Untersuchungen zur Romischen Geschichte. 1, Einzeluntersuchungen zur altitalischen Geschichte. Anfange romische Geschichtsschreibung. Caesar Streben nach der Konigswurde [1]

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UNTERSUCHUNGEN ZUR RÖMISCHEN GESCHICHTE BAND I FRANZ ALTHEIM - DIETRICH FELBER

Einzeluntersuchungen zur altitalischen Geschichte Anfänge römischer Geschichtsschreibung Caesars Streben nach der Königswürde

VITTORIO KLOSTERMANN · FRANKFURT AM MAIN

Als die beiden ersten Bände der Rö­ mischen Geschichte von Franz Altheim erschienen waren, bestätigten die Kri­ tiker dem Verfasser, „der alle Hilfs­ mittel des modernen Historikers sou­ verän beherrscht“, seinen Rang als „erstem deutschem Fachmann für Latinistik und altitalische Forschung überhaupt“ und begrüßten den Be­ ginn des Unternehmens als notwendige Erneuerung der Leistung Theodor Mommsens. Die Korrekturen, die Mommsens Darstellung der römischen Geschichte durch die Ergebnisse einer hundert Jahre fortgesetzten For­ schungstätigkeit erfahren muß, wird heute kaum jemand aus größerer Überschau vornehmen können als Alt­ heim, der seine Forschungen auf den ganzen Westen der antiken Welt aus­ gedehnt hat. Die beiden ersten Bände seiner Römischen Geschichte wurden jedoch bisher nicht fortgesetzt, weil grundsätzliche Fragen noch ungelöst geblieben waren und erst in geson­ derten Behandlungen geklärt werden mußten. Denn wie schon neben Momm­ sens Römischer Geschichte I-III die Römischen Studien 1-11 hergehen, so bedarf überhaupt jede große historische Darstellung der dauernden Ergänzung, Begründung und Korrektur durch de­ taillierte Untersuchungen. Der Ver­ fasser hat deshalb spezielle Arbeiten,

UNTERSUCHUNGEN ZUR RÖMISCHEN GESCHICHTE herausgegeben von Fr anz Altheim

B an d

I

FRANZ ALTHEIM

Einzeluntersuchungen. · Geschichtsschreibung D I E T R I C H FELBER

Caesars Streben nach der Königswürde

V I T T O R I O K L O S T E R M A N N · F R A N K FU R T AM M AIN

F RA N Z ALTHEIM - D I E T R I C H FELBER

Einzeluntersuchimgen zur altitalischen Geschichte Anfänge römischer Geschichtsschreibung Caesars Streben nach der Königswürde

Mit Beiträgen von Gerhard Radke, Ruth Stiehl, Erika Trautmann und Tadasuke Yoshimura

V I T T O R I O K LO ST ER M A N N · F R A N K FU R T AM M A IN

©

1961

Alle Redite, insbesondere das der fotomecbanischen 'Wiedergabe, Vorbehalten. Gesamtherstellung: Buchdrudierei Otto KG, Heppenheim/B. Printed in Germany

Berichtigungen

S. 17 Zeile 7 f.: *Kart-hadas(a)t Zeile 10: Kypros, die auch Zeile 27: „haplologieähnlichen“ Zeile 30: hatä S. 18 Zeile 3: Z r qoltojv S. 19 Zeile 10: *-dios, *-dius Zeile 20: *Kart-hadasat Zeile 33: bei s und d Anm. 3: formee S. 20 Zeile 13: *Sr Zeile 19: s, t und d Zeile 20: s, t wie d S. 21 Zeile 2: *Kart-hadasat

S. 22 Zeile 8: Ztog Zeile 2 v. u.: Kilamuwa S. 23 Zeile 1 : kanaanäischem Zeile 15: Sakkära Zeile 21: A. DupontSommer17a Zeile 31: Arvad Anm. 17a: In: Semitica 1 (1948), 43 f. S. 24 Zeile 10 : einem arabi­ schen | Zeile 20: *Karthadasat > phoinik. *Karthadat S. 25 Zeile 8 : di > 2 Anm. 18: 398 f.

Zeile 3: als s

kampan. Oviedia

Zeile 6: d und s

Anm. 19: Kartäganna

Zeile 15: *Sr

Anm. 20: G. H.

Zeile 16: Z u>q(o;) Zeile 24: Z ojq(og)

S. 26 Zeile 27: Z cdq( ós) Anm. 22: 218.

Die auf Seite 209-284 abgedruckte Untersuchung von D. Felber hat der Philosophischen Fakultät der Freien Universität, Berlin, als Dissertation Vorgelegen (Rigorosum 9. 11. 59).

I NHALT

Vorwort

VII

EINZELUNTERSUCHUNGEN ZUR ALTI TALI SCHEN G E S C H I C H T E

1

Erstes Kapitel: Neufunde aus der Valcamonica. Zusammen mit Erika Trautmann. Mit einem Beitrag Gerhard Radke’s

3

Zweites Kapitel: Kagxrjdtöv Karthago, Carthada. Von Ruth Stiehl

17

Drittes Kapitel: Die syrakusanische Topographie bei Thukydides

27

Viertes Kapitel: Italische Orakel. Von Tadasuke Yoshimura

44

Fünftes Kapitel: Die volskische Bronzetafel von Velletri. Zusammen mit Ruth Stiehl

79

ANFÄNGE RÖMISCHER GESCHICHTSSCHREIBUNG

89

Erstes Kapitel: Pyrrhos’ Hypomnemata

90

Zweites Kapitel: Naevius und die Annalistik. Mit einem Nachtrag Gerhard Radke’s

100

Drittes Kapitel: Polybios und seine Vorgänger

131

Viertes Kapitel: Timaios und Polybios über das cisalpinische Gallien. Von Ruth Stiehl

147

Fünftes Kapitel: Der Aitolervertrag von 212 v. Chr. Von Ruth Stiehl

155

Sechstes Kapitel: Diodors römische Annalen. Mit einem Nachtrag Gerhard Radke’s

173

Siebentes Kapitel: Historiae Cumanae compositor

200

CAESARS STREBE N N A C H DER K Ö N I G S W Ü R D E Von Dietrich Felber Erstes Kapitel: A. Alföldis „Studien über Caesars Monarchie“ 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

211

Die Chronologie der Münzen mit Caesars Bildnis 212 Monarchie „altrömischen Stils“ 224 Praenomen imperatoris 231 „Monarchische Umprägung des Oberpontifikats“ 244 Die göttlichen Ehren Caesars 247 Die lebenslängliche Diktatur 250 Das sibyllinische Orakel 254

Zweites Kapitel: Die Frage der Einführung des Königtums durch Caesar

259

1. Die Überlieferung 259 Cicero - Plutarch - Sueton - Nikolaos von Damaskos Velleius Paterculus - Cassius Dio - Appian 2. Die These K. Krafts 273 3. Folgerungen 278 Nachträge Register

285 286

VORWORT

Der vorliegende Band enthält ausschließlich Untersuchungen. Ihrer hat die Darstellung der Geschichte Roms, zumal seiner frühen Jahr­ hunderte, kaum jemals entraten können. Schon dem zweiten Band der R. G. mußten solche Untersuchungen nachgeschickt werden (S. 405452), und ihnen schließt sich an, was hier im ersten Teil vereinigt ist. Hier wie dort geht es um Ergänzung, Begründung und Berichtigung der zuvor gegebenen Darstellung. Anders steht es freilich mit den Kapiteln über die frühesten Geschichtsschreiber; anders auch mit dem Aufbau des Staatshaushaltes, der den folgenden Band dieser Unter­ suchungen einnimmt. Vorab sei bekannt, daß die ersten Bände der R. G. nicht fortgesetzt wurden, weil grundsätzliche Fragen ungelöst waren. Der Verfasser zögerte angesichts der Frage, wie die Kämpfe gegen die Samniten und der erste Karthagerkrieg zu behandeln seien. Die Eroberung Italiens und Siziliens bildet Voraussetzung und ersten Höhepunkt römischer Eroberung zugleich. Über Bisheriges hinauszukommen, ohne Klarheit über Alter und Wert der Annalistik gewonnen zu haben, war nicht möglich. Mochte auch seit einem Jahrzehnt C. Acilius als Diodors römischer Annalist ermittelt sein*1, so führte dies übers 2. Jahrhundert nicht hinauf. Wichtigstes blieb noch zu tun. Man bedenke: um die Geschichte des 6.-5. Jahrhunderts aufzubauen, verfügt man über eine unverächtliche Bezeugung archäologischer, sprach- und religionsgeschichtlicher Herkunft. Eine Darstellung bedarf der annalistischen Überlieferung allenfalls zur Kontrolle oder zur Ab­ rundung. Anders liegt es mit den Ereignissen, von denen gesprochen wurde. Gewiß vermitteln auch da die Bodenfunde und Inschriften wertvollen Aufschluß. Doch die literarische Überlieferung hält unbe­ stritten den ersten Rang. Spätansetzung der literarischen Annalistik und Überbewertung eines Fabius Pictor, den man vorzugsweise aus Polybios zurückzugewinnen gedachte, bildeten die Hindernisse, die es zu nehmen galt. Einen ersten 1 Erstmals in: Rhein. Mus. N.F. 93 (1950), 267 f.; dann Röm. Religionsgesch. 1 (1951), 297 f.

VII

Schritt erlaubten die Bruchstücke geschichtlichen Inhaltes aus Naevius’ Epos. Ihnen lag eine literarisch noch faßbare Schichte der Annalistik zugrunde, die den Ereignissen des ersten Karthagerkrieges fast gleich­ zeitig war. Damit war Entscheidendes erkannt: eine veränderte Be­ wertung sowohl Fabius Pictors wie Polybios’ mußte sich ergeben. Der zweite Band der R. G. leidet an ungenügender Berücksichtigung der Wirtschaftsgeschichte. Als Ersatz mag auf die Arbeit R. Günthers verwiesen werden: „Wirtschaftliche und soziale Differenzierung im ältesten Rom.“2 Entstanden auf Anregung des Verfassers, ist sie zu Ergebnissen gekommen, die ihn überzeugt haben und auch andere über­ zeugen werden3. Daneben bedarf es finanzgeschichtlicher Untersuchun­ gen. Daß eine Rekonstruktion des Staatshaushaltes unerläßlich sein würde, stand zumindest seit dem Erscheinen der zusammen mit R. Stiehl verfaßten „Finanzgeschichte der Spätantike“ (1957) fest (eine Behand­ lung des achaimenidischen Haushalts ist inzwischen4 gefolgt). In hoch­ herziger Weise hat R. Knapowski seine Forschungen über die Staats­ rechnungen der Jahre 293, 168 und 167 beigesteuert. Schwerlich hätte ein Anderer die Aufgabe besser gelöst; dem verehrten polnischen Kol­ legen sei auch an dieser Stelle gedankt. Seine Ergebnisse sprechen für sich, und angesichts ihrer erübrigt sich jedes weitere Wort. Nur auf eine Einzelheit darf der Blick gelenkt; werden. Knapowski hat einen eignen Weg eingeschlagen. Um so höher ist einzuschätzen, was die Herstellung eines Staatshaushaltes fürs Jahr 293 besagt. Sie bestätigt erneut das Alter und den Wert der annalistischen Überlieferung, diesmal für die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts. Darin schließen sich die Ergebnisse beider Bände zum Ganzen. R. Stiehls „Datierung der kapitolinischen Fasten“ (1957) hat die Stellung eines weiteren Uberlieferungszweiges geklärt. Ihren Beiträgen im vorliegenden Band zu begegnen, wird man mit Freude begrüßen. Gleichermaßen gilt der Dank G. Radke und T. Yoshimura, dem einen für seine Ergänzungen, dem zweiten für den Abdruck seiner „Italischen Orakel“. 2 In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl Marx-Universität Leipzig (gesellschaftund sprachwissenschaftliche Reihe) 7 (1957/8), 592 f. 3 Russische Übersetzung in: Westnik drewnej istorii 1/19.59, 52 f. 4 Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache unter den Achaimeniden, 2. Lfg. (1960), 109 f.

VIII

EINZELUNTERSUCHUNGEN ZUR ALTITALISCHEN GESCHICHTE

Erstes Kapi t el :

N e u f u n d e aus der V a l c a m o n i c a 1

.

Über die Felszeichnungen und Felsinschriften der Valcamonica liegt seit Kurzem die erste Veröffentlichung zusammenfassender Art vor. E. Süß, der verdiente Leiter des Museo Civico in Brescia, hat fast hun­ dert Ausschnitte aus dem reichen Fundmaterial vereint, in guter Wie­ dergabe, jedenfalls in besserer, als es den Verfassern dieses Kapitels gelungen ist1. Neben Bekannten begegnet Neues, und oft ist es vom Herausgeber nach seiner Bedeutung gewürdigt. Zweimal erkennt man einen Kopfputz besonderer Art, getragen von einem mit Schwert und Schild bewaffneten Krieger (fig. 28) und einem Läufer, der unbewaffnet ist (fig. 53). Der Herausgeber spricht von „un elmo con fantasiosi elementi“, doch handelt es sich um die vor allem aus dem weiteren Bereich des Illyriertums bekannten Feder- oder Schilfblattkronen2. Sie werden getragen von philistäischen Kriegern, die auf Reliefs des Neuen Reiches dargestellt sind. Reste illyrischer Diademe aus Schlesien lassen sich zu Schilfblattkronen ergänzen3. Diese kehren in Sparta wieder: beim Fest der karyatischen Artemis, bei den Kameen und im Kult der Orthia; überall bilden sie einen Be­ standteil der Tracht der kultischen Tänzer. Vor allem gehören die Schilfblätter zur Orthia, der Ai/Liväug, die am schilfreichen Ufer des Eurotas ihr Heiligtum hatte4. Daß Orthia der venetischen Göttin Reitia56gleichzusetzen ist, wurde an anderer Stelle nachgewiesen8. Drei weitere, von uns gefundene Felsbilder - zwei aus Genicai, das dritte aus dem Gelände südlich Naquane - weisen entweder gleichfalls die

1 Le incisioni rupestri della Valcamonica (1959). 2 R. Herbig in: Archäol. Jahrb. 1941, 222 f. 3 R. Herbig, a. O. 87 f. 4 R. Herbig, a. O. 76; dazu F. Altheim, Griech. Götter im alten Rom (1930) 122; 141. 5 F. Altheim, Geschichte der latein. Sprache (1951) 41 f.; dazu M. Lejeune in: Rev. de Philol. 25 (1951), 202 f.; G. B. Pellegrini in: Parola del Passato 17, 81 f. 6 F. Altheim, a. O. 47 f.

3

Federkrone7 auf oder zeigen den geschlossenen, nach oben leicht aus­ ladenden Umriß, der die Schilfblattkrone der ägyptischen Philister­ darstellungen oder auf den griechischen Denkmälern kennzeichnet8. Vermutlich sind wiederum Illyrier, allenfalls auch Veneter9, dargestellt. Oder auch solche, die den illyrischen Kopfputz entlehnt hatten. Schwieriger dürfte sein, die Träger klassischer Helmformen - mit Bügel, Raupe und herabhängendem Busch - zu bestimmen (fig. 40; vgl. 31). Süß denkt an Etrusker oder Römer; er hebt hervor, daß auf fig. 31 der solchermaßen Bewaffnete einen waffenlosen Einheimischen mit der Lanze durchbohrt. Weder Schild noch die eigentümliche Hieb­ waffe (Beil?), die der Krieger auf fig. 40 schwingt, sprechen dafür, daß man einen Legionär vor sich habe. Die Wurflanze gallischer Herkunft, mit am Schaft befestigter Schlinge, scheint Süß auf fig. 21 richtig er­ kannt zu haben. Besondere Beachtung dürfen die Inschriften beanspruchen, wieder in guten Wiedergaben. Leider sind sie sämtlich verlesen. Fast allen Ver­ lesungen ist gemeinsam, daß a und ü nicht richtig geschieden sind, ü als a verlesen ist. Es wird geraten sein, das Grundsätzliche noch­ mals10 klarzustellen. Das Zeichen V mit dem Schrägstrich, der von der rechten Hasta aus nach links oben verläuft, hatten wir als ü gedeutet. E. Vetter glaubte darin ein gestürztes a zu erkennen11. Es wäre also zelyaz, yemalaz und enotinaz zu lesen. Vetter verglich die so gewonnene Nominativendung -az aus ::'-os mit dem Wandel von o zu a in den Inschriften von Magre: PID. 237 valtikiniu = venet. PID. 126 voltixenei; 123 voltiyjios. Wei­ ter nahm er an, bei den -io-Stämmen sei das aus idg. o entstandene a durch das vorangehende i zu e palatalisiert: tiez aus *tioz, *tios. P. Kretschmer12, der sich Vetter in der Beurteilung des Zeichens als gestürzten a anschloß, hat ihm mit Recht bei tiez die Gefolgschaft ver­ sagt. Auch sonst läßt sich Vetters Ansicht nicht halten. Es sind folgende Gründe, die sie ausschließen: 1. Jenes Zeichen, das Vetter als gestürztes a, wir als ü umschreiben, hat mit o nichts zu tun. In enotinüz (fig. 77) ist es von o unterschieden. 7 R. Herbig, a. O. 69 f.; 81 f. 8 R. Herbig, a. O. 67 Abb. 6; 79 Abb. 16-17; 81 Abb. 20. 3 F. Altheim, a. O. 54. 10 F. Altheim, a. O. 93 f. 11 Glotta 30, 68. 12 Ebenda 138.

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Das zeigt, daß der Vergleich mit Magre: valtikiniu nicht zutrifft. Denn enotinüz beweist, daß o blieb. Vetter sucht dem auszuweichen, indem er nicht enotinüz, sondern ent&inaz las. Aber schon Kretschmer hatte diese Lesung verworfen; sie wird durch die neue Aufnahme (fig. 77) ausgeschlossen. 2. Eindeutig gelesenes san.quuos, in lateinischem Alphabet, be­ stätigt, daß ein Wandel von o zu a und damit die Lesung des fraglichen Zeichens als gestürztes a ausgeschlossen ist. 3. Das Zeichen erschien bisher auf den Inschriften von der „Roccia delle iscrizioni“ (Campanine, unterhalb Cimbergo)13 und auf einer In­ schrift von Genicai (fig. 74). Da in arnenz (so zu lesen)14 der Buchstabe a in normaler, nicht in gestürzter Form begegnet, ist unwahrscheinlich, daß derselbe Schreiber auf dem gleichen Felsen daneben die gestürzte Wiedergabe verwandt hat. Mit anderen Worten: da a eindeutig mittels des normal gestellten Zeichens wiedergegeben ist, muß die nach Vetters Ansicht gestürzte Form einen anderen Lautwert gehabt haben. 4. Auch leima iuvi.la (Seradina, Cemmo) enthält zweimal normal gestelltes a, und zumindest dieses wird von Süß so gelesen. Auch Kretschmer15, W. Wüst16 und Vetter17 haben hier a (leima) gelesen. 5. Es zeigt sich, daß a meist mit einem kleinen Querstrich am Schnittpunkt der beiden Hasten gegeben ist18, der bei ü fehlt. 6. Die von E. Süß neugefundenen19 und von uns behandelten In­ schriften zeigen nebeneinander a und ü. Während letztes die übliche Form aufweist20, erscheint a mit Querstrich zwischen beiden Hasten21 oder als senkrechte Hasta mit zwei rechtwinklig ansetzenden Quer­ strichen22, beidemale von ü deutlich geschieden. Im Übrigen beschränken wir uns darauf, Süß’ Verlesungen richtig­ zustellen. Fig. 73 leima iuvi.la (Süß: enuu aiummla): das zu Anfang bei ihm fehlende l23 ist auf seiner Wiedergabe noch zu erkennen, allerdings 13 Altheim-Trautmann, Vom Ursprung der Runen (1939) Abb. 1-7; Süß fig. 77. Zu den Geländeangaben vgl. jetzt die Karte bei E. Süß in: Commentari dell’Ateneo die Brescia 1955, S. 8 Beilage. 14 Altheim-Trautmann, a. O. Abb. 7. Hinweis J. Untermann’s (brieflich). 15 In: Die Sprache. Zeitschrift für Sprachwiss. 1 (1949), 33; 34. 16 Namn och Bygd 40 (1952), 51 Anm. 7. 17 Glotta 33, 77. 18 Altheim-Trautmann, a. O. Abb. 7; 16. 19 Commentari dell’Ateneo di Brescia 1954, 5 f. 20 Bei F. Altheim, Röm. Religionsgesch. (Göschen) 22 (1956), 149 f. 21 E. Süß, a. O. 8 fig. 5. 22 E. Süß, a. O. 6 fig. 2. 23 Vgl, Altheim-Trautmann, a. O. Abb. 16.

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nicht durch weiße Umrandung und schwarze Vertiefung hervorgeho­ ben. Lesung und Deutung der Inschrift wurde von uns bei verschie­ dener Gelegenheit gegeben: es genüge, darauf zu verweisen24. Zu Fig. 74 vgl. unten Abschnitt 2 (Süß: rueiaz). - Fig. 76 yjeziüz (Süß: zreziaz), also ein weiterer Eigenname auf -uz wie ülüiülüz, yemuluz, enotinüz (fig. 76; Süß: enotinaz), pleiüz (unten S. 8). Ihm schließt sich an fig. 79 renüz (Süß: ena oder rena). - Zwei Inschriften sind auf den Kopf gestellt: fig. 78 viupre (Süß: abpre), also ein Eigenname mit etruskischer Endung, und fig. 80 uezuenez (Süß: gezuenez), wo die etruskische Endung -e zu -es geworden ist wie in lat. Aules (neben Aulus) gegenüber etrusk. avle. Fig. 80 hatten wir auf Grund einer unrichtigen Nachzeichnung Süß’25 als uezuelez gelesen26. Die jetzt er­ mittelte richtige Lesung stellt uezuenez unmittelbar neben den Eigen­ namen Vessuena (The Prae-Italic Dialects 3, 1933, 103), weiter zu Vesunna (a. O. 86) und Vesulus mons (a. O. 75; vgl. 50). Den wichtigsten Neufund stellt fig. 75 dar: pincti (Süß: pinzti), auf zwei verschiedenen Felsen oberhalb von Boario Terme wiederholt. Denn so sollte gelesen werden: der vierte Buchstabe muß, da p nach Ausweis des ersten eine andere Form besitzt, ein noch archaisch gebil­ detes c (= y) sein. Das Nebeneinander von p und c in ähnlicher Form wiederholt sich auf der Inschrift 10 von den Würmlacher Wiesen wie­ der: prosico’S27. Im Lateinischen ist indog. 'cpenkue „fünf“ zu quinque geworden, wobei lautgesetzlich zu erwartendes *penque, *pinque durch regressive Assimilation die überlieferte Form erhielt. Entsprechend lautet das Ordinale quinctus, quintus statt *penctos, *pinctus. In der Inschrift hat sich die lautgesetzlich zu erwartende Form in dem Dialekt erhalten, der neben dem Faliskischen dem Lateinischen nächstverwandt ist. Dem entspricht, daß der allein aus dem Lateinischen belegte Wan­ del von e zu i wiederkehrt. Und bestätigend tritt die Casusendung hinzu. Wie überall, so wird auch *pinctuz als Eigenname anzusetzen sein. Praenomen läßt sich vorerst nicht sagen, da bisher kein Beweis 24 Altheim-Trautmann, a. O. 16 f.; F. Altheim, a. O. 98 f. 25 Commentari dell’Ateneo di Brescia 1954, 9 fig. 7. 28 Bei F. Altheim, Römische Religionsgeschichte (Göschen) 22, 152. 27 Altheim-Trautmann, Kimbern und Runen2 (1943) 29 und Abb. 20; E. Vetter in: Carinthia 1953, 630. - Jetzt sind die engverwandten Felsinschriften von Stein­ berg in Nordtirol hinzugetreten: E. Vetter in: Anz. pil.-hist. Kl. öst. Akad. Wiss. 1957, Nr. 24, 384 f.

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für Mehrnamigkeit in der Valcamonica erbracht ist. Der auf -i aus­ lautende Casus kann nur Genetiv sein. Der Träger des Namens be­ anspruchte die beiden Felsen oder das zwischen ihnen liegende Gebiet als sein Eigentum. Ähnliche Markierung beweist die südlich von Naquane gefundene Inschrift finis, die gleichfalls der Abgrenzung diente28. Damit gewinnt man einen Genetiv Sing des o-Stämme auf -i, -i, also eine neue, zugleich wichtige und unabdingbare Übereinstimmung mit dem Lateinischen29. 2

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An früherer Stelle (1, 32 f.) wurde die Ansicht vertreten, daß die Italikergruppe, die aus den späteren Latinern, Faliskern und Camunni (Euganeern) bestand, durch die Veneter aus dem Ostteil der Po-Ebene teilweise in die Valcamonica, teilweise nach Mittelitalien gedrängt wurde. Dabei wurde der Beobachtung H. Krahes30 gedacht, derzufolge der Name der Venetulani und des Ortes Carventum zeige, daß es Veneter waren, die mit den Latinern nach Süden zogen. Hier schließt sich eine weitere Beobachtung an, die G. Radke uns mitzuteilen die Güte hatte. Sie sei im Wortlaut angeführt: „Altheim, Gesch. d. lat. Spr. 95 stellt uluiuluz aus der Val­ camonica neben JJlvius (CIL XI, 1147, 1, 13) und Ulvienus (CIL VI, 10300; IX, 4632) und deutet das Erhaltene zweifel­ los mit Recht als Eigennamen, den man mit Olviolos um­ schreiben könnte. Die Valcamonica wird von dem Flusse Ollius durchströmt, dessen Name jedoch unter nach lateinischen Lautgesetzen erfolgter Assimilierung von -/«-)-//- nur aus *Oluio- entstanden sein dürfte. Der inschriftlich gefundene Name stellt also eine Deminutivform des Namens des epichorischen Flusses dar, der freilich nur nach Verwandlung in latei­ nischer Zunge überliefert ist. Dazu tritt ein weiteres Zeugnis: Unter den beim Opfer auf dem Mons Albanus aufgerufenen Gemeinden nennt Plin, n. h. 3, 69 auch die Olliculani, deren Name bildungsmäßig neben Venetulani und Tusculani tritt. Der letzte Name ist durchsichtig: Ihm liegt der des Ortes Tusadum zugrunde, der seinerseits Tusci als Gründer oder Bewohner 28 Altheim-Trautmann in: Welt als Geschichte 3 (1937), 87; Abb. 2. 29 Noch 1949 bestritten von G. Devoto, der stattdessen die Bezeichnung „protoitalico“ vorschlug: Scritti minori (1958) 349. 30 In: Welt als Gesch. 3, 130 f.

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benennt. Entsprechend ist für die Venetulani die Existenz eines verschollenen Ortes *Venetulum gefordert worden (Radke, RE. 8 A, 786), als dessen Gründer oder Bewohner nach Latium ver­ sprengte Veneti anzusehen sind (F. Altheim Röm. Gesch. 1, 32 f.; Gesch. d. lat. Spr. 125 Anm. 4). Für die Olliculani ergibt das die Ansetzung eines Ortes '-Olliculum, als dessen Gründer oder Bewohner nur -cOllici gelten können. Dieser Name stellt sich zu den des Ollius und ist aus ''Olu-i-co- herzuleiten. Er bezeichnet ein Volk, das sich nach dem seine Heimat durch­ strömenden Flusse benennt, wie umbr. Naharkum nach dem Namen des Flusses Nar gebildet ist. Sind die Venetulani Zeu­ gen versprengter Veneter, so beweisen die Olliculani die An­ wesenheit eines Volkes in Latium, das sich nach dem Ollius der Valcamonica benannte.“ Eine weitere Beobachtung G. Radke’s bezieht sich auf fig. 74, von uns früher als rueiüz oder ruviüz gelesen: „Es ist unverständlich, wie S. zu der Lesung RUEIAZ kommt. Die Inschrift ist linksläufig. Der erste Buchstabe ist ein gestürz­ tes p; der zweite könnte u oder l sein, von denen ich wegen des nachfolgenden Vokals dem letzteren den Vorzug gebe: l. Der 3. und 4. Buchstabe sind eindeutig e und i; der 5. stellt u mit diakritischen Zeichen, also ü, dar. Darauf folgt z. Die voll­ ständige Inschrift ist also pleiüz zu lesen.“ 3. Nachdem auch die letzten Funde unsere Auffassung bestätigt haben, daß der Dialekt der Valcamonica zur latinisch-faliskischen Gruppe gehört, darf zusammengefaßt werden, was man vom Camunnischen (so wird man den Dialekt fortan bezeichnen müssen) weiß. Dabei soll bei jedem Einzelfall auf unsere letzten Behandlungen der Inschriften: Geschichte der lateinischen Sprache 92 f. (= GdlS.) und Römische Reli­ gionsgeschichte 22, 149 f. (= RRg. 22) verwiesen werden. Nomen. o-Stämme: Nom. Sing, ariüluz RRg. 22, 149 f. zel%üz EN. GdlS. 92 f. ülüiülüz EN. GdlS. 95.

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yemüluz EN. GdlS. 95 f. enotinuz EN. GdlS. 96. yjeziüz fig. 76. renüz fig. 79. pleiüz EN., vgl. oben S. 8. Gen. Sing, pincti EN. fig. 75. Dat. Sing, tito GdlS. 100 f. iüviu RRg. 22, 150. «-Stämme: Nom. Sing, leima GdlS. 98 f. iuvi.la GdlS. 98 f. «-Stämme: Gen. Sing, san.quos GdlS. 101 f. Konsonantische Stämme: Nom. Sing, tiez GdlS. 97 f. uezuenez EN. fig. 80. arnenz EN. GdlS. 96 f. Eigennamen mit etruskischer Endung: supre RRG. 22, 152 f. viupre fig. 78. aplu RRg. 22, 150 £. Personalpronomen: 1. Pers. Sing. eyo RRg. 22, 152 f. Verbum: 2. Sing. Konj. Praes. iuzaz RRg. 22, 150 f. Zur Ermittlung der sprachlichen Stellung des Camunnischen lassen sich folgende Eigentümlichkeiten verwerten: 1. iuvi.la stellt sich auf den ersten Blick zu osk. diuvilu, diüvilü. Aber auch lat. Iulius geht auf *Iovilios zurück31. 2. Zum Oskischen, aber auch zu den Novilara-Inschriften stellt sich das Zeichen ü, dessen Lautwert zwischen o und u angesetzt werden muß. Aber auch auf der Kanne von Castaneaa (Tessin) konnte u nachgewiesen werden32. 31 C. Koch, Der römische Iuppiter 75 f. 32 F. Altheim, Geschichte der latein. Sprache 94 f.

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3. Die Flexion des Gottesnamens Sancus nach den /^-Stämmen be­ gegnet sowohl innerhalb der latinisch-faliskischen wie der oskischumbrischen Dialektgruppe33. Möglicherweise geht er in noch ältere Zeit hinauf34. 4. Mit dem Umbrischen berührt sich der Wandel von auslautendem -s nach Vokal zu -z. Ihn zeigen sämtliche Bezeugungen im norditali­ schen Alphabet; wozu man unter dem Nom. Sing, der o-Stämme und iuzaz vergleiche. Im Gegensatz zum Neu-Umbrischen bleibt jedoch das Camunnische auf der Stufe -z stehn, vollendet also den Auslauts­ rhotazismus nicht. In san.quos hat sich eine Rückbildung zu -s voll­ zogen. 5. Das Pronomen der 1. Sing. e%o stimmt zu venet. eyo (RRg. 22, 153). Dagegen bestehen mit dem Latino-Faliskischen allein folgende Übereinstimmungen: 6. Der Übergang von o zu ü, u, belegt im Nom. Sing, der o-Stämme; der von e zu i, belegt in ''pinctüz aus '''penktos; die Behandlung des idg. Labiovelars ebenda. 7. Der Gen. Sing, der o-Stämme auf -i: pincti. 8. Der Dat. Sing, der o-Stämme auf o35: tito, iüviu. 9. Der Gen. Sing, der ^-Stämme auf -os (altlatein. senatuos, falisk. zenatuo)·. san-quos. 10. Übereinstimmungen im Wortschatz: ariüluz = lat. (h)ariolus (RRg. 22, 150). 11. Übereinstimmung in den Götternamen: leima entspricht der römischen Göttin Lima (GdlS. 99 f.); tito san.quos der faliskischen Verbindung tito(i) mercui (GdlS. 102). Es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß das Camunnische zur latinisch-faliskischen Gruppe gehört. Korrektur-Nachtrag Mit gebotener Kürze sei auf die Auslassungen eingegangen, die zur Lesung der Valcamonica-Inschriften J. Untermann in: Beiträge zur Namensforschung 10 (1959), 155 f. beigesteuert hat. Der Verfasser äußert sich, als sei gegen meine Lesungen und meine Deutung entschieden. Bekundungen, die er zum Beweis anführt, 33 W. Schulze, ZGLEN. 467; 473 f. 84 F. Specht in: KZ. 64, 1 f. 35 G. Devoto, Storia della lingua di Roma2 60.

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stammen ausschließlich von solchen, die von den Denkmälern keine originale Kenntnis besitzen. Damit verschiebt sich die Erörterung auf den persönlichen Entscheid. Dasselbe gilt von Untermann selbst, und in der Tat steht es um seine sachlichen Gründe mißlich genug. Als „Kernproblem" wird die Lesung jenes Zeichens angesprochen, das E. Vetter und ihm folgend Untermann ein aus o entstandenes a sein lassen, während ich es als ü lese. Schwierigkeit macht indessen enotinüz, wo o erhalten und nicht zu a geworden ist. Untermann kann die ihm unbequeme Tatsache nicht leugnen. Er sucht dem zu entgegnen, daß er meint, nicht er, sondern ich gerate dadurch in Schwierigkeiten. Demgegenüber sei festgestellt, daß Vetters Lesung des dritten Buch­ staben in enotinüz als & von Untermann aufgegeben ist. Sie bildete gleichfalls einen Versuch, der unbequemen Tatsache zu entgehen, die meine Lesung als o darstellte. Inzwischen dürfte fig. 77 in E. Süß' Ver­ öffentlichung den letzten Zweifel an der Richtigkeit meiner Lesung beseitigt haben. Doch nun zu den Schwierigkeiten, die Untermann mir nachzuweisen wünscht. 1. „Charakter und Herkunft;“ des o in enotinüz seien unbekannt. Man nimmt diesen Einwand mit Erstaunen zur Kenntnis. Handelte es sich bisher darum, die angebliche Herkunft des a aus o nachzuweisen, so verschiebt sich für Untermann das „Kernproblem“ unversehens zur Frage nach der Herkunft des o. Sie ist, soweit ich sehe, gegenstandslos. Venetisches Enno, mittels der Suffixe -tio- (p’rEnotios) und -inos (*Enotinos) erweitert, lassen sich kaum bezweifeln (zuletzt Geschichte der latein. Sprache, 1951, 96). Darüber hinaus wurde auf Ennodius CIL. V 6464 verwiesen. Dem Namen und seinem Träger widmet Untermann eine eigne An­ merkung (a. O. 156 Anm. 7). Ennodius ist ihm ein „Kirchenvater“. Untermanns Sprachkenntnisse erlauben ihm schwerlich ein Studium des schwierigen Autors. In der Tat wird ausschließlich aus dem ein­ schlägigen Artikel der RE. geschöpft. Darin wird südgallische Herkunft des Mannes vertreten, und Untermann schließt sich dem, mangels eig­ ner Kenntnis, an. Er hat übersehen, daß diese Herkunft nur als Ver­ mutung geäußert wird. Ennodius nennt sich ep. 1, 2 p. 4, 14 Hertel prosapia Gallus und spricht von Galli parentes carm. 2, 73 p. 580, 8. Aber er bezeichnet auch Ligurien als seine Heimat: ep. 1, 26 p. 37, 7 und 2, 10 p. 49, 26. Es ist darum von vornherein wenig wahrscheinlich, daß Ennodius aus Arelate, dem Wohnsitz seiner Schwester, stammt. Einfache Lösung ergibt der Gebrauch des Wortes Liguria, der dem

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Bearbeiter der Namen Oberitaliens unbekannt geblieben ist. Ursprüng­ lich die neunte Region Italiens, vom Var und oberen Po bis an die Macra bezeichnend, wird Liguria gegen Ende des 4. Jahrhunderts auch auf die Transpadana, seit dem 6. Jahrhundert auf diese allein ange­ wandt36. Aus der Transpadana stammend, durfte Ennodius sich als Gallier und zugleich als in der Liguria beheimatet bezeichnen. Untermann indessen meint, wie solle ein aus Südfrankreich stam­ mender, seit 495 in Mailand wirkender Kleriker einen längst verschol­ lenen „heidnischen“ Namen aus dem Alpental angenommen haben? Wenn Ennodius aus der Transpadana stammte, lag die Annahme des Namens nahe, und daß dieser nicht verschollen war, zeigt die Tat­ sache, daß man ihn noch im 5. Jahrhundert erhalten konnte. Im Übri­ gen: Kirchenväter sollten keine „heidnischen“ Namen tragen? Man zählt aufs Geratewohl auf: ITippolytos, Origenes, Tertullianus, Cy­ prianus, Hieronymus, Augustinus. . . Untermanns Meinung, daß Ennodius = evodiog sei, darf man übergehen. 2. Enotinüz, fährt Untermann fort, stehe im Widerspruch zu meinen Lesungen iüviu und iuvila. Darüber hinaus liege die Schwierigkeit vor, daß nicht nur ü mit o und u, sondern auch mit dem Halbvokal (ülüiüiüz = *Ulviolus) konkurriere. Grundsätzlich ist zu sagen, daß ein ein­ heimische Alphabet der Valcamonica schon seit der Wende zum vor­ christlichen 2. Jahrhundert von eindringenden lateinischen Buchstaben durchsetzt wird. Dadurch erklärt sich das Vordringen von u und o (san.quos) gegenüber ü sowie die Schreibung des Halbvokals statt v. Untermann meint, in „keinem anderen oberitalischen (er meint: ober­ italienischen) Alphabet“ gebe es solche „graphische Verwirrung“. Las­ sen wir den Sonderfall beiseite (bei dem man sich über manche Lesung und Deutung erst einigen müßte), so darf man sagen, daß bei jeder nichtliterarischen und darum grammatisch nicht normierten Sprache ähnliche Unregelmäßigkeiten Vorkommen. Man braucht sich indessen nicht auf Grundsätzliches zu beschränken. Untermann hat übersehen, daß in der Inschrift Nr. 16 neben ü ein lateinisches a auftritt, was ausschließt, daß das erste Zeichen den Laut­ wert a besaß. Diese Feststellung und ebenso die Lesung enotinüz widerlegen, daß in der Sprache der Valcamonica sich o zu a wandelte. Vetter, einsichtiger als sein Nachfolger, hat längst darauf verzichtet, 36 Th. Mommsen in: Chronic, min. (MG. auct. ant. 9) 1, 536; H. Nissen, Ital. Landeskunde 2, 1 (1902), 132; J. Weiss in: RE. 13, 534.

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seine frühere Auffassung zu vertreten. Weiter hat Untermann nicht beachtet, daß einheimisches a nie gestürzt auftritt und sich durch einen deutlichen Querstrich am oberen Ende (Altheim-Trautmann, Vom Ur­ sprung der Runen Abb. 7 und 16) von ü scheidet. Jetzt zeigt E. Süß’ fig. 73, daß der schräge Querstrich bei a im Gegensatz zu dem in ü einem nach oben offenen Winkel gleichen kann. Untermann sucht darüber hinaus zu erweisen, daß im Namensgut der Brescianer Landschaft die Namen auf -a kein stammhaftes o ent­ halten. Er schließt daran die Frage, ob in der Sprache, die dort in vor­ römischer Zeit geherrscht habe, o zu a geworden sei (a. O. 147). Und er zögert nicht, den von ihm behaupteten Wandel von o zu a in der Valcamonica heranzuziehen (a. O. 153). Aber die Rechnung geht, auch innerhalb des von ihm zusammengestellten Materials, nicht auf. Er vereinigt S. 147 f. nicht weniger als 18 Namen, die stammhaftes o aufweisen. Ihrer 8 müssen einfach hingenommen werden. Bei ande­ ren sucht er Beziehungen zu Nachbargebieten, ohne indessen erweisen zu können (wie dies doch nötig wäre), daß die Brescianer Namen von dorther (und nicht umgekehrt) entlehnt waren. Die Feststellung, daß Comina, Rotalus und Vorvodisius „isoliert“ seien (a. O. 149), besagt wiederum, daß sie sich Untermanns Anschauung nicht fügen. Noch eine Bemerkung zu ülüiülüz. -Auch diesem Namen widmet Untermann eine Anmerkung (a. O. 158 Anm. 8). Während Ulvienus, so wird mir bedeutet, zum System der etruskisch-italischen Namen­ gebung gehört, finde ülümlüz = *Ulviolus in ihm keinen Platz. Ich weiß nicht, wie es mit Untermanns Vergillektüre steht. Erulus, Erylus Aen. 8, 564 scheint ihm nicht begegnet zu sein. Und Caeculus Paul. Fest. 44 M.? Doch von Romulus hat Untermann sicherlich gehört. Da­ zu sei ihm der auf W. Schulzes Ausführungen in: ZGLEN. 75; 165 f. und die weitere Literatur37 gegeben38. Im Übrigen gibt Untermann zu, daß der von ihm verfochtene N a­ menslaut -alaz in den Namen der Valcamonica isoliert bleibe (a. O. 152). Dem sei hinzugefügt, daß die von mir verfochtene Lesung -ülüz in Primulus (a. O. 144; 146) seine Entsprechung besitzt. Sein Vorkommensbereich zeigt, daß die Bildungen auf -ulus sich auch auf das Mailänder Gebiet erstreckten. Die „paar wenn auch bescheidenen 37 W. F. Otto in: Rhein. Mus. 64, 435 f.; F. Altheim, Griedi. Götter im alten Rom (1930), 176 f. 38 Untermann spricht zutreffend von einer „Baisse der lateinischen Namensfor­ schung überhaupt“ (a. O. 75).

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Anknüpfungen“, die nach Untermann (a. O. 158) der Namensschatz der Valcamonica findet, läßt sich unter Voraussetzung meiner Lesung erweitern. Ein weiterer Vorwurf: in der Inschrift 16 werde von mir, im Ge­ gensatz zu meiner sonstigen Auffassung, ein gestürztes a angenom­ men. Und bei 5 lasse sich a, wie auch benachbartes n und z, als gestürz­ tes Zeichen deuten (vgl. Abb. 7 zu Altheim-Trautmann, Vom Ursprung der Runen 13). Es sei Untermann verraten, daß in Nr. 16 kein einheimi­ sches, sondern ein lepontisches a vorliegt, das auch in Magre39 wieder­ kehrt (F. Altheim, Rom. Religionsgesch. [Göschen] 22, 149 f.). Und hinzugefügt, daß Nr. 5 die einzige Inschrift ist, die an einer senkrech­ ten Wand angebracht ist. Sie kann also nur in der von uns aufgenom­ menen Weise gelesen werden. Mögen n und z gestürzt sein, so begeg­ net auch hier a des einheimischen Alphabets in aufrechter Stellung. Wozu kommt, daß es durch oberen Querstrich gekennzeichnet, also auch darin von ü geschieden ist. Bei dieser Gelegenheit sei ein weiterer Einfall Untermanns berich­ tigt. Nr. 13 habe das vorletzte Zeichen „endlich“ durch venetische Inschriften aus Lagole di Calalzo „seine Aufklärung gefunden“. Es handle sich um den antevokalischen Gleitlaut des vorangehenden i unter Hinweis auf M. Lejeune in: Revue de Philol. 3 ser. 25 (1951), 224 und in: Word 8 (1951), 51 —, so daß nicht il, sondern ii zu lesen sei. Unbegreiflich, daß dergleichen auch nur erwogen werden konnte. Beide Zeichen sind auf der Inschrift durch einen Punkt - überdies einen kräftigen geratenen - getrennt. Dazu Altheim-Trautmann, a. O. Abb. 16; E. Süß, a. O. fig. 73; über das Punktationssystem der Valcamonica-Inschriften ist gleichfalls das Nötige in: Geschichte der lateini­ schen Sprache 98 gesagt. Beide Zeichen müssen also getrennt gelesen werden, und damit bleibt es bei rechtwinkligem, will sagen: lateini­ schem /. Auch der zweite gegen die ariuluz gerichtete Einwand entfällt, zumal die Verbindung lu kein „verunglücktes“ n ist, wenn man einer (verunglückten) Deutung Untermanns folgen wollte40. 39 Bei dieser Gelegenheit sei auf die zahlreichen Funde beschrifteter Hirschhörner verwiesen, deren Veröffentlichung K. M. Mayr verdankt wird: Der Schiern 30 (1956), 245 f.; 31 (1957), 230 f.; 426 f.; 32 (1958), 41 f. Dazu noch die ReitiaInschriften auf Tongefäßen: ebenda 31 (1957), 275'f. 40 Auch die zweite Parallele zum Venetischen, die Untermann gefunden zu haben glaubt, taugt nicht. Der zweite Buchstabe in Nr. 5 (Altheirn-Trautmann, Vom U r­ sprung der Runen Abb. 7) ist korrodiert. Vermutlich ist es ein r.

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Untermanns weitere Einwäncle gegen die Lesung von Nr. 16 sind von gleichem Wert. In der ersten Zeile nimmt er einen Worttrenner an. Dies in einer Inschrift, da mit jedem neuen Wort eine neue Zeile beginnt. Und Worttrenner zwischen welchen Worten? Etwa iu und iui Zeile 2 sei das erste u zu schmal. H at Untermann den Hinweis auf J. Whatmough, The Prae-Italic Dialectes 2 (1933), 518 verfolgt? Man hat seine Zweifel, wenn man bei Besprechung des folgenden v liest, der Vergleich mit '& des Alphabetes von Sondrio sei keine genügende Parallele. Wir hatten auf vier Stellen verwiesen, an denen J. What­ mough von punktierten oder teilweise punktierten Buchstaben spricht: a. O. 514; 525; 528; 551. Darunter auch „bei jener Form des i, die mit kurzer, angesetzter Querhasta v am meisten ähnelt: J. Whatmough, a. O. 514; 524.“ Noch ein Letztes. Gegen die Verknüpfung von zelyuz mit dem etruskischen Titel zilc wird zweierlei eingewandt. Einmal, daß z nicht als solches zu verstehen sei, sondern das in Valcamonica gebrauchte Zeichen für 5 sei. Merkwürdig, daß man Nr. 18 supre mit dreistrichigem s41 und Nr. 14 san.quos mit zweimaligem lateinischen s42 ge­ schrieben hat. Der zweite Einwand ist noch seltsamer. Da zilc weder in Oberitalien noch anderswo als Cognomen erscheine, dürfe auch zelyuz kein zum Namen gewordener Titel sein. Hier bestimmt nicht mehr Logik, sondern allein der Wille, Unbequemes mit jedem Mittel, tauglichem und untauglichem, zu beseitigen. Untermanns zweiter Ein­ wand ist der Argumentation würdig, mit der er - gleichfalls unbe­ quemes - sanq.uos Nr. 14 wegzuschieben wünscht. Obwohl, so meint er, im Val di Non die Namen mit lateinischer Endung in der unmittel­ baren Nachfolge der vorrömischen Namengebung stehe, könne es in der Valcamonica mit einer im lateinischen Alphabet geschriebenen Inschrift nicht ebenso sein. Doch wohl, weil nach Untermanns Mei­ nung es nicht sein darf.43 Vielleicht wird man urteilen, es sei den besprochenen Ansichten 41 Darüber zuletzt E. Vetter in: Anzeiger phil.-hist. Klasse Akad. Wien 1957 Nr. 24, 393; weitere Beispiele bei K. M. Mayr in: Der Schiern 31 (1957), 230 f.; 32 (1958), 41 I. 42 Die entsprechende Form des lateinischen s als flache Spirale findet sich auf dem räto-römisdien Grabstein aus Maderneid in Eppan, vgl. K. M. Mayr in: Der Schiern 30 (1956), 175 f. 43 Es sei darauf verzichtet, die unbeholfenen Sätze anzuführen, mittels deren Untermann (immerhin ein Forscher, der sich der Sprache widmet) jenen allerdings nicht überzeugenden Schluß wiederzugeben versucht.

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mehr Aufmerksamkeit erwiesen worden, als ihnen gebühre. Demge­ genüber wolle man bedenken, daß unser Grundsatz von jeher gewesen ist, auf jede gegenteilige Ansicht, gegebenenfalls auch auf eine weniger schlüssige, um der Sache willen einzugehen.

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Z w e i t e s K a p i t e l : Καρχηδών, Carthago, Carthada 1.

Der Name der Hauptstadt der großen Rivalin Roms hat seit je zu Fragen Anlaß gegeben. Die maßgebenden Äußerungen stammen von J. Friedrich,1 der jüngst versucht hat, das Nebeneinander der ver­ schiedenen Formen zu erklären. Die phoinikisch-punischen Inschriften haben krt hdst, das ist Kartbadas(a)t; die lateinische Überlieferung gibt Carthada und Kartha­ go; die griechische Καρχάδών, Καρχηδών. Daneben ist heranzuzie­ hen das Ethnikon der gleichnamigen Stadt auf Kypros, wie es assy­ rische Inschriften bezeugen: krthd'sty, das ist Karthadas(a)ti. (Auf einer phoinikischen Inschrift wird die gleiche kyprische Stadt wie die afrikanische geschrieben: krt hdst). Die Übersetzung des Stadtnamens ist eindeutig: dem femininen Substantiv in der Bedeutung „Stadt“ (kart) folgt ein adjektives femi­ nines Attribut „neu“ (hadas(a)t, also „neue Stadt“, „Neustadt“, Καινή πόλις, Νεάπολις, Neapolis, ΝδΙα2. Zur phoinikischen Form stimmt die assyrische, nicht aber die Gesamt­ heit der klassischen Bezeugungen. Zunächst Carthada. Fr. sieht darin die latinisierte Form eines punischen 'rKarthadat. Bei dieser Latinisierung wäre -t am Wortende weggelassen worden wie in Thaena für pun. *Tainat, Oea für pun. *Uiiat. Die Lautfolge th wäre verständ­ licherweise durch th, k ebenso natürlich durch c wiedergegeben. Frei­ lich: das zugrundegelegte punische *Karthadat (ohne die Silbe -sa-) ist nicht belegt, sondern von Fr. konstruiert. Er denkt an eine Kurzform des unbequem langen Stadtnamens. Diese müsse entstanden sein im Zuge eines „hapologieähnlichen“ Vorgangs, und zwar entweder be­ reits innerhalb des Phoinikisch-Punischen oder bei der Übernahme in die fremde Sprache. Annähernd vergleichbar seien Lautveränderungen wie syr. 'rattetä >attä,*bet esädä > besadyä,*hadatä >hatä; jüd. aram. *telät 'asar~> telesar; ugarit. ylt = *yalatä