»Board-Level Co-Determination in a Comparison of German and Polish Law. A Comparative Analysis of the German and Polish
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German Pages 804 [805] Year 2021
Studien zum vergleichenden Privatrecht Studies in Comparative Private Law Band / Volume 14
Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich Eine Untersuchung des deutschen und polnischen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen
Von
Karolina Badura
Duncker & Humblot · Berlin
KAROLINA BADURA
Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich
Studien zum vergleichenden Privatrecht Studies in Comparative Private Law Band / Volume 14
Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich Eine Untersuchung des deutschen und polnischen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen
Von
Karolina Badura
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2567-5427 ISBN 978-3-428-18148-3 (Print) ISBN 978-3-428-58148-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2019 bei der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation eingereicht und im April 2020 von ihr angenommen. Anlässlich der Veröffentlichung wurde die Arbeit auf den Stand von August 2020 gebracht. Zunächst möchte ich mich herzlich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Richard Giesen für die Betreuung dieser Arbeit und seine vielen wertvollen Anregungen bedanken. Bei Herrn Prof. Dr. Martin Franzen bedanke ich mich vielmals für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ein außerordentlich großer Dank gebührt zudem Herrn Prof. Dr. Aleksander Kappes von der Universität Łódz´ für seine gutachterliche Stellungnahme zu meiner Arbeit aus Sicht des polnischen Rechts. Darüber hinaus möchte ich mich von ganzem Herzen bei meinen Eltern dafür bedanken, dass sie mir den eingeschlagenen Lebensweg überhaupt erst ermöglicht haben, stets an mich geglaubt haben und mich in jeder Lebenssituation unterstützt und ermutigt haben. Mein tiefster Dank gilt jedoch meinem Ehemann Christian, ohne dessen Rückhalt, Verständnis und Zuspruch die Fertigstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Als gebürtige Polin, die mehrere Jahre im wunderschönen Pless (Pszczyna) in Polen aufwachsen durfte, bin ich nach wie vor sehr mit meiner Heimat verbunden. Die Erstellung dieser Arbeit hatte für mich daher eine ganz besondere Bedeutung. Gewidmet ist diese Arbeit meinen geliebten Söhnen Benedict und Leonard. München, im Februar 2021
Karolina Badura
Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einführung
29
A. Leitgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
B. Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
C. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
Kapitel 2 Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und Polen
37
A. Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung des deutschen Mitbestimmungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 37 82
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Sozialtheorien des Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marxismus und Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Katholische und evangelische Soziallehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Selbstverwaltungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wirtschaftsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 157 159 163 171 172 173
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen der Arbeitnehmerbeteiligung und des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Garantien der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kollektivarbeitsrechtliche Grundstrukturen und Grundprinzipien . . . . . . . . .
175 175 182 184
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Kapitel 3 Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
207
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung 207 I. Rechtsgrundlagen der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
8
Inhaltsübersicht II. Ziel und Rechtfertigung der zwingenden Mitbestimmung auf Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 239 244 268 272
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organisationsstruktur einer Aktiengesellschaft – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitbestimmung im Vorstand einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 276 278 434
D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Arbeitnehmerbeteiligung in sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Arbeitnehmerbeteiligung in polnischen Staatsunternehmen als Relikt aus dem Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitbestimmung in kommunalen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
446 447 453 466
E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Kapitel 4 Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene
472
A. Die Bedeutung europäischer Entwicklungen für das deutsche und polnische Arbeits- und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 B. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Gesellschaftsformen . . . . . . . . 474 I. Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 II. Die Europäische Genossenschaft („spółdzielnia europejska“) . . . . . . . . . . . . . 530 C. Grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 I. Die Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . 533 II. Umsetzung der Richtlinie in Deutschland und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Kapitel 5 Unternehmensmitbestimmung im System der kollektiven Arbeitsbeziehungen
543
A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 I. Funktion, Rolle und Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 II. Gewerkschaften und die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
Inhaltsübersicht B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung auf Betriebsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretung . . . . . . . . . III. Verhältnis zwischen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene und nicht gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
606 607 623 629
C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . 635 I. Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital („partycypacja kapitałowa“) . . . . . . . . 635 II. Rat des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 Kapitel 6 Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance
643
A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 I. Begriff, Zweck und Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 II. Corporate-Governance-Regelwerke als Steuerungs- und Kontrollinstrument 651 B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System . . . . . . . . . . . . 659 I. Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmervertreter in den Corporate-Governance-Regelwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 II. Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Kapitel 7 Zukunft der Unternehmensmitbestimmung? A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . I. Kritik am deutschen Mitbestimmungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
692 693 695 700 709
B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 I. Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . 710 II. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – eine nur vorübergehende Lösung? 717 Kapitel 8 Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse
749
A. Bedeutung des historischen und ideologischen Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
10
Inhaltsübersicht
B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Unternehmensmitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 C. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . 763 D. Unternehmensmitbestimmung im Kontext des kollektivarbeitsrechtlichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 E. Unternehmensmitbestimmung im Lichte der Corporate-Governance-Debatte . . 766 F. Aktuelle Tendenzen und Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 Kapitel 9 Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?
769
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung
29
A. Leitgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 32
C. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
Kapitel 2 Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und Polen A. Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung des deutschen Mitbestimmungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte der Mitbestimmungsidee in Deutschland bis 1945 . . . . . . . . . a) Erste Ansätze der Arbeitnehmerbeteiligung im 19. Jahrhundert . . . . . b) Gesetzesnovellen im deutschen Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Arbeitnehmerbeteiligung in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . d) Einbruch der Mitbestimmung unter dem NS-Regime . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung einer Unternehmensmitbestimmung in der Montanindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Betriebsverfassungsgesetz 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetze zur Sicherung der Montanmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kampf der Gewerkschaften um das MitbestG 1976 . . . . . . . . . . . . . . . e) Wesentliche Gesetzesänderungen und neue Gesetzgebung . . . . . . . . . II. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Arbeitnehmerpartizipation in den Jahren 1918–1939 . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitnehmerpartizipation in der Volksrepublik Polen (bis 1980) . . . . . . a) Die letzten Kriegsmonate und das Dekret über Betriebsräte von 1945 b) Arbeitnehmerselbstverwaltung in den Jahren 1956–1958 . . . . . . . . . . . c) Das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung von 1958 und das Ende der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitnehmerselbstverwaltung in der Krise der 1980er Jahre . . . . . . . . . . a) Wirtschaftskrise als Treiber des Partizipationsgedankens . . . . . . . . . . . b) Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 37 37 38 38 44 46 52 53 54 64 66 68 79 82 82 90 93 100 106 110 110 115
12
Inhaltsverzeichnis c) Einführung des Kriegsrechts und die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane in den 1980er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Vereinbarungen des „Runden Tisches“ im Jahre 1989 . . . . . . . . . . 4. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation während der Transformationsphase der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beginn der Wirtschaftsreform und Einleitung des Privatisierungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Privatisierungsgesetz von 1990 und die Abschaffung der Belegschaftsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Pakt über das Staatsunternehmen von 1993 und die Entstehung des Kommerzialisierungs- und Privatisierungsgesetzes von 1996 . . . . d) Entwicklung kollektivarbeitsrechtlicher Regelungen und des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Integration Polens in die EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118 122 125 126 130 137 147 155
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Sozialtheorien des Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marxismus und Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Katholische und evangelische Soziallehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Selbstverwaltungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wirtschaftsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 157 159 163 171 172 173
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen der Arbeitnehmerbeteiligung und des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäische Garantien der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kollektivarbeitsrechtliche Grundstrukturen und Grundprinzipien . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der soziale Dialog als Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft . . . . . . . . . b) Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 175 175 178 182 184 184 186 186 190 195
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Kapitel 3 Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
207
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Rechtsgrundlagen der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Inhaltsverzeichnis 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensmitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwingende gesetzliche Mitbestimmungsvorgaben für die Gesellschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen . . . . . c) Sozialvereinbarungen zur Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziel und Rechtfertigung der zwingenden Mitbestimmung auf Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Menschenwürde und Humanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichgewicht von Kapital und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kontrolle wirtschaftlicher Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Soziale Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Integrationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Förderung der Wirtschaftsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Integrationswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sozialethische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschränkung der Arbeitnehmerrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Montanmitbestimmungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. DrittelbG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mitbestimmungserhaltungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonderregelungen und Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommerzialisierungsgesetz vom 30. September 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Kommerzialisierung als Voraussetzung der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitnehmerbeteiligung auch in teilweise privatisierten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bisherige Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 207 207 208 212 212 213 217 220 221 221 224 225 226 227 229 229 230 231 233 234 235 236 237 238 239 239 239 240 242 243 244 244 244 246 247 247
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Inhaltsverzeichnis bb) Neue Rechtslage seit 1.1.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwingende Arbeitnehmerbeteiligung auch bei vollständig privatisierten Unternehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die kommerzialisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung („sp. z o. o.“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezielle Privatisierungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996 . . . . . . . 5. Fehlende gesetzliche Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung in Unternehmen der Privatwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organisationsstruktur einer Aktiengesellschaft – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben und Funktionen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Zuständigkeiten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überwachung der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Überwachungsgegenstand und -maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Überwachungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Berichtspflichten und Auskunftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Meinungsäußerung und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Einsichts- und Prüfrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personalkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorstandsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Weitere Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeiten der unternehmerischen Mitbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . c) Schutzfunktion zugunsten verschiedener Interessen und Interessengruppen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Größe des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahl der Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 276 278 278 278 280 280 281 281 283 284 285 288 294 295 297
251 259 260 262 264 266 268 268 270 272
300 302 302 302 304 306 306 308
Inhaltsverzeichnis (1) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erster Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Alleinaktionärsstellung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung des Staates . . . . (2) Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erfahrungen aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahl der Anteilseignervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wahl der Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Erfahrungen aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wahl sonstiger und neutraler Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . d) Aktives und passives Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahlberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wählbarer Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Arbeitnehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gewerkschaftsvertreter und Gewerkschaftstätigkeit . . . . . . . . (3) Ausschluss bestimmter Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Besondere persönliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Frauenquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Ergänzende Satzungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Amtsperiode und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . 3. Auswirkungen der Mitbestimmung auf die innere Ordnung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsorganisation und Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufsichtsratssitzungen, Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung . . . 4. Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Wahl von Arbeitnehmervertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eintragungsfähigkeit ins Handels- bzw. Unternehmerregister . . . . . . . 5. Rechte und Pflichten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat . . . . . . . a) Allgemeine Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . aa) Persönliche und weisungsfreie Amtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kontroll- und Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Pflicht zur Wahrung des Unternehmensinteresses . . . . . . . . . . . . .
15 308 309 309 310 312 314 314 314 317 317 319 319 325 325 326 327 327 330 330 333 343 347 352 354 356 360 360 363 368 374 375 381 388 391 391 392 393 395
16
Inhaltsverzeichnis dd) Sorgfaltspflichten und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (1) Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (2) Allgemeine Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 (3) Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 (4) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 ee) Recht auf Vergütung und Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 b) Besondere Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmervertreter . . 416 aa) Behinderungs- und Benachteiligungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 bb) Freistellung und Entgeltfortzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 cc) Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 6. Funktion, Rolle und Bedeutung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 a) Informationsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 aa) Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat („nach oben“) . . . . . 423 bb) Informationsvermittlung an die Belegschaft („nach unten“) . . . . . 426 b) Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess im Aufsichtsrat . . . . . . . . . 427 c) Einfluss auf unternehmenspolitische Entscheidungen? . . . . . . . . . . . . . 429 d) Besondere Bedeutung während der Privatisierungsprozesse . . . . . . . . . 433 III. Mitbestimmung im Vorstand einer Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 1. Bestellung und Abberufung des Arbeitsdirektors/Arbeitnehmervertreters 435 2. Funktion und Bedeutung des Arbeitsdirektors/Arbeitnehmervertreters . . 442
D. Sonderformen unternehmerischer Mitbestimmung in Polen . . . . . . . . . . . . . . 446 I. Die Arbeitnehmerbeteiligung in sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 II. Die Arbeitnehmerbeteiligung in polnischen Staatsunternehmen als Relikt aus dem Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 1. Das Staatsunternehmen als Rechtsform sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 2. Das Modell der Arbeitnehmerselbstverwaltung nach den Gesetzen von 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 a) Organisationsverfassung des Staatsunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 aa) Der Direktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 bb) Der Belegschaftsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 cc) Die Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung . . . . . . . . . . . . . 459 b) Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 c) Vergleich mit der Arbeitnehmerbeteiligung in Kapitalgesellschaften . 463 3. Arbeitnehmerbeteiligung bei Fremdverwaltung des Staatsunternehmens . 465 III. Mitbestimmung in kommunalen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
Inhaltsverzeichnis
17
Kapitel 4 Unternehmensmitbestimmung auf europäischer Ebene
472
A. Die Bedeutung europäischer Entwicklungen für das deutsche und polnische Arbeits- und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 B. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Gesellschaftsformen . . . I. Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungskonzept der SE-RL zur Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . a) Zielsetzung der SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subsidiäre Auffangregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung der europäischen Vorgaben in Deutschland und Polen . . . . . . a) Gegenstand, Zielsetzung und räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . b) Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einleitung des Einberufungsverfahrens und Information . . . . . . . bb) Sitzverteilung auf Mitgliedstaaten und Gesellschaften . . . . . . . . . cc) Persönliche Voraussetzungen der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zuständigkeit, Wahlgremium und Urwahl . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Quorums- und Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arbeitnehmerbeteiligung kraft Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhandlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Arbeitnehmerbeteiligung kraft Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geltung der Auffangregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammensetzung und Befugnisse des Vertretungsorgans . . . . . . (1) Wahlverfahren und Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Innere Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zuständigkeiten des Vertretungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Sachverständige, Kosten und Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regeln für die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen . . . . (1) Verteilung der Sitze auf die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . (2) Ermittlung der inländischen Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . (3) Persönliche Voraussetzungen der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . e) Geheimhaltungspflicht und Tendenzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . g) Missbrauchsverbot, Straf- und Bußgeldvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praktische Bedeutung und Akzeptanz der SE in Deutschland und Polen II. Die Europäische Genossenschaft („spółdzielnia europejska“) . . . . . . . . . . . . 1. Regelungskonzept der SCE-RL zur Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . .
474 474 476 476 476 478 479 481 482 482 484 486 489 489 493 494 494 499 503 504 505 506 508 509 511 513 514 515 518 519 521 524 526 530 531
18
Inhaltsverzeichnis 2. Umsetzung ins nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
C. Grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 I. Die Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen . . . . . . 533 II. Umsetzung der Richtlinie in Deutschland und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
Kapitel 5 Unternehmensmitbestimmung im System der kollektiven Arbeitsbeziehungen A. Verhältnis zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktion, Rolle und Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Rahmenbedingungen und Kompetenzen der Gewerkschaften a) Gewerkschaftsbegriff und -merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gründung, Organisationsstruktur und Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . aa) Gründung und Binnenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufbau des Gewerkschaftssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kompetenzen der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einfluss auf die Arbeits- und Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tarifvertragsverhandlungen und -abschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Streikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zuständigkeiten auf Betriebsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Sonstige Befugnisse und Einflussmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechte und Schutz von Gewerkschaftsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rolle der Gewerkschaften während der Transformationsprozesse bb) Gegenwärtige Bedeutung der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gewerkschaften und die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzungen und Überschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überschneidungen in sachlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personelle Verflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkurrenz oder Einfluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gewerkschaften – friend or foe der Unternehmensmitbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfluss der Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
543 544 544 545 546 549 549 550 555 558 560 561 565 565 572 574 576 576 577 577 581 588 588 588 590 592 592 600
Inhaltsverzeichnis B. Verhältnis zur nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmerbeteiligung auf Betriebsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Arbeitnehmerräte in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammensetzung und Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kompetenzen des Arbeitnehmerrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kosten, Verschwiegenheit und sonstige Rechte bzw. Pflichten . . . . . . e) Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmerrat und Arbeitgeber . . . . . . . . 3. Betriebliche Ad-hoc-Repräsentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Arbeitnehmervertretung bei Arbeitssicherheit und -hygiene . . . . . . . . . . . 5. Europäische Betriebsräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretung . . . . . . . . . III. Verhältnis zwischen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene und nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
606 607 607 608 609 612 615 618 619 619 621 622 623 629 629 632
C. Verhältnis zu sonstigen Formen der Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . . 635 I. Arbeitnehmerbeteiligung am Kapital („partycypacja kapitałowa“) . . . . . . . . 635 II. Rat des sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 Kapitel 6 Unternehmensmitbestimmung und Corporate Governance
643
A. Grundzüge des Corporate-Governance-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 I. Begriff, Zweck und Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 II. Corporate-Governance-Regelwerke als Steuerungs- und Kontrollinstrument 651 B. Unternehmensmitbestimmung im Corporate-Governance-System . . . . . . . . I. Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmervertreter in den Corporate-Governance-Regelwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen bei der Definition des Unternehmensinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Empfehlung der Europäischen Kommission 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unabhängigkeit im DCGK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unabhängigkeit in polnischen Corporate-Governance-Regelwerken . II. Beeinträchtigung der Aufsichtsratstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verzögerte Entscheidungsprozesse und mangelnde Handlungsfähigkeit . 2. Aufsichtsrat als Forum der Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
659 661 661 664 664 665 670 677 678 679
20
Inhaltsverzeichnis 3. Mangelnde Professionalität und Fachkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 4. Eingeschränkte Information und Marginalisierung des Aufsichtsrats durch den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Kapitel 7 Zukunft der Unternehmensmitbestimmung?
692
A. Reformansätze, Tendenzen und Diskussionen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . I. Kritik am deutschen Mitbestimmungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mäßigung des gesetzlichen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausweitung der Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
693 695 700 700 702 705 706 709
B. Perspektiven der Arbeitnehmerpartizipation in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einstellung zur Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . II. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – eine nur vorübergehende Lösung? 1. Tendenzen in Rechtswissenschaft und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generelle Zurückhaltung gegenüber der Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitnehmerräte als vorzugswürdiges Mittel der Arbeitnehmerpartizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Andere Formen der Interessenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzesinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzesprojekt 2006/2007 über ein Kollektivarbeitsgesetzbuch und die weitgehende Einführung von Unternehmensmitbestimmung in allen Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reformvorhaben 2010/2011 zur Abschaffung der gesetzlichen Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung in kommerzialisierten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorschläge der Kommission zur Kodifizierung des Arbeitsrechts vom 14. März 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
710 710 717 718 720 725 728 732
732
735 740 741
Kapitel 8 Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse
749
A. Bedeutung des historischen und ideologischen Hintergrunds für die Unternehmensmitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
Inhaltsverzeichnis
21
B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Unternehmensmitbestimmung in der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 C. Unternehmensmitbestimmung in supranationalen Rechtsformen . . . . . . . . . 763 D. Unternehmensmitbestimmung im Kontext des kollektivarbeitsrechtlichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 E. Unternehmensmitbestimmung im Lichte der Corporate-Governance-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 F. Aktuelle Tendenzen und Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 Kapitel 9 Quo vadis, Unternehmensmitbestimmung?
769
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. a. E. AEUV a. F. AG AktG ArbGB ArbGG Art. Artt. ARUG II Az. BAG BB Bd. BDA BDI BeckOK ArbR BetrVG BGB BGBl. BGH BR-Drucks. BRG BT-Drucks. BVerfG bzw. ca. CDU CSU d. DCGK
anderer Auffassung am angegebenen Ort Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz Arbeitsgesetzbuch („kodeks pracy“) Arbeitsgerichtsgesetz Artikel (Singular) Artikel (Plural) Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12. Dezember 2019 Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesvereinigung der Deutschen Industrie Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesrats-Drucksache Betriebsrätegesetz Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht beziehungsweise circa Christlich Demokratische Union Christlich-soziale Union der/die/das/des Deutscher Corporate Governance Kodex
Abkürzungsverzeichnis DCGK 2017 DCGK 2020 DDR ders. DGB d.h. dies. DrittelbG Dz. U. EBRG EBRG-PL EG EGV Einl. EMRK endg. ErfK ArbR etc. EU EuGH EUV EuZA f. FAZ FDP ff. Fn. FS FZZ GewG GG ggf. GmbH GmbHG GPW GRCh GroßKommAktG HGB
23
Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 7. Februar 2017 Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 16. Dezember 2019 Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt dieselbe/n Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Dziennik Ustaw (das polnische Gesetzblatt) Gesetz über Europäische Betriebsräte polnisches Gesetz über Europäische Betriebsräte („ustawa o europejskich radach zakładowych“) Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention endgültig Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei fortfolgende Fußnote Festschrift Das Gewerkschaftsforum („Forum Zwia˛zków Zawodowych“) Gewerkschaftsgesetz („ustawa o zwia˛zkach zawodowych“) Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Warschauer Wertpapierbörse („Giełda Papierów Wartos´ciowych w Warszawie“) Grundrechtecharta der Europäischen Union Großkommentar zum Aktiengesetz Handelsgesetzbuch
24 HGG h. M. Hrsg. Hs. IG IG BCE IG Metall ILO InfKonsG
insb. INSPRO IPiSS i. S. d. i.V. m. KG KGaA KollArbGB KollStrG KölnKommAktG KOM KommerzG
KommerzG-PKP
KommerzG-Post
KommWirtG KSchG lit. MgVG
Abkürzungsverzeichnis Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften („kodeks spółek handlowych“) herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz Industriegewerkschaft Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Industriegewerkschaft Metall International Labour Organization Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer („ustawa o informowaniu pracowników i przeprowadzaniu z nimi konsultacji“) insbesondere Institut für Bürgerangelegenheiten („Instytut Spraw Obywatelskich“) Institut für Arbeit und Soziales („Instytut Pracy i Spraw Socjalnych“) im Sinne der/des in Verbindung mit Kommanditgesellschaft/Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien Kollektives Arbeitsgesetzbuch Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten („ustawa o rozwia˛zywaniu sporów zbiorowych“) Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Mitteilung der Kommission Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Arbeitnehmerrechte („ustawa o komercjalizacji i niektórych uprawnieniach pracowników“) Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) („ustawa o komercjalizacji i restrukturyzacji przedsie˛biorstwa pan´stwowego ,Polskie Koleje Pan´stwowe‘“) Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ („ustawa o komercjalizacji pan´stwowego przedsie˛biorstwa uz˙ytecznos´ci publicznej ,Poczta Polska‘“). Gesetz über die kommunale Wirtschaft („ustawa o gospodarce komunalnej“) Kündigungsschutzgesetz litera Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung
Abkürzungsverzeichnis MgV-PL
25
Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in durch grenzüberschreitende Verschmelzung entstandenen Gesellschaften („ustawa o uczestnictwie pracowników w spółce powstałej w wyniku transgranicznego poła˛czenia sie˛ spółek“) MitbestBeiG Mitbestimmungsbeibehaltungsgesetz MitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer MontanMitbestErgG Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz MontanMitbestG Montan-Mitbestimmungsgesetz MoP Monitor Prawniczy (Zeitschrift) MoPr Monitor Prawa Pracy (Zeitschrift) M. P. Monitor Polski m. sp. Änd. mit späteren Änderungen MünchAnwaltsHdb. Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht ArbR MünchHdb. ArbR Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht MünchHdb. GesR Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts MünchKommAktG Münchener Kommentar zum Aktiengesetz m.w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Nr. Nummer NS Nationalsozialismus NSZZ „Solidarnos´c´“ Unabhängiger Selbstverwalteter Gewerkschaftsbund „Solidarnos´c´“ („Niezalez˙ny Samorza˛dny Zwia˛zek Zawodowy ,Solidarnos´c´‘“) NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Beilage Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, Beilage NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OPZZ Gesamtpolnische Gewerkschaftsallianz („Ogólnopolskie Porozumienie Zwia˛zków Zawodowych“) PiP Pan ´ stwo i Prawo (Zeitschrift) PIS Recht und Gerechtigkeit („Prawo i Sprawiedliwos´c´“) PiZS Praca i Zabezpieczenie Społeczne (Zeitschrift) PKP Polnische Staatsbahnen („Polskie Koleje Pan´stwowe“) Pkt. Punkt Pos. Position PPH Przegla˛d Prawa Handlowego (Zeitschrift) PrivG 1990 Gesetz über die Privatisierung von Staatsunternehmen vom 13. Juli 1990 („ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych“) PVAP Polnische Vereinigte Arbeiterpartei („Polska Zjednoczona Partia Robotnicza“)
26 RatSozDialogG
RdA RGBl. RL Rn. RPEiS S. S. A. SCE SCEAG
SCEBG SCEG-PL SCE-VO SchiffsRegG SE SEAG
SEBG SelbstVerwG
SEG-PL
SE-RL SE-VO SGG sog. SPD SPH SPP
Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs („ustawa o Radzie Dialogu Społecznego i innych instytucjach dialogu społecznego“) Recht der Arbeit (Zeitschrift) Reichsgesetzblatt Richtlinie Randnummer Ruch prawniczy, ekonomiczny i socjologiczny (Zeitschrift) Seite polnische Aktiengesellschaft („spółka akcyjna“) Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft) Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) (SCE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft Gesetz über die Europäische Genossenschaft („ustawa o spółdzielni europejskiej“) Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) Gesetz über das Polnische Schiffsregister („ustawa o Polskim Rejestrze Statków“) Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft) Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft in Staatsunternehmen („ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego“) Gesetz über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft („ustawa o europejskim zgrupowaniu interesów gospodarczych i spółce europejskiej“) Richtlinie 2001/86/EG über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE Verordnung 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft Sozialgerichtsgesetz sogenannte/r/s Sozialdemokratische Partei Deutschlands System prawa handlowego System prawa prywatnego
Abkürzungsverzeichnis sp. z o. o.
27
polnische Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“) StaatsUntG Gesetz über Staatsunternehmen („ustawa o przedsie˛biorstwach pan´stwowych“) StaatsVermVerwG Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatvermögen („ustawa o zasadach zarza˛dzania mieniem pan´stwowym“) TriparKomG Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften („ustawa o Trójstronnej Komisji do Spraw Społeczno-Gospodarczych i wojewódzkich komisjach dialogu społecznego“) TVG Tarifvertragsgesetz u. a. unter anderem/und andere u. ä. und ähnlich UmwG Umwandlungsgesetz Unterabs. Unterabsatz urspr. Fassung ursprüngliche Fassung usw. und so weiter Verf. Verfasserin Verschmelzungs-RL Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vgl. vergleiche VO Verordnung Vorbem. Vorbemerkung/en VVaG Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit VW Volkswagen WiRO Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Zeitschrift) WRV Weimarer Reichverfassung z. B. zum Beispiel ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) ZPGB Zivilprozessgesetzbuch („kodeks poste˛powania cywilnego“) ZZL Zarza˛dzanie Zasobami Ludzkimi (Zeitschrift) ZZPPMM Gewerkschaft der Arbeitnehmer in der Kupferindustrie („Zwia˛zek zawodowy pracowników przemysłu miedziowego“)
Kapitel 1
Einführung A. Leitgedanken „Nirgendwo ist die Palette des Rechts in Europa bunter als im Bereich der Arbeitnehmermitwirkung an unternehmerischen Entscheidungen. Jedes Mitgliedsland der EU geht hier einen Sonderweg, dessen Richtung von der jeweiligen kulturellen und sozial-politischen Tradition bestimmt ist.“ (Manfred Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177))
Nicht nur wirtschaftliche Verflechtungen sind prägend für Europa, auch im Bereich des Rechts sind europäische Einflüsse heutzutage nicht mehr wegzudenken. In zahlreichen Bereichen hat es Angleichungen und Vereinheitlichungen gegeben. Kaum eine andere Frage hat jedoch für so viele Kontroversen gesorgt wie die der Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmen. Eine Vereinheitlichung in dem Bereich schien lange Zeit unmöglich und konnte auch nur bedingt erreicht werden. Die Ursache für jene Kontroversen ist unzweifelhaft in den Traditionen und gewachsenen Strukturen der Mitgliedstaaten zu sehen. Arbeitnehmerbeteiligung ist nicht nur ein hoch politisches Thema, sie ist vor allem das Ergebnis eines Machtkampfes zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, beeinflusst von historischen Entwicklungen und abhängig von der Durchsetzungsstärke ihrer Befürworter. Es wundert also nicht, dass – wie Manfred Weiss1 es trefflich beschreibt –, jeder Mitgliedstaat der EU hier einen „Sonderweg“ geht. Umgekehrt lässt sich die Arbeitnehmerbeteiligung in ihrer Ausprägung, Reichweite und Bedeutung nur unter Berücksichtigung der nationalen Entwicklungen und Traditionen verstehen und beurteilen. Mit seinem Mitbestimmungsniveau hält Deutschland unbestritten die Spitzenrolle in Europa. In keinem anderen Land gibt es derart stark ausgeprägte Arbeitnehmerbeteiligungsrechte. Unzweifelhaft trägt hierzu das hohe Niveau der Unternehmensmitbestimmung und insbesondere die quasi-paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 bei, die Deutschland eine einsame Sonderstellung im europäischen und internationalen Vergleich verleiht. „Die Mitbestimmung deutscher Prägung ist ein Unikat“, stellt dementsprechend der Kommissionsbericht der BDI und BDA aus dem Jahre 2004 fest.2 Derart weitgehende 1 2
Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177). BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 1.
30
Kap. 1: Einführung
Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer – auf betrieblicher wie auch auf Unternehmensebene – seien in keinem anderen Land vorzufinden.3 Ebenso fehle die Bereitschaft, das weitreichende System der deutschen Mitbestimmung zu übernehmen.4 Nicht zuletzt der jahrzehntelang dauernde Kampf um die Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft („Societas Europaea“ – „SE“) hat gezeigt, welch unterschiedlichen Modelle und Ansichten in den einzelnen Mitgliedstaaten zu diesem Themenkomplex bestehen. Versuche deutscher Politiker und Gewerkschaften, das deutsche Mitbestimmungsmodell auf Europa auszuweiten, waren daher auch „fruchtlos und illusorisch“.5 Im Jahre 2016 feierte das Mitbestimmungsgesetz aus dem Jahr 1976 sein 40jähriges Jubiläum. Doch auch innerhalb Deutschlands wurde kaum eine andere Materie derart kontrovers und kritisch diskutiert wie die der gesetzlichen Vorgaben zur Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in den Gesellschaftsorganen einer Kapitalgesellschaft. Nachdem die Debatte um die Unternehmensmitbestimmung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1979 abgeklungen war, ist seit Beginn des neuen Jahrtausends die Kritik unter neuen Aspekten wieder aufgelebt. Im Vordergrund steht nicht mehr die Verfassungsfrage, vielmehr liegt die Kritik in den zunehmenden internationalen Verflechtungen und den europäischen Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung, die allesamt Deutschlands Attraktivität als Unternehmensstandort in Frage stellen, sowie der Forderung nach einer guten Corporate Governance begründet. Dabei spielt der rechtsvergleichende Blick eine beachtliche Rolle. Die deutsche Mitbestimmung sieht sich einem kritischen europäischen Vergleich ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund erscheint ein rechtsvergleichender Blick auf die Republik Polen besonders interessant. Als das größte der zu den ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion gehörende Nachbarland ist Polen heute ein wichtiger Handelspartner Deutschlands und interessanter Wirtschaftsstandort für viele Unternehmen. Durch die seit Beginn der 1990er Jahre erfolgende Annäherung an die europäische Gemeinschaft und den Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahre 2004 haben sich die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Polen deutlich dem westlichen Standard angeglichen. Gleichwohl findet die – bedingt durch die historischen Entwicklungen, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg – unterschiedliche kulturelle und sozialpolitische Tradition, die Manfred Weiss gerade für das System der Arbeitnehmermitwirkung in den einzelnen europäischen Staaten als richtungsweisend bezeichnet6, auch heutzutage noch in vielfältiger Hinsicht ihren Niederschlag nicht nur im rechtlichen Sinne, sondern auch in der Unternehmenspraxis. Die Prägung durch das kommu3 4 5 6
Ebenda. Ebenda Ebenda. Weiss, Arbeitnehmermitwirkung in Europa, NZA 2003, S. 177 (177).
A. Leitgedanken
31
nistische System, die Herausforderungen der wirtschaftlichen Transformation und die mit dem Beitritt in die EU verbundenen Anpassungen haben die rechtlichen Strukturen in Polen – wie auch in anderen osteuropäischen Ländern – auch im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung maßgeblich beeinflusst und mitgestaltet. Auch die in Polen vorzufindende Arbeitnehmervertretung auf Unternehmensebene ist maßgeblich geprägt von der historischen und sozialpolitischen Entwicklung des Landes. Eine Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane einer Kapitalgesellschaft, die dem deutschen System der Unternehmensmitbestimmung vergleichbar ist, ist dabei erst nach dem politischen und wirtschaftlichen Umbruch in den Jahren 1989/1990 ins polnische Rechtssystem eingeführt worden. Ein rechtsvergleichender Blick auf Polen eröffnet damit nicht nur die Möglichkeit, die Beweggründe und Ziele der Einführung dieser Partizipationsform nach dem Übergang Polens zur Marktwirtschaft und politischen Demokratie zu untersuchen. Auch die Frage der regulatorischen Umsetzung in einer sich grundlegend geänderten Rechtsordnung sowie die der Arbeitnehmervertretung auf Organebene zuteil kommende Funktion und ihre Bedeutung im gesamten System der sich neu formenden kollektiven Arbeitsbeziehungen nach 1989 lässt die Thematik als besonders interessantes Untersuchungsfeld erscheinen. Gleichzeitig stellt sich vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren in Deutschland geführten Diskussion um gute Corporate Governance die Frage, wie die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen in Polen im Zusammenhang mit Corporate Governance gesehen und bewertet wird. Über die rein nationalen Aspekte hinaus ist angesichts der angestrebten und teilweise erfolgten Rechtsangleichung in Europa auch die Umsetzung europäischer Vorgaben im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung, allen voran in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), von besonderem Interesse. Schließlich stellt sich im Rahmen der rechtsvergleichenden Betrachtung auch die Frage nach den Perspektiven der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen. Eine diese vielfältigen Aspekte aufgreifende, breit angelegte rechtsvergleichende Untersuchung der Unternehmensmitbestimmung ist bislang weder für Polen noch für andere osteuropäische Länder unternommen worden. Die wenigen Beiträge, die das Thema der Unternehmensmitbestimmung in Polen überhaupt aufgreifen, beschränken sich auf eine skizzenhafte und oberflächliche Darstellung, die sich im Wesentlichen in der zahlenmäßigen Betrachtung der von Arbeitnehmervertretern zu besetzenden Aufsichtsratssitze erschöpft.7 Diese nur sehr rudimentäre und kursorische Betrachtung wird dem komplexen Thema der Unterneh7 Vgl. etwa die Übersicht auf http://www.worker-participation.eu/National-In dustrial-Relations/Across-Europe/Board-level-Representation2/TABLE-Worker-boardlevel-participation-in-the-31-European-Economic-Area-countries, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso die Darstellung auf http://de.worker-participation.eu/Natio nale-Arbeitsbeziehungen/Laender/Polen/Unternehmensmitbestimmung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
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Kap. 1: Einführung
mensmitbestimmung nicht gerecht. Eine aussagekräftige Gegenüberstellung der in Deutschland und Polen bestehenden Unternehmensmitbestimmung kann nur aufgrund einer tiefgreifenden Analyse erfolgen, die mit dieser Arbeit unternommen werden soll. Dabei sollen, soweit zugänglich, auch praktische Erfahrungen Polens mit der Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene in die Betrachtung einfließen.
B. Ziel und Gang der Untersuchung Ziel der Arbeit ist eine umfassende und tiefgründige Rechtsvergleichung der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen. Neben einer fundierten vergleichenden Auseinandersetzung mit den Detailfragen der jeweiligen gesetzlichen Lösungen wird hierfür die Entwicklung eines breiten Verständnisses für die deutschen und polnischen Regelungen, welches mit dem historischen und ideologischen Hintergrund beginnt und bis in den breiten systematischen Kontext des kollektiven Arbeitsrechts und der Corporate-Governance-Strukturen reicht, als unabdingbar angesehen. Insbesondere die Zielsetzung der Unternehmensmitbestimmung, ihre Bedeutung im Zusammenhang mit der Funktion und Tätigkeit des Aufsichtsrats und ihr Zusammenspiel mit anderen Formen der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen sollen dabei eine besondere Beachtung finden. Der Komplexität der Thematik entsprechend sollen die vielfältigen relevanten Aspekte beleuchtet, untersucht und dargestellt werden. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung sollen als Denkanstöße im Rahmen der Diskussionen um eine Reform der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen dienen können, die Arbeit maßt sich jedoch nicht an, ein für beide Länder einheitliches Modell der Unternehmensmitbestimmung vorzuschlagen oder gar eine Übernahme des einen oder anderen Modells zu suggerieren. Dies würde den länderspezifischen Traditionen nicht gerecht werden. Um ein Verständnis für die Herkunft, das Ziel und die gesellschaftspolitische Bedeutung der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen zu entwickeln, sind die rechtshistorischen Entwicklungen und die ideologischen Hintergründe von maßgeblicher Bedeutung, weswegen ihnen in Kapitel 2 ein verhältnismäßig breiter Raum eingeräumt wird. Ohne diese Hintergründe fiele es schwer, die heutige Gesetzgebung in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung und Tragweite richtig einzuordnen. Gleiches gilt für den verfassungsrechtlichen und kollektivarbeitsrechtlichen Rahmen, in dem sich die Unternehmensmitbestimmung bewegt. Die auf nationalen Gesetzen beruhenden Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung werden in Kapitel 3 im Detail untersucht und rechtsvergleichend dargestellt. Neben der einleitenden Darstellung der vielen Rechtsgrundlagen ist insbesondere die Frage nach der Zulässigkeit und Bedeutung von außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen stehenden privatautonomen Vereinbarungen interes-
B. Ziel und Gang der Untersuchung
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sant. Eine wesentliche Rolle spielt sodann die Untersuchung der mit den Regelungen verfolgten Zielsetzungen und ihrer Rechtfertigung, ferner der Geltungsbereich und die Reichweite der Mitbestimmungsgesetze. Die eigentlichen mitbestimmungsrechtlichen Regelungen werden in praxisrelevanter Weise im Rahmen der Aktiengesellschaft untersucht und im Zusammenspiel mit den allgemeinen aktienrechtlichen Vorschriften erläutert. Auf diese Weise wird dem institutionellen Ansatz der Unternehmensmitbestimmung8 und der ihr Wesensmerkmal darstellenden Verankerung der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte in der gesellschaftsrechtlichen Struktur des Unternehmens9 Rechnung getragen. Nach einer notwendigen Darstellung der Aufgaben und Funktionen des mitbestimmten Aufsichtsorgans im jeweiligen Rechtssystem erfolgt eine detaillierte Analyse der Zusammensetzung des Aufsichtsrats, des Wahlverfahrens und des aktiven und passiven Wahlrechts in Bezug auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Ferner werden unter anderem auch die Rechtsfolgen einer nicht erfolgten oder fehlerhaft erfolgten Wahl sowie die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gegenübergestellt. Von besonderem Interesse ist die Untersuchung der Funktion, Rolle und Bedeutung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat. Hierbei werden, soweit zugänglich, auch empirische Studien im Rahmen der Untersuchung herangezogen. Schließlich wird auch die Arbeitnehmervertretung im Vorstand der Aktiengesellschaft rechtsvergleichend analysiert, bevor einige Sonderfälle der unternehmerischen Mitbestimmung in Polen dargestellt werden. Eine Untersuchung der Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung in den supranationalen Gesellschaftsformen der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) sowie bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen erfolgt in Kapitel 4. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Umsetzung der europäischen Vorgaben ins nationale Recht und einer vergleichenden Betrachtung der diesbezüglichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. In Kapitel 5 wird die Unternehmensmitbestimmung in den breiten Kontext des kollektiven Arbeitsrechts in Deutschland und Polen gesetzt und es werden ihre Wechselwirkungen mit anderen Formen der Interessenvertretung der Arbeitnehmer beleuchtet. Unerlässlich erschien es dabei, zunächst auch die Grundstrukturen des kollektiven Arbeitsrechts, insbesondere des Systems der gewerkschaftlichen Interessenvertretung und der nicht-gewerkschaftlichen betrieblichen Arbeitnehmervertretungen, sowie ihre Bedeutung in Deutschland und Polen in notwendigem Umfang darzustellen. Ein besonderer Fokus wird auf mögliche Verflechtungen 8 Vgl. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 1 („Als Mitbestimmung im Unternehmen wird heute allgemein jede durch Mitgliedschaft von ArbN-Vertretern in Unternehmensorganen vermittelte institutionelle Teilhabe der Belegschaft an Planungen und Entscheidungen des Unternehmens bezeichnet.“). 9 Vgl. hierzu Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 62; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 54 ff.
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Kap. 1: Einführung
zwischen den verschiedenen Partizipationsformen in sachlicher und personeller Hinsicht sowie auf die potentiellen wie auch tatsächlichen Einflussmöglichkeiten anderer Arbeitnehmervertretungen über das Instrument der Unternehmensmitbestimmung gelegt. Corporate Governance nimmt sowohl in Deutschland als auch in Polen eine zunehmend wichtigere Rolle ein. Vor dem Hintergrund der auf Corporate-Governance-Gesichtspunkten beruhenden Kritik der deutschen Unternehmensmitbestimmung wird in Kapitel 6 ein rechtsvergleichender Blick auf die polnischen Corporate-Governance-Strukturen und ihr Zusammenspiel mit der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen geworfen. Dabei werden vor allem die Stellung der Arbeitnehmerinteressen und der Arbeitnehmervertreter im Rahmen der maßgeblichen Corporate-Governance-Regelwerke sowie die auf einer Beeinträchtigung der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats durch die vorgeschriebene Arbeitnehmervertretung fußende Kritik beleuchtet. Kapitel 7 ist der Frage nach der Zukunft der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland und Polen gewidmet. Dabei werden die Diskussionen und Reformvorschläge dargestellt und Entwicklungstendenzen herausgearbeitet. Auch jüngste politische Vorhaben werden in diesem Zusammenhang näher betrachtet. In Kapitel 8 werden die wesentlichen Erkenntnisse aus der Untersuchung zusammengefasst, bevor in Kapitel 9 ein abschließender Ausblick auf die Entwicklung der Unternehmensmitbestimmung und Denkanstöße für die Diskussion in Deutschland und Polen gegeben werden sollen.
C. Begriffsbestimmungen Der Begriff der „Unternehmensmitbestimmung“ ist gesetzlich nicht definiert, wird jedoch in der deutschen Literatur und Praxis gemeinhin verwendet. Bezeichnet wird damit das Recht der Arbeitnehmer, in die Unternehmensorgane eigene Vertreter entsenden zu können, die in dieser Funktion und im Rahmen der den jeweiligen Organen zustehenden Kompetenzen an den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen beteiligt werden und so auf Entscheidungen im Unternehmen Einfluss nehmen können. Vor diesem Hintergrund wird die Unternehmensmitbestimmung auch als eine „durch Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern in Unternehmensorganen vermittelte institutionelle Teilhabe der Belegschaft an Planungen und Entscheidungen des Unternehmens“ definiert.10 Eine polnische Entsprechung findet der Begriff der Unternehmensmitbestimmung nicht. Üblicherweise wird diese Form der Arbeitnehmervertretung umschrieben, etwa als Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen 10 So Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 1.
C. Begriffsbestimmungen
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(„udział pracowników w organach spółek“)11 oder Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat und Vorstand von Kapitalgesellschaften („przedstawicielstwa pracownicze w radach nadzorczych oraz zarza˛dach spółek kapitałowych“)12. In dieser Arbeit wird sowohl der Begriff der Unternehmensmitbestimmung als auch der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen gebraucht, dieselbe Bedeutung wird den Begriffen der unternehmerischen Mitbestimmung oder Mitbestimmung auf Unternehmensebene bzw. Organebene beigemessen.13 Die die Unternehmensmitbestimmung regelnden deutschen Gesetze verwenden den Begriff der „Mitbestimmung“, weswegen sie üblicherweise und daher auch hier unter der Bezeichnung „Mitbestimmungsgesetze“ bzw. „Mitbestimmungsrecht“ 14 zusammengefasst werden. Indes wird der Begriff der „Mitbestimmung“ in der Rechtswissenschaft vielmehr als Oberbegriff für sämtliche Formen der Beteiligung von Arbeitnehmern, deren Intensität vom bloßen Informationsrecht bis zum echten Mitentscheidungsrecht reicht, gebraucht und umfasst gleichsam die im BetrVG geregelte betriebliche Mitbestimmung und die Unternehmensmitbestimmung.15 In Polen werden üblicherweise die Begriffe der „Arbeitnehmerpartizipation“ („partycypacja pracownicza“)16 oder „Arbeitnehmerbeteiligung“ („uczestnictwo pracowników“)17 als Oberbegriff für sämtliche Formen der Be11 So bspw. Nartowski, Konflikt interesów, etyka, lojalnos ´c´ i zaufanie, im Internet abrufbar unter http://www.andrzejnartowski.pl/tag/konflikt-interesow/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 12 So bspw. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 49. 13 Wenngleich sich hören ließe, dass – wie Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 8 in Fn. 3, hervorhebt – der Begriff der Unternehmensmitbestimmung an die gesellschaftsrechtliche Struktur anknüpft, wogegen dem Begriff der unternehmerischen Mitbestimmung vielmehr eine inhaltliche Bedeutung zugrunde liegt, so dass den Begriffen durchaus eine andere Bedeutung beigemessen werden könnte. Gleiches trifft auf den Begriff der Mitbestimmung auf Unternehmensebene zu. Da in der deutschen Literatur die Begriffe jedoch üblicherweise synonym verwendet werden, soll dies auch hier der Fall sein. 14 Vgl. die entsprechenden Buchtitel bei Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, sowie Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht. 15 Die allerdings in der Öffentlichkeit und Wissenschaft unterschiedlich gebrauchte Bedeutung des Begriffs „Mitbestimmung“ hob sogar die Biedenkopf-Kommission in ihrem Bericht im Jahre 1970 hervor, vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 8. Vgl. zu den unterschiedlichen Deutungen des Begriffs „Mitbestimmung“ auch schon Teuteberg, Geschichte, S. XVII. 16 Vgl. die so lautenden Buchtitel bei Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju?; ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej; Wratny, Partycypacja pracownicza. Zur Verwendung des Begriffs der „Arbeitnehmerpartizipation“ als Oberbegriff vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 15; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 17 So Giedrewicz-Niewin ´ska, Uczestnictwo pracowników w spółce europejskiej, Kapitel 2, legalis S. 14 ff. sowie Schlusskapitel, legalis S. 2 f.; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 59 ff.; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 9 ff.
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Kap. 1: Einführung
teiligung der Arbeitnehmer verwendet.18 Dabei umfassen diese Begriffe – anders als das deutsche Verständnis von der Arbeitnehmerbeteiligung 19 – auch die gewerkschaftliche Interessenvertretung.20 Hieran anknüpfend wird in dieser Arbeit die Verwendung der Begriffe der „Arbeitnehmerpartizipation“ – bzw. synonym hierzu – der „Arbeitnehmerbeteiligung“ als Bezeichnung für sämtliche Formen und Ebenen arbeitnehmerseitiger Interessenvertretung favorisiert und dabei aufgrund der Spezifika des polnischen Rechtssystems auch die gewerkschaftliche Tätigkeit mit erfasst.
18
Teilweise wird darauf hingewiesen, dass der Begriff der „Arbeitnehmerpartizipation“ mehrere Definitionen habe, die jeweils andere Aspekte hervorheben, vgl. näher hierzu Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (44 f.). Zum Begriff und den Formen der Arbeitnehmerpartizipation vgl. auch Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 15 ff. In der polnischen Übersetzung der SE-RL wird dagegen der Begriff der „Partizipation“ zur Bezeichnung der Unternehmensmitbestimmung verwendet, vgl. hierzu und der abweichenden Begriffswahl im polnischen Umsetzungsgesetz auch Giedrewicz-Niewin´ska, Uczestnictwo pracowników w spółce europejskiej, Kapitel 2, legalis S. 14 ff. sowie Schlusskapitel, legalis S. 2 f., die sich kritisch zu den unterschiedlich gewählten Begriffsbestimmungen der Begriffe „zaangaz˙owanie“, „partycypacja“ und „uczestnictwo“ in der polnischen Übersetzung der SE-RL und im polnischen Umsetzungsgesetz äußert und den Begriff „uczestnictwo“ (Teilhabe, Beteiligung) als Oberbegriff favorisiert. Zu den begrifflichen Schwierigkeiten vgl. auch Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (28) sowie Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 59 ff. 19 Vgl. die deutsche Fassung von Art. 2 lit. h) SE-RL und § 2 Abs. 8 SEBG, die die „Beteiligung“ als Oberbegriff für sämtliche Teilhabeformen im Unternehmen verwenden. 20 So ausdrücklich Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 15; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46.
Kapitel 2
Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und Polen Die Entwicklung der heute bestehenden Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen hängt wie das gesamte System der kollektiven Arbeitsbeziehungen in Deutschland und Polen untrennbar mit den im jeweiligen Land eingetretenen historischen Ereignissen zusammen. Daneben wurde die Idee der Arbeitnehmerbeteiligung auch von verschiedenen ideologischen Strömungen geprägt, die einen wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung im jeweiligen politischen und wirtschaftlichen System hatten.
A. Geschichtlicher Hintergrund Die ersten Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern waren bereits in der Antike anzutreffen.1 Auch im Mittelalter gab es Formen gemeinschaftlicher Interessenvertretung.2 Zwar ist die Bedeutung dieser frühen Formen der kollektiven Interessenwahrnehmung nicht zu verkennen.3 Gleichwohl wird die Entstehung der heutigen kollektiven Arbeitsbeziehungen – in Deutschland wie auch in Polen – gemeinhin auf die Entwicklungen im 19. Jahrhundert zurückgeführt.4 In dieser Zeit entstanden jene „großen sozialen und politischen Ideen“, von denen die späteren Entwicklungen des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt wurden.5
I. Entstehung des deutschen Mitbestimmungssystems Das deutsche Mitbestimmungssystem hat sich in seiner heutigen Form erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Gleichwohl reicht der historische Hintergrund der Mitbestimmung in Deutschland – bzw. des kollektiven Arbeitsrechts 1
Gładoch, Dialog społeczny, S. 41 m.w. N. Näher hierzu Gładoch, Dialog społeczny, S. 41 ff.; vgl. auch Warlich, Die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes 1976, S. 3. 3 Gładoch, Dialog społeczny, S. 41. 4 Vgl. etwa Gładoch, Dialog społeczny, S. 41 ff.; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1. 5 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2. 2
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
im Allgemeinen – bis ins 19. Jahrhundert zurück. Dabei stand zunächst die Entstehung einer betrieblichen Mitbestimmung im Vordergrund. Auch die gesetzlichen Neuerungen im deutschen Kaiserreich betrafen nur die Beteiligung der Arbeitnehmer an betrieblichen Angelegenheiten. Von wegweisender Bedeutung waren allerdings die politischen und gesetzlichen Entwicklungen in der Weimarer Republik, die auch zu einer erstmaligen gesetzlichen Verankerung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen eines Unternehmens führten. 1. Geschichte der Mitbestimmungsidee in Deutschland bis 1945 a) Erste Ansätze der Arbeitnehmerbeteiligung im 19. Jahrhundert Der geschichtliche Ursprung der Mitbestimmung in Deutschland wird gemeinhin im Zusammenhang mit der im 19. Jahrhundert beginnenden Industrialisierung gesehen.6 Genauer genommen wurzelt die Ideengeschichte bereits in der sich anbahnenden Industrialisierung in der Zeit des Vormärz zwischen 1815 und der Märzrevolution von 1848.7 Auslöser für die Entstehung der Mitbestimmungsidee war die vor dem Hintergrund der Industrialisierung aufkommende „soziale Frage“. Der Übergang vom Feudalismus zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung und die damit einhergehende Gewerbe- und Vertragsfreiheit führte auch zu einer Liberalisierung der Arbeitsbedingungen, so vor allem in Bezug auf die Arbeitszeiten und Gehälter.8 Vor dem Hintergrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und unterlegenen Stellung sah sich die Arbeiterschaft jedoch den einseitigen Arbeitsbedingungen der Arbeitgeber machtlos ausgesetzt, was sich nicht zuletzt in unverhältnismäßig langen Arbeitszeiten, geringer Entlohnung sowie Kinderarbeit, schwerer Frauenarbeit und in den Fabriken fehlenden Sicherheitsvorkehrungen gegen Gefahren für Leben und Gesundheit der Arbeiter manifestierte.9 Unzureichende Wohnund Lebensverhältnisse sowie eine fehlende alters- und krankheitsbezogene Versorgung waren weitere soziale Folgen der neuen liberalen Wirtschaftsordnung 6 Vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1. 7 Vgl. Teuteberg, Geschichte, S. 1 ff.; Warlich, Die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes 1976, S. 3. 8 Vgl. Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 18; Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (288); Potthoff/ Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2. 9 Vgl. Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts. S. 273 (289); Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2 ff.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 31 f.
A. Geschichtlicher Hintergrund
39
und des industriellen Fortschritts, mit denen zugleich auch Not und Elend der Arbeiterklasse einhergingen.10 Eine öffentliche und rechtspolitische Diskussion über die „soziale Frage“ begann in Deutschland noch bevor die Industrialisierung tatsächlich in Deutschland angekommen war, in der Zeit des sog. Vormärz.11 Die zunächst in England und Frankreich eingesetzte Industrialisierung lieferte deutschen Sozialtheoretikern dabei eine plakative Grundlage für die mit dem industriellen Fortschritt einhergehende Not und das Elend der Arbeiterschaft.12 Dabei waren nicht nur die tatsächlichen Entwicklungen in England und Frankreich – die von allen Sozialtheoretikern als bezeichnend für die damaligen Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse empfunden wurden –, sondern in großem Maße auch die sich damit auseinandersetzenden englischen und französischen Schriften von großem Einfluss auf die Debatte in Deutschland.13 Dennoch entwickelte sich schon bald eine – wie es Teuteberg beschreibt – „spezifisch deutsche Auffassung von den zwischenmenschlichen Verhältnissen in der Industrie“.14 Beruhend auf den Ansätzen der deutschen Philosophie und „ihrem Streben nach der Ganzheit des Menschenbildes“ wurde die soziale Frage letztlich als „sittlich-pädagogisches Problem“ verstanden, dem durch eine „Humanisierung der Fabrikbetriebe“ entgegengewirkt werden könne.15 Schon früh entwickelte sich mithin der Gedanke einer Humanisierung der Arbeitsbedingungen, der auch heute noch ein Begründungsansatz für die Unternehmensmitbestimmung ist. Als Vorschlag zur stärkeren Einbindung der Arbeiterklasse entwickelte sich unter den deutschen Sozialreformern der Gedanke eines Zusammenschlusses der Arbeiter in eigenen Interessenvertretungen, sog. „Assoziationen“.16 Ferner entstanden auch Vorschläge für eine Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensgewinn sowie zu diesem Zwecke zu gründende Arbeiterausschüsse, denen auch ein Recht auf Einsicht in die Bücher des Unternehmens zustehen sollte.17 Die verschiedenen Reformvorschläge zur stärkeren Beteiligung der Fabrikarbeiter wurden angesichts der in Deutschland noch nicht spürbaren Folgen der Industria10 Stollreither, Mitbestimmung, S. 31 f.; vgl. auch Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 2. 11 Ausführlich hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 2 ff. Der Industrialismus wurde in Deutschland als „gefahrdrohende Gewitterwolke [. . .] am Horizont der Zeit“ gesehen, „[a]uf breitester Grundlage wurden die Vor- und Nachteile des neuen Fabrikwesens [. . .] erörtert“. 12 Teuteberg, Geschichte, S. 2. 13 Teuteberg, Geschichte, S. 2 f. 14 Teuteberg, Geschichte, S. 4 f. 15 Teuteberg, Geschichte, S. 5. 16 Ausführlich hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 5 ff., der die verschiedenen Ausprägungen und Ideen, die seinerzeit mit dem uneinheitlich gebrauchten Begriff „Assoziation“ in Verbindung gebracht wurden, darstellt. 17 Teuteberg, Geschichte, S. 26.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
lisierung bis zum Beginn der 1840er Jahre jedoch lediglich unter den Sozialreformern diskutiert, ein reges öffentliche Interesse entstand erst im Laufe der 1840er Jahre.18 Im Zuge dessen wurde auch zunehmend in breiten liberalen und bürgerlichen Kreisen die Auffassung vertreten, dass „das Selbstbewußtsein der arbeitenden Klassen“ gesteigert werden müsse und „der Arbeiter durch Hebung seiner Bildung und gemeinnützigen Zusammenschluß ermuntert werden [müsse], an dem allgemeinen wirtschaftlichen Wettbewerb und dem Aufstieg teilzunehmen“.19 Gefördert wurde die Gründung sog. Arbeiter- und Handwerkervereine, womit sich die Liberalen nicht zuletzt auch die Heranführung der Arbeiter an ein demokratisches politisches System erhofften.20 Doch auch die Verfechter des Sozialismus begrüßten die Entstehung derartiger Arbeitervereinigungen, die ihnen als geeignetes Mittel zur Steigerung der Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse erschienen.21 Nach und nach wurden konkrete Vorschläge zur stärkeren Einbindung der Arbeiterschaft vorgelegt. So etwa schlug am 13. September 1848 der Berliner Centralverein die allgemeine Einführung von Arbeiterkranken- und Unterstützungskassen sowie die Bildung von Fabrikvereinen vor, die neben der Gründung und Verwaltung der Kassen auch „zur Verfolgung anderer, auf die Verbesserung und Ordnung des betreffenden Fabrikwesens und auf das Wohl der Arbeiter gerichteten Zwecke“ bestimmt und zu gleichen Teilen aus Vertretern der Fabrikbesitzer und Arbeiter zusammengesetzt sein sollten.22 Die angedachten Aufgaben der Fabrikvereine betrafen sowohl fabrikinterne Angelegenheiten wie etwa die Fabrikordnung, die Durchführung der Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse sowie die Schlichtung von Streitigkeiten, als auch die soziale Absicherung der Arbeiter.23 Im Zuge der Revolution von 1848 stellten auch Handwerker- und Arbeiterkongresse Forderungen zur Bewältigung der sozialen Missstände auf.24 So etwa richteten sich Forderungen des ersten reinen Arbeiterkongresses in Berlin im Jahre 1848 unter anderem auf die Einführung eines Mindestlohns, staatlicher Unterstützungs- und Fürsorgemaßnahmen sowie die Einberufung einer aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzten Kommission, die für die Festlegung von Arbeitszeiten zuständig sein sollte.25 Von besonderer Bedeutung für die Geschichte der deutschen Mitbestimmung war der Entwurf einer Gewerbeordnung für das deutsche Reich, der von einer 18
Näher Teuteberg, Geschichte, S. 44 ff. Teuteberg, Geschichte, S. 47. 20 Teuteberg, Geschichte, S. 47, 50. 21 Teuteberg, Geschichte, S. 50. 22 Mitteilungen des Centralvereins, II. Lieferung, 1849, S. 261 ff., auszugsweise abgedruckt bei Teuteberg, Geschichte, S. 56, 58. 23 Näher Teuteberg, Geschichte, S. 56 f. 24 Hierzu ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 59 ff. 25 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 4. 19
A. Geschichtlicher Hintergrund
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Minderheit des volkswirtschaftlichen Ausschusses der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche als sog. „Minoritäts-Gegenentwurf“ im Februar 1849 eingebracht wurde.26 Die Frankfurter Nationalversammlung war Adressatin und Hoffnungsträgerin einer umfassenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Reform, mit der insbesondere auch die verfassungsrechtliche Verankerung der bürgerlichen Freiheit und die politische Einheit Deutschland einhergehen sollte.27 Die Abgeordneten waren sich dabei weitgehend einig, dass auch eine arbeitsrechtliche Reform im Handwerks- und Fabrikwesen sowie in sonstigen Gewerben erfolgen musste und der Staat hierfür korrigierend in das liberale Wirtschaftsgeschehen und die Arbeitsbeziehungen eingreifen müsse.28 Als Pendent zur politischen Verfassung sollte daher eine vom volkswirtschaftlichen Ausschuss auszuarbeitende Reichsgewerbeordnung die wirtschaftlichen Beziehungen regeln.29 Mangels einer absoluten Mehrheit brachte der volkswirtschaftliche Ausschuss zwei Entwürfe einer Reichsgewerbeordnung hervor.30 Der Entwurf der von Degenkolb angeführten Minderheit schlug in Art. III eine Fabrikordnung vor, die die Errichtung von Fabrikausschüssen in den Fabriken, Fabrikräten auf Gewerbebezirksebene und Fabrikschiedsgerichten vorsah.31 Sowohl die Fabrikausschüsse als auch die Fabrikräte sollten dabei von der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite besetzt werden. Die Fabrikausschüsse sollten gemäß § 43 unter anderem bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vermitteln, eine besondere Fabrikordnung entwerfen und für deren Aufrechterhaltung sorgen. Teuteberg32 bewertet den Minoritäts-Gegenentwurf als „eines der bedeutendsten Dokumente in der Geschichte der deutschen Mitbestimmung“. Die Fabrikausschüsse könnten als Vorläufer der heutigen Betriebsräte angesehen werden. Dabei hebt Teuteberg hervor, dass der Entwurf „nicht von einem prinzipiellen Interessengegensatz der Arbeitnehmer und Arbeitgeber [. . .], sondern im Gegenteil von einer ,vertrauensvollen Zusammenarbeit‘“ ausging und daher in seinem sozialpolitischen Ansatz deutliche Parallelen zum heutigen Betriebsverfassungsrecht aufzeigte. Es verwundert daher nicht, dass der Minoritätenentwurf trotz fehlenden gesetzlichen Niederschlags als Anfang des deutschen Mitbestimmungssystems interpretiert wird.33 26
Abgedruckt bei Teuteberg, Geschichte, S. 109. Teuteberg, Geschichte, S. 94. 28 Ebenda. 29 Ebenda. 30 Teuteberg, Geschichte, S. 100. 31 Abgedruckt bei Teuteberg, Geschichte, S. 109. 32 Teuteberg, Geschichte, S. 111. 33 So Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1; ebenso wohl Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15; zu Stimmen aus früheren Zeiten vgl. Teuteberg, S. 111 f. 27
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
In der Zeit nach Scheitern der 1848-er Revolution erfolgte eine Beteiligung der Arbeitnehmer zunächst nur auf freiwilliger Basis. In den Fabriken entstanden nach und nach freiwillige Arbeitervertretungen in Form von Fabrikkrankenkassen, bei denen es sich letztlich um eine Fortentwicklung der schon vor der Industrialisierung bestehenden betrieblichen Sozialeinrichtungen wie etwa genossenschaftlichen Unterstützungskassen handelte.34 Nicht nur förderten diese angesichts der von den Arbeitern in die Kassen eingezahlten Beiträge die Fachkräftebindung, allen voran boten die bewährten Sozialeinrichtungen den unerfahrenen Fabrikinhabern in Anbetracht der großen Anzahl an Fabrikarbeitern eine willkommene Unterstützung sowohl bei der sozialen Fürsorge als auch bei der Überwachung der Fabrikordnung, der Disziplinierung der Arbeiter und im Zusammenhang mit Arbeitsstreitigkeiten.35 Zunehmend entwickelte sich hieraus eine Kooperation zwischen den Fabrikinhabern und Arbeitnehmervertretern in verschiedenen Angelegenheiten, zudem konnten die Arbeitnehmervertreter aufgrund des Vertrauens von beiden Seiten zwischen dem Fabrikinhaber und der Belegschaft vermitteln und so für ein gutes Betriebsklima sorgen.36 Nach und nach wurden den Kassen auch andere Kompetenzen – wie etwa Mitspracherechte bei der Arbeitszeit- und Lohngestaltung und der Erstellung der Fabrikordnung – übertragen, womit sich ihre Funktion immer mehr zu einer arbeitnehmerseitigen Interessenvertretung fortentwickelte.37 Die so entstandenen – weniger auf den Konzepten der Sozialtheoretiker als vielmehr auf einer tatsächlichen Entwicklung beruhenden – betrieblichen Arbeitnehmervertretungen etablierten sich unter der Bezeichnung „Arbeiterausschuß“, „Fabrikrat“, „Ältesten-Collegium“, „Arbeiterrat“ u. ä., ihre Bildung erfolgte hauptsächlich nach Errichtung des Bismarck-Reiches.38 Bis 1890 waren deutschlandweit mindestens 50 Arbeiterausschüsse entstanden.39 Neben den gedanklichen Wurzeln eines Mitbestimmungsrechts und der Entstehung von freiwilligen Arbeiterausschüssen hat sich im 19. Jahrhundert auch allmählich die Gewerkschaftsbewegung entwickelt. Nach der politischen Unterdrückung gewerkschaftlicher Vereinigungen wurde das Koalitionsrecht zunächst im Jahre 1861 in Sachsen und 1869 weitestgehend auch im Norddeutschen Bund
34 Näher Teuteberg, Geschichte, S. 115 ff., zu den vorindustriellen betrieblichen Sozialeinrichtungen S. 118 ff. 35 Teuteberg, Geschichte, S. 116 f. 36 Teuteberg, Geschichte, S. 117. 37 Teuteberg, Geschichte, S. 117, 209; dagegen kritisch hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 53 ff., die die Fabrikausschüsse aufgrund der von ihnen oft wahrgenommenen Disziplinierungsfunktion nicht als geeignete Institution der Interessenvertretung ansehen. 38 Teuteberg, Geschichte, S. 118. 39 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 4. Beispiele von freiwilligen Fabrikordnungen finden sich bei Teuteberg, Geschichte, S. 219, 224.
A. Geschichtlicher Hintergrund
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anerkannt.40 Zwischen 1865 und 1867 entstanden mit den Zentralverbänden für Tabakarbeiter, Buchdrucker und Schneider die ersten Gewerkschaften in Deutschland.41 Entsprechend ihrer Ideologie und parteipolitischen Ausrichtung konnten die entstehenden Gewerkschaften in die sog. „freien Gewerkschaften“, die der Sozialdemokratie zugewandt waren, die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine sowie die christlichen Gewerkschaften, die der Zentrumspartei nahestanden, unterteilt werden.42 Die Gewerkschaftsbewegung konnte auch nicht durch das von 1878 bis 1890 geltende Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (sog. „Sozialistengesetz“)43 aufgehalten werden, obwohl sich dieses mit dem Verbot aller sozialdemokratischer und kommunistischer Schriften, Versammlungen und Vereine auch gegen die „freien Gewerkschaften“ richtete.44 Aufgrund des geltenden Berufsverbandsprinzips und dem damit einhergehenden starken gewerkschaftlichen Pluralismus in den Betrieben waren die einzelnen Gewerkschaften anfangs jedoch noch nicht stark genug, um die Arbeitnehmerinteressen wirksam repräsentieren zu können.45 Den freiwillig eingerichteten Fabrikausschüssen standen die Gewerkschaften zunächst skeptisch gegenüber und setzten sich erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts für ihre Errichtung in den Fabriken ein.46 Tarifverträge wurden zwar seit 1848 abgeschlossen, jedoch fehlte es trotz mehrerer Versuche zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage im Kaiserreich an einer gesetzlichen Normierung des Tarifvertragsrechts bis 1918.47 Vor 1914 hatten Tarifverträge einen ausschließlich privatrechtlichen Charakter.48 Bis zur Änderung der Rechtsprechung des Reichsgerichts im Jahre 1910 galten sie darüber hinaus als unverbindlich und konnten vor Gericht nicht eingeklagt werden.49
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Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (298). Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 222 Rn. 1. 42 Näher Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (297 f.); Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 102; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 222 Rn. 1 ff. 43 Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878, RGBl. S. 351. 44 Vgl. Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (298 f.); Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 103; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 217 Rn. 2. 45 Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (300). 46 Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (301). 47 Nautz, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 71 (72); hierzu auch Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 31. 48 Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 163. 49 Vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 20. Januar 1910, Az.: VI 660/08, RGHZ 73, S. 92 (99 f.); Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 31, 129 f. 41
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
b) Gesetzesnovellen im deutschen Kaiserreich Den ersten gesetzlichen Niederschlag fand der Mitbestimmungsgedanke im Jahre 1890, als im Rahmen der Arbeitsschutzgesetzgebung von Kaiser Wilhelm II. die damalige Gewerbeordnung geändert und eine Regelung über die Bildung von sog. „ständigen Arbeiterausschüssen“ (vgl. § 134 h der Gewerbeordnung50) eingeführt wurde.51 Neben den damaligen wirtschaftlichen Problemen der Arbeiterklasse, der erstarkenden Sozialdemokratie und dem in diesem Zusammenhang stehenden großen Bergarbeiterstreik im Jahre 1889 trugen auch die guten Erfahrungen mit der Arbeitnehmervertretung im Krankenversicherungsbereich sowie die arbeitnehmerfreundlichere Einstellung Kaiser Wilhelms II. zu der Gesetzesnovelle bei.52 Die Einrichtung der Arbeiterausschüsse war zwar lediglich fakultativ, doch wurde ein Anhörungsrecht der Arbeiter bei Erlass der obligatorischen Fabrikordnung vorgeschrieben, welches durch die Arbeiterausschüsse wahrgenommen werden konnte.53 Die erste obligatorische Arbeitnehmervertretung wurde erstmals mit der Bayerischen Bergrechtsnovelle von 1900 eingeführt, die die Einrichtung ständiger Arbeiterausschüsse in Bergwerken mit mehr als zwanzig Beschäftigten festlegte.54 Dem folgte angesichts des Bergarbeiterstreiks im Ruhrbergbau die Reform des Preußischen Berggesetzes im Jahr 1905, durch die in allen Bergwerken mit mehr als einhundert Arbeitern ständige Arbeiterausschüsse vorgeschrieben wurden.55 Dem Arbeiterausschuss oblag es einerseits, für „das gute Einvernehmen“ im Betrieb zu sorgen, andererseits auch „Anträge, Wünsche und Beschwerden der Belegschaft“ zu betriebsbezogenen und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten des Bergwerks an den Bergwerksbesitzer heranzutragen.56 Ferner musste der Aus50 Auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 38; zum Inhalt der Gesetzesnovelle ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 376 ff. 51 Stollreither, Mitbestimmung, S. 37 f.; näher zur Arbeitsschutzgesetzgebung unter Kaiser Wilhelm II. Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 97; Teuteberg, Geschichte, S. 362 ff., 376 ff. 52 Näher zu den Hintergründen Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 96 ff.; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 58 ff.; Teuteberg, Geschichte, 362 ff. 53 Eger/Weise, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 273 (301); Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60; Teuteberg, Geschichte, S. 383 f. 54 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60; näher hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 425 f. 55 Vgl. § 80 f Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Abänderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes vom 14. Juli 1905, abgedruckt bei Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 22; hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 6; ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 427 ff. 56 Vgl. § 80 f Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Abänderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes vom 14. Juli 1905, abgedruckt bei Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 22.
A. Geschichtlicher Hintergrund
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schuss vor Erlass einer Arbeitsordnung gehört werden.57 Mit den dargestellten Gesetzesnovellen im Bergbau wurde die erstmalige obligatorische Arbeitnehmervertretung in einem Schlüsselzweig der deutschen Industrie eingeführt.58 Eine weitere gesetzliche Novelle brachte das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 191659. In Anlehnung an das Preußische Berggesetz60 wurde eine obligatorische Bildung von „ständigen Arbeiterausschüssen“ in allen kriegswichtigen Betrieben vorgeschrieben, die mehr als fünfzig Arbeiter beschäftigten (vgl. § 11 des Gesetzes). Gleichsam oblag den Arbeiterausschüssen, das „gute Einvernehmen“ im Betrieb zu fördern und Anliegen der Belegschaft an den Unternehmensinhaber zu übermitteln (vgl. § 12 Abs. 1 des Gesetzes). Darüber hinaus sah das Gesetz auch ein allgemeines Anhörungsrecht des Arbeiterausschusses auf Verlangen von einem Viertel der Ausschussmitglieder vor (vgl. § 12 Abs. 2 des Gesetzes). Das eigentliche Ziel des Gesetzes war jedoch die vollständige Erfassung der im Zuge des Krieges immer weniger werdenden Arbeitskräfte, womit die benötigte Kriegsproduktion und der Nachschub an der Front sichergestellt werden sollte.61 Vor diesem Hintergrund sah das Gesetz eine Verpflichtung aller Arbeiter zwischen 17 und 60 Jahren zum vaterländischen Hilfsdienst vor (vgl. §§ 1, 7, 9 des Gesetzes). Die Errichtung von Arbeiterausschüssen stellte dabei einerseits ein Zugeständnis an die SPD und die Gewerkschaften dar, mit dem ihre Akzeptanz für das Gesetz herbeigeführt werden sollte62, andererseits sollten die eingeräumten Mitspracherechte den bereitwilligen Einsatz der Arbeitskraft durch die Arbeiterschaft fördern63. In Bezug auf Letzteres sei es erforderlich gewesen, „daß ein für allemal die Zeit als endgültig vorüber angesehen wird, in der der Arbeiter nur als Objekt betrachtet wird, [. . .] über das man bedingungslos verfügen könnte“.64 Die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft kritisierte das Gesetz hingegen als ein Produkt des Militarismus und Kapitalismus, welches den Arbeitern als ein „aus sozialistischem Geiste“ entstandenes Ge57 Vgl. § 80 g des Gesetzes über die Abänderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes vom 14. Juli 1905, abgedruckt bei Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 22. 58 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 60 f. 59 Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916, RGBl. S. 1333. 60 Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 23. 61 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 139; vgl. auch Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 22. 62 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 22. 63 Vgl. die Verhandlungen des Reichstages, 76. und 79. Sitzungen am 29. November 1916 und 2. Dezember 1916, S. 2156, 2286 ff., abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 164 ff. 64 Rede von Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg während der Verhandlungen des Reichstages, 76. und 79. Sitzung am 29. November 1916 und 2. Dezember 1916, S. 2156, 2286 ff., abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 164 ff. (165).
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
setz „schmackhaft“ gemacht werden sollte, in Wahrheit jedoch durch Einschränkung der freien Berufswahl die Arbeiter den Unternehmern zur „Ausbeutung“ überlasse und die Arbeitskraft – das einzige Gut des Arbeiters – „rücksichtlos beschlagnahm[e]“.65 c) Die Arbeitnehmerbeteiligung in der Weimarer Republik Eine neue Weichenstellung für die Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland erfolgte im Rahmen der Neuordnung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Weimarer Republik. In den ersten Monaten nach Kriegsende zeigten sich innerhalb der politischen Gruppierungen deutliche Differenzen in Bezug auf das künftige politische System Deutschlands.66 Dem Konzept der parlamentarischen Demokratie stand der sich nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland entwickelte Rätegedanke gegenüber.67 Dieser zielte darauf ab, „dem Faktor Arbeit als dem konstitutiven Element von Gesellschaft eine seiner Funktion angemessene Position“ zuzuweisen68, was in wirtschaftlicher Hinsicht durch Vergemeinschaftung der wesentlichen Wirtschaftsbereiche sichergestellt werden sollte69. Die ersten Anläufe der Rätebewegung zeigten sich bereits in den Massenstreiks im Juni 1916, April 1917 und Januar/Februar 1918.70 Die anwachsenden gesellschaftlichen Unruhen im Jahre 1918 gipfelten schließlich Anfang November in einer landesweiten Revolution, die das Ende der monarchistischen Herrschaft und den Beginn der Republik markierte.71 Gleichzeitig waren ähnlich wie in Russland in zahlreichen Städten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet worden.72 Nach den stürmischen Ereignissen im November 1918 wurde die Rätebewegung in Deutschland infolge des gemeinsamen Widerstands von Industrie, Gewerkschaften und den Mehrheitssozialisten schon sehr bald wieder eingedämmt.73 Um den Forderungen nach einer radikalen Sozialisierung entgegen65 Vgl. die Rede des sozialdemokratischen Abgeordneten Haase während der Verhandlungen des Reichstages, 76. und 79. Sitzung am 29. November 1916 und 2. Dezember 1916, S. 2156, 2286 ff., abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 164 ff. (166 ff.). 66 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 7. 67 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 7; ausführlich zur Rätebewegung und zum Rätegedanken Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 116 ff. 68 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 62. 69 Näher Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 23. 70 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 116; Stollreither, Mitbestimmung, S. 39. 71 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 63. 72 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 63; Stollreither, Mitbestimmung, S. 39. 73 Näher hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 141 ff.; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 63; Stollreither, Mitbestimmung, S. 39 f.
A. Geschichtlicher Hintergrund
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zutreten, verständigten sich die Industrie und die Gewerkschaften bereits am 15. November 1918 über die Bildung einer „Zentralen Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands“, im Rahmen dessen auch die Bildung von Arbeiterausschüssen festgelegt wurde.74 Die freien Gewerkschaften wurden darin als Vertreter der Arbeiterschaft anerkannt, die Arbeitsbedingungen sollten durch Kollektivvereinbarungen festgesetzt werden. Zudem wurde die Bildung eines Arbeiterausschusses in allen Betrieben mit mindestens fünfzig Beschäftigten vorgesehen. Der zentralen Arbeitsgemeinschaft lag eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zugrunde, womit in ihr ansatzweise auch der Mitbestimmungsgedanke zutage trat.75 Gleichwohl beschäftigte sich die Arbeitsgemeinschaft vor allem mit sozialpolitischen Themen, eine Beteiligung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Fragen der Unternehmen ging damit kaum einher.76 Die nach und nach schwächere Zusammenarbeit führte jedoch letztlich zur Auflösung der Arbeitsgemeinschaft im Jahre 1924.77 Nach Ansicht von Unternehmensvertretern hat die Vereinbarung aber „Deutschland vor dem Chaos und vor einer bolschewistischen Revolution bewahrt“.78 Mit Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 191979 (nachfolgend: auch „WRV“) war die Entscheidung für eine parlamentarische Demokratie und gegen eine sozialistische Räterepublik besiegelt.80 Allerdings fand der Rätegedanke letztlich doch Einzug in die Weimarer Verfassung, wenn auch nur marginal.81 Nachdem sich die Reichsregierung in einer amtlichen Kundgebung am 25. Februar 1919 noch entschieden gegen das Rätesystem gewehrt hatte („Kein Mitglied des Kabinetts denkt daran oder hat je daran gedacht, das Rätesystem in irgend einer Form, sei es in der Verfassung, sei es in den Verwaltungsapparat einzugliedern“) bewogen zahlreiche Massenstreiks die Regierung doch zu einem zumindest teilweisen Einlenken.82 In der Weimarer Reichsverfassung
74 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 71 f.; der Inhalt der Vereinbarung ist auszugsweise wiedergegeben bei Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 84 f. 75 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 9. 76 Ebenda. 77 Ebenda. 78 So die Einschätzung der Zentralarbeitsgemeinschaft aus Arbeitgebersicht, 1954, abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 185 ff. Die Gewerkschaften zelebrierten die Vereinbarung dagegen als einen „gewerkschaftlichen Sieg von seltener Größe“. Allerdings war die Arbeitsgemeinschaft in beiden Lagern nicht unumstritten, vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 9 sowie Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 85 f. 79 Die Verfassung des deutschen Reichs vom 11. August 1919, RGBl. S. 1383. 80 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 143; Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 23. 81 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; Stollreither, Mitbestimmung, S. 40. 82 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 116 f.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
wurden daher Arbeiterräte auf Ebene des Betriebs, des Bezirks und des Reiches vorgesehen, die die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer vertreten sollten (vgl. Art. 165 WRV). Mit der Weimarer Reichsverfassung wurde so eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer nicht nur in sozialen, sondern auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten verfassungsrechtlich gewährleistet.83 Der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Garantie diente zunächst die in einer Verordnung vom 23. Dezember 1919 vorgesehene Einführung betrieblicher Arbeiterausschüsse.84 Danach erlies der Gesetzgeber im Jahr 1920 das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 192085 (nachfolgend: „BRG 1920“). Von dem eigentlichen Rätegedanken war dieses jedoch mittlerweile sehr weit entfernt.86 Vielmehr erinnerte es an die Arbeiterausschüsse der Vor- und Kriegszeit.87 Insoweit wurde es auch als „Ergebnis der ,Zügelung‘ der Rätebewegung durch SPD- und Gewerkschaftsführung“ betrachtet.88 Nach dem BRG 1920 sollten in allen Betrieben, die in der Regel mindestens zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen, Betriebsräte errichtet werden. Das Gesetz wies ihnen in § 1 eine doppelte Funktion zu89: Erstens die „Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber“ und zweitens die „Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke“. Die Betriebsräte sollten mithin die Interessen der Arbeitnehmer vertreten, gleichzeitig jedoch auch den Arbeit83 So auch Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 13. Dies kam auch in Art. 156 WRV zur Geltung, vgl. Potthoff, a. a. O. 84 Vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 40. 85 Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920, RGBl. S. 147. 86 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 24; ebenso Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 144 („Das [Betriebsräte-]Gesetz zieht den Schlußstrich unter das Kapitel der rechtlichen Entmachtung der Räte“); Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 144 („So war das Betriebsrätegesetz [. . .] nur noch eine Karikatur des revolutionären Rätegedankens“). 87 Vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 40 sowie Fraenkel, Zehn Jahre Betriebsrätegesetz, in: Die Gesellschaft, Nr. 2, 1930, S. 120/121 und 126, zitiert nach Schneider/ Kuda, Mitbestimmung, S. 146: „Soweit das Betriebsrätegesetz die Räte als sozialpolitisches Sprachrohr der Belegschaften anerkennt, ist es weitgehend eine Kodifikation des Arbeiterausschusswesens, wie sich dieses in der Vorkriegs- und Kriegszeit herausgebildet hatte.“ 88 So Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 163. Dementsprechend heftig war auch die Kritik der Rätebefürworter, vgl. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 24. Doch auch von Seiten der Industrie wurde es kritisiert, vgl. die Resolution des Reichsverbandes der Deutschen Industrie zum Entwurf des Betriebsrätegesetzes am 24. September 1919, abgedruckt bei Nagel, a. a. O. („[. . .] so gefährlich für die Leitung, Ordnung und Leistungsfähigkeit der Betriebe und damit so vernichtend für das gesamte deutsche Wirtschaftsleben, daß der Entwurf in dieser Form keinesfalls Gesetz werden darf.“). 89 So auch Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70.
A. Geschichtlicher Hintergrund
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geber und die Betriebszwecke fördern. In der zweitgenannten Funktion manifestiert sich zum ersten Mal gesetzlich der Gedanke einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.90 Die bisherigen Gesetze im Kaiserreich hatten demgegenüber noch davon gesprochen, dass die Arbeiterausschüsse für „das gute Einvernehmen“ im Betrieb zu sorgen hatten und ihnen damit im Wesentlichen nur eine Disziplinierungs- und Schlichtungsfunktion beigemessen. Dagegen schlug sich im BRG 1920 der kooperative Ansatz der damals führenden Mehrheitssozialdemokraten nieder.91 Dieser kam insbesondere in den §§ 66 ff. BRG 1920 zum Ausdruck.92 Die Rechte des Betriebsrats konzentrierten sich zwar im Wesentlichen auf den betrieblichen und personellen Bereich93, gleichwohl war auch schon eine Einbeziehung des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten vorgesehen, indem diesem Auskunftsansprüche in Bezug auf die Geschäfts- und Beschäftigungslage sowie Einsichtsrechte in die Bilanzen des Arbeitgebers gewährt wurden (vgl. §§ 71, 72 BRG 1920). Insgesamt enthielt das BRG 1920 viele Elemente, die auch im heutigen Betriebsverfassungsgesetz wiederzufinden sind. Für die Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland war es in Anbetracht der erstmaligen gesetzlichen Verankerung einer Beteiligung der Arbeitnehmer an der Betriebsführung von immenser Bedeutung.94 Das BRG 1920 schrieb darüber hinaus auch erstmals eine Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat vor. § 70 Satz 1 BRG 1920 sah vor, dass in Unternehmen, in denen ein Aufsichtsrat bestand und für die nicht auf Grund anderer Gesetze eine gleichartige Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vorgesehen war, nach Maßgabe eines besonderen hierüber zu erlassenden Gesetzes ein oder zwei Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat entsandt werden sollten, „um die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer sowie deren Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs zu vertreten“. Die Vertreter sollten in allen Sitzungen des Aufsichtsrats einen Sitz und ein Stimm90 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 24. Zwar lag auch schon dem Minoritäts-Gegenentwurf von 1849 der Gedanke einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zugrunde, allerdings kam es letztlich nicht zur Verabschiedung des Gesetzes, vgl. hierzu oben Kapitel 2, A.I.1.a). 91 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 70. 92 So hatte der Betriebsrat etwa die Aufgabe, „die Betriebsleitung durch Rat zu unterstützen, um dadurch mit ihr für einen möglichst hohen Stand und für möglichste Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen zu sorgen“ (§ 66 Nr. 1 BRG 1920) sowie darauf hinzuwirken, dass „von beiden Seiten Forderungen und Maßnahmen unterlassen werden, die das Gemeininteresse schädigen“ (§ 68 BRG 1920). 93 Vgl. hierzu die Regelungen in §§ 66 bis 90 BRG 1920. Die Betriebsräte hatten Informationsrechte bzw. teilweise sogar Mitspracherechte u. a. im Zusammenhang mit Entlassungen und Einstellungen, der Durchführung von Tarifverträgen, Einführung neuer Arbeitsmethoden, Ausgestaltung der Arbeitsordnung und Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren. 94 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 8.
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recht haben, lediglich eine Aufwandsentschädigung erhalten und über vertrauliche Angaben Stillschweigen bewahren (§ 70 Satz 2 BRG 1920). Bei § 70 BRG 1920 handelte es sich jedoch lediglich um eine Rahmenregelung, die den Erlass eines Ausführungsgesetzes vorsah.95 Ein solches stellte sodann das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 192296 dar. Als Zweck der Entsendung der Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat benennt § 70 BRG 1920 ausdrücklich die Vertretung der „Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer“ und ihrer „Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs“. Der Gesetzesentwurfsbegründung lässt sich entnehmen, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat mit dem Ziel eingeführt wurde, „die Arbeitsfreudigkeit, das Verantwortlichkeitsgefühl und das Interesse an der Hebung der Betriebsleistungen und des Ertrags“ zu steigern, und dass in der Überzeugung der Urheber des Gesetzes die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung als der geeignetste Weg hierfür erschien.97 Von dieser „Neuerung völlig grundlegender Art“ und „so weitgehenden Befugnis“ 98 erhoffte man sich also zum einen mehr Motivation und Engagement bei den Mitarbeitern, zum anderen wohl aber auch positive wirtschaftliche Effekte99. Darüber hinaus wurde der neuen Institution aber auch eine „Befriedungsfunktion“, „Informationsfunktion“ und schließlich eine „Demokratisierung des Unternehmens bzw. der Aufsichtsratsfunktionen“ zugesprochen.100 Da die Gesetzesbegründung auch davon spricht, dass nur dort ein Mitbestimmungsrecht eingefügt werden könne, „wo wegen der gesellschaftlichen Form des Unternehmens bereits ein kollegialer Aufsichtsrat besteht, dem die Arbeitnehmervertretung leicht eingefügt werden kann“ 95 Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 273; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestG Vorbem. Rn. 4. 96 Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 1922, RGBl. I S. 209. 97 Begründung zum Entwurf des Gesetzes über Betriebsräte vom 16. August 1919, Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338, Drucks. Nr. 928, S. 22 („Eine Neuerung völlig grundlegender Art, die ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in der Betriebsleitung der größeren Unternehmungen herbeiführt, bildet schließlich die Entsendung von Vertretern des Betriebsrats in den Aufsichtsrat derjenigen Unternehmungen, für welche ein solcher besteht. Die Verleihung einer so weitgehenden Befugnis, welche das im allgemeinen gewährte Mitberatungsrecht in ein Mitbestimmungsrecht verwandelt, wird in der Überzeugung vorgeschlagen, dass nichts so sehr die Arbeitsfreudigkeit, das Verantwortlichkeitsgefühl, und das Interesse an der Hebung der Betriebsleistungen und des Ertrags zu steigern geeignet ist, als die verantwortliche Mitwirkung an der obersten Leitung des Unternehmens, [. . .]“). 98 Begründung zum Entwurf des Gesetzes über Betriebsräte vom 16. August 1919, Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338, Drucks. Nr. 928, S. 22. 99 In diese Richtung auch schon Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 14, die von einer „ökonomischen Rechtfertigung“ ausgeht. 100 Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 274 m.w. N.
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und gleichzeitig den „bereits verworfenen Weg der Schaffung zweier gleichgeordneter, einander lähmender Organe“ erwähnt, scheinen auch andere Konzepte als die Verankerung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat im Vorfeld diskutiert worden zu sein.101 Das Ausführungsgesetz war mit nur elf kurzen Paragraphen äußerst knapp. Es enthielt im Wesentlichen lediglich Bestimmungen über die betroffenen Unternehmen, die Anzahl der zu entsendenden Betriebsratsmitglieder (ein oder zwei), die Wahl und Ersatzmitgliedschaft sowie die Beendigung des Amtes. Die Gesetzesentwurfsbegründung stellte darüber hinaus klar, dass auf die Betätigung der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat – „ohne daß dies im Gesetz ausgesprochen zu werden braucht“ – die Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes über die Mitglieder der Betriebsvertretungen ohne Weiteres Anwendung fanden, so etwa die Freistellung von der Arbeit.102 In § 3 des Ausführungsgesetzes wurde die zuvor angesichts der Formulierung in § 70 BRG 1920 („um die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer sowie deren Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs zu vertreten“) aufgekommene Streitfrage, ob diese Norm eine inhaltliche Beschränkung der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat auf die Wahrnehmung ausschließlich sozialpolitischer Interessen der Arbeitnehmer impliziere oder aber sämtliche Aufsichtsratsmitglieder gleichberechtigt seien, zugunsten letzterer Ansicht gelöst.103 Was den Einfluss der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat betrifft, so war die Bedeutung der Arbeitnehmervertreter wohl eher gering. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang zum einen auf ihre Minderheitenstellung.104 Zum anderen wurden die Arbeitnehmervertreter von der Entscheidung über bedeutsame Angelegenheiten – etwa Vorstandsfragen – ausgeschlossen, indem diese im Wege von Satzungsänderungen auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder Ausschüsse übertragen wurden, in denen die Belegschaftsvertreter nicht vertreten waren.105 Die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beschränkte sich damit letztlich auf die Belegschaft betreffende Fragen, wobei hierbei neben einem man101
So schon Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 14. Begründung zum Entwurf des Gesetzes über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 370, Nr. 3110 Anlage 1, S. 2930, 2932. 103 Vgl. Begründung zum Entwurf des Gesetzes über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat, Verhandlungen des Reichstags, Bd. 370, Nr. 3110 Anlage 1, S. 2930, 2931 f.; ferner die Akten der Reichskanzlei Weimarer Republik, Kabinett Fehrenbach, Bd. 1, Dokumente, Nr. 156 Kabinettssitzung vom 15. Januar 1921, 16 Uhr, TOP 8: Entwurf eines Gesetzes über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat., S. 414–415 m.w. N., abrufbar unter http://www.bundes archiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0u1/feh/feh1p/kap1_2/kap2_156/para3_8.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; vgl. auch Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 274 m.w. N. 104 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 25. 105 Näher Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 275 f. m.w. N. 102
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gelnden Interesse auch ihre fehlenden Qualifikationen für eine fundierte Auseinandersetzung mit sonstigen Themen des Aufsichtsrats eine Rolle gespielt haben dürften.106 Insgesamt betrafen die Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats nach dem BRG 1920 damit im Wesentlichen nur den sozialen und personellen Bereich.107 Seine Bedeutung in wirtschaftlichen Angelegenheiten blieb trotz der Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat gering.108 Das BRG 1920 und das Ausführungsgesetz von 1922 legten jedoch eine entscheidende neue Weichenstellung für das deutsche Mitbestimmungssystem, indem die Aufsichtsräte erstmalig nicht mehr nur ein ausschließliches Gremium von Anteilseignervertretern darstellten.109 Auch im Hinblick auf das sonstige Arbeitsrecht war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von großer Bedeutung, als dann erst – vor dem Hintergrund einer neuen politischen Ordnung – die Denkansätze des 19. Jahrhunderts rechtliche Formen annehmen konnten und die Entstehung eines modernen Arbeitsrechts eingeleitet wurde.110 So etwa wurde mit der Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918111 die erste gesetzliche Grundlage für das deutsche Tarifvertragssystem erlassen. Kritisiert wird jedoch auch, dass die während der Novemberrevolution erkämpften Rechte, so insbesondere das Streikrecht, allmählich wieder beschnitten wurden.112 d) Einbruch der Mitbestimmung unter dem NS-Regime Eine Zäsur in der Entwicklung des deutschen Mitbestimmungssystems erfolgte mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft. Nach 1933 wurden nicht nur jegliche demokratischen Strukturen im politischen Bereich abgeschafft, auch in den Betrieben und der Wirtschaft erhielt das sog. „Führerprinzip“ Einzug.113 106
Lieder, Aufsichtsrat im Wandel, S. 277. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 24. 108 Ebenda. 109 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 15. 110 Vgl. Häberle, in: Nutzinger, Die Entstehung des Arbeitsrechts, S. 145 (148) („[. . .] ganz offensichtlich gibt es ein eigentliches Arbeitsrecht erst nach 1918, als die alte Gesellschaft überwunden war, und als hinreichende zivilbürgerliche Rechts- und Verfassungsvorstellungen, die freilich ideell längst vorlagen, auch hinreichend praktisch werden konnten, indem durch Abdankung, Revolution und allgemeinen Zusammenbruch des alten Staates überhaupt erst die wirkliche Chance eines allgemeinen zivilbürgerlichen Staates entstanden war.“). 111 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918, RGBl. S. 1456. 112 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 145. 113 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 13; vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934, RGBl. I S. 45: „Der Führer des Betriebs entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten.“ 107
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Alle Akteure im Arbeitsleben – Gewerkschaften wie Arbeitgeberorganisationen, Arbeiter wie Unternehmer –, wurden unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Status in der „deutschen Arbeitsfront“, die eine Erziehungsaufgabe im Sinne der nationalsozialistischen Doktrin übernehmen sollte, vereint.114 Die Arbeitsbedingungen sollten fortan in einer vom Führer des Betriebs einseitig zu erlassenden Betriebsordnung festgesetzt werden (vgl. §§ 26 ff. des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934115). Verboten wurde der Arbeitskampf.116 Für die Einhaltung des Arbeitsfriedens hatte ein „Treuhänder der Arbeit“ – ein Reichsbeamter unter Aufsicht des Reichsarbeitsministers – zu sorgen (vgl. §§ 18 f. des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit). Das BRG 1920 und das Ausführungsgesetz von 1922 widersprachen dem „Führerprinzip“ und wurden daher aufgehoben (vgl. § 65 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit).117 Es gab zwar einen „Vertrauensrat“, der aus dem Führer des Betriebs und Vertrauensmännern der Gefolgschaft bestand (vgl. § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit). Doch wurde nicht nur der Vertrauensrat vom Führer des Betriebs geleitet, auch wurden die Vertrauensmänner vom Führer des Betriebs zur Wahl durch die Gefolgschaft aufgestellt (vgl. §§ 5 Abs. 1, 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit). Das nationalsozialistische Ordnungssystem verhinderte so jegliche Art von Mitbestimmung im Betrieb oder Unternehmen.118 2. Entwicklung der Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 Die Entwicklung des Arbeitsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte im Rahmen des Wiederaufbaus des politischen und wirtschaftlichen Systems in Deutschland, der sich maßgeblich unter dem Einfluss der Alliierten und ihrer Entflechtungsmaßnahmen vollzog und nicht nur von einer antifaschistischen, sondern in breiten Kreisen auch antikapitalistischen Einstellung geprägt war.119 Im Zuge der Neuordnung der staatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung nach Kriegsende wurde auch die Mitbestimmungsidee schon sehr bald wiederbelebt.120 Bereits 1946 erließ der alliierte Kontrollrat das für alle Besatzungszonen
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Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 14. Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934, RGBl. I S. 45. 116 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 14. 117 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 11. 118 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 14; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 26. 119 Ausführlich Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 144 ff. 120 Stollreither, Mitbestimmung, S. 146. 115
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geltende Betriebsrätegesetz vom 10. April 1946121, mit welchem die Errichtung von Betriebsräten wieder erlaubt wurde. Hinsichtlich der Neuordnung der staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung wurde in den westlichen Besatzungszonen an die Weimarer Verfassung sowie die rechtlichen und wirtschaftspolitischen Konzepte der damaligen Zeit angeknüpft.122 Prägend war dabei die aus der Weimarer Zeit stammende Idee der Wirtschaftsdemokratie.123 Diese wurde nicht nur von den Gewerkschaften wiederaufgegriffen124, auch in den Programmen der politischen Parteien fand sich ein wirtschaftsdemokratischer Ansatz125. Daran anknüpfend fanden sich auch in den neugefassten Verfassungen der Bundesländer in den westlichen Besatzungszonen Bestimmungen zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer im wirtschaftlichen Bereich.126 a) Einführung einer Unternehmensmitbestimmung in der Montanindustrie Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren sich die Besatzungsmächte einig, dass eine Entnazifizierung, Entmilitarisierung und ein Wiederaufbau Deutschlands auf demokratischer Grundlage notwendig war.127 Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 einigten sich die Alliierten darauf, „[i]n praktisch kürzester Frist [. . .] das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit 121 Kontrollratsgesetz Nr. 22 (Betriebsräte) vom 10. April 1946, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, S. 133. 122 Vgl. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 26; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 25 f.; Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 26. 123 Ausführlich zum ideologischen Konzept der Wirtschaftsdemokratie unten Kapitel 2, B.VI. 124 Vgl. Grundsatzprogramm des DGB von 1949, in der die „Demokratisierung der Wirtschaft“ eine zentrale Rolle spielt, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70 ff. 125 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 25; vgl. etwa das Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947 (Präambel), das von einer „gemeinwirtschaftlichen Ordnung“ spricht, durch die „das deutsche Volk eine Wirtschaftsund Sozialverfassung erhalten [sollte], die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert“. 126 Näher hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 28 f. 127 Vgl. Directive JCS 1067 des Generalstabs der Vereinigten Staaten an General Eisenhower vom April 1945 über die weitere Behandlung Deutschlands: „Das Hauptziel der Alliierten ist es, Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung des Weltfriedens zu werden. Wichtige Schritte zur Erreichung dieses Ziels sind die Ausschlagung des Nazismus und des Militarismus in jeder Form, die sofortige Verhaftung der Kriegsverbrecher zum Zwecke der Bestrafung, die industrielle Abrüstung und Entmilitarisierung mit langfristiger Kontrolle des Deutschen Kriegsapparats und die Vorbereitung zu einem späteren Wiederaufbau des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage.“
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dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen“.128 Von dieser Absichtserklärung betroffen war vor allem die deutsche Schwerindustrie.129 Der vom Alliierten Kontrollrat am 28. März 1946 herausgegebene sog. „Industrieplan“ 130 sah Restriktionen in Bezug auf das industrielle Produktionsvolumen sowie die umfassende Demontage kriegsnütziger Produktionsanlagen vor.131 1947 begann in der Stahl- und Eisenindustrie die Dekonzentration und Aufspaltung der acht großen Eisen- und Stahlkonzerne, aus denen bereits im Frühjahr 1948 25 Unternehmen entstanden waren.132 Die anfänglich auf Reparationen und Entmilitarisierung Deutschlands gerichtete Politik der Alliierten wandte sich zunehmend der Frage nach dem Wiederaufbau Deutschlands zu.133 Vor dem Hintergrund, dass die den Demontagen unterliegenden Anlagen auch für nicht-militärische Zwecke notwendig waren, musste eine erneute Aufrüstung Deutschlands im Wege der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung verhindert werden.134 Dabei gab es verschiedene Überlegungen zur Gestaltung der deutschen Wirtschaft. Der anfängliche Vorschlag Morgenthaus, Deutschland in einen Agrarstaat zu wandeln, wurde schon bald aufgegeben.135 Deutlich mehr Beachtung erhielt jedoch das Konzept der Sozialisierung, insbesondere in Bezug auf die Montanindustrie und Großchemie.136 Während die Amerikaner lediglich eine Entflechtung der Großkonzerne zum Ziel hatten, waren die Briten durchaus der Sozialisierung zugeneigt137, in der sowjetischen Besatzungszone stand dagegen von Anfang an die Verstaatlichung fest.138 128 Punkt III.B.12 des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945, abrufbar unter http://www.documentarchiv.de/in/1945/potsdamer-abkommen.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 129 Stollreither, Mitbestimmung, S. 147. 130 „Plan für Reparationen und den Nachkriegsstand der deutschen Wirtschaft und für die Demontagen“ vom 28. März 1946, vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22. 131 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77; näher zu den Maximalgrenzen für die Stahlproduktion und Gesamtindustrie Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22. 132 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77; Stollreither, Mitbestimmung, S. 147. 133 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 180. 134 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77. 135 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77. 136 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 31. 137 Die Briten sahen die Entflechtung der Eisen- und Stahlindustrie ausdrücklich als eine Vorstufe der Sozialisierung, die analog zu der in England unter der an die Macht gekommenen Labour Party erfolgten Verstaatlichung der Stahlindustrie ebenfalls für die deutsche Grundstoffindustrie erfolgen sollte, Stollreither, Mitbestimmung, S. 147. 138 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77.
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Auch in Deutschland selbst gingen die Meinungen auseinander. Im Grundsatz anerkannt war unter den sich nach Kriegsende wiederaufbauenden Parteien und Gewerkschaften, dass nur eine umfassende Neuordnung die Wiederholung der Geschehnisse unter dem NS-Regime für immer verhindern könne.139 Dabei wurde dem Kapitalismus nicht nur von Verfechtern der sozialistischen Ideologie, sondern auch in konservativen bürgerlichen Kreisen eine Mitschuld am Ende der Weimarer Republik gegeben, sodass die Sozialisierung von weiten Teilen als alternativlos angesehen wurde.140 Dementsprechend weit verbreitet war neben antifaschistischen Bestrebungen auch der Zuspruch für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und eine damit einhergehende Wirtschaftsplanung sowie die Einführung betrieblicher und überbetrieblicher Kontrollmechanismen in Bezug auf die Produktion.141 So etwa sprach sich die SPD in den ersten Nachkriegsjahren generell für die Sozialisierung aus142, auch die Gewerkschaften gingen von einer notwendigen Vergemeinschaftung der Schlüsselindustrien und einer zentralen volkswirtschaftlichen Planung aus143. Selbst die CDU hatte in ihrem Ahlener Programm vom Februar 1947 die Vergesellschaftung des Bergbaus, der eisenund stahlerzeugenden Industrie und chemischen Großindustrie sowie anderer monopolartiger Großindustrien gefordert.144 Demgegenüber wehrte sich die Unternehmerseite schon früh gegen die Sozialisierung.145
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Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78 f.; vgl. das Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947: „Das kapitalistische System ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“ (Präambel). 141 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 145. 142 Vgl. die Politischen Leitsätze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Aktionsprogramm der SPD) vom 11. Mai 1946 in Hannover: „[. . .] Die Sozialdemokratie erstrebt eine sozialistische Wirtschaft durch planmäßige Lenkung und gemeinwirtschaftliche Gestaltung. [. . .] Die Sozialisierung hat zu beginnen bei den Bodenschätzen und den Grundstoffindustrien. Alle Betriebe des Bergbaues, der Eisen- und Stahlerzeugung und -bearbeitung bis zum Halbzeug, der größte Teil der chemischen Industrie und die synthetischen Industrien, die Großbetriebe überhaupt, jede Form der Versorgungswirtschaft und alle Teile der verarbeitenden Industrie, die zur Großunternehmung drängen, sind in das Eigentum der Allgemeinheit zu überführen.“; vgl. hierzu auch Potthoff/ Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 31. 143 Vgl. Grundsatzprogramm des DGB, beschlossen auf dem Gründungskongress des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949, auszugweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70. 144 Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947, Punkt II.3 und II.4 sowie Antrag 2 der CDU-Fraktion des Landes Nordrhein-Westfalen. 145 So ein seitens der Industrie auf der ersten Konferenz zwischen Vertretern der Ruhrindustrie und der Gewerkschaften im Mai 1946 in Düsseldorf vorgebrachter Gegenvorschlag zur Sozialisierung, der dahingehend lautete, ein neues deutsches Gesellschaftsrecht zu schaffen, welches „den Mißbrauch der Wirtschaftskraft ausschließt und die verantwortliche Mitwirkung der Angehörigen des Betriebes an seiner Entwicklung sichert“, vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 27. 140
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Die Verfassungen einzelner Bundesländer sahen zwar die Überführung von Schlüsselindustrien ins Gemeineigentum vor.146 Doch wurde schon 1947 die Umsetzung von Sozialisierungsbeschlüssen in Bayern, Schleswig-Holstein und in Groß-Berlin unter amerikanischem Einfluss verhindert, ebenso wurde einem Sozialisierungsbeschluss des Landes Nordrhein-Westfalen vom 6. August 1948 nicht zugestimmt.147 Die Entscheidung über die Vergemeinschaftung sollte vielmehr der neuen demokratischen Regierung in Deutschland vorbehalten bleiben und nicht durch geschaffene Tatsachen vorweggenommen werden.148 Allein in Hessen war teilweise eine Überführung ins Gemeineigentum erfolgt.149 Vor dem Hintergrund ihrer überlegenen Stellung gegenüber Großbritannien und Frankreich, die auf finanzielle Unterstützung angewiesenen waren, sowie der stark angeschlagenen Sowjetunion konnten die Amerikaner letztlich ihr Konzept von einem kapitalistischen Wiederaufbau Westdeutschlands realisieren und den Grundstein für die weitere Entwicklung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung legen.150 Das 1949 erlassene Grundgesetz, welches „keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ 151 enthält, eröffnete in Art. 15 zwar die Möglichkeit der Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, ordnete sie jedoch nicht an.152 Spätestens mit Bildung der ersten Regierung unter Konrad Adenauer kam eine Sozialisierung nicht mehr in Betracht.153 Die ersten Nachkriegsjahre waren für die Entwicklung und Durchsetzung der Mitbestimmungsidee – nicht zuletzt aufgrund der starken Stellung der Gewerkschaften – weichenstellend. Im Rahmen der Überlegungen und Diskussionen um die staatliche und wirtschaftliche Neuordnung Deutschlands wurde auch der Mit-
146 So etwa Art. 41 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dezember 1946, abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 179 f., sowie Art. 27 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Juni 1950, vgl. Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 181. 147 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 180 f. 148 Vgl. die Richtlinien der amerikanischen Regierung an den Kommandierenden General der Besatzungsstreitkräfte der Vereinigten Staaten in Deutschland, General Lucius D. Clay, veröffentlicht am 17. Juli 1947, Pkt. 21 c), auszugsweise abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 167 ff.; vgl. hierzu auch Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, a. a. O., S. 146. 149 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 31. 150 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 144, 146. 151 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 119. 152 Wie dies noch in einigen Länderverfassungen der Fall war, vgl. Art. 41 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dezember 1946: „Mit Inkrafttreten dieser Verfassung werden 1. In Gemeineigentum überführt: der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schiene oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen [. . .]“, abgedruckt bei Blanke/ Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 179 f. 153 Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 29.
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bestimmungsgedanke wiederbelebt. Schon früh fand daher die Mitbestimmung in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen Eingang in die Programme der Gewerkschaften und politischen Parteien. Die sich nach 1945 erst wieder neu gründenden Gewerkschaften154 griffen in ihren Vorstellungen zur Neuordnung Deutschlands auf die Ideen der Weimarer Zeit und das damals propagierte Konzept der Wirtschaftsdemokratie zurück.155 Neben der Forderung nach einer weitgehenden Mitbestimmung in personellen und betrieblichen Angelegenheiten kam daher auch schon früh die Forderung auf, dass die Arbeiter in den Vorständen und Aufsichtsräten vertreten sein müssten.156 Im Jahre 1949 fanden die in den ersten Nachkriegsjahren entstandenen Vorstellungen ihren Niederschlag im Grundsatzprogramm des DGB.157 Neben der notwendigen Vergemeinschaftung der Schlüsselindustrien und einer zentralen volkswirtschaftlichen Planung war die „Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung“ zentrale Forderung des DGB.158 Aber auch die Politik sah in der Mitbestimmung einen wichtigen Baustein der neuen Ordnung. Die SPD sprach sich
154 Dies erfolgte unter der Kontrolle der Militärregierung der Alliierten, vgl. etwa Industrial Relations Directive Nr. 16 vom 12. April 1945 „Gründung von Gewerkschaften in der britischen Besatzungszone (Drei-Phasen-Plan)“, auszugsweise abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 164 ff. 155 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 24; vgl. auch Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 79. Ausführlich zum ideologischen Konzept der Wirtschaftsdemokratie unten Kapitel 2, B.VI. 156 Vgl. Entschließung Nr. 8 des ersten Gewerkschaftskongresses der britischen Zone vom 12 bis 14. März 1946 in Hannover-Linden sowie die dortige Rede von Hans Böckler („Wir müssen in der Wirtschaft selber als gleichberechtigt vertreten sein, nicht nur in einzelnen Organen der Wirtschaft, nicht in den Kammern der Wirtschaft allein, sondern in der gesamten Wirtschaft. Also der Gedanke ist der: Vertretung in den Vorständen und Aufsichtsräten der Gesellschaften.“), zitiert nach Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 29. Die Forderung nach einer paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte kam auch in der Entschließung des zweiten Gewerkschaftskongresses vom 21. bis 23. August 1946 ausdrücklich zutage: „Die Gewerkschaften halten es deshalb für notwendig, daß die Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichts- und Kontrollorganen der Unternehmungen paritätisch mit den Vertretern der Unternehmer beteiligt sind. Die Auswahl der Arbeitnehmervertreter obliegt dabei den Gewerkschaften mit der Maßgabe, daß mindestens zwei Vertreter aus dem Betriebsrat genommen werden“, zitiert nach Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 30. 157 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 79. 158 Grundsatzprogramm des DGB von 1949, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70. Eine Mitbestimmung in der freien Marktwirtschaft hielten die Gewerkschaften damals noch für unmöglich, vgl. die Rede von Hans Böckler auf dem Gründungskongress des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949: „Für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft ist allerdings eine Planmäßigkeit der letzteren Voraussetzung“, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 70. Stollreither (S. 71) hebt hervor, dass sich diese Auffassung wohl auch nach Ansicht der Gewerkschaften nicht bewahrheitet hat, umso mehr jedoch die Mitbestimmung als Mittel gegen „wirtschaftliche Zusammenballungen“ angesehen wurde.
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stets für Mitbestimmung aus.159 Doch auch im Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947 ist zu lesen: „In den Betrieben, in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht, ist ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung sicherzustellen. Zu diesem Zweck ist den Arbeitnehmern des Betriebs in den Aufsichtsorganen, z. B. im Aufsichtsrat des Unternehmens, die ihnen zustehende Vertretung einzuräumen.“ Der Mitbestimmungsgedanke erhielt zudem in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen Eingang in einige Landesverfassungen160 und Landesgesetze161. Vor allem aber boten die Demontagen und Entflechtungspläne der Alliierten einen nahrhaften Boden für die tatsächliche Einführung der von Seiten der Gewerkschaften geforderten Mitbestimmung in den Unternehmensorganen. Die geplanten Abbaumaßnahmen hatten nicht nur die Unternehmensspitzen, sondern angesichts der Konsequenzen für die Arbeitsplätze auch die Belegschaften und Betriebsräte zu verhindern versucht.162 Regelmäßig nahmen Belegschaftsvertreter und Gewerkschaften an den Verhandlungen über die Demontagen teil, womit die wichtige Rolle der Betriebe betont werden sollte.163 Der Einfluss der Gewerkschaften war in dieser Zeit auch insofern bedeutsam, als sie – anders als die Großunternehmer, die in breiten Kreisen als mitverantwortlich für die Geschehnisse der NS-Zeit angesehen wurden – nicht in gleichem Maße verunglimpft waren und zudem oft deutlich früher als die Unternehmer von den Entflechtungsplänen der Alliierten erfuhren.164 Vor diesem Hintergrund waren die Unternehmer auf eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften angewiesen, was sie auch zu Zugeständnissen in Bezug auf die Mitbestimmung bewog. Ausschlaggebend war insoweit die Verkündung des Entflechtungsplans der britischen Besatzungsmacht im Jahre 1947, infolge derer die Leitungen der Großkonzerne, die die Realisie159 So z. B. die Politischen Leitsätze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Aktionsprogramm der SPD) vom 11. Mai 1946 in Hannover: „[. . .] Der Sozialismus will soviel wirtschaftliche Selbstverwaltung wie möglich, unter stärkster Beteiligung der Arbeiter und Verbraucher [. . .] Zur Vertretung der Interessen der Arbeitenden in den Betrieben sind Betriebsräte mit weitgehenden Rechten zu bilden“; vgl. auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 93 ff. 160 Z. B. Art. 38 Abs. 3 der Verfassung des Landes Hessen vom 11. Dezember 1946: „Die Gewerkschaften und die Vertreter der Unternehmen haben gleiches Mitbestimmungsrecht in den vom Staat mit der Durchführung seiner Lenkungsaufgaben beauftragten Organen“, abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 177 ff. (179). 161 Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27. 162 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22; näher hierzu Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 23 f. 163 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 24; vgl. auch Potthoff/Blume/ Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 22 f. 164 Stollreither, Mitbestimmung, S. 147 f.
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rung der einschneidenden Maßnahmen verhindern wollten, an die Gewerkschaften herantraten und auf freiwilliger Basis eine Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten anboten.165 In einem Brief an die Einheitsgewerkschaft erklärte der Vorstand der Gutehoffnungshütte Oberhausen AG diesbezüglich: „Um eine Entflechtung durchzuführen, welche die Wirtschaftlichkeit der Werke nicht gefährdet, halten wir es für geboten, daß die erforderlichen Maßnahmen von denjenigen Stellen beeinflusst werden, welche mit den Betriebsverhältnissen und den verwaltungsmäßigen Zusammenhängen vertraut sind, also von der Verwaltung und der Betriebsvertretung unter Mitwirkung der Gewerkschaften. Wir denken uns dies in der Weise, daß der Aufsichtsrat durch die Zuwahl von Vertretern der Arbeitnehmer beziehungsweise Gewerkschaft erweitert wird, und daß von diesem Kreise die Vorschläge für eine zweckentsprechende Lösung ausgehen.“ 166
Das Angebot der Klöckner-Werke war noch konkreter und weitgehender: „Der Aufsichtsrat der Klöckner-Werke wird nach dem Grundsatz der Gleichstellung von Kapital und Arbeit umgebildet. Die Vertreter der Arbeitnehmer sollen hierbei, zusammen mit der öffentlichen Hand, die Mehrheit der Sitze erhalten.“ 167
Hatten die Unternehmer die Forderungen der Gewerkschaften nach paritätischer Besetzung des Aufsichtsrats noch im Jahre 1946 mit Verweis auf eine notwendige – für alle Unternehmen und mindestens für das gesamte rheinisch-westfälische, besser noch für das gesamte Bundesgebiet geltende – gesetzliche Regelung abgewiesen168, so waren angesichts der geplanten Entflechtungsmaßnahmen Mitbestimmungsrechte letztlich im Gegenzug für die Unterstützung der Gewerkschaften angeboten worden. Die Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsräten fand auch die entsprechende Billigung seitens der britischen Besatzungsmacht.169 Im Zuge der Entflechtungen war eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte sodann in immer mehr Unternehmen erfolgt.170 In der britischen Besatzungszone waren schließlich in allen entflochtenen Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie paritätisch besetzte Aufsichtsräte mit je fünf Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sowie einem Vertreter der Treuhandverwaltung vorzufinden.171 Die Arbeitnehmerseite war dabei mit zwei Betriebsratsmitgliedern, zwei Gewerk165 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 40; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 181. 166 Brief der Gutehoffnungshütte Oberhausen AG vom 18. Januar 1947, abgedruckt bei Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 182. 167 Brief der Klöckner-Werke an die Einheitsgewerkschaft vom 18. Januar 1947, abgedruckt bei Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 43. 168 Näher zu den diesbezüglichen Gesprächen zwischen den Klöckner-Werken und der Gewerkschaft Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 31 f. 169 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 187; vgl. auch Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 28; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 34 ff., 50. 170 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 191. 171 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 77 f.; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 48; vgl. zu der Zusammensetzung der Aufsichtsräte auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 148.
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schaftsmitgliedern sowie einem Vertreter der öffentlichen Hand besetzt.172 Infolge einer Verständigung zwischen der Treuhandverwaltung und den Gewerkschaften wurden auch die Vorstände der entflochtenen Gesellschaften mit Gewerkschaftsvertretern, die die Funktion des Arbeitsdirektors einnahmen, besetzt.173 Es entstand das Amt des Arbeits- und Sozialdirektors, der nur mit Zustimmung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat ins Amts berufen werden konnte.174 Daneben waren auf der Grundlage von Betriebsvereinbarungen175 oder Landesgesetzen176 Betriebsräte mit weitgehenden Mitbestimmungsrechten in wirtschaftlichen Angelegenheiten eingerichtet worden. Die starke Stellung der Gewerkschaften und die aus Sicht der Unternehmer notwendige Kooperation zur damaligen Zeit verhalf so einer sehr weitreichenden Mitbestimmung zum Einzug in die Praxis. Infolge des sich ankündigenden Rückzugs der Alliierten und der Wiederanwendung deutschen Rechts, welches keinerlei Arbeitnehmervertretung in den Unternehmensorganen vorsah, drohte jedoch die praktizierte Mitbestimmung unterlaufen zu werden.177 Im Jahre 1949 hatten sich die politischen Bedingungen für die Verwirklichung des gewerkschaftlichen Konzepts zur Neuordnung Deutschland, dessen wesentlichen Teil die Mitbestimmung darstellte, deutlich verschlechtert.178 Durch die federführende amerikanische Deutschlandpolitik, den Marshall-Plan und die Währungsreform war der Weg einer Neuordnung auf kapitalistischer Grundlage beschritten worden.179 Das am 13. Mai 1949 erlassene Grundgesetz machte keine Vorgaben zur Wirtschaftsverfassung, enthielt keine dem Art. 165 der Weimarer Verfassung vergleichbare Vorschrift und sah auch 172
Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78; Stollreither, Mitbestimmung, S. 148. 174 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78. 175 So etwa beispielhaft die Betriebsvereinbarung bei Bode Panzer aus dem Jahre 1946, in der dem Betriebsrat nicht nur ein Mitentscheidungsrecht („im Einverständnis des Betriebsrates“) in personellen Angelegenheiten wie Einstellungen, Entlassungen und Beförderungen sowie Lohnfragen eingeräumt wurde, sondern der Betriebsrat darüber hinaus „bei dem betrieblichen Wiederaufbau, bei der Festlegung des Produktionsprogramms und bei der Schaffung neuer Arbeitsmethoden“ mitwirken sollte, jegliche Betriebsänderungen nur mit Zustimmung des Betriebsrats erfolgen durften und der Betriebsrat Einsicht in alle maßgeblichen Unterlagen in Bezug auf die Arbeitnehmer berührenden Betriebsvorgänge sowie auch die Vermögensverhältnisse des Unternehmens haben sollte; Auszug der Betriebsvereinbarung abgedruckt bei Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 26. Die sehr weitgehende Betriebsvereinbarung war durch einen Bergarbeiterstreik Ende 1946 forciert worden, nachdem sich die Betriebleitung zunächst weigerte, die Forderungen der Arbeitnehmervertreter zu akzeptieren, vgl. hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 171 f. 176 So in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg, vgl. Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27; näher hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 205 ff. 177 Näher Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 191. 178 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 82. 179 Ebenda. 173
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keine konkrete Sozialisierung vor.180 Die Mitbestimmungsidee und das Konzept der Wirtschaftsdemokratie hatten zwar zuvor auch Eingang in die Programme von politischen Parteien gefunden, und auch Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte sich in seiner Regierungserklärung am 22. September 1949 für eine Neuordnung der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgesprochen und eine „Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien“ aufgrund der „sozial- und gesellschaftspolitischen Anerkennung der Arbeitnehmerschaft“ für notwendig erachtet.181 Doch die bürgerliche Mehrheit im neu gewählten Bundestag und die aus CDU/CSU sowie FDP bestehende Regierungskoalition boten keine nahrhafte Grundlage für die Mitbestimmungsforderungen der Gewerkschaften.182 Die mitregierende FDP drohte sogar mit einem Koalitionsbruch, sollte die Regierung die Mitbestimmungsthematik aufgreifen.183 Das im Oktober 1949 festgelegte Grundsatzprogramm des DGB war somit zu diesem Zeitpunkt politisch nicht mehr realisierbar und konnte daher lediglich die Sicherung der gewerkschaftlichen Errungenschaften der ersten Nachkriegsjahre bezwecken.184 Die folgenden politischen und gesetzgeberischen Entwicklungen blieben entsprechend weit hinter den Forderungen der Gewerkschaften zurück. Nachdem ein gemeinsamer Gesetzesvorschlag der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände aufgrund unüberwindbarer Differenzen in Bezug auf die Unternehmensmitbestimmung nicht zustande kam185, folgten zahlreiche Gesetzesentwürfe und Vorschläge von Seiten der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, der CDUCSU-Fraktion und der SPD. Die Konzepte reichten von einer maximalen Drittelbeteiligung bis hin zur völligen Parität, umstritten war auch die Frage des Vorschlagsrechts und damit zusammenhängend des Einflusses der Gewerkschaften.186 Ein letztlich von der Regierung ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zum Betriebsverfassungsgesetz187 deckte sich weitgehend mit den Vorschlägen der 180
Ebenda. Regierungserklärung des Bundeskanzlers Konrad Adenauer vor dem Deutschen Bundestag am 20. September 1949, abrufbar unter http://www.konrad-adenauer.de/do kumente/erklarungen/regierungserklarung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 182 Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 83 f. 183 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 72. 184 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 82, 84. 185 Vgl. hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 207; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 84; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 72. 186 Vgl. näher zu den einzelnen Gesetzesentwürfen und Vorschlägen Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 72 ff.; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 41; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 191 ff.; Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 43 ff. 187 Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben (Betriebsverfassungsgesetz) vom 31. Oktober 1950, BT-Drucks. 01/1546. 181
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Arbeitgeberorganisationen und sah eine drittelparitätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern vor, die dem Betrieb angehören mussten und grundsätzlich vom Betriebsrat vorgeschlagen wurden.188 Die hohe Anzahl an Stellungnahmen und Gesetzesvorschlägen zeigt, wie kontrovers das Thema Mitbestimmung im Jahre 1950 behandelt wurde.189 Dabei war die in der Eisen- und Stahlindustrie gelebte Mitbestimmung bis August 1950 in den politischen Diskussionen um ein neues Betriebsverfassungsgesetz noch weitestgehend ausgeklammert gewesen.190 Seit Herbst 1950 verschärfte sich jedoch die Situation, als die Einführung einer paritätischen Mitbestimmung in der gesamten Wirtschaft immer unwahrscheinlicher wurde und die praktizierte paritätische Mitbestimmung an Boden zu verlieren drohte, nachdem eine im Bundeswirtschaftsministerium ausgearbeitete Durchführungsverordnung zum neuen Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 27 die entflochtenen Unternehmen ohne Sonderregelung in Bezug auf die gelebte Unternehmensmitbestimmung wieder deutschem Recht unterstellen wollte.191 Aus Angst vor einem Verlust der bestehenden Mitbestimmungsrechte drohten die Gewerkschaften schließlich mit einem Streik, um die paritätische Mitbestimmung gesetzlich zu sichern.192 Daraufhin folgende zähe Verhandlungen zwischen der Regierung, der Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite, in denen vor allem der „elfte Mann“ und der Arbeitsdirektor im Vorstand heftig umstritten waren, mündeten schließlich in einer Einigung über die gesetzliche Regelung der Mitbestimmung in der Montanindustrie.193 Die Arbeitgeberseite hatte schlussendlich der gesetzlichen Verankerung der bereits praktizierten Mitbestimmung im Eisen- und Stahlsektor sowie ihrer Ausweitung auf den Bergbau zustimmen müssen, sodass es den Gewerkschaften letztlich mithilfe der konkreten Streikandrohung nicht nur gelungen war, die bestehende Mitbestimmung zu sichern, sondern auch im Bergbau einzuführen.194 188 Vgl. hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 84; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 73; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 193; Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 45 ff. 189 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 73. 190 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 84 f. 191 Näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 85; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 76; Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 42; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 193. 192 Näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 77; Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 193 ff. In der zu diesem Zweck im Vorhinein organisierten Urabstimmung erteilten 95,9 % der organisierten Beschäftigten in der Metallindustrie und 92,8 % der Beschäftigten im Bergbau dem Vorstand die gewünschte Vollmacht, die Arbeiter im entscheidenden Augenblick zum Streik aufzurufen. 193 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86; Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 78; Stollreither, Mitbestimmung, S. 149. 194 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86; Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 30.
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Am 10. April 1951 verabschiedete der Bundestag das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (nachfolgend: „MontanMitbestG“)195. Für die Gewerkschaften war dieser Erfolg zwar ein „recht guter Anfang“, jedoch „nicht die volle Erfüllung der Wünsche der Arbeitnehmerschaft“.196 Vielmehr sollte die Errungenschaft auf die gesamte Wirtschaft ausgedehnt werden („Die ganze Wirtschaft wollen wir ja umformen, neu aufbauen [. . .]“).197 b) Das Betriebsverfassungsgesetz 1952 Die der Verabschiedung des MontanMitbestG folgenden Versuche der Gewerkschaften, eine derart weitgehende Mitbestimmung auch in anderen Wirtschaftszweigen einzuführen, blieben zunächst fruchtlos.198 Nachdem die Beratungen über das Betriebsverfassungsgesetz im Jahre 1950 vor dem Hintergrund der Regelung für den Bereich der Montanindustrie ausgesetzt worden waren, hatten sich zu dem Zeitpunkt, als die Beratungen wieder aufgenommen wurden, die Bedingungen für eine Realisierung der weitgehenden Forderungen der Gewerkschaften noch weiter verschlechtert.199 Die Altaktionäre hatten wieder zunehmend mehr an Bedeutung gewonnen, die Mitbestimmung immer mehr Widerstand bekommen.200 Die Gewerkschaften setzten den Kampf um die Durchsetzung ihrer Forderungen fort, doch trotz aller Proteste des DGB und zahlreicher Versuche, auf Bundesregierung und Bundestag mithilfe von Stellungnahmen, Demonstrationen und kurzfristigen Warnstreiks einzuwirken, blieben die gewerkschaftlichen Bemühungen ohne Erfolg.201 Am 11. Oktober 1952 wurde das Betriebsverfassungsgesetz202 (nachfolgend: „BetrVG 1952“) erlassen. Im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung wurde für alle Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, die nicht unter das Montanmitbestimmungsgesetz fielen, eine drittelparitätische Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat eingeführt (vgl. § 76 BetrVG 1952). Ausgenommen 195 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestG) vom 21. Mai 1951, BGBl. I S. 347. 196 Rede von Hans Böckler auf der außerordentlichen Generalversammlung der IG Bergbau am 30. Januar 1951, zitiert nach Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 44. 197 Ebenda. 198 Ausführlich hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 202 ff. 199 Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 204. 200 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 108. 201 Im Einzelnen ausführlich hierzu Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 204 ff., der in diesem Zusammenhang auch die deutlich stärkere Zurückhaltung Adenauers im Vergleich zu den Diskussionen um die Montanmitbestimmung betont. 202 Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952, BGBl. I S. 681.
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hiervon waren lediglich Familienunternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern (vgl. § 76 Abs. 6 BetrVG). Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigten, war ein Aufsichtsrat mit entsprechender Besetzung zu bilden (vgl. § 77 Abs. 1 BetrVG 1952). Wahlberechtigt waren alle volljährigen Arbeitnehmer des Unternehmens, die im Besitz der „bürgerlichen Ehrenrechte“ waren (vgl. § 76 Abs. 2 i.V. m. § 6 BetrVG 1952), das Wahlvorschlagsrecht gebührte sowohl den Arbeitnehmern als auch den Betriebsräten (vgl. § 76 Abs. 3 BetrVG 1952). Sollte nur ein Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden, so musste dieser selbst Arbeitnehmer des Unternehmens sein; bei zwei oder mehr Arbeitnehmervertretern mussten mindestens zwei Vertreter im Unternehmen beschäftigt sein (vgl. § 76 Abs. 2 Satz 2, 3 BetrVG 1952). Hierdurch war die Wählbarkeit von nicht unternehmensangehörigen Gewerkschaftsvertretern beschränkt worden. Neben der Unternehmensmitbestimmung regelte das Gesetz allen voran die betriebliche Mitbestimmung. Beteiligungsrechte räumte es dabei allerdings vor allem der Belegschaft, nicht der Gewerkschaften, ein.203 Insgesamt ließ das BetrVG1952 die Wünsche der Gewerkschaften unerfüllt, lehnte es sich doch vielmehr an das BRG 1920 als an die in der Montanindustrie durchgesetzte Mitbestimmung oder gar die nach einigen Ländergesetzen vorgesehene Mitbestimmung an.204 Den gewerkschaftlichen Vorstellungen zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft war damit eine klare Absage erteilt worden.205 Dementsprechend heftig wurde es von Gewerkschaftsseite kritisiert. Mit dem BetrVG 1952 werde „die dringende Neuordnung der Wirtschaft wie schon einmal in der Weimarer Republik verhindert, an der grundsätzlichen Struktur der kapitalistischen Wirtschaft nichts verändert [. . .] und das alleinige Entscheidungsrecht des Unternehmers aufrechterhalten“ 206. Der DGB sah das BetrVG 1952 nur als einen „unvollkommenen Schritt auf dem Wege zur Demokratisierung der Wirtschaft“ und erklärte, dass er „seinen Kampf um ein volles Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer“ fortführen würde.207 Was die Bedeutung des Gesetzes in der Praxis angeht, so wurde das Gesetz von Seiten der Gewerkschaften noch Jahre später als völlig unzureichend kritisiert. Vor dem Hintergrund der Beteiligungsquote von nur einem Drittel aller Aufsichtsratssitze sowie der gänzlich fehlenden Arbeitnehmervertretung im Vor203 So auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 154. Eine nähere Erläuterung des BetrVG 1952 findet sich bei Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 120 ff. 204 Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27. 205 Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 11 f. („schmerzliche Niederlage“). 206 Funktionärszeitschrift des DGB „Die Quelle“ vom August 1952, zitiert nach Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 27. 207 Stellungnahme des DGB zum BetrVG 1952, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 84.
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stand habe es sich in der Praxis als „vollkommen unzulänglich für eine Einflußnahme auf Unternehmensebene [. . .] erwiesen“.208 c) Gesetze zur Sicherung der Montanmitbestimmung Als infolge der 11. Durchführungsverordnung zum Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 27 vom 5. November 1951209 wieder nicht produzierende, geschäftsführende Obergesellschaften gegründet werden durften und daraufhin bald wieder Konzernstrukturen in der Montanindustrie entstanden, drohte die Montanmitbestimmung untergraben zu werden, da die Obergesellschaften der neu entstandenen Konzerne regelmäßig nicht selbst die Anwendungsvoraussetzungen des MontanMitbestG erfüllten.210 Nach scharfen Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschafts- und Unternehmerseite über die Anwendung der Montanmitbestimmung auf diese Obergesellschaften, die sich insbesondere im Rahmen des Mannesmann-Konzerns abspielten, kam es schließlich zu einer gesetzlichen Regelung dieser Frage.211 Am 7. August 1956 ausgefertigt wurde das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (nachfolgend: „MontanMitbestErgG“)212. Weitere gesetzliche Maßnahmen zur Absicherung der Montanmitbestimmung kamen in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre mit der „Lex Rheinstahl“ und dem Montanmitbestimmungsfortgeltungsgesetz. Mit der „Lex Rheinstahl“ sollte die nach dem MontanMitbestErgG einschlägige Mitbestimmung in den Obergesellschaften der Montanindustrie gesichert werden. Das MontanMitbestErgG hatte in seiner ursprünglichen Fassung nur dann Anwendung auf die Obergesellschaft gefunden, wenn die mitbestimmten Tochtergesellschaften mindestens 50 % des gesamten Konzernumsatzes erwirtschafteten (vgl. § 3 Abs. 2 MontanMitbestErgG urspr. Fassung). Aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeit, nicht dem Montanbereich unterfallende, weiter208
So Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 212. Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 27 vom 5. November 1951, Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission, S. 1294. 210 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 89 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestErgG Einl. Rn. 2 f.; vgl. auch Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 45; zur Nichtanwendbarkeit des MontanMitbestG auf Holdinggesellschaften vgl. aus der Rechtsprechung LG Düsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 1953, Az.: 3 O 164/53, NJW 1954, S. 236 (236 f.). 211 Ausführlich hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 45 ff. sowie Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 112 ff. 212 Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestGErgG) vom 7. August 1956, BGBl. I, S. 707; auch bekannt unter dem Namen „Lex Mannesmann“, vgl. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 13. 209
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verarbeitende Unternehmen in die Konzernstruktur aufzunehmen, war jedoch gegen Ende der 1950er Jahre ein Absinken des Anteils der montanmitbestimmten Tochtergesellschaften am Gesamtumsatz des Konzerns zu verzeichnen.213 Die Obergesellschaften drohten daher, aus dem Anwendungsbereich des Montanmitbestimmungsergänzungsgesetzes herauszufallen. Dringenden Handlungsbedarf löste ein Unternehmenserwerbs der Rheinstahl AG aus, infolge dessen der Montanumsatz im Konzern auf 46 % gesunken war.214 Mit Änderungsgesetz vom 27. April 1967215 (auch als „Lex Rheinstahl“ bezeichnet216) änderte der Gesetzgeber § 16 MontanMitbestErgG daher dahingehend, dass fortan eine Obergesellschaft erst dann aus dem Anwendungsbereich des MontanMitbestErgG fiel, wenn der Montanumsatz im Konzern in fünf – statt wie vorher zwei – aufeinanderfolgenden Jahren unter 50 % lag. Die „Lex Rheinstahl“ konnten die SPD und der linke Flügel der CDU gegen den Widerstand der FDP, des bürgerlichen Teils der CDU und sogar der Regierung durchfechten.217 Das Bundesverfassungsgericht erachtete das Gesetz als verfassungsgemäß.218 Ähnlich wie die „Lex Rheinstahl“ verfolgte auch das Gesetz über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung in bisher den Mitbestimmungsgesetzen unterliegenden Unternehmen vom 29. November 1971219 (sog. „Mitbestimmungsfortgeltungsgesetz“ 220) das Ziel, die Montanmitbestimmung zu erhalten. Es sah in § 1 Abs. 1 eine Fortgeltung der Montanmitbestimmung für den Fall vor, dass das dem MontanMitbestG unterliegende Unternehmen nicht mehr die Anwendungsvoraussetzungen des Gesetzes erfüllt. Damit war insbesondere der Fall erfasst, dass ein montanmitbestimmtes Unternehmen seine Produktion änderte und der Betriebszweck fortan nicht mehr überwiegend – wie von § 1 Abs. 1 MontanMitbestG gefordert – dem Montanbereich zuzuordnen war.221 Nur bei vollständiger Einstellung der Montanproduktion sollte das MontanMitbestG nicht mehr gelten (vgl. § 1 Abs. 2 des Mitbestimmungsfortgeltungsgesetzes). Zusätzlich änderte 213
Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 92. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 92 f. 215 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 27. April 1967 („Lex Rheinstahl“), BGBl. I S. 505. 216 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 93; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 22. 217 Stollreither, Mitbestimmung, S. 158, vgl. hierzu auch ders., Mitbestimmung, S. 157. 218 BVerfG, Urteil vom 7. Mai 1969, Az.: 2 BvL 15/67, NJW 1969, S. 1203; näher hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 158. 219 Gesetz über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung in der MontanIndustrie (Montanmitbestimmungsfortgeltungsgesetz) vom 29. November 1971, BGBl. I S. 1857. 220 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 22. 221 Stollreither, Mitbestimmung, S. 170. 214
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das Gesetz die Schwelle für die dem MontanMitbestErgG unterliegenden Obergesellschaften dahingehend, dass die Obergesellschaft erst dann aus dem Anwendungsbereich fiel, wenn entweder in fünf nacheinander folgenden Jahren der Montanumsatz im Konzern unter 40 % oder in zwei aufeinanderfolgenden Jahren unter 25 % fiel (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 des Mitbestimmungsfortgeltungsgesetzes). Hintergrund für die Gesetzgebung war, dass es in den Jahren zwischen 1951 und 1969 aufgrund von strukturellen Veränderungen im Montanbereich zu einer wesentlichen Absenkung der Anzahl von mitbestimmten Unternehmen gekommen war, sodass die Mitbestimmungsgesetze mangels erfasster Unternehmen leerzulaufen drohten.222 Die Gewerkschaften hatten ein solches Gesetz schon seit 1967 gefordert und hierzu einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der allerdings aufgrund der eingesetzten Biedenkopf-Kommission zurückgestellt wurde.223 Nachdem sich auch nach Veröffentlichung des Kommissionberichts eine Verzögerung bei der Verabschiedung eines in der gesamten Wirtschaft geltenden Mitbestimmungsgesetzes andeutete, wurde letztlich auf Initiative der SPD und der Gewerkschaften das Mitbestimmungsfortgeltungsgesetz ausgearbeitet.224 Das verabschiedete Gesetz wurde von vornherein zeitlich befristet und sollte nur bis zum 31. Dezember 1975 gelten. Anscheinend hatte man bis dahin mit einer die gesamte Wirtschaft erfassenden paritätischen Mitbestimmung in Großunternehmen gerechnet.225 d) Kampf der Gewerkschaften um das MitbestG 1976 Die 1950er Jahren waren geprägt vom wirtschaftlichen Aufschwung, neoliberalen und – nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Situation in der DDR – antikommunistischen Tendenzen sowie einer stabilen politischen Herrschaft der CDU.226 Für die weitgehenden Mitbestimmungsforderungen der Gewerkschaften bot das politische Klima keinen nahrhaften Boden, was sich bereits in den Schwierigkeiten der Gewerkschaften bei der Sicherung der Montanmitbestimmung durch das MontanMitbestErgG zeigte.227 Hinzu kam, dass angesichts der zu Beginn der 1950er Jahre sehr hohen Arbeitslosigkeit auch die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften gering war.228 Abgesehen von dem MontanMitbestErgG kam es in den 1950er Jahren daher zu keinen mitbestimmungsrelevanten Gesetzesnovellen. 222 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 94. Von 105 mitbestimmten Unternehmen im Jahre 1951 waren im Jahr 1969 noch 56 mitbestimmt, Muszynski, a. a. O. 223 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 57 f. 224 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 58. 225 So Stollreither, Mitbestimmung, S. 170. 226 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 147 f. 227 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 13; näher zum MontanMitbestErgG oben Kapitel 2, A.I.2.c) sowie Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 46 ff. 228 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 147.
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Dagegen lösten gesetzgeberische Änderungen im Bereich des Umwandlungsund Steuerrechts229, aufgrund derer es in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre im Bereich der Montanindustrie zu Verschmelzungen der Tochtergesellschaften auf die Obergesellschaft kam, aus Sicht der Gewerkschaften neue Gefahren für die erreichte Mitbestimmung aus.230 Aus der Obergesellschaft, für die das MontanMitbestErgG galt, wurde aufgrund der Verschmelzung eine produzierende Gesellschaft, die fortan unter das MontanMitbestG fiel.231 Gleichzeitig wurden aus den bislang selbstständigen Tochtergesellschaften unselbstständige Betriebsabteilungen der aufnehmenden Gesellschaft, womit auch die Mitbestimmung in den umgewandelten Tochtergesellschaften wegbrach.232 Aufgrund von zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen der Gewerkschaften und Arbeitnehmer in der Montanindustrie kam es schließlich mit einigen Konzernen zu freiwilligen Vereinbarungen über die Mitbestimmung, im Rahmen derer man sich unter anderem darauf einigte, in den die Stahl- und Kohleproduktion umfassenden Werksgruppen anstelle der weggefallenen Aufsichtsräte Beiräte zu errichten, welche die Zusammensetzung und Funktion der ehemaligen Aufsichtsräte innehatten.233 Auch wurden statt der bisherigen Vorstände Direktorien eingerichtet, denen ein Arbeitsdirektor angehörte.234 So kam es auch aus Sicht der Gewerkschaften zu einer sachgerechten Lösung der Mitbestimmungsfrage.235 Neben den starken Bemühungen der Gewerkschaften, die bereits erreichte Mitbestimmung im Montanbereich zu sichern, hielten die Gewerkschaften in den 1960er Jahren auch trotz der wenig förderlichen wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse an ihrer Forderung fest, in den größeren Unternehmen aller Wirtschaftszweige eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat und einen 229 Gemeint sind das Gesetz über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften vom 12. November 1956 (BGBl. I S. 844) sowie das Gesetz über Steuererleichterungen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften (Umwandlungs-Steuergesetz) vom 11. Oktober 1957 (BGBl. I S. 1713). Beide Gesetze sollten zwar die Umwandlung von kleineren Kapitalgesellschaften in Personenhandelsgesellschaften erleichtern, galten aber auch für die Übertragung des Vermögens einer Gesellschaft auf den übernehmenden Hauptgesellschafter und waren daher auch für die größeren Unternehmen der Montanindustrie attraktiv, hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 49 f. 230 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 49 f. 231 So etwa beim Mannesmann-Konzern, vgl. hierzu Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 50. 232 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 50. 233 Näher zum Inhalt der als „Lüdenscheider Abkommen“ bekanntgewordenen Mitbestimmungsvereinbarung zwischen den Gewerkschaften und den Konzernen Hoesch, Ilseder Hütte und Klöckner sowie zu den mit anderen Konzernen getroffenen Vereinbarungen siehe Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 50 ff.; vgl. zu weiteren Fällen von privatrechtlichen Mitbestimmungsvereinbarungen auch den Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 12 f. 234 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 51 f. 235 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 51.
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Arbeitsdirektor einzuführen.236 Dazu trug auch die Sorge bei, dass die Reichweite der Montanmitbestimmung immer weiter abzunehmen drohte.237 Ende 1964 wurde der Ausbau der paritätischen Mitbestimmung zur zentralen Forderung des DGB erhoben.238 Von den Arbeitgeberverbänden wurden die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen dagegen „unter Darlegung ihrer wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gefahr“ entschieden zurückgewiesen.239 Sie betrachteten sie als eine Bedrohung für die Wirtschaft, hielten sie für unvereinbar mit der Eigentumsgarantie und der marktwirtschaftlichen Ordnung („Demokratisierte Wirtschaft und soziale Marktwirtschaft schließen sich gegenseitig aus“ 240, „Die Montanmitbestimmung ist und bleibt in der sozialen Marktwirtschaft ein Fremdkörper“ 241) und verwiesen auf „die zu befürchtende gewerkschaftliche Machtkonzentration“ 242.243 In Auftrag gegebene Studien bezeugten ferner, dass die Belegschaften an einer Vertretung ihrer sozialen und betrieblichen Interessen durch den Betriebsrat weitaus mehr Interesse zeigten, sodass die paritätische Mitbestimmung aus Arbeitgebersicht allein dem gewerkschaftlichen Streben nach Macht entsprang.244 Dagegen wurden auf Seiten der Gewerkschaften alsbald die ursprünglichen Konzepte zur Sozialisierung und zentralen volkswirtschaftlichen Planung aufgeben und die Mitbestimmung als Garantie einer freiheitlich-demokratischen Ordnung propagiert, um sie von ihrer „systemgefährdenden Funktion“ 245 zu befreien.246 Beide Lager versuchten zunehmend, mit Aktionsprogrammen und Kampagnen den Zuspruch der Öffentlichkeit für ihren Standpunkt zu gewinnen.247 Die Mitbestimmungsfrage wurde zu einer der konfliktreichsten 236 Vgl. hierzu das Grundsatzprogramm des DGB von 1963, beschlossen auf dem Außerordentlichen Bundeskongress des DGB am 21./22. November 1963 in Düsseldorf, v. a. Präambel, Pkt. 4 „Grundlagen des Wirtschaftens“ sowie ausdrücklich Pkt. 8 „Wirtschaftliche Mitbestimmung“. 237 So Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 211. 238 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 19. 239 Jahresbericht der BDA 1. Dezember 1967 bis 30. November 1968, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 5. Dezember 1968, S. 48. 240 Dokumentation des Arbeitskreises Mitbestimmung der BDA „Wirtschaftliche Mitbestimmung und freiheitliche Gesellschaft“, Oktober 1965, S. 34. 241 Dokumentation des Arbeitskreises Mitbestimmung der BDA „Wirtschaftliche Mitbestimmung und freiheitliche Gesellschaft“, Oktober 1965, S. 39. 242 Jahresbericht der BDA 1. Dezember 1967 bis 30. November 1968, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 5. Dezember 1968, S. 50. 243 Näher hierzu Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 15 f., 20 f.; vgl. ferner die Dokumentation des Arbeitskreises Mitbestimmung der BDA „Wirtschaftliche Mitbestimmung und freiheitliche Gesellschaft“, Oktober 1965, S. 34 ff. 244 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 21 f. 245 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 152. 246 Vgl. Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 152; Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 23 m.w. N. 247 Ausführlich Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 19 ff.; vgl. auch Stollreither, Mitbestimmung, S. 72 ff., 83 ff.; vgl. auch die Ausführungen zur Öffent-
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gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit.248 Nicht unerheblich für die Mitbestimmungsthematik war auch die 1968er-Bewegung und das allgemeine Streben nach mehr Selbstbestimmung.249 Eine Diskussion um die Mitbestimmung hatte sich nicht nur zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden entwickelt, sondern beschäftigte seit Mitte der 1950er Jahre zunehmend auch die Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler. Es wurden zahlreiche empirische Untersuchungen über die Montanmitbestimmung durchgeführt, um die Auswirkungen der Mitbestimmung zu analysieren.250 Eine breite rechtspolitische Diskussion begann über Ziel und Rechtfertigung der Mitbestimmung. Die Befürworter sahen in der Mitbestimmung vor allem ein Mittel, um der Objektstellung und Fremdbestimmung der Arbeitnehmer entgegenzuwirken, eine verständnisvolle Zusammenarbeit anstelle von Kampfbereitschaft zu fördern sowie insgesamt die Arbeitseinstellung der Mitarbeiter zu verbessern, wodurch indirekt auch das demokratische System geschützt werde.251 Gegner der Mitbestimmung warnten vor allem vor einer Machtkonzentration der Gewerkschaften.252 Wirtschaftspolitische Analysen untersuchten die prognostizierten wirtschaftlichen Auswirkungen einer über den Montanbereich hinausgehenden paritätischen Mitbestimmung und die Rechtswissenschaft beschäftigte sich mit den vielfältigen Rechtsfragen, die sich in Bezug zum Verfassungs-, Arbeits- und Gesellschaftsrecht stellten.253 Auf politischer Ebene kam es erst mit Einzug der Sozialdemokraten in die Regierung infolge der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD im Dezember 1966 zu einem Durchbruch für die Mitbestimmungsfrage.254 Die SPD hatte sich schon seit Langem und konsequent für die Mitbestimmung ausgesprochen.255 Doch nicht nur die SPD hatte spätestens seit 1965 die gewerkschaftlichen Mitbestimmungsforderungen weitestgehend übernommen, auch im linken Flügel der CDU fanden diese starken Zuspruch.256 In seiner Regierungserklärung kündigte Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger die Einberufung einer unabhängilichkeitsarbeit der BDA im Jahresbericht der BDA 1. Dezember 1967 bis 30. November 1968, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 5. Dezember 1968, S. 50. 248 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 16 („gesellschaftspolitische Grundsatzfrage allererster Ordnung“). 249 Näher Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 37. 250 Vgl. hierzu die umfangreichen Nachweise bei Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 24. 251 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 25 m.w. N. 252 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 26 m.w. N. 253 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 27 f. m.w. N. 254 Näher hierzu Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 149 f.; Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 27 ff. 255 Ausführlich hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 93 ff. So beispielsweise im Godesberger Programm von 1959. 256 Stollreither, Mitbestimmung, S. 156.
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gen Sachverständigenkommission an, welche die bis dahin mit der Mitbestimmung gesammelten Erfahrungen auswerten und dadurch eine „Grundlage weiterer Überlegungen“ liefern sollte.257 Nachdem sich die Zusammensetzung der Kommission – insbesondere aufgrund von Meinungsverschiedenheiten im Bezug auf die Anwesenheit der Sozialpartner – schwierig gestaltete, erfolgte schließlich im November 1967 die Bildung der Kommission unter dem Vorsitz von Dr. Kurt Biedenkopf.258 Ihren Bericht stellte die Kommission erst im Januar 1970 fertig.259 In der Zwischenzeit war die Ungeduld und der Unmut der Gewerkschaften über den zögerlichen Fortgang in der Mitbestimmungsfrage gewachsen, sodass diese mit diversen Öffentlichkeitsoffensiven Druck auf die Politik auszuüben versuchten.260 Im März 1968 veröffentlichte der DGB einen eigenen Gesetzesentwurf, der eine paritätische Mitbestimmung nach dem Modell der Montanindustrie in allen Kapitalgesellschaften vorsah, die zwei der folgenden Kriterien erfüllten: mindestens 2.000 Arbeitnehmer, mindestens 75 Millionen DM Bilanzsumme, mindestens 150 Millionen DM Jahresumsatz.261 Die Gewerkschaften sollten drei von fünf Arbeitnehmervertretern entsenden und bei den übrigen von der Belegschaft gewählten zwei Mitgliedern ein Einspruchsrecht haben dürfen.262 Dagegen reagierten die Arbeitgeberverbände mit eigenen Konzepten.263 Neben dem so entfachten Propagandakampf wurden auch von der SPD264 und FDP265 eigene 257 Regierungserklärung von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger vom 13. Dezember 1966, abrufbar unter https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=9d53 505a-4e53-d998-0fe9-2d8f836b0571&groupId=252038, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 258 Näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 157. 259 Der Bericht wurde dem Bundestag im Februar 1970 vorgelegt, vgl. Mitbestimmung im Unternehmen – Bericht der Sachverständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung (Mitbestimmungskommission), Januar 1970, BT-Drucks. VI/334 vom 4. Februar 1970. 260 Ausführlich hierzu Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 28 ff., 31 ff. „Die Unruhe und der Druck von außen müssen wachsen, und zwar so stark, daß den Parteien keine Möglichkeit mehr bleibt, sich ihrer Verpflichtung gegenüber den Arbeitnehmern und dem sozialen Auftrag des Grundgesetzes zu entziehen“, gab der IG MetallVorsitzende Otto Brenner ausdrücklich kund, Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 31. 261 Vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 27 f.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 74 f. 262 Ebenda. 263 Ebenfalls im Jahr 1968 veröffentlichte die BDA ein Faltblatt mit dem Titel „10 Gründe gegen die Gewerkschaftsmitbestimmung“, hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 88 ff. 264 Es wurden insgesamt fünf Gesetzesentwürfe zum Themenkomplex Mitbestimmung vorgelegt, vgl. hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 158 f. Die Gesetzesinitiative in Bezug auf die Mitbestimmung war innerhalb der SPD umstritten, letztlich konnte sich der gewerkschaftsnahe Flügel der SPD aber damit durchsetzen, einen Gesetzesvorschlag entgegen der Koalitionsvereinbarung vorzulegen, Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 34.
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Gesetzesvorschläge eingebracht. Die FDP stand der Unternehmensmitbestimmung weiterhin ablehnend gegenüber. Sie verwies auf die ausreichenden Beteiligungsrechte nach dem BetrVG 1952, befürwortete eine auf der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer beruhende Mitbestimmung und wollte externe Gewerkschaftsvertreter von der Ausübung des Aufsichtsratsmandats ausschließen.266 Die von der SPD und FDP eingebrachten Gesetzesentwürfe wurden an die zuständigen Fachausschüsse des Bundestages weitergeleitet, dort allerdings bis zum Ablauf der Legislaturperiode nicht final behandelt.267 Auch in der neuen Legislaturperiode ab 1969 blieb die Frage der Unternehmensmitbestimmung zunächst außen vor. Die neue Koalition zwischen der SPD und FDP begann zwar nach Vorlage des Berichts der Biedenkopf-Kommission mit der Überarbeitung des BetrVG 1952.268 Allerdings war aufgrund der unabrückbaren Haltung der FDP die Frage der Unternehmensmitbestimmung in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich ausgeklammert worden, sodass das am 15. Januar 1972 ausgefertigte Betriebsverfassungsgesetz269 (nachfolgend: „BetrVG 1972“) allein die betriebliche Mitbestimmung regelte und im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung das BetrVG 1952 fortgalt.270 Das Thema der Unternehmensmitbestimmung war mit dem neuen Betriebsverfassungsgesetz daher keineswegs gelöst. Der DGB hielt weiterhin an seiner Forderung nach paritätischer Mitbestimmung in allen Großunternehmen fest, die nach Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes nun wieder lauter wurde.271 Seit dem Saarbrücker Parteitag 1970 forderte auch die SPD die Parität in den Aufsichtsräten aller Großunternehmen, einen Arbeitsdirektor und das Recht der Gewerkschaften, die Hälfte aller Arbeitnehmervertreter benennen zu dürfen, wobei die Arbeitnehmervertreter generell auch betriebsfremd sein dürfen sollten.272 Die FDP, lange Zeit entschiedene Gegnerin einer Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung273, relativierte ihre Position in den auf dem Freiburger Parteitag im Oktober 1971 beschlossenen neuen Thesen zur Unternehmensmitbe-
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Vgl. hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 160. Näher zur Position der FDP Stollreither, Mitbestimmung, S. 160. 267 Stollreither, Mitbestimmung, S. 160. 268 Stollreither, Mitbestimmung, S. 162. 269 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972, BGBl. I S. 13. 270 Näher Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 48 f.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 160 ff. 271 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 61; näher zu den Forderungen der Gewerkschaften Stollreither, Mitbestimmung, S. 221. 272 Stollreither, Mitbestimmung, S. 221 f. 273 Vgl. hierzu Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 29; Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 58 ff.; näher zu den Positionen der FDP siehe Stollreither, Mitbestimmung, S. 104 ff. 266
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stimmung (sog. „Freiburger Thesen“).274 Die FDP befürwortete darin eine Verteilung von sechs Aufsichtsratssitzen für die Anteilseigner, vier für die Arbeitnehmer und zwei für Vertreter der Leitenden Angestellten275, lehnte jedoch nach wie vor die Entsendung externer Gewerkschaftsvertreter und Besonderheiten bei der Bestellung des Arbeitsdirektors ab.276 In der CDU/CSU entstand eine ganze Bandbreite von Mitbestimmungsmodellen, die einen sehr gewerkschaftsnahen Vorschlag ebenso wie anti-paritätische Konzepte enthielt.277 Noch vor der anstehenden Bundestagswahl im November 1972 begannen die Gewerkschaften, ihren Forderungen durch immer mehr Kundgebungen Nachdruck zu verleihen.278 In öffentlichen Äußerungen gaben Gewerkschaftsvertreter zu verstehen, dass sie sich in der Mitbestimmungsfrage nicht weiter vertrösten ließen und nicht dulden würden, dass das Thema auch in der anstehenden Legislaturperiode „ausgeklammert“ würde; es sei „einfach Zeit zum Handeln“, und dies würde jeder neuen Bundesregierung „eindeutig klargemacht werden“.279 Die Unternehmer hingegen fühlten sich durch die Politik – sowohl die FDP als auch die CDU – immer mehr im Stich gelassen und gingen verstärkt in die Offensive.280 Kurz vor der Bundestagswahl warnten sie: „Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und an Grund und Boden soll sozialisiert werden – durch offene Enteignung oder stufenweise, über Mitbestimmung. Das nennt man dann ,Demokratisierung‘. Zwischen einer solchen Gesellschaftsordnung und dem Kommunismus gibt es keine Unterschiede mehr.“ 281 Die Mitbestimmungsdiskussion wurde ferner beflügelt von den Erkenntnissen und Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission. Die Kommission hatte Befragungen in 62 Unternehmen der Montanindustrie und 373 Unternehmen, die dem BetrVG 1952 unterlagen, durchgeführt und 55 Amtsinhaber, zu denen u. a. Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzende, Arbeitsdirektoren und Betriebsrats- sowie Gesamtbetriebsratsvorsitzende zählten, angehört.282 Nach einer Auswertung der 274 So schon Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 19. 275 Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik der FDP, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg vom 25./27. Oktober 1971, Archiv des Liberalismus, Druckschriftenbestand Sign. D1-123, S. 63 f. 276 Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik der FDP, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Freiburg vom 25./27. Oktober 1971, Archiv des Liberalismus, Druckschriftenbestand Sign. D1-123, S. 67. 277 Stollreither, Mitbestimmung, S. 241; ausführlich zu den einzelnen Modellen in der CDU/CSU ders., Mitbestimmung, S. 117 ff., S. 222 f., S. 234 ff. 278 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 62; Stollreither, Mitbestimmung, S. 222. 279 Aussagen vom Vorsitzenden der IG Metall, Eugen Loderer, im Oktober und November 1972, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 222. 280 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 62 f. 281 Zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 63. 282 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 9.
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bisherigen Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung sprach sich die Kommission in ihrer Empfehlung letztlich für ein unterparitätisches Modell des Aufsichtsrats aus: Im Falle eines Aufsichtsrats mit 12 Mitgliedern sollte sich dieser aus sechs Anteilseigner- und vier Arbeitnehmervertretern sowie zwei weiteren Mitgliedern zusammensetzen, denen die Mehrheit der Vertreter beider Gruppen zustimmen müsste; bei größeren Aufsichtsräten sollte die Anzahl der Anteilsund Arbeitnehmervertreter entsprechend erhöht werden.283 Weitere Kernpunkte der Empfehlung betrafen die Wahl unternehmensexterner Arbeitnehmervertreter durch die Belegschaft auf Vorschlag der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften sowie die obligatorische Bestellung eines Personalvorstands, für den allerdings keine Besonderheiten im Vergleich zur Bestellung der übrigen Vorstandsmitglieder gelten sollten.284 Die Arbeitgebervertreter sahen in dem Gutachten „die einstimmige Ablehnung der paritätischen Mitbestimmung als ein mit den Grundsätzen eines marktwirtschaftlichen Systems unvereinbares Ordnungsprinzip sowie die Absage an die Institution des ,Arbeitsdirektors‘“ 285, die Gewerkschaften hingegen hoben die positiven Erkenntnisse aus den Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung hervor und fühlten sich in ihrer Auffassung zur paritätischen Mitbestimmung bestärkt.286 Das Gutachten lieferte den gewerkschaftlichen und politischen Akteuren neue Antriebskraft in der Mitbestimmungsthematik.287 Anfang der 1970er Jahre kam es vermehrt zu Widerständen der Arbeiter gegen die aus ihrer Sicht unzureichenden Arbeitsbedingungen.288 Diese Widerstände – sowohl individueller als auch kollektiver Art – suchte man durch mehr betriebliche Mitbestimmungsrechte im Rahmen der Novellierung des BetrVG 1952 und neue Formen zur „Humanisierung des Arbeitslebens“ zu besänftigten, gleichzeitig begünstigten diese Umstände die Forderungen der Gewerkschaften nach paritätischer Mitbestimmung.289 Neuen Aufschwung auf politischer Ebene erhielt die Thematik der Unternehmensmitbestimmung nach 1972 mit Beginn der neuen Legislaturperiode der sich fortsetzenden Koalition aus SPD und FDP. Die nach der Bundestagswahl im November 1972 fortgeführte und gestärkte Koalition von SPD und FDP konnte sich der Mitbestimmungsthematik nicht länger verschließen.290 Bundeskanzler Brandt
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Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 103 f. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 96. 285 Jahresbericht der BDA, 1. Dezember 1969 bis 30. November 1970, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Köln am 15. Dezember 1970, S. 50. 286 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 54 m.w. N. 287 Stollreither, Mitbestimmung, S. 162. 288 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 151. 289 Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 151. 290 Stollreither, Mitbestimmung, S. 223. 284
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kündigte daher in seiner Regierungserklärung eine Ausweitung der Mitbestimmung an: „Den Ausbau der Mitbestimmung sehen wir als eine unserer Hauptaufgaben. Mitbestimmung gehört zur Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft. In ihr erkennen wir die geschichtliche Voraussetzung für jene Reformen, die in ihrer Summe den freiheitlichen Sozialstaat möglich machen. [. . .] Wir werden das Unternehmensrecht im Sinne der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in dieser Legislaturperiode weiterentwickeln. [. . .] Dabei gehen wir aus vom Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit.“ 291 Im Jahr 1973 nahm die Mitbestimmungsdiskussion ein bisher unbekanntes Ausmaß an: Die SPD und FDP mussten sich auf ein gemeinsames Konzept einigen, die CDU in ihrer Oppositionsrolle mit Gegenvorschlägen profilieren.292 Der DGB-Bundesvorstand ließ nicht los von seinen Hauptforderungen, die im Grunde die Ausweitung der Montanmitbestimmung bezweckten293, die Deutsche Angestelltengewerkschaft legte eigene Vorschläge vor294. Die BDA warnte vor einem „Griff nach der Macht“, den die Gewerkschaften anstrebten.295 Die Unternehmensvertreter forderten „eine klare und institutionell abgesicherte Mehrheit der Eigentümervertreter im Aufsichtsrat“, die Berücksichtigung der besonderen Stellung von leitenden Angestellten im Unternehmen und widersprachen einem Delegationsrecht der Gewerkschaften, da auch die „Unternehmensfremden vom Vertrauen der Belegschaft getragen sein“ müssten.296 Auch innerhalb der SPD bildeten sich unterschiedliche Ansichten.297 Die FDP lehnte die von den Gewerkschaften vorgetragenen Forderungen kategorisch ab und bestand auf ihrem Freiburger Modell.298 So kam es, dass im Jahre 1973 von den verschiedensten Seiten, so insbesondere auch innerhalb der großen Parteien, eine unzählige Menge und Bandbreite an Mitbestimmungsmodellen entwickelt und an Diskussionen geführt wurde.299 Alle politischen und gesellschaftlichen Akteure und 291 Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vom 18. Januar 1973, Punkt IX, S. 47, abrufbar unter http://library.fes.de/pdf-files/netzquelle/a88-06578.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 292 Stollreither, Mitbestimmung, S. 225. 293 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 65 f.; Stollreither, Mitbestimmung, S. 225 f. 294 Näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 226 f. 295 Jahresbericht der BDA, 1. Dezember 1972 bis 30. November 1973, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Bonn-Bad Godesberg am 6. Dezember 1973, S. 180; vgl. hierzu auch Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 67. 296 Jahresbericht der BDA, 1. Dezember 1972 bis 30. November 1973, vorgelegt der Mitgliederversammlung in Bonn-Bad Godesberg am 6. Dezember 1973, S. 181 ff. 297 Näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 232. 298 „Es gibt entweder das von der FDP auf dem Freiburger Parteitag verabschiedete Modell, oder es gibt in dieser Legislaturperiode überhaupt kein Modell“, Horst-Ludwig Riemer, Landesvorsitzender der FDP für Nordrhein-Westfalen, zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 65. 299 Eine ausführliche Übersicht hierzu ist zu finden bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 225 ff.; vgl. auch Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 68: „In dieser
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teilweise auch ihre einzelnen Gruppierungen wollten in dieser Sache Stellung beziehen.300 In den Jahren 1968 bis 1974 waren so insgesamt über 50 verschiedene Konzepte für eine Zusammensetzung der Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften vorgelegt worden.301 Es kristallisierte sich heraus, dass insbesondere die Entsendungsrechte in Bezug auf die unternehmensexternen Gewerkschaftsvertreter und die Anwesenheit der leitenden Angestellten auf der Arbeitnehmerbank wesentliche Streitpunkte in der Koalition werden würden.302 Die Selbstverpflichtung der Regierungsparteien, in der begonnenen Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen, setzte sie gleichwohl unter Druck.303 Nachdem die SPD und FDP zunächst am 22. Januar 1974 einen Kompromiss und sodann einen Regierungsentwurf vorlegten, spitzte sich die politische Auseinandersetzung weiter zu.304 Der Entwurf sah zwar Parität vor, räumte aber den leitenden Angestellten einen Platz auf der Arbeitnehmerbank ein. Aus Sicht von Teilen der CDU und der Unternehmervertreter enthielt der Entwurf zu viel Mitbestimmung, aus Sicht der Gewerkschaften nicht genug.305 Durch die Einbeziehung der leitenden Angestellten in die Arbeitnehmerbank sahen die Gewerkschaften die Parität untergraben, weil die leitenden Angestellten dem Arbeitgeberlager zuzurechnen seien.306 Für die Arbeitgeberverbände war der Entwurf dagegen „unannehmbar“ und eine Bedrohung für die soziale Marktwirtschaft, die „durch ein System des syndikalistischen Sozialismus“ abgelöst würde.307 Im März 1974 versammelten sich über 3.000 Unternehmer und demonstrierten unter dem Motto „Marktwirtschaft oder Gewerkschaftsstaat“ gegen die Regierungspläne.308 Mit Erklärungen, Vorträgen, Debatten und anderen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen warnten die Arbeitgeberverbände vor den vom Ge-
Situation, wo nach Kompromissen und Wegen gesucht wurde, eine gesetzliche Regelung zu finden, die eine tragfähige politische Mehrheit hinter sich zu scharen vermochte, schossen Mitbestimmungsmodelle wie Pilze aus dem Boden.“ 300 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 68. 301 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. 302 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 69. 303 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 65. 304 Ausführlich hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 244 ff. 305 So der DGB-Vorsitzende Heinz O. Vetter, zitiert nach Stollreither, Mitbestimmung, S. 254. 306 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 73 m.w. N. 307 Stellungnahme des Präsidenten der BDA, Dr. Hanns Martin Schleyer, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 257 ff. Der Präsident der BDI, Professor Dr. Hans-Günther Sohl, seit zwanzig Jahren Vorstandsvorsitzender der montanmitbestimmten August Thyssen-Hütte AG, sah das geplante Gesetz ebenfalls als Bedrohung, vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 259. 308 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 72; Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 34.
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setzesentwurf ausgehenden Gefahren.309 Eine deutliche Missbilligung kam auch aus den Reihen der CDU.310 Die Angriffe gegen die Mitbestimmung mehrten sich, die Position der Gewerkschaften verschlechterte sich zunehmend.311 Auf einer Großkundgebung bekräftigten sie zwar noch ihre Kampfbereitschaft („Wer den Kampf will, soll ihn haben“ 312), verzichteten letztlich aber doch auf Demonstrationen gegen die Mitbestimmungspläne, da die politische Lage für weitergehende Forderungen nicht förderlich war und ihnen auch in den eigenen Reihen die Rückendeckung für eine kämpferische Durchsetzung der gewerkschaftlichen Konzepte fehlte.313 Widerwillig mussten sie akzeptieren, dass ihren Forderungen – zumindest in dieser Legislaturperiode – nicht entsprochen werden würde, und konnten nur noch hoffen, dass sich die politischen Diskussionen nicht noch weiter zugunsten der Arbeitgeber verlagerten.314 Nachdem sich die parteipolitischen Kontroversen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens fortsetzt hatten315, von zwischenzeitlich eingeholten Rechtsgutachten zur Verfassungswidrigkeit des Regierungsentwurfs zusätzlich angeheizt wurden und daraufhin auf Bestreben der FDP sogar eine neue Koalitionsvereinbarung getroffen wurde, die den Gesetzesentwurf mehr in Richtung Arbeitgeberlager rückte316, wurde schließlich am 18. März 1976 das Mitbestimmungsgesetz317 (nachfolgend: „MitbestG“) mit überragender Mehrheit318 vom Bundestag verabschiedet und trat zum 1. Juli 1976 in Kraft. Angesichts der langjährigen, politisch hoch brisanten und breiten Diskussion über das Ob und Wie der Mitbestimmung fällt die Gesetzesentwurfsbegründung erstaunlich knapp aus319, beschränkt sie sich letztlich auf die sich wiederholende Bekundung, Ziel des Ent309
Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 72. Näher hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 261. 311 Ausführlich zu den Auseinandersetzungen zwischen den Mitbestimmungskritikern und den Gewerkschaften Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 71 ff.; zur Gegenwehr der Gewerkschaften ders., S. 75 ff. 312 DGB-Vorsitzender Heinz-Oskar Vetter, Rede auf der Mitbestimmungskundgebung des DGB am 7. Mai 1974 in Essen, DGB-Archiv, 5/DGCS 39, zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 76. 313 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 76, 79. 314 Näher hierzu Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 79 ff. 315 Ein Überblick zur Behandlung des Gesetzesentwurfs im Bundestag und Bundesrat und die Änderungsvorschläge findet sich bei Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 25 ff. 316 Vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 80 f.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 26. 317 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 4. Mai 1976, BGBl. I S. 1153. 318 Von 412 Abgeordneten stimmten 389 mit Ja, 21 mit Nein und es gab eine Enthaltung, vgl. Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 89; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 28. 319 Ähnlich Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 („bemerkenswert unbestimmt“). 310
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wurfs sei die „gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen“, und zwar „auf der Grundlage des geltenden Gesellschaftsrechts“ und unter dessen „weitgehender Beibehaltung“.320 Nach Erlass des MitbestG wurde der Streit um die Unternehmensmitbestimmung vor Gericht fortgeführt. Am 29. Juni 1977 erhoben dreißig Arbeitgeberverbände und neun Unternehmen Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz.321 Kaum verwunderlich trug dies zur weiteren Zerrüttung der Verhältnisse zwischen der Unternehmerseite und den Gewerkschaften bei.322 Die Arbeitgebervertreter unterlagen vor dem Bundesverfassungsgericht, das Gesetz wurde als verfassungskonform beurteilt.323 Indes stützte sich das Gericht dabei unter anderem darauf, dass sich die Arbeitnehmervertreter aufgrund des doppelten Stimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht gegen den Willen der Anteilseigner durchsetzen könnten324 und bremste damit zugleich die gewerkschaftlichen Forderungen nach „volle[r] Parität“ aus325. e) Wesentliche Gesetzesänderungen und neue Gesetzgebung Mit der Montanmitbestimmung, der Drittelbeteiligung nach den §§ 76 ff. BetrVG 1952 und dem MitbestG wurde ein System der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland entwickelt, das bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben ist.326 Gleiches gilt für die auf dem BetrVG 1972 beruhende betriebliche Mitbestimmung. Im Bereich der Montanmitbestimmung erfolgten nach 1976 mit dem Änderungsgesetz vom 21. Mai 1981327 („2. Lex Mannesmann“ 328), dem Gesetz zur 320 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/2172, S. 16 f. 321 Näher zu den Beschwerdeführern Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 39; zu den jeweiligen Positionen der Arbeitgeberseite, der Bundesregierung und der Gewerkschaften zusammenfassend ders., Unternehmensmitbestimmung, S. 39 ff. 322 Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 91 („die Beziehung zwischen den Sozialpartnern war auf einem Tiefpunkt angelangt“). 323 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699. 324 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 139, 144. 325 So Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 93. 326 Ausführlich zu den gesetzlichen Änderungen seit 1976 Wißmann, in: Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 31 ff. 327 Gesetz zur Änderung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vom 21. Mai 1981, BGBl. I S. 441. 328 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 35.
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Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung vom 23. Juli 1987329 sowie dem Gesetz zur Sicherung der Montanmitbestimmung vom 20. Dezember 1988330 einige gesetzliche Änderungen, die den Anwendungsbereich der Montanmitbestimmung ausweiteten.331 Das MitbestG war bis 1990 nicht geändert worden, danach erfolgten neben sprachlichen und redaktionellen Änderungen (z. B. die Ersetzung des Begriffs „Wahlmänner“ durch „Delegierte“) auch einige inhaltliche Änderungen durch die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001332 und die in den Jahren 2002 und 2004 erlassenen Änderungsgesetze zur Vereinfachung des Wahlverfahrens333.334 Mit dem Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz 335 aus dem Jahr 1994 sollte die Anwendbarkeit des MitbestG nach einer grenzüberschreitenden Einbringung von Anteilen, Betrieben oder Betriebsteilen gesichert werden.336 Den Erhalt der Mitbestimmung bezweckte auch die Einfügung des § 325 UmwG im Rahmen der im Jahre 1994 erfolgten Reform des Umwandlungsrechts337.338 Die drittelparitätische Beteiligung der Arbeitnehmervertreter nach den – auch nach Verabschiedung des BetrVG 1972 weitergeltenden – Regelungen des BetrVG 1952 zur Unternehmensmitbestimmung erfuhr eine wesentliche Änderung durch das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des 329 Gesetz zur Verlängerung von Auslaufzeiten in der Montan-Mitbestimmung vom 23. Juli 1987, BGBl. I S. 1676. 330 Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2312. 331 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 35 f. 332 Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerf-Reformgesetz) vom 23. Juli 2001, BGBl. I S. 1852. 333 Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 23. März 2002, BGBl. I S. 1130 sowie Zweites Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974. 334 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 31 ff.; vgl. zum rechtspolitischen Hintergrund auch Oetker, Unternehmensmitbestimmung in der rechtspolitischen Diskussion, RdA 2005, S. 337 (338 f.). 335 Gesetz zur Beibehaltung der Mitbestimmung beim Austausch von Anteilen und der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen (Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz – MitbestBeiG) vom 23. August 1994, BGBl. I S. 2228. 336 Näher Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 40; ausführlich ders., in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 93 ff. 337 Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) vom 28. Oktober 1994, BGBl. I S. 3210. 338 Näher Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 41; ausführlich ders., in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 77 ff.
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Aktienrechts vom 2. August 1994339, infolge derer der Anwendungsbereich des Gesetzes verringert wurde.340 Im Jahr 2004 wurde das BetrVG 1952 durch das Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 18. Mai 2004341 (nachfolgend: „DrittelbG“) abgelöst. Hierdurch sollte lediglich die Anwenderfreundlichkeit der aufgrund von Gesetzesänderungen unübersichtlich gewordenen Regelungen verbessert werden, „ohne den bisherigen Geltungsbereich und den Inhalt des Gesetzes zu verändern“.342 Im Zusammenhang mit der Privatisierung einiger Staatsbetriebe – allen voran der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn343 sowie der Deutschen Bundespost344 – wurden Sonderregelungen getroffen, aufgrund derer Beamte, Soldaten u. ä. als Arbeitnehmer für die Zwecke der Unternehmensmitbestimmung gelten.345 Eine umfassend neue Gesetzgebung im Bereich der Unternehmensmitbestimmung erfolgte aufgrund europarechtlicher Vorgaben zu grenzüberschreitenden Unternehmensformen (SE, SCE) und Verschmelzungen. Die Umsetzung der europäischen Richtlinien zur Arbeitnehmerbeteiligung erfolgte mit Erlass des SEBG346, SCEBG347 und MgVG348.349 Relevant für die Unternehmensmitbestimmung waren auch Veränderungen im Unternehmensrecht350, so insbesondere die Entwicklungen im Bereich der Cor-
339 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2. August 1994, BGBl. I S. 1961. 340 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 37. 341 Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG) vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974. 342 Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 18. Februar 2004, BT-Drucks. 15/2542, S. 1, 10. 343 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG) vom 27. Dezember 1993, BGBl. I S. 2378. 344 Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz – PTNeuOG) vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325. 345 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 42; vgl. auch Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. 69. 346 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) vom 22. Dezember 2004, BGBl. I S. 3675 (3686). 347 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCE-Beteiligungsgesetz – SCEBG) vom 4. August 2006, BGBl. I S. 1911 (1917). 348 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) vom 21. Dezember 2006, BGBl. I S. 3332. 349 Ausführlich hierzu Kapitel 4. 350 Näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 44 ff.
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porate Governance, die für ein starkes Wiederaufleben der Diskussionen um das Thema Mitbestimmung gesorgt haben351. Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung war die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 2001352 von erheblicher Bedeutung. Das BetrVG 1972 wurde daraufhin in der Bekanntmachung vom 25. September 2001353 neu gefasst.
II. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen Infolge der zuletzt im Jahre 1795 erfolgten Aufteilung des polnischen Staatsgebietes unter den Großmächten Preußen, Russland und Österreich-Ungarn existierte im 19. Jahrhundert der polnische Staat als solcher nicht mehr, in den Gebieten galten die jeweiligen Gesetze der Besatzungsmächte. Erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erlangte Polen seine Unabhängigkeit wieder. Zwar waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche als „polnisch“ anzusehende Gewerkschaftsorganisationen entstanden.354 Der Beginn einer Arbeitnehmerpartizipation wird im polnischen Schrifttum jedoch erst auf das Jahr 1918 datiert.355 Die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation nach dem Zweiten Weltkrieg hing sodann eng mit den jeweiligen politischen Verhältnissen im realen Sozialismus zusammen. 1. Die Arbeitnehmerpartizipation in den Jahren 1918–1939 Mit Wiedererlangung der Unabhängigkeit im Jahre 1918 begann in Polen die Entwicklung eines eigenen und einheitlichen Rechtssystems.356 Dabei stand das Land vor der Herausforderung, die in den drei Besatzungsgebieten geltenden unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen zu konsolidieren.357 In den ersten 351 Vgl. hierzu insbesondere die Reformvorschläge des Berliner Netzwerks Corporate Governance, veröffentlicht in AG 2004, S. 200 (200 f.); ferner die vertieften Auseinandersetzungen zur Vereinbarkeit der Unternehmensmitbestimmung mit Corporate Governance bei Brocker, Unternehmensmitbestimmung, sowie bei Gietzen, Unternehmensmitbestimmung. Ausführlich zu der Problematik siehe Kapitel 6. 352 Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerf-Reformgesetz) vom 23. Juli 2001, BGBl. I S. 1852. 353 Bekanntmachung der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 25. September 2001, BGBl. I S. 2518. 354 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 73 ff.; vgl. zur Entwicklung einzelner Gewerkschaftsorganisationen vor 1918 auch Masewicz, Połoz˙enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 78 ff. 355 So etwa Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36. 356 Näher hierzu Jas ´kiewicz/Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 41 ff. 357 Näher Jas´kiewicz/Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 41 f.; S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 105 ff.
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Jahren nach Kriegsende (1918–1925) erfolgten auch zahlreiche gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich des Arbeitsrechts, welches auch in den Gesetzen der Besatzungsmächte noch nicht sehr weit entwickelt war und daher von Grund auf neu aufgebaut werden musste.358 Als Beginn der polnischen Arbeitnehmerpartizipation gelten die sog. Arbeiterdelegiertenräte, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg entstanden waren.359 Es handelte sich dabei um lokal von der Arbeiterschaft gewählte Arbeitnehmervertretungen.360 Sie organisierten und vereinten die von den jeweiligen Belegschaften in den Betrieben gewählten Fabrikausschüsse, deren Zweck einerseits die Sicherstellung der beruflichen und sozialen Bedürfnisse der Arbeiter, andererseits die Inganghaltung und Beaufsichtigung der nach dem Krieg verlassenen Betriebe war.361 Jedoch agierten diese Organisationen ohne gesetzliche Grundlage362 und waren in nur wenigen Regionen – so vor allem in Warschau, Lodz, im Dombrowaer Kohlegebiet und in Lublin, wo die Unabhängigkeitsbewegungen und radikalen gesellschaftlichen Tendenzen am stärksten aufgetreten waren – aktiv363. Die Arbeiterdelegiertenräte waren unter dem Einfluss der Rätebewegung in Russland entstanden und vertraten dementsprechend oftmals auch radikale soziale Tendenzen.364 In Bezug auf ihre Rolle bestand in politischen und gewerkschaftlichen Kreisen jedoch Uneinigkeit, was sie sowohl in ihrer Bedeutung als auch in ihrer Entwicklung beeinträchtigte. 365 Während sie nach den Vorstellungen der sozialistischen Arbeiterpartei die damalige Übergangsregierung beim 358 Vgl. S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 105; ausführlich zu der Entwicklung des Arbeitsrechts Jas´kiewicz/Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 41 ff.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 105 ff.; S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff. 359 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; ausführlich hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 7 ff. 360 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15. 361 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7); ausführlich hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 7–15. 362 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9); Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (91). 363 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 36; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 15; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7); näher hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 8 ff. 364 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch Balcerek/ Gilejko, Społeczno-ekonomiczne funkcje samorza˛du robotniczego, S. 8; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 81 f. 365 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7 f.).
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Aufbau eines neuen Wirtschaftssystems unterstützen und dabei die Arbeitnehmerinteressen in beruflichen und sozialen Angelegenheiten vertreten sollten, sahen die Kommunisten vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Russland in den Arbeiterdelegiertenräten ein Mittel zur Herbeiführung einer gesellschaftlichen Revolution und Einführung einer Diktatur des Proletariats.366 Als die revolutionären Bestrebungen in Polen nach und nach verblassten und der Aufbau neuer Staatsstrukturen begann, sank auch im Allgemeinen das Interesse an einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung in Gestalt der Arbeiterdelegiertenräte.367 Nicht zuletzt war die Nähe der Arbeiterdelegiertenräte zur sozialistischen Bewegung und ihr oftmals radikaler Charakter der Grund dafür, dass die sich neu formende politische und wirtschaftliche Macht in Polen, die traditionellerweise eher nach Westen ausgerichtet war, an ihrer Liquidation interessiert war.368 So wird auch der Erlass zahlreicher arbeitnehmerfreundlicher Regelungen – etwa der Einführung eines 8-Stunden-Tages und einer 46-Stunden-Arbeitswoche sowie einer Institution der Arbeitsinspektion369 – auf das Bestreben der neuen Regierung zurückgeführt, die Arbeiterdelegiertenräte in ihrer Entwicklung zu schwächen und damit Polen vor dem Bolschewismus zu bewahren.370 Mit Erlass eines Dekrets vom 8. Februar 1919 betreffend die Gewerkschaften371 sollten ferner die gemäßigten Gewerkschaften gestärkt und dadurch eine weitere Verbreitung der Arbeiterdelegiertenräte verhindert werden.372 Im Sommer 1919 wurden die Arbeiterdelegiertenräte durch die neue Regierung aufgelöst.373 Auch wenn die Arbeiterdelegiertenräte letztlich nur ein kurzes Dasein verzeichneten, werden sie in der polnischen Literatur als Ausdruck authentischer Initiativen und Bestrebungen der polnischen Arbeiter nach Arbeitnehmerpartizipation374 und 366 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (7 f.); ausführlich hierzu Rybicki, Rady delegatów robotniczych w Polsce 1918–1919, S. 44 ff.; vgl. ders., a. a. O., S. 152 ff. 367 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16. 368 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 82 m.w. N. 369 Vgl. Artt. 1 ff., 12 des Gesetzes zur Arbeitszeit in der Industrie und im Handel vom 18. Dezember 1918, Dz. U. 1920 Nr. 2 Pos. 7; eine ausführliche Darstellung zur Entwicklung des polnischen Arbeitsrecht findet sich bei S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 41 ff. 370 So Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 81, 105; dies andeutend auch S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 43. 371 Dekret des Staatsoberhaupts zu temporären Vorschriften über Gewerkschaften vom 8. Februar 1919, Dz.Pr.P.P. 1919 Nr. 15 Pos. 209. 372 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 82 m.w. N.; vgl. hierzu sowie zum sehr gewerkschaftsfreundlichen Inhalt des Dekrets auch S´wie˛cicki, Prawo pracy, S. 44. 373 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (8). 374 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16.
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wichtiger Wegbereiter für spätere gesetzliche Regelungen der Arbeitnehmerbeteiligung in Polen375 betrachtet. Gesetzliche Grundlagen für eine Arbeitnehmerpartizipation gab es lediglich in Teilen Polens. Auf den Gebieten der ehemaligen Besatzungsmächte galten die früheren Gesetze fort – so auf dem Gebiet der ehemaligen Preußischen Besatzungsmacht die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918376, die weiterhin in den Woiwodschaften Poznan, Pommern und Oberschlesien Anwendung fand.377 In Oberschlesien galt auch das deutsche Betriebsrätegesetz von 1920378, allerdings nicht auch das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 1922379.380 Insoweit bestand in diesem Gebiet die am weitesten gehende Arbeitnehmerpartizipation in Polen.381 Eine weitere besondere Mitbestimmungsregelung galt im Dombrowaer Kohlegebiet, wo sich aus den Arbeiterdelegiertenräten eine eigenständige Form der Arbeitnehmervertretung entwickelt hatte, die schließlich durch Rechtsverordnung vom 25. August 1919 rechtlich bestätigt wurde.382 In den anderen Gebieten Polens regelten die noch in Kraft befindlichen rechtlichen Vorschriften der ehemaligen Besatzungsmächte die Frage der Arbeitnehmerpartizipation jedoch nur bruchteilhaft und unzureichend.383 Darüber hinaus gab es in vereinzelten polnischen Gesetzen Mitspracherechte von Belegschaftsvertretern, so etwa in Bezug auf die Aufstellung von Urlaubsplänen.384
375 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). 376 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918, RGBl. S. 1456. 377 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23; Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 378 Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920, RGBl. S. 147. 379 Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15. Februar 1922, RGBl. I S. 209. 380 Hierzu Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 22; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 19; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. Das Gesetz galt aufgrund der deutsch-polnischen Konvention Oberschlesiens vom 15. Mai 1922, vgl. Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 22. 381 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16 f. 382 Näher Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23; Masewicz, Połoz˙enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 163 f.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 128. 383 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16. 384 Art. 5 Satz 2 des Gesetzes vom 16. Mai 1922 betreffend den Urlaub von in Industrie und Handel beschäftigten Arbeitnehmer, Dz. U. 1922 Nr. 40 Pos. 334; vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 129.
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In vielen Betrieben entstanden jedoch Arbeitnehmervertretungen, die entweder auf Tarifverträgen bzw. sonstigen betrieblichen Vereinbarungen beruhten oder aber auch gar keine gesetzliche oder vertragliche Grundlage hatten.385 Es handelte sich dabei meistens um einzelne Delegierte bzw. Vertrauensmänner der Arbeiter, da sich die Belegschaften das Recht zur Berufung und die Anerkennung von Arbeitnehmervertretern oft durch Streik erkämpfen mussten und die Unternehmer in der Regel der Errichtung eines Arbeitnehmervertretungsgremiums ablehnend gegenüberstanden.386 Oft fungierten die Delegierten daher auch ohne vertragliche Grundlage und stützten ihre Tätigkeit allein auf das Vertrauen der Belegschaft.387 Sowohl die rechtliche Stellung als auch die Rolle und Kompetenzen der Delegierten war in den einzelnen Betrieben unterschiedlich und mitunter abhängig von der politischen und wirtschaftlichen Situation des Betriebs, der Autorität der sie unterstützenden Gewerkschaften und persönlichen Eigenschaften.388 Aus Sicht der Unternehmer sollte der Delegierte vor allem Konflikte im Betrieb verhindern.389 In der Regel war der Delegierte Repräsentant der gesamten Belegschaft – nicht nur der Gewerkschaftsmitglieder –, selbst jedoch Gewerkschaftsfunktionär oder jedenfalls Gewerkschaftsmitglied.390 Oftmals entstanden in diesem Zusammenhang auch Konkurrenzen zwischen verschiedenen Gewerkschaften.391 Abgesehen von den betrieblichen Arbeitnehmervertretungen wurden die Arbeitnehmerinteressen vornehmlich von den Gewerkschaften vertreten. Die ersten Nachkriegsjahre waren für die Entwicklung der Gewerkschaften sehr förderlich. Dabei zeichnete sich die Entstehung von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen sowie kollektiver Arbeitsbeziehungen durch einen stark dezentralen Charakter aus.392 Nachdem bereits mit dem Dekret vom 8. Februar 1919393 die Koalitionsfreiheit anerkannt wurde, wurde die Koalitionsfreiheit sodann auch in Art. 108 der Verfassung vom 17. März 1921394 garantiert. Mit der Verfassung der 385 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 53; Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 164, 166; Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/ 1991, S. 89 (91). 386 Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 19 f. 387 Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 19. 388 Ebenda. 389 Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 20. 390 Ebenda. 391 Szubert, Rady zakładowe w s ´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (91). 392 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (107). 393 Dekret des Staatsoberhaupts zu temporären Vorschriften über Gewerkschaften vom 8. Februar 1919, Dz.Pr.P.P. 1919 Nr. 15 Pos. 209. 394 Verfassung vom 17. März 1921, Dz. U. 1921 Nr. 44 Pos. 267, S. 653. Art. 108 lautete: „Obywatele maja˛ prawo koalicji, zgromadzania sie˛ i zawia˛zywania stowarzyszen´ i zwia˛zków.“
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II. Republik Polen vom 17. März 1921 wurden damit die Grundlagen für einen sozialen Dialog gelegt.395 Aus der Koalitionsfreiheit wurde gleichzeitig das Streikrecht abgeleitet.396 Insgesamt charakterisiert die Gewerkschaftsbewegung in den Jahren 1918 bis 1939 jedoch eine sehr starke organisatorische Zersplitterung – es existierten 71 Gewerkschaftszentralen und 1.944 Gewerkschaften, die jedoch oftmals nicht einmal 100 Mitglieder zählten.397 Gewerkschaftlich organisiert waren allerdings insgesamt nur ungefähr 2,2 % bis 2,8 % der Gesamtbevölkerung, was im europäischen Vergleich wenig war.398 Ihre höchste Zahl verzeichneten die Gewerkschaften in den Jahren 1921 bis 1923: Zu dieser Zeit waren ca. 35 bis 40 % aller abhängig Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert.399 In den Jahren 1924 bis 1926 war ein starker Rückgang der Mitgliederzahlen um ca. 40 % zu beobachten, was auf die fehlende Tradition gewerkschaftlicher Organisationen, die steigende Arbeitslosigkeit und mangelnde Bereitschaft der Arbeitgeberseite, sich auf die Forderungen der Gewerkschaften einzulassen, sowie die zunehmende innere Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung in sich teilweise gegenseitig bekämpfende Organisationen zurückgeführt wird.400 Gleichzeitig hatte gerade mitunter auch die große Zersplitterung zur Folge, dass sich die einzelnen Gewerkschaften durch eine hohe Aktivität zu profilieren versuchten, was zu der – auch im internationalen Vergleich – beträchtlichen Anzahl von 19.239 Streiks und davon erfassten 141.000 Betrieben im Zeitraum von 1919 bis 1938 führte.401 Die gesetzlichen Garantien und Freiheiten der Gewerkschaften wurden nach dem Militärputsch von Józef Piłsudzki im Jahre 1926 zwar teilweise wieder eingeschränkt. So etwa unterlagen sie den Bestimmungen des Vereinigungsgesetzes vom 27. Oktober 1932402 und das Streikrecht in öffentlichen Einrichtungen wurde durch das 1932 erlassene Strafgesetzbuch eingeschränkt403. Die Aprilverfassung von 1935404 garantierte anders als die Märzverfassung von 1921 nicht 395
Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. Ebenda. 397 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 17. 398 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 18; weitere statistische Angaben finden sich bei Masewicz, Połoz˙enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 87 ff. 399 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 83. 400 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 83 m.w. N. Zu den größten Gewerkschaftsorganisationen vgl. die Angaben bei Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 19 f. 401 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 21. 402 Verordnung des Präsidenten der Republik Polen vom 27. Oktober 1932 – Vereinigungsgesetz, Dz. U. 1932 Nr. 94 Pos. 808; vgl. hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 84, 110. 403 Vgl. Art. 223 des Strafgesetzbuchs vom 11. Juli 1932, Dz. U. 1932 Nr. 60 Pos. 571; vgl. hierzu Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 404 Verfassung vom 23. April 1935, Dz. U. 1935 Nr. 30 Pos. 227. 396
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mehr ausdrücklich das Koalitionsrecht, sondern lediglich die Vereinigungsfreiheit, und dies auch nur in den Schranken des Gemeinwohls.405 Dennoch sind dadurch letztlich weder die Autonomie noch die demokratischen Strukturen der Gewerkschaften beschränkt worden.406 Das wichtigste Instrument bei der Entwicklung des sozialen Dialogs in der damaligen Zeit waren Tarifverträge.407 Mit Ausnahme der lediglich in den Woiwodschaften Poznan, Pommern und Oberschlesien geltenden408 deutschen Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918409 fehlte es an einer gesetzlichen Grundlage für den Abschluss von Tarifverträgen, sodass die tatsächlichen Entwicklungen den rechtlichen vorausgingen410. Tarifverträge waren weit verbreitet411, insbesondere im ehemals preußischen Gebiet, und wurden nicht nur mit den Gewerkschaften, sondern auch anderen Arbeitnehmervertretern geschlossen.412 Gerade in kleineren Betrieben waren die Arbeiter oftmals nicht gewerkschaftlich organisiert, sodass die Tarifverträge – auch als „kollektiver Vertrag“, „Vergleich“ „Tarifkontrakt“ u. ä. bezeichnet –, von anderen Arbeitnehmervertretungen geschlossen wurden.413 Tarifverträge wurden generell meist dezentral auf Betriebsebene unterzeichnet.414 Ursprünglich hatten die Tarifverträge nur Lohnfragen geregelt, wurden aber zunehmend um Regelungen in Bezug auf die Arbeitszeit, die Vergütung von Überstunden, die Stellung der Arbeitnehmervertretungen und andere für die Belegschaft wichtige Aspekte ausgeweitet.415 Für die Gewerkschaften waren die Tarifverträge eines der wichtigsten Betätigungsfelder und wurden als Ergänzung der Koalitionsfreiheit und des Streikrechts angesehen.416 Sie versuchten mithilfe von Tarifverträgen die wenigen Befugnisse, die 405 Art. 5 Abs. 2, 3 der Verfassung vom 23. April 1935, Dz. U. 1935 Nr. 30 Pos. 227; vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 112. 406 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 24. 407 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 53. 408 Vgl. hierzu Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23; Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 409 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dezember 1918, RGBl. S. 1456. 410 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 184. 411 Eine ausführliche statistische Darstellung der abgeschlossenen Tarifverträge findet sich bei Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 10 ff. 412 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 53; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 89. 413 Gładoch, Dialog społeczny, S. 53. Übersetzung d. Verf. 414 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (107). 415 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 183; vgl. in Bezug auf die Regelung von Arbeitnehmervertretungen in Tarifverträgen oder sonstigen betrieblichen Vereinbarungen auch Masewicz, a. a. O., S. 166. 416 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 89.
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ihnen nach dem Dekret vom 8. Februar 1919 zugestanden waren, aufzustocken.417 An einer gesetzlichen Regelung des Tarifvertragsrechts wurde zwar schon seit 1919 gearbeitet, doch wurde erst 1937 das Gesetz über Tarifverträge418 erlassen.419 Allerdings wies das Gesetz die Kompetenz zum Abschluss von Tarifverträgen auf Arbeitnehmerseite ausschließlich den Gewerkschaften zu.420 Tarifverträgen in kleineren Betrieben mit kaum gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern wurde dadurch ein Riegel vorgeschoben.421 Dass es in den Jahren 1918 bis 1939 nicht zu einer einheitlichen gesetzlichen Regelung in Bezug auf eine betriebliche Arbeitnehmervertretung gekommen ist, hat verschiedene Ursachen. Dabei wurde eine gesetzliche Regelung gerade von den Gewerkschaften mehrheitlich gefordert, die sich durch die verschiedenen Arbeitnehmervertretungen, deren Rolle und Aufgabe nicht eindeutig geregelt waren, zunehmend bedroht fühlten.422 Schon im Jahr 1920 postulierten sie die zügige gesetzliche Einführung einer Arbeitnehmervertretung in den Betrieben, die den Arbeitern Einfluss auf die Produktion und Betriebsführung sichern würde.423 Einzig kleinere Gewerkschaften sahen auch in den gesetzlich abgesicherten betrieblichen Arbeitnehmervertretungen eine Gefahr für ihre eigene, oft hart erkämpfte Existenz.424 Die Regierungen zögerten die gesetzliche Regelung einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung jedoch hinaus, beriefen sich dabei auf die fehlende Entschlossenheit der Gewerkschaften, die Gefahr unzureichender Qualifikationen der berufenen Arbeitnehmervertretungen und radikaler Tendenzen sowie mangelnde Kontrollmöglichkeiten ihrer Tätigkeit.425 Befürchtet wurde auch die Entstehung einer Arbeitnehmervertretung nach dem Vorbild der deutschen Betriebsräte auf Grundlage des BRG 1920.426 So waren auch Versuche der Gewerkschaften, den Geltungsbereich des BRG 1920 auf andere Teile Polens auszudehnen, nicht erfolgreich gewesen.427 Im Jahre 1938 begann man schließ-
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Ebenda. Gesetz über Tarifverträge vom 14. April 1937, Dz. U. 1937 Nr. 31 Pos. 242. 419 Gładoch, Dialog społeczny, S. 50. 420 Vgl. Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über Tarifverträge vom 14. April 1937, Dz. U. 1937 Nr. 31 Pos. 242. 421 Gładoch, Dialog społeczny, S. 53; ausführlich zu der Auseinandersetzung um die Tariffähigkeit anderer Arbeitnehmervertretungen Masewicz, Układy zbiorowe pracy, S. 16 ff. 422 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 136 m.w. N. 423 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 165. 424 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 136. 425 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 165. 426 Masewicz, Połoz ˙ enie prawne zwia˛zków zawodowych w latach 1919–1939, S. 165 f. 427 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 128, 136. 418
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lich mit der Ausarbeitung eines Gesetzes über Arbeitnehmerräte.428 Der Entwurf lehnte sich an die deutschen Betriebsräte an, räumte ihnen jedoch keine derart weitgehenden Mitbestimmungsrechte ein und sah die Bildung von Arbeitnehmerräten erst in Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmern vor; in kleinen Unternehmen sollten dagegen lediglich Delegierte fungieren.429 Es handelte sich dabei um eines der umstrittensten Gesetzgebungsprojekte der damaligen Zeit.430 Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte indes die Finalisierung des Gesetzes.431 Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – die gesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet der Arbeitnehmerpartizipation nur unzureichend waren, hatte sich in den Jahren 1918 bis 1939 in Polen eine immense Vielzahl an verschiedenen Formen von Arbeitnehmervertretungen herausgebildet. Zwar fehlte es dadurch an einem für das gesamte Land einheitlichen System der Arbeitnehmerpartizipation, gleichwohl zeichneten sich die entstehenden Interessenvertretungen durch Authentizität aus und genossen die Akzeptanz der Belegschaften.432 2. Arbeitnehmerpartizipation in der Volksrepublik Polen (bis 1980) Obwohl es in den Jahren 1918 bis 1939 nicht gelungen ist, eine einheitliche gesetzliche Regelung für die Arbeitnehmerbeteiligung zu erlassen, war die Idee nicht durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges untergegangen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde von dem Departament für Arbeit und Soziales der sich im Londoner Exil befindlichen polnischen Regierung zusammen mit Vertretern der christlichen Gewerkschaft ein Konzept zur Neugestaltung der polnischen Staates erarbeitet.433 Kernelement des Konzepts war die auf einem Betriebsrats-
428 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (8); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 429 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 23. 430 Szubert, Rady zakładowe w s ´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (91). 431 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 37; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (8); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 432 Chumin ´ski, Ruch zawodowy, S. 24. 433 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 97 f., 131; Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89; näher hierzu Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 30 ff.; vgl. zu den Arbeiten des Departaments ausführlich Szubert, Wspomnienia o Departamencie Pracy i Opieki Społecznej Delegatury Rza˛du (1941– 1944), Przegla˛d Historyczny, Bd. LXXX 1/1989, S. 133 (133 ff.).
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system beruhende Selbstverwaltung, die eine Alternative sowohl zum Kapitalismus als auch zum Sozialismus darstellen sollte.434 Im Zuge der konzeptionellen Arbeiten wurde eine Verordnung über Betriebsräte erarbeitet, die am ersten Tag des Warschauer Aufstandes, dem 1. August 1944, von dem Nationalen Ministerrat („Krajowa Rada Ministrów“) erlassen wurde.435 Es handelte sich dabei jedoch lediglich um einen symbolischen Akt, der die Bedeutung, die die im Exil befindliche Regierung der Arbeitnehmerbeteiligung beigemessen hatte, zum Ausdruck bringt.436 Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes am 1. August 1944 verhinderte dagegen ein Inkrafttreten der Verordnung, welche dennoch als Wegbereiterin für spätere Formen der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen diente.437 Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich in Polen eine neue politische und wirtschaftliche Staatsordnung. In der Theorie beruhte das entstandene politische System in Polen auf zwei Grundsätzen: der Volksherrschaft im Sinne einer Teilhabe aller Bürger an der politischen und wirtschaftlichen Macht sowie der führenden Rolle des Proletariats.438 Die führende Rolle des Proletariats sollte sich in der politischen Dominanz der Arbeiterklasse äußern und durch die Arbeiterpartei wahrgenommen werden.439 In kurzer Zeit führte dies allerdings zur Alleinherrschaft der Arbeiterpartei, andere Parteien wurden entweder „eliminiert“ oder „dominiert“.440 Die wirtschaftliche Neuordnung beruhte auf der Verstaatlichung der wichtigsten Wirtschaftszweige. Auf der Grundlage von Nationalisierungsakten wurden wesentliche Ressourcen, Produktionsmittel und -geräte verstaatlicht, was zu einer radikalen und sehr weitgehenden Transformation der Eigentumsverhältnisse führte.441 Noch vor Kriegsende läutete die kommunistische Regierung 1944 eine Landwirtschaftsreform ein.442 Mit Gesetz vom 3. Januar 1946443 wurden die 434 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 98; ausführlich hierzu Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 31 ff.; zum konzeptionellen Hintergrund ferner Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (92 ff.). 435 Verordnung über Betriebsräte vom 1. August 1944, Dz. U. Teil III, Nr. 2 Pos. 16; vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 131; Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (89); näher zum Inhalt der Verordnung Szubert, Rady zakładowe w s´wietle aktu prawnego z dnia 1 sierpnia 1944 r., Czasopismo Prawno-Historyczne, Bd. XLIII 1–2/1991, S. 89 (94 ff.). 436 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 437 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 132. 438 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. 439 Ebenda. 440 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20 f. 441 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17 m.w. N. 442 Dekret betreffend die Landwirtschaftsreform vom 6. September 1944, Dz. U. 1944 Nr. 4 Pos. 17.
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wichtigsten Wirtschaftszweige (so insbesondere Industrie, Bergbau, Erdgas und Elektrik) in Staatseigentum überführt. Daneben kam es zu einer Übernahme der Leichtindustrie, des größeren Handwerks und des nahezu gesamten Handels durch den Staat.444 Die Nationalisierung der der Produktion dienenden Rohstoffe, Mittel und Geräte war dabei der erste Schritt beim Aufbau der neuen Staatsordnung.445 Schrittweise wurde in Polen so die Zentralverwaltungswirtschaft eingeführt. Auf der untersten Stufe dieses Wirtschaftssystems befand sich das „Staatsunternehmen“ – ein Wirtschaftssubjekt mit eigener Rechtspersönlichkeit, das allerdings in das planwirtschaftliche System vollständig eingebettet war.446 Nach der theoretischen Konzeption hatte das Staatsunternehmen zwar einen Teil des Volkseigentums im Besitz, doch besaß der Staat weiterhin nicht nur das Eigentum an den jeweiligen Produktionsmitteln und Vermögenswerten, sondern auch die volle Verfügungsbefugnis.447 Da sich der Staat aufgrund des eingeführten Wirtschaftssystems den unmittelbaren Einfluss auf die Wirtschaft gesichert hatte, hatte einen solchen gleichermaßen die dominierende Arbeiterpartei.448 Die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation erfolgte im Rahmen dieser politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Idee der Arbeitnehmerpartizipation an der Unternehmensführung war eines der grundlegenden Elemente des polnischen politischen Systems während der kommunistischen Herrschaft, die Gesetzgebung evolvierte unter dem Einfluss sich wandelnder politischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren.449 In Bezug auf das Arbeitsrecht galt die Theorie der Konfliktlosigkeit, die von einem Gleichlauf der Interessen der Belegschaften und der Unternehmen ausging.450 Vor diesem Hintergrund fehlten Regelungen zum Arbeitskampf und zur Lösung von Interessenkonflikten zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite und auch der Begriff
443 Gesetz betreffend die Überführung von grundlegenden Wirtschaftszweigen in Staatseigentum vom 3. Januar 1946, Dz. U. 1946 Nr. 3 Pos. 17 und Dz. U. 1946 Nr. 72 Pos. 394. 444 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. 445 Ebenda. 446 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62 f. 447 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 448 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. 449 Vgl. Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). Näher zum theoretischen Ansatz der Verbindung zwischen der Arbeitnehmerpartizipation und der kommunistischen Doktrin siehe unten Kapitel 2, B.II. 450 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137.
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des kollektiven Arbeitsrechts verschwand schließlich aus dem juristischen Wortschatz.451 a) Die letzten Kriegsmonate und das Dekret über Betriebsräte von 1945 Als sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges die Kriegsfront von Osten nach Westen verschob und zahlreiche verlassene Betriebe zu zerfallen drohten, übernahmen die an ihrem Fortbestand interessierten Belegschaften die Betriebsführung, kümmerten sich um die Wiedererlangung von aus den Betrieben entnommenen Betriebsmittel und organisierten die Produktionsprozesse, die in erster Linie der Versorgung des Militärs und der Bevölkerung dienten.452 Man hatte sich damals an den russischen Arbeiterräten und den Arbeiterräten des Dombrowaer Kohlegebiets aus dem Jahre 1918 orientiert.453 Die so im Jahre 1945 aus eigenem Antrieb entstehenden Arbeitergremien in Form von Betriebsräten und Fabrikausschüssen übernahmen im Wesentlichen die Unternehmensführung und hatten in Bezug auf alle wesentlichen Angelegenheiten im Betrieb, mitunter selbst die Bestellung der Direktoren, Mitentscheidungsrechte.454 Die Tätigkeit der Belegschaftsvertreter im Jahre 1945 ist in Erinnerung geblieben als eine Institution, die durch die von ihr in Gang gesetzten Vorgänge und Überwachungsmaßnahmen maßgeblich zur Ordnung der Produktionsprozesse beitrug.455 Es handelte sich um eine „aus der Not geborene Form der Selbstverwaltung“.456 Mit dem Dekret vom 6. Februar 1945 über Betriebsräte457 wurde diesen spontan entstehenden Arbeitnehmervertretungen Gesetzeskraft verliehen.458 Der Erlass des Dekrets vom 6. Februar 1945 erfolgte auf Bestreben der kommunistischen Regierung und dies auch äußerst eilig.459 Die neue politische Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg begünstigte die Gesetzgebung im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung, da die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung als Ausdruck der Volksherrschaft und der vorherrschenden Rolle 451 Vgl. C ´ wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137. 452 Jaworski, T., Samorza˛d robotniczy, S. 16; Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16. 453 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16. 454 Balcerek/Gilejko, Społeczno-ekonomiczne funkcje samorza˛du robotniczego, S. 8; Jaworski, T., Samorza˛d robotniczy, S. 16 f.; Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16 f. 455 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16 f. 456 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16 („samorza˛d z koniecznos´ci“, Übersetzung d. Verf.). 457 Dekret vom 6. Februar 1945 über Betriebsräte, Dz. U. 1945 Nr. 8 Pos. 36. 458 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 17. 459 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61.
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der Arbeiterpartei zu den propagierten Grundprinzipien des sozialistischen Systems gehörte.460 Durch die Arbeitnehmerpartizipation sollte der Einfluss der Arbeiterklasse auf das Wirtschaftsgeschehen als einem für das Land essentiellen Bereich manifestiert werden.461 Die Arbeitnehmerpartizipation in den Staatsunternehmen hatte mithin einen sehr bedeutsamen politischen Hintergrund.462 Das Dekret vom 6. Februar 1945 war der erste polnische Rechtsakt, der die Arbeitnehmerpartizipation einheitlich und einigermaßen vollständig regelte.463 Das Dekret legte fest, dass in Betrieben mit mehr als zwanzig Arbeitnehmern Betriebsräte zu errichten waren, in Betrieben mit fünf bis zwanzig Arbeitnehmern sollte ein Delegierter die Arbeitnehmervertretung wahrnehmen (vgl. Artt. 1, 2 des Dekrets). Die Größe der Betriebsräte hing von der Arbeitnehmerzahl der Betriebe ab und betrug zwischen drei und maximal dreißig Betriebsratsmitgliedern (vgl. Art. 7 des Dekrets). Die Betriebsräte wurden von allen Arbeitnehmern des Betriebs gewählt, konnten von der Allgemeinen Arbeitnehmerversammlung jederzeit aufgelöst werden und waren dieser einmal in Quartal zur Berichterstattung verpflichtet (vgl. Artt. 9 Abs. 1, 21, 31 des Dekrets). Sie waren insoweit als Vertreter der Belegschaft anzusehen.464 Gleichwohl hing das passive Wahlrecht unter anderem davon ab, dass der Kandidat seit mindestens einem Jahr einer gewerkschaftlichen Organisation angehörte (vgl. Art. 9 Abs. 2 des Dekrets). Insoweit war die Rolle der Betriebsräte nicht ganz eindeutig: Einerseits waren sie Vertreter der Arbeitnehmer, aufgrund des passiven Wahlrechts aber gleichzeitig Organe gewerkschaftlicher Organisationen.465 Die Betriebsräte hatten nach Art. 3 des Dekrets einerseits die Aufgabe, die beruflichen Interessen der Arbeitnehmer des Betriebs gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten, andererseits aber auch über die Verbesserung der Produktivität des Betriebs nach Maßgabe der wirtschaftspolitischen Richtlinien des Staates zu wachen. Im Einzelnen sollten die Betriebsräte insbesondere die Arbeitsbedingungen und die sozialen Einrichtungen des Betriebs überwachen, der Arbeitsordnung zustimmen, Streitigkeiten schlichten und bei der Personalplanung sowie der Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern mitbestimmen (vgl. Art. 3 Satz 2 Abs. 1 bis 5 des Dekrets). Vorgesehen war ferner eine Zusammenarbeit mit staat460 Vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). 461 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. 462 Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21; zu den weiteren Aspekten der Arbeitnehmerbeteiligung vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (4 f.). 463 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. 464 Ebenso Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 38. 465 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21 f.
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lichen Organen im Rahmen der Verbesserung und Kontrolle der wirtschaftlichen Tätigkeit des Betriebs (vgl. Art. 4 Abs. 2, 3 des Dekrets). Der Arbeitgeber war zu regelmäßigen, mindestens monatlichen Abstimmungen mit dem Betriebsrat im Hinblick auf betriebliche Angelegenheiten verpflichtet (vor allem die Produktivität und Arbeitsdisziplin, Hygiene und Sicherheit sowie technische und organisatorische Verbesserungen); ferner hatte er dem Betriebsrat quartalsweise über die Lage des Betriebs zu berichten (vgl. Art. 5 des Dekrets). Mit den eingeräumten Rechten konnte der Betriebsrat einerseits die kollektiven beruflichen Interessen der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber vertreten und so die Funktion als Organ der Gewerkschaften wahrnehmen, andererseits aber auch in gewissen Umfang Einfluss auf die Leitung des Betriebs nehmen.466 Kritisiert wird jedoch vereinzelt467, dass die in den Betriebsräten erfolgte Verknüpfung von zwei Institutionen – der Arbeitnehmerselbstverwaltung und der Eigenschaft als gewerkschaftliches Organ – weder für das eine noch das andere förderlich war und eine Schwächung der Position der Betriebsräte im Vergleich zu den spontan entstandenen Betriebsräten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zur Folge hatte. Die Betriebsräte hätten sich angesichts einer fehlenden Selbstverwaltungstradition auf die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen konzentriert und so vor allem die gewerkschaftliche Funktion wahrgenommen, womit sie die gegen Ende des Krieges erworbenen Befugnisse der spontan gebildeten Räte nach und nach aufgegeben hätten. Dagegen seien die Gewerkschaften in ihrer Funktion als Arbeitnehmervertreter gehemmt gewesen, weil sie die Produktivität der Betriebe mit zu verantworten hätten, dies aber oftmals nur zu Lasten der Belegschaft möglich gewesen sei. Das Dekret von 1994 habe insgesamt das Ende der gegen Ende des Krieges entstandenen Selbstverwaltung der Belegschaft markiert und stattdessen eine Phase der „gleichberechtigten Mitwirkung“ eingeleitet.468 Auffallend ist darüber hinaus die gesetzlich verankerte Orientierung an staatlichen Vorgaben und Zusammenarbeit mit staatlichen Organen, die den Einfluss des Staates auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Unternehmen unterstreicht und den Aufbau der Zentralwirtschaft widerspiegelt. Auch den zum Ende des Krieges entstandenen Fabrikkomitees und Betriebsräten, die die Betriebsleitung übernommen hatten, war allmählich der Wille des Staates aufgezwungen worden – gleichermaßen im Hinblick auf die Produktion als auch auf die Person des Betriebsdirektors, der den Belegschaften von oben aufgedrängt wurde und die Vorgaben der politischen Zentralgewalt durchsetzen sollte.469 466
Ebenso Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 22. So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 18. 468 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 18 („Wydanie dekretu kon ´czyło włas´ciwie okres pełnej władzy załogi i rozpoczynało okres równorze˛dnego uczestnictwa“, Übersetzung d. Verf.). 469 Vgl. hierzu das Beispiel bei Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 18 f. 467
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Über die vorgenannten Beteiligungsrechte hinaus sah das Dekret vom 6. Februar 1945 ferner die Vertretung eines Betriebsratsmitglieds im Vorstand vor. Nach Art. 6 des Dekrets erhielt in Betrieben, die unter staatlicher Leitung oder Selbstverwaltung standen, ein Vertreter des Betriebsrats einen Sitz in den „Vorständen“ des jeweiligen Betriebs, sofern dieser mehrere Personen zählte. Durch diese Bestimmung hätte die Position des Betriebsrats und seine Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Betriebsführung deutlich verstärkt werden können, allerdings fand die Regelung keine Entsprechung in dem am 3. Januar 1947 erlassenen Dekret über die Entstehung staatlicher Unternehmen470, nach dessen Art. 11 die Berufung der Direktion allein dem zuständigen Minister oblag.471 Das Auseinanderfallen der Regelungen im Dekret von 6. Februar 1945 und dem Dekret vom 3. Januar 1947 zeugt nach Ansicht von Ra˛czka472 entweder davon, dass es an einer einheitlichen Konzeption der Arbeitnehmerpartizipation fehlte, oder aber davon, dass das nach dem Dekret vom 6. Februar 1945 bestehende Modell der Arbeitnehmerpartizipation wieder eingedämpft werden sollte. Die weitere Entwicklung der Betriebsräte ließe eher auf Letzteres schließen. Das Dekret vom 6. Februar 1945 unterlag in den folgenden Jahren wesentlichen Änderungen. Die erste Änderung erfolgte mit Gesetz vom 16. Januar 1947473. Art. 1 sprach nunmehr ausdrücklich von der Errichtung einer „Arbeitnehmervertretung“ in Gestalt eines Betriebsrates „als Organ der Gewerkschaften“. Die Betriebsräte hatten damit ausdrücklich eine doppelte Funktion erhalten – einerseits waren sie Vertreter der Belegschaft, andererseits betriebliches Organ der Gewerkschaften.474 Sie wurden dadurch in die gewerkschaftliche Branchenstruktur einbezogen.475 Formal behielten aber die Betriebsräte ihre Eigenschaft als Belegschaftsvertreter, da das aktive Wahlrecht nach wie vor allen Arbeitnehmern des Betriebs zustand.476 Im Jahre 1949 wurden die Betriebsräte ihrer Funktion als Belegschaftsvertreter allerdings gänzlich beraubt, sie waren danach nur noch ein Organ der Gewerkschaften. Dies geschah infolge der Verabschiedung des Gesetzes über Gewerk470 Dekret über die Entstehung staatlicher Unternehmen vom 3. Januar 1947, Dz. U. 1947 Nr. 8 Pos. 42. 471 So zutreffend Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 22. Nach Art. 10 des Dekrets sollte jedes staatliche Unternehmen eine Direktion und einen Rat der sozialen Aufsicht, der der Aufsicht des Präsidiums des Nationalrates unterstand, haben. Wie Ra˛czka, a. a. O., hervorhebt, sah das Dekret weder eine Einflussmöglichkeit des Betriebsrates auf die Wahl und Abwahl der Direktion noch eine Beteiligung in dem Rat der sozialen Aufsicht vor. 472 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 22. 473 Gesetz vom 16. Januar 1947, Dz. U. 1947 Nr. 24 Pos. 92. 474 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 61. 475 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23. 476 So schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23.
A. Geschichtlicher Hintergrund
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schaften vom 1. Juli 1949477, mit dem der „Zentralrat der Gewerkschaften“ ins Leben gerufen wurde. In dem Statut des Zentralrates wurde das aktive Wahlrecht bei der Wahl von Betriebsräten – in Widerspruch zu Art. 9 Abs. 1 des Dekrets vom 6. Februar 1945 – auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkt478 und dadurch sowohl die Eigenständigkeit der betrieblichen Arbeitnehmervertretung als auch ihr Charakter als Vertretungsorgan der gesamten Belegschaft aufgehoben479. Gleichzeitig beschränkte das Statut die Kompetenzen der Betriebsräte auf soziale und produktionsbezogene Angelegenheiten, die kennzeichnend für die damaligen gewerkschaftlichen Funktionen waren.480 Die Betriebsräte verloren dadurch all diejenigen Eigenschaften, die die Arbeitnehmerbeteiligung an der Betriebsführung ausmachten.481 Mit dem am 26. Oktober 1950 verabschiedeten und das Dekret vom 3. Januar 1947 ablösenden neuen Dekret über Staatsunternehmen482 wurde die Unternehmensleitung ausdrücklich allein dem Direktor, der vom zuständigen Minister berufen wurde, zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen (vgl. Art. 14 Abs. 1 des Dekrets). Weder war ein Rat der sozialen Aufsicht wie zuvor nach dem Dekret vom 3. Januar 1947483 noch waren Beteiligungsrechte des Betriebsrats an der Wahl des Direktors vorgesehen. Mit der Verabschiedung des Dekrets von 1950 wurde die Einführung der Zentralverwaltungswirtschaft bestätigt und zementiert.484 Nach Art. 1 wurden Staatsunternehmen ausdrücklich zu dem Zweck gegründet, um die sich aus dem Wirtschaftsplan ergebenden Aufgaben wahrzunehmen. Die Staatsunternehmen waren damit integraler Bestandteil eines einheitlichen staatlichen Wirtschaftsapparates, der basierend auf den Grundsätzen des sog. „demokratischen Zentralismus“ zentral von oben gesteuert wurde.485 Die Entwicklung in den Jahren 1944 bis 1950 zeigt eine schrittweise Schwächung der Betriebsräte als Arbeitnehmervertretungsorgan. Waren die gegen Ende 477
Gesetz über Gewerkschaften vom 1. Juli 1949, Dz. U. 1947 Nr. 41 Pos. 293. Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10). 479 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 38. 480 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 481 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 482 Dekret über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950, Dz. U. 1950 Nr. 49 Pos. 439. 483 Wie Bar schreibt, hatte der sich entwickelnde Zentralismus ohnehin die Einberufung des Rates der sozialen Aufsicht in der Praxis verhindert, vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); hierzu auch Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 64. 484 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. 485 Ebenda. 478
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des Zweiten Weltkrieges spontan gebildeten Betriebsräte noch eine echte Form der Selbstverwaltung486, so wurden sie infolge der Gesetzgebung der Nachkriegsjahre schrittweise in ihrer Unabhängigkeit und ihren Kompetenzen beschnitten und letztlich in ihrer Bedeutung erheblich eingeschränkt. Diese mit den gesetzgeberischen Änderungen des Dekrets vom 8. Februar 1945 und den Gesetzen über das Staatsunternehmen und die Gewerkschaften einhergehende Schwächung der Betriebsräte und ihre Einbettung in die festen gewerkschaftlichen Strukturen ist dabei untrennbar mit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in Polen verbunden. Sie ging Hand in Hand mit dem durch den 3-Jahres-Plan im Jahre 1947 eingeleiteten Prozess der Zentralisierung des Wirtschaftssystems, im Zuge dessen die Staatsunternehmen ihre Selbstständigkeit verloren und letztlich als organisatorische Basiseinheit der Planwirtschaft zu einem Ausführungsorganen des Staates wurden, denen eigene Interessen und eigene Rechte abgesprochen wurden.487 Wie Ra˛czka488 trefflich hervorhebt, blieb in einem derart stark zentralisierten und bürokratischen Wirtschaftssystem schlichtweg kein Raum für eine Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensleitung. Gleichfalls habe auch die politische Entwicklung hin zu einem von einer einzigen Partei dominierten, antidemokratisch und autoritär geführten Staat die Entstehung demokratischer Strukturen innerhalb der Betriebe verhindert.489 Die Einbettung der betrieblichen Arbeitnehmervertretung in die festen organisatorischen Gewerkschaftsstrukturen ist in demselben Kontext zu sehen.490 Es handelte sich dabei um ein typisches Phänomen in kommunistischen Staaten.491 Die Gewerkschaften wurden zentralistisch strukturiert und hatten sich an den parteipolitischen Zielen und der Ideologie der Arbeiterpartei zu orientieren, wodurch auch sie ihre Unabhängigkeit verloren.492 Die Rolle der Gewerkschaften bei der Staatsverwaltung und dem Aufbau des Sozialismus spiegelte sich in den Statuten der Gewerkschaften wider: Die Gewerkschaften sollten „aktiv die Politik der Regierung stützen und sich kontinuierlich um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter bemühen, indem sie eine Steigerung der Produktivität und der Einnahmen förderten und einen ständigen und bedingungslosen Kampf gegen die kapitalistischen Elemente in Städten und Dörfern führten“.493 Vorgezeichnet 486
So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 16. Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 488 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 23 f. 489 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24. 490 Ebenda. 491 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. Allein in Jugoslawien war dies nicht der Fall. 492 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41; ausführlich zur Entwicklung der Gewerkschaften nach 1944 ferner Chumin´ski, Ruch zawodowy, S. 142 ff. 493 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 20. Übersetzung d. Verf. 487
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war mithin die Funktion der Gewerkschaften als „Transmissionsriemen“ 494 zwischen der Arbeiterpartei und der Bevölkerung. Diese Funktion der Gewerkschaften wurde verstärkt, indem die betriebliche Interessenvertretung in die gewerkschaftliche Organisation eingebettet wurde.495 Die Gewerkschaften wurden zu einer Institution geformt, die die Mobilisierung, Überwachung und Erziehung der Arbeiter übernehmen sollte – mit wahrhaftiger Arbeitnehmervertretung hatte das kaum mehr etwas zu tun.496 Die übrigen Entwicklungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts497 gingen damit Hand in Hand. Die Koalitionsfreiheit wurde ausgehöhlt. Zwar sah Art. 2 des Gesetzes über Gewerkschaften vom 1. Juli 1949498 vor, dass es den Arbeitnehmern freistand, sich in Gewerkschaften zu vereinigen. Da aber nach Art. 9 der Zentralrat der Gewerkschaften zuständig für die Registrierung und damit auch Entstehung von neuen Gewerkschaften war, beinhaltete die Koalitionsfreiheit lediglich noch das Recht, bestehenden und vom Zentralrat gebilligten Gewerkschaften beizutreten, nicht möglich war indes die Gründung davon unabhängiger Gewerkschaften.499 Gleichzeitig verschwanden aber auch die unabhängigen Arbeitgeberorganisationen, da infolge der Verstaatlichung der Produktionsmittel der Staat die Arbeitgeberfunktion einnahm und die privaten Unternehmer in Polen nur noch verschwindend geringe Bedeutung hatten.500 Tarifverträge wurden zwar abgeschlossen, allerdings handelte es sich bei diesen Vereinbarungen, die zwischen den unter staatlicher Kontrolle stehenden Gewerkschaften und den als Teil der Staatsverwaltung fungierenden Arbeitgebern unterzeichnet wurden, letztlich lediglich um die Niederschrift einer von oben seitens der Zentrale ge494 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 59; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41 m.w. N.; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62; ausführlich zur Rolle der Gewerkschaften während des sozialistischen Systems Wratny, Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 8 ff. (Übersetzung der polnischen Bezeichnung „pas transmisyjny“ nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41). 495 Gładoch, Dialog społeczny, S. 59. 496 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 42. 497 Der Begriff verschwand in dieser Zeit aus der polnischen Literatur, vgl. etwa C´wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137. 498 Gesetz über Gewerkschaften vom 1. Juli 1949, Dz. U. 1947 Nr. 41 Pos. 293. 499 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 138, die diese Regelung als massiven Eingriff in die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit nach den internationalen Standards der ILO-Konvention Nr. 87 bewertet. 500 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41 („Zugleich wurden die privaten Unternehmer im polnischen Wirtschaftsleben marginalisiert“); ebenso Gładoch, Dialog społeczny, S. 58. Ausführlich zur Situation der polnischen Arbeitgeber zu Zeiten des realen Sozialismus und zur Arbeitgeberrolle des Staates vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 56 ff., 63 ff.; vgl. hierzu auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (89 f.).
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troffenen Entscheidung.501 Ein sozialer Dialog nach heutigem Verständnis fand indes nicht statt.502 Die in den Jahren 1950–1955 auf Grundlage des sog. „Sechs-Jahres-Plans“ erfolgende intensive Industrialisierung korrespondierte mit dem Aufbau des staatlichen Verwaltungsapparats und einer starken Zentralisierung des Wirtschaftsgeschehens.503 In einem solchen System war kein Raum für jedwede Art von Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung, geschweige denn Selbstverwaltung.504 Vielmehr erschöpfte sich die Rolle der Belegschaft in der bloßen Ausführung von Verwaltungsanweisungen.505 b) Arbeitnehmerselbstverwaltung in den Jahren 1956–1958 Die gesellschaftlichen Entwicklungen im Jahre 1956 und der Tod des damaligen Staatspräsidenten Bolesław Bierut ebneten einen neuen Weg für die Arbeitnehmerpartizipation. Noch in der ersten Hälfte des Jahres 1956 kam es zu zahlreichen Diskussionen über die Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Wirtschaftsreformen.506 Ausgelöst wurden diese mitunter von Journalisten, die schon im April 1956 nach Jugoslawien geschickt wurden, um Informationen über die dort in den in den Unternehmen bestehende Selbstverwaltung zu sammeln.507 Die Journalisten sollten die Selbstverwaltung kritisch beleuchten und dadurch zur Propaganda gegen dieses Modell beitragen, doch nach ihrer Rückkehr popularisierte ein Teil der Journalisten stattdessen das Konzept von Arbeiterräten.508 Zwischen Juni und Oktober 1956 kam es zu massenhaften Protesten der Arbeiter.509 In der Öffentlichkeit wurden Forderungen nach einer Demokratisierung der politischen Verhältnisse, Durchführung einer Wirtschaftsreform, Bürokratieabbau und Dezentralisierung des Wirtschaftssystems laut.510 Im Zuge dessen wurde auch die in den Jahren zuvor erfolgte Entmachtung und Unterordnung der Betriebsräte kritisiert und eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung gefordert.511 Die Regierung beabsichtigte, die bestehenden 501
Gładoch, Dialog społeczny, S. 58 f. Gładoch, Dialog społeczny, S. 58. 503 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 19 f. 504 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 20. 505 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 19. 506 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 23. 507 Ebenda. 508 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 23 m.w. N. 509 Ausführlich hierzu Jaworski, Mieczysław, in: Jaworski, Marek, Paz ´ dziernik ’56, S. 17 (17 ff.). 510 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24. 511 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 142; ausführlich 502
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Betriebsräte zu stärken und ihre Kompetenzen auf die Unternehmensführung auszuweiten, doch stießen diese Pläne aufgrund des fehlenden Vertrauens der Arbeiter in die Gewerkschaften und die diesen unterstehenden Betriebsräte auf Ablehnung seitens der Arbeiter.512 Statt dessen gründeten die Arbeiter eigene Arbeitnehmervertretungen in Form von „Arbeiterräten“, die sich rasch in ganz Polen verbreiteten.513 Zwischen April und Dezember 1956 waren ca. 3.000 Arbeiterräte entstanden, die durch diverse organisatorische Veränderungen die Effektivität der Staatsunternehmen zu steigern versuchten.514 Die Oktoberrevolution führte dazu, dass sich eine neue politische Führung konstituierte und das politische System teilweise liberalisiert wurde. Die spontan entstandenen Arbeiterräte stießen auf die Anerkennung der neuen politischen Kräfte und erhielten mit dem Gesetz vom 19. November 1956 über Arbeiterräte515 eine gesetzliche Grundlage.516 Entsprechend erklärt die Präambel die „Realisierung der Initiative der Arbeiterklasse in Bezug auf ihre unmittelbare Beteiligung an der Unternehmensführung“ als Ziel des Gesetzes.517 Das Gesetz entstand in einem äußert zügigen Gesetzgebungsprozess innerhalb von nur drei Nächten.518 Nach Art. 1 des Gesetzes sollten in Staatsunternehmen der Industrie, Bau- und Landwirtschaft Arbeiterräte gebildet werden, sofern sich die Mehrheit der Arbeitnehmer dieser Unternehmen hierfür aussprach. Die Bildung der Arbeiterräte war mithin nicht obligatorisch – wie dies im Dekret vom 6. Februar 1945 über Betriebsräte der Fall war – sondern lediglich erlaubt. Auch war der Anwendungsbereich des Gesetzes von 1956 auf Staatsunternehmen der Industrie-, Bauund Landwirtschaftsbranchen beschränkt, während das Dekret vom 6. Februar 1945 noch für alle Unternehmen galt. Die Unterschiede werden damit erklärt, dass sich im Jahre 1946 der staatliche Wirtschaftssektor erst noch im Aufbau zu den Hintergründen der Proteste vgl. Jaworski, Mieczysław, in: Jaworski, Marek, Paz´dziernik ’56, S. 17 (17 ff.). 512 Vgl. Balcerek/Gilejko, Społeczno-ekonomiczne funkcje samorza˛du robotniczego, S. 10; Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 65; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 513 Vgl. Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 65; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 514 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 33 f. m.w. N.; vgl. auch Jaworski, T., Samorza˛d robotniczy, S. 18. 515 Gesetz über Arbeiterräte vom 19. November 1956, Dz. U. 1956 Nr. 53 Pos. 238. 516 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (11); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 517 Präambel des Gesetzes über Arbeiterräte: „W celu zrealizowania inicjatywy klasy roboczej w zakresie jej bezpos´redniego udziału w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami stanowi sie˛, co naste˛puje: [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 518 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 12.
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befand und die Betriebsräte aus Sicht des Gesetzgebers ein Instrument waren, um den Privatunternehmer einzuschränken und den Nationalisierungsprozess zu erleichtern.519 Dagegen war im Jahre 1956 der private Wirtschaftssektor in Polen kaum mehr existent; das Thema der Arbeitnehmerpartizipation sei daher für denjenigen Wirtschaftssektor geregelt worden, der repräsentativ für die damalige Wirtschaft war.520 Die Arbeiterräte und die Betriebsräte bestanden nebeneinander.521 Daneben waren in den Betrieben auch Parteikomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) vertreten.522 Nach dem Gesetz von 1956 waren die Arbeiterräte ein wahrhaftiges Vertretungsorgan der gesamten Belegschaft, welches unabhängig war von den Gewerkschaften und politischen Organisationen.523 Dies zeigt sich mitunter darin, dass bereits die Einberufung und Größe des Arbeiterrates vom Willen der Belegschaft abhing, seine Mitglieder Arbeitnehmer des Unternehmens sein mussten und von der Belegschaft gewählt wurden, wobei weder das aktive noch das passive Wahlrecht an eine Gewerkschaftszugehörigkeit gekoppelt war (vgl. Artt. 6 f. des Gesetzes).524 Zwar hatte auch der Direktor des Unternehmens einen festen Sitz im Arbeiterrat (vgl. Art. 7 Abs. 3 des Gesetzes), doch wurde dieser vom zuständigen Staatsorgan nur im Einvernehmen mit dem Arbeiterrat bestellt und der Arbeiterrat hatte sogar ein Vorschlagsrecht im Hinblick auf die Bestellung und Abberufung des Direktors (vgl. Art. 13 des Gesetzes). Der Arbeiterrat hatte sich gegenüber der Belegschaft zu verantworten, ihr Bericht zu erstatten und sollte besonders wichtige Entscheidungen zuvor in einer Arbeitnehmerversammlung besprechen (vgl. Art. 5 des Gesetzes).525 Die Aufgabe des Arbeiterrates bestand gemäß der Generalklausel in Art. 2 Abs. 1 darin, „das im Volkseigentum stehende Staatsunternehmen im Namen der Belegschaft zu führen“.526 Hierdurch wurde dem Arbeiterrat eine Generalzuständigkeit in Bezug auf alle Kompetenzen des Staatsunternehmens zugesprochen, die diesem selbst im Hinblick auf das in seiner Obhut stehende Volkseigentum
519
So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. Ebenda. 521 Dies ergibt sich zum Beispiel ausdrücklich aus Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 19. November 1956 über Arbeiterräte, wonach in bestimmten Angelegenheiten Beschlüsse des Arbeiterrates im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erfolgen sollten. 522 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 29. 523 So auch schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. 524 Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. 525 Ebenda. 526 Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeiterräte: „Rada robotnicza zarza˛dza w imieniu załogi przedsie˛biorstwem be˛da˛cym własnos´cia˛ ogólnonarodowa˛“, Übersetzung d. Verf. Dass das Gesetz von „Volkseigentum“ sprach, war eine ausdrückliche Bestätigung der herrschenden Theorie vom einheitlichen Staatseigentum, vgl. hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 25. 520
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zustanden.527 Dabei hatten sich die Arbeiterräte zwar an das Gesetz sowie die dem Staatsunternehmen im nationalen Wirtschaftsplan aufgetragenen Aufgaben zu halten (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes), doch wurden ihnen Entscheidungsoder jedenfalls Mitentscheidungsrechte im Hinblick auf strategische, organisatorische und finanzielle Angelegenheiten des Unternehmens eingeräumt, die von wesentlicher Bedeutung für die Tätigkeit und langfristige Entwicklung des Unternehmens waren.528 Daneben hatten sie auch in Bezug auf betriebliche Angelegenheiten wie etwa die Arbeitseffektivität und -mittel, Vergütung und Arbeitsschutz weitgehende Kompetenzen. Auch durften sie über die Bestellung des Direktors mitentscheiden, der für die alltäglichen, operativen Geschäfte zuständig war (vgl. Artt. 13 ff. des Gesetzes).529 Der Direktor hatte sich grundsätzlich an Beschlüsse des Arbeiterrates zu halten (vgl. Art. 14 Abs. 2 Pkt. 2 des Gesetzes) und war somit ein Ausführungsorgan des Arbeiterrates530, wenngleich er auch dem übergeordneten Staatsorgan unterstand (vgl. Art. 14 Abs. 1, 2 Pkt. 2 des Gesetzes) und die Ausführung von Beschlüssen des Arbeiterrates, die gegen das Gesetz oder den Wirtschaftsplan verstießen, verweigern durfte (vgl. Art. 15 des Gesetzes).531 In der gespaltenen Rolle des Direktors zeigt sich, dass das Gesetz die Interessen der Belegschaft und diejenigen des zentralistischen Staates an der Unternehmensführung zu vereinbaren versuchte.532 Das Gesetz über die Arbeiterräte hatte den Grundstein für eine sehr weitgehende Arbeitnehmerpartizipation gelegt, die an die Arbeitnehmerselbstverwaltung im eigentlichen Sinne sehr stark heranreichte.533 Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass die eingeräumten Befugnisse der Arbeiterräte aufgrund der Einbettung des Staatsunternehmens in das System der Planwirtschaft in
527 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 24 f.; vgl. hierzu auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62. 528 Vgl. hierzu insbesondere Art. 3 des Gesetzes sowie die Erläuterungen bei Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 67 ff., Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 26 sowie bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64. 529 So auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 26 und Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (12). 530 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 38. 531 Vgl. hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 26. In Abweichung zu Art. 14 Abs. 1 und 4 des Dekrets über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950, der ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt wurde (vgl. Art. 17 des Gesetzes über Arbeiterräte), leitete der Direktor das Unternehmen somit nicht selbstständig. 532 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (13). 533 So etwa Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (13).
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Wirklichkeit doch recht beschränkt waren.534 Die tatsächlichen Kompetenzen der Arbeiterräte hingen letztlich im jeweiligen Einzelfall davon ab, wie viel Selbstständigkeit dem Staatsunternehmen zugestanden wurde.535 Dies beruhte darauf, dass gemäß Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeiterräte die Arbeiterräte nur im Rahmen der dem Unternehmen durch den Ministerrat eingeräumten Rechte tätig werden durften.536 Der Ministerrat entschied damit über das Maß der Selbstständigkeit des Staatsunternehmens und somit auch letztlich über die tatsächlichen Kompetenzen der Arbeiterräte.537 Eine gewisse Selbstständigkeit wurde den Staatsunternehmen in der Industrie aufgrund eines Beschlusses des Ministerrates vom 10. November 1956 betreffend die Erweiterung der Rechte von Staatsunternehmen538 eingeräumt, als diesen mehr Rechte u. a. in Bezug auf die Produktionsplanung und Produktion, Investitionen, die Unternehmensorganisation, Personalplanung, Finanzen sowie die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Unternehmens zugestanden wurden.539 Die höhere Selbstständigkeit der Unternehmen erlaubte es den Arbeitnehmervertretungen, mehr Einfluss auf die Gestaltung der wirtschaftlichen Lage der Staatsunternehmen auszuüben und steigerte so das Bewusstsein der Arbeitnehmer, nicht nur durch ihre Arbeit, sondern auch die Beteiligung an der Unternehmensleitung die Geschicke des Unternehmens beeinflussen zu können.540 Die Tätigkeit der Arbeiterräte verbesserte auch tatsächlich die wirtschaftliche Situation zahlreicher Unternehmen.541 Auch wenn das Gesetz von 1956 mehr versprach als es den Arbeitnehmern tatsächlich an Arbeitnehmerpartizipation und Einfluss an der Unternehmensführung zugestehen konnte, so wird diesem dennoch eine bahnbrechende Bedeutung für die damaligen wie auch künftigen Entwicklungen in Polen zugesprochen.542 Allerdings wurden die infolge der Oktoberrevolution von 1956 geweckten Hoffnungen auf eine Liberalisierung und stärkeren Einfluss der Arbeitnehmer schon sehr bald enttäuscht.543 Obwohl das Gesetz vom 19. November 1956 den Arbeiterräten eine führende Rolle einräumte, waren ihre realen Handlungsmög-
534 So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 24 f., dies ebenso andeutend Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 535 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 536 Ebenda. 537 Ebenda. 538 Beschluss des Ministerrates vom 10. November 1956, M. P. 1956 Nr. 94 Pos. 1047. 539 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. Gleichzeitig sank die Zahl der verbindlichen Richtlinien auf nur acht, Ra˛czka, a. a. O. 540 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 541 Näher hierzu Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 24. 542 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 64 f. 543 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28.
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lichkeiten durch andere Gesetze und Verordnungen eingeschränkt.544 Nachfolgende staatsorganisatorische Änderungen führten erneut zu einer Beschränkung der Selbstständigkeit der Staatsunternehmen.545 Als schließlich wahrhaftige Demokratisierungsprozesse ausblieben und sich ein Rückgang zur Zentralverwaltungswirtschaft abzeichnete, schwand auch das enorme und authentische Interesse der Belegschaften an den Arbeiterräten, dessen Grundlage die mit den Ereignissen des Jahres 1956 geweckten Hoffnungen auf eine Demokratisierung im politischen und betrieblichen Bereich waren.546 Im Zuge der Rückkehr zur zentral gesteuerten Wirtschaft hatten die Belegschaften immer weniger den Eindruck, dass ihre Beteiligung an der Unternehmensführung tatsächlich etwas bewirken könne und ihre Tätigkeit Anerkennung fände.547 Zunehmend verschlechterte sich auch das Ansehen der Arbeiterräte.548 Der Gesellschaft fehlte das Bewusstsein für eine derart weitgehende Arbeitnehmerpartizipation, und den Arbeiterräten fehlten oft notwendige Kenntnisse einer wirtschaftlichen Unternehmensführung.549 Auf breite Ablehnung stießen vor allem auch die von den Arbeiterräten oftmals beschlossenen Personalabbaumaßnahmen.550 Die Arbeiterräte gerieten ferner in die Schusslinie der Politik. Sie wurden von der Regierung schon sehr bald als Bedrohung für die kommunistische Partei und die Gewerkschaften verstanden, denn der demokratische Charakter und ihre Akzeptanz unter der Belegschaft führten dazu, dass die Rolle der politischen Partei und der Gewerkschaften in Unternehmen zu untergraben werden drohte.551 Schon im Jahre 1957 erklärte der damalige Parteichef der PVAP, Władysław Gomułka, auf einem Parteiplenum, dass die Partei sich nicht länger als Arbeiterpartei bezeichnen dürfe, wenn ihr die Zusammensetzung der Arbeiterräte egal sei.552 Die Aufgabe der Partei bestünde darin, den Arbeitern diejenigen Kandidaten aufzuzeigen, die die beste Garantie für die Arbeit wären. Die Parteiorganisation müsse die Arbeiterräte mittels eigener Vertreter im Arbeiterrat steuern und instruieren, außerdem bestünde die Notwendigkeit, die Arbeiterräte an die Gewerk544
Näher hierzu Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 24. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 27. 546 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28. 547 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 28. 548 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 28; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28. 549 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 28. 550 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 143 f. m.w. N. 551 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (13 f.). 552 Gomułka, We˛złowe problemy polityki partii, Referat auf dem IX Plenum der KC PZPR, veröffentlicht in Nowe Drogi 6/1957, S. 9–19, zitiert nach Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 26. 545
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schaften zu koppeln. Auf dem IV. Gewerkschaftskongress vom 14. bis 19. April 1958 stellte Gomułka sodann das Konzept einer sog. „Konferenz“ vor, die sich aus Vertretern der Partei, der Gewerkschaften und der Arbeiterräte zusammensetzen sollte.553 c) Das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung von 1958 und das Ende der Selbstverwaltung Das Modell der Arbeiterräte überstand nur zwei Jahre. Auf Bestreben der kommunistischen Partei und mit Zustimmung der Gewerkschaften554 wurde am 20. Dezember 1958 das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung555 beschlossen und damit die Eigenständigkeit der Arbeiterräte aufgehoben. Das Gesetz vom 19. November 1956 trat außer Kraft556, stattdessen sah das Gesetz von 1958 ein neues System der „Arbeiterselbstverwaltung“ vor.557 Als Organe der Selbstverwaltung galten fortan die Konferenz der Arbeiterselbstverwaltung, die Arbeiterräte auf Unternehmensebene, deren Präsidium sowie die Arbeiterräte auf Ebene der Abteilungen (vgl. Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes von 1958). Auch wenn die Bildung von Arbeiterräten weiterhin erlaubt war, so waren Vertreter des Betriebsrats – der seit 1947 letztlich das betriebliche Organ der Gewerkschaften war – sowie Vertreter der PVAP zwingende Mitglieder des Arbeiterrates sowohl auf Unternehmens- als auch Abteilungsebene sowie des Präsidiums (vgl. Artt. 12 Abs. 4, 13 Abs. 3, 4 des Gesetzes von 1958). Außerdem war das federführende Organ der Selbstverwaltung die „Konferenz der Arbeiterselbstverwaltung“, die sich aus den Vertretern des Arbeiterrates, des Betriebsrates und des betrieblichen Parteikomitees der PVAP zusammensetzte (vgl. Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes von 1958). Der Konferenz wurden alle entscheidenden Kompetenzen in Bezug auf die Aufsicht und Entscheidung über strategische und langfristig bedeutsame wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens zugewiesen, während sich die Kompetenz des Arbeiterrates fortan im Wesentlichen auf organisatorische Aufgaben sowie die Ausführung der Beschlüsse der Konferenz beschränkte (vgl. Artt. 7, 8 des Gesetzes von 1958).558 Indem sie ferner generalklauselartig „in allen Angelegenheiten der Selbstverwaltungsorgane“ entscheiden konnte (vgl. Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes von 1958), bestimmte die Kon553
Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 26. Hierzu Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (14). 555 Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958, Dz. U. 1958 Nr. 77 Pos. 397. 556 Vgl. Art. 31 des Gesetzes über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958. 557 Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29 ff. 558 Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29 f. 554
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ferenz ferner über die Kompetenzen der anderen Selbstverwaltungsorgane.559 Darüber hinaus sollte der Zentralrat der Gewerkschaften „die ordnungsgemäße Funktionsweise der Arbeiterselbstverwaltung“ überwachen und seine Tätigkeit landesweit koordinieren sowie Richtlinien für die Arbeitsordnung der Konferenz und des Arbeiterrates erlassen (vgl. Artt. 24, 25 Abs. 3 des Gesetzes von 1958). Die Konferenz wurde so schnell zum verlängerten Arm der PVAP und der Gewerkschaften, die sich auf diesem Wege den maßgeblichen Einfluss auf die von der Konferenz wahrgenommenen Aufgaben sicherten.560 Durch die in diesem Rahmen erfolgte Unterordnung der Arbeiterräte unter die PVAP verloren diese letztlich nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern auch ihre Authentizität.561 Hinzu kam, dass infolge der Novellierung des Art. 14 Abs. 1 des Dekrets vom 28. März 1950 über Staatsunternehmen562 die führende Rolle bei der Unternehmensleitung wieder dem Direktor zugewiesen wurde.563 Das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958 führte zwar erstmals gesetzlich den Begriff der „Arbeiterselbstverwaltung“ ein, von einer Selbstverwaltung konnte indes bei Weitem nicht die Rede sein.564 Vielmehr waren die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Belegschaft auf die Unternehmensführung äußerst eingeschränkt. Offiziell wurde die Entstehung der Konferenz zwar damit begründet, dass die Arbeiterselbstverwaltung sich nicht lediglich auf die Arbeiterräte beschränken dürfe, sondern alle im Betrieb tätigen Organisationen, die zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen berufen waren, umfassen müsse.565 In Wahrheit war es aber die Angst der betrieblichen Organisationen des PVAP und der Gewerkschaften, angesichts der demokratisch gewählten Arbeiterräte an Einfluss in den Betrieben zu verlieren.566 So wird in der polnischen Literatur darauf hingewiesen, dass es nicht zuletzt auch die politischen Umstände gewesen seien, die die Entstehung einer „authentischen Arbeitnehmerpartizipation“ verhinderten.567 Das Fehlen einer politischen Demokratie habe schlussend559 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39; Rabska, Samorza˛d robotniczy, S. 82. 560 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 30. 561 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 562 Vgl. Art. 14 der Bekanntmachung der einheitlichen Gesetzesfassung des Dekrets vom 26. Oktober 1950 durch den Ministerpräsidenten vom 28. März 1960. 563 Nach der neuen Fassung des Art. 14 leitete der Direktor das Unternehmen und vertrat es nach außen. Hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29. 564 In diese Richtung auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29; Wratny, in: Wratny/ Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 65. 565 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (14). 566 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 29. 567 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31.
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lich seine Spuren auf der Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation hinterlassen müssen.568 Daneben trug auch die volkswirtschaftliche Struktur dazu bei, dass das Interesse der Arbeitnehmer an der Arbeitnehmerpartizipation sank.569 Nach der kurzzeitigen Liberalisierung und Verselbstständigung der Staatsunternehmen infolge der Ereignisse von 1956 wurden diese bald schon wieder zu bloßen Ausführungsorganen der Zentralverwaltung degradiert.570 In den 1960er und 1970er Jahren wurde die Zentralisierung der Wirtschaft fortgesetzt, die Bildung von den Staatsunternehmen übergeordneten Organisationseinheiten (Kombinaten) beschränkte die Staatsunternehmen noch mehr in ihrer Selbstständigkeit.571 Entsprechend gering waren auch die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Arbeiterselbstverwaltung auf die Entwicklung der Staatsunternehmen, da die wesentlichen Entscheidungen auf übergeordneter Ebene getroffen wurden.572 Die Kompetenzen der Arbeiterselbstverwaltung hatten damit letztlich lediglich noch einen „Scheincharakter“.573 Zu einer „Wiederbelebung der Arbeitnehmerpartizipation“ 574 kam es auch nicht, als im Jahre 1976 der Grundsatz der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung in die Verfassung der Volksrepublik Polen aufgenommen wurde.575 Dies war typisch für das kommunistische System, wo die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensleitung als ein Grundsatz der sozialistischen Demokratie deklariert wurde.576 Mit Schlagwörtern wie „Volksherrschaft“ 568
Ebenda. Ausführlich Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 30 f. 570 Näher Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 571 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66; vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7). Im Gegensatz zum Wirtschaftssystem in der ersten Hälfte der 1950er Jahre war das nunmehr bestehende zwar etwas dezentralisierter, da eine mittlere Ebene dazwischengeschaltet worden war. Allerdings wurde das Wirtschaftsgeschehen weiterhin zentral von oben gesteuert, mit dem Unterschied nur, dass die Staatsunternehmen nicht unmittelbar der Zentrale, sondern den dazwischengeschalteten Verbänden unterstellt waren, hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 572 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (17 f.); vgl. auch Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7). 573 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31 („charakter fasadowy“, Übersetzung d. Verf.). 574 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32 („próby reanimacji pracowniczego uczestnictwa w zarza˛dzaniu“, Übersetzung d. Verf.). 575 Vgl. Art. 13 Satz 2 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36 („Załoga przedsie˛biorstwa uczestniczy w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami“); hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39. 576 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 569
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und „Vergemeinschaftung der Betriebsmittel“ versuchte die kommunistische Propaganda den Arbeitern eine Beteiligung an der Unternehmensführung einzureden, doch wollte sie sich damit lediglich ihren Rückhalt sichern, wahrhaftige Mitspracherechte waren damit nicht bezweckt.577 Es fehlten dementsprechend auch Ausführungsgesetze, die dem Verfassungsgrundsatz Geltung verliehen hätten.578 Vielmehr führten Maßnahmen des Zentralrats der Gewerkschaften zu einer weiteren Degradierung und sogar Verhinderung der Arbeiterräte.579 Im Jahre 1978 wurden die Arbeiterräte liquidiert, an ihre Stelle trat ein neu ins Leben gerufene Präsidium der Konferenz, dessen Vorsitzender der Erste Sekretär des betrieblichen Parteikomitees und sein Stellvertreter der Vorsitzende der Betriebsrates – mithin eines Gewerkschaftsorgans – waren.580 Ins Leben gerufen wurde ferner die neue Institution einer Konferenz von Vertreten der Arbeiterselbstverwaltung auf überbetrieblicher Ebene, infolge derer selbst die Konferenz auf Unternehmensebene kaum noch Entscheidungsbefugnisse hatte und lediglich noch die Funktion eines innerbetrieblichen „Transmissionsriemens“ 581 ausübte.582 Ende der 1970er Jahre war die Arbeiterselbstverwaltung damit letztlich nur noch eine „Attrappe“.583 Die aufgezeigten Entwicklungen in Polen waren paradigmatisch dafür, dass in einem totalitären politischen System und einer zentral gesteuerten, stark bürokratisierten Wirtschaftsverfassung trotz aller ideologischen Propaganda eine authentische Arbeitnehmerbeteiligung nicht existieren konnte.584 Forderungen nach einer Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung und die Enttäuschung der Bevölkerung über die Degradierung der bestehenden Arbeitnehmer577 Vgl. Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 63 („ludowładztwo“, „uspołecznienie s´rodków produkcji“, Übersetzung d. Verf.) 578 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 145. 579 Näher hierzu Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7); Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 30; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 580 Richtlinien des Zentralrats der Gewerkschaften („CRZZ“) von 1978 betreffend die Regularien der Arbeiterselbstverwaltung, Biuletin CRZZ aus dem Jahre 1978, S. 10, zitiert nach Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32 und Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (18). 581 Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41. 582 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 31; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 583 Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (19) („Pod koniec lat siedemdziesia˛tych samorza˛d robotniczy w Polsce był juz˙ tylko atrapa˛“, Übersetzung d. Verf.); ebenso Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 584 So auch schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35 f.
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vertretungen waren mitunter ein Grund für wiederholte Unruhen in den Jahren 1956 bis 1980.585 Die Zahl der Arbeiterräte verringerte sich im Laufe der Jahre zunehmend: Waren es Anfang der 1970er Jahre noch ca. 6.000 Arbeiterräte, so waren es nach den vom Zentralrat der Gewerkschaften eingeführten Änderungen nur noch 600, im Januar 1980 existierte nur noch ein einziger Arbeiterrat und im Juni 1980 überhaupt keiner mehr.586 3. Arbeitnehmerselbstverwaltung in der Krise der 1980er Jahre a) Wirtschaftskrise als Treiber des Partizipationsgedankens Eine neue Dimension der Arbeitnehmerpartizipation in Polen begann infolge der im Jahre 1980 ausgebrochenen Krise, in der die sich zunehmend verstärkende Wirtschaftskrise des Landes mündete.587 Aufgrund ihrer Erstreckung auf die gesamte Wirtschaft und Bevölkerung wird sie auch als die bis dahin tiefgehendste und umfassendste Krise des Landes betrachtet.588 Ihre Ursachen wurden von weiten Teilen in den zentralistischen und bürokratischen Strukturen des Landes gesehen589, womit auch zunehmend das Vertrauen der Gesellschaft in die politische Führung und das bestehende politische und wirtschaftliche System schwand590. Gleichzeitig wurde auch der Wunsch nach einer unabhängigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer und der Abkehr vom bisherigen, stark bürokratisierten und zentralisierten Gewerkschaftssystem immer lauter.591 Sowohl unter den Arbeitern als auch in intellektuellen Kreisen wuchs die Überzeugung, dass die Krise des Landes nur durch die Schaffung unabhängiger Gewerkschaftsstrukturen überwunden werden konnte.592 Im Zuge dieser Entwicklung kam es zur Entstehung einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, die schließlich in der Gründung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ gipfelte.593 Vorreiter war das Mitte der 1970er Jahre im Untergrund entstandene
585 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 145; vgl. etwa Jaworski, Mieczysław, in: Jaworski, Marek, Paz´dziernik ’56, S. 17 (17 ff.). 586 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 30; vgl. auch Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (7). 587 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 588 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 589 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 m.w. N.; so auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 590 Strobel, NSZZ „Solidarnos ´c´ “, S. II. 591 Vgl. Strobel, NSZZ „Solidarnos ´c´ “, S. 2 ff. 592 Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 18. 593 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 ff.; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´“, S. 2 ff.
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„Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (kurz „KOR“)594 – eine aus Kreisen der bürgerlichen Intelligenz stammende Vereinigung, deren Ziel die Verteidigung von Arbeitnehmerinteressen und die Unterstützung von unabhängigen Arbeitnehmervertretern war.595 Das KOR nahm eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung von Widerstandbewegungen wahr und trug maßgeblich zur Entstehung von Gründungskomitees freier Gewerkschaften bei.596 Von wegweisender Bedeutung für die Entstehung einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung war ferner die auf den bahnbrechenden Streik in der Lenin-Werft zurückgehende Unterzeichnung des Danziger Abkommens am 31. August 1980, in welchem die Anerkennung „unabhängiger und sich selbst verwaltender neuer Gewerkschaften“ zugesichert wurde.597 Mitte September 1980 beschlossen Vertreter von 35 Gründungskomitees freier Gewerkschaften aus ganz Polen die Gründung eines Dachverbands unter dem Vorsitz von Lech Wałe˛sa, dem sie in Anlehnung an die Danziger Streikpostulate und den Solidaritätsstreik den Namen „Solidarnos´c´ “ gaben.598 Nach einer Auseinandersetzung hinsichtlich der Ergänzung ihres Statuts um die Anerkennung der führenden Rolle der PVAP wurde die NSZZ „Solidarnos´c´ “ schließlich am 10. November 1980 registriert.599 Innerhalb von drei Monaten nach der Registrierung zählte sie fast 10 Millionen Mitglieder.600 Ihre Tätigkeit ging weit über das traditionelle gewerkschaftliche Verständnis hinaus und strahlte vielmehr auf den gesamten sozialen und gesellschaftlichen Bereich aus.601 Mit der Entstehung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ als einer gewaltigen, von der politischen Macht unabhängigen Gewerkschaft und gleichzeitig sehr starken sozial-politischen Bewegung ging schließlich auch der Zerfall der bisherigen Gewerkschaftsstrukturen und der darin vereinten Gewerkschaften einher.602 Gleich-
594 „Komitet obrony robotnikow“, Übersetzung nach Strobel, NSZZ „Solidarnos´c ´“, S. 2 und Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149. 595 Ausführlich zur Tätigkeit und Rolle des KOR Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 ff.; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´“, S. 2 f. 596 Näher hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 149 ff.; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´“, S. 2 ff. 597 Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 18 f. sowie ders., Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 18 f. („Rza˛d zobowia˛zał sie˛ do zgwaratowania i zapewnienia pełnego poszanowania ,niezalez˙nosc´i i samorza˛dnos´ci nowych zwia˛zków zawodowych, [. . .]‘“, Übersetzung d. Verf.); ausführlich Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 153 ff. 598 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 161; Strobel, NSZZ „Solidarnos´c´ “, S. 9. 599 Strobel, NSZZ „Solidarnos ´c´ “, S. II, S. 9 f. 600 Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (70). 601 Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (72). 602 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (71 f.) („CRZZ rozpadła sie˛, niczym domek z kart“ – „Die CRZZ fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen“, Übersetzung d. Verf.).
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zeitig bedeutete dies eine Abkehr von der dem sozialistischen System immanenten Rolle der Gewerkschaften als „Transmissionsriemen“ 603 der PVAP.604 Die Arbeiterschaft und die NSZZ „Solidarnos´c´ “ bezweckten eine grundlegende Reform der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse.605 Im Grunde ging es um die Einführung von marktwirtschaftlichen Elementen und die Liberalisierung der wirtschaftlichen Strukturen.606 Gleichzeitig erwuchsen Forderungen nach einer gewissen Demokratisierung des politischen Systems, wobei allerdings die Dominanz der Arbeiterpartei nicht ernsthaft in Frage gestellt worden war.607 Sogar in der dominierenden PVAP begann das Bewusstsein zu wachsen, dass grundlegende Veränderungen unerlässlich waren.608 Unter den Reformvorschlägen lebte auch die Forderung nach einer authentischen Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung in den Staatsunternehmen wieder auf.609 Angesichts der bisherigen Erfahrungen hing diese Forderung untrennbar mit der Forderung nach mehr Selbstständigkeit und Verantwortung für die Staatsunternehmen sowie der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente, die eine Beurteilung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen ermöglichen würden, zusammen.610 Eine zentrale Bedeutung in der Reformdiskussion erlangte das Konzept der Selbstverwaltung, dessen tragendes Element eine wahrhaftige Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung darstellte.611 Bereits seit Oktober 1980 hatten sich Arbeitnehmer – ermutigt durch die auf die Streiks folgenden Vereinbarungen – zu spontanen Belegschaftsräten zusammenzuschließen begonnen.612 Bis März 1981 waren ungefähr 300 Belegschaftsräte entstanden, nach den im März von einer eingesetzten Regierungskommission veröffentlichten „Thesen zum Gesetz über Selbstverwaltung in Staatsunter603 Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41. 604 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 35. 605 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 606 Näher Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 33. 607 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 33 f. 608 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32. 609 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; vgl. Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Szubert, Kierunki rozwoju zbiorowego prawa pracy, PiP 6/1981, S. 15 (21 ff.) sowie ders., Współczesne tendencje przemian w prawie pracy, PiP 8/1981, S. 3 (10); Zielin´ski, Prawo pracy a reforma gospodarcza, PiP 9–12/1981, S. 4 (11–13). 610 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 33. 611 Näher Hausner/Indraszkiewicz, Samorza˛d załogi, S. 137, 139. 612 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 36; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66.
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nehmen“ waren es bis Juli 1981 weitere 700.613 Dieses verbreitete und lebhafte Interesse an der Errichtung von Belegschaftsräten wurde gefördert durch die NSZZ „Solidarnos´c´ “.614 Während die NSZZ „Solidarnos´c´ “ in der ersten Phase nach ihrer staatlichen Anerkennung vor allem mit gewerkschaftlichen Fragen beschäftigt war, rückte zunehmend die Frage der Selbstverwaltung in ihren Fokus.615 Am 26. Juli 1981 beschloss das Nationalkomitee der NSZZ „Solidarnos´c´ “ schließlich, dass „die Reform auf den Grundsätzen einer authentischen Arbeitnehmerselbstverwaltung beruhen“ müsse.616 Die Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde so zu einer zentralen Forderung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ erhoben.617 Den Positionen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ stand der Ansatz der Regierung gegenüber. Umstritten war die grundlegende Frage, wie groß der Einfluss der Arbeitnehmer auf die Unternehmensführung sein sollte; hiervon hing auch die konkrete Ausgestaltung der Kompetenzen und Rechte der Arbeitnehmervertretung in den Konzepten ab.618 Angesichts der vehementen Auseinandersetzungen um das Konzept der Selbstverwaltung wird in der polnischen Literatur auch von einer „Schlacht“ gesprochen.619 Die Regierung hatte eine „Kommission der Wirtschaftsreform“ („Komisja Reformy Gospodarczej“) unter dem Vorsitz von Professor Ludwik Bar einberufen, welche Gesetzesentwürfe zur Regelung der Arbeitnehmerselbstverwaltung ausarbeiten sollte.620 Die bereits im März 1981 vorgestellten Kommissionsentwürfe sahen eine Zweiteilung der beabsichtigten Regelung in einem Gesetz über Staatsunternehmen und einem Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des
613
Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 36. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66. 615 Näher Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66 f. 616 Beschluss des Nationalkomitees der NSZZ Solidarnos´c ´ vom 26. Juli 1981, zitiert nach Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 67 („reforma musi byc´ oparta na zasadach autentycznego samorza˛du pracowniczego“, Übersetzung d. Verf.). 617 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66.; ausführlich zu dieser Entwicklung Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 187 ff. 618 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 34; zu den einzelnen Streitpunkten und Konzepten vgl. Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (20 ff.). 619 So etwa Jakubowicz, Bitwa o samorza˛d; Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (3 f.) („moz˙na okres´lic´ mianem bitwy“); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 66 („nierozegrana bitwa“); Übersetzung d. Verf. 620 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 67. 614
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Staatsunternehmens vor.621 Die Entwürfe liefen dabei entgegen der gewählten Bezeichnung „Selbstverwaltung“ nur auf ein „partizipatives Modell“ hinaus.622 Die Arbeitnehmer sollten zwar an strategisch wichtigen Entscheidungen beteiligt werden, die Unternehmensführung selbst jedoch grundsätzlich dem Direktor des Staatsunternehmens zustehen.623 Die Zweiteilung der Gesetze implizierte, dass die sogenannte „Selbstverwaltung“ gerade nicht – wie von der NSZZ „Solidarnos´c´ “ gefordert – als integraler Bestandteil des Staatsunternehmens angesehen wurde, sondern lediglich einen Zusatz hierzu darstellte.624 Sichtlich wollte die Regierung die Kontrolle über die Wirtschaft behalten.625 Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ hatte dagegen einen eigenen Gesetzesvorschlag zur Arbeitnehmerselbstverwaltung erarbeitet und ins Parlament eingebracht.626 Angelehnt hatte sich NSZZ „Solidarnos´c´ “ dabei an dem jugoslawischen Selbstverwaltungsmodell.627 Nach dem Gesetzesentwurf sollten Wirtschaftssubjekte grundsätzlich die Form eines sogenannten „Gemeinschaftsunternehmens“ haben, in welchem die Unternehmensführung gänzlich der Belegschaft sowie einem von dieser gewählten Belegschaftsrat zustehen sollte.628 Beruhend auf dem Konzept der vollständigen Selbstverwaltung sollte die Belegschaft über grundlegende Angelegenheiten wie die Tätigkeit und Entwicklung des Unternehmens sowie die Bestellung und Abberufung des Direktors und seiner Stellvertreter allein entscheiden dürfen.629 Der Direktor sollte lediglich Ausführungsorgan der Belegschaft sein.630 Neben dem Recht zur Bestellung und Abberufung des Direktors hatte die Gewerkschaft auch der Belegschaftsversammlung und dem Referendum – beides Formen einer „direkten Demokratie innerhalb der Unternehmen“ – be621
Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 190. Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (22); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 190; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 623 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 34. 624 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 625 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 626 Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan ´ stwowego, PiP 12/ 2011, S. 3 (5); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 67. 627 Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 849 (868). 628 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 629 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 34; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (22); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 630 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 622
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sondere Bedeutung beigemessen.631 Indem das Konzept der NSZZ „Solidarnos´c´ “ von nur einem Gesetzesentwurf ausging, manifestierte sich der von der Gewerkschaft vertretene Standpunkt, dass die Selbstverwaltung integraler Bestandteil der Unternehmensverfassung sei.632 Die von der Regierung eingebrachten Gesetzesentwürfe zum Staatsunternehmen und zur Selbstverwaltung in den Staatsunternehmen wurden seit Juli 1981 im Sejm behandelt.633 Die im Zuge dessen erfolgten Konsultationen zwischen den Mitgliedern des zuständigen Ausschusses und Vertretern der NSZZ „Solidarnos´c´ “ sowie anderer Institutionen, die zur Abgabe einer Stellungnahme gebeten wurden, bewirkten eine nicht unwesentliche Abänderung der ursprünglichen Gesetzesentwürfe zugunsten der von der NSZZ „Solidarnos´c´ “ vertretenen Positionen.634 b) Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft Am 25. September 1981 wurden das Gesetz über Staatsunternehmen635 (nachfolgend: „StaatsUntG“) und das Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens636 (nachfolgend: „SelbstVerwG“) verabschiedet. Das Dekret über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950 sowie das Gesetz über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958 wurden hierdurch abgelöst.637 Entsprechend der Konzeption der Regierung wurden die Regelungen über das Staatsunternehmen und diejenigen über die Selbstverwaltung in zwei verschiedenen Gesetzen verankert. Art. 1 StaatsUntG definierte das Staatsunternehmen als die organisatorische Basiseinheit der nationalen Volkswirtschaft, sprach dem Staatsunternehmen aber gleichzeitig Eigenständigkeit, Selbstverwaltung und Selbstfinanzierung sowie eine eigene Rechtspersönlichkeit zu. Gegründet wurde das Staatsunternehmen von einem staatlichen Organ, dem sog. „Gründerorgan“. Gemäß Art. 2 StaatsUntG sollte es im Rahmen der Zielvorgaben des nationalen Wirtschaftsplans seine wirtschaftliche Tätigkeit eigenständig führen. Grundlage hierfür waren ein eigener einjähriger und mehrjähriger Wirtschaftsplan, der mit den Vorgaben des nationalen Wirtschaftsplans übereinstimmen musste (vgl. Art. 46 StaatsUntG). Nach wie vor verwaltete das Staatsunter631
Ebenda. Ebenda. 633 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 69. 634 Ebenda. 635 Gesetz über Staatsunternehmen vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 122. 636 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123. 637 Vgl. Art. 69 StaatsUntG urspr. Fassung und Art. 52 SelbstVerwG. 632
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nehmen einen ihm zugewiesenen Teil des Volkseigentums, nahm diesbezüglich aber – mit Ausnahme einiger gesetzlichen Einschränkungen – alle Rechte wahr (vgl. Artt. 2, 38 ff. StaatsUntG). Das Staatsunternehmen trat nach außen im eigenen Namen auf, handelte auf eigene Rechnung sowie nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Selbstfinanzierung und war zur Buchführung verpflichtet (vgl. Artt. 39, 47 f. StaatsUntG). Es war grundsätzlich alleinverantwortlich für sein Handeln, unterlag aber in gewisser Hinsicht der Kontrolle des staatlichen Gründerorgans (vgl. Artt. 41, 52 ff. StaatsUntG). Mit dem SelbstVerwG wurde eine neue Form der Arbeitnehmerpartizipation in Polen eingeführt. Angelehnt hatte man sich hierbei an das jugoslawische Modell der Selbstverwaltung.638 So sprechen auch die Gesetze vom 25. September 1981 von „Selbstverwaltung“, in Wahrheit handelte es sich jedoch lediglich um ein Partizipationsmodell, d.h. eine Beteiligung an der Unternehmensführung, wenn auch der Belegschaft durchaus sehr weitgehende Beteiligungsrechte eingeräumt wurden.639 Dies wird schon aus Art. 1 SelbstVerwG deutlich, indem es darin heißt, dass die Belegschaft an der Unternehmensführung „teilnimmt“. Das SelbstVerwG wies den Selbstverwaltungsorganen – der Arbeitnehmer- bzw. Delegiertenversammlung und dem Belegschaftsrat640 – im Allgemeinen sehr weitgehende Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse zu. In nahezu allen wesentlichen Angelegenheiten des Unternehmens war eine Beteiligung, teilweise sogar Alleinzuständigkeit, der Selbstverwaltungsorgane vorgesehen. Zu den wesentlichen Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane gehörten u. a. der Beschluss der Unternehmenssatzung und des Wirtschaftsplans, die Bestellung und Abberufung des Direktors (wobei allerdings der Staat diesbezüglich Entscheidungsrechte behielt), das Kontrollrecht über die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens sowie umfassende Informations-, Initiativ- und Meinungsäußerungsrechte.641 Dem Direktor waren die Selbstverwaltungsorgane generell übergeordnet.642 Von Gewerkschaften und parteipolitischen Organisationen waren die Selbstverwal-
638 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 639 Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan ´ stwowego, PiP 12/ 2011, S. 3 (7); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 70. 640 Obwohl bei einer wortlautgetreuen Übersetzung eher von „Arbeitnehmerrat“ („rada pracownicza“) zu sprechen wäre, wird in dieser Arbeit – in Anlehnung an Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 199 – zwecks sprachlicher Abgrenzung zu den Arbeitnehmerräten nach dem InfKonsG von 2006 der Begriff „Belegschaftsrat“ für die „rada pracownicza“ i. S. d. SelbstVerwG verwendet; vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 199, zu anderen Übersetzungsmöglichkeiten. 641 Ausführlich zur Verfassung und zu den Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane unten Kapitel 3, D.II.2. 642 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 35.
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tungsorgane gemäß der Regelung des Art. 1 Abs. 3 SelbstVerwG grundsätzlich und bis auf einige wenige Einschränkungen unabhängig.643 Das Modell der Arbeitnehmerpartizipation in den Gesetzen vom 25. September 1981 war letztlich ein Kompromiss zwischen den Forderungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und den Positionen der Regierung.644 Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang war der in Art. 34 StaatsUntG urspr. Fassung sichergestellte Einfluss des Staates auf die Bestellung und Abberufung des Direktors.645 Nach Einschätzung der polnischen Literatur wurde die „Schlacht um die Selbstverwaltung“ dennoch leicht zugunsten der NSZZ „Solidarnos´c´ “ entschieden.646 Bezeichnet wurde die Ausgestaltung der Arbeitnehmerpartizipation daher auch als „dominierende Arbeitnehmerbeteiligung“.647 Andere zeitgenössische Beobachter glorifizierten das SelbstVerwG als eine „nach jahrzehntelanger politischer Verbannung durch die starke Rolle der sich solidarisierten, arbeitenden Bevölkerung errungene Rückkehr der Arbeitnehmerselbstverwaltung in die polnischen Betriebe“ 648 und eine Bestätigung des in Art. 8 der Polnischen Verfassung verankerten Grundsatzes, wonach das Recht der Volksrepublik Polen „Ausdruck der Interessen und des Willen der arbeitenden Bevölkerung“ 649 war650. Zum Leben erweckt worden sei dadurch die in den 1970er Jahren leblose Bestimmung in Art. 13 der Polnischen Verfassung, dass „die Belegschaft [. . .] an der Unternehmensführung beteiligt“ 651 sei.652 Hervorgehoben wurden die Ähnlichkeiten des SelbstVerwG mit dem Gesetz von 1956 über Arbeiterräte, bevor dieses durch die gesetzlichen Änderungen im Jahre 1958 „deformiert“ wurde.653 Im Vergleich 643
Näher hierzu unten Kapitel 3, D.II.2.b). Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35; Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 69. 645 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. 646 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 69. 647 So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 35. 648 So Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4 („Po dziesie˛cioletniej ˙ politycznej banicji powrócił do polskich fabryk samorza˛d zatrudnionych w nich robotników i pracowników [. . .]. Powrócił z silnej swa˛ solidarnos´cia˛ roli ludu pracuja˛cego [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 649 Art. 8 Abs. 1 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36: „Prawa Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej sa˛ wyrazem interesów i woli ludu pracuja˛cego.“ Übersetzung d. Verf. 650 Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4. ˙ 651 Art. 13 Satz 2 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36: „Załogi przedsie˛biorstw uczestnicza˛ w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami.“ Übersetzung d. Verf. 652 Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4. ˙ 653 So Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 4; ebenso Jermakowicz, Sa˙ morza˛d pracowniczy, S. 33, 35. 644
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zum Gesetz von 1956 räumte das Gesetz von 1981 der Belegschaft jedoch deutlich mehr Befugnisse ein und war somit das bis dahin weitgehendste Gesetz zur Arbeitnehmerpartizipation in Polen.654 Nach der Verabschiedung der Gesetze vom 25. September 1981, die zum 1. Oktober 1981 in Kraft traten, konstituierten sich explosionsartig Selbstverwaltungsorgane in den Staatsunternehmen; bis Dezember 1981 waren bereits in 4.800 Staatsunternehmen – was 80 % aller Staatsunternehmen entsprach – Selbstverwaltungsorgane entstanden.655 Die rasante Entwicklung wird auch auf Art. 51 Abs. 1 SelbstVerwG, der die Belegschaften zur Errichtung von Selbstverwaltungsorganen bis zum 31. Dezember 1981 verpflichtete, zurückgeführt.656 Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ forderte zwar auch nach Inkrafttreten der Gesetze Änderungen und drohte mit einem landesweiten Referendum, doch wurde dieses durch die Einführung des Kriegsrechts verhindert.657 c) Einführung des Kriegsrechts und die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane in den 1980er Jahren Die uneingeschränkte Geltung der Gesetze von 1981 war äußerst kurz. Zum 13. Dezember 1981 wurde in Polen der Kriegszustand ausgerufen658 und mit einer Verordnung des Ministerrates vom 30. Dezember 1981659 die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane in Staatsunternehmen für die Dauer des Kriegszustandes eingestellt; ihre Kompetenzen wurden auf den Direktor übertragen. Gleichzeitig kam es zur einem Verbot der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und der Verhaftung zehntausender Aktivisten, was auch als eigentliches Ziel des ausgerufenen Kriegszustandes vermutet wird.660 Die Verordnung vom 30. Dezember 1981 sah 654 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 36; so auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. 655 Dies ergaben die Schätzungen des Gesellschaftlichen Komitees der Wirtschaftsreform, nach einer Auswertung des Regierungsbevollmächtigten zur Wirtschaftsreform waren es 2.978 von 4.478 analysierten Unternehmen, vgl. hierzu Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 37 m.w. N. Die Diskrepanz soll sich daraus ergeben haben, dass in der einen Auswertung die Übergangskomitees mit berücksichtigt wurden, in der anderen nicht. 656 So Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 37. 657 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 70. 658 Vgl. § 1 des Beschlusses des Landesrates vom 12. Dezember 1981 über die Einführung des Kriegszustands, Dz. U. 1981 Nr. 29 Pos. 155. 659 Vgl. §§ 1, 2 der Verordnung vom 30. Dezember 1981, Dz. U. 1981 Nr. 32 Pos. 185, beruhend auf Art. 16 des Dekrets vom 12. Dezember 1981 über den Kriegszustand, Dz. U. 1981 Nr. 29 Pos. 154. 660 Vgl. Art. 15 des Dekrets vom 12. Dezember 1981 über den Kriegszustand, Dz. U. 1981 Nr. 29 Pos. 154; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 206; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73; ferner die Beiträge „Tragische Gestalt der polnischen Geschichte“
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zwar vor, dass die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane vom zuständigen Minister in Einzelfällen wieder erlaubt werden könne661, was beginnend mit dem 21. März 1982 auch nach und nach erfolgte.662 Doch wurde die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane zum einen bis Ende August 1982 nur in lediglich 3 % aller Unternehmen wieder aufgenommen, zum anderen unterlagen diese weiterhin zahlreichen Beschränkungen.663 Die Wiederzulassung der Selbstverwaltungen stellte eine gezielte Maßnahme der PVAP dar, die damit die beabsichtigte Durchführung der Wirtschaftsreformen vorspielen wollte, sich in Wahrheit aber mittels der kontrolliert gebildeten Belegschaftsräte neue Einflussmöglichkeiten in den Betrieben zu verschaffen suchte, nachdem sich die betrieblichen Gewerkschaftsstrukturen aufgelöst hatten.664 Das Interesse an einer Wiederbelebung der Selbstverwaltung war jedoch gering.665 Die lag einerseits an der Zurückhaltung der nach einer ungeteilten Machtausübung strebenden Direktoren, andererseits aber auch an dem verbreiteten Desinteresse der Belegschaft an einer von der Staatsmacht kontrollierten Selbstverwaltung, sowie nicht zuletzt auch an ihrem Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt.666 Dort, wo Selbstverwaltungsorgane bestanden, hatten sie zum überwiegenden Teil nur sehr geringen Einfluss und nahmen eine lediglich beratende Rolle ein.667 Auch nachdem der Kriegszustand am 31. Dezember 1982 eingestellt und sodann am 22. Juli 1983 aufgehoben wurde, wonach Selbstverwaltungsorgane wieder in größerem Maße wiederbelebt wurden668, blieb die Tätigkeit der Selbstver-
in der Süddeutschen Zeitung vom 25. Mai 2014 anlässlich des Todes von Wojciech Jaruzelski, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/zum-tod-von-wojciech-ja ruzelski-tragische-gestalt-der-polnischen-geschichte-1.1399662, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, „Ein Leben zwischen Helligkeit und Finsternis“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Mai 2014 sowie den Nachruf für Wojciech Jaruzelski im The Economist vom 14. Juni 2014. Die offizielle Begründung war, dass mit der Ausrufung des Kriegszustandes eine Intervention Russlands verhindert werden sollte. 661 Vgl. § 4 der Verordnung vom 30. Dezember 1981, Dz. U. 1981 Nr. 32 Pos. 185. 662 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 38 f. m.w. N. 663 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 38 f. So etwa stand den Selbstverwaltungsorganen kein Mitentscheidungsrecht bei der Bestellung und Abberufung des Direktors zu. Die Unternehmensführung oblag weiterhin allein dem Direktor, ferner waren die Möglichkeiten zur Durchführung eines Referendums und der Einberufung von Arbeitnehmerversammlungen ausgeschlossen. 664 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 204 f. m.w. N. 665 Vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 39. 666 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 39. 667 Dies ergaben die Untersuchungen des Instituts für Organisation und Verbesserung der Unternehmensführung unter der Leitung von B. Błaszczyk im Jahre 1982, veröffentlicht in Błaszczyk, Raport przejs´ciowy z badan´ nt. „Zmiany procesu planowania w przedsie˛biorstwie w 1982 r.“, zitiert nach Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 40. 668 Formal gab es im Februar 1983 4.000 wiederbelebte Selbstverwaltungen, vgl. Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 41.
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waltungsorgane durch gesetzliche Sonderregelungen weiterhin beschränkt669. So etwa konnten die Selbstverwaltungsorgane im Fall einer Störung des Rechtsfriedens und der sozialen Interessen eingestellt bzw. sogar gänzlich aufgelöst werden670, auch hatten sie in Staatsunternehmen von besonderer Bedeutung für die Volkswirtschaft keine Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung des Direktors671. Ziel der Regierung war es, die Selbstverwaltungsorgane dem staatlichen Parteiapparat unterzuordnen und solche Selbstverwaltungsstrukturen aufzubauen, die ihr entsprechende Einflussmöglichkeiten in den Betrieben verschaffen würden.672 So erfolgte die Neuerrichtung der Selbstverwaltungsorgane nach 1982 in überwiegender Mehrheit unter Aufsicht der PVAP, ähnlich wie der Wiederaufbau der Gewerkschaftsstrukturen.673 In der Konsequenz waren Mitte der 1980er Jahre die allermeisten Belegschaftsräte entweder dem Direktor, der PVAP oder den parteiabhängigen Gewerkschaften untergeordnet.674 Trotz der eingeführten gesetzlichen Beschränkungen nahmen die Selbstverwaltungsorgane ihre Tätigkeit überwiegend wieder auf, wobei sie sich vor allem um Fragen der Entlohnung, die Produktionspläne und Gewinnverteilung kümmerten und die Unternehmenstätigkeit bewerteten.675 Zwar lehnten die Beschäftigten anfangs die unter staatlicher Aufsicht stehende Selbstverwaltung ab, womit sie ihrem gesellschaftlichen Protest gegen die Unterdrückung der unabhängigen NSZZ „Solidarnos´c´ “ Ausdruck verliehen676, auch wurde die Selbstverwaltung von der sich im Untergrund befindenden NSZZ „Solidarnos´c´ “ selbst boykottiert677. Nach und nach wurden die legalen Selbstverwaltungsstrukturen jedoch als einziger Weg identifiziert, um die Ziele und Vorstellungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ in 669 Vgl. das Gesetz vom 18. Dezember 1982 über die gesetzliche Sonderregelung für die Zeit der Einstellung des Kriegszustandes, Dz. U. 1982 Nr. 41 Pos. 273, sowie das Gesetz betreffend Sonderregelungen für die Zeit der Überwindung der wirtschaftlichen Krise vom 21. Juli 1983, Dz. U. 1983 Nr. 39 Pos. 176; vgl. hierzu auch Jas´kiewicz/ Jackowiak/Piotrowski, Prawo pracy w zarysie, S. 130 f.; Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 41 f.; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73 ff. 670 Vgl. Art. 9 Abs. 2 des Gesetzes betreffend Sonderregelungen für die Zeit der Überwindung der wirtschaftlichen Krise vom 21. Juli 1983. 671 Näher Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73. 672 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 205 m.w. N.; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73 f. 673 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (143). 674 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74 m.w. N. 675 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 42 f. 676 Ge˛sicka, in: Jakubowicz, Niezalez ˙ ne samorza˛dy pracownicze, S. 425 (431 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 206 f. 677 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39.
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legaler Form zu verwirklichen.678 So formierte sich Mitte der 1980er Jahre in etwa 1 % bis 5 % aller Belegschaftsräte eine Gruppe, die – gelenkt von der im Untergrund agierenden NSZZ „Solidarnos´c´ “ und in zahlreichen Fällen unterstützt von der katholischen Kirche, Akademikern und sich illegal formierenden Oppositionsparteien – trotz der Gefahr ihrer eigenen Unterdrückung und Schikanen ihre Rechte einzufordern und durchzusetzen versuchte.679 Im Untergrund erscheinende Veröffentlichungen riefen nicht nur zur Aktivität in den Selbstverwaltungsorganen auf, sondern boten den Belegschaftsräten und ihren Beratern auch eine Auslegung der Gesetze von 1981, die diese als Grundlage für ihre Tätigkeit heranziehen konnten.680 Die Jahre 1983 bis 1989 zeichneten sich insgesamt durch ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen den wiederbelebten Selbstverwaltungsorganen und dem Parteiapparat aus.681 Während die Belegschaftsräte die Selbstständigkeit der Staatsunternehmen zu stärken versuchten, indem sie ihre Kompetenzen in Bezug auf die Wahl der Direktoren sowie wichtige strategische wirtschaftliche Entscheidungen und ihre Ausführung wahrnahmen und dadurch ein Gegengewicht zu den Organisationen des Parteiapparats bildeten, versuchten Letztere die Rolle und Unabhängigkeit der Belegschaftsräte mit allen zur Verfügung stehenden politischen, rechtlichen, propagandistischen und sogar repressiven Mitteln zu schwächen.682 Das Kräfteverhältnis zwischen den im Staatsunternehmen an der Unternehmensführung beteiligten Akteuren, d.h. dem Direktor, Belegschaftsrat, der Betriebsgewerkschaft und dem betrieblichen Parteikomitee war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in den einzelnen Unternehmen und Bereichen demnach äußerst unterschiedlich ausgeprägt und schwankte von reinen Konsultations- bis hin zu starken Mitbestimmungsrechten der Belegschaftsräte, wobei allerdings eine starke Aktivität der Belegschaftsräte in nur ganz wenigen Unternehmen vorzufinden war.683 Zusammenfassend wird festgestellt, dass die Geschichte der Arbeitnehmerselbstverwaltung bis 1989 durch einen „Kampf um die Wiedererlangung der im Gesetz von 1981 eingeräumten Rechte“ gekennzeichnet war.684
678 Ge˛sicka, in: Jakubowicz, Niezalez ˙ ne samorza˛dy pracownicze, S. 425 (431 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 207. 679 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74. 680 Ebenda. 681 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73. 682 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (31), die diesen Zustand als „Positionskampf“ („wojna pozycyjna“) bezeichnen. 683 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (143 f.). 684 So Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39 („Az do wiosny ˙ 1989 r. historia samorza˛du pracowniczego w Polse nacechowana była walka˛ o odzyskanie uprawnie przyznanych w ustawie z 1981 r.“, Übersetzung d. Verf.).
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Gleichzeitig vertiefte sich im Laufe der 1980er Jahre die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise des Landes.685 Zurückgeführt wird dies vor allem auf die Ineffektivität des zentralisierten und stark bürokratisierten Wirtschaftssystems und die hohe Überschuldung, zunehmende Konflikte in der Gesellschaft sowie die aufgrund des Kriegszustandes eingeführten Restriktionen der Nachbarländer.686 Seit Mitte der 1980er Jahre entwickelten sich grundsätzlich drei Richtungen in der Debatte um die Wirtschaftsreform: eine der Marktwirtschaft und auf Privateigentum beruhenden Lösungen zugeneigte, eine im Wesentlichen weiterhin auf Staatseigentum aufbauende und schließlich eine dazwischen liegende, die auf der Idee der Selbstverwaltung fußte.687 Im Laufe der Jahre war auch eine Veränderung in den Positionen der Selbstverwaltungsbewegung zu beobachten.688 Während Anfang der 1980er Jahre die Selbstständigkeit der Staatsunternehmen im Fokus der Betrachtung stand, verlagerte sich der Schwerpunkt der Debatte zunehmend auf die Eigentumsverhältnisse im Staatsunternehmen und die Möglichkeiten einer Privilegierung der Belegschaften.689 Innerhalb der Selbstverwaltungsbewegung entstanden diesbezüglich zahlreiche Konzepte.690 Bedingt durch die unheilbare Wirtschaftskrise und die treibende Kraft der NSZZ „Solidarnos´c´ “ wurde der Widerstand der Selbstverwaltungsorgane gegen den staatlichen Machtapparat gegen Ende der 1980er Jahre immer größer691, auch die Aktivität der Selbstverwaltungsorgane nahm deutlich zu692. Diese Entwicklungen trugen maßgeblich zu dem im Jahre 1989 folgenden Umbruch bei, der letztlich das Ende des sozialistischen Systems bedeutete. d) Die Vereinbarungen des „Runden Tisches“ im Jahre 1989 Im Laufe der 1980er Jahre spitzte sich die Wirtschaftskrise immer weiter zu. Obwohl die Regierung am 13. Juni 1988 die Liberalisierung der Zentralverwaltungswirtschaft durch Gründung privater Unternehmen ankündigte, mündete die gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise im Sommer 1988 in einer sich auf 685
Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (21). So Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (21). 687 Ausführlich hierzu Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (145 ff.). 688 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74; näher Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (142 ff., 145 ff.). 689 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 74; ausführlich Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (142 ff., 145 ff.). 690 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (147). 691 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 73. 692 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (144). 686
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das ganze Land ausdehnenden Streikwelle.693 Aufbauend auf den Streikpostulaten forderte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ in ihrer sogenannten „Dialogerklärung“ unter anderem die Wiederzulassung des gewerkschaftlichen Pluralismus und der Vereinigungsfreiheit, ferner sollten gemeinsam Lösungen zur wirtschaftlichen Sanierung des Landes gefunden werden.694 Nach einer langen Vorbereitungszeit fanden schließlich im Zeitraum vom 6. Februar 1989 bis 5. April 1989 Gespräche zwischen der PVAP, der NSZZ „Solidarnos´c´ “, der katholischen Kirche und anderen Gruppen statt, die zu den sog. „Vereinbarungen des Runden Tisches“ führten. In diesen Vereinbarungen wurden wesentliche Änderungen im Hinblick auf das politische und wirtschaftliche System festgelegt. Zugesagt wurden freie Wahlen zum Senat und teilweise freie Wahlen zum Sejm.695 Auch der gewerkschaftliche Pluralismus und damit auch die Relegalisierung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ wurde von Seiten der Regierung anerkannt.696 Vereinbart wurde ferner die Durchführung einer umfassenden Wirtschaftsreform, die zu einer neuen Wirtschaftsordnung führen und insbesondere auf der Weiterentwicklung der Selbstverwaltung und der Arbeitnehmerpartizipation, der Zulassung einer pluralistischen Eigentümerstruktur, der Einführung von Marktelementen und Konkurrenz sowie der Zurückdrängung der zentralistischen Planwirtschaft beruhen sollte.697 Die Vereinbarungen befürworteten das nach dem SelbstVerwG von 1981 vorgesehene Selbstverwaltungsmodell und sahen sogar seine Stärkung vor.698 Die nach 1981 eingeführten Beschränkungen sollten wieder aufgehoben werden, ferner sollte die Entstehung überbetrieblicher, landesweiter Strukturen der Selbstverwaltung zugelassen werden.699 Auch sollte eine Beteiligung von Arbeitnehmern in Unternehmen und Gesellschaften der Privatwirtschaft, die mindestens 100 Mitarbeiter zählten, gesetzlich vorgeschrieben werden und lediglich im Fall der Beteiligung ausländischer Investoren freiwillig sein.700 Mit dem Gesetz vom 9. März 1990
693 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 259 m.w. N. 694 Ebenda. 695 Nach der Vereinbarung sollten 65 % der Sitze im Sejm der Regierungskoalition, 35 % der Opposition zustehen, vgl. NSZZ „Solidarnos´c´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 8. 696 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 6. 697 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 24; vgl. ferner die Erläuterungen bei Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22 ff.). 698 Vgl. NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 24 ff.; Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 699 NSZZ „Solidarnos ´c´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 25 f.; näher hierzu Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 75. 700 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 26.
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zur Änderung des Gesetzes über Staatsunternehmen701 wurden die meisten Vereinbarungen des Rundes Tisches umgesetzt und gingen auch teilweise über die Forderungen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ hinaus, etwa indem die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Direktors im Grundsatz allein dem Belegschaftsrat zugewiesen wurde.702 Nach den Vereinbarungen des Rundes Tisches nahm sowohl die Aktivität als auch das Renommee der Belegschaftsräte zu.703 Beflügelt wurde die Selbstverwaltungsbewegung durch die Ereignisse der folgenden Monate, so insbesondere die offizielle Wiederzulassung der NSZZ „Solidarnos´c´ “ durch Registrierung am 17. April 1989, die im Juni 1989 erfolgte Wahlniederlage der PVAP, die darauffolgende Bildung der ersten nichtkommunistischen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki im September 1989 sowie schließlich auch die Auflösung der PVAP im Januar 1990.704 Hierdurch veränderten sich auch die Machtstrukturen innerhalb der Staatsunternehmen.705 In den meisten Staatsunternehmen wurden alsbald Neuwahlen für den Belegschaftsrat und dessen Präsidium durchgeführt, wodurch Vertreter der PVAP und der Gewerkschaftsorganisation OPZZ („Ogólnopolskie Porozumienie Zwia˛zków Zawodowych“ 706) vielfach von Mitgliedern der NSZZ „Solidarnos´c´ “ abgelöst wurden.707 Die Direktoren wurden in den weit überwiegenden Fällen ebenfalls ausgetauscht.708 Auch die betrieblichen Parteikomitees der PVAP wurden bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 liquidiert, wohingegen betriebliche Organisationen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ Einzug in die Staats-
701 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Staatsunternehmen vom 9. März 1990, Dz. U. 1990 Nr. 17 Pos. 99. 702 Vgl. Art. 1 Abs. 12 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Staatsunternehmen vom 9. März 1990; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76. 703 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 704 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76. 705 Ebenda. 706 Auf Deutsch „Gesamtpolnische Gewerkschaftsallianz“, Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 250; ausführlich zur Entstehung dieser zweiten bedeutsamen Gewerkschaftsorganisation in Polen Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 249 ff. 707 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (32). 708 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (32); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76; näher zu statistischen Angaben vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (28) m.w. N. und Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (32). Wratny (a. a. O.) betont, dass der Austausch der Führungskader negative Konsequenzen für die Gewerkschaften hatte, da die abgeschobenen Direktoren, die daraufhin oftmals Führungspositionen in Unternehmen der Privatwirtschaft übernahmen, von anti-gewerkschaftlichen Motiven geleitet waren.
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unternehmen fanden.709 Hierdurch wurde das bis dahin in Staatsunternehmen bestehende „Machtviereck“, bestehend aus dem Direktor, dem Belegschaftsrat, einer Gewerkschaftsorganisation des OPZZ und dem betrieblichen Parteikomitee der PVAP710, abgelöst durch ein sich neu formierendes „Machtdreieck“, zu dem der Direktor, der Belegschaftsrat sowie die betriebliche Organisation der NSZZ „Solidarnos´c´ “ gehörten.711 Darüber hinaus nahm die Zusammenarbeit der Belegschaftsräte auf überbetrieblicher Ebene zu, sodass sich eine rege betriebsübergreifende Selbstverwaltungsbewegung entwickelte.712 Insgesamt hatten die auf die Vereinbarungen des Runden Tisches folgenden Entwicklungen nicht nur zu einer so spürbaren Stärkung der Rolle und Bedeutung der Selbstverwaltungsorgane geführt, sondern auch ihre Funktion als „Hauptinstitution einer industriellen Demokratie“ wiederhergestellt.713 Der durch die Vereinbarungen des Runden Tisches bedingte Aufschwung der Belegschaftsräte war jedoch nicht von langer Dauer.714 Mit Einleitung der wirtschaftlichen Transformation im Jahre 1990 war das Ende der Selbstverwaltung vorgezeichnet. Der Sieg der Selbstverwaltungsbewegung im Jahre 1989 wird daher auch als „Pyrrhussieg“ 715 bezeichnet: Die Bekämpfung des Gegners – namentlich des kommunistischen Systems – habe gleichzeitig den Untergang des einstigen Siegers initiiert, der „wie sich herausstellte, nur Dank der Konfrontation mit dem damaligen System existieren konnte“.716 4. Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation während der Transformationsphase der 1990er Jahre Im Zuge der in Polen als dem ersten osteuropäischen Land eingeleiteten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation war die Entwicklung neuer arbeitsrechtlicher Strukturen und der Beziehungen zwischen den So709
Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (31). Hierzu auch Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (143). 711 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76. Später wurde dieses auch in negativer Hinsicht als „Bermuda-Dreieck“ („trójka˛t bermudzki“) bezeichnet, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76 und Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26). 712 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76; Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (144). 713 So Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (31) („przywrócenie im funkcji głównej instytucji demokracji przemysłowej“, Übersetzung d. Verf. 714 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 715 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78 („zwycie˛stwo [. . .] pyrrusowe“, Übersetzung d. Verf.). 716 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78 („jak sie˛ okazało, mógł egzystowac´ wyła˛cznie dzie˛ki konfrontacji z tamtym systemem“, Übersetzung d. Verf.). 710
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zialpartnern von wesentlicher Bedeutung.717 Die Entstehung des kollektiven Arbeitsrechts und der kollektiven Arbeitsbeziehungen nach 1989 wurde dabei maßgeblich vom „Erbe der 1980er Jahre“, insbesondere den Errungenschaften der 1980/81er Jahre, beeinflusst.718 Die im Jahre 1989 eingeschlagene Transformationspolitik, ihre wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen und die seitdem entwickelten institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen formten sodann das sich gänzlich neu aufbauende System der kollektiven Arbeitsbeziehungen.719 a) Beginn der Wirtschaftsreform und Einleitung des Privatisierungsprozesses Obwohl im Rahmen der während der Gespräche am Runden Tisch vorgebrachten Reformüberlegungen zur wirtschaftlichen Sanierung Polens die Privatisierung der Staatsunternehmen nicht im Vordergrund stand720, wurden bereits in diesen Gesprächen Zusicherungen für eine pluralistische Eigentümerstruktur abgegeben721 und die Modalitäten der Überführung von Staatseigentum in Privateigentum thematisiert722. Im Herbst 1989 erwies sich sodann das weitere Festhalten am realen Sozialismus als untragbar.723 Infolge des Wahlerfolgs der „Solidarnos´c´ “ im Juni 1989 wurde dann auch seit Anfang des Jahres 1990 die Privatisierung zum alles dominierenden Aspekt der neu entstehenden Staats- und Wirtschaftsordnung.724 Zum 1. Januar 1990 wurde auf Grundlage des Ende 1989 ausgearbeiteten sog. „Balcerowicz-Plans“ eine grundlegende Wirtschaftsreform eingeleitet, die den Übergang Polens zur Marktwirtschaft initiierte.725 Der Balcerowicz-Plan fußte auf einem liberalen Ansatz und bezweckte eine schnelle und großflächige Privatisierung.726 Aufgrund der damit einhergehenden Radikalität des beginnenden Privatisierungsprozesses erhielt er auch den Namen „Schock717 Ba˛czkowski, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1. 718 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (26) („dziedzictwo lat 80.“, Übersetzung d. Verf.). 719 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (26). 720 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (139). 721 NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 24. 722 Vgl. die Version der Opposition und der NSZZ „Solidarnos´c ´ “ in Bezug auf die Rahmenbedingungen für die Schaffung einer pluralistischen Eigentümerstruktur, NSZZ „Solidarnos´c´ “, Vereinbarungen des Runden Tisches, S. 27. 723 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (139). 724 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (22). 725 Ausführlich zur Politik der neuen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki vgl. etwa Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 78 ff. 726 Vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77.
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therapie“ 727. Gleichzeitig waren bereits Ende des Jahres 1989 Änderungen der polnischen Verfassung beschlossen worden, in denen sich die Abkehr vom bisherigen System und die eingeleitete Demokratisierung Polens manifestierte.728 Die Selbstverwaltungsbewegung war im Zusammenhang mit der Wirtschaftsreform gespalten: Während für die einen die Selbstverwaltung das Endziel darstellte, sahen andere darin lediglich eine Übergangslösung, durch welche die Belegschaft Einfluss auf die Privatisierungsprozesse nehmen können sollte.729 Dabei setzte sich zunehmend die letzte Ansicht durch.730 Von wesentlicher Bedeutung war auch die seit Ende der 1980er Jahre einsetzende tatsächliche und unkontrollierte Privatisierung, die keine gesetzliche Grundlage hatte und dadurch gekennzeichnet war, dass Betriebsmittel der Staatsunternehmen von neu gegründeten Gesellschaften aufgekauft wurden, an denen die bisherigen Machtinhaber wesentlich beteiligt waren.731 Gegen den Übergang des Staatseigentums an die bisherigen Machtinhaber lehnte sich die Selbstverwaltungsbewegung unter Berufung auf den „Schutz des Volkseigentums“ auf.732 Bald schon entstand innerhalb der Selbstverwaltungsbewegung eine unzählige Fülle von eigenen Vorschlägen zur Privatisierung vor, die im Kern auf eine Privilegierung der Belegschaft beim Erwerb von Aktien der umgewandelten Staatsunternehmen und eine Sicherstellung ihres Verbleibs unter den Belegschaften abzielten.733 Neben der Entwicklung eines eigenen „Selbstverwaltungssektors“ wurde von der Selbstverwaltungsbewegung im Wesentlichen die Förderung von Arbeitnehmeraktionärstum („akcjonariat pracowniczy“) und die Entstehung sog. 727 So etwa Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24) („plan Balcerowicza, nazywany szokowa˛ terapia˛“, Übersetzung d. Verf.). 728 Vgl. das Verfassungsänderungsgesetz vom 29. Dezember 1989, Dz. U. 1989 Nr. 75 Pos. 444; Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 31. So etwa wurde der Polen wieder als „Rzeczpospolita“ bezeichnet, Formulierungen, die auf die führende Rolle der Arbeiterpartei, die Planwirtschaft und das sozialistische Systems sowie die Freundschaft zur Sowjetunion hindeuteten, gestrichen und Polen als „demokratischer Rechtsstaat“ erklärt. 729 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 76 f.; vgl. auch Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (144 f.). 730 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 731 Vgl. Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (139 f.); Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (23). Gefördert wurde diese Entwicklung von seinerzeit niedrigen Krediten, den bestehenden personell-organisatorischen Strukturen und einer infolge der Preispolitik der PVAP einsetzenden Inflation, die den Wert der Betriebsmittel drastisch sinken ließ. 732 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (23); vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 733 Näher Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (147 f.).
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
„Arbeitnehmergesellschaften“ gefordert.734 Der in den 1980er Jahren hartnäckig geführte Kampf der Selbstverwaltungsbewegung um die Rechte der Selbstverwaltungsorgane und die Eigenständigkeit der Staatsunternehmen entwickelte sich so zu einem „Kampf ums Eigentum“.735 Die Eigentumsfrage wurde in der Debatte um eine neue Staats- und Wirtschaftsordnung zum alles übertönenden Hauptaspekt, die bisherigen Reformvorschläge mündeten in den unzähligen Konzepten zur Privatisierung und einer in diesem Zusammenhang geforderten Privilegierung der Belegschaften.736 Im Hinblick auf die Konzepte zur wirtschaftlichen Transformation gingen die Positionen der Selbstverwaltungsbewegung und derjenigen der NSZZ „Solidarnos´c´ “ allerdings auseinander. Hintergrund hierfür war die eingeleitete enge Zusammenarbeit zwischen der Regierung Mazowieckis und den um Balcerowicz gruppierten Wirtschaftsreformatoren mit führenden Persönlichkeiten der NSZZ „Solidarnos´c´ “, allen voran Lech Wałe˛sa.737 Infolge dieser Zusammenarbeit unterstützte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ die vom Balcerowicz-Plan breit angelegte und auf liberalen Konzepten beruhende Privatisierung738 und verwarf damit zugleich die noch in den – mit der früheren sozialistischen Regierung geführten – Gesprächen am Runden Tisch angestrebte Weiterentwicklung der Selbstverwaltungsidee in Staatsunternehmen739. Der NSZZ „Solidarnos´c´ “ sollte dabei im Rahmen der Transformationsprozesse eine doppelte Funktion zukommen: Zum einen sollte sie in Zusammenarbeit mit den Belegschaftsräten und Direktionen die Umwandlungen der Staatsunternehmen im Sinne der neoliberalen Konzepte vorantreiben, zum anderen einen „Schutzschirm“ über die geplante Wirtschaftsreform und die damit einhergehenden meist unliebsamen wirtschaftlichen Entscheidungen ausbreiten.740 Gleichzeitig schien sie mehr an der Entwicklung eines Aktionärstums
734 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77; hierzu auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (23 f.); näher zu den sog. Arbeitnehmergesellschaften unten Kapitel 3, D.I. 735 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77 („gra o własnos´c´ “, Übersetzung d. Verf.). 736 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (148). 737 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (27); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293. 738 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 739 Vgl. Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (6) f.; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293. 740 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (27 f.); vgl. auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77.
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aller Bürger als dem Arbeitnehmeraktionärstum interessiert.741 An die NSZZ „Solidarnos´c´ “ gerichtete Aufforderungen der Selbstverwaltungsbewegung, im Wege einer „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ die Selbstverwaltungsidee zu realisieren, die Entwicklung von Arbeitnehmeraktionärstum zu fördern und die Umwandlungsprozesse im Sinne der Belegschaften durchzuführen, blieben folglich erfolglos.742 Indes führte die Unterstützung der Regierungspolitik und die Abkehr vom noch in den Gesprächen des Runden Tisches unterstützten Selbstverwaltungsmodell auch zu Spannungen innerhalb der Solidarnos´c´-Bewegung, was sich insbesondere in der Reaktivierung des bereits 1981 gegründeten „Netzwerks der Betriebskomitees der Solidarnos´c´ aus führenden Unternehmen“ („Siec´ “) im Jahre 1990 zeigt.743 Diese reaktivierte Abspaltung der Solidarnos´c´-Bewegung sah die Arbeitnehmerinteressen durch die NSZZ „Solidarnos´c´ “ als nicht mehr ausreichend vertreten an und befürwortete die Entwicklung und Förderung von Arbeitnehmeraktionärstum, womit sie die Selbstverwaltungsbewegung entsprechend unterstützte.744 Kennzeichnend für die Entwicklungen in der Umbruchphase 1989/1990 war, dass die Ausgestaltung der neuen Staats- und Wirtschaftsordnung unter dem wachsenden Druck der tatsächlichen Umstände – so auch der voranschreitenden tatsächlichen Privatisierung und der steigenden Inflation – erfolgen musste.745 Die im osteuropäischen Umfeld kaum vergleichbare Vehemenz der tatsächlichen Entwicklungen ließ der Eigentumsfrage einen derart hohen Stellenwert beikommen, dass keiner der Akteure das Feld räumen wollte.746 Unter diesen Umständen war es – anders als etwa in der Tschechoslowakei, die das deutsche Modell übernahm – undenkbar, bewährte Konzepte aus den westlichen Nachbarstaaten einfach nur zu kopieren.747
741 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. Nach dem liberalen Konzept sollten der Bevölkerung Optionen zum Erwerb von Aktien der an Börsen gelisteten Unternehmen ausgegeben werden, vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25). 742 Vgl. Appell des V. Nationalen Selbstverwaltungsforums an den II. Delegiertenkongress der NSZZ „Solidarnos´c´ “, zitiert nach Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24). 743 Gilejko, in: ders., Społeczne ruchy czasu przełomu, S. 12 (13); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293 f. 744 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24); vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 293 f. 745 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (140). 746 Ebenda. 747 Ebenda.
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b) Das Privatisierungsgesetz von 1990 und die Abschaffung der Belegschaftsräte In den konzeptionellen Arbeiten an einem Privatisierungsgesetz Ende des Jahres 1989 und Anfang des Jahres 1990 spiegelten sich die zahlreichen Diskussionen um die Wirtschaftsreform und die Ausgestaltung der Eigentumsverhältnisse wider.748 Am 13. Juli 1990 wurde das erste Gesetz über die Privatisierung von Staatsunternehmen749 (nachfolgend: „PrivG 1990“) beschlossen. Es trat am 1. August 1990 in Kraft. Mit dem PrivG 1990 wurde ein Transformationsprozess eingeleitet, der eine massenhafte und in bisher nicht vergleichbarem Umfang durchgeführte Umwandlung von Staatsunternehmen zur Folge hatte.750 Es war das erste Privatisierungsgesetz in Osteuropa.751 Das PrivG 1990 sah zwei Privatisierungswege vor – die sog. „Kapitalprivatisierung“ und die sog. „Liquidationsprivatisierung“.752 Die Kapitalprivatisierung beruhte auf der Gewährung von Anteilen des in eine Gesellschaft umgewandelten Staatsunternehmens an Dritte (vgl. Art. 1 PrivG 1990). Sie war vor allem für große Unternehmen, die über eine solide Finanzlage und beachtliche Vermögenswerte verfügten, gedacht.753 Mit Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister verlor diese ihren Status als Staatsunternehmen und unterlag fortan den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (vgl. Art. 7 PrivG 1990). Nach der Umwandlung sollten sodann in einem weiteren Schritt die allein vom Staat gehaltenen Anteile bzw. Aktien der Gesellschaft auf Dritte übertragen werden. Nach der Konzeption des PrivG 1990 war die Umwandlung in eine Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung des Staates lediglich als Zwischenschritt gedacht, dem die Übertragung von Anteilen an Dritte alsbald folgen musste.754 Dies wird auf die Überzeugung der Gesetzesurheber zurückgeführt, dass die Unternehmen von privater Hand wirtschaftlich effektiver geführt werden würden.755 Die Liquidationsprivatisierung bestand dagegen in der Übertragung des Eigentums, d.h. der
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Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (151). Gesetz über die Privatisierung von Staatsunternehmen vom 13. Juli 1990, Dz. U. 1990 Nr. 51 Pos. 298. 750 Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 55; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. 751 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9. 752 Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (151 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 295. 753 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 16; Federowicz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 139 (152). 754 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 16; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9 f.; Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 65. 755 So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9. 749
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Betriebsmittel des Staatsunternehmens auf Dritte oder dem Verkauf des Unternehmens (vgl. Artt. 1, 37 PrivG 1990). Dem Belegschaftsrat wurden wesentliche Mitentscheidungsbefugnisse eingeräumt, sodass dieser eine entscheidungserhebliche Rolle im Zusammenhang mit der Privatisierung der Staatsunternehmen erhalten hatte.756 Die Verabschiedung des PrivG 1990 war von einschneidender Bedeutung für die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen. Dies zum einen, weil es eine neue Institution der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat von Gesellschaften ins Leben rief.757 Gemäß Art. 17 Abs. 1 PrivG 1990 war in den umgewandelten Staatsunternehmen ein Aufsichtsrat zu bilden, dessen Mitglieder zu einem Drittel von den Arbeitnehmern gewählt wurden. Dieses Recht der Arbeitnehmer konnte auch solange nicht durch eine entsprechende Satzungsbestimmung abbedungen werden, solange der Staat über die Hälfte der Aktien hielt und sich nicht die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hierfür aussprach (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990). Die drittelparitätische Vertretung im Aufsichtsrat war mithin für eine gewisse Übergangszeit, die vom Fortschritt der Privatisierung abhing, garantiert. Darüber hinaus beschränkte sich das Gesetz auf eine Regelung zum besonderen Kündigungsschutz für die Arbeitnehmervertreter sowie die Aussage, dass nur die übrigen Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung im Wege der Gruppenwahl gewählt werden konnten (vgl. Art. 17 Abs. 3, 4 PrivG 1990) Das Gesetz enthielt keine Vorschriften in Bezug auf das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter, vielmehr schien es in Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990 davon auszugehen, dass die Satzung entsprechende Bestimmungen zur Wahl der Arbeitnehmervertreter vorsehen würde.758 Zusätzlich zu der eingeführten Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat wurde den Arbeitnehmern eine Kapitalbeteiligung („partycypacja kapitałowa“ 759) zugesichert. Bereits im Herbst 1989 entstand eine Organisation namens „Union des Arbeitnehmereigentums“ („Unia Własnos´c´i Pracowniczej“), die sich für das Arbeitnehmeraktionärstum in Anlehnung an die amerikanischen „Employee Stock Ownership Plans“ einsetzte und auf die – gemeinsam mit der Selbstverwaltungsbewegung und dem „Netzwerk der Betriebskomitees der Solidarnos´c´ aus führen756 Vgl. Artt. 5 Abs. 1, 37 PrivG 1990; vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 295 f. 757 Gänzlich neu war das Konzept der Arbeitnehmervertretung in den Leitungsorganen der polnischen Rechtstradition zwar nicht, doch ist es nur in entfernter Verwandtschaft in einem gänzlich anderen Kontext zu finden – so etwa in Art. 6 des Dekrets vom 6. Februar 1945, wonach Vertreter des Betriebsrats einen Sitz im mehrköpfigen Vorstand erhalten sollten, sowie ähnlich auch in Art. 17 Abs. 2 Gesetzes vom 10. Juli 1985 über gemischte Unternehmen (Dz. U. 1985 Nr. 32 Pos. 142), vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 249. Zum Dekret vom 6. Februar 1945 ausführlich oben Kapitel 2, A.II.2.a). 758 So wohl auch Wratny, partycypacja pracownicza, S. 42. 759 Wratny, partycypacja pracownicza, S. 41.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
den Unternehmen“ („Siec´ “)760 – ein letztlich ins polnische Parlament eingebrachter Gesetzesentwurf von Abgeordneten zurückgeht.761 Zwar konnte sich der Gesetzesentwurf nicht durchsetzen, er hinterließ jedoch seine Spuren auf der Ausgestaltung des PrivG 1990.762 Gemäß Art. 24 Abs. 1 PrivG 1990 erhielten die Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens das Recht zum Erwerb von bis zu 20 % der Aktien der Gesellschaft zu vergünstigten Bedingungen. Der Preis für eine Aktie war um die Hälfte günstiger als der Preis von im allgemeinen Verkauf angebotenen Aktien (vgl. Art. 24 Abs. 4 PrivG 1990). Darüber hinaus ermöglichte das PrivG 1990 die sog. „Arbeitnehmerprivatisierung“ („prywatyzacja pracownicza“) und schuf die Voraussetzungen für die Gründung sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ („spółki pracownicze“).763 Als sog. Arbeitnehmergesellschaften werden Gesellschaften bezeichnet, bei denen die Belegschaft den gesamten oder jedenfalls einen wesentlichen Teil der Anteile der Gesellschaft hält.764 Sie entstanden insbesondere infolge der dritten Möglichkeit der Liquidationsprivatisierung, bei der die Betriebsmittel des Staatsunternehmens an eine Gesellschaft verpachtet wurden, welcher die Mehrzahl der Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens beigetreten war (vgl. Artt. 37 Abs. 1 Nr. 3, 38 PrivG 1990).765 Diese sog. Arbeitnehmergesellschaften unterlagen zwar den Vorschriften des Handelsgesetzbuches, zeichneten sich jedoch durch eine enge Verbundenheit mit der Liquidationsprivatisierung aus, weswegen das Privatisierungsgesetz auch nähere Regelungen in Bezug auf ihre Gründung und den Pacht-
760 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (24, 26) („,Siec´‘ Komisji Zakładowych ,Solidarnos´ci‘ z kluczowych zakładów“, Übersetzung d. Verf.). 761 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94); vgl. hierzu auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26). Der Gesetzesentwurf sah die Errichtung eines sog. „Arbeitnehmereigentumsfonds“ („Fundusz Własnos´ci Pracowniczej“, Übersetzung d. Verf.) vor, der die Schaffung des Arbeitnehmeraktionärstums finanziell unterstützen sollte, vgl. Artt. 22 ff. des Gesetzesentwurfs vom 6. April 1990, Sejm-Drucks. Nr. 335 (X. Kadenz). 762 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26); Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94). 763 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 56. Vgl. hierzu unten Kapitel 3, D.I. 764 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51. Der Begriff der Arbeitnehmergesellschaft ist jedoch gesetzlich weder definiert noch wird er im KommerzG erwähnt, in der Literatur wird der Begriff nicht einheitlich verwendet – hierzu Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 242 m.w. N. Kritisch zu dem Begriff Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (97), den sie als irreführend und missverständlich ansehen. 765 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57.
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vertrag traf.766 Die Alternative einer Arbeitnehmergenossenschaft, in der alle Arbeitnehmer gleiche Mitgliedsrechte und Einflüsse erhielten und sich der Einfluss nicht an der Kapitalbeteiligung des Einzelnen bemaß, wurde in den Gesetzesarbeiten verworfen.767 Die im PrivG1990 neu eingeführten Berechtigungen der Arbeitnehmer stellten – zumindest teilweise – einen Ersatz dar für den Wegfall der Arbeitnehmerselbstverwaltung, wie sie in SelbstVerwG von 1981 garantiert worden war.768 Da mit Eintragung der umgewandelten Gesellschaft ins Handelsregister eine Liquidation der im ehemaligen Staatsunternehmen agierenden Selbstverwaltungsorgane einherging, führte die eingeleitete Privatisierung der Staatsunternehmen zur Abschaffung der Arbeitnehmerpartizipation in Form von Belegschaftsräten.769 Wie sich aus dem Programm der Liberalen ergab, sollte den Belegschaften als Ersatz hierfür eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zugestanden werden („[. . .] dies hat in jedem Fall die Beschränkung des Einflusses der Belegschaft zur Folge, da die Selbstverwaltungsorgane liquidiert werden. Als Ersatz hierfür erhält die Belegschaft jedoch 1/3 der Sitze im Aufsichtsrat [. . .]“ 770). So wird im Hinblick auf diese Kontinuität in der polnischen Literatur auch hervorgehoben, dass die Selbstverwaltungsbewegung ihre „Fußstapfen“ auf der Privatisierung in Polen hinterlassen habe.771 Gleichsam wird es als paradox erachtet, dass die Belegschaftsräte, denen entscheidende Mitspracherechte in Bezug auf die Einleitung der Privatisierung zukamen, mit Zustimmung zur Privatisierung gleichzeitig die Zustimmung zu ihrer Selbstauflösung erteilten.772 Oft sei dies vor allem unter dem Einfluss der Belegschaften, die sich aus der Privatisierung Vorteile versprachen, geschehen.773 Aus diesem Grund bezeichnet Wratny den Sieg der Selbstverwaltungsbewegung im Jahre 1989 gegen das kommunistische System auch als 766
Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,
S. 57. 767 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 56 f. 768 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40. 769 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 770 Kongres Liberałów, Z ˙ ycie Gospodarcze 1989, Nr. 49, zitiert nach Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25 f.) („ruch ten oznacza w kaz˙dym razie ograniczenie wpływu załogi na zarza˛dzanie – naste˛puje likwidacja władzy samorza˛du. W zamian pojawia sie udział załogi w radach nadzorczych na poziomie 1/3 składu rady“, Übersetzung d. Verf.). 771 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 772 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. 773 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
„Pyrrhussieg“.774 Im Hinblick auf die Ausgestaltung der neuen Partizipationsform im PrivG 1990 kritisiert er, dass die neuen Beteiligungsformen kein wahrhaftiges Äquivalent der vormaligen Arbeitnehmerpartizipation in Staatsunternehmen darstellten, insbesondere weil eine Partizipationsform auf betrieblicher Ebene fehlte.775 Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass das Recht zur Entsendung von Arbeitnehmervertretern nur für den Fall der Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Gesellschaft vorgesehen wurde – im Fall der Liquidationsprivatisierung fielen die Belegschaftsräte dagegen ersatzlos weg.776 Allenfalls im Rahmen der sog. Arbeitnehmergesellschaften war ein Einfluss der Arbeitnehmer über ihre Kapitalbeteiligung gewährleistet. Die mit dem PrivG 1990 einhergehende Abschaffung der Belegschaftsräte ist auf den neoliberalen Ansatz der Wirtschaftsreformatoren der 1989/1990er Jahre zurückzuführen.777 Diese hielten die Belegschaftsräte zwar für eine nützliche Institution im Sozialismus, betrachteten sie jedoch in einer Demokratie für überflüssig und im Hinblick auf die notwendige Überwindung der wirtschaftlichen Krise Polens und die Investitionsbereitschaft aus dem Ausland sogar für schädlich.778 Kritisiert wurde auch, dass die Selbstverwaltung eine klare Bestimmung der Rolle der Eigentümer und Zuweisung von Verantwortlichkeiten erschwere.779 Von wesentlicher Bedeutung war ferner die untrennbare Verknüpfung der Arbeitnehmerselbstverwaltung mit dem Staatsunternehmen als speziellem Wirtschaftssubjekt einer auf Staatseigentum beruhenden Zentralverwaltungswirtschaft.780 Der Systemwechsel hin zu einer Marktwirtschaft und die angestrebte Integration mit der Europäischen Gemeinschaft führten dazu, dass die systembedingte Grundlage sowohl für das spezielle Konstrukt des Staatsunternehmens als auch die Selbstverwaltung entfallen war.781 Zugleich hatte die Verwurzelung der Selbstverwaltung im früheren System dazu geführt, dass auch die Unterstützung der Bevölkerung, die sich in breiten Kreisen gegen das alte System und für den Systemwechsel aussprach, für diese Form der Arbeitnehmerpartizipation abnahm.782
774 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78 („zwycie˛stwo [. . .] pyrrusowe“, Übersetzung d. Verf.). 775 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41 f. 776 In diese Richtung auch Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33). 777 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 778 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44 f.). 779 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (92). 780 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 152. 781 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 152 f. 782 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 523.
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In Bezug auf die Ausgestaltung der Arbeitnehmerpartizipation wird das PrivG 1990 als ein Kompromiss zwischen dem liberalen Ansatz und den von der Selbstverwaltungsbewegung vorgebrachten Projekten angesehen.783 So lassen sich die in dem PrivG 1990 vorgesehenen Regelungen in Bezug auf das Arbeitnehmeraktionärstum, die Errichtung von Arbeitnehmergesellschaften und die Einführung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat als Ersatz für die Selbstverwaltungsorgane auf Forderungen der Selbstverwaltungsbewegung zurückführen.784 Die Einführung der neuen Partizipationsform auf Ebene der Gesellschaftsorgane orientierte sich dabei anscheinend am Vorbild der deutschen Mitbestimmung.785 Ein im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens eingebrachter Minderheitsantrag, die Arbeitnehmerbeteiligung in Aufsichtsrat paritätisch auszugestalten, wurde jedoch abgelehnt.786 Der Vorschlag hatte vorgesehen, dass in Gesellschaften mit Mehrheitsbeteiligung des Staates die Arbeitnehmer das Recht haben sollten, die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder zu wählen, und dass im Fall einer Patt-Situation ein vom Aufsichtsrat mit einfacher Mehrheit gewählter Schiedsrichter entscheiden sollte. Auch von der Selbstverwaltungsbewegung vorgebrachte Konzepte zur Gründung von sog. staatlichen Arbeitnehmerunternehmen („przedsie˛biorstwa pan´stwowo-pracownicze“) und Gesellschaften mit strategisch bedeutsamer Aktionärsstellung der Arbeitnehmer konnten sich nicht durchsetzen.787 So konnte auf Grundlage des PrivG 1990 das von der Selbstverwaltungsbewegung geforderte sog. „Arbeitnehmerunternehmen“ im Grunde nur im Rahmen der Errichtung von Arbeitnehmergesellschaften entstehen.788 Letztlich überwog damit nach Einschätzung polnischer Autoren der liberale Ansatz, was sich insbesondere darin zeige, dass die den Arbeitnehmern eingeräumten Rechte, Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat wählen und Aktien zu vergünstigten Preisen beziehen zu kön-
783 So Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77. 784 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77; vgl. in Bezug auf die Regelungen zum privilegierten Aktienerwerb durch Arbeitnehmer auch Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26) sowie Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94). 785 So Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos ´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (113); vgl. aber auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 249, die darauf hinweist, dass das Konzept der Arbeitnehmervertretung in den Leitungsorganen auch schon in früheren polnischen Gesetzen zu finden war – so etwa in Art. 6 des Dekrets vom 6. Februar 1945 (hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.2.a)) sowie in Art. 17 Abs. 2 Gesetzes vom 10. Juli 1985 über gemischte Unternehmen, Dz. U. 1985 Nr. 32 Pos. 142. 786 Vgl. Sejm-Drucks. Nr. 424 (X. Kadenz), S. 4 f. 787 Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26). 788 Ebenda.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
nen, doch eher beschränkte Berechtigungen darstellten, die zudem einen lediglich vorübergehenden Charakter hatten.789 Im Zuge der voranschreitenden Privatisierungsprozesse sank das Ansehen der Selbstverwaltungsorgane.790 Hatten sie in den 1980er Jahren noch eine „historische Rolle“ im Hinblick auf den im Jahre 1989 erfolgenden Umbruch wahrgenommen791, so sahen sie sich alsbald danach dem Vorwurf der Liberalen ausgesetzt, die Privatisierung zu erschweren oder gar zu blockieren792. So wurde das sich neu geformte Machtdreieck in Staatsunternehmen, bestehend aus der betrieblichen Gewerkschaftsorganisation, dem Belegschaftsrat und dem diesen beiden Institutionen unterliegendem Direktor, von liberalen Kreisen auch als „Bermuda-Dreieck“ („trójka˛t bermudzki“) bezeichnet, welches nicht nur Effektivität der Staatsunternehmen einschränke, sondern auch die Reformprozesse zu verhindern versuche.793 Damit ging eine durchaus aggressive Propaganda der unter dem Einfluss der Liberalen stehenden Medien einher.794 Während auch manche Stimmen in der polnischen Literatur darauf hindeuteten, dass die Belegschaftsräte sich im Zuge zunehmender negativer Effekte der Wirtschaftsreform immer häufiger gegen die Reformmaßnahmen auflehnten795, hoben andere Autoren die Unrichtigkeit dieser Anschuldigungen hervor796. In Wahrheit seien die Selbstverwaltungsorgane – mit einigen Ausnahmen – der Privatisierung gegenüber positiv
789 So Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 55 f. 790 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 791 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, 54 f. („[. . .] samorza˛dy załogi odegrały historyczna˛ role˛ w latach 80. [. . .]“, Übersetzung d. Verf.). 792 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, 54 f.; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77 f. 793 Vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (26); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78. Sogar die NSZZ „Solidarnos´c´ “ wurde als Teil des „Bermuda-Dreiecks“ von den neoliberal gestimmten Medien beschuldigt, die wirtschaftlichen Reformen zu blockieren, obwohl sie sich gerade zu Beginn sehr aktiv für die Privatisierung eingesetzt hatte, vgl. Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (28). 794 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33). 795 So Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 796 So Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (27); Pan´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33 f.); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78.
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eingestellt gewesen797 und hätten nur selten der Umwandlung von Staatsunternehmen im Wege gestanden798. Die durchwachsenen Erfahrungen und gefestigten Überzeugungen führten jedoch dazu, dass sich eine ablehnende Haltung nicht nur in Bezug auf die Arbeitnehmerselbstverwaltung, die als Widerstand gegen eine wirtschaftliche Unternehmensführung und notwendige Reformen angesehen wurde, sondern auch im Hinblick auf andere Formen der Arbeitnehmerpartizipation entwickelte.799 Im Laufe der in den 1990er Jahren voranschreitenden Privatisierung schrumpfte die Anzahl der Staatsunternehmen, für die die Gesetze vom 25. September 1981 weiterhin Geltung hatten. Die in den Staatsunternehmen noch bestehenden Belegschaftsräte verloren damit zunehmend an Bedeutung.800 c) Der Pakt über das Staatsunternehmen von 1993 und die Entstehung des Kommerzialisierungs- und Privatisierungsgesetzes von 1996 Die am 1. Januar 1990 eingeleitete Wirtschaftsreform stieß anfangs auf breiten Rückhalt in der Bevölkerung.801 Dieser nahm jedoch ab, als die Reformmaßnahmen negative Begleiterscheinungen wie eine wachsende Arbeitslosigkeit, unsichere Beschäftigungsverhältnisse sowie damit einhergehende Absenkung des Lohnniveaus und der Lebensbedingungen zu Tage trugen.802 Im Zuge dessen nahm auch die Unterstützung der betrieblichen Organisationen und der Basis der NSZZ „Solidarnos´c´ “ für die neoliberale Wirtschaftspolitik ab.803 Die Privatisierungsprozesse gerieten ins Stocken.804 Im Juni 1992 brach eine Streikwelle aus, von der – angesichts der vor allem die Belegschaften der großen Staatsunternehmen treffenden negativen Konsequenzen – in erster Linie die großen Staatsunternehmen erfasst waren.805
797 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 78; näher Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (27). 798 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (33 f.). 799 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (18). 800 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (7); Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40. 801 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229). 802 Näher Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229); Pan ´ków/ Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29). 803 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29). 804 Vgl. Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 55; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 332; Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 4. 805 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229).
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Die Regierung und die Führungsspitze der NSZZ „Solidarnos´c´ “ waren davon überzeugt, dass die schwierige Situation durch eine Fortsetzung der Transformationsprozesse überwunden werden konnte.806 Mit dem Ziel, die Privatisierungsprozesse zu beschleunigen und sich den Rückhalt der Bevölkerung für die Reformen zu sichern, trat die Regierung im Juli 1992 an die fünfzehn größten landesweiten Gewerkschaftsorganisationen und einige Arbeitgeberorganisationen mit dem Vorschlag heran, eine Vereinbarung in Bezug auf die künftigen Reformmaßnahmen zu treffen.807 Gegenstand der angestrebten Einigung sollte eine Vereinbarung von Eckpunkten in Bezug auf die für die Staatsunternehmen und ihre Belegschaften wesentlichen Fragen der Privatisierungs- und Restrukturierungsprozesse sowie sozialer Angelegenheiten sein.808 Die Gespräche, welche von der Regierung und den Arbeitgebervertretern getrennt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “ und den übrigen Gewerkschaften geführt werden mussten809, begannen am 6. Oktober 1992 und führten nach langen Verhandlungen schließlich am 22. Februar 1993 zur Unterzeichnung des „Paktes über das Staatsunternehmen in der Umstrukturierung“ („pakt o przedsie˛biorstwie pan´s´twowym w trakcie przekształcania“) (im Folgenden: „Pakt“) in Form von drei separaten, wenngleich nahezu identischen Dokumenten.810 Die Vereinbarungen des Paktes unterteilten sich in drei Teilbereiche. Der erste Teil umfasste Vereinbarungen in Bezug auf die Privatisierungsprozesse und -instrumente, der zweite Teil war den Staatunternehmen und ihrer Finanzierung gewidmet und der dritte Teil bezog sich auf soziale bzw. die Arbeitnehmer betreffende Angelegenheiten. Der Pakt enthielt zahlreiche Zugeständnisse seitens der Regierung, die sich hierdurch den Rückhalt der Gewerkschaften für die Fortset-
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Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 332. Näher Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 332; vgl. auch Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 55 f.; Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 4. Mangels gesetzlicher Repräsentativitätskriterien wurde der Verhandlungsvorschlag an die 15 größten landesweiten Gewerkschaftsorganisationen gerichtet, u. a. die NSZZ „Solidarnos´c´ “ und die OPZZ. Von der Arbeitgeberseite wurden die „Konföderation der polnischen Arbeitgeber“, die Landwirtschaftskammer, der „Zentrale Genossenschaftsrat“ sowie in beratender Funktion der „Business Center Club“ eingeladen, Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230). 808 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230). 809 Ausführlich zum Ablauf der Gespräche Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230). Die NSZZ „Solidarnos´c´ “ weigerte sich entschieden gegen gemeinsame Verhandlungen mit anderen Gewerkschaften, vor allem der OPZZ. 810 Vgl. Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29); Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (230 f.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 334 m.w. N. Am Ende wurden die Pakte zwischen der Regierung, der Konföderation der Polnischen Arbeitgeber und der NSZZ „Solidarnos´c´ “, der OPZZ und einer Gruppe von sieben weiteren Gewerkschaften unterzeichnet. 807
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zung der Privatisierungsprozesse sichern wollte.811 Im Rahmen der sozialen Angelegenheiten (auch bezeichnet als Arbeitnehmerangelegenheiten) verpflichtete sich die Regierung zu grundlegenden Änderungen des Arbeitsrechts in Bezug auf das Tarifvertragsrecht, Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit, Schutz der Arbeitnehmerforderungen im Fall der Arbeitgeberinsolvenz und den betrieblichen Sozialfond.812 Die im Pakt von 1993 getroffenen sozialen Vereinbarungen fangen ihren Niederschlag in zahlreichen Gesetzen, die eine grundlegende Reform des Arbeitsrechts bewirken sollten.813 Ferner ebnete der unterzeichnete Pakt den Weg für die Entstehung einer neuen Form des dreiseitigen Dialogs.814 Obwohl sie noch das gemeinsame Verhandeln abgelehnt hatte, stimmte auch die NSZZ „Solidarnos´c´ “ der Einberufung der sog. „Triparitätischen Kommission für Sozialund Wirtschaftsangelegenheiten“ („Trójstronna Komisja do Spraw SpołecznoGospodarczych“) (nachfolgend: „Triparitätische Kommission“) zu, die sich aus Vertretern der Regierung, der Arbeitgeberseite und Vertretern verschiedener Gewerkschaften zusammensetzen sollte.815 Die praktische Umsetzung der Vereinbarung über eine Triparitätische Kommission erfolgte sehr zügig – bereits im Februar 1994 wurde diese zum ersten Mal einberufen, ihre gesetzliche Fixierung folgte im Jahr 1995.816 Auch für die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen war der Pakt von 1993 von wegweisender Bedeutung.817 Die maßgeblichen Vereinbarungen in diesem Zusammenhang wurden im Abschnitt betreffend die Privatisierungsprozesse verankert. Die Erweiterung der Mitspracherechte der Arbeitnehmer bei der Privatisierung ihrer Staatsunternehmen war ein wesentliches Ziel des Paktes.818 Entsprechend sahen die Vereinbarungen unter anderem 811 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (95); vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 336. 812 Näher hierzu Goz ´dziewicz, Propozycje w ramach rza˛dowego projektu „Paktu o przedsie˛biorstwie pan´stwowym“, PiZS 12/1992, S. 1 (1 ff.); Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, RPEiS 2/1993, S. 1 (13 ff.); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 334 ff. 813 Näher hierzu Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (231). 814 Vgl. Ba˛czkowski, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2); Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (229, 231). 815 Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (231). 816 Vgl. Mouranche, Dos ´wiadczenia trójstronnos´ci, S. 63; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 337. 817 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57. 818 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, Präambel S. 3; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 7; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, Präambel S. 3; vgl. auch Goz´dziewicz, Propozycje w ramach rza˛dowego projektu „Paktu o przedsie˛biorstwie pan´stwowym“, PiZS 12/
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
das Recht der Belegschaft vor, dem zuständigen staatlichen Gründerorgan ein Konzept für die durchzuführende Privatisierung vorzulegen, welches die bevorzugte Privatisierungsmethode umfassen sollte.819 Darüber hinaus sollten die Arbeitnehmer der privatisierten Unternehmen 10 % der Aktien unentgeltlich und 10 % der Aktien vergünstigt erwerben dürfen, während ihnen gemäß Art. 24 des PrivG 1990 nur das Recht zum Erwerb von bis zu 20 % zum halben Preis des Nominalwertes zustand.820 Schließlich sollte die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung garantiert werden, indem die Belegschaften das Recht erhalten sollten, ihre Vertreter in den Aufsichtsrat und ein Vorstandsmitglied wählen zu dürfen.821 Im Hinblick auf die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sowie die erforderliche Mitarbeiterschwelle für das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds waren die Positionen der Regierung, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberseite umstritten. Während mit der OPZZ und den übrigen Gewerkschaften schließlich eine Einigung gelang, war eine solche mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “ zum Schluss nicht möglich, sodass die Differenzen unter dem Punkt „Gegensätzliche Positionen“ („rozbiez˙nos´ci“) im Pakt festgehalten wurden.822 Mit den anderen Gewerkschaften einigte sich die Regierung auf die Regelung, dass den Arbeitnehmern „vor Zurverfügungstellung von Aktien“ („przed udoste˛pnieniem akcji“) das Recht zur Wahl von 1/3 der Aufsichtsratsmitglieder sowie bei Unternehmen mit mehr als 2.500 Mitarbeitern das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds zustehen sollte.823 „Nach Privatisierung“ („po 1992, S. 1 (2); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 336; Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 7. 819 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 7; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3; vgl. hierzu auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 336. 820 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9 f.; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3. 821 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3, und Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 („Zagwarantowany zostanie udział pracowników w zarza˛dzaniu spólkami, przez przyznanie im prawa wyboru swoich przedstawicieli do rady nadzorczej oraz wyboru członka zarza˛du [. . .].“); vgl. auch Pakt mit OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9, der ebenfalls von einer Beteiligung an der Unternehmensführung spricht („Przyje˛to naste˛puja˛ce zasady uczestnictwa pracowników w zarza˛dzaniu spółkami: [. . .]“). 822 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5. 823 Vgl. den Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos ´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9 sowie den Pakt mit den übrigen Gewerkschaften,
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sprywatyzowaniu“) sollte die Zahl der Arbeitnehmervertreter von der Größe des Aufsichtsrats abhängen: Bei einem Aufsichtsrat mit 5 bis 10 Mitgliedern sollten die Arbeitnehmer einen, bei 11 bis 15 Mitgliedern zwei und bei mehr als 16 Mitgliedern im Aufsichtsrat drei Vertreter sowie ein Vorstandsmitglied in Unternehmen mit mehr als 2.500 Mitarbeitern wählen dürfen.824 Eine betriebliche Mitbestimmung wurde in den Vereinbarungen nicht vorgesehen und soweit ersichtlich auch nicht thematisiert, jedenfalls wurden im Pakt keine derartigen Forderungen der Gewerkschaften festgehalten.825 Das früher geforderte Konzept der Arbeitnehmerselbstverwaltung war mittlerweile gänzlich aufgegeben worden.826 Die Vereinbarungen im Pakt in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen wurden in der polnischen Literatur im Hinblick auf die Begrifflichkeiten „vor Zurverfügungstellung von Aktien“ und „nach Privatisierung“ und damit den zeitlichen Geltungsbereich unterschiedlich ausgelegt, was ihren wenig eindeutigen Charakter zeigt. Während einige Autoren827 „vor Zurverfügungstellung von Aktien“ als das Stadium bis zu vollständigen Privatisierung des Unternehmens und „nach Privatisierung“ als die Zeit ab Veräußerung aller
in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 f. Dagegen forderte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ einen Vertreter bei einem Aufsichtsrat mit fünf bis sieben Mitgliedern, zwei Vertreter bei acht bis zwölf Mitgliedern sowie drei Vertreter in Aufsichtsräten mit mehr als dreizehn Mitgliedern, ferner das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds bei Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern. Die Arbeitgeberseite und Regierung wollten nur einen Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten mit fünf bis zehn Mitgliedern und zwei Vertreter ab einer Aufsichtsratsgröße von elf und mehr Mitglieder akzeptieren. Die Regierung wollte ferner den Arbeitnehmern einen dritten Vertreter bei mehr als sechszehn Mitgliedern im Aufsichtsrat zugestehen. Ein Vorstandsmitglied sollte in Unternehmen mit mehr als 2.500 Mitarbeitern von den Arbeitnehmern gewählt werden dürfen, vgl. zu diesen gegensätzlichen Positionen den Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5. 824 Vgl. den Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos ´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9 sowie den Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 f. Die Arbeitgeberseite wollte nur einen Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten mit 5 bis 10 Mitgliedern und zwei Vertreter ab einer Aufsichtsratsgröße von 11 und mehr Mitglieder akzeptieren. Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f.; Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, RPEiS 2/ 1993, S. 1 (14); Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 8. 825 Kritisch zur fehlenden Regelung über eine betriebliche Mitbestimmung etwa Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19). 826 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 338 f. 827 So Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, S. 8; ders., Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19); ebenso Mouranche, Dos´wiadczenia trójstronnos´ci, S. 62.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Staatsanteile ansahen, gingen andere Autoren828 davon aus, dass im Pakt unterschieden wurde zwischen solchen Unternehmen, in denen der Staat Alleinaktionär war, und solchen, deren Privatisierung, d.h. Veräußerung von Anteilen an Dritte, bereits begonnen hatte. Entsprechend gespalten war die Bewertung des Paktes. Wratny829 sah darin „den ersten Schritt“ in Richtung einer „systematischen“ Konzeption der Arbeitnehmerpartizipation, wie diese etwa in Deutschland anzutreffen sei. Dagegen kritisierte Ra˛czka830 die beabsichtigten Änderungen bei der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat dafür, dass die Vereinbarungen im Pakt eine Verschlechterung gegenüber den bestehenden gesetzlichen Regelungen im Privatisierungsgesetz von 1990 darstellten. Die angedachte Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die im Vergleich zur 1/3-Beteiligung nach dem Privatisierungsgesetz von 1990 geringer ausfiel, würde zu einer „Marginalisierung der Arbeitnehmerpartizipation“ führen.831 Gleichsam kritisierte Ra˛czka832, dass die Vereinbarungen im Pakt keine Regelung zur drittelparitätischen Vertretung im Aufsichtsrat in allen privatisierten, ehemaligen Staatsunternehmen, unabhängig von einer verbleibenden Kapitalbeteiligung des Staates, vorsehen würde. Die beabsichtigten Regelungen zur Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat würden ferner insgesamt von dem in anderen europäischen, auf Marktwirtschaft beruhenden Ländern geltenden Mitbestimmungsstandard, so etwa der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Norwegen und Dänemark, abweichen.833 Schließlich wurde generell bemängelt, dass der Pakt nicht die Beibehaltung der Belegschaftsräte als einem autonomen und außerhalb der Unternehmensverfassung stehenden Vertretungsorgan der Arbeitnehmer vorsah.834 828 So Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, RPEiS 2/1993, S. 1 (14); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162. 829 Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19) („Pewien skromny krok naprzód w kierunku nadania partycypacji pracowniczej w przedsie˛biorstwie prywatyzowanym charakteru bardziej systemowego [. . .]“, Übersetzung d. Verf.). 830 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f. 831 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f. („doprowadzi do marginalizacji partycypacji pracowniczej [. . .]“, Übersetzung d. Verf.). Denn während das PrivG 1990 eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmervertreter solange gewährleistet hatte, wie der Staat mehr als die Hälfte der Anteile hielt (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990), würde die Drittelbeteiligung nunmehr nur „bis zur Zurverfügungstellung von Anteilen“ gewährleistet sein – nach dem Verständnis von Ra˛czka mithin lediglich bis zur Einleitung des Privatisierungsprozesses. Danach belaufe sich die Beteiligung der Arbeitnehmer auf einen bis drei Vertreter je nach Größe des Aufsichtsrats, womit die Beteiligung zwischen 10 % und 20 % schwanken würde. 832 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 163. 833 Ebenda. 834 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; ebenfalls Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19 f.). Dies wurde auch schon vor der Unterzeichnung des Paktes von der polnischen
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Die Frage nach der richtigen Ausgestaltung der Arbeitnehmerpartizipation in einer Kapitalgesellschaft beschäftigte in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zahlreiche Autoren der polnischen Rechtswissenschaft. Diskutiert wurde die Verankerung der Partizipation in den Unternehmensorganen835 oder alternativ hierzu in einem separaten, außerhalb der Unternehmensverfassung stehenden Organ836 ebenso wie die Einführung beider Partizipationsformen837. Die rechtsvergleichende Betrachtung nahm für die Erarbeitung neuer Lösungen eine wichtige Rolle ein.838 Herangezogen wurden die in den westlichen Nachbarländern bestehenden Mitbestimmungsregelungen und die damit gemachten Erfahrungen wie auch Ansätze zur Arbeitnehmerpartizipation auf europäischer Ebene.839 Oft diente das deutsche Mitbestimmungsmodell als Referenz und Anhaltspunkt für mögliche Lösungen.840 Abweichend vom deutschen Modell der paritätischen Mitbestimmung wurde jedoch eine Minderheitsbeteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat weitestgehend akzeptiert und als sachgerecht empfunden.841 Auch wurde die im deutschen Recht vorgesehene Anwesenheit von nicht Literatur gefordert, vgl. etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72). 835 Vgl. hierzu etwa die Ausführungen bei Seweryn ´ski, in: Acta Universitatis Lodziensis, Problemy prawa pracy i polityki społecznej, S. 163 (163 ff.) sowie Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff. 836 Hierfür etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72 f.). 837 Hierfür etwa Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff., 164. 838 Vgl. die rechtsvergleichende Untersuchung bei Seweryn ´ski, in: Acta Universitatis Lodziensis, Problemy prawa pracy i polityki społecznej, S. 163 (163 ff.) sowie bei Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/ 1994, S. 11 (11 ff.); ferner Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff.; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (179); vgl. hierzu auch Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (94). 839 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff. sowie S. 168; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (179); Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 840 So etwa ausführlich Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 161 ff., der die in Deutschland geltende Regelungen im Montan-MitbestG, im MitbestG von 1976 sowie der betrieblichen Mitbestimmung nach dem BetrVG 1952 für seine Vorschläge heranzieht; ebenso Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (11 ff., 20), der im deutschen Recht Vorbilder für mögliche Lösungen sieht; vgl. auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 105 m.w. N., der darauf hinweist, dass die deutsche Mitbestimmung in der polnischen Literatur schon seit den 1980er Jahren Gegenstand zahlreicher Darstellungen war. 841 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f., 165; ebenso wohl Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (180), der darauf hinweist, dass eine Drittelbeteiligung dem europäischen Standard entspräche; weitergehend allerdings Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/ 1994, S. 11 (20), der für Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung sowie Mehrheitsbe-
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertretern im Grundsatz begrüßt, dabei jedoch die zwingende gesetzliche Quote abgelehnt und statt dessen die Einführung einer vom Willen der Belegschaft abhängigen, zahlenmäßig jedoch gedeckelten Möglichkeit der Wahl von externen Arbeitnehmervertretern postuliert.842 Andere Autoren betrachteten die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat dagegen als rein symbolisch und ungeeignet, eine wirkungsvolle Arbeitnehmerpartizipation sicherzustellen.843 Vielfach wurde von Politikern, Wissenschaftlern und Arbeitnehmern befürwortet, die Arbeitnehmerpartizipation durch die Schaffung eines separaten Arbeitnehmervertretungsorgans – an Stelle der alten Belegschaftsräte – sicherzustellen.844 Betont wurde jedoch, dass diese neue Partizipationsform den neuen Gegebenheiten angepasst werden müsste und ihre Kompetenzen nicht derart weitgehend sein dürften wie die der Selbstverwaltungsorgane.845 Hingewiesen wurde auch darauf, dass die neuen Belegschaftsräte eine andere Rolle und Funktion als die deutschen Betriebsräte einnehmen müssten, was dem unterschiedlichen Modell der gewerkschaftlichen Kompetenzen in beiden Ländern geschuldet sei.846 Die in den Staatsunternehmen bestehende Institution der Arbeitnehmerversammlung wurde demgegenüber als wirkungslos erachtet und eine vergleichbare Institution in der Kapitalgesellschaft abgelehnt.847 Die gesetzgeberische Umsetzung der Vereinbarungen aus dem Pakt im Hinblick auf eine Neuregelung des Privatisierungsgesetzes wurde durch den Regierungswechsel im Herbst 1993 unterbrochen.848 Aufgrund der in die Länge gezogenen Verhandlungen wurde der Pakt zu einem Zeitpunkt unterzeichnet, als der gesellschaftliche Rückhalt für die Privatisierung bereits deutlich abgesunken war, was im Herbst 1993 zum Wahlerfolg der als „Postkommunisten“ bezeichneten
teiligung des Staates sogar eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat vorschlug, in sonstigen Gesellschaften hingegen auch eine Drittelbeteiligung empfahl. 842 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 163. 843 So etwa Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (113). 844 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (45); so etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70, 72 f.; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164; ebenso wohl auch Kulpin´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (113 f.). 845 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (45); ausführlich Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164 ff. 846 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 165 f.; näher hierzu unten Kapitel 5. 847 Hierfür Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 164. 848 Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 56 f.; Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29).
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SLD („Sojusz Lewicy Demokratycznej“ 849) führte, die eine sozialverträglichere Gestaltung der Transformationsprozesse versprachen.850 Eine gesetzgeberische Neuregelung des Privatisierungsgesetzes kam dadurch erst im Jahre 1996 zustande.851 Änderungen an dem bestehenden Privatisierungsgesetz erwiesen sich als wenig zielführend, sodass mit der Erarbeitung eines neuen Privatisierungsgesetzes begonnen wurde.852 Am 21. Juli 1995 wurde vom Sejm ein neues Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen beschlossen.853 Diesem verweigerte jedoch zunächst der Präsident seine Zustimmung, nachfolgend erklärte auch das Polnische Verfassungsgericht einige Bestimmungen des Gesetzes für nicht verfassungsgemäß.854 Die vom Verfassungsgericht vorgebrachten Mängel wurden im neuen Gesetzesprojekt entsprechend berücksichtigt.855 Am 30. September 1996 wurde das Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen856 beschlossen, welches mit zwischenzeitlichen Änderungen bis heute gilt und seit dem 1. Januar 2017 die Bezeichnung „Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Rechte der Arbeitnehmer“ trägt857 (nachfolgend: „KommerzG“). Es trat zum 8. April 1997 in Kraft und löste seitdem das PrivG 1990 ab. Die Entstehungsgeschichte des KommerzG geht zwar maßgeblich auf den am 22. Februar 1993 unterzeichnete „Pakt über das Staatsunternehmen in der Umstrukturierung“ zurück.858 Jedoch weichen die letztlich verabschiedeten Regelungen im Privatisierungsgesetz hinsichtlich der 849 In der deutschen Literatur übersetzt als „Allianz Demokratische Linke“, Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 340. 850 Pan ´ków/Ga˛ciarz, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 21 (29). 851 Näher zu den Problemen im Gesetzgebungsprozess vgl. die Ausführungen in der Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 2 f. sowie bei Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 852 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 853 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 2 f.; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 854 Vgl. Urteil des Verfassungsgerichts vom 22. November 1995; Az.: K. 19/95; Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 3; hierzu auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. 855 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12. Parallel zu den Arbeiten am neuen Gesetzesentwurf wurde auch das bestehende Privatisierungsgesetz von 1990 nochmal überarbeitet. Aufgrund der Novelle vom 8. August 1996 galt das PrivG 1990 in überarbeiteter Fassung bis zum 7. April 1997 fort, Katner, a. a. O. 856 Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen vom 30. September 1996, Dz. U. 1996 Nr. 118 Pos. 561 (urspr. Fassung). 857 „Ustawa o komercjalizacji i niektórych uprawnieniach pracowników“, Übersetzung d. Verf.; vgl. Art. 14 Pkt. 1 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 858 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57; ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 79.
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Arbeitnehmerberechtigungen von den Konzepten des Paktes deutlich zu Gunsten der Arbeitnehmer ab. So sah das neue Gesetz zum einen das Recht der Arbeitnehmer vor, bis zu 15 % der dem Staat gehörenden Anteile an der kommerzialisierten Gesellschaft unentgeltlich zu erwerben (vgl. Art. 36 KommerzG). Die im PrivG 1990 den Belegschaften gewährte Berechtigung, bis zu 20 % der Aktien zum halben Nominalwert erwerben zu können, hatte sich in vielen Fällen – insbesondere im Falle von Unternehmen mit schwacher Finanzlage – als zu teuer und zu sehr risikobehaftet erwiesen, womit das Gesetz den Arbeitnehmern zu wenige Anreize zum Erwerb von Anteilen am eigenen Unternehmen geboten hatte.859 Die Neuerung sollte dazu beitragen, die Akzeptanz der Arbeitnehmer für die Privatisierungsprozesse zu erhöhen.860 Auf diese in der Gesetzesbegründung vorzufindende Zielsetzung ist auch die gesetzliche Verankerung der im Vergleich zum Privatisierungsgesetz von 1990 und den Vereinbarungen im Pakt von 1993 deutlich stärkeren Ausprägung der Arbeitnehmerpartizipation zurückzuführen: So wurde nicht nur die vorgeschriebene Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erhöht, auch erhielten die Arbeitnehmer in Unternehmen mit bereits mehr als 500 Mitarbeitern das Recht, ein Vorstandsmitglied wählen.861 Insgesamt erhielt das neue Gesetz im Vergleich zum PrivG 1990 deutlich ausführlichere Regelungen. Auch erlaubte das KommerzG die Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Kapitalgesellschaft (die sog. „Kommerzialisierung“) sowohl zum Zwecke der späteren Privatisierung als auch zu einem anderen Zweck, insbesondere der Restrukturierung (vgl. Art. 3 Abs. 2 KommerzG urspr. Fassung).862 Das Privatisierungsgesetz von 1990 hatte die Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Kapitalgesellschaft ausschließlich als Übergangsstadium der Privatisierung angesehen, nach der alsbald die Anteile bzw. Aktien an Dritte verkauft werden mussten, das Unternehmen also privatisiert werden musste.863 Durch die gesetzliche Neuregelung wurde der Privatisierungsprozess entschleunigt und die Restrukturierung der Staatsunternehmen vor ihrer Privatisierung rückte stärker in den Vordergrund.864 Verworfen wurde das Konzept, eine 859
Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 10. Vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 1 f.; hierzu auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12 f. Näher zu den Zielen der Arbeitnehmerbeteiligung unten Kapitel 3, A.II.2. 861 Ausführlich hierzu Kapitel 3. Zur Gegenüberstellung des KommerzG und des PrivG 1990 vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 79; Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51. 862 Vgl. die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 3 f.; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12 f. 863 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9 f. 864 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 340. 860
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allgemeine Kommerzialisierung aller Staatsunternehmen durchzuführen.865 Stattdessen wurden einige Unternehmen, etwa solche in Liquidation oder Insolvenz, ausdrücklich von der Möglichkeit der Kommerzialisierung ausgenommen. d) Entwicklung kollektivarbeitsrechtlicher Regelungen und des sozialen Dialogs Im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Transformation Polens entstand ein neues Arbeitsrechtssystem, allmählich entwickelten sich neue Instrumente der kollektiven Arbeitsbeziehungen und ein auf Partnerschaft und Dreiseitigkeit beruhender sozialer Dialog.866 Im Hinblick auf den angestrebten Beitritt Polens zur Europäischen Union war dabei auch die Anpassung des polnischen Arbeitsrechts an die europäischen Vorgaben von wesentlicher Bedeutung.867 Nicht zuletzt auch aufgrund der vor dem Zweiten Weltkrieg bestehenden Verknüpfungen mit dem deutschen Recht wurde der Aufbau neuer gesetzlichen Regelungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts maßgeblich von westlichen Leitbildern beeinflusst.868 Nach dem Umbruch von 1989 waren angesichts der mit der Wirtschaftstransformation einhergehenden Rationalisierungsmaßnahmen und der Beschäftigungspolitik in den ersten Jahren neben dem Kündigungsrecht zunächst vor allem auch Fragen des Sozialrechts, insbesondere hinsichtlich der Arbeitslosenleistungen, von besonderer Bedeutung.869 Doch musste darüber hinaus sowohl das individuelle als auch kollektive Arbeitsrecht an die neuen wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Im sozialistischen System hatte der Staat die Arbeitgeberrolle eingenommen, es galt der Grundsatz der Konfliktlosigkeit.870 Die Arbeitsbedingungen waren stark reguliert und die Verhand-
865 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 9; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 13. 866 Ba˛czkowski, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (1). 867 Ebenda. 868 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 50 m.w. N. 869 Als eins der ersten Gesetze wurde das Beschäftigungsgesetz erlassen, welches den Arbeitslosen 12 Monate lang den Bezug von staatlichen Unterstützungsleistungen gewährte, vgl. Kulpin´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (109); ausführlich zur Beschäftigungspolitik und den in diesem Zusammenhang erlassenen Gesetzen vgl. Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (19 ff.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (14). 870 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Seweryn ´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 49, 137, 421. Ausführlich zur Arbeitgeberrolle des Staates vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 63 ff.; vgl. hierzu auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (89 f.).
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lungsmöglichkeiten dementsprechend begrenzt.871 Bereits 1989 wurden erste Änderungen an dem geltenden Arbeitsgesetzbuch vom 26. Juni 1974872 vorgenommen.873 Zur Vorbereitung einer grundlegenden Reform des polnischen Arbeitsrechts zwecks seiner Anpassung an die neue Staats- und Wirtschaftsordnung wurde 1990 eine Kommission ins Leben gerufen, die eine umfassende Novelle des Arbeitsgesetzbuches erarbeiten sollte.874 Neben der Anpassung des individuellen Arbeitsrechts mussten auch neue gesetzliche Grundlagen für die Gewerkschaftstätigkeit und im weiteren Sinne auch die kollektiven Arbeitsbeziehungen geschaffen werden.875 Die sich im Laufe der 1980er Jahre herausgebildete authentische Gewerkschaftsbewegung fußte nach dem Umbruch von 1989/1990 zunächst weiterhin auf dem 1982 verabschiedeten Gewerkschaftsgesetz – welches auf Grundlage der Vereinbarungen des Runden Tisches angepasst wurde876 – und den von Polen ratifizierten ILO-Konventionen.877 Vor dem Hintergrund des sozialistischen Systems, in dem der Staat faktisch die Arbeitgeberrolle eingenommen hatte, existierten vor 1989 keine Arbeitgeberorganisationen und dementsprechend auch keine rechtlichen Grundlagen für ihre Tätigkeit.878 Sowohl innerhalb der NSZZ „Solidarnos´c´ “ als auch im Senat wurden Konzepte für ein neues Gewerkschaftsgesetz erarbeitet.879 Neben einer weitgefassten Garantie der Koalitionsfreiheit und einem Vorschlag zur Definition des Reprä871 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (26); vgl. auch Gładoch, Dialog społeczny, S. 58 f. 872 Arbeitsgesetzbuch vom 26. Juni 1974, Dz. U. 1974 Nr. 24 Pos. 141. 873 So wurde etwa das Koalitionsrecht ausdrücklich in Art. 19 § 1 ArbGB normiert, vgl. Art. 1 Abs. 1 Änderungsgesetz vom 7. April 1989, Dz. U. 1989 Nr. 20 Pos. 107; vgl. Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24), der allerdings betont, dass die ersten Änderungen einen lediglich „kosmetischen Charakter“ („charakter kosmetyczny“, Übersetzung d. Verf.) hatten. 874 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24). 875 Vgl. Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Vor Art. 1 GewG. 876 Entsprechend den Vereinbarungen des Runden Tisches wurde etwa die Koalitionsfreiheit im Gewerkschaftsgesetz von 1982 verankert, vgl. Art. 1 Pkt. 1 Änderungsgesetz vom 7. April 1989, Dz. U. 1989 Nr. 20 Pos. 105; vgl. auch Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 285. 877 Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Vor Art. 1 GewG. 878 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (32); Gładoch, Dialog społeczny, S. 60. Die vereinzelten Wirtschaftsvereine, die von privaten Arbeitgebern in den 1980er Jahren errichtet wurden, gründeten erst nach den Vereinbarungen des Runden Tischen im November 1989 die „Konföderation der Arbeitgeber“ als erste Arbeitgeberorganisation in der Geschichte der polnischen Nachkriegszeit, Gładoch, Dialog społeczny, S. 60. Ausführlich zur Situation der polnischen Arbeitgeber zu Zeiten des realen Sozialismus vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 56 ff.; zur Entwicklung von Arbeitgeberorganisationen in Polen auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (79 ff.). 879 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 296; Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 67.
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sentativitätskriteriums, welches angesichts des starken gewerkschaftlichen Pluralismus notwendig war, strebte die NSZZ „Solidarnos´c´ “ im vorgelegten Gesetzesentwurf auch entsprechend ihrem Selbstverständnis an, die „Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen“ gesetzlich als ausschließliche Funktion der Gewerkschaften zu definieren.880 Allein für die Organisation der Wahlen der Arbeitnehmervertreter in das Leitungsorgan der Gesellschaft sollten die Gewerkschaften darüber hinaus zuständig sein.881 Damit wollte man sich ersichtlich von den ideologischen und sog. „produktionsbezogenen“ Funktionen, die den als „Transmissionsriemen“ 882 verstandenen Gewerkschaften zu Zeiten des realen Sozialismus zukamen, lossagen.883 Nach langen, kontroversen Arbeiten und umfassenden Korrekturen an der vorgelegten Gesetzesentwürfen884 wurden schließlich am 23. Mai 1991 drei Gesetze verabschiedet, die auch gegenwärtig noch die wesentlichen Pfeiler des polnischen kollektiven Arbeitsrechts bilden: das Gewerkschaftsgesetz885 (nachfolgend: „GewG“), das Arbeitgeberverbandsgesetz886 sowie das Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten887. Das gesetzgeberische Engagement der Gewerkschaften fand seinen unverkennbaren Niederschlag in der letztendlich erfolgten Ausgestaltung der Gesetze.888 Wesentlicher Inhalt des Gewerkschaftsgesetzes von 1991 war die Verankerung der Koalitionsfreiheit (vgl. Art. 2 GewG) sowie die Anerkennung der Gewerkschaften als einer „freiwilligen und selbstverwaltenden Organisation der arbeitenden Menschen, die zur Vertretung und Verteidigung ihrer Rechte sowie ihrer beruflichen und sozialen Interessen berufen ist“ (vgl. Art. 1 Abs. 1 GewG).889 In Abkehr vom kommunistischen Ge880 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 297; Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 67 f.; ders., Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 66. 881 Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 67 f. 882 Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41. 883 Mit der sog. „produktionsbezogenen“ Funktion gemeint ist die Aufgabe der als „Transmissionsriemen“ fungierenden Gewerkschaften, für die Mobilisierung der Belegschaften bei der Realisierung der Planvorgaben zu sorgen und so entsprechend Art. 85 der Polnischen Verfasung von 1976 einen Beitrag zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu leisten; näher zur Rolle der Gewerkschaften während des sozialistischen Systems Gładoch, Dialog społeczny, S. 59; Wratny, Zwia˛zki zawodowe w prawodawstwie polskim w latach 1980–1991, S. 8 ff. 884 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 296 ff. 885 Gewerkschaftsgesetz vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 234. 886 Arbeitgeberverbandsgesetz vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 235. 887 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 888 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 325 f. 889 Art. 1 Abs. 1 GewG: „Zwia˛zek zawodowy jest dobrowolna˛ i samorza˛dna˛ organizacja˛ ludzi pracy, powołana˛ do reprezentowania i obrony ich praw, interesów zawodowych i socjalnych.“ Übersetzung d. Verf.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
werkschaftsverständnis wurden ideologische und produktionsbezogene Funktionen abgeschafft, stattdessen sollten die Gewerkschaften entsprechend der Normierung in Art. 1 Abs. 1 GewG wieder vorrangig die traditionelle Schutzfunktion ausfüllen.890 Im Rahmen kollektiver Angelegenheiten wurde den Gewerkschaften das Recht zur Vertretung aller Arbeitnehmer – unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit (vgl. Art. 7 GewG) – sowie zur Verhandlung und zum Abschluss von Kollektivvereinbarungen nach Maßgabe besonderer Gesetze (vgl. Art. 21 GewG) eingeräumt. Mit der Gesetzesnovelle vom 29. September 1994891 wurde das Tarifvertragsrecht reformiert und als neues Kapitel XI des Arbeitsgesetzbuchs kodifiziert. Eine große Novelle des Arbeitsgesetzbuchs erfolgte im Jahre 1996.892 Sie diente der Anpassung der arbeitsrechtlichen Vorschriften an das neue demokratische System893 und sollte den Bedürfnissen der Privatwirtschaft sowie den Grundsätzen einer marktwirtschaftlichen Ordnung Rechnung tragen894. Auch sollte dadurch die eine Annäherung des polnischen Arbeitsrechts an die internationalen Anforderungen der ILO-Konventionen895, des Europarates und der Europäischen Union erfolgen.896 Als wesentlich wurde die Zurückdrängung der Rolle des Staates auf die Festlegung von unabdingbaren Mindeststandards und die Einführung einer weitgehenden Autonomie der Arbeitsvertragsparteien und der Sozialpartner im Zusammenhang mit der Regelung der Arbeitsbeziehungen erachtet, was letztlich seinen gesetzgeberischen Ausdruck in der Anerkennung von Tarifverträgen und sonstigen Kollektivvereinbarungen als Rechtsquellen des Arbeitsrechts fand (vgl. Art. 9 ArbGB).897 Zum anderen mussten auch jegliche sprachlichen und ideologischen Bezüge zum sozialistischen System entfernt werden.898 Die ar-
890 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (30); Gładoch, Dialog społeczny, S. 62. 891 Änderungsgesetz zum Arbeitsgesetzbuch vom 29. September 1994, Dz. U. 1994 Nr. 113 Pos. 547. 892 Änderungsgesetz zum Arbeitsgesetzbuch vom 2. Februar 1996, Dz. U. 1996 Nr. 24 Pos. 110. 893 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24 f.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (14 ff.). 894 Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Einl. Rn. 4. 895 Zwar hatte Polen die ILO-Konventionen Nr. 87 (Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts) und Nr. 98 (Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen) bereits 1956 ratifiziert, aufgrund der damaligen politischen Rahmenbedingungen ließ das polnische Recht jedoch lediglich die Gründung von Gewerkschaften innerhalb der offiziell anerkannten Gewerkschaftszentrale zu, was von der ILO auch beanstandet wurde, hierzu Florek, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 47 (49). 896 Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Einl. Rn. 4. 897 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (24 f.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (14 ff.). 898 Ebenda.
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beitsrechtlichen Neuerungen zeugten von der gesetzgeberischen Absicht, die rechtlichen Normen flexibler zu gestalten und den Arbeitgebern größere Spielräume bei organisatorischen, betrieblichen und entgeltbezogenen Angelegenheiten einzuräumen.899 Dabei wurde den Arbeitgeberinteressen insoweit Rechnung getragen, als sich dies mit der „die Arbeitnehmerinteressen schützenden Funktion des Arbeitsgesetzbuchs“ vereinbaren ließ.900 Gleichzeitig wurden im Zuge der Anpassung des Arbeitsrechts an die internationalen Standards der ILO eine Reihe von Vorschriften erlassen, die die Rechtsposition des Arbeitnehmers stärkten – so etwa im Hinblick auf angemessene Entlohnung, Gleichberechtigung, Diskriminierungsschutz, Urlaubsansprüche sowie Arbeitsschutz und -hygiene.901 Auch über die internationalen Standards hinaus wurden mehrere weitere Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer eingefügt.902 In den ersten Jahren der Transformationsphase zeichneten sich die kollektiven Arbeitsbeziehungen noch durch einen „Konfliktcharakter“ aus, verbunden mit einer großen Streikbereitschaft.903 Erst im Laufe der 1990er Jahre schritt die Entwicklung eines sozialen Dialogs voran.904 Der soziale Dialog wurde als wesentliches Element des neuen Arbeitsrechtssystems angesehen.905 Schon in den Jahren 1991–93 arbeitete eine mit Experten der ILO besetzte Gruppe an dem Projekt „Sozialer Dialog“, welches über das PHARE906-Programm finanziell unterstützt 899 So Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2). 900 So Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2) („uwzgle˛dniono interesy pracowdawców w zakresie, jaki sie˛ da pogodzic´ z ochronna˛ wobec pracowników funkcja˛ przepisów tego kodeksu“, Übersetzung d. Verf.); vgl. auch Seweryn´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (26). 901 Näher hierzu Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (27 f.); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12, 22 f.; vgl. auch Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Einl. Rn. 5; ausführlich zum Einfluss der ILO-Konventionen und Empfehlungen auf das polnische Arbeitsrecht Florek, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 47 (47 ff.). 902 Näher Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (29); ders., Nowelizacja kodeksu pracy, PiP 6/1996, S. 12 (23 f.). 903 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (112) („charakter konfliktowy“, Übersetzung d. Verf.). 904 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40; dies., Dialog społeczny, S. 63 f. 905 So etwa Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (1). 906 „Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies.“
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wurde.907 Gemeinhin werden vor allem die Verhandlung und der Abschluss von Tarifverträgen als Ausdruck des sozialen Dialogs verstanden.908 Von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung des sozialen Dialogs in Polen war ferner der am 22. Februar 1993 unterzeichnete Pakt und die darin beschlossene Errichtung der „Triparitätischen Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten“ („Trójstronna Komisja do Spraw Społeczno-Gospodarczych“).909 Diese Institution sollte der Entwicklung des Dialogs und der gegenseitigen Verständigung dienen und wurde als ein ständiges Forum für die Zusammenarbeit zwischen der Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bei Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik etabliert.910 Im Zusammenhang mit den Privatisierungsprozessen äußerte sich der soziale Dialog vor allem in sog. Sozialvereinbarungen, die auch als Sozialpakte oder – gerade aufgrund ihres sachlichen Kontextes – als Privatisierungsvereinbarungen bezeichnet wurden (nachfolgend: „Sozialvereinbarungen“).911 Eine wesentliche Rolle nahmen hierbei die Gewerkschaften ein. Bei den Sozialvereinbarungen handelte es sich um Vereinbarungen zwischen dem zukünftigen strategischen Investor, der die Aktien des kommerzialisierten ehemaligen Staatsunternehmens vom Staat erwerben wollte, und den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften.912 Sie ergänzten den Anteilskaufvertrag, der zwischen dem strategischen Investor und dem Staat in Bezug auf Aktien des kommerzialisierten Unternehmens geschlossen wurde.913 Rechtsgrundlage für den Abschluss der Sozialvereinbarungen durch die Gewerkschaften war die ihnen durch das Gewerkschaftsgesetz zugewiesene Funktion zur Vertretung und Verteidigung der Rechte sowie der beruflichen und sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung (Art. 1 Abs. 1 GewG) sowie zur Vertretung der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer (vgl. Art. 26
907 Sobótka, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 81 (90). 908 Vgl. Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (1 f.); Gładoch, Dialog społeczny, S. 29, 57 ff. 909 So auch z. B. Gładoch, Dialog społeczny, S. 63 f.; Sobótka, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 81 (88). 910 Ba˛czkowski (damaliger Unterstaatssekretär des Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik), in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 1 (2); näher zur Funktion und den Kompetenzen der Triparitätischen Kommission vgl. Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (232 ff.). Im Jahre 2015 wurde die Triparitätische Kommission vom Rat des Sozialen Dialogs abgelöst, vgl. Art. 89 des Gesetzes über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 911 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 22. 912 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 22. 913 Ebenda.
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Pkt. 2 GewG), später ging auch das KommerzG vom Abschluss derartiger Sozialvereinbarungen aus (vgl. Artt. 33 Abs. 2, 48 Abs. 2 Satz 2 KommerzG a. F.).914 Der Abschluss der Sozialvereinbarungen resultierte vor allem aus den vor dem Hintergrund der anstehenden Privatisierung und damit zusammenhängenden Rationalisierungsmaßnahmen bestehenden Ängsten der Belegschaften um ihren Arbeitsplatz und die Lohnpolitik.915 Die Sozialvereinbarungen sollten diese Sorgen abmildern, indem der strategische Investor darin verschiedene Zusicherungen machte und den Belegschaften bestimmte Rechte und Leistungen zu gewähren versprach.916 Die in den Sozialvereinbarungen getroffenen Regelungen betrafen daher insbesondere Arbeitsplatzgarantien, Grundzüge der Entlohnung und der Lohnsteigerungen, Sozialleistungen, Arbeitsschutz- und Hygienebestimmungen und die Zuteilung von Arbeitnehmeraktien.917 Den Arbeitnehmern wurden gesetzlich nicht garantierte Rechte zugesagt sowie zahlreiche gesetzliche Vorschriften präzisiert. Die Sozialvereinbarungen sorgten für sozialen Frieden in den Betrieben und ermöglichten eine reibungslose Durchführung der Privatisierung.918 Gleichzeitig nutzten sie aber vor allem auch den Gewerkschaften, da ihr Ansehen unter den Belegschaften wuchs.919 Auch die Rechte der Gewerkschaften sowie die auf Grundlage der Privatisierungsgesetze vorgeschriebene Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand wurden oftmals im Rahmen der Sozialvereinbarungen präzisiert oder ausgebaut.920 Die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung sowie der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer wurden an das jeweilige Unternehmen angepasst, konkretisiert oder zugunsten der Arbeitnehmer abgeändert.921 Dabei nutzten die Gewerkschaften oftmals ihre Rolle als Partei der Sozialvereinbarung 914 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70 f. 915 Vgl. Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 20 ff. 916 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 22. 917 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 29; vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 71; ausführlich zu den verschiedenen Regelungen Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 50 ff. 918 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 23. 919 Ebenda. 920 Näher hierzu unten Kapitel 3, A.I.2.c) sowie Kapitel 5, A.II.2.b). 921 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76; vgl. auch ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58, 71; zum Inhalt von Sozialvereinbarungen, die für einzelne Unternehmen abgeschlossen wurden, in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung siehe Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76 ff.; näher hierzu Kapitel 3, A.I.2.c).
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
und ließen sich im Zuge der näheren Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung verschiedene Rechte einräumen.922 Am 2. April 1997 wurde die neue Polnische Verfassung923 verabschiedet. In Art. 20 erklärte die Verfassung die soziale Marktwirtschaft, basierend auf „unternehmerischer Freiheit, Privateigentum, Solidarität und dem Dialog und der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern“, zur Grundlage der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung der Republik Polen.924 Abgesehen von der gesetzlich eingeführten Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG im Jahre 1996 und dem sich entwickelnden sozialen Dialog erfolgte längere Zeit keine weitere Entwicklung im Bereich der Arbeitnehmerpartizipation. Aus Sicht polnischer Autoren brachte das erste Jahrzehnt nach Beginn der wirtschaftlichen Transformationsprozesse keine Partizipationsform hervor, die der zuvor geltenden und langsam ihre Lebensgrundlage verlierenden Arbeitnehmerpartizipation in Gestalt der Selbstverwaltungen gleichkommen konnte.925 Das Thema Arbeitnehmerpartizipation war in den 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Polen generell „unpopulär“: Nicht nur bei den Arbeitgebern stieß es auf breite Ablehnung, auch in Regierungs- und Gewerkschaftskreisen fand es wenig Zuspruch.926 Die im Laufe der 1990er Jahre abnehmenden Diskussionen und Publikationen zum Thema Arbeitnehmerpartizipation zeugten von einem allgemein immer schwächer werdenden Interesse.927 Sicherlich hatte auch die gewachsene Überzeugung, die Selbstverwaltungen hätten wichtige Reformen in den Unternehmen verhindern wollen, ihre Spuren auf der Zurückhaltung gegenüber sonstigen Formen der Arbeitnehmerpartizipation hinterlassen.928 Die tieferen Ursachen hierfür werden jedoch auf Seiten der Arbeitgeber und der Regierung vor allem in früheren Erfahrungen und der allgemeinen Abneigung gegenüber dem überwundenen sozialistischen System gesehen, mit welchem die Arbeitnehmerpartizipation assoziiert wurde.929 In der pol922
Näher hierzu unten Kapitel 3, A.I.2.c) und Kapitel 5, A.II.2.b). Polnische Verfassung vom 2. April 1997, Dz. U. 1997 Nr. 78 Pos. 483. 924 Art. 20 der Polnischen Verfassung: „Społeczna gospodarka rynkowa oparta na wolnos´ci działalnos´ci gospodarczej, własnos´ci prywatnej oraz solidarnos´ci, dialogu i współpracy partnerów społecznych stanowi podstawe˛ ustroju gospodarczego Rzeczypospolitej Polskiej.“, Übersetzung d. Verf. 925 So etwa Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7); in dieselbe Richtung auch Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41 f. 926 Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5) („[. . .] jest to problematyka w Polsce niepopularna“, Übersetzung d. Verf.). 927 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (7). 928 Vgl. Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (18). 929 So Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5). 923
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nischen Literatur wird darauf hingewiesen, dass insbesondere die Arbeitgeber mithilfe ihrer Zusammenarbeit in Arbeitgeberverbänden jegliche Initiativen zur Erweiterung der Arbeitnehmerpartizipation zu verhindern versucht hätten, da sie in diesen die Rückkehr zum alten System befürchteten.930 Die Arbeitnehmerbeteiligung hätten sie mit einer einseitigen Anspruchshaltung der Arbeitnehmer assoziiert, die aus ihrer Sicht in Verbindung mit der arbeitnehmerfreundlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung eine „existentielle Bedrohung“ darstellte.931 Die Gewerkschaften hingegen sahen andere Formen von Arbeitnehmerpartizipation als Konkurrenz, durch die sie sich in ihrer Monopolstellung bedroht fühlten.932 Neue Entwicklungen im Bereich der Arbeitnehmerpartizipation zeichneten sich erst Anfang des neuen Jahrtausends ab, was offensichtlich mit dem Beitritt Polens zur EU und der Anpassung des geltenden Rechts an die europäischen Vorgaben zusammenhing.933 5. Die Integration Polens in die EU Wie auch bei anderen postkommunistischen Staaten erforderte Polens angestrebter Beitritt zur Europäischen Union neben dem äußert zügigen Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung auch andere weitreichende Veränderungen, um die Anforderungen der EU zu erfüllen.934 Dabei stellte insbesondere auch die Annäherung der polnischen Gesetzgebung an das Europäische Recht eine wesentliche Bedingung für die wirtschaftliche Integration Polens in die Europäische Gemeinschaft dar.935 Seit Beginn der 1990er Jahre begann daher auch die Anpassung des polnischen Arbeitsrechts an die europäischen Standards. Dies waren neben den Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft auch solche des Europarates, allen voran die in der Europäischen Sozialcharta niedergelegten Standards.936 930
So Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161
(163). 931 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 102 f. („zagrozenie o charakterze wre˛cz egzys˙ tencjalnym“, Übersetzung d. Verf.). 932 Opalski, Rada nadzorcza, S. 103; Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5 f.). Näher hierzu unten Kapitel 5, A.II.2.a). 933 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 5 (8). 934 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161). 935 Vgl. Art. 68 des im Dezember 1991 unterzeichneten Europa-Abkommens zwischen Polen und der Europäischen Gemeinschaft. Gemäß Art. 69 umfasste die Annäherung insbesondere den „Schutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz“. Ausführlich zur Anpassung des polnischen Arbeitsrechts Matey, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (63 ff.). 936 Matey, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (64).
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
In Bezug auf die Arbeitnehmerpartizipation zeigte sich der Einfluss des europäischen Rechts zunächst im Bereich des sozialen Dialogs. Die Förderung des sozialen Dialogs stellte in den 1990er Jahren ein Hauptanliegen der Europäischen Sozialpolitik dar.937 Die in Polen schrittweise voranschreitende Entstehung eines sozialen Dialogs korrespondierte daher mit dieser Entwicklung auf europäischer Ebene.938 Weitere gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der Arbeitnehmerpartizipation kamen jedoch erst mit der Umsetzung europäischer Richtlinien ins nationale Recht. So wurde noch vor der EU-Mitgliedschaft am 5. April 2002 das Gesetz über Europäische Betriebsräte939 verabschiedet. Am 4. März 2005 folgte das Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft940, am 7. April 2006 erging das Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer941 und 22. Juli 2006 das Gesetz über die Europäische Genossenschaft942. Schließlich wurde die Richtlinie 2005/56 über grenzüberschreitende Verschmelzungen943 durch Änderungsgesetz vom 25. April 2008944 sowie durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer durch grenzüberschreitende Verschmelzung entstandenen Gesellschaft vom 25. April 2008945 ins polnische Recht umgesetzt. Mit Verabschiedung der genannten Gesetze rückte das polnische System der Arbeitnehmerpartizipation ein Stück näher an das in den westeuropäischen Ländern vorzufindende Bild der Arbeitnehmerbeteiligung. 946 937 Matey, in: Seweryn ´ ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 63 (78). 938 Zur Entwicklung des sozialen Dialogs in Polen oben Kapitel 2, A.II.4.d). 939 Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556. 940 Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 2005, Dz. U. 2005 Nr. 62 Pos. 551; ausführlich zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft unten Kapitel 4, B.I. 941 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 942 Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 2006, Dz. U. 2006 Nr. 149 Pos. 1077; näher zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Genossenschaft unten Kapitel 4, B.II. 943 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 310 vom 25. November 2005, S. 1–9. 944 Änderungsgesetz zum Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 524; näher hierzu unten Kapitel 4, C. 945 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer durch grenzüberschreitende Verschmelzung enstandenen Gesellschaft vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 525. 946 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40.
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
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B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation Auch wenn teilweise behauptet wird, die deutsche Mitbestimmung entspringe „marxistischem Nährboden“, so kann ihr ideologischer Ansatz vielmehr in der christlichen Soziallehre gesehen werden.947 Fortschrittlich waren auch schon die angesichts der anlaufenden Industrialisierung und der damit einhergehenden sozialen Missstände entwickelten Sozialtheorien des Vormärz. In Polen erhielt die Arbeitnehmerbeteiligung eine ideologische Grundlage erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge des Aufbaus eines sozialistischen Staates.
I. Die Sozialtheorien des Vormärz Die ersten Sozialtheorien zur Arbeitnehmerbeteiligung entstanden in Deutschland sogar noch vor der tatsächlich einsetzenden Industrialisierung, als Reaktion auf die in England und Frankreich auftretenden sozialen Missstände der Fabrikarbeiter und die damit einhergehende „soziale Frage“.948 Wie derartige Missstände in Deutschland von vornherein vermieden werden könnten, wurde Gegenstand zahlreicher rechtstheoretischer Auseinandersetzungen in der Zeit des Vormärz. Nicht nur die tatsächlichen Erfahrungen, auch die englischen und französischen Theorien beeinflussten die deutsche Debatte.949 Gleichwohl entwickelte sich schon bald ein eigener deutscher Ansatz, der im Einklang mit der deutschen Philosophie das Menschenbild in den Vordergrund stellte und eine Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen in den Fabriken („Humanisierung der Fabrikbetriebe“) als Lösung für die Arbeiterfrage ansah.950 Die Arbeitnehmervertretung nahm eine zentrale Rolle in den Konzepten der Sozialreformer ein. Von Baader wollte den Arbeitern einen Rechtsanspruch auf Vertretung ihrer Interessen in den Standesversammlungen, Landtagen sowie auf verschiedenen Verwaltungsebenen (Distrikten, Provinzen, etc.) einräumen und hierdurch eine Integration der „heimatlos“ gewordenen Arbeiter in die Gesellschaft bewirken.951 Wohlwill postulierte die Einrichtung von Kommissionen, die mit Unternehmer- und Arbeitervertretern sowie neutralen, vom Staat benannten Mitgliedern besetzt sein sollten und die die widerstreitenden Interessen schlichten und „das gute Einverständnis“ sicherstellen sollten, wobei vor allem die Löhne verbindlich festgelegt werden sollten.952 Dagegen setzte von Mohl mehr 947
Stollreither, Mitbestimmung, S. 113 f. Näher oben Kapitel 2, A.I.1.a); eine ausführliche Darstellung der rechtspolitischen Diskussion findet sich bei Teuteberg, Geschichte, S. 2 ff. 949 Teuteberg, Geschichte, S. 2 f. 950 Teuteberg, Geschichte, S. 4 f. 951 Ausführlich Teuteberg, Geschichte, S. 13 ff. 952 Wohlwill, in: Aus der Büchersammlung von Gottfried Geffcken, Sammelband 22 des Hamburger StA, 1834, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 22 f. 948
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
auf eine Beteiligung Einzelner am Unternehmensgewinn953 als auf die „gesetzliche [. . .] Verbrüderung“ und „Organisation der Masse“ 954. Von Mohls Konzept fußte dabei auf der existenziellen Abhängigkeit des Fabrikarbeitern von dem Bestand des Betriebes, dem „natürliche[n] Gefühl des Wohlwollens und gemeinschaftlichen Interesses“ 955 und sozialethischen Aspekten.956 Die Gewinnbeteiligung sollte dem Gefühl der Ausbeutung unter den Arbeitern entgegenwirken, ferner das „Mißtrauen“ und die „Feindschaft“ zwischen dem Unternehmer und den Arbeitern beseitigen.957 Die individuellen Gewinnansprüche sollte ein Arbeiterausschuss ermitteln und verteilen, der darüber hinaus – unter strengster Vertraulichkeit – auch ein Kontrollrecht in Bezug auf die Gewinnermittlung des Unternehmers und ein Einsichtsrecht in die Bücher des Unternehmens haben sollte.958 Aus von Mohls Sicht war dagegen „eine demokratische Leitung von großen Gewerbeunternehmen [. . .] völliger Unsinn“.959 Fortschrittlich war auch ein Vorschlag Perthalers, der in den einzurichtenden Arbeiterausschüssen eine Form der fabrikinternen Sozialpartnerschaft sah, durch die Harmonie in den Betrieben und eine gesunde Betriebsorganisation hergestellt werden könne.960 Bereits in den Konzepten der Sozialtheoretiker des Vormärz klangen so schon Ansätze für eine Kooperation und Partnerschaft zwischen dem Unternehmensinhaber und der Belegschaft an, die durch eine Arbeitnehmervertretung sichergestellt werden könnte. Auch dem in der Paulskirche 1848 eingebrachten Minoritäts-Gegenentwurf als dem ersten deutschen Gesetzesentwurf für eine institutionelle Arbeitnehmervertretung in den Betrieben lag der Kooperationsansatz zugrunde. Der einen „prinzipiellen Interessengegensatz“ zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ablehnende und vielmehr von einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ ausgehende Minoritäts-Gegenentwurf 961 wird daher auch als Anfang des deutschen Mitbestimmungssystems und Vorreiter des heutigen Betriebsverfassungsgesetzes betrachtet962.
953
Näher Teuteberg, Geschichte, S. 26. von Mohl, in: Archiv der politischen Ökonomie und Polizeiwissenschaft, Bd. 2, H. 2, 1835, S. 190, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 16. 955 von Mohl, in: Archiv der politischen Ökonomie und Polizeiwissenschaft, Bd. 2, H. 2, 1835, S. 173, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 26. 956 Teuteberg, Geschichte, S. 25 f. 957 von Mohl, in: Archiv der politischen Ökonomie und Polizeiwissenschaft, Bd. 2, H. 2, 1835, S. 179, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 26. 958 Teuteberg, Geschichte, S. 26. 959 von Mohl, in: Deutsche Vierteljahreszeitschrift, H. 3, 1840, S. 65, zitiert nach Teuteberg, Geschichte, S. 27. 960 Teuteberg, Geschichte, S. 36 ff. 961 Teuteberg, Geschichte, S. 111. 962 Vgl. etwa Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 1; Teuteberg, Geschichte, S. 111; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 15. 954
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
159
Die Theorien und Konzepte des 19. Jahrhunderts zeigen, dass in der deutschen Debatte Bemühungen um eine „Humanisierung der Arbeitsbedingungen“ und der Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern anstelle eines grundsätzlichen Interessengegensatzes schon früh entstanden waren und in besonderem Maße die deutschen Theorien zur Lösung der Fabrikarbeiterfrage auszeichneten. Die Ansätze lassen sich bis heute in der Ausgestaltung und Begründung der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung wiederfinden. Gleichzeitig entwickelte sich im 19. Jahrhundert auch die Idee, die soziale Frage durch „Assoziationen“ zu überwinden963 – im Kern also Vereinigungen von Arbeitern zwecks gemeinsamer Interessenvertretung, die durchaus auch als Vorläufer der heutigen Gewerkschaften gesehen werden können.964
II. Marxismus und Sozialismus Nach der marxistischen Ideologie führt die Lohnarbeit im kapitalistischen System zu einer „Entfremdung der Arbeit“, mit der nicht nur die Beherrschung und Ausbeutung des Arbeiters durch die Kapitalisten965, sondern gleichzeitig die Entfremdung des Menschen in der Gesellschaft966 einhergeht.967 In wirtschaftspolitischer Hinsicht war die Abschaffung des Privateigentums Kernforderung der marxistischen Ideologie.968 Die „Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung“ bewirke eine „wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen“ und eine „Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d. h. menschlichen Menschen“.969 In diesem Sinne begreift sich der Kommunismus als „vollendeter Naturalismus“ und „Humanismus“.970 Anders als in der kapitalistischen Gesellschaft, wo die Arbeit das Kapital der Bourgeoisie mehre, sollte die Arbeit in einer kommunistischen Gesellschaft ein Mittel sein, um „den Lebensprozeß der Arbeiter zu erweitern, zu 963
Ausführlich hierzu Teuteberg, Geschichte, S. 5 ff. Vgl. Richardi, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 1, § 2 Rn. 16. 965 Vgl. Marx, Das Kapital, S. 596; Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte: Die entfremdete Arbeit, S. 510 ff. 966 Vgl. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte: Privateigentum und Kommunismus, S. 533 ff. 967 Vgl. hierzu auch Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. Eine ausführliche Darstellung der Grundlagen der marxistischen Lehre bietet Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 220 ff.; vgl. auch die Ausführungen bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 62 ff. 968 Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, S. 475 ff.; näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 220 ff., 238 f. 969 Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte: Privateigentum und Kommunismus, S. 536. 970 Ebenda. 964
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
bereichern, zu befördern“.971 Der Sozialismus wurde als notwendige Vorstufe während des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus gesehen, die sich durch eine Vergesellschaftung des Privateigentums auszeichnete. In der Bundesrepublik Deutschland konnten sich radikale sozialistische oder kommunistische Ansätze nicht durchsetzen, beeinflussten jedoch die Entwicklung des Arbeitsrechts. Die auch in Deutschland bzw. der Bundesrepublik nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auftretenden sozialistischen Tendenzen, es sei etwa die Rätebewegung nach dem Ersten Weltkrieg und die von vielen Gruppen – so anfangs auch vehement von den Gewerkschaften – mitgetragenen Bestrebungen nach einer Vergemeinschaftung von Schlüsselindustrien nach dem Zweiten Weltkrieg genannt, wurden zwar recht schnell wieder eingedämmt.972 Gleichwohl hinterließen diese Tendenzen ihre Spuren auf der Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts und der Arbeitnehmermitbestimmung. Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg schlug sich der Rätegedanke in der Weimarer Verfassung und in der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes von 1920 nieder, wenngleich die gesetzliche Regelung nur noch sehr beschränkt den ursprünglichen Rätegedanken wiedergab.973 Mit den Zugeständnissen zur Mitbestimmung versuchte man damals der radikalen Rätebewegung Einhalt zu gebieten. Nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten vor allem die Amerikaner dafür, dass der Wiederaufbau Deutschlands auf kapitalistischer Grundlage erfolgte. Forderungen nach einer Vergemeinschaftung von Schlüsselindustrien konnten sich daher letztlich nicht durchsetzen. Allerdings wurde von breiten Kreisen der Politik die Arbeitnehmerbeteiligung als sozialpolitisches Element anerkannt und fand so Eingang in die Parteiprogramme. Dagegen hatte in Polen die neue politische Führung nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Aufbau eines sozialistischen Staates, der auf der marxistischen Ideologie beruhte, und einer damit einhergehenden Vergemeinschaftung von Betriebs- und Produktionsmitteln974 nach dem Grundsatz des „demokratischen Zentralismus“ begonnen.975 Der Verstaatlichung der wichtigsten Wirtschaftszweige lag der theoretische Ansatz zugrunde, dass das Eigentum an den Betriebs- und Produktionsmitteln der gesamten Bevölkerung zustehen sollte, was durch Um971
Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, S. 476. Vgl. näher zur Rätebewegung in der Weimarer Republik oben Kapitel 2, A.I.1.c) sowie zu den Konzepten nach dem Zweiten Weltkrieg oben Kapitel 2, A.I.2.a). 973 Vgl. Zachert, Betriebliche Mitbestimmung, S. 24; Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 144 sprechen von einer „rechtlichen Entmachtung der Räte“; ebenso Schneider/Kuda, Mitbestimmung, S. 144 („nur noch eine Karikatur des revolutionären Rätegedankens“). Näher oben Kapitel 2, A.I.1.c). 974 Näher hierzu Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 31 Rn. 8; Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. Zur Verstaatlichung einzelner Wirtschaftszweige oben Kapitel 2, A.II.2. 975 Näher Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17, 19. 972
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
161
wandlung des Privateigentums in Volkseigentum (staatliches Eigentum) gewährleistet werde.976 Das Volkseigentum sollte indes vom Staat im Namen und Interesse der Bevölkerung verwaltet werden, da die Bevölkerung als Gesamtheit hierzu nicht in der Lage war.977 Insbesondere gehörte daher die Organisation der Produktionsprozesse zur staatlichen Hoheit, was sich entsprechend in der Zentralverwaltungswirtschaft niederschlug.978 Dabei wurde die gesamte Volkswirtschaft als ein „einheitlicher Organismus“ verstanden, innerhalb dessen die Entscheidungen vom Zentrum getroffen und von den einzelnen Wirtschaftssubjekten lediglich ausgeführt wurden.979 Da die Betriebs- und Produktionsmittel im Volkseigentum standen, hatten die einzelnen Wirtschaftssubjekte an den von ihnen verwalteten Teilen des Volkseigentums keine eigenen Rechte.980 Seine theoretische Grundlage hatte das Modell in einem Konzept von A. W. Wieniediktow über das „einheitliche Staatseigentum“, welches in allen – mit Ausnahme von Jugoslawien – sozialistischen Staaten angenommen wurde.981 Gesetzlich schlug es sich vor allem in dem speziellen Rechtssubjekt des Staatsunternehmens und dessen Ausgestaltung auf Grundlage des Dekrets über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950982 nieder.983 Die Arbeitnehmerpartizipation stellte ein tragendes Element des Sozialismus dar, sie wurde als Ausfluss der Volksherrschaft und der führenden Rolle der Arbeiterklasse – die sich mittels der Arbeitnehmerpartizipation sogar in einem so wichtigen Bereich wie der Volkswirtschaft zeigte – betrachtet.984 Die marxistische Lehre galt dabei in Polen als tragende ideologische Grundlage für die Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung; andere Ideologien wie etwa die katholischen Soziallehren und andere nicht-marxistische Sozialtheorien wurden dagegen ausgeblendet.985 Die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung der Staatsunternehmen sollte gewährleisten, dass das Volkseigentum im Namen und im Interesse der arbeitenden Bevölkerung genutzt wird und damit den gemeinschaftlichen Charakter des Volkseigentums widerspiegeln.986 Wie auch in 976
Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 19. Ebenda. 978 Ebenda. 979 Ebenda. 980 Ebenda. 981 Näher hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 19 f. („[. . .] w koncepcji A. W. Wieniediktowa jednolitej własnos´ci pan´stwowej“, Übersetzung d. Verf.). 982 Dekret über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950, Dz. U. 1950 Nr. 49 Pos. 439. 983 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. 984 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21 m.w. N.; vgl. auch Bar, Samorza˛d w przedsie˛biorstwie pan´stwowym, PiP 12/1980, S. 3 (5); Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (9). 985 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17 f. 986 Ebenda. 977
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
anderen sozialistischen Staaten war die Arbeitnehmerpartizipation in Polen somit ein wesentliches Prinzip der sozialistischen Ideologie, welches stark mit dem Grundsatz der Volksherrschaft, dem Volkseigentum sowie dem demokratischen Zentralismus zusammenhing.987 Daneben diente auch die leninistische Lehre vom Absterben des Staates988 als ideologische Grundlage der Arbeitnehmerbeteiligung.989 Doch auch wenn die Arbeitnehmerpartizipation nach der ideologischen Konzeption dem sozialistischen System immanent sein sollte, so konnte kaum von einer wahrhaftigen Arbeitnehmerpartizipation während des realen Sozialismus gesprochen werden.990 Die politische Diktatur und die zentrale Wirtschaftslenkung ließen von vornherein keinen Raum für demokratische Strukturen einer Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung.991 Ra˛czka992 kritisiert, dass die Anhänger der marxistischen Lehre nur sehr einseitig die „pro-partizipativen“ Elemente der Ideologie betonten, dagegen aber diejenigen Elemente ausblendeten, die zur Entstehung einer Diktatur und eines zentralen Wirtschaftssystem führten. Dabei seien es gerade diese Elemente gewesen, die abgesehen von Jugoslawien die sozialistischen Staaten prägten und die letztlich die Entwicklung einer authentischen Arbeitnehmerbeteiligung, die den Arbeitnehmern tatsächliche Einflussmöglichkeiten eröffnet hätte, verhinderten. Rudolf993 hebt dagegen hervor, dass die Propaganda zwar die Arbeiter als die regierende und wichtigste Gruppe in der Bevölkerung darstellte, sie in Wahrheit jedoch Manipulationen von Seiten der Machtinhaber ausgesetzt waren. Die Verfassung als sozialistischer Staat und die ideologische Verankerung im Marxismus wirkten sich auf das gesamte Arbeitsrecht und die kollektiven Arbeitsbeziehungen aus. Wesentlich war hier insbesondere, dass der Staat in weiten Bereichen der Wirtschaft die Rolle des Arbeitgebers einnahm und damit die privaten Unternehmer verdrängte.994 Nicht nur gab es aus diesem Grund keinerlei Arbeitgeberorganisationen und rechtliche Rahmenbedingungen für ihre Tätig-
987
Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 21. Leninistische Schrift „Staat und Revolution“ von 1917. 989 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. 990 So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35 f.; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161). 991 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32 f., 35 f.; ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.II.2. 992 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. 993 Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161). 994 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 41, 49; ausführlich zur Situation der polnischen Arbeitgeber zu Zeiten des realen Sozialismus und zur Arbeitgeberrolle des Staates vgl. Skrzypin´ski, Organizacje pracodawców i przedsie˛biorców, S. 56 ff., 63 ff.; vgl. hierzu auch Kozek, in: dies., Zbiorowe stosunki pracy, S. 79 (89 f.). 988
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
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keit.995 Der in der sozialistischen Wirtschaft geltende Grundsatz der Konfliktlosigkeit996 führte dazu, dass die bestehenden Institutionen des kollektiven Arbeitsrechts, allen voran Gewerkschaften und betriebliche Arbeitnehmervertretungen, zunehmend ihrer schützenden und demokratischen Merkmale entkleidet wurden.997 Vielmehr wurden sowohl die Gewerkschaften als auch die betrieblichen Arbeitnehmervertretungen in die zentral gesteuerten Wirtschaftsstrukturen eingebettet und damit letztlich auch der führenden Arbeiterpartei unterstellt, womit sie jegliche Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit verloren.998 Der Begriff des kollektiven Arbeitsrechts war schließlich vollständig aus der polnischen Literatur und Rechtswissenschaft verschwunden.999 Nach dem Umbruch 1989 erfolgte eine sehr eindeutige Abkehr vom kommunistischen Gedankengut. So wurden bereits Ende des Jahres 1989 die in der polnischen Verfassung enthaltenen Formulierungen, die auf die führende Rolle der Arbeiterpartei, die Planwirtschaft und das sozialistische System sowie die Freundschaft zur Sowjetunion hindeuteten, aus dem Verfassungstext gestrichen.1000 Polen wurde wieder als „Rzeczpospolita“ bezeichnet und zum „demokratischen Rechtsstaat“ erklärt (vgl. Art. 1 des Verfassungsänderungsgesetzes vom 29. Dezember 1989).
III. Katholische und evangelische Soziallehre Sowohl in Deutschland als auch in Polen wurde die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung von den sozialethischen Lehren der Kirche beeinflusst. Aufgrund der politischen Rahmenbedingungen war jedoch der Spielraum der Kirchen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die katholische Soziallehre gründete auf dem Gedanken einer „sozialen Partnerschaft“ 1001 als einer auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt, Ehrlichkeit und 995
Gładoch, Dialog społeczny, S. 58. Es wurde gemeinhin nicht von einem Gegensatz, sondern vielmehr von einem Gleichlauf der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgegangen; vgl. hierzu Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10); Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 49. 997 Vgl. C ´ wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (10 f.). 998 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (161); ausführlich hierzu oben Kapitel 2, A.II.2. 999 C ´ wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 32; Gładoch, Dialog społeczny, S. 58; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 137. 1000 Vgl. das Verfassungsänderungsgesetz vom 29. Dezember 1989, Dz. U. 1989 Nr. 75 Pos. 444; Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 31. 1001 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 249. 996
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Wohlwollen beruhenden Gemeinschaft und Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und war damit von ihrem Ansatz her immer eine „Harmonielehre“ 1002.1003 Sie betonte die Würde des Menschen und die ihm unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung zustehenden Rechte.1004 Die katholische Kirche forderte ein staatliches Eingreifen zum Schutz der sozial Schwachen und kämpfte dadurch mit ihrem Standpunkt sowohl gegen den Liberalismus, der staatliche Korrekturen ablehnte, als auch gegen den Marxismus, der die Verstaatlichung sämtlicher Produktions- und Betriebsmittel forderte.1005 Die Grundlagen der katholischen Soziallehre entstanden im 19. Jahrhundert.1006 In päpstlichen Enzykliken (Rundschreiben)1007 wurden seit 1832 zunehmend auch soziale und politische Fragen behandelt.1008 Ausführlich mit der Arbeiterfrage beschäftigte sich erstmals die 1891 erschienene Enzyklika „Rerum novarum“ von Papst Leo XIII.1009 Dabei befasste sich der Papst eingehend mit der Berechtigung des Privateigentums, den Lösungsansätzen des Sozialismus und dem „Verhältnis zwischen der besitzenden und der unvermögenden, arbeitenden Klasse“ 1010, kurzum dem Verhältnis von Kapital und Arbeit. Papst Leo XIII. widersetzte sich dem Sozialismus, der aus seiner Sicht die Arbeiterfrage nicht lösen könne, dagegen sowohl der Arbeiterklasse selbst als auch dem Staat schade.1011 Die Sozialisten entzögen den Arbeitern das Recht, ihren erarbeiteten Lohn „nach Gutdünken anzulegen“ und „rauben ihnen eben dadurch die Aussicht und Fähigkeit, ihr kleines Vermögen zu vergrößern und sich durch Fleiß zu einer besseren Stellung emporzuringen“.1012 Das Privateigentum erachtete Papst Leo XIII. hingegen als ein natürliches Recht des Menschen, welches unangetastet bleiben müsse.1013 Für selbstverständlich erachtete er: „Wie die Wirkung ihrer Ursache folgt, so folgt die Frucht der Arbeit als rechtmäßiges Eigen-
1002
Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 253. Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 249 f. m.w. N., S. 254. Zum Ausdruck kommt der Harmoniegedanke etwa bei Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 15. 1004 Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (356). 1005 Stollreither, Mitbestimmung, S. 54 m.w. N. 1006 Stollreither, Mitbestimmung, S. 52. 1007 Zur Bedeutung von Enzykliken allgemein Stollreither, Mitbestimmung, S. 52. 1008 Als erste berührte die Enzyklika „Mirari vos“ von Papst Gregor XVI. im Jahre 1832 soziale und politische Fragen, Stollreither, Mitbestimmung, S. 53. 1009 Stollreither, Mitbestimmung, S. 54; v. Nell-Breuning, in: Leo XIII./Pius XI., Die sozialen Enzykliken, Einführung, S. IV. 1010 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 15. 1011 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 3. 1012 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 4. 1013 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 4, 12. 1003
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
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tum demjenigen, der die Arbeit vollzogen hat.“ 1014 Dagegen gleiche der Entzug von Privateigentum einem „Raub [. . .] an dem, was durch die Arbeit erworben ist“.1015 Nicht zuletzt warnte Papst Leo XIII. auch vor den Konsequenzen des Sozialismus: „Mit dem Wegfalle des Spornes zu Strebsamkeit und Fleiß würden auch die Quellen des Wohlstandes versiegen. Aus der eingebildeten Gleichheit aller würde nichts anderes als der nämliche klägliche Zustand der Entwürdigung für alle.“ 1016 Vielmehr sprach sich Papst Leo XIII. ausdrücklich dafür aus, dass „diesen niederen Klassen Antrieb gegeben wird, bei Fleiß und Anstrengung zu einem kleinen Grundbesitz zu gelangen“.1017 Nicht nur würden sich hierdurch die Unternehmer und Arbeiter langsam annähern und die Kluft zwischen Wohlstand und Elend schwinden, auch fördere das „Bewusstsein, auf Eigentum zu arbeiten“, mithin durch fleißige Arbeit Privateigentum zu erwerben, die Motivation der Arbeitnehmer.1018 In seinen Ausführungen zum Verhältnis von Kapital und Arbeit betonte Papst Leo XIII. die Notwendigkeit einer Kooperation zwischen den Unternehmensinhabern und Arbeitnehmern („Die eine hat die andere durchaus notwendig. So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen.“); sie müssten in „einträchtiger Beziehung“ – nicht im Kampf – zueinander stehen.1019 Im Hinblick auf die Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betonte er unter anderem die gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme.1020 Ausdrücklich befürwortete Papst Leo XIII. die Bildung von Arbeitnehmervereinigungen zwecks gemeinschaftlicher Vertretung der Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber, die vom Staat unterstützt und nicht – wie oft geschehen – verboten werden sollte.1021 Anlässlich des 40. Jubiläums des „Rerum novarum“ griff Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Quadragesimo anno“ aus dem Jahr 1931 die Gedanken von Papst Leo XIII. erneut auf.1022 Nach Papst Pius XI. sollte die neue gesellschaftliche Ordnung auf Körperschaften beruhen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Zwecke des Gemeinwohls zusammenwirken sollten.1023 Ferner befür1014
Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 8. Ebenda. 1016 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 12. 1017 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 35. 1018 „Denn bei dem Bewußtsein, auf Eigentum zu arbeiten, arbeitet man ohne Zweifel mit größter Betriebsamkeit und Hingabe“, Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 35. 1019 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 15. 1020 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 16 f. 1021 Leo XIII., Rerum novarum, Nr. 34, 36 ff. 1022 Ausführlich hierzu Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (359 ff.); Stollreither, Mitbestimmung, S. 55 ff. 1023 Pius XI., Quadragesimo anno, Nr. 81 ff.; vgl. hierzu auch Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (360); Stollreither, Mitbestimmung, S. 58. 1015
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
wortete Papst Pius XI. eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer sowie auch den „Mitbesitz“ und die „Mitverwaltung“ durch Arbeitnehmer.1024 In der Enzyklika kommt somit nicht nur der Gedanke der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Ausdruck, auch scheint die Kirche die Idee der Mitbestimmung aufgegriffen zu haben.1025 Mit der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen setzt sich erstmalig Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika „Mater et Magistra“ aus dem Jahre 1961 auseinander.1026 Dabei hebt Papst Johannes XXIII. zunächst das in der menschlichen Natur angelegte „Bedürfnis [. . .], daß, wer produktive Arbeit tut, auch in der Lage sei, den Gang der Dinge mitzubestimmen und durch seine Arbeit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu gelangen“ hervor.1027 Nach Papst Johannes XXIII. forderten „die Arbeiter mit Recht aktive Teilnahme am Leben des sie beschäftigenden Unternehmens“, ohne hierbei allgemeingültige Vorschläge für eine Beteiligung der Arbeitnehmer an der „Gestaltung der Angelegenheiten ihres Unternehmens“ unterbreiten zu wollen.1028 Allerdings dürfe es nicht sein, dass „wer Tag für Tag in ihm arbeitet, als bloßer Untertan zu betrachten ist, dazu bestimmt, stummer Befehlsempfänger zu sein, ohne das Recht, eigene Wünsche und Erfahrungen anzubringen“.1029 Papst Johannes XXIII. hob dabei sowohl die Notwendigkeit einer von gegenseitigem Respekt und Wohlwollen geprägten Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als auch das in der Natur des Menschen angelegte Verantwortungsbewusstsein hervor.1030 Darüber hinaus sei „heute besonders zu wünschen, daß die Arbeiter in geeigneter Weise in Mitbesitz an ihrem Unternehmen hineinwachsen“ 1031, womit eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital und Unternehmensgewinn anklingt1032. Gleichzeitig stellte Papst Johannes XXIII. auch klar, dass in der Wirtschaft der Eigeninitiative des Einzelnen oder einer Interessengemeinschaft der Vorrang vor staatlichem Eingriff gebühre.1033 Zur Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung äußerte sich die katholische Kirche sodann auch in dem zweiten Vatikanischen Konzil von
1024
Pius XI., Quadragesimo anno, Nr. 56 ff., 65. Vgl. Stollreither, Mitbestimmung, S. 57 f.; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 246. 1026 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 247. 1027 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 82. 1028 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 91. 1029 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 92. 1030 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 92 f. 1031 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 77. 1032 So auch Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (361). 1033 Johannes XXIII., Mater et Magistra, Nr. 51 f. 1025
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1967.1034 Darin sprach sich die katholische Kirche ausdrücklich dafür aus, „unter Bedachtnahme auf die besonderen Funktionen der einzelnen, sei es der Eigentümer, der Arbeitgeber, der leitenden oder der ausführenden Kräfte, und unbeschadet der erforderlichen einheitlichen Werkleitung die aktive Beteiligung aller [. . .] an der Unternehmensgestaltung voran[zu]bringen“.1035 Allerdings sei „die geeignete Art und Weise der Verwirklichung [. . .] näher zu bestimmen.“ 1036 Von besonderer Bedeutung für die katholische Soziallehre war schließlich auch die Enzyklika von Papst Johannes Paul II. „Laborem Exercens“ aus dem Jahre 1981, die sich ausführlich mit der menschlichen Arbeit auseinandersetzte.1037 Papst Johannes Paul II. wies darin auf den Vorrang der Arbeit gegenüber dem Kapital hin, womit er jedoch in erster Linie „den Primat des Menschen im Produktionsprozeß, den Primat des Menschen gegenüber den Dingen“ meinte, da sämtliche Produktionsmittel – das „Kapital“ – nur durch die Arbeit entstünden.1038 Gleichwohl erfordere „die Anerkennung der richtig verstandenen Stellung der Arbeit und des arbeitenden Menschen im Produktionsprozeß“ entsprechende Berücksichtigung bei den Eigentumsverhältnissen, Papst Johannes Paul II. erwähnt in diesem Zusammenhang das „Miteigentum an den Produktionsmitteln, die Mitbestimmung, die Gewinnbeteiligung, die Arbeitnehmeraktien und ähnliches“.1039 In seinen weiteren Enzykliken kritisierte Papst Johannes Paul II. die Beschränkung der Eigentumsfreiheit und hob die Rolle der Gewerkschaften als Institution der Arbeitnehmervertretung hervor.1040 Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die soziale Frage zunehmend auch in Kreisen der evangelischen Kirche diskutiert.1041 1924 beschloss der Deutsche Evangelische Kirchentag eine „soziale Botschaft der evangelischen Kirche“, in der die evangelische Kirche ihren Willen bekräftigte, sich neben ihren Aufgaben im Bereich der Seel- und Fürsorge auch mit sozialen Themen zu beschäftigen.1042 Eine dezidierte Auseinandersetzung der evangelischen Kirche mit gesell-
1034 Stollreither, Mitbestimmung, S. 52; vgl. auch Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 248. 1035 II. Vatikanum, zitiert nach Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 249. 1036 Ebenda. 1037 Näher hierzu Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (362 f.); vgl. auch Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (226 f.). 1038 Johannes Paul II., Laborem exercens, Nr. 12. Vgl. hierzu auch Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (226 f.). 1039 Johannes Paul II., Laborem exercens, Nr. 14. 1040 Näher Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (364). 1041 Näher hierzu Stollreither, Mitbestimmung, S. 60. 1042 Stollreither, Mitbestimmung, S. 61.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
schaftspolitischen Fragen erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung.1043 Beruhend auf dem Konzept einer „verantwortlichen Gesellschaft“ forderte die evangelische Sozialethik eine verantwortungsbewusste Ausübung der wirtschaftlichen Macht gegenüber denjenigen, die von dieser Macht abhängig sind.1044 Zu verwirklichen sei dies durch eine „Demokratisierung der Institutionen in ihrem inneren Gefüge“, was „das mitbestimmende, geordnete Teilhaben der in die jeweiligen Institutionen eingefügten Menschen an ihrer Leitung und Verantwortung“ bedeute und in der Konsequenz zu einer „Humanisierung“ der Institutionen führe.1045 Sinn der Mitbestimmung läge darin, das „bloße Lohnarbeitsverhältnis zu überwinden und den Arbeiter als Mensch und Mitarbeiter ernst zu nehmen“.1046 Ausführlich mit der Mitbestimmung beschäftigte sich die Studie der „Kammer für soziale Ordnung“ aus dem Jahre 1968.1047 Ausgehend von der Annahme, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln zu einer der Menschenwürde widersprechenden Ausübung von Macht über die abhängigen Lohnarbeiter führen könne, erläuterte die Studie die Vorteile der Mitverantwortung, beleuchtete jedoch gleichzeitig auch die drohenden Konsequenzen einer zu weitgehenden Mitbestimmung.1048 Die Lehren der katholischen und evangelischen Kirche flossen wesentlich in die Diskussion um die deutsche Mitbestimmung ein. Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche traten schon früh nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Unternehmern und Arbeitnehmern zusammen und diskutierten die Frage der Mitbestimmung in der Wirtschaft.1049 Auch an der Mitbestimmungsdebatte der 1960er und 1970er Jahre beteiligten sich die Kirchen mit eigenen Vorschlägen.1050 Aufgrund ihrer großen Bedeutung stellen die katholischen und evangelischen Lehren eine sehr bedeutsame „geistige Wurzel der Mitbestimmungsidee“ 1051 in Deutschland dar. In Polen war die katholische Kirche über Jahrhunderte hinweg ein prägendes Element der polnischen Kultur und der polnischen Werteordnung.1052 Vor allem 1043 Stollreither, Mitbestimmung, S. 61; näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 260 f. 1044 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 260 f. m.w. N. 1045 Wendland, in: Zeitschrift für evangelische Ethik, 1965, S. 11, zitiert nach Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 261. 1046 Rat der EKD, Sozialethische Erwägungen zur Mitbestimmung in der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland – Eine Studie der Kammer für soziale Ordnung, 1968, These 1, zitiert nach Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 261 m.w. N. 1047 Näher hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 262 ff. 1048 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 262 ff. m.w. N. 1049 Näher Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 33. 1050 Vgl. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 266. 1051 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 7. 1052 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 170 m.w. N.
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
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nach dem Verlust der staatlichen Souveränität im Jahre 1795 und der darauffolgenden Herrschaft der Besatzungsmächte Preußen, Österreich und Russland war die katholische Kirche ein Anker und Bezugspunkt der polnischen nationalen Identität.1053 Diese historisch gewachsene Verbundenheit verhinderte die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Bestrebungen der neuen atheistischen Regierung, den gesellschaftlichen Einfluss der Kirche zu schmälern, und ermöglichte der Kirche die Zusicherung weitgehender – im gesamten Ostblock einmaliger – Rechte.1054 Dank ihrer geschickten Strategie, als neutraler Gesprächspartner der sozialistischen Regierung zu agieren, schaffte sich die Kirche Freiräume und etablierte sich so insgeheim nach und nach als „kulturelle Widerstandskraft“ und „De-facto-Opposition“, die – getragen vom Vertrauen der Gesellschaft als die „einzig glaubwürdige Institution“ während des sozialistischen Systems – die Interessen der Bevölkerung wahrzunehmen versuchte.1055 Die Ideen der katholischen Soziallehre wurden in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg unterstützt von Vertretern des sog. „gesellschaftlichen Solidarismus“ 1056, die eine Beschränkung des Eigentums zum Wohle der Gemeinschaft forderten.1057 Im Solidarismus wurzelt die Auffassung, dass die Arbeitnehmereigenschaft als solche das Recht zur Beteiligung am Unternehmenseigentum begründe.1058 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch die Arbeitnehmerbeteiligung auf die marxistische Ideologie gestützt, die katholischen Lehren hingegen als ideologische Grundlage ausgeblendet.1059 Trotz der führenden marxistischen Ideologie gelang es der katholische Kirche jedoch, die Grundsätze der katholischen Soziallehre in der Öffentlichkeit zu verbreiten und diverse Schriften hierzu zu publizieren.1060 Eine wichtige Rolle spielten hierbei die päpstlichen Enzykliken und andere Dokumente des Vatikans und die darin enthaltenen Aussagen zur menschlichen Arbeit, die von den polnischen Vertretern der katholischen Soziallehre1061 aufgegriffen wurden und als Anregung dienten, die Bedeutung der Arbeit für den Ein1053
Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 170 m.w. N. Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 171 m.w. N. 1055 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 172 m.w. N. 1056 „solidaryzm społeczny“, vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 42. 1057 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 42; als größter Vertreter in Polen galt damals Leonard Caro. 1058 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (231); dies., Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 42. 1059 Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17 f. 1060 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 172 f. m.w. N. Dies war im Wesentlichen der Verdienst von Kardinal Stefan Wyszyn´ski, Stegemann, a. a. O., S. 172. 1061 So insbesondere Czesław Strzeszewski, vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 173. 1054
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
zelnen und die Gesellschaft und die hierfür unabdingbare Achtung der Menschenrechte durch den Staat hervorzuheben.1062 Mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. traten die Lehren der polnischen Kirche nach 1978 immer offener zutage.1063 Die katholische Kirche sprach sich fortan deutlich für die Koalitionsfreiheit und unabhängige Gewerkschaftsorganisationen aus.1064 Von wesentlicher Bedeutung für die Sozialtheoretiker war auch, dass die Gewerkschaften die Einbindung der Belegschaften in die Entscheidungen in den Betrieben förderten und so die Partizipationsfunktion in den Betrieben ausfüllten.1065 Im Vordergrund stand ferner die Entwicklung eines sozialen Dialogs zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie die Konfliktlösung durch Verhandlungen und Zusammenarbeit.1066 Mit Papst Johannes Paul II. und seinen deutlichen Predigten, in denen er unter anderem auf die Würde des Menschen, die wichtige Stellung der Arbeit für die Selbstverwirklichung der Menschen sowie die Rolle des Staates bei der Beachtung der Menschenrechte hinwies, bestärkte die katholische Kirche die polnische Gesellschaft darin, ihre Rechte gegen den Staat durchzusetzen, und trug so wesentlich zu den gesellschaftlichen Bewegungen Anfang der 1980er Jahre bei.1067 Die Kirche sympathisierte und unterstützte die NSZZ „Solidarnos´c´ “, war aber nach außen hin um die Wahrung ihrer neutralen Stellung und ihrer Funktion als Gesprächspartner der sozialistischen Regierung bemüht.1068 Die Unruhen zu Beginn der 1980er Jahren versuchte sie mit Blick auf den gesellschaftlichen Frieden zu besänftigen und nahm hierbei eine Vermittlerrolle zwischen der Regierung und der Solidarnos´c´-Bewegung ein, die sich auch nach Verhängung des Kriegszustandes fortsetzte.1069 Schlussendlich nahm die katholische Kirche auch während der Gespräche des Runden Tisches im Jahr 1989 eine äußert wichtige Vermittlerfunktion wahr, womit sie maßgeblich zum erzielten Kompromiss beitrug.1070
1062 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 173 m.w. N. 1063 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 174. 1064 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 174; Wratny, Ewolucja zbiorowego prawa pracy w Polsce w latach 1980–1991, S. 17. 1065 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 175 m.w. N. 1066 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 175 f. 1067 Näher Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 177 f. m.w. N. 1068 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 179. 1069 Ausführlich hierzu Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 182 ff. 1070 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 186 m.w. N.
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
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IV. Liberalismus Nach den altliberalen Theorien des 17. und 18. Jahrhunderts, für die das „freie Individuum“ an oberster Stelle stand, beruhte die Gesellschaftsordnung auf einem natürlichen Ausgleich der individuellen Interessen und dem „freie[n] Spiel der Kräfte“, ohne dass es korrigierender staatlicher Eingriffe oder die gesamte Gesellschaft erfassender Ordnungsprinzipien bedürfe.1071 Die Wirtschaftsordnung folge danach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten: Angebot und Nachfrage führten unreglementiert zur besten Preisfindung und effektivsten Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel, da allein das Eigeninteresse des Einzelnen, am allgemeinen Wohlstand teilzuhaben, den nötigen Ansporn zur Steigerung der Produktivität liefere.1072 Der altliberale Ansatz wurde von den neo- bzw. ordoliberalen Theorien modifiziert. Diese fußen zwar nach wie vor auf dem freien Wettbewerb und dem Wohlfahrtsstreben des Individuums, erachten aber die staatsseitige Herstellung eines Ordnungsrahmens durch eine Wirtschaftsordnung für notwendig, um Fehlentwicklungen des kapitalistischen Systems zu verhindern.1073 Nach den Vorstellungen der Neoliberalen gehören unter anderem Privateigentum, Gewerbe- und Vertragsfreiheit, Preiskonkurrenz und Währungsstabilität zu den tragenden Prinzipien der Wirtschaftsordnung.1074 Daneben gibt es einige notwendige, korrigierende Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik, zu denen u. a. die Monopolkontrolle und Arbeitsschutzmaßnahmen zählen.1075 Dem neoliberalen Ansatz entspricht im Wesentlichen die seit 1949 in Westdeutschland bestehende soziale Marktwirtschaft.1076 Im Rahmen der Diskussionen um die deutsche Mitbestimmung wurde in neoliberalen Kreisen zwar eine beratende Mitwirkung der Arbeitnehmer sogar als Bereicherung für unternehmerische Entscheidungen empfunden, eine paritätische Mitbestimmung jedoch entschieden abgelehnt.1077 In Polen kam dem neoliberalen Ansatz in der Umbruchphase der 1989/1990er Jahre eine entscheidende Bedeutung zu. Die verantwortlichen Wirtschaftsreformatoren waren inspiriert von einer neoliberalen Wirtschaftsdoktrin.1078 So beruhte auch der Balcerowicz-Plan, mit dem zum 1. Januar 1990 eine grundlegende Wirtschaftsreform in Polen eingeleitet und eine schnelle und großflächige 1071
Näher Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 180. Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 180 f. 1073 Ausführlich Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 181 ff. 1074 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 183. 1075 Ebenda. 1076 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 182. 1077 Ausführlich hierzu Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 190 ff. 1078 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 1072
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Privatisierung bezweckt wurde, auf neoliberalen Konzepten.1079 Auch die Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Privatisierungsgesetzen hat – mag sie auch auf die Forderungen der Selbstverwaltungsbewegung zurückzuführen sein – letztlich ihre Grundlage in dem liberalen Ansatz der Wirtschaftsreformatoren, der sich gegenüber den Selbstverwaltungskonzepten durchsetzen konnte.1080
V. Selbstverwaltungskonzepte In der polnischen Rechtsgeschichte der Nachkriegszeit spielten Arbeitnehmerselbstverwaltungsmodelle eine entscheidende Rolle. Die Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde zu einem „Begriff, der genauso viele Emotionen wie Kontroversen und genauso viel Enthusiasmus wie Ablehnung hervorruft.“ 1081 In ihrer Tragweite reichte sie weit über die betrieblichen Angelegenheiten hinaus ins politische und wirtschaftliche System. Im sprachlichen Sinne bedeutet Selbstverwaltung die „unabhängige, eigenverantwortliche Verwaltung“.1082 Im rechtlichen Sinne stand der Begriff für die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung der Staatsunternehmen im volksrepublikanischen Polen, in ihrer rechtlichen und tatsächlichen Ausprägung variierten die im Zeitraum von ca. vierzig Jahren bestehenden Modelle stark.1083 Als entscheidendes Merkmal der Arbeiterselbstverwaltung wurde im polnischen Rechtssystem – wie auch in anderen Staaten – die Eigenständigkeit und Entscheidungsmacht bei der Erfüllung von Staatsaufgaben durch die damit betrauten Organe betrachtet.1084 Mit der Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde in Polen die Hoffnung und die Erwartung verbunden, dass sie zur Lösung der Wirtschaftsprobleme im Lande beitragen und die Unzulänglichkeiten des polnischen Wirtschaftssystems aufwiegen könne.1085 Die Selbstverwaltung wurde zum einen als Garant für mehr Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Staatsunternehmen von der zentralen Wirtschaftsverwaltung gesehen.1086 Zum anderen wurde angenommen, dass sich
1079 Vgl. Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 77; näher zur Einleitung der Transformationsphase oben Kapitel 2, A.II.4.a). 1080 Näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.b). 1081 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 6. 1082 Duden-Online-Wörterbuch, 2020, abrufbar unter https://www.duden.de/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1083 Vgl. zu den in diesem Zeitraum erlassenen Dekrets und Gesetzen oben Kapitel 2, A.II.2 und Kapitel 2, A.II.3.b). 1084 Błazejczyk, Samorza˛d załogi przedsie˛biorstwa, S. 9 f. ˙ 1085 So etwa Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 8 f. 1086 Jermakowicz, Samorza˛d pracowniczy, S. 9.
B. Ideologische Grundlagen der Arbeitnehmerpartizipation
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die Selbstverwaltung positiv auf die Motivation der Arbeitnehmer und ihr Interesse an den wirtschaftlichen Erträgen des Unternehmens auswirken und damit insgesamt zu einer Effektivitätssteigerung der Staatsunternehmen, geringeren Fehlzeiten und Fluktuationen innerhalb der Belegschaft sowie zu einer höheren Kompromissbereitschaft der Arbeitnehmer führen würde.1087 Darüber hinaus entspräche die Selbstverwaltung dem in der Natur des Menschen angelegten Wunsch nach Selbstbestimmung.1088 Ein echtes Selbstverwaltungsmodell bestand im damaligen Jugoslawien. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Polen verhinderten dagegen die dauerhafte Entstehung einer authentischen Arbeitnehmerselbstverwaltung in den Staatsunternehmen. Doch stellten selbst die kurzlebigen Formen der weitgehenden Arbeitnehmerbeteiligung nach den Gesetzen von 1956 und 1981 keine echte Form der Arbeitnehmerselbstverwaltung dar, sondern lediglich eine sehr weitgehende Form der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung.1089 Die von der NSZZ „Solidarnos´c´ “ vorgelegte Konzeption eines „Gemeinschaftsunternehmens“ in den Gesetzen von 1981 hatte sich zwar an dem jugoslawischen Selbstverwaltungsmodell orientiert, letztlich setzte sich jedoch das lediglich partizipative Modell der Regierung durch.1090
VI. Wirtschaftsdemokratie Kaum ein anderes Konzept scheint so prägend und allgegenwärtig in der deutschen Mitbestimmungsdiskussion der Nachkriegszeit gewesen zu sein wie der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie. Doch auch in der polnischen Rechtswissenschaft wird heutzutage auf diesen Gedanken im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbeteiligung zurückgegriffen.1091 Entstanden ist der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts in England unter der Federführung von Sidney und Beatrice Webb („Industrial Democracy“).1092 In Deutschland entwickelte sich die Idee der „Wirtschaftsdemokratie“ erst in der Weimarer Zeit, als eine vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund errichtete Kommission unter der Regie von Fritz 1087
Ebenda. Ebenda. 1089 Vgl. etwa Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68; ausführlich zu den Gesetzen von 1956 und 1981 oben Kapitel 2, A.II.2.b) bzw. Kapitel 2, A.II.3.b). 1090 Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 849 (868); hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.3.b). 1091 So etwa Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (233); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 1092 Vgl. Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 13; Stollreither, Mitbestimmung, S. 42. 1088
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Naphtali die berühmte Schrift „Wirtschaftsdemokratie“ 1093 erstellte.1094 In dem Werk wird die politische Demokratie allein als nicht ausreichend betrachtet, da sie „noch keineswegs die Beseitigung der wirtschaftlichen Unfreiheit bedeutete“, vielmehr sei die „bloß politische Demokratie zur sozialen auszugestalten“.1095 Dies sollte unter anderem durch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer über Betriebsräte und über eine paritätische Besetzung mit Arbeitnehmervertretern in allen Körperschaften mit wirtschaftspolitischer Bedeutung sowie die gewerkschaftliche Vertretung in den Unternehmensleitungen monopolartiger Wirtschaftsunternehmen erfolgen.1096 Naphtali betrachtete dabei die „Demokratisierung der Wirtschaft als Weg zum Sozialismus“.1097 Durch die Wirtschaftsdemokratie sollte letztendlich die Abschaffung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und die Verwirklichung des Sozialismus erfolgen („[. . .] keinen Ersatz für den Sozialismus, sondern es bedeutet eine Ergänzung der sozialistischen Idee in Richtung der Klärung des Weges zur Verwirklichung. Sozialismus und Wirtschaftsdemokratie sind als Endziel untrennbar miteinander verknüpft. Es gibt keine vollendete Wirtschaftsdemokratie ohne sozialistisches Wirtschaftssystem, und das Ideal des Sozialismus ist ohne demokratischen Aufbau der Wirtschaftsführung nicht zu verwirklichen.“).1098 An dem Leitbild der Wirtschaftsdemokratie aus der Zeit vor 1933 orientierten sich nach dem Zweiten Weltkrieg erneut die Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter, als es um die Neuordnung des Staates ging.1099 Schon im Frühjahr 1945 erschien eine Schrift von ins Exil vor dem NS-Regime geflohenen Gewerkschaftsvertretern, in der die Forderung aufgestellt wurde, „Gewerkschaften und Betriebsvertretungen [. . .] an der Leitung größerer Betriebe zu beteiligen“.1100 Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und Rückkehr der ins Exil geflohenen Gewerkschaftsvertreter schlugen sich diese Gedanken in dem auf dem Gründungskongress des DGB im Oktober 1949 beschlossenen Grundsatzprogramm nieder.1101 Der DGB hielt darin fest: „Die Erfahrung der Jahre 1918 bis 1933 haben gelehrt, dass die formale politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des
1093
Naphtali, Wirtschaftsdemokratie. Vgl. Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; näher Stollreither, Mitbestimmung, S. 42. 1095 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 15 f. 1096 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 185. 1097 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 25. 1098 Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 16. 1099 Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 24. 1100 Die neue deutsche Gewerkschaftsbewegung (Broschüre), London 1945, zitiert nach Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 24 f. 1101 Vgl. Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 25; Stollreither, Mitbestimmung, S. 71 f. 1094
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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politischen Lebens muß deshalb durch die Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden.“ 1102 In den 1970er Jahren war die Wirtschaftsdemokratie das Kernargument in der politischen Diskussion um die deutsche Mitbestimmung.1103 Der Ansatz der Wirtschaftsdemokratie fand auch Eingang in die polnische Literatur, die sich nach 1989 mit der Neugestaltung der Arbeitnehmerpartizipation auseinandersetzte.1104 Die Arbeitnehmerpartizipation wird nunmehr auch in Polen als Ausdruck der Wirtschaftsdemokratie („demokracja przemysłowa“) verstanden.1105 Sicherlich liegt dies mitunter an der beim Aufbau des neuen Systems erfolgten Orientierung nach Westen und der rechtsvergleichenden Auseinandersetzung mit westlichen Vorbilden.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen der Arbeitnehmerbeteiligung und des sozialen Dialogs Im Zuge der Anpassung an das europäische, auf Demokratie und Marktwirtschaft beruhende System haben sich die verfassungs- und kollektivarbeitsrechtlichen Grundstrukturen in Polen nach 1989 erheblich verändert. Die Arbeitnehmerbeteiligung im Allgemeinen und in den Gesellschaftsorganen im Besonderen bewegt sich heutzutage innerhalb eines verfassungs- und einfachgesetzlichen Rahmens, der im Wesentlichen den gleichen Grundprinzipien wie in Deutschland folgt.
I. Verfassungsrechtlicher Rahmen 1. Deutschland Mit dem Grundgesetz erfolgte „keine unmittelbare Festlegung oder Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ 1106; vielmehr ist das Grundgesetz „wirtschaftspolitisch neutral“ 1107 in dem Sinne, dass „sich der Verfassungsgeber 1102 Grundsatzprogramm des DGB von 1949, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70 ff. (72). 1103 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23. Zur Wirtschaftsdemokratie als sozialethischer Rechtfertigung der Mitbestimmung unten Kapitel 3, A.II.1.b). 1104 Vgl. Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (233); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 1105 So ausdrücklich Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (233); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 31. 1106 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 119. 1107 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 120.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat“.1108 Auch werden keine Grundsätze zur Ordnung des Wirtschaftslebens – wie noch in der Weimarer Reichsverfassung (vgl. Artt. 151 ff. WRV) – aufgestellt.1109 Die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung obliegt vielmehr dem Gesetzgeber, der innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes die „ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik“ verfolgen darf.1110 So beruht das in Deutschland bestehende Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft auf einer wirtschaftsund sozialpolitischen Entscheidung des Gesetzgebers, die nach dem Grundgesetz möglich, aber nicht zwingend ist.1111 Das Grundgesetz trifft zwar eine Garantie in Bezug auf die Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie (vgl. Art. 9 Abs. 3 GG).1112 Dagegen enthält es keine Bestimmungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Aus dem Umstand, dass im Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes die Mitbestimmungsfrage bereits heftig diskutiert worden war und der Verfassungsgeber daher selbst eine Aussage zur Mitbestimmung hätte treffen können, kann zwar nicht ohne Weiteres auf die Verfassungsgemäßheit jeglicher Mitbestimmungsregelung geschlossen werden; andererseits hielt sie der Verfassungsgeber augenscheinlich auch nicht für grundsätzlich verfassungswidrig.1113 Eine verfassungsrechtliche Diskussion entbrannte trotz der jahrelang bereits bestehenden paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie erst im Zuge der Auseinandersetzungen um eine Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf Großunternehmen in der gesamten Wirtschaft.1114 Die Diskussion fokussierte sich von Beginn an darauf, ob die paritätische Mitbestimmung einzelne Grundrechte verletze.1115 Nach der Verabschiedung des MitbestG legten 29 Arbeitgeberverbände, neun Unternehmen und die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ein, mit der allen voran die Unvereinbarkeit des Mitbestimmungsgesetzes mit der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der wirtschaftlichen Hand-
1108 BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954, Az.: 1 BvR 459/52 (Investitionshilfe), NJW 1954, S. 1235 = juris Rn. 38. 1109 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 119. 1110 BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954, Az.: 1 BvR 459/52 (Investitionshilfe), NJW 1954, S. 1235 = juris Rn. 38 f. 1111 BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954, Az.: 1 BvR 459/52 (Investitionshilfe), NJW 1954, S. 1235 = juris Rn. 39. 1112 Näher hierzu unten Kapitel 2, C.III.1. 1113 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 41. 1114 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 48. 1115 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 42.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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lungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) gerügt wurde.1116 Anders als die Beschwerdeführer nahm das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. März 1979 keinen Verstoß der jeweiligen beanstandeten Vorschriften des MitbestG gegen Grundrechte der betroffenen Gesellschaften, Anteilseigner und Arbeitgeberkoalitionen an.1117 Mit Verweis auf die Wirtschaftsneutralität des Grundgesetzes verneinte das Bundesverfassungsgericht den Prüfungsmaßstab eines über den individualrechtlichen Inhalt von Grundrechten hinausgehenden „institutionellen Zusammenhangs der Wirtschaftsverfassung“ und eines „Schutz- und Ordnungszusammenhangs der Grundrechte“ und prüfte das Mitbestimmungsgesetz stattdessen anhand derjenigen „Einzelgrundrechte, welche die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Einführung einer erweiterten Mitbestimmung markieren“.1118 Als verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen der Mitbestimmung legte das Bundesverfassungsgericht so die vom Grundgesetz garantierte Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG), Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG), Berufs- bzw. Unternehmerfreiheit (Art. 12 GG), die Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) seiner Prüfung zugrunde. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht unter anderem auf die verfassungsrechtlich zulässige „Sozialbindung des Anteilseigentums“ und den „sozialen Bezug“ sowie die „soziale Funktion“ der Unternehmerfreiheit und setze sich mit dem Einfluss der Mitbestimmungsregeln auf die Gegnerunabhängigkeit der Tarifpartner und die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems auseinander.1119 Zwar wird vereinzelt ein „Grundrecht auf Mitbestimmung“ bejaht1120, richtigerweise ist ein solches jedoch zu verneinen1121. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist zu schließen, dass das MitbestG zwar eine verfassungsrechtlich zulässige, nicht aber eine „verfassungsrechtlich gebotene“ Regelung 1116 Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 28 ff. 1117 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699, Leitsatz. 1118 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 118 ff. 1119 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 131 ff., 176, 197 ff. und 203 ff.; eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Urteil des BVerfG findet sich bei Badura, Paritätische Mitbestimmung und Verfassung. 1120 So Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 129 ff., 155, 157 ff., 161, der dieses aus Art. 1 GG herleiten will. 1121 So etwa Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (11) m.w. N.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
darstellt.1122 Aufgrund der damit einhergehenden Tangierung der Freiheits- und Eigentumsrechte der Anteilseigner und der Gesellschaften bedarf die Mitbestimmung einer Rechtfertigung.1123 2. Polen Im Gegensatz zum deutschen Grundgesetz trifft die Polnische Verfassung vom 2. April 19971124 eine eindeutige Aussage zur Wirtschaftsordnung. Gemäß Art. 20 der Polnischen Verfassung ist Grundlage des polnischen Wirtschaftssystems „die soziale Marktwirtschaft, die auf unternehmerischer Freiheit, Privateigentum und der Solidarität, dem Dialog und der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern beruht“.1125 Die Polnische Verfassung legt damit nicht nur die Wirtschaftsordnung fest, auch konkretisiert sie die aus Sicht des Verfassungsgebers hierfür entscheidenden Elemente. Die Mehrzahl dieser Grundsätze war dem polnischen Verfassungsrecht bis dahin fremd, und sowohl der Begriff als auch das Konzept der sozialen Marktwirtschaft („społeczna gospodarka rynkowa“) wurde mutmaßlich aus dem deutschen Rechtskreis übernommen.1126 Indem sich der Verfassungsgeber ausdrücklich für das Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft entschieden hat, wurde eine Rückkehr zum sozialistischen System der Planwirtschaft verfassungsrechtlich ausgeschlossen und die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Gestaltung der Wirtschaftsordnung dahingehend eingeschränkt.1127 Gleichzeitig implizierte die Aufzählung von Privateigentum im Rahmen der fundamentalen Bestandteile der sozialen Marktwirtschaft das Gebot, die Privatisierung voranzutreiben und zu finalisieren.1128 Neben der Bezeichnung des Eigentumsrechts als einer der Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft sichert die Verfassung das Eigentums- und Erbrecht in Art. 21 und Art. 64 der Polnischen Verfassung auch dem einzelnen Bürger als Individualrecht zu. Der soziale Aspekt der neuen Wirtschaftsordnung fand seinen Niederschlag in den näheren Spezifizierungen der Art. 24 und Artt. 65 bis 76 der Polnischen Verfas-
1122 Badura, Mitbestimmung und Gesellschaftsrecht, in: FS Rittner, S. 1 (11); ebenso Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (S. 11). 1123 Badura, Mitbestimmung und Gesellschaftsrecht, in: FS Rittner, S. 1 (10 f.); ebenso BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 6; ausführlich zur Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung unten Kapitel 3, A.II.1. 1124 Polnische Verfassung vom 2. April 1997, Dz. U. 1997, Nr. 78 Pos. 483. 1125 Art. 20 der Polnischen Verfassung: „Społeczna gospodarka rynkowa oparta na wolnos´ci działalnos´ci gospodarczej, własnos´ci prywatnej oraz solidarnos´ci, dialogu i współpracy partnerów społecznych stanowi podstawe˛ ustroju gospodarczego Rzeczypospolitej Polskiej.“ Übersetzung d. Verf. 1126 Dies andeutend Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 94. 1127 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 94; Witkowski, in: Witkowski/Bien ´ -Kacała, Prawo konstytucyjne, S. 101 f. 1128 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne (3. Aufl. 2006), S. 79; Witkowski, in: Witkowski/Bien´-Kacała, Prawo konstytucyjne, S. 104.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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sung, in denen eine Vielzahl sozialer Rechte der Bürger und sozialer Aufgaben des Staates verfassungsrechtlich garantiert sind.1129 Unter anderem werden darin die Arbeit unter staatlichen Schutz gestellt (vgl. Art. 24), die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit gewährleistet (vgl. Art. 65 Abs. 1) und bestimmte Arbeitsbedingungen (Arbeitssicherheit, Urlaub) verfassungsrechtlich garantiert (vgl. Art. 66). In vielen sozialistischen oder kommunistischen Staaten war die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensführung in der Verfassung garantiert, was sich damit erklären lässt, dass die Arbeitnehmerbeteiligung als ein Grundsatz der „sozialistischen Demokratie“ propagiert wurde.1130 So wurde im Jahre 1976 auch in die Verfassung der Volksrepublik Polen der Grundsatz der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung aufgenommen.1131 Eine wahrhaftige Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen war damit indes nicht beabsichtigt, vielmehr wollten sich die politischen Machtinhaber in Wirklichkeit lediglich die Akzeptanz und das Wohlwollen der Belegschaften sichern.1132 Obwohl dies in den ersten Verfassungsentwürfen zur neuen Verfassung nach dem Umbruch noch so vorgesehen war, wurde das Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung an der Unternehmensführung in der Polnischen Verfassung vom 2. April 1997 nicht ausdrücklich garantiert, was auf den Widerstand der Arbeitgeberseite und mutmaßlich auch den der Gewerkschaften, die vor betriebsinterner Konkurrenz fürchteten, zurückgeführt wird.1133 Gleichwohl bildet heutzutage Art. 20 der Polnischen Verfassung die verfassungsrechtliche Grundlage für sämtliche Formen der Arbeitnehmerbeteiligung. 1134 Zwar wird die Arbeitnehmerbeteiligung nicht ausdrücklich in Art. 20 der Polnischen Verfassung genannt, als besondere Form des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern hat sie jedoch auch indirekt ihre Verankerung in der Verfassung.1135 Unter „Sozialpartnern“ sind dabei die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite zu
1129 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 95; Witkowski, in: Witkowski/Bien ´ -Kacała, Prawo konstytucyjne, S. 102. 1130 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43); vgl. hierzu auch oben Kapitel 2, B.II. 1131 Vgl. Art. 13 Satz 2 der Verfassung der Volksrepublik Polen in der Fassung vom 16. Februar 1976, Dz. U. 1976 Nr. 7 Pos. 36 („Załoga przedsie˛biorstwa uczestniczy w zarza˛dzaniu przedsie˛biorstwami“); vgl. hierzu Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 32; Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 39. 1132 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (43). 1133 Ausführlich hierzu Kisilowska, Partycypacja pracownicza, S. 66 ff. 1134 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (224); ebenso Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182. 1135 Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
verstehen.1136 Als Parteien des Dialogs sind diejenigen Organisationsstrukturen anzusehen, die zur Vertretung der Interessen der jeweiligen Seite legitimiert sind.1137 Dies sind die einzelnen Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbände einerseits und die Gewerkschaften sowie „andere Formen und Organisationsstrukturen von betriebsinternen Arbeitnehmervertretungen, die zur Vertretung des Willens, der Interessen und der Forderungen der Arbeitnehmer berufen sind“, andererseits.1138 Unter Letzteres fallen insbesondere die Belegschaftsräte aufgrund des SelbstVerwG vom 25. September 19811139 sowie die Arbeitnehmerräte aufgrund des InfKonsG vom 7. April 20061140.1141 Nach dem genannten Verständnis des Begriffs der Sozialpartner sind auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – als eine besondere Form der Arbeitnehmervertretung im Unternehmen – als Sozialpartner zu verstehen.1142 Insofern geht der Begriff der Sozialpartner über die Vertragspartner eines Tarifvertrages oder anderer kollektiver Vereinbarungen i. S. d. Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung hinaus, denn Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung benennt in diesem Zusammenhang ausschließlich die Gewerkschaften als Arbeitnehmervertreter.1143 Während Art. 20 der Polnischen Verfassung vom „Dialog [. . .] zwischen den Sozialpartnern“ spricht, heißt es in der Präambel der Verfassung, dass der „soziale Dialog“ einen der Grundsätze bildet, auf denen die Verfassung fußt.1144
1136 So Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (15 f.). Nicht als Sozialpartner wird hingegen der Staat angesehen; vgl. Sanetra, a. a. O., ebenso Gładoch, Dialog społeczny, S. 18, 67 ff.; Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 917; anders wohl Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 96, mit Verweis auf die Triparitätische Kommission, in der der Staat vertreten war. 1137 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (16). 1138 Ebenda. 1139 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123. 1140 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 1141 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (16). 1142 So auch Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182, der die verfassungsrechtliche Grundlage der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung i. S. d. Art. 182 ArbGB und damit auch auf Grundlage des KommerzG in Art. 20 der Polnischen Verfassung sieht; ebenso wohl Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (224). 1143 Vgl. hierzu die kritischen Anmerkungen von Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (17). 1144 Präambel der Polnischen Verfassung: „[. . .] ustanawiamy Konstytucje˛ Rzeczypospolitej Polskiej jako prawa podstawowe dla pan´stwa oparte na poszanowaniu wolnos´ci i sprawiedliwos´ci, współdziałaniu władz, dialogu społecznym oraz na zasadzie pomocniczos´ci umacniaja˛cej uprawnienia obywateli i ich wspólnot.“ Übersetzung d. Verf.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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Diese Begrifflichkeiten sind insofern voneinander zu unterscheiden, als der „soziale Dialog“ weiter ist und sogar auch den Austausch zwischen den Sozialpartnern und Regierungsvertretern im Rahmen der früheren Triparitätischen Kommission – heute des Rates des Sozialen Dialogs – sowie ggf. Vertretern der territorialen Selbstverwaltung erfasst.1145 Der Dialog „zwischen den Sozialpartnern“ kann somit als Spezialfall des sozialen Dialogs betrachtet werden.1146 Zum sozialen Dialog zählt daher auch die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen auf Grundlage des KommerzG, die als eine Form der Mitentscheidung eine der intensiveren Ausprägungen des sozialen Dialogs darstellt.1147 Verfassungsrechtlich garantiert sind ferner die Vereinigung- und Koalitionsfreiheit im Sinne einer Freiheit im Hinblick auf die Gründung und Tätigkeit von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, berufsständischen Organisationen der Landwirte, Vereinen, Bürgerbewegungen und sonstigen freiwilligen Vereinigungen und Stiftungen (vgl. Artt. 12, 58, 59 der Polnischen Verfassung). Die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit wurden dabei nicht nur als ein Recht des Einzelnen konzipiert (vgl. Art. 58 der Polnischen Verfassung), sondern als einer der fundamentalen Grundsätze der Verfassung Polens (vgl. Art. 12 der Polnischen Verfassung). Jedoch darf das Ziel oder die Tätigkeit der Vereinigungen nicht im Widerspruch zur Verfassung oder dem Gesetz stehen (vgl. Art. 58 Abs. 2 der Polnischen Verfassung), sie dürfen sich insbesondere nicht auf totalitäre – nationalsozialistische, faschistische oder kommunistische – Praktiken berufen, Rassismus hegen oder zulassen, eine Machtergreifung oder politischen Einfluss mittels Gewalt anstreben oder Strukturen und Mitgliedschaften verheimlichen wollen (vgl. Art. 13 der Polnischen Verfassung).1148 Den Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie ihren Vereinigungen sichert die Verfassung das Recht zur Verhandlung und zum Abschluss von Tarifverträgen und anderen Vereinbarungen zu (vgl. Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung). Auch das Streikrecht wurde verfassungsrechtlich garantiert, wobei sich dieses innerhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Schranken halten muss (vgl. Art. 59 Abs. 3 der Polnischen Verfassung). Eine einfachgesetzliche Beschränkung der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit erlaubt die Verfassung nur in dem Maße, in dem internationale Verträge, durch die Polen gebunden ist, dies erlauben (vgl. Art. 59 Abs. 4 der Polnischen Verfassung).
1145 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23). 1146 Vgl. Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23 f.), der sich kritisch zu den unpräzisen Begrifflichkeiten im polnischen Recht äußert. 1147 So auch Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 950. 1148 Vgl. hierzu Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne (3. Aufl. 2006), S. 111.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
II. Europäische Garantien der Arbeitnehmerbeteiligung Nach europäischem Verständnis stellt die Arbeitnehmerbeteiligung ein Element des sozialen Dialogs dar.1149 In Art. 151 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union1150 (nachfolgend: „AEUV“) wird der soziale Dialog – und damit auch seine Verbreitung1151 – als eines der Ziele der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten aufgezählt, in Art. 152 AEUV die Rolle und Autonomie der Sozialpartner anerkannt und die Förderung des sozialen Dialogs zugesichert. Dabei wird die notwendige Berücksichtigung der Unterschiede in den nationalen Systemen betont. Auf europäischer Ebene soll nach Art. 152 Abs. 2 AEUV der Dreigliedrige Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung zum sozialen Dialog beitragen. Nach Art. 153 Abs. 1 lit. e) und f) AEUV unterstützt und ergänzt die Europäische Union die Mitgliedstaaten in dem Bereich der „Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer“ sowie der „Vertretung und kollektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung“. Aufgrund des weitgefassten Wortlauts lässt sich schließen, dass auch die Mitbestimmung in Gestalt der Arbeitnehmerbeteiligung in den Unternehmensorganen nach europäischem Verständnis ein Element des sozialen Dialogs darstellt. Artt. 154, 155 AEUV konkretisieren die von der Europäischen Union angestrebte Förderung des Dialogs zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene. Dass in der Europäischen Union viel Wert gelegt wird auf den sozialen Dialog wird auch in verschiedenen anderen Dokumenten der Europäischen Union deutlich.1152 Der soziale Dialog wird dabei als Merkmal des europäischen Sozialmodells angesehen, welches in besonderer Weise die wirtschaftliche Entwicklung und Durchführung von Reformen fördern könne.1153 Eine besondere Bedeutung kommt auf europäischer Ebene dem Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen zu. Die Europäische Grundrechtecharta (nachfolgend: „GRCh“)1154 statuiert in Art. 27 GRCh ein Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (bzw. ihrer Vertreter) im Unternehmen, wobei dieses „auf den geeigneten 1149 So Schlachter, Die Europäische Dimension betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung, EuZA 2015, Bd. 8, S. 149 (149) jedenfalls in Bezug auf die betriebliche Arbeitnehmerbeteiligung. 1150 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 26. Oktober 2012, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 326 vom 26. Oktober 2012, S. 47–199. 1151 Schlachter, Die Europäische Dimension betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung, EuZA 2015, Bd. 8, S. 149 (149). 1152 Näher hierzu Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (163 f.). 1153 Ebenda. 1154 Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18. Dezember 2000, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 364 vom 18. Dezember 2000, S. 1–22.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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Ebenen [. . .] in den Fällen und unter den Voraussetzungen gewährleistet sein [muss], die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind“. Umstritten ist, ob Art. 27 GRCh ein echtes Grundrecht oder lediglich einen Grundsatz i. S. d. Art. 52 Abs. 5 GRCh darstellt.1155 Nach herrschender Meinung gewährt Art. 27 GRCh den Arbeitnehmern jedoch – wortlautgetreu – nur ein Recht auf Unterrichtung und Anhörung, womit eine echte Mitbestimmung bzw. Mitentscheidung und damit auch die Unternehmensmitbestimmung nicht von dieser unionsrechtlichen Norm erfasst ist.1156 Abgesehen vom sozialen Dialog und dem Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung werden in zahlreichen europäischen und internationalen Dokumenten die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit garantiert und die Bedeutung von Kollektivverhandlungen hervorgehoben, so beispielsweise in Art. 12 GRCh oder in den ILO-Konventionen Nr. 87 und Nr. 981157. Konkrete Vorgaben zur Beteiligung von Arbeitnehmern finden sich in zahlreichen Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union. Hervorzuheben seien hier insbesondere die Richtlinie 2002/14/EG zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer1158 sowie die Richtlinie 2001/86/EG über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE1159. Allerdings zeigt sich mit den Regelungen zur SE, die keine eigenständige, zwingende Verpflichtung zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen der SE enthalten, sondern diesbezüglich lediglich eine dem bisher geltenden Mitbestimmungsniveau folgende Auffangregelung vorsehen, dass die Unternehmensmitbestimmung aus europäischer Sicht keine „unverzichtbare Grundentscheidung“ darstellt.1160
1155 Junker, Grundfreiheiten, Gesellschaftsrecht und Mitbestimmung, EuZA 2013, Bd. 6, S. 223 (234) m.w. N.; Schlachter, Die Europäische Dimension betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung, EuZA 2015, Bd. 8, S. 149 (157). 1156 Junker, Grundfreiheiten, Gesellschaftsrecht und Mitbestimmung, EuZA 2013, Bd. 6, S. 223 (234) m.w. N. 1157 Zum Einfluss der ILO-Konventionen auf das polnische Recht vgl. Florek, in: Seweryn´ski, Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 47 (49). 1158 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 80/29. 1159 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 294/22. 1160 So BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 17; ausführlich zur Mitbestimmung in der SE unten Kapitel 4, B.I.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
III. Kollektivarbeitsrechtliche Grundstrukturen und Grundprinzipien Von kollektiven Arbeitsbeziehungen kann in Polen erst nach dem Umbruch von 1989 gesprochen werden.1161 Auch der Begriff des kollektiven Arbeitsrechts war lange Zeit aus dem juristischen Wortschatz verschwunden und ist erst in den 1980er Jahren wieder aufgelebt.1162 Heutzutage lassen sich jedoch ähnliche Kernelemente und Grundstrukturen im deutschen und polnischen kollektiven Arbeitsrecht finden, innerhalb derer das System der Arbeitnehmerbeteiligung besteht. 1. Deutschland Kernelemente des deutschen kollektiven Arbeitsrechts sind die verfassungsrechtlich garantierte Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, das Tarifvertragssystem und Streikrecht, die betriebliche und schließlich auch die Unternehmensmitbestimmung. Die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit schützt die Koalitionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern „in ihrem Bestand und ihrer Betätigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“.1163 Der Schutz beinhaltet sowohl die individuelle als auch kollektive, positive und negative Koalitionsfreiheit.1164 In individueller Hinsicht wird das Recht gewährleistet, Vereinigungen zu bilden, beizutreten und in ihnen zu verbleiben und für sie tätig zu werden genauso wie das Recht, aus Koalitionen auszutreten oder ihnen von Anfang an fernzubleiben.1165 Gleichzeitig werden die Koalition selbst in ihrem Bestand und ihrer koalitionsspezifischen Betätigung geschützt sowie die freie und unabhängige Regelung ihrer Organisation gewährleistet.1166
1161
Widera, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 59 (60). Gładoch, Dialog społeczny, S. 18; C´wiertniak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 30 ff. 1163 BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549. 1164 Näher Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 107 ff., 113 ff. 1165 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. November 1965, Az.: 2 BvR 54/62, NJW 1966, S. 491; BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 183 m.w. N.; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2549 f.); Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb. ArbR, § 71 Rn. 17; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 107; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 218 Rn. 1 f. 1166 BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2549 f.); BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1999, Az.: 1 BvR 123/93, NJW 1999, S. 2657 (2657); Hamacher/van Laak, in: Moll, MünchAnwaltsHdb. ArbR, § 71 Rn. 26 ff.; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, Grundlagen Rn. 113; Rieble, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 3, § 218 Rn. 4 m.w. N. 1162
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Art. 9 Abs. 3 GG garantiert darüber hinaus die Tarifautonomie.1167 Gewährleistet wird das Recht der Tarifvertragsparteien, eigenständig Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für ihre Mitglieder treffen zu können.1168 Einfachgesetzliche Grundlage des deutschen Tarifvertragssystems ist das Tarifvertragsgesetz von 19491169. Auch das Streikrecht wird nach h. M. abgeleitet aus Art. 9 Abs. 3 GG.1170 Zwar erwähnt das Grundgesetz das Streikrecht nicht ausdrücklich, jedoch unterfallen Arbeitskampfmaßnahmen dem Schutz der Koalitionsfreiheit, sofern sie „auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind“ und „allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen“ 1171. Das Streikrecht wird in mehreren Vorschriften vorausgesetzt – so etwa in § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, § 11 Abs. 5 AÜG, § 74 Abs. 2 BetrVG. Bei der Mitbestimmung charakterisiert sich das deutsche System durch eine Zweistufigkeit: die Mitbestimmung auf Betriebsebene und auf Unternehmens-, d.h. Gesellschaftsorganebene. Rechtliche Grundlage der betrieblichen Mitbestimmung bildet das Betriebsverfassungsgesetz von 19721172 (nachfolgend: „BetrVG“), welches das frühere BetrVG von 1952 – bis auf die damaligen Vorschriften zur drittelparitätischen Unternehmensmitbestimmung – ablöste. Das BetrVG charakterisiert sich – wie auch schon seine Vorgänger von 1952 und 1920 – dadurch, dass ein von den Gewerkschaften getrenntes Vertretungsorgan im Betrieb vorgesehen ist. Wenngleich die rechtsdogmatische Einordnung der Unternehmensmitbestimmung nicht ganz einfach ist1173, so sind die Bezugspunkte zur kollektiven Interessenvertretung durch die institutionell gewährleistete Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen unverkennbar. Die betrieb-
1167 St. Rspr. seit BVerfG, Urteil vom 18. November 1954, Az. 1 BvR 629/52, NJW 1954, S. 1881; vgl. Linsenmaier, in: ErfK ArbR, Art. 9 GG Rn. 51; Treber, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 195 Rn. 6. 1168 Franzen, in: ErfK ArbR, § 1 TVG Rn. 3; Waas, in: BeckOK ArbR, § 1 TVG Rn. 106; vgl. zum möglichen Ausschluss bestimmter Berufsgruppen aus dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages BAG, Urteil vom 24. April 1985, Az.: 4 AZR 457/83, NZA 1985, S. 602 (603). 1169 Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969, BGBl. I S. 1323. 1170 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2550); BVerfG, Beschluss vom 2. März 1993, Az.: 1 BvR 1213/85, NJW 1993, S. 1379 (1379 f.); Linsenmaier, in: ErfK ArbR, Art. 9 GG Rn. 102. 1171 BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991, Az.: 1 BvR 779/85, NJW 1991, S. 2549 (2550). 1172 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001, BGBl. I S. 2518. 1173 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 5 („Das MitbestG lässt sich systematisch weder dem Gesellschafts- noch dem Arbeitsrecht zwanglos zuordnen“).
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liche und die Unternehmensmitbestimmung werden daher auch als „Subsysteme eines einheitlichen Systems Mitbestimmung“ angesehen.1174 2. Polen Kernelemente des heutigen polnischen kollektiven Arbeitsrechts sind der soziale Dialog sowie als besondere Elemente hiervon – ähnlich wie im deutschen Recht – die Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie, das Tarifvertragsrecht, Streikrecht und die Arbeitnehmerbeteiligung. Die gesetzlichen Grundlagen des kollektiven Arbeitsrechts in Polen finden sich – neben der Verfassung – zum Teil unmittelbar im Arbeitsgesetzbuch1175 (nachfolgend: „ArbGB“), dort insbesondere im Abschnitt I, Kapitel II „Grundprinzipien des Arbeitsrechts“ 1176 sowie in Abschnitt XI, zum Teil in Spezialgesetzen außerhalb des Arbeitsgesetzbuchs. a) Der soziale Dialog als Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft Der soziale Dialog wird in der Rechtswissenschaft nicht so sehr als ein rechtliches, sondern vielmehr als gesellschaftliches bzw. demokratisches Phänomen verstanden, das sich allerdings innerhalb rechtlich festgelegter Regeln bewegt.1177 Der Begriff des „sozialen Dialogs“ wird jedoch in der Rechtswissenschaft, Publizistik und Umgangssprache uneinheitlich und oft lediglich intuitiv gebraucht, ebenso ist das Verständnis vom sozialen Dialog in verschiedenen polnischen Rechtsgrundlagen unterschiedlich.1178 Bereits die Polnische Verfassung spricht einerseits vom „sozialen Dialog“, den sie in ihrer Präambel zu einem Grundsatz, auf dem die Verfassung beruht, erhebt, und andererseits vom „Dialog zwischen den Sozialpartnern“, den sie in Art. 20 als einen Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft aufzählt.1179 Streng genommen sind dies zwei voneinander zu unterscheidende Begrifflichkeiten.1180 Einzelne Gesetze, die den sozialen Dialog erwähnen, 1174
So Rieble, in: ders., Zukunft der Unternehmensmitbestimmung, S. 9 (23). Arbeitsgesetzbuch vom 26. Juni 1974, Dz. U. 1974 Nr. 24 Pos. 141. Dies, obwohl das ArbGB an sich nur das Individualarbeitsrecht regelt, vgl. hierzu die Anmerkungen von Wratny, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 5. 1176 „Podstawowe zasady prawa pracy“, Übersetzung d. Verf.; anders Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch und Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466 („Grundsätze des Arbeitsrechts“). 1177 Gładoch, Dialog społeczny, S. 9 f. 1178 Hierzu ausführlich Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (9 ff.); ebenso Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 945, der darauf hinweist, dass diese Uneinheitlichkeit alle Aspekte des sozialen Dialogs betrifft, d.h. sowohl die Parteien, den Gegenstand, Formen als auch Ebenen des Dialogs. 1179 Zu dem verfassungsrechtlichen Rahmen sowie zur Bedeutung der unterschiedlichen Begriffe siehe oben Kapitel 2, C.I.2. 1180 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23). 1175
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gehen von einer jeweils eigenen Zielsetzung und einem jeweils eigenen Inhalt des Dialogs aus.1181 Unklar erscheinen sowohl die Definition der Parteien des sozialen Dialogs, als auch im Allgemeinen Ziel, Gegenstand, Inhalt und Form des sozialen Dialogs.1182 Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgestaltung im Gesetz über die Triparitätische Kommission vom 6. Juli 20011183 wurde diskutiert, ob der Begriff des sozialen Dialogs auf den Dialog unter Einbeziehung der Mitglieder der Triparitätischen Kommission – d.h. Gewerkschaften, Arbeitgebervertreter und Regierungsvertreter – beschränkt ist oder weiter zu verstehen ist, im Sinne eines Oberbegriffs für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, deren Formen unter anderem der Abschluss von Tarifverträgen, die Information und Konsultation der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat und die Triparitätische Kommission darstellen.1184 Letztlich wird der soziale Dialog gemeinhin als Oberbegriff verstanden, der jegliche Formen des Austausches und der Zusammenarbeit zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Vertretern der Regierung oder territorialer Selbstverwaltungseinheiten, zusammenfasst.1185 Damit zählen sowohl der Abschluss von Tarifverträgen und anderen Kollektivvereinbarungen als auch alle (anderen)1186 Formen der Arbeitnehmerpartizipation, auch die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen, zum sozialen Dialog.1187 In diesem Sinne wurde der Begriff des sozialen Dialogs auch im Gesetzesentwurf zum kollektiven Arbeitsgesetzbuch aus April 2007 verstanden.1188
1181 Näher hierzu Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (9 ff.). 1182 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (13). 1183 Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften vom 6. Juli 2001, Dz. U. 2001 Nr. 100 Pos. 1080, außer Kraft getreten und ersetzt worden durch das Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 1184 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (10). 1185 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 10, 18, 29 f., 263; Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23); Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 946 f. 1186 Nach polnischem Verständnis gehört die gewerkschaftliche Tätigkeit begrifflich zur Arbeitnehmerpartizipation, vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 15; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 1187 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 10, 263; Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (23); Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 946 f., 950. 1188 Näher hierzu Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (10). Zu dem Gesetzesentwurf eines kollektiven Arbeitsgesetzbuchs aus dem Jahr 2007 siehe unten Kapitel 7, B.II.2.a).
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Zum sozialen Dialog gezählt werden auch die historisch wegweisenden Verhandlungen am Runden Tisch im Jahre 1989 sowie die Vereinbarungen im Pakt über das Staatsunternehmen von 1993.1189 Der heutige soziale Dialog wird auf verschiedenen Ebenen geführt – so etwa auf Ebene der Betriebe, Unternehmen, Branchen, Regionen als auch landesweit und sogar grenzüberschreitend.1190 Der Begriff der Arbeitnehmerpartizipation ist hingegen deutlich enger als der des sozialen Dialogs, da diese sich nur auf ein bestimmtes Wirtschaftssubjekt bezieht und dabei auf Betriebs- bzw. Unternehmensebene sowie in den Unternehmensorganen abspielt.1191 Im Rahmen des sozialen Dialogs gelten die Gewerkschaften als Hauptakteure, die Tarifverträge als Hauptausdrucksform des Dialogs.1192 So sollen im Zuge des sozialen Dialogs autonome Rechtsquellen bzw. im weiteren Sinne kollektive Vereinbarungen die Rechtsstellung der Arbeitnehmer bestimmen.1193 Eine besondere Form des sozialen Dialogs stellt der dreiseitige Dialog im Rahmen des Rates des Sozialen Dialogs dar, der sich aus (repräsentativen) Vertretern der Arbeitgeber, Gewerkschaften und der Regierung zusammensetzt, und der im Jahre 2015 die bis dahin diese Funktion innehabende Triparitätische Kommission ablöste. Die Triparitätische Kommission wurde zwar trotz entsprechender Überlegungen nicht in der Polnischen Verfassung kodifiziert1194, als eines der Verhandlungsergebnisse des Paktes über das Staatsunternehmen1195 erfuhr sie ihre Kodifizierung jedoch im Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften vom 6. Juli 20011196 (nachfolgend: „Gesetz über die Triparitätische Kommission“ oder „TriparKomG“). Die Triparitätische Kommission stellte danach ein „Forum des sozialen Dialogs“, im Rahmen dessen ein Ausgleich der Interessen der Arbeitnehmer, Arbeitgeber und des Gemeinwohls erfolgen sollte, Ziel ihrer Tätigkeit war die Sicherstellung gesellschaftlichen Friedens (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 TriparKomG). In gegenständlicher Hinsicht sollte sich der soziale Dialog auf Fragen der Lohnpolitik und Sozialleistungen sowie sonstige wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten beziehen (vgl. Art. 1 Abs. 3
1189
Vgl. Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 964 f. Gładoch, Dialog społeczny, S. 11; näher Sanetra, in: Wypych-Z˙ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (21 f.). 1191 Gładoch, Dialog społeczny, S. 30. 1192 Vgl. Gładoch, Dialog społeczny, S. 11 f., 264 f.; Walczak, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 946 f. 1193 Gładoch, Dialog społeczny, S. 19 f. 1194 Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 96. 1195 Hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.4.c). 1196 Gesetz über die Triparitätische Kommission für soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten und über Kommissionen des sozialen Dialogs in den Woiwodschaften vom 6. Juli 2001, Dz. U. 2001 Nr. 100 Pos. 1080. 1190
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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TriparKomG). Das Gesetz sah ferner vor, dass die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter in diesem Rahmen überbetriebliche Tarifverträge schließen konnten (vgl. Art. 2 Abs. 4 TriparKomG). Neben der zentralen Triparitätischen Kommission auf Landesebene bestanden auch Kommissionen auf Woiwodschaftsebene, die für regionale Angelegenheiten sowie im Falle übertragener Aufgaben zuständig waren (vgl. Artt. 2b Abs. 1, 16 ff. TriparKomG). Mit dem Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 20151197 (nachfolgend: „RatSozDialogG“) wurde die Triparitätische Kommission von dem neu ins Leben gerufenen Rat des sozialen Dialogs abgelöst und das Gesetz über die Triparitätische Kommission aufgehoben. Der Rat setzt sich aus Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie der Regierung zusammen, wobei wie auch schon im Rahmen der Triparitätischen Kommission die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nur von repräsentativen Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen vertreten werden (vgl. Artt. 22 ff. RatSozDialogG).1198 Der nunmehr die Funktionen der Triparitätischen Kommission übernommene Rat hat allerdings zum Teil andere Aufgaben und Zielsetzungen.1199 Der Dialog wird vom Rat mit dem Ziel geführt, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Polens zu fördern, die Wettbewerbsfähigkeit Polens zu steigern und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern (vgl. Art. 1 Abs. 2 RatSozDialogG). Zu den Aufgaben des Rates und seiner Mitglieder zählt neben allgemeinen Stellungnahmen und Äußerungen auch die Kommentierung von Gesetzesvorhaben und die Initiierung von Gesetzgebungsverfahren (vgl. Art. 2 RatSozDialogG). Die Mitglieder des Rates können Vereinbarungen treffen und gemeinsame Stellungnahmen abgeben (vgl. Art. 3 Abs. 1 RatSozDialogG), die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ferner wie auch schon im Rahmen der Triparitätischen Kommission überbetriebliche Tarifverträge schließen (vgl. Art. 15 RatSozDialogG). Auch auf Woiwodschaftsebene werden Räte gebildet (vgl. Artt. 41 ff. RatSozDialogG). Zu beobachten ist, dass auch in der Rechtswissenschaft die Annahme eines prinzipiellen Konfliktes zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite allmählich der Überzeugung weicht, dass ihre Interessen nicht zwingend entgegen1197 Gesetz über den Rat des sozialen Dialogs und andere Institutionen des sozialen Dialogs vom 24. Juli 2015, Dz. U. 2015 Pos. 1240. 1198 Das RatSozDialogG benutzt in Artt. 22 f. weiterhin die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Arbeitnehmerseite“, obwohl es nunmehr sowohl in Art. 1 RatSozDialogG als auch in Art. 23 RatSozDialogG für die Repräsentativität hinsichtlich der Mitgliederzahl entsprechend dem erweiterten Geltungsbereich des Koalitionsrechts auf die „erwerbstätigen Personen“ i. S. d. Art. 11 GewG abstellt (vgl. Art. 15 des Gesetzes über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608). Zur Erweiterung des personellen Geltungsbereiches des Koalitionsrechts siehe unten Kapitel 5, A.I.1. 1199 Vgl. http://www.dialog.gov.pl/dialog-krajowy/rada-dialogu-spolecznego/rada-dia logu-spolecznego/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
gesetzt sein müssen – wobei aber keine Konfliktlosigkeit wie im Sozialismus angenommen wird –, jedenfalls aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur durch Gespräche und Zusammenarbeit ihre beidseitigen Interessen verwirklichen können.1200 b) Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht Ähnlich wie im deutschen Recht zeichnet sich das polnische kollektive Arbeitsrecht durch die Grundsätze der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie und das Streikrecht aus. Die Koalitionsfreiheit wird als ein „Kardinalgrundsatz“ des polnischen kollektiven Arbeitsrechts betrachtet.1201 Neben der verfassungsrechtlichen Garantie ist die Koalitionsfreiheit auch im polnischen Arbeitsgesetzbuch in Art. 181 ArbGB verankert, wo sie zu den „Grundprinzipien des Arbeitsrechts“ 1202 zählt.1203 Die einfachgesetzliche Norm orientiert sich auf internationaler Ebene an den von Polen ratifizierten ILO-Konventionen Nr. 87 und Nr. 98.1204 Art. 181 ArbGB statuiert das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, „zum Zwecke der Vertretung und Verteidigung ihrer Rechte und Interessen“ Vereinigungen zu bilden und solchen beizutreten.1205 Hinsichtlich der Bildung und der Tätigkeit dieser Vereinigungen verweist das ArbGB auf die Gesetze über Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen sowie andere Vorschriften. Zu Letzteren zählen das Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten1206 (nachfolgend: „KollStrG“) und Abschnitt XI im Arbeitsgesetzbuch über Tarifverträge.1207 Die genannten Gesetze konkretisieren insoweit das Koalitionsrecht.1208
1200
Näher Gładoch, Dialog społeczny, S. 20 ff., 24 m.w. N. So Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. 1202 Vgl. Überschrift von Abschnitt I, Kapitel II des ArbGB („podstawowe zasady prawa pracy“), Übersetzung d. Verf. Andere Übersetzungen lauten „Grundsätze des Arbeitsrechts“, so etwa Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466. 1203 Verfassungsrang erhielt die Koalitionsfreiheit erst 1997, dies nachdem sie im Zuge der Reform des Arbeitsgesetzbuchs in Art. 181 ArbGB aufgenommen wurde, vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466. 1204 Vgl. S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1; Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1; Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. 1205 Art. 181 ArbGB: „Pracownicy i pracodawcy, w celu reprezentacji i obrony swoich praw i interesów, maja˛ prawo tworzyc´ organizacje i przyste˛powac´ do tych organizacji.“ Übersetzung d. Verf. 1206 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 1207 Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 2. 1208 Vgl. Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1; Ra˛czka, in: Gersdorf/ Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. 1201
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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Das mit dem Koalitionsrecht einhergehende Recht, Tarifverträge und sonstige Kollektivvereinbarungen zu verhandeln und abzuschließen, hat ebenfalls Verfassungsrang (vgl. Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung). Auch wird dieses Recht implizit in Art. 181 § 2 ArbGB gewährleistet.1209 Tarifverträge und Kollektivvereinbarungen sind gemäß Art. 9 ArbGB – neben der Verfassung und Gesetzen sowie Regularien und Statuten1210 – als Rechtsquellen des Arbeitsrechts anerkannt, womit ihnen – neben einer schuldrechtlichen – auch eine normative Geltung zukommt.1211 Das Tarifvertragsrecht hat seine einfachgesetzliche Grundlage in Abschnitt XI des Arbeitsgesetzbuchs, welcher im Zuge der Tarifvertragsreform 1994 – und somit noch vor der großen Arbeitsgesetzbuchsreform im Jahre 1996 – gänzlich neugestaltet worden ist.1212 Die Notwendigkeit einer Neuregelung ergab sich vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Transformation und dem damit verbundenen Übergang von der einseitigen und monopolartigen Bestimmung der Arbeitsbedingungen durch den Staat hin zu kollektiv zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern (oder Arbeitgebern) ausgehandelten Vereinbarungen.1213 Die einstige Monopolstellung des Staates beschränkt sich seitdem darauf, gesetzliche Mindeststandards festzulegen, während den Sozialpartnern ein großer Verhandlungsspielraum eingeräumt ist.1214 In einem Tarifvertrag werden gemäß Art. 240 §§ 1, 2 ArbGB die Arbeitsbedingungen der vom Tarifvertrag erfassten Arbeitnehmer, die schuldrechtlichen Pflichten der Tarifvertragsparteien und ggf. andere Angelegenheiten1215 geregelt. Insbesondere betreffen Tarifverträge Fragen der Vergütung sowie anderer Leistungen bzw. Zuwendungen an die Arbeitnehmer.1216 Zum Abschluss von Tarifverträgen sind ausschließlich Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbände auf der einen Seite und die Gewerkschaft als Arbeitnehmervertretung auf der anderen Seite berechtigt (vgl. Art. 24114 ArbGB, Art. 24123 ArbGB).1217 Das polnische Recht unterscheidet nunmehr zwischen Tarifverträgen auf Betriebsebene und überbetrieblichen Tarifverträgen (vgl. Artt. 24114 ff. ArbGB sowie Artt. 24123 ff. ArbGB). Anders als nach dem früher geltenden Branchengrundsatz sind nunVgl. S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 181 Rn. 1. Ausführlich hierzu S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 11 ff. 1211 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 484 f.; Włodarczyk, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 856. 1212 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 1. 1213 Ebenda. 1214 Ebenda. 1215 Zur Frage, ob die Unternehmensmitbestimmung hierunter fällt, siehe ausführlich unten Kapitel 3, A.I.1.b). 1216 Wratny, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 5. 1217 Vgl. hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 481; Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 24114 Rn. 2. 1209 1210
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
mehr unternehmensspezifische Tarifverträge möglich.1218 Zwar wurden bereits 1986 Tarifverträge auf Betriebsebene als Ergänzung zu den Branchentarifverträgen bzw. Berufstarifverträgen zugelassen, doch erst mit der Gesetzesnovelle vom 29. September 1994 wurde eine Tarifvertragsfreiheit auf Betriebs- und Branchenebene garantiert.1219 Wichtige Regelungen enthalten Art. 239 § 1 ArbGB sowie Art. 7 GewG: Aus diesen Normen ergibt sich, dass ein abgeschlossener Tarifvertrag für alle von seinem Geltungsbereich erfassten, bei einem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer gilt, unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit.1220 Dies stellt ein in der Tradition begründetes, charakteristisches Merkmal des polnischen Tarifvertragssystems dar.1221 Vor diesem Hintergrund, verbunden mit der stark pluralistischen Gewerkschaftsstruktur, war auch die Frage der Repräsentativität bei der Novellierung des Tarifvertragssystems nach dem Umbruch von entscheidender Bedeutung.1222 Wesentliche Änderungen in diesem Zusammenhang brachte jüngst das Änderungsgesetz vom 5. Juli 20181223, welches zum 1. Januar 2019 in Kraft trat: Nicht nur wurde hierdurch der personelle Geltungsbereich von Tarifverträgen über Arbeitnehmer hinaus auch auf sonstige erwerbstätige Personen erstreckt (vgl. Artt. 238 ff. ArbGB i.V. m. Art. 21 Abs. 3 GewG n. F.1224), auch wurden die gesetzlichen Regelungen zur Repräsentativität der Gewerkschaften wesentlich geändert (vgl. Artt. 252 f. GewG n. F.).1225 Neben dem Tarifvertrag erwähnt Art. 9 ArbGB ferner andere „Kollektivvereinbarungen“ 1226. Sie haben wie Tarifverträge auch eine normative Geltung und stellen damit Rechtsquellen des Arbeitsrechts dar (vgl. Art. 9 § 1 ArbGB). Art. 9 ArbGB meint dabei jedoch ausweislich des Wortlauts nur solche Kollektivvereinbarungen, die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien festlegen und „ihre Grundlage im Gesetz haben“ 1227. Die Auslegung der letztgenannten Vor1218 Kulpin ´ska/Borkowska/Buchner-Jeziorska/Urbaniak, in: Moerel, Zbiorowe stosunki pracy w procesie przemian, S. 107 (110). 1219 Gładoch, Dialog społeczny, S. 61. 1220 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 3; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 239 Rn. 2; näher hierzu unten Kapitel 5, A.I.1.c)bb). 1221 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 335. 1222 Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 335. Näher zum Erfordernis der Repräsentativität unten Kapitel 5, A.I.1.b). 1223 Gesetz über die Änderung des Gewerkschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 5. Juli 2018, Dz. U. 2018 Pos. 1608. 1224 Art. 21 Abs. 3 GewG: „Przepisy działu jedenastego ustawy z dnia 26 czerwca 1974 r. – Kodeks pracy stosuje sie˛ odpowiednio do innych niz˙ pracownicy osób wykonuja˛cych prace˛ zarobkowa˛ oraz ich pracodawców, a takz˙e do organizacji zrzeszaja˛cych te podmioty.“ 1225 Näher hierzu unten Kapitel 5, A.I.1. 1226 „Porozumienia zbiorowe“; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485. 1227 Art. 9 ArbGB: [. . .] i innych opartych na ustawie porozumien ´ zbiorowych [. . .] okres´laja˛cych prawa i obowia˛zki stron stosunku pracy.“ Übersetzung d. Verf.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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aussetzung ist nicht unproblematisch. Es wird unterschieden zwischen den sog. benannten Kollektivvereinbarungen (bzw. Kollektivvereinbarungen im engeren Sinne), die von einer gesetzlichen Norm expressis verbis vorgesehen werden, indem die gesetzliche Norm ausdrücklich die Regelung bestimmter Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien in einer Vereinbarung ermöglicht oder gebietet1228, und den sog. unbenannten Kollektivvereinbarungen (bzw. Kollektivvereinbarungen im weiteren Sinne).1229 Um benannte Kollektivvereinbarungen handelt es sich beispielsweise bei Vereinbarungen nach dem Abschluss einer Kollektivstreitigkeit (vgl. Artt. 9, 14 KollStrG) oder im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang (vgl. Art. 261 Abs. 3 GewG).1230 Dagegen gehören zu den unbenannten Kollektivvereinbarungen etwa auch die im Rahmen der früheren Triparitätischen Kommission bzw. heute im Rahmen des Rates des Sozialen Dialogs geschlossenen dreiseitigen Vereinbarungen zwischen der Regierung, den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften.1231 Während erstere die Kriterien für eine Qualifizierung als normative Kollektivvereinbarungen i. S. d. Art. 9 ArbGB in aller Regel unzweifelhaft erfüllen, ist dies bei den sog. unbenannten Kollektivvereinbarungen problematisch und uneindeutig.1232 Diskutiert wird, ob sich die von Art. 9 ArbGB geforderte „Grundlage im Gesetz“ auch aus allgemeineren Vorschriften wie etwa Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung herleiten lässt.1233 Meistens wurde den unbenannten Kollektivvereinbarungen jedoch eine lediglich schuldrechtliche Wirkung zugesprochen.1234 Relevant war diese Frage insbesondere während der Transformationsphase, als heftig diskutiert wurde, ob auch Sozialpakte, die zwischen den Gewerkschaften und einem strategischen Investor, der Aktien des sich im Privatisierungsprozess befindenden Staatsunternehmens erwerben wollte, abgeschlossen wurden, Kollektivvereinbarungen im engeren Sinne und damit Rechtsquellen i. S. d. Art. 9 ArbGB darstellten oder es
1228 Oberstes Gericht, Urteil vom 7. September 1999, Az.: I PKN 243/99, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 8; vgl. auch S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 m.w. N. 1229 Vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 912, 922, 926; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485. 1230 Hierzu sowie zu weiteren Beispielen vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 922; Orłowski, in: Wratny/Walczak, Zbiorowe prawo pracy, Art. 21 GewG Rn. 1. 1231 Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 915; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485. 1232 Ausführlich hierzu Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 922, 926 ff. 1233 Vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 914; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 m.w. N. 1234 Vgl. Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 m.w. N.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
sich hierbei lediglich um einen schuldrechtlichen Vertrag handelte.1235 Allerdings können auch im Fall einer lediglich schuldrechtlichen Wirkung Arbeitnehmer Rechte aus den Vereinbarungen geltend machen können, wenn diese als Verträge zugunsten Dritter i. S. d. Art. 393 Zivilgesetzbuch qualifiziert werden.1236 Insgesamt ist im Zusammenhang mit Kollektivvereinbarungen in der polnischen Literatur vieles sehr kontrovers und ungeklärt, zumal der Begriff der Kollektivvereinbarung in Bezug auf verschiedene zwei- und mehrseitige Vereinbarungen mit unterschiedlichem Inhalt und Rechtscharakter verwendet wird und auch die Rechtsprechung in diesem Bereich sehr uneinheitlich ist.1237 Verhandlungspartei auf Seiten der Arbeitnehmer sind auch bei Kollektivvereinbarungen vorrangig die Gewerkschaften, jedoch kommen auch andere Arbeitnehmervertretungen in Betracht.1238 Zwar gewährleistet Art. 59 Abs. 2 der Polnischen Verfassung ausdrücklich nur den Gewerkschaften das Recht, neben Tarifverträgen auch sonstige Vereinbarungen im Interesse der Arbeitnehmer zu schließen. Gleichwohl steht die Verfassung aufgrund des weiten Begriffs der Sozialpartner in Art. 20 der Polnischen Verfassung, der auch die nicht-gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung erfasst, einfachgesetzlichen Regelungen nicht entgegen, die den Abschluss von kollektiven Vereinbarungen zwischen der Arbeitgeberseite und anderen nicht-gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen vorsehen.1239 Entsprechend wird in einigen Angelegenheiten das Recht zum Abschluss von Kollektivvereinbarungen auch anderen Arbeitnehmervertretungen zubilligt, sofern in dem betroffenen Betrieb keine Betriebsgewerkschaft existiert (vgl. etwa Artt. 91 § 2, 231a § 1, 676 § 4 ArbGB), in anderen Angelegenheiten entscheidet der Arbeitgeber in nicht-gewerkschaftlich organisierten Betrieben dagegen allein, so z. B. bei der Arbeitsordnung (vgl. Art. 1042 § 2 ArbGB).1240 In letzterem Fall können die den Gewerkschaften gesetzlich zustehenden Rechte somit nicht durch eine nicht-gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung wahrgenommen werden, vielmehr unterliegen die entsprechenden Regelungen in diesen Fällen der einseitigen Bestimmung durch den Arbeitgeber.1241 1235 Vgl. Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 913; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 13 m.w. N. 1236 Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 913; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 15; vgl. etwa den Beschluss des Obersten Gerichts vom 24. November 1993, Az.: I PZP 46/93, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 1237 Ausführlich hierzu Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 913 ff., 918; Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 485 ff.; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 12 ff. m.w. N. 1238 Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 917. 1239 Sanetra, in: Wypych-Z ˙ ywiecka/Tomaszewska/Stelina, Zbiorowe prawo pracy w XXI wieku, S. 9 (16 f.). Näher hierzu unten Kapitel 5, B.I.3. 1240 Vgl. hierzu auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47.
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Ein weiteres Kernelement des polnischen kollektiven Arbeitsrechts ist das Arbeitskampfrecht. Ebenfalls verfassungsrechtlich in Art. 59 Abs. 3 der Polnischen Verfassung garantiert, findet sich die einfachgesetzliche Regelung im Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 19911242. Dabei steht die Kompetenz im Zusammenhang mit Arbeitskampfmaßnahmen ausschließlich den Gewerkschaften zu (vgl. Artt. 2 Abs. 1, 3 KollStrG).1243 Während der Laufzeit eines Tarifvertrages besteht Friedenspflicht (vgl. Art. 4 Abs. 2 KollStrG).1244 c) Die Arbeitnehmerpartizipation Das Arbeitsgesetzbuch statuiert in Art. 182 ArbGB ausdrücklich das Recht der Arbeitnehmer, „an der Führung des Betriebes in dem durch besondere Vorschriften bestimmten Umfang und nach den in diesen Vorschriften bestimmten Grundsätzen“ teilzunehmen.1245 Dabei ist von einem weiten Verständnis des Begriffs der „Führung des Betriebes“ (bzw. der „Betriebsführung“) auszugehen, der sowohl Entscheidungen des Eigentümers bzw. Arbeitgebers im Hinblick auf wirtschaftliche Angelegenheiten als auch auf klassische Arbeitnehmerangelegenheiten sowie soziale Angelegenheiten und Arbeitsschutzmaßnahmen betrifft.1246 Unter Berücksichtigung des Umstands, dass gerade die wirtschaftlichen Angelegenheiten meist auf Unternehmensebene in den Gesellschaftsorganen – im Vorstand oder Aufsichtsrat – entschieden werden1247, ist anzunehmen, dass der Begriff der Betriebsführung i. S. d. Art. 182 ArbGB – in weiter Auslegung – sowohl die Entscheidungen auf betrieblicher Ebene als auch auf Unternehmensebene umfasst.1248 1241 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47. 1242 Gesetz zur Lösung von Kollektivstreitigkeiten vom 23. Mai 1991, Dz. U. 1991 Nr. 55 Pos. 236; Übersetzung nach Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 493. 1243 Zu diesbezüglichen Reformüberlegungen vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 47 f. 1244 Hierzu auch S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Vor Art. 238 Rn. 2. 1245 Art. 182 ArbGB: „Pracownicy uczestnicza˛ w zarza˛dzaniu zakładem pracy w zakresie i na zasadach okres´lonych w odre˛bnych przepisach“. Übersetzung nach Major/ Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch. 1246 Ausführlich Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 861 ff. 1247 Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 864. 1248 So wohl auch Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 864; vgl. auch Gładoch, in: Goz´dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (205 ff.), die die Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG ebenfalls als „Arbeitnehmerbeteiligung an der Führung des Betriebes“ ansieht (Gładoch, a. a. O., S. 205) und die Beteiligung an der „Führung des Unternehmens“ generell der Beteiligung an der „Führung des Betriebes“ gleichsetzt (Gładoch, a. a. O., S. 210), ferner die Anmerkungen zum Begriff der „Führung des Betriebes“ im Gesetz von 1981 (Gładoch, a. a. O., S. 206). Im Allgemeinen scheint der Begriff des Betriebs („zaklad“) im polni-
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Ebenso wie das Koalitionsrecht ist die Arbeitnehmerbeteiligung an der Betriebsführung systematisch im Abschnitt „Grundprinzipien des Arbeitsrechts“ 1249 verankert. Allerdings werden von Art. 182 ArbGB keine bestimmten Ausprägungen der Arbeitnehmerbeteiligung verpflichtend vorgegeben.1250 Vielmehr wird dieses Recht erst durch besondere Gesetze bzw. Regelungen ausgefüllt. Auf nationaler Ebene wird das Recht auf Arbeitnehmerpartizipation konkretisiert durch das SelbstVerwG von 19811251, das KommerzG von 19961252 sowie durch das Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 20061253 (nachfolgend: „InfKonsG“).1254 Ferner sehen einige unternehmensbezogene Spezialgesetze sowie das Gesetz über die kommunale Wirtschaft eine Arbeitnehmerpartizipation vor. Darüber hinaus wird die Arbeitnehmerbeteiligung auf europäischer Ebene durch das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 20021255, das Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 20051256, das Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 20061257 und das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in durch grenzüberschreitende Verschmelzung entstandenen Gesellschaften vom 25. April 20081258 geregelt. Eine Konkretisierung des Art. 182 ArbGB dürften auch betriebliche Ad-hoc-Repräsentationen darstellen, die auf Grundlage gesetzlicher Vorschriften zum Abschluss bestimmter Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber berechtigt sind. Die von schen Recht und auch in der polnischen Literatur nicht derart eindeutig verwendet zu werden wie im deutschen Sprachgebrauch, wo er eng mit dem Betriebsverfassungsgesetz und der betrieblichen Mitbestimmung verbunden ist. Gleichwohl wird von einigen Autoren die deutsche Unterscheidung herangezogen, so wohl Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 868. 1249 „Podstawowe zasady prawa pracy“, Übersetzung d. Verf.; anders Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch und Stegemann, Gewerkschaften und kollektives Arbeitsrecht in Polen, S. 466 („Grundsätze des Arbeitsrechts“). 1250 Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 2. 1251 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123. 1252 Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Rechte der Arbeitnehmer vom 30. September 1996, Dz. U. 1996 Nr. 118 Pos. 561. 1253 Gesetz über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79 Pos. 550. 1254 Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 1; Wratny, Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 2. 1255 Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556. 1256 Gesetz über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung und die Europäische Aktiengesellschaft vom 4. März 2005, Dz. U. 2005 Nr. 62 Pos. 551. 1257 Gesetz über die Europäische Genossenschaft vom 22. Juli 2006, Dz. U. 2006 Nr. 149 Pos. 1077. 1258 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer durch grenzüberschreitende Verschmelzung enstandenen Gesellschaft vom 25. April 2008, Dz. U. 2008 Nr. 86 Pos. 525.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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Art. 182 ArbGB vorgesehene Arbeitnehmerpartizipation zeichnet sich aufgrund der genannten, die Norm konkretisierenden Vorschriften durch eine Vielfalt an rechtlichen Formen und Ausprägungen der Arbeitnehmerbeteiligung aus, die abhängig vom konkreten gesetzlichen Anwendungsbereich sowohl auf betrieblicher Ebene als auch in den Gesellschaftsorganen und sogar auf europäischer Ebene erfolgt, eine unterschiedliche Intensität annimmt und durch verschiedene Repräsentanten wahrgenommen wird.1259 Art. 183 ArbGB verpflichtet die Arbeitgeber und Verwaltungsorgane, entsprechende Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass das Koalitionsrecht nach Art. 181 ArbGB und das Recht auf Arbeitnehmerpartizipation nach Art. 182 ArbGB wahrgenommen werden können. Die Vorschrift wird verstanden als Pflicht, bei der Wahrnehmung der in Art. 181 und Art. 182 ArbGB gewährten Rechte mitzuwirken und diese zu unterstützen (z. B. durch entsprechende Information, Freistellung etc.)1260, als Verbot, die Wahrnehmung dieser Rechte zu erschweren oder zu behindern1261 sowie als Leitlinie bei der Interpretation der von Art. 181 ArbGB und Art. 182 ArbGB erfassten Vorschriften1262. Inhaltlich korrespondiert die Verpflichtung der Arbeitgeber und Verwaltungsorgane mit den jeweiligen Rechten der Arbeitnehmer.1263 Allerdings sieht Art. 183 ArbGB selbst keine Sanktionen für den Fall eines Verstoßes vor, vielmehr richten sich die Rechtsfolgen im Fall eines Verstoßes nach den jeweiligen Vorschriften, durch die Art. 181 ArbGB und Art. 182 ArbGB konkretisiert werden.1264 Charakteristisch für das polnische System der Arbeitnehmerbeteiligung ist zunächst, dass bestimmte Partizipationsformen lediglich im staatlichen bzw. ehemals staatlichen Sektor vorzufinden sind, was in der sozialistischen Vergangenheit des Landes begründet liegt. So erfassen das SelbstVerwG und das KommerzG ausschließlich existierende oder ehemalige Staatsunternehmen. Die neueren Partizipationsformen, die unter europäischem Einfluss entstanden sind, finden dagegen auch in der Privatwirtschaft Anwendung. Dogmatisch differenziert die polnische Rechtswissenschaft zwischen der Arbeitnehmerpartizipation auf erster, d.h. betrieblicher Ebene, und der Arbeitnehmerpartizipation in den Organen einer Gesellschaft, die auch als zweite Ebene 1259
Vgl. auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18. Vgl. Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 3; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1261 So Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 3; Stelina, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1262 So Muszalski, in: ders., Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1263 S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 1. 1264 Nałe˛cz, in: Walczak, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 4; Stelina, in: Sobczyk, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 2; Wratny, Kodeks pracy, Art. 183 Rn. 3. 1260
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
der Arbeitnehmerpartizipation bezeichnet wird.1265 Hierbei wird die deutsche Unterscheidung zwischen dem Betrieb und Unternehmen herangezogen.1266 Eine Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen ist auf nationaler Ebene nur auf Grundlage des KommerzG von 1996 vorgesehen, ferner in europäischer Dimension aufgrund der Gesetze über die SE, die Europäische Genossenschaft und die grenzüberschreitende Verschmelzung. Eine Sonderform bildet hier die Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des SelbstVerwG von 1981.1267 Auf betrieblicher Ebene besteht seit 2006 aufgrund des InfKonsG – abgesehen von der Tätigkeit der Betriebsgewerkschaften, betrieblicher Ad-hoc-Repräsentationen und den Europäischen Betriebsräten – unter gewissen Voraussetzungen nunmehr auch eine Beteiligung auf betrieblicher Ebene durch Arbeitnehmerräte.1268 Weiter wird danach unterschieden, ob die Beteiligungsrechte von Arbeitnehmerrepräsentanten wahrgenommen werden (sog. repräsentative Partizipation) oder ob eine persönliche Teilhabe sämtlicher Arbeitnehmer, etwa in Versammlungen, vorgesehen ist (sog. unmittelbare Partizipation).1269 Anders als im deutschen Recht wird in der polnischen Rechtswissenschaft generell die Arbeitnehmervertretung durch Gewerkschaften begrifflich zur Arbeitnehmerpartizipation gezählt.1270 Die Gewerkschaften, genauer die Betriebsgewerkschaften, werden sogar als die vorrangigen Repräsentanten der Arbeitnehmer angesehen, durch die diese Beteiligungsrechte wahrnehmen können.1271 Weitere Rechtssubjekte, die im Namen der Arbeitnehmer an der Unternehmens- bzw. Betriebsführung beteiligt sind, sind je nach gesetzlicher Grundlage die Selbstverwaltungsorgane, Ar1265 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46 f.; Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 868. 1266 Vgl. Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 868. 1267 Die dogmatische Einordnung ist hier allerdings nicht eindeutig. Einige Autoren aus der polnischen Rechtswissenschaft tendieren dazu, diese Form der Arbeitnehmerpartizipation als Beteiligung auf erster, d.h. betrieblicher Ebene zu qualifizieren. Dies wird hier anders gesehen, ebenso http://de.worker-participation.eu/Nationale-Arbeitsbe ziehungen/Laender/Polen/Unternehmensmitbestimmung, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Hierzu auch unten Kapitel 3, D.II.2.c). 1268 Ausführlich zur Arbeitnehmerbeteiligung auf betrieblicher Ebene durch die Betriebsgewerkschaften unten Kapitel 5, A.I.1.c)dd), durch andere nicht-gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretungen unten Kapitel 5, B. 1269 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Woz ´niak, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 103 (107); vgl. auch Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46, der zwischen der „repräsentativen Arbeitnehmerpartizipation“ und der „kapitalbasierten Arbeitnehmerpartizipation“ unterscheidet. 1270 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18; dies., Dialog społeczny, S. 63; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 1271 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 46.
C. Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundstrukturen
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beitnehmerräte, Arbeitnehmerrepräsentanten in den Gesellschaftsorganen (d.h. im Aufsichtsrat oder Vorstand) kommerzialisierter polnischer Aktiengesellschaften sowie Arbeitnehmerrepräsentanten in der SE, Europäischen Genossenschaft, europäische Betriebsräte und ad hoc berufene Arbeitnehmervertretungen.1272 Als Besonderheit des polnischen Systems und anders als im deutschen Recht lässt sich in polnischen Betrieben heutzutage eine zweispurige Interessenvertretung der Arbeitnehmer feststellen: auf der einen Seite durch den Arbeitnehmerrat und auf der anderen Seite durch die Betriebsgewerkschaft, der zahlreiche Kompetenzen auf betrieblicher Ebene zustehen.1273 Dabei haben die Betriebsgewerkschaften die weitaus größere Bedeutung.1274 Anders als im deutschen Recht wird in der polnischen Rechtswissenschaft zusätzlich zur Arbeitnehmerbeteiligung auf betrieblicher Ebene und in den Gesellschaftsorganen auch das sog. Arbeitnehmeraktionärstum („akcjonariat pracowniczy“) als Sonderform der Arbeitnehmerpartizipation klassifiziert – und zwar als eine Form der sog. unmittelbaren Partizipation auf zweiter Ebene, d.h. auf Organebene, die auch als „kapitalbasierte Arbeitnehmerpartizipation“ bezeichnet wird.1275 Beim Arbeitnehmeraktionärstum sind die Arbeitnehmer in der Regel zu einem kostenlosen oder vergünstigten Erwerb von Unternehmensaktien berechtigt und können über ihr Stimmrecht in der Hauptversammlung – letztlich also auf Ebene eines Gesellschaftsorgans – an der Unternehmensführung teilhaben.1276 Das Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung an der Unternehmensführung beruht dabei nicht auf einem „laboristischen“ Ansatz wie im Fall der repräsentativen Arbeitnehmerbeteiligung, sondern auf Eigentum.1277 Die Verwirklichung des Partizipationsgedankens über das Eigentum wurzelt in liberalen und christlichen Ideologien.1278 Während der Transformationsphase spielte das Arbeitnehmeraktionärstum eine erhebliche Rolle.1279
1272
Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 18, S. 159 ff. Gładoch, Dialog społeczny, S. 63. Ausführlich zu den Kompetenzen der Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene siehe unten Kapitel 5, A.I.1.c)dd). 1274 Gładoch, Dialog społeczny, S. 63. 1275 Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Woz ´niak, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 103 (107); Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 ff.; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 46. 1276 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111). 1277 Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos ´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111). 1278 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (17). 1279 Siehe hierzu ausführlich oben Kapitel 2, A.II.4. 1273
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer nehmen je nach Rechtsgrundlage eine unterschiedliche Intensität an, beginnend mit dem Recht auf Information und Konsultation auf Grundlage des InfKonsG von 2006 bis hin zur Arbeitnehmerselbstverwaltung1280 auf Grundlage der aus den Zeiten des Sozialismus stammenden Gesetze von 1981. Die in den verschiedenen Gesetzen unterschiedlich ausgeformten Beteiligungsrechte beschränken die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers somit auch in unterschiedlichem Umfang.1281
D. Zusammenfassung Die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation in Deutschland und Polen erfolgte unter grundlegend verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Rahmenbedingungen, die nicht nur einen anderen Ausgangspunkt für die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Entscheidungen im Unternehmen bildeten, sondern auch ihre jeweiligen rechtlichen Formen beeinflussten und bis heute dem jeweiligen System der Arbeitnehmerbeteiligung ihr Gepräge geben. Die Idee der Arbeitnehmerbeteiligung entstand in Deutschland bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Schon damals wurde sie als Antwort auf das Ungleichgewicht zwischen dem Faktor Kapital und dem Faktor Arbeit und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Problemen („soziale Frage“) verstanden. Erste Formen der Arbeitnehmervertretung in den Betrieben entstanden jedoch nicht auf dem Papier – wenngleich durchaus fortschrittliche Konzepte schon während der 1848er Revolution entwickelt wurden – sondern auf tatsächlicher und freiwilliger Grundlage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die in den Fabriken eingerichteten Arbeitnehmervertretungen, die eine Weiterentwicklung bewährter betrieblicher Sozialeinrichtungen darstellten, förderten zunehmend eine Kooperation zwischen dem Unternehmensinhaber und der Belegschaft. Später dienten sie als Vorbild für die gesetzlich verbindliche Einrichtung von Arbeiterausschüssen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde mit dem BRG 1920 als Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche und die radikale Rätebewegung nicht nur der Grundstein für die betriebliche Mitbestimmung, sondern auch die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen gelegt. Erstmals erhielt auch der Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ seine gesetzliche Verankerung. In der Weimarer Republik entstanden damit die gesetzlichen und darüber hinaus auch die ideologischen 1280 Das Modell nach dem SelbstVerwG von 1981 wird zwar gemeinhin als Selbstverwaltungsmodell bezeichnet, gleichwohl wird in der polnischen Literatur hervorgehoben, dass es sich tatsächlich auch hierbei nur um ein partizipatives Modell handelt, vgl. Seweryn´ski, Ewolucja samorza˛du pracowniczego, Studia Prawno-Ekonomiczne, Bd. 32, 1984, S. 7 (22); Wratny, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 5, S. 849 (868); ders., in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 68. 1281 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; näher hierzu Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 47 f.
D. Zusammenfassung
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Fundamente für die Mitbestimmung, an die nach dem Zweiten Weltkrieg angeknüpft werden konnte. Dagegen sah sich der nach dem Ersten Weltkrieg neu aufbauende polnische Staat zuvorderst der Schwierigkeit ausgesetzt, ein einheitliches Rechtssystem zu schaffen und die diversen, unter den drei Besatzungsmächten geltenden Regelungen und Systeme zu vereinen. Dadurch fehlte auch eine einheitliche arbeitsrechtliche Tradition. Die spontanen Arbeitnehmervertretungen in Form von Arbeiterdelegiertenräten waren aufgrund ihrer engen Verwandtschaft mit der bolschewistischen Rätebewegung in den federführenden politischen Kreisen unbeliebt und verloren nach den anfänglichen radikalen Bewegungen auch in der Bevölkerung bald stark an Zuspruch. Obwohl in Teilen Polens auch noch das deutsche BRG 1920 galt, scheiterte eine landesweite Ausweitung des Gesetzes, ebenso wie die im Jahre 1938 begonnene Ausarbeitung eines Betriebsrätegesetzes. So waren bis zum Zweiten Weltkrieg keinerlei gesetzliche Rahmenbedingungen für die Tätigkeit von betriebsinternen Arbeitnehmervertretungen außerhalb der Gewerkschaftsorganisationen geschaffen worden. Die Funktion der Arbeitnehmerinteressenvertretung nahmen in der Praxis vielmehr überwiegend die Gewerkschaften wahr, auch wenn diese regional stark zersplittert und daher kaum einheitlich aufgetreten waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts und insbesondere der Arbeitnehmerpartizipation in Deutschland und Polen im Rahmen grundlegend verschiedener politischer und wirtschaftlicher Systeme. In Deutschland wurde die Mitbestimmung zu einem zentralen und von breiten politischen und gesellschaftlichen Kreisen getragenen Aspekt der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung Deutschlands. Die Beteiligung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Entscheidungen wurde unter dem Schlagwort der „Wirtschaftsdemokratie“ postuliert, sie sollte eine Einschränkung des für den Krieg mitverantwortlich gemachten Kapitalismus gewährleisten und dadurch eine Wiederholung des nationalsozialistischen Regimes in Zukunft verhindern. Vor allem aber begünstigten die in den ersten Nachkriegsjahren geschaffenen Tatsachen die Entwicklung der Mitbestimmung. Vor dem Hintergrund der Entflechtungs- und Demontagemaßnahmen der Alliierten waren die geschwächten Unternehmer auf eine Kooperation mit den Gewerkschaften angewiesen, die dadurch ihre Mitbestimmungsforderungen in der Praxis durchsetzen konnten. Die Nachwehen der Kriegsgeschehnisse, die verbreitete antikapitalistische Haltung und schließlich auch die notwendige Kooperation zwischen Unternehmer- und Belegschafts- bzw. Gewerkschaftsseite verhalfen so dem Einzug der Mitbestimmung sowohl in die politischen Konzepte als auch in die Realität. Den durchsetzungsstarken Gewerkschaften gelang mit der Montanmitbestimmung die gesetzliche Absicherung eines vor dem Hintergrund der Entflechtungsmaßnahmen der Alliierten entstandenen und in der Praxis mehrere Jahre gelebten Modells der Arbeitnehmerbeteiligung. In gleichem Maße waren es die Gewerkschaften, die auf
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
eine Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf Großunternehmen in der gesamten Wirtschaft drängten. Die harten politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, die von einer Fülle an empirischen und wissenschaftlichen Untersuchungen und Abhandlungen begleitet wurden, lassen die Mitbestimmung heute als eine der konfliktreichsten politischen Fragen der deutschen Nachkriegszeit erscheinen. Dabei konnte nicht nur die Mitbestimmung in der Montanindustrie als Ansatzpunkt für die Gewerkschaften und ihre weitergehenden Forderungen nach Mitbestimmung in allen Unternehmen der Privatwirtschaft gelten. Auch ermöglichten die gemachten Erfahrungen eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema in politischen und juristischen Kreisen. Der im Laufe der ersten drei Jahrzehnte nach Kriegsende hartnäckig geführte Kampf der Gewerkschaften trug schließlich dazu bei, dass auch außerhalb der Montanindustrie ein ähnliches Mitbestimmungsmodell für Großunternehmen der Privatwirtschaft eingeführt wurde. Die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung in Polen stieß nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen auf systembedingte, in der politischen und wirtschaftlichen Ordnung wurzelnde Widerstände. In dem Kontext des zentral gesteuerten, bürokratischen Wirtschaftssystems und der autoritären politischen Alleinherrschaft der Arbeiterpartei war für eine authentische Arbeitnehmervertretung schlichtweg kein Raum.1282 Die Arbeitnehmerbeteiligung war zwar in der politischen Ideologie angelegt und sollte die führende Rolle der Arbeiterklasse untermauern, doch dienten die Partizipationsformen in Wahrheit nur der Aufsicht und Kontrolle des Parteiapparates. Sowohl die betrieblichen als auch die gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungen waren lediglich „Transmissionsriemen“ der führenden Partei, nicht jedoch authentische Repräsentanten der Arbeitnehmer. Im System der zentral gesteuerten Wirtschaft war den Staatsunternehmen im Wesentlichen keinerlei Selbstständigkeit zugebilligt, insoweit war auch eine etwaig gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensführung durch äußere Umstände beschränkt. Die auf gesellschaftliche Umbrüche und Partizipationsbestrebungen der Bevölkerung zurückzuführenden Gesetze über Betriebsräte von 1945 und über Arbeiterräte von 1956 wurden schon nach kürzester Zeit ausgehöhlt und die Arbeitnehmervertretungen zu einem Instrument der parteipolitischen Organisationen umfunktioniert, womit sie ihre anfängliche Authentizität und damit einhergehend auch den entsprechenden Rückhalt der Belegschaften verloren. Auch der Durchbruch in den Jahren 1980/1981 wurde von der Regierung schnell wieder gebändigt. Propaganda und Wirklichkeit gingen zu Zeiten der Volksrepublik Polen stark auseinander, und so gab es in der polnischen Geschichte bis 1989 – abgesehen von den Jahren 1956 bis 1958 sowie von September bis Dezember 1981 – kein echtes, authentisches und unabhängiges Arbeitnehmerbeteiligungsmodell. Es wundert daher nicht, dass sich bis 1990 1282
So auch schon Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35 f.
D. Zusammenfassung
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kein dauerhaftes, beständiges System der Arbeitnehmerbeteiligung entwickeln konnte. Zu Recht lässt sich sagen, dass die Entwicklung einer echten Arbeitnehmerbeteiligung zu Zeiten des realen Sozialismus durch die politische und wirtschaftliche Lage Polens verhindert wurde.1283 Doch auch wenn die Arbeitnehmerpartizipation in der polnischen Geschichte viele Brüche erlitt und die Authentizität, Unabhängigkeit und Einflussmöglichkeiten der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen stark schwankten, so war die Arbeitnehmerpartizipation ein in der polnischen Rechtsgeschichte stets vorhandenes Element.1284 Nicht zuletzt hatten auch die jahrzehntelangen Bestrebungen nach authentischer Arbeitnehmervertretung bzw. Selbstverwaltung und die Errungenschaften der Jahre 1980/81 schließlich stark zum Umbruch im Jahre 1989 verholfen. Der Kampf der polnischen Arbeiterschaft um mehr Selbstbestimmung war immer auch ein Kampf gegen das autoritäre sozialistische System. Nach 1989 erfolgte in Polen eine grundlegende Transformation des gesamten politischen und wirtschaftlichen Systems, im Zuge derer auch die kollektiven Beziehungen, insbesondere die Arbeitnehmerpartizipation, neu geregelt werden mussten. Innerhalb kürzester Zeit und in Angesicht sich überschlagender politischer und wirtschaftlicher Umbrüche trat an die Stelle der Selbstverwaltungen eine völlig neue, sich an westlichen Vorbildern orientierende Partizipationsform in Gestalt der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter, ehemaliger Staatsunternehmen. Insofern ist die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen der kommerzialisierten bzw. privatisierten Unternehmen als eine Kontinuität der früheren Selbstverwaltungen zu sehen, die als Kompensation für die Auflösung der – mit dem neuen, auf Marktwirtschaft und Privateigentum beruhenden System nicht länger kompatiblen – Selbstverwaltungsorgane eingeführt wurde. Die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen liegt daher wesentlich in der Geschichte vor 1989 und der Existenz der Selbstverwaltungen begründet, denen eine dem neuen Wirtschaftssystem angepasste Form der Arbeitnehmerpartizipation verliehen werden musste. In dieser – mehr ideologischen und politischen als rechtlichen – Kontinuität hat der in Polen mehrere Jahrzehnte lang geführte Kampf um die Selbstverwaltung als Gegenpart zur staatlichen Autorität seine Spuren auf dem polnischen Modell der Arbeitnehmerpartizipation bis heute hinterlassen. Gleichzeitig färbten jedoch auch die mit den Selbstverwaltungsorganen gemachten negativen Erfahrungen und gefestigten Überzeugungen auf das Verständnis der Arbeitnehmerbeteiligung im Unternehmen ab. Der historische Nachlass an negativen Erfahrungen mit dem sozialistischen System warf einen langen Schatten auch auf die Arbeitnehmerpartizipation, der seit Einleitung der wirtschaftlichen Transformation mit großer Zurückhaltung begegnet wurde. 1283
So Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 35. Zutreffend schon hervorgehoben von Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 168. 1284
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
Abgesehen von der in jener Kontinuität begründeten gesetzlichen Zusicherung einer Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen schlug die Entwicklung der Arbeitnehmerpartizipation nach der wirtschaftlichen und politischen Transformation eine neue Richtung ein. Bei der Neuregelung des kollektiven Arbeitsrechts in Polen lag der Fokus auf der Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen für unabhängige Gewerkschafts- und Arbeitgeberorganisationen und die Entwicklung des sozialen Dialogs, im Rahmen dessen die Gewerkschaften die wesentliche Rolle spielten. Eine gewerkschaftsunabhängige betriebliche Mitbestimmung wurde erst mit Umsetzung der europäischen Richtlinie 2002/14/EG zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer eingeführt, sodass lange Zeit die Gewerkschaften in der Privatwirtschaft die einzige unternehmensinterne Institution zur Wahrung arbeitnehmerseitiger Interessen darstellten. Auch wenn sich Polen an westlichen Vorbildern, unter anderem auch am deutschen Mitbestimmungsmodell, orientierte, so fand es einen eigenen Weg zur Neuregelung des kollektiven Arbeitsrechts und der Arbeitnehmerpartizipation, der sich vom deutschen Modell doch grundlegend unterschied. Beim Neuaufbau der wirtschaftlichen und politischen Ordnung wurde zu neuen Mechanismen gegriffen – so etwa der Triparitätischen Kommission –, die in Deutschland keine institutionelle Entsprechung finden. Noch bedeutsamer als die Frage der Arbeitnehmerpartizipation erschien im Rahmen der wirtschaftlichen Neuordnung indes die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen. Im Rahmen der Konzepte zur Neuordnung Polens war die Eigentumsfrage zu einem zentralen Streitpunkt geworden, gleichsam nahm daher auch die sog. „Kapitalpartizipation“ der Arbeitnehmer an den privatisierten Unternehmen über einen vergünstigten oder unentgeltlichen Anteilserwerb eine überragende Rolle ein. Die Privatisierungsgesetze begünstigten die Entstehung von sog. Arbeitnehmergesellschaften, in denen die Belegschaften wesentlich am Kapital der Unternehmen beteiligt waren. Doch auch wenn die Entwicklungslinien und Hintergründe der Arbeitnehmerpartizipation in Deutschland und Polen kaum unterschiedlicher sein könnten, so lassen sich im Hinblick auf die Bedeutung und Tragweite der Arbeitnehmerbeteiligung im gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext grundsätzliche Gemeinsamkeit herausstellen. In beiden Ländern ist zu beobachten, dass sich Partizipationsbestrebungen und -formen immer im Nachgang zu schweren Krisen oder grundlegenden Umbrüchen entwickelten, die eine wesentliche Neuordnung erforderten. In Deutschland schon mit anbrechender Industrialisierung, dann vor allem jeweils nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, durch den nahezu alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche betroffen waren, in Polen sowohl im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Ersten (Arbeiterdelegiertenräte) und Zweiten Weltkrieg (Betriebsräte) sowie im Nachgang zu den gesellschaftlichen Protesten im Jahre 1956 („Polnischer Oktober“) und im Jahre 1980, die jeweils von schweren wirtschaftlichen Krisen ausgelöst wurden. In beiden Ländern nahm die Bedeutung der Arbeitnehmerbeteiligung und -vertretung eine Dimension ein, die über die
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reinen arbeitsrechtlichen Implikationen und kollektiven Arbeitsbeziehungen hinausging. In Deutschland manifestierte sich dies in der elementaren Verknüpfung der Mitbestimmung mit der staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung nach den verlorenen Weltkriegen. In Polen wiederum war das Streben nach authentischer Arbeitnehmerbeteiligung immer wieder vor allem ein Versuch der Bevölkerung, sich gegen das autoritäre Staatssystem und die zentralen Wirtschaftsstrukturen aufzulehnen und so gesamtwirtschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Vor allem im Rahmen der politischen Spannungen in den 1980er Jahren war die Frage der Arbeitnehmerbeteiligung ein zentrales Element des politischen Kampfes gegen das autoritäre Staatssystem. Gleichzeitig stellte die Arbeitnehmerselbstverwaltung einen wesentlichen Aspekt in den Konzepten zur Überwindung der langjährigen wirtschaftlichen Krise des Landes dar, in den Gesprächen des Runden Tisches war sie ein proklamiertes Fundament der Staatsreform. Die Arbeitnehmerselbstverwaltung hatte so über ihre Funktion in einzelnen Unternehmen hinaus eine wesentliche Bedeutung nicht nur für die arbeitsrechtlichen und politischen Beziehungen in Zeiten des realen Sozialismus, sondern letztlich für die gesamte staatliche und wirtschaftliche Ordnung.1285 Nach dem Umbruch von 1989 zeigte sich die gesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Arbeitnehmerpartizipation darin, dass die mit den Privatisierungsgesetzen eingeführte Unternehmensmitbestimmung ein Zugeständnis an die Arbeitnehmer darstellen sollte, mit dem sich die Regierung ihre Akzeptanz für die wirtschaftlichen und oft mit negativen Konsequenzen für die Arbeitnehmer behafteten Privatisierungsprozesse sichern wollte. Arbeitnehmerpartizipation war daher sowohl in Deutschland als auch in Polen ein – wenngleich im unterschiedlichen Kontext – vor allem auch gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Thema. Teilweise war sie sogar Teil eines Kampfes gegen das System: Während sich die polnische Arbeiterschaft über eine authentische Arbeitnehmerbeteiligung Freiheiten im sozialistischen System erkämpfen wollte, war in Deutschland jedenfalls in den ersten Nachkriegsjahren die Mitbestimmung als Beschränkung des Kapitalismus gedacht. Die Geschichte Polens zeigt indes, dass überhaupt nur in Letzterem eine authentische Arbeitnehmerbeteiligung bestehen kann. Die heutige Ausprägung der kollektiven Arbeitsbeziehungen in Deutschland und Polen hat sich nicht zuletzt durch den europäischen Einfluss erheblich angenähert. Gewerkschaften, Tarifverträge, gewerkschaftsunabhängige betriebliche Interessenvertretungen und in Teilen sogar die Unternehmensmitbestimmung lassen sich als Institutionen des kollektiven Arbeitsrechts in beiden Rechtsordnungen finden. Die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen beruhen auf den gleichen Grundprinzipien der politischen Demokratie, sozialen Marktwirtschaft, verfassungsrechtlich gewährleistetem Privateigentum, Koalitionsfrei1285 So auch schon Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 59.
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Kap. 2: Entwicklung und Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung
heit und Tarifautonomie. Gleichwohl färben die historischen Hintergründe noch heute auf das System der kollektiven Arbeitsbeziehungen ab. So reicht die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern in Deutschland bereits ins 19. Jahrhundert zurück, während in Polen erst nach dem Umbruch 1989 nach und nach ein sozialer Dialog entstehen konnte. Der deutsche Ansatz von einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ fand sich bereits in Konzepten während der 1848er Revolution, manifestierte sich schließlich in den freiwillig etablierten Fabrikausschüssen im 19. Jahrhundert, zeigte sich auch beim Zusammenwirken der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite beim staatlichen Wiederaufbau nach 1945 und dem Widerstand gegen existenzbedrohende Demontagen und ist auch heute nicht nur im Gesetz (Grundsatz der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“, vgl. § 2 Abs. 1 BetrVG), sondern auch im Bewusstsein der Sozialpartner und der gelebten Praxis verankert. Das deutsche Modell der paritätischen Unternehmensmitbestimmung entstand nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Fundament einer tatsächlich gelebten und notwendigen Kooperation zwischen den Unternehmensinhabern und den Arbeitnehmern sowie ihren Vertretern. In Polen wurde authentischen Kooperationen, sofern sie denn auftraten, dagegen bald wieder der Boden entzogen, indem die Arbeitnehmervertretungen wieder den parteipolitischen und gewerkschaftlichen Organisationen unterstellt wurden. Eine wahrhaftige Kooperation zwischen den Arbeitnehmervertretungen und dem Unternehmensinhaber – dem Staat – konnte angesichts der autoritären politischen Führung schon per Definition nicht dauerhaft gelingen. Die Arbeitnehmerpartizipation in Polen wurde dadurch geprägt von einem Kampf der Arbeitnehmervertretungen gegen den autoritären Unternehmensinhaber. Erst nach 1989 konnte überhaupt eine Kooperation zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft frei von systembedingten Zwängen entstehen.
Kapitel 3
Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung I. Rechtsgrundlagen der Unternehmensmitbestimmung 1. Deutschland a) Unternehmensmitbestimmungsgesetze Die rechtlichen Grundlagen für das Recht der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland finden sich im Wesentlichen in vier Gesetzen: a) dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 19511 („MontanMitbestG“); b) dem Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 7. August 19562 („MontanMitbestErgG“); c) dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 19763 („MitbestG“); und d) dem Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 18. Mai 20044 („DrittelbG“). Darüber hinaus gibt es verschiedene Sonderregelungen, etwa zur Mitbestimmungserhaltung (z. B. § 325 UmwG5), für bestimmte Unternehmen (z. B. das VW-Gesetz6) oder auf Grundlage von völkerrechtlichen Verträgen (z. B. 1 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951, BGBl. I S. 347, m. sp. Änd. 2 Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 7. August 1956, BGBl. I S. 707, m. sp. Änd. 3 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 1976, BGBl. I S. 1153, m. sp. Änd. 4 Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974, m. sp. Änd. 5 Vgl. hierzu etwa Ahrendt, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 116 Rn. 38. 6 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21. Juli 1960, BGBl. I S. 585; ausführlich hierzu Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 269 ff.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
betreffend die deutsch-schweizerischen Grenzkraftwerke7). Im Saarland findet sich ferner eine das MontanMitbestG abändernde Sonderregelung.8 Die gesetzlichen Regelungen über die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen sind zwingend.9 Sie können daher weder durch tarifvertragliche Abreden, Betriebsvereinbarungen oder die Satzung geändert werden10 noch sind sie einem arbeitnehmerseitigen Verzicht zugänglich11. b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen Eine Regelung der Unternehmensmitbestimmung durch Tarifvertrag ist nach herrschender Meinung12 unzulässig. Zum einen können gemäß § 1 Abs. 1 TVG die Bestimmungen eines Tarifvertrages nur „den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ regeln, sodass die Unternehmensverfassung bereits nach dem eindeutigen Wortlaut nicht in den Regelungsbereich von Tarifverträgen fällt.13 Zum anderen fehlen den Mitbestimmungsgesetzen Öffnungsklauseln für eine Gestaltung der Mitbestimmung durch Tarifvertrag – vergleichbar manchen Vorschriften des BetrVG –, die eine Abweichung von den zwingenden Vorschriften der Mitbestimmungsgesetze durch Tarifvertrag erlauben würden.14 Ferner wird vorgebracht, dass es mit dem Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit der Tarifver-
7 Vgl. Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 42; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 15; ausführlich hierzu sowie zu den deutsch-österreichischen Grenzkraftwerken Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 241 ff. 8 Gesetz Nr. 560 über die Einführung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaues und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie vom 22. Dezember 1956, Amtsblatt Saarland S. 1703, vgl. Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 1; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 40. 9 Allg. Meinung, vgl. statt aller Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 368 Rn. 12 m.w. N. 10 Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 2; Raiser, in: Raiser/Veil/ Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 57. 11 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 57; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 368 Rn. 12. 12 So etwa Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 55; Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (47); Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 368 Rn. 12; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 8 m.w. N. 13 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 55; Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (47); Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 8 m.w. N. 14 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 8.
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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tragsparteien unvereinbar sei, wenn die Gewerkschaft letztlich mithilfe des Tarifvertrages auf die Verfassung des Tarifgegners einwirken könnte.15 Eine Betriebsvereinbarung zur Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung ist schon allein deshalb undenkbar, weil Fragen der Unternehmensverfassung nicht in den Zuständigkeitsbereich der Betriebsräte nach dem BetrVG fallen und freiwillige Betriebsvereinbarungen lediglich soziale Angelegenheiten auf der betrieblichen Ebene (vgl. § 88 BetrVG) regeln können.16 In bestimmten Fällen möglich ist allerdings eine privatautonome Vereinbarung zwischen Unternehmen oder Anteilseignern und Gewerkschaften außerhalb des Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrechts, mit der ein bestimmtes, über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehendes Mitbestimmungsniveau vereinbart und daraufhin im jeweiligen Gesellschaftsvertrag festgelegt werden kann. Per se ausgeschlossen ist dies bei Anwendbarkeit des MitbestG, des MontanMitbestG und des MontanMitbestErgG, da diese Gesetze die Zahl der Arbeitnehmervertreter dergestalt zwingend festlegen, dass weder zu Ungunsten noch zu Gunsten der Arbeitnehmer von den gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden kann.17 Sofern keines der genannten Mitbestimmungsgesetze einschlägig ist, ist im Hinblick auf die Möglichkeit privatautonomer Vereinbarungen und darauf beruhender Bestimmungen in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag rechtsformspezifisch zu unterscheiden zwischen der Aktiengesellschaft und KGaA einerseits und der GmbH sowie anderen Rechtsformen andererseits.18 Denn die Möglichkeit privatautonomer Vereinbarungen über die Unternehmensmitbestimmung findet ihre Grenze dort, wo zwingende gesetzliche Regelungen einer solchen Vereinbarung entgegenstehen würden.19 Dies ist nach ganz herrschender Meinung20 etwa im Falle der Einführung oder satzungsmäßigen Erhöhung von Arbeitnehmersitzen im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft der Fall, da die gesetzlichen Vorschriften
15 So Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (48). 16 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 65. 17 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 20 ff., 50 ff. m.w. N.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 4 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 2 MontanMitbestG Rn. 3; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 5 MitbestErgG Rn. 1. Im Anwendungsbereich des MitbestG, MontanMitbestG und MontanMitbestErgG ist allenfalls eine Erhöhung der Arbeitnehmerbeteiligung durch Satzung nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 2 MitbestG, § 9 MontanMitbestG und § 5 Abs. 1 Satz 3 MontanMitbestErgG möglich; näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2.b)aa). 18 Vgl. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6 f.; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 20 ff. 19 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 21. 20 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 50.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft (§ 96 AktG) zwingend sind und – mangels Öffnungsklausel i. S. d. § 23 Abs. 5 AktG – entsprechende Satzungsänderungen unzulässig wären.21 Dasselbe gilt wegen § 278 Abs. 3 AktG im Fall der KGaA.22 Eine freiwillige Einführung oder Erhöhung der Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kann in diesem Fall nur durch tatsächliches Abstimmungsverhalten der Aktionäre in der Hauptversammlung bzw. entsprechende Stimmbindungsverträge – soweit ihre Zulässigkeit bejaht wird – erreicht werden.23 In letzterem Fall ist jedoch weder eine Erfüllungsklage aus dem Stimmbindungsvertrag möglich noch wird eine Abstimmung ungültig, wenn ein Aktionär entgegen der Vereinbarung abstimmt; allenfalls kann ein Schadensersatzanspruch gegen den jeweiligen Aktionär bestehen.24 Aus der Unzulässigkeit mitbestimmungserweiternder Satzungsregelungen folgt nicht nur das Verbot, durch Satzungsbestimmung eine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Zahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat festzulegen, auch ist die satzungsmäßige Einräumung eines Entsendungsrechts für Gewerkschaften oder Betriebsräte oder die Koppelung des Aufsichtsratsmandats an die Arbeitnehmereigenschaft oder Gewerkschaftszugehörigkeit unzulässig.25 Im Falle überhaupt nicht mitbestimmter sowie nach wohl überwiegender Ansicht auch im Falle nur drittelparitätisch mitbestimmter26 GmbHs sowie bei Personengesellschaften bestehen hingegen keine zwingenden Vorschriften, die einer
21 Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestG Vorbem. Rn. 153 m.w. N.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6 m.w. N.; ausführlich hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 50 ff.; zur zahlenmäßigen Zusammensetzung des Aufsichtsrats unten Kapitel 3, C.II.2.b)aa). 22 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 20. 23 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 55, 57 ff.; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6. Die Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen ist allerdings umstritten, vgl. die Nachweise bei Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6; für ihre Zulässigkeit etwa Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 8; kritisch zu Stimmbindungsverträgen Rieble, Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, Bitburger Gespräche 2006/I, S. 41 (52 ff.). 24 Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 8. 25 Hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 53 mit weiteren Beispielen. 26 Str., vgl. hierzu OLG Bremen, Beschluss vom 22. März. 1977, Az.: 2 W 102/75, NJW 1977, S. 1153 (1154 f.); Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 23; Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rn. 10a; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 7; jeweils m.w. N. Nach wohl h. M. wird es für zulässig erachtet, wenn im Gesellschaftsvertrag der drittelparitätisch mitbestimmten GmbH die Zahl der Arbeitnehmervertreter über die gesetzlich vorgesehene Drittelparität hinaus aufgestockt wird, da § 4 Abs. 1 DrittelbG nur eine zwingende Untergrenze enthalte, hierzu etwa OLG Bremen, Beschluss vom 22. März 1977, Az.: 2 W 102/75, NJW 1977, S. 1153 (1154 f.); Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 371 Rn. 8 m.w. N.
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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satzungsmäßigen Einführung oder Erhöhung der Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat oder der Bildung eines separaten Organs zur Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten entgegenstehen würden.27 In diesen Fällen kann mithin die Mitbestimmung im Unternehmen gänzlich neu eingeführt, aufgestockt oder in Anlehnung an andere gesetzliche Mitbestimmungsmodelle ausgestaltet werden.28 Freiwillige Mitbestimmungsvereinbarungen sind der deutschen Geschichte indes nicht fremd – erwähnt sei nicht zuletzt die in den ersten Nachkriegsjahren zunächst nur auf freiwilliger Basis bestehende Mitbestimmung in der Montanindustrie, oder auch das sog. „Lüdenscheider Abkommen“, mit dem die Mitbestimmung in anderen Gremien als dem Aufsichtsrat eingeführt wurde.29 Von der Literatur wird kritisiert, dass die geltende Rechtslage eine konkrete Anpassung der Mitbestimmung an das jeweilige Unternehmen, beispielweise im Wege einer Verhandlungslösung nach dem Vorbild der SE, verhindere.30 Als Hintergrund der zwingenden gesetzlichen Vorgaben zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei der Aktiengesellschaft wird vermutet, dass der Gesetzgeber damit unternehmensinterne Machtkämpfe in Bezug auf die Mitbestimmung von vornherein unterbinden wollte.31 Abgesehen hiervon bleibt die Möglichkeit unbenommen, eine Vereinbarung in Bezug auf konzerninterne Umstrukturierungen zu treffen, im Zuge derer die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit eines Mitbestimmungsgesetzes erfüllt werden.32 Möglich sind auch lediglich normkonkretisierende Vereinbarungen, durch die Unklarheiten und drohende Auseinandersetzungen bei noch nicht hinreichend geklärten Fallgestaltungen ausgeräumt werden sollen.33
27 Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 5, 7. 28 Ebenda. 29 Näher hierzu oben Kapitel 2, A.I.2.a) und Kapitel 2, A.I.2.d); vgl. auch Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 48, die auf eine Vereinbarung zwischen der IG BCE und der RAG AG im Hinblick auf die Arbeitsdirektoren in Konzernunternehmen, die nicht der Montanmitbestimmung unterlagen, verweist, sowie zu weiteren Fällen von privatrechtlichen Mitbestimmungsvereinbarungen auch den Biedenkopf-Bericht, BTDrucks. VI/334, S. 12 f.; vgl. auch Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, Einl. Rn. 55, der darauf hinweist, dass die Rechtsnatur, Rechtsfolgen und verfassungsrechtlichen Aspekte sog. „mitbestimmungsrechtlicher Unternehmensverträge“ in weitem Maße noch klärungsbedürftig sind. 30 So etwa Gach, in: MünchKommAktG, Bd. 2 (4. Aufl. 2014), § 1 MitbestG Rn. 39. 31 So Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 51 m.w. N. 32 Koch, in: Schaub, ArbR-Hdb., § 257 Rn. 7; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 371 Rn. 10; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 8. 33 Näher Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 75 f.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
2. Polen a) Zwingende gesetzliche Mitbestimmungsvorgaben für die Gesellschaftsorgane Eine gesetzlich vorgeschriebene Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat oder Vorstand einer Gesellschaft sieht in Polen vor allem das KommerzG von 1996 vor. Im Vergleich zum Vorgängermodell im PrivG 1990 ist die Arbeitnehmerbeteiligung im KommerzG deutlich stärker ausgeprägt.34 Daneben finden sich Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen in einigen Spezialgesetzen, die die Kommerzialisierung bzw. Privatisierung bestimmter Großunternehmen besonders regelten. Dies betrifft insbesondere die Polnische Staatsbahn („Polskie Koleje Pan´stwowe“ („PKP“))35 und die Polnische Post („Poczta Polska“)36. Besonderheiten gab es ferner bei den nationalen Investmentfonds37 und gibt es auch weiterhin im Gesetz über das Polnische Schiffsregister38. Abgesehen von der in den oben genannten Gesetzen vorzufindenden Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen von Kapitalgesellschaften besteht in Polen heutzutage nach wie vor eine Sonderform der Mitbestimmung nach den Gesetzen über das Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltungsorgane vom 25. September 1981. Die Arbeitnehmer nehmen in diesem Rahmen über zwei Unternehmensorgane, die Arbeitnehmerversammlung und den Belegschaftsrat, an der Unternehmensführung teil.39 Ferner ist auch eine Unternehmensmitbestimmung in kommunalen Gesellschaften auf Grundlage des Gesetzes über die kommunale Wirtschaft von 20. Dezember 199640 vorzufinden.
34 Ebenso Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 57; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 79; Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51. Zur Entstehungsgeschichte ausführlich oben Kapitel 2, A.II.4. 35 Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 84 Pos. 948; zur Kommerzialisierung der Polnischen Staatsbahn vgl. Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 150 ff. 36 Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008, Dz. U. 2008 Nr. 180 Pos. 1109. 37 Gesetz über die Privatisierung nationaler Investmentfonds vom 30. April 1993, Dz. U. 1993 Nr. 44 Pos. 202. 38 Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000, Dz. U. 2000 Nr. 103 Pos. 1098; vgl. hierzu Michalski, Spółka akcyjna, S. 675. 39 Vgl. Ra˛czka, in: Gersdorf/Ra˛czka/Raczkowski, Kodeks pracy, Art. 182. 40 Gesetz über die kommunale Wirtschaft von 20. Dezember 1996, Dz. U. 1997 Nr. 9 Pos. 43.
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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Die in den vorgenannten Gesetzen vorzufindenden Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung sind zwingend und können nicht durch Satzungsänderung abbedungen werden.41 Die gesetzlichen Vorgaben – jedenfalls diejenigen nach Art. 12 KommerzG und Art. 14 KommerzG – werden jedoch als Minimum angesehen, welches durch Satzungsbestimmung erweitert werden kann.42 b) Tarifvertragliche und sonstige Mitbestimmungsvereinbarungen Ob die Arbeitnehmervertretung auf Ebene der Gesellschaftsorgane einer Regelung durch Tarifvertrag zugänglich ist, hängt davon ab, ob eine zwingende gesetzliche Regelung Anwendung findet. Denn gemäß Art. 240 ArbGB können Inhalt eines Tarifvertrages nicht nur Arbeitsbedingungen und die gegenseitigen Pflichten der Tarifvertragsparteien sein, sondern auch andere Angelegenheiten, „soweit diese nicht durch die Vorschriften des Arbeitsrechts zwingend geregelt sind.“ 43 (vgl. 240 § 2 ArbGB). Unter diese dritte Gruppe fallen grundsätzlich auch verschiedene Fragen des kollektiven Arbeitsrechts, unter anderem die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung durch Information und Konsultation der Arbeitnehmervertretungen im Betrieb sowie durch Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften. 44 Es mag sich indes die Frage stellen, ob eine Regelung durch Tarifvertrag im Anwendungsbereich des KommerzG zulässig ist, da die Mitbestimmungsvorgaben als zwingend anzusehen sind.45 Unter „zwingenden Rechtsvorschriften“ i. S. d. Art. 240 § 2 ArbGB sind jedoch derartige Rechtsvorschriften zu verstehen, von denen weder zu Ungunsten noch zu Gunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann.46 In Bezug auf die Mitbestimmungsvorgaben der Art. 12 und Art. 14 KommerzG ist jedoch davon auszugehen, dass diese nur als Minimum zu verstehen sind und durch die Satzung grundsätzlich erweitert werden können.47 Der41
Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911. So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). Jedenfalls in Bezug auf Art. 14 KommerzG auch Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2 und Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84. 43 Übersetzung nach Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch. 44 Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 4, 47; vgl. auch S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 13. 45 Zum zwingenden Charakter vgl. etwa Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911. 46 Wratny, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 7. 47 So Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2 und Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84 ausdrücklich in Bezug auf Art. 14 KommerzG sowie Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/ 2013 Teil 6, S. 230 (231) im Hinblick auf Artt. 12 und 14 KommerzG. Inwieweit dies auch für Art. 11 KommerzG gelten dürfte, ist angesichts der festgelegten fixen Anzahl von Arbeitnehmervertretern und fehlenden Öffnungsklausel für eine Satzungsregelung fraglich. 42
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
artige, nur „nach unten hin“ zwingende Rechtsvorschriften sollen indes durch Tarifvertrag zugunsten der Arbeitnehmer geändert werden dürfen.48 Vor diesem Hintergrund erscheint eine Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung durch Tarifvertrag zugunsten der Arbeitnehmer gemäß Art. 240 § 2 ArbGB möglich.49 Angedacht werden könnte allenfalls, ob Art. 240 § 3 ArbGB einer Einführung der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen nicht mitbestimmter Gesellschaften bzw. der Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in kommerzialisierten Gesellschaften durch Tarifvertrag entgegenstehen könnte. Gemäß Art. 240 § 3 ArbGB dürfen durch einen Tarifvertrag Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden. In diesem Zusammenhang könnte vertreten werden, dass die Einführung bzw. Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat zugunsten der Arbeitnehmer stets notwendigerweise mit einer Beschränkung der Wahlrechte der Anteilseigner – des Staates und/oder privater Investoren – einhergeht, womit diese in ihren Eigentümerrechten beschränkt würden. Sofern die Anteilseigner als Dritte im Sinne des Art. 240 § 3 ArbGB anzusehen wären, könnte eine gemäß Art. 240 § 3 ArbGB unzulässige Beeinträchtigung angenommen werden.50 Unabhängig von der obigen Frage der Regelungsfähigkeit durch Tarifvertrag besteht die Möglichkeit, dass eine Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene bzw. eine Erweiterung oder Konkretisierung der gesetzlichen Mitbestimmungsvorschriften auf Grundlage anderweitiger, außertariflicher Kollektivvereinbarungen im weiteren Sinne51 zwischen den Gewerkschaften und dem Arbeitgeber oder – wie dies im Zusammenhang mit der Privatisierung häufig der Fall war – zwischen den Gewerkschaften und dem strategischen Investor vereinbart wird.52 Im Gegensatz zum Tarifvertrag ist jedoch in Bezug auf derartige Kollektivvereinbarungen problematisch, ob ihnen eine normative oder lediglich schuldrechtliche Wirkung zukommt.53 48 So geht Wratny auch davon aus, dass die gesetzlichen Rechte der Gewerkschaften aus dem GewG durch Tarifvertrag gemäß Art. 240 § 2 ArbGB erweitert werden können, vgl. Wratny, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 7. 49 Uneindeutig diesbezüglich Goz ´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 47, der sich auf die Anmerkung beschränkt, dass das KommerzG einen nur beschränkten Anwendungsbereich hat; auch unklar S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 182 Rn. 4 ff. 50 Diese Fragestellung wird, soweit ersichtlich, in der polnischen Literatur nicht thematisiert, vgl. etwa Goz´dziewicz, in: Muszalski, Kodeks pracy, Art. 240 Rn. 47, der die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen ausdrücklich als zulässigen Regelungsgegenstand nach Art. 240 § 2 ArbGB benennt, ohne auf Art. 240 § 3 ArbGB einzugehen. 51 Generell zum Begriff und zur Rechtsnatur der Kollektivvereinbarungen siehe oben Kapitel 2, C.III.2.b). 52 Zu den letzteren, als Sozialvereinbarungen oder auch Sozialpakte bezeichneten Vereinbarungen sogleich unten Kapitel 3, A.I.2.c). 53 Dazu ausführlich oben Kapitel 2, C.III.2.b).
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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Eine Einführung oder Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen durch freiwillige Vereinbarung ist zum einen deshalb möglich, weil – anders als etwa im Fall des deutschen MitbestG – die gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung in Artt. 12, 14 KommerzG lediglich als Minimum angesehen werden, welches durch Satzungsbestimmung erweitert werden kann.54 Zum anderen steht auch das polnische Aktienrecht – anders als das deutsche – weder einer freiwilligen Begründung noch der Konkretisierung oder Erweiterung einer gesetzlich vorgegebenen Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen zu Gunsten der Arbeitnehmer durch entsprechende Satzungsbestimmung entgegen.55 Denn anders als das deutsche Recht sieht das polnische Aktienrecht eine generelle Öffnungsklausel für vom Gesetz abweichende Satzungsbestimmungen für die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern vor (vgl. Art. 385 § 2 HGG). Gemäß Art. 385 §§ 1, 2 HGG wird zwar der obligatorische Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft grundsätzlich von der Hauptversammlung bestellt, allerdings kann die Satzung ein anderes Verfahren für die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern vorsehen. Gemeint ist damit insbesondere die in Art. 354 § 1 HGG explizit vorgesehene Möglichkeit, durch Satzungsbestimmung einem einzelnen Aktionär besondere Rechte in Bezug auf die Bestellung und Abbestellung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern zuzubilligen.56 Darüber hinaus kann ein solches Recht auch Dritten, außerhalb der Aktiengesellschaft stehenden Personen57 oder bestimmten Interessengruppen58 gewährt werden. Im Hinblick auf den Vorstand sieht Art. 368 § 4 HGG ebenfalls die Möglichkeit vor, die Bestellung der Vorstandsmitglieder in der Satzung zu regeln. Für die GmbH gilt dies gleichermaßen: Auch der – fakultative (vgl. Art. 213 HGG) – Aufsichtsrat einer GmbH wird grundsätzlich von der Gesellschafterversammlung bestellt, wenn nicht die Satzung ein anderes Verfahren für die Bestellung oder Abbestellung vorsieht (vgl. Art. 215 § 2 HGG). Ebenso findet sich für den Vorstand eine dem Art. 368 § 4 HGG entsprechende Vorschrift in Art. 201 § 4 HGG. Das Recht zur Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern kann nur dann nicht einem anderen Subjekt als der Hauptversammlung durch Satzung 54 Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2 und Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84 ausdrücklich in Bezug auf Art. 14 KommerzG sowie Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231) im Hinblick auf Artt. 12 und 14 KommerzG. Problematisch ist dies bei Art. 11 KommerzG, der eine feste Anzahl von Arbeitnehmervertretern festlegt. 55 Vgl. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 15, der darauf hinweist, dass die Satzung einer Aktiengesellschaft eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat vorsehen darf. 56 Michalski, Spółka akcyjna, S. 673. 57 Michalski, Spółka akcyjna, S. 673 f.; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 58 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421 f.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
übertragen werden, wenn diese Kompetenz gesetzlich zwingend der Hauptversammlung zugewiesen ist.59 Dies ist etwa der Fall bei Banken sowie in kommerzialisierten Unternehmen, in denen der Staat Alleinaktionär ist.60 Denn da Art. 12 Abs. 1 KommerzG für diesen Zeitraum die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ausdrücklich der Hauptversammlung zuweist, wäre eine anderweitige Satzungsbestimmung in diesem Fall unwirksam.61 Seinem Wortlaut nach schränkt Art. 12 Abs. 1 KommerzG allerdings nur die Möglichkeiten der satzungsmäßigen Änderung der Bestellungs- und Abberufungsmodalitäten ein. Dies spricht jedoch nicht gegen eine zahlenmäßige Erweiterung der in Art. 12 Abs. 1 vorgesehenen Arbeitnehmerbeteiligung von zwei Fünfteln durch eine Satzungsbestimmung, nach der zwar die Hauptversammlung die Aufsichtsratsmitglieder bestellen, jedoch ein bestimmter – über Art. 12 KommerzG hinausgehender – Teil der Aufsichtsratsmitglieder vorab von den Arbeitnehmern gewählt werden würde. Für das Wahlverfahren dürfte dann das Gleiche gelten, wie gemäß Art. 12 Abs. 1, 3 KommerzG für die bereits kraft Gesetzes zu wählenden Arbeitnehmervertreter.62 Unbeschadet der Möglichkeit, in der Satzung die Bestimmung aufzunehmen, wonach eine bestimmte Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch eine bestimmte Gruppe nominiert bzw. sogar gewählt wird, kann eine Entsendung von Arbeitnehmervertretern auch faktisch dadurch erfolgen, dass die Hauptversammlung entsprechende Kandidaten wählt. Das polnische Aktienrecht begünstigt diese Möglichkeit durch die in Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG vorgesehene besondere Regel, wonach Aktionärsgruppen, die zusammen mindestens 1/5 des Grundkapitals vertreten, eine Wahl durch Gruppen fordern können. In diesem Fall kann jede Gruppe ihren eigenen Vertreter in den Aufsichtsrat wählen (vgl. Art. 385 § 5 HGG).63 Diese Möglichkeit kann auch nicht durch Satzung ausgeschlossen werden (vgl. Art. 385 § 3 Satz 2 HGG).64 Eine besondere Relevanz dürfte diese Möglichkeit bei den sog. Arbeitnehmergesellschaften65 zugekommen sein, bei denen aufgrund des unentgeltlichen oder vergünstigten Aktienerwerbs ein Teil der Aktionäre gleichzeitig Arbeitnehmer des Unternehmens waren. Im Fall der kommerzialisierten Gesellschaften war allerdings noch bis vor Kurzem die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1, Abs. 3 KommerzG a. F. zu beachten, wonach in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates die Aufsichtsratsmitglieder mit Ausnahme der von Art. 12 KommerzG vorgesehenen Arbeitnehmerver59
Michalski, Spółka akcyjna, S. 673 f. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 61 Vgl. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 62 Zum Wahlverfahren siehe unten Kapitel 3, C.II.2.c)bb)(2)(a). 63 Näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2.c). 64 Kritisch hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911, der eine Opt-out-Lösung hierzu vorschlägt. 65 Hierzu ausführlich unten Kapitel 3, D.I. 60
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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treter nicht zugleich Arbeitnehmer der Gesellschaft sein durften. Auch durften die Aufsichtsratsmitglieder gemäß Art. 13 Abs. 1 Pkt. 1, Abs. 3 KommerzG a. F. keine Funktion in einer Betriebsgewerkschaft innehaben.66 Insofern konnten in kommerzialisierten Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates durch faktisches Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung oder Gruppenwahl nur andere Arbeitnehmervertreter als Aufsichtsratsmitglieder gewählt werden. c) Sozialvereinbarungen zur Privatisierung Im Zuge der eingeleiteten Privatisierungsprozesse kam es häufig zum Abschluss von sog. Sozialvereinbarungen. Dabei handelte es sich um Vereinbarungen, die zwischen dem strategischen Investor und der im jeweiligen Staatsunternehmen tätigen Betriebsgewerkschaft in Bezug auf die anstehende Privatisierung des Staatsunternehmens abgeschlossen wurden.67 In den Sozialvereinbarungen wurden regelmäßig Fragen der Beschäftigungssicherung, Entlohnungsgrundsätze, Sozialleistungen, Arbeitsschutzmaßnahmen und die Rechte der Gewerkschaften geregelt.68 Auch die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen und die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer war häufiger Gegenstand der Sozialvereinbarungen.69 Die in den Privatisierungsgesetzen vorgesehenen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen sowie der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer wurden im Rahmen der Sozialvereinbarungen an das jeweilige Unternehmen angepasst, die gesetzlichen Regelungen konkretisiert oder zugunsten der Arbeitnehmer abgeändert.70 Dadurch wurden die Regelungen der Privatisierungsgesetze, so insbesondere des noch heute geltenden KommerzG von 1996, in den Sozialvereinbarungen vertraglich präzisiert bzw. erweitert.71 Im Falle der noch auf Grundlage des alten PrivG 1990 erfolgenden Privatisierungen wurde in den Sozialvereinbarungen beispielsweise häufig eine dauerhafte Arbeitnehmervertretung vorgesehen, obwohl das Gesetz diese verbindlich nur für eine Übergangszeit vorsah – namentlich solange der Staat mehr als die Hälfte der Gesellschaftsanteile hielt (vgl. Art. 17 PrivG 1990).72 Im Falle von Privatisierun66
Näher zu Art. 13 KommerzG a. F. unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb)(2). Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 9. 68 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych S. 29; ausführlich zu den verschiedenen Regelungen Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 50 ff. 69 Nogalski/Czapiewski, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 495 ff. (504); Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58. 70 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76. 71 Ebenda. 72 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 67
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
gen auf Grundlage des KommerzG von 1996 wurde insbesondere das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch Sozialvereinbarungen näher bestimmt.73 Häufig wurden hierbei auch die Rechte der Gewerkschaften konkretisiert bzw. ausgebaut.74 Die Gewerkschaften nutzten ihre Rolle als Partei der Sozialvereinbarung und ließen sich so verschiedene Rechte im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen einräumen. So etwa ließen sie sich zusichern, dass sie die Grundätze für die Wahl und Abwahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat erarbeiten konnten und die jeweiligen diesbezüglichen Satzungsbestimmungen der Gesellschaft mit den im Unternehmen tätigen Gewerkschaften abgestimmt werden müssen.75 Auch in Bezug auf die Wahl und Abwahl des Arbeitnehmervertreters im Vorstand von privatisierten Unternehmen mit durchschnittlich mehr als 500 Mitarbeitern wurde den Gewerkschaften ein Mitspracherecht eingeräumt.76 Teilweise wurde in den Sozialvereinbarungen auch geregelt, dass die Kompetenzen des Arbeitnehmervertreters im Vorstand auf Grundlage eines Antrages der Betriebsgewerkschaft vom Vorstand festgelegt würden.77 Auf diese Weise wurden die wenig konkreten Regelungen der Privatisierungsgesetze präzisiert, gleichzeitig erweiterten die Gewerkschaften dabei im Wege von Sozialvereinbarungen auch ihre eigenen Rechte78. Die Gewerkschaften sicherten sich im Rahmen der Sozialvereinbarungen Zugang zu Informationen über das Unternehmen entweder dadurch, dass Gewerkschaftsvertreter einen Sitz im Aufsichtsrat erhielten oder durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, bestimmte Informationen an die Gewerkschaften weiterzuleiten. 79 Die Kompetenz der Gewerkschaften zum Abschluss der Sozialvereinbarungen wurde aus der allgemeinen Funktionsbeschreibung im GewG von 1991 abgeleitet, wonach die Gewerkschaften zur Vertretung und Verteidigung der Rechte sowie der beruflichen und sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung (Art. 1 Abs. 1 GewG) sowie zur Vertretung der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer (vgl. Art. 26 Pkt. 2 GewG) berufen sind; später sah auch das KommerzG den Abschluss derartiger Sozialvereinbarungen vor (vgl. Artt. 33 Abs. 2, 48 Abs. 2
73
Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44; ders., in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58. 74 Näher hierzu unten Kapitel 5, A.II.2.b). 75 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 77; ders., Partycypacja pracownicza, S. 44. 76 Ebenda. 77 Ebenda. 78 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 77; ausführlich zu den vereinbarten Rechten der Gewerkschaften ders., a. a. O., S. 68 ff. 79 Bednarski, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 36.
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Satz 2 KommerzG a. F.).80 So etwa sah Art. 33 KommerzG a. F. für die sog. „mittelbare Privatisierung“ 81 (auch als sog. „Kapitalprivatisierung“ 82 bezeichnet) vor, dass die mit interessierten Investoren geführten Verhandlungen Investitionszusagen, Verpflichtungen zum Umweltschutz und Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Schutz der Arbeitnehmerrechte betreffen konnten, wobei die näheren Voraussetzungen hierfür in einer Rechtsverordnung des Ministerrats geregelt werden sollten (vgl. Art. 33 Abs. 2 KommerzG a. F.). Art. 48 KommerzG a. F. regelte, dass im Falle der öffentlichen Ausschreibung zur unmittelbaren Privatisierung im jeweiligen Unternehmenskaufvertrag Verpflichtungen des Erwerbers in Bezug auf Investitionen, Umwelt- und Kulturschutz und den Schutz der Arbeitsplätze zu berücksichtigen waren. Die zwischen dem Erwerber und den Arbeitnehmervertretern verhandelten Sozialvereinbarungen wurden von Art. 48 Abs. 2 Satz 2 KommerzG a. F. ausdrücklich zum integralen Teil des Unternehmenskaufvertrages erklärt. Das KommerzG von 1996 erlaubte mithin den Abschluss von Sozialvereinbarungen zwischen dem Unternehmenserwerber bzw. späterem Inhaber und den Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Privatisierung. Auch die Rechtsprechung betonte, dass es keine abschließende Aufzählung von Situationen gäbe, in denen die Gewerkschaften Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber treffen dürften, und daher derartige besonderen Verträge zulässigerweise von Gewerkschaften und dem Unternehmenserwerber abgeschlossen werden dürften.83 Besonders kontrovers wurde jedoch die Rechtsnatur dieser sog. Sozialvereinbarungen diskutiert, namentlich ob diese als Kollektivvereinbarungen mit normativer Wirkung im Sinne des Art. 9 ArbGB eingestuft werden konnten.84 So wur80 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 70 f. Die Art. 33 und Art. 48 KommerzG sind zum 1. Januar 2017 gestrichen worden, vgl. Art. 14 Pkt. 21 lit. b) und Pkt. 25 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260; näher hierzu unten Kapitel 3, B.II.1.b). 81 „prywatyzacja pos´rednia“, Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. Übersetzung d. Verf. 82 „prywatyzacja kapitałowa“, vgl. Wrzeszcz-Kamin ´ ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 102 (103). Übersetzung d. Verf. 83 Vgl. Oberstes Gericht, Beschluss vom 24. November 1993, Az.: I PZP 46/93, abrufbar unter https://sip.lex.pl/, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 17. Februar 2000, Az.: I PKN 541/99, abrufbar unter http://www. sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 84 Ausführlich zu dieser Problematik S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 13; Wagner, Pakiet socjalny, PiZS 9/2006, S. 2 (2 ff.); Wratny, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 8; ders., Porozumienia zbiorowe – czy dekompozycja prawotwórstwa zakładowego? PiZS 7/2011, S. 2 (5 ff.); generell zu Kollektivvereinbarungen Cudowski, Charakter prawny porozumien´ zbiorowych, PiP 8/1998, S. 59 (59 ff.); Goz´dziewicz, Charakter prawny porozumien´ zbiorowych w prawie pracy, PiZS 3/1998, S. 18 (18 ff.); Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 926 ff.; Wratny, Porozumienia zbiorowe – czy dekompozycja prawotwórstwa zakładowego? PiZS 7/2011, S. 2 (2 ff.).
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
den die Normen des KommerzG (Artt. 33, 48 KommerzG) als zu wenig konkret erachtet, als dass sie als eine unmittelbare rechtliche Grundlage der jeweiligen Sozialvereinbarungen betrachtet werden könnten und die Annahme einer normativen Kollektivvereinbarung i. S. d. Art. 9 ArbGB abgelehnt.85 Umstritten war, welche Voraussetzungen an die von Art. 9 ArbGB geforderte „Grundlage im Gesetz“ zu stellen sind und ob die Art. 59 Abs. 2 sowie Art. 20 der Polnischen Verfassung als ausreichende gesetzliche Grundlage angesehen werden könnten.86 Die Rechtsprechung in diesem Bereich ist sehr uneinheitlich und unübersichtlich.87 Die in der Praxis bestehende Rechtsunsicherheit führte zu der Tendenz, die Abreden der Sozialvereinbarungen in dem später zwischen den Gewerkschaften und dem neuen Arbeitgeber abgeschlossenen Tarifvertrag als Bestandteil aufzunehmen, um ihnen normative Wirkung zu verleihen.88 3. Vergleich Sowohl nach deutschem als auch nach polnischem Recht stellen die gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen zwingendes Recht dar, allerdings werden diese in Polen – anders als nach deutschem Recht – generell nur als Minimum angesehen, das zugunsten der Arbeitnehmer erweitert werden kann. Während nach deutschem Recht der Spielraum für eine freiwillige Einführung oder Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nur sehr beschränkt bzw. im Falle der Aktiengesellschaft gänzlich ausgeschlossen ist, ist nach polnischem Recht gerade auch der Bereich der Arbeitnehmerpartizipation und damit auch der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene – entsprechend dem starken Fokus auf den sozialen Dialog – einer Vereinbarung durch Tarifvertrag oder jedenfalls eine anderweitige Kollektivvereinbarung zugänglich, wodurch sehr individuelle Ergebnisse in einzelnen Unternehmen erzielt werden können. Insbesondere die Sozialvereinbarungen, die als ergänzende Vereinbarungen zwischen dem strategischen Investor und den Gewerkschaften in den zu privatisierenden Staatsunternehmen abgeschlossen wur-
85 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 81 f.; so wohl auch Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (237). 86 Zum Meinungsstand in der polnischen Literatur ausführlich Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 932 ff. 87 Vgl. die umfassenden Rechtsprechungsnachweise bei S´wia˛tkowski, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 13 sowie bei Musiała, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 927 ff.; hierzu auch Wratny, Kodeks pracy, Art. 9 Rn. 8; ders., Porozumienia zbiorowe – czy dekompozycja prawotwórstwa zakładowego? PiZS 7/2011, S. 2 (7 ff.). 88 Gładoch, Dialog społeczny, S. 150; Sobótka, in: Kozek, Zbiorowe stosunki pracy, S. 205 (237). Zur Frage, ob eine freiwillige Einführung oder Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen durch Tarifvertrag zulässig ist, vgl. oben Kapitel 3, A.I.2.b).
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den, sind ein häufiges Beispiel für privatautonome Vereinbarungen, durch die die gesetzlichen Vorgaben konkretisiert oder sogar erweitert und damit speziell auf die Bedürfnisse eines Unternehmens abgestimmte Regelungen getroffen werden konnten. Gleichzeitig wurde dadurch jedoch faktisch nicht nur die Ausprägung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen letztlich von der Stärke und dem Einfluss der Gewerkschaften beeinflusst, auch konnten die Gewerkschaften auf diesem Wege ihre eigene Position stärken.
II. Ziel und Rechtfertigung der zwingenden Mitbestimmung auf Unternehmensebene 1. Deutschland Die Mitbestimmung war schon seit jeher kontrovers. Bis 1954 waren allein schon 7.000 Arbeiten zu dem Thema Mitbestimmung verzeichnet worden.89 Die Mitbestimmung stellt einen Eingriff in Freiheits- und Eigentumsrechte der Anteilseigner und der Gesellschaften dar und bedarf daher einer Rechtfertigung.90 In den Gesetzesbegründungen zu den Mitbestimmungsgesetzen sind Erläuterungen zum Hintergrund der eingeführten Mitbestimmung nur sehr dürftig. So etwa spricht die Begründung des von der CDU/CSU-Fraktion stammenden Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb aus dem Jahr 1950 lediglich davon, dass „die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vertreten werden sollen“ 91, der wenig später eingereichte SPD-Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Wirtschaft hingegen von der „Erkenntnis“, dass „Kapital und Arbeit gleichberechtigte Faktoren in der Wirtschaft sind“ 92. Die Regierungsentwürfe zum MontanMitbestG und BetrVG 1952 lassen eine Begründung der eingeführten Unternehmensmitbestimmung schließlich gänzlich vermissen.93 Lediglich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde in den Debatten auf einzelne Aspekte eingegangen94, etwa den Beitrag der Arbeiter und Gewerkschaften beim
89
Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. Ausführlich hierzu Badura, Mitbestimmung und Gesellschaftsrecht, FS Rittner, S. 1 (7 ff.); ders., Paritätische Mitbestimmung und Verfassung, S. 39 ff.; ebenso BDA/ BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 6. 91 Gesetzesentwurf der CDU/CSU-Fraktion über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb vom 17. Mai 1950, BT-Drucks. 1/970, S. 24. 92 Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion zur Neuordnung der Wirtschaft vom 25. Juli 1950, BT-Drucks. 1/1229, S.1. 93 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen des Bergbaus sowie der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 30. Januar 1951, BT-Drucks. 1/1858 sowie Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben (Betriebsverfassungsgesetz) vom 31. Oktober 1950, BT-Drucks. 1/1546, S. 64 f. 94 Vgl. hierzu auch Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 18. 90
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Widerstand gegen die Demontagen und Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft95 oder dass die Mitbestimmung eine Wiederholung der Geschehnisse unter dem NS-Regime verhindern würde96. Auch die Menschenwürde wurde angesprochen.97 Das Fehlen jeglicher Aussage sowohl in den Gesetzen als auch in den Gesetzesbegründungen zum Sinn und Zweck der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen erscheint indes umso bemerkenswerter, als das BRG 1920, welches erstmals eine Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat vorsah, den Zweck dieser Entsendung sogar ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen hatte – gemäß § 70 Satz 1 BRG 1920 sollte die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat erfolgen, „um die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer sowie deren Ansichten und Wünsche hinsichtlich der Organisation des Betriebs zu vertreten“. Auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum MitbestG ist im Hinblick auf Sinn und Zweck des Gesetzes zurückhaltend. Die Regierungsentwurfsbegründung beschränkt sich letztlich auf die wiederholte Betonung des Ziels, eine „gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen“ einzuführen, die „auf der Grundlage“ und „unter weitgehender Beibehaltung des geltenden Gesellschaftsrechts“ erfolgen solle.98 Darüber hinaus bezieht sich die Regierungsentwurfsbegründung lediglich noch auf die Aussagen in der Regierungserklärung vom 18. Januar 197399, in der die Mitbestimmung als „Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft“ und „Voraussetzung für jene Reformen, die in ihrer Summe den freiheitlichen Sozialstaat möglich machen“ bezeichnet und der Ausbau der Mitbestimmung nach dem „Grundsatz der Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern“ zugesagt worden war100. Insofern ließe sich in die Begründung wohl auch der Demokra95 So Imig, Abgeordneter der SPD, während der Bundestagsdebatte auf der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. Februar 1951, Plenarprotokoll Nr. 01/117 vom 14. Februar 1951, S. 4447. 96 Imig, Abgeordneter der SPD, während der Bundestagsdebatte auf der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. Februar 1951, Plenarprotokoll Nr. 01/117 vom 14. Februar 1951, S. 4436. 97 So Wessel, Abgeordneter der Zentrumspartei, während der Bundestagsdebatte auf der 117. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. Februar 1951, Plenarprotokoll Nr. 01/117 vom 14. Februar 1951, S. 4452. 98 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 16 f. 99 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17. 100 Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vom 18. Januar 1973, Punkt IX, S. 47, abrufbar unter http://library.fes.de/pdf-files/netzquelle/a88-06578.pdf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
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tie- und Sozialstaatsgedanke hineininterpretieren. Nicht zu Unrecht wird jedoch in der deutschen Rechtswissenschaft die nur sehr dürftige Gesetzesbegründung kritisiert.101 Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung wurde jedoch jedenfalls dem MitbestG von Seiten des Bundesverfassungsgerichts attestiert.102 In seinem Mitbestimmungsurteil setzte sich das Bundesverfassungsgericht auch mit der Zielsetzung des MitbestG auseinander und identifizierte die „Erweiterung der Legitimation der Unternehmensleitung, Kooperation und Integration“ als Ziele, die mit der Mitbestimmung verwirklicht werden sollten und die sich als Rechtfertigung für die im MitbestG getroffenen Regelungen eigneten.103 Auch stellte das Bundesverfassungsgericht fest, die – nur geringfügige – Einschränkung der Berufsfreiheit der erfassten Gesellschaften sei der „Preis der angestrebten Ergänzung der ökonomischen durch eine soziale Legitimation der Unternehmensleitung in größeren Unternehmen, der Kooperation und Integration aller im Unternehmen tätigen Kräfte, deren Kapitaleinsatz und Arbeit Voraussetzung der Existenz und der Wirksamkeit des Unternehmens ist“.104 Entsprechend sah das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe der Unternehmensmitbestimmung auch darin, „die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern [. . .] und die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen“.105 Eine tiefgehende und auch heute noch vielfach herangezogene Darstellung der mit der Unternehmensmitbestimmung verfolgten Ziele sowie ihrer Rechtfertigung findet sich im Anfang 1970 vorgelegten Bericht der von der CDU/SPDKoalition Ende 1967 unter dem Vorsitz von Dr. Kurt Biedenkopf gebildeten Kommission (sog. Biedenkopf-Kommission).106 Auch heute bietet der Bericht eine fundierte Quelle in Bezug auf die mit der Einführung einer paritätischen Mitbestimmung auch außerhalb der Montanindustrie verfolgten und kontrovers 101
So etwa Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22. Das MontanMitbestG und MontanMitbestErgG wurden verfassungsrechtlich indes nicht in Frage gestellt, allerdings wurden einzelne Ergänzungen zu den Montanmitbestimmungsgesetzen vom BVerfG abgesegnet, weswegen dieses augenscheinlich von einer Verfassungsmäßigkeit der Montanmitbestimmung auszugehen scheint, näher hierzu Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 51. 103 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 165. 104 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 177. 105 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 106 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18–21. 102
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
diskutierten Ziele.107 Der Biedenkopf-Bericht nennt sozialethische, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Argumente für die Mitbestimmung.108 Zu den sozialethischen Argumenten werden im Allgemeinen neben der Menschenwürde auch die Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie in Großunternehmen und die Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit gezählt.109 Dagegen werden als sozial- und gesellschaftspolitische Ziele die Kontrolle wirtschaftlicher Macht, die Sicherstellung einer sozialen Unternehmenspolitik und eine von der Mitbestimmung ausgehende Integrationswirkung verstanden.110 a) Menschenwürde und Humanisierung Die erste sozialethische Begründung fußt auf der in der christlichen Lehre wie auch in der Verfassung verankerten Würde der Menschen (vgl. Art. 1 Abs. 1 GG) und seiner freien Entfaltung (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG).111 Durch die Unternehmensmitbestimmung soll die Selbstverantwortung und Selbstbestimmtheit der Arbeitnehmer, die dem Weisungsrecht und der Organisationshoheit ihrer Arbeitgeber und damit der Unternehmensspitzen untergeordnet sind, in gewissem Maße wieder sichergestellt werden.112 Vor allem in Großunternehmen sei der Arbeitnehmer lediglich ein „Rädchen im Getriebe“, ein „fremdbestimmtes Objekt“, dessen „Subjektstellung“ nur durch die Unternehmensmitbestimmung wiederhergestellt werden könne.113 Die betriebliche Mitbestimmung allein könne dies nicht gewährleisten, da hierfür eine Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Unternehmenspolitik im Ganzen – nicht nur in Bezug auf betriebliche Fragen – und dabei insbesondere auch auf die den Entscheidungen vorgelagerten Absichten und Pläne notwendig sei.114 Die „Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen“ wurde auch in parteipolitischen Konzepten als eines der wichtigsten Ziele der Unterneh107 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 1; ebenso Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 3. 108 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18 ff.; so auch Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 1. 109 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2; ebenso Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 ff. 110 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3; ebenso Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25 ff. 111 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18, 56. 112 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2; vgl. auch die Rede von Hans Böckler auf dem Gründungskongress des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949: „[. . .] Bürger, nicht mehr Untertan wollen wir sein. Wir wollen mitraten, [. . .] und mitverantworten in allen wichtigen Dingen des Lebens der Gesamtheit. Vor allem aber in den Angelegenheiten der Wirtschaft unseres Landes“, abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 71. 113 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18. 114 Ebenda.
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mensmitbestimmung definiert.115 Auch das Bundesverfassungsgericht hatte den Gedanken der Humanisierung aufgegriffen, indem es die Aufgabe der Unternehmensmitbestimmung auch darin verstand, „die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern“ 116. Vereinzelt wird aus Art. 1 GG auch ein „Grundrecht auf Mitbestimmung“ abgeleitet117, von der herrschenden Meinung jedoch abgelehnt118. b) Wirtschaftsdemokratie Ebenfalls als sozialethischer Aspekt der Unternehmensmitbestimmung wird derjenige der „Wirtschaftsdemokratie“ bzw. der „Demokratisierung der Wirtschaft“ verstanden. In den 1970er Jahren stand das Argument der „Wirtschaftsdemokratie“ im Vordergrund der politischen und ideologischen Auseinandersetzung um die Mitbestimmung.119 Die vor allem von den Gewerkschaften erhobenen, dahingehenden Forderungen120 knüpften zwar an das in der Weimarer Republik unter der Regie von Naphtali entwickelte Konzept von der Wirtschaftsdemokratie121 an, jedoch hatte das damalige Konzept die Sozialisierung als Endziel anvisiert, während die später vorgebrachten Konzepte der Gewerkschaften die marktwirtschaftliche Ordnung akzeptierten und ihnen das selbstständige, nicht in Gemeineigentum überführte Unternehmen als Wirtschaftssubjekt in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zugrunde lag.122 Die Gewerkschaften postu115 So etwa im Rahmen des 1973 beschlossenen CDU-Mitbestimmungsmodells, siehe Punkt I. des Beschlusses „zur Reform des Unternehmensrechts“ auf dem 22. CDUBundesparteitag im Jahre 1973, abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 242. 116 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 117 Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 129 ff., 155, 157 ff., 161. 118 Vgl. etwa Brocker, Unternehmensmitbestimmung, S. 100; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 22 f.; Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, MitbestG Vorbem. Rn. 79 m.w. N. 119 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; ausführlich zur damaligen ideologischen Auseinandersetzung Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177 ff. 120 Vgl. etwa das Grundsatzprogramm des DGB von 1949, in dem die „Demokratisierung der Wirtschaft“ eine zentrale Rolle spielt, auszugsweise abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 70 ff.; ferner das DGB-Aktionsprogramm von 1965, beschlossen vom DGB-Bundesausschuss am 19. März 1965 in Duisburg („demokratische Umgestaltung unseres Arbeits- und Wirtschaftslebens“) sowie die DGB-Denkschrift „Mitbestimmung – eine Forderung unserer Zeit“ aus dem Jahre 1966 („Demokratisierung der Unternehmen“). 121 Vgl. hierzu oben Kapitel 2, B.VI. sowie Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 11, Nagel, Unternehmensmitbestimmung, S. 25. 122 Vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 16 f. Die Biedenkopf-Kommission unterscheidet daher auch begrifflich zwischen der „Wirtschaftsdemokratie“ und der „Demokratisierung der Wirtschaft“, in der Literatur wird eine derartige begriffliche Un-
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
lierten, dass die Mitbestimmung zu einer „demokratische[n] Integration der Bürger auch innerhalb der Arbeitswelt“ beitrage und „das Unternehmen damit in die demokratische Gesamtordnung“ hineinstelle.123 Die Mitbestimmung sollte die Unternehmensleitung in Großunternehmen auf demokratische Weise legitimieren, indem die von ihren Entscheidungen betroffenen Gruppen über die Bestellung, Abberufung und Kontrolle der Unternehmensleitung mitentscheiden durften, und damit die Beschäftigten gleichzeitig auch vor einer willkürlichen Machtausübung schützen.124 Auch das Bundesverfassungsgericht schrieb der Unternehmensmitbestimmung die Funktion zu, „die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ergänzen“ 125 und identifizierte die „Erweiterung der Legitimation der Unternehmensleitung“ als einen Ansatz, der sich als Rechtfertigung für die im MitbestG getroffenen Regelungen eignete126. c) Gleichgewicht von Kapital und Arbeit Als drittes sozialethisches Argument für die Unternehmensmitbestimmung wird schließlich die Herstellung eines Gleichgewichts von Kapital und Arbeit innerhalb des Unternehmens, welches einen „sozialen Verband“ 127 darstelle, angeführt.128 Dieses Ziel wird als Einziges ausdrücklich in der Gesetzesbegründung zum MitbestG genannt129, indem die „gleichberechtigte und gleichgewichtige Mitbestimmung der Arbeitnehmer“ 130 eingangs als Ziel des Gesetzesentwurfs bzw. die „gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen“ 131 in den terscheidung jedoch üblicherweise nicht getroffen, vgl. etwa Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 23; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2. 123 DGB-Denkschrift „Mitbestimmung – eine Forderung unserer Zeit“ aus dem Jahre 1966, abgedruckt bei Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft – Dokumente, S. 10 ff. (13). 124 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 19 f.; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2. 125 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 126 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 165. 127 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 56. 128 Vgl. Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 24; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 2. 129 So zutreffend bereits Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 24. 130 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 16. 131 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 17.
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folgenden Ausführungen als dem Gesetzesentwurf zugrundeliegende Erwägung benannt wird. Die Befürworter der gleichberechtigten Mitbestimmung gehen davon aus, dass die zwei Faktoren Kapital und Arbeit für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gleichermaßen notwendig seien und einander gegenseitig erforderten.132 Eine Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit rechtfertige sich zudem daraus, dass die Arbeitnehmer aufgrund der möglichen Auswirkungen auf ihre Arbeitsplätze mindestens genauso stark von den Entscheidungen im Unternehmen betroffen seien wie die Kapitalgeber; meist beeinträchtige ein etwaiger Arbeitsplatzabbau die erfassten Arbeitnehmer sogar deutlich stärker in ihrer Lebenslage als dies beim Kapitalverlust der Anteilseigner der Fall sei.133 Schließlich sei die gleichberechtige Mitentscheidung bei der Bestellung der Unternehmensleitung notwendig, damit die Arbeitnehmerinteressen hinreichende Berücksichtigung in der Unternehmenspolitik fänden und Interessengegensätze zwischen der Gruppe der Anteilseigner und Arbeitnehmer – etwa im Hinblick auf die Beschäftigungssicherung – nicht stets zulasten der Arbeitnehmer entschieden würden.134 Die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte wurde verstanden als Ansatz, um die Kraftverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit generell neu zu ordnen.135 d) Kontrolle wirtschaftlicher Macht Als sozial- und gesellschaftspolitisches Ziel der Mitbestimmung wird zunächst die Kontrolle wirtschaftlicher Macht genannt.136 Die Mitbestimmung soll eine Absicherung gegen eine zu starke Kumulation und missbräuchliche Entfaltung wirtschaftlicher Macht durch Großunternehmen bieten und damit das geltende Kartell- und Wettbewerbsrecht zum Schutz der Verbraucher und des Arbeitsmarktes ergänzen.137 Gleichzeitig soll die Mitbestimmung auch die politischen Einflussmöglichkeiten von Großunternehmen einschränken und dabei vor allem einer Druckausübung auf Willensbildungsprozesse im Parlament und der finanziellen Unterstützung bestimmter politischer Gruppierungen vorbeugen können.138 Der Aspekt der Kontrolle wirtschaftlicher Macht hatte vor allem in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine wesentliche Bedeutung erlangt.139 Bis in die 1950er Jahre prägte die Forderung nach einer Kontrolle der 132
Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 18 f. 134 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 19. 135 Potthoff, Kampf um die Montanmitbestimmung, S. 109. 136 So etwa Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3. 137 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 20. 138 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 20. 139 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. 133
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
wirtschaftlichen Macht die Diskussion um die deutsche Mitbestimmung.140 Insbesondere von den Gewerkschaften wurde die Kontrolle wirtschaftlicher und politischer Macht durch ein Gegengewicht auf Seiten der Gewerkschaften als Ziel der Mitbestimmung betont.141 In breiten politischen Kreisen stellte die Einschränkung der wirtschaftlichen Macht ein Kernelement bei der Neuordnung der wirtschaftlichen und politischen Ordnung dar. So etwa hieß es im Ahlener Programm der CDU, dass „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung [. . .] nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes“ sein könne, und das deutsche Volk „[d]urch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung [. . .] eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten [solle], die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert“.142 Durch die Kontrolle der wirtschaftlichen Macht über die Mitbestimmung sollte nach weit verbreiteter Ansicht eine Wiederholung der Geschehnisse unter dem NS-Regime verhindert werden können.143 Die Industrie schien jedenfalls in den ersten Nachkriegsjahren die Mitbestimmung – wie auch schon nach dem Ersten Weltkrieg – als kleineres Übel im Vergleich zur Sozialisierung zu akzeptieren. So lautete ein seitens der Unternehmer schon auf der ersten Konferenz im Mai 1946 vorgebrachter Gegenvorschlag zur Sozialisierung dahingehend, ein neues deutsches Gesellschaftsrecht zu schaffen, welches „den Mißbrauch der Wirtschaftskraft ausschließt und die verantwortliche Mitwirkung der Angehörigen des Betriebs an seiner Entwicklung sichert.“ 144
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Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 177. Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 4, der kritisiert, dass sich dieses Ziel weder aus der Entstehungsgeschichte des MitbestG noch aus dem Urteil des BVerfG herleiten lässt; vgl. zur Einstellung der Gewerkschaften etwa die Aussage des DGB-Vorsitzenden Heinz-Oskar Vetter auf einer Großkundgebung in Essen am 7. Mai 1974, als die Gewerkschaften ihre Positionen gegen die Mitbestimmungsgegner zunehmend stärker zu verteidigen versuchen mussten: „Wer die Mitbestimmung als einen Schritt zum Gewerkschaftsstaat verteufelt, versucht, davon abzulenken, wie groß und entscheidend die Macht der Unternehmer heute noch ist. [. . .] Jawohl, die Mitbestimmung ist eine Machtfrage. Aber es geht nicht um den Aufbau irgendeiner Gewerkschaftsmacht. Sondern es geht um die Überwindung der ausschließlichen Unternehmermacht. [. . .] Freiwillig und von sich aus räumen die Unternehmer keine Handbreite ihrer Macht. Und freiwillig gewähren sie uns nichts – es sei denn, es nützt ihren eigenen Interessen“, zitiert nach Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 77. 142 Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947, Präambel. 143 Muszynski, Wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 78; vgl. die Aussage von Hans Böckler: „Nicht der Wille zur Macht hat die Gewerkschaften, wie man ihnen böswillig unterstellt, bestimmt, eine gleichberechtigte Stellung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft zu fordern, sondern vor allem die Erkenntnis, dass der politischen Demokratie, soll sie nicht ein weiteres Mal zum Nachteil des Volkes und der ganzen Welt missbraucht werden, die wirtschaftliche Demokratie zur Seite gestellt werden muss“, zitiert nach Weiss, Mitbestimmung auf der Unternehmens- und Betriebsebene. Verzahnung oder Kumulation? Bitburger Gespräche 2006/I, S. 9 (15). 141
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e) Soziale Unternehmenspolitik Als zweites sozial- und gesellschaftspolitisches Ziel der Unternehmensmitbestimmung wird die Sicherstellung einer sozialen Unternehmenspolitik genannt.145 Die Mitbestimmung solle gewährleisten, dass die Unternehmenspolitik in hinreichendem Maße auch soziale Aspekte, allen voran die Belange der Arbeitnehmer und darüber hinaus auch der Allgemeinheit, berücksichtige.146 f) Integrationswirkung Schließlich soll die Mitbestimmung auch die Integration der Arbeitnehmer innerhalb der Unternehmen fördern.147 Hierauf stützte sich auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Mitbestimmungsurteil, in dem es unter anderem die „Kooperation und Integration“ als Ziele der Mitbestimmung identifizierte148 und die „Kooperation und Integration aller im Unternehmen tätigen Kräfte, deren Kapitaleinsatz und Arbeit Voraussetzung der Existenz und der Wirksamkeit des Unternehmens ist“ als einen Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung der Berufsfreiheit der Gesellschaften ansah149. Unter dem Aspekt der Integrationswirkung wird aber auch die „soziale[] Integration der Gesellschaft insgesamt“ 150 bzw. die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft durch die Gesellschaft151 verstanden. Die Unternehmensmitbestimmung sei „geeignet, die Marktwirtschaft [. . .] politisch zu sichern“.152 Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistete der Wandel in der Einstellung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerschaft, die von ihrer anfänglichen Forderung nach Sozialisierung allmählich Abstand nahmen und die Marktwirtschaft als Grundordnung akzeptierten.153 Auch das Bundesverfassungsgericht betonte diese über 144 So der Gegenvorschlag der Unternehmerseite auf der ersten Konferenz zwischen Vertretern der Ruhrindustrie und der Gewerkschaften im Mai 1946 in Düsseldorf, zitiert nach Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz der Mitbestimmung, S. 27. 145 So etwa Gietzen Unternehmensmitbestimmung, S. 25 f.; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3. 146 Vgl. Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 19; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 25 f., die jedoch die Vertretung der Interessen der Allgemeinheit durch die Arbeitnehmervertreter als fragwürdig kritisiert; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 3. 147 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3. 148 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146, 165. 149 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 177. 150 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 8; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 26. 151 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 69; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 3 m.w. N. 152 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 69. 153 Darauf bezugnehmend Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 69.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
das „reine[] Gruppeninteresse“ hinausgehende „allgemeine gesellschaftspolitische Bedeutung“ der Mitbestimmung.154 Im 1973 beschlossenen CDU-Mitbestimmungsmodell wurde die Mitbestimmung als „eine Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft“ deklariert.155 2. Polen Eine derart umfassende Auseinandersetzung um die Ziele und Rechtfertigung der Unternehmensmitbestimmung wie in Deutschland lässt sich in Polen nicht finden. In der polnischen Literatur wird jedoch stets der enge Zusammenhang der Anfang der 1990er Jahre neu eingeführten Partizipationsform einer repräsentativen Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene mit dem Privatisierungsprozess betont.156 Auch die Ziele, die mit der eingeführten Arbeitnehmervertretung auf Organebene verfolgt wurden, sind untrennbar verbunden mit den wirtschaftlichen und politischen Geschehnissen und Umbrüchen zu Beginn der 1990er Jahre. Die eingeleiteten Privatisierungsprozesse bilden den geschichtlichen Hintergrund und gleichzeitig die Begründung und Rechtfertigung der Arbeitnehmervertretung. Darauf lässt nicht nur der systematische Kontext der Regelungen, die in die Privatisierungsgesetze eingebettet wurden, und ihr auf den staatlichen Sektor beschränkter Anwendungsbereich schließen, auch die Gesetzesbegründung zum KommerzG von 1996 sieht die Zielsetzung der eingeführten Arbeitnehmervertretungen in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter und privatisierter Unternehmen eindeutig im Zusammenhang mit der Wirtschaftsreform.157 Das übergeordnete Ziel des KommerzG war es dagegen, Staatsunternehmen durch entsprechende Umwandlungsprozesse in die Marktwirtschaft zu überführen und geeignete Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit unter der neuen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten zu schaffen.158 Zwar werden in der Literatur vermehrt auch andere Aspekte der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen hervorgehoben. Anders als Deutschland gab es in Polen jedoch keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Werten und Belangen, die mit der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen 154 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 155 Punkt I. des Beschlusses „zur Reform des Unternehmensrechts“ auf dem 22. CDU-Bundesparteitag im Jahre 1973, abgedruckt bei Stollreither, Mitbestimmung, S. 242. 156 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 157 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 1 ff. 158 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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verfolgt würden, die losgelöst gewesen wäre von den in der Vergangenheit wurzelnden ideologischen Erschwernissen.159 Vielmehr waren sämtliche Formen der Arbeitnehmerbeteiligung aufgrund der zuvor bekannten Partizipationsformen im gesellschaftlichen Bewusstsein untrennbar mit dem sozialistischen System und der sozialistischen Ideologie verbunden.160 a) Förderung der Wirtschaftsreform Das vorrangige Ziel der eingeführten Arbeitnehmervertretung auf Gesellschaftsorganebene ist in der Förderung der wirtschaftlichen Reformen zu sehen.161 Die Urheber der polnischen Unternehmensmitbestimmung waren überzeugt, dass die wirtschaftlichen Reformen einfacher durchgesetzt werden könnten, wenn die Betroffenen selbst an den Reformen mitwirkten.162 Die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen sollte daher zeigen, dass die Belegschaften über die Geschicke des Unternehmens mitentscheiden durften.163 Die Belegschaften, die sich angesichts der anstehenden Veränderungen nicht wenigen Unwägbarkeiten ausgesetzt sahen, erhielten mit der eingeführten Arbeitnehmerbeteiligung eine Möglichkeit, auf die im Zuge der Transformation erfolgenden Entwicklungen im Unternehmen Einfluss nehmen zu können.164 Auf diesem Aspekt fußt auch die Gesetzesbegründung zum KommerzG von 1996165. Einleitend wird in der Gesetzesbegründung166 darauf hingewiesen, dass das erste Privatisierungsgesetz von 1990 entstanden war, ohne dass auf Erfahrungswerte bei einer derart großflächigen Privatisierung – auch nicht in Europa – zurückgegriffen werden konnte, und dass dieses Gesetz und seine Folgen unter sorgfältiger Beobachtung gestanden habe. Wie sich gezeigt habe, waren die initiierten Privatisierungsprozesse nur schleppend verlaufen und auf starken Widerstand gestoßen. Zurückzuführen sei dies zum einen auf die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz der Wirtschaftstransformation und zum anderen auf wirtschaftliche Schwierigkeiten der Unternehmen, die mit der Anpassung an die Marktwirtschaft zu kämpfen hatten. Hingewiesen wird auf die Zukunftsängste der Belegschaften sowie das verbreitete Gefühl, bei den Reformen außen vor ge159
Opalski, Rada nadzorcza, S. 103. Vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. 161 So etwa Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (14). 162 Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/2001, S. 224 (224). 163 Ebenda. 164 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 165 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz). 166 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 1. 160
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
lassen zu werden. Es sei offensichtlich geworden, dass eine Beschleunigung der Reformen und die davon erhofften Wirtschaftsfolgen nur erreicht werden könnten, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz, insbesondere der in den Staatsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer, für die Privatisierung gewonnen werden könne. Dies wiederum sei nur durch grundlegende Gesetzesänderungen zu erreichen. Der Reformbedarf sei schon im Jahre 1992 deutlich geworden, und entsprechende Änderungsvorschläge seien daraufhin in dem Pakt über das Staatsunternehmen im Jahre 1993 gemündet.167 Dessen Parteien – die Regierung, die NSZZ „Solidarnos´c´ “, die OPZZ und andere Gewerkschaften sowie die Konföderation der Polnischen Arbeitgeber – seien sich dabei einig gewesen, dass die soziale Akzeptanz für die Wirtschaftstransformation nur über eine Erweiterung der Arbeitnehmerbeteiligung sowohl an der Unternehmensführung privatisierter Unternehmen als auch an den ökonomischen Früchten der Privatisierung erreicht werden könne.168 Die Gesetzesurheber selbst sahen somit in der Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf Gesellschaftsorganebene ein Mittel, die Zustimmung der Belegschaften und dadurch auch der Gesamtbevölkerung zu den eingeleiteten Transformationsprozessen zu gewinnen und dadurch den Fortschritt der Wirtschaftsreform zu fördern. Vor diesem Hintergrund wird die Einführung der neuen Partizipationsformen auf Organebene in der polnischen Literatur daher auch als „Transaktion“ bezeichnet.169 Sie sei, so heißt es, ein Teil des Preises, der an die Belegschaften für ihre Zustimmung zur Kommerzialisierung und Privatisierung der Staatsunternehmen zu zahlen war.170 Betont wird jedoch, dass dies lediglich ein Teil des Preises sein sollte, und dabei auch nicht der Wichtigste.171 Deutlich bedeutsamer gewesen seien das den Arbeitnehmern eingeräumte Recht, 15 % der Unternehmensaktien kostenlos zu erwerben (vgl. Art. 36 Abs. 1 KommerzG) sowie die im Rahmen von Sozialvereinbarungen erteilten Zusagen des Investors beispielsweise in Bezug auf die Erhaltung der Arbeitsplätze über einen bestimmten Zeitraum oder verschiedene Sonderleistungen zugunsten der Arbeitnehmer.172
167 Vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c ´ “, Pakt mit der OPZZ und Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym; näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c). 168 Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 2. 169 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; ders., Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (14). 170 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; ders., Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan´stwowego, PiP 12/2011, S. 3 (14). 171 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 172 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43; vgl. auch Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 12, der die Beteiligung der Belegschaften an dem Erwerb von Aktien und Anteilen ihres Unternehmens als vorrangiges Ziel des Gesetzgebers, der hierdurch das Interesse der Belegschaften an der Privatisierung wecken wollte, versteht.
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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b) Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung Die erstmalig im PrivG 1990 neu eingeführte Partizipationsform in den Aufsichtsräten privatisierter Unternehmen stellte – zumindest teilweise – auch einen Ersatz dar für den durch die Privatisierung bedingten Wegfall der Arbeitnehmerselbstverwaltung, wie sie in dem SelbstVerwG von 1981 garantiert worden war.173 Das Instrument der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter und privatisierter Unternehmen wird daher auch als eine Fortwirkung der in Staatsunternehmen bestehenden Institution der Arbeitnehmerselbstverwaltung174 bzw. als ein entferntes Äquivalent des früheren Belegschaftsrates verstanden, auch wenn sich diese zwei Institutionen im rechtlichen Sinne erheblich voneinander unterschieden175. Auf Grundlage des PrivG 1990 und KommerzG von 1996 ging mit Eintragung der umgewandelten Gesellschaft ins Handelsregister eine Liquidation der im ehemaligen Staatsunternehmen agierenden Selbstverwaltungsorgane einher. Somit führte die eingeleitete Privatisierung der Staatsunternehmen zur Abschaffung der Arbeitnehmerpartizipation in der Gestalt von Belegschaftsräten.176 Aus den liberalen Konzepten folgte ausdrücklich, dass den Belegschaften als Ersatz hierfür eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zugestanden werden sollte („[. . .] dies hat in jedem Fall die Beschränkung des Einflusses der Belegschaft zur Folge, da die Selbstverwaltungsorgane liquidiert werden. Als Ersatz hierfür erhält die Belegschaft jedoch 1/3 der Sitze im Aufsichtsrat [. . .]“ 177). Durch die neue Partizipationsform in den Gesellschaftsorganen sollte zumindest zum Teil ein Ersatz für die im Zuge der Transformationsprozesse schwindende Arbeitnehmerselbstverwaltung geschaffen werden.178 Begründet wird diese beabsichtigte Kontinuität zum einen damit, dass es sich bei kommerzialisierten bzw. privatisierten Unternehmen um ehemalige Staatsunternehmen handelte und es deren Belegschaften waren, die im Widerstand zum damaligen System das Institut der Selbstverwaltung erkämpften, sodann aber die 173 Einhellige Meinung, vgl. etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40; Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238); ders., Nadzór korporacyjny, S. 193; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53. 174 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53. 175 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 176 Seweryn ´ski, in: ders., Polskie prawo pracy i zbiorowe stosunki pracy w okresie transformacji, S. 19 (44). 177 Kongres Liberałów, Z ˙ ycie Gospodarcze 1989, Nr. 49, zitiert nach Gilejko, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 22 (25 f.). 178 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 40.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Zustimmung zur Privatisierung der Staatsunternehmen und damit gleichzeitig ihrer eigenen Selbstauflösung erteilten.179 Die auf oppositionelle Kreise zurückzuführende Arbeitnehmerselbstverwaltung, die „als Forum eines unabhängigen Dialogs der Gesellschaft mit der damaligen Staatsmacht“ imstande war, eine willkürliche Gestaltung der sozioökonomischen Rahmenbedingungen durch die damalige Staatsmacht einzuschränken, sollte in neuen Partizipationsformen fortgeführt werden.180 Unter Bezugnahme auf einen mehr laboristischen Ansatz wird angeführt, dass die Rechte, die die Belegschaften durch die Selbstverwaltungsorgane im Hinblick auf die Unternehmensführung erhalten hatten, auch im Rahmen einer privatrechtlichen Unternehmensverfassung respektiert und gesichert werden mussten.181 Ferner scheint auch das Fehlen gut entwickelter und allgemeinverbindlicher Instrumente zum Schutz der kollektiven Interessen der Arbeitnehmer eine Rolle gespielt zu haben.182 Das Institut der Arbeitnehmervertretung in den Organen kommerzialisierter und privatisierter Unternehmen erklärt sich somit zumindest teilweise mit dem früheren Bestand von Selbstverwaltungsorganen.183 Es war notwendig, der Belegschaft eine Fortführung der erkämpften Partizipationsinstrumente in einer Form zu gewährleisten, die sich mit der Struktur einer privaten Kapitalgesellschaft vereinbaren ließ.184 Vor diesem Hintergrund wurde die Arbeitnehmerbeteiligung in die bestehende Unternehmensverfassung einer Kapitalgesellschaft eingebettet und ihre Rolle dabei so weit beschränkt, wie dies – so Wratny – in diesem Rahmen erforderlich war.185 Im Vergleich zu der Arbeitnehmerselbstverwaltung auf Grundlage des SelbstVerwG von 1981 stellte die neu eingeführte Partizipationsform eine Verringerung des Arbeitnehmereinflusses dar. c) Integrationswirkung Den in den Privatisierungsgesetzen getroffenen Regelungen zur Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen wird ferner eine Integrationswirkung at179
Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy,
S. 53. 180 So die Ausführungen in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 13; zu dem Gesetzesvorhaben unten Kapitel 7, B.II.2.b). 181 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 182 So die Ausführungen in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 13, in der auf diesen Aspekt hingewiesen wird. 183 So ausdrücklich Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53. 184 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43. 185 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 53.
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
235
testiert.186 Sie würde den sozialen Frieden in den Unternehmen und die Akzeptanz auch unliebsamer Entscheidungen fördern.187 Hingewiesen wird einerseits auf die Vorteile für die Arbeitgeber, anderseits auch auf die gesellschaftlichen Auswirkungen, die die Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen mitgebracht habe.188 Die Beteiligung von Arbeitnehmern an der Unternehmensführung habe während der politischen und wirtschaftlichen Transformation Polens zum sozialen Frieden beigetragen und die Konflikte innerhalb der Arbeitsbeziehungen im neuen System gemildert.189 d) Sozialethische Aspekte Auch sozialethische bzw. laboristische Aspekte werden vereinzelt als Hintergrund für die in den Privatisierungsgesetzen eingeführte Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen umgewandelter Staatsunternehmen genannt.190 Als Legitimation der Arbeitnehmervertretung auf Organebene wird ein sog. „laboristischer“ Ansatz herangezogen, wobei – entsprechend der katholischen Soziallehre191 – davon ausgegangen wird, dass der Arbeitnehmerstatus bzw. die Arbeit als solche die Grundlage für das Recht auf Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensleitung darstelle.192 Bei der Einführung einer neuen Partizipationsform in den Gesellschaftsorganen der umgewandelten Staatsunternehmen sei es daher auch darum gegangen, das laboristisch begründete Recht der Belegschaften zur Beteiligung an der Unternehmensführung nicht zu verneinen und dieses – von den Belegschaften mühselig erkämpfte – Recht auch innerhalb der Struktur einer Kapitalgesellschaft zu respektieren, weswegen eine Fortführung der Arbeitnehmerselbstverwaltung in einer mit der Verfassung einer Kapitalgesellschaft vereinbaren Form geboten war.193 Inwieweit sich der polnische Gesetzgeber bei der Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Gesellschaften tatsächlich von sozialethischen bzw. „axiologischen“ Gesichtspunkten hat leiten lassen, kann nur schwer nachvollzogen werden. Der Gesetzesentwurfsbegründung lässt sich dies nicht entnehmen. Doch selbst wenn sozialethische Gesichts186 So etwa Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 187 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17. 188 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 189 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 190 So Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43, der diese auch als „ethisch-psychologische“ („etyczno-psychologiczne“) Aspekte bezeichnet. 191 Näher hierzu oben Kapitel 2, B.III. 192 Wratny, Rola akcjonariatu pracowniczego w prywatyzacji pos ´redniej sektora pan´stwowego w Polsce, ZZL 1s/2004, S. 111 (111); vgl. auch Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16. 193 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 43.
236
Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
punkte eine Rolle gespielt haben mögen, so dürfte dieser Aspekt doch deutlich hinter der in erster Linie bezweckten Förderung der Wirtschaftsreform und der Kontinuität der Selbstverwaltungsorgane gestanden haben. In der polnischen Literatur wird betont, dass es in Polen nie eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den „axiologischen“ Grundlagen der Arbeitnehmerbeteiligung auf Ebene der Gesellschaftsorgane – etwa anders als in Deutschland – gegeben habe.194 Die Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen sei gerade keine wohlüberlegte, auf axiologischen Gesichtspunkten beruhende Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, sondern ein reines Zugeständnis an die Arbeitnehmer.195 Es fehle den gesetzlichen Lösungen an einem bündigen Konzept, vielmehr wirke es, als seien sie „eher zufällig“ gewählt worden.196 Im Hinblick auf die Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen wird in der polnischen Literatur darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmerbeteiligung ein Ausdruck „emanzipatorischer Forderungen“ der Arbeitnehmerschaft sei, die nach mehr Selbstbestimmung und einer „demokratischen Partnerschaft“ strebten.197 Es wird auf andere Staaten der Europäischen Union verwiesen, wo die Arbeitnehmerpartizipation als Humanisierung der Arbeit, die ein fundamentales Menschenrecht darstelle, verstanden und in allen Mitgliedstaaten jedenfalls in Form der Unterrichtung und Anhörung anerkannt werde.198 e) Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz Heutzutage werden auch ökonomische Vorteile der Arbeitnehmerpartizipation hervorgehoben.199 Die Arbeitnehmerpartizipation könne durch die damit einhergehende Selbstverwirklichung200 und Ausnutzung der Innovationskraft201 der Ar194
Opalski, Rada nadzorcza, S. 103. So Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422. 196 Gładoch, in: Goz ´ dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (225) („Raczej przypadkowe wydaja˛ sie˛ byc´ rozwia˛zania ustawodawcy, w szczególnos´ci w zakresie uczestnictwa pracowników w organach zarza˛dzaja˛cych spółek powstałych z przekształcenia przedsie˛biorstw pan´stwowych“). 197 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (16) („[. . .] wynika z emancypacyjnych da˛z˙en´ robotników, którzy chca˛ kontrolowac´ swoja˛ sytuacje˛ i realizowac´ zasade˛ demokratycznego partnerstwa“). 198 Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 16; vgl. auch CierniakEmerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (29); Gładoch, Przesłanki aksjologiczne uczestnictwa pracowników, Przegla˛d Powszechny 11/ 2001, S. 224 (233); Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (47). 199 Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (29); Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 17; Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (50). 200 So Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (50). 195
A. Rechtsgrundlagen, Ziel und Unternehmensmitbestimmung
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beitnehmer zu einer Steigerung der Produktivität der Unternehmen beitragen. Letzteres sei mittlerweile auch in dem Bewusstsein vieler Unternehmensleitungen angekommen.202 Einige Autoren betrachten die Ausnutzung des Potentials und der intellektuellen und innovativen Fähigkeiten der Mitarbeiter daher auch als eines der wichtigsten Ziele der Arbeitnehmerpartizipation.203 Gleichzeitig wird die Arbeitnehmerpartizipation als ein Mittel gesehen, um die Motivation der Arbeitnehmer zu steigern.204 Wenngleich sich die genannten Argumente auf die Arbeitnehmerpartizipation im Allgemeinen und nicht im Speziellen auf die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene beziehen, so wird in Bezug auf Letztere jedenfalls hervorgehoben, dass diese ein kooperatives Zusammenwirken der Arbeitnehmer mit dem Unternehmensinhaber zum Wohle des Unternehmens fördere und die Arbeitnehmerinteressen in diesem Rahmen nur unter Berücksichtigung langfristiger Entwicklungen des Unternehmens vertreten würden.205 f) Beschränkung der Arbeitnehmerrechte? Vereinzelt wird vertreten, dass die tatsächliche Absicht des Gesetzgebers bei Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf Organebene auf Grundlage des PrivG 1990 eher darin zu sehen sei, den Arbeitnehmereinfluss, der in den Staatsunternehmen über die Belegschaftsräte garantiert war, nach und nach zu beseitigen.206 Als einen wesentlichen Bestandteil der sich neu formenden Ordnung habe der Gesetzgeber diese Form der Arbeitnehmerbeteiligung dagegen nicht angesehen, da die Arbeitnehmervertretung für Unternehmen außerhalb des Geltungsbereiches des PrivG 1990 nicht verpflichtend eingeführt worden war.207 Die im polnischen Recht vorzufindende Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene stelle ein Zugeständnis, nicht aber eine wohlüberlegte, wertbasierte gesetzgeberische Entscheidung dar.208 Davon zeuge neben dem auf den staatlichen Sektor beschränk201 Vgl. Cierniak-Emerych, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 27 (29). m.w. N.; Haus, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 52 (53 ff.); Ignys´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (358); Mendel, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 44 (46). 202 Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (358). 203 So Ignys ´, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 356 (358). 204 Kulpin ´ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 15 (16). 205 So Wratny, Ustawa o samorza˛dzie załogi przedsie˛biorstwa pan ´ stwowego, PiP 12/ 2011, S. 3 (15). 206 Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin ´ ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (160). 207 Ebenda. 208 Opalski, Rada nadzorcza, S. 102; ebenso Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
ten Anwendungsbereich der Arbeitnehmervertretung auf Organebene auch der Umstand, dass erst aufgrund des europäischen Einflusses weitere Formen der Arbeitnehmerbeteiligung entstanden sind.209 3. Vergleich In Deutschland war die Einführung der Unternehmensmitbestimmung begleitet worden von einer in politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kreisen lebhaft geführten Diskussion über ihre Zielsetzung und Rechtfertigung, deren Ausmaß die in Polen vorzufindenden Beiträge um ein Vielfaches übersteigt. Die Debatte um die Unternehmensmitbestimmung in Deutschland zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass sie von breiten Kreisen als ein wesentliches Element bei der Neugestaltung der wirtschaftlichen und politischen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden wurde. Die geltenden Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung entspringen einer dezidierten Auseinandersetzung um grundlegende gesellschaftliche Werte und Vorstellungen – der Menschenwürde, der Sicherstellung einer demokratischen Legitimation der Unternehmensleitung, der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Kapital und Arbeit und der Kontrolle der wirtschaftlichen Macht von Großunternehmen. Sie manifestieren ferner das Bedürfnis nach einer institutionellen Absicherung einer sozialen Unternehmenspolitik. Zwar hatte auch in Polen die Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen eine gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung, die – wie in Deutschland – weit über das einzelne Unternehmen hinausging. Schließlich sollte die Arbeitnehmerbeteiligung in beiden Ländern nicht nur eine Integration der Arbeitnehmer im Unternehmen, sondern auch eine Integration der Gesellschaft insgesamt in der neuen Wirtschaftsordnung fördern. Eine derart wertbasierte Grundlage wie in Deutschland hat die polnische Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG jedoch nicht. Auch wenn in der polnischen Literatur auch sozialethische und wirtschaftliche Aspekte zugunsten der Arbeitnehmerbeteiligung im Allgemeinen angeführt werden, so lag das mit der Einführung einer Arbeitnehmervertretung auf Organebene verfolgte Ziel unzweifelhaft in der Förderung der Wirtschaftsreform und Herbeiführung einer gesellschaftlichen Akzeptanz für die notwendigen Reformen und den Aufbau einer neuen Staats- und Wirtschaftsordnung. Dabei spielte die Kontinuität der von der Arbeitnehmerschaft hart erkämpften Arbeitnehmerselbstverwaltung innerhalb des neuen wirtschaftlichen Systems eine bedeutende Rolle. In dieser Kontinuität, dem Entgegenkommen zugunsten der Belegschaften und der damit erhofften gesellschaftlichen Akzeptanz für die neue Wirtschaftsordnung ist die Rechtfertigung der Beteiligung der Arbeitnehmer in den Gesellschaftsorganen kommerzia209
Opalski, Rada nadzorcza, S. 102.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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lisierter bzw. privatisierter Unternehmen in Polen zu sehen. Als einen fundamentalen Grundsatz der neu entstehenden kollektivarbeitsrechtlichen Beziehungen, der auch im privaten Wirtschaftssektor Geltung haben sollte, hat der Gesetzgeber diese Form der Arbeitnehmerbeteiligung dagegen nicht angesehen. Aus den Zielen der mit den Gesetzen eingeführten Unternehmensmitbestimmung lässt sich auch der heutige Anwendungsbereich der Gesetze erklären. Die in Deutschland zugrundeliegenden Zielsetzungen – so insbesondere die Vermeidung einer gegen die Menschenwürde sprechenden Fremdbestimmtheit und das Verlangen nach einer Kontrolle der wirtschaftlichen Macht – spielen im Grunde nur bei Großunternehmen der Privatwirtschaft eine wirkliche Rolle. In Polen bestand das primäre Ziel der eingeführten Unternehmensmitbestimmung dagegen in der Förderung der Privatisierungsprozesse, womit sich auch der auf ehemalige Staatsunternehmen beschränkte Anwendungsbereich erklärt.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze Sowohl in Deutschland als auch in Polen sind von den nationalen Regelungen210 zur Unternehmensmitbestimmung nur bestimmte Unternehmen erfasst.
I. Deutschland Ob ein Unternehmen von einem deutschen Mitbestimmungsgesetz erfasst wird, hängt maßgeblich von der Rechtsform und der Mitarbeiterzahl ab. Für den Fall, dass ein Unternehmen von mehreren Gesetzen erfasst wird, stellen die Mitbestimmungsgesetze Konkurrenzregeln selbst auf. Wird ein Unternehmen der Montanindustrie zugeordnet und erfüllt es auch die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen, dann sind die speziellen Regelungen des MontanMitbestG bzw. des MontanMitbestErgG vorrangig gegenüber denen des MitbestG und des DrittelbG. Gleichermaßen hat das weitergehende MitbestG Vorrang gegenüber dem DrittelbG. 1. Montanmitbestimmungsgesetze Das MontanMitbestG vom 21. Mai 1951211 erfasst ausdrücklich nur Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie. Dieser branchenspezifisch beschränkte Anwendungsbereich ist historisch bedingt, sollte doch zumindest die in der Praxis gelebte Mitbestimmung in der Montanindustrie zu210 Ausgeklammert werden in diesem Abschnitt die auf europäischem Recht beruhenden Mitbestimmungsregelungen, dazu siehe unten Kapitel 4. 211 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestG) vom 21. Mai 1951, BGBl. I S. 347 m. sp. Änd.
240
Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
nächst gesetzlich gesichert werden.212 Unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen nur solche Unternehmen, die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert sind (vgl. § 1 Abs. 2 MontanMitbestG ) und – da die Mitbestimmung auf Großunternehmen und -konzerne ausgerichtet war –, in der Regel mehr als 1.000 Mitarbeiter beschäftigen. Ein Wegfall der genannten Anwendungsvoraussetzungen führt erst dann zu einer Nichtanwendbarkeit des MontanMitbestG, wenn die Voraussetzungen in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht mehr erfüllt wurden (vgl. § 1 Abs. 3 MontanMitbestG). Mit dem MontanMitbestErgG vom 7. August 1956213, sollten auch Unternehmen von der Mitbestimmung erfasst werden, die zwar selbst nicht dem MontanMitbestG unterfallen, jedoch ein oder mehrere montanmitbestimmte Unternehmen beherrschen.214 Das MontanMitbestErgG gilt für die Konzernobergesellschaft, wenn dem MontanMitbestG unterfallende Konzernunternehmen den Unternehmenszweck des Konzerns prägen (vgl. § 3 Abs. 1 MontanMitbestErgG). Dies ist der Fall, wenn diese Unternehmen insgesamt entweder mindestens ein Fünftel der Gesamtumsätze des Konzerns erzielen oder regelmäßig mehr als ein Fünftel aller Arbeitnehmer im Konzern beschäftigen (vgl. § 3 Abs. 2 MontanMitbestErgG). Bisher nicht montanmitbestimmte Konzernobergesellschaften unterfallen dem MontanMitbestErgG – nach heutiger Fassung215 – jedoch erst, wenn der Umsatz der beherrschten Unternehmen, die unter das MontanMitbestG fallen, in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes des Konzerns betragen hat (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1 MontanMitbestErgG). Liegen die in § 3 MontanMitbestErgG genannten Voraussetzungen in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht mehr vor oder wird überhaupt kein montanmitbestimmtes Unternehmen mehr beherrscht, so ist das MontanMitbestErgG nicht mehr auf das herrschende Unternehmen anwendbar (vgl. § 16 Abs. 2 MontanMitbestErgG). 2. MitbestG Anders als die Montanmitbestimmungsgesetze ist das MitbestG vom 4. Mai 1976216 ohne Begrenzung auf einen bestimmten Wirtschaftszweig grundsätzlich in der gesamten Privatwirtschaft anwendbar. Voraussetzung ist einzig, dass das 212
Zum geschichtlichen Hintergrund ausführlich oben Kapitel 2, A.I.2.a). Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestGErgG) vom 7. August 1956, BGBl. I S. 707 m. sp. Änd. 214 Zur historischen Entwicklung siehe Kapitel 2, A.I.2.c). 215 Zu den Änderungen des MontanMitbestErgG, die der Erhaltung der Mitbestimmung in der Montanindustrie dienten, siehe oben Kapitel 2, A.I.2.c). 216 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 4. Mai 1976, BGBl. I S. 1153 m. sp. Änd. 213
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
241
Unternehmen eine in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG genannte Rechtsform hat und die regelmäßige Zahl der Arbeitnehmer217 die Schwelle von 2.000 überschreitet. Dabei kann ein Unternehmen aufgrund von Zurechnungstatbeständen (vgl. §§ 4, 5 MitbestG) die Mitarbeiterschwelle erreichen, selbst wenn es allein für sich genommen unterhalb dieser Schwelle bleibt. Ausgeschlossen aus dem Anwendungsbereich des MitbestG sind sog. Tendenzunternehmen.218 Der Kreis der vom MitbestG erfassten Rechtformen ist im Vergleich zur Montanmitbestimmung weiter. Erfasst werden nicht nur Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern auch solche, die als Kommanditgesellschaft auf Aktien oder Genossenschaft organisiert sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG). Es handelt sich um eine abschließende, nicht analogiefähige Aufzählung.219 Über § 4 MitbestG wird darüber hinaus mittelbar auch die GmbH & Co. KG in die Mitbestimmung einbezogen, wobei allerdings die Vorgaben des MitbestG auf die persönlich haftende GmbH angewendet werden.220 Beschränkt ist der Anwendungsbereich des MitbestG auf deutsche Rechtsformen – nach ausländischem Recht organisierte Unternehmen werden nicht erfasst.221 Auch muss es sich um ein Unternehmen mit Sitz im Inland handeln.222 Die erforderliche Mitarbeiterzahl von in der Regel mehr als 2.000 Mitarbeitern lässt sich mit der beabsichtigten Zielsetzung der Mitbestimmung erklären. Hintergrund sind die sich vor allem in Großunternehmen stellenden Probleme der mit der Unternehmensgröße zusammenhängenden Anonymität der Arbeitnehmer223 sowie ihrer zunehmenden Entfernung von den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen224 und einer damit einhergehenden, der 217 Zur Frage, wer als Arbeitnehmer i. S. d. § 1 Abs. 1 MitbestG zählt, vgl. etwa Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 3 MitbestG Rn. 8 ff.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 1 MitbestG Rn. 6 ff. sowie ders., in: ErfK ArbR, § 3 MitbestG Rn. 1 ff. 218 Ausführlich hierzu etwa Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 56 ff. 219 Einhellige Meinung, vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 31 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 1 MitbestG Rn. 2; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 10. 220 In formaler Hinsicht stellt § 4 MitbestG daher keine Ausnahme des an die Rechtsform anknüpfenden Ansatzes des § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG dar, hierzu Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 32, § 1 MitbestG Rn. 31. 221 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 33; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 53. 222 Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 13; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 33; Wißmann, in: Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 18. 223 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114; Habersack, in: Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 9. 224 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Menschenwürde widersprechenden Fremdbestimmung225. So hieß es auch schon in dem sich mit der Neuordnung der Wirtschaft befassenden Ahlener Programm der CDU im Jahre 1947, es sei „[i]n den Betrieben, in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht, [. . .] ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung sicherzustellen“, was dadurch geschehen müsse, „daß die Arbeitnehmer des Betriebes in den Aufsichtsorganen, z. B. im Aufsichtsrat des Unternehmens, die ihnen zustehende Vertretung haben“ und zusätzlich ein langjähriger Betriebsangehöriger im Vorstand von Großbetrieben mitwirke.226 Das Bundesverfassungsgericht sprach die „mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung“ an, die durch die Mitbestimmung gemildert werden solle.227 Auch die Biedenkopf-Kommission begründete die von ihr vorgeschlagene Beschränkung auf Unternehmen mit mindestens 1.000 bis 2.000 Mitarbeitern damit, dass erst mit „Überschreiten einer bestimmten Betriebsgröße die Probleme der Anonymisierung der Arbeitnehmer, der Bürokratisierung der Unternehmensverwaltungen und damit der Entstehung von Dienstwegen verbunden sind, die die Sicherung einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch entsprechende Institutionen besonders notwendig machen.“ 228 In Kleinbetrieben hingegen sei „keine ausreichend differenzierte Organisation“ vorzufinden, die als Anknüpfungspunkt für die von der Kommission empfohlenen Mitbestimmungsregelungen dienen könnte.229 Nicht anwendbar ist das MitbestG gemäß § 1 Abs. 4 MitbestG auf sog. Tendenzunternehmen sowie auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen.230 3. DrittelbG Auch das DrittelbG vom 18. Mai 2004231 ist grundsätzlich in der gesamten Privatwirtschaft anwendbar und nicht auf einen bestimmten Wirtschaftszweig beDrucks. 7/2172, S. 19; Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 52; in diese Richtung auch Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114 f. 225 Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, MitbestG Einl. Rn. 9. 226 Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947, Punkt III. sowie Antrag 3 der CDU-Fraktion des Landes Nordrhein-Westfalen. 227 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 228 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114 f. Die Kommission wollte sich allerdings nicht eindeutig auf die Schwelle von 1.000 oder 2.000 Mitarbeitern festlegen. 229 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 114. 230 Näher hierzu etwa Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 1 MitbestG Rn. 20 ff. 231 Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG) vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 974 m. sp. Änd.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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grenzt. Wie auch im Fall des MitbestG hängt die Anwendbarkeit des DrittelbG von der Rechtsform und der Mitarbeiterzahl ab. Das DrittelbG gilt nur für Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Mitarbeitern (vgl. § 1 Abs. 1 DrittelbG). Die vom DrittelbG erfassten Rechtsformen gleichen denen im MitbestG, zusätzlich ist der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) erfasst (vgl. § 1 Abs. 1 DrittelbG). Dagegen fehlt eine dem § 4 MitbestG vergleichbare Regelung für die GmbH & Co. KG, die damit der Mitbestimmung solange nicht unterliegt, solange sie nicht mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt.232 Wie im MitbestG sind auch sog. Tendenzunternehmen und Religionsgemeinschaften vom Anwendungsbereich ausgenommen. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und die Deregulierung des Aktienrechts am 10. August 1994233 galt die vorgeschriebene Drittelbeteiligung für die Aktiengesellschaft und KGaA auch unterhalb der Schwelle von 501 beschäftigten Arbeitnehmern234, die ausnahmsweise Geltung erst ab 501 Mitarbeitern war auf Familiengesellschaften sowie die GmbH und den VVaG beschränkt (vgl. §§ 76 Abs. 6, 77 BetrVG 1952). Für Altgesellschaften gilt dies bis heute (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 2 DrittelbG).235 4. Mitbestimmungserhaltungsregeln Für bestimmte Fälle sehen Sonderregelungen vor, dass die Mitbestimmung erhalten bleibt, selbst wenn die Anwendungsvoraussetzungen eines Mitbestimmungsgesetzes wegfallen. Unter diese Kategorie fallen etwa die bereits oben erwähnten Regelungen des § 1 Abs. 3 MontanMitbestG sowie des § 16 MontanMitbestG, die die Fortgeltung der Montanmitbestimmung für einen Zeitraum von sechs Jahren nach Wegfall der Anwendungsvoraussetzungen der Gesetze vorschreiben. Weitere Sonderregelungen finden sich im § 325 UmwG und § 1 MitbestBeiG.236
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Rieble, Schutz vor paritätischer Mitbestimmung, BB 2006, S. 2018 (2018). Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und die Deregulierung des Aktienrechts vom 2. August 1994, BGBl. I S. 1961. 234 Umstritten war jedoch, ob die Drittelbeteiligung ab einem, drei oder fünf Arbeitnehmern galt, vgl. Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 DrittelbG Rn. 17 m.w. N. 235 Ausführlich hierzu Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 DrittelbG Rn. 17 ff.; kritisch Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 149. 236 Näher Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 150; Oetker, in: ErfK ArbR, § 325 UmwG Rn. 1 ff.; Uffmann, in: MünchHdb. ArbR, Bd. 4, § 382 Rn. 2 f.; vgl. hierzu auch oben Kapitel 2, A.I.2.e). 233
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
5. Sonderregelungen und Spezialgesetze Sonderregelungen im Zusammenhang mit der Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen finden sich auch in einigen Spezialgesetzen, die in ihrem Anwendungsbereich entsprechend dem jeweiligen Gesetz beschränkt sind. Zu nennen seien hier etwa das sog. VW-Gesetz237 oder die das Montan-MitbestG modifizierende Sonderregelung im Saarland238. Für die deutsch-schweizerischen sowie die deutsch-österreichischen Grenzkraftwerke gibt es ferner Sonderregelungen auf Grundlage von völkerrechtlichen Verträgen239.
II. Polen 1. Kommerzialisierungsgesetz vom 30. September 1996 Die in Polen am weitesten verbreitete Form der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene beruht auf dem KommerzG vom 30. September 1996240. Die darin enthaltenen Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen betreffen Kapitalgesellschaften in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft („spółka akcyjna“ („S. A.“)) sowie einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“ („sp. z o. o.“)), die im Wege der Kommerzialisierung eines Staatsunternehmens entstanden sind. Das KommerzG löste mit Wirkung zum 8. April 1997 das alte Privatisierungsgesetz aus dem Jahre 1990 ab.241 Vor dem Inkrafttreten des neuen Privatisierungsgesetzes durchgeführte Privatisierungen beruhten auf dem PrivG 1990. In den Anwendungsbereich des neuen Gesetzes fielen zum einen alle zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens noch nicht umgewandelten Staatsunternehmen, die bislang von dem StaatsUntG und dem SelbstVerwG aus dem Jahre 1981 erfasst waren. Auch wurden diejenigen Staatsunternehmen vom neuen Privatisierungsgesetz erfasst, die zwar bereits einen Antrag auf Umwandlung gestellt hatten, deren 237 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21. Juli 1960, BGBl. I S. 585 m. sp. Änd.; ausführlich hierzu Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 269 ff. 238 Gesetz Nr. 560 über die Einführung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaues und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie vom 22. Dezember 1956, Amtsblatt Saarland S. 1703, vgl. Koch, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 257 Rn. 1; Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 40. 239 Vgl. Raiser, in: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, § 1 MitbestG Rn. 42; Habersack, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 15; ausführlich hierzu Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, S. 241 ff. 240 Gesetz über die Kommerzialisierung und einige Rechte der Arbeitnehmer vom 30. September 1996, Dz. U. 1996 Nr. 118 Pos. 561 m. sp. Änd. 241 Vgl. Art. 74 KommerzG urspr. Fassung; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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Antrag jedoch bis zum Inkrafttreten des KommerzG nicht bearbeitet worden war (vgl. Art. 58 KommerzG). Darüber hinaus erfasste das KommerzG gemäß Art. 60 Abs. 1 KommerzG auch solche Unternehmen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KommerzG bereits in eine Gesellschaft umgewandelt und ins Handelsregister eingetragen worden waren, deren alleiniger Anteilsinhaber aber weiterhin der Staat war. Allerdings sah Art. 60 Abs. 2 bis 4 KommerzG a. F.242 für diesen Fall Sonderregeln für die Arbeitnehmerbeteiligung in diesen Gesellschaften vor. Auf umgewandelte Gesellschaften, deren Anteile im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KommerzG nicht mehr allein vom Staat gehalten wurden, fand das KommerzG hingegen keine Anwendung. Für diese Gesellschaften galten somit auch nicht die Mitbestimmungsregelungen des neuen Privatisierungsgesetzes, sondern weiterhin die Vorgaben des alten PrivG 1990 (vgl. Art. 67 KommerzG). Zweck des KommerzG war in erster Linie die Regelung der Privatisierungsprozesse in Polen. Dabei sollten die Staatsunternehmen durch entsprechende Umwandlungsprozesse in die Marktwirtschaft überführt und geeignete Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit innerhalb der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung geschaffen werden.243 Die Regelungen zur Arbeitnehmerpartizipation wurden aufgrund des mit ihnen verfolgten Zwecks und des sachlichen Zusammenhangs mit der Privatisierung gesetzlich im KommerzG verankert.244 Entsprechend war das Thema Arbeitnehmerpartizipation auch nicht als eine Angelegenheit der Arbeits- und Sozialpolitik, sondern als ein Aspekt der Privatisierungsprozesse diskutiert und behandelt worden.245 Eine Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen wurde dabei nicht für alle ehemaligen Staatsunternehmen vorgesehen, sondern lediglich diejenigen, die im Wege der Kommerzialisierung in eine Aktiengesellschaft oder GmbH umgewandelt wurden. Die Kommerzialisierung konnte dabei die erste Stufe der sog. „mittelbaren Privatisierung“ bilden.246 Neben der mittelbaren Privatisierung sah das KommerzG die Möglichkeit der sog. „unmittelbaren Privatisierung“ vor.247 Während die mittelbare Privatisierung sich in zwei Schritten vollzog und darauf beruhte, dass das Staatsunternehmen zunächst in eine Gesellschaft umgewandelt, d.h. kommerzialisiert, und erst anschließend privatisiert wurde, erfolgte im Fall 242 Aufgehoben zum 1. Januar 2017, vgl. Art. 14 Pkt. 29 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 243 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 244 Zu Ziel und Rechtfertigung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene in Polen siehe oben Kapitel 3, A.II.2. 245 Krzywdzinski, Arbeits- und Sozialpolitik in Polen, S. 143. 246 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. 247 Ebenda.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
der unmittelbaren Privatisierung eine Verfügung über das gesamte materielle und immaterielle Vermögen des Unternehmens.248 Da das KommerzG eine zwingende Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nur im Fall von kommerzialisierten und mittelbar privatisierten Unternehmen vorsah, hing die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen vorrangig davon ab, welche Form der Privatisierung für das Staatsunternehmen gewählt wurde. Mit Änderungsgesetz vom 16. Dezember 2016249 hat der polnische Gesetzgeber die Systematik des KommerzG wesentlich geändert und die bisher geltende Unterscheidung zwischen mittelbar privatisierten Unternehmen einerseits und unmittelbar privatisierten Unternehmen andererseits aufgehoben. Nach wie vor gilt jedoch, dass eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat und ggf. auch Vorstand nur in Gesellschaften vorgesehen ist, die aus der Kommerzialisierung ehemaliger Staatsunternehmen entstanden sind. Die Arbeitnehmerbeteiligung im Vorstand hängt dabei zusätzlich davon ab, dass das kommerzialisierte Unternehmen im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt (vgl. Art. 16 KommerzG). Im Einzelnen unterscheiden sich die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeitnehmerbeteiligung je nachdem, ob das Unternehmen lediglich kommerzialisiert oder auch bereits zum Teil privatisiert wurde. a) Die Kommerzialisierung als Voraussetzung der Arbeitnehmerbeteiligung Eine Arbeitnehmerbeteiligung in den Aufsichtsräten und Vorständen ist nach dem KommerzG nur für diejenigen ehemaligen Staatsunternehmen vorgeschrieben, die kommerzialisiert wurden. Die Kommerzialisierung beruht gemäß Art. 1 Abs. 1 Hs. 1 KommerzG auf der Umwandlung eines Staatsunternehmens in eine Gesellschaft. Art. 2 Pkt. 1 KommerzG stellt insoweit klar, dass mit dem im Gesetz verwendeten Begriff der „Gesellschaft“ stets eine Aktiengesellschaft („spółka akcyjna“ („S. A.“)) oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“ („sp. z o. o.“)) gemeint sind. Eine Kommerzialisierung bedeutet mithin immer eine Umwandlung eines Staatsunternehmens i. S. d. StaatsUntG in eine Aktiengesellschaft oder in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In der Regel erfolgte aber die Umwandlung des Staatsunternehmens in eine Aktiengesellschaft.250 Die kommerzialisierte Gesellschaft tritt gemäß Art. 1 Abs. 1 Hs. 2 KommerzG in sämtliche Rechtsverhältnisse des Staatsunternehmens ein, unabhängig vom jeweiligen Rechtscharakter. Die Kommerzialisierung wird vom 248 Näher hierzu Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28 ff. sowie unten Kapitel 3, B.II.1.a). 249 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 250 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51.
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Gründerorgan251 auf eigene Initiative oder auf gemeinsamen Antrag des Direktors und des Belegschaftsrates durchgeführt (vgl. Art. 4 Abs. 1, 2 KommerzG). Durch die Kommerzialisierung wird das Unternehmen aus dem Geltungsbereich des StaatsUntG und SelbstVerwG herausgenommen und den Regelungen des Gesetzbuches über die Handelsgesellschaften252 („Kodeks Spółek Handlowych“ („k.s.h.“)) (nachfolgend: „HGG“) unterstellt.253 Dabei ersetzt der Kommerzialisierungsakt die nach den allgemeinen Regelungen des HGG notwendigen Handlungen zur Gründung einer Aktiengesellschaft (vgl. Art. 9 Abs. 3 KommerzG). In Art. 3 Abs. 3 KommerzG wurden bestimmte Staatsunternehmen von der Möglichkeit der Kommerzialisierung gänzlich ausgenommen. Dies betrifft insbesondere Staatsunternehmen, die sich in der Liquidation, Insolvenz oder Restrukturierung befinden sowie solche, die nicht dem StaatsUntG unterstanden. Im Gegensatz zum alten PrivG 1990 (vgl. Art. 19 Abs. 1 PrivG 1990) ist nach dem KommerzG nicht zwingend, dass jede kommerzialisierte Gesellschaft anschließend auch privatisiert werden muss.254 b) Arbeitnehmerbeteiligung auch in teilweise privatisierten Unternehmen aa) Bisherige Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Privatisierung Das KommerzG regelte in seiner noch bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung zwei grundlegende Formen der Privatisierung – die sog. „mittelbare“ und „unmittelbare“ Privatisierung.255 Im Fall der sog. „mittelbaren Privatisierung“ (auch als sog. „Kapitalprivatisierung“ 256 bezeichnet) erfolgte eine Privatisierung der zunächst kommerzialisierten Gesellschaft – es handelte sich mithin um einen zweistufigen Privatisie251 Nach der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung war hierfür der Minister Skarbu Pan´stwa zuständig. Das Ministerium wurde jedoch aufgelöst. 252 Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vom 15. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 94 Pos. 1037 m. sp. Änd. 253 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 29. 254 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9 f. Die Notwendigkeit der Privatisierung aller Staatsunternehmen war bei Erlass des PrivG 1990 umstritten gewesen, entschieden hatte man sich letztlich dafür, dass in jedem Fall eine Privatisierung erfolgen musste, Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 9. Die Vorgabe fand ihren Niederschlag in Art. 19 Abs. 1 PrivG 1990, wonach sämtliche Aktien innerhalb von zwei Jahren nach Eintragung der umgewandelten Gesellschaft ins Handelsregister Dritten zur Verfügung gestellt werden mussten, vgl. hierzu auch Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (180). 255 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. 256 „prywatyzacja kapitałowa“, vgl. Wrzeszcz-Kamin ´ ska, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 102 (103). Übersetzung d. Verf.
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rungsprozess, wobei die Kommerzialisierung die erste Stufe und die anschließende Privatisierung die zweite Stufe bildete.257 Die Privatisierung konnte dabei entweder aufgrund des Bezugs von Aktien bzw. Anteilen258 im Rahmen einer Kapitalerhöhung (vgl. Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1 KommerzG a. F.)259 oder durch Veräußerung der vom Staat gehaltenen Aktien bzw. Anteile erfolgen (vgl. Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1a KommerzG a. F. i.V. m. Artt. 31a ff. KommerzG a. F.).260 Für die Veräußerung der Aktien bzw. Anteile sah das KommerzG mehrere Möglichkeiten vor, unter anderem konnte die Veräußerung aufgrund eines öffentlichen Angebots, einer öffentlichen Ausschreibung oder aufgrund von Verhandlungen, die nach einer öffentlichen Einladung aufgenommen wurden, erfolgen (vgl. Art. 33 KommerzG a. F.). In der Praxis traten oft Mischformen auf.261 Die Unterscheidung zwischen der bislang nur kommerzialisierten und bereits privatisierten Gesellschaft spielte eine wesentliche Rolle für die anwendbaren Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung, da das KommerzG unterschiedliche gesetzliche Vorgaben daran knüpfte, ob der Staat weiterhin Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft war oder ob die Privatisierung bereits eingeleitet wurde (vgl. Artt. 12 bis 14 KommerzG a. F.).262 Neben der „mittelbaren Privatisierung“ sah das KommerzG a. F. in Kapitel V (Artt. 39 ff. KommerzG a. F.) bis zum 31. Dezember 2016263 – wie auch schon das Vorgängergesetz von 1990 (vgl. Artt. 37 ff. PrivG 1990)264 – die Möglichkeit 257 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 28. 258 Obwohl das KommerzG in Art. 1 Abs. 2 nur von Aktien sprach, waren damit gleichermaßen Anteile an einer GmbH gemeint (vgl. Art. 2 Pkt. 2 KommerzG). 259 Diese Variante wurde erst durch Änderungsgesetz vom 5. Dezember 2002, Dz. U. 2002 Nr. 240 Pos. 2055, in Art.1 Abs. 2 KommerzG aufgenommen. Die ursprüngliche Gesetzesfassung enthielt allein die Variante der Veräußerung von vom Staat gehaltener Aktien, also des subsidiären Aktienerwerbs. 260 Ausführlich zu diesen voneinander strikt zu trennenden Möglichkeiten der mittelbaren Privatisierung Pawłowski, in: Blicharz, Prawne aspekty prywatyzacji, S. 365 (366 ff.); die in Art. 1 Abs. 2 Pkt. 2 KommerzG a. F. genannten Möglichkeiten stellten dagegen Unterfälle der unmittelbaren Privatisierung dar, vgl. Art. 39 Abs. 1 KommerzG a. F. 261 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 29. 262 Näher zu den einzelnen Regelungen betreffend die Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats unten Kapitel 3, C.II.2. 263 Durch die Gesetzesänderung zum 1.1.2017 wurde das gesamte Kapitel V gestrichen (vgl. Art. 14 Pkt. 25 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 264 Die unmittelbare Privatisierung wurde im PrivG 1990 noch als „Privatisierung des Staatsunternehmens im Liquidationsweg“ („prywatyzacja przedsie˛biorstwa pan´stwowego w dordze likwidacji“, Übersetzung d. Verf.) bezeichnet, da sie mit der Liquidation des Staatsunternehmens einherging. Entsprechend hatte sich auch in der polnischen Literatur der Begriff der „Liquidationsprivatisierung“ („prywatyzacja likwidacyjna“) ein-
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einer sog. „unmittelbaren Privatisierung“ des Staatsunternehmens vor. Anstelle einer zunächst erfolgenden Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft und einer anschließenden Übernahme von Gesellschaftsanteilen durch Dritte beruhte die unmittelbare Privatisierung gemäß Art. 39 KommerzG a. F. auf der „Verfügung über das gesamte materielle und immaterielle Vermögen des Staatsunternehmens“ 265. Hierfür bot das Gesetz die Möglichkeiten des Verkaufs des Unternehmens, der Einbringung des Unternehmens in eine Gesellschaft und der Verpachtung des Unternehmens (sog. „Arbeitnehmerleasing“ 266) (Art. 39 Abs. 1 Pkt. 1 bis 3 KommerzG a. F.). Mit Beschluss über die unmittelbare Privatisierung endete die Funktion der Organe des Staatsunternehmens267, im Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse fand die Vorschrift zum Betriebsübergang nach Art. 231 ArbGB entsprechende Anwendung und das Staatsunternehmen wurde nach Abschluss der unmittelbaren Privatisierung aus dem Unternehmensregister gestrichen (vgl. Artt. 43, 44 KommerzG a. F.). Das KommerzG a. F. enthielt jedoch Einschränkungen, für welche Staatsunternehmen der Weg der unmittelbaren Privatisierung generell und die drei genannten Möglichkeiten (Verkauf, Einbringung oder Verpachtung) im Speziellen offenstanden. Hintergrund hierfür war, dass das sog. „Arbeitnehmerleasing“, d.h. die unmittelbare Privatisierung mittels Verpachtung, ursprünglich lediglich für kleinere und mittelgroße Unternehmen konzipiert wurde, die die finanziellen Anforderungen des Leasingvertrages erfüllen konnten, und lediglich als Ergänzung zur mittelbaren Privatisierung sowie anderer Privatisierungswege gedacht war, sich jedoch bald herausstellte, dass dieser Privatisierungsweg unter den Belegschaften am populärsten war und daher die Mehrzahl aller Staatsunternehmen erfasste.268 Daher wurden im KommerzG Beschränkungen für die Möglichkeit der unmittelbaren Privatisierung eingefügt, die sich anhand der Größe, des Eigenkapitals und des Umsatzes des Unternehmens orientierten.269 Nach der ursprünglich verabschiedeten Gesetzesfassung war die unmittelbare Privatisierung daher nur zulässig, wenn das Unternehmen nicht mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigte und bei einem Eigenkapital von nicht mehr als 2 Millionen Euro der Jahresumsatz des gebürgert, vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 65. 265 Art. 39 Abs. 1 KommerzG a. F.: „Prywatyzacja bezpos ´rednia polega na rozporza˛dzeniu wszystkimi składnikami materialnymi i niematerialnymi maja˛tku przedsie˛biorstwa pan´stwowego przez [. . .]“, Übersetzung d. Verf. 266 „Leasing pracowniczy“, vgl. Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 30; Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (97); kritisch zu der Bezeichnung als Leasing Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 176. 267 Zu den einzelnen Organen eines Staatsunternehmens i. S. d. StaatsUntG ausführlich unten Kapitel 3, D.II.2.a). 268 Suwalski/Januszek, in: Suwalski, Przekształcenia społeczne, S. 92 (97). 269 Ebenda.
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Unternehmens 6 Millionen Euro nicht überstieg (vgl. Art. 39 Abs. 2 KommerzG urspr. Fassung). Diese Einschränkung ist später insoweit modifiziert worden, als das KommerzG in seiner zuletzt geltenden Fassung vor der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 allein noch an die Verpachtung des Unternehmens Voraussetzungen knüpfte, die sich an Umsatz und Eigenkapital orientierten (vgl. Art. 39 Abs. 2 KommerzG a. F.). Anders als im Fall der Kommerzialisierung und der mittelbaren Privatisierung sah das KommerzG im Rahmen der unmittelbaren Privatisierung keine verpflichtende Beteiligung von Arbeitnehmervertretern auf Organebene vor. Die Privilegierung der Arbeitnehmer und ein Schutz ihrer Interessen sollte durch anderweitige Regelungen abgesichert sein, die auf dem Gedanken des Arbeitnehmeraktionärstums beruhten.270 Der dadurch begünstigte und geförderte Erwerb von Aktien bzw. Anteilen an Gesellschaften durch Arbeitnehmer führte dazu, dass in jenen Gesellschaften oftmals ein Großteil der Anteile von Arbeitnehmern gehalten wurde, weswegen diese Gesellschaften in der polnischen Literatur auch als sog. „Arbeitnehmergesellschaften“ bezeichnet wurden.271 bb) Neue Rechtslage seit 1.1.2017 Mit Wirkung zum 1. Januar 2017 hat der polnische Gesetzgeber nicht nur die Unterscheidung der mittelbaren und unmittelbaren Privatisierung aufgehoben, es wurde generell der Begriff der Privatisierung aus dem Gesetzestext und dem Gesetzestitel gestrichen.272 Hintergrund hierfür war, dass mit dem Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016273 (nachfolgend: „StaatsVermVerwG“) eine grundlegende Reform im Hinblick auf die Ausübung von Eigentumsrechten des Staates erfolgen sollte.274 Im Zuge der Reform sollte auch ein neues Modell für die Verwaltung und Veräußerung von vom Staat gehaltenen Aktien und Anteilen geschaffen werden, weswegen auch in anderen Gesetzen – so auch dem KommerzG – Änderungen erforderlich wurden.275 So wurden die Artt. 31a bis 35 KommerzG a. F. über die Veräußerung der 270
Hierzu unten Kapitel 3, D.I. Ausführlich zur Arbeitnehmerbeteiligung in den sog. Arbeitnehmergesellschaften siehe unten Kapitel 3, D.I. 272 Der Titel des KommerzG lautete zuvor „Gesetz über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen“. 273 Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2259. 274 Begründung des Regierungsentwurfs zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1053 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 1; vgl. ausführlich zum StaatsVermVerwG Adamus, Spółka z udziałem pan´stwowym a przepisy o zarza˛dzaniu mieniem pan´stwowym, MoP 8/2017, S. 411 (411 ff.). 275 Begründung des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1054 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 2, 7. 271
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vom Staat an einer kommerzialisierten Gesellschaft gehaltenen Aktien sowie das gesamte Kapitel V des KommerzG betreffend die unmittelbare Privatisierung (Artt. 39 ff. KommerzG a. F.) gestrichen, da die allgemeinen Grundsätze über die Veräußerung von Staatsanteilen im Gesetz über die Verwaltung von Staatsvermögen neu geregelt wurden.276 Trotz der gesetzgeberischen Änderungen ist für die Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene weiterhin entscheidend, ob eine Gesellschaft aus der Kommerzialisierung eines ehemaligen Staatsunternehmens hervorgegangen ist sowie ob der Staat Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft ist oder ob auch andere Investoren Anteile an der Gesellschaft halten, da das KommerzG unterschiedliche Mitbestimmungsvorgaben hieran knüpft (vgl. Artt. 12, 14 KommerzG). Gleichwohl haben sich durch die Gesetzesänderung im Detail auch einige Änderungen in Bezug auf die Arbeitnehmervertretung in den Gesellschaftsorganen ergeben.277 c) Zwingende Arbeitnehmerbeteiligung auch bei vollständig privatisierten Unternehmen? In der Praxis lassen sich Beispiele finden, in denen Unternehmen nach der Veräußerung aller vom Staat gehaltenen Aktien Satzungsänderungen beschließen ließen, durch die eine Vertretung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten oder Vorständen gänzlich abbedungen wurde. So etwa beschloss die Hauptversammlung des großen börsennotierten Bergbauunternehmens Kopex S. A.278 im Februar 2010, nachdem der Staat kurz zuvor seine letzte Aktie veräußert hatte, eine Satzungsänderung, durch die alle Satzungsbestimmungen, die auf den gesetzlichen Vorgaben des KommerzG beruhten, abgeschafft oder abgeändert wurden, so insbesondere die satzungsmäßigen Konkretisierungen der Arbeitnehmerbeteiligung im Vorstand und Aufsichtsrat.279 In dem Vorstandsbeschluss zur vorgeschlagenen Satzungsänderung stützte sich der Vorstand der Gesellschaft darauf, dass der Staat am 22. und 23. Dezember 2009 die letzten noch vom ihm gehaltenen Anteile der Gesellschaft an der Börse veräußert habe.280 Infolgedes276 Begründung des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG, Sejm-Drucks. Nr. 1054 vom 24. November 2016 (VIII. Kadenz), S. 9. 277 Hierzu an entsprechender Stelle im Rahmen der Ausführungen in Kapitel 3, C. 278 Die Kopex S. A. hatte im Jahre 2009 ca. 6.600 Mitarbeiter, im Jahre 2016 waren es noch ca. 3.400 Mitarbeiter, im Jahr 2018 allerdings nur noch ca. 1.140, vgl. https:// www.money.pl/gielda/spolki-gpw/PLKOPEX00018,o_firmie.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 279 Beschluss Nr. 4 der außerordentlichen Hauptversammlung der Kopex S. A. vom 17. Februar 2010, abrufbar unter https://www.primetechsa.pl/stock/walne-zgromadzenie-akcjonariuszy-2010, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 280 Beschluss des Vorstands der Kopex S. A. vom 15. Januar 2010, abrufbar unter https://www.primetechsa.pl/stock/walne-zgromadzenie-akcjonariuszy-2010, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
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sen sei der Privatisierungsprozess im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1a KommerzG (a. F.) abgeschlossen, womit das KommerzG – und mithin auch seine Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat (Art. 14 KommerzG) und Vorstand (Art. 16 KommerzG) – nicht mehr für die Gesellschaft gelte. Die Satzungsänderung wurde am 5. März 2010 ins Unternehmerregister eingetragen.281 In der polnischen Literatur herrschte Uneinigkeit darüber, ob das Recht der Arbeitnehmer auf Vertretung in den Gesellschaftsorganen erlischt, wenn der Staat sämtliche Anteile veräußert, das Unternehmen mithin vollständig in private Hand überführt wird. Während die wohl überwiegende Ansicht davon ausging, dass die Regelungen des KommerzG auch dann zwingend weitergelten, wenn der Staat alle Anteile an der privatisierten Gesellschaft veräußert hat282, sahen andere Autoren die Beteiligung des Staates mit zumindest einem Anteil als notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsregelungen des KommerzG283. Soweit ersichtlich, fand jedoch eine ausführliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik nicht statt, obwohl darauf hingewiesen wurde, dass satzungsändernde Beschlüsse, durch die nach Veräußerung aller Staatsanteile das Recht auf Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen abbedungen werde, sogar die Regel seien und daher die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen nur vorübergehender Natur sei.284 Die Frage wurde mittlerweile höchstrichterlich geklärt. Das Oberste Gericht in Polen hat sich mit seinem Urteil vom 19. November 2015285 der zweiten Ansicht angeschlossen, wonach die Beteiligung des Staates mit zumindest einer Aktie bzw. einem Anteil 281 Vgl. https://m.bankier.pl/wiadomosc/KOPEX-S-A-Zarejestrowanie-przez-Sad-uch walonych-zmian-w-Statucie-Spolki-2107511.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 282 So Bieniek, Komercjalizacja i prywatyzacja przedsie˛biorstw pan ´ stwowych według ustawy z 30. sierpnia 1996 r. – cze˛s´c´ II, PiZS 7–8/1997, S. 18 (21); Opalski, Rada nadzorcza, S. 101; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 422; Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238); ders., Nadzór korporacyjny, S. 194; Rudolf, in: ders., Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 161 (172); ebenso Michał Romanowski, Professor der Juristischen Fakultät an der Universität Warschau, in einem am 3. Juni 2011 veröffentlichten Interview, vgl. Artikel in der Rzeczpospolita vom 3. Juni 2011 mit dem Titel „Die Arbeitnehmerbeteiligung in Aufsichtsräten ist nicht länger zeitgemäß“ („Udział załogi w radach nadzorczych nie odpowiada czasom“), abrufbar unter http://www4.rp.pl/artykul/668024-Udzial-zalogiw-radach-nadzorczych-nie-odpowiada-czasom.html, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 283 So Pajkiert, in: Blicharz, Prawne aspekty prywatyzacji, S. 235 (242) und Piwowarczyk, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 79 (84 f.); davon ausgehend wohl auch Haus, in: Rudolf, Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos´ci czy perspektywy rozwoju? S. 52 (57), der auf den lediglich vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat hinweist. 284 So Piwowarczyk, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 79 (85). 285 Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
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notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Artt. 14, 16 KommerzG und die zwingende Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat bzw. Vorstand ist. Die Ansicht des Obersten Gerichts überzeugt. Die Auslegung der Artt. 14, 16 KommerzG lässt darauf schließen, dass die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen nur solange sichergestellt ist, wie der Staat überhaupt noch als Aktionär an der Gesellschaft beteiligt ist und daher lediglich vorübergehender Natur ist.286 Das KommerzG selbst definiert seinen Anwendungsbereich als solchen nicht ausdrücklich. Kommerzialisiert und privatisiert werden können grundsätzlich alle Staatsunternehmen, bis auf die in Art. 3 Abs. 3 KommerzG genannten Ausnahmen. In einigen Sondervorschriften bezieht das KommerzG auch solche Unternehmen ein, deren Privatisierung bereits auf Grundlage des alten PrivG 1990 eingeleitet wurde (vgl. Art. 60 KommerzG). Das KommerzG enthält jedoch keine ausdrückliche Vorschrift dazu, ob seine Geltung endet, wenn die Privatisierung vollständig durchgeführt ist. Der Wortlaut der maßgeblichen Mitbestimmungsvorschriften – Art. 14 KommerzG und Art. 16 KommerzG – enthält hierzu ebenfalls keine ausdrückliche Regelung und ist in dieser Hinsicht uneindeutig. Gemäß Art. 14 KommerzG können „ab dem Moment, in dem der Staat nicht mehr Alleinaktionär der im Wege der Kommerzialisierung entstandenen Gesellschaft ist“, die Satzungsbestimmungen betreffend die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern geändert werden, wobei die Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmer und Landwirte oder Fischer das Recht zur Wahl der gesetzlich näher spezifizierten Zahl von eigenen Vertretern „beibehalten“.287 Nach Art. 16 Abs. 1 KommerzG steht den Arbeitnehmern einer Gesellschaft, die im Wege der Kommerzialisierung entstanden ist und die durchschnittlich im Jahr mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt, das Recht zur Wahl eines Vorstandsmitglieds „auch nach Veräußerung von mehr als der Hälfte der vom Staat gehaltenen Aktien“ zu.288 Der Wortlaut der zitierten Vorschriften 286 Zu der Methodik und den Grundsätzen der Auslegung im polnischen Arbeitsrecht vgl. ausführlich Wypych-Z˙ywicka, in: Baran, System prawa pracy, Bd. 1, S. 1253 ff., 1266 ff. Im Wesentlichen erfolgt ähnlich wie im deutschen Recht eine grammatikalische, systematische sowie teleologische – sog. funktionale – Auslegung, wobei Letztere auch die Entstehungsgeschichte bzw. den Willen des Gesetzgebers mit berücksichtigt. 287 Art. 14 Abs. 1 KommerzG: „Od chwili, w której Skarb Pan ´stwa przestał byc´ jedynym akcjonariuszem spółki powstałej w wyniku komercjalizacji, postanowienia statutu dotycza˛ce powoływania i odwoływania członków rady nadzorczej moga˛ byc´ zmienione, z tym ˙ze pracownicy albo pracownicy i rolnicy lub rybacy zachowuja˛ prawo wyboru: [. . .]“. Übersetzung d. Verf. 288 Art. 16 Abs. 1 KommerzG: „W spółkach powstałych w drodze komercjalizacji, a takz˙e po zbyciu przez Skarb Pan´stwa ponad połowy akcji spółki, pracownicy wybieraja˛ jednego członka zarza˛du, jez˙eli s´rednioroczne zatrudnienie w spółce wynosi powyz˙ej 500 pracowników.“ Übersetzung d. Verf.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
lässt mithin durchaus die Interpretation zu, nach der von den Vorschriften auch diejenige Situation erfasst ist, dass der Staat alle seine Anteile veräußert hat.289 Auf der anderen Seite lässt sich der Wortlaut „ab dem Moment, in dem der Staat nicht mehr Alleinaktionär [. . .] ist“ jedoch auch dergestalt verstehen, dass der Staat zwar nicht mehr Alleinaktionär, aber immerhin noch Aktionär sein muss – mithin zumindest mit noch einer Aktie oder einem Anteil an der Gesellschaft beteiligt sein muss.290 Auch aus der Gesetzessystematik lassen sich sowohl Argumente für als auch gegen die Weitergeltung der Mitbestimmungsregelungen nach vollständiger Privatisierung herleiten. Unzweifelhaft stehen die Mitbestimmungsvorschriften in untrennbarem Zusammenhang mit der Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen. Dieser Zusammenhang besteht darin, dass die Entstehung einer Gesellschaft im Wege der Kommerzialisierung – als erster Stufe der bisherigen sog. „mittelbaren Privatisierung“ – Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Artt. 14, 16 KommerzG ist. Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass die Mitbestimmungsregeln allein auf diesem Umstand, namentlich der Entstehung einer Gesellschaft im Wege der Kommerzialisierung, beruhen, unabhängig davon, ob der Staat in der Folgezeit an ihr beteiligt bleibt oder nicht.291 Aus diesem Grund bestünde das Recht auch dann weiter, wenn der Staat in der Gesellschaft, die im Wege der Kommerzialisierung entstanden ist, nur noch Minderheitsaktionär ist oder überhaupt keine Aktionärsstellung mehr einnimmt.292 Gleichwohl lässt sich dem entgegenhalten, dass das KommerzG a. F. zwei Wege zur Überführung von Staatsunternehmen in die Marktwirtschaft vorgesehen hatte – die mittelbare und die unmittelbare Privatisierung. Für Gesellschaften, die aus der unmittelbaren Privatisierung hervorgingen, bürdete es dem privaten Inhaber jedoch keine Beschränkungen im Bezug auf die Bestellung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern auf.293 Eine unterschiedliche Behandlung der mittelbar und unmittelbar privatisierten Gesellschaften nach vollständigem Abschluss des Privatisierungsprozesses sei aber nicht gerechtfertigt.294
289
So wohl auch Opalski, Rada nadzorcza, S. 101. So Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 3 ff.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Pajkiert, in: Blicharz, Prawne aspekty prywatyzacji, S. 235 (242). 291 So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (238). 292 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). 293 So die Argumentation des Obersten Gerichts in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 294 Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 290
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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Auch aus der Gesetzesgeschichte lassen sich keine zweifelsfreien Anhaltspunkte für oder gegen die Weitergeltung der Mitbestimmungsregeln nach vollständiger Privatisierung entnehmen. Weder das Vorgängergesetz von 1990295 noch der verhandelte Pakt über das Staatsunternehmen296 oder die ursprüngliche Fassung des Art. 14 KommerzG lassen den Rückschluss zu, dass die heutigen Regelungen des KommerzG zur Arbeitnehmerbeteiligung auch nach vollständiger Privatisierung gelten sollen. (i) Das PrivG 1990 hatte zwar ausdrücklich vorgesehen, dass die zwingenden Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat solange nicht durch Satzungsbestimmung abbedungen werden könnten, wie der Staat mehr als 50 % der Anteile hielt (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990). Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass eine Mindestzahl an Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat danach nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben war. Die Mitbestimmungsregelung im PrivG 1990 hatte mithin eindeutig einen nur vorübergehenden Charakter.297 Insoweit könnte vorgebracht werden, dass – hätte der Gesetzgeber eine Abdingbarkeit der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung nach Veräußerung aller Staatsanteile vorsehen wollen – eine ähnliche Regelung wie im Vorgängermodell des PrivG 1990 naheliegend gewesen wäre. Dies insbesondere, als das Problem der nur vorübergehend gewährleisteten Arbeitnehmerbeteiligung nach dem PrivG 1990 bereits in der Rechtswissenschaft diskutiert worden war.298 Allerdings lässt sich aus dem Fehlen einer derartigen Regelung eine eindeutige Absicht des Gesetzgebers nicht herleiten. (ii) Die Vereinbarungen im Pakt über das Staatsunternehmen von 1993, die für das neue KommerzG eine wesentliche Rolle gespielt hatten299, sind in dieser Hinsicht ebenfalls nicht eindeutig. Im Pakt – genauer gesagt den drei nahezu wortlautgleichen Pakten mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, der OPZZ und anderen Gewerkschaften300 – wird ausdrücklich unterschieden zwischen der Beteiligung der Arbeitnehmer „vor der Zurverfügungstellung von Aktien bzw. Anteilen“ 301, die 1/3 der Aufsichtsratssitze betragen und ggf. das Recht zur
295
Zur Entstehungsgeschichte des PrivG 1990 oben Kapitel 2, A.II.4.b). „Pakt über das Staatsunternehmen in der Umstrukturierung“, hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c). 297 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 56. 298 Vgl. etwa Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19), der darauf hinweist. 299 Zum geschichtlichen Hintergrund vgl. oben Kapitel 2, A.II.4.c). 300 Näher hierzu oben Kapitel 2, A.II.4.c). 301 „przed udoste˛pnieniem akcji“ (Übersetzung d. Verf.), vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie 296
256
Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Wahl eines Vorstandsmitglieds beinhalten soll, und der Beteiligung „nach Privatisierung“ 302, die zwischen einem und drei Aufsichtsratsmitgliedern je nach Größe des Aufsichtsrats und die ggf. Wahl eines Vorstandsmitglieds ausmachen soll.303 Allerdings sind die Begrifflichkeiten nicht klar definiert. So interpretierten einige Autoren die Vereinbarungen im Pakt dahingehend, dass die Drittelbeteiligung bis zur Beendigung der Privatisierung bestehen und die Arbeitnehmer in vollständig privatisierten Unternehmen das Recht zur Bestimmung von ein bis drei Aufsichtsratsmitgliedern und ggf. eines Vorstandsmitglieds haben sollten.304 Damit gingen sie von einem dauerhaft bestehenden Recht auf Arbeitnehmerbeteiligung aus. Naheliegender erscheint es jedoch, den Wortlaut „vor der Zurverfügungstellung von Aktien bzw. Anteilen“ mit dem Stadium der bislang nur durchgeführten Kommerzialisierung gleichzusetzen, d.h. mit dem Zeitraum, in dem noch keine einzige Aktie in private Hand übergegangen ist.305 „Nach Privatisierung“ ist dagegen vielmehr so zu verstehen, dass die Privatisierung bereits eingeleitet worden ist, mithin auch andere Investoren eingestiegen und der Staat nicht mehr Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft ist. Die letztgenannte Interpretation entspricht auch der Differenzierung, die letztlich im KommerzG angenommen wurde (vgl. Art. 12 KommerzG: „Solange der Staat Alleinpan´stwowym, S. 5; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3. 302 „po sprywatyzowaniu“ (Übersetzung d. Verf.), vgl. Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 4. 303 Vgl. die Regelung in den drei separat unterzeichneten Pakten zwischen der NSZZ Solidarnos´c´, der OPZZ sowie anderen Gewerkschaften auf der einen Seite, der Konföderation der Polnischen Arbeitgeber auf der anderen Seite sowie der Regierung (Pakt mit der NSZZ „Solidarnos´c´ “, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 5; Pakt mit der OPZZ, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 9; Pakt mit den übrigen Gewerkschaften, in: Fundacja Edukacyjna Przedsie˛biorczos´ci, Pakt o przedsie˛biorstwie pan´stwowym, S. 3 f.). 304 So Wratny, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, S. 8; ders., Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19); ebenso Mouranche, Dos´wiadczenia trójstronnos´ci, S. 62. 305 So auch Piotrowski, Pakt o przedsie˛biorstwie pan ´ stwowym, RPEiS 2/1993, S. 1 (14); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 162 f., der davon ausgeht, dass die Vereinbarung im Pakt eine Verschlechterung gegenüber dem PrivG 1990 darstellten. Das PrivG 1990 hatte eine Drittelbeteiligung so lange garantiert, wie der Staat mehr als die Hälfte der Anteile hielt (vgl. Art. 17 Abs. 2 PrivG 1990). Nach der hier vertretenen Interpretation der Vereinbarungen des Paktes würde die Arbeitnehmerbeteiligung dagegen bereits mit Veräußerung der ersten Aktien durch den Staat auf eine Beteiligung von nur 10 bis 20 % sinken.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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aktionär ist [. . .]“ 306). Nach diesem Verständnis ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch nach Abschluss des Privatisierungsprozesses die eingeräumten Arbeitnehmerrechte fortgelten sollen. (iii) Schließlich lässt sich auch aus der ursprünglich verabschiedeten Fassung des Art. 14 KommerzG kein Hinweis darauf entnehmen, dass nach vollständiger Privatisierung die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen weitergelten solle.307 Art. 14 KommerzG hatte in der bis 2002 geltenden Fassung vorgesehen, dass die gestaffelte Arbeitnehmerbeteiligung erst dann einschlägig war, wenn der Staat mehr als die Hälfte seiner Anteile veräußert hatte. Da Art. 12 KommerzG jedoch nur die Arbeitnehmerbeteiligung bei alleiniger Aktionärsstellung des Staates regelte, war unklar, was in der Zeit zwischen Veräußerung nur eines Anteils und mehr als der Hälfte aller Anteile des Staates gelten sollte.308 Im Jahre 2002309 wurde der Wortlaut des Art. 14 KommerzG dahingehend abgeändert, dass die gestaffelte Arbeitnehmerbeteiligung bereits dann eingreift, wenn der Staat auch nur einen einzigen Anteil veräußert. Die Änderung hat auf die Frage der Weitergeltung der zwingenden Mitbestimmungsvorgaben nach vollständiger Privatisierung jedoch keine Auswirkung.310 Eine Betrachtung der Mitbestimmungsregeln nach Sinn und Zweck spricht jedoch eher gegen die zwingende Weitergeltung der Artt. 14, 16 KommerzG nach vollständiger Privatisierung. Hierfür lässt sich anführen, dass die eingeführte Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene vorrangig die soziale Akzeptanz für die wirtschaftlichen Reformen fördern sollte, indem die Arbeitnehmer die Geschicke ihres Unternehmens mitgestalten und beeinflussen können sollten.311 Dies zugrunde gelegt, besteht nach Abschluss der Privatisierungsprozesse weder eine Notwendigkeit noch eine Rechtfertigung mehr für eine Fortgeltung der Mitbestimmung. Dem kann zwar entgegengehalten werden, dass ein wichtiger Aspekt 306 Art. 12 KommerzG: „W czasie, w którym Skarb Pan ´stwa pozostaje jedynym akcjonariuszem [. . .]“, Übersetzung d. Verf. 307 So auch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 308 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 1; Chrós´cicki, Komentarz do ustawy o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 61. 309 Vgl. Art. 2 Abs. 8 des Gesetzes vom 5. Dezember 2002 betreffend die Änderung des Gesetzes über die Ausübung von einigen Rechten des Staates, des Gesetzes über die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen sowie einiger anderer Gesetze, Dz. U. 2002 Nr. 240 Pos. 2055. 310 So auch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 311 Siehe hierzu oben Kapitel 3, A.II.2.a).
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
bei Einführung der Arbeitnehmervertretung auf Organebene auch die Kontinuität der früheren Arbeitnehmerselbstverwaltung war, ferner der Arbeitnehmerbeteiligung auch sozialethische, laboristische und sogar wirtschaftliche Motive sowie Integrationsaspekte zugrunde gelegt werden und sich diese Zielsetzungen nicht mit Abschluss des Privatisierungsprozesses erübrigen.312 Denn gerade die angestrebte Kontinuität der Selbstverwaltungsorgane – die als dauerhafte Institution in den Staatsunternehmen etabliert waren – würde ins Leere laufen, wenn das Recht auf Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene in den Fällen, in denen das Unternehmen gänzlich in private Hand übergeht, nicht länger gesetzlich gewährleistet wäre. Auch – so könnte argumentiert werden – dürfte es kaum zu der ebenfalls bezweckten gesellschaftlichen Akzeptanz der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung beitragen, wenn die Überführung von Unternehmen in Privateigentum gleichzusetzen wäre mit dem Verlust der – hart erkämpften – Arbeitnehmerrechte und Einflussmöglichkeiten. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, dass der übergeordnete Sinn und Zweck des KommerzG darin bestand, Staatsunternehmen an eine Tätigkeit im Rahmen der neuen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen heranzuführen.313 Wenn aber Ziel des KommerzG die Regelung des Statuses der Staatsunternehmen bis zur vollständigen Privatisierung war, so leuchtet es nicht ein, warum das Recht der Arbeitnehmer zur Beteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand über diesen Zeitraum hinaus garantiert werden sollte.314 Es überzeugt, dass das ehemalige Staatsunternehmen ab dem Zeitpunkt der vollständigen Privatisierung den gleichen rechtlichen und marktwirtschaftlichen Regeln unterworfen sein sollte wie alle anderen Gesellschaften der Privatwirtschaft, für die das polnische Recht gerade keine Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen vorsieht. Insgesamt lassen sich Argumente sowohl für als auch gegen die Weitergeltung der Mitbestimmungsvorschriften in Artt. 14, 16 KommerzG nach vollständiger Privatisierung der kommerzialisierten Gesellschaft finden. Die Gesetzeskonzeption und -geschichte bieten für diese Frage keine eindeutigen Anhaltspunkte. Gleichwohl spricht insbesondere die mit dem KommerzG bezweckte Überführung der ehemaligen Staatsunternehmen in die Marktwirtschaft gegen die Annahme einer Weitergeltung. Denn vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gerechtfertigt, eine Gesellschaft auch nach ihrer vollständigen Privatisierung nur deshalb anderen Regeln zu unterstellen als sonstige Gesellschaften der Privatwirtschaft, weil sie aus der Kommerzialisierung hervorgeht. Diese Ansicht scheint 312
Hierzu oben Kapitel 3, A.II.2. So auch die Argumentation des Obersten Gerichts in seinem Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 4, 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 314 Oberstes Gericht, Urteil vom 19. November 2015, Az.: V CSK 159/15, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 313
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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sich auch in der Praxis und Rechtsprechung durchgesetzt zu haben. Damit handelt es sich bei der Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage des KommerzG letztlich um eine lediglich vorübergehende Lösung. Weder das KommerzG noch ein sonstiges Gesetz enthält ausdrückliche Regelungen zur Mitbestimmungsbeibehaltung in den Fällen, in denen das kommerzialisierte Unternehmen auf einen anderen Rechtsträger übergeht, etwa im Wege einer Verschmelzung. Hier dürfte neben der Voraussetzung, dass der Staat über eine Beteiligung verfügt, maßgeblich sein, ob die übernehmende Gesellschaft noch als eine im Wege der Kommerzialisierung entstandene Gesellschaft angesehen werden kann. Indes scheint diese Problemfeld in der polnischen Literatur und Rechtsprechung nicht thematisiert worden zu sein. d) Die kommerzialisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung („sp. z o. o.“) Für kommerzialisierte sowie teilweise privatisierte Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung („spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛“ („sp. z o. o.“)) gilt das KommerzG zwar grundsätzlich gleichermaßen wie für die Aktiengesellschaft. Allerdings ist ein Aufsichtsrat in der polnischen GmbH grundsätzlich nicht obligatorisch, das Aufsichtsrecht steht dann grundsätzlich allen Gesellschaftern zu (vgl. Artt. 212, 213 § 1 HGG). Gemäß Art. 213 § 2 HGG soll jedoch ein Aufsichtsrat oder eine Revisionskommission315 bestellt werden, wenn das Stammkapital der Gesellschaft 500.000 PLN übersteigt und die Gesellschaft mehr als 25 Gesellschafter hat.316 Die Vorschrift wird in der polnischen Literatur nach wohl einhelliger Ansicht trotz des anders anmutenden Wortlauts („soll“) als obligatorisch angesehen, sodass in diesen Fällen ein Aufsichtsrat oder alternativ eine Revisionskommission zu errichten ist.317 Das KommerzG sieht – anders als das deutsche Recht (vgl. § 6 Abs. 1 MitbestG, § 3 Abs. 1 MontanMitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG) – keine verbindliche Errichtung eines Aufsichtsrats vor, sondern bestimmt in Art. 11 Abs. 2 KommerzG sogar ausdrücklich, dass die Bildung eines Aufsichtsrats in Gesellschaften mit beschränkter Haftung nicht obligatorisch ist und das Kontrollrecht ansonsten der Gesellschafter oder ein vom diesem Bevollmächtigter ausübt. Im Gegensatz zum deutschen Recht, in welchem die Mitbestimmungsgesetze die verpflichtende Er315 Die früher auch für die Aktiengesellschaft bestehende Möglichkeit einer Revisionskommission wurde dagegen im HGG abgeschafft, vgl. hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 37. 316 Art. 213 § 2 HGG: „W spółkach, w których kapitał zakładowy przewyzsza kwote˛ ˙ 500 000 złotych, a wspólników jest wie˛cej niz˙ dwudziestu pie˛ciu, powinna byc´ ustanowiona rada nadzorcza lub komisja rewizyjna.“ 317 So etwa Szajkowski/Tarska/Szuman ´ ski, in: Sołtysin´ski/Szajkowski/Szuman´ski/ Szwaja, Kodeks spółek handlowych, Bd. 2, Art. 213 Rn. 1; Weiss/Szuman´ski, in: Pyzioł/ Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 39 Rn. 1190, 1201.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
richtung eines Aufsichtsrats für die GmbH vorschreiben, dürfte sich vor diesem Hintergrund vielmehr die Frage stellen, ob Art. 11 Abs. 2 KommerzG in den Fällen des Art. 213 § 2 HGG der sonst obligatorischen Errichtung eines Aufsichtsrats oder einer Revisionskommission wieder einen rein fakultativen Charakter verleiht. Hierfür spräche der allgemeine lex specialis-Grundsatz, der sich in Art. 5 Abs. 1 KommerzG manifestiert. Wird allerdings ein Aufsichtsrat in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung bestellt, so gelten für diesen auch die Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung nach dem KommerzG. Grundsätzlich ließe sich auf Grundlage der Vorschriften des KommerzG und des HGG der zwingenden Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat ohne Weiteres durch die Rechtsformwahl der GmbH ausweichen. In der Regel wurden Staatsunternehmen jedoch in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.318 Die Vorschrift des Art. 16 KommerzG betreffend die Bestellung eines Vorstandsmitglieds gilt dagegen stets auch für die GmbH. 2. Spezielle Privatisierungsgesetze Neben dem KommerzG von 1996 wurden für einzelne Unternehmen spezielle Kommerzialisierungs- bzw. Privatisierungsgesetze erlassen. Dies betraf vor allem die Polnische Staatsbahn („Polskie Koleje Pan´stwowe“ („PKP“)) und die Polnische Post („Poczta Polska“). Die Kommerzialisierung dieser Staatsunternehmen wurde mit dem Gesetz über die Kommerzialisierung, Restrukturierung und Privatisierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000319 (nachfolgend: „KommerzG-PKP“) und dem Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008320 (nachfolgend: „KommerzG-Post“) speziell geregelt. Die Gesetze enthalten auch besondere Vorgaben für die Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen der umgewandelten Gesellschaften (vgl. Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG-PKP, Art. 10 KommerzGPost).321 Auch das Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000322 sieht Abweichungen zum KommerzG auch im Hinblick auf die Arbeit-
318
Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 51. Gesetz über die Kommerzialisierung, Restrukturierung und Privatisierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 84 Pos. 948, urspr. Fassung. Seit dem 1. Januar 2017 lautet der Gesetzestitel „Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“)“. 320 Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008, Dz. U. 2008 Nr. 180 Pos. 1109. 321 Näher hierzu unten Kapitel 3, C.II.2. 322 Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000, Dz. U. 2000 Nr. 103 Pos. 1098. 319
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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nehmerbeteiligung vor (vgl. Art. 18 des Gesetzes über das Polnische Schiffsregister). Die genannten Gesetze gelten bis heute. Sondergesetze oder Sonderregelungen wurden darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der Umwandlung bzw. Privatisierung anderer Unternehmen erlassen, so etwa für das polnische Luftfahrtsunternehmen „LOT“, welches aus dem Geltungsbereich des StaatsUntG von 1981 ausgenommen war (vgl. Art. 6 Abs. 3 StaatsUntG urspr. Fassung) und daher dem PrivG 1990 durch ausdrückliche Regelung unterstellt werden musste.323 Das diesem Zweck dienende Gesetz sah allerdings anders als die Gesetze über die Polnische Staatsbahn und die Polnische Post keine Besonderheiten im Hinblick auf die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat vor. Eine Besonderheit im Hinblick auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats fand sich allerdings im Gesetz über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung vom 30. April 1993324, welches jedoch mit Wirkung zum 1. Januar 2013 aufgehoben wurde.325 Bei den nationalen Investmentfonds handelte es sich um vom Staat gegründete Aktiengesellschaften, die an privatisierten Gesellschaften meist strategisch bedeutsame Aktien- bzw. Anteilspakete hielten und deren Ziel darin bestand, den Marktwert dieser Gesellschaften zu steigern, was insbesondere durch eine Verbesserung der Unternehmensführung, die Festigung ihrer Marktposition und die Beschaffung neuer Technologien und Kredite für die Gesellschaften erfolgen sollte (vgl. Artt. 3, 4 des Gesetzes über die nationalen Investmentfonds und ihre Privatisierung).326 Das Gesetz sah zwar keine zwingende zahlenmäßige Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat oder Vorstand der nationalen Investmentfonds vor, jedoch erfolgte die Nominierung der Aufsichtsratsmitglieder durch eine Kommission, in der neben verschiedenen von staatlicher Seite berufenen Mitgliedern auch Entsandte repräsentativer Gewerkschaftsorganisationen vertreten waren (vgl. Art. 15 Abs. 2, 3 des Gesetzes über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung). Unter dem Einfluss der Gewerkschaften wurden auf diese Weise Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte der nationalen Investmentfonds gewählt.327
323 Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Umwandlung des polnischen Luftfahrtsunternehmens „LOT“ vom 14. Juni 1991, Dz. U. 1991 Nr. 61 Pos. 260. 324 Gesetz über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung vom 30. April 1993, Dz. U. 1993 Nr. 44 Pos. 202. 325 Art. 15 des Gesetzes über die Aufhebung des Gesetzes über nationale Investmentfonds und ihre Privatisierung und Änderung einiger anderer Gesetze vom 30. März 2012, Dz. U. 2012 Pos. 596. 326 Näher zu den nationalen Investmentfonds Karczmarczuk, in: Rudolf, Nadzór włas´cicielski, S. 77 (79 ff.); Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 39 f. 327 Vgl. Peszko, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 189 (204).
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
3. Die Gesetze vom 25. September 1981 über Staatsunternehmen und über die Selbstverwaltung der Belegschaft Eine besondere Form der Arbeitnehmerbeteiligung findet sich in dem auch heute noch geltenden – wenn auch in seiner praktischen Relevanz stark begrenzten – SelbstVerwG vom 25. September 1981328. Das Gesetz findet ausschließlich Anwendung auf Staatsunternehmen im Sinne des ebenfalls vom 25. September 1981 datierenden StaatsUntG329.330 Ein Staatsunternehmen im Sinne dieser Gesetze ist eine rechtliche Sonderform für ein Unternehmen, die noch aus der Zeit des realen Sozialismus rührt. Das Staatsunternehmen als Rechtsform wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Einführung der sozialistischen Planwirtschaft ins Leben gerufen.331 Es handelte sich dabei um die auf unterster Stufe des planwirtschaftlichen Systems stehende organisatorische Einheit, ein Wirtschaftssubjekt mit eigener Rechtspersönlichkeit, das allerdings in das planwirtschaftliche System vollständig eingegliedert war und von übergeordneten Organisationseinheiten – je nach gesetzlicher Ausgestaltung, die im Laufe des über 40-jährigen Bestehens der Volksrepublik oftmals variierte – mehr oder weniger stark kontrolliert und beeinflusst wurde und somit entsprechend mehr oder weniger Befugnisse und Eigenständigkeit besaß.332 In seiner ursprünglichen Fassung definierte das StaatsUntG das Staatsunternehmen in Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG urspr. Fassung noch als die „organisatorische Basiseinheit der nationalen Volkswirtschaft“, welche der Befriedigung öffentlicher Bedürfnisse dienen und durch die Herstellung von Gütern, Erbringung von Dienstleistungen oder eine andere Tätigkeit positive wirtschaftliche Ergebnisse erzielen sollte.333 Nach Art. 2 StaatsUntG urspr. Fassung verwaltete das Staatsunternehmen den ihm zugeteilten Teil des Volkseigentums und führte die wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig entsprechend den Zielen des nationa-
328 Gesetz über die Selbstverwaltung der Belegschaft des Staatsunternehmens vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 123 m. sp. Änd. 329 Gesetz über Staatsunternehmen vom 25. September 1981, Dz. U. 1981 Nr. 24 Pos. 122 m. sp. Änd. 330 Einige besondere Staatsunternehmen sowie Banken wurden aus dessen Anwendungsbereich jedoch ausgenommen, so etwa das Luftfahrtunternehmen „LOT“, vgl. Art. 6 Abs. 3 StaatsUntG ursp. Fassung. 331 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20. Die erste gesetzliche Grundlage hierfür war das Gesetz über Staatsunternehmen vom 26. Oktober 1950. 332 Vgl. Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 20, 27; Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 62 f.; ausführlich zu den gesetzlichen Grundlagen in der Volksrepublik Polen oben Kapitel 2, A.II.2. und Kapitel 2, A.II.3.b). 333 Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG urspr. Fassung: „Przedsie˛biorstwo pan ´stwowe jest podstawowa˛ jednostka˛ organizacyjna˛ gospodarki narodowej, słuz˙a˛ca˛ zaspokojaniu potrzeb społecznych, tworzona˛ w celu osia˛gania efektywnych ekonomicznie wyników przez produkcje˛ dóbr, s´wiadczenie usług czy inna˛ działalnos´c´.“
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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len Plans. Nach dem Wechsel von der sozialistischen Planwirtschaft zur marktwirtschaftlichen Ordnung wurden diese Vorschriften gestrichen bzw. geändert, ebenso wie weitere Vorschriften, die auf das sozialistische System Bezug nahmen (z. B. Art. 3 StaatsUntG urspr. Fassung). Art. 1 StaatsUntG n. F. beschränkt die Definition des Staatsunternehmens nunmehr – in Anlehnung an Art. 1 Abs. 2 StaatsUntG urspr. Fassung – darauf, dass es sich bei dem Staatsunternehmen um einen selbstständigen, sich selbstverwaltenden und selbstfinanzierenden Unternehmer handelt, der eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt.334 Das Gesetz über Staatsunternehmen unterscheidet zwischen Staatsunternehmen im Allgemeinen und solchen, die der öffentlichen Daseinsvorsorge dienen. Für Letztere enthält Art. 6 Abs. 1 StaatsUntG einen beispielhaften Katalog. Danach sind Staatsunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge u. a. dazu bestimmt, Produkte und Dienstleistungen auf dem Gebiet der Sanitäranlagen, öffentlicher Nahverkehrseinrichtungen, Energiezulieferung, Bestattungsdienste und Kultur zu erbringen. Die im SelbstVerwG enthaltenen Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung erfassen grundsätzlich alle Staatsunternehmen, die unter das StaatsUntG fallen. Die Mitbestimmungsvorgaben unterscheiden sich jedoch je nachdem, ob das Staatsunternehmen selbst- oder fremdverwaltet wird.335 Zu Beginn der Transformationsphase im Jahre 1990 existierten 8.453 Staatsunternehmen in Polen.336 Zum 31. Dezember 2015 waren es nur noch 41 Staatsunternehmen, wovon auch nur 19 aktiv waren, d.h. einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgingen.337 Der Großteil der Staatsunternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge war bereits Anfang der 1990er Jahre kommunalisiert worden.338 Die praktische Relevanz des formal weiterhin geltenden SelbstVerwG ist daher gering. Eine Arbeitnehmerselbstverwaltung wurde ferner auch in anderen Gesetzen vorgesehen. So etwa besteht in sog. „gemischten Unternehmen“ auf Grundlage
334 Art. 1 Abs. 1 StaatsUntG n. F.: „Przedsie˛biorstwo pan ´stwowe jest samodzielnym, samorza˛dnym i samofinansuja˛cym sie˛ przedsie˛biorca˛ posiadaja˛cym osobowos´c´ prawna˛.“ 335 Näher hierzu unten Kapitel 3, D.II. 336 Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, SejmDrucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5 sowie die Informationen des Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) vom 9. März 2016 auf der damaligen Homepage des Ministeriums, https://bip.msp.gov.pl/bip/raporty-analizy/przeksztal cenia-wlasnos/10245,stan-na-dzien-31-grudnia-2015-roku.html, zuletzt aufgerufen am 23. März 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar). 337 Bericht des Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan ´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, Sejm-Drucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5. 338 Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 18.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
des Gesetzes vom 10. Juli 1985339 eine Arbeitnehmerselbstverwaltung, wenn das Unternehmen mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt (vgl. Artt. 19 ff. des Gesetzes über gemischte Unternehmen). Auch wurde für das staatliche Flughafenunternehmen „Porty Lotnicze“ ein vom StaatsUntG gesondertes Gesetz340 verabschiedet, welches ebenfalls Selbstverwaltungsorgane vorsieht (vgl. Artt. 28 ff. des Gesetzes über das Staatsunternehmen „Porty Lotnicze“). 4. Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996 Eine zwingende Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene findet sich ferner im Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996341 (nachfolgend: „KommWirtG“). Die kommunale Wirtschaft erfasst insbesondere den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge (vgl. Art. 1 Abs. 2 KommWirtG). Das Gesetz fußt auf dem Grundsatz der territorialen Selbstverwaltung (vgl. Art. 1 Abs. 1 KommWirtG) und sieht vor, dass die kommunale Wirtschaft von den territorialen Selbstverwaltungseinheiten auch über eine Handelsgesellschaft, insbesondere eine GmbH oder Aktiengesellschaft, geführt werden kann (vgl. Artt. 2, 9 KommWirtG). Dabei können die territorialen Selbstverwaltungseinheiten die Gesellschaften sowohl selbst gründen als auch Anteile an bestehenden Gesellschaften erwerben (vgl. Art. 9 KommWirtG). Eine Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen schreibt das Gesetz jedoch in Art. 18 KommWirtG nur noch für diejenigen Gesellschaften vor, die durch eine Umwandlung kommunaler Unternehmen gemäß Art. 14 KommWirtG entstanden sind. Kommunale Unternehmen unterstanden allen voran den im März 1990 erlassenen Gesetzen über die territoriale Selbstverwaltung342 und die Arbeitnehmer in der territorialen Selbstverwaltung343.344 Diejenigen kommunalen Unternehmen, über deren organisatorische und rechtliche Form oder Privatisierung bis zum 30. Juni 1997 keine Entscheidung von den damals zuständigen Gemeinden getroffen worden war, wurden gemäß Art. 14 KommWirtG mit Wirkung
339 Gesetz über gemischte Unternehmen vom 10. Juli 1985, Dz. U. 1985 Nr. 32 Pos. 142. 340 Gesetz über das Staatsunternehmen „Porty Lotnicze“ vom 23. Oktober 1987, Dz. U. 1987 Nr. 33 Pos. 185. 341 Gesetz über die kommunale Wirtschaft vom 20. Dezember 1996, Dz. U. 1997 Nr. 9 Pos. 43. 342 Gesetz über die territoriale Selbstverwaltung vom 8. März 1990, Dz. U. 1990 Nr. 16 Pos. 95. 343 Gesetz über die Arbeitnehmer in der territorialen Selbstverwaltung vom 22. März 1990, Dz. U. 1990 Nr. 21 Pos. 124. 344 Vgl. Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 18.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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zum 1. Juli 1997 kraft Gesetzes in eine Gesellschaft mit 100 %-iger Beteiligung der Gemeinde umgewandelt. In diesen Gesellschaften erhielten die Arbeitnehmer der ehemaligen kommunalen Unternehmen das Recht, eine bestimmte Anzahl von Aufsichtsratsmitgliedern zu wählen (vgl. Art. 18 KommWirtG).345 In der ursprünglichen Gesetzesfassung fand sich ferner eine Regelung, wonach eine Arbeitnehmerbeteiligung auch im Aufsichtsrat solcher Gesellschaften vorgeschrieben war, die von der Gemeinde neu gegründet wurden oder an denen die Gemeinde Anteile erworben hatte (vgl. Artt. 9, 12 Abs. 3 KommWirtG urspr. Fassung). Diese Regelung wurde jedoch im Jahre 2003346 gestrichen, sodass eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat auf Grundlage des KommWirtG nunmehr ausschließlich noch in Gesellschaften, die aus einer Umwandlung ehemaliger kommunaler Unternehmen gemäß Art. 14 KommWirtG entstanden sind, vorgeschrieben ist. Das Gesetz trifft jedoch keine ausdrückliche Regelung zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Fällen, in denen die territoriale Selbstverwaltungseinheit nicht mehr Alleingesellschafterin der umgewandelten Gesellschaft ist. Gemäß Art. 10a Abs. 2 KommWirtG gelten im Hinblick auf den Aufsichtsrat von Gesellschaften, an denen die territoriale Selbstverwaltungseinheit beteiligt ist, die Vorschriften des HGG, jedoch nur unter Berücksichtigung der im KommWirtG normierten Vorschriften. Mithin ist Art. 18 KommWirtG als eine in diesem Sinne zu berücksichtigende, speziellere Vorschrift vorrangig. Ihrem Wortlaut nach stellt die Norm nur auf die Herkunft der Gesellschaft ab, nämlich dass es sich um ein umgewandeltes ehemaliges kommunales Unternehmen handeln muss.347 Die alleinige, mehrheitliche oder überhaupt eine Beteiligung der territorialen Selbstverwaltungseinheit an der Gesellschaft wird in Art. 18 KommWirtG nicht gefordert. Insoweit könnte eine wortlautgetreue Auslegung der Norm dafür sprechen, dass das Recht der Arbeitnehmer zur Wahl ihrer Aufsichtsratsmitglieder auch bestehen bleibt, wenn Aktien oder Anteile an der Gesellschaft teilweise in private Hand übergehen oder die territoriale Selbstverwaltung sogar alle Anteile veräußert. Gleichwohl soll dies nach der polnischen Literatur348 unter Zugrundelegung der systematischen und funktionalen Auslegung nicht der Fall sein. Vielmehr soll Art. 18 KommWirtG nur so lange anwendbar und die Arbeitnehmerbeteiligung daher nur so lange gesetzlich gewährleistet sein, wie die territoriale Selbstverwaltungseinheit Alleinaktionärin der Gesellschaft ist.349 Dies ergäbe sich zum einen daraus, dass Art. 18 KommWirtG nur auf Gesellschaften im Sinne 345
Näher hierzu unten Kapitel 3, D.III. Vgl. Art. 1 Pkt. 2 Änderungsgesetz zum KommWirtG vom 17. Oktober 2003, Dz. U. 2003 Nr. 199 Pos. 1937. 347 Art. 18 Abs. 1 KommWirtG: „W spółce powstałej w wyniku przekształcenia przedsie˛biorstwa komunalnego [. . .]“. 348 So etwa Zie˛ty, Ustawa o gospodarce komunalnej, Art. 18 Rn. 2 m.w. N. 349 Zie˛ty, Ustawa o gospodarce komunalnej, Art. 18 Rn. 2. 346
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
des Art. 14 KommWirtG anwendbar ist, dieser aber ausdrücklich von der Gesellschaft mit Alleinaktionärsstellung der territorialen Selbstverwaltungseinheit spricht.350 Zum anderen sei mit der von Art. 18 KommWirtG gewährleisteten Arbeitnehmerbeteiligung bezweckt gewesen, die früheren Belegschaftsräte in kommunalen Unternehmen zu kompensieren, was aus funktionaler Sicht ebenfalls für eine Geltung des Art. 18 KommWirtG nur bei Alleinaktionärsstellung der territorialen Selbstverwaltungseinheit spräche.351 Möglich sei es jedoch, nach der Veräußerung von Anteilen der territorialen Selbstverwaltungseinheit eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat durch die Satzung der Gesellschaft vorzusehen.352 Neben der in Art. 18 KommWirtG vorgeschriebenen Arbeitnehmerbeteiligung bestand ferner eine Arbeitnehmerbeteiligung nach Maßgabe der Artt. 11 ff. KommerzG in kommerzialisierten sowie teilweise privatisierten ehemaligen kommunalen Unternehmen, da Art. 68 Abs. 1 KommerzG a. F. die Regelungen des KommerzG auf die Kommerzialisierung und Privatisierung kommunaler Unternehmen für entsprechend anwendbar erklärte.353 Art. 68 KommerzG a. F. wurde jedoch zum 1. Januar 2017 gestrichen.354 5. Fehlende gesetzliche Vorgaben zur Unternehmensmitbestimmung in Unternehmen der Privatwirtschaft Für Unternehmen der Privatwirtschaft, die nicht aus der Kommerzialisierung ehemaliger Staatsunternehmen entstanden sind, sieht das polnische Recht keine verbindlichen Regeln zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen vor. In derartigen Unternehmen kann die Arbeitnehmerbeteiligung jedoch auf freiwilliger Basis eingeführt werden.355 Die Einführung einer auf Organebene verankerten Arbeitnehmerbeteiligung in der Privatwirtschaft scheint in den 1990er Jahren nie ernsthaft auf politischer Ebene diskutiert worden zu sein.356 Lediglich in der Rechtswissenschaft wurde vereinzelt die Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene auch in 350
Ebenda. Ebenda. 352 Ebenda. 353 Oberstes Gericht, Urteil vom 14. Juni 2018, Az.: V CSK 172/18, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo/ (dort S. 8 ff., 11), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Spyra, in: Włodyka, SPH Bd. 2, Prawo spółek handlowych (2. Aufl. 2012), Kapitel 13 Rn. 630. 354 Vgl. Art. 14 Pkt. 32 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 355 Näher zur Frage der Zulässigkeit von tarifvertraglichen und sonstigen Vereinbarungen über die Arbeitnehmerbeteiligung siehe oben Kapitel 3, A.I.2.b). 356 Zu einem entsprechenden Gesetzesvorschlag 2006/2007 vgl. unten Kapitel 7, B.II.2.a). 351
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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der Privatwirtschaft – unabhängig vom Kontext der Privatisierung – postuliert und so ein allgemeingültigeres Konzept der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene vorgeschlagen.357 So etwa schlug Wratny358 vor, in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung sowie Mehrheitsbeteiligung des Staates eine paritätische Mitbestimmung mit neutralem Aufsichtsratsvorsitzendem und in Gesellschaften mit überwiegendem privaten Kapital eine Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat einzuführen. In beiden Fällen sollte zusätzlich ein Arbeitsdirektor im Vorstand vorgesehen werden. Auch Rudolf359 kritisierte, dass das – damals geltende – Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) aus dem Jahr 1934 keine Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat enthielt. Vor allem aber wurde in der polnischen Literatur die fehlende Einführung einer Arbeitnehmerbeteiligung auf betrieblicher Ebene kritisiert bzw. eine solche gefordert.360 Generell war jedoch die Stimmungslage in den 1990er Jahren nicht förderlich für die Entwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung in Polen. Zu stark war die ideologische Verknüpfung mit dem alten sozialistischen System, zu groß die Abneigung gegenüber der Einführung neuer Partizipationsformen sowohl bei den Arbeitgebern und der Regierung, als auch bei den Gewerkschaften.361 In den letzten Jahren wurden sowohl in der Literatur als auch auf politischer Bühne Stimmen laut, die eine Unterscheidung zwischen den aus einer Kommerzialisierung rührenden – genauso am Wirtschaftsverkehr beteiligten – Unternehmen und anderen Unternehmen der Privatwirtschaft nicht länger für zeit- und sachgemäß hielten, und die aus diesem Grund die Abschaffung der Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter Unternehmen forderten.362
357 So Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (19 f.); vgl. auch Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (179). 358 Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/1994, S. 11 (20). 359 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (179). 360 So etwa Bar, Prawna reprezentacja załogi przedsie˛biorstwa, PiP 12/1992, S. 70 (72 f.); Gładoch, in: Goz´dziewicz, Reprezentacja praw i interesów pracowniczych, S. 205 (225 f.); Ra˛czka, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 163, 165 ff.; Wratny, Współdecydowanie na szczeblu organów przedsie˛biorstwa w Republice Federalnej Niemiec a polska ustawa o prywatyzacji przedsie˛biorstw pan´stwowych, PiZS 7/ 1994, S. 11 (20). 361 Vgl. Rudolf, in: ders., Partycypacja pracownicza. Echa przeszłos ´ci czy perspektywy rozwoju? S. 5 (5 f.); ausführlich hierzu unten Kapitel 7, B.I.; zum Verhältnis der Gewerkschaften zu anderen Formen der Arbeitnehmerpartizipation siehe unten Kapitel 5, A.II.2. 362 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), abrufbar unter http://orka.sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ausführlich hierzu unten Kapitel 7, B.II.1 und Kapitel 7, B.II.2.b).
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
III. Reichweite der Mitbestimmung 1. Deutschland Nach den Auswertungen der Hans-Böckler-Stiftung zur Mitbestimmung in Deutschland bestanden Ende 2014 Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten von geschätzt 2.135 Unternehmen.363 Von den einst 110 montanmitbestimmten Unternehmen bestehen heute noch ca. 30.364 Zum 31. Dezember 2016 hatten 641 Unternehmen einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat auf Grundlage des MitbestG und der SE-Gesetzgebung, davon 234 Aktiengesellschaften, 354 GmbHs und 14 Europäische Aktiengesellschaften (SE).365 Die Zahl der Unternehmen mit einer Arbeitnehmerbeteiligung nach dem DrittelbG wird auf ca. 1.500 geschätzt.366 Nach Einschätzung der Gewerkschaften besteht jedoch in nicht einmal der Hälfte der vom DrittelbG erfassten Unternehmen367 tatsächlich eine Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat.368 Insgesamt ist in Deutschland ein Rückgang der Mitbestimmung zu verzeichnen. Dies gilt insbesondere für die Montanmitbestimmung. Doch auch die Zahl der auf Grundlage des MitbestG paritätisch mitbestimmten Unternehmen ist seit 363 Vgl. Sick, Mitbestimmungsfeindlicheres Klima. Unternehmen nutzen ihre Freiheiten – Arbeitnehmer werden um ihre Mitbestimmungsrechte gebracht, Report Mitbestimmungsförderung, September 2015, Hans-Böckler-Stiftung, S. 1; unklar ist, ob diese Zahl auch die montanmitbestimmten Unternehmen mit einschließt, in jedem Fall werden die mitbestimmten SE mitgezählt. 364 Kramer, Mitbestimmung im Ausland attraktiver machen, in: Anzeigensonderveröffentlichung der FAZ vom 30. Juni 2016 „Zukunft Mitbestimmung“, S. V1. Im Jahre 1998 waren es noch 45 montanmitbestimmte Unternehmen, vgl. Bertelsmann/BöcklerBericht, S. 43. 365 Vgl. Grafik zu den aktuellen Zahlen und der Vergleich zum Vorjahr unterschieden nach Rechtsformen zum Stichtag 31. Dezember 2016, Hans-Böckler-Stiftung, 2017, abrufbar unter http://www.boeckler.de/66935.htm, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Im Übrigen waren 19 KGaA, 12 Kapitalgesellschaft & Co. KG und 8 Genossenschaften nach dem MitbestG mitbestimmt. Damit waren im Vergleich zum Vorjahr (insgesamt 635 paritätisch mitbestimmte Unternehmen) erstmals seit längerer Zeit wieder mehr Unternehmen paritätisch mitbestimmt. 366 Sick, Mitbestimmungsfeindlicheres Klima. Unternehmen nutzen ihre Freiheiten – Arbeitnehmer werden um ihre Mitbestimmungsrechte gebracht, Report Mitbestimmungsförderung, September 2015, Hans-Böckler-Stiftung, S. 1, 9; laut Bertelsmann/ Böckler-Bericht, S. 45 in Fn. 7, gab es Ende der 1980er Jahre noch 3.500 Unternehmen mit drittelparitätischer Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. 367 Vgl. zu den zahlenmäßigen Schwankungen in Bezug auf die Bezifferung der dem DrittelbG unterfallenden Unternehmen Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 49 m.w. N.; der BDA/BDI-Mitbestimmungsbericht, S. 4, ging im Jahre 2004 von ca. 3.500 Unternehmen aus. 368 Hoffmann, Mehr Demokratie in Unternehmen wagen, in: Anzeigensonderveröffentlichung der FAZ vom 30. Juni 2016 „Zukunft Mitbestimmung“, S. V1; Sick, Mitbestimmungsfeindlicheres Klima. Unternehmen nutzen ihre Freiheiten – Arbeitnehmer werden um ihre Mitbestimmungsrechte gebracht, Report Mitbestimmungsförderung, September 2015, Hans-Böckler-Stiftung, S. 9.
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dem Jahre 2002, in dem der Höchststand 767 Unternehmen erreichte, kontinuierlich und stetig gesunken.369 Erstmals seit Langem war zum Ende des Jahres 2016 im Vergleich zum Vorjahr wieder ein geringer Anstieg der paritätisch mitbestimmten Unternehmen von 635 auf 641 zu verzeichnen gewesen.370 Kritisiert wird von Seiten der Gewerkschaften, dass viele Unternehmen eine ausländische Rechtsform wählten oder vor Erreichen der maßgeblichen Mitarbeiterschwellen in die Rechtsform einer SE wechselten, wodurch die Mitbestimmung umgangen würde.371 Vor dem Hintergrund vermeintlicher Vermeidungsstrategien wird daher auch auf politischer Ebene von den Mitbestimmungsbefürwortern eine Sicherung der Unternehmensmitbestimmung gegen „Schlupflöcher“ und ihre Ausweitung gefordert.372 Trotz des zahlenmäßigen Rückgangs der erfassten Unternehmen hat die Mitbestimmung in Deutschland eine nach wie vor große Bedeutung, erfasst sie schließlich die größten deutschen Unternehmen und somit auch eine erhebliche Zahl von Arbeitnehmern. Genaue Zahlen hierzu lassen sich allerdings nur schwer ermitteln. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 1998 ging für das Jahr 1996 noch von ca. 400.000 Arbeitnehmern aus, die in montanmitbestimmten Unternehmen beschäftigt waren.373 5,2 Millionen Arbeitnehmer sollen in vom MitbestG erfassten Unternehmen gearbeitet haben, wobei diese Schätzung mit Vorsicht zu betrachten ist.374 Diese Zahlen dürften heute deutlich geringer ausfallen.375 Wie viele Arbeitnehmer in vom DrittelbG erfassten Unternehmen beschäftigt werden, kann mangels aktueller Statistiken kaum verlässlich beurteilt werden. In den 1980er Jahren wurde die Zahl der im 369 Vgl. Grafik zur Entwicklung der Anzahl der mitbestimmten Unternehmen seit 1981, Hans-Böckler-Stiftung, 2017, abrufbar unter http://www.boeckler.de/66942.htm, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 370 Vgl. Grafik zu den aktuellen Zahlen und der Vergleich zum Vorjahr unterschieden nach Rechtsformen zum Stichtag 31. Dezember 2016, Hans-Böckler-Stiftung, 2017, abrufbar unter http://www.boeckler.de/66935.htm, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 371 So etwa Hoffmann, Mehr Demokratie in Unternehmen wagen, in: Anzeigensonderveröffentlichung der FAZ vom 30. Juni 2016 „Zukunft Mitbestimmung“, S. V1. 372 Näher hierzu unten Kapitel 7, A.II.4. 373 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 43, wobei ca. 100.000 Mitarbeiter davon nicht selbst in der Montanindustrie tätig waren; vgl. auch Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 48. 374 Bertelsmann/Böckler-Bericht, S. 48. 375 So im Hinblick auf die Montanmitbestimmung Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 48, die dies auf die Zerschlagung der Mannesmann AG, die allein zwischen 80.000 und 100.000 Mitarbeiter beschäftigte, zurückführt. Vor dem Hintergrund der im Vergleich zu 1996 gesunkenen Zahl der vom MitbestG erfassten Unternehmen von 728 (Bertelsmann/Böckler-Bericht 1998, S. 45) auf 627 (die 14 SE rausgerechnet) im Jahr 2016 dürfte auch die Zahl der Beschäftigten, die Vertreter im Aufsichtsrat auf Grundlage des MitbestG haben, zurückgegangen sein. Es fehlen allerdings zuverlässige aktuelle Angaben hierzu.
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Geltungsbereich des BetrVG 1952 beschäftigten Arbeitnehmer auf etwa 1 Million geschätzt, allerdings ist auch bei dieser Schätzung Vorsicht geboten.376 2. Polen In wie vielen Unternehmen in Polen eine Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat – und ggf. sogar Vorstand – besteht, lässt sich kaum schätzen. Zwar wurden zahlreiche empirische Untersuchungen in mitbestimmten Unternehmen durchgeführt377, es fehlen jedoch statistische Erhebungen, die eine zuverlässige Aussage zur Gesamtzahl der mitbestimmten Unternehmen ermöglichen würden. Lediglich die Statistiken zur Privatisierung können einen ungefähren Anhaltspunkt bieten, da von der Durchführung und Art der Privatisierung die Anwendbarkeit der jeweiligen Mitbestimmungsvorschriften abhing bzw. abhängt. Die Kommerzialisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen befindet sich heutzutage in einem nahezu finalen Stadium.378 Während im Jahre 1990 insgesamt 8.453 Staatsunternehmen existierten, waren es zum 31. Dezember 2015 lediglich noch 41, davon waren noch 19 Staatsunternehmen aktiv tätig.379 Von dem SelbstVerwG von 1981 werden heutzutage somit nur noch sehr wenige Unternehmen betroffen, weswegen diese Art der Mitbestimmung schon fast als ausgestorben gilt.380 Im Zuge der wirtschaftlichen Transformation wurden die verschiedenen Möglichkeiten, die die Privatisierungsgesetze zur Privatisierung der Staatsunternehmen bereithielten, in der Praxis durchaus ausgeschöpft.381 Je nach Größe und Branche des Staatsunternehmens, potentiellen Investoren und dem Engagement der Belegschaften wurde ein Privatisierungsweg gewählt, der 376 Vgl. Bertelsmann/Böckler-Bericht 1998, S. 45 in Fn 7; Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 49. 377 Vgl. etwa die empirischen Untersuchungen des IPiSS, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 56 ff. sowie Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 75 ff.; ferner auch die Untersuchungen von Ogrodowczyk in den Jahren 1995–1996, dargestellt bei Ogrodowczyk, in: Kozek/Kulpin´ska, Zbiorowe stosunki pracy, S. 160 (164 ff.) und Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (182 ff.). 378 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 1. 379 Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, SejmDrucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5 sowie die Informationen des Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) vom 9. März 2016 auf der damaligen Homepage des Ministeriums, https://bip.msp.gov.pl/bip/raporty-analizy/przeksztal cenia-wlasnos/10245,stan-na-dzien-31-grudnia-2015-roku.html, zuletzt aufgerufen am 23. März 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar). 380 In diese Richtung etwa Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 59. 381 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 31.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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im Hinblick auf die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Interessengruppen am besten geeignet erschien.382 Der beliebteste Privatisierungsweg war die unmittelbare Privatisierung im Wege der Verpachtung.383 Im Zeitraum seit Beginn der Transformationsphase bis zum 31. Dezember 2015 wurde laut den Angaben des Ministeriums für Staatsvermögen384 für 2.308 Staatsunternehmen die unmittelbare Privatisierung eingeleitet, davon erfolgte in 1.402 Fällen die unmittelbare Privatisierung im Wege der Verpachtung. Kommerzialisiert, d.h. in eine Gesellschaft umgewandelt, die fortan – neben den Vorschriften des KommerzG – den Regelungen des HGG unterlag, wurden im selbigen Zeitraum 1.756 Staatsunternehmen. Davon wurden 1.739 in eine Gesellschaft umgewandelt, an der der Staat 100 % aller Anteile hielt.385 In 1.301 kommerzialisierten Gesellschaften wurden Aktien- bzw. Anteile auch anderen Subjekten als dem Staat zur Verfügung gestellt, wobei dies vor allem über den nationalen Investmentfond (in 512 Unternehmen) sowie die mittelbare Privatisierung im Sinne des Abschnitts IV des KommerzG a. F. (in 543 Unternehmen) erfolgte, lediglich in 18 Unternehmen über den Weg der Kapitalerhöhung. Insgesamt war zu beobachten, dass in den Fällen der mittelbaren Privatisierung die eigentliche Privatisierung, d.h. die Zurverfügungstellung der Gesellschaftsanteile an Dritte, entweder sehr schnell erfolgte, oder das zunächst nur kommerzialisierte Unternehmen, in dem der Staat Alleinaktionär war, sogar mehrere Jahre lang bestand.386 Der gewählte Privatisierungsweg und die Verfassung der privatisierten Unternehmen hatten in den 1990er Jahren und Anfang des 21. Jahrhunderts über das Ausmaß und die tatsächliche Bedeutung der Arbeitnehmerpartizipation in Polen entschieden.387 Dies insbesondere, als zu diesem Zeitpunkt andere Partizipationsformen – abgesehen von den Selbstverwaltungsorganen auf Grundlage des SelbstVerwG von 1981 – noch nicht vorhanden waren.388 Entsprechend der Sta382 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 31 f.; näher zu den Privatisierungsmöglichkeiten der mittelbaren und unmittelbaren Privatisierung oben Kapitel 3, B.II.1.b)aa). 383 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 30. 384 Bericht des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zum 31. Dezember 2015 vom 30. September 2016, SejmDrucks. Nr. 909 (VIII. Kadenz), S. 5, 8. 385 In den übrigen 17 Gesellschaften erhielten Gläubiger des Staatsunternehmens Anteile für die teilweise oder gänzliche Konversion ihrer Forderungen auf Basis des mittlerweile aufgehobenen Kapitels III des KommerzG. 386 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 82. 387 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 41. 388 Erst mit dem Beitritt Polens zur EU zum 1. Mai 2004 trat das Gesetz über Europäische Betriebsräte vom 5. April 2002, Dz. U. 2002 Nr. 62 Pos. 556, in Kraft. Arbeitnehmerräte auf betrieblicher Ebene bestehen erst aufgrund des Gesetzes über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer vom 7. April 2006, Dz. U. 2006 Nr. 79
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
tistik waren die Anwendungsvoraussetzungen für die Mitbestimmungsregeln betreffend die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat auf Grundlage des KommerzG (bzw. ggf. noch des Vorgängergesetzes von 1990) grundsätzlich in 1.756 kommerzialisierten Gesellschaften erfüllt. Eine Angabe, wie viele davon die Schwelle von 500 Mitarbeitern überschritten – und daher auch die Voraussetzungen für die Bestellung eines Arbeitnehmervertreters in den Vorstand erfüllten –, enthält die Statistik des Ministeriums für Staatsvermögen nicht. Unklar ist auch, wie viele Unternehmen davon heutzutage noch bestehen, in wie vielen die Mitbestimmungsregeln tatsächlich in der Praxis umgesetzt wurden und ob nicht nach Veräußerung aller Staatsanteile geltende Mitbestimmungsstatute wieder aufgehoben wurden389. Empirische Untersuchungen zeigten, dass trotz Anwendbarkeit der entsprechenden Mitbestimmungsvorschriften des KommerzG nicht immer auch tatsächlich Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt wurden.390 Eine genaue Beurteilung der Branche, Größe und Mitarbeiterzahl der grundsätzlich von der Arbeitnehmerbeteiligung erfassten kommerzialisierten Unternehmen ist ebenso nur schwer möglich. Lediglich vereinzelte Angaben bieten teilweise Aufschluss hierüber. Kommerzialisiert und anschließend mittelbar privatisiert wurden etwa vor allem große Unternehmen, vorwiegend im Bereich der verarbeitenden Industrie (73,4 % aller Staatsunternehmen in diesem Bereich), die in der Folgezeit auch oft an die Börse gebracht wurden.391 Eine Kommerzialisierung dürfte ferner nur für solche Staatsunternehmen in Betracht gekommen sein, die sich in einer recht soliden finanziellen Verfassung befanden. Denn gemäß Art. 4 KommerzG waren Staatsunternehmen, die sich in der Liquidation, Insolvenz oder Restrukturierung befanden, von der Möglichkeit der Kommerzialisierung ausgenommen. Auch hatte sowohl das StaatsUntG vom 25. September 1981 als auch das KommerzG für Staatsunternehmen mit schlechten Zukunftsaussichten die Möglichkeit der Liquidation vorgesehen.
IV. Vergleich Im Hinblick auf den Geltungsbereich der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene lässt sich ein wesentlicher struktureller Unterschied zwischen den deutschen und polnischen Gesetzen feststellen. Während die deutsche Unternehmensmitbestimmung gezielt auf die Privatwirtschaft ausgePos. 550. Auch die Arbeitnehmerbeteiligung in transnationalen Gesellschaftsformen wie der SE und der SCE wurde erst durch entsprechende Gesetze in den Jahren 2005 und 2006 eingeführt. 389 Zu dieser Problematik siehe oben Kapitel 3, B.II.1.c). 390 Vgl. die empirischen Untersuchungen des IPiSS, dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 102. 391 Bednarski, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 34.
B. Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze
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legt ist, beschränken sich die polnischen Mitbestimmungsregelungen auf den staatlichen bzw. ehemals staatlichen Bereich. Dabei ist jedoch der Anwendungsbereich des formal nach wie vor geltenden SelbstVerwG von 1981 mit nur 19 aktiven Gesellschaften heute verschwindend gering und hat daher in Wirklichkeit lediglich noch rechtshistorische Bedeutung.392 Auch die Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage von Sondergesetzen – etwa dem Gesetz über gemischte Unternehmen oder dem KommWirtG – ist in ihrem Anwendungsbereich und daher auch ihrer Bedeutung entsprechend begrenzt. Eine faktische Bedeutung kommt somit nahezu ausschließlich noch der auf dem KommerzG beruhenden Arbeitnehmerbeteiligung in den Gesellschaftsorganen kommerzialisierter und gegebenenfalls anschließend privatisierter ehemaliger Staatsunternehmen zu. Ferner findet sich eine spezielle Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene noch vereinzelt in spezialgesetzlich kommerzialisierten Unternehmen wie der Polnischen Staatsbahn („PKP S. A.“) und der Polnischen Post („Poczta Polska S. A.“). Der Grund für die in Deutschland und Polen unterschiedliche Anwendbarkeit der Mitbestimmungsvorgaben auf die Privatwirtschaft bzw. lediglich den ehemaligen staatlichen Sektor liegt im unterschiedlichen geschichtlichen Hintergrund der Gesetze. Auch war es charakteristisch, dass in weit entwickelten, industrialisierten westlichen Staaten mehr Wert gelegt wurde auf die Arbeitnehmerbeteiligung im privaten Sektor, in sich entwickelnden Ländern dagegen auf den staatlichen Sektor.393 Neben der unterschiedlichen Anwendbarkeit der Mitbestimmungsvorgaben auf die Privatwirtschaft bzw. lediglich den ehemaligen staatlichen Sektor lassen sich auch weitere Unterschiede ausmachen. Zwar haben in beiden Ländern sowohl die Rechtsform als auch die Mitarbeiterzahl eine Bedeutung im Rahmen der Mitbestimmungsgesetze. Jedoch ist der Kreis der von der deutschen Unternehmensmitbestimmung erfassten Rechtsformen deutlich größer als in Polen, wo die Mitbestimmungsvorgaben im KommerzG eine Arbeitnehmerbeteiligung auf Organebene lediglich in (kommerzialisierten) Aktiengesellschaften und GmbHs – dort allerdings nur in dem Fall, dass die GmbH tatsächlich überhaupt einen Aufsichtsrat hat – vorsehen. Anders als in Deutschland ist die Errichtung eines Aufsichtsrats bei der GmbH auch im Fall einer kommerzialisierten und daher grundsätzlich der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft nicht obligatorisch. Ferner spielt in Polen die Mitarbeiterzahl der Unternehmen im Gegensatz zu Deutschland nur insoweit eine Rolle, als es um das Recht der Arbeitnehmer geht, einen Vertreter in den Vorstand kommerzialisierter Gesellschaften zu wählen. Die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat ist unabhängig von der an der Mitarbeiterzahl gemessenen Größe des Unternehmens. Dieser Unterschied lässt sich mit den 392 Vgl. Wratny, in: Wratny/Bednarski, Zwia˛zki zawodowe a niezwia˛zkowe przedstawicielstwa, S. 59. 393 Seweryn ´ski, in: Acta Universitatis Lodziensis, Problemy prawa pracy i polityki społecznej, S. 163 (165).
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
unterschiedlichen Zielsetzungen der Mitbestimmungsgesetzgebung erklären. In Polen spielten die Einbindung der Belegschaften zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Reformen und die Kontinuität der Arbeitnehmerselbstverwaltung der ehemaligen Staatsunternehmen – die auf Grundlage der Gesetze von 1981 nicht von der Größe des Staatsunternehmens abhängig gewesen war – eine erstrangige Rolle.394 Dagegen ist die deutsche Mitbestimmung vor dem Hintergrund der befürchteten Anonymisierung und Fremdbestimmung der Arbeitnehmer in größeren Unternehmensorganisationen bewusst auf Großunternehmen ausgelegt.395 Im Gegensatz zu Deutschland fehlen in Polen entsprechende statistische Untersuchungen zur Anzahl, Größe und Mitarbeiterzahl der von der Mitbestimmung erfassten Unternehmen gänzlich, sodass die faktische Reichweite der Mitbestimmung nicht konkret beziffert werden kann. Ausgehend von bislang 1.756 kommerzialisierten Gesellschaften, für die die Mitbestimmungsvorschriften des KommerzG grundsätzlich Anwendung fanden, ist zu beachten, dass mangels statistischer Daten keine Aussage darüber möglich ist, wie viele Unternehmen davon tatsächlich noch bestehen, in wie vielen Unternehmen trotz des gesetzlich eingeräumten Rechts keine Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt wurden und in wie vielen die Gesellschaftsstatute das Mitbestimmungsregime nach Veräußerung aller Anteile des Staates änderten, weil sie von der damit verbundenen Unanwendbarkeit des KommerzG ausgingen. Mit Sicherheit ist die Anzahl der Gesellschaften, die in Polen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (und ggf. auch Vorstand) haben, deutlich geringer als die in Deutschland geschätzte Zahl von ca. 2.135 mitbestimmten Unternehmen. Mutmaßlich kann das Fehlen entsprechender Statistiken in Polen auf ein geringes – jedenfalls keinesfalls mit Deutschland vergleichbares – Interesse an dieser Form der Arbeitnehmerpartizipation zurückgeführt werden. Schlussendlich weist das polnische Recht die Besonderheit auf, dass die geltenden Mitbestimmungsregeln einen vergänglichen Charakter haben. Durch die Beschränkung der gesetzlichen Mitbestimmungsvorgaben auf Gesellschaften, die aus der Kommerzialisierung ehemals staatlicher Unternehmen hervorgehen, kann die Anzahl der vom KommerzG betroffenen Unternehmen de facto nur noch sinken, etwa wenn diese Gesellschaften ihre Tätigkeit einstellen, liquidiert oder vollständig privatisiert werden. Aufgrund der Gesetzeskonzeption können dagegen faktisch betrachtet keine neuen, von den Mitbestimmungsregeln des KommerzG betroffenen Unternehmen hinzutreten. Denn es ist – trotz formaler Weitergeltung der Vorschriften des StaatsUntG vom 25. September 1981 und auch der dortigen Vorschriften über die Gründung von Staatsunternehmen – mehr als unwahrscheinlich, dass in der neuen Wirtschaftsordnung Polens wieder Staats394 395
Hierzu oben Kapitel 3, A.II.2. Näher hierzu oben Kapitel 3, A.II.1.a) und Kapitel 3, B.I.2.
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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unternehmen neu gegründet werden396, die anschließend auf Grundlage des KommerzG kommerzialisiert werden würden.
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft Heutzutage lassen sich in Deutschland und Polen vergleichbare gesellschaftsrechtliche Grundstrukturen finden. Den rechtlichen Rahmen für polnische Gesellschaften bildet heute das zum 1. Januar 2001 in Kraft getretene Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften397 („Kodeks Spółek Handlowych“ („k.s.h.“)) (nachfolgend: „HGG“). Hierdurch wurden die bis dahin geltenden Regelungen des Handelsgesetzbuchs von 1934398 abgelöst.399 Das Handelsgesetzbuch aus dem Jahr 1934 hatte zwar zum Teil – vor allem in Bezug auf die Regelungen zur GmbH und Aktiengesellschaft400 – formal auch während des sozialistischen Systems weitergegolten, doch war seine praktische Bedeutung angesichts der verstaatlichten und zentralistisch gesteuerten Wirtschaft äußerst gering.401 Im Zuge der nach dem Umbruch von 1989 eingeleiteten Arbeiten zur Reform des Gesellschaftsrechts hatte man sich stark von westlichen Vorbildern, allen voran dem deutschen Gesellschaftsrecht, leiten lassen.402 Bereits das Handelsgesetzbuch aus dem Jahr 1934 hatte sich am deutschen Modell orientiert und so wurden auch viele Regelungen des neuen HGG dem deutschen Recht nachgebildet.403 Zudem hatten die polnischen Verfasser im Zuge der Arbeiten an dem neuen Handelsge396 Grabowski, in: Hauser/Niewiadomski/Wróbel, System prawa administracyjnego, Publiczne prawo gospodarcze, Bd. 8 B, § 32 Rn. 17, der die Vorschriften des StaatsUntG über die Gründung von Staatsunternehmen daher auch als „leblose Vorschriften“ bezeichnet. 397 Gesetzbuch über die Handelsgesellschaften vom 15. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 94 Pos. 1037 m. sp. Änd. 398 Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 399 Vgl. Art. 631 Abs. 1 HGG i.V. m. 633 HGG; näher hierzu Mosio, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 1, Kapitel 1 Rn. 2; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 2 ff. 400 Vgl. Art. VI § 1 Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch vom 23. April 1964, Dz. U. 1964 Nr. 16 Pos. 94; Mosio, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 1, Kapitel 1 Rn. 1. Dagegen wurde ein Teil der Regelungen des Handelsgesetzbuchs im Zuge der Einführung des Zivilgesetzbuches abgeschafft, vgl. Mosio, a. a. O. 401 Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (178 f.). Die Kenntnisse des Handelsgesetzbuches gehörten noch nicht einmal zum Stoffplan der Rechtswissenschaften, Rudolf, a. a. O. 402 Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 10, 22; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 6. 403 Włodyka, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 6; vgl. Mosio, in: Meritum, Prawo spółek, Bd. 1, Kapitel 1 Rn. 1; vgl. auch die Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 22.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
setzbuchs auch den Rat namhafter deutscher Rechtswissenschaftler hinzugezogen.404 Daneben suchte man sich Inspirationen im französischen, italienischen, österreichischen, niederländischen und Schweizer Recht als auch in den neuen Kodifikationen anderer postkommunistischer Staaten wie Ungarn und Kroatien.405 Sowohl die deutschen Mitbestimmungsgesetze als auch die polnischen Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung im KommerzG sind rechtsformbezogen und erfassen nur bestimmte juristische Personen des Privatrechts.406 In beiden Ländern wurden die Mitbestimmungsvorgaben in die bestehende gesellschaftsrechtliche Struktur der Unternehmen eingefügt. Von praktischer Relevanz ist dabei insbesondere die Arbeitnehmerbeteiligung in der Aktiengesellschaft.
I. Organisationsstruktur einer Aktiengesellschaft – Überblick Die Aktiengesellschaft zeichnet sich in Deutschland und Polen durch die gleichen Wesensmerkmale aus, die generell typisch für Kapitalgesellschaften sind.407 Hierzu gehören vor allem die eigene Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft (vgl. § 1 Abs. 1 AktG, Art. 12 HGG), die grundsätzlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, Art. 301 § 5 HGG), die für die Entstehung der Aktiengesellschaft konstitutive Registereintragung (vgl. §§ 36 Abs. 1, 41 Abs. 1 AktG, Art. 12 HGG), die Unabhängigkeit vom konkreten Gesellschafterbestand (vgl. §§ 41 Abs. 4, 68 AktG, Artt. 337 ff. HGG) und ein gesetzlich festgelegtes Mindestkapital, das von den Gesellschaftern bei Gründung der Gesellschaft aufzubringen ist (vgl. §§ 7, 36a AktG, Artt. 308 § 1, 309 §§ 3, 4 HGG). Ferner charakteristisch ist die sog. Fremdorganschaft, d.h. die Unternehmensführung durch ein gesetzlich bestimmtes Organ, dessen Mitglieder nicht zwingend zugleich auch Gesellschafter sein müssen (vgl. §§ 76 ff. AktG, Art. 368 § 3 HGG). Die Aktiengesellschaft ist stets eine Handelsgesellschaft, selbst wenn
404 Dies waren Prof. M. Lutter, Prof. E. Meincke, Prof. Bayer, Prof. M. Pelzer, hierzu die Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 4; Strze˛pka/Zielin´ska, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 1 Rn. 1. 405 Gesetzesentwurfsbegründung zum HGG, Sejm-Drucks. Nr. 1687 vom 4. Februar 2000 (III. Kadenz), S. 22; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 2 Rn. 6. 406 Zur Unterscheidung der Gesellschaften im polnischen Recht nach Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften vgl. Art. 4 § 1 Abs. 1, 2 HGG; ferner Strze˛pka/ Zielin´ska, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 4 Rn. 2 f.; Włodyka, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 3 Rn. 25 ff. 407 Vgl. für die deutsche Aktiengesellschaft Bachmann, in: GroßKommAktG, Bd. 1, § 1 AktG Rn. 11 ff., 30 ff.; für die polnische Aktiengesellschaft Strze˛pka/Zielin´ska, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 4 Rn. 3.
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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ihr Zweck nicht in dem Betrieb eines Handelsgewerbes besteht (vgl. § 3 Abs. 1 AktG, Artt. 1 § 2, 151 § 1 HGG408). Die Aktiengesellschaft bedarf in beiden Ländern im Vergleich zur GmbH eines höheren Grundkapitals und ist auf eine wirtschaftliche Tätigkeit größeren Ausmaßes ausgerichtet, zudem ist sie zum Schutz von Gläubigern und Aktionären sowie zur Sicherstellung der Verkehrsfähigkeit der Aktien deutlich formalisierter und strenger reguliert als die GmbH.409 Kennzeichnend ist, dass – jedenfalls anders als bei der deutschen GmbH410 (vgl. § 45 GmbHG) – die Satzung der Aktiengesellschaft nur dann von den gesetzlichen Vorschriften abweichen darf, wenn das Gesetz dies ausdrücklich erlaubt; Ergänzungen sind nur insoweit zulässig, als das Gesetz keine abschließende Regelung trifft, in Polen ferner nur, wenn sie der Natur der Aktiengesellschaft und guten Gepflogenheiten nicht widersprechen (Grundsatz der Satzungsstrenge, vgl. § 23 Abs. 5 AktG, Art. 304 §§ 3, 4 HGG).411 Allerdings erfährt die im polnischen Aktienrecht normierte Satzungsstrenge eine erhebliche Relativierung dadurch, dass das Gesetz dem Satzungsgeber an zahlreichen Stellen im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild erlaubt.412 Im Hinblick auf die Verfassung einer Aktiengesellschaft folgte der polnische Gesetzgeber dem im deutschen Recht entstandenen dualistischen Modell.413 Dabei werden Geschäftsführung und Kontrolle auf zwei separate Organe – den Vorstand und den Aufsichtsrat – verteilt. In beiden Ländern führt der Vorstand die Geschäfte der Gesellschaft und vertritt diese nach außen (vgl. §§ 76 Abs. 1, 78 AktG, Art. 368 § 1 HGG), während der Aufsichtsrat die Geschäftsführung bzw. Geschäftstätigkeit der Gesellschaft überwacht (vgl. § 111 Abs. 1 AktG, Art. 382 § 1 HGG). Neben der obligatorischen Konstituierung eines eigenständigen Auf-
408 Vgl. Włodyka, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 4 Rn. 3 f. 409 Vgl. für das deutsche Recht Vetter, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 23 AktG Rn. 22; für Polen Sołtysin´ski/Moskwa, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 1 Rn. 15 f. 410 Obwohl in Art. 157 § 1 HGG eine den Art. 304 §§ 3, 4 HGG entsprechende Regelung fehlt, ist dies in Polen in Bezug auf die GmbH umstritten, teilweise wird eine Analogie zu Art. 304 §§ 3, 4 HGG angenommen, vgl. hierzu ausführlich Sołtysin´ski/ Moskwa, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 1 Rn. 17 m.w. N.; vgl. dazu auch Rachwał, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2A, Prawo spółek handlowych, Kapitel 12 Rn. 16 f. 411 Die polnischen Vorschriften der Art. 304 §§ 3, 4 HGG orientierten sich am deutschen § 23 Abs. 5 AktG, Sołtysin´ski/Moskwa, in: Sołtysin´ski, SPP Bd. 17A, Prawo spółek kapitałowych, Kapitel 1 Rn. 16. 412 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 3). 413 Opalski, Einleitung S. XXI., S. 31 ff.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
sichtsorgans (vgl. §§ 95 ff. AktG, Art. 381 HGG)414 zeichnet sich das dualistische Modell durch das Verbot des gleichzeitigen Mandats in Vorstand und Aufsichtsrat (vgl. § 105 Abs. 1 AktG, Art. 387 § 1 HGG)415 und die fehlende Kompetenz des Aufsichtsrats, initiativ geschäftsführend tätig zu werden, aus.416 Als drittes Organ der Aktiengesellschaft fungiert die Hauptversammlung, in deren Kompetenz die Beschlussfassung über besonders bedeutsame Angelegenheiten fällt (vgl. etwa die nicht abschließenden Kataloge in § 119 Abs. 1 AktG sowie Art. 393 HGG).417
II. Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Der Einfluss der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hängt maßgeblich davon ab, wie groß im Allgemeinen der Einfluss des Aufsichtsrats einer Gesellschaft ist.418 Da im Vergleich zu anderen Kapitalgesellschaften der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft über die größten Einflussmöglichkeiten verfügt, war das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung des MitbestG auch von der Aktiengesellschaft ausgegangen.419 1. Aufgaben und Funktionen des Aufsichtsrats a) Gesetzliche Zuständigkeiten des Aufsichtsrats In der Organisationsverfassung der deutschen Aktiengesellschaft hat der Aufsichtsrat die vorrangige Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen (vgl. § 111 Abs. 1 AktG). Das Gesetz stellt dem Aufsichtsrat hierfür verschiedene Instrumente zur Verfügung (vgl. § 111 Abs. 2 bis 4 AktG). Darüber hinaus werden dem Aufsichtsrat auch andere Aufgaben zugewiesen, die sich nicht alle als 414 Hiervon gibt es in Polen allerdings eine Ausnahme gemäß Art. 11 Abs. 3 KommerzG für den Fall, dass die Insolvenz des kommerzialisierten Unternehmens verkündet wird. Hintergrund hierfür ist, dass im Fall der Insolvenz sämtliche Funktionen im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung des insolventen Unternehmens auf einen Syndikus übergehen und daher die Aufrechterhaltung – und Vergütung – eines Aufsichtsrats eine wenig sachgerechte Vorgabe darstellen würde, hierzu Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 52. 415 Vgl. aber § 105 Abs. 2 AktG, Art. 383 § 1 HGG. 416 Opalski, Rada nadzorcza, S. 34. 417 Vgl. für das deutsche Recht Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 76 AktG Rn. 5; Hoffmann, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 118 Rn. 6; Liebscher, in: Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 119 AktG Rn. 1; für das polnische Recht etwa Krysik, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 393 Rn. 19 ff.; Pabis, in: Opalski, Kodeks spółek handlowych, Bd. III B, Art. 393 Rn. 3 ff. 418 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 91 f. 419 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 92.
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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Aspekte der Überwachungspflicht verstehen lassen.420 Besonders hervorzuheben sind hierbei die Personalentscheidungskompetenzen des Aufsichtsrats im Hinblick auf die Vorstandsbesetzung (vgl. § 84 AktG); daneben gehören hierzu auch Kreditgewährungen an Vorstandsmitglieder und andere Personen (vgl. §§ 89, 115 AktG) sowie Vertragsabschlüsse mit einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern (vgl. § 114 AktG), die Festlegung der Geschäftsordnung und Geschäftsverteilung des Vorstands (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG), die Erteilung des Prüfungsauftrages für den Jahres- und den Konzernabschluss an den Abschlussprüfer (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG) sowie die Aufgaben des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Jahresabschluss und der Gewinnverwendung (vgl. §§ 170 ff. AktG).421 Ferner hat der Aufsichtsrat verschiedene Funktionen im Vorfeld und im Rahmen der Hauptversammlung, darf über die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mitentscheiden und Änderungen der Satzung in Bezug auf die Satzungsfassung veranlassen.422 Die grundsätzlichen Kompetenzen des Aufsichtsrats in polnischen Aktiengesellschaften sind hiermit im Wesentlichen vergleichbar, wenn auch manche Unterschiede im Detail liegen. In erster Linie hat auch der polnische Aufsichtsrat die Aufgabe, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft zu überwachen (vgl. Art. 382 § 1 HGG) und ist hierfür mit verschiedenen Kompetenzen ausgestattet (vgl. Art. 382 §§ 3, 4 HGG). Ebenfalls ist der polnische Aufsichtsrat grundsätzlich für die Bestellung und Abberufung sowie Suspendierung des Vorstands zuständig, wobei allerdings – anders als im deutschen Recht423 – zum einen die Satzung Abweichendes vorsehen kann, zum anderen die Kompetenz zur Abberufung oder Suspendierung von Vorstandsmitgliedern kraft Gesetzes stets auch der Hauptversammlung zusteht (vgl. Art. 368 § 4 HGG). Sofern es die Satzung so vorsieht, ist der Aufsichtsrat auch für die Geschäftsordnung des Vorstands zuständig (Art. 371 § 6 HGG). Im Übrigen hat der Aufsichtsrat auch verschiedene Rechte im Zusammenhang mit der Hauptversammlung (vgl. Artt. 399, 422 § 2 Pkt. 1, 425 HGG) und Kapitalmaßnahmen (vgl. Artt. 432 f., 442 § 2, 446 § 2, 447 § 1 HGG) und darf zudem über die Gewinnverwendung mitentscheiden (vgl. Art. 382 § 3 HGG).424
420
Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 1. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 2 ff. 422 Näher Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 6 ff. 423 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 84 AktG Rn. 9 m.w. N.; Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 84 AktG Rn. 5 ff., 65. 424 Vgl. zu den wichtigsten Kompetenzen des Aufsichtsrats ferner die Ausführungen bei Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 3 und Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 382 Rn. 2 ff. 421
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
aa) Überwachung der Geschäftsführung Die vorrangige Aufgabe sowohl des deutschen als auch des polnischen Aufsichtsrats stellt die Überwachung der Geschäftsführung dar. Zwecks Erfüllung seiner Überwachungstätigkeit sieht sowohl das deutsche als auch das polnische Aktienrecht verschiedene Rechte des Aufsichtsrats vor. (1) Überwachungsgegenstand und -maßstab Nach § 111 Abs. 1 AktG hat der deutsche Aufsichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen. Gegenstand der Überwachungstätigkeit sind nach herrschender Meinung jedoch lediglich diejenigen Entscheidungen des Vorstands, denen eine besondere Bedeutung für die Leitung, Lage oder Entwicklung des Unternehmens zukommt (sog. „Leitungs- und Führungsentscheidungen“ 425), nicht hingegen sämtliche Einzelheiten der alltäglichen Geschäftsführung.426 Umstritten ist, ob die Überwachungsaufgabe in personeller Hinsicht allein auf den Vorstand bzw. einzelne Vorstandsmitglieder beschränkt ist oder ob auch Entscheidungen und Maßnahmen von Mitarbeitern und Führungskräften unterhalb der Vorstandsebene erfasst werden.427 Gegenstand der Überwachung durch die polnischen Aufsichtsräte ist gemäß dem Wortlaut des Art. 382 § 1 HGG „die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft in allen ihren Bereichen“ 428. Das polnische Gesetz bezieht die Überwachung auf die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft, nicht auf die Geschäftsführung durch den Vorstand. Die Kontrolle ist damit gegenständlich und nicht personell umrissen, sie bezieht sich nicht auf einzelne, isoliert zu betrachtende Geschäftsführungsmaßnahmen, sondern auf die Geschäftsführung als einem komplexen Gesamtprozess und kann sich gleichermaßen auf Maßnahmen nachgelagerter Führungsebenen erstrecken.429 Darüber hinaus beschränkt sich das Gesetz auf die Aussage, dass der Aufsichtsrat eine „ständige Aufsicht“ zu üben hat. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass der Aufsichtsrat sich dauernd mit allen Einzelheiten der Un-
425
Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 27. Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 19 f.; HoffmannBecking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 27; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 2; jeweils m.w. N. 427 Für eine personelle Beschränkung auf die Vorstandsebene etwa HoffmannBecking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 29 m.w. N.; a. A. etwa Spindler, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 9 m.w. N.; die praktische Relevanz des Meinungsstreits ist jedoch gering, Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 4. 428 Art. 382 § 1 HGG: „Rada nadzorcza sprawuje stały nadzór nad działalnos´cia˛ spółki we wszystkich dziedzinach jej działalnos´ci.“ 429 Opalski, Rada nadzorcza, S. 335; vgl. auch Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 382 Rn. 3. 426
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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ternehmenstätigkeit auseinanderzusetzen hat.430 Die gesetzgeberische Konzeption der Aufsichtsratstätigkeit als bloßer Nebentätigkeit erlaubt es nicht, dass der Aufsichtsrat sich mit jeder noch so kleinen Entscheidung im Rahmen der alltäglichen Geschäftsführung befasst.431 Die Überwachung bezieht sich daher ausschließlich auf die wichtigsten Geschäftsführungsmaßnahmen, sodass der Aufsichtsrat vor allem die Unternehmensstrategie und Unternehmensstruktur, darunter das interne Kontrollsystem und Risikomanagement, die Personalpolitik des Vorstands in Bezug auf den Führungskader sowie die auf diesen übertragenen Kompetenzen kontrollieren sollte.432 Sowohl in Deutschland als auch in Polen beschränkt sich die Überwachungstätigkeit nicht auf eine ex post-Kontrolle bereits abgeschlossener Geschäftsführungsmaßnahmen, vielmehr hat der Aufsichtsrat einen Kontrollauftrag auch im Hinblick auf laufende und künftige Geschäftsführungsmaßnahmen.433 Maßstab der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats sind sowohl in Deutschland als auch in Polen nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Ordnungsgemäßheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung.434 (2) Überwachungsmittel Zur Erfüllung seiner Überwachungsfunktion stehen sowohl dem deutschen als auch dem polnischen Aufsichtsrat verschiedene Mittel zur Verfügung. (a) Berichtspflichten und Auskunftsrecht Für die Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe ist die Informationsversorgung des Aufsichtsrats von grundlegender Bedeutung. Dieser dienen sowohl Berichtspflichten als auch Auskunftsrechte. In diesem Zusammenhang sind zunächst die zugunsten der deutschen Aufsichtsräte in § 90 AktG normierten Berichtspflichten des Vorstands zu nennen, denen für die Überwachungstätigkeit der Aufsichtsräte eine grundlegende Bedeu-
430
Opalski, Rada nadzorcza, S. 334. Ebenda. 432 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 4; ders., Rada nadzorcza, S. 334. 433 Vgl. für das deutsche Recht BGH, Urteil vom 25. März 1991, Az.: II ZR 188/89, NJW 1991, S. 1830 (1831); Hambloch-Gesinn/Gesinn, in: Hölters, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 10; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 2; für das polnische Recht ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 339 ff. 434 Vgl. für das deutsche Recht BGH, Urteil vom 25. März 1991, Az.: II ZR 188/89, NJW 1991, S. 1830 (1831); BGH, Urteil vom 20. März 2018, Az.: II ZR 359/16, NZG 2018, S. 629 (630); Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 3 m.w. N.; für das polnische Recht Opalski, Rada nadzorcza, S. 342 ff. 431
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
tung zukommt.435 Danach hat der Vorstand dem Aufsichtsrat zum einen regelmäßig Bericht zu erstatten über „die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung“, „die Rentabilität der Gesellschaft“ sowie „den Gang der Geschäfte“, hierbei insbesondere über den Umsatz und die Lage der Gesellschaft (vgl. § 90 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AktG). Daneben hat der Vorstand rechtzeitig über „Geschäfte, die für die Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können“, sowie „aus sonstigen wichtigen Anlässen“ zu berichten (vgl. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, S. 3 AktG). Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat – bzw. ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied – gemäß § 90 Abs. 3 AktG jederzeit vom Vorstand einen Bericht über „Angelegenheiten der Gesellschaft, über ihre rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen sowie über geschäftliche Vorgänge bei diesen Unternehmen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluß sein können“, verlangen. Der Aufsichtsrat hat das Recht, aber auch die Pflicht, weitere Berichte vom Vorstand zu verlangen, wenn sich ein Informationsbedarf über die regelmäßig erstatteten Berichte hinaus ergibt.436 Spiegelbildlich zu den allein den Vorstand treffenden Berichtspflichten hat sich jedoch auch der Aufsichtsrat nach traditioneller Ansicht mit seinen Informationsanliegen grundsätzlich an den Vorstand zu richten.437 Allerdings wird dem Aufsichtsrat ein unmittelbares Auskunftsrecht gegenüber Arbeitnehmern unterhalb des Vorstands sowohl bei Verdacht auf Pflichtwidrigkeiten und Unregelmäßigkeiten des Vorstands438 als auch im Zusammenhang mit dem in § 111 Abs. 2 AktG normierten Einsichts- und Prüfrecht eingeräumt, in letzterem Fall sofern die Arbeitnehmer in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung stehen439. Das polnische Recht enthält keinen detaillierten Katalog von Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat. Zwar hat der Aufsichtsrat gemäß Art. 382 § 3 HGG auch die Aufgabe, den jährlichen Bericht des Vorstands über die Geschäfte und die Finanzlage der Gesellschaft für das abgelaufene Geschäftsjahr zu bewerten, diese jährliche Berichtspflicht des Vorstands besteht jedoch in erster Linie nicht gegenüber dem Aufsichtsrat, sondern gegenüber der Hauptversammlung, die den Bericht sodann eruiert und bestätigt (vgl. Art. 395 § 2 Nr. 1 HGG). Allerdings wird aus dem Grundsatz der Zusammenarbeit und Loyalität der Gesell435
Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 5. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 129, 150 f. 437 So bspw. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 29; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 90 AktG Rn. 11, § 111 AktG Rn. 21; vgl. hierzu auch Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 52 ff. 438 So etwa Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 29 m.w. N.; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 Rn. 21 m.w. N. (str.). 439 So etwa Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 80 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 6 m.w. N. (str.). 436
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schaftsorgane eine ungeschriebene Pflicht des Vorstands abgeleitet, den Aufsichtsrat unverzüglich über außergewöhnliche Ereignisse mit wesentlicher Bedeutung für die Gesellschaft zu informieren.440 Anders als das deutsche Recht normiert Art. 382 § 4 HGG vielmehr eine generelle Kompetenz des Aufsichtsrats, vom Vorstand und den Arbeitnehmern der Gesellschaft zur Erfüllung seiner Überwachungstätigkeit Auskunft verlangen zu dürfen. Die Norm gewährt dem Aufsichtsrat ein grundsätzlich unbeschränktes Recht, jederzeit von dem Vorstand und – anders als in Deutschland – auch den Arbeitnehmern Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen zu dürfen.441 Die Grenze des in Art. 382 § 4 HGG normierten Auskunftsrechts bildet rechtsmissbräuchliches Auskunftsverlangen, was dann anzunehmen ist, wenn die Informationen nicht der Wahrnehmung der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats, sondern anderen Zwecken dienen.442 So dürften etwa technische Daten, spezifisches Know-how oder Produktionsgeheimnisse nur ausnahmsweise für die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats maßgeblich sein, sodass diesbezüglich in der Regel ein Informationsrecht des Aufsichtsrats zu verneinen sein dürfte.443 Besondere Bedeutung hat das Verweigerungsrecht bei Informationsverlangen der von einer Minderheit gewählten Aufsichtsratsmitglieder, bei denen die Gefahr besteht, dass sensible Informationen den jeweiligen Aktionären und damit gegebenenfalls auch Konkurrenten preisgegeben werden.444 Anders als in Deutschland erfordert das polnische Aktienrecht eine aktive Aufforderung des Aufsichtsrats zur Informationserteilung, wohingegen das deutsche Recht regelmäßige Berichtspflichten unabhängig von einem Auskunftsverlangen des Aufsichtsrats vorsieht. (b) Meinungsäußerung und Beratung Die Meinungsäußerung des Aufsichtsrats und die Beratung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zählt in Deutschland zu den häufigsten und wohl auch geeignetsten Mitteln einer auf die Zukunft ausgerichteten Kontrolle.445 Auch in Polen stellt die Meinungsäußerung des Aufsichtsrats und der Dialog mit dem Vorstand ein wichtiges Mittel zur Wahrnehmung der auf laufende und künftige Geschäftsführungsmaßnahmen bezogenen Überwachungsfunktion des Aufsichts440 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 21; ders., Rada nadzorcza, S. 349. 441 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 47, 346. 442 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 6, 25. 443 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 25. 444 Ebenda. 445 Vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1991, Az.: II ZR 188/89, NJW 1991, S. 1830 (1831) m.w. N.; Henssler, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 111 AktG Rn. 5; Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 39 f.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 2.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
rats dar, da hierdurch der Aufsichtsrat die Entscheidungen des Vorstands in der Planungsphase beeinflussen und mitgestalten kann.446 (c) Einsichts- und Prüfrecht Ein weiteres Überwachungsmittel stellt sowohl in Deutschland als auch in Polen die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Unterlagen der Gesellschaft dar (vgl. § 111 Abs. 2 AktG, Art. 382 § 4 HGG). Hierdurch kann sich der Aufsichtsrat durch eigenständige Untersuchungen ein Bild von der Lage der Gesellschaft machen und vom Vorstand erlangte Informationen auf ihre Richtigkeit hin überprüfen.447 Die Wahrnehmung des Einsichts- und Prüfrechts ist unstreitig bei Vorliegen eines konkreten Anlasses gerechtfertigt448, teilweise werden jedoch auch stichprobenmäßige Untersuchungen ohne konkreten Verdacht für zulässig erachtet449. Aus dem im § 111 Abs. 2 AktG gewährten Recht wird gleichzeitig eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Durchführung von Nachforschungen abgeleitet, etwa wenn Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit eines Berichts bestehen oder der Verdacht auf eine Pflichtwidrigkeit des Vorstands naheliegt.450 Auch beinhalte das in § 111 Abs. 2 AktG normierte Einsichts- und Prüfrecht ein Auskunftsrecht gegenüber dem Vorstand und denjenigen Arbeitnehmern, die zu den geprüften Unterlagen und Vermögensgegenständen in sachlichem Zusammenhang stehen.451 Art. 382 § 4 HGG gewährt dem polnischen Aufsichtsrat zwecks Erfüllung seiner Aufgaben ein umfassendes Einsichts- und Prüfrecht in Bezug auf alle Dokumente der Gesellschaft und das Gesellschaftsvermögen. Gemeinsam mit dem Auskunftsrecht gegenüber dem Vorstand und den Arbeitnehmern ermöglicht dies dem Aufsichtsrat einen vollständigen und uneingeschränkten Zugang zu Informationen über die Gesellschaft, soweit dieser für die Wahrnehmung der Aufgaben des Aufsichtsrats erforderlich ist.452 Wie auch im Rahmen des Auskunftsrechts 446
Opalski, Rada nadzorcza, S. 425. Vgl. Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 376 f.; Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 19, 22. 448 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 397; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 52; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 6. 449 So Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 78; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 397; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 Rn. 19; Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 52. 450 Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 72; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 377, 387 f. m.w. N. 451 So etwa Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 80 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 6 m.w. N. (str.); hierzu auch oben Kapitel 3, C.II.1.a)aa)(2)(a). 452 Vgl. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 6, 25. 447
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kann der Vorstand ein Informationsverlangen des Aufsichtsrats nur in Fällen rechtsmissbräuchlichen Verlangens verweigern.453 In der polnischen Literatur wird hervorgehoben, dass der Aufsichtsrat zur Wahrnehmung des Einsichts- und Prüfrecht verpflichtet ist, wenn dies für die ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich ist, und die volle Verantwortung für seine unzureichende Information trägt.454 Jedoch sollen Erklärungen und Auskünfte des Vorstands die grundlegende Form der Informationsbeschaffung durch den Aufsichtsrat darstellen und die Einsicht und Prüfung von Unterlagen der Gesellschaft als eine Form der unmittelbaren Informationsquelle (neben der Befragungen von Mitarbeitern) eher subsidiär und zurückhaltend zur Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte des Vorstands eingesetzt werden (müssen).455 (d) Zustimmungsvorbehalte Ein weiteres wichtiges Überwachungsmittel bilden sowohl in Deutschland als auch in Polen Zustimmungsvorbehalte. Gemeinsam ist beiden Ländern, dass durch die Zustimmungsvorbehalte der Grundsatz, wonach die Geschäftsführung dem Vorstand obliegt, in gewissem Maße durchbrochen wird.456 Allerdings erhält der Aufsichtsrat hierdurch keine eigenständige Kompetenz zur Geschäftsführung und kein Initiativrecht zur Vornahme von bestimmten Geschäften, auch kann er den Vorstand nicht hierzu verpflichten.457 Vielmehr wird der Aufsichtsrat lediglich an der Geschäftsführung beteiligt, weswegen die Zustimmungsvorbehalte als ein Überwachungsinstrument zu betrachten sind.458 Die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats nimmt hierdurch einen „präventiven“ Charakter an.459 Während allerdings das deutsche Aktienrecht obligatorisch die Festlegung eines Katalogs von Zustimmungsvorbehalten in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat vorschreibt (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) und damit der Hauptversammlung und dem Aufsichtsrat eine „konkurrierende Pflicht“ zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten auferlegt460, hat die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten im polnischen Aktienrecht ausweislich des Gesetzeswortlauts in 453
Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 25. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 21. 455 Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 382 Rn. 22. 456 Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 7; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 398; vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 424 f. 457 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 51; Opalski, Rada nadzorcza, S. 424 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 399 m.w. N. 458 Vgl. Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 39 ff., 51; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 5 ff.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 424. 459 Opalski, Rada nadzorcza, S. 331, 424. 460 Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 8. 454
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Art. 384 HGG461 einen ausschließlich fakultativen Charakter462. Im Unterschied zum deutschen Recht können Zustimmungserfordernisse für bestimmte Handlungen des Vorstands in Polen allein in der Satzung festgelegt werden (vgl. Art. 384 § 1 HGG), eine Festlegung durch den Aufsichtsrat selbst ist nicht vorgesehen und daher unzulässig.463 Daran ändert auch die Generalklausel des Art. 384 § 1 Hs. 1 HGG, wonach die Satzung die Kompetenzen des Aufsichtsrats generell erweitern kann, nichts. Denn der klare Wortlaut von Art. 384 § 1 Hs. 2 HGG, nach welchem die Satzung insbesondere vorsehen kann, dass der Vorstand verpflichtet ist, die Zustimmung des Aufsichtsrats vor der Vornahme von „in der Satzung genannten Handlungen“ 464 einzuholen, verbietet eine Übertragbarkeit der Kompetenz zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten auf den Aufsichtsrat. Welche Geschäfte von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht werden können, wird weder im deutschen noch im polnischen Aktienrecht ausdrücklich geregelt. Für das deutsche Recht ist anerkannt, dass der Umfang des Zustimmungskatalogs zwar pflichtgemäßem Ermessen unterliegt, allerdings aufgrund der andernfalls bedrohten Eigenverantwortlichkeit des Vorstands nur solche Geschäfte einem Zustimmungsvorbehalt unterstellt werden dürfen, die nach ihrer Art, ihrem Gegenstand, Umfang oder dem damit zusammenhängenden Risiko von besonderer, grundlegender Bedeutung für das jeweilige Unternehmen sind.465 Gleichermaßen wird auch in Polen angenommen, dass eine Zustimmungsbedürftigkeit nur für solche Geschäfte vorgesehen werden darf, die nach Ausmaß, Gegenstand, Bedeutung oder dem damit verbundenen Risiko über die gewöhnlichen Geschäftsvorfälle hinausgehen oder in strategischer Hinsicht eine wesentliche Rolle spielen.466 In beiden Ländern muss sich der Zustimmungsvorbehalt auf konkret bezeichnete bzw. hinreichend bestimmbare Geschäfte beziehen, eine generalklauselartige Erfassung etwa aller bedeutsamen Geschäfte wäre unzulässig.467 Allerdings können nach deutschem Recht – anders als in Polen468 – 461 Art. 384 § 1 HGG: „Statut moze rozszerzyc ´ uprawnienia rady nadzorczej, a w ˙ szczególnos´ci przewidywac´, ˙ze zarza˛d jest obowia˛zany uzyskac´ zgode˛ rady nadzorczej przed dokonaniem okres´lonych w statucie czynnos´ci.“ 462 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 463 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 435 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 400 f. 464 Art. 384 § 1 Hs. 2 HGG: „[. . .] okres ´lonych w statucie czynnos´ci“, Übersetzung d. Verf. 465 Vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 120; Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 680 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 8, 9. 466 Opalski, Rada nadzorcza, S. 428. 467 Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15. Januar 2015, Az.: I-6 U 48/14, BeckRS 2015, 16131 (Rn. 44); Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 120; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 9 m.w. N.; Opalski, Rada nadzorcza, S. 428. 468 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 435.
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einzelne Geschäfte auch ad hoc einem Zustimmungsvorbehalt unterstellt werden; dies nach wohl allgemeiner Ansicht jedenfalls dann, wenn sie von besonderer Bedeutung für die Gesellschaft sind.469 Verweigert der Aufsichtsrat seine Zustimmung zu zustimmungsbedürftigen Geschäften, kann sich der Vorstand sowohl in Deutschland als auch in Polen an die Hauptversammlung zwecks Zustimmungsersetzung wenden (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG, Art. 384 § 2 HGG470). Allerdings erfordert § 111 Abs. 4 AktG eine Dreiviertelmehrheit, während nach polnischem Recht die allgemeinen Regeln gelten, mithin eine absolute Stimmenmehrheit – d.h. die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (vgl. Art. 4 § 1 Pkt. 10 HGG)471 – ausreicht, sofern die Satzung kein anderes Mehrheitserfordernis vorsieht (vgl. Art. 414 HGG). Wird ein Geschäft ohne die erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen, so ist dieses zwar im Außenverhältnis wirksam, jedoch handelt der Vorstand in diesem Fall pflichtwidrig und kann sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen (vgl. Artt. 17 § 3, 483 HGG).472 Abgesehen von den in der Satzung – bzw. nach deutschem Recht durch den Aufsichtsrat – zu definierenden Zustimmungsvorbehalten sieht sowohl das polnische als auch das deutsche Recht für einige Maßnahmen bereits gesetzliche Zustimmungsvorbehalte vor, beispielsweise bei Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn (§ 59 Abs. 3 AktG, Art. 349 § 1 HGG), im Rahmen von Kapitalerhöhungen (vgl. §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1, 205 Abs. 2 Satz 2 AktG, Artt. 446 § 2, 447 § 1 HGG) oder im deutschen Recht auch bei Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern (§ 114 Abs. 1 AktG) oder Kreditgewährungen an Aufsichtsratsmitglieder (vgl. § 115 AktG).473 Für polnische Gesellschaften mit Allein- oder Mehrheitsaktionärsstellung des Staates, die aus der Kommerzialisierung oder auf andere Art und Weise entstanden sind, enthielten ferner Art. 19b und Art. 69a Abs. 3 KommerzG a. F. einen gesetzlichen Zustimmungsvorbehalt. Danach bedurfte es der Zustimmung des Aufsichtsrats im Fall von Schenkungen, Erlassverträgen und Verträgen, die in keinem Zusammenhang mit der satzungsgemäß bezeichneten wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft standen, sofern diese 5.000 EUR überstiegen. Art. 19b und Art. 69a Abs. 3 KommerzG wurden auf469 Vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1993, Az.: II ZR 235/92, NJW 1994, S. 520 (524); Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 55 m.w. N.; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 39 m.w. N.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 9 m.w. N. 470 Die polnische Regelung basiert auf dem deutschen Vorbild, Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 399. 471 Als abgegebene Stimme gelten sowohl die Ja und Nein-Stimmen als auch die Enthaltungen, vgl. Art. 4 § 1 Pkt. 9 HGG. 472 Zum deutschen Recht vgl. Habersack, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 111 AktG Rn. 147; Oetker, in: ErfK ArbR, § 111 AktG Rn. 10. 473 Näher zum polnischen Recht Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 396 ff.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
grund des StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016474 jedoch mit Wirkung zum 1. Januar 2019 gestrichen.475 Die Vornahme eines Geschäftes ohne Einhaltung des gesetzlichen Zustimmungsvorbehaltes führt im polnischen Recht kraft Gesetzes zu seiner Nichtigkeit (vgl. Art. 17 § 1 HGG). Auch in Deutschland ist das Geschäft regelmäßig rückabzuwickeln.476 Eine besondere Regelung in Bezug auf Zustimmungsvorbehalte besteht aufgrund des StaatsVermVerwG nunmehr auch allgemein für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung – d.h. auch bloßer Minderheitsbeteiligung. Gemäß Art. 17 Abs. 2 und 3 StaatsVermVerwG ist das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass für den Fall der in Art. 17 Abs. 2 und 3 StaatsVermVerwG genannten Berater- und Marketingverträge sowie Schenkungs- und Erlassverträge ein Zustimmungsvorbehalt durch Hauptversammlungsbeschluss oder die Satzung festgelegt wird. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen gesetzlichen Zustimmungsvorbehalt, sondern lediglich um eine an das die staatlichen Rechte ausübende Subjekt gerichtete Verpflichtung. bb) Personalkompetenzen Den zweiten wichtigen Pfeiler der Aufsichtsratsaufgaben bildet sowohl in Deutschland als auch in Polen die Personalkompetenz des Aufsichtsrats. Hierzu gehört vor allem die Entscheidungskompetenz im Hinblick auf die Besetzung des Vorstands (vgl. § 84 AktG, Art. 368 § 4 Satz 1 Hs. 1 HGG). Die Kompetenz zur Bestellung des Vorstands ist im deutschen Recht nach §§ 84 Abs. 1, 107 Abs. 3 Satz 7 AktG zwingend und ausschließlich dem Aufsichtsrat als Gesamtgremium zugewiesen.477 Gleiches gilt für dessen Abberufung.478 Dagegen sieht das polnische Aktienrecht lediglich grundsätzlich vor, dass der Aufsichtsrat – ebenfalls als Gesamtgremium479 – für die Bestellung und 474 Gesetz über die Grundsätze der Verwaltung von Staatsvermögen vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2259. 475 Vgl. Art. 14 Pkt. 19, 32 i.V. m. Art. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 476 Vgl. etwa Henze, in: GroßKommAktG, Bd. 2, § 59 AktG Rn. 31. 477 BGH, Urteil vom 24. November 1980, Az.: II ZR 182/79, NJW 1981, S. 757 (758); Spindler, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 84 AktG Rn. 12; Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 20 Rn. 17. 478 BGH, Urteil vom 24. November 1980, Az.: II ZR 182/79, NJW 1981, S. 757 (758); Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 20 Rn. 44. 479 Sowohl in Deutschland als auch in Polen wird die Bestellung von Vorstandsmitgliedern in der Regel durch den Personalausschuss des Aufsichtsrats vorbereitet, wenn auch der Aufsichtsrat über die Bestellung als Gesamtgremium entscheiden muss, vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 1993, Az.: II ZR 89/92, NJW 1993, S. 2307 (2311); Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 20 Rn. 17; ausführlich zur Vorberei-
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Abberufung sowie Suspendierung des Vorstands zuständig ist (vgl. Artt. 368 § 4 Satz 1 Hs. 1, 383 § 1 HGG). Dieser Grundsatz erfährt in zweierlei Hinsicht eine Durchbrechung: Zum einen kann die Satzung Abweichendes vorsehen (vgl. Art. 368 § 4 Satz 1 Hs. 2 HGG), und das Recht zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern etwa der Hauptversammlung oder einem einzelnen Aktionär (vgl. die ausdrückliche exemplarische Nennung in Art. 354 § 1 Satz 2 HGG) gewähren.480 Zum anderen sieht Art. 368 § 4 Satz 2 HGG vor, dass stets auch die Hauptversammlung ein konkurrierendes Recht zur Abberufung oder Suspendierung von Vorstandsmitgliedern hat. Dieses Recht kann mangels entsprechender Öffnungsklausel (wie etwa noch bei Art. 368 § 4 Satz 1 HGG) auch nicht in der Satzung ausgeschlossen werden.481 Eine Ausnahme vom soeben Gesagten bestand bis Ende 2018 allerdings bei kommerzialisierten Gesellschaften, in denen der Staat weiterhin mehr als die Hälfte der Anteile hielt. Gemäß Art. 19a KommerzG a. F., der insoweit lex specialis zu Art. 368 § 4 HGG war482, lag in diesen Fällen die ausschließliche Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Vorstands beim Aufsichtsrat, der zugleich für die Durchführung einer Eignungsprüfung der Vorstandskandidaten zuständig war. Gleichermaßen galt dies auch für andere Gesellschaften mit staatlicher Allein- oder Mehrheitsbeteiligung (vgl. Art. 69a Abs. 3 KommerzG). Die Vorschriften wurden allerdings aufgrund des StaatsVermVerwG mit Wirkung zum 1. Januar 2019 aufgehoben.483 Gleichzeitig verpflichtete Art. 18 StaatsVermVerwG urspr. Fassung das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt dazu, auf einen Hauptversammlungsbeschluss bzw. eine Satzungsbestimmung hinzuwirken, wonach der Vorstand nach Durchführung eines Qualifikationsverfahrens vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen wird. Die Vorschrift wurde durch Änderungsgesetz vom 21. Februar 2019484, in zweierlei Hinsicht geändert: Zum einen soll das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus
tung der Personalentscheidung durch den Personalausschuss Opalski, Rada nadzorcza, S. 399 ff. 480 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). In der Praxis lässt sich jedoch jedenfalls bei den börsennotierten Gesellschaften feststellen, dass größtenteils die gesetzliche Kompetenzzuweisung für die Bestellung der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat beibehalten und nur ausnahmsweise etwa der Hauptversammlung übertragen wurde, vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 397. 481 Ebenso Opalski, Rada nadzorcza, S. 392 m.w. N.; Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2); Popiołek, in: Strze˛pka, Kodeks spółek handlowych, Art. 368 Rn. 17; kritisch zu diesem Recht der Hauptversammlung Opalski, Rada nadzorcza, S. 392 f. 482 Opalski, Rada nadzorcza, S. 396. 483 Vgl. Art. 14 Pkt. 19, 32 i.V. m. Art. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 484 Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Dz. U. 2019 Pos. 492.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt nunmehr nur noch in dem Fall, dass der Vorstand vom Aufsichtsrat bestellt wird, auf einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss bzw. eine entsprechende Satzungsbestimmung hinwirken485; ob dies der Fall ist, ergibt sich aus der Satzung bzw. dem Gesellschaftsvertrag486. Zum anderen wurde von dem Qualifikationsverfahren das von den Arbeitnehmern zu wählende Vorstandsmitglied ausgenommen.487 Auch der Abschluss des schuldrechtlichen Dienstvertrages zwischen der Gesellschaft und dem einzelnen Vorstandsmitglied gehört sowohl in Deutschland als auch in Polen zu den Aufgaben des Aufsichtsrats, der in diesem Fall die Gesellschaft nach außen vertritt (vgl. §§ 84 Abs. 1 Satz 5, 112 AktG, Art. 379 § 1 HGG). Allerdings ist spiegelbildlich zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern auch die Kompetenz zum Abschluss und zur Bestimmung des Inhalts des Dienstvertrages einschließlich der Vergütung im deutschen Recht ausschließlich dem Aufsichtsrat zugewiesen (vgl. § 87 AktG).488 Daher werden auch Weisungen der Hauptversammlung oder Gehaltsbemessungen in der Satzung als unzulässig erachtet.489 Dagegen können diese Befugnisse nach polnischem Aktienrecht auch durch die Hauptversammlung oder teilweise sogar einen einzelnen Aktionär wahrgenommen werden. Der Dienstvertrag mit dem Vorstandsmitglied wird gemäß Art. 379 § 1 HGG entweder vom Aufsichtsrat oder von einem von der Hauptversammlung Bevollmächtigten im Namen der Gesellschaft abgeschlossen. Es handelt sich hierbei somit um eine alternative Kompetenz des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung, wobei allerdings die Wahrnehmung dieser Befugnis durch die Hauptversammlung die Kompetenz des Aufsichtsrats im Hinblick sowohl auf die Entscheidung als auch Vertretung der Gesellschaft in dieser Hinsicht ausschließt.490 Die Festlegung der Vorstandsvergütung wird in Art. 378 485
Art. 18 Abs. 1 StaatsVermVerwG: „[. . .] sa˛ obowia˛zane podejmowac´ działania maja˛ce na celu okres´lenie, w drodze uchwały walnego zgromadzenia lub w statucie tej spółki, ˙ze w p r z y p a d k u g d y członkowie organu zarza˛dzaja˛cego sa˛ powoływani przez organ nadzorczy, [. . .]“ (Hervorhebung d. Verf.). 486 Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Sejm-Drucks. Nr. 3053 vom 27. November 2018 (VIII. Kadenz), S. 14 f. 487 Vgl. Art. 1 Pkt. 11 des Änderungsgesetzes zum StaatsVermVerwG und anderer Gesetze vom 21. Februar 2019, Dz. U. 2019 Pos. 492. In der ursprünglichen Fassung des StaatsVermVerwG waren die von den Arbeitnehmer zu wählenden Vorstandsmitglieder dagegen nicht ausdrücklich ausgeklammert gewesen, was den Widerstand der Gewerkschaften hervorrief, vgl. http://www.opzz.org.pl/aktualnosci/kraj/pracownicy-powinnimiec-wybor, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 488 Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. Februar 1954, Az.: II ZR 63/53, NJW 1954, S. 797 (798); Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 21 Rn. 20. 489 Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 21 Rn. 20 m.w. N.; vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 6. April 1964, Az.: II ZR 75/62, NJW 1964, S. 1367 (1368). 490 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 466; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 411 m.w. N.
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§ 1 HGG (als lex specialis zu Art. 379 § 1 HGG)491 zwar grundsätzlich als Kompetenz des Aufsichtsrats ausgestaltet, allerdings kann die Satzung hiervon Abweichendes regeln und diese Kompetenz etwa auf die Hauptversammlung (vgl. Art. 378 § 2 HGG) oder sogar nur einen einzelnen Aktionär übertragen (vgl. Art. 354 § 1 a. E. HGG). Darüber hinaus kann die Hauptversammlung den Aufsichtsrat dazu ermächtigen, dem Vorstand eine Gewinnbeteiligung an dem jährlich unter den Aktionären zu verteilenden Gewinn zuzusprechen (vgl. Art. 378 § 2 HGG). Nach früherer Rechtslage erschien fraglich, ob für Gesellschaften mit staatlicher Mehrheits- oder Alleinbeteiligung, die durch Kommerzialisierung oder auf andere Weise entstanden sind, anzunehmen war, dass auch der Abschluss und der Inhalt des Dienstvertrages in die ausschließliche Kompetenz des Aufsichtsrats fiel (vgl. Art. 19a KommerzG a. F. i.V. m. Art. 69a Abs. 3 KommerzG a. F.492). Da Art. 19a KommerzG a. F. aber ausweislich des Wortlauts nur die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern dem Aufsichtsrat zugewiesen hat, den Abschluss des schuldrechtlichen Dienstvertrages jedoch unerwähnt hat, war wohl davon auszugehen, dass gemäß Art. 5 KommerzG493 in Bezug auf das schuldrechtliche Verhältnis zwischen Vorstand und Gesellschaft auch bei Gesellschaften mit staatlicher Mehrheits- oder Alleinbeteiligung (vgl. Art. 69a Abs. 3 KommerzG a. F.) die allgemeinen Regeln des Aktienrechts Anwendung fanden. Eine entsprechende Anwendung von Art. 19a KommerzG a. F., aus der sich auch die ausschließliche Kompetenz des Aufsichtsrats zum Abschluss und zur inhaltlichen Ausgestaltung des Dienstvertrages ableiten ließe, dürfte angesichts des Wortlauts des Art. 19a KommerzG a. F. und der subsidiär geltenden aktienrechtlichen Regelungen zu verneinen gewesen sein. Allerdings sahen gesetzliche Sonderregeln494 sowie Hinweise des Ministeriums für Staatsvermögen495 für Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung Besonderheiten in 491
Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 378 Rn. 2. Aufgehoben zum 1. Januar 2019 durch Art. 14 Pkt. 19, 32 i.V. m. Art. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 493 Die Regelung in Art. 5 KommerzG hielt Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 40, noch bezogen auf das frühere Handelsgesetzbuch von 1934 (d.h. das Vorgängergesetz zum HGG) für überflüssig, denn entsprechend den allgemeinen Auslegungsregeln und den Grundsätzen der Rechtsanwendung fand dieses als lex generalis ohnehin auf alle Kapitalgesellschaften Anwendung fand, soweit diese nicht durch Spezialgesetze abweichend geregelt wurden. 494 Vgl. Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten vom 9. Juni 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1202, welches das Gesetz über die Vergütung von Personen, die bestimmte Rechtssubjekte leiten, vom 3. März 2000, Dz. U. 2000 Nr. 26 Pos. 306, ablöste. 495 Vgl. die Hinweise des mittlerweile liquidierten Ministeriums für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) zur Arbeit der Aufsichtsräte in Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung und Mehrheitsbeteiligung des Staates, die unter https://www. 492
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Bezug auf die Festlegung der Vergütung von Vorstandsmitgliedern vor. Das StaatsVermVerwG trifft zur Frage der Zuständigkeit für den Abschluss und Inhalt des Dienstvertrages zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand keine Regelung, sodass nunmehr erst recht von der Geltung der allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätze auszugehen ist. Allerdings enthält das Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten, vom 9. Juni 2016496 Vorgaben und Richtlinien für die Bestimmung der Vergütung des Vorstands (sowie auch des Aufsichtsrats), an die sich das für die Wahrnehmung der Rechte des Staates aus den ihm gehörenden Aktien zuständige Subjekt halten muss. Die im polnischen Recht vorzufindende alternative bzw. durch Satzungsbestimmung mögliche Personalkompetenz der Hauptversammlung im Hinblick auf die Besetzung des Vorstands und die mit den Vorstandsmitgliedern abzuschließenden Verträge stellt einen wesentlichen Unterschied zum deutschen Aktienrecht dar, der sich auch auf die Stellung des Aufsichtsrats auswirkt. Im Vergleich zum früheren polnischen Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) aus dem Jahre 1934497, der die Personalkompetenz noch grundsätzlich der Hauptversammlung zugewiesen und lediglich durch Satzungsbestimmung eine Übertragung auf den Aufsichtsrat ermöglicht hatte (vgl. Art. 366 § 3 Handelsgesetzbuch von 1934), stellt die heutige Regelung zwar eine Stärkung der Stellung des Aufsichtsrats im organisatorischen Gesamtgefüge der Aktiengesellschaft und eine Abkehr vom klassischen Modell der sog. „Aktionärsdemokratie“ 498 dar. Durch die nach polnischem Recht vorgesehene Wahrnehmung der Personalkompetenz durch die Hauptversammlung bzw. teilweise sogar durch nur einen einzelnen Aktionär wird jedoch weiterhin der Einfluss der Anteilseigner – d.h. der wirtschaftlichen Eigentümer – auf die personelle Besetzung des Vorstands abgesichert.499 Zudem wird einem die Kapitalmehrheit erlangenden Hauptaktionär hierdurch die Möglichkeit eingeräumt, zeitnah mittels entsprechender Besetzung des Vorstands auf die strategische Ausrichtung der Gesellschaft Einfluss nehmen zu können.500 Gleichzeitig birgt aber gerade die Möglichkeit der jederzeitigen Abberufung des Vorstands durch die Hauptversammlung – auch ohne wichtigen Grund, vgl. Art. 370 HGG – eine Gefahr sowohl für die weisungsunabhängige Geschäftsführung durch den msp.gov.pl/pl/polityka-wlascicielska /wsparcie/zarzadzenia-wskazowki-w/30165,Zarza dzenia-wskazowki-wytyczne.html abrufbar waren, zuletzt aufgerufen am 30. März 2018 (aktuell nicht mehr abrufbar); vgl. hierzu auch Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (235). 496 Gesetz über die Grundsätze der Vergütung von Personen, die bestimmte Gesellschaften leiten vom 9. Juni 2016, Dz. U. 2016 Pos. 1202. 497 Handelsgesetzbuch („kodeks handlowy“) vom 27. Juni 1934, Dz. U. 1934 Nr. 57 Pos. 502. 498 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 393. 499 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 403 f. 500 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 404 m.w. N.
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Vorstand als auch – insbesondere im Falle häufiger Aktionärswechsel – für die Realisierung einer langfristigen, von Vorstand und Aufsichtsrat verfolgten Unternehmensstrategie.501 Der im deutschen Recht vorzufindende gänzliche Ausschluss der Hauptversammlung von der Personalkompetenz stärkt dagegen die Position des Aufsichtsrats, aber auch des Vorstands im Verhältnis zu den Aktionären.502 Die Zuweisung der Personalkompetenz an den Aufsichtsrat im Gegensatz zur Hauptversammlung hat umso größere Bedeutung, wenn der Aufsichtsrat nicht allein vom strategischen Investor bzw. Hauptaktionär gewählt wird und daher ohnehin dessen Willen folgt, sondern auch Minderheiten, Arbeitnehmervertreter oder unabhängige Mitglieder vertreten sind, da der Aufsichtsrat dann im Verhältnis zum Hauptaktionär autonomer ist.503 Die Wahrnehmung der Kompetenz zur Besetzung des Vorstands durch den Aufsichtsrat verbessert die Stellung dieser Minderheiten, die anders – bzw. leichter – als bei einer Entscheidung durch die Hauptversammlung wenigstens im Wege einer Kompromisslösung Einfluss auf die Vorstandsbesetzung ausüben können.504 Mutmaßlich sah deshalb das polnische Recht eine Ausnahme von den in Art. 368 § 4 HGG eröffneten Möglichkeiten der Einflussnahme der Hauptversammlung auf die Besetzung des Vorstands für den Fall einer aus der Kommerzialisierung hervorgegangen Gesellschaft vor, in der der Staat weiterhin mehr als die Hälfte der Anteile hielt (vgl. Art. 19a KommerzG a. F.505).506 Dadurch, dass die ausschließliche Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Vorstands in diesem Fall beim Aufsichtsrat lag, wurde die Stellung der im Aufsichtsrat vertretenen Arbeitnehmer gestärkt, da hierdurch der Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf die Unternehmenspolitik durch Wahl entsprechender Vorstandsmitglieder ermöglicht wurde. Zu den weiteren Personalkompetenzen des Aufsichtsrats zählen im deutschen Recht Kreditgewährungen an Vorstandsmitglieder, Aufsichtsratsmitglieder und andere Personengruppen (vgl. §§ 89, 115 AktG), die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern (§§ 93, 112 AktG) und der Abschluss von Dienst- bzw. Werkverträgen mit einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern (vgl. § 114 AktG).507 Dagegen wird im polnischen Recht die Entschei501
Opalski, Rada nadzorcza, S. 396 f. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 403. 503 Opalski, Rada nadzorcza, S. 395. 504 Vgl. Opalski, Rada nadzorcza, S. 395. 505 Die Vorschrift wurde allerdings gestrichen zum 1. Januar 2019, vgl. Art. 14 Pkt. 19 i.V. m. 134 Pkt. 1 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 506 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 395. 507 Zur Klassifizierung dieser Zuständigkeiten des Aufsichtsrats als Personalkompetenzen siehe Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 2. 502
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dungskompetenz im Hinblick auf Kreditgewährungen an Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern ausdrücklich und ausschließlich der Hauptversammlung zugewiesen und kann auch nicht auf den Aufsichtsrat übertragen werden (vgl. Artt. 15, 393 Pkt. 2 HGG i.V. m. Art. 304 §§ 3, 4 HGG).508 Der Aufsichtsrat behält allerdings auch in diesen Fällen die aus Art. 379 § 1 HGG folgende Vertretungsbefugnis gegenüber dem Vorstand, sofern nicht die Hauptversammlung einen Bevollmächtigten bestellt.509 Darüber hinaus hat sowohl der deutsche als auch der polnische Aufsichtsrat das Recht, für einen begrenzten Zeitraum (in Deutschland höchstens ein Jahr, in Polen drei Monate) eigene Mitglieder stellvertretend für ein fehlendes oder verhinderts Vorstandsmitglied in den Vorstand zu entsenden (vgl. § 105 Abs. 2 AktG, Art. 383 § 1 HGG). Der polnische Aufsichtsrat hat darüber hinaus die gesetzlich ausdrücklich normierte Pflicht, im Falle der Verhinderung eines Vorstandsmitglieds unverzügliche Maßnahmen zwecks Änderung der Vorstandsbesetzung zu ergreifen (Art. 383 § 2 HGG). cc) Vorstandsorganisation Sowohl in Deutschland als auch in Polen kann der Aufsichtsrat ferner die Geschäftsordnung und Geschäftsverteilung des Vorstands regeln. In beiden Ländern kann sich der Vorstand grundsätzlich selbst eine Geschäftsordnung geben, allerdings kann die Satzung diese Kompetenz dem Aufsichtsrat übertragen (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AktG, Art. 371 § 6 HGG). Anders als nach deutschem Recht kann die Satzung einer polnischen Aktiengesellschaft diese Kompetenz allerdings auch der Hauptversammlung zuweisen (vgl. Art. 371 § 6 HGG). Ausgehend von Wortlaut des Art. 371 § 6 HGG, der sowohl vom Erlass als auch der Billigung einer Geschäftsordnung spricht510, sind verschiedene Ausgestaltungen denkbar: So kann die Satzung etwa vorsehen, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsordnung selbst ausarbeitet oder lediglich eine vom Vorstand ausgearbeitete Geschäftsordnung billigt – was in der Praxis häufig vorkommt –, oder auch dass der Aufsichtsrat die Geschäftsordnung ausarbeitet und diese sodann von der Hauptversammlung gebilligt wird.511 Im Gegensatz zum polnischen Recht sieht das deutsche Aktienrecht in § 77 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AktG darüber hinaus vor, dass der Aufsichtsrat auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung die Zuständigkeit an sich reißen und eine Geschäftsordnung für den Vorstand erlassen kann. Tut er dies, so erlischt dadurch das Recht des Vorstands zum Erlass einer Ge508
Opalski, Rada nadzorcza, S. 452 f. Opalski, Rada nadzorcza, S. 453. 510 Art. 371 § 6 HGG: „[. . .] prawa do uchwalenia lub zatwierdzenia regulaminu zarza˛du“. 511 Opalski, Rada nadzorcza, S. 498 m.w. N. 509
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schäftsordnung und eine gegebenenfalls bereits erlassene Geschäftsordnung verliert ihre Gültigkeit.512 dd) Weitere Zuständigkeiten Über die vorgenannten Kompetenzen hinaus sind sowohl dem deutschen als auch dem polnischen Aufsichtsrat noch eine Reihe weiterer Zuständigkeiten zugewiesen. Der deutsche Aufsichtsrat prüft den vom Vorstand vorzulegenden Jahresabschluss, Lagebericht und Vorschlag zur Gewinnverwendung und berichtet diesbezüglich an die Hauptversammlung (vgl. §§ 170 ff. AktG). Ähnlich prüft auch der polnische Aufsichtsrat die Geschäfts- und Finanzberichte des Vorstands sowie dessen Vorschläge zur Gewinnverwendung bzw. Verlustdeckung und berichtet hierüber an die Hauptversammlung (vgl. Art. 382 § 3 HGG i.V. m. Art. 395 § 2 Pkt. 1 HGG). Während allerdings der Jahresabschluss nach entsprechender Billigung durch den deutschen Aufsichtsrat festgestellt ist und der Hauptversammlung nur noch mitsamt des Aufsichtsratsberichts zur Kenntnis vorgelegt wird (sofern nicht Vorstand und Aufsichtsrat die Feststellung der Hauptversammlung überlassen, vgl. §§ 172, 173 AktG), ist im polnischen Recht letztlich stets die Hauptversammlung für die Bestätigung der Geschäfts- und Finanzberichte des Vorstands zuständig (vgl. Art. 395 § 2 Pkt. 1 HGG). Im Hinblick auf die Wahl und Beauftragung des Abschlussprüfers unterscheiden sich das deutsche und polnische Aktienrecht hingegen deutlich. Nach deutschem Recht ist der Aufsichtsrat dafür zuständig, Vorschläge zur Wahl des Abschlussprüfers durch die Hauptversammlung zu unterbreiten (vgl. § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) und den Prüfungsauftrag für den Jahres- und den Konzernabschluss zu erteilen (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG), was neben der formellen Beauftragung auch die inhaltliche Ausgestaltung des Prüfungsauftrages und die Honorarvereinbarung umschließt513. Das polnische Recht sieht dagegen hinsichtlich des für die Wahl des Abschlussprüfers zuständigen Organs keine verbindliche gesetzliche Regelung vor, sondern überlässt diese Festlegung der Satzung.514 Es handelt sich hierbei mithin um eine der Angelegenheiten, die gemäß Art. 384 HGG auf den Aufsichtsrat übertragen werden können, wodurch seine Stellung gestärkt werden kann.515 Für die formelle Beauftragung und inhaltliche Ausgestaltung der Vereinbarung ist hingegen der Vorstand als nach außen hin vertretungsberechtigtes Organ der Gesellschaft zuständig, allenfalls wird in der Praxis die Vereinbarung dem Aufsichtsrat vor einer durch ihn zu erfolgenden Wahl vorgelegt.516 In 512 513 514 515 516
Wiesner, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 22 Rn. 30. Näher Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 451 ff. Näher Opalski, Rada nadzorcza, S. 368 f. Opalski, Rada nadzorcza, S. 369 m.w. N. Näher und kritisch hierzu Opalski, Rada nadzorcza, S. 369 f.
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der polnischen Literatur wird hierin eine Unvereinbarkeit mit den Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers gesehen und eine entsprechende gesetzliche Zuweisung der Kompetenzen zur Erteilung und inhaltlichen Ausgestaltung des Prüfungsauftrags einschließlich der Honorarvereinbarung an den Aufsichtsrat gefordert.517 Darüber hinaus haben sowohl der deutsche als auch der polnische Aufsichtsrat insbesondere auch verschiedene Rechte im Zusammenhang mit der Hauptversammlung. Hierzu gehört vor allem die Einberufung einer ordentlichen oder außerordentlichen Hauptversammlung unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. § 111 Abs. 3 AktG, Art. 399 HGG) und das Recht, Beschlüsse der Hauptversammlung anzufechten (vgl. § 245 Nr. 5 AktG, Artt. 422 § 2 Pkt. 1, 425 HGG). Ferner gewähren beide Rechtsordnungen dem Aufsichtsrat Zustimmungsrechte im Hinblick auf die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals (vgl. §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1 Satz 1 AktG, Artt. 446 § 2, 447 § 1 HGG)518 und die Gewährung von Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn (§ 59 Abs. 3 AktG, Art. 349 § 1 HGG).519 Der deutsche Aufsichtsrat ist ferner gemeinsam mit dem Vorstand für die Abgabe der Entsprechungserklärung nach § 161 AktG zuständig.520 Nach deutschem Recht ist der Aufsichtsrat des Weiteren auch für die Entscheidung über die Ausübung von Beteiligungsrechten nach § 32 MitbestG und § 15 MitbestErgG zuständig.521 Im polnischen Recht finden sich ferner weitere Zuständigkeiten des Aufsichtsrats in besonderen Gesellschaften aufgrund von Spezialgesetzen.522 Darüber hinaus haben Aufsichtsräte von Gesellschaften, an denen der Staat beteiligt ist, über die Regelungen des HGG hinausgehende besondere Zuständigkeiten aufgrund von anderen Gesetzen, Rechtsverordnungen oder Grundsätzen der Eigentümeraufsicht. 523 Hierzu gehört etwa die Durchführung von Qualifikationsverfahren für Vorstandsmitglieder, die Zustimmung zu Schenkungen oder der Verzicht auf Forderungen der Gesellschaft sowie früher auch die Sicherstellung, dass der Vorstand seinen Berichtspflichten gegenüber dem Ministerium für Staatsvermögen („Ministerstwo Skarbu Pan´stwa“) rechtzeitig und ordnungsgemäß nachkam.524 517
So Opalski, Rada nadzorcza, S. 370. Näher hierzu Scholz, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 59 Rn. 48; Opalski, Rada nadzorcza, S. 504 ff. 519 Hierzu auch schon oben Kapitel 3, C.II.1.a)aa)(2)(d). 520 Zur vergleichbaren Entsprechenserklärung im polnischen Recht unten Kapitel 6, A.II. 521 Ausführlich hierzu Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 29 Rn. 61 ff. 522 Näher Michalski, Spółka akcyjna, S. 673. 523 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (234). 524 Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (234). Das Ministerium für Staatsvermögen wurde mittlerweile aufgelöst. 518
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Das polnische Aktienrecht sieht in der Generalklausel des § 384 HGG vor, dass die Satzung die Kompetenzen des Aufsichtsrats erweitern kann. Auch von den meisten Regelungen der Artt. 368 bis 429 HGG kann durch Satzung abgewichen werden, sodass den jeweiligen Organen verschiedene Kompetenzen zugewiesen werden können und sich dadurch abhängig vom Willen des Satzungsgebers die Entscheidungsmacht auf den Vorstand, Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung verlagern kann.525 Eine Einschränkung diesbezüglich bilden lediglich die zwingend geltenden Bestimmungen in Artt. 369 bis 429 HGG, die meist dem Schutz der Minderheitsaktionäre dienen.526 Dem Satzungsgeber wird damit ein sehr weitgehender Spielraum eingeräumt. So können vor allem der Hauptversammlung mehr Kompetenzen zugestanden, der Aufsichtsrat zum strategisch entscheidenden Organ der Gesellschaft befördert oder auch ein abgestuftes System für die Zustimmungsbedürftigkeit des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung eingeführt werden.527 Die meisten Satzungen von polnischen Aktiengesellschaften sehen in der Tat im Hinblick auf bedeutsame Geschäftsführungsmaßnahmen mehr Kompetenzen für die Hauptversammlung und den Aufsichtsrat als das gesetzlich vorgegebene Minimum vor.528 Eine entsprechende generelle Ermächtigung zur Ausweitung der Befugnisse des Aufsichtsrats findet sich im deutschen Aktienrecht nicht. Nach dem Grundsatz der Satzungsstrenge (vgl. § 23 Abs. 5 AktG) kann die Satzung zwar von den Vorschriften des Aktiengesetzes abweichen, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist, und Ergänzungen vornehmen, sofern nicht das Aktiengesetz eine abschließende Regelung enthält. Die gesetzlich definierte Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Organen stellt jedoch nach § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG zwingendes Recht dar und unterliegt daher nicht dem Spielraum des Satzungsgebers.529 b) Möglichkeiten der unternehmerischen Mitbeteiligung Auch wenn nach der Kompetenzverteilung des deutschen Aktiengesetzes in erster Linie der Vorstand für die Leitung der Gesellschaft und der Aufsichtsrat hauptsächlich für die Überwachung zuständig ist und das Aktienrecht gerade keine – dem monistischen System immanente – „gemeinsame Oberleitung“ der Gesellschaft kennt530, der Vorstand stets weisungsfrei handelt und das Initiativrecht für die Vornahme von Geschäftsführungsmaßnahmen behält, so ist es dem deutschen Aufsichtsrat – wie das Bundesverfassungsgericht betont hatte – auf525 Szuman ´ ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1745, näher ders., a. a. O., § 46 Rn. 2437 ff. 526 Szuman ´ ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1745. 527 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 528 Ebenda. 529 Sailer-Coceani, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 6 Rn. 10. 530 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 83.
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grund der gesetzlich eingeräumten Kompetenzen, insbesondere dem Recht zur Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder (vgl. §§ 84 f. AktG) sowie über die verschiedenen Zustimmungsvorbehalte (vgl. § 111 AktG) möglich, „in nicht unerheblichem Umfang auf die Unternehmensentscheidungen Einfluß zu nehmen“ 531. Auch die Beratungspflicht des Aufsichtsrats resultiert in einer Mitwirkung des Aufsichtsrats bei bedeutsamen unternehmerischen Entscheidungen.532 Die deutsche Literatur spricht daher im Hinblick auf die Kompetenzen des Aufsichtsrats zu Recht von „unternehmerischer Mitbeteiligung und Mitverantwortung“ 533, „unternehmerischer Verwaltungstätigkeit“ 534, „Mitverwaltungsrechten und -pflichten“ 535 sowie der „Teilhabe an der Leitungsaufgabe des Vorstands“ 536. Ferner wird der Aufsichtsrat als „mit-unternehmerisches Organ der Gesellschaft“ 537, „Mit-Leitungsorgan“ 538 oder sogar als ein „Führungsorgan“ 539 bezeichnet.540 Nach Hopt/Roth liegt die heute – im Vergleich zu früher – deutlich stärkere Einbindung des Aufsichtsrats in die Unternehmensleitung darin begründet, dass das Aktiengesetz einen großen Spielraum bei der Frage zulässt, was konkret die Überwachung der Geschäftsführung bedeutet, wie die Überwachungstätigkeit zu erfolgen hat und welche Aspekte dabei zu berücksichtigen sind.541 Insgesamt lässt sich im Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat in der Unternehmenswirklichkeit seit den 1990er Jahren ein stärkerer Einfluss des Aufsichtsrats feststellen.542 Auch nach dem polnischen Aktienrecht hat der Aufsichtsrat weitgehende Einflussmöglichkeiten, da er grundsätzlich auf Personalentscheidungen und die Unternehmensstrategie Einfluss nehmen kann.543 Zwar ist stets der Grundsatz zu 531 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 91. 532 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 50. 533 Mertens/Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 32. 534 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 46 ff., 85. 535 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85. 536 Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 111 AktG Rn. 13. 537 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 57 f. 538 Seibt, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 391 (397). 539 Albach, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance (1. Aufl. 2003), S. 361 (373). 540 Zu den dargestellten Begrifflichkeiten Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85; zu weiteren gebräuchlichen Bezeichnungen vgl. auch Mertens/ Cahn, in: KölnKommAktG, Bd. 2/2, § 111 AktG Rn. 31 m.w. N.; Seibt, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 391 (397) m.w. N. 541 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85. 542 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 85 („Machtverschiebung zugunsten des Aufsichtsrats“); näher zu den Gesetzesreformen in den 1990er Jahren Seibert, Aktienrechtsreform in Permanenz? AG 2002, S. 417 (419). 543 Opalski, Rada nadzorcza, S. 331.
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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beachten, dass dem Vorstand keine bindenden Weisungen vom Aufsichtsrat – ebenso wie von der Hauptversammlung – erteilt werden dürfen (vgl. Art. 3751 HGG) und der Vorstand allein das Initiativrecht für einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen behält. Vor allem die Personalkompetenz zur Bestellung und Abberufung des Vorstands ermöglicht dem Aufsichtsrat aber eine Einflussnahme auf die strategische Ausrichtung der Gesellschaft und die künftige Unternehmenspolitik.544 Aber auch dadurch, dass sich die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats auch auf die geplante zukünftige Geschäftsentwicklung erstreckt, hat er einen mittelbaren Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft und ist damit an der Unternehmensführung beteiligt.545 Ferner bietet die mögliche Festlegung von Zustimmungsvorbehalten ein Instrument zur Beteiligung des Aufsichtsrats an der Unternehmensführung.546 Allerdings hat der polnische Gesetzgeber dem Aufsichtsrat eine insgesamt deutlich schwächere Stellung gegenüber dem Vorstand und der Hauptversammlung eingeräumt, als dies in anderen Staaten mit einer dualistischen Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft – so auch in Deutschland – der Fall ist.547 Ein Vergleich der Ausgestaltung der Kompetenzen des Aufsichtsrats zeigt zum einen, dass der Vorstand einer polnischen Aktiengesellschaft insgesamt mehr Macht hat und weniger Kontrolle unterliegt als der Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft.548 Zum anderen sieht das polnische Aktienrecht im Vergleich zum deutschen Recht deutlich mehr Kompetenzen der Hauptversammlung vor, welche im deutschen Recht dem Aufsichtsrat zugewiesen sind. Die schwächere Stellung des polnischen Aufsichtsrats zeigt sich etwa insbesondere darin, dass die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats zu bestimmten Geschäftsführungsmaßnahmen im polnischen Recht lediglich fakultativ und ausschließlich dem Satzungsgeber vorbehalten ist, während in Deutschland der Aufsichtsrat selbst Zustimmungsvorbehalte vorab oder auch ad hoc festlegen darf. Weiter sieht das polnische Recht auch keine regelmäßigen Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat vor, sondern räumt dem Aufsichtsrat lediglich ein – wenn auch umfassendes – Auskunftsrecht ein, womit es auf die Initiative des Aufsichtsrats setzt. Darüber hinaus hat der polnische Gesetzgeber dem Satzungs544
Opalski, Rada nadzorcza, S. 391. Opalski, Rada nadzorcza, S. 341. 546 Vgl. Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 396 ff. 547 Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 548 So Kunert, in: Rudolf, Perspektywy rozwoju partycypacji pracowniczej, S. 421 (424); vgl. auch Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/ 2014, S. 1005 (legalis S. 2); Szuman´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 46 Rn. 2440. Allerdings ist hierbei einschränkend zu berücksichtigen, dass der Vorstand – anders als in Deutschland – jederzeit auch ohne wichtigen Grund vom Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung abberufen werden kann (vgl. Artt. 368 § 4, 370 § 1 HGG). 545
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
geber einen weiten Entscheidungsspielraum bei der Festlegung der Zuständigkeiten der einzelnen Organe eingeräumt. Dadurch kann die Stellung des Aufsichtsrats im Vergleich zum gesetzlichen Leitbild gestärkt, aber auch noch weiter geschwächt werden. So kann von den nach gesetzlichem Leitbild dem Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgaben durch Satzungsbestimmung abgewichen und diese Kompetenzen der Hauptversammlung oder auch lediglich einem einzelnen Aktionär zugewiesen werden. Diesbezüglich bemerkenswert ist vor allem, dass einem einzelnen Aktionär durch Satzungsbestimmung Sonderrechte gewährten werden können, die sich auch – wie etwa die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern – auf wesentliche Angelegenheiten der Gesellschaft beziehen können. Insgesamt führt die gesetzliche Ausgestaltung des polnischen Aktienrechts dazu, dass der polnische Aufsichtsrat eine deutlich schwächere Stellung im organisatorischen Gefüge der Aktiengesellschaft einnimmt als das deutsche Organ. In der polnischen Literatur werden die schwache Funktion und Effektivität des Aufsichtsrats bemängelt und vor dem Hintergrund der Bestrebungen nach guter Corporate Governance grundlegende Änderungen gefordert.549 c) Schutzfunktion zugunsten verschiedener Interessen und Interessengruppen? Der deutsche Aufsichtsrat ist dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 116 Satz 1 AktG). Hierunter wird gemeinhin das Unternehmensinteresse verstanden.550 Auch der polnische Aufsichtsrat hat im Unternehmensinteresse zu handeln.551 Der Begriff des Unternehmensinteresses ist indes nicht einfach zu definieren. Im deutschen Recht wird das Unternehmensinteresse üblicherweise dahingehend verstanden, dass es grundsätzlich mehr als nur das Interesse der Anteilseigner bedeutet, vielmehr umfasse es auch die Interessen der Arbeitnehmer, der Gläubiger sowie der Allgemeinheit.552 In Polen wird der Begriff des Unternehmensinteresses uneinheitlich definiert.553 Oft – und insoweit dem traditionellen Verständnis entsprechend554 – wird das Unternehmensinteresse weitestgehend mit dem Interesse der Aktionäre gleichgesetzt.555 549
Vgl. Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 7 f.); Opalski, Rada nadzorcza, S. 512 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 893 ff. 550 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 78 m.w. N. 551 Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 498. 552 Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 111 AktG Rn. 78. 553 Näher zur Definition des Unternehmensinteresses siehe unten Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 554 Vgl. Kappes/Matysiak, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan ´ stwa a Skarb Pan´stwa, S. 61 (64). 555 So Oberstes Gericht, Urteil vom 5. November 2009, Az.: I CSK 158/09, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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Daran anknüpfend lässt sich die Frage stellen, ob der Aufsichtsrat neben seinen gesetzlichen Aufgaben auch eine weitere Funktion dahingehend einnimmt, dass er als Forum verschiedener Interessengruppen – nicht nur der Aktionäre – fungiert. In der polnischen Literatur wird der deutsche Aufsichtsrat in der Tat als ein derartiges Forum zum Ausdruck der Interessen unterschiedlicher Interessengruppen und als Instrument zur Förderung der wechselseitigen Beziehung der Gesellschaft zu verschiedenen Wirtschaftspartnern wahrgenommen.556 Dies wird mitunter auf die Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zurückgeführt.557 Eine solche Funktion ließe sich dem polnischen Aufsichtsrat dagegen nicht oder nur in geringem Maße zuschreiben.558 Nur ausnahmsweise fungiere der Aufsichtsrat als ein Instrument zur Repräsentanz einzelner Interessengruppen und zur Förderung der wechselseitigen Beziehungen mit diesen Gruppen – so etwa aufgrund der Regelungen des KommerzG, die eine Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat vorsehen.559 Dennoch ist zu berücksichtigen, dass ausweislich der Gesetzesbegründung zum KommerzG auch in dem Fall, dass die Arbeitnehmer einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder wählen, der Aufsichtsrat die Aufsicht über die Geschäftsführung im Namen der Anteilseigner – nicht der Arbeitnehmer – ausüben soll.560 Abgesehen vom KommerzG kann von einer Schutzfunktion des Aufsichtsrats zugunsten einzelner Interessengruppen aufgrund entsprechender Regelungen zur Besetzung des Aufsichtsrats ferner bei Betreibergesellschaften regulierter Märkte sowie bei Arbeitnehmerrentenfonds gesprochen werden.561 Die Funktion des polnischen Aufsichtsrats besteht anders als im deutschen Recht vorrangig im Schutz der Gesamtheit der Aktionäre sowie der Minderheits2020; Opalski, Rada nadzorcza, S. 20, S. 152 ff.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 171 ff.; a. A. Michalski, Spółka akcyjna, S. 672, unter Verweis darauf, dass das Unternehmensinteresse und das Aktionärsinteresse nicht immer gleichlaufen müssen; abweichend auch Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 961, der die Interessen von Gläubigern und Arbeitnehmern als grundsätzlich gleichberechtigt neben den Interessen der Aktionäre ansehen und je nach konkretem Einzelfall bestimmten Interessengruppen den Vorrang einräumen möchte. Gleichzeitig betont der Autor, dass das Unternehmensinteresse in Bezug auf die Gesellschaft als einem eigenständigen Wirtschaftssubjekt selbst und nicht etwa einzelne ihrer Interessengruppen verstanden werden sollte. Zu der in der polnischen Literatur umstrittenen Frage, wie das Unternehmensinteresse zu definieren ist, vgl. auch Weber, in: Kidyba, Spółki z udziałem Skarbu Pan´stwa a Skarb Pan´stwa, S. 184 (185, 188 f.) m.w. N. 556 So etwa Opalski, Rada nadzorcza, S. 33. 557 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 33 f. 558 Opalski, Rada nadzorcza, S. XXI. 559 So Opalski, Rada nadzorcza, S. 22; ebenso Michalski, Spółka akcyjna, S. 672. 560 So die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 1397 vom 23. November 1995 (II. Kadenz), S. 10. Näher zu der Problematik, wem gegenüber die Arbeitnehmervertreter bei Ausübung ihrer Aufsichtsratstätigkeit verpflichtet sind, unten Kapitel 3, C.II.5.a)cc). 561 Näher Michalski, Spółka akcyjna, S. 672 f.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
aktionäre.562 Der Aufsichtsrat soll zum einen die Gesamtheit der Aktionäre vor Handlungen des Vorstands schützen, die ihnen als dem wirtschaftlichen Eigentümer der Gesellschaft Schaden zufügen könnten.563 Zum anderen soll der Aufsichtsrat die Minderheitsaktionäre vor dem Machtmissbrauch eines strategischen Aktionärs schützen.564 Dass der polnische Gesetzgeber letzterer Funktion eine besondere Bedeutung beigemessen hatte, lässt sich den Regelungen der Art. 385 § 3 HGG und Art. 390 § 2 HGG entnehmen, wonach Aktionärsminderheiten ein Recht auf Durchführung der Wahlen zum Aufsichtsrat in Gruppen zugestanden und ihren gewählten Vertretern ein individuelles Kontrollrecht und die Teilnahme an den Vorstandssitzungen zwecks Beratung des Vorstands eingeräumt wird.565 Teile der polnischen Literatur nennen zusätzlich zur Schutzfunktion des Aufsichtsrats zugunsten der Gesamtheit der Aktionäre den Schutz des Unternehmensinteresses als eigenständige Funktion des Aufsichtsrats, da sich die Interessen der Aktionäre und des Unternehmens nicht immer decken würden.566 Daneben wird dem polnischen Aufsichtsrat ferner eine Beratungsfunktion gegenüber dem Vorstand sowie eine Prestigefunktion beigemessen, da die Mitgliedschaft namhafter Persönlichkeiten im Aufsichtsrat einer Gesellschaft deren öffentliches Ansehen steigern könne.567 2. Zusammensetzung des mitbestimmten Aufsichtsrats Die Mitbestimmung knüpft sowohl in Deutschland als auch in Polen an bereits bestehende Organe der Kapitalgesellschaft an. Insbesondere wird dadurch die Zusammensetzung des Aufsichtsrats modifiziert. In Polen findet sich zudem die Besonderheit, dass die gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung oft durch Sozialvereinbarungen präzisiert wurden.568 a) Größe des Aufsichtsrats aa) Deutschland Deutsche Aufsichtsräte können zwischen drei und einundzwanzig Mitglieder zählen. Das deutsche Aktiengesetz geht von dem Grundsatz aus, dass der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern besteht (vgl. § 95 Satz 1 AktG). Die Satzung kann 562
Ausführlich Opalski, Rada nadzorcza, S. 20 f. Opalski, Rada nadzorcza, S. 20. 564 Ebenda. 565 Opalski, Rada nadzorcza, S. 20; näher zum Gruppenwahlrecht unten Kapitel 3, C.II.2.c)aa). 566 So Michalski, Spółka akcyjna, S. 672. 567 Opalski, Rada nadzorcza, S. 23 f.; ebenso Michalski, Spółka akcyjna, S. 673. 568 Ausführlich hierzu Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 76 ff.; zur Rechtsnatur von Sozialvereinbarungen siehe oben Kapitel 3, A.I.2.c). 563
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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jedoch eine bestimmte höhere Zahl festsetzen, die nach der Aktienrechtsreform 2016569 nur noch dann durch drei teilbar sein muss, „wenn dies zur Erfüllung mitbestimmungsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist“ (vgl. § 95 Sätze 2 und 3 AktG).570 Abhängig vom Grundkapital der Gesellschaft bestehen nach § 95 Satz 3 AktG Höchstgrenzen für die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder (neun Aufsichtsratsmitglieder bei einem Grundkapital bis zu 1.500.000 EUR, fünfzehn bei einem Grundkapital zwischen 1.500.000 EUR und 10.000.000 EUR und einundzwanzig bei einem Grundkapital von mehr als 10.000.000 EUR). Die Regelungen des § 95 Sätze 1 bis 3 AktG werden durch das MitbestG, des MontanMitbestG und das MitbestErgG modifiziert (vgl. § 95 Satz 4 AktG). Das Drittelbeteiligungsgesetz enthält dagegen keine Abweichungen bezüglich der Größe des Aufsichtsrats, allein die Teilbarkeit der Aufsichtsratssitze durch drei muss sichergestellt sein (vgl. § 4 Abs. 1 DrittelbG i.V. m. § 95 Satz 2 AktG). Ist das MitbestG auf ein Unternehmen anwendbar, so bestimmt sich die Größe des Aufsichtsrats nach der Zahl der in dem Unternehmen (und beherrschten Konzernunternehmen, vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG) regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern (vgl. § 7 Abs. 1 MitbestG). Das Gesetz unterscheidet zwischen Unternehmen mit in der Regel nicht mehr als 10.000, mehr als 10.000 und mehr als 20.000 Arbeitnehmern und sieht eine der steigenden Arbeitnehmerzahl entsprechende Abstufung von (genau) zwölf, sechzehn und zwanzig Aufsichtsratsmitgliedern vor (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 MitbestG). Spielraum für den Satzungsgeber besteht nur insoweit, als die für eine höhere Arbeitnehmerzahl vorgeschriebene Aufsichtsratsgröße für anwendbar erklärt werden kann, selbst wenn das Unternehmen diese Zahl tatsächlich nicht überschreitet (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AktG). In der Montanindustrie sind Aufsichtsräte mit elf, fünfzehn oder einundzwanzig Mitgliedern anzutreffen. Grundsätzlich setzt sich der Aufsichtsrat von unter das MontanMitbestG fallenden Unternehmen aus elf Mitgliedern zusammen (vgl. § 4 Abs. 1 MontanMitbestG). Allerdings kann durch Satzung eine Zahl von fünfzehn bzw. einundzwanzig Aufsichtsratsmitgliedern festgelegt werden, wenn das Nennkapital der Gesellschaft mehr als 10.000.000 EUR bzw. mehr als 25.000.000 EUR beträgt (vgl. § 9 MontanMitbestG). Ein nicht dem MontanMitbestG selbst unterfallendes herrschendes Unternehmen, für welches das MontanMitbestErgG einschlägig ist, zählt gemäß § 5 Abs. 1 MontanMitbestErgG grund569 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22. Dezember 2015, BGBl. I S. 2565. 570 Die Änderung beruht auf der Aktienrechtsreform zum 31. Dezember 2015, vorher musste die Mitgliedszahl stets durch drei teilbar sein. Die Regelung beruhte auf der bis 1994 für alle Aktiengesellschaften geltenden Drittelbeteiligung und sollte ihre Umsetzung sicherstellen, vgl. hierzu Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit, Aktiengesetz (1. Aufl. 2013), § 95 AktG Rn. 3; Koch, in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 95 AktG Rn. 3.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
sätzlich fünfzehn Mitglieder im Aufsichtsrat. Bei einem Gesellschaftskapital von mehr als 25.000.000 EUR kann die Satzung jedoch eine Vergrößerung des Aufsichtsrats auf einundzwanzig Mitglieder vorsehen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 MontanMitbestErgG). bb) Polen Gemäß Art. 385 § 1 HGG muss sich der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft aus mindestens drei Mitgliedern zusammensetzen, im Falle einer sog. Publikumsgesellschaft („spółka publiczna“)571 aus mindestens fünf Mitgliedern. Eine Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder sieht das Gesetz nicht vor. Im polnischen Recht ist jedoch nicht vorgesehen, dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder nur durch Satzung festgelegt werden kann. Ausweislich des Wortlauts von Art. 304 § 1 Pkt. 8 HGG „soll“ 572 die Satzung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder selbst festlegen oder jedenfalls eine Mindest- oder Höchstzahl sowie ein Subjekt bestimmten, welches über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats entscheiden darf. Die polnische Literatur betrachtet die Vorschrift entgegen dem eigentlichen Wortlaut zwar als obligatorisch, sodass die Satzung mindestens die dort genannten Spezifizierungen enthalten müsse.573 Gleichwohl kann sich die Satzung auf eine Mindest- und Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder beschränken und die nähere Festlegung einem anderen Subjekt übertragen. Dabei kann es sich nach teilweiser Ansicht etwa um eine einzelne Person (z. B. einen einzelnen Aktionär), Institution oder Gesellschaft (z. B. die Konzernobergesellschaft) handeln.574 Auch denkbar ist, dass das Recht an eine bestimmte Aktiengattung geknüpft wird.575 Im Falle des ersten Aufsichtsrats müssen jedoch sowohl die konkrete Zahl der Aufsichtsratsmitglieder als auch die jeweiligen Personen feststehen, da die Errichtung des ersten Aufsichtsrats eine notwendige Voraussetzung für die Registrierung der Gesellschaft ist (vgl. Art. 306 Pkt. 3 HGG).576 Die Namen der Aufsichtsratsmitglieder werden bei Anmeldung der Gesellschaft zum Registergericht mitgeteilt (vgl. Art. 318 Pkt. 8 HGG), ferner ist der Anmeldung auch das 571 Dabei handelt es sich um eine Gesellschaft i. S. d. Art. 4 Pkt. 20 des Gesetzes über das öffentliche Angebot und die Bedingungen für die Zulassung von Finanzinstrumenten in den regulierten Markt sowie über Publikumsgesellschaften, Dz. U. 2005 Nr. 184 Pos. 1539; zur Definition vgl. Szuman´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 42 Rn. 1645 ff. 572 Art. 304 § 1 HGG: „Statut spółki akcyjnej powinien okres´lac ´ : [. . .]“. 573 Einhellige Ansicht, vgl. Kidyba, Kodeks spółek handlowych, Art. 304 Pkt. 1; Napierała/Sójka, in: Koch/Napierała, Prawo spółek handlowych, S. 462 f.; Michalski, Spółka akcyjna, S. 677 ff.; Pabis, in: Jara, Kodeks spółek handlowych, Art. 304 Rn. 12; Szuman´ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1739. 574 Vgl. Napierała/Sójka, in: Koch/Napierała, Prawo spółek handlowych, S. 463; Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 640. 575 Spyra, in: Szuman ´ ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 640 m.w. N. 576 Vgl. auch Szuman ´ ski, in: Pyzioł/Szuman´ski/Weiss, Prawo spółek, § 43 Rn. 1714.
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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Dokument beizufügen, aus welchem sich die Errichtung und Zusammensetzung des Aufsichtsrats ergibt (vgl. Art. 320 § 1 Pkt. 5 HGG). Die Regelung des Art. 385 § 1 HGG wird vom KommerzG für kommerzialisierte Gesellschaften modifiziert bzw. verschärft. Zum einen legt das KommerzG fest, dass der erste Aufsichtsrat der kommerzialisierten Gesellschaft eine verbindliche Größe von fünf Mitgliedern hat (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG). Zum anderen schreibt es vor, dass für die folgenden Aufsichtsräte die Größe des Aufsichtsrats durch Satzung festgelegt werden muss (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG). Nicht möglich ist mithin lediglich die satzungsmäßige Bestimmung einer Mindest- und Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder. In der polnischen Literatur wird vertreten, dass sich aus Art. 12 Abs. 1 KommerzG aufgrund der dort vorgeschriebenen Beteiligung von Arbeitnehmern, Landwirten und Fischern zu zwei Fünfteln auch für die weiteren Aufsichtsräte die Vorgabe ergäbe, aus mindestens fünf Mitgliedern bestehen zu müssen.577 Dies gelte jedenfalls für Unternehmen, in denen auch Landwirte und Fischer ihre Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden könnten.578 Die Vorgabe des KommerzG, die Größe des Aufsichtsrats – abweichend von der Grundregel des HGG – durch Satzung festlegen zu müssen, gilt nach dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 KommerzG auch dann, wenn die Privatisierung der Gesellschaft eingeleitet wurde oder der Staat nur noch Minderheitsaktionär ist.579 Denn Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG stellt allein auf die Eigenschaft der Gesellschaft als einem kommerzialisierten Unternehmen ab, ohne eine bestimmte Beteiligung des Staates zu fordern. Entsprechend kann die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder in kommerzialisierten Gesellschaften auch nur durch eine Satzungsänderung geändert werden. Eine Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder legt das KommerzG nicht fest. Allein für Unternehmen von besonderer Bedeutung für die nationale Wirtschaft schrieb Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. bis zum 31. Dezember 2016 vor, dass der Aufsichtsrat maximal neun Mitglieder zählen durfte.580 Gemäß der subsidiär geltenden Regeln des HGG (vgl. Art. 5 Abs. 1 KommerzG) gilt mithin, dass – sofern nicht eine feste Zahl wie gemäß Art. 11 Abs. 1 KommerzG vorgegeben ist – die Größe des Aufsichtsrats keiner Höchstbeschränkung unterliegt (vgl. Art. 385 HGG).
577
So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. 579 Zur Streitfrage, ob Art. 14 KommerzG noch Anwendung findet, wenn der Staat alle seine Anteile veräußert hat, siehe oben Kapitel 3, B.II.1.c). 580 Auch für diese Gesellschaften verblieb es allerdings im Hinblick auf den ersten Aufsichtsrat bei der Regel des Art. 11 Abs. 1 KommerzG, der insoweit lex specialis zu Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. war, so Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75 f. Die Regelung des Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. wurde zum 1. Januar 2017 gestrichen, vgl. Art. 14 Pkt. 3 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 578
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
In der Praxis lässt sich beobachten, dass die Größe polnischer Aufsichtsräte überschaubar ist.581 So zeigte sich beispielsweise während einer empirischen Untersuchung von Majer582 zur Effektivität und Rolle der Eigentümeraufsicht des Staates, die über 60 Gesellschaften umfasste, dass die Größe der Aufsichtsräte in den meisten Gesellschaften bei 6 bis 7 Mitgliedern lag. b) Zahl der Arbeitnehmervertreter aa) Deutschland Die Zahl der Arbeitnehmervertreter in deutschen Aufsichtsräten unterscheidet sich je nach anwendbarem Mitbestimmungsgesetz. Die weitestgehende Form der Mitbestimmung in Deutschland besteht in der Montanindustrie. Die Aufsichtsräte von montanmitbestimmten Gesellschaften setzen sich zusammen aus der gleichen Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern sowie einem bzw. drei weiteren Mitgliedern (vgl. § 96 Abs. 1 AktG, § 4 MontanMitbestG, § 5 MontanMitbestErgG). Die Aufsichtsräte der dem MontanMitbestG unterfallenden Gesellschaften bestehen im Falle eines elfköpfigen Aufsichtsrats aus jeweils vier Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer und je einem weiteren Mitglied, sowie einem weiteren neutralen Mitglied (vgl. § 4 Abs. 1 MontanMitbestG). Bei einer Vergrößerung des Aufsichtsrats auf fünfzehn bzw. einundzwanzig Mitglieder steigt die Zahl der Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter auf sechs bzw. acht (vgl. §§ 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 MontanMitbestG). Die Aufsichtsräte der dem MontanMitbestErgG unterfallenden Konzernobergesellschaften bestehen aus je 7 bzw. 10 Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer, sowie einem neutralen Mitglied (vgl. § 5 MontanMitbestErgG). Bei der Montanmitbestimmung handelt es sich um eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern, wobei zusätzlich weitere neutrale Mitglieder vertreten sind. Im Anwendungsbereich des MontanMitbestErgG muss unter den Arbeitnehmervertretern eine bestimmte Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern vertreten sein (vgl. § 6 MontanMitbestErgG). In den dem MontanMitbestG unterliegenden Gesellschaften werden Gewerkschaftsvertreter üblicherweise aufgrund des Vorschlagsrechts der Gewerkschaften im Aufsichtsrat vertreten sein (vgl. §§ 6 Abs. 3, 9 MontanMitbestG). Die Aufsichtsräte von dem MitbestG unterfallenden Gesellschaften bestehen ebenfalls aus der gleichen Anzahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern, die jeweils sechs, acht oder zehn beträgt (vgl. § 7 Abs. 1 MitbestG). Auch das MitbestG enthält in § 7 Abs. 2 MitbestG eine verbindliche Vorgabe bezüglich 581 Opalski, Rada nadzorcza, S. 270; vgl. auch ders., in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 3, demzufolge polnische Aufsichtsräte eher zu klein als zu groß sind. 582 Majer, in: Rudolf, Nadzór włas ´cicielski, S. 67 (68 f.).
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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der Anzahl der Gewerkschaftsvertreter, die sich unter der in § 7 Abs. 1 MitbestG vorgegebenen Anzahl von Arbeitnehmervertretern befinden müssen. Allerdings sieht das MitbestG kein weiteres bzw. keine weiteren neutralen Mitglieder vor, sondern räumt in Pattsituationen dem Aufsichtsratsvorsitzenden – der nicht gegen den Willen der Anteilseigner gewählt werden kann (vgl. § 27 MitbestG) – ein doppeltes Stimmrecht ein (vgl. § 29 Abs. 2 MitbestG). Da hierdurch die Anteilseignervertreter einen Vorteil im Falle der Stimmgleichheit haben, wird die Mitbestimmung nach dem MitbestG teilweise auch nur als „quasi-paritätisch“ bezeichnet.583 Zwar war die Herstellung einer gleichberechtigten Teilhabe von Arbeitnehmern und Anteilseignern ein erklärtes Ziel des Gesetzgebers584, dieses Ziel ist jedoch aufgrund des leichten Übergewichts der Anteilseignerseite nicht erreicht worden585. Vielmehr liegt die im MitbestG vorgesehene Mitbestimmung „unterhalb der Parität“.586 Jedoch gerade deshalb scheint das Bundesverfassungsgericht das MitbestG als verfassungskonform angesehen zu haben, sodass eine volle Parität möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.587 In der Literatur wird darüber hinaus vorgebracht, die Parität sei abgesehen von dem doppelten Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden auch durch die Pflichtmitgliedschaft des leitenden Angestellten (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestG), der
583 Gietzen, Unternehmensmitbestimmung, S. 9; vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 90 („Wird „Parität“ mit der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung als ein Verhältnis zweier Partner aufgefaßt, in dem keine Seite imstande ist, eine von ihr gewünschte Entscheidung ohne die Zustimmung der anderen Seite oder doch eines Teils von ihr zu erzwingen, in dem daher auch jede Seite die andere hindern kann, ihre Ziele (allein) durchzusetzen, so bleibt die Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz unterhalb der Parität. Der Anteilseignerseite kommt ein leichtes Übergewicht zu.“); vgl. auch Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 7 MitbestG Rn. 3. 584 Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 29. April 1974, BT-Drucks. 7/ 2172, S. 16 f.; zu Ziel und Rechtfertigung der Mitbestimmung siehe oben Kapitel 3, A.II.1. 585 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 146. 586 BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 90. 587 Vgl. BVerfG, Urteil vom 1. März 1979, Az.: 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 (Mitbestimmungsurteil), NJW 1979, S. 699 = juris Rn. 177. In diese Richtung auch Lauschke, Mehr Demokratie in der Wirtschaft, S. 93 („Gleichzeitig wurden aber weiter gehenden Mitbestimmungsforderungen, die auf volle Parität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zielten, Grenzen gesetzt.“); ebenso der BDA/BDIMitbestimmungsbericht, S. 33, im Rahmen der vorgeschlagenen Vereinbarungslösung („Auf der anderen Seite darf schon aus verfassungsrechtlichen Gründen auch für Unternehmen mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern keine Regelung vereinbart werden, die eine Überzahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichts- oder Verwaltungsrat vorsehen würde.“); zurückhaltend aber Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 50.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
aufgrund seiner Stellung eher die Interessen der Unternehmensleitung vertrete, verzerrt.588 Im Fall des Drittelbeteiligungsgesetzes besteht der mitbestimmte Aufsichtsrat nur zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern (vgl. § 4 Abs. 1 DrittelbG). Die Anzahl der Arbeitnehmervertreter kann aufgrund der im Rahmen des § 95 AktG möglichen Größe des Aufsichtsrats von bis zu einundzwanzig Mitgliedern zwischen einem und sieben Vertretern schwanken. Dass die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und damit auch ihr Einfluss mit der an der Anzahl der Beschäftigten gemessenen Unternehmensgröße zunimmt, stellt ein Charakteristikum des deutschen Mitbestimmungssystems dar.589 Die Abstufung der unterschiedlichen Mitbestimmungsregelungen sah die Biedenkopf-Kommission als eine Konsequenz der Tatsache, dass „die innere Organisation der Unternehmen mit wachsender Belegschaft funktionell und damit auch institutionell aufgefächert wird und daher auch nach einer entsprechend weiterentwickelten Form der Mitbestimmung verlangt“.590 Die Vorgaben der Mitbestimmungsgesetze zur Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind zwingend und können auch nicht durch Satzung geändert – d.h. auch nicht erhöht – werden.591 Allein aufgrund der durch die Mitbestimmungsgesetze selbst ausdrücklich eingeräumten Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Vergrößerung des gesamten Aufsichtsrats steigt auch die Zahl der Arbeitnehmervertreter (vgl. §§ 7 Abs. 1 Satz 2 MitbestG, § 9 MontanMitbestG).592 Eine in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht relevante Besonderheit besteht für den ersten Aufsichtsrat – dieser ist gemäß § 30 Abs. 2 AktG regelmäßig mitbestimmungsfrei.593 bb) Polen (1) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 Im Hinblick auf die Zahl der in den Aufsichtsrat zu wählenden Arbeitnehmervertreter differenziert das KommerzG im Grunde nach dem Entwicklungsstadium der Gesellschaft und dem Fortschritt der Privatisierung. Das Gesetz enthält unterschiedliche Vorgaben für den ersten Aufsichtsrat nach Kommerzialisierung eines Unternehmens, den Aufsichtsrat einer kommerzialisierten, aber noch nicht privatisierten Gesellschaft sowie den Aufsichtsrat einer Gesellschaft, die bereits teil588
So Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie, S. 11. Wißmann, in: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, Vorbem. Rn. 49. 590 Biedenkopf-Bericht, BT-Drucks. VI/334, S. 115. 591 Näher hierzu Hopt/Roth, in: GroßKommAktG, Bd. 5, § 96 AktG Rn. 20 ff., 50 ff. m.w. N. sowie oben Kapitel 3, A.I.1.b). 592 Hierzu auch oben Kapitel 3, C.II.2.a)aa). 593 Näher hierzu Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 6 MitbestG Rn. 7 ff. 589
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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weise privatisiert wurde. Besonderheiten sieht das KommerzG für kommerzialisierte Gesellschaften, die aus der Umwandlung eines landwirtschaftlichen Unternehmens entstanden sind, vor. Dort wird auf Kosten der den Arbeitnehmern zustehenden Aufsichtsratssitze eine Beteiligung von Vertretern der Landwirte bzw. Fischer im Aufsichtsrat vorgesehen.594 (a) Erster Aufsichtsrat Der erste Aufsichtsrat einer kommerzialisierten Gesellschaft, dessen Größe das KommerzG auf fünf Mitglieder festlegt, muss mit zwei Arbeitnehmervertretern besetzt sein (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 KommerzG). Für kommerzialisierte Unternehmen der Landwirtschaft gilt hiervon abweichend, dass jeweils die Arbeitnehmer des Unternehmens einen Vertreter und die Landwirte bzw. Fischer einen Vertreter im Aufsichtsrat haben (vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 3 KommerzG). Die Vornamen und Namen aller Organmitglieder der ersten Amtsperiode – mithin auch der Aufsichtsratsmitglieder – werden bereits im Kommerzialisierungsakt festgelegt (vgl. Art. 9 Abs. 2 Pkt. 3 KommerzG). Die Regelung des Art. 11 Abs. 1 KommerzG mag die Frage aufwerfen, ob eine Erweiterung der Beteiligung der Arbeitnehmer über die gesetzlich vorgegebenen zwei Vertreter hinaus zulässig wäre, denn zum einen legt die Norm eine feste Zahl von Arbeitnehmervertretern fest (anders als Art. 12 KommerzG), zum anderen enthält sie keine Öffnungsklausel für Satzungsbestimmungen (anders als Art. 14 KommerzG). In der Praxis dürfte diese Frage indes im Fall des ersten Aufsichtsrats der umgewandelten Gesellschaft kaum relevant werden. (b) Alleinaktionärsstellung des Staates Solange der Staat Alleinaktionär der Gesellschaft ist, die Gesellschaft also zwar kommerzialisiert – d.h. umgewandelt –, aber noch nicht privatisiert wurde595, schreibt Art. 12 Abs. 1 KommerzG eine Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu zwei Fünfteln vor. In Unternehmen der Landwirt594 Zum Hintergrund dieser Privilegierung der Landwirte und Fischer enthält die Gesetzesentwurfsbegründung zum KommerzG keine Aussage. Im PrivG 1990 war eine derartige Regelung nicht vorgesehen. Hintergrund dieser Regelung scheint jedoch gewesen zu sein, dass den Fischern und Landwirten eine Beteiligung im Aufsichtsrat aufgrund ihrer Stellung als wichtige Zulieferer und Gläubiger der Gesellschaften zustehen sollte, vgl. Kosikowski, in: Kosikowski/S´niegucki, Komercjalizacja i prywatyzacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, Art. 11 Rn. 3; Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Grundsätze der Ausübung bestimmter Rechte des Staates vom 10. November 2010, Sejm-Drucks. Nr. 3580 (VI. Kadenz), S. 15, abrufbar unter http://orka. sejm.gov.pl/Druki6ka.nsf, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020 („Podobnie rada nadzorcza nie jest odpowiednim forum do gwarantowania praw rolników i rybaków dostarczaja˛cych do przedsie˛biorstwa spółki powstałej w drodze komercjalizacji surowce i be˛da˛cych z tego tytułu wierzycielami spółki.“). 595 Zu den Begrifflichkeiten siehe oben Kapitel 3, B.II.1.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
schaft hat der Aufsichtsrat zu je einem Fünftel aus Vertretern der Arbeitnehmer und der Landwirte bzw. Fischer zu bestehen. Da Art. 11 Abs. 1 S. 2 KommerzG eine Sonderregelung für den ersten Aufsichtsrat trifft, betrifft Art. 12 KommerzG lediglich die weiteren Aufsichtsräte einer kommerzialisierten, aber noch nicht privatisierten Gesellschaft. Im Unterschied zum ersten Aufsichtsrat kann die Größe des Aufsichtsrats in diesem Entwicklungsstadium der Gesellschaft durch Satzung auch abweichend von Art. 11 KommerzG mehr – aber nach Ansichten in der polnischen Literatur wohl nicht weniger596 – als fünf Mitglieder betragen. Gestützt wird diese Auffassung scheinbar auf den Umstand, dass eine Aufsichtsratsgröße von drei oder vier Mitgliedern zu einer paritätischen bzw. sogar überparitätischen Besetzung mit Arbeitnehmervertretern führen würde.597 Da das KommerzG jedoch nicht verlangt, dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder stets durch fünf teilbar sein muss, stellt sich auch bei Aufsichtsräten mit mehr als fünf Mitgliedern die Frage, wie viele Arbeitnehmervertreter (bzw. Vertreter von Arbeitnehmern und Landwirten bzw. Fischern) – etwa bei einem sieben- oder neunköpfigen Aufsichtsrat – zu wählen sind. Es ist davon auszugehen, dass die Formulierung in Art. 12 Abs. 1 KommerzG („zu zwei Fünfteln“ 598) eine Mindestregelung darstellt599, sodass bereits bei einem Aufsichtsrat mit sechs oder sieben Mitgliedern aufgrund der erforderlichen Aufrundung die Arbeitnehmer drei Vertreter, bei einem Aufsichtsrat mit acht oder neun Mitgliedern dagegen bereits vier Vertreter wählen dürfen. So wäre auch hier eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern theoretisch denkbar. Die polnische Literatur scheint sich mit dieser Frage jedoch nicht näher auseinandergesetzt zu haben. Mutmaßlich liegt dies daran, dass in der Praxis der Aufsichtsrat von kommerzialisierten Gesellschaften mit Alleinaktionärsstellung des Staates regelmäßig aus fünf Mitgliedern besteht.600 (c) Mehrheits- oder Minderheitsbeteiligung des Staates Eine wiederum anderweitige Vorgabe zur Arbeitnehmerbeteiligung enthält Art. 14 KommerzG für den Fall, dass der Staat nicht mehr Alleinaktionär der kommerzialisierten Gesellschaft ist. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 14 KommerzG soll jedoch sein, dass Anteile an dem kommerzialisierten Unternehmen von anderen nicht staatlichen Wirtschaftsakteuren erworben wur596
So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. Hierauf scheint Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75, seine Auffassung zu stützen. 598 Art. 12 Abs. 1 KommerzG: „[. . .] dwie pia˛te składu rady nadzorczej stanowia˛ [. . .] osoby wybrane przez pracowników“. 599 So Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). 600 Vgl. Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). 597
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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den.601 Richtigerweise gelten die Vorgaben des Art. 14 KommerzG nur solange, solange der Staat überhaupt noch – wenigstens mit einem Anteil – an der Gesellschaft beteiligt ist.602 Art. 14 KommerzG sieht in diesem Entwicklungsstadium der Gesellschaft eine der Größe des Aufsichtsrats nach gestaffelte Beteiligung von Arbeitnehmern (bzw. Arbeitnehmern und Landwirten oder Fischern) vor: (i) In Aufsichtsräten mit bis zu sechs Mitgliedern haben die Arbeitnehmer das Recht, zwei Mitglieder des Aufsichtsrats zu wählen (vgl. Art. 14 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG). Handelt es sich um ein ehemaliges Staatsunternehmen der Landwirtschaft, so wählen jeweils die Arbeitnehmer und die Landwirte bzw. Fischer einen Vertreter (vgl. Art. 14 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG). Obwohl Art. 385 § 1 HGG, der gemäß Art. 5 Abs. 1 KommerzG subsidiär anwendbar ist, eine Mindestgröße von drei Mitgliedern fordert, geht die polnische Literatur davon aus, dass nicht nur der erste Aufsichtsrat, sondern auch die folgenden Aufsichtsräte mindestens fünf Mitglieder zählen müssen.603 Würde eine Mindestgröße von nur drei Mitgliedern für die folgenden Aufsichtsräte gelten, so wäre aufgrund der Vorschrift des Art. 14 Abs. 1 Pkt. 1 KommerzG bei vier Aufsichtsratsmitgliedern eine paritätische und bei nur drei Aufsichtsratsmitgliedern sogar eine überparitätische Besetzung mit Arbeitnehmervertretern vorgeschrieben.604 Dies ist nach wohl allgemeiner Ansicht in der polnischen Literatur jedoch nicht vorgesehen.605 (ii) Hat der Aufsichtsrat zwischen sieben und zehn Mitgliedern, so steht den Arbeitnehmern das Recht auf die Wahl von drei Aufsichtsratsmitgliedern zu (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 2 KommerzG), wobei in kommerzialisierten Unternehmen der Landwirtschaft die Arbeitnehmer zwei und die Landwirte bzw. Fischer einen Vertreter wählen (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 2 KommerzG). (iii) Bei einer Größe des Aufsichtsrats von elf oder mehr Mitgliedern haben die Arbeitnehmer das Recht, vier Mitglieder des Aufsichtsrats zu wählen (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG). In kommerzialisierten Unternehmen der Landwirtschaft stehen den Arbeitnehmern und den Landwirten bzw. Fischern jeweils zwei Aufsichtsratssitze zu (Art. 14 Abs. 1 Pkt. 3 KommerzG). 601 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 83. Gleichermaßen ging auch das KommerzG a. F. selbst in Art. 1 Abs. 2 KommerzG a. F. (aufgehoben zum 1. Januar 2017) davon aus, dass die Privatisierung im Wege der Kapitalerhöhung auf dem Erwerb der im Alleineigentum des Staates stehenden Anteile durch andere Subjekte als den Staat oder staatliche Rechtspersönlichkeiten beruhte. 602 Str., zu dieser Problematik siehe oben Kapitel 3, B.II.1.c). 603 So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. 604 In diese Richtung argumentierend Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75. 605 Vgl. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 75 sowie Wratny, Charakterystyka i ocena wybranych rozwia˛zan´ w projekcie zbiorowego kodeksu pracy, Polityka Społeczna 3/2009, S. 1 (6) in Fn. 14, der von einer Arbeitnehmerbeteiligung zwischen 30 % und 43 %, nicht jedoch einer paritätischen oder gar überparitätischen Besetzung ausgeht.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Die proportionale Arbeitnehmerbeteiligung – blendet man für diese Betrachtung die Sonderregeln für Unternehmen der Landwirtschaft aus – beträgt somit abhängig von der satzungsmäßigen Größe des Aufsichtsrats in privatisierten Gesellschaften zwischen 30 % und 43 %, sofern der Aufsichtsrat nicht mehr als dreizehn Mitglieder zählt. Da allerdings eine Begrenzung der Größe des Aufsichtsrats nach oben hin nicht vorgesehen ist, ist es denkbar, durch Vergrößerung des Aufsichtsrats die proportionale Arbeitnehmerbeteiligung zu verringern.606 Dies war allenfalls in Unternehmen von besonderer Bedeutung für die nationale Wirtschaft nicht möglich, da dort gemäß Art. 1a Abs. 3a KommerzG a. F. der Aufsichtsrat maximal neun Mitglieder zählen durfte. Die Vorgaben des Art. 14 KommerzG zur Arbeitnehmerbeteiligung sind als gesetzliches Minimum für die Arbeitnehmerbeteiligung zu verstehen, welches durch die Satzung erweitert werden kann.607 (2) Spezialgesetze Vom KommerzG abweichende Sonderregeln im Hinblick auf die Zahl der in die Aufsichtsräte von kommerzialisierten Gesellschaften zu wählenden Arbeitnehmervertreter finden sich teilweise in Spezialgesetzen, die die Kommerzialisierung bestimmter Großunternehmen besonders regelten. Dies betrifft insbesondere die Gesetze über die Polnische Staatsbahn („PKP“) und die Polnische Post („Poczta Polska“), die bis heute gelten. Für den Aufsichtsrat der kommerzialisierten Polnischen Staatsbahn sieht Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 2 des Gesetzes über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“)608 (nachfolgend: „KommerzG-PKP“) vor, dass der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen muss. Obwohl die Vorschrift in dieser Hinsicht vom Wortlaut und von der Systematik her ungenau ist, dürfte davon auszugehen sein, dass sie sich nicht nur auf den ersten Aufsichtsrat, sondern auch auf die folgenden Aufsichtsräte bezieht. Für den ersten Aufsichtsrat galt allerdings die Besonderheit, dass die Vor- und Nachnamen der Aufsichtsratsmitglieder im Kommerzialisierungsakt aufzunehmen waren und dass eine nicht erfolgte Wahl die Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister sowie die Beschlussfähigkeit des 606
Opalski, Rada nadzorcza, S. 101 f. So Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 2; Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84; Postula, Cechy charakterystyczne, Zarza˛dzanie i Finanse 2/2013 Teil 6, S. 230 (231). Zur Zulässigkeit privatautonomer Vereinbarungen über die Arbeitnehmerbeteiligung siehe oben Kapitel 3, A.I.2. 608 Gesetz über die Kommerzialisierung und Restrukturierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“) vom 8. September 2000, Dz. U. 2000 Nr. 84 Pos. 948; bis zum 31. Dezember 2016 lautete der Gesetzestitel „Gesetz über die Kommerzialisierung, Restrukturierung und Privatisierung des Staatsunternehmens „Polnische Staatsbahnen“ („PKP“)“; zur Kommerzialisierung der Polnischen Staatsbahn vgl. Bandarzewski, Komercjalizacja przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 150 ff. 607
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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Aufsichtsrats nicht verhinderte (vgl. Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 1, Abs. 3 KommerzG-PKP). Dass das Gesetz auch für die folgenden Aufsichtsräte eine Drittelbeteiligung vorschreibt, lässt sich einerseits auf den Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 2 KommerzG-PKP stützen, der diese Vorgabe – anders als noch in Hs. 1 sowie Abs. 3 der Vorschrift – nicht ausdrücklich auf den ersten Aufsichtsrat beschränkt. Zum anderen sollten nach Art. 2 Abs. 6 KommerzG-PKP urspr. Fassung auch nicht etwa die Vorschriften des KommerzG über die Arbeitnehmerbeteiligung subsidiär gelten, da ausschließlich nur auf die subsidiäre Geltung von Kapitel 4 des KommerzG (Artt. 31a bis 35 KommerzG a. F.609) verwiesen wurde (weswegen sich konsequenterweise die aktuelle Fassung von Art. 2 Abs. 6 KommerzG-PKP ebenfalls nur auf die Veräußerung von Aktien bezieht und diesbezüglich auf die Vorschriften des StaatsVermVerwG verweist). Ferner bräuchte es in dem Fall, dass sich die Vorgabe zur Arbeitnehmerbeteiligung lediglich auf den ersten Aufsichtsrat beziehen sollte, auch nicht der Rückausnahme in Art. 4 Abs. 1 Pkt. 3 Hs. 2 KommerzG-PKP i.V. m. Art. 4 Abs. 3 KommerzG-PKP, wonach im Fall des ersten Aufsichtsrats die nicht erfolgte Bestellung von Arbeitnehmervertretern kein Eintragungshindernis darstellt. Die Arbeitnehmerbeteiligung in Konzerngesellschaften der PKP S. A. sollte indes in den jeweiligen Satzungen und Gesellschaftsverträgen festgelegt werden (vgl. Art. 4 Abs. 4 KommerzGPKP). Das Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ 610 (nachfolgend: „KommerzG-Post“) schreibt dagegen in der derzeit gültigen Fassung nach dem Änderungsgesetz vom 23. Januar 2020611 vor, dass der Aufsichtsrat aus fünf bis neun Mitgliedern, darunter zwei Arbeitnehmervertretern, bestehen muss (vgl. Art. 10 Abs. 2 KommerzG-Post). Dies gilt jedenfalls zweifellos, solange der Staat Alleinaktionär der Poczta Polska S. A. ist. Ab Veräußerung von Anteilen des Staates dürfte indes aufgrund der in Art. 2 Abs. 3 KommerzG-Post sowie in Art. 6 KommerzG-Post erklärten Geltung der Artt. 5 bis 8 KommerzG, Art. 12 Abs. 5 und 6 KommerzG sowie Artt. 14, 15 und 16 KommerzG im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat die in Art. 14 KommerzG getroffene Staffelungsregelung gelten. Zwar erscheint das Verhältnis von Art. 10 Abs. 2 KommerzG-Post zu Art. 14 KommerzG angesichts des Wortlauts von Art. 10 Abs. 2 KommerzG-Post, der sich nicht ausdrücklich nur auf die Alleinaktionärsstellung des Staates bezieht, nicht ganz eindeutig, allerdings dürfte sich dies zum einen aus den Verweisen auf Art. 5 Abs. 1 KommerzG (vgl. Art. 6 KommerzG-Post) und Art. 14 KommerzG (vgl. Art. 2 Abs. 3 KommerzG-Post) ergeben, zum anderen dürfte Art. 10 609 Aufgehoben zum 1. Januar 2017 durch Art. 14 Pkt. 21 lit. b i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 610 Gesetz über die Kommerzialisierung des Staatsunternehmens der öffentlichen Daseinsvorsorge „Polnische Post“ vom 5. September 2008, Dz. U. 2008 Nr. 180 Pos. 1109. 611 Art. 56 des Änderungsgesetzes vom 23. Januar 2020, Dz. U. 2020 Pos. 284.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Abs. 2 KommerzG-Post im systematischen Kontext mit Art. 10 Abs. 1 KommerzG-Post zu lesen sein und daher ebenfalls nur das Stadium der Alleinaktionärsstellung des Staates betreffen. Abweichungen zum KommerzG im Hinblick auf die Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat finden sich auch im Gesetz über das Polnische Schiffsregister612 (nachfolgend: „SchiffsRegG“). Der erste Aufsichtsrat setzte sich gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 3 SchiffsRegG urspr. Fassung aus sechs Mitgliedern, davon zwei Arbeitnehmervertretern, zusammen. Für die folgenden Aufsichtsräte bestimmte Art. 18 Abs. 1 Satz 1 SchiffsRegG urspr. Fassung lediglich, dass der Aufsichtsrat sieben Mitglieder haben musste. Die Zahl der darin vertretenen Arbeitnehmervertreter bestimmte sich allerdings nach den einschlägigen Vorschriften des gemäß Art. 4 SchiffsRegG urspr. Fassung subsidiär anwendbaren KommerzG. Nunmehr gilt gemäß Art. 18 Abs. 1 SchiffsRegG n. F., dass der Aufsichtsrat aus sieben Mitgliedern, darunter zwei Arbeitnehmervertretern, bestehen muss. (3) Erfahrungen aus der Praxis Empirische Untersuchungen zeigten, dass die gesetzlich vorgegebene Anzahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat zwar oft – jedoch nicht immer – erfüllt wurde.613 Teilweise wurden die gesetzlichen Vorgaben jedoch auch übererfüllt und es waren mehr Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vertreten als gesetzlich vorgeschrieben.614 c) Wahlverfahren Sowohl das deutsche als auch das polnische Aktienrecht sehen grundsätzlich vor, dass die Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung gewählt werden (vgl. § 101 Abs. 1 AktG, Art. 385 § 1 HGG). Aus den einschlägigen Mitbestimmungsgesetzen ergeben sich jedoch Abweichungen bzw. Besonderheiten im Hinblick auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter, in Polen darüber hinaus auch für die Wahl der Anteilseignervertreter. aa) Wahl der Anteilseignervertreter Die Wahl der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat einer mitbestimmten Gesellschaft bestimmt sich in Deutschland nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen (vgl. § 5 MontanMitbestG, § 5 Abs. 2 MontanMitbestErgG, § 8 MitbestG). Das polnische Recht modifiziert die allgemeinen gesellschafts612 Gesetz über das Polnische Schiffsregister vom 26. Oktober 2000, Dz. U. 2000 Nr. 103 Pos. 1098. 613 Vgl. die empirischen Untersuchungen des IPiSS aus dem Jahr 2001, dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 60. 614 Vgl. Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 60.
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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rechtlichen Wahlvorschriften geringfügig dagegen auch für die Wahl der Anteilseignervertreter. Die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft werden sowohl im deutschen als auch polnischen Recht grundsätzlich von der Hauptversammlung gewählt (vgl. § 101 Abs. 1 AktG, Art. 385 § 1 HGG). Während das deutsche Aktienrecht Ausnahmen hiervon nur für den Fall individuell eingeräumter Entsendungsrechte (vgl. § 101 Abs. 2 AktG) sowie der sich aus Mitbestimmungsvorschriften ergebenden Vorgaben erlaubt, sieht Art. 385 § 2 HGG eine allgemeine Öffnungsklausel für die Satzung vor, die auch ein anderes Verfahren zur Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder bestimmen kann. Dadurch kann dieses Recht etwa einem einzelnen Aktionär (vgl. Art. 354 § 1 HGG) oder auch außerhalb der Gesellschaft stehenden Personen oder Institutionen sowie bestimmten Interessengruppen übertragen werden.615 Hiervon weicht das KommerzG allerdings insofern ab, als in kommerzialisierten Gesellschaften, in denen der Staat noch Alleinaktionär ist, aufgrund des Art. 12 Abs. 1 KommerzG die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ausschließlich der Hauptversammlung zusteht, sodass eine abweichende Satzungsbestimmung in diesem Fall – abweichend von Art. 385 § 2 HGG – unwirksam wäre.616 Faktisch besteht in diesem Fall die Hauptversammlung allein aus dem hierfür zuständigen Vertreter des Staates.617 Hat der Staat bereits Anteile an der Gesellschaft veräußert, so kann gemäß Art. 14 KommerzG ein abweichendes Verfahren für die Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder – wie auch in Art. 385 § 2 HGG vorgesehen – durch Satzung geregelt werden. Als Besonderheit des polnischen Aktienrechts ist die durch Art. 385 §§ 3 bis 9 HGG eingeräumte Möglichkeit einer Wahl in Gruppen anzusehen, die dem Minderheitenschutz dient.618 Danach können Aktionärsgruppen, die zusammen mindestens 1/5 des Grundkapitals vertreten, eine Wahl durch Gruppen fordern. Diese Möglichkeit kann auch nicht durch Satzung ausgeschlossen werden (vgl. Art. 385 § 3 Satz 2 HGG).619 Eine Gruppe können gemäß Art. 385 § 5 HGG diejenigen Aktionäre bilden, die so viele Aktien halten, wie sich aus der Division der Gesamtzahl der Aktien durch die Zahl der Aufsichtsratssitze ergibt; dies ent-
615 Beispielsweise Finanzinstituten, vgl. Opalski, in: ders., Kodeks spółek handlowych, Bd. III A, Art. 385 Rn. 15; vgl. hierzu Michalski, Spółka akcyjna, S. 673 f.; Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 421 f.; Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 616 Vgl. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 617 Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 77. 618 Vgl. Doman ´ ski/Jagielska, Rada nadzorcza spółki akcyjnej, S. 48 m.w. N.; Opalski/Oplustil, Zarza˛dzanie i nadzór w spółkach akcyjnych, MoP 7/2014, S. 1005 (legalis S. 2). 619 Kritisch hierzu Oplustil, Instrumenty nadzoru korporacyjnego, S. 911, der eine Opt-out-Lösung hierzu vorschlägt.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
spricht bei einem fünf-köpfigen Aufsichtsrat einem Fünftel aller Aktien, im Fall eines drei-köpfigen Gremiums einem Drittel, usw. Jede Gruppe kann ihren eigenen Vertreter in den Aufsichtsrat wählen, ist dann aber von der Wahl der übrigen Aufsichtsratsmitglieder ausgeschlossen (vgl. Art. 385 § 5 HGG). In der polnischen Literatur wird allerdings auf das Problem hingewiesen, dass im Fall eines drei oder vier Mitglieder zählenden Aufsichtsrats der aufgrund der gesetzlichen Bestimmung erforderliche Mindestanteil von 33,3 % bzw. 25 % der Gesamtzahl der Aktien eine hohe Schwelle für die Entsendung eines eigenen Vertreters in den Aufsichtsrat darstellt, weswegen in manchen Fällen bewusst zwecks Umgehung der Minderheitenrechte eine Verkleinerung des Aufsichtsrats erfolgt war.620 Sofern von den Arbeitnehmern Aufsichtsratsmitglieder nach Maßgabe des KommerzG gewählt wurden, kann sich das Gruppenwahlrecht gemäß Art. 385 §§ 4, 8 HGG nur auf die übrigen Aufsichtsratssitze beziehen, denn die vom KommerzG vorgesehene Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer stellt ein gesondertes Verfahren für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder im Sinne dieser Regelungen dar.621 Unabhängig von ihren Wahlrechten nach den Artt. 11 ff. KommerzG können aber auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft von dem Gruppenwahlrecht in ihrer Eigenschaft als Aktionäre Gebrauch machen.622 Begünstigt wurde bzw. wird die Möglichkeit durch die im KommerzG enthaltenen Regelungen zum unentgeltlichen Erwerb von Aktien an der Gesellschaft, sowohl im Rahmen der mittelbaren als auch unmittelbaren Privatisierung.623 Insbesondere im Rahmen der sog. Arbeitnehmergesellschaften hielten die Arbeitnehmer des ehemaligen Staatsunternehmens den gesamten oder jedenfalls einen wesentlichen Teil der Anteile der Gesellschaft.624 So gewählte Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind jedoch streng genommen Vertreter der Anteilseigner, nicht der Belegschaft.625 Gleichwohl zeigte sich in der Praxis, dass die Arbeitnehmer-Aktionäre nur selten von 620
Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 1. So nun ausdrücklich das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 14. Juni 2018, Az.: V CSK 172/18, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo/ (dort S. 11 f.) bezogen auf Art. 14 KommerzG, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; anders noch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, demzufolge die Wahl nach Maßgabe der Artt. 12, 14 KommerzG keine derartiges gesondertes Wahlverfahren i. S. d. Art. 385 § 4 HGG darstellte. 622 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 68 f.; Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (181 f.). 623 Vgl. Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (182). 624 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 51. Dieser Begriff ist jedoch gesetzlich weder definiert noch wird er im KommerzG erwähnt, es handelt sich um ein dogmatisches Konstrukt; auch wird der Begriff nicht einheitlich verwendet wird – vgl. Gładoch, Uczestnictwo pracowników w zarza˛dzaniu, S. 242 m.w. N. Zu den sog. Arbeitnehmergesellschaften siehe unten Kapitel 3, D.I. 625 So schon Rudolf, in: ders., Nadzór włas ´cicielski, S. 175 (182). 621
C. Mitbestimmung in der Aktiengesellschaft
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der Gruppenwahl Gebrauch gemacht haben – nicht weil sie die Aktien nicht erworben hätten, sondern weil sie diese sehr bald nach dem Erwerb weiterverkauften.626 Eine Sonderregel für die Wahl der Anteilseignervertreter ergab sich aus Art. 1a Abs. 4 KommerzG a. F.627 für Unternehmen von besonderer Bedeutung für die Wirtschaft. Die Anteilseignervertreter wurden zwar auch von der Hauptversammlung gewählt, allerdings war vorher die Meinung des je nach Geschäftsbetrieb des Unternehmens zuständigen Ministers einzuholen. Die Rechte der Arbeitnehmer zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern wurden hierdurch gemäß Art. 1a Abs. 6 KommerzG a. F. jedoch nicht berührt. Einschränkungen ergaben sich ferner auch aus Artt. 13, 15a KommerzG a. F.628 Nach der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 ergeben sich Besonderheiten im Rahmen der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund der Artt. 19 ff. StaatsVermVerwG. bb) Wahl der Arbeitnehmervertreter Die Wahl der Arbeitnehmervertreter in deutsche Aufsichtsräte divergiert je nachdem, welches Mitbestimmungsgesetz einschlägig ist. In Polen gelten unterschiedliche Wahlverfahren je nachdem, in welchem Entwicklungsstadium sich das kommerzialisierte Unternehmen befindet bzw. wie weit der Privatisierungsprozess vorangeschritten ist. (1) Deutschland Das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter im mitbestimmten Aufsichtsrat ist in den deutschen Mitbestimmungsgesetzen detailliert und komplex geregelt. Ergänzt werden diese gesetzlichen Vorgaben durch die dazugehörigen Wahlordnungen. Angesichts der außerordentlich detailreichen mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben kann nachfolgend nur ein kurzer Überblick über die wesentlichen Aspekte zwecks der rechtsvergleichenden Untersuchung gegeben werden.629 Die Wahl der Arbeitnehmervertreter nach dem MitbestG ist in den §§ 9 bis 18 MitbestG sowie ergänzend hierzu detailliert in drei Wahlordnungen630 ge626
Rudolf, in: ders., Nadzór włas´cicielski, S. 175 (182). In der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung. 628 Artt. 13, 15a KommerzG wurden zum 1. Januar 2017 aufgehoben, vgl. Art. 14 Pkt. 14, 15 i.V. m. Art. 134 Einführungsgesetz zum StaatsVermVerwG vom 16. Dezember 2016, Dz. U. 2016 Pos. 2260. 629 Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Wahlvorschriften findet der interessierte Leser an anderer Stelle, etwa bei Henssler, in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, §§ 9–18 MitbestG; Oetker, in: ErfK ArbR, §§ 9–18 MitbestG; ders., in: ErfK ArbR, § 6 Montan-MitbestG. 630 Erste Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1682; Zweite Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I 627
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
regelt, die gemäß § 39 MitbestG von der Bundesregierung erlassen wurden. Insgesamt ist das Wahlprozedere sehr kompliziert geregelt und äußerst zeitintensiv.631 Das MitbestG sieht dabei im Wesentlichen zwei voneinander zu unterscheidende Wahlverfahren vor: die unmittelbare Wahl der Arbeitnehmervertreter durch alle wahlberechtigten Arbeitnehmer und die Delegiertenwahl. Die Hauptversammlung ist für die Wahl der Arbeitnehmervertreter gänzlich unzuständig. Für die Frage, welches Wahlverfahren anzuwenden ist, legt § 9 MitbestG ein Regel-Ausnahme-Prinzip fest: In Unternehmen mit in der Regel mehr als 8.000 Arbeitnehmern werden die Arbeitnehmervertreter durch Delegierte gewählt, wenn nicht die unmittelbare Wahl von den wahlberechtigten Arbeitnehmern beschlossen wird (vgl. § 9 Abs. 1 MitbestG), in Unternehmen mit in der Regel nicht mehr als 8.000 Arbeitnehmern erfolgt dagegen eine unmittelbare Wahl der Arbeitnehmervertreter, wenn nicht eine Wahl durch Delegierte beschlossen wird (vgl. § 9 Abs. 2 MitbestG). Das MitbestG enthält detailreiche Vorgaben zur Wahl der Delegierten, deren persönlicher Voraussetzungen, Anzahl, Amtszeit, usw. (vgl. §§ 10 ff. MitbestG). Die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat von dem MontanMitbestG unterfallenden Unternehmen erfolgt in der Aktiengesellschaft zwar durch die Hauptversammlung, allerdings auf Grundlage bindender Wahlvorschläge der Betriebsräte des Unternehmens bzw. des Konzernbetriebsrats (vgl. §§ 6, 1 Abs. 4 MontanMitbestG). Das Gesetz gewährt den Spitzenorganisationen der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ein Veto-Recht hinsichtlich der vom Betriebsrat vorgeschlagenen, unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter (vgl. § 6 Abs. 1, 2 MontanMitbestG) bzw. ein Vorschlagsrecht im Hinblick auf die zwei nicht zwingend unternehmensangehörigen Kandidaten sowie das weitere Mitglied der Arbeitnehmerbank, welches allerdings nur gegenüber den Betriebsräten besteht (vgl. § 6 Abs. 3, 4 MontanMitbestG). Falls mehrere Spitzenorganisationen in den Betrieben des Unternehmens vertreten sind, sind diese entsprechend dem zahlenmäßigen Verhältnis ihrer Vertretung vorschlagsberechtigt (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 MontanMitbestG), weswegen keine konkurrierenden Wahlvorschläge für denselben Aufsichtsratsposten an die Betriebsräte unterbreitet werden.632 Die der Hauptversammlung vorzuschlagenden Kandidaten werden ausschließlich von den Betriebsräten gewählt (vgl. § 6 Abs. 5 MontanMitbestG). Nach der ursprünglichen Gesetzesfassung des MontanMitbestG hatten die Gewerkschaften hinsichtlich der zwei nicht zwingend unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter und des weiteren Mitglieds der Arbeitnehmerbank noch ein eigenes Vorschlags-
S. 1708; Dritte Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1741. 631 Hoffmann-Becking, in: MünchHdb. GesR, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 28 Rn. 25. 632 Näher hierzu Oetker, in: ErfK ArbR, § 6 Montan-MitbestG Rn. 8; ders., in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 6 MontanMitbestG Rn. 8; jeweils m.w. N.
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recht gegenüber der Hauptversammlung (vgl. § 6 Abs. 3, 4 MontanMitbestG urspr. Fassung). Dies wurde im Jahre 1981 geändert.633 Für die vom MontanMitbestErgG erfassten Konzernobergesellschaften gelten im Hinblick auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat seit der Gesetzesänderung im Jahre 1988634 weitestgehend die gleichen Regelungen wie im MitbestG. Auch hier ist demnach eine unmittelbare Wahl oder eine Delegiertenwahl der Arbeitnehmervertreter vorgesehen, das Regel-Ausnahme-Prinzip des § 7 MontanMitbestErgG hängt wie beim MitbestG vom Überschreiten einer Schwelle von 8.000 Arbeitnehmern ab. Das DrittelbG sieht hingegen stets eine unmittelbare Wahl der Arbeitnehmervertreter von allen wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebe vor (vgl. § 5 DrittelbG). § 5 Abs. 1 DrittelbG legt den Grundsatz der Mehrheitswahl sowie der allgemeinen, geheimen, gleichen und unmittelbaren Wahl der Arbeitnehmervertreter fest und bestimmt darüber hinaus, dass die Wahl für dieselbe Zeit erfolgt, die nach dem Gesetz oder der jeweiligen Satzung für die von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsratsmitglieder gilt. Wahlvorschläge können sowohl von den Betriebsräten als auch den Arbeitnehmern gemacht werden, allerdings benötigen die Wahlvorschläge der Arbeitnehmer den durch Unterschriften nachzuweisenden Rückhalt von alternativ mindestens einem Zehntel aller Wahlberechtigten oder einhundert Wahlberechtigten (vgl. § 6 DrittelbG). Die näheren Einzelheiten des Wahlverfahrens werden in den jeweiligen Wahlordnungen geregelt.635 Wahlgrundsätze werden nur vom DrittelbG ausdrücklich aufgestellt. (2) Polen (a) Kommerzialisierungsgesetz von 1996 Ähnlich wie bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats unterscheidet sich in Polen auch das Wahlverfahren je nachdem, in welchem Entwicklungs- bzw. Privatisierungsstadium sich das ehemalige Staatsunternehmen befindet.
633 Vgl. Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vom 21. Mai 1981, BGBl. I S. 441. 634 Vgl. Art. 3 Abs. 5, 6 des Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der MontanMitbestimmung vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2312. 635 Vgl. Erste Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1682; Zweite Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1708; Dritte Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz vom 27. Mai 2002, BGBl. I S. 1741; Wahlordnung zum Drittelbeteiligungsgesetz vom 23. Juni 2004, BGBl. I S. 1393; Wahlordnung zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz vom 10. Oktober 2005, BGBl. I S. 2927 (2932).
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
Die Arbeitnehmervertreter im ersten Aufsichtsrat des kommerzialisierten Unternehmens werden zwingend von der Arbeitnehmerversammlung („ogólne zebranie pracowników“) bzw. der Delegiertenversammlung („ogólne zebranie delegatów“) gewählt (vgl. Art. 12 Abs. 4 KommerzG). Gemeint ist damit das im ehemaligen Staatsunternehmen – neben dem Belegschaftsrat – bestehende Organ der unmittelbaren Selbstverwaltung.636 Entsprechend entscheidet sich auf Grundlage der Vorschriften des SelbstVerwG von 1981, insbesondere Art. 8 SelbstVerwG, ob die Arbeitnehmerversammlung oder die Delegiertenversammlung zuständig ist. Eine Delegiertenversammlung tritt an Stelle der Arbeitnehmerversammlung, wenn das Staatsunternehmen mehr als 300 Arbeitnehmer hat, unabhängig davon, ob es sich um ein Unternehmen mit nur einem Betrieb oder mehreren Betrieben handelt. In der Zeit, in der der Staat Alleinaktionär des kommerzialisierten Unternehmens ist, werden die Aufsichtsratsmitglieder gemäß Art. 12 Abs. 1 KommerzG zwingend von der Hauptversammlung – in diesem Entwicklungsstadium der Gesellschaft allein aus dem zuständigen Vertreter des Staates bestehend637 – bestellt. Eine abweichende Satzungsbestimmung wäre – entgegen der Grundregel des Art. 385 § 2 HGG – unzulässig.638 Allerdings bestimmt Art. 12 Abs. 3 KommerzG, dass das Verfahren für die Wahl der Arbeitnehmervertreter durch die Satzung bzw. den Gesellschaftsvertrag selbst oder ein entsprechend den Bestimmungen der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrages erlassenes Regularium festgelegt wird. Die Vorschrift wird von der polnischen Literatur als Abweichung vom Grundsatz des Art. 12 Abs. 1 KommerzG dahingehend verstanden, dass die wahlberechtigten Arbeitnehmer die Arbeitnehmervertreter – nicht nur die Kandidaten für diesen Posten – selbst und unmittelbar wählen und ins Amt bestellen, sodass die Hauptversammlung nur noch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder bestellt.639 Diese Auffassung erscheint jedoch in Anbetracht des zu Art. 14 KommerzG ergangenen Urteils des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013640 jedenfalls zweifelhaft. Das Oberste Gericht hat im Zusammenhang mit Art. 14 KommerzG entschieden, dass bei Fehlen einer abweichenden Satzungsbestimmung zur Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder die Arbeitnehmer lediglich Kandidaten wählen, diese jedoch erst durch die Hauptversammlung ins Amt bestellt werden. Da Art. 14 KommerzG einleitend bestimmt, dass nach Veräußerung von Anteilen des Staates die Satzung bezüglich der Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder geändert werden kann, ist die Vorschrift so zu verste636
Näher hierzu unten Kapitel 3, D.II. Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 77. 638 Vgl. Michalski, Spółka akcyjna, S. 674. 639 So ausdrücklich Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 12 Rn. 1. 640 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 637
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hen, dass es mangels abweichender Satzungsbestimmung bei dem in Art. 12 KommerzG normierten Grundsatz verbleibt. Das Urteil des Obersten Gerichts, welches den Fall der fehlenden abweichenden Satzungsbestimmung betraf, lässt sich daher auch auf Art. 12 KommerzG als der Grundsatz- und Auffangregelung von Art. 14 KommerzG beziehen. Dies würde bedeuten, dass auch im Rahmen des Art. 12 KommerzG die Hauptversammlung alle Aufsichtsratsmitglieder bestellt und die Arbeitnehmer lediglich eine (Vor-)Wahl der Kandidaten treffen.641 Für eine ähnliche Auffassung im Rahmen des Art. 12 KommerzG spricht zudem der Wortlaut der Artt. 12, 14 KommerzG, die beide zwischen der „Bestellung“ durch die Hauptversammlung und der „Wahl“ durch die Arbeitnehmer unterscheiden.642 Das Gesetz verwendet diese Begrifflichkeiten gerade nicht synonym.643 Zum anderen heißt es in Art. 12 Abs. 1 KommerzG, dass der Aufsichtsrat zu zwei Fünfteln aus von den Arbeitnehmern „gewählten“ Aufsichtsratsmitgliedern „besteht“ – nicht jedoch, dass zwei Fünftel der Aufsichtsratsmitglieder von den Arbeitnehmern „bestellt“ werden. Gegen eine solche Interpretation könnte allenfalls sprechen, dass in Art. 12 KommerzG eine dem Art. 14 Abs. 2 Satz 2 KommerzG vergleichbare Regelung fehlt, wonach die Wahl durch die Arbeitnehmer für die Hauptversammlung bindend ist. Die Frage dürfte sich im Fall des ersten Aufsichtsrats (vgl. Art. 12 Abs. 3 KommerzG) dagegen nicht stellen, weil in diesem Fall die Hauptversammlung überhaupt keine Zuständigkeit im Zusammenhang mit der Bestellung des Aufsichtsrats hat, sondern die Aufsichtsratsmitglieder im Kommerzialisierungsakt des zuständigen Ministers benannt werden (vgl. Art. 9 Abs. 2 Pkt. 3 KommerzG). Unabhängig von der Frage des letztlich für die Bestellung zuständigen Organs bzw. Subjekts gilt für die Wahl durch die Arbeitnehmer gemäß Art. 12 Abs. 3 Satz 1 KommerzG, dass das Wahlverfahren in der Satzung bzw. in einer Wahlordnung niederzulegen ist. Art. 12 Abs. 3 Satz 2 KommerzG schränkt die Gestaltungsfreiheit aber insofern ein, als die Arbeitnehmervertreter in unmittelbarer, geheimer und allgemeiner Wahl gewählt werden müssen. Sobald der Staat nicht mehr Alleinaktionär des kommerzialisierten Unternehmens ist, können die Satzungsbestimmungen bezüglich des Verfahrens zur Wahl 641 Hiervon scheint auch das Oberste Gericht in seinem Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 5 f.), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, auszugehen. 642 Art. 12 Abs. 1 KommerzG: „[. . .] członków rady nadzorczej powołuje i odwołuje walne zgromadzenie, z tym ˙ze dwie pia˛te składu rady nadzorczej stanowia˛ [. . .] osoby wybrane przez pracowników“; Art. 14 Abs. 1 KommerzG: „[. . .] postanowienia statutu dotycza˛ce powoływania i odwoływania członków rady nadzorczej moga˛ byc´ zmienione, z tym ˙ze pracownicy albo pracownicy i rolnicy lub rybacy zachowuja˛ prawo wyboru: [. . .]“. 643 So auch schon das Oberste Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/ 12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
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Kap. 3: Unternehmensmitbestimmung auf nationaler Ebene
und Abwahl von Aufsichtsratsmitgliedern geändert werden (vgl. Art. 14 Abs. 1 KommerzG). Es ist dann – entsprechend der Grundregel des Art. 385 § 2 HGG – nicht mehr zwingend, dass die Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung gewählt werden. Art. 14 Abs. 1 KommerzG, der den Arbeitnehmern eine bestimmte Anzahl an Aufsichtsratssitzen zugesteht, ist jedoch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts644 dergestalt zu verstehen, dass ohne anderweitige Satzungsbestimmung zwar die Wahl (bzw. Nominierung) der Arbeitnehmervertreter außerhalb der Hauptversammlung erfolgt, jedoch diese Arbeitnehmervertreter erst durch eine Wahl der Hauptversammlung, also einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss, ins Amt bestellt werden.645 Dies folgt auch aus Art. 14 Abs. 2 KommerzG, der erklärt, dass die Arbeitnehmervertreter in unmittelbarer, geheimer und allgemeiner Wahl gewählt werden und dass das Ergebnis der Wahl für die Hauptversammlung bindend ist.646 Damit also die Wahl der Arbeitnehmervertreter außerhalb der Hauptversammlung auch zu einer unmittelbaren Bestellung dieser Mitglieder ins Amt führt, muss dies eine entsprechende Satzungsbestimmung – wie von Art. 385 § 2 HGG und Art. 14 Abs. 1 KommerzG erlaubt – vorsehen.647 Das Oberste Gericht geht dabei davon aus, dass im Fall des Art. 14 Abs. 1 KommerzG die Hauptversammlung aufgrund der Formulierung in Art. 14 Abs. 2 KommerzG verpflichtet ist, einen entsprechenden Beschluss zur Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu fassen.648 Die Abstimmungsfreiheit der Aktionäre sei in dieser Hinsicht beschränkt, da sie den Bestel644 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 645 Ebenso richtigerweise Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2; a. A. noch Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 3, der auch im Rahmen der Regelung des Art. 14 KommerzG davon ausgeht, dass die wahlberechtigten Arbeitnehmer nicht nur die Kandidaten, sondern die Arbeitnehmervertreter selbst direkt wählen; ebenso wohl Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84, der davon spricht, dass die Hauptversammlung das Ergebnis der Wahl der Arbeitnehmervertreter nur noch „zur Kenntnis nimmt“, und Opalski, Rada nadzorcza, S. 129 sowie Spyra, in: Szuman´ski, SPH Bd. 2B, Prawo spółek handlowych, Kapitel 13 Rn. 647. 646 A.A. Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 14 Rn. 3, der entsprechend der von ihm vertretenen Ansicht bezüglich der direkten Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder durch die Arbeitnehmer die Regelung des Art. 14 Abs. 2 KommerzG als „unverständlich“ kritisierte. 647 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 6), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 648 Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; ebenso Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020.
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lungsbeschluss unabhängig von ihrer eigenen Meinung zu den gewählten Arbeitnehmervertretern und deren Eignung für das Aufsichtsratsmandat fassen müssten – denn diese Bewertung habe der Gesetzgeber gerade den Arbeitnehmern überlassen.649 Das erstinstanzliche Gericht hatte noch bemerkt, dass die Verpflichtung der Hauptversammlung dann nicht bestehe, wenn die Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter gegen das Gesetz oder das Unternehmensinteresse verstoße.650 Weder das Berufungsgericht noch das Oberste Gericht haben diese Aussage jedoch ausdrücklich bestätigt oder verneint.651 Unklar ist daher, ob in diesem Fall die Verpflichtung der Aktionäre ausnahmsweise entfällt. Die polnische Literatur verneint eine Bindung der Hauptversammlung, wenn die Wahl der Arbeitnehmervertreter nicht ordnungsgemäß erfolgte.652 Damit dürften vor allem Gesetzesverstöße sowie Verstöße gegen die Wahlregularien gemeint sein.653 Sachgerecht erscheint es, eine Ausnahme von der Bindungswirkung jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds evident gegen das Gesetz verstoßen würde – beispielsweise einer der Ausschlusstatbestände des Art. 387 §§ 1, 2 HGG vorliegt. Die gesetzliche Grundkonzeption, dass letzten Endes doch die Hauptversammlung die Arbeitnehmervertreter wählen muss, wird von einigen Stimmen in der polnischen Literatur sehr kritisch gesehen, da dadurch in der Praxis der Mehrheitsaktionär die Bestellung der gewählten Arbeitnehmervertreter zuungunsten der Arbeitnehmer leicht verhindern und – unzulässigerweise654 – etwa andere Mitglieder an ihrer Stelle in den Aufsichtsrat wählen könne.655 Problematisch sei dies insbesondere deshalb, weil die Rechtsschutzmöglichkeiten in diesem Fall begrenzt seien und eine gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl nicht die gewählten Arbeitnehmervertreter ins Amt berufe.656 649 Oberstes Gericht, Urteil vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 7), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 650 Bezirksgericht Legnica, Urteil vom 17. Oktober 2011, Az.: VI GC 159/11 (nicht veröffentlicht); vgl. hierzu die Ausführungen im Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl (dort S. 3), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 651 Vgl. Oberstes Gericht, Urteil vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020; Urteil des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. 652 So Katner, Komercjalizacja i prywatyzacja, S. 84; Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191. 653 Unklar in dieser Hinsicht Postula, Nadzór korporacyjny, S. 191. 654 Vgl. Chrós ´cicki, Komentarz do ustawy o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 60; Bieniek, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 12 Rn. 10. 655 So etwa Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2. 656 Rodzynkiewicz, Kodeks spółek handlowych, Art. 385 Rn. 2; vgl. hierzu die Urteile des Obersten Gerichts vom 28. Mai 2013, Az.: V CSK 311/12, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie vom
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Im Vergleich zum deutschen Recht sind die Regelungen des KommerzG im Hinblick auf das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter äußert knapp und überlassen die Regelung der Einzelheiten im Wesentlichen dem Satzungsgeber (vgl. Art. 12 Abs. 3 KommerzG, Art. 14 Abs. 1 KommerzG). Anders als im deutschen Recht finden auf dieselbe Gesellschaft unterschiedliche gesetzliche Vorgaben im Hinblick auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter Anwendung, abhängig davon, in welchem Entwicklungsstadium sich das kommerzialisierte Unternehmen gerade befindet. Die Kompetenz zur Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder liegt – sofern man dies nicht nur für Art. 14 KommerzG, sondern auch im Fall des Art. 12 KommerzG bejaht – ähnlich wie im Fall des MontanMitbestG – und anders als beim MitbestG, DrittelbG und MontanMitbestErgG – bei der Hauptversammlung. Als Besonderheit des polnischen Rechts kommt hinzu, dass die Regelungen des KommerzG insbesondere im Hinblick auf das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter in sog. Sozialvereinbarungen präzisiert wurden, die stets für ein konkretes Unternehmen zwischen den Betriebsgewerkschaften und dem strategischen Investor abgeschlossen wurden.657 Dadurch konnten sich auch die Gewerkschaften verschiedene Rechte in Bezug auf das Wahlverfahren zusichern. So etwa nutzten die Gewerkschaften ihre Rolle als Partei der Sozialvereinbarung und ließen sich garantieren, dass sie die Grundätze für die Wahl und Abwahl erarbeiten durften und die jeweiligen Satzungsbestimmungen der Gesellschaft mit den im Unternehmen tätigen Gewerkschaften abgestimmt werden mussten.658 Auf diese Weise erweiterten die Gewerkschaften im Wege von Sozialvereinbarungen auch ihre eigenen Rechte.659 Bemerkenswert sind darüber hinaus die im KommerzG niedergelegten, verbindlichen Grundsätze der Wahl. Sowohl in dem Fall, dass der Staat Alleinaktionär ist als auch wenn der Staat bereits Anteile veräußert hat, werden die Arbeit3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, sowie des Berufungsgerichts in Breslau vom 17. Februar 2012, Az.: I ACa 35/12, abrufbar unter www.orzeczenia.ms.gov.pl, zuletzt aufgerufen am 27. August 2020. Rodzynkiewicz, a. a. O., scheint ferner davon auszugehen, dass aufgrund der konstitutiven Wirkung des Urteils zur Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl alle bis zu einem derartigen Urteil ergangenen Handlungen des Aufsichtsrats wirksam seien. Eine derartige Auffassung ist allerdings vor dem Hintergrund des Urteils des Obersten Gerichts vom 3. Juni 2015, Az.: V CSK 592/14, abrufbar unter http://www.sn.pl/orzecznictwo (dort S. 8), zuletzt aufgerufen am 27. August 2020, welches von einer ex tunc-Wirkung des Urteils ausgeht, nicht überzeugend. Näher zu dieser Problematik unten Kapitel 3, C.II.4. 657 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 58; näher hierzu Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, sowie oben Kapitel 3, A.I.2.c). 658 Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 44. 659 Wratny, in: Bednarski/Wratny, Porozumienia socjalne zwia˛zane z prywatyzacja˛ przedsie˛biorstw pan´stwowych, S. 77.
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nehmervertreter in unmittelbarer, geheimer und allgemeiner Wahl gewählt (vgl. Art. 12 Abs. 3 Satz 2 KommerzG und Art. 14 Abs. 2 KommerzG). Den Grundsatz der gleichen Wahl nennt das KommerzG hingegen nicht ausdrücklich. Damit unterscheidet es sich nicht nur von der vergleichbaren deutschen Regelung des § 5 Abs. 1 DrittelbG, sondern weicht ab von den Vorschriften zur Wahl von Belegschaftsräten in Staatsunternehmen (vgl. Art. 13 Abs. 2 SelbstVerwG) oder – im Fall der Fremdverwaltung – zur Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat (vgl. Art. 45b Abs. 3 StaatsUntG), die den Grundsatz der gleichen Wahl noch ausdrücklich benennen.660 Es ist daher denkbar, dass die Satzung oder die auf ihrer Grundlage beschlossenen Wahlregularien vorsehen, dass bestimmte Arbeitnehmer des Unternehmens ein höheres Stimmgewicht erhalten als andere Arbeitnehmer.661 (b) Spezialgesetze Besondere Regelungen bzw. Abweichungen zum KommerzG im Hinblick auf das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter finden sich auch im KommerzGPost. So wurde darin unter anderem festgelegt, dass die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum ersten Aufsichtsrat nur dann bindend sei, wenn mindestens 50 % aller Arbeitnehmer an der Wahl teilgenommen haben (vgl. Art. 10 Abs. 6 KommerzG-Post). Im KommerzG-PKP wurden ebenfalls besondere Vorgaben für die Wahl des ersten Aufsichtsrats vorgesehen, indem diesbezüglich an die Regelungen zur Wahl im ehemaligen Staatsunternehmen „PKP“ angeknüpft wurde (vgl. Art. 4 Abs. 2 KommerzG-PKP). (c) Erfahrungen aus der Praxis Zur Wahl der Arbeitnehmervertreter bieten die Untersuchungen des IPiSS662 aus den Jahren 2001663 und 2003664 interessante Erkenntnisse.665 Darin zeigte sich zum einen, dass das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter in Wahlregularien geregelt wurde, die entweder als eigenständige Regelwerke oder als Anhänge zur Geschäftsordnung des Aufsichtsrats konzipiert wurden, in jedem Fall aber der Billigung des Aufsichtsrats bedurften. Im Rahmen ihrer Ausarbeitung kam den in den Unternehmen vertretenen Gewerkschaften re660 Ausführlich zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in Staatsunternehmen unten Kapitel 3, D.II. 661 Grabowski, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, S. 54 f. 662 „Instytut Pracy i Spraw Socjalnych“. 663 Dargestellt bei Wratny, Partycypacja pracownicza, S. 56 ff., 62 ff. 664 Dargestellt bei Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 105 ff. 665 Die folgenden Ausführungen geben die Erkenntnisse aus den vorgenannten Untersuchungen des IPiSS wieder.
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gelmäßig entscheidender Einfluss zu, indem diese die Entwürfe der Wahlregularien vorbereiteten oder jedenfalls hinsichtlich des Inhalts konsultiert wurden. Auch im Zusammenhang mit den Kandidaturen für den Aufsichtsratsposten übten die Gewerkschaften einen nicht unwesentlichen Einfluss aus und waren oft der entscheidende Faktor im Hinblick auf die Erfolgschancen der Kandidaten.666 Die Kandidaten konnten sich zwar auch eigenständig ohne gewerkschaftliche Unterstützung für den Aufsichtsratsposten nominieren, brauchten aber einen entsprechenden Rückhalt in der Belegschaft, den sie üblicherweise durch eine Unterschriftenliste nachzuweisen hatten. Von den Gewerkschaften vorgeschlagene Kandidaten waren von diesem Erfordernis in den Wahlregularien oftmals befreit. Ein wesentlicher Einfluss der Unternehmensleitung auf die Wahl der Kandidaten war indes in der Regel nicht zu verzeichnen. Vielmehr war in der Regel eine entsprechende Zurückhaltung der Unternehmensseite bei den Wahlen zu beobachten, wenngleich sie am Wahlausgang durchaus interessiert war. Die Untersuchungen zeigten ferner, dass die Zahl der Kandidaturen zum Aufsichtsrat im Laufe der Zeit zunahm. Während sich in der Regel drei Kandidaten auf einen Aufsichtsratsposten der Arbeitnehmer bewarben, hatten in einem Unternehmen sogar zwanzig Kandidaten um drei Aufsichtsratssitze konkurriert. Begründet wurde dies mit dem Prestige und Ansehen, welches mit der Wahl einherging, dem Kündigungsschutz sowie dem durchaus rentablen Honorar für die Aufsichtsratstätigkeit. Der Wahlkampf selbst dauerte in den untersuchten Unternehmen nicht länger als zwei Wochen, doch war er durchaus intensiv. Die Wahlen selbst fanden an ein bis vier Tagen statt und zeichneten sich durch eine hohe Wahlbeteiligung aus. Die Wahlversprechen der Kandidaten betrafen mitunter den Schutz der Arbeitnehmerinteressen. cc) Wahl sonstiger und neutraler Aufsichtsratsmitglieder Zusätzlich zu den Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer sehen die Montanmitbestimmungsgesetze weitere Aufsichtsratsmitglieder vor. Während das gemäß § 4 Abs. 1 lit. a) MontanMitbestG in den Aufsichtsrat zu bestellende weitere Mitglied der Anteilseignerbank wie auch die übrigen Anteilseignervertreter und das weitere Mitglied der Arbeitnehmerbank wie die von Gewerkschaftsseite vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter von der Hauptversammlung gewählt werden (vgl. §§ 5, 6 Abs. 4 MontanMitbestG), sehen sowohl das MontanMitbestG als auch das MontanMitbestErgG besondere Vorgaben für die Wahl des neutralen weiteren Mitglieds im Sinne der § 4 Abs. 1 lit. c) MontanMitbestG so666 Zum passiven Wahlrecht unten Kapitel 3, C.II.2.d)bb), zum Einfluss der Gewerkschaften in Bezug auf die gewählten Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer unten Kapitel 5, A.II.2.b).
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wie § 5 Abs. 1 S. 2 lit. c) MontanMitbestErgG vor. Auch dieses weitere Mitglied wird zwar im Fall der Aktiengesellschaft durch die Hauptversammlung gewählt, allerdings auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder, wobei der Vorschlag durch diese Aufsichtsratsmitglieder mit der Mehrheit aller Stimmen beschlossen wird (vgl. § 8 MontanMitbestG, § 5 Abs. 3 MontanMitbestErgG). Er bedarf jedoch der Zustimmung von mindestens je drei Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner- und Arbeitnehmerbank. Bei Uneinigkeit ist ein Vermittlungsausschuss einzuberufen. Die Wahlvorschrift soll sicherstellen, dass das „weitere Mitglied“ nach § 4 Abs. 1 lit. c) MontanMitbestG und § 5 Abs. 1 S. 2 lit. c) MontanMitbestErgG vom Vertrauen sowohl der Anteilseigner- als auch der Arbeitnehmervertreter getragen wird und seine Wahl nicht gegen die Mehrheit der einen oder anderen Gruppe im Aufsichtsrat erfolgen kann.667 Im polnischen Recht sehen zahlreiche Spezialgesetze die Mitgliedschaft von besonderen Aufsichtsratsmitgliedern vor.668 So wird insbesondere in einigen Gesetzen dem Staat das Recht eingeräumt, eigene Vertreter in den Aufsichtsrat zu wählen bzw. zu entsenden und in diesem Zusammenhang auch das Wahlverfahren modifiziert.669 d) Aktives und passives Wahlrecht aa) Wahlberechtigung Nach den deutschen Mitbestimmungsgesetzen wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Unternehmens bzw. Konzerns, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (vgl. §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 2, 18 Satz 1 MitbestG, § 8 Abs. 2 MontanMitbestErgG, §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 2 DrittelbG). Während nach dem MitbestG leitende Angestellten ebenfalls wahlberechtigt sind (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG), werden diese vom DrittelbG ausdrücklich ausgenommen (vgl. § 3 Abs. 1 DrittelbG). Über den Verweis auf § 7 Satz 2 BetrVG sind darüber hinaus auch volljährige Leiharbeitnehmer wahlberechtigt, sofern sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Arbeitnehmer von Konzernunternehmen sind nach Maßgabe von § 5 MitbestG und § 2 Abs. 1 DrittelbG wahlberechtigt.670 Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer von Konzernunternehmen sind hingegen nicht wahlberechtigt, was nach dem jüngsten Urteil des EuGH auch nicht gegen Unionrecht verstößt.671 Da 667
Oetker, in: GroßKommAktG, Bd. 6, § 8 MontanMitbestG Rn. 1. Vgl. hierzu Michalski, Spółka akcyjna, S. 674 f. 669 Vgl. etwa Art. 28 des Gesetzes über Radiophonie und Fernsehen vom 29. Dezember 1992, Dz. U. 1993 Nr. 7 Pos. 34; Art. 19 des Gesetzes über Häfen und Anlegeplätze vom 20. Dezember 1996, Dz. U. 1997 Nr. 9 Pos. 44. 670 Vgl. hierzu Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 5 MitbestG Rn. 1 ff.; Oetker, in: ErfK ArbR, § 2 DrittelbG Rn. 1. 671 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 18. Juli 2017, Az.: C-566/15 (Erzberger/ TUI AG), ECLI:EU:C:2017:562 = NJW 2017, S. 2603; vgl. hierzu auch KG Berlin, Vorlagebeschluss vom 16. Oktober 2015, Az.: 14 W 89/15, NZG 2015, S. 1311. 668
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die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten von vom MontanMitbestG erfassten Unternehmen nicht von den Arbeitnehmern, sondern von den Betriebsräten gewählt werden, enthält das MontanMitbestG auch keine Vorgaben zum aktiven Wahlrecht. Die gesetzlichen Regelungen sind zwingend672, sodass das aktive Wahlrecht nicht an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden kann. Das polnische KommerzG gewährt das Wahlrecht ohne weitere Einschränkung „den Arbeitnehmern“ (vgl. Art. 12 Abs. 1, 3 KommerzG und Art. 14 KommerzG). Da das KommerzG diesbezüglich keine eigenständigen oder abweichenden Regelungen enthält, ist hinsichtlich der Definition des Arbeitnehmers auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff des polnischen Rechts zurückzugreifen. Gemäß Art. 2 ArbGB ist ein Arbeitnehmer „eine Person, die auf Grundlage eines Arbeitsvertrages, einer Bestellung, einer Wahl, einer Ernennung oder eines genossenschaftlichen Arbeitsvertrages beschäftigt wird“.673 Die Definition der „berechtigten Arbeitnehmer“ in Art. 2 Abs. 5 KommerzG ist in diesem Zusammenhang dagegen nicht einschlägig, da dieser Begriff vom KommerzG lediglich im Rahmen der Vorschriften zum erleichterten Erwerb von Aktien durch Arbeitnehmer (vgl. Artt. 36 ff. KommerzG), nicht aber der Arbeitnehmerbeteiligung auf Gesellschaftsorganebene, gebraucht wird.674 Bis vor Kurzen war mangels entsprechender Regelung bzw. Verweise im KommerzG davon auszugehen, dass Arbeitnehmer von Konzernunternehmen nicht wahlberechtigt sind.675 Mit Änderungsgesetz vom 1. März 2018676 wurden Art. 12 KommerzG und Art. 14 KommerzG jedoch jeweils um einen neuen Absatz ergänzt, wonach nunmehr auch die Arbeitnehmer einer abhängigen Gesellschaft der aus der Kommerzialisierung hervorgegangenen Gesellschaft berechtigt sind, die im Aufsichtsrat der kommerzialisierten Gesellschaft vorgeschriebenen Arbeitnehmervertreter zu wählen (und abzuwählen) (vgl. Artt. 12 Abs. 8, 14 Abs. 3 KommerzG). Die Regelung erweitert mithin den Kreis der wahlberechtigten Arbeitnehmer und ähnelt damit den deutschen Regelungen in § 5 MitbestG und § 2 DrittelbG, die die Arbeitnehmer von Konzernunternehmen nicht nur für die Frage der Anwendbarkeit des jeweiligen Mitbestimmungsgesetzes auf die Ober-
672 Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 18 MitbestG Rn. 1; Oetker, in: ErfK ArbR, § 18 MitbestG Rn. 1. 673 Art. 2 ArbGB: „Pracownikiem jest osoba zatrudniona na podstawie umowy o prace˛, powołania, wyboru, mianowania lub spółdzielczej umowy o prace˛.“; Übersetzung nach Major/Bzdok, Kodeks pracy – Arbeitsgesetzbuch. 674 So auch Brol, in: Bieniek/Brol, Ustawa o komercjalizacji i prywatyzacji, Art. 2 Pkt. V. Rn. 1 (S. 28 f.). 675 Hiervon ging ausdrücklich auch die Gesetzesentwurfsbegründung zum Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und KommerzG, Sejm-Drucks. Nr. 2235 vom 31. Januar 2018 (VIII. Kadenz), S. 4, aus. 676 Änderungsgesetz zum StaatsVermVerwG und KommerzG vom 1. März 2018, Dz. U. 2018 Pos. 702.
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gesellschaft im Hinblick auf die erforderliche Beschäftigtenanzahl (ggf. bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen, vgl. § 2 Abs. 2 DrittelbG) mitzählen, sondern ihnen auch das aktive (und passive) Wahlrecht zusprechen677. Da allerdings Artt. 12 Abs. 8, 14 Abs. 3 KommerzG hinsichtlich der Definition der abhängigen Gesellschaft auf Art. 3 Abs. 1 Pkt. 39 des Gesetzes über die Rechnungslegung vom 29. September 1994678 verweisen, diese Norm wiederum als abhängige Gesellschaft sowohl polnische Handelsgesellschaften als auch nach ausländischen Recht verfasste Gesellschaften versteht679, sind für die Zwecke der Artt. 12 Abs. 8, 14 Abs. 3 KommerzG auch die Arbeitnehmer der nach ausländischem Recht verfassten und daher auch der im Ausland ansässigen Tochtergesellschaften – anders als nach deutschem Recht – mit einzubeziehen. Eine ausdrückliche Regelung oder einen Verweis zur Wahlberechtigung von Leiharbeitnehmern enthält das KommerzG nicht, so dass hier aufgrund des allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs davon auszugehen sein dürfte, dass Leiharbeitnehmer nicht wahlberechtigt sind. Allerdings erscheint dies aufgrund der Verweisungsnorm in Art. 5 des Gesetzes über Arbeitnehmerüberlassung vom 9. Juli 2003680 nicht ganz unproblematisch, da die Norm – recht uneindeutig – bestimmt, dass auf den Verleiher, den Leiharbeitnehmer und den Entleiher arbeitsrechtliche Vorschriften Anwendung finden, sofern nichts Abweichendes geregelt ist.681 Insofern könnte unter anderem jedoch bereits fraglich sein, ob die Vorschriften des KommerzG überhaupt zu jenen arbeitsrechtlichen Normen zu zählen sind. Wie in Deutschland ist es unzulässig, das aktive Wahlrecht auf einen bestimmten Personenkreis einzuschränken, beispielsweise nur denjenigen Arbeitnehmern zuzugestehen, die auch gleichzeitig Anteile am Unternehmen halten.682 Zulässig 677 Vgl. BAG, Beschluss vom 24. November 1981, Az.: 1 ABR 80/79, NJW 1982, S. 2518 (2518 f.); Annuß, in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 5 MitbestG Rn. 3; ders., in: MünchKommAktG, Bd. 2, § 2 DrittelbG Rn. 4, 12; Oetker, in: ErfK ArbR, § 2 DrittelbG Rn. 1 ff., 15 ff. 678 Gesetz über die Rechnungslegung vom 29. September 1994, Dz. U. 1994 Nr. 121 Pos. 591 m. sp. Änd. 679 Art. 3 Abs. 1 Pkt. 39 des Gesetzes über die Rechnungslegung vom 29. September 1994: „Ilekroc´ w ustawie jest mowa o: [. . .] jednostce zalez˙nej – rozumie sie˛ przez to jednostke˛ be˛da˛ca˛ spółka˛ handlowa˛ lub podmiotem utworzonym i działaja˛cym zgodnie z przepisami obcego prawa handlowego, kontrolowana˛ przez jednostke˛ dominuja˛ca˛“. 680 Gesetz über Arbeitnehmerüberlassung vom 9. Juli 2003, Dz. U. 2003 Nr. 166 Pos. 1608. 681 Art. 5 des Gesetzes über Arbeitnehmerüberlassung vom 9. Juli 2003, Dz. U. 2003 Nr. 166 Pos. 1608: „W zakresie nieuregulowanym odmiennie przepisami ustawy i przepisami odre˛bnymi do agencji pracy tymczasowej, pracownika tymczasowego i pracodawcy uz˙ytkownika stosuje sie˛ przepisy prawa pracy dotycza˛ce odpowiednio pracodawcy i pracownika, z uwzgle˛dnieniem art. 6“, Übersetzung d. Verf. 682 Wratny, in: Wratny/Bednarski, Wpływ prywatyzacji na zbiorowe stosunki pracy, S. 105.
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soll es hingegen sein, bestimmten Arbeitnehmern ein höheres Stimmgewicht zuzugestehen.683 bb) Wählbarer Personenkreis (1) Arbeitnehmereigenschaft Den deutschen Mitbestimmungsgesetzen ist gemein, dass sie alle zumindest für einen Teil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Arbeitnehmer