Untertanen des Sultans oder des Kaisers: Struktur und Organisationsformen der beiden Wiener griechischen Gemeinden von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis 1918 [1 ed.] 9783737007825, 9783847107828

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Untertanen des Sultans oder des Kaisers: Struktur und Organisationsformen der beiden Wiener griechischen Gemeinden von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis 1918 [1 ed.]
 9783737007825, 9783847107828

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Anna Ransmayr

Untertanen des Sultans oder des Kaisers Struktur und Organisationsformen der beiden Wiener griechischen Gemeinden von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis 1918

Mit 20 Abbildungen

V& R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0782-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH.  2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: GemÐlde Dietrich Monten: Tþrken in einem Wiener Kaffeehaus (Wien Museum)

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung und Abgrenzung des Themas . . . . . . . 2. Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Wer waren die »Griechen«? . . . . . . . . . . . . . 2.2. Habsburgermonarchie und Osmanisches Reich als Bezugsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Zum Begriff der »Gemeinde« . . . . . . . . . . . . 3. Struktur der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Literatur und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . 6. Transliteration und Übersetzung . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg vom Friedensvertrag von Karlowitz bis zum josephinischen Toleranzpatent (1699–1781) . . . 1.1. Die Kapelle zum Hl. Georg in der Zeit vor dem mariatheresianischen Privilegium des Jahres 1776 . . . . . . . . 1.1.1. Die Anwesenheit orthodoxer Händler in Wien nach 1683 1.1.2. Die ersten orthodoxen Gottesdienststätten in Wien . . . . 1.1.3. Die orthodoxen Serben in Österreich . . . . . . . . . . . 1.1.4. Die Anfänge der Georgskapelle und der Streit Trapezountios-Petrovic´ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5. Fortsetzung der Auseinandersetzungen zwischen Serben und Griechen bis 1776 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Das Privilegium Maria Theresias für die Bruderschaft zum Hl. Georg von 1776 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Inhalt und Bedeutung des Privilegiums von 1776 . . . . . 1.2.2. Zur Definition der Bruderschaft zum Hl. Georg . . . . . .

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Inhalt

1.3. Exkurs: Parallelen zwischen der Geschichte der Bruderschaft zum Hl. Georg und der Gemeinde der sephardischen Juden in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verwaltung und Organisation der beiden Wiener griechischen Gemeinden in der Toleranzzeit und im Vormärz (1781–1848) . . . . . 2.1. Die josephinische Religionspolitik und das Toleranzpatent von 1781 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Das Toleranzpatent Josephs II. von 1781 . . . . . . . . . . . 2.1.2. Weitere kirchenpolitische Maßnahmen Josephs II. . . . . . 2.2. Die Erneuerung des Privilegiums für die Bruderschaft zum Hl. Georg durch Joseph II. im Jahr 1782 . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die gedruckte Ausgabe des Privilegiums Josephs II. von 1783 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Bestätigungen des Privilegiums durch Leopold II. und Franz II./I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit . . . . . . 2.3.1. Die Definition der österreichischen Staatsbürgerschaft und die Sonderstellung der osmanischen Untertanen . . . . . . 2.3.2. Beispiel: Demeter Theocharides . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Die Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit . . . . . . . . 2.4.1. Gründe für Streitigkeiten und Gemeindespaltungen in anderen Städten der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . 2.4.1.1. Ethnische Konflikte zwischen Griechen und Serben 2.4.1.2. Andere Gründe für interne Konflikte und Gemeindespaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Die Spaltung der Wiener griechischen Händler in osmanische und k.k. Untertanen . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Konstituierung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit . . . . 2.4.4. Verhandlungen über den Kauf der ehemaligen Klosterkirche St. Jakob auf der Hülben . . . . . . . . . . . 2.4.5. Das Privilegium für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (29. Jänner 1787) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6. Kirchenbau und Errichtung eines Glockenturmes . . . . . . 2.4.7. Die Bestätigung des Privilegiums durch Franz II./I. und ein letzter Versuch der Einflussnahme durch die Metropolie von Karlowitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Der Bau der Kirche zum Hl. Georg . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.6. Konflikte in Bezug auf die Verwaltung und die Frage nach der Definition der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit . . . . . . . . . . 2.6.1. Die Gemeindeverwaltung in den Jahren nach der Gründung und ein erster Konflikt um die Finanzen der Gemeinde (1799) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2. Der Streit um die Statuten (1800–1807) . . . . . . . . . . 2.6.2.1. Der erste Statutenentwurf von Demeter Darvar (J~din t_m diatac_m) aus dem Jahr 1801 . . . . . 2.6.2.2. Die Gründung der griechischen Nationalschule . . 2.6.2.3. Die Statuten der Gemeinde vom 1. April 1805 (der »Generalplan«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2.4. Von Johann Darvar beim Magistrat eingereichte Statuten (1807) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2.5. Der Streit um die Statuten vor dem Wiener Magistrat und der Niederösterreichischen Landesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Der Konflikt um die Organisation der Gemeindeverwaltung bei der Bruderschaft zum Hl. Georg (1812) . . . . . . . . . . . . . . 2.8. Die gedruckte Ausgabe der Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1822 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9. Weitere Entwicklungen in Bezug auf die Verwaltung beider Gemeinden bis 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.1. Die Erweiterung des Privilegiums der Bruderschaft zum Hl. Georg (1834) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.2. Weitere Gültigkeit der Privilegien unter Ferdinand I. . . . 2.9.3. Die Errichtung der griechischen Abteilung am Friedhof von St. Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Die Gemeinden von 1848 bis 1918: Mitgliederschwund und ethnische Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Religionspolitik Franz Josephs in Bezug auf die nicht katholischen Konfessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Gründung der serbischen Kirchengemeinde in Wien . . . . . 3.3. Der Mitgliederschwund und die Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Die Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Implikationen des Mitgliederschwunds auf die Definition der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.4. Die Neuabgrenzung der orthodoxen Kirchengemeinden Wiens nach ethnischen bzw. nationalstaatlichen Kriterien . . . . . . . . 3.4.1. Der Bau der Kirche zum Hl. Sava und die endgültige Errichtung der serbischen Kirchengemeinde in Wien . . . . 3.4.2. Der Statthaltereierlass von 1893 . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Die Unterordnung der beiden griechischen Gemeinden unter die Metropolie von Czernowitz (1883) und der Konflikt mit den Rumänen in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit . . . . . . . . . . 3.5.1. Die Unterstellung der Wiener griechischen Gemeinden unter die Metropolie von Czernowitz . . . . . . . . . . . . 3.5.2. Der Konflikt mit den Rumänen um die Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2.1. Die Privilegienausgabe der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1899 . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2.2. Die Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1901 . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2.3. Die »neuen Satzungen« der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1909 . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2.4. Die Erhebung weiterer Ansprüche auf die Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit von rumänischer Seite und die Errichtung der rumänischen Pfarrexpositur . . 3.6. Gegenseitige Konkurrenz der beiden Wiener griechischen Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1. Streitfälle über die Pfarrjurisdiktion zwischen den beiden griechischen Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2. Die erste Geschäftsordnung der Gemeinde zum Hl. Georg (1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.3. Die Tilgung des Hinweises auf die »türkischen Untertanen« aus dem Namen der Gemeinde zum Hl. Georg . . . . . . . 3.7. Epilog: Die Wiener griechischen Gemeinden in den 1920er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien . . . . 4.1. Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Konskriptionen und Volkszählungen . . . . . . . . . . . . 4.1.1.1. Die Konskription von 1766–67 . . . . . . . . . . . 4.1.1.2. Das »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind« (1808) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3. Daten aus Volkszählungen . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.1.2. Händlerlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.1. Die griechischen Händler und der österreichische Staatsbankrott von 1811 . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.2. Der Rückgang des Balkanhandels mit Wien ab den 1860er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Pfarrmatriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4. »Mitgliederlisten« und ähnliche Quellen aus den beiden griechischen Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Häuser als Investition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Die Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Das »griechische Kaffeehaus« als Treffpunkt . . . . . . . . 4.2.4. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Identität und Selbstwahrnehmung in den beiden Wiener griechischen Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Multiple Identitäten und wechselnde Loyalitäten . . . . . . . . . . 5.1.1. Treue Untertanen des Sultans oder des Kaisers? . . . . . . . 5.1.2. Beziehungen zu den neuen Balkanstaaten am Beispiel Griechenlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Bürgerliches Selbstverständnis und Mechanismen der Inklusion/Exklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1. Fallbeispiel: Die Curtis, eine Familienkarriere . . . . . . . . 5.3. Intellektuelle Außenseiter : Lehrer und Pfarrer . . . . . . . . . . .

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6. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Editionsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Editionsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Abbildungen, Karten, Tabellen und Diagramme . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivquellen . . . . . . . . 2. Gedruckte Primärquellen . 3. Sekundärliteratur . . . . . .

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Inhalt

Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung »…ja· aqto· oR meyst· 1qw|lemoi ûla paq± t±r ewhar toO Doum\beyr !viwh_sim !pod}omtai t¹m pakai¹m %mhqypom ja· 1md}omtai t¹m m]om.«1

Viele Menschen haben die Entstehung meiner Dissertation, deren überarbeitete Fassung dieses Buch darstellt, über die Jahre hin mit Interesse begleitet und durch zahlreiche Hilfestellungen erleichtert. Ihnen allen sei an dieser Stelle mein Dank ausgesprochen! Der viel zu früh verstorbene Metropolit von Austria Michael Staikos schuf durch seine Unterstützung meines Forschungsvorhabens die Voraussetzungen für die Arbeit in den Archiven der beiden Wiener griechischen Gemeinden, welche die Grundlage für die Dissertation bildete. Ich danke auch den Mitgliedern der beiden griechischen Gemeinden, die mir die Benutzung der Archive ermöglichten. Weiters sei dem ehemaligen Priester Georgios Katsarikas, Frau Gorica Ilic und Pater Ioannis Nikolitsis, die mir in vielen praktischen Fragen zur Seite standen, ganz herzlich gedankt. Meinen Kolleginnen Anika Hamacher und Christina Goldschmidt, die mit mir gemeinsam in den Archiven recherchierten, danke ich für viele interessante fachliche Diskussionen, deren Erkenntnisse häufig direkt in die Arbeit einflossen. Auch Nathalie Soursos und Stefano Saracino, den beiden Mitarbeitern des von 2014–2017 laufenden FWF-Projekts »Soziales Engagement in den Wiener griechischen Gemeinden (18.–20. Jh)« danke ich herzlich für viele befruchtende Gespräche sowie hilfreiche Kommentare zu meinen Texten und Literaturhinweise. Die Möglichkeit zur unmittelbaren Diskussion gemeinsamer Forschungsinteressen hat die Arbeit an meiner Dissertation in ihren letzten beiden Jahren sehr bereichert. Abgesehen von mehreren österreichischen Archiven (Österreichisches 1 »…und selbst die Neuankömmlinge legen, sobald sie an den Ufern der Donau ankommen, den alten Menschen ab und nehmen einen neuen an.« [Übers. d. Autorin] Aus einem Brief der Exas der Gemeinde zum Hl. Georg an den Ökumenischen Patriarchen Anthimos VI. vom 1. April 1847. Zitiert nach: Sofronios Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou jai g joim|tgr tym ohylam~m upgj|ym. Amat}pysir A’ ejd|seyr. Epil]keia, eisacyc^, euqet^qio Waq\kalpor C. Wotfaj|ckou. [Photomechanische Reproduktion der Ausgabe Alexandreia 1912] Athen 1997, 59.

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Danksagung

Staatsarchiv, Wiener Stadt- und Landesarchiv, Niederösterreichisches Landesarchiv), deren MitarbeiterInnen an dieser Stelle für die sachkundige Betreuung gedankt sei, führten mich meine Recherchen auch an den Sitz der Gesellschaft für Makedonische Studien in Thessaloniki, wo der Nachlass von Georgios Kioutoutskas verwahrt wird. Ich danke Herrn Prof. Stratos Dordanas, der mir durch seine Hilfe die Einsichtnahme in diesen Nachlass ermöglichte. Weiters möchte ich Herrn Prof. Max Demeter Peyfuss, der mir in seinem Privatbesitz befindliche Dokumente zur Geschichte der Wiener Griechen zeigte und mich durch die Villa Tirka in Maria Enzersdorf führte, ganz herzlich danken. Auch Frau Angelina Fritzsche stellte mir Materialien aus ihrem Privatbesitz (Archiv der Familie Karajan) für die Arbeit zur Verfügung, wofür ich ihr großen Dank schulde. Herrn Prof. Peter Eigner möchte ich für seine Hinweise zu wirtschaftshistorischen Fragestellungen danken. Prof. Andreas E. Müller sei für seine nützlichen Hilfestellungen zu editorischen Problemen gedankt. Ganz besonders möchte ich Frau Prof. Olga Katsiardi-Hering, einer ausgewiesenen Kennerin der in dieser Arbeit behandelten Thematik, danken, die mir mit ihren wichtigen fachlichen Kommentaren sehr behilflich war. Ich danke auch Frau Katharina Rahlf, die das abschließende Lektorat für dieses Buch in äußerst kompetenter Weise besorgt hat. Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter Frau Prof. Maria A. Stassinopoulou, die mit ihrem profunden Wissen zur Geschichte der Wiener Griechen mein Interesse für dieses Thema geweckt und gefördert und das Entstehen dieser Arbeit über viele Jahre hinweg mit großem Engagement begleitet hat. Ohne die vielen anregenden Gespräche mit ihr, die mir stets wichtige Denkanstöße lieferten, wäre die Arbeit in dieser Form nicht möglich gewesen. Schließlich danke ich meiner Familie (meinen Eltern und meinen Geschwistern Sara und Simon) für ihre Unterstützung sowie meinem Mann Paolo für seine Geduld und seinen kontinuierlichen psychologischen Beistand. Wien–St. Marx, Dezember 2017

Einleitung

1.

Fragestellung und Abgrenzung des Themas

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Geschichte der beiden griechischen Gemeinden in Wien –, der Gemeinde zum Hl. Georg der osmanischen Untertanen und der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit der österreichischen Untertanen –, von ihren Anfängen bis zum Ende der Habsburgermonarchie. In der umfangreichen Literatur, die sich mit dem Phänomen der griechischen Diaspora beschäftigt,2 finden sich auch mehrere Arbeiten, welche die Geschichte der Griechen in Wien behandeln. In deren Fokus steht zumeist der Beitrag von Proponenten der in Wien niedergelassenen Griechen zur geistigen Vorbereitung des griechischen Unabhängigkeitskrieges, welcher in der Gründung des griechischen Staates mündete. Der Geschichte der griechischen Gemeinden im Kontext der habsburgisch-österreichischen Gesellschaft jedoch ist bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Gerade die neueren Forschungen zu griechischen Diaspora-Gemeinden in ganz Europa3 haben gezeigt, dass deren Struktur und Organisation stark von den jeweiligen Bedingungen in den Aufnahmestaaten abhingen.4 So stellten auch die beiden Wiener griechischen Ge2 Umfassende Bibliographien zum Thema bieten die Webseite des Projekts »Paqoijiaj|r Ekkgmisl|r« des :dqula Le_fomor Ekkgmislo} (Foundation of the Hellenic World): http:// www.fhw.gr/projects/migration/15-19/gr/v2/bibliografia.html (abgerufen am 9. 1. 2016) und die »Bibliography of the Greek Diaspora, 15th–19th cent.« der Universität Athen: http://dia spora.arch.uoa.gr/main/index.php (abgerufen am 24. 8. 2017). 3 Vgl. u. a. Olga Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr (1751–1830). Athen 1986. Maria Christina Chatzioannou, M]er pqosecc_seir stg lek]tg tym elpoqij~m dijt}ym tgr diaspoq\r. G ekkgmij^ joim|tgta sto L\mtsesteq. In: Maria A. Stasinopoulou, Maria Christina Chatziioannou (Hrsg.), Diaspoq\, D_jtua, Diavytisl|r. Athen 2005, 145–167. Dimitrios M. Kontogeorgis, S}stasg jai oqc\mysg ekkgmij~m joim|tgtym stg Qoulam_a. G peq_ptysg tou Tfio}qtfiou jai tgr To}ktsear (B4 lis| 19ou ai.). In: Lm^lym 28 (2006–07), 209–239. Mathieu Grenet, La fabrique communautaire. Les Grecs / Venise, Livourne et Marseille 1770–1840. Rom [u. a.] 2016. Ikaros Mantouvalos, Ap| to Lomast^qi stgm P]stg. Epiwe_qgsg jai astij^ taut|tgta tgr oijoc]meiar L\mou (t]kg 18ou-19or ai~mar). Athen 2016. 4 Zu verschiedenen Organisationsformen siehe Olga Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a,

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Einleitung

meinden in ihrer institutionellen Gestalt genuine Ausformungen des habsburgischen Staates dar, zu deren Verständnis der Vergleich mit ähnlichen Institutionen anderer Konfessionen, die unter den gleichen Bedingungen entstanden, mehr beiträgt als die Beschäftigung mit griechischen Diaspora-Gemeinden außerhalb der Habsburgermonarchie. Das spezifische Charakteristikum der griechischen Gemeinden in Wien war deren Trennung in zwei gesonderte Gemeinden für die osmanischen und die k.k. Untertanen. Dies verweist auf die enge Verknüpfung der Geschichte der Gemeinden mit der Geschichte der (Handels-)Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburgermonarchie und zeigt, dass die in der griechischen Nationalhistoriographie häufige Interpretation der Gemeinden als »Außenposten des griechischen Staats« irreführend ist.5 Bis 1918 bildete die Staatszugehörigkeit der Mitglieder zu einem der beiden Reiche die Grundlage für die institutionelle Organisation der Gemeinden. Die besondere Situation der Gemeinden im Spannungsfeld zwischen der osmanischen Herkunftsgesellschaft und der österreichischen Aufnahmegesellschaft führte zu einer weitgehenden institutionellen Autonomie, die das zweite wesentliche Merkmal dieser Gemeinden darstellte. Ziel dieser Arbeit ist daher die Untersuchung der institutionellen Geschichte der beiden griechischen Gemeinden Wiens im Kontext des habsburgischen Staates mit Fokus auf dessen Beziehung zum Osmanischen Reich unter den sich verändernden geopolitischen Voraussetzungen. Weiters soll das Selbstverständnis der Gemeinden als Körperschaften, die sich einer eindeutigen Definition entzogen, da sie sowohl als religiöse, ökonomisch-professionelle als auch als ethnisch-nationale Institutionen aufgefasst wurden, untersucht werden. Schließlich wird das Verhältnis zwischen der demographischen Struktur der Niederlassung und den beiden Institutionen in Wechselwirkung mit dem Wandel Wiens anhand der räumlichen und zahlenmäßigen Präsenz von Griechen in der Stadt dargestellt. Wie erwähnt, behandeln die meisten Studien über die Wiener Griechen das Thema primär aus der Perspektive auf die Entstehung des griechischen Staats als »nationales Zentrum« für die nach Europa ausgewanderten Protagonisten der Diaspora. Daher beschäftigen sie sich häufig nur mit dem Zeitraum bis 1821 (Beginn des Unabhängigkeitskrieges) bzw. 1830 (Gründung des griechischen Staates). Die Zeit nach 1850, die als Phase des Niedergangs der beiden reichen joim|tgta. Cia lia tupokoc_a tym ekkgmij~m joimot^tym tgr jemtqij^r Euq~pgr, le avoql^ to \cmysto jatastatij| tou Miskolc (1801). In: E~a jai esp]qia 7 (2007), 247–310. 5 Olga Katsiardi-Hering, Ap| tir »ekkgmij]r joim|tgter tou enyteqijo}« stgm istoqiocqav_a tou letamasteutijo} vaimol]mou (15or-19or ai.). In: Paschalis M. Kitromilidis, Triantafyllos E. Sklavenitis (Hrsg.), Istoqiocqav_a tgr me|teqgr jai s}cwqomgr Ekk\dar 1833–2002. Pqajtij\ tou D4 Diehmo}r Sumedq_ou Istoq_ar. Bd. 2, Athen 2004, 223–249.

Methodische Überlegungen

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Wiener Gemeinden gilt, ist hingegen bis dato nur unzureichend untersucht worden.6 Aufgrund der Eigenschaft der Gemeinden als Institutionen der Habsburgermonarchie ist jedoch die Behandlung des Themas bis zum Jahr 1918 folgerichtig. So stellte der Zusammenbruch der Monarchie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs auch für die institutionelle Geschichte der beiden Gemeinden eine deutliche Zäsur dar – obgleich gewisse Kontinuitäten noch bis in die Zwischenkriegszeit hinein andauerten. Auch darüber hinaus ist eine Orientierung an wichtigen Ereignissen der österreichischen Geschichte sinnvoll. So dienen die Jahre 1699 (Friedensvertrag von Karlowitz mit dem Osmanischen Reich), 1781 (Toleranzpatent Josephs II.) und 1848 (Revolution im Kaisertum Österreich) als zeitliche Zäsuren für den Aufbau der vorliegenden Arbeit.

2.

Methodische Überlegungen

Die vorliegende Arbeit stützt sich auf ein umfangreiches Korpus von Textquellen zur Geschichte der beiden Wiener griechischen Gemeinden, die in dieser Arbeit größtenteils zum ersten Mal präsentiert werden. Abgesehen von neuen Erkenntnissen in Bezug auf konkrete Daten und Fakten zur Geschichte der Wiener griechischen Gemeinden, die diesen Quellen entnommen werden konnten, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit diesen Quellen, die jeweils in einem bestimmten Kontext entstanden sind. So handelt es sich dabei zumeist um Produkte der habsburgischen Bürokratie oder aber um Texte, die in den Gemeinden selbst produziert worden sind, und die bestimmte Absichten verfolgten. Für die Auseinandersetzung mit diesen Quellen erweist sich die von Achim Landwehr beschriebene Methode der historischen Diskursanalyse7 als zielführend: Zunächst wird ein Korpus von Texten zu einem bestimmten Thema gebildet, daraufhin werden Kontext und Aussagen dieser Texte analysiert, worüber man schließlich zur Analyse des Diskurses gelangt. Die zentrale Frage lautet, welche Aussagen zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort auftauchen.8 Dabei sind Diskurs und Wirklichkeit nicht voneinander zu trennen, sondern Diskurse bringen Wirklichkeiten hervor.9 Mittels dieser Methode kann die Veränderung der Selbst- sowie Außenwahrnehmung der Gemeinden und somit auch ihrer institutioneller Definitionen vom 18. Jahrhundert bis 1918 nachgezeichnet 6 Dies gilt auch für die rezente Monographie von Seirinidou, die nur bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts reicht, auch wenn sie sich einem erweiterten Themenkatalog widmet. Vaso Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg (18or-l]sa 19ou ai~ma). Athen 2011. 7 Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse. Frankfurt am Main [u. a.] 2009. 8 Ebd., 92. 9 Ebd.

16

Einleitung

werden, wobei die Analyse des Kontextes hilft, historische Rückprojektionen in Texten über die Verwaltung der Gemeinden aufzudecken. In methodischer Hinsicht sind zudem mehrere spezifische Begriffe für die vorliegende Arbeit von maßgeblicher Bedeutung, weshalb an dieser Stelle eine Auseinandersetzung mit diesen Begriffen folgt. Eine abschließende Klärung bzw. Abgrenzung dieser Begriffe ist nicht möglich, vielmehr ist es gerade ihre Ambivalenz, die sie zu zentralen Forschungsinhalten macht, in die diese Arbeit einen Einblick geben möchte.

2.1.

Wer waren die »Griechen«?

Im Gegensatz zum modernen nationalen Konzept hatte der Begriff »Grieche« in den österreichischen Quellen des 18. und 19. Jahrhunderts eine mehrfache Bedeutung. Grundsätzlich bezog sich der Terminus auf Anhänger der christlichen Kirchen der östlichen Tradition, wobei zwischen den »unierten« (heute als griechisch-katholisch bezeichneten) und den »nicht unierten Griechen«, die heute als orthodox bezeichnet werden, unterschieden wurde.10 Bis 1864 lautete die offizielle Bezeichnung für die orthodoxe Kirche in der Habsburgermonarchie »griechisch nicht unierte Kirche«; in jenem Jahr schließlich wurde sie in »griechisch-orientalisch« umbenannt.11 Bei den »Griechen«, die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bilden, handelte es sich um christliche Kaufleute aus dem Osmanischen Reich, die für ihre Handelsgeschäfte in die Habsburgermonarchie kamen und deren Verkehrsund Bildungssprache12 das Griechische war. Eine Zuordnung dieser »griechischen Handelsmänner«13 nach ethnischen Kriterien ist jedoch problematisch, da die Muttersprache der als »Griechen« bezeichneten Personen Griechisch, Aromunisch, Slawisch oder Albanisch sein konnte.14 Dies führt zu dem Phä10 So werden zum Beispiel bei Pezzl unter dem Begriff »Griechen« unierte und nicht unierte zusammengefasst. Johann Pezzl, Neueste Beschreibung von Wien. Wien 1822, 220. 11 Verordnung des Staatsministeriums, des Kriegsministeriums, der königlich-ungarischen, siebenbürgischen und kroatisch-slawonisch-dalmatinischen Hofkanzlei vom 29. November 1864, betreffend die Benennung der griechisch-nicht-unirten Kirche. In: RGBl XL, 91 (1864), 307. 12 Ioannis Zelepos, Kulturtransfer und europäische Identität. Zur Bedeutung des Griechischen im vornationalen Südosteuropa. In: Christian Voß, Wolfgang Dahmen (Hrsg.), Babel Balkan? Politische und soziokulturelle Kontexte von Sprache in Südosteuropa. München [u. a.] 2014, 19–28. 13 Siehe dazu Vassiliki Seirinidou, »Griechischer Handelsmann«: Anatomizing a collective subject. In: Herbert Kröll (Hrsg.), Austrian-Greek encounters over the centuries. History, diplomacy, politics, arts, economics. Innsbruck [u. a.] 2007, 129–138. 14 Siehe dazu Paschalis M. Kitromilides, Orthodox culture and collective identity in the Ottoman Balkans during the eighteenth century. In: Ders., An orthodox commonwealth.

Methodische Überlegungen

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nomen, dass häufig ein und dieselbe Person von mehreren nationalen Historiographien des Balkanraums für sich reklamiert wird. Tatsächlich erweisen sich die Versuche, die »wahre Herkunft« einzelner Persönlichkeiten zu ergründen aufgrund der Unmöglichkeit eindeutiger Zuordnungen in den vornationalen Gesellschaften sowohl des osmanischen als auch des habsburgischen Südosteuropa als wenig zielführend. Gerade unter den Mitgliedern der beiden Wiener griechischen Gemeinden befand sich ein hoher Anteil von Familien aromunischer Herkunft, was sich aufgrund der Eingliederung in das griechische Bildungsparadigma, bei dem der soziale Aufstieg mit der Verwendung des Griechischen einherging, jedoch häufig nicht mehr feststellen lässt. Daher bietet sich der von dem Wirtschaftshistoriker Traian Stoianovich in seinem grundlegenden Aufsatz »The conquering Balkan orthodox merchant«15 geprägte Begriff des »balkanorthodoxen Kaufmanns« an, der die Angehörigen dieser Gruppe keiner bestimmten Nationalität zuordnet, sondern ihre Selbstdefinition über die Zugehörigkeit zur griechisch-orthodoxen Konfession und dem Berufsstand des Händlers übernimmt. Wie eingangs erwähnt, ist der Begriff »Grieche« in seiner Verwendung im Habsburgerreich in den meisten Fällen religiös konnotiert. Er entspricht in dieser Hinsicht dem millet-System im Osmanischen Reich, welches die Bevölkerung nach der Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft einteilte und das Selbstverständnis der Menschen entsprechend prägte.16 Der Terminus »Grieche« kann jedoch aufgrund der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit dieser Gruppe den Händlerberuf ausübte, auch nur in der Bedeutung »Händler« begegnen. Schließlich ist auch eine ethnische Bedeutung nicht ausgeschlossen, kommt jedoch im 18. Jahrhundert noch eher selten vor, zum Beispiel wenn der Begriff in Abgrenzung zu den Termini »Illyrier« (Serben) und »Wallachen« (Aromunen) verwendet wird. Im Laufe des 19. Jahrhunderts lässt sich eine Bedeutungsverschiebung hin zu einer ethnisch-nationalen Bedeutung beobachten, die konfessionelle Konnotation blieb jedoch daneben weiterhin bestehen. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist die Abgrenzung zum ebenfalls nicht eindeutig zu definierenden Begriff des »Türken«. So konnte auch ein »Grieche« ein »Türke« sein, falls es sich um einen Untertanen des Osmanischen Reichs in Abgrenzung zu einem »Griechen«, der Untertan der Habsburgermonarchie war,

Symbolic legacies and cultural encounters in Southeastern Europe. Aldershot 2007, 131–145. Ders., »Imagined communities« and the origins of the National Question in the Balkans. In: European History Quarterly 19 (1989), 149–192, hier 152. 15 Traian Stoianovich, The conquering Balkan orthodox merchant. In: Journal of Economic History 20 (1960), 234–313. 16 Michael Ursinus, Zur Diskussion um »millet« im Osmanischen Reich. In: Südost-Forschungen 48 (1989), 195–207.

18

Einleitung

handelte.17 Wenn in der Folge aus Gründen der Textökonomie dennoch von »Griechen« die Rede ist, so geschieht dies im Bewusstsein der Vieldeutigkeit dieses facettenreichen Begriffes.

2.2.

Habsburgermonarchie und Osmanisches Reich als Bezugsgrößen

Aufgrund der Existenz zweier griechischer Gemeinden in Wien, die sich durch das Kriterium der Staatsangehörigkeit ihrer Mitglieder zum Osmanischen Reich bzw. zur Habsburgermonarchie unterschieden, bilden diese beiden Reiche die relevanten Bezugsgrößen für die Arbeit. Der Begriff Habsburgermonarchie bezeichnet die Herrschaftsgebiete, die vom Haus Habsburg direkt regiert wurden. Diese umfassten die habsburgischen Erbländer sowie die Länder der böhmischen und der ungarischen Krone. Da die Habsburger bis auf eine kurze Ausnahme (1742–1745) in der Neuzeit alle Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation stellten, ergibt sich die Frage nach der Abgrenzung zwischen den von den Habsburgern beherrschten Kerngebieten und dem Hl. Römischen Reich.18 Tatsächlich ist nicht ganz eindeutig, ob sich die Untertanenschaft der Griechen, welche die osmanische Botmäßigkeit ablegten, auf die habsburgischen Gebiete im engeren Sinne oder auf das Hl. Römische Reich bezog. So machten zum Beispiel die Gebrüder Karajan zunächst in Sachsen, wo ihnen auch der Adelstitel verliehen wurde, Karriere, bevor sie nach Wien kamen. Nach dem Ende des Hl. Römischen Reiches 1806 war die Bezugsgröße für die Wiener Griechen jedoch zweifellos die Habsburgermonarchie, worunter ab 1804 das neuerrichtete Kaisertum Österreich und ab 1867 die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie zu verstehen ist.19 Wenn im Text in der Folge von »Österreich« und einer »österreichischen Staatsangehörigkeit« die Rede ist, so beziehen sich die Begriffe immer auf das Gesamtgebiet

17 Siehe dazu: Vaso Seirinidou, Bakj\mioi ]lpoqoi stgm Axbouqcij^ Lomaqw_a (18or-l]sa 19ou ai~ma). Ehmotij]r taut|tgter jai eqeumgtij]r algwam_er. In: Maria A. Stasinopoulou, Maria Christina Chatziioannou (Hrsg.), Diaspoq\, D_jtua, Diavytisl|r. Athen 2005, 53–82. Dies., When the Turk is a Greek Orthodox and the Vlach a native Austrian. Greek tourkomerites and entopioi in 18th–19th century Vienna. In: Maria Efthymiou (Hrsg.), La soci8t8 grecque sous la domination ottomane. Pconomie, identit8, structure sociale et conflits. Athen 2010, 79–91. 18 Karl Vocelka, Das Habsburgerreich als Gegenstand und Aufgabe der österreichischen Geschichtsforschung. In: Martin Scheutz, Arno Strohmeyer (Hrsg.), Was heißt »österreichische« Geschichte? Probleme, Perspektiven und Räume der Neuzeitforschung. Innsbruck 2008, 37–50. 19 Erich Zöllner, Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte. Wien 1988, 55–69.

Methodische Überlegungen

19

der Habsburgermonarchie und nicht auf das Erzherzogtum Österreich im engeren Sinne. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, Ansätze der modernen Imperienforschung als Interpretationsrahmen für die Arbeit fruchtbar zu machen. Stephan Wendehorst plädiert in einem Aufsatz zum »imperial turn« in den Geschichtswissenschaften für die Einbeziehung frühneuzeitlicher »Alter Reiche« in dieses Forschungsfeld.20 Zu letzteren können sowohl das Osmanische Reich als auch die Habsburgermonarchie gerechnet werden.21 Als Beispiele für den erhöhten Erkenntnisgewinn durch die Methoden der Imperienforschung nennt Wendehorst unter anderem die Existenz »spezifisch imperialer sozialer Formationen«22, die höhere imperiale Affinität von Minderheiten23 sowie die Phänomene der »Multireligiösität, Multinationalität und Polyglossie«24. Tatsächlich lassen sich mithilfe dieses Interpretationsrahmens viele Charakteristika, welche die Geschichte der Wiener griechischen Gemeinden ausmachen, wesentlich besser erklären, als mittels des bisher meist hergestellten Bezugs zum griechischen Nationalstaat als vermeintlichem »nationalen Zentrum«.25

2.3.

Zum Begriff der »Gemeinde«

Ein weiterer zunächst unscharfer Begriff ist jener der »Gemeinde«. Er wird zum Teil fälschlich als Synonym für eine Gemeinschaft (community) von Immigranten an ihrem neuen Wohnort gebraucht. Für diese Bedeutung, die sich auf die Gesamtheit einer an einem Ort zusammengekommenen Migrantengruppe bezieht, hat Seirinidou bereits in ihrer Masterarbeit über die Wiener Griechen den Begriff der Niederlassung (ecjat\stasg), den sie dem in der griechischsprachigen Historiographie gebräuchlichen, aber ideologisch konnotierten Begriff der Kolonie (paqoij_a) vorzog, verwendet.26 Der Begriff der Gemeinde hingegen bezieht sich konkret auf die institutionelle Ausformung dieser Präsenz 20 Stephan Wendehorst, Altes Reich, »Alte Reiche« und der imperial turn in der Geschichtswissenschaft. In: Ders. (Hrsg.), Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien. Herrschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation. Berlin [u. a.] 2015, 17–58. 21 Ebd., 18. 22 Ebd., 44. 23 Ebd., 47f. 24 Ebd., 54. 25 In diesem Zusammenhang sei auf die kürzlich erschienene Arbeit von Pieter Judson verwiesen, die einen Überblick über die Geschichte der Habsburgermonarchie mit dem Anspruch einer neuen Erzählung im Kontrast zu althergebrachten nationalhistoriographischen Mustern bietet. Pieter M. Judson, Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740–1918. München 2017. 26 Vasiliki Seirinidou, G ekkgmij^ ecjat\stasg stg Bi]mmg 1780–1820. (Unveröffentlichte Masterarbeit) Athen 1998, 4–5.

20

Einleitung

von Migranten und schließt nicht alle in Wien befindlichen Personen der Gruppe der »Griechen« mit ein. Obwohl der Begriff »Gemeinde« in Analogie zur präzise definierten katholischen »Pfarrgemeinde« gebildet worden zu sein scheint, ermangelt es im Fall der beiden griechischen Gemeinden an einer ebenso klaren Definition. Vielmehr stellt sich hier immer wieder die Frage, ob es sich bei ihnen um Körperschaften primär religiösen, ökonomischen oder ethnisch-nationalen Charakters handelte. Hinzu kommt im Fall der Gemeinde zum Hl. Georg noch die Frage nach der unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe »Bruderschaft« und »Gemeinde«.27 Erkenntnisse über das Selbstverständnis sowie die Außensicht auf die als griechische Gemeinden bezeichneten Institutionen in ihrer zeitlichen Entwicklung sollen im Rahmen der vorliegenden Arbeit geliefert werden.

3.

Struktur der Arbeit

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über den Aufbau der Arbeit gegeben werden. Nach der Einleitung, in der theoretische und methodische Grundlagen geklärt sowie die Quellenlage, die vorhandene Literatur und der Forschungsstand zum Thema präsentiert werden, gliedert sich die Arbeit in zwei Hauptteile. Der erste Hauptteil (Kapitel 1–3) behandelt die Verwaltungsgeschichte der beiden Wiener griechischen Gemeinden von ihren Anfängen bis 1918 auf Basis der rechtlichen Grundlagentexte (Privilegien und Statuten), während der zweite Hauptteil (Kapitel 4–5) sich mit der Demographie und Sozialstruktur der Wiener Griechen sowie den Identitätskonstruktionen in den beiden Gemeinden befasst. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Geschichte der Georgskapelle bis zum josephinischen Toleranzpatent von 1781, das einen entscheidenden Einschnitt im Umgang mit akatholischen Konfessionen darstellte. Obwohl die Geschichte der Gemeinde zum Hl. Georg erst ab der offiziellen Anerkennung der Bruderschaft zum Hl. Georg der griechischen Händler aus dem Osmanischen Reich, die mittels eines Privilegiums von Maria Theresia im Jahr 1776 erfolgte, gut dokumentiert ist, ergaben sich auch für die Zeit vor 1776 neue Erkenntnisse aus den Quellen. In diesem Zusammenhang zeigten sich deutliche Parallelen zur Gemeinde der ebenfalls aus dem Osmanischen Reich kommenden Gemeinde der sephardischen Juden in Wien, die als Exkurs in einem Unterkapitel behandelt werden. Das zweite Kapitel behandelt die Geschichte der beiden Gemeinden von 1781 27 Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta.

Struktur der Arbeit

21

bis 1848, wobei besonders die Rechtsstellung der Gemeinden auf Basis der Privilegientexte analysiert wird. Einen wichtigen Bestandteil dieses Kapitels bildet die Gründungsgeschichte der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit der österreichischen Untertanen. Daher wird zunächst auf die josephinische Toleranzpolitik als Grundlage dieser Gründung eingegangen. Weiters werden die Beweggründe für die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit behandelt. In der Folge beschäftigt sich das Kapitel mit der in dieser Phase stattgefundenen Konsolidierung der beiden Gemeinden, die einerseits in den Kirchenbauten, andererseits in internen Konflikten in über die Art der Gemeindeverwaltung ihren Ausdruck fand. Das dritte Kapitel behandelt die Verwaltungsgeschichte der Gemeinden in der Phase von 1848 bis 1918, bei der es sich im Gegensatz zur Konsolidierungs- und Blütezeit bis 1848 für die Gemeinden um eine von Krisen und sich wandelnden Rahmenbedingungen geprägte Periode handelte. Sowohl politische Entwicklungen, welche die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich betrafen, als auch neue wirtschaftliche Dynamiken beeinflussten die Situation der Gemeinden. Die durch die Ethnisierung des Identitätsdiskurses bestimmten Veränderungen manifestierten sich in immer kürzeren Abständen in den Anpassungen der rechtlichen Grundlagentexte der Gemeinden. Das vierte Kapitel, das sich der räumlichen Präsenz und demographischen Struktur der Griechen in Wien widmet, geht über eine Beschäftigung mit den beiden Gemeinden im engeren Sinne hinaus und behandelt Aspekte, die sich auf die griechische Niederlassung als Ganzes beziehen. Jedoch sind die gewonnenen Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen wirtschaftshistorischen Entwicklungen und der Demographie der Wiener Griechen wesentlich für das Verständnis der Geschichte der Gemeinden als Institutionen. Selbiges gilt auch für die räumliche Präsenz (Griechenviertel), die den Zusammenhang zwischen Niederlassung und Gemeinden verdeutlicht. Im fünften und abschließenden Kapitel geht es einerseits um die Identitätsbilder, die sich in wechselnden Loyalitäten zum Osmanischen Reich, zur Habsburgermonarchie und zu den neu entstandenen Nationalstaaten am Balkan äußerten, andererseits wird das bürgerliche Selbstverständnis der Gemeindemitglieder, das sich unter anderem in der sozialen Exklusion anderer Angehöriger derselben Konfession zeigte, behandelt. In diesem Zusammenhang ist auch die Außenseiterposition der bei den Gemeinden angestellten Priester und Lehrer zu sehen. Der Arbeit ist ein Editionsteil angefügt, in welchem die wichtigsten, zum Großteil bisher unveröffentlichten Quellentexte ediert werden. An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in dieser Arbeit mehr Platz eingeräumt wurde als der Gemeinde zum Hl. Georg, was mehrere Gründe hat. Erstens war die Arbeit ursprünglich nur als Unter-

22

Einleitung

suchung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit konzipiert, da das Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg zu Beginn meiner Forschungen noch nicht zugänglich war. Nachdem die Neuordnung dieses Archivs im Jahr 2009 abgeschlossen, und die vorhandenen Quellen der Forschung zugänglich gemacht worden waren, stellte sich rasch heraus, dass eine Arbeit über die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ohne Einbeziehung der Gemeinde zum Hl. Georg unvollständig wäre. Dennoch habe ich mich wesentlich intensiver mit dem Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit beschäftigt, sodass im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg möglicherweise noch von mir nicht berücksichtigte relevante Quellen zu finden sind. Ein weiterer Grund für die umfangreichere Behandlung der Dreifaltigkeitsgemeinde ist darin zu suchen, dass selbige über ein deutlich größeres Corpus von im Laufe der Zeit geänderten Statutentexten verfügt, während die Gemeinde zum Hl. Georg erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals eine Geschäftsordnung verabschiedete.

4.

Quellen

Als Hauptquellen für diese Arbeit fungieren die rechtlichen Grundlagen der Verwaltung der beiden Wiener griechischen Gemeinden, nämlich zum einen die kaiserlichen Privilegien als offizielle Urkunden, auf deren Basis die Gemeinden ihre Existenz legitimierten, und zum anderen interne Dokumente der Gemeinden mittels derer sie ihre Verwaltung organisierten (Statuten oder Geschäftsordnungen). Diese wurden zum Teil in gedruckter Form veröffentlicht. Weiters wurden im Zusammenhang mit der Entstehung dieser rechtlichen Grundlagentexte entstandene Dokumente unterschiedlichster Form aus mehreren Archiven für die Arbeit herangezogen. Im Fokus stand die Recherche in den Archiven der beiden Wiener griechischen Gemeinden. Der Zugang der Wissenschaft zu diesen beiden Archiven ist ganz vorrangig der Unterstützung des verstorbenen Metropoliten von Austria Michael Staikos im Jahr 2004 zu verdanken.28 Das Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit befindet sich in den Räumlichkeiten der Griechischen Nationalschule im zweiten Stock des Kirchengebäudes zur Hl. Dreifaltigkeit am Fleischmarkt 13. Dieses Archiv wurde auf Initiative von Prof. Maria A. Stassinopoulou vom Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien von den Mitarbeiterinnen des Instituts zur Erschließung und Erforschung kirchlicher Quellen (IEEkQ) Kathrin Kininger, Alexandra Wieser und Karin Winter unter Mithilfe der Studentin der Byzanti28 Maria A. Stasinopoulou, Aqweiaj]r pgc]r cia tgm istoq_a tgr joim|tgtar tgr Ac_ar Tqi\dar tgr Bi]mmgr. M]er pqooptij]r. In: E~a jai esp]qia 7 (2007), 401–408, hier 404.

Quellen

23

nistik und Neogräzistik Katharina Malli im Jahr 2007 neugeordnet und erschlossen.29 Im Zuge dieses Projekts wurden auch die in den Büroräumlichkeiten der Metropolis von Austria befindlichen Pfarrmatriken beider Gemeinden digitalisiert. Die Dokumente des Archivs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit wurden von den Archivarinnen im Jahr 2007 in einer vom damaligen Aktuar und späteren Gemeindesekretär Theodor Duchateau erstellten Ordnung, die bis zum Jahr 1866 reichte, vorgefunden, während die Dokumente aus der Zeit danach ungeordnet waren. Duchateau, der als Kassier bei der Österreichischen Nationalbank angestellt war,30 bei welcher der damalige Gemeindevorsitzende Zenobius C. Popp zur selben Zeit Direktor war, hatte von letzterem im Jahr 1851 den Auftrag zur Neuordnung des Gemeindearchivs erhalten: »In folge eines in der Sitzung vom .. 1851 gefassten Beschlusses wurde mir durch den geehrten Herrn Vorsteher dem Kaiserl. Rath von Popp der Auftrag, die saemmtlichen Acten, Rechnungen etc. etc. durchzusehen, solche mit dem vorhandenen Protokolle zu prüfen und endlich dieselben in der Art zu ordnen, dass man ohne Schwierigkeit die Gegenstände mittelst eines Registraturs Index herausfinden und nachlesen könnte. Ich bekenne aufrichtig dass ich diese höchst schwierige Aufgabe nur durch die äusserste Bereitwilligkeit des genannten Herrn Vorstehers von Popp welcher mit Aufopferung seiner Zeit mir viele Briefe und Berichte ins Deutsche übersetzte, auch mit gütigen Rath behülflich war, in so kurzer Zeit zu Ende bringen konnte, denn das Individuum dem vor einigen Jahren die Sortirung und Rangirung übertragen worden ist, hat sich wie es sich klar herausstellet nicht mit jener Sachkenntnis und tieferen Eingehen benommen, was eine derlei Ordnung am meisten erfordert, so z.b. waren sehr viele Rechnungs Belege, Conti u.s.w. dahin gelegt u. nummerirt, wo solche nach der Beschaffenheit der Sache nicht gehörten, somit die Auffindung erschweren musste.«31

Da Duchateau des Griechischen nicht mächtig war,32 war er bei dieser Arbeit auf die Hilfe von Popp angewiesen. Jedoch war zu diesem Zeitpunkt ein in Finanzsachen bewanderter Experte für die korrekte Administration der Ge29 Kathrin Kininger, Katharina Malli, Alexandra Wieser, Karin Winter, Archiv der griech.orient. Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Gesamtinventar. Wien 2007. 30 Staats-Handbuch der Kronländer Österreich unter und ob der Enns, Salzburg, Steiermark, Krain, Kärnthen, Küstenland und Tirol, für das Jahr 1859. Zweiter Theil, Wien 1859, 137. 31 AHD, G 4, Fasz. 12, 25. September 1851: Brief von Theodor Duchateau an die Vorsteher der griechisch nicht unierten Gemeinde, Kirche und Schule. 32 AHD, G 4, Fasz. 12, 8. Oktober 1862: Brief von Theodor Duchateau an den Ausschuss der griechisch nicht unierten Gemeinde. AHD, G 4, Fasz. 12, 9. April 1863: Brief von Theodor Duchateau an den Ausschuss der griechisch nicht unierten Gemeinde mit der Bitte um Verleihung der vakanten Stelle des Gemeindesekretärs. Er dürfte allerdings gelernt haben, in griechischer Schrift mit seinem Namen zu unterschrieben, da sich auf mehreren Einladungsbriefen zu Sitzungen des Gemeindeausschusses (AHD, G 1, Fasz. 4.) seine Unterschrift in griechischer Schrift in der Form »Dysat|« oder ähnlich findet. Auch auf dem zweisprachigen Dienstvertrag für den Pfarrer Antonio Chariatis (AHD, G 1, Fasz. 5) findet man die Unterschrift »He|dyqor Tusad|r l\qtur« von einer ungelenken Hand.

24

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meindeangelegenheiten (besonders der Stiftungen) offenbar wichtiger. So ist ein beträchtlicher Teil der im Archiv zu findenden Übersetzungen das Produkt der Ordnungstätigkeit von Duchateau, die nach seinen eigenen Angaben 503 Stunden in Anspruch nahm.33 Im Zuge dieser Neuordnung erstellte er ein Buch mit einer Auflistung aller Akten nach ihren Nummern34 sowie einen alphabetischen Index35. Die von Duchateau erstellte Ordnung, die bei der Neuordnung 2007 großenteils beibehalten wurde, folgte einem thematischen Prinzip, während die Dokumente aus der Zeit nach 1866 zum Teil chronologisch geordnet wurden. Die Tatsache, dass die Ordnung des Archivs auf keinem einheitlichen System basiert, erschwert die Recherche und erforderte die vollständige Durchsicht vieler Dokumentengruppen, weil relevante Quellen oftmals im Inventar nicht verzeichnet sind, da dies nur durch die extrem zeitaufwändige Aufnahme auf der Ebene jedes einzelnen Dokuments hätte geleistet werden können. Eine weitere Schwierigkeit ergab sich aus dem Fehlen der älteren Protokollbücher der Gemeindeversammlungen in griechischer Sprache. Diese Protokollbücher müssen sich zumindest bis in die 1980er Jahre noch im Archiv der Gemeinde befunden haben,36 ihr momentaner Verbleib ist jedoch unklar. Im Zuge meiner Suche nach diesen Protokollbüchern fand ich im November 2012 in einem Schrank im Klassenzimmer der Griechischen Nationalschule weitere zum Archiv gehörige Bücher, die bei der Neuordnung 2007 unberücksichtigt geblieben waren, nicht jedoch die gesuchten Protokollbücher. Diese von mir gefundenen Bücher habe ich ins Archiv eingeordnet und einen entsprechenden Anhang zum Inventar erstellt. Um Aufschluss über den Inhalt der fehlenden Original-Protokollbücher zu bekommen, waren unter anderem die von Theodor Duchateau erstellten Exzerpte daraus, die in den von ihm erstellten Findbehelf37 unter dem Buchstaben S wie Sitzungen zu finden sind, hilfreich. Nachdem das Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit im Jahr 2007 neu geordnet worden war, informierte Metropolit Staikos Prof. Stassinopoulou über die Existenz des Archivs der Gemeinde zum Hl. Georg, das bis dahin als verschollen gegolten hatte. Es wurde eine Erschließung und Zugänglichmachung 33 AHD, G 4, Fasz. 12, 25. September 1851: Brief von Theodor Duchateau an die Vorsteher der griechisch nicht unierten Gemeinde, Kirche und Schule. 34 AHD, G 11, 1776–1943 Protokoll für die Gemeinde-Akten (Findbehelf). 35 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde. 36 Sie wurden von Georgios Laios, in dessen Nachlass in Athen (KEMNE) sich Kopien davon auf Mikrofilm befinden, verwendet. Siehe: Georgios Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg. Thessaloniki 1982. Auch im Nachlass von Kioutoutskas in Thessaloniki (EMS) befinden sich Kopien dieser Protokollbücher. 37 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde.

Quellen

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auch dieses Archivs vereinbart, die von den Archivarinnen Zuzana R#czov# und Irene Rabl (IEEkQ) unter Mitarbeit der Neogräzistinnen Sˇ#rka Svobodov# und Anika Hamacher vorgenommen und im Dezember 2009 abgeschlossen wurde.38 Im Gegensatz zum Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit wurden die Dokumente hier vollkommen ungeordnet in Form von verschnürten Päckchen vorgefunden. Sie wurden gereinigt und chronologisch geordnet.39 Die systematische chronologische Ordnung erleichtert einerseits die Recherche in diesem Archiv, verhinderte andererseits jedoch bei undatierten Dokumenten diese in einen thematischen Kontext zueinander setzen zu können. Auch beim Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg ist das Fehlen der Protokollbücher der Gemeindeversammlungen auffällig. Dies nährt die Vermutung, dass sich die Protokollbücher beider Gemeinden zuletzt an einem gemeinsamen Ort befunden haben. Im Fall der Gemeinde zum Hl. Georg ist diese Lücke etwas weniger problematisch, da die wichtigen Sitzungsprotokolle von Efstratiadis in seinem Buch über die Geschichte der Gemeinde zum Hl. Georg abgedruckt wurden.40 Jedoch lässt sich nicht nachprüfen, inwiefern Efstratiadis bei der Wiedergabe der Sitzungsprotokolle selektiv vorging und ob die bei ihm abgedruckten Texte exakt den Originaltexten entsprechen. In den Archiven beider Gemeinden sind fast alle Dokumente in deutscher oder griechischer Sprache abgefasst, wobei der Anteil der deutschsprachigen Dokumente etwas größer zu sein scheint. Nur ein geringer Teil der Akten ist in anderen Sprachen (z. B. Altkirchenslawisch, Serbisch, osmanisches Türkisch, Italienisch) niedergeschrieben. Ergänzend zu den Akten aus den Archiven der beiden Gemeinden wurden Akten aus weiteren österreichischen Archiven herangezogen: Einige für die vorliegende Arbeit relevante Quellen befinden sich im Österreichischen Staatsarchiv (Allgemeines Verwaltungsarchiv, Haus- Hof- und Staatsarchiv und Kriegsarchiv) – vor allem Akten zur griechisch nicht unierten Konfession (Alter und neuer Kultus) sowie Akten der Polizeihofstelle aus dem Bestand des Allgemeinen Verwaltungsarchivs wurden hier herangezogen. Im Wiener Stadt- und Landesarchiv befinden sich Akten des Wiener Magistrats, welche die Verwaltung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in den Jahren 1799–1807 betreffen, als sich ein gemeindeinterner Konflikt an der Frage nach der Gemeindeverwaltung 38 Zuzana R#czov#, Sˇ#rka Svobodov#, Anika Hamacher, Irene Rabl, Archiv der griechischorientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg. Gesamtinventar. Wien 2009. 39 Zuzana R#czov#, Das Archiv der griechisch-orientalischen Kirchengemeide zum hl. Georg in Wien (18.–20. Jahrhundert). (Unveröffentlichte Magisterarbeit) Wien 2012. 40 Sofronios Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou jai g joim|tgr tym ohylam~m upgj|ym. Amat}pysir A4 ejd|seyr. Epil]keia, eisacyc^, euqet^qio Waq\kalpor C. Wotf\jockou. [Photomechanische Reproduktion der Ausgabe Alexandreia 1912] Athen 1997.

26

Einleitung

entzündete. In den Kultusakten der niederösterreichischen Statthalterei (Departement C) im Niederösterreichischen Landesarchiv schließlich befindet sich ein großer Teil der relevanten Akten, welche die griechisch nicht unierte Konfession betreffen. Nicht zuletzt für die Auffindung der im Niederösterreichischen Landesarchiv vorhandenen Akten war der Nachlass des 2009 verstorbenen Forschers Georgios Kioutoutskas hilfreich. Obwohl Kioutoutskas jahrelang zur Geschichte der Wiener Griechen forschte und – wie sein Nachlass zeigt – einer der profundesten Kenner der Materie war, veröffentlichte er bis auf einen kurzen Aufsatz über die Geschichte der Familie Karajan41 nichts zum Thema. Sein Nachlass befindet sich im Besitz der Gesellschaft für Makedonische Studien (Etaiqe_a Lajedomij~m Spoud~m) in Thessaloniki,42 wo ich ihn im September 2012 einsehen konnte. In diesem Nachlass befinden sich abgesehen von zahlreichen persönlichen Notizen Kopien von Dokumenten aus dem Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien und den drei obengenannten österreichischen Archiven sowie aus dem Archiv der Metropolis von Karlowitz in Sremski Karlovci und dem Archiv des Ökumenischen Patriarchats. Unter anderem sind in diesem Nachlass auch Fotokopien der verschollenen älteren griechischen Protokollbücher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorhanden. Im Laufe der letzten Jahre wurden immer mehr gedruckte Quellen aus dem Untersuchungszeitraum digitalisiert und öffentlich zugänglich gemacht. Solche Quellen, deren große Anzahl zwar häufig nur schwer zu bewältigen ist, stellten eine weitere wichtige Ergänzung für die Arbeit dar. Aus den Beständen der Wienbibliothek im Rathaus verwendete ich die unter den Titeln »Wiener Adressbücher« und »Häuserschematismen und Straßenverzeichnisse« digitalisierten gedruckten Handels- und Häuserverzeichnisse.43 Aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek nutzte ich digitalisierte österreichische Zeitungen44 und Gesetzestexte45.

5.

Literatur und Forschungsstand

Trotz der Tatsache, dass seit dem 19. Jahrhundert zahlreiche Studien, die Teilaspekte der Geschichte der beiden Wiener griechischen Gemeinden behandeln, sowie zwei Monographien zu diesem Thema erschienen sind, ist die wissen41 Georgios I. Kioutoutskas, Geschichte der Familie von Karajan. In: St\wur 87 (1989), 493–497. 42 Siehe Dekt_o t}pou http://media.ems.gr/anakoinoseis/deltia_typou/2009/news_dt_kiou toutskas_2009.pdf (abgerufen am 17. 1. 2016). 43 Zugänglich unter : http://www.digital.wienbibliothek.at. 44 Zugänglich unter : http://anno.onb.ac.at. 45 Zugänglich unter : http://alex.onb.ac.at.

Literatur und Forschungsstand

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schaftliche Aufarbeitung dieses Sujets auf Basis der vorhandenen historischen Quellen noch immer unvollständig und rechtfertigt, das Thema im Rahmen der vorliegenden Arbeit erneut aufzugreifen. Während viele der älteren Studien die Problematik aufweisen, die historischen Quellen ideologisch tendenziös zu interpretieren und nicht ins Bild passende Quellenbefunde zu verschweigen, sind neuere, methodisch überzeugende Publikationen, die in griechischer Sprache erschienen, in der deutschsprachigen Literatur kaum rezipiert worden, was zu einer Perpetuierung und Verfestigung historisch falscher Angaben in der Literatur geführt hat. Im Folgenden sei ein Überblick über die vorhandene Literatur zum Thema gegeben. An dieser Stelle nicht erwähnte Studien sind im Literaturverzeichnis aufgelistet. Bereits im 19. Jahrhundert entstanden erste historische Arbeiten zur Geschichte der griechischen Gemeinden Wiens, die bei den Gemeinden selbst schon wenige Jahrzehnte nach ihrer Gründung teils in Vergessenheit geraten war. Die erste diesbezügliche Arbeit ist die von Pallatidis aus dem Jahr 1845, die aus Anlass der Einführung der vierstimmigen Kirchenmusik in den beiden Kirchen publiziert wurde.46 Im Jahr 1888 veröffentlichte Alexander Peez in der Neuen Freien Presse eine Artikelserie zur Geschichte der griechischen Händler in Wien,47 die im Zeichen des in den Jahren davor stattgefundenen Niedergangs des griechischen Balkanhandels mit Wien stand. Vom Beginn des 20. Jahrhunderts stammen die unveröffentlichten Texte von Eugen Zomarides48 und Michael Dudos,49 sowie das Buch von Michel G. Koimzoglu,50 welche die Geschichte der Gemeinden und der Wiener Griechen im Allgemeinen behandeln. Diesen Arbeiten ist gemeinsam, dass sie aus dem Umfeld der Gemeinden selbst stammen und in einer Krisenphase, in der die Existenz der Gemeinden per se bedroht war, entstanden und die Legitimierung des Status der Gemeinden zu ihrer Agenda gehörte. Es ist zu beobachten, dass diese Arbeiten trotz ihrer Unzulänglichkeiten teils bis zum heutigen Tage die Darstellung der Geschichte der Gemeinden in der deutschsprachigen Literatur prägen.51 46 Anastasios Pallatidis, Up|lmgla istoqij|m peq_ aqw^r jai pqo|dou jai tgr sgleqim^r ajl^r tou em Bi]mmg ekkgmijo} sumoijislo}, autoswediash]m avoql^ tgr meyst_ cemol]mgr letaqquhl_seyr tgr ejjkgsiastij^r gl~m lousij^r eir to tetq\vymom. [Photomechanische Reproduktion der Ausgabe Wien 1845] Athen 1968. 47 Alexander Peez, Die Griechischen Kaufleute in Wien. Separat-Abdruck aus der »Neuen Freien Presse«. Wien 1888. 48 AHD, S 8, Fasz. 3, ca. 1910–1916: Manuskript von Eugen Zomarides zur Geschichte der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Editionsteil Nr. 39. 49 Michael Dudos, Die griechisch-orientalische Kirchen-Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit in Wien. [Unveröffentlichtes Typoskript] Wien 1920. 50 Michel G. Koimzoglu, Geschichte der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heil. Georg« in Wien. Wien 1912. 51 Zum Beispiel Charalampos G. Chotzakoglou, Oi ekkgmoqh|donoi mao_ jai o ekkgmisl|r tgr

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In derselben Zeit entstand auch das 1912 erschienene Buch von Sofronios Efstratiadis, dem späteren Bischof von Leontopolis in Ägypten, über die Geschichte der Gemeinde zum Hl. Georg. Auch in diesem Fall scheint gerade die Tatsache, dass die Gemeinde, bei der Efstratiadis als Diakon angestellt war, und deren historische Bedeutung ihm das von ihm zufällig aufgefundene Archivmaterial deutlich machte, kurz vor der Elimination zu stehen schien,52 den Anstoß zum Verfassen seines Buches gegeben zu haben. Dieses Archivmaterial hatte er nach eigenen Angaben im letzten Moment vor dem Verbrennen gerettet.53 Obwohl sich nicht alle Aussagen Efstratiadis’ verifizieren lassen, ist das Buch als die wichtigste Quellenedition zum Thema bis heute zweifellos von großem Wert. Die Publikationen von Spyridon Lampros54 gaben den Auftakt zu einer Reihe nationalhistoriographischer Arbeiten zum Thema,55 in denen die facettenreiche Präsenz der Griechen in der Habsburgermonarchie aus dem Fokus rückte und auf ihren nationalgriechischen Charakter reduziert wurde.56 Dies gilt auch für den durchaus verdienstvollen Aufsatz von Loukatos aus dem Jahr 1961.57 In den folgenden Jahren waren es hauptsächlich die beiden Forscher Poly-

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Bi]mmgr. Odgc|r lmgle_ym. Ekkgmij\-ceqlamij\. Die griechisch-orientalischen Wiener Kirchen und die griechische Diaspora in Wien. Kunstführer. Wien [u. a.] 1998. Christian Gastgeber, Franz Gschwandtner, Die Ostkirchen in Wien. Ein Führer durch die orthodoxen und orientalischen Gemeinden. Wien 2004, 48–63. Karl Vocelka, Multikonfessionelles Österreich. Religionen in Geschichte und Gegenwart. Wien [u. a.] 2013, 96–99. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 70. Ebd., 4. Spyridon Lampros, K|coi jai amalm^seir ej tou boqq\. Athen 1909. Ders., Sek_der ej tgr istoq_ar tou em Ouccaq_a jai Austq_a lajedomijo} Ekkgmislo}. In: M]or Ekkgmolm^lym 8 (1911), 257–300. Ders., 8qeumai em tair bibkioh^jair jai aqwe_oir Q~lgr, Bemet_ar, Boudap]stgr jai Bi]mmgr. In: M]or Ekkgmolm^lym 17 (1923), 113–139, 368–386; 18 (1924), 48–69, 276–291, 374–382; 19 (1925), 225–232; 20 (1926), 47–54, 182–192; 21 (1927), 43–52, 165–178, 381–388. Ders., G Losw|pokir jai g oijoc]meia S_ma. In: M]or Ekkgmolm^lym 21 (1927), 159– 164. Nikolaos P. Delialis, Amalmgstij^ eijomocqavgl]mg ]jdosir Pa}kou Waq_sg let\ istoqij~m sglei~seym peq_ tym em Ouccaq_a jai Austq_a Ekkgmij~m Joimot^tym. Kozani 1935. Theodoros M. Natsinas, Oi Lajed|mer pqallateut\der eir tar w~qar Austq_ar jai Ouccaq_ar. Thessaloniki 1939. Franz Dölger, Wien und Neugriechenland. Wien 1943. Nicolaus B. Tomadakis, Les communaut8s hell8niques en Autriche. In: Leo Santifaller (Hrsg.), Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Haus-, Hof- und Staatsarchivs. Bd. 2, Wien 1951, 452–461. Georgios Lyritzis, Ai lajedomija_ joim|tgter tgr Austqouccaq_ar ep_ Touqjojqat_ar. Kozani 1952. Maria A. Stassinopoulou, Wohin mit den neuen Griechen? Fachareale der Neogräzistik in Wien. In: Karl Anton Fröschl, Gerd B. Müller, Thomas Olechowski, Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. Wien 2015, 587–594, hier 588. Spyridon Loukatos, O pokitij|r b_or tym Ekk^mym tgr Bi]mmgr jat\ tgm touqjojqat_am ja· ta autojqatoqij\ pqor auto}r pqom|lia. In: Dekt_om tgr Istoqij^r jai Ehmokocij^r Etaiqe_ar tgr Ekk\dor 15 (1961), 287–350.

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chronis Enepekides und Georgios Laios, die sich in einer Reihe von Publikationen mit dem Thema der Wiener Griechen beschäftigten. Während Enepekides, dessen Publikationsliste äußerst umfangreich ist,58 eine zum Teil mangelnde Präzision im Umgang mit den Quellen vorgeworfen werden muss, sind die Arbeiten von Laios59 aufgrund ihrer diesbezüglichen Genauigkeit von großem Wert. Allerdings gilt auch für diese beiden Autoren, dass sie dem vorherrschenden nationalhistorischen Narrativ der Diaspora als Außenposten des nationalen Zentrums folgten und daher in der Auswahl der von ihnen publizierten Quellen selektiv vorgingen. Nachdem immer wieder wichtige Aufsätze zu Teilaspekten der Geschichte der

58 Zu seinen wichtigsten Publikationen zum Thema zählen: Polychronis K. Enepekides, Interzipierte griechische Briefe und Berichte über den Ausbruch des griechischen Aufstandes im Jahre 1821. Aus den Beständen des Wiener Polizeihofstelle-Archivs. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 4 (1951), 184–214. Ders., Kopitar und die Griechen. In: Wiener Slawistisches Jahrbuch 3 (1953), 53–70. Ders., Sulboka_ eir tgm istoq_am tym sumtq|vym tou Q^ca I.Lauqoc]mg, C. Po}kiou, C. Heow\qg. Am]jdota ]ccqava ej tou upouqce_ou astumol_ar em Bi]mmg let\ eisacyc^r jai swok_ym. In: Hessakij\ Wqomij\ 6 (1955), 7– 137. Ders., Griechische Handelsgesellschaften und Kaufleute in Wien aus dem Jahre 1766 (ein Konskriptionsbuch). Aus den Beständen des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs. Thessaloniki 1959. Ders., Neue Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Griechen in der österreichischen Monarchie. In: Probleme der neugriechischen Literatur 2 (1960), 196–236. Ders., Ak]namdqor Uxgk\mtgr. G aiwlakys_a tou eir tgm Austq_am 1821– 1828. Ep_ tg b\sei amejd|tym eccq\vym ej tym lustij~m aqwe_ym tgr Bi]mmgr. Athen 1969. Ders., Ap| tour Jaqaci\mmgder tgr Jof\mgr stour von Karajan tgr Bi]mmgr. In: Pmeulatijo_ \mdqer tgr Lajedom_ar jat\ tgm Touqjojqat_am. Thessaloniki 1972, 9–30. Ders., Lajedomij]r pokite_er jai oijoc]meier 1750–1930. Ceqlamo_ jai Austqiajo_ vusijo_ epist^lomer, mololahe_r jai pokitijo_ ejh]toum tir paqatgq^seir, tir ]qeumer jai ta bi~lat\ tour. Le ]ma paq\qtgla cia tir ekkgmolajedomij]r oijoc]meier stgm Austqoouccaq_a. Athen 1984. Ders., Ehmij^ sume_dgsg tym Lajed|mym jai tym Boqeiogpeiqyt~m tgr Austqoouccaq_ar. Thessaloniki 1993. 59 Georgios Laios, O Baq~mor K\mcjemvekmt jai o Q^car Bekestimk^r. Am]jdota ]ccqava ap| ta austqiaj\ aqwe_a. In: Epihe~qgsg T]wmgr Jg.1, Nr. 6 (Juni 1955), 435–441. Ders., O Ce~qcior Bemt|tgr, o Faj}mhior jai g pq~tg ekkgmij^ evgleq_da (1784). (Am]jdota ]ccqava ap| ta aqwe_a tgr Bi]mmgr). In: Epihe~qgsg T]wmgr Jg. 1, Bd. 2, Nr. 8 (August 1955), 149–154. Ders., Oi adekvo_ Po}kiou, o Ce~qcior Heow\qgr jai \kkoi s}mtqovoi tou Q^ca. (Am]jdota ]ccqava ap| ta Aqwe_a tgr Bi]mmgr). In: Dekt_om tgr Istoqij^r jai Ehmokocij^r Etaiqe_ar tgr Ekk\dor 12 (1957–1958), 202–270. Ders., Am]jdoter epistok]r jai ]ccqava tou 1821. Istoqij\ dojoul]mta ap| ta austqiaj\ aqwe_a. Athen 1958. Ders., Die griechischen Zeitungen und Zeitschriften (1784–1821). Quellenmaterial, hauptsächlich aus den österreichischen Staatsarchiven gesammelt und zusammengestellt. In: Probleme der neugriechischen Literatur 2 (1960), 110–195. Ders., O em Bi]mmg elpoqij|r o_jor »Aqc]mtg« (Am]jdota ]ccqava ej tym aqwe_ym tgr Bi]mmgr). In: Eir lm^lgm J. 6lamtou 1874–1960. Athen 1960, 167–186. Ders., G »Vik|lousor Etaiqe_a« tgr Bi]mmgr (1814–1820). M]a ]ccqava. In: Epetgq_r tou Lesaiymijo} Aqwe_ou 12 (1962), 166–223. Ders., 8qeuma em toir aqwe_oir tgr Bi]mmgr jai tou Lom\wou pqor lijqovytocq\vgsim eccq\vym avoq~mtym eir tgm meyt]qam ekkgmij^m istoq_am. In: Pqajtij\ tgr Ajadgl_ar Ahgm~m 39 (1964), 554–579. Ders., S_lym S_mar. Athen 1972. Ders., G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg. Thessaloniki 1982.

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Wiener Griechen erschienen waren,60 wurde 1983 die erste und bis dato einzige Monographie zum Thema in deutscher Sprache publiziert: Die Arbeit des österreichischen Kirchenhistorikers Willibald M. Plöchl61 konzentriert sich vor allem auf die kirchenrechtlichen Aspekte der Geschichte der beiden Gemeinden, ist aber auch in dieser Hinsicht nicht ohne Fehler. Zu vermuten ist, dass die Arbeit zumindest teilweise auf den Erkenntnissen von Georgios Kioutoutskas beruhte, dessen Publikationsvorhaben möglicherweise aufgrund des Erscheinens von Plöchls Buch nie verwirklicht wurde. Die Arbeit gibt das von Kioutoutskas gesammelte profunde Wissen, wie es aus dessen Nachlass hervorgeht,62 jedoch nur unzulänglich wieder. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie weit Plöchl überhaupt das Griechische beherrschte.63 Im Einzelnen ergeben sich folgende Kritikpunkte an der Arbeit: Historische Fakten sind teils falsch wiedergegeben und Quellen werden, wenn überhaupt, in einer Form zitiert, anhand derer sie nicht in den Archiven aufgefunden werden können. Während an den oben erwähnten Arbeiten der griechischen Historiker deren nationalhistoriographische Ausrichtung zu kritisieren ist, ist es im Falle von Plöchl seine monarchistisch-legitimistische Einstellung,64 die zu einer tendenziös positiven Darstellung von Entscheidungen der habsburgischen Administration führte. Auch führte seine negative Einstellung in Bezug auf Demokratisierungstendenzen in der katholischen Kirche (Einführung von Pfarrgemeinderäten),65 wozu er in den autonomen griechischen Gemeinden Analogien

60 Klaus Eggert, Die griechisch-orientalische Kathedrale am Fleischmarkt in Wien. In: St\wur 4–5 (1966), 61–83. Ignatios Papadellis, Am]jdota jat\stiwa jai t_ma ]teqa ]ccqava jai \qhqa avoq~mta tom ieq|m ma|m Ac_ou Ceyqc_ou Bi]mmgr (ej tou Aqwe_ou tgr Ieq\r Lgtqop|keyr Austq_ar). In: St\wur 12–13 (1968), 96–118. P.E. Formozis, Oi woqydiaj]r ejd|seir tgr ejjkgsiastij^r lousij^r se euqypazj^ lousij^ cqav^ tym: Iy\mmou W. M. Wabiaq\ – B. Randhartinger jai Amh_lou Mijokaýdou – Gottfried Preyer stir d}o oqh|doner ekkgmij]r ejjkgs_er tgr Bi]mmgr. In: St\wur 8–9 (1967), 34–81. Peter Schmidtbauer, Zur Familienstruktur der Griechen in Wien. In: Wiener Geschichtsblätter 35 (1980), 150–160. Charalambos Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727 sur le conflit hellHno-serbe concernant la chapelle grecque / Vienne. In: Balkan Studies 24 (1983), 581–607. 61 Willibald M. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen. Eine Studie zur Rechts- und Kulturgeschichte der Kirchengemeinden zum Hl. Georg und zur Hl. Dreifaltigkeit und zur Errichtung der Metropolis von Austria. Wien 1983. 62 Leider liefert die auf dem Nachlass basierende Studie von Dordanas zur Griechischen Nationalschule in Wien aber keine neuen Erkenntnisse. Stratos N. Dordanas, G Ehmij^ tym Ekk^mym Swok^ tgr Bi]mmgr. In: Ioannis S. Koliopoulos, Iakovos D. Michailidis (Hrsg.), Oi Lajed|mer stg diaspoq\. 17or, 18or jai 19or ai~mar. Thessaloniki 2011, 154–177. 63 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 10. 64 Richard Potz, Plöchl, Willibald Maria. In: Neue Deutsche Biographie Bd. 20 (2001), 545–546. 65 Willibald M. Plöchl, Errichtung und Satzungen der bulgarisch-orthodoxen Kirchengemeinde zum heiligen Iwan Rilski und der russisch-orthodoxen Kirchengemeinde zum heiligen Nikolaus in Wien. In: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 23 (1972), 195–211, hier 210.

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erkannte, zu einer Überbewertung der Rolle des Ökumenischen Patriarchats in seinem Verhältnis zu den Gemeinden. Eine solche Überbewertung des Patriarchats lässt sich auch in dem kirchenhistorischen Buch von Michael Staikos,66 das sich zwar nur am Rande mit der Zeit vor 1918 beschäftigt, identifizieren, und ist wohl ebenfalls mit nicht deutlich artikulierten kirchenpolitischen Agenden zu erklären. Weitere erwähnenswerte Arbeiten sind das Werk von Komnini D. Pidonia zur Bibliothek der Griechischen Nationalschule,67 die Monographie von Georgios Chr. Tsigaras, die sich aus kunsthistorischer Perspektive mit der Kirche zum Hl. Georg befasst, aber ebenso eine gute historische Einleitung beinhaltet,68 sowie zahlreiche Aufsätze von Max Demeter Peyfuss, die zumeist beachtenswerte Detailinformationen beinhalten.69 In den letzten Jahren widmeten sich auch mehrere Diplomarbeiten70 an der Universität Wien Teilaspekten der Geschichte der Wiener Griechen, von denen vor allem die von Margit Havlik zur griechischorthodoxen Abteilung des St. Marxer Friedhofs71 hervorzuheben ist. Auch die Arbeiten aus rumänischer und serbischer Perspektive, die häufig eine andere – teils nationalhistoriographisch geprägten – Perspektive auf die Frühge-

66 Michael Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr Lgtqopok_tgr Alase_ar jai 8naqwor Jemtq~ar Euq~pgr (1924–1935). Thessaloniki 1998. 67 Komnini D. Pidonia, Ekkgmij\ pakai|tupa tgr bibkioh^jgr tou Ekkgmijo} Swoke_ou jai tym ekkgmij~m oqh|donym ejjkgsi~m tgr Bi]mmgr. Athen 1987. 68 Georgios Chr. Tsigaras, O ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou Bi]mmgr. Istoq_a jai t]wmg. Die Kirche zum Heiligen Georg in Wien. Geschichte und Kunst. Thessaloniki 2005. 69 Von den vielen Publikationen seien an dieser Stelle nur seine wichtigsten zum Thema der Wiener Griechen genannt: Max Demeter Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien. Soziale und nationale Differenzierung im Spiegel der Privilegien für die griechisch-orthodoxe Kirche zur heiligen Dreifaltigkeit. In: Österreichische Osthefte 17 (1975), 258–268. Ders., Elvira Konecny, Der Weg der Familie Dumba von Mazedonien nach Wien. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 88 (1980), 313–327. Ders., Eine griechische Kaffeehausrunde in Wien im Jahre 1837. In: Gunnar Hering (Hrsg.), Dimensionen griechischer Literatur und Geschichte. Festschrift für Pavlos Tzermias zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main 1993, 161–175. 70 Siglinde Csuk, Schloss Rappoltenkirchen in Niederösterreich. Theophil Hansen und sein Mäzen Simon Georg von Sina. (Unveröffentlichte Diplomarbeit) Wien 2002. Katharina Malli, Die Griechische Nationalschule in Wien im 20. Jahrhundert. (Unveröffentlichte Diplomarbeit). Wien 2007. Anna M. Seibel, Die Bedeutung der Griechen für das wirtschaftliche und kulturelle Leben in Wien. Am Beispiel der Familie Zepharovich. (Unveröffentlichte Diplomarbeit) Wien 2008. Natalie Bairaktaridis, Theophil Hansen. Die griechisch-orthodoxe Kirche am Fleischmarkt in Wien. (Unveröffentlichte Diplomarbeit) Wien 2008. JohannFriedrich A. von der Schulenburg, Sakralbauten unter dem Toleranzpatent in der Wiener Innenstadt. (Unveröffentlichte Diplomarbeit) Wien 2009. 71 Margit M. Havlik, Der Sankt Marxer Friedhof. Die griechisch-orthodoxe Abteilung. (Unveröffentlichte Diplomarbeit). Wien 2006.

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schichte der beiden griechischen Gemeinden einnehmen, dürfen nicht unerwähnt bleiben.72 Während die älteren Arbeiten griechischer Wissenschaftler einen vorwiegend nationalhistoriographischen Standpunkt vertreten, hat eine jüngere Generation von Forscherinnen ungefähr ab den 1970er Jahren das Thema vermehrt aus dem Blickwinkel der Migrationsforschung betrachtet – ein Perspektivenwechsel, der zu aufschlussreichen neuen Ergebnissen geführt hat. Olga Katsiardi-Hering, die bereits 1986 eine Dissertation zu den Griechen in Triest73 vorlegte, befasste sich in zahlreichen Publikationen mit der Migration von balkanorthodoxen Kaufleuten aus dem Osmanischen Reich nach Mitteleuropa.74 Im Spezifischen mit Wien als Zielort dieser Migrationen beschäftigten sich Maria A. Stassinopou72 Petru Jankovschi, Entstehungsgeschichte der orthodoxen Kirchengemeinden in Wien. In: Österreichische Akademische Blätter 2 (1936/1937), 158–160. Vasilj Popovic, Les marchands ottomans / Vienne en 1767. In: R8vue historique du Sud-Est Europ8en 17 (1940), 166–187. Ion I. Nistor, Bisericile s¸i s¸coala greco-rom.na˘ din Viena. In: Academia Rom.na˘ : Memoriile sect¸iunii istorice. Serie 3, Bd. 3 (1932), 69–108. Dejan Medakovic´, Serben in Wien. Novi Sad 2001. Ljiljana Pantovic, Die Wiener Orthodoxen Serben. (Dissertation) Wien 2004. Nicolae Dura, Kirche in Bewegung. Das religiöse Leben der Rumänen in Österreich. Wien 2007. 73 Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr. 74 Zur Migration von Griechen in die Habsburgermonarchie siehe besonders: Olga KatsiardiHering, Ejpa_deusg stg Diaspoq\. Pqor lia paide_a ekkgmij^ ^ pqor »heqape_a« tgr pokuckyss_ar; In: Dimitris G. Apostolopoulos (Hrsg.), Meoekkgmij^ paide_a jai joimym_a. Pqajtij\ Diehmo}r Sumedq_ou avieqyl]mou stg lm^lg tou J. H. Dglaq\. Athen 1995, 153–177. Dies., Das Habsburgerreich: Anlaufpunkt für Griechen und andere Balkanvölker im 17.– 19. Jahrhundert. In: Österreichische Osthefte 38 (1996), 171–188. Dies., Tewm_ter jai tewmij]r bav^r mgl\tym: ap| tg Hessak_a stgm Jemtqij^ Euq~pg (18or-aqw]r 19ou ai.). Ep_letqo: G Alpekaji~tijg sumtqovi\ (1805). Athen 2003. Dies., Il mondo europeo degli intellettuali Greci della diaspora (Sec. XVIII Ex.-XIX In.). In: Francesco Bruni (Hrsg.), Niccolk Tommaseo, popolo e nazioni (italiani, corsi, greci, illirici). Atti del convegno internazionale di studi nel bicentenario della nascita di Niccolk Tommaseo. Venezia, 23–25 gennaio 2003, Rom [u. a.] 2004, 69–85. Dies., Greeks in the Habsburg lands (17th–19th centuries): Expectations, realities, nostalgias. In: Herbert Kröll (Hrsg.), Austrian-Greek encounters over the centuries. History, diplomacy, politics, arts, economics. Innsbruck [u. a.] 2007, 147–157. Dies., Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta. Dies., The allure of red cotton yarn, and how it came to Vienna: associations of Greek artisans and merchants operating between the Ottoman and Habsburg Empires. In: Suraiya Faroqhi, Gilles Veinstein (Hrsg.), Merchants in the Ottoman Empire. Paris [u. a.] 2008, 97–131. Dies., Grenz-, Staats- und Gemeindekonskriptionen in der Habsburgermonarchie: Identitätendiskurs bei den Menschen aus dem Süden. In: Maria Oikonomou, Maria A. Stassinopoulou, Ioannis Zelepos (Hrsg.), Griechische Dimensionen südosteuropäischer Kultur seit dem 18. Jahrhundert. Verortung, Bewegung, Grenzüberschreitung. Frankfurt am Main [u. a.] 2011, 231–251. Dies., Southeastern European migrant groups between the Ottoman and the Habsburg Empires. Multilateral social and cultural transfers from the eighteenth to the early nineteenth centuries. In: Harald Heppner, Eva Posch (Hrsg.), Encounters in Europe’s Southeast. The Habsburg Empire and the orthodox world in the eighteenth and nineteenth centuries. Bonn 2012, 135–162. Dies., Ikaros Madouvalos, The tolerant policy of the Habsburg authorities towards the orthodox people from South-Eastern Europe and the formation of national identities (18th–early 19th century). In: Balkan Studies 49 (2014), 5–34.

Literatur und Forschungsstand

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lou75 und Vaso Seirinidou. Abgesehen von zahlreichen Aufsätzen zum Thema76 veröffentlichte letztere 2011 eine auf ihrer Dissertation zu den Wiener Griechen (1780–1850)77 von 2002 basierende Monographie.78 Diese Monographie behandelt das Thema sowohl aus wirtschafts- als auch aus geistesgeschichtlicher Perspektive, widmet jedoch der Institutionengeschichte der beiden Wiener griechischen Gemeinden nur wenig Raum. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Autorin keinen Zugang zu den damals nicht geordneten Archiven der Gemeinden erhielt und ihr diesbezügliche Quellen nur in eingeschränktem Umfang aus dem Nachlass von Georgios Laios im Forschungszentrum für mittelalterli75 Maria A. Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers. Konstantinos Michail Koumas als Historiograph. Frankfurt am Main 1992. Dies., Griechen in Wien. In: Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien. 217. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 19. September bis 29. Dezember 1996. Wien 1996, 39–43. Dies., G let\basg stgm sov^ Euq~pg jai oi sum]pei]r tgr. O aqwilamdq_tgr Cqgc|qior Jakac\mgr. In: O Eqamist^r 21 (1997), 301–325. Dies., Bakjamij^ pokuckyss_a stgm autojqatoq_a tym Axbo}qcym tom 18o jai 19o ai~ma. 8ma cogteutij| vaim|lemo jai oi dusjok_er tym ehmij~m istoqiocqavi~m. In: Dies., Maria Christina Chatziioannou (Hrsg.), Diaspoq\, D_jtua, Diavytisl|r. Athen 2005, 17–32. Dies., Namadiab\fomtar to epistok\qio tou Dglgtq_ou D\qbaqg. In: Lesaiymij\ jai m]a ekkgmij\ 8 (2006), 169–180. 76 Vasiliki Seirinidou, Griechen in Wien im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Soziale Identitäten im Alltag. In: Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich 12 (1997), 7–28. Dies., G ecjat\stasg tym Ekk^mym stg Bi]mmg (1780–1820): oqc\mysg tou w~qou jai taut|tgter. In: O ´ Euqyekkgmij|r j|slor am\lesa stgm Amatok^ jai tg D}sg. 1453–1981. Pqajtij\ tou A pazjo} Sumedq_ou Meoekkgmij~m Spoud~m. Beqok_mo, 2–4 Ojtybq_ou 1998. Bd. 2, Athen 1999, 237–245. Dies., Joslopokitisl|r, lomaqw_a jai pokuehmij^ pqaclatij|tgta. G Bi]mmg tym Ekk^mym jai tou Q^ca. In: Lm^lym 21 (1999), 189–200. Dies., Bakj\mioi ]lpoqoi stgm Axbouqcij^ Lomaqw_a (18or-l]sa 19ou ai~ma). Ehmotij]r taut|tgter jai eqeumgtij]r algwam_er. In: Maria A. Stasinopoulou, Maria Christina Chatziioannou (Hrsg.), Diaspoq\, D_jtua, Diavytisl|r. Athen 2005, 53–82. Dies., »Griechischer Handelsmann«. Dies., Grocers and wholesalers, Ottomans and Habsburgs, foreigners and ›our own‹: the Greek trade diasporas in Central Europe, seventeenth to nineteenth centuries. In: Suraiya Faroqhi, Gilles Veinstein (Hrsg.), Merchants in the Ottoman Empire. Paris [u. a.] 2008, 81–95. Dies., The »old« diaspora, the »new« diaspora, and the Greek diaspora in the eighteenth through nineteenth centuries Vienna. In: Minna Rozen (Hrsg.), Homelands and diasporas. Greeks, Jews and their migrations. London 2008, 155–159, 368–371. Dies., When the Turk is a Greek Orthodox and the Vlach a native Austrian. Dies., Pokitislij]r letavoq]r jai ekkgmij]r paqoij_er. M]er amacm~seir liar paki\r istoq_ar le avoql^ to paq\deicla tou Dgl^tqiou D\qbaqg. In: Lm^lym 31 (2010), 9–29. Dies., G ekkgmij^ paqoij_a tgr Bi]mmgr, 18or-pq~to lis| 19ou ai~ma: lia lajedomij^ istoq_a. In: Ioannis S. Koliopoulos, Iakovos D. Michailidis (Hrsg.), Oi Lajed|mer stg diaspoq\. 17or, 18or jai 19or ai~mar. Thessaloniki 2011, 133– 153. Dies., The enlightenments within the enlightenment. Balkan scholarly production and communication in the Habsburg Empire as seen through an early nineteenth-century private library catalogue. In: Harald Heppner, Eva Posch (Hrsg.), Encounters in Europe’s Southeast. The Habsburg Empire and the orthodox world in the eighteenth and nineteenth centuries. Bonn 2012, 175–189. 77 Vasiliki Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 1780–1850. (Dissertation) Athen 2002. 78 Vaso Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg (18or-l]sa 19ou ai~ma). Athen 2011.

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Einleitung

ches und neues Griechentum (J]mtqom Eqe}mgr tou Lesaiymijo} jai M]ou Ekkgmislo}) der Akademie Athen zur Verfügung standen. Bei den Hauptquellen der Arbeit handelt es sich um die Testamente und Verlassenschaftsabhandlungen von Griechen aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv der Jahre 1780–1850. Somit reicht diese Arbeit nur bis 1850 und behandelt die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht. Die neueren Aufsätze von Stassinopoulou hingegen befassen sich auch mit dieser Zeitperiode und bieten erstmals auch Erkenntnisse auf Basis der Quellen aus den neugeordneten Archiven der Gemeinden.79 Nachdem die älteren Arbeiten griechischer Historiker vor allem das Griechentum der balkanorthodoxen Kaufleute in Wien hervorgehoben hatten, schlägt das Pendel bei den rezenten Veröffentlichungen von David Do PaÅo80 in die Gegenrichtung aus, indem die osmanische Identität dieser Kaufleute unabhängig von der Konfession überbetont wird. Diese Interpretation beruht auf einem zum Teil methodologisch problematischen Umgang mit den Quellen und 79 Maria A. Stasinopoulou, Aqweiaj]r pgc]r cia tgm istoq_a tgr joim|tgtar tgr Ac_ar Tqi\dar tgr Bi]mmgr. Dies., Diplomatischer Alltag im 19. Jahrhundert: Markos Dragoumis und Ioannis Gennadios in Wien. In: Klaus Belke, Ewald Kislinger, Andreas Külzer, Dies. (Hrsg.), Byzantina Mediterranea. Festschrift für Johannes Koder zum 65. Geburtstag. Wien-Köln 2007, 617–631. Olga Katsiardi-Hering, Dies., The long 18th century of Greek commerce in the Habsburg Empire. Social careers. in: Harald Heppner, Peter Urbanitsch, Renate Zedlinger (Hrsg.), Social change in the Habsburg Monarchy. Bochum 2011, 191–213. Dies., Habe nun Philologie studiert, und dann? Philologische Karrieren und Diaspora-Schulen am Beispiel des Eugen Zomarides. In: Sje}or eir til^m. Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum der Bischofsweihe und 20-jährigen Jubiläum der Inthronisation zum Metropoliten von Austria und Exarchen von Ungarn und Mitteleuropa Dr. Michael Staikos. Athen 2011, 787–794. Dies., Trading places. Cultural transfer trajectories among Southeast European migrants in the Habsburg Empire. In: Harald Heppner, Eva Posch (Hrsg.), Encounters in Europe’s Southeast. The Habsburg Empire and the orthodox world in the eighteenth and nineteenth centuries. Bochum 2012, 163–174. Dies., Der Mysteriensekretär und die Silberabgabe. Eine Miszelle zu Thomas Chabert (1766–1841) als Griechisch-Deutsch Übersetzer. In: M#rta Csire, Erika Erlinghaben, Zsuzsa G#ti, Brigitta Pesti, Wolfgang Müller-Funk (Hrsg.), Ein Land mit Eigenschaften: Sprache, Literatur und Kultur in Ungarn in transnationalen Kontexten. Zentraleuropäische Studien für Andrea Seidler. Wien 2015, 89–94.. Dies., Endowments as an instrument of integration and memory in an urban environment: The Panadi building in Vienna. In: Olga Katsiardi-Hering, dies. (Hrsg.), Across the Danube: Southeastern Europeans and their travelling identities (17th–19th C.). Leiden 2017, 171–190. 80 David Do PaÅo, Institutionnaliser la coexistence religieuse? »Turcs et sujets turcs de Vienne«, dans la seconde moiti8 du XVIIIe siHcle. In: David Do PaÅo, Mathilde Monge, Laurent Tatarenko (Hrsg.), Des religions dans la ville. Ressorts et strat8gies de coexistence dans l’Europe des XVIe–XVIIIe siHcles. Rennes 2010, 143–164. Ders., Le marchand grec existe-t-il? Remarques sur les repr8sentations collectives et les identit8s des m8tiers viennois dans le Kaufruf de Johann Christian Brand de 1775. In: Christine Lebeau, Wolfgang Schmale (Hrsg.), Images en capitale: Vienne, fin XVIIe-d8but XIXe siHcles. Bochum 2011, 53–72. Ders., Identit8 politique et grand commerce des marchands ottomans / Vienne, 1739–1792. In: M8langes de l’Pcole franÅaise de Rome – Italie et M8diterran8e modernes et contemporaines 125 (2013), URL: http://mefrim.revues.org/1258. Ders., L’Orient / Vienne au dix-huitiHme siHcle. Oxford 2015.

Transliteration und Übersetzung

35

ignoriert die Tatsache, dass viele dieser Kaufleute die österreichische Staatsangehörigkeit angenommen hatten. In jüngster Zeit lieferte das Forschungsprojekt »Soziales Engagement in den Wiener griechischen Gemeinden (18.–20. Jh)« unter der Leitung von Maria A. Stassinopoulou und der Mitarbeit von Nathalie Soursos und Stefano Saracino,81 in dem die zahlreichen Stiftungen der Wiener Griechen erstmals systematisch ausgewertet wurden, eine Vielzahl interessanter neuer Forschungsergebnisse.82

6.

Transliteration und Übersetzung

Die möglichst einheitliche Wiedergabe der in den Quellen – seien sie in griechischer oder deutscher Sprache verfasst –, vorkommenden griechischen Eigennamen in dieser Arbeit stellte ein nur unzureichend zu lösendes Problem dar. Die eingedeutschten Namensformen in den Quellen weichen von den griechischen zum Teil beträchtlich ab; hinzu kommt die Schwierigkeit, dass der Name ein und derselben Person im 18. und 19. Jahrhundert häufig in mehreren unterschiedlichen Versionen begegnet. Aus Gründen der Lesbarkeit habe ich mich entschieden, die Personennamen durchgängig in der am häufigsten verwendeten deutschen Schreibweise wiederzugeben, wobei bei der ersten Nennung eines Namens die griechische Form (sofern bekannt) in Klammer angeführt wird. Die Entscheidung für die Verwendung einer bestimmten Namensform fiel nicht immer leicht und in manchen Fällen wurde auch eine Transliteration der griechischen Form (nach ISO 843) verwendet. Das Namensregister am Ende des Buches verzeichnet alle im Buch (Text und Editionsteil) vorkommenden Per81 FWF-Projekt AP2714021 vom 1. November 2014 bis 31. Oktober 2017. 82 Stefano Saracino, Nathalie Patricia Soursos, Maria A. Stassinopoulou, Liste der Stifterinnen und Stifter der griechischen Gemeinden zum Hl. Georg und zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien (1769–1918), 2016. URL: wienergriechen.univie.ac.at/liste-der-stifterinnen-und-stifter/. Stefano Saracino, Witwen als Stifterinnen in den Wiener griechischen Gemeinden während des 19. Jahrhunderts. In: Archiv für Kulturgeschichte 98/2 (2016), 315–358. Nathalie Patricia Soursos, Anna Ransmayr, Akteure im Dazwischen. Griechisch-orthodoxe Stifterinnen und Stifter zwischen Wien und dem Osmanischen Reich (1750–1918). In: Administory 2 (2017), 94–117. Nathalie Patricia Soursos, Die Stiftungsbetten der Wiener Griechen für das Allgemeine Krankenhaus und das Spital der Barmherzigen Brüder. In: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 16 (2017), 169–191. Nathalie Patricia Soursos, Financial management of donations, foundations and endowments in the Greek Communities in Vienna (1800–1918). In: Endowment Studies 2 (2018) (in Vorbereitung). Stefano Saracino, Charity accross far distances: The foundations for Ioannina administered by the Greek communities of Vienna (1769–1918). In: The Historical Review/La Revue Historique 14 (2017) (in Vorbereitung). Ders., »Acatholic« foundations: The emergence of charitable endowments in the Greek-Orthodox and Protestant Communities of Vienna (18th century). In: Endowment Studies 2 (2018) (in Vorbereitung).

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Einleitung

sonennamen. Bei Personen, deren Namen in vielen Varianten begegnen, verweist die im Register verwendete Form häufig auf eine andere Schreibweise im Text. Alternative Schreibweisen werden im Register nur bei deutlicher Abweichung angeführt. Ansonsten folgt die Transliteration von Eigennamen in griechischer Sprache, für die keine deutsche Form existiert, der Transliterationstabelle nach ISO 843 aus dem Jahr 1997, bei der es sich um einen Kompromiss zwischen einer Wiedergabe der Buchstaben entsprechend der historischen Orthographie und der modernen Aussprache handelt. Dies gilt sowohl für griechische Eigennamen aus den Quellen als auch aus den bibliographischen Angaben. Die Haupttitel wurden in den bibliographischen Angaben in griechischer Schrift beibehalten. Griechische Zitate werden im Haupttext übersetzt; bei längeren Zitaten findet sich das Original in einer Fußnote. Grundsätzlich werden griechische Texte im Einakzentsystem wiedergegeben. Nur bei Zitaten aus unveröffentlichten Quellen wurde das polytonische System beibehalten. Bei der Zitierung der Archivquellen wurde soweit möglich das Datum sowie eine kurze Inhaltsbeschreibung der Dokumente angefügt, die sich zum Teil an der Betitelung der Dokumente orientiert. Es handelt sich dabei aber nicht um genaue Zitate, sondern um eine verkürzte Wiedergabe in moderner deutscher Orthographie.

1.

Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg vom Friedensvertrag von Karlowitz bis zum josephinischen Toleranzpatent (1699–1781)

1.1. Die Kapelle zum Hl. Georg in der Zeit vor dem mariatheresianischen Privilegium des Jahres 1776 1.1.1. Die Anwesenheit orthodoxer Händler in Wien nach 1683 Die Präsenz orthodoxer Bevölkerungsgruppen in Wien seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts steht in Verbindung mit dem Ausgang des 5. und 6. Österreichischen Türkenkriegs (1683–1699 und 1714–1718) und den Friedensschlüssen von Karlowitz (1699)83 und Passarowitz (1718).84 Artikel 14 des Friedensvertrags von Karlowitz85 sowie Artikel 13 des Friedensvertrags von Passarowitz86 regelten, dass die Untertanen des Österreichischen bzw. Osmanischen Reiches auf dem Territorium des jeweils anderen Staates Handelsfreiheit genossen. In der Folge des Friedensvertrages von Passarowitz wurde am 27. Juli 1718 ein Handelsvertrag abgeschlossen,87 in dem diese Bestimmung näher definiert wurde.88 Er garantierte die gegenseitige 83 Mjnika F. Moln#r, Der Friede von Karlowitz und das Osmanische Reich. In: Arno Strohmeyer, Norbert Spannenberger (Hrsg.), Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen. Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2013, 197–220. 84 Auf der Internetseite www.ieg-friedensvertraege.de des Forschungsprojekts Europäische Friedensverträge der Vormoderne online des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte (IEG) sind die Vertragstexte der Friedensverträge in digitalisierter Form einsehbar. 85 Edition des Vertragstextes in deutscher Sprache in: Theatri Europaei Continuati Funffzehender Theil. Das ist: Abermalige außführliche Fortsetzung denck- und merckwürdigster Geschichten, welche ihrer gewöhnlichen Eintheilung nach an verschiedenen Orten durch Europa, wie auch in denen übrigen Welt-Theilen vom Jahr 1696 an biß zu Ende dieses Seculi 1700 sich begeben und zugetragen. Frankfurt am Main 1707, 518–523. 86 Edition des Vertragstextes in deutscher und lateinischer Sprache in: Johann Christian Lünig, Das Teutsche Reichs-Archiv. Bd. 4: Partis Generalis, oder Corporis Juris Publici RomanoGermanici Continuatio II. Leipzig 1720, 917–932. 87 Edition des Vertragstextes ebd., 932–940. 88 Jovan Pesˇalj, Making a prosperous peace: Habsburg diplomacy and economic policy at

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Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg (1699–1781)

Handelsfreiheit zu Wasser und zu Lande zu einem privilegierten Zoll von 3 %. Dies ebnete den Weg für die Handelsaktivitäten osmanischer Untertanen in der Habsburgermonarchie, bei denen es sich hauptsächlich um orthodoxe Christen handelte.89

1.1.2. Die ersten orthodoxen Gottesdienststätten in Wien Bereits in der Zeit vor dem josephinischen Toleranzedikt von 1781 existierten in Wien mehrere orthodoxe Gottesdienststätten. Ihre Geschichte reicht bis in die Zeit der ersten Präsenz von Orthodoxen in Wien nach dem Ende der Zweiten Türkenbelagerung 1683 zurück. Während der Verhandlungen über den Frieden von Karlowitz soll sich eine private Kapelle im Haus des osmanischen Gesandten Alexandros Mavrokordatos befunden haben.90 Der Phanariot Mavrokordatos war als Dragoman der Hohen Pforte wesentlich an den Verhandlungen zum Friedensvertrag von Karlowitz beteiligt und hielt sich von 1688–1692 und von 1698–1699 in Wien auf.91 Weiters existierte auch im Haus der wallachischen Prinzen Radu und Constantin Cantacuzino eine 1683 von Serban Cantacuzino gegründete Privatkapelle.92 Zudem gab es ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine russische Gesandtschaftskapelle. Die Tatsache, dass es sich bei diesen ersten Gottesdienststätten der Orthodoxen in Wien um Gesandtschaftskapellen handelte, erscheint nicht ungewöhnlich. In der Zeit vor den Toleranzedikten waren Gesandtschaftskapellen auch für die in Wien lebenden Protestanten die einzige Möglichkeit, den Gottesdienst zu besuchen.93

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90 91 92 93

Passarowitz. In: Charles Ingrao, Nikola Samardzˇic´, Jovan Pesˇalj (Hrsg.), The peace of Passarowitz, 1718. West Lafayette, Ind. 2011, 141–157. Harald Heppner, Daniela Schanes, The impact of the treaty of Passarowitz on the Habsburg monarchy. In: Charles Ingrao, Nikola Samardzˇic´, Jovan Pesˇalj (Hrsg.), The peace of Passarowitz, 1718. West Lafayette, Ind. 2011, 53–62, hier 56. Zum Beginn von Handelsaktivitäten griechischer Händler in der Habsburgermonarchie nach dem Frieden von Passarowitz siehe auch: Zacharias N. Tsirpanlis, G »sosiet\ tym Cqaij~m« stgm autojqatoq_a tym Axbo}qcym (1720). In: Dyd~mg 3 (1974), 153–171. Tsigaras, O ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 191. Nestor Camariano, Alexandre Mavrocordato, le grand drogman. Son activit8 diplomatique 1673–1709. Thessaloniki 1970. Charalambos Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727 sur le conflit hellHno-serbe concernant la chapelle grecque / Vienne. In: Balkan Studies 24 (1983), 581–607, hier 584. Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 69–70. Der Besuch des Gottesdienstes war eigentlich nur auf die Angehörigen der Gesandtschaften beschränkt, doch fanden sich unter den Gottesdienstbesuchern mehrere weitere Personen, so auch die ausländischen Niederleger. Grete Mecenseffy, Hermann Rassl, Die evangelischen Kirchen Wiens. Wien [u. a.] 1980, 49. Die Messe wurde in der dänischen und der schwedi-

Zeit vor dem mariatheresianischen Privilegium 1776

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Im Zusammenhang mit der Gesandtschaftskapelle im Haus von Alexandros Mavrokordatos heißt es bei Hammer-Purgstall, dieser habe die Erlaubnis zur Religionsausübung in Form eines Privilegiums von Leopold I. erhalten (sogenanntes Privilegium Leopoldinum).94 Nähere Informationen über dieses angebliche Privilegium Leopoldinum besitzen wir nicht.95 Der Direktor der Griechischen Nationalschule Theagenes Livadas bat im Zuge seiner Recherchen für eine Ausgabe der Briefe von Alexandros Mavrokordatos96 1878 um Bewilligung der Einsichtnahme in das »die griech. Capelle am Fleischmarkt betreffende, angeblich aus den Jahren 1689–1699 stammende Privilegium Leopoldinum« und bekam die Antwort, dass ein solches Dokument nicht auffindbar sei.97 Jedenfalls war die Gesandtschaftskapelle Mavrokordatos’ offenbar der Vorgänger der Kapelle zum Hl. Georg. Leider gibt es keine genaueren Informationen über den Bestand dieser ersten Kapelle bzw. darüber, was nach Mavrokordatos’ Rückkehr nach Konstantinopel mit ihr geschah.98 Einer Quelle aus dem Jahr 1761 zufolge überließ Mavrokordatos nach seiner Abreise aus Wien sowohl die Kirchengerätschaften als auch seinen Geistlichen Gabriel als Kapellpfarrer der jungen hiesigen orthodoxen Gemeinde.99 Auch wenn über zwanzig Jahre zwischen der Abreise Mavrokordatos’ aus Wien und den ersten Zeugnissen über die Georgskapelle liegen, sind diese Aussagen glaubwürdig, da in einer Quelle der Jahre 1725–27 vom Priester Gabriel als »dem Greis« die Rede ist.100 Die Quellenlage zu den Anfängen der Kapelle zum Hl. Georg ist generell dürftig und in der Sekundärliteratur finden sich viele widersprüchliche Aussagen. Die verschiedenen Versionen der Darstellung des Entstehungsprozesses

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schen Gesandtschaftskapelle nach dem Augsburger Bekenntnis und in der holländischen nach dem Helvetischen Bekenntnis zelebriert. Hermann Rippel, Die holländische Gesandtschaftskapelle als Vorgängerin der reformierten Gemeinde in Wien. In: Peter Karner (Hrsg.), Die evangelische Gemeinde H.B. in Wien. Wien 1986, 27–45. Joseph von Hammer-Purgstall, Geschichte des Osmanischen Reiches grossentheils aus bisher unbenützten Handschriften und Archiven. 8. Band vom Belgrader Frieden bis zum Frieden von Kainardsche. 1739–1774. Pest 1832, 581. Laut Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 21 und 30; wurden die ersten Privilegien für griechische Kaufleute in Wien 1685 von Leopold I. erlassen, er nennt jedoch seine Quellen dafür nicht. Siehe auch Tsigaras, O ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou Bi]mmgr, 190, Anm. 18. Theagenes Livadas, Aken\mdqou Lauqojoqd\tou tou En apoqq^tym Epistoka_ Q$. Triest 1879. AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 17. In der Literatur finden sich dazu widersprüchliche Angaben, die Tsigaras, O ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 33–36 zusammenfasst. AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. Vollständig wiedergegeben in Editionsteil Nr. 1. Ich danke Stefano Saracino, der diese wichtige Quelle im Haus-, Hof- und Staatsarchiv entdeckte und mich darauf aufmerksam machte. Siehe auch Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 7. Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727, 588.

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Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg (1699–1781)

stehen teils im Zusammenhang mit nachträglichen Interessenslagen der Konfliktparteien im Streit zwischen griechischen Handelsleuten und serbischem Klerus um die Kontrolle über die Georgskapelle. Dieser Konflikt zog sich über Jahrzehnte hin, bis er im Jahr 1776 durch ein von Maria Theresia verliehenes Privilegium endgültig zugunsten der griechischen Handelsleute entschieden wurde.

1.1.3. Die orthodoxen Serben in Österreich Auf der einen Seite der Konfliktparteien standen Vertreter der serbischen Geistlichkeit in Wien. Diese waren im Gegensatz zu den ausländischen Kaufleuten aus dem Osmanischen Reich österreichische Untertanen. Nachdem die Österreicher das osmanische Heer 1683 vor Wien geschlagen hatten und die Osmanen in den folgenden Jahren aus Ungarn vertrieben worden waren, stießen die habsburgischen Truppen immer weiter nach Süden vor, wobei sie durch einen Aufstand von Serben unterstützt wurden. Als sich das österreichische Heer jedoch wieder zurückziehen musste, wurden die Serben, die sich auf die österreichische Seite gestellt hatten, zur Flucht gezwungen. So übersiedelten im Jahr 1690 mehrere zehntausend Serben unter der Führung des Erzbischofs von Pec´ Arsenije III. Crnojevic´ auf den Boden der Habsburgermonarchie, was als die so genannte »Große Wanderung« der Serben in die Geschichte einging.101 Dies bedeutete einen ersten Schritt auf dem Weg zur Rekolonisierung der durch die Kriege entvölkerten Gebiete Ungarns und der Vojvodina.102 Kaiser Leopold I. verlieh diesen Serben am 21. August 1690 ein Privilegium, das ihnen die freie Religionsausübung gemäß dem Ritual der griechisch-orientalischen Kirche nach dem julianischen Kalender und die freie Wahl eines Erzbischofs »ex natione et lingua Rasciana« garantierte, welcher die Jurisdiktion über alle Kirchen des griechischen Ritus (Weihe der Bischöfe, etc.) ausüben sollte.103 Somit handelte es sich um die erstmalige Anerkennung orthodoxer Religionsausübung in der Habsburgermonarchie. 101 Noel Malcolm, The »Great Migration« of the Serbs from Kosovo (1690): History, myth and ideology. In: Oliver Jens Schmitt, Eva Anne Frantz (Hrsg.), Albanische Geschichte. Stand und Perspektiven der Forschung. München 2009, 225–251. Walter Lukan, Velika seoba srba. Der große Serbenzug des Jahres 1690 ins Habsburgerreich. In: Österreichische Osthefte 33 (1991), 35–50. 102 Stoianovich, The conquering Balkan orthodox merchant, 264. 103 Josef Jirecˇek, Die serbischen Privilegien, Verhandlungs-Congresse und Synoden. In: Österreichische Revue 2 (1864), Nr. 7, 1–12 und Nr. 8, 49–62, 5–6. Eine Edition des Originalprivilegiums in lateinischer Sprache in: Karl v. Czoernig, Ethnographie der österreichischen Monarchie. Bd. 3, Wien 1857, Beilagen 70–71.

Zeit vor dem mariatheresianischen Privilegium 1776

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Auf österreichischem Boden wurde die Metropolie von Karlowitz (heute Sremski Karlovci in Serbien)104 gegründet, die für alle orthodoxen Einwohner der Monarchie zuständig war. Bis 1864105 war sie die einzige griechisch nicht unierte Metropolie (1848 zum Patriarchat erhoben106) in Österreich und aufgrund der historischen Entwicklungen de facto autokephal,107 was sich auch auf das Interesse des österreichischen Staates, Einfluss von außen – also vonseiten der Hohen Pforte – auf die orthodoxe Bevölkerung möglichst zu unterbinden, zurückführen ließ.

1.1.4. Die Anfänge der Georgskapelle und der Streit Trapezountios-Petrovic´ Nach dem Bericht des k.k. Zensors für slawische Sprachen und Priesters Athanasius Szekeres (Atanasije Demetrovic´ Sekeresˇ)108 besagte die spätere Überlieferung, dass den griechischen Händlern zur Begünstigung des Handels die Religionsausübung nebst einem ausschließlichen jus patronatus nach dem Friedensschluss von Passarowitz (1718) förmlich eingeräumt worden sei. Weiters gab Szekeres an, dass bis 1760 kein Eingriff in dieses jus patronatus stattgefunden habe.109 Tatsächlich scheint es aber schon seit dem ersten Bestehen der Kapelle zum Hl. Georg zu Konflikten in Bezug auf die Kontrolle über die Kapelle gekommen zu sein. Es ist plausibel, dass die Kapelle nach 1718 mit den von Mavrokordatos zurückgelassenen Kirchengerätschaften eingerichtet wurde. Allerdings ist nicht 104 Zu den verschiedenen Ansichten über den genauen Zeitpunkt der Gründung zwischen 1708 und 1710: Tarnanidis, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 26–53. 105 Im Jahr 1864 wurde die Metropolie von Sibiu/Hermannstadt gegründet, im Jahr 1873 die Metropolie von Czernowitz. Siehe den Artikel »Autokephalie« in: Edgar Hösch, Karl Nehring, Holm Sundhaussen (Hrsg.), Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Wien [u. a.] 2004, 77. 106 Thomas M. N8meth, Die orthodoxe Kirche in der Habsburgermonarchie. Geschichte und Strukturen. In: Ostkirchliche Studien 63 (2014), 6–19, hier 10. 107 Über die Unterordnung des Metropoliten von Karlowitz unter den im Osmanischen Reich befindlichen Erzbischof von Pec´ bzw. die Frage, ob die Funktion des letzteren durch die »große Wanderung« auf die österreichische Metropolie von Karlowitz übergegangen sei, herrschten unterschiedliche Ansichten. Die Frage wurde schließlich 1766 mit der Auflösung des Erzbistums Pec´ im Osmanischen Reich obsolet. Tarnanides, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 26–53. 108 Vladimir Simic´, Orphelins Kalligraphie. Reformen des Schulwesens und serbische Gesellschaft in der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts. In: Agnieszka Pufelska, Iwan Michelangelo D’Aprile (Hrsg.), Aufklärung und Kulturtransfer in Mittel- und Osteuropa. Hannover 2009, 135–166, hier 154. 109 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend.

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Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg (1699–1781)

nachvollziehbar, ab welchem Zeitpunkt die Bruderschaft zum Hl. Georg, die für den Erhalt der Kapelle zuständig war, existierte.110 Kaiser Karl VI. soll dank der Fürsprache von Prinz Eugen von Savoyen den griechischen Händlern aus dem Osmanischen Reich im Jahr 1723 ein Privileg zur freien Religionsausübung in ihrer Kapelle verliehen haben, das allerdings im Zuge der späteren Konflikte zwischen Griechen und Serben vom serbischen Metropoliten Pavle Nenadovic´ in böswilliger Weise entwendet worden sei.111 Während also die Existenz einer organisierten Bruderschaft der griechischen Händler zu diesem Zeitpunkt unklar ist, lässt sich die Initiative zur Gründung der Kapelle eindeutig auf zwei Einzelpersonen zurückführen, nämlich auf die beiden Griechen Georgios Trapezountios und Demetrios Paraskowitz112. Aus den ältesten im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg erhaltenenen datierten Rechnungen, die aus den Jahren 1725–1727 stammen, geht hervor, dass »die Herren Demetrio Parascowitz und Georg Trapesunzio«113 ein Zimmer angemietet hatten, für das sie jährlich 80 Gulden Miete bezahlten.114 Im selben Zeitraum lieferte sich Georgios Trapezountios115 (Hypomenas116) 110 Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 30. 111 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 7 und 20. 112 Nach Katsiardi-Hering, Tewm_ter jai tewmij]r bav^r mgl\tym, 112, Anm. 61; handelte es sich bei ihm um den Vater von Konstantinos und Anastasios Paraskeva aus Ioannina, die 1756 versuchten im Burgenland eine Fabrik zur Rotgarnfärberei zu gründen. Anastasios Paraskeva wandte sich 1783 mit einem Plan zur Eroberung des Osmanischen Reiches an Joseph II., in dem er dem Kaiser seine Hilfe anbot. Ioannis Loukas, Euqypazj]r dum\leir jai bakjamijo_ kao_. Sw]dia cia apekeuheqytij\ jim^lata. Pqosdoj_er jai pqooptij]r. To »|qala« tou Amast\siou Paqasjeu\ (1783). (Unveröffentlichte Masterarbeit) Athen 2009. 113 Auch Efstratiadis schreibt, dass die Kapelle das sie beschützende kaiserliche Privilegium auf die Bitte der Kaufleute Dimitrios Paraskowitz und Georgios Trapezountios erhalten habe. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 7. 114 AHG, G 48, Fasz. 2. 115 Athanasios E. Karathanasis, Oi 8kkgmer k|cioi stg Bkaw_a (1670–1714). Sulbok^ stg lek]tg tgr ekkgmij^r pmeulatij^r j_mgsgr stir paqadoum\bier gcelom_er jat\ tgm pqovamaqiytij^ peq_odo. Thessaloniki 1982, 201–204; D. Russo, Studii istorice greco-rom.ne. Opere postume. Bd. 1, Bukarest 1939, 317–321; sowie Pqosh^jg tgr ejjkgsiastij^r istoq_ar Leket_ou lgtqopok_tou Ahgm~m. Pqor enajoko}hgsim tym \kkym tqi~m T|lym. Eqamishe_sa let\ lec\kgr pqosow^r jai epil]keiar ej diav|qym aniok|cym succqav]ym euqisjol]mym em tg peqiv^ly J. B. Bibkioh^jg tgr Bi]mmgr eir tgm apk^m gl~m Di\kejtom paq\ Ceyqc_ou Bemd|tg tou ej Faj}mhou. Mum pq~tom t}poir ejdohe_sa epitac^ lem jai daxike_ dap\mg tou Uxgkot\tou, Eusebest\tou jai Cakgmot\tou Pq_cjipor jai Gcel|mor p\sgr Ouccqobkaw_ar Juq_ou Juq_ou Aken\mdqou Jymstamt_mou Loqo}fg Boeb|da. Yi jai pqosevym^hg. Epistas_a de jai ajqibe_ epileke_a Pokuf~g Kalpamitfi~tg tou en Iyamm_mym. T|lor D4. Peqi]wym ta em tg Ejjkgs_a Sulb\mta ap| tour wik_our eptajos_our wq|mour tgr tou Wqisto} Cemm^seyr \wqi tgr S^leqom. Dgk. |kou tou paq|mtor ai~mor. Wien 1795, 142; wo es heißt: »O}tor gm a_tior em Bi]mmg jai oi oqh|donoi Amatokijo_ ]kabom \deiam ma ]wysim ]ma o_jom pqoseujt^qiom, ^coum Jap]kam.« [»Dieser war dafür verantwortlich, dass

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eine heftige Auseinandersetzung mit dem Metropoliten von Belgrad Mojisije Petrovic´ über die Kapelle.117 Mojisije Petrovic´ war von 1718 bis 1726 Metropolit von Belgrad, das seit dem Frieden von Passarowitz 1718 zu Österreich gehörte. 1726 wurde die Metropolie von Belgrad mit jener von Karlowitz zusammengelegt; Petrovic´ fungierte bis 1730 als Metropolit der vereinigten Metropolie.118 Abgesehen von einer offenbar ausgeprägten persönlichen Antipathie zwischen den beiden Protagonisten des Streits, kreiste der Konflikt um die Frage, ob es dem Metropoliten zustehe, die Jurisdiktion über die Kapelle auszuüben. Dabei ging es zum einen um die Kontrolle über die Finanzen, zum anderen um die Entscheidung über die Bestellung der Priester. Letzteres war insofern von Bedeutung, als die Herkunft des Priesters und seine jeweiligen Sprachkenntnisse entscheidend dafür waren, in welcher Sprache die Liturgie abgehalten wurde. Die in dieser Frage gegensätzlichen Ansichten der Konfliktparteien zeigen erstmals den inneren Widerspruch in der Definition der Gemeinde zum Hl. Georg auf, der sie bis 1918 begleiten sollte. Da es sich um eine orthodoxe Gottesdienststätte auf österreichischem Boden handle, war man auf Seiten der serbischen Geistlichkeit der Ansicht, dass, – auch entsprechend den leopoldinischen Privilegien von 1690 – der serbische Erzbischof (von Belgrad bzw. Karlowitz) der zuständige Oberhirte sei. Trapezountios hingegen vertrat die Meinung, dass der serbische Erzbischof kein Recht auf Einmischung habe, da die Kapelle mit finanziellen Mitteln der griechischen Händler gegründet worden sei und es sich bei ihnen nicht um österreichische, sondern um osmanische Untertanen handle. Über den Verlauf dieses Streits gibt ein von Papastathis ediertes Dokument aus dem Archiv des Erzbistums von Karlowitz Auskunft.119 Es handelt sich dabei um eine Art Protokoll, das gegen Petrovic´ gerichtete Aussagen und Handlungen von Trapezountios und Paraskowitz wiedergibt, und mit einem nachträglichen Seitenkommentar von Petrovic´ selbst versehen ist. Dort finden sich vor allem vielfältige von Trapezountios geäußerte Beschimpfungen, die sich zum einen gegen Petrovic´ richten, den er immer wieder als ungebildeten Barbaren bezeichnet, sowie zum anderen gegen die Slawen (Serben und Bulgaren) im Allgemeinen. Weiters war Trapezountios über die Konkurrenz durch die offenbar vom Metropoliten unterstützte Kapelle von Radu und Constantin Cantacuzino verärgert. Beide Seiten bezichtigten sich gegenseitig der Kirchenunion. Es entbehrt nicht einer gewissen Unaufrichtigkeit vonseiten Trapezountios’, dass er

116 117 118 119

in Wien auch die orthodoxen Orientalen die Erlaubnis für ein Bethaus, also eine Kapelle, bekamen.« Übers. d. Autorin] Die Identifizierung erfolgte durch Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727, 584. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 7. Tarnanidis, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 49. Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727.

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den Metropoliten und die Cantacuzinos als Papisten bezeichnete,120 während er selber sich mehrmals auf den Schutz durch den katholischen Erzbischof von Wien Kardinal Kollonitz berief. Tatsächlich setzte Trapezountios in seinen Bemühungen, die Einmischung von Petrovic´ in die Angelegenheiten der Kapelle zu verhindern, ganz auf österreichische Autoritäten. So gab er an, er sei nur dem Kaiser, Prinz Eugen und dem Erzbischof von Wien Kollonitz, die ihm die Erlaubnis für die Kapelle erteilt hätten, Rechenschaft schuldig.121 Gleichzeitig beschuldigte er Petrovic´ im Bunde mit den Russen zu stehen.122 Die Strategie, sich der Unterstützung durch österreichische Behörden zu versichern, um sich als osmanische Untertanen vor dem Zugriff einer serbischen orthodoxen Kirchenobrigkeit auf österreichischem Territorium zu schützen, wurde auch in späteren Phasen der Geschichte der Gemeinde zum Hl. Georg angewandt. So äußerte Trapezountios gegenüber dem Priester der Kapelle mehrmals, keine Erlaubnis vom serbischen Erzbischof zu benötigen, denn er werde ihm von anderer Seite die Erlaubnis bringen.123 Genau in diesem Zusammenhang ist auch jenes Dokument entstanden, bei dem es sich um die älteste erhaltene urkundliche Erwähnung der Kapelle zum Hl. Georg handelt. Über den genauen Inhalt des oben erwähnten Privilegiums Karls VI. von 1723 lässt sich hingegen nur spekulieren. Jedenfalls wandte sich Trapezountios im Zuge der Streitigkeiten mit Petrovic´ an den Hofkriegsratssekretär Rechcron124, der – wie aus dem von Papastathis edierten Dokument hervorgeht – ein wichtiger Kontaktmann für die osmanischen Untertanen war. So heißt es in dem Protokoll mit Datum des 23. Juni 1726, Trapezountios habe nun einen Bescheid (veql\mi) erwirkt, der die Einmischung des Metropoliten von Belgrad in die Angelegenheiten seiner Kirche verbiete.125 Dabei handelt es sich um den von Rechcron unterzeichneten Bescheid des Hofkriegsrates126 aus dem Jahr 1726,127 dessen Text folgendermaßen lautet: 120 121 122 123 124

Ebd., 596. Ebd., 588. Ebd., 602. Ebd., 594–595, 597. Joseph Ferdinand Rechberger von Rechcron war Sekretär des Hofkriegsrates. Leopolds des Grossen Röm. Kaysers wunderwürdiges Leben und Thaten aus geheimen nachrichten eröffnet und in vier theile getheilet aufs neue gedruckt und um vieles vermehret. Köln 1713, 232. 125 Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727, 594. 126 Der Fürsprecher der griechisch-orthodoxen osmanischen Untertanen Prinz Eugen von Savoyen war von 1703 bis zu seinem Tod 1736 Präsident des Hofkriegsrates. 127 Der Bescheid befindet sich im Österreichischen Staatsarchiv (Kriegsarchiv) in einem Protokollbuch des Wiener Hofkriegsrates: AT-OeStA/KA ZSt HKR HR Bücher 581 exp. fol. 844. Der Text wurde von Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 98; ediert, allerdings ist das Datum nicht wie bei Nistor angegeben der 9. Mai, sondern der 9. Juni 1726. Auch Tsigaras, O ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou Bi]mmgr, 34; und Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 32–33;

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»Türckhi: unterthanen und forestiers der Griechi: Religion alhier Bitten umb Manutenenz in puncto exercitii religionis und daß Sie keines weegs hierin fahls möchten beeinträchtiget werden. Beschl: Denen Supplicanten widerumb hinaus zu geben, und lasset man es bey dem exercitio alhier suae religionis, auch als gebräuchiger pflegung ihres gebetts auf arth: und weiß, wie solches Ihnen Allergdst zugestanden worden, ferners bewenden, also das Sie darinen ohngekränckhter Continuiren khönnen, und bey Ihnen beschehend widerigen Zuemuethung es zu erkhantnus: und fürkherung des weitheren anzuzeigen haben. v Rechcron Wienn den 9 t: Junii.«

Abb. 1: Bescheid des Hofkriegsrates vom 9. Juni 1726. Aus: AT-OeStA/KA ZSt HKR HR Bücher 581 exp. fol. 844

zitieren den Text dieser Bestätigung. Die von Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 9; in griechischer Übersetzung und von Koimzoglu, Geschichte der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heil. Georg«, 28; in deutscher Übersetzung zitierte Variante des Textes in italienischer Sprache soll sich laut selbigen sowie Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 33; im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg befinden, ich konnte das Dokument im neugeordneten Archiv jedoch bisher nicht auffinden.

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Der Konflikt wurde schließlich durch ein Machtwort des Ökumenischen Patriarchats zugunsten des Belgrader Erzbischofs im Jahr 1727 vorübergehend beendet.128 Höchstwahrscheinlich hatte der Bischof das Protokoll der Aussagen Trapezountios’ nach Konstantinopel geschickt und sich beim Patriarchen beschwert.129 In der Reaktion des Patriarchen Paisios II. heißt es bezüglich der Streitigkeiten zwischen den christlichen griechischen Händlern (»wqistiamo_ Qyla_oi pqaclateuta_«130) und dem Metropoliten von Belgrad Mojisije Petrovic´, dass jegliche Anschuldigungen gegen letzteren und das serbische Volk (»to seqbij|m c]mor«), Schismatiker oder Unierte und Barbaren zu sein, von Lügnern vorgebrachte Verleumdungen seien.131 Nachdem diejenigen, die diese Verunglimpfungen verbreitet hätten, ihre Äußerungen aber bereits bereut und sich beim Metropoliten entschuldigt hätten, werde ihnen verziehen.132 In Hinkunft sollten sich alle »christlichen Händler auf kaiserlichem Gebiet« dem Metropoliten von Belgrad unterordnen und keine Geistlichen ohne sein Wissen und seine Erlaubnis bestellen dürfen – dies solle allein ihm vorbehalten sein.133 Dem entspricht die Angabe der griechischen Händler aus dem Jahr 1761, dass seit der Zeit des Metropoliten Petrovic´ der Name des serbischen Erzbischofs anstelle des Patriarchen von Konstantinopel in ihrem Gottesdienst genannt worden sei.134 Die Forderung der Bruderschaft der griechischen Händler nach einer weitreichenden kirchlichen Autonomie inklusive des Rechts, den Priester der Kapelle selbst bestellen zu dürfen, wurde vom Ökumenischen Patriarchat als nicht legitim erachtet. Die Rolle der österreichischen Behörden ist in diesem Zusammenhang ambivalent: Einerseits machte man aus wirtschaftspolitischer Räson scheinbar Zugeständnisse an die Griechen – zum Beispiel mit dem Hofkriegsratsbescheid von 1726 –, andererseits war man bis 1776 bemüht, die Kapelle der Jurisdiktion des serbischen Bischofs zu unterstellen bzw. eine gemeinschaftliche Verwaltung der Kapelle durch Serben und Griechen zu erreichen. So kritisierte Paraskowitz den Hofkriegsratssekretär Rechcron, dass er von 128 Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727, 586. Das diesbezügliche Dokument ist abgedruckt in: Kallinikos Delikanis, Patqiaqwij~m eccq\vym t|lor tq_tor ^toi ta em toir j~dini tou patqiaqwijo} aqweiovukaj_ou syf|lema ep_sgla ejjkgsiastij\ ]ccqava ta avoq~mta eir tar sw]seir tou oijoulemijo} patqiaqwe_ou pqor tar ejjkgs_ar Qyss_ar, Bkaw_ar jai Lokdab_ar, Seqb_ar, Awqid~m jai Pej_ou 1564–1863 oir pqost_hetai istoqij^ lek]tg peq_ tgr aqwiepisjop^r Awqid~m. Konstantinopel 1905, 690–698. 129 Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727, 600. 130 Delikanis, Patqiaqwij~m eccq\vym t|lor tq_tor, 692. 131 Ebd., 695. 132 Ebd., 693. 133 Ebd., 697. 134 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle.

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ihm und Trapezountios vorgelegte »Punkte« (po}mjtoi) nicht umsetzen wolle, obwohl er es vorher versprochen habe.135 Man kann vermuten, dass es sich bei diesen »Punkten« um eine Festschreibung der Autonomie der Kapelle handelte. Diese Angelegenheit zeigt, dass die griechischen Händler in ihrer Eigenschaft als osmanische Untertanen sich den übrigen Orthodoxen der Monarchie als nicht zugehörig empfanden. Grund für die Sonderbehandlung der griechischen Händler waren die mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Handelsprivilegien – und somit tritt bereits in den frühen Jahren der orthodoxen Präsenz in Wien die Staatsangehörigkeit als wichtiges Unterscheidungskriterium zur Bestimmung der eigenen Identität in Erscheinung. Welche Rolle der Wiener Erzbischof Kollonitz in der Angelegenheit der freien Religionsausübung der orthodoxen Händler in Wien spielte, ist nicht ganz klar. Nicht nur berief sich Trapezountios immer wieder auf die Unterstützung durch Kollonitz, sondern es gab laut Efstratiadis im Jahr 1831 auch Beschwerden von katholischer Seite über die Existenz der Kapelle, worauf Kollonitz die Kapelle unter seinen Schutz nahm.136 Auf eine Weisung von staatlicher Seite aus wirtschaftspolitischen Gründen scheint dies nicht zurückzugehen, denn im Jahr 1836 beschwerte er sich selbst über die protestantischen Gesandtschaftskapellen,137 die von den ebenfalls wirtschaftlich wichtigen protestantischen Niederlegern besucht wurden. Sigismund von Kollonitz war der Neffe von Leopold Karl von Kollonitz, welcher sich seinerseits stark dafür engagierte, die Serben zur Kirchenunion zu bewegen.138 Möglicherweise stand Kollonitz’ Unterstützung der griechischen Kapelle mit diesen Bestrebungen in Zusammenhang, und die gegenseitigen Beschuldigungen von Trapezountios und Petrovic´, der Union anzuhängen, waren nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. In dieser Frühphase der Kapelle fanden die Gottesdienste angeblich zunächst im Dempfingerhof139 (heute Seitenstettengasse) statt.140 Später übersiedelte die Kapelle in den Steyrerhof; ab wann genau sich die Kapelle dort befand ist jedoch unklar. Im von Papastathis edierten Dokument von 1726–27 ist zwar von einer

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Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727, 606. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r, 9. Rippel, Die holländische Gesandtschaftskapelle, 28. Tarnanides, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 61ff. Dort wurde übrigens später die erste und einzige heute noch bestehende Wiener Synagoge, der Stadttempel, gebaut. Dazu: Nikolaus Vielmetti, 150 Jahre Stadttempel. Bilder und Dokumente. In: Kurt Schubert (Hrsg.), Studia Judaica Austriaca Bd. VI: Der Wiener Stadttempel 1826–1976. Eisenstadt 1978, 91–103, 92–93. Ariel Muzicant, Der Stadttempel. Eine Chronik 1800–1988. In: Der Wiener Stadttempel. Die Wiener Juden. Wien 1988, 103– 110, 105–106. Hans Tietze, Die Juden Wiens. Geschichte, Wirtschaft, Kultur. Wien2 2008, 147. 140 Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 99.

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Zusammenkunft im Steyrerhof die Rede,141 allerdings geht daraus nicht hervor, ob auch die Kapelle bereits dort zu finden war. In dem bei Nistor edierten viel späteren Bericht Blümegens an Joseph II. heißt es, der serbische Metropolit habe 1730 eine Wohnung für die Kapelle im Dempfingerhof angemietet und diese sei sechs Jahre später in den Steyrerhof übersiedelt.142 Dies ist jedoch mit Sicherheit eine nachträglich von serbischer Seite lancierte Fehlinformation, da es nachweislich Trapezountios und Paraskowitz waren, die spätestens ab 1725 ein Zimmer angemietet hatten. Wo sich dieses Zimmer befand, ist den vorhandenen Rechnungen jedoch leider nicht zu entnehmen.143

1.1.5. Fortsetzung der Auseinandersetzungen zwischen Serben und Griechen bis 1776 Wie sich die griechischen Händler nach der Zurechtweisung durch das Ökumenische Patriarchat in Bezug auf ihre Kapelle verhielten, ist unbekannt. Tatsache ist, dass die folgenden Jahrzehnte von einer Fortsetzung der Streitigkeiten zwischen den griechischen Händlern und der serbischen Geistlichkeit gekennzeichnet waren. Die vorhandenen Zeugnisse sind lückenhaft und präsentieren unterschiedliche Versionen, je nachdem, welcher Seite des Konflikts sie zuzurechnen sind. Die Streitparteien scheinen sich zwischenzeitlich immer wieder arrangiert zu haben, bis der Konflikt erneut eskalierte. Die Intensivierung der Auseinandersetzung ab der Mitte des 18. Jahrhunderts und besonders in den 1760er Jahren hängt wohl damit zusammen, dass die Zahl der griechischen Händler in Wien nun stetig zunahm, während ihre Präsenz zu Anfang des Jahrhunderts noch überschaubar gewesen war und es sich eher um Konflikte zwischen Einzelpersonen gehandelt hatte.144 Zentrale Streitpunkte waren weiterhin Fragen nach der finanziellen Kontrolle über die Kapelle, der Bestellung des Priesters und der Sprache der Liturgie. Der nunmehrige Hauptgegner der griechischen Kaufleute war Pavle Nenadovic´. Dieser war ab 1742 Bischof von Karlstadt und Zengg und von 1749 bis 1768 dann Metropolit von Karlowitz.145 Offenbar war es Nenadovic´ bei einem

141 142 143 144

Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727, 601. Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 99. AHG, G 48, Fasz. 2. AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. 145 Mathias Bernath, Felix von Schroeder (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3 (L-P), München 1979, 411–412.

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Besuch in Wien gelungen, die Verwaltung der Kapelle und ihr Vermögen im Wert von 3.600 fl. unter serbische Kontrolle zu bringen.146 Bei einem Besuch im Jahr 1746 habe Arsenije IV. Jovanovic´ Sˇakabenta, der frühere Patriarch von Pec´ und damalige Metropolit von Karlowitz147, zunächst versprochen, die alte Ordnung wiederherzustellen.148 Dieses Versprechen habe er aber sodann nicht eingelöst, sondern in einem Brief vom 4. Juni 1746 erneut Gehorsam von den griechischen Händlern gefordert, verlangt, dass sie dem Erzbischof von Karlowitz als zuständiger kirchlicher Oberhoheit auf dem Boden der Habsburgermonarchie Rechenschaft über die Kirchenfinanzen ablegten, und die Bestellung des Priesters für sich beansprucht.149 Die Griechen wären zwar bereit gewesen, den Erzbischof als oberste geistliche Autorität anzuerkennen, wollten ihm aber nicht rechenschaftspflichtig hinsichtlich der Verwaltung der Kirchenfinanzen sein.150 Als Arsenije IV. 1748 starb, habe sein Nachfolger Isaija Antonovic´ seine Politik fortgesetzt. Antonovic´ selbst wiederum verstarb bereits ein Jahr später (1749) und nun wurde Pavle Nenadovic´ Metropolit von Karlowitz. Die bei Efstratiadis wiedergegebene Chronologie des Streits zwischen der Bruderschaft und Nenadovic´ ist in sich nicht ganz schlüssig. Jedenfalls habe der Metropolit 1753 in seiner Antwort auf ein von fünfzig Mitgliedern der Bruderschaft unterzeichnetes Schreiben mit deren Forderungen nach Autonomie der Kapelle die im Schreiben von Arsenije IV. von 1746 geäußerte Meinung bekräftigt und die Autonomieforderungen abgelehnt.151 In der Folge sei es ihm außerdem gelungen, den Griechen das Privilegium Karls VI. von 1723 zu entwenden.152 Von serbischer Seite wurden die Ereignisse der 1750er Jahre anders bewertet. Heinrich Kajetan von Blümegen referierte 1781 die Ansicht der Ungarischen

146 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 11. Vgl. auch die Interventionen von Nenadovic´ in Bezug auf die orthodoxe Kirche in Triest: Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 90–92. 147 Arsenije IV. Jovanovic´ Sˇakabenta war 1725–1737 Patriarch von Pec´, und – nachdem er eine zweite kleinere Wanderung von Serben ins österreichische Territorium anführte – 1737– 1748 Metropolit von Karlowitz. Bernath, Schroeder, Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1 (A-F), 100. 148 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. 149 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 13–15 und 220–224. 150 Ebd., 15–16. 151 Ebd., 19. 152 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 20.

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Hofkanzlei,153 die in Nachfolge der Illyrischen Hofdeputation die serbische Seite vertrat: »im Jahre 1753 hätten sich die zahlreichen türkischen Unterthanen unter dem erdichteten Vorwande eines vom Kaiser Karl VI. Majestät erhaltenen Privilegiums vom Jahre 1723 des unbeschränkten Eigenthums der Steierhof-Kapelle angemasset und die illyrische Nation hievon gänzlich auszuschliessen gesucht«154

Nach dem Bericht von Athanasius Szekeres wiederum war den Griechen im Jahr 1760 durch den Metropoliten Nenadovic´ das jus patronatus über die Kapelle streitig gemacht worden, wobei dieser sich aller Urkunden der Kapelle bemächtigt habe.155 In der Folge wandten sich die Griechen laut Efstratiadis an Staatskanzler Kaunitz und suchten bei Maria Theresia um die Bestätigung ihres Privilegiums von 1723 an, wobei sie einen ausführlichen Textvorschlag mit ihren Forderungen einreichten, der wohl die Vorlage für das 1776 erhaltene Privilegium bildete.156 Die Staatskanzlei reagierte jedoch ablehnend und forderte die Griechen auf den Gottesdienst abwechselnd mit den Serben abzuhalten: »Denen Vorstehern der alhiesigen griechischen Gemeinde wird hiermit mehrmahlen gemessen anbefohlen, dass ihre Geistlichen mit denen Illyrischen den Gottesdienst in der alhiesigen Capelle denen vorhin ergangenen Verordnungen gemäß, alternative zu halten, und die Letztere daran auf keinerley Weise zu verhinderen haben, so Lieb ihnen seyn mag, eine ernstliche Ahndung zu vermeiden. Aus der Kayl: Königl: geheimen Hof und Staats Canzley Wien d. 3te. Januar: 1761.«157

Auch ein weiteres Beharren der Griechen auf ihren Forderungen konnte die Staatskanzlei nicht umstimmen und im März 1761158 wurde ihnen mitgeteilt, dass die Kapelle der Jurisdiktion des Metropoliten von Karlowitz unterworfen sein solle und zwei Pfarrer, einer »von der illyrischen«, und der andere »von der griechischen Nation«, angestellt werden sollten.159 Maria Theresia habe ihre Entscheidung damit begründet, dass laut den Privilegien Leopolds I. von 1690

153 Es handelt sich um einen Bericht an Joseph II. im Zuge des Ansuchens der osmanischen Untertanen um Bestätigung ihrer Privilegien. Das Dokument ist ediert in: Nistor, Bisericile s¸i s¸coala greco-rom.na˘, 98–100. 154 Ebd., 99. 155 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. 156 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 21–24. 157 AT-OeSTA-HHStA StK Provinzen Niederösterreich 4–5. 158 Laut Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 27; am 27. 3. 1761, laut Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘, 100; jedoch am 28. 3. 1761. 159 Nistor, Bisericile s¸i s¸coala greco-rom.na˘, 100; und Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 25–27.

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für die Serben160 jede orthodoxe Kirche innerhalb der Monarchie einem österreichischen Bischof unterstehe und außerdem die Gründung der Kapelle dem damaligen Metropoliten Mojisije Petrovic´ zu verdanken sei.161 Genau darauf bezieht folgendes Zitat Hammer-Purgstalls, aus in seiner Geschichte des Osmanischen Reiches: »wider die griechischen Handelsleute zu Wien, welche sich der Gerichtsbarkeit ihres Metropoliten entziehen wollten, wurde der Stiftungsbrief der Capelle auf dem alten Fleischmarkte, welchen Maurocordato, als er Gesandter zu Wien, erhalten (das sogenannte privilegium Leopoldinum), und die Thatsache in Vorschein gebracht, dass diese Capelle erst sechs und dreyssig Jahre später vom Metropoliten Moyses vollständig ausgebaut worden. (I.J. 1762. Penklers Bericht 1762)«162

Diese missverständliche Aussage ist vermutlich der Ursprung der Vermutung, es habe ein »Privilegium Leopoldinum« für die griechischen Händler gegeben. Tatsächlich war damit aber das leopoldinische Privilegium für die Serben gemeint, in dem ihrem Erzbischof die kirchliche Jurisdiktion über alle Orthodoxen in der Monarchie zugestanden wird. In der Folge entschlossen sich die griechischen Händler, die Kapelle zu sperren und keinen öffentlichen Gottesdienst mehr abzuhalten,163 woraufhin der Metropolit Nenadovic´ die Kirchengerätschaften und Ikonen beschlagnahmen und ins nahe gelegene Zwölferische Haus164 bringen ließ.165 Dies führte zur Eskalation der Situation, da die Griechen sich trotz eines Ordnungsrufs der Niederösterreichischen Landesregierung166 nun gänzlich von der Georgskapelle distanzierten und sich an Fürst Gallitzin (Dmitri Michailowitsch Golizyn)167 wandten, der seit Jänner 1762 russischer Gesandter in Wien war.168 Sie besuchten nun über mehr als ein Jahrzehnt hinweg den Gottesdienst 160 Konkret gemeint ist das Privilegium vom 21. Augst 1690. Czoernig, Ethnographie der österreichischen Monarchie. Bd. 3, Beilagen 70–71. 161 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 27. 162 Joseph von Hammer-Purgstall, Geschichte des Osmanischen Reiches grossentheils aus bisher unbenützten Handschriften und Archiven. 8. Band vom Belgrader Frieden bis zum Frieden von Kainardsche. 1739–1774. Pest 1832, 581. 163 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 28. Nistor, Bisericile s¸i s¸coala grecorom.na˘, 100. NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. 164 Der spätere Darvarhof. 165 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 28. 166 Nistor, Bisericile s¸i s¸coala greco-rom.na˘, 100. 167 Albert Elmar, Demetrius Michalowitsch Fürst von Galitzin. In: Wiener Geschichtsblätter 33 (1978), 77–82, hier 78. 168 In diesem Zusammenhang ist das Dokument entstanden, das einen ausführlichen Bericht

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in einer Gesandtschaftskapelle Gallitzins.169 Währenddessen beharrte die Metropolie von Karlowitz auf dem jus patronatus über die Georgskapelle und setzte serbische Priester ein, musste aber – nach dem Bericht von Szekeres – aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel der griechischen Kaufleute die Kosten der Kapelle bis 1772 selbst bestreiten.170 Dadurch, dass sich die wohlhabenden griechischen Kaufleute unter den Schutz des russischen Gesandten begaben, entstand eine Situation, die den österreichischen Behörden sehr unrecht war, wie Szekeres zusammenfasst: »Hier aus entstand dann ein dreyfaches Uibel. Die Griechen haben eine ihnen von dem durchlauchtigsten Erzhause verliehene höchste Begünstigung öffentlich verschmäht. Der russische Gesandte hat die – durch das Völkerrecht bestimmten Gränzen seiner Kapelle so weit erstrekt, daß die Griechen bei derselben in der Folge die Pfarrrechte ausgeübt haben, und selbst die nicht unirten kaiserl. Unterthanen wurden zur Haltung ihres Gottesdienstes allmählig in die Kapelle einer fremden Macht hinüber gelockt.«171

Zum bereits seit langer Zeit bestehenden Dilemma der Unterordnung der osmanischen Händler als ausländische Untertanen unter eine einheimische Kirchenobrigkeit kam somit eine neue Problematik hinzu: Mehrere griechische Händlern hatten inzwischen die österreichische Staatsangehörigkeit angenommen und sich nun ebenfalls unter russischen Schutz begeben. Dies geschah noch dazu in jener Phase, in der Russland mit Maria Theresias Feind Preußen eine Allianz geschlossen hatte.172 Von staatlicher Seite war man daher umso mehr bemüht, der russischen Gesandtschaftskapelle ein Ende zu machen und die Steyrerhof-Kapelle wieder als einzige orthodoxe Gottesdienststätte in Wien zu etablieren. Zu diesem Zweck wandte man verschiedene Strategien an: So sorgte man zum Beispiel heimlich dafür, dass der russischen Gesandtschaft die

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über den Konflikt zwischen der Georgsbruderschaft und Nenadovic´ gibt. Es sollte für den russischen Botschafter ins Russische übersetzt werden. AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. Im Protokoll der Gemeinde zum Hl. Georg vom 11. April 1776 heißt es: »Dioq_fetai m± c_m, pq¹r t¹m 9jkalpq|tatom Pq_cjipa Cak_tfimom 4m eqwaqist^qiom leloqi\ki, di± tµm sj]pgm, tµm pqostas_am, ja· t±r t|sar %kkar w\qitar bpoO Ani~hglem m± !poka}sylem eQr 6ma t|som jaiqoO di\stgla !p¹ tµm 1jkalpq|tgt\ tou«. [»Es wird beschlossen ein Dankmemorial für Seine Hochwohlgeboren Fürst Gallitzin für das Dach, den Schutz, und die vielen anderen Gnadenerweisungen, die es uns für einen so langen Zeitraum von Seiner Hochwohlgeboren zu erhalten vergönnt war, abzuhalten.« Übers. d. Autorin] Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 164. NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 100. Zur russisch-preußischen Allianz von 1764 siehe z. B.: Hamish M. Scott, The emergence of the Eastern powers, 1756–1775. Cambridge 2001, 115–117.

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Wohnung, in der sich die Gesandtschaftskapelle befand, aufgekündigt wurde – jedoch fand sich bald eine andere Wohnung für die Kapelle.173 Auch der Versuch, von Amts wegen mittels einer zur Untersuchung des Rechnungswesens der Georgskapelle eigens aufgestellten Hofkommission die finanziellen Forderungen des Metropoliten von Karlowitz durchzusetzen, fruchtete nicht. Nachdem die Griechen die Kapelle nicht länger finanzierten, sorgte deren Erhaltung für einige Probleme, doch die Bruderschaft betonte in ihrer Erwiderung, dass die Forderungen des Metropoliten unberechtigt seien, da Kapelle und Bruderschaft nicht identisch seien, sondern vielmehr die Kapelle von der Bruderschaft verwaltet und alle vorhandenen zur Kapelle gehörigen Gerätschaften und Effekten im Eigentum der Bruderschaft stünden. Dabei wies man darauf hin, dass es nicht nur im orientalisch-griechischen, sondern auch im römisch-katholischen Kirchenrecht unzulässig sei, dass ein Bischof in die Eigentumsverhältnisse einer Bruderschaft eingreife.174 Weiters wurde wieder einmal betont, dass »unsere Bruderschaft aus lauter fremden Griechischen Handelsleuten und Unterthanen der Ottomanischen Pforte bestehe, welche alhier keinerdings domicilirt sind, folglichen auch die Geistliche Jurisdiction des Herrn Erzbischoffen von Carlowiz, über Uns als fremde Unterthanen eigentlich nicht fundirt seyn könnte«175

In Bezug auf die Finanzen gab man zwar zu, dass in den Jahren 1746 bis 1761 ein Betrag von 1.374 fl. 10 kr. »von den Illirianern und Kail. Königl. Unterthanen beygesteuert« worden sei, gab jedoch zu bedenken, dass man für den Aufenthalt von serbischen Erzbischöfen und Bischöfen in Wien ein Vielfaches ausgegeben und außerdem viele Almosen an »verschiedene illirische blessirte Officieren und Soldaten« verteilt habe.176 Immer wieder zeigt sich in der Argumentation eine klare Abgrenzung zwischen osmanischen und k.k. Untertanen, wobei offen bleibt, ob sich unter den k.k. Untertanen in diesen Jahren auch schon Griechen befanden. Während die ethnische Zugehörigkeit bei den balkanorthodoxen Kaufleuten häufig schwer zu definieren war, war das Kriterium der Staatsangehörigkeit eindeutig, weshalb k.k. Untertanen unmissverständlich von der Bruderschaft ausgeschlossen waren. Ein weiterer Versuch der österreichischen Behörden, die beiden Gruppen zu 173 Nistor, Bisericile s¸i s¸coala greco-rom.na˘ din Viena, 100. 174 AHG, G 1, Fasz. 1, 9. Dezember 1771: Brief der Griechischen Gemeinde und Bruderschaft der St. Georgs Capelle, und Unterthanen der Ottomanischen Pforte an die k.k. zur Untersuchung der St. Georgii Capelle, Rechnungs-Wesen allerhöchst verordnete Hof-Commission. 175 Ebd. 176 AHG, G 1, Fasz. 1, 9. Dezember 1771: Brief der Griechischen Gemeinde und Bruderschaft der St. Georgs Capelle, und Unterthanen der Ottomanischen Pforte an die k.k. zur Untersuchung der St. Georgii Capelle, Rechnungs-Wesen allerhöchst verordnete Hof-Commission.

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versöhnen und zu einer gemeinsamen Verwaltung der Kapelle zu bewegen, war laut dessen eigenen Angaben die Berufung von Athanasius Szekeres (ca. 1740– 1794) aus Raab (Györ) nach Wien im Jahr 1772. Er war nach der Gründung der illyrischen Buchdruckerei in Wien im Jahr 1770177 als Zensor für die slawischen Sprachen nach Wien beordert worden und sollte auch die Pfarrstelle in der Steyrerhof-Kapelle betreuen, da er bei den griechischen Handelsleuten beliebt war. Als diese jedoch erkannt hätten, dass Szekeres instrumentalisiert werde, um die Griechen wieder in die Steyrerhof-Kapelle und unter die Jurisdiktion des serbischen Erzbischofs zu bringen, habe sich ihre Achtung ihm gegenüber in Abneigung verwandelt.178 Das Dekret Maria Theresias vom 9. Juni 1774, in welchem sie die Griechen zu »einem völlig gemeinschaftlichen Gottesdienst mit der Razischen Nation«179 anhielt, sei nicht mehr als eine freundschaftliche Einladung zur Einigkeit gewesen und habe ebenso wenig Erfolg wie mehrere in den Jahren 1773–74 abgehaltene Kommissionen gehabt.180 Tatsächlich antworteten die griechischen Handelsleute auf besagtes Dekret mit der Bitte, »wie bishero, zu Anhörung der heiligen Messe, zu Verrichtung der heiligen Beicht und Kommunion, die Russische Gesandtschafts Kapelle zu besuchen«, da man aufgrund des herrschsüchtigen Betragens der Serben präferiere, die Absonderung von diesen möglichst aufrechtzuerhalten.181 Wolle man die Griechen aber in die Steyrerhof-Kapelle zurückbringen, so müsse ihnen das jus patronatus wieder eingeräumt werden, und zwar

177 Die Gründung der illyrischen Buchdruckerei (beim Verleger Josef Kurzböck), die mit einem Einfuhrverbot russischer Bücher einherging, sollte den Einfluss Russlands auf die Serben der Monarchie eindämmen. Tarnanidis, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 79–80. In diesem Zusammenhang ist wohl auch die Rolle Szekeres’ beim Versuch die Wiener Griechen dem russischen Einfluss zu entziehen zu sehen. Der offenbar habsburgtreue Szekeres wird bei Tarnanidis als Unionsbefürworter bezeichnet. Ebd., 77 und 124. Nach Chotzakoglou trat er später zum Katholizismus über. Charalampos G. Chotzakoglou, Auf den Spuren der Griechen in Györ (Ungarn). In: Balkan Studies 38 (1997), 63–100, hier 68. 178 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. 179 AHG, G 1, Fasz.1, 14. Juli 1774: Brief von sämtlichen griechischen Handelsleuten und türkischen Untertanen allhier an Haus- Hof- und Staatskanzler Wenzel Anton Fürst zu Kaunitz mit der Bitte um Überreichung inliegender Bittschrift an Kaiserin Maria Theresia. 180 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. 181 AHG, G 1, Fasz.1, 14. Juli 1774: Brief von sämtlichen griechischen Handelsleuten und türkischen Untertanen allhier an Haus- Hof- und Staatskanzler Wenzel Anton Fürst zu Kaunitz mit der Bitte um Überreichung inliegender Bittschrift an Kaiserin Maria Theresia.

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»unsere eigene Priester zu ernennen, solche bey Unzufriedenheit ihres Amtes zu entlassen, unsere Vorsteher selbst zu bestätigen, und alles übrige so zu schlichten wie es Zeiten des Patriarchen Arseny und dessen Nachfolger Jesaia Herkommens und üblich war182 ; und mithin auch der Ertzbischof von Servien, ausser denen Seiner Würde anklebenden Vorzügen, sich keiner Jurisdiction in unserer Kapelle anzumassen das Recht haben möge.«183

Maria Theresia kam diesen Forderungen jedoch nicht nach, sondern legte im Jahr 1775 einen Plan fest, dem zufolge der nicht-unierte Gottesdienst in der Steyerhof-Kapelle organisiert werden sollte,184 weil die Kapelle inzwischen so sehr vernachlässigt worden sei, dass nicht einmal mehr die Pfarrer bezahlt worden seien und der griechische Priester daher eigenmächtig die Pfarrstelle verlassen habe. Dieser »Plan«185 besagte unter anderem, dass die Georgskapelle im Steyerhof als »die eintzige dem nicht unirten Gottesdienst in der Kayl: Residenz Stadt gewidmete ofentliche Kapelle, und als die für die allhier befindliche nicht unirte Griechische Glaubens Verwandte bestimte Pfaar anerkennet, und fortan aufrecht erhalten«

werden solle. Weiters sollten bei der Kapelle »zwey nicht unirte Pfaar Geistliche /: deren der eine der Illyrische und Wallachischen, der andere dagegen der Griechischen Sprache kundig seyn muß :/ fortan erhalten« werden. Die Liturgie sei »wechselweise theills in Illyrischer, theils in Grichischer Sprache abzuhalten«. Die Geistlichen sollten »dem Metropoliten zu Carloviz zur Bestättigung vorgeschlagen, und praesentiret werden, dergestalten jedoch, dass der eine Pfaar Geistliche aus einem Kloster, oder von einer Pfaar der Kayl: Erblanden ausgesuchet, folglichen ein Kayl: Landes Kind seyn muss, wo dagegen zu dem zweyten Geistlichen denen nicht unirten Griechischen Glaubens Verwandten auch einen fremden aus auswärtigen Landen vorzuschlagen bevorstehet.«

182 Dies widerspricht den Angaben bei Efstratiadis, dass auch unter den Metropoliten Arsenije IV. Jovanovic´ Sˇakabenta und Isaija Antonovic´ die Autonomie der Georgskapelle von der Metropolie von Karlowitz nicht anerkannt wurde. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 13–17. 183 AHG, G 1, Fasz.1, 14. Juli 1774: Brief von sämtlichen griechischen Handelsleuten und türkischen Untertanen allhier an Haus- Hof- und Staatskanzler Wenzel Anton Fürst zu Kaunitz mit der Bitte um Überreichung inliegender Bittschrift an Kaiserin Maria Theresia. 184 AHG, G 1, Fasz. 1, 3. November 1775: Brief Franz Graf v. Koller an die gesamten allhier sich aufhaltenden nicht unierten griechischen Glaubensverwandten. 185 AHG, G 1, Fasz. 1: Plan nach welchem sich gegen zu gewärtigender k.k. höchsten Beangenehmigung bei der dem nicht unierten Gottesdienst allhier gewidmeten Steierhofs-Kapelle ad Sanctum Georgium in Zukunft zu benehmen kommt. Editionsteil Nr. 4.

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Die osmanischen Untertanen wurden aufgefordert, innerhalb von vierzehn Tagen ihre Bedenken oder ihr Einverständnis mit dem Plan zu äußern, worauf sie zum wiederholten Mal ihre früheren Forderungen vorlegten, mit denen sie sich schließlich durchsetzten. Szekeres betonte in seinem Bericht seine eigene Rolle besonders –, ihm sei es gelungen, »bis etwa zur Mitte des 1774ten Jahres, nicht nur die bereits abgefallenen diesseitigen nicht unirten wiederum in die Steyerhofkapelle zu bringen, sondern auch selbst von den Abtrünnigen türkischen Unterthanen bis 12 ansehnliche Familien an dieselbe zu fesseln«.186

Dies verdeutlicht wiederum eine bereits stattgefundene Differenzierung der griechischen Händler in osmanische und österreichische Untertanen. Letztendlich konnten die österreichischen Behörden nur Ruhe herstellen, indem man den osmanischen Untertanen das jus patronatus garantierte und vollkommen auf ihre Forderungen einging,187 denn der Text des Privilegiums unterscheidet sich wesentlich von dem von der Kaiserin vorgeschlagenen Plan einer gemeinsamen Verwaltung der Kapelle durch Griechen und Serben. Die Begründung, warum man den Forderungen der osmanischen Kaufleute vollständig nachgab, nachdem man jahrelang versucht hatte, sie der Jurisdiktion des serbischen Erzbischofs von Karlowitz zu unterstellen, ist sicherlich in deren Funktion als Wirtschaftsfaktor zu suchen. Man kann die Verleihung eines Privilegiums an die christlichen osmanischen Kaufleute durch Maria Theresia als Vorläufer der späteren Toleranzpolitik Josephs II. sehen, die dem Prinzip der Nützlichkeit verpflichtet war. Man bemühte sich von österreichischer Seite in diesen Jahren, den Orienthändlern aus dem Osmanischen Reich – sowohl den Christen als auch den Juden –, entgegenzukommen, womit man wirtschaftliche Eigeninteressen der Monarchie verfolgte.188 Ein weiteres Motiv für den vollständigen Ausschluss der Serben von der Verwaltung der Kapelle zum Hl. Georg waren sicherlich auch die Bemühungen, den russischen Einfluss auf die Orthodoxen in der Monarchie zu begrenzen,189 wozu auch der Besuch der russischen Gesandtschaftskapelle durch die griechischen Händler in Wien zählte. Möglicherweise standen zudem allgemeine Entwicklungen der serbischen 186 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. 187 Die Aussage Blümegens, die Illyrische Hofdeputation habe diese Forderungen »möglichst zu mässigen gesuchet« erscheint nicht gerechtfertigt. Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala grecorom.na˘ din Viena, 100. 188 Marianne von Herzfeld, Zur Orienthandelspolitik Österreichs unter Maria Theresia in der Zeit von 1740–1771. Wien 1919, 69–70 und 81–84. 189 Tarnanidis, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 67–68.

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Kirche in der Habsburgermonarchie in Zusammenhang mit dem Ausschluss der Serben in Wien. Im Osmanischen Reich war im Jahr 1766 das Patriarchat von Pec´ endgültig aufgehoben und die kirchliche Autorität über die Serben dem Patriarchat von Konstantinopel übertragen worden.190 Das stärkte einerseits die griechischen Phanarioten im Osmanischen Reich,191 andererseits auch die Metropolie von Karlowitz in der Habsburgermonarchie,192 die zum Teil als Rechtsnachfolger des aufgehobenen Patriarchats von Pec´193 angesehen wurde.194 Dies dürfte laut Katsiardi-Hering einen Gutteil zum gesteigerten Selbstbewusstsein der Serben in Triest beigetragen haben.195 Im Gegensatz zu Triest war das serbische Element in Wien zu dieser Zeit jedoch unbedeutend.196 Gleichzeitig zielten die illyrischen Regulamente Maria Theresias von 1770197 und 1777198 sowie das Erläuterungs-Rescript von 1779199 darauf ab, die serbischen Privilegien einzuschränken200 und insbesondere die weltliche Autorität des Metropoliten von Karlowitz aufzuheben201 – vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass Maria Theresia diesem Metropoliten gerade zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die Georgskapelle in Wien keine Zugeständnisse machte.

190 Ladislas Hadrovics, Le peuple serbe et son 8glise sous la domination turque. Paris 1947, 153. 191 Ntusan G. Popovits, Aql\moi Bk\woi sta Bakj\mia. O Cincarima. Thessaloniki 2010, 244. Hadrovics, Le peuple serbe et son 8glise, 153–154. 192 Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 115. 193 Es gab auch die Ansicht, dass mit der zweiten serbischen Wanderung des damaligen Patriarchen von Pec´ Arsenije IV. Jovanovic´ Sˇakabenta auf das Territorium der Habsburgermonarchie das Patriarchat auf die Metropolie von Karlowitz übergegangen sei. Tarnanidis, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 50. 194 Ein Vertreter dieser Ansicht war der Metropolit Stefan Stratimirovic´. 1848 wurde die Metropolie von Karlowitz schließlich in den Rang eines Patriarchats erhoben. Tarnanidis, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 50–51. 195 Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 115. 196 Dejan Medakovic´, Serben in Wien. Novi Sad 2001, 20–21. Die geringe Anzahl von in Wien anwesenden serbischen Gläubigen wird auch im Dokument zum Streit der Georgsbruderschaft mit dem Metropoliten Nenadovic´ mehrmals erwähnt. AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. 197 J.H. Schwicker, Politische Geschichte der Serben in Ungarn nach archivalischen Quellen dargestellt. Budapest 1880, 279–286. 198 Ebd., 304–306. 199 Ebd., 342–346. 200 Medakovic´, Serben in Wien, 34. 201 Tarnanidis, Ta pqobk^lata tgr lgtqop|keyr Jaqkobij_ym, 69–82.

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1.2. Das Privilegium Maria Theresias für die Bruderschaft zum Hl. Georg von 1776 Mit Datum des 3. März 1776 verlieh Maria Theresia der Bruderschaft zum Hl. Georg das Privilegium202, das den Schlusspunkt unter die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen den griechischen Handelsleuten und dem serbischen Klerus um die Vorherrschaft über die Kapelle zum Hl. Georg setzte. Am 28. März 1776 informierte der Rat der Illyrischen Hofdeputation Franz Georg Edler von Keeß203 den Erzbischof von Karlowitz Vic´entije Jovanovic´ Vidak über die Verleihung des Privilegiums an die »nicht unierten griechischen Handelsleute, und türkischen Unterthanen« und teilte ihm mit, dass der Erzbischof in Zukunft den von selbigen erwählten Pfarrgeistlichen ohne Verweigerung akzeptieren solle, um keinen Anlass für etwaige Irrungen zu geben. Weiters forderte er ihn auf, den bisherigen Pfarrgeistlichen Ioannovich zurückzurufen.204 Über die Verleihung des Privilegiums berichtete Athanasius Szekeres: »die gesammten Griechen [wurden] im Jahre 1776 am ersten Sonntage nach Ostern St. vet. unter der Pontifizirung des Metropoliten Vincentius Vidak und in Gegenwart des verstorbenen Grafen von Koller und des dermaligen Oberst zu Titz Hofraths v. Kees in die Steyerhofkapelle alle eingeführt, und in ihre vorige Rechte feyerlich eingesezt.«205

1.2.1. Inhalt und Bedeutung des Privilegiums von 1776 Der Text dieses Privilegiums entspricht im Wortlaut ziemlich genau den Rechten, welche die Bruderschaft zum Hl. Georg laut Efstratiadis schon 1761 in einem an Maria Theresia gerichteten Gesuch erbeten hatte.206 Einzig der Passus, der die Einstellung eines serbischen Priesters nur zum Beichthören betrifft, wurde als 202 Das Original befindet sich in AHG, G 1, Fasz. 1. Editionsteil Nr. 5. 203 Keeß, Franz Georg Ritter von. In: Constantin von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreichs 11 (1864), 118–120. 204 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Karlowitz (Kopien aus dem Archiv des Erzbistums Karlowitz): 28. März 1776, Brief von Franz Georg Edler von Keeß an Vincentius Ioannovich Vidak. 205 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. 206 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 22–24. Das von Efstratiadis angeführte Dokument ist anscheinend undatiert und nur in griechischer Übersetzung im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg vorhanden. Bisher konnte ich das fragliche Dokument in diesem Archiv nicht auffinden. Daher ist es auch nicht möglich, die Datierung auf das Jahr 1761, wie sie aus der Darstellung bei Efstratiadis hervorgeht, zu verifizieren.

Das Privilegium Maria Theresias für die Bruderschaft zum Hl. Georg von 1776

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Zugeständnis an die Kirchenbesucher nicht-griechischer Muttersprache hinzugefügt. Dieses Privilegium ist die erste greifbare rechtliche Urkunde, welche die Bruderschaft zum Hl. Georg legitimiert. In dem einzigen vorhandenen älteren Dokument, dem Hofkriegsratsbescheid vom 9. Juni 1726, wird die Bruderschaft als eigenständige Körperschaft noch nicht erwähnt. Gemäß dem Text des Privilegiums war die Aufgabe dieser Bruderschaft in erster Linie die Erhaltung der Kapelle zum Hl. Georg, also das Ermöglichen der Religionsausübung für die griechischen Handelsleute in Wien. Das Privilegium richtete sich an die »gesamte in Unser K. K. Residenz Stadt Wienn sich aufhaltende Griechische Handelsleute, und türkische Unterthanen« und sollte dazu dienen den »seit einigen Jahren« in der zu diesem Zeitpunkt im Steyrerhof befindlichen Kapelle zum Hl. Georg gestatteten Gottesdienst zu ordnen und regulieren. Laut dem Privilegium war es allen Angehörigen der griechisch nicht unierten Religion unabhängig von ihrer Nation oder Muttersprache erlaubt, in das Gotteshaus einzutreten und dort ihre Andacht zu verrichten, die Erhaltung der Kapelle wurde jedoch »der hiebey aus denen der Ottomanischen Pforte unterworfenen allhier handlenden Griechen der nicht unirten Orientalischen Kirche allein bestehende Bruderschaft« übertragen, die sich verpflichten musste, keine Schulden auf das Kirchenhaus zu machen. Somit wurde der Bruderschaft das jus patronatus über die Kapelle übertragen und dem serbischen Metropoliten die Möglichkeit genommen, in die Finanzen der Kapelle einzugreifen. Die Kapelle blieb jedoch weiterhin die einzige Gottesdienststätte für alle orthodoxen Gläubigen in Wien, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Staatsangehörigkeit zum Osmanischen Reich oder der Habsburgermonarchie. Weiters wurde die Option offen gelassen, die Kapelle, die sich im Steyrerhof in gemieteten Räumlichkeiten befand, da es osmanischen Untertanen nicht erlaubt war in Österreich Immobilien zu erwerben, bei Notwendigkeit an einen anderen Ort zu übersiedeln, was dreißig Jahre später auch geschah. Der zweite Punkt des Privilegiums behandelt einen weiteren wichtigen Konfliktherd zwischen den griechischen Händlern und dem Metropoliten von Karlowitz: die Person des Priesters und dessen Bestellung. Nach dem Privilegium sollte es an der Kapelle nur einen einzigen Pfarrer geben, der »sowohl in Ansehung der Nazion, als auch der Religion« Grieche sein und »aus einem in der Türkey befindlichen Mönch Kloster« kommen sollte. Dabei handelt es sich um eine klare Absage an die früheren Bemühungen, die Kapelle von einem griechischen und einem serbischen Priester gemeinsam betreuen zu lassen. Die Bestimmung, dass der Priester aus einem Kloster im Osmanischen Reich zu stammen hatte, sollte sicherstellen, dass er griechischsprachig war. Die Bestellung des Pfarrers sollte durch die Bruderschaft mittels Stimmenmehrheit erfolgen. Der »illyrischen Nazion« wurde gestattet, einen serbischen Pfarrer auf

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eigene Kosten zu berufen; dieser durfte sich aber ansonsten in keiner Weise in die übrigen liturgischen Tätigkeiten einmischen. Dem Erzbischof von Karlowitz sollten die griechischen Händler alle einem Oberhirten gebührenden Ehren erweisen, die rechtliche Beziehung wurde jedoch auf einen rein formalen Aspekt beschränkt: Der von der Bruderschaft erwählte Pfarrer sollte dem Metropoliten von Karlowitz gemeldet werden, damit er ihm »ohne einigem Vorwande, oder Widerspruch« den Segen erteile. Ansonsten hatte der Metropolit keine wie immer geartete Befehlsgewalt gegenüber der Bruderschaft. Trotzdem blieb der Widerspruch bestehen, dass die aus osmanischen Untertanen bestehende Bruderschaft formal einem in den österreichischen Ländern residierenden serbischen Bischof unterstellt wurde. Eine andere Lösung, etwa die Unterstellung unter das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, hätte die österreichische Politik, die den Einfluss ausländischer Institutionen möglichst zu minimieren suchte,207 wohl auch nicht erlaubt. Allerdings gibt es auch keine Hinweise darauf, dass sich – wie in der Literatur manchmal kolportiert – die Bruderschaft um eine solche Unterstellung unter das Patriarchat von Konstantinopel bemüht hätte. Vielmehr war man mit der durch das Privilegium geschaffenen autonomen Sonderposition ganz zufrieden. So stand man zwar sowohl mit der Metropolie von Karlowitz als auch mit dem Ökumenischen Patriarchat im Kontakt, nahm aber keine Weisungen entgegen. Die Verwaltung durch die Bruderschaft wurde im Privilegium folgendermaßen geregelt: Die Mitglieder sollten jedes Jahr zwei oder drei Epitropen aus ihrer Mitte wählen, die sich um die Finanzangelegenheiten zu kümmern hätten. Weiters waren sie berechtigt, den Pfarrer jederzeit abzusetzen und einen neuen einzustellen, der dann jedoch wiederum dem Metropoliten von Karlowitz gemeldet werden musste. Die Kosten der Kapelle seien durch Sammlungen der Gläubigen zu finanzieren sowie – wenn diese Mittel nicht ausreichten – durch einen außerordentlichen Beitrag der Mitglieder. Alle Entscheidungen sollten mittels Stimmenmehrheit getroffen werden. Bei Uneinigkeiten und Streitigkeiten innerhalb der Bruderschaft müsse man sich an die niederösterreichische Justiz-Banco-Deputation als zuständige Stelle wenden. Die Eigenschaft der griechischen Händler als osmanische Untertanen wird im Privilegientext mehrmals hervorgehoben. Dies führte zu einem Nebeneffekt, der wenige Jahre später in der Gründung der zweiten griechischen Gemeinde in Wien, der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, resultieren sollte. Laut Privilegientext 207 Vgl. die Bemühungen des Josephinismus den Einfluss des Papstes auf die katholische Kirche in Österreich einzuschränken. Genauso wurden auch in der orthodoxen Kirche vom Ausland unabhängige kirchliche Institutionen innerhalb der Monarchie geschaffen. Rudolf Pranzl, Das Verhältnis von Staat und Kirche/Religion im theresianisch-josephinischen Zeitalter. In: Helmut Reinalter (Hrsg.), Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus. Wien [u. a.] 2008, 17–52.

Das Privilegium Maria Theresias für die Bruderschaft zum Hl. Georg von 1776

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waren alle k.k. Untertanen explizit von der Mitbestimmung in der Bruderschaft bzw. der Bekleidung eines Amtes als Epitrop ausgeschlossen, was nicht nur die Serben, sondern auch diejenigen griechischen Händler, die sich für die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit entschieden hatten, betraf.

1.2.2. Zur Definition der Bruderschaft zum Hl. Georg Es wird angenommen, dass die Bruderschaft zum Hl. Georg seit dem Bestehen der Georgskapelle Anfang des 18. Jahrhunderts existierte und für die Erhaltung der Kapelle Sorge trug.208 Das Dokument über den Streit zwischen dem Metropoliten von Karlowitz Mojisije Petrovic´ und dem griechischen Händler Georgios Trapezountios209 lässt allerdings auch den Schluss zu, dass sich in der Frühzeit, in der sich erst wenige griechische Händler in Wien befanden, vor allem Einzelpersonen um den Erhalt der Kapelle kümmerten und von einer organisierten Bruderschaft womöglich noch keine Rede sein kann. Aus der Zeit vor 1776 gibt es leider keine Quellen, welche über die reine Erwähnung einer Bruderschaft hinausgingen210 und Auskunft über deren Charakter und Organisation geben könnten. Eine strikte Trennung der Begriffe Bruderschaft und Gemeinde, wie sie Plöchl postuliert,211 herrschte allerdings nicht, wie die Verwendung des Ausdrucks »Gemeinde und Bruderschaft der Griechischen Handelsleuten und Unterthanen der Ottomanischen Pforte«212 in einem Dokument von 1771 zeigt. Auch in den bei Efstratiadis abgedruckten Protokollen der Gemeinde zum Hl. Georg werden die Begriffe Bruderschaft (adekv|tgr) und Gemeinde (joim|tgr) abwechselnd und synonym verwendet. Weiters ist mitunter synonym auch einfach von »allen türkischen Untertanen und Händlern« die Rede. Nach Plöchl handelte es sich bei der Bruderschaft um eine religiöse Institution nach orientalischem Kirchenrecht.213 Tatsächlich bezieht sich das Privilegium, das die Bruderschaft 1776 von Maria Theresia erhielt, rein auf den religiösen Aspekt. Dennoch handelte es sich bei der Bruderschaft zum Hl. Georg 208 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 32. 209 Papastathis, Un document in8dit de 1726–1727. 210 So Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 220–224; und die Dokumente bezüglich des dem Privilegium von 1776 vorausgehenden Konflikts zwischen Griechen und Serben in AHG, G 1, Fasz. 1. 211 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 30. 212 AHG, G 1, Fasz. 1, 9. Dezember 1771: Brief der sämtlichen alhiesigen griechischen Gemeinde und Bruderschaft der St. Georgs Kapelle, und Untertanen der Ottomanischen Pforte an die k.k. zur Untersuchung der St. Georgii Kapelle, Rechnungswesen allerhöchst verordneten Hofkommission. 213 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 30–31.

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Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg (1699–1781)

nicht nur um eine orthodoxe Pfarre, sondern auch um einen kommerziellen Zusammenschluss der in Wien anwesenden griechischen Händler aus dem Osmanischen Reich. Die Organisationsformen der Diasporagemeinden balkanorthodoxer Händler in Europa differierten je nach den (politischen) Gegebenheiten am Ort der Niederlassung und der zeitlichen Phase.214 Insofern lässt sich ein kommerzieller Charakter der Bruderschaft zum Hl. Georg zwar eindeutig feststellen, eine genaue Definition dieser Körperschaft bringt allerdings durchaus Schwierigkeiten mit sich. In Siebenbürgen und Ungarn waren die ersten balkanorthodoxen Händler in Handelskompanien organisiert.215 Später wurde diese Organisationsform eines engen Zusammenschlusses aller Händler eines Ortes von Einzelgesellschaften, die meist aus 2–3 zusammenarbeitenden Händlern bestanden, abgelöst.216 Bei der Bruderschaft zum Hl. Georg handelte sich wohl niemals um eine Handelskompanie im engeren Sinne, sondern die griechischen Händler in Wien waren wirtschaftlich in einzelnen Gesellschaften organisiert, unter denen sich beispielsweise auch die Kompanie der Ambelakioten217 befand. Die Bruderschaft übernahm jedoch die Vertretung der Händler gegenüber den Behörden und kümmerte sich um auftauchende Probleme, welche die Handelstätigkeit ihrer Mitglieder betrafen. Das zeigt das Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg, in dem sich bis ca. zum Jahr 1870 viele Dokumente, in denen es um Handelsangelegenheiten, Baumwolltransporte, etc. geht, befinden. Im Protokoll der Sitzung vom 24. Jänner 1815 wurde zudem schriftlich festgehalten, dass die Dodekas (der Zwölferrat) für die Erledigung vorkommender Handelsangelegenheiten zuständig sei.218 Die Mitgliedschaft in der Bruderschaft scheint nach Firmen organisiert gewesen zu sein. Darauf deutet die Tatsache, dass bei der Organisation der später gegründeten Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit explizit darauf hingewiesen wurde, dass die Mitgliedschaft »nicht nach Firmen, sondern individuell« ausgerichtet

214 Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta, 264. 215 Dazu: Ebd., 267. Olga Cicanci, Les statuts et les reglements de fonctionemment des compagnies grecques de Transylvanie (1636–1746). La Compagnie de Sibiu. In: Revue des Ptudes Sud-Est Europ8ennes 14 (1976) 477–496. Olga Cicanci, Le Statut juridique et le regime de fonctionnement de la compagnie de commerce de Brasov. In: Revue des Ptudes Sud-Est Europ8ennes 17 (1979), 241–255. Despoina-Eirini Tsourka-Papastathi, G ekkgmij^ elpoqij^ jolpam_a tou Silp_ou Tqamsukbam_ar 1636–1848. Oqc\mysg jai d_jaio. Thessaloniki 1994. Dies., G molokoc_a tou jqitgq_ou tgr ekkgmij^r »jolpam_ar« tou Silp_ou Tqamsukbam_ar 17or-18or ai. Pgc]r tou dija_ou jai tym hesl~m tou ap|dglou ekkgmislo}. Athen 2011. 216 Füves, Oi 8kkgmer tgr Ouccaq_ar, 19–21. 217 Katsiardi-Hering, Tewm_ter jai tewmij]r bav^r mgl\tym, 229–316. Dies., The allure of red cotton yarn, and how it came to Vienna. 218 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 183–184.

Das Privilegium Maria Theresias für die Bruderschaft zum Hl. Georg von 1776

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sei.219 Außerdem waren die Mitglieder verpflichtet, ein Promille des Umsatzes aus ihrer Handelstätigkeit als Beitrag für die Bruderschaft zu leisten,220 was ebenfalls eine Mitgliedschaft pro Firma plausibel macht. Bei der Wahl der Vorsteher wurde weiters darauf geachtet, dass jeweils ein Vertreter jeder Region (epaqw_a), aus der die Händler kamen, in der Dodekas vertreten war221, denn Efstratiadis zufolge repräsentierten die gewählten Vorsteher gleichzeitig den Handel ihrer jeweiligen Heimatregion.222 Somit lässt sich konstatieren, dass die Bruderschaft zum Hl. Georg – abgesehen von ihrer religiösen Funktion – eine Standesvertretung der griechischen Händler aus dem Osmanischen Reich in Wien war, jedoch keine selber Handel betreibende Handelskompanie im engeren Sinne. Bei der Definition der Bruderschaft bzw. Gemeinde stellt sich also nicht zuletzt die Frage, ob ihr Charakter überwiegend religiös, wirtschaftlich oder ethnisch war. Selbiges gilt auch für die später gegründete Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Diesbezüglich lassen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Verschiebungen erkennen, in deren Zuge der wirtschaftliche Charakter gegenüber dem ethnischen zurücktrat. Der religiöse Definitionsaspekt blieb jedoch durchgehend von grundlegender Bedeutung. Die orthodoxen Händler arbeiteten auf der Ebene ihrer Firmen zwar durchaus mit Angehörigen anderer Konfessionen (z. B. sephardischen Juden aus dem Osmanischen Reich) zusammen. Mit den »griechischen Handelsleuten« der Bruderschaft waren jedoch ausschließlich jene gemeint, die der griechisch nicht unierten Konfession angehörten. Dies entspricht nicht nur den Entscheidungen der Wiener Verwaltung, sondern auch der Organisation der Bevölkerung nach Religionsgruppen (milletSystem223) im Osmanischen Reich.

219 AHD, G 1, Fasz. 2, Statuten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vom 1. April 1805. 220 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 175, 180 und 197. Eine analoge Art der Finanzierung gab es zum Beispiel auch in der griechischen Gemeinde von Livorno. Despoina Vlami, To vioq_mi, to sit\qi jai g od|r tou j^pou. 8kkgmer ]lpoqoi sto Kib|qmo 1750–1868. Athen 2000, 287. 221 Dieses System wurde nach den bei Efstratiadis abgedruckten Sitzungsprotokollen zumindest bis 1821 eingehalten. 222 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 70. 223 Ursinus, Zur Diskussion um »millet« im Osmanischen Reich.

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Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg (1699–1781)

1.3. Exkurs: Parallelen zwischen der Geschichte der Bruderschaft zum Hl. Georg und der Gemeinde der sephardischen Juden in Wien Die Entwicklung der sephardischen Gemeinde Wiens ähnelt jener der Bruderschaft zum Hl. Georg,224 weshalb an dieser Stelle auf die diesbezüglichen Parallelen eingegangen werden soll. Am Anfang der Geschichte der sephardischen Gemeinde in Wien steht Diego d’Aguilar, ein aus Portugal stammender sephardischer Jude, der von Karl VI. nach Wien geholt wurde, um das Tabakmonopol zu reorganisieren.225 In seinem Haus versammelte er einige aus dem Osmanischen Reich stammende Juden zum Gebet,226 – er nahm also eine ähnliche Stellung in der Frühgeschichte der Gemeinde der osmanischen Juden ein wie Alexandros Mavrokordatos für die orthodoxen Griechen. So wurde den osmanischen Juden ähnlich wie der Georgsbruderschaft schon früh die Religionsausübung gestattet. Sie erhielten bereits im Jahr 1736 die Erlaubnis ihre Religion im Haus Nr. 307 in der Stadt auszuüben,227 und waren somit die erste jüdische Gemeinde in Wien, die eine solche Genehmigung erhielt.228 Dabei handelte es sich genau wie bei der Bruderschaft zum Hl. Georg um ein im Nachhinein als »kaiserliches Privileg« bezeichnetes Dokument, das aber bei einem Brand der Synagoge im Jahr 1824 vernichtet worden sein soll.229 Die Sonderbehandlung sowohl der orthodoxen Christen als auch der sephardischen Juden aus dem Osmanischen Reich zeigt deutlich die privilegierte Stellung aller Händler mit osmanischer Staatsangehörigkeit. Im Jahr 1778, also zwei Jahre nachdem die Gemeinde zum Hl. Georg das Privilegium von Maria Theresia erlangt hatte, erhielt die türkisch-israelitische Gemeinde in Wien »Puncten, die der in Sachen aufgestellte Kais. Königl. Comissarius der gesamten Alhier sich befindenden Türkischen Judenschaft um die alhiesige Türkische Jüdische Synagoge in gute Ordnung zu bringen und in selber 224 Dazu Stassinopoulou, Trading places, 170–173; und Dies., Endowments as an instrument of integration, 174–176. 225 Felicitas Heimann-Jelinek (Hrsg.), Die Türken in Wien. Geschichte einer jüdischen Gemeinde. Wien 2010, 80. Mordche Schlome Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden (Sephardim) in Wien. (Dissertation) Wien 1932, 132–138 und XIII–XXX. 226 Die Türken in Wien, 80 und 88. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 48. 227 Edwin Seroussi, Die sephardische Gemeinde in Wien: Geschichte einer orientalisch-jüdischen Enklave in Mitteleuropa. In: Felicitas Heimann-Jelinek, Kurt Schubert (Hrsg.), Spharadim-Spaniolen, die Juden in Spanien, die sephardische Diaspora. Eisenstadt 1992, 145–153, hier 148. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 148 und 151. 228 Die Türken in Wien, 138. 229 Adolf von Zemlinsky, Geschichte der türkisch-israelitischen Gemeinde zu Wien von ihrer Gründung bis heute nach historischen Daten. Wien 1888, 6. Die Türken in Wien, 86–87. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 148.

Parallelen zwischen Bruderschaft zum Hl. Georg und sephardischen Juden

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zu erhalten ex offo aufgesezet«, mit denen vor allem die finanzielle Verwaltung dieser Gemeinde geregelt wurde.230 Diese vier Jahre vor dem Toleranzpatent Josephs II. für die Juden formulierten Punkte sind das erste offizielle Dokument, mit dem in Wien eine jüdische Gemeinde de facto anerkannt wurde.231 Die privilegierte Stellung der osmanischen Juden äußerte sich auch darin, dass jüdische habsburgische Untertanen versuchten über das Osmanische Reich wieder in die Monarchie einzureisen und sich als osmanische Untertanen auszugeben, um deren Sonderbehandlung in Anspruch zu nehmen.232 Im Vergleich zur Gemeinde zum Hl. Georg wuchs die Zahl der sephardischen Juden in Wien stärker: In der Konskription von 1766 werden achtzehn Juden genannt, im Jahr 1818 soll die Zahl auf 217 gestiegen sein233 und im Jahr 1888 zählte die Gemeinde laut Zemlinsky über 800 Seelen,234 wobei letztere Zahl allerdings möglicherweise nicht belastbar ist. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich bei der türkischisraelitischen Gemeinde ähnliche Entwicklungen wie bei der Gemeinde zum Hl. Georg feststellen.235 Sie war ebenfalls eine de facto »österreichische Institution«, die sich aber aus osmanischen Untertanen konstituierte, und mit den sich aus diesem Spannungsfeld ergebenden Schwierigkeiten konfrontiert.236 So stellte sich später auch bei dieser Gemeinde die Frage nach der Verknüpfung von osmanischer Staatsangehörigkeit und Gemeindezugehörigkeit, aus der ein Wechsel zur Israelitischen Kultusgemeinde im Falle einer Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit resultieren würde.237 In diesem Kontext wirkte sich die Tatsache, dass aufgrund der Verkleinerung des Osmanischen Reiches in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Mitglieder nicht mehr osmanische Untertanen, sondern Staatsangehörige anderer Staaten waren, genauso existenzbedrohend für die sephardische Gemeinde wie für die Gemeinde zum Hl. Georg aus.238 Es sollte sich ein langjähriger Konflikt mit der Israelitischen Kultusgemeinde über die autonome Stellung der türkisch-israelitischen Gemeinde, die mit dem Israelitengesetz von 1890 der Israelitischen Kultusgemeinde einverleibt werden sollte, entwickeln.239 Nach langem Widerstand der türkisch230 231 232 233 234 235 236 237 238 239

Zemlinsky, Geschichte der türkisch-israelitischen Gemeinde, 6–8. Seroussi, Die sephardische Gemeinde in Wien, 148. Die Türken in Wien, 94. Ebd., 84. Zemlinsky, Geschichte der türkisch-israelitischen Gemeinde, 2. Siehe hier S. 168. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 175–182. Ebd., 120. Ebd., 121 und 180–181. Christina Kaul, Die Rechtsstellung der türkischen Juden in Wien auf Grund der österreichisch-türkischen Staatsverträge. (Diplomarbeit) Salzburg 1990, 58–64. Die Türken in Wien, 124 und 172. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 182–194.

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Die Geschichte der Kapelle zum Hl. Georg (1699–1781)

israelitischen Gemeinde kam es 1909 zu einem Kompromiss,240 doch mit dem Ende der Habsburgermonarchie 1918 stellte die türkisch-israelitische Gemeinde ihre Autonomie wieder her.241 Auch von den strukturellen Veränderungen in Bezug auf den Orienthandel in den 1860er Jahren242 – einem Phänomen, das bezüglich der Wiener Griechen im Verlauf dieser Arbeit noch ausführlicher begegnen wird – war die Gemeinde betroffen, was sich darin äußerte, dass sich ihre Sozialstruktur veränderte: Bei ihren Mitgliedern handelte es sich nun nicht mehr hauptsächlich um Großhändler, sondern um Kleinhändler und Handwerker.243

240 Dieser weist einige Ähnlichkeiten mit der durch die Statthaltereiverordnung von 1893 vorgenommenen Einteilung in die drei griechisch-orientalischen Gemeinden in Wien auf. Siehe hier S. 187–194. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 187–188. 241 Ebd., 192–194. 242 Siehe hier S. 267–269. 243 Die Türken in Wien, 96 und 158. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 76–77.

2.

Die Verwaltung und Organisation der beiden Wiener griechischen Gemeinden in der Toleranzzeit und im Vormärz (1781–1848)

2.1. Die josephinische Religionspolitik und das Toleranzpatent von 1781 Die Toleranzedikte Josephs II. bedeuteten für alle akatholischen Bewohner Wiens eine klare Zäsur in ihrer Religionsausübung. Doch bereits zuvor waren einige spezifische Gruppen von »Akatholiken«, deren Anwesenheit aufgrund ökonomischer Überlegungen erwünscht war, toleriert worden, was Winfried Eberhard als »Toleranz aus Notwendigkeit« bezeichnet.244 Dies betraf in Wien abgesehen von den orthodoxen Händlern aus dem Osmanischen Reich, deren besonderer Status mit dem mariatheresianischen Privilegium von 1776 endgültig offiziell beglaubigt wurde, folgende Gruppen: Erstens die ausländischen protestantischen Großhändler, die so genannten »Niederlagsverwandten«, die vor allem aus Deutschland und der Schweiz kamen. Die Niederleger konnten in den Kapellen der dänischen, der schwedischen und der holländischen Gesandtschaften den Gottesdienst besuchen, und zwar in der dänischen und schwedischen Gesandtschaftskapelle nach dem Augsburger und in der holländischen Gesandtschaftskapelle245 nach dem Helvetischen Bekenntnis.246 Zweitens wurden auch finanzkräftige Juden aus wirtschaftlichen Gründen toleriert und genossen als so genannte »Hofjuden« umfassende Privilegien. Das Privileg erstreckte sich jeweils auch auf die im Familienverband lebenden Verwandten, die Angestellten und das Gesinde. Zur Zeit

244 Peter Csendes-Ferdinand Opll (Hrsg.), Wien. Geschichte einer Stadt. Bd. 2: Die frühneuzeitliche Residenz (1. bis 18. Jahrhundert). Wien [u. a.] 2003, 348. 245 Rippel, Die holländische Gesandtschaftskapelle, 27–45. 246 Der Besuch des Gottesdienstes war zwar eigentlich auf die Angehörigen der Gesandtschaften beschränkt, doch unter den Gottesdienstbesuchern fanden sich auch mehrere weitere Personenkreise, so auch die Niederleger. Mecenseffy, Rassl, Die evangelischen Kirchen Wiens, 49.

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

Maria Theresias befanden sich in Wien ca. 500 jüdische Personen,247 die diesen Status besaßen, denen aber eine Gemeindebildung untersagt war.248 Die bereits erwähnten sephardischen Juden hingegen genossen als osmanische Untertanen249 ähnlich den orthodoxen Christen einen besseren Status und erhielten bereits 1778 ein offizielles Dokument (»Punkten«), das die Verwaltung ihrer Synagoge regelte.250 Gemeinsam ist diesen Gruppen »akatholischen Glaubensbekenntnisses« in Wien, dass es sich bei ihnen größtenteils um finanzkräftige Kaufleute handelte. Mittenzwei bringt es folgendermaßen auf den Punkt: Die ausländischen Protestanten verfügten, ebenso wie die jüdischen Hoffaktoren über »Reichtum, weitreichende Geschäftsbeziehungen und Produktionserfahrungen«251, weshalb ihre Situation in der Haupt- und Residenzstadt Wien, welche die Habsburger zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort machen wollten, besser als anderswo im Reich war.252

2.1.1. Das Toleranzpatent Josephs II. von 1781 Nach dem Tod Maria Theresias 1780 leitete Joseph II. umfangreiche religionspolitische Reformen ein, worunter die Toleranz gegenüber den akatholischen Glaubensgemeinschaften253 eine besonders bedeutende Maßnahme war. Im Gegensatz zur Politik Maria Theresias, die zwar einzelnen Gruppen von Akatholiken besondere Privilegien zuteilwerden ließ, – zum Beispiel zugunsten der Förderung des Freihafens von Triest254 – , waren die Toleranzpatente Josephs II. eine allgemeingültige Maßnahme, der jedoch ebenfalls wirtschaftspolitische Überlegungen zugrunde lagen. Die Toleranzpolitik sollte dem Fortschritt des österreichischen Staates dienen, indem die Akatholiken zu nützlichen Bürgern desselben gemacht werden sollten.255 Auf das Toleranzpatent von 1781 für die »Glaubensverwandten«, also die Angehörigen nicht katholischer christlicher Konfessionen, folgten 1782 mehrere Toleranzpatente für die Juden in den ver247 Ingrid Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen. Wiens frühe Bourgeoisie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Wien [u. a.] 1998, 64. 248 Csendes, Opll, Wien. Bd. 2, 282–310. 249 Kaul, Die Rechtsstellung der türkischen Juden in Wien, 13–16. 250 Die Türken in Wien, 86–87. 251 Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 63. 252 Ebd. 253 Einen Überblick über die Toleranzpolitik gegenüber den Orthodoxen bietet: KatsiardiHering, Madouvalos, The tolerant policy of the Habsburg authorities towards the orthodox people from South-Eastern Europe. 254 Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 26–28. 255 Katsiardi-Hering, Madouvalos, The tolerant policy of the Habsburg authorities, 12.

Die josephinische Religionspolitik und das Toleranzpatent von 1781

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schiedenen Ländern der Monarchie. Dadurch erhielten die Juden ebenfalls größere Freiheiten (Aufhebung der Kleidervorschriften, Erlaubnis der Tätigkeit in Handel, Gewerbe und Industrie, Zugang zum Universitätsstudium), blieben aber den anderen Religionsgemeinschaften gegenüber weiterhin stark benachteiligt.256 So ermöglichte Joseph II. mittels der Toleranzpatente den Angehörigen nicht-katholischer Glaubensgemeinschaften zwar die freie Religionsausübung, allerdings mit unterschiedlichen Einschränkungen. Im Jahr 1781 erließ er ein Toleranzpatent für die Protestanten Augsburger und Helvetischen Bekenntnisses sowie die nicht unierten Griechen.257 Dieses gestattete ihnen, sofern sie hundert Familien zählten, das »Privat-Exercitium« ihres Glaubens und erlaubte ihnen den Bau eines »Bethaus[es] nebst einer Schule«, wobei die Bethäuser allerdings »kein Geläut, keine Glocken, Thürme, und keinen öffentlichen Eingang von der Gasse« haben durften. Weiters sollten die Akatholiken künftig dispensando zum »Häuser- und Güterankaufe, zum Bürger- und Meisterrechte, zu akademischen Würden und Zivilbedienstungen« zugelassen werden. Für die osmanischen Händler in Wien, denen in der Kapelle zum Hl. Georg mit dem Privilegium von 1776 bereits ein »öffentlicher Gottesdienst« gestattet worden war, änderte das Toleranzpatent von 1781 vorerst nichts, da es nur dort zur Anwendung kam, wo die Akatholiken »nicht schon bereits im Besitz des öffentlichen Religions-Exercitii« waren. Indem das Toleranzpatent grundsätzlich einen Kirchenbau und eine Gemeindegründung ermöglichte, bildete es allerdings die Voraussetzung für die Gründung der zweiten griechischen Gemeinde in Wien.

2.1.2. Weitere kirchenpolitische Maßnahmen Josephs II. Ebenso wie die Toleranzpolitik, so standen auch die kirchenpolitischen Maßnahmen Josephs II., welche die katholische Kirche betrafen, im Rahmen einer rational-utilitaristischen Philosophie, die dem Staat zugutekommen sollte. Die Umgestaltung der katholischen Kirche im Sinne des Nützlichkeitsgedankens 256 Josef Karniel, Zur Auswirkung der Toleranzpatente für die Juden in der Habsburgermonarchie im josephinischen Jahrzehnt. In: Peter F. Barton (Hrsg.), Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph II., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift. Wien 1981, 203–220. 257 Editionen des Toleranzpatents von 1781 bieten Peter F. Barton, »Das« Toleranzpatent von 1781. Edition der wichtigsten Fassungen. In: Peter F. Barton (Hrsg.), Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph II., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift. Wien 1981, 152–202; und Harm Klueting (Hrsg.), Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen. Darmstadt 1995, 252–255.

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

umfasste eine ganze Reihe von Reformen, von denen einige indirekt auch Auswirkungen auf die Organisation der orthodoxen Gemeinden in Wien hatten, weshalb ich an dieser Stelle kurz näher auf sie eingehe: Eine der wichtigsten Kirchenreformen Josephs II., die auch dauerhaft nachwirkte, war die sogenannte josephinische Pfarrregulierung.258 Da viele Pfarren zu groß und unübersichtlich waren, sodass es dem Seelsorger kaum möglich war seine Pfarrlinge ausreichend zu betreuen, sollte das Pfarrnetz ausgebaut werden; dadurch kam es zu vielen Pfarrneugründungen. Im josephinischen Konzept stellte die Pfarre die wichtigste direkte Verbindung zur Bevölkerung dar und der Pfarrer sollte als Werkzeug der bürokratischen Kontrolle der Bevölkerung259 und Durchsetzung staatlicher Maßnahmen dienen.260 So war der Pfarrer in seiner Funktion als Matrikenführer offiziell ein staatlicher Beamter.261 Außerdem sollte die Pfarre im Bereich des Armenwesens soziale Aufgaben erfüllen.262 Die Pfarre verkörperte somit die unterste Instanz des Zentralstaats,263 über die jeder Untertan erreicht werden sollte.264 Dem Prinzip der Nützlichkeit folgte auch die Aufhebung zahlreicher kontemplativer Klöster, die weder im Schulwesen noch im Bereich der Armen- oder Krankenfürsorge einen gesellschaftlichen Beitrag leisteten. Das Vermögen dieser Klöster wurde eingezogen und dem 1782 neuerrichteten Religionsfonds eingespeist. Ähnlich argumentiert wurde die Abschaffung der religiösen Bruderschaften, deren Vermögensvolumen im Laufe der Zeit stark angewachsen war. Ihr Vermögen wurde in einer einzigen Bruderschaft mit dem Namen »Der

258 Josephinische Pfarrgründungen in Wien. 92. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz. 22. Februar bis 9. Juni 1985. Wien 1985. 259 Diese Kontrolle trieb Joseph II. auch durch die Einführung des Meldewesens sowie der Hausnummern voran. Werner Ogris, Joseph II.: Staats- und Rechtsreformen. In: Peter F. Barton (Hrsg.), Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph II., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift. Wien 1981, 109–151, hier 124. 260 Pranzl, Das Verhältnis von Staat und Kirche/Religion im theresianisch-josephinischen Zeitalter, 38–39. 261 Franz Wilfinger, Die Bedeutung Kaiser Josephs II. für die Pastoral in Wien. In: Josephinische Pfarrgründungen in Wien. 92. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Karlsplatz. 22. Februar bis 9. Juni 1985. Wien 1985, 33–43, hier 42–43. 262 Ebd., 40–42. 263 Gleichzeitig mit der Pfarrregulierung wurde auch eine Diözesanregulierung durchgeführt, welche die Grenzen der Diözesen den Staatsgrenzen angleichen sollte, um den Einfluss ausländischer Bischöfe zu unterbinden. Rudolf Pranzl, Das Verhältnis von Staat und Kirche/ Religion im theresianisch-josephinischen Zeitalter, 36–37. 264 Barbara Gant, »National-Erziehung«: Überwachung als Prinzip. Österreichische Bildungspolitik im Zeichen von Absolutismus und Aufklärung. In: Helmut Reinalter (Hrsg.), Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus. Wien u. a. 2008, 97–124, hier 101.

Die Erneuerung des Privilegiums für die Bruderschaft 1782

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thätigen Liebe des Nächsten« zusammengefasst und sollte sozial-karitativen Zwecken zugutekommen.265 Keine der genannten Maßnahmen betraf die Akatholiken direkt, doch die dahinterstehenden Vorstellungen bezüglich Pfarrorganisation und Armenwesen hatten auch Auswirkungen auf die Organisationsformen der akatholischen Pfarreien. Die Tatsache hingegen, dass sich die Ablehnung religiöser Bruderschaften durch Joseph II. nicht in der Benennung der Bruderschaft zum Hl. Georg niederschlug, deutet auf deren Charakter als hauptsächlich kommerzielle Vereinigung hin, die mit den von Joseph II. bekämpften katholischen religiösen Bruderschaften wenig gemein hatte.266 Die Klosteraufhebungen wiederum hatten ganz praktische Folgen, da aus ihnen ein Angebot an leerstehenden Kirchengebäuden resultierte, welche die neugegründeten akatholischen Gemeinden übernehmen konnten. So erwarben die Protestanten A.B. und H.B. zwei benachbarte Parzellen auf dem Areal des aufgelassenen Königinklosters in der Dorotheergasse.267 Die ehemalige Klosterkirche wurde nach dem Abtragen der Türme entsprechend den Vorschriften des Toleranzpatents 1783 als lutherische Stadtkirche eingeweiht268 und die reformierte Gemeinde ließ auf dem benachbarten Grundstück ein Bethaus neu errichten, das zu Weihnachten 1784 eingeweiht wurde.269

2.2. Die Erneuerung des Privilegiums für die Bruderschaft zum Hl. Georg durch Joseph II. im Jahr 1782 Nach dem Tod von Maria Theresia bemühten sich diejenigen griechischen Händler, die osmanische Untertanen waren, um eine Erneuerung des Privilegiums durch den Nachfolger Joseph II.,270 da man davon ausging, dass die Privilegien jeweils vom regierenden Herrscher bestätigt werden mussten, um gültig zu bleiben. In diesem Zusammenhang herrschte zudem noch Unklarheit im Hinblick auf die Streitigkeiten mit dem Metropoliten von Karlowitz, sodass 265 Pranzl, Das Verhältnis von Staat und Kirche/Religion im theresianisch-josephinischen Zeitalter, 44. 266 Es ist richtig, dass die Bruderschaft der griechischen Händler als Erhalter der St. Georgskapelle auftrat. Dennoch hat Plöchl meines Erachtens den Charakter dieser Vereinigung nicht richtig erfasst, wenn er sie vor allem als religiöse Bruderschaft nach orthodoxem Kirchenrecht betrachtet, zu der dann zusätzlich eine Gemeinde hinzukam. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 30–31. 267 Mecenseffy, Rassl, Die evangelischen Kirchen Wiens, 50–54. 268 Stökl, Der Protestantismus in Wien, 45–47. 269 Martha Grüll, Die reformierte Stadtkirche in der Dorotheergasse. In: Peter Karner (Hrsg.), Die evangelische Gemeinde H.B. in Wien. Wien 1986, 105–117, hier 106. 270 Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 98–100.

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überlegt wurde die Verpflichtung zur Rückzahlung eines Betrages von 3.603 fl. an die »Religions-Casse zu Karlowitz« in den Privilegientext aufzunehmen. Als die Ungarische Hofkanzlei jedoch berichtete, dass diese Schuld bereits 1776 beglichen worden sei, wurde auf den Passus verzichtet.271 Das Privilegium Maria Theresias wurde am 3. August 1782272 von Joseph II. bestätigt.273 Der Text weicht in einigen Punkten von den vormaligen Bestimmungen der Regentin ab bzw. präzisiert diese.274 Höchstwahrscheinlich gehen diese Abweichungen auf die Initiative der Bruderschaft selbst zurück, die um einige Abänderungen angesucht hatte.275 Unter anderem wurde ein Passus eingefügt, der besagte, dass dem Pfarrer, sollte dies die Anzahl der Gläubigen erfordern, ein oder mehrere Vikare oder Kapläne zur Seite gestellt werden könnten. Auch an allen übrigen Stellen des Textes, an denen vom Pfarrer die Rede ist, wurde der Vikar zusätzlich eingefügt. Weiters wurde bei dem Punkt, der die Meldung des gewählten Pfarrers an den Metropoliten von Karlowitz behandelt, die Bemerkung eingefügt, dass die Bestätigungsurkunden der Pfarrer im Original aufbewahrt werden sollten. Die wichtigsten Änderungen im Text betreffen aber Präzisierungen im Hinblick auf die Durchführung der Verwaltung der Kapelle durch die Bruderschaft. Diese Neuformulierungen entsprachen auch dem Interesse der josephinischen Politik an einer ordnungsgemäßen Pfarrorganisation. Beispielsweise wird die Art der Beschlussfassung innerhalb der Bruderschaft genauer definiert. Während im Text des Privilegiums von Maria Theresia diesbezüglich stets von der Gesamtheit der in Wien Handel treibenden Griechen oder der Bruderschaft die Rede ist, wird im Text Josephs II. das Entscheidungsgremium des Ausschusses eingeführt. So heißt es im Privilegium von 1776, dass der Pfarrer dem Metropoliten von Karlowitz »von denen der Ottomanischen Pforte unterworfenen Griechen der nicht unirten Griechischen Orientalischen Kirche« bekannt gegeben werden müsse. Der Text des Privilegiums von 1782 hingegen besagt, dass der Pfarrer dem Metropoliten durch ein Schreiben der »Bruderschaft, oder derselben alle Jahr durch ordentliche von allen Anwesenden unterfertigende Vollmacht bestellenden Ausschuss« mitzuteilen sei. Weiters heißt es, sie sollten »mittelst des vorhero ordentlich erwählten Ausschusses alle Jahr zwey oder drey 271 AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 5. 272 Original in AHG, G 1, Fasz. 3. Editionsteil Nr. 7. 273 Diesbezügliche Dokumente unter : AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 5. 274 Die Aussage, die Privilegien von Maria Theresia seien »in ihrem Wortlaute getreu« von Joseph II. erneuert worden, die Koimzoglu, Geschichte der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heil. Georg«, 31; von Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 33; übernimmt, ist falsch. 275 Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 99.

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glaubwürdige Personen durch Mehrheit der Stimmen aus ihrem Mittel erwählen, und als Epitroppen anstellen«, dass »die Absetzung, und Erwählung der neuen, nämlich des Pfarrers, und Vikarien, dann der Epitroppen dieser Kapelle von dem Bruderschaftsausschuss durch Mehrheit der Stimmen« erfolge und, dass »alle Geschäfte, und alle Sachen dieser Pfarrkapelle einhellig, und gemeinschaftlich von der Bruderschaft, und zwar durch Mehrheit der Stimmen des alle Jahr erwählenden, und mit ordentlicher Vollmacht, von allen hier Anwesenden vorsehenden Ausschusses« geschehen sollten. Im Text von 1776 werden beim ersten Zitat anstelle des Ausschusses »die der Ottomanischen Pforte unterthänige nicht unirte hier handlende Griechen« genannt, während es an den zwei anderen Stellen einfach nur heißt, die Entscheidungen würden »von der Bruderschaft« getroffen. Joseph II., der alle katholischen Bruderschaften hatte aufheben lassen, hatte keine Bedenken, den Begriff »Bruderschaft« bei den osmanischen Untertanen weiterhin zu verwenden – wahrscheinlich, weil der Begriff als Synonym für die organisierte Gruppe der in Wien anwesenden »griechischen Handelsleute und türkischen Untertanen« benutzt wurde und daher eine ganz andere Bedeutung hatte. Er legte allerdings Wert auf eine klar definierte Organisation der Pfarrgemeinde, welche die ihr zugedachten »nützlichen« Aufgaben übernehmen konnte. Die von der Bruderschaft vorgeschlagenen Abänderungen des Textes,276 welche die Wahl eines Ausschusses und von Epitropen als zuständigen Vertretern der Pfarre einführten, entsprachen genau diesen Vorstellungen.

2.2.1. Die gedruckte Ausgabe des Privilegiums Josephs II. von 1783 Im Jahr 1783 erschien bei Kurzbek eine dreisprachige Ausgabe (Deutsch, Griechisch und Altkirchenslawisch) des Privilegiums von 1782.277 Der Grund für die Drucklegung ist wohl in einer weiteren Bekräftigung des Inhalts gegenüber Forderungen vonseiten Personenkreisen, die nicht osmanische Untertanen waren, zu suchen, wobei einerseits die Metropolie von Karlowitz, andererseits aber auch griechische Händler, die inzwischen k.k. Untertanen geworden waren, infrage kommen. Die gedruckte Ausgabe bietet eine interessante Zusatzinformation bezüglich der Definition des Ausschusses, der als »Dodekas« (dydej\r = Zwölferrat) übersetzt wird. Dafür, dass der Ausschuss aus zwölf Personen zu bestehen hatte, 276 Nistor, Bisericile s¸i s¸coala greco-rom.na˘ din Viena, 99. 277 Die von Seiner Majestät dem römischen Kaiser Joseph dem II. denen in der kaiserl. Residenzstadt Wien handelnden, der ottomanischen Pforte unterthänigen nicht unirten Griechen, in Betreff ihres Gottesdienstes in der Kapelle des heil. Georgius im Steyerhof allergnädigst ertheilte Freyheit. Wien 1783.

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Abb. 2: Titelblatt der Druckausgabe des Privilegiums Josephs II. für die Bruderschaft zum Hl. Georg

bietet der deutsche Text eigentlich keinen Anhaltspunkt. Allerdings wurde die Verwaltung mittels einer Dodekas bereits seit 1777 praktiziert, wie aus den Protokollen der Bruderschaft hervorgeht. Im ersten Jahr nach Verleihung des Privilegiums war die Kapelle noch mittels eines 18er-Gremiums verwaltet worden, man hatte sich aber schon wenig später für eine Reduktion auf eine Dodekas entschieden.278 Die Existenz einer Dodekas mit Mittlerfunktion zwischen der Gesamtheit der Mitglieder und den für die konkrete Kirchenverwaltung zuständigen Epitropen war eine typische Organisationsform griechischer

278 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 69 und 165.

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Diasporagemeinden.279 Es dürfte jedoch eine Begriffsverwirrung in der griechischen Übersetzung des deutschen Privilegientextes entstanden sein, da die Übersetzungsvariante »Dodekas« für den Begriff Ausschuss nicht durchgängig zu finden ist, sondern der Ausschuss an zwei Stellen auch mit »ep_tqopoi« übersetzt wird,280 was eigentlich nur für die »Epitropen« im deutschen Text verwendet werden sollte, die ja nicht mit dem Ausschuss ident sein, sondern vielmehr von ihm gewählt werden sollten. Auch bleibt offen, ob die Epitropen aus dem Kreis der Dodekas selbst stammen oder nur von ihr gewählt werden sollten. Die Protokolle der Bruderschaft zeigen aber, dass dies folgendermaßen gehandhabt wurde: Stets fungierten drei nicht zur Dodekas gehörende Personen als Epitropen.281

2.2.2. Die Bestätigungen des Privilegiums durch Leopold II. und Franz II./I. Nach dem Tod Josephs II. suchten die osmanischen Untertanen erneut um eine Bestätigung ihres Privilegiums durch seinen Nachfolger Leopold II. an. Im diesbezüglichen Bericht der Niederösterreichischen Landesregierung heißt es, die Beweggründe für die frühere Erteilung des Privilegiums seien zwar nicht bekannt, da es aber lediglich auf die gute Ordnung der gottesdienstlichen Handlungen, der Wahl der Pfarrer und der Verwaltung des Kirchenvermögens abziele, rate man zu dessen Bestätigung.282 So wurde das Privilegium Josephs II. ohne weitere Textänderungen283 am 30. November 1791284 von Leopold II.285 und in der Folge auch von Franz II./I. am 10. Jänner 1794286 bestätigt. Die Bruderschaft (später Gemeinde) zum Hl. Georg berief sich über ein Jahrhundert lang auf die Privilegien in dieser Form und erachtete es während dieser langen Zeit auch niemals als notwendig zusätzliche Statuten für die 279 Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta, 260. 280 Auf S. 10 der gedruckten Ausgabe von 1783 wird Ausschuss mit »tym jat’ ]tor epitq|pym« übersetzt, während auf S. 11 Ausschuss sowohl mit »ep_tqopoi« als auch mit »dydej\r« übersetzt wird. 281 Vgl. z. B. die Namen der Mitglieder der Dodekas und der Epitropen bei Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 72–73 und 81. 282 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1791), Karton 380, 29. Febuar 1791: Bericht der nö. Landesregierung die von den hiesigen nichtunirten griechischen Religionsverwandten türk. Unterthanen, und Handelsleuten angesuchte Bestätigung des ihnen auf ihre PfarrCapelle im Steyrerhof ertheilten Privilegiums betreffend. 283 Es finden sich lediglich Abweichungen in den Formulierungen, die aber am Inhalt nichts ändern. 284 Original in AHG, G 2, Fasz. 4. Editionsteil Nr. 13. 285 Diesbezügliche Korrespondenz in NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1791), Karton 380 und C 33 (de 1792), Karton 390. 286 Original in AHG, G 2, Fasz. 4. Editionsteil Nr. 16.

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Verwaltung der Pfarre auszuarbeiten. Das hat vermutlich damit zu tun, dass die Georgskapelle bzw. die spätere Kirche zum Hl. Georg nicht mehr mit Forderungen von externen Akteuren behelligt wurde, da diese sich auf die neugegründete und finanziell gut ausgestattete Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit verlagerten. Somit entstand schlichtweg kein Bedarf, mit Statuten auf die sich verändernde Rechtslage zu reagieren.

2.3. Die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit In den oben erwähnten Privilegien ist von der Bruderschaft der osmanischen Untertanen und griechischen Händler als Bezeichnung für das Kollektiv der in Wien anwesenden christlichen Händler aus dem Osmanischen Reich die Rede. Die Eigenschaft als Untertanen des Osmanischen Reiches war für diese Gruppe von entscheidender Bedeutung, da damit die aus den Verträgen von Karlowitz und Passarowitz resultierenden Handelsprivilegien verbunden waren. Das zeigt sich auch in der Sonderposition der aus dem Osmanischen Reich kommenden sephardischen Händler in Wien gegenüber den übrigen Juden.287 In einem späteren Bericht betreffend den Besuch der russischen Gesandtschaftskapelle durch die griechischen Händler ist zum ersten Mal auch von k.k. Untertanen die Rede.288 Die Anzahl der griechischen Händler, die sich entschieden, die österreichische Staatsangehörigkeit anzunehmen und sich dauerhaft in der Habsburgermonarchie niederzulassen, stieg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stark an. In einem Selbstzeugnis aus dem Jahr 1800 beschrieben diejenigen Händler, die österreichische Untertanen geworden waren, diesen Vorgang und die Gründe für ihre Entscheidung: »In den verschiedenen mit der Ottomanen Pforte geschlossenen Friedensschlüssen, zu Carlowitz, und Passarowitz wurde den Unterthanen der ottomanischen Pforte erlaubt, in den k.k. Staaten mit orientalischen Waaren Handel zu treiben, – sich dieserwegen in den kk Staaten zu aufzuhalten, allein keines Minutenhandels sich daselbst anzumassen. Dieses zog in der weiteren Zeitfolge eine Menge Handelslustiger türkischer Unterthanen in die kk Staaten, und vorzüglich nach Wien – die Sicherheit ihres Eigenthums – und ihres Erwerbes – die wohlgeordnete Justitz – kurz die gemässigte mit dem Despotismus ganz unbekannte Regierung, mußte diesen aus einem Lande, wo sie alles dieses so sehr vermißten in einem besseren Himmelsstrich gekommenen fremden so willkommen seyn, daß sie ihr Vaterland darüber ganz vergessend, sich größtentheils hier auf immer niederliessen, und der Unterthänigkeit gegen die hohe ottomanische 287 Siehe hier S. 64–66. 288 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend.

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Pforte ganz entsagten, mithin förmlich sich zu kk Unterthanen machten, und den Vorschriften den nach und nach hierüber entstandenen ausdrücklichen Gesetzen gemäß die kk Unterthänigkeit angelobt haben.«289

Die Händler begründeten ihre Entscheidung damit, dass sie durch die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit dem »Despotismus« im Osmanischen Reich entkommen seien – eine Darstellung, die in einem Brief an eine österreichische Behörde opportun erschien. Tatsächlich gab es aber auch viele Händler, die osmanische Untertanen blieben. Es handelte sich bei der Entscheidung für den Wechsel der Staatsangehörigkeit um einen bewussten Schritt, der von geänderten Rahmenbedingungen der Handelstätigkeit sowie den jeweiligen Lebensumständen des Händlers abhing. Vonseiten des österreichischen Staates betrieb man aus wirtschaftlichen Gründen eine Politik, welche die Annahme der k.k. Staatsangehörigkeit forcierte. Dies galt sowohl für orthodoxe Christen als auch für Juden, während Muslime nur österreichische Staatsangehörige werden konnten, wenn sie sich taufen ließen.290 Obwohl die aus den Verträgen von Karlowitz und Passarowitz resultierende Handelsfreiheit zwischen den beiden Staaten in den Friedensverträgen von Belgrad (1739) und Sistowa (1791) bekräftigt wurde und bis 1918 bzw. sogar darüber hinaus galt,291 bemühte man sich von österreichischer Seite immer wieder gewisse Einschränkungen für die osmanischen Untertanen einzuführen und die Handelstätigkeit der eigenen Untertanen zu schützen.292 Im Zuge der Bemühungen um die Förderung des Handels der k.k. Untertanen wurde in Punkt 4 des aufgrund der Entwicklungen des russisch-türkischen Krieges zwischen dem Kaiser und dem Osmanischen Reich abgeschlossenen Bündnisvertrages von Konstantinopel (6. Juli 1771),293 welcher den Handel be289 AHG, G 3, Fasz. 6, 29. Jänner 1800: Brief an die k.k. in Kriegssteuersachen aufgestellte Hofkommission. Das Dokument befindet sich im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg, es handelt sich aber um einen Brief der Gemeinde der k.k. Untertanen. 290 Herzfeld, Zur Orienthandelspolitik Österreichs unter Maria Theresia, 93. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 100–101. 291 Kaul, Die Rechtstellung der türkischen Juden in Wien, 91–101. 292 Einen guten Überblick über diese Beschränkungen liefert Kaul, Die Rechtstellung der türkischen Juden in Wien, 78–90. Siehe außerdem: Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 371–382; und Adolf Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia und Josef II. In: Archiv für österreichische Geschichte 86 (1898), 1–204, hier 33–35. 293 Das Originaldokument ist in digitalisierter Form abrufbar unter : http://www.ieg-friedens vertraege.de/treaty/1771%20VII%206%20B%C3%BCndnisvertrag%20von%20Konstantino pel/t-1880-4-de.html?h=2. Eine Edition findet sich in: George Fr8d8ric de Martens, Recueil de traites d’Alliance, de Paix, de TrHve, de Neutralit8, de commerce, de limites, d’8change etc. et de plusieurs autres actes servant / la connaissance des relations 8trangHres des Puissances et 8tats de l’Europe tant dans leur rapport mutuel que dans celui envers les puissances et etats dans d’autres parties du globe depuis 1761 jusqu’/ pr8sent. Bd. 2 (1771– 1779 inclusiv), Göttingen 21817, 19–23.

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treffende Bestimmungen umfasste, festgelegt, dass die k.k. Untertanen das Recht der meistbegünstigten Nation erhielten.294 Am 27. Jänner 1772 wurde dann die Gleichstellung der österreichischen mit den osmanischen Händlern im Hinblick auf den Ein- und Ausfuhrzoll öffentlich verlautbart.295 Nachdem das Osmanische Reich durch den Frieden von KüÅük Kaynarca (21. Juli 1774), der den russisch-türkischen Krieg beendete, klar geschwächt war, konnte man die Gelegenheit nutzen, um diejenigen griechischen Kaufleute, die osmanische Untertanen waren, im Handel zurückdrängen, und österreichische Untertanen zu fördern. In Ungarn wurde am 8. August 1774 die sogenannte Treueeidverordnung erlassen, die besagte, dass alle osmanischen Untertanen, die in Ungarn freien Handel betreiben wollten, einen Treueeid ablegen mussten, sodass sie österreichische Untertanen wurden.296 Dies setzte die Herbeiholung ihrer Familie bzw. ihre endgültige Niederlassung in Ungarn voraus: andernfalls mussten sie ins Osmanische Reich zurückkehren. Außerhalb Ungarns wurden die Händler nicht zur Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit (Naturalisation) verpflichtet. Dennoch hängt die vermehrte Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit durch in Wien tätige griechische Händler ab den 1770er Jahren mit diesen Entwicklungen zusammen. Staatlicherseits waren die erfolgreichen und wohlhabenden griechischen Händler im Kontext der Politik der Peuplierung, bei der man danach strebte, dem Staat neue »nützliche« Bürger zuzuführen, eine Gruppe, um die man sich besonders bemühte. Ihre Vermögen und ihr Unternehmergeist sollten dem österreichischen Staat zu Gute kommen. Für die Händler wiederum waren die zusätzlichen Rechte, die sie als österreichische Untertanen erhielten, eine wichtige Motivation. Dabei ist vor allem die Möglichkeit zum Erwerb von Grundbesitz und Immobilien, die ihnen als osmanischen Untertanen verwehrt, als österreichischen Untertanen aber durch das Toleranzpatent von 1781 gestattet wurde, zu nennen. In 294 Herzfeld, Zur Orienthandelspolitik Österreichs unter Maria Theresia, 43. 295 Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 378. Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia und Josef II., 35. 296 Ödön Füves, Die Griechen in Pest (1686–1931). Unveröffentlichte deutsche Übersetzung der Dissertation »Görögök Pesten (1686–1931)« besorgt von Andrea und Wolfram Seidler. Budapest 1972, 52–53. Bereits im Zusammenhang mit der Konskription der osmanischen Untertanen in Ungarn von 1769 war eine ähnliche Bestimmung erlassen worden. Diejenigen griechischen Händler, die osmanische Untertanen bleiben wollten, mussten nun jährlich um eine Bewilligung ansuchen und unterlagen strengen Passkontrollen. Ödön Füves, Oi 8kkgmer tgr Ouccaq_ar. Thessaloniki 1965, 28–29. Ikaros Madouvalos, Conscriptiones Graecorum in Eighteenth-Century Central Europe. Crossing Borders: The Sociocultural Identification of Migrants from the Balkans to Hungarian Territories. In: Harald Heppner, Eva Posch (Hrsg.), Encounters in Europe’s Southeast. The Habsburg Empire and the Orthodox World in the Eighteenth and Nineteenth Centuries. Bonn 2012, 121–133, hier 122. Jovan Pesˇalj, The mobility control of the Ottoman migrants in the Habsburg monarchy in the second half of the eighteenth century. In: ebd., 55–64.

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manchen Händlerfamilien traten jedoch nur einige Mitglieder zur k.k. Staatsangehörigkeit über, während andere osmanische Untertanen blieben. Die Praxis der Gründung gemeinsamer Gesellschaften von österreichischen und osmanischen Untertanen war eine übliche Strategie, mittels derer man die Vorteile beider Staatsangehörigkeiten nutzen und somit die für die osmanischen Untertanen eingeführten Beschränkungen umgehen konnte.297 Abgesehen davon handelte es sich bei einem Großteil der Wiener Griechen, die k.k. Untertanen waren, um Händler, die entweder über Ungarn298 nach Wien kamen und bereits dort den Treueeid abgelegt hatten, oder die mit Binnenhandel in der Habsburgermonarchie erfolgreich geworden waren und bereits seit vielen Jahren nicht mehr die Grenzen zum Osmanischen Reich überschritten hatten.

2.3.1. Die Definition der österreichischen Staatsbürgerschaft und die Sonderstellung der osmanischen Untertanen Die Differenzierung zwischen osmanischen und k.k. Untertanen wurde in der Folge zu einem prägenden Identitätsmerkmal für die griechischen Händler in Wien. Da sich der Begriff der Staatsangehörigkeit jedoch im Laufe der Zeit wandelte, soll an dieser Stelle ein Überblick über die historische Entwicklung der Definition der Staatsangehörigkeit (später Staatsbürgerschaft) in der Habsburgermonarchie und deren Erwerb gegeben werden. Die erste Definition des Begriffes stammt aus dem Josephinischen Gesetzbuch von 1786 und ist in Konformität mit der von der von Joseph II. propagierten Politik der Bevölkerungsvermehrung299 einerseits inklusiv, andererseits dem territorialen Prinzip verpflichtet: »Alle, die in den Erbländern unter der landesfürstlichen Gewalt vereiniget leben, sind für Inländer und Unterthanen zu halten, und geniessen ohne Unterschied die Unterthanen und Inländern allgemein gebührenden Rechte.«300 297 Siehe dazu auch: Kaul, Die Rechtstellung der türkischen Juden in Wien, 90. 298 Max Demeter Peyfuss, Aromanian landlords in the Banat around 1800. In: Revista istorica˘ 14 (2003), 59–82; nennt die Namen mehrerer aromunischer Familien von Grundbesitzern, die man auch unter den Wiener Griechen wiederfindet. 299 Hannelore Burger, Die Staatsbürgerschaft. In: Waltraud Heindl, Edith Saurer (Hrsg.), Grenze und Staat. Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie 1750–1867. Wien [u. a.] 2000, 88–172, hier 98. 300 Josephinisches Gesetzbuch von 1786, § 3 des Hauptstückes. Burger, Passwesen, 98. Martin P. Schennach, Der »Österreicher« als Rechtskonstrukt? Zur Formierung einer österreichischen Staatsbürgerschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 33 (2011), 152–176, hier 160.

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Auch der Hofbescheid vom 15. Februar 1784, der besagte, dass alle Ausländer die sich bereits länger als zehn Jahre im Land aufhielten automatisch für Inländer zu halten seien, ist diesem inklusiven und territorialem Verständnis der österreichischen Staatsangehörigkeit verpflichtet und war in der Politik der Bevölkerungsvermehrung begründet.301 Im selben Zusammenhang steht auch das Auswanderungspatent vom 10. August 1784, das die unerlaubte Auswanderung mit dem Verlust aller bürgerlichen Rechte und der Einziehung des Vermögens bestrafte.302 Der Begriff des »Staatsbürgers« erscheint erstmals 1797 im Westgalizischen Gesetzbuch303, wird darin jedoch nicht genauer definiert. Generell ist zu bemerken, dass der Begriff in österreichischen Rechtstexten des Vormärz synonym mit dem älteren und stärker negativ besetzten Begriff des Untertanen verwendet wurde und nicht mit einer demokratischen Konnotation aufgeladen wurde.304 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811, das am 1. Jänner 1812 in Kraft trat, enthielt erstmals genaue Bestimmungen über den Erwerb der Staatsbürgerschaft.305 Demnach konnte die Staatsbürgerschaft entweder stillschweigend (ipso facto) durch einen zehnjährigen ununterbrochenen Wohnsitz in den Erbländern, oder durch Eintritt in den öffentlichen Dienst bzw. durch Antritt eines Gewerbes erworben werden.306 Außerdem konnte um Einbürgerung angesucht werden, die nach Prüfung des Vermögens, der Erwerbfähigkeit und des sittlichen Betragens von den politischen Behörden verliehen werden konnte.307 In Bezug auf die Behandlung der osmanischen Untertanen ist § 33 von Bedeutung. Er lautet: »Den Fremden kommen überhaupt gleiche bürgerliche Rechte und Verbindlichkeiten mit den Eingebornen zu, wenn nicht zu dem Genusse dieser Rechte ausdrücklich die Eigenschaft eines Staatsbürgers erfordert wird. Auch müssen die Fremden, um gleiches Recht mit den Eingebornen zu genießen, in zweifelhaften Fällen beweisen, daß der Staat, dem sie angehören, die hierländigen Staatsbürger in Rücksicht des Rechtes, wovon die Frage ist, ebenfalls wie die seinigen behandle.«

Der weitgehenden Gleichstellung von Fremden und Staatsbürgern308 im ABGB steht im Falle der osmanischen Untertanen das Prinzip der Reziprozität entge301 Burger, Die Staatsbürgerschaft, 98. 302 Auswanderungspatent vom 10. August 1784, § 27. In: Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. für die k.k. Erbländer ergangener Verordnungen und Gesetze. Bd. 6, Wien 1986, 295. Burger, Die Staatsbürgerschaft, 132. 303 Burger, Die Staatsbürgerschaft, 97. Schennach, Der »Österreicher«, 156. 304 Schennach, Der »Österreicher«, 156–157. 305 ABGB Franz II./I., § 28-§ 31. Burger, Die Staatsbürgerschaft, 108–109. 306 ABGB Franz II./I., § 29. 307 Ebd., § 30. 308 Schennach, Der »Österreicher«, 165.

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gen, das deren Schlechterstellung rechtfertigte. So war ihnen aufgrund der Reziprozität der Besitz von Realitäten in Österreich nicht erlaubt,309 da Ausländern im Osmanischen Reich bis 1856 der Erwerb unbeweglicher Güter ebenfalls nicht gestattet war.310 Bereits vor dem ABGB von 1811 wurde am 28. Juli 1806 ein Hofkammerdekret311 erlassen, das spezielle Regelungen für die Händler aus dem Osmanischen Reich traf. Dabei wurden letztere in vier Kategorien unterteilt: »a) die neu eintretenden türkischen Handelsleute b) die bereits seit mehreren Jahren in Wien, und in den k.k. Erbländern überhaupt den Handel treibenden türkischen Unterthanen c) die in die Zahl der k.k. Unterthanen übertretenden, oder bereits übergetretenen türkischen Handelsleute d) die türkischen Juden«312

Als Grund für den Erlass dieses Hofkammerdekretes werden »eingetretene Mißbräuche im Handel« genannt, wobei aber mit Rücksicht auf den »für die österreichischen Staaten so wichtigen Levantiner-Handel« möglichst behutsam vorgegangen werden sollte.313 Die erwähnten Missbräuchen bezogen sich darauf, dass manche osmanische Untertanen nur zum Schein in die österreichische Botmäßigkeit übertraten, um die Vorteile der österreichischen Untertanen genießen zu können, dann aber wieder ins Osmanische Reich zurückkehrten: »[…] Da sich nicht selten der Fall ereignete, daß derley türkische Unterthanen nur zum Schein dem oesterr. Scepter huldigten, und dann mit dem in Staaten [sic!] gesammelten Vermögen in ihr Vaterland zurückkehrten, und daselbst verblieben, oder mit ihrer Familie und mit ihrem Vermögen und zum Schein nur zum Theil sich im Lande ansässig machten, oder durch mancherley Inconsequenzen unter dem Schutze des oesterr. Nationalisationspatent die k.k. Internunciaturen, dann die österr. Consulen und Agenten in große Verlegenheit versetzten, so wird, um diesen Unordnungen vorzubeugen, jeder türkische Unterthan, der in die k.k. Bothmässigkeit übertreten will, eine angemessene Caution auf eine verläßliche Art sicher zu stellen haben, welche auf den Fall, daß derselbe ohne Erlaubniß die k.k. Erblande verlassen, oder über die in 309 Johann Vesque von Püttlingen, Die gesetzliche Behandlung der Ausländer in Oesterreich nach den daselbst gültigen Civilrechts-, Straf-, Commerzial-, Militär- und Polizei-Normen, nebst einer einleitenden Abhandlung über die österreichische Staatsbürgerschaft. Wien 1841, 63 (§ 70). Basis der Bestimmung waren das Hofrescript vom 23. Oktober 1776, die Hofdekrete vom 3. Jänner 1776 und vom 24. Februar 1816 sowie das Hofkanzleidekret vom 5. Mai 1820. 310 Schennach, Der »Österreicher«, 165–166. 311 Vesque, Die gesetzliche Behandlung der Ausländer, 236–241. AHD, G 12, Fasz. 1, 6. November 1806: Brief des k.k. nö. Merkantil- und Wechselgerichts (Schreiben, in welchem der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit die Bestimmungen dieses Hofdekrets zur Kenntnis gebracht werden). 312 Vesque, Die gesetzliche Behandlung der Ausländer, 236. 313 Ebd.

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seinem Paß bestimmte Zeitfrist ausbleiben sollte, dem Fiskus zufallen wird, so wie auch in diesem Falle wie bereits sub 6 festgesetzt worden ohnehin desselben Nationalisirung als aufgehoben anzusehen ist. […]«314

Länger als ein Jahr in Wien anwesende osmanische Händler wurden verpflichtet, ihre Firma bei den Behörden anzuzeigen.315 Jene, die in die k.k. Botmäßigkeit übertraten bzw. schon übergetreten waren, durften ihren bisher betriebenen Handel fortführen, mussten aber einen Fond von 10.000 (für Wien) bzw. 5.000 (für die Provinzen) Gulden ausweisen.316 Weiters heißt es über diese Gruppe: »Dergleichen türkische Unterthanen, die in die Reihe der k.k. Unterthanen eingetreten sind, übernehmen alle Verbindlichkeiten, und erhalten alle Rechte der letzteren.« Das heißt, dass sie Großhandlungs-, Fabriks- und andere Befugnisse erhalten konnten, wenn sie – wie alle übrigen k.k. Untertanen – die entsprechenden Bedingungen erfüllten.317 Voraussetzung für die Verleihung der Staatsangehörigkeit war, dass der osmanische Händler seine Frau und seine Kinder nach Österreich brachte.318 Das Osmanische Reich erlaubte genau wie Österreich die Auswanderung grundsätzlich nicht und erkannte nach dem Frieden von Sistowa (4. August 1791)319 nach Österreich ausgewanderte Händler nicht als österreichische Untertanen an.320 Daher wurden nach 1791 eingebürgerte osmanische Händler darauf hingewiesen, dass der ihnen durch die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit verliehene Schutz auf osmanischem Territorium nur bedingt gültig war,321 und es wurde ihnen empfohlen auf Reisen ins Osmanische Reich möglichst zu verzichten.322 Bereits das Hofkammerdekret vom 28. Juli 1806 stand im Zeichen einer stärkeren Kontrolle der osmanischen Händler. Durch das Hofdekret vom 12. Februar 1807 wurde die Politik, die bemüht war, die osmanischen Händler zur Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit zu bewegen, schließlich beendet. Darin heißt es: »Bei Ertheilung der Staatsbürgerschaft an türkische Unterthanen soll nur sparsam vorgegangen werden, weil diese gewöhnlich unter allerlei Vorwand nach der Türkei

314 AHD, G 12, Fasz. 1, 6. November 1806: K.k. nö. Merkantil- und Wechselgericht an die griechischen Handelsleute und k.k. Untertanen. 315 Vesque, Die gesetzliche Behandlung der Ausländer, 238. 316 Ebd., 240. 317 Ebd. 318 Ebd., 28. 319 Eine gedruckte Ausgabe des Friedensvertrages befindet sich in AHG, G 2, Fasz. 4. 320 Vesque, Die gesetzliche Behandlung der Ausländer, 26–27. 321 Ebd., 27. 322 Ebd., 28.

Die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit

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zurückkehren, und dann ohne wahren Nutzen für Österreich daselbst unbefugten Schutz verlangen.«323

Zunächst galt jedoch weiterhin die Bestimmung, die – auch den osmanischen Untertanen – einen stillschweigenden Erwerb der Staatsbürgerschaft nach zehnjährigem ununterbrochenem Aufenthalt in Österreich ermöglichte. Diese Regelung wurde allerdings im Jahr 1833 abgeschafft. Für den Erwerb der Staatsbürgerschaft musste man nun – auch wenn man sich über zehn Jahre auf österreichischem Boden aufgehalten hatte – eine ausdrückliche Willenserklärung abgeben.324 Das Staatgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867325 änderte schließlich den Charakter der österreichischen Staatsbürgerschaft grundlegend, da die Staatsbürgerschaft nun zur unabdingbaren Voraussetzung für die Teilhabe am Staat wurde.326 Die noch bestehenden stillschweigenden Erwerbsarten der Staatsbürgerschaft (Eintritt in den öffentlichen Dienst und Antritt eines Gewerbes) galten nicht mehr und der Staatsdienst war von nun an Inländern vorbehalten.327 Gleichzeitig wurde die Freiheit der Auswanderung gewährt.328 Schließlich sei noch auf die Gewährung der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit329 hingewiesen, die für die »akatholische« Bevölkerung das Zeitalter der Toleranz ein für alle Mal beendete.

2.3.2. Beispiel: Demeter Theocharides Wie erwähnt, waren erst im ABGB von 1811 genaue Bestimmungen über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf ein Ansuchen hin festgeschrieben. Für die griechischen Händler, die aus dem Osmanischen Reich in die k.k. Erbländer einwandern wollten, bestand aber auch davor, abgesehen vom stillschweigenden Erwerb der Staatsangehörigkeit nach einem zehnjährigen Aufenthalt in Österreich, die Option, sich offiziell einbürgern zu lassen. Die offizielle Annahme der Staatsangehörigkeit mittels einer Urkunde hatte den Vorteil, gegenüber einer anderen Macht formell beweisen zu können, dass die Person unter dem Schutz des österreichischen Staates stand. So sollte unter 323 Ebd., 27. Burger, Die Staatsbürgerschaft, 144. 324 Ebd., 119–121. 325 Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. In: RGBl LXI, 142. Stück, 394– 396. 326 Burger, Die Staatsbürgerschaft, 168–169. 327 Ebd., 169. 328 Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, Art. 4. 329 Ebd., Art. 14.

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anderem der Zugriff auf das Vermögen durch einen anderen Staat verhindert und die eigene Position rechtlich abgesichert werden. Der griechische Handelsmann Demeter Theocharides (Dgl^tqior Heowaq_dgr) (1750–1836)330 erhielt nach seinem Ansuchen um Übertritt in die k.k. Botmäßigkeit am 18. Dezember 1784 eine Urkunde, die ihm zur Legitimation dienen sollte. Der Text der mit Siegel versehenen Urkunde331 lautet folgendermaßen: »Von der röm: kais: zu Hungarn und Böheim königl: apostoll: Majestät n: oe: Landrechte wegen, wird hiemit Jederman kundgemacht. Demnach der Demeter Theocharides griechischer Handelsmann, und Unterthann der ottomanischen Pforte, mittels des unterm 8 t dieß bey diesem kaisl. königl. n: oe: Landrechte, als seinem bisherigen Foro competenti eingereichten Anbringens, und dabey zugleich eingelegten Reverses, sich dahin erkläret hat, daß er nicht nur der ottomanischen Unterthänigkeit, gänzlich entsage, sondern sich auch für das künftige als kaisl: königl: Unterthan dem Szepter und Bothmäßigkeit Seiner kaiserlich königlich apostolischen Majestät unterwerfe, folgbar alle landesfürstliche, und übrige onera publica, und namentlich das Abfarthgeld zu tragen, und zu entrichten gehalten seyn wolle, und solle. Als ist demselben hierüber gegenwärtiger Beglaubigungs Schein zu seiner Legitimazion, und weitere nöthigen Gebrauch ertheilet worden. Ex caesareo Regio Consilio tribunalis Statuum inferioris Austriae Wien den 18 t Dezember 1784. Franz Anton Mandelli Joseph Carl Fürst Waldstätten«

Der Antragsteller hatte der osmanischen Untertanenschaft zu entsagen und sich dem in seiner apostolischen Majestät personifizierten österreichischen Rechtssystem zu unterwerfen. Demeter Theocharides332 ist ein Beispiel für jene Handelsleute, aus denen die Gründergeneration der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, der Gemeinde der k.k. Untertanen, bestand. Obwohl er den größeren Teil seines Lebens als k.k. Untertan verbrachte, fühlte er sich auch seinen Glaubensgenossen aus dem Osmanischen Reich weiterhin verpflichtet. Als er 1836 unverheiratet und kinderlos

330 AHD, Matrikenbuch 1790–1857, 190: Sterbeeintrag vom 17. Jänner 1836. 331 AHD, G 19, Fasz. 2. 332 Über Theocharides ist bekannt, dass er im Jahr 1788 erfolglos um die Bewilligung für die Herausgabe einer neugriechischen Zeitung ansuchte. Ein weiteres Ansuchen wurde 1789 bewilligt, die Zeitung erschien jedoch aus Mangel an Subskribenten nicht. Laios, Die griechischen Zeitungen und Zeitschriften, 113 und 133–135. Aikaterini Koumarianou, Die griechische vorrevolutionäre Presse. Wien – Paris (1784–1821). Palaio Psychiko 1995, 26– 29.

Die Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit

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starb, stiftete er sein Haus Nr. 1175 auf der Biberbastei zu gleichen Teilen den Armen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit und der Gemeinde zum Hl. Georg.333

Abb. 3: Urkunde zur Bestätigung des Übertritts in die k.k. Botmäßigkeit von Demeter Theocharides. Aus: AHD, G 19, Fasz. 2.

2.4. Die Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Wenige Jahre nach dem josephinischen Toleranzpatent von 1781 wurde in Wien eine zweite griechische Gemeinde gegründet und eine Kirche gebaut. Die Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit im Jahr 1786 (legitimiert durch das Privilegium vom 29. Jänner 1787) fällt in eine Phase, in der griechische Gemeinden in der gesamten Habsburgermonarchie Kirchenneubauten errichteten.334 In Bras¸ov/Kronstadt wurde 1787 eine Kirche errichtet, in Tokaj 1790 und in Sibiu/Hermannstadt 1797, obwohl die dortigen Handelskompanien der Grie-

333 AHD, G 19, G 20, G 21. 334 Katsiardi-Hering, Madouvalos, The tolerant policy of the Habsburg authorities, 28–29.

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chen schon viel länger bestanden.335 Die Bewilligungen für die Errichtung von Kirchen in Miskolc, Nagyv#rad und Ungv#r wurden 1784 erteilt, Szentes und Hjdmezo˝v#s#rhely erhielten 1786 und V#c und Karcag schließlich 1793–94 die Erlaubnis.336 Im Jahr 1803 wurde auch die bisherige Kapelle zum Hl. Georg in Wien durch einen Kirchenneubau ersetzt.337 Diese Serie von Kirchenneubauten zum Ende des 18. Jahrhunderts hängt einerseits mit der grundsätzlichen Gestattung der Religionsausübung, welche die nicht unierten Griechen durch das Toleranzpatent erhielten, zusammen und fällt andererseits in die Blütezeit der griechischen Händler in der Habsburgermonarchie. Trotzdem war die Neugründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien keineswegs notwendig. Obwohl es in vielen anderen Städten der Habsburgermonarchie zu internen Streitigkeiten innerhalb der orthodoxen Gemeinden kam, die zum Teil zu Gemeindespaltungen und damit verbundenen Kirchenneubauten führten, ist Wien das einzige Beispiel für eine Trennung in zwei Gemeinden nach dem Kriterium der osmanischen bzw. k.k. Staatsangehörigkeit.338

2.4.1. Gründe für Streitigkeiten und Gemeindespaltungen in anderen Städten der Habsburgermonarchie 2.4.1.1. Ethnische Konflikte zwischen Griechen und Serben Sowohl in Triest als auch in Pest führten serbisch-griechische Streitigkeiten zu Gemeindespaltungen. Auch hier ging es vor allem um die Sprache der Liturgie, die von der Bestellung des Priesters abhing, und um die Hoheit über die Gemeindeverwaltung. Dies erinnert an den serbisch-griechischen Konflikt um die Kapelle zum Hl. Georg in Wien. Allerdings dürfte beim Wiener Konflikt die ethnische Komponente eine weniger wichtige Rolle gespielt haben als die Differenzen zwischen griechischen Händlern und Karlowitzer Klerus. Im Unterschied zu den anderen Städten tritt in Wien ein serbisches Kirchenvolk nicht als 335 Siehe: http://www.fhw.gr/projects/migration/15-19/gr/v2/transylvania.html. (Abgerufen am 24. 5. 2017). 336 Füves, Die Griechen in Pest, 90. 337 Tsigaras, O ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 43. 338 Olga Katsiardi-Hering, Christian and Jewish Ottoman subjects: Family, inheritance and commercial networks between East and West (17th–18th c.). In: Simonetta Cavaciocchi (Hrsg.), La famiglia nell’economia europea secc. XIII–XVIII. Atti della »Quarantesima Settimana di Studi«, 6–10 aprile 2008. Florenz 2009, 409–440, hier 420, Anm. 46. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 291.

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Akteur im Konflikt auf, was damit zusammenhängt, dass die serbische Präsenz in Wien während des gesamten 18. Jahrhunderts gering blieb.339 In Triest forderten die Serben einen serbischsprachigen Priester sowie das Mitspracherecht in der Verwaltung der hauptsächlich von den Griechen finanzierten Kirche des Hl. Spiridon. Da die Behörden die serbischen Forderungen als legitim erachteten, die Griechen eine gemeinsame Gemeindeverwaltung jedoch nicht akzeptierten, endete der Streit schließlich damit, dass die Griechen 1782 von den Behörden die Erlaubnis zum Bau einer eigenen Kirche (Hl. Nikolaus) erwirkten und sich somit von den Serben trennten.340 In Pest brach ein Konflikt zwischen Serben und Griechen aus, nachdem sich infolge der Treueeidbestimmung von 1774, in der die griechischen Händler in Ungarn aufgefordert wurden, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, viele Griechen in Pest niederließen und die schon länger anwesenden Serben, zu deren Kirchengemeinde die Griechen gehörten, fürchteten, übervorteilt zu werden.341 Den Griechen gelang, die Einführung einer abwechselnden Liturgie in serbischer und griechischer Sprache durchzusetzen.342 In weiterer Folge bemühten sie sich um die Erlaubnis zum Bau einer eigenen Kirche, die sie 1789 auch erhielten.343 Nach Füves inspirierte der Erfolg der Griechen in Pest bezüglich der Einführung einer griechischen Liturgie Griechen in anderen ungarischen Städten zu ähnlichen Forderungen.344 Tatsächlich kam es in Zemun/Semlin 1793 zu einem Konflikt zwischen Griechen und Wallachen auf der einen Seite und Serben auf der anderen Seite,345 bei dem die Griechen vor einer Spaltung warnten – »wie es leider schon an manchen Orten geschehen«346 sei –, wenn die Serben sie nicht besser behandelten. Der Streit wurde 1794 vom Metropoliten von Karlowitz Stefan Stratimirovic´ mittels der Bestimmung geschlichtet, dass die Gemeinde in Hinkunft stets von einem Gremium aus je zwölf Serben und sechs Griechen verwaltet werden die Liturgie jeden zweiten Sonntag in griechischer Sprache

339 Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Serben zu, was auch der Grund für die späte Errichtung einer eigenen serbischen Kirchengemeinde in Wien ist. Medakovic´, Serben in Wien, 20–21. 340 Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 103–117. 341 Füves, Die Griechen in Pest, 50–62. 342 Ebd., 66. 343 Ebd., 88–89. 344 Ebd., 66–67. 345 Popovits, Aql\moi Bk\woi sta Bakj\mia, 250. 346 Ioannis Papadrianos, Vasilija Kolakovic´, Sulbok^ stgm istoq_a tgr ekkgmij^r joim|tgtor tou Selk_mou. P]mte am]jdota ]ccqava tou ]tour 1793. In: Lajedomij\ 11 (1971), 29–37, hier 30–32.

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abgehalten werden solle.347 Auch in Novi Sad gab es 1791 einen ähnlichen Streit.348 2.4.1.2. Andere Gründe für interne Konflikte und Gemeindespaltungen Ethnisch motivierte Konflikte zwischen Griechen und Serben waren der häufigste Grund für interne Streitigkeiten in orthodoxen Gemeinden der Habsburgermonarchie, doch es gab auch einige Fälle, in denen in den Gemeinden andere Bruchlinien verliefen, die ebenfalls zu Fraktionsbildungen bzw. der Exklusion von bestimmten Gruppen führten. In Pest entwickelte sich wenige Jahre nach der Trennung der Griechen von den Serben ein weiterer ethnischer Konflikt, und zwar zwischen Griechen und Wallachen. Unter den »griechischen Kaufleuten« in Pest, die vor allem aus Makedonien und Epirus stammten, war die Zahl derjenigen mit aromunischer Herkunft besonders hoch.349 Durch den Kontakt zu rumänischen Anhängern der Siebenbürger Bewegung entwickelten die Wallachen in Pest ein eigenständiges Nationalbewusstsein, das den Hintergrund für die Konflikte mit den Griechen bildete.350 Die Regelung der abwechselnd in griechischer und aromunischer Sprache abgehaltenen Liturgie wurde von den Griechen lange Zeit bekämpft und eine weitere Gemeindespaltung stand im Raum. Ein kaiserliches Machtwort im Jahr 1821 bestimmte jedoch, dass das bestehende System beibehalten werden sollte.351 Ein Beispiel für einen Konflikt bei dem ethnische Fragen keine ausdrücklich dokumentierte Rolle spielten ist jener in Bras¸ov/Kronstadt zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern der dortigen Handelskompanie. Die dortige Kirche der Griechen war 1787 von den Mitgliedern der Handelskompanie gebaut worden. Im Zuge der Streitigkeiten verlangten die Nichtmitglieder nach dem Bau einer eigenen Kirche, konnten ihre Forderung aber nicht durchsetzen.352 Die Trennung in zwei Gemeinden nach dem Kriterium der osmanischen bzw. österreichischen Staatsangehörigkeit in Wien ist einzigartig. Ein Beispiel aus Ungarn zeigt jedoch wie die habsburgische Politik, die sich bemühte die griechischen Händler zu österreichischen Untertanen zu machen, das Selbstver347 Ioannis A. Papadrianos, Oi 8kkgmer p\qoijoi tou Selk_mou (18or-19or ai.). Thessaloniki 1988, 116–119. 348 Popovits, Aql\moi Bk\woi sta Bakj\mia, 254–255. 349 Viele von ihnen stammten aus Moschopolis. Füves, Die Griechen in Pest, 68. 350 Gunnar Hering, Der Konflikt zwischen Griechen und Walachen in der Pester orthodoxen Gemeinde. In: Dimensionen griechischer Literatur und Geschichte. Festschrift für Pavlos Tzermias zum 65 Geburtstag. Frankfurt am Main 1993, 145–160. 351 Hering, Der Konflikt zwischen Griechen und Walachen, 150–151. 352 http://www.fhw.gr/projects/migration/15-19/gr/v2/transylvania.html. (Abgerufen am 24. 5. 2017).

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ständnis der Händler beeinflusste. In der Gemeinde von Miskolc distanzierten sich die österreichischen Untertanen nach der Ablegung des Treueeides von den osmanischen Untertanen und schlossen letztere aus der Gemeinde aus. So wird in den Statuten dieser Gemeinde aus dem Jahr 1785 die Aufnahme osmanischer Untertanen in die Bruderschaft strikt abgelehnt:353 »nachdem wir den immerwährenden Treueeid gegenüber dem ruhmreichen Königreich Ungarn, und dem Hof von Österreich abgelegt haben […] daher legen wir heute für immer fest, dass wir nur diejenigen in die Bruderschaft aufnehmen, die gegenüber unserem allerhöchsten Kaiser die Treue geschworen haben […]«354

Dieser Beschluss der Miskolcer griechischen Händler zeigt, dass durch den endgültigen Übertritt von der osmanischen zur österreichischen Untertanenschaft eine deutliche Trennlinie zwischen den beiden Gruppen entstand und die Staatsangehörigkeit zu einem wichtigen Identitätsmerkmal avancierte. Das ist auch das grundlegende Motiv für die Gründung einer Gemeinde der k.k. Untertanen in Wien ein Jahr später (1786). In den genannten Fällen von Gemeindespaltungen versuchten die zuständigen Bischöfe sowie die k.k. Behörden stets die Spaltung zunächst zu verhindern, indem man Regelungen wie die abwechselnde Liturgie in zwei Sprachen und Proporz bei der Besetzung der Vorsteherstellen einführte. Einer Trennung als letzter Ausweg wurde erst zugestimmt, wenn der Streit zu sehr eskaliert war.355 Dieses Muster ist auch in jenen dem mariatheresianischen Privilegium von 1776 vorangegangenen Streitigkeiten zwischen Griechen und Serben um die Kapelle zum Hl. Georg in Wien zu erkennen. Daher ist bemerkenswert, dass im Fall der Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien die österreichischen Behörden – ganz im Unterschied zu anderen Fällen – unterstützend wirkten. Diese Gründung steht in engem Zusammenhang mit der Rolle der griechischen Händler in der Haupt- und Residenzstadt Wien und dem staatlichen Interesse an dieser Gruppe.

353 Nadya Danova, V. Todorov, Ekkgmij\ ]ccqava ap| to aqwe_o tgr p|kgr L_sjoktr (Ouccaq_a). In: J. M. Fossey, J. Morin (Hrsg.), Proceedings of the first international congress on the hellenic diaspora, Bd. 1, Amsterdam 1991, 180–189, hier 184–185. Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta, 258–259. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 291. 354 »!voO 1b\kalem t¹m fqjom t/r 1lpistos}mgr di± pamtoteim± pq¹r t¹ Eqjke]r bas_keiom t/r Oqcjaq_ar, ja_ Aqk_m t/r Aoqsstq_ar, […] Di± toOto tµm s_leqom hesp_fole di\ p\mtoter, 1je_mour l|mom m± p\qylem eQr tµm !dekv|tgta, oR bpo?oi eWmai blmecl]moi di± t^m 1lpistos}mgm pq¹r t¹m Aucoustom Ja_ssaq\ lar […]«. Zitiert nach: Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta, 258–259, Anm. 46. 355 In Triest waren die Griechen beispielsweise bereits so weit, dass sie den Bau einer eigenen Kirche beschlossen hatten, bevor sie überhaupt die Erlaubnis zur Trennung von der serbischen Gemeinde erhielten. Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 113.

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2.4.2. Die Spaltung der Wiener griechischen Händler in osmanische und k.k. Untertanen Obwohl auch in anderen griechischen Gemeinden in der Habsburgermonarchie ähnliche Voraussetzungen wie in Wien – nämlich die gleichzeitige Anwesenheit von griechischen Händlern, die osmanische und solchen, die österreichische Untertanen waren – herrschten, ist Wien der einzige Ort, wo dies zur Gründung zweier Gemeinden führte. Dieses Faktum wird in den älteren Texten, die sich mit der Geschichte der Gemeinden befassen, zumeist unkommentiert hingenommen und die Spaltung aufgrund der unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten als logische Folge interpretiert.356 Loukatos erklärt das Auseinandergehen der österreichischen und der osmanischen Untertanen mit der zunehmenden gegenseitigen Entfremdung der beiden Gruppen aufgrund der Tatsache, dass die k.k. Untertanen sich assimilierten, während die osmanischen Untertanen ihrer Heimat weiterhin stark verbunden blieben.357 Plöchl macht soziale Spannungen zwischen den tendenziell wohlhabenderen österreichischen Untertanen und den sich nicht dauerhaft in Wien aufhaltenden osmanischen Untertanen für die Rivalitäten verantwortlich,358 kann aber ebenfalls keine befriedigende Antwort liefern, wenn er notiert: »Offenbar war die Zeit für die Trennung reif geworden«.359 Seirinidou führt dieses Argument genauer aus und beschreibt eine wirtschaftliche Konkurrenz zwischen den wohlhabenden in Österreich bereits etablierten makedonischepirotischen Familien und den später aus dem Osmanischen Reich ankommenden thessalischen und chiotischen Kaufleuten.360 Eine solche Konkurrenz zwischen osmanischen und österreichischen Händlern, die je nach Staatsangehörigkeit über ganz unterschiedliche wirtschaftliche Vor- und Nachteile verfügten, bestand in den folgenden Jahrzehnten fort und wurde auch so wahrgenommen, wie eine bei Füves zitierte Bemerkung des Metropoliten von Karlowitz Stefan Stratimirovic´ zum Konflikt zwischen den Griechen und Wallachen in der griechischen Gemeinde in Pest zeigt. Zur geforderten Trennung von Griechen und Wallachen meinte er :

356 So bei Pallatidis, Up|lmgla istoqij|m, 16; Dudos, Die griechisch-orientalische KirchenGemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit, 8; sowie in dem Manuskript von Eugen Zomarides zur Geschichte der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (AHD, S 8, Fasz. 3). Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou; und Koimzoglu, Geschichte der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heil. Georg«; gehen gar nicht auf das Thema ein. 357 Loukatos, O pokitij|r b_or tym Ekk^mym tgr Bi]mmgr, 306–308. 358 Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 40–41. 359 Ebd., 41. 360 Seirinidou, When the Turk is a Greek Orthodox and the Vlach a native Austrian, 87–89. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 300–304.

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»Nach einer möglichen Trennung der Griechen [sc. von den Wallachen] würden neuerliche Separationsbestrebungen entstehen, wie in Wien zwischen den alten und den neueren niedergelassenen Griechen.«361

Mit den alten niedergelassenen Griechen meinte er anscheinend die bereits länger etablierten k.k. Untertanen. Dennoch ist die Trennlinie zwischen den beiden Gruppen nicht derart eindeutig zu ziehen, vielmehr handelte es sich um einen Prozess, der nach der Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit fortdauerte. Die Entscheidung zum Übertritt in die k.k. Botmäßigkeit trafen viele Griechen erst im Laufe der folgenden drei Jahrzehnte und auch das Phänomen, dass Mitglieder derselben Familie in beiden Gemeinden vertreten waren, ist häufig anzutreffen. Eine weitere Hypothese, die auf dem Namen der neuen Gemeinde – im Privilegium von 1787 wird sie als »griechisch- und wallachische Gemeinde« tituliert – begründet ist, ist diejenige, dass bei der Neugründung ähnlich wie in Pest362 die Emanzipation der Wallachen von den Griechen eine Rolle spielte. Der Anteil der Händler mit aromunischer Abstammung war in Wien beträchtlich. Diese Hypothese kann jedoch nicht verifiziert werden, da in Wien im Gegensatz zu Pest keine Hinweise auf einen solchen Konflikt vorhanden sind und auch keine Hinwendung zum dakorumänischen Nationalismus festgestellt werden kann.363 Einzig die beiden gedruckten Privilegienausgaben von 1822 und 1859, die jeweils auch eine rumänische Übersetzung enthalten,364 weisen auf den hohen Anteil von Aromunen unter den Gemeindemitgliedern hin; abgesehen davon begegnet die aromunische Sprache im Gemeindearchiv jedoch nicht. Anstelle der Entwicklung eines spezifischen Nationalgefühls365 assimilierten sich die Wallachen in Wien an die griechische Sprache und Kultur und dann sehr bald – wie auch die ethnisch griechischen Gemeindemitglieder – an die österreichische Gesellschaft. Ein Konkurrenzdenken zwischen österreichischen und osmanischen Untertanen sowie ein Auseinanderklaffen der Lebensrealitäten der beiden Gruppen bildete den Hintergrund für die Spaltung. Seirinidou vermutet mit Recht, dass die Formulierung des Privilegientextes bereits 1776 nicht nur auf einen Ausschluss der Serben, sondern auch der k.k. Untertanen abzielte.366 Der konkrete Füves, Die Griechen in Pest, 176–177. Hering, Der Konflikt zwischen Griechen und Walachen. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 294–300. Siehe dazu: Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien, 261. Max Demeter Peyfuss, Rom oder Byzanz? Das Erwachen des aromunischen Nationalbewußtseins. In: Österreichische Osthefte 12 (1970), 337–351. 366 Seirinidou, When the Turk is a Greek Orthodox, 86; weist darauf hin, dass in dem relativ kurzen Text des Privilegiums zehnmal auf den Status als osmanische Untertanen Bezug

361 362 363 364 365

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Anlass waren letztendlich jedoch persönliche Streitigkeiten zwischen einzelnen Personen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. So lässt sich auch erklären, warum bereits nach kurzer Zeit kaum mehr Informationen über die Gründungsgeschichte der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorhanden waren. Vielmehr erkannte man die Existenz von zwei Gemeinden als naturgegeben an, was für die in Verbindung mit der jeweiligen Staatsangehörigkeit stehende soziale Differenzierung der beiden Gruppen spricht. Nach dem Bericht von Athanasius Szekeres war es die »Ehrbegierde« einiger reicher k.k. Untertanen, die zur Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit führte: »Bis 1788 hatten sowohl die diesseitig als die der Ottomanischen Pforte unterthänigen Griechen in dem sogenannten Steyerhofe eine gemeinschafts Kapelle und Pfarre. Nun wurde die Ehrbegierde in den diesseitigen Unterthanen, welche sich von der zahlreichen Parthey der türkischen in manchen Fällen hintan gesezt merkten auf einmal rege. Fünf- und zwanzig bis 30. Familien, worunter 4. auch den ungarischen Adel haben, und im Bannate ansehnliche Güter besitzen, entzogen sich ihrer Gemeinschaft, die Wohlhabenderen schoßen reichliche Summen zusammen, erkauften sich auf dem sogenannten alten Fleischmarkte ein Hauß, und bauten sich eine besondere Kapelle.«367

Ein im Zuge eines späteren Konflikts innerhalb der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit entstandener Textentwurf von Johann Darvar (Iy\mmgr D\qbaqgr) aus dem Jahr 1807368 bietet ebenfalls Einblick in die Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Nach Darvar folgte die Gemeindegründung keiner unmittelbaren Notwendigkeit, sondern war Folge der Tatsache, dass einzelne Personen mit Verweis auf das Privilegium, das die Mitwirkung in der Gemeindeverwaltung auf osmanische Untertanen beschränkte, ausgeschlossen wurden und nicht den Einfluss geltend machen konnten, den sie sich – wahrscheinlich auch begründet durch ihren Reichtum – wünschten. Konkret nennt Darvar die Person des Demeter von Zettiri (Dgl^tqior Jymstamt_mou Tfet_qgr) »samt Anhange«, mit dem er sich im Jahr 1807 in einem heftigen Streit befand: »Vor ungefähr 18 Jahren haben beiläufig die nemliche Vorsteher samt einige Griechen und Wallachen, worunter sich Hr. v. Zettiri samt Anhange befinden, welche bey der damahligen Griech Kapelle der Türkischen Unterthanen keine Vorsteher Stelle bekommen bekleiden [sic!] konnten, […] den Vorsatz gefasst, eine Griech Kirche für die genommen wird (viermal ist von »türkischen Untertanen« die Rede, dreimal von »denen der ottomanischen Pforte unterthänigen« und dreimal von »denen der ottomanischen Pforte unterworfenen« Griechen). Dies., 8kkgmer stg Bi]mmg, 291. 367 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend. 368 AHD, G 1, Fasz. 2, Textentwurf von Johann Darvar. Eine vollständige Edition befindet sich im Editionsteil Nr. 26.

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Kais. königl Unterthanen von Grund zu erbauen, welche auch durch die Hülfe der übrigen Griechen und Wallachen zu Stande gekommen ist.«369

Diese Aussage hängt zwar mit Darvars Feindschaft zu Zettiri zusammen, allerdings ist gesichert, dass Zettiri Mitglied der ersten Exas (Sechserrat) der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit war.370 Tatsächlich schlossen die osmanischen Untertanen die k.k. Untertanen dezidiert von den Entscheidungen der Georgsbruderschaft aus, als letztere den Vorschlag äußerten, eine Kirche zu kaufen. Die mit den finanziellen Mitteln ausgestatteten k.k. Untertanen hatten dieses Vorhaben zur Sprache gebracht, nachdem das Toleranzpatent von 1781 dies erstmals allgemein erlaubte und die durch die zahlreichen Klosteraufhebungen zur Verfügung stehenden Kirchengebäude sich für einen solchen Zweck anboten. Der Wortlaut des Vorschlages, über den die Bruderschaft zum Hl. Georg am 27. März 1784 abstimmte, zeigt, dass die osmanischen Untertanen die k.k. Untertanen aufgrund des Privilegientextes ausschlossen, denn es wurde gefordert ihn dahingehend zu ändern, dass er hinkünftig für die Untertanen beider Reiche gültig sei: »Es gibt eine öffentliche Versammlung der ganzen Bruderschaft der aus der Türkei kommenden Griechen und Untertanen des Sultans über den Vorschlag der übrigen griechischen Brüder, die in das hiesige Reich des römischen Kaisers übergetreten sind, ob sich also die aus der Türkei kommenden Untertanen des Sultans mit den Griechen, die Untertanen des römischen Kaisers sind, zusammentun wollen, um eine Kirche von den Grundfesten auf zu kaufen, die gemeinsam sein soll und das Privilegium zu ändern, das nur die aus der Türkei kommenden umfasst, sodass es für alle Griechen gemeinsam, sowohl die Untertanen des Sultans als auch die des römischen Kaisers, geschrieben wird.«371 [Übers. d. Autorin]

Die Bruderschaft zum Hl. Georg lehnte diesen Vorschlag mit 47 zu 5 Stimmen ab.372 Der Kern der Auseinandersetzung war also, dass die osmanischen Untertanen den Text ihrer Privilegien nicht abändern lassen wollten.

369 Ebd. 370 AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 1. 371 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 167: »C_metai sum]keusir joimµ p\sgr t/r !dekv|tgtor t_m Touqjoleqit~m Qyla_ym ja· rpgj|ym toO Soukt\mou To}qjym, peq· toO pqobk^lator t_m koip_m !dekv_m Qyla_ym oVtimer rpecq\vgsam eQr tµm 1d_ aqtojqatoq_am toO Ja_saqor t_m Qyl\mym, #m dgkadµ oR Touqjoleq/tai rp^jooi toO Soukt\mou To}qjym, h]koum m± 2myhoOm l³ to»r Qyla_our to»r rpgj|our toO Ja_saqor t_m Qyl\mym m± !coq\soum l_am 1jjkgs_am 1j helek_ym di± m± Gmai joimµ ja· m± letab\kkoum t¹ wqus|boukkom bpoO diakalb\mei l|mom eQr to»r Touqjoleq^tar m± cqavh0 joim_r eQr fkour toOr Qyla_our to}r te rpgj|our toO Soukt\mou ja· aqtojq\toqor Qyl\mym.« 372 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 167: »1m Ø !povas_fetai paq± p\sgr t/r !dekv|tgtor di± t_m jk^qym m± l³m fti oR Touqjoleq/tai Qyla?oi m± lµm 2myhoOm l³ to»r Qyla_our to»r rpgj|our toO Ja_saqor t_m Qyl\mym, !kk± m± le_moum l³ t¹ Udiom wqu-

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

Der Privilegientext wurde offenbar von Beginn an konsequent befolgt, wie das Beispiel von Nikolaus Demeter (Mij|kaor Dglgtq_ou)373 zeigt. Im Jahr 1783 scheint er als Vorsteher der Gemeinde zum Hl. Georg auf.374 Im selben Jahr nahm er die österreichische Staatsangehörigkeit an375 und war anschließend nicht länger Vorsteher bei der Georgsgemeinde. Im Jahr 1786 war er sodann Mitglied der ersten Exas der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit376 und trug mit 3.000 fl. eine hohe Summe zum Kirchenbau bei377. Auch Johann Chatzimichail (Iy\mmgr Pa}kou Watfgliwa^k)378 war noch 1783 Vorsteher der Gemeinde zum Hl. Georg379 und wurde – nachdem er in der Zwischenzeit k.k. Untertan geworden war380 – Gründungsmitglied der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.381 Er und sein Vater Pavlos spendeten zusammen 3.500 fl. für den Kirchenbau.382 Unbekannt ist, ab wann die Mitglieder der Familie Zettiri österreichische Untertanen waren,383 doch tatsächlich findet sich kein Mitglied dieser Familie in den Listen der Vorsteher der Gemeinde zum Hl. Georg. Da es sich um eine erfolgreiche und einflussreiche Familie handelte – das zeigt auch ihre spätere Erhebung in den Adelsstand – , bedeutete der Ausschluss von den Vorsteherposten für ihre Angehörigen sicherlich eine Kränkung und somit, wie von Darvar dargestellt, ein Motiv für die Initiative zur Gründung einer zweiten griechischen Gemeinde der k.k. Untertanen.

373

374 375 376 377 378 379 380

381 382 383

s|boukkom jah½r eWmai jk/qoi 47, di± m± 2myhoOm l³ to»r 1mtop_our ja· m± letab\koum t¹ wqus|boukkom jk/qoi 5.« Später Nikolaus Demeter, Edler von Nitta. Er wurde am 6. 2. 1793 in den erbländischen Adelsstand erhoben. Renate Komanovits, Der Wirtschaftsadel unter Kaiser Franz II. (I.) in der Zeit von 1792 bis 1815. (Dissertation) Wien 1974, 310. Zu seiner Person siehe auch: Georgios Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg. Thessaloniki 1982, 83–84. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 166–167. Davor war er bereits im Jahr 1777 Vorsteher gewesen. Ebd., 165. Komanovits, Der Wirtschaftsadel unter Kaiser Franz II. (I.), 310. AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 1. Ebd. Zur Familie Chatzimichail: Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 102–149. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 167. Sein Vater Pavlos ließ sich 1783 mit der Familie in Wien nieder und wurde im Mai 1784 k.k. Untertan. Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 113. Es ist anzunehmen, dass auch sein Sohn Johann gleichzeitig die österreichische Staatsangehörigkeit annahm. AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 1. Ebd. Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 116. Die Brüder Adam und Demeter Constantin sowie die Neffen Constantin, Brutus und Johann Zettiri aus Moschopolis wurden am 4. 12. 1794 in den erbländischen Adelsstand mit dem Prädikat Edler von erhoben. Komanovits, Der Wirtschaftsadel unter Kaiser Franz II. (I.), 482.

Die Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit

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2.4.3. Konstituierung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Bereits zu Neujahr 1786 dürften die k.k. Untertanen eine kaiserliche Zusage über die Ausstellung eines Privilegiums und die Erlaubnis zum Kirchenbau in Händen gehalten haben, denn am 13. Jänner 1786 konstituierte sich die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit mit folgenden Worten: »Von göttlichem Eifer bewegt, haben Wir, die in dieser Kaiserhauptstadt von Österreich Wien wohnenden orthodoxen Christen, und Genossen Untertanen des Kaisers, beschlossen, eine Kirche von Grund auf zu bauen, zur Ehre Gottes, und für unser Seelenheil, und zur immerwährenden Erinnerung. Nachdem unser Wunsch durch das Wohlwollen Gottes, und das Erbarmen und die Gnade unseres stärksten und durchlauchtigsten Kaisers Joseph II. erfüllt wurde, und wir die Freiheit mit einem kaiserlichen Privilegium erhalten haben, beschließen wir einstimmig, dass das Werk vollendet werden soll, und diese heilige Kirche zur Erinnerung der dreifaltigen Gottheit und der unteilbaren heiligen Dreifaltigkeit gebaut werden soll.«384 [Übers. d. Autorin]

Bei dieser ersten Generalversammlung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, an der 32 Gemeindemitglieder teilnahmen,385 wurden die sechs Mitglieder Nikolaus Demeter, Konstantin Moscha (Jymstamt_mor L|swar), Johann Chatzimichail, Constantin Damscho (Jymstamt_mor D\ltfiou), Demeter Zettiri und Michael Vreta Zupan (Liwa^k Bq]ta Foup\mor) zu Gemeindevorstehern, d. h. zu Mitgliedern der Exas, des Sechserrates, gewählt. Für den Kirchenbau wurden vorerst insgesamt 33.100 fl. gespendet.386 Es sei darauf hingewiesen, dass diese Gemeinde sich – wie auch die beiden protestantischen Gemeinden – als konfessionelle Pfarrgemeinde entsprechend dem Toleranzpatent konstituierte und ihrer Gründung keineswegs die Existenz einer »Dreifaltigkeitsbruderschaft« vorausging, wie von Plöchl behauptet.387 Seine Mutmaßung, dass in Analogie zur Georgsbruderschaft auch eine Dreifaltigkeitsbruderschaft nach kanonischem Recht existiert haben müsste, lässt sich durch keinerlei Quellen bestätigen.

384 AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 1. Editionsteil Nr. 12. 385 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Buchstabe S, Sitzungen: »In der allgemeinen Sitzung, am 13. Jaenn: 1786–32 Gemeinde Mitglieder – wurde beschlossen ein Bethaus – Kirche, – mittelst Beiträge hiezu zu gründen. Prot. Buch, Fol: 1«. Das Originalprotokollbuch, auf das sich die Angabe bezieht, ist leider im Archiv der Gemeinde zu Hl. Dreifaltigkeit bis dato nicht auffindbar. Eine Fotokopie davon, mittels derer sich trotz der teilweise sehr schlechten Lesbarkeit die obigen Angaben verifizieren lassen, befindet sich im Nachlass von Georgios Kioutoutskas. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 1. Siehe außerdem: Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 116. 386 AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 1. 387 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 41.

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

2.4.4. Verhandlungen über den Kauf der ehemaligen Klosterkirche St. Jakob auf der Hülben Diese Gruppe von griechischen Händlern, die k.k. Untertanen waren, suchte nun bei Joseph II. formell um die Erlaubnis zur Gründung einer Kirchengemeinde sowie zum Kauf einer Kirche an. Die laut Toleranzpatent eigentlich geforderte Mindestanzahl von hundert Familien für die Gründung einer Gemeinde war dabei nicht von Relevanz.388 Konkret hatte man die Intention, die Kirche des aufgehobenen Laurenzerinnenklosters389 (heute Hauptpostamt) am Fleischmarkt zu erwerben. Nachdem dieses jedoch bereits zu »anderweitigem Staatsgebrauch«390 bestimmt worden war,391 wies Joseph II. die Bittsteller bei einer Audienz persönlich auf die Kirche des ebenfalls aufgelassenen Klosters St. Jakob auf der Hülben392 (heute Gymnasium Stubenbastei) hin, wo sich seit 1785 auch die Orientalische Akademie393 befand. So suchte die in »in Wien ansässige und unterthänige Gemeinde der k.k. aus der Türkey hier angesiedelten Griechen und Wallachen griechischer nicht unirter Religion« im März des Jahres 1786 beim Kaiser offiziell um die Erlaubnis 388 Auch die Protestanten H.B. hatten, obwohl sie die Zahl von hundert Familien nicht erreichten, am 2. März 1782 vom Kaiser die Erlaubnis zur Errichtung einer Gemeinde erhalten. Peter Karner, Die Gründung der Evangelischen Gemeinde H. C. zu Wien. In: Peter Karner (Hrsg.), Die evangelische Gemeinde H.B. in Wien. Wien 1986, 46–65, hier 52–53. 389 Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien. Bd. 3: Ha-La, Wien 2004, 693–694. 390 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1786), Karton 311, Nr. 11445: Brief der in Wien ansässigen und untertänigen Gemeinde der k.k. aus der Türkei hier angesiedelten Griechen und Wallachen griechisch nicht unierter Religion an Joseph II. vom März 1786. 391 Was mit dem Gebäude geplant war, konnte ich bisher nicht herausfinden. Nach Jovan Hristif baron Bartensˇtajn, Kratak izvesˇtaj o stanju rasejanoga mnogobrojnoga ilirskoga naroda po car. i kralj. naslednicˇkim zemljama. Wien 1866 (=serbische Übersetzung von Johann Christoph von Bartenstein, Kurzer Bericht von der Beschaffenheit der zerstreuten zahlreichen illyrischen Nation in den Kais. Kgl. Erblanden von Aleksandar Sandic´), XXXI; war die von 5. März 1791 bis 30. Juni 1792 bestehende Illyrische Hofkanzlei hier untergebracht. Laut Wilhelm Kisch, Die alten Strassen und laetze Wien’s und ihre historisch interessanten Haeuser. Ein Beitrag zur Culturgeschichte Wien’s mit Rücksicht auf vaterländische Kunst, Architektur, Musik und Literatur. Wien 1883, 451; wurde der Gebäudekomplex nach Aufhebung des Klosters zu Aufbewahrung von Kaufmannsgütern verwendet. Erst im Jahr 1797 wurde hier eine Grünspanfabrik eingerichtet. Moriz Bermann, Alt- und Neu-Wien. Geschichte der Kaiserstadt und ihrer Umgebungen. Seit dem Entstehen bis auf den heutigen Tag und in allen Beziehungen zur gesammten Monarchie. Wien 1880, 879. 392 Gerhard Winner, Die Klosteraufhebungen in Niederösterreich und Wien. Wien [u. a.] 1967, 186–189. 393 Czeike, Historisches Lexikon Wien. Bd. 1: A-Da, 30; und Bd. 3: Ha-La, 336. Ernst Dieter Petritsch, Erziehung in guten Sitten, Andacht und Gehorsam. Die 1754 gegründete Orientalische Akademie in Wien. In: Marlene Kurz, Martin Scheutz, Karl Vocelka, Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Akten des Internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Wien, 22.–25. September 2004. Wien [u. a.] 2005, 491–501, hier 500.

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Abb. 4: Die Jakoberkirche in Wien im Jahr 1721. Aus: Wilhelm Kisch, Die alten Strassen und Plaetze Wien’s und ihre historisch interessanten Haeuser. Ein Beitrag zur Culturgeschichte Wien’s mit Rücksicht auf vaterländische Kunst, Architektur, Musik und Literatur. Wien 1883, Fig. 177.

zur Errichtung eines Bethauses in der ehemaligen St. Jakobskirche an, wobei man bereits mit dem nunmehrigen Besitzer des ehemaligen Klosters Fürst von Paar bezüglich des Verkaufes übereingekommen war.394 Die St. Jakobskirche befand sich zwar bereits eindeutig außerhalb des Gebiets um den Alten Fleischmarkt, wo die griechischen Händler sich konzentrierten, – nämlich jenseits der Wollzeile –, schien aber hinsichtlich der Entfernung zum Griechenviertel noch akzeptabel zu sein. So wird die Entscheidung für diese Kirche im Bittschreiben folgendermaßen begründet: »a) weil Euere Majestät selbst bei der unlängst erhaltenen gnädigsten Audienz, ihnen auf diese Kirche den gnädigsten Fingerzeig zu geben geruhet haben, und diese Kirche auch wirklich eine der nächsten am alten Fleischmarkt ist auf und um welchen hierum sie wohnen, und ihnen an einer nicht gar zu weit entfernten Kirche darum gelegen ist, weil b) unter ihnen viele alte Leuthe und Kinder sind, c) sie als Handelsleuth oft sehr früh ihre Andacht verrichten müssen, und bei ihren 394 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1786), Karton 311, Nr. 11445: Brief der in Wien ansässigen und untertänigen Gemeinde der k.k. aus der Türkei hier angesiedelten Griechen und Wallachen griechisch nicht unierter Religion an Joseph II. vom März 1786.

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Geschäften viele Zeit verliehreten, wenn sie in eine weiter entfernte Kirche zu gehen hätten, d) weil die hiesigen drey Jahrmärkte viele ihrer Religionsverwandten besuchen, welche ebenfals in dieser Gegend einkehren, und ihre erkauffende Waaren niederlegen, e) weil das, der Kirche vorliegende, und zu derselben gehörige Terrain durch ein Thor, wie vormals gewesen, wiederum verschlossen, mithin die Vorschrift des allerhöchsten Toleranzpatentes, kraft welchem der Eingang in die Kirchen der tolerirten Religionen nicht unmittelbar von der Gasse seyn solle, erzielet werden kann.«395

Man wies zwar in dem Schreiben auf die Bestimmungen des Toleranzpatents in Bezug auf den Eingang von der Gasse hin, bat jedoch gleichzeitig darum, das vorhandene kleine Kirchtürmlein bei Entfernung der Glocken stehen lassen zu dürfen, um darauf eine Uhr anzubringen. Weiters bat man darum, die Kirche aufgrund ihrer Baufälligkeit in ihrer äußeren Form unverändert lassen zu dürfen. Hier wird bereits deutlich, dass man zwar einerseits vorgab, die Bestimmungen des Toleranzpatents einhalten zu wollen, andererseits aber versuchte soweit wie möglich das Aussehen einer richtigen Kirche und nicht das eines Toleranzbethauses zu erreichen. Dies ist sicherlich auch das Hauptmotiv für den angestrebten Kauf einer ehemaligen katholischen Kirche anstelle einer anderen Immobilie. Die angestrebte Bevorzugung gegenüber den Protestanten argumentierte man damit, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit als griechischorthodoxe Gemeinde der »an die herrschende Religion an [sic!] nächsten gränzende«396 angehöre. Auch die weiteren Forderungen der neukonstituierten Gemeinde gingen weit über die vom Toleranzpatent vorgesehenen Rechte hinaus. So bat man darum zur Abhaltung des Gottesdienstes in griechischer Sprache zwei Geistliche aus dem Osmanischen Reich berufen zu dürfen, wobei man darauf hinwies, dass dies auch den »in Triest sich befindenden k.k. Unterthanen griechischer Nation« bereits erlaubt worden war.397 Diese Geistlichen sollten Mönche und keine Weltpriester sein, da erstere aufgrund ihres ehelosen Standes mehr Gelegenheit hätten, sich mit der Wissenschaft zu beschäftigen und der Gemeinde daran gelegen sei »in einem aufgeklärten Staate auch aufgeklärtere Geistliche zu haben.«398 Bereits die Forderung nach dem besonderen Privileg, dass eine Gemeinde von österreichischen Untertanen einen Priester aus dem Ausland berufen durfte, zeigt die Bemühung, die serbische Geistlichkeit von der Gemeinde auszuschließen. Dies wurde mit der Bitte den Gottesdienst »von der illyrischen 395 396 397 398

Ebd. Ebd. Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 210, Anm. 59. NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1786), Karton 311, Nr. 11445: Brief der in Wien ansässigen und untertänigen Gemeinde der k.k. aus der Türkei hier angesiedelten Griechen und Wallachen griechisch nicht unierter Religion an Joseph II. vom März 1786.

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Nation abgesonderet abzuhalten« und dem Metropoliten von Karlowitz keinen Einfluss auf das Kirchenwesen zu gestatten noch genauer ausgeführt, wobei man auf die »in mehreren Orten Hungarns zwischen diesen beiden Nationen« entstandenen »Zwistigkeiten und Unruhen« verwies. Man verlangte also alle den osmanischen Untertanen gemachten Zugeständnisse und zusätzlich ein Bethaus, das vom Aussehen her einer Kirche nahekam. Abschließend bat man um die Verleihung eines allerhöchsten Freiheitsbriefes »wie [er] den nicht unirten Griechen der ottomanischen Pforte« erteilt worden war, und unterstrich die hohe eigene Bedeutung, die zu diesen Forderungen berechtigte, folgendermaßen: »so ist sicher zu hoffen, daß viele und reiche griechische Insassen, aus dem sie belebenden heftigen Religionseifer dieses Reich verlassen, und gleich denen unterzeichneten sich in Höchstdero Ländern als Unterthanen ansiedlen, hierdurch aber jene weise Anstalten, welche Euere Majestät zur Verbreitung des orientalischen Handels bereits getroffen, werkthätig unterstützen werden.«399

Am 16. Mai 1786 wurde dieses Gesuch bewilligt,400 allerdings mit einer Reihe von Einschränkungen in Bezug auf das Aussehen des Bethauses: So dürfe der Turm unter Entfernung der Glocken zwar bleiben, müsse aber so umgestaltet werden, dass er einem Kirchturm nicht mehr ähnele. Auch die Fassade solle umgestaltet und in eine Linie mit der Orientalischen Akademie gebracht werden, damit sie einem Haus gleiche, genauso wie es auch den anderen tolerierten Religionen gestattet sei. Weiters hieß es, es »könne ihnen [den Griechen, Anm.] die Absönderung von den Illyriern, da sie mit selben ganz gleicher Religion sind, niemals gestattet werden«. Dabei handelte es sich aber um nichts anderes als eine Grundsatzaussage, zu der man sich offenbar verpflichtet fühlte. In der Praxis wurden alle Punkte, welche diese Absonderung verkörperten, nämlich die eigenständige Wahl von Mönchen aus dem Osmanischen Reich als Geistlichen, die Nicht-Einmischung des Metropoliten von Karlowitz in die Gemeindeverwaltung sowie die Verleihung eines dem der osmanischen Untertanen gleichförmigen Privilegiums, angenommen. Ferner hatten die Griechen und k.k. Untertanen in ihrem Bittbrief geschrieben, dass es ihnen (analog zum Gottesdienst in der Georgskapelle) nicht darum gehe serbischen Kirchgängern den Besuch des Gottesdienstes in ihrer Kirche zu verwehren, sondern vor allem um die Unabhängigkeit von der Metropolie von Karlowitz und dem serbischen Klerus. Die k.k. Untertanen erhielten nun also die Erlaubnis zur Errichtung eines Bethauses und die Zusage über die Ausstellung eines eigenen Privilegiums: die 399 Ebd. 400 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1786), Karton 311, Nr. 11445: 20. März 1786, Brief an die Nö. Landesregierung.

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konkreten Verhandlungen in Bezug auf die Umgestaltung der St. Jakobskirche verliefen allerdings nicht zu ihrer Zufriedenheit. Die Behörden verlangten umfangreiche bauliche Adaptionen in Richtung eines Toleranzbethauses, sodass den Griechen der Kauf und Umbau der St. Jakobskirche unter diesen Bedingungen als finanziell nachteilig gegenüber einer anderen Immobilie erschien.401 Da der Kaiser aber auf den baulichen Veränderungen bestand, erhielten als Reaktion auf ihre Unzufriedenheit, da sie nicht mit derart hohen Baukosten gerechnet hatten, schließlich die Erlaubnis den bereits geschlossenen Vertrag mit dem Fürsten von Paar aufzuheben und sich einen anderen Platz für ihre Kirche zu suchen.402 Man entschied sich für ein Haus, das sich im Zentrum des Griechenviertels befand, nämlich das Stockhammer’sche Haus auf dem Alten Fleischmarkt Nr. 705 (heute Nr. 13). Dieses Haus hatte Katharina von Zepharovich am 7. Juli 1786 seinem namensgebenden Besitzer Josef von Stockhammern abgekauft und mit Abtretungsurkunde vom 25. September 1786403 den griechischen Händlern für 45.000 fl.404 zum Zwecke des Kirchenbaus überlassen.405 401 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1786), Karton 311, 27. Juni 1786: Brief der hier ansässigen aus der Türkei herüber gekommenen Griechen und Wallachen griechischer nicht unierter Religion an die k.k. nö. Regierung. 402 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1786), Karton 311, Bericht Präsident von Matt zur Sitzung vom 24. August 1786 über die Hofentschließung bezüglich der Adaptierung der St. Jakobskirche. 403 Paul Harrer-Lucienfeld, Wien, seine Häuser, Menschen und Kultur. Bd. 4,1. Wien 1954 (Typoskript in der Wienbibliothek im Rathaus), 159. Die Angabe Harrers, dass bereits am 29. Jänner 1783 die amtliche Bewilligung zum Umbau in ein Kirchenhaus erteilt wurde, ist allerdings falsch. Es handelt sich wohl um eine Verwechslung mit dem Datum der Verleihung des Privilegiums an die Gemeinde (29. Jänner 1787). 404 AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 2. Die Information bei Eggert, dass das Haus 1792 für 21.200 fl. angekauft wurde, ist unrichtig. Eggert, Die griechisch-orientalische Kathedrale am Fleischmarkt, 61. Die von ihm als Quelle genannte unbezeichnete Vermögensaufstellung über das Kirchenvermögen konnte ich bisher im Archiv der Gemeinde nicht ausfindig machen. Auch die Angabe bei Seibel, dass Katharina von Zepharovich der Gemeinde das Haus geschenkt hätte, ist daher falsch. Seibel, Die Bedeutung der Griechen, 77. 405 Die Korrespondenz bezüglich der verlustig gegangenen Hausgewähr für das Haus auf dem Alten Fleischmarkt, die sich aus einem nicht nachvollziehbaren Grund im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg befindet, bestätigt dies ebenfalls. So heißt es in einer Abschrift der Hausgewähr vom 23. Dezember 1788: »Die griechische, und Wallachische Nation empfängt mit magistratischer Bewilligung vom 25ten Jänner 1787 Nutzen und Gewähr um ein Haus auf dem alten Fleischmarkt, zwischen der Theresia Wimmerinn, und Kullmayrischen Erben Häusern gelegen. […] Darum vorhin im Gewährbuche R. Fol. 168. Herr Joseph Edler, und Graf von Stockhammern vorgewährt gestanden. Nachdem die Frau Katharina Edle von Zepharowich vermögen eines dem 7ten July 1786 gefertigten Kaufbriefes dieses Haus käuflich an sich gebracht, so hat Sie dasselbe laut schriftlicher Abtrettung vom 25. 7bris 1786 gedachter Nation eigenthümlich überlassen. […]« AHG, G 2, Fasz. 4, Gewährsabschrift. Stadtgewährbuch lt. Fol. 275. v.

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Katharina von Zepharovich (geb. Preinl)406 war die Ehefrau von Daniel Zepharovich (1736–1806), dem in Thessaloniki geborenen Neffen des bekannten serbischen Malers Hristofor Zˇefarovic´.407 Zepharovich kann als typischer Vertreter der Klasse der balkanorthodoxen Kaufleute gelten, da er, trotz seiner serbischen Herkunft und obwohl er seine Schulbildung in Sopron/Ödenburg und Wien erhielt, fließend Griechisch sprach.408 Er war jedoch bald in den österreichischen Staatsdienst (Kameral-Hauptbuchhaltung) getreten und in Österreich zum Katholizismus konvertiert.409 1782 wurde er in den Ritterstand erhoben.410 Daniel Zepharovich hatte 1777 gemeinsam mit Johann von Fries411 und den griechischen Handelsmännern Nikolaus Paziazi und Konstantin Moscha die Orientalische Friesische Handlungs-Compagnie gegründet,412 womit dem Ziel der österreichischen Regierung den Export erbländischer Waren nach Südosteuropa413 zu fördern entsprochen wurde. Die Nahebeziehung Zepharovichs zu Paziazi und Moscha, die beide zu den Gründungsmitgliedern der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit gehörten,414 spielte wohl eine entscheidende Rolle beim Weiterverkauf des Stockhammer’schen Hauses nur wenige Wochen, nachdem Zepharovichs Ehefrau es erworben hatte. Der zum Katholizismus konvertierte Zepharovich415 fungierte anscheinend als 406 Seibel, Die Bedeutung der Griechen, 57. 407 Er wurde von seinem Onkel Hristofor Zˇefarovic´ adoptiert und war dessen Erbe. Sotirios Kissas, Icons of a Kozani menologion. In: Balkan Studies 17 (1976), 93–113, hier 102. 408 Ebd., 102, Anm. 3. 409 Seibel, Die Bedeutung der Griechen, 56–57. 410 Mihail-Dimitri Sturdza, Dictionnaire historique et g8n8alogique des grandes familles de GrHce d’Albanie et de Constantinople. Paris 1983, 192. 411 Der Protestant Johann von Fries (1719–1785) betrieb von 1752–1776 die Ausfuhr von Maria-Theresien-Talern (k.k. Spezies-Taler) ins Osmanische Reich. Christian Steeb, Die Grafen von Fries. Eine Schweizer Familie und ihre wirtschaftspolitische und kulturhistorische Bedeutung für Österreich zwischen 1750 und 1830. Bad Vöslau 1999, 31–40. 412 Stoianovich, The conquering Balkan orthodox merchant, 298. Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia und Josef II., 86–87. 413 Die Kompanie erhielt das Recht für den Handel in Serbien, Bosnien, Makedonien, Bulgarien, Moldau und der Wallachei. Stoianovich, The conquering Balkan orthodox merchant, 298. 414 Konstantin Moscha war in der ersten Exas der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit und beide gehörten zu den Spendern für den Kirchenbau. AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786– 1799), 1. 415 Die möglicherweise aus karrieretechnischen Gründen erfolgte Konversion wurde in der Familie negativ aufgenommen. Seibel, Die Bedeutung der Griechen, 76. Ein Beispiel dafür, dass gewisse Verbindungen innerhalb des Milieus der Balkanhändler noch länger aufrechterhalten wurden, ist die Tatsache, dass ein Enkel von Daniel Zepharovich (August Karl Ritter von Zepharovich, 1836–1919) 1870 eine Enkelin des Vorsitzenden der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Zenobius C. Popp (Ida Eugenie Marie Terglauschnigg Edle von Stremnitzberg, 1845–1901) heiratete, wobei beide katholisch waren. Wiener Genealogisches Taschenbuch 5 (1933), 193–194.

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Mittler zwischen den Interessen des österreichischen Staates, der die Niederlassung der griechischen Kaufleute in Österreich fördern wollte, und den Griechen. Staatlicherseits erhoffte man sich wirtschaftliche Vorteile davon, den Griechen, die k.k. Untertanen geworden waren, bei den Wünschen in Bezug auf ihre Kirche (in diesem Fall ging es um die präferierte Lage am Fleischmarkt) möglichst entgegenzukommen. Auch die Begründung für seine Nobilitierung spricht dafür, dass Zepharovic dabei die Rolle eines Mittlers zukam: Abgesehen von »treuen Diensten in der Finanzverwaltung durch 24 Jahre, finanzieller Beteiligung an der Gründung einer Handelsgesellschaft und Wahrung der Interessen des Ärars im SpeziesTaler-Negotium« wird hier auch die »erfolgreiche Neuansiedlung vermögender Familien im Reich« genannt.416 Dabei ging es zwar um die Ansiedlung von ca. 500 Familien wohlhabender griechischer Händler in Ungarn und im Banat417 seit 1755,418 doch diese Tatsache lässt plausibel erscheinen, dass er auch in Wien eine ähnliche Rolle übernahm.

2.4.5. Das Privilegium für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (29. Jänner 1787) Nachdem der Kauf des Hauses für die zukünftige Dreifaltigkeitskirche erfolgreich abgewickelt worden war, erhielt die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit entsprechend den bereits im Mai 1786 im Zuge der Verhandlungen um die St. Jakobskirche gemachten Zusagen unter dem Datum des 29. Jänner 1787 von Joseph II. das gewünschte Privilegium.419 Wien ist der einzige Fall, in dem Privilegien für zwei separate griechisch-orthodoxe Gemeinden existierten, was damit zusammenhängt, dass sich nirgendwo sonst in der Habsburgermonarchie griechische Gemeinden nach dem Kriterium der Staatszugehörigkeit bildeten.420 Im Wesentlichen handelte es sich beim Text des neuen Privilegiums um eine lediglich leicht adaptierte Version des Privilegiums, das Joseph II. 1782 für die 416 Seibel, Die Bedeutung der Griechen, 57. 417 Vgl. auch Peyfuss, Aromanian landlords in the Banat. 418 Seibel, Die Bedeutung der Griechen, 57. Stoianovich, The conquering Balkan orthodox merchant, 298, Anm. 172. Popovits, Aql\moi Bk\woi sta Bakj\mia, 160. 419 Editionsteil Nr. 10. Das Original wird von der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit verwahrt. Eine Fotokopie davon befindet sich in AHD, G 116. Im Anhang von Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen; ist ein Foto des Originals mit Siegel abgedruckt. 420 Die explizite Beschränkung des Privilegiums für die Bruderschaft zum Hl. Georg auf die osmanischen Untertanen machte die Ausstellung eines eigenen Privilegiums für die k.k. Untertanen erforderlich. In Triest beispielsweise erhielten die Griechen nach ihrer Trennung von den Serben 1782 nur die Erlaubnis zum Bau einer eigenen Kirche, während ansonsten die Privilegien von 1751 auch für sie weitergalten. Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 122.

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Gemeinde zum Hl. Georg ausgestellt hatte. Nur wenige Punkte wurden geändert, um den Text an die Situation der österreichischen Untertanen anzupassen. Das Privileg richtete sich an die in »Wien ansässige griechisch- und wallachische Nazion der griechisch nicht vereinigten Religion« und sollte den Gottesdienst im »ihnen am alten Fleischmarkte im ehemaligen Graf Stockhamerischen Haus gestatteten Bethause« regeln. Analog zum Privilegium für die Bruderschaft zum Hl. Georg sollten alle nicht unierten Christen in der Kirche ihre Andacht verrichten dürfen, die Verwaltung aber wurde ausschließlich der »hier ansässigen griechisch- und wallachischen Gemeinde der nicht vereinigten orientalischen Kirche« übertragen. Der Pfarrer, dem mehrere Vikare oder Kapläne zur Seite gestellt werden konnten, sollte – genau wie in der Georgskapelle – »sowohl in Ansehung der Nazion, als auch der Religion, Grieche« sein und aus einem Mönchskloster im Osmanischen Reich (»in dem Archipelagus«) kommen. Letzteres ist bemerkenswert, denn schließlich handelte es sich ja um die Gemeinde der österreichischen Untertanen. Die Erlaubnis einen Priester aus dem Ausland berufen zu dürfen, war zweifellos ein besonderes Zugeständnis. Sowohl die autonome Verwaltung durch die Gemeinde als auch das Recht zur eigenständigen Auswahl eines Priesters aus dem Osmanischen Reich bedeuteten – genau wie bei der Georgsbruderschaft – einen vollkommenen Ausschluss des serbischen Klerus von Karlowitz von der Mitbestimmung in Bezug auf die neugegründete Kirchengemeinde. Die Serben hatten wiederum nur das Recht, auf eigene Kosten einen Pfarrer zum Beichthören zu berufen, dem sonst keinerlei liturgische Verrichtungen gestattet waren. Die Beziehung zum Metropoliten von Karlowitz, dem die Gemeinde »alle einem Erzbischofe gebührende Ehre zu erweisen« hatte, blieb ebenfalls auf den formalen Aspekt beschränkt. Der von der Gemeinde gewählte Pfarrer musste zwar an den Metropoliten von Karlowitz gemeldet werden, dieser hatte ihn aber »ohne einigen Vorwand, und Widerspruch, oder persönliche Stellung, die er nicht verlangen kann« zu bestätigen. Trotz der früheren behördlichen Ankündigung, die Absonderung von den Illyriern könne der Gemeinde nicht gestattet werden, welche bei Ausstellung des Privilegiums mit der Entscheidung des Kaisers es »bleibe diesem Metropoliten die Leitung ihres Gottesdienstes vorbehalten«421 noch einmal wiederholt wurde, blieb der Einfluss des Metropoliten von Karlowitz auch bei der neuen Gemeinde auf ein Minimum beschränkt. Den griechischen Händlern war es also gelungen, sich in diesem Punkt durchzusetzen. 421 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1787), Karton 340, Nro 3425, 16. Februar 1787: Dekret an die hier angesessene Gemeinde der griechisch- und wallachischen Nazion graeci ritus non uniti die Herstellung ihres Bethauses im Stockhammer Hause am alten Fleischmarkt betreffend.

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Die konkrete Durchführung der Gemeindeverwaltung war ebenfalls gleich wie in der Georgsbruderschaft geregelt: Die Gemeinde sollte jährlich mittels Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip einen Ausschuss wählen, der wiederum zwei oder drei Epitropen, die für die Kirchenverwaltung zuständig waren, wählte. Die Finanzierung der Kirche sollte über freiwillige Spenden erfolgen, und falls diese nicht ausreichten, wurden die Gemeindemitglieder zur Zahlung eines außerordentlichen Beitrages verpflichtet. Für den Fall, dass es zu Streitigkeiten innerhalb des Ausschusses oder der Gemeinde kam, war nicht wie beim Hl. Georg die Justiz-Banco-Deputation, sondern der Wiener Magistrat die zuständige Stelle. Die Verwaltung wurde bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, deren Mitgliederzahl bei der Gründung um einiges geringer als die der Georgsbruderschaft war, von einem aus sechs Personen bestehenden Gremium, der Exas, statt von einem Zwölferrat (Dodekas) besorgt.

2.4.6. Kirchenbau und Errichtung eines Glockenturmes Nach dem die Gemeinde von Joseph II. das Privilegium erhalten hatte, wurde mit den Vorbereitungen für den Umbau des Stockhammer’schen Hauses zu einer Kirche begonnen. Die Grundsteinlegung erfolgte am 4. Juni 1787.422 Dabei gelang es den Griechen erneut eine besondere Bevorzugung gegenüber den anderen akatholischen Gemeinden in Wien zu erlangen und in einem wichtigen Punkt von den Bestimmungen des Toleranzpatents ausgenommen zu werden: Es wurde die Errichtung eines Turms mit Geläut erlaubt. Wie außergewöhnlich das war, wird deutlich, wenn in einem zeitgenössischen Wien-Führer über die Dreifaltigkeitskirche steht: »Die Kirche der nicht unirten Kriechen [sic!] auf dem alten Fleischmarkt. Sie hat einen Glockenthurm.« Über die beiden protestantischen Kirchen dagegen heißt es: »beyde haben ihren Eingang durch den Hof und nicht von der Strasse. Sie haben auch keine Glocken.«423 Zwischen dem Zeitpunkt der Ausstellung des Privilegiums, am 29. Jänner und dem 5. Oktober 1787, als Joseph II. die Errichtung eines Glockenturmes bewilligte, hatten es die griechischen Händler, die in die k.k. Botmäßigkeit übergetreten waren, offenbar geschafft, den Kaiser noch stärker von ihrer Nützlichkeit für den österreichischen Staat zu überzeugen, denn zum Zeitpunkt der Privilegienausstellung hatte Joseph II. noch auf einem Toleranzbethaus bestanden und folgende Entschließung bekanntgegeben: 422 AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 2. 423 Sicheres Addreß- und Kundschaftsbuch für Einheimische und Fremde, welche vorläufige Kenntniß von der Haupt- und Residenzstadt Wien haben wollen. Wien 1797, 140.

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»daß das Stockhammerische von ihr Gemeinde erkaufte Haus nach den eingereichten Plan dergestalt zu einem Bethaus zugerichtet werden möge, daß das eigentliche Bethhaus im Hofe zu stehen komme, und von aussen nicht sichtbar sey, sondern der stehen bleibende Theil des dermaligen Hauses die Face auf die Gasse ausmachen, auch auf den Fall, wenn allenfalls das Bethhaus über den stehen bleibenden Theil des Hauses, oder die nächsten Häuser hervorragete, selbes in dieser Absicht, und auch von hinten, wo es etwa in dem zwar ganz kleinen Hafnersteiggäßgen sichtbar wird, dergestalten hergestellet werden solle, daß selbes in der äusseren Form niemals einer Kirche gleiche.«424

Die Entscheidung, den Griechen einen Glockenturm zu erlauben, war durchaus umstritten, denn es wurde befürchtet, dass daraus ein Präzedenzfall für andere akatholische Gemeinden werden könnte. So riet die Hofkanzlei dem Kaiser am 3. September 1787 mit folgender Begründung von der Erlaubnis ab: »Wenn also den Bittstellern bewilligt würde einen Thurm mit Glocken auf ihr hiesiges Bethaus setzen zu können, so wird man auch den Protestanten hier und überall diese Freiheit eingestehen und ihren Bethäusern auch die äusserlichen Formen einer Kirche zulassen müssen, welche sie sogleich alle ansuchen werden, und wodurch die mit vieler Vorsicht gesetzte Beschränkung ihres Gottesdienstes auf einen privaten und nicht öffentlichen Gottesdienst gänzlich aufhören und ihre Religionen nicht mehr blos tolerirt, sondern eigentlich Staatsreligionen zu sein scheinen.«425

Diese Bedenken konnten Joseph II. jedoch nicht umstimmen, und er erteilte der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit am 5. Oktober 1787 die gewünschte Erlaubnis.426 Vergleichbare Sondergenehmigungen für Akatholiken, die dem wirtschaftlichen Vorteil des Staats dienen sollten, waren den nicht unierten Griechen, den Lutheranern und den Juden in Triest gewährt worden. Auch in diesem Fall befürchtete die Staatskanzlei, dass eine Genehmigung der Bitte der Lutheraner um eine freie Kirche mit Turm und Geläut alle übrigen Akatholiken in den 424 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1787), Karton 340, Nro 3425, 16. Februar 1787: Dekret an die hier angesessene Gemeinde der griechisch- und wallachischen Nazion graeci ritus non uniti die Herstellung ihres Bethauses im Stockhammer Hause am alten Fleischmarkt betreffend. 425 Zitiert nach Gerson Wolf, Historische Skizzen aus Oesterreich-Ungarn. Wien 1883, 137– 138. Wolf hat für seine Darstellung aus dem Jahr 1883 offenbar Dokumente aus dem österreichischen Staatsarchiv verwendet, welche wiederaufzufinden mir bisher nicht gelang. 426 »Seine kais. königl. Mayestät haben, auf allerunterthänigstes Bitten der k.k. griechisch und wallachischen Unterthanen der griechisch nicht unirten Religion allhier denselben, wie in dem Königreich Hungarn, die Erbauung eines Thurmes auf ihrem Bethause, und die Anschaffung der Glocken zu bewilligen geruhet.« NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1787), Karton 340, Nro 21088 ad Nro 3425, 5. Oktober 1787. In Ungarn war den Orthodoxen aufgrund der leopoldinischen Privilegien für die Serben der Kirchenbau erlaubt und da es schon weitergehende Privilegien gab, galt das Toleranzpatent nicht.

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Erblanden zu gleichen Forderungen verleiten würde.427 Dem wurde aber entgegengehalten vom Freihafen Triest könne man keine Forderungen auf andere Teile der Monarchie ableiten.428 Die Befürchtungen in Bezug auf andere akatholische Gemeinden blieben auch in Wien unbegründet und die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit blieb die einzige akatholische Kirche in Wien mit einem Glockenturm. Weder die beiden ebenfalls finanziell einflussreichen Wiener protestantischen Gemeinden noch die Bruderschaft zum Hl. Georg der osmanischen Untertanen erhielt eine solche Sondererlaubnis. In Bezug auf die Hausfassade wurden aber die Bestimmungen des Toleranzpatents eingehalten und es gab keinen direkten öffentlichen Eingang von der Gasse in die Kirche, da sich der Kirchenraum im hinteren Bereich des Hauses befand.429 Über die Motivation Josephs II., griechische Händler zur Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit zu bewegen, wovon er sich finanzielle und kommerzielle Vorteile für den österreichischen Staat versprach, gibt ein späterer Bericht an Franz II./I. Auskunft: »Bekanntermassen haben es die Griechen in der Commercialindustrie so weit gebracht, daß sie dießfalls alle Nazionen zu übertreffen scheinen, indem sie den Vortheil zu benutzen wissen, von der ersten Hand zu kaufen und an die lezte zu verkaufen, sie sind also auch in dieser Rüksicht als sehr nützliche Glieder des Staats anzusehen. Die nicht unirten Griechen allhier sind meistens sehr bemittelt, und die Begünstigung derselben mit Privilegien, auf welche sie sehr eifersüchtig sind hat schon mehrere griechische Nationalen aus dem Turcico zum Vortheil des innländischen Staats zu k.k. Unterthanen gemacht. Ihre Begünstigung wird diese Wirkung noch künftig hervorbringen, und bemittelte Handelsleute aus dem turcico herüber ziehen. Aus diesen Umständen ergeben sich mehrere politische Gründe, die zum Vortheil der griechischen Nation überhaupt das Wort sprechen, und einer ausdrüklichen Anführung nicht bedärfen. Die Staatsklugheit des höchstseeligen Kaiser Josephs des II. Mayst. hat daher den hiesigen k.k. nicht unirten Griechen nicht nur die – von denselben angesuchten Privilegien ertheilt, sondern ihnen noch überdieß einen Thurm mit Gloken zu erbauen die Befugniß ertheilt, sie sind solchergestalt beinahe als rezipirte Religions-Verwandte anzusehen.«430

427 Gustav Frank, Das Toleranz-Patent Kaiser Joseph II. Urkundliche Geschichte seiner Entstehung und seiner Folgen. Wien 1882, 90. 428 Ebd., 91. 429 Auch die im Dempfingerhof in der Seitenstettengasse erbaute Synagoge, der am 9. April 1826 eingeweihte Wiener Stadttempel, hatte von außen das Aussehen eines Zinshauses. Hans Tietze, Die Juden Wiens. Geschichte, Wirtschaft, Kultur. Wien2 2008, 147. 430 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend.

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Abb. 5: Die griechische Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien mit Glockenturm. Aus: Von Seiner Majestät Kaiser Franz des Zweyten, huldreichst verliehene Privilegien, denen in der k.k. Hauptund Residenzstadt Wien ansässigen Griechen und Wallachen von der orientalischen Religion, k.k. Unterthanen, in Betreff ihres Gottesdienstes in der Pfarrkirche zur heiligen Dreyfaltigkeit am alten Fleischmarkt. Wien 1822. (Titelblatt)

In der Folge bemühten sich die Vorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit auch noch darum, einen öffentlichen Eingang von der Gasse errichten zu dürfen. Die Gelegenheit dazu ergab sich, als man nach dem Tod Josephs II. um eine Bestätigung des Privilegiums durch seinen Nachfolger Leopold II. ansuchte. Man bat darum, die von Joseph II. nachträglich erfolgte Erlaubnis zum Bau des Glockenturms in das Privilegium aufzunehmen und außerdem auch zu gestatten

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einen »öfentlichen Kircheneingang herzustellen«.431 Leopold II. war bereit den Bittstellern auch dies zu genehmigen, doch sein Tod am 1. März 1792 verhinderte die Ausfertigung des Privilegiums. Der Wechsel von Leopold II., der die Toleranzpolitik seines Bruders Joseph II. weiterführte, zum konservativen Franz II./I. wirkte sich diesbezüglich für die Gemeinde negativ aus. Franz II./I. war zwar willens, das Privilegium mit dem Zusatz der Erlaubnis des Glockenturms zu bestätigen, gestattete aber den öffentlichen Eingang nicht.432 Bezüglich der Privilegienbestätigung durch Franz II./I., die schließlich erst im Jahr 1796 erfolgte, sollten sich noch weitere Schwierigkeiten ergeben.

2.4.7. Die Bestätigung des Privilegiums durch Franz II./I. und ein letzter Versuch der Einflussnahme durch die Metropolie von Karlowitz Obwohl Franz II./I. bereits im Mai 1792 die Bestätigung des Privilegiums für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit inklusive der Erlaubnis für den Glockenturm, aber ohne die Erlaubnis für einen öffentlichen Eingang von der Gasse zugesagt hatte433, ergaben sich nun unerwartete Schwierigkeiten für die Gemeinde. Im Jahr 1792 versuchte die Metropolie von Karlowitz erneut Einfluss auf die beiden Wiener griechischen Gemeinden zu gewinnen, wobei nunmehr anscheinend vor allem die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit im Fokus stand. Die Intervention der Metropolie bei den k.k. Behörden führte zu einem Hofdekret (23. Oktober 1792)434, das alle Hauptpunkte der Privilegien in Frage stellte: »Da man die bisherige Verfassung der hiesigen beiden Kirchen der nicht unirten Griechen, nemlich jene der türkischen Unterthanen im Steyrerhofe, und jene der Illyrier und Wallachen am alten Fleischmarkte, nach welcher sie die Jurisdikzion des Erzbischofs zu Karlowiz nicht ganz erkennen, und fremde in Turcico, oder sonst ausser Landes geweihte Geistliche zu der Seelsorge berufen, zu künftiger Vermeidung mancher hieraus entstehender Irrungen, dahin abzuändern wünscht, daß jede auswärtige Dependenz aufgehoben, diese Kirchen dem Karlowizer Metropoliten ganz untergeordnet, und fremde Geistliche von der Seelsorge entfernt werden möchten, so will man dem Herrn Regierungspräsidenten auf höchsten Befehl nachstehende Modalitäten an 431 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1791), Karton 380, ad Nro 5450, 8. April 1791: Bericht der nö. Landesregierung über die von der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde allhier gebetene Bestätigung ihres Privilegiums zur freien Religionsübung. 432 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1794), Karton 407, Nro 3238, 26. April 1792: Brief der Vorsteher der königl. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier ; enthält den Vermerk vom 4. Mai 1792: »Die Glocken, nicht aber die angesuchte Erweiterung der Befugniß zu Herstellung eines öffentlichen Kircheneinganges höchsten Ortes bewilliget worden.« 433 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1794), Karton 407, Nro 3238, 26. April 1792: Brief der Vorsteher der königl. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier. 434 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1792), Karton 387, Nr. 3462 (23. Oktober 1792).

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Handen lassen, welche bei der künftigen Einrichtung dieser Kirchen zum Grunde zu legen sind. […]«435

Nach diesem Hofdekret sollte beiden Gemeinden künftig nur mehr die Bestellung inländischer Geistlicher erlaubt sein, sie sollten dem Metropoliten von Karlowitz vollständig unterstellt und zur jährlichen Vorlage der Kirchenrechnung an den Metropoliten verpflichtet sein.436 Als Vorwand für diese Änderungen sollte die aufgrund des Tods von Leopold II. ohnehin notwendige Bestätigung der Privilegien durch den neuen Kaiser Franz II./I. genannt werden.437 Der Gemeinde zum Hl. Georg gelang es relativ schnell, die drohende Privilegienänderung abzuwenden, denn ihre Privilegien wurden am 10. Jänner 1794 von Franz II./I. unverändert bestätigt.438 Die gewünschte Bestätigung der Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ließ jedoch aufgrund der Intervention des Metropoliten von Karlowitz auf sich warten. So wurde, als die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit am 21. Dezember 1792 bei Franz II./I. erneut um die Ausfertigung des bereits versprochenen Privilegiums ansuchte,439 zunächst bei der Niederösterreichischen Landesregierung ein Bericht betreffend den Sachverhalt angefordert. Obwohl der k.k. Hofagent Joseph Hartl bereits in seinem Bericht vom 12. März 1793440 aus Gründen der Staatsräson vor den negativen Folgen einer Abänderung des Privilegientextes warnte, zog sich die Angelegenheit nun über mehrere Jahre hin. Hartl, der – wohl auch aus eigenem Geschäftsinteresse441 – eindeutig Partei für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ergriff, argumentierte dahingehend, dass der österreichische Staat die Vorteile, die ihm durch die Aktivitäten der griechischen Händler erwuchsen, verlöre, wenn man ihnen all diejenigen Freiheiten, die man ihnen im Privilegium zugesichert hatte, wieder entzöge. Eine Änderung des Privilegiums könnte dazu führen, dass sich die Ereignisse des Streits zwi435 436 437 438

Ebd. Ebd. Ebd. Diesbezügliche Korrespondenz in NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 33 (de 1793), Karton 398 und C 33 (de 1794), Karton 407. 439 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 21. Dezember 1792: Brief der Vorsteher der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier an Seine Majestät (Franz II.). 440 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 12. März 1793: Note des k.k. Hofagenten Joseph Hartl. 441 Joseph Hartl (ab 1799 Edler von Luchsenstein, 1760–1822) war 1802 einer der Hauptinitiatoren der Pottendorfer Spinnfabrik. Ab 1811 war er außerdem Unterdirektor der k.k. oktroyierten Kommerzial-, Leih- und Wechselbank, die auch Geschäfte mit griechischen Handelsleuten machte. Herbert Matis, Die Schwarzenberg-Bank. Kapitalbildung und Industriefinanzierung in den habsburgischen Erblanden 1787–1830. Wien 2005, 210. Hartl Edler von Luchsenstein Joseph. In: Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich 7 (1861), 405–406.

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schen Griechen und Serben, wie er sich um die Kapelle zum Hl. Georg zwei Jahrzehnte davor abgespielt hatte – gemeint ist der Wechsel der Griechen zur russischen Gesandtschaftskapelle –, wiederholen und die Griechen wiederum ihre Kirche verlassen könnten. Tatsächlich waren auch jetzt die Hauptkonfliktpunkte dieselben wie beim damaligen Streit. So wies Hartl darauf hin, dass es sich keineswegs um eine »illyrische« Gemeinde handle und die serbische Seite keinen finanziellen Beitrag zum Kirchenbau geleistet habe: »Schon in Anfang des Hofdekrets werden die beyden Kirchen der nicht unirten Griechen in jene der türkischen Unterthanen im Steyerhofe, und in jene der Illyrier und Wallachen am alten Fleischmarkt irrig abgetheilet; wo doch die Kirche am alten Fleischmarkt bekanntermassen erst vor wenigen Jahren von den hiesigen griechischen Handelsleuten, die zugleich k.k. Unterthanen sind, mit einem grossen Kostenaufwand erbauet worden ist, ohne daß hiezu ein Illyrier, oder jemand anderer das Geringste beygetragen hätte; es sind also die beyden hiesigen Kirchen der nicht unirten Griechen in jene der türkischen Unterthanen im Steyerhofe, und in jene der k.k. Unterthanen am alten Fleischmarkt abzutheilen.«

Zusätzlich zur finanziellen Erhaltung der Kirche war auch jetzt die zweite entscheidende Frage die nach der Person des Seelsorgers. Die serbische Seite forderte die Berufung eines inländischen Geistlichen und brachte die Tatsache, dass die Gemeinde einen Seelsorger aus dem Osmanischen Reich berufen durfte, mit einer Abhängigkeit von einer ausländischen Autorität in Zusammenhang. Diesem Argument hielt Hartl entgegen, dass »doch gar keine solche auswärtige Dependenz existiret, sondern die hiesige Kirche nicht in der geringsten Abhängigkeit oder Verbindung mit dem Patriarchen stehet«. Dem Recht auf Berufung von Seelsorgern aus dem Ausland, das nach Hartl den Kernpunkt des Privilegiums darstellte, gewann dieser auch durchaus positive Aspekte für den österreichischen Staat ab: »Derley vom Auslande hergehollte Seelsorger erhalten für ihre geistlichen Verrichtungen den äusserst geringen Gehalt von jährl. 300 f, leben damit allhier in aller Stille und Genügsamkeit, wie es sich für einen Priester geziemet, und wenn sie alsdann nach vollendeter Seelsorge in ihr Vaterland, wohin sie keine von ihren nur zum nothwendigen Unterhalt hinreichenden Gehalte ersparrte Schäze mitbringen können, zurückkehren, so wissen sie die milde österreichische Regierung, den Schuz, welchen die griechische Nazion in ihren geistlichen und weltlichen Verrichtungen unter dieser Regierung geniessen, nicht genug anzupreisen, und veranlassen dadurch die Uibersiedlung der vermöglichsten Familien hieher, die durch diese Vorzüge angereizet sich der österreichischen Bothmässigkeit unterwerfen, wovon die seit Entstehung der neuen Kirche am alten Fleischmarkt geschehene namhafte Vermehrung der als k.k. Unterthanen angenohmenen griechischen Handelsleute der augenscheinlichste Beweis ist.«

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In der Konklusion seines Berichts riet Hartl klar davon ab »blos der Privatabsichten eines Metropoliten, der seinen Einfluß gern durch die ganze Monarchie zu verbreiten wünschte« wegen, die Privilegien der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zu beschneiden und dafür »die Ruhe und Zufriedenheit einer ganzen aus guten und nüzlichen Bürgern bestehenden Nazion« zu opfern. Trotz der eindeutigen Stellungnahme Hartls, kam es nicht zu einer Bestätigung durch Franz II./I. und nachdem fast drei Jahre vergangen waren, wurde man innerhalb der Gemeinde unruhig, zumal die Gemeinde zum Hl. Georg unterm Datum des 10. Jänner 1794 bereits die Bestätigung ihres Privilegiums vom Kaiser erhalten hatte. Mit Hinweis darauf suchten die Vorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (Constantin Moscha, Constantin Damscho, Johann Chatzimichail, Demeter Zettiri) am 27. November 1795 bei der Niederösterreichischen Landesregierung erneut um die Ausfertigung des Privilegiums an.442 Daraufhin wurde ein weiterer Bericht verfasst, der einen langen historischen Teil über die Streitigkeiten zwischen Griechen und Serben um die Georgskapelle sowie das Zustandekommen von zwei griechischen Gemeinden in Wien, welcher auf den Angaben des zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen k.k. Zensors für illyrische Bücher Athanasius Szekeres basierte, enthielt.443 Diesem Bericht zufolge waren die griechischen Händler sehr darum bemüht, den Metropoliten von Karlowitz von jeglicher Zugriffsmöglichkeit auf ihre Kirchen fernzuhalten. So habe man bereits im Jahr 1782 bei der Kapelle zum Hl. Georg absichtlich einen bulgarischen Mönch, der auch der »illyrischen Sprache« kundig war, als Vikar zum Beichthören (entsprechend dem diesbezüglichen Punkt des Privilegiums) berufen, um nicht einen serbischen Geistlichen aus dem Machtbereich des Metropoliten von Karlowitz anstellen zu müssen. Nach der Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sei dieser bulgarische Vikar dann mit zur Gemeinde der k.k. Untertanen, unter denen sich laut dem Bericht auch einige »Illyrier« befanden, übergewechselt. Als Grund für die Versuche des Karlowitzer Metropoliten, größeren Einfluss auf die Wiener Gemeinde zu gewinnen, wird auf deren Reichtum verwiesen: »Der wohlhabende Stand dieser griechischen Handelsleute hat daher von jeher das Verlangen der Metropoliten erregt, einen grösseren Einfluß in ihre Kirchentemporalien zu haben, als die Privilegien gestatten; welchem diese aber immer auszuweichen gesucht haben, weil sie sich dadurch von einem Illyrischen Erzbischofe unterjocht ge442 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 27. November 1795: Brief der Vorsteher der hiesigen k.k. griechischen nicht unierten Gemeinde an die k.k. nö. Landesregierung um baldige Berichts-Erstattung über ihr schon im Dezember 1792 überreichtes Hofgesuch um Ausfertigung ihres Gemeinde-Privilegiums. 443 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 21 (de 1796), Karton 424, Nro 3431 ad Nro 2031, 22. Juni 1796: Bericht der nö. Landesregierung die von den Vorstehern der k.k. nicht unierten griechischen Gemeinde allhier gebetene Ausfertigung ihres Privilegii betreffend.

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glaubt hätten, welches aber zu vermeiden sie alles Mögliche bisher anwandten; und im Nothfall sich unter fremden Schutz begaben.«

Trotz der erwähnten serbischen Gemeindemitglieder wird stets nur der Metropolit von Karlowitz als Gegner der Gemeinde in diesem Konflikt genannt, während von internen ethnischen Spannungen zwischen Griechen und Serben oder auch zwischen Griechen und Wallachen niemals die Rede ist. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass die Griechen aufgrund ihrer Handelstätigkeit und ihres Wohlstands dem Staat in politischer Hinsicht wesentlich nützlicher seien als die Serben, und empfahl daher das Privilegium in unveränderter Form zu bestätigen, besonders da man ihnen dessen Ausfertigung bereits zugesichert habe. Außerdem sei »auch den nicht unirten griechischen Handelsleuten in Triest dem Vernehmen nach, ohngehindert eines dagegen gemachten Metropolitischen Ansinnens die allerhöchste Gnade der Bestättigung ihrer Privilegien widerfahren«.444 Somit wurde das Privilegium für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von Franz II./I. mit dem Datum des 8. Oktober 1796 textlich unverändert, aber unter Hinzufügung der von Joseph II. nachträglich erfolgten Erlaubnis zum Bau eines Glockenturmes, bestätigt. Danach gab es offenbar keine weiteren Bemühungen seitens der Metropolie von Karlowitz, Einfluss auf die inneren Angelegenheiten der entsprechend den kaiserlichen Privilegien autonomen Wiener griechischen Gemeinden zu nehmen. Die Initiative zur Gründung einer eigenen serbischen Gemeinde kam erst ein halbes Jahrhundert später, als die serbische Bevölkerung in Wien bedeutend zugenommen hatte.

2.5. Der Bau der Kirche zum Hl. Georg Während des gesamten 18. Jahrhunderts befand sich die Kapelle zum Hl. Georg in gemieteten Räumen. Nachdem die k.k. Untertanen ihre Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit errichtet hatten, dürften auch die osmanischen Untertanen verstärkt den Wunsch gehegt haben, eine Kirche zu erwerben, die sich im Eigentum der Bruderschaft befand. Eine Kapelle in gemieteten Räumen unterlag der Unsicherheit, dass der Mietvertrag aufgekündigt werden könnte und die Kapelle übersiedelt werden müsste. So stand der Steyrerhof, in dem sich die Kapelle befand,445 im Jahr 1801 zum Verkauf und die Bruderschaft beschloss, ihn zu 444 In Triest wurden die diesbezüglichen Streitigkeiten mit dem Bischof von Karlstadt (Karlovac) durch eine kaiserliche Verordnung vom 31. Juli 1795 zugunsten der Griechen entschieden. Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 204. 445 AHG, G 36, Fasz. 1, Hauszinsquittungen 1777–1802.

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erwerben, wofür in der Sitzung vom 17. Juni 1801 die Mitglieder Darlehen in der Höhe von insgesamt 48.500 Gulden versprachen.446 Allerdings war den Mitgliedern der Bruderschaft als osmanischen Untertanen der Erwerb von Grundbesitz untersagt. Es ist unklar, ob das der Grund war, warum der Ankauf des Steyrerhofes nicht gelang, oder der Bruderschaft ein anderer Käufer – das Haus wurde von der gräflichen Familie Spaun an den Reichshofrat Baron Gärtner veräußert447 – zuvorkam. Als der neue Besitzer die Mietverträge für Kapelle und Pfarrerswohnung aufkündigte, musste ein neuer Ort für die Kapelle gefunden werden. Der griechische Handelsmann und k.k. Untertan Georg Johann von Karajan (Ce~qcior Iy\mmou Jaqaci\mmgr)448 hatte am 27. Juli 1802 im Auftrag der Bruderschaft449 das Haus Nr. 758 (heute Hafnersteig 2–4) in der Stadt – das sogenannte Kleine Küß den Pfenning-Haus – für 21.000 Gulden gekauft. Hier sollte sich in Hinkunft die Kirche zum Hl. Georg befinden. Die in der Folge vorgenommenen Transaktionen zwischen ihm und der Bruderschaft sind nicht leicht zu durchschauen und ergeben teils widersprüchliche Informationen.450 So berichtet Efstratiadis, dass Karajan der Bruderschaft das Haus geschenkt habe und zitiert einen diesbezüglichen Schenkungsvertrag vom 10. September 1802.451 Gleichzeitig suchte die Bruderschaft bei der Regierung um die Erlaubnis an, oben genanntes Haus käuflich erwerben zu dürfen, um hier ihre Kirche bauen zu können.452 Dieses Gesuch wurde jedoch am 5. Mai 1804 vom Kaiser abgewiesen.453 Der Bau der Kirche an sich, der zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen 446 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 174. 447 AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 4, 7. Dezember 1803: Vortrag der vereinigten Hofkanzlei wegen eines Hausankaufs der nicht unierten Griechen zu ihrer Kirche. 448 Max Theodor von Karajan, Karajan, Georg Johann von. In: Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 15. Leipzig 1882, 108–109. Enepekides, Ap| tour Jaqaci\mmgder tgr Jof\mgr stour von Karajan tgr Bi]mmgr, 19–22. Stöckelmaier, Zur Geschichte der Familie von Karajan, 24–29. Kioutoutskas, Geschichte der Familie von Karajan, 493–494. 449 Papadellis, Am]jdota jat\stiwa, 114; ediert die diesbezügliche Vollmacht der Bruderschaft für Karajan. Die von Papadellis edierten Dokumente befinden sich in AHD, G 15, Fasz. 17. Sie stammen aus dem Besitz der Familie Karajan und wurden der Gemeinde zum Hl. Georg 1941 von Emanuel von Karajan geschenkt (AHG, G 13, Fasz. 31), und gelangten dann ins Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. 450 Zu Hauskauf und Kirchenbau siehe: Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 35– 47. Tsigaras, Die Kirche zum Heiligen Georg, 40–45. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 42–47. Harrer-Lucienfeld, Wien, Bd. 4,1, 131–132. 451 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 36. Diesen Schenkungsvertrag konnte ich im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg bisher nicht auffinden. 452 AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 4, 7. Dezember 1803: Vortrag der vereinigten Hofkanzlei wegen eines Hausankaufs der nicht unierten Griechen zu ihrer Kirche. 453 Ebd.

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hatte, stellte für die Behörden kein Problem dar, sondern nur die Tatsache, dass osmanische Untertanen als Hausbesitzer ins Grundbuch eingetragen werden sollten. Am 1. Mai 1803 hatte Karajan auch das an das Kleine Küß den PfennigHaus angrenzende Haus Nr. 757 für 3.500 Gulden gekauft, damit beide Häuser vereinigt und daraus die Kirche gebaut werden könne. Als Baumeister fungierte der Architekt Franz Wipplinger (1760–1812).454 Die Kirche wurde im Gegensatz zur Dreifaltigkeitskirche in der Form eines Toleranzbethauses errichtet.455 Nachdem der Bruderschaft nicht gestattet worden war, das Haus selbst zu kaufen, übernahm Georg Johann von Karajan die Funktion eines Strohmannes und das Haus wurde auf seinen Namen ins Grundbuch eingetragen. Eigentlich aber gehörte es der Bruderschaft, die auch alle anfallenden Kosten zu tragen hatte. Am 13. August 1806 schloss Karajan daher mit der Bruderschaft einen Vertrag, in dem dies festgehalten wurde.456 In diesem Vertrag ist von einem Betrag von 70.000 Gulden die Rede, den die Bruderschaft Karajan für den Hauskauf und Kirchenbau vorgestreckt habe. Aufgrund des von ihm zitierten Schenkungsvertrages von 1802 bezeichnet Efstratiadis diesen Vertrag von 1806 als fingierten Kaufvertrag. Ein späteres Dokument lässt jedoch darauf schließen, dass die Kosten tatsächlich von der Bruderschaft selbst bestritten wurden. Es handelt sich um ein Dokument, in dem der Vormund der noch unmündigen Kinder und Erben von Georg Johann von Karajan († 2. Juni 1813), Kyro Nikolitz, und der Anwalt Dr. Schwaiger die Bruderschaft im Interesse von Karajans Erben aufforderten, entweder mittels eines beglaubigten Dokuments klarzustellen, dass letztere keinerlei eventuell anfallende im Zusammenhang mit dem Haus stehenden Kosten zu tragen hätten, oder überhaupt einen neuen Strohmann zu finden, der ins Grundbuch eingetragen werden könnte.457 Möglicherweise hatte Karajan der Bruderschaft nur das Haus im Wert von 21.000 Gulden geschenkt. 454 Seltsamerweise stammt der mit ihm abgeschlossene Bauvertrag bereits aus dem Jahr 1800. AHG, G 36, Fasz. 2, 21. Mai 1800: Bauvertrag mit Franz Wipplinger. 455 Ein Bericht an die k.k. nö. Statthalterei aus dem Jahr 1860 über die beiden in Wien bestehenden griechischen Kirchen, der vermutlich anläßlich der provisorischen Konstituierung der serbischen Gemeinde in Auftrag gegeben wurde, erwähnt, dass sich die Georgsgemeinde »in Fällen des Bedarfes eines Geläutes, an die Gemeinde in der Kirche zur heiligen Dreifaltigkeit gewendet hat«. AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 17, 2. April 1860: Bericht an die k.k. nö. Statthalterei. 456 Diesen Vertrag gibt es in mehreren Versionen: Papadellis, Am]jdota jat\stiwa, 99–102; ediert die undatierte Version aus AHD, G 15, Fasz. 17; während Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 37–41; offenbar ein anderes Dokument vorlag. In AHG, G 4, Fasz. 12; befindet sich eine datierte Version, die jedoch keine Unterschriften enthält, und in AHG, G 36, Fasz. 7; eine beglaubigte Abschrift des Vertrages in deutscher Sprache vom 26. Oktober 1835. 457 AHG, G 7, Fasz. 18: 30. Juli 1815 Brief von Dr. Schwaiger an den Ausschuss der griechischen Gemeinde türkischer Untertanen; sowie ein undatiertes diesbezügliches Dokument in griechischer Sprache.

Konflikte in Bezug auf Verwaltung und Frage nach Definition der Gemeinde

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Welchen Anteil an den 126.784 Gulden, die der Kauf des Hauses und der Bau der Kirche insgesamt kosteten,458 Karajan tatsächlich aus seinen eigenen Mitteln bezahlte, ist für mich nicht nachvollziehbar. Unbestritten ist jedoch die große Unterstützung, die der Bruderschaft durch seine Person zuteilwurde, indem nicht nur alle finanziellen Transaktionen über ihn liefen,459 sondern er auch den Kirchenbau administrierte. Auch andere Mitglieder der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit trugen mit Spenden zum Bau der Georgskirche bei,460 wie auch umgekehrt osmanische Untertanen für den Bau der Dreifaltigkeitskirche gespendet hatten.461 Obwohl das Kirchenhaus im Grundbuch noch bis 1835 auf den Namen der Erben von Georg Johann von Karajan lief, erschien es nach dessen Tod 1813 in gedruckten Häuserverzeichnissen bereits als Eigentum der »griechischen Gemeinde«.462

2.6. Konflikte in Bezug auf die Verwaltung und die Frage nach der Definition der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 2.6.1. Die Gemeindeverwaltung in den Jahren nach der Gründung und ein erster Konflikt um die Finanzen der Gemeinde (1799) Nachdem mit der Bestätigung des Privilegiums 1796 die äußere Bedrohung durch den versuchten Zugriff des Metropoliten von Karlowitz endgültig abgewendet worden war, offenbarten sich bald interne Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern der neugegründeten Gemeinde der k.k. Untertanen in Bezug auf die Handhabung der Administration der Gemeinde. Diese war zwar im Privilegium geregelt, allerdings eröffnete der knappe Privilegientext zum Teil einen gewissen Interpretationsspielraum. Außerdem dürften in den ersten

458 AHG, G 36, Fasz. 2: J !dekv|tgr t_m Touqjoleq_tym Uyla_ym di± tµm !coq\m, ja· oQjodolµm toO spgt_ou LijqoO J_ssem V]miw, ja· t/r 1m aqt` Jap]kgr toO "c_ou Ceyqc_ou bpoO l³ 5noda ja· di± kocaqiasl¹m tµr aqt/r !dekv|tgtor, !kk’ oQjomolij_r eQr t¹ emol\ lou, ¢r 1pitq|pou, ja· 1pist\tou 1meqc^hgsam. Ein weiteres Dokument mit einer Rechnungsaufstellung befindet sich in AHD, G 15, Fasz. 17. Papadellis, Am]jdota jat\stiwa, 108. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 44–49. 459 So nahm er im Namen der Bruderschaft 1805 ein weiteres notwendig gewordenes Darlehen für den Kirchenbau auf. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 177. 460 AHG, G 4, Fasz. 9: Verzeichnis der Spender für den Kirchenbau aus der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1803. 461 AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 3. 462 Mathias Gutjahr, Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien und ihren Vorstädten befindlichen Straßen, Gassen, Plätzen und Häusern, dann derselben Schilde und Eigenthümer. Wien 1816, 28.

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Jahren auch einige deutlich ausgeführte Bestimmungen, wie z. B. die jährliche Wahl des Ausschusses, nicht korrekt eingehalten worden sein. Das vordringlichste Ziel der Gemeindeverwaltung in den ersten Jahren war der Abbau der für den Kirchenbau eingegangenen Schulden. Daher kam es auch bald zu Differenzen über die richtige Administration der Gemeindefinanzen. In diesem Zusammenhang wurde in der Versammlung vom 20. Dezember 1797 erstmals eine Art Handlungsanweisung für die Exas erstellt, die zwölf Punkte enthielt, die von dieser im kommenden Jahr beachtet werden sollten:463 »In der General Vers: Prot. Buch fol: 6,7 – ertheilt die Versammmlung am 20 Decb: 1797 12 Puncte als Norm auf ein Jahr, der Exas u. zwar : 1 Jaen 1798 1. Aufbewahrung der Urkunden 2. Die Kirchenschuld vermindern. 3. Wahl der Epitropen- Kirchen Vorsteher – Ablegung ihrer jährlichen Rechnungen 4. Verfügungs Recht nur bis auf 100 fl. 5. Wahl der Geistlichen – Sänger – Kirchendiener mit Hinweisung auf die im § IV enthaltenen Anordnungen 6. Auszahlung der Interessen für das aufgenommene Kirchen Darlehen 7. Ist ein Deficit, soll dasselbe nach Beschluss der Gemeinde, nach ihrer Classification durch Beiträge, gedeckt werden. 8. Decrete der KK Behörden sind durch die Exas zu entsiegeln 9. wie § 4 bestimmt, kann nur die Exas, Gegenstände unter den Betrag von 100 fl ohne der Gemeinde, vornehmen. 10. Die Aufsicht über die Kirchlichen Functionen hat die Exas. 11. Bei Ungleichheit der Beschlüsse in den Exas Sitzungen, dann Streitigkeiten, kann nur die Gemeinde entscheiden. 12. Bei Austritt der Exas ist eine Rechg zu legen.«464

Die Vollmachten (pkgqeno}sia cq\llata) der Gemeinde für die Exas465 aus den Jahren 1797466 und 1799 beinhalten die griechische Version dieses Textes. Dieser Text zeigt zwar das Bedürfnis nach einer detaillierteren Ausführung bestimmter Punkte des Privilegiums, von einer Geschäftsordnung oder einem 463 Laut Dudos handelt es sich dabei um die erste Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Dudos, Die griechisch-orientalische Kirchen-Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit, 19–20. Vgl. auch Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 53. 464 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Buchstabe S, Sitzungen: Generalversammlung 20. 12. 1797. Der griechische Text der zwölf Punkte ist auf der Fotokopie des Originalprotokollbuchs aus dem Nachlass von Georgios Kioutoutskas unter dem Datum des 7./20. Dezember 1797 zwar erkennbar, aber nicht leserlich. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 6. 465 AHD, G 1, Fasz. 2. In diesem Faszikel befinden sich die Vollmachten von 1789, 1797 und 1799 sowie eine beglaubigte deutsche Übersetzung der Vollmacht von 1799 aus dem Jahr 1803, die wohl im Zuge der Statutenerstellung angefertigt wurde. 466 Siehe Editionsteil Nr. 20.

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Statutentext kann bei diesen Anweisungen für ein Jahr aber dennoch nicht die Rede sein. Auch in den Protokollen der Gemeinde zum Hl. Georg finden sich immer wieder Präzisierungen von administrativen Unklarheiten, dennoch wird zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Gemeinde ihre Verwaltung bis Anfang des 20. Jahrhunderts nur mittels des Privilegientextes regelte.467 Obwohl die oben zitierten zwölf Punkte in einer Gemeindeversammlung beschlossen worden waren, entzündeten sich bald heftige Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Bezug auf Punkt 7, der die Abdeckung eines eventuellen Defizits in den Gemeindefinanzen durch verpflichtende Beiträge der Mitglieder bestimmte. In Paragraph VII des Privilegiums von 1796468 heißt es, dass »die Hauptkosten dieses Bethhauses, […] von dem freywilligen Allmosen der Gläubigen zu bestreiten; falls aber dasselbe nicht hinreichte, alle weiteren Ausgaben von der Gemeinde der hier ansäßigen Griechen und Wallachen der nicht vereinigten griechisch-orientalischen Kirche durch einen außerordentlichen Beytrag ersetzet werden sollen.«

Aufgrund der noch immer hohen Schulden, die auf dem Kirchenhaus lasteten, wurde daher im Jahr 1799 ein solcher außerordentlicher Beitrag von den Mitgliedern eingefordert. Eine Gruppe von neun Mitgliedern weigerte sich allerdings, den von ihnen verlangten Beitrag zu zahlen. Dabei handelte es sich um Christoph von Nako (Wqist|voqor M\jor), Johann Darvar, Vulkos Gika, Demeter Darvar (Dgl^tqior D\qbaqgr), Georg Nikolaus Rusti (Ce~qcior Mijok\ou Qo}stgr), Konstantin Supan, Georg Darvar (Ce~qcior D\qbaqgr), Stamati Cocicopulo und Nikolaus Ziolle (Mij|kaor Fiok^r). In diesem Zuge hatten sich zwei verfeindete Fraktionen innerhalb der Gemeinde herausgebildet, an deren Spitze einerseits die Gebrüder Johann, Georg und Demeter Darvar, anderseits Demeter von Zettiri, dem sich alle übrigen Gemeindemitglieder anschlossen, standen. Georg Nikolaus Rusti war ein Geschäftspartner der Darvars,469 während Christoph von Nako470 mit diesen das Engagement um die Gründung einer griechischen Schule in Wien teilte.471 467 Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta, 271. 468 Editionsteil Nr. 17. Entspricht Paragraph VI im Privilegium von 1787 (Editionsteil Nr. 9). 469 In einem Bericht an die Polizeihofstelle vom Dezember 1807 heißt es, Rusti werde in den nächsten Tagen »in Geschäften der Darvar nach Bannat und Semlin« reisen. AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 1432 (1807). 470 Zur in Ungarn geadelten Familie Nako siehe: Peyfuss, Aromanian landlords, 77–78. Hans Haas, Das Adelsgeschlecht N#kj de Nagy-Szentmikljs. Aufstieg und Niedergang einer Grafendynastie. Res¸it¸a 2011; ist teils fehlerhaft. 471 Ein Legat des kurz darauf (2. 12. 1800) verstorbenen Christoph von Nako bildete die Grundlage für die Gründung dieser Schule im Jahr 1801. AHD, S 2, Fasz. 16.

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Dieser frühe Konflikt – in den Dokumenten im Gemeindearchiv als »diavoq\ tym adekv~m« (Meinungsverschiedenheit der Brüder) bezeichnet – zeigt, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sich von Anfang an als österreichische Institution etabliert hatte, denn er spielte sich ausschließlich auf der Ebene der k.k. Behörden ab. Der eine Hauptkontrahent Demeter von Zettiri war gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern 1794 für Förderung des Handels, Unterstützung von Fabriken sowie Beschäftigung zahlreicher Staatsbürger in den erbländischen Adelsstand erhoben worden472 und gehörte zu den finanzkräftigeren griechischen Händlern473. Er hatte offenbar schon bei der Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit eine entscheidende Rolle gespielt und verfolgte – zumindest laut seinem Gegner Johann Darvar – den Anspruch, in der Gemeinde tonangebend zu bleiben.474 Auf der Seite der Darvar-Brüder war besonders der Gelehrte und Schriftsteller Demeter475 in Wiener Intellektuellenkreisen gut vernetzt476 und wusste diese Kontakte für sich zu nutzen. Nachdem Punkt VIII des Privilegiums von 1796477 besagte, dass »im Falle aber eine Uneinigkeit zwischen der Gemeinde und dem Ausschuße sich ereignete, dießfalls an den hiesigen Magistrat die Anzeige gemacht werden soll, welcher hierüber zu urtheilen, die Sache zu erledigen, nach Beschaffenheit der Umstände aber, und wenn es einen Rechtsgegenstand beträfe, die Partheyen an ihre Personal-Instanz zu verweisen hat«,

reagierte der Gemeindeausschuss auf die Zahlungsverweigerung der neun Mitglieder mit einer Beschwerde beim Wiener Magistrat, »daß einige individua dem gedacht höchsten Privilegio zuwüder den ausserordentlichen Beitrag zur Bestreitung der Kirchenbedürfnisse verweigern«.478 Als der Magistrat die betreffenden Mitglieder daraufhin zur Zahlung des außerordentlichen Beitrags aufforderte, rekurrierten die neun erneut beim Magistrat und begründeten ihre Weigerung mit der Misswirtschaft und Verschwendung des Kirchenvermögens, 472 473 474 475

Komanovits, Der Wirtschaftsadel unter Kaiser Franz II. (I.), 482. Im Jahr 1816 befanden sich vier Häuser im Besitz der Familie. Siehe Legende zu Karte 4. Siehe hier S. 92–93. Zur Person von Demeter Darvar: Athanasios Giomplakis, Dgl^tqior Mij. D\qbaqir (1757– 1823) o ej Jkeiso}qar tgr Lajedom_ar did\sjakor tou C]mour. In: Cqgc|qior o Pakal\r 54 (1971), 313–323, 403–409. Stasinopoulou, Namadiab\fomtar to epistok\qio tou Dglgtq_ou D\qbaqg. Vaso Seirinidou, To eqcast^qio tou koc_ou. Amacm~seir, k|cia paqacyc^ jai epijoimym_a stgm epow^ tou diavytislo} l]sa ap| tgm istoq_a tgr bibkioh^jgr tou Dglgtq_ou M. D\qbaqg (1757–1823). Athen 2013. 476 So ist bemerkenswert, dass bereits zu seinen Lebzeiten eine Biographie seiner Person in einer österreichischen Zeitschrift erschien. Johann Baptist Rupprecht, Demeter N. Darvar. Eine biographische Skizze. In: Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst 53 und 54 (1816), 219–222. 477 Editionsteil Nr. 17. Entspricht Punkt VII im Privilegium von 1787 (Editionsteil Nr. 9). 478 AHD, G 3, Fasz. 5, 5. Juli 1799: Beschwerde der Vorsteher der nicht unierten griechischen Kirchengemeinde an den Wiener Magistrat.

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die der vorige Ausschuss betrieben habe. So wurde konkret beklagt, dass ohne Notwendigkeit ein Advokat für ein jährliches Gehalt von 400 fl.479 eingestellt worden war.480 Dieser Punkt ist insofern interessant, als die Bruderschaft zum Hl. Georg schon seit vielen Jahren (schon vor Erhalt des Privilegiums von 1776) einen Rechtsanwalt angestellt hatte.481 Er vertrat die Bruderschaft vor österreichischen Gerichten, wenn es Schwierigkeiten in den Handelsangelegenheiten der Mitglieder gab. Im Gegensatz zur Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bestand für die Bruderschaft kein Zweifel an der Notwendigkeit einen eigenen Anwalt zu beschäftigen. Hier zeigen sich erstmals unterschiedliche Auffassungen über den Charakter der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Man hatte wohl in Analogie zur Gemeinde der osmanischen Untertanen einen Anwalt eingestellt, obwohl die Gemeinde in Bezug auf die Handelsangelegenheiten ihrer Mitglieder gar keinen Vertretungsanspruch erhob. Daher vertraten diejenigen, welche die Zahlung des außerordentlichen Beitrags verweigerten, die Ansicht, die Beschäftigung eines Rechtsanwalts sei unnötige Geldverschwendung und die Administration des Kirchenhauses als einzige anfallende Aufgabe könne auch von der Gemeinde selbst besorgt werden. Trotz dieser Einwände entschied der Magistrat, dass die zahlungsverweigernden Mitglieder den Beitrag zu leisten hätten, weil die überwiegende Mehrheit der Gemeinde mit der Repartierung, das heißt der Aufteilung des zu bezahlenden Betrages nach einem bestimmten Schlüssel unter den Gemeindemitgliedern, einverstanden sei. Dem Streit um die Beitragszahlung war durch diesen Spruch des Magistrats zwar ein Ende gesetzt worden, doch gleichzeitig wurde eine Untersuchung der beklagten Missstände in Bezug auf die Finanzgebarung der Gemeinde angekündigt, da »die seither von beyden Partheyen mit vielen Wortgepränge gewechselten Schriften eigentlich nichts beweisen« würden.482 Zu diesem Zweck wurde eine Kommission aus Vertretern beider Konfliktparteien gebildet und mit deren Einverständnis vom Magistrat Folgendes verordnet:

479 Es handelte sich um den Hof- und Gerichtsadvokaten Joseph Voglhuber. 480 AHD, G 3, Fasz. 5, 19. September 1800: Brief des Wiener Magistrats an den Ausschuss der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde. 481 Lampros, 8qeumai em tair bibkioh^jair jai aqwe_oir Q~lgr, Bemet_ar, Boudap]stgr jai Bi]mmgr. In: M]or :kkgmolm^lym 18 (1924), 48–69, hier 53; zitiert ein Protokoll der Bruderschaft vom 9. Dezember 1777, in dem beschlossen wird dem Advokaten für seine langjährigen Dienste ein Geschenk zu machen. Es handelte sich wohl um den auch bei Efstratiadis erwähnten Dr. Schwaiger. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 176. Wie aus dem Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg hervorgeht, hatte die Bruderschaft auch in den folgenden Jahren immer einen Rechtsanwalt angestellt. 482 AHD, G 3, Fasz. 5, 19. September 1800: Brief des Wiener Magistrats an den Ausschuss der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde.

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1) Der Advokat sollte entlassen und die Kirchengeschäfte sowie die Administration des Hauses in Hinkunft von der Gemeinde selbst besorgt werden; 2) jedes Jahr sollte die Wahl eines neuen Kirchenausschusses durchgeführt werden; 3) der Gemeinde sollte jedes Jahr die Kirchenrechnung gelegt werden. Sowohl über die jährliche Wahl als auch über die Rechnungslegung sei dem Magistrat Bericht zu erstatten. Als vierter Punkt wurde die Einreichung eines »Plans« (Statuten) binnen zwei Monaten beim Magistrat verordnet, der Bestimmungen über die Kirchenversammlung, die Höhe des in außerordentlichen Fällen zu bezahlenden Beitrags und eine Einteilung der Gemeindemitglieder in Vermögensklassen enthalten sollte. Außerdem solle »zum Hauptaugenmerk genommen werden, wie und auf welche Art die auf der Kirche haftenden Schulden getilgt, und so das Kirchenvermögen ins Reine gebracht werden könne.«483 Der Abbau der Schulden, die zur Errichtung der Bethäuser aufgenommen worden waren, war den österreichischen Behörden bei allen Wiener akatholischen Gemeinden ein vordringliches Anliegen, weshalb dieser Punkt an prominenter Stelle in den Privilegien oder Statuten festgeschrieben wurde. So lautet der erste Punkt des Reglements für die sephardische Gemeinde in Wien von 1778: »Vor allen andern sollen alle der Synagoge ausständige Schulden eincassiret werden«.484 Auch die Statuten des israelitischen Stadttempels von 1829 enthalten einen entsprechenden Punkt (Capitel I, § 20).485 Aus den Verordnungen des Magistrats lässt sich folgern, dass in den vorangegangenen Jahren die im Privilegium vorgesehene jährliche Wahl des Ausschusses bzw. der Epitropen offenbar nicht korrekt abgehalten worden war und auch die jährliche Rechnungslegung durch die Epitropen unterblieben war. Die Abfassung von den Privilegientext erläuternden Statuten schien unumgänglich, um weitere Streitigkeiten zu vermeiden. Tatsächlich sind die Angaben des Privilegiums bezüglich der Wahl des Ausschusses und der Epitropen äußerst unklar. Es besagt lediglich, dass der Ausschuss einmal im Jahr von der Gemeinde gewählt und von allen Anwesenden mit einer ordentlichen Vollmacht ausge-

483 AHD, G 64, Fasz. 1, 28. Oktober 1800: Brief des Wiener Magistrats an den Ausschuss der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde. 484 Adolf v. Zemlinsky, Geschichte der türkisch-israelitischen Gemeinde zu Wien von ihrer Gründung bis heute nach historischen Daten. Wien 1888, 7. 485 Bernhard Wachstein, Die ersten Statuten des Bethauses in der inneren Stadt. Aus Anlass der Jahrhundertfeier (2. Nissan 5686 / 17. März 1926). Mit einer Studie: Das Statut für das Bethaus der Israeliten in Wien seine Urheber und Gutheisser. Wien 1926.

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stattet werden solle,486 gibt aber keine Angaben über die Wahlmodalitäten, die Zusammensetzung des Ausschusses und die Anzahl der Ausschussmitglieder. Auch die Angaben zur Epitropenwahl sind vage: Jährlich sollten mittels des Ausschusses zwei oder drei Personen aus der Mitte der Gemeinde in dieses Amt, das die Verwaltung der Kirchenfinanzen umfasste, gewählt werden.487 Auch hier sind die Wahlmodalitäten nicht genauer definiert. Johann Darvar kritisierte seine Gegner, die als Vorsteher zum Zeitpunkt der Gemeindegründung für die Beantragung des Privilegiums beim Kaiser verantwortlich gewesen waren, auch für den zu ungenauen Privilegientext. Seiner Meinung nach hätten die Vorsteher bereits damals auf die Bedürfnisse der hier ansässigen k.k. Untertanen, die »gute Bürger« sein und »alle Staatslast tragen« müssten, Rücksicht nehmen und »auf mehrere und bestimte Einrichtungen, Ordnungen und Modificationen für Ihre Nachkommenschaft Bedacht nehmen« sollen.488 So schreibt er über das Privilegium: »Das Privilegium welches diese Vorsteher vom höchsten Orte bewirkt haben, ist bloß eine Abschrift von jenem, welches die hiesige Griech Handelsleuthe und türkische Unterthanen für Ihr Kapele besitzen […] [es] enthält sehr wenige Punkte, und zwar so viele als es für manche Personen, welche hier nicht für beständig ansässig sind, sondern sich hier nur einige Jahre aufhalten, um wieder in Ihr Vaterland zurük zu kehren, höchst nothwendig sind.«489

Die Kritik Darvars in Hinblick auf die Unklarheiten des Privilegientextes ist zwar berechtigt und die Notwendigkeit der Abfassung zusätzlicher Statuten nachvollziehbar, allerdings sollte auch bedacht werden, dass die Gemeinde sich zum Zeitpunkt der Erteilung der Privilegien in einer anderen Situation befand, in der es vor allem darum ging, die gleichen Bevorzugungen wie die Bruderschaft zum Hl. Georg (Berufung der Priester aus dem Osmanischen Reich, Unabhängigkeit von der Metropolie von Karlowitz) zu erlangen. Insofern war die Bitte um das »gleiche« Privilegium strategisch durchaus klug. Wie heikel jegliche Anpassung des Privilegientextes in Bezug auf die Eigeninteressen der Gemeinde hätte sein können, zeigt nicht zuletzt die versuchte Einmischung der Metropolie von Karlowitz in die Bestätigung des Privilegiums durch Franz II./I. Eine nachträgliche Präzisierung des Privilegiums durch zusätzliche Statuten war für die Position der Gemeinde sicherlich ein weniger riskanter Weg. 486 Punkt VIII im Privilegium von 1796 (entspricht Punkt VII im Privileg von 1787). Editionsteil Nr. 9 und 17. 487 Punkt V im Privilegium von 1796 (entspricht Punkt IV im Privileg von 1787). Editionsteil Nr. 9 und 17. 488 AHD, G 1, Fasz. 2, 1807: Textentwurf von Johann Darvar zur Rechtfertigung seiner Position. Editionsteil Nr. 25. 489 Ebd.

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2.6.2. Der Streit um die Statuten (1800–1807) Nachdem die Gemeinde vom Magistrat den Auftrag zur Abfassung von Statuten erhalten hatte, entwickelte sich ein gemeindeinterner Konflikt über dieses Thema, mit dem sich die k.k. Bürokratie (Wiener Magistrat sowie Niederösterreichische Landesregierung) noch jahrelang beschäftigen sollte. Wiederum stellten sich die Darvar-Brüder und einige der Mitglieder, die schon im Streit um die Repartition des außerordentlichen Beitrages auf deren Seite gestanden hatten, gegen die Mehrheit der Gemeinde. Abgesehen von persönlichen Animositäten zwischen den Darvars und Demeter von Zettiri sowie den bereits beschriebenen Streitigkeiten in Bezug auf angebliche Geldverschwendung durch die Vorsteher, war es vor allem ein Thema, das die Auseinandersetzung beherrschte: die Gründung einer griechischen Schule in Wien. Während die Darvars versuchten, die Statuten für dieses Projekt, das ihnen sehr am Herzen lag, zu instrumentalisieren, waren die meisten übrigen Mitglieder der Ansicht, die Gemeinde sei getrennt von der zu errichtenden bzw. zu diesem Zeitpunkt provisorisch funktionierenden Schule zu verwalten, weshalb diese Institution in den Statuten nicht zu behandeln sei.

2.6.2.1. Der erste Statutenentwurf von Demeter Darvar (J~din t_m diatac_m) aus dem Jahr 1801 Der älteste im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorhandene Statutenentwurf490 ist ein von Demeter Darvar 1801 in griechischer Sprache abgefasster Text. Nachdem Johann Darvar in den Jahren 1801 und 1802 Vorsitzender der Exas gewesen war,491 hatte er anscheinend seinem gelehrten Bruder Demeter diese Aufgabe übertragen. Der 30 handschriftliche Seiten umfassende Statutentext492 mit dem Titel »Kodex der Anordnungen der neugegründeten Kirche der Hl. Dreifaltigkeit der k.k. Untertanen in Wien und orthodoxen Kinder der Ostkirche verfasst aufgrund der Ermunterung und Forderung der bevollmächtigten Brüder dieser Kirche von Demetrios Nikolaou Darvaris und bestätigt von allen versammelten Brüdern im Jahr 1081 [sic!]493« enthält zahlreiche Durchstreichungen und eingefügte Korrekturen sowie Änderungen in der Paragraphenreihenfolge, was die Frage auf490 AHD, G 1, Fasz. 2. 491 Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 159. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 24–38. 492 Edition des griechischen Originaltextes im Editionsteil Nr. 20. 493 Bei der Jahreszahl 1081 handelt es sich um eine Verschreibung für 1801.

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wirft, in welcher Form dieser Entwurf von allen versammelten Mitgliedern genehmigt wurde, wie es am Titelblatt heißt. Der Text besteht aus elf Kapiteln, einem Anhang und mehreren Preislisten der Stolargebühren am Ende. Auf die konkrete Gemeindeorganisation gehen eigentlich nur die ersten vier Kapitel ein, welche die Versammlungen, den Wahlvorgang und die Pflichten der Vorsteher und Epitropen beschreiben. Die folgenden Kapitel beschäftigen sich relativ ausführlich mit Fragen des Ablaufs der Liturgie und enthalten Handlungsanweisungen für das richtige Betragen der Priester, der Kirchensänger und des Kirchendieners sowie der Gemeindemitglieder beim Kirchenbesuch. Diese Vorgaben bestehen einerseits aus allgemein gehaltenen Forderungen (»die Priester sollen sich tugendhaft verhalten«), andererseits aus konkreten Anweisungen (»der Priester muss in der Kirche bleiben bis der Kirchendiener die Kerzen ausgelöscht hat und dann die Kirchentür versperren und den Schlüssel an sich nehmen«). Ein eigener Anhang beschreibt, wie sich die Mitglieder zu verhalten hätten, wenn der Kaiser, die Kaiserin oder ein anderes Mitglied der kaiserlichen Familie494, oder der Erzbischof von Karlowitz bzw. ein anderer hoher orthodoxer Geistlicher495 die Kirche besuche. Teilweise finden sich unter den konkreten Anweisungen auch solche, welche die Organisation der Gemeindeverwaltung (»der Kirchendiener ist den Epitropen unterstellt und muss ihren Anweisungen Folge leisten«) und staatlich-gesetzliche Vorgaben betreffen (»die Priester dürfen kein Mitglied ohne Erlaubnis des Consistoriums mit einer nicht-orthodoxen Frau verheiraten«496), doch insgesamt machen die für die Gemeindeorganisation wichtigen Regelungen nur einen Bruchteil des Textes aus. Die wichtigsten Punkte im Text, welche die Organisation betreffen sind fol494 Tatsächlich hatte Joseph II. nach Erlass des Toleranzpatents von 1781 zweimal die lutherische Stadtkirche in Wien besucht. Hermann Rassl, Des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. 200 Jahre Evangelische Gemeinde A. B. Wien. Wien 1983, 24. 1784 besuchte er unangemeldet die Kirche St. Barbara der unierten Griechen in Wien. Gastgeber, Gschwandtner, Die Ostkirchen in Wien, 154. 1781 hatte der Sohn der russischen Zarin Katharina der Großen Pavel Petrovic´ die griechische Kirche zum Hl. Georg in Wien besucht. Alexandra-Kyriaki Wassiliou, Die griechisch-orthodoxe Gemeinde »Zum heiligen Georg« und das russische Zarenhaus. In: Biblos 47 (1998), 265–275. Die Erwartung kaiserlichen Besuchs war also nicht unbegründet. 495 Auch dies kam immer wieder vor, da die orthodoxen Bischöfe der Habsburgermonarchie häufig in der Haupt- und Residenzstadt Wien zu tun hatten und dann die hiesigen orthodoxen Kirchen besuchten. 496 Hintergrund des diesbezüglichen Paragraphen der Statuten sind die in Österreich geltenden staatlichen gesetzlichen Regelungen in Bezug auf Mischehen. Siehe dazu: Bruno Primetshofer, Rechtsgeschichte der gemischten Ehen in Österreich und Ungarn (1781–1841). Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Wien 1967. Eine moralische Verurteilung von Mischehen impliziert der entsprechende Paragraph allerdings nicht.

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gende: Die Beschlüsse der Gemeinde sollten in Generalversammlungen und Einzelversammlungen (des Ausschusses) getroffen werden, wobei spezifische Themen in einer Generalversammlung aller Mitglieder abzuhandeln seien: der Bau neuer Gebäude, die Gründung einer Schule, der Kauf eines Hauses zum Gebrauch der Kirche oder Schule, Fragen von Seiten der Behörden, die Wahl neuer Vorsteher und die Überprüfung der Gesamtrechnung zu Jahresende. Die Teilnahme an der Generalversammlung sollte außer bei Krankheit oder geschäftlicher Abwesenheit verpflichtend sein und entscheiden sollte jeweils die Mehrheit der Stimmen. Alle Beschlüsse sollten in einem Protokollbuch aufgezeichnet werden. Die Verwaltung der Gemeinde sollte sechs Vorstehern und drei Epitropen obliegen, deren Wahlvorgang im Text jeweils beschrieben ist. Zu den Pflichten der Vorsteher, die als Vertreter aller Mitglieder fungierten, sollten folgende Aufgaben gehören: die Verwaltung der Finanzen der Gemeinde und das Streben nach Mehrung ihres Kapitals, die Bewachung derKirchenkassa, in der sich unter anderem die Originale der Privilegien und die Hausgewähr für das Kirchenhaus befanden,497 die jährliche Wahl dreier Epitropen, die für die Kirchenangelegenheiten zuständig waren, die Meldung der Einstellung eines neuen Pfarrers an den Metropoliten von Karlowitz und die die Einstellung von Gemeindepersonal (Pfarrer, Lehrer, Sänger, etc.), wobei Verträge geschlossen werden und den Angestellten jeweils genaue Instruktionen zu ihrer Aufgabe übergeben werden sollten. Für den Fall, dass eine Abstimmung unter den Vorstehern mit Stimmengleichheit endete, sei eine Generalversammlung einzuberufen. Schließlich wird bei den Aufgaben der Vorsteher erwähnt, dass diese für die Gründung einer griechischen Schule sorgen sollten. Diese noch zu gründende Schule behandeln die beiden letzten Kapitel des Textes. Sie sind allgemein gehalten und treffen keine Aussagen über die konkrete Organisation der Schule, sondern betonen die Wichtigkeit von Bildung und die daraus resultierende Notwendigkeit einer Schulgründung und stellen eine Art Grundsatzschrift zu Darvars pädagogischem Konzept498 dar, in der beschrieben wird, wie sich eine 497 Dazu besaß jeder Vorsteher einen Schlüssel zur Mitsperre, sodass die Kassa nur im Beisein aller sechs Vorsteher geöffnet werden konnte. 498 Die von Darvar – auch für die später gegründete griechische Nationalschule in Wien – verfassten Schulbücher sind Ausdruck seiner diesbezüglichen Vorstellungen. Anna Tampaki, Dgl^tqior D\qbaqgr: oi peqi »ghij^r« amtik^xeir tou. In: Peq_ meoekkgmijo} diavytislo}. Athen 2004, 139–165, hier 143–144. In späteren Texten legte er sein pädagogisches Konzept genauer dar, so zum Beispiel im Artikel Paqatgq^seir tim]r jai sglei~seir peq_ tgr didajtij^r leh|dou jai tgr dioqh~seyr tym Swoke_ym. [Einige Bemerkungen und Notizen über die didaktische Methode und die Verbesserung der Schulen] In: K|cior Eql^r, 15. April 1811, 122–128 und 1. Mai 1811, 147–150. Darvars Ideen sind stark von den mit den mariatheresianischen Schulreformen in Österreich in Zusammenhang stehenden pädagogischen Vorstellungen der Aufklärung beeinflusst.

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Schule definiere, was in ihr gelehrt werden solle und wie sich ein guter Lehrer zu verhalten habe. Darvars Statutentext ist in einer einfachen, klaren Sprache abgefasst499 und spiegelt die aufklärerischen Ideen des Autors wider. Besonders häufig wird bei den Regelungen auf das Gemeinwohl500 (to joim|m |vekor, g joim^ yv]keia, to joim|m jak|m) und die rechte Ordnung501 (t\nir, eutan_a) als Ziel verwiesen. Weiters sollten die Funktionäre der Gemeinde sich um Vernunft, Friedfertigkeit und Mäßigung bemühen.502 Obwohl die im selben Jahr verfassten Statuten der Gemeinde von Miskolc in Ungarn diesem Text in Hinblick auf das sprachliche Register ähneln, sind keine Hinweise erkennbar, dass Darvar andere Statutentexte als Vorlage genommen hätte. Die Statuten von Miskolc zeichnen sich durch eine lange philosophische Einleitung mit vielen Bibelzitaten und naturrechtlichen Einschlägen aus.503 In Darvars Text lassen sich zwar ebenfalls philosophische Vorstellungen erkennen, doch werden diese keineswegs so extensiv ausformuliert, sondern es handelt sich dabei – mit Ausnahme der beiden Kapitel über die Schule – im Wesentlichen um eine Auflistung von Vorschriften. Diesbezüglich herrscht ein starkes Ungleichgewicht zwischen den beiden Kapiteln über die Schule und den übrigen Statuten. Während die theoretischen Komponenten (»wie man sich verhalten soll«) im Rest der Statuten nur einen Bruchteil ausmachen, sind die beiden Schulkapitel gleichsam ein Leitfaden durch Darvars pädagogische Ideen. Bei der Definition einer Schule504 verwendet er sogar direkt den Text aus seiner 1791 erschienenen Weiqacyc_a eir tgm jakojacah_am505 (Anleitung zur Kalokagathia). Argument für die Notwendigkeit einer Schulgründung war nach Darvar die Tatsache, dass das Glück einer Gemeinschaft von der guten Erziehung ihrer Kinder abhänge.506 Ziel der guten Erzie-

499 Darvar verwendet die von ihm propagierte Sprachform des apkoekkgmij\. Stasinopoulou, Namadiab\fomtar to epistok\qio tou Dglgtq_ou D\qbaqg, 175; und Seirinidou, Pokitislij]r letavoq]r, 22. Dies., To eqcast^qio tou koc_ou, 104–112. Seine diesbezügliche Meinung äußert er auch in dem Paragraphen, der die Unterrichtssprache der Lehrer behandelt (JEV. IB4. § 12). 500 Besonders deutlich ist JEV. A4. § 6. 501 Siehe z. B. JEV. H4. § 1. 502 Es handelt sich um Wertvorstellungen, die Darvars gesamtes schriftstellerisches Werk durchziehen. Dazu: Tampaki, Dgl^tqior D\qbaqgr: oi peqi »ghij^r« amtik^xeir tou, 139– 165. 503 Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta, 259ff. 504 JEV. IA4. § 2. 505 Weiqacyc_a eir tgm jakojacah_am ^toi ecweiq_diom eir am\cmysim toir spoud\fousi meam_sjoir tym Qyla_ym jai Bk\wym. Wien 1791, 1. Dazu auch: Tampaki, Dgl^tqior D\qbaqgr: oi peqi »ghij^r« amtik^xeir tou, 142. 506 JEV. IA4. § 1.

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hung wiederum sollte es sein, die Kinder zu ehrbaren und nützlichen Gliedern der Gesellschaft zu machen.507 Abgesehen von dem großen Gewicht, das Darvar auf Schulthema legte, macht sein Statutentext deutlich, dass die Hauptaufgabe der Gemeinde in der Verwaltung der Kirche bestand, was sich nicht zuletzt in den ausführlichen Beschreibungen zum Ablauf der Liturgie äußert. Der Text bietet keine Hinweise darauf, dass die Gemeinde abgesehen von der religiösen Funktion noch weitere Aufgaben im Hinblick auf die Handelstätigkeit ihrer Mitglieder übernahm, sondern stützt die Annahme, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit seit ihrer Gründung dem josephinischen Konzept einer konfessionellen Pfarrgemeinde entsprach. Die Gemeindemitglieder werden im Text durchwegs als »adekvo_« (Brüder) und die Gemeinde selbst als »adekv|tgr« (Bruderschaft) bezeichnet. Letzterer Begriff wurde aber an den meisten Stellen des Texts durchgestrichen und durch »joim|tgr« (Gemeinde) ersetzt. Das Faktum, dass diese beiden Begriffe auch in den Protokollen der Bruderschaft bzw. Gemeinde zum Hl. Georg synonym verwendet werden, zeigt die Schwierigkeit, diesen Begriffen konkret die unterschiedlichen Formen der Gemeindeorganisation zuzuordnen.508 Allerdings lässt sich beobachten, dass der Begriff »adekv|tgr« für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nur in den ersten Jahren nach der Gründung begegnet und in späteren Texten nicht mehr verwendet wird, während im Kontext der Gemeinde zum Hl. Georg noch bis Ende des 19. Jahrhunderts von der Bruderschaft die Rede ist. Eine weitere begriffliche Unsicherheit ergab sich beim Terminus für »Vorsteher«. Hier wurde wohl eine Rückübersetzung des allgemein üblichen deutschen Begriffes509 vorgenommen. Darvar verwendete dafür zuerst das Wort »pqoest|r«, das für die Vorsteher griechischer Gemeinden im Osmanischen Reich gebräuchlich war, doch dieser Ausdruck wurde im Text großteils ausgebessert und zum Begriff »epist\tgr« abgeändert.510 Trotz seiner Länge war dieser erste von Demeter Darvar verfasste Statutentext 507 JEV. IA4. § 7. Siehe dazu auch: Tampaki, Dgl^tqior D\qbaqgr: oi peqi »ghij^r« amtik^xeir tou, 145. 508 Zur unterschiedlichen Verwendung der Begriffe »joim|tgta«, »adekv|tgta« und »jolpam_a«: Katsiardi-Hering, Adekv|tgta, jolpam_a, joim|tgta, 264–265. 509 Der Ausdruck Kirchenvorsteher wird sowohl für katholische als auch akatholische Pfarrgemeinden verwendet, während bei den jüdischen Gemeinden von Bethaus-Vorstehern die Rede ist. 510 Dieser Begriff wird auch in der griechischen Version der gedruckten Privilegienausgabe von 1822 verwendet. Der Begriff »Kirchenvorsteher«, der in der Korrespondenz der Gemeinde mit den Behörden meist verwendet wird, ist im deutschen Originaltext aber nicht anzutreffen, sondern es ist nur vom »Ausschuss« die Rede. In der griechischen Version der Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1861 wird mit »pqozst\lemor« ein weiteres Wort dafür eingeführt.

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nicht geeignet, um die Probleme und Unklarheiten in Bezug auf die finanzielle Verwaltung der Gemeinde zu lösen, da wichtige Bestandteile fehlten. So gibt es keine Aussagen darüber, wie sich die Mitgliedschaft in der Gemeinde definierte und zudem fehlt die vom Magistrat geforderte Einteilung der Mitglieder in mehrere Beitragsklassen. Stattdessen wurde der Text von Demeter Darvar vor allem genutzt, um sein dringendes Anliegen der Gründung einer griechischen Schule zu propagieren. 2.6.2.2. Die Gründung der griechischen Nationalschule Tatsächlich wurde in der Generalversammlung vom 10. März 1801 unter dem Vorsitz von Johann Darvar der Beschluss über die schon länger geplante511 Gründung einer griechischen Schule gefasst.512 Johann Darvar spendete dafür mit 2.000 fl. die größte Summe und auch sein Bruder Demeter widmete mit 1.000 fl. diesem Zweck einen hohen Betrag.513 In einer zweiten Versammlung am 13. März 1801 wurde außerdem beschlossen, dass die jeweiligen Vorsteher gleichzeitig auch als Aufseher (]voqoi = Ephoren) der Schule fungieren sollten und dass die Schule im zweiten Stock des Kirchenhauses untergebracht werden sollte.514 Die finanzielle Grundlage für die neue Schule bildete ein Legat des am 2. Dezember 1800 verstorbenen griechischen Handelsmannes Christoph von Nako.515 Die österreichischen Behörden standen dem Vorhaben grundsätzlich positiv gegenüber, da man sich davon einen unmittelbaren staatlichen Einfluss auf die Griechen erhoffte, wie folgende Äußerung des Referenten der StudienRevisions-Hofkommission Johann Melchior von Birkenstock zeigt: 511 So hatte Paul Chatzimichail in seinem Testament aus dem Jahr 1793 200 fl. für eine zu gründende griechische Schule in Wien bestimmt. Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 116. 512 Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 159. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 25. 513 Die Spendenliste findet sich in: ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786– 1823, 25–27. 514 Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 159. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 28. Siehe auch: AHD, G 6, Fasz. 9: Index der Sitzungs- und Generalversammlungsprotokolle 1786–1848. 515 AHD, S 2, Fasz. 16, Kodizill (Pest, 2. Dezember 1800): »Nicht minder sollen von meinen männlichen Erben und Nachfolgern in Wien für die allda errichtete neue griechische Schule gleichermassen jährlich 1000f. verabfolgt werden, jedoch unter diesem Vorbehalt, daß allda immer für die Lehrer der Jugend taugliche und fähige Lehrer bestellt werden sollen.« Ediert bei Emanuel Turczynski, Die deutsch-griechischen Kulturbeziehungen und die griechischen Zeitungen (1784–1821). In: Probleme der Neugriechischen Literatur 2 (1960), 55– 109, hier 97–98.

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»Da die Errichtung einer eigenen Schulanstalt für die nicht unirten Griechen allerdings möglich und erwünscht seyn dürfte, indem dadurch nicht allein der Griechischen Nation in und ausser der Erbstaaten der mit so vieler Beschwerlichkeit verbundene Unterricht ihrer Jugend erleichtert, und durch Herstellung einer ordentlichen, und bleibenden Unterrichts Anstalt den Griechisch nicht unirten Unterthanen der Österreichischen Monarchie, und der noch größeren Anzahl, die mit ihnen in Verbindung stehet ein Ort angewiesen wird, wo sie ihre Kinder unter der Aufsicht eigener von ihnen selbst gewählter Lehrer erziehen, und bilden lassen können; sondern auch weil der Staat durch diese Rücksicht die Griechische Nation mehr und mehr an sich ziehen und auf die Bildung der Herzen eines nicht unbeträchtlichen Theiles seiner Bewohner unmittelbaren Einfluss sich verschaffen kann.«516

Am 19. Mai 1804 wurde der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit mittels k.k. Hofdekret die Erlaubnis zur Errichtung einer griechischen Nationalschule offiziell erteilt.517 Tatsächlich hatte die Schule aber schon nach dem gemeindeinternen Beschluss von 1801 ihren Betrieb aufgenommen, wobei zunächst (1801–1802) Demeter Darvar unentgeltlich als Lehrer fungierte.518 In den folgenden Jahren entwickelten sich innerhalb der Gemeinde Uneinigkeiten bezüglich der Verwaltung der Schule, die sich auf die ungelöste Problematik der Statuten auswirkten. Trotz der 1804 erteilten Bewilligung zur Errichtung einer Schule hätte selbige eigentlich noch gar nicht eröffnet werden dürfen, da mehrere behördliche Vorgaben nicht erfüllt wurden. Konkret entsprach die Abrechnung des Schulbudgets nicht den Anforderungen der Studienhofkommission. Weiters wurde die Eignung der angestellten Lehrer (vor allem hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisse) bezweifelt und die Tatsache, dass die verlangten zweisprachigen Schulbücher noch nicht eingesetzt wurden, bemängelt. So schrieb die Niederösterreichische Landesregierung am 25. Juni 1807 an die Gemeinde: »Aus der am 9 dieses durch die Oberaufsicht der deutschen Schulen vorgenommenen Untersuchung hat sich gezeigt, dass dieselbe ihre Schule eröfnet, Lehrer aufgenommen, und entlassen, Lehrbücher eingeführt und abgeändert habe, ohne der Oberaufsicht der deutschen Schulen oder dieser Landesstelle dieselben vorzuschlagen. Da nun dieses Benehmen der ausdrücklichen Entschliessung der hohen Hofstelle vom 6 May 1804. dann der letzten dießortigen Verordnung vom 17 July v. J. gerade zuwider ist, so wäre zwar diese Schule als unbefugt anzusehen und ohne weiters zu schließen. Da jedoch laut der bey der besagten Untersuchung von der Gemeinde abgegebenen Erklärung die Hofnung zu schöpfen ist, daß sie die erwähnten Verordnungen pflichtschuldigst befolgen werde; So wird derselben hiermit ein Zeitraum von 6 Wochen anberaumt, 516 AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 8: 9. 9. 1802, Bericht der Nö. Regierung wegen Errichtung einer Schulanstalt der griechisch nicht unierten Gemeinde. 517 Editionsteil Nr. 22. Das Hofdekret ist in den gedruckten Ausgaben des Privilegiums für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1822 und 1859 abgedruckt. 518 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 73.

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binnen welcher nicht nur die von der Gemeinde berufenen Lehrer zur Prüfung bey der Oberaufsicht gestellt, die Lehrbücher zur Einsehung hierher vorgelegt, und die Bestätigung darüber angesucht, sondern auch die Fassion des Schulfonds, nach den unterm 17 July v. J. mitgegebenen Formulares, und die Verrechnung des baaren Kassarestes welchen damals mit 8904 f 34 x ausgewiesen worden ist, zur weitern Einleitung der höchstanbefohlnen Stiftbriefe hierher vorgelegt werden muß. Wenn diese von der hohen Hofstelle vorgeschriebenen Bedingungen binnen der anberaumten Zeitfrist nicht erfüllt werden sollten, würde die bisher nicht genehmigte Offenhaltung der Schule nicht länger mehr geduldet werden.«519

Es gelang der Gemeinde nicht diese Bedingungen zu erfüllen. Stattdessen kam es auch noch zu einem Streit über die Person des von der Studienhofkommission eigentlich bereits für geeignet520 befundenen Lehrers Euphronius Raphael Popovic´ (1772–1853)521, dem Sohn des Bischofs von Buda Dionysios. Wegen überhöhter Gehaltsforderungen hatte man ihn bereits 1806 entlassen und 1807 auf Räumung der Lehrerwohnung und Übergabe der Bibliothek verklagt.522 In den Jahren 1807–1810 unterrichteten die Brüder Emmanuel und Kyriak Kapetanaki,523 die allerdings von den österreichischen Behörden nicht als Lehrer akzeptiert wurden, in der Nationalschule. Erst ab 1811 konnte der reguläre, von den Behörden sanktionierte Schulbetrieb aufgenommen werden, wobei wiederum Euphronius Raphael Popovic´ sowie Michael Bojadschi524 als Lehrer eingestellt wurden. Die Schwierigkeiten, welche die Aufnahme des regulären Schulbetriebs lange Zeit verhinderten,525 wurden von der Niederösterreichischen Landesregierung folgendermaßen zusammengefasst: 519 AHD, S 1, Fasz.1: 25. Juni 1807, Brief der nö. Landesregierung an die Vorsteher der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde. 520 Er hatte bereits in Pest und Temeswar unterrichtet, konnte entsprechende Zeugnisse beibringen und hatte die Prüfung über die Lehrfähigkeit an der Normalschule in Wien abgelegt. Außerdem war er österreichischer Untertan. AHD, S 1, Fasz.1: 25. Juni 1807, Brief der nö. Landesregierung an die Vorsteher der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde. 521 Zu seiner Person: Ioannis A. Papadrianos, 8mar lec\kor Jofam_tgr ap|dglor: Euvq|mior Qava^k Papaciammo}sgr-Popob_tr (Di\keng). Thessaloniki 1973. 522 Siehe die diesbezügliche Korrespondenz mit Popovic´ sowie das Urteil des k.k. nö. Landrechts vom 12. Juni 1807 in: AHD, S 3, Fasz. 3. 523 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 73: Generalversammlung 16/28. Oktober 1810; enthält eine Liste der Lehrer von 1801–1810. 524 Zu seiner Person siehe: Peyfuss, Rom oder Byzanz?, 345–346. Ders., Aromunen um Kopitar. In: Österreichische Osthefte 36 (1994), 439–453, hier 449–451. 525 In diesem Zusammenhang sind auch die Aufrufe von Neophytos Doukas, dem damaligen Priester der Kapelle zum Hl. Georg, zur Gründung einer eigenen griechischen Schule für die osmanischen Untertanen zu sehen. So schrieb er über die derzeit bestehende Schule, dass sie von einem »betrügerischen und schwachen« Menschen geleitet würde. Neofytos Doukas, Paqa_mesir pqor tour em Bi]mmg vikoceme_r 8kkgmar eir s}stasim swoke_ou Ekkgmijo}. Wien 1810, 7. Im zweiten Aufruf entgegnete er auf die Einwände, die Obrigkeit würde eine solche Schule nicht gestatten, dass es den osmanischen Untertanen ja auch gelungen sei eine

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»Mangelte es an zweckmässigen Lehrbüchern, auch wegen den Lehrern waren Anstände, die Gemeinde deren ganze Schule nur aus 40 Schülern besteht, theilte sich in Faktionen, und entliess wegen Abneigung eines Theiles derselben den tauglichen und geprüften Lehrer Popowich526, wählte dafür russische Unterthanen zu Lehrern527, verweigerten die Sicherheit des Schulfonds darzuthun, und eine Abschrift des Nako’schen Testaments beyzubringen, welcher für diese Schule wesentliche Verfügungen trift. Ein Zeichen, dass es der Gemeinde mit der Organisierung ihrer Schule nicht viel Ernst war.«528

Die Schule erfüllte also in diesen Jahren die Erwartungen der Behörden, zur Erziehung der Schüler zu guten Untertanen beizutragen, wie es auch dem Darvar’schen Ideal entsprochen hätte, nicht. Einige Jahre später (15. Oktober 1816) erschien in der Zeitschrift Logios Ermis (K|cior Eql^r) ein Brief mit einem Bericht über den Zustand der Griechischen Nationalschule in Wien,529 in dem der Hoffnung Ausdruck verliehen wurde, dass unter den neugewählten Ephoren Athanasios Manussi (Aham\sior Lamo}sgr), Johann Emmanuel (Iy\mmgr Ellamou^k) und Zenobius Constantin Popp (Fgm|bior Jymstamt_mou Pyp) die Schule nunmehr besser organisiert werden würde.530 2.6.2.3. Die Statuten der Gemeinde vom 1. April 1805 (der »Generalplan«) Aufgrund der Tatsache, dass es nicht gelang, die Anforderungen des k.k. Hofdekrets für die griechische Nationalschule zu erfüllen, und der daraus resultierenden gemeindeinternen Streitigkeiten bot Johann Darvar seinen eigenen Angaben zufolge an, den Fond der Nationalschule zu verwalten und diese im Fall

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Kirche zu bauen. Ders., Paqa_mesir B4 pqor tour em Bi]mmg 8kkgmar eir s}stasim swoke_ou Ekkgmijo}. o. J. Ediert in: K. Th. Dimaras (Hrsg.), O Joqa^r jai g epow^ tou. Athen 1953, 251–262, hier 256. Möglicherweise war der Grund für die Vorbehalte mancher Mitglieder gegen Popovic´ privater Natur. Angeblich war er schuld daran, dass Zoitsa von Karajan (geb. Domnando) (1784–1863) ihren um 40 Jahre älteren Ehemann Georg Johann von Karajan am 21. April 1810 verließ. Diese Information stammt aus einem von Zoe von Reininghaus-Karajan erstellten Album über die Familie Karajan, das mir deren Enkelin Angelina Fritzsche dankenswerterweise zur Verfügung stellte. Siehe auch: Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 328; und AHG, G 4, Fasz. 12: 4. März 1813, Abschrift des Testaments von Georg Johann von Karajan (29. Jänner 1811); in dem er seine Ehefrau enterbt. Gemeint sind Kyriak und Emmanuel Kapetanaki. Dazu: Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 328. Nachdem die beiden von den Behörden nicht akzeptiert wurden, waren sie erst ab 1823 wieder als Lehrer an der Nationalschule tätig. AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 8: 16. 10. 1811, Brief der Nö. Landesregierung an die Studienhofkommission. Eql^r o K|cior 20 (15. Oktober 1816), 355–362, hier 356. Zum schlechten Zustand der Schule siehe auch den Briefwechsel Bartholomäus Kopitars mit Karl Georg Rumy aus dem Jahr 1820. Fritz Valjavec (Hrsg.), Bartholomäus Kopitars Briefwechsel. 1. Teil: Kopitars Briefwechsel mit Karl Georg Rumy. München 1942, 41–47. Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 51.

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eines finanziellen Abgangs aus eigenen Mitteln zu bestreiten.531 Nachdem dieser Vorschlag jedoch abgelehnt worden war, legte er sein Amt als Gemeindevorsteher nieder und die früheren Vorsteher, welche schon 1799 in der Frage der Repartition seine Gegner gewesen waren, wurden wiedergewählt.532 Diese sorgten nun dafür, dass ein neuer Statutentext, der beim Magistrat eingereicht werden sollte, erstellt wurde. Die Streitigkeiten hatten die Erledigung dieser Angelegenheit bereits beträchtlich verzögert, denn seit der Aufforderung des Magistrats binnen zweier Monate einen Statutentext einzureichen, waren schon fünf Jahre vergangen. Johann Georg Paziazi (Iy\mmgr Ceyqc_ou Patfiatf^r)533 verfasste diesen Text in deutscher Sprache, wobei er einige Teile aus den Statuten von Demeter Darvar übernahm.534 Diese von Paziazi verfassten Statuten (auch als »Generalplan« bzw. cemij|r jamomisl|r bezeichnet) wurden am 1. April 1805 von der Generalversammlung der Gemeinde beschlossen,535 von 44 Mitgliedern unterschrieben und in der Folge unter dem Titel »Statuten der Griechisch nicht unirten Kirche sämmtl. in Wien ansässigen Griechen, und Wallachen, und k.k. Unterthanen«536 beim Wiener Magistrat eingereicht.537 Dieser beim Magistrat eingereichte Statutentext besteht aus mehreren Teilen: Auf den relativ kurzen Statutenteil folgt der Text der Vollmacht, welche die Gemeindemitglieder dem neugewählten Ausschuss jeweils zu erteilen hatten, dem sich Instruktionstexte für den Ausschuss, die Epitropen, die Geistlichen, die Kirchensänger, den Kirchendiener und den Hausmeister, in denen die Aufgaben dieser Funktionsträger detailliert beschrieben werden, anschließen. Den Ab531 532 533 534 535

AHD, G 1, Fasz. 2, 1807: Textentwurf von Johann Darvar zur Rechtfertigung seiner Position. Ebd. Zu seiner Person siehe hier S. 264–265. AHD, G 1, Fasz. 2, 1807: Textentwurf von Johann Darvar zur Rechtfertigung seiner Position. Am 1. April 1805 wurden die Statuten von der Generalversammlung der Gemeinde beschlossen, nicht jedoch von der Regierung genehmigt, wie Dudos, Die griechisch-orientalische Kirchen-Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit, 21; schreibt. Seine Darstellung ist auch insofern lückenhaft, als sie erwartungsgemäß die gemeindeinternen Streitigkeiten als Anlass zur Erstellung der Statuten ausblendet. 536 Dieser Text ist im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (AHD, G 1, Fasz. 2) in zweifacher Ausführung vorhanden. Dabei handelt es sich einerseits um das Original-Exemplar mit Textkorrekturen und den eigenhändigen Unterschriften der 44 Mitglieder sowie um eine Abschrift davon. Im Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12, Jahr 1806–1808) befindet sich das beim Magistrat eingereichte gebundene Exemplar mit einem kalligraphisch ausgeführten Titelblatt. Edition des Original-Exemplars hier Editionsteil Nr. 23. 537 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 10. April 1805: Brief an den Magistrat k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien unterzeichnet von den Vorstehern Demeter E. v. Zettiri, Georg v. Karajan, Charisius Oeconomus (Waq_sior Oijom|lou), Michael Costa Curti (Liwa^k J~sta Jo}qtgr) und Demeter Hamsa (Dgl^tqior W\lsar).

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

Abb. 6: Titelblatt des beim Wiener Magistrat eingereichten Statutenexemplars der griechischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien vom 1. April 1805. Aus: WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12, Jahr 1806–1808.

schluss bildet der sogenannte »Maaßstab nach welchem der jährliche Abgang zu repartiren ist«, das heißt eine Einteilung der Gemeindemitglieder in Beitragsklassen. Dieser Text ist insgesamt etwas kürzer als der erste Statutenentwurf von Demeter Darvar in griechischer Sprache. Der Statutenteil selbst besteht aus neun Punkten: Der erste Punkt definiert die Aufgaben der Gemeinde, die laut dem Privilegium in der Erhaltung der Kirche am Alten Fleischmarkt und der Aufrechterhaltung des Gottesdienstes bestünden. Der Betrieb einer Schule gehörte, anders als in den Statuten von Demeter Darvar, laut diesem Text also nicht zu den Aufgaben der Gemeinde. Im zweiten Punkt wird eine Definition des Begriffes Gemeindemitglied gegeben: »Unter Gemeindeglied der hier ansässigen Griechen und Wallachen wird als ein solches jede einzelne hier ansässige Person betrachtet, folglich begreift eine Handlungs Compagnie oder Firma so viel Gemeindeglieder, als sie Personen zählet, in sich.«

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Die große Bedeutung dieser Frage zeigt sich daran, dass dieser Punkt in den Instruktionen weitere drei Male wiederholt wird.538 Anscheinend war notwendig klarzustellen, dass es sich bei der Gemeinde nicht um eine Vertretung der griechischen Händler handelte, wie in Analogie zur Gemeinde zum Hl. Georg angenommen wurde. Die Gemeindemitgliedschaft sollte jeden männlichen in Wien ansässigen Griechen individuell betreffen, woraus folgte, dass die Mitglieder ihre Beiträge individuell zu leisten hatten und diese nicht pro Firma bezahlt wurden, wie das bei der Gemeinde zum Hl. Georg der Fall war. Somit hatte die Gemeindemitgliedschaft im Grunde nichts mit der Profession als Händler zu tun. Diese prinzipielle Frage der Gemeindeorganisation wirkte sich auf die Anzahl der Stimmen bei der Wahl der Vorsteher und Epitropen aus. Obwohl der Text des Privilegiums eindeutig auf die Gemeinde als Pfarrgemeinde abzielt, offenbart die mehrmalige Betonung dieses Punktes, dass die Auffassungen über den organisatorischen Charakter der Gemeinde auseinandergingen. Da in der Zeit um 1800 die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nahezu identisch war mit dem Kollektiv derjenigen Handelsleute aus dem Osmanischen Reich, die österreichische Untertanen geworden waren,539 wurde sie – obwohl offiziell nicht so definiert – als Zusammenschluss der Händler wahrgenommen. Auch die österreichischen Behörden wandten sich häufig mit wirtschaftlichen oder politischen Anliegen an die Gemeindevorsteher, die sie als Vertretungsinstanz der türkischen Großhändler betrachteten. Bei den Großhändlern wurde zwischen k.k. privilegierten Großhändlern, bürgerlichen Großhändlern und türkischen Großhändlern unterschieden, wobei letztere Kategorie nicht mit der Untertanenschaft gleichzusetzen ist.540 Einem Teil der griechischen Händler gelang die Aufnahme in die Reihen der k.k. privilegierten Großhändler,541 wofür der Nachweis eines Fonds von 50.000 Gulden notwendig war.542 Die Vorsteher der Gemeinde selbst erklärten in einem Schreiben aus dem Jahr 1800 bezüglich der von den Händlern abzuführenden Kriegssteuer, dass die Gemeinde zwar strenggenommen nur eine Kirchengemeinde sei, der Ausschuss aber immer wieder als Ansprechstelle für die Behörden bei Angelegenheiten, die das Kollektiv der Händler betrafen fungierte: 538 Instruktion für den Ausschuss, Punkt 8 bezüglich der Rückzahlung eines eventuellen finanziellen Abgangs, Punkt 10 bezüglich der Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung und Instruktion für den Kirchendiener, Punkt 5 bezüglich der Einberufung einer Generalversammlung. 539 Siehe hier S. 283. 540 Johann Ludwig Ehrenreich von Barth-Barthenheim, Oesterreichische Gewerbs- und Handelsgesetzkunde mit vorzüglicher Rücksicht auf das Erzherzogtum Oesterreich unter der Ens. Band 7. Wien 1820, 1. 541 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 125, Anm.1. 542 Barth-Barthenheim, Oesterreichische Gewerbs- und Handelsgesetzkunde. Bd. 7, 14.

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

»Die hier ansässigen griechischen und Handelsleuth und zugleich kk. Unterthanen, welche der nicht unirten griech. Kirchenlehr zugethan sind, formiren hierorts in der k.k. Residenz Stadt Wien in Kirchen-Gegenständen eine eigene priv. Kirchengemeinde; allein im übrigen, und zumal in Handlungs Gegenständen oder anderen politischen Angelegenheiten haben sie keine der Eigenschaften, welche sonst den Begrif einer ganzen Innung, oder eines Gremii ausmachen. War wirklich ein Gegenstand zu berichtigen, der in Ansehung ihrer von Gemeinnützlichkeit – oder Gemeinschädlichkeit seyn mocht, so wurden bei diesen, und ähnlichen Gelegenheiten von den betrefenden Obrigkeiten allemal der Ausschuß der Kirchengemeinde vernommen, wie dieses G. B. bei den Aufnamen der orientalischen Waaren Sensalen allemal beobachtet wird.«543

Im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit finden sich auch Briefe des Merkantil- und Wechselgerichts, in denen die Gemeinde über die Verleihung und den Entzug von Handelsbefugnissen einzelner Mitglieder informiert wurde. Diese Briefe sind an die »Vorsteher der Griechischen Handelsleute und k.k. Unterthanen« adressiert.544 Im Jahr 1802 verlangte man von den Vorstehern eine Zusammenstellung der Firmen aller griechischen Händler in Wien, die k.k. Untertanen waren. Die Gemeindevorsteher erklärten erneut, sie seien »bloß Vorsteher der Kirche, und keineswegs der Kaufleute«545, erstellten aber dennoch eine solche Liste.546 Besonders interessant ist die Argumentation, mittels derer die Gemeindevorsteher im Jahr 1805 versuchten den Gesamtbetrag für ein von den griechischen Händlern, die k.k. Untertanen waren, gemeinsam abgefordertes Zwangskriegsdarlehen niedrig zu halten. Man bot dem Staat eine Summe von 40.000 Gulden (später 71.000) anstelle der verlangten 120.000 Gulden und wies darauf hin, dass »Gemeinde nicht so zahlreich wie sie ehedem war« sei, weil viele ihrer Mitglieder »verunglückt« (d. h. in Konkurs gegangen), mehrere in das Großhandlungsgremium übergetreten und wieder andere teils orientalische Warensensalen, teils bürgerliche Händler geworden seien.547 Insgesamt würden somit nur 39 Individuen übrigbleiben, um den geforderten Betrag vorzuschießen. Tatsächlich kassierte der Ausschuss dieses Geld sodann persönlich in der Kirche ein.548 In diesem Fall übernahm die Gemeinde also die Vertretungsfunktion für eine ganz bestimmte Händlerkategorie (die türkischen Groß543 AHG, G 3, Fasz. 6, 29. Jänner 1800: Brief der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde an die in Kriegssteuersachen aufgestellte Hofkommission wegen Bestimmung und Klassifizierung der Kriegssteuer für ihre Handlungen. 544 AHD, G 12, Fasz. 1. 545 AHD, G 12, Fasz. 1, 26. Juli 1802: Brief der Vorsteher der griechischen nicht unierten Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit an das k.k. nö. Merkantil- und Wechselgericht. 546 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 172. 547 AHD, G 12, Fasz. 1, 18. Dezember 1805: Brief des Kirchenausschusses der k.k. Untertanen hier an die k. auch k.k. wegen dem gezwungenen Anlehen aufgestellte Hofkommission. 548 Das geschah am 27. Dezember 1805. In G 64, Fasz. 2; finden sich die diesbezüglichen von den Vorstehern gezeichneten Bestätigungen der zahlenden Händler.

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händler), was terminologisch äußerst missverständlich ist, da ja auch die in Konkurs gegangenen Händler – sofern sie in Wien blieben – , die k.k. privilegierten Großhändler, die orientalischen Warensensalen und die bürgerlichen Händler unter den Griechen weiterhin Mitglieder der Pfarrgemeinde blieben. Dieses Beispiel zeigt, dass der kommerzielle Aspekt die Aufgaben der eigentlich nur als josephinische Pfarrgemeinde konzipierten Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit genau wie bei der Bruderschaft zum Hl. Georg weiterhin beeinflusste. Es handelt sich auch um ein schönes Beispiel dafür, welch inhomogene Gruppe die Bezeichnung »griechischer Handelsmann« umfasst, wie Seirinidou in mehreren Arbeiten zeigt.549 Do Paco geht aber viel zu weit, wenn er diese Heterogenität als Argument dafür nimmt, um die Existenz der Gruppe per se in Frage zu stellen und sie als Konstruktion einer orientalisierenden Fremdwahrnehmung darzulegen.550 Der dritte Punkt der Statuten behandelt die jährlich stattfindende Generalversammlung der Gemeinde, bei der die Rechnungen revidiert und genehmigt, die Wahl der sechs Vorsteher (Ausschussmitglieder) und drei Epitropen durch die Gemeindemitglieder vorgenommen und den neu gewählten Funktionsträgern die Instruktionen übergeben werden sollten. Hier wird erstmals auch die Zahl der Funktionäre eindeutig festgelegt. Bezüglich der Wahl der sechs Ausschussmitglieder ist folgende Passage besonders hervorzuheben: »Jedoch muss die Gemeinde bey der Wahl des Ausschusses genau daraufsehen, dass immer drey Griechen und Wallachen, die in der Blutverwandtschaft im 1ten, und 2ten, in der Schwägerschaft aber im 1ten Grade nicht stehen, auch keine Compagnons von einer und derselben Handlung sind, gewählt werden.«

Obwohl ein Konflikt zwischen Griechen und Wallachen in Wien nicht dokumentiert ist, ist die Einführung eines Proporzsystems bei der Wahl der Vorsteher nach diesem ethnischen Kriterium bemerkenswert. Denkbar ist, dass die zu dieser Zeit in der Pester Gemeinde beginnenden Streitigkeiten zwischen Griechen und Wallachen551 die Wiener Gemeinde in Hinblick auf das Thema sensibilisierten und so ihren Niederschlag in den Statuten fanden. Die Bestimmung, dass keine Kompagnons derselben Handlung gewählt werden dürften, schränkt den so stark betonten Punkt, dass die Gemeindemitgliedschaft individuell sei, gewissermaßen wieder ein, denn eine Firma konnte nun also doch nur einmal im 549 Seirinidou, Grocers and wholesalers, Ottomans and Habsburgs. Dies., »Griechischer Handelsmann«. 550 Do PaÅo, Le marchand grec existe-t-il?, 64. 551 1802 verpflichtete sich die Gemeinde in Pest zur Einstellung je eines griechischen und eines wallachischen Priesters und führte die abwechselnde Liturgie ein. Hering, Der Konflikt zwischen Griechen und Walachen, 150–151; und Ödön Füves, Gründungsurkunde der griechischen Gemeinde in Pest aus dem Jahre 1802. In: Lajedomij\ 11 (1971), 335–341.

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Ausschuss vertreten sein. Mit dieser Bestimmung sollte wohl vermieden werden, dass eine Firma oder eine Familie allein die Politik der Gemeinde bestimmte. Sie zeigt aber auch, dass die Mitglieder der Gemeinde trotz stark ausgeprägtem Heiratsverhalten innerhalb der Gruppe zu dieser Zeit so zahlreich waren, dass man keine Schwierigkeiten dabei sah, sechs Vorsteher zu finden, die weder nahe verwandt noch Kompagnons einer Firma waren.552 Diese Bestimmung wurde aber sowohl hinsichtlich des Proporzes von Griechen und Wallachen als auch der Schwägerschaft und der geschäftlichen Zusammenarbeit bei den Vorsteherwahlen in den folgenden Jahrzehnten mit Sicherheit nicht eingehalten.553 Die Punkte 4–7 der Statuten enthalten weitere Bestimmungen über den Ablauf der Generalversammlung, in Punkt 8 findet sich die Verpflichtung der Mitglieder zur Zahlung eines Beitrages entsprechend den Beitragsklassen des Maßstabes im Falle eines finanziellen Abganges und der letzte Punkt betrifft die Verpflichtung, die Wahl zum Vorsteher oder Epitropen auch anzunehmen. Zwar sind einige Teile dieser Statuten direkte Übersetzungen von Passagen aus Darvars erstem Statutenentwurf – so wurden insbesondere die Instruktionen für die Geistlichen, die Kirchensänger und den Kirchendiener großteils aus Darvars Text übernommen –, dennoch hat dieser Text einen anderen Charakter. Einerseits ist er klarer gegliedert, da der Statutentext selbst nur das Wesentliche umfasst und präziser formuliert ist, während sich die Detailfragen in den Instruktionen finden. Bei Darvar hingegen stehen Grundsatzaussagen und Detailaspekte in einer langen Folge von Paragraphen nebeneinander. Andererseits fehlt dem Text von Paziazi die ethisch-philosophische Komponente von Darvars Statuten, sondern es herrscht ein pragmatisch-technischer Ton vor. Wenn das Benehmen der Mitglieder und Funktionsträger angesprochen wird, dann nur in wenigen Nebensätzen und nur in Bezug auf Ordnung und Gehorsam. In den Instruktionen hingegen werden die Aufgaben der jeweiligen Funktionsträger genau beschrieben, wobei das Hauptaugenmerk auf der korrekten Rechnungslegung und Buchführung (Protokolle, Inventarbücher, Kopialbücher, Matrikenbücher, etc.) liegt. Den Abschluss des Textes bildet der Maßstab, nach welchem Verhältnis ein eventueller jährlicher finanzieller Abgang von den Mitgliedern zu ersetzen wäre. Es handelt sich um eine Einteilung der Gemeindemitglieder in fünf Klassen je nach Vermögen, wobei die Armen ausgenommen waren. Die Einteilung erfolgte, indem die erste Klasse einen Gulden, die zweite Klasse zwei, die dritte drei, die 552 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Mitgliederzahl stark gesunken war, hätte wohl kein einziger Ausschuss diese Anforderungen erfüllen können; fast alle Mitglieder waren in irgendeiner Form geschäftlich oder verwandtschaftlich miteinander verbunden. 553 Es ist nicht ganz klar, ob die vorliegenden Statuten je offiziell in Kraft traten (siehe hier S. 149), doch ich vermute, dass sie zumindest die Leitlinie bildeten, nach der die Gemeindeverwaltung bis zur Geschäftsordnung von 1861 gehandhabt wurde.

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vierte vier und die fünfte und höchste Klasse sechs Gulden zu bezahlen hatte, wobei die Mitglieder sich freiwillig in eine höhere Klasse versetzen lassen durften, eine Versetzung in eine niedrigere Klasse aber verboten war. Der Magistrat beurteilte die Statuten grundsätzlich positiv und schrieb: »Die Statuten […] scheinen dem Geisteskarakter dieser Nationen in Hinsicht auf ihre Religionsbegriffe angemessen zu seyn, in dessen Anbetracht also die angesuchte Gutheißung dieser Statuten nicht zu verweigern wäre.«554

Allerdings wurde der Maßstab, der die Gemeindemitglieder in fünf Vermögensklassen einteilte, beanstandet und kritisiert, dass durch die Festlegung eines fixen Betrages neue Streitigkeiten entstehen könnten, wenn sich der Anteil der Ärmeren oder Reicheren in der Gemeinde verändere. Stattdessen plädierte man dafür, »daß diese Beiträge auf einen sicheren Fuß zu bestimmen wären, nämlich für die mindere Dienerschaft jährlich mit 30 xr für die grössere und bessere Gattung der Dienerschaft und Beamten, dann der Ansässigen nach ihren jährlichen Revenuen mit 1pCt oder nach Umständen und Bedarf mit wenigen oder auch mehreren pCto von Hundert«,

denn es bestehe ein Missverhältnis zwischen einem »Mitglied der höchsten Klasse, welches zweifelsohne einen vermöglichen Mann bezeichnet« (sechs Gulden) und einem »Mitglied der geringsten Klasse, welches vermuthlich einen Mittellosen, oder auch nur einen Dienstbothen trift« (ein Gulden). Wahrscheinlich handelte es sich dabei um ein Missverständnis. Während in der Statutenversion, die der Magistrat erhielt von ein bis sechs fl. die Rede ist, fehlt das »fl.« im Statutentext im Archiv der Gemeinde und es war möglicherweise nur ein Verhältnis gemeint. Tatsächlich war bereits in der Generalversammlung vom 17. Jänner 1804 eine Einteilung in fünf Beitragsklassen zur Verringerung der Kirchenschuld vorgenommen worden, bei der ein Mitglied der ersten Klasse 60 Gulden, der zweiten Klasse 40, der dritten 30, der vierten 20 und der fünften und niedrigsten 10 Gulden zu zahlen hatte.555 Bezüglich des Hinweises auf die Dienstboten ging die Kritik an der Realität der Gemeinde vorbei, denn sie bestand zum damaligen Zeitpunkt fast nur aus Händlern,556 zudem waren dieje554 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 27. März 1806: Bericht der Stadtwiener Buchhaltung über die Bitte der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde um Genehmigung des ihr Bethaus betreffenden Planes. 555 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 56–59: Generalversammlung 17. Jänner 1804. Ebd., 57; enthält eine Tabelle, in der die Mitglieder den fünf Klassen zugeordnet werden. 556 Siehe hier Kap. 4.1.

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nigen, die (z. B. aufgrund eines Konkurses) verarmt waren, von der Beitragszahlung ohnehin befreit.557 Zur in Aussicht gestellten Genehmigung dieser Statuten durch den Magistrat kam es jedoch nicht – sondern der Streit zwischen den Darvar-Brüdern und dem von Demeter von Zettiri angeführten Rest der Gemeinde ging in die nächste Runde. Bereits im bei der Einreichung der Statuten beigelegten Brief an den Magistrat berichten die Vorsteher, dass die »Handelsleute Johann Darvar, Demeter Darvar, Georg Darvar, Georg Nik: Rusti, Emanuel Sargany, und Theodor Simboritsch« sich geweigert hätten, den Plan zu unterschreiben, »obgleich er mehrere Zeit in ihren Händen war«.558 Obwohl die Statuten ohnehin von der Mehrheit der Gemeindemitglieder unterschrieben worden waren, wollte man vonseiten des Magistrates offenbar einen Konsens der beiden Streitparteien erreichen und lud sie zu einer Kommission ein. Johann Darvar gab mehrere Punkte als Begründung für die Verweigerung seiner Unterschrift an: Einerseits äußerte er konkrete Kritik an den Statuten (seiner Meinung nach sei ein dort vorgesehener Bestallter der Gemeinde unnötig559 und eine Instruktion nur für den Hausmeister notwendig), andererseits wies er darauf hin, dass seit drei Jahren keine Ausschusswahl mehr stattgefunden habe.560 Gleichzeitig bat er um eine Abschrift der Statuten, da er sie mit Bedacht durchlesen müsse, um Bemerkungen dazu notieren zu können.561 Daraufhin übergab ihm der Magistrat das Original der eingereichten Statuten. Anstatt aber, wie angekündigt, den schon vorhandenen Statutentext mit Anmerkungen zu versehen, machte er sich mit der Begründung, dass die ursprünglichen Statuten,

557 Zu den unterschiedlichen Vermögenssituationen der Wiener Griechen siehe das Kapitel »Pko}sioi jai vtywo_« bei Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 209–233. 558 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 10. April 1805: Brief an den Magistrat k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien. 559 Es ist nicht ganz klar, welche Funktion er für überflüssig hielt. Es könnte sein, dass er der Meinung war, der Hausmeister und der Kirchendiener seien eine einzige Funktion, da in den Statuten Demeter Darvars von 1801 nur vom Kirchendiener (ejjkgsi\qwgr) die Rede ist. Allerdings führt er in seinen späteren Statuten noch weitere Angestellte ein. 560 Nach AHD, G 107: Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der Kirchen-Gemeinde, Buchstabe S Sitzungen; fand tatsächlich über mehrere Jahre keine Vorsteherwahl statt. 561 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 4. Juni 1806: Notiz zu einer abgehaltenen Kommission. Anwesend waren die Vorsteher der Gemeinde Charisius Oeconomus, Demeter Zettiri und Johann Georg Karajan sowie Johann Darvar.

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»1tens auf den erwünschten Zweck zum Theil nicht paßen; 2tens von dem wahren Sinn des Allerhöchsten Privilegii entfernet sind, und endlich 3tens bald unter die Gemeinde Glieder Mißhelligkeiten hervorbringen werden«562,

daran, einen neuen Statutentext zu verfassen. Weiters gab er an, er habe ja bereits seinerseits im Jahr 1800 Statuten verfasst und dem Ausschuss übergeben, die aber letzterer erst sechs Jahre später »ohne uns eine Bemängelung darzuthun, beseitiget« habe – und stattdessen seien die anderen Statuten beim Magistrat eingereicht worden. So kritisierte er an den neuen Statuten, dass »zwar ein großer Theil derselben von ihrem eigenen […] Ordnungs Aufsatz abgeschrieben sey, doch kommen hierin mehrere Sachen vor, die dem wahren Entzwecke nicht allein nicht entsprechen, sondern sogar dawider sind, dann sind andere wichtige Punkte ganz ausgelaßen worden, welche doch zur Erhaltung dieser erwünschten Ordnung höchst nothwendig sind.«563

Der Magistrat wartete darauf, dass Darvar seinen neuen Statutentext einreichte, weil man offenbar der Ansicht war, dies würde der Wiederherstellung der Einigkeit in der Gemeinde dienlich sein. Darvar jedoch verzögerte die Übermittlung seiner Statuten über lange Zeit mit der Begründung, dass der in griechischer Sprache verfasste Text erst übersetzt werden müsse und sie »Handelsleute [seien], welche Geschäft zu dieser Arbeit wenig Zeit übrig lassen«564. Als bereits zwei Jahre vergangen waren, beschwerten sich schließlich die Gemeindevorsteher (Demeter v. Zettiri, Georg J. v. Karajan, Charisius Oeconomus, Demeter Hamsa) beim Magistrat und verlangten die Genehmigung der Statuten vom 1. April 1805 durch den Magistrat. In ihrer Beschwerde führten sie an, dass der Magistrat die Statuten Johann Darvar übergeben habe, damit letzterer seine allfälligen Anstände binnen vier Wochen anzeige, wobei Darvar fälschlicherweise vorgegeben habe, dass er und die acht weiteren Mitglieder, die im Jahr 1800 die Beitragszahlung verweigert hatten, den Statutentext nicht kennen würden. Nun seien schon zwei volle Jahre vergangen, in denen Darvar den von 562 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 23. Jänner 1807: Brief von Johann Darvar an den Wiener Magistrat. 563 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 1806: Brief von Johann Darvar an den Wiener Magistrat. 564 Dazu schreibt er : »Eine dergleiche Uibersetzung ist bekanntermaßen sehr schwer, und ins besondere für einen Handelsmann.« Georg Nikolaus Rusti habe zuerst versprochen, die Übersetzung vorzunehmen und auch angefangen, könne aber »nicht weiter fortkommen«. Daraufhin wollte man den vom Dolmetsch für orientalische Sprachen und k.k. nö. Landrechts-Sekretär Thomas Chabert für die Übersetzung anheuern, der gab aber an, dass er für die Übersetzung des ausführlichen Texts fünf bis sechs Monate benötigen werde und außerdem Demeter Darvar zu Rate ziehen müsse. Daraufhin schlug Johann Darvar vor, seine Gegner in der Angelegenheit sollten den griechischen Text selber übersetzen, damit es schneller gehe, worauf Zettiri konterte, Darvar sei »selbst der deutschen Sprache kundig«. Schließlich wurde der Text doch von Thomas Chabert übersetzt.

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der Mehrheit der Gemeinde beschlossenen Statutentext nicht zurückgegeben habe, wodurch er verhindere, dass die Kirchengeschäfte geregelt werden und in der Gemeinde »Einigkeit, Ruhe und Frieden« einkehren könne. Weiters wiesen sie darauf hin, dass es falsch sei, anzunehmen, es handle sich tatsächlich um neun Mitglieder, die nicht einverstanden seien. Tatsächlich unterschrieb Johann Darvar alle Briefe an den Magistrat im Namen dieser neun, doch »Christoph v. Nako und Vulkos Gika sind vorlängst gestorben; Stamati Cocicopulo und Nicolaus Ziole sind von der hiesigen Gemeinde ausgetretten, und vorlängst von hier abgereiset, ohne daß selbe mehr zurück kommen werden« und »Constantin Zuppan hat sich mit der Gemeinde vereinigt, und ist dem überreichten Plan beygetretten«. Die »Ruhestörer der Gemeinde« seien also nur mehr die Darvars und Georg Nikolaus Rusti, die nach ihrer Willkür einen neuen Plan verfassen und ihn in diktatorischer Manier der ganzen Gemeinde vorschreiben wollten, wobei sie in selbigen »das Schulwesen, welches doch einzig und allein der unter der Aufsicht der hochlöbl. k.k.n.ö. Regierung stehenden Ober-Schul-Direction unterliegt, einmengen« wollten. Man bat daher den Magistrat »auf die Einstreuungen des Johann Darvar und seines Anhangs keine weitere Rücksicht zu nehmen«, den Statutentext vom 1. April 1805 von ihm zurückzufordern und diese Statuten zu sanktionieren.565 2.6.2.4. Von Johann Darvar beim Magistrat eingereichte Statuten (1807) Der Magistrat wartete aber weiter auf den von Johann Darvar angekündigten neuen Statutentext. Nachdem er ihn von Thomas Chabert hatte übersetzen lassen, reichte Darvar ihn ein halbes Jahr später schließlich beim Magistrat ein. Im Begleitbrief zu seinen Statuten räumte Darvar ein, der neue Entwurf sei nicht »in allen Punkten vollkommen« und schlug vor »ein mit den nöthigen Kenntnißen ausgerüstetes Individuum aufzustellen, welches mit Beyziehung eines Gliedes von jeder Parthey aus beyden Statuten ein systematisches Ganzes zu entwerfen hätte«, über das die Gemeindemitglieder noch einmal abstimmen sollten. Es sei notwendig, die Angelegenheit zu einem Abschluss zu bringen, »da schon bisher aus Mangel vorliegender Statuten hie und da Verwirrungen eingerißen sind, die sich in der Folge schwer werden rechtfertigen laßen; und es überhaupt in Ansehung unserer Kirchen und Schul- Angelegenheiten sehr erwünschlich seyn muß, einmahl ein vollständiges System zu haben, nach welchem die Verpflichtungen

565 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 3. April 1807: Brief der Gemeindevorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Wiener Magistrat.

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eines jeden Einzelnen zu bemeßen und zu beurtheilen sind, und nach welchem der ganze Körper zu regieren wäre.«566

Der neue Statutentext ist mit über 150 handschriftlichen Seiten bei weitem der längste.567 Es handelte sich dabei um eine Erweiterung der 1801 von Demeter Darvar verfassten Statuten. Aus den Statuten vom 1. April 1805 hingegen wurden nur relativ wenige Passagen eingearbeitet (so zum Beispiel die Aufzählung der vom jeweiligen Funktionsträger zu führenden Bücher). Die größten textlichen Veränderungen betreffen die griechische Nationalschule. So wurden alle die Schule betreffenden Bestimmungen konkretisiert, so dass sie den Vorgaben des k.k. Hofdekrets für die griechische Nationalschule von 1804 sowie der in Österreich geltenden Schulgesetzgebung entsprachen. In den neuen Statuten von Johann Darvar bilden die Schulkapitel jedoch – anders als in den Statuten seines Bruders Demeter von 1801 – keinen abgeschlossenen Block, sondern jene die Schule betreffende Bestimmungen sind über alle Kapitel verteilt und werden bei den Aufgaben aller Funktionsträger erwähnt, so dass die Schulorganisation untrennbar mit der Gemeindeverwaltung verwoben wird. Die Detailverliebtheit des ausführlichen Textes begründete Darvar in seiner Einleitung damit, dass die Statuten gleich einem »Gesetze wo nicht alle, doch die meisten Fälle umfassen und genau vorschreiben« sollten, »wie sich im ganzen die Vorsteher, wie sich das untergeordnete Mitglied zu verhalten habe.« Die Statuten bestehen aus einer Einleitung, einer »Allgemeinen Bestimmung«, zwölf Kapiteln und vier Preislisten der Stolargebühren. Die »Allgemeine Bestimmung« beginnt programmatisch: »Die Kirche und Schule samt den Hause am alten Fleischmarkt sub No 749 worin sich beide befinden, gehört der hier in Wien ansässigen Griechisch-Wallachischen Nation der nicht vereinigten Religion, welche dem k.k. Oesterreichischen Scepter zugethan ist.«568 566 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 17. Oktober 1807: Brief von Johann Darvar an den Wiener Magistrat. 567 Es handelt sich um ein gebundenes Heft, das sowohl in WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808) als auch in AHD, G 1, Fasz. 2 vorhanden ist. Hier befinden sich außerdem noch zwei weitere undatierte Textentwürfe für diese Statuten. Der eine enthält nur die Bestimmungen für die Lehrer, während der andere ein vollständiger Vorentwurf ist. Edition siehe Editionsteil Nr. 24. 568 In einem Vorentwurf für diese Statuten (AHD, G 1, Fasz. 2) war dieser erste Punkt noch wesentlich länger und berief sich auf die kaiserlichen Privilegien: »Die in der k.k. Hauptund Residenz-Stadt Wien am Alten Fleischmarkt befindliche Kirche der griechischen nicht vereinigten Religion zur heiligen Dreyfaltigkeit genannt, und das Haus unter dem dermahligen Conscriptions No. 749. Welches beydes dermahls das Graf Stockhammerische Haus war, und worauf diese Kirche und Haus auf Ansuchen und Kosten der hier ansäßigen Griechen und aus Macedonien herstammenden Wallachen, die dem k.k. österreichischen Scepter zugethan sind, mit allerhöchster Genehmigung im Jahre 1787 den 4 t des Monaths July die Grundlage gelegt und sofort erbaut wurde, gehört, nach Inhalt der von Weiland Se

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Die Schule wird hier an prominenter Stelle und somit als zentrale Aufgabe der Gemeinde genannt. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu den von der Gemeinde am 1. April 1805 beschlossenen Statuten, in denen die Schule nicht erwähnt wurde. Die Formulierung, dass Kirche und Schule der »Griechisch-Wallachischen Nation gehören« deutet auf eine mehr ethnisch als religiös konnotierte Definition der Gemeinde hin, wobei der Ausdruck die Zusammengehörigkeit von Griechen und Wallachen betont und somit die »Darvar’sche Linie« in Bezug auf die Debatte um eine eigenständige wallachische Nation wiedergibt.569 Laut dem direkt darauf folgenden Paragraphen konstituierte sich dieses Kollektiv folgendermaßen: »Jedes einzelne Individuum von den obangeführten Nationen, welches sich in was für Nahmen habende Angelegenheit hier in Wien über drey Jahre befindet, ist verbunden sich in das Protocoll der Gemeinde registriren zu lassen, und folglich das zur Erhaltung der Kirche und Schule alljährlich nöthige Geldquantum beizutragen.«570

Auch wenn hier der ethnische Charakter der Gemeindemitgliedschaft stärker hervorgehoben wird, während die Vorstellung von der Gemeinde als einer Gemeinschaft von Händlern oder Firmen nicht durchklingt, sollten diese Formulierungen nicht überinterpretiert werden. Die Praxis zeigte, dass die Gemeindemitglieder zu diesem Zeitpunkt in der überwiegenden Mehrheit selbständige Händler oder deren Angestellte waren, was auch aus mehreren Passagen des vorliegenden Statutentexts hervorgeht.571 Beachtenswert ist weiters das System einer verpflichtenden Mitgliedschaft, das garantieren sollte, dass alle einen finanziellen Beitrag zur Erhaltung von Kirche und Schule leisteten. Majestät Kaiser Joseph dem Zweyten unterm 29 t Jänner 1787 und von Se Majestät kaiser Franz dem Zweyten unterm 8 t October 1796 zur öffentlichen Gottesdienstausübung der griechischen nicht vereintl. Religion ertheilten Privilegien der hier in Wien ansäßigen aus Griechen und Mazedonischen Wallachen bestehenden Gemeinde, welche dem k.k. österreichischen Scepter zugethan ist.« 569 Seirinidou, Bakj\mioi ]lpoqoi stgm Axbouqcij^ Lomaqw_a, 76. Man beachte auch die Betonung der makedonischen Herkunft der Wallachen im Zitat oben, Anm. 568. 570 In Kapitel 3, § 5 wird das noch einmal wiederholt: »Die Vorsteher müssen alle einzelnen Individuen der Griechischen und Wallachischen Nazion, und der altgläubischen griechisch Orientalischen Religion, welche k: k: Unterthanen geworden, oder die sich hier in Wien über 3 Jahre befinden, in das Protocoll der Gemeinde einregistriren lassen, damit der Gemeinde die Anzahl derselben bey jeden vorkommenden Fall bekannt seyn kann.« Der letzte Satz lässt darauf schließen, dass man dabei an die Anfragen der Behörden nach einer Liste aller griechischen Händler, die k.k. Untertanen waren, dachte. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 381–386; publiziert die Listen, welche die Vorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in den Jahren 1802 und 1807 einreichten. Solche Protokolle von registrierten Gemeindemitgliedern wären eine interessante Quelle, doch leider wurde diese Einregistrierung in der Praxis nicht umgesetzt. 571 So wird mehrmals darauf eingegangen, was zu tun sei, wenn ein Funktionsträger aufgrund seiner Handelstätigkeit verhindert (wegen »dringender Handlungs Geschäfte«) oder längere Zeit von Wien abwesend sei.

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Die Gemeindeorganisation war laut den Statuten folgendermaßen geregelt: Die Verwaltung der Gemeindeagenden sollte von drei Vorstehern und drei Epitropen besorgt werden, wobei die Vorsteher gleichzeitig als Aufseher der Schule fungierten. Die Zahl der Vorsteher wurde also gegenüber den anderen Statuten verringert – ein Punkt, den die Gegner der Darvar-Brüder besonders kritisierten, da es durch die geringere Vorsteherzahl leichter sei, die Macht in der Gemeinde zu übernehmen, was die Darvars mit ihren Statuten in Wahrheit bezwecken würden.572 Die drei Vorsteher seien von der Generalversammlung zu wählen, während die Epitropen nur von den Vorstehern gewählt werden sollten. Letztere Bestimmung unterscheidet sich von den Statuten vom 1. April 1805, laut denen die Epitropen ebenfalls von der Generalversammlung gewählt werden sollten. In den vorangegangenen Jahren war die Wahl der Epitropen allerdings immer Sache der Vorsteher gewesen,573 was auch dem Text der Privilegien entspricht, der jedoch undeutlich formuliert ist und daher leicht falsch aufgefasst werden konnte. Außer den Epitropen sollten die Vorsteher auch die Geistlichen, Lehrer und Sänger bestimmen, während die Epitropen für die Bestellung des Kirchen-, des Schuldieners und des Hausmeisters zuständig sein sollten. Den Vorstehern war gestattet, sich die Aufgaben so unter sich aufzuteilen, dass einer für die Kirche, einer für die Schule und einer für die Gemeinde zuständig war, wobei jeder sich einen Epitropen als Gehilfen dazu nehmen konnte. Während nach den Statuten von 1805 die Aufgabe der Epitropen eindeutig die Administration der Kirchenangelegenheiten sein sollte, bleibt in diesen Statuten das Profil dieser Funktion etwas unklar. Zwar wird deutlich, dass es sich um eine den Vorstehern untergeordnete Position handeln sollte, die laufende Administrationstätigkeiten mit geringerer Verantwortung zu besorgen hatte, doch anhand der Zuständigkeiten wird der Unterschied zwischen Vorstehern und Epitropen nicht wirklich deutlich. Diese Statuten sahen die Anstellung von zwei Priestern, zwei Lehrern und zwei Sängern vor und führten mit dem Schuldiener einen zusätzlichen Gemeindeangestellten ein, was ein weiteres Beispiel für die Bedeutung, welche die Darvar-Brüder dem Schulwesen in ihren Statuten zumaßen, darstellt. Gleichzeitig wird dadurch die Kritik Johann Darvars an den Statuten von 1805, mit der er unter anderem seine Ablehnung dieser Statuten begründete – nämlich, dass darin ein Gemeindeangestellter zu viel angeführt wäre –, ad absurdum geführt. Bezüglich der Vorsteherwahl ist zu bemerken, dass die neuen Statuten die in 572 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 22. November 1807: Brief der Gemeindevorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an die k.k. nö. Landesregierung. 573 Siehe die Exzerpte aus den Sitzungsprotokollen dieser Jahre in AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der Kirchen-Gemeinde, Buchstabe S, Sitzungen.

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den Statuten von 1805 zu findende Bestimmung bezüglich eines Proporzes von Griechen und Wallachen und des Verbots mehrere Vorsteher aus ein und derselben Firma oder Familie zu wählen, nicht übernahmen. Im Gegenteil sollte nur auf die Eignung der Kandidaten geachtet werden. So heißt es in Bezug auf die Vorsteherwahl lediglich, dass »man aber weder auf Gefälligkeit, auf Freundschaft, oder auf Verwandtschaft noch auf irgend ein anderes Verhältnis Rücksicht nehmen soll, sondern man muss nur, immer das gemeine Beste, und Nutzen der Kirche, Schule und Gemeinde vor Augen haben«.

Bei der Vorsteherwahl sei Wert daraufzulegen, dass »kluge, verständige, sachkundige und ruhige Männer« gewählt würden, »welche erstens die Mittel dazu haben, zweitens die Kenntnis von den Geschäfte der Kirche und Schule besitzen, auch in merkanntlichen Geschäften erfahren seyn, und drittens einen immer warmen Eifer für die Kirche und Schule, und überdies eine Neigung zur Beförderung des allgemeinen Nutzens sämtlicher Gemeindeglieder haben«.

Die hier aufgezählten charakterlichen Anforderungen an das Amt des Gemeindevorstehers stammen noch aus dem Text von Demeter Darvar von 1801. Aufgrund dieses Punktes, der durchklingen lässt, dass der Verfasser der Statuten vor allem sich selbst für befähigt hielt, ein Urteil darüber abzugeben, wer geeignet für eine Vorsteherstelle sei, war der Vorwurf der Gegner der DarvarBrüder sicher nicht unberechtigt, dass diese darauf hinarbeiteten, die Macht in der Gemeinde zu übernehmen, um ihre Vorstellungen in Bezug auf die Schulorganisation durchsetzen zu können. Auch als Gemeindeangestellte, sollten »brave, rechtschaffene und durch ihren moralischen Character bekannte Männer […], welche ihre übernommene Pflichten genau erfüllen, und der Gemeinde Ehre und Nutzen verschaffen können« ausgewählt werden, »ohne jedoch auf die Nazion Rücksicht zu nehmen«. Es galt also, gerade keine Differenzierung zwischen Griechen und Wallachen vorzunehmen, sondern nur auf die entsprechende Eignung zu achten. In Bezug auf die Bestellung des Priesters gibt es einige deutliche Abweichungen von den Bestimmungen der Privilegien. So sollte ein Priester ausgewählt werden, der »nebst der Griechischen auch mehrerer Sprachen, als der Wallachischen, Deutschen und Illyrischen kundig seyn« sollte. Dies spiegelt einerseits die Alltagsrealität der Mehrsprachigkeit der balkanorthodoxen Kaufleute wider,574 zeigt andererseits aber vor allem, dass der Verfasser sich von

574 Mehrsprachigkeit war unter den Gemeindemitgliedern ein alltägliches Phänomen. Stasinopoulou, Bakjamij^ pokuckyss_a stgm autojqatoq_a tym Axbo}qcym und Seirinidou, Bakj\mioi ]lpoqoi stgm Axbouqcij^ Lomaqw_a.

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der hart erkämpften Abgrenzung zu den Serben, wie sie in den Privilegien ihren Ausdruck findet, distanzierte. So heißt es weiter : »Demnach wird es zweckmässig seyn, wenn die Vorsteher statt der Mönche oder Kloster-Geistliche, deren Verschreibung aus der Türkey mit vielen Mühe und grossen Kosten verbunden ist, Welt-Priester aus den k: k: Staaten, welche obigen Sprachen, und die hierortigen Gebräuche verstehen, auserwählen; da es den Kloster-Geistlichen nach unserem Dogma ohnehin nicht zusteht, weder zu trauen noch zu taufen, noch andere weltpriesterliche Verrichtungen auszuüben.«

Gerade die Bestellung von Geistlichen aus dem Osmanischen Reich hatte die Gemeinde durchgesetzt, um griechischsprachige Priester anstellen zu können und die Unabhängigkeit von der Metropolie von Karlowitz zu garantieren. Dieser Punkt zeigt, dass der Verfasser in diesem Punkt eine den Vorstehern, die 1796 die Bestätigung des Privilegiums durch Franz II./I. erwirkt hatten, diametral entgegengesetzte Auffassung vertrat. Das Bekenntnis zu einem an die Verhältnisse der Monarchie angepasstem »habsburgischen Griechentum«, wie es in den Schriften von Demeter Darvar propagiert wird,575 ist hier deutlich erkennbar. Im selben Kontext ist auch die Passage zu sehen, in der es nicht ohne kritischen Unterton heißt, dass den aus dem Osmanischen Reich kommenden Priestern »einige hiesige Landesgebräuche vielleicht unbekannt« seien. Der Rest der Gemeinde teilte diese kritische Sichtweise bezüglich der Berufung von Priestern aus dem Osmanischen Reich offenbar nicht, denn es wurden weiterhin Mönche aus dem Osmanischen Reich bestellt,576 die vielfach erst in Wien die deutsche Sprache erlernten. Die in den Privilegien festgelegte untergeordnete Position der Priester wird auch in diesen Statuten hervorgehoben. Der Pfarrer wurde als einfacher Angestellter der Gemeinde betrachtet und sollte nicht zu einer tonangebenden Autorität avancieren. Er sollte keineswegs selbständig Entscheidungen treffen, sondern alles, was ihm vonseiten politischer oder religiöser Stellen zukam, sofern es »den Gottesdienst, die Schule, die Gemeinde oder sonst etwas öffentliches« betreffe, sofort an die Vorsteher weiterleiten. Die Lehrer, und zwar besonders jene der 1. und 2. Klasse, sollten »ebenfalls mehrere Sprachen, hauptsächlich aber der Deutschen Sprache kundig seyn, weil derselbe sonst den hiesigen kleinen Knaben die griechische Sprache, nicht leicht beibringen kann«. Dieser Punkt weist auf ein besonderes Problem der Griechischen Nationalschule hin: Viele Kinder beherrschten die griechische Sprache nicht ausreichend.577 Dies hängt einerseits damit zusammen, dass ein Großteil 575 Dazu: Stasinopoulou, Namadiab\fomtar to epistok\qio tou Dglgtq_ou D\qbaqg. 576 Erst 1860 wurde mit Antonio Chariati von den Ionischen Inseln (zu diesem Zeitpunkt unter britischer Herrschaft) erstmals ein Pfarrer bestellt, der nicht aus dem Osmanischen Reich kam. AHD, G 1, Fasz. 5. 577 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 323–324.

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der Händler Aromunisch als Muttersprache hatte, andererseits damit, dass die in Wien aufwachsenden Kinder häufig von einheimischen Dienstboten erzogen wurden.578 Was die Anstellung der Lehrer betrifft, so werden in den Statuten die Bestimmungen des k.k. Hofdekrets für die Nationalschule von 1804 wiederholt, die besagten, dass die Schule unter der Oberaufsicht der k.k. niederösterreichischen Landesregierung stehe und wie jede andere Schule dem Domscholaster und Oberaufseher der deutschen Schulen untergeordnet sei. Ebenfalls wird wiederholt, dass die Lehrer in den Lehrgegenständen und der Lehrmethode geprüft und von der Landesstelle genehmigt werden mussten, bevor sie aufgenommen werden konnten. Es war den Darvar-Brüdern ein großes Anliegen, die Schule endlich in den Regelbetrieb überzuführen, was nicht gelingen konnte, solange sich die Gemeinde nicht an die Vorgaben der Behörden hielt. Daher übernahmen sie alle diese Vorschriften noch einmal in die Statuten, was dann auch den zentralen Konfliktherd mit den anderen Gemeindemitgliedern darstellte. Ansonsten wird im Kapitel über die Pflichten der Lehrer abgesehen von moralischen Anforderungen und konkreten Anweisungen vor allem auf die Lehrmethode eingegangen. Hier wird mehrmals die Bedeutung des vorgeschriebenen Methodenbuchs – gemeint ist Ignaz Felbigers Methodenbuch für Lehrer der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Erblanden (1775)579 – hervorgehoben, mit dem sich die Lehrer gut vertraut machen sollten. Nach den Vorstellungen der Darvar-Brüder, sollte die Nationalschule dem aufklärerischen pädagogischen Konzept Demeter Darvars entsprechen, welches in den Kontext der mariatheresianischen Schulreformen580 in Österreich einzuordnen ist.581 Schließlich ist zu bemerken, dass im Statutenkapitel über die Lehrer mehrmals die Funktion eines Schuldirektors erwähnt wird – allerdings ohne weitere Erläuterung, wie diese Funktion besetzt werden und was ihre Aufgaben sein sollten bzw. ob der Schuldirektor aus dem Lehrkörper zu rekrutieren sei. Es drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass man plante, Demeter Darvar diese Funktion zu übertragen. In späteren Jahren existierte die Position eines Schuldirektors, allerdings ist unklar, ab wann diese Stelle systematisch besetzt wurde. Nach der griechischen Nationalschule war der zweite wichtige Streitpunkt der 578 Dazu: Katsiardi-Hering, Ejpa_deusg stg Diaspoq\. 579 Helmut Engelbrecht, J. I. Felbiger und die Vereinheitlichung des Primarschulwesens in Österreich. Wien 1979. 580 Darvar war wohl während seiner Zeit als Lehrer in Semlin (1785–1794) näher mit diesen Ideen in Kontakt gekommen. Zu den mariatheresianischen Schulreformen in Serbien siehe: Simic´, Orphelins Kalligraphie; und Seirinidou, To eqcast^qio tou koc_ou, 119. 581 Stasinopoulou, Namadiab\fomtar to epistok\qio tou Dglgtq_ou D\qbaqg, 177–178; und Seirinidou, Pokitislij]r letavoq]r jai ekkgmij]r paqoij_er, 23–24. Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Bd. 3: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz. Wien 1984.

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Maßstab, nach dem die Höhe der außerordentlichen Beiträge der Mitglieder bei einem finanziellen Abgang der Gemeinde eingeteilt wurde. Diesen Maßstab hatte der Magistrat an den Statuten vom 1. April 1805 bemängelt. Vorliegende Statuten gaben nun keine konkreten Beträge an, sondern nur das Verhältnis der fünf Beitragsklassen zueinander. Die nächsthöhere Klasse sollte jeweils den doppelten Betrag der Klasse davor zahlen, sodass die höchste Klasse das 16fache der niedrigsten zu zahlen hatte. Die Einteilung sollten die Vorsteher vornehmen, denen die Vermögensverhältnisse der Mitglieder bekannt seien. Die Armen blieben von der Beitragszahlung ausgenommen. 2.6.2.5. Der Streit um die Statuten vor dem Wiener Magistrat und der Niederösterreichischen Landesregierung Nachdem der Statutentext von Johann Darvar beim Magistrat eingelangt war, wurde er vom Magistratssekretär Franz de Paula Gaheis folgendermaßen kommentiert: »Ich habe die eingelegte Übersetzung durchgegangen u. gefunden, daß sie Manches Gute enthalten, was den Original-Statuten fehlt; aber auch vieles Unnöthige, Heterogene und sogar Läppische darinn steht.«582

Daher entschied der Magistrat diese Statuten Demeter Zettiri zukommen zu lassen, damit er und der Rest der Gemeinde sie mit ihren Statuten kombinieren könnten. Danach sollte die offene Statuten-Frage endgültig entschieden werden. Zettiri machte aber sofort klar, dass sie »diese neuerlichen Statuten ein für allemahl unnöthig und blos zur Verzögerung dienend« fänden, denn »die Schule habe ihre eigene Instruction und Verfassung zu haben, gehöre also nicht in die Kirchen-Statuten«583. In diesem Sinne bat er um baldige Erledigung der Angelegenheit und Genehmigung der Statuten von 1805, die ja von der Mehrheit der Stimmen der Gemeindemitglieder beschlossen worden waren.584 Laut Zettiri waren von 60 Gemeindemitgliedern 45 und somit die vota majora für die Statuten vom 1. April 1805. Nachdem der Magistrat den Gemeindevorstehern nun Darvars Statutenentwurf zur weiteren Bearbeitung zugeschickt hatte, beschwerten sich diese bei der Niederösterreichischen Landesregierung als der dem Wiener Magistrat übergeordneten Stelle, wobei sie wieder betonten, dass es nur die Darvar-Brüder und Georg Nikolaus Rusti allein seien, die sich gegen den Rest der Gemeinde stellten. Weiters schrieben sie: 582 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 17. August 1807: diverse Akten-Notizen. 583 Ebd. 584 Ebd.

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»Die Gemeinde muß weiters noch bemerken, daß durch das Decret oben A dem löbl. Magistrat nur einzig und allein die Beurtheilung des Kirchenplans von dieser hohen Stelle eingeräumt, von dem Schulwesen aber durch dieses nämliche Decret dem löbl. Magistrat nicht die mindeste Beurtheilung aufgetragen worden seyn, es konnte auch über dieses letztere dem löbl. Magistrat und so weniger eine Beurtheilung aufgetragen werden, als das Schulwesen unmittelbar unter dieser hohen Stelle und der dieserhalben eigends bestehenden Oberschulaufsicht stehet, und dennoch haben die Darvars in ihren nun überreichten Plan das Schulwesen mit den Kirchenverhältnißen vermenget, um womöglich auch die zu errichten kommenden Schule noch länger aufzuziehen und einmalen zum erwünschten Ende zu bringen; Wie es scheinet geht Ihre Absicht dahin, das allerhöchste Privilegium zu verletzen, da sie das Schulwesen mit den Kirchenverhaltnißen mengen wollen, und die Zahl der Vorsteher verringern, damit sie die Verwaltung der Kirche und der Schule an sich bringen und darüber willkührlich und so schön handeln wie sie mit der bekannten Ungarischen Handlungs Producten Compagnie handelten.«585

Der letzte Satz spielt auf die Tatsache an, dass Georg Nikolaus Rusti fast zeitgleich wegen Betrugs mit Wechselbriefen verhaftet worden war.586 In ihrer Beschwerde baten die Vorsteher die Niederösterreichische Landesregierung, dafür zu sorgen, dass die Rechte der Stimmenmehrheit der Gemeinde gewahrt blieben und dem Magistrat die Genehmigung der Statuten vom 1. April 1805 ohne Rücksicht auf die neuen Statuten der Darvars aufzutragen, weiters jegliche weitere Ruhestörung vonseiten der Darvars und Rusti zu unterbinden, sowie dem Magistrat die Einmischung in das Schulwesen, für das er nicht zuständig sei, zu untersagen. Der Magistrat gab daraufhin bekannt, die Beschwerde an die Landesregierung sei ordnungswidrig, da das Verfahren noch im Gange sei und verlangte unter Androhung einer Strafe von 50 Gulden von Demeter Zettiri eine Äußerung über Darvars Statutenentwurf sowie die Rücksendung desselben. Dieser Forderung konnten die Gemeindevorsteher jedoch nicht nachkommen, da sie das Original des Entwurfs ihrer Beschwerde an die Landesregierung beigelegt hatten. Außerdem beklagten sie, dass ihnen kein Gesetz bekannt sei, welches ver585 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 22. November 1807: Brief der Gemeindevorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an die k.k. nö. Landesregierung. Eine weitere Abschrift findet sich in AHD, G 1, Fasz. 2. 586 Dazu gibt es den Bericht eines Informanten an die Polizeihofstelle vom 9. Dezember 1807, der folgendermaßen lautet: »Ich mache hiermit die schuldige Anzeige, dass der Grieche Rusti aus dem criminal Arrest gegen Bürgschaft einiger hiesiger Griechischen Handels Häußer entlassen worden, und wie ich heute schon in mehreren Orten vernohmen, so soll dieser Rusti nächster Tagen eine Reysse in Geschäften der Darvar nach Bannat und Semlin unternehmen, übrigens prahlen die Griechen öfentlich über die Loslassung dieses Menschen, und sagen, dass Sie bey denen Stellen alles durchzusetzen in Stande wären.« ATOeSTA/AVA Inneres Polizei PHSt 1432 (1807).

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biete, wegen einer Verzögerung bei einer untergeordneten Instanz (dem Magistrat) bei der höheren Instanz (Niederösterreichische Landesregierung) zu rekurrieren.587 Dazu meinte Johann Darvar, er könne sich nicht genug wundern, dass die Gegenpartei nun an die k.k. niederösterreichische Landesregierung appelliert habe, »ohne zuerst die diesfällige Entscheidung von Seite des Löbl. Magistrates als von der ersten Instanz abzuwarten«.588 Danach scheint die Angelegenheit den Magistrat nicht mehr beschäftigt zu haben und im Sande verlaufen zu sein. So bleibt unklar, welche Statuten nun von der Gemeinde als gültig betrachtet wurden, da kein Text vom Magistrat sanktioniert worden war. Naheliegend ist jedoch die Annahme, dass die Statuten vom 1. April 1805 gemeindeintern weitergalten, da diese mit der Mehrheit der Stimmen beschlossen worden waren. Vielleicht gab es eine Einigung zwischen den Streitparteien, denn die Kontrahenten Johann Darvar und Demeter Zettiri amtierten im Jahr 1808589 gemeinsam als Gemeindevorsteher.590 Die griechische Nationalschule hingegen nahm erst 1811 den regulären Betrieb entsprechend den behördlichen Vorgaben auf. Die Frage der Einteilung der Mitglieder in Beitragsklassen591 stellte jedoch weiterhin einen Streitpunkt dar, wie sich darin zeigt, dass mehrfach Mitglieder, die ihre Beiträge nicht zahlten, angezeigt wurden.592 Dieses Problem wurde im Jahr 1810 mit der Bestimmung gelöst, nach der auch in der Gemeinde zum Hl. Georg die Beiträge eingehoben wurden:593 Die Mitglieder sollten ein Promille 587 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 22. Dezember 1807: Brief der Gemeindevorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an die k.k. nö. Stadthauptmannschaft. 588 AHD, G 1, Fasz. 2, Textentwurf von Johann Darvar. 589 Darauf beziehen sich möglicherweise Kopitars Bemerkungen über die »Vielherrschaft« in der Verwaltung der Griechischen Nationalschule. Valjavec, Kopitars Briefwechsel mit Karl Georg Rumy, 45. 590 Laut AHD, G 107: Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der Kirchen-Gemeinde, Einträge »Johann Darvar« und »Demeter Zettiry«; wurden beide »in der Gen: Vers: am 17 May 1808 Prot. Buch fol: 68 zum Exas« ernannt. 591 Derartige Beitragsklassen waren erstmals in der griechischen Gemeinde von Triest eingeführt worden. Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 135–146. 592 In WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808); findet sich eine Liste von 10 Mitgliedern, deren Beiträge gerichtlich eingetrieben werden sollten (Angeli Wasilicopulo, Georg Darvar, Isack v Gira, Demeter Caravella, Kiriak v Barba, Spiro Paziazi, Warsami Parissi, Constantin Gira, Georg Kondorusi, Constantin Spirta). In AHD, G 107: Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der Kirchen-Gemeinde; findet sich unter dem Eintrag Demeter Darvar Folgendes: »Demeter Darvar: mit mehreren Anderen (7 Herrn) verweigern ihre Beiträge für die Kirchenbedürfnisse 1806, 1807, 1808«. 593 Übrigens bestand auch in der Gemeinde der osmanischen Untertanen das Problem, dass nicht alle Mitglieder ihre Beiträge bereitwillig zahlten, sodass im Jahr 1810 diesbezüglich Anzeige beim nö. Landrecht eingebracht wurde. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 42 und 180.

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ihres jährlichen Umsatzes aus Handelsgeschäften als Beitrag an die Kirche bezahlen.594 Die Zahlung sollte alle sechs Monate ohne Aufschub erfolgen, um Ärger und Streit zwischen den Mitgliedern zu vermeiden. Hier tritt wieder die alte Vorstellung von der Gemeinde als Zusammenschluss von Firmen zutage und das in den Statuten von 1805 so stark betonte Prinzip der individuellen Mitgliedschaft wird unterminiert. Das zeigt sich auch in der Selbstbezeichnung der Vorsteher unter dem Beschluss vom 10. Dezember 1810 über diese Maßnahme595 : Sie unterschrieben als »Vorsteher der Gemeinde der hier handelnden griechisch-wallachischen k.k. österreichischen Untertanen« (»9pist\tai t/r Joim|tgtor t_m 1mtaOha pqaclateuol]mym cqaijobk\wym aqstqiajojaisaqobasikij_m rpgj|ym«). Diese Art der Festlegung der Höhe der Beiträge für die Kirche passte aber besser zur Struktur einer Gemeinde von Händlern, denn sie wurde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fortgeführt. Gesetzt den Fall, dass die Statuten von 1805 gemeindeintern als Leitlinien für die Verwaltung fungierten, so wurden doch – wie obiges Beispiel illustriert – im Laufe der Jahre immer wieder einzelne Bestimmungen modifiziert oder neu eingeführt, was allerdings anhand der Protokolle der Gemeinde verfolgt werden kann. Die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen der Gemeinde und der griechischen Nationalschule – das heißt, inwieweit die Schule als von der Gemeinde eigenständige Institution angesehen wurde –, die den Kernpunkt des Konflikts zwischen den Darvars und Zettiri ausmachte, lässt sich nicht eindeutig klären. So ist bekannt, dass die ab dem Jahr 1801 existierende Funktion der Ephoren (Schulaufseher)596 anfangs von den Gemeindevorstehern mitausgeübt wurde. Diese Praxis wurde aber bald beendet und stattdessen schuleigene Ephoren gewählt.597 Es findet sich jedoch bis zur Geschäftsordnung von 1861 keine eindeutige Vorschrift bezüglich des Wahlvorganges. Die Tatsache, dass es den Gebrüdern Darvar gelang, die österreichischen Behörden über einen langen Zeitraum mit der Angelegenheit der Statuten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zu beschäftigen, obwohl ein Statutentext bei einer Generalversammlung von der Mehrheit der Stimmen der Gemeindemitglieder beschlossen worden war, zeigt, dass sie es verstanden, persönliche Bekanntschaften innerhalb der österreichischen Bürokratie geschickt für ihre 594 AHD, G 3, Fasz. 5, Aufschreibungs-Buch bezugnehmend auf die gesammelten Beträge für die Handlungs-Provisionen; enthält die Eingänge der bezahlten Summen von 1810 bis 1868. 595 Ebd. 596 Das belegen die Lehrerrechnungen in AHD, G 47, Fasz. 1. 597 So wurden in der Generalversammlung vom 20. Oktober 1810 Johann Darvar, Johann Paziazi und Johann Emmanuel zu neuen Ephoren der Schule gewählt. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823, 75.

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Zwecke zu nutzen. So war der Dolmetscher für orientalische Sprachen und k.k. nö. Landrechts-Sekretär Thomas Chabert598 der Meinung, er erweise mit der Übersetzung von Darvars Statuten der ganzen Gemeinde einen Gefallen.599 Auch eine Verbindung zwischen Demeter Darvar und dem Magistratssekretär Franz de Paula Gaheis,600 der die Sache hauptsächlich bearbeitete, scheint den Darvars beim Betreiben ihres Anliegens zu Gute gekommen zu sein. Gaheis war als Pädagoge unter anderem in der Studien-Revisions-Hofkommission601 tätig, hatte ein Handbuch zur Lehrmethodik602 verfasst und hing denselben Reformideen in Bezug auf das Schulwesen603 an wie Demeter Darvar. Dies würde auch erklären, warum der Magistrat zwei Jahre auf die Einreichung der Statuten durch die Darvars wartete, Zettiri aber nach der Beschwerde bei der Niederösterreichischen Landesregierung bereits nach wenigen Wochen eine Geldstrafe angedroht wurde. Zur Strategie der Darvars gehörte es auch, die übrigen Gemeindemitglieder als nicht ausreichend gebildet darzustellen. So erklärte Johann Darvar, die Tatsache, dass sie die Statuten vom 1. April 1805 mehrheitlich angenommen hatten, damit, dass: »die meisten von unserer Gemeinde ungelehrte Männer sind, die kaum ihren Nahmen unterschreiben können, und nicht allein der teutschen Sprache sondern sogar ihrer eigenen Muttersprache unkundig sind, und keine weitere Kenntnisse besitzen, noch denselben bekannt ist, was die Statuten enthalten, welche Punkte für unsere Gemeinde vortheilhafter sind, und wodurch man dieses Ziel am geschwindesten erreichen könnte«604

598 Zur Beziehung Chaberts zu den Wiener Griechen siehe: Stassinopoulou, Der Mysteriensekretär und die Silberabgabe. 599 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 14. Jänner 1807: Brief von Thomas Chabert an Johann Darvar. »Ich würde sie [die Übersetzung, Anm.] nicht annehmen, wenn ich nicht wüßte, daß ich Ihnen, und der Gemeinde hiedurch eine Gefälligkeit erweise.« 600 In der Bibliothek von Demeter Darvar befanden sich vier Bücher von Gaheis. Seirinidou, To eqcast^qio tou koc_ou, Nrn. 692, 708, 710, 776. 601 Diese war von 1795 bis 1802 mit der Reformierung des Volksschulwesens in Österreich betraut. Genau in diesem Kontext ist auch die von den Darvars beförderte Errichtung der Griechischen Nationalschule zu sehen. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens Bd. 3: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz, 218ff. 602 Franz Anton von Paula Gaheis, Handbuch für Schullehrer, Gehülfen und Schul-Candidaten. Wien 21797. 603 Renate Seebauer, Lehrerbildung in Porträts. Von der Normalschule bis zur Gegenwart. Wien 2011, 45–54. Heinrich Güttenberger, Franz de Paula Gaheis (1763–1809). Leben und Schaffen eines österreichischen Volksschulpädagogen im Spiegel der Kulturgeschichte und der Zeitpädagogik. Wien 1927. 604 AHD, G 1, Fasz. 2, Textentwurf von Johann Darvar.

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Der Streit um die Statuten verdeutlicht, dass – obwohl die Privilegien die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit als Pfarrgemeinde (Kirchengemeinde) definierten –, die Frage der Definition der Gemeinde als Institution nicht endgültig geklärt war. Während die Darvars die Erhaltung von Kirche und Schule als Zweck der Gemeinde betrachteten, sahen ihre Kontrahenten die Schule als eigenständige Körperschaft. Die Tatsache, dass die Gemeinde weiterhin nicht nur eine orthodoxe Pfarrgemeinde versinnbildlichte, sondern für manche auch einen Zusammenschluss der balkanorthodoxen Händler aus dem Osmanischen Reich, die k.k. Untertanen geworden waren, darstellte, konnte nicht völlig ausgeblendet werden, auch wenn dies offiziell nirgends festgehalten war und die Statuten ebenfalls nicht darauf eingingen. Die Praxis zeigte aber, dass – besonders in den ersten Jahrzehnten nach der Gemeindegründung – diesbezüglich durchaus eine große Ähnlichkeit zur Gemeinde zum Hl. Georg bestand. Es lassen sich keine nachvollziehbaren gruppenspezifischen Hintergründe des Konflikts, vor allem keine ethnischen, vermuten, vielmehr zeigt er das Bemühen der Darvar-Brüder, ihre Nähe zum habsburgischen administrativen Apparat zu nutzen, um eigene Vorstellungen in der Gemeindepolitik durchzusetzen.

2.7. Der Konflikt um die Organisation der Gemeindeverwaltung bei der Bruderschaft zum Hl. Georg (1812) Wenige Jahre später gab es auch in der Bruderschaft zum Hl. Georg einen Streit über die Organisation der Gemeindeverwaltung, bei der es zu einer Spaltung in zwei Fraktionen kam. Am 24. März 1812 war beschlossen worden, eine Neuerung in der Gemeindeverwaltung einzuführen, die darin bestand, dass anstelle der Dodekas nur mehr drei Mitglieder die operativen Gemeindegeschäfte führen sollten.605 Bereits am 14. April wurde diese Neuerung jedoch wieder aufgehoben und entschieden, zum alten System zurückzukehren.606 Der Streit endete schließlich mit der auf der Versammlung vom 5. Mai 1812 getroffenen Entscheidung, die Beschlüsse der vorangegangenen Versammlungen für ungültig zu erklären und eine gänzlich neue Dodekas zu wählen.607 Über die Details des Konflikts ist wenig bekannt, allerdings geht aus der Schrift von Stefanos Kommitas (St]vamor Jollgt\r) »K|cor stgkiteutij|r jat\ tgr aiq]seyr tym Joqazst~m« hervor, dass Alexander Bassili (Ak]namdqor Basike_ou) auf der Seite der Befürworter der Neuerung und die Brüder Demeter und Nikolaus 605 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 181. 606 Ebd. 607 Ebd., 182–183.

Die gedruckte Ausgabe der Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit

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Postolaka (Dgl^tqior und Mij|kaor Postok\jar)608 auf der Gegenseite standen.609 Im Sprachenstreit zwischen Adamantios Korais und Panagiotis Kodrikas waren Bassili und die Brüder Postolaka ideologische Gegner. Laut Kommitas, wie die Postolaka-Brüder ein Anhänger von Kodrikas, wollte Bassili mittels der Neuerung in der Gemeindeverwaltung die Macht innerhalb der Gemeinde an sich reißen.610 Bassili gehörte jedenfalls der neu zusammengesetzten Dodekas nicht mehr an, während Demeter Postolaka erstmals gewählt wurde.611 Der Konflikt dürfte noch längere Zeit nachgewirkt haben, denn im Protokoll der nächsten Versammlung, die erst am 24. Jänner 1815 stattfand, wird einerseits darauf hingewiesen, dass die stattgefundene Vorsteherwahl vom Archimandriten Anthimos Gazis (6mhilor Caf^r) dreimal angekündigt worden sei, also niemand vorgeben könne, er habe nichts davon gewusst, andererseits werden im Protokoll die grundsätzlichen Aufgaben der Dodekas noch einmal festgeschrieben.612

2.8. Die gedruckte Ausgabe der Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1822 Im Gegensatz zur Bruderschaft zum Hl. Georg, die ihre Privilegien nach der Bestätigung durch Joseph II. (1782) im Jahr 1783 in Druck legen ließ, hatte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nach Erteilung der Privilegien bzw. nach der Bestätigung durch Franz II./I. (1796) keine gedruckte Ausgabe herausgegeben. Im Jahr 1822 erschien jedoch bei der Druckerei der Mechitaristen eine viersprachige Ausgabe der Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.613 Anlass für die Drucklegung des Privilegientextes von Franz II./I. (inklusive der nachträglichen Bewilligung des Glockenturmes) zusammen mit dem Text des k.k. Hofdekrets von 1804, mittels dessen die Gründung der Nationalschule erlaubt wurde, war der Antritt des Erbes von Kyriak Polyzou (Juqi\jor Pok}fou)614 durch die Griechische Nationalschule,615 welcher vermutlich im Jahr 1822 608 609 610 611 612 613

Vasileios Melissovas, Dgl^tqior W44 C. Postok\jar. Ioannina 2007. Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 105–106. Ebd., 106, Anm. 121. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 74. Ebd., 183–184. Von Seiner Majestät Kaiser Franz des Zweyten, huldreichst verliehene Privilegien, denen in der k.k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien ansässigen Griechen und Wallachen von der orientalischen Religion, k.k. Unterthanen, in Betreff ihres Gottesdienstes in der Pfarrkirche zur heiligen Dreyfaltigkeit am alten Fleischmarkt. Wien 1822. 614 Olga Cicanci befasste sich 1974 mit seiner Person und wertete die im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit befindlichen Handelskorrespondenzen Polyzous (AHD, G 33 und G 34) aus. Olga Cicanci, L’activit8 commerciale de Kiriaki Polizu dans les principaut8s

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erfolgte.616 Polyzou († 17. 12. 1811) hatte in Punkt 13 seines Testaments vom 29. September 1811617 die Griechische Nationalschule zu seinem Universalerben gemacht und ihr dementsprechend auch das Haus Untere Bäckerstraße Nr. 748 (vorher 794, heute Sonnenfelsgasse 17)618 unter folgender Bedingung vermacht: »Dreizehntens: Setze, und benenne ich zu meinem Universal Erben des ganzen über Abzug obiger Legate verbleibenden Vermögens die in Wien befindliche Schule für die Kinder des nicht unirten griechischen Rittus, jedoch dergestalt, daß den jedesmahligen Vorstehern der hierortigen griechischen Kirche nicht nur die sichere Verwaltung und Anlegung dieses Vermögens, sondern auch die Verwendung zum Besten dieser Schule zukommen, und hiemit ausdrücklich eingeräumet seyn soll.«

Das Haus war kurz vor Polyzous Tod Objekt mehrerer Transaktionen gewesen. Am 13. April 1810 hatte es der Grieche Prokopios Kanousi dem Ehepaar von Grechtler für 100.000 Gulden abgekauft619 und es am 14. Oktober 1810 für 140.000 Gulden an Kyriak Polyzou weiterveräußert.620 Hierbei handelt es sich somit um ein Beispiel für die gewinnträchtigen Immobilientransaktionen, an denen sich Griechen in diesen Jahren vermehrt beteiligten.621 Polyzou hatte Kanousi in seinem Testament auch das Recht eingeräumt, das Haus unter Begleichung seiner Schulden innerhalb eines Jahres von ihm zurückzukaufen, wozu es aber nicht kam. Nach Abschluss der Verlassenschaftsabhandlung von Kyriak Polyzou622 ging das Haus, dessen Wert auf 75.000 Gulden geschätzt wurde,623 in den Besitz der Griechischen Nationalschule über. Die Mietzinseinnahmen des Hauses624 mit neun bzw. später elf Wohnungen kamen nunmehr dem Schulfonds zugute. Dieses Erbe bedeutete eine wesentliche Verbesserung der finanziellen Situation der Griechischen Nationalschule, die seit ihrer

615 616

617 618 619 620 621 622 623 624

roumaines vers la fin de l’8poque phanariote (d’aprHs les Archives de l’Pglise Grecque de Vienne). In: Sulp|siom G Epow^ tym Vamaqiyt~m. 21–25 Ojtybq_ou 1970. Lm^lg Jke|boukou Tso}qja. Thessaloniki 1974, 401–411. Anika Hamacher, die im Jahr 2009 eine Seminararbeit zum Thema verfasste, bin ich zu Dank verpflichtet. Darauf lassen die vorhandenen Akten schließen, da in diesem Jahr die Verlassenschaftsabhandlung nach Polyzou abgeschlossen wurde (AHD, G 28 und G 29) und im selben Jahr die Aufzeichnungen der Gemeinde über die Mietzinseinnahmen aus dem vermachten Haus beginnen (AHD, G 31, Fasz. 1). AHD, G 30, Fasz. 1: 29. September 1811, Abschrift des Testaments von K. Polyzou. Ebd., Punkt 12. AHD, G 29, Fasz. 2, 13. April 1810: Abschrift Kauf- und Verkaufskontract. AHD, G 29, Fasz. 2, 14. Oktober 1810: Abschrift Hauskauf und rücksichtlich Verkaufskontrakt. Siehe hier S. 287ff. AHD, G 28, Fasz. 1 und G 29. AHD, S 2, Fasz. 15, 27. April 1822: Finalausweisung der Legate von Kyriak Polyzou. AHD, G 28, Bücher-Beschreibung und Zins-Ertrags-Bekenntnis des Hauses Nr. 748 alt/ Nr. 21 in der Stadt, 1824–1846 und 1846–1904 und AHD, G 31-G 35.

Die gedruckte Ausgabe der Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit

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Gründung mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.625 Aufgrund dieser für die Schulverwaltung erfreulichen Tatsache wurde 1822 die gedruckte Privilegienausgabe herausgegeben. Es handelte sich um eine viersprachige Fassung des Texts des Privilegiums von Franz II./I. von 1796 und des Texts des k.k. Hofdekrets von 1804 auf Deutsch, Griechisch, Rumänisch (in kyrillischer Schrift)626 und Altkirchenslawisch627. Auf dem Umschlag ist vorne das Kirchenhaus der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit mit dem Glockenturm abgebildet, hinten das von Polyzou gestiftete Schulfondshaus in der Unteren Bäckerstraße.

Abb. 7: Titelblatt der Druckausgabe des Privilegiums Franz’ II./I. für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit

Die viersprachige Ausgabe spiegelt die mehrsprachige Realität der balkanorthodoxen Kaufleute wider und verdeutlicht die Problematik einer Zuordnung zu einzelnen Nationalitäten, wie sie von späteren Historiographen oft vorgenommen wurde.628 Zum Zeitpunkt dieser ersten Privilegienausgabe gab es diesbezüglich noch keine Abgrenzungstendenzen, vielmehr stellte die Mehrsprachig-

625 So berichtete Konstantinos Koumas, der im Jahr 1820 der Wunschkandidat der Gemeinde für die Lehrerstelle gewesen wäre, über das niedrige Niveau der Schule. Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 50–51. 626 Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien, 264–265; weist darauf hin, dass die Übersetzung ins Dakorumänische erfolgte und nicht in eine der letztlich nicht standardisierten aromunischen Sprachvarianten. 627 Ebd., 261. 628 Stasinopoulou, Bakjamij^ pokuckyss_a stgm autojqatoq_a tym Axbo}qcym.

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

keit eine alltägliche Selbstverständlichkeit dar. Dennoch scheint die Tatsache, dass die Ausgabe in vier Sprachen gedruckt wurde, vor allem von symbolischer Bedeutung gewesen zu sein. So waren Schriftstücke, die in Druck gelegt wurden und die Gemeinde nach außen hin repräsentierten entweder nur deutsch oder seltener mehrsprachig.629 Allerdings gibt es sonst im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit kaum Dokumente in slawischer oder aromunischer bzw. rumänischer Sprache, sondern die Schriftstücke sind fast ausschließlich auf Deutsch oder Griechisch abgefasst. Die griechische Sprache wurde für gemeindeinterne Dokumente und für Korrespondenzen mit Empfängern im Osmanischen Reich oder dem griechischen Staat verwendet, während das Deutsche für Korrespondenzen mit österreichischen Behörden, im Laufe des 19. Jahrhunderts aber auch zunehmend für interne Schriftstücke eingesetzt wurde. In den späteren Privilegienausgaben wurde im Rahmen der zunehmenden Ethnisierung des Identitätsdiskurses innerhalb der Gemeinde die Terminologie in den Übersetzungen modifiziert,630 was sich vor allem im Begriff der MakedoWallachen (Lajedomobk\woi)631 manifestierte.

2.9. Weitere Entwicklungen in Bezug auf die Verwaltung beider Gemeinden bis 1848 2.9.1. Die Erweiterung des Privilegiums der Bruderschaft zum Hl. Georg (1834) Die Bruderschaft zum Hl. Georg erlangte im Jahr 1834 eine Ausweitung ihrer Privilegien. Anlass dafür war ein am 23. Februar 1829 ergangenes Dekret der Niederösterreichischen Regierung, das auf eine Einschränkung des Handels der osmanischen Untertanen abzielte, indem darauf hingewiesen wurde, dass ihnen der Handel mit allen Gattungen von Waren nicht gestattet sei, sondern lediglich »die Einfuhr und Veräußerung der eigentlichen türkischen Waren im Großen, 629 Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien, 265 und Anm. 18; erwähnt eine in seinem Besitz befindliche dreisprachige Ausgabe (Griechisch, Rumänisch und Altkirchenslawisch) mit einem Stich der 1822 von Georg Sina gestifteten Ikonostase der Dreifaltigkeitskirche. Ein weiteres Beispiel ist eine viersprachige (Deutsch, Griechisch, Rumänisch in kyrillischer Schrift, Serbisch) Kundmachung von 1860 über freie Stiftungsplätze in der Panadi-Stiftung für arme Blinde. AHD, G 5, Fasz. 2. Stassinopoulou, Endowments as an instrument of integration, 177. 630 Siehe hier S. 203–205. 631 Bereits in einem Vorentwurf für die Statuten von Johann Darvar von 1807 begegnet der Ausdruck der »hier in Wien ansäßigen aus Griechen und Mazedonischen Wallachen bestehenden Gemeinde«. AHD, G 1, Fasz. 2, Allgemeine Bestimmung. Er diente aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Intention der Abgrenzung von anderen Wallachen (Rumänen). Vgl. Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute 265–266.

Weitere Entwicklungen in Bezug auf die Verwaltung beider Gemeinden bis 1848

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die Ausfuhr von inländischen Produkten und Fabrikaten sowie der Transitohandel von und nach der Türkei«.632 Die Bruderschaft schickte daher am 9. Juli 1829633 eine Abordnung zum Kaiser um auf die Einhaltung ihrer in den Friedensverträgen mit dem Osmanischen Reich festgelegten Handelsprivilegien zu pochen. Sie erhielten vom Kaiser daraufhin die »Versicherung, immer unter seinem Schutz zu stehen«634, obgleich in der offiziellen Antwort der Niederösterreichischen Landesregierung von 1833 keine steuerlichen Zugeständnisse an die osmanischen Untertanen gemacht wurden.635 Im Zuge der kaiserlichen Audienz kamen auch mehrere andere Anliegen der Bruderschaft zur Sprache.636 So wurde die Regierung auf die problematischen Eigentumsverhältnisse des Hauses, in dem sich die Kirche zum Hl. Georg befand, aufmerksam gemacht. Georg Johann von Karajan hatte das Haus für die Bruderschaft gekauft, da diese als osmanische Untertanen nicht dazu berechtigt waren, und seine Erben standen daher noch immer mit ihrem Namen im Grundbuch. Die Bruderschaft wies nun darauf hin, dass sie der rechtmäßige Besitzer des Hauses sei. Weiters bemängelte die Bruderschaft, dass an ihrem traditionellen Begräbnisplatz am St. Marxer Friedhof seit geraumer Zeit auch andere Personen bestattet würden.637 Schließlich wurde beklagt, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit die Legate österreichischer Untertanen, die der Gemeinde zum Hl. Georg zugedacht waren, an letztere nicht weitergebe, sondern selbst behalte. Die direkte Auszahlung der Legate österreichischer Untertanen an die Kapelle zum Hl. Georg wurde selbiger vonseiten der Niederösterreichischen Regierung mit der Be-

632 AHG, G 6, Fasz. 16: 19. März 1829, Brief des k.k. nö. Merkantil- und Wechselgerichts an die griechischen Handelsleute und türkischen Untertanen. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 196. 633 AHG, G 6, Fasz. 17, 7. Dezember 1833: Brief der k.k. nö. Landesregierung an die Vorsteher der Bruderschaft der hier handelnden türkischen Untertanen griechischer Religion, zum St. Georg. 634 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 198. 635 AHG, G 6, Fasz. 17, 7. Dezember 1833: Brief der k.k. nö. Landesregierung an die Vorsteher der Bruderschaft der hier handelnden türkischen Untertanen griechischer Religion, zum St. Georg. Die Antwort wurde als Gesetz mit dem Titel »Behandlung der Türkischen Unterthanen Griechischer Religion hinsichtlich der Steuern, der Taxen, des Handels und sonstiger Verhältnisse« unter dem Datum des 5. November 1833 veröffentlicht. Sammlung der Gesetze für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns, Bd. 15 (Jahr 1833), Wien 1837, 458–462. 636 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 201–202. 637 Tatsächlich waren offenbar im den Orthodoxen zugewiesenen Teil katholische Gräber angelegt worden. Havlik, Der Sankt Marxer Friedhof, 30. Die Problematik bestand anscheinend seit dem Jahr 1820, während der betroffene Friedhofsteil davor den Orthodoxen vorbehalten und mit »Streif und Markstein« abgegrenzt gewesen war. AHD, G 16, Fasz. 5: Entwurf eines Briefes mit der Bitte um Erlaubnis zum Ankauf eines Teiles des St. Marxer Friedhofs.

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gründung verweigert, dass diese dann in türkisches Eigentum übergehen würden, was gesetzlich nicht zulässig sei.638 Am 24. Jänner 1834 folgte die kaiserliche Reaktion auf diese Anliegen der Bruderschaft in Form einer Privilegien-Erweiterung: »Seine k.k. Majestät haben mit allerhöchster Entschliessung vom 14. Dezember vorigen Jahres, laut hohem Hofkanzley Dekrete vom 11ten dieses Monats, Zahl 697 nachträglich zur Hofkanzley Verordnung vom 5. November vorigen Jahres, Zahl 3803 über das Hofgesuch der hiesigen Bruderschaft der ottomanischen Unterthanen, um Schutz bei ihren Privilegien und um einige Erweiterung derselben allergnädigst zu verordnen geruhet; daß denselben der eigenthümliche Besitz des Hauses No 713, worin sich dermal ihre Kirche befindet; ferner die Annahme von Geschenken und Legaten für die Kirche ihrer Glaubensgenossen, auch wenn dieselben k.k. österreichische Unterthanen sind, zu gestatten sei«639

Die Privilegien-Erweiterung wurde als Gesetz mit dem Titel »Bewilligung für die türkischen Unterthanen griechischer Religion in Wien zum eigenthümlichen Besitze des Hauses, wo ihre Kirche sich befindet und zur Annahme von Legaten und Geschenken für diese Kirche« unter dem Datum des 11. Januar 1834 veröffentlicht.640 Nachdem die beiden Haupterben Georg Johann von Karajans, seine Söhne Demeter und Theodor, jeweils Erklärungen abgegeben hatten, dass sie mit ihrem Namen nur als Gewährsträger für die Bruderschaft fungiert hätten, konnte die Bruderschaft nunmehr selbst als Eigentümer im Grundbuch eingetragen werden.641 Außerdem durfte die Bruderschaft nun auch Legate von österreichischen Untertanen empfangen.642 638 AHG, G 6, Fasz. 16, 15. Juni 1825: Brief der k.k. nö. Landesregierung an den Ausschuss der hiesigen Gemeinde griechischer Handelsleute türkischer Untertanen zur Kapelle St. Georg (betrifft die Legate des 1823 verstorbenen Markus Darvar und des 1813 verstorbenen Georg Johann von Karajan für die Kapelle zum Hl. Georg). Bezüglich der Verlassenschaft von Markus Darvar siehe auch: AHD, G 3, Fasz. 8. 639 AHG, G 6, Fasz. 17, 26. Oktober 1835: Beglaubigte Abschrift des Regierungsdekrets vom 24. Jänner 1834 der k.k nö. Landesregierung an die Vorsteher der Bruderschaft der hier handelnden türkischen Untertanen griechischer Religion zum hl. Georg. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 205. 640 Sammlung der Gesetze für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns, Bd. 16 (Jahr 1834). Wien 1837, 52–53. 641 AHG, G 36, Fasz. 7: Gewähr vom 27. Mai 1835. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 205. 642 Nach Willibald M. Plöchl, Der Kanonismus der griechisch-orthodoxen Dreifaltigkeitskirche zu Wien. Orientalisches Stifterrecht im 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 53 (1967), 97–109, 104; wurde dadurch aus der Bruderschaft »eine Kirchengemeinde mit Rechtspersönlichkeit«. Plöchl widerspricht sich aber in der Folge selbst, wenn er schreibt, die Bruderschaft zum Hl. Georg sei spätestens mit dem Privilegium Josephs II. in eine Kirchengemeinde übergegangen. Ebd., 105.

Weitere Entwicklungen in Bezug auf die Verwaltung beider Gemeinden bis 1848

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In der Folge beschloss man, das Kirchenhaus wie bisher von der Dodekas verwalten zu lassen, der es jedoch verboten sein sollte ohne Genehmigung der Generalversammlung Schulden auf das Haus aufzunehmen.643 Weiters wurde zum Dank für die Privilegienerweiterung eine Doxologie für den Kaiser, den Thronfolger und den ganzen Hof abgehalten sowie eine Deputation entsandt, die dem Kaiser eine schriftliche Dankadresse überreichen sollte.644

2.9.2. Weitere Gültigkeit der Privilegien unter Ferdinand I. Als Franz II./I. am 2. März 1835 nach langer Regierungszeit starb, stellte sich für beide Gemeinden erneut die Frage nach der weiteren Gültigkeit ihrer Privilegien. Beide Gemeinden suchten 1836 beim neuen Kaiser Ferdinand I. um eine Bestätigung ihrer bisherigen Privilegien an.645 Nachdem die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit der Regierung eine Abschrift ihrer zuletzt bestätigten Privilegien hatte zukommen lassen, wurde ihr am 11. April 1836646 folgender Beschluss mitgeteilt: »dass dermalen keine neue Bestättigung dieser Privilegien nothwendig sey, und dass bis auf weitere Weisung alle jene Privilegien fortzudauern haben, welche von Weiland Sr : Majestät Kaiser Franz I glorreichen Andenkens verliehen oder bestättigt worden sind, in so fern sie nicht mit bestimten Gesetzen und Einrichtungen im Widerspruche stehen.«

Da letzteres nicht der Fall sei, sei laut dem Hofkanzleidekret keine neue Bestätigung erforderlich. Eine Antwort an die Gemeinde zum Hl. Georg ist nicht dokumentiert, es ist aber davon auszugehen, dass ihr der gleiche Beschluss mitgeteilt wurde. Auch Ferdinands Nachfolger Franz Joseph verzichtete auf eine Bestätigung der Privilegien in Form einer neuerlichen Ausfertigung. So blieben die Privilegien für beide Gemeinden in der Version von Franz II./I. bis zum Ende der Habsburgermonarchie 1918 gültig.

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Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 205. Ebd., 206. Ebd. AHD, G 1, Fasz. 2. AHD, G 1, Fasz. 2, 11. April 1836: Brief der k.k. nö. Landesregierung an die Vorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.

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Verwaltung und Organisation der Wiener griechischen Gemeinden (1781–1848)

2.9.3. Die Errichtung der griechischen Abteilung am Friedhof von St. Marx647 Nachdem die Bruderschaft zum Hl. Georg in ihrer Audienz beim Kaiser 1829 auch das Thema der Bestattung von Angehörigen der orthodoxen Konfession am St. Marxer Friedhof angesprochen hatte, kam die hier bestehende Problematik wenige Jahre später ebenfalls zu einer Lösung. Bereits ab dem josephinischen Toleranzpatent von 1781 waren auf diesem Friedhof die Angehörigen der beiden griechischen Gemeinden begraben worden.648 Bezüglich der josephinischen Reformen im Begräbniswesen erwähnt Pezzl, dass die Griechen die ersten gewesen seien, die gegen die Abschaffung der Sargbegräbnisse durch Joseph II. protestiert hätten, da dies gegen ihren Ritus sei.649 Im Jahr 1785 hatte die Bruderschaft bei der Niederösterreichischen Landesregierung um Einräumung eines eigenen umzäunten Platzes auf dem Friedhof angesucht, das Gesuch war jedoch abgewiesen worden.650 Die beiden Gemeinden wollten nun gemeinsam denjenigen Teil, auf dem bisher die Orthodoxen bestattet worden waren, sowie ein daran angrenzendes Grundstück ankaufen. Damit sollte gewährleistet werden, dass der griechische Friedhofsteil vom Rest abgegrenzt war und die Begräbnisse getrennt von den Katholiken durchgeführt werden konnten.651 So beschloss die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in der Generalversammlung vom 11. Dezember 1836 gemeinsam mit der Gemeinde zum Hl. Georg das angrenzende Grundstück zu erwerben.652 Am 16. November 1837 genehmigte die Niederösterreichische Landesregierung den Ankauf des 1.265 Quadratklafter großen Grundstücks von Konrad Löw653 zu einem Preis von 4.066 Gulden 42 Kreuzer654. Die Überlassung der bisherigen Begräbnisplätze wurde allerdings

647 AHD, G 16, Fasz. 3–5. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 206–211. 648 AHD, G 16, Fasz. 5: Entwurf eines Briefes mit der Bitte um Erlaubnis zum Ankauf eines Teiles des St. Marxer Friedhofs. Havlik, Der Sankt Marxer Friedhof, 26–27. 649 Johann Pezzl, Skizze von Wien. Wien 1786–87, 145. Ich danke Stefano Saracino für den Hinweis auf dieses Zeugnis. 650 AHG, G 1, Fasz. 3, 1. März 1785: Brief der k.k. nö. Landesregierung an sämtliche griechische Religionsverwandten allhier. 651 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 207. 652 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr III, oijomolijor apokocisl. (aq), Kopie des Protokollbuchs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1824–1838, 259. 653 AHD, G 16, Fasz. 3, 16. November 1837: Brief der Nö. Landesregierung an die Vorsteher der nicht unierten griechischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. Havlik, Der Sankt Marxer Friedhof, 29. Dazu jetzt auch detailliert: Theofanis Pampas, Oi emtaviash]mter Jofam_ter sto mejqotave_o St. Marx tgr Bi]mmgr. In: Ekileiaj\ 174–175 (2015), 15–72, hier 16–20. 654 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 210.

Weitere Entwicklungen in Bezug auf die Verwaltung beider Gemeinden bis 1848

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nicht bewilligt.655 Stattdessen sollten die Grabdenkmäler von Alexander Martyrt, Johann Nikolides von Pindo und Peter Freiherr von Duka sowie von »ungefähr 30 Gräbern […], welche sich links von dem Eingange des St. Marxer Leichenhofes der Mauer gegenüber befinden« in den neuen griechischen Friedhofsteil übertragen werden.656 Beim Ankauf des Grundstückes waren die osmanischen Untertanen, wie auch schon bei ihrem Kirchenhaus, wieder mit dem Problem konfrontiert, dass sie nicht zum Erwerb von Grundbesitz berechtigt waren. So traf man mit der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit die schriftliche Vereinbarung, dass die Gemeinde zum Hl. Georg ein Drittel des Grundstücks kaufen würde, welches sich dann auch in ihrem Besitz befinden sollte, während die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zwei Drittel ankaufen würde, da nur diese Gemeinde ins Grundbuch von Simmering eingetragen werden konnte.657 Die in Zukunft anfallenden Kosten für den Friedhof sollten jedoch beide Gemeinden jeweils zur Hälfte tragen.658 Ansonsten war jede Gemeinde für die Bestattung der ihr zugehörigen Personen zuständig. Die Drittel-Lösung beim Ankauf des Grundstücks ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit einerseits wohlhabender war, andererseits aber vermutlich auch häufiger Bestattungen in Wien durchführte. Es handelte sich dabei nur um eine symbolische Abmachung, denn der der jeweiligen Gemeinde gehörige Teil wurde nicht räumlich markiert und die Toten unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit nebeneinander bestattet.

655 AHD, G 16, Fasz. 3, 16. November 1837: Brief der Nö. Landesregierung an die Vorsteher der nicht unierten griechischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. Havlik, Der Sankt Marxer Friedhof, 30. 656 AHD, G 16, Fasz. 3, 9. November 1838: Brief des Magistrats der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien. 657 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 210. 658 Ebd., 211.

3.

Die Gemeinden von 1848 bis 1918: Mitgliederschwund und ethnische Differenzierung

Vordergründig bedeutete die Revolution von 1848 für die beiden Wiener griechischen Gemeinden keinen Bruch. Durch die kaiserlichen Privilegien, deren Gültigkeit auch unter dem neuen Kaiser Franz Joseph fortdauerte, genossen sie einen autonomen Status und waren im Vergleich zu den anderen akatholischen Gemeinden begünstigt. Trotzdem erscheint es gerechtfertigt, hier eine Zäsur anzusetzen, da das Jahr 1848 in vielerlei Hinsicht eine neue Epoche mit Entwicklungen einläutete, die auch die Wiener griechischen Gemeinden unmittelbar betrafen. Die Revolution von 1848 war der Beginn des – wenn auch vorläufig kurzen und durch die Phase des Neoabsolutismus unterbrochenen – Zeitalters des Konstitutionalismus in der Habsburgermonarchie. Damit in enger Verbindung standen die Entwicklungen in Bezug auf die Glaubens- und Religionsfreiheit, die schließlich zur Gleichstellung der vormals als »akatholisch« diskriminierten Konfessionen führten. In den Jahrzehnten nach 1848 wurden verschiedene kirchenpolitische Weichenstellungen getroffen, die auch die Wiener griechischen Gemeinden tangierten. Abgesehen von der schrittweisen Verbesserung der Situation für die Angehörigen nicht-katholischer Konfessionen aufgrund des liberalen Einflusses, standen die meisten kirchenpolitischen Entscheidungen, welche die Orthodoxen betrafen, in Zusammenhang mit der zunehmenden nationalen Differenzierung innerhalb der Orthodoxie der Habsburgermonarchie und der Nationalitätenpolitik des Kaiserhauses. Das führte unter anderem zur Entstehung weiterer orthodoxer Gemeinden in Wien. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Etablierung von vom Osmanischen Reich unabhängigen Nationalstaaten am Balkan nach dem Berliner Kongress von 1878. Schließlich schwächten wirtschaftliche Dynamiken und die Modernisierung des Verkehrswesens (Eisenbahn, Schifffahrt) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den traditionellen Balkanhandel und somit auch die überwiegend aus Händlern bestehenden griechischen Gemeinden. Die Kombination dieser Faktoren führte dazu, dass die beiden Wiener griechischen Gemeinden ihre Gemeindeorganisation immer wieder an neue Gege-

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

benheiten anpassen mussten und besonders ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hauptsächlich mit der Verteidigung ihres autonomen Status beschäftigt waren. Aufgrund ihrer existenziellen Krise traten die beiden Gemeinden in den letzten Jahren vor dem Ende der Monarchie schließlich sogar in Konkurrenz zueinander.

3.1. Die Religionspolitik Franz Josephs in Bezug auf die nicht katholischen Konfessionen Eine erste in Zusammenhang mit der Revolution stehende religionspolitische Maßnahme Franz Josephs, die auch die Wiener griechischen Gemeinden indirekt betraf, war die Erhebung des Erzbistums von Karlowitz zum Patriarchat im Jahr 1848. Die Serben Südungarns, die als Gegengewicht zu den revolutionären Ungarn dienten, erhielten außerdem ein eigenes Kronland (Woiwodschaft Serbien und Temes¸er Banat), das jedoch bereits 1860 wieder aufgelöst wurde.659 Der neue Status von Karlowitz hatte jedoch keine Auswirkungen auf die Art der Beziehung zwischen dem nunmehrigen Patriarchen und den beiden Wiener Gemeinden, die auch weiterhin ein rein formales Verhältnis blieb. Auch wenn Franz Joseph streng katholisch eingestellt war und im Jahr 1855 das Konkordat mit dem Vatikan schloss, bedeutete seine Amtszeit für die Angehörigen der nicht-katholischen Konfessionen in der Habsburgermonarchie eine grundlegende Verbesserung ihrer rechtlichen Situation. In den letzten Jahren seiner Regierungszeit galt er geradezu als Symbol für das multinationale und multikonfessionelle Reich. Besonders die Juden, die am längsten auf die endgültige Gleichstellung hatten warten müssen, betrachteten ihn nun als Garant für den Schutz ihrer Rechte.660 Der Weg zur Religionsfreiheit verlief allerdings keineswegs zielgerichtet geradeaus, sondern forderte zwischenzeitlich auch Umwege und Rückschritte: In rechtlicher Hinsicht nahm die Entwicklung von der bloßen Tolerierung zur rechtlichen Gleichstellung der akatholischen Konfessionen mit der Revolution von 1848 ihren Anfang. So hieß es in § 17 der Pillersdorfschen Verfassung vom 25. April 1848: »Allen Staatsbürgern ist die volle Glaubens- und Gewissens- so 659 Emanuel Turczynski, Orthodoxe und Unierte. In: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 4: Die Konfessionen. Wien 1985, 399– 478, hier 428–429. 660 Robert S. Wistrich, Die Juden Wiens im Zeitalter Franz Josephs. Wien [u. a.] 1999, 146–152. Gabriele Kohlbauer, Der Kaiser – »ein wahrhafter Messias seiner Zeit«. Jüdische Grußadressen ans österreichische Kaiserhaus. In: Ulla Fischer-Westhauser (Hrsg.), Geschenke für das Kaiserhaus. Huldigungen an Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth. Wien 2007, 116–139.

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wie die persönliche Freyheit gewährleistet.« Auch die in der Folge vom Kaiser oktroyierte Märzverfassung vom 4. März 1849 beinhaltete die Glaubensfreiheit. Ihre ersten beiden Paragraphen lauteten folgendermaßen: »§ 1. Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des Religionsbekenntnisses ist Jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig, doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen. § 2. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten Stiftungen und Fonde, ist aber wie jede Gesellschaft den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.«

Als Franz Josef mit dem Silvesterpatent vom 31. Dezember 1851 die Verfassung wieder aufhob und damit die Phase des Neoabsolutismus einleitete, wurde das Recht der öffentlichen Religionsausübung für die gesetzlich anerkannten Kirchen in Cisleithanien von der Aufhebung ausgenommen.661 Die volle Glaubensfreiheit war jedoch weiterhin nicht gewährleistet, wie auch eine Episode aus der Biographie von Theodor Georg von Karajan zeigt. Karajan war 1850 zum ersten Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Wien berufen worden. Als dem evangelischen Professor Hermann Bonitz 1851 die Wahl zum Dekan aufgrund seiner Konfession verwehrt wurde, trat der orthodoxe Karajan aus Protest von seiner Professur zurück.662 Die Tatsache, dass Karajan, dessen Ehefrau katholisch war, all seine Kinder katholisch taufen ließ, obwohl er selbst als aktives Mitglied in der griechischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit tätig war, scheint mit diesem Erlebnis in Zusammenhang zu stehen. In der Folge war die Familie Karajan im Gemeindeleben nicht länger präsent. Das Konkordat mit der katholischen Kirche von 1855,663 welches dieser das 661 Kaiserliches Patent vom 31. December 1851, wirksam für Oesterreich ob und unter der Enns, Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain, Görz und Gradiska, Istrien, Triest, Tirol und Vorarlberg, Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien und Lodomerien, Krakau, Bukowina und Dalmatien, wodurch das Patent vom 4. März 1849 (Nr. 151 des R. G. B.) und die darin für die genannten Kronländer verkündeten Grundrechte außer Gesetzeskraft gesetzt, jedoch jede in diesen Kronländern gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft in dem Rechte der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, dann in der selbständigen Verwaltung ihrer Angelegenheiten, ferner im Besitze und Genusse der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeits-Zwecek bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde erhalten und geschützt wird. 662 Inge Schwarz, Theodor Georg Ritter von Karajan. Biographie. (Dissertation) Wien 1949, 51–55. 663 Peter Leisching, Die römisch-katholische Kirche in Cisleithanien. In: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 4: Die Konfessionen. Wien 1985, 25–34.

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Eherecht und Schulwesen überantwortete, bedeutete einen Rückschlag für die Gleichstellung der nicht-katholischen Konfessionen. Allerdings konnte der Kaiser diese Situation nur wenige Jahre aufrechterhalten und die Niederlagen von Solferino (1859) und Königgrätz (1866) zwangen ihn zu innenpolitischen Zugeständnissen gegenüber den Liberalen, sodass das Konkordat aufgrund der neuen Gesetze bereits größtenteils aufgehoben war, als es 1870 gänzlich gelöst wurde.664 So wurde am 8. April 1861 das Protestantenpatent665 erlassen, mit welchem auch die baulichen Beschränkungen für die Bethäuser der Evangelischen ausdrücklich aufgehoben wurden.666 Die bisher als »akatholisch« bezeichneten Protestanten waren schon mittels Erlass des Ministeriums des Innern vom 30. Jänner 1849 in »Evangelische der Augsburger oder Evangelische der helvetischen Confession« umbenannt worden, während die Umbenennung der griechisch nicht unierten Kirche in »griechisch-orientalisch« im Zuge einer Verordnung vom 29. November 1864 erfolgte. Letzteres geschah in Folge der Trennung der Rumänen von der Metropolie von Karlowitz und der Errichtung einer eigenen Metropolie von Siebenbürgen mit Sitz in Sibiu/Hermannstadt.667 Die volle Gleichberechtigung der evangelischen, griechisch-orientalischen und jüdischen Bewohner Cisleithaniens garantierte schließlich das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger668, das einen Teil der im Zuge des Österreichisch-Ungarischen Ausgleichs entstandenen Dezember-

664 Ebd., 51–57. 665 Kaiserliches Patent, womit die Angelegenheiten der evangelischen Kirche augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses, insbesondere die staatsrechtlichen Beziehungen derselben in dem Erzherzogthume Oesterreich ob und unter der Enns, dem Herzogthume Salzburg, dem Herzogthume Steiermark, den Herzogthümern Kärnthen und Krain, der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradisca, der Markgrafschaft Istrien und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete, in der gefürsteten Grafschaft Tirol und Vorarlberg, dem Königreiche Böhmen, der Markgrafschaft Mähren, dem Herzogthume Ober- und Nieder-Schlesien, den Königreichen Galizien und Lodomerien mit den Herzogthümern Auschwitz und Zator, dem Großherzogthume Krakau und dem Herzogthume Bukowina geregelt werden. 666 § 2 des Protestantenpatents besagt: »Es werden daher alle früher bestandenen Beschränkungen in Absicht auf die Errichtung von Kirchen mit oder ohne Thurm und Glocken, […], in soweit diese Beschränkungen noch in Uebung seyn sollten, hiermit außer Kraft und Wirksamkeit gesetzt und für null und nichtig erklärt.« Siehe dazu auch: Reiner Sörries, Von Kaisers Gnaden. Protestantische Kirchenbauten im Habsburger Reich. Köln [u. a.] 2008. Für die Orthodoxen wurden die baulichen Beschränkungen für die Bethäuser, wie sie laut dem Toleranzpatent Josephs II. von 1781 galten, nicht ausdrücklich aufgehoben. Sie wurden aber durch die rechtliche Gleichstellung der anerkannten Religionen spätestens mit dem Staatsgrundgesetz von 1867 obsolet. 667 Turczynski, Orthodoxe und Unierte, 431–435. 668 Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder.

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verfassung von 1867 bildete. Die Artikel 14 bis 16 bezogen sich auf Glaubensfreiheit und Religionsausübung: »Artikel 14. Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen. Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Theilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, in soferne er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines anderen untersteht. Artikel 15. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber, wie jede Gesellschafte, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Artikel 16. Den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses ist die häusliche Religionsausübung gestattet, in soferne dieselbe weder rechtswidrig, noch sittenverletzend ist.«

Als gesetzlich anerkannt wurden neben der katholischen die beiden evangelischen Kirchen, die griechisch-orientalische Kirche und die jüdische Glaubensgemeinschaft verstanden. Für letztere wurde erst 1890 das so genannte »Israelitengesetz« erlassen, das eine Basis für die Errichtung israelitischer Kultusgemeinden in Österreich darstellte.669 Den Wiener Juden hatte Franz Joseph aber bereits 1849 ermöglicht, eine Gemeinde zu konstituieren.670 Das Recht dazu erlangten sie, wie Tietze es beschreibt, »via facti«, nachdem der Kaiser in einem Schreiben an die jüdischen Vertreter den Ausdruck »israelitische Gemeinde von Wien« verwendete. So konnte sich im Oktober 1849 der Gemeindevorstand konstituieren und am 14. Jänner 1852 wurden provisorische Statuten genehmigt.671 Im Jahr 1867 erhielt die israelitische Kultusgemeinde von Wien schließlich ihre definitiven Statuten.672 In den konfessionellen Gesetzen des Jahres 1868 (Maigesetze) wurde die staatliche Hoheit über Kirche, Ehe und Schule wiederhergestellt. Die letzte legislative Maßnahme in Bezug auf die Konfessionen war schließlich die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften vom 20. Mai 1874. Auf diesen Gesetzen basierte die österreichische Kirchengesetzgebung dann bis zum Ende der Monarchie.673

669 Gesetz vom 21. März 1890, betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft. 670 Die Gemeinde der privilegierten sephardischen Juden, die osmanische Untertanen waren, bestand bekanntlich schon seit dem 18. Jahrhundert. 671 Tietze, Die Juden Wiens, 193. 672 Ebd., 195. 673 Friedrich Gottas, Die Geschichte des Protestantismus in der Habsburgermonarchie. In:

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Die nicht-katholischen Gemeinden in Wien befanden sich in Bezug auf ihre rechtliche Stellung oftmals in vergleichbaren Situationen. Dies führte zu interkonfessionellen Kontakten der griechischen Gemeinden mit der Gemeinde der sephardischen Juden sowie mit der altkatholischen Gemeinde in Wien, während es auf Kontakte zur evangelischen Kirche keine Hinweise gibt. Im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit befinden sich Abschriften von Dokumenten aus dem Jahr 1892, welche die Rechtsstellung der Wiener sephardischen Gemeinde betreffen.674 Dabei ging es um die zwangsweise Vereinigung der sephardischen Gemeinde mit der Israelitischen Kultusgemeinde,675 gegen die erstere sich entschieden wehrte. Dazu gehörte unter anderem auch die Frage, wer als Angehöriger der sephardischen Gemeinde zu gelten habe (Staatsbürger des Osmanischen Reiches und der Balkanstaaten, nicht aber österreichische Staatsbürger). Offenbar hatte man die sephardische Gemeinde um diese Dokumente gebeten, da ähnliche Fragen zu dieser Zeit auch die griechischen Gemeinden beschäftigten – nämlich die Frage nach der kirchlichen Autonomie von der Metropolie von Czernowitz sowie die Frage, welcher der drei orthodoxen Gemeinden in Wien nach der Gründung der serbischen Gemeinde zum Hl. Sava die Staatsbürger anderer Staaten als der Habsburgermonarchie und des Osmanischen Reichs zugehörig seien. Insofern dienten die von der sephardischen Gemeinde übermittelten Unterlagen als Hilfsmittel zur Ausformulierung bestimmter Argumentationslinien. Im Gegensatz zur türkisch-israelitischen Gemeinde in Wien gelang es den griechischen Gemeinden ihre kirchliche Autonomie weiterhin erfolgreich zu verteidigen. Auch sonst bestanden Beziehungen zwischen den Griechen und den sephardischen Juden, deren Gemeinde sich ebenfalls aus Händlern gebildet hatte, die aus dem Osmanischen Reich stammten und die daher – abgesehen von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Griechen – auch einen ähnlichen sozialen Hintergrund hatten. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Händler aus dem Osmanischen Reich, ungeachtet der Konfession, veranschaulicht folgendes Zitat aus einem Nachruf auf den 1870 verstorbenen Sterio Dumba (St]qcior Do}lpar), das sich auf seine Funktion als kaiserlich ottomanischer Generalkonsul bezieht: »Die ottomanische Gemeinde in Wien hat den Verlust eines Wohltäters zu betrauern, dem das Wohl und Wehe eines jeden einzelnen Mitgliedes, welchem Stande und welcher Konfession es angehören mochte, naheging.«676 Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 4: Die Konfessionen. Wien 1985, 489–595, hier 556–558. 674 AHD, G 9, Fasz. 7. 675 Kaul, Die Rechtsstellung der türkischen Juden, 58–64. 676 Sterio M. Dumba †. In: Neue Freie Presse, Nr. 1948 (31. Jänner 1870), 2.

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Im Jahr 1900 lud die Gemeinde zum Hl. Georg den Vorstand der türkischisraelitischen Gemeinde zur gemeinsamen Feier des 25-jährigen Thronjubiläums des Sultans Abdülhamids II. ein.677 Die altkatholische Kirche, die sich 1870 aus Protest zum im Ersten Vaticanum beschlossenen Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit formiert hatte, war von Anfang an sehr an einer Annäherung an die Orthodoxie interessiert678 und hoffte auf eine »Wiedervereinigung mit der griechisch-orientalischen und russischen Kirche«679. Dies manifestierte sich auch in den Kontakten der Altkatholiken mit den griechischen Gemeinden in Wien. So wandte sich die neu entstandene altkatholische Gemeinde Wiens 1875 mit der Bitte um (finanzielle) Unterstützung an die »Schwester-Gemeinde« zum Hl. Georg,680 mit der man in »inniger geistiger Verbindung« stehe. Die Gemeinde beklagte in dem Schreiben die Tatsache, dass die altkatholische Kirche gesetzlich nicht anerkannt war und daher die Ehen ihrer Mitglieder als nicht gültig betrachtet wurden.681 Tatsächlich dürften die Beziehungen eng gewesen sein, denn 1877 veranstaltete die altkatholische Gemeinde Wiens in ihrer Kirche St. Salvator ein Requiem für den verstorbenen Archimandriten der griechischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Agathangelos Lontopoulos, der ein »warmer Freund der altkatholischen Reformbewegung, und eifriger Förderer des Unionsgedankens«682 gewesen sei.683 Schließlich war es auch ein griechischer Händler, der die Basis für das finanzielle Auskommen der altkatholischen Gemeinde in Wien legte: Der 1883 in Triest verstorbene griechische Großhändler Johann (Giovanni) Scaramang/ von Altomonte (Iy\mmgr Sjaqalacj\r)684 errichtete mit einer Summe von 300.000 fl. eine Stiftung (Pia Fondazione Scaramang/), mittels derer er diverse wohltätige Einrichtungen fi-

677 AHG, G 9, Fasz. 23, 31. August 1900: Brief des Präsidenten der türkisch-israelitischen Gemeinde zu Wien an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirche zu St. Georg Wien. 678 Ioan-Vasile Leb, Orthodoxie und Altkatholizismus. Eine hundert Jahre ökumenische Zusammenarbeit (1870–1970). Cluj-Napoca 1995, 9. 679 Ebd., 13. 680 AHG, G 8, Fasz. 20: 15. Oktober 1875, Brief des Kirchenrats der altkatholischen Gemeinde in Wien an den Vorstand der griechisch orientalischen Kirchengemeinde für türkische Untertanen in Wien. 681 Die gesetzliche Anerkennung erfolgte infolge des Gesetzes vom 20. Mai 1874 dann am 18. Oktober 1877. Hans Hoyer, Die altkatholische Kirche. In: Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 4: Die Konfessionen. Wien 1985, 616–632, hier 617. 682 AHG, G 9, Fasz. 23: 10. März 1877, Brief des Kirchenrats der altkatholischen Gemeinde in Wien an die Vertretung der griechischen Gemeinde in Wien. 683 Zu Lontopoulos’ Kontakten zu den Altkatholiken außerdem: Leb, Orthodoxie und Altkatholizismus, 41. 684 Er war der Bruder von Georg Scaramanga, der ein Mitglied der Gemeinde zum Hl. Georg in Wien war.

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nanziell unterstützte.685 Unter den bedachten Institutionen befand sich außer der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde von Triest und der israelitischen Kultusgemeinde von Triest auch eine noch zu gründende altkatholische Gemeinde in Triest.686 Da diese noch nicht bestand, ging das Geld an die altkatholische Gemeinde in Wien, für die diese Stiftung eine durchaus bedeutsame Zuwendung für karitative Zwecke darstellte.687 Im Gegensatz zu diesen interkonfessionellen Beziehungen waren die Kontakte innerhalb der Orthodoxie nicht immer nur freundschaftlich, sondern aufgrund interner Konkurrenz und ethnischer Differenzen sowie vielleicht auch finanzieller Interessen häufig konfliktbeladen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die beiden griechischen Gemeinden die einzigen Träger der orthodoxen Kirche in Wien gewesen, doch dies sollte sich nach 1848 bald ändern.

3.2. Die Gründung der serbischen Kirchengemeinde in Wien Nachdem die Serben aufgrund der Erhebung der Metropolie von Karlowitz zum Patriarchat an Selbstbewusstsein gewonnen hatten, wurde ihr Wunsch nach einer eigenen Kirche in der Haupt- und Residenzstadt Wien dringlicher. Nach den gescheiterten Bemühungen um Einfluss auf die beiden griechischen Kirchengemeinden im 18. Jahrhundert hatte man diesbezüglich mehrere Jahrzehnte nichts mehr unternommen und die Serben Wiens hatten zwar den Gottesdienst in den griechischen Kirchen besuchen können, waren aber ansonsten von der Mitgliedschaft in den griechischen Gemeinden ausgeschlossen gewesen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkte sich die Zuwanderung von Serben und Rumänen nach Wien, weshalb die Forderung nach eigenen Kirchen gerechtfertigt schien. So nutzte Patriarch Joseph Rajacˇic´ (1785–1861) anlässlich des misslungenen Attentats auf Franz Joseph 1853 und der zum Dank für die Rettung des Kaisers geplanten Errichtung der Votivkirche, welche ein Symbol für die Einheit aller Völker der Monarchie werden sollte,688 die Gelegenheit und wandte sich mit einem Schreiben an den Kaiser, in dem er um die Erlaubnis zum Bau einer serbischen Kirche in Wien bat. Nach dem Attentatsversuch waren in den 685 Nicht zu verwechseln mit der Fondazione Scaramang/ des gleichnamigen Giovanni Scaramang/ (1872–1960), die heute in Triest ein Museum betreibt. 686 Christian Halama, Altkatholiken in Österreich. Geschichte und Bestandsaufnahme. Wien [u. a.] 2004, 420–421. 687 Hoyer, Die altkatholische Kirche, 632. 688 Michaela Kovarik, Das Attentat Johann Lib8nyis auf Kaiser Franz Joseph 1853 und die Gründung der Votivkirche. Eine Studie zur Ära des österreichischen Neoabsolutismus. (Dissertation) Wien 1976, 146.

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»Gotteshäusern aller in Wien befindlichen Konfessionen« Dankfeierlichkeiten angeordnet worden.689 Rajacˇic´ konnte nun damit argumentieren, dass die Serben und Rumänen in Wien keinen Ort hätten, wo sie ihre Dankgebete verrichten könnten, da sie keine eigenen Kirchen hätten und den Gottesdienst in griechischer Sprache besuchen müssten.690 Weiters betonte er die Treue der serbischen Nation zur Dynastie,691 womit er vielleicht auch angesichts der Tatsache, dass der Attentäter Lib8nyi der ungarischen Nation angehörte,692 seine Argumentation stärken wollte. Außerdem verwies er darauf, dass nicht nur die Zuwanderung von Serben und Rumänen aus der Monarchie zunehme, sondern auch viele Orthodoxe aus Ländern außerhalb Österreichs nach Wien kämen.693 Er forderte daher die Errichtung von zwei Kirchen, einer für den slawischen und einer für den »romanischen« (d.i. rumänischen) Gottesdienst, die der Metropolie von Karlowitz angehören sollten.694 Es ist nicht erstaunlich, dass er auch eine eigene Kirche für die Rumänen forderte, denn sie unterstanden ebenfalls dem Patriarchat von Karlowitz und wurden zur »illyrischen Nation« gezählt.695 Mit der Forderung nach einer eigenen Kirche für sie sollte einerseits den nationalen Aufgliederungstendenzen Rechnung getragen werden, andererseits sollten die Rumänen unter dem Dach von Karlowitz gehalten werden.696 Zwischen dem Gesuch von Rajacˇic´ und der Antwort Franz Josephs lagen mehrere Jahre und die Niederlage von Solferino (1859), welche die Abkehr vom Neoabsolutismus einläutete. Im Jahr 1860 wurde die Woiwodschaft Serbien und Temes¸er Banat wieder in das Königreich Ungarn eingegliedert.697 Es steht wohl in Zusammenhang damit, dass man dem Patriarchen von Karlowitz, der dadurch an Einfluss einbüßte, im Gegenzug bei anderen kirchenpolitischen Wünschen entgegenkam. So wurde am 5. Oktober 1860 in der Wiener Zeitung ein Allerhöchstes Handschreiben des Kaisers an Rajacˇic´ veröffentlicht, in dem es um die Neuordnung der orthodoxen Kirchenhierarchie in der Habsburgermonarchie ging.698 Darin wurde unter anderem auch die Genehmigung zur Bildung einer serbischen Kirchengemeinde in Wien erteilt: »Ich habe den Auftrag gegeben, daß den in Meiner Haupt- und Residenzstadt Wien wohnenden der Gr. n. u. Kirche angehörigen Serben eröffnet werde, es sei ihnen ge689 690 691 692 693 694 695 696 697 698

Ebd., 56. Medakovic´, Serben in Wien, 76–86. Ebd., 84. Kovarik, Das Attentat Johann Lib8nyis auf Kaiser Franz Joseph, 125–130. Ebd., 83. Ebd., 85. Turczynski, Orthodoxe und Unierte, 432. Ebd., 433. Ebd., 431. Wiener Zeitung, Nr. 235 (5. Oktober 1860), 4013.

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stattet, sich zu einer Pfarrgemeinde zu vereinigen. Sobald sich ein Ausschuß dieser Gemeinde gebildet haben wird, soll ihnen bewilligt werden, im ganzen Reiche eine Sammlung freiwilliger Beiträge zur Erbauung einer Kirche sowie eines Pfarr- und Schulhauses einzuleiten, auch werde Ich geneigt sein, hiezu einen Bauplatz anweisen zu lassen, in welcher Beziehung die Gemeinde ihre Bitte zur geeigneten Verhandlung an Meinen Minister des Innern zu richten haben wird.«

In der Folge wurden die in Wien wohnenden griechisch-orthodoxen Serben mittels eines Inserates in der Wiener Zeitung699 eingeladen, sich zur Aufnahme in die künftige Gemeinde im Geschäftslokal von J. Wladislaw am Alten Fleischmarkt anzumelden. Außerdem wurden vorläufige Statuten für diese Gemeinde veröffentlicht.700 Darin wurden alle in Wien und Umgebung wohnenden griechisch-orthodoxen Serben als »natürliche Mitglieder« der neuen Pfarrgemeinde bezeichnet und das Ziel ausgegeben, eine eigene Kirche, ein Schul- und ein Pfarrhaus zu erbauen und zu erhalten, was mittels einer Geldsammlung zu finanzieren sei. Die Entscheidungen sollten von der Hauptversammlung der Mitglieder getroffen werden, während ein Ausschuss mit sieben Mitgliedern die Geschäfte der Gemeinde führen sollte. All diese Bestimmungen sollten aber erst zum Zeitpunkt der definitiven Konstituierung der Gemeinde in Kraft treten. In der Folge hatte die provisorisch konstituierte serbische Gemeinde aber große Probleme, das notwendige Geld für den Kirchenbau zu sammeln, ein Schicksal, das dem der 1879 eingeweihten Votivkirche ironischerweise nicht unähnlich war.701 So dauerte es schließlich drei Jahrzehnte, bis tatsächlich eine Kirche errichtet werden konnte. Bereits im Jahr 1862 wandte sich die serbische Gemeinde mit der Bitte um finanzielle Unterstützung zum Ankauf des Baugrundes für die Kirche an die griechische Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.702 Das Thema sollte in einer Generalversammlung behandelt werden, da, wie der Ausschussvorsitzende Zenobius C. Popp bemerkte, die »serbische Gemeinde dem Vernehmen nach weder den Bauplatz, noch die erforderlichen Geldmittel zum Bau bisher erhalten hat«.703 In der Generalversammlung vom 9./21. Dezember 1862 rief diese Angelegenheit eine »lebhafte Discussion« hervor, die Entscheidung wurde schließlich aber verschoben. Obwohl man 1863 erfuhr, dass im Wiener Gemeinderat ein Referent der Stadterweiterungskommission unter 699 Das Inserat erschien auf Serbisch und Deutsch in der Wiener Zeitung, Nr. 258 (1. November 1860), 4395 und Nr. 259 (3. November 1860), 4415. 700 AHD, G 1, Fasz. 6: Statuten, welche von der k.k. nieder-österr. Statthalterei ddo. 14. November 1860 Z. 52063 zur Constituirung der orientalisch-orthodoxen (griechisch-nichtunirten) serbischen Pfarrgemeinde in Wien genehmigt wurden. 701 Kovarik, Das Attentat Johann Lib8nyis auf Kaiser Franz Joseph, 166–173. 702 AHD, G 1, Fasz. 6: 20. Jänner 1862, Brief des Komitees der serbischen orthodoxen Gemeinde in Wien an die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien (in griechischer Sprache). 703 AHD, G 1, Fasz. 6: 30. April 1862, Brief von Zenobius C. Popp an die Mitglieder des Ausschusses der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.

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anderem auch über die »Errichtung einer serbischen National-Kirche mit Pfarre und Schule auf dem Rudolphs-Platz am Salzgries« berichtet hatte und das diesbezügliche Gutachten günstig lautete,704 wurde in der Generalversammlung vom 8./20. Dezember 1863 »definitiv beschlossen, diesen Gegenstand erst dann einem End-Resultat zuzuführen, wenn die serb. Gemeinde in einer weiteren Eingabe sich ausweisen wird, einen BauPlan acquerirt u. durch gesammelte Beträge das erforderliche erhalten zu haben, um die Kirche & Schule aufbauen zu können«.705

Da dies auch in den folgenden Jahren nicht geschah,706 leistete die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorläufig keinen finanziellen Beitrag für die Errichtung der serbischen Kirche. Nachdem sich die serbische Kirchengemeinde in Wien konstituiert hatte und daher als Vertretungsorgan der Serben orthodoxer Konfession in Wien fungierte, es aber bis in die 1890er Jahre kein Kirchen- bzw. Pfarr- und Schulhaus gab, wandte man sich in den folgenden Jahren immer wieder mit Forderungen an die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, was zu einer verstärkten Korrespondenz führte. So richtete man im Jahr 1866 ein Schreiben an die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, in dem man berichtete, dass eine provisorische Lösung angestrebt werde, da die Aktivitäten in Richtung eines Kirchenbaus nicht den erwünschten Erfolg hätten. Die Seelsorge der griechisch-orientalisch-orthodoxen Serben befinde sich zumal in den traurigsten Umständen, weil der Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit weder das Altkirchenslawische noch die serbische Volkssprache beherrsche, und man sich daher mit der deutschen Sprache behelfen müsse. Daher suchte die serbische Gemeinde bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit darum an, an einer bestimmten Anzahl von Feiertagen in der Dreifaltigkeitskirche die Liturgie in serbischer Sprache durch einen von ihnen bezahlten Priester abhalten zu lassen. Außerdem bat man um die Zuweisung eines eigenen Schullokals im Kirchengebäude.707 Diese Forderungen wurden von der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit mit Verweis auf die Bestimmungen der kaiser-

704 AHD, G 1, Fasz. 6: Notiz über eine Sitzung des Wiener Gemeinderats am 17. April 1863. 705 AHD, G 1, Fasz. 6: 8./20. Dezember 1863, Beschluss der Generalversammlung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. 706 Der vorläufig reservierte Bauplatz am Rudolfsplatz wurde daher anderweitig vergeben. Medakovic´, Serben in Wien, 87. Vermutlich war es der vorgesehene Platz, der 1873 zum Bau einer Markthalle verbilligt an die Gemeinde Wien vergeben wurde. Franz Baltzarek, Alfred Hoffmann, Hannes Stekl, Wirtschaft und Gesellschaft der Wiener Stadterweiterung. Wiesbaden 1975, 354 und 363. 707 AHD, G 8, Fasz. 24: 8./20. Oktober 1866, Brief des Ausschusses der serbischen Pfarrgemeinde an die griechisch-orientalisch-orthodoxe Pfarrgemeinde zu Wien.

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lichen Privilegien in Bezug auf die Serben (kein Vollzug von pfarrherrlichen Actus) entschieden abgelehnt.708 Wenige Jahre später fand ein Briefwechsel zwischen den beiden Gemeinden statt, in dem es um die Armenversorgung ging. Die serbische Gemeinde beklagte, dass Bittsteller serbischer Nationalität von der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit abgewiesen und an ihre Gemeinde verwiesen worden seien, obwohl ihre finanzielle Situation sehr schlecht sei – man hatte erst 18.000 fl. für den Kirchenbau gesammelt –, während die griechischen Gemeinden bekannterweise auf die Stiftungen zahlreicher Wohltäter zurückgreifen könnten.709 Die Antwort der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit lautete, dass die Bittsteller keineswegs aufgrund ihrer Nationalität abgewiesen worden seien, sondern dasselbe auch schon mit griechischen Armen passiert sei, da der Armenfonds der Gemeinde seit mehreren Jahren ein Defizit aufweise.710 Schließlich kam es im Jahr 1873 zu einem Briefwechsel bezüglich des vom Pfarrer der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit abgehaltenen orthodoxen Religionsunterrichtes. Die serbische Gemeinde beklagte zum einen, dass ihre Kinder gezwungen seien, den Religionsunterricht bei der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit in »deutscher, also nichtsynodaler Sprache« zu besuchen, und bat darum, zumindest diejenigen Kinder, die den Religionsunterricht woanders erhielten, im Beisein des Pfarrers von anderen Personen in serbischer Sprache prüfen zu lassen.711 Das wurde von der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit als unmöglich abgelehnt, da der Pfarrer nicht serbisch spreche.712 Zum zweiten bemängelten die Serben, dass der Pfarrer eine Bezahlung für den Religionsunterricht verlangte, und wiesen auf die oftmals prekäre finanzielle Lage ihrer Mitglieder 708 AHD, G 8, Fasz. 24: 24. November 1866, Entwurf eines Briefes der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Ausschuss der serbischen Pfarrgemeinde in Wien. 709 AHD, G 8, Fasz. 24: 18./30. November 1871, Brief des Vorstands der serbischen Kirchengemeinde an die Vorstehung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde (österreichische Untertanen). 710 Der Originalbrief des damaligen Vorstands der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Demeter Theodor Tirka vom 12. Jänner 1872, der sich im Archiv der serbischen Gemeinde zum Hl. Sava befindet, wurde veröffentlicht von: Mihailo Popovic´, Demeter Theodor Tirka und die serbische Kirchengemeinde in Wien in den Jahren 1872/73. In: Biblos 51 (2002), 149–159, hier 152–155. Siehe außerdem: AHD, G 8, Fasz. 24: 3. Jänner 1872, Entwurf eines Briefes der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an die serbische Gemeinde. 711 AHD, G 8, Fasz. 24: 2. Dezember 1873, Brief des Komitees der hiesigen griechisch-orientalischen serbischen Kirchengemeinde an die Vorstehung der hiesigen griechisch-orientalischen Kultusgemeinde griechischer Nationalität. 712 Der Originalbrief von Demeter Theodor Tirka vom 31. Dezember 1873, der sich im Archiv der serbischen Gemeinde zum Hl. Sava befindet, wurde veröffentlicht von Popovic´, Demeter Theodor Tirka, 155–158. Siehe außerdem: AHD, G 8, Fasz. 24: 31. Dezember 1873, Entwurf eines Briefes des Vorstands der griechisch-orientalischen Gemeinde zur hl. Dreifaltigkeit an die Vorstehung der griechisch-orientalischen serbischen Kirchengemeinde hier.

Die Gründung der serbischen Kirchengemeinde in Wien

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hin.713 Daraufhin bot die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ihnen den kostenlosen Besuch des Religionsunterrichts zu einem bestimmten Termin jede Woche an714 und war auch bereit diesen Termin auf den Nachmittag zu verschieben,715 da die serbischen Schüler sonst dem Regelunterricht in ihren Schulen hätten fernbleiben müssen.716 Diese Beispiele zeigen, dass es zwar zu Interessenskonflikten zwischen der neugegründeten serbischen Gemeinde und der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit kam, man aber grundsätzlich in gutem Einvernehmen miteinander stand und die jeweils andere Gemeinde als »Schwestergemeinde« wahrnahm. In Punkten, die eine Veränderung der sprachlichen und ethnischen Struktur der Dreifaltigkeitsgemeinde durch die Serben ermöglichen hätten können (Abhaltung der Liturgie und des Schulunterrichts in serbischer Sprache), grenzte sich die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit mit Verweis auf ihre Privilegien deutlich ab, pflegte aber sonst eine freundschaftliche Beziehung zur serbischen Gemeinde. Da deren vordringliches Ziel die Errichtung einer eigenen Kirche war, wurde sie trotz der Tatsache, dass sie inzwischen eine höhere Mitgliederzahl als die beiden griechischen Gemeinden hatte, von der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nicht als Bedrohung empfunden. Mit der Gemeinde zum Hl. Georg, die nur für die osmanischen Untertanen zuständig war, ergaben sich für die serbische Gemeinde mit ihren vorwiegend österreichischen Mitgliedern zunächst keine Berührungspunkte. Diese Beziehungen begannen erst mit der tatsächlichen Errichtung der serbischen Gemeinde im Jahr 1893. Schließlich ist festzustellen, dass die Errichtung einer dritten orthodoxen Kirchengemeinde, die sich nach ethnischen bzw. »nationalen« Kriterien von den beiden bereits bestehenden Gemeinden abgrenzte, auch Ausdruck der Entwicklungen am Balkan ist, wo die orthodoxe kollektive Identität717 erodierte und sich nationalistische Konzepte ausbreiteten.718 Dies sollte sich später besonders 713 AHD, G 8, Fasz. 24: 2. Dezember 1873, Brief des Komitees der hiesigen griechisch-orientalischen serbischen Kirchengemeinde an die Vorstehung der hiesigen griechisch-orientalischen Kultusgemeinde griechischer Nationalität. 714 AHD, G 8, Fasz. 24: 31. Dezember 1873, Entwurf eines Briefes des Vorstands der griechischorientalischen Gemeinde zur hl. Dreifaltigkeit an die Vorstehung der griechisch-orientalischen serbischen Kirchengemeinde hier. 715 AHD, G 8, Fasz. 24: 11. Februar 1874, Entwurf eines Briefs des Vorstandstellvertreters der griechisch-orientalischen Gemeinde zur h. Dreifaltigkeit P.G. Zechany an die Vorstehung der griechisch-orientalischen serbischen Kirchen- und Schulgemeinde hier. 716 AHD, G 8, Fasz. 24: 7./19. Jänner 1874, Brief des Vorstands der griechisch-orientalischen serbischen Kirchen- und Schulgemeinde an die Vorstehung der griechisch-orientalischen Kirchen- und Schulgemeinde zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien. 717 Kitromilides, Orthodox culture and collective identity. 718 Kitromilides, »Imagined communities« and the origins of the National Question in the Balkans, 180–181.

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in den Auseinandersetzungen um eine rumänische Kirchengemeinde in Wien manifestieren.

3.3. Der Mitgliederschwund und die Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1861 3.3.1. Die Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1861 Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit verabschiedete im Jahr 1861 eine Geschäftsordnung, welche die Art der Administration der Gemeindeagenden verbindlich regeln sollte. In den vorhergehenden Jahrzehnten war die Verwaltung offenbar nach einer Art Gewohnheitsrecht, das auf dem Statutentext von 1805 beruhte, im Laufe der Zeit allerdings auch immer wieder veränderten Bedürfnissen angepasst worden war, organisiert worden. So herrschte zum Teil Unklarheit über die Gültigkeit gewisser Bestimmungen. Aufgrund der veränderten Voraussetzungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die eine Weiterführung der bisherigen Vorgangsweise unmöglich machten, wurde die Erstellung neuer Statuten notwendig. Ausschlaggebend hierfür war aber nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, die provisorische Konstituierung der serbischen Gemeinde. Vielmehr war es der starke Rückgang der Mitgliederzahl, der eine neue Geschäftsordnung notwendig machte. Aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Bedingungen sank die Zahl der griechischen Händler in Wien ab den 1850er Jahren.719 Für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bedeutete das, dass einerseits keine neuen Mitglieder mehr hinzukamen und andererseits die Zahl der Mitglieder aufgrund von Konversionen, die der zunehmenden Integration in die österreichische Gesellschaft geschuldet waren, weiter abnahm. Für die Erstellung der neuen Geschäftsordnung wurde der Aktuar und stellvertretende Gemeindesekretär Theodor Duchateau im Jahr 1859 angewiesen, die Protokolle der Ausschuss- und Generalversammlungen der Gemeinde seit ihrer Gründung zu exzerpieren, damit auf Basis dieser Zusammenstellung eine »den dermaligen Zeitverhältnissen Rechnung tragende« Geschäftsordnung erstellt werden könne, welche die Organisationsweise der Gemeinde klar definierte.720 Innerhalb der Gemeinde war das Interesse an der neuen Geschäftsordnung im Vorfeld gering. Das im Sitzungssaal aufliegende Einsichtsexemplar wurde vor der Generalversammlung, in der die Geschäftsordnung beschlossen werden 719 Siehe hier S. 267–269. 720 AHD, G 3, Fasz. 2: 31. Mai 1860, Brief von Theodor Duchateau.

Mitgliederschwund und Geschäftsordnung von 1861

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sollte, von keinem Gemeindemitglied außer Theodor Dumba eingesehen.721 Der von Theodor Georg von Karajan verfasste Entwurf,722 der vom Lehrer der Nationalschule Michael Oikonomides ins Griechische übersetzt worden war,723 wurde daher bei dieser Generalversammlung am 20. Jänner 1861,724 zu der nur wenige der vierzig eingeladenen Mitglieder erschienen waren, ohne Änderungen beschlossen.725 Diese Geschäftsordnung726 wurde in zweisprachiger Fassung (Griechisch und Deutsch) bei der k.k. Hof- und Staatsdruckerei in Druck gelegt.727 Interessanterweise weichen die Bezeichnungen der Gemeinde im Titel dabei voneinander ab. In der griechischen Version ist, wie auch in früheren Privilegien- und Statutentexten, von der »Griechisch-Wallachischen« Gemeinde der k.k. Untertanen (Ekkgmobkawij^ Joim|tgr tym J.B. upgj|ym) die Rede, während es auf Deutsch »Gemeinde k.k. Unterthanen griechisch nicht unirten Glaubensbekenntnisses« heißt. So enthält die griechische Bezeichnung nur die doppelte ethnische Charakterisierung der Gemeinde, während in der deutschen lediglich das Religionsbekenntnis enthalten ist. Meines Erachtens stand dahinter zu diesem Zeitpunkt noch keine besondere Absicht, allerdings wurde in beiden Sprachen die Eigenschaft der Gemeinde als Gemeinde der k.k. Untertanen betont. Die Frage, zu welcher der beiden griechischen Gemeinden Orthodoxe, die weder osmanische noch österreichische Staatsbürger waren, gehörten, stellte man sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht – sie sollte aber wenige Jahre später bedeutsam

721 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Buchstabe S, Sitzungen: Generalversammlung vom 20. Jänner 1861. 722 AHD, G 3, Fasz. 2; enthält mehrere Entwürfe zu dieser Geschäftsordnung. 723 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Buchstabe S, Sitzungen: 2. Dezember 1860. 724 Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 59; gibt fälschlicherweise an, sie sei 1881 genehmigt worden. Es handelt sich wohl um einen Druckfehler. 725 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Buchstabe S, Sitzungen: Generalversammlung vom 20. Jänner 1861. 726 Plöchl, Der Kanonismus der griechisch-orthodoxen Dreifaltigkeitskirche; befasst sich mit dieser Geschäftsordnung, behandelt allerdings nur die kirchenrechtlichen Aspekte. Die von ihm besonders hervorgehobenen Punkte (Eigenständigkeit der Gemeinde, Unterstellung des Pfarrers unter den Ausschuss, Pflicht zur finanziellen Erhaltung der Kirche) sind aber keine genuinen Spezifika der Geschäftsordnung von 1861, sondern charakterisieren die Gemeinde bereits seit ihrer Gründung. 727 Jamomisl|r tym eqcasi~m dia tgm ]jjkgtom tgr Ekkgmobkawij^r tym J.B. upgj|ym Jom|tgtor tgr Ac. Tqi\dor sumteheil]mor ej tym ap| tou ]tour 1786 em toir aqwe_oir tgr Joim|tgtor ecjatateheil]mym apov\seym. Epijejuqyl]mor em tg cemij^ sumeke}sei tgm 8/ 20. Iamouaq_ou 1861. Geschäftsordnung für den Ausschuss der Gemeinde k.k. Unterthanen griechisch nicht unirten Glaubensbekenntnisses zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien, zusammengestellt aus den in den Acten der Gemeinde seit dem Jahre 1786 niedergelegten Beschlüssen derselben. Genehmigt in der Generalversammlung der Gemeinde am 8/ 20. Jänner 1861. Wien 1861. Siehe Editionsteil Nr. 28.

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werden, als Menschen aus den neuen Staaten des Balkans nach Wien einwanderten. Die Geschäftsordnung besteht aus 182 Paragraphen, in denen die Aufgaben der Gemeinde und deren Durchführung ausführlich beschrieben werden. Wie aus dem Titel der Geschäftsordnung hervorgeht, handelte es sich im Wesentlichen um eine Zusammenstellung älterer Bestimmungen, die an verschiedenen Stellen (Privilegien728, Gemeindeprotokolle) schriftlich niedergelegt worden waren. Der erste Paragraph enthält die programmatische Feststellung, dass die Gemeinde in Hinblick auf die »Ordnung ihrer äußeren und inneren Angelegenheiten eine vollkommen selbständige« sei und ihre Entscheidungen entweder selbst oder durch den mittels Stimmenmehrheit aus ihrer Mitte gewählten Ausschuss treffe. Die folgenden Paragraphen (§§ 2–54) betreffen die Verwaltung der Gemeinde durch die Generalversammlung und den von ihr gewählten Ausschuss (]jjkgtor). In der einmal jährlich zu Weihnachten stattfindenden Generalversammlung sollten folgende Punkte abgehandelt werden: der Generalbericht des Ausschusses über seine Tätigkeit im vergangenen Jahr, ein Vortrag der Rechnungsrevisoren und die Ernennung neuer Rechnungsrevisoren für das kommende Jahr, die Erteilung des Absolutoriums an den Ausschuss über den Rechenschaftsbericht und die Wahl oder Wiederwahl des Ausschusses. Der Ausschuss sollte aus zwölf Mitgliedern bestehen, darunter sechs Gemeindevorsteher (die sogenannte Exas), drei Kirchenvorsteher (Epitropen) und drei Schulvorsteher (Ephoren). Da die Gemeinde »in neuester Zeit an Mitgliedern deutlich abgenommen« habe,729 wurde eine Ämterkumulierung ermöglicht. Als Reaktionen auf die sinkende Mitgliederzahl sind auch die Bestimmungen zu werten, nach denen die Generalversammlung beschlussfähig sei, wenn zusätzlich zum Ausschuss weitere zehn Mitglieder anwesend seien,730 und der Ausschuss bei Anwesenheit von mindestens sechs seiner Mitglieder beschlussfähig sei.731 Besonderes Augenmerk wurde auf die korrekte Administration aller Finanzen gelegt. Abgesehen vom »nicht unbedeutenden Vermögen der Gemeinde«732, waren im Laufe der Jahre zahlreiche Stiftungen errichtet worden, die von der

728 So zum Beispiel die Paragraphen, die besagen, dass keine Schulden auf das Kirchenhaus gemacht werden dürften (§ 24) oder, dass der Priester an den Patriarchen von Karlowitz gemeldet werden musste (§ 144–146). 729 Jamomisl|r tym eqcasi~m 1861, 4–5, § 14. 730 Ebd., 4–5, § 17. 731 Ebd., 8–9, § 53. 732 Ebd., 4–5, § 20.

Mitgliederschwund und Geschäftsordnung von 1861

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Gemeinde verwaltet wurden.733 Das betraf – abgesehen von jenen Stiftungen, die der Gemeinde, Kirche oder Schule selbst zugutekamen – auch Stiftungen für andere Empfänger im In- und Ausland, die von der Gemeinde administriert wurden. Außerdem verwaltete die Gemeinde die Einkünfte aus mehreren »Stiftungshäusern«. Dabei handelte es sich um ein Haus auf der Biberbastei, das Demeter Theocharides (1750–1836)734 für die Armen der Gemeinde gestiftet hatte, ein von Konstantin Panadi (Jymstamt_mor Pam\dgr) (1777–1852)735 für Blinde gestiftetes Haus in der Stadt Nr. 716,736 sowie zwei Häuser, deren Einkünfte von Kyriak Polyzou († 1811) (Untere Bäckerstraße) und Anna Alexander (6mma Aken\mdqou, 1780–1844)737 (Praterstraße) der Griechischen Nationalschule gewidmet worden waren.738 Zinshäuser waren im Wien des 19. Jahrhunderts ein ertragreiches und krisensicheres Geschäft, das durch die Mietzinseinnahmen dauerhaften Gewinn garantierte. Die Verwaltung dieser Häuser sollten laut Geschäftsordnung eigens bestellte Häuser-Administratoren übernehmen.739 Das Faktum, dass die umfangreiche Verwaltung aller Finanzen zeitaufwendig war und eine diesbezügliche Sachkenntnis erforderte, erklärt die Bedeutsamkeit der Position des Gemeinde-Sekretärs (§§ 55–64), wie sie aus der Geschäftsordnung hervorgeht. Er war für die Erledigung der laufenden Geschäfte, die Protokollführung und das Archiv, sowie für die Beratung des Pfarrers bei der Ausstellung pfarrämtlicher Urkunden zuständig. Da für diese Tätigkeit vor allem eine gute Kenntnis der Vorgaben der österreichischen Behörden wichtig war, wurde damals Theodor Duchateau, der zuvor bei der Österreichischen Nationalbank tätig gewesen und den Gemeindemitgliedern Georg Sina (Ce~qcior S_mar) und Zenobius C. Popp von dort bekannt war, eingestellt. Auch früher war bereits einmal ein Nicht-Grieche (Iy\mmgr K|bicceq740 im Jahr 1814) als Sekretär angestellt worden.741 Die Protokolle sollten aber in griechischer Sprache geführt 733 Soursos, Ransmayr, Akteure im Dazwischen. Soursos, Die Stiftungsbetten der Wiener Griechen. Dies., Financial management of donations, foundations and endowments. 734 AHD, Matrikenbuch 1790–1857, 190: Sterbeeintrag vom 17. Jänner 1836. 735 So die Angabe auf seinem Grab am St. Marxer Friedhof. Havlik, Der Sankt Marxer Friedhof, 95. Davon abweichend war Panadi laut AHD, Matrikenbuch 1790–1857, 218: Sterbeeintrag vom 5. August 1852; bei seinem Tod schon 78 Jahre alt. 736 Dazu siehe jetzt Stassinopoulou, Endowments as an instrument of integration. 737 AHD, Matrikenbuch 1790–1857, 205: Sterbeeintrag vom 17. September 1844. 738 Stefano Saracino wies mich weiters auf ein von Johann Ziuka (Iy\mmgr Tfo}jar) (1760– 1815) laut Testament von 1815 gestiftetes Haus auf der Schottenbastei hin. AHD, Matrikenbuch 1790–1857, 179: Sterbeeintrag vom 25. Mai 1815. Dazu AHD, G 4, Fasz. 5. Im Archiv gibt es aber keine Akten, die eine Verwaltung des Hauses durch die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit belegen. 739 Jamomisl|r tym eqcasi~m 1861, 6–7, § 25–29. 740 Wahrscheinlich Johann Löwinger. 741 AHD, G 6, Fasz. 9: Index Sitzungs- und Generalversammlungsprotokolle (1786–1848).

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werden und dann zum Zwecke der Verhandlungen mit k.k. Behörden in deutscher Übersetzung dem Archiv einverleibt werden.742 Einen großen Teil der Geschäftsordnung umfassen die Bestimmungen bezüglich der Administration der Griechischen Nationalschule (§§ 65–111). Da die Schule dem österreichischen Schulsystem unterlag, war dabei besonders auf die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen Rücksicht zu nehmen. Die diesbezüglichen Punkte der Geschäftsordnung gehen teils auf das k.k. Hofdekret für die Griechische Nationalschule von 1804 zurück, teils sind sie rezenteren bildungspolitischen Entwicklungen geschuldet. So steht § 101, der besagt, dass an der Schule vorläufig nur Kinder der griechisch nicht unierten und der israelitischen Religion743 aufgenommen werden dürften, wohl im Zusammenhang mit dem Konkordat von 1855. Zur Aufgabe der Schulvorsteher (Ephoren) gehörte auch die Verwaltung jener der Schule gestifteten Häuser in Analogie zu den Häuser-Administratoren. Dies ist darin begründet, dass die Häuser der Schule selbst und nicht der Gemeinde für Schulzwecke vermacht worden waren. Die Schule wurde insofern als eigenständige Institution behandelt. So hatte sie aus ihrem Fonds Mietzins für die Benutzung der Räumlichkeiten im Kirchengebäude an den Kirchenfonds zu bezahlen.744 Wie bereits dargestellt, war die Vermischung der Gemeinde- mit den Schulangelegenheiten der Hauptgrund für die Streitigkeiten um die Statuten der Gemeinde zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewesen.745 Dennoch gab es keine deutliche Trennung, was auch die Tatsache zeigt, dass die Angelegenheiten der Schule in der Geschäftsordnung der Gemeinde geregelt wurden. Dies sollte beim späteren Verkauf des Schulfondshauses von Kyriak Polyzou Anfang des 20. Jahrhunderts zu juristischen Unklarheiten führen. Die weiteren Paragraphen der Geschäftsordnung behandeln die Aufgaben der Kirchenvorsteher (§§ 112–141) und der Gemeindebediensteten, nämlich der Geistlichen (§§ 142–167), der Kirchensänger (§§ 168–172), der Kirchendiener (§§ 173–180) und des Totengräbers zu St. Marx (§§ 181–182). Der Ausschuss war für die Aufnahme und Entlassung dieser im Dienste der Gemeinde ste742 Jamomisl|r tym eqcasi~m 1861, 8–9, § 52. 743 Nachdem die k.k. Schuloberaufsicht 1853 darauf hingewiesen hatte, dass entsprechend dem Silvesterpatent von 1851 keine Schüler anderer Konfessionen als der griechisch nicht unierten die Griechische Nationalschule besuchen dürften, hatte man im Jahr 1860 erwirkt, dass auch jüdische Kinder die Schule regulär besuchen durften. Anlass war der Schulbesuch von drei jüdischen Knaben »griechischer Nation« aus Makedonien. AHD, S 1, Fasz. 1, 14. Mai 1853: Brief der k.k. Oberaufsicht der griechischen Nationalschule in Wien an die Vorsteher der griechischen Nationalschule zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. AHD, S 5, Fasz. 4, 27. Oktober 1860: Brief der k.k. Oberaufsicht der griechischen Nationalschule an die Ephoren der griechischen Nationalschule in Wien. 744 Jamomisl|r tym eqcasi~m 1861, 10–11, § 68. 745 Siehe hier S. 122–152.

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henden Angestellten zuständig. Hingewiesen sei besonders auf die der Gemeinde untergeordnete Stellung des Pfarrers: So musste der Pfarrer, wenn er eine Predigt halten wollte, diese vorher dem Ausschuss zur Genehmigung vorlegen.746 Mehrere Bestimmungen beziehen sich auf die Tatsache, dass die Priester aus dem Osmanischen Reich berufen wurden und es ihnen daher gerade zu Beginn häufig an Sprach- und Ortskenntnis mangelte. Der Pfarrer sollte in seiner Funktion als Katechet an der Griechischen Nationalschule auch auf Deutsch unterrichten und musste, solange er diese Sprache noch nicht ausreichend beherrschte, von einem anderen Lehrer der Nationalschule unterstützt werden.747 Bei der Ausstellung der pfarrämtlichen Urkunden sollte der Pfarrer »zur Vermeidung nachtheiliger oder unliebsamer Folgen«748 immer den Gemeinde-Sekretär konsultieren. Dieser hatte ihn auch bei der jährlich dem Magistrat zu übermittelnden Übersichtstabelle über die Matriken zu unterstützen.749 Auffällig ist, dass in der Geschäftsordnung von 1861 jegliche Definition der Gemeinde an sich sowie Aussagen über die Gemeindemitgliedschaft und deren Erwerb fehlen. Der gesamte Text behandelt ausschließlich praktisch-technische Fragen der Verwaltung und enthält keine Aussagen, die Rückschlüsse auf die Frage nach dem Selbstverständnis der Gemeinde in religiöser, sozialer und ethnischer Sicht zulassen. Daher kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Text um eine Reaktion auf die provisorische Konstituierung der serbischen Gemeinde im Jahr 1860 handelte. Diese Geschäftsordnung wurde der k.k. niederösterreichischen Statthalterei vorgelegt, aber nicht von ihr genehmigt. Die Statthalterei schickte lediglich ein am 14. Oktober 1861 vorgelegtes Exemplar nach einem Jahr ohne irgendeine Bemerkung zurück, worauf der Gemeindevorsitzende Zenobius C. Popp beantragte, die Geschäftsordnung erneut vorzulegen,750 was vom Ausschuss mit der Begründung, es handle sich um innere Angelegenheiten der Gemeinde, abgelehnt wurde.751 Stattdessen wurde beschlossen, der Statthalterei nur die Existenz einer Geschäftsordnung anzuzeigen. Die fehlende Verschriftlichung grundsätzlicher Bestimmungen zur Definiti-

746 Jamomisl|r tym eqcasi~m 1861, 20–21, § 157. Plöchl bringt diesen Passus mit Spannungen mit Serben und Rumänen in Verbindung, liefert aber keine Quellen dafür. Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 61. 747 Jamomisl|r tym eqcasi~m 1861, 14–15, § 100. 748 Ebd., 10–11, § 62 und 22–23, § 161. 749 Ebd., 22–23, § 163. 750 AHD, G 8, Fasz. 11: Protokoll der Ausschussitzung am 25. November 1864. 751 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Buchstabe S, Sitzungen: 25. November 1864.

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on der Gemeinde und ihrer Mitgliedschaft in dieser Geschäftsordnung sollte sich schon kurze Zeit später als problematisch erweisen.

3.3.2. Implikationen des Mitgliederschwunds auf die Definition der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Nach der Verabschiedung der neuen Geschäftsordnung, die bereits mit mehreren Maßnahmen (Ämterkumulation, Herabsetzen der Mindestanzahl von Anwesenden für die Beschlussfähigkeit der Gremien) auf den Rückgang der Mitgliederzahl reagiert hatte, stellte sich heraus, dass die Durchführung der Verwaltung weiterhin Probleme bereitete. So war zu konstatieren, »daß die Gemeinde in neuester Zeit an Mitgliedern bedeutend abgenommen hat, theils durch Veränderung ihres Domicils, mehr aber durch Sterbfälle, endlich daß die Einladungs-Schreiben zur Generalversammlung größtentheils unberücksichtigt bleiben«752. Der mangelnden Beteiligung der Mitglieder sollte durch die Erstellung eines aktuellen Verzeichnisses aller Mitglieder Abhilfe verschafft werden. Dieses Verzeichnis sollte die Einberufung der stimmfähigen Gemeindemitglieder zu den Wahlen für Gemeindefunktionen erleichtern, aber auch dazu dienen, im Falle der wohltätigen Aufgaben der Gemeinde (Unterstützung von Armen, etc.) die Berechtigten von den Unberechtigten unterscheiden zu können.753 Schon im Zuge der Vorarbeiten für die neue Geschäftsordnung hatte der Aktuar Theodor Duchateau 1859 versucht ein solches Verzeichnis754 zu kompilieren, war dabei aber auf Schwierigkeiten gestoßen, da viele Mitglieder verstorben waren, ohne, dass es der Gemeinde gemeldet worden war. Daher schlug der Gemeindevorsitzende Theodor von Karajan in der Sitzung am 6. April 1862 vor, einen Aufruf an potentielle Mitglieder ins Griechische übersetzen, vom Pfarrer von der Kanzel vorlesen und an der Kirchentür affichieren zu lassen.755 Im Zuge der Aufforderung an die potentiellen neuen Mitglieder, sich im Verzeichnis der Gemeinde eintragen zu lassen, wurde auch die Gemeindemitgliedschaft definiert. Die Aufnahme als Mitglied sollte an folgende vier Bedingungen gebunden sein: »a) an das Bekenntniss zur gr. n. u. Religion; b) an die erlangte Großjährigkeit; 752 AHD, G 6, Fasz. 28, N 207, 1862: Bekanntmachung. 753 AHD, G 6, Fasz. 28, 6. April 1862: Aufforderung. 754 AHD, G 6, Fasz. 28, Buch: »Alphabetisches Nahmens-Verzeichnis der Mitglieder der griech. orientalischen Gemeinde, k.k. österr. Unterthanen«, verfaßt durch den Actuar im Jänner 1859 und ergänzt durch ihn, im Oktober 1862. 755 AHD, G 6, Fasz. 28, 6. April 1862: Aufforderung, sowie Pq|sjkgsir (griech. Übersetzung).

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c) an die erlangte Selbständigkeit in bürgerlicher Hinsicht, endlich d) an die hierortige [d. h. in Wien] Ansässigkeit«756

Es ist auffällig, dass weder ein ethnisches Kriterium, noch das Kriterium der Eigenschaft eines k.k. Untertanen enthalten sind. Das Selbstverständnis, eine Gemeinde der balkanorthodoxen Kaufleute mit Griechisch als Verkehrs- und Bildungssprache zu sein, scheint die Erwähnung dieser Kriterien überflüssig gemacht zu haben. Dass die Zusammensetzung der orthodoxen Bevölkerung Wiens zu dieser Zeit stark im Wandel begriffen war, wofür auch die Initiative zur Gründung der serbischen Gemeinde ein Zeichen ist, fand in dieser Bestimmung keinen Ausdruck. Auch das Faktum, dass diese Kriterien keine klare Abgrenzung zu den anderen orthodoxen Gemeinden, der Gemeinde zum Hl. Georg und der zumindest auf dem Papier existierenden serbischen Gemeinde, schafften, und man diesen daher möglicherweise Mitglieder abwerben konnte,757 erachteten die Gemeindevorsteher anscheinend noch nicht als konfliktträchtig. Diese potentiell problematische Definition der Gemeindemitgliedschaft erhielt aber insofern keine Relevanz, als das Bemühen um neue Mitglieder ergebnislos blieb. So musste, als das Thema vier Jahre später erneut auf die Tagesordnung kam, festgestellt werden: »Niemand von den hier domicilirenden Griechen hat sich seit den 3 Jahren gemeldet!!!«758 Als weitere Maßnahme schlug Gemeindesekretär Duchateau – inspiriert von einer Annonce in der Zeitung Die Glocke,759 in der alle in Wien domizilierenden türkischen Untertanen aufgefordert wurden, sich beim osmanischen Generalkonsulat in ein Matrikelprotokoll eintragen zu lassen – vor, ein Inserat in einer Zeitung zu schalten, wodurch es den Gemeindevorstehern vielleicht gelingen könnte »ihre Glaubensgenossen, welche in Wien domiciliren, kennen zu lernen«760. Außerdem forderte die Gemeinde für 20 Gulden vom Direktor des Statistischen Büros ein aus den Daten der Volkszählung von 1864 erstelltes Namensverzeichnis der Personen griechisch-orientalischer Religion, die in Wien wohnhaft waren, an.761 Doch auch dieses Buch, das die Namen von 1.075 Personen geordnet nach den Wohnbezirken enthielt, erwies sich als ungeeignet, um den angestrebten Zweck zu erreichen, da die meisten verzeichneten Personen slawischer Herkunft waren.762 So wurden die Gemeindevorsteher erst langsam auf den Wandel der Voraussetzungen für die Gemeindeverwaltung in der zweiten Hälfte des 19. Jahr756 757 758 759 760 761

AHD, G 6, Fasz. 28, 6. April 1862: Aufforderung. Vgl. den Fall von Milosius Illitsch hier S. 352. AHD, G 6, Fasz. 28, N 207, 27. März 1866. AHD, G 6, Fasz. 28, Zeitungsausschnitt aus Die Glocke, Nr. 313 vom 13. November 1865. AHD, G 6, Fasz. 28, N 207, 27. März 1866. AHD, G 108, Buch: Übersicht jener Individuen, welche auf Grundlage der Volkszählung im Jahre 1864 zur griechisch-orientalischen Religion gehören. 762 Dies lässt sich zumindest nach einer Durchsicht des Buches aus den Namen ableiten.

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hunderts aufmerksam. Im Jahr 1865 wurde erstmals die Frage diskutiert, ob auch Untertanen des Königreichs Griechenland Mitglieder der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sein könnten. Anlässlich der Frage, ob Anastas Oeconomo, der weder osmanischer noch österreichischer Untertan war, zur Gemeinde zum Hl. Georg gehöre, trat die diesbezügliche rechtliche Unsicherheit zutage. So äußerte, Theodor von Karajan, dass es ihm nicht »hinreichend bekannt [sei], ob eine Reciprocitaet zwischen Oesterreich und dem Königreich Griechenland durch Abschluss von Traktaten bestünde oder nicht?«.763 Der Ausschuss beschloss, dies frühestmöglich in Erfahrung zu bringen, »da einhellig die Nothwendigkeit erkannt wurde, die Mitglieder der Gemeinde zu vermehren jedoch solche von fremden Nationalitaeten etwa Serben etc etc zu bewahren, die gar zu leicht ein Numerisches Übergewicht über die wenigen wirklichen Griechen von Geburt – Sprache – erhalten könnten.«764

In dem oben erwähnten Verzeichnis aller in Wien wohnhaften Orthodoxen aus der Volkszählung von 1864 wurden immerhin bereits 47 Personen genannt, die nach Griechenland zuständig waren.765 Es ist jedoch bezeichnend für die Zusammensetzung der Wiener griechischen Gemeinden, dass dieses Problem erst jetzt – über drei Jahrzehnte nach Gründung des griechischen Staates – erstmals auftauchte. Die hauptsächlichen Herkunftsregionen der Wiener Griechen (Makedonien, Epirus, Thessalien) waren zu diesem Zeitpunkt noch immer Teil des Osmanischen Reiches, daher war die Frage, was mit Untertanen des Königreichs Griechenland zu geschehen habe, anscheinend lange Zeit nicht dringlich gewesen. Auch war man sich der rechtlichen Implikationen der Frage nicht ausreichend bewusst. Die Reziprozität zwischen Griechenland und der Habsburgermonarchie wäre in dieser Hinsicht irrelevant, da ja die kaiserlichen Privilegien, deren Gültigkeit sich beide Gemeinden immer wieder versicherten, die Gemeinden ausdrücklich als Gemeinden der osmanischen bzw. der k.k. Untertanen definierten. Insofern konnten Bürger anderer Staaten zwar die seelsorgerischen Dienstleistungen der Gemeinden in Anspruch nehmen, aber keine Mitglieder werden. Abgesehen von dieser Frage, die sich noch zu einem wichtigen Streitpunkt zwischen den beiden griechischen Gemeinden entwickeln sollte, zeigt obiges Zitat auch, dass man sich nun erstmals einer gewissen existenziellen Bedrohung 763 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Buchstabe S, Sitzungen: Ausschusssitzung am 2. März 1865. 764 Ebd. 765 Insgesamt wurden 1.075 Personen aufgelistet. Davon waren 699 in die Länder der Habsburgermonarchie zuständig und 269 in die »Türkei und Fürstenthümer, sowie Serbien«. AHD, G 108, Buch: Übersicht jener Individuen, welche auf Grundlage der Volkszählung im Jahre 1864 zur griechisch-orientalischen Religion gehören.

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der Gemeinde in ihrer traditionellen Form bewusst wurde. Tatsächlich musste das Unternehmen, die Gemeindemitglieder zu vermehren, gleichzeitig aber andere Ethnien (»Nationalitäten«) auszuschließen, angesichts der demographischen Entwicklung in Wien zum Scheitern verurteilt sein.

3.4. Die Neuabgrenzung der orthodoxen Kirchengemeinden Wiens nach ethnischen bzw. nationalstaatlichen Kriterien Die Frage nach der Definition von Gemeindemitgliedschaft und Gemeindezugehörigkeit wurde in den folgenden Jahren aufgrund der geopolitischen Entwicklungen in Südosteuropa immer aktueller. Das 1865 erstmals schriftlich dokumentierte Problem der Gemeindezugehörigkeit von Untertanen anderer Staaten als des Osmanischen Reiches und der Habsburgermonarchie wurde nach dem Berliner Kongress (1878) virulent. Ergebnisse des Berliner Kongresses waren die Anerkennung der Souveränität von Serbien und Rumänien, die Schaffung eines bulgarischen Staates766 sowie die Angliederung von Thessalien an Griechenland (1881).767 Das europäische Territorium des Osmanischen Reiches wurde dadurch empfindlich verkleinert. Außerdem war mit Thessalien erstmals eine der traditionellen Hauptherkunftsregionen der Wiener Griechen nicht mehr Teil des Osmanischen Reiches. Somit stellte sich die Frage nach der Abgrenzung der griechisch-orthodoxen Pfarrgemeinden in Wien, die bisher nur die Kriterien der osmanischen bzw. der k.k. Untertanenschaft gekannt hatten, neu. Diese ungeklärte Frage wurde im Rahmen der endgültigen Konstituierung der serbischen Gemeinde zum Hl. Sava behandelt.

3.4.1. Der Bau der Kirche zum Hl. Sava und die endgültige Errichtung der serbischen Kirchengemeinde in Wien Nachdem seit ihrer formellen Konstituierung im Jahr 1860 beinahe drei Jahrzehnte vergangen waren, hatte die serbische Kirchengemeinde im Jahr 1887 ein Vermögen von 83.904 fl. 30 kr. angesammelt und suchte bei der k.k. nö. Statthalterei um die Erlaubnis zur Verwendung dieser Summe für die Errichtung 766 Henryk Barowski, Die territorialen Bestimmungen von San Stefano und Berlin. In: Ralph Melville, Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.), Der Berliner Kongress von 1878. Die Politik der Großmächte und die Probleme der Modernisierung in Südosteuropa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wiesbaden 1982, 51–62, hier 59. 767 Evangelos Kofos, Hellenism and the settlement of the Berlin Congress. In: Melville, Schröder, Der Berliner Kongress von 1878, 463–469, hier 466–467.

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eines Kirchengebäudes an.768 Zusätzlich zu diesem Betrag wurden weitere 25.210 fl. gesammelt,769 sodass für 27.000 fl. ein Grundstück in der Veithgasse (3. Bezirk) angekauft werden konnte,770 auf dem die neue serbische Kirche zum Hl. Sava771 gebaut wurde. Unter den Spendern, die im sogenannten »Goldenen Stifterbuch«772 aufgelistet sind, befanden sich abgesehen von Kaiser Franz Joseph, der allein 5.000 fl. aus Staatsmitteln und 1.000 fl. aus seiner Privatschatulle gab, auch viele Griechen.773 Auch hinter den zehn aufgelisteten Banken aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, die für den Kirchenbau spendeten, lassen sich griechische Akteure vermuten. Der Kirchenbau wurde 1890 vom Architekten Heinrich Wagner begonnen und 1893 fertiggestellt.774 In dem Gebäude, in dem die Kirche untergebracht wurde, wurden auch separate Wohnräume eingerichtet, sodass die Kirchengemeinde sich teilweise aus deren Vermietung finanzieren konnte.775 Am 19. November 1893 wurde die Kirche im Beisein des Kaisers offiziell eingeweiht.776 Die Kirchengemeinde war am 4. April 1893 durch Erlass des Ministeriums für Kultus und Unterricht konstituiert777

768 AHD, G 8, Fasz. 24: 1889, Abschrift eines Briefes der serbischen, griechisch-orientalischen Kirchengemeinde in Wien an die kk. n.ö. Statthalterei um Erteilung der staatlichen Genehmigung zur Errichtung der serbischen griechisch-orientalischen Kirchengemeinde in Wien auf Grund der zur hohen Genehmigung vorgelegten Statuten (enthält das Protokoll der Generalversammlung der Gemeinde zum Hl. Sava vom 6. Mai/24. April 1889 sowie den Text des darin beschlossenen Statuts der serbischen, griechisch-orientalischen Kirchengemeinde in Wien). 769 Mihailo Popovic´, The Golden Book of the Serbian orthodox parish in Vienna (c. 1860– 1892). In: Peq_ Istoq_ar 4 (2003), 271–292, hier 276. 770 Ebd. 771 Zur Entwicklung des Hl. Sava zu einem Nationalheiligen bei den Serben der Habsburgermonarchie aufgrund der Förderung durch die Metropolie von Karlowitz: Wladimir Fischer, Der heilige Sava in serbischen Diskursen. Eine kulturhistorische Annäherung. In: Ostkirchliche Studien 59 (2010), 269–289, hier 285–286. 772 Edition in Popovic´, The Golden Book, 278–289. 773 Georg A. Koinzoglu [sic!], Demeter Hilaiditi, Demeter Germani, Demeter Diamantidi, Konstantin Bira, Simeon Cehani, J. A. Ekonomo, Gjovani Skaramanga, A. Eulambio und Brüder, Gjorgjio Afendouli, Georgios G. Hadzˇikosta, Brüder M. Dumba, Nikola [sic!] Th. Dumba, Anna Th. Dumba, Demeter Pindo. 774 Medakovic´, Serben in Wien, 87. Popovic´, The Golden Book, 276. 775 Der Architekt Heinrich Wagner schätzte in seinem 1887 eingereichten Bauplan die zu erwartenden Mietzinseinnahmen auf 4.500 fl. jährlich. AHD, G 8, Fasz. 24, 1889: Abschrift eines Briefes der der serbischen, griechisch-orientalischen Kirchengemeinde in Wien an die kk. n.ö. Statthalterei um Erteilung der staatlichen Genehmigung zur Errichtung der serbischen griechisch-orientalischen Kirchengemeinde in Wien auf Grund der zur hohen Genehmigung vorgelegten Statuten. Ein prominenter Mieter war der Maler Albin EggerLienz, der 1899–1901 hier wohnte. Siehe URL: https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Ser bisch-orthodoxe_Kirche. (abgerufen am 14. 7. 2015). 776 Neue Freie Presse, Nr. 10506 (20. November 1893), 2. 777 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 76.

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und die 1889 eingereichten Statuten im selben Jahr genehmigt worden.778 Diese ersten, nach Pantovic nicht bekannten Statuten779 wurden von mir in zwei Versionen aufgefunden.780 Da diese Statuten als unpassend angesehen wurden, mussten sie abgeändert werden und die Kirchengemeinde erhielt erst durch die am 7. Mai 1906 beschlossenen Statuten ihre endgültige Rechtsform.781 Bezüglich der Errichtung der serbischen Kirchengemeinde verlangte der Magistrat der Stadt Wien eine Äußerung des Ausschusses der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zu der Frage, ob von ihrer Seite irgendwelche Einwände gegen die Gründung der neuen Gemeinde bestünden. In Vertretung des Ausschusses, der zu diesem Zeitpunkt nicht beschlussfähig zusammentreten konnte, antwortete Gemeindevorstand Constantin M. Curti am 15. Juli 1890, dass es »keinerlei Einwände« gebe, »insofern durch diese Gründung die Rechte unserer Gemeinde nicht tangiert werden«, und er erklärte, dass die Gründung einer eigenen serbischen Gemeinde nur verständlich sei, »da deren Anzal [sic!] eine viel größere als die unsere ist, dieselben aber laut unseren Privilegien v. J. 1796 (in welchen sie Illyrier genannt werden) von jeder Ingerenz in unseren Gemeinde Angelegenheiten ausgeschlossen sind«.782 Am 10. Mai 1891 folgte das offizielle Placet des Ausschusses der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, in dem es hieß, es gebe »nicht die geringste Einwendung, umso mehr als die bisher hier ansässigen Serben, ob österr. Staatsbürger, oder nicht, nie als Mitglieder unserer Gemeinde betrachtet wurden und daher weder ein actives noch ein passives Wahlrecht in derselben ausüben konnten«783.

3.4.2. Der Statthaltereierlass von 1893 Obwohl sich, gemäß den Aussagen der Vertreter der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, durch die Gründung der serbischen Gemeinde für die beiden griechischen Gemeinden nichts änderte, wurde eine Neuabgrenzung der Matrikelbezirke der nunmehr drei orthodoxen Kirchengemeinden in Wien vorgenommen. Die Initiative dazu ging aber nicht von den Gemeinden selbst, sondern von 778 Pantovic, Die Wiener Orthodoxen Serben, 50. 779 Ebd., 51. 780 Die Version in AHD, G 8, Fasz. 24; stammt aus dem Jahr 1889, die in NÖLA, Nö. Reg, CAkten C 8 (de 1894), Karton 969; von 1894. Die Statuten sind textgleich, in der Version von 1894 wurden jedoch die vorkommenden Geldbeträge in Gulden durch Kronen ersetzt (die Währungsumstellung erfolgte 1892). Siehe Editionsteil Nr. 29. 781 Pantovic, Die Wiener Orthodoxen Serben, 50–52. 782 AHD, G 8, Fasz. 24: 15. Juli 1890, Entwurf eines Briefes vom Vorstand der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Constantin M. Curti an den Magistrat der Stadt Wien. 783 AHD, G 8, Fasz. 24: 10. Mai 1891, Entwurf eines Briefes des Ausschusses der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Magistrat der Stadt Wien.

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den staatlichen Behörden aus, die – im Gegensatz zu den Gemeindevertretern – der Ansicht waren, dass die Abgrenzung nicht klar geregelt sei. Das Innenministerium war im Zuge von Erhebungen über die Beerdigung russisch-orthodoxer Gläubiger sowie über die Matrikenführung der orthodoxen Gemeinden zu dieser Schlussfolgerung gelangt und hatte die k.k. nö. Statthalterei darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Missstand zu beseitigen sei.784 Diese Untersuchungen über die Beerdigung von russisch-orthodoxen Gläubigen, die auf dem griechischen Teil des Friedhofs von St. Marx785 stattgefunden hatten und bisher offenbar ohne Konflikte von beiden griechischen Kirchen durchgeführt worden waren, stehen wohl in Zusammenhang mit der Errichtung der russischen Kirche auf dem Gelände der russischen Botschaft in der JaurHsgasse im 3. Bezirk (Grundsteinlegung 1893, Einweihung 1899).786 Zwar existierte bereits seit dem 18. Jahrhundert eine russische Botschaftskapelle,787 jedoch hatte es niemals eine russische Kirchengemeinde gegeben und die Matrikenführung wurde von den beiden griechischen Gemeinden übernommen. Dies galt auch für die auffällige, im neuromanischen Stil errichtete große Kirche bei der Botschaft. Gleichzeitig mit dem Kirchenbau wurde auch eine Kapelle zum Hl. Lazarus auf dem Zentralfriedhof errichtet (eingeweiht am 26. April 1895).788 In diesen Kontext istdie Frage der österreichischen Behörden nach der zuständigen matrikenführenden Gemeinde für russische Staatsbürger einzuordnen. Um die diesbezüglichen Unklarheiten zu beseitigen, wandte sich der Wiener Magistrat 1892 an die beiden Wiener griechischen Gemeinden und gab bekannt, »dass das Verhältnis der in Wien bestehenden beiden Pfarren des griechisch orientalischen Glaubensbekenntnisses nicht sicher abgegrenzt, respective die Zugehörigkeit der Bekenner dieser Religion zu einer oder anderen Pfarre nicht zweifellos festgestellt erscheint.«789 Man ersuche daher die zwei griechischen Gemeinden sowie die in der Konstituierung begriffene serbische Gemeinde Verhandlungen »zum Zwecke der Herstellung klarer Verhältnisse, wenn irgend möglich auf Grund territorialer Abgrenzung einzuleiten« und »die bisher in dieser Hinsicht bestehenden Vorschriften, sowie die bisher geübte Praxis in

784 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1893), Karton 951: 5. Februar 1893, Bericht der kk. nö. Statthalterei an das Ministerium für Kultus und Unterricht. 785 Auch nach der Eröffnung des Zentralfriedhofs (1874) wurden noch bis 1886 Personen auf dem griechischen Teil des Friedhofs von St. Marx beerdigt. Havlik, Der Sankt Marxer Friedhof, 38. 786 Gastgeber, Gschwandtner, Die Ostkirchen in Wien, 75. 787 Ebd., 72–74. Siehe auch hier S. 51–53. 788 Gastgeber, Gschwandtner, Die Ostkirchen in Wien, 74. Siehe dazu auch Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 77. 789 AHD, G 9, Fasz. 13: 10. Juni 1892, Brief des Wiener Magistrats an den Vorstand der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.

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eingehender Weise bekanntzugeben«790. Mit territorialer Abgrenzung ist dabei eine Einteilung der Pfarrzugehörigkeit nach Wohnbezirk (in Wien und Niederösterreich) wie bei den katholischen Pfarren gemeint. Obwohl die österreichischen Behörden die Problematik zum Teil ganz richtig erkannt hatten, nämlich, dass es immer mehr Personen orthodoxen Glaubens in Wien gab, die weder osmanische noch k.k. Untertanen waren, und bei denen daher ungeklärt war, welche Kirchengemeinde für sie zuständig war, zeigten sie sich andererseits überraschend uninformiert über den Status der orthodoxen Gemeinden, wenn sie eine territoriale Abgrenzung ihrer Matrikenbezirke in Analogie zu den katholischen Pfarrgemeinen forderten. Die Forderung nach einer territorialen Einteilung ist wohl im Zusammenhang mit den allgemeinen Bemühungen um eine Vereinheitlichung der orthodoxen Kirchenstrukturen in der Habsburgermonarchie ab den 1870er Jahren zu sehen.791 So schlug ein von N8meth zitierter Ministerialentwurf von 1896 vor, die orthodoxen Gläubigen, die keiner Kirchengemeinde angehörten, per Gesetz der jeweils ihrem Wohnort nächstgelegenen Gemeinde zuzuweisen.792 Die Vertreter der beiden Gemeinden dürften sich vor ihren Antworten an den Magistrat abgesprochen haben, denn beide Antwortschreiben datieren auf den 26. Juli 1892 und haben den gleichen Inhalt. Der Vorstand der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit antwortete, dass man nicht wisse, worauf sich die erwähnten Erhebungen bezögen, da die Abgrenzung zwischen beiden Gemeinden ganz klar durch die jeweiligen Privilegien geregelt sei, welche die Zuständigkeit der Gemeinde zum Hl. Georg für die osmanischen und die der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit für die österreichischen Untertanen festlegten.793 Diese Abgrenzung sei durch die Gemeinden immer streng eingehalten worden, weshalb es auch nie zu Differenzen gekommen sei. Die neue serbische Gemeinde werde »mit lebhafter Sympathie« begrüßt und man erwarte auch in Zukunft keine Differenzen, da sich alle Glaubensgenossen »serbischer und slawischer Zunge« der neuen Gemeinde zuwenden würden.794 Allerdings wies man darauf hin, dass es sich bei ihren Gemeinden nicht wie bei den Katholiken um territorial abgegrenzte, sondern um »nationale« Pfarrgemeinden handele, die »durch die Sprache und die Staatsangehörigkeit ihrer Mitglieder genau abgegrenzt« seien. Aus diesem Grund fühlte man sich zudem bemüßigt, »einige aufklärende Worte« über die in den Privilegien der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit erwähnte 790 Ebd. 791 Thomas Mark N8meth, Josef von Zhishman (1820–1894) und die Orthodoxie in der Donaumonarchie. Freistadt 2012, 201–205. 792 Ebd., 203. 793 AHD, G 9, Fasz. 13, 26. Juli 1892: Brief des Vorstands der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Michael Dumba an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. 794 Ebd.

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»walachische Nation« hinzuzufügen, mit denen »blos die ebenfalls seiner Zeit aus der Türkei eingewanderten Macedowalachen (greco Walachen oder Kutzowalachen), welche hauptsächlich in Macedonien und Epirus ihren heimatlichen Wohnsitz hatten«, gemeint seien, die mangels einer eigenen Schriftsprache und aufgrund ihrer griechischen Schulbildung auch in den Heimatgemeinden den Gottesdienst in griechischer Sprache abgehalten hätten.795 Auch die Gemeinde zum Hl. Georg betonte in ihrer Antwort, dass bei der Abgrenzung zwischen den beiden Gemeinden aufgrund der Privilegien »die klarsten Verhältnisse« herrschen würde, wofür man folgendes Beispiel heranzog: Als »Beweis, wie scharf diese Abgrenzungslinie gezogen wurde […] möge die Thatsache dienen, dass häufig Brüder, von welchen der Eine in den österreichischen Staatsverband getreten, während der andere ottomanischer Staatsangehöriger geblieben ist, auch den Wechsel in der Gemeindezugehörigkeit vollzogen haben«.796

Auch mit der in Konstituierung begriffenen serbischen Gemeinde werde es nicht zu Schwierigkeiten kommen, da die »österreichischen Staatsbürger griechischorientalischer Religion slavischer Zunge Serben, Bosnier, Dalmatiner, serbo Croaten etc. etc. dieser Gemeinde beitretten werden«.797 Nach außen vertrat man also die Ansicht, dass die Verhältnisse ganz klar geregelt seien, obwohl in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit die Frage nach den Staatsbürgern anderer Staaten als des Osmanischen Reichs und ÖsterreichUngarns intern bereits zum Thema geworden war. Der Magistrat erkundigte sich allerdings am 4. November 1892 konkret danach, welcher Gemeinde folgende drei Personengruppen angehören würden: »1.) die nicht unirten, nicht griechischen türkischen Unterthanen 2.) die griechischen, wie auch die nicht griechischen Angehörigen der nicht unirten Kirche, welche Ausländer jedoch nicht türkische Unterthanen sind (z. B. Russen, Rumänen, etc.) 3.) die nicht unirten österreichische Staatsbürger, welche weder der griechischen, (mazedo)wallachischen, noch der serbischen Nationalität angehören«798

Diesbezüglich sei eine Regelung notwendig, wobei eine einvernehmliche Lösung der Kirchengemeinden wünschenswert sei.799 Das gewünschte Einvernehmen zwischen den drei Gemeinden wurde »sehr 795 Ebd. 796 AHG, G 9, Fasz. 22, 26. Juli 1892: Brief an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. 797 Ebd. 798 AHD, G 9, Fasz. 13, 4. November 1892: Brief des Magistrats der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien an den Vorstand der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. 799 Ebd.

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bald erzielt«800 und resultierte in der Folge in der Verordnung der k.k. Statthalterei »bezüglich Zugehörigkeit der Bekenner des griechisch-orientalischen Religionsbekenntnisses zu den in Wien bestehenden drei griechisch nichtunirten Kirchengemeinden« vom 1. Mai 1893.801 Diese Verordnung bestimmte hinsichtlich der pfarrlichen Jurisdiktion, dass alle »Anhänger des griechischorientalischen Religionsbekenntnisses griechischer, macedo-wallachischer und albanesischer Nationalität, welche türkische Staatsangehörige sind«, der Gemeinde zum Hl. Georg zuzurechnen wären, alle, »welche nicht türkische Staatsangehörige und nicht Slaven sind«, der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit und alle, »welche slavischer Nationalität sind«, der Gemeinde zum Hl. Sava, wobei jede dieser Kirchengemeinden einen eigenen Matrikelbezirk bildete. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, die »Gemeinde der k.k. Untertanen«, war somit nun nicht mehr nur für österreichische Staatsbürger, sondern auch für die orthodoxen Staatsbürger aller anderen Staaten abgesehen vom Osmanischen Reich zuständig, sofern diese Staatsbürger nicht »slawischer Nationalität« waren. Für die Gemeinde bedeutete dies einerseits einen potentiellen Mitgliederzuwachs, da ihr Staatsbürger des griechischen Staats nun offiziell zugerechnet wurden. Andererseits war sie jetzt aber auch für rumänische Staatsbürger zuständig, was die Aspirationen von rumänischer Seite, den Einfluss auf die Gemeinde als »rumänische Gemeinde« zu erhöhen, die im folgenden Kapitel genauer besprochen werden, erleichterte. Die Gemeinde zum Hl. Georg erhob keinen Anspruch auf Zuständigkeit für die griechischen Staatsbürger. Dies deutet möglicherweise darauf hin, dass diese Gemeinde trotz der geopolitischen Entwicklungen infolge des Berliner Kongresses zu diesem Zeitpunkt ihre gefährdete Situation noch nicht richtig einschätzte. Zu der raschen einvernehmlichen Lösung trug aber höchstwahrscheinlich auch die Tatsache bei, dass Nikolaus Dumba Mitglied der Exas der Gemeinde zum Hl. Georg war, während sein Bruder Michael Dumba gleichzeitig Vorstand der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit war. Damit lassen sich auch die inhaltlich konformen Antwortschreiben an den Magistrat in der Angelegenheit erklären. Mit der Statthaltereiverordnung war die Frage nach der Abgrenzung zwischen den drei Pfarren für das Kultusministerium jedoch noch nicht zur vollständigen 800 AHD, G 9, Fasz. 13, 29. November 1892: Entwurf eines Briefs des Vorstands der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Michael Dumba an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. 801 Verordnung des k.k. Statthalters im Erzherzogthume Österreich unter der Enns vom 1. Mai 1893, Z. 27055, betreffend die Bestimmung der Zugehörigkeit der Bekenner des griechischorientalischen Religionsbekenntnisses zu den in Wien bestehenden drei griechisch nichtunirten Kirchengemeinden. In: Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns VII, 19 (1893), 22.

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Zufriedenheit geklärt. Es wurde eingewandt, dass zwar die Einteilung nach dem Prinzip der Nationalität außer Streit stehe, es jedoch in Zukunft zu Streitfällen in Bezug auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität kommen könnte, besonders wenn »die ursprüngliche Herkunft und Abstammung der Voreltern aus dem Gedächtnisse entschwunden« sei.802 Zur Lösung von solchen eventuellen zukünftigen Konflikten sollten die Gemeinden durch »besondere statutarische Bestimmungen« Anhaltspunkte zur Klärung der Frage der Nationalitätszugehörigkeit geben, wie ihnen vom Magistrat mitgeteilt wurde.803 Die dadurch notwendigen Statutenänderungen seien der k.k. nö. Statthalterei mitzuteilen, indem man ihr die geänderten Statuten vorlege.804 Beide Gemeinden reichten aber keinen gesamten geänderten Statutentext ein, sondern jeweils nur eine einzelne Urkunde mit den entsprechenden Bestimmungen. Gerade bei der Gemeinde zum Hl. Georg ist das folgerichtig, da die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt keine gesonderten Statuten außer den kaiserlichen Privilegien hatte. Die Statutenergänzung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit805 enthielt folgende Punkte: Bei der Zuteilung zu einer der drei Kirchengemeinden sollte die Staatsbürgerschaft der Glaubensgenossen im Zweifelsfall durch entsprechende Urkunden bewiesen werden. Bei zweifelhafter Nationalität könnten sich die Betroffenen selbst als zu einer Nationalität zugehörig erklären und diese Erklärung würde von den Gemeinden akzeptiert werden. Schließlich wurde noch der Privilegienpunkt, der den Serben das Recht auf einen Priester zum Beichthören bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit gab, außer Kraft gesetzt, da die Notwendigkeit aufgrund der Gründung der serbischen Gemeinde nun nicht mehr bestand. So hieß es, die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit werde »künftighin weder berechtigt noch verpflichtet sein, einen slawischen (illyrischen) Priester herkommen oder Beichthören zu lassen«.806 Dieser Zusatz wurde von der k.k. nö. Statthalterei am 30. April 1896 genehmigt.807 Auch die Gemeinde zum Hl. Georg hatte einen entsprechenden Text bei der k.k. nö. Statthalterei eingereicht. Es handelte sich um ein beglaubigtes Sit802 AHD, G 9, Fasz. 13, 10. Mai 1893: Kopie eines Briefs des Magistrats der k.k. Reichshauptund Residenzstadt Wien. 803 Ebd. 804 Ebd. 805 AHD, G 9, Fasz. 13, 16. Juni 1893: Abschrift der Ergänzung der Statuten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Siehe auch: ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc. 806 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1896), Karton 1002, 16. Juni 1893: Ergänzung der Statuten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (eingeheftet in die gedruckte Ausgabe der Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit aus dem Jahr 1859). Siehe außerdem: AHD, G 9, Fasz. 13, 16. Juni 1893: Abschrift der Ergänzung der Statuten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. 807 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1896), Karton 1002, 30. April 1896: Genehmigung der Ergänzung der Statuten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit durch die k.k. nö. Statthalterei.

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zungsprotokoll der Ausschuss-Sitzung vom 14. Dezember 1893.808 Dieses Dokument enthielt die gleichen Bestimmungen wie die Statutenergänzung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, allerdings wurde das Thema der Bestimmung über das Beichthören bei einem serbischen Priester nicht erwähnt, obwohl auch alle Versionen der Privilegien der Gemeinde zum Hl. Georg diesen Passus enthielten. Diese Gemeinde scheint daher ab der Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nicht mehr als für die serbischen Glaubensgenossen, die ja österreichische Untertanen waren, zuständig angesehen worden zu sein, und die Außerkraftsetzung dieses Privilegienpunktes wurde offenbar für unwichtig erachtet. Inwieweit das Recht auf einen serbischsprachigen Priester, für dessen Kosten die Serben aber selbst aufkommen hatten müssen, auch bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit überhaupt in Anspruch genommen worden war, geht aus den Quellen nicht hervor. Zumindest in der Zeit ab der provisorischen Konstituierung der Gemeinde zum Hl. Sava im Jahr 1860 dürfte es hier aber keine serbischsprachigen Priester mehr gegeben haben, wie die Korrespondenz bezüglich des Religionsunterrichts für die serbischen Kinder809 zeigt. Das Sitzungsprotokoll der Gemeinde zum Hl. Georg bezüglich der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer Nationalität wurde von der k.k. nö. Statthalterei am 11. Februar 1896 genehmigt.810 Da das Ministerium für Kultus und Unterricht – in Verkennung des Charakters der Gemeinden – ursprünglich eine territoriale Abgrenzung der drei Pfarrgemeinden gefordert hatte, verteidigte die k.k. nö. Statthalterei die zumindest teilweise auf »nationalen« (ethnischen) Kriterien beruhende neue Regelung folgendermaßen: »Bei dieser Auftheilung erscheint zwar das Moment der Nationalität nicht eliminiert; bei dem Zusammenhange jedoch zwischen Nationalität und Religion, beziehungsweise Ritus, wie derselbe sich gerade und hauptsächlich bei den Angehörigen des nicht unirten christlichen Glaubensbekenntnisses geltend macht, war eine vollständige Beiseitelassung dieses Momentes leider nicht zu erreichen.«811

Es sei angemerkt, dass es sich bei dem hier postulierten »Zusammenhang von Religion und Nationalität« bei den Angehörigen des orthodoxen Glaubensbe-

808 AHG, G 9, Fasz. 22, 14. Dezember 1893: Protokoll über die Ausschuss-Sitzung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg in Wien. 809 Siehe hier S. 174–175. 810 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1896), Karton 1002, 14. Dezember 1893: Protokoll über die Ausschuss-Sitzung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg in Wien (eingeheftet in die gedruckte Ausgabe der Privilegien für die Gemeinde zum Hl. Georg von Joseph II. aus dem Jahr 1783). 811 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1893), Karton 951, 5. Februar 1893: Bericht der kk.nö.Statthalterei an das Ministerium für Kultus und Unterricht.

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kenntnisses um eine mit der Verbreitung des Nationalismus am Balkan812 in Zusammenhang stehende rezente Entwicklung handelte, die sich in der Proklamation autokephaler Kirchen in den unabhängigen Balkanstaaten äußerte und vom Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel verurteilt wurde.813 Die Haltung des Ökumenischen Patriarchats zeigte sich zum Beispiel deutlich bei der Errichtung eines von ihm unabhängigen Bulgarischen Exarchats im Jahr 1870, das mit der Begründung, es handle sich um »Rassismus« (vuketisl|r) abgelehnt wurde.814 Die Regelung der Statthalterei sollte sich per se als praktikabel herausstellen und es kam nicht zu Konflikten in Bezug auf die Zuordnung von Personen zu einer bestimmten Nationalität. Was vielmehr in der Folge zu Differenzen zwischen den beiden griechischen Gemeinden führen sollte, war die Tatsache, dass sich die Regelung für die Gemeinde zum Hl. Georg angesichts der ständigen Verkleinerung des osmanischen Staatsgebiets bald als nachteilig herausstellte, weshalb diese Gemeinde sich nicht an die Regelung hielt.

3.5. Die Unterordnung der beiden griechischen Gemeinden unter die Metropolie von Czernowitz (1883) und der Konflikt mit den Rumänen in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Während die Gründung der serbischen Gemeinde in Wien die inneren Angelegenheiten der beiden Wiener griechischen Gemeinden und ihre Organisationsstruktur kaum beeinflusste, sollte sich eine andere kirchenpolitische Entscheidung in der Habsburgermonarchie insbesondere für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bald als Bedrohung ihres autonomen Status herausstellen: Es handelte sich dabei um die Unterordnung der Gemeinden unter die cisleithanische Metropolie von Czernowitz anstelle des in Transleithanien gelegenen Patriarchats von Karlowitz. Allgemein waren die kirchenpolitischen Maßnahmen der österreichischen Behörden nach 1867 von (großteils erfolglosen) Versuchen, den auf den kaiserlichen Privilegien des 18. Jahrhunderts begründeten Autonomiestatus der Wiener griechischen Gemeinden einzuschränken, ge-

812 Roumen Daskalov, Tchavdar Marinov (Hrsg.), Entangled histories of the Balkans. Volume one: National ideologies and language policies. Leiden [u. a.] 2013. 813 Kitromilides, »Imagined communities« and the origins of the National Question in the Balkans, 177–185. 814 Ebd., 181–182. Ders., The Ecumenical Patriarchate and the »national centre«. In: An orthodox commonwealth. Symbolic legacies and cultural encounters in Southeastern Europe. Aldershot 2007, 1–18, hier 11–15.

Unterordnung unter Czernowitz und Konflikt mit den Rumänen

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prägt,815 denen die Idee einer Vereinheitlichung der Organisation der orthodoxen Kirche in der Habsburgermonarchie zugrunde lag.

3.5.1. Die Unterstellung der Wiener griechischen Gemeinden unter die Metropolie von Czernowitz Als die beiden Wiener griechischen Gemeinden im 18. Jahrhundert ihre kaiserlichen Privilegien erhielten, wurden sie in formaler Hinsicht dem Metropoliten von Karlowitz als kirchlichem Oberhaupt unterstellt, waren ihm gegenüber jedoch nicht hierarchisch untergeordnet und verfügten in Hinblick auf die Gemeindeangelegenheiten (Bestellung und Absetzung der Priester, Finanzangelegenheiten) über eine weitreichende Autonomie. Zu diesem Zeitpunkt war die Metropolie von Karlowitz die einzige Metropolie der orthodoxen Kirche in der Habsburgermonarchie. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden auf dem Boden der Habsburgermonarchie zwei weitere orthodoxe Metropolien errichtet,816 1864 die Metropolie von Siebenbürgen mit Sitz in Sibiu/Hermannstadt und 1873 die Metropolie der Bukowina und von Dalmatien817. Letzterer sollten, analog zum Dualismus nach dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich von 1867 auf politischer Ebene, die orthodoxen kirchlichen Einrichtungen in Cisleithanien angehören. Daher sollten auch die beiden Wiener griechischen Gemeinden in Hinkunft nicht mehr dem Patriarchat von Karlowitz, das zur ungarischen Reichshälfte gehörte, sondern der 1873 gegründeten Metropolie in Czernowitz unterstellt werden. So wurde im Jahr 1879 die Meinung der beiden Wiener griechischen Gemeinden in Bezug auf ihre »eventuelle Einverleibung in die Metropolie von Czernowitz« eingeholt.818 Beide Gemeinden sprachen sich vehement gegen eine solche Veränderung ihrer Rechtsstellung aus und betonten, dass sie aufgrund der kaiserlichen Privilegien nie einer Diözese angehört hätten, sondern ihre Beziehungen zum Erzbischof (bzw. Patriarchen) von Karlowitz rein formaler Natur gewesen seien.819 Abgesehen davon wurde im Zuge dieser Frage ein wei815 Thomas M. N8meth, Die orthodoxe Kirche in der Habsburgermonarchie. Geschichte und Strukturen. In: Ostkirchliche Studien 63 (2014), 6–19, hier 17. 816 Turczynski, Orthodoxe und Unierte, 432–444. 817 Siehe dazu N8meth, Josef von Zhishman, 92–100 und 134–163. Das Errichtungsdiplom für die griechisch-orientalische Metropolie der Bukowina und von Dalmatien ist abgedruckt ebd., 260–263. 818 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1879), Karton 746, 19. November 1879: Bericht der k.k. nö. Statthalterei betreffend die eventuelle Einverleibung der Wiener griechisch-orientalischen Gemeinden in die griechisch-orientalische Diözese Czernowitz. 819 Ebd. AHD, G 9, Fasz.7, 19. November 1879: Circulandum an die Mitglieder des Ausschusses

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terer Punkt behandelt, welcher eine Schmälerung der den beiden Gemeinden durch die kaiserlichen Privilegien verliehenen Rechte bedeutete. Laut Artikel 3 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 wurde der Eintritt in öffentliche Ämter vom Erwerb des österreichischen Staatsbürgerrechtes abhängig gemacht. Da die Pfarrer der beiden griechischen Kirchen in ihrer Funktion als Matrikenführer ein öffentliches Amt in Österreich bekleideten, sollte dieser Punkt der Verfassung nunmehr auch für sie zur Anwendung kommen820 und trat in Konflikt mit dem in den Privilegien beider Gemeinden garantierten Recht, einen Priester aus einem Mönchskloster im Osmanischen Reich berufen zu dürfen.821 Noch im Jahr 1877 hatte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sich gegen die Bestimmung, der Pfarrer Philaretos Giannoulis (Vik\qetor Ciammo}kgr) müsse österreichischer Staatsbürger werden, gewehrt und folgende Argumente angeführt: Erstens stehe die Bestimmung zu dem noch immer gültigen Privilegium im Widerspruch, weshalb von Giannoulis’ Vorgänger Agathangelos Lontopoulos auch nie die österreichische Staatsbürgerschaft eingefordert worden sei, obwohl das Staatsgrundgesetz schon in Kraft war. Zweitens würde eine Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft eine große Schwierigkeit bei der Bestellung der Priester bedeuten, da diese nicht auf Lebenszeit berufen würden. Schließlich und drittens wies man darauf hin, dass die Pfarrbücher »vom Pfarrer in Gemeinschaft mit dem Sekretär, der öst. Staatsbürger ist«, geführt würden.822 Nachdem die österreichischen Behörden diese Einwände nicht hatten gelten lassen,823 nahm der Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Philaretos Giannoulis, der griechischer Staatsbürger war, im Jahr 1878 die österreichische Staatsbürgerschaft an.824

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der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (Brief an die k.k. nö. Statthalterei). Auch von der türkisch-israelitischen Gemeinde in Wien wurde im Sinne dieses Gesetzes verlangt, dass der Seelsorger österreichischer Staatsbürger sein müsse. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 178. Selbiges galt auch für die griechische Gemeinde in Triest, der man jedoch insofern entgegenkam, als man nur von einem ihrer Geistlichen verlangte, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Thomas Mark N8meth, Autonome orthodoxe Gemeinden in Cisleithanien. In: Kanon 21 (2010), 82–102, hier 93. Laut dem Privilegium von Franz. II./I. (1794) für die Gemeinde zum Hl. Georg sollte der Priester »aus einem in den türkischen Länder befindlichen Mönchskloster« und laut dem Privilegium desselben von 1796 für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit »aus einem in dem Archipelagus befindlichen Mönchkloster« kommen. AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 17, 22. Mai 1877: Bericht der k.k. nö. Statthalterei an das Ministerium für Cultus und Unterricht Departement Nr. III. AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 17, 5. Juni 1877: Beschluss des Ministeriums für Cultus und Unterricht Departement Nr. III. AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 17, 27. Juli 1878: Erlass des Ministeriums des Inneren an die k.k. nö. Statthalterei bezüglich der Verleihung der öster-

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Als im Zuge der Erhebungen über die mögliche Eingliederung der beiden griechischen Gemeinden in die Metropolie von Czernowitz das Thema der Staatsbürgerschaft der Priester vonseiten der Behörden erneut aufgeworfen wurde, konnte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit darauf hinweisen, dass ihr Pfarrer Philaretos Giannoulis bereits österreichischer Staatsbürger sei.825 Die Gemeinde zum Hl. Georg wiederum, deren damaliger Pfarrer Serafim Zerlentis (Seqave_l Feqk]mtgr) griechischer Staatsbürger war, argumentierte, dass es sich bei ihr um die Gemeinde der »türkischen Untertanen« handle und sie sich daher nicht als verpflichtet erachte »dafür Sorge zu tragen, dass ihr Pfarramt durch einen österr. Staatsbürger besorgt werde«826. Zudem hatte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit eingeräumt, dass eine Unterordnung unter die Metropolie von Czernowitz nur in gleicher Weise wie bisher unter das Patriarchat von Karlowitz, »unter ungeschmälerten Aufrechthaltung der sonstigen Rechte beziehungsweise Autonomie der Gemeinde« erfolgen könne.827 Der mit der Angelegenheit der Unterstellung unter die neue Metropolie beauftragte Referent betrachtete die Einwände der Gemeinden als größtenteils unberechtigt und plädierte für eine der »Eigenthümlichkeit der Verhältnisse« Rechnung tragende Eingliederung der beiden Gemeinden in die Metropolie von Czernowitz. Nach Ansicht des Referenten waren die Beziehungen zu Karlowitz mehr als nur formeller Natur, da die Pfarrer vom dortigen Metropoliten/Patriarchen bestätigt werden mussten; somit würden die Gemeinden »zu der Metropolie Carlowitz in einem, wenn auch beschränkten, Diözesanverband« stehen. Dies sei aber aufgrund der »Teilung der Monarchie in zwei selbständige Reichshälften nicht mehr zulässig«, weshalb die Unterordnung unter die Metropolie von Czernowitz in irgendeiner Form erfolgen solle.828 In Bezug auf die

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reichischen Staatsbürgerschaft an den Archimandriten und provisorischen Pfarrverweser an der gr. o. Kirche am Fleischmarkte in Wien, Philaretos Jiannullis. NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1879), Karton 746, 19. November 1879: Bericht der k.k. nö. Statthalterei betreffend die eventuelle Einverleibung der Wiener griechisch-orientalischen Gemeinden in die griechisch-orientalische Diözese Czernowitz. AHD, G 9, Fasz. 7, 19. November 1879: Circulandum an die Mitglieder des Ausschusses der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (Brief an die k.k. nö. Statthalterei). Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 69. NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1879), Karton 746, 19. November 1879: Bericht der k.k. nö. Statthalterei betreffend die eventuelle Einverleibung der Wiener griechisch-orientalischen Gemeinden in die griechisch-orientalische Diözese Czernowitz. N8meth, Josef von Zhisman, 189. NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1879), Karton 746, 19. November 1879: Bericht der k.k. nö. Statthalterei betreffend die eventuelle Einverleibung der Wiener griechisch-orientalischen Gemeinden in die griechisch-orientalische Diözese Czernowitz. AHD, G 9, Fasz. 7, 19. November 1879: Circulandum an die Mitglieder des Ausschusses der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit (Brief an die k.k. nö. Statthalterei). NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C 8 (de 1879), Karton 746, 19. November 1879: Bericht der k.k. nö.

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Staatsbürgerschaft des Pfarrers der Gemeinde zum Hl. Georg äußerte er, dass dieser eindeutig ein »öffentliches Staatsamt in Österreich« ausübe und daher österreichischer Staatsbürger sein müsse. Auch sei der Hinweis der Gemeinde auf ihre Eigenschaft als Gemeinde der »türkischen Untertanen« teilweise unrichtig, da sich der Charakter der Gemeinde seiner Ansicht nach durch die politische Unabhängigkeit Rumäniens und Serbiens in letzter Zeit verändert habe und zahlreiche Gemeindemitglieder nicht länger türkische Staatsangehörige seien.829 Außerdem sei der Pfarrer Serafim Zerlentis gar nicht den Privilegien entsprechend osmanischer, sondern griechischer Staatsangehöriger.830 Da beide Gemeinden auf die Einhaltung ihrer Privilegien gepocht hatten, die österreichischen Behörden aber zumindest in der Frage der Staatsbürgerschaft der Pfarrer das Staatsgrundgesetz von 1867 als bindend betrachteten, schlug der Referent eine »Abänderung der Privilegien allenfalls durch Statuten« vor.831 Die Unterordnung der beiden Gemeinden unter die Metropolie von Czernowitz erfolgte durch Erlass des Kultusministers vom 29. Mai 1883, der besagte, dass »die gr.-or. Kirchengemeinden in Wien in gleicher Weise, wie solche bisher dem gr.-or. Metropoliten in Karlowitz unterstanden, künftighin dem gr.-or. Metropoliten in Czernowitz untergeordnet werden«832. Außerdem wurde dem Bischof von Czernowitz das Recht zur Benützung der Kirchen beider Kirchengemeinden zugestanden,833 das allerdings auf die Vornahme der Cheirotonie der Bischöfe sowie die Abhaltung der Metropolitan-Synoden beschränkt war.834 In § 8 des am 21. August 1884 vom Kaiser genehmigten »Synodal-Statuts der griechisch-orientalischen Metropolie der Bukowina und von Dalmatien« heißt es daher auch: »Mit Rücksicht auf die geografische Lage der Kirchenprovinz und auf die besonderen Verhältnisse der Synodal-Mitglieder wird die Mitropolitan-Synode in der Regel in der griechisch-orientalischen Pfarrkirche zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien zusammentreten.«835

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Statthalterei betreffend die eventuelle Einverleibung der Wiener griechisch-orientalischen Gemeinden in die griechisch-orientalische Diözese Czernowitz. Ebd. Ebd. Ebd. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen , 69. N8meth, Josef von Zhisman, 189. AHD, G 9, Fasz. 7, 22. Juni 1883: Brief der k.k. nö. Statthalterei an den Vorstand der griechischorientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. N8meth, Josef von Zhisman, 189. AHD, G 9, Fasz. 7, 22. Juni 1883: Brief der k.k. nö. Statthalterei an den Vorstand der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. Ein gedrucktes Exemplar des Statuts befindet sich in AHD, G 9, Fasz. 7. Zu diesem Statut siehe N8meth, Josef von Zhisman, 169–171.

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Auch wenn die Benützung der Kirchen durch den Metropoliten auf diesen Punkt begrenzt war und das Synodal-Statut selbst eine Unterordnung der beiden autonomen Wiener Pfarren unter die Metropolie nicht erwähnt, führte diese Regelung dazu, dass die Metropolie von Czernowitz in der Folge vermehrt Ansprüche auf die Dreifaltigkeitskirche geltend machte. Der Erlass des Kultusministers vom 29. Mai 1883 nahm zwar in Bezug auf die Unterstellung unter die Metropolie von Czernowitz keine Änderungen zur vorher gehandhabten Praxis mit der Metropolie von Karlowitz vor, doch enthielt er einen wesentlichen Einschnitt in die auf den Privilegien basierende Autonomie der Gemeinden, wenn es hieß: »Bei Bestellung der Seelsorger und in allen anderen kirchlichen Angelegenheiten der beiden Kirchengemeinden haben die allgemein geltenden gesetzlichen Bestimmungen Anwendung zu finden, und haben daher die eigenen Statuten derselben in Bezug auf die Wahl und Entfernung der Seelsorgegeistlichkeit, dann die Verwaltung des Gemeindevermögens, ihrer Stiftungen, Schulen und sonstigen Anstalten nur insoferne in Kraft zu bleiben, als ihnen diese allgemeinen geltenden Gesetze nicht entgegenstehen.«836

Konkret wirkte sich diese Bestimmung vor allem auf die Frage nach der Staatsbürgerschaft der Priester aus. Entsprechend dem Staatsgrundgesetz von 1867 mussten die Pfarrer beider Gemeinden nun die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen.837 Zwar kam keine der beiden Gemeinden dem Vorschlag nach Abänderung der Privilegien durch Statuten kurzfristig nach, allerdings wurde die Forderung nach der Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Pfarrer befolgt: Serafim Zerlentis, der von 1875 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1915838 Pfarrer der Gemeinde zum Hl. Georg war, nahm 1896 die österreichische Staatsbürgerschaft an.839 Auch der langjährige Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Meletios Apostolopoulos (Lek]tior Apostok|poukor), der von 1901 bis zu seinem Tod im Jahr 1919 dort wirkte, wurde 1908 eingebürgert.840

836 Zitiert nach N8meth, Josef von Zhisman, 189; und AHD, G 9, Fasz. 7, 22. Juni 1883: Brief der k.k. nö. Statthalterei an den Vorstand der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. 837 Die Regelung, dass die matrikenführenden Pfarrer als Staatsbeamte österreichische Staatsbürger zu sein hatten, galt auch nach 1918 weiter und führte zeitweise zu Problemen. Siehe hier S. 242. 838 AHG, G 11, Fasz. 26: Pensionierung Pfarrer Serafim Zerlentis. 839 AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 18, K.k. Ministerium für Cultus und Unterricht, Departement XIII, 20. März 1896: A 18 Staatsbürgerschaft Zerlentis. 840 AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 18, 23. April 1908: Das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht an das k.k. Ministerium des Inneren bezüglich Ver-

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Schon wenige Jahre nach der Unterordnung unter die Metropolie von Czernowitz erfolgte ein weiterer Vorstoß der k.k. Behörden zur Herstellung einer einheitlichen Struktur der orthodoxen Kirche in Cisleithanien, der für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit einen neuerlichen Angriff auf ihre traditionelle und privilegienbasierte Rechtsform bedeutete. So sollten die griechisch-orthodoxen Gläubigen, welche in Graz lebten,841 auf Wunsch des Kultusministeriums sowie des Innenministeriums der als »illirisch-griechisch-orientalische Kirchengemeinde in Wien« bezeichneten842 Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zugeordnet werden.843 Auffällig ist, dass diese Idee im Jahr 1888, also kurz vor der endgültigen Konstituierung der serbischen Gemeinde in Wien, vorgebracht wurde. Das lässt den Schluss zu, dass die österreichischen Behörden zum Teil schlecht über die Situation der griechisch-orientalischen Kirchengemeinden informiert waren. Obwohl der Metropolit von Czernowitz Sylvester MorariuAndriewicz diesen Vorschlag den Behörden gegenüber bereits als »unthunlich« bezeichnet hatte, bat er die Gemeinde dennoch, ihren Pfarrer eventuell mehrmals in Jahr für die Ausübung kirchlicher Funktionen nach Graz zu schicken.844 Bei den orthodoxen Gläubigen in Graz handelte es sich laut Metropolit MorariuAndriewicz um 40 Familien südslawischer Nationalität und 80–100 Studierende.845 Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit verwahrte sich in einer offiziellen Äußerung zum Thema gegen diesen Vorschlag und berief sich dabei auf ihre Privilegien, welche die Gemeinde als »national-griechisch« charakterisieren würden.846 Die Gemeinde erhalte sich finanziell selbst und habe daher auch keine Verpflichtungen gegenüber anderen Gläubigen außer ihren griechischen Mitgliedern. In Graz würden sich überhaupt keine Glaubensgenossen griechischer Nationalität befinden. Auch der Vorschlag des Metropoliten, der Pfarrer solle ab

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leihung des Staatsbürgerrechts an den Verweser der gr. or. Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien Protosyncell Meletius Apostolopoulos. 1886 hatten diese Gläubigen in Graz einen Verein zur Gründung einer Kirchengemeinde ins Leben gerufen. Thomas Mark N8meth, Die Orthodoxen in der Steiermark und ihre Versuche einer Gemeindegründung im ausgehenden 19. Jahrhundert. In: Elmar Güthoff, Stephan Haering (Hrsg.), Ius quia iustum. Festschrift für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag. Berlin 2015, 207–219. Es ist unklar, ob dieser Ausdruck von den k.k. Ministerien oder vom Verfasser des Briefes, dem Metropoliten von Czernowitz, stammt. AHD, G 9, Fasz. 7, 28. März/9. April 1888: Brief des Metropoliten von Czernowitz Silvester an die Repräsentanz der griechisch-orientalischen Pfarrgemeinde in Wien. AHD, G 9, Fasz. 7, 28. März/9. April 1888: Brief des Metropoliten von Czernowitz Silvester an die Repräsentanz der griechisch-orientalischen Pfarrgemeinde in Wien. Ebd. Ebd. AHD, G 9, Fasz.7, 1. Mai 1888: Brief des Vorstands der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur »heiligen Dreifaltigkeit« in Wien an den Metropoliten von Czernowitz Silvester mit der Äußerung bezüglich der Zuweisung der griechisch-orientalischen Glaubensgenossen in Graz zu dieser Kirchengemeinde.

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und an nach Graz fahren, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass selbiger nur Griechisch und Deutsch spreche, außerdem der einzige Pfarrer der Gemeinde und daher unabkömmlich sei. Schließlich vertrat man die Ansicht, dass die betroffenen Gläubigen, wenn sie unbedingt einer anderen Kirchengemeinde zugewiesen werden sollten, viel eher zur slawischen Kirchengemeinde in Triest passen würden.847 In dieser Angelegenheit hatte der Metropolit von Czernowitz eine Änderung der Verhältnisse der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nicht befürwortet, doch die Konflikte mit den Rumänen, die diese Gemeinde in den folgenden Jahren (und Jahrzehnten) noch intensiv beschäftigen sollten, zeigten, dass die Metropolie von Czernowitz die Definition der Gemeinde als »national-griechisch«848 nicht akzeptierte.

3.5.2. Der Konflikt mit den Rumänen um die Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit Obwohl Metropolit Morariu-Andriewicz schon 1867 »im Parlament« das Recht auf einen rumänischen Seelsorger in der Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit gefordert haben soll849 und laut N8meth im Konflikt zwischen Rumänen und Ruthenen in der Bukowina »die rumänischen nationalen Ambitionen unterstützte«, während sein Nachfolger Arcadie Czuperkowicz eine »auf Ausgleich bedachte Politik« verfolgte,850 begannen die für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bedrohlichen Aktivitäten in Richtung einer Machtübernahme über die Pfarre vonseiten der Metropolie erst nach dem Tod von Morariu-Andriewicz 1895 unter seinen Nachfolgern Arcadie Czuperkowicz (1895–1902) und Vladimir von Repta (1902–1924). Im Jahr 1899 forderte das Konsistorium in Czernowitz die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit auf, ihr »ein Verzeichnis der Familien gr. or. Confession rumänischer Nationalität, welche in Wien wohnen und der dortigen Pfarre angehören«, sowie »ein Verzeichnis der Kinder dieser Familien, welche in Wien die Volks- oder Mittelschulen besuchen«, zukommen zu lassen.851 Im Antwortentwurf betonte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, dass die Pfarre zwar ent847 Ebd. 848 Ebd. 849 Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 80–81. Petru Jankovschi, Entstehungsgeschichte der orthodoxen Kirchengemeinden in Wien. In: Österreichische Akademische Blätter 2 (1936/1937), 158–160, hier 159. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 94. Nicolae Dura, Kirche in Bewegung. Das religiöse Leben der Rumänen in Österreich. Wien 2007, 95. 850 N8meth, Josef von Zhisman, 92. 851 AHD, G 9, Fasz. 20, 7./19. October 1899: Brief des Metropoliten von Czernowitz Arcadie Czuperkowicz an das Pfarramt der Pfarrkirche zur hl. Dreifaltigkeit in Wien.

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sprechend dem Statthaltereierlass von 1893 für die orthodoxen Gläubigen rumänischer Nationalität zuständig war, diese aber nicht Gemeindemitglieder werden könnten: »Wie erwähnt nehmen die obigen Confessionellen lediglich die Seelsorge in Anspruch; die Mitgliedschaft der Gemeinde kann auf Grund des Privilegien-Statuts nur über die erwiesene Angehörigkeit eines Confessionellen zur griechischen oder macedo-walachischen Nation oder über seine Staatsangehörigkeit zu den im österr. Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern vom Gemeinde-Ausschusse verliehen werden.«852

Tatsächlich geht dies aber weder aus den Privilegien eindeutig hervor, noch machte die zu diesem Zeitpunkt gültige Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit aus dem Jahr 1861 eine diesbezügliche Aussage über die Gemeindemitgliedschaft. Auch die im Jahr 1862 festgelegten Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder853 enthielt weder das Kriterium der Angehörigkeit zur griechischen oder macedo-wallachischen Nation noch dasjenige der österreichischen Staatsangehörigkeit. Die hier gewählte Formulierung, die Rumänen von der Gemeindemitgliedschaft ausschließen sollte, schloss gleichzeitig auch griechische Staatsangehörige davon aus, was eigentlich nicht im Interesse der Gemeinde war. Auch war die Unterscheidung zwischen der österreichischen und der ungarischen Staatsbürgerschaft, welche eine Beschränkung auf die Staatsangehörigkeit zu den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern (d. h. Cisleithanien) bedeutete, vor 1867 für Mitglieder der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in dieser Form nicht getroffen worden, sondern die Mitglieder hatten k.k. Untertanen – und keine osmanischen Untertanen – sein müssen. Die hier genannten Bedingungen für eine Gemeindemitgliedschaft waren de facto nirgends schriftlich niedergelegt worden, da der Entwurf für eine neue Geschäftsordnung, den Gemeindesekretär Michael Dudos im Jahr 1895 im Auftrag des Gemeindevorsitzenden Nikolaus Dumba verfasst hatte,854 und der diese Passus enthielt, nicht angenommen worden war.855 Da sich die notwendig gewordene Erstellung einer neuen Geschäftsordnung als ein langwieriges Unterfangen erwies, wurden vorerst zwei andere Maßnah-

852 AHD, G 9, Fasz. 20, 10. November 1899: Entwurf eines Briefes des Pfarrers der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Damaskinos Spiliotopoulos an den Metropoliten von Czernowitz Arcadie Czuperkowicz. 853 Siehe hier S. 182–183. 854 AHD, G 10, Fasz. 4, Text des Sekretärs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Michael Dudos zur Entstehungsgeschichte der Geschäftsordnung dieser Gemeinde von 1901. 855 Laut Plöchl, Die Wiener Orthodoxen Griechen, 71; fand dieser Entwurf zur Geschäftsordnung »weder in den Verhandlungen mit der niederösterreichischen Statthalterei noch in der Kirchengemeinde selbst Zustimmung«.

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men ergriffen. Ein als »Pro memoria«856 betitelter Text, der die Position der Gemeinde den rumänischen Forderungen gegenüber darstellte, wurde verfasst und dem Gemeindearchiv einverleibt. Dies geschah »[…] mit Bezug auf eine Unterredung, welche Seine Excellenz der Herr Vorstand Nicolaus Dumba im Frühjahr 1899 mit dem Herrn Metropoliten Dr Arcadie Czuperkowitz führte und bei welcher Unterredung Seine Excellenz die Anschauung gewann, dass der Herr Metropolit den griechisch nationalen Charakter unserer Gemeinde sowohl in Hinsicht auf das Seelsorgeamt als auch bezüglich der Gemeindemitgliedschaft in Zweifel ziehe […]«857

Zweck dieses »Pro memoria« war, nachzuweisen, dass mit der in den kaiserlichen Privilegien für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit genannten »walachischen Nation« nicht die rumänische gemeint sei. Es enthielt daher eine historische Definition dieser »walachischen Nation«, bei deren Angehörigen es sich um »griechisch sprechende Macedo-Walachen« gehandelt habe. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass laut den Privilegien die Pfarrer »der Nation nach nur Griechen sein dürfen«, was ein weiterer Beweis für den »griechisch-nationalen«858 Charakter der Gemeinde sei. Den rumänischen Glaubensgenossen werde aber keineswegs die Teilnahme an der (griechischsprachigen) Liturgie verwehrt und sie könnten auch, sollten sie der griechischen Sprache nicht mächtig sein, in deutscher Sprache unentgeltlich am Religionsunterricht in der Gemeindeschule teilnehmen. 3.5.2.1. Die Privilegienausgabe der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1899 Um die oben genannten Argumente zu untermauern, beschloss die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, eine neue gedruckte Ausgabe ihrer Privilegien herauszugeben. In den seit 1867 immer wieder stattgefundenen Verhandlungen mit den österreichischen Behörden über den autonomen Status der Gemeinde hatte sich gezeigt, dass diese oftmals den Text der historischen Privilegien nicht kannten und die Gemeinde selbst darauf hinweisen musste, um die ihr darin garantierten Rechte zu wahren. Die erste gedruckte Ausgabe der Privilegien der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit war 1822 anlässlich des Erhalts des von Kyriak Polyzou für die griechische Nationalschule gestifteten Hauses in Auftrag gegeben worden. Sie enthielt den 856 AHD, G 11, Fasz. 3; und AHD, G 9, Fasz. 20. Siehe Editionsteil Nr. 30. 857 AHD, G 9, Fasz. 20, 8. November 1899: Entwurf des Sekretärs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Michael Dudos (»Pro memoria«); sowie AHD, G 11, Fasz. 3: Reinschrift davon. 858 Zur ideologischen Konstruktion einer nationalen Gemeinschaft aller Griechen nach der Gründung des griechischen Staats und der Entstehung eines Zugehörigkeitsgefühls zu dieser Gemeinschaft bei den Griechen außerhalb des Staats siehe: Kitromilides, »Imagined communities« and the origins of the National Question in the Balkans.

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Text des Privilegiums von Franz II./I. von 1796 sowie den Text des k.k. Hofdekets für die griechische Nationalschule von 1804. Im Jahr 1859 ließ die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit erneut eine Ausgabe dieser beiden Texte drucken. Anlass war diesmal die hauptsächlich von Simon Sina finanzierte Renovierung und Umgestaltung der Kirche durch den Architekten Theophil Hansen (1857–1858).859 Auch diese Ausgabe war viersprachig, wobei an die Stelle der altkirchenslawischen nun eine serbische Übersetzung trat860 und es sich auch beim griechischen Text um eine Neuübersetzung handelte. Bei den Ausgaben von 1822 und 1859 handelte es sich um Drucke, die zu feierlichen Anlässen der Gemeinde in Auftrag gegeben wurden. Dies äußerte sich auch in der Gestaltung der Drucke. Die Ausgabe von 1822 hat als Umschlag zwei kunstvolle Stiche des Kirchengebäudes und des von Polyzou vermachten Schulfondshauses, während die Ausgabe von 1859 Bilder der neu renovierten Kirche enthält.

Abb. 8: Titelblatt des k.k. Hofdekrets für die Griechische Nationalschule aus der Privilegienausgabe der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1859

Die Ausgabe von 1899 verfolgte hingegen einen anderen Zweck und unterscheidet sich daher auch in mehreren Punkten von den beiden älteren Ausga859 Theophil Hansen, Die Umgestaltung des Pfarr-und Schulgebäudes der nichtunirten Griechen in Wien. In: Allgemeine Bauzeitung 1861, 164–165, Bl. 418–424. Eggert, Die griechisch-orientalische Kathedrale am Fleischmarkt, 76–80; Natalie Bairaktaridis, Theophil Hansen. Die griechisch-orthodoxe Kirche am Fleischmarkt in Wien. (Diplomarbeit) Wien 2008, 41–62. 860 Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien, 261.

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ben.861 So war die neue Ausgabe862 nur zweisprachig (Deutsch und Griechisch) und enthielt sowohl den Text der Privilegien Josephs II. von 1787 als auch den Text der Privilegien von Franz II./I. von 1796, nicht aber jenen des k.k. Hofdekrets für die Nationalschule. Der Verzicht auf die dakorumänische863 und die altkirchenslawische bzw. serbische Version des Textes sollte den »nationalgriechischen« Charakter der Gemeinde betonen. Auch wurden die im »Pro memoria« vorgebrachten Argumente bezüglich der Herkunft und Definition der in den Privilegien genannten »Wallachen« durch die konsequente Verwendung des Begriffs »Makedonowlachen« in der griechischen Übersetzung betont.864 So wird der Begriff »griechische und wallachische Nation« des deutschen Originaltextes als »8kkgmer jai Bk\woi [Lajedomobk\woi]« übersetzt, also in Klammer ein erklärender Zusatz beigefügt, um keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen.

3.5.2.2. Die Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1901 In der Generalversammlung am 15./28. April 1901 genehmigte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit schließlich auch eine neue Geschäftsordnung.865 Aufgrund der »durchaus unzureichend gewordenen Bestimmungen der Ge861 Die drei Ausgaben und ihre Unterschiede wurden beschrieben von Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien. 862 K.k. Privilegien der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien. [Wien 1899]. Die Druckfahnen dazu befinden sich in AHD, G 13. Sie sind ident mit der von Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien; beschriebenen undatierten Ausgabe. Im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit befindet sich keine solche gebundene Ausgabe wie diejenige aus dem Besitz von Prof. Peyfuss mehr, allerdings beweist der »Zustellbogen für die k.k. Privilegien der griechisch-orientalischen Gemeinde zur heilg. Dreifaltigkeit in Wien« (AHD, G 9, Fasz. 20), dass die Ausgabe gedruckt und im November 1899 an die Mitglieder versandt wurde. Das Exemplar im Besitz von Prof. Peyfuss stammt vermutlich aus der Hinterlassenschaft des damaligen Vorsitzenden der Gemeinde Nikolaus Dumba. Ein weiteres Exemplar dieser Ausgabe befindet sich im Nachlass von Georgios Kioutoutskas: ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Joim|tgta Ac_ar Tqi\dar Bi]mmg. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei Prof. Max D. Peyfuss bedanken, der mich die in seinem Privatbesitz befindliche Privilegienausgabe in Augenschein nehmen ließ. 863 Der Text ist, wie im Aromunischen üblich, in beiden Ausgaben in kyrillischer Schrift gedruckt, wird aber von Peyfuss als dakorumänisch identifiziert. Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien, 264. 864 Der Ausdruck taucht bereits in der Ausgabe von 1859 auf, wird aber noch nicht systematisch verwendet. Siehe den Textvergleich bei Peyfuss, Balkanorthodoxe Kaufleute in Wien, 266. 865 Jamomisl|r eqcasi~m tgr em Bi]mmg en austqiaj~m upgj|ym apotekoul]mgr ekkgmij^r oqhod|nou Joim|tgtor tgr ac_ar Tqi\dor epixgvishe_r tg 15g=28g Apqik_ou 1901 em tg cemij^ tgr Joim|tgtor sumeke}sei. Geschäftsordnung der griechisch-orientalischen Gemeinde österreichischer Unterthanen zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien genehmigt in der Generalversammlung der Gemeinde am 15./28. April 1901. Wien 1901. Editionsteil Nr. 31.

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schäftsordnung vom Jahre 1861, deren Inhalt mit der durch die Wallachen geforderten Praxis in der Erledigung der Gemeinde-Agenden immer mehr in offenen Widerspruch gerieht«866, hatte der damalige Gemeindevorsitzende Nikolaus Dumba schon 1895 eine neue Geschäftsordnung in Auftrag gegeben. Dabei sollte es sich um eine »vereinfachte, möglichst kurz gefasste Geschäftsordnung« handeln, »in welcher unter Berücksichtigung des traditionellen patriarchalischen Charakters in der Geschäftsführung die aus der Praxis und dem Studium analoger Einrichtungen anderer Religionsgenossenschaften867 gewonnenen Erfahrungen und Eindrücke Verwertung zu finden hätten«.868

Diese Geschäftsordnung wurde zwar nicht verwirklicht, der Entwurf diente aber »noch im Jahre 1900 als Substrat für einen durch den Vorsitzenden Herr K. K. Hofrath Dr Basilio Giannelia codificierten Praesidial-Entwurf«869, der dann am 15. April 1901 von der Gemeinde einstimmig angenommen wurde. Die neue Geschäftsordnung war als Reaktion auf die befürchtete Strukturveränderung der Gemeinde bei Aufnahme von rumänischen Glaubensgenossen und die diesbezüglichen Bemühungen um die Bestellung eines rumänischsprachigen Pfarrers notwendig geworden. Nachdem der inzwischen verstorbene Nikolaus Dumba bereits 1899 über »jene Ansichten der Hochehrwürdigen Mitropolie in Czernowitz« berichtet hatte, die »den nationalen Charakter unserer Gemeinde und das ex privilegio verliehene und durch das Staatsgrundgesetz v. 21/12 1867 gewährleistete Recht auf ausschließliche Bestellung eines Pfarrers griechischer Nationalität an unsere Gemeinde in Zweifel zogen«870, war in der Ausschuss-Sitzung vom 4. Dezember 1900 das »Bestreben seitens eines Comit8 von in Wien ansässigen Rumänen auf Zulassung der Abhaltung des Gottesdienstes in unserer Pfarrkirche in rumänischer Sprache«871 abgehandelt worden.872 866 AHD, G 10, Fasz. 4, Text des Sekretärs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Michael Dudos zur Entstehungsgeschichte der Geschäftsordnung von 1901. Der Text von Dudos ist auf einen Umschlag geschrieben, in dem sich handschriftliche Entwürfe dieser Geschäftsordnung und eine handschriftliche Abschrift des Privilegs von Franz II./I. von 1796 und des k.k. Hofdekrets für die griechische Nationalschule befinden. 867 Vgl. die im Archiv vorhandenen Unterlagen zur Verwaltung der sephardischen Gemeinde in Wien. AHD, G 9, Fasz. 7. 868 Dudos, Die griechisch-orientalische Kirchen-Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit, 89. 869 AHD, G 10, Fasz. 4, Text des Sekretärs der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Michael Dudos zur Entstehungsgeschichte der Geschäftsordnung dieser Gemeinde von 1901. 870 AHD, G 14, Protokollbuch 1899–1902, Protokoll der Plenar-Ausschuss-Sitzung am 4. Dezember 1900. 871 Ebd. 872 Am 9. November 1900 hatte der Wiener Magistrat bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit angefragt, ob die Rumänen bis zur Erlangung der Mittel für die Errichtung einer eigenen

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Die neu erstellte Geschäftsordnung ist, wie auch jene von 1861, in zweisprachiger Form (Griechisch und Deutsch) gedruckt. Sie ist kürzer und weniger detailliert als die vorhergehende Version und verzichtet auf eine genaue Beschreibung der Aufgaben der Gemeindeangestellten.873 Sie beschränkt sich auf folgende Kapitel: Einleitende Bestimmung, die Organe der Geschäftsführung, die Generalversammlung, der Ausschuss, der Vorsitzende, die Kirchenvorsteher (Epitropen), die Schulvorsteher (Ephoren), Urkunden und Zuschriften, Schlussbestimmung. In der einleitenden Bestimmung heißt es, wie auch schon in der Geschäftsordnung von 1861, dass die Gemeinde »ihre Kirchen-, Unterrichts- und Wohltätigkeitsangelegenheiten und dazu bestimmte Stiftungen und Fonde«874 selbständig verwaltet, es wird aber der wichtige Hinweis auf die Legitimation durch die Privilegien und das k.k. Hofdekret von 1804 hinzugefügt. Als die geschäftsführenden Organe der Gemeinde werden die Generalversammlung, der Ausschuss und der Vorsitzende des Ausschusses genannt. Die Position des letzteren wurde mit der neuen Geschäftsordnung gestärkt, da er nun »an der Spitze des Ausschusses«875 steht und »die Gemeinde nach Außen«876 vertritt. Der wichtigste Punkt, der im Vergleich zur Geschäftsordnung von 1861 neu eingeführt wurde, betrifft den Erwerb des Status eines Gemeindemitglieds: Über die Aufnahme von Gemeindemitgliedern in die Gemeinde sollte der Ausschuss nun »nach freiem Ermessen«877 entscheiden, wobei die Kandidaten über 24 Jahre alt, österreichische Staatsbürger und griechisch-orientalischer Religion sein sowie der »griechischen oder macedonowallachischen Nationalität«878 angehören mussten. Indem der Ausschuss eventuelle Aufnahmegesuche auch ablehnen konnte, erfolgte zusätzlich zum ethnischen Kriterium der »griechischen oder

873

874 875 876 877 878

Kirche den Gottesdienst in rumänischer Sprache in der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit abhalten könnten. AHD, G 10, Fasz. 3, 9. November 1900: Brief des Magistrats der k.k. Hauptund Residenzstadt Wien an das Pfarramt der griechisch-orientalischen Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit, Wien. Mit Verweis auf die kaiserlichen Privilegien, die garantierten, dass »für alle Zeiten nur ein Pfarrer griechischer Nationalität« bestellt werden dürfe, wurde dieses Ansinnen von der Gemeinde abgelehnt. AHD, G 10, Fasz. 3, 3. Dezember 1900: Entwurf eines Briefs des Vorstands des Ausschusses der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien Basilio Giannelia an den Magistrat der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien. Laut Dudos, Die griechisch-orientalische Kirchen-Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit, 94; wurden »die instruierenden Einzelheiten aus der alten Geschäftsordnung für die Funktionen der Angestellen« weggelassen, »weil sie zum Teil obsolet geworden waren und weil man bei den einzelnen Amtspersonen entsprechende Fachkenntnisse und Pflichtbewusstsein füglich voraussetzen konnte.« Jamomisl|r eqcasi~m 1901, § 1. Ebd., § 21. Ebd., § 22. Ebd., § 3. Ebd.

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macedonowallachischen Nationalität« eine Absicherung gegenüber der Möglichkeit, dass aus Gemeindesicht unerwünschte Personen als Gemeindemitglieder aufgenommen werden mussten. Bei der zu diesem Zeitpunkt geringen Mitgliederzahl hätten bereits einzelne Personen bedeutenden Einfluss auf die Gemeindepolitik nehmen können. Mittels dieser Bestimmung der Geschäftsordnung sollten die Versuche vonseiten der Metropolie von Czernowitz die Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit zu einer »rumänischen« zu machen endgültig abgewehrt werden. Allerdings hatte die Regelung, dass die Mitglieder österreichische Staatsbürger sein mussten den wahrscheinlich nicht beabsichtigten Nebeneffekt, dass auch griechische Staatsbürger, die nach der Statthaltereiverordnung von 1893 in den Matrikelbezirk der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit fielen, nicht Gemeindemitglieder werden konnten. Dies ist wohl einer der Hauptgründe, warum sich diese Geschäftsordnung bald als ungeeignet für die Bedürfnisse der Gemeinde erwies und man schon wenige Jahre später eine neuerliche Änderung der Statuten vornahm. Abgesehen von den Kriterien zur Aufnahme als Gemeindemitglied enthielt die neue Geschäftsordnung gegenüber der von 1861 folgende weitere Neuerungen: Die Generalversammlung sollte ab der Anwesenheit von zwei Dritteln der Gemeindemitglieder beschlussfähig sein, eine Reaktion auf die fortschreitende Verringerung der Mitgliederzahl. Denselben Grund hat vermutlich die Bestimmung, dass der von der Generalversammlung gewählte Ausschuss aus mindestens sieben und höchstens zwölf Mitgliedern zu bestehen habe. Außerdem durften neuerdings nur Gemeindemitglieder in den Ausschuss gewählt werden, die ihren bleibenden Wohnsitz in Wien hatten. Das weist auf frühere Probleme der Beschlussfähigkeit des Ausschusses aufgrund der Abwesenheit von Mitgliedern hin. Neu war schließlich auch folgende Art der Organisation: Der Ausschuss wählte aus seiner Mitte den Vorsitzenden, dessen Stellvertreter, die Epitropen, die Ephoren und ständigen Sektionen (Finanzausschuss, Öconomat und Armenwesenausschuss), die jeweils aus dem Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter und zwei Ausschussmitgliedern bestanden, wobei die Vereinigung zweier Ämter auf eine Person zulässig war. Diese Geschäftsordnung blieb ein »rein interner Akt«879, der »der Statthalterei zur Genehmigung nicht vorgelegt, also von ihr nicht zur offiziellen Kenntnis genommen«880 wurde.

879 AHD, G 14, Protokollbuch 1899–1902, Protokoll der Plenar-Ausschuss-Sitzung am 5. Februar 1908. 880 Ebd.

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3.5.2.3. Die »neuen Satzungen« der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1909 Schon bald stellte sich die nur intern beschlossene Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1901 in mehrfacher Hinsicht als mangelhaft heraus. Drei konkrete Anlässe zeigten, dass der rechtliche Status der Kirchengemeinde im Hinblick auf die Frage ihrer Autonomie unzureichend geregelt war. Einerseits wurde aufgrund des Verkaufs des Schulfondshauses (Sonnenfelsgasse 21) an die Gemeinde Wien881 die Frage aufgeworfen, ob die Kirchengemeinde überhaupt berechtigt sei, selbständig Immobilien zu veräußern. Als problematisch erwies sich in diesem Fall auch die Tatsache, dass die Griechische Nationalschule als Besitzer des Hauses im Grundbuch eingetragen war, was wiederum fragen ließ, inwieweit es sich bei dieser um eine eigenständige Körperschaft handelte, und ob dann überhaupt die Gemeinde das Recht habe, das Haus zu verkaufen. Der zweite Fall betraf die eigenständige Errichtung von steuergünstigeren Armenstiftungen durch die Gemeinde anstelle von Widmungen. Es ist nicht klar, ob diese Frage in Zusammenhang mit der Stiftung des 1903 verstorbenen ehemaligen Lehrers der griechischen Nationalschule Theagenes Livadas (Heac]mgr Kibad\r) stand, welcher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit und der Gemeinde zum Hl. Georg jeweils 2.000 Kronen für die jährliche Erwähnung als Wohltäter am Sonntag der Orthodoxie vermachte.882 Bei der Errichtung dieser Stiftungen hatte sich eine »Meinungsverschiedenheit zwischen den beteiligten Faktoren«883 ergeben, da sich die k.k. nö. Finanzprokuratur in Unkenntnis des autonomen Status der beiden Gemeinden diesbezüglich an das Konsistorium in Czernowitz gewandt hatte. Der dritte Anlass betraf die Frage, inwieweit die staatlichen Behörden befugt 881 Das Haus wurde 1908 für 200.000 Kronen an die Gemeinde Wien verkauft. AHD, G 10, Fasz. 20, 23. Juni 1908: Kauf-Vertrag (Haus Sonnenfelsgasse 21). Bereits im Jahr 1900 war offenbar ein dann nicht zustande gekommener Verkauf des Hauses an den Wiener Realitätenbesitzer Albert Dub geplant gewesen. Der dazugehörige Vertragsentwurf befindet sich in AHD, G 35, Fasz. 3. 1905 gab es ein Angebot von Dr. Adolf Ritter von Liebenberg das Haus gegen das Haus Taborstraße 33/Große Pfarrgasse 28 im 2. Bezirk einzutauschen. AHD, G 10, Fasz. 13. Die Kirchengemeinde hatte sich entschlossen, das Haus zu verkaufen, da es über Jahre hinweg keine bedeutenden Mietzinserträge mehr eingebracht hatte. Soursos, Ransmayr, Akteure im Dazwischen, 103. Der Direktor der Nationalschule Eugen Zomarides warf der Gemeinde im Zuge der Schließung der Nationalschule 1920 vor, dass »vor 15 Jahren ohne zwingenden Grund das zweite Stiftungshaus der Schule, welches jetzt einen ungeheuren Wert hätte, um 100.000 Kronen verkauft« wurde. AHD, S 8, Fasz. 1, 1. Dezember 1920: Brief von Eugen Zomarides an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. Siehe dazu Stassinopoulou, Habe nun Philologie studiert, 794. 882 AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 27, 22. Oktober 1904: Brief der k.k. nö. Finanzprokuratur an das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht. 883 Ebd.

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waren, disziplinarisch gegen den Pfarrer vorzugehen. Der Grund dafür war ein Konflikt bezüglich der Pfarrzuständigkeit, der zwischen der Pfarre zum Hl. Georg und der Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit entstanden war, nachdem der Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Meletios Apostolopoulos zwei osmanische Untertanen getraut hatte.884 Apostolopoulos hatte sich im Laufe des Verfahrens nach Ansicht der Statthalterei schriftlich ungebührlich geäußert, woraufhin diese verlangte, es habe eine Disziplinaruntersuchung seitens der Kirchenbehörden gegen den Pfarrer stattzufinden. Da die Texte der Privilegien, die aus einer Zeit mit vollkommen anderen gesetzlichen Voraussetzungen stammten, bei der Klärung dieser juristischen Fragen nicht hilfreich waren und außerdem ihre »Existenz, nebstbei bemerkt, der Statthalterei ganz unbekannt« war,885 diese Punkte zudem auch in der Geschäftsordnung von 1901 nicht geregelt waren, ließ die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vom Advokaten Nathaniel Thumim ein umfangreiches Gutachten anfertigen, das die Möglichkeiten, die Autonomie der Gemeinde rechtlich abzusichern, aufzeigen sollte.886 Thumim kam in seinem Gutachten, in dem er den Text der Privilegien nicht immer anhand deren historischer Entstehungsbedingungen, über die er nur teilweise informiert war, interpretierte, zu folgendem Schluss: »Übersieht man das gesamte gesetzliche gegebene Material, so kommt man zu dem Resultate, dass sowohl bezüglich der Autonomie der Gemeinde in kirchlicher als auch in vermögensrechtlicher Beziehung fixe gesetzliche Bestimmungen nicht existieren, sondern dass es sich mehr um einen Usus handelt, von dem man sagen kann, dass er durch die weit über ein Jahrhundert bestehende Dauer desselben zu einem Gewohnheitsrechte geworden ist.«887

Angesichts dieser Situation schlug er drei Möglichkeiten vor, wie zu reagieren sei: Erstens, keine Änderungen vorzunehmen, und die jeweiligen Einzelentscheidungen der Behörden abzuwarten, wobei allerdings jedes Mal die Gefahr bestehe, dass diese Entscheidungen nicht in erwünschter Weise ausfielen. Zweitens, prinzipiell ein für alle Mal Ordnung zu schaffen. Dies sei vermögensrechtlich unproblematisch, bedeute aber in Bezug auf die kirchliche Seite Schwierigkeiten, da bestimmte Rechte wohl einem Bischof überlassen werden 884 Dieser Fall wird hier S. 222–227 ausführlich behandelt. 885 AHD, G14, Protokollbuch 1902–1912, Protokoll der Plenar-Ausschuss-Sitzung am 5. Februar 1908. 886 AHD, G 13, Gutachten über den gegenwärtigen rechtlichen Zustand der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zur heiligen Dreifaltigkeit«, und die Möglichkeiten der Abänderung desselben. Das in mehreren Exemplaren vorhandene Gutachten ist undatiert, stammt aber höchstwahrscheinlich aus dem Jahr 1908 oder von Anfang 1909. Editionsteil Nr. 33. 887 Ebd.

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müssten. Der Eintritt in ein hierarchisches Verhältnis zu einem Bischof berge jedoch die Gefahr, »welchen Einfluss der Bischof in nationaler und sprachlicher Hinsicht in Bezug auf den Gottesdienst nehmen könnte«888, da es in der österreichischen Hierarchie der griechisch-orientalischen Kirche nur serbische und romanische Bistümer gebe. Bei letzteren könne sich leicht das »politisch unterstützte Bestreben herausstellen, die Kirche zu romanisieren, was insbesondere bei dem Umstande, als wohl die Zunahme griechischer Bekenner gegenüber den romanischen in Zukunft besonders nicht zu erwarten ist, auf nicht zu grosse Schwierigkeiten stossen würde«.889

Als Alternative bestehe höchstens die Möglichkeit, für die beiden Wiener und die Triestiner griechischen Gemeinden gemeinsam einen griechischen Bischof zu bestellen, wobei aber die Frage offen bleibe, wer für die Kosten aufkommen solle. Im Zusammenhang mit den Überlegungen Thumims zur kirchlichen Organisation und eventuellen Unterstellung unter einen Bischof sei darauf hingewiesen, dass sich diese immer innerhalb des Kontextes des österreichischen Staates bewegten.890 Dies ist insofern interessant, als der Ökumenische Patriarch Joachim III. (Iyaje_l C4)891, der von 1855 bis 1860 Diakon in Wien gewesen war892 und eine aktive Rolle in der Frage der Makedonowlachen im osmanischen Makedonien spielte,893 am 8. März 1908 einen Beschluss (Tomos) veröffentlichte, mittels dessen die Zuständigkeit für die Kirchen in der Diaspora, die sich außerhalb der normalen orthodoxen Kirchenorganisation befanden, der Kirche von Griechenland übergeben wurde.894 Es gibt keine Hinweise darauf, dass dieser Tomos von den beiden Wiener Gemeinden als sie betreffend rezipiert wurde. Aufgrund des Verbots der österreichischen Behörden eine österreichische Institution, wie sie beide Gemeinden darstellten, einer ausländischen kirchlichen Obrigkeit zu unterstellen, bestand schon seit ihrer Gründung kein formales Verhältnis der Gemeinden zum Ökumenischen Patriarchat. Möglicherweise hatte der Wunsch nach einen solchem Verhältnis in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens bei der Gemeinde zum Hl. Georg existiert.895 Gerade im 888 Ebd. 889 Ebd. 890 Vgl. auch die diesbezüglichen Vorschläge des Kirchenrechtlers Josef von Zhisman bei N8meth, Josef von Zhisman, 201–205. 891 Zu seiner Person: Vasileios Th. Stavridis, Oi oijoulemijo_ patqi\qwai 1860-s^leqom. Istoq_a jai je_lema. Bd. 1, Thessaloniki 22004, 228–307. 892 Siehe dazu hier S. 366. 893 Kitromilides, The Ecumenical Patriarchate and the »national centre«, 12–13. 894 Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 39. Die Gründe für diesen Schritt des Patriarchen sind nach Stavridis unbekannt. Stavridis, Oi oijoulemijo_ patqi\qwai. Bd. 1, 245. 895 Für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit gibt es keine Hinweise auf einen solchen Wunsch. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 41–42; schreibt, die Dreifaltigkeitsgemeinde habe

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19. Jahrhundert zeigten sich beide Gemeinden aber durchaus zufrieden mit ihrer Unabhängigkeit (beispielsweise in Bezug auf die Priesterbestellung oder die Tetraphonie) und es gibt keine Hinweise auf das Bedürfnis nach einer hierarchischen Beziehung zum Patriarchat bzw. darauf, dass irgendwelche Schritte in diese Richtung unternommen wurden.896 Die dritte Möglichkeit schließlich sei laut Thumim, in einer neuen Geschäftsordnung »alles Wünschenswerte, soweit dies im Rahmen einer Geschäftsordnung nur denkbar ist, festzusetzen« und sie sowohl von der Statthalterei als auch vom Metropoliten bestätigen zu lassen. Die Frage der Abgrenzung der Gemeinden müsse jedenfalls neu geregelt werden, da es für Ausländer keine Kompetenzbestimmung gebe, weil der Statthaltereierlass von 1893 sich nur auf den Wiener Polizeirayon bezog.897 Auf Basis dieses Gutachtens entschied die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sich für die dritte der von Thumim vorgeschlagenen Möglichkeiten, nämlich dafür, neue Statuten abzufassen und diese von den Behörden genehmigen zu lassen. In der Generalversammlung am 23. Mai 1909 wurde der »Entwurf neuer Satzungen für die griechisch-orientalische Gemeinde, zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien«898 en bloc angenommen899 und beschlossen, ihn der Kultusbehörde vorzulegen, wie es in der Folge auch geschah.900 Die neuen Satzungen behielten zum Teil Formulierungen der Geschäftsordnung von 1901 bei, enthielten aber genauere Ausführungen im Hinblick auf die besprochene Thematik. So wurde gleich zu Beginn der Mitgliederkreis definiert: »Die in der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien befindlichen Anhänger des griechisch-orientalischen Religionsbekenntnisses, griechischer oder mazedo-walla-

896

897 898 899 900

im Zuge der Privilegienbestätigung durch Franz II./I. 1796 den Wunsch geäußert, dem Ökumenischen Patriarchen unterstellt zu werden, ich konnte jedoch in den diesbezüglichen Akten nichts finden, was dies beweisen würde. Die diesbezüglichen Aussagen bei Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 110; und Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 40–41; der sich auf Efstratiadis beruft, lassen sich nicht belegen. Es gab Korrespondenzen mit dem Ökumenischen Patriarchat, aber auch über den rein formalen Kontakt hinausgehende Beziehungen zum Metropoliten von Karlowitz, wie die polizeiliche Überwachung eines Besuches des Karlowitzer Metropoliten Stefan Stratimirovic´ in Wien im Jahr 1807 zeigt. AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 1434 (1807). Auch wenn die Gemeinden mit verschiedenen kirchlichen Würdenträgern korrespondierten, so waren sie doch an der Beibehaltung ihres von einer kirchlichen Hierarchie unabhängigen Status interessiert. Diese Problematik, der man sich zuerst offenbar von keiner Seite wirklich bewusst war, war wohl durch den behördlichen Versuch einer zumindest teilweise territorialen Abgrenzung entstanden. AHD, G 13, Entwurf neuer Satzungen für die griechisch-orientalische Gemeinde, zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien. Editionsteil Nr. 35. AHD, G 10, Fasz. 17, Auszug aus dem Protokoll der Generalversammlung am 23. Mai 1909. AHD, G 10, Fasz. 17, 6. Juni 1909: Entwurf eines Briefes der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an die k.k. niederösterreichische Statthalterei.

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chischer Nationalität, – mit Ausnahme jener, welche türkische Staatsangehörige sind – bilden die griechisch-orientalische Gemeinde ›zur heiligen Dreifaltigkeit‹.«901

Das Kriterium der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Gemeindemitgliedschaft wurde abgeschafft. Ausschussmitglieder mussten allerdings weiterhin österreichische Staatsbürger sein.902 Weiters wurde auch die Definition der Beziehung der Gemeinde zum Metropoliten von Czernowitz in die Geschäftsordnung aufgenommen. Demzufolge unterstehe die Gemeinde »bei Aufrechthaltung der ihr privilegienmässig (§ 1) gewährleisteten autonomen Rechte laut Bestimmung der Allerhöchsten Entschliessung vom 19. März 1883 der oberkirchlichen Jurisdiktion des griechisch-orientalischen Metropoliten in Czernowitz.«903 Die neuerliche Anpassung der Kriterien zum Erwerb des Mitgliederstatus lässt sich mit dem weiterhin akuten Mitgliedermangel bei der gleichzeitigen Bedrohung einer Rumänisierung der Gemeinde erklären. Die Gemeindemitgliedschaft konnte weiterhin nur durch Aufnahme erworben werden, wobei die Kandidaten »griechischer oder mazedonischer« Nationalität (ausgenommen die türkischen Staatsbürger), griechisch-orientalischer Religion, mindestens 20 Jahre alt und im Vollgenuss der bürgerlichen Rechte sein mussten.904 Das Kriterium der österreichischen Staatsbürgerschaft wurde, wie bereits erwähnt, erneut abgeschafft, und dafür das Mindestalter von 24 auf 20 Jahre gesenkt. Außerdem sollte es nunmehr auch weibliche Mitglieder geben, die ihr Stimmrecht in der Generalversammlung aber nur über Bevollmächtigung eines männlichen Mitgliedes ausüben durften und auch keine Ausschussmitglieder werden konnten.905 Weiters wurde in den Statuten festgeschrieben, dass die Gemeindemitglieder »zur Beteiligung an der Bestreitung der Gemeindelasten verpflichtet« seien, wobei der Ausschuss über die Notwendigkeit und Höhe von außerordentlichen Beiträgen entscheide, was auf die offenbar neuerdings aufgetretenen finanziellen Probleme der Gemeinde hinweist. Während diese Beitragszahlungen der Grund für die Erstellung der ersten Statuten zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewesen waren, ist in den Geschäftsordnungen von 1861 und 1901 davon gar nicht die Rede. Die Einführung eines Kultusbeitrags verschärfte später den Mitgliedermangel aber noch mehr, da einige regelmäßige Gottesdienstbesucher aus eben diesem Grund nicht um Aufnahme als Gemeindemitglieder ansuchten.906 Im 901 902 903 904 905 906

AHD, G 13, Entwurf neuer Satzungen, § 2. Ebd., § 7. Ebd., § 3. Ebd., § 5. Ebd., §§ 6, 7 und 14. AHD, G 9, Fasz. 7, 6. Mai 1927: Pavlos Giannelia, Gutachtliche Äußerung, 6.

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Gegensatz zur Gemeinde zum Hl. Georg, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts zwar kaum mehr Mitglieder hatte, aber nach eigenen Angaben über ausreichend finanzielle Fonds verfügte,907 waren in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit offenbar Fehlentscheidungen bei der Vermögensverwaltung getroffen worden.908 Aufgrund der Probleme beim Verkauf des Schulfondshauses wurde die »Erwerbung und Veräusserung von beweglichen und unbeweglichen Gemeindevermögen (mit Ausnahme der Kirchenrealität)«909 in den Kompetenzbereich des Ausschusses aufgenommen. Weiters wurden ausführliche Bestimmungen über den Pfarrer, seine Bestellung und seine Amtspflichten,910 die in der vorhergehenden Geschäftsordnung ganz gefehlt hatten, festgeschrieben. So hieß es: »Der vom Ausschusse zu wählende Pfarrer muss griechischer Nationalität in einem Mönchkloster im Archipelagus seine geistliche Würde erlangt haben, der deutschen Sprache mächtig sein und eine entsprechende zur Durchführung der ihm zukommenden Aufgaben ihn befähigende Vorbildung besitzen. Er muss die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen oder sich zur Erwerbung derselben binnen Jahresfrist nach Antritt seines Amtes verpflichten.«911

Damit wurde klargestellt, dass der Pfarrer vom Gemeindeausschuss gewählt wurde und Grieche sein musste – also die Bestellung eines rumänischen Pfarrers durch die Metropolie von Czernowitz ausgeschlossen –, und gleichzeitig die durch das Staatsgrundgesetz von 1867 bestehende gesetzliche Bedingung, dass der Pfarrer als Staatsbeamter österreichischer Staatsbürger sein musste, vorgeschrieben. Um eine Wiederholung der Schwierigkeiten, die das Verfahren gegen den Pfarrer Meletios Apostolopoulos mit sich gebracht hatte, in Hinkunft zu vermeiden, wurde dem Pfarrer in Bezug auf die Matrikenführung vorgeschrieben, dass er »die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere über die Abgrenzung der Matrikenbezirke und die bestehenden kirchlichen Vorschriften strenge zu beobachten« habe.912 Außerdem wurde die Position des Pfarrers als Gemeindeangestellter betont, wenn es hieß, dass er »in administrativer Richtung der Kontrolle des Ausschusses« unterstehe.913 Bezüglich der Pfarrjurisdiktion und der Abgrenzung des Matrikenbezirkes zu den anderen 907 AHD, G 116, Kopie eines Dokuments der k.k. nö. Statthalterei vom 27. Jänner 1915 bezüglich Namensänderung und Genehmigung der Statuten der griechisch-orientalischen Gemeinde der türkischen Untertanen zum Hl. Georg: »[..] die materielle Existenz der St.Georgs-Gemeinde [ist] nach eigenen Angaben durch hinlängliche Fonds sichergestellt […], so daß diese Gemeinde trotz ihrer geringen Mitgliederzahl auch ohne Einhebung einer Kultussteuer noch längere Zeit fortbestehen kann«. 908 Vgl. hier S. 209 zum Verkauf des Schulfondshauses. 909 AHD, G 13, Entwurf neuer Satzungen, § 20. 910 Ebd., §§ 33–39. 911 Ebd., § 33. 912 Ebd., § 37. 913 Ebd., § 38.

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Wiener orthodoxen Pfarren wurde der Text der Statthaltereiverordnung von 1893 sowie des diesbezüglichen erläuternden Zusatzes914 in die Satzungen aufgenommen.915 Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit hoffte, durch eine Genehmigung dieser Satzungen von der Statthalterei eine Absicherung ihres Status in Hinblick auf die Mitglieder sowie ihre Unabhängigkeit zu erreichen. Die Statthalterei wandte sich am 17. März 1910916 mit einigen Beanstandungen und Änderungsvorschlägen für die neuen Statuten an die Gemeinde, welche allerdings die grundsätzlichen Intentionen der Gemeinde nicht tangierten. Zwar wurde kritisiert, dass Personen, die laut der Statthaltereiverordnung von 1893 in den Matrikelbezirk der Gemeinde fielen, die Aufnahme in den Gemeindeverband verwehrt werden könnte, dies stehe aber nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen, da es sich um eine innere Angelegenheit der Gemeinde handle.917 Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit entsprach den Änderungswünschen der Statthalterei am 7. März 1912 und betrachtete die Statuten somit als angenommen.918 Ob dies vonseiten der Statthalterei ebenso gesehen wurde, ist jedoch unklar, da sich im Archiv der Gemeinde keine diesbezügliche Mitteilung der Statthalterei befindet.

3.5.2.4. Die Erhebung weiterer Ansprüche auf die Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit von rumänischer Seite und die Errichtung der rumänischen Pfarrexpositur Da die Bemühungen um die Einführung einer rumänischsprachigen Liturgie in der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit erfolglos blieben, ergriffen die Rumänen in Wien zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Initiative zur Gründung einer eigenen 914 Siehe hier S. 192–193. Die Aufnahme dieses Zusatzes in die Statuten war ja bereits 1893 von der Statthalterei gefordert worden. Die Geschäftsordnung von 1901 enthielt jedoch überhaupt keine Bestimmungen zur Pfarrjurisdiktion. Auch die 1908 von der Statthalterei genehmigten Statuten der Gemeinde zum Hl. Sava enthielten diesen Zusatz. Statut der serbischen griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heiligen Sava« in Wien. Beschlossen in der ausserordentlichen Generalversammlung am 7./20. Mai 1906, 27–30, abgedruckt in: Pantovic, Die Wiener Orthodoxen Serben, Anhang. 915 AHD, G 13, Entwurf neuer Satzungen, §§ 40–41. 916 AHD, G 10, Fasz. 17, 17. März 1910: Brief der k.k. nö. Statthalterei an die griechischorientalische Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. 917 Ebd. 918 AHD, G 10, Fasz. 17, 25. Juni 1912: Äußerung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien: »Zu diesen sonst prinzipiell genehmigten Satzungen verlangte die hohe Statthalterei mit Erlasse vom 19. März 1910 einige ergänzende Aenderungen. Dieser Aufforderung wurde mit Eingabe vom 7. März 1912 entsprochen, nachdem sämtliche von der hohen Statthalterei angeordneten Zusätze von der Generalversammlung am 25. Februar 1912 einhellig zum Beschlusse erhoben wurden.«

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

Kirchengemeinde.919 Zunächst wurde im Palais Dietrichstein (Löwelstraße 8) eine Privatkapelle eingerichtet, deren Einweihung Anfang 1907 erfolgte.920 Da Kaiser Franz Joseph im Jahr 1908 sein 60-jähriges Thronjubiläum feierte und man sich aus diesem Anlass finanzielle Unterstützung erhoffte, wurde 1907 ein Verein mit dem Namen »rumänisch-griechisch-orientalischer Kaiser Jubiläums Kirchenbau und Kirchengemeinde-Gründungsverein in Wien« gegründet.921 Allerdings gestaltete sich die Aufbringung von Geldmitteln für den Zweck des Vereins schwierig – eine Parallele zur Gründungsgeschichte der serbischen Kirchengemeinde zum Hl. Sava in Wien. Die älteren beiden griechischen Gemeinden hatten ihren Autonomiestatus auch dadurch immer verteidigen können, dass sie sich finanziell selbst erhielten. Im Jahr 1910 bat der Verein den Kaiser um eine finanzielle Unterstützung und erhielt daraufhin jährlich 5.000 bzw. ab 1912 8.000 Kronen aus den Mitteln des Bukowinaer Religionsfonds.922 Aufgrund der schwierigen finanziellen Situation, die einen Kirchenbau in näherer Zukunft unwahrscheinlich erscheinen ließen, entschloss man sich, neuerlich zu versuchen, die rumänische Liturgie in der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit einzuführen. Am 15. Juni 1912 stellten 22 »in Wien ansässige zur griechisch orientalischen Kirche sich bekennende im Vollgenusse der bürgerlichen Rechte stehende österreichische Staatsangehörige rumänischer (wallachischer) Nationalität« die »Bitte um Aufnahme in die Evidenz der Gemeindemitglieder der griechisch-orientalischen Kultusgemeinde zur heiligen Dreifaltigkeit«.923 Die Antragsteller waren durchwegs der bürgerlichen Schicht zuzurechnen (unter ihnen befanden sich mehrere Ärzte sowie Staatsbeamte). In Anbetracht der Mitgliederzahl der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit924 zu diesem Zeitpunkt hätte die Aufnahme der Antragsteller als Gemeindemitglieder die Machtver919 Der Metropolit von Czernowitz Vladimir Repta informierte den Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Meletios Apostolopoulos 1906 über die Pläne zur Errichtung eines Bethauses. AHD, G 10, Fasz. 16, 16./29. Dezember 1906: Brief des Metropoliten von Czernowitz Vladimir an das griechisch-orientalische Pfarramt der Pfarrkirche zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. 920 Dura, Kirche in Bewegung, 128–130. 921 Die Gründung wurde am 26. April 1907 vom österreichischen Innenministerium bewilligt. Dura, Kirche in Bewegung, 126. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 102. Nistor, Bisericile s¸i ¸scoala greco-rom.na˘ din Viena, 84–85. 922 Dura, Kirche in Bewegung, 130. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 102–103. 923 AHD, G 11, Fasz. 3, 15. Juni 1912: Brief der 22 Antragsteller (vertreten durch Sterie N. Ciurcu) an den Vorstand der griechisch-orientalischen Gemeinde österreichischer Untertanen zur heiligen Dreifaltigkeit in Wien (enthält die Unterschriften der 22 Antragsteller). 924 Im Jahr 1897 zählte die Gemeinde laut eigenen Angaben 33 Mitglieder und 50 Familienangehörige. AHD, G 9, Fasz. 20. Da es nach der neuen Geschäftsordnung von 1909 nun auch weibliche Mitglieder gab, könnte die Mitgliederzahl etwas gestiegen sein. Für das Jahr 1915 wurde die Zahl aller Pfarrlinge (ohne Rumänen) mit 108 Personen angegeben. AHD, G 10, Fasz. 17, Liste »Zahl aller Pfarrlinge unserer Pfarrgemeinde zur heil. Dreifaltigkeit«.

Unterordnung unter Czernowitz und Konflikt mit den Rumänen

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hältnisse in der Generalversammlung sofort zugunsten der Rumänen gekippt. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit wies den Antrag mit der Begründung ab, dass laut den kaiserlichen Privilegien für die Gemeinde »nur solche griechischorientalischen Glaubensgenossen als Mitglieder angehören können, welche griechischer und wallachischer (makedowallachischer) Nation sind, und dem Schreiben zu entnehmen ist, dass die Gesuchsteller der rumänischen Nation angehören«.925 Laut Dura verklagten im selben Jahr auch einige Rumänen die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.926 Ein Jahr später wandte sich der Wiener Magistrat mit der Bitte um Äußerung bezüglich der Errichtung einer Pfarrexpositur der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in der rumänischen Kapelle in der Löwelstraße an diese Gemeinde.927 Die Bitte vonseiten des rumänisch-griechisch-orientalischen Kaiser Jubiläums Kirchenbau und Kirchengemeinde-Gründungsvereins bezüglich Errichtung einer Pfarrexpositur gründete sich auf fünf Argumente: Erstens würde diese nicht nur für die 1.200 ständig in Wien wohnenden Rumänen, sondern auch für die »in den westlichen Provinzen der Monarchie zerstreut wohnenden Rumänen« sowie die »aus anderen Teilen der Monarchie sowie aus den benachbarten fremden Ländern insbesondere aus Rumänien jährlich in einer Zahl von über 10.000 nach Wien reisenden und gewöhnlich länger weilenden gr. or. Rumänen« zuständig sein.928 Weiters wurde angeführt, dass das Anliegen der Gründung einer rumänischen Kirchengemeinde von Regierungsseite durch die Gewährung der finanziellen Unterstützung aus dem Bukowinaer Religionsfonds anerkannt werde. Dann wies man darauf hin, dass die »zahlbaren Stolfunktionen, wie Taufen, Trauungen, Beerdigungen, Matrikenausfertigungen, etz.« weiterhin vom Pfarrer der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit vorgenommen wurden und somit »der rumänischen Kirchenbauaktion in missliebiger Weise Mittel entzogen werden, auf welche die Pfarrkirche zur hl. Dreifaltigkeit mit ihren sonstigen Einnahmsquellen gewiss ganz schmerzlos verzichten könnte«.929 Man wolle aber trotzdem weiterhin im Pfarrverband der Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit bleiben und keine Änderung der bisherigen Rechtsverhältnisse der rumänischen Pfarrgenossen zur Pfarrkirche vornehmen. Das wurde folgendermaßen begründet: »Das Interesse der rumänischen Pfarrgenossen erheischt es vielmehr, auf die Aufrechterhaltung dieses Bandes mit der Mutterkirche zur hl. Dreifaltigkeit umso mehr zu bestehen, als sie in Folge der Unzulänglichkeit ihrer in einem Privathause unterge925 AHD, G 11, Fasz. 3, 25. Juni 1912: Entwurf eines Briefes an Sterjo N. Ciurcu. 926 Dura, Kirche in Bewegung, 96. 927 AHD, G 11, Fasz. 3, 14. März 1913: Brief des Magistrats der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien an die griechisch-orientalische Kirchengemeinde »zur hl. Dreifaltigkeit«. 928 Ebd. 929 Ebd.

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brachten Kapelle auf die uneingeschränkte Mitbenutzung ihrer alten Pfarrkirche930 [Hervorhebung der Autorin] für manche Funktionen, wie insbesondere bei Leicheneinsegnungen zu deren Vornahme die Kapelle sich durchaus nicht eignet, und auf die eventuelle Inanspruchnahme des Pfarrers zur Vertretung des Kaplanes vorläufig bis zur Erbauung einer eigenen Kirche keineswegs verzichten können.«931

Die Zustimmung zur Errichtung einer Pfarrexpositur hätte also für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit den Verlust von Einnahmen aus den Stolargebühren sowie eine Benutzung ihrer Kirche durch den rumänischen Geistlichen bedeutet. Die Gemeinde antwortete daher, dass der Bitte um Errichtung einer solchen Pfarrexpositur nicht stattgegeben werden könne, da es sich dabei um einen Eingriff in die ihr privilegienmäßig verliehenen Rechte handle.932 Die rumänische Gegenseite versuchte in der Folge, ihre Position mithilfe der Metropolie von Czernowitz bei der k.k. nö. Statthalterei durchzusetzen. So protestierten sie am 15. Februar 1914 gegen ihren Ausschluss von der Gemeindemitgliedschaft und forderten die Wiedereinführung der vor 1901 gültigen Statuten.933 Das Thema wurde in der Ausschuss-Sitzung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vom 3. Mai 1914 behandelt, wobei Vassili Giannelia »die Situation als eine sehr ernste« bezeichnete.934 Die Statthalterei würde möglicherweise die Metropolie als Instanz bei den Streitigkeiten »zwischen rumänischen und griechischen Pfarrlingen« betrachten. Die Metropolie wiederum vertrete den Standpunkt, dass sich die Bezeichnung »Griechen« in den Privilegien »nach damaligem Sprachgebrauche nicht auf die Griechen allein im heutigen Sinne beziehe, sondern auf alle Orthodoxen, welche damals beim Gottesdienste sich der griechischen Sprache bedienten (also Griechen, Albaner, Rumänen), im Gegensatze zur altslawischen Liturgiesprache (Serben, Slaven)«935.

Da nunmehr die Majorität in der Kirchengemeinde auf die Rumänen übergegangen sei, hätten diese auch das Recht, Gehör zu finden. Außerdem stehe der derzeitige Zustand der Kirchengemeinde »im Widerspruch mit den Gesetzen über die konfessionelle Gleichberechtigung der Staatsbürger«. Denn diese Ge930 Der Ausdruck verweist auf die frühere Zugehörigkeit von rumänischsprachigen orthodoxen Gläubigen zur Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit, verdeutlicht aber auch ein Anspruchsdenken in Bezug auf die Kirche. 931 AHD, G 11, Fasz. 3, 14. März 1913: Brief des Magistrats der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien an die griechisch-orientalische Kirchengemeinde »zur hl. Dreifaltigkeit«. 932 AHD, G 11, Fasz. 3, 28. März 1913: Brief des Vorsitzenden des Ausschusses der griechischorientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien Basilio Giannelia an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. 933 Dura, Kirche in Bewegung, 96. 934 AHD, G 11, Fasz. 3, Protokoll (Ex Ausschuss-Sitzung am 3. Mai 1914). 935 Ebd.

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setze würden »keine Pfarrlinge, welche nicht gleichzeitig Mitglieder der Pfarrgemeinde seien« kennen, weshalb auch die »Rumänen an unserer Gemeindeverwaltung teilzunehmen« hätten.936 Allerdings, so meinte Giannelia, mache es »den Eindruck, wie wenn die Metropolie weniger darnach strebe, daß die Rumänen Rechte erhalten überhaupt, sondern daß es ihr hauptsächlich darauf ankomme, daß gerade unsere Kirche an die Rumänen falle«. Schon mit der Konstituierung der Metropolie von Czernowitz (1873), hatte man bestimmt, die Synoden in der Dreifaltigkeitskirche stattfinden zu lassen,937 um »in dieser Kirche Fuß zu fassen«938. Dazu äußerte Giannelia die Ansicht: »Auf diese Kirche ist nun die Metropolie erpicht seit jeher, nicht bloß um die Synoden und Cheirotonien abzuhalten (wie die bezügl. Minist. Verordnung bestimmt), sondern um sie zu annektieren.«939

Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt wegen der politischen Situation am Balkan940 akuten existenziellen Probleme der Georgsgemeinde, auf die im Folgekapitel näher eingegangen wird, äußerte Giannelia die Befürchtung, dass man vorhabe, der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bei Auflösung der Georgsgemeinde die Kirche zum Hl. Georg zu übergeben und dafür den Rumänen die Dreifaltigkeitskirche mitsamt ihrem Kirchenvermögen zu überlassen. Diese Befürchtungen sollten sich jedoch nicht bewahrheiten, da sich die Verhandlungen mit den Behörden bezüglich der Pfarrexpositur in die Länge zogen und inzwischen der Erste Weltkrieg ausbrach, in dessen ersten Wochen Czernowitz von russischen Truppen besetzt wurde.941 Noch im Jahr 1915 sprach ein Dokument davon, dass die Verhandlungen über die »Ausscheidung der zur Dreifaltigkeitspfarre eingepfarrten Glaubensgenossen rumänischer Nationalität aus dem Verbande dieser Pfarrgemeinde […] voraussichtlich bald zum Abschluß gelangen werden«942. 936 Ebd. 937 Die Synoden von 1874, 1875 und 1884 fanden in Wien statt. N8meth, Josef von Zhisman, 163–171. Im Synodalstatut von 1884 wurde dann die Dreifaltigkeitskirche als Austragungsort für die Synoden und die Cheirotonie der Bischöfe festgelegt. Siehe hier S. 198. 938 AHD, G 11, Fasz. 3, Protokoll (Ex Ausschuss-Sitzung am 3. Mai 1914). 939 Ebd. 940 Katrin Boeckh, Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg. Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung auf dem Balkan. München 1996. 941 Oleksandr Masan, Czernowitz in Vergangenheit und Gegenwart. In: Harald Heppner (Hrsg.), Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Köln [u. a.] 2000, 11–44, hier 30–31. Die Stadt wurde im Laufe des Ersten Weltkriegs weitere zwei Male von den Russen besetzt. 942 AHD, G 116, Kopie eines Dokuments der k.k. nö. Statthalterei vom 27. Jänner 1915 bezüglich Namensänderung und Genehmigung der Statuten der griechisch-orientalischen Gemeinde der türkischen Untertanen zum Hl. Georg.

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De facto scheint die Pfarrexpositur, deren Existenz in der Literatur mehrfach postuliert wird,943 von den Griechen bis zum Ende der Habsburgermonarchie nie anerkannt worden zu sein, und auch die Matrikenbücher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit lassen darauf schließen, dass zumindest bis 1918944 die Matrikenführung für die Rumänen weiterhin vom Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorgenommen wurde.945 Die offizielle Anerkennung der rumänischen Pfarrgemeinde erfolgte erst in der Ersten Republik.946

3.6. Gegenseitige Konkurrenz der beiden Wiener griechischen Gemeinden Abgesehen von den Problemen, mit denen die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit aufgrund der rumänischen Aspirationen konfrontiert war, entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch eine Konkurrenz der beiden griechischen Gemeinden untereinander. Beide Gemeinden litten an einem deutlichen Mitgliederschwund, wobei die Gemeinde zum Hl. Georg aufgrund der politischen Entwicklungen am Balkan noch stärker betroffen war. Nach dem Tod des in beiden Gemeinden als prestigeträchtige Führungsfigur aktiven Nikolaus Dumba (1900) stellten die Funktionäre der Gemeinde zum Hl. Georg fest, wie nachteilig die im Statthaltereierlass von 1893 festgelegte Pfarreinteilung, die auf einer einvernehmlichen Vereinbarung der Gemeinden beruhte, für sie war. Man hatte sich mit der Zuständigkeit für die osmanischen Untertanen begnügt, deren Anzahl aber inzwischen kaum mehr das Bestehen einer Pfarrgemeinde rechtfertigte. Es scheint plausibel, dass die für die Gemeinde zum Hl. Georg nachteilige Vereinbarung damit in Zusammenhang steht, dass Nikolaus Dumba eine Vereinigung der beiden Gemeinden geplant hatte. So ließe sich die Tatsache erklären, dass in seinem Fall das Kriterium, dass die Gemeindemitgliedschaft mit der Staatsangehörigkeit einherging, nicht eingehalten wurde, wobei es sich um eine einzigartige Ausnahme handelte. Nikolaus Dumba hatte, als er im Jahr 1870 943 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 102. Dura, Kirche in Bewegung, 95–96. N8meth, Josef von Zhisman, 190. 944 Tatsächlich wurde die Matrikenführung für die Rumänen noch bis weit in die 1920er Jahre hinein vom Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorgenommen, da der rumänische Pfarrer nicht österreichischer Staatsbürger war. AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.orientalisch K 4. Dura, Kirche in Bewegung, 97. 945 Nach Ende des Ersten Weltkriegs (1919) wurden zusätzlich noch die Matriken der Orthodoxen des Flüchtlingslagers Oberhollabrunn und des Interniertenlagers Thalerhof in Graz übernommen und zum Zweck der Ausstellung von Bestätigungen bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit aufbewahrt. AHD, G 11, Fasz. 9. 946 Dura, Kirche in Bewegung, 116.

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für den niederösterreichischen Landtag kandidierte, im Zuge dieser politischen Tätigkeit die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen.947 Trotzdem war er von 1870 bis 1895 Vorsteher der Gemeinde zum Hl. Georg, wo er ab 1870 offenbar die Stelle seines in diesem Jahr verstorbenen Vaters Sterio Dumba einnahm.948 Gleichzeitig waren sein Bruder Michael und sein Cousin Theodor ab dem Jahr 1870 als Vorsteher bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit tätig.949 Von 1895 bis zu seinem Tod im Jahr 1900 fungierte Nikolaus Dumba dann als Vorsitzender der Dreifaltigkeitsgemeinde,950 während er gleichzeitig bei der Gemeinde zum Hl. Georg als »Ehrenvorsitzender« firmierte.951 Dass Nikolaus Dumba im Jahr 1895 den Vorsitz der Dreifaltigkeitsgemeinde übernahm, scheint darauf zurückzuführen zu sein, dass die Gemeinde aufgrund der in diesen Jahren auftretenden Schwierigkeiten mit den Rumänen einen Vorsitzenden mit hohem politischem Einfluss brauchte und sein Bruder Michael Dumba, der bis dahin das Amt des Gemeindevorsitzenden innegehabt hatte, am 23. Dezember 1894 verstorben war. So leitete Nikolaus Dumba fünf Jahre lang de facto beide Gemeinden, was die Vermutung nahelegt, dass eine Vereinigung geplant war. In diesem Zusammenhang scheint auch ein von Pavlos Giannelia 1927 erwähntes »vielzitiertes Schreiben« der Herren Karajan, Curti, Galatti, Melingo und Scanavi aus dem Jahr 1869 zu stehen, in dem offenbar eine Vereinigung der beiden Gemeinden angedacht war, welches jedoch in den Archiven der beiden Gemeinden nicht aufgefunden werden konnte.952 Nach dem Tod von Nikolaus Dumba führte die für die Georgsgemeinde kritische Situation jedoch vielmehr dazu, dass sie auf Konfrontationskurs zur Schwestergemeinde ging, indem man versuchte, ihr Kompetenzen für Mitglieder und Pfarrlinge streitig zu machen. So wurde die traditionell streng eingehaltene Unterteilung in osmanische und österreichische Untertanen dadurch aufgeweicht, dass beide Seiten Übertretungen der Vereinbarung von 1893 begingen.

947 Elvira Konecny, Die Familie Dumba und ihre Bedeutung für Wien und Österreich. (Dissertation) Wien 1986, 86. 948 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 77. 949 AHD, G 14, Protokollbuch zu den Ausschuß-Sitzungen der griech. oriental. Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1866–1899. 950 Ebd. 951 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 78. 952 AHD, G 9, Fasz. 7, 6. Mai 1927: Pavlos Giannelia, Gutachtliche Äußerung, 6.

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3.6.1. Streitfälle über die Pfarrjurisdiktion zwischen den beiden griechischen Gemeinden Der erste diesbezügliche Konfliktfall ereignete sich im Jahr 1900, als der Pfarrer der Gemeinde zum Hl. Georg Serafim Zerlentis die Taufe eines Kindes, dessen Vater »österreichischer Staatsbürger und rumänischer Nationalität«953 war, vornahm und dieses, nachdem es wenige Monate später verstarb, auch beerdigte. Die Epitropen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ersuchten die »Schwestergemeinde«, ihren Pfarrer dazu anzuhalten die Statthaltereiverordnung strikter zu beachten, um allfällige Anzeigen einer »etwaigen übelwollenden Seite« bei den österreichischen Behörden zu verhindern, die negative Auswirkungen für die Gemeinden haben könnten.954 Dieser erste Fall spielte sich noch in einem freundschaftlichen Klima zwischen den Gemeinden ab. So antwortete die Gemeinde zum Hl. Georg, dass sie den Fehler des Pfarrers bedauere und ihn angewiesen habe, sich zukünftig streng an die Statthaltereiverordnung zu halten.955 Intern wurde geäußert, dass es nicht im Interesse der Gemeinde sei, »das gute Einvernehmen mit der Schwestergemeinde durch solche Vorkommnisse aufs Spiel zu setzen«.956 Doch bereits wenige Jahre später kam es zum offenen Konflikt, als nun seinerseits der Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Meletios Apostolopoulos die Trauung zweier osmanischer Untertanen durchführte. Michael Koimzoglu, Epitrop der Gemeinde zum Hl. Georg, beschwerte sich am 25. November 1907 beim Ökumenischen Patriarchat darüber, dass Apostolopoulos eine ungültige Ehe geschlossen habe und bezichtigte ihn der Blasphemie gegen die griechische Nation und Kirche.957 Außerdem zeigte er ihn am 29. November 1907 wegen der Schließung einer ungültigen Ehe bei der k.k. nö. Statthalterei an.958 Die diesbezüglichen Vorwürfe Koimzoglus gegen Meletopoulos lauteten, dass es kein Aufgebot gegeben habe, die Kirchentür während der Trauung verschlossen gewesen sei und die Eheleute Johann Constantinides und Despina Petrides mit953 AHG, G 9, Fasz. 23, 18. März 1900: Brief der Epitropen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Gemeinde türkischer Untertanen zum Hl. Georg in Wien. 954 Ebd. 955 AHG, G 9, Fasz. 23, 10. April 1900: Entwurf eines Briefs an den Ausschuss der griechischorientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. AHD, G 10, Fasz. 2, 18. April 1900: Brief der Epitropen der griechisch-orientalischen Gemeinde zum Hl. Georg an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. 956 AHG, G 9, Fasz. 23: Handschriftliche Notiz. 957 AHD, G 16, Fasz. 8, 11. November 1908: Abschrift des Gerichtsurteils im Ehrenbeleidigungsverfahren Meletios Apostolopoulos gegen Michael Koimzoglu am k.k. Bezirksgericht Josefstadt. 958 Ebd.

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einander verwandt seien. Die Blasphemie-Vorwürfe gegen den Pfarrer bezogen sich auf dessen 1907 erschienene theologische Schrift »Amtipek\qcgsir«959. Außerdem stand der Vorwurf von Soter Antoniades im Raum, Meletopoulos sei mit 5.000 Kronen bestochen worden, um die ungesetzliche Trauung vorzunehmen.960 In der Folge strengte Apostolopoulos deswegen ein Ehrenbeleidigungsverfahren gegen Koimzoglu beim Bezirksgericht Josefstadt an, wobei letzterer teilweise schuldig gesprochen wurde, ihm aber in Bezug auf den BlasphemieVorwurf gegen den Pfarrer recht gegeben wurde,961 worauf dieser wiederum Berufung gegen diesen Punkt des Urteils einlegte.962 Während die Beschwerde beim Patriarchat in Konstantinopel, zu dem die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in keiner hierarchischen Beziehung stand, keine faktischen Konsequenzen hatte, führte die Anzeige bei der k.k. nö. Statthalterei dazu, die Gemeinde aufzufordern, den Pfarrer wegen disziplinarrechtlicher Verstöße zu entlassen. Diese Aufforderung bedeutete aber einen eindeutigen Eingriff in die Autonomierechte der Gemeinde, von denen die eigenständige Entscheidung über die Aufnahme und Entlassung der Seelsorger einen der Hauptpunkte darstellte. Die Gemeinde weigerte sich folglich, ihren Pfarrer zu entlassen, und verteidigte sich mit einem Schreiben ihres Anwalts Nathaniel Thumim, in dem die Auffassungen der Gemeinde bezüglich ihrer Autonomie sowie der Abgrenzung der Pfarrjurisdiktion von der Gemeinde zum Hl. Georg ausführlich abgehandelt wurden.963 Zuallererst wurde damit argumentiert, dass aufgrund der durch die kaiserlichen Privilegien garantierten Autonomie der Gemeinde weder die staatlichen Behörden noch die Metropolie von Czernowitz964 eine Ingerenz in die inneren

959 Meletios Apostolopoulos, Amtipek\qcgsir. Athen 1907. Der schwer zu übersetzende Begriff bezeichnet die Fürsorge der jungen Störche für ihre alt gewordenen Eltern in Erwiderung der ihnen von diesen erwiesenen Wohltaten. Der Titel bezieht sich vielleicht auch auf das gleichnamige 1816 in Wien erschienene Werk des Kosmas Mpalanos. 960 In Anbetracht einer drohenden Klage durch Meletopoulos bestritt Antoniades aber, dies geäußert zu haben. AHD, G 16, Fasz. 8, 16. Jänner 1908: Brief des Hof- und Gerichtsadvokaten Wilhelm Schneeberger an Basilio Giannelia. 961 AHD, G 16, Fasz. 8, 11. November 1908: Abschrift des Gerichtsurteils im Ehrenbeleidigungsverfahren Meletios Apostolopoulos gegen Michael Koimzoglu am k.k. Bezirksgericht Josefstadt. 962 AHD, G 16, Fasz. 8, 12. November 1908: Berufungsausführung gegen das Urteil vom 27. Oktober 1908 im Verfahren Meletios Apostolopoulos gegen Michael Koimzoglu am k.k. Bezirksgericht Josefstadt. 963 AHD, G 16, Fasz. 8, Entwurf eines Briefs des Präsidiums des Ausschusses der griechischorientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien (vertreten durch N. Thumim) an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, Abteilung XII. Editionsteil Nr. 34. Eine Reinschrift desselben Briefes befindet sich in: ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc. 964 So sei an keiner Stelle des Synodal-Statuts der griechisch-orientalischen Metropolie der

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

Angelegenheiten der Gemeinde hätten, und daher die Forderung nach Entlassung des Pfarrers aus disziplinarrechtlichen Gründen nicht gerechtfertigt sei. Dies war in Bezug auf die staatlichen Behörden aber nur teilweise korrekt, da nach dem Erlass des Kultusministers vom 29. Mai 1883 zur Unterstellung unter die Metropolie von Czernowitz die Privilegien nur soweit gültig waren, als sie den »allgemeinen geltenden Gesetzen« nicht entgegenstanden.965 Daher wurde betont, dass der Pfarrer nicht gegen ein allgemein gültiges Gesetz verstoßen habe,966 sondern seine Verfehlung höchstens kirchenrechtlich von Relevanz sei. Obwohl es keine Grundlage für eine Intervention der Behörden gebe, habe man aber trotzdem eine eigene Prüfung der Vorwürfe gegen Apostolopoulos vorgenommen, die ergeben habe, dass das Vorgehen des Pfarrers großteils zu entschuldigen sei. Der Vorwurf, der Pfarrer habe gegen die Statthaltereiverordnung von 1893 verstoßen, sei nicht zu verifizieren, da diese Verordnung in diesem Punkt unklar formuliert sei, weshalb die Trauung von zwei osmanischen Untertanen durch den Pfarrer durchaus auch als rechtmäßig interpretiert werden könne: »Da die Fälle durchaus nicht so selten sind, als offenbar bei Abfassung der genannten Verordnung angenommen wurde, muß darauf hingewiesen werden, daß die Abgrenzung eine nichts weniger als genaue ist. Die Abgrenzung erfolgte nämlich lediglich für den Polizeirayon von Wien. Welche Abgrenzung sich aber ergibt, wenn diese örtliche Begrenzung wegfällt, ist nirgends gesagt.967 Dazu kommt, daß die Abgrenzung zwischen der griechischen und romanischen Nationalität und der slawischen eine leicht auch äußerlich erkennbare ist, nicht aber die Abgrenzung, welche zwischen der griechischen und slawischen Kirche einerseits und der türkischen andererseits erfolgt ist. Das Requisit der türkischen Staatsbürgerschaft beweist allein, daß es sich nur um eine kleine Ausnahme handelt, während die Abgrenzung zwischen der slawischen und griechisch-romanischen Nationalität die weiteste Ausdehnung zuläßt.«968

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Bukowina und von Dalmatien eine Unterordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien unter diese Metropolie erwähnt. Siehe hier S. 198. Siehe hier S. 199. Konkret in Frage kam hier das Gesetz vom 20. Mai 1874 betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften. In: RGBl 21 (1874), Nr. 68, 151–154; wo es in §. 12 heißt: »Wenn ein Religionsdiener verbrecherischer oder solcher strafbarer Handlungen schuldig erkannt worden ist, die aus Gewinnsucht entstehen, gegen die Sittlichkeit verstoßen oder zu öffentlichem Ärgernisse gereichen, oder wenn ein Seelsorger die österreichische Staatsbürgerschaft verliert, so hat die Regierung seine Entfernung vom Amte zu verlangen.« Hier sollte sich das Entgegenkommen gegenüber der Forderung des Kultusministeriums nach einer territorialen Abgrenzung der drei Pfarren als problematisch erweisen. Siehe hier S. 188–189. AHD, G 16, Fasz. 8, Entwurf eines Briefs des Präsidiums des Ausschusses der griechischorientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien (vertreten durch N. Thumim) an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, Abteilung XII.

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In der Folge wurde der Charakter der Gemeinde als »Gemeinde der österreichischen Untertanen« stark betont, die gegenüber ausländischen Akteuren (sowohl die Gemeinde zum Hl. Georg als auch die Athener Theologische Fakultät) zu verteidigen sei. »Man sollte annehmen, daß prinzipiell eine österreichische Kirche, also ein österreichisches Institut, in Österreich die allgemeine Jurisdiktion habe, während die türkische Gemeinde nur so weit sich erstrecken kann, als noch die alten türkischen Privilegien reichen und nicht weiter, so daß im Zweifel jedesfalls nicht die türkische, sondern die österreichische Jurisdiktion platzgreife.«969

So wurde nicht nur die Jurisdiktion für die osmanischen Untertanen, die außerhalb des Polizeirayons von Wien wohnten, für sich reklamiert, sondern auch das Existenzrecht der Gemeinde zum Hl. Georg prinzipiell in Frage gestellt, indem die osmanische Staatsbürgerschaft ihrer Mitglieder angezweifelt wurde: »[…] so muß man wohl daran festhalten, daß im Zweifel, wenn es sich um Griechen oder Romanen handelt, unsere Kirche die allgemeine Jurisdiktion hat und die türkische nur ausnahmsweise, wenn türkische Untertanen zweifellos in Betracht kommen, wobei nicht einmal sicher ist, ob türkische Untertanen, die nicht in Wien domizilieren, unserer oder der türkischen Kirche zuzuteilen wären. Dazu kommt, was absolut nicht übersehen werden darf, daß die Frage der türkischen Untertanenschaft lange nicht so einfach ist, wie die eines jeden anderen Staates. Die Türkei entläßt nicht gerne aus ihrem Untertanenverbande und Mancher ist bereits längst Staatsbürger eines anderen Staates, den die Türkei noch lange für sich reklamiert.«970

Bewusst wurde versucht, gegenüber der Statthalterei den Eindruck zu vermitteln, es handle sich bei der Angelegenheit um eine Benachteiligung von österreichischen Staatsbürgern gegenüber Ausländern, obwohl die Auslegung, die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sei auch für osmanische Untertanen zuständig, sofern sie außerhalb von Wien wohnten, sicherlich keine war, die irgendeine der drei Gemeinden bei Abfassung des Textes im Sinn gehabt hatte. »Der hä. Bescheid ist so stilisiert, als ob die Grundgemeinde für den österreichischen Staat die türkische wäre und nur wenn zufällig nicht Türken in Betracht kommen, eine Jurisdiktion unserer Gemeinde platzgreifen würde.«971

Auch in Bezug auf die kirchenrechtliche Dimension der Angelegenheit (die Frage nach der Gültigkeit der Ehe), wurde ähnlich argumentiert. Einerseits sei es für die österreichischen Behörden irrelevant, ob die Ehe von im Osmanischen Reich wohnenden Personen innerhalb Österreichs ungültig sei, denn es sei »nicht die Aufgabe österreichischer Gerichte sich um die ganze Welt zu küm969 Ebd. 970 Ebd. 971 Ebd.

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mern, sondern lediglich nur um Österreicher«972, andererseits habe der Pfarrer in Bezug auf das Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Eheleuten ohnehin den Dispens eingeholt, und zwar vom Metropoliten von Czernowitz. Diesem sei er zwar nicht hierarchisch unterstellt, doch es gebe keine andere kompetente Stelle, wo er sonst um Dispens hätte ansuchen können. »Oder sollte gar die politische Behörde der Ansicht sein, daß der Pfarrer sich nicht an seinen Metropoliten, sondern an einen fremden Metropoliten etwa an den ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel hätte wenden sollen?«973

Schließlich wurde ebenso auch bezüglich des Vorwurfes der Blasphemie gegen den Pfarrer argumentiert. Hinsichtlich des aus dem Ehrenbeleidigungsprozess gegen Koimzoglu resultierenden Vorwurfs gegen Apostolopoulos, »daß er das griechische Volk, und die griechische Kirche nach Ansicht des theologischen Dekanates der nationalen Universität in Athen und der heiligen Synode der Kirche in Griechenland beschimpft haben soll«974, verteidigte man diesen einerseits mit damit, dass theologische Schriften sich oft keinen sanften Tones bedienten, anderseits wies man darauf hin, dass auch der griechischen Kirche in dieser Angelegenheit keine Einmischung zustehe und sie »durchaus nicht den geringsten Anspruch erheben [könne], besonders gegenüber anderen orientalischen Kirchen behandelt zu werden«.975 Dieser Fall zeigt im Übrigen auch, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien sich vom Tomos des Ökumenischen Patriarchats vom 8. März 1908, mit dem die Jurisdiktion über die Diasporakirchen der Kirche von Griechenland überantwortet wurde,976 durchaus nicht tangiert sah. In der Berufungsverhandlung kam es zu einem Vergleich zwischen Apostolopoulos und Koimzoglu, was als »dem Frieden zwischen den beiden Gemeinden dienlich« angesehen wurde.977 Auch die k.k. nö. Statthalterei nahm aufgrund des Protests der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von weiteren Maßnahmen Abstand978 und Meletios Apostolopoulos war noch bis zu seinem Tod im Jahr 1919 in der Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit tätig. Ein weiterer Kompetenzstreit entspann sich zwischen den beiden Gemeinden im Jahr 1914 betreffend die Einsegnung des in Vöslau verstorbenen russischen 972 973 974 975 976 977

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Siehe hier S. 211. AHD, G 16, Fasz. 8, 2. März 1909: Brief des Hof- und Gerichtsadvokaten Wilhelm Schneeberger an Basilio Ritter von Giannelia. 978 AHD, G 16, Fasz. 8, 18. Dezember 1908: Brief des Magistrats der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, Abt. XXII an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit.

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Staatsangehörigen Athanasios Vlachidis, die vom Pfarrer der Gemeinde zum Hl. Georg vorgenommen worden war. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit forderte ihre Schwestergemeinde auf, ihre Priester zur Einhaltung der Vorschriften anzuhalten sowie ihr die entgangenen Gebühren zu ersetzen, ansonsten würde sie den Vorfall bei den k.k. Behörden anzeigen müssen.979 Während die Georgsgemeinde die Auffassung vertrat, die Statthaltereiverordnung von 1893 komme nicht zur Anwendung, da sie nur für den Polizeirayon von Wien gelte, der Tote aber in Vöslau verstorben war,980 entgegnete die Dreifaltigkeitsgemeinde, die Verordnung gelte sehr wohl, da das Begräbnis in Wien stattgefunden habe.981 Der Ausschuss der Georgsgemeinde schlug nun vor, das Thema der Einteilung der Pfarrjurisdiktion gemeinsam zu besprechen,982 um zu einem Einvernehmen darüber zu kommen, dieser Vorschlag aber wurde von der Dreifaltigkeitsgemeinde abgelehnt, da der Zeitpunkt »in Anbetracht der unsicheren territorialen Verhältnisse des ganzen Kontinentes« ungeeignet sei.983 Es war nun seinerseits Meletios Apostolopoulos gewesen, der sich beschwert hatte, dass der Pfarrer der Gemeinde zum Hl. Georg sehr häufig wissentlich in die Jurisdiktionskompetenz der Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit eingreife, was auch den Epitropen der Georgsgemeinde bekannt sei.984 Tatsächlich hatte die Gemeinde zum Hl. Georg zu diesem Zeitpunkt aufgehört, die auf den Privilegien beider Gemeinden beruhende Trennung zwischen osmanischen und österreichischen Untertanen anzuerkennen, wie in der Folge genauer dargelegt wird.

979 AHD, G 11, Fasz. 6, 2. Dezember 1914, Brief der Epitropen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an die Epitropie der Gemeinde zum Hl. Georg. 980 AHD, G 11, Fasz. 6, 31. Dezember 1914, Brief des Ausschusses der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. 981 AHD, G 11, Fasz. 6, 2. Jänner 1915: Michael Dudos, Entwurf eines Briefes an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg. 982 AHD, G 11, Fasz. 6, 31. Dezember 1914, Brief des Ausschusses der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. 983 AHD, G 11, Fasz. 6, 2. Jänner 1915: Michael Dudos, Entwurf eines Briefes an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zum Hl. Georg. 984 AHD, G 11, Fasz. 6, 30. November 1914: Brief des Pfarrers Meletios Apostolopoulos an die Epitropie der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.

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3.6.2. Die erste Geschäftsordnung der Gemeinde zum Hl. Georg (1907) Am 18. April 1907 genehmigte die Generalversammlung der Gemeinde zum Hl. Georg erstmals eine Geschäftsordnung.985 Bis dahin war die Verwaltung dieser Gemeinde nur auf Grundlage der kaiserlichen Privilegien erfolgt. Die Gemeinde sah sich aufgrund der im Laufe des 19. Jahrhunderts ständig sinkenden Mitgliederzahl, die nun einen Tiefpunkt erreicht hatte, zu diesem Schritt genötigt. Bereits 1845 hatte man festgestellt, dass »unsere Gemeinde sich sehr verkleinert«986 habe, und beschlossen, dass die Gemeinde in Hinkunft nicht mehr von einem zwölfköpfigen (Dodekas), sondern einem sechsköpfigen (Exas) Gremium geleitet werden sollte.987 Im Jahr 1900 wurde die Dodekas (unter dem Namen Ausschuss = ]jjkgtor) wiedereingeführt, allerdings deswegen, weil die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt insgesamt nur mehr zwölf Mitglieder zählte, von denen niemand aus dem Ausschuss ausgeschlossen werden sollte.988 Bei der nun erstellten Geschäftsordnung handelte es sich im Wesentlichen um eine Kopie der Geschäftsordnung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1901,989 bei der lediglich einige Punkte entsprechend den Bedürfnissen der Gemeinde zum Hl. Georg adaptiert wurden, nämlich die Passagen, welche die Definition der Mitglieder betrafen. So hieß es, Gemeindemitglieder seien einerseits »alle bisherigen Mitglieder«, andererseits »alle seit mindestens 5 Jahren hier Ansässigen«, die über 24 Jahre alt seien, der griechischen Nationalität und der griechisch-orientalischen Religion angehörten und türkische Staatsangehörige seien.990 Über die Aufnahme neuer Mitglieder entscheide der Ausschuss nach freiem Ermessen.991 Von besonderer Bedeutung ist der darauf folgende Paragraph, der besagte, dass »bisherige Mitglieder der Gemeinde, wenn sie österreichische Staatsbürger werden, Mitglieder der Gemeinde bleiben« könnten.992 Somit wurde die Trennung in zwei griechische Gemeinden in Wien nach dem Kriterium der osmanischen oder österreichischen Staatsangehörigkeit außer Kraft gesetzt. Allerdings führte die Verabschiedung dieser Geschäfts985 AHG, G 10, Fasz. 25, Geschäftsordnung der griechisch-orientalischen Gemeinde zum heiligen Georg in Wien. Genehmigt in der Generalversammlung der Gemeinde am 18. April 1907. Eine Abschrift davon befindet sich auch in AHD, G 10, Fasz. 17. Editionsteil Nr. 32. 986 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 213. 987 Ebd., 213–214. 988 Ebd., 69–70 und 219. 989 Dabei passierte sogar der Fehler, dass in §. 1 irrtümlich das Datum der Privilegien von Franz II./I. für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit angegeben wird. 990 AHG, G 10, Fasz. 25, Geschäftsordnung der griechisch-orientalischen Gemeinde zum hl. Georg in Wien (1907), § 3. 991 Ebd., § 4. 992 AHG, G 10, Fasz. 25, Geschäftsordnung der griechisch-orientalischen Gemeinde zum hl. Georg in Wien (1907), § 5.

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ordnung nicht sofort zu Konsequenzen bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, da sie vorerst als interne Angelegenheit behandelt wurde993 und man die »Schwestergemeinde« offenbar gar nicht über ihre Existenz in Kenntnis setzte. Vonseiten der Georgsgemeinde bedeutete diese Geschäftsordnung jedoch offenkundig die Zäsur, ab der man sich nicht mehr an die Vorgabe hielt, die Mitglieder müssten osmanische Untertanen sein und bei Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft zur Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit wechseln. So war noch 1905 der Vorsitzende der Georgsgemeinde Georg Koimzoglu von seinem Amt zurückgetreten, weil er österreichischer Untertan geworden war.994 Sein Sohn Michel (Michael) G. Koimzoglu,995 der bei den oben geschilderten Jurisdiktionsstreitigkeiten zwischen den beiden Gemeinden als Kläger auftrat, blieb hingegen weiterhin Mitglied der Gemeinde zum Hl. Georg, obwohl er ebenfalls österreichischer Untertan wurde.996

3.6.3. Die Tilgung des Hinweises auf die »türkischen Untertanen« aus dem Namen der Gemeinde zum Hl. Georg Erst drei Jahre nach Verabschiedung der Geschäftsordnung – höchstwahrscheinlich infolge der Auseinandersetzung um den Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Meletios Apostolopoulos und der diesbezüglich von dieser Gemeinde geäußerten Ansichten zur Jurisdiktion über die osmanischen Untertanen –, suchte die Gemeinde zum Hl. Georg am 6. Oktober 1910 bei der k.k. nö. Statthalterei um Genehmigung dieser Geschäftsordnung an.997 Dabei wurde der Punkt in § 3, der besagte, die Mitglieder müssten »türkische Staatsangehörige« sein, ganz gestrichen.998 Zugleich zeigte man die Änderung des Namens der 993 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 80. 994 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 78. 995 Michel (oder Michael) G. Koimzoglu ist der Verfasser eines Buchs über die Geschichte der Gemeinde zum Hl. Georg. Koimzoglu, Geschichte der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heil. Georg«. Diese Publikation wurde 1924 in griechischer Sprache als Dissertation an der Universität Athen angenommen: Siehe URL: http://phdtheses.ekt.gr/ eadd/handle/10442/5906 (abgerufen am: 16. 11. 2015). Während der NS-Zeit war er griechischer Generalkonsul und in einer monarchistischen Widerstandgruppe aktiv. Siehe URL: http://www.doew.at/erinnern/biographien/erzaehlte-geschichte/widerstand-19381945/julius-kretschmer-hunderte-solcher-flugzettel (abgerufen am: 24. 10. 2014). 996 Im Eintrag zu seiner Trauung am 28. 11. 1914 wird er im Trauungsbuch der Gemeinde zum Hl. Georg als österreichischer Untertan angeführt. 997 AHD, G 10, Fasz. 17, 6. Oktober 1910: Abschrift des Briefes der griechisch-orientalischen Gemeinde St. Georg in Wien an die k.k. niederösterreichische Statthalterei mit dem Ansuchen um Genehmigung ihrer Statuten und Anzeige der Abänderung ihres Titels. 998 In dem Exemplar der Geschäftsordnung in AHG, G 10, Fasz. 25; wurde dieser Passus nachträglich durchgestrichen.

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Gemeinde in »Griechische Gemeinde der griechisch-orientalischen Kirche zum heiligen Georg« an, wobei ebenfalls der früher als so wesentlich betrachtete Hinweis auf die Eigenschaft als osmanische Untertanen entfernt wurde.999 Begründet wurde die Namensänderung folgendermaßen: »Die Aenderung des Titels ist laut beiliegender Abschrift in der Generalversammlung vom 8. März 1908 beschlossen worden und zwar auf Grund dessen, dass die Privilegien, welche von weiland Ihrer Majestät der Kaiserin Maria Theresia im Jahre 1776 der Gemeinde erteilt, sowie von weiland Sr. Majestät Kaiser Josef II ebenso von weiland Sr. Majestät Kaiser Leopold II und von allen anderen Nachfolgern bestätigt wurden, besagen, dass diese den griechischen Kaufleuten und türkischen Staatsangehörigen erteilt werden, da es zu jener Zeit, wie bekannt, keine anderen Staatsangehörigen im Oriente gab, da weder ein Griechenland, noch ein Serbien, noch ein Bulgarien, noch ein Rumanien oder Montenegro existierte, so waren alle die damaligen Bewohner des Balkans, die meistenteils der griechisch orientalischen Kirche angehörten, türkische Staatsangehörige. Inzwischen haben sich alle diese Länder vom türkischen Reiche abgewendet, daher ist es nicht tunlich diesen Titel weiter zu führen.«1000

Die k.k. nö. Statthalterei folgte in ihrem diesbezüglichen Bericht an das Kultusministerium der Argumentation der Gemeinde zum Hl. Georg und plädierte für eine Namensänderung.1001 Auf einen ausführlichen historischen Überblick über die Geschichte der beiden Gemeinden,1002 folgte die Feststellung, dass sich bereits im Jahr 1893 kaum mehr Anhänger der griechisch-orientalischen Konfession in Wien befunden hätten, die entsprechend der Statthaltereiverordnung von 1893 zu Recht Mitglieder der Gemeinde zum Hl. Georg waren. Man habe aber zu diesem Zeitpunkt die Gemeinde zum Hl. Georg aufgrund ihrer langen historischen Tradition aufrechterhalten wollen, »gab ihr aber eine Umfangsbestimmung nach welcher sie überhaupt nicht mehr bestehen konnte«1003. Daher sei der Antrag der Gemeinde auf Namensänderung durchaus berechtigt. Interessant ist, dass hier – in umgekehrter Form der Argumentation, die sonst die 999 Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 80. 1000 AHD, G 10, Fasz. 17, 6. Oktober 1910: Abschrift des Briefes der griechisch-orientalischen Gemeinde St. Georg in Wien an die k.k. niederösterreichische Statthalterei mit dem Ansuchen um Genehmigung ihrer Statuten und Anzeige der Abänderung ihres Titels. Vgl. auch Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 81. 1001 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqiajo} Upouqce_ou Paide_ar 1903–1908, 2. August 1911: Fotokopie eines Briefs der k.k. nö. Statthalterei an das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht. 1002 Ebd. Der geschichtliche Überblick beruht auf Dokumenten, die sich heute im Österreichischen Staatsarchiv und im Niederösterreichischen Landesarchiv befinden, so zum Beispiel auf dem Bericht des Hofagenten Hartl von 1793. Siehe hier S. 109–111 und Editionsteil Nr. 14. 1003 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqiajo} Upouqce_ou Paide_ar 1903–1908, 2. August 1911: Fotokopie eines Briefs der k.k. nö. Statthalterei an das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht.

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Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit benutzte – damit argumentiert wurde, dass man Personen, wenn sie österreichische Staatsbürger würden, nicht schlechter behandeln dürfe als vorher als Ausländer. Eine solche Benachteiligung liege aber vor, wenn man diese Personen zwinge, aus der »ältesten Griechengemeinde« auszuscheiden, noch dazu in Anbetracht des Sachverhalts, dass auch die Möglichkeit bestehe, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sie dann nicht als Mitglieder aufnehme.1004 Weiters empfahl die Statthalterei dem Kultusministerium, die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in dieser Angelegenheit gar nicht zu befragen, da diese »aller Voraussicht nach Schwierigkeiten machen würde«. Im Anschluss an die Genehmigung der Namensänderung müsse zunächst die Statthaltereiverordnung von 1893 geändert werden und erst dann könne der Antrag auf Genehmigung der Statuten durch die Gemeinde zum Hl. Georg behandelt werden, da die Statuten vom Namen sowie der Jurisdiktionsabgrenzung unmittelbar beeinflusst würden.1005 Das Kultusministerium war damit nicht einverstanden, da es sich dabei um eine rückwärtsgerichtete Vorgangsweise handle. Vielmehr sei zuerst ein neues Übereinkommen über die Abgrenzung der Jurisdiktion zwischen den drei Wiener griechisch-orientalischen Gemeinden zu erzielen.1006 Daher lud der Wiener Magistrat die drei Gemeinden zu Neuverhandlungen über die Jurisdiktionsabgrenzung.1007 Bei diesen Verhandlungen, die am 15. Jänner 1912 stattfanden, erklärte Basilio Giannelia, Präsident der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, selbige könne dem vorliegenden Vorschlag nicht zustimmen, »da hiedurch der Bestand dieser Gemeinde gefährdet würde«1008. Laut Erlass der k.k.n.ö. Statthalterei vom 12. Dezember 1911 war die Neu-

1004 Ebd. Dabei handelte es sich um eine rhetorische Volte, denn die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit war aufgrund ihres eigenen Mitgliedermangels sehr daran interessiert, diese Personen als Mitglieder aufzunehmen. In diesem Kontext sei darauf hingewiesen, dass Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 82 und 84; die irrige Auffassung vertritt, die griechischen Staatsbürger hätten zu diesem Zeitpunkt bei keiner der beiden Gemeinden Mitglieder werden können. Tatsächlich hatte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit diesen Fehler in ihrer Geschäftsordnung von 1901 in den Statuten von 1909 korrigiert. Siehe hier S. 213. 1005 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqiajo} Upouqce_ou Paide_ar 1903–1908, 2. August 1911: Fotokopie eines Briefs der k.k. nö. Statthalterei an das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht. 1006 Ebd. 1007 AHD, G 10, Fasz. 17, 15. Jänner 1912: Brief des Magistrates der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien an die griechisch-orientalische Kirchengemeinde »zur hl. Dreifaltigkeit«. 1008 AHD, G 10, Fasz. 17, Verhandlungsschrift des Magistrates der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, Abteilung XXII vom 25. Jänner 1912.

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abgrenzung der Pfarrzugehörigkeit der drei griechisch-orientalischen Kirchengemeinden in Wien »etwa auf folgender Grundlage ins Auge zu fassen«1009 : »1. Zur St. Georgs-Gemeinde hätten zu gehören: die griechisch orientalischen Glaubensgenossen, welche nicht Slaven sind, das türkische oder ein sonstiges fremdes Staatsbürgerrecht besitzen oder auch österreichische Staatsbürger sind, soferne sie selbst bisher der St. Georgsgemeinde angehört haben, ferner die Nachkommen der letzteren. 2. Zur Dreifaltigkeitsgemeinde hätten zu gehören: die griechisch orientalischen Glaubensgenossen, welche nicht Slaven sind, dagegen das österreichische Staatsbürgerrecht besitzen, soferne sie nicht der St. Georgs-Gemeinde angehören. 3. Der Gemeinde zum hl. Sava hätten anzugehören ohne Rücksicht auf ihre Staatsbürgerschaft die griechisch orientalischen Glaubensgenossen, welche Slaven sind – alle unter der Voraussetzung, dass sie in Wien wohnen.«1010

Der Vorschlag bedeutete also eine Umkehrung der Verhältnisse zwischen Georgs- und Dreifaltigkeitsgemeinde und hätte anstelle von ersterer nunmehr – wie deren Präsident Giannelia richtig feststellte – letztere in eine existenzgefährdende Situation gebracht. Dies wurde von der Statthalterei offenbar aufgrund des Arguments, die Georgsgemeinde sei die historisch ältere und habe daher eine größere Legitimation, in Kauf genommen. Nachdem bislang stets die Dreifaltigkeitsgemeinde – als die reichere Institution und zudem Gemeinde der k.k. Untertanen – von den Behörden privilegiert behandelt worden war, sollte nun erstmals die Georgsgemeinde bevorzugt werden. Dies hing möglicherweise mit der finanziellen Situation der Gemeinden zusammen. Während sich die Dreifaltigkeitsgemeinde in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand und auf die Einnahmen aus den Stolargebühren angewiesen war, konnte die Georgsgemeinde auch ohne solche Einkünfte nur auf Basis ihres Vermögens noch einige Zeit fortbestehen.1011 Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit verteidigte ihre Ansprüche in einer ausführlichen Äußerung1012 an den Wiener Magistrat und stellte den Antrag, die von der Gemeinde zum Hl. Georg vorgebrachte Bitte, ihre Jurisdiktion auszu1009 AHD, G 10, Fasz. 17, 26. Jänner 1912: Brief des Magistrats der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien an die griechisch-orientalische Kirchengemeinde »zur hl. Dreifaltigkeit«. 1010 Ebd. 1011 AHD, G 116, Kopie eines Dokuments der k.k. nö. Statthalterei vom 27. Jänner 1915 bezüglich Namensänderung und Genehmigung der Statuten der griechisch-orientalischen Gemeinde der türkischen Untertanen zum Hl. Georg. 1012 AHD, G 10, Fasz. 17, 25. Juni 1912: Äußerung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. Editionsteil Nr. 36. Der Text wurde vom Rechtsanwalt der Gemeinde Nathaniel Thumim verfasst und enthielt einen historischen Überblick aus der Feder des Gemeindesekretärs Michael Dudos.

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dehnen und ihren Namen zu ändern, in Gänze zurückzuweisen und die Statthaltereiverordnung von 1893 weiterhin aufrechtzuerhalten.1013 Das Hauptargument der Gemeinde war erneut eine mögliche Bevorzugung von Ausländern gegenüber Inländern, welche es zu verhindern gelte: »Es ist ganz selbstverständlich, dass jeder Staat zunächst für seine eigenen Untertanen Vorsorge trifft […] Türkische Untertanen haben in Österreich aus politischen Gründen in verschiedenster Richtung besondere Privilegien gehabt und so auch u. a. das Privilegium der eigenen pfarrämtlichen Jurisdiktion. Es ist daher selbstverständlich, daß diese Ausnahme nicht ausdehnend interpretiert werden darf. Und gerade so wenig wie man etwa ein Zoll- oder Steuerprivilegium türkischer Großhändler auf solche ausdehnen könnte, welche etwa rumänische oder griechische Untertanen sind, gerade so wenig geht es mit der pfarrämtlichen Jurisdiktion. Ob hiebei im Laufe der Zeit das türkische Reich grösser oder kleiner geworden ist, ist ganz gleichgiltig. Für die Untertanenschaft gilt das jeweilige Gebiet des türkischen Reiches.«1014 »Es geht […] nicht an, einer Gemeinde fremder Untertanen die weitgehendste Machtvollkommenheit zu überlassen und die Gemeinde der eigenen Untertanen zu schädigen und einzuschränken. Es ist überhaupt eine Frage der Zeit, inwieweit die türkischen Untertanen verliehenen Privilegien noch fortdauern werden. Man kann daher diesem künftigen Zustande nicht schon heute präjudizieren, indem man der Jurisdiktion einer Gemeinde türkischer Staatsangehörigen Personen unterwirft, die mit dem türkischen Reiche nichts zu tun haben.«1015

Schließlich wurde noch kritisiert, dass die Gemeinde zum Hl. Georg versucht habe, mittels ihrer Geschäftsordnung vollendete Tatsachen herzustellen: »Es geht nicht an, dass auf dem Wege einer autonomen Geschäftsordnung staatliche Gesetze einfach geändert werden; es ist eben ein großer Unterschied zwischen pfarrämtlicher Jurisdiktion und den Normen, welche eine Kirchengemeinde für ihre Mitglieder ins Leben ruft.«1016

Das ist insofern bemerkenswert, als Thumim in seinem Gutachten von 19081017 der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit eine ganz ähnliche Vorgangsweise nahegelegt hatte, woraus dann auch die neuen Statuten von 1909 resultierten.1018 Im Jahr 1913 berichtete die k.k. nö. Statthalterei, ein Übereinkommen zwischen den drei Gemeinden über eine Neuabgrenzung der Pfarrzugehörigkeit sei 1013 AHD, G 10, Fasz. 17, 25. Juni 1912: Äußerung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Magistrat der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. 1014 Ebd. 1015 Ebd. 1016 Ebd. 1017 AHD, G 13, Gutachten über den gegenwärtigen rechtlichen Zustand der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zur heiligen Dreifaltigkeit«, und die Möglichkeiten der Abänderung desselben. 1018 Siehe hier S. 212.

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nicht erzielt worden. Der Grund dafür war die diesbezügliche Weigerung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Die Gemeinde zum Hl. Sava, welche die Streitigkeiten zwischen den beiden griechischen Gemeinden kaum betrafen, wäre unter der Bedingung, dass ihr die Nachkommen der jetzigen Mitglieder auch zukünftig angehören dürften, zu einer Zustimmung bereit gewesen.1019 Die Statthalterei vertrat weiterhin die Ansicht, die Namensänderung der Gemeinde zum Hl. Georg sei aufgrund der »jüngsten Ereignisse auf dem Balkan«1020 gerechtfertigt. Die Statuten könnten aber aufgrund der fehlenden Einigung zwischen den drei Gemeinden nicht genehmigt werden. Die neuen Satzungen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit hingegen seien zu genehmigen, da ihre Privilegien »als Mitglieder dieser Gemeinde die Angehörigen der griechischen und wallachischen Nation ohne ein Kriterium der Staatsangehörigkeit bezeichnen« würden,1021 was allerdings nachweislich falsch ist. Die österreichischen Behörden waren grundsätzlich nicht gegen eine Aufhebung des Kriteriums der Staatsangehörigkeit zur Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer der zwei Gemeinden bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung beider Gemeinden. Das zeigt zum Beispiel folgendes Zitat aus einem Akt der Kultusverwaltung, der eigentlich die Stiftungsverwaltung betraf: »Gegenwärtig sind Verhandlungen im Zuge, welche darauf abzielen, dass auch andere als türkische Untertanen Mitglieder dieser Pfarrgemeinde werden können, da sonst diese Pfarrgemeinde wegen der seit 100 Jahren kontinuierlichen Verringerung des türkischen Gebietes und des hiedurch bedingten Mitgliedermangels zu bestehen aufhören müsste.«1022

Allerdings verhinderte das komplexe System der k.k. Bürokratie eine rasche Entscheidung und somit wurde das Problem bis zum Ende der Habsburgermonarchie nicht gelöst. 1019 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqiajo} Upouqce_ou Paide_ar 1903–1908, 11. April 1913: Bericht des k.k. Ministeriums für Kultus und Unterricht, Dept. IV betreffend die griechisch-orientalische Kirchengemeinde der türkischen Untertanen zum Hl. Georg in Wien, Namensänderung und Statutengenehmigung. Siehe auch: Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 84. 1020 Im Ersten Balkankrieg verlor das Osmanische Reich 1912 all seine europäischen Gebiete. Mit dem Londoner Vertrag vom 30. Mai 1913 wurde Makedonien zwischen den Siegerstaaten Serbien, Griechenland und Bulgarien aufgeteilt. Keines der Hauptherkunftsgebiete der Wiener Griechen gehörte jetzt mehr zum Osmanischen Reich. Boeckh, Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg, 31–55. 1021 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqiajo} Upouqce_ou Paide_ar 1903–1908, 11. April 1913: Bericht des k.k. Ministeriums für Kultus und Unterricht, Dept. IV betreffend die griechisch-orientalische Kirchengemeinde der türkischen Untertanen zum Hl. Georg in Wien, Namensänderung und Statutengenehmigung. 1022 AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 27, 5. November 1912: K.k. Ministerium für Kultus und Unterricht, Dept. XV, betreffend Stiftung des türkischen Untertanen Demeter Bettly für seine Vaterstadt Castoria.

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Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ihrerseits äußerte die Auffassung, dass die Gemeinde zum Hl. Georg kein Existenzrecht mehr besitze, und spekulierte wohl auch mit einer eventuellen Vereinigung der beiden Gemeinden. Bereits in seinem Gutachten von 1908 hatte Nathaniel Thumim geschrieben: »Es ist überhaupt fraglich, ob heutzutage bei den bestehenden politischen Anschauungen die Existenz zweier Gemeinden notwendig ist und ob nicht durch etwaige Änderungen der politischen Verhältnisse aus prinzipiellen Gründen die griechisch-türkische Gemeinde zum heiligen Georg ihre Rechtsbasis verlieren würden, denn es ist nämlich gar kein Grund vorhanden, Ausländer griechisch-orientalischen Bekenntnisses nach der Staatsbürgerschaft zu unterscheiden; es liegt gar kein Grund vor, einen türkischen Untertanen anders zu behandeln als etwa einen griechischen.«1023

In seinem Manuskript einer Geschichte der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit erwähnte der Direktor der griechischen Nationalschule Eugen Zomarides die Möglichkeit einer Vereinigung der beiden Wiener griechischen Gemeinden: »Nach der Befreiung Griechenlands […] kam es zu einem Verblühen, ja sogar zu einem Marasmus einiger im Ausland befindlichen griechischen Kolonien. Wegen der geographischen Lage Wiens und wegen der festen Grundlagen, auf denen die beiden hiesigen griechischen Gemeinden errichtet sind, scheint denselben in absehbarer Zeit keine solche Gefahr zu drohen und entweder getrennt oder vereinigt [Hervorhebung der Autorin], wie dies bei ihrer Gründung vorgeschlagen wurde, werden sie immer ihre Blicke gerichtet haben auf die Stadt der Pallas […]«1024

Im Zuge des Streits mit den Rumänen um die Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit, war Vassili Giannelia aufgrund der Ergebnisse der Balkankriege von der baldigen Auflösung der Gemeinde zum Hl. Georg überzeugt: »Dazu komme als Komplikation, daß unsere Schwestergemeinde zu St. Georg mit 15. Mai 1914 ihrer Auflösung entgegengehe; an diesem Tage laufe der Termin ab für die Option zur Erklärung, die griechische Staatsbürgerschaft anzunehmen, (für jene, die aus Neugriechenland stammend, bezw. dorthin zuständig sind). An diesem Tage werden nur mehr 3 Personen griechischer Nation in der Schwestergemeinde türkische Staatsangehörige bleiben, vielleicht nur zwei. 2 und 3 Personen können aber keine Kirchengemeinde bilden.«1025

Vonseiten der Gemeinde zum Hl. Georg wurde dies jedoch durchaus anders gesehen. Laut Efstratiadis hatte es zwar kurzfristig Pläne gegeben, die Kirche der 1023 AHD, G 13, Gutachten über den gegenwärtigen rechtlichen Zustand der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zur heiligen Dreifaltigkeit«, und die Möglichkeiten der Abänderung desselben. 1024 AHD, S 8, Fasz. 3, ca. 1910–1916: Manuskript von Eugen Zomarides zur Geschichte der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Editionsteil Nr. 39. 1025 AHD, G 11, Fasz. 3, Protokoll (Ex Ausschuss-Sitzung am 3. Mai 1914).

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

griechischen Regierung zu schenken,1026 diese wurden aber anscheinend nicht weiterverfolgt. Vielmehr kämpfte die Gemeinde zum Hl. Georg darum, ihre Existenz zu sichern, indem auch andere als osmanische Untertanen als Gemeindemitglieder anerkannt werden sollten. Einen ersten Erfolg erzielte man mit der Genehmigung der Namensänderung mittels Erlass des Kultusministeriums vom 27. November 1915 (Z. 18203 ex 1913)1027, wobei die Aussparung der Worte »türkische Untertanen« im Namen der Gemeinde durch eine Intervention der griechischen Gesandtschaft erreicht wurde.1028 In diesen Jahren fand also eine Annäherung der Gemeinde zum Hl. Georg an den griechischen Staat statt. Nachdem laut der k.k. nö. Statthalterei ausgeschlossen erscheine, dass »zwischen den Kirchengemeinden zur heiligen Dreifaltigkeit und zum heil. Georg eine Einigung hinsichtlich der Jurisdiktionsabgrenzung« zu erzielen sei, bleibe nur mehr die Lösung, eine Verfügung des Metropoliten von Czernowitz einzuholen.1029 Das ließ sich aber aufgrund der Entwicklungen des Ersten Weltkriegs – Czernowitz befand sich, wie bereits erwähnt, mitten in einem stark umkämpften Territorium – nicht mehr verwirklichen. Obwohl die beiden Gemeinden in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg einen verstärkten Konkurrenzkampf um Mitglieder, die griechische Staatsbürger waren, führten, wurden sie auch während des Ersten Weltkriegs immer als genuin österreichische Institutionen betrachtet und nicht als potentielle feindliche Agenten wahrgenommen. Da die Gemeinden in keiner Abhängigkeit zum griechischen Staat standen, zeigte auch der Kriegseintritt Griechenlands aufseiten der Entente im Jahr 1917 keine Auswirkungen. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit wurde zwar zwischenzeitlich gebeten, keine finanzielle Unterstützung aus Stiftungen an griechische Staatsangehörige auszuzahlen,1030 in den letzten Tagen der Monarchie wurde aber auch dies für im Inland wohnhafte Griechen wieder erlaubt.1031

1026 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 70. 1027 AHD, G 116, 28. April 1922: Fotokopie eines Berichts des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht, Abt. III, Betreff: griechisch-orientalische Kirchengemeinde zum Hl. Georg in Wien, Genehmigung der Statuten. Die gleiche Fotokopie befindet sich auch in: ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqiajo} Upouqce_ou Paide_ar 1903– 1908. 1028 Ebd. Siehe auch: Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 86. 1029 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqiajo} Upouqce_ou Paide_ar 1903–1908, 4. Dezember 1915: Fotokopie eines Briefes der k.k. nö. Statthalterei an das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Davor war am 11./24. Mai 1915 eine Äußerung des Metropoliten zur Frage eingegangen. Siehe auch: Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 84. 1030 AHD, G 11, Fasz. 8, 27. Juli 1917: Brief der k.k. nö. Statthalterei an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. 1031 AHD, G 11, Fasz. 8, 30. Oktober 1918: Brief der k.k. nö. Statthalterei an den Vorsitzenden

Epilog: Die Wiener griechischen Gemeinden in den 1920er Jahren

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3.7. Epilog: Die Wiener griechischen Gemeinden in den 1920er Jahren Mit der Verzichtserklärung Kaiser Karls I. am 11. November 1918 in der österreichischen Reichshälfte endete auch für die beiden Wiener griechischen Gemeinden eine Ära. Die kaiserlichen Privilegien, aus denen beide Gemeinden für eineinhalb Jahrhunderte ihre Legitimation bezogen hatten, verloren mit dem Ende der Monarchie ihre Gültigkeit. Dennoch erfuhren die beiden Hauptprobleme der Gemeinden am Vorabend des Ersten Weltkriegs – namentlich der Konflikt der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit mit den Rumänen und der Kompetenzstreit der beiden Gemeinden untereinander – eine Fortsetzung in den 1920er Jahren. Da die diesbezüglichen Vorgänge über 1918 hinausreichten und der Zustand, der während des Bestehens der Habsburgermonarchie geherrscht hatte, noch für einige Jahre als Referenzgröße diente, bis die Entwicklungen eine neue Richtung einschlugen,1032 soll an dieser Stelle kurz darauf eingegangen werden. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die Gemeinden sich auch nach dem Ende der Monarchie so verhielten, als würden die Privilegien weitergelten, wobei vor allem auf den Fortbestand des autonomen Status in vermögensrechtlicher Hinsicht großer Wert gelegt wurde. Was allerdings die Beziehung zur Metropolie von Czernowitz betraf, so gab es unterschiedliche Auffassungen. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit betrachtete ihre Beziehung zur Metropolie, die sich nun innerhalb von Rumänien befand, des Ausschusses der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. 1032 Zur Geschichte der Wiener griechischen Gemeinden in der Zwischenkriegszeit und der Nazizeit gibt es bisher kaum Forschungen: Christian Gonsa, Die griechische Diaspora in Österreich 1944–1947. In: Asterios Argyriou, Konstantinos A. Dimadis, Anastasia Danai Lazaridou (Hrsg.), O ekkgmij|r j|slor am\lesa stgm Amatok^ jai tg D}sg 1453–1981. Pqajtij\ tou A4 Euqypazjo} Sumedq_ou Meoekkgmij~m Spoud~m, Beqok_mo, 2–4 Ojtybq_ou 1998. Bd. 2, Athen 1999, 321–329; und Margot I. Schneider, Griechische Vereine in Österreich 1918–1974. (Diplomarbeit) Wien 2013, 35–53 und 127; beschäftigen sich mit dieser Zeit, behandeln aber die Gemeinden nicht. Hauptsächlich die kirchengeschichtlichen und kirchenrechtlichen Aspekte behandeln: Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 108–119; und Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr; sowie jetzt Eva Maria Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation der »österreichischen« Orthodoxie seit dem Untergang der Habsburgermonarchie. In: Vasiliki Leontaritou, Kalliopi A. Mpourdara, Eleutheria Sp. Papagianni (Hrsg.), Amtij^msyq. Tilgtij|r t|lor Sp}qou M. Tqyi\mou cia ta ocdogjost\ cem]hki\ tou. Athen 2013. Bd. 2, 1667–1692. Eine nähere Beschäftigung mit der Person des damaligen Pfarrers der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Agathangelos Xirouchakis (später Bischof von Chania), würde sicherlich interessante Erkenntnisse liefern. Vgl. die politische publizistische Tätigkeit von Xirouchakis während seiner Zeit in Wien bei Nikolaos B. Tomadakis, †Acah\ccekor Ngqouw\jgr (1872–1958). Biocqavij|m jai bibkiocqavij|m sgle_yla. In: Jqgtij\ wqomij\ 11 (1957), ic4-ka4.

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

nach 1918 als beendet. Man ging davon aus, dass die in der Habsburgermonarchie übliche Politik, die eine Beziehung zu einem kirchlichen Oberhaupt außerhalb des Staatsgebiets nicht erlaubte, analog auch für die Republik Österreich galt. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die beiden nicht-griechischen orthodoxen Pfarrgemeinden in Wien, die serbische Gemeinde zum Hl. Sava und die 1923 offiziell anerkannte rumänische Gemeinde,1033 in der Ersten Republik sehr wohl solche Beziehungen eingingen. Die serbische Gemeinde, die im Jahr 1897 der Eparchie von Zara unterstellt worden war,1034 die damals zur Metropolie der Bukowina und Dalmatiens gehörte, ordnete sich »unter Wahrung ihrer vollen autonomen Rechte«1035 der Jurisdiktion des serbischen Patriarchen in Belgrad unter. Die rumänische Pfarrgemeinde wiederum blieb bis zu deren Auflösung 1940 freiwillig unter der Jurisdiktion der Metropolie von Czernowitz.1036 Auch die Gemeinde zum Hl. Georg ging davon aus, dass ihre Beziehungen zur Metropolie von Czernowitz in unveränderter Form (d. h. rein formeller Natur) weiterbestehen würden. Zur selben Zeit begann das Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel, Ansprüche auf die Jurisdiktion über die ehemaligen autonomen griechischen Gemeinden der Habsburgermonarchie zu erheben. Am 1./14. März 1922 wurde der Tomos des Patriarchen Joachim III. von 1908 rückgängig gemacht und die Jurisdiktion über die orthodoxe Diaspora wiederum dem Ökumenischen Patriarchat unterstellt.1037 Wenige Wochen später wurden die Metropolie von Thyateira und das Exarchat von West- und Zentraleuropa mit Sitz in London gegründet.1038 Sie sollten für die in diesem Gebiet zerstreuten orthodoxen Gemeinden, die keiner autokephalen Kirche angehörten, zuständig sein.1039 Im Jahr 1924 wurde dann die Metropolie von Zentral-

1033 Die rumänische Kirchengemeinde wurde mit Erlass des Wiener Magistrats vom 27. Mai 1923 für konstituiert erklärt. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8ccqava Austqijo} Upouqce_ou Paide_ar 1903–1908, 21. Mai 1940: »Die griechisch-orientalischen Kirchengemeinden in Wien« (Bericht des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten, Abt. IV an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten in Berlin). Siehe auch: Dura, Kirche in Bewegung, 116. 1034 Pantovic, Die Wiener Orthodoxen Serben, 52. Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1670. N8meth, Josef von Zhisman, 191. 1035 Pantovic, Die Wiener Orthodoxen Serben, 58. Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1673. 1036 Ebd. 1037 Peter Plank, Der Ökumenische Patriarch Meletios IV. (1921–1923) und die orthodoxe Diaspora. In: Orthodoxes Forum 21 (2007), 251–269, hier 262. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 118. 1038 Plank, Der Ökumenische Patriarch Meletios IV., 262. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 121. 1039 Ebd., 122.

Epilog: Die Wiener griechischen Gemeinden in den 1920er Jahren

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europa1040 mit Sitz in Wien gegründet und Germanos Karavangelis (Ceqlam|r Jaqabacc]kgr)1041 als Metropolit eingesetzt. Nach dem Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei, der auf den griechisch-türkischen Krieg und den Vertrag von Lausanne (24. Juli 1923) folgte, und der Proklamation des türkischen Staates (29. Oktober 1923) nach dem Ende des Osmanischen Reiches war das Ökumenische Patriarchat so stark geschwächt, dass sogar seine Abschaffung gefordert wurde.1042 Seinen Bedeutungsverlust wollte es dadurch ausgleichen, indem es Anspruch auf die Jurisdiktion über alle orthodoxen Diasporagemeinden der Welt1043 erhob.1044 Die neue Metropolie von Zentraleuropa sollte »alle orthodoxen Kolonien in Österreich, Ungarn und Italien umfassen«1045. Dabei handelte es sich jedoch um eine einseitige Initiative des Ökumenischen Patriarchats, auf welche die bisher autonomen Wiener Gemeinden unterschiedlich reagierten. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit entschloss sich, die neue Metropolie grundsätzlich anzuerkennen und stellte dem Metropoliten auch ihre Kirche als Kathedrale zur Verfügung.1046 Allerdings betrachtete sie die Beziehung zum Metropoliten als rein kanonisch1047 und leitete daraus keine institutionelle Abhängigkeit ab, sondern bestand auf der Beibehaltung ihrer aus den alten kaiserlichen Privilegien hervorgehenden finanziellen Autonomie.1048 Die eher positive Einstellung der Dreifaltigkeitspfarre zur neuen Metropolie 1040 Zuerst wurde die Metropolie unter dem Namen Metropolie von Ungarn und Exarchat von Zentraleuropa gegründet. Wenige Monate später wurde der Sitz von Budapest nach Wien verlegt und die Metropolie in Metropolie von Zentraleuropa umbenannt. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 124–125. 1041 Germanos Karavangelis (1866–1935) ist vor allem für seine aktive Beteiligung auf griechischer Seite im Makedonienkampf als Metropolit von Kastoria (1900–1907) bekannt. Siehe: Douglas Dakin, The Greek struggle in Macedonia 1897–1913. Thessaloniki 1993, u. a. 119–145. Darüber verfasste er auch seine Memoiren: Germanos Karavangelis, O Lajedomij|r Ac~m. Apolmglome}lata. Thessaloniki 1959. 1042 Boeckh, Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg, 308. 1043 Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1672–1673. Plank, Der Ökumenische Patriarch Meletios IV., 262–263. Dies wurde vonseiten anderer orthodoxer Kirchen durchaus kritisch gesehen. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 126–128. 1044 Trotz seiner zu diesem Zeitpunkt stark gefährdeten Position in der neuen türkischen Republik, verfolgte das Patriarchat in diesen Belangen eine durchaus aktive Politik. Harry J. Psomiades, The Ecumenical Patriarchate under the Turkish Republic. The first ten years. In: Balkan Studies 2 (1961), 47–70, hier 69. 1045 Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 125. Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1674. 1046 Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 155. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 116. 1047 AHD, G 11, Fasz. 12, 6. Oktober 1924: Brief des Vorsitzenden des Ausschusses der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Basilio Giannelia an das Bundesministerium für Unterricht. 1048 Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 154. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 115. Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1674.

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

hatte durchaus eigennützige Gründe. Einerseits erhoffte man sich dadurch einen besseren Schutz gegenüber den weiterhin existierenden rumänischen Ansprüchen auf die Kirche,1049 andererseits organisierte der Metropolit Germanos der Gemeinde, die sich finanziell in einer prekären Situation befand, monetäre Unterstützung vom griechischen Außenministerium.1050 Trotzdem hatte auch das Entgegenkommen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ihre Grenzen. So stellte sie dem Metropoliten keine Wohnung im Kirchengebäude zur Verfügung, sondern er logierte während seiner gesamten Amtszeit in Wien (1924–1935) im Hotel Metropol am Morzinplatz.1051 Die Gemeinde zum Hl. Georg hingegen erkannte den Metropoliten während der gesamten Dauer des Bestehens der Metropolie von Zentraleuropa (1924– 1936)1052 nie als ihr übergeordnete Instanz an, sondern betrachtete sich weiterhin als »in rein formeller Weise« der Metropolie von Czernowitz unterstellt. Dies ging vor allem auf den großen Einfluss, den Pfarrer Demetrius Georgiades (Dgl^tqior Ceyqci\dgr) auf die Gemeindemitglieder ausübte, zurück.1053 Georgiades argumentierte gegenüber der Gemeinde historisch, indem er sie auf ihre lange Tradition der Autonomie hinwies, wobei er sich besonders des 1912 erschienenen Buches von Sofronios Efstratiadis über die Geschichte der Gemeinde bediente.1054 Nur ein Verbleib unter der Metropolie von Czernowitz könne das Weiterbestehen dieser Autonomie garantieren, da sich erstere niemals in irgendwelche Angelegenheiten der Gemeinde eingemischt und de facto kein Kontakt bestanden habe.1055 Tatsächlich bedeutete das vor allem für ihn als Pfarrer die Quasi-Unabhängigkeit von jeglicher kirchlicher Hierarchie.1056 Erst nach dem Tod von Georgiades (24. Juni 1944) erkannte die Gemeinde zum Hl. Georg schließlich die Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats an.1057 Der aus Kreta stammende Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, Agathangelos Xirouchakis, hingegen hatte keine Probleme mit der Eingliederung in die Strukturen des Ökumenischen Patriarchats,1058 wie sie auch für seine Heimat galt (und noch gilt). Hier zeigt sich eine Entwicklung des 20. Jahrhun1049 1050 1051 1052

1053 1054 1055 1056 1057 1058

Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 153. Ebd., 156–157. Ebd., 149. Nach dem Tod von Germanos Karavangelis im Jahr 1935 wurde die Metropolie wieder aufgehoben und die Gemeinden – zumindest aus der Sicht des Ökumenischen Patriarchats – erneut der Metropolie von Thyateira unterstellt. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 117. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 167. Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1675–1676. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 172–173. Ebd., 173. Ebd., 167–168. Ebd., 178–179. Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1679–1680. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 157.

Epilog: Die Wiener griechischen Gemeinden in den 1920er Jahren

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derts, nämlich die zunehmende Bedeutung der Pfarrer als Führungspersönlichkeiten innerhalb der Gemeinden, die wohl auch dem Mitgliederschwund geschuldet war. Traditionellerweise waren die Geistlichen in den beiden griechischen Gemeinden nur Gemeindeangestellte gewesen, die jederzeit von den Gemeinden entlassen werden konnten, und keinerlei Einfluss auf die Verwaltungsangelegenheiten der Gemeinden hatten. Wie erwähnt, erachtete sich auch die Metropolie von Czernowitz trotz der Tatsache, dass die Stadt nun zu Rumänien gehörte, weiterhin als zuständig für die beiden Wiener griechischen Gemeinden und trat somit in Konkurrenz zum Ökumenischen Patriarchat.1059 Um ein diesbezügliches Übereinkommen mit dem rumänischen Patriarchen Myron zu erreichen, reiste der Metropolit Germanos Karavangelis im Jahr 1926 nach Bukarest.1060 Das Resultat war jedoch kontraproduktiv für den beabsichtigten Zweck, denn der rumänische Patriarch legte nun Protest beim Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel ein und 1927 reiste der Metropolit von Czernowitz persönlich nach Wien, um seine Ansprüche auf die beiden Wiener griechischen Gemeinden erneut zu bekräftigen.1061 Es kam zu einem Gespräch zwischen dem Metropoliten und dem Vorsitzenden der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Basilio Giannelia, bei dem der Metropolit die Ansicht vertrat, dass das Band zwischen der Metropolie und den beiden Wiener griechischen Kirchengemeinden, wie es vor 1918 bestanden habe, noch nicht gelöst sei.1062 Dem widersprach Giannelia und erklärte, dass nach Auffassung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit durch den Zerfall der Habsburgermonarchie und der Tatsache, dass die Bukowina nicht mehr zum österreichischen Staat gehörte, diese Verbindung getrennt worden sei, weshalb die Metropolie von Zentraleuropa gegründet worden sei, da es im neuen österreichischen Staat keine orthodoxe Diözese gab. Im Übrigen sei das Band zwischen den Kirchengemeinden und den Metropolien von Karlowitz und später Czernowitz ein rein geistliches gewesen, und habe keineswegs eine Unterstellung unter die Metropolie bedeutet. Eine solche rein geistliche Verbindung bestehe jetzt mit der Metropolie von Zentraleuropa.1063 Giannelia betonte also wieder einmal die Autonomie der Gemeinde, nicht nur gegenüber Czernowitz, sondern auch gegenüber der neuen Metropolie von Zentraleuropa. Grundsätzlich ist festzustellen, dass es sich bei dieser Meinungsverschiedenheit im Jahr 1059 Synek, Anmerkungen zur jurisdiktionellen Situation, 1672–1673. Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 157–158. 1060 Ebd., 159. 1061 Ebd., 159–161. 1062 AHD, G 9, Fasz. 7, 13. Juni 1927: Basilio Giannelia, Notizen über das mit seiner Erzbischöflichen Gnaden dem Herrn Metropolit der Bukowina am 10. Juni 1927 bei mir stattgehabte Gespräch. 1063 Ebd.

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

1927 um eine direkte Fortsetzung des Konfliktes mit den Rumänen vor 1918 handelte, da es – trotz der inzwischen erfolgten Anerkennung der rumänischen Kirchengemeinde – eigentlich um Begehrlichkeiten auf die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit ging. So bemerkte der Metropolit, dass die rumänische Kirche in Wien nur klein sei, worauf Giannelia entgegnete: »Wenn die Kirche klein ist, so ist das Königreich Rumänien ein reicher Staat, dem es leicht sei eine große Kirche in Wien zu errichten. Für unsere Kirchengemeinde gibt es keine rumänische Frage. Die Rumänen in Wien haben eine von den Behörden anerkannte selbständige Kirchengemeinde, so wie die Serben eine haben. Die rumänische Kirche besitzt eigene Jurisdiktion und eigene Matrikenführung. Aufgrund der von den österreichischen Behörden erlassenen und uns amtlich bekanntgegebenen Verordnungen ist für unsere Kirchengemeinde die rumänische Frage erledigt;«1064

Der Metropolit von Czernowitz konnte in dieser Frage keinen Erfolg erzielen, der Konflikt sollte jedoch eine weitere Fortsetzung in der NS-Zeit erfahren.1065 Der zweite aus der Zeit vor 1918 stammende offene Konflikt war die Frage nach der Abgrenzung der pfarrlichen Jurisdiktion zwischen den Gemeinden zur Hl. Dreifaltigkeit und zum Hl. Georg. Grundsätzlich dürfte in Bezug auf die Matrikenführung in den vier orthodoxen Gemeinden Wiens nach 1918 eine relativ chaotische Situation geherrscht haben. Zum einen hatte es bereits vor 1918 mehrere ungelöste Probleme in dieser Hinsicht gegeben, zum anderen stellte sich nach 1918 zudem die Frage nach der Kontinuität der alten Gesetze. So ging man zumindest teilweise davon aus, der Matrikenführer müsse österreichischer Staatsbürger sein, wie das Staatsgrundgesetz von 1867 bestimmt hatte. Aus diesem Grund führte zwischenzeitlich der Pfarrer der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Agathangelos Xirouchakis auch für die rumänische und die serbische Gemeinde die Matriken, bis sich herausstellte, dass auch er nicht die österreichische Bundesbürgerschaft besaß.1066 Außerdem griff der Pfarrer der Gemeinde zum Hl. Georg offenbar wiederholt in die Matrikenkompetenz der anderen Pfarren ein. Aus diesem Grund stand ein Vorschlag zur Einführung von Zentralmatriken für alle vier orthodoxen Gemeinden ohne Rücksicht auf Nationalität oder Staatsangehörigkeit im Raum, der jedoch nicht verwirklicht wurde.1067 Die Behörden der Ersten Republik waren offenbar mit den vielen Schwierigkeiten, die sich bezüglich der rechtlichen Situation der vier orthodoxen Kirchengemeinden in Wien ergaben, überfordert. So gab es in Bezug auf die 1064 Ebd. 1065 AHD, G 15, Fasz. 13 und 14. 1066 AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 4, 27. Dezember 1928: Bundesministerium für Unterricht, Regelung der Matrikenführung für die Angehörigen des gr. or. Religionsbekenntnisses (rum. gr. or. Kirche). 1067 AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 4, 8. Juni 1926: Wiener Magistrat, Abteilung 50, Griechisch-Orientale Zentralmatrik.

Epilog: Die Wiener griechischen Gemeinden in den 1920er Jahren

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Errichtung der Metropolie von Zentraleuropa1068 nie eine offizielle Reaktion der österreichischen Behörden.1069 In Bezug auf die Abgrenzung der Pfarrjurisdiktion bestand die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit weiterhin auf der Einhaltung des Statthaltereierlasses von 1893.1070 Die Gemeinde zum Hl. Georg hielt dagegen, dass dies nach dem griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch das Ende ihrer Existenz bedeuten würde. In einem Gutachten zu dieser Frage bemerkte Pavlos Giannelia jedoch spitzfindig, dass »die in Konstantinopel ansässigen Griechen nicht zur Auswanderung gezwungen wurden, somit die Kirchengemeinde zum Hl. Georg […] nicht jede Existenzberechtigung verloren hat«1071. In dem Gutachten wurden verschiedene Kompromissvorschläge diskutiert, so zum Beispiel eine zeitliche Einteilung nach dem Stichtag des Friedens von Ouchy am 18. Oktober 1912.1072 Eine solche Lösung sei aber in der Praxis zu kompliziert, da es schwierig sei, die jeweilige Zugehörigkeit der Personen zu einem bestimmten Staat zum festgesetzten Zeitpunkt festzustellen.1073 Der Vorschlag der rumänischen Kirchengemeinde, eine Abgrenzung rein nach Staatsangehörigkeit und nicht wie im Statthaltereierlass von 1893 nach ethnischen Kriterien vorzunehmen, wurde vehement abgelehnt, da dann alle Griechen, die jetzt rumänische oder Staatsbürger anderer Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie waren, nicht mehr unter die Matrikenkompetenz der griechischen Gemeinden fallen würden.1074 Giannelia kam zu dem Schluss, dass es für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit am besten sei, auf der Beibehaltung des Statthaltereierlasses von 1893 zu bestehen, was bedeuten würde, dass die Matrikenkompetenz der Gemeinde zum Hl. Georg nur mehr für »Einwohner von Konstantinopel, oder Anhänger des Papa Efthym1075« gelten würde.1076 Da die Anzahl dieser Personen »fast Null« sei, wäre somit »der erste Schritt zur Vereinigung« der beiden Gemeinden gelegt.1077 1068 Basilio Giannelia hatte das zuständige Ministerium am 6. Oktober 1924 von der mittels Rundschreiben des Ökumenischen Patriarchats vom 8. September 1924 erfolgten Gründung der Metropolie von Zentraleuropa in Kenntnis gesetzt. AHD, G 11, Fasz. 12, 6. Oktober 1924: Brief des Vorsitzenden des Ausschusses der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Basilio Giannelia an das Bundesministerium für Unterricht. 1069 Staikos, Ceqlam|r Jaqabacc]kgr, 155. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 115–116. 1070 AHD, G 9, Fasz. 7, 6. Mai 1927: Pavlos Giannelia, Gutachtliche Äußerung. 1071 Ebd., 2. 1072 Ebd., 3. 1073 Ebd., 5. 1074 Ebd., 4. 1075 Der Karamane Efthymios Karachisaridis (Papa-Eftim) versuchte ab 1921 eine nationale türkisch-orthodoxe Kirche, die das Ökumenische Patriarchat ersetzen sollte, zu begründen. Psomiades, The Ecumenical Patriarchate. Alexis Alexandris, G ap|peiqa dgliouqc_ar touqjoqh|dongr ejjkgs_ar stgm Jappadoj_a, 1921–1923. In: Dekt_o J]mtqou Lijqasiatij~m Spoud~m 4 (1983), 159–210.

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Die Gemeinden von 1848 bis 1918

Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, die – wie aus dem Gutachten hervorgeht – aufgrund ihrer finanziellen Lage Schwierigkeiten mit der Einhebung von Kultusbeiträgen hatte,1078 verfolgte also wie auch schon vor 1918 die Idee einer Zusammenlegung mit der finanziell besser aufgestellten Gemeinde zum Hl. Georg. Dies kam für die Schwestergemeinde jedoch nicht in Frage und wurde daher auch nicht verwirklicht. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die Organisation der Gemeinden durch die Errichtung der Metropolis von Austria, deren Sitz sich im Gebäude der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit befindet, im Jahr 1963 eine von der traditionellen Autonomie der Zeit der Habsburgermonarchie abweichende grundsätzlich neue Ausrichtung.1079

1076 1077 1078 1079

AHD, G 9, Fasz. 7, 6. Mai 1927: Pavlos Giannelia, Gutachtliche Äußerung, 5. Ebd., 6. Ebd. Plöchl, Die Wiener orthodoxen Griechen, 125–132.

4.

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

4.1. Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien Beim Versuch, einen Überblick über die demographische Entwicklung der »Griechen« Wiens über einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten (von der erstmaligen Präsenz von griechischer Händler in Wien bis 1918) zu geben, wird man mit mehreren methodischen Schwierigkeiten konfrontiert. So können für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts keine durch Quellen belegbaren Aussagen getroffen werden, da die erste nutzbare Quelle zum Thema auf das Jahr 1761 datiert. Es handelt sich um einen im Zuge des Konflikts zwischen Griechen und Serben um die Georgskapelle entstandenen Bericht. Darin ist einerseits für die Anfangszeit der Kapelle von der »sehr geringe[n] Anzahl deren damahls anwesend gewesenen griechischen Handels-Leuten türk. Unterthanen« die Rede, andererseits wird im selben Dokument die Anzahl der 1761 in Wien anwesenden griechischen Händler mit »allemahl gegen 300 allhier befindlichen Persohnen« angegeben, während in der Folge sogar von »unserer in mehr dann 600 Köpf bestehenden Bruderschafft« die Rede ist.1080 Jedenfalls sei die Kapelle aufgrund des erfolgten Zuwachses der Bruderschaft zu eng geworden.1081 Eine zuverlässigere frühe Quelle ist wohl die wenige Jahre später entstandene Konskription (1766–67). Für die Folgezeit gibt es zwar eine Reihe von aussagekräftigen Quellen, diese sind jedoch in ihrer Form äußerst heterogen. Zudem stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Definition des Begriffes »Grieche«.1082 Während dieser in den habsburgischen Dokumenten der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zumeist konfessionell konnotiert war, aber auch als Synonym für den Begriff »Händler« verwendet werden konnte, nahm er im Laufe des 19. Jahr1080 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleuten mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. 1081 Ebd. 1082 Dazu: Seirinidou, Bakj\mioi ]lpoqoi stgm Axbouqcij^ Lomaqw_a.

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hunderts zunehmend eine ethnische Bedeutung (in Abgrenzung zu »Slawen«, »Rumänen« etc.) an. Ich versuche in der Folge, anhand dieser unterschiedlichen Quellen (Konskriptionen und Volkszählungen, Händlerlisten, Pfarrmatriken, gemeindeinterne Mitgliederlisten) zu Schlussfolgerungen über die Entwicklung der Anzahl der in Wien anwesenden Griechen und die Sozialstruktur dieser Gruppe zu gelangen und den dazu bereits erfolgten Untersuchungen1083 neue Erkenntnisse hinzuzufügen. Somit soll auch die Relation zwischen niedergelassenen und den Gemeinden beigetretenen Griechen etwas deutlicher sichtbar werden.

4.1.1. Konskriptionen und Volkszählungen Konskriptionen1084 der aus dem Osmanischen Reich nach Wien gekommenen Händler sind aufschlussreiche Quellen zur Geschichte dieser Personengruppe. Die erste Konskription dieser Gruppe wurde in den Jahren 1766–67 vorgenommen. Man kann annehmen, dass die Gruppe der Händler aus dem Osmanischen Reich davor eher klein war und erst ab ca. 1750 größer wurde, als die neu etablierte österreichische Textilindustrie1085 einen erhöhten Bedarf an Rohbaumwolle zu verzeichnen hatte, die von griechischen Händlern aus Makedonien, Epirus und Thessalien nach Wien eingeführt wurde.1086 Auch die Geschichte der Gemeinde zum Hl. Georg, bei der es sich anfangs um eine Privatkapelle einiger weniger griechischer Händler handelte,1087 lässt diesen Schluss zu. 1083 Mit der Demographie der Griechen in Wien beschäftigten sich: Schmidtbauer, Zur Familienstruktur der Griechen in Wien. Stassinopoulou, Griechen in Wien. Seirinidou, Griechen in Wien im 18. und frühen 19. Jahrhundert; sowie Dies., 8kkgmer stg Bi]mmg, 235–260. 1084 Zu Konskriptionen im Allgemeinen: Anton Tantner, Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen. Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie. Innsbruck [u. a.] 2007. Zu Konskriptionen der griechischen Händler : Katsiardi-Hering, Grenz-, Staats- und Gemeindekonskriptionen in der Habsburgermonarchie. Ikaros Madouvalos, Conscriptiones graecorum in eighteenth-century Central Europe. Crossing borders: the sociocultural identification of migrants from the Balkans to Hungarian territories. In: Harald Heppner, Eva Posch (Hrsg.), Encounters in Europe’s southeast. The Habsburg Empire and the orthodox world in the eighteenth and nineteenth centuries. Bonn 2012, 121–133. 1085 Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Themenband Österreichische Geschichte). Wien 1995, 179–184. Katsiardi-Hering, Tewm_ter jai tewmij]r bav^r mgl\tym, 53–95. Dies., The allure of red cotton yarn, 98–102. Andrea Komlosy, Einleitung. In: Leopoldine Hokr, Groß Siegharts, Schwechat, Waidhofen/Thaya. Das Netzwerk der frühen niederösterreichischen Baumwollindustrie. Frankfurt am Main [u. a.] 2007, 15–140. 1086 Stoianovich, The conquering Balkan orthodox merchant, 260. 1087 Siehe hier S. 41–48.

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Während die Konskriptionen aus dem 18. und beginnenden 19. Jahrhundert darauf ausgelegt waren, die Gruppe der Händler aus dem Osmanischen Reich, nicht jedoch diejenigen, die bereits österreichische Untertanen geworden waren, zu erfassen (und zu kontrollieren), dienten die Volkszählungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein staatlich-statistischen Zwecken. Sie gaben Auskunft über das Religionsbekenntnis und die Staatsangehörigkeit der erfassten Personen, lieferten in der Regel jedoch keine Daten über die ethnische Zugehörigkeit. Nichtsdestotrotz wurden Daten aus Volkszählungen im Zuge der kirchlichen Streitigkeiten zwischen Griechen und Rumänen herangezogen. 4.1.1.1. Die Konskription von 1766–67 Erstmals in Bezug auf ihre Anzahl und Sozialstruktur fassbar werden die griechischen Händler aus dem Osmanischen Reich durch die sogenannte »Konskription der »türkischen« Untertanen in Wien« aus den Jahren 1766–671088, in der 82 Griechen, 13 (muslimische) Türken, 19 Juden und 21 Armenier als in Wien anwesende türkische Untertanen erfasst wurden.1089 Obwohl das Dokument in mehreren Publikationen teilweise ediert wurde, bleibt eine vollständige wissenschaftliche Edition noch immer ein Desideratum. Mordche Schlome Schleicher veröffentlichte 1932 als erster einen Teil der Konskription, nämlich jenen über die Juden.1090 Der serbische Historiker Vasilj Popovic veröffentlichte 1940 eine französische Zusammenfassung des Inhalts.1091 Im Jahr 1959 publizierte der griechische Historiker Polychronis Enepekidis eine Edition,1092 welche aber die muslimischen, jüdischen und armenischen Händler nicht berücksichtigte, wie Laios in seiner Rezension1093 zu Recht kritisierte. Laios selbst zitierte Teile des Texts der Konskription in seiner Studie über Händler aus Siatista.1094 Kürzlich wurde der vollständige Text im Anhang der Dissertation von Do PaÅo wiedergegeben, die Transkription ist aber bedauerlicherweise fehlerhaft. Außerdem berücksichtigte Do PaÅo die zweite Version des Textes im Finanz- und Hofkammerarchiv, obwohl sie ihm bekannt war, nicht.1095 Seit Anfang des 1088 AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei V 27-6, Konskription der »türkischen« Untertanen in Wien. Eine zweite Version des Dokuments befindet sich in AT-OeStA/FHKA NHK Kommerz OÖ+NÖ Akten 130. 1089 Enepekides, Griechische Handelsgesellschaften, VI; wo jedoch die Anzahl der türkischen Juden fälschlicherweise mit 18 angegeben wird. 1090 Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, I–XIII. 1091 Vasilj Popovic, Les marchands ottomans / Vienne en 1767. In: R8vue historique du SudEst Europ8en 17 (1940), 166–187. 1092 Enepekides, Griechische Handelsgesellschaften. 1093 Dekt_om tgr Istoqij^r jai Ehmokocij^r Etaiqe_ar tgr Ekk\dor 14 (1960), 615–617. 1094 Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 73–84. 1095 David Do PaÅo, L’orient / Vienne, 1739–1792. L’int8gration des marchands et des diplo-

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20. Jahrhunderts war das Dokument abhängig von den wissenschaftlichen oder ethnischen Hintergründen der Autoren verschiedensten Interpretationen unterworfen. Zuerst verwendete es Herzfeld für ihre Studie über die Orienthandelspolitik Maria Theresias aus dem Jahr 1919.1096 Schleicher zitierte es in seiner Dissertation über die sephardischen Juden Wiens.1097 Schmidtbauer benutzte es für seine Arbeit über die Sozialstruktur der Wiener Griechen.1098 Peyfuss befasste sich mit der Konskription in Bezug auf die Herkunft eines Teils der erfassten Händler aus Moschopolis.1099 Seirinidou hat sich in ihren Arbeiten über die Wiener Griechen ebenfalls ausführlich mit diesem Material beschäftigt.1100 Kourmantzi-Panagiotakou verwendete es für ihre Forschung zu Händlern aus Ioannina.1101 Kürzlich wurde die Konskription in einem Ausstellungskatalog über die sephardischen Juden in Wien behandelt, wo auch eine Reproduktion des Titelblatts abgedruckt wurde.1102 Schließlich versuchte Do PaÅo anhand des Dokuments die Anwesenheit von Griechen in Wien anzuzweifeln.1103 Die 82 in der Konskription erfassten Griechen stammten beinahe ausschließlich aus dem europäischen Teil des Osmanischen Reichs (vor allem aus Makedonien, Thessalien und Epirus)1104 und waren im Orienthandel tätig. Die meisten von ihnen waren über den Grenzübergang von Semlin in die Habsburgermonarchie eingereist. Von den nach Österreich eingeführten Waren wurden am häufigsten Baumwolle, rotes Garn und Leder genannt, während fast alle griechischen Händler k.k Species-Taler ins Osmanische Reich ausführten. Nur sieben der 82 Griechen gaben an, keinen Handel zu treiben. Von diesen

1096 1097 1098 1099

1100 1101 1102 1103 1104

mates ottomans dans la ville et la r8sidence imp8riale. (Unveröffentlichte Dissertation) Paris 2012, 494–536. Herzfeld, Zur Orienthandelspolitik Österreichs unter Maria Theresia. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 64–65 und 140–143. Schmidtbauer, Zur Familienstruktur der Griechen in Wien. Max Demeter Peyfuss, Voskopoja und Wien. Österreichisch-albanische Beziehungen um 1800. In: Klaus Beitl (Hrsg.), Albanien-Symposion 1984. Referate der Tagung »Albanien. Mit besonderer Berücksichtigung der Volkskunde, Geschichte und Sozialgeschichte« am 22. und 23. November 1984 im Ethnographischen Museum Schloß Kittsee (Burgenland). Kittsee 1986, 117–131, hier 122–125 und 131–132. Ders., Ein Wiener Kupferstich aus dem Jahre 1767. In: 8Q`QU^_VSa_`b[Y RQa_[ Y SYnQ^cYjb[Y bSVc. 8R_a^Y[ aQU_SQ bQ ^Qdh^_T b[d`Q _UaWQ^_T _U 10. U_ 13. _[c_RaQ 1989. Belgrad 1991, 245–254, hier 251. Seirinidou, Griechen in Wien im 18. und frühen 19. Jahrhundert, 12. Dies., 8kkgmer stg Bi]mmg, 236–260. Eleni Kourmantzi-Panagiotakou, G meoekkgmij^ amac]mmgsg sta Ci\mmema. Ap| tom p\qoijo ]lpoqo stom Aham\sio Xak_da jai tom Iy\mmg Bgkaq\ (17or – aqw]r 19ou ai~ma). Athen 2007, 77–97. Heimann-Jelinek, Die Türken in Wien, 84–85. Do PaÅo, Le marchand grec existe-t-il?, 61–64. Es führt Makedonien mit 36 Nennungen, gefolgt von Thessalien (18), Epirus (8), Albanien (7) und Bulgarien (6). Es wird allerdings häufig derselbe Ort unterschiedlichen Regionen zugeordnet, so dass Abgrenzungen zwischen den genannten Regionen nicht wirklich möglich sind.

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waren zwei türkische Barbiere und einer der Kirchendiener der griechischen Kapelle zum Hl. Georg. Zwei hatten angegeben nicht mehr ins Osmanische Reich zurückkehren zu können, weil sie von dort geflüchtet waren, nachdem sie zur Annahme des muslimischen Glaubens gezwungen worden waren. Einer von diesen beiden war in der Monarchie zum Katholizismus konvertiert und verdingte sich nun als Dolmetscher für die hier anwesenden Handelsleute aus dem Osmanischen Reich. Bis auf einen aus Chios stammenden Händler, der seine Geschäfte mit anderen Produkten und über eine vollkommen andere geographische Route (Holland und Hamburg) betrieb, sind alle genannten Händler der Gruppe der christlichen Balkanhändler, die vor allem mit Baumwolle handelten und von Stoianovich als »conquering Balkan orthodox merchants« beschrieben werden,1105 zuzurechnen. Allerdings zeigen sich bereits in den Angaben der Händler in der Konskription von 1766–67 zwei unterschiedliche Verhaltensweisen. Ein Teil von ihnen hatte relativ oft die Grenze zwischen den beiden Reichen überschritten, hatte häufig auch eine Ehefrau im Osmanischen Reich und gab an, nach Erfordernis seiner Handelsgeschäfte in Wien bleiben zu wollen. Es gab jedoch auch eine (kleinere) Gruppe von Personen, die schon seit vielen Jahren die Grenze zum Osmanischen Reich nicht mehr überschritten hatte. Diese gaben oft an, in Handelsangelegenheiten in Ungarn, Sachsen oder anderen Gebieten herumgereist, aber nicht mehr ins Osmanische Reich zurückgekehrt zu sein. Es handelt sich um eine Gruppe, die vor allem mit dem Handel innerhalb der Habsburgermonarchie zu Reichtum kam,1106 und aus der die spätere Gemeinde der k.k. Untertanen hervorgehen sollte. Einige von ihnen, wie beispielsweise Constantin Damscho1107, der eine katholische Frau geheiratet hatte,1108 gaben bereits bei der Konskription von 1766–67 an, zeitlebens in Österreich bleiben zu wollen. Do PaÅos Berechnung einer Anwesenheit von über 700 osmanischen Untertanen in Wien beruht auf einer Fehlinterpretation der Informationen aus der Konskription in Bezug auf die Familienmitglieder.1109 32 der griechischen Händler hatten angegeben, ihre Ehefrau befinde sich »allda« (dort, d. h. im Osmanischen Reich), während nur fünf konstatierten, ihre Ehefrau sei »allhier« (hier, d. h. in Wien). Bei den in der Konskription erfassten Juden und Muslimen lässt keine einzige Angabe darauf schließen, dass sich ihre 1105 Stoianovich, The conquering Balkan orthodox merchant. In: Journal of Economic History 20 (1960), 234–313. 1106 Zur Differenzierung der Diaspora der griechischen Händler in unterschiedliche Gruppen siehe: Seirinidou, Grocers and wholesalers. 1107 Selbiger gehörte dann auch der ersten Exas der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an. Siehe hier S. 95. Außerdem war er der erste der griechischen Händler, der nach dem Erlass des Toleranzpatents von 1781 in Wien eine Immobilie erwarb. Siehe hier S. 287. 1108 Enepekides, Griechische Handelsgesellschaften, 17. 1109 Do PaÅo, L’orient / Vienne au dix-huitiHme siHcle, 113–114.

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Familie in Wien befand. Nur die 16 erfassten verheirateten Armenier befanden sich alle samt Ehefrauen und Kindern in Wien.

4.1.1.2. Das »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind« (1808)1110 Anders als bei der bisher ausgiebig zitierten Konskription von 1766–67 handelt es sich beim dem undatierten »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind«1111 um eine bis jetzt unbekannte Quelle aus dem Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg. Die Liste verzeichnet 300 Personen unter Angabe von Name, Geburtsort, Alter, Familienstand, Wohnadresse, Religionsbekenntnis und Beruf. Obwohl das Dokument undatiert ist, lässt es sich aufgrund der Lebensdaten mehrerer Personen1112 sowie des Briefverkehrs von Konstantinos Koumas (Jymstamt_mor Jo}lar)1113 mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Jahr 1808 datieren. Das Dokument dürfte auf eine »Conscription aller auf hiesigen Platz befindlichen türkischen, griechischen und anderen Handelsleuten« zurückgehen, die in einem Akt der Polizeihofstelle von 1810 erwähnt wird.1114 Die zweite Besetzung Wiens durch die Truppen Napoleons im Jahr 1809 verzögerte die Vorlage der Ergebnisse dieser Konskription.1115 Von den 300 in der Liste verzeichneten Personen waren laut der Rubrik »Caracter von sich, oder bey wem in Diensten« 210 im Handel tätig (135 Handelsmann »von sich« oder in einer Kompanie, 37 Schreiber, sieben Buchhalter, zwei Commis sowie 29 andere), bei 52 handelte es sich um Familienangehörige von Händlern und nur 38 Personen waren aus anderen Gründen in Wien. Dazu zählten der Geistliche Neophytos Doukas (Me|vutor Do}jar), 23 Studenten, fünf Lehrer, vier Doktoren der Medizin, zwei »Griechische Barbierer«, ein Sänger an der Kapelle zum Hl. Georg und zwei Kirchendiener. 1110 Editionsteil Nr. 26. 1111 AHG, G 7, Fasz. 18, Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind. 1112 Die Lebensdaten von Georg Sina, Alexander Bassili und Georg Stauro (Ce~qcior Sta}qou), deren Alter in dem Dokument angegeben ist, ergeben das Jahr 1808. Obwohl die Lebensdaten anderer Personen, bei denen das Geburtsjahr bekannt ist, zum Teil abweichen, ergibt sich das Jahr 1808 auch hier als Mittelwert. 1113 In dem Dokument sind sowohl Konstantinos Koumas als auch Stefanos Oikonomos (St]vamor Oijom|lor) verzeichnet. Die beiden hielten sich nur im Jahr 1808 gemeinsam in Wien auf. Siehe dazu Koumas’ Korrespondenz aus dieser Zeit in: Anna Ransmayr, »Uc_aime v_kom ^toq!« Stilistische Untersuchungen zur neugriechischen Epistolographie anhand der Briefe von Konstantinos M. Koumas. (Unveröffentlichte Diplomarbeit) Wien 2008, 154–156. Zu Koumas’ erstem Wienaufenthalt: Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 28–40. 1114 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 912 (1810) vom 1. Juni 1810. 1115 Ebd.

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Auch über die Herkunftsregionen gibt die Liste Aufschluss. So lässt sich das Gebiet, aus welchem die Händler kamen, geographisch ganz klar eingrenzen: 83 Personen waren in Thessalien geboren, 79 in Makedonien und 38 im Epirus (weitere Nennungen: Albanien, Archipelagus, Bulgarien, Ionien, Moldawien, Morea, Anatolien, Österreich, Krain, Böhmen, Steiermark, Serbien, Thrakien und Ungarn). Im Vergleich zur Konskription von 1766–67, bei der nur ein Händler aus Chios erfasst wurde, wurden nun bereits acht Chioten genannt, darunter Mitglieder der Familien Argenti (Aqc]mtgr)1116, Ralli (Q\kkgr), Galatti (Cak\tgr) und Rodokanaki (Qodojam\jgr).1117 Ungefähr zur gleichen Zeit scheinen erstmals chiotische Händler unter den Gemeindevorstehern der Gemeinde zum Hl. Georg auf, nämlich Georg Argenti (Ce~qcior Aqc]mtgr) 1804 und Sergios Galatti (S]qcior Cak\tgr) 18071118. Ab den 1820er Jahren waren chiotische Familien auch unter den Mitgliedern der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit präsent1119 (Galatti1120, Scanavi/Sjamab^r, Scaramanga/Sjaqalacj\r).1121 Während die chiotischen Familien zunächst ein stark endogames Heiratsverhalten an den Tag legten1122, ist dieses Phänomen zu Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts bei den Chioten, die sich in Wien niedergelassen hatten, immer seltener anzutreffen. Im Register von 1808 sind 39 Personen verzeichnet, die auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie (Österreich, Böhmen, Krain, Steiermark, Ungarn) geboren worden waren. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Ehefrauen sowie Kinder von griechischen Handelsleuten aus dem Osmanischen Reich.1123 Von den 19 verzeichneten Ehefrauen waren zehn griechisch nicht unierter und neun katholischer Konfession. Der Großteil der Händler war weiterhin ledig und relativ jung (das Durchschnittsalter der 193 ledigen Personen lag bei 25,5 Jahren). Trotzdem lässt sich 1116 Laios, O em Bi]mmg elpoqij|r o_jor »Aqc]mtg«. 1117 Zu den chiotischen Händlern: Tzelina Charlafti, Elp|qio jai mautik_a to 19o ai~ma. To epiweiqglatij| d_jtuo tym Ekk^mym tgr diaspoq\r. G »wi~tijg v\sg« 1830–1860. In: Lm^lym 15 (1993), 69–127; sowie Chatzioannou, M]er pqosecc_seir stg lek]tg tym elpoqij~m dijt}ym tgr diaspoq\r. 1118 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 74. 1119 Im selben Zeitraum ließen sich die meisten chiotischen Familien in Triest nieder. Charlafti, Elp|qio jai mautik_a, 88. Katsiardi-Hering, G ekkgmij^ paqoij_a tgr Teqc]stgr, 132. Die Mitglieder chiotischer Familien mit österreichischer Staatsbürgerschaft, die sich in Wien ansiedelten, waren zumeist die Ableger von solchen nach Triest gekommenen Familien. 1120 Ein großformatiger Stammbaum der Familie Galatti befindet sich in AHD, G 110. 1121 Besonders Mitglieder der Familien Galatti und Scanavi waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowie im Fall der Galattis auch noch im 20. Jahrhundert als Gemeindevorsteher aktiv. Siehe auch Stassinopoulou, Diplomatischer Alltag im 19. Jahrhundert. 1122 Vgl. auch Charlafti, Elp|qio jai mautik_a, 91–95. 1123 Einzige Ausnahme ist der in Triest geborene Handelsmann Georg Xilachi.

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im Vergleich zur Konskription von 1766–67 ein deutlicher Anstieg der in Wien verheirateten Männer ausmachen. Wie erwähnt, waren neun Händler mit katholischen Frauen, die auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie geboren waren, verheiratet. Dies verweist auf eine verstärkte Tendenz zur ständigen Niederlassung in der Habsburgermonarchie auch bei Personen, die osmanische Untertanen waren und noch nicht die österreichische Staatsangehörigkeit angenommen hatten. Tabelle 1: Geburtsorte der in der Konskription von 1808 verzeichneten Personen Thessalien Makedonien

83 79

Epirus Österreich, Böhmen, Krain, Steiermark

38 36

Bulgarien Wallachei

16 11

Archipelagus (8 Chios, 1 Kreta) Albanien

9 5

Serbien Thrakien

4 4

Ungarn Morea

3 3

Anatolien Venedig

3 1

Ionien Moldawien

1 1

Das Register aus dem Jahr 1808 verzeichnete nur diejenigen griechischen Händler, die osmanische Untertanen waren, und wurde höchstwahrscheinlich mithilfe der Gemeindevorsteher der Gemeinde zum Hl. Georg erstellt, weshalb es auch in deren Archiv erhalten ist. Die Bestrebungen der österreichischen Behörden gingen in Richtung einer Einschränkung der Aktivitäten der osmanischen Händler zugunsten von österreichischen Untertanen,1124 und die Erstellung von Konskriptionslisten trug zur besseren Kontrolle über die Personengruppe der osmanischen Untertanen bei. Da im Jahr 1808 bekanntlich schon seit zwei Jahrzehnten eine griechische Gemeinde der österreichischen Untertanen in Wien bestand, bildet das vorliegende Register nur einen Teil der griechischen Niederlassung der Stadt ab. 1124 Siehe hier S. 77–78.

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Konskriptionen folgten einer strengen inneren Logik, die einzuhalten in der Praxis beinahe unmöglich war, sodass es zwangsläufig zu Vermischungen von Kategorien kam, wie Anton Tantner in seiner Studie über Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie darlegt.1125 Auch das »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind« zeigt, dass der zuständige Beamte nicht in der Lage war, den Begriff »Grieche« klar zu definieren. Es handelte sich weder um eine Zuordnung nach dem Beruf, noch nach der Konfession, da die Liste sowohl Personen, die keine Händler waren, als auch Katholiken enthält. Unter letzteren befand sich – abgesehen von den katholischen Ehefrauen einiger Händler – auch ein katholischer Schreiber aus Chios, was wiederum auf eine ethnische Definition des Begriffs »Grieche« hinweist. In Bezug auf die katholischen Frauen, die in den Erbländern geboren worden waren, stellt sich die Frage, inwieweit sie als »osmanische Untertanen« zu betrachten waren. Die Behörden gingen aber zu diesem Zeitpunkt offenbar davon aus, dass eine Frau durch die Eheschließung mit einem osmanischen Untertan ihre österreichische Staatsangehörigkeit verlor.1126 Trotz dieser Schwierigkeiten sind die Abweichungen von der strengen inneren Logik der Konskription nur geringfügig, was für die starke Homogenität der erfassten Gruppe spricht. Ebenso wie bei der Konskription von 1766–67 war im Register von 1808 der Anteil von Händlern ungebrochen hoch und auch die hauptsächlichen Herkunftsregionen (Makedonien, Thessalien und Epirus) hatten sich nicht verändert. Jedoch hatte sich die Anzahl der in Wien anwesenden griechischen Händler aus dem Osmanischen Reich gegenüber der Konskription von 1766–67 deutlich erhöht. Hinzu kommt, dass es nur die osmanischen Untertanen erfasste, sodass noch die österreichischen Untertanen unter den griechischen Händlern hinzugerechnet werden müssten, um ein Bild der Gesamtheit der griechischen Niederlassung in Wien zu erhalten.

4.1.1.3. Daten aus Volkszählungen In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in der Habsburgermonarchie erstmals umfassendere Volkszählungen durchgeführt, die statistischen Zwecken dienten.1127 Die Volkszählung des Jahres 1857 wurde von Schmidtbauer in Bezug 1125 Tantner, Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen. 1126 Burger, Die Staatsbürgerschaft, 157–159; behandelt die Frage nach einer eigenständigen Staatsbürgerschaft der Frau, wobei als Fallbeispiel die in Triest als österreichische Untertanin geborene Helena von Karajan, die einen osmanischen Untertan heiratete, dient. 1127 Peter Teibenbacher, Diether Kramer, Wolfgang Göderle, An inventory of Austrian census materials, 1857–1910. Final report. Graz 2012, 3. Online abzurufen unter : http://censusmo saic.org/sites/default/files/downloads/publications/mosaicWP/MOSAIC-WP-2012-007.pdf.

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auf die Sozialstruktur der Griechen in Wien analysiert, wobei er aber nur ca. 3/5 der anwesenden Orthodoxen (251 Personen) erfasste.1128 Da diese Volkszählung lediglich die Kategorie der Konfession und nicht die ethnische Zugehörigkeit enthielt, konnte er keine genauen Angaben über die Anzahl der Griechen in Wien in diesem Jahr machen, schätzte sie jedoch insgesamt auf ungefähr 300 Personen.1129 Weiters stellte er fest, dass die griechische Niederlassung ihren Charakter in Bezug auf die Sozialstruktur noch immer großteils beibehalten hatte. So waren 1857 noch immer 58 % der Griechen Wiens im Handel tätig.1130 Auch der Anteil von ledigen Männern bzw. solchen, deren Ehefrauen nicht in Wien ansässig waren, war noch immer überdurchschnittlich hoch.1131 Ein weiteres Zeugnis, das aus einer Volkszählung stammt, ist im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorhanden. Die Gemeinde hatte im Jahr 1864 die statistischen Daten über die in Wien ansässige orthodoxe Bevölkerung angefordert1132 und eine Zusammenstellung über 1.075 in Wien wohnende Personen orthodoxer Konfession aus der Wiener Kommunalzählung des Jahres 18641133 erhalten.1134 Auch diese Daten geben keine Auskunft über die ethnische Zusammensetzung der orthodoxen Bevölkerung Wiens, enthalten jedoch einige interessante Informationen: So gab es weiterhin einen starken Überhang an Männern (796 gegenüber nur 279 Frauen), von denen der Großteil ledig war (689 Ledige gegenüber 306 Verheirateten, 73 Verwitweten und sieben Geschiedenen).1135 Bezüglich der Professionen ist die Liste unvollständig, da nur bei etwa der Hälfte der Personen eine Berufsbezeichnung vorhanden ist. Es lässt sich jedoch eine Trennung in bürgerliche Berufe und niedrige Tätigkeiten ausmachen. 117 Personen waren noch im angestammten Metier der griechischen Zuwanderer tätig und wurden als Handelsleute bezeichnet. Weiters finden sich 47 Fabrikanten und Gewerbsleute, elf Grundbesitzer, elf Haus- und Realitätenbesitzer, 63 Beamte sowie sieben Rechtsanwälte und Notare. Es ist anzunehmen, dass sich darunter viele Angehörige der beiden griechischen Gemeinden bzw. die Nachkommen der griechischen Balkanhändler, die den Aufstieg in die zweite (bürgerliche) Gesellschaft Wiens geschafft hatten, befanden. Bei den insgesamt 176 Hilfsarbeitern, Dienern und Tagelöhnern, die in der Liste genannt werden,

1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134

Schmidtbauer, Zur Familienstruktur der Griechen in Wien, 153. Ebd., 152–153. Ebd., 153. Ebd., 153–154. Siehe hier S. 183. Statistik der Stadt Wien, 3. Heft, 1866(?). AHD, G 108, Buch: Übersicht jener Individuen, welche auf Grundlage der Volkszählung im Jahre 1864 zur griechisch-orientalischen Religion gehören. 1135 Hier fehlt jedoch die Angabe des Geschlechts. Bei der Überzahl an Männern ist aber davon auszugehen, dass die meisten ledigen Personen männlich waren.

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handelte es sich hingegen vermutlich eher um neu nach Wien zugewanderte Orthodoxe aus anderen Gebieten der Monarchie (Galizien, Bukowina). Die Auflistung enthielt zwar nicht die Kategorie der Staatsangehörigkeit, gab aber die Zuständigkeit (»nach Wien« oder »anderwärts«), d. h. die Heimatorte der erfassten Personen, an. Die meisten (699 Personen) stammten aus den Ländern der Habsburgermonarchie (Wien, übriges Niederösterreich, Oberösterreich, Küstenländer, Böhmen, Schlesien, Galizien, Bukowina, Dalmatien, Ungarn, Kroatien und Slawonien, Siebenbürgen, Militärgrenze), davon 246 aus Wien und 207 aus Ungarn. Nach »der Türkei, den Fürstenthümern sowie Serbien« waren 269 Personen zuständig, während 47 Personen nach Griechenland zuständig waren. Weitere Zeugnisse über die orthodoxe Bevölkerung Wiens sind in den Akten, die verschiedene kirchenpolitische Fragen der orthodoxen Gemeinden Wiens betreffen, vorhanden: Wohl anlässlich der Unterordnung unter die Metropolie von Czernowitz im Jahr 1883 entstand eine Liste aller Orthodoxen in Niederösterreich aus jenem Jahr,1136 aufgegliedert nach Gemeinden. Von den insgesamt 1.883 gezählten Personen befanden sich 1.500 in Wien. Ein Dokument der k.k. nö. Statthalterei, welches im Zuge der Kompetenzstreitigkeiten zwischen den beiden griechischen Gemeinden entstand, erwähnt, dass sich laut der Volkszählung von 1910 in Wien 4.757 Orthodoxe befanden, von denen 1.355 österreichische Staatsbürger waren.1137 Bei den 3.220 anderen handle es sich zumeist um »ungarländische Serben, Rumänen, etc.«1138. Außerdem habe der serbische Pfarrer Misic´ angegeben, er nehme die Zahl der serbischen Pfarrlinge mit mindestens 2.600 an, sodass sich die übrigen auf Rumänen und Griechen aufteilen würden. Bereits im Jahr 1900 habe sich die Zahl der in Wien ansässigen Rumänen auf 1.074 belaufen.1139 Gegenüber den Konskriptionen von 1766–67 und 1808 zeigt sich ein starker Anstieg der orthodoxen Bevölkerung in Wien, der mit der rapide anwachsenden Zuwanderung in die Haupt- und Residenzstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einherging. Der Anteil der Griechen an der Gesamtzahl der Orthodoxen lässt sich anhand der Volkszählungen nicht bestimmen, jedoch ist auf Basis anderer Quellen davon auszugehen, dass die Griechen zu Ende des 1136 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Griechisch-Orientalische in Niederösterreich (1883). Zu den teils widersprüchlichen Angaben über die Zahl aller Orthodoxen Niederösterreichs in österreichischen Statistiken des 19. Jahrhunderts siehe: Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 237–238. 1137 AHD, G 116, Kopie eines Dokuments der k.k. nö. Statthalterei vom 27. Jänner 1915 bezüglich Namensänderung und Genehmigung der Statuten der griechisch-orientalischen Gemeinde der türkischen Untertanen zum Hl. Georg. 1138 Ebd. 1139 Ebd.

256

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

19. Jahrhunderts – anders als um 1800 – nur mehr einen geringen Teil aller Orthodoxen in Wien bildeten.

4.1.2. Händlerlisten Eine weitere wichtige Quelle über die Größe der griechischen Niederlassung in Wien sind die in diversen Handelsschematismen und Auskunftsbüchern abgedruckten Listen der vor Ort tätigen griechischen Händler. Die Firmen der griechischen Händler wurden, da sie eine eigene Kategorie von Händlern bildeten,1140 in diesen Büchern gesondert und getrennt nach osmanischen und österreichischen Untertanen verzeichnet. Auch in Bezug auf die Verwendung dieser Auflistungen von Händlern zur Bestimmung der Anzahl der in Wien anwesenden Griechen sei auf eine methodische Schwierigkeit hingewiesen: Obwohl oftmals der Name einer Person angegeben ist, handelte es sich um Firmen, an denen durchaus mehrere Personen beteiligt sein konnten. Außerdem gab es in den Firmen neben den Teilhabern auch Hilfspersonal. Daher lässt sich aus der Anzahl der angegebenen Firmen nur bedingt auf die Anzahl der anwesenden Personen schließen, jedoch lassen sich Tendenzen bezüglich der Entwicklung der Handelstätigkeit der griechischen Kaufleute in Wien feststellen. Bei der Gruppe der österreichischen Untertanen ist außerdem das Phänomen zu beobachten, dass sie aufgrund ihrer vollständigen Integration ins Wirtschaftsleben der Monarchie bald nicht mehr zwangsläufig unter der Rubrik »Griechische Handelsleute«, sondern an anderen Stellen der Auskunftsbücher (beispielsweise unter den Privilegierten Großhändlern) erschienen. Vergleicht man die Anzahl der Firmen von griechischen Händlern über die Jahre hinweg mit der in der »Konskription der türkischen Untertanen in Wien« von 1766–67 angegebenen Anzahl von 82 griechischen Händlern, so zeigt sich, dass die Gesamtzahl der Firmen auf lange Sicht – mit Ausnahme der Zeit zwischen 1811 und 1816 – über viele Jahrzehnte hinweg nur relativ geringen Schwankungen unterworfen war. Erst ab den 1860er Jahren scheint die Zahl rapide abzunehmen, was sich aus den Handelsschematismen allerdings nur mehr indirekt dadurch nachvollziehen lässt, dass die Listen von griechischen Händlern gar nicht mehr gesondert abgedruckt wurden.1141 1140 Johann Ludwig Ehrenreich von Barth-Barthenheim, Oesterreichische Gewerbs- und Handelsgesetzkunde mit vorzüglicher Rücksicht auf das Erzherzogtum Oesterreich unter der Ens. Band 7. Wien 1820, 1. 1141 In J. N. Wildauer, Adressen-Buch der Handlungs-Gremien und Fabriken der kaiserl. königl. Haupt- und Residenzstadt Wien dann mehrerer Provinzialstädte für das Jahr 1845. Wien 1845; findet sich unter dem Titel »Verzeichnis der hier handelnden Türkischen

257

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

Tabelle 2: Anzahl der in Wien anwesenden griechischen Händler1142

Österreichische Untertanen

Osmanische Untertanen

1794 1796

27 39

58 73

85 112

1797 1799

41 32

71 65

112 97

1800 1802 1803 1803

34 34 32 32

75 75 86 76

109 109 118 108

1807 1808

38 44

62 82

100 126

1809 1810

42 37

89 99

131 136

1811 1812

40 32

120 194

160 226

1813 1814

28 29

217 185

245 214

1815 1816

28 26

210 220

238 246

1817 1818

23 22

136 105

159 127

Jahr 1791

Insgesamt

Anmerkungen

102

[-97]1143 [-132]

Unterthanen, welche mit ihren Firmen protokollirt sind (Griechischer Religion.)« noch eine letzte solche Liste. Die Zahlen für die späteren Jahre stammen aus meiner eigenen Durchsicht der Listen aller Händler. Anhand der Namen und des Zusatzes »Tractatenmässiger Handel mit türkischen Waaren all’ ingrosso« sind die griechischen Händler relativ leicht erkennbar. 1142 Das Zahlenmaterial wurde durch eine systematische Durchsicht der Auskunftsbuch-Teile des österreichischen Staatshandbuches sowie der von der Wienbibliothek im Rathaus digitalisierten Handelschematismen gewonnen. Da es sich um eine relativ große Anzahl an durchgesehenen Büchern handelte, kann ich aus Zählfehlern stammende leichte Abweichungen nicht ausschließen, gehe aber davon aus, dass sie nicht so gravierend sind, um die zu ziehenden Schlussfolgerungen zu beeinflussen. Das Staatshandbuch ist auf der Seite http://alex.onb.ac.at/shb.htm der Österreichischen Nationalbibliothek in digitalisierter Form zugänglich. Die von der Wienbibliothek im Rathaus digitalisierten Handelsschematismen sind unter dem Titel »Wiener Adressbücher« auf der Seite http://www.digital.wi enbibliothek.at/nav/classification/427591 zugänglich. 1143 Anzahl in der Rubrik »Griechische Handelsleute, und Türkische Unterthanen, welche ihre Firma bey dem Löbl. K.k. n.ö. Landrecht eingelegt, aber am Platz nicht zu finden, oder von hier abwesend sind, und die Firma hier nicht gelöscht haben«.

258

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Osmanische Untertanen 71

Insgesamt

Anmerkungen

1819

Österreichische Untertanen 16

87

[-148]

1820 1821

14 14

76 71

90 85

1822 1823

13 12

75 66

88 78

1824 1825

12 10

57 55

69 65

1826 1827

10 11

59 49

69 60

1828 1831

11 9

89 96

100 105

1832 1834

7 10

91 82

98 92

1845 1855

12

50

62 76

Jahr

1857 1858

76 82

1859 1861

81 6

1881

5

Das Schicksal der griechischen Händler war eng mit der Wirtschaftsgeschichte der Habsburgermonarchie verknüpft. In der Folge soll genauer auf zwei für die griechischen Händler wichtige Zeitperioden, nämlich die Blütezeit der griechischen Niederlassung in den 1810er Jahren und die Phase des Niedergangs des Balkanhandels ab den 1860er Jahren, eingegangen werden. 4.1.2.1. Die griechischen Händler und der österreichische Staatsbankrott von 1811 Die Zeit der Napoleonischen Kriege bis zum Wiener Kongress 1815 stellte die Blütezeit der griechischen Niederlassung in Wien dar. In diesen Jahren nahm die Zahl der in Wien anwesenden griechischen Händler aus dem Osmanischen Reich beständig zu und erreichte ihren Höchststand in den Jahren zwischen den beiden österreichischen Staatsbankrotten von 1811 und 1816. Aus dieser Zeitperiode stammt auch das häufig verwendete Zitat, das die Anzahl von 4.000 Personen für die Größe der griechischen Niederlassung in Wien nennt:

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

259

»I passed a short time at Vienna […]. This is one of the places where the Greeks have formed a large community and established a respectable commerce. They amount to four thousand persons, and have four large churches.«1144

Dass diese Zahl deutlich übertrieben ist, lässt sich schon daraus ableiten, dass es tatsächlich nur zwei und nicht vier griechische Kirchen in Wien gab. Dennoch dürfte die Präsenz von griechischen Händlern auf dem Wiener Markt in diesen Jahren merklich zugenommen haben. Die Zeit der Napoleonischen Kriege war eine turbulente Phase in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Einerseits wirkte sich Napoleons Kontinentalsperre (1806–1814)1145 positiv auf die Entwicklung der Baumwollindustrie innerhalb der Habsburgermonarchie aus, da die Produkte der britischen Konkurrenz vom Markt ferngehalten wurden.1146 Andererseits führten die hohen Ausgaben für die Kriege zu einer Explosion der Staatsschulden, die schließlich im Staatsbankrott von 1811 resultierten. Davon waren auch die griechischen Händler, die k. k. Untertanen waren, betroffen, da sie in den Jahren zwischen 1794 und 1805 mehrfach zu Zwangsdarlehen zur Kriegsfinanzierung herangezogen wurden.1147 Um die Heeresfinanzierung weiterhin gewährleisten zu können, wurde immer mehr Papiergeld (die seit 1762 ausgegebenen »Bancozettel«) in Umlauf gebracht. Mit dem Devalvationspatent vom 20. Februar 1811, das eine Zwangsabwertung der Bancozettel im Verhältnis 1:5 dekretierte, und der Erklärung des Staatsbankrottes, versuchte man der Inflation ein Ende zu setzen. Die alten Bancozettel sollten durch Einlösungsscheine (»Wiener Währung«) ersetzt werden. Doch auch diese unterlagen bald einem neuerlichen Wertverfall, als aufgrund der Kriege von 1812 bis 1814 erneut die Notenpresse in Gang gesetzt wurde. Daher musste 1816, nachdem Napoleon endgültig besiegt war, noch einmal eine Abwertung im Verhältnis 1:2,5 vorgenommen werden. Um eine Wiederholung des offenen Staatsbankrotts von 1811 und dessen starker Schockwirkung zu vermeiden, wurde dies jedoch mittels der Gründung der

1144 Robert Walsh, Narrative of a journey from Constantinople to England. London2 1828, 420. Robert Walsh reiste im Jahr 1821 nach Konstantinopel. 1145 Markus Denzel, Vom Scheitern eines Modells. Das Kontinentalsystem als europäischer Wirtschaftsverband. In: Birgit Aschmann, Thomas Stamm-Kuhlmann (Hrsg.), 1813 im europäischen Kontext. Stuttgart 2015, 187–216. 1146 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 177–178. 1147 In AHD, G 12, Fasz. 1 befinden sich Dokumente bezüglich Kriegsdarlehen aus den Jahren 1794, 1795 und 1805. In AHG, G 3, Fasz. 6 befindet sich ein die Kriegssteuer betreffendes Dokument von 1800, das aber ebenfalls die k.k. Untertanen betrifft. Siehe dazu außerdem: Edmund Friess, Die Darlehen der Wiener Großhändler und Niederleger, Juden und Griechen zum Wiener allgemeinen Aufgebote im Jahre 1797. In: Monatsblatt der Heraldischen Gesellschaft »Adler« 9 (1923), 105–112.

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Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

privaten Österreichischen Nationalbank als Notenbank, an welche die Einlösung der Wiener Währung übertragen wurde, verschleiert.1148 Bereits in den Jahren vor dem Staatsbankrott von 1811, besonders aber danach wurde der Wiener Markt von Spekulation auf Grundlage des stark schwankenden Kurses des Papiergeldes dominiert.1149 Diese Praxis wurde »agiotage« genannt.1150 Die Zahl der Großhandlungen stieg übermäßig an,1151 jedoch bestand deren Haupttätigkeit in Geldspekulation auf dem überhitzten Markt, wie folgender Abschnitt aus einer zeitgenössischen Publikation über den Staatsbankrott beschreibt: »Ich will […] nur andeuten, daß die gestiegene Industrie im Innern beym Sinken des auswärtigen Handels keine Ursache zur Vermehrung der Handelnden seyn konnte. Es wäre daher unbegreiflich, wie bey der sich immer vermehrenden Zahl der Handelnden jeder seine Rechnung hätte finden können, wenn nicht der Erfolg gezeigt hätte, daß der Aggio, der hier nur das Verhältnis zwischen Gesuch und Ausbieten anzeigen sollte, durch den erkünstelten Bedarf zum wichtigsten Handelszweig des Wiener Platzes erhoben wurde. Das Geld im regelmässigen Gange der Handlung nur Mittel wurde Zweck der Handlung.«1152

Diese Situation begünstigte besonders ausländische Händler, die ihre Spekulationsgewinne in andere Währungen umwechseln konnten und daher nicht von der Geldentwertung betroffen waren. Außerdem konnten sie nicht zu Zwangsanleihen zur Kriegsfinanzierung herangezogen werden. Tatsächlich stieg in den Jahren zwischen 1811 und 1816 die Anzahl der Firmen griechischer Handelsleute, die osmanische Untertanen waren, stark an, wie aus den Listen in den Handelsschematismen hervorgeht (siehe Tabelle 2). Die Zahl der griechischen Händler, die k.k. Untertanen waren, war hingegen nur geringen Schwankungen unterworfen. Ob der deutliche Anstieg der Anzahl von Firmen auch mit einer derart großen Zunahme von Personen, die aus dem Osmanischen Reich nach Wien kamen, korrelierte, ist allerdings fraglich. Es erscheint plausibel, dass der Anstieg der Firmenanzahl primär durch Neugründungen von bereits in Wien anwesenden Personen, die zuvor in anderen

1148 Harm-Hinrich Brandt, Der österreichische »Staatsbankrott« von 1811. Rechtliche Problematik und politische Konsequenzen. In: Gerhard Lingelbach (Hrsg.), Staatsfinanzen, Staatsverschuldung, Staatsbankrotte in der europäischen Staaten- und Rechtsgeschichte. Köln [u. a.] 2000, 55–65. Herman Freudenberger, Lost momentum: Austrian economic development 1750s–1830s. Wien [u. a.] 2003, 76–81. 1149 Günther Chaloupek, Peter Eigner, Michael Wagner (Hrsg.), Wien Wirtschaftsgeschichte. Wien 1991. Bd. 2, 1013. 1150 Betrachtungen über das Patent vom 20. Februar 1811. Wien [1811], 23. 1151 Chaloupek, Eigner, Wagner, Wien Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, 1013. 1152 Betrachtungen über das Patent vom 20. Februar 1811, 23–24.

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

261

Firmen beschäftigt gewesen waren, zu erklären ist.1153 Die griechische Niederlassung in Wien hatte wahrscheinlich bereits im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ungefähr dieselbe Größe wie in den 1810er Jahren. Parallel zur allgemeinen unnatürlichen Zunahme der Großhändlerzahl aufgrund der oben beschriebenen Verhältnisse, dürften auch viele Griechen, die osmanische Untertanen waren, die Chance gesehen haben, mittels Geldspekulation schnellen Profit zu machen. Bereits im Jahr 1808 berichtete die Polizeihofstelle mehrfach über manipulatorische Goldspekulationen durch Griechen an der Wiener Börse, die dem Wucher Vorschub leisten und daher wirtschaftlichen Schaden anrichten würden: »Die Griechen suchen schon seit einiger Zeit am stärksten das Conventionsgold zu kaufen, und man darf allerdings sagen, dass sie durch ihren häufigen Ankauf und ihre steten Anfragen zur Vertheuerung des Goldes öfter Veranlassung gegeben haben. […] Die wegen Zurükhaltung des Conventionsgoldes zur Beförderung des Geldwuchers angezeigten Personen werden unverzüglich der genaueren Beobachtung unterzogen werden. Der Unterfertigte überreicht mit gegenwärtigen Bericht im Anschluss einige von den hiesigen privil Großhändler und Merkantilrath v Bertoni mit getheilten Bemerkungen über den jetzigen Zustand der Börse, und über die Mitteln wie dem gegenwärtigen Unfug wucherischer Gold Manipulationen abzuhelfen wäre, welche sowohl auf den Staat selbst, als auf das Bedürfniß des Handelsstandes den nachtheiligsten Einfluss bereits hervorgebracht haben. […]«1154 »Es ist eine bekannte Sache, dass vorzüglich die Griechen viel Gold aufkaufen, und dadurch zu dem hohen Kurs desselben sehr beträchtlich beitragen. […] Die Griechen haben heute wieder viell Gold gesuchet, und gekaufet, weswegen die dukaten immer hoch stehen bleiben. Fast alle Griechen auf dem hiesigen Platz suchen Gold […]«1155

Im Kontext des Staatsbankrottes von 1811 scheint es kein Zufall gewesen zu sein, dass ausgerechnet in diesem Jahr die griechische Zeitung Eid^seir dia ta amatokij\ l]qg (Nachrichten für den Orient)1156, die eigentlich schon im Jahr 1807 genehmigt worden war, ihr Erscheinen aufnahm. Joseph Franz Hall, der das Privileg für die Herausgabe der Zeitung erhalten hatte, hatte angegeben, der Zeitung »nach dem Bedürfniß der griechischen Nazion mehr eine merkantilis1153 Ich danke Frau Prof. Katsiardi-Hering (Universität Athen), die mich auf diese Tatsache hingewiesen hat. 1154 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 346 (1808), 11 Juli 1808: Tagesrepport über die Börsebeobachtung. 1155 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 400 (1808), 2. August 1808: Tagrepport über die Börsebeobachtungen. 1156 Laios, Die griechischen Zeitungen und Zeitschriften, 110–195, 115 und 157–166. Aikaterini Koumarianou, Die griechische vorrevolutionäre Presse. Wien – Paris (1784–1821). O ekkgmij|r pqoepamastatij|r t}por. Bi]mmg – Paq_si (1784–1821). Palaio Psychiko 1995, 61–67.

262

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

tische, als politische Tendenz«1157 geben zu wollen. So enthielten die Titelseiten der ersten beiden Ausgaben1158 Artikel, welche die griechischen Handelsleute über die Einlösungsscheine ()zmk]foucjssi\zme), die nach dem Finanzpatent vom 20. Februar 1811 die alten Bankozettel (Lpamjotf]doukair1159) ersetzten, informierten.1160 Eine Quelle aus diesem Zeitraum bezeugt, dass die Aktivitäten der griechischen Händler negativ wahrgenommen wurden. Ein Artikel in der Zeitung Der Wanderer (5. Juni 1814),1161 bezeichnete die griechischen und raizischen (serbischen) Händler als »Harpagone« und »reiche Knauser« und bezichtigte sie des »Wuchergeistes«. Das könnte darauf hindeuten, dass die griechischen Kaufleute von der unsicheren Situation, die generell von Spekulation und riskanten Transaktionen dominiert war, stärker profitieren konnten als andere. Ab dem Jahr 1817 ging die Anzahl der in den Handelsschematismen angegebenen griechischen Händler, die osmanische Untertanen waren, deutlich zurück. Diese Entwicklung verlief so drastisch, dass »Redls Handlungs Gremien und Fabricken Addressen Buch«1162 der Jahre 1817–1819 sogar eine eigene Rubrik »Griechische Handelsleute, und Türkische Unterthanen, welche ihre Firma bey dem Löbl. K.k. n.ö. Landrecht eingelegt, aber am Platz nicht zu finden, oder von hier abwesend sind, und die Firma hier nicht gelöscht haben« mit der Auflistung der nicht mehr anwesenden Händler enthielt. Aus dieser Rubrik geht hervor, dass im Jahr 1819 zwei Drittel der im Jahr 1816 vor Ort handelnden Griechen Wien verlassen hatten. Diese Entwicklung lässt sich auch durch die Angaben zu den Firmengründungen und -liquidierungen durch griechische Händler in Wien in der Dissertation von Vaso Seirinidou bestätigen: Es zeigt sich

1157 Laios, Die griechischen Zeitungen und Zeitschriften, 157. Enepekidis, Neue Quellen und Forschungen, 211. 1158 Die Zeitung existierte unter dem ursprünglichen Namen nur wenige Monate, da der Redakteur Euphronius Raphael Popovic´, der damals Lehrer an der griechischen Nationalschule war (siehe hier S. 129), offenbar nicht geeignet war. In der Folge wurde die Zeitung von Demetrius Alexandrides (Dgl^tqior Akenamdq_dgr) übernommen und unter dem Namen Ekkgmij|r Tgk]cqavor (Griechischer Telegraph) weitergeführt. Sie existierte bis 1836. Laios, Die griechischen Zeitungen und Zeitschriften, 171–192. Koumarianou, Die griechische vorrevolutionäre Presse, 68–81. 1159 Dazu Stasinopoulou, Bakjamij^ pokuckyss_a stgm autojqatoq_a tym Axbo}qcym, 26. 1160 Eid^seir dia ta amatokij\ l]qg 1 (2. Juli 1811) und 2 (5. Juli 1811). 1161 Der Wanderer 156 (5. Juni 1814), 613–614. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 303–304. Über Intervention beim Gesandten der Hohen Pforte Ioannis Mavrogenis (Iy\mmgr Lauqoc]mgr) gelang es, die Zeitung zur Veröffentlichung eines relativierenden Beitrages zu bringen, in dem die Namen Nicolicz und Sina als Beispiele österreichischer patriotischer Geschenkgeber genannt wurden. Der Wanderer 172 (21. Juni 1814), 673–674. Enepekidis, Joqa^r, Jo}lar, J\kbor, 231–245. 1162 Anton Redl, Handlungs Gremien und Fabricken Adressen Buch (…) für das Jahr (…). Wien 1812–1822.

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ein Anstieg der Firmengründungen zwischen 1810 und 1815 und ein Anstieg der Firmenliquidierungen zwischen 1818 und 1819.1163 Im Jahr 1815 beendete der Wiener Kongress die Periode der Napoleonischen Kriege, sodass im folgenden Jahr mittels der Gründung der Österreichischen Nationalbank die Stabilisierung der österreichischen Währungspolitik erreicht werden konnte. Gleichzeitig führte die Aufhebung der Kontinentalsperre und das Hereindrängen englischer Konkurrenzprodukte die österreichische Industrie in eine tiefe Krise, die durch ein schlechtes Erntejahr noch verschärft wurde.1164 Das traf unter anderem besonders die niederösterreichischen Textilfabriken, die ihren Betrieb fast vollständig einstellen mussten.1165 Infolge dessen ging in Wien die Nachfrage nach orientalischer Baumwolle stark zurück.1166 Die Gründe dafür, dass nach 1816 so viele griechische Händler, die osmanische Untertanen waren, Wien verließen, sind wohl einerseits in der Tatsache zu suchen, dass nach der Währungskonsolidierung die Möglichkeit von großen Profiten durch Geldspekulation nicht mehr gegeben war, andererseits darin, dass die Nachfrage nach Baumwolle auf dem Wiener Markt deutlich zurückging. Über die Frage, inwieweit die griechischen Händler mit finanziellen Gewinnen ins Osmanische Reich zurückkehrten, kann nur gemutmaßt werden. Die Entscheidung, Wien in dieser Zeit zu verlassen, erscheint aus wirtschaftlicher Perspektive jedenfalls vernünftig, da die österreichische Wirtschaft nach dem Schockerlebnis des Staatsbankrotts von 1811 in eine krisenhafte Phase geriet und das von Freudenberger beschriebene »momentum« der Industrieentwicklung ausgebremst wurde, um erst in den 1830er Jahren wieder an Fahrt zu gewinnen.1167 Das zeigte sich nicht zuletzt darin, dass infolge des Staatsbankrotts von 1811 viele österreichische Großhandels- und Bankhäuser fallierten1168 – darunter auch griechische Handelsleute, die k.k. Untertanen geworden waren. Gleichzeitig gab es Handelshäuser, deren späterer Reichtum durch intelligente strategische Transaktionen während der Napoleonischen Kriege und der Zeit zwischen den beiden Staatsbankrotten begründet wurde. Diese Zeitperiode stellt sich als Transitionsphase dar, in der viele vorher bedeutende Handelshäuser Bankrott gingen und von neuen Akteuren abgelöst wurden.1169 1163 1164 1165 1166

Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg (Dissertation), 325–337. Sandgruber, Ökonomie und Politik, 178. Freudenberger, Lost momentum, 151. Sandgruber, Ökonomie und Politik, 178. Zur Beförderung des Handels mit makedonischer Baumwolle durch die Kontinentalsperre siehe Ikaros Madouvalos, The entrepreneurial activity of Dimitrios and Stephanos Manos in Central Europe in the nineteenth century. In: Robert Lee (Hrsg.), Commerce and culture. Nineteenth-century business elites. Farnham [u. a.] 2011, 139–166, hier 156. 1167 Freudenberger, Lost momentum, 19. 1168 Matis, Die Schwarzenberg-Bank, 389. 1169 Mit der Thematik des Einflusses der Napoleonischen Kriege auf die Handelsentwicklung

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Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Das bekannteste Beispiel für den Niedergang eines bedeutenden Handelsund Bankhauses ist der Bankrott des Hauses Fries im Jahr 1826,1170 nachdem es bereits in den Jahren davon unter ernsten finanziellen Schwierigkeiten gelitten hatte.1171 Selbst der Bankrott von Ochs & Geymüller gilt – obwohl er erst 1841 erfolgte – als Folge der Wirtschaftskrise nach 1815.1172 Das bekannteste griechische Handelshaus in Wien, das von der Krise betroffen war, war die Firma der Gebrüder Georg Johann und Theodor von Karajan. Das Haus hatte im 18. Jahrhundert zu den wichtigsten griechischen Handelshäusern gehört und die Brüder waren bereits 1792 in Sachsen in den Reichsadelsstand erhoben worden.1173 Nach dem Tod Georg Johann von Karajans im Jahr 1813 wurde deutlich, dass sich das Handelshaus in einem sehr schlechten finanziellen Zustand befand.1174 Im Jahr 1815 wurde das Haus als bankrott gemeldet.1175 Im 19. Jahrhundert spielte die Familie somit in wirtschaftlicher Hinsicht keine Rolle mehr, was wohl der Grund dafür ist, dass die Nachfahren sich für andere Professionen entschieden.1176 Johann Georgs Sohn Theodor Georg trat in den österreichischen Staatsdienst ein, machte eine erfolgreiche akademische Karriere als Germanist und war ab 1866 Präsident der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.1177 Ein weiteres Beispiel für einen im 18. Jahrhundert einflussreichen griechischen Großhändler, der nach 1815 von der Bildfläche verschwand, ist Johann Georg Paziazi. Paziazi war 1790 in Sachsen in den Reichsadelsstand erhoben worden1178 und 1792 als erster Wiener Grieche ins Großhandlungsgremium aufgenommen worden.1179 In den folgenden Jahren war er

1170 1171 1172 1173 1174 1175 1176 1177 1178 1179

anhand einer konkreten Firma beschäftigt sich Cinzia Lorandini, Sailing through troubled times: The Salvadori Firm of Trento during the Revolutionary and Napoleonic Wars, 1790– 1815. In: Andrea Bonoldi, Markus A. Denzel, Andrea Leonardi, Cinzia Lorandini (Hrsg.), Merchants in times of crises (16th to mid-19th century). Stuttgart 2015, 131–151. Ein »typisches Beispiel« für den Niedergang eines Handelshauses nach dem Ende der Kontinentalsperre 1815 behandelt Markus A. Denzel, A merchant in the crisis: The wholesale business of Peter Paul von Menz in Bolzano, 1814/15–1824/29. In: Ebd., 153–182. Steeb, Die Grafen von Fries, 290–291. Ebd., 249–267. Matis, Die Schwarzenberg-Bank, 389. Enepekides, Ap| tour Jaqaci\mmgder tgr Jof\mgr stour von Karajan tgr Bi]mmgr. Hans Stöckelmaier, Zur Geschichte der Familie von Karajan. In: Wiener Geschichtsblätter 43 (1988), 24–36. Kioutoutskas, Geschichte der Familie von Karajan, 493–497. Zeugnis von Zoe Reininghaus-Karajan (Urenkelin von Georg Johann von Karajan) in einem von ihr zusammengestellten Album. Ich danke Frau Angelina Fritzsche, die mir das im privaten Archiv der Familie befindliche Album zur Verfügung stellte. Anton Redl, Handlungs Gremien und Fabricken Addressen Buch des Oesterreichischen Kaiserthumes für das Jahr 1815. Wien 1815, 64. Vgl. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 252. Inge Schwarz, Theodor Georg Ritter von Karajan. Biographie. (Dissertation) Wien 1949. Ernst Heinrich Kneschke (Hrsg.), Neues allgemeines Deutsches Adels-Lexicon. Bd. 7, Leipzig 1867, 67. Seirinidou,8kkgmer stg Bi]mmg, 125.

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

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ein wichtiger Geschäftspartner der k.k. Wiener oktroyierten Kommerzial-, Leihund Wechselbank (Schwarzenberg-Bank).1180 Obwohl die Bank sich um eine Rettung der Firma bemühte, konnte bereits im Jahr 1799 ein erster Konkurs nicht verhindert werden.1181 Nach der Aufhebung des Konkurses im Jahr 1800 setzte Paziazi seine Handlungsaktivitäten bis 1812 fort. Danach findet sich die Firma in den Handelsschematismen nicht mehr als Mitglied des Großhandlungsgremiums. Die Schwarzenberg-Bank selbst erlebte infolge des Staatsbankrottes von 1811 ebenfalls ihren Niedergang.1182 Auch die aus osmanischen Untertanen bestehende gemeinsame Handelsgesellschaft der Ambelakioten, die hauptsächlich mit dem in Ambelakia in Thessalien hergestelltem Rotgarn handelte, dürfte durch den Staatsbankrott von 1811 geschädigt worden sein und ging 1815 in Konkurs.1183 Im Kontrast dazu geht auch der Aufstieg mehrerer Handels- und Bankhäuser, die dann im 19. Jahrhundert das Wirtschaftsleben der Habsburgermonarchie entscheidend prägen sollten, auf die Zeit bis zum Ende der Napoleonischen Kriege 1815 zurück. So legte das Haus Rothschild den Grundstein für seinen späteren Reichtum mittels Geldtransaktionen, welche die Kontinentalsperre umgingen.1184 Auch das jüdische Haus Arnstein & Eskeles konnte seinen Reichtum infolge des Staatsbankrotts von 1811 beträchtlich vergrößern, laut Freudenberger »vermutlich durch Geldspekulationen«.1185 Der dritte große Name, dessen Aufstieg in dieser Zeit begann, ist der des griechischen Handelsund Bankhauses Sina. Nach den Bankrotten von Fries und Geymüller hielten die Häuser Rothschild, Arnstein & Eskeles und Sina ab 1841 das alleinige Monopol 1180 Eine genauere Untersuchung der Verbindungen der Wiener griechischen Händler zur Schwarzenberg-Bank könnte interessante Einblicke in deren Handelsaktivitäten während der Napoleonischen Kriege geben, ist aber zurzeit noch ein Desideratum. Herman Freudenberger, The Schwarzenberg bank: A forgotten contributor to Austrian economic development, 1788–1830. In: Austrian History Yearbook 27 (1996), 41–64. Matis, Die Schwarzenberg-Bank. Dana Cerman-Sˇtefanov#, Adelige als Bankiers in der Epoche der Aufklärung. Eine Studie zur Wiener »K.K. oktroyierten Kommerzial-, Leih- und Wechselbank«, 1787– 1830. (Unveröffentlichte Habilitationsschrift) Wien 2009. Dies., Bankwesen als Unternehmenskultur. Das Beispiel der »k.k. oktroyierten Kommerzial-, Leih- und Wechselbank«, 1787–1830. In: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 9,1 (2009), 24–39. 1181 Dana Sˇtefanov#, Bankruptcy and the bank. The case of the »kaiserlich königliche Wiener octroyierte Commercial-, Leih- und Wechselbank« of Vienna in the 18th century. In: Thomas Max Safley (Hrsg.), The History of Bankruptcy. Economic, social and cultural implications in early modern Europe. London [u. a.] 2013, 126–140, hier 129–133. 1182 Matis, Die Schwarzenbergbank, 270. 1183 Katsiardi-Hering, Tewm_ter jai tewmij]r bav^r mgl\tym, 271. 1184 Rothschild Salomon Mayer Frh. von. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815– 1950. Bd. 9, Wien 1988, 289–290. Denzel, Vom Scheitern eines Modells, 199. Vgl. auch Margrit Schulte Beerbühl, Trading with the enemy. Clandestine networks during the Napoleonic Wars. In: Quaderni storici 143 (2013), 541–565. 1185 Freudenberger, Lost momentum, 184.

266

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

für das Geschäft mit österreichischen Staatsanleihen.1186 Georg Sina konnte Verluste durch die Geldentwertung infolge des Staatsbankrottes dadurch vermeiden, dass er im Jahr 1811 sein gesamtes Vermögen in Silber umwechselte1187 und in der Folge verstärkt in Immobilien investierte,1188 worauf noch gesondert zurückzukommen ist.1189 Ein weniger bekanntes Beispiel für ein griechisches Handelshaus, dessen Aufstieg in dieser Zeitperiode begann, ist das der griechisch-wallachischen Familie Curti. Michael Demeter Curti (Liwa^k Dglgtq_ou Jo}qtgr) wurde 1812 zum Großhandlungsgremium zugelassen,1190 nachdem die Bilanz seiner Firma im Jahr 1811 über eine Million Florin betragen hatte.1191 Als das Bankhaus Fries aufgrund seiner verzweifelten Situation im Jahr 1826 ausständige Schulden vom Fürsten Metternich und seinem Berater Friedrich von Gentz einforderte, schrieb letzterer in sein Tagebuch: »Um 11 Uhr fuhr ich […] um Geld einzukassieren, zu dem griechischen Wechsler Curtis, dann zum Fürsten […]«1192. Diese Episode illustriert den Aufstieg neuer Akteure, während andere nach 1811 bankrottgingen. Die geschäftlichen Aktivitäten der Familie Curti florierten während des gesamten 19. Jahrhunderts.1193 Die Familie Curti wiederum war verschwägert mit der Familie Dumba, die im 19. Jahrhundert mehrere herausragende Exponenten des Wiener Großbürgertums hervorbrachte.1194 Auch diese Familie begründete ihren wirtschaftlichen Aufstieg in der Zeit nach 1811. Der Stammvater des Wiener Handelshauses Sterio Dumba kam erstmals im Jahr 1817 nach Wien und arbeitete anfangs in der Firma von Michael Demeter Curti, dessen Tochter Maria er später heiratete.1195 Die Effekte dieser Umbruchszeit zeigten sich auch auf personeller Ebene in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, wo die einflussreichen Akteure im 19. Jahrhundert aus anderen Familien kamen als im 18. Jahrhundert. So waren die erwähnten Familien Karajan und Paziazi um die Jahrhundertwende noch bedeutend für das Gemeindeleben. Georg Johann von Karajan hatte als k.k. 1186 Matis, Die Schwarzenbergbank, 352. 1187 Amelie Lanier, Die Geschichte des Bank- und Handelshauses Sina. Frankfurt am Main 1998, 35–36. Siehe auch: Ikaros Mantouvalos, Oi o_joi S_mar jai L\mor. D}o epiweiqglatij]r diadqol]r ap| tom bakjamij| w~qo stgm Jemtqij^ Euq~pg. In: Nikos Fokas (Hrsg.), Ekkgmij^ diaspoq\ stgm Jemtqij^ Euq~pg. Budapest 2012, 92–98, hier 93. 1188 Lanier, Die Geschichte des Bank- und Handelshauses Sina, 115–116. 1189 Siehe hier S. 290–291. 1190 Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 205. 1191 Ebd., 32. 1192 Steeb, Die Grafen von Fries, 287. 1193 Siehe hier S. 356–362. 1194 Konecny, Die Familie Dumba. 1195 Ioannis M. Tzafettas, Elvira Konecny, Mij|kaor Do}lpar. Nikolaus Dumba (1830–1900). 100 wq|mia ap| to h\mato tou laij^ma tym tewm~m jai ehmijo} eueqc]tg tgr Austq_ar jai tgr Ekk\dor. Thessaloniki 22009, 40–41.

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

267

Untertan bekanntlich beim Ankauf des Kirchenhauses der Gemeinde zum Hl. Georg eine entscheidende Rolle gespielt.1196 Der einzige Vertreter der Familie, der später noch im Rahmen der Gemeinden aktiv war, war sein Sohn Theodor Georg von Karajan, der als Vorsitzender der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit fungierte. Alle Kinder von Theodor wurden jedoch katholisch getauft und die Familie war in der Gemeinde nicht mehr präsent. Mitglieder der Familie Paziazi waren ebenfalls bedeutende Akteure im Gemeindeleben gewesen, so als Gründungsmitglieder der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit und später Johann Georg Paziazi beim Streit um die ersten Statuten der Gemeinde.1197 Auch diese Familie war im 19. Jahrhundert nicht länger im Gemeindeleben präsent. Stattdessen stellten nunmehr die neu aufgestiegenen Familien viele Akteure. Die Gemeindeverwaltung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit wurde für lange Zeit von der Familie Sina und deren Umfeld1198 dominiert.1199 Auch Mitglieder der Familien Dumba und Curti waren verstärkt in der Gemeindeverwaltung tätig, besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schließlich finden sich auch vermehrt Namen chiotischer Familien (Galatti, Scanavi), die ab dem 19. Jahrhundert in Wien präsent waren. Nach dem großen Anstieg und Rückgang der 1810er Jahre konsolidierte sich die Anzahl der in den Handelsschematismen verzeichneten griechischen Handelsleute, die osmanische Untertanen waren, auf dem Niveau der Zeit davor (ca. 70 Firmen) und blieb während der folgenden Jahrzehnte relativ stabil. Die Zahl der Händler, die österreichische Untertanen waren, nahm jedoch ab. Dies scheint sich dadurch erklären zu lassen, dass diese ihre Aktivitäten vermehrt in andere Wirtschaftsbereiche (Banken, Industrie) verlagerten.

4.1.2.2. Der Rückgang des Balkanhandels mit Wien ab den 1860er Jahren Ab den 1860er Jahren lässt sich eine deutliche Abnahme der griechischen Händler feststellen.1200 In den von mir als Quelle verwendeten Handelsschematismen finden sich nur bis zum Jahr 1845 gesonderte Listen der griechischen Händler.1201 Laut dem zeitgenössischen Industriellen und Wirtschaftswissenschaftler

1196 1197 1198 1199 1200

Siehe hier S. 113–115. Siehe hier S. 131. Laios, S_lym S_mar. Siehe hier S. 351. Vgl. auch Kostas Raptis, 8lpoqoi stgm Austq_a tou »lajqo}« 19ou ai~ma. In: Lm^lym 33 (2013–2014), 133–167, hier 143. 1201 Siehe oben Anm. 1141.

268

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Alexander Peez1202 kam der Baumwollhandel der griechischen Händler in Wien in den 1860er Jahren vollständig zum Erliegen,1203 wofür er folgende Gründe nennt: »Die Erschütterung, ja Auflösung des alten Oesterreich durch die Bewegung von 1848, innere und äußere Kriege, die Zerrüttung der Valuta, der Krimkrieg und das Uebergewicht der Engländer und Franzosen seit demselben, die Verarmung der türkischen Länder, die Zerstörung des Zwischenhandels durch die Umwälzungen im Transportwesen, die mächtige Entwicklung des Seehandels, der Bau der türkischen Bahnen von den Seehäfen aus […]«1204

Tatsächlich schadeten die Neuerungen in der Transportinfrastruktur1205 (Eisenbahnbau1206 und Entwicklung des Seehandels) dem traditionellen Zwischenhandel.1207 So schrieb Nikolaus Dumba in den 1880er Jahren an Markos Dragoumis (L\qjor Dqaco}lgr), den diplomatischen Vertreter Griechenlands in Wien: »Der bedeutende Zwischenhandel, welcher das Morgenland mit dem Abendlande verband, ist wie überall durch den direkten Kontakt fast vernichtet und die einst bedeutenden Gemeinden von Wien und Budapest sind bloß noch durch wenige Firmen und Familien vertreten.«1208

Hinzu kam in den 1860er Jahren ein weiterer Faktor : Österreich erlebte in diesen Jahren eine schwere Wirtschaftskrise, zu der die durch den amerikanischen Bürgerkrieg 1861 ausgelöste Baumwollkrise hinzutrat. Da sich die Preise für Rohbaumwolle fast verfünffachten, sanken die Importe von Baumwolle massiv, sodass die cisleithanische Baumwollindustrie fast vollständig zusammenbrach.1209 Obwohl die Baumwollkrise dem Export von makedonischer Baumwolle grundsätzlich nützte,1210 wurde offenbar aufgrund der fehlenden Nachfrage keine Baumwolle mehr nach Wien gebracht.

1202 Peez Alexander Ernst Frh. von. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950. Bd. 7, Wien 1978, 389–390. 1203 Alexander Peez, Die Griechischen Kaufleute in Wien. Separat-Abdruck aus der »Neuen Freien Presse«. Wien 1888, 6. 1204 Ebd., 15–16. 1205 Karl Bachinger, Das Verkehrswesen. In: Alois Brusatti (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 1: Die wirtschaftliche Entwicklung. Wien 1973, 278–322. 1206 Zum Eisenbahnbau am Balkan und in der Habsburgermonarchie siehe: Markus Klenner, Eisenbahn und Politik 1758–1914. Vom Verhältnis der europäischen Staaten zu ihren Eisenbahnen. Wien 2002, 90–193. 1207 Vasilis Gounaris, Steam over Macedonia, 1870–1912. Socio-economic change and the railway factor. New York 1993, 190–205. 1208 Zitiert nach: Stassinopoulou, Diplomatischer Alltag, 630. 1209 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 243. 1210 Orhan Kurmus¸, The cotton famine and its effects on the Ottoman Empire. In: Huri I˙sla-

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

269

Allgemein war ein Rückgang der griechischen Händler in diesen Jahren im gesamten Gebiet der Monarchie zu beobachten. So konstatierte Bidermann 1884 bezüglich der »Verbreitung der griechisch-gläubigen Griechen und MazedoWlachen« eine Verminderung ihrer Anzahl aufgrund des »Umschwunges der Handels- und Erwerbsverhältnisse«.1211 Auch Efstratiadis begründete zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Tatsache, dass die griechischen Gemeinden in Wien nur mehr wenige Mitglieder zählten, mit dem »Umbruch im Handel«.1212

4.1.3. Pfarrmatriken Eine weitere Quelle, die Schlüsse auf die Anzahl der in Wien anwesenden Griechen zulässt, sind die Matrikenbücher der beiden Gemeinden, in denen Eheschließungen, Taufen und Todesfälle verzeichnet wurden. Die Matrikenbücher beginnen in den Jahren 1775 (Hl. Georg) bzw. 1786 (Hl. Dreifaltigkeit). Bei der Auswertung der Zahlen ist zu bedenken, dass die beiden griechischen Pfarren bis zur endgültigen Errichtung der serbischen Pfarre zum Hl. Sava (1893) für alle orthodoxen Gläubigen Wiens zuständig waren. Im 18. Jahrhundert und zu Beginn des 19. Jahrhunderts handelte es sich bei den in den Matriken beider Gemeinden verzeichneten Personen hauptsächlich um griechische Händler und deren Familienangehörige, was sich darin äußert, dass man bei den Einträgen fast durchgehend die Berufsbezeichnung »Händler« (»pqaclateut^r« oder »]lpoqor«) findet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich das in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, die für die österreichischen Untertanen zuständig war, da immer mehr Orthodoxe, die nicht zur Gruppe der griechischen Balkanhändler gehörten, aus anderen Teilen der Habsburgermonarchie nach Wien zuwanderten. Vergleicht man die Zahlen der Eheschließungen, Taufen und Todesfälle von 1775 bzw. 1786 bis 1919 der beiden Gemeinden miteinander (siehe Tabelle 3), so werden die Unterschiede in der Sozialstruktur, die sich durch die jeweilige Zuständigkeit der Gemeinden für die österreichischen bzw. die osmanischen Untertanen ergaben, deutlich. In der Gemeinde zum Hl. Georg war die Zahl der Eheschließungen und Taufen niedriger und bewegte sich zumeist nur im einstelligen Bereich. Dies bestätigt den Charakter der Gemeinde zum Hl. Georg als Gemeinde der sich nur temporär in Wien aufhaltenden Handelsmänner aus dem Osmanischen Reich, von denen nur wenige hier Familien gründeten. Bei der mog˘lu-I˙nan (Hrsg.), The Ottoman Empire and the world-economy. Cambridge [u. a.] 1987, 160–169, hier 165–166. 1211 Hermann Ignaz Bidermann, Die Griechisch-Gläubigen und ihr Kirchenwesen in Oesterreich-Ungarn. In: Statistische Monatsschrift 10 (1884), 381–413, hier 406–407. 1212 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 70.

270

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit waren die Zahlen der Eheschließungen und Taufen seit ihrer Gründung höher als beim Hl. Georg, da ihre Mitglieder entweder, wie zur Erlangung der österreichischen Staatsangehörigkeit erforderlich, ihre Familien ins Land geholt hatten oder sich in Wien verheirateten. Bis in die 1860er Jahre waren die Zahlen in beiden Gemeinden nur geringen Schwankungen unterworfen. Es gilt jedoch zu bedenken, dass Veränderungen in der Anzahl der vor Ort anwesenden griechischen Händler, die Untertanen des Osmanischen Reiches waren, aus den Matriken der Gemeinde zum Hl. Georg nicht unbedingt ablesbar sind, wenn diese Personen ledig und nur kurzzeitig in Wien anwesend waren und es der Zufall nicht mit sich brachte, dass sie hier verstarben. Es gab allerdings auch griechische Händler, die die osmanische Staatsangehörigkeit behielten und sich trotzdem längerfristig in Wien niederließen. Ab den 1860er Jahren lässt sich vor allem in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ein signifikanter Anstieg von Einträgen feststellen. Der Zuzug von Migranten aus Regionen der Monarchie mit orthodoxer Bevölkerung wie Galizien und der Bukowina nach Wien nahm stark zu.1213 Da es außer der Gemeinde zum Hl. Georg noch keine anderen orthodoxen Pfarren in Wien gab, war die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit auch für diese Personen zuständig. Daher begann man ab dieser Zeit die Unterscheidung der Begriffe »Gemeindemitgliedschaft« und »Pfarrangehörigkeit« zu betonen, um Orthodoxe, die nicht zur Gruppe der Balkanhändler, die traditionell die Wiener griechischen Gemeinden ausmachten, gehörten, von der Gemeindemitgliedschaft auszuschließen. Während des Ersten Weltkriegs verzeichnen die Matriken der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit einen starken Anstieg der Sterbezahlen. Dieser hängt damit zusammen, dass die Matriken der Orthodoxen aus dem Flüchtlingslager Oberhollabrunn1214 und dem Interniertenlager Thalerhof1215 in Graz übernommen wurden.1216 In Oberhollabrunn waren vor allem Kriegsflüchtlinge, aber auch Internierte aus Galizien und der Bukowina untergebracht, während nach Graz-Thalerhof ebenfalls hauptsächlich Ruthenen deportiert wurden. 1213 In der Relation der Gesamtzuwanderung nach Wien nahmen diese Regionen zwar nur einen eher geringen Anteil ein, von denen wiederum der Großteil Juden waren, dennoch war die Zahl der orthodoxen Zuwanderer hoch genug, um für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von Bedeutung zu sein. Siehe Tabelle »Geburtsländer der Nichtjuden und Juden in Wien, 1880« in: Albert Lichtblau (Hrsg.), Als hätten wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie. Wien [u. a.] 1999, 53. 1214 Werner Lamm, Vom Flüchtlingslager zur Gartenstadt. Hollabrunn 1999. 1215 Georg Hoffmann, Nicole-Melanie Goll, Philipp Lesiak, Thalerhof 1914–1936. Die Geschichte eines vergessenen Lagers und seiner Opfer. Herne 2010. 1216 Die Matrikenbücher des Lagers Oberhollabrunn wurden am 27. Mai 1919 an die Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit übergeben. AHD, G 11, Fasz. 9. Die Einträge wurden in den Matrikenbüchern der Pfarre zur Hl. Dreifaltigkeit nachgetragen.

271

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

Tabelle 3: Matrikenbücher der beiden Wiener griechischen Gemeinden

Jahr

Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Trauungen Taufen Todesfälle

Gemeinde zum Hl. Georg Trauungen Taufen Todesfälle

1775

2

1776 1777

2

1 4

1778 1779

1

3 2

5 9

1780 1781

1

4 4

6 6

1782 1783

5 2

5 4

1784 1785

4 1

6 6

1786 1787

3 1

4 2

4 8

1788 1789

1 1

9 9

8 11

1

2 3

6 4

1790 1791

4 7

7 7

1792 1793

1 1

11 12

7 4

3 1

4 10

1794 1795

1 4

14 13

6 5

2 3

4 4

1796 1797

2 4

14 11

16 7

2 3

5 3

14 13

9 14

1 2

3 2

1798 1799

2

1800 1801

1 2

15 20

7 14

3 5

7 9

1802 1803

1

20 13

13 9

5 3

9 12

1804 1805

1 1

15 7

12 16

3 3

5

1806 1807

1

23 15

12 8

1

2

12 14

16 12

5 10

6 9

1808 1809

2

2

272

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung))

Jahr 1810 1811 1812

Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Trauungen Taufen Todesfälle

Gemeinde zum Hl. Georg Trauungen Taufen Todesfälle

1

17

14

1

2

3

6 4

23 17

21 24

1

6 6

8 5

25 11

18 24

6 1

4 8

8 6

6 9

1813 1814

1

1815 1816

3 2

14 17

13 17

1817 1818

1 4

9 11

18 22

4 4

5 4

1819 1820

4 1

5 12

14 10

6 9

6 6

1821 1822 1823 1824

1 1 1 1

5 10 3 4

11 15 13 11

7 3 2 4

6 9 1 12

1825 1826

2 1

2 4

11 4

1 2

5 2

10 5

1827 1828

2

4 4

13 11

1 7

3 3

3 7

1829 1830

3 2

5 5

9 4

2 1

4 6

2 8

1831 1832

2

3 6

16 13

1 2

1 1

12 8

5 4

9 5

1

3 3

7 7

1833 1834

1

1835 1836

3

1 3

13 10

2 1

3 4

5 7

1837 1838

2 3

6 6

12 15

1

2 1

3 8

1839 1840 1841 1842

2 1

5 5 8 2

14 14 9 10

2 2 3

5 8 3 3

4 8 4 5

1843 1844

1

2 1

13 15

2 2

2 6

4 4

273

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Trauungen Taufen Todesfälle

Gemeinde zum Hl. Georg Trauungen Taufen Todesfälle

4

7

9

1

2

5

1846 1847

3 1

7 5

14 17

1 1

4 3

4 10

1848 1849

1 1

7 3

24 28

1 2

5 5

11 6

1850 1851

3 6

9 12

19 19

3 2

6 7

8 8

1852 1853

6 3

11 15

20 22

3 3

6 8

5 12

1854 1855

9 4

15 11

26 15

1

6 8

10 8

1856 1857 1858 1859

5 7 5 3

12 10 11 17

36 37 24 22

6 7 4 3

10 5 10 4

1860 1861

7 9

15 24

22 38

2

10 9

15 10

1862 1863

5 6

17 8

36 27

3 4

9 5

10 8

1864 1865

5 6

23 18

23 27

2 1

10 11

9 11

1866 1867

4 10

23 14

38 30

2

9 10

8 10

1868 1869

12 7

26 26

32 21

4 3

13 11

11 4

1870 1871

6 17

17 26

30 44

2 5

3 6

10 12

1872 1873

14 8

13 25

30 38

10 8

13 12

1874 1875 1876 1877

14 13 16 11

26 32 18 42

30 31 25 33

1 4 6 2

7 6 11 6

7 4 13 5

1878 1879

12 11

19 26

37 34

7 7

13 9

5

Jahr 1845

3 2 1

274

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Trauungen Taufen Todesfälle

Gemeinde zum Hl. Georg Trauungen Taufen Todesfälle

9

21

37

9

12

7

1881 1882

6 8

27 24

41 26

3 5

7 4

7 5

1883 1884

13 11

24 23

44 34

6 4

16 11

5 7

1885 1886

11 6

23 23

42 42

10 7

14 15

9 17

1887 1888

6 11

17 37

23 29

3 4

9 20

14 12

1889 1890

14 8

22 22

42 34

13 11

22 17

11 16

1891 1892 1893 1894

16 12 12 12

29 39 26 22

30 33 49 23

15 11 10 2

41 16 14 7

8 10 11 5

1895 1896

3 2

13 11

17 20

2 7

3 11

7 7

1897 1898

2 5

11 9

20 14

4

3 4

10 8

1899 1900

7 6

9 9

31 22

2 1

8 2

9 7

1901 1902

5 11

6 17

22 27

5

4 3

3 2

1903 1904

13 12

19 14

23 29

3 1

9 2

9 6

1905 1906

8 15

20 24

31 35

1 5

4 3

2 8

1907 1908

13 9

28 23

31 36

2 2

3 5

8 6

1909 1910 1911 1912

9 8 5 7

20 25 18 21

30 29 25 32

1 2 4 3

2 3 7 1

8 4 6 7

1913 1914

6 14

18 23

27 36

6 6

3 2

2 6

Jahr 1880

275

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Trauungen Taufen Todesfälle

Gemeinde zum Hl. Georg Trauungen Taufen Todesfälle

17

40

86

1

1

1

1916 1917

12 16

38 39

119 342

2 4

5 8

2 11

1918 1919

13 21

35 41

90 20

1 3

8 6

9 7

5 11

10 14

8 9

Jahr 1915

1920 1921

4.1.4. »Mitgliederlisten« und ähnliche Quellen aus den beiden griechischen Gemeinden In den Archiven der beiden griechischen Gemeinden befindet sich eine Reihe von weiteren unterschiedlichen Quellen zur Mitgliederzahl der Gemeinden. Abgesehen davon, dass der Begriff des Gemeindemitglieds im Laufe der Zeit unterschiedlich definiert wurde – von einer eher inklusiven Sichtweise an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hin zu einer exklusiven Interpretation Ende des 19. Jahrhunderts1217 – muss auch die Frage gestellt werden, inwiefern die Gemeinden mit der Gesamtheit der griechischen Niederlassung Wiens übereinstimmten. Tatsächlich waren wohl nicht alle anwesenden griechischen Händler in den Gemeinden aktiv. Dies trifft wahrscheinlich für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit noch mehr zu als für die Gemeinde zum Hl. Georg, die lange Zeit auch als Vertretungsorgan der Händler fungierte.1218 Auch galten in der Konskription von 1808 erfasste in Wien anwesende griechische Gelehrte aus dem Osmanischen Reich nicht als Mitglieder der Gemeinde zum Hl. Georg. Umgekehrt lässt sich aber aus den Matriken der Gemeinden ableiten, dass im 18. Jahrhundert und den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts fast alle Orthodoxen Wiens zur Gruppe der »griechischen Balkanhändler«1219 (also der potentiellen Zielgruppe der Gemeinden) gehörten und es erst mit der Zuwanderung anderer orthodoxer Bevölkerungsgruppen nach Wien ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Differenzierung kam. 1217 Vgl. Kap. 2 und 3. 1218 Siehe hier S. 61–63. 1219 Die begrifflichen Schwierigkeiten in einer Zeit, in der eine Zuordnung nach rein ethnischen Kriterien noch nicht üblich war, wurden bereits erwähnt. Siehe hier S. 16–17.

276

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

In der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit galten bis 19091220 die männlichen Familienoberhäupter bzw. in bürgerlicher Hinsicht selbstständige ledige Männer als Mitglieder, während es in der Gemeinde zum Hl. Georg zunächst die Mitgliedschaft nach Firmen gab, die aber im Laufe des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild der Schwestergemeinde ebenfalls zur Mitgliedschaft nach natürlichen Personen wurde. Abgesehen von den Listen der Gemeindemitglieder bei den Generalversammlungen lassen auch andere in den Gemeindearchiven vorhandene Listen (z. B. Spendenlisten) Rückschlüsse auf die Größe der Gemeinden zu. Vorweg sei angemerkt, dass sich aus diesen Zahlen die Hochzeit der griechischen Niederlassung in den Jahren zwischen 1800 und 1815 und die deutliche Verkleinerung der Gemeinden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht eindeutig ablesen lassen. Das scheint daran zu liegen, dass selbst in der Blütezeit viele griechische Händler nicht an den Generalversammlungen teilnahmen, wohl auch aufgrund geschäftlicher Abwesenheiten aus Wien. Später dürften die Mitglieder aufgrund der Probleme bei der Beschlussfähigkeit stärker zur Teilnahme an den Generalversammlungen angehalten worden sein. So zeigt sich bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass bei den Generalversammlungen nur noch jeweils mehrere Mitglieder aus einigen wenigen Familien vertreten waren, während um 1800 zumeist nur ein einziger Vertreter einer Familie anwesend war. Die Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit wurde von 32 Mitgliedern beschlossen,1221 wobei 25 Personen für die Neuerrichtung der Kirche aus dem Stockhammer’schen Haus größere Geldsummen spendeten.1222 Eineinhalb Jahrzehnte später ist in einem Hofkanzleiakt bezüglich der Gründung der griechischen Nationalschule von der »zahlreichen aus mehr, denn 100 Familien bestehenden griechischen Gemeinde dieser Stadt« die Rede.1223 Obwohl die Formulierung offen lässt, ob damit nicht die Gesamtheit der österreichischen und osmanischen Griechen gemeint ist, könnte man im Kontext der Gründung der griechischen Nationalschule folgern, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nun über 100 Familien zählte. Es scheint, dass die Nennung von 100 Familien nicht auf die tatsächliche Anzahl zurückgeht, sondern sich auf die Bedingung im Toleranzpatent von 1781 bezieht, die eine Mindestanzahl von 100 Familien für die Errichtung eines Bethauses und einer Schule vorschreibt. Die Gemeinde 1220 Mit der Geschäftsordnung von 1909 wurde aufgrund des Mitgliedermangels auch eine weibliche Mitgliedschaft eingeführt. Siehe hier S. 213. 1221 Siehe hier S. 95. 1222 AHD, G 55, Kassabuch der Kirche (1786–1799), 1. 1223 AT-OeStA AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 8, 30. November 1803: Vortrag der vereinigten Hofkanzlei über die Bitte der hiesigen griechisch-nicht unierten Kirchengemeinde um die Erlaubnis eine eigene griechische Nationalschule zu errichten.

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

277

hätte also strenggenommen schon bei ihrer Gründung 100 Familien zählen müssen. Falls die Anzahl von 100 Familien während der Blütezeit der griechischen Niederlassung tatsächlich erreicht wurde, wurde sie wohl nicht stark überschritten. Aus der Konskriptionsliste von 1808 im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg lässt sich deduzieren, dass eine Familie durchschnittlich aus sechs Personen bestand. Das ergibt maximal etwa 600 Personen für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Die Regelung des Toleranzpatents, der zufolge eine Mindestanzahl von 100 Familien die Voraussetzung für eine Gemeindegründung bildete, lässt sich mit der Situation in Ungarn erklären, wo die zahlenmäßige Präsenz der griechischen Händler viel größer war als in Wien.1224 Zwar wechselten in den Jahren nach der Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Händler, die k.k. Untertanen geworden waren, von der Gemeinde zum Hl. Georg zur Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, doch nicht alle von ihnen wurden längerfristig in Wien sesshaft. Angehörige der mobilen Gruppe der Balkanhändler etwa, die ihre Familiennetzwerke1225 über ganz Europa ausgebreitet hatten, verließen die Stadt häufig wieder, um sich in anderen Teilen der Monarchie niederzulassen. So heißt es in einem im Zuge des Streits um die Statuten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit entstandenen Dokument von 1807 über zwei Gemeindemitglieder : »Stamati Cocicopulo und Nicolaus Ziole sind von der hiesigen Gemeinde ausgetretten, und vorlängst von hier abgereiset, ohne daß selbe mehr zurück kommen werden«.1226 Das folgende Diagramm gibt die Anzahl der Unterschriften unter den Generalversammlungsprotokollen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1786 bis 1911 wieder.1227 Es lässt sich ein leichter Rückgang der anwesenden Personen feststellen, doch auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen zumeist ca. 20 Mitglieder an den Generalversammlungen teil.

1224 Madouvalos, Conscriptiones graecorum, 122–123. 1225 Als Beispiel, wie ein solches Handelsnetzwerk mit Stützpunkten in vielen Städten funktionierte siehe Angeliki Inglesi, Boqeioekkad_ter ]lpoqoi sto t]kor tgr Touqjojqat_ar. O Sta}qor Iy\mmou. Athen 2004, 70–74; sowie die Karte im Anhang, und Madouvalos, The entrepreneurial activity of Dimitrios and Stephanos Manos, 155. 1226 WStLA, Hauptregistratur, A 17, Fasz. 19: Geistliche, Kloster und Kirchensachen, Schachtel 12 (Jahr 1806–1808), 3. April 1807: Brief der Gemeindevorsteher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an den Wiener Magistrat. 1227 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopien der Protokollbücher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823 und 1883–1891; Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr III, oijomolijor apokocisl. (aq), Kopien der Protokollbücher der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit der Jahre 1824–1838, 1839–1872 und 1892–1904. AHD, G 108, Protokollbuch der Generalversammlungen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1872– 1904 und AHD, G 14 Protokollbuch 1902–1912 (Generalversammlungen ab 1905).

278

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Diagramm 1: Anwesende Mitglieder bei den Generalversammlungen der griechischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien

Aus den verschiedenen vorhandenen Mitgliederlisten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit lässt sich die Entwicklung der Größe dieser Gemeinde zwischen 1787 und 1918 zwar nicht durchgehend deutlich ablesen, jedoch ihr Höheund Tiefpunkt feststellen. Betrachtet man diese Namenslisten genauer, so fällt außerdem auf, dass im Vergleich zu den 45 Unterzeichnern des Statutentextes von 1805 bei der Einladungsliste zur Generalversammlung des Jahres 1863 die Anzahl der Familiennamen abgenommen hatte und es sich bei den aufgelisteten Personen beinahe durchweg um Nachkommen der bereits in der Blütezeit der Gemeinde zu Beginn des 19. Jahrhunderts anwesenden Händler handelte. Das bedeutet, dass keine neuen Mitglieder hinzukamen, während gleichzeitig unter den Gemeindemitgliedern die Nachfahren der Gemeindegründer in der 2. oder 3. Generation aufgrund ihrer gelungenen Integration in die Wiener Gesellschaft, die sich in Eheschließungen mit Katholiken äußerte, weniger wurden.

279

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

Tabelle 4: Namenslisten aus der griechischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien Jahr

Art der Liste

Anzahl Anmerkungen Personen

Archivsignatur

1786

Spender für den Bau der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit

25

AHD, G 55, Kassabuch der Kirche

1801

Spender für die neu zu gründende griechische Nationalschule (10. März 1801)

90

1804

Einteilung der Mitglieder in fünf Klassen zur Beitragszahlung (17. Jänner 1804)

80

1805

Unterschriften unter 45 dem Statutentext vom 1. April 1805 Jatacqav^ tym 65 bzw. 71 Adekv~m dia tgm sumdqol^m eir tom amajaimisl|m tgr Ejjkgs_ar lar dia tour 1833

1833

1861

1863

1865

Bestellungsbogen über die Einladungsschreiben zur Generalversammlung Bestellungsbogen über die Einladungsschreiben zur Generalversammlung Bestellungsbogen über die Einladungsschreiben zur Generalversammlung

auch osmanische ELS, Jat\koipa C. Untertanen enthalten Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie Protokollbuch Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823 ELS, Jat\koipa C. Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr II etc., Kopie Protokollbuch Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1786–1823 AHD, G 1, Fasz. 2 Zwei leicht voneinander abweichende Listen

AHD, G 47, Fasz. 1

45

+1 Person, die ablehnte, weil zur anderen Gemeinde zuständig

AHD, G 7, Fasz. 12

57

Nicht alle anwesend

AHD, G 8, Fasz. 1

53

5 weitere Personen AHD, G 8, Fasz. 7 waren abwesend bzw. lehnten ab

280

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Jahr 1859– 1866

Art der Liste

Anzahl Anmerkungen Archivsignatur Personen »Alphabetisches Ca. 110 verfasst vom Actuar AHD, G 6, Fasz. 28 NahmensTheodor Duchateau Verzeichnis der im Jänner 1859 und Mitglieder der griech. ergänzt von ihm im orientalischen Oktober 1862; zum Gemeinde, k.k. österr. Teil Namen ausgestrichen, weil Unterthanen« (Buch mit Adressen der Mitglieder verzeichneten verstorben, oder Personen) später ergänzt, daher nicht präzises Abbild eines Jahres. Enthält auch Frauen.

1897

Mitgliederstand 1897

83

1912

Anzahl männlicher Mitglieder

30

1915

Liste der Pfarrlinge

108

1922

Mitgliederverzeichnis 34

Keine Liste AHD, G 9, Fasz. 20 33 Mitglieder mit 50 Familienangehörigen Keine Liste AHD, G 10, Fasz. 17, Entwurf Äußerung (25. Juni 1912) 94 österreichische Untertanen + 14 andere mit Adressen und Angabe der Staatsbürgerschaft 28 Männer und 6 Frauen

AHD, G 10, Fasz. 17 AHD, G 11, Fasz. 9 und G 11, Fasz. 11

In der Liste aus dem Jahr 19221228 – also nach dem Ende der Habsburgermonarchie – zeigt sich ganz deutlich, dass die Gemeinde nun nur mehr von wenigen Familien getragen wurde, denn von den 34 genannten Mitgliedern gehörten 24 den Familien Dumba, Galatti, Giannelia, Metaxa, Scanavi und Ypsilanti an. Im Vergleich zu den Mitgliederzahlen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zeigen die im Archiv der Gemeinde zum Hl. Georg vorhandenen Quellen zur Gemeindemitgliederzahl der osmanischen Untertanen, dass diese lange Zeit wesentlich höher war als die der österreichischen Untertanen. So überschreiten die meisten der leider undatierten Listen der Beitragszahlungen für die Ge1228 Wie auf S. 237ff. erwähnt, war die Geschichte der Gemeinden in den 1920er Jahren zum Teil noch eine Fortsetzung von Entwicklungen aus der Zeit der Monarchie. Dies gilt auch für die Mitgliederlisten beider Gemeinden von 1922, an denen sich die Veränderungen der Zwischenkriegszeit noch nicht ablesen lassen.

281

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

meinde zum Hl. Georg vom Beginn des 19. Jahrhunderts die Anzahl von 100 Einträgen, wobei es zu beachten gilt, dass die Beiträge nicht pro Kopf, sondern pro Firma einbezahlt wurden. Da ich für die Gemeinde zum Hl. Georg für lange Zeitperioden keine aussagekräftigen Dokumente zur Mitgliederzahl ausfindig machen konnte, lassen sich keine genauen Aussagen darüber treffen, ab wann die Mitgliederzahl abzunehmen begann. Die bereits erörterte Zäsur des Jahres 1815 führte jedoch sicherlich zu einer Verringerung der Gemeindemitglieder in der Gemeinde der osmanischen Untertanen. Im Jahr 1845 stellte man jedenfalls bereits eine deutliche Verkleinerung fest, da man in der Verwaltung die Dodekas durch eine Exas ersetzte.1229 Möglicherweise hat die Tatsache, dass im Archiv der Gemeinde keine Mitgliederlisten aus der Zeit nach 1860 zu finden sind, auch damit zu tun, dass die Mitgliederzahl bereits sehr klein geworden war, was sich mit den oben beschriebenen wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen der 1860er Jahre erklären ließe. Dazu würde auch die später geäußerte Ansicht passen, dass die Gemeinde zum Hl. Georg bereits 1893 aus Perspektive des Mitgliederstandes keine Existenzberechtigung mehr gehabt habe, aber aus historischen Gründen aufrechterhalten worden sei.1230 Während die Gemeinde nach Efstratiadis im Jahr 1900 nur mehr zwölf Mitglieder zählte,1231 gab sie im Jahr 1922 mit 33 Mitgliedern bzw. Pfarrlingen eine fast gleich hohe Zahl wie die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit an. Dies lässt sich aber damit erklären, dass man sich in dieser turbulenten Zeit nicht mehr an behördliche Vorgaben betreffend die Einteilung der Pfarrzugehörigkeit hielt und zunehmend neue »griechische« Mitglieder aufnahm.1232 Tabelle 5: Namenslisten aus der griechischen Gemeinde zum Hl. Georg in Wien Jahr

Art der Liste

Anzahl Archivsignatur Personen

Ohne Datum Verzeichnis Beitragszahler (ca. 1790–1820)

137

AHG, G 1, Fasz. 1

Ohne Datum Verzeichnis Beitragszahler (ca. 1790–1820) Ohne Datum Verzeichnis Teilnehmer (ca. 1790–1820) Versammlung

99

AHG, G 1, Fasz. 1

47

AHG, G 1, Fasz. 1

1229 1230 1231 1232

Siehe hier S. 228 und Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 213–214. Siehe hier S. 230. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 295. Siehe zum Beispiel den Fall von Nikolaus Scanavi bei Stassinopoulou, Diplomatischer Alltag, 626.

282

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Jahr

Art der Liste

Anzahl Archivsignatur Personen 300 AHG, G 7, Fasz. 18

1808

Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind

1845 1850

Generalversammlung 1845 Generalversammlung 1850

57 52

AHG, G 1, Fasz. 2 AHG, G 1, Fasz. 2

1853 1857

Generalversammlung 1853 Generalversammlung 1857

64 66

AHG, G 1, Fasz. 2 AHG, G 1, Fasz. 2

1860 1922

Generalversammlung 1860 Mitgliederverzeichnis (=Pfarrlinge)

56 33

AHG, G 7, Fasz. 19 AHG, G 11, Fasz. 27

4.1.5. Conclusio Auf Basis der vorhandenen Zahlen aus den Konskriptionen, den Pfarrmatriken und anderen Quellen aus den Gemeindearchiven lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Anzahl der Wiener Griechen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wohl 300–500 Personen betrug, um in der Folge während der Blütezeit der griechischen Niederlassung in Wien von 1800 bis 1815 auf ca. 1.000–1.500 Personen anzuwachsen und anschließend wieder auf das vorherige Niveau abzusinken. Vergleicht man diese Zahlen mit den Angaben in zeitgenössischen Druckwerken, so ergibt sich – Robert Walsh’s Angabe von 4.000 Personen ausgenommen – ein durchaus realistisches Bild von der Größe der griechischen Niederlassung in Wien. Pezzl nannte für das Jahr 1787 eine Anzahl von 600 Köpfen1233, während Sartori 1830 über die Anzahl der Wiener Griechen schrieb: »hatte ehedem eine Anzahl von beiläufig 1000 Seelen, nun aber kaum 500«1234. Schmidtbauer wiederum errechnete anhand der Konskription des Jahres 1857 1233 Pezzl, Skizze von Wien, 395. 1234 Franz Sartori, Historisch-ethnographische Übersicht der wissenschaftlichen Cultur, Geistesthätigkeit und Literatur des österreichischen Kaiserthums nach seinen mannigfaltigen Sprachen und deren Bildungsstufen. Wien 1830, 180. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 239; spricht hier irrtümlich von einer Anzahl von 500 Familien, die dann natürlich viel zu hoch gegriffen wäre. Auch die von ihr erwähnte Angabe der Anzahl von 3.000 Griechen in Johann Pezzl, Neueste Beschreibung von Wien. Wien 1822, 220; ist missverständlich, da hier die Anzahl der unierten und nicht unierten Griechen zusammengefasst wurde.

Demografische Entwicklung und Sozialstruktur der Griechen in Wien

283

eine Zahl von ca. 300 Griechen (ohne Unterscheidung der Staatsangehörigkeit) in der Wiener Innenstadt.1235 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl der griechischen Mitglieder der beiden traditionellen Gemeinden dann immer weiter ab. Die Angaben der beiden Gemeinden über ihren Mitgliederstand im Jahr 1922, der zusammen 67 Personen umfasste, spiegeln noch die Situation der Jahre vor 1918 wider. Seit der Zeit der ersten Präsenz von Griechen in Wien im 18. Jahrhundert bis zum Ende der Habsburgermonarchie hatte sich die Sozialstruktur der Gruppe gewandelt. Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts bestand der Großteil der griechischen Bevölkerung in Wien aus Händlern. Gemäß der Konskription von 1766–67 waren zu diesem Zeitpunkt 88 % der Griechen im Handel tätig.1236 Derselbe Prozentsatz ergibt sich auch aus der Konskription von 1808, die jedoch nur die osmanischen Untertanen erfasste. Im Jahr 1857 beschäftigten sich noch immer 58 % der Griechen mit Handel, ein Prozentsatz, der weit über dem Durchschnitt der übrigen Bevölkerung lag.1237 So war die in Wien anwesende orthodoxe Bevölkerung lange Zeit größtenteils mit der Niederlassung der »griechischen« Balkanhändler ident. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden diesbezüglich deutliche Veränderungen statt. Während einerseits der Balkanhandel stark zurückging und andererseits viele neue Zuwanderer nach Wien kamen, wandelte sich die Struktur der orthodoxen Bevölkerung der Stadt sowohl in ethnischer als auch in sozialer Hinsicht, was sich nicht zuletzt in der Gründung der serbischen Gemeinde zum Hl. Sava sowie in den Streitigkeiten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit mit den Rumänen manifestierte. Nach 1918 könnte die Zahl der Griechen in Wien wieder etwas angestiegen sein, wie eine Bemerkung von Pavlos Giannelia aus dem Jahr 1927 über die in Wien anwesenden Griechen, die zum Teil zwar die Kirche besuchten, aber nicht Gemeindemitglieder wurden, um keine Kultussteuer bezahlen zu müssen, vermuten lässt. Er schrieb über diese Personen: »Deren Zahl ist eine ganz bedeutende, der Schätzung nach etwa 300«1238. Möglicherweise waren einige dieser Personen, die keinen engeren Kontakt zu den Gemeinden suchten, auch bereits vor 1918 nach Wien gekommen. Abschließend ist zu bemerken, dass die Griechen auch während der Blütezeit der Niederlassung nur einen Bruchteil der Wiener Bevölkerung ausmachten. So 1235 1236 1237 1238

Schmidtbauer, Zur Familienstruktur der Griechen in Wien, 152–153. Ebd., 152. Ebd., 153. AHD, G 9, Fasz. 7, 6. Mai 1927: Pavlos Giannelia, Gutachtliche Äußerung. Dies würde ungefähr den von Gonsa genannten Angaben aus der österreichischen Volkszählung von 1934, nach der 266 griechische Staatsbürger in Wien lebten, entsprechen. Gonsa, Die griechische Diaspora, 322.

284

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

stellten sie im Jahr 1814 wohl ungefähr 1 % der Bevölkerung der Stadt, die zu diesem Zeitpunkt 100.000 Einwohner (innerhalb der Stadtmauern) hatte.1239 Mit dem raschen Anwachsen der Bevölkerung1240 und der gleichzeitigen Verringerung der Zahl der Griechen, wurde der Prozentsatz entsprechend kleiner. Dennoch prägten sie durch ihre Anwesenheit den urbanen Raum eines Teils der Wiener Innenstadt in einem durchaus bedeutenden Ausmaß, wie in der Folge gezeigt werden soll.

4.2. Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel Im Jahr 1787 schrieb Pezzl in seiner »Skizze von Wien« über die hier anwesenden Griechen: »[…] beinahe der ganze alte Fleischmarkt ist von ihnen bewohnt. Sie werden sich ehestens in dieser Gasse eine eigene neue Kirche bauen.«1241 Tatsächlich besetzten die »griechischen Handelsmänner« einen räumlich klar definierten Bereich der Stadt, das sogenannte »Griechenviertel«.1242 Sowohl die Wohnungen als auch die Geschäftslokale der Händler befanden sich primär im nordöstlichen Teil des heutigen 1. Bezirkes (Stubenviertel) sowie zu einem weit geringeren Teil im direkt angrenzenden Gebiet am anderen Ufer des Donaukanals (Leopoldstadt) und des Wienflusses (Landstraße). Im Stubenviertel herrschte vor Ankunft der Händler aus dem Osmanischen Reich eine Konzentration von süddeutschen und italienischen Kaufleuten, woher auch die Bezeichnung »Fremdenviertel« stammt. Die griechischen Handelsmänner traten im 18. Jahrhundert die Nachfolge dieser ausländischen Kaufleute im Viertel an.1243 Dieser Teil der Innenstadt war durch die für die Händler wichtigen Verkehrswege des Donaukanals (zu Wasser) und der Ausfallstraße nach Osten (zu Lande) in Richtung Ungarn, die beim Stubentor ihren Ausgang nahm, gekennzeichnet.1244 Bereits in der Konskription von 1766–67 gaben mindestens 69 der 82 griechischen Händler an, in Häusern zu wohnen, die sich in diesem Gebiet befanden.1245 Insofern ist Do PaÅos Aussage »on peut donc difficilement parler d’un 1239 Peter Csendes, Ferdinand Opll (Hrsg.), Wien. Geschichte einer Stadt. Bd. 3: Von 1790 bis zur Gegenwart. Wien [u. a.] 2006, 18. 1240 Ebd., 15–18. 1241 Pezzl, Skizze von Wien, 396. 1242 Seirinidou, Griechen in Wien im 18. und frühen 19. Jahrhundert, 20–21. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 269–280. 1243 Elisabeth Lichtenberger, Die Wiener Altstadt. Von der mittelalterlichen Bürgerstadt zur City. Wien 1977, 131. 1244 Ebd., 179. 1245 Weitere vier wohnten in der Vorstadt Leopoldstadt. Bei den übrigen Personen konnte ich nicht feststellen, wo sich die Häuser, in denen sie wohnten, befanden.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

285

quartier grec«1246 äußerst irreführend und angesichts der Dokumentation nicht nachvollziehbar. Er geht offensichtlich davon aus, dass die Bezeichnung »Griechenviertel« nur dann gerechtfertigt sei, wenn der Fleischmarkt – analog zu einem jüdischen Ghetto – nur von Griechen bewohnt gewesen wäre und alle Griechen direkt am Fleischmarkt gewohnt hätten. Stattdessen postuliert er ein Handelsviertel der osmanischen Kaufleute: »Il n’y a pas dans la Vienne de MarieTh8rHse de quartier grec, mais un quartier marchand dans lequel les sujets du Grand Seigneur sont install8s.«1247 Der zweite Halbsatz ist grundsätzlich nicht falsch, allerdings sei angemerkt, dass erstens der Anteil muslimischer und jüdischer Kaufleute an den Händlern aus dem Osmanischen Reich im Vergleich zu den christlichen »Griechen« gering war und zweitens eine immer größer werdende Anzahl der griechischen Händler, die sich hier niederließen, nicht osmanische, sondern österreichische Untertanen waren. Tatsächlich lässt sich die Existenz eines »Griechenviertels« anhand der in den vorhandenen Quellen angegebenen Wohnadressen und Adressen der Geschäftslokale der griechischen Händler deutlich belegen. Durch das Markieren dieser Adressen in den jeweiligen zeitgenössischen Stadtplänen Wiens, welche die Hausnummern enthalten,1248 lassen sich Visualisierungen des Griechenviertels herstellen. Die anhand des Verzeichnisses der osmanischen Untertanen in Wien von 1808 erstellte Karte zeigt deutlich die Konzentration der Wohnadressen der Griechen auf das erwähnte Gebiet (Karte 11249). Von den 300 verzeichneten Personen wohnten nur 20 in den Vorstädten, während sich alle anderen im Gebiet um den Alten Fleischmarkt konzentrierten, wobei oftmals eine größere Anzahl von Personen in einem Haus wohnte.1250 Hier sei nochmals auf den Zusammenhang zwischen der Konzentration der Griechen im Gebiet um den Fleischmarkt, wo sich das traditionelle Handelsviertel befand, und der großen Homogenität der Gruppe in Bezug auf ihre Profession als Balkanhändler1251 1246 Do PaÅo, Le marchand grec existe-t-il?, 63. 1247 Do PaÅo, Identit8 politique et grand commerce des marchands ottomans / Vienne. 1248 Da es mehrmals Umnummerierungen der Häuser gab, war es notwendig, dies bei der Auswahl der jeweiligen Stadtpläne zu beachten, um keine falschen Ergebnisse zu liefern. Dazu: Tantner, Ordnung der Häuser, 207. 1249 Für die Abbildung wurde folgender Stadtplan verwendet: Georg A. Zürner, Plan der K.K. Haupt- und Residenzstadt Wien mit Bemerkung der Haus-Nummern und Gassen der K.K. und Staats-Gebäuden, der Fürst- und Graeflichen Häuser, auch Sonst Sehenswürdigen Gegenständen Samt Anzeige der Eintrittstaegen – abgetheilt in die Viertel zur Bequemlichkeit für Inn- und Ausländer. Wien, ca. 1809 (digitalisiert von der Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze unter : http://teca.bncf.firenze.sbn.it/ImageViewer/servlet/ImageView er?idr=BNCF0003495837). 1250 Siehe Tabelle im Editionsteil Nr. 26. 1251 Vgl. dazu Janet T. Landa, Economic success of ethnically homogeneous middleman diasporas in the provision of club goods. The role of culture, religion, ethnic identity, and

286

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

hingewiesen. Tatsächlich handelte es sich 1808 bei den wenigen Personen, die nicht in dieser Gegend wohnten, zumeist nicht um Händler. Noch deutlicher zeigt sich die Konzentration der Griechen im Bereich um den Fleischmarkt, wenn man die Lokalisation der Geschäftslokale (Comptoirs) betrachtet. Von den 1261252 in einem Händlerverzeichnis von 18161253 angegebenen Adressen lagen nur vier außerhalb der Stadtmauern (Karte 2).1254 An dieser Situation hatte sich auch im Jahr 18591255 – fast ein halbes Jahrhundert später – nichts geändert (Karte 31256). Von 81 angegebenen Kaufleuten betrieben nur drei ihr Comptoir nicht in der Innenstadt (alle drei in der Leopoldstadt), und bei zweien war zusätzlich eine Wohnung angegeben, die sich in einer Vorstadt befand. Obwohl sich die Struktur der orthodoxen Bevölkerung Wiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte und immer weniger von ihnen die Profession des Händlers ausübten, blieb das Gebiet des Stubenviertels mit den angrenzenden Bezirken Leopoldstadt und Landstraße das Hauptwohngebiet dieser Bevölkerungsgruppe. So wohnten 1864 noch immer zwei Drittel der 1.075 erfassten orthodoxen Einwohner Wiens1257 in den Bezirken Innere Stadt (455 Personen), Leopoldstadt (175 Personen) und Landstraße (99 Personen). Die griechischen Händler prägten mit ihrer Anwesenheit den städtischen Raum im Gebiet um den Alten Fleischmarkt. Ihre Präsenz im öffentlichen Raum äußerte sich auf mehrfache Weise: durch den Ankauf vieler Immobilien in der Umgebung durch Griechen, auch durch das Zusammenkommen der Balkan-

1252 1253 1254

1255 1256

1257

ethnic boundaries. In: Waltraud Kokot, Christian Giordano, Mijal Gandelsman-Trier (Hrsg.), Diaspora as a resource. Comparative studies in strategies, networks and urban space. Wien [u. a.] 2013, 41–65. Adressangaben gab es nur bei ca. der Hälfte der Handelsleute. Anton Redl, Handlungs Gremien und Fabricken Addressen Buch des Oesterreichischen Kaiserthumes für das Jahr 1816. Wien 1816. Eine Visualisierung wäre auch für die Vorstädte Leopoldstadt und Landstraße interessant, um unter anderem zu sehen, inwieweit die Orientierung Richtung Donaukanal gegeben ist. Leider mangelt es hiefür an passendem Kartenmaterial, da es in den Vorstädten eigenständige Häusernummerierungen gab und auch hier häufig Neunummerierungen stattfanden. Emanuel Pernold, Firmenbuch enthaltend nach alphabetischer Ordnung alle bei dem hohen k. k. Handelsgerichte in Wien protokollirten Handels-, Fabriks- und GewerbsFirmen mit Angabe ihrer Domicile. Wien 1859. Für die Abbildung wurde folgender Stadtplan verwendet: Neuester Plan der Haupt und Residenz Stadt Wien und dessen Vorstaedten. Nach der neuesten Nummerirung der Haeuser nebst Angabe der Verschönerungen mit höchster Bewilligung nach dem Original Plane. Wien 1824 (digitalisiert von der Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze unter : http://teca.bncf.firenze.sbn.it/ImageViewer/servlet/ImageViewer?idr=BNCF0003495878). AHD, G 108, Buch: Übersicht jener Individuen, welche auf Grundlage der Volkszählung im Jahre 1864 zur griechisch-orientalischen Religion gehören.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

287

händler im »griechischen Kaffeehaus« oder eben durch den Bau der beiden griechisch-orthodoxen Kirchen.

4.2.1. Häuser als Investition Zunächst traten die Griechen im genannten Stadtviertel nur als Mieter auf, da osmanischen Untertanen der Erwerb von Immobilien nicht gestattet war.1258 Mit dem Toleranzpatent Josephs II. von 1781 eröffnete sich denjenigen, die in die österreichische Botmäßigkeit übertraten, schließlich die Möglichkeit des Häuserkaufs, was eine wichtige Motivation für den Wechsel der Staatsangehörigkeit darstellte. Die Bedeutung dieser Maßnahme zeigt sich im Vergleich mit den Juden Wiens, die erst im Jahr 1860 endgültig das Recht zum Erwerb unbeweglicher Güter erhielten.1259 Für das Jahr 1786 scheinen erstmals zwei Häuser in der Innenstadt als im Besitz von Griechen befindlich auf: Einerseits das Haus Nr. 702 auf dem Alten Fleischmarkt, als dessen Besitzer die »Griech. wallach. Gemeinde« angeführt wurde, die dort die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit baute, andererseits das Haus Nr. 762 in der Unteren Bäckerstraße im Besitz von Constantin Damscho.1260 Selbiger gehörte – wie oben erwähnt – zu den ersten griechischen Händlern, die k.k. Untertanen wurden,1261 wie bereits aus der Konskription von 1766–67 hervorgeht.1262 In den folgenden Jahren nahm die Anzahl von Häusern in griechischem Besitz stetig zu, wie folgende Tabelle, die anhand der Angaben zu Hausbesitzern aus dem Staatshandbuch und aus anderen Häuserschematismen und Straßenverzeichnissen erstellt wurde,1263 zeigt. Die Tabelle erhebt keinen Anspruch auf 1258 Vesque, Die gesetzliche Behandlung der Ausländer, 63. 1259 Erst die kaiserliche Verordnung vom 18. Februar 1860 berechtigte die Juden in Österreich unter der Enns, in Böhmen, Mähren, Schlesien, Ungarn, in der serbischen Wojwodschaft, im Temeser Banat, in Kroatien-Slawonien, Siebenbürgen, Dalmatien und im Küstenland zum Besitz unbeweglicher Güter. Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 3: Die Völker des Reiches. Wien 1980, 894. Georg Gaugusch, Der jüdische Hausbesitz in der Wiener Innenstadt und der Ringstraßenzone bis 1885. Jewish real estate ownership in the Vienna city center and the Ringstrasse area until 1885. In: Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hrsg.), Ringstrasse. Ein jüdischer Boulevard. Wien 2015, 89–134, hier 90–100. 1260 Ignaz De Luca, Wiens gegenwärtiger Zustand unter Josephs Regierung. Wien 1787, »Häuser in der Stadt Wien. December 1786« (ohne Seitenzählung). 1261 Siehe hier S. 249. Er hatte 1770 der osmanischen Botmäßigkeit entsagt und war k.k. Untertan geworden. WStLA Merkantilgericht A3 Fasz. 3 Firmenakten 1 D33 Domscho Konstantin, 4. Februar 1782: Brief von Constantin Damscho an das nö. Merkantil- und Wechselgericht mit der Bitte um Umwandlung seiner Handlung in eine bürgerliche. 1262 Enepekides, Griechische Handelsgesellschaften, 17. 1263 Es wurde das unter http://alex.onb.ac.at/shb.htm zugängliche Staatshandbuch der Jahre

288

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Vollständigkeit, da die Angaben in den gedruckten Quellen – auch aufgrund häufiger Wechsel der Hausbesitzer innerhalb kurzer Zeit – teils fehlerhaft und nicht aktuell waren, wie der Vergleich mit anderen Quellen zum Hausbesitz zeigt.1264 Auch die im Zuge der Umnummerierungen erfolgten Zusammenlegungen von Hausnummern in Fällen, wo mehrere Häuser zu einem vereinigt wurden, führt zu Schwankungen. Dennoch lässt sich eine Tendenz klar erkennen – nämlich die starke Zunahme von Häusern im Besitz von Griechen bis 1816. Tabelle 6: Anzahl von Häusern in Wien im Besitz von Griechen Jahr

Innere Leopoldstadt Jägerzeil Landstraße Andere Insgesamt Davon Stadt Sina1265

1786 2

2

1789 4 1791 4

4 4

1794 4 1796 7

4 7

1797 7 1798 7

7 7

1799 8 1800 8

8 8

1801 7 1802 11

7 11

1803 10 1805 10

1

1808 15 1812 33

4 9

1816 36 1821 30

12 9

1828 34 1829 35 1833 21 1837 33

10

5

10 16

1

2 2

7 12

28 56

12

3 4

9 11

60 54

12 5

4

34 53

9 10

21 33

10 12

4

1789–1803 sowie die von der Wienbibliothek unter http://www.digital.wienbibliothek.at/ nav/classification/425705 digitalisierten Häuserschematismen und Straßenverzeichnisse verwendet. 1264 Vgl. zum Beispiel die von Seirinidou anhand der Testamente zusammengestellte Liste von Immobilien im Besitz von Griechen. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 373–378. 1265 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts habe ich in dieser Rubrik auch die Häuser, welche die Töchter Simon Sinas erbten und die in den Adressbüchern unter deren Nachnamen aufscheinen, mitgezählt.

289

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

((Fortsetzung)) Jahr

Innere Leopoldstadt Jägerzeil Landstraße Andere Insgesamt Davon Stadt Sina1265

1847 38

9

3

6

2

58

15

1852 41 1861 39

11 11

3 2

11 10

2 1

68 63

21 22

1875 34 1908 10

7 5

47 25

20 1

6 10

Hausbesitz erwies sich während der Inflation in der Zeit der Napoleonischen Kriege als einzige wertbeständige Investition zum Kapitalerhalt, da sie durch die Einnahmen aus dem Mietzins sichere Einkünfte garantierte.1266 Die Aufhebung der Hofquartierspflicht 1781, die den bürgerlichen Hausbesitzern das volle Verfügungsrecht über ihre Objekte zurückgab,1267 förderte den Trend zur Investition in Immobilien durch das Bürgertum.1268 So eröffnete die mit dem Toleranzpatent von 1781 einhergehende Erlaubnis, Immobilien erwerben zu dürfen, den Griechen, die k.k. Untertanen geworden waren, eine zusätzliche einträgliche Einkommensquelle. Christoph von Nako ließ auf dem Haus gegenüber der Dreifaltigkeitskirche am Fleischmarkt, das er 1789 erworben und 1793 hatte umbauen lassen,1269 folgende Inschrift anbringen: »Vergänglich ist dies Haus, doch Josephs Nachruhm nie, er gab uns Toleranz, Unsterblichkeit gab sie«, womit er sich wohl genau auf diesen Aspekt des Toleranzpatents bezog. In den Jahren nach dem Staatsbankrott von 1811 erlebte auch die Spekulation auf Immobilien einen Höhepunkt, wie folgendes Zitat von Beidtel illustriert: »Zugleich brach eine wilde Speculation in Häusern und Wirtschaften herein. Zuweilen ging ein Haus in drei Jahren an fünf Eigenthümer über und fast jeder Verkäufer gewann.«1270

Unter den Profiteuren dieser Praxis dürften sich einige griechische Handelsleute befunden haben. So findet sich bereits im Jahr 1810 in den Akten der Polizeihofstelle folgender Bericht mit dem Titel »Häuserspekulationen durch Griechen in Wien«:

1266 1267 1268 1269 1270

Sandgruber, Ökonomie und Politik, 211. Reinalter, Joseph II., 87–88. Sandgruber, Ökonomie und Politik, 212. Harrer-Lucienfeld, Wien. Bd. 4,1, 184. Ignaz Beidtel, Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung 1740–1848. Bd. 2, Innsbruck 1896, 184.

290

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

»Die Sage, deren ich in einem meiner früheren Berichte Erwähnung machte, daß nemlich eine Gesellschaft von Griechen einen Fond von mehreren Millionen blos zum Ankauf von Häusern in der Stadt, zusammengelegt habe, scheint sich durch den Verkauf des Baron Fellnerischen Hauses auf dem hohen Markt für 1 Million f m B. Z. zu 500 Holländer Dukaten an einen Griechen, umso mehr zu bestätigen, als mehrere Hauseigenthümer versichern Anträge zum Häuserverkauf von Griechen erhalten zu haben.«1271

Georg Sina hatte die Gelegenheit genutzt, Andreas von Fellner – der wenige Jahre davor noch als »der reichste Produktenhändler, angesehenste Kaufmann der Monarchie«1272 gegolten hatte, sich nun aber in finanziellen Schwierigkeiten befand – sein Palais wenige Wochen vor der Abwertung der Bankozettel im Verhältnis 1:5 abzukaufen, und somit ein äußerst gutes Geschäft gemacht. Fellner hingegen, der infolge der Inflation und des Staatsbankrotts große Verluste hinnehmen musste, ging 1816 bankrott und verlor sein gesamtes Vermögen.1273 Die Beobachtung der Polizeihofstelle bestätigt auch obige Tabelle, aus der ersichtlich ist, dass griechische Händler in den Jahren bis 1816 vermehrt Häuser in der Stadt erwarben (Karte 4). Unter ihnen sticht Georg Sina, dessen spätere außerordentliche Position im Wirtschaftsleben der Habsburgermonarchie wohl auf den Gewinnen dieser Jahre beruhte, besonders hervor. Georg Sina wurde im Jahr 1811 österreichischer Untertan.1274 Bereits ein Jahr später befand er sich im Besitz von zwölf Stadthäusern in Wien, bei denen es sich laut Lanier um die ersten von vielen weiteren Immobilien, die er zukünftig noch erwerben sollte, handelte.1275 Bereits zuvor hatte sein Vater Simon Sina versucht, Immobilien zu kaufen, obwohl er osmanischer Untertan1276 war. Konkret ging es um ein Haus in der Landstraßer Hauptstraße, das er im Jahr 1803 zu erwerben gedachte. Die Niederösterreichische Landesregierung gestattete unter Hinweis auf das Prinzip der Reziprozität mit dem Osmanischen Reich den Ankauf jedoch nicht.1277 Trotzdem schien Simon Sina 1805 in einem Häuserverzeichnis als Besitzer des Hauses Nr. 43 in der Vorstadt Landstraße auf.1278 Möglicherweise hatte er also 1271 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 79 (1811), 2. November 1810, Nr. 47. Das von Georg Sina gekaufte Fellnerische Haus am Hohen Markt wurde in der Folge zum Palais Sina umgebaut. 1272 Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 257. 1273 Renate Komanovits, Der Wirtschaftsadel unter Kaiser Franz II. (I.) in der Zeit von 1792 bis 1815. (Dissertation) Vienna 1974, 189–190. 1274 Laios, S_lym S_mar, 33. 1275 Lanier, Geschichte des Bank- und Handelshauses Sina, 116. 1276 Georg Sinas Vater nahm erst 1818 mit der Erhebung in den Adelsstand die österreichische Staatsbürgerschaft an. Lanier, Geschichte des Bank- und Handelshauses Sina, 27. 1277 Laios, S_lym S_mar, 27–28. 1278 Joseph Johann Grosbauer, Vollständiges Verzeichniß aller in der kaiserlichen auch k. k.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

291

einen Weg gefunden, das behördliche Verbot zu umgehen. Auch Georg Sina kaufte das Palais Fellner bereits zu einem Zeitpunkt, als er noch nicht österreichischer Untertan war.1279 Nachdem er die österreichische Staatsangehörigkeit erworben hatte, begann er, im großen Stil in Häuser und Grundbesitz zu investieren. Dabei konnte er davon profitieren, dass aufgrund der Krise nach dem Staatsbankrott von 1811 andere vormals finanzkräftige Akteure ihre Häuser verkaufen mussten. So erwarb er im Jahr 1814 das an das Palais am Hohen Markt angrenzende Haus, wo die k.k. oktroyierte Kommerzial-, Leihund Wechselbank (Schwarzenberg-Bank) ihren Sitz gehabt hatte. Die Bank wurde wenige Jahre nach dem Staatsbankrott, von dem sie stark geschädigt wurde, liquidiert. Obwohl es andere potentielle Käufer gegeben hätte, wurde das Haus an Sina veräußert, da er auch einen Teil der noch offenen Forderungen an den griechischen Großhändler Georg Rosa beglich.1280 Es sei hinzugefügt, dass die Verwertung des Gebäudes für die Bank eines ihrer profitabelsten Geschäfte dargestellt hatte.1281 Im selben Jahr kaufte Georg Sina auch das Palais des Baron Lose, das er zu einem niedrigen Preis zusammen mit einer Schenkung von 20.000 fl. für die Errichtung des Polytechnischen Instituts (die heutige Technische Universität) abtrat1282 – eine wohltätige Geste, die seiner und seines Vaters Nobilitierung im Jahr 1818 zuträglich war.1283 Dass Sina vom Niedergang anderer Handelshäuser in dieser Zeit profitierte, zeigt auch die Tatsache, dass er die Herrschaften Neulengbach und Plankenberg1284 sowie das Schloss Vöslau1285 aus dem Besitz des insolventen Grafen Fries kaufte. Die Akkumulierung von Hausbesitz in der Wiener Innenstadt durch Georg Sina war so auffällig,1286 dass man ihn laut Beidtel sogar für die Zinssteigerungen verantwortlich machte.1287

1279 1280 1281 1282 1283 1284 1285 1286 1287

Haupt- und Residenz-Stadt Wien inner denen Linien befindlichen numerirten Häuser deren Eigenthümer, Strassen, Gässen, Plätze und Schilder nebst genauer Anzeige der Grundbücher und Pfarren zu denen jedes Haus gehört, und einem sehr wichtigen Anhange. Wien 1805, 78. Nach dem Bericht der Polizeihofstelle erfolgte der Kauf des Palais im Jahr 1810, Georg Sina suchte aber erst am 9. März 1811 um die österreichische Staatsangehörigkeit an. Laios, S_lym S_mar, 33 und ebd., Anm. 3. Matis, Die Schwarzenberg-Bank, 188. Ebd. Laios, S_lym S_mar, 40. Ebd., 60. Matis, Die Schwarzenbergbank, 346. Ebd., 348. Lichtenberger erwähnt mehrmals Georg Sina als Paradebeispiel für die Mitglieder der »zweiten Gesellschaft«, auf deren Konto ein Großteil der neu erbauten Zinshäuser in Wiens Innenstadt ging. Lichtenberger, Die Wiener Altstadt, 154, 176 und 182. Beidtel, Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung 1740–1848. Bd. 2, 312, Anm. 3: »So lebte zu Wien der griechische Grosshändler Sina, welcher schon um das Jahr 1827 so viele grosse Häuser besass, dass man die damaligen grossen Zinssteigerungen vorzugs-

292

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Mit dem Recht auf Immobilienerwerb waren diejenigen Griechen, die k.k. Untertanen waren, gegenüber den osmanischen Untertanen in Wien deutlich privilegiert. Auch wenn es – wie im Fall der ersten Käufe der Sinas – nicht immer gelang, wachten die österreichischen Behörden doch streng darüber, dass das Verbot des Ankaufs von Immobilien durch osmanische Untertanen eingehalten wurde. So heißt es unter Punkt 11 des Hofkammerdekrets vom 28. Juli 1806, das den »dießfalls eingeschlichenen Mißbräuchen«1288 bei der »Behandlung der türkischen, und griechischen Handelsleute«1289 entgegensteuern sollte: »Kein türkischer Unterthan kann zu dem Besitze liegender Güter gelangen, so lang er der türkischen Bothmässigkeit unterworfen bleibt.«1290 Dies stellte für die Bruderschaft zum Hl. Georg ein Problem dar, als sie nach der Übersiedlung der Kapelle vom Steyrerhof in das Haus am Hafnersteig dort ihre Kirche erbauen wollte. Der Ankauf des Hauses wurde der Bruderschaft im Jahr 1803 mit der Begründung, dass osmanische Untertanen »zum Realbesitz nach der Verfassung und Beobachtung nur alsdann zugelassen [würden], wenn sie der türkischen Bothmässigkeit entsagen«1291, verwehrt. Daher musste – unter der Duldung der österreichischen Behörden – der k.k. Untertan Georg Johann von Karajan als Strohmann für die Bruderschaft fungieren, der an ihrer statt ins Grundbuch eingetragen wurde.1292 Erst 1834 wurde der Bruderschaft im Zuge der Erweiterung ihrer Privilegien der eigentümliche Besitz des Hauses Nr. 713 gestattet.1293 Auch ein weiterer Fall, der die Familie Karajan betraf, zeigt die Bedeutung des Zusammenhangs von Staatsangehörigkeit und Immobilienbesitz. Während obenerwähnter Johann Georg von Karajan k.k. Untertan war, war sein Bruder Theodor osmanischer Untertan geblieben. Mittels dieser üblichen Vorgehensweise konnte das Handelshaus der Brüder von den Privilegien beider Untertanenschaften profitieren. Theodors Ehefrau Helene (geb. Papalecca) hingegen war als Tochter eines k.k. Untertanen aus Triest ebenfalls österreichische Untertanin. Sie war Besitzerin des Hauses Alte Wieden 29, in dem laut dem Register der türkischen Untertanen von 1808 mehrere andere Familienmitglieder

1288 1289 1290 1291

1292 1293

weise ihm zuschrieb. Um das Jahr 1847 besass er über dreissig zum Theil sehr grosse Herrschaften und gleichwohl noch einen bedeutenden Handelsstand.« AHD, G 12, Fasz. 1, 6. November 1806: Brief des k.k. nö. Merkantil- und Wechselgerichts. Ebd. Ebd. AT-OeStA-AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 4: Allerunterthänigster Vortrag der treugehorsamsten vereinigten Hofkanzlei wegen eines Hausankaufs der nicht unirten Griechen zu ihrer Kirche erhalten den 3 May 1804: »Bittsteller sind mit ihrem Gesuche nach dem begründeten Einrathen der N. Ö.en Regierung abzuweisen«. Siehe hier S. 114. Siehe hier S. 158.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

293

wohnten.1294 Die österreichischen Behörden vertraten nun die Auffassung, Helene von Karajan verlöre aufgrund ihrer Verehelichung mit einem osmanischen Untertanen ihr Besitzrecht und trugen ihr daher 1813 auf, das Haus zu verkaufen.1295 Im umfangreichen Akt der Niederösterreichischen Regierung über die Causa befindet sich ein bereits aufgesetzter Kaufs- und Verkaufskontrakt der Stadthauptmannschaft.1296 Helene von Karajan bekämpfte diesen Entscheid energisch. Sie bekam Recht und der »fortwährende Besitz ihres Hauses«1297 wurde ihr gewährt.1298 Nachdem sich das Handelshaus zu diesem Zeitpunkt in einem schlechten Zustand befand – es wurde 1815 bankrott gemeldet1299 – wäre der Verlust der Immobilie, die in diesen Jahren der hohen Kursschwankungen als Wertsicherung diente, ein schwerer Schlag für die Familie gewesen.1300 Geschäfte mit Immobilien galten in den turbulenten Jahren nach dem Staatsbankrott als zielführende Strategie, um sich vor der Geldentwertung zu schützen.1301 Auch die Gemeinde zum Hl. Georg beschloss 1819, ihr Kapital zu sichern, indem es in einem Stadthaus in Wien angelegt werden sollte.1302 Als 1294 Hier scheint allerdings ein Fehler in der Konskription vorzuliegen, da statt Helene, geb. Papalecca (1775–1858), eine aus Venedig stammende Sophia Karajan als Gattin von Theodor Karajan angegeben wird. Möglicherweise scheint die Hausbesitzerin Helene nicht in der Konskription auf, weil sie österreichische Untertanin war. Vielleicht handelte es sich bei Sophia Karajan um eine andere Verwandte, die ebenfalls im Haus wohnte. Auch die Mutter von Helene, die aus Venedig stammende Ioanna Papalecca (geb. Bonelli) wohnte mit der Familie in Wien, wo sie 1818 verstarb. Ich danke Angelina Fritzsche, die mir einen von Zoe Reininghaus-Karajan erstellten Stammbaum der Familie Karajan zur Verfügung stellte. 1295 Burger, Die Staatsbürgerschaft, 157. 1296 Ebd., 158, Anm. 472. 1297 Ebd., 158. 1298 Der Fall wird ebd., 157–159; als Fallbeispiel für die Frage nach der eigenständigen Staatsbürgerschaft der Frau geschildert. Tatsächlich hätten die in der Folge eingeführten Gesetze eine solche Entscheidung nicht mehr möglich gemacht: Die Ehefrauen osmanischer Untertanen verloren nun ihr Besitzrecht, auch wenn sie vorher k.k. Untertaninnen gewesen waren. Vesque von Püttlingen, Die gesetzliche Behandlung der Ausländer, 63 (§ 70). 1299 Siehe hier S. 264. 1300 Zur Verarmung der Familie vgl. Pampas, Oi emtaviash]mter Jofam_ter sto mejqotave_o St. Marx, 63–64. 1301 Beidtel, Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung. Bd. 2 (1792–1848), 197; erwähnt die »fortdauernde Verarmung aller Stiftungen, Kirchen und Gemeinden, deren Vermögen fast nur in Staatspapieren bestand« nach dem Staatsbankrott von 1811. 1302 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou ac_ou Ceyqc_ou, 187. Sitzung vom 9. Jänner 1819: »9m t0 sgleqim/ sumeke}sei t_m D~deja c]come pq|bkgla peq· toO japitak_ou t/r Jap]kkgr lar di± m± t¹ sicouqe}ysylem eQr jam]ma asp^tiom 1d½ eQr Bi]mma (eQr tµm pokite_am) b\kkomter t¹ pq_tom s±tf jah½r ceqlamist· k]cetai. […]« [In der heutigen Sitzung des Zwölferrats wurde das Thema des Kapitals der Kapelle vorgebracht, dass wir es in einem Haus hier in Wien (in der Stadt) absichern, indem wir den ersten Satz darauf vormerken lassen, wie es auf Deutsch heißt. Übers. d. Autorin] Beim Satz handelte es sich um ein Pfandrecht auf Realitäten. Johann Hofmann, Hülfsbuch bey Darleihens-Geschäften, oder was haben jene, welche Geld auf-

294

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Abb. 9: Porträt Helene von Karajan. Aus: Privatbesitz Angelina Fritzsche

Partner für solche Geschäfte wandte man sich an Griechen, die k.k. Untertanen waren. So wurde in das neu errichtete Haus Nr. 350 (Am Hof) des Anastas Margarit (Amast\sior Laqcaq_tgr)1303 und das Haus Nr. 808 (Untere Bäckerstraße), das dessen Schwiegersohn1304 Theodor Tirka (He|dyqor T}qjar)1305 gehörte, investiert. Haus Nr. 808 hatte sich ab 1814 im Besitz von Anastasia bzw. Konstantin von Gyka (Jymstamt_mor Cj_jar)1306 befunden und war dann von Theodor Tirka gekauft1307 worden, um nur ein Beispiel für kurzfristige Häusertransaktionen zwischen Griechen untereinander zu nennen. Das Haus Nr. 3501308 (später 322)1309 des Anastas Margarit hingegen befand sich im Jahr

1303 1304 1305 1306

1307 1308 1309

nehmen oder darleihen zu wissen nöthig, um keinen Schaden zu leiden? Nebst Anweisung zur Verfassung der Schuldscheine, Cessionen, Bürgschafts-Urkunden, Quittungen, Anbringen um Ausfertigung und Tilgung der Vormerkung u.s.w. Wien 21825, 15. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 188. Theodor Tirka heiratete am 14. September 1818 Maria Anastasiou Margarit. AHD, Matrikenbuch 1790–1857, 102. Peyfuss, Aromunen um Kopitar, 447. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 190. Laut Mathias Gutjahr, Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und ResidenzStadt Wien und ihren Vorstädten befindlichen Straßen, Gassen, Plätzen und Häusern, dann derselben Schilde und Eigenthümer. Wien 1816, 29; gehörte das Haus 1816 Konstantin von Gyka. Harrer-Lucienfeld, Wien, Bd. 4,2 (1954), 369–370. Ebd., Bd. 2,2 (1952), 266. Eine Konkordanztabelle zur Umnummerierung von 1821 findet man z. B. in Mathias

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

295

1875 noch immer im Besitz der Familie. Das vierstöckige Haus im Besitz von Constantin von Margarit warf 1875 mit 27 Wohnungen einen jährlichen Zins von 23.000 Gulden ab.1310 Das zeigt die wichtige Rolle von Hausbesitz für die langfristige Sicherung von Reichtum. Auch im Kontext der von Griechen in Wien errichteten wohltätigen Stiftungen kam Häusern aufgrund ihrer Wertbeständigkeit eine zentrale Bedeutung zu.1311 Die Stiftungen, die auf Zinshäusern beruhten, gehörten zu den einträglichsten und dauerhaftesten, die von der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit verwaltet wurden.1312 So war es das Haus in der Unteren Bäckerstraße, das Kyriak Polyzou der Griechischen Nationalschule vermacht hatte, das deren dauerhafte Finanzierung und somit den regulären Betrieb ab 1822 sicherte.1313 Auch Anna Alexander, die 1844 verstarb, stiftete ein Haus in der Praterstraße für die Schule.1314 Die meisten der von Griechen erworbenen Immobilien befanden sich im Umkreis des Fleischmarkts, also im oben erwähnten Griechenviertel (Karte 4 und 5). Auch bei den Häusern, die nicht in der Inneren Stadt, sondern in den Vorstädten Leopoldstadt, Jägerzeil und Landstraße lagen und die daher auf den Abbildungen nicht eingezeichnet werden konnten, ist aufgrund der Hausnummern erkennbar, dass sie sich meist in unmittelbarer Nähe zueinander befanden (vgl. die Legenden zu Karte 4 und 5). So gehörten mehrere Häuser in der Praterstraße (Leopoldstadt) und der direkt gegenüberliegenden Jägerzeil Griechen.1315 Das Recht auf Hausbesitz war bekanntlich nur den Griechen mit österreichischer Staatsangehörigkeit vorbehalten, so dass diese häufig als Unterkunftsgeber für Griechen, die osmanische Untertanen waren, fungierten. Von den 299 in der Konskription des Jahres 1808 erfassten osmanischen Untertanen wohnten 56 in elf Häusern, die Griechen, die k.k. Untertanen waren, gehörten (siehe Tabelle 7). Haus Nr. 740 am Alten Fleischmarkt, in dem sechs osmanische Untertanen wohnten, gehörte Katharina von Zepharovich,1316 die bereits beim

1310

1311 1312 1313 1314 1315 1316

Gutjahr, Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien und ihren Vorstädten befindlichen Straßen, Gassen, Plätze und Häuser, dann derselben Schilde und Eigenthümer. Wien 1821. Dazu: Tantner, Ordnung der Häuser, 207. Peter Smöch, Häuser-Schema der K. K. Reichs Haupt- und Residenzstadt Wien mit deren zehn Bezirken und den Vororten Simmering, Untermeidling, Obermeidling, Gaudenzdorf, Fünfhaus, Sechshaus, Neulerchenfeld, Ottakring, Hernals, Währing, Weinhaus, Gersthof, Unterdöbling, Heiligenstadt, Nussdorf, Brigittenau, Zwischenbrücken, Schüttl, Kriau, Floridsdorf und die neuprojectirte Donaustadt in 15 Plänen. Wien 1875, 10. Soursos, Ransmayr, Akteure im Dazwischen, 102. Stassinopoulou, Endowments as an instrument of integration. Vgl. auch oben Anm. 1301. Aufgrund des Verbots des Realitätenerwerbs für osmanische Untertanen gab es bei der Gemeinde zum Hl. Georg keine Häuserstiftungen. Siehe hier S. 153–155. AHD, G 22-G 27. Vgl. Enepekidis, Joqa^r, Jo}lar, J\kbor, 243–244. Joseph Johann Grosbauer, Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Resi-

296

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Ankauf des Hauses für die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit eine wichtige Rolle gespielt hatte.1317

Abb. 10: Ausschnitt aus dem Gemälde: Franz Scheyrer, Die Jägerzeile in Wien, 1825 (Wien Museum) mit Handelsleuten in orientalischer Tracht im Vordergrund. Copyright Wien Museum

Tabelle 7: Griechen (osmanische Untertanen) wohnhaft in Häusern im Besitz von Griechen (österreichische Untertanen) im Jahr 1808 Haus Nr.

Besitzer1318

Darin wohnhaft1319

739

Christ. Nako v. St. Miklosch sel. Erben

Demeter Wassili und seine Gattin Sussanna Drosel, Panajotti Ziguri

741

Charisius Oekonomus

742

Joh. Darvar

Georg Marg. Towitza Christo Manno Sterius Mantschola Theochar Christodul Constantin Kukugello Sterio Trantaphil und seine Schreiber Trantt. Sterio Sachly und Alexander H. Eustathio

denz-Stadt Wien inner denen Linien befindlichen numerirten Häuser deren Eigenthümer, Strassen, Gässen, Plätze, und Schilder. Wien 1808, 28. 1317 Siehe hier S. 100–101. 1318 Nach Grosbauer, Vollständiges Verzeichniß 1808. 1319 Nach AHG, G 7, Fasz. 18: Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

297

((Fortsetzung)) Haus Nr. 744

Besitzer1318

Darin wohnhaft1319

Georg Johann v. Karajan

Philipp H. Michael, sein Sohn Christo Haggi Philipp Demetro, sein Buchhalter Johann Wulcowitz und sein Correspondent Theodor Theodosi Zissi Katzuki und sein Schreiber Athanas Diagoni/ Demeter Alexander und seine Gattin Vagelina Demeter

746

Joh.Darvar

749

Griechische Gemeinde

Georg Raicowitz, Gattin Juliana Raicowitz und Kinder Maria Raicowitz, Johann Raicowitz, Alexander Raicowitz Sari Sterio, Gattin Anastasia Sari und sein Schreiber Nicolaus Constantin Georg C. Betly, Gattin Juliana Betly und Kinder Constantin Betly, Andreas Betly Georg Frangopulo (Kirchendiener) Georg Chrst. Nisly

757

Joh. Georg v. Karajan

758

Joh. Georg v. Karajan

769

Joh. Darwar

Nicolaus J. H. Radochna, Consta Anastassie, Anastas Demeter, Demeter Sissi Dimo und Gattin Antonia Dimo, Athanas Steau und sein Bruder Michael Steau, Athanasius Dada und sein Sohn Constantin Dada, Michael Nitta und sein Schreiber Georg Nemson Demeter Bey (Kirchendiener), Gattin Marianna Bey und Sohn Nicolaus Bey Constantin Sioli

Einige der Häuser, in denen 1808 mehrere Griechen, die osmanische Untertanen waren, wohnten,1320 wurden später von Griechen mit österreichischer Staatsangehörigkeit gekauft. So befand sich das Haus Nr. 731 am Alten Fleischmarkt, in dem 1808 Simon Georg Sina der Ältere mit Gattin Maria und Sohn Georg wohnte, 1812 im Besitz der Curtischen Geschwister.1321 Die Häuser Nr. 707 (Auwinkel) und 773 (Steyrerhof), in denen 1808 acht bzw. neun osmanische Untertanen lebten, hatte 1812 wiederum Georg Sina gekauft.1322 Haus Nr. 724 (Schönlaterngasse), in dem 1808 neun osmanische Untertanen wohnten, war 1812 im Besitz von Kyro Nicolitz.1323 1320 An den in der Konskription von 1808 angegebenen Adressen im Griechenviertel wohnten teilweise über zehn Personen aus dem Kreis der Griechen, die osmanische Untertanen waren. 1321 Alois von Fraißl, Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien und sämmtlichen Vorstädten inner den Linien befindlichen numerirten Häuser und Plätze, Namen der Eigenthümer, Hausschilder, Straßen und Gassen. Wien 1812, 22. 1322 Ebd., 21 und 24. 1323 Ebd., 22.

298

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Auch die Geschäftslokale der griechischen Handelsleute befanden sich nicht selten in Häusern, die anderen Griechen gehörten (siehe die grüne Hervorhebung in Karte 2). Tabelle 8 umfasst vermutlich nur einen kleinen Ausschnitt, da bei den meisten im Jahr 1816 anwesenden griechischen Handelsmännern, deren Anzahl in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichte, keine Adresse angegeben war. Tabelle 8: Comptoirs von griechischen Handelsleuten in Häusern, die Griechen gehörten, im Jahr 1816 Haus Nr.

Besitzer1324

Darin Comptoir von:1325

689

Alexander Patrino

Dem. und Nic. Postolaca (osm.)

707

Georg Sina

724

Kira Nikolitzsch

Athanas Dada (osm.) Michael Nikolaus Germann (osm.) Dem Nikolaus Goe (osm.) Constantin Bellio (k.k.) Demeter Cazano (osm.) Naum und Athanas Lasar (osm.) Stammaty Radoconachi (osm.)

731

Michael Costa Curtische Erbe

736

Simon Sinna

741

Charis. Oekonomus

742

Johann Darwarische Erb.

743 744

Stephan Constantinowitz Johann Georg von Carajanische Erben

Staiko Haggi Calojano (osm.) Const. Coscoruli (osm.) Peter Wassili (osm.)

746

Peter Darwar

757

Der griechischen Gemeinde gehörig

Constantin Conccinoglo (osm.) Costa Demeter (osm.) Johann Georg Karsia (osm.) Demeter Marcopulo (osm.) Gantzo Johann Toskoglu (osm.) Michael und Constantin Zeggo (osm.)

758

Der griechischen Gemeinde gehörig

769

Johann Darwarische erben

1324 Aus Gutjahr, Vollständiges Verzeichniß 1816. 1325 Aus Redl, Handlungs Gremien 1816.

Christodulo Theochari (osm.) Emanuel Magnifico (osm.) Padia Ralli (osm.) Simon Georg Sina (osm.) Christo Haggi Naum (osm.) Christodulos Kyro (osm.) Christo Manno (osm.) Manega und Cunusly (osm.) Wreta Zechani (osm.)

Georg Nemson (osm.) Georg S. Sabachtani (osm.) Constantin di Nicolo (osm.)

299

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

((Fortsetzung)) Haus Nr. 773

Besitzer1324

Darin Comptoir von:1325

Simon Sinna

Sissi Nicola Leporitzo (osm.) Thomas Simich (osm.)

784 808

Maria von Gira Konstantin von Gyka

Georg Anastas von Gyra (k.k.) Emanuel Charisi (k.k.) Argirius Haggi Demeter Terpko (k.k.)

828

Magdalena Pazany

834

Sterio Sißanopel

Zanni Riso (osm.) Stavro Johann (osm.) Joh. und Basilio Riso (osm.)

Auch im Jahr 1852 befanden sich noch viele Häuser im Stubenviertel im Besitz von griechischen Händlern bzw. deren Nachkommen (Karte 5). Der gesellschaftliche Aufstieg mancher Familien brachte es aber auch mit sich, dass neben Stadthäusern auch Grundherrschaften oder Sommerhäuser1326 außerhalb der Stadt erworben wurden. Auf der Ringstraße waren – abgesehen von den Dumbas, die sich ein Palais am Parkring errichten ließen1327 – jedoch keine Griechen vertreten. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass der Aufstieg der meisten griechischen Familien bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfand und sich ihr sozialer Aufstieg vor allem im Streben nach Nobilitierung manifestierte. Sie folgten damit einem anderen Paradigma als die oft jüdischen, dezidiert bürgerlich geprägten neuen Aufsteiger der Ringstraßengesellschaft.1328 Nikolaus Dumba hingegen betonte ebenfalls seine bürgerliche Identität und lehnte das Streben nach einem Adelstitel bewusst ab.1329

1326 Ein Beispiel ist die Villa Tirka in Maria Enzersdorf. Max Demeter Peyfuss, Das Haus Hauptstraße 3. In: Maria Enzersdorf in alten und neuen Ansichten. Eine Ausstellung der Marktgemeinde Maria Enzersdorf am Gebirge in der Burg Liechtenstein vom 27. Juni bis 30. August 1987. Maria Enzersdorf 1987, 70–78. 1327 Konecny, Die Familie Dumba, 19. Alexander Klee, Nicolaus Dumba. Philanthrop, Mäzen und Kulturpolitiker. In: Agnes Husslein-Arco, Alexander Klee (Hrsg.), Klimt und die Ringstraße. Wien 2015, 111–120. 1328 Andreas Nierhaus (Hrsg.), Der Ring. Pionierjahre einer Prachtstrasse. Wien 2015, 181. Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hrsg.), Ringstrasse. Ein jüdischer Boulevard. Wien 2015. Stassinopoulou, Endowments as an instrument of integration, 175. 1329 Konecny, Die Familie Dumba, 103. Roman Sandgruber, Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wienerinnen und Wiener im Jahr 1910. Wien [u. a.] 2013, 141. Die von Stassinopoulou erwähnte Konkurrenz zwischen den Familien Sina und Dumba ist auch in diesem Licht zu sehen. Stassinopoulou, Diplomatischer Alltag, 625, Anm. 29.

300

Karte 1

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

301

Legende zu Karte 1 Hausnr.

Wohnhafte Personen aus dem »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind« (1808)1330

144

Constantin Philitti, Scarlato Philitti

210 431

Michael Isaurides Demeter Lotta Cocalar

432 472

Theochar Nettari Stamatti Rodocanachi

507 512

Michael Nanno Demeter Paschiota, Georg Mezewir

517 518

Demeter Gallati, Nicolaus Lasar, Demeter Haggi Georg, Nicolaus Haggi Georg, Theodossio Georgiades, Kyriak Zerzuli, Theophilus Zerzuli, Demeter Margaritti, Sergius Gallati, Petrus Ipitti Alexander Manziarli, Demeter Manziarli

527 549

Dem. Pap. J. Arseni Emanel Grigorastto

560 608

Michael Georg, Michael Zeleppo Constantin Ziagi

616 622

Constantin Mauromatti Nicolaus Kosbag/

627

Johann Chronia, Athanas Mezevir, Chronia Drossino, Georg Auxentiades, Demeter Auxentiades Zacharias Maurodis

632 664 686

Sophia Bassili, Epaminonda Alexander, Sophie Alexander, Stephanus Schenas, Constantin Costunachi, Alexander Bassili Nicolaus Emmanuel

690 699

Michael G. Blastk, Elias Johann, Johann Elia Emanuel Mannifico, Johann Riso

703 704

Joh. Ath. Bozopulo, Theochar Weltary Panajotti Johann, Georg Panajotti, Dem. Jo. Sosmanoglu, Johann Malesco

705

Georg Theodor, Theodor Haggi Stojan, Georg Theodor Stojan, Georg Haggi Lasco, Haggi Georg Pilla, Sterio Argirk Angelos Constantin, Nicola Maringo

706 707 717

Georg Sabachtani, Georg Pappanaum, Johann Angeli, Malzo Stanco, Emanuel Demeter, Michael Drago, Sotira Sabachtani Theodor Bacaloglu, Athanas Guzella, Theodor Koccalos

719

Johann Korkireas, Athanas Constant/, Johann Carsi

1330 Es wurde die Schreibweise der Namen in der Quelle übernommen: AHG, G 7, Fasz. 18: »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind«.

302

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Hausnr.

Wohnhafte Personen aus dem »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind« (1808)1330

721

Georg Duxa, Apostolo Bora, Barbara Bora, Georg Bora, Adam Nicorussi

722 724

Anastas Georgiades Constantin Buri, Theresia Buri, Georg Buri, Sofie Buri, Demeter Buri, Alexander Buri, Lascar Lambro, Constantin Goga, Athanasi Berovali

725 726

Dem. Nicolau Tusi, Peter N. Wulco Demeter Betly

728 730

Johann Sotilizi, Sissi N. Leporitzo, Sterio N. Leporitzo, Angelica Sissi, Chiretta Sissi, Eleni Sissi, Georg Sissi, Erini Sissi, Maria Sissi, Elisabetha Sissi, Paul Zioziapk Michele Joh. Zigari, Demeter Papp/, Sterio Johann, Panajotti D. Diamanti

731 738

Simon Georg Sinna, Georg Sinna, Maria Sinna Constantin Tanzuli

739 740

Demeter Wassili, Sussanna Drosel, Panajotti Ziguri Demeter Alexandrides, Anastas P. Daniel Nicarussi, Anast. W. Nicarussi, Adam D. Nicarussi, Apostolus Athanas, Michael H Sotto

741 742

Sterius Mantschola. Georg Marg. Towitza, Christo Manno Sterio Trantaphil, Tradt. Sterio Sachly, Alexander H. Eustathio, Theochar Christodul, Constantin Kukugello

743 744

Staico Haggi Kalojani, Apostoli Sterio, Georg Stauro Zissi Katzuki, Athanas Diagoni/, Demeter Alexander, Vagelina Demeter, Philipp H. Michael, Christo Haggi Philipp Demetro, Johann Wulcowitz, Theodor Theodosi

746 748

Georg Raicowitz, Juliana Raicowitz, Maria Raicowitz, Johann Raicowitz, Alexander Raicowitz, Sari Sterio, Anastasia Sari, Sterio Sari, Nicolaus Constantin, Georg C. Betly, Juliana Betly, Constantin Betly, Andreas Betly Constantin N. Duca, Constantin Nioplu, Johann Nicolaus

749 750

Georg Chrst. Nisly, Georg Frangopulo Johann Tunusli, Paulo Theochar, Johann Calussio

753 756

Theochar Christodulos Emmanuel Constantin, Constantin Statanu

757

Nicolaus J. H. Radochna, Consta Anastassie, Anastas Demeter, Demeter Sissi Dimo, Antonia Dimo, Athanas Steau, Michael Staeau, Athanasius Dada, Constantin Dada, Michael Nitta, Georg Nemson Demeter Bey, Nicolaus Bey, Marianna Bey

758 761

Georg Argenti, E. K. Elaion, Anastas H. Sotira, Anastas Betani, Andrea Constantin, Georg Weliowitz, Nicolaus Weliowitz, Joh. Dem. Calabaki, Diamanti Michael, Bassilus Lizzi, Demeter Haggi Maliozoglu, Anton Guzella, Demeter Haggi Sotira

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

303

((Fortsetzung)) Hausnr.

Wohnhafte Personen aus dem »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind« (1808)1330

766

Nicolaus D. Wlastk, Johann Scandali, Theodor Foro, Petro Stojanovich, Mattio Petrowitz

768 769

Anastas Demeter, Anton Malesco Constantin Sioli

771 772

Pandia Raly, Haggi Johann Emanuel Hayduli Werussi, Theresia Werussy

773

Theodosio H. Trantaphil, Johann B. Pontichi, Georg Pappa Poliso, Constantin Malio, Constantin Zeggo, Johann Sotiricus Wioleta Manoli, Nicolaus Demeter

775 776 782

Aleki Wesiruli, Georg Wassilicopulo, Spiro Wassilicopulo, Demeter Theodor, Demeter Solomon, Constantin Athanas Deli, Athanas Stagiritti, Georg Colopiglu Rafael Mich. Duba

785 789

Nicolaus Gyka Stefan Riso, Stefan Margaritti, Johann Zaphiri

791 814

Constantin Zirigotti, Wretta Zechani, Demeter Zuppan, Georg Zechani, Simon Zechani, Peter Ath. Lasso, Georg Misdeni, Nicolaus Lascar Georg Kyritzi

827 831

Stefanos Comit/, Thomas Diamandides Sterio Kyriak Zieco, Nicolaus Rogotti, Zoi Rogotti, Demeter Machi

875 876

Thomas Milanowitz Nicolaus Polianki

880 911

Constantin Philitti Johann Scantrases

915

Stauro Johann, Georg Stauro, Zoi Charami, Constantin Charami, Christo Pesodromo, Theodor Tuna Georg Johann, Parascheva Zellio, Wassilaki Par. Zellio. Anastas P. Zellio, Theresie Zellio, Spiridion P. Zellio, Josephine Spirid Zellio, Elisabetta Zezio

975 1152 1264

Eustathio Panajotti Constantinos Kuma, Steffan Oeconomus

Steyerhof Georg Steffano, Maria Panussi, Elena Panussia

304

Karte 2

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

305

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

Legende zu Karte 2 Hausnr. Comptoirs griechischer Händler 18161331 152

Georg Dumo

467 478

Gebr. Sussmanoglu Gebrüder Manziarli

514 515

Konstantin Barba Emanuel Werussy, Kiriak Kirioglu

517 540

Joseph Vernazza Emanuel Gligorachi

565 618

Demeter Papa Arseni Nikola Emanuel Proi

619 620

Söhne M. Oeconomo Georg Manuel d’Isay

625 629

Matheo Mavrogordato Sterio Haggi Georg Postolaca, Giovanni Patricussi

686 689

Demeter Constantin Tombacachi Dem. und Nic. Postolaca

695 699

Constantin Tsatsapa Anastas Zappu, Stephan Stojanovitz, Georg Bojnovich, Sizi Kutzuky, Gebrüder Mezevier

703

Hadschi Radusis, Haggi Nedelko und Gebrüder Hadschi Andrea Banajoti Johann Weldary, Georg Nik. Adam

704 706 707

Athanas Alex. Berovali Michael Nikolaus Germann, Dem Nikolaus Goe, Athanas Dada

717 719

Johann Referendar Theodor Bacaloglu

721 723

Constantin D. Durtza Adam Nicorussi, Gebrüd. D. Diamanty

724

Kyro Nicolitz, Constantin Bellio, Demeter Cazano, Athanas und Naum Lasar, Stammaty Radoconachi

Griechische Hausbesitzer 18161332

Alexander Patrino

Georg Sina

Kira Nikolitzsch

1331 Es wurde die Schreibweise der Namen in der Quelle übernommen: Anton Redl, Handlungs Gremien und Fabricken Adressen Buch des Oesterreichischen Kaiserthumes für das Jahr 1816. Wien 1816. 1332 Es wurde die Schreibweise der Namen in der Quelle übernommen: Mathias Gutjahr, Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien und ihren Vorstädten befindlichen Straßen, Gassen, Plätzen und Häusern, dann derselben Schilde und Eigenthümer. Wien 1816.

306

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Hausnr. Comptoirs griechischer Händler 18161331

Griechische Hausbesitzer 18161332

731

Michael Demeter Curti, Theochari Christodulo, Emanuel Magnifico

Michael Costa Curtische Erben

734 735

Georg Papa Joh. Georg Lazar, Alexander Galatti, Anastas Nic. Nicarussi, G. Neopolo und Mich. Ziguri

736 737

Georg Simon Sinna, Simon Georg Sina Padia Ralli

739 740

Nicolo Chrisoho Kyriacus Zerzuli, Michael von Kassanzi, Haggi Constantin Popp

741

Stephan Constantinowich, Charisius Oeconomus, Charis. Oekonomus Haggi Naum und Gebr., Kyro Christodulos, Christo Manno Wreta Zechani, Manega und Tunusly Johann Darwarische Erb.

742 743

Staiko Haggi Calojano

744

Dem. Michael Laso, Peter Wassili, Const. Coscoruli

746 750

Constantin Conccinoglo, Costa Demeter, Gebr. G. Karsia Demeter Betly, Mich. Adam Mamo

751 753

Nikolaus Dimo Dora Chiriak Faranga

756 757

A. und C. Martyrt, Dino Georg Naschy Gebr. Zeggo, Johan Toskoglu Gantzo, Demeter Marcopulo

758

Georg Nemson, Georg S. Sabachtani

761

Athanas Abramiades, Demeter Anastasi, Demeter Sissy Dimo, Gabriel Jasmagy, Gebr. Calabachi, Comino Drosso, Basil Nic. Nenovits, Panajottu Nanno, Johann Salomon und Georg Drosino Salomon, Drosso Haggi Saphiridi

762 765

Theodor Sturti, Athanas Stamatachi Gebr. Zumetiko, Poliso Rogotti, Panajotti Paguno

769

Constantin di Nicolo

772

Haduli Werussi, Paraskewa Papa Sakelar

Simon Sinna

Stephan Constantinowitz Johann Georg von Carajanische Erben Peter Darwar

Der griechischen Gemeinde gehörig Der griechischen Gemeinde gehörig

Johann Darwarische Erben

307

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

((Fortsetzung)) Hausnr. Comptoirs griechischer Händler 18161331

Griechische Hausbesitzer 18161332

773

Isaak Joh. Adam von Gyra, Sissi Nicola Leporitzo, Thomas Simich

Simon Sinna

775 776

Andrä Pignatelli Constantin Marcus

784 788

Georg Anastas von Gyra Demeter Pamphili Parisi

791 793

Lambro Lascar Alexander Basili

794 808

Negroponte und Georgussopulo, Dem. Kapolia, Constantin Wesiruli Emanuel Charisi, Argirius Haggi Demeter Terpko

818 821

Nic. M. Giovitza Castori und Kapuda

828 830

Johann Stavro, Zanni Riso Trantaphil Haggi Sterio

Magdalena Pazany

834 837

Sterius Georg Sissanopel, Joh. und Basilio Riso Anagnoste Papa Theo

Sterio Sißanopel

911 913

Nikolus Bekella, Andrä Lagonico Demeter Johann

975 1133

Spiridon P. Zellio Joh. d’Isay

1255 1262

Deno Joh. Weldari Const. Cochinacky

Maria von Gira

Konstantin von Gyka

308

Karte 3

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

309

Legende zu Karte 3 Hausnr.

Comptoirs griechischer Händler 18591333

461

Joannidi A.S.

482 483

Oeconomo M. Zally P.

487 488

Nicolits & Krainovits, Petrococchino Giovanni L. Pappasoglu Gebrüder & Comp.

493 494

Gianopulo C. N., Rodocanachi Nicolo C. Stavrides P.G.

511 512

Metaxa S. Popp Z.C., Sina Simon G.

525 641

Stavro G. Spiro B.

655 660 673 680

Bista Constantin & Söhne, Melingo P.A., Pindo J. N., Radovich Ath. Zechany Demeter G. Risto’s Haggi Söhne Slabak Ath., Theochar Thr. P.

689 691

Lasko Simon Boschko’s Naum H. Söhne, Danna G.A. & M. Panajotti

692 695

Nitzo D. H. & J. Theodorowitz Chilaiditi C.B., Selvili Nicolao N. Eust.

696 697

Mitko E. Christofidi G., Dusy’s Anastas Sohn

698 702

Dudos Const., Taxis J.B. Besi & Comp., Constantinovits J.B. & Comp., Nancso B.

703 709

Biallo G. & Comp. Geschoglu Christo D., Lecco Z. Gebrüder, Pappa Georg Peter & Söhne

710 713

Dada Arsenius Christomanno Const. A., Haramy Soy, Wesiruli Constantin, Wesiruly Joh. D.

716

Chilaiditi Dem., Demeter Gebr. Pappa & Söhne, Nitschota N. Gebrüder, Simotta Simon & Söhne, Zograff M.J. Nicolits Marcus

718

1333 Es wurde die Schreibweise der Namen in der Quelle übernommen: Emanuel Pernold, Firmenbuch enthaltend nach alphabetischer Ordnung alle bei dem hohen k. k. Handelsgerichte in Wien protokollirten Handels-, Fabriks- und Gewerbs-Firmen mit Angabe ihrer Domicile. Wien 1859.

310

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Hausnr.

Comptoirs griechischer Händler 18591333

721

Joannidi A.S.

727 729

Christovich Gebrüder, Cosmadi N.A., Oeconomo Gebrüder Fitzio Gebrüd.

730 733

Lambichi Emle., Melingo Joh. A. Theodoraki Haggi & Co.

738 739

Rodocanachi D.S. Welicskovits C.

745 747

Rombi Gebrüder & Söhne Dumba Gebrüder M., Tirka Theodor & Comp.

748 751

Curti’s Mich. D. Sohn, Ghika G. B. Kusovits & Kutzimanno

770 774

Mito Giacomo Scaramanga P.G., Spirta Const. G.

793 1093

Oeconomo Alesso Galatti Michael S.

1097 1175

Manziarli Alexander Besi M. Sohn

1176 1179

Evangeli Christo Polysu Georg L.

1216 Leopoldstadt:

Casassi A. C.

Lilienbrunnengasse 681 Negerlegasse 709

Coulmas P. Petro Christo

Donaustraße 3

Buro Giorgio G.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

Karte 4

311

312

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Legende zu Karte 41334 Hausnr.

Griechische Hausbesitzer 18161335

525

Georg Darvar

544 545

Georg Sina Georg Sina

546 548

Georg Sina Georg Sina

549 550

Georg Sina Georg Sina

551 689

Georg Sina Alexander Patrino

707 724

Georg Sina Kira Nikolitzsch

731 736

Michael Costa Curtische Erben Simon Sinna

737 741

Simon Sinna Charis. Oekonomus

742 743

Johann Darwarische Erb. Stephan Constantinowitz

744 746

Johann Georg von Carajanische Erben Peter Darwar

748 749

Stephan Constantinowitz Griechische Gemeinde

757 758

Der griechischen Gemeinde gehörig Ebendenselben

769 773

Johann Darwarische erben Simon Sinna

774 783

Georg Johann von Karajan Niklaus Dimodora

784 785

Maria von Gira Simon Sinna

786 808

Demetter Micho Laso Konstantin von Gyka

1334 Die Häuser in den Vorstädten konnten auf der Karte nicht eingezeichnet werden, werden aber der Vollständigkeit halber trotzdem angegeben. 1335 Es wurde die Schreibweise der Namen in der Quelle übernommen: Mathias Gutjahr, Vollständiges Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien und ihren Vorstädten befindlichen Straßen, Gassen, Plätzen und Häusern, dann derselben Schilde und Eigenthümer. Wien 1816.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

((Fortsetzung)) Hausnr.

Griechische Hausbesitzer 18161335

828

Magdalena Pazany

834 868

Sterio Sißanopel Adam von Gira

899 900

Georg Darwar Alex. Graf von Nako

Leopoldstadt: 10

Demeter Hamsa

12 15

Michael Costa Curtische Erben Michael Costa Curtische Erben

94 309

Gebrüder Edle von Zettiri Syssanopel

359 454

Konstantin Kaprar Carisius Oeconom

458 461

Gebrüder Edle von Zettiry Anastasia Margarith

511 514

Rally Joh. Alexander Haggi Michael Costa Curtische Erben

541 Jägerzeil:

Brutus Edler von Zettiry

5 7

Kyro Nikolitz Gebrüder Edle von Zettiry

33 Landstraße:

Gebrüder Manziarly

26 35

Georg Constantin Darwar Anna Rally Alexander

268 278

Johann Darwar sel. Erben Johann Darwar sel. Erben

324 398

Demeter Nicol. Edler von Nitta Konstantin Darwar

502 503

Johann Darwar sel. Erben Johann Darwar sel. Erben

507

Naum Edler v. Nitta

313

314

Karte 5

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

315

Legende zu Karte 51336 Hausnr.

Griechische Hausbesitzer 18521337

322

Margarit Konst. v. (Am Hof)

390 482

Manziarly Aristid. v., Dellingesty u. Nitta Pelagia Edle v. Manußy Georg v.

483 510

Manußy Georg v. Sina Georg S. Freih. v.

511 512

Sina Georg S. Freih. v. Sina Georg S. Freih. v.

554 680

Manzurani Nikolaus Nikolitz Kiro v. Farkats u. Madrisetzy

684 687

Sina Georg Baron v. (Stadt London) Curti Louise, Alexand., Maria u. Alexander

688 689

Curti Louise, Alexand., Maria u. Alexander Sina Georg Simon Freiherr v.

690 691

Sina Georg Simon Freiherr v. Sina Georg Simon Freiherr v.

692 693

Sina Georg Simon Freiherr v. Sina Georg Simon Freiherr v.

699 700

Konstantinovich de Germann’schen Erben Karajan Theod. v.

702 704

Nancso Johann Konstantinovich de Germann’schen Erben

705 713

Kirchengemeinde der griechischen u. wallachischen Nation Griechische Gemeinde türk. Unterthanen

716 728

Panadi Konstantin Karajan Theod. v.

733 737

Sina Georg Freih. v. Dorra Georg

738 739

Naum v. Gyra Sina G. S. Freih. v.

740

Dohna Nik., Gyra v. Anast., Mar. u. Irene

1336 Die Häuser in den Vorstädten konnten auf der Karte nicht eingezeichnet werden, werden aber der Vollständigkeit halber trotzdem angegeben. 1337 Es wurde die Schreibweise der Namen in der Quelle übernommen: Neuester, verbesserter Häuser-Schema der kaiserl. königl. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien mit allen Vorstädten, der Brigittenau, den Zwischenbrücken und den Praterhütten. Mit genauer Angabe der Hausnummern, Hauseigenthümer, Hausschilder, Gassen, Plätze, Gerichts-, Stadthauptmannschafts- und Pfarrbezirke. Für das Jahr 1852. Wien 1852.

316

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

((Fortsetzung)) Hausnr.

Griechische Hausbesitzer 18521337

747

Tirca Maria

748 768

Stiftungshaus für die griechische Schule Sina G. S. Freih. v.

769 770

Sina G. S. Freih. v. Sina G. S. Freih. v.

771 850

Sina G. S. Freih. v. Nako Alex. Graf v.

988 995

Sina Georg Freih. v. Sina Georg Freih. v.

1110 1175

Nako Alex. Graf v. Griechisch-wallachische Gemeinde

Leopoldstadt: 16

Curti Al., Curti Maria, Louise u. Alexandrine

17 62

Curti Al., Curti Maria, Louise u. Alexandrine Votty Anna

512 516

Die griech. nicht unirte Schule a. Fleischmarkt Dohna Nikol., v. Gyra Anastas, Maria u. Irene

518 519

v. Moroda Dorra Maria, v. Pilta Joh. u. Adam und v. Zettiry Brutus v. Moroda Dorra Maria, v. Pilta Joh. u. Adam und v. Zettiry Brutus

521 539

Tirca Maria v. Pilta Joh. u. Adam, dann v. Zettiry Brutus

658 Jägerzeil:

Diamantidi Jak. zwischen Nr. 665 und 667

57 59

Derra v. Moroda Maria, Pilta Joh. u. Adam, Zettiry v. Brutus Manziarli Aristid. v. Dellingestye

60 Landstraße:

Nikolitz Kiro v.

47 341

Malamitza de Stamora Anna Sina Georg Freiherr v.

343 349

Sina Georg Freiherr v. Sina Georg zu Hosdos und Kisdia Freiherr v.

364 366

Diamantidi Jak. Sina Georg Freiherr v.

399 420

Dona Demeter und Euthymius, Blana Georg, Konstantin und Elise u. Demsta Maria Theochar Menodora

423

Curti Konstantin

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

317

((Fortsetzung)) Hausnr.

Griechische Hausbesitzer 18521337

428

Dumba Theodor

507 Alte und neue Wieden:

Tirka Demeter Theodor

321 Josefstadt:

Nako Nagi Alexander Graf v.

141

Gilany Franz

4.2.2. Die Kirchen Abgesehen von den Immobilien im Besitz von Griechen manifestierte sich die Präsenz der Griechen im Gebiet um den Alten Fleischmarkt auch in den beiden orthodoxen Kirchen, die sich in unmittelbarer Nähe zueinander im Herzen des Griechenviertels befanden. Sie stellten wichtige Referenzpunkte dar, die als Symbole für die Privilegierung der griechischen Händler standen. Die Kapelle zum Hl. Georg war schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts in verschiedenen Räumlichkeiten in der näheren Umgebung untergebracht, bevor im Jahr 18031338 das heutige Kirchengebäude am Hafnersteig errichtet wurde. Als die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit neu gegründet wurde, stellte sich die Frage nach dem Standort der Kirche. Die erste Wahl wäre die Kirche des von Joseph II. aufgehobenen Laurenzerinnenklosters am Fleischmarkt gewesen, die sich im Zentrum des Griechenviertels befand. Nachdem das Gebäude vom Kaiser aber bereits für andere Zwecke vorgesehen war, wurde der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit als Ersatz die Kirche des ebenfalls aufgehobenen Klosters St. Jakob auf der Hülben angeboten.1339 Nach längeren Verhandlungen entschieden sich die Griechen jedoch gegen diese Kirche und errichteten stattdessen mitten am Fleischmarkt ein neues Kirchengebäude. Abgesehen von den aufgetretenen Problemen bezüglich der Bauvorschriften für den Umbau der Jakoberkirche dürfte auch deren für die Griechen eher ungünstige Lage eine Rolle bei dieser Entscheidung gespielt haben. Sie befand sich zwar noch immer in relativ geringer fußläuferischer Distanz zum Griechenviertel, war aber außerhalb des Stubenviertels gelegen und befand sich eindeutig nicht in der Gegend, in der die meisten Griechen lebten

1338 Tsigaras, Die Kirche zum Heiligen Georg, 44. 1339 Siehe hier S. 96–100.

318

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

und arbeiteten. Das Stockhammer’sche Haus, an dessen Stelle die neue Kirche errichtet wurde, hingegen lag im Zentrum des Griechenviertels.

Abb. 11: Die griechische Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien nach der Umgestaltung durch Theophil Hansen. Aus: Theophil Hansen, Die Umgestaltung des Pfarr-und Schulgebäudes der nichtunirten Griechen in Wien. In: Allgemeine Bauzeitung 1861, 164–165, Bl. 418–424, hier Bl. 420.

Der neu errichteten Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit kam insbesondere die Funktion einer Landmarke zu, welche die griechische Präsenz im Viertel bekräftigte. Wie bereits erwähnt, verfügte diese Kirche ab Erbauung über einen Glockenturm mit Uhr und verdeutlichte somit die hervorgehobene Position der griechischen Händler unter den Akatholiken in Wien.1340 Durch den von Simon Sina finanzierten Umbau der Kirche1341 nach Plänen des bekannten Architekten Theophil Hansen (1858–59) erlangte die Kirche ein noch repräsentativeres Aussehen.1342 Der Glockenturm wurde nach vorne versetzt und das Eingangsportal pronon1340 Siehe hier S. 104–107. 1341 Eggert, Die griechisch-orientalische Kathedrale am Fleischmarkt, 61–83. 1342 Das fällt besonders im Vergleich mit der relativ unauffälligen Außenfassade der 1893 fertiggestellten serbischen Kirche zum Hl. Sava im 3. Bezirk auf. Zur Außenfassade des ersten Baus siehe hier S. 106.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

319

ciert in den Vordergrund gerückt.1343 Ihr charakteristischer byzantinisch-orientalischer Stil in Rot und Gold machte die Kirche zu einer Wiener Sehenswürdigkeit, die bis heute häufig als Symbol für die religiöse Vielfalt Wiens herangezogen wird.1344 Die Kirche zum Hl. Georg hingegen bewahrte sich über lange Zeit das Aussehen eines Toleranzbethauses.1345 Sie wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts (1898) vom Architekten Ludwig Tischler umgestaltet und mit einem Glockenturm versehen. Der Umbau erfolgte gemeinsam mit der Neuerrichtung des an die Kirche angrenzenden Zinshauses, das der Gemeinde zum Hl. Georg gehörte.1346 Die dem Hafnersteig zugewandte Fassade wurde in Anlehnung an einen griechischen Tempel konstruiert, was der Kirche ein neoklassizistisches Aussehen verlieh.1347 Außerdem wurde auf der dem Schwedenplatz zugewandten Fassade des Zinshauses der Gemeinde eine Inschrift »Zum heiligen Georg« angebracht. Der Neubau des Zinshauses diente vor allem dazu, die Finanzen der Gemeinde, die sich um die Jahrhundertwende bereits mit einem deutlichen Mitgliederschwund konfrontiert sah, durch die Einkünfte aus den Mieteinnahmen zu sichern. Man kann durchaus postulieren, dass es das Zinshaus war, das die Gemeinde über die schwierigen Jahre bis 1918 hinwegrettete und auch danach ihre auf Eigenständigkeit bedachte ablehnende Haltung gegenüber der Metropolie von Zentraleuropa ermöglichte.1348 Zugleich waren es wohl Fehlentscheidungen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit hinsichtlich ihrer Immobilien,1349 welche zu deren prekärer finanzieller Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten, wodurch indirekt der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Gemeinden in Bezug auf die Pfarrjurisdiktion geschürt wurde, da man auf die Einnahmen aus den Stolgebühren angewiesen war. So lässt sich auch die ambivalente Position der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit hinsichtlich der rumänischen Pfarrlinge erklären, deren Ausscheiden aus dem Pfarrverband 1343 Theophil Hansen, Die Umgestaltung des Pfarr-und Schulgebäudes der nichtunirten Griechen in Wien. In: Allgemeine Bauzeitung 1861, 164–165, Bl. 418–424. Darin sind Abbildungen der Kirche vor und nach dem Umbau enthalten. 1344 So zum Beispiel auf dem Umschlagbild des jüngst erschienenen Buches: Karl Vocelka, Multikonfessionelles Österreich. Religionen in Geschichte und Gegenwart. Wien [u. a.] 2013; das sich ansonsten nur oberflächlich und ungenau mit der Geschichte der griechisch-orthodoxen Kirche in Österreich befasst. 1345 Tsigaras, Die Kirche zum Heiligen Georg, 41–42; enthält Fotos der Kirche vor der Renovierung 1898. 1346 Ebd., 46–47. 1347 Ebd., 51–56. 1348 Vgl. dazu die Tatsache, dass die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit auf finanzielle Unterstützung vom griechischen Staat, die sie über Vermittlung des Metropoliten Germanos bekam, angewiesen war. Siehe hier S. 240. 1349 So z. B. der von Zomarides kritisierte Verkauf des Schulfondshauses 1908. Siehe hier S. 209.

320

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

nicht erwünscht war, obwohl man sie nicht als Gemeindemitglieder aufnehmen wollte. Die Umgestaltung der Georgskirche bedeutete auch ein erneutes Sichtbarmachen der griechischen Präsenz in diesem Viertel zu einem Zeitpunkt, als die griechische Niederlassung ihre Blütezeit bereits lange hinter sich gelassen hatte. Das hing eng mit der Persönlichkeit des Kunstliebhabers Nikolaus Dumba zusammen, der ungefähr die Hälfte der Renovierungskosten übernahm.1350 Für den reichen Exponenten des Wiener Großbürgertums,1351 der voll ins wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Habsburgermonarchie integriert war1352 und der sich als Kunstmäzen einen Namen machte,1353 bedeutete das Engagement für die beiden griechischen Gemeinden1354 wohl eine Betonung der eigenen Herkunft, wie sie sich auch im Festhalten an der orthodoxen Konfession manifestierte. Selbiges gilt auch für Simon Sina (den Jüngeren), der 40 Jahre zuvor den Umbau der Dreifaltigkeitskirche finanziell unterstützt hatte. Sowohl bei Nikolaus Dumba als auch bei Simon Sina handelte es sich um in Wien geborene und aufgewachsene Söhne äußerst erfolgreicher griechischer Händler, die aus dem Osmanischen Reich hierhergekommen waren. So fungieren die beiden griechischen Kirchen auch nach dem Niedergang der Niederlassung der griechischen Händler in Wien durch ihr auffälliges Aussehen als Reminiszenz an das einstige Griechenviertel. Die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit hat sich bis heute ein Merkmal erhalten, das den engen Zusammenhang zwischen orthodoxer Religionszugehörigkeit und Handelstätigkeit in Wien illustriert: Da sich der eigentliche Kirchenraum aufgrund der Bestimmungen des Toleranzpatents im hinteren Gebäudeteil befand und die Einkünfte der Kirche auf der Vermietung von Teilen des Hauses an Händler und andere Mieter basierten, waren im vorderen Teil des Erdgeschosses Handelsgewölbe untergebracht. Noch heute befindet sich direkt neben dem Eingangsportal der Kirche und dem Aussehen nach »im Kirchenhaus« das Geschäft einer Teppichhandlung – eine für den heutigen Betrachter eher irritierende Tatsache.

1350 Tsigaras, Die Kirche zum Heiligen Georg, 48. 1351 Unter den 929 reichsten Wienerinnen und Wienern im Jahr 1910 befanden sich vier Mitglieder der Familie Dumba. Sandgruber, Traumzeit für Millionäre. 1352 Zur Person Nikolaus Dumba: Konecny, Die Familie Dumba. Tzafettas, Konecny, Mij|kaor Do}lpar. 1353 Klee, Nicolaus Dumba. 1354 Zur Tätigkeit Dumbas in beiden Gemeinden siehe hier S. 220–221.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

321

4.2.3. Das »griechische Kaffeehaus« als Treffpunkt Neben den beiden Kirchen als zentralen Örtlichkeiten des Griechenviertels war auch das Kaffeehaus ein wichtiger Treffpunkt, an dem sich das gesellschaftliche Leben der Griechen abspielte. In Metternichs Polizeistaat wurden die Griechen streng überwacht, weil man fürchtete, sie würden dem Habsburgerreich nicht die gewünschte Loyalität entgegenbringen und mit dem feindlichen Russland sympathisieren. Daher existieren mehrere Polizeiberichte über Zusammenkünfte der Griechen in Kaffeehäusern. Unterschiedliche Kaffeehäuser galten im Laufe der Zeit als »das griechische Kaffeehaus«. Am 10. April 1812 berichtete ein Agent: »Da die Griechen nun statt im Fischhofe, in dem Gasthause zum Löwen am Fleischmarkte, vermutlich wegen der geringen Entfernung von ihren Wohnungen seit kurzem zusammenzukommen pflegen, so wird auch an diesem Orte die geheime Aufsicht auf selbe fortgesetzt […]«1355

Am 20. September desselben Jahres hieß es: »Auch das griechische Kafeehaus der Hauptmauth gegenüber verdient alle Aufmerksamkeit; Die daselbst versammelten Griechen erlauben sich manche Schmähung über die österr. Regierung, welche freylich nur aus Rache und Bosheit geschieht, indem ihnen durch den sich immer bessernden Curs manche ihrer Speculationen und Absichten vereitelt wird.«1356

Letztere Aussage verweist auf die lukrativen Spekulationsgeschäfte, die in den Jahren zwischen den beiden österreichischen Staatsbankrotten von 1811 und 1816 von Griechen betrieben wurden. Sie verdeutlicht auch, dass die Loyalität der Griechen zum österreichischen Staat eng mit ihren wirtschaftlichen Interessen verknüpft war, während ihnen davon unabhängige politische Motive zumeist eher fremd waren.1357 So fanden die Agenten in den im Kaffeehaus belauschten Gesprächen in der Regel »nichts Bedenkliches«1358. Tatsächlich waren diejenigen Griechen, deren politische Aktivitäten den Behörden missfielen, mehrheitlich nicht in Wien ansässige Händler, sondern eher Gelehrte oder Studenten, die sich nur zeitweilig in der Stadt aufhielten.1359 1355 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 149/g (1812). 1356 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 3348 (1812). 1357 Vgl. z. B. Olga Katsiardi-Hering, L’impresa al di sopra di tutto: parametri economici del martirio di Rigas. In: Lucia Marcheselli Loukas (Hrsg.), Rigas Fereos: la rivoluzione, la Grecia, i Balcani. Atti del Convegno internazionale Rigas Fereos, bicentenario della morte, Trieste, 4–5 dicembre 1997. Triest 1999, 59–81. 1358 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 149/g (1812). 1359 Zur Haltung der Wiener Griechen gegenüber dem griechischen Aufstand von 1821 Laios, Am]jdoter epistok]r jai ]ccqava tou 1821, 19–21. Außerdem Enepekides, Interzipierte griechische Briefe und Berichte über den Ausbruch des griechischen Aufstandes im Jahre

322

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Auch zwei am 28. und 30. Dezember 1810 im griechischen Kaffeehaus »Zum weißen Ochsen« am Fleischmarkt1360 vorgefallene »Exzesse«, die sofort das Interesse der Obrigkeit erregten, erwiesen sich als Schlägereien von eher banaler Natur.1361 Das ursprünglich kolportierte Gerücht, die Schlägerei zwischen »Griechen und Türken« bzw. »Servianern und Albanesen« habe sich aufgrund eines politischen Streits entwickelt, bei dem die Serben Partei für Russland ergriffen hätten, konnte nicht verifiziert werden. Trotzdem soll an dieser Stelle genauer auf die Vorfälle eingegangen werden, da die Polizeiberichte darüber1362 interessante Einblicke in den Mikrokosmos der Orienthändler in Wien geben. Dieser Mikrokosmos bestand aus Händlern verschiedener Konfessionen, Ethnien und Staatsangehörigkeiten, die teils zusammenarbeiteten und teils miteinander konkurrierten. Die österreichische Polizei hatte daher große Schwierigkeiten, die Zusammenhänge zu durchschauen. Die verwirrende Vermischung von Kategorien der Religionszugehörigkeit, der ethnischen Zugehörigkeit und der Staatsangehörigkeit in den Berichten zeigt jedoch auch, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine definitive Abgrenzung dieser Konzepte voneinander gab. Das manifestiert sich zum Beispiel in der inkonsequenten Verwendung der Begriffe »Türke«, »Grieche«, »Servianer« und »Albaneser« durch die zuständige Bezirkspolizeidirektion des Stubenviertels. Hinzu kommt, dass die Begriffe »Grieche« und »Türke« keinesfalls durchweg religiös oder ethnisch konnotiert waren, sondern gleichzeitig auch einfach synonym für »Händler« verwendet wurden. So wurde der albanische Moslem mit osmanischer Staatsangehörigkeit Issaf Agaia1363 als »griechischer Handelsmann und türkischer Unterthan« bezeichnet. Tatsächlich waren die Konfliktfronten durchaus nicht eindeutig zu identifizieren; und obwohl religiöse Motive den Anlass für die oben geschilderten Vorfälle boten, kam der Staatsangehörigkeit in diesem Streit eine stärkere Bedeutung zu als man zunächst annehmen würde. Alle im Bericht über die Vorfälle im »griechischen Kaffeehaus« als Zeugen oder involvierte Personen angeführten Männer waren im Orienthandel tätig.1364

1360 1361 1362 1363

1364

1821. Zur Verhaftung von Konstantinos Koumas: Ders., Joqa^r, Jo}lar, J\kbor, 67– 119; sowie Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 68– 70. Es handelt sich um das heutige Haus Fleischmarkt 28 bzw. Postgasse 15. Harrer-Lucienfeld, Bd. 4,1. 210–211. AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 56 (1811). Editionsteil Nr. 27. Der Name des Mannes geht aus den Dokumenten nicht ganz klar hervor. Der Polizeibeamte hatte große Schwierigkeiten bei der korrekten Wiedergabe der Namen der betroffenen Personen, so dass diese im selben Text in den unterschiedlichsten Formen erscheinen. Das könnte Do PaÅos Forderung nicht von einem Griechenviertel, sondern einem Viertel der orientalischen Kaufleute aus dem Osmanischen Reich zu sprechen, unterstützen,

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

323

Ansonsten handelte es sich aber um eine durchaus diverse Gesellschaft, in der sich aromunische »Griechen« mit österreichischer Staatsangehörigkeit (Peter Darvar, Naum1365 Nitta), muslimische (Issaf Agaia) und katholische Albaner (Johann Thoma, Nicolo Paali) mit osmanischer Staatsangehörigkeit, ein Serbe mit russischer Staatsangehörigkeit (Jovo Wulkowitz), der als »Grieche« bezeichnete sephardische Jude Jacob Elias1366 sowie der einheimische Warensensal Schmidt befanden. Allerdings sind die Eigenschaften zahlreicher weiterer angegebener Personen nur teilweise feststellbar. Der zuständige Polizeibeamte beschreibt in seinem Bericht zwei Parteien, »Griechen« und »Türken«, die aufgrund des »gegenseitig eingewurzelten Nazional- und Religionshaßes« keine zuverlässigen Zeugenaussagen abgeben würden, sondern jeweils versuchten, das Gegenüber zu belasten. Tatsächlich handelte es sich bei den Streitparteien des ersten Vorfalls um Christen und Muslime. Allerdings ist den im Bericht angeführten Zeugenaussagen zu entnehmen, dass sich die Situation auch für die Zeugen als kompliziert darstellte. So gaben mehrere Zeugen an, sie hätten wegen Unkenntnis der Sprache nicht alle Beschimpfungen verstanden, und einmal heißt es, jemand habe etwas in »einer andern türkischen Mundart« gesagt. Als der als Hauptunruhestifter beschriebene Serbe Wulkowitz1367 drei Tage später im selben Kaffeehaus erneut zwei Albaner anpöbelte, antworteten diese, »sie gehe das nichts an, wenn er die Türken hasse, sie seyen keine Türken, sondern Katholiken«. Abgesehen vom konfessionellen Hintergrund der Schlägerei offenbart der Bericht auch einige andere Hinweise auf Konfliktpotential unter den Händlern unterschiedlicher Provenienz. So wurden Griechen, die der osmanischen Botmäßigkeit entsagt hatten, von muslimischen Albanern deswegen beschimpft, wie die Sätze »ob er nicht wisse, daß er sein Sklave und Unterthan sey«, und »er halte alle Griechen für Banquerotteurssklaven, die aus der Türkey flüchteten«, zeigen. Letzteren Satz beantwortete der christliche Gegner mit der Replik, er wäre wohl selber gern ein solcher. Dies verweist auf den großen wirtschaftlichen würde er nicht gleichzeitig die Existenz von k.k. Untertanen unter diesen Händlern ignorieren. PaÅo, Identit8 politique et grand commerce des marchands ottomans / Vienne. 1365 Der Vorname Naum ist ein deutlicher Hinweis auf eine aromunische Herkunft. Zur Verehrung des Hl. Naum (Nahumus) in Moschopolis und im Erzbistum Achrida Max Demeter Peyfuss, Die Druckerei von Moschopolis, 1731–1769. Buchdruck und Heiligenverehrung im Erzbistum Achrida. Wien 21996, 166–170. 1366 Es handelt sich wohl um ein Mitglied der aus Thessaloniki stammenden Familie Elias, die 1822 k.k. Untertanen wurden und während des gesamten 19. Jahrhunderts eine bedeutende Stellung unter den Wiener Sepharden einnahmen. Schleicher, Geschichte der spaniolischen Juden, 145. Die Türken in Wien, 130. 1367 Johann (oder Jovo) Wulcowitz stammte aus Bosnien und war Buchhalter und Kassier bei Philipp H. Michael & Co., wie aus dem »Register der Namen aller hier befindlichen Griechen, welche türkische Unterthanen sind« von 1808 hervorgeht. Siehe Editionsteil Nr. 26.

324

Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Erfolg vieler Griechen, welche die österreichische Staatsangehörigkeit angenommen hatten, und auf die Tatsache, dass dies für Muslime ohne Religionswechsel nicht möglich war. Gleichzeitig kamen aber in diesen Jahren viele Griechen, die weiterhin osmanische Untertanen waren, nach Wien, und nutzten die mit der osmanischen Staatsangehörigkeit verbundenen Vorteile für sich. Dazu gab der Polizeibeamte folgende aufschlussreiche Meinung ab: »Eine gänzliche Straflosigkeit welche diese Griechen durch diese mancherley Ausflüchte eigentlich zu erzwecken bemüht sind, dürfte meiner Meinung nach um so minder statt finden, als einerseits diese Exzesse zu bedeutend waren, und diese Griechen anderseits überhaupt in der Idee leben, daß sie, wenn sie auswärtige und nicht k.k. Unterthaenen sind /: wohin auch Vulkowics durch die sehr feine Bemerkung, daß er ruß. Unterthan sey, zielt […]:/ keiner gerichtlichen Behandlung unterzogen werden könnten, wodurch selbe in dieser irrigen Meinung noch mehr bestärkt, bald wieder zu ähnlichen, wo nicht gar zu bedeutenderen Vorfällen Anlaß geben dürften.«1368

Die Rolle, welche die Staatsangehörigkeit und die Frage der Loyalität zum österreichischen Kaiserhaus spielte, illustriert auch ein weiterer Vorfall im Zusammenhang mit der Kaffeehausschlägerei: Der Warensensal Schmidt hatte bei der Rothenturmwache gemeldet, die Albaner hätten über den Kaiser geschimpft, und wurde diesbezüglich der Verleumdung überführt. Es handelte sich offenbar um einen gezielt eingesetzten Vorwurf, um möglichen Konkurrenten zu schaden. Auf ein weiteres Konfliktfeld verweist folgende Beschimpfung des Serben Wulkowitz über die Albaner : »[…] diese sind schlechter als die Juden, diese müssen wir wegjagen, sonst haben wir keine Ruhe«. Tatsächlich erwuchs den christlichen Handelsleuten aus dem Osmanischen Reich in den ebenfalls von dort kommenden sephardischen Juden eine viel stärkere Konkurrenz als diejenige, die von den wenigen muslimischen Händlern ausging. Trotz der vielen die Konfession, die Ethnie und die Staatsangehörigkeit betreffenden Trennlinien, die unter den Händlern verliefen, lassen sich die Konflikte damit nur teilweise erklären, da es gleichzeitig diese Grenzen überschreitende Zusammenarbeit gab. Möglicherweise hatte manche Konkurrenz andere, regionale Hintergründe, die mit den unterschiedlichen Herkunftsorten der Händler zusammenhing. So ließe sich beispielsweise erklären, dass die beiden in die Schlägerei verwickelten muslimischen Albaner »auf Bürgschaft des Griechen Sina« aus dem Arrest geholt wurden.1369 Auch der Prinzipal des ser-

1368 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 56 (1811). 1369 Die Familie Sina stammte aus der Stadt Moschopolis im osmanischen Epirus (heute Albanien). Laios, S_lym S_mar, 3.

Die räumliche Präsenz: Das Griechenviertel

325

bischen Raufbolds Wulkowitz Philipp Haggi Michael1370 bemühte sich, seinen Mitarbeiter aus dem Arrest zu befreien, indem er argumentierte, er brauche ihn dringend für den Rechnungsabschluss des Jahres sowie zur Behebung des Schadens eines defekten Baumwolltransports in seiner Firma. Abgesehen von den Streitigkeiten liefert der Polizeibericht auch Einblicke in den Alltag, der sich im griechischen Kaffeehaus abspielte. Dieses wurde laut dem Bericht hauptsächlich von »Griechen« – womit hier wohl Christen gemeint sind – frequentiert, da es heißt, dass die Albaner bei dem Handgemenge deutlich in der Unterzahl gewesen seien und keine Chance gehabt hätten, sich gegen die Übermacht der Griechen zu wehren. Weiters erfährt man, dass im Kaffeehaus Karten und Billard1371 gespielt wurde. Im Bestand des Wien Museums befinden sich zwei Gemälde, die Szenen aus dem griechischen Kaffeehaus abbilden.1372 Bei den dargestellten »Griechen« bzw. »Türken« im Kaffeehaus, handelt es sich jeweils sowohl um Männer in orientalischer Tracht mit Turban, als auch um Männer in westlicher Kleidung (Frack und Zylinder), die bei Kaffee und Kipferl bzw. beim Rauchen einer Wasserpfeife abgebildet sind. Inwieweit dies realistische Darstellungen sind, lässt sich nicht abschließend beurteilen, doch es geht auch aus anderen Quellen hervor, dass manche griechische Händler sich in der traditionellen Tracht ihrer Herkunftsorte kleideten, während andere ihren Kleidungsstil an die örtlichen Gepflogenheiten anpassten.1373 Das bevorzugte Kaffeehaus der Griechen war über viele Jahre das Gasthaus »Zum weißen Ochsen« (später »Zur Stadt London«), das sich im Haus Nr. 684 (alt: Nr. 728)1374 (derzeit »Caf8 As«) am Fleischmarkt befand. Im Jahr 1829 wurde das »griechische Kaffeehaus« in das Haus Nr. 689–693 (alt: Nr. 734–737)1375 (derzeit Caf8-Restaurant »Vienne«), das sich im Besitz von Georg Sina befand, verlegt. 1370 Es handelt sich wohl um den bei Efstratiadis mehrfach als Mitglied der Gemeinde zum Hl. Georg erwähnten Philipp Chatzimichail (V_kippor Watfgliwa^k) aus Thessaloniki und nicht um ein Mitglied der Familie Chatzimichail aus Siatista. Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 102–149. 1371 Vgl. auch Enepekidis, Neue Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Griechen in der österreichischen Monarchie, 225; über den Sohn eines vermögenden griechischen Händlers, der sein Geld im Kaffeehaus am Fleischmarkt verspielte. 1372 Es handelt sich um Theodor Leopold Weller (1802–1880), »Griechen in einem Wiener Kaffeehaus, 1824« (reproduziert in: Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien. 217. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 19. September bis 29. Dezember 1996. Wien 1996, Tafel III) sowie Dietrich Monten (1799–1843), »Türken in einem Wiener Kaffeehaus um 1830«. Letzteres ist momentan im Wien Museum nicht mehr ausgestellt. 1373 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 224–225. 1374 Harrer-Lucienfeld, Wien. Bd. 4,1, 210–211. 1375 Ebd., 197.

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Zahlenmäßige und räumliche Präsenz der Griechen in Wien

Das »griechische Kaffeehaus« blieb über Jahrzehnte hinweg eine Institution, wie das von Peyfuss veröffentlichte Gedicht aus dem Jahr 18371376 zeigt. Bei diesem Stück handelt es sich um eine satirische Beschreibung der Kaffeehausgesellschaft der Wiener Griechen, die aus den Papieren von Demeter Theodor Tirka stammt. Der Autor – wahrscheinlich Tirka selbst – liefert ein gelungenes Panorama der Persönlichkeiten, die sich »gleich nach der Kirche um 10 Uhr« im griechischen Kaffeehaus am Fleischmarkt trafen. Abgesehen von denjenigen, die sich aufgrund von Koseformen nicht identifizieren lassen, gibt es viele Übereinstimmungen mit den aus Mitgliederlisten und dergleichen Dokumenten bekannten Gemeindemitgliedern und -funktionären der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Daher stellt dieses Gedicht die wohl beste zeitgenössische Beschreibung all dessen, was den Mikrokosmos der Wiener Griechen zumindest bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts ausmachte, dar.

4.2.4. Conclusio Die Griechen in Wien bildeten bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine kompakte Gruppe von Menschen, die sämtlich innerhalb eines räumlich klar definierten Gebietes der Wiener Innenstadt (dem sogenannten »Griechenviertel«) demselben Beruf nachgingen und wohnten. Der Erwerb von Immobilien im Griechenviertel hatte – abgesehen vom praktischen Nutzen – auch eine die Zugehörigkeit zur Gruppe betonende symbolische Bedeutung. Durch den gezielten Ankauf von Häusern im Stubenviertel wurde ein bestimmtes Territorium quasi als »griechisch« markiert. Obwohl der Anteil der Griechen an der Gesamtbevölkerung der Wiener Inneren Stadt gering ausfiel, herrschte sowohl durch den Bau der beiden griechischen Kirchen, von denen eine sogar über einen Glockenturm verfügte, sowie durch den Ankauf von Häusern durch Griechen im Gebiet um den Alten Fleischmarkt eine verstärkte Sichtbarkeit der Gruppe im öffentlichen Raum dieses Viertels. Auch die Tatsache, dass ein Teil der Händler wahrscheinlich traditionelle orientalische Kleidung trug, dürfte dazu beigetragen haben. Und obwohl die Anzahl der Griechen nach der Blütezeit ihrer Niederlassung bis zum Jahr 1815 abnahm, wirkte sich das in der Inneren Stadt weit weniger deutlich als anderswo aus, da die Bevölkerung hier im Gegensatz zu den anwachsenden Vorstädten und Vororten stagnierte.1377 Somit lässt sich konstatieren, dass das Gebiet um den Alten Fleischmarkt die Bezeichnung »Griechenviertel« durchaus zu Recht trug. 1376 Peyfuss, Eine griechische Kaffeehausrunde. 1377 Csendes-Opll, Wien. Geschichte einer Stadt. Bd. 3, 18.

5.

Identität und Selbstwahrnehmung in den beiden Wiener griechischen Gemeinden

Beim Versuch einer Annäherung an die vielschichtigen Identitäten der Mitglieder der beiden Wiener griechischen Gemeinden, lassen sich mehrere Komponenten ausmachen, aus denen sich diese Identitäten zusammensetzten: – eine religiöse, die in der Zugehörigkeit zur orthodoxen Konfession bestand; – eine, die auf der Eigenschaft, Untertan des Osmanischen Reichs oder des Habsburgerreiches zu sein, basierte und die später zunehmend von ethnischen Identitätsdiskursen abgelöst wurde; – eine soziale, die mit der Profession als Händler in Zusammenhang stand. Während die religiöse Komponente eine unabdingbare Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gemeinden darstellte, diente die Eigenschaft der Staatsangehörigkeit der Abgrenzung der beiden Gemeinden voneinander. Ethnische wie auch soziale Argumente wiederum wurden zur Abgrenzung gegenüber anderen orthodoxen Gläubigen herangezogen. Im Folgenden soll auf die multiplen Identitäten, die sich in Loyalitäten gegenüber verschiedenen Staaten äußerten, sowie auf den sozialen Status, über den sich die Gemeindemitglieder definierten, eingegangen werden.

5.1. Multiple Identitäten und wechselnde Loyalitäten Die Staatsangehörigkeit stellte bei den Wiener Griechen ein entscheidendes Identitätsmerkmal dar, das zum Teil in der Existenz zweier getrennter Gemeinden der osmanischen bzw. der k.k. Untertanen resultierte, zum Teil aus ebendiesem Doppelsystem entsprang. Diese Dichotomie wurde mit dem Entstehen von Nationalstaaten auf dem Balkan um weitere Loyalitäten ergänzt. So lassen sich bei den Wiener Griechen auf Fragen der Zugehörigkeit zumeist keine einfachen Antworten, wie sie nationalistische Diskurse vorziehen würden, geben.

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Identität und Selbstwahrnehmung

5.1.1. Treue Untertanen des Sultans oder des Kaisers? Wie bereits erläutert, stellte die Entscheidung für die Annahme der österreichischen Staatsangehörigkeit für die Händler aus dem Osmanischen Reich einen bedeutsamen Schritt dar, der sowohl mit Vor- als auch Nachteilen verbunden war. Obwohl viele Händler diesen Akt als endgültige Entscheidung betrachteten, was sich auch im Übertritt von der Gemeinde zum Hl. Georg zur Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit äußerte, registrierten die Behörden auch Fälle, in denen Händler, um die damit verbundenen Vorteile nützen zu können, »zum Schein« k.k. Untertanen wurden, um später mit ihrem Vermögen wieder ins Osmanische Reich zurückzukehren.1378 Zugleich lässt sich feststellen, dass einige Händler bewusst die osmanische Staatsangehörigkeit behielten, um die wiederum damit verbundenen Vorteile nicht zu verlieren, obwohl sie schon lange in Österreich ansässig waren. Ein Beispiel dafür ist der osmanische Untertan Theodor von Karajan, dessen Gattin, die österreichische Untertanin war, das familieneigene Haus besaß.1379 Einzelne Individuen konnten sich bewusst für die Loyalität gegenüber dem Sultan oder dem Kaiser entscheiden. Dies galt aber nicht für die beiden Gemeinden als Institutionen. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit war per definitionem eine österreichische Institution von österreichischen Untertanen und schuldete insofern auch nur dem Kaiser Loyalität. Zwar benutzte die Gemeinde in den Jahren nach der Gründung das Argument eines möglichen Wechsels der Staatsangehörigkeit durchaus, um Erleichterungen bei den österreichischen Behörden zu erlangen. Das galt sowohl für die strittige Privilegienerneuerung durch Franz II./I.,1380 als auch für die von den griechischen Händlern, die k.k. Untertanen waren, geforderte Kriegssteuer im Jahr 1800, als man schrieb: »[…] dürfte auch der Umstand viele Rücksicht verdienen, daß, wenn die griechischen Handlungen in lästigen Dingen den (…) übrigen inländischen Großhandlungen gleichgesetzet würden, wo sie doch bei weitem nicht die Ausdehnung der inländischen Großhandlungen geniessen, denn übrigen Theil der griechischen Handelsleuthe welche sich bisher noch nicht als kk Unterthanen erklärt haben, abschrecken würde, diese Erklärungen abzugeben: wodurch dem Staate, und vorzügliche dem Commercial Taxund Fahr Steuer-Fond ein Namhaftes an Mortuario, und Fahr steuer entgehen muss, indem die türkischen Unterthanen weder von den hiesigen Justitzbehörden abgehandelt, noch mit Sterbegiebigkeiten irgend einer Art belegt werden, auch in die türkische Staaten wiederum zurückkehren können, ohne dass sie einen Abzuge des Abfahrtgeldes unterworfen sind.«1381 1378 1379 1380 1381

Siehe hier S. 81–82. Siehe hier S. 292–293. Siehe hier S. 108–112. AHG, G 3, Fasz. 6: 29. Jänner 1800, Brief der griechisch nicht unierten Kirchengemeinde an

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Obwohl man sich wenige Jahre zuvor darum bemüht hatte, nicht anders behandelt zu werden als alle übrigen österreichischen Händler und in die Gremien der bürgerlichen Handelsleute und der Großhändler aufgenommen zu werden,1382 relativierte man diesen Status aus verhandlungstaktischen Gründen wieder. Dies geschah wenige Jahre nach der Gründung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, als der Prozess der Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft bei vielen Händlern noch im Gange war und offenbar zum Teil nicht als endgültig angesehen wurde. In der Folge deklarierte sich die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit aber stets als eindeutig kaisertreu. In Bezug auf die Gemeinde zum Hl. Georg war die diesbezügliche Situation etwas komplizierter. Bei ihren Mitgliedern handelte es sich um osmanische Untertanen, die dem Sultan Loyalität schuldeten, die Gemeinde per se war jedoch eigentlich eine österreichische Institution, was sich darin zeigte, dass sie formal dem Metropoliten von Karlowitz unterstellt war und nicht einer kirchlichen Autorität im Osmanischen Reich. In diesem Spannungsfeld befand sich die Gemeinde in einer Art Zwischenposition und teilte ihre Loyalitäten zwischen den beiden Imperien auf. Als Beispiel für die Hinwendung zur Habsburgermonarchie nennt Tsigaras zwei Kunstwerke in der Kirche zum Hl. Georg, einerseits den an der Westwand aufgehängten habsburgischen Doppeladler und andererseits die Gründungsikone der Gemeinde, auf welcher der Heilige Georg die Gesichtszüge von Joseph II. trägt. Dass das Pferd, auf dem er reitet, einem Lipizzaner nachempfunden sein soll,1383 erscheint wohl eher als Überinterpretation.1384 Diese Ikone findet sich auch in der Druckausgabe des Privilegiums Josephs II. für die Gemeinde von 1783 wieder. Die Loyalitätsbekundungen gegenüber Österreich durften aber auch nicht zu weit gehen, um nicht die Hohe Pforte zu verärgern, wie ein Schriftverkehr aus dem Jahr 1797 zeigt. Der griechisch nicht unierte Bischof von Ofen/Buda Dionysios Papagiannousis-Popovic´ (Diom}sior Papaciammo}sgr-P|pobitr)1385 hatte

1382

1383 1384 1385

die in Kriegssteuersachen aufgestellte Hofkommission wegen Bestimmung und Klassifizierung der Kriegssteuer für ihre Handlungen. Dies wurde am 12. Dezember 1795 genehmigt. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, 8kkgmer Bi]mmgr-Austq_ar B4, Über das Gesuch der hiesigen griechischen Handelsleute, jene theils dem Grosshandlungs Gremium, theils dem bürgl. Handelsstand einverleiben zu lassen (laut Notiz Kioutoutskas aus: HHStA, Staatsratsprotokolle). Tsigaras, O ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 177–178. So unterscheidet sich das Pferd auf der Darstellung nicht wesentlich von den Tieren auf anderen zeitgenössischen Abbildungen des Heiligen Georg. Vgl. Ntori Papastratou, W\qtimer eij|mer. Oqh|dona hqgsjeutij\ waqajtij\ 1665–1899. Athen 1986, 203–214. Dionysios Papagiannousis-Popovic´ (1750–1828) war ab 1783 Metropolit von Belgrad. Für seine Hilfe bei der österreichischen Einnahme Belgrads durch Feldmarschall Laudon im Jahr 1789 wurde er 1790 zum Bischof von Buda ernannt. Papadrianos, 8mar lec\kor Jofam_tgr ap|dglor, 13–19. Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 65–66.

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Abb. 12: Gründungsikone der griechischen Gemeinde zum Hl. Georg in Wien. Aus: Die von Seiner Majestät dem römischen Kaiser Joseph dem II. denen in der kaiserl. Residenzstadt Wien handelnden, der ottomanischen Pforte unterthänigen nicht unirten Griechen, in Betreff ihres Gottesdienstes in der Kapelle des heil. Georgius im Steyerhof allergnädigst ertheilte Freyheit. Wien 1783.

die Gemeinde zum Hl. Georg bei der Niederösterreichischen Regierung angezeigt, weil sie in der Liturgie den Kaiser nicht erwähnte.1386 Die Gemeinde bat daraufhin darum, die Liturgie unverändert lassen zu dürfen, weil sie sonst womöglich auch den russischen Kaiser erwähnen müsste bzw. Probleme mit der Hohen Pforte bekommen würde, wie in folgendem Abschnitt ausgeführt wird: »Ausser dem liege das vorzügliche Bedenken darin, dass sie unter ihrer Gemeinde mehrere Leute zählten, denen sie niemal trauen dürften. Wenn sie auch zu der angetragenen Aenderung ihres Rituals sich willig herbeylassen wollten, so würden diese Leute gar bald die Sach in einem schiefen Licht bey der Pforte anzeigen, solches als eine den Unterthanspflichten entgegen laufende Neigung für einen auswärtigen christlichen 1386 Nach Laios stand die Anzeige, damit in Zusammenhang, dass Popovic´ dem Kaiser schmeicheln wollte, weil ihm ein Adelstitel (20. 1. 1797) verliehen werden sollte. Laios, G Si\tista jai oi elpoqijo_ o_joi Watfgliwa^k jai Lamo}sg, 93–94.

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Hof darstellen, dadurch die ohnehin aufsichtige und argwöhnische Pforte zum Unwillen reitzen, und sie der Gefahr aussetzen, an ihren eigenen Personen, oder an ihren in der Türkey befindlichen Familien und Gütern misshandelt, und unglücklich gemacht zu werden. Ohnehin hätten ihnen schon die Kriegsbeyträge, welche sie aus Devotion gegen den hiesigen höchsten Hof entrichtet haben, Verdruss und unangenehme Anstände in dem Türkischen Gebieth verursacht; wenn nun annoch eine Aenderung in ihrem Rituali vor sich gienge, so würden sie in eine noch unangenehmere Lage in Ansehung der Ottomanischen Pforte versetzt werden.«1387

Sowohl die Niederösterreichische Regierung als auch das Directorium in Cameralibus et publico Politicis hatten Verständnis für die Argumente der Gemeinde, deren Mitglieder ja »durchaus fremde Unterthanen, und dem hiesigen Staat mit keinem Nexu Subditelo untergeben« seien und erinnerten sich außerdem an die wenige Jahre zurückliegenden Konflikte in Bezug auf die Liturgie in ebendieser Gemeinde,1388 in deren Folge die osmanischen Untertanen sich gar unter den Schutz des russischen Botschafters begeben hätten und man sie nur mit viel Mühe und der Ausfertigung eines Privilegiums wieder zurückgebracht habe. Kaiser Franz II./I. genehmigte also die Nichterwähnung seiner Majestät im Gottesdienst der Kirche zum Hl. Georg und dem Bischof von Ofen wurde ungehörige Einmischung bescheinigt.1389 Im Laufe der Zeit nivellierten sich die Unterschiede zwischen den beiden Gemeinden immer mehr – eine wichtige Zäsur ist hierfür das Jahr 1834, in dem der Gemeinde zum Hl. Georg das Besitzrecht für ihr Kirchenhaus zugesprochen wurde – und die Charakteristika, die die Gemeinde der osmanischen Untertanen als österreichische Institution auswiesen, gewannen an Bedeutung. Mit dem Staatsgrundgesetz von 1867 sollten sogar die Seelsorger als österreichische Staatsbeamte die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.1390 Dies galt sowohl für die Gemeinde zum Hl. Georg als auch für die türkisch-israelitische Gemeinde in Wien, die sich hinsichtlich der geteilten Loyalität in der gleichen Situation befand. Eine anschauliche Illustration, wie sich diese geteilte Loyalität äußerte, ist der 1387 AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 9: 1797, Dokumente bezüglich der Anzeige des Ofener Bischofs Popowich, dass die hiesige Gemeinde türkischer Unterthanen und Griechischer Handelsleute in ihren Gebeten von Seiner Majestät höchsten Person keine Erwähnung machen. 1388 In diesem Zusammenhang hatten sich die griechischen Händler auch auf Sultan Mustafa III. als ihren Schutzherrn berufen. AT-OeStA/HHStA StAbt Türkei I 228-3, 1761: Übersetzung betreffend den Konflikt der griechischen Handelsleute mit Pavle Nenadovic´ um ihre Kapelle. 1389 AT-OeStA/AVA Kultus AK Akatholisch Griech.-Orthodox 9: 1797, Dokumente bezüglich der Anzeige des Ofener Bischofs Popowich, dass die hiesige Gemeinde türkischer Unterthanen und Griechischer Handelsleute in ihren Gebeten von Seiner Majestät höchsten Person keine Erwähnung machen. 1390 Siehe hier S. 196–197.

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Bericht über eine Feier anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Verleihung des Privilegiums durch Joseph II. in der Kirche zum Hl. Georg am 4. Dezember 1883. Anwesend waren sowohl Vertreter der niederösterreichischen Statthalterei und des k.k. Kultusministeriums als auch der osmanischen Botschaft sowie der griechische Gesandte. Zum Ende der Zeremonie wurden Dankesworte und Wünsche an Kaiser Franz Joseph gerichtet und die österreichische Volkshymne gesungen. Außerdem wurde dem Bürgermeister von Wien eine Spende von 1.000 Gulden zur Verteilung unter Armen in Wien »ohne Unterschied der Religion« übergeben.1391 Im Jahr 1900 wiederum feierte die Gemeinde zum Hl. Georg das 25-jährige Thronbesteigungsjubiläum des Sultans Abdülhamid II. und lud dazu auch Vertreter der türkisch-israelitischen Gemeinde in Wien ein.1392 Die Tatsache, dass die Gemeinde zum Hl. Georg sich immer mehr zu einer Art »zweiten österreichischen Gemeinde« entwickelte, lieferte die Argumentationsgrundlage dafür, ihre Existenzgrundlage generell in Frage zu stellen. Die Gemeinde wurde jedoch weiterhin unter Betonung ihrer traditionellen Bindung ans Osmanische Reich weiterhin aufrechterhalten, und erst am Vorabend der Balkankriege wurde mit dem Ansuchen um Löschung des Hinweises auf die »türkischen Untertanen« aus dem Namen der Gemeinde ein radikaler Bruch mit dieser Tradition vollzogen. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit war als österreichische Institution von k.k. Untertanen nicht mit dem Problem der zweifachen Loyalität konfrontiert und demonstrierte – von gewissen Uneindeutigkeiten bezüglich des tatsächlichen Übertritts in die österreichische Botmäßigkeit während der Anfangsjahre abgesehen – immer ihre Treue zum Kaiserhaus. Dieses Merkmal teilte sie auch mit den Gemeinden anderer konfessioneller Minderheiten in Wien.1393 Diese Treue zum Kaiserhaus drückte sich – analog zum Hinweis auf die »türkischen Untertanen« in der Schwestergemeinde – auch in den Benennungen der Gemeinde aus. Da es keinen offiziellen Gemeindenamen gab, finden sich in den Quellen viele verschiedene Bezeichnungen. Die vollständigste Bezeichnung, die alle Attribute enthält, wäre »griechisch-wallachische Kirchengemeinde der k.k. Untertanen in Wien«. Oft wurden kürzere Bezeichnungen verwendet, es ist jedoch auffällig, dass vor allem der Hinweis auf die k.k. Untertanen kaum jemals fehlt und diesem der Vorzug vor dem Terminus »österreichische Untertanen« 1391 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 217. 1392 AHG, G 9, Fasz. 23: 31. August 1900, Brief des Präsidenten der türkisch-israelitischen Gemeinde zu Wien an den Ausschuss der griechisch-orientalischen Kirche zu St. Georg Wien. 1393 Klaus Lohrmann, Zwischen Finanz und Toleranz. Das Haus Habsburg und die Juden. Ein historischer Essay. Graz [u. a.] 2000, 212-21. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört., 19–24. Heimann-Jelinek, Die Türken in Wien, 138–141.

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gegeben wurde. Der Begriff k.k. (kaiserlich-königlich), der sich auf die Unterwerfung unter den Landesfürsten bezog, ist tatsächlich präziser, da unter »Österreich« in dieser Zeit nur Österreich ob und nieder der Enns (das heutige Ober- und Niederösterreich) verstanden wurden.1394 In diesem engeren Sinne waren die Wiener Griechen auch Österreicher, doch der Begriff k.k. Untertanen bedeutete ihnen mehr, da er sich auf alle Erbländer der Monarchie, also das Operationsgebiet der griechischen Händler, bezog. So erscheinen auch bei den griechischen Bezeichnungen für die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit fast immer die Attribute »tym J.B. / jaisaqobasikij~m upgj|ym« oder »tym austqiaj~m upgj|ym«. Die Angehörigen der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit hatten sich innerhalb relativ kurzer Zeit eine spezifisch habsburgisch-griechische Identität erworben. Dies betraf auch die ungarischen Gemeinden und die Triestiner Gemeinde, trat aber in der Haupt- und Residenzstadt Wien vielleicht noch deutlicher hervor. Als Beispiel für das Selbstverständnis als »habsburgische Griechen« par excellence kann der Schriftsteller Demeter Darvar gelten, der seine pädagogischen Werke und Schulbücher in griechischer Sprache für die Kinder des griechischen Bürgertums der Habsburgermonarchie, die im österreichischen Schulsystem groß wurden, schrieb und daher als Gelehrter der neugriechischen Aufklärung im Osmanischen Reich vergleichsweise wenig rezipiert wurde.1395 Darvar war in Wien gut vernetzt, wie der Streit um die Gründung der Griechischen Nationalschule bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zeigt. Er scheute nicht davor zurück, sich gemeinsam mit seinem Bruder Johann gegen den Rest der Gemeinde zu stellen, da er glaubte, seine Position mittels seiner Kontakte beim Wiener Magistrat durchsetzen zu können.1396 Auch wenn Darvar seine Gegner als ungebildet und nicht des Deutschen mächtig verunglimpfte, zeigt dieser Konflikt in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts doch deutlich, dass er nicht der einzige in der Gemeinde war, der zu diesem Zeitpunkt zum Umgang mit den österreichischen Behörden in der Lage war. Lan bemühte sich auch keineswegs um eine »interne Lösung«, sondern erkannte die Autorität der österreichischen Behörden in Fragen der Gemeindeverwaltung an. Im Jahr 1835 demonstrierte die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ihre Kai1394 Grete Walter-Klingenstein, Was bedeuten »Österreich« und »österreichisch« im 18. Jahrhundert? Eine begriffsgeschichtliche Studie. In: Richard G. Plaschka, Gerald Stourzh, Jan Paul Niederkorn (Hrsg.), Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute. Wien 1995, 149–220. 1395 Maria A. Stassinopoulou, Cq\ve jah~r olike_r. Überlegungen zur Epistolographie in der Zeit der griechischen Aufklärung. In: Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich 7/8 (1992/93), 27–39, hier 36–38. Dies., Namadiab\fomtar to epistok\qio tou Dglgtq_ou D\qbaqg. Seirinidou, To eqcast^qio tou koc_ou, 121. 1396 Siehe hier S. 150–151.

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sertreue durch die »Gebete der nicht unirten Griechen«, die nach dem Tod von Franz II./I. in einer zweisprachigen deutschen und griechischen Ausgabe im Druck erschienen.1397 Ein weiteres unzweideutiges Beispiel für den schon in der Schule kultivierten Staatspatriotismus, den die Wiener Griechen in Bezug auf die Habsburgermonarchie entwickelten, ist die Übersetzung der österreichischen Kaiserhymne ins Neugriechische, die der Komponist Alexander Katakuzeno (Ak]namdqor Jatajoufgm|r) (1824–1892)1398 anfertigte. Der in Triest geborene Enkel von Konstantinos Koumas1399 war zwischen 1844 und 18541400 Lehrer an der Griechischen Nationalschule in Wien, für deren Zwecke er wohl auch die Übersetzung verfasste, wie die Subskribentenliste des Drucks zeigt.1401 Die Liste nennt 39 Subskribenten und 147 subskribierte Exemplare, wobei an erster Stelle die Griechische Nationalschule mit 15 Exemplaren steht. Auch Nikolaus Manzurani (Mij|kaor Lamtfouq\mgr) hatte sich für 15 Exemplare subskribiert, während weitere drei Mitglieder der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sich für zehn Exemplare subskribiert hatten, nämlich Georgios Martyrt, Konstantin M. Curti und Demeter Theodor Tirka. Auch ein Mitglied der Gemeinde zum Hl. Georg, Zois Charamis (F~gr Waqal^r), hatte sich für zehn Exemplare subskribiert. Die übrigen Subskribenten begnügten sich mit geringeren Stückzahlen. Die Kaiserhymne sollte vermutlich von den Schülern 1397 Gebete der nicht unirten Griechen, nach dem Tode weiland Kaisers und Königs Franz des Ersten. Gehalten den 3/15 März 1835, von der aus k.k. Unterthanen bestehenden griechischen Gemeinde in Wien bey den Exequien in ihrer Pfarrkirche zur heiligen Dreyfaltigkeit. Wien 1835. Filippos Iliou, Ekkgmij^ bibkiocqav_a tou 19ou ai~ma. Bibk_a – vukk\dia. Bd. 3: Ta Ohymij\ wq|mia 1833–1863, A4 1833–1844. Athen 2016, 120. 1398 Maria A. Stasinopoulou, G bibkioh^jg tou Jymstamt_mou Jo}la. In: Avi]qyla stom pamepistgliaj| d\sjako Bas. Bk. Svuqo]qa ap| tour lahgt]r tou. Athen 1992, 169–200, hier 170–171, Anm. 2. 1399 Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 76. 1400 AT-OeSTA/AVA Unterricht StHK Teil 2 850 4 Signatur 22 I – Niederösterreich: akatholische Schulen (1792–1847), 30. August 1845: Bezüglich der definitiven Anstellung der provisorisch angestellten Lehrer Johann Chaviara und Alexander Kantakuzeno an der griechischen Nationalschule. Aus den Lehrerrechungen (AHD, S 10, S 11, S 47–S 57) der Nationalschule geht eine Anstellung bis 1854 hervor, nach Dimitris G. Themelis, G lousij^ sukkoc^ ap| tgm idiytij^ bibkioh^jg tou ýhyma tgr Ekk\dar. In: Ekkgmij\ 31 (1979), 453–481, hier 463–464, Anm.1; war er aber noch weitere 7 Jahre in Wien (insgesamt 17 Jahre). 1401 AHD, K 9, Bücher 9. Es handelt sich um ein aus einem Blatt bestehendes Heft, von dem nur mehr ein einziges beschädigtes (das Deckblatt fehlt) Exemplar im Archiv der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vorhanden ist. Ansonsten konnte ich den Titel bibliographisch nicht auffinden. Das Heft enthält keine Jahresangabe, ist aber, da Katakuzeno ab 1847 Lehrer in Wien war und es sich um die Hymne für Ferdinand handelt, wohl auf das Jahr 1847 zu datieren. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass die Hymne bereits in Triest entstand, die Liste der aus Wien stammenden Subskribenten spricht aber eher für eine Auftragsarbeit der Wiener Gemeinde.

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Abb. 13: Gedruckte Ausgabe der österreichischen Volkshymne ins Neugriechische von Alexander Katakuzeno. Aus: AHG, K 9, Bücher 9.

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der Nationalschule gesungen werden, hatte aber aufgrund der Abdankung Ferdinands zugunsten von Franz Joseph 1848 nur eine geringe Lebensdauer. j EHMIJOS AUSTQIAJOS ULMOS 1j toO ceqlamijoO rp¹ JatajoufgmoO. P]lpe, Pk\sta, eqkoc_ar Pq¹r Lom\qwgm cakgm|m. V}katte t¹m t/r )ustq_ar, VEQDIMAMDOM t¹m jkeim|m. D¹r, t¹ sj/ptq|m TOU stgq_fym D· !pe_qym ceme_m, Eqtuw_m ja· eqtuw_fym M’ %qw’ eQr hq|mom jqatai|m. Pq¹r AUTOM, He³, woq^cei He?a d_qa syqgd¹m, Ja· t¹ b/l\ TOU bd^cei EQr !cc]kym tµm bd|m. D¹r, B h]lir 1stell]mg St]ll’ !kghimoO vyt¹r, ªr t¹ st/h|r TOU heqla_mei, M± !mh0 di± pamt|r. D\vmgr st]ll’ !r TOM kalpq}m,, Ja· lajq±m bql/r law_m, )pqosl\wgtor !r le_m, T/r eQq^mgr pqolaw~m. Ja· #m ke_x, B cak^mg EQr tqijuli_m pgcµm, V_r paq^coqom !r w}m, EQr tµm huekk~dg c/m. J bl|moi’ !r paq]w, -mh’ eQr hq|mom !cka¹m, J’ B !c\pg !r sum]w, Jcel|ma ja· ka|m. J’ eQr toioOtom eqtuw_ar )di\MNgjtom desl¹m F^ty, f^ty t/r Aqstq_ar VEQDIMAMDOS Bcel~m.

Später wurde die österreichische Volkshymne von den Schülern der Griechischen Nationalschule auf Deutsch gesungen, so zum Beispiel bei den Feierlichkeiten anlässlich der Einweihung des neu umgebauten Kirchenhauses der Hl. Dreifaltigkeit im Jahr 1859.1402 1402 AT-OeStA/AVA Kultus NK Akath Griech.-orientalisch K 18, 4. Jänner 1859: Bericht des Oberaufsehers der griechischen Nationalschule Hermengild Bager über die Feier anläßlich

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Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bekundete ihre Loyalität zum Kaiserhaus außerdem durch Gratulationsschreiben anlässlich der Geburts- und Namenstage von Kaiser Franz Joseph,1403 der besonders in den letzten Jahren seiner langen Regierungszeit zur Personifikation der übernationalen Ordnung des gesamten Reiches wurde.1404 Anlässlich des 70. Geburtstags des Kaisers hielt der Direktor der Griechischen Nationalschule Eugen Zomarides am 14. Juli 1900 eine ausführliche Lobrede auf den Regenten sowie auf die Errungenschaften der Habsburgermonarchie, die mit einem Umfang von 64 Seiten im Druck erschien.1405 Im Jahr 1902 spendete die Gemeinde 200 Kronen für ein geplantes Kaiserin-Elisabeth-Denkmal.1406 Auch in die Euphorie zu Beginn des Ersten Weltkriegs stimmten die Wiener Griechen mit ein, wie die Wiener Zeitung vom 5. Oktober 1914 berichtete: »In der griechischen Kirche auf dem Fleischmarkt wurde […] ein Bittgottesdienst für den Erfolg der österreichisch-ungarischen Waffen abgehalten. […] Am Schlusse des Tedeums wurde vom Kirchenchor die Volkshymne gesungen und von den Versammelten ein enthusiastisches Hoch auf Se. Majestät den Kaiser, das Kaiserhaus und die Armee ausgebracht.«1407

Zwar handelte es sich bei vielen dieser Loyalitätsbezeugungen nicht unbedingt um spontane Kundgebungen der Kaisertreue – so wurde die Gemeinde am 8. August 1917 zur Abhaltung eines Dankgottesdienstes anlässlich der Wiedereroberung von Czernowitz von der niederösterreichischen Statthalterei explizit

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des Kirchenumbaus. In AHD, K 9, Bücher 9, befindet sich eine Ausgabe der österreichischen Volkshymne von 1896 (auf Deutsch). AHD, G 10, Fasz. 3, 3. September 1900: Dank für die Glückwünsche des Ausschusses der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde, k.u.k. Untertanen zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien zum 79. Geburtstag von Kaiser Franz Joseph. AHD, G 11, Fasz. 1, 18. August 1910: Entwurf eines Briefes an den k.k. nö. Statthalter zum Geburtstag von Kaiser Franz Joseph. AHD, G 11, Fasz. 5, 3. November 1913: Dank für die Loyalitätskundgebung der griechischorientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zum Namensfest des Kaisers. AHD, G 11, Fasz. 6, 18. November 1915: Dank für die Loyalitätskundgebung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zum Namensfest des Kaisers; 12. Dezember 1917, Dank für die Loyalitätskundgebung der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zum Namensfest des Kaisers. Emil Brix, Geschenke für den Mythos. Kaiser Franz Joseph I. als übernationale Integrationsfigur. In: Ulla Fischer-Westhauser (Hrsg.), Geschenke für das Kaiserhaus. Huldigungen an Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth. Wien 2007, 48–75. Eugen Zomarides, Kaiser Franz Joseph I. Rede zur Feier des siebzigsten Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers gehalten am 14. Juli 1900 in der Griechischen Nationalschule zu Wien vom Director derselben. Wien 1900. AHD, G 10, Fasz. 7, 11. April 1902: Brief des Executiv-Comites des Kaiserin-ElisabethDenkmales in Wien an die griechisch-orientalische Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Wiener Abendpost (Beilage zur Wiener Zeitung), Nr. 228 (5. Oktober 1914), 4–5.

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aufgefordert1408 –, dennoch entsprach die Loyalität zur habsburgischen Dynastie, die der Garant für die Stabilität der Habsburgermonarchie als Grundlage für Wohlstand und sozialen Aufstieg der griechischen Händler war, der in der Gemeinde vorherrschenden Einstellung. Der Vorsitzende der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Basilio Giannelia von Philergos hielt »anläßlich des Ablebens Seiner Majestät Kaiser Franz Joseph I.« am 26. November 1916 eine Gedenkrede, in der es unter anderem hieß: »[…] Aus den Mitgliedern dieser altehrwürdigen Kirchengemeinde liegt wahrlich die Pflicht ob, Seiner Majestät, dem Kaiser Franz Joseph I. ein dankbares Gedenken zu bewahren, indem wir uns in tiefster Ehrfurcht bewußt sind, daß Kaiser Franz Joseph I. ein Schirmherr unseres Gemeinwesens war ; denn Ihm waren auch bekannt die unerschütterliche Treue, die unwandelbare Anhänglichkeit und die unumwundene Loyalität unserer Kirchengemeinde. Wie viele Mitglieder dieser Gemeinde hat Er in Huld und Gnaden verschiedentlich ausgezeichnet! – Mehrere in den Adelsstand erhoben! Andere zu Rat gezogen in manchen schweren Stunden schwerster Sorgen um Reich und Volk, und wir dürfen nicht vergessen, daß mit Zustimmung Seiner Majestät durch lange Jahre einem Mitgliede unserer Gemeinde das wichtigste Referat in der Gebahrung eines Staates anvertraut war. […] Und da nach staatsrechtlichem Grundsatze eine Monarchie keine Unterbrechung duldet, so legen wir unsere Huldigung, unsere Segens- und Glückwünsche Seiner Majestät Kaiser Karl I. zu Füßen. […]«1409

In der Folge wurde beschlossen, ein Huldigungstelegramm an den neuen Kaiser Karl I. zu schicken und am 1. Dezember 1916 einen Trauergottesdienst, bei dem ein Kranz niedergelegt werden sollte, in der Dreifaltigkeitskirche abzuhalten, zudem sollte der Vorsitzende als Vertreter der Gemeinde an der Einsegnung der Leiche von Franz Joseph im Stephansdom teilnehmen.1410 Auch der Kriegseintritt Griechenlands aufseiten der Entente im Jahr 1917 änderte nichts an der Loyalität der Gemeinde zum Kaiserhaus. Noch wenige Wochen vor der Verzichtserklärung von Karl I. erhielt die Gemeinde ein Schreiben, in dem der Vizepräsident der k.k. nö. Statthalterei sich bei ihr für die »alleruntertänigste Huldigung und Loyalitätskundgebung« bedankte.1411 Exemplarisch für die Herausbildung einer habsburgisch-griechischen Identität in kultureller Hinsicht, die sich von den Gepflogenheiten der Herkunftsorte unterschied, in beiden Wiener griechischen Gemeinden, stehen die Bemühun1408 AHD, G 11, Fasz. 6, 8. August 1917: Brief des k.k. nö. Statthalters an das Pfarramt der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. 1409 AHD, G 116, Protokoll über die Sitzung des Ausschusses am 26. November 1916, Gedenkrede anläßlich des Ablebens Seiner Majestät Kaiser Franz Joseph I. 1410 AHD, G 116, Protokoll über die Sitzung des Ausschusses am 26. November 1916. AHD, G 11, Fasz. 6, 21. April 1917: Dank für die Trauer- und Loyalitätskundgebung anlässlich des Ablebens von Kaiser Franz Joseph. 1411 AHD, G 11, Fasz. 6, 10. September 1918: Brief des Wiener Bürgermeisters an die griechisch-orientalische Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.

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gen um die Erneuerung der griechischen Kirchenmusik im Wien der 1840er Jahre.1412 Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte es im Umfeld der beiden Wiener Gemeinden unter gemeinsamer Federführung des Priesters Agapios Paliermos (Ac\pior Paki]qlor) und des Lehrers der griechischen Nationalschule Emmanuel Kapetanaki Ideen bezüglich der Einführung des vierstimmigen Gesanges (Tetraphonie) gegeben,1413 doch erst 18441414 kam es zu einer konkreten Umsetzung und der vierstimmige Gesang wurde zu Ostern dieses Jahres erstmals in der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit aufgeführt.1415 Der Lehrer an der Nationalschule Johann Chaviara (Iy\mmgr Wabiaq\r) (1844–1849)1416 hatte gemeinsam mit dem k.k. Hofkapellmeister Benedikt Randhartinger1417 die Musik adaptiert und entsprechende Noten im Druck herausgebracht.1418 Auch der oben als Übersetzer der österreichischen Volkshymne erwähnte Alexander Katakuzeno dürfte als Komponist beteiligt gewesen sein.1419 Die Gemeinde zum Hl. Georg folgte wenige Monate später diesem Beispiel und ließ den Kirchensänger Anthimos Nikolaidis (6mhilor Mijokaýdgr) gemeinsam mit dem österreichischen Komponisten Gottfried Preyer die Noten erstellen.1420 Obwohl in der 1412 P.E. Formozis, Oi woqydiaj]r ejd|seir tgr ejjkgsiastij^r lousij^r se euqypazj^ lousij^ cqav^ tym: Iy\mmou W. M. Wabiaq\ – B. Randhartinger jai Amh_lou Mijokaýdou – Gottfried Preyer stir d}o oqh|doner ekkgmij]r ejjkgs_er tgr Bi]mmgr. In: St\wur 8–9 (1967), 34–81. Siehe dazu auch: Maria A. Stasinopoulou, G let\basg stgm sov^ Euq~pg jai oi sum]pei]r tgr. O aqwilamdq_tgr Cqgc|qior Jakac\mgr. In: O Eqamist^r 21 (1997), 301–325, hier 324. Zur vielstimmigen griechischen Kirchenmusik in Triest und Venedig siehe: Athanasia Kyriakidou, G ejjkgsiastij^ pokuvymij^ lousij^ stour ekkgmoqh|donour mao}r tou Ac. Mijok\ou tgr Teqc]stgr jai tou Ac. Ceyqc_ou tgr Bemet_ar ap| to 1840 ]yr to 1975: aqwe_a – helatijo_ jat\kocoi. (Unveröffentlichte Dissertation) Thessaloniki 2012. 1413 Anastasios Pallatidis, Up|lmgla istoqij|m peq_ aqw^r jai pqo|dou jai tgr sgleqim^r ajl^r tou em Bi]mmg ekkgmijo} sumoijislo}, autoswediash]m avoql^ tgr meyst_ cemol]mgr letaqquhl_seyr tgr ejjkgsiastij^r gl~m lousij^r eir to tetq\vymom. [Photomechanische Reproduktion der Ausgabe Wien 1845] Athen 1968, 49. Formozis, Oi woqydiaj]r ejd|seir, 42. Nina-Maria Wanek, Nachbyzantinischer liturgischer Gesang im Wandel: Studien zu den Musikhandschriften des Supplementum graecum der Österreichischen Nationalbibliothek. Wien 2007, 56–57. Paliermos war jedoch nicht Pfarrer der Gemeinde zum Hl. Georg, wie Wanek schreibt. 1414 Im selben Zeitraum gab es auch in Triest diesbezügliche Versuche. Formozis, Oi woqydiaj]r ejd|seir, 44, Anm. 22. 1415 Ebd., 67. 1416 Lehrerrechungen der Griechischen Nationalschule (AHD, S 10, S 11, S 47–S 57). 1417 Initiator war laut dem biographischen Eintrag zu Randhartinger im Wurzbach der damals in der Gemeindeverwaltung vertretene Konsul Georg von Martyrt. Randhartinger, Benedict. In: Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich 24, Wien 1872, 322–328, 327. ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr III, Pqajtij\ Joim|tgtar Bi]mmgr 1839–1866. 1418 Zu den verschiedenen Ausgaben: Formozis, Oi woqydiaj]r ejd|seir. 1419 Themelis, G lousij^ sukkoc^, 463–464, Anm. 1. 1420 Pallatidis, Up|lmgla istoqij|m, 50. Formozis, Oi woqydiaj]r ejd|seir, 47.

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Gemeinde zum Hl. Georg die überwiegende Mehrheit für die Einführung der Tetraphonie stimmte,1421 beschwerte sich eine unterlegene Minderheit beim Patriarchat von Konstantinopel über diese ihrer Ansicht nach ungehörige Neuerung, woraufhin das Patriarchat 1846 mit einem Rundschreiben (ecj}jkior) antwortete, in welchem die vierstimmige Musik als fremdartig und skandalös1422 verurteilt wurde und die Entscheidung verlautbart wurde, dass die vierstimmige Musik in der Liturgie aller orthodoxen Kirchen abgeschafft sei.1423 Trotz dieser Aufforderung des Patriarchats wurde die vierstimmige Musik in beiden Gemeinden weiterhin aufgeführt. Während vonseiten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit gar keine Reaktion auf den Tadel des Patriarchats bekannt ist, entschloss sich die Gemeinde zum Hl. Georg einen Rechtfertigungsbrief an den Patriarchen zu senden, die vierstimmige Musik im Gottesdienst aber bis auf weiteres beizubehalten.1424 Der Rechtfertigungsbrief1425 gibt aufschlussreiche Einblicke in die Assimilation der Griechen in der Diaspora an die Kultur der Metropole Wien: So wurde darauf hingewiesen, dass es in Wien (»der Großstadt, in der wir leben«1426) die kunstvollste und harmonischste Musik gebe, sodass den Menschen die traditionelle Musik der orthodoxen Kirche nicht mehr gefalle, sogar die Neuankömmlinge würden, »sobald sie an den Ufern der Donau ankommen, den alten Menschen ablegen und einen neuen annehmen«1427. Aus diesem Grund komme niemand mehr in die Kirchen, wenn weiterhin die einstimmige Musik gesungen würde.1428 Schließlich wies man darauf hin, dass der Metropolit von Karlowitz bereits vor drei Jahren die Tetraphonie gutgeheißen und sogar während der Aufführung der vierstimmigen Musik die Messe gehalten habe, wozu er bemerkt habe, er würde diese Musik auch in anderen Kirchen seiner Kirchenprovinz einführen, wäre sie nicht so kostspielig1429 – ein Seitenhieb auf die Tatsache, dass das Ökumenische Patriarchat keinerlei jurisdiktionelle Autorität gegenüber der Gemeinde zum Hl. Georg hatte. Darauf folgten keine weiteren Äußerungen zur Causa vonseiten des Patriarchats und die vierstimmige Musik wurde in der Folge nicht nur in den beiden Wiener Gemeinden, sondern auch in zahlreichen anderen griechischen Diasporagemeinden (Triest, Pest, Marseille, London, Manchester, Liverpool, 1421 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 55–56 und 213. 1422 Vgl. auch die ablehnende Haltung von Konstantinos Oikonomos gegenüber der Tetraphonie: Stasinopoulou, G let\basg stgm sov^ Euq~pg, 324, Anm. 103. 1423 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 56–58. 1424 Ebd., 58. 1425 Ebd., 58–61. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 363–364. 1426 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 59. 1427 Ebd., 59. 1428 Ebd., 60. 1429 Ebd., 61.

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Odessa, Alexandria)1430 nach den Wiener Notenausgaben aufgeführt. Efstratiadis vermutet, der Rechtfertigungsbrief habe das Patriarchat zum Umdenken bewogen,1431 doch es scheint eher so, dass dieses sich notgedrungen damit abfand, dass es keinen direkten Einfluss auf die Wiener Gemeinden nehmen konnte. Die Integration in die österreichische Gesellschaft zeigte sich auch darin, dass die deutsche Sprache in den Akten der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sukzessive Verwendung fand. Während in den Jahren nach der Gemeindegründung die griechische Sprache eindeutig vorgeherrscht hatte, finden sich in den folgenden Jahrzehnten die griechische und die deutsche Sprache nebeneinander. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde dann der Großteil der Gemeindeangelegenheiten auf Deutsch abgehandelt. Der Rückgang der Verwendung der griechischen Sprache betraf in dieser Zeit auch die Gemeinde zum Hl. Georg. Michel G. Koimzoglu beklagte im Abschlusskapitel seiner Geschichte der Gemeinde zum Hl. Georg von 1912 die Tatsache, dass die Kinder nirgends mehr die Möglichkeit hätten das Neugriechische zu lernen und sich daher nicht mehr als Griechen fühlen würden.1432

5.1.2. Beziehungen zu den neuen Balkanstaaten am Beispiel Griechenlands Mit dem Entstehen neuer Nationalstaaten auf dem Balkan im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich bei den Wiener Griechen zusätzlich zur Loyalität zum Osmanischen Reich bzw. der Habsburgermonarchie auch Bindungen zu diesen Staaten, wobei es durchaus kein von nationalistisch geprägten Historiographien postuliertes Ausschließlichkeitsdenken gab. Zenobius C. Popp oder Nikolaus Dumba fühlten sich Griechenland genauso verpflichtet wie Rumänien.1433 Demeter Theodor Tirka war fürstlicher serbischer Regierungsbankier.1434 Auch die beiden Wiener griechischen Gemeinden unterhielten Beziehungen zu verschiedenen Akteuren in allen Balkanstaaten. Nachdem die Gemeinden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen, sich – trotz des hohen Anteils 1430 Formozis, Oi woqydiaj]r ejd|seir, 67. 1431 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 62. 1432 Koimzoglu, Geschichte der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heil. Georg«, 55–56. 1433 Siehe hier S. 348. Ein weiteres Beispiel ist Konstantin Panadi, der in seinem Testament Personen und Institutionen in Siebenbürgen bedachte. Stassinopoulou, Endowments as an instrument of integration, 179. 1434 Max Demeter Peyfuss, Der Wiener Medailleur Anton Scharff und Rumänien. In: Revue roumaine d’histoire 38 (1999), 133–138, hier 136.

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an Aromunen unter den griechischen Händlern – als ethnisch (»national«) ausschließlich griechisch zu definieren, kam dem griechischen Staat jedoch eine besondere Rolle als Bezugsgröße zu, weshalb an dieser Stelle die Beziehungen der Gemeinden zu Griechenland gesondert behandelt werden. In Bezug auf die Unterstützung des griechischen Unabhängigkeitskampfes durch die Wiener Griechen als eine Niederlassung von Handelsleuten lässt sich kein offenes Engagement für diese Sache feststellen. Bei den meisten konkret involvierten Personen aus dem Wiener Umfeld handelte es sich um Gelehrte (Lehrer, Geistliche). In diesem Zusammenhang vertrat Loukatos die These, die Mitglieder der Gemeinde zum Hl. Georg hätten sich als Untertanen des Osmanischen Reiches stärker für den griechischen Unabhängigkeitskampf engagiert, während die Mitglieder der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sich eher als Österreicher gefühlt und von der Heimat entfremdet hätten.1435 Eine ähnliche Meinung äußerte auch Lampros, der schrieb, die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit sei mit der Geschichte Wiens verschmolzen, während die Gemeinde zum Hl. Georg das nationale Leben [sc. Griechenlands] widerspiegle.1436 Tatsächlich führte der Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges 1821 vor allem in der Gemeinde zum Hl. Georg zu Aufruhr. Nach der Verhaftung von Theodor Manussi (He|dyqor Lamo}sgr), Pantaleon Vlasto (Pamtak]ym Bkast|r), Konstantin Kokkinaki (Jymstamt_mor Jojjim\jgr) und Konstantinos Koumas1437 wegen umstürzlerischer Tätigkeit kam es zu Auseinandersetzungen in der Gemeinde, weil das Mitglied Nikolaus Postolaka die österreichische Polizei in einem Brief über gemeindeinterne Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Frage, ob Kokkinaki, der Kirchensänger bei der Gemeinde zum Hl. Georg war, nach seiner Enthaftung wieder angestellt werden sollte, informierte.1438 Postolaka wurde in der Folge seiner Stelle in der Dodekas der Gemeinde enthoben.1439 Postolakas Brief an die Polizei-Oberdirektion zeigt jedoch, dass zumindest ein Teil der Gemeindemitglieder weder bei der türkischen noch bei der »hiesigen Regierung, unter deren Schutz die Gemeinde lebt und ansehnliche Privilegien geniesset«1440 den Eindruck entstehen lassen wollte, man würde die Gesinnungen Kokkinakis teilen.1441 1435 Loukatos, O pokitij|r b_or tym Ekk^mym tgr Bi]mmgr, 306–309. 1436 Spyridon Lampros, Rezension von Michel G. Koimzoglu, Geschichte der griechisch-orientalischen Kirchengemeinde »zum heil. Georg« in Wien. Wien 1912. In: M]or Ekkgmolm^lym 11 (1914), 220–223, hier 220. 1437 Zur Verhaftung Koumas’: Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 68–70. 1438 Enepekidis, Neue Quellen und Forschungen, 221–222. Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 106–107. 1439 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 193. 1440 Enepekidis, Neue Quellen und Forschungen, 222. 1441 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 353–355.

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Revolutionäre Aktivitäten wurden aber nicht nur wegen der befürchteten politischen Verfolgung sowohl im Osmanischen Reich als auch in der Habsburgermonarchie, wo Metternich den griechischen Aufstand, den er als gefährlichen Präzedenzfall für das österreichische Vielvölkerreich betrachtete, bekämpfte,1442 kritisch gesehen. Es waren vor allem die durch politische Instabilität und Kriegshandlungen hervorgerufenen negativen Auswirkungen auf ihre Handelstätigkeit, welche die meisten Wiener Griechen, egal, ob sie osmanische oder österreichische Untertanen waren, zu Gegnern revolutionärer Umtriebe machten. Dies illustriert eine Äußerung von Haggi Constantin Popp (Watf^ Jymstamt_mor Pyp), dem Vater von Zenobius C. Popp, in einem Brief im Frühling 1821 bezüglich des Aufstandes. Sein zweiter Sohn Aristides Pappa (oder Pop) (Aqiste_dgr Papp\r), der von 1814–1817 Altgriechischlehrer an der Griechischen Nationalschule in Wien gewesen war,1443 engagierte sich aktiv für die revolutionäre Gesellschaft der Freunde (Vikij^ Etaiqe_a) und kam aufgrund dieser Tätigkeit im Jahr 1821 ums Leben.1444 Vielleicht auch deswegen sah sein Vater die Geschehnisse in einem negativen Licht, beklagte jedoch vor allem deren geschäftsschädigende Auswirkungen: »[…] der Handel wird von der allgemeinen Untätigkeit sehr bedrückt. […] das Getreide und alles andere ist vollkommen eingeschlafen und das Geschäft mit den Wechseln ist tot, weil die Vorfälle in der Levante uns alle sehr erschrecken […] mit Missfallen hören wir von den Geschehnissen in der Wallachei, und hoffentlich breitet sich das Übel nicht in die anderen Teile der Türkei aus und vernichtet unsere Landsleute und den Handel.«1445 [Übers. d. Autorin]

Der durch den Aufstand von 1821 eingeläutete griechische Unabhängigkeitskrieg, der schließlich in der Gründung des griechischen Staats mündete, tangierte die Wiener Griechen – abgesehen von durch die Kriegshandlungen entstandenen Geschäftsschädigungen – zunächst nur peripher, da die drei Haupt-

1442 F.R. Bridge, The Habsburg Monarchy among the Great Powers, 1815–1918. New York [u. a.] 1990, 29–31. 1443 AHD, S 47, Fasz. 2 und 3 sowie AHD, S 3, Fasz. 11. 1444 Apostolos Diamantis, T}poi elp|qym jai loqv]r sume_dgsgr stg me|teqg Ekk\da. Athen 2007, 74–75. Über die genauen Umstände seines Todes gibt es mehrere unterschiedliche Versionen, sowohl, dass er von den osmanischen Behörden hingerichtet wurde, als auch, dass er Selbstmord beging. Christos A. Stasinopoulos, K]nijom tgr ekkgmij^r epamast\seyr. O. O. 1979, Bd. 4, 123–124. 1445 »[…] jatahk_betai to elp|qio ap| tgm cemij^m apqan_am. […] ta sit\qia jai |ka ta \kka kghaqc~sim eir to pamtek]r jai g epiwe_qgsir tym jalp_ym e_mai memejqyl]mg, epeid^ jai ta peqistatij\ tou keb\mte jatavob_foum |kour lar cemij~r […] pkgqovoqo}leha dusaq]styr ta sulb\mta Bkaw_ar, jai e_he to jaj|m ma lgm ejtah^ jai eir ta \kka l]qg touqj_ar le avamisl|m tym olocem~m lar jai elpoq_ou.« Zitiert nach: Diamantis, T}poi elp|qym, 75.

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herkunftsregionen der Wiener Griechen – Thessalien, Epirus und Makedonien – weiterhin zum Osmanischen Reich gehörten. Generell zeigt sich bezüglich der Einstellung der griechischen Händler zu revolutionärem Gedankengut, dass selbst bei denjenigen, die gewisse Sympathien dafür hegten, im Zweifelsfall das Geschäft vorging, wie bereits anhand der Verhaftung von Rigas Velestinlis (Q^car Bekestimk^r) im Jahr 1797 deutlich geworden war.1446 Die politische Stabilität der Habsburgermonarchie als Operationsgebiet der griechischen Handelshäuser war die Voraussetzung für deren Prosperieren. Das galt auch für die Revolution von 1848 im Kaisertum Österreich. So stellte sich Georg Sina, der als Großgrundbesitzer in Ungarn1447 großes Interesse an der Aufrechterhaltung der alten Ordnung hatte, von Anfang an hinter die österreichische Regierung.1448 Selbst Stefan Manno (St]vamor L\mou), der wie die meisten griechischen Händler in Pest, die zum städtischen Bürgertum gehörten, Befürworter der Revolution von 1848 in Ungarn war, von der man sich die Abschaffung des Feudalismus und vollkommene Handelsfreiheit erhoffte,1449 musste einräumen, dass die Ereignisse von 1848 dem Handel massiv schadeten.1450 Während die meisten Pester Griechen die Revolution von 1848 in Ungarn unterstützten, was von Mantouvalos als Zeichen für deren erfolgreiche Integration und Magyarisierung gedeutet wird,1451 waren die Interessen der Wiener Griechen entgegengesetzt. Georg Sina unterstützte die Regierung bei der Bekämpfung der Revolution finanziell im großen Stil,1452 aber auch andere Griechen positionierten sich durch in der Wiener Zeitung veröf-

1446 Katsiardi-Hering, L’impresa al di sopra di tutto. Auch der bei Patrinelis edierte Brief des in Semlin tätigen griechischen Händlers Lazarou illustriert gut dessen ablehnende Haltung zu den revolutionären Aktivitäten der Gruppe um Rigas. Ch. G. Patrinelis, Epijq_seir cia to j_mgla tou Q^ca jai tir dqastgqi|tgter tou Po}kiou L\qjou Po}kiou (1798). In: Ekkgmij\ 48 (1998), 113–129. Siehe auch: Ioannis Zelepos, »Su de ec]mou kip|patqir«. Zur Entwicklung vornationaler Identitätsmuster in Südosteuropa. Der »osmanisch-orthodoxe« Heimatbegriff von Michailos Perdikaris (1766–1828). In: Ulf Brunnbauer, Andreas Helmedach, Stefan Troebst (Hrsg.), Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt und Erinnerung in Südosteuropa. Festschrift für Holm Sundhaussen zum 65. Geburtstag. München 2007, 189–200, hier 198–199; und Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 344. 1447 Laios, S_lym S_mar, 71. 1448 Füves, Die Griechen in Pest, 290. Mantouvalos, Ap| to Lomast^qi stgm P]stg, 254. 1449 Ebd., 254. 1450 Ebd., 253. 1451 Ebd. 1452 Das bezeugen viele Zeitungsartikel, von denen an dieser Stelle exemplarisch zwei genannt seien: Wiener Zeitung, Nr. 97, 6. April 1848, 459: Bericht über eine Spende von 10.000 Gulden für patriotische Zwecke an den Innenminister durch Georg Sina. Wiener Zeitung, Nr. 109, 18. April 1848, 519: Bericht über die unentgeltliche Beförderung der Kompanie des Freiwilligen-Corps der Tiroler Studenten mit der Gloggnitzer Eisenbahn durch Einschreiten von Georg Sina.

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fentlichte Geldspenden.1453 Theodor Demeter Tirka war Hauptmann der Wiener Nationalgarde von 1848.1454 Während bei der Befürwortung des griechischen Unabhängigkeitskrieges aufgrund der potentiell schädlichen Implikationen unter den Handelsleuten eine pragmatische Sicht auf die Dinge vorherrschte, bereiteten Verbindungen zum griechischen Staat nach dessen offizieller Etablierung keine Probleme. Allerdings blieb die Bedeutung von Griechenland in wirtschaftlicher Hinsicht für die Wiener griechischen Händler, Bankiers und Industriellen eher marginal.1455 Eine Ausnahme ist Georg Stauro (Ce~qcior Sta}qor), der 1811 in Wien die Firma seines Vaters Stauro Johann (Sta}qor Iy\mmou) übernommen hatte1456 und 1841 in Athen die Griechische Nationalbank gründete. Vielmehr gewann der erste Nationalstaat am Balkan als symbolische Bezugsgröße an Bedeutung, was mit der zunehmenden Ethnisierung und Nationalisierung der Identität1457 in Zusammenhang steht. So hatten denn auch die Beziehungen zu Griechenland eher einen bildungsbürgerlich-romantischen Charakter in der Tradition des deutschen Philhellenismus, wobei vor allem der Antikebezug immer stark hervorgehoben wurde. Zum Beispiel ließ der Vorsitzende der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit Zenobius C. Popp 1858 eine von ihm erstellte Übersetzung einer König Otto gewidmeten sapphischen Ode des Rektors der Universität Athen Filippos Ioannou in einer großformatigen illustrierten altgriechisch-deutschen Ausgabe in der k.k. Hof- und Staatsdruckerei drucken.1458 In diesen Kontext sind auch die 1453 So Basilius und Helena Manzurani (Wiener Zeitung, Nr. 95, 4. April 1848, 449) und Konstantin Panadi (Wiener Zeitung, Nr. 98, 7. April 1848, 460). Stassinopoulou, Endowments as an instrument of integration, 177. 1454 Peyfuss, Eine griechische Kaffeehausrunde, 163. 1455 So lehnte z. B. Georg Sina es trotz der Intervention von Staatskanzler Metternich ab, dem griechischen König Otto ein Privatdarlehen zu geben, das dem griechischen Staat in seiner finanziell schlechten Lage helfen sollte, da der griechische Staat nach Sina nicht kreditwürdig sei. Ariadni Moutafidou, Anton Prokesch-Osten and the kingdom of Greece. In: Herbert Kröll (Hrsg.), Austrian-Greek encounters over the centuries. History, diplomacy, politics, arts, economics. Innsbruck [u. a.], 117–126, hier 121. 1456 Inglesi, Boqeioekkad_ter ]lpoqoi sto t]kor tgr Touqjojqat_ar, 66. 1457 Ioannis Zelepos, Die Ethnisierung griechischer Identität 1870–1912. Staat und private Akteure vor dem Hintergrund der »Megali Idea«. München 2002. 1458 Yd^ sapvij^ eir tgm glipemtgjomtaetgq_da eoqt^m tym apobatgq_ym tou Basik]yr tgr Ekk\dor ýhymor poighe_r up| tou mum pqut\meyr tou Pamepistgl_ou Vik_ppou Iy\mmou jai pqosemewhe_sa tg A. L. en om|lator tou sukk|cou tym jahgcgt~m tou Pamepistgl_ou tg 25. Iamouaq_ou 1858. Sapphische Ode die fünfundzwanzigjährige Feier der Landung seiner Majestät Otto, Königs von Griechenland, verfasst von dem gegenwärtigen Präsidenten der Universität in Athen Philippos Johannu und S. M. im Namen des ProfessorenCollegium der Universität überreicht am 25. Jänner 1858. Wien 1858. Das Heft befindet sich in AHD, G 6, Fasz. 19. Bibliographischer Nachweis in: Dimitrios S. Gkinis, Valerios G. Mexas, Ekkgmij^ bibkiocqav_a 1800–1863. Amacqav^ tym jat\ tgm wqomij^m ta}tgm peq_odom |pou d^pote ekkgmist_ ejdoh]mtym bibk_ym jai emt}pym em c]mei. Bd. 3, Athen 1957, 123, Nr. 7767.

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Abb. 14: Yd^ sapvij^ eir tgm glipemtgjomtaetgq_da eoqt^m tym apobatgq_ym tou Basik]yr tgr Ekk\dor ýhymor poighe_sa up| tou mum pqut\meyr tou Pamepistgl_ou Vik_ppou Iy\mmou jai pqosemewhe_sa tg A. L. en om|lator tou sukk|cou tym jahgcgt~m tou Pamepistgl_ou tg 25. Iamouaq_ou 1858. Sapphische Ode auf die fünfundzwanzigjährige Feier der Landung seiner Majestät Otto, Königs von Griechenland, verfasst von dem gegenwärtigen Präsidenten der Universität in Athen Philippos Johannu und S. M. im Namen des Professoren-Collegium der Universität überreicht am 25. Jänner 1858. Wien 1858.

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wohltätigen Aktivitäten der Familie Sina auf dem Gebiet des griechischen Staats einzuordnen: Simon Sina finanzierte mehrere bekannte neoklassizistische Bauwerke im Zentrum Athens, die von Theophil Hansen und seinem Schüler Ernst Ziller, der mit der Tochter des Wiener griechischen Händlers Konstantin Dudos (Jymstamt_mor Do}dor), Sophia, verheiratet war, gebaut wurden. Ein weiterer bekannter Wohltäter des griechischen Staats aus dem Kreis der Wiener Griechen war Constantin von Bellio (Jymstamt_mor Lp]kkior),1459 der 1836–37 eine Reise in den neugegründeten Staat unternahm, wo er mehrere philanthropische Projekte initiierte.1460 Auch Nikolaus Dumba und sein Bruder Michael verbrachten als junge Männer eine Zeit in Athen – sie waren in den Jahren 1847–48 Gäste des österreichischen Gesandten Prokesch von Osten.1461 Der als Sohn eines griechischen Händlers in Wien geborene Jurist Michael Botly (Liwa^k Potk^r) wurde unter der Regentschaft des bayrischen Königs Otto griechischer Justizminister, nach dem Sturz der Regierung Ottos kehrte er aber wieder nach Wien zurück.1462 Nicht nur dem bayrischen König Otto, sondern auch seinem Nachfolger Georg I. erwies die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit immer wieder ihre Ehre, wie aus verschiedenen Glückwunschtelegrammen u. Ä. im Archiv der Gemeinde hervorgeht. Gerade die wohltätigen Stiftungen von Griechen der Diaspora im neugegründeten griechischen Staat werden von der griechischen Historiographie häufig herangezogen, um den »nationalen Charakter« der Aktivitäten der griechischen Händler in der Diaspora zu verdeutlichen.1463 Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass der Großteil der Stiftungen von Wiener Griechen nicht an Empfänger im Königreich Griechenland ging, sondern an die Herkunftsorte der griechischen Händler, die weiterhin zum Osmanischen Reich gehörten, adressiert war. Weiters befanden sich Empfängerinstitutionen wohltätiger Aktivitäten auf der gesamten Balkanhalbinsel (sowohl im Osmanischen Reich als auch in der Habsburgermonarchie) sowie in anderen Teilen der Habsburgermonarchie. Die meisten wohltätigen Handlungen betrafen jedoch die neue 1459 Zu den von Bellio für Empfänger im griechischen Staat eingerichteten Stiftungen siehe Michail A. Kalinderis, O Baq~mor Jymstamt_mor D. B]kior 1772–1838. G fy^ jai g up]q tou ]hmour pqosvoq\ tou. Thessaloniki 1973. 1460 D. und N. Argyriadis, Pqajtij\ tou eucemest\tou Baq~mou juq_ou Jymstamt_mou Lp]kkiou Lajedomor. Wien 1838. 1461 Konecny, Die Familie Dumba, 3. 1462 Potlis (Botly), Michael. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 8 (1983), 228. 1463 Zum Beispiel: Skevos G. Zervos, Ehmij\ jkgqodot^lata jai dyqea_. Athen 1925. Kalinderis, O Baq~mor Jymstamt_mor D. B]kior. Spyros Ergolavos, Gpeiq~ter ]lpoqoi eueqc]ter tou ekkgmijo} ]hmour jai sumtekest]r tgr pqo|dou tgr amhqyp|tgtar. Ioannina o. J. [ca. 2011].

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Heimatstadt Wien.1464 Die Wohltätigkeit von Wiener Griechen zugunsten des griechischen Staats zeigt zwar vorhandene Sympathien, sollte aber nicht als Beweis für ein ausschließlich griechisches Nationalgefühl überbewertet werden. Die Tatsache, dass die meisten Wiener Griechen in ihren Testamenten eine Reihe verschiedener Empfänger bedachten, verweist vielmehr auf deren multiple Identitäten und mehrfache parallel existierende Loyalitäten. Ein gutes Beispiel dafür sind die Dumbas, die die Universität Athen mit großen Spenden unterstützen.1465 Dennoch ließ sich Nikolaus Dumba nicht nur von Griechenland, sondern auch von Rumänen, Serbien und dem Osmanischen Reich ehren.1466 Obwohl es bereits davor Ansätze einer Selbstdefinition der griechischen Gemeinden in Wien nach ethnischen Kriterien gegeben hatte, entfaltete dieses Konzept erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine volle Wirkmächtigkeit. Der Konflikt um das immer noch osmanische Makedonien zwischen Serben, Bulgaren und Griechen1467 verunmöglichte das Weiterbestehen einer Mehrfachidentität von »Balkanorthodoxen«. Die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit begann aufgrund des Konfliktes mit der Metropolie von Czernowitz auf ihr griechisches »nationales Erbe« zu rekurrieren, was sie aufgrund der Tatsache, dass viele der berühmten Familien der Gemeinde aromunischer Herkunft waren, vor die komplizierte Aufgabe stellte, die Wallachen in den national-griechischen Identitätsdiskurs zu integrieren. Dies wurde mittels der Konstruktion des Begriffs der »Makedowallachen«, die – in Abgrenzung zu den Rumänen – einen untrennbaren Teil der griechischen Nation darstellen würden, bezweckt.1468 Tat1464 Das zeigen die Erkenntnisse aus dem FWF-Projekt »Soziales Engagement in den Wiener griechischen Gemeinden (18.–20. Jh.)« (AP2714021), das von 2014–2017 unter der Leitung von Maria A. Stassinopoulou durchgeführt wurde. Stefano Saracino, Nathalie Patricia Soursos, Maria A. Stassinopoulou, Liste der Stifterinnen und Stifter der griechischen Gemeinden zum Hl. Georg und zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien (1769–1918), 2016. URL: wienergriechen.univie.ac.at/liste-der-stifterinnen-und-stifter/. Ein prominentes Beispiel ist der hauptsächlich als nationaler Wohltäter Griechenlands gepriesene Constantin von Bellio, der abgesehen von den beiden Wiener griechischen Gemeinden auch das Allgemeine Krankenhaus und das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien mit bedeutenden Summen bedachte. Auch einer ganzen Reihe weiterer Wiener Institutionen werden in seinem Testament Legate gewidmet. AHD, G 40, Fasz. 4, 18. Jänner 1839: Testamentsübersetzung. Ich danke Nathalie Soursos für diesen Hinweis und die Transkription der Testamentsübersetzung. Siehe außerdem: Soursos, Die Stiftungsbetten der Wiener Griechen, 183–186. 1465 Stassinopoulou, Diplomatischer Alltag, 627–628. Peyfuss, Konecny, Der Weg der Familie Dumba, 325. 1466 Stassinopoulou, Diplomatischer Alltag, 631. 1467 Fikret Adanır, Die makedonische Frage. Ihre Entstehung und Entwicklung bis 1908. Wiesbaden 1979. 1468 Dieses Konzept wird auch heute noch von Teilen der griechischen nationalistischen Historiographie propagiert. So z. B. Nikolaos I. Mertzos, G bkaw|vymg qylios}mg. Thessaloniki 2011. Analoge Beispiele, die die Aromunen als Teil der rumänischen Nation darstellen, lassen sich auch in der rumänischen nationalistischen Historiographie finden.

Multiple Identitäten und wechselnde Loyalitäten

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sächlich aber scheint es sich dabei für die Gemeinde vor allem um eine zielführende Strategie zur Aufrechterhaltung ihrer Autonomie gehandelt zu haben, wie das Faktum, dass man sich genauso gegen Eingriffe von anderer Seite verwehrte, illustriert.1469 Die Gemeinde zum Hl. Georg wandte sich kurzfristig dem griechischen Staat zu, als man erkannte, dass das Osmanische Reich seiner Rolle als Bezugsgröße für die Gemeinde nicht mehr nachkommen konnte. Die aufgrund des Mitgliedermangels im Jahr 1912 ventilierte Überlegung, die Georgskirche der griechischen Regierung zu schenken, wurde laut Efstratiadis aber deshalb nicht weiterverfolgt, weil es sich bei der Gemeinde gemäß den Privilegien um eine österreichische Institution handelte.1470 Anschließend bediente man sich der Unterstützung der griechischen Gesandtschaft bei den Bemühungen um die Löschung des Hinweises auf die »türkischen Untertanen« aus dem Namen der Gemeinde im Kompetenzstreit mit der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.1471 Während beide Gemeinden nach 1918 um den Fortbestand ihrer administrativen Autonomie von auswärtigen Akteuren bemüht waren, brachte das Ende der Habsburgermonarchie auf individueller Ebene als Konsequenz häufig einen Wechsel der Staatsbürgerschaft mit sich. So wurden 17 der 33 Gemeindemitglieder der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit nach 1918 »wieder«1472 griechische Staatsbürger, wie ein diesbezüglicher Briefwechsel des griechischen Konsulats mit der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit von 1922 zeigt.1473 Dies hatte jedoch weniger mit einem plötzlich aufkeimenden griechischen Nationalstolz zu tun als vielmehr mit praktischen Motiven, da die mit der Neuordnung Europas nach 1918 einhergehenden juristischen Konsequenzen häufig die Eigentumsverhältnisse betrafen. Stassinopoulou schildert den Fall von Nikolaus Scanavi und dessen Schwester Marie Zimmermann, die 1920 die griechische Staatsbürgerschaft beantragt hatten, um finanzielle Schäden abzuwenden.1474 Auch Konstantin Dumba (1856–1947), der jahrelang Beamter im österreichischen diplomatischen Dienst gewesen war, suchte 1922 um Entlassung aus dem österreichischen Staatsverband an, da sonst »ein in England liegendes Effektendepot« sowie »ziemlich wertvolle Güter in Rumänien« durch Enteignung verloren gehen

1469 1470 1471 1472

Siehe den Fall des Pfarrers Apostolopoulos hier S. 222–227. Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 70. Siehe hier S. 236. Konecny, Die Familie Dumba, 173. Diese fälschlich benutzte Formulierung – die Betroffenen bzw. ihre Vorfahren waren niemals griechische Staatsbürger gewesen – verweist auf die veränderte Sichtweise in einem Zeitalter, in dem das Ideal einer Übereinstimmung von Staatsangehörigkeit und ethnischer Zugehörigkeit vorherrschte. 1473 AHD, G 11, Fasz. 11, 5. Jänner 1922: Brief des griechischen Konsulats an die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit, und Mitgliederliste mit Vermerk der griechischen Staatsbürgerschaft. 1474 Stassinopoulou, Diplomatischer Alltag, 626.

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würden, »weil die Dumbas österreichische Staatsbürger waren«.1475 Nur acht Jahre später beantragte Konstantin Dumba aber erneut die österreichische Staatsbürgerschaft.1476

5.2. Bürgerliches Selbstverständnis und Mechanismen der Inklusion/Exklusion Die Tatsache, dass es sich bei den Wiener Griechen im 19. Jahrhundert vornehmlich um eine Gemeinschaft der Nachkommen von in Wien erfolgreich niedergelassenen Händlern handelte, während wirtschaftlicher Misserfolg häufig der Grund für die Rückkehr in die Herkunftsgebiete im Osmanischen Reich war, trug wesentlich zur Herausbildung einer spezifisch »habsburgischen« Identität bei den Wiener Griechen und im Besonderen bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bei. Aus diesem Grund stellt sich die Geschichte der Wiener griechischen Gemeinden im Nachhinein hauptsächlich als »Erfolgsgeschichte der Migration« dar. Bereits in der Phase bis 1815, als die Sozialstruktur der Gemeinden in Bezug auf den wirtschaftlichen Erfolg der einzelnen Händler noch relativ durchmischt war,1477 bildete die soziale Stellung ein wichtiges Kriterium für eine einflussreiche Rolle in der Gemeindeverwaltung.1478 Unter den Vorstehern der Gemeinde zum Hl. Georg finden sich vor 1815 mehrere Mitglieder der erfolgreichen ambelakiotischen Handelsgesellschaft,1479 so Georg Schwarz (Ce~qcior Sv\qtr/La}qor), Johann Chronia Drosinos (Iy\mmgr Wq|mia Dqosim|r) und Athanas Mezevir (Aham\sior Lefebe_qgr), nach dem Bankrott der Gesellschaft 1815 jedoch nicht mehr.1480 Von den 21 Händlern, die zwischen 1780 und 1850 Mitglieder des Großhandelsgremiums waren, hatten zumindest 17 einmal eine Vorsteherstelle in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit bekleidet.1481

1475 Konecny, Die Familie Dumba, 173. Auch aus der oben erwähnte Liste in AHD, G 11, Fasz. 11, geht hervor, dass die Familie Dumba 1922 geschlossen die griechische Staatsbürgerschaft annahm. 1476 Konecny, Die Familie Dumba, 173. 1477 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 209–233. 1478 Selbiges galt auch für die beiden protestantischen Gemeinden in Wien, wo die Leitungsorgane von reichen Großkaufleuten und Unternehmern dominiert wurden. Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 86–87. Rassl, Des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit, 21. Peter Karner, Mitglieder der reformierten Gemeinde. In: Peter Karner (Hrsg.), Die evangelische Gemeinde H.B. in Wien. Wien 1986, 82–104. 1479 Katsiardi-Hering, Tewm_ter jai tewmij]r bav^r mgl\tym, 229–274. 1480 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 74–75. 1481 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 125, Anm. 1; nennt die Mitglieder des Großhandelsgremiums. Ob auch die übrigen vier genannten Händler einmal Gemeindevorsteher waren, lässt sich aufgrund des Fehlens der älteren Protokollbücher der Gemeinde zur Hl. Drei-

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Insofern ist es nicht überraschend, dass die Familie Sina als reichste und erfolgreichste griechische Familie nicht nur in Wien, sondern in der gesamten Habsburgermonarchie über Jahrzehnte hinweg einen starken Einfluss auf die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit ausübte. Nicht zuletzt finanzierte Simon Sina den Kirchenumbau durch Theophil Hansen in den Jahren 1857–1859 fast ausschließlich aus seiner Privatschatulle.1482 Viele in der Gemeindeverwaltung engagierte Personen waren eng mit den Sinas assoziiert: Der Name von Zenobius C. Popp (1785–1866), der über viele Jahre eine aktive Rolle in der Gemeinde spielte (er war spätestens ab 1820 Mitglied der Exas, übernahm 1840 für die Gemeinde die Aufsicht über das Archiv und die Bibliothek und wird in den Jahren 1863 und 1865 als Vorsitzender der Gemeinde genannt1483), ist häufig neben dem von Georg Sina anzutreffen, beispielsweise in der Pottendorfer Baumwollspinnerei, der Pferdeeisenbahn Linz-Budweis oder der Österreichischen Nationalbank. Popp hatte Georg Sinas Sohn Simon als Mentor auf einer Europa-Reise begleitet.1484 Die Adresse des Handelshauses Haggi Constantin Popp (benannt nach dem Vater von Zenobius Constantin)1485 befand sich im Palais Sina am Hohen Markt. Auch Themistokles Metaxa (Helistojk^r Letan\r) (1815–1880), der bei Georg Sina als Prokuraführer angestellt war, hatte hier seine Geschäftsadresse. Seine Söhne bekleideten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast durchgängig Ämter in der Gemeindeverwaltung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit. Theodor Duchateau, der von 1851–1866 in diversen Funktionen im Sekretariat der Gemeinde tätig war – unter anderem übernahm er die Neuordnung des Gemeindearchivs – , war als Kassier bei der Österreichischen Nationalbank angestellt.1486 Sowohl Georg Sina (1825–49 Direktor, 1849–56 Vizegouverneur) als auch Zenobius C. Popp (ab 1843 Direktor1487) hatten bei der Nationalbank hohe Ämter inne, weshalb es naheliegt, dass sie von dort eine geeignete Person rekrutierten, da der Gemeindesekretär Alexander Gilany den Erwartungen offenbar nicht entsprach.1488 Es scheinen eher Mechanismen der sozialen als der ethnischen Exklusion gewesen zu sein, welche die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit davon abhielten,

1482 1483 1484 1485 1486 1487 1488

faltigkeit leider nicht eindeutig überprüfen. Es sind zwar Kopien dieser Protokollbücher im Nachlass von Georgios Kioutoutskas vorhanden, diese sind aber vielfach unleserlich. Klaus Eggert, Die griechisch-orientalische Kathedrale am Fleischmarkt, 74–76. G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, siehe Buchstabe S, Sitzungen sowie unter Popp. Laios, S_lym S_mar, 32. Zum Handelshaus Haggi Constantin Popp: Diamantis, T}poi elp|qym. Staats-Handbuch der Kronländer Oesterreich unter und ob der Enns, Salzburg, Steiermark, Krain, Kärnthen, Küstenland und Tirol, für das Jahr 1859. Wien. Aus der kaiserlichköniglichen Hof- und Staatsdruckerei. Zweiter Theil, 137. Österreichischer Beobachter, 4. Februar 1843, 140. AHD, G 4, Fasz. 12, 25. September 1851: Brief von Theodor Duchateau an die Vorsteher der griechisch nicht unierten Gemeinde, Kirche und Schule.

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arme orthodoxe Zuwanderer aus den Ostgebieten der Habsburgermonarchie als Gemeindemitglieder zu akzeptieren.1489 Bezeichnenderweise wurde in der Geschäftsordnung von 1861 nur das Kriterium der »erlangten Selbständigkeit in bürgerlicher Hinsicht«, nicht jedoch das Kriterium, ethnischer Grieche sein zu müssen für die Aufnahme als Gemeindemitglied festgeschrieben. Letztere Bedingung wurde erst mit der Geschäftsordnung von 1901 fixiert. Insofern wurde »Milosius Illitsch, aus Baja am 24 Sept: 1822, – griech. n. u. Religion, (alt 41 Jahr) in Wien als Gold u. Silber Arbeiter selbstständig etablirt, – steuerpflichtig«1490 im Jahr 1863 ohne Anstand als Mitglied aufgenommen und keineswegs – wie man vermuten könnte – an die soeben konstituierte serbische Gemeinde zum Hl. Sava verwiesen. So handelte es sich bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit im 19. Jahrhundert um eine exklusive Gemeinschaft, deren Mitglieder in den Leitungsgremien der österreichischen Nationalbank, der DDSG und der Eisenbahngesellschaften saßen, sich gegenseitig Briefe aus den Kurbädern von Teplice und Badgastein schrieben, österreichische Adelstitel führten und für ihre Familien Palais und Villen errichteten.1491 Dies liegt, wie bereits erwähnt, darin begründet, dass es vor allem die Nachkommen der erfolgreichen Händler waren, die den Kern der Gemeinde während des 19. Jahrhunderts bildeten. Zwar lassen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits deutliche Verfallserscheinungen in der einstigen Gemeinde der reichen und oft auch nobilitierten griechischen Händler ausmachen – griechischsprachige historische Abhandlungen über das Thema enden bezeichnenderweise häufig mit dem Jahr 1850. Symbolhaft dafür stehen der Tod von Simon Sina dem Jüngeren 1876, mit dem auch das Ende des großen Vermögens der Familie einherging,1492 und der Tod von Demeter Theodor Tirka im Jahr 1874, der von dessen Nachfahren Max D. Peyfuss in Zusammenhang mit dem Börsenkrach von 1873 gebracht wird.1493 1489 Hier gibt es eine Parallele zur türkisch-israelitischen Gemeinde in Wien, deren Mitglieder ebenfalls reiche Händler bzw. deren Nachkommen waren. Auch aus diesem Grund war der Gemeinde die Vereinigung mit der Israelitischen Kultusgemeinde, die sich mit Ausnahme der prominenten Juden größtenteils aus armen Zuwanderern aus Galizien zusammensetzte, unliebsam. 1490 AHD, G 6, Fasz. 28, ad N 207 (»Wurde in der Rathssitzg am 15. Oct: 1863 vorgetragen, u. die Aufnahme ohne Anstand beschlossen«). 1491 Beispiele sind das Palais N#ko (heute Jüdisches Museum Wien), das Schloss der Sina in Rappoltenkirchen oder die Villa Tirka in Maria Enzersdorf. Siglinde Csuk, Schloss Rappoltenkirchen in Niederösterreich. Theophil Hansen und sein Mäzen Simon Georg von Sina. (Unveröffentlichte Diplomarbeit) Wien 2002. Peyfuss, Das Haus Hauptstraße 3. 1492 Das hing damit zusammen, dass Simon Sina sich einerseits vor allem durch sein mäzenatisches Handeln hervortat und dabei viel Geld ausgab, und sich die Heiraten seiner vier Töchter andererseits in dieser Hinsicht ebenfalls nicht als Glücksgriffe erwiesen. Sturdza, Dictionnaire historique, 414–415. 1493 Dies äußerte Prof. Peyfuss im Gespräch mit mir im Februar 2010. Nach dem Tod von

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Im Jahr 1901 schließlich konnte die Gemeinde ihren Kirchen- und Schulfonds nicht mehr mittels eines Bankhauses aus dem Kreis der eigenen Mitglieder verwalten und musste ein Conto Corrente bei der Boden-Creditanstalt eröffnen, nachdem das Gemeindemitglied Johann N. Scanavi mitgeteilt hatte, er löse nach dem Ausscheiden seines Bruders Etienne aus der Firma sein Bank- und Commissionsgeschäft auf.1494 Trotzdem bestand der Gemeindeausschuss auch im Jahr 1917 noch durchweg aus sozial höhergestellten Persönlichkeiten der österreichischen Gesellschaft. So rekrutierte sich das Gremium, dessen Zusammensetzung die Gemeinde am 23. April 1917 an die k.k. nö. Statthalterei meldete, aus folgenden Männern, denen die Statthalterei allesamt einen guten Leumund bescheinigte: »Dr. Konstantin Bucura, Frauenarzt, Dr. Konstantin Dumba, k. u. k. Botschafter Dr. Konstantin Freiherr von Economo, Universitätsassistent Hans Ritter von Galatti, k.k. Bezirkshauptmann Dr. Basilio Freiherr Giannelia von Philergos, k.k. Hofrat Stefan Ritter von Galatti, Direktor der Länderbank Dr. Wassili Freiherr Giannelia von Philergos, k.k. Bezirksrichter Georg Ritter von Metaxa, kgl. griechischer Generalkonsul Simon Ritter von Metaxa, privat Themistokles Petrococchino, Bankier Nikolaus Ritter von Scanavi, kgl. griech. Generalkonsul Nikolaus Theodor Dumba, Privater«1495

Den Zusammenhang zwischen Gemeindemitgliedschaft und hoher sozialer Stellung illustriert ein Brief, den Marie Giannelia Philergos nach dem Tod ihres Gatten Basilio, der Vorsitzender der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit gewesen war, im Jahr 1929 an die Gemeinde schrieb: »Was meinem Manne die griechische Gemeinde bedeutete ist wohl allen ihren Mitgliedern bewusst. […] Stets fühlte er sich vor Allem als Grieche. Von all den Ehrungen, an denen sein Leben so reich war, hat ihn keine so gefreut denn das Vertrauen, das ihn durch Jahrzehnte als Nachfolger der Karajans, Curtis, Dumbas berief.«1496 Demeter Theodor Tirka musste die Familie einen Teil seines Vermögens versteigern. Im Privatbesitz von Prof. Peyfuss befindet sich dazu folgendermaßen betitelter Auktionskatalog: Sammlung des verstorbenen Herrn Demeter Tirka, Bankier. Maria-Enzersdorf, Villa Tirka durch J. Ruf, beeid. Proclamator, Georg Plach, Auctionator. Grosse Auction von Waffen, Antiquitäten, Gemälden. Auction am 29. December 1879. 1494 AHD, G 10, Fasz. 5, 17. September 1901: Brief J.N. Scanavi an den Vorstand der griechischorientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in Wien. 1495 ELS, Jat\koipa Ceyqc_ou Jiouto}tsja, Pqajtij\ Joim|tgtor Bi]mmgr II etc., 23. April 1917: Brief Basilio Giannelia an die k.k. nö. Statthalterei. 1496 AHD, G 116, 23. März 1929: Brief von Marie Giannelia Philergos an die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit.

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Für Giannelia, einen in Triest geborenen Griechen der zweiten Generation,1497 war »Grieche zu sein« gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Ansehen, wie der Bezug auf die »Karajans, Curtis, Dumbas« als Familien, die großen wirtschaftlichen Erfolg hatten und in der Wiener Gesellschaft sozial aufgestiegen waren, zeigt. Während in einigen Fällen die vollständige Integration ins Wirtschaftsleben der Habsburgermonarchie mit einer Anpassung an die (deutschsprachigen) katholischen Eliten in Wien und einer Konversion zum Katholizismus einherging,1498 handelte es sich bei den aktiven Gemeindemitgliedern um österreichische Wirtschaftsbürger, die ihre griechische Herkunft auch in den Folgegenerationen bewusst kultivierten. So blieb man durch eine gezielte Heiratspolitik der orthodoxen Konfession treu. Auch wenn man sich durchaus auch mit Katholikinnen, die aus derselben bürgerlichen Schicht stammten, verheiratete, wurden die katholischen Töchter aus diesen Ehen wiederum mit Orthodoxen verheiratet und konvertierten dann zurück zur orthodoxen Konfession. Das Festhalten an der orthodoxen Konfession wurde von diesen Wiener Wirtschaftsbürgern mit einem stolzen übernationalen Österreichertum verbunden. Bruckmüller prägte dafür den Begriff der »Hofratsnation«, der sich auf Gruppen bezieht, die ein »diesem Staat entsprechendes »österreichisches« Nationalbewusstsein ohne Rücksicht auf regionale Herkunft oder Sprachzugehörigkeit»1499 aufwiesen. Dazu gehörte zuallererst die k.k. Beamtenschaft (daher das Wort »Hofratsnation«), aber auch das kapitalistische Bürgertum, das sich mit der Monarchie identifizierte1500 und das einen wichtigen Anteil an der Umwandlung der Monarchie in einen Zentralstaat hatte.1501 In Bezug auf diese soziale Identität der Gemeindemitglieder gibt es Parallelen zum jüdischen Wiener Wirtschaftsbürgertum.1502 Die Geschichten vom sozialen Aufstieg der einer konfessionellen Minderheit angehörenden Händlerfamilien, die es zu großem finanziellen Wohlstand brachten und daher oft auch nobilitiert 1497 Ebd. 1498 Im Bericht über seinen Besuch der beiden griechischen Gemeinden in Wien im Jahr 1938 schreibt Theodoros Natsinas über die vielen »germanisierten« und »vom Glauben der Vorväter abgefallenen« Nachkommen von griechischen Händlern, die sich damals gerade bei den Kirchen um Ausstellung eines Ariernachweises anstellten. Die Pfarrer beider Gemeinden hätten ihm diesbezüglich gesagt, diese Leute »wollten nicht nur keine Griechen mehr sein, sie seien sogar Griechenhasser« (lis]kkgmer). Natsinas, Oi Lajed|mer pqallateut\der, 38–40. Zur Gleichsetzung der Abkehr von der Orthodoxie mit einem »nationalen Verrat am Griechentum« vgl. Zelepos, Die Ethnisierung griechischer Identität, 206; auch in Zusammenhang mit der Person von Germanos Karavangelis. 1499 Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse. Wien 21996, 224. 1500 Ebd., 230. 1501 Ebd., 240. 1502 Ebd., 378.

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wurden, ähneln einander ;1503 die Griechen hatten jedoch, auch wenn sie ebenfalls nicht der vorherrschenden Konfession angehörten, den – wie Sandgruber es formuliert – »›Vorteil‹, nicht jüdisch zu sein«1504. Ein Beispiel dafür, wie die Angehörigen dieser Gruppe als österreichische Patrioten aufgefasst wurden, ist der Artikel »Die Dumbas« in der Neuen Freien Presse vom 31. Oktober 1915,1505 bei dem es sich vor allem um eine Eloge auf Nikolaus Dumba (1830–1900) handelt. Nikolaus Dumba, der als »der wienerische Wiener aus Mazedonien«, »so wienerisch natürlich, so wienerisch gemütlich« bezeichnet wird, wird als typisches Mitglied der Ringstraßengesellschaft gepriesen: »Man rühmt den Glanz Neu-Wiens, seine stolzen Monumentalbauten, seine lichterfüllten Straßenzüge, die stattliche Zahl seiner Standbilder, und Dumba war einer von den Männern, die diese Herrlichkeit geschaffen haben, er stand in ihrer vordersten Reihe.«

In typischer Manier der Propaganda des Ersten Weltkriegs ist man vom Patriotismus Dumbas überzeugt: »Was hätte ein solcher Mann in gegenwärtigen Tagen auf dem Gebiete der Kriegsfürsorge geleistet!« Das Jahr 1918 war für diese Gruppe eine dramatische Zäsur, denn das Ende der Habsburgermonarchie bedeutete das Ende ihrer Geschäftsgrundlage. Die Gebiete, über die ihre geschäftlichen Netzwerke ausgebreitet gewesen waren, waren nun durch Staatsgrenzen voneinander abgetrennt, und Fabriken und Produktionsstätten lagen häufig nicht innerhalb der kleinen Österreichischen Republik. Aufgrund dieser neuen Verhältnisse entschieden sich viele Wiener Griechen nun für die Annahme der griechischen Staatsbürgerschaft anstelle derer der Ersten Republik.

1503 Das führte zum Teil zu Verwechslungen. So schreibt die aus der jüdischen Bankiersfamilie Ephrussi stammende Elisabeth de Waal in ihrem autobiographisch inspirierten Roman »Donnerstags bei Kanakis«, an einer Stelle, an der es um von den Nazis geraubte Kunstwerke geht: »Ein rascher forschender Blick beruhigte ihn, dass nichts in diesem Raum der Familie Kanakis gehört haben konnte, die ja keine Juden waren und unter keinerlei Konfiskationen zu leiden gehabt haben konnten, außer vielleicht irrtümlich, denn die reichen jüdischen und die reichen griechischen Familien waren eng verflochten gewesen.« Elisabeth de Waal, Donnerstags bei Kanakis. Wien 2014, 84–85. Vgl. oben Anm. 1498 zum Bericht von Natsinas über die Tatsache, dass die Nachkommen griechischer Händler für Juden gehalten werden könnten. In Wolfgang Menzel, Die wichtigsten Weltbegebenheiten vom Ende des lombardischen Kriegs bis zum Anfang des deutschen Kriegs (1860–1866). Bd. 2, Stuttgart 1869, 48; wird Sina unter die »Geldjuden« gezählt. Für weitere Hinweise siehe Stassinopoulou, Endowments as an instrument of integration, 174–176. 1504 Sandgruber, Traumzeit für Millionäre, 137. Das Zitat betrifft die Verheiratung der Töchter Simon Sinas, die gute Partien für Adelige wie Wimpffen, der durch die Heirat seine finanzielle Situation sanierte, waren. 1505 Neue Freie Presse, Nr. 18389 (31. Oktober 1915), 1–4: Feuilleton: »Die Dumbas«.

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5.2.1. Fallbeispiel: Die Curtis, eine Familienkarriere Um das Umfeld der erfolgreichen Wiener griechischen Familien besser veranschaulichen zu können, soll an dieser Stelle beispielhaft der Fall einer Familie geschildert werden, die trotz ihres Erfolges weniger bekannt ist, namentlich die Familie Curti (Jo}qtgr). Nicht nur scheinen deren Vertreter in der Verwaltung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit über das gesamte 19. Jahrhundert auf, sondern die Familie war auch mit vielen anderen einflussreichen Familien von Balkanhändlern verschwägert. Anhand dieser Familie lassen sich zum einen die traditionellen Netzwerke der balkanorthodoxen Kaufleute und zum anderen die Eingliederung ins österreichische Bürgertum gut darstellen. Angehörige der ursprünglich aus Moschopolis stammenden aromunischen Familie kamen erstmals im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts nach Wien. Der Weg der beiden Cousins und Kompagnons Michael Demeter Curti und Michael Konstantin (Costa) Curti führte wahrscheinlich über das wallachische Craiova1506 und Pest1507 in die Haupt- und Residenzstadt. Ihre Firma ist ab 1785 in Wien verzeichnet.1508 Vermutlich haben sich auch weitere Familienmitglieder zu dieser Zeit in Wien aufgehalten, wie die Matriken der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit vermuten lassen, allerdings ist die Zuordnung aufgrund der immer wiederkehrenden gleichen Vornamen schwierig. Alle Familienmitglieder jedenfalls dürften zum Ende des 18. Jahrhunderts Untertanen der Habsburgermonarchie geworden sein, möglicherweise bereits aufgrund der ungarischen Treueeidverordnung von 1774. Bekannt ist, dass Michael Demeter Curti im Jahr 1793 k.k. Untertan wurde.1509 Daher findet man Mitglieder der Familie Curti ausschließlich in der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit und nicht in der Gemeinde zum Hl. Georg, jedoch bestanden einige Verwandtschaftsverhältnisse zu Mitgliedern der Gemeinde der osmanischen Untertanen. Ähnlich den Sinas fällt auch der Aufstieg des Curti’schen Handlungsgeschäftes in die Jahre der Napoleonischen Kriege. Im Jahr 1812 wurde Michael Demeter Curti ins Großhandlungsgremium aufgenommen,1510 nachdem die Geschäftsbilanz der Firma 1811

1506 Michael Demeter Curtis Tochter Maria (1805/1806–1833) wurde in Craiova, wo er ein Haus besaß, geboren. AHD, G 40, Fasz. 4, 12. September 1831: Testament von Michael Demeter Curti. 1507 Michael Costa Curtis Sohn Konstantin (1782–1812) wurde in Ungarn geboren und besaß ein Haus in Pest. AHD, G 40, Fasz. 4, 27. Mai 1812: Testament von Constantin M. Curti. WStLA, Zivilgericht, A10 Testamente, 565/1809, 21. August 1809: Testament Michael Costa Curti. Füves, Die Griechen in Pest, 770. 1508 Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 388. 1509 Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 205. Peyfuss, Konecny, Der Weg der Familie Dumba von Mazedonien nach Wien, 326. 1510 Ebd., 205.

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über eine Million Gulden ausgemacht hatte.1511 Das Handelsnetz der Firma, die bis 1862 bestand,1512 umfasste die Städte Odessa, Konstantinopel, Craiova, Kronstadt/Bras¸ov, Ors¸ova, Bukarest, Serres, Vidin, Bitola, Semlin, Belgrad, Triest, Livorno, Frankfurt und Augsburg.1513 Spätestens seit 1812 und mindestens bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts befanden sich das Haus Nr. 731 am Alten Fleischmarkt sowie mehrere Häuser in der Leopoldstadt im Besitz der Familie.1514 Die Curtis waren eng mit der später durch die Person des Politikers und Kunstmäzens Nikolaus Dumba wesentlich bekannteren Familie der Dumbas assoziiert. Der Stammvater der Wiener Dumbas, Sterio Dumba, kam erstmals 1817 nach Wien und arbeitete für die Firma von Michael Demeter Curti, dessen Tochter Maria er später heiratete.1515 Dabei handelte es sich um ein typisches Verhalten, welches das Fortschreiten der Karriere eines jungen Händlers beförderte.1516 In der Folge wurden weitere eheliche Verbindungen1517 zwischen den beiden Familien geschlossen: Eleni, die Tochter von Michael Demeter Curti aus 2. Ehe heiratete 1835, Raphael Th. Dumba, einen Neffen von Sterio Dumba und seine Enkeltochter Sophie Curti, heiratete 1878 Stergios Gorgias, der wiederum ein Neffe von Nikolaus Dumba war. Auch die übrigen Kinder von Michael Demeter Curti gingen mit Vertretern balkanorthodoxer Händlerfamilien die Ehe ein: Seine Tochter Sophia heiratete 1828 Baron Konstantin A. Tossizza (Jymstamt_mor Amastas_ou Tos_tfar),1518 der als Großhändler in Livorno tätig war, während eine weitere Tochter Anastasia 1829 den Großhändler und späteren fürstlich-serbischen Regie1511 1512 1513 1514

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Ebd., 32. Vgl. auch das Zitat im Tagebuch von Friedrich von Gentz zu Curti hier S. 266. Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 32. Peyfuss/Konecny, Der Weg der Familie Dumba von Mazedonien nach Wien, 318, Anm. 21. Alois von Fraißl, Verzeichniß aller in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien und sämmtlichen Vorstädten inner den Linien befindlichen numerirten Häuser und Plätze, Namen der Eigenthümer, Hausschilder, Straßen und Gassen. Wien 1812, 22 und 46. AHD, G 40, Fasz. 4, 27. Mai 1812: Testament von Constantin M. Curti. Anton Ziegler, Neuester Wiener Häuser-Schema für das Jahr 1861. Kaiserl. königl. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien mit sämmtlichen Vorstädten, eingetheilt in acht kaiserliche königliche Polizei-Bezirke mit Angabe der Hauseigenthümer etc. etc. nebst colorirten Grundrissen zur leichtfaßlichen Auffindung der Straßen und der mit Nummern bezeichneten Gebäude. [Wien] 1861, Innere Stadt, 5; Landstraße, 3; Leopoldstadt, 1. Tzafettas, Konecny, Mij|kaor Do}lpar, 40–41. Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 120–122. Siehe abgesehen von dem von mir anhand der Matriken der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit erstellten Stammbaum der Nachkommen von Michael Demeter und Michael Costa Curti auch den von Max D. Peyfuss erstellten Stammbaum in: Georgios Plataris-Tzimas, J~dijar diahgj~m. Le_fomer jai ek\ssomer eueqc]ter Lets|bou. Metsovo [u. a.] 2004, 308; sowie den Stammbaum in Max Demeter Peyfuss, Vuks Gastgeber im Banat. Die Familie Demelic´ von Panyova. In: Österreichische Osthefte 29 (1987), 122–133, hier 125– 127. Sturdza, Dictionnaire historique, 437.

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Identität und Selbstwahrnehmung

rungsbankier Demeter Theodor Tirka ehelichte. Sohn Constantin heiratete Maria Germani. In der Folgegeneration verschwägerte sich die Familie außerdem mehrfach mit der Familie Manno/Christomanos.1519 Bei den Nachkommen von Michael Demeters Cousin, Michael Costa Curti, lässt sich eine größere Tendenz zu Eheschließungen mit katholischen Frauen feststellen. Dennoch blieb die Familie der orthodoxen Konfession treu, indem katholisch getaufte Töchter später wieder zur orthodoxen Konfession konvertierten: Das galt für Michael Costa Curtis Enkeltochter Irene Helena, die von der katholischen zur griechischorientalischen Religion übertrat, als sie 1860 den Juristen und königlich siebenbürgisch-ungarischen Statthaltereisekretär Demeter Mussulin heiratete, sowie für ihre Schwester Caroline Helene Aspasia, die 1873 den Bankier Georg Macsvanski ehelichte und ebenfalls zur griechisch-orientalischen Konfession konvertierte. Stammbaum Michael Demeter und Michael Costa Curti Michael Demeter Curti (*Moschopolis ca. 1764, später in Larissa, † 21. 6. 1834), Großhändler 1 1. Elena Tufli/Doubli (* ca. 1775, † 29. 11. 1811), 2. Catarina Papanaoum (aus Moschopolis, *ca. 1785, † 7. 2. 1855) aus 1. Ehe: 1) Demeter (*1800, † Wien 7. 10. 1833), unverheiratet 2) Maria (*1805/1806 Craiova, † Livorno 27. 2. 1833) 1 27. 1. 1828: Sterio M. Dumba (*Blatsi 1794, † Wien 28. 1. 1870), Großhändler 1) Michael Dumba (*Wien 5. 11. 1828, † Wien 14. 12. 1894), Großhändler, königl. griech. Generalkonsul etc. 2) Nicolaus Dumba (*Wien 24. 7. 1830, † Budapest 23. 3. 1900), Industrieller etc. 1 Wien 14. 6. 1863: Marie Manno (*Pest 30. 5. 1845, † Tattendorf Okt. 1936) (Tochter von Stefan Manno) 1) Irene Dumba (*Wien 11. 4. 1864, † Leysin, Schweiz 26. 3. 1920), unverheiratet 3) Sophia (*Wien 1809, † Livorno ca. 1844) 1 8. Juni 1828: Baron Konstantin A. Tossizza (*1795, †1870), Großhändler aus Livorno 1) Eleni (*1832) 4) Anastasia (*Wien 1809, † Belgrad 10. 2. 1833) 1 13/25. Jänner 1829: Demeter Theodor Tirka (*Craiova 1803, † Wien 1874), Großhändler, fürstl. serb. Regierungsbanquier (Sohn von Theodor Tirka, *Moschopolis 1764, † Wien 1839 und Maria Demelic von Panjova, *Orsova 1786, † Wien 1828) 1) Maria (*27. 10. 1829) 1 28. 10. 1849: Johann A. Christomanno, Großhandlungsgesellschafter 1519 Zu dieser Familie: Mantouvalos, Ap| to Lomast^qi stgm P]stg.

Bürgerliches Selbstverständnis und Mechanismen der Inklusion/Exklusion

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2) Theodor (*1830–31) 3) Aikaterini (*1832) Demeter Theodor Tirka 1 in 2. Ehe 20./2. Oktober 1862: Theresie Sulzer (*Kirchdorf 10. 9. 1837) (1862 zur griech.-or. Religion übergetreten) 1) Theodora (*1863) 5) Constantin M. (*Wien 23. 2. 1811, † Belgrad 1. 11. 1890), Großhändler 1 6. Juni 1852: Maria Germani (*ca. 1831, †25. 2. 1896) 1) Sophie (*1853) 1 23.4./5. 5. 1878: Stergios Gorgias (*Serres), Kaufmann (Neffe von Nicolaus Dumba) 2) Helene (*1855) 1 11. 1. 1885: Milan Garaschanin, Sekretär der königl. serbischen Gesandtschaft in Paris 1) Alexander (*1885) aus 2. Ehe: 6) Eleni (*21. 2. 1814) 1 19. 11. 1835: Raphael Th. Dumba (*Blatsi 1810, † Wien 26. 2. 1836) (Neffe von Sterio Dumba) Michael Konstantin/Costa Curti (*ca. 1754, † 28. 7. 1809) (Cousin von Michael Demeter Curti) 1 1. Maria, 2. ??, 3. Aikaterina (geb. Getsa)(*1777, † 28. 8.1817) aus 1. Ehe: 1) Konstantinos Michael Curti (*Ungarn 1782, † 12. 6. 1812) 1 Katharina (geb. Sargani) (*ca. 1793) 2) Ekaterina (*28. 4. 1793) aus 3. Ehe: 3) Anastasia (*1800, † 11. 4. 1822) 1 ?? Dudumi 4) Andreas (*1802, † 1. 5. 1844) 5) Spyridon (*1802, † vor 1817) 6) Grigorios (*1804, † vor 1817) 7) Alexander (*1808, † 8. 9. 1873), Hausbesitzer 1 Karolina Schuster (röm.-kath.) 1) Constantin (* Wien 16./28. 2. 1834, † 5. 12. 1909), Ökonom/Landwirt 1 1. Sofie (geb. Baron Gudeffroy aus Hamburg, protestantisch), 2. Karoline Klausberger aus 1. Ehe: 1) Alexander (*Altona, Dänemark 1860) aus 2. Ehe: 2) Michael (*1873, † 6. 3. 1952), Beamter der Ersten Österr. Sparkasse 1 20. 11.1905: Rosa Köpfle (*Kaltenleutgeben 17. 1. 1878) (röm.-kath.) 1) Michaela (*1912) (1938 aus der gr.-or. Kirche ausgetreten) 2) Irene Helena (*1835) (1860 von der röm.-kath. zur gr.-or. Religion übergetreten) 1 Demeter Mussulin (*Karlstadt, Kroatien ca. 1832, †11. 9. 1865), Dr. der Rechte, Advokaturskonzipient, köngl. sieb.-ungar. Statthaltereisekretär 1) Darinka (Alexandrine) (*1863, †1867)

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Identität und Selbstwahrnehmung

2) Anna (*1865, †1867) 3) Alexander A. (*23. 1. 1837, † Winzendorf 17. Juni 1916), Dr.phil., Industrieller/Fabriksbesitzer von Muthmansdorf und Winzendorf 1 Katharina Muraty (Tochter von Constantin Muraty, Realitätenbesitzer aus Pest) 1) Constantin (*1866, † 2. 7. 1886) 2) Helene (*1867) 1 23. 9. 1894: Adolf Klotus Martin Ritter von Fischer-Traunach (*Schärding 9. 3. 1864), k.k. Gerichtsadjunkt 1) Irene (*1896) 2) Alexandra (*1897) (1926 aus der gr.-or. Kirche ausgetreten) 3) Eugen Michael (*1870) 4) Achilleus (*1838, † 23. 2. 1839) 5) Caroline Helene Aspasia (*Hauskirchen 1849) (1873 von der röm.-kath. zur gr.-or. Religion übergetreten) 1 28. 7. 1873: Georg Macsvanski, Bankier 6) Theodor (*1850)

Im Jahr 1827 erschien der Name des Handelshauses Curti im Zusammenhang mit einer Anzeige bei der Polizeihofstelle, mittels derer zwei junge griechische Studenten verdächtigt wurden, in Wien Kämpfer für den griechischen Unabhängigkeitskrieg angeworben zu haben.1520 Das Haus Curti verbürgte sich für einen der beiden, den 18-jährigen Sohn eines reichen Kaufmanns aus Bras¸ov/ Kronstadt namens Konstantin Dotza. Der Verdacht der revolutionären Betätigung erhärtete sich nach polizeilicher Überwachung der jungen Männer jedoch nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang die positive Beurteilung der Familie Curti: »Sein übriger Um[gang] [ist] mit dem jungen Sohne des Curti, dann dem jungen Dumba, beide wohlgerathene Söhne von tadelloser Moralität.«1521 Tatsächlich erwiesen sich die Curtis, nachdem sie k.k. Untertanen geworden waren, als tadellose österreichische Patrioten. So wurde Michael Demeter Curti, als ihm die Großhandelsfreiheit erteilt wurde, bescheinigt, die »vaterländischen Produkte« und den »Gewerbefleiß« des Landes befördert zu haben.1522 Ähnliche Argumente wurden üblicherweise beim Ansuchen um Nobilitierung durch Wirtschaftstreibende angeführt.1523 Die Familie Curti bewarb sich jedoch genauso wie die mit ihr verschwägerte Familie Dumba1524 nie um einen Adelstitel. Die Hinwendung der Familie zum österreichischen Staat und insbesondere zur Stadt Wien äußerte sich auch darin, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen griechischen Händlern in ihren Testamenten keine Empfänger im Herkunftsort 1520 1521 1522 1523 1524

Enepekidis, Neue Quellen und Forschungen, 224–225. Ebd., 225. Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 133. Komanovits, Der Wirtschaftsadel unter Kaiser Franz II. (I.), 106–129. Konecny, Die Familie Dumba, 103. Peyfuss, Konecny, Der Weg der Familie Dumba, 325.

Bürgerliches Selbstverständnis und Mechanismen der Inklusion/Exklusion

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im Osmanischen Reich bedachten, sondern ihre Stiftungen und Legate nur Empfängern in Wien zukommen ließen. Michael Demeter Curti bedachte die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit und die Griechische Nationalschule in Wien,1525 während sein Cousin Michael Costa Curti zusätzlich zu diesen beiden Institutionen den Pfarrer der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit Avramios Angelatos (Abq\lior Accek\tor) persönlich, die Wiener Spitäler und das Armeninstitut in Wien bedachte.1526 Dessen Sohn Constantin M. Curti bedachte die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit, das Armeninstitut in Wien, den Orden der Barmherzigen Brüder in der Leopoldstadt sowie den Normalschulfond.1527 Die Identität als k.k. Untertanen scheint den Curtis viel bedeutet zu haben, denn es fällt auf, dass die Kirche zum Hl. Georg nicht bedacht wurde. In der Verwaltung der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit waren Vertreter der Familie Curti über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg aktiv. Michael Demeter Curti wurde erstmals im Jahr 1802 in die Exas gewählt und übernahm in der Folge immer wieder Funktionen in der Gemeindeverwaltung.1528 Sein Sohn Constantin M. Curti (1811–1890) war von 1846 bis zu seinem Tod in der Gemeindeverwaltung engagiert.1529 Selbiger wohnte eine Zeit lang auch im ersten Stock des Gebäudes der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit.1530 Aus der Linie von Michael Costa Curti vertrat Constantin A. Curti (1834–1909) die Familie von 1874 bis zu seinem Tod in der Gemeinde. Er und sein Bruder Alexander hatten im Jahr 1844 zu den wenigen Schülern der Griechischen Nationalschule gehört und in der 1. Neugriechischen Klasse (A. apkoekkgmij^ jk\sir) gute Noten erzielt.1531 Sie besuchten die Schule jedoch nur im Volksschulalter und wurden danach vermutlich auf ein Wiener Gymnasium geschickt. Der erwähnte Alexander A. Curti (1837–1916) machte sich als Industrieller in Niederösterreich einen Namen. Der Chemiker errichtete mehrere Zementfabriken, die unter anderem ein Hauptlieferant für den Bau der ersten Wiener Hochquellwasserleitung waren.1532 Außerdem war er (gemeinsam mit Viktor

1525 AHD, G 40, Fasz. 4, 12. September 1831: Testament von Michael Demeter Curti. 1526 WStLA, Zivilgericht, A10 Testamente, 565/1809, 21. August 1809: Testament Michael Costa Curti. 1527 AHD, G 40, Fasz. 4, 27. Mai 1812: Testament von Constantin M. Curti. 1528 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Curti. 1529 Ebd. AHD, G 14, Protokoll zu den Ausschuß-Sitzungen der griechisch-orientalischen Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit 1866–1899. 1530 AHD, G 107, Namen und Sach-Register über die Verhandlungen seit 1786 bei der KirchenGemeinde, Curti. 1531 AHD, S 12, Schülerkatalog 1844. 1532 Neue Freie Presse, Nr. 2771 (12. Mai 1872), 5.

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Identität und Selbstwahrnehmung

Graf Wimpffen, einem Schwiegersohn von Simon Sina) einer der Hauptaktionäre der k.k. privilegierten niederösterreichischen Südwestbahn.1533 Obwohl die Familie Curti kaum bekannt ist, ist sie somit ein gutes Beispiel für die Karriere einer Familie balkanorthodoxer Kaufleute, die aus dem Osmanischen Reich in die Habsburgermonarchie einwanderten und sich dort erfolgreich ins Wirtschaftsbürgertum eingliederten.

5.3. Intellektuelle Außenseiter: Lehrer und Pfarrer Zwar mag die griechische Historiographie vor allem den Beitrag der in Wien – einem wichtigen Zentrum des griechischen Buchdrucks1534 – wirkenden Gelehrten und die Unterstützung des griechischen Unabhängigkeitskrieges durch einige in Wien tätige Protagonisten hervorheben – in der Realität spielten diese Personen jedoch keine tonangebende Rolle in den Gemeinden, sondern bekleideten vielmehr die Position von Angestellten, die von vergleichsweise niedrigen Gehältern1535 leben mussten und jederzeit gekündigt werden konnten. Abgesehen von Ausnahmen wie Demeter Darvar, Zenobius C. Popp oder Constantin von Bellio gehörten die in Wien tätigen Intellektuellen nicht zur in den Gemeinden vertretenen etablierten Klasse der Balkanhändler, sondern verdingten sich als Gemeindeangestellte. Dabei handelte es sich um die Geistlichen der beiden Gemeinden, die Lehrer der Griechischen Nationalschule und manchmal auch um Kirchensänger (z. B. Konstantin Kokkinaki). Die Gemeinden waren durchaus daran interessiert gebildete Geistliche als Pfarrer einzustellen. So gab die Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit in ihrem Gesuch um das Privilegium von Joseph II. an, dass sie Mönche Weltpriestern vorziehe, weil diese gebildeter seien: »Warum endlich die unterzeichnete Gemeinde lieber Geistliche aus den Klöstern, als Popen zu haben wünschet, ist dieses die Ursache, weil die ersteren weit mehr Gelegenheit haben, sich auf die Wissenschaften zu verlegen, und sich auch wegen ihren ehelosen Stand weit mehr darauf verlegen, ihr unterzeichneten Gemeinde aber sehr viel 1533 Concessionsurkunde vom 3. November 1874, für die Locomotiv-Eisenbahn von Leobersdorf nach St. Pölten sammt Nebenlinien. In: RGBl 5 (1875), 17–28. 1534 Staikos, Die in Wien gedruckten griechischen Bücher. Konstantinos Sp. Staikos, Triantaphyllos E. Sklavenitis, The publishing centres of the Greeks. From the Renaissance to the Neohellenic Enlightenment. Catalogue of Exhibition. Athen 2001, 120–146. KatsiardiHering, Stassinopoulou, The long 18th century of Greek commerce in the Habsburg Empire, 203–211. 1535 Siehe zum Beispiel diesbezügliche Klagen von Anthimos Gazis (Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 145.) und Theoklitos Farmakidis. Ebd., 149–150; oder später von Eugen Zomarides. Stassinopoulou, Habe nun Philologie studiert, 791.

Intellektuelle Außenseiter: Lehrer und Pfarrer

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daran gelegen ist, in einem aufgeklärten Staate auch aufgeklärtere Geistliche zu haben.«1536

Gleichwohl erweckten die Polemiken zwischen Gelehrten im griechischen Sprachenstreit,1537 die in der Zeit vor 1821 im Umfeld der Gemeinde zum Hl. Georg ausgetauscht wurden, das Missfallen der Gemeinde und führten 1817 zum Rückzug von Theoklitos Farmakidis (He|jkgtor Vaqlaj_dgr) von seiner Priesterstelle bei Georgsgemeinde,1538 da er seine Tätigkeit für die Zeitung Logios Ermis fortsetzen wollte.1539 Für die Gelehrten selbst bot die Metropole Wien mit Universität und Hofbibliothek ein fruchtbares Betätigungsfeld. So nutzten viele von ihnen die Möglichkeit, ihre Bücher in den Wiener Buchdruckereien verlegen zu lassen,1540 und konnten auf Subskribenten unter den reichen Wiener griechischen Händlern hoffen.1541 Unter den gelehrten Priestern der Gemeinden sind besonders Anthimos Gazis1542, Neophytos Doukas1543 und Theoklitos Farmakidis1544 bei der Gemeinde zum Hl. Georg und Grigorios Kalaganis (Cqgc|qior Jakac\mgr)1545 bei der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit zu nennen. In den ersten Jahren der Griechischen Nationalschule waren mehrere bekannte Intellektuelle der griechischen Aufklärung dort als Lehrer tätig:1546 Ba-

1536 NÖLA, Nö. Reg, C-Akten C33 (de 1786), Karton 311, Nr. 11445: Brief der in Wien ansässigen und unterthänigen Gemeinde der k.k. aus der Türkey hier angesiedelten Griechen und Wallachen griechischer nicht unirter Religion an Joseph II. vom März 1786. 1537 Gunnar Hering, Die Auseinandersetzungen über die neugriechische Schriftsprache. In: Christian Hannick (Hrsg.), Sprachen und Nationen im Balkanraum. Die historischen Bedingungen der Entstehung der heutigen Nationalsprachen. Köln [u. a.] 1987, 125–194, hier 135–141. 1538 Efstratiadis, O em Bi]mmg ma|r tou Ac_ou Ceyqc_ou, 150–152. Seirinidou, 8kkgmer stg Bi]mmg, 307–309. 1539 Koumarianou, Die griechische vorrevolutionäre Presse, 103–113. 1540 Staikos, Die in Wien gedruckten griechischen Bücher, xxxv–xxix. Polychronis K. Enepekidis, Joqa^r, Jo}lar, J\kbor, 245–252. 1541 Max Demeter Peyfuss, Die Leser griechischer, serbischer und rumänischer historischer Bücher um 1800. Ein Vergleich von Subskribentenlisten. In: Revue des 8tudes sud-est europ8ennes 23 (1983), 333–345. Stassinopoulou, Weltgeschichte im Denken eines griechischen Aufklärers, 260–276. 1542 K.Th. Dimaras, Meoekkgmij|r diavytisl|r. Athen 1977, 377–379. 1543 Neofytos Charilaou, O Me|vutor Do}jar jai g sulbok^ tou sto meoekkgmij| diavytisl|. Athen 2002. 1544 Dimaras, Meoekkgmij|r diavytisl|r, 379–382. 1545 Stasinopoulou, G let\basg stgm sov^ Euq~pg. Konstantin Kotsowilis, Die Griechische Kirche in München als Gotteshaus zum Erlöser, Gemeinde der Hellenen und Mittelpunkt des Bayerischen Philhellenismus. München 1998, 200. 1546 Die Jahresangaben zur Anstellung der Lehrer in der Nationalschule stammen aus einer im Juli 2010 aus den Angaben in AHD, S 10, S 11, S 47-S 57; von mir und Christina Gold-

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Identität und Selbstwahrnehmung

sileios Papaefthymiou (Bas_keior Papaeuhul_ou) (1801–1806), Stefanos Dunkas (St]vamor Do}cjar)1547 (1802–1803), Euphronius Raphael Popovic´1548 (1806–1807, 1811–1814), Michael Bojadschi (1811–1819), Athanasius Stageiritis (Aham\sior Staceiq_tgr) (1818–1819), der Herausgeber der Zeitschrift Kalliope,1549 sowie die Brüder Emmanuel (1807, 1823–1831) und Kyriak Kapetanaki (1806–1807, 1823–1838). Abgesehen von Popovic´, der nur kurzfristig als Redakteur der Zeitung Eid^seir dia ta amatokij\ l]qg (Nachrichten aus dem Orient)1550 tätig war, waren alle Genannten Autoren oder Verleger von in diesem Zeitraum in Wien gedruckten Büchern.1551 Im Gegensatz zu den in den Gemeinden vertretenen wohlhabenden Balkanhändlern, die im Zweifelsfall eher an politischer Stabilität interessiert waren, um ihre lukrative Handelstätigkeit nicht zu gefährden, zeigten einige dieser Gelehrten deutliche Sympathien für revolutionäre Aktivitäten in Bezug auf das Ziel eines vom Osmanischen Reich unabhängigen Griechenlands. Ein Bericht der Wiener Polizeihofstelle von 1811 über die »Verhältnisse des griechischen Archimandriten Anthimus Gazes« nennt als Anhänger der »politischen Tendenz zur Wiedergeburt Griechenlands« in Wien »Stephan Komitas, Athanasius v. Staggir, Neophytus Dukas, Alexander Basilides, Manuel und Kyriakus Kapetanaki, Demetrius Alexandrides, Arzt, Demetrius Darwar«.1552 Anthimos Gazis wurde einige Jahre später aktives Mitglied der revolutionären Gesellschaft der Freunde (Vikij^ Etaiqe_a),1553 und auch der Lehrer der Griechischen Nationalschule Aristides Pappa (1814–1817) schlug diesen Weg ein.1554 Die ebenfalls erwähnten Brüder Emmanuel und Kyriak Kapetanaki wurden 1822 zum Gegenstand einer Untersuchung, nachdem sie als »eifrige Anhänger des Revoluzions Vorganges ihrer Glaubensgenossen in Griechenland«, die »für die Sach der Hetäristen nicht nur auf dem hiesigen Platze wirken« würden, gemeldet worden waren.1555 Anthimos Gazis hatte sie in einem Brief aus Euböa vom 7. April 1822

1547 1548 1549 1550 1551 1552 1553 1554 1555

schmidt gemeinsam erstellten Liste. Christina Goldschmidt sei an dieser Stelle herzlich für ihre wertvolle Mitarbeit gedankt. Giannis Karas, Ceqlamij]r epidq\seir stg sj]xg tym wq|mym tgr meoekkgmij^r amac]mmgsgr. St]vamor Do}cjar ^ peq_ vusij^r vikosov_ar. Athen 1993. Papadrianos, 8mar lec\kor Jofam_tgr ap|dglor. Koumarianou, Die griechische vorrevolutionäre Presse, 130–139. Ebd., 60–67. Filippos Iliou, Ekkgmij^ bibkiocqav_a tou 19ou ai~ma. Bibk_a – vukk\dia. Athen 1997– 2016; sowie die unter http://www.benaki.gr/bibliology/19.htm zugängliche Datenbank »Ekkgmij^ bibkiocqav_a tou 19ou ai~ma«. AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 1407 (1811), 22. April 1811 (teilweise unleserliche Brandakte). Dimaras, Meoekkgmij|r diavytisl|r, 379. Siehe hier S. 343. AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 6117 (1822), 6. September 1822: Dekret an die Polizeioberdirektion.

Intellektuelle Außenseiter: Lehrer und Pfarrer

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aufgefordert, zur Unterstützung der Aufständischen nach Griechenland zu kommen.1556 Die Untersuchung konnte den Verdacht gegen die beiden jedoch nicht erhärten. Sie hätten sich nie einer Klage schuldig gemacht und würden anständig und still in Wien leben. Als Referenz dafür wurden die »vertrauten Freunde« der beiden, die griechischen Handelsmänner Constantin Vesirulli (Jymstamt_mor Befeqo}kgr) und die Brüder Zerzuli (Tfeqtfo}kgr) genannt, über die es hieß: »Beide diese Handelshäuser stehen im ansehnlichen Credit, geniessen des besten Rufes, und sind hierorts keineswegs irgend einer Theilnahme an den griech. Unruhen im Orient verdächtig.«1557 Tatsächlich entschieden sich die Brüder Kapetanaki gegen eine Reise in die aufständischen Gebiete, sondern beschlossen ihren Lebensabend in Wien. Wie erwähnt, handelte es sich also bei denjenigen Wiener Griechen, deren Beitrag zur Vorbereitung des griechischen Unabhängigkeitskriegs in der Nationalhistoriographie hervorgehoben wurde, gewissermaßen um Außenseiter in der griechischen Gesellschaft der österreichischen Hauptstadt, die ihr Leben in eher prekären Verhältnissen fristeten.1558 Während sich bis ungefähr 1830 mehrere namhafte griechische Gelehrte im Dienst der beiden Wiener griechischen Gemeinden befanden, war dies in den Jahren danach kaum mehr der Fall. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es mit Theagenes Livadas (Heac]mgr Kibad\r) (1874–1894)1559 und Eugen Zomarides (Euc]mior Fylaq_dgr) (1897–1920)1560 wieder zwei Lehrer an der Nationalschule, die sich als Wissenschaftler hervortaten. Bei den Pfarrern der Gemeinde zur Hl. Dreifaltigkeit hingegen lässt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrfach das Phänomen feststellen, dass ein Pfarrersposten in Wien den Auftakt zu einer hohen kirchlichen Position in Griechenland bildete: Antonio Chariati (Amt~mior Waqi\tgr) (1825–1892), der von 1861–1870 Pfarrer der Gemeinde war, wurde Metropolit von Kerkyra (1870– 1881). Chariati blieb der Wiener Gemeinde weiterhin verbunden und kehrte nach seinem Rücktritt als Erzbischof 1881 noch einmal für einige Zeit zurück nach Wien.1561 Philaretos Giannoulis (Pfarrer der Gemeinde 1876–1898), wurde

1556 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 6117 (1822), 7. April 1822: Brief von Anthimos Gazy an die Gebrüder Kapetanaki in Wien. 1557 AT-OeStA/AVA Inneres Polizei PHSt 6117 (1822), 11. Dezember 1822: Bericht an die k.k. Polizeihofstelle.