vor, die er vor allem in den Prolegomena zwar immer wieder als »allgemeine Naturgesetze«, IV, §§ 15 ff., apostrophiert, aber der Sache nach im System der Grundsätze des reinen Verstandes, A 150, B 189, zusammenfaßt. Seine Rede von den Vorschriften, aber z. B. auch von einer »Norm«, A 128, die die so apostrophierten Ge-

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Schlüsselrolle der Apperzeption für alle drei Analogien kommt mit Blick auf die Zweite Analogie am prägnantesten zur Sprache, wenn man sie – einschließlich des internen Notwendigkeits-Faktors und der mit ihm kriteriell verflochtenen Jederzeitgkeit – ausdrücklich mit Hilfe des ›formalen Satzes‹ Ich denke bzw. Ich denke, daß-p zur Sprache bringt: Ich denke, daß Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alles, was irgendwann geschieht (anhebt zu sein), etwas voraussetzt, worauf es notwendigerweise bzw. jederzeit folgt. Durch den Teil-Gedanken, daß Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alles, was irgendwann geschieht (anhebt zu sein), etwas voraussetzt, worauf es notwendigerweise bzw. jederzeit folgt, wird mit Blick auf alle möglichen empirischen Fälle von Kausalität zu verstehen gegeben, »wie sie als Gegenstände der Erfahrung, im durchgängigen Zusammenhange der Erscheinungen müssen vorgestellt werden«.231 Die Rolle, die der reinen und ursprünglichen Apperzeption zufällt und durch das Präfix Ich denke, daß … zur Sprache gebracht wird, ist indessen strikt auch mit dem Charakter der Spontaneität, der Selbsttätigkeit verflochten, den Kant erst in den §§ 15 ff. der zweiten Auflage der Ersten Kritik ausgearbeitet hat.232 Diese Apperzeption disponiert die sie ausübenden Subjekte nicht nur, andernfalls zerstreute Vorstellungen bzw. die sie ausdrückenden Worte in diversen logischen Formen der Einheit von Urteilen zu verknüpfen und damit auch in den komplexen logischen Formen der Einheit von synthetischen Urteilen apriori. Sie disponiert sie durch ihren ursprünglichen Spontaneitätscharakter darüber hinaus sogar, alle möglichen Gegenstände der Erfahrung durch synthetische Urteilen apriori spontan, also selbst bzw. von selbst ›im durchgängigen Zusammenhange der Erscheinungen‹ zu erfassen. Es handelt sich bei diesen synthetischen Urteilen apriori also um die einzigen logischen Formen von Urteilen, durch die urteilsfähige Subjekte ›das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung‹ spontan, also selbst bzw. von selbst in wahrheitsfähigen Urteilen thematisieren können, ohne die ›critischen‹ Grenzen ihrer kognitiven Fähigkeiten zu überschreiten oder auch nur zu berühren, also ohne »die Grenze des Bodens, worauf allein dem reinen Verstand sein Spiel erlaubt

setze der Natur abgeben, ist lediglich eine – allerdings irreführende – präskriptive bzw. normative sprachliche Variante der konditionalen Notwendigkeit, die jeder Grundsatz dieses Systems – und insbesondere jede Analogie – mit Blick auf die Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände zur Sprache bringt. Nimmt man noch Kants sentenzförmige These hinzu »Natur und mögliche Erfahrung ist ganz und gar einerlei«, IV, 320, dann wird aus Kants irreführender präskriptiver bzw. normativer Formulierung die äquivalente und gar nicht weiter rätselhafte These, daß die Kategorien – in ihrer Berücksichtigung durch die Gesetze, die zum System der Grundsätze des reinen Verstandes gehören – der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände die notwendigen Bedingungen ›auferlegen‹. 231 A 258, B 313–314, Hervorhebung R. E. 232 Vgl. hierzu Erster Teil, 7. Ab.

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ist«233 zu überschreiten. Da »… der formale Satz Ich denke … […] die Form … [ist], die jeder Erfahrung anhängt als bloß subjektive Bedingung derselben«234, bringt das jedem synthetischen Urteil ›angehängte‹ Präfix Ich denke, daß Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn … in der größtmög­ lichen Ausdrücklichkeit die Form zur Sprache, in der die Spontaneität der reinen und ursprünglichen Apperzeption nicht nur jeder einzelnen Erfahrung – also jedem einzelnen Erfahrungsurteil  – als bloß subjektive Bedingung derselben ›anhängt‹. Diese Form ›hängt‹ darüber hinaus ›als deren subjektive Bedingung‹ auch ›an‹ der Einsicht in die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung und der aller ihrer Gegenstände – also aller möglichen Erfahrungsurteile und aller ihrer wirklichen möglichen Gegenstände. Denn »Die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem Vermögen«235 – also auch die Möglichkeit der logischen Form derjenigen Erkenntnisse, die in den synthetischen Urteilen apriori der Grundsätze, speziell der Analogien und hier wiederum speziell der Zweiten Analogie formuliert werden. Bei Gelegenheit der Erörterung des »Gesetz[es] der Kontinuität«236 stellt Kant eine Frage, die genauso mit Blick auf die Analogien und speziell mit Blick auf die Zweite Analogie gestellt werden kann: »Welchen Nutzen dieser Satz in der 233 A 296, B 352. 234 A 354; vernachlässigen sollte man den kleinen Reflexionsfehler, daß dieser Satz diese Form nicht ist, sondern sie ausdrückt. Bei der Form selbst handelt es sich um die Form der reinen und ursprünglichen Apperzeption, die aber die logische, kategorische Form des Urteils Ich denke bzw. Ich denke, daß-p hat. 235 A 118, Hervorhebung R. E. – Zu Recht erinnert daher Baum, Proof, in diesem thematischen Zusammenhang an »the highest principle of all spontaneous combining and of all conceptual or intuitive combination«, S. 22, Hervorhebungen R. E. Die Bemerkung von Rüdiger Bittner, Comment on Baum, in: P. Bieri / R .-P. Horstmann / L . Krüger (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht / Boston / London 1979, S. 27–35, daß »We have no idea what is meant by a combining activity of the transcendental subject«, 30, Hervorhebung R. E., zeigt lediglich im pluralis maiestatis, daß mindestens ein bestimmter Kommentator eine solche idea nicht hat. Läßt man sich vom kleinen terminologischen Ungeheuer des transcendental subject nicht unnötig abschrecken, dann sieht man sogleich, daß auch jede Verknüpfung von zwei – oder mehr als zwei – beliebigen wahrheitsdifferenten Sätzen mit Hilfe einer junktorenlogisch interpretierbaren Konjunktion unserer Alltagssprache oder einer Wissenschaftsspache genauso durch ein spontaneous combining gewonnen wird wie irgendeine der ›Synthesen‹, die Kants Theorie behandelt. Das ›Transzendentale‹ auch an junktorenlogisch interpretierbaren ›Synthesen‹ besteht im Licht von Kants Arbeitsdefinition des Transzendentalen in den Prolegomena darin, daß ihre ›Beziehung nur aufs Erkenntnisvermögen‹, vgl. IV. 292, das Vermögen eines Subjekts voraussetzt zu erkennen, daß und inwiefern eine ›Synthese‹ von zwei – oder mehr als zwei – wahrheitsdifferenten Sätzen spontan Einen neuen wahrheitsdifferenten Satz erzeugt. 236 A 209, B 254; zum ›Gesetz‹ der Kontinuität vgl. auch die Rolle der lex continui in natura unten S. 335–338.

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Naturforschung haben möge«.237 Er quittiert diese Frage zwar mit der knappen Bemerkung »… das geht uns hier nichts an«.238 Dennoch hat Kant diese Frage mit Blick auf den Nutzen des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität durchaus und zwar postiv beantwortet. Im Rahmen der strikt epistemologisch orientierten transzendental-logischen Untersuchungen kann es nicht überraschen, daß seine Antwort auf diese Nutzen-Frage strikt epistemologisch orientiert ist und nicht etwa pragmatische Nutzeffekte des alltäglichen Lebens ins Auge faßt. Doch ebenso wenig kann es überraschen, daß der epistemischkognitive Nutzen, um den es hier geht  – hier also der des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität – in einer außerordentlich verklausulierten Form zur Sprache gebracht wird. Denn seine Charakterisierung wird hier gleichsam am innersten Knotenpunkt des nahezu hyperkomplexen begrifflichen und argumentativen Geflechts formuliert, das ›den höchsten Punkt allen Verstandesgebrauchs, selbst der ganzen Logik und hernach der TranszendentalPhilosophie‹ mit allen reflexiven und analytischen Kunstgriffen verbindet, aus denen dieses Geflecht bis zum System der Grundsätze des reinen Verstandes und speziell bis zu diesem Grundsatzes gewonnen werden kann. Kant berücksichtigt zur Charakterisierung des fraglichen Nutzens zwar den Umstand, daß dieser an die universelle Thematisierung von ›allem, was geschieht‹, durch diesen Grundsatz gebunden ist. Doch die Funktion dieses Grundsatzes und seiner Universalität, die »Form einer möglichen Erfahrung … zu antizipieren«,239 erlaubt es, die Form einer solchen möglichen Erfahrung durch die Thematisierung des Falles zu antizipieren, »Daß also etwas geschieht« und daß dies »[…] eine Wahrnehmung [ist]«.240 Den springenden Punkt des frag­ lichen Nutzens bahnt man dadurch unmittelbar an, daß man fragt, inwiefern eine solche Wahrnehmung »zu einer möglichen Erfahrung gehört«, und antwortet, daß diese mögliche Erfahrung »dadurch wirklich wird, wenn ich die Erscheinung [was geschieht, R. E.], ihrer Stelle nach, in der Zeit, als bestimmt, mithin als ein Objekt ansehe, welches nach einer Regel im Zusammenhange der Wahrnehmungen jederzeit gefunden werden kann«.241 Jeder derartige ›Fund‹ kann 237 A 209, B 254. 238 Ebd. 239 A 246, B 303, Hervorhebung R. E. 240 A 200, B 245, Hervorhebungen R. E.; gewiß ist es nicht ganz angemessen, davon zu sprechen, daß ein solches Geschehnis eine Wahrnehmung sei; vielmehr wird sie im kognitiven Modus der Wahrnehmung zunächst überhaupt erst einmal zugänglich; doch solche kleinen und daher auch leicht korrigierbaren Reflexionsfehler gehören zu den Preisen, die Kant immer wieder einmal für die extrem kurze Zeit der zusammenfassenden Formulierung einer mehr als zehnjährigen schweigenden Werkstattarbeit entrichten muß. 241 Ebd., Hervorhebungen R. E. Longueness, Judgement, hat äußerst sorgfältig zu einer überaus wichtigen Klärung der drei verschiedenen Typen von Regeln (R, r, r*) beigetragen, die Kant im Kontext des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität thematisiert, vgl. S. 368–373: R ist das »universal principle«, S. 368, das identisch ist mit

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deswegen gelingen, weil man im kognitiven, transzendental-logischen Schutz des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität immer wieder von neuem mit gerechtfertigter Aussicht auf Erfolg gezielt nach demjenigen suchen kann, was durch das, was geschieht, vorausgesetzt wird und auf das, was geschieht, ›nach einer Regel‹ folgt. Dieser Grundsatz garantiert also die Möglichkeit – aber auch nur die Möglichkeit –, jedesmal mit Erfolg nach demjenigen zu suchen, was von dem, was jeweils geschieht, vorausgesetzt wird, und worauf es nach einer Regel folgt. Er garantiert also die Möglichkeit der universellen Fruchtbarkeit der empirischen Kausalforschung. Wohl ist die Zuversicht in diese Fruchtbarkeit auch schon durch die unaufhörlich erzielten und bewährten faktischen Erfolge in der Form von empirisch gewonnenen kausal-thematischen Erfahrungsurteilen des alltäglichen Lebens und der naturwissenschaftlichen Forschung berechtigt. Die auf diesen empirischen Wegen gewonnene Zuversicht bildet ein überaus respektables Indiz für die Berechtigung nicht nur des Selbstvertrauens der Menschen in ihre diese Erfolge der Kausalforschung ermöglichenden kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie bilden ein ebenso respektables Indiz für die Berechtigung ihres Vertrauens in objektiv vorfindliche Kausalstrukturen der Welt, in der sie leben – also für ein empirisch berechtigtes Weltvertrauen. Indessen kann auch eine noch so immense »Erfahrenheit langer Zeiten«242 dieses doppelte zuversichtliche Vertrauen niemals grundsätzlich rechtfertigen. Seine grundsätzliche Rechtfertigung findet es erst erst in den transzendentallogischen Reflexionen und Analysen, die auch zur Formulierung, zum Beweis und zu den Erörterungen des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität führen.243 Die transzendental-logische Rechtfertigung der Zuversicht in die universelle Erfolgsträchtigkeit – also in den kognitiven Nutzen – der Kausalforschung unter dem Aspekt des Suchens und des Findens von Ursachen und ihren Wirkungen bildet das weitverzweigte und detaillierte Thema sowohl des Beweises wie der nachfolgenden Erörterungen dieses Grundsatzes. Doch sowohl diese Verzweigungen wie diese Detailliertheit lassen leicht die beiden wichtigsten Leitfäden verschwimmen, die den unmittelbaren Beitrag dieses Grundsatzes zur Mögdiesem Grundsatz; r ist eine beliebige unter den emprischen Regeln, mit Blick auf die R »states that for any event one can find a rule r«, ebd., »which is a condition for any experience of objective succession«, S. 368. Allerdings irrt sie mit der Auffassung, daß ein universelles hypothetisches Urteil der Form »All As, if they are B, are altered from state S1 to S«, ebd., »if such a judgement is taken to be valid ›for everybody, always‹ … expresses a causal connection«, ebd. Ihr Irrtum beruht darauf, daß sie die von Kant konzipierte kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, deswegen muß …, vgl. B 288, nicht berücksichtigt und daher deren syntaktische Isomorphie mit der hypothetischen Urteilsform wenn ---, dann … nicht durchschaut. 242 R 5645, S. 287–288. 243 Zu diesen Formen des Selbst- und des Weltvertrauens und den sie rechtfertigenden Reflexionen und Analysen vgl. ausführlich Erster Teil, 2. Ab.

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lichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände einsichtig machen können. Den einen dieser beiden Leitfäden bildet die Orientierung an der konditionalen Struktur der Kausalität, die durch die kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, deswegen muß … (vgl. B 288) vorgeprägt ist. Den anderen Leitfaden bildet die Orientierung an den temporalen Strukturen der Erscheinungen, die im Licht dieser Urteilsform interpretiert und beurteilt werden können und müssen, wenn Erfahrung und deren Gegenstände möglich sein sollen. Longueness streicht die Wichtigkeit, den Unterschied zwischen diesen beiden Leitfäden sorgfältig zu beachten, besonders klar heraus: »We … see clearly that succession … is not so much the succession of cause and effect as the succession between the state of the substance before the activity of the cause which alters it, and the state after this activity«.244 Die abstrakten und prinzipiellen Schritte, die mit diesen beiden Leitfäden verbunden sind, bilden nur die eine Hälfte der Rechtfertigungen, die im Licht des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität möglich sind. Die andere Hälfte wird von Kant durch paradigmatische kausal-analytische Fallerörterungen vor Augen geführt, wie er sie erst in den Prolegomena in eine methodische Kohärenz mit seinen transzendental-logischen PrinzipienAnalysen zu bringen gelernt hat. Nicht nur im Rahmen der Transzendentalen Deduktion finden diese daher einen festen Platz. Innerhalb der PrinzipienAnalyse der Kausalität widmet er dieser Kasuistik daher sogar einen eigenen methodologischen Grundsatz: »Es kommt also darauf an, im Beispiele zu zeigen, daß wir niemals selbst in der Erfahrung die Folge (einer Begebenheit, da etwas geschieht, was vorher nicht war) dem Objekt beilegen, und sie von der subjektiven unserer Apprehension unterscheiden, als wenn eine Regel zum Grunde liegt, die uns nötigt, diese Ordnung der Wahrnehmung vielmehr als eine andere zu beobachten, ja daß diese Nötigung es eigentlich sei, was die Vorstellung einer Sukzession im Objekt allererst möglich macht«.245 Doch die methodische Wichtigkeit, so etwas ›im Beispiel zu zeigen‹, gilt mit Blick auf alle Fallerörterungen, die sowohl die erste wie die zweite Auflage der Ersten Kritik im Horizont der paradigmatischen transzendental-logischen Kasuistik der Prolegomena präsentiert. Denn die transzendental-logische Theorie der Erfahrung kann nur ›im Beispiel zeigen, worauf es ankommt‹, wenn sie auf dem Weg der logischen und der transzendentalen Reflexion zugunsten einer ›transzendentalen Steigerung 244 Longueness, Judgement, S. 272; allerdings hätte sie statt not so much sogar not at all sagen können. Die Wichtigkeit, diese beiden Leitfäden sorgfältig zu unterscheiden, ergibt sich vor allem daraus, daß die isomorphe Anti-Symmetrie der kausalen weil …, darum muß …-Relation und der Sukzessivitäts-Relation nur allzu leicht Formulierungen begünstigen, die die inhaltlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Relationen verwischen. Patons, Experience II, § 2. The Successiveness of Cause and Effect, vgl. S. 283–284, leidet daher unter dieser nicht ganz unerheblichen Unschärfe, vgl. hierzu auch unten S. 330, Anm. 255. 245 A 196, B 241–A 197, B 242.

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der Begriffe‹ ihre Verbindung zum ›fruchtbaren Bathos der Erfahrung‹ nicht aufs Spiel setzen will. Wer daher »den Boden der Erfahrung verlassen hat«,246 bemerkt nicht, »daß er durch seine Bemühungen keinen Weg gewönne, denn er hat keinen Widerhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran er seine Kräfte anwenden könne, um den Verstand von der Stelle zu bringen«.247 Immerhin besteht »[e]in großer Teil, und vielleicht der größte, von dem Geschäfte unserer Vernunft, … in Zergliederungen der Begriffe, die wir schon von Gegenständen haben. Dieses liefert uns eine Menge von Erkenntnissen, die, ob sie gleich nichts weiter als … Erläuterungen desjenigen sind, was in unsern Begriffen (wiewohl noch auf verworrene Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der Form nach neuen Einsichten gleichgeschätzt werden, wiewohl sie der Materie nach oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, sondern nur auseinandersetzen«.248 Das ›fruchtbare Bathos der Erfahrung‹ ist daher vor allem auch der allen Menschen gemeinsame fruchtbare Boden der Erfahrung. Nur deswegen ist aus seiner Fruchtbarkeit die ›Erfahrenheit langer Zeiten‹ hervorgegangen, in deren Verlauf die Menschen durch unaufhörlich neue Erfahrungsurteile immer wieder von neuem neue Anteile am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung erworben haben. Es sind daher die formalen Reflexionen und Analysen, die die trans­ zendental-logischen Untersuchungen vor allem diesen Erfahrungsurteilen und deren thematischen Gegenständen widmen, die ›uns eine Menge von Erkenntnissen liefern, die, ob sie gleich nichts weiter als Erläuterungen desjenigen sind, was in unsern Begriffen (wiewohl noch auf verworrene Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der Form nach neuen Einsichten gleichgeschätzt werden‹. Vor allem diese strikte methodische Verflechtung der transzendental-logischen Reflexionen und Analysen mit diesem unermeßlichen, aus der Menschen ›Erfahrenheit langer Zeiten‹ stammenden Fundus dieser Erfahrungsurteilen stempelt Kants Theorie der Erfahrung zu einer formal-transzendentalen Anthropologie. Vom ›fruchtbaren Bathos der Erfahrung‹ sucht Kant auf den abstraktiven, reflexiven und analytischen Wegen der ›transzendentalen Steigerung der Begriffe‹ daher jedesmal zu profitieren, wenn er auf paradigmatische Beispiele für wahrnehmungsbasierte und kategorien-geprägte Erfahrungsurteile zurückgreift. Die geradezu rührende Schlichtheit der beiden kausal-analytischen Kasuistiken in den Erörterungen des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität 246 A 3, B 7. 247 A 5, B 9 -10. 248 A 5, B 9–A 6. Diese methodologische Einstellung wirft Licht auf eine jüngere Kontroverse: Besitzt die Transzendental-Philosophie ein eigentümliches radikal-innovatives Potential oder muß sie sich mit Analysen und Explikationen vorgegebener (wiewohl noch verworrener) Begriffsinhalte begnügen und kann mit ihnen gleichwohl legitime Ansprüche auf ›wenigstens der Form nach neue Einsichten‹ geltend machen? Vgl. hierzu Erster Teil, S. 96271.

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kann nur allzu leicht über ihre prinzipielle Tragweite hinwegsehen lassen. In der einen Kasuistik geht es um den Fall, daß, »wenn ich die Kugel auf das Kissen lege, so folgt auf die vorige glatte Gestalt desselben das Grübchen ».249 Den ersten springenden Punkt dieser Fallerörterung pointieren die Kausalitäts-Analysen der Gegenwart durch den Begriff der Handlungskausalität. Die wichtigste Tragweite dieses springenden Punkts läßt sich mit den Worten zur Sprache bringen, die Hermann Weyl zur konditionalistischen Charakterisierung der experimentellen Ursachenforschung verwendet hat: »Für den Experimentator sind die Bedingungen derjenige Teil des Geschehens, der in seiner Gewalt steht«,250 weil er »die Bedingungen des Experiments schafft«.251 Für Weyl bildet diese experimentale 249 A 203, B 248; zu diesem Fall und seinen Erörterungen durch Kant vgl. auch die sorgfältigen hermeneutischen Erörterungen durch Longueness, Judgement, S. 371–373; vgl. jedoch oben S. 325, Anm. 241. 250 Weyl, Philosophie, S. 244, Weyls Hervorhebungen; die Tatsache, daß Weyl im Plural von (ursächlichen) Bedingungen spricht, gibt zu verstehen, daß er sich als erfahrener Naturwissenschaftler spontan über die Bedingungen im klaren ist, die erst viel später von John Leslie Mackie, The Cement of the Universe. A Study of Causation, Oxford 1974, und ders., Causes and Conditions, in: Ernest Sosa (Hg.), Causation and Conditionals, Oxford 1975, S. 15–38, unter dem Namen der INUS-Bedingungen auf Begriffe gebracht worden sind, aus denen nach aller Erfahrung jede Ursache zusammengesetzt ist. Kant selbst gibt e­ inen ersten vorsichtigen Hinweis auf die handlungs-kausale Struktur des Experiments, wenn er »Das Schema der Ursache und der Kausalität eines Dinges überhaupt« als »das Reale« charakterisiert, »worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt«, A 144, B 183, Hervorhebungen R. E.; vgl. hierzu auch unten S. 330, Anm. 255. 251 Ebd., Hervorhebung R. E. – Zu Recht kritisiert Scheffel, Substantialität, die Auffassungen, die Herman Weyl, Was ist Materie? (19241), wieder abgedr. in: ders., Mathematische Analyse des Raumproblems / Was ist Materie, Darmstadt 1963, S. 1–59, mit Kants Substanz-Analogie verbindet, vgl. S. 157–162. Diese Auffassungen Weyls zeigen, wie seine an sich treffende konditionalistische Charakteristik der handlungs-kausalen Struktur des Experiments, vgl. oben S. 309 f., gleichwohl mit einem gravierenden Mißverständnis von Kants Substanz-Analogie verbunden ist: Er »macht, indem er die Substanz, von deren Beharrlichkeit die 1. Analogie der Erfahrung handelt, mit der physikalischen Materie identifiziert, d. h. also eo ipso nur empirisch und unter Bedingung des Raumes möglich ansieht, den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz von der Experimentalmethode in den Naturwissenschaften abhängig«, S. 159, Scheffels Hervorhebung. Weyls von Anfang an befolgte Orientierung an der Holz-Asche-Rauch-Kasuistik, vgl. S. 2 ff., sowie hierzu oben S. 294 ff., zeigt, daß er die von der Ersten Analogie thematisierte Substanz und deren uneingeschränkte Beharrlichkeit nur allzu offensichtlich mit einer substantia comparativa verwechselt, deren Substanz-Typus in den »körperlich-leibhaftig« gestalteten »Gegenständen der Wahrnehmung repräsentiert sein muß«, S. 2. Seine irregeführte und irreführend Orientierung an der Holz-Rauch-Asche-Kasuistik zeigt sich daher auch in der entsprechend konsequenten, wenngleich irrigen Auffassung, Kant setze mit Blick auf die hauptsächlich thematische uneingeschränkte Beharrlichkeit der Substanz »weiter voraus, daß ein beliebiges Stück der dreidimensionalen Substanz als ein Quantum sich messen lasse« und zwar in Form seines »Gewicht[s]«, ebd., Weyls Hervorhebungen. Kants genuin transzendental-logischer Gedanke, daß die uneingeschränkte Beharrlichkeit der Substanz eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegen-

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Tragweite der Handlungskausalität im Rahmen seiner strikt konditionalistisch orientierten Erörterung des Kausalitäts-Problems die kriteriologische Antwort auf die Frage »Wo soll der Schnitt zwischen Bedingungen und auf diese Bedingungen hin eintretenden Ereignissen gezogen werden?«.252 Der unverkennbar empiristische Charakter dieses experimentalen Kriteriums scheint nicht ohne weiteres zum transzendental-logischen Format von Kants Kausalitäts-Theorie zu passen. Doch Kants Beispiel für einen Fall von Handlungs-Kausalität hat, wie der argumentative Zusammenhang zeigt, tatsächlich die unmittelbar kriterielle Funktion, das ausschlaggebende Licht auf »eine Bedenklichkeit« zu werfen, »die gehoben werden muß«.253 Diese Bedenklichkeit ergibt sich zunächst aus dem anders strukturierten Fall, daß »Wenn ich eine Kugel, die auf einem ausgestopften Kissen liegt, und ein Grübchen darin drückt, als Ursache betrachte, so ist sie mit der Wirkung zugleich«.254 Es geht also um den strukurellen Unterschied zwischen einem Fall, in dem man von zwei gleichzeitigen Erscheinung die eine als Ursache und die andere als ihre Wirkung betrachtet, und einem Fall, in dem man  – in Weyls Worten  – zuerst die ursächlichen Bedingungen, soweit man sie ›in der Hand hat‹, durch eine entsprechende Handlungsweise ›schafft‹ und die durch sie bedingte Erscheinung nachfolgen läßt.255 Die Berücksichtigung dieses strukturellen Unterschieds ist für Kants transzendental-logische Theorie wegen eines empirischen Befundes wichtig. Denn »Der größte Teil der wirkenden Ursachen ist in der Natur mit ihren Wirkungen zugleich«.256 Mit Blick auf stände ist, ist Weyl im Grunde ganz fremd. Zu weiteren irrigen Tragweiten, wie Weyls zentrale substanz-theoretische Verwechslung sie für die Theorie des Experiments mit sich bringt und wie sie mit Kantischen Mitteln korrigiert werden können, vgl. Scheffels erhellende Ausführungen, S. 159–162. 252 Weyl, Philosophie, S. 243. 253 A 203, B 248 254 A 202, B 247, Hervorhebungen R. E. 255 Longueness, Judgement, sprich zwar von der »activity of the cause«, S. 372 f., doch die von Kant unübersehbar ins Spiel gebrachte kriterielle Handlungskausalität bleibt bei ihr ganz unterbelichtet. Kant selbst löst durch die sorgfältige Unterscheidung dieser beiden strukturell verschiedenen Fälle eine begriffliche Unschärfe auf, die mit der Formulierung des Schemas der Ursache und der Kausalität eines Dinges überhaupt verbunden ist. Er charakterisiert hier die Ursache als »das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt«, A 144, B 183. Doch das beliebige Setzen kann – wie im Fall der Gleichzeitigkeit von zwei Erscheinungen – so aufgefaßt werden, daß man die eine der beiden Erscheinungen als Ursache interpretiert und beurteilt, aber auch so, daß man die eine zuerst und als ursächliche Bedingung auch ›schafft‹, weil man sie durch eine leibhaftige Handlungsweise ›in seiner Gewalt hat‹. Paton, Experience II, scheint diesen Punkt immerhin durch die von Kant gelegentlich verwendete lateinische Formel wenigstens zu berühren, wonach die Ursache ein »principium fiendi«, S. 281, ist – also ein Prinzip des Machens der Wirkung. Doch anschließend weicht auch er wieder in die abstrakte Trias von Handlung, Kraft und Substanz, vgl. A 204, B 249–B 250, aus, vgl. S. 282 f. 256 A 202, B 248–A 203.

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diese ›in der Natur‹ empirisch überwiegenden Fälle der Gleichzeitigkeit des Vorliegens von Ursachen und Wirkungen bildet das handlungs-kausale Kriterium – und dessen eigentlich triviale experimentale Erweiterung – das einzige, aber auch das zuverlässigste Kriterium zur Prüfung und Beurteilung, ob einer als Ursache bzw. als Wirkung betrachteten bzw. interpretierten Erscheinung dieser Status auch mit den besten verfügbaren Gründen zugeschrieben werden kann. Insofern steht dieses handlungs-kausale bzw. experimentale Kriterium an der entscheidenden Stelle im Dienst des empirischen Suchens und Findens von Ursachen und Wirkungen. Die hermeneutik-analoge Charakterisierung der Funktion der Kategorien, daß sie »[gleichsam nur] dienen […], Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können«257, wird durch dieses Kriterium nicht nur ergänzt. Es wird zugunsten eines Verfahrens überboten, das erlaubt, über das kategoriale Betrachten bzw. Interpretieren von Erscheinungen hinauszugehen, indem solche Erscheinungen im Licht ihrer schon gewonnenen kausal-kategorialen Interpretationen durch entsprechend gezielte leibhaftige Aktivitäten einem operationalen und damit auch experimentalen Härte-Test ihrer Bewährungstauglichkeit ausgesetzt werden.258 257 IV, 312. 258 Nimmt man die operationale und damit auch die experimentale Tragweite von Kants unscheinbarer kasuistischer Handlungs-Kausalität ernst genug, dann ergibt sich auch eine Möglichkeit, eine Brücke zu dem von Pringe, Quantum Power, unternommenen Versuch zu schlagen, den »epistemological status of quantum objectivity«, S. 7, Pringes Hervorhebungen, zu bestimmen. Eine Schlüsselrolle innerhalb dieses Versuchs fällt der notorisch kontroversen Erörterung der »interaction between the electron and the measuring device«, S. 89, zu. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang die von Pringe wie von den meisten anderen Kant-Interpreten vernachlässigte kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, deswegen muß …, vgl. B 288, dann ergibt sich unmittelbar eine Möglichkeit, mit genuin transzendental-logischen Mitteln ein Licht auf diese interaction zu werfen. Denn diese Urteilsform dient u. a. vor allem auch dazu, individuelle empirische Fälle von Kausalität zu beschreiben, z. B. einen alltäglichen Fall wie den daß, Weil die Sonne den Stein bescheint, deswegen muß er warm / wärmer werden. Doch im Rahmen von Pringes Untersuchungen spielt das empiristische Desiderat, »to decribe what nature is«, S. 5, Pringes Hervorhebung, die Rolle eines Kriteriums. In seinem Licht müssen vor allem ›instrumentalistische‹ und ›realistische‹ Interpretationen der Quantenmechanik verworfen werden, weil sie sich für solche Beschreibungen gar nicht interessieren, vgl. S. 5 f., bzw. eine unbeschreibbare, lediglich durch den Rekurs auf ›verborgene Variablen‹ postulierbare Wirklichkeit annehmen. Doch die von Kant konzipierte kausal-kategoriale Urteilsform erweist sich als eine konditionalistische Urteilsform, die eine hinreichende weil-Bedingung – die Ursache –, wenn sie irgendwann erfüllt ist, mit dem notwendigen bzw. jederzeitigen Eintreten des durch sie Bedingten – der Wirkung – verbindet. Mit ihrer – und nur mit ihrer – Hilfe kann also ein in formaler Hinsicht eindeutiger und strikter Schnitt zwischen einem als ursächlich und einem als effektiv interpretierten Phänomen beschrieben werden. Zu einer solchen Beschreibung gehört also eine trennscharfe Beschreibung des ursächlichen Phänomens um seiner selbst willen ebenso wie eine trennscharfe Beschreibung des effektiven Phänomens um seiner selbst willen. Ob dieser Schnitt mit dieser Eindeutigkeit und Striktheit auch in jeder Beschreibung eines

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Das Kausalitäts-Problem bildet eine besonders vorzügliche Gelegenheit zu fragen, »wie ein Ding aus einem Zustande a in einen anderen Zustand b über­ entsprechend interpretierten empirischen Phänomens gezogen werden kann, läßt sich mit transzendental-logischen Mitteln grundsätzlich nicht vorhersagen. Wohl aber läßt sich mit diesen Mitteln beurteilen, daß in einem empirischen Feld, in dem sich ein solcher Schnitt mit Hilfe dieser kausal-kategorialen Urteilsform nicht mehr vollständig beschreiben läßt, eine Grenze der Anwendbarkeit der Kausal-Kategorie, also der kausalkategorialen Urteilsform erreicht ist. Nimmt man Weyls, Philosophie, Kriterium zu Hilfe, daß »Für den Experimentator […] die Bedingungen derjenige Teil des Geschehens [sind], der in seiner Gewalt steht«, S. 244, Weyls Hervorhebungen, vgl. auch oben S. 329 f., dann gehört zu dieser Verfügungsgewalt des Experimentators auch dessen Fähigkeit, diese in seiner Gewalt stehenden (ursächlichen) Bedingungen vollständig zu beschreiben. Andernfalls könnte er nicht beurteilen, von welchen in seiner Versuchsanordnungen realisierten (ursächlichen) Bedingungen die experimentell erzielbare Konsequenz (die Wirkung) abhängt. Doch ebenso gehört – jedenfalls im Licht von Kants KausalTheorie – zu dieser Verfügungsgewalt des Experimentators auch dessen Fähigkeit, die mit begrifflichen, kategorialen Mitteln trennscharf von dieser ursächlichen Bedingung unterscheidbare Wirkung genau und vollständig zu beschreiben. Andernfalls wüßte er nicht, wovon diese ursächlichen Bedingungen die ursächlichen Bedingungen sind. Doch die mit der kausal-kategorialen Urteilsform verbundene trennscharfe Unterscheidung der weil --- -Ursache von der … deswegen-muß …-Wirkung ist auch an eine bestimmte methodologische und eine bestimmte epistemologische Konsequenz gebunden: Zum einen muß jeder dieser beiden Teile eines kausalen Sachverhalts unabhängig vom anderen beschrieben werden können – in Kants alltäglichem Beispiel also einerseits Die Sonne bescheint den Stein und andererseits Der Stein wird warm / wärmer; zum anderen bildet nicht nur der kausale Sachverhalt in seiner ungeschiedenen Ganzheit ein Objekt möglicher Erfahrung, sondern sowohl die vollständig beschreibbare Ursache wie die vollständig beschreibbare Wirkung bildet ein Objekt möglicher Erfahrung – aber selbstverständlich nur in strikter wechselseitiger weil ---, deswegen muß …-Abhängigkeit innerhalb des ganzen kausalen Sachverhalts. Doch erst wenn man in die beiden Beschreibungen der ursächlichen Bedingungen und ihrer Wirkung noch die konkreten, jeweils relevanten metrischen Komponenten hinzunimmt, hat man diejenige spezifische Form von Beschreibungen kausaler Sachverhalte ins Auge gefaßt, um die es in den Forschungen und Entdeckungen sowohl der klassischen Physik wie der Quanten-Physik geht. Nimmt man die oben zusammengefaßten transzendental-logischen Voraussetzungen – einschließlich der so wichtigen kausal-kategorialen Urteilsform – und die experimentale Tragweite von Kants kasuistischer Handlungs-Kausalität zu Hilfe, dann kann Pringes Frage nach dem epistemological status of quantum objectivity so beantwortet werden: Der experimentierende Quanten-Physiker kann die in seiner Gewalt stehenden und in seiner Versuchsanordnung realisierten ursächlichen weil-Bedingungen – einschließlich aller ihrer metrischen Komponenten – vollständig und hinreichend genau beschreiben; aber er kann die deswegen-muß-Wirkung, die durch die experimentelle Aktivierung dieser ursächlichen Bedingungen und in der interaction between the electron and the measuring device ausgelöst werden, nicht vollständig und metrisch genau beschreiben. Der Schnitt zwischen den beiden Komponenten des kausalen Sachverhalts kann unter diesen Voraussetzungen zwar nach wie vor mit den begrifflichen Mitteln der reinen KausalKategorie eindeutig und strikt charakterisiert werden. Doch in der Applikation dieser Kategorie auf die konkrete, spezifisch quanten-mechanische experimentelle Situation, also in ihrer Beurteilung geht die Trennschärfe dieser rein begrifflichen Unterscheidung

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gehe«.259 Denn da »[…] jede Veränderung eine Ursache [hat]«260, legt der Gebrauch der Kausal-Kategorie einen strikten und eindeutigen Schnitt zwischen »den Zustand …, aus welchem das Ding herausgeht,« und dem Zustand, »in welchen es gelangt«.261 Daher fragt sich, ob dieser Schnitt einen eigenen temporalen Charakter hat, und welchen temporalen Charakter er hat, falls er überhaupt einen eigenen temporalen Charakter hat. Denn ganz unabhängig von diesem kausal-kategorialen Schnitt bietet die »reine Form der sinnlichen Anschauung«262 »verschiedene Zeiten … nacheinander«263, so daß aber »Verschiedene Zeiten […] nur Teile derselben Zeit [sind]«264 und »nur durch Einschränkungen einer einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich [sind]«.265 Doch die Teile der Zeit haben nicht so etwas wie eine von allen subjektiven Faktoren unabhängige Existenz. Denn daß sie nur durch Einschränkungen möglich sind, bedeutet vielmehr, daß sie nur durch einschränkende kognitive Akte des Subjekts erzeugt werden. Daher setzt der Begriff des Teils der Zeit »[…] eine Synthesis [voraus], die nicht den Sinnen angehört, durch welche aber alle Begriffe von Raum und Zeit möglich werden, […]«.266 Der Begriff des Teils der Zeit wird durch diese Synthesis erzeugt, weil schon der Begriff des Nacheinander den Begriff des Teils der Zeit einschließt. Die apostrophierte Synthesis erzeugt den Begriff des Nacheinander, verloren. Denn die Wirkung, die die konkrete experimentelle Aktivierung der kausalen, in der Versuchsanordnung realisierten ursächlichen weil-Bedingungen auf das Elektron ausübt, kann nicht mehr vollständig und genau beschrieben werden. Deswegen – und nur deswegen – bildet sie im Licht der transzendental-logischen Kriterien nicht mehr für Fälle von Handlungs-Kausalität bzw. experimentaler Kausalität im strikten Sinne ein Objekt möglicher Erfahrung. Doch dieses strukturelle, spezifisch quanten-mechanische Merkmal der defizitären Beschreibbarkeit der experimentellen Wirkung zieht auch den ganzen kausalen Sachverhalt, an dem eine solche Wirkung integral beteiligt ist, in Mitleidenschaft. Denn da es sich bei der weil-Ursache der transzendental-logischen Konzeption um eine hinreichende Bedingung handelt, erweist sich diese ursächliche Bedingung mit Blick auf die experimentelle quantenmechanische Situtation nicht mehr als hinreichend dafür, ihre Wirkung vollständig und genau bestimmen zu lassen. Deswegen bildet der gesamte spezifisch quantenmechanische kausale Sachverhalt der interaction between the electron and the measuring device nicht mehr im strikt transzendental-logischen Sinne ein Objekt möglicher Erfahrung. Pringes Schlüsselgedanke, daß er nur noch in einem präzisierbaren symbolisch-analogischen Sinne ein solches Objekt ist, bildet die bislang am besten durchdachte Konsequenz aus der Berücksichtigung von Kants Theorie der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Objekte. 259 A 208, B 253; ich habe die Buchstaben »a« und »b« vertauscht, weil Kant in dem langen Satz A 208, B 253–254, vom »Anfangsaugenblicke a bis zu[r] … Vollendung b« spricht und damit die der Sache nach von Anfang gemeinte Ordnung dieser Buchstaben klarstellt. 260 A 208, B 253. 261 Ebd. 262 A 31, B 47. 263 Ebd. 264 A 32, B 47. 265 A 32, B 47–48, Hervorhebung R. E. 266 B 161.

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indem sie Ein ›Nach‹ des Nacheinander durch Eine ein-schränkende Schranke mit dem nächsten ›Nach‹ verbindet und dieses nächste ›Nach‹ wiederum durch Eine ein-schränkende Schranke mit dem nächsten ›Nach‹ verbindet und so fort. Dieses Und-so-fort charakterisiert die Kontinuität, die grenzenlose Fortsetzbarkeit der Nacheinander-Form der Zeit.267 Durch jede dieser Einschränkungen wird die Synthesis immer wieder von neuem fortgesetzt, also kontinuierlich ein neuer zwischen zwei Schranken eingeschränkter Sukzessions-Teil der Zeit erzeugt. Indessen macht die Antwort auf die kausal-theoretisch orientierte Frage, ›wie ein Ding aus einem Zustande a in einen anderen Zustand b übergehe‹, einen modi­f izierten Ansatz nötig, wenn das Wie dieses Übergangs wiederum die Form der Kontinuität hat. Denn auf die zeit-interne Kontinuität des Nacheinander kann eine solche Antwort nicht einfach direkt zurückgreifen.268 Umso mehr fällt auf, daß Kant das Kontinuitätsproblem innerhalb der Theorie der Kausalität ausführlich erörtert, ohne die in diesem Kontext mit keiner Silbe erwähnte »lex continui in natura«269 auf den Plan zu rufen. Auch deren ausdrückliche Formulierung hält Kant erst im weit entfernten und gleichwohl unmittelbar einschlägigen Kontext des Dritten Widerstreits der Antinomie für argumentativ nötig. Zwar ist diese Formulierung und ihre argumentative Verwendung hier nur deswegen nötig, weil es darum geht zu zeigen, daß es auf dem ›fruchtbaren Bathos der Erfahrung‹ grundsätzlich nicht möglich ist, eine unbedingte ursächliche weil ---, darum muß …-Bedingung zu finden. Mit umso bedeutsamerem Gewicht geht es hier um den Rekurs auf die in der zweiten Analogie thematische »Kausalität … nach Gesetzen der Natur«.270 Denn die hier apostrophierte lex continui in natura läßt eine Form der Kontinuität zum Zuge kommen, die die lückenlose bzw. ›durchgängige‹ Anwendung der weil ---, darum muß…-Kategorie auf wahrgenommene Geschehnisse bzw. Begebenheiten

267 Im englischen to continue dominiert das Moment der Fortsetzung, im lateinischen continuare wird durch die Präposition con- noch das verbindende Moment der von Kant apostrophierten Synthesis ergänzt. Im Unterschied zur Aristotelischen Konzeption der Kontinuität der Zeit, die in der Teilbarkeit-in-immer-wieder-Teilbares das formale Charakteristikum der Zeit sieht, vgl. Phys. 231b 16, sowie Wolfgang Wieland, Die aristotelische Physik. Untersuchungen über die Grundlegung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles, Göttingen (19621), 19923, bes. S. 286–288, bildet in Kants Theorie die Fortsetzbarkeit-in-immer-wieder-fortsetzbares-Nacheinander dieses formale Charakteristikum; vgl. zu diesem Unterschied schon vom Verf., Gegenstand, S. 23542. 268 Patons, Experience II, Eindruck, daß »The form or condition of change [of states, R. E.] seems to be identified with the bare successiveness of time«, S. 285, täuscht daher.; vgl. auch S. 289 f. Gegen diesen Irrtum ist Longueness, Judgement, wegen ihrer sorgfältigen Unterscheidung dieser beiden Strukturen, vgl. oben S. 327 f., gefeit. 269 A 660, B 688, Kants Hervorhebungen. 270 A 444, B 472.

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zu einer speziellen notwendigen Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer kausal strukturierten Gegenstände stempelt. Man rekurriert mit diesem speziellen Kontinuitäts-Argument zunächst direkt auf den Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität, in dessen Licht »[…] alles, was geschieht, einen vorigen Zustand voraus[setzt], auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt«.271 Es ist indessen zu bedenken: »Nun muß aber der vorige Zustand selbst etwas sein, was geschehen ist (in der Zeit geworden, da es vorher nicht war), weil, wenn es jederzeit gewesen wäre, seine Folge auch nicht allererst entstanden, sondern immer gewesen sein würde«.272 Aus beiden Prämissen gewinnt man offensichtlich die Konsequenz: »Also ist die Kausalität der Ursache, durch welche etwas geschieht, selbst etwas Geschehenes,273 welches nach dem Gesetz der Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen Kausalität, dieser aber ebenso einen noch älteren voraussetzt usw.«.274 Doch die »durchgängige und gesetzmäßige Einheit der Erfahrung«275 ist nicht möglich, wenn wir uns darauf beschränken, »die Abstammung der Begebenheiten in der Reihe der Ursachen immer höher hinauf zu suchen«.276 Die wahrhaft durch271 A 444, B 472, Kants Hervorhebungen. 272 Ebd. Paton, Experience II, erörtert das Kontinuitäts-Problem im Rahmen der Zweiten Analogie ausschließlich als Problem der Continuity of Change, vgl. S. 284–289. Die Rolle von Ursache und Wirkung wird vor allem als Thema der Successiveness of Cause and Effect, vgl. S. 283–284, erörtert. Allerdings hält er es in diesem Rahmen allen Ernstes für Kants »business … to prove [Hervorhebung R. E.] what he calls the schema of necessary succession«, S. 281, Patons Hervorhebung. Diese Auffassung verweist auf ein gravierendes methodologisches Mißverständnis des Schematismus. Denn die Schemata formulieren Kriterien für den wahrheitsfähigen Gebrauch der Kategorien – sowohl für ihren wahrheitsfähigen Gebrauch in empirischen Erfahrungsurteilen wie für ihren wahrheitsfähigen Gebrauch in reinen synthetischen Urteilen apriori. In dieser kriteriellen Funktion bedürfen sie indessen keiner Beweise, sondern lediglich der entsprechenden empirischen bzw. transzendentalen Bewährungsproben. Das Schema, also das Kriterium der necessary succession ist die Jederzeitigkeit, mit der ein sukzedierendes Geschehnis folgt, sofern es die Wirkung einer Ursache in der konditionalen Rolle einer hinreichenden Bedingung bildet. 273 Kants Hervorhebung. 274 A 444, B 472, Hervorhebungen R. E.; das wiederum bildet zusammen mit dem usw. den umgangssprachlichen Hinweis auf die Kontinuität. 275 A 448, B 476, Hervorhebung R. E. 276 Ebd., Hervorhebungen R. E. Die sorgfältige Erörterung, die Paton, Experience II, der Continuity of Change widmet, beginnt mit dem so angezeigten § 3., vgl. S. 284–289. Doch seine irrige Identifikation der form or condition of change of states mit der bare successiveness of time, vgl. oben S. 334, Anm. 268, führt konsequenterweise zu einer Fehleinschätzung der Rollen, die Wahrnehmungen von Geschehnissen bzw. Begebenheiten und die jeweils wahrgenommenen Geschehnisse bzw. Begebenheiten im Zusammenhang der Erörterungen der Kausal-Analogie spielen. Zweifellos gehören Wahrnehmungen ebenso wie alle anderen subjektiven Widerfahrnisse zu den genuinen Trägern und Repräsentanten der kontinuerlichen Sukzession der Zeit. Doch die jeweils wahrgenommenen Geschehnisse bzw. Begebenheiten (states) sind im Rahmen der kausal-theoretischen

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gängige Einheit der Erfahrung ist nur dann möglich, wenn wir darüber hinaus ›die Fortsetzung der Begebenheiten in der Reihe der Ursachen auch immer tiefer hinunter‹ suchen können, also immer wieder von neuem in neuen wahrgenommenen ›Geschehnissen‹, wie sie immer wieder von neuem durch ursächliche Bedingungen bedingt sind. Die wahrhaft durchgängige Einheit der Erfahrung ist also nur dann möglich, wenn nicht nur jede Ursache unabhängig von ihrem kausal-kategorialen weil --- -Format ein Geschehnis ist, sondern wenn auch jedes ›Geschehnis‹ wiederum im …, darum muß …-Format die Wirkung eines ursächlich bedingenden früheren ›Geschehnisses‹ bildet. Doch diese andere, die immer tiefer hinunter reichende Seite der kausalen Kontinuität ist teilweise direkt und teilweise implizit durch die logische Quantität des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität vorgeprägt. Denn die AllquantorenPhrase Alles, was geschieht … thematisiert nicht nur alle Geschehnisse; in Form eben solcher Geschehnisse »[…] verknüpfe [ich] also eigentlich [jeweils, R. E.] zwei Wahrnehmungen in der Zeit«.277 Dieser Grundsatz thematisiert also in universeller Form das wichtigste empirische, wahrnehmungsförmige Material, das urteilsfähige Subjekte dem ›fruchtbaren Bathos der Erfahrung‹ abgewinnen können. Denn von ihm können und müssen sie ausgehen, wenn sie in empirisch berechtigter und transzendental-logisch gerechtfertigter Form jeweils nach etwas fragen und suchen, worauf jeweils das, was geschieht, notwendigerweise bzw. jederzeit folgt und damit der kausal-kategorialen Urteilsform Weil ---, darum muß … genügt. Indem sie in dieser Einstellung immer wieder von neuem nach einer ursächlichen Bedingung eines wahrgenommenen ›Geschehnisses‹ fragen und suchen, transformieren sie immer wieder von neuem mit Hilfe von kausalkategorialen Mitteln immer tiefer hinunter wahrgenommene ›Geschehnisse‹ in Wirkungen ihrer jeweils erfragten und gesuchten ursächlichen Bedingungen. Durch die universelle Form, in der der Grundsatz die wahrnehmbaren Geschehnisse thematisiert, stempelt er jedes neue wahrgenommene Geschehnis, dessen Erörterung der Kontinuität a limine Träger der Rollen der kategorialen weil --- -Ursache bzw. …, deshalb muß …-Wirkung. Deren Wahrnehmung bildet stets bloß die emprische Gelegenheit, sie als die beziehungsweisen Träger dieser kategorial geprägten Rollen zu interpretieren und zu beurteilen. Zwar sieht Paton, daß »Kant’s account of the continuity of states is … more difficult«, S. 284, als The Successiveness of Cause and Effect, S. 283. Doch diese größere Schwierigkeit hat nichts mit irgendeiner »reference to degree«, S. 2853, also mit der Kontinuität der Intensitäts-Grade der Wahrnehmung zu tun. Zu Recht verbindet Paton diese von ihm unterstellte reference to degree mit dem skeptischen Vorbehalt, daß »it seems to be called for here, though it is not made explicit by Kant till A 208 = B 254«, ebd. Diese größere Schwierigkeit ergibt sich ausschließlich daraus, daß Erfahrung nur dann möglich ist, wenn die spezifisch kausal strukturierte continuity of states die Durchgängigkeit einschließt, mit der das Nacheinander der empirisch ermittelbaren Fälle von weil --- -Geschehnissen zu …, darum muß …-Geschehnissen sowohl jede jeweils ›ältere‹ Ursache wie auch jede jeweils ›jüngere‹ Wirkung einschließt. 277 B 233, Hervorhebung R. E.

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Wahrnehmung Anlaß zur Frage und Suche nach seiner kausalen weil …-Bedingung gibt, wiederum zu einer – in der Folge der empirisch ermittelbaren Fälle von Kausalität – immer tiefer hinunter reichenden, also ›jüngeren‹ …, deswegen muß-Wirkung usw. Daher gilt: Nun muß aber, wenn jedes Geschehnis die Kausalität einer Ursache voraussetzt, jedes neue wahrgenommene Geschehnis wiederum die Kausalität einer Ursache voraussetzen usw. Dies ist nicht nur die umgekehrte Form der apostrophierten lex continui in natura. Da im Licht von Kants Theorie »[…] Natur und mögliche Erfahrung ganz und gar einerlei [ist]«,278 bildet diese lex continui in natura offensichtlich sogar eine den Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität komplettierende, spezielle notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung. Denn erst diese beiden Formen der Kontinuität bilden die ganze Dimension der kausalen ›Durchgängigkeit‹ der Erfahrung in beiden Richtungen – in Richtung der jeweils ›älteren‹ Ursachen und in Richtung der jeweils ›jüngeren‹ Wirkungen: Erfahrung ist nur dann möglich, wenn das Nacheinander der empirisch ermittelbaren Fälle von weil --- -Geschehnissen und …, darum muß …-Geschehnissen ›keine Sprünge macht‹, also wenn diese spezielle doppelte lex continui in natura gilt. Die ausführliche Erörterung des Kontinuitäts-Problems innerhalb der Zweiten Analogie beginnt indessen mit einer skeptischen Alternative, die auf eine ganz andere Form von Kontinuität zugeschnitten ist  – auf die Kontinuität von Zuständen, aber nicht auf die von Ursache und Wirkung. Denn es ist zu bedenken, ob unmittelbar nach dem Zustand a »eine leere Zeit folge«,279 bevor der Zustand b beginnt, oder ob die »Veränderung … plötzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke)«280 erfolgt. Doch diese Alternative kann durch eine vergleichsweise einfache empirische Beobachtung gleichsam auf einen Schlag verworfen werden. Denn »[…] bei dem Gebrauch [des Satzes der Kausal­ verknüpfung] findet [es sich], daß er auch auf ihre [der Erscheinungen] Be­ gleitung passe, und Ursache und Wirkung zugleich sein können«.281 Sogar »Der größte Teil der wirkenden Ursachen in der Natur ist mit ihrer Wirkung zugleich«.282 So ist beispielsweise ein heißer »Ofen … als Ursache, mit seiner 278 279 280 281

IV, 320, Kants Hervorhebung. A 192, B 237. A 208, B 253. A 202, B 247. Deswegen enthält das Thema von Paton, Experience II, The Successiveness of Cause and Effect, vgl. S. 283–284, eine gewisse Unschärfe. Denn Ursache und Wirkung als solche sind überhaupt nicht durch irgendwelche temporalen Eigenschaften charakterisiert. Sie sind ausschließlich durch ihr anti-symmetrisches konditionales Verhältnis einer hinreichenden Bedingung zu dem von ihr Bedingten charakterisiert. Wohl aber verleiht die gelungene Anwendung dieser Kausal-Kategorie den jeweils subsumierten Geschehnissen den Charakter eines objektiven Nacheinander. Hier hat Longueness, Judge­ment, klarer gesehen, vgl. oben S. 334 f. 282 A 202, B 248–A 203.

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Wirkung, der Stubenwärme, zugleich«.283 Doch zum einen könnten Erscheinungen, die man als Ursache bzw. Wirkung interpretiert, nicht gleichzeitig sein, wenn sie durch eine leere Zeit getrennt wären. Zum anderen könnte ›ein Ding aus einem Zustande a nicht in einen anderen Zustand b übergehen‹, sondern nur gleichsam springen, wenn eine solche Veränderung ›plötzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke)‹ erfolgen würde. Doch der Gedanke eines durch keine noch so minimale Zwischendauer vermittelten, plötzlichen Wechsels von einem Zustand a zu einem Zustand b wird lediglich suggeriert durch den radikalen kategorialen Schnitt zwischen der Teil-Kategorie der Ursache und der Teil-Kategorie der Wirkung: Eine Ursache wird als Ursache weder plötzlich noch allmählich zu ihrer Wirkung.284 Man muß die Erscheinungen von Zuständen, die einer kausal-kategorialen Interpretation bzw. Beurteilung als Ursache bzw. als Wirkung fähig sind, mit aller Strenge von den als Ursache bzw. als Wirkung schon interpretierten bzw. beurteilten Erscheinungen solcher Zustände unterscheiden. Es sind die Erscheinungen solcher Zustände, die aufeinander folgen, aber nicht Ursache und Wirkung.285 Eine Aufeinanderfolge solcher Erscheinungen ist lediglich eines von zwei temporalen Schema-Kriterien für einen Fall von Kausalität, das andere Schema-Kriterium bildet die Jederzeitigkeit ihres Aufeinanderfolgens. Doch weil weder eine leere Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgend erscheinenden Zuständen der Fall sein kann noch ein plötzlicher Wechsel von dem einen zu dem anderen, »geschieht jeder Übergang aus einem Zustand in einen anderen in einer Zeit [also während einer Dauer, R. E.], die zwischen zwei Augenblicken enthalten ist«.286 Dieser Zwischenzustand kann nicht nur minimal kurz sein, er kann sogar »verschwindend sein«,287 so daß er sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht. Indessen kann Kants unscheinbares Musterbeispiel einer Handlungs-Kausalität mit seiner bedeutsamen experimentalen Tragweite (vgl. oben S. 329–330) zu einer weiteren wichtigen Differenzierung verhelfen. Insbesondere das ähnlich unscheinbare Ofen-Stube-Wärme-Beispiel verweist gerade deswegen, weil es an sich einen Fall von Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung präsentieren soll, auf die Handlungs-Kausalität, die mit dem Entzünden des Brennmaterials im Ofen durch ein entsprechend handelndes Subjekt verbunden ist. Denn in einem solchen Fall hat das kausal agierende Subjekt – wie ein Experimentator im Sinne Hermann Weyls (s. o. S. 329–330) – nicht nur ›die Bedingungen, also die Ursache des Geschehens in seiner Gewalt‹, sondern auch den Anfang des 283 A 202, B 247–248. 284 In diesem Sinne gibt auch Paton, Experience II, zu bedenken, daß »When we say that the effect follows the cause, we do not mean that the cause comes to an end, and there is an interval of time after which the effect begins«, S. 284. 285 Vgl. hierzu schon oben S. 337–338. 286 A 208, B 253. 287 A 203, B 248, Kants Hervorhebung.

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Geschehens, also den Anfang der Erwärmung der Stube. Gleichwohl kann es diesen Anfang nicht datieren, also bestimmen, wann genau der Zustand der Stube endet, den Anfang von dessen Änderung sie verursacht. Zwar fällt im Zuge einer Zustandsänderung das Ende des früheren Zustands mit dem Anfang des späteren Zustands zusammen. Dennoch kann die Identität eines solchen Endes mit einem solchen Anfang nicht darüber hinwegtäuschen, daß »das Verhältnis der einen zur anderen [das Früher-sein des Ursache-Kandidaten zum Später-sein des Wirkung-Kandidaten, R. E.] […] doch immer, der Zeit nach, bestimmbar [bleibt]«.288 Zwar »in dem Augenblicke, in dem sie [die Wirkung, R. E.] zuerst entsteht, ist sie mit dem Kausalverhältnis ihrer Ursache jederzeit zugleich, weil, wenn jene einen Augenblick vorher aufgehört hätte zu sein, diese gar nicht entstanden wäre«.289 Doch das ändert nichts daran, daß die anti-symmetrische weil ---, deswegen muß …-Urteilsform der Kausal-Kategorie mit der Symmetrie dieser Gleichzeitgkeits-Relation unverträglich ist. Diese Kategorie macht daher im Licht dieser Urteilsform die Bestimmbarkeit des Sukzessivitätsverhältnisses von Ursache und Wirkung als eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände, speziell der Möglichkeit der Fälle von Kausalität geltend. Einen wichtigen – sowohl hermeneutisch wie sachlich wichtigen – Teil seiner Erörterungen der Kausalitäts-Analogie widmet Kant dem nicht leicht durchsichtigen Verhältnis von »Handlung, mithin Tätigkeit und Kraft«.290 Denn »Kausalität führt auf den Begriff der Handlung, diese auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Substanz«.291 Der teilweise Mangel dieses Teils der Erörterungen an Durchsichtigkeit ist vor allem dem Umstand zuzuschreiben, daß Kant dieses begriffliche Verhältnis der Handlung zur Kraft und dieser zur Substanz einerseits an »das erste Subjekt der Kausalität alles Entstehens und Vergehens« anlehnt, das »selbst nicht (im Felde der Erscheinungen) entstehen und vergehen könne«.292 Welches nicht-empirische Format dieses ›erste Subjekt‹ hat, wenn es als eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände fungieren kann, wird durch den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz  – allerdings ausschließlich in der Version der ersten Auflage  – unmißverständlich charakterisiert. Andererseits  – und das 288 A 203, B 248. 289 Ebd; Kant gebraucht das Wort Augenblick hier offensichtlich im Sinne von beliebig kleine Zeitspanne, aber nicht im Sinne von »Grenzen der Zeit einer Veränderung«, A 208, B 253, also nicht im Sinne von »Die Grenze der Zeit [ist] der Augenblick«, XXII, 74, Hervorhebung R. E. Im Sinne von beliebig kleine Zeitspanne gebraucht er es in den Erörterungen der Drei-Synthesen-Konzeption, vgl. A 89–105; vgl. hierzu ausführlich Erster Teil, 8. Ab. 290 A 204, B 250. 291 A 204, B 249. 292 A 205, B 251; ebenso A 205, B 250.

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bereitet einer auf Sachgerechtigkeit bedachten Auslegung gewisse Schwierigkeiten  – spricht Kant im selben Zusammenhang des öfteren von »Substanz (phaenomenon)«293 und von »einer Substanz in der Erscheinung«,294 also von der substantia comparative. Irritierend und daher einer trennschärferen Klärung bedürftig sind in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen erörterten Formate der Beharrlichkeit. Die eine Form der Beharrlichkeit ist charakteristisch für ›das erste Subjekt der Kausalität alles Entstehens und Vergehens, das selbst nicht (im Felde der Erscheinungen) entstehen und vergehen kann‹ – also für die Substanz im Sinne des Grundsatzes der Beharrlichkeit der Substanz; die andere Form der Beharrlich­ keit gehört indessen in die Obhut »eine[s] empirische[n] Kriterium[s] … [der] Substantalität«295 und gilt somit für die substantiae comparativae bzw. ›Substanzen (phaenomena)‹ bzw. ›Substanzen-in-der-Erscheinung‹. Innerhalb der Erörterungen der Kausalitäts-Analogie fällt den Substanzen dieses Typs eine kausalspezifische Rolle zu. Denn Kant gibt als Grundmuster dieser Instanzen einen Typ von Subjekt zu bedenken, der »die Beharrlichkeit296 des Handelnden«297 repräsentiert. Die Rede vom Handelnden ist hier ganz im Sinne der alltäglichen Gebrauchsbedeutung gemeint und hat das Handeln von Subjekten im Auge, bei denen es sich um menschliche Personen handelt.298 Doch die »Zergliederungen …, die bloß die Erläuterung (nicht die Erweiterung) der Begriffe angehen«, bleiben »einem künftigen System der reinen Vernunft«299 überlassen. Das betrifft vor allem die Begriffe der Kraft und der Tätigkeit. Das Grundmuster, das die ›Beharrlichkeit des Handelnden‹ in den Mittelpunkt rückt, bildet indessen ›das empirische Kriterium einer Substanz‹, weil diese sich in dessen Licht »besser und leichter … zu offenbaren scheint«.300 Offensichtlich zeigt sich die Substanzphaenomenon in der Gestalt des personalen Handelnden deswegen besser und leichter, weil der Handelnde Wirkungen, wie sie durch seine Handlungen als deren Konsequenzen ausgelöst werden, in den dafür tauglichen Musterfällen beobachten kann, noch während er handelt, also zumindest teilweise gleichzeitig 293 A 205, B 250. 294 A 206, B 251. 295 A 205, B 250. 296 Kants Hervorhebung. 297 Ebd. 298 Diese ausdrückliche Klärung ist nötig, weil in der lateinischen Schulsprache der Physiker auch zu Kants Zeit noch von actiones die Rede sein kann, wenn z. B. von den Bewegungen der Planeten oder vom Trabanten der Erde – dem Mond – die Rede ist. Andererseits handelt es sich bei diesen Entitäten aber auch wiederum – wenngleich in einem spezifisch anderen Sinne als bei menschlichen Personen – um substantiae comparativae, weil von ihnen, wie man – und insbesondere auch Kant – seit Newtons Forschungen annehmen kann, kausalförmige Schwerkraft-Wirkungen ausgelöst werden 299 A 204, B 249. 300 Ebd.

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mit der noch beharrenden Ursache, die er selbst durch sein Handeln verkörpert. Bei der Beharrlichkeit einer solchen substantia comparativa handelt es sich konsequenterweise und im Gegensatz zur universell invarianten Beharrlichkeit, die der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz thematisiert, auch nur um eine komparative, also mehr oder weniger vorübergehende Beharrlichkeit. Die Wichtigkeit, die dieser Exkurs für eine Erörterung des empirischen Kri­teriums der Substantalität für die Erörterungen der Kausalitäts-Analogie mit sich bringt, ergibt sich aus mehreren Tragweiten. Zum einen bietet Kant mit dieser speziellen kriteriologischen Erörterung einen eigenen theoretischen Kommentar zu dem so rührend einfachen Kugel-Kissen-Grübchen-Beispiel für Handlungs-Kausalität, das er kurz zuvor mit der ausdrücklichen egozentrischen Referenz auf das Subjekt eines solchen Falls von Handlungs-Kausalität präsentiert.301 Zum anderen erhellen andere paradigmatische Fälle von HandlungsKausalität durch ihre Form komparativer Beharrlichkeit besonders deutlich die mehr oder weniger lange dauernde Gleichzeitigkeit der Phänomene, die als Ursachen fungieren, und der Phänomene, die als deren Wirkungen fungieren – z. B. thematisiert das kausal-kategoriale Erfahrungsurteil Weil ich einen Körper trage, deswegen muß er mich beschweren302 einen Fall von zwar selbstverständlich vorübergehender, aber relativ dauerhafter Gleichzeitigkeit. Im selben Atemzug exemplifizieren handlungs-kausale Fälle wie dieser außerdem in paradigmatischer Form die Fälle, in denen der kausal agierende Akteur gleichzeitg Beobachter bzw. Betrachter seiner selbst in den beiden selbstgeschaffenen Rollen des kausal agierenden Akteurs und des Beobachters seiner selbst ist.303 Doch vor allem macht Kants spezielle, wenngleich abstrakte Erörterung des empirischen Substantialitäts-Kriteriums nicht nur noch einmal auf die Reichweite aufmerksam, mit der die Erörterungen der strukturellen Differenzen und der funktionalen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen in den Prolegomena noch nachträglich bis in diese knappe KriterienErörterung reichen. Darüber hinaus wird mit Hilfe dieses speziellen Kriteriums ein zusätzliches kategoriales Licht in die anscheinend rein kausal-kategoriale Form der kausal-thematischen Erfahrungsurteile geworfen, die Kant mit Hilfe 301 Vgl. A 203, B 248–249. 302 Zum zugrunde liegenden hypothetischen Wahrnehmungsurteil vgl. B 142. 303 Es ist kein Zufall, daß sich in dem vorzüglichen Buch des ebenso vorzüglichen KantInterpreten Lewis W. Beck, Akteur und Betrachter. Zur Grundlegung der Handlungstheorie (amerik. 19751), Freiburg / München 1976, für diese komlexe, teilweise kausale und teilweise rollenspezifische Struktur so treffliche Formeln wie die vom »Betrachter meiner eigenen Handlungen«, S. 44, und von der »Rolle eines Akteurs für sich selbst als Betrachter«, S. 146, finden. Dennoch zielt Becks theoretisches und analytisches Hauptinteresse in diesem Buch darauf zu klären – u. a. auch mit Hilfe von Rekursen auf Kants Zweite Analogie  –, wie Akteure zu Einsichten in kausale Erklärungen und vor allem dahin gelangen, einmal eingesehene kausale Erklärungen als Begründungen / Rechtfertigungen für ihre eigenen Handlungsweisen zu nutzen.

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der Paradigmen Die Sonne schmelzt das Wachs, Die Sonne härtet den Ton304 und Die Sonne erwärmt den Stein305 vor Augen führt. Diese lassen sich nicht nur ebenso wie alle anderen Erfahrungsurteile dieses Typs mit Hilfe der reinen kategorialen Urteilsform weil ---, darum muß … (vgl. B 288) in entsprechende syntaktische Klartexte überführen. Das empirische Substantialitäts-Kriterium wirft darüber hinaus ein zusätzliches kategoriales Licht auf die ursächlichen Träger der hier durch die kausale Rolle der Sonne paradigmatisch exemplifizerten Kausalität: Diese haben den Status und die Rolle von substantiae comparative und damit von Trägern einer auch bloß komparativen bzw. relativen Beharrlichkeit. Daß sogar die Sonne diesen Status einer substantia comparativa hat, konnte Kant angesichts des astrophysikalischen Forschungsstands seiner Zeit vermutlich noch nicht einmal wirklich ahnen. Als umso bedeutsamer erweist sich die Fruchtbarkeit seines empirischen Kriteriums der Substantialität und seiner damit verflochtenen Konzeption der substantiae comparativae, wenn man sie angesichts des heutigen Standes der Forschungen zur Dauer der Existenz von Sternen wie unserer Sonne zu Hilfe nimmt. Analog verhält es sich jenseits von Kants naturwissenschaftlichem Horizont mit den Entdeckungen der extrem kurzen, geradezu flüchtigen Dauer der Existenz von Elementarteilchen durch die moderne Physik. Gleichwohl stempelt ihre bloß komparative Beharrlichkeit auch sie zu substantiae comparativae.306 Schließlich zeigt sich auch in dieser Hinsicht noch einmal in besonders sub­tiler Weise die Bedeutsamkeit von Kants Bemerkung: »Grundsätze a priori führen diesen Namen …, auch weil sie die Gründe anderer Urteile enthalten«.307 Denn mit dem empirischen Kriterium der Substantialität und der damit verbundenen Konzeption der substantiae comparativae wird in die Erörterung der Zweiten Analogie in gewisser Weise ein Lemma eingeführt, das sie wegen der komparativen Beharrlichkeit dieses Substanz-Typs nicht nur mit der nichtkomparativen Beharrlichkeitsbedingung der Ersten Analogie verflicht. Darüber hinaus wird durch diese Verflechtung sogar deutlich, daß und inwiefern die transzendentale Wahrheit beider Grundsätze die ›Gründe der Wahrheit anderer Urteile‹, also die der empirischen Wahrheit der kausal-thematischen Erfahrungsurteile enthält – und zwar aller Urteile dieses Typs, weil andernfalls die Möglicheit der Durchgängigkeit der Erfahrung nicht garantiert wäre, deren Möglichkeit für das ›absolute Ganze der möglichen Erfahrung‹ charakteristisch ist.308 Die kausal-thematischen Erfahrungsurteile bilden daher stets auch 304 Vgl. A 765, B 793–A 766, B 794. 305 Vgl. IV, 301*. 306 Für die Untersuchungen von Pringe, Quantum Power, scheint sich damit auf der Linie der von ihm intendierten Ziele eine weitere fruchtbare Verzweigung abzuzeichnen. 307 A 148, B 188. 308 Vgl. oben S. 269–272, 334–337.

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substanz-thematische Paradigmen wirklicher Anteile an diesem ›absoluten Ganzen der möglichen Erfahrung‹. 20.1.3. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alle Substanzen, sofern sie paarweise zugleich sind, in durchgängiger Gemeinschaft bzw. Wechselwirkung untereinander sind309 Die Dritte Analogie ist in buchtechnischer Hinsicht die kürzeste dieser drei Grundsätze. Dieses Erscheinungsbild scheint auf den ersten Blick in sachlicher und in methodischer Hinsicht verständlich zu sein. Denn durch ihren Titel in Verbindung mit dem Inhalt ihres Hauptsatzes gibt sie zu verstehen, daß sie aus einer Verflechtung der zentralen Elemente der beiden anderen Analogien gewonnen werden kann. Dennoch präsentiert ihre Behandlung durch Kant ebenso wie die Auseinandersetzung der Forschung mit ihr unvorhergesehene Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten beginnen mit dem unübersehbaren Umstand, daß ihr Hauptsatz geradezu mit einem unvermittelten Sprung in einen Rekurs auf jene Substanzen-im-Plural beginnt, die schon in der Ersten und der Zweiten Analogie zunächst irritierende, aber dennoch fruchtbare Rollen spielen. In der Auseinandersetzung mit der Ersten Analogie haben die Rekurse auf diese Substanzen-phaenomena bzw. die Substanzen-in-der-Erscheinung bzw. die substantiae comparativae gezeigt, wie die irritierenden empirischen Substanz-Kasuistiken Kants einen integralen Teil seiner Substanz-Theorie bilden. Denn sie machen eine komparative Beharrlichkeitsbedingung für die Analyse der empirischen Erkenntnisse in Gestalt von paradigmatischen substanz-thematischen Erfahrungsurteilen z. B. über eine Portion Holz, deren Verbrennen und die Resultate dieses Verbrennens (Asche und Rauch) fruchtbar.310 Dennoch erschöpfen sie 309 Aus sachlichen Gründen ziehe ich die Formulierung der ersten Auflage in ihren Grundzügen vor; vgl. zur Begründung unten S. 349–330. Ihrer wichtigsten Insuffizienz kann man dadurch Rechnung zu tragen, daß man den kollektiv gebrauchten Allquantor Alle Substanzen … durch die Relativierung auf die einschränkende Bedingung … sofern sie paarweise zugleich sind so spezifiziert, daß diese Analogie von der überspannten Aufgabe entlastet wird, eine Behauptung über eine uneingeschränkt universelle Wechselwirkungs-Struktur zu sein. In der relativierten Form ist sie eine Behauptung nur noch über das Universum der paarweise wechselwirkenden Substanzen. 310 Die Kritik von Ebbinghaus, 20. Jahrhundert, an der Dritten Analogie hat einen gravierenden Nachteil. Denn sie zielt zwar auf eine Insuffizienz dieser Analogie. Doch sie macht die Berechtigung dieser systematischen Kritik an einem der transzendental-logischen Grundsätze ausgerechnet und irrigerweise davon abhängig, daß Kants kasuistische Erörterungen von empirischen Fällen der einen und der anderen substantia comparativa (Holz, Asche, Rauch) angeblich »ein im Raum unveränderliches Quantum Materie«, S. 108, in Anspruch nehmen. Doch zum einen unterstellen diese kasuistischen Erörte­ rungen so etwas deswegen nicht, weil sie auf eine Unterstellung mit diesem räumlich universell-temporalen Inhalt einer Substanzerhaltung gar nicht angewiesen sind. Sie

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sich nicht in dieser substanz-theoretischen Erweiterung. Darüber hinaus dienen diese Rekurse auch dazu, den Substanzen-phaenomena bzw. Substanzen-in-derErscheinung bzw. den substantiae comparativae gerecht zu werden, die in Gestalt der Sonne, eines Steins, einer Portion Wachs bzw. Ton bzw. eines Gewässers in paradigmatischen kausal-thematischen Erfahrungsurteilen thematisiert werden. Zwar gehören die Urteile dieser beiden Typen von Erfahrungsurteilenzu jenen ›anderen Urteilen‹, zu denen sowohl der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität wie auch Der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz ›die Gründe enthält‹. Doch durch die planmäßige Berücksichtigung des Anteils der substantiae comparativae an den kausal-kategorialen Erfahrungsurteilen wird auch die substanz-kategoriale Form geklärt, die an den auf den ersten Blick rein kausal-kategorialen Erfahrungsurteilen beteiligt ist. Aber auch nur durch denselben Rekurs gelingt es, die dritte der drei zentralen notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände auf Begriffe zu bringen. Denn Substanzen-im-Plural, wie sie die Dritte Analogie sogleich mit ihrer thematischen Formulierung in Anspruch nimmt,311 können nur im Status und in der Rolle der substantiae comparativae an dieser Bedingung beteiligt sein. Nur deswegen können diese Substanzen auch »Erscheinungen als Substanzen«312 sein.313 geben lediglich zu verstehen, daß man im Rahmen solcher Kasusistiken und mit Blick auf die jeweils beteiligten substantiae comparativae Quanta der Materie unterstellt, daß deren vorüberhende Unvergänglichkeit ausschließlich für die unmittelbar beteiligten materiellen substantiae comparativae, also z. B. für Holz und dessen durch Verbrennung entstehenden Asche und Rauch spezifisch sind. »Entdeckungen der modernen Physik«, S. 108, haben mit Blick auf diese substantiae comparativae-spezifischen Materie-Quanta nicht die geringste Tragweite. Im übrigen zeichnet sich die Formulierung der Ersten Analoge zu ihrem systematischen Vorteil und zugunsten ihrer physikgeschichtlichen Unabhängigkeit vor allem dadurch aus, daß sie einen spezifischen Typ von Substanz – Masse, Energie oder irgendetwas anderes – gerade nicht auszeichnet; vgl. zu den entsprechenden Mißverständnissen oben S. 295, Anm. 132. 311 Vgl. A 211 ebenso wie B 256. 312 A 214, B 261. 313 Da Paton, Experience II, die Rolle und den Status der substaniae comparativae vernachlässigt, hat er von Anfang an »a … difficulty about the meaning of ›thing‹«, 297, wie Kant es A 211, B 258, charakterisiert. Doch die ›Dinge‹, von denen Kant hier in so prominenter Form spricht, sind gar nichts anderes als substaniae comparativae. Von ihnen kann daher in der Dritten Analogie von Anfang an im selben Sinne die Rede sein, in dem sich ihre Berücksichtigung für die Erörterungen (empirischer) substanz- und (empirischer) kausal-thematischer Erfahrungsurteile bewährt. – Longueness’, Judgement, Erörterungen der Dritten Analogie, vgl. S. 387–392, zeigen die Merkwürdigkeit eines ungewöhnlichen blinden Flecks. Er besteht darin, daß sie im Gegensatz zu Paton gar nicht bemerkt, wie außerordentlich erläuterungsbedürftig, aber auch in fruchtbarer Form klärungsfähig Kants Rede von Substanzen-im-Plural bzw. von Dingen ist. Sie ist daher auch von gar keiner Irritation angefochten, wenn sie im Grunde von substantiae comparativae spricht, indem sie zu Recht zu bedenken gibt, daß »Our body appears to us as one substance among others substances«, S. 391; vgl. hierzu auch unten S. 345, Anm. 315.

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Der Rekurs der Dritten Analogie auf alle Substanzen-phaenomena bzw. Substanzen-in-der-Erscheinung bzw. substantiae comparativae ist daher nur scheinbar unvermittelt. In methodischer Hinsicht ist er unmittelbar durch die Einführung des empirischen Kriteriums der Substantialität und durch dessen so bedeutsame Verflechtung mit der komparativen ›Beharrlichkeit des Handelnden‹ in allen Fällen der Handlungs-Kausalität gerechtfertigt.314 Denn die Rolle, die die Ursächlichkeit der substantia comparativa in der Gestalt des personalen Subjekts der Handlungs-Kausalität innehat, gibt in Verbindung mit ihrer entsprechenden komparativen Beharrlichkeit auch ein Muster für alle anderen Fällen von Kausalität ab – und damit auch für die komplexe Form von Kausalität, die als Wechselwirkung apostrophiert wird.315 Die Differenz zwischen der ersten und der zweiten Fassung des Grundsatzes der Dritten Analogie unterscheidet sich ausschließlich dadurch, daß die zweite Fassung die Gleichzeitigkeit der (Existenz der) thematisierten Substanzen von ihrer gleichzeitigen Wahrnehmbarkeit »im Raume«316 abhängen sieht. Mit dieser erst nachträglich berücksichtigten Bedingung ergeben sich allerdings Schwierigkeiten, die durchweg dafür sprechen, daß es sich bei dieser Berücksichtigung um einen Fehler handelt. Eines der Indizien für einen solchen Fehler bietet Kants in der zweiten Auflage nicht korrigierter zusammenfassender Rückblick auf alle drei Analogien: »Sie sind nichts anderes, als Grundsätze der Bestimmung des Daseins der Erscheinungen in der Zeit nach allen drei modis derselben«.317 Dieser Rückblick zielt indessen auch auf den Grundsatz der Dritten Analogie. Denn auch er formuliert – wie die beiden anderen Grundsätze – »Bedingungen a apriori der durchgängigen und notwendigen Zeitbestimmung alles Daseins in der Erscheinung, ohne welches selbst die empirische Zeitbestimmung unmöglich sein würde«.318 Irgendeine selbstkritische Andeutung zur neu berücksichtigten Raumbedingung in der zweiten Fassung dieses Grundsatzes fehlt. Nun sollte man aus einem solchen Fehlen zwar nicht voreilig ein argumentum e silentio zugunsten der ersten Fassung zu gewinnen suchen. Doch gravierender ist ein anderes Indiz. Es macht darauf aufmerksam, daß Kants Theorie sich eine Inkohärenz einhandeln würde, wenn sie diese Raumbedingung in der Grundsatz-Formulierung der Dritten Analogie mit systematischer Ernsthaftig­ 314 Vgl. oben S. 329–330. 315 Zu Recht hebt daher Longueness, Judgement, auch die kausale Rolle hervor, die die Leibhaftigkeit von personalen substantiae comparativae im Anwendungsbereich des empirischen Kriteriums der Substantialität spielt: »Our body appears to us as one substance among others substances, with which it is in a relation of dynamical community (commercium), simultaneity …. Our experiencing the coexistence of other substances with our own body is the condition for our experencing their respective relations of community«, S. 391; vgl. jedoch unten S. 347, Anm. 322. 316 B 256. 317 A 215, B 262, Hervorhebungen R. E. 318 A 217, B 264.

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keit berücksichtigen würde. Denn ungeachtet des Status und der Rolle der Substanzen phaenomena bzw. Substanzen-in-der-Erscheinung bzw. substantiae comparativae müßte, wenn diese Raumbedingung ernst gemeint wäre, der Hauptsatz der Zweiten Analogie entsprechend korrigiert werden. Denn einer Ursache ebenso wie einer Wirkung liegen ein Zustand bzw. eine Zustandsänderung unter den Erscheinungen zugrunde, die jeweils eindeutig und irreversibel auf zwei räumlich verschiedene Entitäten in den kausalen Rollen von deren Trägern verteilt sind. Doch zu Recht analysiert Kant die Kausalitäts-Beziehung im Rahmen der Zweiten Analogie ausschließlich mit Rekurs auf die beteiligten temporalen Bestimmungen, ohne irgendwelche Raumbedingungen zu berücksichtigen. Noch nicht einmal in Verbindung mit der Einführung des empirischen Substantialitäts-Kriteriums und damit des Rekurses auf die wahrnehmbaren Substanzen-phaenomena bzw. Substanzen-in-der-Erscheinung bzw. substantiae comparativae bedarf außer der temporalen Beharrlichkeitsbedingung irgendeine Raumbedingung der Berücksichtigung. Schließlich schleicht sich in die ganze Dritte Analogie durch die Raum­ bedingung noch eine eine spezifisch transzendentale, also erkenntnistheoretische Widersprüchlichkeit ein. Denn es ist eigentlich gerade in empirischer Hinsicht sogar trivial, daß gerade aus grundsätzlichen Gründen nicht alle Substanzen ›als gleichzeitig wahrgenommen‹ werden können. Die im Sinne der kollektiven Allgemeinheit uneingeschränkt gebrauchte Allquantifikation ›alle Substanzen …‹ geht fehl und sollte mit Hilfe der von Kant ohnehin vorgesehenen temporalen Bedingung … sofern sie zugleich sind … zugunsten der verschärften Bedingung … sofern sie paarweise zugleich sind … korrigiert werden.319 Nur unter dieser Voraussetzung kann die Dritte Analogie die Form der möglichen Erfahrung antizipieren, weil sie nur mit Blick auf jedes beliebige Paar solcher wahrnehmbaren Substanzen die wirkliche Form von deren Wechselwirkung als Thema von jeweils zwei entsprechend substanz- und kausal-kategorialen Erfahrungsurteilen antizipiert.320 Der in diesem Sinne modifzierte Hauptsatz der Dritten Analogie fällt daher noch differenzierter aus als es im Titel dieses Abschnitts formuliert ist: (WW-Analogie): Erfahrung ist nur dann möglich, wenn alle Substanzen, sofern sie paarweise zugleich sind, durch jedes Mitglied eines solchen Paares zum jeweils anderen Mitglied desselben Paares in durchgängiger Wechselwirkung stehen.321 319 Vgl. oben S. 344, Anm. 313. 320 Vgl. hierzu unten S. 347–348. 321 Von Durchgängigkeit bräuchte der Sache nach schon in Kants Version nicht die Rede zu sein. Sie wird schon durch die Allquantifikation über die Substanzen unmißverständlich zur Sprache gebracht.

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An der sachlichen Verfehltheit der Berücksichtigung des Raumes durch die Dritte Analogie ändern auch die gelegentlichen Berücksichtigungen räumlicher Strukturen nichts, wie sie in die Erörterungen dieser Analogie mit den Wendungen »am Monde« (B 257) und »auf der Erde« (ebd.) sowie von der communio spatii (A 213, B 259) der Substanzen »in allen Stellen des Raumes« (A 213, B 260) und ihrem »außereinander« (A 215, B 261) eingestreut sind. Sie machen im Zusammenhang mit dem Kontext ihres Gebrauchs vielmehr umgekehrt darauf aufmerksam, daß man sich mit ihnen an Erörterungen eines empirischen Kriteriums der Wechselwirkung beteiligt, das Kant aber nicht auf Begriffe gebracht hat.322 Nichts gibt diese raum-theoretische Zielrichtung unmißverständlicher zu verstehen als das Argument: »Unseren Erfahrungen323 ist es leicht anzumerken, daß nur die kontinuierlichen Einflüsse in allen Stellen des Raumes unseren Sinn von einem Gegenstande zum anderen leiten können«.324 Doch trotz dieser klaren Zielrichtung verknüpft Kant hier nur allzu offensichtlich mehrere und sehr verschiedenartige Komponenten seiner Theorie der Erfahrung allerdings so miteinander, daß die innere Form dieses Arguments nicht wirklich durchsichtig ist. Eine kurz, aber wiederum paradigmatische Kasuistik Kants verweist darauf, daß die mögliche Erfahrung der Wechselwirkung nur im Medium von 322 Longueness, Judgement, macht scharfsinnig darauf aufmerksam, daß Guyer, Knowledge, »misses this point … by his general insistence, in the case of the Third Analogy as previously in those of the first and the second, that Kant’s argument is an epistemological argument on how we confirm our beliefs about objective temporal relations, instead of – as it is really meant to be – a transcendental argument on the conditions of our experience of objective temporal determinations and thus of the constitution of the phaenomena themselves, as temporally determinate existents«, 390103; vgl. die entsprechenden irrigen Auffassungen Guyers S. 268–275. Dieser trefflichen Kritik schadet es daher auch nicht, wenn man festhält, daß Longueness hier unnötigerweise einen ausschließenden Gegensatz zwischen einem epistemologischen und einem transzendentalen Argument skizziert. Ihr eigener Hinweis, daß Guyer daran orientiert ist »on how we confirm our beliefs about objective temporal relations«, zeigt vielmehr, daß sein Fehler darin besteht, die Dritte Analogie mit einem empiristischen Bewährungskriterium zu verwechseln. Kants Erde-Mond-Kasuistik, vgl. B 257 f., mag solche Verwechslungen begünstigen. Im ganzen verwechselt Guyer implizit aber vor allem die von Kant formulierte kriteriologische Frage »Woran erkennt man aber: daß [Dinge] in derselben Zeit sind?«, A 211, B 258, Hervorhebungen R. E., mit der transzendental-logischen Leitfrage der Dritten Analogie, warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alle Substanzen, sofern sie paarweise zugleich sind, in durchgängiger Gemeinschaft bzw. Wechselwirkung untereinander sind. Doch es ist ein bedenkliches Zeichen für Guyers Mangel an hermeneutischer Umsicht, daß er sich so leicht zu einer so gravierenden Verwechslung des transzendentalen Prinzips der Wechselwirkung mit dem empirischen Kriterium der Gleichzeitigkeit verführen läßt. Im übrigen ist auch ein transzendentales Argument ein spezielles epistemologisches Argument, wenngleich ein nicht-empiristisches. 323 Der Plural verweist eindeutig darauf, daß der Sache nach Wahrnehmungen gemeint sind; vgl. hierzu A 110 und Erster Teil, bes. S. 48 f. 324 A 213, B 260, Hervorhebungen R. E.

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wahrnehmungsbasierten Erfahrungsurteilen über jeweils nur Ein Paar wechselwirkender Substanzen wirklich ist: »So kann ich meine Wahrnehmung zuerst am Monde, und nachher an der Erde, oder auch umgekehrt zuerst an der Erde und dann am Monde anstellen und darum, weil die Wahrnehmungen dieser beiden Gegenstände wechselseitig folgen können, sage ich, sie existieren zugleich«.325 Diese Fallerörterung gibt aus mehr als einem Grund unmißverständlich zu verstehen, daß sie buchstäblich nichts mit dem Inhalt eines Grundsatzes des Zugleichseins, nach dem Gesetze der Wechselwirkung, oder Gemeinschaft zu tun hat: 1.) ist buchstäblich mit keiner Silbe von einem der beiden spezifisch kausalen Faktoren – sei es von einer weil-Ursache oder sei es von einer deswegen-mußWirkung – die Rede; 2.) geht es ausschließlich um abwechselnde Wahrnehmungen, wie sie durch abwechselnde Aufmerksamkeiten auf räumlich getrennte Gegenstände gewonnen werden können, aber – wegen 1.) – nicht im mindesten um eine wirkliche, in einem wechselwirkungs-thematischen Erfahrungsurteil charakterisierte Erfahrung von Wechselwirkung. Hinzu kommt, daß in Kants paradigmatischen kausal-thematischen Erfahrungsurteilen ganz konform mit dem unreflektierten Gebrauch der Kausal-Kategorie in unserem nicht-wissenschaftlichen und wissenschaftlichen Alltag ebenfalls regelmäßig von räumlich verschiedenen Entitäten die Rede ist, die mit ihren Zustände bzw. Zustands­ änderungen als Träger der ursächlichen bzw. effektiven Kausalität thematisiert werden. Da Kant aber eine entsprechende räumliche Bedingung im Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität nicht berücksichtigt, spricht alles dafür, daß er sich bei der Formulierung des Grundsatzes des Zugleichseins, nach dem Gesetze der Wechselwirkung, oder Gemeinschaft irrtümlich von einer subtilen Fehlorientierung am empirischen Kriterium der Gleichzeitigkeit und deswegen an einer räumlichen Bedingung hat in Anspruch nehmen lassen. Umso mehr fällt auf, daß sogar innerhalb der Ausführungen zu diesem Kriterium die Erde-Mond-Erde-Beziehung gerade nicht unter kausalitäts­ theoretischen Aspekten ihrer Wechselwirkung berücksichtigt wird. Sie wird ausschließlich unter Aspekten der temporalen Beziehungen von Wahrnehmungen an dem einen und dem anderen dieser beiden Beobachtungsobjekte erörtert. Diese Ausblendung der kausal-theoretischen Aspekte ist umso verwunderlicher als Kant, wie seine Schrift von 1755 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels326 und insbesondere im Zweiten Teil dasVierte Hauptstück, Von dem Ursprunge der Monde, und den Bewegungen der Planeten327 zeigt, die Mittel zur Verfügung standen, die Erde-Mond-Erde-Beziehung auch unter den kausalitätstheoretischen Aspekten ihrer Wechselwirkung zu erörtern. Zwar kommt er auch in der Schrift von 1755 nicht auf die von Newton im Anhang der Philosophiae 325 B 257. 326 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, I, 215–368. 327 283–290.

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Naturalis Principia Mathematica erprobte Erklärung von Ebbe und Flut aus den Gravitationseffekten der Mondbewegung328 zu sprechen  – obwohl man ohne weiteres unterstellen kann, daß sie ihm vertraut war. Umso klarer fällt mit Blick auf die umgekehrte Gravitationsbeziehung der Erde zum Mond seine generelle kausaltheoretische Erklärungshypothese auf, »welches die Umstände seien, unter welchen ein Planet Trabanten bekommen könne. Die Anziehungskraft desselben muß groß, und folglich die Wirkungssphäre weit ausgedehnt sein, damit sowohl die Theilchen, durch einen hohen Fall zum Planeten bewegt, ohnerachtet dessen, was der Widerstand aufhebet, dennoch hinlängliche Geschwindigkeit zum freien Umschwunge erlangen können, als auch genugsamer Stoff zu Bildung der Monde, in diesem Bezirk vorhanden sein, welches bei einer geringen Attraction nicht geschehen kann«.329 Es kommt im Zusammenhang mit der Dritten Analogie und dem empirischen Kriterium der Wechselwirkung nicht darauf an, Einzelheiten der sachlichen Angemessenheit dieser Erklärungshypothese abzuwägen. Es reicht aus, Newtons gravitationstheoretische und damit kausale Erklärung von Ebbe und Flut aus der Mondbewegung und Kants gravitationstheoretische und damit ebenfalls kausale Erklärung der Entstehung des Mondes – und damit auch die seiner Bahnbewegung – aus der Masse der Erde und ihrer Bahnbewegung zusammenzunehmen. Denn es kommt in diesem Zusammenhang nur darauf an, auf Kants naturwissenschaftlichem Informationsniveau einen klaren Fall von genuiner kausaler Wechselwirkung mit dem von ihm eingeführten empirischen Kriterium der Gleichzeitigkeit zu verbinden.330 Es ist angesichts dieser inneren Verspannung von Kants Behandlung der Dritten Analogie umso wichtiger, die Momente klarer zu berücksichtigen, die in Strenge darauf zurückzuführen sind, daß »die drei Analogien der Erfahrung … […] nichts anderes [sind], als Grundsätze der Bestimmung des Daseins der Erscheinungen in der Zeit …«.331 Es ist unübersehbar, daß eine räumliche Bedingung im Rahmen dieser zentralen systematischen Charakterisierung auch der Dritten Analogie fehlt. Doch es ist ebenso unübersehbar, daß die Fortsetzung dieser zusammenfassenden Erläuterung die Bedingung berücksichtigt, die den irrigen Pfad zur Beachtung der räumlichen Bedingung begünstigt hat. Denn die Zeit soll durch die drei Analogien »nach allen drei modis derselben, dem 328 Vgl. Mathematische Prinzipien der Naturlehre (lat. 16891), Mit Bemerkungen und Erläuterungen. Herausgegeben von J. Ph. Wolfers (18711), Darmstadt 1963, bes. Drittes Buch. Abschn. III. Von der Grösse der Meeres-Fluth. 329 I, 285. 330 Daß Kant gerade diesen kausaltheoretischen Aspekt vermissen läßt, kann vielleicht auch darauf zurückgeführt werden, daß er sich die Komplikationen schenken wollte, die die doppelte Kausalitässtruktur der Wechselwirkung mit sich bringt. Er könnte sich durch die entsprechenden vorangegangenen Erörterungen der Ersten und der Zweiten Analogie ganz einfach entlastet gefunden haben und dem Leser den Rückgriff auf diese spezifisch kausaltheoretischen Erörterungen stillschweigend zugetraut und zugemutet haben. 331 A 215, B 262.

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Verhältnisse zu der Zeit selbst, als einer Größe (die Größe des Daseins, d. i. der Dauer), zu dem Verhältnisse in der Zeit, als einer Reihe (nacheinander), endlich auch in ihr, als einem Inbegriff alles Daseins (zugleich)«.332 Ausschlaggebend ist, daß Kant es hier einerseits planmäßig mit dem Gesetz der Wechselwirkung, also mit einer besonderen, symmetrischen Form von Kausalität hat. Die strenge Behandlung dieser besonderen kausalen Struktur kann jedoch davon profitieren zu zeigen, inwiefern die Symmetrie dieser Form von Kausalität ausschließlich mit den Mitteln geklärt werden kann, die sich im Rahmen der Zweiten Analogie bei der Erörterung der normalen, asymmetrischen Form der Kausalität schon bewährt haben. Es zeigt sich dann, daß es sich bei der Wechselwirkung um ein symmetrisches temporales, gleichzeitiges Verhältnis von zwei Fällen dieser normalen, asymmetrischen Form der Kausalität handelt, so daß es sich bei jedem dieser beiden Fälle um einen Fall der Sukzession, des Nacheinander handelt: Jeder Zustand einer materiellen Entität  a steht in ursächlicher Beziehung zu einer ebenso bestimmten effektiven Zustandsänderung einer anderen materiellen Entiät b, während jeder Zustand der Entität b in ursächlicher Beziehung zu einer effektiven Zustandsänderung der Entität a steht. Nimmt man die so wichtige kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, deswegen muß … zu Hilfe, um diese Struktur zu erfassen, dann ergibt sich für die Wechselwirkung leicht eine entsprechende urteilsförmige Strukur: Während es deswegen der Fall sein muß, daß-qb, weil es der Fall ist, daß-pa , muß es deswegen der Fall sein, daß-pa , weil es der Fall ist, daß-qb.

20.2. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn in allen Empfindungen das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad hat Die vorzügliche Stellung und Funktion, die die drei Analogien im radikalen Unterschied zu den anderen Grundsätzen innehaben, wird unmißverständlich auch dadurch in einzigartiger Weise hervorgehoben, daß nur ihren Formulierungen, Beweisen und Erörterungen nicht nur »Das Prinzip derselben«333 vorgeschaltet wird. Ihr so apostrophiertes Prinzip wird auch ausschließlich mit Blick auf sie mit einer »Erfahrung ist nur durch … möglich«334 -Phrase verbunden. Nichts kann deutlicher als diese Auszeichnungen zu verstehen geben, daß zwar auch alle anderen Grundsätze notwendige Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände formulieren. Doch ihre Berücksichtigung steht auch lediglich – aber natürlich auch immerhin – im Dienst der Berücksichtigung 332 A 215, B 262. 333 B 218. 334 Ebd.

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jener emphatischen notwendigen Bedingungen dieser Möglichkeiten, die durch die drei Analogien formuliert werden. Formulieren die Analogien daher im uneingeschränkten Sinne notwendige Bedingungen dieser Möglichkeiten, so formulieren die anderen Grundsätze im funktionalen Sinne notwendige HilfsBedingungen dieser Möglichkeiten. Nimmt man die schematischen Kürzel zu Hilfe, die in den aktuellen Kausalitäts-Analysen eingeführt worden sind, dann formulieren die anderen Grundsätze INUN-Bedingungen  – Insuffcient, but Necessary parts of Unsufficient, but Necessary conditions.335 Doch dieser Rang- und Rollenunterschied zwischen den Grundsätzen ist schon durch den entspechenden Rang- und Rollenunterschied vorgeprägt, den Kant mit Blick auf die Kategorien ins Auge faßt, wenn er betont, daß »Die categorie des Verhältnisses … […] die Vornehmste unter allen [ist]«.336 Die damit implizit zu verstehen gegebene funktionale Unterordnung insbesondere der »Kategorien der Qualität …: Realität, Einschränkung, völlige Negation« unter die der Relation zeigt sich im selben Atemzug dadurch, daß »die der Relation … die letzteren bei sich führen«.337 Indessen braucht die Unscheinbarkeit der Rede davon, daß die Kategorien der Relation die der Qualität ›bei sich führen‹, nicht darüber hinwegzutäuschen, daß damit nicht nur die funktionalen Rangund Rollenunterschiede zwischen diesen Kategorien als solchen charakterisiert sind. Darüber hinaus ist dieser Unterschied dadurch auch mit Blick auf die beiden wichtigsten Gebrauchsformen der Kategorien berücksichtigt – sowohl mit Blick auf ihren empirischen wie ihren reinen Gebrauch und damit insbesondere auch mit Blick auf die Grundsätze des reinen Verstandes. Denn in ihnen macht das synthetisch apriori urteilende Subjekt der transzendentalen Reflexion und Analyse von den Kategorien einen reinen Gebrauch.338 Die untergeordneten, wenngleich notwendigen Hilfsfunktionen aller von den drei Analogien verschiedenen Grundsätze steht diesen gewiß nicht gleichsam auf die Stirn geschrieben. Sie fallen gleichwohl unmittelbar in die Augen, wenn man nicht auf den synthetisch-apriorischen Status fixiert bleibt, den unterschiedslos alle Grundsätze innehaben. Denn durch diesen Status bleiben diese Grundsätze an sich gegen ihre wichtigsten logischen und gnoseologischen Funktionen abgeschirmt. Doch eine solche Fixierung geht nicht nur an der Funktion dieser Grundsätze vorbei, »die Gründe anderer Urteile zu enthalten«.339 Sie geht auch 335 Vgl. hierzu die von Mackie, Cement, und ders., Causes, eingeführten INUS-Bedingungen – Insufficient, but Necessary parts of Unnessecary, but Sufficient conditions. 336 R 5854; vgl. hierzu ausführlich oben S. 153–156. 337 IV, 325*, Hervorhebung R. E.; mit Blick darauf, daß die Kategorien der Relation auch die der »… Modalität … bei sich führen«, ebd., vgl. unten S. 371 f. 338 Daß die Tragweite dieser Status- und Funktionsunterschiede auch die Formen des empirischen Gebrauchs der Kategorien prägt, darf hier vorläufig unerörtert bleiben; vgl. hierzu unten S. 353 ff. 339 A 148, B 188.

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an der Funktion vorbei, die Kant selbst gerade im Rahmen der drei Analogien mit Blick auf diese ›anderen Urteile‹ berücksichtigt  – an ihrer Funktion, die Formen der jeweils entsprechenden Erfahrungsurteile zu antizipieren.340 Und sie gehen schließlich auch an den drei empirischen Kriterien vorbei, die Kant zweimal ausdrücklich und einmal stillschweigend innerhalb der Analogien mit Blick auf die Substantialität, die Kausalität bzw. die Wechselwirkung erörtert, um eben diese antizipierten Formen mit Hilfe geeigneter Paradigmen solcher Erfahrungsurteile exemplarisch zu klären. Es ist daher gerade der empirische, wahrnehmungsbasierte, also aposteriorische Charakter der Erfahrungsurteile, gegen den die Fixierung auf den synthetisch-apriorischen Charakter der Grundsätze abschirmt, der aber auch in die Irre führen kann. Denn die Wahrheit dieser synthetischen Urteile apriori ist – nach dem trefflichen Wort von Klaus Reich – eine relative Wahrheit (siehe oben S. 257 f.), relativ nämlich auf die ›ins Unend­ liche gehenden‹ empirie-spezifischen Wahrnehmungen. Denn nur diese können auf dem Weg über die Bildung von Wahrnehmungsurteilen schließlich mit Hilfe des empirischen Gebrauchs von geeigneten Kategorien immer wieder von neuem in neue Erfahrungsurteile transformiert werden. Doch gerade deren kategoriale Formen sind es, die wiederum durch die synthetischen Urteile apriori, vor allem durch die Analogien antizipiert werden. Es ist also gerade diese ganz bestimmte und ganz spezielle antizipatorische Funktion vor allem der Analogien, für die die Fixerung auf den synthetischen und apriorischen Status aller dieser Grundsätze ein Blindheitsrisiko bildet. Indessen bereiten die Antizipationen der Wahrnehmung Schwierigkeiten, wenn man die spezifischen Formen der Erfahrungsurteile zu klären sucht, die durch sie antizipiert werden können. Eine dieser Schwierigkeiten ist darauf zurückzuführen, daß »es befremdlich scheint, der Erfahrung in demjenigen vorzugreifen, was gerade die Materie derselben angeht, die man nur aus ihr schöpfen kann. Und so verhält es sich hier tatsächlich«341 – man kann also der Erfahrung in diesem Punkt und trotz der Paradoxie eines solchen Vorgriffs ›tatsächlich‹ vorgreifen. Doch ausschlaggebend für den hier in Aussicht gestellten Vorgriff ist selbstverständlich die Methoden-Frage, wie ein solcher Vorgriff in nachvollziehbarer Weise gelingen kann. Abgesehen von der Paradoxie, die eine solche Ankündigung provoziert, ist an der Beantwortung der Methoden-Frage eine Schwierigkeit beteiligt, die auf eine spezifische Eigenart der Urteilsfunktionen zurückgeführt werden kann, die Kant mit den Qualitätsfunktionen der Urteilstafel einführt und erörtert. Denn diese qualitativen Urteilsfunktionen – also die positive, die negative und die ›unendliche‹ – legen gar nicht in demselben 340 Zu dieser antizipatorischen Funktion aller Grundsätze und insbesondere der Analogien vgl. oben S. 260–263, 310 f.; zu der spezifischen Funktion der Antizipationen, die Formen der jeweils entsprechenden Erfahrungsurteile zu antizipieren, vgl. unten S. 362–363, 369–371. 341 A 167, B 209.

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Sinne wie die relationalen Urteilsfunktionen drei syntaktisch wohlbestimmte, intern gegliederte logische Formen von Urteilen fest, die ›an und für sich‹ von den Antizipationen so antizipiert werden könnten wie die Formen der Erfahrungsurteile durch die Analogien der Erfahrung antizipiert werden können. Im Unterschied zu solchen Formen legen sie lediglich funktionale Momente – nämlich wahrnehmungsspezifische Momente – fest, die ausschließlich in Verbindung mit jeweils einer der drei syntaktisch wohlbestimmten, intern gegliederten logischen Formen von Erfahrungsurteilen gebraucht werden können. Schon mit Blick auf sie gilt daher, was Kant zunächst nur mit Blick auf die Beziehungen zwischen den Kategorien der Relation und denen der Qualitäts zu verstehen gibt: Die logischen Qualitätsfunktionen können von den relational geformten Urteilen – und nur von ihnen – stets nur ›bei sich geführt‹ werden; sie legen aber nicht von sich aus irgendwelche um ihrer selbst willen syntaktisch repräsentierbare Formen von Urteilen fest. Sie bilden in formallogischer Hinsicht stets nur funktionale ›Anhängsel‹ dieser drei relationalen Urteilsformen. Das ist in der gesamten Geschichte der Logik von Aristoteles bis in die Gegenwart – sofern man diese drei logischen Funktionen überhaupt systematisch unterscheidet  – durchweg nicht anders.342 Sucht man unter diesen Voraussetzungen den Kohärenzen von Teilen von Kants Theorie gerecht zu werden, die buchtechnisch vergleichsweise weit voneinander entfernt mitgeteilt werden, dann zeigen diese spezifisch formallogischen Zusammenhänge alsbald eine sachliche Tragweite, die bis in die Formen und Funktionen der entsprechenden Grundsätze des reinen Verstandes reicht: Die Antizipationen können im Gegensatz zu den Analogien Formen von Erfahrungsurteilen alleine schon deswegen nicht antizipieren, weil sie durch ihre urteilsfunktionale Vorprägung darauf festgelegt sind, lediglich wahrnehmungsspezifische funktionale Momente innerhalb der syntaktisch wohlgegliederten Formen von Erfahrungsurteilen zu bestimmen, die durch die eine oder andere Relations-Kategorie geprägt sind. Stellt man die antizipatorische Schlüsselfunktion der Analogien gebührend ebenso in Rechnung wie die urteils-funktional vorgeprägte Hilfsfunktion der Antizipationen, dann fällt es nicht mehr allzu schwer, nicht nur dieser Hilfs­ funktion, sondern sogar der Apriorität der Antizipationen der Wahrnehmung gerecht zu werden. Denn bei dem so apostrophierten ›Vorgriff auf dasjenige der Erfahrung, was gerade die Materie derselben angeht, die man nur aus ihr schöpfen kann‹, handelt es sich gerade um dasjenige, was man nur apriori mit Hilfe von transzendental-logischen Mitteln tun kann. Um diesen Vorgriff-apriori jedoch 342 Für die moderne Logik hat mit Blick auf die ›unendliche‹ Urteilsfunktion, also die Funktion der Prädikat-Negation vor allem Ulrich Blau, Die dreiwertige Logik der Sprache, Berlin / New York 1978, eine aufschlußreiche Analyse der von ihm so apostrophierten lokalen Negation aufgezeigt, vgl. vor allem S. 80–82.

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in nachvollziehbarer Weise durchschauen zu können, ist gerade die Berücksichtigung der urteilsfunktional vorgeprägten Qualitäts-Kategorien unerläßlich. Zu diesem Zweck ist im Beweis der Antizipationen lediglich eine gleichsam hybride formale Bedingung zu revidieren, deren Darstellung durch Kant einer solchen Revision jedoch eine nützliche Orientierung bietet. Es geht um das Argument, das mit Blick auf die für das empirische Bewußtsein charakteristischen Wahrnehmungen bzw. Empfindungen »eine stufenartige Veränderung«343 ins Auge faßt. Diese Veränderung kann in der einen Richtung die extreme Stufe erreichen, »da das Reale desselben [also des empirischen Bewußtseins einer Empfindung, R. E.] ganz schwindet«.344 Doch ungeachtet dieser extremen Stufe »hat … jede Empfindung, mithin auch jede Realität in der Erscheinung, so klein sie auch sein mag, d. h. eine intensive Größe, die noch immer vermindert werden kann, und zwischen Realität und Negation ist ein kontuierlicher Zusammenhang möglicher Realitäten, und möglicher kleinerer Wahrnehmungen«.345 Die extreme Schwundstufe kann zumindest in einer vorläufigen, aber auch hybriden Form mit Hilfe einer Kombination aus quasi-arithmetischer bzw. quasi-skalarer und quasi-logischer Hilfssymbolik »nichts = 0«346 dargestellt werden. Doch ebenso kann in dieser hybriden Form das andere Extrem der Realitäten bzw. Empfindungen dargestellt werden, z. B. durch Realität = 1. Der zahlenförmige Teil dieser Symbolik deutet unmißverständlich an, daß Kant eine kontinuierliche Skalierung für die »intensive[n] Größe[n]«347 der Empfindungen ins Auge 343 B 208. 344 Ebd. 345 A 169, B 211. – Paton, Experience II, erwägt sorgfältig die Alternativen, »(1) that sensation is our sensing and the real is the sensum; (2) that sensation is the sensum concidered as a modification of the mind, while the real is the quality of the object revealed or given in the sensum; and (3) that sensation is the sensum considered as revealing a quality of the object while the real is the moving forces (bewegende Kräfte)  of repulsion and attraction«, S. 137. Doch (3) kommt nicht in Frage, weil es, wie Paton selbst argumentiert, eine Angelegenheit einer physikalischen Erklärung einer rein kognitiven Struktur von außen in die funktionale Analyse dieser rein kognitiven Struktur trägt, vgl. S. 138; (1) ist zu einfach, wenngleich nicht, wie Paton zu bedenken gibt, »unimportant and may be neglected«, ebd.; denn (2) bildet eine sorgfältige Differenzierung und Erweiterung von (1) und wird von Paton akzeptiert, vgl. S. 138; diese Alternative hinterläßt jedoch durch die Rede vom Realen als ›the quality of the object revealed or given in the sensum‹ die Zweideutigkeit, als wenn es sich bei dieser Realität um eine ›quality of the object‹ in dem Sinne handeln würde, daß ein solches Objekt auf diese Weise in einem objektiven Sinne enthüllt, offenbart oder aufgedeckt (revealed) würde, während es doch ausdrücklich in the sensum bleibt; die Realität eines solchen Objekts ist daher definitiv, wie es sich in einem strikt wahrnehmungs- bzw. empfindungs-spezifischen Rahmen eigentlich auch von selbst versteht, eine strikt subjektive Realität. Zur Frage, wie es bei Paton zu dieser Zweideutigkeit kommen kann und wie sie aufgelöst werden kann, vgl. unten S. 355, Anm. 348. 346 B 208. 347 Ebd., Kants Hervorhebungen.

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faßt,348 so daß jeder beliebigen Empfindung »ein Grad des Einflusses auf den Sinn, beigelegt werden muß«.349 Dennoch hinterläßt die hybride Darstellung dieser Struktur gerade in trans­ zendental-logischer Hinsicht eine wichtige sachliche und methodische Unbestimmtheit. Denn es liegt auf der Hand, daß diese Darstellung und die durch sie implizierte Methode einer kontinuierlichen Skalierung des empirischen Bewußtseins der Empfindungen auch ausschließlich auf empirische Methoden des Umgangs mit Empfindungen zugeschnitten ist. Kant formuliert insofern mitten im Beweis eines synthetischen Urteils apriori stillschweigend ein empirisches Kriterium für eine metrische Bestimmung der Intensitätsgrade von Empfindungen. Dennoch ist dies weder ein sachlicher noch ein methodischer Fehler. Denn damit wird – ebenso wie im Rahmen der drei Analogien auch die entsprechenden drei empirischen Kriterien für die in diesem Rahmen behandelten Strukturen formuliert und erörtert werden – ein entsprechendes Kriterium auch im Rahmen der Antizipationen der Wahrnehmung formuliert und erörtert. In allen diesen Fällen wird damit Sorge lediglich dafür getragen, daß der Anspruch auf trans­ zendentale Wahrheit, der mit jedem dieser Grundsätze erhoben wird, ›relativ auf den kontinuierlichen Fortschritt der Erfahrung, relativ auf den erweiterten Prozeß der Erfahrung‹ (Reich) bezogen bleibt.350 348 Zu dieser Kontinuität der intensiven Größen vgl. auch die Erläuterung, daß »alle Realität in der Wahrnehmung einen Grad hat, zwischen dem und der Negation eine unendliche Stufenfolge immer minderer Grade stattfindet«, A 172, B 214. – Paton, Experience II, ist der Auffassung, daß Kants Ziel ausschließlich darin bestehe zu zeigen, »that there is a possibility of measuring such a degree … and that such measurements can be expressed in numbers«, S. 147. Doch gleichzeitig vermißt er »A fuller account of the intuitive certainty claimed for the proof of this Principle«, so daß »a more elaborate treatment of the details … would have been welcome«, ebd. Welche Details dies sind, bleibt ebenso unbestimmt wie nicht gefragt wird, ob die intuitive certainty claimed for the proof of this Principle jedenfalls in Patons Augen vielleicht nur für das stillschweigend eingeführte empirische Kriterium der Meßbarkeit eingelöst ist, aber nicht für die Apriorität des Prinzips selbst. 349 B 208; mit dieser Einfluß-Bedingung aus Kants Konzeption des subjektiven Realismus hat die dazu inverse stimulus-Komponente der stimulus-reference eine Ähnlichkeit, die Willard V. O. Quine, Word and Object (11960), Cambridge, Mass. 1973, in diesem Buch zuerst systematisch berücksichtigt und danach immer wieder von neuem in Details verfeinert hat. Anders als Kant hat Quine der reference-Komponente der von ihm konzipierten stimulus-reference allerdings zugetraut, einen objektiven (Referenz-)Realismus zu gewährleisten. Einen objektiven Realismus sieht Kant im Unterschied dazu erst durch eine ganz andersartige Bedingung gewährleistet – durch den empirischen, die subjek­ tiven stimulus-reference-Faktoren radikal transformierenden urteilsförmigen Gebrauch der Substanz-, der Kausalitäts- und der Wechselwirkungs-Kategorie. Doch ganz ungeachtet solcher zwar tiefgreifenden Unterschiede sind beide Realismus-Konzeptionen dank ihrer methodisch streng erarbeiteten inneren Komplexität und Kohärenz jedem flott gestrickten modischen Neuen Realismus der Gegenwart in uneinholbarer Form voraus; vgl. hierzu schon Erster Teil, S. 3480. 350 Vgl. oben S. 254–255.

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Doch dieser kontinuierliche Fortschritt ist nun einmal ausschließlich und strikt an das ›fruchtbare Bathos der Erfahrung‹ gebunden. Dessen Fruchtbarkeit hängt indessen ausschließlich davon ab, daß die ›ins Unendliche erstreckte‹ Mannigfaltigkeit der den Menschen widerfahrenden Wahrnehmungen351 immer wieder von neuem Gelegenheiten bietet, mit Hilfe von neuartigen Wahrnehmungen den empirischen, also den wahrnehmungsgestützten Gebrauch von Kategorien in neuen Erfahrungsurteilen zu erproben und zu bewähren. Es ist jedoch gerade diese Schlüsselrolle der Wahrnehmungen für die Fruchtbarkeit der Erfahrung in Gestalt von immer wieder neuen Erfahrungsurteilen, der im letzten konstruktiven Hauptstück der Ersten Kritik alleine schon durch den nominellen Titel der Antizipationen der Wahrnehmungen eine geradezu sichtbare Auszeichnung verliehen wird: Es ist die konstitutive Rolle, die die faktischen Wahrnehmungen zugunsten der Fruchtbarkeit der Erfahrung in Form von immer weder von neuem möglichen neuen Erfahrungsurteilen spielen, der die Antizipationen der Wahrnehmungen mit apriori-synthetischen Mitteln Rechnung tragen. Dennoch kann ihre buchtechnische Vorrangstellung vor den Analogien nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihnen mit Blick auf die Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände gleichwohl eine lediglich dienende, subsidiäre Rolle zukommt. Auch Kants Entscheidung, die Reihenfolge der Grundsätze nach dem Kriterium abnehmender Gewißheitsgrade anzuordnen, ändert daran nichts. Denn die urteilsfunktional vorgeprägten Qualitäts-Kategorien, von denen in den Antizipationen ein reiner Gebrauch gemacht wird, werden von den RelationsKategorien lediglich ›bei sich geführt‹.352 Im Rahmen des urteilsförmigen, also sowohl des reinen wie des empirischen Gebrauchs der Kategorien in Urteilen bilden die Qualitäts-Kategorien daher genauso lediglich funktionale Momente innerhalb der reinen, synthetischen Urteile apriori wie innerhalb der syntaktisch wohlgegliederten Formen von Erfahrungsurteilen, die durch die eine oder andere empirische gebrauchte Relations-Kategorie geprägt sind. Doch sowohl der Beweis wie die Erörterungen der Antizipationen argumentieren in Formen, die mit ihren Rück- bzw. Vorgriffen auf skalierbare Unterschiede zwischen den subjektiven Realitäten von Empfindungen vorwiegend einer empiristischen, aber weniger einer transzendental-logischen Orientierung folgen. Indessen kommt es gerade deswegen darauf an, die Aspekte konzentriert zu berücksichtigen, von denen eine spezifisch transzendental-logische Fragestellung der Antizipationen geleitet ist. Obwohl diese Aspekte in Kants Darstellung unterbelichtet bleiben, ist der Leitfaden, den hierfür die Quantitäts-Kategorien und deren Schemata abgeben, selbstverständlch ausschlaggebend. Es kommt daher darauf an, die Rollen zu klären, die die durch die urteils-funktionalen Qualitäten – Bejahend, Verneinend, Unendlich – vorgeprägten Qualitäts-Kate­ 351 Vgl. XXI, 95, sowie Erster Teil, 2. Ab., bes. S. 48–51. 352 Vgl. hierzu IV, 325*.

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gorien  – Realität, Negation, Limitation  – zugunsten und innerhalb der Antizipationen spielen. Nur so kann innerhalb der Argumentation zugunsten der Apriorität der Antizipationen die empiristische Irreführung vermieden werden, die mit einer skalaren 0- bzw. 1-Symbolik verbunden ist. Denn nur auf diese Weise kann auch klargestellt werden, daß diese Symbolik einen wesentlich Teil eines empirischen Kriteriums bildet. Umso wichtiger ist es zu berücksichtigen, daß Kants Vorarbeit für das System der Grundsätze des reinen Verstandes bereits ein genuin transzendental-logisches Mittel bereithält, das man stattdessen und geradezu auf der Linie seiner programmatischen Intentionen fruchtbar machen kann. Denn die Formel ›nichts = 0‹ bedeutet in diesem thematischen Zusammenhang im negations-logischen Sinne nichts anderes als ›nichts an Empfindung‹, also einen gänzlichen Mangel an Empfindung bzw. subjektiver Realität; entspechend bedeutet die Formel Realität = 1 im positiven Sinne die Präsenz einer Empfindung bzw. subjektiven Realität. Die arithmetische Symbolisierung einer subjektiven Realität bzw. ihrer Präsenz in Form einer Empfindung durch die Eins ist ebenso eine Angelegenheit eines konventionellen aus der Empirie stammenden Kunstgriffs wie die entsprechende Symbolisierung durch die Null. Auch dieser Gedanke bildet zwar das Resultat einer formalen Reflexion auf den empirischen Typ der Unterschiede zwischen Wahrnehmungen bzw. Empfindungen. Er bildet daher in seiner Verbindung aus Empirie und der formalen Reflexion auf sie den ausschlaggebenden Teil des empirischen Kriteriums der Antizipationen. Es ist dann nur noch eine Angelegenheit eines elementaren arithmetischen Kunstgriffs, die Erinnerungen an die Erlebnisse unterschiedlich starker Empfindungen bzw. empfindungs-begleiteter Wahrnehmungen zum Anlaß für eine Charakterisierung der gradweisen, aber kontinuierlichen Unterschiede durch die von 1 bis 0 konstruierbaren rationalen Zahlen zu nutzen. Doch klarerweise trägt ein solches empirisches Kriterium nicht zur Begründung eines Prinzips im Status eines synthetischen Urteils apriori bei. Wohl aber sichert es, wie vor allem Paton zu Recht hervorhebt, mit formalen – teilweise elementaren mathematischen Mitteln – die Möglichkeit der Messung von Empfindungen.353 Keine Angelegenheit eines konventionellen Kunstgriffs bildet dagegen der Gedanke, daß die Wahrnehmungen bzw. Empfindungen eine für sie charakteristische »stufenartige Veränderung«354 durchmachen können. Diese Veränderungen werden mit Blick auf skalare Unterschiede »von ihrem Anfange, der reinen Anschauung = 0, an, bis zu einer beliebigen Größe derselben«355 ins Auge 353 Vgl. oben S. 355, Anm. 348. – Zu dem gravierenden systematischen Kohärenzproblem, das mit Kants empiristischer Konzentration auf die skalaren Intensitätsunterschiede zwischen Empfindungen bzw. Wahrnehmungen verbunden ist, vgl. unten S. 368–372. 354 B 208. 355 Ebd., Hervorhebung R. E.

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gefaßt, also als kontinuierlich charakterisiert. Doch gerade eine solche stufenartige Form der Veränderung läßt eine nicht-skalare und nicht-kontinuierliche Form von echten Stufen der Veränderung ins Auge fassen. Eine strikt komparative Form eines dreistufigen intensiven Unterschieds zwischen Empfindungen paßt sogar gerade im Gegensatz zu der skalaren empiristischen Konzeption von Kants Text unmittelbar zur transzendental-logischen Vorarbeit. Mit Blick auf einen solchen Unterschied ist unter formal-logischen und trans­ zendental-logischen Voraussetzungen insbesondere die negations-logische Stufe eines gänzlichen Mangels an Empfindung bedeutsam. Denn im Rahmen der entsprechend differenzierten Vorarbeit durch die Formale Logik der Urteilsfunktionen und die Transzendentale Logik der Kategorien bildet sie den ausgezeichneten Kandidaten für ein Urteil, das den Bezug auf ein Objekt x auch mit einem negativen Prädikat … nicht-F1 verbinden kann, also für ein von Kant so apostrophiertes unendliches Urteil356 der Form x ist nicht-F1. Solche Urteile mit negativen Prädikaten »müssen in einer transzendentalen Logik … noch unterschieden werden«.357 Denn im Gegensatz zur Formalen Logik betrachtet diese »das Urteil auch nach dem Werte oder Inhalt dieser logischen Bejahung vermittelst eines bloß verneinenden Prädikats, und was diese in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn verschafft«.358 Repräsentiert man ein entsprechendes Urteil vorläufig in der Form x ist nicht-F1, dann bringt es mit einem rein formal- bzw. transzendental-logischen Mittel – also gerade ohne das skalare empiristische Hilfsmittel der Null – einerseits zum Ausdruck, daß das urteilende Subjekt mit Blick auf das beurteilte (individuelle) Objekt x mit einer totalen F-spezifischen Schwundstufe seiner Empfindungen zu tun hat. Auf dieser Schwundstufe ist es mit Blick auf den spezifischen Inhalt des negativen Prädi-

356 Vgl. A 70, B 95; deswegen kann Kant die skalare Charakterisierung ›nichts = 0‹ ohne weiteres auch schon im Schematismus-Teil ausdrücklich durch »Nichts (= 0 = negatio)«, A 143, B 182, ersetzen und zu verstehen geben, daß jedenfalls die skalare Charakterisierung des extremen Falls ›nichts = 0‹ durch eine spezifische negationslogische Charakterisierung zumindest ergänzt werden können muß. Das wird auch durch die Überlegung zu verstehen gegeben, daß »Negation […] Nichts [ist], nämlich, ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kälte (nihil privativum)«, A 291, B 347, Kants Hervorhebung. 357 A 71, B 97–A 72. 358 A 72, B 97. Den Aspekt des Gewinns, den die Transzendentale Logik berücksichtigt, verbindet Kant gelegentlich in aufschlußreicher Weise mit einer klärenden Bemerkung zum so apostrophierten unendlichen Charakter der Urteile mit negativem Prädikat. Den Ausgangspunkt bildet die Erinnerung daran, daß »Z. B. das Merkmal des Steines […] die Härte [ist]. Nun kann ich immer fortgehen bis ins Unendliche, und sagen: ein Stein ist nicht Metall, nicht Holz etc. Sag ich dadurch aber etwas Neues?«, XXIV.1,2, 931. Ein Urteil mit einem einzigen von unendlich vielen negativen Prädikaten wie … nichtF1 bildet insofern in heuristischer Hinsicht den formalen Vorläufer des Neuen, dessen Entdeckung durch ein Urteil der Form x ist Fn≠1 repräsentiert wird.

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kats … ist nicht-F1 also in einer gänzlichen kognitiven Verlegenheit befangen. Denn die Empfindung, die es in anderen Fällen regelmäßig und mit Erfolg mit dem positiven F-spezifischen Inhalt des Prädikats … F1 verbindet, läßt es hier im Stich und kann deswegen auch nicht zu einer F-spezifischen Erkenntnis eines Objekts x beitragen. Eine solche Erkenntnis kann ihm jedoch in noch unbestimmt vielen anderen Fällen durch wahre Urteile der Form x ist Fn≠1 verbürgt werden. Im selben Atemzug bringt das urteilende Subjekt daher durch die positive propositionale Form des Urteils mit negativem Prädikat die Aussicht auf die Einsicht in das zum Ausdruck, was diese Form ›in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn verschafft‹. Denn es bringt dadurch – und nur dadurch  – in formal-antizipatorischer Weise zum Ausdruck, daß es möglich ist, sich mit berechtigter Aussicht auf Erfolg – also auf eine Entdeckung – um eine positive begriffliche Bestimmung von etwas ›Realem in der Empfindung‹ des komplementären positiven Prädikats … ist F1 des negativen KomplementärPrädikats … ist nicht-F1 zu bemühen. Solche Bemühungen zielen auf den ›Gewinn‹, den ein positives Urteil der Form x ist Fn≠1 mit Blick auf das ›gesamte Erkenntnis‹ durch eine urteils-logisch entsprechend strukturierte Entdeckung verschafft. Durch jedes entsprechend gewinnbringende Urteil der Form x ist Fn≠1, das durch solche Bemühungen gewonnen wird, wird ein Objekt x mit Hilfe eines positiven Prädikats bestimmt, das zur Familie der F-spezifischen, aber F1-komplementären Prädikate … ist Fn≠1 gehört. Somit wird – im Ausgang solcher Bemühungen von einem ›unendlichen‹ Urteil der Form x ist nicht-F1 – durch jedes beliebige Urteil der Form x ist Fn≠1 in Ansehung des gesamten Erkenntnisses’ ein neuer Gewinn erzielt. Die nicht-kontinuierliche und nicht-skalare, aber gleichwohl stufenförmige Veränderung der Intensität der Empfindungen fällt im Rahmen einer solchen sowohl formal-logischen wie transzendental-logischen und komparativen Behandlung vergleichsweise extrem einfach aus. Denn sie repräsentiert am Leitfaden der drei logischen Urteilsqualitäten und der drei Qualitäts-Kategorien ausschließlich das gänzliche Fehlen und die gänzliche Präsenz einer Empfindung sowie den Umstand, daß ein ganzer empfindungs-relevanter Sachverhalt in der Form nicht-(x ist F1) unbekannt ist. Der spezifisch transzendental-logische Aspekt wird durch die Urteilsform x ist Fn≠1 repräsentiert. Denn sie repräsentiert den ›Gewinn‹, den ein solches Urteil mit Blick auf das ›gesamte Erkenntnis‹ verschafft, sofern es im Ausgang von einem Urteil der Form x ist nicht-F1 durch Bemühungen gewonnen wird, den Ausfall und daher auch die Unbestimmtheit jeglicher Empfindung durch Bestimmung einer neuen F-spezifischen Empfindung zu überwinden. Allerdings hat Kant beim terminologischen Namen der Urteilsfunktion mit negativem Prädikat um der Einfachheit willen eine wichtige Teilfunktion vernachlässigt. Er holt sie in den Erläuterungen nach, indem er davon spricht, daß das jeweilige x durch das negative Prädikat …nicht-F1 »in den unbeschränkten

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Umfang«359 des Prädikats … Fn≠1 gesetzt wird. Da diese Dinge im Umfang eines solchen negativen Prädikats einer »unendlichen Menge«360 angehören, hat dieser Charakter dieser Urteilsform zu ihrem terminologischen Namen geführt. Doch ebenso wird durch die Versetzung eines Objekts x in den ›unbeschränkten‹ Umfang eines negativen Prädikats zu verstehen gegeben, daß der Gebrauch des komplementären positiven Prädikats mit Blick auf einige Objekte x beschränkt, also limitiert ist. Die Berücksichtigung dieser limitativen Funktion negativer Prädikate ist auch insofern nicht ganz unwichtig, als diese Funktion wiederum beim terminologischen Namen der entsprechenden dritten Qualitäts-Kategorie Pate gestanden hat.361 Im Rahmen der Antizipationen der Wahrnehmung kann der Rekurs auf die formale Repräsentation eines gänzlichen Mangels einer Empfindung durch das negative Prädikat eines ›unendlichen‹ Urteils allerdings eine Mißdeutung nahelegen. Es kann leicht so scheinen, als wenn eine durch ein (positives) Prädikat … ist F1 repräsentierbare Empfindung das einzige und einzigartige Medium auch für das ›Reale‹ x sei, das für ein urteilendes und erkenntnisbeflissenes Subjekt als Objekt einer möglichen Erkenntnis der Form x ist F1 in Frage kommt. Falls es so wäre, dann würde dem urteilenden Subjekt durch das entsprechende Urteil mit negativem Prädikat x ist nicht-F1 – also durch den gänzlichen Mangel an einer F-spezifischen Empfindung – auch jeglicher ›realer‹ Kandidat x für die Bezugnahme auf ein Objekt-überhaupt und damit auch auf ein Objekt einer möglichen Erkenntnis fehlen. Zwar gilt ganz allgemein, die Empfindungen »… enthalten also … die Materien zu irgendeinem Objekt überhaupt«,362 etwa »Eine jede Farbe, z. E. die rote«, aber ebenso »ist es mit der Wärme«.363 Doch diese allgemeine These berücksichtigt nicht die spezifische urteilsinterne Verteilung der logischen Rollen, in denen ›Materien zu irgendeinem Objekt überhaupt‹ anläßlich von Empfindungen nicht nur thematisiert werden können, sondern auch thematisiert werden können müssen, wenn sie Kandidaten für den Status von irgendwelchen Objekten-überhaupt sein sollen. Doch eben eine solche urteilsinterne Rollen­ verteilung ist im Rahmen von Kants Formaler Logik ausschließlich durch die drei relationalen Urteilsfunktionen geprägt. Vor allem Beatrice Longueness hat zu Recht betont, daß »The table of logical functions of judgements is retrospectively illuminated by … the Transcendental Analytic as a whole«.364 Denn »what we learn from the System of Principles … is that there would be for us no singular things recognizable … unless we made use 359 A 72, B 97. 360 Ebd. 361 Vgl. A 80, B 106. 362 B 207. 363 A 169, B 211. 364 Longueness, Judgement, S. 396, Longueness’ Hervorhebung.

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of all three365 logical forms of relation in judgement (in combination366 with the forms of quantity and quality)«.367 Mit der Hervorhebung des Gedankens, daß insbesondere singuläre Dinge ohne den Rekurs auf alle drei logischen Formen der Relation und deren Verbindung mit den logischen Formen der Quantität und der Qualität nicht erkennbar wären, macht sie auf die Wichtigkeit aufmerksam, die dem Zusammenhang zwischen »›The Schema of Reality, as the Quantity of Something as it Fills Time‹ and the Principle of Intensive Magnitude«368 zukommt. Denn die Schemata sind nun einmal Kriterien für das Gelingen der Subsumtion von individuellen, singulären Phänomenen unter die dafür geeigneten Kategorien – also für die objektive Erkenntnis der Sachverhalte, die anläßlich von geeigneten individuellen Wahrnehmungsphänomenen durch kategorial geprägte Erfahrungsurteile thematisiert werden können. Longueness gibt daher unter Rückgriff auf die modernen substitutions-semantischen Kriterien auch zu Recht zu bedenken, daß für Kant »things (singular objects thought under concepts) are substitutional instances for ›x‹ in the form of categorical judgements«.369 Da die Tafel der Urteilsfunktionen den Leitfaden an die Hand gibt, an dem sich die Schritte auf dem Weg zur Metaphysischen und zur Transzendentalen 365 Longueness’ Hervorhebung. 366 Hervorhebung R. E. 367 S. 396–397; Longueness’ Zusatz »in combination with the forms of quantity and quality« wird perfekt der funktionalen Hilfsrolle gerecht, die die Qualitäten und die Quantitäten durch ihre urteilsfunktionalen Vorprägungen in allen Fällen des urteilsförmigen Gebrauchs der Relations-Kategorien spielen. Paton, Experience II, bleibt im Gegensatz hierzu weitgehend unbekümmert um die Rollen, die die Urteilsfunktionen und die urteilsfunktional geprägten Kategorien im System der Grundsätze des reinen Verstandes spielen; vgl. hierzu jedoch unten S. 341–342. Doch das entspricht der erstaunlichen Unbekümmertheit, die Kant selbst gegenüber den methodischen Möglichkeiten an den Tag legt, den die Urteilsfunktionen der Qualität und in Abhängigkeit von ihnen die Qualitäts-Kategorien für die Erörterungen der Antizipationen der Wahrnehmung eröffnen. Hier hat Longueness einen ersten wichtigen Pfad hinterlassen. 368 Longueness, Judgement, S. 310. 369 S. 397, Longueness’ Hervorhebung; ihre weitergehende Qualifikation dieser Bedingung »… only if they are also substitutional instances for ›x‹ in hypothetical judgements«, ebd., Longueness‹ Hervorhebung, darf, ganz unbeschadet ihrer sachlichen Angemessenheit, im Zusammenhang der Erörterung der Antizipationen der Wahrnehmungen vernachlässigt werden. Im übrigen handelt es sich bei diesen singular things im Rahmen der hier entwickelten Untersuchungen um die von Kant berücksichtigten komparativen Substanzen, vgl. oben S. 76, Anm. 247, und S. 101, Anm. 356, bzw. R 5293, 5312. Die Rollen der komparativen Substanzen – und damit die der singular things – sind im Rahmen dieser Untersuchung ausführlich da erörtert worden, wo Longueness diese Rollen ebenfalls erörtert sieht – in den Analogien. Doch im Rahmen dieser Untersuchung werden sie strikt im Zusammenhang mit den empirischen Kriterien der Substanzialität, der Kausalität und der Wechselwirkung erörtert, vgl. hierzu oben S. 152 f., 303–308, bzw. 332 ff. bzw. 345 f.

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Deduktion sowie zum Schematismus und schließlich auch zum System der Grundsätze orientieren,370 gehört der Rekurs auf diesen Leitfaden auch in eine angemessene Erörterung der Antizipationen der Wahrnehmung. Kants eigene Rekurse auf diesen Leitfaden sind innerhalb dieses thematischen Kontexts zwar in der Regel unmißverständlich, wenngleich ebenso regelmäßig bei weitem nicht so differenziert wie es dieser Leitfaden erlauben würde. Beispielsweise ist »Realität diejenige [Bestimmung eines Dinges, R. E.], die nur durch ein bejahend Urteil gedacht werden kann«,371 also durch ein Urteil z. B. der Form x ist F1. Für das sachliche Verständnis der Antizipationen der Wahrnehmung ist indessen die Beachtung der funktionalen Kohärenz unter den Qualitätsfunktionen der Urteile besonders wichtig. Denn das urteilende Subjekt muß bereits über ein schon gewonnenes Urteil dieser positiven logischen Form – und damit über den Zugang zu irgendeiner der F1-spezifischen Empfindung korrespondierenden Realität verfügen –, bevor es ein entsprechendes positives Urteil mit negativem Prädikat x ist nicht-F1 überhaupt sinnvoll treffen kann. Denn »Ich kann mir … wohl eine negation denken, wenn ich realitaet habe, aber nicht, wenn keine realitaet gegeben ist«.372 Den wichtigsten, wenngleich unscheinbarsten Eröffnungszug für diesen Rekurs bereitet Kant daher mit der Berücksichtigung der logischen Funktion vor, die der Negation von Prädikaten kategorischer Urteile für die formale Charakterisierung des Mangels einer Wahrnehmung bzw. Empfindung durch ein entsprechend urteilsfähiges Subjekt zukommt. Gerade wenn man »The systematic combination of discursive forms pre­ supposed in even the simplest categorical judgement about the things that constitute our world«373 ernst nimmt, ist es aufschlußreich, the simplest cate­gorical judge­ment about the things that constitute our world planmäßig zu berücksichtigen. Denn gerade mit Hilfe der einfachsten logischen Urteilsform läßt sich ein solcher Mangel ausschließlich mit Hilfe der Form der Negation repräsentieren, die ein Prädikat … F1 in ein negatives Prädikat … nicht-F1 ­eines so apostrophierten unendlichen Urteils x ist nicht-F1 umformt und so mit transzendentallogischen Mitteln die Aussicht auf erkenntnisträchtige Urteile der Form x ist Fn≠1 eröffnet. Nimmt man daher die Rollenverteilung im kategorischen Urteil ernst, dann repräsentiert ein unendliches Urteil der Form x ist nicht-F1 unter den systematischen Vorzeichen der Antizipationen der Wahrnehmung ausschließlich einen gänzlichen Mangel an einer Empfindung, bei deren realem Korrelat es sich im Fall eines positiven Urteils der Form x ist F1 um ein wahrnehmungsspezifisches 370 Zu Recht hebt Longueness, Judgement, diese Leitfadenfunktion der Tafel der Urteilsfunktionen gerade in der Conclusion ihrer Untersuchungen noch einmal prägnant hervor, vgl. bes. S. 396–398. 371 A 246. 372 R 5270. 373 Longueness, Judgement, S. 397.

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Attribut von x handelt. Unter diesen Voraussetzungen würde das gegenständ­ liche x-Korrelat von x ist nicht-F1 – also irgendein singular object (Longueness) – durch diesen F-spezifischen Mangel nicht in Mitleidenschaft gezogen werden und nicht selbst durch einen entsprechenden Mangel an Realität ganz unbekannt und unerkannt bleiben. Von den drei Qualitäts-Kategorien ist lediglich noch erläuterungsbedürftig, daß die Negations-Kategorie374 entsprechend ihrer urteils-funktionalen Vorprägung am einfachsten in der Form der propositionalen Negation nicht-(x ist F1) repräsentiert werden kann. In dieser Form wird jedoch lediglich zu verstehen gegeben, daß zwar der ganze Sachverhalt, daß-(x ist F1 ) nicht besteht, aber nicht, ob er deswegen nicht besteht, weil … F1 nicht präsent ist, oder deswegen, weil der Empfindung bzw. der subjektiven Realität … F1 ein objektives Korrelat x für x ist F1 fehlt. Wie die elementaren, aber aufschlußreichen Überlegungen zur so apostrophierte lokalen Negation zeigen können,375 impliziert der Fall der lokalen Negation x ist nicht-F1 zwar den Fall der propositionalen Negation nicht(x ist F1 ), aber nicht umgekehrt. Damit sind alle drei formal-logisch und kategorial-analytisch unterscheid­ baren Fälle behandelt, die im Rahmen der Antizipationen wichtig sind. Ihre Erörterung bildet wegen ihrer reinen Formalität aber auch die einzige Methode, mit der der Anspruch auf Apriorität der Antizipationen eingelöst werden kann. Auch die Tatsache, daß von Antizipationen im Plural die Rede ist, kann nur durch die Unterscheidung zwischen den drei formal-logisch und kategorial-analytisch verschiedenen Fällen vollständig respektiert werden, aber nicht durch empirische Fallerörterungen, für deren Anzahl es keine formal charakterisierbare Grenze gibt. Mehr kann unabhängig von konkreten, aber empirischen Fallerörterungen zugunsten dieser Antizipationen aber auch nicht ins Feld geführt werden. Die untergeordnete, aber gleichwohl notwendige Hilfsfunktion, die die Antizipationen der Wahrnehmung mit Blick auf die Analogien der Erfahrung und damit auch mit Blick auf die Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände innehaben,376 zeigt sich unmittelbar allerdings erst dann, wenn man die Formen der Erfahrungsurteile berücksichtigt, die durch die Analogien der Erfahrung in dem von Kant betonten allgemeinen und emphatischen Sinne377 antizipiert werden.378 Denn Erfahrungsurteile gehen aus Transformationen hervor, durch die sie mit Hilfe der Relations-Kategorien aus entsprechenden Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteilen gewonnen werden. Das jeweils urteilende Subjekt könnte solche Erfahrungsurteile gar nicht gewinnen, wenn es sich nicht mit Hilfe von entsprechenden Wahrnehmungen bzw. Empfindungen 374 375 376 377 378

Vgl. A 80, B 106. Vgl. Blau, Sprache, S. 75–82. Vgl. oben S. 358–359. Vgl. A 166, B 208–A 167. Vgl. oben S. 360–363.

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der subjektiven Realität der Gegenstände vergewissern könnte, die es mit Hilfe seiner Erfahrungsurteile thematisiert. Doch nur mit Hilfe dieser Mittel der qualitativen Urteilsfunktionen und der Qualitäts-Kategorien kann auch plausibel gemacht werden, inwiefern die Antiziptionen der Wahrnehmung ›stufenartig‹, nämlich auf drei Stufen jedenfalls dazu beitragen kann, »die Form einer möglichen Erfahrung überhaupt zu antizipieren«,379 bzw. dazu, daß man »dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört, a priori erkennen kann«,380 also dasjenige, was zur Form von Erfahrungsurteilen gehört. Denn es gehört zur Form eines Erfahrungsurteils entweder, daß das urteilende Subjekt im Medium der Wahrnehmung eine positive subjektive Beziehung zu dem von ihm thematisierten Sachverhalt unterhält, oder aber eine negative subjektive Beziehung, also gar keine Beziehung im Medium der Wahrnehmung zu ihm unterhält, oder aber eine limitierte, also eine nur teilweise Beziehung im Medium der Wahrnehmung zu ihm unterhält. Dies sind die drei wahrnehmungsspezifischen Formen einer möglichen Erfahrung bzw. einer empirischen Erkenntnis, also eines Erfahrungsurteils, die von den Antizipationen der Wahrnehmung antizipiert werden können. Dabei faßt der negative Fall offensichtlich einen gleichsam entarteten Fall eines Erfahrungsurteils ins Auge. Denn die Prolegomena haben sorgfältig analysiert, daß zur formalen Genese eines Erfahrungsurteils gehört, daß das urteilende Subjekt ein Erfahrungsurteil nicht ohne schon zur Verfügung stehende Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteile gewinnen kann.381 Ein Erfahrungsurteil, für das dem urteilenden Subjekt entsprechende authentische Wahrnehmungen und Wahrnehmungsurteile nicht zur Verfügung stehen, mag daher zwar seiner kategorialen Form nach ein Erfahrungsurteil sein, gleichwohl bildet es lediglich ein mit formalen Mitteln gleichsam imitiertes Erfahrungsurteil, also ein Pseudo-Erfahrungsurteil. 20.2.1. Über die funktionalen Anteile der Qualitäts-Kategorien an Erfahrungsurteilen Es trifft sich, daß gerade ein paradigmatisches Erfahrungsurteil Kants geeignet ist, diese Zusammenhänge durchsichtig zu machen. Mit Blick auf die Wahrnehmungen bzw. Empfindungen beton Kant, so »ist es mit der Wärme«.382 Doch diese Wahrnehmung bzw. Empfindung spielt im Rahmen des paradigmatischen kausal-thematischen Erfahrungsurteils Die Sonne erwärmt den Stein bzw. Weil 379 A 246, B 303. 380 A 166, B 208. 381 IV, 301*. 382 A 169, B 211.

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die Sonne den Stein bescheint, deswegen muß er warm / wärmer werden eine Schlüsselrolle. Denn sie verbürgt die subjektive Realität der Eigenschaft des Steins, auf den das urteilende Subjekt mit kausal-kategorialen Mittel Bezug nimmt. Im konkreten empirischen Fall dieses thematischen Erfahrungsurteils kommt hinzu, daß die thematisierte subjektive Realität der Wärme zu verschiedenen Zeiten der Beobachtung des Steins durch dasselbe wahrnehmende und urteilende Subjekt unterschiedliche Grade hat. Durch das empirische Kriterium der Substantialität (vgl. oben S. 303–308) ist gesichert, daß sowohl der thematisierte Stein wie die thematisierte Sonne im Status komparativer Substanzen (vgl. oben S. 303–308) jedenfalls und mindestens so lange beharrlich dieselben bleiben, wie das urteilende Subjekt den Stein und die Sonne im Horizont seiner sich stufenförmig verändernden Empfindungen von Wärme beobachtet und beurteilt. Unbeschadet der vergleichsweise komplexen kausal-kategorialen Form dieses paradigmatischen Erfahrungsurteils ist in jeder Phase der Beobachtung und Beurteilung der beiden thematisierten komparativen Substanzen insbesondere der thematisierte Stein auch Thema von mehreren elementaren kategorischen Urteilen der Form Der Stein ist warm über seinen jeweiligen Zustand. Eine einigermaßen realistische Fallerörterung kann zeigen, inwiefern die rein formallogischen und kategorial-analytischen Erörterungen von Urteilen der Formen x ist F1, x ist nicht-F1, nicht(x ist F1 ) und x ist Fn≠1 geeignet sind, den vier konkreten Fällen gerecht zu werden, ein warmer Stein, ein nicht-warmer Stein, nicht ein warmer Stein und ein Stein in einem noch unbestimmten anderen Zustand als warm zu sein. Als Beispiel für eine entsprechend urteilendes Subjekt mag eine Person dienen, die sich Zeit ihres Lebens in einer entsprechend dauerhaft warmen tropischen Region aufgehalten hat und zum ersten Mal während eines eiskalten nördlichen Winters in die Situation gerät, in der ihre Aufmerksamkeit auf dem Weg vom Flugzeug von einem auf ihrem Weg liegenden bizarr geformten, aber frost-kalten Stein so angezogen wird, daß sie ihn in die Hand nimmt und – mit der entsprechenden muttersprachlichen Synonymie – urteilt Der Stein ist nicht-warm, also in der Form x ist nicht-F1 urteilt, weil ihr ein Prädikat … ist Fn≠1 fehlt, das ihr helfen würde, den obektiven Gewinn zu beurteilen, den ihr ihre für sie ganz neuartige Empfindung verschafft. Ungeachtet aller Vorbehalte, die sich wegen situativer Merkwürdigkeiten dieser Situationsbeschreibung melden mögen, ist doch klar, daß dies eine Situation ist, in der es nötig und möglich ist, sich um eine positive begriffliche Bestimmung von etwas ›Realem in der Empfindung‹ des komplementären positiven Prädikats … ist Fn≠1 bzw. … ist kalt des negativen Komplementär-Prädikats … ist nicht-F1 bzw. … ist nicht-warm zu bemühen. Denn diese Bemühungen zielen auf den ›Gewinn‹, den ein positives Urteil der Form x ist Fn≠1 bzw. x ist kalt mit Blick auf das ›gesamte Erkenntnis‹ der Person verschafft, die in eine solche Situation gerät. Doch bei dem Gewinn, von dem im Rahmen von Kants Theorie mit Blick auf die ›gesamte Erkenntnis‹ die Rede ist, handelt es sich um eine Art von Gewinn,

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den man ohne sachlichen Verlust auch als Lernerfolg apostrophieren kann. Durch seinen Inhalt und durch seine Verbindung mit einer individuellen Person und deren kontingenter Situation wird man einem solchen Lernerfolg nicht in jedem Fall mit guten Gründen das kognitive Format einer Entdeckung und eines Zuwachses an Erfahrung attestieren können. Zwar sind auch Entdeckungen, die diesen Namen unzweifelhaft verdienen, an individuelle Personen und deren kontingente Situationen gebunden – ungeachtet aller möglichen Streitigkeiten um die individuelle Identität des jeweiligen Entdeckers. Doch wenn Kant im Rahmen seiner Theorie der Erfahrung von einem Gewinn ›in Ansehung des gesamten Erkenntnisses‹ spricht, faßt er zweifellos kognitive Gewinne im emphatischen Sinne des Wortes, also Endeckungen ins Auge, wie sie nicht auf strikt individuell-persönliche Lernerfolge beschränkt sind, sondern auf solche, die für die gesamte dem Menschen mögliche Erkenntnis gewinnbringend sind, also ­einen Zuwachs an Teilhabe am ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹ mit sich bringen – beispielsweise die wissenschaftliche Entdeckung bzw. Erfahrung des späten 19. Jahrhunderts, daß die einander widerstreitenden subjektiven Realitäten von Warm- und Kaltempfindungen objektive und homogene Korrelate in den Wirkungen haben, die die Bewegungen der Moleküle und der Atome auf die Umgebung der Stoffe ausüben, die als warm bzw. kalt empfunden werden. Erst im Rahmen eines geschichtlich relativ späten kausal-kategorialen Erfahrungsurteils der Form Weil die internen molekularen und atomaren Bewegung des Steins einen entsprechend geringen Beschleunigungsgrad haben, deswegen muß der Stein bei entsprechend sensitiven Lebewesen in seiner unmittelbaren Umgebung entsprechende Kälteempfindungen auslösen. Erst an diesem Ende eines längeren Umwegs zeigt sich, wieviel sachliches und methodisches Gewicht mit Kants eher sybillinischer Bemerkung verbunden ist, daß die urteilsfunktional vorgeprägten Qualitäts-Kategorien, von denen in den Antizipationen ein reiner Gebrauch gemacht wird, von den Relations-Kategorien lediglich ›bei sich geführt‹383 werden: Es ist der Gebrauch der Qualitäts-Kategorien der vom Gebrauch der Relations-Kategorien in Erfahrungsurteilen ›bei sich geführt‹ wird. Denn solche Erfahrungsurteile können nur dann gewonnen und mit Anspruch auf objektive Wahrheit verbunden werden, wenn das jeweils urteilende Subjekt einen durch die Qualitäts-Kategorien im Medium der Wahrnehmung eröffneten authentischen positiven, negativen oder aber limitativen Zugang zu dem von ihm thematisierten Fall von Kausalität unterhält. Abgesehen von dem trivialen positiven Fall, handelt es sich bei dem paradigmatischen kausal-kategorialen Erfahrungsurteil Weil die Sonne den Stein bescheint, deswegen muß er warm / wärmer werden im negativen Fall offensichtlich um ein Urteil, das wegen seiner kausal-kategorialen weil ---, darum muß …-Form ein Erfahrungsurteil zwar imitiert. Doch wegen des Fehlens authentischer Wahrnehmungen 383 Vgl. hierzu IV, 325* und oben S. 356 f.

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wird es vom urteilenden Subjekt nicht nur mit einem objektiv ungerechtfertigten, sondern auch subjektiv unberechtigten Anspruch auf objektive Wahrheit verbunden. Es handelt sich also bei Erfahrungsurteilen dieses Typs um authentische Fehlleistungen. Im limitativen Fall verhält es sich wegen der relativen logischen und kategorialen Komplexität eines solchen Urteils entsprechend komplexer als bei den logisch einfach strukturierten kategorischen limitativen Urteilen. Fehlt für die Wahrnehmungen eines urteilsfähigen Subjekts der Sonnenschein, der andernfalls die Ursache für den gleichwohl warmen bzw. wärmer werdenden Stein abgibt, dann betrifft die Limitation die suffizienz-konditionale weil …-Komponente, konkret das kausal-spezifische Prädikat … bescheint … des Urteils über den gleichwohl warmen bzw. wärmer werdenden Stein. Es nimmt in kategorialer Hinsicht und in drei Schritten eine komplexe konzessive Form an: Obwohl die Sonne den Stein nicht-bescheint, sondern untergegangen ist, muß er warm / wärmer werden, weil ihn stattdessen ein Lagerfreuer bescheint.384 Kants eigene, strikt an den skalaren Charakterisierungen von gradweisen Intensitätsunterschieden zwischen Wahrnehmungen bzw. Empfindungen orientierte Behandlung der Antizipationen der Wahrnehmung trägt daher, wie Paton zu Recht bemerkt, ausschließlich dazu bei zu zeigen, »that there is a possibility of measuring such a degree, … and that such measurements can be expressed in

384 Der komplexeren logisch-grammatischen Form der obwohl-Komponente wird man mit Hilfe der limitativen Urteilsfunktion also gerecht, indem man die Regeln der lokalen Negation von Blau, Logik, S. 80–82, befolgt. Es gibt hier zunächst drei Möglichkeiten: 1.) Obwohl nicht-die-Sonne den Stein bescheint …, 2.) Obwohl die Sonne nicht-den-Stein bescheint … und – mit Blick auf die eigentliche kausale Komponente – 3.) Obwohl die Sonne den Stein nicht-bescheint …. Zu den umgangssprachlichen Regeln für das Argumentieren mit Hilfe solcher Konzessiv-Sätze gehört es, daß jeder der drei Fälle eine erläuternde Fortsetzung mit Hilfe eines sondern-Satzes erfordert, speziell im 3.) Fall die ergänzende Erläuterung: Obwohl die Sonne den Stein nicht-bescheint, sondern untergegangen ist …. Diese Ergänzung wiederum erfordert eine weitere Ergänzung durch den positiven, spezifisch kausalen stattdessen-Satz, so daß dieser ganze Fall die grammatisch-logische Form hat: Obwohl die Sonne den Stein nicht-bescheint, sondern untergegangen ist, muß der Stein (trotzdem) warm / wärmer werden, weil ein Lagerfeuer ihn bescheint. In der linguistischen Literatur zum Thema werden Konzessivsätze daher gelegentlich ganz treffend als Sätze charakterisiert, die Fälle von versteckter Kausalität beschreiben, vgl. z. B. Claudio De Meola, Der Ausdruck der Konzessivität in der deutschen Gegenwartssprache: Theorie und Beschreibung an Hand eines Vergleichs mit dem Italienischen, Linguistische Arbeiten, Bd. 372, 1997, bes. S. 32 ff. Die Untersuchungen des Autors hätten allerdings noch an analytischer Schärfe gewinnen können, wenn er sorgfältig zwischen Ursache (causa) und Grund (ratio) unterschieden hätte. Bei seinen Beispielen für versteckte Kausalität handelt es sich weit überwiegend um Beispiele für Gründe (rationes), die Personen haben, etwas zu tun oder zu unterlassen. Mehr oder weniger reine Fälle von (versteckter) EreignisKausalität wie »Obwohl ich die Heizung angestellt habe, bleibt das Zimmer kalt«, S. 29, und »Schumacher hat das Rennen gewonnen, obwohl an einem gewissen Punkt die Motorleistung stark nachgelassen hat«, S. 46, sind seltene Ausnahmen.

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numbers«.385 Doch Kant vernachlässigt damit die methodischen Möglichkeiten, die die qualitativen Urteilsfunktionen und die Qualitäts-Kategorien einer strikt transzendental-logischen Erörterung eröffnen. Er springt gleichsam  – ohne jegliche Vorbereitung – in eine empiristische meßtheoretische Erörterung skalarer Unterschiede. Umso mehr kann eine nachträgliche Nutzung dieser methodischen Möglichkeiten auf die urteils-analytischen Potentiale aufmerksam machen, die Kant der Leitfadenfunktion des Katalogs der Urteilsfunktionen aus guten Gründen zugetraut hat. Exkurs über eine gravierende systematische Inkohärenz Dennoch zeichnet sich unter den Vorzeichen – und im Hintergrund – dieser gravierenden methodischen Differenz auch ein gravierendes systematisches Problem ab. Ein erstes ernstzunehmendes, geradezu bizarres Indiz bietet in diesem Zusammenhang Patons so überaus umsichtiger Kommentar. Bei Gelegenheit seiner Erörterung des Schemas der Qualität gibt er zu bedenken: »Kant’s own account of this schema is obscure and inaccurate; and it is intelligible only in the light of the Anticipation of Sense Perception«.386 Angesichts dieser von ihm zu bedenken gegebenen gravierenden argumentativen Verschränkung zwischen dem Inhalt der Erörterungen der Antizipationen und von Kants Erörterung dieses Schemas fällt es umso mehr ins Gewicht, daß Paton gerade diese Verschränkung zum Anlaß nimmt, zugunsten der intelligibility dieser Schema-Erörterung »the categoryof limitation« mit dem Argument zu Hilfe zu nehmen, daß sie »is connected by Kant with the infinite judgement ›S is non-P‹«.387 Doch gerade das Schema der Realität wird von Kant ganz offenkundig nicht mit Hilfe der Form des infinite judgement ›S is non-P‹, sondern ausschließlich mit Hilfe des Unterschieds erörtert, der sich aus dem »Übergang von Realität zur Negation«388 385 Paton, Experience II, S. 147. 386 S. 49. – Longueness, Judgement, stimmt mit Patons Auffassung insofern überein, als sie für den inneren Zusammenhang zwischen dem Schema der Realität und den Antizipationen der Wahrnehmungen den ganzen thematischen Abschnitt »The Schema of Reality, as the Quantity of Something insofar as it Fills Time« and the Principle of Intensive ­Magnitude, S. 319, reserviert. 387 S. 48. – Logueness, Judgement, geht direkt auf »The category of limitation«, Longueness’ Hervorhebung, ein, um daran zu erinnern, »according to which sensible objects are considered«, aber erläutert im Stil eines allerdings nicht belegten Zitats, daß solche sensible objects »[are, R. E.] determined in themselves with regard to the logical function of the infinite judgement«, S. 310, Hervorhebung R. E. Bei dieser zitatförmigen Erläuterung handelt es sich gleichwohl um eine legitime teilweise Paraphrase und fruchtbare teilweise Applikation von Kants wichtiger Arbeitsdefinition des Begriffs der Kategorie, vgl. B 128, auf den Fall der Kategorie der Limitation. 388 A143, B 183.

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ergibt. Die beiden Extreme dieses Übergangs  – also Realität und Negation  – sind indessen etwas anderes als der Übergang zwischen ihnen. Gleichwohl parallelisiert Kant zunächst die beiden Extreme durch den ebenfalls extremen Unterschied zwischen »einer erfüllten, oder leeren Zeit«.389 Die Betonung dieses temporalen Unterschieds entspricht nicht nur dem Leitaspekt dieses Schemas, das den Unterschied zwischen Realität und Negation als den Unterschied zwischen »Sein (in der Zeit)« und »Nichtsein (in der Zeit)«390 charakterisiert. Diese Betonung orientiert sich vor allem auch am Hauptcharakter jedes Schemas, der »die Bestimmung des inneren Sinns überhaupt, nach Bedingungen seiner Form (der Zeit,) in Ansehung aller Vorstellungen betrifft«.391 Kants Begriff der Vorstellung ist indessen so weit, daß auch Urteile Vorstellungen sind.392 Deswegen betrifft ›die Bestimmung des inneren Sinns überhaupt nach Bedingungen seiner Form (der Zeit)‹ auch die Urteile als temporal strukturierte Akte und kommt in dem wichtigen Theorem zum Ausdruck, daß »[…] in jedem Urteil subjektiv eine Zeitfolge [ist]«.393 Da die Schemata aber »die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann«,394 muß die Anwendung der Kategorie auf irgendeinen Gegenstand bzw. die Subsumtion irgendeines Gegenstands unter die Kategorie395 auch die temporale Struktur des Urteilsakts betreffen, durch den ein jeweils urteilendes Subjekt von einer Kategorie Gebrauch macht  – also die temporale Form der Erfahrungsurteile. Diese temporale Form der Erfahrungsurteile ist gerade mit Blick auf die Qualitäts-Kategorien besonders wichtig. Denn diese können nur dann an den Antizipationen beteiligt sein, wenn diese – wie alle anderen Grundsätze auch – dazu beitragen, »die Form der Erfahrung überhaupt zu antizipieren«396 – nämlich die kategoriale Form der Erfahrungsurteile. Doch bei der Form der Erfahrung überhaupt, die die Antizipationen kraft der in ihnen verwendeten 389 A143, B 182. 390 Ebd. 391 A 142, B 181. 392 Das ergibt sich aus der ausführlichen »Stufenleiter«, A 320, B 376, der »mancherlei Vorstellungsarten«, A 319, B 376, ihrer Unterart »Perception« und deren Spezialfall, in dem »eine objektive Perzeption […] Erkenntnis [ist]«, A 320, B 376, Kants Hervorhebungen. Von hier aus kommt es zu dem Theorem »Alle Erkenntnis besteht in Urteilen«, R 4638, und der terminologischen Prägung des Erkenntnisurteils, vgl. V, 209. 393 XX, 369; zu der damit verbundenen Mikro-Zeitlichkeit der Urteile vgl. Erster Teil, 8. Ab., bes. S. 157–182. 394 A 140, B 179. 395 Kant spricht bekanntlich wahlweise von der Anwendung eines Begriffs auf einen Gegenstand und einer Subsumtion eines Gegenstands unter einen Begriff, vgl. z. B. den Einleitungssatz zum Schematismus der reinen Verstandesbegriffe: »In allen Subsumtionen eines Gegenstands unter einen Begriff …«, A 137, B 176. 396 A 346, B 303.

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Qualitäts-Kategorien antizipieren, kann es sich konsequenterweise nicht nur um die positive Form des ›Seins in der Zeit‹ und die negative Form des ›Nichtseins in der Zeit‹ handeln, sondern auch um eine spezifisch limitative Form des ›Seins in der Zeit.‹ Der sowohl formal-logische wie kategoriale und schemaspezifische temporale Unterschied zwischen Realität bzw. Sein-in-der-Zeit und Negation bzw. Nicht-Sein-in-der-Zeit wird zwar umgehend ergänzt durch den komparativen Charakter einer durch eine Empfindung geprägten »Vorstellung eines Gegenstands«, die die Zeit »mehr oder weniger erfüllen kann«.397 Doch zugunsten des damit charakterisierten gradweisen, also intensiven Unterschieds wird gerade der durch die qualitativen Urteilsfunktionen vorgeprägte und in den Qualitäts-Kategorien berücksichtige Charakter der Limitation vernachlässigt. Diese Vernachlässigung übersieht aber, daß gerade die temporale Form der Erfahrungsurteile den springenden Punkt für die Berücksichtigung der limitativen Qualitäts-Kategorie bietet. Denn es kann aus formalen Gründen der Fall ins Auge gefaßt werden, daß dem Autor eines Erfahrungsurteils der Form a ist F1 während der Zeit, in der er an seinem Urteil festhält, die Wahrnehmungs- bzw. Empfindungskomponente von … ist F1 restlos schwindet. Doch in einem solchen Fall – also wenn die Empfindung die Zeit dieses Urteilsakts nicht kontinuierlich erfüllen würde – würde das urteilende Subjekt mitten im Vollzug seines Urteilsakts die empirische Wahrnehmungs- bzw. Empfindungskomponente für die Berechtigung seines Urteils verlieren. Es kann diesem Verlust mit urteilsförmigen und mit spezifisch kategorialen Mitteln nur dadurch gerecht werden, daß es urteilt a ist nicht-F1 bzw. a ist nicht-(mehr)-F1, also nur dadurch, daß es ein neues Urteil bildet und ihm die limitative Form gibt. Bei der offensichtlichen Konzentration Kants auf die skalare Charakterisierung von intensiven Empfindungs- bzw. Wahrnehmungsunterschieden handelt es sich offensichtlich nicht nur um eine nicht sonderlich offensichtliche empiristische Abweichung vom Pfad der formalen transzendental-logischen Analysen. Vor allem handelt es sich sowohl im Zusammenhang des Schematismus-Themas wie im Zusammenhang des Antizipationen-Themas um eine Vernachlässigung der Dimension der Urteile. Denn sie sind es, mit Blick auf die jedes einzelne Schema die spezifischen kriteriellen Bedingungen der Subsumierbarkeit von sinnlichen Phänomenen unter jeweils eine einzige in Urteilen gebrauchte Kategorie klärt. Aber sie sind es auch, mit Blick auf die die Erörterungen der Antizipationen der Wahrnehmung klären, daß und inwiefern speziell an allen Erfahrungsurteilen in positiver, negativer oder limitativer kategorialer Form Empfindungen bzw. Wahrnehmungen der jeweils urteilenden Subjekte beteiligt sein müssen. Im Prinzip dieser Antizipationen ist der Allquantor der Phrase In allen Erscheinungen … mithin auf alle Erfahrungsurteile abgestimmt. Denn sie sind es, in denen auch der Gebrauch der Qualitäts-Kategorien vom Gebrauch 397 A 143, B 182.

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der für die Möglichkeit der Erfahrung zentralen Relations-Kategorien nur ›bei sich geführt‹398 wird.399 Unter diesen Voraussetzungen zeigt sich, daß der Rekurs auf den kontinuierlichen Charakter der Intensitätsunterschiede zwischen Empfindungen bzw. Wahrnehmungen in einen ganz anderen systematischen Zusammenhang gehört als in den des Schematismus und den der Antizipationen. Denn die Kontinuität dieser graduellen Unterschiede ist in einer nicht ganz unkomplizierten Form ausschließlich von der kontinuierlichen Form der Zeit abhängig. Man braucht zwar nicht zu bestreiten, daß Empfindungen bzw. Wahrnehmungen ein gradförmiges Intensitäts-Kontinuum bilden müssen. Doch bei genauerem Hinsehen bringt dieses Müssen ein Postulat zur Sprache, also einen Grundsatz, dessen Inhalt im Rahmen von Kants Theorie von der Kontinuität der Zeit abhängt. Die mit Wahrnehmungen verbundenen Empfindungen bilden nun einmal empirische Widerfahrnisse der wahrnehmenden Subjekte. Eine grundsätzliche Kontinuität von Intensitätsunterschieden ist mit empirischen Mittel aber ganz einfach nicht ermittelbar. Ihr unübersehbarer empirischer Charakter stempelt ihre behauptete grundsätzliche Kontinuität daher zum genuinen Inhalt eines der Postulate des empirischen Denkens, des Postulats, daß »die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, […] Wahrnehmung400 [fordert401], mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist, zwar nicht eben unmittelbar von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgendeiner wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen«.402 Der postulative Charakter dieses Grundsatzes – und der jedes anderen dieser drei postulativen Grundsätze – zeigt das Müssen und damit den Gedanken an, daß er – wie jeder andere dieser drei postulativen Grundsätze – ebenfalls eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände formuliert.

398 Vgl. IV, 325*. 399 Es fällt auf, daß Paton, Experience II, auf diese Zusammenhänge ausdrücklich erst beim Thema The Second Postulate eingeht, vgl. S. 357–362. Dieses Postulat stellt klar, daß »die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung«, A 225, B 272. Paton betont darüber hinaus zu Recht, daß »Logical actuality is a characteristic of assertoric judgements« und daß »we require that the object asserted [judged(?), R. E.] should be connected with sense-perception in accordance with the Analogies«, S 361. Seinem Inhalt nach ist dieses Postulat nicht unterscheidbar vom Schema der Qualität und dem der Antzipationen der Wahrnehmungen. Und obwohl Paton durch seine require-Formulierung den postualtiven Charakter dieses Grundsatzes betont, erörtert er gar nicht im einzelnen, warum diese drei Grundsätze im Unterschied zu allen anderen einen postulativen Charakter haben. 400 Kants Hervorhebungen. 401 Hervorhebung R. E. 402 A 225, B 272, Kants Hervorhebungen.

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Im selben Atemzug wird in der knappsten Form klargestellt, daß Wahrnehmungen bzw. Empfindungen wie es psychologistische Kant-Interpretationen gerne suggerieren, Gegenstände bzw. deren Dasein ›nicht eben unmittelbar‹ repräsentieren. Im Licht der transzendental-logischen Analyse repräsentieren sie beides nur mittelbar im Kontext einer Erfahrung, an der wir schrittweise durch Erfahrungsurteile teilhaben können, deren Formen vor allem durch die Analogien der Erfahrung antizipiert werden. Ebenso knapp wird zu verstehen gegeben, daß wir von Fall zu Fall nur dann in authentischer Form an dieser Erfahrung teilhaben können – also etwas wahrhaft ›erkennen‹ können –, wenn wir zu dieser Teilhabe durch unsere ›wirkliche Wahrnehmung‹ beitragen, die unseren genuinen Erfahrungsurteilen zu ihren unerläßlichen empirischen Inhalten verhilft. Unter diesen Voraussetzungen gehören die Erörterungen der grundsätzlichen kontinuierlichen Intensitätsunterschiede von Empfindungen bzw. Wahrnehmungen weder in die Erörterungen des Realitäts-Schemas noch in die der Antizipationen noch in eine Verflechtung von beiden. Sie gehören innerhalb beider Erörterungen in ein erweitertes Postulat des empirischen Denkens, in ein entsprechendes Postulat der Wirklichkeit.403 Weil es selbst aber nicht auf empirischen Untersuchungen von Empfindungen bzw. Wahrnehmungen beruht, formuliert es im Status und in der Rolle eines Postulats dennoch eine rein formale, genuin transzendental-logische Bedingung für deren formale Übereinstimmung mit der kontinuierlichen Form der Anschauung der Zeit. Bei der für die Antizipationen in Anspruch genommenen Evidenz handelt es sich im Fall der kontinuierlichen Intensitätsunterschiede daher auch um die Evidenz, die von der Evidenz nur gleichsam geliehen ist, die durch die Kontinuität des anschaulich-zeitlichen Nacheinander vorgeprägt ist.

20.3. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alle Anschauungen extensive Größen sind Es hat sich gezeigt, daß das System der Grundsätze in zwei leicht zu verkennenden Formen von unterschiedlichen Rollen der Kategorien in den Erfahrungsurteilen und von unterschiedlichen Tragweiten für die kategorialen Formen der Erfahrungsurteile abhängt. Ihre primäre Prägung erhalten die Erfahrungs­urteile durch den Gebrauch der Kategorien bzw. kategorialen Urteilsformen der Substanz, der Kausalität bzw. der Wechselwirkung. Alle anderen Kategorien sind an dieser Prägung durch den primären Gebrauch dieser Kategorien zwar in unverzichtbarer Weise beteiligt, werden aber von diesen Kategorien in dieser

403 Vgl. A 225, B 272–A 226, B 279; vgl. zu den drei Postulaten in ihrem Zusammenhang unten Ab. 21.4.

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empirischen Gebrauchsform lediglich ›bei sich geführt‹. Die unterschiedlichen Tragweiten, die die Grundsätze für die kategorialen Formen der Erfahrungs­ urteile mit sich bringen, zeigen sich darin, daß sie in unterschiedlichen Graden von Stärke ›die Form der Erfahrung überhaupt antizipieren‹. Denn auch diese Tragweiten hängen in erster Linie von den antizipierenden Funktionen der Grundsätze ab, in denen von den Kategorien der Ursache, der Kausalität bzw. der Wechselwirkung in reinen, also nicht-empirischen Formen Gebrauch gemacht wird. Die Dienstfunktion aller anderen Kategorien bringt die Erlaubnis mit sich, die Reihenfolge der Behandlung der Grundsätze diesem Rang- und Rollenunterschied anzupassen und mit der Behandlung der Analogien zu beginnen. Ein unscheinbares Indiz für diese antizipatorische Verflechtung der Grundsätze mit den Erfahrungsurteilen bildet der in der Formulierung jedes einzelnen dieser Grundsätze verwendete Allquantor.404 Auch das Prinzip der Axiome der Anschauung verwendet den Allquantor, um … alle Erscheinungen … thematisieren zu können. Wie jeder andere Grundsatz aus dem System der Grundsätze ist auch die Formulierung dieses Grundsatzes durch ihre Verwendung des Allquantors in zwei subtilen formalen Modi mit den kategorialen Formen der Erfahrungsurteile verbunden. Denn zum einen hat auch dieser Grundsatz die Funktion, dazu beizutragen, ›die Form der Erfahrung überhaupt zu antizipieren‹. An dieser Form sind die Kategorien der Quantität, von denen die Axiome der Anschauung einen reinen, also nicht-empirischen Gebrauch machen, unabdinglich beteiligt – auch wenn sie durch den Gebrauch der drei Relations-Kategorien, die das Zentrum der Form der Erfahrung bilden, bloß ›mit sich geführt‹ werden. Doch der Allquantor, der in den Grundsätzen unmittelbar nur kollektiv, also mit Blick auf ›das absolute Ganze der möglichen Erfahrung‹ bzw. mit Blick auf ›die Durchgängigkeit der Erfahrung‹ gebraucht wird, kann mit Blick auf die Antizipa­tion der Form der Erfahrung-überhaupt nur dann beteiligt sein, wenn jedes Erfahrungsurteil in distributiver Form zur Teilhabe der urteilenden Subjekte an diesem absoluten Ganzen beiträgt. Unter diesen Voraussetzungen hat es sich bisher schon bewährt, jeden dieser Grundsätze mit Blick auf seine antizipatorische Funktion zu berücksichtigen. Im Fall der Axiome der Anschauung ergibt sich allerdings eine bedeutsame Schwierigkeit, diese Berücksichtigung ohne weiteres fortzusetzen. Denn die Axiome versuchen sich an nichts Geringerem als daran, sowohl die Obersätze einer Theorie der Euklidischen Geometrie wie die Obersätze einer Theorie der Arithmetik der natürlichen Zahlen zu fomulieren und zu begründen.405 Obwohl diese Axiome insofern sehr anspruchvolle Grundsätze bilden, sind ihre eine einzige Seite umfassenden Erörterungen von geradezu maßloser buchtechnischer Kürze. Doch den gleichen bescheidenen Umfang nehmen die Erörterungen ein, die 404 Vgl. hierzu die zusammenfassende Darstellung und die kurze Erörterung oben S. 274 f. 405 Vgl. A 163, B 204 -A 165, B 206.

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sich auch den ­Axiomen – ebenso wie allen anderen Grundsätzen – wegen der Tragweite widmen, durch die sie einsichtig machen sollen, daß und warum »die reine Mathematik in ihrer ganzen Präzision auf Gegenstände der Erfahrung anwendbar«406 ist. Dieses Anwendungs-Thema bildet innerhalb des strikt transzendental-logischen Rahmens lediglich eine im konventionellen Sprachstil formulierte Variante des Themas, das in diesem Rahmen und speziell im Zusammenhang mit den Grundsätzen durch deren Funktion angesprochen wird, ›die Form der Erfahrung-überhaupt zu antizipieren‹. Denn es ist diese generelle antizipatorische Funktion aller Grundsätze, die auch die Formen antizipiert, in denen die Kategorien in Erfahrungsurteilen empirisch gebraucht werden können, also auf Gegenstände der Erfahrung ›angewandt‹ werden können – auch die Mathematik-spezifischen, also Geometrie- und Arithmetik-spezifischen Quantitäts-Kategorien. Was Kant hinter dem ›Anwendungs‹-Aspekt eher versteckt als klärt, ist der Gedanke, daß auch die Axiome der Anschauung an der Funktion aller Grundsätze beteiligt sind, die Form der Erfahrung-überhaupt zu antizipieren. Denn es ist diese spezielle antizipatorische Funktion, durch die sie ihren Vorgriff auf die Anwendbarkeit der Quantitäts-Kategorien auf die möglichen Gegenstände der Erfahrung – also auf ihre ›Mathematisierbarkeit‹ – einleiten. Nun sind zwar in der Kant-Forschung kaum andere Auffassungen Kants umstrittener als seine Auffassungen von den philosophisch relevanten Voraussetzungen der (­Euklidischen) Geometrie und der Arithmetik. Dennoch ist es für das sachliche und das methodologische Verständnis der Axiome der Anschauung unerläßlich, daß man sich über die Inhalte dieser Voraussetzungen Klarheit zu schaffen sucht, wenn es gelingen soll, die Tragweite dieser speziellen Grundsätze für die Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände zu durchschauen. Kant faßt die »Beschreibung eines Raumes« nicht nur mit den differenzierten begrifflichen Mittel seiner Theorie als einen »reine[n] Aktus der sukzessiven Synthesis des Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch produktive Einbildungskraft« auf und als »nicht allein zur Geometrie, sondern sogar zur Transzendentalphilosophie«407 gehörig. Er charakterisiert ihn sogar direkt als »Handlung des Subjekts (nicht als Bestimmung eines Objekts)«.408 Damit ist – in einem Klartext und in Ergänzung zur Sprache seiner Theorie – klar gestellt, daß die ›Handlungen der Euklidische Geometrie treibenden Subjekte‹

406 A 165, B 206. 407 B 155*, Kants Hervorhebung. 408 B 154–155. Die Abgrenzung von ›Handlung des Subjekts‹, ›Bestimmung des Objekts‹ und ›Beschreibung eines Raumes‹ ist aus terminologischen Gründen nötig. Denn in der Sprache der Physiker kann bis heute von der Beschreibung eines Raumes die Rede sein, wenn z. B. von einem Planeten gesagt wird, daß er eine elliptoide Bahn beschreibe und eben damit eines ›Bestimmung eines Objekts‹, aber nicht eine ›Handlung des Subjekts‹ thematisiert wird.

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die zentralen Komponenten der charakteristischen Entitäten dieser Geometrie bilden. Dadurch wird eine operationale Charakterisierung der geometrischen Entitäten ins Auge gefaßt,409 wie sie am aufschlußreichsten durch Kants entsprechend operationale Charakterisierungen sowohl der einfachsten wie der umfassendsten geometrischen Raumgestalten exemplifiziert wird – der Linie, des Kreies bzw. der Dreidimensionalität des Euklidischen Raumes: »Wir können uns uns keine Linie denken,410 ohne sie in Gedanken zu ziehen,411 keinen Zirkel denken, ohne ihn zu beschreiben, die drei Abmessungen des Raumes gar nicht vorstellen, ohne aus demselben Punkt drei Linien senkrecht aufeinander zu setzen, und selbst … im Ziehen einer geraden Linie … bloß auf die Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen … acht[zuhaben]«.412 Das gedachte Ziehen einer Linie ist offensichtlich die elemtarste denkbare ›Handlung der Euklidische Geometrie treibenden Subjekte‹, das gedachte Beschreiben eines Zirkels eine in gewisser Hinsicht denkbar perfekte Handlung dieser Form und das gedachte ›senkrechte Setzen dreier Linien aufeinander‹ hingegen die komplexeste der denkbaren Handlungen dieser Form. Mit dieser Konzentration auf das zentrale Handlungsformat der charakteristischen Gegenstände der Euklidischen Geometrie macht Kant zunächst – wenngleich auf einem außerordentlich ungewöhnlichen Themenfeld – lediglich einen der zentralen Aspekte seines ›critischen Wegs‹ fruchtbar. Denn Handlungen bilden nicht nur das nahezu sublime Substrat aller Urteile, sondern auch das Medium der Form der reinen zeitlichen Ansschauung, also der Form, mit der die formal-logischen und die kategorialen Funktionselemente der Urteile von den urteilenden Subjekten nicht anders als nacheinander, sukzessiv gebraucht werden können. Dieser Ansatz ist sogar direkt mit Blick auf charakteristische Elemente im inneren Aufbau der klassischen Gestalt der Euklidischen Geometrie bedeutsam. Vor allem die drei ersten Postulate des planaren Teils der Euklidischen Geometrie wären in ihrem spezifisch postulativen Format gar nicht sinnvoll, wenn sie nicht die Möglichkeit von Handlungen voraussetzen würden, die durch spezifisch räumliche Charaktere – das Gerade des (gedachten) Ziehens einer Linie, das Kontinuierliche des (gedachten) Ziehens einer geraden Linie bzw. das Zir-

409 Kant bringt in diesem thematischen Zusammenhang daher gelegentlich sogar ausdrückliche eine »mathematische Operation«, XXII, 443, zur Sprache; vgl. hierzu im ganzen vom Verf., Kants Theorie des geometrischen Gegenstandes, Berlin / New York 1978, vor allem die Grundzüge im IV. Kapitel. 410 Hervorhebung R. E. 411 Vgl. auch R 5090: »wir haben es gefaßt, was eine Linie sey, wenn wir sie in Gedanken ziehen können«, also wenn wir es gefaßt haben, wie wir sie ›in Gedanken‹ ziehen können – nämlich z. B. gerade oder krumm; vgl. auch A 162, B 203–A 163. 412 B 154, Kants Hervorhebungen.

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kuläre des (gedachten) Ziehens einer Linie – aktualisiert werden.413 Die beiden sorgfältigsten unter den jüngeren Untersuchungen gewichten diesen von Kant hinreichend markant formulierten springenden Punkt seiner Theorie der Geometrie unterschiedlich – den operationalen Aspekt414. In der konventionellen geometrischen Sprache kann dieser Aspekt fruchtbar gemacht werden, indem die (gedachten) Handlungen der Geometrie treibenden Subjekte durch die räumlichen Charaktere des Geraden, des Senkrechten und des Zirkelförmigen thematisiert werden. Doch solche in diesen konventionellen sprachlichen Formen apostrophierten räumlichen Charaktere werden von Kant selbst in einem ersten, kinematisch-phoronomisch orientierten Schritt auf räumliche Charaktere von Richtungs-Unterschieden zurückgeführt – auf die Unterschiede zwischen »der Einheit der Linie und Richtung [das Gerade einer Bewegung, R. E.], der Vielheit der Richtungen in einer und derselben Linie [das Drei- bzw. Mehr-als Dreieckige, das Rechteckige und das ›Krummlinichte‹ einer Bewegung, R. E.], endlich der Allheit der Richtungen sowohl, als der Linien [das Kreisförmige einer Bewegung, R. E.]«.415 Bei diesen Charakteristiken handelt es sich wegen der kinematisch-phoronomischen Orientierung an Bewegungen von Körpern 413 Vgl. hierzu: The Thirteen Books of Euclid’s Elements. Translated with Introduction and Commentary by Sir Thomas L. Heath (19561), Volume One, Second Edition, o. J. New York, bes. S. 195–200. Kant selbst faßt die Postulate der euklidischen Geometrie ausdrücklich so auf, daß sie »[…] die Möglichkeit einer Handlung [postulieren]«, V, 11*; siehe denselben Rekurs auf dieses Argument auch in der bedeutenden Abhandlung von Dieter Scheffel, Kants Idee einer kritischen euklidischen Geometrie, in: Metaphysik und Kritik. Festschrift für Manfred Baum (Hg. Sabine Doyé), Berlin / New York 2004, S. 35–50. Zu Recht betont Scheffel daher auch, daß »die Postulate der reinen Geomtrie … keine Forderungen der Existenz von etwas sind. Denn sie postulieren die Möglichkeit einer Handlung«, S. 47. Den postulativen Charakter des Fünften Satzes Euklids, also des Parallelen-Satzes interpretiert er daher konsequenterweise auch so: »Die Forderung, daß ich selbst es machen muß, daß zu einer gegebenen Geraden etc. genau eine Parallele existiert, ist vielmehr die Forderung der Möglichkeit einer Handlung, die das Dasein genau einer Parallelen betrifft. Und sie ist zugleich als Forderung eine Bedingung der Möglichkeit einer Handlung, d. h. selbst ein praktischer Satz bzw. eine praktische Regel unter einer problematischen Bedingung des Willens, nämlich eine Regel, nach der ich handeln kann und muß, wenn durch eine gewisse Aufgabenstellung etwas zu tun gefordert wird, nämlich zu einer gegebenen Gerade etc. eine Parallele zu konstruieren. Das ist mir nur unter der Bedingung der Gewißheit möglich, daß nur eine existiert. Doch für diese Gewißheit kann und muß ich vorweg selber sorgen«, ebd. Sch.s Hervorhebung, – nämlich dadurch, daß ich ›mit einerlei Orientierung‹ eine Handlung ›in Gedanken‹ vollziehe, deren ›Dasein‹ ich durch ihr empirisches Schema »im Sande …, … im Kupferstiche«, VIII, 191*, oder » auch auf dem Papier«, A 713, B 741, oder in einem anderen geeigneten Medium aposteriori dokumentiere; vgl. hierzu vom Verf., Gegenstand, S. 249 f. 414 Scheffel, Geometrie, macht diesen operationalen Aspekt zu Recht zu einem Leitaspekt seiner Überlegungen, vgl. S. 40 ff., und charakterisiert das Euklidische Geometrie treibende Subjekt »als formal handelndes Subjekt im Raum«, S. 42. 415 IV, 495 f.; vgl. hierzu auch schon vom Verf., Geometrie, S. 254–255.

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selbstverständlich um das, was Kant an der wichtigen Stelle B 154–155 als Bestimmung des Objekts charakterisiert und gegen eine entsprechende Handlung des Subjekts abgrenzt. Doch zur Vervollständigung der (räumlichen) Bestimmung des Objekts gehört, wie es vor allem die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften in ihrem kinematisch-phoronomischen Teil zeigen, die Berücksichtung der Unterschiede zwischen Richtungen von Bewegungen.416 Im Rahmen der Erörterungen dieser Unterschiede fällt vor allem der Gebrauch des Reflexionsbegriffs der Einerleiheit auf, wenn von »einerlei Richtung«417 einer Bewegung die Rede ist. Das eröffnet die Möglichkeit, alle Richtungscharaktere von Bewegungen mit Hilfe der entsprechenden Reflexionsbegriffe zu bestimmen – die »entgegengesetz[e]«418 Richtung als widersinnige Richtung einer Bewegung, das Gerade als die einerlei-sinnige Richtung einer Bewegung, das Drei-, Vier-, Mehr-als-Viereckige und ›Krummlinichte‹ als die verschieden-sinnige Richtung einer Bewegung, die Parallelität als die eben-sinnige Richtung von zwei oder mehr als zwei Bewegungen. Das Format der Dreidimensionalität als solcher ist hingegen der Charakterisierung vorbehalten, die der reinen Form der räum­ lichen Anschauung angehört. Im Rahmen der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft wird sie lediglich als der Raum konzipiert, der von der beweglichen Materie erfüllt wird.419 Macht man dagegen in konzentrierter Form auschließlich die Handlungen des Geometrie treibenden Subjekts zugunsten der Charakterisierung von Gegenständen der Euklidischen Geometrie fruchtbar, dann kommt es vor allem darauf an, der radikal subjektiven Einstellung Rechnung zu tragen, in der dieses Subjekt die Handlungen ausübt, die zum Format der geometrischen Gegenstände gehören. Denn bei dieser Einstellung handelt es sich um nichts anderes als um die reine räumliche Form der Anschauung. Bei ihr handelt es sich jedoch nicht um eine räumliche Form der Richtung, Diese gehört vielmehr exklusiv zur (räumlichen) Bestimmung des Objekts. Übt das Geometrie treibende Subjekt dagegen die für die geometrischen Gegenstände charakteristischen Handlungen  – »ein reiner Aktus der sukzessiven Synthesis des Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt«420  – aus, dann ›bewegt sich‹ dieses Subjekt nicht ›in irgendeine Richtung‹. Es orientiert sich421 dann in der Ausübung dieser 416 Vgl. IV, 480–495. 417 IV, 490, Kants Hervorhebungen. 418 Ebd., Kants Hervorhebungen. 419 Vgl. 479. 420 B 156*. 421 Die Redewendung ›sich orientieren‹ ist schon zu Kants Zeit systematisch vieldeutig. Diese Vieldeutigkeit wird von Kant selbst in dem Aufsatz Was heißt: Sich im Denken orientieren?, vgl. VIII, 131–147, fruchtbar gemacht. Er unterscheidet den »geographischen Begriff des Verfahrens«, 135, sich zu orientieren, von dem des Verfahrens, »sich … bloß mathematisch [zu] orientieren«, ebd., Kants Hervorhebungen, um von hier aus das

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Handlungen stattdessen so, daß es in der sukzessiven Synthesis des Mannigfaltigen entweder Eine Handlung mit einer einerlei-sinnigen Orientierung oder mit verschieden-sinnigen Orientierungen oder aber viele – zwei oder mehr als zwei – Handlungen mit eben-sinnigen (parallelen!) oder mit verschieden-sinnigen oder mit wider-sinnigen Orientierungen durch produktive Einbildungskraft vollzieht. Indem es Handlungen so – und nur so – vollzieht, macht es von der Form seiner reinen räumlichen Anschauung in einzigartiger Weise Gebrauch, weil es sie zugunsten einer operationalen und räumlichen, orientalen Charakterisierung ausschließlich der elementarsten Gegenstände der Euklidischen Geometrie fruchtbar macht.422 Diese Gegenstände haben das Format von GestalVerfahren ins Auge zu fassen, »sich … überhaupt im Denken, d. i. logisch, zu orientieren«, 136, Kants Hervorhebungen. Die spezifisch mathematische Bedeutung ist fest mit der spezifisch subjektiven Komponente der Form der reinen räumlichen Anschauung verbunden. Scheffel, Geometrie, hält, obwohl er sich strikt an den operationalen Nerv von Kants Konzeption der geometrischen Gegenstände hält, vgl. oben S. 376, Anm. 414, auch mit Blick auf sie am Richtungs-Begriff fest, obwohl dieser für die Bestimmung des Objekts, also für die Bestimmung des Beweglichen im Raume reserviert ist und im Rahmen der Charakterisierung der Gegenstände der Euklidischen Geometrie zugunsten des subjektiv-anschaulichen Orientierungs-Begriffs aufgegeben werden muß. – Strawson, Bounds, identifizert das, was die Euklidische Geometrie für ihn präsentiert, restlos mit dem, was sie angeblich für Kant präsentiert – »a body of propositions«, S. 277. Von hier aus unternimmt er den Versuch, »to evaluate Kant’s theory of ›pure intuition‹ as the source of geometrical knowledge«, ebd., ohne die anschaulichen und formalen Charaktere der Handlungen und ihrer (räumlichen) Orientierungen zu berücksichtigen, die die Umfänge und Inhalte der elementarsten Begriffe bilden, die in diesen Propositionen verwendet werden. Dieses Versäumnis wird nicht durch Nothilfen ausgeglichen, bei denen Strawson mit der Unterscheidung zwischen »physical figures« und »phaenomenal figures«, S 282, eine Zuflucht sucht. Mit Kants Begriff des Phänomenalen, der ausschließlich die zeitlichen und / oder räumlichen Formen enpirischer Gegenstände charakterisiert, hat das buchstäblich nichts zu tun. 422 Michael Wolff, Absolute Selbstähnlichkeit in der euklidischen Geometrie. Zu Kants Erklärung der Möglichkeit der reinen Geometrie als einer synthetischen Erkenntnis a priori, in: Kant-Studien, 100, 2009, S. 285–308, betont in seinem besonnen abwägenden Artikel zu Recht: »Die Prädikate, die sie [die Transzendentale Ästhetik, R. E.] ihm [dem Raum der reinen Anschauung] zuspricht, beziehen sich nicht auf metrische Eigenschaften«, S. 289. Denn der »›geometrische … Raum‹ z. B. eine Linie oder ein Kreis ist »nur dadurch gegeben, daß er gemacht wird«, XX, 420, Hervorhebung R. E., S. 291. Ganz allgemein sind Raum und Zeit »›nichts als Formen, ins unendliche zu vergrößern und zu verkleinern‹, R 6420«, S. 291–292. Überdies »,[kann ich] in der Mathematik alles durch mein Denken selbst machen (konstruieren), was ich mir durch Begriffe als möglich vorstelle‹, IV, 370, Hervorhebungen R. E.,«, S. 297. Doch Wolff klammert die Frage strikt aus, in welcher Form bzw. wie ich eine Linie oder einen Kreis selbst machen bzw. den Raum ins Unendliche verlängern oder verkleinern kann. Die Tatsache, daß er den operationalen und orientalen Kern von Kants Konzeption der elementaren Gegenstände der Euklidischen Geometrie – z. B. Linie und Kreis – unberücksichtigt läßt, ist innerhalb der spezifischen Themenstellung seiner Untersuchung zwar konsequent. Denn er konzentriert sich auf Beweisprobleme, wie sie mit spezifischen, beweisbedürftigen Sätzen der Euklidischen

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ten, genauer: von orientiert gestalteten Handlungen, von Schemata orientierter Handlungen. Dieses Format ergibt sich durch eine räumlich orientierte »Erzeugung von Gestalten«.423 Das Orientale dieser Handlungscharaktere bildet das Gegenstück zum spezifisch Temporalen, also Sukzessiven bzw. Nacheinander des Charakters von Handlungen.424 Bis zu diesem Punkt ist es nötig und zweckmäßig, die Geometrie-spezifischen Elemente zu klären, die innerhalb der Erörterungen der Axiome der Anschauungen wichtig für die Klärung der Tragweite sind, die diese speziellen Grundsätze in den Rollen von notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände spielen. Kant spricht diese Rollen ausschließlich in der konventionellen Sprache an, in der es darum geht, daß »die reine Mathematik in ihrer ganzen Präzision auf Gegenstände der Erfahrung anwendbar«425 ist. Doch welche Tauglichkeit für eine solche präzise Anwendung bieten Gegenstände Geometrie verbunden sind. Innerhalb dieser Themenstellung ist es ganz einfach nicht nötig, auf Schritt und Tritt auf die formalen orientalen Handlungsmerkmale zu rekurrieren, die mit den elementaren Gegenständen bzw. Begriffen dieser Geometrie verbunden sind. Nötig ist lediglich, daß man bei keinem dieser Schritte in einen Widerstreit mit dieser elementarsten Voraussetzung gerät. Gleichwohl läßt er die von Kant unmißverständlich betonten Formen des Selbstmachens der elementaren geometrischen Gegenstände im dunkeln. 423 A 163, B 204, Hervorhebung R. E. 424 Zu einer noch gründlicheren Klärung des Handlungsbegriffs in Kants Erörterungen der elementarsten geometrischen Grundbegriffe bzw. Gegenstände, vgl. unten S. 384–385. – In den Erörterungen um den konzeptionellen Aufbau der klassischen Euklidischen Geometrie war von Anfang an der Verdacht bzw. Vorwurf im Spiel, einem circulus vitiosus zum Opfer zu fallen, wenn man den Richtungsbegriff verwendet; vgl. hierzu den sorgfältigen Bericht bei Heath (Hg.), The Thirteen Books, bes. S. S. 191–194. Diese Verdächte und Vorwürfe setzen stillschweigend voraus, daß der Richtungsbegriff genauso zum Typus des conceptus communis gehört, der an Sub- bzw. Superordinationsbeziehungen mit höheren bzw. niedrigeren conceptus communes gebunden ist, wie z. B. der Begriff des Menschen. Doch diese stillschweigende Voraussetzung zielt von Anfang an ins Leere, wenn es sich beim Begriff der Richtung nicht um einen conceptus communis handelt, der im Rahmen von Subordination oder von Superordination definitionsbedürftig und -tauglich wäre, sondern – wie beim Begriff des Nacheinander, der Sukzessivität, vgl. hierzu oben S. 204–205 – um einen Begriff von etwas, das wegen seines strikt anschaulichen Charakters direkt erfaßt werden kann. Diese direkte Erfaßbarkeit zeigt sich, indem man die Antwort auf die Frage, welches die spezifisch räumlichen Charaktere von Handlungen sind, direkt – also ohne sub- oder superordinatorische Umwege – nicht anders geben kann als dadurch, daß man die eine oder andere Richtung exemplifiziert, die ein Subjekt mit seinen Handlungen nehmen kann. Daß man diese Antwort nicht anders geben kann, erklärt Kants Theorie damit, daß menschliche Subjekte von Handlungen über eine reine Form der Anschauung apriori von (räumlichen) Handlungs-orientierungen verfügen. Wegen dieser Definitionsunbedürftigkeit bzw. -untauglichkeit der strikt anschaulich erfaßbaren Richtungen bzw. Orientierungen ist der Verdacht bzw. Vorwurf eines circulus vitiosus einer richtungs- bzw. orientierungsspezifisch konzipierten Euklidischen Geometrie gegenstandslos. 425 A 165, B 206.

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der Erfahrung wie eine Portion Wachs, sofern sie durch das Erfahrungsurteil Die Sonne weicht das Wachs als Träger einer Wirkung thematisiert wird, oder eine Portion Ton, sofern sie durch das Erfahrungsurteils Die Sonne härtet den Ton als Träger einer Wirkung thematisiert wird, oder ein Stein, sofern er durch das Erfahrungsurteil Die Sonne erwärmt den Stein als Träger einer Wirkung thematisiert wird? Durch die bisher behandelten Erörterung der Analogien und der Antizipationen hat sich ein konkretes und ganz spezielles Desiderat ergeben. In den Erörterungen der Analogien geht es um substantiale, kausale und wechsel­ wirkungsförmige Sachverhalte, in den Erörterungen der Antizipationen geht es um die empfindungsförmigen Komponenten von Wahrnehmungen, durch die man sich alle möglichen Attribute von allen möglichen substantiae comparativae erschließen kann, wie sie in solchen Erfahrungsurteilen beispielsweise in Form von Weichheit, Härte bzw. Wärme thematisiert werden. Doch auf diesem Weg ist das thematische Desiderat gleichsam eingekreist worden, das den Status und die Rolle betrifft, die den substantiae comparativae zukommen, sofern sie zu den Gegenständen der Erfahrung gehören, die im Licht der Axiome der Anschauung durch Erfahrungsurteile thematisiert werden – also um den Status und die Rolle, die in diesem Licht beispielsweise Steinen, Wachs- und Tonportionen, der Sonne, dem Mond und anderen Entitäten dieses Typs zukommen. Zur Klärung dieses Status und dieser Rolle findet sich im Rahmen der Axiome zum einen die Bemerkung, daß durch die Quantitäts-Kategorien, von denen sie einen reinen Gebrauch machen, »die Vorstellung eines Objekts zuerst möglich wird«.426 Noch spezifischer und von größerer Tragweite ist in dieser Hinsicht der Gedanke, daß der Raum »[…] das [ist], was zugleich die Apprehension der Erscheinung, mithin jede äußere Erfahrung, folglich auch alle Erkenntnis der Gegenstände derselben möglich macht«.427 Denn da jede substantia comparativa ein substratum phaenomenorum ist428 – also ein Substrat, wie es den wechselnden Erscheinungsweisen, z. B. von individuellen Körpern wie einer heißen und flüssigen, harten und kalten bzw. weichen und warmen Portion Wachs zugrunde liegt –, sind es diese substantiae comparativae bzw. substrata phaenomenorum, deren Apprehension, äußere Erfahrung und Erkenntnis durch den Raum, also durch die Form der reinen räumlichen Anschauung möglich wird. Doch in welcher konkreten und paradigmatischen Form gelingen eine solche Apprehension, Erfahrung und Erkenntnis? In den Axiomen selbst findet sich keine Anhaltspunkte für eine Antwort. Umso aufschlußreicher ist ein Beispiel, das sich in den Erörterungen des Schematismus findet, weil es einen Zentralbegriff der Geometrie – den Begriff der 426 B 203. 427 A 165, B 206–A 166, Hervorhebungen R. E. 428 Vgl. R 5294.

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Gestalt und diesen sogar in einem operationalen Sinne  – fruchtbar macht: »Der Begriff von einem Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgendeine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein«.429 Noch aufschlußreicher wird diese Fallerörterung durch ihre kognitions-anthropologische Verallgemeinerung und Vertiefung. Denn in der exemplifizierten Weise üben wir »eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden«.430 Es liegt auf der Hand, daß das Beispiel der Verzeichnung der Gestalt eines Hundes und seine kognitions-anthropologische Verallgemeinerung und Vertiefung unmißverständlich darauf aufmerksam machen, daß und warum die in den Erörterungen der Axiome betonte grundsätzliche ›Anwendbarkeit der reinen Mathematik in ihrer ganzen Präzision auf Gegenstände der Erfahrung‹431 an eine empfindliche Grenze stößt. Denn das Beispiel zeigt in musterhafter Weise, daß jedenfalls die allermeisten der in der ›Apprehension und in der äußeren Erfahrung‹ erfaßbaren substantiae comparativae bzw. substrata phaenomenorum gerade nicht den Gestalten der Euklidischen Geometrie in deren ganzer Präzision entsprechen. Nichts könnte – jedenfalls im Horizont einer schon zur Verfügung stehenden Euklidischen Geometrie – von der Präzision dieser reinen Mathematik und ihrer Anwendbarkeit weiter entfernt sein als ›eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden‹. Gemeinsam mit den geometrischen Gestalten  – wenngleich nur in mehr oder weniger ähnlichem Grad – haben die Gestalten dieser substantiae comparativae bzw. substrata phae­ nomenorum lediglich, aber immerhin zwei Charaktere: Auch diese Gestalten verdanken sich einer operationalen, ›verzeichnenden‹ Gestaltung durch das um die Erkenntnis solcher substantiae comparativae bzw. substrata phaenomenorum bemühten Subjekte; und ebenso verdanken sich diese Gestalten Formen ›verzeichnender‹ Gestaltungen durch diese Subjekte, die eher in atypischen Ausnahmefällen mit den (räumlichen) Orientierungen der Gestalten der Euklidischen Geometrie übereinstimmen. Bei den atypischen Ausnahmen handelt es sich – gemessen an Kants naturwüchsigem Musterbeispiel eines Hundes  – in der Regel und nur allzu offensichtlich um diejenigen substantiae comparativae bzw. substrata phaenomenorum, die durch technisches Erfindungs- und Konstruk429 A 141, B 180, Hervorhebungen R. E.; vgl. auch die substantia comparativa bzw. das substratum phaenomenorum eines Hauses, von dem »ich […] gleichsam seine Gestalt [zeichne]«, B 162. 430 Ebd. 431 Vgl. A 165, B 206, sowie oben S. 379.

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tionstalent hervorgebracht werden können  – angefangen bei der nahezu mythischen Proto-Erfindung und -Konstruktion des Rades nach dem Muster der Gestalt des Kreises, und von da an in unbestimmt steigerbarer technischer Virtuosität bis in eine Zukunft, die vorläufig einem geschichtlichen in indefinitum angehört.432 Innerhalb der Axiome der Anschauung wird der Schritt nicht wirklich erörtert, der von der »Erzeugung der Gestalten«, auf der »[sich] … die Mathematik der Ausdehnung (Geometrie) [gründet]«,433 zur ›allgemeinen Verzeichnung der Gestalt‹434 einer substantia comparativa bzw. eines substratum phaenomenorum wie z. B. der eines Hundes führt. Dennoch trägt dieser Schrittt zur Konzeption eines außerordentlich wichtigen theoretischen Elements dieser Axiome bei, das in strikter Analogie zu den entsprechenden Elementen in allen anderen Grundsätzen steht. Denn bei der Möglichkeit, Gestalten solcher Substanzen bzw. Substrate ›allgemein zu verzeichnen‹, handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als um das empirische Kriterium der Möglichkeit der Erfahrung solcher individuellen Substanzen bzw. Substrate: Jedes Erfahrungsurteil ist durch seinen wahrnehmungsbasierten Inhalt – ganz unbeschadet seiner kategorialen Form  – strikt darauf festgelegt, solche Substanzen bzw. Substrate im Status individueller Referenzobjekte zu thematisieren. Doch damit ist es auch darauf festgelegt, daß das jeweils urteilende Subjekt die von ihm jeweils thematisierte(n) individuelle(n) Substanz(en) mit Hilfe von allgemeinen Verzeichnungen ihrer Gestalten von anderen solchen Substanzen trennscharf unterscheiden kann. Mit diesem Kriterium ist aber auch die Grenze festgelegt, an der die Tragweite des Arguments endet: »Die empirische Anschauung ist nur durch die reine (des Raumes und der Zeit) möglich; was also die Geometrie von dieser sagt, gilt auch auch ohne Widerrede von jener«.435 Denn zweifellos stößt die Anwendung jedenfalls und mindestens der Theoreme der Euklidischen Geometrie auf die substantiae comparativae bzw. substrata phaenomenorum der empirischen Anschauung nur in den speziellen Fällen von entsprechenden Artefakten und von entsprechenden kinematischen Phänomenen nicht an empfindliche Grenzen. Doch nicht nur an dieser Grenze werden die sprichwörtlichen Grenzfälle durch hinreichend kleine Deformationen aus den sogenannten idealen Euklidi­ schen Gestalten gewonnen. Sogar jenseits dieser Grenze können die idealen geometrischen Gestalten immer noch dazu dienen, durch größer und kom-

432 Mit Blick auf die Anwendungen, die die Physik schon früh auf dem Feld der Bahnbewegungen von Himmelskörpern zu machen gelernt hat, versteht sich eine andere Klasse von atypischen Ausnahmen von selbst – auch für Kant in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Phoronomie. 433 A 163, B 204, Hervorhebung R. E. 434 Vgl. A 141, B 180 sowie oben S. 363 f. 435 A 165, B 206.

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plexer werdende Deformationen dieses Typs zur Möglichkeit der ›allgemeinen Verzeichnung‹ der Gestalten beitragen, die in die empirische Anschauung der substantiae comparativae, der Substanzen-in-der-Erscheinung fallen. Vor allem ist es diese subsidiäre Funktion, durch die die idealen geometrischen Gestalten an den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände beteiligt sind. Denn unter den möglichen Gegenständen der Erfahrung kann man ihre wirklichen Gegenstände nur dann finden, wenn man sie auch durch ihre Gestaltunterschiede identifizieren kann; und die Funde von wirklichen Gegenständen möglicher Erfahrung tragen nur deswegen zur asymptotischen Annäherung an das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung bei, weil diese Gegenstände im Status und in den Gestaltunterschieden von substantiae comparativae die individuellen Referenzobjekte der Erfahrungsurteile bilden, in deren Medium diese Annäherung gelingt. Innerhalb der Axiome der Anschauung und gerade unter den Vorzeichen der Theorie der Erfahrung muß auch die andere Dimension der reinen Mathematik, die der »evidenten Sätze der Zahlverhältnisse«436 berücksichtigt werden. Denn nicht nur die Analogien und die Antizipationen hinterlassen für die Axiome ein Desiderat – den Status und die Rolle zu klären, die den substantiae comparativae bzw. substrata phaenomenorum mit Blick auf die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände zufallen. Auch innerhalb der Axiome bleibt im Anschluß die Erörterung der strikt geometrischen ›Erzeugung der Gestalten‹ und des nicht strikt geometrischen ›allgemeinen Verzeichnens von Gestalten‹ dieser Substanzen bzw. Substrate eine wichtige Frage offen. Denn gerade der Allgemeinheit dieses Verzeichnens solcher Gestalten mangelt es an der nötigen Trennschärfe, deren es bedarf, um die jeweilige Individualität einer solchen Substanz bzw. eines solchen Substrats zu bestimmen. Die Erörterungen der Axiome helfen indessen nicht unmittelbar, dieses Desiderat auszugleichen. Denn im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stehen  – analog wie die Axiome und die Theoreme der Euklidischen Geometrie – die »Zahlformeln«437 wie z. B. »7 + 5 = 12«.438 Doch analog wie bei der Erörterung der geometrischen Axiome und Theoreme die Erörterung der ›Erzeugung der Gestalten‹ in ihren elementarsten Formen (gerade Linie, krumme Linie u. ä.) vorhergehen muß, muß auch der Erörterung von arithmetischen ›Formeln‹ wie 7 + 5 = 12 die Erörterung der »Zahl 7«, der »Zahl 12« und der Zahl »5«439 vorher-

436 A 164, B 205. 437 A 165, B 206. 438 A 164, B 205; wie sorgfältig Kant methodologische Statusunterschiede zwischen verschiedenen Satztypen berücksichtigt, zeigt mit Blick auf die Formeln sein Argument, daß er diese Typenbezeichnung vorzieht, weil »[es] sonst […] deren [d. h. der Axiome, R. E.] unendliche [gäbe]«, A 165, B 205–206. 439 A 164, B 205.

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gehen. Denn jede dieser Zahlen und jede beliebige andere Zahl ist »nur auf eine einzige Art möglich,.440 nämlich durch eine »Synthesis des Gleichartigen (der Einheiten)«.441 Zwar ist durch eine solche Synthesis auch die »Addition beider (d. h. von 7 und 5, R. E.)«442 möglich. Dennoch muß in methodischer Hinsicht die Erörterung der ›Synthesis des Gleichartigen der Einheiten‹, die zu den einzelnen Zahlen führen, der Erörterung der entsprechenden Synthesis durch die Operationen der vier sogenannten Grundrechnungsarten vorhergehen – »wiewohl der Gebrauch dieser Zahlen nachher allgemein ist«.443 Doch auch in diesem Fall nimmt sich Kant der methodisch primären Aufgabe – analog wie im Zusammenhang mit der Erörterung der Erzeugung der elementarsten Gestalten der Euklidischen Geometrie – schon im Schematismus an. Hier gibt er zu bedenken, daß, »wenn ich eine Zahl überhaupt nur denke, die nun fünf oder hundert sein kann, so ist dieses Denken mehr die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge (z. E. tausend) in einem Bilde vorzustellen. … Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe«.444 Ein Beispiel für ein Bild eines Zahlbegriffs, das sich mit Hilfe eines solches Schema-Verfahrens gewinnen läßt, ergibt sich, »wenn ich fünf Punkte hintereinander setze, …..«, so »ist dieses ein Bild von der Zahl fünf«.445 Damit ist zwar der schematische Verfahrenscharakter in der abstraktesten möglichen Weise umschrieben und ein Beispiel eines Bildes gegeben, das sich mit Hilfe eines solchen Verfahrens – und nur mit seiner Hilfe – gewinnen läßt. Doch Kant hat versäumt, nach einem Bild von diesem Verfahren selbst zu fragen. Berücksichtigt man, daß die Axiome wenigstens in differenzierter, wenngleich immer noch abstrakter Form die ›Synthesis des Gleichartigen der Einheiten‹ zur Sprache bringen, dann ergibt sich vergleichsweise leicht ein Bild einer solchen Synthesis, wenn man die Synthesis mit dem Punkt als der Einheit des Gleichartigen anfangen446 läßt: .((((..).).).). Die Synthesis des Gleichartigen der Einheit, die zur Zahl Fünf führt, besteht, wie dieses Bild veranschaulicht, in vier Synthesen, von denen jede das Resultat der unmittelbar vorigen Synthese durch die Synthese mit der jeweils nachfolgenden gleichartigen Einheit verbindet.447 Jede Zahl n 440 A 164–205. 441 Ebd. 442 Ebd., Kants Hervorhebungen. 443 Ebd., Kants Hervorhebung. 444 A 140, B 179–180. 445 A 140, B 179. 446 Der zeitliche Charakter des Anfangens macht auf die temporale Form der Handlung der Synthesis des Gleichartigen der Einheiten aufmerksam; vgl. im Folgenden die entsprechenden Charaktere des Vorigen und des Nachfolgenden. 447 Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, in: ders., Schriften, Frankfurt / ​ Main 1960, S. 9–83, ist dieser Auffassung, ungeachtet aller tiefen Unterschiede zu Kants

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ist insofern das Resultat von n-1 Synthesen des Gleichartigen von Einheiten.448 Wenn es wegen der operativen Struktur der ›Zahlformeln‹ »deren unendliche«449 gibt, dann zeigt die elementare operative Struktur der Zahlen selbst – abgesehen von der Eins – und des Zählens, daß diese Form der Unendlichkeit nur ein Erbe der Unendlichkeit dieser elementaren operativen Struktur bildet. Unbeschadet dessen, daß ein solches exemplarisches Bild eines solchen Synthesis-Verfahrens in das Medium der empirischen Anschauung gehört, macht es doch auf unüberbietbar suggestive Weise anschaulich, wie ›das Denken einer Zahl überhaupt die Vorstellung einer Methode‹, eines ›allgemeinen Verfahrens der Einbildungskraft‹ ist, einem ›Begriff (einer Zahl) sein Bild zu verschaffen‹. Auf ebenso suggestive Weise macht dieses nicht ganz elementare, aber auch noch nicht zu komplexe exemplarische Bild deutlich, was sich mit steigender Komplexität solcher Bilder bald – spätestens vielleicht bei der 12 – zeigt: Früher oder später wird der Punkt erreicht, von dem an das Zählen, also die Synthesis des Gleichartigen der Einheiten – analog wie bei den nicht-elementaren geometrischen Gestalten – nur noch eine Angelegenheit einer ›verborgenen Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele‹ ist, ›deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden‹. Noch viel komplexer verhält es sich offensichtlich mit den Komplexitätssteigerungen, die mit den viel komplexer werdenden operativen Strukturen verbunden sind, die durch die ›Zahlformeln‹ in Bilder gebracht werden. Die operative Struktur der Zahlen, die zur Synthesis des Gleichartigen der Einheiten gehört, verweist auf den zentralen Handlungscharakter, der sich im Zählen zeigt. Daher kommt innerhalb dieses elementarsten Teils von Kants Theorie der Arithmetik auch die temporale Form zum Tragen, die sich im Medium der empirischen Anschauung zeigt: »Wir können uns … selbst die Zeit nicht [denken], ohne, indem wir im Ziehen einer geraden Linie … bloß auf die Handlung achthaben«; denn dieses Achthaben »bringt sogar den Begriff der Suk-

Theorie, durch einen Schritt nahegekommen, wenn er zu bedenken gibt: »Es ist eine Eigenschaft von ›1+1+1+1‹, daß man es als ›(1+1)+(1+1)‹ auffassen kann«, 6.231, S. 74. Es fehlen lediglich die beiden nächsten Schritte (((1+1)+1)+1), um das Schema darzustellen, das zur Synthesis des Gleichartigen von vier Einheiten führt. Statt von einem Auffassen-als hätte Wittgenstein auch von einem Zusammenfassen-zu sprechen können und wäre dann Kants Auffassung von der Funktion der Syn-Thesis so nahe gekommen, wie es unter seinen ansonsten so andersartigen Voraussetzungen ohne Schwierigkeiten möglich ist. 448 Wittgenstein, Tractatus, apostrophiert die Zahl, die sich aus entsprechenden Operationen von Zusammenfassungen ergibt, wie man sie durch Systeme von Klammern darstellen kann, in der von Leonhard Euler eingeführten Funktionen-Terminologie, die auch Kant verwendet, durch den Satz: »6.021 Die Zahl ist der Exponent einer Operation«, S. 67, Hervorhebung R. E. Insofern bezeichnet »4« den Exponenten von »(((1+1)+1)+1)«. 449 A 165, B 206.

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zession erst hervor«.450 Das vergleichsweise einfache Bild .((((..).).).) der Zahl Fünf veranschaulicht in diesem Sinne, daß und wie durch vier suzessive Synthesen gleichartiger Einheiten die Zahl Fünf durch eine »Handlung des Subjekts«,451 nämlich durch eine »Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen«452 erzeugt wird. Erst wenn es um die zeitliche, sukzessive Form des Handelns geht, wird ein Gedanke wichtig, der in Kants Schriften zwar ein entlegenes ἁπαξ λεγόμενον bildet. Einen umso wichtigeren Schlüssel bildet er zu einer entsprechend wichtigen Kohärenzsteigerung der Konzeption der Synthesis des Mannigfaltigen – der Gedanke, daß »der Begriff der Fortsetzung den der Zeit voraussetzt«.453 Denn offensichtlich bildet jeder Teil einer Handlung eine unmittelbare Fortsetzung jedes früher vollzogenen Teils derselben Handlung; ebenso offensichtlich bildet derjenige Teil einer Handlung, der durch keinen späteren Teil derselben Handlung fortgesetzt wird, den Teil dieser Handlung, mit dem sie vom handelnden Subjekt beendet wird; und ebenso offensichtlich bildet derjenige Teil einer Handlung, durch den kein früherer Teil derselben Handlung fortgesetzt wird, denjenigen Teil dieser Handlung, durch den sie von einem Subjekt angefangen wird. Der Begriff der Handlung ist der Begriff desjenigen zeitlichen Mannigfaltigen, das sich aus der Fortsetzung eines Anfangens und der Beendigung seiner Fortsetzung ergibt. Die einfachste Handlung ist insofern eine solche, bei der die unmittelbare Fortsetzung des Anfangens zugleich(!) die Beendigung dieses Fortsetzens ist. Die Mannigfaltigkeit, die im Licht von Kants Theorie einer Synthesis bedarf und fähig ist, wird daher auf ihrer elementarsten Stufe von der Mannigfaltigkeit gebildet, deren Teile sich durch ein Anfangen, ein Fortsetzen und ein Beenden unterscheiden lassen und deren Synthesis durch das Zusammenspiel von reiner und ursprünglicher Apperzeption und produktiver Einbildungskraft zum Begriff der Handlung führt. Da die einfachste Handlung eine solche ist, bei der die unmittelbare Fortsetzung des Anfangens zugleich(!) die Beendigung dieses Fortsetzens ist, bildet diese elemtarste Form einer Handlung die operative Struktur .(..) der Zahl Zwei; denn (..) bildet die Synthesis aus dem anfänglichen. und dessen unmittelbarer und einziger Fortsetzung. Diese operativen Strukturen der Zahlen bzw. des Zählens gehören aus zwei Gründen zu den notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände. Denn unter den möglichen Gegenständen der Erfahrung kann man ihre wirklichen Gegenstände nur dann finden, wenn man sie auch zählen kann; und die Funde von zählbaren wirklichen Gegenständen möglicher Erfahrung tragen nur deswegen zur asymptotischen Annäherung an das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung bei, weil diese Gegenstände 450 B 154–155, Kants Hervorhebung. 451 B 154. 452 Ebd. 453 XXVIII, 1, 521; vgl. hierzu auch schon vom Verf., Geometrie, S. 23542.

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im Status von substantiae comparativae die individuellen Referenzobjekte der Erfahrungsurteile bilden, in deren Medium diese Annäherung gelingt.

20.4. Warum Erfahrung und ihre Gegenstände nur dann möglich sind, wenn alle Objekte, die möglich sind, alle Objekte, die wirklich sind, und alle Objekte, die notwendig sind, interdependent sind Kants berühmte Frage, wie synthetische Urteile apriori möglich sind, ist gleichbedeutend mit der Frage, wie Erfahrung und ihre Gegenstände möglich sind. Denn diese Urteile sind es, die diese Bedingungen formulieren; und die Frage nach ihrer Möglichkeit ist gleichbedeutend mit der Frage, wie diese Bedingungen geklärt werden können. Doch trotz dieser Bedeutungsgleichheit hat die für jeden Menschen unvermeidliche ›Zerstreuung der Erkenntnis‹ (Henrich) auch Kant dahin gebracht, daß er die beiden Elemente dieser Bedeutungsgleichheit erst mit zeitlicher, also biographischer Zerstreuung durchschaut hat. Über die Formulierung der zentralen Einsicht, daß die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung auch die ihrer Gegenstände sind, verfügte er schon während der Niederschrift der ersten Auflage der Ersten Kritik (vgl. A 158, B 197). Indessen war ihm die berühmte Frageform erst auf dem Weg zu den Prolegomena in einer vorläufigen Version454 und von da und in ihrer reifen Fassung erst bis zur Einleitung in die zweite Auflage klar geworden.455 Dieser reifen Frageform gewinnt Kant nicht nur den persönlichen Vorteil ab, daß »[…] man sich [dadurch] selbst sein eigenes Geschäft [erleichtert], indem man es sich genau bestimmt«; es erleichtert »auch jedem anderen, der es prüfen will, das Urteil, ob wir unserem Vorhaben genüge getan haben oder nicht«.456 Mit den Postulaten des empirischen Denkens erreicht die Arbeit an dem Vorhaben, die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände zu klären, ihren konstruktiven Abschluß. Im Zentrum dieser Klärung stehen die Analogien der Erfahrung. Vor allem sie sind es, die das Gelingen dieser Klärung davon abhängen sehen, daß urteilende Subjekte wie die Menschen darin gerechtfertigt sind, schrittweise und unaufhörlich, aber ›asymptotisch‹, also stets nur annäherungsweise die Teilhabe am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung immer wieder von neuem im Medium neuer empirischer Erfahrungsurteile zu intendieren. Denn vor allem von den Analogien der Erfahrung hängt die Rechtfertigung dieser Intention ab, weil sie die kategorialen Formen der Erfahrungsurteile antizipieren, durch

454 Vgl. IV, 276. 455 Vgl. B 19. 456 Ebd.

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die – und nur durch die – diese Teilhabe, also »Aller Zuwachs des empirischen Erkenntnisses, und jeder Fortschritt der Wahrnehmung«,457 mithin die Fruchtbarkeit der Erfahrung sich wirklich immer wieder von neuem zeigt. Den Postulaten des empirischen Denkens fällt aus Gründen, die nicht unmittelbar an der Oberfläche ihres Texts liegen, ein vergleichbares Gewicht zu wie den Analogien. Indem sie zur Klärung der Rolle beizutragen suchen, die den drei Modal-Kategorien im Zusammenhang der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände zukommt, müssen sie zwar die subsidiäre Rolle berücksichtigen, die diesem Beitrag wegen der klaren Rangunterschiede zwischen den Kategorien zufällt. Denn »Die categorie des Verhältnisses … ist die Vornehmste unter allen«.458 Daher ist der Gebrauch aller anderen Kategorien in empirischen Erfahrungsurteilen nur subsidiär mit dem diese Urteile vor allem prägenden Gebrauch der Relations-Kategorien verbunden. Dieser höchste Rang der Relations-Kategorien führt dazu, daß die von ihnen unmittelbar geprägten Analogien der Erfahrung – und nur sie – zu ihrem »Prinzip« haben, daß »Erfahrung […] nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich [ist]«.459 Die Formulierung dieses Prinzips nimmt zwar sogar – vielleicht in unintendierter Weise – auch die Binnenstruktur der Inhalte der drei Postulate vorweg (vgl. hierzu unten S. 387 ff.). Dennoch läßt Kant ihren spezifisch postulativen, wenngleich subsidiären Beitrag zur Formulierung von Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und denen ihrer Gegenstände darauf zielen, die »Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in ihrem empirischen Gebrauch« so zu erläutern, daß »hiermit zugleich Restriktionen aller Kategorien auf den bloß empirischen Gebrauch, ohne den transzendentalen zuzulassen und zu erlauben«,460 vorgesehen sind. Diese abstrakte Charakterisierung der Rolle der Postulate ist allerdings so unscharf, daß man ihnen mit einem gewissen Maß an Berechtigung dieselbe Rolle wie den Schemata der Modal-Kategorien zugeschrieben hat: »Sie definieren nur die Kategorien der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in ihrem möglichen realen Gebrauche, indem sie diesen auf das Dasein zu irgendeiner Zeit (Möglichkeit), zu einer bestimmten Zeit (Wirklichkeit) und zu aller Zeit (Notwendigkeit) beschränken«.461 Doch bei genauerem Hinsehen formulieren die Schemata diese temporale Kriterien der richtigen Subsumtion von etwas unter die Modal-Kategorien, indem sie gerade die nicht-temporalen Daseinsmodi eines solchen Etwas ganz unbestimmt lassen. Umso deutlicher zeigen die Wortlaute

457 458 459 460 461

A 210, B 255. R 5854; vgl. hierzu ausführlich oben S. 164–165. B 218. A 219, B 266. Ebbinghaus, Kantinterpretation, S. 18.

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der drei Postulate462, daß sie gerade in diesem Punkt die Unbestimmtheit der kriteriologischen Kategorien-Schemata ergänzen. Denn sie sehen das mögliche, das wirkliche und das notwendige Dasein eines Etwas von nicht-temporalen Charakteren abhängen, wie sie erst im Rahmen der Analogien der Erfahrung und der Antizipationen der Wahrnehmung zur Sprache gebracht werden: »1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinstimmt, ist möglich«;463 »2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich«;464 »3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig«.465 Einen der springenden Punkte dieser Postulate bildet jedoch der Umstand, daß die Inhalte der beiden ersten in deren drittem zusammengefaßt werden. Zu Recht hebt Paton diese Binnenstruktur der drei Postulate durch die Betonung ihrer »Interdependence«466 hervor. Dennoch verfehlt er die Besonderheit, die dieser Interdependenz im Rahmen der Postulate zukommt, indem er sie darauf zurückführt, daß »The categories of modality, like all other categories, necessarily apply to all objects of experience«.467 Denn der wahre Grund ihrer Interdependenz findet sich darin, daß die drei Postulate die einzigen Grundsätze sind, die in ihrem Zusammenhang – eben interdependent, wie Paton faktisch zu Recht betont  – schon in ihren unmittelbaren Wortlauten sowohl die nur von den Analogien formulierten formalen Bedingungen (›Anschauungen und Begriffe‹) wie die nur von den Antizipationen formulierten materialen Bedingungen (›Empfindungen‹) der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände thematisieren. Gerade in dieser Hinsicht formuliert ausschließlich das Prinzip der Analogien der Erfahrung (s. o. S. 388 f.) sogar unmittelbar die Interdependenz dieser beiden Typen von Bedingungen. Eine Schwierigkeit, dieser Rolle der Postu­late gerecht zu werden, ergibt sich indessen aus einer Gemeinsamkeit mit den beiden anderen subsidiären Grundsatz-Typen. Sie thematisieren von Anfang an »Dinge«,468 »Substanzen«469 (im Plural) bzw. »Gegenstände der Sinne«.470 Es

462 Vgl. A 218, B 265–266. 463 A 218, B 265, Kants Hervorhebung. 464 A 218, B 266, Kants Hervorhebung.; vgl. auch die ausdrücklich postulative Formulierung: »… die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung«, A 225, B 272, Kants Hervorhebungen. Hier wird das Postulat mit seiner ausdrücklichen materialen Empfindungs-Bedingung, wie die Wirklichkeit zu erkennen ist, allerdings als ein Kriterium formuliert. 465 Ebd. 466 Paton, Experience II, S. 339–342. 467 S. 339. 468 A 220, B 267 ff.; B 272 ff. bzw. A 227, B 279 ff. 469 A 221, B 269 f. 470 A 226, B 279.

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fragt sich, ob damit – wie in den beiden anderen subsidiären Grundsätzen und in den Beweisen und den Erörterungen der drei Analogien – durchweg individuelle substantiae comparativae gemeint sind oder nicht. Die Wortlaute der drei Postulate lassen den Leser bei dieser Frage eher im Stich. Denn die Daseins-Modi der Objekte, um die es hier geht, werden durch verkappte Universalität thematisiert: Alles, was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinstimmt, ist möglich; alles, was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfin­ dung) zusammenhängt, ist wirklich; und alles, dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig.471 Doch die Einführung von ausdrücklichen Universa­li­ sierungen sollte darauf achten, daß unvorsichtige Universalisierungen mit Hilfe von quantorenlogischen Formen der modernen Logik zu Verzerrungen von spezifisch transzendental-logischen Zügen von Kants Theorie führen können.472 Im konkreten Fall der Postulate werden nur allzu offensichtlich verschiedene Typen von Objekten thematisiert. Diese Verschiedenheit verkennt z. B. Paton, wenn er die Interdependenz der drei Postulate darauf zurückführt, daß »The categories of modality, like all other categories, necessarily apply to all objects of experience«.473 Denn z. B. bei den Objekten, deren Wirklichkeit insbesondere das Zweite Postulat unmittelbar und ausschließlich an den Zusammenhang mit der Empfindung bindet, handelt es sich gewiß nicht um objects of experience, sondern um individuelle substantiae comparativae, die ›Gegenstände der Sinne‹ sind. Ungeachtet dieser Differenzen gilt zwar, »that every object of experience is both possible, actual and necessary«.474 Angesichts der Tatsache, daß im Rahmen der Postulate wahlweise von Dingen, Substanzen-im-Plural (substantiae comparativae) bzw. Gegenständen der Sinne die Rede ist, ist es zumindest problematisch, daß Paton das Objekt, um das es in den Postulaten geht, hier uneingeschränkt als object of experience charakterisiert. Denn ein object of experience ist ein Sachverhalt – also ein Objekt eines Erfahrungsurteils –, aber nicht ein Ding, eine substantia comparativa oder ein Gegenstand der Sinne. Allerdings können Dinge, Substanzen-im-Plural bzw. Gegenstände der Sinne konstitutive Teile solcher Sachverhalte bilden; z. B. die Sonne, die im Rahmen des 471 Die verkappte Universalität, die für jedes der drei Postulate durch diese Allquantifikationen zur Sprache gebracht wird, macht die von Paton, Experience II, als vorübergehendes Problem erörterte Frage dieser Universalität, vgl. S. 340–342, von Anfang an überflüssig. Zu Recht betont er allerdings, daß, ungeachtet dieser gemeinsamen Universalität, das Objekt, das durch diese Postulate thematisiert wird, entsprechend dem jeweiligen Postu­ lat »has different relations to the mind in virtue of different aspects in it«, S. 340. 472 Vgl. die wichtige Vorsichtsmaxime, die Scheffel, Substantialität, S. 166–167, gegen unvorsichtige Formen der Allquantifikationen zu bedenken gib. 473 Paton, Experience II, S. 339. 474 Ebd.

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Wahrnehmunsgurteils Ich sehe die Sonne aufgehen einen Gegenstand der Sinne bildet, bildet in dem Erfahrungsurteil Die Sonne erwärmt den Stein bzw. Weil die Sonne des Stein bescheint, deswegen muß er wärmer werden einen konstitutiven Teil des ursächlichen Sachverhalts, daß die Sonne den Stein erwärmt, bzw. daß, weil die Sonne den Stein bescheint, er wärmer werden muß. Den springenden Punkt dieser Postulate bildet indessen der Umstand, daß die Inhalte der beiden ersten in deren drittem zusammengefaßt werden: Der Zusammenhang der formalen Bedingungen der Erfahrung (Anschauungen und Kategorien) mit deren materialen Bedingungen (Empfindungen bzw. Wahrnehmungen) macht die Notwendigkeit der Existenz eines Objekts aus. Es ist daher diese mit dem Dritten Postulat ausdrücklich formulierte Interdependenz von möglicher, wirklicher und notwendiger Existenz eines Objekts, was den einzigartigen Status der Postulate und die einzigartige konditionale Rolle ihrer Inhalte unter den Grundsätzen ausmacht. Kein anderer Grundsatz thematisiert diese Interdependenz als eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände. Umgekehrt greifen jedes der drei Postulate – und eben insbesondere deren drittes – direkt, wenngleich ganz abstrakt auf die Inhalte der Analogien und die der Antizipationen zurück. Der radikale Abstraktionsgrad, mit dem sie auf die Inhalte dieser Grundsätze zurückgreifen, macht die ausführlichen Erörterungen – sieht man einmal von der Widerlegung des Idealismus ab  – die Kant ihnen widmet, eigentlich sogar legitimerweise überflüssig. Denn der Inhalt keiner der drei Erörterungen der drei Postulate bringt irgendetwas über die Inhalte dieser Grundsätze hinausgehend Neues. Umso mehr konzentriert sich das Neue, das sie bieten, auf die Interdependenz der drei Modalitäten, die sie mit Blick auf die Möglichkeit der Erfahrung und ihrer Gegenstände als deren notwendige Bedingung konzipieren. Doch gerade für die Konzeption dieser modalen Interdependenz-Bedingung kommt ein anderer methodischer Modus als der postulative gar nicht in Frage. Denn die Erörterungen der drei Postulate könnten auch ausschließlich mit Hilfe von Auszügen aus den Texten der Analogien, der Antizipationen und der Axiome bestritten werden. Umgekehrt könnte das universelle Erfülltsein der von diesen drei GrundsatzTypen formulierten notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände grundsätzlich nicht mit den spezifisch transzendental-logischen Mitteln nachgewiesen werden. Der transzendental-logischen Einstellung stehen nur zwei von Kant genutzt methodische Möglichkeiten offen: Sie kann paradigmatische Einzelfälle dessen, was mit Blick auf das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung möglich, wirklich und notwendig ist, mit Hilfe von paradigmatischen Erfahrungsurteilen so erörten, wie es die Analogien, die Antizipationen und die Axiome faktisch vorführen; doch die universelle Erfüllt­ heit der Bedingungen dessen, was auf diesem Feld der Erfahrung und ihrer Gegenstände möglich, wirklich und notwendig ist, kann sie darüber hinaus –

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und auch dies nur im Schutz der universellen und schon hinreichend erörterten Analogien, Antizipationen und Axiome – nur postulieren. Dennoch gehen die drei Postulate durch ihre logische Eigenschaft, (verkappte) universelle Sätze zu sein, gerade in transzendental-logischer Hinsicht über alle anderen Grundsätze hinaus. Denn nur sie erörtern das nur postulierbare interdependente universelle Erfülltsein des auf diesem Feld Möglichen, Wirklichen und Notwendigen so, daß diese Interdependenz – gerade auch als postulierte – eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände ist. Mit dieser Funktion beschließen sie daher zu Recht den konstruktiven Teil dieser Theorie der Erfahrung.475 475 Rainer Specht, Innovation und Folgelast. Beispiele aus der neueren Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, hat im Rahmen seiner Analysen von Lockes empiristischer Erkenntnistheorie zu Recht betont: »Erst Kant entwirft eine Methode, die die Metaphysik … von den Veränderungen des Tatsachenwissens unabhängig macht«, S. 217. Immerhin charakterisiert Kant seine Erste Kritik selbst als einen »Traktat von der Methode«, B XXII. Im Zusammenhang einer Locke-Bilanz ist Spechts problemgeschichtliche Diagnose besonders bemerkenswert. Sie macht hellsichtig auf die kritischen Schlüsselfunktionen aufmerksam, die den synthetischen Urteilen apriori, also den nicht-empirischen Urteilen des Grundsätze-Kapitels mit Blick auf eine empiristische Theorie wie die Lockes zufallen. Denn zum einen klären sie durch ihre Rolle, Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände zu formulieren, abschließend den radikalen Unterschied, den Kants Theorie zwischen Erfahrung und Empirie berücksichtigt, also einen Unterschied, wie ihn Locke und die jahrhundertelange ἐμπειρία-, experientia- und expérience-Tradition gar nicht kennt, an die Locke mit seiner Konzeption der experience anknüpft: »Our observation, employed either about external sensible objects, or about the internal operations of our minds perceived and reflected on by ourselves, is that which supplies our minds with all the materials of thinking«, John Locke, An Essay Concerning Human Understanding. In Two Volumes (Edited with an Introduction by John W.  Yolton) London / New York 1967, Volume One, S. 77, Lockes Hervorhebungen; jeder dieser beiden Typen von observation bildet einen »fountain from which experience furnisheth the mind with ideas …«, S. 78, Lockes Hervorhebung. Daß diese radikal-empiristische Charakterisierung durch Locke nicht zu dem wichtigen Unterschied zwischen den deskriptiven und den explanatorischen Passagen des Essay paßt, bemerkt der Herausgeber Yolton, Introduction, vgl. S. XVI ff. Doch unabhängig von dieser Einschätzung ist Spechts Hinweis auf Kants ›Methode, die Metaphysik von Veränderungen des Tatsachenwissens unabhängig zu machen‹, mit Blick auf ein Essential von Lockes Theorie bedeutsam: Locke »… liefert … dem Bürger durch seine Theorie der gemischten Modi ein Instrument zur Verwerfung des nicht auf individuelle Erfahrung gegründeten Wissens«; ein »solcher gemischter Modus … wird vom jeweiligen Subjekt ad placitum hergestellt«; die »Analyse [eines gemischten Modus in seine atomaren Vorstellungen, R. E.] wird gleichsam als Test verstanden. In diesem Test ermittelt man die einen gemischten Modus zusammengesetzten Gedankenatome oder simple ideas, die aus der schlichten Erfahrung stammen, und kann danach in Ruhe prüfen, ob die in der komplexen Idee gegebene und durch den Namen fixierte Anordnung dieser Atome auf irgendeine Weise durch die Erfahrung gerechtfertigt … ist. Komplexe Ideen … müssen letzten Endes aus einfachen Ideen zusammengesetzt sein, die aus der Erfahrung stammen«, S. 207. Den springenden Punkt für Spechts Rückblick von Kant auf Locke bildet der

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Umstand, daß Locke der Auffassung ist, daß »From this observation wie get our ideas of cause and effect«, S. 270. Denn z. B. »finding that the substance, wood, which is a certain collection of simple ideas so called, by the application of fire is turned into another substance, called ashes, i. e. another complex idea, consisting of a collection of simple ideas, quite different from that complex idea which we call wood, we consider fire, in relation to ashes, as cause, and the ashes, as effect«, S. 271 – »In which and all other cases, we may observe that the notion of cause and effect has its rise from ideas received by sensation or reflection, and that this relation, how comprehensive soever, terminates at last in them. For to have the idea of of cause and effect, it suffices to consider any simple idea or substance as beginning to exist by the operation of some other, without knowing the manner of that operation«, S. 272, Lockes Hervorhebungen. Lockes it-suffices-Bedingung bildet bei diesem Thema in mehreren Hinsichten den neu­ralgischen Punkt für den ›critischen‹ Rückblick im Licht von Kants Theorie der Kausalität. Zum einen kann man die von Kant konzipierten Erfahrungsurteile, speziell die kausal-thematischen Erfahrungsurteile zwar nur dann, aber nicht schon dann gewinnen, wenn man über geeignete Wahrnehmungen verfügt. Denn wir können sie – unsere Verfügung über entsprechende Wahrnehmungen vorausgesetzt – nur deswegen gewinnen, weil wir von der nicht-empi­ rischen, apriorischen Kausal-Kategorie empirischen Gebrauch machen können, indem wir von ihr mit Blick auf geeignete Wahrnehmungen empirischen Gebrauch machen. Doch bei dieser Kategorie handelt es sich im Licht der außerordentlich wichtigen Stelle B 288 um die kausal-kategoriale Urteilsform weil ---, deswegen muß  …. Über sie verfügen wir unabhängig ›von den Veränderungen des Tatsachenwissens‹ (Holz-FeuerAsche / Wachs-Wärme-flüssig u. ä.) und können daher invariant gegenüber diesen Veränderungen mit Blick auf beliebige geeignete Wahrnehmungen mit berechtigter Aussicht auf Erfolg von ihr Gebrauch machen, z. B.: Weil das Feuer das Holz zerstört, deswegen muß es zu Asche werden; weil das Feuer das Wachs erwärmt, deswegen muß es flüssig werden u. ä. Der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität in der Form Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt (A 189) gehört zu der Sorte von »Erkenntnis, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen Erkenntnis gehört, a priori erkennen und bestimmen […]« und »eine Antizipation nennen [kann]«, A 166, B 208. Da die weil ---, deswegen muß …-Form dasjenige ist, was zur empirischen Erkenntnis eines Falles von Kausaltät gehört, ist es diese kausal-kategoriale Urteilsform jedes kausal-thematischen Erfahrungsurteils, was dieser Grundsatz wegen seiner Apriorität antizipieren kann. Doch wegen dieser Apriorität ist es im Licht von Kants wichtigem methodologischen Metaphysik-Kriterium, vgl. A 841, B 869, ein Satz derjenigen Metaphysik, mit Blick auf die Specht so treffend bemerkt, daß sie sich einer Methode Kants verdankt, durch die sie unabhängig von den Veränderungen des Tat­ sachenwissens ist.

Urteile jenseits möglicher Erfahrung

21.

Warum ein kritischer Test der Theorie der Erfahrung nötig und wie er möglich ist

Es gehört zu den außerordentlichen methodischen Eigenarten von Kants Theorie der Erfahrung, daß man sich mit ihrer internen Kohärenz und Abgeschlossenheit nicht zufrieden geben kann und muß. Ihre Abgeschlossenheit zeigt sich zwar darin, daß sie gleichsam »[…] eine Insel« beschreibt, die »durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen [ist]«.1 Ihre Kohärenz wiederum zeigt sich in einer vollständigen »Karte des Landes …, das wir soeben verlassen wollen«.2 In diese Karte hat diese Theorie die weitverzweigten Wege und vielerlei Orte eingetragen, die man durchwandert haben muß, um bis zu dem Punkt zu gelangen, an dem man sehen kann, wie es möglich ist, »die Form einer möglichen Erfahrung zu antizipieren«.3 Doch diese fast schon vermessen klingende Zielsetzung beschränkt sich bei genauerer Prüfung darauf, die »formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit«4 der Erfahrungsurteile zu klären. Denn in deren »Übereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes besteht … das Formale aller Wahrheit«.5 Diese formalen Bedingungen werden indessen durch die Kategorien festgelegt, von denen die Menschen seit unvordenklichen Zeiten in solchen mehr oder weniger krude formulierten Urteilen Gebrauch machen. Nur im empirischen Medium ihrer unablässig wechselnden Wahrnehmungen können sie mit Hilfe dieser Kategorien immer wieder von neuem relativ beharrliche Entitäten – komparative Substanzen – identifizieren und ihnen mehr oder weniger flüchtige Eigenschaften mit Hilfe solcher objektiv wahrheitsfähigen Urteile zuschreiben; und nur in diesem Medium können sie sich mit Hilfe der weil ---, darum muß …-Kategorie auch immer wieder von neuem neue Fälle von Kausalität erschließen, durch entsprechend geformte Erfahrungsurteile in objektiv wahrheitsfähiger – wenngleich bewährungsbedürftiger – Form thematisieren und zugunsten ihrer Weltorientierung und ihrer technischen und praktischen Weltgestaltung fruchtbar machen. Das Ungenügen an der Theorie, die diese Form der Erfahrung durch nahezu hyperkomplexe Urteilsanalysen durchsichtig macht, wird indessen nicht etwa 1 2 3 4 5

A235, B 294. A236, B 295. A246, B 303. A191, B 236. A294, B 350.

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unmittelbar und durch eine interne Insuffizienz geweckt. Es ergibt sich vielmehr durch die methodische Skepsis, ob »wir also durch diese kritische Untersuchung nichts Mehreres lernen, als wir im bloßen empirischen Gebrauche des Verstandes, auch ohne so subtile Nachforschung, von selbst wohl würden ausgeübt haben«.6 Sogar im meta-theoretischen Rückblick auf das Ganze dieser Theorie wird noch einmal die Spontaneität alles dessen evoziert, was Menschen auch ohne die vorangegangenen subtilen und kritischen Untersuchungen von selbst, also spontan ausüben – immer wieder von neuem neue Erfahrungsurteile zu bilden und geeigneten Bewährungsproben auszusetzen, so daß sie schrittweise immer umfassender am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung teilhaben. Doch so fruchtbar dieser spontane Erwerb von Anteilen an diesem Ganzen auch sein mag  – es bleibt bedenklich, »daß der bloß mit seinem empirischen Gebrauche beschäftigte Verstand, der über die Quellen seiner eigenen Erkenntnis nicht nachsinnt, zwar sehr gut fortkommen, eines aber gar nicht leisten könne, nämlich, sich selbst die Grenzen seines Gebrauch zu bestimmen, und zu wissen, was innerhalb oder außerhalb seiner ganzen Sphäre liege, denn dazu werden eben die tiefen Untersuchungen erfordert, die wir angestellt haben«.7 Diese Bedenklichkeit ist indessen so gravierend, daß sie nicht weniger kritische und subtile Urteilsanalysen als diejenigen nötig macht, denen sich die Einsichten in die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und in die ihrer Gegenstände verdankt – denn »das wird unser Geschäft in der transzendentalen Dialektik sein«.8 Das Gravierende dieser Bedenklichkeit ergibt sich aus dem an sich ganz legitimen und fruchtbaren Verfahren der »Vernunft in ihrem logischen Gebrauche …, zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird«.9 Doch »Diese logische Maxime«10 entartet zu einem verführerischen Grundsatz, so daß »[…] kein ihm adäquater empirischer Gebrauch von demselben jemals gemacht werden können [wird]«,11 nämlich »wenn man annimt: wenn das Bedingte gegeben ist, so sei auch die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben«.12 Denn »das Bedingte bezieht sich analytisch zwar auf irgendeine Bedingung, aber nicht aufs Unbedingte«.13 Wohl kann die Orientierung am Unbedingten, »wenn es wirklich statthat, … besonders erwogen werden, nach allen Bestimmungen, die es von jedem Unbedingten unterscheiden«.14 6 A237, B 296, Hervorhebung R. E. 7 Ebd. 8 A 309, B 366. 9 A 307, B 364. 10 Ebd. 11 A 308, B 365. 12 A 307, B 364–A 308. 13 A 308, B 364. 14 A 308, B 365.

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Denn diese Orientierung entspringt einem »Bedürfnis der Vernunft«, das darauf zielt, »sich im Aufsteigen zu immer höheren Bedingungen der Vollständigkeit derselben zu nähern und dadurch die höchste uns mögliche Vernunfteinheit in unsere Erkenntnis zu bringen«.15 Dennoch muß die methodische Skepsis auch hier zu ihrem Recht kommen und erwägen, ob das Bedürfnis nach der Orien­ tierung an einem Unbedingten nicht »durch einen Mißverstand«16 geweckt wird. Denn dieser Mißverstand würde uns verführen, »wirkliche Grundsätze« zu befolgen, »die uns zumuten, alle jene Grenzpfähle niederzureißen und sich einen ganz neuen Boden, der überall keine Demarkation kennt, anzumaßen«17 – also einen Boden jenseits des wohldemarkierten »fruchtbaren Bathos der Er­ fahrung«.18 Eine ›critische‹ Auseinandersetzung mit solchen Grundsätzen, wie sie in der Transzendentalen Dialektik im Licht der Wege und der Resultate der Theorie der Erfahrung präsentiert werden, bietet daher einen unschätzbaren »Probierstein ihrer Richtigkeit«.19 Denn diese Auseinandersetzung kann zeigen, daß und inwefern diese Grundsätze auf verschiedenen Formen eines spezifisch ontolo­gischen ›Mißverstands‹ beruhen.

15 A 309, B 365. 16 Ebd. 17 A 296, B 352. 18 IV, 373*, Kants Hervorhebung. 19 A 295, B 352. Kant selbst charakterisiert die Transzendentale Dialektik daher im Rückblick auch als »ein Experiment der Vernunft, das sie mit sich selbst anstellt«, das das, was »in der Analytik der Kritik der reinen Vernunft vorher apriori … bewiesen worden war, … bestätigt«, XX , 290–291. – Daß, wie Heinz Heimsoeth, Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Erster bis Vierter Teil, Berlin 1966–1971, zu bedenken gibt, die »›transzendentale Dialektik‹ … das eigentliche Ziel«, Heimsoeth, Dialektik I, S. VIII, der Ersten Kritk sei, ist gewiß verfehlt. Daß »Die Kritik des Dialektischen in aller überkommenen Metaphysik« sogar »[…] für den eigenen Neuaufbau den Boden freilegen [sollte]«, ebd., unterläuft die wahren Begründungsverhältnisse zwischen dem konstruktiven Teil der Ersten Kritik, ihrer Transzendentaler Dialektik und den beiden anderen Kritiken in geradezu bizarrer Weise. Hier meldet sich bei Heimsoeth das Echo eines Streits, wie er im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts mit Friedrich Paulsens und Alois Riehls Untersuchungen beginnt. Er drehte sich um die Frage nach der die Arbeit an der späteren Kritik der reinen Vernunft auslösende Initialzündung. Von Benno Erdmann 1878 wurde er zugunsten der bis heute dominerenden Auffassung geführt, daß diese Initialzündung von Kants Entdeckung einer Antinomie im Weltbegriff der traditionellen Metaphysik ausgehe; vgl. hierzu die kritische Darstellung und Erörterung bei Klaus Reich, Einleitung, in: Immanuel Kant, De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. Lateinisch-Deutsch, Hg. K. Reich (19581), Hamburg 1966, S. VII–XVI, bes. S. VII–XI . Die Zustimmung Heimsoeths zu dieser Identifizierung der ›critischen‹ Initialzündung zeigt sich in dem Echo, mit dem er die ›transzendentale Dialektik als das eigentliche Ziel‹ der Untersuchungen der Ersten Kritik auffaßt. Zur Kritik dieser Identifizierung vgl. Reich, Einleitung, S. XI–XVI .

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22. Paradigmen 22.1. Der Paralogismus Es fällt unter diesen Voraussetzungen besonders auf, daß Kant innerhalb des konstruktiven Teils der Ersten Kritik nur ein einziges Mal Gelegenheit nimmt, das Attribut des Unbedingten bzw. Absoluten zu verleihen, ohne sich durch einen solchen Mißverstand verleiten zu lassen: »Ich, als denkend Wesen, bin das absolute Subjekt aller meiner möglichen Urteile«,20 nämlich die unbedingte Bedingung, »…, die jeder Erfahrung anhängt als bloß subjektive Bedingung derselben«.21 Im Blick auf den Paralogismus, aus dem diese Formulierung der ersten Auflage im buchtechnischen Sinne stammt, macht diese Auffälligkeit auf ein einzigartiges sachliches Spannungsfeld aufmerksam. In ihm halten sich Einsicht und ›Mißverstand‹ in einer von Kant wahrhaft ›critisch‹ durchschauten Form die Waage: Der meta-logischen Einsicht, die in der A-Auflage im Untersatz des Ersten Paralogismus der Substantalität angedeutet wird, steht der substanz-ontologische ›Mißverstand‹ des Obersatzes gegenüber, aus deren Konjunktion der substanzontologische ›Mißverstand‹ der Konklusion regelwidrig (­quaternio terminorum) gewonnen wird. Prämissenförmige Konjunktionen aus meta-­logischen Einsichten und substanz-ontologischen Formen des ›Mißverstands‹ sowie entsprechenden substanz-ontologischen Konklusionen solchen ›Mißverstands‹ prägen alle vier Paralogismen in beiden Auflagen. Alle Urteile, die als Obersätze bzw. als Konklusionen diese Paralogismen mit substanz-ontologischen Mißverständnissen prägen, sind Urteile-jenseits-möglicher-Erfahrung. Denn sie formulieren Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung oder solche von deren Gegenständen ebenso wenig wie sie ›die Form einer möglichen Erfahrung antizipieren‹, indem sie ›formale Bedingungen der empirischen Wahrheit‹ von Erfahrungsurteilen formulieren würden. Stattdessen stellen sie auf der Line einer überlieferten Substanz-Ontologie Behauptungen über die uneingeschränkte Beharrlichkeit der Existenz des denkenden Subjekts auf.22 Urteile-jenseits-möglicher-Erfahrung 20 A 348, Hervorhebung R. E.; vgl. hierzu auch Erster Teil, S. 128–132. Daß diese Formulierung der ersten Auflage des Paralogismus angehört, mindert ihr ›critisches‹ Format nicht im mindesten. Denn für die Untersätze der vier Paralogismen – und aus einem solchen Untersatz stammt diese Formulierung – reserviert Kant durchweg und trotz ihrer mißlungenen Schlüssigkeit die Auffassungen, die sich im Licht des erst in der zweiten Auflage gewonnenen ›höchsten Punkts‹ der §§ 15 ff. nahtlos zu Kommentaren dieses ›höchsten Punkts‹ umwandeln lassen. 21 A 354. 22 Das Moment der Existenz wird mit aller wörtlichen Ausdrücklichkeit erst im (einzigen!) Paralogismus der zweiten Auflage betont, vgl. B 410–411, das Moment der Beharrlichkeit dieser Existenz in der Form der Unvergänglichkeit erst in der Widerlegung des

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formulieren diese Obersätze bzw. Konklusionen dieser Paralogismen deswegen, weil sie aus zwei verschiedenartigen Gründen unerfüllte Voraussetzungen dieser Paralogismen formulieren.23 Zum einen formulieren sie ebenso wie »…  der formale Satz … Ich denke … keine Erfahrung«.24 Zum anderen formulieren sie – im Gegensatz zu diesem formalen Satz – nicht nur nicht die, sondern noch nicht einmal eine »Form …, die jeder Erfahrung anhängt als bloß subjektive Bedingung derselben«.25 Sie konzipieren vielmehr ein uneingeschränkt beharrlich, also unvergänglich existierendes denkendes Subjekt als wäre es dasselbe wie die subjektive Bedingung, die unter der Formulierung Ich denke ›jeder Erfahrung‹, nämlich jedem Erfahrungsurteil ›anhängt‹.26 Unerfüllt ist also die stillschweigende Voraussetzung des Paralogismus, daß das uneingeschränkt beharrlich existierende denkende Subjekt des Obersatzes und der Konklusion dasselbe sei wie das denkende Subjekt des Untersatzes. Doch um ein Urteil jenseits möglicher Erfahrung handelt es sich ebenso bei dem Mendelssohnschen Beweises der Beharrlichkeit der Seele, vgl. B 413–418. In der Frage der Beharrlichkeit des Existenz des denkenden Subjekts war Descartes schon weiter als diese Substanz-Ontologie der Unvergänglichkeit der Seele: Auf seine eigene skeptische Frage »[…] ego sum, ego existo, certum est. Quandiu autem?« antwortet er selbst »Nempe quandiu cogito«, Med. II, sect.6; vgl. hierzu auch schon Erster Teil, S. 1212. 23 Das Kriterium der unerfüllten Voraussetzungen hat Günther Patzig, Art. Widerspruch, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe H. M. Baumgartner / Chr. Wild (Hg.), München 1973, 1694–1702, in erhellender Weise in die Analyse zunächst nur der logischen Struktur der Antinomie eingeführt, vgl. bes. S. 1697 f. Doch dieses Kriterium wird in der gegenwärtigen Logik regelmäßig schon länger ganz unabhängig von solchen Problemen der Kant-Interpretation fruchtbar gemacht, um Fehlleistungen viel banalerer Art zu durchschauen. So ist z. B. der Satz Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig weder wahr noch falsch, weil er von der unerfüllten Voraussetzung Gebraucht macht, Frankreich habe gegenwärtig einen König zum Staatsoberhaupt. Es hängt daher im konkreten Einzelfall von der Einschätzung der logischen Struktur des Inhalts eines – oder mehr als eines – Satzes ab, ob er mit einer unerfüllten Voraussetzung verbunden ist oder nicht. Kant selbst charakterisiert die Unerfülltheit einer solchen Voraussetzung in den Prolegomena im Rahmen seiner Revision »der ersten Klasse der Antinomie« als »Falschheit der Voraussetzung«, IV, 343, und führt sie im Rahmen der Revision der vierten Antinomie auf einen »Mißverstand«, 347, zurück, auf einen Mißverstand des Grundsatzes der Kausalität. Ein solcher Mißverstand ist im Rahmen von Kants Transzendentaler Dialektik nicht nur mit Thesen und Antithesen der Antinomie gegeben, sondern auch mit den Prämissen und den Konklusionen des Paralogismus. Zur Rolle, die diese ›Falschheit der Voraussetzung‹ bzw. dieser ›Mißverstand‹ speziell im Rahmen des Paradigmas des Vierten Widerstreits der Antinomie spielen, vgl. unten S. 404–410. 24 A 354, Hervorhebung R. E. 25 Ebd. 26 Zu der Interpretation, daß das Ich denke nur deswegen im Sinne der distributiven Quantifizierung die subjektive Bedingung ›jeder Erfahrung‹ ist, weil sie die subjektive Bedingung jedes Erfahrungsurteils ist, vgl. Erster Teil, bes. S. 48–51, 91–93, 132–133. Allgemein zur Wichtigkeit des Unterschied zwischen distributiver und kollektiver Allgemeinheit vgl. oben S. 313, Anm. 188.

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stillschweigenden Urteil, daß ein denkendes Subjekt uneingeschränkt beharrlich existiere. Denn das einzige Urteil diesseits möglicher Erfahrung, das ein denkendes Subjekt betrifft, hat die Form, die ins Zentrum von Kants Konzeption der Selbstaffektion gehört: »… in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt«.27 Deswegen bildet die zur conditio humana gehörende Zeit des Schlafs das bedeutsamste Beispiel für eine regelmäßig wiederkehrende Zeit im Leben jedes Menschen, ›darin er sich seiner nicht bewußt ist‹ und sich ihrer daher auch nicht ›als zur Einheit seines Selbst gehörig bewußt‹ sein kann. Träume und vor allem die Erinnerungen an sie bilden ausschließlich Indizien für die im Schlaf fortgesetzte leibhaftige Existenz des Schläfers und Träumers, sowie dessen, der sich an Träume erinnert, und dessen, an den er sich als an den erinnert, dessen leibhaftige Existenz sich während des Schlafs und der Träume fortsetzte. Nun faßt Kant für die Erörterungen der Transzendentalen Dialektik allerdings die Kritik von »wirkliche[n] Grundsätze[n]« ins Auge, »die uns zumuten, alle jene Grenzpfähle niederzureißen und sich einen ganz neuen Boden, der überall keine Demarkation kennt«,28 weil sie jenseits der Grenzen des ›fruchtbaren Bathos‹ der Erfahrung liegen. Ungeachtet der Tatsache, daß Des zweiten Buchs der Transzendentalen Dialektik. Erstes Hauptstück in beiden Auflagen den Titel Von den Paralogismen der reinen Vernunft trägt, sind bei diesem Thema jedoch zwei wichtige logische Unterschiede zwischen beiden Auflagen zu berücksichtigen. Zum einen werden nur in der ersten Auflage mehrere, nämlich vier Paralogismen präsentiert und erörtert29, während die zweite Auflage nur einen einzigen Paralogismus präsentiert und erörtert;30 zum anderen enthält jeder der vier Paralogismen der ersten Auflage mindestens ein sog. einzelnes Urteil der ich-Form oder der dasjenige, das-Form  – also mit definiter Kennzeichnung  – während nur der Eine Paralogismus der zweiten Auflage wegen der verkappten All-Quantifikation seiner drei Urteile wirkliche Grundsätze präsentiert, formal ein wenig stilisiert also: Für jedes x gilt: Wenn x nicht anderes denn als Subjekt gedacht werden kann, existiert x auch nicht anders denn als Subjekt, und ist also Substanz Für jedes x gilt: Wenn x bloß als ein denkendes Wesen betrachtet wird, kann es nicht anders denn als Subjekt gedacht werden Also gilt für jedes x: x existiert nur als Subjekt, d. i. als Substanz

27 A 362; vgl. hierzu die ausführliche Erörterung von Kants Konzeption der Selbstaffektion, oben 13.2. Ab., bes. S. 52–65. 28 A296, B 352. 29 Vgl. A 348–351, A 351–361, A 361–366 und A 366–380. 30 Vgl. B 410–411.

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Zwar ändert die Beachtung dieser logischen Unterschiede nichts an den schlagenden Gründen der Kritik am Inhalt der in beiden Auflagen präsentierten Paralogismen. Doch die verkappte All-Quantifizierung der beiden Prämissen und der Konklusion des Einen Paralogismus der zweiten Auflage ist jedenfalls ein unübersehbares Indiz dafür, daß Kant mit Erfolg bemüht war, die Fehlerhaftigkeit des »Verfahren[s] der rationalen Psychologie«31 auf einen einzigen echten Grundsatz von unbestreitbar allgemeiner Form zurückzuführen. Die Tests, die die Transzendentale Dialektik mit Blick auf die Kohärenz und die innere Abgeschlossenheit der Theorie der Erfahrung durchführen soll, beginnen, wie sich zeigt, aus guten Gründen mit einer kritischen Prüfung des »alleinige[n] Text[s] der rationalen Psychologie« in Gestalt des Urteils »Ich denke«.32 Denn dieser Text bildet gleichzeitig den »höchste[n] Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die ganze Transzendentalphilosophie heften muß«.33 Die Prüfung zeigt, daß der substanzontologische Mißbrauch dieses Urteils darauf zurückgeführt werden kann, daß er die mehr oder weniger flüchtige temporale Form des Selbstbewußtsein mißachtet, die durch dieses Urteil unmißverständlich zur Sprache gebracht wird. Denn aus ihm kann »ein völlig identischer Satz des Selbstbewußtseins« gewonnen werden, weil er »[…] wirklich nichts mehr [sagt], als in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt«.34 Selbstverständlich sind nicht die propositionalen Gehalte dieses Satzes und des ›formalen‹ Satzes Ich denke – also das, was sie sagen – identisch. Doch dieser Satz ist nicht nur auch der Satz, »der das Selbstbewußtsein ausdrückt«,35 er ist auch  – seinem wahren logischen Status nach – »Der logische Akt Ich denke …« und also »[…] ein Urteil (iudicium)«.36 Da aber schließlich »in jedem Urteil […] subjektiv eine Zeitfolge [ist]«,37 gibt der Autor des Urteilsakts Ich denke sich selbst – und jedem Adressaten38 – durch den temporalen Charakter dieses einen und selben Urteilsakts zu verstehen, daß ›ich in der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt bin‹. Ohne sich über so etwas wie pragmatische Implikationen (Implikaturen39) formale theoretische Rechenschaft 31 32 33 34 35 36 37 38

B 410. A 343, B 401, Kants Hervorhebung. B 133. A 362. A 398–399. XXVIII .1, 266, Hervorhebung R. E. XX , 369. Da Kant die Auffassungen vertritt »Wir würden gar nicht urteilen, wenn wir keine Wörter hätten«, XXIV, 1,1, 588 und »Wir bedürfen der Wörter, um nicht allein andern, sondern uns selbst verständlich zu werden«, R 3444, ist jeder, der urteilt, auch sein eigener Adressat. 39 Vgl. bes. H. Paul Grice, Logic and Conversation, in: ders., Studies in the Way of Words, Harvard 1989, S. 22–40.

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abgelegt zu haben, hat Kant damit aus der von ihm klar gesehenen temporalen Form von Urteilsakten und insbesondere aus der temporalen Form des Urteilsakts Ich denke die entsprechende pragmatische Implikation als ›identischen Satz‹ gewonnen: Der Satz ›In der ganzen Zeit, darin ich mir meiner bewußt bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst gehörig, bewußt‹ sagt dasselbe, was der Satz ›Ich denke‹ zu verstehen gibt. Es liegt auf der Hand, daß Kants Theorie der Erfahrung gerade auch mit Blick auf ihren ›höchsten Punkt‹ daran gelegen sein muß, einen Test zu bestehen, der ihre Überlegenheit in diesem ›höchsten Punkt‹ gegenüber dem wichtigsten konkurrierenden Theorie-Typ zeigt. Dies ist der Theorie-Typ, der sich unter dem »stolze[n] Namen der Ontologie … anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben«,40 z. B. durch den Grundsatz, daß jedes denkende Wesen nur als Subjekt, d. i. als Substanz, also uneingeschränkt beharrlich existiert. Doch da das Urteil Ich denke die Form zur Sprache bringt, ›die jeder Erfahrung anhängt als bloß subjektive Bedingung derselben‹, ›hängt‹ umgekehrt jede Erfahrung, also jedes Erfahrungsurteil an dieser subjektiven Bedingung, z. B. in der Form Ich denke, daß die Sonne den Stein erwärmt bzw. Ich denke, daß, weil die Sonne den Stein bescheint, er deswegen wärmer werden muß. Die Form dieser subjektiven Bedingung wird durch das Urteil Ich denke allerdings nur nachträglich und mit Mitteln der logischen und der transzendentalen Reflexion zur Sprache gebracht. Unabhängig von dieser sie mit sprachlichen Mitteln thematisierenden Reflexion bildet sie die Form des unthematischen Akts der reinen und ursprünglichen Apperzeption. Denn dieser im übrigen spontane, also vom denkend-urteilenden Subjekt selbst bzw. von selbst vollzogene Akt »[enthält] den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin die Möglichkeit des Verstandes, sogar in seinem logischen Gebrauche, […]«,41 also seines Gebrauchs zugunsten der Bildung von Urteilen mit mehr oder weniger komplexen logisch-grammatischen Formen. Doch diese »Einheit des Bewußtseins … [erkennen42] wir selbst nur dadurch […], daß wir sie zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich brauchen«.43 Im Rahmen der Erörterung des Paralogismus muß Kant indessen noch einen Reflexionsschritt hinter diese ›bloß subjektive Bedingung, die jeder Erfahrung anhängt‹, zurücktreten. Denn er hat es hier mit der konkurrierenden ontologischen These einer uneingeschränkt beharrlich existierenden denkenden Substanz zu tun. Doch da die Erfahrung, zu deren Möglichkeit wir die Einheit des Bewußtseins in der Form des Ich denke unentbehrlich brauchen, nichts 40 A 247, B 303. 41 B 131; vgl. zu diesem unthematischen, aber mit Mitteln der Reflexion thematisierbaren ursprünglichen Akt und seiner Form und Funktion ausführlich Erster Teil, S. 98–99, 139–152. 42 Ich schließe mich hier der Konjektur von Hartenstein an. 43 B 420.

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anderes ist als die »Erfahrung (unseres Daseins im Leben)«,44 bringt eine uneingeschränkt beharrlich existierende denkende Substanz die durch nichts erkennbare Möglichkeit mit sich, »über Erfahrung (unseres Daseins im Leben) hinauszukommen«.45 Der Reflexionsschritt hinter die subjektive Bedingung der Einheit des Bewußtseins in der Form des Ich denke macht daher auf eine noch tiefer liegende subjektive Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung aufmerksam: »[…] die subjektive Bedingung aller uns möglichen Erfahrung [ist] das Leben: folglich kann nur auf die Beharrlichkeit der Seele im Leben geschlossen werden«.46 Indessen ist »das denkende Ich … die Seele«.47 Doch bei der Beharrlichkeit dieser Seele im Leben handelt es sich um die Beharrlichkeit, mit der ihr individueller Träger im Medium seines Spontaneitätsbewußtseins Urteile der diversesten logisch-grammatischen Formen bildet. Doch dieses »Bewußtsein hat jederzeit einen Grad, der immer noch vermindert werden kann«.48 Dieser Grad 44 B 420. 45 Ebd. 46 IV, 335, vgl. zu Einzelheiten bes. IV, 335*; denn hier bereitet Kant offensichtlich seine Widerlegung des Mendelssohnschen Beweises der Beharrlichkeit der Seele, vgl. B 413–418, vor. 47 A 361; vgl. hierzu Erster Teil, bes. S. 143–144. 48 A 414. Die Befangenheit nicht weniger Kant-Interpreten und Kant-Kritiker in der Auffassung einer besonderen Art von Sprachvergessenheit bzw. Vorstellungs- und Bewußtseins-Fixiertheit, vgl. hierzu Erster Teil, bes. S. 77–84, blockiert den Zugang zu einer wichtigen Tragweite von Kants Theorie. Stellt man die für Kant selbstverständlichen, aber weitgehend stillschweigenden und dennoch zentralen Prämissen über die Unerläßlichkeit der Bindung von Urteilsakten und anderen Bewußtseinsakten an ihre wörtlichen Formulierungen gebührend in Rechnung, dann kann man durch die Theorie von Delius, Self-Awareness, über diese Tragweite belehrt werden. Im Rahmen einer strikt sprach-analytischen Untersuchung von Sätzen der Form »I-see / hear / taste / feel-X«, S. 2 ff., gelangt er zu einem subtil begründeten Ergebnis: Ein »egological statement«, S. 29 ff., wie z. B. »That I am aware of now seeing a cat, … is a state of affairs which, to the speaker, will necessarily have the appearance of something which would be the case, even if and when he did not conceive of it in terms of an egological statement«, S. 159, Delius’ Hervorhebungen; doch »there is nothing, short of the type of theoretical reflection carried out in this inquiry [Hervorhebungen R. E.], which could suggest to him that the characteristic of independent and continued existence of his state of selfawareness is only an appearance, enjoyed by it only because – and only as long as – he attends to its egological description« ebd., Delius’ Hervorhebung. Denselben Status und dieselbe Funktion haben alle von Kant thematisierten Urteile-des-inneren-Sinns, allen voran das eminente Urteil-des-inneren-Sinns Ich denke bzw. Ich denke, daß-p: Was Ich denke bzw. Ich denke, daß-p, thematisiert, erscheint – mit einer Ausnahme – notwendigerweise nur deswegen und nur so lange als existent, weil und solange es thematisiert wird; die Ausnahme bildet das eminente Urteil-des-innerenSinns Ich denke bzw. Ich denke, daß-p. Denn das denkend-urteilend fungierende Ich – die Seele des Menschen, vgl. A 361; A 342, B 400 und IV, 334 – tritt immer wieder von neuem auch dann, wenn es nicht durch dieses Urteil sprachlich thematisiert wird – also außerhalb der transzendental-logischen Analysen und Refelxionen –, in der Rolle des stillschweigenden Stifters jedes beliebigen Urteils-überhaupt in seine funktionale Existenz.

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kann ebenso jederzeit auch vermehrt werden – jedenfalls bis zu dem Grad, auf dem es einem Subjekt logischer und transzendentaler Reflexionen und Analysen gelingt, dieses normalerweise unthematische Spontaneitätsbewußtsein sogar zu einem ausdrücklichen Thema seiner Untersuchungen und Einsichten zu machen, und zwar deswegen, weil er selbst zu der Gemeinschaft derer gehört, deren Mitglieder normalerweise  – also diesseits der Ausübung logischer und transzendentaler Reflexion und Analyse – die unthematische Spontaneität des Urteilens auf den diversesten Stufen formaler Komplexität aktivieren. Unter den Vorzeichen einer Ontologie der uneingeschränkt existierenden denkenden Substanz degenerieren die Urteile, die unter den Vorzeichen der Theorie Kants spontane, also selbst bzw. von selbst geformte Akte denkender individueller Subjekte sind, allenfalls zu unverfügbaren und daher auch unkorrigierbaren Widerfahrnissen, denen sie durch undurchschaubare Machenschaften einer unabhängig von ihnen uneingeschränkt existierenden, aber denkenden Substanz hilflos ausgesetzt sind. Einer Erfahrung, deren sie durch spontane, also von selbst bzw. selbst, also authentisch geformte Erfahrungsurteile schrittweise teilhaftig werden könnten, wären die Menschen unter den Vorzeichen dieser Ontologie nicht fähig. Im Rahmen des Paralogismus gelingt Kant daher in der Auseinandersetzung mit der ontologischen Voraussetzung des uneingeschränkt beharrlich existierenden denkenden Subjekts die Einsicht, daß es sich bei dieser Voraussetzung nicht nur um eine im Leben der Menschen unerfüllte Voraussetzung handelt, sondern auch um eine für die Möglichkeit der Erfahrung überflüssige Voraussetzung und schließlich um ein Paradigma eines Urteils jenseits möglicher Erfahrung.

22.2. Der Antinomie vierter Widerstreit Es ist alles andere als ein Zufall, daß im Rahmen der Antinomie der reinen Vernunft Thesen und Antithesen präsentiert werden, deren Formulierungen und Erörterungen auch dem Ziel dienen, die konstruktiven Teile der Theorie der Erfahrung ebenso unterschiedlichen Prüfungen auf ihre Tragfähigkeit zu unterziehen wie dies mit der Formulierung und den Erörterungen des Paralogismus ebenfalls intendiert ist. Mit dem Schritt, der von der Formulierung und den Erörterungen des Paralogismus zur Formulierung und den Erörterungen der Antinomie führt, hat es jedoch eine besondere Bewandtnis. Denn die Auseinandersetzung mit dem Paralogismus wird als substanz-ontologische Bewährungsprobe für den ›höchsten Punkt‹ der Logik und der Transzendentalphilosophie ernst genommen. Dagegen wird die Auseinandersetzung mit der Antinomie als Bewährungsprobe für den Teil der Theorie der Erfahrung ernst genommen, den man im Ausgang von diesem ›höchsten Punkt‹ nur durch den größtmöglichen Sprung erreichen kann – also durch einen Sprung, der alle die

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komplizierten Zwischenschritte überspringt, ohne die man in Gestalt der Konzeption der Urteilsfunktionen, der Metaphysischen und der Transzendentalen Deduktion der Kategorien und des Schematismus nicht in kohärenter Form bis zum Grundsatz-Kapitel gelangt. Doch um die Bewährungsprobe von dessen Thesen und Argumenten geht es gerade unmittelbar, indem die Auseinandersetzung mit der Antinomie gesucht wird. Indem diese zweite Bewährungsprobe für die Theorie der Erfahrung unmittelbar an dem Punkt ansetzt, der im Licht des konstruktiven Schrittschemas dieser Theorie erst ganz zuletzt erreicht wird, werden implizit auch alle vorangegegangenen Schritte dieser Theorie auf die Probe gestellt. Denn wenn das Grundsatz-Kapitel diese Probe nicht besteht, dann fällt ein langer Schatten skeptischer Fragen auf alle Schritte, die zu ihm führen sollen. Unter diesen Voraussetzungen ist es am ratsamsten, die Aufmerksamkeit auf den vierten Widerstreit der Antinomie zu konzentrieren. Denn die Erörterungen gerade dieses Widerstreits bilden in zweifacher Hinsicht ein Paradigma einer Bewährungsprobe für die Theorie der Erfahrung: Zum einen klären sie – analog wie der Paralogismus  – über die Struktur eines ontologischen Urteils jenseits möglicher Erfahrung auf; zum anderen macht Kant im Rahmen dieser wichtigen strukturellen Klärung von begrifflichen und kriteriellen Mitteln Gebrauch, mit denen er auf zentrale Elemente der auf das Grundsatz-Kapitel hin­ führenden Teiltheorien zurückgreift. Thesis und Antithesis dieses Widerstreits lauten bekanntlich: »Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist » bzw. »Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt als Ursache«.49 Es lohnt sich, beide an sich wohlbekannte Thesen noch einmal um ihrer selbst Willen zu präsentieren. Denn der ontologische Charakter beider Sätze liegt entweder – wie bei der Antithesis – durch den ausdrücklichen Existenz-Faktor auf der Hand oder kann – mit Blick auf die Thesis – durch eine leichte Paraphrase explizit gemacht werden: Es existiert etwas, das, entweder als Teil oder als Ursache der Welt, ein schlechthin notwendiges Wesen ist.50 Indessen machen beide Sätze in Gestalt des gemeinsamen thematischen Ele­ ments … der Welt … von dem Element Gebrauch, das Kant im Auge hat, wenn er das logische Verhältnis der beiden Sätze, die hier These und Antithese bilden, kommentiert: »… welcher zwei Sätze Unverträglichkeit lediglich auf dem Mißverstande beruht«,51 daß sie beide gemeinsam von derselben »Falschheit der Voraussetzung«52 Gebrauch machen: Die falsche bzw. unerfüllte Voraus­ 49 A 452, B 480–A 453, B 481. 50 Kant selbst formuliert zwei ausdrücklich ontologische Paraphrasen der Existenzfaktoren beider Sätze, wenn er formuliert »es ist ein notwendiges Wesen«, A 459, B 487, und »es ist kein notwendiges Wesen«, ebd., Kants Kursivierungen, Fettdruck R. E. 51 IV, 347. 52 343.

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setzung53 beider Sätze besteht darin, daß sie irrtümlich die Welt-im-Ganzen mit einem Gegenstand möglicher Erfahrung identifizieren.54 Sowohl in den beiden Beweisen wie in den Anmerkungen, die diesem Wider­ streit gewidmet sind, wird die konditionale bzw. die temporale Strukturkomponente der Kausalität in der konzentriertesten und daher auch auffälligsten Form berücksichtigt. Diese auffällige Konzentration macht rückblickend umso gezielter darauf aufmerksam, wie wichtig und richtig es ist, diese beiden formalen Hauptkomponenten dieser Struktur in allen dieser Struktur gewidmeten Teilen von Kants konstruktiver Theorie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken  – also sowohl bei der Erörterung der Metaphysischen Deduktion der Kausal-Kategorie55 wie bei der Erörterung ihrer Transzendentalen Deduktion im Medium paradigmatischer kausal-thematischer Erfahrungsurteile56 wie bei der Erörterung des zeit-schematischen Kausalitäts-Kriteriums57 und wie schließlich bei der Erörterung des Grundsatzes der Kausalität.58 53 Zu dem von Patzig, Widerspruch, so hellsichtig in diese Erörterungen eingeführten logischen Analysemittel der unerfüllten Voraussetzung vgl. oben S. 373, Anm. 22. 54 So die schlagende Zusammenfassung Patzigs von Kants Anmerkungen zur vierten Antinomie, vgl. Patzig, Widerspruch, S. 1697 f. 55 Vgl. hierzu Erster Teil, bes. S. 269 f. Allerdings ist mir erst während der Arbeit am Zweiten Teil dieser Untersuchungen die Stelle B 288 genügend einprägsam ins Auge gefallen, an der Kant die klare urteils-funktionale Form weil ---, deswegen muß … für die metaphysisch deduzierte Kausal-Kategorie prägt. Nichtsdestoweniger war die verspätete Augenfälligkeit dieser Prägung eine höchst willkommene Bestätigung für die Richtigkeit der Unter­ stellung einer suffizienz-konditionalen Kausal-Kategorie, wie ich sie im Ersten Teil um der Kohärenz von Kants Theorie willen fruchtbar gemacht habe. 56 Vgl. vor allem Erster Teil, S. 268f 57 Vgl. oben S. 215 f. 58 Vgl. oben S. 327 f. – Heinz Heimsoeth, Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Erster bis Vierter Teil, Berlin 1966–1971, hat die bislang eindringlichste zusammenhängende Auseinandersetzung mit der Transzendentalen Dialektik ausgearbeitet. Sein bedeutsamstes gelehrtes Muster bildet zu Recht »das bedeutsame Werk von H. J.  Paton …, unter dem Titel: Kants Metaphysic of Experience (zwei Bände)«, Heimsoeth, Dialektik I, S. VII . Aus verständlchen arbeitsökonomischen Gründen ist Heimsoeth die Aufmerksamkeit auf den konstruktiven »Ersten Teil«, ebd., weniger eindringlich möglich gewesen. Einer der wichtigsten damit verbundenen Unaufmerksamkeiten ist die zentrale suffizienz-konditionalistische Analyse der Kausaltät entgangen, die die Erörterungen des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität präsentieren; zu der Tragweite, die diese Unaufmerksamkeit für Heimsoets gleichwohl vorbildlich umsichtige immanente Interpretation des Vierten Widerstreits mit sich bringt, vgl. unten S. 408, Anm. 64. Ein tiefes Mißverständnis von Patons »Grundinteresse«, ebd., zeigt sich allerdings in Heimsoeths Einschätzung, Paton suche »Kants systematische Bedeutung für die Grundlagenforschung der exakten Wissenschaften«, ebd., zu klären. Doch gerade u. a. mit Blick auf den Kausaltäts-Grundsatz stellt Paton ausdrücklich klar, das von Kant zur Sprache gebrachte Kausalitäts-Prinzip sei »one of the most fundamental, if not indeed the most fundamental, of all the presuppositions accepted alike by science and by ordinary experience«, Paton, Experience II, S. 218, Hervorhebungen R. E. Die in

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Man kann für die Einsicht in die Struktur dieses Widerstreits und zugunsten von dessen Korrektur und Überwindung allerdings einen Kunstgriff fruchtbar machen, der erlaubt, Kants subtile und komplexe Beweise und Anmerkungen mit dessen eigenen Mitteln radikal zu vereinfachen. Zu diesem Zweck genügt es zunächst, noch einmal die Zweite Analogie in der Fassung der ersten Auflage zu berücksichtigen: »Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt«.59 Diese Fassung enthält, wie sich gezeigt hat, einen verkappten Existenz-Faktor, der sich durch eine einfache Paraphrase leicht ausdrücklich zur Sprache bringen läßt: Zu allem was geschieht (anhebt zu sein), muß es es etwas geben / existieren, worauf es nach einer Regel folgt.60 Bei dem Kunstgriff, der erlaubt, von hier aus direkt in den vierten Widerstreit gleichsam zu springen, handelt es sich um die aus der modernen Formalen Logik vertraute sog. Quantorenvertauschung. Für die positive These des vierten Widerstreits erhält man mit ihrer Hilfe den Satz Es muß etwas geben / existieren, worauf alles, was geschieht (anhebt zu sein), nach einer Regel folgt; für die negative AntiThese erhält man dann offensichtlich: Es muß nicht etwas geben / existieren, worauf alles, was geschieht (anhebt zu sein), nach einer Regel folgt.61 Es ist diese dieser Untersuchung vielfach erörterten und weiter analysierten Paradigmen Kants für kausal-thematische Erfahrungsurteile wie Die Sonne erwärmt den Stein bzw. Weil die Sonne den Stein bescheint, deswegen muß er warm / wärmer werden machen unmißverständlich deutlich, daß Kant primär die Struktur der ordinary experience im Auge hat. Nicht nur hat die wissenschaftliche Erfahrung de facto an derselben Struktur teil, sie kann sogar deswegen an dieser Struktur teilhaben, weil sie sonst gar nicht zum Typus der Erfahrung gehören würde. Jonathan Bennett, Kant’s Dialectic, Cambridge 1974, widmet dem Thema Conditions zwar den ganzen § 84, S. 264–266, fragt aber trotz aller zur Schau getragenen ›kritischen Analytizität‹ nicht einmal, zu was für einem Typ von Bedingungen die von Kant thematisierten Bedingungen gehören. Zwar hält er der Sache nach fest: »Causes are conditions«, S. 264. Aber die unübersehbar sich häufenden Indizien dafür, daß Ursachen spätestens im Zusammenhang der Kausalitäts-Analogie als hinreichende Bedingungen aufgefaßt werden, vgl. oben S. 100–101, entgeht seiner »philosophy with a special techniques«, S. 6 – und das zu einer Zeit, in der schließlich durch die gründlichen und scharfsinnigen Untersuchungen vor allem von Mackie, Cement, und ders., Causes, S. 15–38, die konditionalistische Typologie im Umkreis des Kausalitätsproblems zu präzedenzloser Blüte und Fruchtbarkeit gebracht wurde. Zu Bennetts Stellungnahmen zu Kausalitätsproblemen innerhalb der Transzendentalen Dialektik vgl. unten S. 418, Anm. 112. 59 A 189. 60 Vgl. zu Einzelheiten dieser Paraphrase oben, S. 256–257, und noch um einen Grad differenzierter S. 269–270. 61 Hier zeigt sich in Gestalt des im kollektiven Sinne gebrauchten Allquantors, wie wichtig es ist, dieselbe alles-Phrase im Rahmen des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität anders, nämlich distributiv im Sinne der jedes-Phrase zu deuten. Denn nur im distributiven Sinne wird in diesem Rahmen vermieden, die Totalität dessen, ›was geschieht‹, als das ins Auge zu fassen, was ›auf etwas nach einer Regel folgt‹. Der Rekurs auf diese Totalität ist ausschließlich für den Vierten Widerstreit charakteristisch, aber mit dem Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität geradezu unverträglich, vgl. hierzu oben S. 313, Anm. 188.

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Totalität alles dessen, was geschieht, was im Rahmen dieses Widerstreits mit »der Welt«62 bzw. mit der »Reihe der Weltveränderungen«63 identifiziert wird und damit im Sinne der ›Falschheit der Voraussetzung‹ und des ihr zugrunde liegenden ›Mißverstands‹ irrtümlich mit einem Gegenstand möglicher Erfahrung verwechselt wird.64 Doch damit sind die ›Falschheiten der Voraussetzung‹ und die ihr zugrunde liegenden Formen des ›Mißverstands‹ noch nicht erschöpft. Eine weitere ›Falschheiten der Voraussetzung‹ und ein weiterer entsprechender ›Mißverstand‹ zeigt sich in der Rolle, die der Vierte Widerstreit sowohl mit seiner These wie mit seiner Anti-These der jeweils thematisierten Ursache zuschreibt. Die wichtigste Quelle für die Einsicht in diese spezifische ›Falschheit‹ bzw. diesen spezifischen ›Mißverstand‹ bildet der Rekurs auf den Geschehnis-Charakter der Ursache. Denn »… […] die Kausalität der Ursache, durch welche etwas geschieht, [ist] selbst etwas Geschehenes,65 welches nach dem Gesetz der Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen Kausalität, dieser aber ebenso einen noch älteren voraussetzt usw.«.66 An diesem Geschehnis-Charakter einer Ursache ändert sich auch dann nichts, wenn man sich im Vierten Widerstreit durch die einfache 62 A 452, B 480 bzw. A 453, B 481. 63 A 453, B 481 f. 64 Die formale Technik der Quantorenvertauschung macht daher am einfachsten – um nicht zu sagen: am simpelsten – sichtbar, wie und inwiefern sich der Vierte Widerstreit »Trotz aller Bezüge, welche von den Argumentationen des Widerstreits auf Kausalität zurückgehen«, Heimsoeth, Dialektik II, S. 248, vom Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität unterscheidet. Heimsoeths Erläuterung dieses Unterschieds »Jetzt ist eben nicht mehr von Weisen der Verursachung die Rede, sondern von Weisen der Existenz«, ebd., greift trotz seiner zutreffenden Hervorhebung des Existenzfaktors und damit des ontologischen Formats dieses Widerstreits zu kurz. Denn in der Zweiten Analogie geht es eben nicht einfach um ›Weisen der Verursachung‹. Zum einen geht es nur um eine einzige Form der Verursachung  – um das konditionale Verhältnis der hinreichenden, ursächlichen Bedingung zu dem von ihr Bedingten und zum anderen um das temporale Verhältnis eines früheren, suffizienz-konditionalen Geschehnisses zu einem unmittelbar späteren, notwendigerweise eintretenden Geschehnis. Vor allem aber geht es darum, mit dem Kausalitäts-Grundsatz eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände zu formulieren und gerade nicht um eine ontologische These über Existenzweisen von Etwassen. Die simple Technik der Quantorenvertauschung kann daher auch besonders eindringlich vor Augen führen, wie gründlich mißverständlich es ist, den propositionalen Kerngehalt des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität für dessen eigentlichen, spezifisch transzendental-logischen Gehalt zu halten. Dieser spezifische Gehalt ergibt sich ausschließlich durch die strikte Verbindung dieses propositionalen Kerngehalts mit dem transzendental-logischen Präfix Erfahrung und ihre Gegenstände sind nur dann möglich, wenn …. 65 Kants Hervorhebung. 66 A 444, B 472, Hervorhebungen R. E.; das wiederum bildet zusammen mit dem usw. die umgangssprachlichen Hinweise auf die Kontinuität bzw. die Iterabilität der KausalRelation in die Vergangenheit.

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Tatsache der Verwendung des Begriffs der Ursache auf zwei irrrtümliche Unterstellungen einläßt: In der Thesis wird irrtümlich unterstellt, daß alles, was geschieht – also die Totalität der Geschehnisse –, eine Ursache habe, nämlich Eine – und nur Eine – Ursache; in der Antithesis wird dagegen irrtümlich unterstellt, daß alles, was geschieht, nicht eine Ursache habe, also gar nicht im ursächlichen Sinne bedingt ist. Doch zum einen ist die Unterstellung der Thesis, daß alles, was geschieht, Eine – und nur Eine – Ursache habe, unverträglich damit, daß die unterstellte Eine Ursache als Ursache ihrerseits ein Geschehnis ist und daher – wie jedes beliebige Geschehnis als Geschehnis – etwas, nämlich wiederum eine andere Ursache voraussetzt, auf die es ›nach einer Regel folgt‹ und so weiter. Zum anderen ist mit der Thematisierung einer solchen einzigartigen Ursache die Unterstellung der Thesis verbunden, daß in ihrer Gestalt »[…] etwas Absolutnotwendiges existieren [muß]«67  – also etwas unbedingt Notwendiges, etwas, das »ohne Ursache wäre«.68 Doch diese Unterstellung ist implizit wiederum mit dem Charakter eines Geschehnisses unverträglich, das phänomenale Substrat einer Ursache zu bilden, sofern sie ein möglicher Gegenstand der Erfahrung ist. Denn ein Geschehnis ist in der Form einer Veränderung in der Zeit etwas, was durch eine ursächliche, also hinreichende Bedingung stets nur bedingterweise notwendig der Fall ist. Doch da in beiden Thesen systematisch vernachlässigt wird, daß der fruchtbare, urteilsförmige Gebrauch der Kategorie der Ursache auf die Berücksichtigung des phänomenalen Substrats eines zeitförmigen Geschehnisses angewiesen ist, bildet die Thesis ein Dokument des irregeführten Versuchs, in der Kosmologie eine These »auf bloße Begriffe vom notwendigen Dasein eines Dinges gründen, und mithin ontologisch sein«69 zu wollen. Mt der Antithesis verwickelt man sich unter diesen Voraussetzungen aus ganz verwandten Gründen in ebensolche unerfüllten Voraussetzungen und die mit ihnen verbundenen Formen eines ›Mißverstands‹. Denn zunächst einmal bildet auch sie eine ontologische These, weil sie die Nicht-Existenz eines schlechthin notwendigen ursächlichen Wesens »außer der Welt«70 behauptet. Doch eben deswegen bildet sie auch in dieser negativen Form eine Behauptung über die Weltim-ganzen, wiewohl sie im Gegensatz zur Thesis »[…] … die Zufälligkeit71 alles72

67 A 453, B 481. 68 Ebd.; diese Formulierung gehört zwar in den Beweis der Antithesis, bildet aber eine Erläuterung der Bedeutung von unbedingt notwendig, wie es zum Kerngehalt der Thesis gehört. Doch solche Über-Kreuz-Zusammenhänge sind eben charakteristisch für die hier erprobte apagogische Beweisform. 69 A 457, B 485, Hervorhebungen R. E.; vgl. auch Heimsoeth, Dialektik II, S. 252. 70 A 453, B 481. 71 Kants Hervorhebung. 72 Hervorhebung R. E.

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dessen, was in der Zeitreihe73 bestimmt ist, in Betrachtung [zieht]«.74 Im selben Atemzug vernachlässigt die Antithese, daß man sich »beim Aufsteigen in der Reihe der Erscheinungen … nicht auf bloße Begriffe«,75 verlassen dürfe, sondern berückschtigen müsse, daß im Licht des Grundsatzes der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität »vor jedem [Geschehnis in der Reihe der Erscheinungen R. E.] eine Zeit vorhergeht, darin die Bedingung selbst wiederum als bedingt bestimmt sein muß«.76 Daher gelangt man ›beim Aufsteigen in der Reihe der Erscheinungen‹ stets nur auf ein jeweils vorletztes Geschehnis, das als hinreichende, ursächliche Bedingung des jeweils vor-vorletzten Geschehnisses in Frage kommt, aber seinerseits wiederum die durch den Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität legitimierte Frage und Suche nach seiner hinreichenden, ursächlichen Bedingung unter den unmittelbar vorhergegangenen und untereinander gleichzeitigen Geschehnissen eröffnet. Die Antithesis operiert daher stillschweigend mit der unerfüllten Voraussetzung, daß es, wenn ›kein unbedingt notwendiges Wesen existiert‹, überhaupt kein Etwas existieren könnte, das im phänome­nalen Format eines Geschehnisses als hinreichende, ursächliche Bedingung für das letzte ihm unmittelbar und notwendigerweise nachfolgende Geschehnis in Frage kommt.

23. Die Tragweiten der Paradigmen und die praktischen Grenzen ihrer Tragweiten Die Untersuchungen der Transzendentalen Dialektik werden von Kant ausdrücklich auf zwei verschiedene methodische Rollen verteilt. In der Rolle eines Probiersteins der Richtigkeit der Theorie der Erfahrung haben sie es im Licht von Kants methodologischem Metaphysik-Kriterium77 unmittelbar auch mit einer Metaphysik der Erfahrung zu tun. Diese methodische Konstellation ist 73 Kants Hervorhebungen. 74 A 459, B 487. Heimsoeth, Dialektik II, betont: »Der Vierte Widerstreit im Weltdenken springt auf, wenn die Fundamentalbegriffe von ›Notwendigkeit und Zufälligkeit‹ durch den Vernunftanspruch des Unbedingten zu ›Ideen‹ werden«, S. 247. Daß die Berücksichtigung dieses modalen Unterschieds zwischen beiden Thesen wichtig ist, kann selbstverständlich nicht gut bestritten werden. Doch Heimsoeth überspringt geradezu den auch für diesen Vierten Widerstreit springenden Punkt der ganzen Antinomie, weil er nicht sieht, daß sie daraus entspringt, daß man sich in ihrem Rahmen an dem von ihm apostrophierten Weltdenken versucht, also an Thesen über die Welt-im-ganzen, indem man sich »auf bloße Begriffe«, A 457, B 485 verläßt. Man vernachlässigt also die Einschränkungen des fruchtbaren urteilsförmigen Gebrauchs von Begriffen, insbesondere der Kategorien auf die anschaulichen Formbedingungen von Zeit bzw. Raum. 75 A 457, B 485, Hervorhebungen R. E. 76 A 459, B 487. 77 Vgl. A 841, B 869, sowie Erster Teil S. 62174.

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selbstverständlich deswegen so bedeutsam, weil es sich bei diesem in Anspruch genommenen Probierstein um die Erbschaft der überlieferten Metaphysik handelt. Sie ist es nicht nur, im Vergleich mit der die Metaphysik der Erfahrung ihre Überlegenheit und damit ihre Richtigkeit erweisen soll. Sie ist es auch, der im Vergleich mit dieser Metaphysik der Erfahrung ihre nicht-›critische‹ Unterlegenheit nachgewiesen werden soll. In der anderen methodischen Rolle sollen die Untersuchungen der Transzendentalen Dialektik ein Experiment der reinen Vernunft mit sich selbst78 durchführen.79 Orientiert man sich zunächst an der methodischen Rolle des Probiersteins, den die Erbschaft der überlieferten Metaphysik abgeben soll, dann erweisen sie sich auch schon die beiden hier erörterten Paradigmen (vgl. oben Ab. 23.1.–23.2.) als hinreichend aufschlußreich. Der Paralogismus – also der Fehlschluß der reinen Vernunft in der Fassung der zweiten Auflage – macht deutlich, wie man die durch den Urteilsakt Ich denke zur Sprache gebrachte subjektive Bedingung der reinen und ursprünglichen Apperzeption, die jeder Erfahrung, d. h. jedem Erfahrungsurteil unthematisch, also stillschweigend ›anhängt‹,80 ontologisch mißverstehen kann – indem man den funktionalen Status des logisch-grammatischen Ich-Subjets des flüchtigen, aber immer wieder von neuem geübten Urteilsakts Ich denke mit einer uneingeschränkt existierenden denkenden Seelen-Substanz verwechselt. Im Unterschied hierzu ist allen vier Formen des Widerstreits Der Antinomie der reinen Vernunft mit dem Vierten Widerstreit die Thematisierung der Weltim-ganzen sowohl durch ihre Thesen wie durch ihre Antithesen gemeinsam.81 Damit ist ihnen sowohl eine und dieselbe unerfüllte ontologische Voraussetzung wie eine und dieselbe ihr zugrunde liegende Form eines ontologischen ›Mißverstands‹ gemeinsam – die unerfüllte Voraussetzung, daß die Welt-im-ganzen ein Gegenstand möglicher Erfahrung sei und der ›Mißverstand‹, daß man in Existenz- oder in Nicht-Existenzbehauptungen von Begriffen einen objektiv gültigen Gebrauch machen könne, ohne den Gebrauch dieser Begriffe auf die Bedingung einzuschränken, daß sich die behauptete Existenz in anschaulichen zeitlichen oder räumlichen Formen zeige bzw. in anschaulichen zeitlichen oder räumlichen Formen nicht zeige. Selbstverständlich verzweigen sich die Thesen und die Antithesen der Vier Widerstreite in Abhängigkeit von ihren speziellen begrifflichen Inhalten darüber hinaus auch noch in andere, spezielle unerfüllte Voraussetzungen und Formen des ›Mißverstands‹. Doch an ihrem Grundtypus, die Welt-im-ganzen mit einem Gegenstand möglicher Erfahrung zu verwechseln 78 Vgl. XX , 290–291. 79 Vgl. hierzu unten S. 413–416. 80 Vgl. hierzu Erster Teil, 7. Ab. sowie oben S. 39–41. 81 Vgl. in dieser Hinsicht zusätzlich zum Vierten Widerstreit die drei anderen Formen des Widerstreits A 434, B 462 bzw. A 435, B 464; A 438, B 466 bzw. A 439, B 467 und A 444, B 472 bzw. A 445, B 473.

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und an ihrem ontologischen ›Mißverstand‹, sich mit Hilfe ausschließlich von reinen Begriffen an Existenz- und Nicht-Existenzbehauptungen über Elemente einer solchen Welt zu versuchen, ändert das nichts. Während der Paralogismus im Rahmen eines ontologischen ›Mißverstands‹ die wichtigste subjektive Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung mit einer selbstgenügsam und uneingeschränkt existierenden Entität verwechselt, verwechselt die Antinomie ebenfalls im Rahmen eines solchen ontologischen ›Mißverstands‹ die Welt-im-ganzen mit einem Gegenstand möglicher Erfahrung. Die Tragweite der beiden Paradigmen reicht daher gerade so weit wie die Analysen der Dialektik des Paralogismus und der Formen des Widerstreits der Vernunft mit sich selbst reichen. Diese Reichweite endet an der Grenze, an der das Interesse der Vernunft bei diesem ihrem Widerstreite82 erwacht. Doch an dieser Grenze erwacht auch »Zuerst ein praktisches Interesse, woran jeder Wohlgesinnte, wenn er sich auf seinen wahren Vorteil versteht, herzlich teilnimmt«.83 Es ist sogar zu bedenken, daß »im Praktischen […] die Endabsicht der Vernunft [liegt]«.84 Daher »Wenn es … zum Tun und Handeln« kommt, so wird »er [der Wohlgesinnte, R. E.] … seine Prinzipien bloß nach dem praktischen Interesse wählen«.85 Doch dieses praktische Interesse richtet sich direkt auf die Beantwortung der Frage »Was in allen möglichen Fällen Recht oder Unrecht sei«.86 Mit der Beantwortung dieser Frage versucht man sich allerdings in der methodischen Situation, in der sie im Rahmen der Transzendentalen Dialektik aktuell wird, aus verschiedenen Gründen an einer Aufgabe, die in methodischer Hinsicht geradezu inkommenurabel mit den Aufgaben der Theorie der Erfahrung ist. Denn im Anschluß an die Theorie der Erfahrung muß man nicht nur eingestehen, daß » … die Auflösung dieser Aufgabe niemals in der Erfahrung vorkommen kann«.87 Man muß auch berücksichtigen, daß man mit dem Paralogismus und mit der Antithetik unmittelbar zuvor schon einmal ausführlich ein Themenfeld bearbeitet hat, auf dem man es ausschließlich mit Aufgaben zu tun hat, deren Auflösungen niemals in der Erfahrung vorkommen können. Denn die Konklusionen des Paralogismus formulieren ebenso wie die Sätze des Widerstreits Urteile-jenseits-möglicher Erfahrung. Eine besondere Bewandtnis hat es in diesem Zusammenhang mit dem praktischen Interesse, das die Transzendentale Dialektik mit dem Interesse der Vernunft bei diesem ihrem Widerstreite sogar primär verbunden sieht. Die beiden weitgespannten, rund dreihundert Seiten umfassenden Bücher der Transzen82 A 462, B 490. 83 A 466, B 494, Kants Hervorhebungen. 84 B XXXVII . 85 A 475, B 503, Hervorhebung R. E. 86 A 476, B 504, Kants Hervorhebungen. 87 A 484, B 512. Doch »diese Aufgabe habe ich in der Schrift selbst [Kritik der reinen Vernunft, R. E.] zwar als wichtig vorgestellt, aber ihre Auflösung nicht versucht«, IV, 364.

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dentalen Dialektik widmen diesem Primat jedoch nur punktuell und eher im Vorbeigehen eine konzentriertere Aufmerksamkeit, wenn es um die Frage der Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit88 geht. Das bei weitem dominierende Themen- und Problemnetz, in dem die Transzendentale Dialektik ihren Fragen nach geht, ergibt sich indessen durch die Thematisierung und Problematisierung von Urteilen-jenseits-der-Erfahrung und von Argumenten der überlieferten Metaphysik. Die Themen und Probleme dieser überlieferten Disziplinen der Philosophie bilden für Kant nun einmal nicht einfach eine in Dokumenten überlieferte Gestalt der Philosophie, der er sich wie ein an sich Unbeteiligter von außen nähern würde. Sie bilden vielmehr eine unmittelbare Schicht seines persönlichen Problembewußtseins, wie er es sich während der ersten zwanzig Jahre seines Wegs in die Philosophie und innerhalb ihrer durch authentische Arbeitserfahrungen erworben hat. In der Transzendentalen Dialektik setzt sich Kant daher auf Schritt und Tritt mit der philosophischen Erbschaft auseinander, die einen unmittelbaren Teil seines lebendigen Themen- und Problembewußtseins bildet. Zur Lebendigkeit dieses Themen- und Problembewußtseins gehört in dem Stadium des ›critischen Wegs‹, den die beiden Auflagen der Ersten Kritik präsentieren, vor allem das Bewußtsein der Probleme, die er in diesem Stadium mit den Themen seiner metaphysischen Erbschaft verbunden sieht. Doch es liegt auch auf der Hand, daß der außerordentliche Grad der hier präsentierten Lebendigkeit von der Entdeckung abhängt, daß diese Erbschaft einen einzigartigen Probierstein der Richtigkeit für die neu erarbeitete Metaphysik der Erfahrung abgibt. Es ist daher gerade der Umfang der beiden Bücher der Transzendentalen Dialektik, was das sich weitläufig verzweigende und verästelnde Themen- und Problembewußtsein direkt repräsentiert, das sich an der Rolle dieses Probiersteins entzündet.89 Im Vergleich mit diesem außerordentlichen Umfang fällt der buchtechnische Ertrag, der den Kern der Fruchtbarkeit ausmacht, den die Transzendentale Dialektik für den weiteren ›critischen Weg‹ mit sich bringt, außerordentlich bescheiden aus. Denn diesen fruchtbaren Kern verdankt die Transzendentale Dialektik in methodischer Hinsicht der Aufgabe, die sie im Rahmen des Experiment der reinen Vernunft mit sich selbst wahrnimmt. Den Kern selbst dieser Fruchtbarkeit bildet ein einziger Begriff, »ein reiner Vernunftbegriff überhaupt«, der »durch den Begriff des Unbedingten … erklärt werden [kann]«.90 Dieser 88 Vgl. A 538, B 566–A 558, B 586. 89 »Der unter diesem Titel [Die Transzendentale Dialektik, R. E.] gestellte Hauptteil der Kritik der reinen Vernunft umgreift daher dem Inhalte nach Kants Kritik der Metaphysik – so wie diese ihm als geschichtlich überlieferte und gegenwärtig auftretende, zugleich viel umstrittene Kernwissenschaft und Endabsicht aller Philosophie vor Augen steht«, Heimsoeth, Dialektik I, S. 1. Zur Frage der Berechtigung, diesen Teil der Ersten Kritik als den Hauptteil zu charakterisieren, vgl. oben S. 397, Anm. 19. 90 A 322, B 379.

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»geht … jederzeit nur auf die Totalität in der Synthesis der Bedingungen, und endigt niemals, als bei dem schlechthin, d. i. in jeder Beziehung, Unbedingten«.91 Doch »die absolute Totalität der Bedingungen [ist, R. E.] kein in einer Erfahrung brauchbarer Begriff, weil keine Erfahrung unbedingt ist«,92 sondern von der Bedingung abhängt, daß von Kategorien in objektiv wahrheitsfähgen Erfahrungsurteilen ein fruchtbarer empirischer Gebrauch gemacht wird. Daher »[muß] der objektive Gebrauch … von den reinen Verstandesbegriffen, seiner Natur nach, jederzeit immanent sein […], indem er sich bloß auf mögliche Erfahrung bezieht«, dagegen »der objektive Gebrauch der reinen Vernunftbegriffe jederzeit transzendent«.93 Denn die Gegenstände, die man im urteilsförmigen Gebrauch dieser Vernunftbegriffe thematisiert, sind ebenso Gegenstände jenseits möglicher Erfahrung wie die entsprechenden Urteile Urteile jenseits möglicher Erfahrung sind. Im Licht dieser genuin ›critischen‹ Unterscheidung zwischen dem transzendenten, jenseits der Grenzen möglicher Erfahrung liegenden Gebrauch des Vernunftbegriffs des Unbedingten und dem immanenten, innerhalb der Grenzen der möglichen Erfahrung liegenden Gebrauch der Kategorien sondiert die Transzendentale Dialektik die Erbschaft der Metaphysik. Die genuin ›critische‹ Fruchtbarkeit, mit der sie vom Vernunftbegriff des Unbedingten Gebrauch macht, zeigt sich in zwei ganz verschiedenen Hinsichten. In der einen Hinsicht achtet die Transzendentale Dialektik primär auf ihre Aufgabe, den ›Probierstein der Richtigkeit‹ für die Theorie der Erfahrung zu erproben. In diesem Rahmen ergibt sich diese Fruchtbarkeit ausschließlich durch die Vielzahl der Fälle, die sie als Fälle diagnostizieren kann, in denen die Erbschaft der Metaphysik zeigt, daß diese über keinerlei Kriterien verfügt, die ihr erlauben würden, den Verlauf der Grenze zuverlässig zu beureilen, jenseits von der man ein erfahrungs-­ transzendentes Unbedingtes und diesseits von der man einen Gegenstand möglicher Erfahrung thematisiert. Eine ganz andere Art von Fruchtbarkeit zeitigen die ›critischen‹ Sondierungen der Transzendentalen Dialektik indessen, wenn sie nicht den ›Probierstein der Richtigkeit‹ der Theorie der Erfahrung in Anspruch nehmen, sondern sich darüber hinaus auf das ›Experiment der reinen Vernunft mit sich selbst‹ einlassen. Inmitten der vielfältigen Verzweigungen und Verästelungen, die ihre ›critischen‹ Sondierungen durchmessen, mißt Kant selbst im Rahmen dieses weiterführenden Experiments einer von diesen Sondierungen zwar ein nahezu verschwindendes Format bei. Gleichwohl ist es diese beiläufige Sondierung, die für den weiteren ›critischen‹ Weg die bedeutsamste Tragweite mit sich bringt: »Unserer

91 A 326, B 382. 92 A 326, B 383. 93 Ebd., Kants Hervorhebungen.

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Absicht gemäß setzen wir aber hier die praktischen Ideen beiseite«.94 In der von Platon gestifteten Tra­dition der Rede von Ideen hat Kant inzwischen95 für die »notwendigen Vernunft­begriff[e]«96, also vor allem für die praktisch notwendigen Vernunftbegriffe den Terminus der Idee eingeführt, analog wie er in der von Aristoteles gestifteten Tradition der Rede von Kategorien für die von ihm erörterten Verstandesbegriffe den Terminus der Kategorie eingeführt hat.97 Es ist zwar offensichtlich, daß die Transzendentale Dialektik die praktischen Ideen, also die praktisch notwendigen Vernunftbegriffe nur deswegen ›unserer Absicht nach beiseite setzt‹, weil diese Absicht auf eine möglichst ausführ­ liche und gründliche ›critische‹ Sondierung der metaphysischen Erbschaft zielt. Gleichwohl muß sie im Rahmen des ›Experiments der reinen Vernunft mit sich selbst‹ selbstverständlich berücksichtigen, daß »im Praktischen […] die End­ absicht der Vernunft [liegt]«.98 Doch sie kann es sich nur deswegen leisten, diese praktische Endabsicht der Vernunft zumindest vorläufig beiseite zu setzen, weil sichergestellt ist, daß über die für die Orientierungen dieser praktischen End­ absicht wichtigsten ›notwendigen Vernunftbegriffe‹, also über die wichtigsten praktischen Ideen schon hinreichende Klarheit besteht. Eine der wichtigsten unter diesen praktischen Ideen wird in der Transzendentalen Dialektik daher immerhin vorläufig mit der Frage thematisiert, ›was in allen möglichen Fällen Recht oder Unrecht sei‹.99 Doch die strukturelle Gemeinsamkeit dieses Themas mit den Themen, die Kants metaphysische Erbschaft ausmachen, kann nur im Licht der Theorie der Erfahrung durchsichtig werden. Sie zeigt sich darin daß ›die Auflösung dieser Aufgabe niemals in der Erfahrung vorkommen kann‹.100 Allerdings hat sich ganz unbeschadet dieser strukturellen Gemeinsamkeit erst im Laufe von Kants fünfzehnjähriger weiterer Arbeit im einzelnen gezeigt, daß die Auflösung dieser Aufgabe aus Gründen ganz anderer Art nicht in der Erfahrung vorkommen kann als sie für die Antworten maßgeblich sind, mit denen der Paralogismus und die Antithetiken die sie leitenden Fragen nach dem ontologischen Status der Seele bzw. nach Eigenschaften der Welt-im-ganzen zu beantworten suchen. Denn die Frage nach dem Unterschied von Recht und Unrecht findet ihre Antwort erst in dem lange gesuchten »allgemeine[n] Kriterium, woran man Recht überhaupt sowohl als Unrecht erkennen könne«101 94 95 96 97 98 99 100 101

A 329, B 386. Vgl. A 327, B 383–A 329, B 386. A 327, B 383. Vgl. hierzu auch Heimsoeth, Dialektik I, S. 31–32. Kant selbst macht mit Blick auf Platon und Aristoteles auf den auch bei ihnen erkennbaren radikalen funktionalen Unterschied zwischen Ideen und Kategorien aufmerksam, vgl. A 313, B 370. B XXXVII. Vgl. oben S. 412 f. Vgl. B XXXVII. VI, 229.

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und lautet in Form eines praktischen synthetischen Urteils apriori: »Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann«102 – also eines Urteils-jenseits-möglicher-Erfahrung. Denn der Rechtsbzw. Unrechtscharakter von Handlungen läßt sich in aller Allgemeinheit nur mit Hilfe eines rein formalen prozeduralen Beurteilungkriteriums und daher nur jenseits aller möglichen Erfahrung erfaßt werden.103 Ungeachtet dessen, daß die Transzendentale Dialektik es im Zusammenhang mit den für sie zentralen Themen durchweg mit Urteilen-jenseits-möglicherErfahrung zu tun hat, kommt es im Ausgang von der Theorie der Erfahrung und mit Blick auf die Mikro-Strukturen solcher Urteile daher gleichwohl darauf an, die zwei strukturellen Unterschiede zwischen ihnen zu beachten. Bei den un-›critischen‹ Urteilen des Paralogismus und der Antithetik geht es auschließlich um Urteile, die weder begründet noch widerlegt, sondern nur auf ihre onto­ logischen Fehler zurückgeführt werden können. Mit Eigenschaften unseres ›Tuns und Lassens‹ wie Recht und Unrecht und insbesondere mit der Mikro-Struktur unserer Urteile über diese – und verwandte – Eigenschaften unseres Tuns und Lassens hat es indessen eine ganz andere Bewandtnis. Bei ihnen handelt es sich wegen ihres nicht-empirischen kriteriellen Ursprungs zwar um intelligible – also um nicht-empirische  – Charaktere des uns möglichen ›Tuns und Lassens‹.104 Doch obwohl sie in aller kriteriologischen Allgemeinheit nur jenseit aller möglichen Erfahrung erfaßt werden können, steht es mit ihren möglichen empirischen Vorkommnissen als Charaktere konkreter individueller Handlungen – ebenso wie mit allen anderen moralischen Handlungscharakteren – ganz anders. Denn »Die reine Vernunft enthält …, zwar nicht in ihrem spekulativen, aber doch in einem gewissen praktischen, nämlich dem moralischen Gebrauche, Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, nämlich solcher Handlungen, die den sitt­ lichen Vorschriften gemäß in der Geschichte des Menschen anzutreffen sein könnten«.105 Sogar mit Blick auf alle praktisch notwendigen Vernunftbegriffe, 102 VI, 230. 103 Dieser nicht-empirische kriteriologische context of discovery des Rechts- und des Unrechtscharakters von Handlungen zeigt sich allerdings erst dann in durchsichtiger Weise, wenn man die strikte Abhängigkeit des Rechts-Kriteriums von der formalen Prüfungsmethode des Moral-Kriteriums des entsprechenden Kategorischen Imperativs »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne«, V, 54, berücksichtigt; vgl. zur genauen Form dieser Abhängigkeit vom Verf., Vernunft und Urteilskraft. Kant und die kognitiven Voraussetzungen vernünftiger Praxis, Freiburg 2018, bes. S. 36–48. 104 Zur scharfen Abgrenzung der intelligiblen von den empirischen Charakteren von Handlungen vgl. A 538, B 566–A 541, B 569. 105 A 807, B 835, Kants Hervorhebungen; vom ›Moralischen‹ spricht Kant hier noch in dem allgemeinen Sinne, daß »das Moralische der Pflicht in allem, was pflichtgemäß ist«, IV, 312, entspricht. Es umfaßt also die rechtlichen Pflichten und die moralischen Pflichten

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also auf alle praktischen Ideen ist zu bedenken, daß »die Ideen die Erfahrung selbst (des Guten) allererst möglich machen«.106 Damit wird eine Dimension der Erfahrung ins Auge gefaßt, die in einer nahezu paradoxen Form ins Jenseits der Möglichkeit der Erfahrung gehört, deren Strukturen durch die Theorie der Erfahrung durchsichtig gemacht werden und deren Vernachlässigung die Transzendentale Dialektik der metaphysischen Erbschaft vor Augen führt. Doch beiden Dimensionen der Erfahrung trägt erst die Berücksichtigung der »Erfahrung (unseres Daseins im Leben)«107 Rechnung. Die dem Menschen im ›Dasein seines Lebens‹ offenstehenden Möglichkeiten der Erfahrung würden von der transzendentalen Reflexion um die eine ihrer beiden Schlüsseldimensionen verkürzt, wenn sie nicht auch die Möglichkeit berücksichtigen würde, daß die praktischen Ideen die Erfahrung selbst des Guten möglich machen. Ungeachtet der Tatsache, daß Kant eine dem Recht und dem Unrecht ge­ widmete kriteriologische Theorie erst mehr als ein Dutzend Jahre nach der Ersten Kritik ausgearbeitet und publiziert hat, weist die exklusive Thematisierung dieser beiden Handlungscharaktere schon in der Transzendentalen Dialektik der Ersten Kritik in eine für die Möglichkeit ihrer Erfahrung bedeutsame Richtung. Denn »der Begriff des Rechts, als ein reiner, jedoch auf die Praxis (Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle)  gestellter Begriff«108 ist angesichts seines nicht-empirischen kriteriologischen Ursprungs geradezu paradigmatisch für einen praktischen Vernunftbegriff, also für eine praktische Idee, wie sie zur Erfahrung des Guten zumindest beitragen kann. Da das Kriterium des Rechts ausschließlich die Maximen der Handlungen normiert, aber nicht – wie das Moral-Kriterium109 – auch die Maximen des Willens der Akteure, ist die Beurteilung der Rechtlichkeit und der Unrechtlichkeits von Handlungen von allen skeptischen Vorbehalten ausgenommen, die die Unergründlichkeit der subjektiven Motive betreffen, von denen individuelle Akteure zugunsten ihrer jeweiligen Handlungen disponiert werden.110 Dadurch wird die Beurteilung der Rechtlichkeit und der Unrechtlichkeit von konkreten individuellen Hand-

106 107 108 109 110

im engeren Sinne, wiewohl der endgültige Plan zum systematischen Entwurf eines ›critischen‹ Vernunft-Rechts erst Jahre später in den Horizont von Kants Plänen rückt und erst 1796 in Form der Metaphysischen Anfangsgründe des Rechts der Metaphysik der Sitten Gestalt annimmt. Hier wird das Moralische ganz allgemein dadurch bestimmt, daß die »Gesetze der Freiheit […] zum Unterschied von Naturgesetzen moralisch [heißen]. Sofern sie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit gehen, heißen sie juridisch«, VI, 214. A 318, B 375. B 420. VI, 203, Hervorhebungen R. E. Vgl. die auf den Willen des Akteurs konzentrierte Formulierung des Moral-Kriteriums in Gestalt des klassischen Kategorischen Imperativs, V, 30, und die auf die Handlung des Akteurs konzentrierte Formulierung des Rechtskriteriums, VI, 230. Vgl. zu dieser Skepsis und zu dieser Unergründlichkeit bes. IV, 407 ff.

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lungen zum einzigartigen empirischen Medium zumindest für die Möglichkeit der spezifisch paktischen Erfahrung von etwas Gutem, obwohl es sich bei der Rechtlichkeit um einen nicht-empirischen, intelligiblen Handlungscharakter handelt. Es ist schon früher mit guten Gründen darauf aufmerksam gemacht worden, daß jede konkrete individuelle Handlung Träger der unterschiedlichsten Charaktere ist.111 Die bedeutsamste praktische Tragweite für die Menschen bringt daher die Möglichkeit mit sich, sich durch Handlungen zu bewähren, die außer mancherlei empirischen Charakteren – also vor allem utilitären Charakteren – vor allem durch den intelligiblen Charakter der Rechtlichkeit – aber auch der Moralität  – geprägt sind.112 Denn nicht nur gewinnt ein Mensch durch ihre Praktizierung – und nur durch sie, also auch ganz unabhängig von allen moralisch relevanten Motiven seines Handelns – die Aussicht, »ein rechtliches und somit glückliches Mitglied des gemeinen Wesens während dem Leben«113 zu werden. Darüber hinaus zeichnet jeder Mensch durch diese Kultivierung seines rechtlich geprägten Handelns  – und nur dadurch  – den Weg »zum höchsten

111 Vgl. William David Ross, Kant’s Ethical Theory, Oxford 1954, S. 31–33. Dieser Auffassung hat sich Günther Patzig, Die Begründbarkeit moralischer Forderungen (19671), wieder abgedr. in: ders., Gesammelte Schriften I, Göttingen 1994, S. 44–71, mit der überaus wichtigen Klarstellung angeschlossen, daß praktische Beurteilungskriterien wie der klassische Kategorische Imperativ – aber auch z. B. Nützlichkeitskriterien – keine Kriterien zur Unterscheidung von Klassen von Handlungen sind, sondern von Charakteren von Handlungen, vgl. S. 69 f. Daher kann eine und dieselbe individuelle Handlung Träger sowohl von utilitären wie von juridischen und von moralischen Charakteren sein. 112 Bennett, Dialectic, hält zwar »Excuses for Kant’s theory«, S. 223, der Kausalität durch Freiheit für nötig. Doch wie allzu viele andere Leser von Kants Theorie dieser Form von Kausalität, vgl. A 538, B 566–A 558, B 586, sind es umgekehrt seine excuses, die solche Entschuldigungen bitter nötig haben. Er sieht ganz einfach nicht, daß, wenn es darum geht, wofür »the agent may be held accountable«, es sich zwar um »something non-empirical« handelt, »which is the case about him«, S. 224. Doch er verkennt, daß es sich bei dem something non-empirical which is the case about him um den durch seine Kausalität durch Freiheit bewirkten intelligiblen, also moralischen bzw. rechtlichen Charakter seiner Handlung handelt. Bei der Freiheit, mit der ein Akteur diese Kausalität ausübt, handelt es sich um den Typus der doppelten Freiheit-von …: 1.) um die Freiheit, mit der der Akteur sein moralisches bzw. rechtliches Urteil ganz unabhängig von aller Berücksichtigung der empirischen Umstände der zu beurteilenden Handlung gewinnen kann, und 2.) um die Freiheit, mit der ein solcher Akteur den von ihm beurteilten moralischen bzw. rechtlichen Charakter seiner Handlung eben dieser Handlung ganz unabhängig von allen empirischen Umständen – autonom – als Wirkung seiner Beurteilung aufprägen kann. Bennett ist in einer simplifizierenden Auffassung von Zurechenbarkeit und Verantwortung befangen. Ist seine Kant-Kritik hier wie auch in vielen anderen Punkten auf excuses angewiesen, weil seine »philosophy with a special techniques«, S. 6, auf excuses angewiesen ist? Zum Thema der Kausalität durch Freiheit vgl. im einzelnen Enskat, Urteilskraft, bes. S. 27–30, 262–276. 113 XXII, 79, Hervorhebungen R. E.

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politischen Gut, zum ewigen Frieden«114 vor. Die rechtlichen Charaktere des Handelns – also seine ihrem kriteriologischen Ursprung nach intelligiblen Charaktere – bilden daher ›im Dasein unseres Lebens‹ das in der Transzendentalen Dialektik zwar gesuchte, aber noch nicht mit definitver Gründlichkeit gefundene Medium, in dem die jenseits aller Erfahrung gefundene und kriteriologisch bestimmte praktische Idee des Rechts zur Möglichkeit der ›Erfahrung selbst des Guten‹ beiträgt. Dieser außerordentliche Rang des Rechts unter den praktischen Ideen läßt sich in der europäischen Tradition besonders angemessen in einer sakralen Sprache charakterisieren. In dieser Sprache ist »das Heiligste, was Gott auf Erden hat, das Recht der Menschen … dieser Augapfel Gottes«.115 Die Transzendentale Dialektik macht zwar mit ihrer primären und buchtechnisch umfassendsten Intention auf alle Urteile aufmerksam, die ihre Gegenstände jenseits aller möglichen Erfahrung verorten. Die meisten davon fallen aus guten Gründen dem Nachweise zum Opfer, daß ihr ontologischer Anspruch auf Wahrheit weder begründet noch widerlegt werden kann. Doch die buchtechnischen Grenzen dieser Dialektik können nicht übersehen lassen, daß sie am Rande ihrer primären Intentionen eine Dimension möglicher Erfahrung ins Auge faßt, die im Rahmen des Experiments der Vernunft mit sich selbst von der praktischen Endabsicht der Vernunft selbst intendiert wird. Diese Dimension ist strukturell verschieden vom absoluten, also unbedingten Ganzen aller möglichen Erfahrung, das die Prolegomena auf der Grenze ihres Rückblicks auf die Theorie der Erfahrung und ihres Ausblicks auf die Möglichkeit einer Metaphysik-überhaupt ins Auge fassen.116 Denn die hier thematisierte Möglichkeit der Erfahrung hängt ausschließlich von den Bedingungen ab, die notwendig und hinreichend dafür sind, daß urteilsfähigen Subjekte aus den ihnen widerfahrenden sinnlichen Wahrnehmungen immer wieder von neuem durch den Gebrauch von jeweils angemessenen Kategorien wahrheitsfähige, aber auch bewährungsfähige und -bedürftige Erfahrungsurteile gewinnen können. Doch denselben urteils­ fähigen Subjekten wird inmitten ihres ›Daseins im Leben‹ auch eine ganz andere Dimension ihrer möglichen Erfahrung eröffnet. Zwar noch innerhalb ihrer buchtechnischen Grenzen, aber weit jenseits ihrer primären Metaphysik-kritischen Intention faßt die Transzendentale Dialektik die Struktur dieser Dimension der Erfahrung ins Auge, um sie als die Möglichkeit der praktischen Erfahrung des Guten durchsichtig zu machen. Doch sie hinterläßt mit der lakonischen Thematisierung dieser praktischen Dimension der Erfahrung vorläufig ein Paradox. Denn zu deren Struktur gehört im Licht der Kriterien, die der Trans­ zendentalen Dialektik zur Verfügung stehen, ein Charakter der Handlungen der Menschen, dessen Intelligibilität ihn in das Feld jenseits der Erfahrung verweist, 114 VI, 355. 115 VIII, 352. 116 Vgl. IV, 327 ff.

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deren Möglichkeitsbedingungen ausschließlich in Form von wahrnehmungs­ basierten und daher empirischen Erfahrungsurteilen in Erfüllung gehen. Dieses Paradox konnten erst die fast eineinhalb Jahrzehnte währenden Untersuchungen der Frage auflösen, ›was in allen möglichen Fällen Recht oder Unrecht sei‹. Denn dieselben urteilsfähigen Subjekte, die mit Hilfe von wahrnehmungsbasierten empirischen Erfahrungsurteilen schrittweise immer eindringlicher und umfassender am ›absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung‹ teilhaben können, werden durch diese Antwort darüber aufgeklärt, daß und inwiefern sie auch an der praktischen Dimension der Erfahrung ebenfalls nur im Medium ihrer Urteile teilhaben können. Denn diese Aufklärung setzte voraus, daß auf dem Weg zu der entsprechenden Einsicht geklärt werden konnte, daß es der Klärung eines »principium[s] der diiudication«117 bzw. eines »allgemeine[n] Kriterium[s], woran man Recht sowohl als Unrecht erkennen könne«118 bedarf. Erst im Licht eines solchen von der logisch und transzendental reflektierenden Urteilskraft durchschauten Beurteilungsprinzips bzw. Kriteriums wird das paradoxe Spannungsverhältnis aufgelöst, das die Transzendentale Dialektik an der Grenze ihrer sachlichen und ihrer methodischen Möglichkeiten hinterläßt. Der kriteriologische Ursprung des rechtlichen Charakters von Handlungen prägt zwar dessen Intelligibilität. Indessen bilden konkrete individuelle Handlungen die empirische Dimension, in der urteilsfähige Subjekte dank des rechtlichen Charakter dieser Handlungen die bedeutsamste praktische Erfahrung machen können. Denn im Licht des Beurteilungskriteriums des Rechts werden sie darüber aufgeklärt, daß sie nur dank der Rechlichkeit ihres Handelns ›rechtliche und somit glückliche Mitglieder des gemeinen Wesens während dem Leben‹ werden und ›zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden‹ beitragen können. Dieses Kriterium wird den Mitgliedern der Gemeinwesen nicht etwa wie ein blind hinzunehmendes Dogma der Rechtsphilosophiie und der Politischen Philosophie zugemutet. Es wird ihnen vielmehr zugetraut, daß hinreichend viele von ihnen im Laufe der Zeit kraft einer »erworbene[n] Fertigkeit der Vernunft«119 und »einer durch Erfahrung geschärfte[n]Urteilskraft«120 selbst zur Einsicht in die zentrale Bedeutsamkeit der Rechtlichkeit des Handelns gelangen können. Aus guten Gründen schließt Kant die Erste Kritik im Anschluß an die Trans­ zendentale Dialektik mit der Transzendentalen Methodenlehre ab. Diese Methodenlehre überschlägt noch einmal den »Vorrat der Materialen«, der »zu einem Wohnhause zureichte, welches zu unseren Geschäften auf der Ebene der Erfahrung gerade geräumig und hoch genug war, sie zu übersehen«.121 Doch mit dem ›critischen‹ Blick auf diese Materialien kann man nicht »einen Turm im 117 XXVIII,2,2, 1428 f., sowie XXVII, 1, 274 f. 118 VI, 229. 119 213. 120 IV, 389. 121 A 707, B 735; vgl. auch das Bild vom »Haus der Erfahrung«, IV, 316.

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Sinne ha[b]en«, der auf dieser Ebene, dem ›fruchtbaren Bathos der Erfahrung‹ »bis an den Himmel reichen«122 könnte. Eine Theorie, die ›unsere Geschäfte auf der Ebene der Erfahrung‹ nicht aus den Augen verliert, weil sie diese Ebene in ihrem ganzen Umfang wie in ihrer fruchtbaren Tiefe zu ›übersehen‹ sucht, wird, wenn sie auch nur einigermaßen gelingt, in ganz anderen methodischen Einstellungen zuwege gebracht. Sie wird die Sinneswahrnehmungen, die allen Menschen unablässig widerfahren, ernst nehmen, obwohl sie bloß »ein Gewühle von Erscheinungen«123 bilden und »an sich zerstreut und ohne Bezie­ hung auf die Identität des Subjekts«124 sind. Sie wird daher mit ihrem ersten Schritt gleichsam oberhalb des fruchtbaren Bodens der Erfahrung nach einer Form der Verbindung suchen, »die nur vom Subjekt selbst«, das von dieser Zerstreung betroffen ist, »verrichtet werden kann«, weil sie ihm zutraut, daß diese Form der Verbindung »in demselben Subjekte« gefunden werden kann, »darin dieses Mannigfaltige« in seiner ganzen Zerstreung und seinem ganzen Gewühle »angetroffen wird«.125 Ihr Zutrauen in die Vermögen des Subjekts, daß diese Form der Verbindung »ein Aktus seiner Selbsttätigkeit ist«,126 bewährt sich, indem es ihr nicht nur gelingt, diesen spontanen Akt mit der Ausübung der logischen »Funktionen der Einheit in den Urteilen«127 zu identifizieren. Sie sucht von hier aus »nach einer Verstandeshandlung …, die alle übrigen enthält und sich nur durch die verschiedenen Modifikationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellungen unter die Einheit des Denkens zu bringen, und … fand …, diese Verstandeshandlung bestehe im Urteilen«.128 Ihr daraus gewonnenes urteils-analytisches Programm bewährt sich in der Analyse der Wahrnehmungsurteile und in der Analyse der wahrnehmungsbasierten und kategorien-geprägten empirischen Erfahrungsurteile sowie in der Analyse der die kategorialen Formen dieser Erfahrungsurteile antizipierenden nichtempirischen Urteile über die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und die ihrer Gegenstände. Sogar die Struktur der Fruchtbarkeit des Bodens der Erfahrung kann im Rahmen dieses urteils-analytischen Programms durchsichtig gemacht werden. Denn die sowohl in der alltäglichen nicht-wissenschaftlichen wie in der alltäglichen wissenschaftlichen Erfahrung immer wieder von neuem gewonnenen und gewinnbaren Erfahrungsurteile bilden das Medium dieser Fruchtbarkeit.

122 A 707, B 735; vgl. auch die sarkastische Anspielung auf »Hohe Türme und die ihnen ähnlichen metaphysischen Männer, um welche gemeiniglich viel Wind ist«, IV, 373. 123 A 111. 124 B 133. 125 B 132. 126 B 130. 127 A 69, B 94. 128 IV, 323.

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Es ist daher kein Zufall, daß die Arbeit an einer solchen Theorie der Erfahrung an eine zumindest in methodischer Hinsicht grundsätzliche Grenze stößt, wenn sie im Experiment der Vernunft mit sich selbst zur Kenntnis nehmen muß, daß »im Praktischen […] die Endabsicht der Vernunft [liegt]«129 und » … die Auflösung dieser Aufgabe niemals in der Erfahrung vorkommen kann«.130 Es ist vielmehr umgekehrt ein zuverlässiges Indiz konsequenter methodischer Umsicht, wenn der Autor einer solchen Theorie buchstäblich mit dem letzten Schritt der Ersten Kritik und »In Ansehung der Methode«131 ausdrücklich zu bedenken gibt: »Der kritische Weg ist allein noch offen«.132 Damit wird nicht ein neues methodologisches Dogma verkündet. Damit gibt der Autor zunächst einmal sich selbst einen methodologisches Vorbehalt zu bedenken: Die Grenze, auf die die Transzendentale Dialektik die transzendentale Theorie der Erfahrung aufmerksam macht, indem sie ihr die praktische Endabsicht der Vernunft vor Augen führt, kann nur auf demselben kritischen Weg überwunden werden, auf dem sie selbst erarbeitet worden ist: »Es ist mein immerwährender Vorsatz durch die Kritik gewesen, nichts zu versäumen, was die Nachforschung der Natur der reinen Vernunft zur Vollständigkeit bringen könte, ob es gleich noch so tief verborgen liegen möchte. Es steht nachher in jedermanns Belieben, wie weit er seine Untersuchungen treiben will, wenn ihm nur angezeigt worden, welche noch anzustellen sein möchten«.133 In der Transzendentalen Dialektik wird insofern angezeigt, daß die wichtigsten Untersuchungen, die auf dem kritischen Weg noch anzustellen sein möchten, die Untersuchungen sind, die zur Auflösung der Aufgabe beitragen können, die von der praktischen Endabsicht der Vernunft ausgeht. Die wichtigste methodische Einstellung, die die Fortsetzung dieses kritischen Wegs für die genaue und gründliche Analyse dieser praktischen Endabsicht fruchtbar gestalten kann, wird daher von derselben sorgfältigen formalen Urteilsanalyse gebildet, die sich für die Endabsicht der Theorie der Erfahrung als fruchtbar erwiesen hat – die Struktur des Wegs zu durchschauen, der am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung orientiert ist: Die logischen Formen der praktischen Urteile und die Kriterien, in deren Licht sie vernünftig gebildet und begründet werden können, müssen genauso sorgfältig analysiert werden wie die Urteile, die daran beteiligt sind, daß dieselben urteilsfähigen Subjekte schrittweise immer umfassender und eindringlicher am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung teilhaben können. Analog muß sich zeigen lassen, daß und inwiefern dieselben urteilsfähigen Subjekte die praktischen Urteile und die 129 B XXXVII. 130 A 484, B 512. Doch »diese Aufgabe habe ich in der Schrift selbst [Kritik der reinen Vernunft, R. E.] zwar als wichtig vorgestellt, aber ihre Auflösung nicht versucht«, IV, 364. 131 A 855, B 883. 132 A 856, B 884, Kants Hervorhebung. 133 IV, 363*.

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Kriterien, in deren Licht sie sie bilden und begründen können, nicht nur bilden und begründen, sondern auch stets ohne praktische Überforderung befolgen können. Die Fruchtbarkeit des kritischen Wegs muß sich daher zunächst einmal durch die Fortschritte erweisen, die auf dem ganz besonderen Weg erzielt werden können, auf dem man der praktischen Endabsicht der Vernunft folgt.

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Mit der Kritik der reinen Vernunft unternimmt es Kant, auf einen Punkt aufmerksam zu machen, von dem aus es möglich ist, das Ganze der menschlichen Angelegenheiten in seinen wichtigsten Grundzügen nicht nur zu überblicken, sondern sogar zu durchschauen. Seit Platon einen solchen höchsten Punkt nach Jahrzehnten der Arbeit in der Idee des Guten gefunden hatte, hat die Suche der Philosophie nach einem solchen Punkt bis heute nicht aufgehört, ihre Arbeit in Atem zu halten. Platons ingeniöse symbolische Identifizierung dieser Idee mit der Sonne und ihren elementaren Funktionen für das irdische Leben der Menschen macht auf die analogen Funktionen der Idee des Guten aufmerksam. Denn beide eröffnen innerhalb ihrer Horizonte den Menschen die Erkennbarkeit dessen, was der Fall ist; beide eröffnen ihnen innerhalb dieser Horizonte aber auch die Erkennbarkeit dessen, was unter allem, was der Fall ist, für sie aus praktischen Gründen unbedingt zuträglich und gedeihlich, also gut ist. Mit Kants Weg zu dem von ihm schließlich gefundenen höchsten Punkt enden zu seiner Zeit vorläufig die entsprechenden philosophischen Wege, die während der Jahrhunderte seit Platon mit diesem Ziel erprobt worden waren. Diese Erprobungen haben die Orientierung an einem höchsten Punkt mit vergleichbarer Tragweite durchweg in ganz anderen methodischen Einstellungen zu kultivieren gesucht als Platon sie in seinem Dialog-Werk präsentiert. Der historische Rückblick kann leicht und verläßlich zeigen, daß die Philosophie auf diesen Wegen vor allem mit einer an Überfülle grenzenden Vielzahl unterschiedlichster methodischer Einstellungen bereichert worden ist. Indessen zeigt sich auch, daß diese methodischen Einstellungen von Anfang an durch eine gemeinsame selbstgestellte Aufgabe geprägt waren: Die ebenso kunstvollen wie irritierenden methodischen Züge, die mit den anscheinend ins Endlose gehenden dialogischen Mikro-Schritten des Platonischen Philosophierens verbunden sind, sollten geradezu überwunden werden. Es liegt auf der Hand daß sowohl für Kant wie für jeden anderen Nachfolger von Platons Philosophieren eine doppelte Last ständig wachsen mußte. Denn von seinen jeweiligen Vorgängern sucht jeder Nachfolger einerseits so viel Lernenswertes wie möglich zu lernen; andererseits sucht jeder gleichzeitig so viel Mangelhaftes wie möglich mit möglichst verbesserten methodischen Einstellungen zu klären und zugunsten von entsprechend überlegenen Einsichten zu überwinden. Eine besonders attraktive Möglichkeit für eine besonders gut durchsichtige methodische Möglichkeit, das überlieferte Lernenswerte mit überlegenen Einsichten der jeweiligen Gegenwart zu verbinden, hat immer wieder einmal

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von neuem die Arbeit an einem System in Aussicht gestellt, das die Schrittfolge des ingeniösen Entwurfs von Euklids Elementen zum Muster zu nehmen sucht. Kants Weg in die Philosophie und das erste Jahrzehnt seiner professionellen Arbeit innerhalb ihrer spielten sich noch im Licht des Zentralgestirns ab, das in Deutschland bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts Christian Wolff mit seiner Arbeit an einem solchen System gebildet hat. Dennoch ist der philosophische Entwurf, dessen innere Schrittfolge Kant in seiner Ersten Kritik präsentiert – außer durch einige wenige Spuren der Wolffschen Schultradition – weit davon entfernt, so etwas wie ein System in dieser Tradition zu sein. Zwar hat Kant sogar noch auf dem Weg von der ersten zur zweiten Auflage der Ersten Kritk nach dem von ihm schließlich gefundenen und so apostrophierten höchsten Punkt der Philosophie gesucht. Doch bei diesem höchsten Punkt handelt es sich um alles andere als um einen Satz, von dem aus die Philosophie in stets mißlungener Imitation des falschen Vorbilds von Euklids genialem System der Geometrie andere Sätze in logisch kontrollierbaren Formen ableiten könnte. Dieser höchste Punkt charakterisiert unter dem terminologischen Namen der reinen und ursprünglichen Apperzeption sowie durch das Mikro-, Pseudo- bzw. Quasi-Urteil Ich denke vielmehr den elementarsten kognitiven Akt, dessen der Mensch fähig ist. Kraft seiner – und nur kraft seiner – kann er die charakteristischen kognitiven Leistungen vollziehen, deren er als Mensch, also auch im Gegensatz zu den Tieren fähig ist – Urteile sowohl der einfachsten wie der komplexesten grammatisch-logischen Formen zu bilden und mit Ansprüchen auf Wahrheit zu verbinden. Nicht umsonst gilt mit Blick auf diesen höchsten bzw. tiefsten kognitiven, apperzeptiven Akt des Denkens: »Wir können nur durch Urteile denken«.1 Es ist daher fast schon trivial, daß kraft dieser Fähigkeit, nur denkend zu urteilen, der Name der Urteilskraft zu einem systematischen Schlüsselwort aller drei von ihm schließlich erarbeiteten Kritiken geworden ist: Transzendentale Doktrin der Urteilskraft, Typik der Urteilskraft und schließlich Kritik der Urteilskraft. Doch jedes Urteil setzt etwas voraus, was Kant zwar nicht als erster und auch nicht als letzter eingesehen hat. Wohl aber hat er als erster eingesehen, daß in dieser Voraussetzung der springende Punkt enthalten ist, von dem aus es möglich ist, das Ganze der menschlichen Angelegenheit in ihrer menschlichen Spezifität und Komplexität nicht nur zu überblicken, sondern sogar zu durchschauen. Denn der von ihm identifizierte und so apostrophierte höchste Punkt der Philosophie markiert gleichzeitig den am tiefsten verborgenen Punkt unter den für den Menschen und nur für ihn charakteristischen Fähigkeiten – die Fähigkeit, die andernfalls zerstreut bleibenden Elemente seiner tumultuarischen Gemütsbewegungen – das »Gewühle von Erscheinungen«2 – zugunsten jeweils Einer 1 R 5650, S. 300. 2 A 111.

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grammatisch-logisch einfachen bzw. komplexen Form eines wahrheitsfähigen Urteils zu verflechten. Ohne diese spezifisch grammatisch-logische Fähigkeit der Urteilsbildung und deren fast unablässige Ausübung würde sich der Mensch in einem unablässigen Affektsturm seiner tumultuarischen Gemütsbewegungen verlieren und eine menschliche und personale Einheit seiner selbst und seines Lebens niemals gewinnen können. Das seit der klassischen griechischen Philosophie – und auch bei Platon  – kontroverse Verhältnis von Vielem und Einem wird durch die Erste Kritik daher zum ersten Mal ganz neu in einem im Grunde uralten Spannungsfeld der menschlichen Existenz verortet. In ihm übt der Mensch seit unvordenlicher Zeit die nur ihm eigentümliche Spontaneität aus – sich aus der wildwüchsigen Zerstreuung in die vielen andernfalls unbewußt bleibenden Elemente seiner tumultuarischen Gemütsbewegungen immer wieder von neuem in den vielfältigsten Formen der Urteilsbildung spontan, also von selbst bzw. selbst, also authentisch zu befreien und jeweils Eine urteilsförmige Verbindung solcher Elemente zu stiften. Das von Kant an dem von ihm gefundenen höchsten Punkt thematisierte Selbst-Bewußtsein ist daher auch gar nichts anderes als das Bewußtsein jedes einzelnen Menschen, seine Urteilsakte sowohl der einfachsten wie der komplexesten grammatisch-logischen Formen von selbst, also spontan bzw. selbst, also authentisch zu vollziehen. Mit gutem Grund apostrophiert Kant daher den spontanen, den Menschen für diese Urteilsbildung überhaupt erst disponierenden Akt auch als den Radikalakt der Erkenntnis – er bildet gleichsam die Wurzel aller dem Menschen möglichen Erkenntnisse. Denn es sind mehr oder weniger komplexe, logisch-grammatisch geformte Urteile, die im Licht von Kants Theorie das genuine, nur dem Menschen offene Medium der Spontaneität alles ihm möglichen Erkenntnisgewinns durch Urteile bilden. Seine frühe und zunächst ohne sichtbare Tragweite gestellte Frage, was das für »eine geheime Kraft« sei, »wodurch das Urteilen möglich wird«,3 erfährt durch die legendäre stumme zehnjährige Werkstattarbeit allmählich die Verwandlung in ein urteilsanalytisches Gesamtprogramm: »Ich sah mich nach einer Verstandeshandlung um, die alle anderen enthält und sich nur durch die verschiedenen Modifikationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellungen unter die Einheit des Denkens zu bringen, und da fand ich, diese bestehe im Urteilen«.4 Auf der Linie dieses Programms können alle grammatisch-logischen Formen von Urteilen und Urteilsbildungen geklärt werden, die einer rein formalen, also apriorischen Klärung der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und der ihrer Gegenstände zugänglich sind. Im Licht dieses urteils-analytischen Programms können daher sogar die praktischen, insbesondere die moralischen und die rechtlichen Angelegenheiten 3 II, 60. 4 IV, 323.

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des Menschen gemeinsam mit seinen theoretischen Angelegenheit auf die Spontaneität der Akte solcher Urteile zurückgeführt werden. Kants terminologische Apostrophierung der Autonomie des praktischen Subjekts evoziert mit dem Rekurs auf das griechische αὐτός aus gutem Grund noch einmal das, was der Mensch – und nur der Mensch – auch in seinen praktischen Angelegenheiten selbst oder von selbst, also authentisch oder spontan vermag. Zugunsten der Autonomie dieser beiden zentralen praktischen, moralischen und rechtlichen Urteilsbildungen werden in Gestalt von Kategorischen Imperativen sogar gesetzesförmige Kriterien – principia der diiudication – schrittweise ans Licht geholt, unmißverständlich zur Sprache gebracht und im Rahmen von Fallerörterungen erprobt. Stillschweigend, wenngleich nicht immer mit angemessenem Erfolg orientieren diese Kriterien alle Bildungen von Urteilen, die den praktischen Angelegenheit der Menschen zu vernünftigen moralischen und rechtlichen Formen ihrer alltäglichen Praxis verhelfen sollen.5 In Kants Praktischer Philosophie bildet das Gute, das Platon in der Obhut einer Idee aller Ideen verortet, unter der Apostrophierung des höchsten Guts den anspruchsvollsten Orientierungspunkt aller Praxis. Der zum spontanen praktischen, autonomen Urteilen befähigte Mensch kann an diesem höchsten Gut inmitten seiner alltäglichen Praxis – auch seiner politischen Praxis – nur dann wenigstens annäherungsweise teilhaben, wenn er sich in dieser Praxis wenigstens regelmäßig in den dafür wichtigsten Situationen seines Lebens von diesen Beurteilungskriterien des Moralischen und des Rechtlichen leiten läßt. Die von Kant thematisierten urteilsinternen logischen Formen und Funktionen dienen indessen – ganz anders als in der von Aristoteles über Leibniz und Gottlob Frege bis in die Gegenwart währenden Tradition – gerade nicht dem Ziel, ein quasi-axiomatisches System von Deduktions-Regeln zu entwerfen, die erlauben würden, Sätze bzw. Urteile wohlbestimmter logischer Formen korrekt aus anderen Sätzen desselben logischen Formtypus abzuleiten. Überdies faßt Kant Urteile strikt als mentale bzw. sprachliche Akte des Urteilens auf und nicht als verschriftlichte Dokumente solcher Akte. Diesem Aktcharakter entspricht, daß die Elemente von Urteilen – atomare Vorstellungen oder andere Urteile bzw. deren sprachliche Repräsentanten – primär im Gebrauchsmodus der urteilenden Subjekte selbst aufgehoben sind und nicht im objektivierten Textmodus ihrer Dokumentationen. Ebenso entspricht diesem Aktcharakter, daß Urteile temporal strukturiert sind. Die urteilenden Subjekt können deren Elemente daher stets nur nacheinander gebrauchen – gebunden selbstverständlich an die logischen Rollenverteilungen, auf die die Elemente der entsprechenden Urteile durch die sie prägenden Urteilsfunktionen festgelegt sind.

5 Vgl. hierzu die Aufsatzsammlung des Verf., Vernunft und Urteilskraft. Kant und die kognitiven Voraussetzungen vernünftiger Praxis, Freiburg i. Br. 2018.

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Indessen folgen die formal-logischen, urteils-internen Rollenverteilungen einer ganz neuen, konditionalistischen Konzeption: Atomare Vorstellungen bzw. Urteile werden im Zuge der entsprechend geformten Urteilsakte mit stufenweise wachsenden Komplizierungen in den Rollen von hinreichenden Bedingungen des Gebrauchs von jeweils anderen atomaren Vorstellungen bzw. Urteilen gebraucht. Nur mit Hilfe und im Licht dieser konditionalistischen Deutung der drei relationalen – also kategorischen, hypothetischen und disjunktiven – Gebrauchssfunktionen des Urteilens läßt sich die strikte formale, syntaktische Übereinstimmung (Isomorphie) dieser drei Urteilsfunktionen mit den ihnen entsprechenden drei Relations-Kategorien einsichtig machen. Mit einer besonders ernstzunehmenden prima-facie-Plausibilität springt diese Übereinstimmung zwischen der konditionalistisch gedeuteten hypothetischen wenn ---, dann …-Urteilsform und der ebenso gedeuteten kausal-kategorialen weil ---, deswegen muß …-Urteilsform6 in die Augen. Die Übereinstimmng ist in diesem Fall sogar ein Paradigma für entsprechende Übereinstimmungen der beiden anderen relationalen Urteils­ formen bzw. Kategorien. Im Gegensatz zur dominierenden Tradition der Formalen Logik seiner Zeit und auch unserer Zeit dienen die von Kant berücksichtigten logischen Urteilsformen daher auch ausschließlich zum Leitfaden für die Beantwortung einer Frage, die unmittelbar über die Orientierung an den urteils-internen formallogischen Strukturen solcher Urteilsakte definitiv hinausgeht: Können die formal-logischen Rollenverteilungen innerhalb von Urteilsakten gegebenenfalls so fruchtbar gemacht werden, daß die Beziehungen bestimmt werden können, in denen die urteils-interne Rollenträger – vor allem die im kategorischen, im hypothetischen und im disjunktiven Urteil – von den urteilenden Subjekten auf urteils-externe Gegenständen bezogen werden können? Die diversen urteilsexternen, aber strikt urteils-funktionalen Gegenstandstypen apostrophiert Kant mit dem traditionsreichen Terminus der Kategorien. Im Rahmen der Arbeit an einer nahezu hyperkomplexen Theorie der Erfahrung wie der Kantischen ist es aus arbeitspragmatischen Gründen nur allzu normal, daß ihr Autor hier und da erst im zweiten oder in einem noch späteren Anlauf zu Einsichten gelangt, die seiner Theorie erst nachträglich zu einem größer werdenden Grad an Kohärenz verhelfen. Durch eine buchtechnisch verstreut mitgeteilte, aber thematisch konzentrierte und daher umso bedeutsamere Reflexion orientiert Kant allerdings schon innerhalb der Ersten Kritik über einen zentralen Schritt zugunsten eines solchen Kohärenzgewinns: Mit Hilfe einer paradigmatischen Klärung verweist er auf den wahren logischen, strikt urteilsfunktionalen und urteilsförmigen Charakter der Kategorien. Die Reflexion zeigt am Muster-Beispiel der Kausal-Kategorie, daß und inwiefern der

6 Vgl. B 288.

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strikt urteilsförmige Charakter dieser Kategorie geradezu bedeutet, daß sie gar nichts anderes ist als die in jeder wichtigen Hinsicht ganz und gar durchsichtige spezifisch kategoriale Urteilsform weil ---, deswegen muß …. Im selben Atemzug wird damit zu verstehen gegeben, daß der so apostrophierte Gegenstand dieser Kategorie die Struktur eines Sachverhalts hat  – des Sachverhalts, daß etwas in der weil-Rolle etwas anderes in der deswegen-Rolle zur Konsequenz haben muß, also notwendigerweise zur Konsequenz hat. Wie die in den Erörterungen der Kausalitäts-Analogie verwendeten Charakteristika unmißverständlich zu verstehen geben, faßt Kant die Ursache einer Begebenheit in der weil-Rolle als hinreichende Bedingung der Wirkung auf, die in der deswegen-muß-Rolle als das durch diese hinreichende Bedingung Bedingte notwendigerweise ist, was und wie sie ist. Die unmißverständliche suffizienz-konditionale Urteilsform weil ---, deswegen muß … der Kausal-Kategorie verweist unmittelbar – ungeachtet aller sonstigen Differenzen zwischen ihnen – auf das konditional strukturierte Pendant der hypothetischen Urteilsform wenn ---, dann …. Kants Durchführung seines urteils-analytischen Programms steht einigen besonders fruchtbaren analytischen Untersuchungsrichtungen der zeitgenös­ sischen Philosophie zwar durchaus nahe. Doch so groß diese Nähe wegen ihrer methodischen und thematischen Hauptorientierung – der formalen Urteilsanalyse – auch sein mag, so zeigt sich bei genauerem Hinsehen doch recht bald, daß sich beider Wege gleichwohl von Anfang an in einem wichtigen Punkt trennen. Denn alle im Rahmen von Kants urteils-analytischem Programm erörterten Urteilsformen werden planmäßig durch eine weiterführende Frage überboten: Welche spezifischen kognitiven Vermögen sind es im einzelnen, die der Mensch so in Gebrauch nehmen kann, daß ihm Urteile so vieler verschiedener Formen gelingen und zu Recht mit Wahrheitsansprüchen verbunden werden können? Den Antworten auf diese Frage hat Kant unter einem Gesichtspunkt vorgearbeitet, dessen Tragweite in der Regel unberücksichtigt bleibt. Denn es kommt hier auf die Vollständigkeitsansprüche an, die Kant vor allem mit dem von ihm entworfenen System der Urteilsfunktionen verbindet und im Anschluß daran auch mit dem der Kategorien. Denn wenn das System der Urteilsfunktionen vollständig ist, dann ist damit implizit auch das Feld vollständig beschrieben, auf dem die für den Gebrauch dieser logischen Funktionen brauchbare – und nur dafür brauchbare – dispositionelle Fähigkeit namens Verstand erschöpfend in Anspruch genommen werden kann. Ganz analog ist in der modernen Logik durch das nachweislich vollständige System der sechzehn zweistelligen junktorenlogischen Funktionen ein zwar anderes, aber ebenfalls vollständiges Feld logischer Kompetenz beschrieben. Freunde mytho-poetischen Räsonnierens haben dieses elementare logische System in den Jugendjahren der modernen Logik gelegentlich zum Anlaß genommen, mit abfälligen Intentionen von einem logistischen Verstand zu sprechen, der mit Hilfe dieses Systems kultiviert werde. Auf diese Weise haben sie zwar cum ira, aber auch sine studio, also jedenfalls

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freiwillig, wenngleich gegen ihren Willen den konstruktiven vermögenstheoretischen Aspekt fruchtbar gemacht, unter dem auch Kant ein System der Urteilsfunktionen ins Auge faßt, wenn er ihm den Mini-Traktat Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt widmet. Indessen arbeitet der mit dem System der Urteilsfunktionen verbundene Vollständigkeitsanspruch lediglich der Einsicht in ein radikal weiteres Vermögensund Betätigungsfeld dieses logischen Verstandesgebrauchs vor – der Einsicht, daß dasselbe kognitive Vermögen des Verstandes nicht nur in seinem logischen Gebrauche erschöpfend in Anspruch genommen werden kann. Es kann ebenso erschöpfend in Gebrauch genommen werden, wenn es darum zu tun ist, die Urteilsfunktionen über ihren logischen, urteils-internen Gebrauch hinaus auch für das Erfassen urteils-externer, kategorialer Gegenstandsbezüge in Anspruch zu nehmen – keine Objektivität ohne Subjektivität. Kants radikale subjektivistische Thematisierung von kognitiven Vermögen, Fähigkeiten, Fertigkeiten bzw. Kompetenzen des Menschen ist indessen mit ­einer Einsicht verbunden, die nicht nur seiner Theorie der Erfahrung einen tiefen Einblick in das erlaubt, was der Mensch kann, auch wenn er nicht philosophieren könnte. Denn indem diese Theorie diese Vermögen, Fähigkeiten, Fertigkeiten bzw. Kompetenzen unter ihren diversen theoretischen Namen thematisiert und ihre funktionalen Unterschiede analysiert und charakterisiert – also ihre diversen thematischen Felder, ihre vielfältigen möglichen Urteilserfolge und deren logische Formen –, bringt sie stets bloß nachträglich die Vermögen, Fähigkeiten, Fertigkeiten bzw. Kompetenzen auf Begriffe, von denen die Menschen in ihrer Urteilspraxis seit unvordenklichen Zeiten tagaus-tagein mit ständig wachsenden Erfolgen Gebrauch machen: »Unsere gemeine Sprache enthält schon alles das, was die Transzendentalphilosophie mit Mühe herauszieht«.7 Daß die urteilsförmige Ausübung aller dieser Vermögen strikt an den Gebrauch von Worten und Phrasen einer eingebürgerten Gebrauchssprache gebunden ist, war für Kant daher auch so selbstverständlich, daß er für diese Bindung in seinen drei Kritiken kein eigenes linguistisches oder sprachanalytisches Theorem, wohl aber eine notwendige Bedingung formuliert: »Wir könnten gar nicht urteilen, wenn wir keine Wörter hätten«.8 Diese für ihn selbstverständliche Voraussetzung der strikten Sprachlichkeit alles Denkens und Urteilens stempelt seine Philosophie in Form solcher mehrfach notierten linguistischen Expressibiltätspostulate zu einem ebenbürtigen Gesprächspartner und nicht zu einer vernachlässigbaren Altlast der Bemühungen der analytischen und insbesondere der sprachanalytische Philosophie. Die Tragweite, die die paradigmatische Klärung der urteilsförmigen weil ---, deswegen muß …-Kausal-Kategorie für Kants ganze Theorie der Erfahrung mit 7 XXIX , 1, 804. 8 XXIV,1.1, 588.

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sich bringt, kann gar nicht überschätzt werden. Diese Tragweite wirft nicht nur rückblickend ein Licht auf die Konzeption der Urteilsfunktionen, sondern ebenso auf alle nachfolgenden Teile dieser Theorie. Denn die strikte Unumkehrbarkeit, also die Anti-Symmetrie der Beziehung zwischen dem weil --- -Faktor und dem deswegen muß …-Faktor der Kausal-Kategorie entspricht haargenau, also isomorph der Unumkehrbarkeit, also der Anti-Symmetrie der Beziehung zwischen dem wenn --- -Faktor und dem dann …-Faktor der hypothetischen Urteilsfunktion. Unumkehrbarkeit bzw. Anti-Symmetrie bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die kategorialen Rollencharaktere des weil ----Faktors und des deswegen muß …-Faktors ebenso wenig ohne Tilgung dieser Rollencharaktere miteinander vertauscht werden können wie die logischen Rollencharaktere des wenn ----Faktors und des … dann-Faktors – ein Antecedens ist ebensowenig ein Consequens wie eine Ursache eine Wirkung ist und umgekehrt. Doch die Isomorphie zwischen dieser logischen und dieser kategorialen Urteilsform bildet gerade die charakteristische Struktur, von der die Metaphysische Deduktion der Kausal-Kategorie im Ausgang von der hypothetischen Urteilsfunktion getragen wird. Daher muß und kann sowohl die Transzendentale Deduktion der Kategorien wie der Schematismus und das System der Grundsätze die Urteilsförmigkeit der Kausal-Kategorie als Paradigma dafür in Rechnung stellen, daß auch alle anderen Kategorien entsprechende urteilsfunktionale Momente bilden. Erst in der zweiten Auflage der Ersten Kritik hat Kant der Transzendentalen Deduktion der Kategorien sein letztes öffentliches Wort verliehen. Diese Deduktion orientiert sich in unscheinbarer, aber in umso bedeutsamerer Weise an dem pragmatischen Aspekt, unter dem auch der Handlungscharakter des Urteilsakts eine leitende Rolle spielt. Denn unter demselben Aspekt intendiert diese Deduktion mit spezifisch transzendentalen, also jedenfalls mit nicht-empirischen Mitteln die Rechtfertigung von zwei radikal verschiedenen Gebrauchsformen der Kategorien – einer empirischen und einer reinen, nicht-empirischen Form ihres Gebrauchs. Gerade die formale, urteilsförmige weil ---, deswegen muß … – Kausal-Kategorie kann ein besonders helles Licht auf die inneren Komplikationen werfen, denen sich ein solches Unterfangen stellen muß. Da sie eine relativ späte Frucht der kritischen Auseinandersetzung mit Humes empiristischer Kausalitäts-Skepsis bildet, läßt ihre Urteilsfunktionalität und Urteilsförmigkeit ihren nicht-empirischen Charakter umso klarer erkennen. Denn dieser nichtempirische, formale Charakter macht die Rechtfertigung ihres Gebrauchs nicht nur unabhängig von allen Rücksichten auf dieses empirische Feld. Er macht ihren Gebrauch auf diesem Feld auch invariant gegenüber allen hier möglichen Veränderungen und damit auch offen für alle Anwendungen auf spezifisch kausalitäts-trächtige empirische Phänomene. Ihre Unabhängigkeit von allen möglichen Rücksichten auf das empirische Feld disponiert sie für ihren reinen, nicht-empirischen Gebrauch im Rahmen von synthetischen Urteilen apriori; doch ihre Invarianz gegenüber allen möglichen Veränderungen auf diesem Feld

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zusammen mit ihrer Offenheit für alle möglichen Anwendungen auf kausalitätsträchtige empirische Phänomene disponiert sie umgekehrt für ihren entsprechenden empirischen Gebrauch in entsprechenden kausal-thematischen weil ---, deswegen muß …-Erfahrungsurteilen. Doch ob ein empirisches Phänomen, also ein Wahrnehmungsgehalt kausalitäts-trächtig ist oder nicht, ist eine Angelegenheit abwägender Beurteilung. Bei diesen Abwägungen machen wir, wie Kants Theorie in ihrem SchematismusKapitel zeigt, sowohl in unserer alltäglichen wie in unserer wissenschaftlichen Beurteilungspraxis mehr oder weniger stillschweigend von einem auf die Formen der Kategorien abgestimmten Komplex von Kriterien Gebrauch. Am Ende dieser kriterien-geleiteten Abwägungen führt der dann von der Urteilskraft bestimmte Gebrauch z. B. der kausal-kategorialen weil ---, deswegen muß …-Urteilsform im günstigen Fall zu einem empirischen kausal-thematischen Erfahrungsurteil. Wegen seiner Angewiesenheit auf das Medium der kontingenten empirischen Wahrnehmungen für den fruchtbaren Gebrauch der kategorialen Urteilsformen ist es allerdings auf unbestimmt viele weitere empirische Bewährungsproben angewiesen, bevor es zumindest mit empirischer Berechtigung und vorläufig für objektiv gültig bzw. wahr erachtet werden kann. Unter diesen Voraussetzungen gehören die wenigen, zerstreut im Text der Transzendentalen Deduktion und den sonstigen Teil der Ersten Kritik exemplifizierten Erfahrungsurteile unabdingbar zu dieser Deduktion. Denn nur sie können in der dafür unabdingbaren paradigmatischen Weise vor Augen führen, wie, also in welcher Form die Kausal-Kategorie – und mit ihr auch alle anderen Kategorien – empirisch, also in Erfahrungsurteilen gebraucht werden können. Kants Paradigmen sind Die das Wasser umgebende hinreichend kalte Luft läßt das Wasser gefrieren bzw. Weil die das Wasser umgebende Luft hinreichend kalt ist, deswegen muß das Wasser gefrieren, Die Sonne erwärmt den Stein bzw. Weil die Sonne den Stein bescheint, deswegen muß er warm / wärmer werden, Die Sonne schmelzt das Wachs bzw. Weil die Sonne das Wachs bescheint, deswegen muß es schmelzen und Die Sonne härtet den Ton bzw. Weil die Sonne den Ton bescheint, deswegen muß er hart / härter werden. Diese paradignatischen Erfahrungsurteile zeigen nicht nur die Primärorientierung seiner Theorie an den Strukturen der alltäglichen Erfahrung. Sie zeigen auch nicht nur die Invarianz ihrer kausal-kategorialen weil ---, deswegen muß …-Urteilsform gegenüber den wahr­nehmungsspezifischen Veränderungen in der empirischen Welt. Sie machen außerdem auch darauf aufmerksam, daß die kausal-kategoriale weil ---, deswegen muß …-Urteilsform genauso invariant gegenüber den Unterschieden zwischen beliebig komplexen empirischen Strukturen der spezifisch wissenschaftlichen Erfahrung ist – z. B. Weil ein hinreichend beschleunigtes Neutron ein Uran-Atom durchdringt, deswegen muß es zerplatzen oder Weil der Herzmuskel von Streptokokken befallen ist, deswegen muß er sich entzünden. Und schließlich – und vor allem – zeigen solche Musterbeispiele, daß es trotz ihres

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wahrnehmungsspezifischen Fundus eine transzendental-logische Einsicht ist, daß und wie wir mit ihnen – und nur mit ihnen – von der apriorischen KausalKategorie empirischen Gebrauch machen. Erfahrungsurteile solcher extrem unterschiedlichen Wahrnehmungs- oder Beobachtungsgehalte und inhaltlichen Komplexitätsgrade gehören sogar noch unmittelbar in den Einzugsbereich jener Grundsätze, die nicht nur »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung«, sondern ebenso die »Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung«9 formulieren. Denn die wichtigste Funktion erfüllen diese Grundsätze, indem sie »die Form einer möglichen Erfahrung überhaupt … antizipieren«.10 Doch bei dieser Antizipation handelt es sich um den strengsten möglichen, den apriorischen Modus eines solchen Vorgriffs. Denn er greift nicht auf irgendwelche Inhalte und schon gar nicht auf die empirischen, wahrnehmungsbasierten Inhalte einer möglichen Erfahrung überhaupt vor. Er greift vielmehr auf die Form einer möglichen Erfahrung vor. Denn es sind die kategorialen Formen aller möglichen Erfahrungsurteile, die diese Grundsätze in diesem antizipatorischen Modus festlegen. Durch diese kategorialen Formen tragen diese Erfahrungsurteile  – mitsamt ihrem unerschöpflichen Wahrnehmungsfundus – zur schrittweisen, aber auch stets nur asymptotisch wachsenden Teilhabe am absoluten Ganzen aller möglichen Erfahrung bei. Nicht zuletzt deswegen gehört das weithin konventionell gewordene Stereotyp, Kant sei ein in höchsten Sphären der Abstraktion operierender, sogenannter Systemdenker, zu den Vorurteilen, die am meisten über das methodische Format seiner philosophischen Arbeit in die Irre führen können. Selbstverständlich führen ihn die Schritte dieser Arbeit – das gehört gewissermaßen zum Schrittgesetz philosophischer Arbeit – sogar zu einem extrem abstrakten Punkt, zum so apostrophierten höchsten Punkt des die logische Einheit des Urteils-überhaupt stiftenden Akts des Ich denke bzw. Ich denke, daß-p. Doch die Schritte des abstraktiven Wegs, die bis zu diesem Punkt führen, bilden bei genauerem Hinsehen eine geradezu vorbildliche Kohärenz mit dem tiefsten Punkt, auf den Kant auf jedem Abstraktionsniveau immer wieder von neuem rekurriert. Kant hält daher selbst eine umso aufschlußreichere, aber auch umso überraschendere methodologische Ortsbestimmung seines kritischen Philosophierens bereit: »Mein Platz ist das fruchtbare Bathos der Erfahrung«,11 also der fruchtbare Boden der Erfahrung. Denn die Fruchtbarkeit dieses Bodens sieht Kant im Licht seiner Theorie nur in jenem Medium Früchte tragen, das zur conditio huma­na gehört – im Medium der dem Menschen fast unablässig widerfahrenden Sinneswahrnehmungen. In dieser tumultuarischen prälogischen Dimension ihrer Widerfahrnisse sind sie es, die ihn auf dem apostrophierten fruchtbaren 9 A 158, B 197, Kants Hervorhebungen. 10 A 246, B 303. 11 IV, 373*, Kants Hervorhebung.

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Boden der Erfahrung in ausgezeichneten Formen provozieren, an ihnen seine elementarsten kognitiven Fähigkeiten zu erproben – seine Urteilskraft und die reine und ursprüngliche Apperzeption. Denn es ist diese von ihm apostrophierte Apperzeption, die die Urteilskraft überhaupt erst dafür disponiert, viele – also jeweils mindestens zwei  – Wahrnehmungs-Widerfahrnisse zugunsten der logischen Einheit zunächst von spezifischen, subjektiv wahren WahrnehmungsUrteilen der identitären Form Ich, der ich X wahrnehme, nehme Y wahr zu verbinden. Nur ihnen wiederum kann er mit Hilfe von jeweils geeigneten Kategorien und seiner bestimmenden Urteilskraft immer wieder von neuem die jeweils neuen Erfahrungsurteile abgewinnen, durch die er schrittweise immer wieder neue Anteile am absoluten Ganzen aller ihm möglichen Erfahrung erwerben kann. Doch es sind die kontingenten Anteile der Sinneswahrnehmungen am situativen Erwerb dieser Erfahrungsurteilen, die jedem neuen Erwerb immer wieder von neuem auch eine ganz persönliche und individuelle Authentizität verleihen. Invariant gegen die persönlichen und individuellen Unterschiede zwischen den Formen dieser wahrnehmungsspezifischen Erwerbs-Authentizität bleiben die kategorialen Formen der Erfahrungsurteile das, was durch die Grundsätze antizipiert wird. Ihre antizipatorische Funktion macht geradezu die für sie charakteristische Apriorität aus, ›vor aller Erfahrung‹ die Form der Erfahrung-überhaupt zu antizipieren. Erst kurz vor dem scheinbaren Ende seines kritischen Geschäfts – am Ende der Zweiten Kritik – hat Kant angefangen, sich äußerst vorsichtig eine nichtkognitive, emotionale und gleichwohl apriorische Disposition des Menschen für dessen Urteilsbildung zu erschließen. Doch erst in der definitiv letzten systematischen Untersuchung seines kritischen Wegs, der Kritik der ästhetischen Urteilskraft ist es ihm gelungen, diese emotionale Dispostion in der Gestalt der reinen natur-ästhetischen Geschmacksurteile der logisch-grammatischen Elementarform Dies ist schön zu erschließen. Er durchschaut sie sogar als die für die Erkenntnis günstigste, harmonische Disposition seiner Erkenntniskräfte. Damit hat er im selben Atemzug aber auch auf die am tiefsten liegende Quelle sogar der menschlichen Irrtumsrisiken aufmerksam gemacht. Denn da alle anderen Dispositionen seiner Erkenntniskräfte nicht harmonisch und daher auch nicht am günstigsten für seine ihm möglichen Erkenntnisse gestimmt sind, tragen sie tendenziell zu seinen Irrtumsrisiken bei. Von ihnen sind daher sowohl die theoretischen wie die praktischen wie auch ästhetischen Angelegenheiten seiner konkreten Urteilsbildung betroffen. Doch diesem Irrtumsrisiko ist selbstverständlich ebenso der um Erkenntnisse bemühte Philosophierende selbst ausgesetzt. Auch die Stimmung der Erkenntnskräfte dessen, der mit den Mitteln der logischen oder auch der transzendentalen Reflexion und Analyse um Meta-Urteile über die Strukturen der Urteilsbildungen des alltäglichen Lebens und die der wissenschaftlichen Tätigkeiten bemüht ist, ist daher zu diesem Irrtumsrisiko verurteilt. Er findet sich stets mehr oder weniger weit von der

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kognitiv günstigsten Stimmung entfernt, zu der ein geeigneter naturwüchsiger Gegenstand natur-ästhetischer Beurteilung Anlaß geben kann. Kants Zuversicht ist unüberhörbar, er könne der Philosophie mit der Ersten Kritik Mittel an die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie es dem von ihm diagnostizierten sicheren Gang der Wissenschaft auf ihre Weise gleichtun kann. Doch Garantien, mit diesen Mitteln ein für alle Mal dem nur allzu menschlichen Irrtumsrisiko zu entgehen, bietet auch der kritische Weg nicht – und zwar aus Gründen, die Kant durch die Einsicht in das nur allzu normale nicht-harmonische Spiel der Erkenntniskräfte des Menschen selbst eingesehen und öffentlich zu verstehen gegeben hat. Die schärfer gewordenen analytischen Methoden der vergangenen hundert Jahre mögen nicht zu Einsichten von derselben Tiefenschärfe und Tragweite beigetragen haben, die aus den Texten von Klassikern wie Kant zu uns sprechen. Immerhin eröffnet das Mikroskopierungspotential dieser Methoden Möglichkeiten, den dokumentierten Schritten und Resultaten von Kants Philosophie da zu Hilfe zu kommen, wo Kants transzendental-logische Untersuchungen und methodische Selbstskepsis nachweislich an situations­ bedingte Grenzen oder an die auch für ihn natürlichen Grenzen gestoßen sind. Sein vielfältig geäußertes skeptisches Bewußtsein der Zumutungen, die sein kritischer Weg zumindest für seine Zeitgenossen mit sich brachte, hat ihn schließlich sogar zu der Überzeugung geführt: »Ich bin mit meinen Schriften um ein Jahrhundert zu früh gekommen; nach hundert Jahren wird man mich erst recht verstehen und dann meine Bücher aufs neue studieren und gelten lassen!«.12 Tatsächlich ist die ernsthafte Kant-Forschung  – wenn man von seltenen, atypischen Ausnahmen tiefsinniger und scharfsinniger philosophischer Leser wie Johann Schulz und Salomon Maimon während Kants letzten zwei Lebensjahrzehnten absieht – erst hundert Jahre nach Kants Tod auf den Weg gebracht worden. Während der vergangenen wiederum hundert Jahre hat sie immer wieder von neuem gezeigt, wie man die Arbeit Kants gerade auch da mit Gewinn fortsetzen kann, wo sich innere Grenzen seiner Arbeit zeigen. Ein Ende für die Fortsetzung dieses Wegs ist nicht nur faktisch nicht in Sicht. Wenn Kant mit verständlichem Pathos sagt: »Der kritische Weg ist allein noch offen«,13 dann sollte der skeptische Ton nicht überhört werden, mit dem hier zu verstehen gegeben wird, daß die von ihm inaugurierte kritische Philosophie nicht ein ausgereiftes System ist, sondern einen Weg eröffnet, und daß dieser Weg auf unbestimmte Zeit offen für Verbesserungen des jeweils schon Erreichten ist, auch des von Kant selbst Erreichten. Auf diesem Weg wird das Ganze der menschlichen Angelegenheiten in seinen wichtigsten Grundzügen auf des Menschen spezifische Fähigkeit zurückgeführt, sich auschließlich mit Hilfe spontaner Urteilsbildungen diverser logisch12 Tagebücher von Karl August Varnhagen von Ense. Erster Band, Leipzig 1861, S. 46. 13 A 856, B 884.

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grammatischer Formen sowohl in seinen theoretischen wie in seinen praktischen Angelegenheit und in seiner natur-ästhetischen Erlebnissphäre zuverlässig zu orientieren. Doch nicht nur der Weg von der ersten zur zweiten Auflage der Ersten Kritik, vor allem die überlieferten Dokumente seiner unablässig fortgesetzten Werkstatt-Reflexionen und -Analysen sprechen auch eine andere Sprache: Kant hat nie aufgehört, an Verbesserungen der öffentlich mitgeteilten Schritte und Resultate seines Philosophierens zu arbeiten  – und damit die Tugend der methodischen Skepsis in der eigenen Werkstatt kultiviert. Die Fruchtbarkeit des critischen Wegs als einer ausgezeichneten Möglichkeit, das Ganze der menschlichen Angelegenheiten in seinen wichtigsten Grundzügen zu überblicken und zu durchschauen, ist dadurch nicht im geringsten in Frage gestellt. Die entscheidende Frage der Kant-Forschung ist daher ganz und gar nicht die historistische Frage Was bleibt?. Die entscheidende Frage orientiert sich im Gegenteil an der methodischen Möglichkeit zu klären, wie das gelingen kann, was auf dem von Kant selbst dokumentierten Weg unter denselben Vorzeichen darüber hinaus noch zu tun möglich, nötig und zweckmäßig ist. Indessen könnten die Ziele, an denen die Schritte dieses Wegs orientiert sind – wie bei allen Klassikern der Philosophie –, schwerlich schwierigere Aufgaben stellen. Sie müssen an drei diametral verschiedenen Punkten orientiert sein. Zum einen müssen sie vom höchsten möglichen Punkt aus den Einblick in die nur dem Menschen offene Möglichkeit eröffnen, seine andernfalls tumultuarisch bleibenden Gemütsbewegungen spontan immer wieder von neuem in den Formen der logischen Einheit von neuen mehr oder weniger komplexen und wahrheitsfähigen Urteilen zu verbinden. Diese Schritte müssen außerdem, wenn sie gelingen sollen, gleichzeitig den tiefsten Punkt in den Blick nehmen, von dem aus man den fruchtbaren Boden der Erfahrung im Auge behalten kann. Denn nur auf diesem Boden begleitet den Menschen als Teil seiner conditio humana das Medium, in dem ihm unablässig seine tumultuarischen Sinneswahrnehmungen widerfahren. Nur ihnen und ihrem beständigen Wechsel kann er mit Hilfe vor allem der Substanz- und der Kausal-Kategorie immer wieder von neuem – und zwar sowohl in der Empirie seines Alltagsleben wie in der Empirie der wissenschaftlichen Arbeit – objektiv wahrheitsfähige, wenngleich bewährungsbedürftige Erfahrungsurteile abgewinnen. Im Unterschied zu den allermeisten empiristischen und analytischen Erkenntnistheorien und Wissenschaftstheorien, die die Arbeit der Philosophie  – von den Zweiten Analytiken des Aristoteles bis in die Gegenwart – auf ihre Weise gefördert haben, zeigt sich der wahrhaft philosophische Charakter von Kants Theorie der Erfahrung indessen in der Orientierung an einem dritten Punkt, ihrem Fluchtpunkt. Mit seiner Hilfe geht sie in einem präzisierbaren Sinne auf’s Ganze. Denn die wahrnehmungsbasierte Fruchtbarkeit, mit der es den Menschen immer wieder von neuem gelingen kann, ihren tumultuarischen Sinneswahrnehmungen mit Hilfe der dafür geeigneten Kategorien objektiv wahrheitsfähige, aber auch bewährungsbedürftige Erfah-

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rungsurteile abzugewinnen, ist gar nichts anderes als die endlose Fruchtbarkeit, mit der sie sich schrittweise, aber auch nur asymptotisch »das absolute Ganze aller möglichen Erfahrung«14 erschließen können. In der Sphäre der kritischen Philosophie als ganzer bilden diese drei geradezu diametralen Orientierungspunkte das eigentümliche Spannungsfeld einer zwar spezifischen, aber gleichwohl ins Grunsätzliche zielenden Philosophie der Erfahrung. Die Arbeit innerhalb dieses Spannungsfelds vertraut Kant angesichts von dessen außerordentlicher Komplexität aus guten Gründen der Offenheit des kritischen Wegs an. Die Arbeit an der Fortsetzung dieses Wegs hat tatsächlich schon längst gezeigt, daß diese Arbeit  – wie die Fortsetzung jeder Arbeit an einem klassischen Thema der Philosophie – an kein natürliches Ende gelangen kann. Die Tugend der methodischen Skepsis eröffnet auch dem kritischen Weg eine Aussicht auf endlose Offenheit – allerdings auch auf endlose Fruchtbarkeit. Man darf daher vermuten, daß der einzige wahrhaft endgültige, also nichtskeptische philosophische Satz, der die Arbeit auf diesem Weg begleiten kann, ebenso alt ist wie der älteste klassische Entwurf der Philosophie. Ganz unbeschadet der methodischen Strenge des kritischen Wegs – und vielleicht gerade wegen ihr  –, wird dieser Satz vom Hauptsatz der Tugend der methodischen Skepsis gebildet. Ihn legt Platon seinem Sokrates ganz am Ende seines zentralen, wie immer aporetisch endenden erkenntnistheoretischen Dialogs, des Theaitet in den Mund: »Morgen, lieber Freund, sprechen wir uns wieder«.15

14 IV, 328. 15 Platon, Tht. 210 d 3–4.

Literaturverzeichnis

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I

285 349

II

60 40120, 2271, 228, 23122, 4273 307 f. 66 399 204675, 205676

III / IV

A XVI 20, 131 B XIII 300 B XXII 172555, 392475 B XXXVII 412, 415 f., 422, 415 f. B XXXVIII 20 B XLII 21–22 B XLIX 2234 B 3 2125 B 4 27125 B 5 27125 A 3, B 7 328 A 5, B 9–10 328 A 5, B 9–A 6 328 A 6 55170, 62187, 65194, 84 A 9 84, 313189 B 12–13 313189 A 10 84 B 19 225754, 387 f. A 20, B 34–A 21, B 35 3371 A 21, B 34 f. 3373 A 22, B 35 2856 A 24, B 39–41 192638 A 30, B 46 192 A 30, B 46–A 32, B 49 66198 A 31, B 46–47 192637 A 31, B 47 36, 191631, 204672, 333 f. A 31, B 47–A 32 190631

A 31, B 47–A 32, B 48 A. 32, B 47 A 32, B 47–48 A 32, B 48 B 48–49 A 33, B 49–50 A 34, B 50 A 37, B 53 A 37, B 54* A 45, B 62 A 46, B 63 A 46, B 64 A 48, B 65 A 48, B 66 B 48–49 B 66 B 67 B 68 B 68–69 B 72 f. B 73 A 52, B 76–A 62, B 87 A 55, B 79 A 56, B 80 A 57, B 82–A 59, B 83 A 57, B 82–A 60, B 84 A 57, B 82–A 59, B 83 A 57, B 82–A 64, B 88 A 58, B 82 A 58, B 82 f. A 58, B 83 A 58, B 83–A 59 A 58, B 83–A 60, B 84 A 59, B 83 A 59, B 84

191631 333 333 192 204672 191631 36 f. 71222 36 f., 204672 36 88 33 88 88 204672 67 37, 204672 67 f., 68, 71222 66197, 68, 72 55164 88 f., 136 f. 117 169 33, 100, 145, 309 24676 135459 24676 19 117 f., 118, 122412, 133, 134, 24676 153 122412, 129, 134, 153508 129 133443 119, 122412, 150, 246 153508

450 A 61, B 86 A 62, B 87 A 62, B 87–A 68 A 62, B 87–A 63, B 88 A 63, B 88 A 65, B 90–A 83, B 116 A 66, B 91 A 66, B 91 ff. A 67, B 92 A 67, B 92–A 68, B 93 A 67, B 92–A 69, B 94 A 68, B 93 A 69, B 94 A 70, B 95 A 71, B 96–B 97 A 71, B 96–A76, B 101 A 71, B 97–A 72 A 71, B 97–A73, B 98 A 71, B 96–A 76, B 101 A 71, B 97–A 72 A 72, B 97 A 74, B 101 A 76, B 102–A 83, B 109 A 78, B 103 A 79, B 104 A 79, B 104–105 A 79, B 105 A 80, B 106 B 115 A 84, B 116 A 84, B 116 f. A 84, B 116–A 85, B 117 A 84, B 116–A 92, B 124 A 85, B 117 B 119 A 88–105 A 88, B 120 A 88, B 121 A 89, B 121–A 94, B 127 A 89, B 122 A 89, B 122–A 90 A 89–105 A 89, B 122–A 94, 127 A 90, B 122 A 92, B 125 A 92, B 126–A 93 A 93, B 125 A 93, B 126

Stellenverzeichnis 153508 30, 117, 245, 246 130 22915 118, 150, 246 30 153509 95333 209686 17 79, 248 16, 46137, 103, 224753, 248 79, 209687, 421 248, 358356 156513 94 358 156513 94 358 358, 360 f. 224 229 175, 228 104 95, 97, 98, 141 16, 248 360361, 363374 153508 171 3166 41 86 3166, 3584, 82, 83 f., 86, 170 f.,185 75 339289 87, 126 82 153509 30, 87 87, 209 339289 153509 22 86 f. 136 97 97 f., 170

A 94, B 126 A 95–97 A 96 B 128

B 128–129 A 97 A 97–103 A 98 f. A 98–104 A 99 A 104 A 104–105 A 105 A 107 A 110 A 111 A 114 A 116 A 117* A 118 A 119 A 119 f. B 129 B 129–139 B 130 B 131

B 132 B 133 B 133* B 134–136 B 136 B 136* B 137 B 140 B 142

170 75236 3166 16, 95333, 98, 101 f., 119, 137, 138470, 142479, 184 f., 202, 224 75, 102 74234 61, 72 2022 35 34, 3479, 89 15, 107, 117394, 135459, 138470 133442 135459 73228, 308168 80258, 82270, 27748, 347322 426 53, 81, 131440 74233 184 224 74233 74232 101 f., 101356, 184, 249, 309 72 184, 249, 28692, 28797, 287, 309, 312, 421 45, 81, 142479, 183 f., 184, 249, 273, 308, 311, 402 46137, 70, 249, 287, 288, 311 f., 421 46137, 50149, 53, 54162, 73227, 81, 28376, 401, 421 81 143 30 192636 31 20 20–21, 76 f., 87f, 90, 93, 102, 103,

451

Stellenverzeichnis

B 142 f. B 143 B 144

B 144–145 B 144–146 B 145 B 145–46 B 146

B 146–147 B 147 B 147–48 B 148

B 148–49 B 149 B 150 B 150–151 B 152 B 152 ff. B 152–159 B 153 B 154 B 154–155 B 155

B 155* B 156 B 156*

104, 113386, 173, 174, 341302 20, 75, 167 113386, 142479, 282 141–2, 18, 2856, 29, 3060, 33, 91322–324, 134, 142 f., 142479, 143, 173, 183 f., 224 111382 132 132, 27, 130, 142479, 145 f. 132 13, 111, 135, 135459, 139, 143 f., 139, 153509 164 22, 30, 75 f., 87 f., 111, 177, 181592, 201, 224 165, 167, 201, 207682 46137, 88, 89, 135, 136 467, 139473, 14380, 207682, 224 f. 55164 143480 28, 139473, 144, 188, 202 88 37, 68 f., 131440, 189 52 72 69 204672, 375, 386 f. 66, 374, 377, 386 39 f., 49, 50, 53, 54, 58, 59175–176, 64193, 66, 72, 73, 93, 204672 192636, 374 37 f., 41123, 63, 69, 71222 43 f., 205, 377

B 157 B 157* B 158 B 158–59 B 159 B 160 B 160* B 160–161 B 160–161* B 161 A 118 A 119 A 123 B 162

B 162 f. A 124–125 A 125–128 A 126 A 127 A 128 B 162–163

B 163

B 163–164 B 163–165 B 164 B 164–165 B 165 B 166 B 167 B 167 f.

38, 73 38 f., 63, 73, 184607 43, 53159, 54163 58172 22, 44, 49 30, 83, 192, 211 192, 192 207680 183 75, 166, 181592, 288, 333 324 74233 55170 2127, 22, 75, 87, 90, 91, 93, 154, 155, 183, 186, 192 f., 193, 194, 195, 196, 217, 381429 20, 75, 168543, 169545 24779 210694 1818, 101 131440, 210694 322230 20, 75, 87, 90, 91319, 91, 92, 167,168543, 169545, 171, 174, 190631, 206, 208, 216 22 f., 166, 186, 192 f., 194 f., 201, 203, 211 f., 212, 217, 322230 206 179, 206, 211, 220, 222 207 f., 207680, 208 f., 210694, 211 f., 221 f. 220 212 96, 188 25 f., 84, 96, 173 f., 183, 185, 186, 187 75236

452 B 168 B 168 f. B 168–169 A 130, B 169 A 132, B 171–A 136, B 175 A 132, B 172–A 147, B 187 A 133, B 172 A 134, B 173 A 135, B 174 A 135, B 174–B 175 A 136, B 175 A 136, B 177 A 137, B 176 A 137, B 176–A 147, B 187 A 137, B 176–A 235, B 294 A 138, B 177 A 139, B 178 A 139, B 178–A 140 A 139, B 178–179 A 140, B 179 A 140, B 179–180 A 140, B 179–A 141, B 180 A 141, B 180 A 141, B 180 f. A 141, B 180–B 181 A 141, B 181 A 141, B 181 f. A 141, B 181 A 142, B 181 A 142, B 182–A 145, B 184 A 143, B 182 A 143, B 183 A 144, B 183

A 144, B 183–184 A 144, B 184 A 145, B 184

Stellenverzeichnis 25 f., 122407, 122, 124, 166, 179, 186 f., 186617 122 173 210 150500 227 228, 231 23122 228 173 122, 149, 153509, 229, 252, 253 246 210, 227, 369395 119, 150500 150 119, 150, 173, 246 17, 3167, 75, 82, 171554, 202 f., 248 171, 189 256 215, 228, 22918, 232 f., 235, 246, 262, 369, 384 384 2289 122412, 227, 22916–17, 381 f., 382434 233 227 245 233 245 258, 369 252 358356, 369, 370 f. 368 128428–429, 151506, 152, 152507, 179 f., 215 f., 313, 329250, 330255 119401 152, 157516 128428, 157516, 179 f., 215, 313, 313187

A 145, B 184–185 A 145, B 185 A 145, B 185–A 146 A 146, B 185 A 146, B 185–186 A 147, B 185–186 A 148, B 187 A 148, B 188 A 150, B 189 A 154, B 193 A 154, B 193–A 158, B 197 A 157, B 196 A 157, B 197 A 158, B 197

A 158, B 197–A 235, B 294 A 159, B 198 A 159, B 198–A 160, B 199 A 160, B 199–A 161, B 200 A 162, B 201 B 202 A 162, B 203–A 163 B 203 A 163, B 204 A 163, B 204–A 165, B 206 A 164, B 205 A 164, B 205–A 65, B 206 A 165, B 205–206 A 165, B 206 A 165, B 206, A 166 B 207 B 208 A 166, B 208 A 166, B 208–A 167 A 167, B 209 A 169, B 211 A 171, B 213 A 171, B 213–A 172 B 217 A 172, B 214

258, 280 259, 27748 170 212, 247, 27848, 280 253 252, 253 124, 127, 252, 260, 279 f., 280 f. 261, 298, 342, 351 322230 83, 169, 260 225754 178, 216, 222 270 89310, 124, 189623, 212, 257120, 260, 265, 272, 291, 308, 309, 387, 434 169546 3584 178574 26913 269 274 375411 380 379, 382 373405 383–384 26915 383438 374, 379, 381, 382, 383, 385 380 2678, 274, 292120, 293, 360 354 f., 355 f., 357 f. 310, 317 f., 364, 392475 363377 352 190631, 354, 360, 364 298 298 166 355

453

Stellenverzeichnis A 176 A 176, B 218 B 218

267 166 267, 277 f., 292117, 350, 368387, 388 B 218–219 278 B 219 154, 177, 278 f. A 177 43131 A 178, B 220 71222, 267, 322 f. A 179, B 220 277 B 220 27744, 27748 B 220 f. 27744 A 180, B 222–A 181 267 A 181, B 258 151 A 182 269 B 224 101356, 155, 274, 291 B 224–225 293 B 225 292, 293 f. A 183, B 226 195653, 303 A 184, B 227 289, 290 f., 291 f., 303, 308 A 184, B 228–A 185 294 A 185, B 228 289105, 295 f. A 185, B 228 f. 129433 A 188, B 231 301 f. A 188, B 232 316198 A 188, B 232–A 189, B 232 301 A 189 218, 222, 250, 269, 27125, 274, 392475, 407 A 189, B 232 151504, 303 f., 306 B 232 269, 27125, 316198 B 233 195650, 319, 321 f., 336 A 189, B 234 69215 B 234 71222, 321 f. A 190, B 235 320 A 191, B 236 89312, 135 f., 193645, 258, 395 A 192, B 237 218725–726, 337 A 192, B 237–B 238 197656 A 192, B 237–A 193, B 238 69 A 193, B 238 f. 218727 A 193, B 238–B 239 318204, 318205 A 193, B 239 218725, 219, 220, 314, 318206, 321225 A 194, B 239 69, 218725, 218725, 219, 318205, 321221–222, 225

A 194, B 240 A 194, B 239–240 A 195, B 240 A 195, B 241 A 195, B 240–241 A 196, B 241

318206 318204, 318205 89312, 218725, 728 318206 319 85, 218727–728, 299, 310, 318205, 318206, 320 A 196, B 242 220 A 196, B 241–A 197, B 242 299, 327 A 198, B 243 218727–728, 318205, 318206 A 198, B 243–244 318205 A 198, B 244 218725, 318204 A 199, B 244 190631 A 199, B 245 321224 A 200, B 245 89312, 325 f. A 200, B 245–246 318205 A 200, B 246–A 201 321225 A 200, B 246 318204, 318206 A 201, B 246 318205 A 201, B 246–A 202 218725 A 201, B 247 318205 A 202, B 247 318205, 337 A 202, B 247–248 2341, 338 A 202, B 248–A 203 330 f., 330, 337 A 203, B 248 151506, 329, 330, 338, 339 f. A 203, B 248–249 305, 341301 A 204, B 249 151504, 305 f., 307, 339, 340 f. A 204, B 249–B 250 330255 A 204, B 250 305, 339 f. A 205, B 250 306, 316, 340 f. A 205, B 251 316, 339 A 206, B 251 340 A 206, B 252–A 209, B 254 193645 A 207, B 252 318204 A 207, B 252* 196655 A 208, B 251 307 A 208, B 253 197656, 333 f., 337, 338, 339289 A 208, B 253–A 209 190631 A 208, B 253–254 333259 A 208, B 254 197656 A 209, B 254 324, 325 f. A 210, B 255 140475, 243, 257, 259, 299, 388 B 256 274, 344 B 257 347, 348 A 211 274, 344311

454 A 211, B 258 A 213, B 259 A 213, B 260 A 214, B 261 A 215, B 261 A 215, B 262 A 216, B 263–A 217, B 264 A 216, B 263 A 217, B 264 A 218, B 265 A 218, B 265–266 A 218, B 266 A 219, B 266 A 220, B 267 ff. A 221, B 269 f. A 222, B 269 A 225, B 272

344313, 347322 347 347 344 347 345, 349, 345 293119 210694 345 389 274, 389462 389 f. 388 389 389 158519, 252 2341, 371, 371399, 372403, 389464, 390472 A 225, B 272–280 269 A 225, B 273 2341 A 225, B 272–A 226, B 279 372 B 275 63 B 277 ff. 389468 A 226, B 279 389 A 227, B 279 ff. 389468 A 227, B 280 215 f. B 288 2339, 110 f., 111, 112, 115388, 127, 150500, 154, 157, 158 f., 254, 313185, 319210, 325241, 327, 331258, 392374, 40655, 429 B 288–289 253103 B 288–294 112285 B 289 254 A 235, B 294 134, 395 A 236, B 295 134 f., 395 A 237, B 296 133, 134, 141, 153508, 251, 255, 257, 298, 396 f. A 237, B 297 250 A 238, B 297 154, 83, 122 A 239, B 298 104 A 239, B 298–A 240, B 300 153509 A 240, B 299 30 A 242, B 300–A 243, B 301 27, 105366, 115388

Stellenverzeichnis A 243, B 301

27 f., 105366, 115388 A 245 100349, 132441 A 246 362 A 246, B 303 1714, 31, 261, 270, 27124, 27125, 317, 325, 364, 395, 434 A 247, B 303 253, 261, 292119, 402 A 247, B 304 81277, 202 f., 235, 262 A 248, B 305 17, 3166, 76, 85288, 202 A 249 253 A 250 55170 A 252 253 A 258, B 313–314 257, 299, 316, 317, 323 A 258, B 314 253 A 259, B 314 253 A 260, B 316 286, 285 A 261, B 316 45134 A 261, B 317 40122, 285 A 262, B 317–A 263, B 319 36 A 262, B 318 320 A 262, B 318–319 175 A 262, B 319 320 A 262, B 319–A 268, B 324 65194 A 291, B 347 358356 A 294, B 350 135460, 395 A 295, B 352 135, 397 A 296, B 352 26 48, 134, 136 467, 324, 397, 400 A 296, B 352–353 83, 86 A 296, B 353 136 467 A 307, B 364 396 f. A 307, B 364–A 308 396 A 308, B 364 A 308, B 365 396 A 309, B 365 397 f. A 309, B 366 396 A 310, B 367 85 A 313, B 370 41597 A 318, B 375 417 A 319, B 376 369392 A 320, B 376 369392 A 322, B 379 413 A 326, B 382 414 A 326, B 383 414 f. A 327, B 383 415

455

Stellenverzeichnis A 327, B 383–A 329, B 386 A 329, B 386 A 341, B 399 A 342, B 400 A 343, B 401 A 345 A 346, B 404 A 348 A 347, B 406 A 348, B 406 A 348–351 B 407 A 350 A 351–61 A 354

B 410 B 410–411 A 361 A 361–366 A 362 A 364 A 366–380 A 382 A 398–399 A 414 B 413–418 B 414* B 419 B 420 B 422* B 427 B 428 B 429 A 434, B 462 A 435, B 464 A 438, B 466 A 439, B 467 A 444, B 472 A 445, B 473

41595 415 40 283, 40348 27, 41123, 78, 139, 401 100349 59 51, 53160, 73227, 81, 184, 398 41123 79, 259 400 165530 154 400 59, 80, 82270, 184, 259 f., 274, 282, 324, 398, 399 401 39822 40030 55170, 73227, 283, 403, 403 400 60, 60182, 62188, 73227, 73, 73231, 28692, 400, 401 73231, 73231, 28692, 40348 400 281 401 403 39822, 40346 234 f. 70 57, 59, 73, 80261, 27430, 285, 288, 402, 403 f., 417 39, 285, 288 28580 38, 70, 184, 282 38, 38107, 49 41181 41181 41181 41181 334, 335, 408, 41181 41181

A 447, B 475 A 448, B 476 A 452, B 480 A 452, B 480–A 453, B 481 A 453, B 481

288 335 f. 313188, 408 405 313188, 408, 409 f. A 457, B 485 409, 410 A 459, B 487 40550, 410 f. A 462, B 490 412 A 466, B 494 412 A 468, B 496 122 A 475, B 503 412 A 476, B 504 412 A 484, B 512 412, 422 A 538, B 566–A 541, B 569 416104 A 538, B 566–A 558, B 586 41388 A 567, B 595 85291 A 582, B 610 313188 A 654, B 682 23949 A 660, B 688 317199, 334, 335 A 707, B 735 420 A 713, B 741 376 413 A 765, B 793–A 766, B 794 219731, 23846, 342304 A 766, B 795 238 A 787, B 815 126 A 788, B 816 115388, 116, 126, 140474 A 807, B 835 416 A 841, B 869 65194, 125421, 203671, 392475, 41077 A 855, B 883 422 A 856, B 884 422, 436

IV

257 111380 258 320 260 122, 319 260–261 320 261 319 276 225754, 387454 292 145487, 172555, 309, 324 293 272 294 216721 294 f. 216721 295 85, 166, 310 296 216721 296 f. 216 296 ff. 220737

456 297–305* 220 298 186617 298 f. 153509 298–301 1716, 40116, 75240 298–308 168 300 97340, 115388, 132 300–301 2129 301 214, 215 301* 215 f., 342, 364 304 59, 76 305* 119, 120, 128433, 151, 168, 169, 171553, 174, 175, 178, 180 f., 186617, 190629, 200 f., 203, 214 f., 215 f., 216, 217 f., 219732, 223, 224753, 214, 230, 238 f., 247, 249, 294 309 261, 266, 26710, 317 309–310 166533, 207682 310 216721, 220 311 120, 178 311–315 120 312 21, 120 f., 178, 179, 249, 331, 416105 315 121 316 97340, 420121 316 f. 178575 319 216721, 270 320 166532, 212, 243, 292116, 293, 323230, 337 322 181 323 19, 78, 94, 421, 427 324 1920, 95340 325* 292118, 337, 356, 366383, 371398 327 154, 122411, 128, 162, 186617, 242, 259 327 ff. 419116 328 36, 40117, 128433, 175, 181, 24257, 274 f., 438 334 40117, 49, 55, 55170, 73227, 281 f., 28376, 285, 286, 291112, 40348 334* 281, 287 335 288, 403 335* 291112, 40346 343 39923, 405 347 39923, 405 360 319 363* 422 364 41287, 422130 373 421122 373* 397, 421122, 434 375 124 f.

Stellenverzeichnis 389 420 407 ff. 417110 475* 85, 86293 479 377377 480–495 377416 490 377 f. 495 f. 376

V

11* 376 413 30 417109 54 254110 146 23843, 24257 187 238, 243 f. 196 24469 209 146 488, 24257, 369392 215 40 221 3168 228 236 232 244 238–39 241, 287 282 24469 289 286 292 237 407 ff. 417110

VI

203 417 213 420 214 416105 229 120404, 415, 420 230 229, 416, 417109 355 419 361 ff. 3166

VII

132 55170 134* 51 163 244 201 239, 240, 241 223 236, 240 238 237, 24153

VIII

131 46137, 27540 131–147 377421 135 377421 136 377421 140 116390, 186617 183 86293 191* 376 413

457

Stellenverzeichnis 193* 49 223 110 352 419 387–406 131440

272 2957 290–291 39719, 411 369 35, 59, 68206, 281, 369, 401, 420

IX

95

72* 24466 78 24466

XV

R 711 R 988

XVI

R 3145 R 3444 R 3653

XVII

R 4473 R 4638 R 4645 R 4672 R 4675 R 4676 R 4678

XVIII

R 4937 R 5090 R 5270 R 5293 R 5294 R 5312 R 5553 R 5645 R 5650 R 5854 R 5923 R 5932 R 5933 R 6353 R 6358

XX

244 237, 239 39113, 44132, 50149, 69, 76244, 91320, 93, 199, 286 40138 3376 125422 16, 3481, 43, 53, 59, 80259,132, 369392 129 105366, 107 f. 43129 105366 104, 105366, 110 105366 375411 362 315196, 361361 76247, 101356, 380428 76247, 101356, 155, 195653, 301, 301145, 315196, 361361 42127 129, 181, 243 f., 326 39, 53, 59, 426 165530, 266, 351, 388 80, 202 119400 119, 173, 28060 3376 3376, 172555

79 70 208–211 212704

XXI

128, 24258, 356

XXII

8 213 74 197656, 339289 79 418 93 50 95 40 102 213 103 213 104 213 107 213 323 27742 443 375409 482 76247 493 276 611 80258 653–654 27742 657 27748, 27954 657–660 27742

XXIV.1,1

588 40138, 431

XXIV, 1.2

767 116390, 128 f., 162, 186617 931 358358

XXVII, 1. 274 f.

XXVII,2.2 1428 f.

120404, 420117 120404

XXVIII.1

266 40, 47, 49, 282, 283, 284, 401 274 f. 120404 521 386

XXVIII.2.2 1428 f.

XXIX,1

120404, 420

804 84287, 431

Sachverzeichnis

actio(nes) 340298 Akzidenz(en), komparative  76247, 101356, 155–156 (s. Substanz(en), komparative) Allgemeinheit distributive –  259 f., 313188, 315196, 373 f., 39926 kollektive –  259 f., 313188, 346 f., 373 f. temporale –  318–319 (s. Jederzeitigkeit, notwendig / Notwendigkeit, Omnitemporalität) Allquantifikation, -or(en)  274 f., 309–311, 313188, 315196, 336 f., 343309, 370–371, 373 f., 390471–472, 400–401, 40761 Analyse logische –  280–284 transzendentale –  280–284 Anfang, anfangen  190631, 197–198 (s. Ende, Grenze) Anfang der Transzendentalen Deduktion 132, 13–14, 111–112 Anschauung, empirische / reine / apriori  13–15, 28–34, 137–138 intellektuelle  55 f. Anthropologie, formal-transzendentale  144 f., 328 f. anthropologisch 132, 143–144, 234 f. (s. kognitions-anthropologisch) Anti-Symmetrie (der Relations-Kategorien), anti-symmetrisch  105 f., 107 f., 115–116, 125 f., 127 f., 144 f., 152–153, 201 f., 278 f., 281 f., 283 f., 339 f. (s. Isomorphie, Symmetrie) Antizipation, antizipatorisch, antizipieren  261–263, 271–272, 310 f., 325 f., 346 f., 364 f., 369–370, 373–374, 387–388 Apperzeption 322–324 apriori, Apriorität  31–38, 320211 arguments, transcendental  32–33, 38107, 90346, 172555 (s. transzendentales Argument) Arithmetik  269 f. (s. Geometrie) Artefakt  382 f.

asymptotisch  213–214, 2652, 383 f. Aufklärung 25–26 (s. Urteilskraft) Augenblick 196655, 337–338 Authentizität 24466 Autonomie 28376 (s. Spontaneität) basic particulars 3269, 297134 (s. substantia(e) comparativa(e)) Bathos der Erfahrung  328 f., 334 f., 336 f., 356 f., 397 f., 400 f., 421 f. Bedingung, hinreichende (ursächliche)  108–110, 114 f., 127–128, 152–153, 155 f., 278 f., 321 f., 40658 (s. Ursache) Beharrlichkeit  152 f., 402–404 komparative –  340–341 (s. Substanz-Ontologie) Berechtigung, empirische – des KategorienGebrauchs 124–125 (s. Rechtfertigung, transzendentale des –) Bestätigung, Bewährung, Bewährungsbedürftigkeit, Bewährungsprobe  128–129, 242 f. Beweis/-schritt(e) 132, 142479 Zirkel im –  181592, 2652 Beweisart der Grundsätze  165530, 266 4 buchstabieren  249–250, 331 f. (s. lesen) cartesianisch 43129 Charakter(e), empirische(r)  416 ff. intelligible(r) –  416 ff. circulus vitiosus  379424 conceptus / ū s communis / es  205 f., 28168, 379424 critisch  25–26, 121–122, 251 ff., 323–324, 414–415 -er Weg  25–26, 67 f., 413–415, 422–423 Datierung(en) 301–303 (s. Zeitbestimmung(en)) Dauer  195–198, 301 f.

460 Dawider-Rolle des Gegenstands der Erkenntnis  15–16, 34 f., 107 f. Deduktion Metaphysische – der Kategorien  15 f., 52154, 86 f., 92 f., 108 f., 111 f., 139 f. Transzendentale – der Kategorien Hauptweg und Nebenwege der –  18–19 Denken / Erkennen  13–15 Denken und Sein  64–65 (s. Sein und Zeit) dezisionistisch  233 f. dogmatisch 66–67 (s. Methode, zetetische) Ding(e) 344313, 390–391 (s. Sachverhalt(e), Substanz(en), komparative) Drei-Synthesen-Konzeption  34–35, 48 f. durchgängig, Durchgängigkeit  303 f., 316–317, 335–337 egological statement(s) 40348 (s. Urteile des inneren Sinns) Einbildungskraft, produktive  228–236 (s. Urteilskraft, Geheimnis der –, Kriterien, Spontaneität) Empirie, empirisch  276–277, 27742, 301 f. (s. Erfahrung) (s. Zweck-Mittel-Beziehung) Ende, beenden  190631, 197–198 (s. Anfang, anfangen, Grenze) Energie 289105, 343310 (s. Masse, Materiemenge) Entdeckung(en) 358358, 359 f., 366–367 (s. Erfahrung, wissenschaftliche) (s. Lernerfolg) Entlastungspotential  235 f. Epistemische Logik  47 f. Erbschaft, philosophische  413 f. Erfahrenheit langer Zeiten  129 f., 181–182, 181592, 2652, 328 f. Erfahrung / Empirie / experientia / experience  180 f., 203 f., 219 f., 276–279 alltägliche (ordinary) –  290108, 40658 Erfahrungsurteil(e)  18–23, 26 f., 75–78, 79–80, 119 f., 210 f., 221–222, 242–245, 277 f., 363–364 (s. Wahrheit, empirische) Bedingungen der Möglichkeit der – ​ 181592, 2652 durchgängige –, Durchgängigkeit der –  271–272, 335–337, 373 f.

Sachverzeichnis Faktum der –  2652 Fruchtbarkeit der –  85–86, 140 f., 203 f., 268–269, 326–328, 356 f., 421 f. gemeinste –  239 f. Praktische –  416–417, 419 f. – und Urteil  181 f. wissenschaftliche –  290108, 366 f., 40658, 421 f. (s. empirisch; Natur; Entdeckung) Erfahrung(en)  109 f., 27742, 322230 (s. Empirie) (s. Leben, unser Dasein im –) (s. Natur) (s. Zweck-Mittel-Beziehung) entartete(s) –  364 f. (s. Pseudo-Erfahrungsurteil(e), Wahrnehmungsurteil(e)) Erkenntnis 53159 – des eigenen Subjekts  37–38, 42–43 Erkenntnisgrund 161521 (vgl. Seinsgrund) Erkenntniskräfte, -vermögen Proportion der –  237–238 Erscheinungen, Gewühle von –  421, 426 Erwerb 243–245 (s. Authentizität, Know-how) Euklidische Geometrie  373–382 evident, Evidenz  107 f. Evolution, evolutionär  235 f. (s. gattungsgeschichtlich, kognitionsanthropologisch) Existenz  270–272, 407 f. (s. Ontologie, ontologisch) Experiment, experimental, experimentell 151506, 305 f., 329–330 – der Vernunft mit sich selbst  39719, 411 f., 413–414, 422 f. Fallerörterung(en)  18–23, 91322, 92323–324, 91–92, 102 f., 172–173 finden  325–326, 383 f. (s. suchen) Flüchtigkeitsfehler 314193 Fortsetzbarkeit, Fortsetzung  334 f., 386 f. (s. Handlung, Zeit) Funktion 46137 Funktor 55170, 283 f. gattungsgeschichtlich  243 f. (s. Evolution, evolutionär) Gebrauchsaspekt 248–250

Sachverzeichnis Gebrauch, transzendentaler – der Kategorie(n)  253–254 – Urteilskraft  25–26 Gedanke / Gedankenform  46137 Gefühl  241–245, 284 f., 287–289 – des Daseins  287–288 (s. Selbstaffektion, Wahrnehmung, unbestimmte) Gegenstand (überhaupt) = X  15 f., 27 f., 101 f., 102–105, 107 f. 137–139, 141 f., 224 f. (s. Ding(e), Sachverhalt(e), Substanzen, komparative) Geometrie  269 f. (s. Arithmetik) Geschmacksurteil, reines  236–237 Gesetz  100 f., 322230 Gestalt(en) 380–383 Grammatik, grammatisch  15–16, 2340, 111–114 Grenze 190631, 197656, 339289 (s. Anfang, Ende) Grenzerörterung externe –  27–28 interne –  16–17, 134–135, 223–225, 260 f. Grenzsituation(en), methodische  16–18, 27–29, 223–225 Gültigkeit, objektive  116 f., 126 f. (s. Wahrheit) Handlung(en), des / der Subjekt-s, -e  305 f., 374–377, 385 f., 416–417 Subjekt der –  374–377, 385 f. (s. Fortsetzung, Zeit, opera-tiv, -tional) Handlungskausalität 329–330 (s. Kausalforschung, universelle Fruchtbarkeit der –, Kausalität, experimentelle) Hermeneuten, prä-transzendentale  250 f. hermeneutik-analog  331 f. Hermeneutik, transzendentale  249–250 Holz-Asche-Rauch-Kasuistik 289105, 294–297, 317 f., 329251, 343 f., 392475 horror substantiae 297134 hyper-rationalistisch  245 f. Ich 55170 das – des Menschen  51 f., 53 f. invarianter Status des –  51–52 variable kognitive Rollen des –  51–52 Idee(n)  415 ff. innerer Sinn  43–44, 284 f. (s. Prädikate- bzw. Urteile-des-innerenSinns)

461 intelligibel  416 f. Interpretation, kommentarische  190631 INUS -Bedingung(en) 329250 Isomorphie(n), syntaktische  109–110, 114–116, 125 f., 127 f., 137 f., 144 f., 153–154, 156 f., 159 f., 201 f., 278 f. (s. Anti-symmetrie, antisymmetrisch / ​ Symmetrie, symmetrisch) Jederzeitigkeit  318–319, 338 f. (s. Allgemeinheit, temporale; notwendig / Notwendigkeit, Omnitemporalität) Kanon der Beurteilung  149–151 (s. Kriterium(en) / K riteriologie der Wahrheit) Kasuistik kausal-analytische –  328 ff. substanz-analytische –  296 ff. Kategorie, Arbeits-, Nominaldefinition der –  16–17, 119 f., 137 f., 139 f. Kausalforschung, universelle Erfolgsträchtigkeit der –  326–327 (s. Handlungskausalität) Kausalität – durch Freiheit  413 f., 418112 experimentelle –  329–330 versteckte –  367384 (s. Handlungskausalität) Know-how 24466 kognitions-anthropologisch 132, 235 f., 243–244, 381 f. (s. Evolution, evolutionär) Konditionale, negative irreale  54162, 23428 Kontext-Prinzip, logisches  46–47 Kontingenz 181592, 214 f. prinzipielle –  303 f. (s. Situativität) Kontinuität – der Zeit  334 ff. – der Zustandsänderungen  196655, 199–200, 334 ff. (s. lex continui in natura) Konvention W  148497, 149498, 156–157, 163525 konzessiv  367 f. (s. Kausalität, versteckte) Kriterienproblem 119–120 Kriteriologie der Wahrheit  246–247 Kriteri-um, -en – der Anschaulichkeit  28–33

462 – der Erkenntnis  43–45 – der Gleichzeitigkeit  34732 – des Rechts und Unrechts  420 f. – der Kausalität  151–152, 331 ff. – der Substantialität  151–152, 304–308, 340–342, 345315, 345–346 – der Wechselwirkung  151–152, 348–349 empirisches –  355 f., 357 f. Experimental- 151506 holistisches –  117394, 128432, 130–131 (s. Kanon der Beurteilung) (s. Probierstein der Richtigkeit) Kulminationspunkt epistemologischer / kognitions-psychologischer –  300–301 Leben, unser Dasein im –  288–289, ­403–404, 419  f. (s. Erfahrung / en) Lernerfolg 365–366 (s. Entdeckung) lesen  249–250, 331 f. (s. buchstabieren) lex continui in natura 317199, 324236, 334–337 (s. Kontinuität) Mangel  358 f., 360 f., 363 (s. Negation, Nichts) Masse 289105, 343310 (s. Energie, Materiemenge) Materiemenge 289105, 343310 (Energie, Masse) Metaphysik, metaphysisch  65194, 125421, 203 f., 392 f., 410 f., 419 Methode technische –  106–107, 111 f., 138 f. Grenze der –  111379, 139471 zetetische –  66–67 Mißverstand, ontologischer  411–412 Natur  208 f., 212–213 Vorschriften für die –  322230 (s. Erfahrung) Naturforschung 324–328 (s. Nutzen) naturwüchsig  381 f. (s. Technik, technisch) Negation  357 ff. lokale –  353342 propositionale –  363 f.

Sachverzeichnis (s. Mangel, Nichts / nichts) nichts  354 ff. (s. Mangel, Negation) Neuer Realismus  355349 nomologisch 179–180 notwendig, Notwendigkeit  128 f., 179–180, 215–217, 318–319 (s. Allgemeinheit, temporale; Jederzeitigkeit / Omnitemporalität) Nutzen, kognitiver  324–326 (s. Naturforschung) Oberflächenform logisch-grammatische –  20–21 sprachlich-grammatische –  20–21 Objektivität  431 f. (s. Subjektivität) Omnitemporalität  152 f., 179–180, 223 f. (s. Jederzeitigkeit, notwendig / Notwendigkeit) ontological committment 27125 Ontologie, ontologisch  26 f., 145487, 253–254, 270–272, 292 f., 294 f., 315196, 398–399, 401–405, 409, 411–412 (s. Existenz) opera-tional, -tiv, –  381–382 Organon 33–34 oriental 378–379 orientieren (sich –)  377 ff. para-anthropologisch 52–53 Paradigma, -en, paradigmatisch  140–141 paradox / Paradox / Paradoxe, das / Paradoxie  37–38, 52 f., 54–55, 68 f., 417 f., 419–420 Parallelen-Axiom 376 413 Paralogismus 42127 particulars, basic  297134 Personalpronomen, das Erste  55170 Prädikate – des inneren Sinns  40 f., 284 f. (s. Urteile des inneren Sinns) negative –  358–364 (s. Urteile, unendliche) Prä-Text, transzendentaler  270 f., 292 f., 294 f. prä-prädikativ 2341 Probierstein der Richtigkeit  134 f., 397 ff., 413 f. (s. Kriterium) Pseudo-Erfahrung(en) 35–36 – Erfahrungsurteil  364 f. psychologistisch  372 f.

Sachverzeichnis quaestio iuris  163525 Quantorenvertauschung 407–408 quantum objectivity  331258 Radikalvermögen der Erkenntnis  53 f., 81 f. Recht und Unrecht  412 f., 415–416, 418–420 Rechtfertigung, transzendentale des Kategorien-Gebrauchs  28–33, 118–119 (s. Berechtigung, empirische des –) Reduktion, naturalistische  236 f. Reflexion logische –  284–287 transzendentale –  284–287 (s. Analyse) Reflexionsfehler 324234 Reflexions- und Analyseversäumnis  89–90 Richtung 376–377 (s. orientieren, sich) Rolle, kognitive  51–52 (s. Status, kognitiver) Sachverhalt(e)  112–113, 139 f., 311 f., 380 f. (s. Ding(e), Substanz(en), komparative) Sagazität  240 f. (s. Scharfsinn) Scharfsinn 239–240 (s. Sagazität) Schlaf  400 f. (s. Träume) Seele 55170, 283 f., 40348, 403–404, 415 f. schöne –  284 Tiefen der menschlichen –  227 ff., 234 f., 245 f., 381–382, 385 f. Sein und Zeit  65–66 (s. Denken und Sein) Seinsgrund 161521 (vgl. Erkenntnisgrund) selbst, Selbst, von selbst  60 f., 62 f., 404 f. (s. spontan, Spontaneität) Selbstaffektion 259128, 286–287 (s. Gefühl) Selbstbewußtsein  59–60, 311 f., 401–402 (s. Spontaneitätsbewußtsein) Selbsterkenntnis 53159 Selbst-Beziehung, -Referenz, -Verhältnis  52 f. Selbsttätigkeit  421 f. (s. spontan,Spontaneität) Selbstverlust 53–54 Selbstvertrauen  326 f.

463 (s. Weltvertrauen) Situativität  214 f. (s. Kontingenz) Skepsis, methodische  396–397, 410 f. spontan, Spontaneität  45–46, 61–63, 138–139, 249–251, 28376, 283 f., 421 f. (s. Autonomie; Einbildungskraft, produktive; selbst, Selbst, von selbst, Selbsttätigkeit) Spontaneitätsbewußtsein  59–60, 403–404 Status, kognitiver  51 f. (s. Rolle, kognitive) stimulus reference 355349 Stimmung der Erkenntniskräfte  237–238 Subjektivität  80, 431 f. (Objektivität) Substanz(en) komparative –  76247, 101356, 155–156, 195653, 296–298, 297134, 315196, 340–342, 345–346, 365 f., 380–383, 403–404 (s. Akzidenz(en), komparative; Ding(e); basic particulars) (s. Beharrlichkeit) suchen  326 f., 336–337 (s. finden) sukzessiv, Sukzessivität  152–153, 158–160, 212 f. Symmetrie  339 f. (s. Anti-Symmetrie) Synthesis 39113 tacit knowledge  24570 (s. Gebrauchswissen, know-how, präprädikativ) Tagebuch-Ich 55170 Technik, technisch  381–382 (s. Artefakt, naturwüchsig) Tonkünstler  234 f. transzendent 136 467, 414 f. transcendental subject 324235 transzendental 136 467, 311–312 -e Steigerung der Begriffe  320 f., 322 f., 327–328 -er Mißbrauch  82–83 -es Argument  163525 Träume  400 f. (s. Schlaf) tumultuarisch 426–427 Übereinstimmung / Korrespondenz  129 f., 132–136, 144 f., 146–148, 152–153

464 Unbedingte, das  413 ff. Undurchsichtigkeit, syntaktische  96, 115 f. Ursache  92–93, 221–222, 408–409 (s. Bedingung, hinreichende, Wirkung) Urteil(e), urteilen  16–17 – synthetische(s) – apriori  83–84 nicht-reine –  2652 unendliche(s) –  156, 358–360 (s. Prädikate, negative) Urteile des inneren Sinns  40 f., 66 f., 284 f., 40348 (s. egological statement(s), Urteils­ form(en), subjekt-identitäre) Urteilsform(en) hypothetische –  110 f. kategoriale –  19 f., 2753, 97–98, 106–116, 124–127, 132–133, 144 f., 153 f. subjekt-identitäre –  42 f., 44–45, 49 f., 54 f., 64–65, 76 f. Urteilskraft  25–26, 26 48, 40120, 244 f., 309171, 320 f. Fehltritte der –  227–228 Geheimnis der –  26 f., 228–229 (s. Aufklärung, Einbildungskraft, Kriterien) transzendentale –  279–280 Vehikel – der Kategorien  78–79, 142479, 259 f. – der Urteilsfunktionen  79 f., 142479 Vertrauen  250 f. Voraussetzung(en) unerfüllte –  399–400, 404 f., 405–406, 409–411 Falschheit der –  39923, 405–406, 408 f. Vorurteil 261141 hyper-rationalistisches –  245 f. Wahrheit (s. auch Gültigkeit, objektive) absolute –  257–258, 26811 empirische –  137 f., 247–248, 250, 252 f., 258 f., 261 f., 263 f., 342 f. fragmentarische Definition der – ­148–149 Kriteri-um, -en der –  19 f., 119–120, 122–124, 129–130, 145–146, 148–152, 156–162, 246–247, 335272 Namenerklärung der –  117 f., 153 Nominaldefinition des Begriffs der –  132 f., 145 f., 146–148 Quell aller –  133 f., 257–258, 298–299

Sachverzeichnis relative –  257–258, 26811, 352 f., 355 f. transzendentale –  247 f., 250 f., 252 f., 257–258, 260–263, 299 f., 355 f. Wahrheitsbedingungen  129 f., 145 f., 156–162 wahrheitskonditional(istisch)  156 ff., 160 f. Wahrheitskriterien 156–162 wahrheitskriteriologisch  148 ff., 160 ff. Wahrheitswertfunktionen 27540 Wahrnehmung, unbestimmte  285–286 (s. Gefühl) Wahrnehmungsurteil(e)  18–23, 26 f., 75–80, 119 f., 221 f., 363–364 (s. Erfahrungsurteil(e), Pseudo-Erfahrungsurteil) Wechselwirkungs-Kategorie  112 f. Weltdenken 41074 Weltvertrauen  326 f. (s. Selbstvertrauen) Werkstatt -bericht  19 f. -geschichte 29–30 Widerspruch, pragmatischer  53–54, 24678 Wie-Frage(n)  25 f., 27–30, 76 f., 79–80, 86–89, 111–112, 157–158, 246 f. wildwüchsig  303 f. Wirkung  92–93, 221–222, 408–409 (s. Zustandsänderung) Wolffsche Schule  66–67 Zahl(en), zählen  383–387 Zeit (s. Fortsetzung, Handlung) -bestimmung(en) 301–303 (s. Datierung(en)) -bewußtsein, -erfahrung  71222 Einheit der –  190–191, 195–200, 301–303 formale Anschauung der –  195–196 Relation der –, temporal relation 91–92, 189–190, 194–195, 199 f. Vielheit der -en  196655 Zeitlichkeit – der Handlung  385–386 – des Urteils  369–370 Zustandsänderung(en)  193–198, 218–219, 299 (s. Wirkung) Zuversicht  326 f. Zweck-Mittel-Beziehung 276–277

Namensverzeichnis

Adickes, E.  42127 Aebi, M.  3166 Allison, H.  1610, 2127, 50149, 95333, 165530, 167540, 169545, 186617, 191633, 194646, 195 f., 195652., 322229–230 Aristoteles 115389, 204 f., 23429, 28270, 334267, 353 f., 428 f. Augustinus 71224, 199658 Austin, J. L.  24466 Baum, M.  167, 2856, 3269, 3694, 113387, 161520, 163525, 168543, 22915, 2642, 266 4, 26710, 26811, 324235 Beck, J. S.  3376, 161555 Beck, L. W.  341303 Bennett, J.  131440, 40658, 418112 Bickmann,  C. 2341 Bieri, P.  64193, 71222 Bittner, R.  324235 Blau, U.  353342, 363375, 367384 Bohr, N.  255 Brouillet, R.  132 Bubner, R.  38107, 158519 Caimi, M.  41 f., 41123, 43129, 51153, 55170, 116390, 122412, 176571, 190629, 191633, 210694, 258127 Carl, W.  132, 3269, 41123, 43129, 51153, 61186, 74235, 81269, 99 f., 99346–347, 105366, 113386, 117, 117394, 125422, 128432, 131440, 145487, 156514, 163525 Carnap, R.  3269, 148497 Cassirer, E.  54161 Cohen, H.  290108 Cramer, K.  84287, 85291, 142479, 2642, 266 4, 27125 Davidson, D.  148497, 163525 Delius, H.  44132, 40348 Descartes, R.  60183, 39822 Detel, W.  122412, 168542, 176571 Düsing, K.  41, 64192 Dummett, M.  148494 Ebbinghaus, J.  3166, 289105, 343310, 388

Ense, K. A. v.  436 Enskat, R.  3269, 40120, 71224, 166532, 199658, 204674, 2271, 24466, 28376, 290108, 334267, 375409, 376 413, 415, 386 453, 416103, 418112, 4285 Erdmann, B.  39719 Euklid 376 413, 426 Euler, L.  385448 Fichte, J. G.  55165, 64193 Frank, M.  64193, 28584, 86–87, 28688 Frege, G.  46137, 81269, 93326, 147 f., 428 f. Gigon, O.  131440 Grice, H. P.  40139 Guyer, P.  3479, 3583, 73231, 74235, 105366, 186617, 190629, 224753, 347322 Haering, Th.  105366 Heath, T. L.  376 413, 379424 Hegel, G. W. F.  184 f. Heidegger, M.  156, 39 f., 3166, 41123, 51153, 55170, 60182, 61186, 65194, 73231, 93327, 108371 Heimsoeth, H.  39719, 40658, 40864, 40969, 41074, 41389, 41597 Henrich, D.  132, 3166, 42125, 55170, 105366, 142479 Hinsch, W.  88304 Hinske, N.  172555 Hoppe, H.  113386 Horstmann, R.-P.  76, 167541 Hume, D.  2339, 25 f., 102357, 109 f., 121406, 161520, 121, 181592, 255, 320 f., 432 f. Husserl, E.  71224, 108371, 148494, 181 f. Klemme, H. F.  55170, 86296, 105366, 121406, 127426, 142479, 28692 König, J.  110378, 113386, 122412, 161521, 27125 Körner, St.  26 49,131440, 2642 Laywine, A.  105366 Lehmann, G.  27742 Leibniz, G. W.  428 f. Lenzen, W.  24466 Locke, J.  161520, 392475

466 Longueness, B.  109372, 190629, 191633, 194646, 302149–150, 321225, 325241, 327, 329249, 330255, 334268, 337281, 344313, 345315, 349322, 360 f., 362370, 373, 363, 368386–387 Mackie, J. L.  329250, 351335, 40658 Mai, H.  2341, 24570 Maimon, S.  2662, 436 f. Melnick, A.  301148, 302149 Meola, C. De  367384 Mittelstaedt, P.  256116 Moore, G. E.  24466 Newton, I.  340298, 348 f. Paton, H. J.  132, 1818, 3376, 3478–79, 60182, 84284, 89–91, 100349, 150500, 153509, 189 f., 190630, 190, 210694, 257120, 261140–141, 26710, 290108, 294128, 295132, 304155–156, 327244, 330255, 334268, 335272, 335276, 337281, 338284, 344313, 354345, 355348, 361367, 368 f., 371399, 389 f., 390471, 390 f., 40658 Patzig, G.  3269, 46137, 55170, 115389, 131440, 148, 148497, 158519, 163525, 168542, 27540, 28270, 39923, 38753–54, 418111 Paulsen, F.  39719 Plaass, P.  196655 Planck, M.  255 Platon 121406, 131440, 415 f., 425 f., 427 f., 428 f., 438 Polanyi, M.  2341, 24570 Pollock, K.  50149 Prauss, G.  116390, 117394, 121406, 127426, 128433, 24676 Pringe, H. de  295132, 307163, 308164, 318203, 331258, 342306 Quine, W. V. O.  55170, 81, 81269, 355349 Reich, K.  41123, 46137, 81269, 254, 257, 261 f., 26811, 26913, 294128, 352 f., 355 f., 39719 Riehl, A.  2339, 74235, 39719 Rorty, R.  38107, 163525 Rosefeldt, T.  55170, 58172, 64193 Rosenberg, Jay F.  162524 Ross, W. D.  418111 Rousseau, J.-J.  40120, 227 f. Ryle, G.  24466 Savigny, E. v.  40117 Scheffel, D.  43131, 46137, 52154, 112385, 151506,

Namensverzeichnis 167539, 168542, 172555, 297133, 329251, 376 413–414, 390472 Scheibe, E.  196655 Schelling, F. W. J.  174 Schmidt, R.  2754 Schnepf, R.  319210 Scholz, H.  290108 Scholz, O. S.  180588, 262141 Schopenhauer, A.  161521 Schulz, J.  436 f. Simmel, G.  77250 Specht, R.  392475 Stegmüller,  W. 3269, 290108, 290109, 291, 292119 Stenius, E.  158519 Strawson, P. F.  3269, 38107, 99345–346, 115388, 131440, 176570, 2642, 297134, 377421 Strobach, N.  197656 Tarski, A.  148 f., 148497, 149498, 156514, 163525 Thiel, U.  73227 Thöle, B.  180587, 207680, 211, 216721 Toulmin, St.  165528 Tugendhat, E.  55170, 23429, 282 Vaihinger, H.  2754 Valentiner, Th.  2754 Vigo, A. G.  165530, 176571 Vleeschauwer, H. J. De  18 f., 1920, 2957, 42, 52154, 66195, 69213, 77 f., 77250, 79, 88304, 94 f., 124 419, 138470, 153509, 170 f., 174 f., 176570, 176571, 190629, 191, 224753, 257120 Wagner, H.  132, 133443, 165530 Watkins, E.  73227, 122412, 27125, 305, 318­204–205, 318206 Weizsäcker, C. F. v.  256116, 295132, 297134 Weyl, H.  151506, 255, 329 f., 330, 331258 Wieland, W.  26 48, 42125, 61185, 115389, 23535, 23638, 24156, 28794, 334267 Wilson, M. D.  73231 Wittgenstein, L.  40117, 158519, 384 447, 385448 Wolff, Chr.  24885, 261138, 426 f. Wolff, M.  2129, 97336, 102357, 119398, 121406, 162524, 168543, 376 414, 378422 Wolff, R. P.  51153 Wright, G. H. v.  154 f., 179585 Yolton, J. W.  392475 Zöller, G.  132, 1920, 122412, 127426, 128433