Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän 9783593508283, 9783593438542, 9783593438672

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Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän
 9783593508283, 9783593438542, 9783593438672

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Unruhig bleiben

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Donna J. Haraway ist emeritierte Professorin an der University of California, Santa Cruz. Sie ist Wissenschaftstheoretikerin, Biologin und Geschlechterforscherin. Im Campus Verlag erschien von ihr Die Neu­ erfindung der Natur (1995).

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Donna J. Haraway

Unruhig bleiben Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän Aus dem Englischen von Karin Harrasser

Campus Verlag Frankfurt/New York

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Die englischsprachige Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene bei Duke University Press. Kapitel 1 erschien unter dem Titel »Jeux de ficelles avec les espèces compagnes: rester avec le trouble« in Les animaux: deux ou trois choses que nous savons d’eux (hg. von Vinciane Despret und Raphaël Larrère, Paris: Hermann, 2014, S. 23–59). © Éditions Hermann. Kapitel 4 ist eine überarbeitete Fassung des Textes »Anthropocene, Capitalocene, ­Plantatio­nocene, Chthulucene: Making Kin«, der ursprünglich in Environmental ­Humanities erschien (Jg. 6, Creative Commons). © Donna Haraway. Kapitel 5 erschien zuerst in WSQ: Women’s Studies Quarterly (Jg. 40, Frühjahr/Sommer 2012, S. 301–316), veröffentlicht von The Feminist Press an der City University, New York. © Donna Haraway 2012. Kapitel 6 erschien zuerst in Beyond the Cyborg: Adventures with Donna Haraway (hg. von ­Margaret Grebowicz und Helen Merrick, S. 137–146, 173–175). © Columbia University Press 2013. Kapitel 7 erschien zuerst in Angelaki (Jg. 20, Nr. 2, 2015, S. 5–14). © Taylor and Francis Ltd., ­tandfonline.com.

ISBN 978-3-593-50828-3 Print ISBN 978-3-593-43854-2 E-Book (PDF) ISBN 978-3-593-43867-2 E-Book (EPUB) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für ­Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und ­Verarbeitung in elektro­nischen Systemen. Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle ­übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der ­verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. Copyright © 2016 Duke University Press Copyright © 2018. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Umschlaggestaltung: Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Umschlagmotiv: Geraldine Javier, Untitled A (detail), 2012. Aus der Ausstellung Playing God in an Art Lab. Hergestellt im STPI-Creative Workshop & Gallery, Singapore. © STPI/Geraldine Javier Lektorat: Jana Schrewe Satz: DeinSatz Marburg Gesetzt aus: Scala und Scala Sans Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany www.campus.de

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FOR KIN MAKERS OF ALL THE ODDKIN

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Einleitung

Trouble1 ist ein interessantes Wort. Es lässt sich auf ein französisches Verb aus dem 13. Jahrhundert zurückführen, das »aufwirbeln«, »wolkig machen« oder »stören« bedeutet. Wir alle auf Terra leben in unruhigen Zeiten, in aufgewirbelten Zeiten, in trüben und verstörenden Zeiten. Die Aufgabe besteht nun darin, reagieren zu können, und zwar gemeinsam und in unserer je unbescheidenen Art. Aufgewirbelte Zeiten quellen über vor Schmerz und Freude, vor sehr ungerechten Mustern von Schmerz und Freude, vor sinnlosem Abtöten des Weiterbestehens (ongoingness)2, aber auch vor unerlässlicher Wiederbelebung. Die Aufgabe besteht darin, sich entlang erfinderischer Verbindungslinien verwandt zu machen und eine Praxis des Lernens zu entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart und miteinander gut zu leben und zu sterben. Es ist unsere Aufgabe, Unruhe zu stiften, zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse aufzurütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen, ruhige Orte wieder aufzubauen. In dringlichen Zeiten ist es für viele verlockend, der Unruhe zu begegnen, indem sie eine imaginierte Zukunft in Sicherheit bringen. Dafür versuchen sie, am Zukunftshorizont Drohendes zu verhindern, aber auch Gegenwart und Vergangenheit beiseitezuräumen, um so für kommende Generationen Zukunft zu ermöglichen. Unruhig zu bleiben erfordert aber gerade nicht eine Beziehung zu jenen Zeiten, die wir Zukunft nennen. Vielmehr erfordert es zu lernen, wirklich gegenwärtig zu sein. Gegenwärtigkeit meint hier nicht einen flüchtigen Punkt zwischen schrecklichen oder paradiesischen Vergangenheiten und apokalyptischen oder erlösenden Zukünften, sondern die Verflechtung von uns sterblichen Krittern3 mit unzähligen unfertigen Konfigurationen aus Orten, Zeiten, Materien, Bedeutungen.

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Unruhig bleiben

Chthuluzän ist ein einfaches Wort.4 Es verbindet zwei griechische Wurzeln (khthôn und kainos) miteinander, die zusammen eine Art Zeitort benennen; einen Zeitort des Lernens, um die Idee eines responsablen (re­ sponse-able)5 gemeinsamen Lebens und Sterbens auf einer beschädigten Erde nicht aufzugeben. Kainos heißt jetzt, eine Zeit des Anfangens, eine Zeit des Weitermachens, eine Zeit für Frische. Nichts in kainos muss gängige Auffassungen von Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften bestätigen. Zeiten des Anfangens implizieren nicht, dass das, was war oder was kommen wird, ausgelöscht werden müsste. Kainos kann voller Erbschaften sein, voller Erinnerungen, aber auch voll mit Kommendem, mit der Förderung dessen, was noch sein könnte. Ich höre kainos als dichte und andauernde Gegenwart, mit Zellfäden durchzogen, die alle möglichen Zeitlichkeiten und Stofflichkeiten durchdringen. Die Chthonischen sind Wesen der Erde, gleichzeitig alt und aktuell. Ich stelle mir die Chthonischen als reichlich mit Tentakeln, Fühlern, Fingern, Fäden, Geißeln, Spinnenbeinen und unbändigem Haar versehen vor. Die Chthonischen tummeln sich im Humus multipler Kritter, aber mit dem in den Himmel starrenden Homo wollen sie nichts zu tun haben. Die Chthonischen sind Monster im besten Sinn: Sie führen die materielle Bedeutungsfülle irdischer Prozesse und Kritter vor und auf. Sie führen auch Konsequenzen vor und auf. Die Chthonischen sind keine sichere Bank; sie haben mit IdeologInnen nichts zu schaffen; sie gehören zu niemandem; sie winden sich und luxurieren in vielfältigen Formen und tragen in all den Lüften, Wassern und Orten dieser Erde ebenso vielfältige Namen. Sie stellen her und lösen auf; sie werden hergestellt und aufgelöst. Sie sind, was existiert. Kein Wunder, dass die weltgrößten Monotheismen, sowohl in religiösem als auch in säkularem Gewand, die Chthonischen immer wieder vernichten wollten. Die Skandale jener Zeiten, die Anthropozän und Kapitalozän genannt werden, sind die jüngsten und gefährlichsten dieser Vernichtungskräfte. Miteinander zu leben und miteinander zu sterben haben im Chthuluzän das Potenzial einer Kampfansage an die Diktate des Anthro­pos und des Kapitals. Kin (Verwandtschaft, Sippschaft) ist eine wilde Kategorie, die viele verschiedene Leute zu zähmen versuchen. Sich auf eigensinnige Art verwandt zu machen anstatt, oder zumindest zusätzlich, mit der göttlichen, genea-

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logischen und biogenetischen Familie, rührt wichtige Dinge auf; zum Beispiel die Frage, wem gegenüber man eigentlich verantwortlich ist. Wer lebt und wer stirbt und auf welche Art und Weise in dieser Verwandtschaft und nicht in jener? Welche Gestalt hat diese Sippe, welche Orte und welche Kritter verbinden und trennen die Verwandtschaftslinien, und warum das Ganze? Was muss durchschnitten und was muss verknüpft werden, damit artenübergreifendes Gedeihen auf dieser Erde eine Chance hat; ein Gedeihen, das menschliche und anders-als-menschliche Wesen in die Verwandtschaft miteinschließt? Eine allgegenwärtige Figur dieses Buches ist SF: Science-Fiction, spekulative Fabulation, Spiele mit Fadenfiguren (string figures), spekulativer Feminismus, science fact (wissenschaftliche Fakten), so far (bis jetzt). Diese Liste wirbelt und schlängelt sich immer wieder durch die kommenden Seiten; in Worten, aber auch in Bildern, die mich und meine LeserInnen in Wesen und Muster verflechten, die auf dem Spiel stehen. Wissenschaftliche Fakten und spekulative Fabulation brauchen einander und beide brauchen einen spekulativen Feminismus. SF und Fadenspiele denke ich im dreifachen Sinn als Figurationen. Erstens zupfe ich großzügig Fasern aus verklumpten und dichten Ereignissen und Praktiken heraus. Ich versuche, den Fäden zu folgen und die Spuren so zu lesen, dass ihre Verwicklungen und Muster entscheidend dafür werden, wie wir an wirklichen und spezifischen Orten, in wirklichen und spezifischen Zeiten unruhig bleiben können. So verstanden ist SF eine Methode des Nachzeichnens, des Verfolgens eines Fadens in die Dunkelheit, in eine gefährlich wahre Abenteuer­geschichte hinein, in der vielleicht klarer wird, wer für die Kultivierung artenübergreifender Gerechtigkeit lebt oder stirbt und wa­ rum. Zweitens ist SF nicht nur die Methode des Nachverfolgens, sondern das Ding an sich: jenes Muster und jene Versammlung, die eine Antwort verlangen; das Ding, das man selbst nicht ist, aber mit dem man weitermachen muss. Drittens bedeutet SF weitergeben und entgegennehmen, herstellen und aufheben, Fäden aufnehmen und fallen lassen. SF ist eine Praxis und ein Prozess, ein Werden-mit-anderen in überraschender Aufeinanderfolge, eine Figur des Fortdauerns im Chthuluzän. Das Buch und das Konzept des Unruhig-Bleibens sind unvereinbar mit zwei häufigen Reaktionen auf die Schrecken von Anthropozän und Kapi-

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Unruhig bleiben

talozän. Die eine Reaktion ist einfach zu beschreiben und, so glaube ich, ebenso einfach zu verwerfen, nämlich der geradezu lächerliche Glaube an technische Lösungen, ob nun säkularer oder religiöser Art: Eine Technik wird auftauchen, um ihre schlimmen, aber sehr schlauen Kinder zu retten; oder, was auf dasselbe hinausläuft: Gott wird kommen, um seine ungehorsamen, aber hoffnungsvollen Kinder zu retten. Angesichts solch rührender Einfältigkeit, was technische Lösungen (oder Technikapokalypsen) betrifft, fällt es manchmal schwer, an technischen Projekten und ihren Leuten festzuhalten. Diese Projekte sind nicht feindlich. Sie können Wichtiges dazu beitragen, unruhig zu bleiben und produktive, eigensinnige Verwandtschaften (oddkin)6 einzugehen. Die zweite häufige Reaktion lässt sich weniger schnell verwerfen und ist noch destruktiver. Es ist die Aussage: Das Spiel ist vorbei, es ist zu spät. Es ist sinnlos zu versuchen, irgendetwas besser zu machen oder zumindest einander wirksam zu vertrauen, um gemeinsam für eine wiederauflebende Welt zu arbeiten und zu spielen. Einige WissenschaftlerInnen aus meinem Bekanntenkreis sind voll von diesem bitteren Zynismus, obwohl sie eigentlich sehr hart dafür arbeiten, eine positive Veränderung für Leute und andere Kritter zu bewirken. Auch Leute, die sich als kritische KulturtheoretikerInnen oder als politisch progressiv verstehen, äußern sich so oder ähnlich. Ich denke, dass die seltsame Verbindung aus tatsächlichem Spielen und Arbeiten für eine aufblühende, artenübergreifende Welt und einer game-over-Haltung, die andere, einschließlich Studierende, entmutigt, durch verschiedene Formen des Futurismus gefördert wird. Eine Version des Futurismus besagt, dass nur funktionierende Dinge eine Veränderung herbeiführen können; oder noch schlimmer: Nur wenn das, was ich und meine ExpertenkollegInnen machen, das Problem lösen kann, ist es eines. Großzügiger gesprochen: Manchmal wissen ­WissenschaftlerInnen und andere, die denken, lesen, studieren, agitieren und sich sorgen, zu viel, und das wird ihnen dann zu schwer. Oder wir denken, wir wissen genug, um zu dem Schluss zu kommen, dass das Leben auf der Erde, das Menschen auf irgendeine erträgliche Art und Weise miteinschließt, wirklich vorbei ist, dass die Apokalypse wirklich naht. Eine solche Haltung ist inmitten der sechsten großen Auslöschung auf dieser Erde recht plausibel, inmitten gefräßiger Kriege und Extraktivismus

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und angesichts der Verelendung von Milliarden Menschen und anderen Krittern für etwas, das »Profit« oder »Macht« genannt wird  – oder auch »Gott«. Eine game-over-Haltung drängt sich auf, wenn man intensiv spürt, und nicht nur weiß, dass die Zahl der Menschen im Jahr 2100 vermutlich über 11 Milliarden betragen wird. Das heißt, dass sich zwischen 1950 und 2100, also in nur 150 Jahren, die menschliche Weltbevölkerung um 9 Milliarden vergrößert haben wird. Dies wird sich nicht nur auf Arme und Reiche sehr unterschiedlich auswirken – wobei die Reichen die Erde viel stärker belasten als die Armen –, sondern vor allem verheerende Folgen für beinahe alle nichtmenschlichen Wesen haben. Für solch düstere Realitäten lassen sich viele andere Beispiele finden; die Großen Beschleunigungen der Nachkriegsära meißeln ihre Spuren in die Steine, Gewässer und Kritter der Erde. Nur ein schmaler Grat trennt die Anerkennung des Ausmaßes und des Ernstes dieser Probleme von der Kapitulation vor einem abstrakten Futurismus mit seinen Gefühlen erhabener Verzweiflung und seiner Politik ebenso erhabener Indifferenz. Dieses Buch führt aus und durch, dass das Bewahren von Unruhe unter Vermeidung von Futurismus ein ernsthafterer und produktiverer Zugang ist. Um unruhig zu bleiben, müssen wir uns auf eigensinnige Art verwandt machen. Das meint, dass wir einander in unerwarteten Kollaborationen und Kombinationen, in aktiven Kompostierungen brauchen. Wir werden miteinander oder wir werden gar nicht. Diese Art der materiellen Semiotik findet stets situiert, an einem bestimmten Ort, wo und nicht nirgendwo statt, sie ist verwoben und weltlich. Als Einzelne, mit unseren je eigenen Expertisen und Erfahrungen, wissen wir zu viel und zu wenig; also überlassen wir uns der Verzweiflung oder der Hoffnung, obwohl weder das eine noch das andere eine kluge Haltung ist. Weder Verzweiflung noch Hoffnung sind auf Sinnlichkeit, auf von Geist erfüllte Materie, auf materielle Semiotik oder auf sterbliche Erdlinge in dichter Kopräsenz gestimmt. Weder Verzweiflung noch Hoffnung sind gut darin, uns »Fadenspiele mit Art-GenossInnen«, so der Titel des ersten Kapitels, beizubringen. Drei ausführliche Kapitel eröffnen Unruhig bleiben. Jedes Kapitel verfolgt Geschichten und Figuren des Sich-verwandt-Machens im Chthuluzän; Geschichten und Figuren, die es ermöglichen, die Fesseln des Anthropozäns und des Kapitalozäns zu zerschneiden. Tauben in all ihrer irdischen

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Unruhig bleiben

Vielfalt – als Geschöpfe des Imperiums, als Wettkampfvögel der Arbeiterklasse, als Kriegsspione, als wissenschaftliche ForschungspartnerInnen, als Kollaborateure im Kunstaktivismus auf drei Kontinenten, als städtische Begleiter und Ärgernisse – sind die Reiseführer des ersten Kapitels. Mit ihrer häuslichen Geschichte führen die Tauben in eine Praxis des »tentakulären Denkens« hinein, die im zweiten Kapitel vorgestellt wird. Ich entwickle hier das Argument weiter, dass ein eingeschränkter Individualismus mit seinen vielen Schattierungen in Wissenschaft, Politik und Philosophie endlich nicht mehr für das Denken zur Verfügung steht, undenkbar geworden ist, weder technisch noch auf andere Art und Weise länger brauchbar ist. Sympoiesis – machen-mit – ist das Schlüsselwort dieses Kapitels, in dem ich Geschenken nachforsche, die TheoretikerInnen und GeschichtenerzählerInnen für das Denken bereithalten. Meine PartnerInnen in der Wissenschaftsforschung, in der Kulturanthropologie und im Geschichtenerzählen – Isabelle Stengers, Bruno Latour, Thom van Dooren, Anna Tsing, Marilyn Strathern, Hannah Arendt, Ursula K. Le Guin und andere – sind überall im tentakulären Denken meine GefährtInnen. Mit ihrer Unterstützung erläutere ich die drei Zeitsphären dieses Buches: das Anthropozän, das Kapitalozän und das Chthuluzän. Verbündet mit dem Großen Blauen Kraken beendet Medusa, diese einzige sterbliche Gorgone, die als Gebieterin der Tiere dargestellt wird, das Kapitel – und rettet die Lage. »Sympoiesis. Symbiogenese und die dynamischen Künste, beunruhigt zu bleiben«, Kapitel 3, spinnt die Fäden des aus der ökologischen Evolutions- und Entwicklungsbiologie kommenden Konzepts der Sympoiesis weiter in den Kunst- und Wissenschaftsaktivismus hinein, in Praktiken, die vier ikonischen, beunruhigten Orten verpflichtet sind: dem Holobiom von Korallenriffen; dem Black Mesa-Kohlefeld auf Navajo- und Hopi-Territorium und anderen Abbaugebieten von fossilen Brennstoffen, deren grausame Auswirkungen besonders indigene Völker spüren; den komplexen Lemurenhabitaten Madagaskars und der nordamerikanischen Zirkumpolarregion, wo Land und Wasser von schnell schmelzendem Eis sowie von alten und neuen Kolonialismen bedroht sind. Das Kapitel lässt Spielfäden zwischen Biologie, Kunst und Aktivismus für eine wiederauflebende, artenübergreifende Welt hin- und hergehen. Navajo-Churro-­Schafe, Orchideen, ausgestorbene Bienen, Lemuren, Quallen, Korallenpolypen,

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­ eehunde und Mikroben spielen mit ihren KünstlerInnen, BiologInnen S und AktivistIn­nen die Hauptrolle in diesem Kapitel. Hier wie auch sonst überall treibt die geduldige Kreativität von Menschen, die sich kümmern und die etwas tun, die Handlung voran. Und wenig überraschend sind es insbesondere heutige indigene Völker und Menschen, die in Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit verschiedensten Partnern etwas bewirken. BiologInnen, zuallererst die unvergleichliche Lynn Margulis, durchdringen das Denken und Spielen in diesem Kapitel. »Sich verwandt machen«, das 4. Kapitel, kommt noch einmal auf die Zeitsphären Anthropozän, Kapitalozän und Chthuluzän zurück. Und es formuliert den Appell: »Macht euch verwandt, nicht Babys!« Antirassis­ tische, antikoloniale, antikapitalistische, pro-queere FeministInnen unterschiedlichster Herkunft engagieren sich schon lange für sexuelle und reproduktive Freiheit und die damit verbundenen Rechte. Die Brutalität und Rücksichtslosigkeit reproduktiver und sexueller Gebote gegenüber armen und marginalisierten Menschen haben sie dabei besonders im Blick. FeministInnen beharren darauf, dass sexuelle und reproduktive Freiheit bedeutet, die eigenen oder auch die Kinder anderer innerhalb von intakten und sicheren Gemeinschaften zu robusten und gesunden Erwachsenen großzuziehen. FeministInnen waren auch historisch einzigartig klar darin, auf das Recht jeder Frau, ob jung oder alt, zu bestehen, kein Kind zu bekommen. Wohl wissend, wie leicht eine solche Position die Arroganz des Imperialismus wiederholen kann, halten FeministInnen meiner Prägung daran fest, dass Mutterschaft nicht das Schicksal der Frauen ist. Die reproduktive Freiheit einer Frau ist weitaus wichtiger als Anforderungen des Patriarchats oder jedes anderen Systems. Nahrung, Arbeit, Wohnen, Bildung, Reisemöglichkeit, Gemeinschaft, Frieden, Kontrolle über den eigenen Körper und die eigene Intimität, Gesundheitsvorsorge, brauchbare und frauenfreundliche Verhütung, das letzte Wort darüber, ob ein Kind geboren wird oder nicht, Freude: Diese und mehr sind sexuelle und reproduktive Rechte. Ihre weltweite Abwesenheit verschlägt einem den Atem. Aus guten Gründen lehnen mir bekannte FeministInnen die Sprache und Politik der Bevölkerungskontrolle ab, verfolgen diese doch nachweislich eher biopolitisch-staatliche Interessen und sorgen sich weniger um das Wohlergehen von Frauen und ihren Leuten, alten wie jungen. Hierdurch entstan-

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dene Skandale bei der Bevölkerungskontrolle sind folglich nicht schwer zu finden. Dennoch sind meiner Erfahrung nach FeministInnen, auch aus der Wissenschaftsforschung und der Kulturanthropologie, nicht ernsthaft gewillt, die Große Beschleunigung im Anwachsen der Weltbevölkerung gezielt anzusprechen. Sie fürchten, dass sie dadurch zurück in den Sumpf von Rassismus, Klassismus, Nationalismus, Modernismus und Imperialismus fallen. Furcht allein reicht aber nicht. Wird die Brisanz des unglaublichen Bevölkerungswachstums seit 1950 weiter ausgeblendet, könnte dies in so etwas abgleiten wie die Ignoranz mancher Christen gegenüber dem Klimawandel, weil er ins Mark des eigenen Glaubens trifft. Wie wir uns mit dieser Brisanz und Dringlichkeit befassen, muss die brennende Frage sein, damit wir unruhig bleiben können. Was ist dekoloniale, feministische, reproduktive Freiheit in einer gefährlich aufgewühlten, artenübergreifenden Welt? Das kann keine rein humanistische Angelegenheit sein, ganz egal wie anti-imperalistisch, antirassistisch, antiklassistisch und pro-weiblich sie ausfällt. Es kann auch keine »futuristische« Angelegenheit sein, die sich hauptsächlich mit abstrakten Zahlen und Big Data beschäftigt und nicht mit den sehr unterschiedlichen, vielschichtigen Lebens- und Sterbeweisen von wirklichen Menschen. Dennoch ist ein Anwachsen der Bevölkerungszahl in 150 Jahren um 9 auf 11 Milliarden bis 2100 (wenn wir Glück haben) mehr als nur eine Zahl; und sie lässt sich nicht einfach wegerklären, indem die Sache auf den Kapitalismus oder einen anderen Ismus geschoben wird. Es ist dringend notwendig, gemeinsam und neu, quer zu historischen Differenzen und zwischen allen möglichen Wissensformen und Expertisen zu denken. »Überschwemmt von Urin«, Kapitel 5, beginnt mit persönlichen und intimen Beziehungen, die, von Östrogen ausgelöst, eine alternde Frau und ihren betagten Hund verbanden und die anfingen, sich schwelgerisch in Konsequenzen auszubreiten. Im Speziellen geht es um mich und meine Gefährtin, meine Forschungspartnerin Cayenne. Ehe noch die Fäden dieses Spiels in Erinnerung an ihre Cyborg-Wurfgeschwister weit verfolgt wurden, finden sich Frau und Hündin in den Geschichten von Veterinärmedizin, Pharmazie, Pferdelandwirtschaft für Östrogen, Zoos, DES-Aktivismus,7 von miteinander zusammenhängenden Tierrechts- und Frauen-

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gesundheitsmaßnahmen und so manchem mehr wieder. Das Kernthema ist hier, wie spezifische Körper und Orte intensiv und so bewohnt werden können, dass die Fähigkeit, gemeinsam auf weltliche Dringlichkeiten zu reagieren, kultiviert werden kann. Ursula K. Le Guin, Octavia Butler sowie Ameisen und Akaziensamen bewohnen das 6. Kapitel, »Welten säen«. Die Aufgabe war hier, eine SFAbenteuerstory über Akazien und ihre MitarbeiterInnen zu erzählen. Uns zur Rettung kommen Le Guins Tragetaschentheorie der Fiktion und die Theorien der Biologin Deborah Gordon über die Interaktion von Ameisen und ihr Kolonieverhalten. Es geht darum, die Möglichkeiten einer ökologisch-evolutionär-entwicklungsgeschichtlichen Biologie und nicht-hie­ rarchischer Systemtheorien für die Gestaltung der besten Geschichten auszuloten. Science-Fiction und science fact leben in dieser Fabel glücklich miteinander. In den letzten Abschnitten treten mit Le Guin als ihrer Schreiberin die Prosa der Akaziensamen und die Lyrik der Flechten zugunsten einer stummen Poesie der Steine zurück. »Eine neugierige Praxis«, Kapitel 7, zoomt auf die Philosophin, Psychologin, Tier-Mensch-Forscherin und Kulturtheoretikerin Vinciane Despret. Sie besitzt die unvergleichliche Fähigkeit zum Denken-mit anderen Wesen, menschlichen und nicht-menschlichen. Desprets Arbeit über das Aufeinander-Einstimmen und über Kritter, die sich gegenseitig und in konkreten Situationen zu unerwarteten Leistungen befähigen, ist notwendig, um unruhig zu bleiben. Ihre Aufmerksamkeit gilt nicht dem, was Kritter »von Natur aus« oder durch Erlernen können, sondern dem, was sie untereinander und miteinander bewirken und was zuvor weder in Natur noch Kultur vorhanden war. Ihre Art zu denken erweitert die Fähigkeiten aller MitspielerInnen; das ist ihre Verweltlichungspraxis (worlding practice). Die Dringlichkeiten des Anthropozäns, des Kapitalozäns und des Chthuluzäns verlangen diese Art des Denkens, eines, das überlieferte Kategorien und Fähigkeiten überschreitet, und zwar auf häusliche und konkrete Art. Es ist ein Denken, wie es zum Beispiel Graudrosslinge und ihre ForscherInnen in der Negev-Wüste bewerkstelligen. Despret lehrt uns, wie man neugierig ist und wie man trauert. Nämlich indem man die Toten aktiv einbezieht. Und ich brauchte ihre Berührung, um die letzten Geschichten dieses Buches schreiben zu können. Ihre neugierige Praxis hat mich erst dazu bereit

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gemacht, über die Gemeinschaften der Kompostisten und über die Aufgabe der Sprecher für die Toten zu schreiben, die für das Zurückgewinnen und Wiederaufleben einer artenübergreifenden Welt arbeiten. »Camilles Geschichten. Die Kinder der Kompostisten« beschließt das Buch. Diese Einladung zu einer kollektiven, spekulativen Fabulation verfolgt fünf Generationen einer symbiogenetischen Verbindung zwischen einem Menschenkind und Monarchfaltern entlang der vielen Linien und Knoten, die die Wanderungen dieses Insekts zwischen Mexiko, den USA und Kanada ergeben. Diese Linien zeichnen Spuren von Gemeinwesen und Stofflichkeiten nach, die wesentlich für ein Leben und Sterben mit vom Aussterben bedrohten Krittern sind – damit es sie vielleicht weiterhin geben kann. Die Gemeinschaften der Kompostisten entstanden im frühen 21. Jahrhundert überall auf der Welt, in und auf ruinierten Ländern und Gewässern. Sie gründeten sich in der Selbstverpflichtung, Responsabilität zu befördern und Praktiken der wechselseitigen Befähigung zu kultivieren. Die Gemeinschaften bekannten sich dazu, mitzuhelfen, die menschliche Weltbevölkerung über einige Hundert Jahre hinweg radikal zu verringern, und gleichzeitig unzählige Praktiken von artenübergreifender Umweltgerechtigkeit zu entwickeln. Jedes neue Kind hatte mindestens drei menschliche Eltern; für den schwangeren Elternteil bestand seine/ihre reproduktive Freiheit auch darin, einen Tiersymbionten für das Kind zu wählen, eine Wahl, die sich in die Generationenfolge aller Arten hinein verzweigte. Die Beziehungen zwischen symbiogenetischen Leuten und unverbundenen Menschen waren oft überraschend, manche von ihnen waren auch tödlich. Die größte Überraschung aber entsprang aus der neuen Beziehung der Lebenden und der Toten, eine Beziehung von großer symanimagenischer Komplexität quer durch die Holobiome der Erde. Viel Unruhe, viel Verwandtschaft, um weiterzumachen.

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Kapitel 1: Fadenspiele mit Art-GenossInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 2: Tentakulär denken. Anthropozän, Kapitalozän, Chthuluzän . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Kapitel 3: Sympoiesis. Symbiogenese und die dynamischen Künste, beunruhigt zu bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Kapitel 4: Sich verwandt machen. Anthropozän, Kapitalozän, Plantagozän, Chthuluzän . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Kapitel 5: Überschwemmt von Urin. DES und Premarin in artenübergreifender Responsabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Kapitel 6: Welten säen. Eine Tüte Samen für das Terraforming mit irdischen Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Kapitel 7: Eine neugierige Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Kapitel 8: Camilles Geschichten. Die Kinder der Kompostisten . . . 187 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

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Kapitel 1

Fadenspiele mit Art-GenossInnen

George Evelyn Hutchinson (1903–1991) und Beatriz da Costa (1974–2012) gewidmet. Hutchinson, der meine Dissertation betreut hat, schrieb eine biografische Erinnerung, deren Titel The Kindly Fruits of the Earth all die »verlässlichen Reisenden« dieses Kapitels umfasst.

Abb. 1.1 Artenübergreifende Fadenspiele. Zeichnung von Nasser Mufti, 2011.

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Unruhig bleiben

Vom Erzählen artenübergreifender Geschichten und über Praktiken für Gefährten Fadenspiele sind wie Geschichten. Sie schlagen Muster vor und vollziehen sie, damit sie von denen, die das Spiel spielen, irgendwie bewohnt werden können. Dieses Spiel findet auf einer verletzlichen und verwundeten Erde statt.1 Meine Erzählungen sind artenübergreifende Geschichten, in denen es um die Rückgewinnung als Teil einer komplexen Geschichte geht, Geschichte(n) voller Sterben und Leben, voller Enden, sogar Genozide, und Anfänge. Angesichts des unablässigen, historisch spezifischen, mehrwertproduzierenden Leidens in Art-Genossen-Verknotungen bin ich nicht an Aussöhnung oder Restaurierung interessiert, aber ich fühle mich zutiefst den bescheideneren Möglichkeiten einer teilweisen Erholung und dem gemeinsamen Weitermachen verpflichtet. Das kann man unruhig bleiben nennen. Also suche ich nach wahren Geschichten, die gleichzeitig spekulative Fabulationen und spekulative Realismen sind. Es sind Geschichten, in denen Multispezies-SpielerInnen durch partielle und beschädigte Übersetzungen quer zu Differenzen verstrickt sind, SpielerInnen, die noch einmal versuchen, gemeinsam zu leben und zu sterben; und zwar auf eine Art und Weise, die auf immer noch mögliches, endliches Gedeihen und auf Rückgewinnung eingestimmt ist. SF verweist auf Science-Fiction, spekulativen Feminismus, Science Fantasy, wissenschaftliche Fakten (science fact), aber auch auf Spiele mit Fadenfiguren (string figures). Im Spiel mit Fäden geht es um das Weitergeben und In-Empfang-Nehmen von Mustern, um das Fallenlassen von Fäden und um das Scheitern, aber manchmal auch darum, etwas zu finden, das funktio­niert, etwas Konsequentes und vielleicht sogar Schönes; etwas, das noch nicht da war, ein Weitergeben von Verbindungen, die zählen; ein Geschichtenerzählen, das von Hand zu Hand geht, von Finger zu Finger, von Anschlussstelle zu Anschlussstelle – um Bedingungen zu schaffen, die auf der Erde, auf Terra, ein endliches Gedeihen ermöglichen. Fadenspiele erfordern, dass man stillhält, um zu empfangen und weiterzugeben. Fadenspiele können von vielen gespielt werden, mit allen möglichen Arten von Gliedmaßen, solange der Rhythmus von Geben und Nehmen aufrechterhalten wird. Wissenschaft und Politik funktionieren genauso. Sie prozes-

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sieren in Verwindungen und Strängen, die Hingabe und Aktion verlangen, Reglosigkeit und Bewegung, Ankerwerfen und Hinausfahren. Südkalifornische Brieftauben entwerfen gemeinsam mit ihren unterschiedlichen Leuten, Geografien, Krittern, Technologien und Wissensformen Praktiken des Lebens und Sterbens in reichhaltigen Verweltlichungen, die ich Fadenspiele nenne. Dieses Kapitel, das durch verschiedene reale Tauben und ihre vielen aufgezeichneten Spuren ermöglicht wird, bildet aus einer Gruppe von Knoten das Eröffnungsmuster. Die Kritter aller meiner Geschichten bewohnen einen n-dimensionalen Nischenraum namens Terrapolis. Meine erfundene multiple Integralgleichung für Terrapolis ist gleichzeitig eine Geschichte, eine spekulative Fabel und ein Fadenspiel für artenübergreifende Verweltlichung. Ω ∫ Terra[X]n = ∫∫∫∫ … ∫∫Terra(x1,x2,x3,x4, …,xn,t) dx1 dx2 dx3 dx4 …,dxndt = Terrapolis α x1 = Zeug/Physis, x2 = Fähigkeit, x3 = Sozialität, x4 = Materialität, xn = Dimensionen, die noch kommen α (alpha) = ökologisch-evolutionär-entwicklungsbiologisch-artenübergreifende Epigenese Ω (omega) = Rückgewinnung von Terras Pluriversum t = Verweltlichungszeit, nicht Containerzeit, verwickelte Zeit aus Vergangenheit/Gegenwart/noch kommender Zeit Terrapolis ist eine fiktionale Integralrechnung, eine spekulative Fabel. Terrapolis ist ein n-dimensionaler Nischenraum für ein artenübergreifendes Mit-Werden. Terrapolis ist offen, weltlich, unbestimmt und polytemporal. Terrapolis ist eine Chimäre aus Materialien, Sprachen, Geschichte(n). Terrapolis ist für Art-GenossInnen,2 cum panis, diejenigen, die mit Brot an ­einem Tisch zusammensitzen – nicht »posthuman«, sondern »kom-post«. Terrapolis ist gegenwärtig; Terrapolis macht Raum für unerwartete GenossInnen. Terrapolis ist eine Gleichung für Guman, für Humus, für Boden, für eine kon­ urbulenzen, tinuierliche, riskante Infektion, für Epidemien vielversprechender T für Permakultur. Terrapolis ist das SF-Spiel der Responsabilität.3

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Art-GenossInnen sind mit der alten Kunst des Umgestaltens der Erde, mit terraforming, beschäftigt. Sie sind die SpielerInnen in der SF-Gleichung, die Terrapolis beschreibt. Terrapolis hat endgültig abgeschlossen mit kantianisch globalisierenden Kosmopolitiken und mit dem griesgrämig-heideggerianischen Welten des menschlichen Exzeptionalismus. Terrapolis ist ein Mischlingswort, das mit den Mykorrizae von griechischen und lateinischen Würzelchen und ihren Symbionten kompostiert wurde. Niemals arm an Welt, existiert Terrapolis in einem SF-Gewebe von stets zu vielen Verbindungen, in dem Responsabilität zusammengeflickt werden muss. Es existiert nicht in der existenzialistischen, bindungslosen und dabei maskulin menschenmachenden Lücke, die Heidegger und seine Nachfolger theoretisiert haben. Terrapolis ist reich an Welt, geimpft gegen den Posthumanismus, aber reich an Kom-Post; geimpft gegen menschlichen Exzeptionalismus, aber reich an Humus, reif für das Erzählen von artenübergreifenden Geschichten. Terrapolis ist nicht die Heimat des Menschen als homo, dieses stets parabolischen, auf- und abschwellenden, phallischen Selbstbilds des Immergleichen; sondern es ist die Heimat für jenen hu­ man, der sich durch einen Zungenkünstlertrick der indo-europäischen Etymologie auf wunderbare Art und Weise in guman verwandelt, den Arbeiter aus und mit dem Erdboden.4 Meine SF-Kritter sind Wesen aus dem Schlamm und nicht vom Himmel, aber dennoch leuchten die Sterne in Terrapolis. In Terrapolis, wo die maskulinistischen Universalien und deren Politik der Inklusion überwunden wurden, ist guman erfüllt mit unbestimmbaren Geschlechtern und Gattungen, voller entstehender Arten, voller signifikanter Andersheit. Meine WissenschaftsfreundInnen aus der Linguistik und der Altertumskunde erzählen mir, dass guman adamah/ Adam ist, kompostiert aus allen möglichen Geschlechtern und Gattungen und dazu in der Lage, eine heimatliche Welt des Unruhig-Bleibens herzustellen. Terrapolis unterhält außerdem verwandt machende, mit Fadenfiguren spielende SF-Beziehungen mit Isabelle Stengers Version einer fleischigen Kosmopolitik und mit weltenschaffenden Schreibpraktiken von Science-Fiction-SchriftstellerInnen. Von der britischen Sozial- und Kulturanthropologin Marilyn Strathern, die The Gender of the Gift (Das Gechlecht der Gabe, KH) basierend auf ethnografischer Feldforschung im Hochland von Papua-Neuguinea (in der

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Mount Hagen-Region) verfasst hat, habe ich gelernt, dass es »von Gewicht ist, mit welchen Ideen wir Ideen denken«.5 Strathern ist eine Ethnografin von Denkpraktiken. Für mich verkörpert sie die Kunst feministischer, spekulativer Fabulation im Wissenschaftsmodus. Es ist von Gewicht, mit welchem Anliegen wir andere Anliegen denken. Es ist von Gewicht, mit welchen Erzählungen wir andere Erzählungen erzählen. Es ist von Gewicht, welche Knoten Knoten knoten, welche Gedanken Gedanken denken, welche Beschreibungen Beschreibungen beschreiben, welche Verbindungen Verbindungen verbinden. Es ist von Gewicht, welche Geschichten Welten machen und welche Welten Geschichten machen. Strathern hat über das Akzeptieren des Risikos kompromissloser Kontingenz geschrieben; sie denkt über die Sozial- und Kulturanthropologie als Wissenspraxis nach, die Verhältnisse mittels Verhältnissen erforscht, eine Wissenspraxis, die Verhältnisse aus unerwarteten anderen Welten auf riskante Weise mit hiesigen Verhältnissen ins Verhältnis setzt. Alfred North Whitehead, der USamerikanische Mathematiker und Prozessphilosoph, der mein Verständnis von Verweltlichung beeinflusst hat, schrieb 1933 Abenteuer der Ideen.6 SF ist voll genau solcher Abenteuer. Isabelle Stengers, eine Chemikerin, Kennerin von Whitehead und Gilles Deleuze, eine radikale Denkerin über Materialität in den Wissenschaften und eine widerspenstige, feministische Philosophin, übergibt mir »spekulatives Denken« im Überfluss. Mit Isabelle Stengers können wir nicht länger die Welt, wie sie ist, im Namen einer idealen Welt zurückweisen. Im Geiste des feministischen, kommunitaristischen Anarchismus und in der Sprache von Whiteheads Philosophie hält sie daran fest, dass Entscheidungen auf irgendeine Art und Weise in Anwesenheit derer getroffen werden müssen, die die Konsequenzen tragen werden. Das ist ihre Auffassung von Kosmopolitik.7 Durch Weitergabe und Rückgabe moduliert SF mein Schreiben und Forschen und macht es zu spekulativer Fabulation und zu einem Spiel mit Fadenfiguren. Weitergabe, Fadenspiele, Muster vor- und zurückreichend, gebend und nehmend, Muster bildend, ein Muster in der Hand haltend, um das man nicht gebeten hat – Responsabilität. Das ist der Kern dessen, was ich meine, wenn ich in ernsthaft artenübergreifenden Welten unruhig bleibe. Die Devise lautet: Mit-Werden statt Werden. In Vinciane Desprets Worten: Im Mit-Werden befähigen PartnerInnen einander.8 Ontologisch

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heterogene PartnerInnen werden wer und was sie sind in relationalen, materiell-semiotischen Verweltlichungen. Naturen, Kulturen, Subjekte und Objekte existieren nicht vor ihrer verflochtenen Verweltlichung. Art-GenossInnen sind in einem unermüdlichen Mit-Werden begriffen. Die Kategorie Art-Genosse (companion species) hilft mir dabei, den menschlichen Exzeptionalismus zurückzuweisen, ohne gleich den Posthumanismus aufzurufen. Art-GenossInnen spielen Fadenspiele, in denen wer in oder von einer Welt ist, oder sein wird, durch Intra- und Interaktion je konstituiert wird.9 Die PartnerInnen gehen der Verknotung nicht vo­raus. Alle möglichen Arten sind Konsequenzen von weltlichen subjekt- und objektmachenden Verwicklungen. In menschlich-tierlichen Welten sind ArtGenossInnen ganz normale Wesen der Begegnung: im Haus, im Labor, auf dem Feld, im Zoo, im Park, im Lastwagen, im Büro, im Gefängnis, auf der Ranch, in der Arena, im Dorf, im Menschenkrankenhaus, im Wald, im Schlachthaus, in der Flussmündung, in der Tierklinik, im See, im Stadion, im Stall, im Tierschutzgebiet, auf dem Bauernhof, in der Meeresschlucht, auf der Straße, in der Fabrik und vielem mehr. Obwohl sie zu den ältesten menschlichen Spielen gehören, sind Fadenspiele nicht überall gleich, und es geht nicht um das Gleiche. Wie alle Nachkommen der Kolonialgeschichte und des Imperialismus, muss ich – müssen wir  – neu lernen, wie man Welten mit Teilverbindungen konjugiert, und nicht in Universalien und Partikularitäten denkt. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert haben europäische und euroamerikanische EthnologInnen Fadenspiele von überall gesammelt. Diese disziplingründenden Reisenden waren überrascht, als ihre Gastgeber die Spiele, die sie als Kinder gelernt hatten, bereits kannten und noch viele weitere Varianten spielen konnten. Fadenspiele sind spät nach Europa gekommen, wahrscheinlich über asiatische Handelsrouten. Das ganze epistemologische Begehren, und auch ihre Erzählungen, hat sich in diesem Zeitraum der Geschichte einer komparativen Anthropologie an Ähnlichkeiten und Differenzen entzündet, die sich, unentscheidbar, als unabhängige Erfindung oder kulturelle Diffusion darstellten; aber sie wurden zusammengebunden durch die Verknüpfung von Hand und Hirn, von Machen und Denken, und sie wurden durchgemustert als »indigene« und »westliche« Fadenspiele.10 In dieser vergleichenden Spannung waren die Fadenspiele diesel-

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ben und sehr verschieden zugleich. Deshalb sind Spiele mit Fadenfiguren und SF immer noch riskante Spiele der Verweltlichung und des Erzählens, Spiele, um beunruhigt zu bleiben.

Abb. 1.2 Ma’ii Ats’áá’ Yílwoí (»Kojoten in zwei Richtungen laufend«). Foto: Donna Haraway.

Abbildung 1.2 zeigt die Hände des Wissenschaftsautors und Produzenten von Natural History Radio, Rusten Hogness,11 der gerade dabei ist, ein Navajo-Fadenspiel namens Ma’ii Ats’áá’ Yílwoí (»Kojoten in zwei Richtungen laufend«) zu lernen. Kojote ist der Trickster, der andauernd den Staub der Unordnung in das ordentliche Sternenmuster des Feuergotts hineinstreut und dabei den gar nicht unschuldigen, weltenschaffenden Tanz von Unordnung und Ordnung provoziert, der das Leben irdischer Geschöpfe prägt. Auf Navajo heißen Fadenspiele na’atl’o’. Navajo-Fadenfiguren werden in meiner artenübergreifenden Erzählung über Navajo-Churro-Schafe und jene Frauen und Männer, die Leben mit und von ihnen gewoben haben und immer noch weben, wieder auftauchen. Aber für dieses Kapitel werden sie ebenfalls benötigt: um über Tauben in Los Angeles und anderswo nachzudenken. Cat’s cradle und jeux de ficelle sind nicht genug; die Knoten müssen sich an vielen Andockpunkten in Terrapolis verzwei-

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gen und verdoppeln. Navajo-Fadenspiele sind eine Form »kontinuierlichen Webens«, Praktiken, um die Geschichte der Sternenbilder und der Entstehung des Volks der Diné zu erzählen.12 Fadenspiele sind Praktiken des Denkens und des Machens, pädago­ gische Übungen und kosmologische Darbietungen. Manche Navajo-Denker beschreiben die Fadenfiguren als Schemata, um hózhó wiederherzustellen; eher mangelhafte Annäherungen an dieses Wort wären Harmonie, Schönheit, Ordnung oder »die richtigen Verhältnisse von der Welt«, was auch die richtigen Verhältnisse zwischen Menschen und Nicht-Menschen impliziert. Nicht in der Welt, sondern von der Welt. Dieser wesentliche Unterschied bei den Präpositionen veranlasst mich, Navajo-Fadenfiguren, na’atl’o’, in das SF-Verweltlichungs-Netz einzuweben. SF-Welten sind keine Gefäße. Sie sind Strukturierungen, riskante Ko-Machenschaften, spekulative Fabeln. In der SF von Terrapolis findet Rückgewinnung in einer Teilverbindung mit hózhó statt. Es ist von Gewicht, mit welchen Ideen wir andere Ideen denken; mein Denken und Machen von Fadenmustern, von cat’s cradle mit na’atl’o’, ist keine unschuldige, universelle Geste, sondern ein riskanter Vorschlag innerhalb von unnachgiebig kontingenten, relationalen, historischen Verhältnissen. Diese Kontingenzen enthalten Geschichten von Eroberung, Widerstand, Rückgewinnung und Wiederaufleben im Überfluss. Gemeinsam mit historisch situierten Krittern Geschichten zu erzählen, ist mit Risiken und Freuden befrachtet, die das Komponieren einer lebenswerteren Kosmopolitik mit sich bringt. Meine ersten ReiseführerInnen sind Tauben. Diese BürgerInnen von Terrapolis gehören zu einer opportunistischen und sozialen Art, die in unzähligen Zeiten und an unzähligen Orten leben kann und es auch tut. Hochgradig unterschiedlich wie sie sind, besetzen sie viele Kategorien und viele Sprachen. Sie werden im Englischen und Deutschen in wilde und häusliche Welten sortiert, aber diese Opposition ist nicht generell oder universell, nicht mal im sogenannten Westen. Die variantenreichen und wuchernden Besonderheiten von Tauben sind erstaunlich. Als mit ihren Leuten ko-domestizierte Kritter, als anders-als-menschliche Kritter nähren sie jene Art von Unruhe, die mir wichtig ist. Tauben verfügen über sehr alte Geschichten des Mit-Werdens mit menschlichen Wesen. Diese Vögel binden ihre Leute in Knoten aus Klasse, Geschlecht, Rasse, Nation, Kolonie

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und Postkolonie und – vielleicht ja doch – in solche der Rückgewinnung einer Erde, die noch kommt. Tauben sind auch »Geschöpfe des Imperiums«, das heißt: Sie sind Tiere, die mit den europäischen Kolonisatoren und Eroberern über die ganze Welt ausschwärmten und damit auch an Orte gelangten, an denen sich andere ihrer Art bereits niedergelassen hatten. Dadurch wurden Ökologien und Politiken für alle und auf eine Art und Weise verändert, die sich nach wie vor in artenübergreifende Körperlichkeit und in umkämpfte Landschaften hinein verzweigt.13 Aber sie sind nicht immer Kolonisatoren, sie gehören an vielen Orten und in unzähligen Konfigurationen des Lebens und Sterbens zu indigenen Arten und Züchtungen. Weil sie seit vielen Tausend Jahren naturkulturelle Ökonomien bauen, sind sie auch berühmt berüchtigt für ökologische Schäden und biosoziale Aufruhr. Sie sind wertgeschätzte Familienmitglieder und verachtete PestbringerInnen, RetterInnen und Geschmähte, RechteinhaberInnen und Komponenten der Tier-Maschine, Nahrung und Nachbar, Zielobjekte für Ausrottung und für biotechnologische Züchtung und Vermehrung, Arbeits- und SpielpartnerInnen sowie TrägerInnen von Krankheiten, bekämpfte Subjekte und Objekte »modernen Fortschritts« und »rückwärtsgewandter Tradition«. Neben alldem variieren die Arten von Tauben, und sie variieren und variieren, und variieren dann noch einmal, mit speziellen Arten fast überall auf Terra. Haustauben (Columba livia domestica) sind in einem mehrere Tausend Jahre dauernden Prozess des Mit-Werdens mit Leuten aus Vögeln hervorgegangen, die ursprünglich in West- und Südeuropa sowie in Nordafrika und in West- und Südasien heimisch waren. Die Felsentauben kamen 1606 über Port Royal in Nova Scotia mit den EuropäerInnen in die Amerikas. Wo auch immer sie hingelangten, haben diese kosmopolitischen Tauben genüsslich Städte besetzt und die Menschen zu Liebe und Hass gleichermaßen verleitet. Die verwilderten Tauben, »Luftratten« genannt, werden beschimpft und bekämpft, aber sie sind auch geschätzte, opportunistische GefährtInnen, die überall auf der Welt eifrig beobachtet und gefüttert werden. Domestizierte Felsentauben haben als Nachrichten überbringende Spione fungiert, als Wettkampfvögel, als Attraktionen auf Messen und Märkten, als Nahrung für Arbeiterfamilien, als Testsubjekte in der Psychologie, als Darwins GesprächspartnerInnen bei Fragen der künstlichen Se-

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lektion und vieles mehr. Verwilderte Tauben sind die Lieblingsspeise städtischer Räuber, etwa für Wanderfalken. Nachdem diese durch den Einsatz von DDT, das die Schalen ihrer Eier sehr dünn werden ließ, beinahe ausgerottet waren, nehmen die Wanderfalken nun ihr Leben auf Brücken und Mauervorsprüngen von Wolkenkratzern wieder auf. Tauben sind kompetente Agenten  – im Sinne von Delegierten und Darstellern –, die einander und die Menschen zu situiert-sozialen, ökolo­ gischen, verhaltensbezogenen und kognitiven Praktiken befähigen. Ihre Verweltlichung ist expansiv. Die SF-Spiele dieses Kapitels berühren nicht sehr viele ihrer Welten, ganz sicher werden nicht alle Fäden aufgenommen, die mit und von diesen Vögeln verknüpft werden.14 Mein SF-Spiel verfolgt bescheidene, mutige, aktuelle und risikofreudige Projekte der Rückgewinnung, in denen Menschen und Tiere sich auf erfinderische Art und Weise zusammentun und sich so eventuell gegenseitig zu einem endlichen Gedeihen befähigen – jetzt und in kommenden Zeiten. Das Zusammenwirken von unterschiedlich situierten Leuten – und Bevölkerungen – ist so wichtig wie das von Menschen und Tieren und wird durch diese erst ermöglicht. Tauben fliegen uns nicht allgemein in Kollaborationen, sondern sie bringen uns an spezifische Kreuzungen zwischen bekannten und unbekannten, unbequemen Welten. Daraus kann vielleicht etwas gewoben und dabei auch entwirrt werden, aber es könnte auch das Leben und Sterben in Schönheit, im n-dimensionalen Nischenraum von Terrapolis, nähren. Ich hoffe, dass diese Knoten vielversprechende Muster für artenübergreifende Responsabilität inmitten aktueller Turbulenzen abgeben.

Kalifornische Wettkampftauben und ihre Leute: Kollaborative Künste für weltliches Gedeihen Mit-Werden, einander befähigen Die Fähigkeiten von Tauben überraschen und beeindrucken jene Menschen, die oft vergessen, wie sehr sie selbst von Dingen und Lebewesen befähigt werden. Für die Ausformung von Responsabilität können Dinge und Lebewesen innerhalb und außerhalb menschlicher Körper, in ganz ver-

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schiedenen räumlichen und zeitlichen Maßstäben relevant sein. Die SpielerInnen beschwören, lösen aus und rufen gemeinsam hervor, was und wer existieren wird. Im Mit-Werden und in gegenseitiger Befähigung erfinden sie n-dimensionale Nischenräume und deren BewohnerInnen. Das Ergebnis wird häufig Natur genannt. Taubennaturen, sofern sie als solche Koproduktionen aufgefasst werden, sind wichtig für meine SF-Geschichte.

Abb. 1.3 Bird Man of the Mission; das Mauerbild zeigt einen obdachlosen, psychisch kranken Mann namens Lone Star Swan und manche seiner städtischen Tauben, die seine FreundInnen und GefährtInnen auf den Straßen des Mission-District in San Francisco waren. Gemalt wurde das Bild von Daniel Doherty 2006 als Teil des ­Clarion Alley Mural Project. Das Werk war schwer ­getagged und wurde 2013 ­übermalt. Jane Bregman hat für das Street Art SF-Team die Geschichte von Bird Man of the ­Mission aufgeschrieben und am 7. Oktober 2014 veröffentlicht. Auf der Webseite des Street Art SF-Teams ist sie zu finden. Foto: James Clifford. © Daniel Doherty, Clarion Alley Mural Project.

Tauben, die an ihnen unbekannten Orten freigelassen werden, finden auch an wolkigen Tagen über Tausende Kilometer den Weg zurück zu ihrem Taubenschlag.15 Tauben haben einen Karten-Sinn und einen KompassSinn, beides hat sie sehr beliebt gemacht: bei TaubenzüchterInnen, die mit

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ihnen Wettrennen veranstalten; bei WissenschaftlerInnen, die sich für die Verhaltensbiologie der Orientierung und der Navigation interessieren; bei Spionen, die Nachrichten durch Feindeslandes schicken möchten, und bei VerfasserInnen von Kriminalromanen, die auf die guten Tauben vertrauen, um Geheimnisse zu transportieren.16 Taubenrennen-Enthusiasten gibt es rund um den Globus, doch die Hotspots des Sports sind wahrscheinlich die Dächer von Kairo und Istanbul oder auch die migrantischen, musli­ mischen Nachbarschaften in europäischen Städten wie Berlin. Dort züchten und füttern fast ausschließlich Männer und Jungen ihre talentierten Vögel sorgfältig und aufwändig, damit sie von den Freisetzungspunkten möglichst schnell und genau heimkehren. Ganz normale, »wilde« Tauben sind aber auch alles andere als schlecht darin, nach Hause zu finden. Tauben orientieren sich an ihnen bekannten Punkten, um den Weg zu finden. Sie können Objekte und Gebäude während des Fluges sehr gut erkennen und unterscheiden. In den 1970er und 1980er Jahren führte die US-Küstenwache das Projekt Sea Hunt durch, bei dem Tauben im offenen Meer treibende Personen oder Ausrüstung viel besser ausmachten als die Menschen.17 Tatsächlich lagen Tauben in 93 Prozent aller Fälle richtig, Menschen nur in 38 Prozent. Die Tauben hockten in einer Beobachtungskugel an der Unterseite eines Helikopters und pickten auf Tasten, um ihre Beobachtungen mitzuteilen. Wenn sie mit ihren eigenen Leuten arbeiten durften statt isoliert, lagen sie sogar fast zu 100 Prozent richtig. Zweifellos mussten die Tauben und das Personal der Küstenwache lernen, miteinander zu kommunizieren, und die Tauben mussten lernen, wofür sich ihre Menschen interessierten. Menschen und Vögel mussten auf nichtmime­ tische Art und Weise pädagogische und technische Wege finden, sich wechselseitig für Probleme zu befähigen, die neu für sie alle waren. Die Tauben stiegen allerdings nie in Jobs auf, in denen sie tatsächliche Schiffbrüchige retten konnten. 1983 wurde das Projekt beendet, da nach zwei Helikopterabstürzen die Bundesfinanzierung eingestellt wurde. Nur wenige anders-als-menschliche Kritter haben menschliche SkeptikerInnen davon überzeugt, dass Tiere sich selbst im Spiegel erkennen können  – über dieses Talent erfahren WissenschaftlerInnen, wenn Tauben nach Farbklecksen oder anderen Markern auf ihrem Körper picken, die sie nur im Spiegel sehen können. Diese Fähigkeit teilen Tauben un-

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ter anderem mit menschlichen Kindern über zwei Jahren, Rhesus-Affen, Schimpansen, Elstern, Delfinen und Elefanten.18 Weil diese Forschungsrichtungen theoretisch und methodisch geradezu berauscht sind vom Individualismus, hat sogenannte Selbsterkenntnis in der westlich beeinflussten Psychologie und Philosophie großes Gewicht. Soll mit diesen Tests nachgewiesen werden, wer etwas kann und wer nicht, gleicht dies einem epistemologischen Wettkampf. Tauben haben ihren ersten Spiegeltest 1981 im Labor von B. F. Skinner bestanden.19 Science News hat 2008 berichtet, dass ForscherInnen der Keio-Universität gezeigt hätten, dass sich Tauben selbst in fünf bis sieben Sekunden verzögerten Spiegel- oder Videobildern besser erkannt haben als drei Jahre alte Menschenkinder.20 Tauben können auch sehr gut verschiedene Menschen auf Fotos unterscheiden. In Professor Shigeru Watanabes Laboratory of Comparative Neuroscience an der KeioUniversität konnten sie Bilder von Monet und Picasso auseinanderhalten, sogar Generalisierungen treffen und ihnen unbekannte Bilder verschiedenen Stilen und Malschulen zuordnen.21 Es wäre allerdings ein Fehler, die Argumentation entlang der vorhersehbaren Linie von »meine Vogelhirnkognition ist besser als oder genauso gut wie deine Affenhirnkognition« zu bauen. Was hier passiert, scheint mir interessanter als dieser Wettbewerb zu sein und reicher an Konsequenzen für ein gutes Miteinanderauskommen, für Zuwendung in emergenter Ähnlichkeit und Differenz. Tauben, Leute und Apparate haben sich hier zusammengetan, um sich wechselseitig zu etwas Neuem in einer Welt artenübergreifender Beziehungen zu befähigen. Es ist völlig in Ordnung, Beweise für eine Selbstwerdung im Sinne der Selbstwahrnehmung in bestimmten Laboranordnungen zu liefern. Ebenso entscheidend ist aber, einander und andere Wesen auf eine Art und Weise zu erkennen und anzuerkennen, die für die Lebensvollzüge der jeweiligen Kritter sinnvoll ist, egal ob sie in Brieftaubenschlägen oder an urbanen Orten leben. Über diese Themen gibt es interessante Forschung, aber ich möchte lieber die Online-Essays von Tanya Berokoff einblenden, die sie als Racing Pigeon Posts publiziert. Sie ist Sprachtrainerin und die lebenslange Begleiterin von anderen Tieren. Mit ihrem Ehemann, John Berokoff, ist sie Mitglied des Palomar Racing Pigeon-Clubs in Kalifornien; er ist für die Wettkämpfe zuständig, vorwiegend mit anderen Männern.

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­ an­ya Berokoff greift auf ihr sozialwissenschaftliches Wissen und die ameT rikanische Populärkultur zurück, wenn sie mithilfe von John Bowlbys psychologischer Bindungstheorie und Tina Turners Lied »What’s Love Got to Do with It?« darüber spricht, wie Taubenliebhaber die Taubeneltern dabei unterstützen, ihre Kleinen aufzuziehen, aber auch Sicherheit und Kompetenz vermitteln, während diese zu ruhigen, zuversichtlichen, verlässlichen, sozial­kompetenten, heimsuchenden Renntauben werden.22 Sie beschreibt die Selbstverpflichtung der Tauben-Leute, sich an die Stelle ihrer Tauben zu versetzen, um deren Art und Weise des Wissens und deren soziale Praxis zu verstehen. Die Sprache, die Berokoff dafür verwendet, ist diejenige der Liebe, ein-, aber nicht ausschließlich einer instrumentellen Liebe. Ihre Akteure sind sowohl Tauben als auch Leute, die Inter- und IntraspeziesBeziehungen pflegen. Berokoff beschreibt Details von Gesten und Haltungen der Tauben mit- und zueinander, sie schildert die Zeit, die sie miteinander verbringen, und auch, wie sie diese Zeit füllen. Sie resümiert: »Es sieht so aus, als wären unsere Tauben ziemlich gut darin, eine Liebe nach Art der Agape füreinander zu zeigen […]. Unsere Tauben tun ein wirkliches Liebeswerk.« Im »Liebeswerk« geht es für sie nicht »um eine emotionale Notwendigkeit, sich zu verlieben, sondern darum, aufrichtig von jemandem geliebt zu werden«.23 Dieses Bedürfnis ihrer columbinischen Sozialpart­nerInnen scheinen die Tauben zu erfüllen, sagt sie, und das ist es auch, was ihre Leute ihnen schulden. Berokoff erläutert detailliert mithilfe von Bowlbys Bindungstheorie, was die jungen Tauben während ihres Aufwachsens brauchen. Ihre PartnerInnen sind sowohl Tauben als auch Menschen, die auf responsable Weise mit ihnen umgehen. In dieser Szene ist aber nicht alles durch und durch rosarot. Die gegenseitigen Schikanen der Tauben, die anstrengende Arbeit des Wettfliegens (für Vögel und Menschen), Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Liebe – und Kochrezepte für Taubengerichte – auch davon berichtet sie in ihren Posts. Ich will nicht darauf hinaus, dass dieser Diskurs oder dieser Sport unschuldig wäre. Vielmehr sehen wir hier eine große relationale Komplexität und eine kraftvolle artenübergreifende SF-Praxis.

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PigeonBlog Rückgewinnung und Unruhigbleiben sind die Leitmotive meiner SF-Praxis. Sie lassen sich nur zu gut anhand menschlicher Brutalität gegenüber Tauben oder auch anhand der von Tauben verursachten Schäden an anderen Spezies oder an von Menschen errichteten Gebäuden thematisieren. Ich möchte mich aber den Belastungen durch städtische Luftverschmutzung zuwenden. Luftverschmutzung wirkt sich unterschiedlich stark auf menschliche (und anders-als-menschliche, aber das wird nicht erhoben) Sterblichkeit und Krankheitsanfälligkeit aus, häufig verteilt sie sich nach Klasse und Ethnizität. Arbeitstauben werden unsere BegleiterInnen bei Projekten zur Umweltgerechtigkeit in Kalifornien sein. Mit diesen Projekten soll versucht werden, verseuchte Nachbarschaften und soziale Verhältnisse zu reparieren. Wir werden im Geflecht einer künstlerischen Aktion von Beatriz da Costa beunruhigt bleiben. Sie hat das Projekt namens Pi­ geonBlog mit ihren StudentInnen Cina Hazegh und Kevin Ponto durchgeführt und dabei SF-Muster mit vielen menschlichen, tierlichen und cyborg­ artigen Ko-GestalterInnen geknüpft. Im August 2006 nahmen Brieftauben an drei öffentlichen Experimenten teil, bei denen Stadtmenschen und städtische Wettkampfvögel durch Kommunikationstechnologien intim miteinander verbunden wurden. Die Tauben sind einmal für ein Seminar zu Experimental Critical Theory an der Universität von Kalifornien in Irvine geflogen und zweimal für das Festival Seven Days of Art and Interconnectivity bei der ISEA in San Jose, Kalifor­ nien.24 Das Projekt PigeonBlog erforderte eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen »Brieftauben, KünstlerInnen, IngenieurInnen und Tauben-LiebhaberInnen, die sich in einer wissenschaftlichen Graswurzel­ initiative engagierten, um Informationen über die Bedingungen von Luftqualität zu sammeln und zu veröffentlichen«.25 Global gesehen ist Brieftauben das Bündnis mit Leuten aus der Arbeiterklasse nicht fremd, etwa im Zusammenhang mit männlichem Wettkampfsport, in dem tiefe Gefühle zwischen den Arten eine wichtige Rolle spielen. Und ihre nachgewiesenen Fähigkeiten bei der Überwachung von und im Umgang mit Kommunikationstechnologien und -netzwerken sind sehr alt und sehr wichtig. Tauben sind seit vielen Jahrzehnten ArbeiterInnen und Forschungssub­jekte der

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Ornithologie und der Psychologie. Aber vor dem Projekt Pi­geonBlog sind Wettkampftauben noch nie dazu eingeladen worden, all ihr Erbe einzubringen und sich mit einem Ensemble von KunstaktivistInnen zusammenzutun. Das Projekt hatte zum Ziel, »auf der Suche nach widerständiger Aktion«26 schlaue, billige DIY-Elektronik mit Citizen ­Science, artenübergreifend koproduzierter Kunst und ebensolchem Wissen zusammenzubringen. Die Daten sollten provozieren, motivieren, verstärken, inspirieren und illustrieren. Sie waren nicht als Ersatz für oder als Verbesserung von professioneller Forschung über Luftverschmutzung gedacht. Die Daten sollten einfallsreiches und wissendes Handeln in unterschiedlichen Bereichen und Praktiken befördern. Da Costa wollte keine Expertin für Luftverschmutzung werden, sondern ein Zusammenwirken bei etwas ganz anderem auslösen: in einer artenübergreifenden Kunstaktion, die sich für alltägliche Welten einsetzt, die Erholung benötigen (und zu ihr fähig sind), quer zu vorhandenen Differenzen. Die Luftverschmutzung in Kalifornien, speziell im Los Angeles County, ist legendär. Sie beeinträchtigt die Gesundheit von Menschen und anderen Krittern besonders heftig in der Nähe von Autobahnen, Kraftwerken und Raffinerien. Diese wiederum befinden sich häufig in der Nähe von ArbeiterInnenvierteln und solchen, die von People of Color und MigrantInnen bewohnt werden, wobei sich diese Kategorien keineswegs wechselseitig ausschließen. In Südkalifornien sind die offiziellen Apparate zur Überwachung von Luftverschmutzung an Punkten fest installiert, und zwar weit weg von Gegenden mit hohem Verkehrsaufkommen und bekannten Verschmutzungsquellen. Sie sind meist in höheren Regionen aufgebaut als in jenen, in denen viele Leute, Pflanzen und Tiere atmen. Die einzelnen Überwachungsgeräte kosten viele Tausend Dollar und können nur die Gase in ihrer unmittelbaren Nähe messen. Die Werte werden dann nach verschiedenen Modellen für das gesamte Gebiet hochgerechnet. Richtig ausgerüstete Brieftauben können im Flug kontinuierlich und in Echtzeit Daten zur Luftverschmutzung sammeln, und zwar auch in jenen kritischen Höhen, die für die offiziellen Instrumente nicht zugänglich sind, oder nahe am Boden, wo die Tauben zu ihren Heimkehrflügen freigelassen werden. Die Daten können in Echtzeit via Internet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Frage war: Was ist nötig, um eine Koope-

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ration mit den Vögeln und ihren Leuten herzustellen, und welche Art der Zuwendung und der Responsabilität kann eine solche Zusammenarbeit herbeiführen? Wer würde wen wozu befähigen? Da Costa erklärte die Ausrüstung: »Der ›Rucksack‹ der Tauben, den wir für das Projekt entwickelt haben, bestand aus einem KombinationsElement für GPS (Längen- und Breitengrade, Höhe) und GSM (Mobiltelefonkommunikation) und entsprechenden Antennen, einem dualen selbstbeweglichen CO/NOx-Verschmutzungssensor, einem Temperatursensor, einem SIM-Karten-Interface, einem Mikro-Controller und elektronischen Standardkomponenten zur Unterstützung. Weil sie so gebaut waren, haben wir im Grunde ein Mobiltelefon mit einer offenen Plattform für SMSDienste entworfen, das jeder, der daran interessiert ist, nachbauen oder umfunktionieren kann.«27 Die Künstler-Forscher-IngenieurInnen brauchten etwa drei Monate, um die Grundtechnologie zu entwickeln. Aber den Rucksack bequem und sicher genug für die Tauben zu machen, dauerte beinahe ein Jahr: Der Aufbau von praktischem und tatkräftigem, artenübergreifendem Vertrauen und Wissen, damit die Verbindung zwischen Vögeln, Technologien und Leuten auch wirklich hergestellt werden konnte, benötigt Zeit. Schließlich wollte niemand, dass eine überladene Brieftaube auf ihrem Rückflug von einem opportunistischen Falken, der nicht Teil des Teams war, aus der Luft gepflückt würde! Niemand, zuletzt die Männer, die die Wettkampftauben züchteten, aufzogen, liebten und mit ihnen arbeiteten, würden ängstliche und unglückliche Vögel, die unter Zwang nach Hause rumpelten, akzeptieren. Die Künstler-ForscherInnen und die Taubenliebhaber mussten sich gegenseitig zu Vertrauen ineinander befähigen, um die Vögel um ihr Selbstvertrauen und ihr Können bitten zu können. Das bedeutete: jede Menge Anproben und Balancetraining im Taubenschlag und jede Menge Lernen lernen mit einem großzügigen und kenntnisreichen Taubenliebhaber, Bob Matsuyama (der auch in einer Mittelschule Naturwissenschaften unterrichtete), und natürlich mit seinen talentierten und gut ausgebildeten FliegerInnen. Tauben sind keine SIMKarten, sie sind lebendige Ko-ProduzentInnen. Unter Anleitung der Taubenliebhaber mussten die Künstler-ForscherInnen und die Tauben lernen, zusammen zu interagieren und zu trainieren. Alle MitspielerInnen befähigten einander wechselseitig, sie sind gemeinsam in einer spekulativen

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Fabel zu etwas geworden. Viele Testläufe und Testflüge später konnte das artenübergreifende Team die Luft mit Fadenfiguren elektronischer Spuren durchziehen.28 Es erschienen viele Pressemeldungen als Reaktion auf die Flüge im Jahr 2006 und auf PigeonBlog. Da Costa hat berichtet, dass ein texa­nischer Ingenieur sie kontaktierte, um gemeinsam einen Forschungsantrag an die Defense Advance Research Projects Agency (DARPA) zu verfassen, in dem es um kleine autonome Luftüberwachungsgeräte gehen sollte, die nach den Flugeigenschaften von Vögeln gestaltet sind. Wäre das nur ein Witz gewesen! Die schon lange andauernde militärische Nutzung anders-alsmenschlicher Tiere als Waffen und Spionagesysteme ist im 21. Jahrhundert lediglich extravaganter und technikverliebter geworden.29

Abb. 1.4 Das PigeonBlog-Team, bestehend aus menschlichen Wesen, Tauben und elektronischen Geräten. Foto: Deborah Foster für PigeonBlog. © Robert Niediffer für Beatriz da Costa.

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Fadenspiele mit Art-GenossInnen

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Ein anderer Strang der Geschichte handelt davon, dass die PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) PigeonBlog wegen des Missbrauchs von Tieren schließen lassen wollte. Die PETA veröffentlichte ein Statement, in dem sie die Verwaltung der Universität von Kalifornien in Irvine, an der da Costa beschäftigt war, aufforderte, aktiv zu werden. Die Begründung war faszinierend: PigeonBlog hätte kein Recht, nicht-menschliche Tiere zu benutzen, weil das Projekt nicht einmal wissenschaftlich begründete Experimente vornähme. Die PETA wäre eventuell auch gegen solche Experimente, aber etwas weniger, weil damit wenigstens ein Ziel und ein sachlicher Anlass (Krankheiten heilen, das Genom kartieren) vorliegen würden. Kunst wurde als trivial, als »nur ein Spiel« aufgefasst, im Vergleich zur ernsthaften Arbeit an Themen wie Tierrechten oder wissenschaftlichem Fortschritt. Da Costa nahm Fragen zur Kosmopolitik und materiellen Semiotik der Kollaboration mit Tieren in Kunst, Politik und Wissenschaft sehr ernst. Wer befähigt wen zu was und zu welchem Preis, und wer zahlt ihn? Aber sie hat auch gefragt: »Ist menschlich-tierliche Arbeit als Teil einer politischen (und künstlerischen) Aktion weniger legitim als die gleiche Art Aktivität, wenn diese als Wissenschaft gerahmt ist?«30 Vielleicht werden gerade im Spiel, außerhalb der Diktate eines Telos, festgelegter Kategorien und Funktionen, ernsthafte Weltlichkeit und Formen der Rückgewinnung möglich. Jedenfalls ist das die Prämisse von SF. Lange bevor die PETA auf da Costas künstlerische Forschung aufmerksam wurde, wäre PigeonBlog beinahe zu Ende gewesen, bevor es überhaupt losgegangen war. Der Grund war die Angst der Brieftauben-Männer vor jener Art von Kontroverse und Angriff, mit der Teile der Tierrechtsbewegung (nicht die ganze) auf organisierte, menschlich-tierliche Arbeitsund Spiel-Beziehungen, speziell solche des Wettkampfs, reagieren.31 In einer frühen Phase des Projekts hatte da Costa die American Racing Pigeon Union [die US-amerikanische Vereinigung für Taubenrennen, KH] kontaktiert, um Taubenliebhaber zu treffen und um herauszufinden, ob sie und ihre Tauben mitmachen würden. Die erste Kontaktperson war interessiert, hatte aber, frei heraus, Angst vor den Tierrechtsleuten und ihren Taktiken. Er empfahl Bob Matsuyama, der dann intensiv mit dem Projekt zusammenarbeitete und den künstlerisch Forschenden half, Taubenliebhaber in San José zu treffen – eine Weitergabe von erworbenem Vertrauen.

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Als Pi­geonBlog beendet wurde, überreichte die Vereinigung da Costa ein formales Anerkennungszertifikat: für die Arbeit mit den Vögeln und ihren Leuten und dafür, dass sie einer größeren Öffentlichkeit gezeigt hatte, was Brieftauben leisten können und wozu sie fähig sind. PigeonBlog hat viele Fans, zu ihnen gehören auch Grüne und UmweltaktivistInnen, aber eine Reaktion gab da Costa ganz besonders das Gefühl, dass die kalifornischen Brieftauben gut geflogen waren und etwas Vielversprechendes in die artenübergreifende Welt hineingetragen hatten. Das ornithologische Laboratorium der Cornell Universität bat da Costa in den Beirat für ihr Projekt Urban Bird Gardens, das wiederum Teil ihrer CitizenScience-Initiative war. In diesem Projekt gehen Daten, die von normalen Leuten, von älteren Menschen genauso wie von Schulkindern gesammelt wurden, in jene Datenbank des Labs ein, die universitäre Forschung mit Neigungen und Fragen von BürgerInnen verknüpft. Das Vorgehen ähnelt der mit Cornell eng verbundenen Citizen-Science-Initiative »Project PigeonWatch«, die regional unterschiedliche Farbgebungen in verschiedenen Populationen meist wild lebender Tauben erhebt. Eines der PigeonWatchProjekte in Washington, D.C., wirbt SchülerInnen-Gruppen an, die Stadttauben beobachten und verzeichnen. Während dieser Arbeit passieren viele Dinge in Terrapolis. Stadtkinder, großteils aus »Minderheitengruppen«, lernen verachtete Vögel als wertvolle und interessante StadtbewohnerInnen kennen, die es zu beobachten lohnt. Weder die Kinder noch die Tauben gehören zu einer städtischen »Wildnis«; beide Gruppen von Wesen sind bürgerliche Subjekte und Objekte in Intra-Aktion. Dennoch will und kann ich nicht vergessen, dass sowohl die Tauben als auch die farbigen Kids in D.C. das Stigma einer typisch US-amerikanischen Ikonografie tragen: Sie gelten als widerspenstig, schmutzig, deplatziert, wild. Diese konkreten Kids verändern sich jedoch und nehmen die Tauben nicht mehr als »Luftratten« wahr, sondern als gesellige Tiere, die leben und sterben. Die Kinder mutieren von VogeltriezerInnen und manchmal auch VogelquälerInnen zu scharfsinnigen BeobachterInnen und AdvokatInnen jener Wesen, die sie zuvor nicht verstehen oder respektieren konnten. Die Schulkinder wurden responsabel. Weil Tauben eine so lange Geschichte affektiver und kognitiver Beziehungen zu Leuten haben, konnten sie eventuell die Blicke erwidern und wurden zumindest nicht länger getriezt. Ich

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Fadenspiele mit Art-GenossInnen

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weiß, dass mein Bericht eine Geschichte ist, eine Einladung ebenso sehr wie eine Würdigung, aber für alle verachteten StadtbewohnerInnen sollte unabhängig von ihrer Art der Raum für Erholung erweitert werden und nicht verengt.32 Vinciane Despret hat einen Text über ein anderes Kunstprojekt verfasst, das Brieftauben und ihre Leute in einer Kollaboration zusammenbringt, die sich der Gefahr des Verlusts ihrer ganzen Gemeinschaft (jener, der TaubenliebhaberInnen) ausgesetzt sieht. Sie fragt, was mit dem von der Künstlerin Matali Crasset gestalteten Taubenschlag in Chaudry, Frankreich, in gemeinsamer Erinnerung bleiben wird. Aber ohne den Taubenliebhaber, ohne das Wissen, auch das praktische Wissen, von Männern und Vögeln, ohne Selektion und Lehrzeiten, ohne die Weitergabe von Praktiken würden einfach nur Tauben bleiben, keine Brieftauben, keine voya­ geurs. Hier wird weder allein an das Tier noch die Praxis erinnert, sondern an die Aktivierung von zwei verschiedenen Prozessen des »Mit-Werdens«, die explizit in die Entstehung des Projekts eingeschrieben sind. Anders gesagt, was hier hervorgebracht wird, sind die Beziehungen, durch die Tauben Männer in talentierte Taubenliebhaber verwandeln und durch die die Liebhaber die Tauben in verlässliche Brieftauben verwandeln. Dessen gedenkt dieses Werk. Es gibt sich den Auftrag, die Erinnerung so herzustellen, dass diese Leistung sich aktiv in die Gegenwart verlängert. Das ist eine Art von »Reprise«, eine »Wiederaufnahme«.33

Sich zu erinnern, zu kom-memorieren, bedeutet, etwas aktiv zurückzuholen, wiederzubeleben, wiederaufzunehmen, zurückzugewinnen. In ihrem Einsatz für artenübergreifende SF, für Fadenspiele der Verweltlichung eines Mit-Werdens sind da Costa und Despret Art-Genossinnen. Sie erinnern sich; sie locken und verlängern in eine fleischliche Gegenwart, was ohne die aktive Gegenseitigkeit von PartnerInnen verschwinden würde. Wettkampf- und Brieftauben, aber auch wild lebende Tauben rufen ihre neuen und ihre herkömmlichen Leute zu Responsabilität auf – und umgekehrt. Stadt- und LandbewohnerInnen verschiedener Spezies und mit unterschiedlichen Arten, zu leben und zu sterben, machen sich gegenseitig zu talentierten TaubenliebhaberInnen (colombophiles talentueux) in Gesellschaft verlässlicher Reisender (voyageurs fiables).

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Despret und da Costa spielen Fadenspiele mit Matali Crasset und geben dabei Knotenmuster und Möglichkeiten in Terrapolis weiter. Crasset ist Industriedesignerin, ein Beruf, der verlangt, auf eine Weise auf PartnerInnen zu hören und mit ihnen zusammenzuarbeiten, die für bildende Künstler nicht unbedingt notwendig ist, die aber da Costa in ihrer Arbeit und ihrem Spiel als künstlerische Forscherin und artenübergreifende Kunstaktivistin ebenfalls praktizierte. Der von Crasset entworfene Taubenschlag wurde von La Défense, einem Taubenliebhaber-Verein in Beauvois en Cambresis, sowie vom Freizeitpark in Caudry (La Base de Loisirs) in Auftrag gegeben. Der Innenraum der Kapsel ist funktional organisiert wie ein Baum, eine Art Weltachse. Die äußere Form erinnert an altägyptische Taubenschläge. Historische, mythische und stoffliche Welten spielen hier miteinander, in diesem Vogelheim, das auf Initiative jener entstanden ist, die sie züchten, aufziehen, fliegen lassen und mit-ihnen-werden.

Abb. 1.5 Capsule, gestaltet von Matali Crasset (2003) für ein Projekt von La ­fondation de France, Les nouveaux commanditaires. Mediation und Produktion: ­artconnexion, Lille, France. © André Morin.

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Fadenspiele mit Art-GenossInnen

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Ein weiterer Taubenschlag in Form eines Turms drängt sich in meine Erinnerung; ein weiterer Entwurf für artenübergreifende Rückgewinnung, der sich an Geschöpfe des Imperiums richtet, welche Arten auch immer zugreifen möchten. Diesmal sind wir in Melbourne, Australien, im Batman Park, der sich entlang des Yarra erstreckt; vor der Ankunft der EuropäerInnen gehörte dieses Land den Wurundjeri. Das kolonisierte Gebiet entlang des Yarra wurde zur Brache, zur Müllhalde, zum Gelände für Güter- und Eisenbahntransport. All das zerstörte das Feuchtgebiet (anglowissenschaftlicher Ausdruck) und das Land (country, anglo-aborgine Ausdruck für einen multidimensionalen Ort voller Geschichten).34 Das Feuchtgebiet und das Land sind einander so ähnlich und so verschieden voneinander wie cat’s cradle, jeux de ficelle, na’atl’o’ und matjka-wuma; um unruhig zu bleiben, sind die Namen der Muster in ihrer Komplementarität notwendig, aber sie sind nicht isomorph.35 Sie bevölkern verbundene, getrennte und verwickelte Geschichten. Der kleine Batman Park ist 1982 entlang eines stillgelegten Betriebshofs für Güterzüge gestaltet worden. Der Taubenschlag wurde 1990 gebaut, um Tauben zu ermuntern, in gewisser Entfernung von städtischen Bauwerken und Straßen zu schlafen. Der Taubenschlag hat die Form eines Turms und gehört zum Plan der Stadtverwaltung für wild lebende Tauben. Es geht hier nicht um die geliebten Brieftauben der Taubenliebhaber, sondern um die »Luftratten«, denen wir schon in den städtischen Parks von Washington, D.C., und in Verbindung mit dem international bekannten OrnithologieLabor der Cornell Universität begegnet sind. Die Tauben von Melbourne sind mit den EuropäerInnen gekommen und gediehen in Ökosystemen und Welten, die die Feuchtgebiete des Yarra ersetzt haben. Die meisten Aborigines, die sich als ursprüngliche BesitzerInnen zuvor um das Land gekümmert hatten, wurden enteignet. 1985 wurden zwei Organisationen ins Leben gerufen, die Wurundjeri Tribe Land Compensation und das Cultural Heritage Council, auch um mehr Aufmerksamkeit für Kultur und Geschichte der Wurundjeri im heutigen Australien zu erzeugen. Ich weiß nicht, ob das Cultural Heritage Council irgendeine Rolle bei der teilweisen Rückgewinnung des Landes am Batman Park gespielt hat. Aber ich weiß, dass Orte entlang des Yarra-Flußes für die Wurundjeri bedeutungsvoll waren. 1835 hatte der Geschäftsmann und Forscher John Batman mit einer

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Gruppe Wurundjeri-Älteren einen Kaufvertrag unterzeichnet; es ist der erste und der einzige dokumentierte Fall, bei dem die Europäer »ihre Anwesenheit und Besetzung von Aborigine-Land direkt mit den angestammten BesitzerInnen verhandelten […]. Für die 600.000 Morgen Melbourne, darin enthalten ist auch das Land, das inzwischen von Vorstädten eingenommen wird, bezahlte John Batman 40 Decken, 42 Äxte, 130 Messer, 62 Scheren, 40 Spiegel, 250 Taschentücher, 18 Hemden, 4 Flanell­jacken, 4 Anzüge und ­ outh Wales wies 150 Pfund Mehl.«36 Der britische Gouverneur von New S dieses dreiste Abkommen als einen Gesetzesbruch mit der Krone zurück. Die belastete Geschichte muss in diesem kleinen Parkstreifen zurückgewonnenen städtischen Territoriums mit seinem markanten Taubenturm irgendwie erinnert und beerbt werden.

Abb. 1.6 Taubenschlag im Batman Park. Foto: Nick Carson, 2008.

Der Taubenschlag im Batman Park ist weder künstlerische Forschung noch Citizen Science noch Industriedesign, das von der Brieftaubencommunity in Auftrag gegeben wurde. Es ist eine Technologie zur Geburtenkontrolle –

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Fadenspiele mit Art-GenossInnen

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oder besser gesagt: zur Brutkontrolle –, die entscheidend für das urbane, artenübergreifende Gedeihen ist. Die Fruchtbarkeit der wild lebenden Tauben ist eine massive städtische Kraft und ein wirkungsvolles Zeichen dafür, dass das Land von den SiedlerInnen und ImmigrantInnen überfüllt wurde, während die endemischen Vögel des Feuchtgebiets und die Aborigines vertrieben wurden. Unruhig zu bleiben bedeutet in diesem Fall artenübergreifende Rückgewinnung und, wie es in einer suggestiven australischen Formulierung heißt: »getting on together« – miteinander klar kommen, mit weniger Verleugnung und mehr experimenteller Gerechtigkeit. Ich möchte diesen Taubenschlag als eine kleine, praktische Verwirklichung und als eine Erinnerung an eine weitere Öffnung hin zu Responsabilität und Unruhigbleiben sehen. Responsabilität schließt Ab- und Anwesenheit, töten und nähren, leben und sterben mit ein – und die Erinnerung daran, wer in den Fadenspielen der Naturkulturgeschichte wie lebt und stirbt. Der Taubenschlag hat zweihundert Brutkästen, die die Tauben dazu einladen, ihre Eier dort zu legen. Leute klettern von unten hinein und ersetzen die Eier durch künstliche zur Bebrütung. Es ist erlaubt, und es wird sogar dazu ermuntert, die Tauben in der Nähe des Schlags zu füttern, aber sonst nirgends. Der Blog Pitchfork, in dem über Projekte geschrieben wird, die sich mit Permakultur, Bildung und Nahrungsmittelanbau beschäftigen, ist auf den Taubenschlag aufmerksam geworden, nicht nur weil er sich des Menschen-Tauben-Konflikts auf innovative Art und Weise annimmt, sondern auch wegen der reichhaltigen Produkte der an diesem Ort schlafenden Vögel: kompostierbarer Kot. Der Blogger merkt vielsagend an: »Der einfachste Weg, um Taubendung in dein Lebensmittelsystem zu bekommen, ist, ihn für dich einfliegen zu lassen.«37 In einem Park, in dem vor nicht allzu langer Zeit noch Abwasser entsorgt wurde, hat dieser Vorschlag aus der Permakulturwelt einen gewissen Charme. Dieser Taubenschlag ist kein prolife-Projekt; meiner Ansicht nach kann kein ernsthaftes menschlich-tierliches Mit-Werden prolife in dem abschreckenden US-amerikanischen Sinn dieses Begriffs sein. Und ein städtischer Taubenturm kann ganz sicher nicht ungerechte Abkommen, Eroberung und Feuchtgebietzerstörung ungeschehen machen. Nichtsdestotrotz ist das Projekt aber ein möglicher Faden in einem Muster für ein fortgesetztes, nicht-unschuldiges, fragendes, artenübergreifendes Miteinanderklarkommen.

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Verlässliche Reisende Art-GenossInnen infizieren einander die ganze Zeit. Tauben sind Weltreisende und solche Wesen sind ÜberträgerInnen, die noch viel mehr mit sich tragen, zum Guten oder zum Schlechten. Verkörperte ethische und politische Verpflichtungen sind infektiös, jedenfalls sollten sie es sein. Cum-pa­ nis, Art-GenossInnen, gemeinsam an einem Tisch. Warum Geschichten, wie meine Taubenfabeln erzählen, wenn sie stets nur mehr Anfänge hervorbringen und kein Fazit? Weil ziemlich endgültige Responsabilität in genau solchen Geschichten gestärkt wird. Die Details sind von Gewicht. Die Details sind es, die konkrete Wesen mit konkreten Responsabilitäten verbinden. Tauben machen mit ihren unterschiedlichen PartnerInnen, manche davon sind auch Menschen, Geschichte: als SpionInnen, RennfliegerInnen, städtische NachbarInnen, irisierende sexuelle ExhibitionistInnen, Vogeleltern, Gender-AssistentInnen, wissenschaftliche Subjekte und Objekte, Kunst-IngenieurInnen, UmweltreporterInnen, Such- und RettungsarbeiterInnen auf See, imperiale Eindringlinge, ExpertInnen für Malstile, einheimische Arten, Haustiere und mehr. Immer wenn mir eine Geschichte dabei hilft, mich zu erinnern, was ich glaubte zu wissen, oder neues Wissen hinzufügt, macht jener Muskel, der für die Sorge um das Gedeihen zuständig ist, Gymnastik. Diese Gymnastik befördert kollektives Denken und die Bewegung in komplexen Verhältnissen. Jedes Mal, wenn ich ein Wirrwarr verfolge und ein paar Fäden hinzufüge, die zuerst skurril erschienen, sich dann aber als wesentlich für das Gewebe herausstellten, wird mir klarer, dass in einer komplexen Verweltlichung unruhig zu bleiben die Devise ist, um in Terrapolis gut miteinander zu leben und zu sterben. Wir sind alle dafür verantwortlich, die Bedingungen für artenübergreifendes Gedeihen angesichts der schrecklichen Geschichte (und manchmal auch angesichts von fröhlichen Geschichten) zu schaffen, aber wir sind nicht alle auf die gleiche Art und Weise responsabel. Unterschiede machen einen Unterschied: in Ökologien, in Ökonomien, für verschiedene Arten und Lebensweisen.

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Fadenspiele mit Art-GenossInnen

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Wären wir doch alle so glücklich, eine schlaue Künstlerin zu haben, die uns unsere Taubenschläge, unsere Heime, unser Nachrichtenequipment gestaltete! Und wenn wir doch diesen Karten- und Navigationssinn hätten, in unseren beunruhigenden Zeiten und an unseren turbulenten Orten!

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Kapitel 2

Tentakulär denken. Anthropozän, Kapitalozän, Chthuluzän

Wir sind alle Flechten. Scott Gilbert1 Denken müssen wir. Wir müssen denken. Isabelle Stengers und Vinciane Despret2

Was passiert, wenn menschlicher Exzeptionalismus und eingeschränkter Individualismus, diese vertrauten Spielwiesen westlicher Philosophie und politischer Ökonomie, in den besten Wissenschaften  – egal ob Natur- oder Sozialwissenschaften – undenkbar werden? Ernsthaft undenkbar: nicht mehr für das Denken zur Verfügung stehend. Die Biowissenschaften waren seit dem imperialistischen 18. Jahrhundert besonders wirkmächtig, wenn es darum ging, Vorstellungen über all die sterblichen BewohnerInnen dieser Erde zu fermentieren. Homo sapiens – der Mensch als Gattung, der Anthropos als menschliche Spezies, der »moderne Mensch« – war ein Haupterzeugnis dieser Wissenspraktiken. Was passiert aber, wenn die besten Biologien des 21. Jahrhunderts mit eingeschränkten Individuen plus Kontext ihre Arbeit nicht mehr erledigen können? Wenn Organismen plus Umwelten oder Gene plus was-auch-immer-sie-brauchen nicht mehr den überströmenden Reichtum biologischen Wissens stützen können  – falls sie es denn jemals konnten? Was passiert, wenn man sich an Organismen plus Umwelten kaum noch erinnern kann, aus denselben Gründen, aus denen selbst dem westlichen Denken verpflichtete Menschen sich selbst nicht mehr als Individuen vorstellen können; das Gleiche gilt für Gesellschaften, die man sich nicht länger als aus Individuen bestehend und ausschließlich eine menschliche Geschichte besitzend vorstellen kann. Eine

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derart transformative Zeit auf Erden kann sicherlich nicht Anthropozän genannt werden! Mit all den treulosen Abkommen der Himmelsgötter, mit meinen Wurfgeschwistern (littermates), die eine fruchtbare Suhle im artenübergreifenden Durcheinander vorfinden, möchte ich in diesem Kapitel einen kritischen und fröhlichen Wirbel rund um diese Angelegenheiten machen. Ich möchte unruhig und beunruhigt bleiben, und die einzige mir bekannte Art und Weise, das zu tun, ist eine Kombination aus schöpferischer Freude, Schrecken und kollektivem Denken.

Abb. 2.1 Pimoa cthulhu. Foto: Gustavo Hormiga.

Der erste mit dieser Aufgabe vertraute Dämon, den ich aufrufe, ist eine Spinne, die unter Stümpfen in den Rotholzwäldern von Sonoma und den Mendocino Counties, in der Nähe meines Wohnorts in Nordzentralkalifornien, lebt: Pimoa cthulhu.3 Niemand lebt überall; jeder lebt irgendwo. Nichts ist mit allem verbunden; alles ist mit etwas verbunden.4 Diese Spinne lebt an einem Ort, bewohnt einen Ort, aber trägt einen Namen, der faszinierende Reisen anderswohin ermöglicht. Diese Spinne wird mir mit dem Erkunden und Zurückkehren helfen, mit Wurzeln und Wegen.5 Die achtbeinige tentakuläre Arachnoide, auf die ich mich berufe, erhält ihren generischen Namen von den Goshute aus Utah und ihren spezifischen Namen von den BewohnerInnen der Tiefen, von jenen abgründigen und

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elementaren Wesen, die chthonisch genannt werden.6 Die chtho­nischen Kräfte Terras durchdringen ihr Gewebe überall, ungeachtet der astralisierenden Zivilisierungsanstrengungen der Agenten und Agentinnen der Himmelsgötter, ungeachtet ihrer Einsetzung dominanter Singletons7 und zahmer Kommissionen aus Vielheiten (multiples) oder Untergöttern, dem Einen und den Vielen. Wenn ich eine kleine Veränderung in der taxonomischen Schreibweise vornehme, von cthulhu zu chthulu, wenn ich also Pimoa chtulu schreibe, dann entwerfe ich einen Namen für ein Anderswo, für ein Anderswann, das war, immer noch ist und sein könnte: das Chthuluzän. Ich erinnere mich daran, dass Tentakel vom lateinischen tentaculum kommt, was »Fühler« bedeutet, und von tentare, das tasten und ausprobieren meint; und ich weiß, dass meine langbeinige Spinne vielarmige Verbündete hat. Unzählige Tentakel werden notwendig sein, um die Geschichte des Chthuluzäns zu erzählen.8 Die Tentakulären verwickeln mich in SF. Ihre Gliedmaßen sind Spielfäden in Fadenfiguren. Sie verwickeln mich in poiesis, in das Herstellen von spekulativen Fabeln, Science-Fiction, science fact, spekulativen Feminismus, soin de ficelle,9 bis jetzt (so far). Die Tentakulären verbinden und entbinden sich; sie machen Schnitte und Knoten; sie machen Unterschiede; sie weben Pfade und Konsequenzen, aber keine Determinismen; sie sind gleichzeitig offen und verknüpft, auf die eine Art und Weise, und nicht auf die andere.10 SF ist Geschichtenerzählen und Faktenerzählen; es ist das Muster möglicher Welten und Zeiten, materiell-semiotischer Welten, vergangener, gegenwärtiger und kommender Welten. Ich verwende string fi­ gures als eine theoretische Trope, als eine Art und Weise, Denken-mit als sympoietisches Verheddern, Verfilzen, Verwirren, Nachspüren und Sortieren mit zahlreichen GefährtInnen zu betreiben. Ich arbeite mit und in SF als materiell-semiotischer Kompostierung, als Theorie in Schlamm und Durcheinander (muddle).11 Die Tentakulären sind keine entkörperten Figuren; sie sind Nesseltiere, Spinnen, fingernde Wesen, beispielsweise Menschen und Waschbären, Tintenfische, Quallen, neuronale Extravaganzen, faserige Gebilde, Peitschenwesen, myofibrilläre Verflechtungen, verfilzte mikrobische und fungale Gewirre, sondierende Kriecher, anschwellende Wurzeln, emporstrebende Kletterranken. Die Tentakulären sind auch Netze und Netzwerke,

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IT-Kritter, innerhalb und außerhalb von Wolken.12 Tentakularität handelt vom Leben entlang von Linien  – einem so großen Reichtum von Linien – nicht vom Leben an Punkten oder in Sphären. »Die BewohnerInnen der Welt, Geschöpfe verschiedenster Art, menschliche und nichtmensch­ liche, sind Wanderer.«13 Generationen ähneln verschlungenen Pfaden. Alles Fadenspiele. All die Sehnig-Tentakulären haben mich mit dem Posthumanismus unglücklich werden lassen, obwohl vieles, was unter diesem Label entsteht, meine Arbeit bereichert. Mein Partner Rusten Hogness hat Kompost statt Posthuman(ismus) vorgeschlagen sowie Humusismen statt Humanismen; und ich bin in diesen wurmigen Haufen gesprungen.14 Das Humane als Humus hat Potenzial, wenn es gelingt, das Humane als Homo zu zerhacken und zu zerschreddern, dieses stagnierende Projekt eines sich selbst erzeugenden und den Planeten zerstörenden Unternehmers. Stellen wir uns statt einer Konferenz über die Zukunft der humanities an einer Universität zur Restrukturierung des Kapitals eine Tagung über die Macht der Humusismen für ein bewohnbares Multispezies-Gewirr vor! Die ökosexuellen Künstlerinnen Beth Stephens und Annie Sprinkle haben einen Auto­ aufkleber für mich, für uns, für SF gemacht: »Composting is so hot!«15 Die Erde des weiterbestehenden Chthuluzäns ist sympoietisch, nicht autopoietisch. Sterbliche Welten (Terra, Erde, Gaia, Chthulu, unzählige Namen und Kräfte, die ganz und gar nicht griechisch, lateinisch oder indo­europäisch sind)16 erschaffen sich nicht selbst, ganz egal, wie komplex oder vielschichtig die Systeme sind, ganz egal, wie viel Ordnung aus dem Chaos in autogenerativen Systemzusammenbrüchen und ihrem Wiederauftauchen auf höheren Ordnungsebenen entstehen mag. Autopoietische Systeme sind überaus interessant, die Geschichte der Kybernetik und der Informationswissenschaft macht das deutlich. Aber sie sind keine guten Modelle für lebendige und sterbliche Welten mit ihren Krittern. Autopoie­ tische Systeme sind zwar nicht geschlossen, sphärisch, deterministisch oder teleologisch; aber sie sind nicht wirklich gut genug als Modelle für unsere sterbliche SF-Welt. Poiesis ist symchthonisch, sympoietisch, partnerschaftlich bis in die letzte Konsequenz, frei von initiierenden und im Fortgang interagierenden »Einheiten«.17 Das Chthuluzän schließt sich nicht in sich selbst; es rundet sich nicht ab; seine Kontaktzonen sind allgegenwär-

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tig und sie strecken fortlaufend sich windende Ranken aus. Die Spinne ist eine viel bessere Figur für den Vorgang der Sympoiesis als jedes unzulängliche, langbeinige Wirbeltier, egal aus welcher Götterwelt. Tentakularität ist symchthonisch, verwickelt mit abgründigen und fürchterlichen Ergreifungen, Ausfransungen und Verwebungen, die wieder und wieder die Staffel in jenen generativen Rekursionen weiterreichen, die das Leben und Sterben auf- und abbauen. Nachdem ich angefangen hatte, den Ausdruck Sympoiesis zu gebrauchen, im Griff nach etwas anderem als den Verlockungen der Autopoiesis, erzählte mir Katie King von M. Beth Dempsters Masterarbeit in Umweltwissenschaften, in der sie 1998 den Begriff Sympoiesis für »kollektiv produzierende Systeme, die über keine selbst definierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen verfügen« vorgeschlagen hat. Sie schreibt weiter: »Information und Kontrolle sind auf die Komponenten verteilt. Die Systeme sind evolutionär und haben das Potenzial zu überraschenden Veränderungen.« Im Gegensatz dazu seien autopoietische Systeme selbst produzierende, autonome Einheiten »mit selbst definierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen, die die Tendenz haben, zentral kontrolliert zu werden sowie homöostatisch und vorhersehbar zu sein«.18 Dempster erklärt, dass viele Systeme, die eigentlich sympoietisch sind, fälschlicherweise als autopoietisch gelten. Ich denke, dass dieser Punkt sehr wichtig ist, wenn wir über Rehabilitation (das Wieder-lebenswert-Machen) und über Nachhaltigkeit inmitten der porösen Gewebe und offenen Ränder von beschädigten, aber noch weiterbestehenden lebendigen Welten nachdenken; wie beispielsweise den Planeten Erde mit seinen BewohnerInnen in dieser gegenwärtigen Zeit, die man Anthropozän nennt. Wenn es stimmt, dass weder die Philosophie noch die Biologie heutzutage die Vorstellung unterschreiben, es gäbe unabhängige Organismen plus Umwelten, soll heißen: eine Grundkonzeption von interagierenden Einheiten plus Kontext/ Regeln, dann ist Sympoiesis umso mehr die Devise. Ein eingeschränkter (oder neoliberaler) Individualismus, aufgebessert durch Autopoiesis, ist weder metaphorisch noch wissenschaftlich betrachtet gut genug; er führt uns auf tödliche Pfade. Karen Barads agentieller Realismus und ihr Konzept der Intra-Aktion werden heute zum Alltagsdenken und vielleicht zu einer Rettungsleine für die Wandernden auf Terra.

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Unruhig bleiben

SF, das Spiel mit Fadenfiguren, ist sympoietisch. Mit mir im Fadenspiel mitdenkend, aber auch die Fäden eines anderen Denkpartners, Félix Guat­ tari, aufnehmend, hat mir Isabelle Stengers zugespielt, wie SpielerInnen relevante Muster hin- und hergeben, manchmal konservierend, manchmal entwerfend und erfindend: Präziser gesagt ist kom-mentieren, wenn es mit-denken, also mit-werden heißt, selbst eine Art und Weise der Vermittlung. […] Aber zu wissen, dass das, was man nimmt, einem überreicht wurde, impliziert ein spezifisches »Zwischen«-Denken. Es verlangt nicht Treue, und noch weniger einen Eid, sondern eine spezi­fische Form der Loyalität, eine Antwort auf das Vertrauen der entgegengestreckten Hand. Auch wenn dieses Vertrauen nicht in »dir« liegt, sondern in der »kreativen Unsicherheit«, auch dann, wenn die Konsequenzen und Bedeutungen dessen, was gemacht, gedacht oder geschrieben wurde, dir nicht mehr gehören als dem/ derjenigen, von dem du das Vermittelte übernimmst: So oder so ist das Übernommene nun in deinen Händen, gemeinsam mit der Aufforderung, nicht mit »mechanischem Vertrauen« damit weiterzumachen. [Für Fadenspiele braucht man zumindest] zwei Paar Hände und in jedem der aufeinanderfolgenden Schritte ist eines »passiv« und offeriert das Resultat der letzten Operation, eine Verschränkung, dem/der anderen zum Handeln, nur um im nächsten Schritt wieder aktiv zu werden, wenn der/die andere eine neue Verschränkung präsentiert. Aber man könnte auch sagen, dass das »passive« Paar jedes Mal dasjenige ist, das hält und das von der Verschränkung gehalten wird, nur um »es loszulassen«, wenn der/ die andere das Muster übernimmt.19

In Passion und Aktion, in Ablösung und Anhänglichkeit zu handeln, das nenne ich die Kultivierung von Responsabilität; auch kollektives Wissen und Tun ist damit gemeint und eine Ökologie der Praktiken.20 Ob wir darum gebeten haben oder nicht, das Muster liegt nun in unseren Händen. Die Antwort auf das Vertrauen der ausgestreckten Hand: Denken müssen wir.

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Abb. 2.2 Cat’s Cradle/String Theory, Baila Goldenthal, 2008. Öl auf Leinwand, 90 mal 120 Zentimeter. Mit freundlicher Genehmigung von Maurya Simon und Tamara Ambroson.

Marilyn Strathern ist eine Ethnografin von Denkpraktiken. Sie definiert ihr Fach als das Studium von Beziehungen mithilfe von Beziehungen  – ein überaus konsequentes, Körper und Geist veränderndes Engagement.21 Angereichert durch ihre lebenslange Arbeit im Hochland von Papua-Neuguinea (Mount Hagen) schreibt Strathern über die Akzeptanz des Risikos schonungsloser Kontingenz, darüber, wie man Beziehungen mittels anderer Beziehungen aus unerwarteten Welten aufs Spiel setzen kann. Sie verkörpert die akademische Form feministischer, spekulativer Fabulation und hat mich – hat uns – eine einfache, aber wegweisende Sache gelehrt: »Es ist von Gewicht, mit welchen Ideen wir andere Ideen denken.«22 Ich kompostiere meine Seele in diesem heißen Haufen. Würmer sind nicht menschlich; ihre sich windenden Körper nehmen auf und strecken sich aus; und ihre Ausscheidungen düngen die Welt. Ihre Tentakel bilden Fadenfiguren. Es ist von Gewicht, welche Gedanken Gedanken denken. Es ist von Gewicht, welche Wissensformen Wissen wissen. Es ist von Gewicht, welche Beziehungen Beziehungen knüpfen. Es ist von Gewicht, welche Welten Welten verweltlichen. Es ist von Gewicht, welche Erzählungen Erzählungen erzählen. Die Gemälde von Baila Goldenthal legen davon Zeugnis ab.23

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Unruhig bleiben

Was heißt es, die Fähigkeit zu denken herauszugeben? Diese Zeiten, Anthropozän genannt, sind die Zeiten einer artenübergreifenden Dringlichkeit, die auch die Menschen umfasst. Es sind Zeiten von Massensterben und Ausrottung; von hereinbrechenden Katastrophen, deren unvorhersehbare Besonderheiten törichterweise für das schlechthin Nichtwissbare gehalten werden; einer Verweigerung von Wissen und der Kultivierung von Responsabilität; einer Weigerung, sich die kommende Katastrophe rechtzeitig präsent zu machen; Zeiten eines nie da gewesenen Wegschauens. Gewiss: Es ist fast unvorstellbar, angesichts der Realitäten der letzten Jahrhunderte »nie da gewesen« zu sagen. Wie können wir in Zeiten der Dringlichkeit ohne maßlose und selbsterfüllende apokalyptische Mythen denken, wenn wir doch mit jeder Faser unseres Daseins mit jenen Mustern verflochten, ja in Komplizenschaft verbunden sind, die aufgegriffen und restrukturiert werden müssen? Umgekehrt ist es so, dass wir, egal ob wir darum gebeten haben oder nicht, das Muster in unseren Händen halten. Die Antwort auf das Vertrauen der ausgestreckten Hand: Denken müssen wir. Von Valerie Hartouni angeleitet wende ich mich Hannah Arendts Analyse des Naziverbrechers Adolf Eichmann und seiner Unfähigkeit zu denken zu. In diesem Verzicht zu denken liegt die »Banalität des Bösen«: Es ist eine bestimmte Sorte des Nichtdenkens, die das Desaster des Anthropozäns mit seinen beschleunigten Genoziden und Ausrottungen ganzer Spezies ermöglicht hat.24 Wie all das ausgeht, ist immer noch offen. Denken müssen wir. Wir müssen denken! Hartouni versteht Arendt so, dass für sie Denken etwas tiefgreifend anderes ist als disziplinäres Wissen oder evidenzbasierte Wissenschaft. Denken ist zudem etwas anderes, als das Auseinandersortieren von Wahrheit und Glaube, von Fakt und Meinung, von gut und schlecht. In Arendts Verständnis ist Denken auch nicht ein Prozess der Bewertung von Informationen und Argumenten, ein Akt der Unterscheidung von richtig und falsch oder der Beurteilung, die da­rüber befindet, ob man sich selbst oder ob sich andere im Wahren oder im Falschen befinden. All das ist ebenfalls wichtig. Aber es ist nicht das, was ­Arendt über die Bösartigkeit der Gedankenlosigkeit zu sagen hatte und was ich in die Frage nach den geohistorischen Umständen dessen, was man Anthropozän nennt, einbringen möchte.

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Arendt hat in Eichmann nicht ein unverstehbares Monster gesehen, sondern etwas viel Furchterregenderes – sie sah alltägliche Gedankenlosigkeit. Da war ein menschliches Wesen, das sich das Abwesende, dasjenige, was nicht es selbst ist, nicht präsent machen konnte; jemand, der sich die Welt als schiere Nicht-Selbstheit, als dasjenige, das eigensinnig verlangt, eben nicht man selbst zu sein, nicht vergegenwärtigen konnte. Da war einer, der kein Wanderer sein konnte, der sich nicht verwickeln konnte, der die Linien des Lebens und Sterbens nicht verfolgen konnte, der keine Responsabilität kultivieren konnte, der sich nicht darüber klar war, was er tat, der nicht in oder mit Konsequenzen leben konnte, der nicht kompostieren konnte. Funktionieren war wichtig, Pflicht war wichtig, aber die Welt war nicht wichtig für Eichmann. In der alltäglichen Gedankenlosigkeit ist die Welt unwichtig. Ausgehöhlte Räume werden mit Informationsbeschaffung, Freund- und Feinderkennung und Geschäftigkeit ausgefüllt; Negativität, das Aushöhlen solcher Positivismen, bleibt aus – eine erstaunliche Preisgabe des Denkens.25 Diese Eigenschaft ist für Arendt kein emotionaler Mangel, nicht ein Mangel an Mitgefühl, obwohl das für Eichmann sicher zutrifft, sondern eine tiefergehende Ergebenheit gegenüber dem, was ich Immaterialität und Inkonsequenz nennen würde oder (in Arendts und auch meiner Sprache): Gedankenlosigkeit. Eichmann wurde direkt aus dem Wirrwarr des Denkens in die Praxis des Normalbetriebs, egal, was passiert, astralisiert.26 Auf keinen Fall konnte die Welt für Eichmann und seine Erben – für uns? – ein Gegenstand der Sorge (»matter of care«),27 werden. Das Resultat war aktive Teilnahme am Genozid. Anna Tsing, Sozial- und Kulturanthropologin, Feministin, Kulturtheoretikerin, Geschichtenerzählerin und Kennerin der heterogenen Gewebe von Kapitalismus und Globalisierung, eine Forscherin, die Welten und lokale Kontexte bereist, untersucht jene Künste, die es braucht, um auf einem beschädigten Planeten zu leben.28 Oder auch, wie sie im Untertitel ihres Buchs sagt: »die Möglichkeit des Lebens in den Ruinen des Kapitalismus«. Sie praktiziert eine Art des Denkens, die man angesichts allzu alltäglicher Dringlichkeiten, der drohenden Ausrottung unzähliger Spezies, von Genoziden, von Varianten der Verelendung und Vernichtung, kultivieren muss. Ich nenne diese Dinge lieber Dringlichkeiten als Notfälle, weil Letzteres sich zu sehr nach der Apokalypse mit ihren Mythologien anhört.

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Dringlichkeiten haben eine andere Zeitlichkeit, und das ist die unsere. Diese Zeiten müssen wir denken; die Zeiten der Dringlichkeiten brauchen Erzählungen. Tsing praktiziert Sympoiesis in diesen seltsamen Zeiten, wenn sie Matsutake-Pilze verfolgt, die explodierende Assemblagen bilden: mit JapanerInnen, AmerikanerInnen, ChinesInnen, KoreanerInnen, Hmong, Lao und MexikanerInnen, mit Sporen und Matten, Eichen und Pinien, Mykorrhizen, mit PflückerInnen, KäuferInnen, HändlerInnen, RestaurantbesitzerInnen, Essenden, Geschäftsleuten, WissenschaftlerInnen, FörsterInnen, DNA-SequenziererInnen, mit ihrer eigenen, sich verändernden Spezies und vielen mehr. Tsing weigert sich, wegzuschauen oder die Dringlichkeiten dieser Erde auf ein abstraktes System ursächlicher Zerstörung zu reduzieren, wie etwa ein Gesetz der menschlichen Spezies (Hu­ man Species Act) oder einen undifferenziert verstandenen Kapitalismus. Sie zeigt, dass Prekarität – ein Versagen der lügenhaften Versprechungen modernen Fortschrittsdenkens – Leben und Tod aller irdischen Kritter unserer Zeit charakterisiert. Sie sucht nach Eruptionen unvorhergesehener Lebenslinien und nach kontaminierten, nicht vorherbestimmten, unfertigen, andauernden Praktiken für das Leben in Ruinen. Sie demonstriert die Macht von Geschichten. Sie zeigt im konkreten Lebenszusammenhang, dass und wie es in Praktiken der Sorge und des Denkens darauf ankommt, welche Erzählungen welche Erzählungen erzählen. Wenn ein Ansturm beunruhigter Geschichten die beste Art und Weise ist, kontaminierte Vielfalt zu erzählen, dann ist es Zeit, diesen Ansturm in unsere Wissenspraktiken zu integrieren. […] Matsutakes Bereitschaft, in zerstörten Landschaften aufzutauchen, ermöglicht uns, jene Ruinen zu erkunden, die unser aller Heimat geworden sind. Wenn wir Matsutake folgen, führt uns dies zu Möglichkeiten der Koexistenz inmitten ökologischer Störung. Das ist keine Entschuldigung für noch mehr anthropogenen Schaden. Aber Matsutake demonstrieren eine Version kollaborativen Überlebens.

Von radikaler Neugierde angetrieben, ethnografiert Tsing »Rettungsakkumulation« und »Flickenkapitalismus«, Praktiken, die nicht länger Fortschritt versprechen können, aber die Arbeit der Zerstörung weitertreiben

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und so Prekarität zum Namen der aktuellen Systematik werden lassen. Aus Tsings Arbeit lassen sich keine einfachen ethischen, politischen oder theo­retischen Argumente ableiten; stattdessen forciert sie eine Art Engagement mit der Welt, das für Eichmann und seine Erben unmöglich war. »Matsutake erzählen uns vom kollaborativen Überleben trotz Störung und Verschmutzung. Wir brauchen diese Fähigkeit, um in Ruinen zu leben.«29 Das ist keine Sehnsucht nach Rettung oder nach irgendeiner anderen Art optimistischer Politik; es ist auch kein zynischer Quietismus angesichts des Ausmaßes des Problems. Vielmehr schlägt Tsing vor, sich einem res­ ponsablen Leben und Sterben in unvorhersehbarer Gesellschaft zu verschreiben. Ein solches Leben und Sterben hat die besten Chancen, die Voraussetzungen für ein Fortdauern zu kultivieren. Der Ökophilosoph und Multispezies-Ethnograf Thom van Dooren ist gleichfalls ein Bewohner der vielschichtigen Komplexitäten eines Lebens in Zeiten des Aussterbens, der Ausrottung und des teilweisen Wiederauflebens. Er vertieft unsere Überlegungen dazu, was es heißt, zu denken, dazu, was nicht gedankenlos zu werden von uns allen erfordert. In seinem außergewöhnlichen Buch Flight Ways begleitet van Dooren situierte Vogelarten, die am (breiten) Rand des Aussterbens leben, und fragt, wie wir füreinander Raum offen halten können.30 Dieses Offenhalten hat wenig mit einer unschuldigen oder rasch einsichtigen materiellen oder ethischen Praxis zu tun; selbst wenn sie erfolgreich ist, verlangt sie ihren Tribut in Form von Leiden und Überleben, sowohl von Individuen als auch von Arten. So untersucht van Dooren beispielsweise die Praktiken, mit denen der nordamerikanische Schreikranich überlebt, und identifiziert darin vielerlei Arten von hartem, artenübergreifendem Zwang und Mühsal; er stellt detailliert erzwungene Lebensvollzüge, ersetzende reproduktive Arbeit und stellvertretendes Sterben dar – nichts davon soll vergessen werden, gerade nicht in erfolgreichen Projekten. Den Raum offen zu halten könnte – oder kann manchmal auch nicht – das Aussterben auf eine Art und Weise hinauszögern, die eine Komposition oder Wiederkomposition von gedeihenden naturkulturellen Assemblagen möglich macht. Flight Ways zeigt, in welcher Hinsicht Ausrottung nicht ein Punkt, nicht ein vereinzeltes Ereignis ist, sondern eher ein breiter Rand oder ein verlängerter Felsvorsprung. Ausrottung ist ein gedehnter, langsamer Tod, der großartige Gewebe des in der

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Welt Weitermachens für viele Arten entflicht, auch für historisch situierte Leute.31 Van Dooren schlägt vor, die Fähigkeit zu trauern als eine notwendige Voraussetzung für die Kultivierung von Responsabilität zu begreifen. In einem Kapitel über die Erhaltung der Hawaiikrähe (’Alalā für Hawaiia­ nerInnen, Corvus hawaiiensis für LinnäanerInnen), deren Waldhabitat und -nahrung, aber auch deren Freunde, Küken und PartnerInnen weitgehend verschwunden sind, demonstriert van Dooren, dass es nicht nur Menschen sind, die über den Verlust von Geliebten, von Orten, von Lebensweisen trauern; andere Wesen trauern ebenfalls. Rabenvögel betrauern Verlust. Dieses Argument wird von der biologischen Verhaltensforschung ebenso unterstützt wie von der vertrauten Naturgeschichte; weder die Fähigkeit noch die Praxis der Trauer sind eine menschliche Besonderheit. Außerhalb der fragwürdigen Privilegien des Exzeptionalismus müssen denkende Menschen lernen, mitzutrauern. Trauern heißt, mit einem Verlust zu verweilen und damit zu würdigen, was er bedeutet, wie die Welt sich verändert hat und wie wir selbst uns verändern müssen, unsere Beziehungen verändern müssen, um von hier aus vorwärtszugehen. In diesem Kontext sollte wirkliches Trauern unsere Wahrnehmung für unsere Abhängigkeit von und unsere Beziehungen mit den unzähligen anderen Wesen öffnen, die über den Rand des Aussterbens gestoßen werden. […] In Wirklichkeit ist es so, dass es keine Möglichkeit gibt, die notwendige, schwierige kulturelle Arbeit von Reflexion und Trauer zu vermeiden. Es ist keine Arbeit, die praktischer Ak­ tion entgegensteht, sondern die vielmehr das Fundament jeder nachhaltigen und informierten Antwort bildet.32

Trauer ist ein Weg, um verwickeltes Leben und Sterben zu verstehen; wir Menschen müssen mit-trauern, weil wir von und im Gewebe der Zerstörung leben. Ohne uns dauerhaft zu erinnern, können wir nicht lernen, mit den Gespenstern zu leben, und wir können auch nicht denken. Wie die Krähen und mit den Krähen, lebendig und tot, »stehen wir in Gesellschaft von anderen auf dem Spiel«.33 Zumindest ein weiterer SF-Strang ist entscheidend für jene Praxis des Denkens, das die Bezeichnung Denken-mit verdient: das Geschichtener-

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zählen. Es ist von Gewicht, welche Gedanken Gedanken denken; es ist von Gewicht, welche Erzählungen Erzählungen erzählen. In dem Buchkapitel »Urban Penguins. Stories for Lost Places«, das von den kleinen Pinguinen (Eudyptula minor) im Hafen von Sydney handelt, gelingt es van Dooren, eine nichtanthropomorphe, nichtanthropozentrische Version eines von Geschichten erfüllten Orts herauszuarbeiten. Durch ihre radikal »philopatrischen« (heimatliebenden) Lebenspraktiken, wie dem Nestbau, erzählen diese urbanen Pinguine, diese realen, spezifischen Vögel, diesen Ort, nicht irgendeinen Ort. Die Wirklichkeit und eindringliche Spezifik eines pinguin-geschichtlichen Orts herzustellen, ist eine große materiell-semiotische Leistung. Das Erzählen passt dann nicht mehr in die Schachtel des menschlichen Exzeptionalismus. Ohne das Terrain der Verhaltensökologie und der Naturgeschichte zu verlassen, stimmt diese Art des Schreibens auf ein Erzählen in und von multimodalen Pinguin-Semiotiken ein.34 Von Ursula Le Guin habe ich die Tragetaschentheorie des Geschichtenerzählens und der Naturkulturgeschichte gelernt. Ihre Theorien und ihre Geschichten sind geräumige Taschen, um die Dinge des Lebens zu sammeln, zu tragen und zu erzählen: »Ein Blatt eine Kalebasse eine Muschel ein Netz eine Tasche eine Schlinge ein Sack eine Flasche ein Topf eine Schachtel ein Behälter. Ein Halter. Ein Rezipient.«35 Große Teile der Erdgeschichte sind in der Knechtschaft der Fantasie erster schöner Worte und Waffen, erster schöner Worte als Waffen (und umgekehrt) erzählt worden. Werkzeug, Waffe, Wort: Das ist das fleischgewordene Wort als Abbild des Himmelsgottes; das ist der Anthropos. Das ist eine tragische Geschichte mit nur einem wirklichen Akteur, mit nur einem wirklichen Weltenmacher, dem Helden; das ist die maskulin menschenmachende Erzählung des Jägers, der aufbricht, um zu töten und die schreckliche Beute zurückzubringen. Es ist die messerscharfe, kampfbereite Fabel der Aktion, die das Leiden klebriger, im Boden rottender Passivität über das Erträgliche hinaus stundet. Alle anderen in dieser dummen, phallischen Geschichte (prick tale) sind Requisiten, Gelände, Raum der Spielhandlung oder Opfer. Sie sind egal; es ist ihre Aufgabe, im Weg zu sein oder der Weg zu sein, der Kanal zu sein oder überwunden zu werden, aber sie sind selbst keine Reisenden und auch nicht der Erzeuger. Das Letzte, was der Held hören möch-

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te, ist, dass seine schönen Worte und Waffen ohne eine Tasche, ohne ein Behältnis, ohne ein Netz wertlos sind. Dennoch sollte kein Abenteurer sein Heim ohne Sack verlassen. Wie sind nur eine Schlinge, ein Topf, eine Flasche so plötzlich in die Geschichte geraten? Wie halten so bescheidene Dinge die Geschichte am Laufen? Oder vielleicht, noch schlimmer für den Helden: Wie kommt es, dass diese konkaven, ausgehöhlten Dinge, diese Löcher im Sein, von Beginn an reichere, eigenwilligere, vollere, unpassendere, länger andauerndere Geschichten hervorgebracht haben? Geschichten, in denen zwar Raum für den Jäger ist, aber in denen es nicht um ihn ging und geht, den sich selbst produzierenden Menschen, die maskulin menschenmachende Maschine der Geschichte? Die leichte Höhlung der Muschel, die nur ein kleines bisschen Wasser bewahren kann, nur ein paar Samen, die verteilt oder empfangen werden möchten, gibt Geschichten des Mit-Werdens ein, von reziproker Anregung, von Art-GenossInnen, deren Aufgabe im Leben und Sterben nicht darin besteht, das Erzählen und die Verweltlichung zu beenden. Mit einer Muschel und einem Netz hat die Menschwerdung, die Humuswerdung, das terrestrisch Werden eine andere Gestalt – die sich seitlich windende Schlangengestalt des Mit-Werdens. Mit-zu-denken bedeutet, in naturkulturellen, artenübergreifenden Turbulenzen der Erde unruhig zu bleiben. In diesem Ringen gibt es keine Garantien, keinen Zeitpfeil, kein Gesetz der Geschichte oder der Wissenschaft oder der Natur. Es gibt nur rückhaltlos kontingente SF-Verweltlichung des Lebens und Sterbens, des Mit-Werdens und des Mit-Vergehens, der Sympoiesis und so, nur vielleicht, artenübergreifendes Gedeihen auf der Erde. Wie Le Guin sieht auch Bruno Latour, und das auf leidenschaftliche Art und Weise, die Notwendigkeit, die Geschichte zu verändern und zu lernen, außerhalb der dämlichen Fabel des »Menschen in seiner Geschichte« zu erzählen und zu denken, insbesondere dann, wenn das Wissen, wie man sich gegenseitig umbringt – und damit einhergehend: wie man unzählige Vielheiten der lebendigen Welt umbringt – derart weitverbreitet ist. Denken müssen wir. Wir müssen denken. Das heißt ganz einfach: Wir müs­ sen diese Geschichte ändern; diese Geschichte muss sich ändern. Le Guin schreibt dazu: »Daher suche ich mit einem gewissen Gefühl von Dringlichkeit Wesen, Subjekt und Worte der anderen Geschichte, der nichterzähl-

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ten Geschichte, der Lebensgeschichte.«36 Latour argumentiert, dass in diesen schrecklichen Zeiten, die man Anthropozän nennt, die geopolitischen Fundamente aufgesprengt worden sind. Keine der Parteien dieser Krise könne sich weiterhin auf Vorhersehung, Geschichte, Wissenschaft, Fortschritt oder irgendeinen anderen Gottestrick außerhalb des allgemeinen Getümmels berufen, um den Problemen beizukommen.37 Eine gemeinsame, bewohnbare Welt muss Stück für Stück zusammengesetzt werden oder es wird sie nicht geben. Was früher Natur genannt wurde, ist zu einer durchschnittlichen menschlichen Angelegenheit mutiert, und umgekehrt; und zwar so und mit solcher Nachdrücklichkeit, dass sich die Mittel und Aussichten des Weiterbestehens zutiefst verändert haben; inklusive der Möglichkeit, dass es überhaupt nicht weitergeht. Auf der Suche nach Kompositionspraktiken, mit denen wirkungsvolle neue Kollektive gebildet werden können, erklärt Latour, dass wir lernen müssen, Gaïa-Geschichten zu erzählen. Wenn dieses Wort zu hart erscheint, dann können wir unsere Geschichten auch Geogeschichten nennen, in denen »all die früheren Requisiten und passiven Agenten aktiv geworden [sind], ohne deshalb Teil einer gigantischen Fabel zu werden, die von einer alles überwachenden Entität geschrieben würde«.38 Diejenigen, die Gaïa-Geschichten oder Geogeschichten erzählen, sind für Latour die »Erdgebundenen« (the Earth­ bound); es sind diejenigen, die den fragwürdigen Vergnügungen der transzendenten Plots der Moderne aus dem Weg gehen und damit den reinigenden Trennungen von Gesellschaft und Natur. Seiner Ansicht nach stehen wir vor einem tiefen Graben: »Manche machen sich dafür bereit, als Erdgebundene im Anthropozän zu leben; andere entscheiden sich dafür, als Menschen im Holozän zu verbleiben.«39 Latour entfaltet in vielen seiner Texte die Sprache und die Bildlichkeit von Kraftproben. Im Nachdenken über das Anthropozän und die Erdgebundenen reichert er diese Metapher um eine weitere Unterscheidung an: zwischen Polizeieinsätzen, mit denen der Frieden einer etablierten Ordnung wiederhergestellt wird, und Krieg oder Politik, mit denen Gegner überwältigt und etwas Zukünftiges etabliert wird. Latour umgeht entschlossen einige Idole, die schnell zur Hand sind: das Gesetz der Geschichte, die Moderne, der Staat, Gott, Fortschritt, Vernunft, Dekadenz, Natur, Technologie und Wissenschaft; ebenso lehnt er die lähmende Respektlo-

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sigkeit gegenüber Differenz und geteilter Endlichkeit ab. Eine Respektlosigkeit, wie sie diejenigen an den Tag legen, die schon die Antworten für jene bereithalten, die »noch lernen müssen« – durch Gewalt, Vertrauen oder eine selbstsichere Pädagogik. Diejenigen, die »glauben«, die Antworten auf die gegenwärtigen Dringlichkeiten zu haben, sind extrem gefährlich. Diejenigen, die sich weigern, für einige Weisen des Lebens und Sterbens einzutreten und für andere nicht, sind ebenso gefährlich. Fakten (matters of fact), Dinge von Belang40 und Gegenstände der Sorge (matters of care), sind die Spielfäden, in SF verknüpft. Latour begrüßt die Wissenschaften, aber nicht »die Wissenschaft«. Für die Geopolitik hält er fest, dass »der wichtige Punkt ist, zu begreifen, dass die Fakten von Gewicht nicht an eine höherstehende, vereinheitlichte Autorität delegiert werden können, die die Wahl an unserer Stelle getroffen haben wird. Kontroversen – wie störend auch immer sie sein mögen – sind keine Ausreden, um die Entscheidung darüber aufzuschieben, welche Seite unsere Welt besser repräsentiert.«41 Latour stellt sich hinter die Berichte des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change); er glaubt nicht an Gutachten und Berichte; er entscheidet, was stark und vertrauenswürdig ist und was nicht. Er votiert für einige Welten und Verweltlichungen, und nicht für andere. Man darf Latours »Entscheidungs«-Diskurs nicht mit einem individualistischen Ohr hören; seine Intention ist kompositorisch. Er möchte verstehen, wie eine gemeinsame Welt, wie Kollektive sich miteinander bauen; und die Konstrukteure müssen nicht alle menschlich sein. Das ist weder Relativismus noch Rationalismus; es ist SF, die Latour gleichermaßen Wissenschaft und Wissenschaftsfiktion (scientification) nennen würde. Ich würde beides als Wissenschaft und als spekulative Fabulation bezeichnen. Sämtliche unserer ähnlich ausgerichteten Ansätze sind Politikwissenschaften. »Ausrichtung« (alignment) ist eine reiche Metapher für Wandernde, für die Erdgebundenen; in ihr klingen weniger leicht als in »Entscheidung« die Obertöne des modernistischen, liberalen Diskurses der Wahl mit (zumindest in den USA). Außerdem ist für mein Bemühen, gemeinsam die tentakulären Aufgaben des Chthuluzäns zu übernehmen, die Ablehnung der modernistischen Kategorie des »Glaubens« entscheidend.42 Genau wie Stengers und ich mich selbst sieht Latour sich als konsequenten Materia-

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listen, der einer Ökologie der Praktiken verpflichtet ist, der weltlichen Artikulation von Versammlungen in situierter Arbeit und situiertem Spiel, mitten im Wirrwarr unordentlichen Lebens und Sterbens. Es sind konkrete SpielerInnen, die sich gemeinsam mit vielerlei, ontologisch diversen, Verbündeten (Molekülen, KollegInnen und noch vielen mehr) artikulieren und die das komponieren und erhalten müssen, was ist und sein wird. Ausrichtung muss in tentakulären Verweltlichungen eine ernsthaft verwickelte Angelegenheit sein! Mit der Absicht, die ich leidenschaftlich teile, Selbstgewissheit und vorgefertigte Gottestricks entschieden zurückzuweisen, wendet sich Latour einer Ressource zu, mit der es unnötig schwer wird, jene neue Geschichte zu erzählen, die er und wir brauchen. Er verlässt sich vorbehaltlos auf die materiell-semiotische Trope der Kraftprobe und definiert Krieg als die Abwesenheit eines Schiedsrichters, sodass die Kraftprobe selbst die legitime Autorität bestimmt. »Menschen in ihrer Geschichte« und »Erdgebundene im Anthropozän« stehen sich demnach in Kraftproben gegenüber, in denen es keinen Schiedsrichter gibt, der/die/das gründen und begründen könnte, was ist/war/sein wird. Es geht um Geschichte gegen Gaïa-Geschichten. Diese Kraftproben  – der Krieg zwischen den Erdgebundenen und den Menschen – würden nicht mit Raketen und Bomben ausgetragen werden; sie würden mit allen anderen vorstellbaren Waffen geführt werden, aber ohne die Tricks eines Gottes, der von oben über Leben und Tod, wahr und falsch entscheidet. Aber so sind wir immer noch in der Geschichte des Helden mit seinen ersten schönen Worten und Waffen, und nicht in derjenigen der Tragetasche. Alles, was ohne Anwesenheit einer Autorität entschieden wird, ist demnach Krieg. Die Wissenschaft ist die Autorität und die Autorität agiert polizeilich. Im Gegensatz dazu sind Wissenschaften (die stets in Praktiken wurzeln) Krieg. In Latours passionierter spekulativer Fabel ist dieser Krieg also unsere einzige Hoffnung auf wirkliche Politik. Die Vergangenheit ist dabei eine ebenso umkämpfte Zone wie die Gegenwart und die Zukunft. Latours Denken und seine Geschichten setzen eine besondere Art von Feind voraus. Er bezieht sich auf Carl Schmitts »politische Theologie«, die eine Theorie des Friedens durch Krieg miteinschließt und einen Feind als hostis. Schmitt verwendet diesen Begriff mit all seinen Schattierungen von

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Gastgeber, Gast, Geißel (hostage), bis hin zum würdigen Gegner. Nur mit so einem Gegner, halten Schmitt und Latour fest, können Respekt und eine Chance darauf entstehen, weniger tödlich in Konflikte verstrickt zu sein. Diejenigen, die in Kategorien von Autorität und Glaube agieren, seien notorisch gefährdet, in alles vernichtende und völkermordende Schlachten hineingezogen zu werden (das ist schwer zu leugnen!). Ohne vorher festgesetzten Schiedsrichter sind sie verloren. Der hostis verlangt schon Besseres. Aber alles Handeln bleibt im narrativen Schraubstock der Kraftprobe und des tödlichen Kampfs eingespannt, in dem das Wissen darüber, wie man sich gegenseitig umbringt, fest verankert ist. Latour macht deutlich, dass er diese Geschichte nicht will, schlägt aber auch keine andere vor. Die einzige Möglichkeit für Frieden liegt in der Fabel vom respektierten Feind, dem hostis, und in Kraftproben: »Aber wenn du im Krieg bist, entscheidet sich in der Agonalität der Begegnungen, ob du Autorität hast oder nicht, sie hängt davon ab, ob du gewinnst oder verlierst.«43 Schmitts »Feinde« verhindern, dass sich die Geschichte im Kern ändert. Die Erdgebundenen brauchen eine tentakulärere, eine weniger binäre Lebensgeschichte. Latours Gaïa-Geschichten verdienen passendere GefährtInnen beim Erzählen als Carl Schmitt, denn die Frage, mit wem man denkt, ist eine ungemein materialistische. Ich glaube auch nicht, dass Latours Dilemma in den Begriffen des Anthropozäns gelöst werden kann. Seine Erdgebundenen werden ins Chthuluzän umziehen müssen, um sich mit den fortdauernden, sich schlängelnden, unheroischen, tentakulären, erschreckenden Wesen zu verbinden, mit jenen, die materiell-semiotische Tragenetze herstellen. Diese können in Kraftproben wenig ausrichten, sind aber überaus nützlich dabei, die Zutaten für das Leben und Sterben nach Hause zu bringen und zu teilen, vielleicht sogar die Mittel für eine ökologische Erholung, sowohl für menschliche als auch für mehr-als-menschliche Kritter. In der Ausformung ihrer Gedanken über die Zeit, die Anthropozän oder »vielgesichtige Gaïa« (so ihr Ausdruck) genannt wird, fordert uns Isabelle Stengers (in freundschaftlicher Friktion mit Bruno Latour) nicht dazu auf, uns so neu aufzustellen, dass wir Gaïa eventuell entgegentreten können. Aber wie Latour, und noch mehr: wie Le Guin, eine ihrer fruchtbarsten SFLektüren, ist sie unerbittlich darin, die Geschichte(n) zu ändern. Sie richtet

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ihr Augenmerk auf das Eindringen und nicht auf das Komponieren. Deshalb nennt Stengers Gaia eine schreckliche und verwüstende Kraft, die in unsere Kategorien eindringen kann, in unser Denken selbst.44 Die Erde/ Gaia ist Macherin und Zerstörerin, nicht eine Ressource, die man ausbeuten kann, nicht eine Schutzbefohlene, auf die man aufpassen muss, aber auch keine stillende Mutter, die Nahrung verspricht. Gaia ist keine Person, sondern sie ist aus jenen komplexen, systemischen Phänomenen gebildet, die einen lebendigen Planeten ausmachen. Gaias Eindringen in unsere Angelegenheiten ist ein radikal materialistisches Ereignis, das Vielheiten versammelt. Dieses Eindringen bedroht nicht das Leben auf dieser Erde als solches – Mikroben werden sich schlichtweg anpassen –, aber es bedroht die Belebbarkeit der Erde für vielerlei Arten, Spezies, Assemblagen und Individuen. Man nennt dieses »Ereignis«, das gerade stattfindet, die »sechste große Auslöschung«.45 Stengers beschwört den Namen Gaia so wie Latour, James Lovelock und Lynn Margulis ihn verwendet haben: als Begriff für komplexe, nicht-lineare Kopplungen zwischen Prozessen, die verbundene, aber nicht-additive Subsysteme zusammenfügen und zusammenhalten; und die ein nur teilweise kohärentes, systemisches Ganzes bilden.46 Laut dieser Hypothese ist Gaia autopoietisch – selbst-bildend, grenzerhaltend, kontingent, dynamisch und nur unter bestimmten Bedingungen stabil. Gaia ist nicht auf die Summe ihrer Teile reduzierbar, sondern erreicht endliche systemische Kohärenz angesichts von Störungen und innerhalb von Parametern, die wiederum selbst responsive und dynamische Systemprozesse sind. Gaia könnte sich gar nicht um menschliche Intentionen, Wünsche oder Bedürfnisse (oder um die von anderen biologischen Wesen) kümmern. Doch sie stellt unsere ganze Existenz infrage und uns, die wir ihre brutale Mutation provoziert haben, die die Bewohnbarkeit menschlicher und nicht-menschlicher Gegenwarten und Zukünfte bedroht. Mit Gaia geht es nicht um eine Liste von Fragen, die auf rationale Politiken warten.47 Gaia ist ein eindringliches Ereignis, das dem gewohnten Denken ein Ende setzt. »Sie ist das, was die Fabeln und Refrains der modernen Geschichte ausdrücklich hinterfragt. Es geht um ein einziges Rätsel: Was ist die Antwort, die wir, die wir zu dieser Geschichte gehören, zu formulieren vermögen, wenn wir nun dem, was wir verursacht haben, ins Gesicht sehen?«48

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Anthropozän Was haben wir also heraufbeschworen? Obwohl ich während einer historisch einzigartigen, mehrjährigen kalifornischen Dürre schreibe, inmitten der explosiven Feuersaison 2015, benötige ich das Foto eines im Jahr 2009 von der Sustainable Resource Alberta gezielt gelegten Feuers. Es wurde in der Nähe des Saskatchewan River Crossing auf dem Icefields Parkway entfacht, um die Ausbreitung des Borkenkäfers aufzuhalten, eine Barriere für zukünftige Feuer zu schaffen und die Biodiversität zu erhöhen. Man hofft, dass dieses Feuer ein Verbündeter für die Wiederbelebung sein wird. Die zerstörerische Ausbreitung des Borkenkäfers überall im nordamerika­ nischen Westen ist ein wichtiges Kapitel des Klimawandels im Anthropozän, wie auch die vorhersagbaren Megadürren und die extremen und lange andauernden Feuerperioden. Feuer hat im nordamerikanischen Westen eine komplizierte, artenübergreifende Geschichte. Feuer ist ein essenzielles Element des Weiterbestehens, aber auch ein Akteur des doppelten Todes; es vernichtet Fortsetzung. Die materielle Semiotik von Feuer in der Gegenwart steht also auf dem Spiel.

Abb. 2.3 Bild für das Anthropozän: Wälder in Flammen. Rocky Mountain House, Alberta, Kanada, 2. Juni 2009. Foto: Cameron Strandberg.

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Es ist höchste Zeit, sich direkt dem zeitlich-räumlich-globalen Ding namens Anthropozän zuzuwenden.49 Der Begriff scheint in den frühen 1980er Jahren durch den Ökologen und Spezialisten für Süßwasserkieselalgen, ­Eugene Stroemer (Universität Michigan, verstorben 2012), geprägt worden zu sein. Er führte den Begriff ein, um auf die vielfältigen Beweise für die transformativen Effekte menschlicher Aktivitäten auf der Erde aufmerksam zu machen. Der Name Anthropozän hatte seinen dramatischen Starauftritt im Globalisierungsdiskurs im Jahr 2000, als der niederländische Nobelpreisträger und Atmosphärenchemiker Paul Crutzen sich mit Stroemer zusammentat. Sie erklärten, dass die menschlichen Aktivitäten von einem Ausmaß und einer Art seien, die dazu berechtigten, einen neuen geologischen Begriff für diese neue Epoche zu verwenden, die dem Holozän, das seit der letzten Eiszeit andauert, folgt, oder auch dem Pleistozän, das vor ungefähr 12.000 Jahren endete. Die anthropogenen Veränderungen, die mit der Dampfmaschine (Mitte des 18. Jahrhunderts) begannen und zur planetenumformenden, explosionsartigen Zunahme des Kohleverbrauchs führten, hinterließen ihre Spuren in Luft, Wasser und Gestein.50 Die Hinweise verdichteten sich, dass die Übersäuerung und Erwärmung der Ozeane die Korallenriffe zersetzt, was riesige, geisterhafte Skelette gebleichter, sterbender oder toter Korallen zur Folge hat. Dass ein symbiotisches System – Korallen und ihre wässrigen, weltenproduzierenden Verbindungen mit Nesseltieren und Algen und noch vielen anderen Krittern – eine solche globale Transformation anzeigt, wird später in unsere Geschichte zurückkommen. Vorerst ist wichtig festzuhalten, dass das Anthropozän im Kontext populärer und wissenschaftlicher Diskurse zur Währung wurde; es waren Diskurse, in denen umfassende und Dringlichkeiten gehorchende Anstrengungen unternommen wurden. Es sollten Wege gefunden werden, um über das große Ding namens Globalisierung zu reden, es zu theoretisieren, zu modellieren und zu managen. Klimamodellierung ist eine positiv wirksame Rückkopplungsschleife, die Zustandsänderungen in Systemen politisch-ökonomischer Diskurse erwirken kann.51 Dass Paul Crutzen sowohl Nobelpreisträger als auch Atmosphärenchemiker ist, waren gewichtige Faktoren. Bis 2008 hatten viele WissenschaftlerInnen auf der ganzen Welt den noch nicht ganz offiziellen, aber zunehmend unverzichtbaren Begriff Anthropozän übernommen.52 Unzählige Forschungsprojekte,

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Performances, Installationen und Konferenzen in den Künsten und in den Sozial- und Geisteswissenschaften fanden es unabdingbar, den Begriff in ihren Namensgebungen zu verwenden und in ihrem Denken produktiv zu machen. Nicht zuletzt sollte so das sich beschleunigende Aussterben quer durch die gesamte biologische Systematik thematisiert werden, ebenso wie die artenübergreifende Verelendung, einschließlich diejenige menschlicher Wesen; eine Verelendung, die auf Kosten von Terra geht. Der fossilienverbrennende Mensch scheint nämlich darauf aus zu sein, in kürzester Zeit so viele neue Fossilien wie möglich herzustellen. GeologInnen der nahen Zukunft werden sie in den Gesteins- und Erdschichten sowie unter Wasser entziffern können, wenn es nicht sogar jetzt schon möglich ist. Vielleicht müsste das Bild für das Anthropozän nicht ein brennender Wald, sondern ein Burning Man53 sein! Das Ausmaß der Verbrennungsambitionen des fossilienerzeugenden Menschen – dieses Anthropos, dessen heiße Projekte zur Beschleunigung des Artensterbens mit einem Verdienstabzeichen, dem Namen für eine geologische Epoche, belohnt worden sind  – ist schwer zu erfassen. Lassen wir einmal alle anderen sich beschleunigenden Extraktionen, die von Mineralien, Pflanzen, Tierfleisch, Grund und Boden usw., beiseite. Betrachten wir nur die rasche Entwicklung von Technologien für erneuerbare Energien sowie die politischen und technischen Maßnahmen, die angesichts fühlbarer und kostspieliger Zusammenbrüche von Ökosystemen und sich ausbreitender politischer Unruhen ergriffen werden, um die Kohlenstoffemission zu verringern. Gern würden wir sagen, dass mit den neuen Technologien und Maßnahmen die Belastungen durch erderwärmenden Kohlendioxidüberschuss im Zuge der Verbrennung von immer noch mehr fossilen Brennstoffen gedämpft oder sogar eliminiert werden. Oder vielleicht würden auch die finanziellen Schwierigkeiten der Kohle- und Ölindustrie im Jahr 2015 den Wahnsinn stoppen. Keineswegs. Schon eine gelegentliche Nachrichten-Lektüre zerstört solche Hoffnungen. Und das Problem ist sogar größer, als es aufmerksamen LeserInnen von IPCC-Dokumenten und der Presse erscheint. Michael Klare, Professor für Friedensund Weltsicherheitsstudien am Hampshire College, legt in The Third Car­ bon Age stichhaltige Beweise gegen die Annahme vor, dass ein Zeitalter erneuerbarer Energien auf das aktuelle Ölzeitalter folgen wird, das wiede-

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rum das alte Kohlenzeitalter abgelöst hat.54 Er führt die wachsenden globalen, staatlichen und privaten Investitionen in erneuerbare Energien im Detail aus; offenbar verspricht dieser Sektor große Profite und Machtvorteile. Gleichzeitig werden seitens der global player alle vorstellbaren – und viele unvorstellbaren  – technischen und strategischen Maßnahmen ergriffen, um auch noch die letzte Kalorie fossilen Kohlenstoffs zu extrahieren, ganz egal in welcher Tiefe oder in welcher Form von Sand, Schlamm oder Stein sie sich befindet und egal welchen Horror ihre Reise in den Vertrieb und zu ihrem schlussendlichen Einsatzort verursacht; Hauptsache, die Kalorie wird verbrannt, bevor jemand anderer an sie herankommt und sie verbrennt  – in der dummen, phallischen Geschichte der ersten und letzten schönen Worte und Waffen.55 Im, wie Klare es nennt, »Zeitalter von unkonventionellem Öl und Gas« ist Hydrofracking die Spitze des (schmelzenden) Eisbergs. Die Schmelze in den polaren Meeren, schrecklich für Eisbären und KüstenbewohnerInnen, ist überaus vorteilhaft für großes, kompeti­tives Militär, für das Bohren und Schürfen sowie für die Tankschifffahrt über die Nordwestpassage. Wer braucht schon Eisbrecher, wenn man sich auf schmelzendes Eis verlassen kann?56 Ein Ingenieur für komplexe Systeme namens Brad Werner hielt 2012 im Rahmen einer Versammlung der American Geophysical Union in San Francisco eine Rede. Seine These war recht einfach: Wissenschaftlich gesehen, habe der globale Kapitalismus »den Abbau der Ressourcen so rasch, bequem und barrierefrei« gemacht, »dass ›Erde-Mensch-Systeme‹ in Reaktion darauf gefährlich instabil geworden sind«. Deshalb bleibe als einzig mögliche wissenschaftliche Antwort nur die Revolte! Bewegungen, nicht nur Individuen, sind kritisch. Nötig seien ein Handeln und ein Denken, die nicht mit der dominanten kapitalistischen Kultur zusammengehen. Und das, so Werner, sei nicht eine Frage der Meinung, sondern geophysikalischer Dynamiken. Der Journalist, der über die Tagung berichtete, fasste Werners Rede folgendermaßen zusammen: »Er sagt, seine Forschung zeigt, dass unser ganzes ökonomisches Paradigma eine Gefahr für die ökologische Stabilität darstellt.«57 Werner ist nicht der erste oder letzte Wissenschaftler und Hersteller von Dingen von Belang, der so argumentiert, aber seine klaren, deutlichen Worte auf einer wissenschaftlichen Versammlung sind erfrischend und bestärkend. Revoltiert! Denken müssen wir. Wir

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müssen denken. Wirklich denken, nicht wie Eichmann, der Gedankenlose. Aber natürlich steckt der Teufel im Detail – wie revoltieren? Wie von Belang sein und es nicht nur sein wollen?

Kapitalozän Eines zumindest ist kristallklar: Ganz egal, wie sehr er in einem generisch maskulinen Universalismus feststeckt, und egal, wie sehr er ausschließlich nach oben blickt, der Anthropos hat dieses Fracking-Ding nicht gemacht und er sollte nicht der Namensgeber für eine doppeltodliebende Epoche sein. Der Anthropos ist letztlich nicht Burning Man. Aber weil der Begriff schon gut etabliert ist und vielen wichtigen MitspielerInnen weniger umstritten erscheint als derjenige des Kapitalozäns, weiß ich, dass wir den Begriff Anthropozän weiter benötigen werden. Ich werde ihn auch zuweilen verwenden, aber sparsam. Was und wen das Anthropozän in seiner überholten Tragetasche sammelt, könnte für ein Leben in den Ruinen oder sogar für eine bescheidene Erholung der Erde durchaus hilfreich sein. Dennoch: Wenn wir nur ein einziges Wort für die aktuellen SF-Zeiten hätten, müsste es sicherlich Kapitalozän lauten.58 Nicht die Spezies Mensch hat die Bedingungen für das Dritte Kohlenstoffzeitalter oder das nukleare Zeitalter geschaffen. Die Geschichte der Spezies Mensch als dem Protagonisten des Anthropozäns ist eine beinahe lächerliche Wiederauflage des großen, phallischen, humanisierenden und modernisierenden Abenteuers, in dem »der Mensch«, Abbild eines verschwundenen Gottes, in seinem säkular-sakralen Aufstieg Superkräfte erwirbt, nur um in einer tragischen Abschwellung zu enden  – wieder einmal. Der autopoietische, sich selbst erschaffende Mann ist einmal mehr abgestürzt, diesmal durch einen tragischen Systemfehler, der biodiverse Ökosysteme in ausgeflippte Wüsten aus schleimigen Flächen und stechenden Quallen verwandelt hat. Auch der »technologische Determinismus« hat nicht das Dritte Kohlenstoffzeitalter hervorgebracht. Kohle und die Dampfmaschine haben die Geschichte nicht determiniert. Und, nebenbei gesagt, sind alle Datierungen falsch. Nicht weil wir bis zur letzten Eiszeit zurückgehen müssten, sondern

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weil wir zumindest die große Markt- und Warenweltumwandlung vom 16. und 17. Jahrhundert bis heute berücksichtigen müssten, selbst wenn wir (fälschlicherweise) glauben, eurozentrisch bleiben zu können, wenn wir über die »globalisierenden« Transformationen nachdenken, die das Kapitalozän formen.59 Sicherlich müssen wir von den Handelsnetzwerken des Zuckers und der Edelmetalle erzählen, von der Plantagenwirtschaft, vom Genozid an indigenen Völkern und von der Sklaverei mit ihren Arbeits­ innovationen, ihren Umsiedlungen und Rekompositionen von Lebewesen und Dingen; davon, wie sie menschliche und nicht-menschliche Arbei­ terInnen jeglicher Art aufgewirbelt haben. Die infektiöse industrielle Revolution Englands ist ein gewichtiger Faktor, aber sie ist nicht die einzige Strippenzieherin im Spiel der planetenverändernden, historisch situierten, auch so ausreichend neuen, welterzeugenden Beziehungen. Die Umsiedlung von Menschen, Pflanzen und Tieren, die Abholzung riesiger Wälder und der gewaltsame Abbau von Metallen gingen der Dampfmaschine voraus. Doch das rechtfertigt kein Händeringen angesichts der Perfidie des Anthropos, der Spezies Mensch oder des »Manns als Jäger«.

Abb. 2.4 Bild für das Kapitalozän: das schmelzende Eis der Nordwestpassage, Daten von 2012. NASA Visible Earth Image von Jesse Allen, 2015, unter Verwendung der Daten von LANCE (Land Atmosphere Near Real-Time Capability for EOS). National Snow and Ice Data Center.

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Geschichten über ein systemisches Ineinandergreifen von Metabolismen, Artikulationen oder Koproduktionen (suchen Sie sich die Metapher aus) in Ökonomien und Ökologien, über Entwicklungen von Menschen und über nicht-menschliche Kritter müssen schonungslos opportunistisch und kontingent sein. Sie müssen außerdem schonungslos relational, sympoietisch und konsequent sein.60 Sie sind irdisch, nicht kosmisch, auch nicht gesegnet oder ins Weltall verflucht. Das Kapitalozän ist irdisch; es muss nicht zwingend die letzte biodiverse geologische Epoche sein, in der auch unsere Spezies existiert. Es gibt immer noch so viele gute Geschichten zu erzählen, so viele Tragenetze sind noch zu knüpfen – nicht nur durch menschliche Wesen. Lassen Sie mich meine Einwände gegen das Anthropozän als Werkzeug, als Geschichte oder als Epoche, mit dem/der man denken kann, provokativ zusammenfassen: (1) Das Mythensystem rund um den Anthropos ist ein abgekartetes Spiel und all diese Geschichten gehen schlecht aus. Genauer gesagt enden sie in doppeltem Tod, es gibt in ihnen kein Weiterbestehen. Mit einem so miesen Protagonisten ist es schwer, gute Geschichten zu erzählen. Schlechte Protagonisten brauchen eine Geschichte, aber nicht die ganze. (2) Die Spezies Mensch macht keine Geschichte. (3) »Der Mensch und sein Werkzeug« machen keine Geschichte. Das ist nur die Geschichte, die der menschliche Exzeptionalismus über Geschichte erzählt. (4) Geschichte muss Platz machen für Geogeschichten, für Gaiageschichten, für symchthonische Geschichten; die Erdlinge stellen verwobenes, verflochtenes Leben und Sterben in sympoietischen, artenübergreifenden Fadenspielen her; sie machen keine Geschichte im Singular. (5) Der menschliche Sozialapparat des Anthropozäns tendiert dazu, kopflastig und bürokratisch zu agieren. Eine Revolte braucht andere Aktionsformen und andere Geschichten des Trostes, der Inspiration, der Wirksamkeit. (6) Trotz seiner Abhängigkeit von agilen, computerbasierten Modellierungen und der autopoietisch argumentierenden Systemtheorie hängt das Anthropozän zu sehr an einer eigentlich »undenkbaren« Theorie der Beziehungen, nämlich an der alten Theorie eines eingeschränkten, zweckorientierten Individualismus – immer schon existierende Einheiten befinden sich in einer Konkurrenzbeziehung und konsumieren die ganze Luft der Atmosphäre (außer Kohlendioxid, offensichtlich). (7) Die Wissenschaften des Anthropo-

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zäns sind zu stark von einer restriktiven Systemtheorie gerahmt und von jenen Evolutionstheorien, die unter dem Begriff »Moderne Synthese« firmieren. Diese sind, trotz ihrer großen Bedeutung, nicht dazu in der Lage, gut über Sympoiesis, Symbiose, Symbiogenese, Entwicklung, verwobene Ökologien und Mikroben nachzudenken. (8) »Anthropozän« ist ein Begriff, der Intellektuellen der reichen Klassen und Regionen einfach, sinnvoll und anwendbar erscheint. Aber er ist in vielen Teilen der Erde, speziell (aber nicht ausschließlich) unter Indigenen, nicht gebräuchlich; sie haben andere Begriffe für Klima, Wetter, Land oder die Pflege des Landes. Ich bin mit der feministischen Umweltschützerin Eileen Crist einer Meinung, wenn sie gegen unternehmerische, technokratische, von Markt und Profit betörte, modernisierende und exzeptionalistische, insgesamt systemerhaltende Einsätze großer Teile des Anthropozän-Diskurses anschreibt. Dieser Diskurs ist nicht einfach nur falsch für Kopf und Herz; er laugt auch unsere Fähigkeit aus, uns andere Welten vorzustellen und für sie Sorge zu tragen. Das betrifft sowohl jene Welten, die bereits jetzt unter prekären Bedingungen existieren (unter anderem solche, die »Wildnis« genannt werden, trotz der ganzen kontaminierten Geschichte dieses Begriffs, der aus dem rassistischen Siedlerkolonialismus kommt), als auch Welten, die wir gemeinsam mit anderen Krittern ins Leben rufen müssen, damit wir (was immer noch möglich ist) Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte zurückgewinnen können. »Verknappung mit ihren tiefgehenden und lang anhaltenden Folgen und das Leid, das sie für alles Leben verheißt, ist auf allen Ebenen ein Artefakt des menschlichen Exzeptionalismus.« Stattdessen würde eine Menschheit mit irdischerer Integrität »vorrangig dazu einladen, zurückzurudern und zu verkleinern und die Begrenzung unserer eigenen Bevölkerungszahlen, unserer Ökonomien, unserer Lebensräume zu begrüßen um einer höheren, inklusiven Freiheit und Lebensqualität willen.«61 Wenn die Menschen also weiterhin in ihrer Geschichte leben und die Erdgebundenen ihre Aufgaben im Anthropozän aufnehmen, sind für meinen Geschmack zu viele Posthumane (und Posthumanisten, die eine ganz andere Versammlung darstellen) ins Anthropozän ausgewandert. Vielleicht ist mein menschliches und nichtmenschliches Volk das der schrecklichen Chthonischen, die sich in den Geweben von Terrapolis schlängeln.

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Ich möchte festhalten, dass das Kapitalozän, sofern es in der Sprache eines fundamentalistischen Marxismus mit all seinen Fallen (Modernität, Fortschritt, Geschichte) erzählt wird, ebenso hart oder noch härter kritisiert werden muss. Die Geschichten des Anthropozäns und des Kapitalozäns taumeln ständig an einem Rand entlang und laufen Gefahr, viel zu groß zu werden. Marx war besser im Geschichtenerzählen, Darwin auch. Wir können ihren Mut und ihre Fähigkeiten, Geschichten zu erzählen, die gerade groß genug sind, aber beerben; Geschichten ohne Determinismus, Teleologie und Plan.62 Historisch situierte, relationale Verweltlichungen machen sich sowohl über die binäre Trennung von Natur und Gesellschaft als auch über unsere Versklavung durch den Fortschritt und seinen bösen Zwilling, die Modernisierung, lustig. Das Kapitalozän ist relational hergestellt worden, nicht durch einen säkularen, gottähnlichen Anthropos, nicht durch das Gesetz der Geschichte, durch die Maschine selbst oder durch einen Dämon namens Moderne. Das Kapitalozän muss deshalb relational abgebaut werden, damit in materiell-semiotischen SF-Mustern und -Geschichten etwas komponiert werden kann, das lebbarer ist, etwas, worauf Ursula K. Le Guin stolz sein würde. Erneut schockiert über unsere – Milliarden ErdbewohnerInnen, Sie und mich eingeschlossen – täglich sich wiederholende Zustimmung zur Praxis dessen, was man Kapitalismus nennt, haben Philippe Pignarre und Isabelle Stengers festgestellt, dass die verschiedenen Denunziationen des Kapitalismus einzigartig ineffektiv gewesen sind. Wäre es anders, wäre er längst verschwunden. Eine dunkle und verhexte Bindung an den Köder des Fortschritts (und seinen Gegenpol) treibt uns in unendliche höllische Alternativen, als ob es keine anderen Möglichkeiten gäbe, die Welt neu zu gestalten, zu imaginieren, lebbar zu machen, wieder einzutauchen in ein gutes Leben, das wir miteinander und mit anderen Wesen führten. Diese Erklärung stellt uns aber nicht davon frei, viele wichtige Dinge besser zu machen; im Gegenteil. Pignarre und Stengers bejahen lokale Kollektive, die neue Praktiken der Imagination, des Widerstands, der Revolte, der Wiederherstellung und der Trauer entwickeln können, Praktiken des guten Lebens und Sterbens. Pignarre und Stengers erinnern uns daran, dass die etablierte Unordnung nicht notwendig ist. Eine andere Welt wird nicht nur dringend gebraucht, sie ist auch möglich; aber

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nicht, wenn wir uns durch Verzweiflung, Zynismus oder Optimismus, im Glauben oder Unglauben an den Diskurs des Fortschritts verhexen lassen.63 Viele marxistische KritikerInnen und KulturtheoretikerInnen würden hier bestenfalls zustimmen.64 Auch die Tentakulären.65

Abb. 2.5 Octopi Wall Street: Symchthonische Revolte. Marley Jarvis, Laurel Hiebert, Kira Treibergs, 2011. Oregon Institute of Marine Biology.

Chthuluzän Auf Margulis’ und Lovelocks generativen, komplexen Systemansatz zurückgehend ist Gaia für viele zeitgenössische westliche DenkerInnen die Figur des Anthropozäns. Aber die sich entfaltende Gaia ist besser im Chthuluzän aufgehoben, in einer fortdauernden Zeit, die sich einer festen Gestalt und einer einheitlichen Datierung widersetzt und nach unzähligen Namen verlangt. Aus dem Chaos auftauchend66 war und ist Gaia eine mächtige und eindringliche Kraft, die in niemandes Tasche passt, niemandes Hoffnung auf Erlösung erfüllt und auch das ausgeklügeltste autopoietische,

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komplexe Systemdenken des 20. Jahrhunderts herausfordern kann; jenes Denken, das dazu geführt hat, dass die Verwüstungen durch die anthropogenen Prozesse der letzten paar Jahrhunderte verstanden wurden, eine notwendige Gegenspielerin euklidischer Figuren und Geschichten »des Menschen«.67 Mit ihrer post-eurozentrischen Konferenz »The Thousand Names of Gaia«68 exorzierten Eduardo Viveiros de Castro und Déborah Danowski, zwei EthnologInnen und PhilosophInnen aus Brasilien, weiterhin bestehende Annahmen, dass Gaia als Refiguration der Dringlichkeiten unserer Zeit auf die antiken Griechen und die anschließenden europäischen Kulturen beschränkt sein könnte. Namen, nicht Gesichter, nicht Gestalten desselben, etwas anderes, tausendmal etwas anderes, aber immer noch, auch in diesem Erdzeitalter, von ineinandergreifenden, kontinuierlichen, generativen wie destruktiven Ver- und Entweltlichungen erzählend. Wir brauchen eine andere Figur, Tausend Namen für etwas anderes, um aus dem Anthropozän in eine andere Erzählung, die gerade groß genug ist, zu entkommen. Als jemand, die in einem kalifornischen Rotholzwald von der Spinne Pimoa chthulhu gebissen wurde, möchte ich dafür die schlangenförmige Medusa und die vielen unabgeschlossenen Verweltlichungen ihrer Nachfahren, Verbündeten und Abkömmlinge vorschlagen. Vielleicht kann Medusa, die einzige Sterbliche der Gorgonen, uns in die Holobiome von Terrapolis bringen und unsere Chancen verbessern, die Schiffe der Helden des 21. Jahrhunderts auf lebendigen Korallenriffen zu zerschmettern, anstatt ihnen zu erlauben, auch noch den letzten Tropfen fossilen Fleisches aus totem Gestein zu saugen.

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Abb. 2.6 Bild für das Chthuluzän: Potnia Theron mit Gorgonengesicht. Kameiros, ­Rhodos, um 600 vor unserer Zeitrechnung, Terrakotta, 30 Zentimeter Durchmesser, British Museum. Ausgrabung von Auguste Salzmann und Sir Alfred Bilotti; angekauft 1860. Foto: Marie-Lan Nguyen 2007.

Die Figur Potnia Theron, die Gebieterin der Tiere, ist auf einem Terra­kottaTeller als geflügelte Göttin mit einem geschlitzten Rock dargestellt. Mit jeder Hand berührt sie einen Vogel.69 Sie ist eine anschauliche Erinnerung daran, wie breit, weit und zeitlich tief die chthonischen Kräfte in der Welt des Mittelmeers, des Nahen Ostens und darüber hinaus wirksam gewesen sind und es auch in Zukunft bleiben werden.70 Potnia Theron wurzelt in den minoischen und mykenischen Kulturen und hat die griechischen Mythen der Gorgonen (speziell die der sterblichen Medusa) und der Artemis beeinflusst. Sie ist eine Art weitgereiste Ur-Medusa, die Herrscherin über die Bestien und eine potenzielle Verbindung zwischen Kreta und Indien. Die geflügelte Figur wird auch Potnia Melissa genannt, Gebieterin der Bienen, und ist dann drapiert mit all deren summenden, stechenden, honigklebrigen Geschenken. Beachten Sie die akustischen, taktilen und gustatorischen Sinnesempfindungen, die die Göttin hervorruft, und ihr sympoietisches, mehr-als-menschliches Fleisch. Diese Schlangen und

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Bienen dienen eher als stechende, tentakuläre Fühler, denn als binokulare Augen; aber diese Kreaturen sehen ebenfalls: mit Facettenaugen und vielarmiger Optik. Viele Verkörperungen der geflügelten Bienen-Göttin rund um die Welt sind sehr alt und sie werden in der Gegenwart dringend gebraucht.71 Potnia Therons/Melissas Schlangenlocken und das Gorgonengesicht verfangen sich in einer heterogenen Verwandtschaft chthonischer, irdischer Kräfte, die verschwenderisch durch Raum und Zeit reisen. Das griechische Wort Gorgone wird zwar als »furchterregend« (dreadful) übersetzt, aber das ist möglicherweise einem astralisierten, partriarchalen Missverstehen von vielmehr ehrfurchtsvollen (awe-ful) Geschichten und Darstellungen geschuldet: Geschichten von Schöpfung und Destruktion, einer beharr­lichen, fortdauernden irdischen Endlichkeit. Potnia Theron/Melissa/Medusa verpassen der Fazialität, der Gesichtlichkeit, ein neues Aussehen und versetzen damit modernen, humanistischen (einschließlich technohumanistischen) Figurationen eines nach vorne blickenden und in den Himmel starrenden Anthropos einen schweren Schlag. Erinnern wir uns, dass das griechische chthonios »auf, in oder unter der Erde oder dem Meer« bedeutet, und wir finden ein reiches irdisches Wirrwarr (muddle) für SF vor: science fact, Science-Fiction, spekulativen Feminismus und spekulative Fabula­tion. Die Chthonischen sind eben keine Himmelsgötter, auch kein Fundament für die OlympierInnen, keine FreundInnen des Anthropozäns oder Kapitalozäns und ganz sicher nicht abgeschlossen. Die Erdgebundenen können Mut schöpfen – und aktiv werden. Die Gorgonen sind mächtige, geflügelte chthonische Entitäten, die keine saubere Genealogie nachweisen können; ihre Reichweite ist lateral und tentakulär; sie verfügen über keine gesicherte Herkunft oder Art (Genre, Gender), obwohl sie als weiblich dargestellt und erzählt werden. In alten Versionen tun sich die Gorgonen mit den Erinnyen (den Furien) zusammen, mit jenen chthonischen Unterweltkräften, die Verstöße gegen die natürliche Ordnung rächen. In der Luft sind die Harpyien mit ihren vogelförmigen Körpern für diese lebenswichtige Aufgabe zuständig.72 Dies vor Augen, lassen Sie uns noch einmal die Vögel von Potnia Theron ansehen. Was machen sie? Sind die Harpyien ihre Cousinen? Um 700 vor unserer Zeitrechnung stellte sich Hesiod die Gorgonen als Meeresdämonen

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vor und gab ihnen Meeresgottheiten als Eltern. Ich lese Hesiods Theogonie als einen Versuch, eine sehr ausladend-queere Familie zu stabilisieren. Die Gorgonen brechen eher aus, als dass sie erscheinen; sie sind auf ähnliche Weise eindringlich wie Stengers’ Gaia. Die Gorgonen haben jene Männer, die ihnen in ihr lebendiges, giftiges, schlangenbedecktes Gesicht schauten, versteinert. Was wäre wohl passiert, wenn diese Männer dazu in der Lage gewesen wären, die furchterregenden Chthonischen freundlich zu grüßen? Sind solche Umgangsformen noch erlernbar? Haben wir genug Zeit, sie zu erlernen? Oder wird die Stratigrafie der Steine nur noch das Ende des steinernen Anthropos verzeichnen können?73 Die olympischen GöttInnen sahen in Medusa eine besonders gefährliche Feindin der himmlischen Erbfolge und Autorität. Deshalb ist die sterbliche Medusa von speziellem Interesse für meine Überlegungen, das Chthu­luzän als eine jener Geschichten vorzuschlagen, die groß genug ist, um in unserer Epoche unruhig zu bleiben. Ich deute die Geschichten um, verdrehe sie, aber nicht mehr, als es die Griechen selbst andauernd taten.74 Der Held Perseus wird ausgesandt, um Medusa zu töten. Mit der Hilfe von Athene, der kopfgeborenen Lieblingstochter Zeus’, schlug er Medusa den Kopf ab und brachte ihn seiner Komplizin, der jungfräulichen Göttin der Weisheit und des Krieges. Athene befestigte den abgetrennten Kopf, das Gesicht voraus, auf ihrem Schild, dem Aegis, und verriet damit – wie üblich  – die Erdgebundenen. Von mutterlosen Kopfgeburten kann man nichts Besseres erwarten. Aber aus diesem Auftragsmord entstand auch Gutes: Dem toten Körper der Medusa entstieg das geflügelte Pferd Pegasus. FeministInnen pflegen eine spezielle Freundschaft mit Pferden. Wer möchte behaupten, dass uns diese Geschichten nicht immer noch profund bewegen?75 Aus dem Blut, das aus dem abgetrennten Kopf Medusas tropfte, entstanden die Korallen der westlichen Meere. Bis heute erinnert der Name von korallenähnlichen Meeresgewächsen, den Tiefseegorgonien, an sie: Es sind symbiotische Kompositionen aus tentakulären, animalischen Nesseltieren und photosynthetisierenden, algenähnlichen Lebewesen, den Zooxanthellen.76 Mit den Korallen wenden wir uns definitiv ab von betörenden Darstellungen des Gesichts, egal wie schlangenartig sie sind. Nicht einmal Potnia

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Theron, Potnia Melissa oder Medusa können alleine die benötigten Tentakel auswerfen. Damit beauftragt zu denken, zu figurieren und Geschichten zu erzählen, verbündet sich die Spinne meiner ersten Seiten, Pimoa chtu­ lhu, mit ausgesprochen wirbellosen Meereskreaturen. Korallen schließen sich mit Oktopussen, Kalmaren und Tintenfischen zusammen. Oktopusse werden auch Meeresspinnen genannt, nicht nur ihrer Tentakularität wegen, sondern auch aufgrund ihres Jagdverhaltens. Die Tentakulär-Chthonischen müssen essen; sie versammeln sich um den Tisch, cum panis, Art-GenossInnen der Erde. Sie bilden die verführerischen, verlockenden, hinreißenden, endlichen, gefährlichen Unsicherheiten des Chthu­luzäns gut ab. Das Chthuluzän ist weder heilig noch säkular; diese irdische Verweltlichung ist durch und durch terrestrisch, durcheinander und sterblich – und im Moment steht sie auf dem Spiel. Als bewegliche, vielarmige Räuber, die durch und über Korallenriffe pulsieren, werden Oktopusse auch Spinnen des Meeres genannt. Und so treffen sich Pimoa chthulhu und Octopus cyanea in den verwobenen Fabeln des Chthuluzäns.77 Alle diese Geschichten sind Köder, um das Chthuluzän als notwendige, dritte Geschichte zu entwerfen; als dritte Tragetasche, in der das gesammelt wird, was entscheidend dafür sein wird, ob es überhaupt weitergeht, entscheidend, um unruhig zu bleiben.78 Die Chthonischen sind nicht auf eine verschwundene Vergangenheit beschränkt. Sie sind auch in der Gegenwart ein summender, stechender, saugender Schwarm; und menschliche Wesen leben nicht in einem Extra-Kompost. Wir sind Humus, nicht homo, nicht anthropos; wir sind kompostiert, nicht posthuman. Die Nachsilbe kainos (»-zän«) deutet eine neue, eine eben gemachte, eine frische Epoche der dichten Gegenwart an. Im Chthuluzän sympoietisch zu arbeiten und zu spielen heißt, die biodiversen Kräfte von Terra zu erneuern. Anders als das Anthropozän und das Kapitalozän setzt sich das Chthuluzän aus Fortsetzungsgeschichten und artenübergreifenden Praktiken des Miteinander-Werdens zusammen. Sein Fortdauern steht auf dem Spiel. Es ist eine gefährdete Zeit, in der die Welt nicht fertig und der Himmel nicht gefallen ist – noch nicht. Wir stehen füreinander auf dem Spiel. Anders als in den dominanten Dramen des Anthropozäns und des Kapitalozäns sind menschliche Wesen im Chthuluzän nicht die einzig entscheidenden Ak-

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teurInnen, während alle anderen nur reagieren können. Die Ordnung wird umgestrickt: Menschliche Wesen sind mit und von der Erde, und die biotischen und abiotischen Kräfte der Erde erzählen die zentrale Geschichte. Dennoch sind die Aktivitäten von situierten, konkreten menschlichen Wesen wichtig. Es ist von Gewicht, auf welche Arten und Weisen von Leben und Sterben wir setzen. Es macht nicht nur für menschliche Wesen einen Unterschied, sondern auch für die vielen Lebewesen quer durch alle Taxa, die wir der Ausrottung, dem Genozid und der Zukunftslosigkeit preisgegeben haben. Ob wir wollen oder nicht, wir sind Teil eines Fadenspiels, das sich um gefährdete Welten kümmert; Welten, die durch den fossilienverbrennenden Menschen, der in den Orgien des Anthropozäns und Kapitalozäns so schnell wie möglich neue Fossilien herstellt, sehr viel stärker gefährdet sind als früher. In jeder Faser des Gewebes der dringend gebrauchten Chthuluzän-Geschichte sind verschiedenste menschliche und nicht-menschliche MitspielerInnen notwendig. Die Hauptrollen sind nicht auf die zu großen SpielerInnen in den zu großen Geschichten des Kapitalismus und des Anthropos beschränkt, zumal beide zu seltsam apokalyp­ tischer Panik und noch seltsameren gleichgültigen Verurteilungen einladen, anstatt aufmerksame Praktiken des Denkens, des Liebens, der Wut und der Sorge zu fördern. Das Anthropozän und das Kapitalozän überlassen sich zu schnell dem Zynismus, der Schwarzseherei und ebenso selbstsicheren wie selbsterfüllenden Vorhersagen im Stil von »Das Spiel ist aus, es ist zu spät«. Solche Reden höre ich derzeit überall um mich herum, sowohl von Experten als auch in der breiten Öffentlichkeit. In ihnen infizieren technotheokratische, geoingenieursmäßige Reparaturfantasien und das sich Suhlen in Verzweiflung jede gemeinsam hergestellte Vision. Sich mit dem schieren NichtWir, mit der mehr als menschlichen Verweltlichung des Korallenriffs zu konfrontieren, mit all seinen Anforderungen, die das Leben und Sterben von unzähligen Krittern ermöglichen, ist auch eine Konfrontation mit dem Wissen, dass gegenwärtig mindestens 250 Millionen menschliche Wesen in ihrem guten Leben und Sterben direkt auf das Überleben dieser Holobiome angewiesen sind. Vielfältige Korallen und vielfältige Völker und Leute stehen mit- und füreinander auf dem Spiel. Gedeihen muss als artenübergreifende Responsabilität und ohne die Arroganz der Himmelsgötter und

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ihrer Lakaien kultiviert werden. Oder die biodiverse Erde wird sich in etwas sehr Schleimiges verwandeln, wie ein überfordertes, komplexes, adaptives System, dem es nicht mehr gelingt, eine Verletzung nach der anderen auszugleichen. Die Korallen haben den Erdgebundenen überhaupt erst das Anthropozän ins Bewusstsein gebracht. Von Anfang an wurde der Begriff Anthropozän dafür verwendet, die menschlich induzierte Erwärmung und Übersäuerung der Ozeane zu thematisieren, die mit den Kohlendioxidemissionen fossiler Brennstoffe zusammenhängen. Erwärmung und Übersäuerung sind bekannte Stressfaktoren, die Korallenriffe krank machen und bleichen, da sie für den Tod der photosynthetisierenden Zooxanthellen verantwortlich sind und damit auch für den der symbiotischen Nesseltiere und all der anderen Kritter, die zu unzähligen Taxa gehören und deren Verweltlichungen von einem intakten Riffsystem abhängig sind. Die Korallen der Meere und die Flechten an Land bringen uns auch das Kapitalozän ins Bewusstsein; sie verweisen auf den Tiefseebergbau am Meeresgrund, auf Fracking und den Bau von Pipelines quer über von zarten Flechten bewachsene nördliche Landschaften, die die Basis für eine sich beschleu­nigende, nationalistische, transnationalistische und unternehmerische Entweltlichung bilden. Aber Korallen- und Flechten-Symbionten tragen uns auch reichhaltig in das sagenhafte Gewebe der dichten Präsenz des Chthuluzäns hinein, wo es – gerade so – noch möglich ist, im unarroganten Zusammenwirken mit all jenen, die sich im Wirrwarr befinden, ein viel besseres SF-Spiel zu spielen. Wir sind alle Flechten; so können wir von den Furien, die immer noch ausbrechen, um Verbrechen gegen die Erde zu rächen, von den Felsen gekratzt werden. Oder wir schließen uns den metabolischen Umwandlungen von Steinen und Krittern an, um gut zu leben und zu sterben. »›Ist dir klar‹, wird der Phytolinguist zum Kunstkritiker sagen, ›dass es mal eine Zeit gab, in der sie nicht einmal Auberginen lesen konnten?‹ Und sie werden unsere Ignoranz belächeln, während sie ihre Rucksäcke schultern und zur Nordseite von Pike’s Peak wandern, um dort die neu entzifferte Lyrik der Flechten zu lesen.«79 Mit diesen aktuellen Themen im Hinterkopf kehre ich zu meiner Ausgangsfrage zurück: Was passiert, wenn menschlicher Exzeptionalismus

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und zweckorientierter Individualismus der klassischen politischen Ökonomie in den besten Wissenschaften und quer durch die Disziplinen und Interdisziplinen undenkbar werden? Ernsthaft undenkbar: nicht mehr für das Denken zur Verfügung stehend. Warum drängt sich der epochale Name Anthropos gerade dann auf, wenn in den Humusitäten Konzepte und Wissenspraktiken über und in Symbiogenese und Sympoetik so wild und wundervoll erhältlich und produktiv sind, unter anderem in nichtkolonisierenden Künsten, Wissenschaften und Politiken? Was, wenn die traurigen Machenschaften des Anthropozäns und die Entweltlichungen des Kapitalozäns die letzten Atemzüge der Himmelsgötter sind, nicht die Garanten einer abgeschlossenen Zukunft, Ende des Spiels? Es ist von Gewicht, welche Gedanken Gedanken denken. Wir müssen denken!

Abb. 2.7 Der Große Blaue Krake, Octopus cyanea, im Wasser nahe Lanai, Hawaii. Foto: David Fleetham. © OceanwideImages.com.

Das unabgeschlossene Chthuluzän muss den Abfall des Anthropozäns und die Tötungskraft des Kapitalozäns aufsammeln. Es muss schroten und schreddern und schichten wie ein verrückter Gärtner und einen noch viel heißeren Kompost für immer noch mögliche Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte herstellen.

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Kapitel 3

Sympoiesis. Symbiogenese und die dynamischen Künste, beunruhigt zu bleiben

Symbiogenese Sympoiesis ist ein einfaches Wort. Es heißt »mit-machen«. Nichts macht sich selbst, nichts ist wirklich autopoietisch oder selbst-organisierend. In der Welt des Inupiat Computer-»Weltspiels« sind die Erdlinge niemals allein, never alone.1 Das ist die radikale Implikation von Sympoiesis. Sympoiesis ist deshalb ein passender Begriff für komplexe, dynamische, responsive, situierte, historisch spezifische Systeme. Es ist ein Wort für Mit-Verwelt­ lichung, Verweltlichung mit GenossInnen. Sympoiesis umfasst Autopoiesis, erlaubt ihre Entfaltung und erweitert sie.

Abb. 3.1 Endosymbiosis: Hommage an Lynn Margulis, Shoshanah Dubiner, 2012. www.cybermuse.com

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Das leuchtende, 1,2 mal 1,8 Meter große Bild Endosymbiosis hängt in jenem Gang, der an der Universität von Amherst die Abteilungen für Geowissenschaften und Biologie verbindet, ganz in der Nähe eines Life and Earth-Cafés. Der Ort selbst gibt einen Hinweis darauf, wie das Mit-Werden von Krittern vonstattengeht.2 Der unwiderstehliche Drang, einander zu umfassen und zu umschließen, in dem vielleicht sinnlich molekulare Neugierde und zweifellos unstillbarer Hunger sichtbar werden, ist der vitale Antrieb des Lebens und Sterbens auf der Erde. Kritter interpenetrieren einander, winden sich um und durch einander, essen einander. Sie verdauen einander zum Teil und assimilieren einander zu anderen Teilen. Dabei bilden sie sympoietische Arrangements, die man auch als Zellen, Organismen oder ökologische Gefüge kennt. Ein anderes Wort für diese sympoietischen Entitäten ist Holobionten, etymologisch betrachtet sind das »ganze Wesen« bzw. »gesunde und muntere Wesen«.3 Ein Holobiont ist etwas entschieden anderes als das Eine und das Individuum. Holobionten werden durch polytemporale und polyspatiale Verknüpfungen zusammengehalten, wobei sie mit anderen Holobionten in komplexen Mustern interagieren. Kritter gehen ihren Beziehungen nicht voraus; sie bringen einander durch semiotisch-materielle Involutionen, Ein- und Umstülpungen, hervor, die wiederum aus vorangegangenen Verstrickungen hervorgegangen sind. Lynn Margulis wusste eine ganze Menge über »die Intimität unter Fremden«, eine Wendung, mit der sie die basalen Praktiken des Mit-Werdens zwischen Krittern, an jedem Knoten der Intra-Aktion der Erdgeschichte, beschreibt. Ich schlage Holoent als allgemeinen Terminus vor, der »Einheit« oder »Wesen« ersetzt. Wie Margulis verwende ich Holobiont, um symbiotische Assemblagen zu bezeichnen, in welchem Maßstab von Raum und Zeit auch immer. Sie ähneln damit eher den Knotenpunkten unterschiedlicher intra-aktiver Bezüge in dynamischen, komplexen Systemen und weniger den Gebilden einer Biologie, die sich aus vorgegebenen und umgrenzten Einheiten (Genen, Zellen, Organismen etc.) zusammensetzt, welche lediglich auf kompetitive oder kooperative Art miteinander interagieren können. Wie Margulis vergebe ich in meinem Gebrauch des Begriffs Holobiont nicht die Rollen Wirt und Symbiont, weil alle MitspielerInnen SymbiontInnen füreinander sind; freilich in verschiedenen Arten von Beziehungen und mit variierenden

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Graden der Offenheit für Anhänglichkeiten und Assemblagen mit anderen HolobiontInnen. Symbiose ist kein Synonym von »zum beiderseitigen Vorteil«. Die Bandbreite an Namen, die es bräuchte, um die verschiedenartigen vernetzten Muster und Prozesse von situierten und dynamischen Nach- und Vorteilen für die Holobionten/Symbionten zu benennen, tritt gerade erst zutage; jetzt, da sich BiologInnen von den Diktaten eines besitzergreifenden Individualismus und Nullsummenspielen verabschieden, die ihnen zuvor als Schablonen für ihre Erklärungen dienten. Als fachkundige Expertin für Mikroben, Zellbiologie, Chemie, Geologie und Paleogeografie, aber und auch als Liebhaberin von Sprachen, Künsten, Geschichten, Systemtheorien und von alarmierend produktiven Krittern, einschließlich menschlicher Wesen, war Margulis eine radikale Evolutionstheoretikerin. Ihre erste und intensivste Liebe galt den Bakterien und Archaeen von Terra und ihren unbescheidenen Handlungen. Margulis’ Auffassung vom Leben fußte darauf, dass neue Arten von Zellen, Geweben, Organen und Spezies in erster Linie durch lang anhaltende Intimität unter Fremden entstehen. Die Verschmelzung von Genomen in der Symbiose, gefolgt von natürlicher Selektion – wobei Mutationen als Antrieb für den Wechsel der Systemebenen nur eine bescheidene Rolle spielen –, führt stufenweise zu einer immer komplexeren Quasi-Individualität, die gut genug ist, um durch den Tag zu kommen, oder auch durch das Äon. Margulis nannte diesen fundamentalen und endlichen Prozess der Erzeugung von Leben: Symbiogenese. Bakterien und Archaeen taten es zuerst. Mein Gefühl ist, dass Margulis tief in ihrem Herzen davon überzeugt war, dass Bakterien und Archaeen schon alles getan hatten und für sogenannte biologische Einheiten höherer Ordnung nicht mehr viel zu erfinden geblieben war. Denn schließlich haben Archaeen und Bakterien, indem sie auf konstant andauernde Weise miteinander verschmolzen sind, den modernen Zellkomplex erfunden; mit seinem Kern voller zäher Chromosomen, die aus DNA, Proteinen und allen möglichen Arten von extranuklearen Organellen zusammengesetzt sind; aus sich windenden Geißeln und sich drehenden Blättern für die Fortbewegung; aber auch aus spezialisierten Bläschen und Kanälchen für zigtausende Aufgaben, die alle besser erledigen könnten, wenn sie ein wenig mehr Abstand zueinander hätten.4 Weil sie gemeinsam mit John Love-

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lock die Begründerin der Gaia-Theorie war und verschränkte, vielschichtige Systemprozesse nichtreduktionistischer Organisation und Erhaltung studiert hatte, die die Erde und ihre lebendigen Wesen einzigartig machen, nannte Margulis diese Prozesse autopoietisch.5 Vielleicht hätte sie den Terminus sympoietisch gewählt, aber das Wort und das Konzept waren noch nicht aufgetaucht.6 Solange Autopoiesis nicht selbstgenügsames »selbermachen/sich-selbermachen« meint, sondern von der Gewichtung verschiedener Aspekte systemischer Komplexität handelt, besteht zwischen Autopoiesis und Sympoiesis ein produktives Reibungsverhältnis, oder auch: ein Verhältnis der generativen Umarmung, nicht eines der Opposition. 1998 hat eine kanadische Master-Studentin in Umweltwissenschaften, M. Beth Dempster, den Begriff Sympoiesis für »kollektiv produzierende Systeme, die über keine selbst definierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen verfügen«, vorgeschlagen. Und weiter: »Information und Kontrolle sind auf die Komponenten verteilt. Die Systeme sind evolutiv und haben das Potenzial zu überraschenden Veränderungen.« Im Gegensatz dazu seien autopoietische Systeme »selbst produzierende«, autonome Einheiten, »mit selbst definierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen, die die Tendenz haben, zentral kontrolliert zu werden sowie homöostatisch und vorhersehbar zu sein«.7 Symbiose bringt Autopoiesis in Schwierigkeiten. Aber Symbiogenese ist eine noch größere Unruhestifterin für sich selbst organisierende individuelle Einheiten. Je omnipräsenter Symbiogenese in den dynamischen Organisationsprozessen lebendiger Wesen ist, desto verschlungener, verflochtener, verzweigter, verwickelter und sympoietischer sind irdische Verweltlichungen. Mixotricha paradoxa ist ein allseits beliebter Kritter, um komplexe »Individualität«, Symbiogenese und Symbiose zu erklären. Margulis beschreibt diesen Kritter, der/die aus mindestens fünf verschiedenen taxonomischen Zellarten mit ihren Genomen besteht/bestehen, folgendermaßen: In geringer Vergrößerung sieht M. paradoxa wie ein einzelliges Wimperntierchen aus. Aber unter dem Elektronenmikroskop wird sichtbar, dass sie aus fünf unterscheidbaren Arten von Kreaturen besteht. Von außen erscheint sie als jene Art von Einzeller, die als Protisten klassifiziert sind. Aber in jeder kernhaltigen Zelle sind dort, wo man erwarten würde, Mitochondrien zu finden, viele kugel­

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förmige Bakterien. Wo auf der Oberfläche Wimpern sein sollten, entdeckt man an die 250.000 fadenförmige Treponema spirochetes (ähnlich denjenigen, die Syphilis bewirken) sowie eine Ansammlung großer Stäbchenbakterien, ebenfalls ca. 250.000. Außerdem konnten wir 200 Spiralbakterien eines größeren Typs neu beschreiben, die wir Canaleparolina darwiniensis nannten.8

Wenn man die Viren weglässt, ist jede M. paradoxa nicht ein, nicht fünf, nicht mehrere Hunderttausend Kritter, sondern ein Poster-Kritter für Holobionten. Dieser Holobiont lebt im Darm der australischen Termite Masto­termes darwiniensis, die ihre eigenen SF-Geschichten über den Einen und die Vielen, über Holoenten, erzählen könnte. Termitensymbiose, einschließlich ihrer Machenschaften mit Menschen, von Pilzen ganz zu schweigen, sind der Stoff von Legenden – und für Küchen. Sehen Sie sich nur die Holobiome der Termite Macrotermes natalensis und ihrem selbst gezüchteten Pilz Termitomyces in der aktuellen Wissenschaftsberichterstattung an.9 M. paradoxa und ihresgleichen waren seit Dekaden meine Begleiterinnen beim Schreiben und Denken. Seit Darwins Über die Entstehung der Arten von 1859 ist die biologische Evolutionstheorie immer zentraler für unsere Fähigkeiten zu denken, zu fühlen und zu handeln geworden; und die miteinander verbundenen darwinistischen Wissenschaften, die grob zwischen 1930 und 1950 in der »Modernen Synthese« oder der »Neuen Synthese« zusammengekommen sind, sind nach wie vor bemerkenswert. Wie könnte man ein ernsthafter Mensch sein und nicht Werke wie Theodosius Dobzhanskys Genetics and the Ori­ gin of Species (1937), Ernst Mayrs Systematics and the Origin of Species (1942), George Gaylord Simpsons Zeitmaße und Ablaufformen der Evolution (orig. 1944), selbst Richard Dawkins’ spätere, soziobiologische Reformulierung der Modernen Synthese in Das egoistische Gen (orig. 1976) würdigen? Dennoch: Umgrenzte Einheiten (Code-Fragmente, Gene, Zellen, Organismen, Populationen, Arten, Ökosysteme) und Beziehungen, die mathematisch als Wettbewerbsgleichungen beschreibbar sind, bleiben praktisch die einzigen Akteure und Geschichtenformate der Modernen Synthese. Das evolutionäre Momentum, das immer an ein modernistisches Verständnis von Fortschritt angrenzt, ist ein Leitmotiv der Modernen Synthese, Teleologie in einem strikten Verständnis ist allerdings keines. Auch wenn diese Wis-

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senschaften die Basis für wissenschaftliche Konzeptionalisierungen des Anthropozäns gelegt haben, werden sie im Denken von Anthropozänsystemen dekonstruiert, da diese umfassende autopoietische und sympoietische Analysen erfordern. Weil sie in abgeschlossenen Einheiten und deren Beziehungen denken, speziell: kompetitiven Beziehungen, tun sich die Wissenschaften der Modernen Synthese, zum Beispiel die Populationsgenetik, mit vier zentralen Bereichen der Biologie schwer: Embryologie und Entwicklungsbiologie, Symbiose und die kollaborativen Verwicklungen von Holobionten und Holobiomen, die unüberschauberen Verweltlichungen der Mikroben und das überbordende biologische Verhaltensspektrum von Krittern, ihre Inter- und Intra-Aktionen.10 Ansätze, die auf artenübergreifendes Mit-Werden eingestimmt sind, unterstützen uns eher dabei, auf dieser Erde unruhig zu bleiben. Es ist eine »Neue Neue Synthese« – eine erweiterte Synthese – im Entstehen begriffen. Transdisziplinäre Biologie und die Künste schlagen Fadenfiguren vor, die menschliche und nicht-menschliche Ökologien, Evolution, Entwicklung, Geschichte, Affekte, Performances, Technologien und vieles mehr verknüpfen. Da ich mich zuallererst Lynn Margulis verpflichtet sehe, skizziere ich nur einige wenige Aspekte einer »Erweiterten Evolutionären Synthese«, die sich im frühen 21. Jahrhundert entfaltet.11 Einige Erwähnungen von Symbiogenese gehen Margulis als Teil ihres kosmopolitischen Erbes voraus, beispielsweise in der Arbeit des Russen Konstantin Mereschkowski und anderer aus dem frühen 20. Jahrhundert.12 Aber Margulis und ihre NachfolgerInnen und KollegInnen brachten und bringen symbiogene­ tische Vorstellungskraft und Stofflichkeiten mit all den mächtigen CyborgWerkzeugen der molekularen und ultrastrukturalistischen biologischen Revolutionen des späten 20. Jahrhunderts zusammen, wie Elektronen­ mikroskope, Nukleinsäure-Sequenzierung, Immunassays, riesige, vergleichende Genomik- und Proteomik-Datenbanken. Die Stärke der »Erweiterten Evolutionären Synthese« liegt in der intellektuellen, kulturellen und technischen Konvergenz: Sie ermöglicht es, neue Modellsysteme, konkrete experimentelle Praktiken, kollaborative Forschungsarbeit und verbale wie mathematische Erklärungsinstrumente zu entwickeln. Eine solche Konvergenz war vor den 1970er Jahren schlicht unvorstellbar.

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Ein Modell ist ein Arbeitsobjekt. Es ist keine Metapher und keine Analogie. Ein Modell ist hergestellt und stellt her. Ein Modell ist wie ein Miniaturkosmos, in dem eine auf Biologie neugierige Alice im Wunderland mit der Roten Königin Tee trinken und fragen kann, wie diese Welt funktioniert, auch wenn sie selbst von der ausreichend komplexen und ausreichend einfachen Welt bearbeitet wird. In der biologischen Forschung sind Modelle stabilisierte Systeme, die von KollegInnen geteilt werden können, um Fragen experimentell und theoretisch zu bearbeiten. Traditionell verfügt die Biologie über ein kleines Set hart arbeitender Lebendmodelle. Jedes ist in Knoten und Ebenen der Praxis so geformt worden, dass es für bestimmte Fragen geeignet ist und für andere nicht. Auf sieben grundlegende Modellsysteme (das sind: die Fruchtfliege Drosophila melanogaster; ein Fadenwurm, Caenorhabditis elegans; die Maus Mus musculis; ein Frosch, Xenopus laevis; der Zebrafisch Danio rerio; das Huhn Gallus gallus; die Senfpflanze Arabidopsis thaliana) bezugnehmend, schrieb Scott Gilbert: Die Anerkennung eines Organismus als Modellsystem bildet die Basis, um finanzielle Mittel zu beantragen, und sie garantiert eine Gemeinschaft gleichgesinnter ForscherInnen, die Probleme identifiziert haben, die diese Gemeinschaft für wichtig erachtet. Für die Zuerkennung des Status Modellsystem wird viel Lobbyis­ mus betrieben und es grassiert die Angst, dass man in der Forschung ins Hintertreffen gerät, wenn der betreffende Organismus kein Modellsystem ist. Deshalb wurden »Modellorganismen« für die wissenschaftliche und die politische Diskussion der zeitgenössischen Entwicklungsbiologie so wichtig.13

All diese sieben individuierten Systeme sind exzellent geeignet, um zu studieren, wie sich Teile (Gene, Zellen, Gewebe etc.) von fest umrissenen Gebilden zu kooperierenden oder konkurrierenden Einheiten zusammenschließen. Aber sie werden den/die WissenschaftlerIn enttäuschen, der/ die vernetzte Inter- und Intra-Aktionen von Symbiose und Sympoiesis in heterogenen Zeiten und Räumen erforscht. Holobionten brauchen Modelle, die auf eine erweiterbare Anzahl quasi-kollektiver/quasi-individueller Part­nerInnen in konstitutiven Beziehungen eingestimmt sind; diese Beziehungen sind das Forschungsobjekt, die PartnerInnen gehen den Bezie-

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hungen nicht voraus. Solche Modelle für die transformativen Prozesse der ökologisch-evolutionären Entwicklungsbiologie entstehen gerade erst. Margulis hat uns dynamische, vielfach verpartnerte Entitäten wie Mi­ xotricha paradoxa gegeben, um die evolutionäre Erfindung komplexer Zellen in den Intra- und Interaktionen von Bakterien und Archaeen zu untersuchen. Ich werde kurz zwei weitere Modelle einführen. Beide wurden in Laboren entworfen und ausgearbeitet, um die Umgestaltung von Organisationsmustern in der Welt des Lebendigen zu erforschen: (1) ein Kragengeißeltierchen-Bakterium-Modell, mit dem die Erfindung von Vielzelligkeit bei Tieren studiert wird, und (2) ein Tintenfisch-Bakterium-Modell, das die Ausgestaltung von entwicklungsbezogenen Symbiosen zwischen und inmitten von Krittern, die notwendig für das Werden des je anderen sind, erforschbar macht. Ein drittes symbiogenetisches Modell für die Herausbildung komplexer Ökosysteme bietet sich unmittelbar mit den Holobiomen von Korallen-Riffen an, aber ich werde dieses Modell über künstlerisch-wissenschaftliche Verweltlichungen angehen und nicht mit der experimentellen Laborwissenschaft. Auch wenn vielzellige Pflanzen schon eine halbe Million Jahre früher auf der Erde vorkamen, konzentriere ich mich auf ein bereits ausgearbeitetes Modellsystem, mit dem die Entstehung von Vielzelligkeit bei Tieren untersucht wird, da es robust und reichlich sympoietisch ist. Jedes leben­ dige Ding ist gebadet und gewickelt in Bakterien und Archaeen entstanden und hat sich auch so erhalten (oder eben nicht). Wirklich nichts ist steril; und diese Wirklichkeit ist eine grandiose Gefahr, ein fundamentales Faktum des Lebens und eine Chance, neue Kritter zu erzeugen. Im Labor von Nicole King an der Universität von Kalifornien in Berkeley werden molekulare und genvergleichende Ansätze verwendet, um mögliche Herkünfte und Entwicklungen von Vielzelligkeit bei Tieren zu rekonstruieren. Es werden infektiöse – symbiogenetische – Prozesse als Erklärung vorgeschlagen.14 Die WissenschaftlerInnen zeigen, dass das Zusammentreffen und das gegenseitige Umhüllen von Spezies – von ganzen Welten – Entitäten hervorbringen kann, die zusammenhalten, sich entwickeln, kommunizieren und geschichtete Gewebe bilden, wie Tiere es tun. Rosie Alegado und Nicole King beschreiben das so:

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Der Vergleich zwischen heutigen Tieren und ihren nächsten lebenden Verwandten, den Choanoflagellaten [Kragengeißeltierchen, Anm. KH] legt nahe, dass die ersten Tiere geißelförmige Kragenzellen verwendet haben, um Bakterien zu erbeuten. Die Zellbiologie des Beutefangs, wie zum Beispiel Zelladhäsion zwischen Jäger und Beute, schließt Mechanismen ein, die vielleicht angeeignet worden sind, um interzelluläre Interaktionen während der Evolution der tierischen Vielzelligkeit zu vermitteln. Mehr noch: Die Geschichte der Bakterienaufnahme könnte die Evolution von tierischen Genomen insofern beeinflusst haben, als sie die Entwicklung genetischer Pfade für Immunität und für lateralen Gentransfer vorangetrieben hat. Wenn wir die Interaktionen zwischen Bakterien und den Vorläufern der Tiere verstehen, könnte uns dies helfen, die unzähligen Möglichkeiten zu erklären, wie Bakterien die Biologie moderner Tiere formen, einschließlich unserer eigenen Biologie.15

Im Sinne von Marilyn Strathern sind hier partielle Verbindungen im Überfluss vorhanden. Hungrig werden, essen, teilweise verdauen, teilweise assimilieren und teilweise transformieren: Das sind die Aktivitäten von Art-GenossInnen. Kings ambitioniertes Forschungsprogramm stellt ein stabilisiertes und genetisch gut charakterisiertes Modellsystem von Choanoflagellatenkulturen (Salpingoeca rosetta, Kragengeißeltierchen) und Bakterien der Gattung Algoriphagus her, um entscheidende Aspekte der Herausbildung von vielzelligen Tieren zu untersuchen. Kragengeißeltierchen können entweder als Einzeller oder als vielzellige Kolonien leben. Was entscheidet über die Umwandlung von einem ins andere? Die enge evolutionäre Beziehung zwischen Choanoflagellaten und Tieren macht das Modell robust.16 Die symbiogenetische Theorie der Ursprünge der Vielzelligkeit ist umstritten; es gibt andere attraktive Erklärungen. Was aber Kings Labor von anderen unterscheidet, ist die Herstellung eines Modellsystems, das experimentell kontrollierbar und grundsätzlich an andere Orte übertragbar ist sowie überprüfbare Fragen dazu generiert, was es heißt, Tier zu sein. Tier zu sein heißt demnach, mit Bakterien zu werden (und, zweifellos, mit Viren und vielen anderen Arten von Krittern; ein ganz fundamentaler Aspekt von Sympoiesis ist ihr erweiterbares Set von Akteuren). Kein Wunder, dass be-

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kannte WissenschaftsautorInnen regelmäßig Nicole Kings Labor in meine Abendessengespräche einbringen.17 Als Nächstes biete ich ein köstliches Modell für das Studium von entwicklungsbezogener Symbiose an. Die Frage lautet hier nicht, wie Tiere überhaupt zusammenhalten, sondern wie sie Entwicklungsmuster gestalten, die sie in erstaunlichen Morphogenesen durch die Zeit bringen. Mein Lieblingsmodell ist der hawaiianische Zwergtintenfisch Euprymna scolopes mit seinen bakteriellen Symbionten, Vibrio fischeri, die entscheidend für die Herausbildung seiner Bauchtasche sind. Diese wiederum beherbergt lumineszente Bakterien, sodass der jagende Tintenfisch für seine Beute in dunklen Nächten von unten wie ein Sternenhimmel aussieht und in hellen Mondnächten keinen Schatten zu werfen scheint. Die Erforschung von Tintenfisch-Bakterien-Symbiosen hat sich als erstaunlich produktiv für unterschiedliche Wissensgebiete herausgestellt, »von der Ökologie und der Evolution eines symbiotischen Systems bis hin zu den grundlegenden molekularen Mechanismen der Partnerinteraktionen, die zur Etablierung, Weiterentwicklung und zum langfristigen Fortbestehen dieser Allianz führten«.18 Wenn die jugendlichen Tintenfische nicht an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit von der richtigen Bakterie infiziert werden, bilden sie nicht ihre eigenen Strukturen zur Unterbringung von Bakterien aus, die sie als jagende Erwachsene brauchen. Darüber hinaus senden die Bakterien auch jene Signale aus, die den Tagesrhythmus der erwachsenen Tintenfische steuern. Die Tintenfische wiederum regulieren die Anzahl der Bakterien, bekämpfen unerwünschte Gesellschaft und stellen einladende Oberflächen für Vibrio-Heime bereit. Margaret McFall-Ngai, eine Biochemikerin, Biophysikerin und Feldbiologin für wirbellose Wassertiere, begann 1988 mit ihrer Forschung zu den natürlich auftretenden TintenfischBakterien-Holobionten. Zur gleichen Zeit begann ihre Zusammenarbeit mit Edward (Ned) Ruby, einem Mikrobiologen, der ebenfalls an Symbiose interessiert ist. Da ich mich daran erinnerte, dass andere Vibrio-Bakterien für jene krankmachende Kommunikation verantwortlich sind, die Cholera heißt, war ich nicht überrascht, als ich erfuhr, welch vielseitige Kommunikatoren diese Bakterien sind. McFall-Ngai sagt es so: »Die Vibrionaceae sind eine Bakteriengruppe, deren Mitglieder häufig ein sehr breites phy-

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siologisches Spektrum besitzen und in vielen ökologischen Nischen leben können.«19 Materielle Semiotik ist überbordend chemisch; die Wurzeln einer Sprache quer durch alle Taxa, mit all ihrem Verstehen und all ihren Missverständnissen, liegen in solchen Anhänglichkeiten. Dem sympoietischen Zusammenwirken zwischen Tintenfischen und Bakterien entsprechen sympoietische Fadenfiguren quer durch die Disziplinen und Methodologien, wie Genomsequenzierung, unzählige Bildgebungsverfahren, funktionale Genomik, praktische Feldbiologie. Erst ihre Zusammenarbeit macht Symbiogenese zu so einem starken Bezugssystem für die Biologie des 21. Jahrhunderts. Nancy Morgan, die zur Symbiose zwischen Blattläusen und Buchnera arbeitet, unterstreicht diesen Punkt: Forschung über Symbiose ist vor allem deshalb plötzlich so aktiv geworden, nachdem sie jahrzehntelang an den Rändern der Biologie existierte, weil uns DNATechnologien und Genomik riesige neue Möglichkeiten eröffnet haben, die Diversität von Symbionten zu sehen; und noch bedeutsamer: zu zeigen, wie mikrobisch-metabolische Fähigkeiten zum Funktionieren ihres Wirts und ganzer biologischer Gemeinschaften beitragen.20

Ich möchte ergänzen, dass es auch notwendig ist zu fragen, wie die vielzelligen PartnerInnen in der Symbiose die mikrobischen Symbionten beeinflussen. »Wirt-Symbiont« scheint mir ein merkwürdiger Ausdruck für das zu sein, was da passiert; ganz unabhängig von ihrer Größe sind alle Part­nerInnen, die den Holobionten ausmachen, füreinander Symbionten. Zwei diskursverändernde Artikel stehen meines Erachtens für die derzeitigen wissenschaftlichen Entwicklungen.21 In ihrem Beitrag mit dem Untertitel »Wir waren nie Individuen« sprechen sich Gilbert, Sapp und Tauber für Holobionten und eine symbiotische Sicht auf das Leben aus, indem sie Beweise gegen umgrenzte Einheiten aus Anatomie, Physiologie, Genetik, Evolution, Immunologie und Entwicklungsbiologie zusammentragen. In »Animals in a Bacterial World. An New Imperative for the Life Sciences« präsentieren die 26 AutorInnen die wachsenden Kenntnisse über die große Palette von Tier-Bakterien-Interaktionen sowohl in ganzen Ökosystemen als auch bei intimer Symbiose. Sie legen dar, dass diese Beweise den Zugang zu fünf Fragen zutiefst verändern müssen: »Wie ha-

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ben Bakterien die Entstehung und die Evolution von Tieren ermöglicht? Wie beeinflussen Tiere und Bakterien einander auf Genom-Ebene? Inwiefern hängt die normale Entwicklung bei Tieren von bakteriellen Partnern ab? Wie wird das dynamische physiologische Gleichgewicht (Homoöstase) zwischen Tieren und ihren Symbionten aufrechterhalten? Und wie können ökologische Ansätze unser Verständnis der vielen Ebenen der TierBakterien-Interaktion vertiefen?«22 Geschichten über besorgte KollegInnen auf Konferenzen, über verständnislose GutachterInnen, die so viel Beweiskraft und Interdisziplinarität in einem Beitrag nicht gewohnt sind, und über HerausgeberInnen, die zuerst enthusiastisch sind und dann kalte Füße bekommen, umranken diese Artikel. Das ist normal. Solche Geschichten gehören zu riskanten und produktiven Synthesen und Entwürfen dazu. KritikerInnen sind ein entscheidender Teil des Holobioms, das Wissenschaft herstellt, und ich bin hier keine desinteressierte Beobachterin.23 Dennoch denke ich, es ist wichtig, dass die beiden Beiträge an prominenter Stelle veröffentlicht wurden: am kritischen Wendepunkt einer Forschung, die sich mit der Erklärung komplexer biologischer Systeme in jenen dringlichen Zeiten beschäftigt, die Anthropozän genannt werden; in einer Zeit, in der das Leben auf einem beschädigten Planeten sympoietisches Denken und Handeln verlangt.

Verwebungen von Wissenschaft und Kunst mit involutionärem Impuls Ich bin davon überzeugt, dass wissenschaftlich-künstlerische Verwelt­ lichungen eine wichtige sympoietische Praxis des Lebens auf einem beschädigten Planeten darstellen. Carla Hustak und Natasha Myers haben uns allen einen wunderbaren Beitrag mit dem Titel »Involutionary Momentum« [»Der involutionäre Impuls«, KH] übergeben. Für mich bildet er ein Scharnier zwischen dem Konzept der Symbiogenese und jenen wissenschaftlich-künstlerischen Verweltlichungen, die ich im dritten Teil dieses Kapitels vorstellen werde. Die Autorinnen haben Darwins sinnesfreudigen Text erneut gelesen, in dem er seine besondere Aufmerksamkeit auf die

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geradezu absurde Sexualität der Orchideen und ihrer bestäubenden Insekten richtet. Hustak und Myers beschäftigen sich auch selbst mit den vielen wechselseitigen Umfassungen und Kommunikationen zwischen Bienen, Wespen, Orchideen und WissenschaftlerInnen. Die Autorinnen schlagen vor, »involutive« (einwickelnde) Kräfte als Antrieb für »evolutive« (entwickelnde) Vorgänge des Lebens und Sterbens zu betrachten. Das Einrollen ermöglicht das Ausrollen; die Bewegung des Lebens zeichnet eine Gestalt nach, die einem hyperbolischen Raum gleicht, geriffelt wie die Falten eines gekräuselten Salatblatts, eines Korallenriffs oder wie ein Ausschnitt aus einem Häkelmuster. Wie die BiologInnen des letzten Abschnitts sind auch Hustak und Myers der Ansicht, dass ein Nullsummenspiel, das auf der methodisch gesetzten Vorstellung von konkurrierenden Individuen basiert, nur eine Karikatur dieser verführerischen, saftigen, chemischen, biolo­ gischen, materiell-semiotischen und auch die Wissenschaft hervorbringenden Welt ist. Die »wortgewandten Pflanzen und andere redselige Organismen« miteinbeziehend, lieben lebendige Kritter die blumig-repetitive Mathematik der Zug- und Stoßkräfte der Hyperbel-Geometrie und nicht die Buchhalter-Hölle eines Nullsummenspiels.24 Es ist eher so, dass sich die Orchidee und ihre bestäubende Biene wechselseitig durch eine reziproke Ergreifung erzeugen, aus der weder die Pflanze noch das Insekt herausgelöst werden kann. […] In den Begegnungen zwischen Orchideen, Insekten und WissenschaftlerInnen können wir Öffnungen für eine Ökologie artenübergreifender Intimität finden; und für subtile Deutungsvorschläge. Mit dem involutionären Ansatz geht es um eine Theorie ökologischer Bezogenheit, die Praktiken der Organismen ernst nimmt, ihre Erfindungen und Experimente, die artenübergreifende Leben und Welten ermöglichen. Das ist eine Ökologie, die von einer feministischen Ethik der »Responsabilität« inspiriert ist […], in deren Rahmen Fragen nach der Differenz zwischen den Arten mit einer Aufmerksamkeit für Affekte, Verwicklungen und Brüche verbunden (conjugated) werden. Das wäre eine affektive Ökologie, in der die experimentellen Lebensformen aller Praktizierenden durch Kreativität und Neugierde gekennzeichnet sind, und nicht nur die der Menschen.25

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Orchideen sind für ihre Blüten bekannt, die wie die Genitalien jener weiblichen Insekten aussehen, die sie benötigen, um die Bestäubung zu bewerkstelligen. Die entsprechenden männlichen Exemplare werden auf der Suche nach ihrem weiblichen Gegenpart von Farbgebung, Form und Lockstoffen, von insektenähnlichen Pheromonen, angezogen. Diese Interaktionen wurden von der neo-darwinistischen Orthodoxie als bloße biologische Täuschung und Ausnutzung des Insekts durch die Blume (weg-) erklärt. In anderen Worten: als ein exzellentes Beispiel für das egoistische Gen. Hustak und Myers hingegen lesen den Neo-Darwinismus gegen den Strich, sogar in diesem Fall einer starken Asymmetrie von »Kosten und Nutzen«, um andere und notwendige Modelle für die Pflanzenökologie zu finden. Die Geschichten über Mutation, Adaption und natürliche Selektion werden in ihrer Version nicht zum Verstummen gebracht; sie werden aber auch nicht so laut aufgedreht, dass WissenschaftlerInnen davon taub werden; als ob die Beweise das verlangen würden, wenn zunehmend und quer durch die Disziplinen etwas Komplexeres hörbar wird. »Wir sind aufgefordert, mit Sinnen zu lesen, die auf Geschichten in sonst unhörbaren Registern gestimmt sind. Quer zu jenen reduktionistischen, mechanistischen und adaptionistischen Logiken, die die ökologischen Wissenschaften grundieren, bieten wir eine Lesart an, die die kreativen, improvisatorischen und ephemeren Praktiken verstärkt, durch die Pflanzen und Insekten einander in ihre Lebensvollzüge involvieren.«26 Aber was passiert, wenn einer der Partner, der entscheidend in das Leben des anderen involviert ist, von der Erde verschwindet? Was passiert, wenn Holobionten auseinanderbrechen? Was passiert, wenn ganze Holobiome in Trümmer zerbrochener Symbionten zerfallen? Wir müssen diese Fragen angesichts der Dringlichkeiten des Anthropozäns und des Kapitalozäns stellen, damit wir Praktiken für ein Leben auf einem beschädigten Planeten nähren können. Orson Scott Card erkundet in seinem Roman Sprecher für die Toten (orig. 1986) wie ein Junge, der sich in einem alles vernichtenden, technowissenschaftlichen Krieg gegen ein insektoides Volk hervorgetan hatte, später in seinem Leben Verantwortung für die Toten übernimmt und Geschichten für diejenigen sammelt, die zurückbleiben, wenn eine Art oder eine Art des Daseins ausstirbt. Der Mann muss tun, was der Junge, eingetaucht in Cyber-Wirklichkeiten und einen tödli-

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chen virtuellen Krieg, nicht hatte tun können. Der Mann muss die Toten und die Lebenden besuchen, mit ihnen leben, ihnen in all ihrer Materialität gegenübertreten. Es die Aufgabe des Sprechers für die Toten, sie in die Gegenwart zu bringen, um mehr responsables Leben und Sterben in kommenden Zeiten zu ermöglichen. Mein Scharnier öffnet sich für wissenschaftlich-künstlerische Verweltlichungen einer fortdauernden Performance von Gedächtnis: die Erinnerung einer Orchidee an ihre ausgestorbene Biene. In xkcds Cartoon »Bee Orchid« erfahren wir, dass eine verschwundene Insektenart früher existiert hat, weil eine lebende Blume immer noch aussieht wie die Sexualorgane einer weiblichen Biene, die sich paaren möchte. Aber der Cartoon macht etwas sehr Spezielles: Er verwechselt nicht Köder mit Identität; er behauptet nicht, dass die Blüte genau wie das Insektengenital ist. Stattdessen sammelt die Blume die Gegenwart der Biene quer zum Begehren und zur Sterblichkeit ein. Die Form der Blüte ist »eine Idee dessen, wie die weibliche Biene für die männliche ausgesehen haben könnte […] interpretiert von der Pflanze […]. Die einzige Erinnerung an die Biene ist das Gemälde, das eine sterbende Blume gemalt hat.«27 Früher von lebendigen und summenden Bienen umarmt, ist die Blume nun eine Sprecherin für die Toten. Und ein Strichmännchen verspricht, der Bienenblume zu gedenken, wenn die Zeit gekommen ist. Die Kunst der Erinnerung umfasst alle irdischen Kritter. Sie muss zu jeglicher Möglichkeit von Wieder­belebung gehören!

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Abb. 3.2 »Bee Orchid«. © xkcd.com (Randall Munroe).

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Wissenschaftlich-künstlerische Verweltlichungen, um unruhig zu bleiben Ich beschließe dieses Kapitel mit vier engagierten, wissenschaftlich-künstlerischen Verweltlichungen, die sich für eine teilweise Heilung, für bescheidene Rehabilitation und für immer noch mögliche Wiederbelebungen in den schwierigen Zeiten des imperialen Anthropozäns und Kapitalozäns einsetzen. Für mich sind diese Verweltlichungen stachelige, sich entrollende, ergreifende Tentakel eines tintenverspritzenden Verkleidungskünstlers – jagende Kritter in einer andauernden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft namens Chthuluzän.28 Wiederbelebung gegen Verzweiflung setzend, ist das Chthuluzän der Zeitort der Symchthonischen, der symbiogenetisch und sympoietisch Irdischen; der Zeitort jener, die heute untergetaucht und eingequetscht in Tunneln, Höhlen, Ruinen, Ecken und Spalten von beschädigten Gewässern, Lüften und Böden leben. Die Chthonischen sind in unzähligen Sprachen und Geschichten die BewohnerInnen der Erde; und dekoloniale indigene Völker und ihre Projekte sind zentral für meine Geschichten über Bündnisse. Jede der wissenschaftlich-künstlerischen Verweltlichungen kultiviert robuste Responsabilität für starke und gefährdete Orte und Wesen. Jede ist ein Modellsystem für sympoietisches, artenübergreifendes Multiplayer29-Denken und -Tun, das an einem besonders empfindlichen Ort angesiedelt ist: (1) das Great Barrier Reef und alle Korallen-Riffe dieser Erde mit dem Projekt Crochet Coral Reef (Häkelkorallenriff ), das vom Institute for Figuring in Los Angeles initiiert und koordiniert wurde; (2) die Republik Madagaskar mit den madagassisch-englischen Naturgeschichtsbüchern unter dem Titel Ako Project, die durch multinationale Freundschaften zwischen WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen ermöglicht wurde; (3) die zirkumpolaren nördlichen Territorien der Inupiat in Alaska, Handlungsort des Computerspiels Never Alone, das im Geschichtenerzählen der Inupiat30 wurzelt und durch die Sympoiesis von E-Line Media und dem Cook Inlet Tribal Council realisiert wurde; und (4), mein am weitesten entwickeltes Beispiel, Black Mesa und die Navajo- und Hopi-Territorien (Arizona), Schauplatz vieler Fadenspiele von Bündnisarbeit zwischen Black Mesa Indigenous Support, Black Mesa Trust (Hopi), von Wissenschaft­lerInnen

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und indigenen HirtInnen, die Navajo-Churro-Schafen verpflichtet sind; außerdem: Black Mesa Weavers for Life and Land, hauptsächlich den Diné zugehörige AktivistInnen der Black Mesa Water Coalition und Leute und Schafe der Diné be’iiná/The Navajo Lifeway.31 Jedes dieser Projekte ist ein Beispiel für nicht-unschuldiges, riskantes, verbindliches »sich gegenseitig Involvieren in das Leben des anderen«.32 Mit den Tentakulären, die für den Fortgang eines generativen Chthuluzäns zugreifen und zustechen, gemeinsame Sache machend und mit ihnen verwickelt, ist jedes Projekt ein Spiel mit Fadenfiguren artenübergreifenden Mit-Werdens. Diese wissenschaftlich-künstlerischen Verweltlichungen sind Holobiome, oder Holoenten, in denen WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, ganz normale Mitglieder von Gemeinschaften und nichtmenschliche Wesen einander in den jeweiligen Projekten und Lebensvollzügen umfassen; mit der Zeit brauchen sie einander auf vielfältige, leidenschaftliche, körperliche und bedeutungsvolle Art und Weise. Jedes Projekt ist ermutigend in tödlichen Zeiten. Sie alle sind sympoietisch, symbiogenetisch und symanimaginativ.

Vier kritische Zonen In heiße und saure Ozeane gebadet, die jedes Jahrzehnt heißer und saurer werden, sind Korallen-Holobiome überall auf der Welt gefährdet. Korallenriffe verfügen über die höchste Biodiversität aller marinen Ökosysteme. Die Symbiose von Nesseltier-Polypen, die Dinoflaggellaten namens Zooxanthellen photosynthetisieren, die ebenfalls im Korallengewebe leben, und ein Haufen Mikroben und Viren bilden die Grundpfeiler des KorallenHolobioms, das wiederum die Heimat unzähliger anderer Kritter ist. Hunderte Millionen menschlicher Wesen, viele von ihnen sehr arm, sind direkt von gesunden Korallen-Ökosystemen abhängig, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.33 Solche Sätze unterschätzen jedoch die Wechselbeziehungen zwischen Korallen und menschlichen wie nichtmenschlichen Krittern gravierend. Die Erkenntnis, dass Korallenriff-Ökosysteme durch Übersäuerung und Erwärmung der Meere sterben, ließ im Jahr 2000 den Begriff

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Anthropozän aufkommen. Korallen waren zudem, gemeinsam mit Flechten, für BiologInnen die ersten Beispiele, an denen sie Symbiose erforschten. Sie sind jene Kritter, die den BiologInnen beigebracht haben, wie starr und kurzsichtig ihr Verständnis von Individuen und Kollektiven ist. Diese Kritter haben Leuten wie mir vermittelt, dass wir alle Flechten sind, dass wir alle Korallen sind. Außerdem scheinen Tiefseekorallen mancherorts beschädigten Korallen aus flacheren Gewässern als Zuflucht zu dienen, wo diese sich regenerieren können.34 Korallenriffe sind die Wälder des Meeres, wie, so Anna Tsing, Wälder die Zufluchtszonen des Landes sind. Abgesehen von alldem sind Korallenriffe geradezu schmerzhaft schön. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur menschliche Leute sind, die diese Schönheit leibhaftig erfahren. Eine große Inselnation vor der Ostküste Afrikas, die Republik Madagaskar, ist die Heimat von komplexen, geschichteten Tapisserien historisch situierter Leute und anderer Kritter, beispielsweise von Lemuren, diesen engen Verwandten von Affen. Neun von zehn Arten der nichtmensch­lichen Kritter Madagaskars leben nirgendwo sonst auf der Welt, das betrifft auch die verschiedenen Unterarten von Lemuren. Der Grad der Ausrottung und der Zerstörung von vielerlei Arten der madagassischen Wälder und Wasserscheiden, die überlebenswichtig für die ländliche Bevölkerung sind (und das ist die Mehrheit der madagassischen menschlichen Bevölkerung), aber auch für Stadtbewohner und für unzählige Nichtmenschen ist beinahe jenseits der Vorstellungskraft. Fest steht, dass er sehr hoch ist und sowohl lokal als auch translokal bekämpft wird. Fotografien machen deutlich, dass 40 bis 50 Prozent der madagassischen Wälder, die sich in den 1950er Jahren noch gesund entwickelten, heute verschwunden sind; und mit ihnen ihre Kritter, einschließlich der Leute, die über viele Jahrhunderte die Reichtümer der Wälder für ihren Lebensunterhalt geerntet (und gepflegt) haben. Das Wohlbefinden der Wälder hat eine der höchsten Prioritäten für das Gedeihen – ja sogar für das Überleben – überall auf der Erde. Die Kämpfe müssen ernst genommen werden; das ist keine Frage der Wahl, sondern eine Notwendigkeit.35 Der zirkumpolare Norden trägt die Hauptlast des Anthropozäns und des Kapitalozäns. Die Arktis erwärmt sich beinahe doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Das Meereis, die Gletscher und der Permafrost

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schmelzen; Leute, Tiere, Mikroben und Pflanzen können sich nicht mehr auf die Jahreszeiten und auf die zeitlich unterbrochenen, festen oder flüssigen Zustände von Materie verlassen, die entscheidend für ihre Sinne und ihre Lebensführung sind. Einander korrekt zu verspeisen erfordert, sich korrekt zu begegnen, und das wiederum erfordert eine Synchronizität, die gut genug ist. Aber Synchronizität ist eine jener Systemeigenschaften, die überall auf der Welt ausflippt. Das Problem ist nicht, dass sich die Erde verändert; das Problem sind vielmehr Ausmaß und Verteilung der Veränderungen. Zusätzlich konkurrieren die konsumbesessenen, imperialistischen Nationen des Zirkumpolarkreises in den immer stärker militarisierten Nordmeeren um Anspruch und Ausbeutung der riesigen Reserven von karbonisierten Fossilien, die im hohen Norden eingeschlossen sind und die Treibhausgase in einem unzumutbaren Umfang freisetzen würden. Ein geophysischer, geopolitischer Sturm von nie da gewesener Stärke verändert gerade das Leben und Sterben überall im Norden. Bündnisse von Leuten und Krittern, die diesem Sturm entgegentreten, sind entscheidend für die Chancen der Erde auf Wiederbelebung. Black Mesa, oder Big Mountain, ein Gebiet, das sich auf dem viertausend Quadratmeter großen Colorado-Plateau befindet, ist das angestammte Land der Hopi und Diné. Black Mesa ist aber auch ein sehr zeitgenössischer Ort, den Navajo- und Hopi-Familien für ihren Lebensunterhalt, für Nahrung, Wasser, Sozialität und Feierlichkeiten benötigen. Das Black Mesa-Kohlenfeld, das in der Eiszeit ein großer See war, ist die größte KohleLagerstätte der Vereinigten Staaten. Von 1968 an hat diese kolonisierende, kapitalistische, extraktivistische Nation hier den größten Tagebau in Nordamerika betrieben. Geleitet wurde er von der Peabody Western Coal Company, die wiederum zu Peabody Energy gehört, dem weltgrößten privaten Kohleunternehmen. Vierzig Jahre lang wurde Kohle aus dem Black MesaTagebau pulverisiert, mit immensen Mengen reinsten Wassers aus dem unersetzbaren Navajo-Grundwasserspeicher vermischt und durch eine gigantische, schlammige Pipeline (in Besitz von Southern Pacific) 273 Meilen weit zum stark verschmutzenden, Kohle befeuerten Mohave-Kraftwerk in Nevada transportiert (dieses wurde von der Bechtel Corporation errichtet). Das Kraftwerk stellte Energie für die aufblühenden, toxischen Städte in den Wüsten des Südwestens bereit, zum Beispiel auch für Los Angeles.

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Leute, die bis heute auf Black Mesa leben, haben weder verlässlich sauberes Wasser noch verlässliche Elektrizität. Viele ihrer Wasserquellen sind versiegt, als der Navajo-Grundwasserspeicher geleert wurde. Schafe, die aus den sulfatverseuchten Teichen trinken, sterben und das übriggebliebene Grundwasser ist verschmutzt. Durch die gemeinsame Arbeit von indigenen und Siedler-UmweltaktivistInnen wurden 2005 zuerst die schlammige Pipeline, dann die Black Mesa-Mine und am Ende das Mohave-Kraftwerk geschlossen.36 Pea­body versucht derzeit den Betrieb wiederzueröffnen, indem sie ihn mit der nahegelegenen Kayenta-Mine verbindet und eine gemeinsame Schürf­erlaubnis bis 2026 erwirkt. Das Unternehmen hat es damit auf noch mehr Land abgesehen, das von Schafen und Menschen benötigt wird, von anderen Krittern ganz zu schweigen. Dieser erweiterte Schürfbetrieb würde die Kohle mit Wasser aus dem Coconino-Grundwasserspeicher waschen. Die Kohle aus dem Kayenta-Tagebau wird 97 Meilen weit zur Navajo Generating Station (NGS) transportiert, die an der Grenze zwischen Arizona und Utah und in der Nähe der Glen-Canyon-Staumauer liegt. Das NGS ist das größte Kraftwerk im US-amerikanischen Westen.37 Die Ironie der Namensgebung ist unübersehbar, da die Hälfte aller Navajo-Haushalte nicht über elektrischen Strom verfügt und die Navajo-Nation das Kraftwerk nicht besitzt. Lassen wir einmal das langfristige Wohlbefinden von Leuten, anderen Krittern, des Bodens und des Wassers beiseite: Solange die Navajo und Hopi nicht ernsthaft am Gewinn aus dem Kohleabbau beteiligt werden und die Anwohner bezahlbaren Strom beziehen können, hält die Abhängigkeit von Arbeitsplätzen, die mit dem Kohleabbau verbunden sind, die Leute wie in einem Schraubstock gefangen. Die Arbeitslosigkeit unter den Navajo beträgt rund 45 Prozent, die Hopi und die Diné zählen zu den ärmsten BürgerInnen der Vereinigten Staaten. Als die Bechtel Coporation in den 1970er Jahren das NGS auf Land errichtete, das von den Navajo gepachtet worden war, war es das zweitgrößte Kraftwerk in den Vereinigten Staaten. Den größten Anteil am NGS besitzt das Bureau of Reclamation im Bundesinnenministerium;38 zum Innenministerium gehört ebenfalls das Bureau of Indian Affairs, das mit dem Schutz indigener Territorien und Ressourcen betraut ist. Hier hat sich wahrlich ein Kojote im Schafspelz eingeschlichen. Peabodys Kayenta-Mine wurde 2010 als eine der gefährlichs-

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ten in den Vereinigten Staaten gelistet und soll durch die Bundesbehörde MSHA (Mine Safety and Health Administration) stärker kontrolliert werden.39 Das Kraftwerk versorgt jene Pumpstation mit Energie, die das Wasser des Colorado River durch einen 336 Meilen langen Aquädukt zu den schnell wachsenden Städten Tucson und Phoenix umleitet. Inmitten der laufenden Auseinandersetzungen über die Effekte des Kraftwerks auf die Luftqualität und über den Zugang zu Wasser in der Wüste, hat die NGS im Jahr 2014 die Betriebserlaubnis als konventionelles, kohlebefeuertes Kraftwerk bis Dezember 2044 erhalten.40 Jahrhundertelang haben die Vorfahren der Hopi aus dem Sandsteinflöz von Black Mesa Kohle für ihre Feuerstellen gewonnen. Obwohl eine destruktive Erzählung über das Gegenteil kursiert  – eine Erzählung, die der fossilienextrahierenden Industrie nützt –, lebten die Diné- und HopiLandwirte und -Hirten bis zum Beginn des industriellen Kohleabbaus auf Black Mesa in einer Mischung aus Freundschaft und Konkurrenz nebenund miteinander. Erst mit dem industriellen Kohleabbau brachen große Konflikte aus, die passenderweise als zeitlose Stammeskriege missverstanden wurden. 1966 haben transnationale Unternehmen Pachtverträge erhalten, die von den beiden Stammesräten unterzeichnet waren, ohne dass mit der Mehrheit der Stammesmitglieder oder mit öffentlichen Körperschaften (Kivas,41 Ortsverbände) vorher diskutiert und ein Konsens erzielt wurde. Die Verhandlungsbedingungen dieser Pachtverträge waren schon an sich asymmetrisch und wurden durch ethisch kompromittierte, juristische Verfahren ermöglicht: Der Anwalt und Mormonen-Bischof John Boyden arbeitete ohne Wissen der Hopi gleichzeitig für Peabody und ausgewählte Hopi-FührerInnen. Tausende von Navajo, unter den Diné einige der traditio­nellsten, lebten auf Black Mesa. Zunächst weigerte sich der Navajo-Stammesrat, mit Boyden zusammenzuarbeiten, also »kultivierte« dieser seine Beziehung zu den Hopi, deren Führung unerbittlich in sogenannte Traditionalisten und Progressive aufgespalten war, seitdem die Hopi keinen einheitlichen Regierungsrat mehr hatten. Boyden arbeitete lange gezielt darauf hin, die Rechtssprechung so zu verändern, dass die NavajoSchafzüchter das Land verlassen mussten. Die rechtliche Kontrolle ging an die Hopi über, die nicht auf dem Land lebten, auf dem zukünftig der Tagebau betrieben werden sollte. Die traditionell lebenden Hopi widerset-

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zen sich grimmig der Zusammenarbeit mit Boyden, aber das nützte nichts. Boyden war in Washington gut vernetzt und verantwortete die rechtliche, politische und ökonomische Strategie zur Ausbeutung des Black Mesa-Kohlenbestandes. Eine Klage im Rahmen des Freedom of Information Act, die der Native American Rights Fund eingereicht hatte, deckte auf, dass Boyden im Laufe von über dreißig Jahren aus einem Bundesfonds für die Hopi 2,7 Millionen Dollar für seine »ehrenamtlichen« Tätigkeiten erhalten hat.42 1974 wurde im US-Kongress ein Gesetz mit dem Namen Navajo-Hopi Land Settlement Act verabschiedet, das von John McCain, Senator von Arizona mit engen persönlichen und familiären Bindungen zu Bergbau- und Energieunternehmen, eingebracht worden war. Das Gesetz führte dazu, dass 15.000 Diné mit Gewalt von ihrem Land vertrieben wurden, ohne dass ernsthafte Vorkehrungen getroffen worden wären, wo sie hätten hingehen können (wenn denn die Bindungen zu spezifischen Orten irrelevant wären). Aber Schafe und Menschen wissen viel über Bindungen, und es ist ihnen wichtig, wo sie herkommen, wo sie sind und wo sie hingehen.43 1980 erwarb die Bundesregierung uraniumkontaminiertes Land in der Nähe von Chambers, Arizona, als neues Territorium für die vertriebenen Diné. 1996 verantwortete McCain, nun als Vorsitzender des Senate Committee on Indian Affairs, eine zweite Umsiedlungsverfügung. Die Navajo wandten sich daraufhin an das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Und der Kampf geht weiter, auch dank außergewöhn­ licher Anstrengungen junger AktivistInnen, die kohlenbedingten Wunden zu heilen, die Hopi und Navajo entzweit haben. 2005 kamen 75 Prozent des jährlichen Hopi-Einkommens und 40 Prozent des Navajo-Einkommens aus dem Black Mesa-Bergbau. Der Kampf ist erschreckend komplex.44 Meine Geschichten über Black Mesa werden von Wiederbelebung im Angesicht von Genozid und Ausrottung erzählen, von Schafen und vom Weben, von wissenschaftlich-künstlerischen Verweltlichungen, Bündnissen im Kampf für das, was die Navajo hózhó nennen – Balance, Harmonie, Schönheit, ausgewogene Verhältnisse von Land und Leuten  –, in dieser schwierigen Welt auf dem Colorado-Plateau. Und das sind also die vier kritischen Zonen des Gerangels zwischen Anthropozän und Kapitalozän auf der einen Seite und dem Chthuluzän auf der anderen: die Korallenwälder der Meere; die artenreichen tropischen

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Wälder einer Inselnation und eines Ökosystems; die rasch schmelzenden, arktischen Böden und Meere; die Kohleflöze und Grundwasser-Reservoirs auf indigenen Territorien. Sie alle sind durch ein globales Band aktueller, kolonialer, anthropogener Verwüstung miteinander verbunden. Es wird Zeit, sich sympoietischen Verweltlichungen zuzuwenden, lebensnotwendigen Modellen von SF-Mustern, die in jeder dieser Zonen hergestellt werden. Muster, in denen ganz normale Geschichten, ganz normales »sich gegenseitig Involvieren in das Leben des anderen« zu Vorschlägen führt, die es ermöglichen, unruhig zu bleiben und Wohlbefinden auf einem beschädigten Planeten zu befördern. Symchthonische Geschichten sind keine Heldengeschichten; sie sind Geschichten über das, was fortdauert.

Wiederaufleben in vier Teilen Das gehäkelte Korallenriff Daina Taimina, eine lettische Mathematikerin an der Cornell Universität, hat 1997 »endlich ausgearbeitet, wie sich ein physikalisches Modell des hyperbolischen Raums herstellen lässt, das uns erlaubt, die Eigenschaften dieser einzigartigen Geometrie zu spüren und taktil zu erforschen. Ihre Methode war: Häkeln.«45 Mit dieser Verbindung zwischen Mathematik und Textilkunst im Kopf und nach der Lektüre eines Texts über die Korallenbleiche, schlug Christine Wertheim, eine Handarbeiterin und Poetin, ihrer Zwillingsschwester Margaret, die ihrerseits Mathematikerin und Künstlerin ist, vor: »Wir müssen ein Korallenriff häkeln.«46 Dieser seltsame Imperativ implizierte: Wir können so für die Korallenriffe kämpfen. Die Schwestern schauten eine Episode von Xena  – Die Kriegerprinzessin und die großartigen Kampfszenen von Xena und ihrem Sidekick Gabrielle – oder vielleicht auch einfach die unvergleichlichen Lucy Lawless und Renee O’Connor – inspirierten sie.47 Die Folgen dessen, was sich die beiden Zwillingsschwestern in dieser Nacht in Los Angeles ausdachten, sind absolut unverhältnismäßig: Bis jetzt sind ungefähr 8.000 Leute, die meisten davon Frauen, aus 27 Ländern  – etwa aus Irland, Lettland, den Ver-

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einigten Ara­bischen Emiraten, Australien, den USA, aus Großbritannien und Kroa­tien  – zusammengekommen, um Wolle, Baumwolle, Plastiktüten, Tonband, Vinyl-Gelee-Garn, Frischhaltefolie oder was auch immer dazu gebracht werden kann, sich gemäß den Häkelcodes zu winden und zu schlingen, zu verarbeiten.

Abb. 3.3 Aus Perlen geflochtene Quallen von Vonda N. McIntyre für Crochet Coral Reef. Aus der Sammlung des Institutes for Figuring (IFF). © Foto: IFF.

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Der Code ist so einfach: Gehäkelte Modelle hyperbolischer Flächen erreichen ihre gekräuselten Formen, indem die Anzahl der Maschen pro Reihe schrittweise erhöht wird. Die emergenten Kräfte dieser wollenen, experimentellen Lebensform nehmen unterschiedliche körperliche Gestalten an, wenn die HandarbeiterInnen die Maschenzahl von Reihe zu Reihe unregelmäßig erhöhen, ungerade, aus Spaß oder auch, um grundsätzlich heraus­ zufinden, welche Formen sie hervorbringen können – nicht irgendwelche Formen, sondern gezackte und geriffelte Wesen, die als marine Kritter des verletzlichen Riffs lebendig werden.48 »Jede wollene Form hat ihre faserige DNA.«49 Aber Wolle ist längst nicht das einzige Material. Auch Plastikflaschen-Anemonen mit Müll-Ranken und Anemonen, die aus den blauen Plastikhüllen der New York Times gemacht sind, finden ihr Riff-Habitat. Das Crochet Coral Reef hat sich durch die Herstellung von fabulierten, nur selten nachahmenden, aber schmerzhaft aufrüttelnden Modellen von Korallenriff-Ökosystemen, oder auch nur einiger ihrer Kritter, in etwas verwandelt, was vielleicht das weltweit größte kollaborative Kunstprojekt ist. Der involutionäre Impuls des gehäkelten Korallenriffs treibt die sympoietische Verknotung von Mathematik, Meeresbiologie, Umweltaktivismus, ökologischer Bewusstseinsbildung, weiblicher Handarbeit, Textilkunst (fi­ ber art), Museumsausstellung und gemeinschaftlicher Kunstpraxis an. Wie eine Art hyperbolisches, verkörpertes Wissen lebt das gehäkelte Riff eingehüllt in die Stofflichkeiten von Erderwärmung und toxischer Verschmutzung; die MacherInnen dieses Riffs praktizieren artenübergreifendes Mit-Werden, um die Fähigkeit zu antworten, um Responsabilität zu kultivieren.50 Das gehäkelte Riff ist das Ergebnis von »algorithmischem Code, improvisierender Kreativität und gemeinschaftlichem Engagement«.51 Das Riff wird nicht durch Nachahmung (mimicry) hergestellt, sondern entsteht in einem ergebnisoffenen, explorativen Prozess. »Iteration, Deviation, Elaboration« sind die Prinzipien des Prozesses.52 DNA könnte es nicht besser sagen. Das Crochet Coral Reef verfügt über einen Grundbestand an Riffen, die für Ausstellungen hergestellt worden sind: von der ersten im Warhol Museum in Pittsburgh über diejenige im Kulturzentrum von Chicago (beide 2007) bis hin zum Korallenwald, der in Abu Dhabi 2014 gezeigt wurde (und auch anderswo). Die sich verändernden Assemblagen werden im Institute for Figuring in Los Angeles (IFF) aufbewahrt und sie füllen das Haus

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der Wertheims. Das IFF ist ihre Non-Profit-Organisation in Los Angeles. Das Institut wurde 2003 gegründet und widmet sich »den ästhetischen Dimensionen von Mathematik, Wissenschaft und Ingenieurswesen«.53 Sein Konzept ist das Spiel mit Materialien. Entsprechend entwirft und realisiert das IFF keine Thinktanks oder Worktanks, sondern Playtanks, die ich als Kunstform des Lebens auf einem beschädigten Planeten verstehe. Das IFF und das gehäkelte Korallenriff sind künstlerisch-wissenschaftlich-aktivis­ tische Verweltlichungen, die Fadenspiele mit Mathematik, Wissenschaft und Kunst betreiben, um aktive Anhänglichkeiten herzustellen, die für Wiederbelebungen im Anthropozän und Kapitalozän von Gewicht sein könnten  – das heißt, ihre Spielfäden sind mit dem Chthuluzän verzwirbelt. Da gibt es Verkörperungen eines »biodiversen Riffs«, eines »toxischen Riffs«, eines »gebleichten Riffs«, es gibt »Korallenwälder«, »Plastikmüllhaufen«, einen »weißen Turmgarten«, ein »gebleichtes Knochenriff«, einen »Perlenkorallengarten«, die »Korallengartenmedusa« und noch einiges mehr. Daneben existieren viele Satelliten-Riffe, die Kollektive von HandarbeiterInnen weltweit gehäkelt haben, um vor Ort Ausstellungen aufzubauen. Manche HandarbeiterInnen machen fabulierte, gesunde Riffe, aber ich habe das Gefühl, dass die meisten der Riffe die Stigmata von Plastikmüll, Bleiche und toxischer Verschmutzung tragen. Mit Müll zu häkeln fühlt sich für mich wie eine Verwirbelung von Liebe und Wut an. Die Geschicklichkeit und die Sensibilitäten von Margaret und Christine Wertheim, die in Brisbane nahe des Great Barrier Reef geboren wurden, sind grundlegend für dieses Projekt, ebenso das Können und die Anliegen der Tausenden Riff-HandwerkerInnen. Margaret Wertheim, die Mathematik und Physik studiert hat, ist Wissenschaftsautorin, Kuratorin und Künstlerin. Sie hat einschlägig über die Kulturgeschichte der theoretischen Physik geschrieben. Ihren TED-Talk »The Beautiful Math of Coral«54 von 2009 haben sich über eine Million Menschen angeschaut. Christine Wertheim ist Dichterin, Perfomerin, Künstlerin, Kritikerin, Kuratorin, Handarbeiterin und Lehrerin. Sie hat zwei Bücher über weibliche, feministische, materialistische Poetik verfasst. Und sie beschreibt ihre Arbeit treffend als »Befall der fruchtbaren Zonen zwischen listiger Linguistik, Psychoanalyse, Dichtung und Geschlechterstudien«.55 Diese beiden Zwillingsschwestern waren eindeutig gut gerüstet für sympoietische SF.

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Alle, die mit den faserigen Krittern der Riff-HandwerkerInnen in Kontakt kommen, werden infiziert und sie infizieren sich gegenseitig. Die Tausenden HandarbeiterInnen häkeln psychologische, stoffliche und soziale Anhänglichkeiten an biologische Meeresriffe, aber ohne marine Feldbiologie zu betreiben, ohne zwischen den Riffen zu tauchen oder anderweitig direkten Kontakt mit ihnen herzustellen. Lieber sticken sie »Intimität ohne Nähe«. Sie stellen eine Präsenz her, aber ohne jene Kritter zu stören, die das Projekt animieren, dafür mit der Möglichkeit, an einer Arbeit und einem Spiel teilzunehmen, die sich den vernichtenden, müllproduzierenden, gierigen Praktiken globaler industrieller Ökonomien und Kulturen entgegenstellen.56 Intimität ohne Nähe ist keine »virtuelle« Präsenz; es ist eine »reale« Präsenz, aber in schleifenförmigen Stofflichkeiten. Die Abstraktionen durch das Häkeln dienen als eine Art Köder für eine affektiv-kognitive Ökologie, ausgeführt als fiber art. Das gehäkelte Riff ist eine Praxis der Sorge, ohne dass die Berührung durch eine Kamera oder Hand notwendig wird, es ist keine weitere Forschungsreise. Materielles Spiel schafft sorgende Öffentlichkeiten. Als Ergebnis erhalten wir einen weiteren starken Faden im Holobiom des Riffs: Wir sind nun alle Korallen.

Abb. 3.4 Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas) beim Verlassen des Ozeans, um auf dem Strand ihre Eier zu legen. © Mark Sullivan, N0AA, Permit # 10137–07.

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Indem ich zu den Geburtsranken der Wertheim-Schwestern in den Welten von Korallenriffen zurückkehre, schließe ich diesen kleinen Abschnitt über das Crochet Coral Reef mit einem großartigen Foto. Es zeigt Grüne Meeresschildkröten, die gerade aus dem Meer auf den Strand kommen, um ihre Eier zu legen. Sie legen ihre Eier in über 80 Ländern und sind überall bedroht und gefährdet. Sie leben im gesamten tropischen und subtropischen Gürtel der Erde. Das Porträt einer Grünen Meeresschildkröte, die im Meer über das Great Barrier Reef in Australien fliegt, bewarb die Sitzung der Regionalkammer des Rights of Nature Tribunal, die in Far North Queensland (Australien) 2015 stattfand.57 Ungefähr 18.000 weibliche Schildkröten bauen in jeder Saison auf Raine Island im Great Barrier Reef ihre Nester; diese Population ist heute eine von nur zwei großen Legegruppen weltweit.58 Das Tribunal sammelte Stellungnahmen von Aborigine-ZeugInnen zur angemessenen Verwaltung des Riffs, um diese beim Internationalen Tribunal für die Rechte der Natur vorzutragen, das als Teil der Weltklimakonferenz 2015 in Paris abgehalten wurde. Meeresschildkröten, Korallen, AborigineZeugInnen, die sich um die Dekolonisierung ihres Landes kümmern, das Holobiom der WissenschaftlerInnen, die BewohnerInnen des Chthuluzäns, verschiedene AktivistInnen für Umweltgerechtigkeit und internatio­ nale, künstlerisch-wissenschaftliche HandarbeiterInnen kommen in SF zusammen, in einer spekulativen Fabel für ein Gedeihen.

Abb. 3.5 Eine Seite aus Tik-Tik the Ringtailes Lemur/Tikitiki Ilay Maky. Hg. UNICEF ­Madagaskar und die Lemur Conservation Foundation. Text: Alison Jolly und Hanta ­Rasamimanana. Bild: Deborah Ross. © Margaretta Jolly.

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Das madagassische Ako-Projekt Alison Jolly erforschte 1962 als Yale-Doktorandin das Verhalten von Lemuren und verliebte sich alles andere als unschuldig in die von Weibchen angeführten, prahlerischen, opportunistischen Katta-Lemuren im dornigen und trockenen Galeriewald im Süden Madagaskars. Jener Ort ist inzwischen das Berenty Primate Reserve. Ebenso schlicht wie transformativ wurde aus der jungen, ein Meter achtzig großen, amerikanischen, weißen Frau eine Liebhaberin und eine Suchende nach Wissen und Wohlbefinden mit und für madagassische Wesen, speziell mit und für die erstaunliche Gattung der Lemuren, die radikal andersartigen Waldökosysteme auf der ganzen Insel und die komplexen Völker und Leute des Landes. Jolly, die viele Bücher und wissenschaftliche Artikel publiziert und an zahlreichen Studien und Naturschutzprojekten teilgenommen hat, starb 2014. Ihre Beiträge zur Primatologie, zur Erhaltung der Biodiversität und ihre historisch informierten, leidenschaftlichen Analysen von Konflikten und Notwendigkeiten des Natur- und Umweltschutzes waren legendär. Jolly selbst hob ein sympoietisches Geschenk, das sie mitgestaltet hatte, besonders hervor: das Ako-Projekt.59 Ein Projekt, das auf Praktiken der Wiederbelebung in verletzlichen madagassischen Welten eingestimmt ist. Es ist jener Teil ihres Lebenswerks, den ich am meisten liebe.60 Jolly verstand zutiefst die schrecklichen Widersprüche und Spannungen, wenn sie sowohl die Leute vom Land, die Bäume fällen und verbrennen, um kleine landwirtschaftliche Flächen (tavy) zu gewinnen, als auch ihre geliebten Halbaffen mit all ihren Waldpartnern umarmte.61 Natürlich war ihr klar, dass sie keine Madagassin war, sondern im besten Fall ein Gast, der angemessen antworten kann, und im schlimmsten Fall eine weitere in einer langen Reihe von Kolonisten, die sich stets Land nahmen und mit den besten Absichten Ratschläge erteilten. Sie war sich der Kontroversen darüber bewusst, ob Wanderkultivierung den Wald zerstört oder ihn nährt, und lernte sehr viel darüber, was das sich ausweitende tavy-Brennen so mörderisch für die Wälder und alle ihre Kritter macht. Das schließt auch die Menschen ein, die Wälder nicht nur zur Gewinnung ihrer Lebensgrundlagen (etwa auch Lemuren als Nahrung) brauchen, sondern auch, um die Fruchtbarkeit der phosphorarmen Tropenböden zu erhalten. Sie

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wusste, dass die Herstellung von tavy schon immer zum Zyklus der Aufforstung und Erhaltung der Biodiversität gehörte, wie die alten tavys im Ranomafana Nationalpark belegen. Aber sie war der Meinung, dass der Zyklus nicht mehr funktioniere, dass nichts mehr genügend Zeit habe, sich zu regenerieren. Jolly wusste sehr genau, was der Druck einer rapide anwachsenden menschlichen Bevölkerung mit dem Wald machte; sie wusste es als Teil einer Geschichte multipler Landenteignungen, Umsiedlungen, gewaltsamer Unterdrückung, aufkommenden Privateigentums, unsicherer Märkte, einer Reihe gescheiterter nationaler Regierungen, riesiger erbetener und auferlegter nationaler Schulden und gebrochener Entwicklungsversprechen. Sie schrieb eindringlich darüber, dass die lokale Bevölkerung die Effekte von Generationen aufsuchender ExpertInnen richtig einschätzten, während die ExpertInnen und die besuchenden WissenschaftlerInnen häufig wenig oder nichts über die schreckliche Geschichte von Landnahmen, kolonialen und postkolonialen search-and-destroy-Operationen, räuberischen Extrak­tionsplänen und über die Auswirkungen von gescheiterten Projekten meist wohlmeinender, aber häufig ignoranter ausländischer WissenschaftlerInnen und NGOs (lokaler wie internationaler) auf die Dorfbevölkerung wussten. Sie wusste auch, was nachhaltige und engagierte Arbeit von ernsthaften KollegInnen und FreundInnen in Madagaskar, allen Widrigkeiten zum Trotz und quer zu allen möglichen Differenzen, bewirken konnte. Es gibt viele Beispiele mit vielen wichtigen Leute dafür, aber ich möchte von einem kleinen Projekt erzählen, das als Modellsystem für Sympoiesis betrachtet werden kann. Jedes Buch des Ako-Projekts erzählt sehr lebendig, auf Englisch und Madagassisch, die Abenteuer eines jungen Lemuren aus einer der sechs Spezies. Vom kleinen Mausmaki oder ny tsididy zum Fingertier ny aiay, zum singenden Indri, oder ilay babakoto. Die Geschichten sind komplett ausgearbeitete Naturgeschichten, voll der empiriegesättigten, sinnenfreudigen Neugierde dieses Genres; und es sind angeberische Abenteuer kühner junger Lemuren, die die Freuden und Gefahren ihres Lebensraums und der sozialen Regeln ihrer Gruppe durchleben. Jede Lemurenart wird eingebettet in die Diversität von Pflanzen- und Tier-Krittern ihres Habitats gezeigt. So entstehen nicht nur Leitfäden für Lehrer auf Madagassisch, sondern auch wunderschön gestaltete Poster, die die einzigartigen Regio­

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nen abbilden, in denen die Geschichten spielen. Die Bücher selbst sind keine Lehrbücher; es sind Geschichten, Feste für Geist, Herz und Körper von Kindern (und Erwachsenen), die keinen Zugang zu Lese- und Bilderbüchern oder zu den Krittern ihres eigenen Landes, oder sogar ihrer eigenen Region, haben. Die meisten MadagassInnen sehen niemals einen Lemuren, weder in freier Wildbahn noch im Fernsehen oder in einem Buch. Diejenigen, die privilegiert genug waren, auf eine Schule zu gehen, haben in Büchern eher französische Kaninchen gesehen. Das erzählte mir Alison Jolly in den 1980er Jahren voller Empörung, als ich sie für Primate Visions interviewt habe. In vielen Dörfern gibt es keine Schule; und der formale Lehrplan für Kinder, egal ob er nach dem älteren französischen System gestaltet ist oder nach einem neueren, das die Lernenden in den Mittelpunkt stellt, ist für den Großteil der Bevölkerung irrelevant. Die staatliche Finanzierung für ländliche Schulen ist extrem dürftig. Die meisten Kinder werden von GemeindelehrerInnen unterrichtet, die keine Ausbildung durchlaufen haben und die kein Einkommen beziehen, außer den Gebühren, die die sehr armen Familien bezahlen. Unterricht über lokale Kritter und Ökosysteme findet nur sehr selten statt. Das Ako-Projekt umging ausgehungerte Schulen und eine abgestumpfte Bürokratie. Jolly sah die faszinierenden Aquarelle, die Deborah Ross von Fauna und Flora angefertigt hatte, und fragte die Künstlerin, ob sie die Kinderbücher über Lemuren illustrieren würde. Ross sagte zu. Daraufhin kontaktierte Jolly ihre langjährige Freundin und Lemurenbiologin Hantanirina Rasamimanana. Gemeinsam sammelten sie Geld; damit war das Projekt gestartet und lief.62 Mit seinen aufregenden, schönen, lustigen und gruseligen Geschichten, die ohne die Hilfe der Schulbürokratie verteilt werden, nährt das Ako-Projekt Empathie und Wissen über die außergewöhnliche Biodiversität Madagaskars für MadagassInnen.

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Abb. 3.6 Aquarell aus Tsambiki Ilamba Fotsy/Bounce the White Sifaka. UNICEF ­Madagaskar und die Lemur Conservation Foundation. Text: Alison Jolly und Hanta ­Rasamimanana. Bild: Deborah Ross. © Margaretta Jolly und Deborah Ross.

Das Ako-Projekt ist das produktive Ergebnis einer jahrzehntelangen Kolleginnenschaft und Freundschaft.63 Jolly begegnete Hanta Rasamimanana, einer 17 Jahre jüngeren Wissenschaftlerin, im Jahr 1983. Sie verbündeten sich als Mütter, die unter herausfordernden Bedingungen Feldforschung betrieben, als von den Kattas faszinierte Primatologinnen, als die madagassischen Menschen und die Natur Liebende, als an der globalen und lokalen Politik Teilnehmende, mit jeweils unterschiedlicher Verletzlichkeit und Autorität. Rasamimanana wurde in der Hauptstadt geboren und gehört jener Generation an, die unter Didier Ratsirakas Sozialismus von der

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Sowjet­union unterstützt wurde. Sie studierte Tierhaltung an der Veterinärakademie in Moskau, promovierte am staatlichen Naturkundemuseum in Paris und hat einen Master in Primatenschutz. Sie ist Professorin für Zoologie und Wissenschaftsdidaktik an der École Normale Supérieure in Antananarivo. Während ihrer Studien über Kattas hat Rasamimanana zu Fütterungsverhalten, zu Energieverbrauch, zur weiblichen Rangfolge und sozialen Oberhoheit (»Dominanz«) bei Lemuren publiziert. Ihre Aufgaben im madagassischen Wissenschaftsbetrieb sind vielfältig. Sie initiierte beispielsweise ein Masterprogramm zum Primatenschutz, das in Mahajanga und auf den Komoren stattfindet. Als Beraterin der madagassischen Lehrplankommission steht sie dem LehrerInnenprogramm des Ako-Projekts vor und sie hat auch einen Leitfaden für Lehrer auf Madagassisch verfasst, der wiederum auf Workshops fußt, die sie in ländlichen Gegenden gehalten hat.64 Im Sommer 2013 war Rasamimanana die Vorsitzende des Programmkomitees des fünften Kongresses über Halbaffen, der auf dem ValBio Forschungscampus des Ranomafana Nationalparks abgehalten wurde. An jenem Ort, an dem Alison Jollys Freundin und Kollegin Patricia Wright und so viele andere jahrzehntelang dafür gearbeitet hatten, Biodiversitäts- und Primatenforschung in Madagaskar durch madagassische ForscherInnen zu stärken.65 Achtzig der zweihundert Kongress-TeilnehmerInnen kamen aus Madagaskar. Die Hälfte der zweihundert Anwesenden waren Studierende, der Kern der nächsten Generation von WissenschaftlerInnen, die sich der Aufgabe widmen werden, Raum und Zeit für Lemuren und ihre Gefährten in verletzlichen Waldsystemen offen zu halten. In ihren NaturschutzTagebüchern betonte Jolly kurz vor ihrem Tod die Bedeutung des Kongresses: »Die große Veränderung besteht darin, dass die meisten Vorträge von MadagassInnen gehalten wurden, die über die Biodiversität im eigenen Land sprachen und ihre eigene Karriere im Naturschutz vorantreiben wollen. Im Gegensatz zu der anhaltenden Verwunderung vieler anderer Mada­ gassInnen darüber, dass irgendjemand freiwillig in den Wald geht! Ein großer Umschwung gegenüber den Kongressen in der Vergangenheit, die von AusländerInnen dominiert wurden.«66 Jolly und Rasamimanana, die Wissenschaftlerinnen und Geschichtenerzählerinnen, brachten das Ako-Projekt mit all seinen Anhänglichkeiten

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in die Welt: als gemeinsame Arbeit mit Buch- und PlakatkünstlerInnen. In diesem Projekt und in all ihrem Arbeiten und Spielen quer durch viele Krisen in Madagaskar und seiner Geschichte der Bewahrung, haben sie neue Generationen von madagassischen NaturforscherInnen und WissenschaftlerInnen gefördert: kleine Kinder, BetreuerInnen von Feldstationen, SchülerInnen und StudentInnen. Ohne Unschuld und mit großer Unnachgiebigkeit haben Jolly und Rasamimanana solidarisch die Kunst praktiziert, auf einem beschädigten Planeten zu leben. Das ist von Gewicht.

Abb. 3.7 Titelbild von Never Alone (Kisima Ingitchuna). © E-Line Media, zusammen mit Upper One Games und dem Cook Inlet Tribal Council.

Never Alone (Kisima Ingitchuna)

Mein drittes Beispiel einer wissenschaftlich-künstlerischen Verweltlichung für das Leben auf einem beschädigten Planeten ist eines, das »Weltspiele« produziert. Solche Weltspiele werden mit und von Geschichten und Praktiken indigener Völker gemacht. »Aber wozu sind alte Geschichten gut, wenn die Weisheit, die in ihnen enthalten ist, nicht mehr geteilt wird?«67 Solche Spiele erinnern und schaffen Welten in gefährlichen Zeiten; sie

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sind Verweltlichungspraktiken. Indigene rund um den Globus haben eine spezielle Perspektive auf den Diskurs kommender Auslöschungen und Vernichtungen durch das Anthropozän und Kapitalozän.68 Die Idee, dass eine Kata­strophe bevorsteht, ist nicht neu; die Katastrophe, von Genozid und verwüsteten Heimaten, ist schon lange da; vor Jahrzehnten und Jahrhunderten hat sie begonnen und sie hält weiter an. Angesichts von Verlust, Trauer, Erinnerung, Widerstandsfähigkeit und der Neuerfindung dessen, was es heißt, indigen zu sein, angesichts der Weigerung, unwiderrufliche Zerstörung zu leugnen, und der Weigerung, das Projekt des guten Lebens und Sterbens in Gegenwart und Zukunft aufzugeben, nährt eine zerrissene Vitalität das Wiederaufleben von Völkern und Orten. Welt­spiele brauchen erfinderische, sympoietische Kollaborationen, die Entwicklungsumgebungen für Computerspiele und ihre DesignerInnen, indigene GeschichtenerzählerInnen, bildende KünstlerInnen, SchnitzerInnen und PuppenherstellerInnen, digital versierte Jugendliche und Community-AktivistInnen zusammenbringen. Die Reihe von Weltspielen ist im Moment, da ich diesen Satz schreibe, kurz. Es gibt nur eines. Aber andere sind bereits in der Kollaborations- und Designphase.69 Obwohl die Modelle der Sympoiesis erweiterbar sind, ist es entscheidend, nicht noch einmal situierte indigene Geschichten zu plündern und als Mittel gegen das Elend kolonisierender Projekte und Menschen einzusetzen, diese ewig untoten Instanzen. Never Alone ist kein New-Age-Spiel, das universelle Einheit suggeriert, keine posthumanistische Lösung für erkenntnistheoretische Krisen, kein generalisierbares Modell für Koopera­tion und auch kein Werkzeug, um das Anthropozän mit »nativer Klimaweisheit« zu verfeinern. Never Alone ist auch keine Fibel für das Chthuluzän. Wenn das Inupiat-Konzept »Sila« in SF-Spielen auf das tentakuläre Chthu­ luzän trifft, wird das ein riskanter Entwurf sein und keine unschuldige Übersetzung.70 Never Alone erfordert eine andere Art der Aufmerksamkeit; und vielleicht ist der Umstand, dass ich in diesem Spiel immer wieder früh und oft sterbe, weniger auf mein armseliges spielerisches Können zurückzuführen, sondern erinnert vielmehr daran, dass ein Weltspiel in indigenem Geschichtenerzählen und in ganz spezifischen Geschichten wurzelt. Dass das Spiel in Inupiaq mit englischen Untertiteln erzählt wird, ist eine weitere Erinnerung daran, wo hier die Verweltlichungsautorität liegt.

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Geschichten, auch Geschichten, die man käuflich im Internet erwerben kann, gehören den GeschichtenerzählerInnen, die sie in Praktiken situierter Verwelt­lichung teilen, oder auch nicht. Die Bedingungen des Teilens dürfen nicht von akademischen und anderen Plünderern diktiert werden.71 Das heißt nicht, dass das Spiel nur von indigenen KommentatorInnen an indigenen Orten für indigenes Publikum in einer Art perverser Karikatur eines Reservats besprochen werden dürfte. Aber es heißt definitv, dass die Bedingungen des Erzählens, Zuhörens und Spielens entscheidend verlagert wurden. »Never Alone (Kisima Ingitchuna) ist das erste Spiel, das zusammen mit den Inupiat, einer First Nation Alaskas, entwickelt wurde. Spiele in der Rolle eines jungen Inupiat-Mädchens und eines arktischen Fuchses, die sich auf den Weg machen, um die Ursache eines nicht-enden-wollenden Sturms herauszufinden; eines Sturms, der das Überleben von allem, was sie jemals kannten, bedroht.«72 Niemand handelt allein; Verbindungen und Korridore sind konkret und materiell, auch wenn sie geschichtenförmig sind und sich in einer Welt befinden, die die Anglophonen als Geisterwelt verwerfen. Der Mut und die Fähigkeiten des Mädchens Nuna sind ebenso wichtig. Das sind die Künste, einen beschädigten Planeten zu bewohnen.73 Never Alone könnte als Fadenfigurenmuster mit Ursula K. Le Guins Always Coming Home gespielt werden. Die SpielentwicklerInnen beschreiben das neue Genre »Weltspiele« so, dass diese Spiele innerhalb von lebendigen indigenen Geschichten angesiedelt sind. Zu den ProduzentInnen von Never Alone (Kisima Ingitchuna) gehören Gloria O’Neill, die Präsidentin und Geschäftsführerin des Cook Inlet Tribal Council; Dutzende BeraterInnen und Ältere der indigenen Gemeinschaft in Alaska; Alan Gershenfeld, der Mitgründer von E-Line Media; der Kreativdirektor Sean Vesce; das Designteam mit ihrem Studio in Seattle; junge und alte Leute, die das Spiel spielen; und eine geteilte Wahrnehmung jener aktuellen Dringlichkeit, die Land und Wasser mit ihren menschlichen und anders-als-menschlichen Wesen betrifft. »O’Neill sagte, sie freue sich über die Chance, sich an dem Spiel zu beteiligen, weil der Council in diesem Prozess Ko-Entwickler sein könne – und weil noch nie eine Gruppe von Native Americans eine solche Rolle in der Geschichte der Videospielindustrie gespielt habe.«74

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Die Sympoiesis von Never Alone hat viele Spielfäden, und einer von ihnen ist schwierig für die meisten modernistischen Menschen, nämlich der symanimaginäre Reichtum der Geschichten und des Spiels. Das Mädchen Nuna und ihr Begleiter, der arktische Fuchs, verlassen ihr Heimatdorf, um sich dem noch nie da gewesenen Sturm zu stellen, um herauszufinden, was ihn verursacht, und um die Leute und ihr Land zu retten. Sich gegenseitig unterstützend, lernen Mädchen und Fuchs, vielerlei Hindernisse zu überwinden, sogar im Bauch eines Wals zu schwimmen und durch das Blasloch Richtung Himmel zu entkommen. Derartige Sym-Verknüpfungen und erfundene Reisen sind kein ontologisches oder epistemologisches Problem, zumindest kein großes. Aber die Präsenz und Handlungsfähigkeit zahlreicher Geisterhelfer sind absolut zentral für diese Verwelt­lichung, für diese Geschichten, für diese Sympoiesis in der Arktis des Anthropozäns. Die Ontologien digitaler Informationssysteme, Geisterhelfer sowie biokultureller Mädchen und Füchse müssen ein schnelles, wendiges Fadenspiel ernsthaft spielen, damit »nie allein« seine ganze Bedeutung erlangt. Eduardo Viveiros de Castro, der mit brasilianischen, indigenen Jägern gelernt hat, eine radikale konzeptionelle Neuausrichtung vorzunehmen, die er Multinaturalismus und Perspektivismus nennt, schrieb: »Animismus ist die einzige sensible 75 Version des Materialismus.«76 Ich rede nicht darüber, dass Menschen wie ich – oder Kinder wie Nuna – an eine Geisterwelt »glauben«. Glaube ist weder eine indigene noch eine »chthuluzänische« Kategorie. Die Kategorie des Glaubens ist erbarmungslos verschmutzt durch die vernichtenden und kolonisierenden Dispute des Christentums, einschließlich ihrer gebildeten und bürgerlichen, säkularen Versionen. Sie ist gefesselt an Doktrin, Profession, Konfession und die Taxonomien des Fehlerhaften. Das heißt, die Kategorie Glaube ist nicht sensibel.77 Ich spreche vielmehr von materieller Semiotik, über Praktiken der Verweltlichung, über Sympoiesis, die nicht nur symbiogenetisch ist, sondern immer ein sensibler Materialismus. Die sensiblen Materialismen des involutionären Impulses sind viel innovativer, als es der säkulare Modernismus erlauben möchte. Geschichten für ein Leben im Chthuluzän verlangen nach einer gewissen Entbindung von Ontologien und Epistemologien. Man muss sie locker halten, um abenteuerlicheren, experimentelleren Naturgeschichten Raum zu geben. Ohne einen symanimaginierenden, sensiblen Materialis-

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mus zu bewohnen, mit all seinen Stößen, Zugkräften, Affekten und Anhänglichkeiten, kann man nicht Never Alone spielen; und das Wiederaufleben dieser und anderer Welten könnte davon abhängen, spielen zu lernen. Aber weil ich in Never Alone immer noch früh und häufig sterbe, habe ich nicht vergessen, dass Geisterhelfer ihre eigene Sippe bevorzugen. Der Animismus kann von BesucherInnen nicht wie ein magischer Umhang einfach übergeworfen werden. Sich im fortgeschrittenen Chthuluzän verwandt zu machen, wird komplizierter sein als das. Denn auch wir unfreiwilligen Erben der Kolonisatoren sind wohl kaum dazu berechtigt, die Kriterien für die Anerkennung von Verwandtschaft festzusetzen. Außerdem sind viele heutige Inuit, auch diejenigen, die sich der kulturellen Erneuerung widmen, vorsichtig bezüglich ihres eigenen animistischen Erbes. Unruhigbleiben und die Sehnsucht nach Wiederaufleben machen es erforderlich, komplizierte Geschichten zu beerben. Das gilt für jede/n, aber nicht für jede/n gleichermaßen.

Abb. 3.8 Navajo-Teppich, Two Gray Hills. WeberIn unbekannt. Gekauft von Rusten ­Hogness’ Vater, John Hogness, von der Navajo Nation in den 1960er Jahren. © Foto: Donna Haraway.

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Navajo-Weberei: Kosmologische Performance, mathematischer Rhythmus, Navajo-Churro-Schafe, Hózhó Black Mesa, darauf Leben. Es wird wieder Leben geben, so sagen sie. Deshalb weben sie.78

Für meinen letzten riskanten Entwurf eines sympoietischen Modellsystems kehre ich zu Fasern und Fäden zurück und verbinde das gehäkelte Korallenriff mit Navajo-Weberei. Navajo-Weberei wird überall bei den Navajo praktiziert, aber ich werde die Weberinnen von Black Mesa, ihre Schafe und ihre Bündnisse ins Zentrum stellen.79 Es wäre ein schwerer Kategorienfehler, Navajo-Weberei »künstlerisch-wissenschaftlichen Aktivismus« zu nennen, eine Bezeichnung, die für das Crochet Coral Reef gut, zumindest gut genug, passte. Nicht nur würden so robuste und präzise Diné-Ausdrücke übergangen, die Kategorien »Kunst« und »Wissenschaft« würden in diesem Kontext kolonisierend (weiter-)wirken. Es wäre aber ebenfalls ein schwerer Kategorienfehler, Navajo-Weberei strikt von aktuellen mathematischen, kosmologischen und kreativen Praktiken abzuzäunen, die sich niemals in das fügen, was in weiterbestehenden kolonialen Definitionen »traditionell« genannt wird. Wie das gehäkelte Korallenriff auch verbindet das Weben der Navajo, speziell dasjenige mit der Wolle der Churro-Schafe, Menschen und Tiere in Mustern der Sorge und Responsabilität an verödeten Orten exzessiven Sterbens und bedrohten Fortbestehens. Wie im gehäkelten Korallenriff spielen gemeinsames Machen und individuelles Erfinden bei der Navajo-Weberei eine wichtige Rolle. Das gehäkelte Korallenriff und die Navajo-Weberei existieren in einer modernisierenden Ökologie vergeschlechtlichter und kommodifizierter Strukturen, die »Kunst« über »Handwerk« stellen. Das gehäkelte Korallenriff und Navajo-Weberei werden hauptsächlich von Frauen hergestellt, aber auch Männer gehören zum Netz dieser DenkerInnen/MacherInnen.80 Das gehäkelte Korallenriff und Navajo-Weberei bringen mittels mathematischer Vitalität Welten hervor, die in der Doxa der wissenschaftlichen Beschäftigung mit weiblichen textilen Praktiken unsichtbar bleiben, seien es Praktiken der Siedlerkultur oder diejenigen der kolonisierten indigenen Produktion. Und schließlich:

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Weil sie auf eine Sympoiesis praktischer Bündnisse eingestimmt sind, stehen das gehäkelte Korallenriff und die Navajo-Weberei im Zentrum des Denkens/Machens für lebbarere Politiken und Ökologien in Zeiten der Verbrennung und Extraktion, die Anthropozän und Kapitalozän genannt werden. Von Angesicht zu Angesicht und Hand in Hand sind das Great Barrier Reef und Black Mesa zusammengehäkelt und zusammengewoben: in einer kosmologischen Performance für das tentakuläre Chthuluzän der Tausend Namen. Die Arbeit des Webens wird häufig vom Refrain eines Navajo-Gebets begleitet: »Mit mir ist Schönheit« (shil hózhó); »in mir ist Schönheit« (shii’ hózhó); »von mir kommt Schönheit« (shits’ áá d óó hózhó).81 Hózhó ist ein zentrales Konzept der Navajo-Kosmologie und der alltäglichen Praktiken. Übliche Übersetzungen sind »Schönheit«, »Harmonie« und »Ordnung«; ich denke, eine treffendere Übersetzung würde die richtigen Beziehungen in der Welt hervorheben, einschließlich der Beziehungen menschlicher und nicht-menschlicher Wesen, die von der Welt sind, als ihre sagenumwobene und kraftvolle Substanz, und nicht in der Welt als Container. Unordnung, häufig in den Taten des Kojoten dargestellt, stört die richtigen Beziehungen, die in Zeremonien und im Alltag wieder aufgebaut werden müssen, sodass ein angemessenes Leben für den Einzelnen erneut möglich und damit hózhó für das Volk wiederhergestellt ist. Die Diné sehen in Gier die wichtigste Ursache für Unordnung; sie zerstört die richtigen Beziehungen an ihrer Wurzel. Weben ist selbstverständlich eine nützliche, ökonomische Praxis, aber entscheidend ist, dass Weben auch eine kosmologische Performance ist, die richtige Beziehungen und Verbundenheit in Kette und Schuss des Gewebes knüpft.82 Die geometrischen Muster von Wiederholung und Erfindung beim Weben geben die Geschichten und das Wissen der Diné performativ wieder. Die Muster entwerfen und verkörpern welterzeugende und welterhaltende Beziehungen. Diese dynamische Mustergenerierung setzt sich in zeitgenössischen Webereien fort, von denen viele sowohl neue als auch ererbte Themen, Farben, Geschichten und Fasern erkunden.83 Webereien sind individuell; sie werden von einer einzigartigen Frau gemacht, bekunden ihren Stil und ihr Empfindungsvermögen und sind für die wissenden Mitglieder der Gemeinschaft wiedererkennbar.84 Die Namen der

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Weberinnen und ihre Herkunft machen einen Unterschied, aber Webereien werden nicht hergestellt, um als Eigentum besessen zu werden. Dies ist kein Widerspruch, ebensowenig wie die Verwicklung des Kreativ-Persönlichen mit dem Kosmologischen. Die dem Sagenkosmos eingeschriebene sensible Ordnung der Sich-wandelnden-Frau, der Heiligen Zwillinge, der Spinnenfrau und anderer welterzeugender heiliger Leute bringt das Muster für eine richtige Lebensführung hervor. Weben ist weder säkular noch religiös; es ist sensibel. Im Weben manifestieren sich bedeutungsvolle, gelebte Verbindungen, die Verwandtschaft, Verhalten, relationales Handeln hervorbringen  – für hózhó, für Menschen und Nichtmenschen. Situierte Verweltlichung ist fortdauernd, weder traditionell noch modern. Navajo-Weberei basiert auf einer robusten Schafart, die von den Spaniern im 16. Jahrhundert in die Amerikas eingeführt wurde. Navajo-Hirten züchteten daraus über einen langen Zeitraum eine eigene Sorte, die T’aa Dibei oder Navajo-Churro-Schaf heißt. Sie ist besonders gut an das Land der Diné bikéyah auf dem Colorado-Plateau angepasst.85 In einen westlichen historischen Zeitrahmen gesetzt entwickelten sich das matrifokale Hirtentum und die Landwirtschaft der Navajo im 18. und 19. Jahrhundert; mit Schafen als wichtigsten Gefährten des Lebens und Sterbens in hóz­ hó. Die Kunst des Webens und die Sorge um Churro-Schafe verkörpern auf reziproke Weise Diné-Beziehungen einer natürlichen und kosmischen Ordnung. Die Diné haben zwei Epochen überstanden, in denen sich die US-Regierung intensiv bemüht hatte, die Churro-Schafe auszurotten. Der erste Genozid, Hwéeldi genannt, fand 1863 unter Kit Carson durch das US-Kriegsministerium statt. All jene Völker, die gewaltsam in der Dinétah-Region zusammengetrieben werden konnten, wurden auf den Langen Marsch geschickt. Sie gingen Hunderte Kilometer nach Bosque Redondo in New Mexico. Dem Hwéeldi folgte eine von Carson geleitete Verbrannte-Erde-Kampagne gegen die Navajo. Zentral dafür war das Töten aller Tiere der Navajo. Von Anfang an sahen die US-Modernisierer im Südwesten und Westen den von den Spaniern eingebrachten Viehbestand als zu roh und zu unkultiviert an. Vernichten von ganzen Herden, Abholzen von Pfirsichplantagen und gewaltsames Vertreiben der Leute nach Fort Sumner/Bosque Redondo waren typische Maßnahmen der US-Regierungsvertreter, die für die Ko-

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lonisierung zuständig waren und eine widerspenstige wandernde Bevölkerung ruhigstellen und zivilisieren sollten. Der korrekte Name dafür ist: versuchter Genozid. Auf diesen erzwungenen Marsch voller Leid und Tod folgten vier Jahre in einem Gefangenenlager und dann der Marsch zurück zu ihren ursprünglichen Territorien. Der Hwéeldi wird von Land und Leuten leibhaftig erinnert; er ist ein »originäres« Trauma, ein Trauma jener Sorte, der Toni Morrison in ihrem Roman Paradies nachgeht.86 Die Diné kehrten in das Navajo-Reservat auf dem Colorado-Plateau zurück. Die Churro-Schafe waren sorgfältig von Leuten behütet worden, die Kit Carsons Soldaten in den tiefen Canyons und entlegenen Gebieten der Dinétah-Region, einschließlich Big Mountain/Dzil ni Staa/Black Mesa, entkommen waren. Die Grenzen des Reservats dehnten sich bis in die 1930er Jahre nach und nach aus; und obwohl die US-Regierung nach der Heimkehr der Diné aus Bosque Redondo den versprochenen Viehbestand nicht zur Verfügung stellte, wuchsen die Schafherden sehr viel stärker als die menschliche Bevölkerung. Dieses Wachstum wurde teilweise durch das Handelsposten-System angekurbelt, dessen Methode der Wertbeschaffung darin bestand, in Decken verwandelte Wolle zu Pfundpreisen zu erwerben und damit die indigene Bevölkerung in einem System andauernder Verschuldung zu halten. Um in diesem Schuldensystem Waren des Grundbedarfs zu kaufen, waren die Navajo gezwungen, immer mehr Wolle von immer mehr Schafen zu produzieren. Die Händler verkauften die Webarbeiten auf dem Kunstmarkt oder an TouristInnen, bezahlten den Frauen für ihre Webereien aber lediglich den Preis von Rohwolle. Trotz aller Anstrengungen der Regierung bevorzugten die meisten Diné weiterhin das vielseitige, widerstandsfähige Churro-Schaf gegenüber Merinos oder anderen »kultivierten« Züchtungen. Schafe, Ziegen, Pferde und Rinder hatten alle ihren Platz im Muster des Navajo-Hirtentums, das durch kom­plexe Klan- und Geschlechterverhältnisse geordnet war. Tiere und Menschen machten sich wechselseitig verwandt.87 Schafe und Ziegen waren ausschlaggebend dafür, dass die Frauen ihre Familien ernähren und ihre Autorität im Klan erhalten konnten. Durch verstärkte Erosion, Überweidung und lang andauernde Trockenheit geriet das System in den 1930er Jahren zunehmend aus dem Gleichgewicht, was von den Weißen und den Navajo gleichermaßen bemerkt wur-

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de. In diesem Kontext kam es das zweite Mal zu intensiven Bemühungen der US-Regierung, das Navajo-Churro-Schaf auszurotten. Wie das erste, das »originäre« Trauma kann dieses tödliche Ereignis weder vergessen noch wirksam betrauert werden. Es trägt bis heute böse Früchte. Land, Tiere und Leute wieder in einen Zustand des hózhó zu versetzen, ist ein andauernden Prozess, der auch in Zukunft fortwährendes Weben erfordert. Die kolonialistischen und kapitalistischen Strukturen der beiden Vernichtungen sind nie demontiert worden. Die erste Vernichtung von ChurroSchafen wurde vom US-Militär vorgenommen; die zweite war ebenfalls gewaltsam, aber diesmal waren es die progressiven Landwirtschaftsbehörden der US-Regierung innerhalb der Ideologie und des Apparats des New Deal. Diese Funktionäre legten ihrer Arbeit das ökologische Konzept der Belastbarkeit (von Land), das patriachal-koloniale Konzept des männlichen Haushaltsvorstands und das modernistische Konzept des Fortschritts zugrunde. Ohne danach zu fragen, ob koloniale ökonomische Strukturen, wie etwa der ungerechte Wollhandel, eine wesentliche Ursache für Armut und ökologische Schädigung sein könnten, beurteilten die WissenschaftlerInnen die Erosion von Navajo-Land als ein biologisches Faktum: als Folge von Viehüberbestand. 1934 töteten für die Regierung tätige WissenschaftlerInnen des Department of Agriculture den Großteil der Ziegen. Sie gehörten den Frauen und sicherten den Eigenbedarf an Fleisch für die Familien. Die Aufteilung der Welt in Natur und Kultur, die die weiße Siedlerkultur vornahm, spaltete die Lebensweise der Navajo in die zwei kolonialen Apparate von Ökologie und Ökonomie, die von wissenschaftlichen Spezialisten verschiedener Disziplinen betrieben wurden und die nicht systematisch miteinander denken konnten, geschweige denn mit den Navajo-HirtInnen und Weberinnen. 1935 töteten die Funktionäre unzählige Schafe. Die Churro-Schafe, viele von ihnen waren den Leuten einzeln vertraut, wurden bevorzugt getötet, häufig vor den Augen ihrer menschlichen Familien. Diese Morde wurden offenbar auf Fotos festgehalten, denn Fotografien von Knochenhaufen zirkulierten noch in den 1970er Jahren; und nach wie vor erzählen die Leute aufgewühlt über dieses Trauma, sogar über einzelne Tiere ihrer Herden. Nach der Tötung von ungefähr einer Million Schafe und Ziegen (bis heute gibt es dafür keine wirkliche Kompensation) wurden Viehbestands-

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quoten eingeführt und dabei das Kollektiveigentum an Land nicht anerkannt. Der Zensus, der die Vergabe von Quoten und Konzessionen regelt, berücksichtigte nur Haushaltsvorstände, und das konnten keine verheirateten Frauen sein. Das war ein heftiger Schlag für die matrifokale Organisationsform der Diné, die ihre Beziehungen mit Land und Tieren, aber auch untereinander regelte. Als die Grenzen neu gezogen und das Land in Verwaltungseinheiten unterteilt wurde, wurde die Wanderweidewirtschaft unterbrochen, was die Erosion noch verschlimmerte, da saisonale und sich dynamisch an Niederschläge anpassende Weidegänge über die Grenzen hinweg kompliziert wurden. Abgesehen davon, dass es ein Akt wissenschaftlich-kolonialer Arroganz und sträflicher Ignoranz war, führte die Tiervernichtung der 1930er Jahre zur Entkapitalisierung des ganzen Volkes, wodurch sich die bereits vorhandene Armut, die wiederum eine Folge des ersten Hwéeldi war, strukturell verfestigte. Da es nicht gelang, Land, Wasser, Tiere und Menschen wieder in einen Zustand des hózhó zu versetzen, konnte auch eine ausgewogene Weidewirtschaft nicht wieder aufgebaut werden; die Wiederbelebung des Colorado-Plateaus war beschädigt. Viehbestände und Erosion bleiben ein großes Problem, das durch ein tiefsitzendes Misstrauen der Navajo-Nation gegenüber erzwungenen Kontrollen und kolonialen konzeptionellen Apparaten verstärkt wird. In der Krise der 1930er Jahre, die von Dürre und aus dem Gleichgewicht geratenen, artenübergreifenden Lebensweisen geprägt war, wurde die Gelegenheit versäumt, wissenschaftliche ökologische Ansätze, wie die Belastbarkeit von Land, in einen schwierigen, aber notwendigen Austausch mit Navajo-Konzepten und -Praktiken des hózhó zu bringen. Weder Belastbarkeit noch hózhó sind feststehende, deterministische Konzepte. Beide sind relational, kontextuell und auf manche Arten zu leben und zu sterben gestimmt, und auf andere nicht. Es ist von Gewicht, welche Konzepte Konzepte denken, und umgekehrt. Aber in diesem Fall haben koloniale Strukturen dafür gesorgt, dass den beiden wichtigen Konzepten nicht gestattet wurde, sich wechselseitig zu denken und etwas hervorzubringen, das bis dahin in beiden Gedankenwelten noch nicht vorhanden war, aber für beide Seiten brauchbar sein könnte. Wenn ein System des Denkens und Handelns das andere lediglich in kolonialen Rekursionen herabsetzt und für ungültig erklärt, dann kann es weder Sympoiesis noch hózhó geben. Die

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Folgen der Unfähigkeit, diesen notwendigen dekolonialen Gedankenaustausch zu erfinden, verzweigen sich bis in die Gegenwart. Seit dieser Zeit können sich die Diné nicht mehr durch Tierhaltung auf Weiden versorgen; und in der lohnbasierten Nachkriegsökonomie verstetigt sich die Armut durch extreme Unter- und Nichtbeschäftigung sowie durch die Abhängigkeit von staatlichen Beihilfen, Tourismus und den Lohn aus dem Uranund Kohlebergbau.88 Nichtsdestotrotz muss auch eine außergewöhnliche Geschichte des Wiederauflebens und der teilweisen Heilung erzählt werden, eine Geschichte, die den Diné und ihren Verbündeten im aktuellen Chthuluzän und zur unabgeschlossenen Diné Bhane’/Geschichte des Volkes/NavajoSchöpfungsgeschichte gehört. 1970 hatten über das ganze Reservat verstreut nur etwa 470 Navajo-Churro-Schafe überlebt. Die traditionell lebenden Diné von Black Mesa und andere hatten so viele Schafe wie möglich an entlegenen Orten beschützt. Weitere Churro-Schafe waren Überlebende einer Forschungspopulation, die zwischen 1934 und 1967 im Southwest Range and Sheep Breeding Laboratory in Fort Wingate, New Mexico, wissenschaftlich studiert worden war. Als das Forschungsprojekt 1967 beendet wurde, wurden 165 Churro-Schafe auf einer Auktion an einen Rancher in Gonzales, Kalifornien, verkauft, der sie in einer Jagdsafari für HollywoodPromis einsetzte. Abgesehen von ihrem zweischichtigem Fell, den langen Fasern, der stark lanolinhaltigen Wolle, ihrer Fähigkeit, auf kargen Weiden zu überleben, und den exzellenten sorgenden Kompetenzen der Mutterschafe, haben Churroböcke häufig ein doppeltes Paar Hörner, das Jagdbegeisterte dazu anstachelt, dafür zu bezahlen, es in eine Trophäe zu verwandeln. Die Geschichte der Wiederbelebung der Navajo-Churro-­Schafe beginnt an den Knotenpunkten, an denen diese und weitere Akteure zusammentreffen: Navajo-HirtInnen und Weberinnen; ein angloamerikanischer Wissenschaftler, der sich Churro-Schafen und ihren Leuten verpflichtet hat; Navajo- und angloamerika­nische Studierende; hispanische und angloamerikanische Rancher; Tarahumara/Rarámuri-Indigene der westlichen Sierra Madre in Nordmexiko, die die Schafe des Navajo Sheep Project mit ihren eigenen spanischen Schafen kreuzten, um die genetische Diversität zu erhalten; AktivistInnen von Black Mesa. Jahrzehntelang sorgten Diné-HirtInnen, allen Widrigkeiten zum Trotz, für die restlichen Chur-

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ro-Herden. Buster Naegle, der die Ranch in Gonzales 1970 übernommen hatte, um Paint Horses [eine gescheckte Pferderasse, Anm. KH] zu züchten, verschenkte sechs Mutterschafe und zwei vierhörnige Böcke als Zuchttiere an Lyle McNeal, einen Tierwissenschaftler, der damals an der Kalifornischen Polytechnischen Universität in San Luis Obispo arbeitete. Daraus ergab sich eine lebenslange Zusammenarbeit, mithilfe derer McNeal 1997 das Navajo Sheep Project begründete.89 Die Geschichte der Wiederherstellung der Navajo-Churro-Schafe ist auf komplexe Weise tentakulär und faserig, geflochten von vielerlei Akteuren und voller Hindernisse und Erfolge. Lyle McNeal kooperierte mit Diné im Reservat, um die Herden wiederaufzubauen. Sie gaben ihm Tiere und er schenkte einige der ersten Böcke, die in den 1980er Jahren in der Zuchtherde geboren wurden, den Women in Resistance auf Black Mesa. Um seine Zuchtherde und seine Aktivitäten aufrechterhalten zu können, musste Lyle McNeal über einen Zeitraum von 25 Jahren dreizehn Mal innerhalb von vier Staaten umziehen und viele Abenteuer mit dem Gesetz bestehen, speziell mit dem Privateigentumsrecht. Carol Halberstadt, eine Dichterin, Aktivistin und Liebhaberin von Wolle, die aus Massachusetts stammt, gründete gemeinsam mit Churro-Schaf-HirtInnen und Weberinnen wie Glenna Begay und Lena Nez die Black Mesa Weavers for Life and Land. Diese Kooperative für fairen Handel sollte die ökonomischen und sozialen Bedingungen auf Black Mesa verbessern, indem sie die Hirtentätigkeit, den Wollhandel und das Weben unterstützt.90 Eine Herde Navajo-Churro-Schafe wurde zu Lernzwecken am Diné College in Tsaile, Arizona, aufgebaut. Diné be’iína/The Navajo Lifeway wurde 1991 gestartet, um community-basierte Partnerschaften zur Erneuerung von Ökonomie und Kultur zu fördern. Jeden Sommer findet im College das Dibé be’iína/Sheep is Life-Fest statt.91 Churro-Schafe sind zentral für die kulturelle Erneuerung durch das Weben und Schafehüten. Generationen, die durch Internatserziehung und erzwungene Viehbestandsreduktion voneinander getrennt waren, werden wieder miteinander verbunden; und junge Leute werden ermutigt, Navajo zu sprechen.92 Koscheres Navajo-Churro-Jerky, Wach-Llamas, die American Livestock Breeds Conservancy, die Navajo-Churro Sheep Association, der Agricultural Research Service, das National Center for Genetic Resources Preservation, die Slow Food Foundation für Biodiversität, der Two Grey

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Hills Handelsposten, das Teec Nos Pos Chapter und seine regionale Wollverarbeitungsfabrik, die Ganados del Valle Hispanic, ein Unternehmen zur Landwirtschaftsentwicklung, Tierra Wool und Los Ojos Handweavers, die Crownpoint Auction und Heifer International  – sie alle sind in diversen Zusammensetzungen an dem Erneuerungsprozess beteiligt.93 Nicht zuletzt nehmen die Schafe selbst aktiv an dieser verschlungenen, relationalen Welt teil. Wie alle Schafe können sie Hunderte Gesichter unterscheiden; sie kennen ihre Leute und ihr Land.94 Weben ist eine kosmologische Performance, eine relationale Verweltlichung, mit menschlichen und nicht-menschlichen Fasern von Heiligen, normalen menschlichen Leuten, Pflanzen, Böden, Wasser und Schafen. Diese Kritter sind entscheidend für das Land, für Umweltgerechtigkeit, für robuste Ökosysteme von Menschen und Nichtmenschen, für hózhó. Es ist von Gewicht, welche Wesen Wesen erkennen. Daher führen uns die Schafe zurück nach Black Mesa und zu einer abschließenden Sympoiesis mit AktivistInnen – DenkerInnen/MacherIn­ nen  – der Black Mesa Water Coalition (BMWC). Um die WeberInnen, HirtIn­nen und Schafe der Region zu unterstützen, arbeitet die BMWC mit Diné be’iína zusammen und betreibt Wollhandel; sie hat sich sogar mit einem Verein für Schafzüchter in Maine namens Peace Fleece zusammengetan.95 BMWC ist mit Schafen und Menschen überall auf diesem beschädigten Land mit seiner verfluchten Geschichte tief verwickelt. Aber die Gründe, weshalb ich die Fäden kosmologischer Performance und fortgesetzten Webens mithilfe der BMWC zusammenführe, sind Kohle, Wasser, indigene Bewegungen für Umweltgerechtigkeit und drängende Koalitionen für einen gerechten Übergang hin zu immer noch möglichen Welten in Zeiten der Dringlichkeit. Vielleicht immer noch möglich. Kaum noch möglich. Immer noch möglich, wenn wir einander zu Verweltlichungen und erneuten Verweltlichungen für das Gedeihen befähigen. Ich möchte die Black Mesa Water Coalition als ein sympoietisches Modell vorschlagen, als ein Modell des Erlernens gemeinsamer Unruhe, für hózhó. Die BMWC wurde 2001 von einer Gruppe junger Leute gegründet, die verschiedenen Stämmen und Ethnien angehörten und damals meist gerade studierten. Sie befassten sich mit Wassermangel, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Gesundheitsproblemen in den Navajo- und Ho-

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pi-Gemeinden.96 Rasch konzentrierten sie sich auf Peabody Energy und spielten bei jenen Aktivitäten eine zentrale Rolle, die 2006 zur Stilllegung der Black Mesa-Mine und des Mohave-Kraftwerks führten. Aber das war der Anfang, nicht das Ende. Die Koalition betrachtet Black Mesa als einen entscheidenden Ort, an dem man lernen kann, wie der Übergang von kohlebasierten Ökonomien und Ökologien hin zu reichlich verfügbarer Solarenergie und anderen erneuerbaren Energien aussehen könnte. Dieser Übergang findet auf beschädigten Böden statt, und zwar als notwendige Praxis für artenübergreifende Umweltgerechtigkeit. Black Mesa selbst ist nicht einfach irgendein Ort; in der Navajo-Kosmologie ist Black Mesa die Mutter, die von vier heiligen Bergen umgeben ist. Das Wasser ist das Blut der Mutter, die Kohle ihre Leber. Diese kondensierte Diné-Geo-Anatomie ist nur ein Beispiel von vielen für eine körperlich-relationale Kosmologie des Raums, die für Peabody Energy und für den Siedlerkolonialismus im Allgemeinen bis heute ganz und gar unlesbar ist. Meine Kollegin Anna Tsing spricht von »Welten, für die es sich zu kämpfen lohnt«; Black Mesa ist so eine Welt.97 Seit ihrem Start 2005 entwickelte die BMWC-Initiative für einen gerechten Übergang [von Kohle zu erneuerbaren Energien, Anm. KH] eine umfassende Vision und Praxis zur Stärkung lokaler Akteure, ihrer Kultur und ihres Landes, um zusammen mit vielen Verbündeten ein Wiederaufleben auf Black Mesa und darüber hinaus Realität werden zu lassen. Pilotprojekte zum Wiederaufbau von regionalen Wasserscheiden und wirtschaft­licher Entwicklung, die Planung und Arbeit für das Black Mesa-Solarprojekt, das Projekt für Ernährungssicherheit, das Navajo-Wollmarkt-Projekt, das Projekt für Ökologisches Wirtschaften und das Klimagerechtigkeits-Projekt gehören alle zur Arbeit der BMWC. Die AktivistInnen zielen darauf, ein starkes regionales, umfassendes Netzwerk für Umwelt- und Sozialgerechtigkeit aufzubauen, das von indigenen Gemeinschaften und Organisationen angeführt wird, sich aber auch weltweit mit der Climate Justice Alliance vernetzt.98 Das sind große, wichtige Ideen und Aktionen; diese Art fortgesetzten Webens ist wesentlich dafür, in einer beschädigten Welt unruhig zu bleiben. Auch weiterhin wird die BMWC von jungen Erwachsenen als Teil eines Multigenerationen-Netzwerks geleitet. Sie entwirft damit eine Art des Wiederauflebens, die den originären, sich wiederholenden

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Traumata in der Geschichte ohne Verleugnung, aber auch ohne Zynismus und Verzweiflung entgegentreten kann. In meiner Sprache ist die Black Mesa Water Coalition ein starker Tentakel im anbrandenden Chthuluzän.

Ein Abschlussknoten Wir verbinden, wissen, denken, verweltlichen und erzählen Geschichten mit und durch andere Geschichten, Welten, Wissensformen, Gedanken, Sehnsüchte. Und das machen alle anderen Kritter auf Terra auch, wir tun es in all unserer unbescheidenen Verschiedenheit und in all den kategoriendurchbrechenden Artenbildungen und Verknotungen. Andere Wörter dafür könnten Materialismus, Evolution, Ökologie, Sympoiesis, Geschichte, situiertes Wissen, kosmologische Performance, künstlerisch-wissenschaftliche Verweltlichung oder Animismus sein, niemals ohne die Kontaminationen und Infektionen, die von den Begriffen beschworen werden. Kritter stehen für- und ineinander bei jeder Durchmischung und Umlagerung des terrestrischen Komposthaufens auf dem Spiel. Wir sind Kompost, nicht posthuman; wir bewohnen den Humusismus, nicht den Humanismus.99 Philosophisch wie materiell bin ich Kompostistin nicht Posthumanistin. Kritter – menschliche und nichtmenschliche – werden miteinander, komponieren und dekomponieren einander, in allen Maßstäben und Registern von Zeitlichkeit und Stofflichkeit; in sympoietischen Verwicklungen, in ökologisch-evolutionären-entwicklungsgeschichtlichen irdischen Verweltlichungen und Entweltlichungen. Ich habe dieses Kapitel mit Lynn Margulis’ Entwurf der Symbiogenese begonnen und bin zu jener Sorte Biologie übergegangen, die eine erweiterte evolutionäre Synthese erforderlich macht, damit artenübergreifendes Leben und Sterben auf der Erde, in allen Maßstäben von Zeit und Raum, gut denkbar wird. Der involutionäre Impuls einer verschwindenden Biene und ihrer treuen Orchidee entfaltete die EcoEvoDevo-Biologien in vier natursozialen Ökologien eines beschädigten Planeten. Es sind wirkliche Orte, für die es sich zu kämpfen lohnt. Jeder Ort hat mutige, kluge, produktive Bündnisse von KünstlerInnen/WissenschaftlerInnen/AktivistIn-

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nen hervorgebracht, die quer zu gefährlichen historischen Aufteilungen stehen. Die verschiedenen Biologien, Künste und Politiken brauchen einander; mit involutionären Impulsen ködern sie einander für ein sympoietisches Denken/Machen zur Beförderung lebenswerterer Welten, die ich Chthuluzän nenne.100 Isabelle Stengers Auffassung von Kosmopolitik macht mir Mut.101 Kritter, auch menschliche, existieren in wechselseitiger Präsenz, oder besser: im Inneren der Schläuche, Falten, Spalten, auf Innenseiten und Außenseiten und auch dazwischen. Jene Entscheidungen und Transformationen, die in unserer Zeit so dringend notwendig sind, damit wir wieder lernen, oder auch: überhaupt einmal lernen, weniger tödlich zu sein, responsabler, besser gestimmt, offener für Überraschungen, fähiger, die Künste des guten Lebens und Sterbens in artenübergreifender Symbiose, als Sympoiesis, als Symanimagenese auf einem beschädigen Planeten zu praktizieren, müssen wir ohne Garantien oder Erwartungen von Harmonie mit jenen machen, die nicht wir selbst sind – und auch nicht gesicherterweise das andere. Weder das eine noch das andere, das ist es, was wir alle sind und immer schon waren. Wir alle müssen als BewohnerInnen dieses unbescheidenen Holobioms, als das sich die Erde herausstellt, ontologisch erfinderisch und sensibel werden, egal ob es Gaia heißt oder Tausend andere Namen trägt.

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Kapitel 4

Sich verwandt machen. Anthropozän, Kapitalozän, Plantagozän, Chthuluzän

Zweifelsfrei haben anthropogene Prozesse inter- und intraagierend mit anderen Prozessen und Spezies planetarische Wirkungen gezeitigt, und zwar seit unsere Spezies registriert werden kann (ein paar Zehntausend Jahre); und Landwirtschaft hatte daran einen großen Anteil (ein paar Tausend Jahre lang). Selbstverständlich waren von Anfang an Bakterien und ihre Verwandten die größten Terraformer (und Reformer) weltweit, auch sie im Zusammenspiel mit unzähligen Inter-/Intra-Aktionen (unter anderem mit Leuten und ihren Praktiken, technischen und anderen).1 Die Ausbreitung von samenverteilenden Pflanzen Millionen Jahre vor der menschlichen Landwirtschaft war eine planetenverändernde Entwicklung wie viele andere revolutionäre, evolutionäre, ökologische, entwicklungsgeschichtliche, historische Ereignisse auch. Leute haben sich schon früh und kraftvoll in dieses unbescheidene Getümmel gestürzt, lange bevor sie/wir jene Kritter wurden, die später Homo sapiens genannt wurden. Aber ich denke, dass Fragen nach Bezeichnungen für Anthropozän, Plantagozän und Kapitalozän eher mit Maßstab, Frequenz/Geschwindigkeit, Synchronizität und Komplexität zu tun haben. Bei systemischen Phänomenen müssen folgende Fragen vordergründig sein: Wann werden graduelle Veränderungen zu Veränderungen in der Sache? Wie wirken sich biokulturell, biotechnisch, biopolitisch, historisch situierte Leute (nicht »der Mensch«) verglichen und kombiniert mit den Wirksamkeiten anderer Arten-Assemblagen und weiterer biotischer/abiotischer Kräfte aus? Keine Art handelt allein, nicht einmal unsere eigene arrogante, die auf Basis sogenannter moderner, westlicher Skripte so tut, als würde sie aus artigen Individuen bestehen. Es sind Assemblagen organischer Spezies und abiotischer Akteure, die Geschichte machen, evolutionäre und andere auch.

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Aber existiert ein Wendepunkt der Konsequenzen? Ein Wendepunkt, der die Devise für das »Spiel« des irdischen Lebens für jeden und alles verändert? Es ist mehr als der Klimawandel; es sind auch die außergewöhn­ lichen Belastungen toxischer Chemie, des Bergbaus, des nuklearen Abfalls, der Schwund von Seen und Flüssen über und unter Land, die Verein­ fachung von Ökosystemen, enorme Genozide unter Leuten und anderen Krittern et cetera, et cetera, all das in systemisch verbundenen Mustern, die kapitalen Systemkollaps nach kapitalem Systemkollaps nach kapitalem Systemkollaps auslösen. Rekursion kann zur Belastung werden. Anna Tsing schlägt in einem aktuellen Beitrag mit dem Titel »Feral Biologies« [verwilderte Biologien, KH] vor, die Vernichtung eines Großteils von Refugien als Wendepunkt zwischen dem Holozän und dem Anthropozän zu verstehen, jener Refugien, in denen sich bisher unterschiedliche Gefüge von Arten (mit oder ohne Leute) nach kapitalen Ereignissen (Verwüstung, Rodung, und und und …) neu formieren konnten.2 Der Gedanke ist den Argumenten Jason Moores (dem Koordinator des World-Ecology Research Network) verwandt, der darstellt, dass billige Natur nicht länger zu haben ist. Eine verbilligte Natur kann die Extraktion und Produktion von und mit der jetzigen Welt nicht länger aufrechterhalten, da die meisten Reserven der Erde entwässert, verbrannt, aufgebraucht, vergiftet, getötet oder sonst irgendwie erschöpft worden sind.3 Enorme Investitionen und ungeheuer kreative wie destruktive Technologien können den finalen Schlussstrich unter der Rechnung ein wenig aufschieben, aber Natur ist wirklich nicht mehr billig zu haben. Für Anna Tsing ist das Holozän jene Epoche, in der Refugien, Rückzugsorte noch existierten, ja sogar reichlich vorhanden waren, um neue Verweltlichungen in dichter kultureller und biologischer Diversität zu gewährleisten. Vielleicht ist die Empörung, die einen Namen wie Anthropozän verdient, eine über die Vernichtung von Räumen und Zeiten des Rückzugs für Leute und andere Kritter. Wie andere auch verstehe ich das Anthropozän eher als ein Grenzereignis und weniger als eine Epoche, in etwa wie die K-Pg-Grenze zwischen Kreidezeit und Paläogen.4 Das Anthropozän markiert schwerwiegende Diskontinuitäten; was danach kommt, wird anders sein, als das, was war. Es ist unsere Aufgabe, das Anthropozän so kurz/so dünn wie nur möglich zu halten und mit-

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einander auf jede vorstellbare Art und Weise kommende Epochen zu kultivieren, in denen Refugien sich wiederbeleben können. Augenblicklich ist die Erde voller Geflüchteter, menschlicher und nichtmenschlicher, ohne Zuflucht. Deshalb glaube ich, dass ein neuer großer Name, genau genommen mehr als einer, gerechtfertigt ist – daher: Anthropozän, Plantagozän5 und Kapitalozän (Andreas Malms und Jason Moores Begriff, bevor er meiner war).6 Ich halte ebenfalls daran fest, dass wir einen Namen für die dynamischen, andauernden, symchthonischen Gewalten und Kräfte brauchen, an denen Leute teilhaben und innerhalb derer das Fortdauern auf dem Spiel steht. Vielleicht, und nur vielleicht, und nur durch großes Engagement und intensive kollaborative Arbeit (und kollaboratives Spiel) mit anderen Erdlingen, ist das Gedeihen von reichhaltigen, artenübergreifenden Gefügen, die auch uns Leute umfassen, weiterhin möglich. Dies alles nenne ich das Chthuluzän  – vergangen, gegenwärtig und kommend.7 Diese konkreten und möglichen Zeitorte sind nicht nach H. P. Lovecrafts misogynem Rassenalbtraummonster Cthulhu (unterschiedliche Schreibweise beachten) benannt, sondern nach weltweit verbreiteten, tentakulären Gewalten, Kräften und versammelten Dingen mit Namen wie Naga, Gaia, Tangaroa (aus der wassergefüllten Papa hervorberstend), Terra, Haniyasu-hime, Spider Woman, Pachamama, Oya, Gorgo, Raven, A’aku- luujjusi und noch viele andere. »Mein« Chthuluzän, auch wenn es mit problematischen »griechischen« Wortwurzeln belastet ist, verwickelt unzählige Zeiten und Räume und unzählige intra-aktive, zusammengefügte Entitäten – auch die Mehrals-Menschlichen, die Anders-als-Menschlichen, die Unmenschlichen und die Menschen-als-Humus. Selbst wenn sie in einem Text wie diesem in westlicher Schreibweise wiedergegeben wurden, bleiben Naga, Gaia, Tangaroa, Medusa, Spider Woman und ihre Verwandten einige der vielen Tausend Namen, die zu einem Strang der SF passen, den Lovecraft sich niemals hätte vorstellen, geschweige denn akzeptieren können – sie gehören zu den Netzwerken der spekulativen Fabulation, des spekulativen Feminismus, von Science-Fiction und science fact.8 Es ist von Gewicht, welche Geschichten Geschichten erzählen, welche Konzepte Konzepte denken. Mathematisch, bildlich und erzählend ist es von Gewicht, welche Figuren Figuren figurieren, welche Systeme Systeme systematisieren.

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All die Tausend Namen sind zu groß und zu klein. All diese Geschichten sind zu groß und zu klein. Jim Clifford hat mir beigebracht, dass wir Geschichten (und Theorien) brauchen, die gerade groß genug sind, Geschichten, die Komplexität zusammentragen und dabei die Grenzen offen halten können, begierig nach überraschenden, alten und neuen Verbindungen.9 Eine Möglichkeit, als sterbliche Kritter des Chthuluzäns gut zu leben und zu sterben, besteht darin, die Kräfte zu bündeln, um Zufluchtsorte wieder herzustellen und so die Vorraussetzung für eine teilweise und robuste biologisch-kulturell-politisch-technologische Genesung und Neukomposition zu schaffen. Dies muss die Trauer um unwiederbringliche Verluste miteinschließen. Thom van Dooren und Vinciane Despret haben mir das beigebracht.10 Es gibt schon so viele Verluste, und es wird noch mehr geben. Die Erneuerung generativen Gedeihens kann nicht aus Mythen der Unsterblichkeit oder aus dem Scheitern des Mit-Werdens mit den Toten und Ausgerotteten erwachsen. Es gibt viel zu tun für Orson Scott Cards Sprecher für die Toten.11 Und noch mehr für Ursula K. Le Guins Verweltlichung in Always Coming Home. Ich bin eine Kompostistin und keine Posthumanistin: Wir sind alle Kompost und nicht posthuman. Jene Grenze, die Anthropozän/Kapitalozän heißt, bedeutet vieles, unter anderem, dass immense und irreversibl­e Zerstörung tatsächlich passiert, nicht nur für die etwa 11 Milliarden Menschen, die zum Ende des 21. Jahrhunderts auf der Erde leben werden, sondern auch für unzählige andere Kritter. (Die unbegreifliche, aber nüchterne Zahl 11 Milliarden wird nur dann halten, wenn die aktuellen Geburtenraten für menschliche Babys weltweit niedrig bleiben. Wenn sie steigen, gilt keine Schätzung mehr.) Der »Rand des Aussterbens« ist nicht nur eine Metapher; Systemzusammenbruch ist kein Thriller. Fragen Sie irgendeinen Geflüchteten ganz egal welcher Spezies. Das Chthuluzän braucht mindestens einen Slogan (natürlich mehr als einen). Ich schreie immer noch »Cyborgs für irdisches Überleben!«, »Lauf schnell, beiß fest zu!« und »Halt den Mund und übe!«, schlage aber nun vor: »Macht euch verwandt, nicht Babys!«12 Sich verwandt zu machen  – und die neuen Verwandten anzuerkennen – ist vielleicht die schwierigste und dringlichste Aufgabe.13 FeministInnen unserer Zeit waren führend da­ rin, die unterstellte natürliche Notwendigkeit einer Verknüpfung von Sex

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Sich verwandt machen

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und Gender, Rasse und Sex, Rasse und Nation, Klasse und Rasse, Gender und Morphologie, Sex und Reproduktion sowie Reproduktion und Komposition einer Person aufzutrennen (und wir schulden hier viel den MelanesierInnen, zusammen mit Marilyn Strathern und ihrer EthnografInnen-Verwandtschaft).14 Wenn es jemals artenübergreifende ökologische Gerechtigkeit geben soll, die die Diversität menschlicher Leute einschließt, ist es jetzt höchste Zeit, dass FeministInnen Vorstellungen, Theorien und Aktionen entwerfen, welche die Verbindung von Genealogie und Verwandtschaft sowie von Verwandtschaft und Spezies auflösen. Bakterien und Pilze geben uns Metaphern im Überfluss; aber wenn wir einmal die Metaphern beiseitelassen (viel Glück dabei!), haben wir gemeinsam mit unseren biotischen und abiotischen sympoietischen Kollaborateuren und Mitarbeitenden einen Säugetier-Job vor uns. Wir müssen uns symchthonisch, sympoietisch verwandt machen. Ganz egal, wer und was wir sind, wir müssen mit-machen – mit-werden, mit-komponieren – mit den Erdgebundenen (danke für diesen Begriff, Bruno Latour).15 Wir, die menschlichen Leute überall, müssen intensive, systemische Dringlichkeiten thematisieren; bis jetzt, so hat es Kim Stanley Robinson in seinem Roman 2312 formuliert, leben wir in einer Zeit, die er »Das Zaudern« nennt (in seiner SF-Geschichte erstreckt sie sich von 2005 bis 2060 – zu optimistisch?), in einem »Zustand unentschlossener Agita­tion«.16 Vielleicht ist »Das Zaudern« ein passenderer Name als Anthropozän oder Kapitalozän! »Das Zaudern« wird in die felsigen Schichten der Erde eingeschrieben sein, tatsächlich ist es schon jetzt in den mineralisierten Schichten festgehalten. Die Symchthonischen zaudern nicht; sie komponieren und dekomponieren. Das sind sowohl riskante als auch vielversprechende Praktiken. Die menschliche Vorherrschaft ist, gelinde gesagt, keine symchthonische Angelegenheit. Die ökosexuellen Künsterinnen Beth Stephens und Annie Sprinkle erklären es auf einem Aufkleber, den sie für mich gemacht haben, so: Composting is so hot! Ich möchte mit dem Ausdruck »sich verwandt machen«, den Begriff »verwandt« etwas anderes/mehr bedeuten lassen als »Entitäten, die durch Abstammung oder Genealogie verbunden sind«. Die sanft verfremdende Bewegung mag eine Weile lang wie ein Fehler wirken, aber dann erscheint der Ausdruck (mit etwas Glück) als immer schon korrekt. Sich verwandt

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zu machen bedeutet, Personen zu machen, aber nicht zwingend als Individuen oder Menschen. Im College war ich von Shakespeares Kalauern zwischen kin und kind17 berührt: Die Ähnlichen und Freundlichen/Freundschaftlichen (kind) waren nicht notwendigerweise die Verwandten im Sinn von Familie (kin); sich verwandt zu machen (kin/kind, als Kategorien der Zugewandtheit, als Angehörige ohne Geburtsbande, als laterale Angehörige und viele andere Resonanzen) kann die Imagination weiten und die Geschichte verändern. Von Marilyn Strathern habe ich gelernt, dass »rela­ tives« im britischen Englisch zuerst »logische Beziehungen« meinte und erst im 17. Jahrhundert daraus »Familienmitglieder« wurden – das ist definitiv ein Detail, das ich liebe.18 Wenn man sich aus dem Englischen hinausbewegt, multipliziert sich die Wildheit der Bedeutungen. Ich denke, dass sich die Ausdehnung und Neukomposition des Begriffs Verwandtschaft dadurch rechtfertigt, dass alle Erdlinge im tiefsten Sinn verwandt sind. Und es ist höchste Zeit, besser für Arten-als-Gefüge Sorge zu tragen (nicht für Spezies, jede für sich). Verwandtschaft ist ein zusammenfügendes Wort. Alle Kritter teilen lateral, semiotisch und genealogisch gemeinsames »Fleisch«. Ahnen stellen sich dann als sehr interessante Fremde heraus; Verwandte werden unvertraut (unfamiliar), jenseits dessen, was für uns zuvor Familie oder Gene bedeuteten, unheimlich, spukend, aktiv.19 Zu viel für einen kleinen Slogan, ich weiß! Versuchen Sie es dennoch. In ein paar Hundert Jahren umfasst die menschliche Bevölkerung dieses Planeten vielleicht wieder zwei bis drei Milliarden, während sie sich auf dem Weg dahin dafür einsetzt, dass es ganz unterschiedlichen mensch­ lichen Leuten und anderen Krittern gut geht – als Mittel und nicht nur als Zweck. Also macht euch verwandt, nicht Babys! Es ist von Gewicht, wie Verwandtschaft Verwandte schafft.20

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Kapitel 5

Überschwemmt von Urin. DES und Premarin in artenübergreifender Responsabilität

Cyborg-Wurfgeschwister Cyborgs sind Geschwister aus dem Wurf der Nachkriegs-Informationstechnologien und globalisierter, digitaler Körper, Politiken und Kulturen, menschlichen und nicht-menschlichen. Cyborgs sind keine Maschinen in irgendeinem Sinn und sie sind auch keine Hybriden aus Maschine und Organismus. Sie sind überhaupt keine Hybriden. Vielmehr sind sie implodierte Entitäten, verdichtete materiell-semiotische »Dinge« – artikulierte Fadenfiguren einer speziellen Sorte ontologisch heterogener, historisch situierter, materiell reichhaltiger, spezifischer, sich viral ausbreitender Beziehungen. Sie existieren nicht überall und zu jeder Zeit, sondern mit all ihren Konsequenzen im Hier, im Dort und im Dazwischen. Bestimmte Arten historisch situierter Maschinen, gekennzeichnet durch die Wörter »Information« und »System«, spielen ihre Rolle im Leben und Sterben der Cyborgs. Bestimmte Arten historisch situierter Organismen, gekennzeichnet durch die Spracheigenarten in Zusammenhang mit Arbeitssystemen, Energetik und Kommunikation, spielen die ihre. Schließlich spielen bestimmte Arten historisch situierter menschlicher Wesen, die mit den Praktiken und Artefakten der Technowissenschaften mit-werden, ihre Rolle. Cyborgs sind durch partiale Verbindungen charakterisiert, die Einzelteile fügen sich zu keinem Ganzen, aber zu Welten nichtoptionalen, geschichteten, verwobenen, unabgeschlossenen Lebens und Sterbens zusammen. Sie erscheinen und verschwinden. Cyborgs sind notwendigerweise voller multi­ skalarer, multitemporaler, multimaterieller Kritter mit lebendigen und nichtlebendigen Überzeugungskräften.1 Cyborgs sind in irdischen Verweltlichungen von Gewicht.

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Aber Cyborgs sind Kritter eines queeren Wurfs, sie sind nicht die »Hauptfigur unserer Zeit«. Queer meint hier: zu keinerlei Reproduktion verpflichtet und in einer unbescheidenen Beziehung zu Zukünften stehend. Dieser Wurf, dieser Auswurf, der nicht auf die Figur der Cyborgs reduzierbar ist, interessiert mich, die spezielle Art der Wahlverwandtschaft (kin and kind), genährt von den flüssigen und festen Ausdünstungen der Erde im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert. Ich komme zu »meinem« Cyborg in diesem Wurf zurück, um die Spielfäden – die spekulativen Fabulationen, die science facts, die Science-Fiction und die spekulativen Feminismen – an diejenigen tentakulären Greifer weiterzugeben, die bereit sind, das Muster entgegenzunehmen, um das gute Zusammen-Leben und -Sterben auch in »unserer Zeit« weiterhin zu ermöglichen. Der Wurf dieses Kapitels wurde aus Körpern dekantiert, die von einer besonders pene­ tranten Flüssigkeit, von Urin, überschwemmt sind. Er setzt sich aus einer alternden kalifornischen Hündin, schwangeren Stuten auf den Prärien von Westkanada, menschlichen Frauen, die als DES-Töchter bekannt geworden sind, vielen menopausalen US-amerikanischen Frauen und verschiedenen anderen Akteuren in der Geschichte von »synthetischen« und »natürlichen« Östrogenen zusammen. Urin als Abfall und als Ressource, der Urin weiblicher Körper am falschen Ort, das ist der salzige Ozean, den ich für meine Fabel brauchte. Überall sind Lecks und Strudel. Diese Lecks und Strudel könnten dabei helfen, Passagen für eine Praxis der Sorge und Res­ ponsabilität in artenübergreifenden Verweltlichungen auf einer lädierten Erde zu eröffnen.

DES für Hot Pepper Im Oktober 2011 hat meine damals zwölf Jahre alte, hündische Freundin und lebenslange Sportpartnerin Cayenne, aka Hot Pepper, begonnen, ein berühmt-berüchtigtes, industriell produziertes, nicht-steroides, synthe­ tisches Östrogen namens DES (Diethylstilbestrol) zu nehmen, um mit einem Harnleck zurechtzukommen.2 Vielleicht sollte ich nicht schreiben, »sie hat begonnen zu nehmen«, sondern eher: »Ich habe begonnen, sie

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nach dem letzten Pinkeln mit einem gelegentlichen Nachtleckerbissen zu füttern: mit einer saftigen, glitschigen, mit Earth Balance®-Margarine überzogenen Kapsel DES.« Seit Platon hören wir die Zwischentöne der unentrinnbaren Ambiguität seines Pharmakons: Heilung und Gift, care, curare; Heilmittel, Toxin; Behandlung/Leckerbissen (treat)/Bedrohung (threat). Alternde sterilisierte Hündinnen wie Cayenne und postmenopausale Frauen wie ich könnten häufig eine hormonelle Straffung der erschlafften glatten Muskulatur in der Harnröhre gut gebrauchen, um das sozial nicht akzeptierte Leck zu schließen. Den Ausdruck Östrogenmangel zu verwenden ist schwer für mich, da ich in frühen Jahren von der Frauengesundheitsbewegung und der feministischen Wissenschaftsforschung geprägt wurde. Aber es ist eine Tatsache, dass ein paar Extratupfer Östrogen in alternden, weiblichen Körpern von Säugetieren nützliche Arbeit leisten – allerdings hat das seinen Preis, und zwar in vielen Währungen des Lebens und Sterbens. Es stimmt, dass die Nebennierendrüsen von denjenigen, die keine Eierstöcke haben oder deren Eierstöcke ausgetrocknet sind, immer noch einige Östrogene absondern, aber die Produktion ist eher bescheiden und die glatte Muskulatur kann ziemlich lasch werden. Aber dass ich dieser geliebten, alternden, nicht-reproduktiven Hündin, für die ich verantwortlich bin, auch nur kleine, unregelmäßige Dosen Diethylstilbestrol gab, hat in mir ein akutes DES-Angstsyndrom ausgelöst. Mein Blutdruck wurde höher als jener hohe hündische Blutdruck, welcher den Wechsel von Harnrückhalte-Medikamenten für Cayenne zuallererst motiviert hatte. Selbst wenn ich meine Kritik am Biokapitalismus in einem versiegelten Flakon halten könnte, würden meine feministischen, biopolitischen Säfte aus allen Poren quellen und meine Verpflichtungen für unsere Hündin überschwemmen. Rusten, mein männlicher, menschlicher Partner, wurde tief in diesen Sorgenteich weiblicher Säugetiere hinein­ gezogen; nicht nur, weil keiner von uns große Lust hatte, in einer Pfütze zu schlafen, wenn die glatte Muskulatur der östrogenunterversorgten Harnröhre in nächtlichen Stunden in unserem Ehebett der queeren Arten unbeaufsichtigt blieb. Artenübergreifende Verwandtschaft hat Konsequenzen. Das DES-Angstsyndrom war nun unser gemeinsames und musste von unserer exzellenten Tierärztin sofort behandelt werden. Ihr Service bestand darin, uns wissenschaftliche Studien zu präsentieren und die ei-

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gene Geschichte von niedrig-dosierter, minimal-frequenter DES-Gabe an ältere Hündinnen zu erzählen. Das war die »Gesprächstherapie«, die wir brauchten – eine hohe Dosis Vernunft, Evidenz und Geschichten, wöchentlich eingenommen in Form von unheimlichen und ungehorsamen Molekülen. Aber dennoch: Meine Tierärztin ist zu jung, um mit dem Terror von DES infiziert worden zu sein, der mich befallen hatte. Und sie konnte nicht die Tochter einer jener Frauen sein, die irgendwann zwischen 1940 und 1971 DES genommen hatten; 1971 ist das Jahr, in dem ein Bericht im New England Journal of Medicine eine Verbindung zwischen DES und einem fiesen vaginalen, klarzelligen Adenokarzinom [einem Drüsenkrebs, Anm. KH] aufzeigte. Das Karzinom trat bei Mädchen und jungen Frauen auf, deren Uterus der Droge ausgesetzt worden war. Hätte meine Tierärztin dieses Wissen, würde sie anders über das denken, wovor ich Angst habe. Gesprächstherapie allein reicht möglicherweise nicht aus. Obwohl eine Doppelblindstudie der Universität Chicago Anfang der 1950er Jahre keine Hinweise dafür fand, dass sich DES nicht positiv auf die Aufrechterhaltung von Schwangerschaften auswirkte, und obwohl in den späten 1960er Jahren sechs der sieben einschlägigen gynäkologischen Handbücher feststellten, dass DES Fehlgeburten nicht verhindern konnte, wurde das Medikament drei Jahrzehnte lang häufig zur Vermeidung von Fehlgeburten verschrieben. Es wurde auch auf Unmengen geradezu komischer (aber überhaupt nicht lustiger) »Indikationen« hin verschrieben, vorschriftsmäßig und nicht-vorschriftsmäßig. Am Ende haben vielleicht allein in den Vereinigten Staaten an die 2 Millionen Frauen während der Schwangerschaft DES genommen. Wahrscheinlich kennt jede Leserin/jeder Leser dieses Kapitels Nachkommen dieser Frauen, aber vielleicht nicht ihr häufig verborgenes Leiden. Ich kenne solche Menschen und auch ihr Leiden, zumindest ein kleines bisschen. Eine außergewöhnliche Psychologin-Wissenschaftlerin-Freundin erzählte mir ihre DES-Geschichte, als ich ihr von Cayenne erzählte, die gerade einen jener Akte des Mit-Werdens vollzog, die meine Seele seit When Species Meet, oder eigentlich seit dem Cyborg-Manifest, so beschäftigen. Meine menschliche Freundin, diese menschliche DES-Tochter, war bereits eine passionierte, wenn auch allergische Bewunderin von Cayenne; sie ist eine jener BesucherInnen, die enthusiastische Darbietungen zur Spielaufforderung durch meine sehr wählerische Hün-

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din auslöste. Doch plötzlich und auf seltsame Weise überkreuzten sie sich durch ihre unerwartete DES-Verwandtschaft, nicht genealogisch, als Teil des gleichen Wurfs, wenngleich auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Durch Allergien getrennt, wurden sie durch ein anrüchiges nichtsteroides Östrogen fleischlich zusammengeführt. Mir ist klar, dass die menschliche Sheila sich selbst damit beauftragt hat, einen unheilvollen, queeren, schwesterlichen Blick auf die Gelkapseln zu haben, die ich der Hündin Cayenne gebe. Dieser wohlgesonnene, kritische, seitliche Blick wird die regelmäßigen Bluttests ergänzen, die Cayenne aushalten muss, um die Funktionsfähigkeit ihrer Blutbildungszellen und Immunfunktionen zu kontrollieren.3 Ein guter Schließmuskel ist manchmal schwer zu finden. Aus sehr guten Gründen, die mit der Geschichte der Frauengesundheitsbewegung und mit Maßnahmen zusammenhängen, die Behörden wie die US Food and Drug Administration endlich eingeleitet haben, ist DES heutzutage eine stark kontrollierte Substanz, die man nur (oder hauptsächlich) für Nichtmenschen bekommen kann. In den 1990er Jahren war die einzige zugelassene Indikation für die Gabe von DES an Menschen die Behandlung von fortgeschrittenem Prostata-Krebs bei Männern und von fortgeschrittenem Brustkrebs bei postmenopausalen Frauen; und auch dieser Gebrauch ist durch andere Medikamente ersetzt worden. Der letzte USProduzent von DES, Eli Lilly, stellte die Herstellung und Vermarktung des nicht länger profitablen Medikaments 1997 ein. Deshalb fanden Cayenne und ich uns 2011 in einer Apotheke wieder, die auf Homöopathie und die Eigenherstellung von Arzneimitteln spezialisiert ist.4 Diethylstilbestrol wurde erstmals 1938 in einem Labor der Universität Oxford synthetisiert, als die heroischen Zeiten in der Geschichte der Endokrinologie bereits dahinschwanden. Es waren Zeiten, in denen bekannte Biochemiker noch in Schlachthäusern für nichtmenschliche Tiere herumstreunten und viele Kilo Eierstöcke, Bauchspeicheldrüsen, Hoden, Nebennieren, Nieren, Hypophysen (versuchen Sie einmal Hypophysen pfund- oder kiloweise zu sammeln!) sowie andere Organe und Gewebe unterschiedlicher Tierarten einsammelten. Mit ihrer Beute wieselten sie zurück ins Labor, um die ersten kostbaren Mikrogramm natürlicher Steroide und anderer potenter Hormone zu extrahieren und dann chemisch und physiologisch zu bestimmen. Die frisch Verstorbenen in ihre Gräber zu

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verfolgen, um menschliche Körper zu sezieren, hat eine lange unheimliche Laborgeschichte von der europäischen Renaissance bis in die Gegenwart. Derzeit wären wahrscheinlich Labormäuse und ihre archivierten und kuratierten Teile die besten InformantInnen für zeitgenössische Geschichten über Organe ohne Körper und Leben nach dem Tod. Die 1930er Jahre hingegen waren eine Zeit, in der biochemische Labore routiniert darin waren, winzige Mengen chemischen Goldes aus der Schlacke von Fässern mit Urin und anderen Körpersäften, menschlichen und nicht-menschlichen, zu destillieren. DES geht nicht aus diesen stofflichen Quellen hervor, aber es gehört zu denselben quer-gebrüteten Geschichten, in denen all das, was als natürlich oder künstlich gilt, sich fortwährend durch die Erforschung und Produktion von Dingen, die »Sexhormone« genannt werden, verwandelt. Es ist kein Wunder, dass feministische Biologinnen wie ich Politik und Psyche unnachgiebig und vielgestaltig als materiell konzipieren; auf eine Art und Weise, von der Foucault nicht zu träumen gewagt hätte. Es sind diese Pfützen der nächtlichen Wissensproduktion in den Laboren, die Feministinnen erregen. In meiner Stadt kauft man also teure, krebserregende, immunsuppressive, Anämie auslösende, die glatte Muskulatur aufpumpende Moleküle namens DES als schneeweißes Pulver in Gelkapseln in einer Apotheke, die auf Homöopathie und die Eigenherstellung von Arzneimitteln spezialisiert ist, Lauden Integrative Pharmacy. »Eigenherstellung von Arzneimitteln« klingt in meinen Ohren sehr nach frühem 20. Jahrhundert, aber mir ist klar, dass die zeitnah arbeitende, scheinbar altmodische Apotheke die Brosamen bekommt, wenn große Pharmaunternehmen ein immer noch nützliches Molekül nicht mehr herstellen oder vertreiben, ein Molekül, das nicht besser ist, als es sein soll. Lauden Integrative Pharmacy verkauft jede Menge homöopathischer Substanzen für menschliche und mehr-alsmenschliche Tiere. Ich habe für Cayennes DES-Kapseln an einer Ladentheke bezahlt, die mit den Farben, Postern und Symbolen »westlicher« und »östlicher« Alternativmedizin drapiert war, alter und neuer. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass diese Szene emblematisch für die vermischten Strukturen und Affekte gegenüber den biomedizi­ nischen Technowissenschaften ist. Lauden mischt viele der chemothera-

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peutischen und anderen Medikamente, die von jener spezialisierten Tierklinik verschrieben werden, in der Cayenne und ich von einer sehr guten, beratenden Internistin und Herzspezialistin versorgt wurden, als Cayenne unter Mitralklappeninsuffizienz litt. Diese Krankheit ist auch der Grund dafür, dass der leicht erhöhte Blutdruck meiner schnellen und sport­lichen Hot Pepper nicht übergangen werden konnte. Da die Mitralklappenschwäche erneut festgestellt wurde, änderten wir die Verschreibung von dem Medi­kament Propolin® (PPA oder Phenylpropanolamin), das sie einige Jahre lang glücklich verschlungen hatte, in DES. PPA pumpt erfolgreich die glatte Muskulatur der Harnröhre auf und hält den Urin in seinem hygienischen Reservoir, damit er gut getaktet an den dafür vorgesehenen Orten gelassen werden kann. Aber unglücklicherweise wirkt PPA wahllos und spannt die arterielle glatte Muskulatur ebenfalls, was zu einem erhöhten Blutdruck führt – keine gute Idee bei einer Hündin mit einer Herzerkrankung. Zum Guten oder zum Schlechten sind Östrogene wählerischer, was das Gewebe betrifft, in das sie sich einnisten. Jede mit Brüsten – oder Brustkrebs – weiß das. Aber es war das Geschäft mit artenübergreifenden Angelegenheiten, dem ich in der Apotheke begegnete, das mich wirklich neugierig gemacht hat. Wenn ich das Angstsyndrom bekomme, werde ich in zwanghafte wissenschaftliche Eskapaden geworfen und mein DES-Angstsyndrom war hier keine Ausnahme. Urin, Harnröhren, geschädigte Herzklappen, »abnormale Schwangerschaftsergebnisse«, von Krebs verwüstete Brüste und Gebärmütter haben den artenübergreifenden organischen Stoff dieser Geschichte zur Verfügung gestellt. Bis jetzt hat sich meine Fabel auf einen Wurf Kritter konzentriert, der aus Hunden, Menschen und geschlachteten Tieren, hauptsächlich Schweinen, Schafen und Kühen, besteht. Die letzte Kategorie wird mich in die letzte Strophe meines DES-Rezitativs führen und den Wurf etwas umfangreicher machen, bevor ein nächstes Molekül die Hauptrolle übernimmt, ebenfalls ein Östrogen, das Wahlverwandtschaften re-generiert. DES war jenes Molekül, das bei den ersten experimentellen, wissenschaftlichen Nachweisen erfolgreicher Wachstumsförderung durch Hormone bei Rindern verwendet wurde. Es ist damit Teil der Geschichte jener menschlich-tierlichen Beziehungen, die Agrikultur genannt wird.5

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ForscherInnen der Universität Purdue hatten 1947 gezeigt, dass DES das Wachstum von jungen Kühen unterstützt. Dennoch hat sich die Universität nicht die Patente für die Rinder- und Schafsarbeit ihrer ForscherInnen gesichert. Die AgrarwissenschaftlerInnen hatten DES eingesetzt, da bereits Implantate für Geflügel entwickelt worden waren, für diese gefiederten Arbeitstiere in so vielen Geschichten über Massentierhaltung. 1959 verbot die Food and Drug Administration (FDA) den Einsatz von DES für die Wachstumsförderung bei Hühnern und Lämmern und 1979 in allen Futtermitteln. Aber von 1954 bis in die frühen 1970er Jahre wurde DES regulär als Wachstumshormon in der Rindfleischbranche verwendet. Die Agrarindustrie und die universitäre Agrarwissenschaft (speziell das Iowa State College) waren enge Partner bei der Erforschung seiner Anwendung. Der landwirtschaftlich-industrielle Komplex hatte seinen jugendlichen Wachstumsschub in der Nachkriegszeit. 1953 beantragten das Iowa State College und Wise E. Burroughs ein Patent für orales DES für Rinder, das 1956 bestätigt wurde. 1972 nahm die FDA orales DES für Rinder vom Markt (1973 dann Implantate). DES-Rückstände in Rinderlebern und menschliche DES-Töchter kamen zusammen, sodass die Droge vom legalen Landwirtschaftsmarkt verschwand, trotzdem gelangen noch immer Geschichten über ihre illegale Nutzung ans Tageslicht. Aber der Kern der Geschichte ist nicht DES als solches. Die eigentliche Geschichte ist die des gnadenlosen Aufstiegs von Wachstumshormonen der nächsten molekularen Generation, die integraler Bestandteil des ökosystemzerstörenden, menschliche und tierische Arbeit transformierenden, die Seelen vielerlei Spezies verstümmelnden, Epidemien anziehenden, Monokulturen von Getreide befördernden, artenübergreifend herzzerreißenden industriellen Rindermastbetriebs sind. Plötzlich kann ich auch nicht mehr vergessen, dass 1947 junge Kühe ebenfalls DES-Töchter wurden und dass Rindersöhne scharenweise folgten. Der vergrößerte CyborgWurf ist überdimensioniert. Meine Urinpfützen tröpfelnde Hündin, Tochter einer Hundefamilie, die vor den Zeiten von DES für ihre Fähigkeiten beim Hüten von Rindern bekannt war, führt unausweichlich zu Mastbetrieben, Schlachthöfen und damit zu unseren unerfüllten Verpflichtungen mit Blick auf landwirtschaftliche, Tiere und Menschen betreffende, öko-

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logische Agenden. Einmal mehr: eine Responsabilität, die erst noch kommen muss. In art-genössischer Verweltlichung verlangt das Mit-Werden den Wurfgeschwistern viel ab.

Verwandtschaft konjugieren mit Premarin Konjugieren (conjugating)6 handelt vom Verbinden. Konjugale Liebe ist eine vereinte Liebe; konjugierte chemische Verbindungen fügen zwei oder mehr Bestandteile zusammen. Menschen konjugieren in öffentlichen Räumen, sie verbinden sich quer über Raum und Zeit, um signifikante Dinge passieren zu lassen. SchülerInnen konjugieren Verben, um die in Verbindung stehenden Tonfälle von Person, Zahl, Geschlecht, Art, Stimme, Stimmung, Position, Zeit und Aspekt in einem Kräftefeld materiell-semio­ tischer Bedeutungsherstellung zu erkunden. Um mehr über das Verbinden zu lernen, konjugieren Sie »konjugieren«. Und nun das Gleiche mit Östrogen. Konjunktivitis ist eine Irritation der Bindehaut, jener Schleimhaut, die das Augenlid innen auskleidet. Was könnte Konjunktivitis mit Blick auf die riechenden, flüssigen Mixturen aus konjugierten Östrogenen bedeuten, zum Beispiel für die bunte Mischung natürlich vorkommender, aber nicht-menschlicher Östrogene, die aus dem Urin schwangerer Stuten aufbereitet wird, um lukrative Pillen für große Pharmaunternehmen zu produzieren? Und die vielen Frauen ermöglichen, darüber zu entscheiden, ob sie Kinder bekommen möchten oder nicht, ihnen erlauben, Hitzewallungen und den Verlust von Knochenmasse auszuhalten, oder ihr Krebsoder Herzkrankheitsrisiko erhöhen oder senken? Oder dafür, dass »unsere Körper, unser Leben« Stuten und ihre Fohlen (und ein paar Hengste) enthält, mit all den politischen und ethischen Konsequenzen dieser Konjugation? Konjugierte Östrogene handeln vom konsequenzreichen Verbinden von Molekülen und Arten. Der Moby Thesaurus schlägt ein Synonym für Konjunktion vor, das einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt: Konglobation (conglobulation, Zusammenballung).7 Das ist es, was ich mit Pferden, Menschen, Urin und Herzen, die mit Premarin konjugiert werden, vorhabe.

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Es war einmal, da war ich auf den tierindustriellen Komplex angewiesen, weil ich glaubte, während der Menopause Östrogen zu brauchen, um in meiner Familie häufig vorkommende Herzkrankheiten abzuwenden. Deshalb nahm ich ausgerechnet ein natürlich konjugiertes Östrogen namens Premarin (gemischt mit einem Progestin zur Hormonersatztherapie), das durch wiederholte Schwangerschaften und Langzeitgefangenschaft von Stuten aus Pferdeurin gewonnen wurde.8 Und jetzt gebe ich meiner Hündin aufgrund ihrer Herzerkrankung und ihrer häuslichen Lebensweise ein synthetisches Östrogen mit einer schrecklichen MenschRind-Geschichte, um ihre Inkontinenz zu kontrollieren. (Es funktioniert.) Oh Cayenne, Hündin meines Herzens, eine menschliche Vorliebe für Ironie wird uns nicht durch diese art-genössischen Beziehungen bringen, durch diese Mahlzeiten situierter Moleküle und einer unbedingt erforder­ lichen Responsabilität, die noch kommen muss. Obwohl ich ein Leben lang feministische Wissenschaftsforscherin und Tierliebhaberin war, ist mein menopausales Selbst irgendwie daran gescheitert, genug über die schwangeren Stuten und ihre Wegwerf-Fohlen zu wissen. Hatte ich es vergessen, nie gewusst, nicht hingesehen – oder war es mir einfach egal? Welche Art Konjunktivitis war das? Soziale Bewegungen für das Wohlergehen von Tieren hatten diese Pferde sehr wohl bemerkt und ihretwegen einen großen Wirbel gemacht. Diese Bewegungen waren voller feministischer Frauen und Männer. Warum war nicht auch ich involviert? War es erst, nachdem sich herausgestellt hatte, dass HRT mein Herz eher schädigen als beschützen würde, dass die Pferde in meinen Gesichtskreis traten? Ich kann mich nicht erinnern. Marx hat alles darüber verstanden, wie privilegierte Positionen das Wissen über die Bedingungen der eigenen Privilegien blockieren. Dies wussten auch diejenigen, die die feministische Standpunkt-Theorie erneuert haben, die Gründerinnen der Frauengesundheitsbewegung und all jene DenkerInnen und AktivistInnen, die die Bewegungen für Tierwohlergehen geformt haben, das heißt: meine FreundInnen, KameradInnen und KollegInnen, lange bevor ich in der Menopause war. Dennoch gelang es mir, die Arbeitsbedingungen, unter denen diese erwachsenen Pferde so lange geschuftet hatten, nicht wahrzunehmen und noch weniger über das Schicksal der überschüssigen Fohlen zu wissen. Ich aß pferdisch konjugiertes Östrogen; ich trank buchstäblich konzent-

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rierten Stutenurin; aber ich habe nicht gut mit den Pferden selbst konjugiert. Scham ist ein Anstoß für lebenslanges Neudenken und Neuherstellen der eigenen Rechenschaften! 1930 führte die Zusammenarbeit zwischen einem kanadischen Phar­ maunternehmen und einem Endokrinologen der McGill-Universität zur Entwicklung des ersten oral wirksamen, wasserlöslichen, konjugierten Östrogens namens Emmenin®.9 Emmenin® wurde aus dem Urin kanadischer Frauen im Spätstadium ihrer Schwangerschaft gewonnen, aber Überlegungen zur Versorgungssicherheit brachten ForscherInnen und Unternehmen dazu, nach einer üppigeren und leichter verfügbaren Quelle bei Säugetieren zu suchen. Obwohl sie bezahlt wurden und das Geld brauchten, waren die schwangeren Frauen weder sehr lange mit den Auffangbeuteln glücklich, noch konnten sie auch nur annähernd so viel pinkeln, um ihre Schwestern ausreichend mit Hormonen zu versorgen. Deutsche Forscher studierten zur gleichen Zeit wasserlösliches Östrogen im Urin von Zebras und Pferden im Berliner Zoo. 1939 führte die Pharmafirma ­Ayerst ein Verfahren ein, das stabile Konzentrationen aus Stutenurin gewährleistete. Als Ergebnis eines Extraktions- und Konzentrationsprozesses über mehr als hundert Stufen wurde Premarin 1941 in Kanada auf den Markt gebracht. Die Pferde, die jeweils für viele Monate im Stall gehalten wurden und an Auffangbeuteln hingen, waren anfangs Leiharbeiterinnen von Landwirtschaftsbetrieben aus Quebec und das Produkt wurde in Montreal hergestellt. Wegen der hohen Nachfrage, die sich aus der zunehmenden Verschreibung von Hormonen in der Menopause ergab, und wegen sukzessiver Firmenübernahmen in der Pharmaindustrie zog die Produktion aber schließlich in die weitläufigen westlichen Prärien Kanadas um, mit einer neuen Verarbeitungsanlage in Manitoba. 1997, ungefähr zehn Jahre nach Beginn meiner Menopause in den späten 1980er Jahren, war Premarin das am häufigsten verschriebene Medikament in den Vereinigten Staaten mit Verkaufszahlen von 2 Milliarden Dollar im Jahr 2002.10 Bis 2011 wurde der Wirkstoffkomplex in über dreitausend wissenschaftlichen Studien untersucht und ist damit die am besten erforschte Östrogentherapie der Welt. Bis 2002 hatten Daten, die im Kontext der Frauengesundheitsinitiative gesammelt worden waren, endgültig belegt, dass die Östrogene Herzkrankheiten nicht vorbeugen konn-

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ten. Vielmehr hatte sich sogar ein positiver Zusammenhang mit erhöhtem Auftreten von Blutgerinseln, Schlaganfällen, Herzinfarkten und Brustkrebs gezeigt. Der Verkauf von Premarin fiel rasch  – von einem hohen Niveau aus. Nicht länger gebrauchte pferdische Arbeiterinnen kamen ins Schlachthaus – viele von ihnen. Von der Produktion abhängige Vertragslandwirte gingen Pleite. Pharmaunternehmen waren in Aufruhr. Frauen waren besorgt. Ich weiß das. Obwohl im Umfang reduziert, ist das Ernten des Urins schwangerer Stuten immer noch ein weltweites Geschäft und Premarin ist ein häufig verschriebenes und profitables Produkt. Gegenwärtig hat der Pfizer-Konzern, der Wyeth-Ayerst 2009 aufkaufte, Verträge mit einem Dutzend Pferdehöfen, hauptsächlich im Westen Kanadas. 2003 gab es in Manitoba über vierhundert Wyeth-Ayerst-Vertragshöfe, die PMU (pregnant mare urine) lieferten. Mit der Reorganisation der Industrie, die auf die Krise der Premarin-Verschreibungen folgte, stieg der Profit pro PMU-Stute zwischen 2003 und 2007 – und zwar erheblich. Das North American Equine Ranching Information Council (NAERIC) ist eine engagierte und anspruchsvolle Branchenvertretung, die Geschichte und aktuelle Praktiken der PMU-Landwirtschaft im besten Licht präsentiert.11 Die NAERIC-Webseite enthält eine »Vier Jahrzeiten«-Erzählung mit schönen Bildern des jährlichen Lebenszyklus der Pferde auf idyllischen Höfen, die für das Tierwohl angeblich sorgfältig reguliert und inspiziert werden. Die Seite erzählt, dass die Stuten die Zeit vom Herbst bis zum Frühlingsanfang in ihrem »bequemen«, eigenen Stall zubringen, angeschlossen an einen »leichten, flexiblen Beutel, der mit Gummibändern an der Decke befestigt ist« und die ganze Bandbreite an Bewegungen erlaubt, auch das Niederlegen. Die Pferde haben Zugang zu genügend Wasser – das ist eine große Veränderung gegenüber den Zeiten vor der Reform, als die Nachfrage nach konzentriertem Urin wichtiger war als der Durst der Pferde, mit vorhersehbaren medizinischen Folgen für sie. Im »Equine Veterinarians’ Consensus Report on the Care of Horses on PMU Ranches« kommen internationale Tierärzte- und Tierschutz-Verbände, die die Pferdehöfe überprüfen, zu dem Ergebnis, dass nach einer Untersuchung 1995 vielerlei Reformen große Verbesserungen im Leben der Pferde bewirkt haben. »Die Öffentlichkeit kann sicher sein, dass Pflege und Wohl der Pferde, die an der Produktion von Östrogenersatzmedika-

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menten beteiligt sind, gut sind und engmaschig beobachtet werden.«12 Der Bericht ist auf der NAERIC-Seite abrufbar. Ortsbegehungen auf einigen Farmen, die von HorseAid 1999 durchgeführt wurden, fanden sehr viel weniger befriedigende Bedingungen vor, als NAERIC behauptet; selbst wenn man gewillt ist, Richtlinien als gut genug für Pferde zu akzeptieren, die die Frage körperlicher Betätigung dem Ermessen der unter Druck stehenden Bauern überlassen, die für die Winter der nördlichen Prärien über keine Reithallen verfügen.13 Eingesperrte Stuten bewegen sich zu wenig, sie essen zu viel, sie werden fett, sie bekommen schlechte Füße – das klingt für mich nach arbeitenden Geschlechtsgenossinnen quer durch die Arten. Die Vertragsfarmer befinden sich am unteren Ende der mit dem Urin schwangerer Stuten generierten finan­ ziellen Nahrungskette, wie auch die Farmer von Masthühnern und anderer industrieller Tierprodukte. Sie haben kaum Spielraum für kostspielige Veränderungen in den Pflegepraktiken. 2011 wurden auf 26 PMU-Höfen etwa 2.000 NAERIC-Fohlen geboren, unter anderem Zugpferde, Reitpferde und Sportpferde. Die Fohlen wurden größtenteils an Familien oder Pferdeschauen verkauft. Seit 1998 wurden etwa 49.000 Pferde bei NAERIC registriert. Besser gezüchtete Fohlen sind profitabler, daher werden nun weniger Fohlen geschlachtet oder gehen in das Rettungs- und Adoptionssystem ein. Heutzutage ist der Verkauf des Urins schwangerer Stuten nicht mehr die einzige Einnahmequelle der Landwirte, sie »leben vom Verkauf der Fohlen genauso wie vom gesammelten Urin der schwangeren Stuten. Viele der Höfe verwenden Webseiten und Formen der Werbung, die identisch sind mit denen von Züchtern, die nicht mit Premarin in Zusammenhang stehen; sie sind fast nicht mehr vom durchschnittlichen Pferdezüchter zu unterscheiden.«14 Die Reformen, die von NAERIC beworben werden, sind TierrechtsaktivistInnen, Frauengesundheitsgruppen und Pferde-Interessengemeinschaften zu verdanken. HorseAid war 1986 die erste Tierrechtsorganisation, die mit praxisbezogenen Vor-Ort-Untersuchungen die Haltebedingungen auf den PMU-Höfen und die Risiken der HRT-Medikation für Frauen recherchierte. Die vernichtenden Ergebnisse wurden 1988 in Papierform und 1994 im Internet publiziert; mit Grafiken und Details über die Praktiken auf den Höfen und in der Industrie und medizinischen Daten über

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die Menschen.15 1995, sieben Jahre nach dem HorseAid-Report, gründete sich NAERIC, um für Reformen und eine »humane« Behandlung von PMU-Pferden einzutreten. Aber Reformen waren und sind nicht das letzte Ziel von HorseAid oder auch von Organisationen wie dem International Fund for Horses. Beide Gruppen streiten dafür, dass alle PMU-Farmen geschlossen werden, da dort das monatelange Einsperren von schwangeren Pferden, wie »bequem« auch immer (das heißt: sich sechs Monate lang in einer Box aufzuhalten, die zweieinhalb Meter lang, ein Meter breit und anderthalb Meter hoch ist), und das Schlachten jener Stuten weitergeht, die nicht schwanger werden.16 Da eine größere Bandbreite synthetisch oder aus Pflanzen gewonnener Hormone verfügbar ist, erhöht sich der Druck, die PMU-Bewirtschaftung zu beenden. HorseAid schätzte, dass auf allen PMU-Höfen im Jahr 2002 insgesamt etwa 15.000 »überschüssige« Fohlen geschlachtet wurden. Durch den Rückgang des Premarin-Verkaufs seit 2002, die Auflösung von Verträgen mit Farmen und eine stärker marktorien­tierte Produktion von Fohlen, ist die Zahl inzwischen sehr viel niedriger, sie könnte aber null betragen.17 HorseAid hat sich immer deutlich für Frauengesundheit und für das Wohl der Pferde eingesetzt. Die Berichte haben die Schwierigkeiten von Höfen und Landwirten im System der Agraindustrie berücksichtigt, in dem es so brutal geworden ist, sich den Lebensunterhalt mit Landwirtschaft zu verdienen. Dieser Fakt allein eröffnet aber noch keine Perspektiven darauf, wie das Aufziehen von Pferden in den nördlichen Prärien so realisierbar wäre, dass ökonomisches und ökologisches menschlich-tierisches Wohl­ergehen im Zentrum stehen; das sollte kein leeres Ziel sein.

Virale Responsabilität Es gibt keine Unschuld in dieser Art Verwandtschaftsgeschichten; die Rechenschaftsnetze sind umfangreich und immer unvollständig. Tatsächlich bedeutet Verantwortung zu übernehmen in und für jene Verweltlichungen, die in diesen Geschichten auf dem Spiel stehen, die Kultivierung einer viralen Responsabilität; einer Responsabilität, die Bedeutungen und Mate-

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rialien zwischen den Arten hin und her trägt, um Prozesse und Praktiken zu infizieren, die Epidemien einer artenübergreifenden Wiederbelebung anstoßen könnten; vielleicht sogar das Gedeihen auf Terra in alltäglichen Zeiten und Orten. Nennen Sie das Utopie; nennen Sie es, die verachteten Orte zu bewohnen; nennen Sie es Berührung; nennen Sie es einen sich rasch wandelnden Virus der Hoffnung; oder das sich weniger rasch wandelnde Bemühen, verstört und unruhig zu bleiben. Mein Slogan aus den 1980er Jahren, »Cyborgs für irdisches Überleben«, resoniert weiterhin mit der Kakofonie aus Lärm und Wut, die ein sehr großer Wurf, aufgezogen in geteiltem, aber nichtmimetischem Leid, erzeugt. Ein Wurf, der Bewegungen für ein kommendes Gedeihen anstößt. Cayennes Urintropfen nachgehend gelangten wir in meiner DES-Geschichte an weit entfernte Orte und immer tiefer hinein in eine sich vergrößernde Konglobation aus miteinander in Verbindung stehenden, Körper und Subjekte produzierenden Apparaten: Forschung, Marketing, Medizin und Veterinärmedizin, Aktivismus, Landwirtschaft und Universitäten. Digitale und molekulare Gattungen wetteiferten mit Harnröhren und Vaginen um Aufmerksamkeit. Weibliche Wesen in Schwierigkeiten schienen überall reichlich vorhanden zu sein; selbst industriell synthetisierte Moleküle wurden von dem Köder (in dieser Geschichte war er nicht-reproduktiv) der sexuellen Tropismen angezogen, trotz Dekaden klugen feminis­tischen Misstrauens gegenüber sogenannten Sexualhormonen. Die Cyborgs lachten. Bekommen Cyborgs Mitralklappeninsuffizienz oder kommen in die Menopause? Ja natürlich, genau wie ihre Verwandten. Beziehungen intimer Sorge, die eine Frau und einen Hund verbinden, tobten viral in allen möglichen Arten von Öffentlichkeit herum. Blanke Ansteckung. ArtGenossInnen infizieren einander andauernd. Körperliche, ethische und politische Verpflichtungen sind infektiös oder sollten es sein. Bevor meine Hündin und ich dieser Geschichte entkommen konnten, waren wir in nicht selbstgewählter Gesellschaft von – und deshalb auch verantwortlich für sie – jungen Kühen in Laboren, Rindern in Mastbetrieben, schwangeren Frauen an sehr verschiedenen Orten, Töchtern und Söhnen und Enkelinnen und Enkeln von einst schwangeren Frauen, wütenden und gut informierten Frauengesundheitsaktivistinnen, Hunden mit Herzkrankhei-

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ten und Scharen anderer sterilisierter, tröpfelnder Hündinnen mit ihren Leuten, in Tierkliniken und Betten. In meiner Premarin-Geschichte schienen alle AkteurInnen in Fässern kanadischen Pferdeurins gebadet zu sein, das einzige Ding, das die viral explodierenden, verletzlichen Gattungen dieser Fabel zusammenzuhalten schien. Die Reise einer registrierten Schutzmarke durch Körper, die ich im Bedürfnis, Responsabilität herzustellen, zusammengebracht habe, versammelte eine ziemlich buntscheckige Gruppe sterblicher Wesen: Kalbsföten, denen das Fruchtwasser entzogen wurde; urinierende, schwangere, kanadische Frauen; schwangere Stuten, ihre Fohlen und Partner in Manitoba und darüber hinaus; AktivistInnen für Pferderettung und Frauengesundheit; ökonomisch unter Druck stehende Vertragsbauern; eine kalifornische Frau in der Menopause, die sich um in der Familie auftretende Herzkrankheiten sorgte, in Gesellschaft einer zahlungskräftigen, marktreifen Menge anderer menopausaler Amerikanerinnen; Zebras in den deutschen Zoos der 1930er Jahre. Big Pharma, Big Agrobusiness und Big Science stellten reichlich Dramatik und Bösewichte zur Verfügung, gaben aber auch vielerlei Gründe, sich der Bösartigkeit nicht mehr ganz so gewiss zu sein, sondern sie zum Anlass zu nehmen, die Komplexität von CyborgVerweltlichungen zu erkunden. Jede Speisende mit einem familiär hohen Risiko für Herzversagen, die in ihrem späteren Leben gefährliche und berühmt-berüchtigte Östrogene zu sich nimmt, ist schlussendlich das, was diese Fabel konjugiert, verbindet: die Cyborg-Autorin und die Hündin ihres Herzens. Cum panis, ArtGenossinnen, weibliche Exemplare zweier Gattungen (zusammen mit ihren Mikrobiomen aus zigtausenden Spezies), gemeinsam an einem Tisch, in verschiedenen Jahrzehnten, Auszüge dubioser Östrogene in Selbstsorge und in Sorge für einander schlürfend. Warum solche Geschichten erzählen, wenn es immer nur mehr Öffnungen und keine Quintessenz gibt? Weil es ziemlich endgültige Responsabilitäten gibt, die von solchen Geschichten bekräftigt werden. Es ist keine Neuigkeit mehr, dass Firmen, Bauernhöfe, Kliniken, Labore, Haushalte, Wissenschaften, Technologien und artenübergreifende Lebensvollzüge in multiskalaren, multitemporalen und multimaterialen Verweltlichungen verflochten sind; aber die Details sind von Gewicht. Es ist

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das Detail, das wirkliche Wesen mit wirklicher Responsabilität verknüpft. Jedes Mal, wenn eine Geschichte mir hilft, mich an etwas zu erinnern, das ich geglaubt hatte, bereits zu wissen, oder wenn sie neues Wissen hinzufügt, macht jener Muskel, der entscheidend für die Sorge um das Gedeihen ist, Gymnastik. Solche Gymnastik verstärkt kollektives Denken und kollektive Bewegung. Jedes Mal, wenn ich ein Gewirr nachzeichne und ein paar Fäden hinzufüge, die zuerst kapriziös aussahen, sich dann aber als unverzichtbar für die Textur erweisen, wird mir klarer, dass die Devise des gemeinsamen guten Lebens und Sterbens auf der Erde lautet, im Herstellen komplexer Welten unruhig zu bleiben. Dass ich Premarin gegessen habe, steigert meine Verantwortung für das Wohlergehen von Landwirten, für die Ökologie der Prärien des Nordens, für Pferde, für AktivistInnen, für WissenschaftlerInnen und Frauen mit Brutkrebs. Meiner Hündin DES zu geben, macht mich für Geschichten und aktuelle Möglichkeiten anders verantwortlich, als wenn wir nicht in Verbindung mit diesem Molekül unsere Verwandtschaft geformt hätten. Vielleicht hat die Lektüre dieses Kapitels auch Konsequenzen für das Konzept der Responsabilität. Wir sind alle verantwortlich dafür, die Bedingungen für artenübergreifendes Gedeihen angesichts fürchterlicher Geschichte/n zu gestalten, aber nicht alle auf die gleiche Art und Weise. Die Unterschiede sind von Gewicht – in Ökologien, Ökonomien, Arten, Lebensvollzügen.

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Kapitel 6

Welten säen. Eine Tüte Samen für das Terraforming mit irdischen Anderen

»Ist dir klar«, wird der Phytolinguist zum Kunstkritiker sagen, »dass sie damals nicht einmal Auberginen lesen konnten?« Und sie werden unsere Ignoranz belächeln, während sie ihre Rucksäcke schultern und zur Nordseite von Pike’s Peak wandern, um dort die neu entzifferte Lyrik der Flechten zu lesen. Ursula K. LeGuin, »The Author of the Acacia Seeds«

In den 1980er Jahren, der Epoche von Reagans Star Wars-Unternehmungen, trug ich einen Slogan vor mir her, der lautete: »Cyborgs für irdisches Überleben!« Die erschreckenden Zeiten von George H. W. Bush und den Zweit-Bushes haben mich dazu bewogen, den Slogan zu wechseln, und zwar zu solchen, die ich von Schutzhund-TrainerInnen entwendet habe: »Run Fast, Bite Hard!« (»Lauf schnell, beiß fest zu!«) und »Shut Up and Train!« (»Halt den Mund und übe!«). Mein aktueller Slogan ist: »Bleib unruhig!« Aber in all diesen Verknotungen und speziell jetzt, wo/wann auch immer sich dieser wirkmächtige und geräumige Zeitort befindet, brauchen wir eine winterharte und dreckige Art von Weisheit. Angeleitet von Art-GenossInnen aus unzähligen irdischen Reichen in all ihren Zeitorten müssen wir unsere Seelen und unsere Heimatwelten auf einem verletzlichen Planeten, der gerade noch nicht umgebracht wurde, neu säen; damit sie gedeihen können – wieder gedeihen oder auch zum ersten Mal gedeihen.1 Wir müssen nicht nur neu säen, sondern uns auch wieder mit all den fermentierenden, anstiftenden und Nährstoffe bereitstellenden Assoziierten impfen, die alle Samen brauchen, um wachsen zu können. Eine Rückgewinnung ist immer noch möglich, aber nur in artenübergreifenden Bündnissen, quer zu den tödlichen Trennungen von Natur, Kultur und Technologie oder von Organismus, Sprache und Maschine.2 Die feministische

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Cyborg hat mich das gelehrt; die humanimalischen Welten von Hunden, Hühnern, Schildkröten und Wölfen haben mich das gelehrt; und in flüchtigen, pilzartigen, mikrobischen, symbiogenetischen Kontrapunkten lehren mich das die Akazienbäume Afrikas, der Amerikas und der pazifischen Inseln, mit ihren Ansammlungen von GenossInnen quer durch alle Taxa. Welten zu säen handelt davon, die Geschichte der Art-GenossInnen für weitere ihrer beharrlichen Vielfalt und für mehr ihrer drängenden Probleme zu öffnen. Um situierte, endliche, virale Arten von Weisheit zu erforschen, müssen wir uns Ursula K. Le Guin und Octavia Butler zuwenden.3 Es ist von Gewicht, welche Geschichten wir erzählen, um andere Geschichten zu erzählen; es ist von Gewicht, welche Konzepte wir denken, um andere Konzepte mitzudenken. Es ist von Gewicht, wo/wie Ouroboros seine Fabel wieder verschluckt. So kommt die Verweltlichung in Drachenzeit mit sich klar. Das sind so einfache und so schwierige Koans.4 Wir werden sehen, welche Art Nachkommen (get) sie werfen. Le Guin, die die Drachen gut studiert hat, lehrte mich die Tragetaschentheorie von fiktiven und von Naturkulturgeschichten.5 Ihre Theorien und ihre Geschichten sind geräumige Taschen, um Stoffe des Lebens zu sammeln, zu tragen und zu erzählen. »Ein Blatt eine Kalebasse eine Muschel ein Netz eine Tasche eine Schlinge ein Sack eine Flasche ein Topf eine Schachtel ein Behälter. Ein Halter. Ein Rezipient.«6 So große Teile der Erdgeschichte sind in der Knechtschaft der Fantasie erster schöner Worte und Waffen, erster schöner Worte als Waffen (und umgekehrt) erzählt worden. Werkzeug, Waffe, Wort: Das ist das fleischgewordene Wort als Abbild des Himmelsgottes; das ist der Anthropos. Das ist eine tragische Geschichte mit nur einem wirklichen Akteur, mit nur einem wirklichen Weltenmacher, dem Helden; das ist die maskulin menschenmachende Erzählung des Jägers, der aufbricht, um zu töten und die schreckliche Beute zurückzubringen. Es ist die messerscharfe, kampfbereite Fabel der Aktion, die das Leiden klebriger, im Boden rottender Passivität über das Erträgliche hinaus stundet. Alle anderen in dieser dummen, phallischen Geschichte (prick tale) sind Requisiten, Gelände, Raum der Spielhandlung oder Opfer. Sie sind egal; es ist ihre Aufgabe, im Weg zu sein oder der Weg zu sein, der Kanal zu sein oder überwunden zu werden,

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aber sie sind selbst keine Reisenden und auch nicht der Erzeuger. Das Letzte, was der Held hören möchte, ist, dass seine schönen Worte und Waffen ohne eine Tasche, ohne ein Behältnis, ohne ein Netz wertlos sind. Dennoch sollten kein Abenteurer und keine Abenteurerin ihr Heim ohne Sack verlassen. Wie sind nur eine Schlinge, ein Topf, eine Flasche so plötzlich in die Geschichte geraten? Wie halten so bescheidene Dinge die Geschichte am Laufen? Oder vielleicht, noch schlimmer für den Helden: Wie kommt es, dass diese konkaven, ausgehöhlten Dinge, diese Löcher im Sein, von Beginn an reichere, eigenwilligere, vollere, unpassendere, länger andauerndere Geschichten hervorgebracht haben? Geschichten, in denen zwar Raum für den Jäger ist, aber in denen es nicht um ihn ging und geht, den sich selbst produzierenden Menschen, die maskulin menschenmachende Maschine der Geschichte. Die leichte Höhlung der Muschel, die nur ein kleines bisschen Wasser bewahren kann, nur ein paar Samen, die verteilt oder empfangen werden möchten, gibt Geschichten des Mit-Werdens ein, von reziproker Anregung, von Art-GenossInnen, deren Aufgabe im Leben und Sterben nicht darin besteht, das Erzählen und die Verwelt­lichung zu beenden. Mit einer Muschel und einem Netz hat das Menschwerden, das Humuswerden, das terrestrisch Werden eine andere Gestalt – die sich seitlich windende Schlangengestalt des Mit-Werdens. Le Guin versichert allen von uns, die misstrauisch gegenüber ausweichenden, sentimentalen Holismen und Organizismen sind: »Lasst euch das gesagt sein, ich bin kein unagressives oder unkämpferisches menschliches Wesen. Ich bin eine alternde, wütende Frau, die ihre Handtasche schwingt, um Ganoven abzuwehren […]. Das ist einfach eines dieser verdammten Dinge, die du tun musst, um weiterhin Flughafer sammeln und Geschichten erzählen zu können.«7 Es gibt Raum für Konflikte in Le Guins Geschichte, aber ihre Tragetaschennarrative sind auch voll mit Dingen, die in wunderbare, unordentliche Fabeln eingesponnen sind; Fabeln, die nützlich fürs Weitererzählen oder Wiedersäen von Möglichkeiten des Weitermachens im Jetzt, aber auch in der Tiefe der Erdgeschichte sind. Manchmal scheint es, als würde diese [heroische] Geschichte an ihr Ende kommen. Damit das Geschichtenerzählen nicht aufhört, denken manche von uns, hier draußen im Flughafer, mitten im fremden Getreide, dass wir besser anfan-

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gen sollten, eine andere Geschichte zu erzählen, eine, mit der die Leute weitermachen können, wenn die alte vorbei ist. […] Deshalb suche ich mit einer gewissen Dringlichkeit Wesen, Subjekt und Wörter einer anderen Geschichte, einer noch nicht erzählten, einer Geschichte des Lebendigen.8

Octavia Butler weiß alles über die nicht erzählten Geschichten, über diejenigen, die eine geflickte Samentasche und einen reisenden Säer brauchen, um nach den Katastrophen dieser Geschichte der Schärfe eine Kuhle für Wachstum auszuheben. In Die Parabel vom Sämann wächst die hyperempathische Lauren Oya Olamina, ein US-Teenager, in einer Gated Community in Los Angeles auf. Oya, die Mutter der Neun, ist wichtig im Santeria der Neuen Welt, in katholischen Marienkulten und im Yoruba. Sie ist die Orisha des Flusses Niger, mit seinen neun Seitenarmen, seinen neun Tentakeln, die die Lebendigen und die Toten ergreifen. Sie ist eine der chtho­ nischen Wesen mit Tausend Namen. Sie ist unter denen, die eine dauerhafte Zeit namens Chthuluzän hervorbringen. Wind, Schöpfung und Tod sind Oyas Kennzeichen und Kräfte für Verweltlichungen. Olaminas Segen und Fluch war ihre schicksalhafte Fähigkeit, das Leiden aller lebendigen Wesen zu fühlen – die Folge einer Droge, die ihre süchtige Mutter während der Schwangerschaft genommen hatte. Nach der Ermordung ihrer Familie verließ die junge Frau eine zerstörte und sterbende Gesellschaft und begab sich mit einer zusammengewürfelten Schar Überlebender auf Reisen, um eine neue Gemeinschaft zu säen, die in einer Religion namens Earthseed (Erdensaat) wurzelte. Im Erzählbogen einer geplanten Trilogie (Die Parabel des Tricksters wurde nicht vor ihrem Tod fertiggestellt) hatte sich Butler vorgestellt, dass Earthseed am Ende in einer neuen Heimat unter den Sternen prosperieren würde. Aber Olamina gründete die erste Earthseed-Gemeinde in Nordkalifornien; und genau hier und an anderen Orten von Terra müssen auch meine Erkundungen des Neuaussäens von heimatlichen Welten bleiben. Es ist diese Heimat, in der Butlers Lektionen mit besonderer Grausamkeit Anwendung finden. In den Parabel-Romanen »ist Gott Veränderung« und die Leute von Earthseed lehren, dass die Samen des irdischen Lebens verpflanzt werden können, damit sie sich an alle möglichen unerwarteten und stets gefährlichen Orte und Zeiten anpassen und dort gedeihen können. Merke: »kön-

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nen«, nicht »müssen« oder »sollen«. Butlers gesamtes Werk als SF-Autorin ist auf das Problem zerstörten und verwundeten Gedeihens fixiert und nicht einfach auf das Überleben – im Exil, in der Diaspora, in der Verschleppung, im Abtransport. Das sind die irdischen Geschenke und Lasten der Nachkommen von SklavInnen, Geflüchteten, ImmigrantInnen, Reisenden und Indigenen. Es ist eine Last, die nicht abfällt, wenn man sich niederlässt. Mein eigenes Schreiben im SF-Modus9 funktioniert und spielt nur auf der Erde, im Sumpf von Cyborgs, Hunden, Akazienbäumen, Ameisen, Mikroben, Pilzen und all ihren Verwandten und Nachkommen (get). Mit jenem Bauchzwicken, das mit Etymologie einhergeht, erinnere ich mich daran, dass kin (Verwandtschaft) mit dem g-k-Wechsel der indoeurpäischen Cousinen zu gen wurde und dann zu get (Nachkommen). Als Abkömmlinge von Terra schlängeln wir uns auch als den Bäumen Verwandte – als verwehte Nachkommen – durch eine infizierte und samentragende Generation nach der anderen, eine verwegene, schmutzige Art nach der anderen. Um Samen zu säen, wird ein Medium, Erdreich, Materie, Murmeln (mutter), Mutter gebraucht. Diese Wörter interessieren mich mit und für den Aufmerksamkeitsmodus des SF-Terraformings sehr. Im feminis­ tischen SF-Modus ist Materie niemals »einfach nur« ein Medium für den »informierenden« Samen. In der terrestrischen Tragetasche finden Verwandte und Nachkommen (kin and get) einen viel reicheren Umgang und Verkehr für Verweltlichung vor. Das englische matter ist ein kraftvolles, geistreich-körperliches Wort, die Matrix und Generatrix von Dingen, der flussartigen Generatrix Oya verwandt. Man braucht nicht tief zu graben oder weit zu schwimmen, um zu matter als Ursprung, als Grund und Begründung, als Fluss und Wandel (flux), als stoffliche Konsequenz zu kommen – dasjenige, aus dem die Dinge kommen, eine Generatrix, die gleichzeitig flüssig und fest, mathematisch und fleischlich ist. Mit der Betonung auf timber10 als einem Klang des Wortes Materie sind wir bei einem harten Holzkern (auf Portugiesisch: madeira). Materie als Holz bringt mich zu Le Guins Das Wort für Welt ist Wald. Es wurde 1976 als Teil der HainishSaga veröffentlicht, einer Reihe von Erzählungen für und über verstreute einheimische und koloniale Wesen, die in einen Kampf zwischen imperialistischer Ausbeutung und Chancen für artenübergreifendes Gedeihen

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verwickelt sind. Die Geschichte spielt auf einem anderen Planeten und ähnelt sehr jener Fabel über koloniale Unterdrückung im Namen von Pazifizierung und Extraktion auf Pandora, die James Camerons Kassenschlager Avatar 2009 übernahm. Nur ein Detail unterscheidet sich deutlich: In Le Guins Fassung gibt es keinen reumütigen und schlussendlich erlösten »weißen« kolonialen Helden. Ihre Geschichte hat die Form einer Trage­ tasche und diese wird von Helden verachtet. Für Le Guins »Indigene« ist die Folge ihres Freiheitskampfes ein langlebiges Wissen darüber, wie man sich gegenseitig umbringt und nicht nur die Eindringlinge, und dies, obwohl sie ihren obersten Unterdrücker zum Leben verurteilen, anstatt ihn nach dem Sieg zu töten; aber sie lernen angesichts dieser Geschichte auch, wieder zu sammeln und vielleicht das Gedeihen neu zu lernen. Es gibt keinen Status quo ante, keine Erlösungsgeschichte, wie diejenige auf Pandora. Von den Kämpfen auf dem Waldplaneten Athshea instruiert, werde ich also auf Terra bleiben und mir vorstellen, dass Le Guins Gattung der Hainish nicht alle der hominiden Linie oder dem hominiden Netz entstammen, egal wie verstreut sie auch sind. Materie, mater und Murmeln (mutter) halten mich – halten uns, diese Gemeinschaft, die sich in der narrativen Tragetasche des Chthuluzäns versammelt hat – dazu an, im naturkulturellen, artenübergreifenden Tumult dieser Erde unruhig zu bleiben, bestärkt von dem Freiheitskampf einer postkolonialen Welt auf Le Guins Planet ­Athshea. Es wird Zeit, zu der Frage zurückzukehren, wie sich die Samen für ein Terraforming finden lassen, das eine wiederauflebende irdische Welt der Differenzen fördert, wo/wenn das Wissen über das Morden alles andere als knapp ist.

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Abb. 6.1 Eine Ameise der Gattung Rhytidoponera metallica in Westaustralien, die einen Samen der Acacia neurophylla mithilfe des Elaiosoms festhält und ihn so transportiert. © Benoit Guenard, 2007.

Meine Tragetasche für Terraforming ist voller Akaziensamen, aber wir werden sehen, dass auch diese Sammlung einen vollständigen Anteil Tumult in sich trägt. Ich beginne mit dem enthaupteten Körper einer Ameise, den Wissenschaftler-EntdeckerInnen in Le Guins Geschichte »The Author of the Acacia Seeds« neben Samen Nummer 31 in einer Reihe ausgekeimter Akaziensamen am Ende eines Tunnels in einem Ameisenhaufen finden. Die TherolinguistInnen sind überrascht von einem aus klebriger Drüsenabsonderung angefertigten Skript, das eine Ameise mit ihrer biochemischen Tinte auf die aufgereihten Samen geschrieben zu haben scheint. Sie sind unsicher, wie das Skript zu interpretieren sei und wer der Ameisenautor gewesen sein könnte  – ein Eindringling, der von den Soldaten der Kolonie getötet worden war? Ein rebellierender Einwohner der Kolonie, der umstürzlerische Botschaften über die Königin und ihre Eier hinterlassen hatte? Eine myrmexanische Dichterin?11 Um diese Fragen zu beantworten, konnten die TherolinguistInnen nicht die Regeln der menschlichen Sprache anwenden und ihr Verständnis für Tierkommunikation war noch stümperhaft fragmentarisch, voller Vermutungen über fundamentale naturkulturelle Unterschiede hinweg. Aus ihren linguistischen und hermeneutischen Studien anderer Tiersprachen, die sie in

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schwierigen Forschungsexpeditionen aufgezeichnet hatten, schlossen die TherolinguistInnen, dass Sprache gleichbedeutend mit Kommunikation sei und dass viele Tiere aktive, kollektive, kinästhetische Zeichensysteme sowie chemosensorische, visuelle und taktile Sprachen verwendeten. Den Therolingu­istInnen mag die Interpretation dieses unerwarteten Textes aus Ameisenabsonderungen noch etwas schwierig erschienen sein, aber sie waren davon überzeugt, zumindest therolinguistische Analysen durchführen und ihn irgendwann lesen zu können. Pflanzen, so spekulierten sie, würden nicht kommunizieren, hätten also auch keine Sprache. In der vegetativen Welt ginge etwas anderes vonstatten, etwas, das vielleicht Kunst genannt werden sollte.12 Eine damit befasste Phytolinguistik war gerade erst im Entstehen begriffen und würde ganz neue Modi der Aufmerksamkeit, Methoden der Feldforschung und die Erfindung von Konzepten erfordern. Der Präsident der Therolinguistischen Vereinigung schwärmte: »Falls eine nicht-kommunikative vegetative Kunst existieren sollte, müssen wir jedes einzelne Element unserer Wissenschaft neu denken und ein ganz neues Set von Techniken erlernen. Denn es ist einfach unmöglich, die kritischen und technischen Kompetenzen, die dem Studium von Wiesel-Kriminalromanen, Amphibien-Erotica oder Tunnel-Sagas der Erdwürmer angemessen sind, auf die Kunst der Mammutbäume oder der Zucchinis anzuwenden.«13 Meiner Ansicht nach hat der Präsident Recht. Um auf nichtanthropozentrische Differenzen einzugehen, müssen wir das Gewebe aus eigenem Wissen und Wissenswegen hinterfragen. Aber eine genauere Untersuchung der enthaupteten Ameise und der ausgekeimten Akaziensamen hätte diesen immer noch zoozentrischen WissenschaftlerInnen gezeigt, dass ihre feinsinnige Ästhetisierung von Pflanzen sie auf den Holzweg geführt hatte, was die Weltbearbeitungen von Art-GenossInnen betrifft. Pflanzen kommunizieren auf vollkommene Weise in einer riesigen Bandbreite terrestrischer Modalitäten; sie produzieren und vermitteln Bedeutung inmitten einer erstaunlichen Galaxie von Assoziierten quer durch alle Taxa lebendiger Wesen. Pflanzen sind, gemeinsam mit Bakterien und Pilzen, zudem die Lebensadern der Tiere. Sie erlauben den Tieren, mit der abiotischen Welt zu kommunizieren: mit der Sonne, mit Gasen, mit dem Stein. Um diese Angelegenheit weiterverfolgen zu können, muss ich jetzt

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Le Guins Geschichte bis auf Weiteres verlassen und mich stattdessen den Geschichten zuwenden, die diejenigen erzählen, die sich mit Symbiose, Symbiogenese sowie ökologisch-evolutionär-entwicklungsgeschichtlicher Biologie befassen.14 Akazien und Ameisen erledigen beinahe die ganze Arbeit für mich. Mit etwa 1.500 Unterarten (ungefähr 1.000 davon sind in Australien heimisch) ist die Gattung Acacia eine der umfangreichsten unter den Bäumen und Stauden der Erde. Verschiedene Akazienarten wachsen in gemäßigten, tropischen und wüstenähnlichen Klimata quer über Ozeane und Kontinente. Sie sind als Spezies entscheidend für den Erhalt von gesunder Biodiversität und komplexen Ökologien, da sie viele Untermieter beherbergen und eine buntscheckige Gästeschar an Speisenden ernähren. Sie übersiedelten von wo auch immer sie herkamen, waren die Lieblinge menschlicher kolonialer Förster und sind noch immer eine wichtige Ressource von Landschaftsplanern und Pflanzenzüchtern. In diesen Geschichten werden manche Akazien zu alles überwuchernden Zerstörern endemischer Ökosysteme, die der speziellen Verantwortung von Restaurierungsbiologen unterstellt sind. Oder sie sind ganz normale EinwohnerInnen an Orten der Rückgewinnung.15 Als komplette Bäume und in Teilen tauchen Akazien an den unwahrscheinlichsten Orten auf. Sie ermöglichen die Ernte herrlicher Harthölzer, wie etwa das Holz der hawaiianischen Koa-Akazie, die in gierigen, exterminatorischen, global-kapitalistischen Exzessen gefällt wird. Akazien produzieren aber auch die bescheidenen polysacchariden Gummis, unter anderem Gummi arabicum der Acacia senegal, die in menschlichen Industrieprodukten wie Eiscreme, Handlotionen, Bier, Tinte, Geleebohnen und auf altmodischen Briefmarken auftauchen. Diese Absonderungen sind das Immunsystem der Akazien, sie versiegeln ihre Wunden und halten opportunistische Pilze und Bakterien fern. Bienen machen hoch prämierten Honig aus Akazienblüten, einen der wenigen Honige, der nicht kristallisiert. Viele Tiere, unter anderem Motten, menschliche Wesen und die einzig bekannte vegetarische Spinne verwenden Akazien als Nahrung. Menschen machen aus ihnen Samenpasten, frittierte Schoten, Currys, Sprossen, geröstete Samen und Root Beer. Akazien sind Mitglieder der riesigen Familie der Leguminosen. Das heißt, dass sie gemeinsam mit Pilzsymbionten (die wiederum ihre eigenen

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bakteriellen Endosymbionten beherbergen) für den Stickstoff sorgen, der so wichtig für Bodenfertilität, Pflanzenwachstum und tierisches Leben ist. Und das ist nur eines ihrer vielen Talente.16 Um sich vor Fraßfeinden und Krankheiten zu schützen, arbeiten Akazien als wahrhafte Chemiefabriken zur Alkaloidherstellung. Viele ihrer Mischungen wirken in Tieren wie mir psychoaktiv. Mit meinem Menschenhirn kann ich nur vermuten, wie sich diese Mischungen für andere Kritter, etwa für Insekten, anfühlen. Vom Giraffenstandpunkt aus protzen Akazien mit wunderbaren Blattsalaten in ihren Kronen. Sie antworten auf den unablässigen Rückschnitt durch die Giraffen mit den malerischen afrikanischen Landschaften voller oben abgeflachter Baumkronen, die von menschlichen Foto­grafInnen und TouristInnen so geschätzt werden, vom lebensrettenden Schatten und Rastplätzen für viele Kritter ganz zu schweigen. Ausgestattet mit diesem großen narrativen Tragenetz bin ich bereit, selbst ein paar Details zu Le Guins Fortsetzungstragetaschengeschichte über die enthauptete Ameise und ihre Akaziensamenschreibtafel zu ergänzen. Die TherolinguistInnen waren mit der Botschaft beschäftigt, die sie in der Schrift zu entziffern versuchten, aber mich treibt mehr um, was Ameise und Akaziensamen zuallererst zusammengebracht hat. Wie wurden sie miteinander bekannt? Wie haben sie kommuniziert? Warum hat die Ameise ihre Botschaft auf die glänzende Oberfläche gemalt? Der ausgekeimte Samen ist der entscheidende Hinweis. Acacia verticulata, ein australischer Strauch, der mit jener langblättrigen Akazie verwandt ist, die den südkalifornischen Ökologen solche Sorgen bereitet, produziert Samen, die von Ameisen verteilt werden. Die listigen Akazien wecken mit einem auffälligen, um jeden Samen gewickelten Zusatzstängel die Aufmerksamkeit der Ameisen. Diese tragen die dekorierten Samen in ihren Bau, wo sie die ölhaltigen Zusatzstängel, die Elaiosome heißen, zu ihrem Vergnügen verspeisen. Mit der Zeit keimen die Samen in dem netten Schoß, den die Ameisentunnel bilden. Die Ameisen bekommen so kalorienhaltige Nahrung, die sie benötigen, um all die Geschichten über ihren Habitus der harten Arbeit zu befeuern. Evolutionär-ökologisch gesprochen brauchen Ameisen und Akazien einander, um sich zu reproduzieren. Manche Ameisen-Akazien-Bündnisse sind sehr viel elaborierter als diese. Sie reichen in das innere Gewebe der Partner hinein und gestalten das

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Genom und die Entwicklungsmuster von Strukturen und Funktionen beider Art-GenossInnen mit. Einige zentralamerikanische Akazien stellen große, hohle, dornenartige Gebilde her; Nebenblätter, die mehreren Arten von Pseudomyrmex-Ameisen Unterkunft gewähren. »Die Ameisen ernähren sich vom Pflanzensaft am Blattstiel und von kleinen, ölreichen [und proteinreichen] Fruchtkörpern an den Spitzen der Blättchen, den Belt-Körperchen. Umgekehrt schützen die Ameisen die Pflanze vor Fraßfeinden.«17 Nichts macht die tägliche Futtersuche unbequemer als eine Horde wütender, beißender Ameisen, die Blattfresser welcher Spezies auch immer in eine weniger befallene Speisekammer vertreibt. Im fünfteiligen Spezial der BBC Science and Nature-Serie von 2005 mit David Attenborough lassen sich in einer Episode, die »Intime Beziehungen« heißt, diese Dinge in exquisitem, sinnlichen Detail beobachten. Wir sehen auch, dass »manche Ameisen die Bäume, die sie beherbergen, ›bewirtschaften‹ und damit Gebiete schaffen, die ›Teufelsgärten‹ genannt werden. Um sicher zu gehen, dass die Bäume ohne Konkurrenz wachsen können, rotten sie die anderen Setzlinge in der umgebenden Vegetation aus.«18 Sie nagen sich dafür systematisch durch Zweige und Triebe und injizieren dann Ameisensäure in das leitende Gewebe der Pflanzen, die ihrem Baum zu nahegekommen sind. Ähnliche Formen von Wechselbeziehungen zwischen Ameisen und Akazien treten in Afrika auf. So gibt die Flötenakazie in Kenia den Ameisen in ihren Dornen Unterkunft sowie den Nektar ihrer sich außerhalb der Blüten befindlichen Drüsen. Ihre Symbionten sind beispielsweise Crema­ togaster mimosae. Als Gegenleistung beschützen die Ameisen die Pflanze, indem sie große, pflanzenfressende Säugetiere und stamm-bohrende Käfer attackieren, die die Pflanze schädigen. Je genauer man hinschaut, desto mehr lautet die Devise des Lebens und Sterbens auf der Erde: Symbiose, diese verwickelte, artenübergreifende Affäre, diese Paarung von Art-GenossInnen, die zusammen zu Tisch sitzen. Akazien und Ameisen sind äußerst vielfältige und bevölkerungsstarke Gruppen. Sie sind Weltreisende oder Stubenhocker, die nirgendwo anders als in ihren Herkunftsländern und Herkunftsnachbarschaften gedeihen können. Stubenhocker oder Reisende, so oder so wirken sich ihre Art und Weise zu leben und zu sterben auf das Terraforming von Vergangenheit und Gegenwart aus. Ameisen und Akazien sind begierig auf

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Bündnisse mit Krittern aller möglichen Größen und Maßstäbe, und sie sind in ihren Ansätzen des Lebens und Sterbens in evolutionären, organismischen oder kollektiven Zeitorten opportunistisch. Diese Spezies sind in all ihrer Komplexität und Kontinuität genauso zerstörerisch, wie sie ganze Welten aufrechterhalten, manchmal in Verbindung mit menschlichen Leuten, manchmal ohne sie. Der Teufel steckt wirklich in den Details responsabler Naturkulturen, die von zurechnungsfähigen Art-GenossInnen bewohnt werden. Sie  – wir  – sind hier, um zusammen zu leben und zu sterben, nicht nur, um zusammen zu denken und zu schreiben. Aber auch dafür sind wir hier: um zusammen Welten zu säen und um mit Ameisenabsonderungen auf Akaziensamen zu schreiben, damit die Geschichten nicht abbrechen. Le Guins Tragetaschengeschichte  – mit der mürrischen älteren Dame, die dazu bereit ist, mit ihrer Handtasche Übeltäter zu verhauen, und ihrer Autorin, gierig nach Unordnung und Ordnung im Reich ihrer menschlichen und nichtmenschlichen, stets unbescheidenen Kritter – ist genausowenig eine Geschichte über weltlich weise Symbionten wie meine eine über Rechtschaffenheit und finalen Frieden ist. Wie Le Guin werde ich von vertrackten und verstörenden Details guter Geschichten angezogen, von Geschichten, die nicht wissen, wie sie enden sollen. Gute Geschichten verlängern sich in eine reiche Vergangenheit hinein, um eine dichte Gegenwart zu nähren, die wiederum die Geschichte für diejenigen, die danach kommen, weitererzählbar macht.19 Emma Goldmans Konzept von anarchistischer Liebe und Wut ergibt in den Welten von Ameisen und Akazien Sinn. Diese Art-GenossInnen soufflieren zotteligen Hunde­ geschichten  – knurren, beißen, werfen, spielen, schnüffeln, und all das. Symbiogenese ist kein Synonym für das Gute, sondern eines für Mit-Werden in Responsabilität. Schlussendlich, und keinen Moment zu früh, erweitert und ersetzt Sympoiesis Autopoiesis und alle anderen selbstformierenden und selbsterhaltenden Systemfantasien. Sympoiesis ist ein Tragenetz für Kontinuität, eine Verbindung für das Mit-Werden, für das Unruhigbleiben im Beerben der Schäden und Errungenschaften kolonialer und postkolonialer Naturkulturgeschichten, für das Erzählen einer Fabel einer immer noch möglichen Rückgewinnung. Le Guins TherolinguistInnen, obwohl sie in ihren tierischen Stereoptypen gefangen waren, hatten eine Vorstellung von die-

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sen erschreckenden und inspirierenden Möglichkeiten: »Mit ihnen [den PhytolinguistInnen, Anm. KH], oder nach ihnen, mögen die noch kühneren AbenteurerInnen kommen – die ersten GeolinguistInnen, welche die delikate und vergängliche Lyrik der Flechten ignorieren und darunter lesen werden; in der noch weniger kommunikativen, noch passiveren, völlig atemporalen, kalten, vulkanischen Poesie der Steine; jedes davon ein Wort, von der Erde selbst vor langer Zeit gesprochen, in der unermesslichen Einsamkeit, der noch unermesslicheren Gemeinschaft des Weltraums.«20 Gleichermaßen kommunikativ und schweigsam werden die alte Dame und ihre Handtasche in Earthseed-Gemeinschaften auf Terra und überall in/an Zeitorten zu finden sein. Murmlerin, Materie, Mutter.

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Kapitel 7

Eine neugierige Praxis

Interessante Forschung ist Forschung, die unter Bedingungen durchgeführt wird, die Wesen interessant machen. Vinciane Despret Mit diesem erweiterten Horizont denken – das heißt, seine Einbildungskraft im Wandern üben. Hannah Arendt1

Vinciane Despret denkt-mit anderen Wesen, mit menschlichen und nichtmenschlichen. Das ist ein seltener und wertvoller Beruf. Beruf: rufen, mitrufen, angerufen sein, so rufen, als ob die Welt wichtig wäre, hinausrufen, zu weit gehen, wandern gehen. Despret hörte eines Morgens eine Amsel singen – eine lebendige Amsel vor ihrem Fenster – und lernte dabei, wie Wichtigkeit klingt. Sie denkt mit ihren MitdenkerInnen zusammengestimmt: rekursiv, erfinderisch, unermüdlich – und mit Freude und Enthusiasmus. Sie erforscht, wie sich Wesen in tatsächlichen Begegnungen gegenseitig befähigen, und sie theoretisiert diese Art Zugang und Methode – das heißt, sie macht sie auf kohärente Weise zugänglich. Despret interessiert sich nicht für ein Denken, das im Entdecken der Dummheiten anderer besteht oder darin, das Feld der Aufmerksamkeit so zu reduzieren, dass ein Argument Beweiskraft gewinnt. Ihre Art zu denken vergrößert, ja erfindet sogar, die Kompetenzen aller MitspielerInnen, auch ihre eigenen, damit das Gebiet der Daseinsweisen und Wissensformen sich weitet, ausdehnt, ontologische und epistemologische Möglichkeiten hinzugewinnt. Etwas, was davor nicht da war, wird entworfen und dabei vollzogen. Das ist

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ihre Praxis der Verweltlichung. Sie ist eine Philosophin und eine Wissenschaftlerin, die allergisch auf Denunziation und hungrig nach Entdeckung ist, bedürftig nach dem, was gewusst und zusammengebaut werden muss, mit und für irdische Wesen, lebendige, tote, kommende. Mit Blick auf ihre eigene Praxis des Beobachtens von Wissenschaft­ lerInnen, aber auch mit Blick auf die Praktiken der Tierverhaltensforscherin Thelma Rowell, die Soay-Schafe beobachtet, bekennt sich Despret »zu einer spezifischen epistemologischen Position, die ich eine Tugend nennen würde: die Tugend der Höflichkeit«.2 Desprets Kultivierung von Höflichkeit ist eine neugierige Praxis in jedem erdenklichen Sinn. Sie übt ihr ganzes Dasein, nicht nur ihre Einbildungskraft »im Wandern« ein. Jemanden/etwas besuchen zu gehen [in der englischen Fassung der Arendtschen Formulierung heißt es »training one’s imagination to go visiting«, Anm. KH] ist keine triviale Praxis. Sie erfordert die Fähigkeit, andere auf aktive Art und Weise interessant zu finden, selbst  – oder speziell  – andere, über die die meisten Leute behaupten, schon alles zu wissen; die Fähigkeit, Fragen zu stellen, die der Gesprächspartner wirklich interessant findet, und die wilde Tugend der Neugierde zu kultivieren. Die eigene Wahrnehmungsfähigkeit und Responsabilität müssen neu kalibriert werden – und all das muss mit großer Höflichkeit passieren! Welche Art Höflichkeit ist das? Das klingt alles mehr als nur ein wenig riskant. Neugierde führt immer etwas zu weit weg vom Weg. Und da liegen die Geschichten. Das Erste und Wichtigste, was mit Desprets Praxis unsicher wird, ist ein Denken, das davon ausgeht, dass Wesen über vorherbestimmte Naturen und Fähigkeiten verfügen, die bei einer Begegnung einfach so ins Spiel kommen. Desprets Art der Höflichkeit steckt hingegen viel Energie in das Offenhalten der Möglichkeit, dass es Überraschungen geben könnte, dass gleich etwas Interessantes passieren könnte; aber eben nur, wenn man die Tugend kultiviert, diejenigen, die man besucht, intra-aktiv die Situation mitgestalten zu lassen. Sie sind nicht diejenigen/dasjenige, was wir geglaubt hatten zu besuchen, und wir sind ebenfalls nicht diejenigen/dasjenige, was sie erwartet hatten. Ein Besuch ist ein subjekt- und objektherstellender Tanz und der Choreograf ist ein Trickster. Fragen zu stellen bedeutet folglich, sich zu fragen, was jemand anderer spannend findet, und zu lernen, sich so zu beteiligen, dass sich alle auf unvorhersehbare Art ver-

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ändern. Gute Fragen fallen nur dem höflich Fragenden ein, besonders einer höflich Fragenden, die von einer singenden Amsel angeregt wurde. Durch gute Fragen können auch (oder besonders) Fehler und Missverständnisse interessant werden. Es geht hier nicht so sehr um Manieren als vielmehr um eine Epistemologie und Ontologie, und um eine Methode, die wachsam für Praktiken jenseits der ausgetretenen Pfade ist. Jedenfalls ist diese Art der Höflichkeit nicht das, was Miss Manners in ihrer Beratungskolumne liefert. Es gibt so viele Beispiele, wie Despret höfliches Forschen lernt und lehrt. Das vielleicht berühmteste ist ihr Besuch in der Negev-Wüste, am Ort der Feldforschung des israelischen Ornithologen Amotz Zahavi. Sie traf dort Graudrosslinge, die orthodoxen Ideen dessen, was Vögel tun sollten, trotzten, selbst als die Wissenschaftler vom wissenschaftlichen Script abwichen. Insbesondere fragte Zahavi quälend detailliert, was für Graudrosslinge wichtig ist. Andernfalls konnte er keine gute Wissenschaft betreiben. Die altruistischen Praktiken der Graudrosslinge waren so zahlreich, dass sie in kein Schema passten. Laut Zahavi verhielten sich die Vögel aus kompetitiven Prestigegründen auf eine Art und Weise, die sich mit Theorien wie der Verwandtenselektion schwer erklären lassen. Zahavi ließ die Graudrosslinge interessant sein; er stellte ihnen interessante Fragen; er sah sie tanzen. »Nicht nur wurden diese Vögel als miteinander im Sonnenaufgang tanzend beschrieben, nicht nur waren sie eifrig dabei, sich gegenseitig zu beschenken, nicht nur waren sie stolz darauf, sich gegenseitig um die Nestlinge zu kümmern oder einen bedrohten Kameraden zu verteidigen, sondern Zahavi schildert auch, dass ihre Beziehungen auf Vertrauen basierten.«3 Despret erzählt, sie hätte hier begriffen, dass diese einzigartigen Praktiken der Beobachtung, der Narration und die Lebhaftigkeit der Vögel alles andere als unabhängig voneinander waren. Und das war nicht einfach eine Frage von Weltsichten und mit ihnen zusammenhängenden Theorien, die das Forschungsdesign und die Interpretation prägen, oder irgendein anderer rein diskursiver Effekt. Was Forschende im Feld wirklich tun, affiziert die Art und Weise, wie »die Tiere ihre Wissenschaftler sehen, die sie sehen« und damit, wie die Tiere diesen Blick beantworten.4 In einem starken Sinn befähigen Beobachtende und Vögel einander, und zwar auf eine Art und Weise, die nicht in bereits existierenden Skripten steht und nicht ein-

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fach nur gezeigt wird, sondern durch die praktische Forschungsarbeit erfunden oder provoziert wird. Die Vögel und die Forschenden befanden sich in dynamischen, beweglichen Beziehungen der wechselseitigen Kalibrierung. Das Verhalten der Vögel und der Beobachtenden wurde hergestellt, nicht einfach nur ausgedacht. Geschichten sind hierfür unverzichtbar, aber es sind nie »nur« Geschichten. Zahavi schien darauf bedacht zu sein, mit den Graudrosslingen zu experimentieren und nicht über sie. Er versuchte mit ihnen auf die Welt zu blicken anstatt auf sie, was eine sehr herausfordernde Praxis ist. Von Despret, die gekommen war, um die Vogelbeobachter zu beobachten, aber in einem sehr viel komplizierteren Durcheinander von Praktiken endete, wurde das Gleiche verlangt. Sie werden-miteinander. Diese Welt in der südlichen israelischen Wüste wurde durch das Hinzufügen von Kompetenzen zu Kompetenzen komponiert, durch die Erweiterung von Perspektiven zur Erweiterung von Perspektiven, durch das Hinzufügen von Subjektivitäten zum subjektiven Engagement, durch das Hinzufügen von Versionen zum Verständnis von Versionen. Kurz gesagt: Diese Wissenschaft arbeitete mit Addition und nicht mit Subtraktion. Welten weiten sich; die Graudrosslinge und die WissenschaftlerInnen – Despret ebenfalls – bewohnten eine Welt von Propositionen, die vorher nicht zur Verfügung standen. »Menschen und Drosslinge erzeugen Geschichten, und erzählen sie nicht nur einfach. Sie erzeugen/veröffentlichen neue Skripte.«5 Gute Fragen wurden gestellt; überraschende Antworten machten die Welt reicher. Besuche mögen riskant sein, aber sie sind ganz sicher nicht langweilig. Desprets Arbeit ist voller Kollaborationen mit Leuten und mit Tieren. Es sind wirkliche Kollaborationen, nicht einfach nur Metaphern für gemeinsames Denken. Ich gebe zu, dass ich am meisten von Kollaborationen angezogen werde, in die Leute, Kritter und Apparate verstrickt sind. Kein Wunder, dass Desprets Arbeit mit der Soziologin Jocelyne Porcher und den Bauern sowie den Schweinen und Kühen, die ihrer Sorge unterstellt sind, mir sehr zusagt. Despret und Porcher besuchten Schweine- und Rinderzüchter auf nicht-industriellen französischen Höfen, wo Menschen und Tiere in täglicher Interaktion miteinander leben. Nüchterne, unromantische, hart arbeitende Züchter sagten Dinge wie: »Wir hören nicht auf, mit unseren Tieren zu sprechen.«6 Die Frage, die Despret und Porcher

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zu den Bauern geführt hatte, kreiste um ihr Bemühen, die Behauptung zu verstehen, dass diese domestizierten, Nahrung produzierenden Tiere ar­ beiten, oder: mit ihren Leuten arbeiten. Wenig überraschend war die erste Schwierigkeit, herauszufinden, wie man Fragen so stellt, dass sie die Züchter auch interessierten und sie in Gespräche und in die Arbeit mit den Tieren hineinholten. Zweifelsohne war es für die Züchter uninteressant, sich zu fragen, in welcher Hinsicht Tiere und Menschen im Allgemeinen ähnlich oder unterschiedlich seien. Das sind Leute, die bestimmte Tiere leben und sterben lassen und die von ihnen leben (und sterben). Die Aufgabe bestand darin, die Bauern in die Konstruktion von Fragen, die für sie von Gewicht wären, einzubeziehen. Die Züchter »entwurzelten« unablässig die Fragen der Forscherinnen, um jene Fragen anzugehen, die sie bei ihrer Arbeit beschäftigten. Die Geschichte hat viele Wendungen, aber mich interessiert am meisten, dass die Züchter darauf bestanden, dass ihre Tiere »wissen, was wir wollen, aber wir, wir wissen nicht, was sie wollen«.7 Herauszufinden, was ihre Tiere wollten, sodass Leute und Kühe gemeinsam eine erfolgreiche Aufzucht bewerkstelligen konnten, stellte sich als die fundamentale, gemeinschaftliche Arbeit auf den Höfen heraus. Bauern, die ihren Tieren schlecht zuhören konnten, die schlecht mit ihnen sprechen und ihnen schlecht antworten konnten, waren in den Augen der KollegInnen keine guten Bauern. Die Tiere schenkten ihren Bauern Aufmerksamkeit; Rindern und Schweinen gleichermaßen Aufmerksamkeit zu schenken, gehörte zu den Aufgaben eines guten Züchters. Dies führt zur Erweiterung von Subjektivität bei Leuten und bei Krittern; es geht darum, »das zu werden, was der andere nahelegt, einen Vorschlag der Subjektivierung [zu] akzeptieren, sich so [zu] verhalten, wie der andere einen anspricht, den Vorschlag [zu] aktualisieren und überprüfen, im Sinne eines Wahr-Machens«.8 Das Ergebnis dessen ist, dass Tiere, die Menschen ernähren, ins Dasein gebracht werden, genauso wie Menschen, die Tiere ernähren. Das Leben wie auch das Sterben sind Teil des Spiels. Für diese Form der täglichen Interaktion aus Anstrengung, Gespräch und Aufmerksamkeit scheint mir »Zusammenarbeit« der richtige Ausdruck zu sein. In meinem Hunger nach mehr von Desprets Besuchen bei Krittern, ihren Leuten und ihren Apparaten – hungrig nach mehr von ihren Erläu-

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terungen zur »Anthropo-Zoo-Genese«9 – fällt es mir schwer, mich damit zufriedenzugeben, wenn einfach nur Menschen auf dem Menüplan stehen. Dieses Vorurteil kam ins Wanken, als ich Women Who Make a Fuss: The Unfaithful Daughters of Virginia Woolf las, das Isabelle Stengers und Vinciane Despret gemeinsam mit einem außergewöhnlichen Kollektiv unbescheidener Frauen geschrieben haben.10 »Denken müssen wir!« schreit dieses Buch als Echo auf die berühmten Zeilen aus Virginia Woolfs Drei Guineen. Frauen sind in westlichen Welten und auch sonst kaum in die Patrilinien des Denkens aufgenommen worden, umso weniger in die Patrilinien, die über (noch einen) Krieg entscheiden. Warum sollte Virginia Woolf oder irgendeine andere Frau, oder auch irgendein Mann, diesen Patrilinien und ihren Forderungen nach Opfern treu sein? Untreue scheint das Mindeste zu sein, was wir von uns selbst verlangen können! Das alles ist von Gewicht, betrifft aber nicht genau die Frage dieses Buches. Die lautet vielmehr, was Denken in dieser unserer Zivilisation wohl bedeuten könnte. »Wie können wir ein kollektives Abenteuer erneut aufnehmen, das vielgestaltig ist und unablässig neu erfunden wird, nicht auf individueller Basis, sondern so, dass der Staffelstab übergeben wird, das heißt: so, dass neue Gegebenheiten und neue Unbekannte bejaht werden.«11 Wir müssen irgendwie die Übergabe bewerkstelligen, die Probleme beerben und die Bedingungen für ein artenübergreifendes Gedeihen neu erfinden, nicht nur in einer Zeit ständiger Kriege und Genozide unter Menschen, sondern auch durch Menschen beschleunigter Massenvernichtungen und artenübergreifender Genozide, die Leute und Kritter dem Strudel ausliefern. Wir müssen »es wagen, die Übergabe ›zu bewerkstelligen‹, das heißt: zu erschaffen, zu fabulieren. Um nicht zu verzweifeln und um vielleicht eine Veränderung anzustoßen, aber ohne die unechte Loyalität, die dem ›im Namen der Sache‹ gleicht, ganz egal, wie edel diese auch sein mag.«12 Hannah Arendt und Virginia Woolf waren sich beide des hohen Einsatzes bewusst, den es erfordert, Verstand und Imagination zu trainieren, »wandern zu gehen«, sich abseits ausgetretener Pfade zu wagen, um überraschende, nicht-natale Verwandte zu treffen und mit ihnen Gespräche zu beginnen, interessante Fragen zu stellen und zu beantworten, gemeinsam etwas Unerwartetes zu entwerfen, Verantwortung für die Begegnung zu

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übernehmen, um die man nicht gebeten hatte. Das alles habe ich das Kultivieren von Responsabilität genannt. Besuchen ist keine heroische Praxis; einen Wirbel zu machen ist keine Revolution; miteinander zu denken ist nicht »das Denken«. Versionen zuzulassen, damit Geschichten weitergehen können, ist so profan, so erdgebunden. Genau das ist der Punkt. Die Amsel singt ihre Wichtigkeit; der Graudrossling tanzt sein glänzendes Prestige; die Geschichtenerzählerinnen knacken die etablierte Unordnung. Das ist es auch, was »zu weit gehen« meint, und diese neugierige Praxis ist nicht ungefährlich. Wie Arendt und Woolf ist Despret und ihren KollaborateurInnen klar, dass wir es »mit der Idee einer Welt, die bewohnbar sein könnte« zu tun haben.13 Die eigentliche Stärke von Frauen, die einen Wirbel machen, besteht nicht darin, dass sie die Wahrheit repräsentieren, sondern darin, Zeuginnen der Möglichkeit anderer Arten des Machens zu sein, die eventuell ein »Besser-Machen« sind. Der Wirbel ist nicht die heroische Proklamation einer großen Sache. […] Er bestätigt vielmehr die Notwendigkeit, sich der lähmenden Impotenz zu widersetzen, die dem »Es gibt keine Möglichkeit, es anders zu machen, ob wir wollen oder nicht« entspringt, das inzwischen überall regiert.14

Es ist höchste Zeit, einen solchen Wirbel zu machen. Desprets neugierige Praxis hat nichts mit Loyalität gegenüber einer Sache oder einer Doktrin zu tun; aber sie schöpft zutiefst aus einer anderen Tugend, die manchmal mit dieser Loyalität verwechselt wird, dem »Denken von einem Erbe her«. Sie ist auf jene Verpflichtungen gestimmt, deren Beerben darin besteht, mit situierten Geschichten und situierter Geschichte anzufangen. Sie erzählt die Parabel von den zwölf Kamelen, um ihr zu entlocken, was es heißt, »von etwas aus zu beginnen«. Es bedeutet, »dem verpflichtet zu bleiben, von dem aus wir sprechen, denken oder agieren. Damit befähigen wir uns, vom Ereignis zu lernen und von ihm aus zu schaffen.« In einer Art Fadenspiel mit kraftvollen Fabeln hatte Despret diese Parabel von Isabelle Stengers erhalten und sie mir 2013 weitergegeben. Ich gebe sie ihr hier zurück. Das Beerben ist ein Akt, »der Denken und Engagement braucht. Ein Akt, der im Vorgang des Beerbens unsere Veränderung einfordert.«15

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Der Vater in dieser Geschichte hinterlässt seinen drei streitsüchtigen Söhnen eine scheinbar unmögliche Erbschaft: elf Kamele, die auf bestimmte Weise aufgeteilt werden sollen. Die Hälfte für den ältesten Sohn, ein Viertel für den zweitältesten Sohn und ein Sechstel für den dritten. Die absurden Anforderungen machten es den verwirrten Söhnen schwer und kurz bevor sie drohten, an den Bedingungen des Testaments zu scheitern, besuchten sie einen alten Mann aus dem Dorf. In seiner klugen Großzügigkeit gab dieser den Söhnen ein zwölftes Kamel und ermöglichte ihnen so eine Lösung für ihr schwieriges Erbe; sie konnten ihre Erbschaft aktiv, lebendig und produktiv machen. Denn mit den zwölf Kamelen geht die Teilung auf und es bleibt ein Kamel übrig, das dem alten Mann zurückgegeben wird. Despret kommentiert, dass die Fabel zwar eine Erweiterung und kreative Lösung dessen bietet, was es heißt, »von etwas aus zu beginnen«, aber ohne wirkliche Kamele einzubeziehen. Diese sagenumwobenen Kamele waren konventionelle, diskursive, figurale Nutztiere, deren einzige Funktion darin bestand, den problematischen Söhnen Gelegenheit zu geben, in ihrem patriarchalen Selbstverständnis zu wachsen, was mehr als nur ein wenig die Geschichte der Philosophie wiederholt, die Despret und ich beerben. Aber indem sie zuhört, weitererzählt und diese spezielle Geschichte auf ihre Art und Weise aktiv macht, wird etwas Fehlendes präsent. Sie macht einen interessanten, neugierigen Wirbel, ohne jemanden zu verurteilen. Daraus entsteht eine andere Erbschaft und stellt Ansprüche an alle, die zuhören, an alle, die eingestimmt sind. Es ist nicht nur die Philosophie, die sich ändern muss; die sterbliche Welt verschiebt sich. Langbeinige, großlippige, gehökerte Kamele schütteln den Staub von ihren heißen, stark beanspruchten Rücken und schmiegen sich an die Geschichtenerzählerin, um von ihr hinter den Ohren gekratzt werden. Despret, und dank ihrer auch wir, beerbt nun Kamele, Kamele mit ihren Leuten, auf ihren Märkten und an Orten des Reisens und Arbeitens, in ihren lebenden und sterbenden, auf dem Spiel stehenden Welten, wie die heutige Wüste Gobi.16 Von jetzt an beginnen wir also mit einer erweiterten Geschichte, die unerwartete Ansprüche stellt, Responsabilität zu kultivieren. Wenn wir dem Neuanfang mit der transformierten Geschichte treu bleiben, können wir nicht länger nicht wissen oder uns nicht darum kümmern, dass Ka-

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mele und Leute füreinander auf dem Spiel stehen – über Regionen, Geschlechter, Ethnien, Spezies und Praktiken hinweg. Nennen Sie das ab jetzt Philosophie, eine Fadenfigur, keine Abstammungslinie. Wir sind verpflichtet, unser Sprechen in situierten Welten zu beginnen, aber wir müssen nicht länger von einer humanistischen Patrilinie, ihren atemberaubenden Auslöschungen und ihren Hochseilakten ausgehen. Das Risiko, einer Geschichte zuzuhören, besteht darin, dass sie uns dazu verpflichten könnte, uns in zuvor unbekannte, sich verzweigende Netze zwischen unzählige Fäden zu wagen. In einer Welt der Anthropo-Zoo-Genese wird das Figurative ziemlich wahrscheinlich Zähne bekommen und uns in den Hintern beißen. Desprets philosophische Ethologie beginnt mit den Toten und Vermissten, aber auch mit den Lebendigen und Sichtbaren. Sie hat situierte menschliche Leute und ihre Trauerpraktiken auf eine Art und Weise erforscht, die eng mit ihrer Praxis der philosophischen Verhaltensforschung verwandt ist. Auf beiden Gebieten ist sie aufmerksam dafür, wie Leute – in der Praxis – in vielerlei Stofflichkeiten und Zeitlichkeiten um eine lebendige Kopräsenz des Abwesenden werben. Sie ist aufmerksam dafür, wie Praktiken – beispielsweise aktives Geschichtenerzählen – sich auf der Seite dessen verorten, das ich »ongoingness« (Fortgesetztheit, Fortdauern, Kontinuität) nenne: das Nähren, Erfinden, Entdecken oder irgendwie Zusammenschustern von Versionen des guten miteinander Lebens und Sterbens in den Geweben einer Welt, deren schiere Bewohnbarkeit bedroht ist.17 In unserer Zeit heranstürmender Ausrottungen, Auslöschungen, Kriege, Extraktionen und Genozide lassen viele Arten des Scheiterns von Kontinuität Lebenswege zerbröseln. Viele Arten der Abwesenheit, oder der drohenden Abwesenheit, müssen in aktuelle Responsabilitäten eingebracht werden, nicht in abstrakte, sondern in häusliche, sagenhafte (storied), kultivierte Praktiken. Zu meinem anfänglichen Erstaunen brachte dieses Thema Despret und mich mit Brieftauben (auf Französisch: voyageurs) und ihren begeisterten Liebhabern (auf Französisch: colombophiles) zusammen. Nach einer außergewöhnlichen Woche mit ihr und ihren KollegInnen im Schloss Cerisy im Juli 2010 schrieb ich einen Essay für Despret. In diesem schlug ich vor, mit Art-GenossInnen Fadenspiele zu spielen, um artenübergreifende Re-

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sponsabilität zu kultivieren.18 Ich schickte Despret einen Entwurf mit meiner Diskussion des wundervollen Kunst-Technologie-UmweltaktivismusProjekts von Beatriz da Costa namens PigeonBlog (vgl. Kapitel 1) und der Gemeinschaft von Wettkampftauben und ihren Liebhabern in Südkalifornien. Brieftaubenrennen sind ein Männersport der Arbeiterklasse überall auf der Welt. Unter den Bedingungen urbaner Kriege (Bagdad, Damaskus), rassenbezogener und klassenbezogener Ungerechtigkeit (New York, Berlin) und Verdrängung von Arbeit und Spiel in vielen Regionen (Frankreich, Iran, Kalifornien) ist dieser Sport ungemein schwierig geworden. Ich nehme Praktiken des Kunst- und Gestaltungsaktivismus wichtig, denen es gelingt, ganz verschiedene Leute und Kritter an gemeinsamen, häufig beunruhigten öffentlichen Orten zusammenzubringen. Weil ich aus dieser Sorge heraus begonnen habe, nicht aus einer allgemein nur vorgestellten Sorge heraus, bin ich bei innovativen Taubenschlägen gelandet, wo, wie sich herausstellen sollte, Despret, gestimmt auf Praktiken des Gedenkens, bereits auf der Stange saß. Indem sie mich zu Matali Crassets Capsule führte, einem Taubenschlag, der 2003 im Freizeitpark von Caudry gebaut wurde, teilte sie mit mir ihr Verständnis für die Kraft des Offenhaltens konkreter Räume für das fortdauernde Leben und Arbeiten angesichts drohender Abwesenheit als einer wirkungsvollen Praxis des Gedenkens.19 Der Verein der Brieftauben-Liebhaber von Beauvois hatte Crasset, eine Künstlerin und Industriedesignerin, darum gebeten, einen Prototyp für einen Taubenschlag zu bauen, der Schönheit und Funktionalität für Menschen und Vögel verbindet; es sollte ein pädagogischer Köder entstehen, um zukünftige PraktikerInnen in das Erlernen von anspruchsvollen Fähigkeiten zu locken. Wirkliche Tauben mussten in dem Schlag leben wollen; wirkliche Taubenliebhaber mussten sehen, dass die Behausung funktioniert; und wirkliche BesucherInnen des Ökoparks, der ein erschöpftes Landwirtschaftsgebiet in ein buntes Naturreservat für die Wiedergewinnung von Krittern und Leuten verwandelte, mussten mit dem Begehren nach einem Leben, das sich durch Brieftauben verändern würde, infiziert werden. Despret verstand, dass der Prototyp, das Mahnmal, sowohl für die Brieftauben als auch für ihre Leute da sein musste – vergangene, gegenwärtige und noch kommende.20

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Eine neugierige Praxis

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Weder die Kritter noch ihre Leute hätten ohne einander in kontinuierlichen, neugierigen Praktiken existieren oder überdauern können. Verbunden mit unabgeschlossenen Vergangenheiten bringen sie sich gegenseitig in einer dichten Gegenwart und in immer noch möglichen Zukünften vo­ ran; sie bleiben unruhig im Wirbel spekulativer Fabulation.

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Kapitel 8

Camilles Geschichten. Die Kinder der Kompostisten

Und dann kam Camille in unser Leben und verschaffte den überkreuz vernähten Generationen der noch-nicht-geborenen und noch-nicht-geschlüpften, verletzlichen, sich koevolutionär entwickelnden Arten Gegenwart. Ich beende Unruhig bleiben mit dem Entwurf einer Fadenfigur einer unsicheren Zukunft, mit einer Geschichte, einer spekulativen Fabulation, die in einem Schreibworkshop in Cerisy im Sommer 2013, der Teil von Isabelle Stengers Kolloquium über spekulative Gesten war,1 ihren Anfang nahm. Aus der Praxis des SF-Schreibens geboren, ist Camille eine Hüterin von Erinnerungen im Fleisch von Welten, die wieder bewohnbar werden könnten. Camille ist eines der Kinder der Kompostisten, die in der Erde reifen, um Nein zu den Posthumanen jeder Zeit zu sagen. Ich hatte mich in Cerisy für den Nachmittagsworkshop mit dem Titel Narration Spéculative angemeldet. Am ersten Tagen teilten uns die OrganisatorInnen in Gruppen von zwei oder drei TeilnehmerInnen ein und gaben uns eine Aufgabe. Wir wurden gebeten, uns ein Baby auszudenken und das Kind durch fünf menschliche Generationen zu bringen. In unserer Zeit, die Tod für Individuen und für ganze Arten im Überfluss bereithält, können schon fünf menschliche Generationen als unmöglich lang erscheinen, wenn es darum geht, sich das Gedeihen mit und für eine erneuerte Multispezies-Welt vorzustellen. Im Laufe der Woche schrieben die Gruppen in einem wilden Spiel mit literarischen Formen vielerlei Arten von möglichen Zukünften. Es entstanden Versionen im Überfluss. Die Mitglieder meiner Gruppe waren neben mir der Filmemacher Fabrizio Terranova und die Psychologin, Philosophin und Ethologin Vinciane Despret. Die Version, die ich hier erzähle, ist selbst eine spekulative Geste: eine Erinnerung an und ein Köder für ein »wir«, das beim gemeinsamen Fabulieren einer Geschichte in einem Sommer in der Normandie ins Dasein

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kam. Ich kann nicht genau die Geschichte erzählen, die meine Mitschreibenden entwerfen oder erinnern würden. Meine Geschichte hier ist die Fortsetzung einer spekulativen Fabulation und nicht ein Konferenzbericht fürs Archiv. Wir haben gemeinsam begonnen zu schreiben und seither schrei­ben wir einzeln Camille-Geschichten, die wir manchmal für Kommentare an die ursprünglichen SchreiberInnen zurückgeben und manchmal nicht; und wir sind Camille und den Kindern der Kompostisten in anderen Schreibkollaborationen begegnet.2 All die Versionen sind für Camille notwendig. Meine Erinnerung an den Workshop ist die eines aktiven Auswerfens von Fäden von und für sich immer weiterspinnende, geteilte Geschichten. Camille, Donna, Vinciane und Fabrizio brachten einander in Kopräsenz; wir befähigen einander.

Abb. 8.1 Schmetterlingsmaske, Guerrero, Mexiko, 62 mal 72,5 mal 12,5 Zentimeter, vor 1990. Sammlung Samuel Frid, UBC Museum of Anthropology, Vancouver. Ansicht aus der Ausstellung The Marvellous Real: Art from Mexico, 1926 – 2011 (Oktober 2013 – März 2014) im gleichen Museum, Kuratorin Nicola Levell, Foto: Jim Clifford.

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Als Kinder der Kompostisten bestehen wir darauf, dass wir Geschichten schreiben und unsere Leben so leben müssen, dass es Wachstum und Überfluss gibt, gerade weil wir uns im festen Griff wütender Zerstörung und Verelendung befinden. Anna Tsing drängt uns dazu, »Künste des Lebens auf einem beschädigten Planeten« zusammenzuschustern; und unter diesen Künsten befinden sich: die Kultivierung der Fähigkeit, sich wieder Reichtum vorzustellen, praktische Heilmethoden statt Ganzheit zu lernen und unwahrscheinliche Kollaborationen zusammenzunähen, ohne sich allzusehr um die konventionelle Ontologie der Arten zu kümmern.3 Die Geschichten von Camille sind eine Einladung, sich an einer Form der Fiktion zu beteiligen, die sich dafür einsetzt, Imaginationen einer nahen Zukunft, möglicher Zukünfte sowie unplausibler, aber dennoch realer Gegenwarten zu stärken. Jede der Camille-Geschichten wird schlimme politische und ökologische Fehler begehen; und jede Geschichte bittet die Leserin/den Leser um großzügiges Misstrauen, sobald sie/er sich ins Getümmel der Erfindung der unbescheidenen Sippe der Kinder der Kompostisten stürzt.4 Science-Fiction-LeserInnen sind mit der lebhaften und respektlosen Kunst der Fanfiction vertraut. Erzählbögen und Welten werden hier zum Futter für mutierende Transformationen oder für liebevolle, aber perverse Erweiterungen. Die Kinder der Kompostisten laden weniger zu Fanfiction als zu Symfiktion ein, dem Genre für Sympoiesis und Symchthonia – zu einem Zusammentreffen der Irdischen. Die Kinder der Kompostisten wünschen sich, dass die Camille-Geschichten ein Pilotprojekt sind, ein Modell, ein Arbeits- und Spielobjekt zur Komposition kollektiver Projekte, nicht allein in der Vorstellung, sondern zum wirklichen Geschichtenerzählen. Auf und unter der Erde. Vinciane, Fabrizio und ich fanden es unerlässlich, unserem Baby einen Namen zu geben und ihm einen Weg in das, was noch nicht ist, aber sein könnte, aufzuzeigen. Wir fanden es ebenso unerlässlich, unser Baby zu bitten, Teil eines über fünf Generationen angelegten Lernprozesses zu sein, der das Ziel hat, den Druck der menschlichen Bevölkerungszahl auf die Erde drastisch zu reduzieren; derzeit ist sie dabei, auf 11 Milliarden bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu steigen. Wir konnten uns den fünf Generationen kaum durch eine Geschichte der heteronormativen Reproduktion nähern (um den hässlichen, aber passenden Ausdruck aus dem Dia-

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lekt des amerikanischen Feminismus zu benutzen)! Über ein Jahr später erkannte ich, dass Camille mir beigebracht hatte, wie man sagt: »Macht euch verwandt, nicht Babys!«5 Aber gleich danach, kaum dass wir einander den Namen Camille vorgeschlagen hatten, bemerkten wir, dass wir nun ein sich windendes Kind in Händen hielten, das mit konventionellen Geschlechtern oder mit menschlichem Exzeptionalismus nicht zu schaffen hat. Es war ein Kind, das zu Sympoiesis geboren war, zum Mit-Werden und Mit-Schaffen, gemeinsam mit einem buntscheckigen Wurf von irdischen Anderen.6

Die Welt der Camilles imaginieren Glücklicherweise kam Camille in einem Moment der unerwarteten, aber kraftvollen, verwobenen, planetenweiten Eruption von zahlreichen Gruppen mit jeweils einigen Hundert Leuten ins Dasein, die sich veranlasst sahen, sich an ruinierten Orte niederzulassen, um sich dort gemeinsam mit menschlichen und nicht-menschlichen PartnerInnen für die Heilung dieser Orte einzusetzen. Diese Gruppen konstruierten Netzwerke, Pfade und Knoten für eine neuerlich bewohnbare Welt.7 Nur ein kleiner Teil dieser weltweiten, überraschenden und ansteckenden Aktivitäten für das Wohlergehen geht auf absichtlich migrierende Gemeinschaften wie die von Camille zurück. Vor dem Hintergrund langer Geschichten kreativen Widerstands und schöpferischen Lebens unter den schlechtesten Bedingungen waren es Leute überall auf der Welt leid, auf externe Lösungen (die sich nie materialisierten) für ihre gleichermaßen lokalen wie systemischen Probleme zu warten. Große und kleine Individuen, Organisationen und Gemeinschaften vereinigten sich miteinander und mit wandernden Gruppen wie derjenigen Camilles, um das irdische Leben für eine Epoche neu zu gestalten, die den tödlichen Diskontinuitäten von Anthropozän, Kapitalozän und Plantagozän folgen würde. In systemverändernden, synchronen Wellen und Impulsen erneuerten und stärkten verschiedene indigene Leute und alle möglichen anderen arbeitenden Frauen, Männer und Kinder – die lange den zerstörerischen Bedingungen der Ex-

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traktion und Produktion auf ihrem Land, in ihren Wassern, in Heimstätten und auf Reiserouten unterworfen gewesen waren – Koalitionen, um die Bedingungen des Lebens und Sterbens zu verändern und so Gedeihen in der Gegenwart und in kommenden Zeiten zu ermöglichen. Diese Eruption aus heilender Energie und Aktivismus wurde durch die Liebe zur Erde und ihren menschlichen und nicht-menschlichen Wesen entzündet, aber auch durch die Wut über Grad und Umfang von Ausrottung, Aussterben, Genoziden und Verelendung in aufgezwungenen Mustern artenübergreifenden Lebens und Sterbens, die das Weiterleben für alle bedrohen. Liebe und Wut enthielten sogar noch angesichts der heranstürmenden Zerstörung die Keime für eine teilweise Wiederherstellung. Keine der Gruppen lebte in der Vorstellung, sich auf »unbewohntem Land« zu befinden oder sich auf einem solchen niederzulassen. Solche, nach wie vor im Siedlerkolonialismus und in religiösen wie säkularen Erweckungsbewegungen wirksamen, destruktiven Fiktionen wurden heftig bekämpft. Die Kompostistengemeinschaften arbeiteten und spielten hart dafür, herauszufinden, wie Schichten über Schichten von Leben und Sterben, die jeden Ort und jeden Korridor prägen, beerbt werden konnten. Anders als BewohnerInnen vieler anderer utopischer Bewegungen, Geschichten oder Literaturen der Erdgeschichte wussten sie, dass sie sich nicht selbst täuschen durften und so tun, als könnten sie bei null anfangen. Genau die gegenteilige Ausgangsfrage trieb sie an; sie fragten, wie man in Ruinen, die immer noch von Geistern und Lebenden bewohnt waren, leben kann – und formulierten Antworten darauf. Die Mitglieder der neu entstehenden, vielgestaltigen Siedlungen rund um die Welt stammten aus jeglicher ökonomischer Klasse, Hautfarbe, Kaste, Religion, Säkularität und Region. Sie lebten entlang ein paar einfacher, aber transformativer Praktiken, die wiederum viele andere Völker und Gemeinschaften, wandernde und sesshafte, anlockten. Die Praktiken waren äußerst infektiös. Die Gemeinschaften durchliefen in ihrer sympoietischen Kreativität voneinander abweichende Entwicklungen, wurden aber durch klebrige Fäden zusammengehalten. Die verbindenden Praktiken erwuchsen aus dem Selbstverständnis, dass es für Wiederherstellung und Kontinuität an ruinierten Orten erforderlich ist, sich auf innovative Art und Weise verwandt zu machen. In

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den sich ausbreitenden, neuen Siedlungen musste jedes Kind mindestens drei Eltern haben, die alte oder neue Formen von Geschlecht praktizieren mochten, oder auch nicht. Körperliche Unterschiede wurden mit all ihren belasteten Geschichten wertgeschätzt. Neue Kinder müssen selten und kostbar sein, und sie müssen sich in stabiler Begleitung von Alten und Jungen aus vielen Arten wissen. Verwandtschaftsbeziehungen können zu jeder Zeit des Lebens gebildet werden, sodass Eltern oder andere Arten von Angehörigen an bedeutsamen Punkten der Transformation hinzugefügt oder erfunden werden können. Solche Verhältnisse schaffen starke, lebenslange Verbindlichkeiten und Verpflichtungen unterschiedlicher Art. Sich verwandt zu machen als eine Methode, die menschliche Bevölkerungszahl und ihre Ansprüche an die Erde zu minimieren und gleichzeitig das Gedeihen von menschlichen und anderen Krittern zu maximieren, mobilisierte in den verstreut entstehenden Welten Energien und Passionen. Sich verwandt zu machen und das Neuaustarieren der Bevölkerungsgröße musste freilich innerhalb riskanter, körperlicher Verbindungen mit Orten, Korridoren, Geschichten und ihren fortgesetzten dekolonialen und postkolonialen Kämpfen stattfinden; und nicht rein theoretisch und nicht auf eine externe Anordnung hin. Die vielen gescheiterten Modelle von Populationskontrolle stellten genügend abschreckende Beispiele bereit. Deshalb bestand und besteht die Arbeit dieser Gruppen darin, sich absichtsvoll verwandt zu machen, und zwar über tiefgehende Zerstörung und unleugbare Differenzen hinweg. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte historisch spezifischer, sozialer Aktivisimus sowie kulturelles und wissenschaftliches Wissen die früher als natürlich vorgestellten Bande von Sex und Gender, Rasse und Nation aufgetrennt. Vieles davon wurde von antikolonialen, antirassistischen, pro-queeren, feministischen Bewegungen angestoßen. Aber die weitverbreitete Festlegung auf die immer noch als natürliche Notwendigkeit wahrgenommene Verbindung zwischen Verwandtschaft und baumförmiger, biogenetischer und reproduktiver Genealogie abzuschaffen, wurde die Kernaufgabe der Kinder der Kompostisten. Ein neues menschliches Kind ins Dasein zu bringen, wird in den im Entstehen begriffenen Gruppen als eine stark kollektiv strukturierte Entscheidung aufgefasst. Außerdem kann niemand gezwungen werden, ein Kind auszutragen, oder dafür bestraft werden, eines außerhalb der Schirm-

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herrschaft der Gemeinschaft zu bekommen.8 Die Kinder der Kompostisten hegen und pflegen die Geborenen auf jede nur erdenkliche Art und Weise, auch wenn sie daran arbeiten und dafür spielen, die Apparate des Sich-verwandt-Machens zu transformieren und die Belastung der Erde durch die hohe menschliche Bevölkerungszahl überall deutlich zu senken. Obwohl Leute nicht dazu ermutigt werden, es als individuelle Entscheidung zu betrachten, ein Kind zu bekommen, wird die reproduktive Freiheit der Person hochgehalten.

Abb. 8.2 »Make Kin Not Babies«-Aufkleber, 5 mal 7,5 Zentimeter. Hergestellt von Kern Toy, Beth Stephens, Annie Sprinkle, Donna Haraway.

Als wertvollster Ertrag dieser Freiheit werden Recht und Verpflichtung jener menschlichen Person jeglichen Geschlechts, die das Kind austrägt, angesehen, den Tiersymbionten für das neue Kind zu wählen.9 Alle neuen menschlichen Mitglieder der Gruppe, die im Rahmen der gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesse geboren werden, kommen als Symbionten mit solchen Krittern ins Dasein, die Art bedroht sind. Sie haben damit Anteil an der ganzen gemusterten Textur des Lebens und Sterbens dieser speziellen Wesen und all ihrer Assoziierten, deren Zukunft sehr fragil ist. Menschliche Babys, die infolge einer individuellen Reproduktions-

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entscheidung geboren wurden, erhalten keinen biologischen Symbionten, aber sie leben in vielerlei anderen Arten von Sympoiesis mit menschlichen und nicht-menschlichen Krittern. Über die Generationen hinweg erlebten die Kompostistengemeinschaften vielschichtige Probleme mit der Formierung von hierarchischen Klassensystemen und manchmal sogar heftige Auseinandersetzungen zwischen Kindern, die als Symbionten geboren wurden, und denen, die als konventionellere menschliche Individuen auf die Welt kamen. Syms und Non-Syms konnten sich, manchmal recht buchstäblich, nicht so leicht in die Augen sehen. Die tierischen Symbionten stammen üblicherweise aus einer wandernden Art, was sich auf die Fluchtlinien des Besuchens, Arbeitens und Spielens aller PartnerInnen in der Symbiose auswirkt. Diejenigen, die an der Symbiose der Kinder der Kompostisten teilhaben, Menschen und Nichtmenschen, reisen oder sind auf Assoziierte angewiesen, die reisen; Korridore sind grundlegend für ihr Dasein. Die Wiederherstellung und Pflege von Korridoren und von Anschlüssen ist eine zentrale Aufgabe der Gemeinschaften; so imaginieren und praktizieren sie die Reparatur von ruinierten Böden und Gewässern und ihrer Kritter, menschlicher und nicht-menschlicher.10 Die Kinder der Kompostisten verstanden geteilte Verwandtschaft als Humus, nicht als human oder nichthuman. Die Erziehung jedes neuen Kindes besteht im Kern darin, die Symbiose mit seinem Tiersymbionten so zu leben, dass dieser unterstützt wird; und nicht nur der direkte Symbiont, sondern all die anderen Wesen, die er braucht, um fünf menschliche Generationen zu überdauern. Den tierischen Symbionten zu fördern heißt umgekehrt, von ihm unterstützt zu werden sowie Praktiken der Sorge für die sich verzweigenden symbiotischen Subjekte zu erfinden. Die menschlich-tierlichen Symbionten halten die Weitergabe von sterblichem Leben am Laufen. Sie beerben und erfinden Praktiken der Rückgewinnung, des Überlebens und des Wachstums. Weil die tierischen Partner in der Symbiose aus einer wandernden Art kommen, lernt und lebt jedes menschliche Kind in Knoten und Pfaden mit anderen Leuten und ihren Symbionten, in Bündnissen und Kollaborationen, die erforderlich sind, um das Weiterbestehen zu ermöglichen. Buchstäblich und im übertragenen Sinn ist »die Einbildungskraft im Wandern zu üben« in diesen Gemeinschaften eine lebenslange, pädagogische Pra-

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xis. Gemeinsam oder getrennt werden Wissenschaften und Künste leidenschaftlich praktiziert und erweitert. Auf diese Weise sollen die sich rasch entwickelnden, ökologischen, naturkulturellen Gemeinschaften (einschließlich der Leute) auf ein gutes Leben und Sterben während der gefährlichen Jahrhunderte unumkehrbaren Klimawandels, anhaltenden Artensterbens und anderer Turbulenzen eingestimmt werden. Eine kostbare Kraft individueller Freiheit für das neue Kind ist die Wahl eines Geschlechts – oder auch die Nichtwahl –, wenn die Muster des Lebens und Sterbens diesen Wunsch wecken. Körpermodifikationen sind bei Camilles Leuten normal. Bei der Geburt werden dem physischen Erbe des Symkindes ein paar Gene und ein paar Mikroorganismen des tierischen Symbionten hinzugefügt, damit das menschliche Teammitglied die Sensibilität seines tierischen Kritters und dessen Antworten auf die Welt lebhafter und genauer erfahren kann. Die tierischen PartnerInnen werden nicht derartig modifiziert, aber ihre Beziehungen mit Böden, Gewässern, Leuten und Völkern, Krittern und Apparaten befähigen auch sie auf überraschende Art und Weise zu neuen Dingen; biologische EcoEvoDevo-Veränderungen finden andauernd statt.11 Ihr ganzes Leben lang kann die menschliche Person ihren Körper weiter modifizieren; aus Gründen des Genusses, der Ästhetik oder der Arbeit, allerdings nur, wenn die Modifikationen dem Wohlbefinden beider Symbionten im Humus der Sympoiesis dienen. Camilles Leute zogen in die Appalachen im südlichen West Virginia, an einen Ort in der Nähe des Kanawha-Flusses, unweit des Gauley Mountain, der durch die Sprengung seiner Spitze für den Kohleabbau zerstört worden war. Der Fluss und seine Zuflüsse waren toxisch, die Täler mit dem Schutt aus der Mine gefüllt, die Leute wurden von der Bergbaufirma zuerst ausgenutzt und dann im Stich gelassen. Camilles Leute taten sich mit den kämpfenden, artenübergreifenden Gemeinschaften in den schroffen Bergen und Tälern zusammen, mit lokalen Leuten und anderen Krittern.12 Die meisten jener Kompostistengemeinschaften, die mit Camilles Ansammlung eng verbunden waren, lebten an Orten, die durch den Abbau fossiler Brennstoffe oder durch den Abbau von Gold, Uranium oder anderer Metalle verwüstet waren. Orte, die durch Entwaldung oder durch Monokultur-Landwirtschaft, also die Übernutzung von Wasser und Nähr-

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stoffen, ausgeweidet waren, spielten in Camilles erweiterter Welt ebenfalls eine große Rolle. Monarchfalter besuchen Camilles Gruppe in West Virginia im Sommer. Sie unternehmen eine viele Tausend Meilen lange Wanderung in den Süden, um in einigen wenigen speziellen Pinien- und Tannenwäldern an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Michoacán und México in Zentralmexiko zu überwintern.13 Im 20. Jahrhundert ist der Monarchfalter zum Wappentier des Staats West Virginia erklärt worden; und in der Ökoregion überlebender Wälder entlang des transmexikanischen Vulkangürtels wurde die Reserva de la Biosfera Mariposa Monarca (Monarchfalter Biosphärenreservat, Mexiko) eingerichtet; das Reservat wurde 2008 zum UNESCOWelterbe erklärt. Während ihrer komplizierten Wanderungen müssen die Monarchfalter essen, brüten und sich ausruhen. Sie tun das in Städten, auf ejidos (Gemeindeland), auf indigenem Land, auf Bauernhöfen, in Wäldern und auf Wiesen in ausgedehnten, beschädigten Landschaften, die von solchen Leuten und Völkern bewohnt werden, die in vielerlei umstrittenen Ökologien und Ökonomien leben und sterben. Die Larven der im Frühling sprunghaft von Süden nach Norden wandernden östlichen Monarchfalter sind mit den Folgen von Gentechnik und Chemikalien in der industrialisierten Landwirtschaft konfrontiert, die ihr unverzichtbares Futter – die Blätter heimischer Seidenpflanzen – entlang der Strecke vernichtet haben. Nicht nur das Vorhandensein irgendwelcher Seidenpflanzen, sondern das saisonale Auftreten lokaler Varianten von Mexiko bis Kanada ist synkopisch ins Fleisch der Monarch-Raupen komponiert. Manche Seidenpflanzenarten gedeihen auf zerstörtem Land; sie sind gute Pionierpflanzen. Die in der Mitte und im Osten von Nordamerika häufig vorkommende Seidenpflanze Aclepias syriaca ist eine solche, sich wieder früh ansiedelnde Pflanze. Seidenpflanzen wachsen an Straßenrändern und zwischen Ackerfurchen, inbesondere jene Seidenpflanzen, die sehr empfindlich auf Monsantos glyphosphathaltiges Herbizid namens Roundup reagieren. Eine weitere Seidenpflanzenart ist für die östliche Wanderung der Monarchfalter wichtig, nämlich eine auf hoch gelegenen Steppen heimische Art, die einer späteren ökolo­ gischen Entwicklungsphase angehört. Durch die beinahe komplette Zer-

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störung von Hochsteppen in ganz Nordamerika ist diese Seidenpflanze, As­clepias meadii, stark gefährdet.14 Im Frühling, im Sommer und im Herbst produzieren verschiedenste Früh-, Mittel- und Spätblüher, unter anderem Seidenpflanzen, Nektar, der von den erwachsenen Monarchfaltern gierig getrunken wird. Auf der Südwanderung nach Mexiko ist die Zukunft der östlich wandernden Falter durch den Verlust der Lebensräume von nektarproduzierenden Pflanzen gefährdet; Nektar, den die nicht-brütenden Erwachsenen trinken, wenn sie für den Winter zu ihren bevorzugten Rastbäumen in bergigen Wäldern fliegen. Umgekehrt erfahren auch diese Wälder eine naturkulturelle Zersetzung, die mit der komplexen Geschichte fortgesetzter staatlicher, klassen- und ethnizitätsbezogener Unterdrückung von Kleinbauern und Indigenen verwoben ist; das betrifft in dieser Region die Mazahuas und Otomi.15 Aus dem raumzeitlichen Gleichgewicht gebracht und ihrer Nahrung in beiden Richtungen ihrer Wanderung beraubt, sterben die Larven und hungernde Erwachsene entwickeln sich zu langsam, um ihre Winterquartiere zu erreichen. Die Wanderungen missglücken überall in Amerika. Die Bäume in Zentralmexiko trauern um den Verlust ihrer winterlichen, schimmernden Schwärme, und die Lichtungen, Farmen und Stadtgärten in den USA und Kanada wirken im Sommer verlassen ohne ihre huschenden, orange-schwarzen Schimmer. Camilles gebärender Elternteil wählte amerikanische Monarchfalter aus zwei prächtigen, aber schwer geschädigten Strömen als Symbionten aus: aus dem Strom von Kanada nach Mexiko und aus dem von Washington über die Rocky Mountains. Camilles schwangerer Elternteil der ersten Generation übte reproduktive Freiheit in wilder Hoffnung aus und entschloss sich, den bald zur Welt kommenden Fötus mit den westlichen und östlichen Strömungen des Flechtwerks von Schmetterlingsbewegungen zu verbinden. Die Entscheidung bedeutete, dass in Camille der ersten Generation und in den Camilles der weiteren vier Generationen das Wissen und die Kenntnisse für das Weiterbestehen dieser prachtvollen und gefährdeten Insekten wachsen würden. Dies umfasst auch die menschlichen und nicht-menschlichen Gemeinschaften überall entlang ihrer Pfade und Knoten von Wanderung und Aufenthalt. Ein Wissen über genau diese Orte und

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Korridore, das nicht überall und jederzeit gilt. Camilles Gemeinschaft war klar, dass Monarchfalter als häufig vorkommende, globale Spezies nicht insgesamt bedroht waren; jedoch waren zwei große Strömungen der Kontinentalwanderung, ein riesiger Schwung unzähliger miteinander lebender und sterbender Krittern kurz davor, zu verschwinden. Der gebärende Elternteil Camilles, der den Schmetterling als Symbionten auswählte, war eine einzelne Person, ausgestattet mit Responsabilität und betraut mit der Aufgabe, auf wirkungsvolle, nicht-unschuldige und generative Art und Weise eine Freiheit auszuüben, die trächtig mit Konsequenzen für sich verzweigende Welten über fünf Generationen hinweg war. Diese irreduzible Singularität, diese spezifische Ausübung einer reproduktiven Entscheidung setzte ein mehrere Hundert Jahre andauerndes Bemühen in Gang, das sehr viele Akteure einbezog; ein Bemühen, Praktiken der Wanderung über Kontinente (oder an ihnen entlang) für all die wandernden Kritter lebendig zu halten. Die Kompostistengemeinschaften verbanden ihre Kinder nicht mit »gefährdeten Arten« in dem Sinn, wie der Begriff von Naturschutzorganisationen im 20. Jahrhundert entwickelt wurde. Die Kompostistengemeinschaften sahen ihre Aufgabe vielmehr darin, die Künste des Lebens mit und für beschädigte Welten nicht als Abstraktion oder Typus von Aktivität zu verstehen, sondern als etwas, das am Ort und für diejenigen, die an ruinierten Orten lebten und starben, kultiviert und erfunden werden musste. All den Camilles erwuchsen im Laufe ihres Lebens reichhaltige und irdische Gemeinschaften, da Arbeit und Spiel mit und für die Schmetterlinge intensive Aufenthalte und aktive Wanderungen mit Menschen und anderen Krittern als Gastgebern erforderlich machten. Wenn ein/e Camille auf den Tod zuging, wurde rechtzeitig ein/e neue/r Camille in der Gruppe geboren, sodass der/die in Symbiose Ältere den/die Jüngere lehren konnte, bereit zu sein.16 Die Camilles wussten, dass ihre Arbeit jederzeit scheitern konnte. Die Gefahren blieben groß. Das Erbe jahrhundertelanger, ökonomischer, kultureller und ökologischer Ausbeutung von Leuten und anderen Wesen, die exzessive Ausrottung und Vernichtung, hielt die Erde weiterhin in Schach. Aber gleichzeitig wuchsen Praktiken des erfolgreichen Offenhaltens von Raum für andere Kritter. Und verschiedenste engagierte Leute und arten-

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übergreifende Partnerschaften trugen dazu bei, eine bewohnbare Erde in anhaltend beunruhigten Zeiten zu bauen.

Camilles Geschichten Meine Geschichte verfolgt fünf Camilles entlang von nur ein paar Fäden und Knoten ihrer Lebenswege zwischen der Geburt von Camille 1 im Jahr 2025 und dem Tod von Camille 5 im Jahr 2425. Die Geschichte, die ich hier erzähle, schreit nach kollaborativen und divergierenden Praktiken in erzählerischen, akustischen und visuellen Medien und Texten verschiedenster Materialität, von digital bis skulptural, aus allem, was sich dafür als praktisch erweist. Meine Geschichten sind im besten Fall anregende Fadenspiele; sie sehnen sich nach einem dichteren Gewebe, das die Muster offen hält, mit sich verzweigenden Anknüpfungspunkten für noch kommende ErzählerInnen. Ich hoffe, dass LeserInnen Teile der Geschichte verändern und woanders hinbringen, dass sie die Lebenswege von Camille verlängern, bestreiten, ausgestalten und neu imaginieren. Camilles Geschichten erstrecken sich über nur fünf Generationen und erfüllen damit noch nicht die selbst auferlegten Auflagen, der Haudenosaunee Confederacy,17 die für all jene gelten, die von ihrem Ansatz berührt worden sind, auch durch unwissentliche Aneignung. Der Imperativ besteht darin, so zu handeln, dass man in und für sieben Generationen res­ ponsabel bleibt.18 Die Kinder der Kompostisten jenseits der Geschichten von Camille werden vielleicht fähig zu dieser Art der Verweltlichung werden, einer Verweltlichung die vor der Großen Beschleunigung des Kapitalozäns und dem Großen Zaudern schon einmal möglich schien. Im Laufe der fünf Generationen der Camilles schrumpfte die Weltbevölkerung, bestehend aus Personen, die mit einem gefährdeten Tier in Symbiose lebten, das der gebärende Elternteil gewählt hatte (die Syms), und solchen ohne eine Symbiose (die Non-Syms) von 10 Milliarden auf dem Höhepunkt des Wachstums im Jahr 2100 auf stabile 3 Milliarden im Jahr 2400. Hätten sich die Kompostistengemeinschaften nicht von Anfang

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an als so erfolgreich und ansteckend für andere menschliche Leute und Völker erwiesen, wäre die Weltbevölkerung schon 2100 auf über 11 Milliarden gestiegen. Die Atempause durch die eine Milliarde eröffnete Möglichkeiten des Weiterbestehens für viele bedrohte Arten des Lebens und Sterbens, sowohl für menschliche als auch für nicht-menschliche Wesen.19 Camille 1 Geboren 2025. Menschliche Weltbevölkerung: 8 Milliarden Gestorben 2100. Menschliche Weltbevölkerung: 10 Milliarden Im Jahr 2020 bauten dreihundert Leute mit vielfältigen klassen- und rassenbezogenen, religiösen und regionalen Erbschaften dort, wo der New River und der Gauley River zusammenfließen, um den Kanawha in West Virginia zu bilden, eine Stadt. Zweihundert Erwachsene gehörten den vier damals praktizierten Geschlechtern20 an und einhundert Kinder waren unter 18. Als Hommage an die Länder und Gewässer, die durch den Abbau des Gauley Mountain zur Kohlegewinnung zerstört worden waren, nannten sie die Siedlung Neu Gauley. HistorikerInnen, die sich mit dieser Zeit beschäftigen, haben vorgeschlagen, die Periode zwischen 2000 und 2050 als »Das große Zaudern« zu bezeichnen.21 »Das große Zaudern« war eine Zeit unproduktiver und weitverbreiteter Angst vor Umweltverschmutzung, dem sich unverkennbar beschleunigenden Massensterben, gewaltsamem Klimawandel, sozialer Desintegration, sich ausweitenden Kriegen, fortdauerndem Wachstum der menschlichen Weltbevölkerung aufgrund der hohen Zahl bereits geborener junger Menschen (obwohl die Geburtenziffer beinahe überall unter die Ersatzrate gefallen war) und enormer Migra­ tionen von menschlichen und nicht-menschlichen Geflüchteten ohne Zufluchtsorte. In dieser schrecklichen Zeit, in der dennoch aufeinander abgestimmtes Handeln, das einen Unterschied macht, möglich war, entstanden weltweit zahlreiche Gemeinschaften. Der englische Name für diese Versammlungen war Communities of Compost; die Leute nannten sich Kompostisten. Viele andere Namen in vielen anderen Sprachen entwarfen Fadenspiele für kollektives Wiederbeleben. Diese Gemeinschaften hatten begriffen, dass das Große Zaudern in einer tödlichen Katastrophe enden könnte, es sei

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denn, radikales, kollektives Handeln würde eine turbulente, aber genera­ tive Zeit der Umkehrung aufbrodeln lassen, eine Zeit der Revolte, der Revolution und der Wiederbelebung.

Abb. 8.3 Raupe des Monarchfalters Danaus plexippus auf einer Seidenpflanzenschote. Foto: Singer S. Ron, United States Fish and Wildlife Service.

In den ersten fünf Jahren gebaren die Erwachsenen von Neu Gauley keine neuen Kinder, sondern konzentrierten sich darauf, Kultur, Ökonomie, Rituale und Politik so aufzubauen, dass eigensinnige Verwandtschaft (oddkin) reichlich vorhanden war und Kinder selten, aber kostbar waren.22 Arbeit und Spiel des Sich-verwandt-Machens ließen in den Gruppen Fähigkeiten entstehen, die entscheidend für das Wiederaufleben und für artenübergreifendes Gedeihen waren. Speziell Freundschaft als lebensbegleitende, verwandtmachende Praxis wurde verfeinert und gefeiert. 2025 fühlte sich die Gemeinschaft vorbereitet genug, um ihre ersten neuen Babys, die mit Symbionten verbunden sein sollten, zur Welt zu bringen. Die Erwachsenen waren der Meinung, dass die meisten ihrer bereits geborenen Kinder, die geholfen hatten, die Gemeinschaft zu gründen, bereit und erpicht darauf waren, ältere Geschwister für symbiontisch Jüngere zu werden. Alle glaubten, dass so eine Art der Sympoiesis noch nirgendwo auf

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der Erde praktiziert worden war. Die Leute wussten, dass es nicht einfach sein würde, zu lernen so zu leben: gemeinsam in intimen und weltlichen, sorgetragenden Symbiosen mit anderen Tieren; als Teil einer Praxis, um beschädigte Orte zu reparieren und das Gedeihen artenübergreifender Zukünfte zu unterstützen. Camille 1 wurde in eine kleine Gruppe von fünf Kindern hineingeboren, und per23 war als einziges Kind mit einem Insekt verknüpft. Die anderen Kinder dieses ersten Geburtsjahrgangs waren Symbionten von Fischen (dem amerikanischen Aal, Anguilla rostrata), Vögeln (dem Buntfalken, Fal­ co sparverius), Krustentieren (der große Sandkrebs, Cambarus veteranus) und Amphibien (dem Salamander, Ambystoma barbouri).24 Symbiosen mit Säugetieren wurden in der zweiten Geburtswelle, etwa fünf Jahre später, begonnen, zunächst mit gefährdeten Fledermäusen. Bedrohte und wandernde Insekten, Fische, Säugetiere und Vögel als Symbionten für neue Kinder zu identifizieren, war meist einfacher als Reptilien, Amphibien und Krustentiere. Die vorzugsweise Wahl von wandernden Symbionten wurde häufig gelockert, insbesondere als der Schutz von ganz unterschiedlichen Korridoren noch dringlicher wurde: Die durch den Klimawandel steigenden Temperaturen zwangen viele eigentlich sesshafte Arten, ihre früheren Lebensbereiche zu verlassen. Wandernde Kritter mit weitgespannten Reise­routen blieben zwar die bevorzugten Symbionten, denn durch die Verbundenheit mit ihnen konnten die Kompostisten ihre eigenen, kleinen menschlichen Gemeinschaften geografisch und kulturell weltgewandter machen. Dennoch wandten sich einige Mitglieder der Kompostistengemeinschaften Krittern zu, die in kleinen Lebensräumen verblieben waren, sowie solchen, deren anspruchsvolle ökologische Anforderungen und deren Liebe zur Heimat sie eng an ganz spezielle Orte band.25 In den ersten hundert Jahren hieß Neu Gauley hundert neugeborene Babys willkommen, die mit Symbionten verbunden waren. Zu verzeichnen waren zudem zehn Geburten durch Individuen oder Paare, die das Dreielternmodell ablehnten und deren Nachkommen keine Symbionten erhalten hatten, weiterhin 200 Todesfälle, 175 Zuzüge und 50 Abwanderungen. Den WissenschaftlerInnen der Kompostistengemeinschaften gelang es nicht, erfolgreiche menschlich-tierliche Symbiosen mit Erwachsenen zu bewerkstelligen; die entscheidenden empfänglichen Phasen treten beim Men-

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schen in der Fötalentwicklung, der Stillzeit und der Pubertät ein. Wenn tierische Partner zelluläres oder molekulares Material für die menschlichen Partner zur Verfügung stellen, müssen sie ebenfalls in einer Phase der Transformation sein, wie Schlüpfen, Raupenhäutung oder Metamorphose. Die Tiere selbst werden nicht mit menschlichem Material verändert; ihre Rolle in der Symbiose ist es, in gefährlichen und beschädigten Zeiten auf jede nur mögliche Art und Weise zu wachsen und ihren Symbionten etwas beizubringen. Fast überall verpflichteten sich die Kompostisten, die Größe ihrer Gruppe beizubehalten oder nur durch Zuwanderung zu wachsen, wobei sie ihre eigenen Geburtenraten so niedrig hielten, dass die menschliche Weltbevölkerung schlussendlich um zwei Drittel schrumpfen sollte. Wenn ZuwanderInnen die grundsätzlichen Praktiken der Kompostistengemeinschaften akzeptierten, erhielten sie, wenn sie das wollten, permanente Aufenthaltsund Bürgerrechte. In erfindungsreichen und üblicherweise lauten, verwandt-machenden Zeremonien wurden sie Kompostisten. Nichtansässige BesucherInnen waren immer willkommen; Gastfreundschaft wurde als fundamentale Verpflichtung und Quelle wechselseitiger Erneuerung betrachtet. Die Länge des Aufenthalts von Gästen konnte zur Streitsache werden und zum Zerbrechen von Verwandtschaftsbeziehungen oder manchmal sogar ganzer kompostistischer Gemeinschaften führen. Wenn sehr viel mehr ZuwanderInnen einer Gemeinschaft beitreten wollten als untergebracht werden konnten, wurden neue Siedlungen mit MentorInnen aus der Kernstadt gegründet. In den frühen Jahrhunderten kamen die Zuwandernden häufig aus anderen ruinierten Gegenden. Ihre Suche nach Zuflucht und Zugehörigkeit in einer Gemeinschaft – die den Künsten des Lebens auf einem beschädigten Planeten verpflichtet war  – war ein Akt der Verzweiflung und des Vertrauens. Die ursprünglichen GründerInnen der Kompostistengemeinschaften erkannten schnell, dass aus verzweifelten Verhältnissen Zuwandernde nicht nur Traumata mitbrachten, sondern auch außergewöhnliches Wissen und Können für die anstehende Arbeit. Sich an anderen ruinierten Orten niederzulassen und Bündnisse und Kollaborationen mit Leuten und anderen Krittern dieser Regionen zu etablieren, verlangte von den MentorInnen und den Zuwandernden außergewöhnliche Fähigkeiten. Pflanzensymbionten wurden in

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den ersten Generationen nicht mit Babys der Kompostistengemeinschaften verbunden, obwohl das Anerkennen üppiger Sympoiesis  – Verwelt­ lichungen – mit Pflanzen für alle Kompostisten grundlegend war. In Neu Gauley wurde entschieden, über die ersten drei Generationen Zuwanderung stärker zu forcieren als neue Geburten. Nach dieser Zeit gab es mehr Spielraum, aber auch die Notwendigkeit, Geburten und Todesfälle neu zu kalibrieren. Je zahlreicher weltweit die Orte wurden, an denen Bedingungen für eine bescheidene Wiederbelebung gegeben waren, desto besser hielten sich Zu- und Auswanderung die Waage. Die Suche nach neuen Heimaten wurde nun weniger stark von Kriegen, Ausbeutung, Genozid oder ökologischer Verwüstung ausgelöst, als vielmehr von Abenteuer­lust, Neugierde, dem Wunsch nach neuen Arten im Überfluss und nach neuen Fähigkeiten; aber auch von alten Bewegungsgewohnheiten menschlicher Wesen wie Jagen und Sammeln, Wanderweidewirtschaft und dem Wechsel zwischen Stadt und Land. Opportunistische soziale Arten haben die Tendenz, sich viel zu bewegen. Menschliche Wesen, die nicht gefangen gehalten werden, waren immer außergewöhnliche ökosoziale Opportunisten, Reisende und Wegbereiter. Außerdem waren im Jahr 2300 mehr als eine Milliarde Menschen in neue Arten symbiotischer Beziehungen mit anderen Krittern hineingeboren worden, zusätzlich zu den viel älteren artenübergreifenden Verbindungen, die menschliche Leute und viele andere Arten von lebendigen Wesen quer durch ökologische, evolutionäre, entwicklungsgeschichtliche, historische und technologische Geschichten immer schon ausmachten. Vor ihrer Geburt bekam Camille 1 eine Genfolge, die bei den Monarch­ faltern während der Transformation von der Raupe zum geflügelten Erwachsenen auf der Oberfläche Muster hervorbringt. Camille 1 erhielt auch Gene, die per erlaubten, die zarten chemischen Signale im Wind wahrzunehmen, die so wichtig für die erwachsenen Monarchen sind, um verschiedene nektarreiche Blumen und die besten Seidenpflanzenblätter für die Ablage ihrer Eier auszuwählen. Camille 1’ Darm- und Mund-Mikrobiome waren so verbessert worden, dass per gefahrlos Seidenpflanzen genießen konnte. Seidenpflanzen enthalten toxische Alkaloide, die Monarchfalter in ihrem Organismus ansammeln, um Jäger abzuschrecken. Als Camille  1 noch ein Säugling war, vermischte sich orale Befriedigung durch duften-

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de Säugetiermilch mit dem bitteren Geschmack von herzwirksamen Glykosiden; Geschmäcker, die der menschliche Elternteil, der per stillte, sich nicht zu kosten getraute. Camilles 1’ heranreifender, geistreicher Körper musste lernen, in Symbiose mit einem Insekt zu werden, das zuerst fünf Raupenstadien durchläuft, bevor es die Metamorphose zu einem fliegenden Erwachsenen vollzieht. Erwachsene Schmetterlinge wiederum erfahren jahreszeitabhängige Phasen sexueller Erregtheit und sexuell ruhiger Entwicklungspausen. Die symbiogenetische Verbindung von Camille und Monarch musste sich zudem an verschiedene parasitäre und nützliche Assoziierte des Schmetterlingsholobionten anpassen und sich für die Genetik der wandernden Populationen interessieren.26 Die Kompostisten verzichteten darauf, in die bereits komplizierte symbiotische Neuformatierung von Camille 1 solche Gene oder Zeitmuster einzupflanzen, die die Schmetterlinge brauchen, um ihr ganzes Dasein in der Puppe vollständig auseinanderzunehmen und neuzubauen, bevor sie als geflügelte Vollinsekten schlüpfen. Die Eltern versuchten auch nicht, Camilles visuelle Fähigkeiten oder neuronalen Anordnungen so zu verändern, dass per physisch im Schmetterlingsfarbspektrum sehen konnte oder die Facettenaugen eines Insekts ausprägen würde. Nachahmung war nicht das Ziel der Symbiose, sondern fleischliche Vorschläge, die in innovativen pädagogischen Praktiken und natursozialem Mit-Werden gewoben wurden, um die Symbiose über fünf Generationen gedeihen und so beschädigte menschliche und nichtmenschliche Leben und Orte heilen zu lassen. In der allereinfachsten Fassung war es das Ziel, den Schmetterlingen und ihren Leuten – also den Wanderungen – in einer Zeit des Massensterbens eine Chance auf Zukunft zu geben. Als Camille fünf Jahre alt war, war pers Haut mit glänzenden Bändern in Gelb und Schwarz überzogen, wie bei der Raupe eines Monarchfalters im Spätstadium, wobei sich die Farbgebung bis zum Alter von zehn Jahren intensivierte. Als per mit fünfzehn in die Erwachsenenpflichten eingeführt wurde, hatte pers Haut die gedeckten Farben und Muster der Monarchenpuppe. Als Erwachsene erwarb Camille 1 nach und nach das leuchtende orange-schwarze Muster eines erwachsenen Falters. Camille 1’ erwachsener Körper war in der Erscheinung androgyner als der von ausgewachsenen Monarchfaltern mit starkem geschlechtlichem Dimorphismus.

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Alle Symbiontenkinder entwickelten in ihrer frühen Kindheit sowohl sichtbare Merkmale als auch subtile sensorische Ähnlichkeiten mit ihren tierischen PartnerInnen. Obwohl sie das eigentlich nicht hätte überraschen dürfen, wurden die erwachsenen Kompostisten von den Folgen dieses entwicklungsbedingten Faktums überrumpelt, als die ersten ernsthaften Konflikte in Neu Gauley in den Lerngruppen der Jungen ausbrachen. Fünf Kinder mit Symbionten, zwei Kinder von Eltern, die dem Modell nicht zugestimmt hatten und deren Kinder deshalb nicht mit Symbionten verbunden waren, und fünf Zuwandererkinder ohne Symbionten bildeten die erste Gruppe der Kleinen. Die symbiotischen Kinder rangen damit, ihre geistreichen Körper zu integrieren, und zwar auf eine für die Eltern unvorstellbare Art und Weise. Außerdem war jede Symbiose in dieser frühen Generation die einzige ihrer Art. Camille pflegte enge Freundschaften, besonders mit Kess, einem Kind, das mit einem Buntfalken verbunden war; aber jedes symbiotische Kind war sich sehr wohl seiner irreduziblen Differenz bewusst. Kess und Camille fühlten sich wohl deshalb zueinander hingezogen, weil sie gewahr waren, dass Buntfalken Schmetterlinge fressen und dass ihre gefährdeten Symbionten am besten auf Feldern und Lichtungen, an Straßenrändern, auf Weiden und in Mischwäldern, die voller blühender Pflanzen sind, gedeihen. Von Anfang an entwickelten die Kinder eine komplexe Subjektivität, die sich aus Einsamkeit, ausgesprochener Geselligkeit, Intimität mit nicht-menschlichen anderen, Besonderheit, fehlender Wahlfreiheit, Bedeutungsfülle und Sicherheit über die eigene zukünftige Bestimmung zusammensetzte. Diese Landschaft zueinander- und auseinanderstrebender Gefühle bewirkte eine Tendenz zu Arroganz und Exzeptionalismus gegenüber den nichtsymbiotischen Kindern, selbst gegenüber den Eltern und anderen nichtsymbiontischen Erwachsenen in Neu Gauley. Da Symbionten in den ersten Generationen nach Gründung der Kompostistengemeinschaften vergleichsweise selten waren, wurden sie von den nicht-symbiotischen Kindern und Erwachsenen in verletzlichen Momenten als Freaks empfunden; mehr-als-menschlich und anders-als-menschlich und wirklich bedrohlich. Sich daran zu erinnern, dass Humanität Humus bedeutet, und nicht Anthropos oder Homo, war nicht leicht im Netzwerk der westlichen Kulturen, das in Neu Gauley überwog. Die Erwachsenen (und Kinder)

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von Neu Gauley waren also in der sich entwickelnden Gemeinschaft von symbiotischen und nicht-symbiotischen Kindern mit einer zusätzlichen Herausforderung konfrontiert, als sie sich bemühten, die Jungen durch das Labyrinth von Selbstbezogenheit, sozialem Enthusiasmus, Verspieltheit, Stolz aufeinander, Angst, Konkurrenz und Schikanen zu lotsen, das sie selbst aus der Schule kannten. Die Kompostisten von Neu Gauley befanden bald, dass das Geschichtenerzählen die wirkungsvollste Praxis zu trösten, zu inspirieren, zu erinnern, zu warnen, Mitgefühl zu wecken, zu trauern und in Unterschiedlichkeit, Hoffnung und Erschrecken miteinander zu werden sei. Selbstverständlich pflegten die Kompostisten einen breiten Fächer an Bildungsansätzen für Junge und Erwachsene. Wissenschaft und Kunst wurden vervollkommnet und wertgeschätzt. Den Jungen und den Erwachsenen der meisten Spe­zies galt das Spielen als kraftvollste und vielfältigste Aktivität, um alte Dinge neu zu ordnen und neue Dinge zu entwerfen, neue Gefühls- und Handlungsmuster, die verlässlich genug wären, um sich konflikthaft und kollaborativ miteinander zu verwickeln.27 Praktiken der Freundschaft und Praktiken des Spiels, im Kleinen und Großen ritualisiert und gefeiert, waren die wichtigsten Werkzeuge des Sich-verwandt-Machens. Bibliotheken in allen möglichen Formaten und Stofflichkeiten wucherten, um Neugierde zu erregen und um das Projekt zu unterstützen, durch die Arbeit des Heilens beschädigter Orte, Subjektivitäten und anderer Wesen ein gutes Leben und Sterben zu erlernen. Dekoloniale Multispezies-Wissenschaften (einschließlich vielfältiger, multimodaler menschlicher und nichtmenschlicher Sprachen) und der unbegrenzt erweiterbare Transwissensansatz namens EcoEvoDevoHistoEthnoTechnoPsycho (ökologisch-evolutionär-entwicklungsgeschichtlich-historisch-ethnografisch-technologisch-psychologische Wissenschaften) ermöglichten entscheidende, vielschichtige und eng geknüpfte Forschungen für die Kompostisten.28 Die Kompostisten versuchten ungeduldig, alles über experimentelle, intentionale, utopische, dystopische und revolutionäre Bewegungen aller Zeiten und Orte herauszufinden. Eine der großen Enttäuschungen hierbei war, dass so viele Bewegungen unter der Prämisse des Neuanfangs operierten, anstatt zu lernen, ohne Verleugnung zu erben und in einer beschädigten Welt unruhig und beunruhigt zu bleiben. Obwohl sie alles andere als

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frei vom sterilisierenden Narrativ des Säuberns der Erde durch Apokalypse oder Erlösung ist, wurde SF – Science-Fiction und Fantasy, spekulative Fabulation, spekulativer Feminismus und das Spiel mit Fadenfiguren – der reichste Humus ihrer Untersuchungen. Indem sie die Zwangsvollstreckungen von Utopien verhinderte, hielt SF die Politik lebendig. Das Geschichtenerzählen war für die Kompostisten die Samentüte des Gedeihens und Camille 1 wurde mit Geschichten ernährt. Pers Lieblingsgeschichte war Nausicaä aus dem Tal der Winde, weil die junge Prinzessin darin die giftigen Waldwesen liebte, besonders die verachteten und gefürchteten Insekten namens Ohmu. Nausicaä konnte mit ihrem wendigen, personalisierten Jet-Gleiter wie ein Turboschmetterling über den Wald, über Felder und Städte fliegen. Camille 1 konnte nie dieser lebhaften Empfindung widerstehen. Hayao Miyzakis Manga/Anime-Geschichte spielt auf einer postapokalyptischen Erde, die von toxischen Waldkrittern bedroht wird. Sie verteidigen sich und üben Rache für die unerbittliche Zerstörung der natürlichen Welt durch militarisierte, machtversessene, technologisierte Menschen. Böse Machthaber beschwören in ihrem Bestreben, den toxischen Wald zu vernichten und noch das letzte Quäntchen an Ressourcen für die ummauerten, privilegierten und exzeptionalistischen Städte zu extrahieren, den ultimativen Untergang herauf. Aber indem Nausicaä die Waldökologie studierte, die Physiologie der pilzähnlichen, infizierten, giftigen Bäume durchschaute und die gefährlichen, mutierten Rieseninsekten und ihre Larven lieben lernte, siegte sie in ihrem Bemühen, die Menschen und den Wald zu retten. Sie fand heraus, dass die Bäume das Gift aufbereiteten und Tropfen für Tropfen ein unterirdisches Reservoir für reines Wasser bildeten, das die Biodiversität der Erde wiederherstellen konnte. Nausicaä war auf die Sprachen von Pflanzen, Pilzen und Tieren gestimmt und konnte so Unverständnis und Angst der Leute ausräumen, die durch die toxischen Ausströmungen des gestörten Waldes vergiftet wurden. Sie konnte zwischen Menschen und Anders-als-Menschlichen Frieden stiften, weil sie sich mit dem toxischen Wald anfreundete; eine Praxis, die tief in Camille 1’ Psyche einwanderte. In den dramatischen Schlussszenen der Geschichte rettet Nausicaä, unter großer Gefahr für ihr eigenes Leben, die bedrohte Ohmu-Larve und stoppt damit den Aufmarsch ihrer riesigen, er-

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wachsenen ArtgenossInnen, der durch ihre Wut über die Gefangennahme und Folterung des Nachwuchses ausgelöst worden war. Camille erfuhr, dass Miyazakis Geschichte von vielen anderen beeinflusst war,29 unter anderem von der Geschichte einer phönizischen Prinzessin aus Homers Odyssee, die Nausicaä hieß. Sie liebte die Natur und die Musik, besaß eine blühende Fantasie und verachtete Eigentum. Zusammen mit europäischen, mittelalterlichen Darstellungen von Hexen, die die Winde beherrschten, floss auch Master Windkey aus Ursula K. Le Guins Erdsee-Saga ein. Als Erwachsene/r war Camille 1 jedoch davon überzeugt, dass eine japanische Geschichte aus der Heian-Periode die wichtigste Inspiration gewesen war. Die Geschichte heißt »Die Prinzessin, die Insekten liebte«.30 Die Prinzessin dieser Geschichte schmückte sich nicht, indem sie sich nach der damaligen Mode die Zähne schwärzte oder die Augenbrauen durchbohrte, und sie verachtete die Idee eines Ehemanns. Ihre ganze Leidenschaft galt den Raupen und den kriechenden und krabbelnden Krittern, die von den anderen gemieden wurden.31 Nausicaä besaß ein Partnertier, eigentlich einen Symbionten, ein kämpferisches und sanftes kleines Fuchseichhörnchen. In pers Memoiren, beschrieb Camille 1 später Nausicaä aus dem Tal der Winde als Fabel über große Gefahr und große Kameradschaft. Nausicaä mit ihren tierischen Begleitern ist ein Mädchen und eine Heilerin, deren Mut in enger Verbindung mit vielen anderen und vielen Arten von anderen reift. Nausicaä kann nicht alleine handeln, ihre persönliche Responsabilität und ihr Tun haben große Auswirkungen auf sie selbst und auf unzählige menschliche und nichtmenschliche Wesen. Ihre Verbindungen und Korridore sind gleichermaßen praktisch und materiell, wie sie fabelhaft und auf unbescheidene, animistische Art und Weise inspiriert sind. Sie beherrscht die Künste des Lebens auf einem beschädigten Planeten. Das japanische Anime-Kind aus dem 20. Jahrhundert half Camille 1, ihr ganzes Leben lang ihre Symbiose mit den Monarchen zu erhalten.

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Camille 2 Geboren 2085. Menschliche Weltbevölkerung: 9,5 Milliarden Gestorben 2185. Menschliche Weltbevölkerung: 8 Milliarden Zur Initiation mit fünfzehn Jahren wünschte sich Camille 2 Kinnimplantate: Schmetterlingsfühler, eine Art Tentakelbart, sodass ein intensiveres Erschmecken der Welten der fliegenden Insekten in das Erbe der menschlichen PartnerInnen eingehen könnte. Das würde die Arbeit des Mit-Werdens erleichtern und neue leibliche Genüsse ermöglichen.32 Als die Prozedur überstanden war, unternahm per jugendliche Camille 2, stolz auf dieses lebendige Zeichen der gelebten Symbiose in zweiter Generation, eine Reise: Camille 2 besuchte das Winterquartier der östlichen Wanderungsgruppe, um die indigenen Leute und LandarbeiterInnen (campesinos) kennenzulernen, die zerstörtes Land und zerstörte Gewässer entlang des Vulkangürtels, der die Staaten México und Michoacán trennt, wiederherstellten. Camille 1 war in den ersten fünfzehn Jahren pers Lebens Camille 2s Mentorx gewesen und hatte versucht, die zweite Generation des MenschSchmetterling-Symbionten von Neu Gauley auf einen längeren Gastaufenthalt bei den vielgestaltigen Gemeinschaften von Michoacán vorzubereiten. Aber Camille 1’ Lebenswerk hatte sich beinahe ausschließlich in jenen Korridoren der großen östlichen und westlichen Wanderung der Monarchfalter vollzogen – mit allen darin befindlichen Städten, Feldern, Minen, Wäldern, Küsten, Bergen, Wüsten  –, die sich nördlich von Mexiko befinden. Von Südkanada erstreckt sich das Band im Osten nach Washington und im Westen in die nördlichen Rocky Mountains. Camille 1 hatte hauptsächlich mit Leuten aus dem mittleren Westen und Süden gearbeitet und gespielt: mit Bauern und Bäuerinnen, AgrarindustrieingenieurInnen, Energiefirmen und ihren skrupellosen AnwältInnen, MinenarbeiterInnen, Arbeitslosen, NaturliebhaberInnen, GärtnerInnen, KorridorökologInnen, InsektenspezialistInnen und KlimawissenschaftlerInnen, aber auch mit KünstlerInnen, die mit und für nichtmenschliche Kritter auftraten. Obwohl Camille 1 in Neu Gauley lebte und besonders gut auf die geplünderte Landschaft und Bevölkerung des Kohlelandes dort, aber auch anderswo auf dem Kontinent,33 eingestimmt war, verweilte per auch mit den Insekten und ihren Leuten in den Winterquartieren der westlichen Wanderung,

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häufig hielt sie sich entlang der Bucht von Monterey in Zentralkalifornien auf. Also verstand per die biologischen, kulturellen und historischen Welten der Schwärme von Monarchfaltern, die dort an ihren heimischen Pinien und wichtigen Eukalyptusbäumen hingen (obwohl diese von ökolo­ gischen NativistInnen nie ganz akzeptiert wurden).

Abb. 8.4 Ein auf einem Fenchel rastender Monarchfalter im Pismo-Schmetterlingshain in der Nähe des Eingangs zum Pismo Beach State Park, 15. November 2008. Foto: docentjoyce/Wikimedia Commons.

Die Sym- und die Non-Sym-Leute überall in diesem riesigen Gebiet erlebten die Sympoiesis der Kinder der Kompostisten in erster Linie durch ihre biologischen semiotischen Materialien. Natürlich hatte Camille 1 in der Kindheit und im Erwachsenenalter von Native American-, First Nationund Métis-LehrerInnen gelernt, die vielfältige Praktiken und Wissensformen für das Werden und den Austausch von verbundenen Menschen und Nicht-Menschen erklärten und vollzogen. Diese Sudien waren ein wichtiger Teil von Ausbildung und Arbeitsbündnissen. Aber Camille 1 hatte niemals die Praktiken oder Kategorien der Siedlerzivilisation, deren Trennung von Natur, Kultur und Biologie, in Zweifel gezogen, die die eigene trans-

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formative Sympoiesis mit den Monarchen für per verstehbar machten. Aus praktischen und politischen, aber auch aus ontologischen und epistemologischen Gründen erkannte bereits Camille 1 die dringende Notwendigkeit, die Bedingungen des Austauschs und der Kollaboration mit Leuten, Völkern und anders-als-menschlichen Krittern in den südlichen Migrationsgebieten und Lebensräumen der Monarchen in Mexiko zu vertiefen und zu verändern. Obwohl per eine Menge dekoloniale und postkoloniale Literatur gelesen und ein Leben lang mit mexikanischen KameradInnen korrespondiert hatte, von denen einige nach Neu Gauley und nach Santa Cruz in Kalifornien gereist waren, um sich mit den dortigen Gemeinschaften der Kompostisten zu treffen, starb Camille 1 dennoch ohne eine andere MonarchSympoiesis als die der Symbiogenese kennengelernt zu haben. An Camille 2s erstem Día de los Muertos, während des ersten Mexiko-Aufenthalts ein Jahr nach der Initiation, wurden per die im November in ihre Winterquartiere zurückkehrenden Monarcas als die Seelen der Toten der Mazahua vorgestellt. Die Monarcas repräsentierten nicht die Seelen der Toten; sie wa­ ren Syms, bestehend aus Schmetterlingen und menschlichen Toten, multinaturalistische Verweltlichungen, von denen Camille 2 zwar gelesen hatte, die sie aber kaum erkannte und ebensowenig zu grüßen in der Lage war. In ganz Michoacán und überall in Mexiko gab es kompostistische Gemeinschaften, die symbiogenetische Kinder geboren hatten, um zerstörte Böden und Gewässer für kommende Generationen wiederherzustellen. Die MexikanerInnen kannten sich ebensosehr mit den vielfältigen Instrumenten naturkulturellen, biologischen Wissens und entsprechende Praktiken aus wie ihre nördlichen KameradInnen. Aber in keiner der mexika­ nischen Kompostistengemeinschaften, egal ob sie koloniale, gemischte oder indigene Wurzeln hatte, wurde jemals ein Baby mit einem gefährdeten, wandernden Kritter verbunden, der ein besuchender Vorfahre war. Die Folgen der beeindruckenden Begegnung von Camille 2 mit einer Monarca-Sympoiesis, in der überwinternde, geflügelte Insekten die Lebenden als Vorfahren besuchten, gestaltete die Textur der Arbeit für ökologische Gerechtigkeit, die Neu Gauley und die Gruppen des Vulkangürtels verband, für die nächsten dreihundert Jahre tiefgreifend um. Auf der Suche nach einem geteilten Begriff beschlossen Camille 2 und pers Mazahua-Gastge-

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berInnen, diese Art des Mit-Werdens »Symanimagenese« zu nennen. Die Korridore, Wanderungen und Kontaktzonen der Monarchen versammeln quer über die Amerikas wirklich viele Arten des Lebens und Sterbens! Und so wurden die zentralmexikanischen Mazahuas (sie leben in México, Michoacán und Queretaro) in der Geschichte der Camilles ab der zweiten Generation sehr wichtig. Auf beiden Seiten der Grenze wurde dekoloniale Arbeit intrinsisch für die Sympoiesis mit den Monarchen.34 Mit den durch die Kompostisten ererbten Folgen des angloamerikanischen und spanischen Siedlerkolonialismus und seiner Naturschutz- und Wiederherstellungs-Praktiken sowie den Folgen der fortgesetzten Unterdrückung und Ausbeutung indigener Völker durch den mexikanischen und US-amerikanischen Staat ringend, konnte Camille 2 nicht mehr nichts wissen: über den Kampf der Mazahua um Land und Wasser; über die Auswanderung in nahe und ferne Städte für schlecht bezahlte Arbeit; über die landesübliche und illegale Abholzung der Wälder; über die Herstellung von Holzkohle; über die Geschichte des Engagements für die Erhaltung von Bäumen und Wäldern, bevor die Schmetterlingswanderung eine internatio­nale Angelegenheit wurde; auch über die Geschichte der alten und neuen Ausbeutung des Waldes und der Gewässer durch Einheimische und Außenstehende sowie über die Geschichte des Widerstands gegen US-amerikanische und andere ausländische WissenschaftlerInnen, gegen staatliche Regulierungen und mexikanische Bürokraten, die lokale Subsistenzpraktiken kriminalisieren, seit das Schmetterlingsreservat zum Welterbe erklärt wurde. Während Camille 2 die ersten Wochen im Mazahua-Monarchenland verbrachte, wurde per von Frauen aus verschiedenen Gemeinschaften in und um das Schmetterlingsreservat an die Hand genommen.35 Als per junge Sym im Herbst 2100 ankam, feierten die radikalen Mazahua-Frauen den 96. Jahrestag der Gründung ihrer Bewegung. 2004 hatten sie »symbolisch bewaffnet mit landwirtschaftlichen Geräten und Holzgewehren die Ejérci­ to de Mujeres Zapatistas en Defensa del Agua [Streitkräfte der zapatistischen Frauen zur Verteidigung des Wassers, KH] gegründet und eine gewaltfreie Strategie zugesichert«.36 Die zapatistische Bewegung hatte mit einem transformativen, bewaffneten Aufstand am 1. Januar 1994 in Chiapas begonnen, aber für die Mazahua-Gemeinschaften war der wichtigste zapatistische Impuls die Entwicklung von entschlossen gewaltfreien Strategien

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einer breiten, multigenerationellen Oppositionsfront.37 Die Gemeinschaften der Kompostisten rund um die Welt interessierten sich für die zapatistische Form der Kommunalorganisation namens caracol (Schneckenhaus). Für die Mazahua-Frauen bestand die höchste Priorität darin, den SymBesuch aus Neu Gauley in ihre starken Beziehungen zu den lebenden Toten einzuweisen. Höflich der Versuchung widerstehend, ihre Finger mit den empfindungsreichen, tentakulären Organen des bärtigen Besuchs zu verflechten, waren sie von den Schmetterlingsfühlern auf Camille 2s Kinn und pers farbintensiver Haut betört, deren Muster nach und nach die dramatischen Raupenstreifen ihrer Kindheit ersetzt hatte. Die Mazahuas vertrauten darauf, dass diese Zeichnung nur bedeuten konnte, dass per Jugendliche ihrer eigenen Mensch-Schmetterlings-Verweltlichungen schnell verstehen und ein/e nützliche/r Verbündete/r werden würde. Um sich an den menschlichen und anders-als-menschlichen Anstrengungen zur Wiederherstellung und artenübergreifenden Umweltgerechtigkeit auf indigenem Territorium beteiligen zu können, das jahrhundertelang vom Staat und anderen äußeren Kräften dominiert und ausgebeutet worden war, musste Camille 2 viel über die indigene Renaissance lernen, die in den frühen Jahren des 21. Jahrhunderts begonnen hatte. In der Nacht, in der die Monarchfalter im November 2100 zurückkamen, brachten die Frauen Camille 2 ein Gedicht bei: »Soy Mazahua« [»Ich bin Mazahua«], verfasst von Julio Garduño Cervantes, das für pers Arbeit für die Toten und Lebenden zentral bleiben würde. Die wunderschön gekleideten Leute sangen das Gedicht auf dem Fest, inmitten von extravaganten Feuerwerken, feiernd und die zurückkehrenden Verwandten begrüßend. Das Gedicht erinnert an einen Mazahua-Führer, der 1980 auf dem Rückweg vom Friedhof am Día de los Muertos getötet worden war. Überall in Mexiko hatte dieser Mord die indigenen Pueblos empört und eine Bewegung ausgelöst, die zur Zeit des Besuchs von Camille 2 stärker war als je zuvor. Die Frauen des Ejército de Mujeres Zapatistas en Defensa del Agua lehrten auch, dass die Schmetterlinge die Tränen derjenigen trinken, die die Ermordeten, Vergewaltigten und Verschwundenen jedes Landes betrauern.38

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Ich bin Mazahua Du wolltest meine Existenz verleugnen Aber ich verleugne nicht deine. Aber ich existiere. Ich bin Mazahua! […] Ich bin von diesem Land gemacht, von dieser Luft, dem Wasser und der Sonne. Und vereint wiederholen wir: Wir sind Mazahuas! […] Du hast meine Vorfahren versklavt. Du hast ihr Land gestohlen und sie ermordet. […] Ich baue das Haus, aber du lebst darin. Du bist der Kriminelle, aber ich bin im Gefängnis. Wir machten die Revolution, aber du hast davon profitiert. Meine Stimme erhebt sich und verbindet sich mit Tausenden anderen. Und vereint wiederholen wir: Wir sind Mazahuas! Unsere Hände werden für alle säen. Unsere Hände werden für alle kämpfen. Ich bin Mazahua! — Julio Garduño Cervantes39 Camille 2 fiel es anfangs nicht leicht, zu verstehen, wie aktiv die Toten in dieser Region und wie wichtig sie für die Arbeit der Kompostisten waren, um beschädigtes Land und seine menschlichen und nicht-menschlichen Wesen wiederherzustellen. Camille 2 musste erst lernen, kolonialistische Vorstellungen von Religion und Säkularität loszulassen, um die schiere semiotische Stofflichkeit jener wertzuschätzen, die früher da gewesen waren. Ohne die Anerkennung von Sympoiesis mit den Toten ist Sympoiesis mit den Lebenden spürbar unvollständig. StädterInnen aus Mexico City, die die Mazahua besuchten, bereitete es wie Camille 2 große Mühe, sich ernsthaft mit den epistemologischen, ontologischen und praktischen Anforderungen dieses Aspekts indigener Kosmopolitik auseinanderzusetzen. Die Mo-

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derne und ihre Kategorien erwiesen sich als erschreckend langlebig. Nachdem die vernichtende Kritik im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert ein Festhalten an den Grundprinzipien der philosophischen und politischen Moderne für ernsthafte Leute undenkbar gemacht hatte, auch für WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen, wirkten die Kategorien noch Hunderte von Jahren weiter. Die Moderne wurde in den Untergrund getrieben, aber sie blieb untot. Mit diesem vampirischen Ahnen Frieden zu schließen war eine dringliche Aufgabe für die kompostis­tischen Gemeinschaften.40 In den ersten Wochen von Camille 2s Aufenthalt übernahmen die jugendlichen Mazahua-Frauen der Ejército de Mujeres Zapatistas en Defensa del Agua die Aufgabe, den/die Sym über die Kämpfe um ökologische Gerechtigkeit für die Gewässer und Wälder in der Region aufzuklären. Im 20. und 21. Jahrhundert hatte Mexico City mit gewaltigen Projekten zum Wassertransport das kostbare Nass aus Seen, Flüssen und Grundwasserreservoirs über die Berge in Täler im Norden und Westen umgeleitet, die bis dahin von indigenen Völkern und anderen Krittern besiedelt gewesen waren.41 Diese Praxis war immens zerstörerisch. Das betonte auch ein Bericht der Union of Scientists Committed to Society 2015: »Der Transport von großen Wassermengen aus einem Tal in ein anderes ist nicht nur nicht nachhaltig und beeinträchtigt die Umwelt mittel- und langfristig, sondern führt auch zu gewaltsamen Vertreibungen, durch die Städte und Kommunen zerstört werden, und marginalisiert Menschen, die dazu gezwungen sind, in die Armutsgürtel der großen Städte zu ziehen.«42 Als Camille 1 geboren wurde, pumpte das Cutzamala-System bereits 480 Milliarden Liter pro Jahr nach Mexico City und in seine 27 Gemeinden, während die Mazahua-Kommunen nicht über Trinkwasser verfügten. El Ejército de Mujeres Zapatistas en Defensa del Agua organisierte unermüdlich Demonstrationen und Ak­ tionen in Mexico City und anderorts und errang viele Teilsiege. Der Kampf ging zu Lebzeiten von Camille 2 und darüber hinaus weiter. Die MonarchKritter tranken in Sympoiesis mit Menschen und Anders-als-Menschlichen von den heilenden Tränen der Lebenden und der Toten.43

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Abb. 8.5 Wandmalerei von Jugendlichen in La Hormiga, Putumayo, ­Südwestkolum­bien. Es zeigt die Landschaft vor und nach der Begasung im Rahmen des aus der Luft ­geführten »Kriegs gegen Drogen« [Ziel war es, gegen den Koka-Anbau vorzugehen, Anm. KH], den die USA gemeinsam mit der kolumbianischen Regierung führte. Foto: Kristina Lyons.

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Camille 3 Geboren 2170. Menschliche Weltbevölkerung: 8,5 Milliarden Gestorben 2270. Menschliche Weltbevölkerung: 6 Milliarden In dieser Generation waren zwei Drittel der BewohnerInnen der weltweiten Kompostistengemeinschaften SymbiontInnen, die spielend und kämpfend damit beschäftigt waren, in den härtesten Jahrhunderten der planetarischen Krise, die von weitverbreitetem, menschlichem und andersals-menschlichem Leid geprägt war, gefährdete Wesen zu erhalten. Eine erhebliche Anzahl von Syms hatte beschlossen, ihre kompostistische Gemeinschaft zu verlassen und ihr Niederlassungsrecht zugunsten von Bürgerrechten in einer anderen politischen Formation aufzugeben. Manche Menschen, sowohl ZuwanderInnen als auch Nicht-Sym-Nachwuchs, wurden zuverlässige Kompostisten, ohne jemals den Wunsch zu verspüren, persönlich in symbiogenetische Verwandtschaftssysteme verwickelt zu werden. In Bündnissen mit vielerlei Non-Sym-Bevölkerungen gediehen überall kompostistische Praktiken des Lebens und Sterbens. Und in der anbrechenden Epoche einer teilweisen Heilung fühlten sich die Leute tief mit dem weiter andauernden, tentakulären Chthuluzän verbunden. Als rascher Klimawandel und Zusammenbrüche von aneinandergekoppelten Ökosystemen die Erde überschwemmt hatten, gingen viele Arten von Lebewesen verloren; und die Massenausrottung im Kapitalozän und Anthropozän war noch nicht vorbei. Als Camille 3 fünfzehn Jahre alt war, wurde dennoch deutlich, dass die Zahl der Menschen zwar an den meisten Orten immer noch zu hoch war, um beschädigte natürliche, soziale und technische Erdsysteme wiederaufleben zu lassen, dass sie aber nach einem gut durchdachten Muster, das an Umweltgerechtigkeit ausgerichtet war, schrumpfte. Dieses Muster präferierte und stärkte (1) die Armen unter den Menschen, (2) biodiverse, natursoziale Ökosysteme und (3) die verletzlichsten aller Kritter und ihre Lebensräume. Die erfindungsreichste Arbeit der ersten 150 Jahre seit der Gründung der ersten kompostistischen Gemeinschaften hatte darin bestanden, Verknüpfungen gemäß diesem Muster herzustellen. Die Aufgabe war, bereits vorhandene Chthuluzän-Praktiken, die im Kapitalozän

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und Anthropozän nicht völlig getilgt worden waren, zu erkennen und kraftvoll zu beerben; zudem war es zentral, neue Arten der Verknüpfung zwischen den entscheidenden drei Bereichen zu finden. Die wohlhabendsten und konsumstärksten menschlichen Bevölkerungen reduzierten mit Unterstützung der Kompostistengemeinschaften die Geburtenraten am deutlichsten. Insgesamt lagen die menschlichen Geburtenziffern überall bewusst unter der Ersatzrate, um langsam, aber effizient ein Niveau zu erreichen, das für eine verteilte und diverse Humanität als Humus sinnvoll war, anstatt Natur und Kultur an ein Ende zu bringen. Sich-verwandt-zumachen anstatt Babys hatte sich als Praxis innerhalb und außerhalb der kompostistischen Gemeinschaften verankert. Entgegen aller Erwartungen des frühen 21. Jahrhunderts schien es, als würde Sympoiesis (symbiogenetische und symanimagenische) nach nur 150 Jahren einen Unterschied bewirken: im Offenhalten von Zeit und Raum für viele der am meisten Gefährdeten der Erde, unter anderem für die wandernden Monarchen und ihre vielgestaltigen, menschlichen Leute und Völker. Die Wälder des mexikanischen Vulkangürtels belebten sich wieder und das Wasser war in die geplünderten Grundwasserreservoirs zurückgekehrt. Die Leute hatten einen robusten Frieden mit den Krittern und WissenschaftlerInnen des Biosphären-Reservats ausgearbeitet, indem den indigenen und campesino-Organisationen, die sich für Umweltgerechtigkeit engagierten, größere Bestimmungsrechte zugestanden wurden. Die wandernden Monarchen konnten nun nördlich von Mexiko auf Raupenund Erwachsenenfutter zählen, da biologische Landwirtschaft ohne Monokulturen, überall vorkommende Gärten und speziesreiche Straßenränder die Landschaft füllten. Die Verwüstung von Lebensräumen für Menschen und andere Kritter durch Großenergie und Großkapital war nicht vorbei, aber die Strömung hatte definitiv die Richtung gewechselt. Humusfreundliche technologische Innovationen, kreative Rituale und Feiern, tiefgehende ökonomische Umstrukturierungen, die Umgestaltung politischer Kontrolle, Entmilitarisierung und nachhaltige Arbeit zur Verbindung von Korridoren und für ökologische, kulturelle und politische Wiederherstellung hatten ihre Auswirkungen gezeigt, und ihr Einfluss wuchs. Auch wenn Camille 3 die Monarchen nicht vergessen konnte,

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wurde pers Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt, dass die Syms gemeinsam auf noch nie da gewesene Art und Weise über sich Bilanz ziehen mussten. Die wichtigsten Ereignisse in Camille 3s Leben waren Reisen zu weltweit stattfindenden Treffen von Syms und Non-Syms, die sich mit dem Umstand auseinandersetzten, dass kompostistische Praktiken Menschheit und Tierheit fundamental verändert hatten. Natürlich hatten viele Völker der Erde lebendige Wesen niemals in Menschen und Tiere eingeteilt. Nichtsdestotrotz hatten sie die Dinge anders geordnet, als es die Dinge, die 2200 passierten, erforderten. 2200 wurde auch unübersehbar, dass die Veränderungen nicht überall die gleichen waren. Sym-Verweltlichung ist kein einheitlicher Vorgang, sie verzweigt und adaptiert sich überschäumend in ÖkoEvoDevoHistoTechnoEthnoPsycho-Manier. Die Anerkennung dieser Tatsachen verlief turbulent, beglückend und gefährlich. Die Schikanen unter Kindern, die Camille 1’ Generation durchlebt hatte, waren nichts gegen den Terror des Übergangs in der dritten Generation der kompostistischen Gemeinschaften, die in wenigen weiteren Generationen die Mehrheit der Weltbevölkerung bilden würden. Die einschüchternde Aufgabe für ­Camille 3s Generation bestand darin, weltweite Kosmopolitiken zwischen und unter Syms und Non-Syms zu erfinden. Viele Völker in allen Falten der Erde waren schon lange durch Geschichten, Mythen, Aufführungspraktiken, Kräfte und Verkörperungen von Wesen hervorgebracht und erhalten worden, die nicht in die Kategorien der konventionellen westlichen Philosophie und Politik passten. Solche Geschichten und Verkörperungen waren auch bei neuen und alteingesessenen Völkern des früher einmal sogenannten Westens tief in Praktiken und Selbstverständnisse einbettet. Camille 3s Generation befand, dass Biologien und Geschichtenerzählen die reichsten Ressourcen waren, um jene Stoffe zu weben, die Syms und Non-Syms zusammenhalten konnten.

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Abb. 8.6 Kenojuak Ashevak, Animals of Land and Sea, 1991. Lithografie, 63,5 mal 76 Zentimeter. (Papier). © Dorset Fine Arts.

Science-Fiction-Geschichten vom Erwachsenwerden, von Joanna Russ’ Alyx in The Adventures of Alyx bis zu Julie Czernedas entschieden nichthumanoidem, weiblichen Wesen Esen-alit-Quar in ihrer Web Shifter-Serie, wurden von vielen in Camille 3s Generation rezipiert; diese Fabeln waren in den kompostistischen Archiven sorgfältig aufbewahrt worden. ­Camille 3 fühlte sich besonders von Philip Pullmans Geschichten aus dem 20. Jahrhundert angezogen, die vom Mädchen Lyra Belacqua und ihrem Dämon Pantalaimon erzählen.44 Die animalischen Dämonen der Menschen sind hier zu multiplen Transformationen fähig, bis der Mensch das Erwachsenenalter erreicht; erst dann stabilisieren sie sich in einer dezidierten Morphologie. Pullman stellte sich die Dämonen eher als Ausdruck einer dreiteiligen menschlichen Person vor, denn als ausgeprägte und eindeutige Wesen; aber die kompostistischen Syms konnten auf andere und bessere Ressourcen zurückgreifen, um die Zusammenfügungen zu verstehen, als Pullman, der sich auf das Erbe der Seele/Körper/Geist-Trinität stützen musste, um seinen Krieg gegen Monotheismus und Autoritarismus zu führen. Die Komposisten verstanden die Dämonen auf weniger

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ontologisch gereinigte Art und Weise, sondern stärker verstrickt in situierte Animismen in vielfältigen modernen und traditionellen, vergangenen und gegenwärtigen Welten. Die Verbindungen zwischen Mensch und Dämon ähnelten für sie den symbiogenetischen Verknüpfungen, die in den Jungen der kompostistischen Gemeinschaften geschmiedet wurden. Diese Verbindungen zu verletzen, verängstigte die Personen in der tiefsten Schicht ihres Daseins. Leben-mit war die einzige Art und Weise, gut zu leben. Diese Geschichten, die zwischen und während der endlosen Zusammenkünfte von spitzfindigen und häufig verängstigten Syms und NonSyms erzählt wurden, ermutigten die Kritter der Erde, eine planetenweite ontologische Revolution des Sich-verwandt-Machens zu schmieden. Camille 4 Geboren 2255. Menschliche Weltbevölkerung: 6,5 Milliarden Gestorben 2355. Menschliche Weltbevölkerung: 3,5 Milliarden Nach Jahrzehnten ermutigenden Fortschritts suchten neue virale Krankheiten die erdbasierten Pilzsymbionten von Nahrungspflanzen heim; solche, die von vielen Spezies der Unterfamilie Danainae zur Bekämpfung ihrer eigenen protozoischen Parasiten gebraucht wurden. Der Befall kam so rasch, dass es unmöglich war, darauf zu reagieren.45 Die Monarchfalter folgten den unzähligen Arten und Wesen, die im weiter andauernden großen Aussterben, das von Plantagozän, Anthropozän und Kapitalozän ausgelöst worden war, verschwanden. Am Ende des Lebens, als Camille 4 den Verlust der großen Monarchwanderungen quer über die Amerikas erlebte und damit den Verlust der Muster des Lebens und Sterbens, wusste per, dass das Mentoring von Camille 5 andere Wege finden musste, als diejenigen, auf denen Camille 4 selbst unterrichtet worden war. In einem Tagebuch, das die Kompostisten archiviert haben, schrieb Camille 4 über pers schmerzliche Gefühle als 85-Jährige im Jahr 2340, als per der Einführung von Camille 5 mit fünfzehn Jahren in die vollen Sym-Verantwortlichkeiten zusah. Camille 4 war jahrzehntelang in der Forschung zur Ökologie der Insekten und ihrer menschlichen und nichtmenschlichen Holobiome tätig gewesen und hatte die Berichte über rapide, weltweite Populationsabnahmen von Motten und Schmetterlingen, speziell der

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Danainae, gelesen. Obwohl sie weitverbreitet und vielfältig waren, würden die Monarchen unter den ersten sein, die verschwinden würden; und bis jetzt wusste niemand warum. Es war noch nicht klar, ob das komplette Aussterben bevorstehen würde, aber es war sichtbar, dass die Wanderungen dem Untergang geweiht waren. Den Raum offen zu halten würde von Camille 5 eine ganz andere Art von Arbeit erfordern als von den letzten Generationen, und es war eine harte Aufgabe für Camille 4 die/den junge/n Sym durch noch eine andere Art der Initiation zu begleiten, bevor per 2355 starb. Natürlich konnte Camille 4 auf vielerlei Erfahrungen anderer Syms, die ihre Kritter verloren hatten, zurückgreifen.

Abb. 8.7 Infektionskrankheiten und Parasitismus sind nicht per se ein Feind irdischer Kritter. Das Abtöten des Fortdauerns – doppelter Tod – ist das Verbrechen. »Wenn Monarch­falter stark mit dem protozoischen Parasiten Ophryocystis elektroscirrha ­infiziert sind, bleiben sie manchmal in ihrer Puppe stecken. In diesem Fall ­profitiert eine Papierwespe von der Situation.« Foto und Erklärung: Jaap de Roode, Emory Universität.

Im Jahr 2300 gab es Tausende von SprecherInnen für die Toten überall auf der Erde, jede/r mit der Aufgabe betraut, Kritter, die unwiederbringlich verloren waren, wirkungsvoll präsent zu machen, um all denjenigen Wissen und Mut zu geben, die weiterhin an der robusten und teilweisen Erholung

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der Erde arbeiteten.46 Über dreihundert Jahre lang hatten die kompostistischen Gemeinschaften ein wirkungsvolles, weltweites Netzwerk von Zufluchtsorten und Brennpunkten wiederauflebender naturkultureller Diversität errichtet. Die SprecherInnen für die Toten lehrten Praktiken des Erinnerns und Trauerns, um die vernichteten menschlichen und nichtmenschlichen Kritter in die fortgesetzten Anstrengungen miteinzubeziehen, die Fesseln des doppelten Todes abzuschütteln, die vielerlei Arten und Weisen des Lebens und Sterbens im Plantagozän, Anthropozän und Kapitalozän erstickt hatten.47

Abb. 8.8 Make Kin Not Babies. Design von Elaine Gan für die Ausstellung dump!, ­Aarhus, 2015.

Um Hilfe für die Vorbereitung von Camille 5 als Sprecherx für die Toten zu erhalten, trat Camille 4 an eine kanadische Nunavut heran, eine nichttraditionell lebende, junge Inuk-Frau und Kehlkopfsängerin. Sie wandte sich an Tanya Tagaq und ihr Album Animism von 2014, das im frühen 21.  Jahrhundert so eindringlich Inuit (und andere situierte) Wiederbelebungen gestärkt hatte. Tagaq praktizierte, was Susan Harding, eine Sozial-

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und Kulturanthropologin des 21. Jahrhunderts, probeweise »experimentellen Animismus« genannt hatte.48 Auf Animism formulieren Tagaq und ihre PartnerInnen, Jesse Zubot (Violine), Jean Martin und DZ Michael Reed (Schlagzeug) eine musikalische Auseinandersetzung für und über Kontinuitäten, Transformationen, Widersprüche. Es ist akustische, kinetische SF der gegenseitigen Umwandlung menschlicher und tierischer Wesen in situierten Welten. Jagen, Essen, Mit-Leben, Mit-Sterben und Mit-Bewegen in den turbulenten Falten und Strudeln einer situierten Welt; das waren Tagaqs Bestätigungen und Kontroversen in ihrem Gesang, in ihren Texten und in ihren Interviews. Tagaq umarmte Oppositionen und Konflikte, nicht um sie zu bereinigen, sondern um auf der Innenseite der Komplexität geteilten Fleisches zu leben. Sie setzte sich selbst für bestimmte Welten und nicht für andere ein. Während Tagaqs Auftritt beim Polaris Music Prize im September 2014 liefen hinter ihr die Namen von getöteten oder vermissten einheimischen Frauen über eine Leinwand. Der letzte Titel auf Animism heißt »Fracking«, der erste »Caribou«. Sie trug Seehundfell-Handschellen während des Auftritts; sie bejahte die natürliche Welt und die Jagd ihrer Leute. Ihr riskanter Animismus brachte materielle Welten zur Aufführung – vergangene, aktuelle und kommende. Als sie proklamierte, sie wolle »in Welten leben, die nicht sein sollen«, bestätigte sie gleichzeitig, dass es solche Welten bereits gibt, schon gab und geben wird.49 Die Musik war absolut zeitgenössisch und viele mobile Identitäten waren im Spiel und standen auf dem Spiel. Das Werk griff nach unerwarteten Techniken und nach unerwarteten ZuhörerInnen; und es erwuchs unmissverständlich aus spezifischen Orten, Leuten und Krittern. Tagaqs Praktiken der Transformation von Klängen, Körpern und Arten waren animistisch; sowohl in alten als auch in neuen Inuit-Begriffen und in jenem verwandten Sinn, den der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro vorgeschlagen hat. Viveiros de Castro lernte mit und von brasilia­ nischen Indigenen eine radikale konzeptionelle Neuausrichtung theoretisch zu fassen, die er Multinaturalismus und Perspektivismus nannte: »Animismus ist die einzige sensible Version des Materialismus.«50 Es ist von Gewicht, welche Konzepte Konzepte konzeptualisieren. Materialis­ tischer, experimenteller Animismus ist weder ein New-Age-Wunschtraum noch eine neokoloniale Fantasie, sondern ein kraftvoller Vorschlag, Rela-

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tionalität, Perspektivität, Prozessualität und Realität neu zu denken; und zwar ohne den dubiosen Komfort der Oppositionen modern/traditionell oder religiös/säkular. Menschtier-Verknotungen machen in dieser Welt etwas anderes. Es ist von Gewicht, welche Welten Welten verweltlichen. Es ist von Gewicht, wer wen isst und wie gegessen wird. Das bleibt eine materialreiche Frage für die kosmopolitischen Kritter kompostistischer Gemeinschaften. Aus diesem Grund rief Camille 4 Tanya Tagaq auf, um mehr als zweihundert Jahre nach deren Tod die Kräfte mit ihr zu teilen. Camille 5 Geboren 2340. Menschliche Weltbevölkerung: 4 Milliarden Gestorben 2425. Menschliche Weltbevölkerung: 3 Milliarden Eine Milliarde Mensch-Kritter-Symbionten leben 2425 auf der Erde. Zwei Milliarden Menschen sind 2425 Non-Sym. Über 50 Prozent aller Kritter-Spezies, die es 2015 gab, sind 2425 verschwunden. Viele Millionen Arten von Krittern sind Syms mit Menschen. Die tierischen Partner werden nicht mit menschlichen Genen verändert. Die menschlichen Syms nehmen immer mehr Eigenschaften ihrer ­tierischen Partner an. Viele Menschen sind Syms mit ausgestorbenen Partnern.

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Starhawks Lied, wie es von den SprecherInnen für die Toten gelehrt wird Atme tief. Fühle den Schmerz wo er tief in uns lebt denn wir leben, noch immer, in den rohen Wunden und der Schmerz ist Salz, das in uns brennt. Spüle es aus. Lass den Schmerz zum Klang werden, ein lebendiger Fluss auf dem Atem. Erhebe deine Stimme. Schreie. Kreische. Klage. Wehklage und trauere über die Zerstückelung der Welt.51 Und so erbte Camille 5 eine kraftvolle Aufgabe von Camille 4 – für die Toten zu sprechen, verlorene Lebenswege in aktiver Erinnerung fortdauern zu lassen und präsent zu halten, damit andere symbiotische und sympoietische Engagements nicht verzagten. Zentral für diese Aufgabe war es, nicht den Gestank in der Luft zu vergessen, der von der Verbrennung der Hexen herrührt, nicht die Morde an menschlichen und nichtmenschlichen Wesen während der Großen Katastrophen namens Plantagozän, Anthropozän, Kapitalozän, »wehzuklagen und zu trauen über die Zerstückelung der Welt«. Sich vom Trauern zum Wiederpräsentmachen und hin zu einer Praxis der lebendigen Erinnerung zu bewegen, war die Aufgabe der SprecherInnen für die Toten. Es war ihr Auftrag, die Heilung zu unterstützen, die überall auf der Erde an Schwung gewann. Camille 4 und Camille 5 reisten beide viel (dank ihres Erbes der Monarchensymbiose), um Praktiken der Heilung und des Fortdauerns in den Wirbelstürmen immer noch andauernder Zerstörung und des teilweisen Wiederauflebens zu erlernen und weiterzugeben.

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Abb. 8.9 Die Raupen des Monarchfalters müssen die Seidenpflanzen, von denen sie sich ernähren, in der Regel mit Oleanderblattläusen teilen. © Jaap de Roode, Emory Universität.

Bevor Camille 5 pers Aufgabe – für die Toten zu sprechen – aufnahm, erinnerte per sich an Verbindungen, die mehr als zwei Jahrhunderte vorher geknüpft worden waren. Per suchte erneut Hilfe in den sich verändernden, historisch situierten, symanimagenen Praktiken des Sich-verwandt-Machens der Mazahuas, diesmal des 24. Jahrhunderts. Camille 5 begann mit dieser Arbeit im Zuge eines einjährigen Gastaufenthalts in Michoacán, um in den sich überlappenden indigenen, wissenschaftlichen, aktivistischen Kommunen zu studieren, die immer noch damit beschäftigt waren, vor Ort beschädigtes Leben und Land zu heilen. Die Mazahuas betrauerten ebenfalls den Verlust der lebenden Monarchfalter und waren sehr besorgt darüber, wie das Aussterben der Falter ihre symanimagenen Beziehungen mit den Toten verändern würde. Zur Zeit von Camille 5 waren Millionen Spezies und Kritter verschwunden, sowohl menschliche als auch nichtmenschliche, und es gab viel für die SprecherInnen für die Toten zu tun; nämlich: Mut und Verstand derjenigen aufzufüllen, die weiterhin in all den Turbulenzen unruhig blieben; die aber auch weit über das Jahr 2400 hinaus die zerfetzten Freuden des normalen Lebens und Sterbens genossen. Die Leute, die sich den Monarchfaltern zugehörig fühlten, beschlossen, dass der/

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die SprecherIn für die Toten selbst eine neue Art von Sym sein sollte, und sie verbanden Camille 5s Symbiogenese mit symanimagenen Personen aus dem Vulkangürtel. Diese Personen waren schon zuvor FreundInnen und MitarbeiterInnen gewesen; nun waren sie dabei, eine weitere experimentelle und riskante Sympoiesis in der Zeit zu entfalten. Die SprecherInnen für die Toten haben auch den Auftrag, die neuen Dinge auf der Erde in die Köpfe und Herzen zu bringen. Sie erzählen nicht nur von Symbionten und Symanimagenen, von ihren Gemeinschaften und Korridoren, sondern auch von den entstehenden Wesen und Lebensweisen einer sich immer weiterentwickelnden Heimatwelt. Die SprecherInnen für die Toten setzen die Energien des vergangenen, des aktuellen und des zukünftigen Chthuluzäns frei, mit seinen unzähligen Tentakeln einer opportunistischen, gefährlichen und generativen Sympoiesis. Die Kinder der Kompostisten werden an der vielschichtigen, neugierigen Praxis des MitWerdens mit anderen festhalten: für eine bewohnbare, aufblühende Welt.

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Anmerkungen

Einleitung 1 Der Originaltitel dieses Buchs lautet Staying with the Trouble. 2 Ongoing, ongoingness wurden uneinheitlich übersetzt, da die einheitliche Verwendung nur einer der verschiedenen Entsprechungen (fortsetzen, weitermachen, weiterbestehen, fort-, an-, überdauern, Beharrlichkeit, Kontinuität) im Deutschen zu grammatikalischen und semantischen Turbulenzen führen würde. Anm. KH. 3 Critter ist ein im Amerikanischen für alles mögliche Getier gebräuchlicher Begriff. LaborwissenschaftlerInnen reden die ganze Zeit über ihre critter; viele andere Leute überall in den USA ebenso, vielleicht besonders im Süden. Der Makel der Kreatur und der Kreation [die Assoziation mit der Schöpfungsgeschichte, Anm. KH] haftet nicht an critter. Solche semiotischen Seepocken sollten eliminiert werden. In diesem Text verwende ich critter großzügig: für Mikroben, Pflanzen, Tiere, Menschen, Nicht-Menschen und manchmal auch für Maschinen. [Der Ausdruck critter ist mit dem Kunstwort »Kritter« übersetzt worden, da im Deutschen kein Ausdruck existiert, der die Bandbreite des Gemeinten wiedergibt. Der naheliegende Begriff Kreatur tappt in die Falle der Schöpfungsgeschichte, andere mögliche Wörter sind pejorativ (Viech etc.). Ein krokodil­ ähnlicher Mutant aus dem Super-Mario-Universum heißt Kritter, und im Schwedischen bedeutet Kritter Lebewesen. Anm. KH] 4 Es war allerdings weniger einfach über die Schreibweise von Chthuluzän zu entscheiden, damit diese auf vielfältige und unbescheidene Dividuen und Kräfte hinführt, aber nicht auf Chthulhu, Cthulhu oder ein anderes Singleton-Monster (oder eine Singleton-Gottheit). Penible Griechischkundige könnten auf einem »h« zwischen dem letzten »l« und »u« bestehen; aber zugunsten der englischen Aussprache und um den Zugriff von Lovecrafts Cthulhu zu vermeiden, habe ich das »h« fallengelassen. Es ist ein Metaplasmus. 5 Der Begriff der Responsabilität ist in der deutschsprachigen Philosophietradition kaum eingeführt. Die Referenzen führen zu Emmanuel Lévinas und Jacques Derrida und sind stärker sprachphilosophisch orientiert als Haraways Verwendung von response-ability. Da aber auch hier im Kern die Übernahme von Verant-

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wortung unterhalb von positivem Wissen und über intentionale Prozesse hinaus gemeint ist sowie die Verpflichtung zur Ermöglichung eines Responses durch den Anderen, wird response-able in der Regel als responsabel übersetzt. Anm. KH. 6 Orig.: making oddkin: »Oddkin« spielt auf einen Fantasy-Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Dean Koontz (Oddkins: A Fable for All Ages) von 1988 an. Die deutsche Ausgabe erschien 1989 unter dem Titel Nacht der Zaubertiere. Der Roman handelt von der Reise einer Gruppe lebendiger Stofftiere. Anm. KH. 7 DES = Diethylstilbestrol ist ein synthetisches Östrogen, das in den 1970er Jahren häufig verschrieben wurde, sich aber als Auslöser von Uteruskrebs und anderen Krankheiten in der Folgegeneration erwies. Anm. KH.

Kapitel 1: Fadenspiele mit Art-GenossInnen 1

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In Sprachen, die auf Teilübersetzungen eingestimmt sind, z. B. im US-Englischen, heißen Fadenspiele nicht nur string figures, sondern auch cat’s cradle (Katzenwiege); im Französischen jeux de ficelle; in Navajo, na’atl’o’. Vgl. Haraway (2011a), »SF: Science Fiction, Speculative Fabulation, String Figures, So Far«. Orig. companion species, wie von Haraway angedeutet, leitet sich companion etymologisch vom Teilen von Nahrung, des Brotes, her. Das nächste deutsche Äquivalent (Kumpan) führt in weiter entfernte semantische Felder (Kumpanei etc.), sodass das Wortfeld des gemeinsamen Genießens mit seinen sozialistischen Nebenbedeutungen verwendet wurde. Anm. KH. Ein mathematischer Witz über Terrapolis findet sich in: Haraway (2011b), SF: Speculative Fabulation and String Figures. Aus dem Protogermanischen und Altenglischen guman wurde später human, aber beide betreten die Szene voller Dreck, voller Erde und ihren Krittern. Sie sind reich an Humus, humaine, irdische Wesen, den Göttern entgegengesetzt. Im Hebräischen kommt Adam von adamah, »Boden«. Der historisch-linguis­ tische Genderton von guman ist, wie der von human und man, männlich/universal; aber in SF-Verweltlichungen wird aus adam, guman, adamah eher ein Mikrobiom, das Kritter aus vielen Geschlechtern und Arten fermentiert. Soll heißen: Sie sind Art-GenossInnen, gemeinsam an einem Tisch sitzend, essend und gegessen werdend, PartnerInnen in der Unordnung (messmates), Kompost. Puig de la Bellacasa (2010) erörtert in »Ethical Doings in Naturecultures« eine transformierende Biopolitik, die Sorge um die Erde und ihre vielen Arten, auch um die menschlichen Leute, als Sorge um den Boden in der Permakulturbewegung realisiert. »It matters what ideas we use to think other ideas (with).« Strathern (1992), Re­ producing the Future, S. 10. Vgl. auch: Strathern (1990), The Gender of the Gift. »It

© Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: SUUB Bremen So, Feb 14th 2021, 10:54 Anmerkungen

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matters« wurde als »Es ist von Gewicht« übersetzt, um die Anspielung an Judith Butler »Bodies that matter« (1993) zu behalten, das als »Körper von Gewicht« (1995) übersetzt wurde. Anm. KH. Whitehead (2000), Abenteuer. Stengers (2010, 2011), Cosmopolitics I und II. Despret (2004), »The Body We Care For«; Dies. (2008), »The Becoming of Subjectivity in Animal Worlds«; von Despret habe ich das Konzept des »Einander-Befähigens« erhalten; das Konzept des Mit-Werdens (becoming-with) ist ausgeführt in: Haraway (2008), When Species Meet, S. 16–17, 287. Zum agentiellen Realismus und dem Konzept der Intra-Aktion siehe: Barad (2007), Meeting the Universe Halfway. Teilübersetzung im Deutschen: Barad (2012), Agentieller Realismus. Anm. KH. Zu dieser altmodischen Ethnologie vgl.: Jayne (1906), String Figures. Hogness, »California Bird Talk«. Naabeehó Bináhásdzo (die Navajo-Nation, das legale, geografisch definierte Territorium der halbautonomen Nation), oder auch: Diné Bikéyah (der eigene Name der Leute für Navajo-Territorium), befindet sich in der Four-Corners-Region im US-amerikanischen Südwesten. Es ist eingerahmt von Colorado, Arizona, Utah und New Mexico. Denetdales Forschungsarbeit zur Navajo-Geschichtsschreibung ist gleichermaßen im Netzwerk der Diné-Schöpfungsgeschichten verortet wie in der Wissenschaftsgeschichte, siehe: Denetdale (2007), Reclaiming Diné History. Es gibt mehrere Internetquellen für Navajo-Fadenspiele, z. B.: »Diné String Games« oder die große Sammlung »Library of Navajo String Games«. Ein außergewöhnliches Video einer älteren Navajofrau, Margaret Ray Bochinclonny, die Fadenspiele spielt, ist »Navajo String Games by Grandma Margaret«. Margaret Rays Enkel, Terry Teller, erklärt Navajo-Fadenfiguren und/als Sternbilder: »So Naal Kaah, Navajo Astronomy«. Navajo-Fadenspiele werden meist im Winter gespielt, in Spider Womans Erzähl-Saison. Anderson (2004), Creatures of Empire. Möglicherweise besteht die ko-domestizierende Beziehung von Felsentauben zu Leuten bereits seit ungefähr 10.000 Jahren. Auf 5.000 Jahre alten Keilschrift-­ Tafeln aus Mesopotamien sind sie festgehalten. Ich verwende in diesem Kapitel die auswechselbaren Bezeichnungen Taube (pigeon) und Felsentaube (rock dove, die Tauben, die heutzutage in Städten leben), wenn nicht anders angegeben. Es gibt jedoch einige Dutzend lebende und ausgestorbene Arten der ColumbidaenFamilie (z. B. C. livia domestica), darunter dreißig lebende Alte-Welt-Taubenarten. Einige Columbidaen-Arten besitzen expansive natürliche Reichweiten, manche haben spezialisierte Bedürfnisse, die auf kleinem Territorium befriedigt werden. Die größte Vielfalt der Familie ist in den indomalayischen und australasiatischen Ökozonen zu finden. Haustauben haben sich in viele Dutzend formelle, aber auch informelle Unterarten und Züchtungen ausdifferenziert,

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ebenso die wilden oder verwilderten Tauben, die ihr Auskommen in Istanbul, Tokio, London, Los Angeles, Berlin, Kairo, Kapstadt und Buenos Aires haben. Eine aktuelle Liste von Taubenarten und Züchtungen findet sich unter dem entsprechenden Wikipedia-Eintrag (»List of Pigeon Breeds«, siehe Literatur). Eine Google-Bilder-Suche nach Taubenzüchtungen bereitet einen Augenschmaus. Man glaubt, dass die domestizierten Züchtungen aus dem Mittleren Osten und Zentralasien stammen. Einige dieser Züchtungen findet man unter: »TurkishTumblers.com«. Die BBC hat eine Dokumentation über die Taubenliebhaber von Bagdad gemacht, die auch nach 2003, während des Irak-Kriegs, ihre Vögel und ihren Sport am Leben erhalten haben. Die feinen, körperlichen Praktiken der Liebe und Zuwendung, die diese Männer ihren Tauben entgegenbringen, werden hier greif bar. Vgl.: Muir (2009), »The Pigeon Fanciers of Baghdad«. Eine sozialwissenschaftliche Ethnografie der Brieftaubenwelt bieten: Jerolmack (2009), »Primary Groups and Cosmopolitan Ties«; Ders. (2007), »Animal Practices, Ethnicity and Community«; Ders. (2013), The Global Pigeon. Über Jahrhunderte war der Iran das Zentrum für Brieftaubenrennen. Die Praxis wird bis heute fortgesetzt, obwohl sie vom derzeitigen Regime verboten (wenngleich toleriert) wird, da im Rahmen der Rennen auch gewettet wird. Eine persisch-französische, explizit bilinguale Ethnografie dieser faszinierenden Geschichte findet sich bei: Goushegir (1997), Le combat du colombophile. Vgl. auch »World Market in Pigeons«. Einen außergewöhnlichen Index zu Artikeln und anderen Informationen bzgl. Brieftaubenrennen, die hauptsächlich von Betreibern stammen, findet sich unter »Racing Pigeon-Post«. Forschung darüber, wie sie das anstellen, findet sich hier: Walcott (1996), »Pigeon Homing«. Ein Krimi aus der Welt der Taubenrennen ist Scottoline, The Vendetta Defense von 2001. Hafenarbeiter aus New York, die Taubenrennen veranstalten, spielen im Film On the Waterfront von 1954 (mit Marlon Brando) eine wichtige Rolle. Vgl. außerdem Elizabeth Jones, Night Flyers, einen berührenden historischen Thriller, der die Geschichte eines 12-jährigen Bauernmädchens aus North Carolina erzählt, das Haustauben liebt, beschützt und aufzieht. Sie lässt sich im Ersten Weltkrieg darauf ein, sie als Nachtflieger für die US-Armee zu trainieren. Die Vögel selbst sind sehr lebendige, sehr leibhaftige und beziehungsvolle Darsteller in dieser Geschichte. US Coast Guard, »Pigeon Search and Rescue Project«. Vgl. z. B. Prior u. a. (2008), »Mirror-Induced Behavior in the Magpie«. Der Spiegeltest wurde 1970 von Gordon Gallop Jr. entwickelt. Epstein u. a. (1981), »›Self-awareness‹ in the Pigeon«; Allen u. a., »Mirror Use in Pigeons«. Vgl. Keio University (2008), »Pigeons Show Superior Self-recognition Abilities«;

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Toda/Watanabe (2008), »Discrimination of Moving Video Images of Self by Pi­ geons«. Watanabe u. a. (1995), »Pigeons’ Discrimination of Paintings by Monet and Picasso«. Berokoff, »Attachment« und »Love.« In einem Post mit dem Titel »Let’s Hear« gewährt sie einen faszinierenden Einblick in Geschlechter- und Heiratsstrukturen dieser Welt. Berokoff hat Frauen von Brieftaubenzüchtern mehrerer Kontinente befragt: zum Sport selbst, zu den Tauben, zu ihren Ehemännern, über Zeit, über die Arbeit und den Genuss des Sich-Kümmerns um die Vögel. Berokoff, »Love«. ISEA, International Society for the Electronic Arts, Anm. KH. Beatriz da Costa ist am 27. Dezember 2012 gestorben. Zugang zu ihrer Arbeit, auch zu PigeonBlog, erhält man hier: »Beatriz da Costa’s Blog and Project Hub«. Vgl. auch: da Costa, »Interspecies Coproduction«. Eine Darstellung und Diskussion ihrer Arbeit, speziell ihres letzten Projekts Dying for the Other, findet sich in: Haraway u. a. (2013), »Feminism, Technology, Transformation«. Sowie: da Costa (2011), Dying for the Other. Da Costa (2010), »PigeonBlog«, 31. Alle Zitate stammen aus diesem Essay. Damit sich erahnen lässt, welche Kompetenzen es für dieses kollektive Projekt brauchte, führe ich hier das Team der menschlichen Mitglieder auf: Beatriz da Costa (Künstlerin, Forscherin), Richard Desroisiers (Taubenbesitzer), Rufus Edwards (wissenschaftlicher Berater), Cina Hazegh (Künstlerin, Forscherin), Kevin Ponto (Künstler, Forscher), Bob Matsuyama (Taubenbesitzer), Robert Nideffer (Redakteur), Peter Osterholm (Taubenbesitzer), Jamie Schulte (Berater für Elektronik und lieber Freund), Ward Smith (Video). Vgl. auch: da Costa/Philips (2008), Tactical Biopolitics. Es gibt einen Essay der SF-Autorin Gwyneth Jones in diesem Buch, der mein eigenes Schreiben inspiriert hat, siehe: Jones (2008), »True Life Science Fiction«. Da Costa (2010), »Pigeon Blog«, 32. Ebd.: 35. Ich bin so gierig nach Geschichten über Kritter und ihre Leute, die zusammen arbeiten und spielen, dass ich nicht immer die Ecken und Kanten und insistierenden Probleme sehe. Ein PigeonBlog-Team-Mitglied hat mir informell erzählt, dass er es manchmal schwierig fand, den Tauben beim Fliegenlernen mit dem Elektronikrucksack zuzusehen, und dass sie auch während der Anprobe verärgert die Federn gesträubt haben. Er hoffte, dass sie stolz auf ihren Anteil waren; aber er hat mich daran erinnert, dass Arbeit und Spiel, ob für Kunst, für Wissenschaft, für Politik – oder für alle drei –, keine unschuldigen Aktivitäten sind und dass die Belastungen nur selten symmetrisch ausfallen. Eine aktuelle Reportage über Taubenspione im Iran bietet Hambling (2008), »Spy Pigeons Circle the World«. Seine Spekulationen über mögliche Verbindun-

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gen zwischen da Costas Projekt und Vögeln, die iranische Nukleareinrichtungen ausspionieren, ist, gelinde gesagt, ironisch. Aber es sieht ganz so aus, als würde die USA gleichermaßen ferngesteuerte Hightech-Roboter-Drohnen und gut ausgerüstete Tauben-Spione über dem Iran verlieren. Das reicht, um die Mullahs misstrauisch zu machen. Mich auch. Vgl. auch: Denega (2007), The Cold War Pigeon Patrols. Da Costa (2010), »PigeonBlog«, 36. Es wäre zu einfach, über das Ringen und die Positionen, die Tierrechtsleute von anderen AdvokatInnen für tierliche und tierlich-menschliche Verweltlichungen trennen, so zu schreiben, als wären sie geradlinig und geschlossen. Sie sind es nicht. Eine Diskussion dieser Frage zwischen tierliebenden Feministinnen mit unterschiedlichen Auffassungen ist nachzulesen in: Potts/Haraway (2010), »Kiwi Chicken Advocate Talks with Californian Dog Companion«. Margaret Barker von der Cornell Universität, die in den 1990er Jahren Workshops an Schulen in Washington, D. C., veranstaltet hat, hat diese optimistischen Berichte geliefert. Vgl.: Youth (1998), »Pigeons«. »Mais sans colombophile, sans savoir et savoir-faire des hommes et des oiseaux, sans sélection, sans apprentissage, sans transmission des usages, quand bien même resterait-il des pigeons, plus aucun ne sera voyageur. Ce qu’il s’agit de commémorer n’est donc pas un animal seul, ni une pratique seule, mais bien un agencement de deux ›devenirs avec‹ qui s’inscrit, explicitement, à l’origine du projet. Autant dire, ce qu’il s’agit de faire exister, ce sont des relations par lesquelles des pigeons trans- forment des hommes en colombophiles talentueux et par lesquelles ces derniers transforment des pigeons en voyageurs fiables. C’est cela que l’oeuvre commémore. Elle se charge de faire mémoire au sens de prolonger activement. Il y a ›reprise‹« Despret (2013), »Ceux qui insistent«. Übers. KH. Vgl. auch: Crasset (2003), »Capsule«. Hier finden sich auch die Geschichte und ein Bild des Taubenschlags, den Matali Crasset gestaltet hat. Orig.: storied place, im Englischen bedeutet storied sagenumwoben, berühmt; Haraway verwendet den Begriff aber auch für »voller Geschichten«, »erzählt«, Anm. KH. In Australien wurden von EuropäerInnen erstmals Fadenspiele aufgezeichnet. Es gibt viele Namen in den unterschiedlichen Aborigines-Sprachen dafür, zum Beispiel matjka-wuma in Yirrkala. Vgl. Davidson (1941). »Aboriginal Australian String Figures«. Vgl. ebenfalls: »Survival and Revival of the String Figures of Yirrkala«. »Batman’s Treaty,« »Batman Park« und »Wurundjeri«, Wikipedia. Ich lasse die Wikipedia-Referenz ungeschönt stehen; zum Teil, um mein eigenes Unwissen zu markieren, zum Teil in Anerkennung eines unvollkommenen, aber bemerkenswerten Werkzeugs. Downing (2010), »Wild Harvest–Bird Poo«.

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Kapitel 2: Tentakulär denken. Anthropozän, Kapitalozän, Chthuluzän 1

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Gilbert, »We Are All Lichens Now«. Vgl. auch: Gilbert u. a. (2012), »A Symbiotic View of Life«. Gilbert hat das »jetzt« aus seinem Aufruf zur Versammlung entfernt. Wir sind immer schon SymbiontInnen gewesen  – genetisch, entwicklungsgeschichtlich, anatomisch, physiologisch, neurologisch, ökologisch. Diese Sätze stehen auf der Hinterseite des Umschlags von Isabelle Stengers’ und Vinciane Desprets Women Who Make a Fuss. Ursprünglich aus Virginia Woolfs Drei Guineen stammend ist der Slogan »Denken müssen wir« in diesem Buch mit der Dringlichkeit des feministischen Denkens verbunden, aber auch mit Puig de la Bellacasa (2013), Penser nous devons. Hormiga (1994), »A Revision and Cladistic Analysis of the Spider Family Pimoidae«, vgl.: »Pimoa cthulhu« Wikipedia; »Hormiga Laboratory«. »Jene Sorte holistischer, ökologischer Philosophie, die betont, dass ›alles mit allem anderen verbunden ist‹, wird uns hier nicht helfen. Es ist eher so, dass alles mit etwas verbunden ist, das wiederum mit etwas anderem verbunden ist. Es kann sein, dass wir am Ende alle miteinander verbunden sind, aber die Spezifik und das Maß der Nähe von Verbindungen sind von Gewicht – mit wem wir ver­ bunden sind und auf welche Art und Weise. Leben und Tod finden innerhalb dieser Verhältnisse statt. Deshalb müssen wir verstehen, wie spezifische menschliche Gemeinschaften, aber auch die anderer lebendiger Wesen verwoben sind und wie diese Verstrickungen sowohl an der Herstellung des Artensterbens als auch an den es begleitenden Mustern erweiterten Todes beteiligt sind.« van Dooren (2014), Flight Ways, S. 60. Zwei unverzichtbare Bücher meines Geschwister-Kollegen aus mehr als 30 Jahren am History of Consciousness Department der Universität von Kalifornien, Santa Cruz, leiten mein Schreiben an. Clifford (1997), Routes und Ders. (2013), Returns. Chthonisch stammt vom Altgriechischen kthonios, »von der Erde kommend«, und khthōn, »Erde«. Die griechische Mythologie stellt das Chthonische als die Unterwelt dar, unter der Erde; aber die Chthonischen sind viel älter (und jünger) als diese GriechInnen. Sumer bildet die Szenerie, in der eine Flusszivilisation mit großen chthonischen Erzählungen entstand, möglicherweise auch jener Erzählung der großen, kreisförmigen Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, des polysemen Ouroboros (Figur des Weiterbestehens des Lebens, eine ägyp­ tische Figur, die schon 1600 v. Chr. in Erscheinung tritt, die sumerische SF-Verweltlichung datiert noch weiter zurück: 3500 v. Chr. oder älter). In den Chtho­ nischen werden viele Resonanzen dieses Beitrags zusammenlaufen. Vgl. Jacobsen (1976), The Treasure of Darkness. Gildas Hamel, ein Altertumswissenschaftler mit Spezialisierung auf den Mittleren Osten, hat mir in Vorträgen, Gesprächen und E-Mails die Sicht auf »abgründige und elementare Kräfte, bevor sie von

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Chef-Göttern und ihren Zähmungskommissionen astralisiert worden sind« eröffnet (persönliches Gespräch, Juni 2014). Cthulhu (Schreibung beachten!), der in H. P. Lovecrafts SF so prächtig gedeiht, spielt für mich keine Rolle, obwohl er für Gustavo Hormiga, jenen Wissenschaftler, der meiner Spinne den Familiennamen gegeben hat, durchaus eine spielte. Der monströse, männliche alte Gott (Cthulhu) findet sich in: Lovecraft (2009 [1928]), The Call of Cthulhu. Ich nehme mir die Freiheit, meine Spinne vor Lovecraft und für andere Geschichten zu retten und markiere diese Befreiung mit der gebräuchlicheren Schreibung der Chthonischen. Lovecrafts scheußliche unterirdische, chtho­ nische Schlangen waren nur im patriarchalen Modus schrecklich. Das Chthuluzän kennt andere Ängste – es ist gefährlicher und generativer in Welten, in denen dieses Geschlecht nicht regiert. Sich mit glitschigem Eros und in schwerem Chaos windend, ringeln sich Schlangenknäuel und weiterbestehende, tentakuläre Kräfte durch das 21. Jahrhundert. Überlegen wir: Altenglisch: oearth, Deutsch: Erde, Griechisch: gaïa, Lateinisch: terra, Niederländisch: aarde; Altenglisch w(e)oruld (»Angelegenheiten des Lebens«, »ein langer Zeitraum«, »das bekannte Leben«, oder »Leben auf der Erde« im Gegensatz zu »Leben im Jenseits«), von einem germanischen Wortteil (wer) kommend, das »Zeitalter der menschlichen Rasse« bedeutet. Altnorwegisch: heimr, was Bleibe bedeutet. Dann betrachten wir das türkische dünya und gehen zu dunyā (»die Welt in der Zeit«), ein arabisches Wort, das in viele andere Sprachen weitergegeben wurde, z. B. ins Persische, Dari, Pashto, Bengali, Punjabi, Urdu, Hindi, Kurdische, Nepalesische, Türkische, Aramäische und in die nordkaukasischen Sprachen. Dunyā ist auch ein Lehnwort im Malayischen und Indonesischen und im Griechischen δουνιας – so viele Wörter, so viele Wurzeln, so viele Pfade, so viele mykorrhizische Symbiosen, selbst wenn wir uns auf indoeuropäische Knäuel beschränken. Es gäbe so viel Verwandtschaft, nach der diese Zeit, die auf dem Spiel steht, hätte benannt werden können. Der Anthropos ist ein zu engstirniger Kerl; er ist zu groß und zu klein für die allermeisten der Geschichten, die wir ­brauchen. 7 Anspielung auf Singleton, ein Entwurfs- oder Erzeugungsmuster in der Software­industrie. Es stellt sicher, dass von einer Klasse genau ein Objekt existiert, ist also ein generatives Werkzeug zur Herstellung von geordneten Verhältnissen. Anm. K.H. 8 Eva Hayward hat den Begriff der Tentakularität (tentacularity) vorgeschlagen; ihr Trans-Denken und -Tun in spinnigen und korallinen Welten ist mit meinem Schreiben in SF-Mustern verflochten. Vgl.: Hayward (2010a), »FingeryEyes«; Dies. (2010b), »SpiderCitySex«; Dies. (2012b), »Sensational Jellyfish«; vgl. auch: Morgan (2011), »Sticky Tales«; Eleanor Morgans Seidenspinnen-Kunst verbindet viele Fäden mit diesem Text. Sie ist auf die Interaktion von Tieren (vor allem Spinnen und Schwämmen) mit Menschen gestimmt, vgl. ihre Webseite, www. eleanormorgan.com.

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9 Frz. für Fadenspiel, soin heißt aber auch Pflege, Sich-Kümmern, Sorgsamkeit. Anm. KH. 10 Katie King justiert Haywards fingernde Augen und Tentakularität mit »vernetzten Wiederaufführungen« und »Transwissen«: »Da es sich in einem Multiversum sich artikulierender Disziplinen, Interdisziplinen und Multidisziplinen entfaltet, genießt die transdisziplinäre Erkundung die vielen Geschmäcker von Details, Gaben, Leidenschaften, Sprachen, Dingen […]. Ein Hinweis dafür, ob eine transdisziplinäre Arbeit gut ist, wäre, wie gut sie lernt und modelliert, wie sie beeindruckt oder bewegt, wie gut sie unerwartete Elemente in den eigenen Verkörperungen lebendiger und wiedersensibilierter Welten eröffnet.« King (2011), Networked Reenactments, S. 19. Vgl. auch King (2012), »A Naturalcultural Collection of Affections«. Denken müssen wir. 11 Muddle ist ein altes niederländisches Wort für die Trübung des Wassers. Ich verwende muddle als theoretische Trope und als beruhigende Suhle, um die Metapher visueller Klarheit als einzige Bedeutung und einzigen Affekt von sterb­ lichem Denken zu problematisieren. Muddles verbinden sich als GenossInnen. Leere Räume und klare Sicht sind schlechte Fiktionen des Denkens, SF und zeitgenössischer Biologie nicht angemessen. Mein spekulativer Mut wurde gestärkt von: Puig de la Bellacasa (2009), »Touching Technologies, Touching Visions«. Ein herrliches, animiertes Modell von dicht gepackten, lebendigen Neuronen, in dem sich Proteine in ihren ruckartigen Bewegungen vermischen, die die Zellen zum Arbeiten bringen, findet sich hier: »Protein Packing: Inner Life of a Cell« und: Zimmer (2014), »Watch Proteins do the Jitterbug«. [Die hier gewählte Übersetzung (Durcheinander) gibt die Assoziationsbreite des von Haraway verwendeten Begriffs muddle nicht wieder und wird deshalb im Textverlauf variiert. Anm. KH]. 12 Anspielung auf Cloud Computing, Anm. KH. 13 Ingold (2007), Lines, S. 116. 14 Dieser Haufen wurde unwiderstehlich durch: Puig de la Bellacasa (2014), »Encountering Bioinfrastructure«. 15 Künstlerisch-wissenschaftlicher Aktivismus durchzieht meinen Text. Im Kampf für Multispezies-Umweltgerechtigkeit hat Beth Stephens (Künstlerin an der Universität von Kalifornien, Santa Cruz) mit ihrer Frau Annie Sprinkle (Umweltaktivistin, Regisseurin von radikaler Pornografie, Performerin, ehemalige Sexarbeiterin) die »sexyeste Naturdokumentation aller Zeiten« (so Russ McSpadden) gedreht: Goodbye Gauley Mountain. An Ecosexual Lovestory. Es geht um das Verschwinden eines Berggipfels in ihrer Heimatwelt West Virginia im Zuge des kommerziellen Kohleabbaus. In Liebe und Wut (Emma Goldman) müssen wir für einen bewohnbaren Planeten denken (Virginia Woolf). 16 In diesem ganzen Essay verwende ich die aus dem Lateinischen kommenden Wörter terrestrisch und terra, auch wenn ich in griechischen Namen und Erzäh-

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lungen schwimme, zum Beispiel der Geschichte von Gaia in Latour (2013a), »Gaia stories/geostories«. Terra liest sich in SF besonders gut, aber Gaia ist ebenfalls wichtig. Meine Lieblingsversion ist John Varleys Gaea-Trilogie, Titan (1979), Wizard (1980) und Demon (1984). Varleys Gaea ist eine alte Frau, ein lebendiges Wesen in Form eines Stanford-Rings mit einem Durchmesser von 1.300 km im Orbit des Saturn, die/das von vielen verschiedenen Arten bewohnt wird. Eine Fanseite ist: »Gaea the Mad Titan«. Latours Erdgebundene (in seinem Französisch »Terriens«) und Stengers eindringende Gaia würden sich in Varleys erregbarer und unvorhersehbarer Gaea erkennen. Gaia ist in Systemtheorien und in New-Age-Kulturen besser lesbar als Terra. Gaia kommt im Anthropozän zu sich, aber Terra hat für mich einen erdigeren Ton. Terra und Gaia stehen jedoch nicht in Opposition, auch die Erdgebundenen, die uns Bruno Latour in seinem liebenden, riskanten, kraftvollen Schreiben gegeben hat, sind keine oppositionelle Kraft gegenüber den Terrestrischen. GaianerInnen und TerranerInnen sind vielmehr ein queerer, planetenweiter Wurf von Chthonischen, die dringend erinnert werden müssen. So klingen für mich Isabelle Stengers’ »Kosmopolitik« und meine Wortmischung »Terrapolis« zusammen. Wir spielen zusammen Fadenspiele. 17 Eine Verbündete in so einem Verständnis ist Barad (2007), Meeting the Universe Halfway. Außerhalb (und innerhalb) dieses seltsamen Dings, das »der Westen« genannt wird, gibt es vielerlei Geschichten, Philosophien und Praktiken – manche davon sind zivilisatorisch, manche urban, manche weder-noch –, die Leben und Sterben so denken, dass es in anderen Verknotungen stattfindet und in Mustern, die nicht isolierte, binäre Einheiten und Polaritäten voraussetzen, die erst in Verbindung gebracht werden müssen. Variantenreiche und gefährlich konfigurierte Relationalität ist einfach das, was ist. Fehlerhafte, aber kraftvolle Systemtheorien sind bis jetzt die besten technowissenschaftlichen Modelle, die wir für Gaia-Relationalitäten haben. Der US-amerikanische Evolutionsbiologe David Barash schreibt überzeugend über die Konvergenzen (keine Identitäten und Ressourcen, die entwendet werden könnten, um die Krankheiten »des Westens« zu heilen) zwischen den ökologischen Wissenschaften und verschiedenen buddhistischen Strömungen, Schulen und Traditionen, die alle Verbundenheit betonen. Barash (2013) hebt auf Weisen des Lebens, Sterbens, Handelns und Nährens von Responsabilität ab, die in so ein Verständnis eingebettet sind (Buddhist Biology). Was wäre, wenn sich die westlichen evolutionären und ökologischen Wissenschaften von Anfang an innerhalb von buddhistischen anstatt von protestantischen Formen von Verwelt­ lichung entwickelt hätten? Warum finde ich es so schrill, dass David Barash ein Vertreter neo-darwinistischer Evolutionstheorie ist? Vgl. Barash (2007), Natural Selections. Wir brauchen offenkundig Komplexitätstheorien, die auf Paradoxien gestimmt sind!

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Auf seine intensiven Studien zu chinesischem Wissen und chinesischer Wissenschaft auf bauend fragte Joseph Needham (2013 [1969]) vor vielen Jahren in The Grand Titration: Science and Society in East and West eine ähnliche Frage wie Barash, allerdings mit Blick auf Embryologie und Biochemie. Needhams Organizismus und sein Marxismus sind entscheidend für diese Geschichte. Es muss erinnert werden, wenn man darüber nachdenkt, wie das konfiguriert sein könnte, was ich später in diesem Kapitel unter dem Begriff Kapitalozän verhandle. Zu Needham vgl. Haraway (2004), Crystals, Fabrics, and Fields. Was passiert, wenn wir unsere Responsabilität für das Kapitalozän im Tragenetz von Sympoiesis, Buddhismus, EcoEvoDevo, Marxismus, stengerscher Kosmopolitik und anderen starken Kräften gegen die modernisierende Torheit mancher Analysen des Kapitalismus kultivieren? Was passiert, wenn die erbarmungslosen Nullsummenspiele des Neodarwinismus zugunsten einer erweiterten evolutionären Synthese aufgegeben werden? Dempster (1998), »A Self-Organizing Systems Perspective on Planning for Sustain­ability«. Auf den Seiten 27 bis 32 werden die Unterschiede zwischen autopoietischen und sympoietischen Systemen konzise erläutert, eine Tabelle auf Seite 30 stellt die Charakteristiken gegenüber, z. B.: selbst-produzierte Grenzen/ Mangel an Grenzen; geschlossene Organisation/halboffene Organisation; externe strukturelle Kopplung/interne und externe strukturelle Kopplung; autonome Einheiten/komplexe, amorphe Einheiten; zentrale Kontrolle/verteilte Kontrolle; Evolution zwischen Systemen/Evolution innerhalb von Systemen; Wachstums- und Entwicklungsorientierung/Evolutionsorientierung; Gleichgewichtszustand/potenziell dramatische, überraschende Veränderungen; vorhersehbar/unvorhersehbar. Katie King hat mir von Dempsters Arbeit erzählt, als wir versuchten, unsere überlappenden, aber nicht identischen Freuden an und Widerstände gegenüber Autopoiesis und Sympoiesis auseinanderzusortieren. Vgl. King (2013), »Toward a Feminist Boundary Object-Oriented Ontology … or Should It Be a Boundary Object-Oriented Feminism?«. Stengers (2011), »Relaying a War Machine?«, S. 134. Das Konzept der Ökologie der Praktiken stammt von Isabelle Stengers, vgl. Stengers (2005b), »Introductory Notes on an Ecology of Practices.« Vgl. auch: Harrasser/Solhdju (2016), »Wirksamkeit verpflichtet«, KH. Strathern (1995), The Relation; Dies. (1991), Partial Connections sowie Dies. (2005), Kinship, Law and the Unexpected. Strathern (1992), Reproducing the Future, S. 10. Baila Goldenthal (1925–2011) hat eine außergewöhnliche Serie von vier Fadenspielen in Öl auf Holz (1995–96) und in Öl auf Leinwand (2008) gemalt. Für sie und für mich ist das Spielen mit Fäden eine Praxis des kontinuierlichen Webens mit offenem Ende (vgl. ihre Serie Weavers, 1989–94). »Die Techniken des Grun-

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dierens und Glasierens rufen historische Zeiten auf; das Rätsel des Spiels selbst reflektiert die Komplexität menschlicher Beziehungen.« Goldenthal (2015a), »Painting/Cat’s Cradle«. Goldenthal bezieht sich auf Spiele mit Fadenfiguren als Metaphern für das Spiel des Lebens; und die intensiv präsenten Hände laden zu Verwandtschaft mit anderen tentakulären Wesen ein. Cat’s Cradle/String Theory von 2008 war die Titelillustration für das Nuclear Abolition Forum Nr. 2 (2013), eine Ausgabe mit dem Titel »Moving beyond Nuclear Deterrence to a Nuclear Weapons Free World«. Metamorphose, Fragilität, Temporalität, Desintegration, Offenbarung – das gibt es überall in ihrem Werk. Goldenthal hat die Kabbalah und südasiatische, indische Kultur und Philosophie studiert und arbeitet mit Ölen, Bronze, Bleiglas, Papier, Fotografie, Druck, Film und Keramik. Sie hat kraftvolle Skulpturen und zweidimensionale Arbeiten geschaffen. Goldenthal (2015b), »Resumé«. Zu meinen Lieblingsarbeiten gehört Desert Walls aus den mittleren 1980er Jahren. Sie verarbeitete hier Fotografien und Collagen mit Fliesen, Ziegeln, Stroh, Gips, Metall und Glas, um die visuellen Rätsel von Klippen und Steinwänden der Wüsten im US-Südwesten zu evozieren. Arendt (2006), Eichmann in Jerusalem; Hartouni (2012), Visualizing Atrocity, besonders Kapitel 2 »Thoughtlessness and Evil«. Ich lasse Arendts strikten Humanismus und das spezifische, denkende Subjekt ihres Projekts beiseite; auch ihr Insistieren auf eine wesenhafte Einsamkeit des Denkens. Denken-mit im SFKompost, wie ich es in diesem Essay vorschlage, ist kein Feind der tiefgehenden säkularen Selbstbefragung, für die Arendts historisch situierte Figur des Menschen steht. Aber dazu ein anderes Mal mehr. Arendt charakterisiert Denken als »seine Einbildungskraft im Wandern üben«. Arendt (2002), Vom Leben des Geistes, S. 446. »Dieses ›Distanzieren‹ bestimmter Dinge und das Überbrücken der Abgründe zu anderen ist Teil des Verstehens­ dialogs, für dessen Zwecke die direkte Erfahrung einen zu nahen Kontakt herstellt und das bloße Wissen künstliche Barrieren errichtet.« Arendt (2015), »Verstehen und Politik«, S. 127. Orig. astralized, gemeint ist, dass Probleme auf ein überwölbendes Ordnungssystem hin abstrahiert werden, ohne sich auf situierte und konkrete Wirksamkeiten einzulassen. Puig de la Bellacasa (2011), »Matters of Care in Technoscience«; Dies. (2016), Matters of Care. Der Titel einer Konferenz, die Anna Tsing und ihre MitarbeiterInnen an der Universität von Kalifornien, Santa Cruz, veranstaltet haben, lautet »Anthropocene: Arts of Living on a Damaged Planet« (8.–10. Mai 2014). Alle Zitate aus: Tsing (2015b), The Mushroom at the End of the World, S. 34, 2, 4. Van Dooren (2014), Flight Ways. Van Doorens Kollegin Deborah Bird Rose ist überall in diesem Denken, besonders ihre Beschäftigung mit der Vernichtung der Gewebe für das Weiterbeste-

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hen, das Abtöten der Generationenfolge; ein Vorgang, den sie »doppelten Tod« nennt. Vgl. Rose (2004), Reports from a Wild Country. Vgl. auch: van Dooren/Rose (2011), »Unloved Others«; Diess. (2012), »Storied-Places in a Multispecies City«. Die Extinction Studies Working Group, verankert in Australien, ist eine reichhaltige sympoietische Versammlung. Vgl. auch: Environmental Humanities South, in Kapstadt, Südafrika, ansässig. Van Dooren/Rose (2013), »Keeping Faith with Death«. Vgl. van Dooren (2014), Flight Ways, Kapitel 5 »Mourning Crows: Grief in a Shared World«. Sein Schreiben steht in SF-Austausch mit Viniciane Desprets Nachdenken darüber, wie man lernen kann, sich bewegen, sich beeindrucken zu lassen. Vgl. Despret (2004), »The Body We Care For«. Van Dooren (2014), Flight Ways, S. 63–68. Ebenfalls entscheidend für ein Denken und eine Semiotik außerhalb der modernistischen, humanistischen Doktrin: Kohn (2013), How Forests Think. Le Guin (1989a), »The Carrier Bag Theory«, S. 166. Le Guins Essay hat mein Nachdenken über die Narrative der Evolutionstheorie und die Figur der »Frau als Sammlerin« in Primate Visions geformt. Le Guin wiederum hat die evolutionstheoretische Tragetaschentheorie aus Fisher (1975), Women’s Creation. Es war eine Zeit großer, mutiger, spekulativer, weltlicher Geschichten, die in der feministischen Theorie der 1970er und 1980er Jahre entbrannten. Wie die spekulative Fabulation war und ist der spekulative Feminismus immer eine SF-Praxis. Ein ausgedehntes SF-Spiel mit Le Guin und Octavia Butler bietet Kapitel 6: »Welten säen«. Erstabdruck in: Grebowicz/Merrick (2013), Beyond the Cyborg. Le Guin (1989a), »The Carrier Bag Theory«, S. 169. Zur Ein- und Ausführung des Begriffs »Gottestrick« in Wissenschaft und Politik vgl. Haraway (1995), »Situiertes Wissen«. Anm. KH. Latour (2013a), Gifford Lectures, 3. Vortrag, »The Puzzling Face of a Secular Gaïa«. Latour (2013b), »War and Peace in an Age of Ecological Conflicts«. Seine Formel ist hilfreich: Menschen : Normalbetrieb :: die Erdgebundenen : totale Subversion In »Feral Biologies« verwendet Anna Tsing das Wort Holozän mit einer völlig anderen Bedeutung als Latour. Aber die fundamentalen Argumente der beiden reiben sich in häufig gereizter Übereinstimmung aneinander und produzieren einen interessanten Abrieb. Tsing greift auf das Holozän als einen Zeitort zurück, in/an dem Wiederbelebung nach der Störung möglich bleibt; das Anthropozän ist hier der Zeitort radikaler Reduktion, radikaler Simplifizierung, radikaler Auslöschung der Refugien des Holozäns, von denen die Wiederbelebung von Spezies-Assemblagen ausgehen könnte. Die verschiedene Verwendung dieses wichtigen Begriffs illustriert die vieldeutigen Möglichkeiten, die in auch noch so eng bestimmten linguistischen Bezirken lauern. Es lassen sich leicht unnötige

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Oppositionen von so unterschiedlichen Ausgestaltungen von Wörtern spinnen und die Expertise der GeologInnen trägt zur Generativität des Ausdrucks noch bei. Ich denke, dass einige von Latours und Tsings heißen Friktionen von seinem Vertrauen in Carl Schmitt und ihrer Liebe zu Ursula K. Le Guin herrühren. Latours Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang (2007) ist ein Meilenstein in unserem kollektiven Verständnis der zerstörerischen, selbstsicheren und selbstzufriedenen Fallen, die Kritik als Selbstzweck stellt. Responsabilität zu kultivieren verlangt von uns mehr als Kritik. Es ist notwendig, das Risiko einzugehen, sich für bestimmte Welten einzusetzen, und nicht für andere, und mitzuhelfen, sie mit anderen zu bauen. Als einen der vielen Stränge der SF-Verweltlichung rekompostiert Maria Puig de la Bellacasa Latours »matters of concern«, um damit eine noch reichere Erde zu fermentieren. Vgl. Puig de la Bellacasa (2011), »Matters of Care in Technoscience«. Latour (2013b), »War and Peace in an Age of Ecological Conflicts«. Um zu begreifen, wie die modernistische Kategorie des »Glaubens« in den Vereinigten Staaten im Recht, in der Politik, in der Pädagogik (auch der Lehre von Religion und Sozialwissenschaft) operiert, lohnt die Lektüre von Harding (2014), »Secular Trouble«. Die Figur der nie ganz zugehörigen, stets wegziehenden und wiederkommenden Figur der »Vielversprechenden Tochter« entfaltet die ermöglichenden und verunmöglichenden Operationen der Kategorie »Glaube« weiter. Vgl. deVries (2014), »Prodigal Knowledge«. Die Gewohnheit, Wissenspraktiken mit berufsmäßigem Glauben (in der Religion und in der Wissenschaft) zu verzurren, ist vielleicht diejenige, die die Modernen am allerschwersten hinter sich lassen können, zumindest in den Vereinigten Staaten. Wo Glaubensbeweise abverlangt werden, ist die Inquisition nie weit. SF im Wirrwarr von Terra/Gaia kann keinen Akt des Glaubens fordern, aber sie kann engagierte GenossInnen im Denken formen. Die Trope für das Denken-mit bedeutet in dieser Ökologie der Praktiken nicht so sehr »entscheiden« als »sich kümmern« und »unterscheiden«. Die Vielversprechende Tochter bleibt eine Wandernde, eher auf Pfaden in unruhigen Zeiten unterwegs, als auf den asphaltierten Straßen; zurück zum Festessen, das für den zurückkehrenden, bis ans Ende seiner Tage gehorsamen, Vielversprechenden Sohn und legitimen Erben bereitet worden ist. Latour (2013b), »War and Peace in an Age of Ecological Conflicts«; Schmitt (1950), Der Nomos der Erde. Die vollständige Darstellung zum hostis und zur politischen Theologie Schmitts findet sich in Latour (2013a), Gifford Lectures, 5. Vortrag, »War of Humans and Earthbound«: »Wenn die Menschen mit Gaia im Krieg liegen, was ist dann mit denen, die ich vorgeschlagen habe, die Erdgebundenen zu nennen. Können sie Kunsthandwerker des Friedens sein?« Latour arbeitet in diesen und anderen Texten daran, ein solches Handwerk zu entwerfen. Seine Frage verdient mehr Raum, aber ein paar Worte über den hostis sind notwendig. Latour und ich aßen beide die Hostie im Zuge von heiligen Eucharis-

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tiefeiern, also wissen wir beide, was es heißt, in jener materiell-semiotischen Welt zu leben, in der Signifikat und Signifikant in bedeutungsvolles Fleisch implodieren. Keiner von uns beiden passt gut in die säkularen, protestantischen Semiotiken, die Universität und Wissenschaft dominieren und die unsere Ansätze in der Wissenschaftsforschung genauso prägen wie viele andere. Aber wir sollten nicht vergessen, dass die Hostie, die wir gegessen haben – die Kommunion – sich tief in der Geschichte des hingenommenen Opfers für den Vater verbirgt. Latour und ich haben zu viel und zu wenig von diesem hostis gegessen, als wir die Hostie konsumiert, uns aber geweigert haben (und es noch tun), sie zu verdauen. Ich leide unter einer rasenden Verdauungsstörung, selbst wenn ich an der Freude der Implosion von Metapher und Welt festhalte. Ich muss mehr über Latours Verdauungsfreuden und Verdauungsbeschwerden in Erfahrung bringen, denn ich vermute, sie sind die Ursache für unsere unterschiedlichen Köder für die Veränderung der Geschichte der Erdgebundenen. In der Verweltlichung der heiligen Eucharistie existieren starke etymologische und historische Verwandtschaftsbeziehungen zum hostis von Carl Schmitt. Wir finden den Gast, die Geißel (hostage), jemanden, der als Sicherheit für jemand anderen festgehalten wird, den Kreditgeber und -nehmer, den Wirt (host), der den Reisenden als Gast versorgt, den Fremden, der respektiert wird, auch wenn er getötet wird (hostiles), und host als bewaffnete Heerschar auf dem Schlachtfeld (die Kraftprobe). Kein Gewürm, kein Abfall, kein inimicus (lat. Feind, Gegenteil von amicus) ist gemeint, sondern diejenigen, die das Engagement im Krieg gemeinsam hervorbringen, und deshalb vielleicht eher Frieden als Zerstörung. Aber hostis hat auch andere Obertöne, die einen kleinen Trampelpfad zu den Chthonischen und Tentakulären in der Tragetaschengeschichte anzeigen könnten, zu einem Ort, an dem Latour und ich uns glücklich treffen könnten, weil eine alte Vettel darin ihr Abendessen zusammensammelt. Es könnte sein, dass wir als Gäste bleiben dürfen, als Art-GenossInnen, speziell dann, wenn wir selbst auf der Speisekarte stehen. Denn der host ist auch der Wirt als Lebensraum des Parasiten, er stellt die Lebensbedingung und die Bedingung für das Fortdauern des Parasiten dar; dieser hostis wohnt in den gefährlichen, weltproduzierenden Kontaktzonen von Symbio­genese und Sympoiesis, wo zusammengeflickte Ordnungen, die gerade gut genug sind, aus ach-so-promisken und opportunistischen Assoziationen von Wirt und Parasit entstehen (oder auch nicht entstehen). Vielleicht ist Gaias unchristlicher, abgrundtiefer Bauch der Wohnort der chthonischen Kräfte, jenes SF-Wirrwarr, wo das Fortdauern auf dem Spiel steht. Das ist die Welt, die das Motto dieses Kapitels aufruft: Wir sind alle Flechten. Über die Schwierigkeit, unchristlich zu werden, siehe: Anidjar (2014), Blood. Anidjar macht ebenfalls interessante Dinge mit Schmitt. Aber nicht so schnell, meine Flechtenselbste und Partner! Zuerst müssen wir mit dem schlechtbenannten Anthropozän ringen. Ich bin nicht gegen jegliche

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Art von Kraftprobe. Schließlich liebe ich Frauenbasketball. Ich glaube nur, dass Kraftproben alte Geschichten sind. Sie sind wie die nie enden wollende Aufgabe, das Klo zu putzen – notwendig, aber fundamental unzureichend und deshalb: überbewertet. Andererseits gibt es ganz ausgezeichnete Komposttoiletten … Wir können manche Kraftproben an stets eifrige Mikroben delegieren, um mehr Zeit und Raum für SF in anderem Wirrwarr zu machen. 44 Stengers (2009), Au temps des catastrophes. Ab Seite 48 dringt Gaia in diesen Text ein. Stengers hat dieses Eindringen Gaias in zahlreichen Interviews, Essays und Vorträgen diskutiert. Ein Unbehagen mit dem zunehmend unvermeidlichen Label Anthropozän in Wissenschaft, Politik und Kultur durchzieht ihr Denken, wie auch das Denken anderer engagierter Leute, inklusive Latours; selbst wenn wir für eine andere Welt kämpfen. Vgl. Stengers (2013), im Gespräch mit Heather Davis und Etienne Turpin, »Matters of Cosmopolitics«. Stengers Nachdenken über Gaia und über die Entwicklung der Gaia-Hypothese durch Lovelock und Margulis war von Anfang an mit ihrer Arbeit mit Ilya Prigogine verbunden, in der angenommen wird, dass stark lineare Kopplungen in komplexen Systemen die theoretische Möglichkeit eines radikalen, globalen Systemwechsels, auch des Kollapses, enthalten. Vgl. Prigogine/Stengers (1981), Dia­ log mit der Natur. Das Verhältnis von Gaia zum Chaos ist in Wissenschaft und Philosophie ein altes. Mir geht es darum, dieses Auftauchen sympoietisch in die Verweltlichung der fortdauernden chthonischen Kräfte zu flechten. Das ist der materiell-semiotische Zeitort des Chthuluzäns, eher als derjenige von Anthropozän und Kapitalozän. Es ist Teil dessen, was Stengers meint, wenn sie sagt, dass ihre eindringliche Gaia von Anfang an »kitzelig« war. »Ihr ›autopoietisches‹ Funktionieren ist nicht ihre Wahrheit, sondern das, mit dem ›wir‹ [menschlichen Wesen] uns beschäftigen müssen, und das, was wir aus unseren Computermodellen herauslesen können, es ist jenes Gesicht, das sie ›uns‹ zuwendet.« E-Mail von Stengers an Haraway, 9. Mai 2014. 45 Es wird geschätzt, dass dieses Auslöschungs-»Ereignis«, das erste, das zu Lebzeiten unserer Spezies stattfindet, wie frühere Auslöschungen 50 bis 95 Prozent der existierenden Biodiversität vernichten könnte, nur um einiges schneller. Nüchterne Schätzungen antizipieren, dass die Hälfte aller existierenden Vogelarten bis 2100 ausgestorben sein wird. Das ist nach jeglichem Maßstab sehr viel doppelter Tod. Eine populäre Darstellung bietet: Voices for Biodiversity, »The Sixth Great Extinction«. Ein Bericht der preisgekrönten Wissenschaftsautorin Elizabeth Kolbert (2014) ist: The Sixth Extinction. Die Berichte der Convention on Biological Diversity sind vorsichtiger in ihren Vorhersagen und zeigen die praktischen wie theoretischen Schwierigkeiten auf, zu belastbarem Wissen zu kommen, sie sind aber nicht weniger ernüchternd. Ein verstörender Bericht ist: Ceballos u. a. (2015), »Accelerated Modern-Human-Induced Species Loss«. 46 Lovelock (1967), »Gaia as Seen through the Atmosphere«; Lovelock/Margulis

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(1974), »Atmospheric Homeostatis by and for the Biospheres«. Das Video eines Vortrags vor Angestellten der National Aeronautic and Space Agency findet sich unter: Margulis (1984), »Gaia Hypothesis«. Das Konzept der Autopoiesis war zentral für Margulis’ transformative Theorie der Symbiogenese, aber ich glaube, wenn sie noch am Leben wäre, würde Margulis häufig Terminologie und figuralkonzeptionellen Kräfte der Sympoiesis bevorzugen, um sich der Frage anzunehmen. Mein Vorschlag ist, Gaia als ein System zu begreifen, das fälschlich als autopoietisch beschrieben wurde, aber in Wirklichkeit sympoietisch ist. Vgl. Kapitel 3: »Sympoiesis«. Die Geschichte von Gaia braucht eine eindringliche Grundsanierung, damit sie sich mit der ganzen Schar anderer, vielversprechender, sympoietischer Tentakulärer verknüpfen kann, um einen reichhaltigen Kompost für das Weiterbestehen herzustellen. Gaia oder Ge ist viel älter und wilder als Hesiod (ein griechischer Poet aus der Zeit Homers, ca. 750 bis 650 vor Christus), aber Hesiod hat sie/es in der Theogonie zu jener Figur gereinigt, wie sie dann überliefert wurde: nach dem Chaos ersteigt daraus die »breitbrüstige« Gaia (die Erde), um zum ewigen Sitz der Unsterblichen zu werden, die den Olymp (Theogonie, Zeile 116–118, 13) und die Tiefen des Tartarus (Zeile 119) besitzen. Die Chthonischen antworten: Nonsens! Gaia ist eine der ihren, eine andauernde, tentakuläre Bedrohung der astralisierten Olympier und ihrer nachfolgenden Generationen von Göttern, die sich ordentlich genealogisch aufreihen, und nicht deren Fundament. Hesiods Version ist eine phallische Geschichte, die schon im 8. Jahrhundert vor Christus einen Kanon begründet hat. Obwohl ich nicht anders kann, als anzunehmen, dass rationalere Umwelt- und Sozialnaturpolitiken verschiedenen Zuschnitts helfen würden! Isabelle Stengers in einer englischen Sammlung zu Gaia via E-Mail vom 14. Januar 2014. Ich benutze »Ding« in zwei Bedeutungen, die sich aneinander reiben: (1) Die Versammlung jener Entitäten, die im Parlament der Dinge zusammengebracht worden sind, auf die Bruno Latour uns aufmerksam gemacht hat; (2) etwas, das schwer zu klassifizieren und zu sortieren ist und vielleicht schlecht riecht. Latour (1995), Wir sind nie modern gewesen. Crutzen/Stroemer (2000), »The ›Anthropocene‹«; Crutzen (2002), »Geology of Mankind«; Zalasiewicz u. a. (2008), »Are We Now Living in the Anthropocene?«. Es werden auch viel frühere Datierungen für das Anthropozän vorgeschlagen, aber die meisten WissenschaftlerInnen und UmweltschützerInnen tendieren dazu, die globalen anthropogenen Effekte seit dem späten 18. Jahrhundert zu betonen. Ein tiefgehender menschlicher Exzeptionalismus (die tiefste Trennung zwischen Natur und Kultur) begleitet die Vorschläge der frühesten Datierung, die sich mit dem Auftreten des Homo sapiens auf dem Planeten deckt; dem Auftritt des Jägers von inzwischen ausgestorbenen Beutetieren, des Erfinders der Landwirtschaft und desjenigen, der Tiere domestiziert. Steffen u. a. (2015) argu-

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mentieren in »The Trajectory of the Anthropocene« stringent für eine Datierung des Anthropozäns mit Blick auf die vielfältigen »Großen Beschleunigungen« sowohl in den Erdsystemindikatoren als auch in den Sozialsystemindikatoren seit ungefähr 1950. All diese Ereignisse wurden von Atombombenexplosionen in der Atmosphäre im Plutonium-Fallout »markiert«. Zalasiewicz u. a. sagen, dass die Übernahme des Ausdrucks Anthropozän als geologische Epoche durch die relevanten nationalen und internationalen Wissenschaftskörperschaften stratigrafische Signaturen braucht. Vielleicht ist das so, aber die Resonanzen des Anthropozäns sind sehr viel weitgestreuter als das. Eine meiner liebsten künstle­ rischen Untersuchungen der Stigmata des Anthropozän ist: Dewey (2014) »Virtual Places: Core Logging the Anthropocene in Real-Time«. Dewey ordnet hier »Kernproben einer ad hoc-Geologie auf Verkaufsregalen« an. 51 Eine leistungsfähige Ethnografie der Klimamodellierung in den 1990er Jahren liefert Tsing (2005), Friction, »Natural Universals and the Global Scale«, S. 88– 112, speziell: »Global Climate as a Model«, S. 101–6. Sie fragt: »Was ermöglicht globales Wissen?« Sie antwortet: »Das Löschen von Kollaborationen.« Aber Tsing bleibt nicht bei dieser historisch situierten Kritik stehen. Stattdessen stellt sie, wie Latour und Stengers, die wirklich wichtigen Fragen: »Ist es möglich, die kollaborativen Ursprünge der Natur zu beachten, ohne die Vorteile einer globalen Reichweite von Begriffen zu verlieren?« (S. 95) »Wie können ForscherInnen die Herausforderung, die kritische Imagination vom Gespenst neoliberaler Konkurrenz zu befreien, annehmen – als Einzelne, aber gleichzeitig universell und global? Aufmerksamkeit für Brüche und kontingente Artikulationen kann uns dabei helfen, die Wirksamkeit und die Fragilität von emergierenden kapitalistischen – und globalistischen – Formen zu beschreiben. In dieser sich verschiebenden Heterogenität gibt es neue Ressourcen der Hoffnung und, natürlich, neue Alpträume.« (S. 77) Auf ihrer ersten Klimamodellierungskonferenz 1995 hatte Tsing eine Erleuchtung: »Der globale Maßstab erhält den Vorrang – weil er der Maßstab des Modells ist.« (S. 103, Hervorhebung im Original) Aber diese und ähnliche Eigenschaften des Modells haben einen speziellen Effekt: Sie bringen VerhandlerInnen an einen internationalen, heterogenen Tisch, vielleicht ist er nicht heterogen genug, aber er ist auch weit entfernt von selbstidentischen Einheiten und SpielerInnen: »Die Einbettung kleinerer Maßstäbe in die globalen; die Erweiterung von Modellen, damit sie alles enthalten; die politikgetriebene Konstruktion der Modelle: All diese Eigenschaften ermöglichen es den Modellen, DiplomatInnen um den Verhandlungstisch zu versammeln.« (S. 105) Das sollte man nicht geringschätzen. Die Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sind wichtige Dokumente und bestätigen auf exzellente Art und Weise Tsings Studien: Climate Change 2014, Mitigation of Climate Change und Climate Change 2014: Im­ pacts, Adaptation, and Vulnerability.

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Tsings Einsätze bei ihrer Spurensuche, um kompromisslose ethnografische Spezifika von weitverzweigen intimen Handlungs- und Lebensweisen zu finden, muss man in produktive, nichtutopische Reibung mit der maßstabsbestimmenden Macht dessen bringen, was Klimawandelmodelle mit der Unordnung des Lebens und Sterbens von auf Orte und Wanderungen angewiesenen Verwelt­ lichungen anstellen; sie machen unsere besten und notwendigsten Universalien stets ziemlich klumpig. Sie sucht und beschreibt vielgestaltige und situierte Verweltlichungen und vielerlei Arten von Übersetzungen, um den Globalismus herauszufordern. »Aufmerksamkeit für Reibungen eröffnet die Möglichkeit eines ethnografischen Zugangs zu globalen Verbindungen.« (S. 6) Die Anerkennung dessen, was sie das »Unkrauthafte« (weediness) nennt, ist unverzichtbar: »Aufmerksam zu sein für die Notwendigkeit sorgfältiger Koalitionen mit denen, deren Wissen und deren Freuden aus anderen Quellen kommen, ist der Anfang jedes nicht-imperialen Umweltschutzes.« (S. 170) Der hostis wird in diesem Fadenspiel nicht auftauchen, aber Pilze als Reiseführer für ein Leben in Ruinen. Vgl. Tsing (2015b), The Mushroom at the End of the World. 52 Die Anthropocene Working Group wurde 2008 gegründet, um der International Union of Geological Science und der International Commission on Stratigraphy zu berichten und um zu entscheiden, ob ein Name für die neue Epoche in der geologischen Zeitachse angemessen sei. Sie hat ihren Bericht beim Kongress der Geological Society in Kapstadt von 27. August–4. September 2016 präsentiert. 53 Eine Fotosammlung des brennenden Manns am Ende des Festivals findet sich unter »Burning Man Festival 2012«. Burning Man ist ein jährlich stattfindendes einwöchiges Festival für Kunst und (kommerziellen) Anarchismus, das von Zehntausenden menschlichen Wesen (und einer unbekannten Zahl von Hunden) in der Black-Rock-Wüste von Nevada besucht wird. Seit 1990 wird es dort durchgeführt, von 1986–1990 wurde es am Baker Beach in San Francisco abgehalten. Die Ursprünge des Festivals liegen in Sommersonnenwendfeiern von KünstlerInnen aus San Francisco. Laut Wikipedia (»Burning Man«) beschreibt sich das Event als »Experiment in Gesellschaft, Kunst, radikalem Selbstausdruck und radikaler Eigenständigkeit«. Es ist nicht so, dass sich die globalisierende Extravaganz des Anthropozäns in der drogen- und kunstdurchwobenen Verweltlichung des Festivals zeigt, aber die Symbolkraft des feurigen »Manns«, der während des Festivals entzündet wird, ist unwiderstehlich. Die ersten brennenden Holzpuppen auf dem Strand von San Francisco waren ein etwa 2,5 Meter großer Mann und ein Hund. 1988 war der Mann 12 Meter groß und hundelos. Nach der Übersiedlung in einen ausgetrockneten See in Nevada übertraf der Mann 2011 mit 31 Metern alles. Das ist Amerika: supersized ist das Zauberwort, ein passendes für den Anthropos. Anthropos (ἄνθρωπος) wiederum ist ein ambivalentes Wort mit umstrittenen Etymologien. Was es aber nie bezeichnet, ist den reichen und generativen Le-

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bensraum einer artenübergreifenden Erde. Das Online Etymology Dictionary gibt die Auskunft, dass Anthropos vom griechischen aner, »Mann«, kommt »als Gegensatz zu einer Frau, einem Gott oder einem Jungen«. Genau, was ich erwartet hatte! Oder: »Anthropos wird manchmal als Zusammensetzung aus aner und ops (Genitiv: opos) ›Auge, Gesicht‹ dargestellt; also buchstäblich: ›derjenige, der das Gesicht eines Mannes hat.‹« Oder manchmal: die Gestalt eines Mannes. BibelwissenschaftlerInnen haben Schwierigkeiten, im ανθρωπος Frauen miteinzuschließen, aber sie verkomplizieren die Übersetzung auf faszinierende Art und Weise, vgl.: www.bible-researcher.com/anthropos.html (Zugriff von 7. August 2015). Laut anderer Quellen bedeutet die Zusammensetzung »das, was unten ist, also irdisch, menschlich«, oder »der nach oben Blickende«, also derjenige, der unten ist, bedauerlicherweise, auf der Erde. Anders als die Tiere, schaut der Mensch als Anthropos »hinauf, auf das, was er sieht«. www.science-bbs.com/114lang/0e74f4484bff3fe0.htm, Zugriff vom 7. August 2015. Der Anthropos ist nicht Latours Erdgebundener. Man kann sicherlich sagen, dass Eugene Stoermer und Paul Crutzen von diesen Mehrdeutigkeiten nicht sehr irritiert waren. Aber, dem Himmel sei Dank, waren ihre menschlichen Augen, als sie hinaufschauten, auf die atmosphärische Kohlenstoff belastung der Erde gerichtet. Im zu heißen Ozean mit den Tentakulären schwimmend waren ihre Augen auch die optisch-haptischen, fingernden Sehwerkzeuge der Kritter in erkrankten und sterbenden Korallensymbiosen. Vgl. Hayward (2010a), »FingeryEyes«. 54 Klare (2013) schreibt in »The Third Carbon Age«: »Laut der Internationalen Energie Agentur (IEA), einer zwischenstaatlichen Forschungsorganisation mit Sitz in Paris, werden die weltweiten Investitionen in die Extraktion neuer fossiler Brennstoffe zwischen 2012 und 2035 schätzungsweise 22,87 Billionen Dollar betragen, während die Investitionen in erneuerbare Energien, Wasserkraft und Nuklearenergie nur 7,32 Billionen betragen werden.« In Nuklearenergie! Nach Fukushima! Ganz zu schweigen davon, dass keine dieser Kalkulationen eine leichtere, kleinere, bescheidenere menschliche Präsenz auf der Erde mit all ihren Krittern Priorität einräumen würde. Selbst in ihren Nachhaltigkeitsdiskursen kann das Kapitalozän keine artenübergreifende Welt der Erdgebundenen tolerieren. Klare (2014) beschäftigt sich in »What’s Big Energy Smoking?« mit der Hinwendung der großen Energiekonzerne zu Staaten mit den schwächsten Gesetzen gegen Umweltverschmutzung. Vgl. auch: Klare (2012), The Race for What’s Left. 55 Die schwere Teersandverschmutzung muss das Herz und die Kiemen jedes terrestrischen, gaianischen oder erdgebundenen Kritters brechen. Die vergifteten Abwasserseen der Ölextraktion aus Teersand in Nord-Alberta, Kanada, bilden eine Art neue Great Lake-Region mit täglich hinzukommenden gigantischen »Teichen«. Die Region, die derzeit von solchen Seen bedeckt ist, ist etwa 50 Pro-

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zent größer als das Areal, das die Weltstadt Vancouver bedeckt. Im Zuge der Teersandextraktion fließt fast nichts von der riesigen gebrauchten Menge an Wasser zurück in natürliche Kreisläufe. Die erdgebundenen Leute, die an den Rändern dieser bedrohlich gefärbten Gewässer, die mit Extraktionsrückständen gefüllt sind, versuchen, etwas anzubauen, prognostizieren, dass ein Prozess der Wiederherstellung sympoietischer, biodiverser Ökosysteme, wenn sie überhaupt möglich sein sollte, Dekaden oder Jahrhundert in Anspruch nehmen würde. Vgl. Pembina Institute, »Alberta’s Oil Sands«, und Weber (2012), »Rebuilding Land Destroyed by Oil Sands May not Restore It«. Nur Venezuela und Saudi Arabien verfügen über mehr Öl als Alberta. Trotz alledem werden die TerranerInnen und die Erdgebundenen weder die Gegenwart noch die Zukunft verloren geben. Der Himmel senkt sich, aber er ist noch nicht gefallen. Pembina Institute, »Oil Sands Solutions«. First Nations, die Métis und die einheimische Bevölkerung sind zentrale Akteure in jedem Teilaspekt dieser unvollendeten Geschichte. Vgl. die Webseite des Tar Sands Solutions Network, http://tarsandssolutions.org/ about/. Das schmelzende Meereseis sieht man in Abbildung 2.4, S. 71. 56 Foto des NASA Earth Observatory, 2015 (öffentlich). Wenn Flammen ikonisch für das Anthropozän sind, dann verwende ich das fehlende Eis und die nicht weiter blockierte Nordwestpassage als Figur des Kapitalozäns. Die Soufan Group bietet Regierungen und multinationalen Konzernen strategische Sicherheitsinformationen an. Ihr Bericht »TSG IntelBrief: Geostrategic Competition in the Arctic« von 2014 enthält folgende Zitate: »Der Guardian schätzt, dass in der Arktis 30 Prozent der unentdeckten Gasvorkommen und 15 Prozent des Öls liegen.« »Im späten Februar gab Russland bekannt, dass es ein strategisches Militärkommando zum Schutz seiner arktischen Interessen einsetzen würde.« »Russland, Kanada, Norwegen, Dänemark und die USA beanspruchen internationale Gewässer und Festlandsockel im arktischen Meer.« »[Eine Nordwestpassagen]Route könnte den Russen auf der internationalen Bühne erhebliches Gewicht geben gegenüber China oder anderen Nationen, die vom Seehandel zwischen Asien und Europa abhängig sind.« Die Provinz Alberta in Kanada liegt an dritter Stelle nach Saudi Arabien und Venezuela, wenn es um bewiesene globale Rohölreserven geht. Fast das ganze Öl Albertas ist im Teersand des Nordens der Provinz zu finden, in der Region der neuen großen petrotoxischen Seen Nordamerikas. Vgl. Alberta Energy, »Facts and Statistics«. Das Kapitalozän in Aktion! Vgl. auch Indigenous Environmental Network, »Canadian Indigenous Tar Sands Campaign«. Über zwanzig Firmen sind im Abbaugebiet von Teersand aktiv, der Heimat von vielen indigenen Völkern, u. a. die First Nation Mikisew Cree, Athabasca Chipewyan, Fort McMurray, Fort McKay Cree, Beaver Lake Cree, Chipewyan Prairie und auch die Métis. 57 Klein (2013), »How Science Is Telling Us All to Revolt«, Dies. (2008), The Shock Doctrine.

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58 Kapitalozän ist ein Wort wie Sympoiesis. Wenn du glaubst, du hast es erfunden, musst du dich nur umsehen und du bemerkst, wie viele andere Leute den Begriff zur selben Zeit erfinden. Das ist jedenfalls mir passiert, und nachdem ich über einen kleinen Anfall individualistischer Pikiertheit hinweg war, weil mich jemand gefragt hatte, von wem ich den Begriff denn habe  – hatte nicht ich ihn »geprägt«? (Ist er eine »Währung«?), und warum fragen KollegInnen eigentlich fast immer Frauen, welche männlichen Autoren sie geprägt haben? –, bemerkte ich, dass ich nicht nur, wie immer, Teil eines erfinderischen Fadenspiels war, sondern dass Jason Moore überzeugende Argumente für den Begriff geliefert hatte; und dass mein Gesprächspartner mir diese nun überbrachte. Moore wiederum hatte den Begriff Kapitalozän im Jahr 2009 in einem Seminar in Lund (Schweden) von Andreas Malm gehört, der damals noch promovierte. In einer dringlichen historischen Konstellation kochen Wörter, mit denen man denken kann, in verschiedenen Hexenkesseln gleichzeitig hoch, weil wir alle das Bedürfnis nach besseren Tragenetzen haben, um all die Dinge zu sammeln, die nach unserer Aufmerksamkeit verlangen. Der Begriff Anthropozän, so problematisch er auch ist, wurde aufgegriffen, weil er viele Fakten, Dinge von Belang und Sachen, die einen kümmern, einsammeln kann; und ich hoffe, das Kapitalozän wird ebenfalls von vielen Zungen rollen. Insbesondere verweise ich auf Jason Moore, diesen kreativen, marxistischen Soziologen von der Binghamton Universität in New York. Moore ist der Koordinator des World-Ecology Research Network. Zum ersten Mal stellt er das Kapitalozän hier dar: Moore (2013a), »Anthropocene, Capitalocene, and the Myth of Industrialization.« Vgl. auch: Ders. (2015), Capitalism and the Web of Life. 59 Um den Eurozentrismus beim Nachdenken über die Geschichte der Wege und Zentren der Globalisierung in den letzten Jahrhunderten zu überwinden, siehe: Flynn/Giráldez (2012), China and the Birth of Globalisation in the 16th Century. Eine Analyse, die sensibel für Differenzen und Reibungen zwischen Kolonialismus, Imperialismus, globalisierenden Handelsformationen und Kapitalismus ist, bietet: Ho (2004), »Empire through Diasporic Eyes«, und Ders. (2006), The Graves of Tarim. 60 »Das heißt, dass Kapital und Macht – und unzählbare andere strategische Beziehungen  – nicht auf die Natur einwirken, sondern sich im Gewebe des Lebens entwickeln. ›Natur‹ meint hier die Beziehung als Ganze. Menschen leben als spezifisch (aber nicht speziell) ausgestattete, Umwelten machende Spezies in der Natur. Zweitens war der Kapitalismus keine Athene, die im Jahr 1800 ausgewachsen und bewaffnet aus dem Kopf eines kohlehaltigen Zeus brach. Zivilisationen bilden sich nicht durch Big Bang-Ereignisse. Sie entstehen durch kaskadierende Transformationen und Gabelungen menschlicher Aktivitäten im Gewebe des Lebens. […] [Zum Beispiel] fanden die Rodungen des Vistula Basin und des brasilianischen atlantischen Regenwaldes im langen 17. Jahrhundert in einem

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Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit statt, die fünf bis zehn mal größer war, als alles, was das mittelalterliche Europa gesehen hatte.« Moore (2013b), »Anthro­ pocene or Capitalocene, Part III«. Crist (2013), »On the Poverty of Our Nomenclature«, S. 144. Crist bietet eine exzellente Kritik der Fallen des Anthropozän-Diskurses, und sie macht Vorschläge für eine erfindungsreichere Verweltlichung und Arten und Weisen, unruhig zu bleiben. Verflochtene und einander widersprechende Vorträge, die den Namen Anthropozän teilweise aufnehmen und teilweise zurückweisen, sind als Videos der Konferenz »Anthropocene Feminism« im Jahr 2014 zu finden. Anna Tsing und Nils Ole Bubandt bringen reichhaltige, interdisziplinäre Forschung (Anthropologie, Biologie, Kunst) im Zeichen des Anthropozäns zusammen. Vgl. AURA: Aarhus University Research on the Anthropocene. Das Insistieren auf Geschichten, die »groß genug sind«, verdanke ich James Clifford: »Ich verstehe sie als Geschichten (histories), die groß genug sind; die dazu in der Lage sind, für vieles Rechenschaft abzulegen, aber nicht für alles – und ohne Garantie auf politische Tugendhaftigkeit.« (S. 201). Clifford arbeitet an einem Realismus, der große theoretische Synthesen verweigert. Sein Realismus »operiert mit ›Geschichten, die groß genug sind‹ und die offene Enden haben (weil ihre lineare, historische Zeit ontologisch unabgeschlossen ist), mit Orten des Kontakts, des Ringens und des Dialogs.« Clifford (2013), Returns, S. 85–86. Pignarre/Stengers (2007), Capitalist Sorcery. Latour und Stengers sind eng verbunden im erbitterten Kampf gegen den Diskurs der Denunziation. Sie haben mir mit viel Geduld beigebracht, die Angelegenheit zu verstehen und zu verlernen. Ich liebe eine gute Denunziation! Es ist schwer, diese Gewohnheit zu verlernen. Man kann Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Dialektik der Auf klärung (1969 [1944]) als verbündete Kritik an Fortschritt und Modernisierung lesen, auch wenn ihr resoluter Säkularismus sich ihnen manchmal in den Weg stellt. Für einen Säkularen ist es sehr schwer, Tintenfischen, Bakterien und alten Frauen aus Terra/Gaia zuzuhören. Neben Karl Marx sind Antonio Gramsci und Stuart Hall unter den westlichen Marxisten diejenigen, die am wahrscheinlichsten das Chthuluzän im Bauch des Kapitalozäns wachsen lassen können. Vgl. Gramsci (1971), Selections from the Prison Notebooks. Halls überaus anregende Essays wurden in den 1960er bis 1990er Jahren verfasst. Siehe zum Beispiel, Morley/Chen (1996), Stuart Hall. Vgl. Gilson (2011), »Octopi Wall Street!« für die faszinierende Geschichte, wie Verwüstungen durch das Großkapital in Gestalt von Kopffüßlern dargestellt werden (z. B. im frühen 20. Jahrhundert: Der John D. Rockefeller/Standard Oil-Oktopus, der die ArbeiterInnen, FarmerInnen und BürgerInnen mit seinen vielen riesigen Tentakeln stranguliert). Die Fehlaneignung (resignification) von Oktopussen und Tintenfischen als chthonische Verbündete ist eine exzellente Nach-

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richt. Mögen sie tintige Nacht in die Visualisierungsapparate der technoiden Himmelsgötter spritzen. Hesiods Theogonie erzählt in schmerzlich schöner Sprache vom Auftauchen Gaias/der Erde aus dem Chaos, nur um oben zum Sitz der olympischen Unsterblichen und unten des Tartarus zu werden. Sie ist sehr alt und polymorph und überschreitet die griechischen Erzählungen, aber wie genau, bleibt umstritten und spekulativ. Zumindest ist Gaia nicht auf die Aufgabe beschränkt, die olympischen Götter hochzuhalten! Die bedeutende und unorthodoxe Archäologin Marija Gimbutas sagt, dass Gaia eine spätere Form der präindoeuropäischen, neolithischen »Großen Mutter« ist. Die Regisseurin Donna Read und die neopagane Autorin und Aktivistin Starhawk haben 2004 einen kollaborativen Dokumentarfilm über Gimbutas mit dem Titel Signs out of Time produziert. Vgl. auch: Belili Productions, »About Signs out of Time«; Gimbutas (1999), The Living God­ desses. Zum Verständnis nicht-euklidischen Erzählens vgl.: Le Guin (1985), Always Co­ ming Home und Dies. (1989b), »A Non-Euclidian View of California as a Cold Place to Be«. »The Thousand Names of Gaia. From the Anthropocene to the Age of the Earth«, Internationales Kolloquium, Rio de Janeiro, 15.–19. September 2014. Die Biene war eine von Potnia Therons Emblemtieren, sie wird auch Potnia Melissa genannt, die Herrscherin der Bienen. Moderne WiccanerInnen [eine Version des Neopaganismus, Anm. KH] erinnern sich dieser chthonischen Wesen in Ritual und Poesie. Wenn Feuer das Anthropozän symbolisiert und Eis das Kapitalozän, dann macht es mir Freude, Terrakotta-Töpferei für das Chthuluzän zu verwenden, für diese Zeit aus Feuer, Wasser und Erde, eingestimmt auf die Berührungen seiner Kritter und ihrer Leute. Raissa DeSmet (Trumbull) hat mich mit ihrer Doktorarbeit über die Flussgöttin Ratu Kidul und ihre Tänze, die auf Bali aufgeführt werden, in das Netzwerk weitgereister chthonischer Tentakulärer eingeführt; in das Netzwerk derjenigen, die von den Hinduschlangen, den Naga, herkommen und sich durch die Gewässer Südostasiens bewegen. DeSmet (2013), »A Liquid World«. Verbindungen zwischen Potnia Theron und der Gorgone/Medusa setzten sich in der Tempelarchitektur und den Mauerverzierungen bis weit nach 600 vor Christus fort; ein Beweis für die Hartnäckigkeit der chthonischen Kräfte in Praktiken, Vorstellungen und Ritualen, z. B. auf der italienischen Halbinsel vom fünften bis zum dritten Jahrhundert vor Christus. Die furcht-erregende Gorgonen-Figur wurde zur Verteidigung gegen Gefahren außen angebracht und die nicht weniger ehrfurchtgebietende Potnia Theron innen, um die Gewebe des Lebendigen zu nähren. Vgl. Busby (2007), »The Temple Terracottas of Etruscan Orvieto«. Die christliche Maria, die jungfräuliche Mutter Gottes, die im Nahen Osten und im Mittelmeerraum entstand, hat Attribute dieser und anderer chthonischer Kräfte

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in ihren Reisen rund um die Welt angenommen. Unglücklicherweise zeigt Marias Ikonographie sie umrahmt von Sternen und eine Schlange zertretend (zum Beispiel auf der Wundermedaille aus dem frühen 19. Jahrhundert, die an die Erscheinung der Jungfrau erinnert) und nicht als Verbündete der Erdkräfte. Die »Sternenkönigin« ist eine biblische, apokalyptische Figur für das Ende der Zeiten. Das ist eine schlechte Idee. Meine ganze Kindheit hindurch trug ich eine Goldkette mit der Wundermedaille. Aber schlussendlich und glücklicherweise waren es ihre verbleibenden chthonischen Infektionen, die mich ergriffen und vom Säkularen und vom Heiligen wegtrieben, hin zu Humus und Kompost. 71 Das hebräische Wort Deborah bedeutet Biene; sie ist die einzige weibliche Richterin, die in der Bibel genannt wird. Sie war eine Kriegerin und Gesandte im prämonarchischen Israel. Das Lied Deborah könnte aus dem 12. Jahrhundert vor Christus stammen. Deborah war eine militärische Heldin und Verbündete von Jael, eine der 4Js in Joanna Russ’ genreprägendem, feministischen Science-Fiction-Roman. Vgl. Russ (1975), The Female Man. Im Mai 2014 verbannten Reverend Billy Talen und die Church of Stop Shopping eine Roboterbiene aus dem Mikrorobotik-Labor in Harvard. Die Roboterbiene ist eine Hightech-Drohne, die überbeschäftigte und vergiftete, biologisch bestäubende Bienen ersetzen soll, die immer kränker werden und immer stärker bedroht sind. Honigbienenalleluja, alte Geschichten leben noch! Vgl. Talen (2014), »Beware of the Robobee«, und Finnegan (2014), »Protestors Sing Honeybeelujahs against Robobees«. Oder, wie es Brad Werner anlässlich des Treffens der Geophysikalischen Vereinigung sagte: Revoltiert! Hören wir schon das Summen? Es ist Zeit, zu stechen. Es ist Zeit für einen chthonischen Schwarm. Es wird Zeit, dass wir uns um die Bienen kümmern. 72 »Erinyes 1.« 73 Martha Kenney hat mich darauf hingewiesen, dass die Geschichte der Ood in der über lange Zeit laufenden, britischen SF-Fernsehserie Doctor Who davon handelt, wie die Tintenfischgesichtigen erst dann für die Menschheit tödlich werden, als sie versklavt und verstümmelt wurden, abgeschnitten von ihrem symchthonischen Schwarmbewusstsein. Die humanoiden, empathischen Ood verfügen über geschmeidige Tentakel in der unteren Hälfte ihrer vielfaltigen, fremden Gesichter; und in ihren richtigen Körpern tragen sie ihr Rautenhirn in den Händen und kommunizieren miteinander telepathisch mittels dieser verletzlichen, lebenden, externen Organe (Organone). Die Menschen (definitiv nicht die Erdgebundenen) schneiden die Rhombencephalone ab und ersetzen sie durch eine technische Kommunikations-Übersetzungskugel, sodass die isolierten Ood nur durch ihre Versklaver kommunizieren können, die sie in Gefangenschaft zwingen. Ich widerstehe dem Gedanken, dass die technischen Geräte in den Händen der Ood zukünftige Versionen des iPhone sind, aber er ist sehr verführerisch, wenn ich in die Gesichter von Menschen des 21. Jahrhunderts auf der

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Straße, oder auch beim Abendessen, schaue, die offenbar nur mit ihren Geräten verbunden sind. Ich werde aus dieser kleinlichen Fantasie durch das SF-Faktum gerettet, dass die Tentakulären in der Episode »Planet of the Ood« durch die Aktionen von Ood Sigma befreit werden und zu ihrem nicht-singulären Dasein zurückkehren. Doctor Who ist ein sehr viel besserer Geschichtenzyklus für das Weitermachen-mit als Star Trek. Zur Wichtigkeit, Fabeln der Wissenschaft und der anderer Wissenspraktiken umzuschreiben, siehe: Kenney (2013), »Fables of Attention«. Kenney untersucht unterschiedliche Genres von Fabeln, die instabile »wilde Fakten« situieren, wie sie das nennt, und in eine Beziehung zum Präsentieren und Testen von Behauptungen setzen. Sie studiert Strategien der Navigation auf jenem unsicheren Terrain, auf dem produktive Spannungen zwischen Fakten und Fiktionen als wirkliche Praxis notwendig sind. »Medousa and Gorgones«. Suzy McKee Charnas Holdfast Chroniken ist großartige Science-Fiction, um über Feminstinnen und ihre Pferde nachzudenken. Der Sex ist aufregend, wenngleich sehr unkorrekt, und die Politiken sind ermutigend. Vgl. Charnas (1974), Walk to the End of the World. Eva Hayward hat mich als Erste darauf hingewiesen, dass Pegasus aus Medusas totem Körper und die Korallen aus ihrem Blut entstanden sind: Hayward (2012a), »The Crochet Coral Reef Project«. Sie schreibt: »Wenn Korallen uns über die Reziprozität des Lebens auf klären, wie bleiben wir dann jenen Umwelten verpflichtet  – viele davon haben wir unbewohnbar gemacht  –, die uns nun krank machen. […] Vielleicht folgt die Erde der Venus darin, aufgrund des wütenden Treibhauseffektes unbewohnbar zu werden. Möglicherweise werden wir die Riffe aber auch reparieren oder neue, alternative Heimaten für die ozeanischen Flüchtlinge bauen. Was auch immer die Bedingungen unserer Zukunft sind, wir bleiben verpflichtete Partner des Ozeans.« Vgl. auch: Wertheim/Wertheim (2015), Crochet Coral Reef. Diese Überlegungen sind inspiriert von der Ausstellung Tentacles: The Astound­ ing Lives of Octopuses, Squids, and Cuttlefish (2014/15, Monterey Bay Aquarium). Vgl. auch: Detienne/Vernant (1978), Cunning Intelligence in Greek Culture and So­ ciety. Dank an Chris Connery für den Hinweis auf diese Studie, in der Tinten­ fische, Oktopusse und Kalmare eine große Rolle spielen. Polymorphismus, die Fähigkeit, Netze oder Gewebe von Verbindungen herzustellen, sowie ihre gerissene Intelligenz seien die Kennzeichen griechischer Erzählungen: »Tintenfische und Oktopusse sind reine áporai und die undurchdringliche und weglose Nacht, die sie absondern, ist das perfekte Bild ihrer metis.« (S. 38) Kapitel 5, »The Orphic Metis and the Cuttle-Fish of Thetis«, ist das interessanteste für die Themen des Chthuluzäns: kontinuierliches Schleifenbilden, Mit-Werden, Polymorphismus: »Die Geschmeidigkeit der Mollusken, die als Masse aus Tentakel erscheinen

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(polúplokoi), machen aus ihren Körpern ein durchwirktes Netzwerk, einen lebendigen Knoten mobiler animierter Verbindungen.« (S. 159) Für Detiennes und Vernants Griechen ähneln die polymorphen und geschmeidigen Tintenfische den ursprünglich multisexuellen Meeresgöttern: ambivalent, mobil, sich andauernd verändernd, biegsam und wellenförmig, über das Kommende wachend, mit Wellen intensiver Farbigkeit pulsierend, kryptisch, dunkle Wolken ausstoßend, sich kenntnisreich Schwierigkeiten entziehend und an Stellen mit Tentakeln ausgestattet, wo Männer Bärte haben würden. 78 Vgl. Haraway/Kenney (2015), »Anthropocene, Capitalocene, Chthulucene«. 79 Le Guin (1988), »›The Author of the Acacia Seeds‹ and Other Extracts from the Journal of the Association of Therolinguistics«, S. 175. Vgl. auch Kapitel 6: »Welten säen«.

Kapitel 3: Sympoiesis. Symbiogenese und die dynamischen Künste, beunruhigt zu bleiben 1 Der Titel des Spiels ist Never Alone (Kisima Ingitchuna). 2 Der große, hochauflösende Kunstdruck wurde mit lichtechten Farben auf Leinwand gedruckt. Von Margulis’ und Sagans Dazzle Gradually inspiriert, ist das Gouache-Bild im Original 58 mal 89 Zentimeter groß. Dubiner schrieb dazu: »Das große, rote Protozoon ist Urostyla grandis, basierend auf einer Zeichnung, die Stein 1959 in Leipzig angefertigt hat. Das violette Protozoon mit zwei Reihen Wimpern ist Didinium […]. Die blaugefiederte, drachenartige Kreatur im Zen­ trum ist angeregt vom Mikroskopbild eines phospholipiden Zylinders von David Deamer entstanden. […] Ich wollte, dass die individuellen Organismen präzise genug sind, dass BiologInnen sie erkennen können, aber ich habe dem ganzen Gemälde erlaubt, insgesamt die Vorstellung einer biologischen Landschaft zu sein.« Dubiner (2012b), »New Painting«. Ihr Blog über das Bild ist: Dubiner (2012a), »›Endosymbiosis‹«. John Feldman hat einen Dokumentarfilm mit dem Titel Symbiotic Earth: How Lynn Margulis Rocked the Boat and Started a Scientific Revolution gedreht, der 2017 veröffentlicht wurde. Auf ihrer Webseite an der Universität von Amherst bezeichnete sie sich selbst als Professorin für mikrobiologische Evolution und Organellenvererbung. Vgl.: Mazur (2009), »Intimacy of Strangers and Natural Selection«; Margulis (1999), Die Andere Evolution; Margulis/Sagan (1997), Microcosmos; Diess. (2002), Acquiring Genomes. Vgl. auch: Hird (2009), The Origins of Sociable Life, eine wichtige Arbeit, die auf einer ethnografisch-soziologischen Analyse von Margulis’ Labor basiert. 3 »Margulis schlug 1991 vor, jede physische Verbindung zwischen Individuen unterschiedlicher Spezies, die über eine signifikante Dauer ihres Lebens bestehen bleibt, als ›Symbiose‹ aufzufassen; entsprechend wären alle TeilnehmerInnen

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daran Bionten, sodass die ganze Verbindung ein Holobiont ist.« Walters (2013), »Holobionts and the Hologenome Theory«. Vgl.: Margulis (1991), »Symbiogenesis and Symbionticism«. 1992 wurde der Begriff Holobiont von Mindell verwendet: »Phylogenetic Consequences of Symbioses«. Er beschreibt damit einen Wirt und seinen primären Symbionten. In der gleichen Ausgabe des Journals findet sich ein Beitrag von Margulis (1992), »Biodiversity«. Rohwer u. a. (2002), »Diversity and Distribution of Coral-Associated Bacteria« meinen darauf hin mit dem Begriff Holobiont den Wirt mit all seinen symbiotischen Mikroorganismen, einschließlich seiner Viren. Eine exzellente Zusammenfassung der Prinzipien von Holobionten und Hologenomen, die aber die Sprache von »Wirt plus Rest« nicht vermeiden kann, ist: Bordenstein/Theis (2015), »Host Biology in Light of the Microbiome«. »Safe and sound« als eine Bedeutung von holo- findet sich im Online Etymology Dictionary, Zugriff: 17. März 2016. Margulis, die damals als Lynn Sagan publizierte, veröffentlichte 1967 ihre radikale Theorie der Entstehung nukleider Zellen. Wie viele andere revolutionäre wissenschaftliche Beiträge, etwa Raymond Lindemans paradigmenverschiebender Artikel »Trophic-Dynamic Aspect of Ecology« von 1942, wurde Margulis’ Paper vielmals abgelehnt, bevor es dann doch publiziert wurde. Vgl. Sagan (1967), »On the Origin of Mitosing Cells«, Margulis (1996), »Archaeal Eubacterial Mergers in the Origin of Eukarya«. Für eine Erläuterung von Margulis’ Version der Autopoiesis und mit einem starken Argument für die Weiterverwendung des Konzepts mit ihrer essenziellen Arbeit zur Gaia-System-Theorie zweiter Ordnung vgl. Clarke (2012), »Autopoiesis and the Planet«. Lovelock (1967), »Gaia as Seen through the Atmosphere«; Lovelock/Margulis (1974), »Atmospheric Homeostasis by and for the Biosphere«. Die autopoietische Systemtheorie und die Figur der Gaia sollten sich als entscheidend für die Formulierung des Konzepts des Anthropozäns herausstellen. Gaia, die keine nährende Mutter ist, kann in Systemkollaps nach Systemkollaps ausflippen; es gibt aber Grenzen für die systemischen Prozesse der Homoeostase und der Reformulierung von Ordnung aus dem Chaos auf immer noch komplexeren Ebenen. Komplexität kann sich auftrennen; die Erde kann sterben; es kommt darauf an, responsabel zu werden. Dempster (1998), »A Self-Organizing Systems Perspective on Planning for Sustainability«. 1998 war Dempster der Meinung, dass die Biologie die Konzeptionalisierung von Organismen als Einheiten untermauert und dass nur Ökosysteme und Kulturen sympoietisch seien. Ich meine, dass wir das, basierend auf biologischen Erkenntnissen, nicht länger so denken können. Margulis/ Sagan (2001), »The Beast with Five Genomes«. Poulsen u. a. (2013), »Complementary Symbiont Contributions to Plant Decomposition in a Fungus Farming Termite«. Über diese Termiten-Bakterien-Symbi-

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ose schreibt auch der exzellente Wissenschaftsautor Yong (2014), »The Guts That Scrape the Skies«. Eine dichte Analyse der Wettbewerb/Kooperation-Binarität und ihrer Sackgassen sowie Argumente gegen die unbarmherzige Annahme der Biologie, dass Erklärungen in letzter Instanz immer kompetitiv und individualistisch sein müssen, bieten van Dooren/Despret (2018), »Evolution«. Sie beschreiben außerdem detailliert adäquatere Erklärungspraktiken, die unter unternehmungslustigen Evolutions- und VerhaltensbiologInnen und auch in der Ökologie immer häufiger ins Spiel kommen. Gilbert/Epel (2015), Ecological Developmental Biology, dokumentieren Belege für eine »erweiterte evolutionäre Synthese«, die die Moderne Synthese, die ökolo­ gische Entwicklungsbiologie (eco-devo) und die ökologisch-evolutionäre Entwicklungsbiologie (eco-evo-devo) umfasst. Mereschkowski (1910), »Theorie der zwei Plasmaarten als Grundlage der Symbio­ genesis«. Gilbert (2009), »The Adequacy of Model Systems for Evo-Devo«. Vgl. auch: Anonymous, »History«, S. 57. Vgl.: Black (1962), Models and Metaphors; Frigg/Hartman (2012), »Models in Science«; Haraway (2004), Crystals, Fabrics, and Fields. King, »King Lab: Choanoflagellates and the Origin of Animals«. Alegado/King (2014), »Bacterial Influences on Animal Origins«. Choanoflagellaten und ihre bakteriellen PartnerInnen geben auch deshalb ein attraktives Modell ab, weil Schwämme, die man lange als die »primitivsten« Kritter und nächsten Verwandten der Tiere beschrieben hat, Zellen in ihren Körpern haben, die Choanoflagellaten ähneln und mit denen sie zum Beispiel Beute fangen (Bakterien und Detritus). Aktuelle Forschungen sind jedoch der Meinung, dass Ctenophoren (Glaslappenquallen) näher mit den Tieren verwandt sind als Schwämme. Halanych (2015), »The Ctenophore Lineage Is Older Than Sponges?«. Vgl. auch Ed Yongs (2015) sehr schön geschriebenen Text »Consider the Sponge«. Ich kenne keine Forschung, die Ctenophoren-Bakterien-Interaktion untersucht, aber wenn es um das Management von Infektionen und die Reaktion auf Biofilm-Bildung geht, sind Ctenophoren genauso auf Bakterien und Archaeen gestimmt wie wir alle. Eine phylogenetische Beziehung ist so oder so nicht das einzige Kriterium für ein gutes Modell. Bis zu 60 Prozent der Biomasse eines Schwamms sind Mikroben. Vgl. Hill u. a. (2006), »Sponge-Specific Bacterial Symbionts in the Caribbean Sponge«. Was für eine Goldmine für die Erforschung von Holobionten! Kein Wunder, dass Nicole King begonnen hat, sich all diese Andockpunkte und Signalaktivitäten, die die choanoflagellatenähnlichen Zellen von Schwämmen mit ihren freilebenden Verwandten verbinden, genau anzusehen: ihre Nahrungsaufnahme, ihre Infektionen und ihre Gewohnheit, sich zu Rosetten zu gruppieren. Wenn es irgendetwas ist, dann das Essen – und nicht fundamentalistischer, neo-darwinistischer Egoismus –, das als »evolutio-

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näre Erklärung letzter Instanz« plausibel ist; und Essen ist definitiv sowohl infektiös als auch sozial! Biologisch gesehen schlägt Essen Sex als innovative Kraft; und Essen machte Sex zuallererst möglich. McGowan (2014), »Where Animals Come From«; Yong (2012), »Bacteria Transform the Closest Living Relatives of Animals from Single Cells into Colonies«. McFall-Ngai (2014), »Divining the Essence of Symbiosis«, S. 2. Vgl. auch McFallNgais Webseite der Universität von Wisconsin. Sie ist inzwischen an das Pacific Bioscience Research Center der Universität Hawaii gegangen. Andere, gerade entstehende Modellsysteme, die auf EcoEvoDevo gestimmt sind, sind die Darmentwicklung bei Mäusen mit bakteriellen Symbionten (Jeffrey Gordons Labor an der Washington University in St. Louis) und Mäusehirnentwicklung, wie auch ihre Immunsystementwicklung, die ihre Signale von spezifischen Darmbakterien erhält (Sarkis Mazmanians Labor an der CalTech). Vgl. auch EcoEvoDevo-Forschung zur Knoblauchkröte (David Pfennigs Lab an der UNC Chapel Hill). In Nancy Morans Labor an der Universität Texas wird zur Symbiose von Blattläusen und Buchnera [einem Protobakterium, Anm. KH] gearbeitet. Die Koevolution von Läusen und Symbionten wurde gut beschrieben, aber der Entwicklungsaspekt nicht herausgestellt. Dank an Scott Gilbert, persönliche Mitteilung, 10. Juni 2015. Das Gründungstreffen der panamerikanischen Gesellschaft für evolutionäre Entwicklungsbiologie fand vom 5. bis 9. August 2015 auf dem Campus der Universität von Kalifornien, Berkeley, statt. Von den 300 EvoDevo-Wissenschaft­ lerInnen, die ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet hatten, luden die zehn OrganisatorInnen 25 aus unterschiedlichen Disziplinen ein, die unterschied­ liche Ansätze verfolgten, und setzten ein Webportal für alle anderen auf. Die European Society for Evolutionary Developmental Biology wurde 2006 in Prag gegründet. Die internationale wissenschaftliche Community rund um EcoDevo und EvoDevo, aber auch um EcoEvoDevo, ist beträchtlich und wächst. Rudolf Raff gibt seit 2011 das Journal Evolution and Development heraus. Vgl.: Abouheif u. a. (2014), »Eco-Evo-Devo«. Eine starke russische Tradition aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hat wesentlich zur konzeptuellen Formulierung von EvoDevo und EcoDevo beigetragen. Vgl.: Olsson u. a. (2010), »Evolutionary Developmental Biology«. Sowie Tauber (2010), »Reframing Developmental Biology and Building Evolutionary Theory’s New Synthesis«. McFall-Ngai (2014), »Divining the Essences of Symbiosis«. Moran, »Research in the Moran Lab,« Webseite »Nancy Moran’s Lab«. Vgl. Gilbert u. a. (2012), »A Symbiotic View of Life«; McFall-Ngai u. a. (2013), »Animals in a Bacterial World«. Diese Artikel multipler Urheberschaft sind das Resultat eines Workshops, den das National Evolutionary Synthesis Center (NESC) unterstützt hat. Michael Hadfield hat mir Margaret McFall-Ngai 2010 in Hawaii vorgestellt und die kollaborative Denk- und Veröffentlichungsform dieser

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Gruppe durchdringt meine zutiefst. Gemeinsam mit Sapp (ein Biologiehistoriker, der über Evolutionstheorie jenseits des neo-darwinistischen Paradigmas schreibt) und Tauber (ein Biochemiker, Philosoph und Wissenschaftshistoriker, der über Immunologie arbeitet) hat Gilbert (ein Entwicklungsbiologe und Biologiehistoriker) beschlossen, einen eigenen Beitrag zu verfassen, da es bei dem NESC-Workshop nicht ausräumbare Differenzen darüber gab, wie weit Gilberts Theorie der Holobionten als Bezugsgröße von Selektion von der neo-darwinis­ tischen Evolutionstheorie entfernt sei (»Wettbewerb als letzte Instanz« und die Macht der »Betrüger« in der evolutionären Spieltheorie). Gilbert ist der Meinung, dass Immunsysteme sehr gut darin sind, einen Dialog mit kooperations-zerstörenden »Betrügern« in Holobionten zu managen, mit solchen, die den Holobionten nicht töten. Gilbert u. a. (2010), »Symbiosis as a Source of Selectable Epigenetic Variation«. Gilbert betont, dass wir immer Flechten waren. Vgl. auch: Guerrero u. a. (2013), »Symbiogenesis«. McFall-Ngai u. a. (2013), »Animals in a Bacterial World«, S. 3229. Auf Anfrage von Hadfield und McFall-Ngai habe ich ein wenig dabei geholfen, die Einleitung und die Zusammenfassung von McFall-Ngai u. a. (2013), »Animals in a Bacterial World« durchzusehen. Hadfield hat mir seit den frühen 1970er Jahren viel über die Entwicklungsbiologie und Ökologie wirbelloser Meeresbewohner beigebracht, als wir zusammen in einer Kommune in Honolulu lebten. Gilbert und ich sind enge Freunde und Kollegen und tauschen Texte und Ideen aus, seit er sein Doktorat in Biologie an der Johns Hopkins Universität gemacht hat. Ich war damals Assistenzprofessorin in der Abteilung für Wissenschaftsgeschichte und Gilberts Betreuerin für seine gleichzeitig entstehende MA-Arbeit in Wissenschaftsgeschichte. Wertheim (2007), A Field Guide to Hyperbolic Space. Hyperbolischen Raum kann man als »Exzess der Oberfläche« (so heißt die erste Sektion in Wertheims Buch) definieren. Die schiere Existenz eines solchen Dings schien euklidischen Denkern schlicht pathologisch, bis die kurvigen Verweltlichungen für die Mathematik unbestreitbar wurden. Solche zinnenübersäten Realitäten waren schon lange im Repertoire anderer Kritter. Zum Beispiel in dem einer Frau aus den Seidenweberfamilien im Spitalfields des 19. Jahrhunderts, die, während sie eine schöne Rüsche über die Kanten eines Milchkrugdeckels häkelte, Darwin dabei zuhörte, wie er mit ihrem Mann und ihren Söhnen über spektakuläre Brieftauben sprach. Hustak/Myers (2012), »Involutionary Momentum«, S. 79, 97, 106. Ebd., S. 77. xkcd, Bee Orchid, https://xkcd.com/1259/, Zugriff vom 10. August 2015. Die betreffende Biene ist überall ausgestorben, außer in einer Region. Sie ist ein nochnicht-ganz ausgerotteter Solitär und gehört dem Genus Eucera an. Die Orchidee ist Ophrys apifera. Über Wiederbelebung vgl. Tsing (2015c), »A Threat to Holocene Resurgence Is a

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Threat to Livability«. Tsing stellt dar, dass das Holozän jene lange Epoche war, und an manchen Orten immer noch ist, in der Refugien, Orte des Rückzugs, noch existierten, sogar reichlich; Rückzugsorte, die es für kulturell und biologisch diverse Wiederbelebungen nach immensen Störungen braucht. Vielleicht thematisiert die Empörung, die einen Namen wie den des Anthropozäns verdient, die Zerstörung von Orten und Zeiten des Rückzugs für Menschen und andere Kritter. Mein Chthuluzän, auch wenn es mit seinen problematischen »griechischen« Ranken belastet ist, umfasst unzählige Zeitlichkeiten und Orte und verschiedenste intra-aktive Wesen-in-Gefügen  – inklusive der Mehr-alsmenschlichen, Anders-als-menschlichen, Inhumanen, Humanen-als-Humus. Die Symchtho­nischen sind nicht ausgerottet, sie sind sterblich. Eine Möglichkeit, im Chthuluzän gut zu leben und zu sterben, ist es, die Kräfte zu bündeln, um Refugien zu rekonstituieren. Damit werden partielle und robuste biologischkulturelle, politisch-technologische Rückgewinnungen und Rekompositionen ermöglicht, die das Trauern um irreversible Verluste miteinschließen müssen. »Multiplayer« verweist auf Computerspiele für mehrere Spieler, Anm. KH. Inupiat bedeutet »reale oder echte Person«. Inupiaq meint sowohl die Personen als auch die Sprache, die mit kanadischem Inuit und grönländischen Dialekten eng verwandt sind, aber sich vom Yupik in Westalaska unterscheiden. Als Bezeichnung für das Personenkollektiv ist Inupiat der Plural von Inupiaq. Vgl. University of Alaska Fairbanks, »Alaska Native Language Center«. »Crochet Coral Reef«; »Ako Project«; »Never Alone«; »Black Mesa Water Coalition«; »Black Mesa Trust« (von Hopi-AktivistInnen gegründet); »Black Mesa Weavers for Life and Land«; »Navajo Sheep Project«; »Diné be’iiná/The Navajo Lifeway«; »Black Mesa Indigenous Support«. Hustak/Myers (2012), »Involutionary Momentum«, S. 77. Michael Klare (2015) zitiert in »Welcome to a New Planet« die Zahlen aus dem WWF-Bericht von September 2015, demgemäß die Nahrungsmittelsicherheit von 850 Millionen Menschen von Korallen-Riff-Ökologien abhängt. An gleicher Stelle wird berichtet, dass 85 Prozent der Riffe des sogenannten Korallen-Dreiecks, das die Gewässer von Indonesien, Malaysia, der Philippinen, von PapuaNeuguinea, der Salomon-Inseln, von Osttimor und Raja Ampat, etwas von der Küste Westneuguineas entfernt, umfasst, gefährdet sind. Das Korallen-Dreieck wird als globales Epizentrum mariner Ökodiversität eingeschätzt. Ein irreversibles Versagen der Riffe könnte schon 2050 eintreten, menschliches Elend und Massenmigration in noch nie da gewesenem Ausmaß auslösen, ganz zu schweigen von nichtmenschlichem Elend und doppeltem Tod. Klimagerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit sind wirklich artenübergreifende Angelegenheiten. Raja Ampat ist also auch das Epizentrum beharrlicher, innovativer Bündnisarbeit für die Wiederbelebung. Vgl. World Wildlife Fund (2015), »Living Blue Planet«.

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34 Die Hypothese vom Tiefsee-Korallen-Refugium ist schwer zu beweisen. Vgl. dennoch: Greenwood (2015), »Hope from the Deep«. 35 Tsing (2015c), »A Threat to Holcene Resurgence Is a Threat to Livability«: »Wiederaufforstung ist ein Beispiel für das, was ich Wiederaufleben nenne. Jene artenübergreifenden Beziehungen, die Wälder ermöglichen, werden im Wiederwachsen der Wälder erneuert. Das Wiederaufleben ist die Arbeit vieler Organismen, die quer zu Differenzen verhandelt wird, um Gefüge von artenübergreifender Lebensfähigkeit inmitten von Störungen zu schaffen. Menschen können ihre Lebensgrundlage ohne sie nicht bewahren.« Aber nicht jede Art von Aufforstung ist gleich, nicht alles, was auf zerstörtem Land wächst, konstituiert ein Wiederaufleben. Die Wiederaufforstung mit nativen Spezies in Madagaskar ist sehr kompliziert, weil der Boden in den entwaldeten Gegenden so schwer geschädigt ist. Man verwendet in der Aufforstung exotische Arten, die auch schonmal invasiv wurden: Eukalyptus, Pinie, Silberakazie, Seideneiche und Teebaum. Vgl. »Deforestation in Madagascar«. »Aufforstung« im Plantagenstil, beispielsweise mit Ölpalmen, war bis vor Kurzem auf Madagaskar nicht üblich. 36 Eines dieser Navajo-Hopi-Siedler-Bündnisse für den Umweltschutz ist beschrieben unter: »Sierra Club Sponsors ›Water is Life‹ Forum with Tribal Partners«. Der Sierra Club war ein wichtiger Partner der Navajo- und Hopi-AktivistInnen bei der Schließung von Kraftwerk und Mine. Vgl. Francis (2011), Voices form Dzil’íjiin (Black Mesa). Der Sierra Club wurde im späten 19. Jahrhundert als eine weiße, koloniale Siedlerinstitution gegründet, die die Kategorie Natur mit Konservierung, Eugenik und Vertreibung der nativen Bevölkerung von ihrem Land verband. Es ist ermutigend, dass der Sierra Club versucht zu lernen, ein dekolonialer Verbündeter der indigenen Bevölkerung zu werden. 37 Lustgarten (2015a), »End of the Miracle Machines«. Die zwölfteilige Serie von Lustgarten für ProPublica, »Killing the Colorado«, ist eine unverzichtbare Lektüre für ein Nachdenken darüber, wie das Chthuluzän inmitten der Praktiken des Anthropozäns und seiner pausenlosen Verbrennung von Fossilien zum Hervorbringen von neuen Fossilien genährt werden kann. 38 Das Bureau of Reclamation, wörtlich: Büro für Landgewinnung oder Urbarmachung, ist eine Behörde unter dem Dach des US-amerikanischen Innenministeriums, die für die Wasserwirtschaft und Wasserversorgung zuständig ist. Anm. KH. 39 Die Webseite von Peabody Energy zeichnet ein deutlich anderes Bild: eines das von neu gepflanzten nativen Pflanzen, produktiven, revitalisierten Wiesen, preisgekrönten Sicherheitsvorkehrungen, ökonomischem Gewinn für alle und glücklichen Menschen strotzt. 2006 wurden »Peabodys Umweltschutz- und Sozialpraktiken auf Black Mesa als Weltmodell für Nachhaltigkeit bei den Energy Global Awards in Brüssel, Belgien, geehrt«. Vgl. Peabody Energy, »Powder River Basin and Southwest«; vgl. auch: Peabody Energy, »Factsheet: Kayenta«.

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In den frühen 1990er Jahren hat Fred Palmer, er war 2015 Peabodys Chef-­ Lobbyist für Bundesangelegenheiten, die Greening Earth Society gegründet, die aktiv die Idee verbreitete, dass der Klimawandel gut für Pflanzen und öffentliche Gesundheit sei. Peabody Energy führte die Klage gegen Präsident Obamas Bemühungen am Ende seiner zweiten Amtszeit, Kohleemissionen durch die EPA stärker zu regulieren. 2010 hat Peabody Craig Idso als höchsten Umweltverantwortlichen eingestellt. Er ist Kogründer und früherer Präsident des Center for the Study of Carbon Dioxide and Global Change, ein Thinktank, der sich der Bekämpfung des mainstreams der Klimawissenschaft verschrieben hat. Greg Boyce, Peabodys Geschäftsführer im Jahr 2015, kritisiert regelmäßig »mangelhafte Computermodelle« als Basis der »Klimatheorie«. Vgl. Goldenberg (2015), »The Truth behind Peabody Energy’s Campaign to Rebrand Coal as a Poverty Cure«. Obwohl kritisch gegenüber den Bemühungen der Industrie, kohlebasierte Elektrizität als Lösung für die Armen der Welt zu verkaufen, ist Peabody eine treibende Kraft von »Advanced Energy for Life«. »Advanced Energy for Life« hat eine schicke Pro-Kohle-Webseite lanciert, die argumentiert, dass mehr und nicht weniger Investment in Kohle, zusammen mit immer elaborierteren und teureren Technologien, entscheidend für globales Wohlbefinden sei. Peabody Energy ist der einzige nicht-chinesische Partner in der Shenhua Coal Group. Vgl. Peabody Energy, »Peabody in China«. Dennoch ist Peabody mit großen ökonomischen Verlusten konfrontiert, da die globale Kohleindustrie immer weniger nachhaltig wirtschaften kann; ihr Konkurrent ist durch Fracking gewonnenes Erdgas. Globale Bewegungen wie das People’s Climate Movement und das Indigenous Environmental Movement gegen fossile Treibstoffe zeigen inzwischen Wirksamkeit: »Leave It in the Ground«, http://leave-it-in-the-ground.org/, Zugriff 17. März 2016. Peabody Energy hat 2016 seinen Bankrott erklärt. Bilder zur Navajo Generating Station und vieles mehr finden sich in: Friberg (2015), »Picturing the Drought«. Zur Black Mesa-Mine vgl. die Bilder von Minkler in »Paatuaqatsi/Water Is Life«. Kivas sind Zeremonien- und Versammlungsräume der Pueblo-Kulturen, das Wort selbst stammt aus der Hopi-Sprache, Anm. KH. Zum Zusammenhang Navajo-Hopi-Peabody und Black Mesa vgl. Nies (1998), »The Black Mesa Syndrome«. Das ist meine Quelle für die 2,7 Millionen Entlohnung für Boyden. Vgl. ebenfalls: Nies (2014), Unreal City; Ali (2003), Mining, the Environment, and Indigenous Development Conflicts, S. 77–85. Navajo-Stimmen finden sich in: Benally (2011), Bitter Water. Zum Skandal der Kohleextraktion und der Umsiedelung der Navajo von Black Mesa seit 1864, u. a. um Bergbauspekulation voranzutreiben, vgl. den mit einem Oscar preisgekrönten Dokumentarfilm von Floria und Mudd Broken Rainbow (1986). Meine kondensierte Zusammenfassung der Black Mesa-Problematik verdankt

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sich vielen aktivistischen Quellen: Lacerenza (1988), »An Historical Overview of the Navajo Relocation«; »Short History of Big Mountain-Black Mesa«; Begaye (2005), »The Black Mesa Controversy«; Rowe (2013), »Coal Mining on Navajo Nation in Arizona Takes Heavy Toll«; Black Mesa Water Coalition, »Our Work«. Wertheim (2007), A Field Guide to Hyperbolic Space. Wertheim/Wertheim (2015), Crochet Coral Reef, S. 17. Ein über 200 Seiten umfassendes Buch mit opulenten Fotos und scharfsinnigen Essays und den Namen aller, die für dieses experimentelle, künstlerisch-wissenschaftliche Modell-Ökosystem gehäkelt haben. Xena war eine neuseeländische Fernsehserie zwischen 1995 und 2001. »Gefährliche Träume« ist eine Episode der ersten Staffel und ich stelle mir Christine und Margaret vor, wie sie am Bildschirm kleben und ihre eigene, materielle Traumpassage aushecken: Gabrielle wird hier entführt, um die Braut von Morpheus, dem Gott der Träume zu werden. Xena muss deshalb durch ihre Traumlandschaft gehen, um ihre Freundin zu retten. Vgl. Xena Warrior Princess (1995), »Dreamworker«. Zu den gehäkelten Korallenriffen als experimentelle Lebensform, die bis zu einem gewissen Grad ALife-Welten ähneln (http://alife.org), aber mit deutlich anderen erzählerischen, materiellen, politischen, menschlichen und nicht-menschlichen, sozialen Ökologien. Vgl. Helmreich (2000), Silicon Second Nature; Roosth (2012), »Evolutionary Yarns in the Seahorse Valley«. Wertheim/Wertheim (2015), Crochet Coral Reef, S. 21. Vgl. Hayward (2012), »The Crochet Coral Reef Project«. Wertheim/Wertheim (2015), Crochet Coral Reef, S. 23. Ebd., S. 17. Ebd., S. 202. Wertheim (2009), »The Beautiful Math of Coral«. Wertheim: »CalArts Faculty Staff Directory«. Metcalf (2008), »Intimacy without Proximity«. Vgl. die Webseite der Australian Earth Laws Alliance. Das Foto findet sich ohne Copyright-Angabe unter: www.earthlaws.org.au/wp-content/uploads/2014/09/ turtle-and-reef.jpg, Zugriff vom 11. August 2015. Die Geo-öko-techno-Materialität visueller Kultur ist von Gewicht, um Raum für Kritter zu schaffen und offen zu halten. National Oceanic and Atmospheric Administration, »Green Turtles«. Vgl. »Ako Project: The Books«, verfasst von Alison Jolly, illustriert von Deborah Ross, madagassischer Text von Hantanirina Rasamimanana, 2005–12. Die Lemur Conservation Foundation vertreibt die Bücher in den Vereinigten Staaten und Kanada. In Madagaskar werden sie von der UNICEF verbreitet (15.000 Exemplare von jedem Buch und 6.000 von jedem Poster). Außerhalb von Madagaskar sind einsprachige Bücher auf Englisch und Chinesisch erhältlich, weitere Über-

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setzungen sind geplant. Jedes Buch stellt eine andere Lemurenart in ihrem jeweiligen Habitat vor, u. a. Fingertiere, Kattas, Sifakas, Indris, Rote Varis und Mausmakis. 60 Jolly (2015), Thank You, Madagascar ist ein lustiger, kluger, skurriler, gut informierter, großartig geschriebener und häufig tragischer Bericht über die wichtigsten Stränge der Geschichte der madagassisch-westlichen Naturschutzbegegnungen und die entsprechenden Projekte des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts, an denen Jolly beteiligt war. Ich bedanke mich bei ihrer Tochter Margaretta Jolly für Kopien von Dokumenten und Korrespondenzen über das Ako-Projekt. 61 Patricia Wright, eine Freundin und Kollegin von Alison, muss hier ebenfalls mit ihrem außergewöhnlichen Wissen und ihrer ebenso außergewöhnlichen Arbeit erwähnt werden. Wright spielt in Thank You, Madagascar eine wichtige Rolle. Ohne sie würde der Ranomafana Nationalpark mit seinen Projekten für madagassische und auswärtige WissenschaftlerInnen, für die Tierwelt und die lokale Bevölkerung nicht existieren. Vgl.: »Centre ValBio«; »Patricia Wright« sowie Wright/Andriamihaja (2002), »Making a Rain Forest National Park Work in Madagascar«. Nichts von alldem hält mich (oder Jolly oder Wright) davon ab, zu registrieren, dass viele Leute, die mit dem Park zu tun haben, finden, dass ihnen ihr Land und auch die Gräber ihrer Vorfahren illegitimerweise genommen wurden, was den Park und damit gezogene Grenzen in eine Geschichte wissenschaftlicher und staatlicher kolonialer Praktiken einordnet. Gleichzeitig hält nichts von alldem die informierten AkteurInnen dieser Region davon ab, sich im Klaren darüber zu sein, dass die Bäume und Kritter dieser spezifischen Gegend inzwischen alle verschwunden wären, wenn der Park gescheitert wäre. Angesichts der Vielgesichtigkeit der Probleme, gibt keine unschuldige oder einfache Art, unruhig zu bleiben; genau deshalb müssen wir es sein. Vgl. Jolly (2015), Thank You, Madagascar, S. 214–228. Wanderkultivierer, wie die madagassischen, die kleine Hänge abbrennen und Reisfelder bewässern, werden häufig für die Zerstörung des Bodens und seiner zukünftigen Fruchtbarkeit verantwortlich gemacht; in Wahrheit war es oft umgekehrt. Das Thema wird kontrovers diskutiert, aber vgl. Survival International, »Shifting Cultivation«, und Cairns (2014), Shifting Cultivation and Environmental Change. Kull (2004), Isle of Fire ist die harscheste Kritik an der Geschichte des Naturschutzes durch das Verbot von Brandrodung in Madagaskar. Er setzt sich für eine community-basierte Regulierung des Brennens anstatt der fortgesetzten – und ineffektiven – Kriminalisierung von Brandrodung ein. Die Regenerierung der von den Wanderfeldbauern benutzten Flächen, von zurückgelassenen Brachen, ist seit langer Zeit entscheidend für den Erhalt von Artenvielfalt und -reichtum in den meisten tropischen Regionen – so lange die Brachzeiten nicht zu kurz sind und der Druck, neue Anbauflächen zu gewinnen, nicht zu groß.

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Privateigentumsregime und ihre Staatsapparate tun sich schwer mit Wanderkultivierung (und mit nomadischen Hirtenvölkern). Kurz gesagt: Der Staat möchte, dass sich Menschen in wohldefinierten Eigentumsgrenzen niederlassen. Am 13. Juli 2015 postete die Black Mesa Water Coalition (BMWC) auf ihrer Facebook-Seite aus Solidarität mit anderen mobilen Völkern, die Wanderkultivierung betreiben und seitens zentralisierender, Ressourcen extrahierender staatlicher Stellen unter Druck geraten, einen New York Times-Artikel über die Bemühungen der chinesischen Regierung, die Nomaden der westlichen Regionen sesshaft zu machen; notfalls mit Gewalt. Der Zusammenhang zwischen gesteigerten Bemühungen zur Sesshaftmachung und der Intensivierung der Extraktion von Kohle und anderen Energieträgern (auch mineralischen) im Westen Chinas ist augenfällig; das sind die gleichen Kräfte, die auf Black Mesa, auf die Navajo- und Hopi-Territorien seit Mitte des 19. Jahrhunderts einwirken. Vgl. Jacobs (2015), »China Fences in Its Nomads«. Derjenige, der den Beitrag auf der BMWC-Seite postete, kommentierte: »Diese Geschichte klingt bekannt, oder? Es ist das, was die BIA den Diné angetan hat und was heute auf NPL und HPL passiert.« NPL, Navajo Partition Lands; HPL, Hopi Partition Lands. www. facebook.com/ blackmesawc?fref=ts. Zugriff vom 9. August 2015. Vgl. den letzten Abschnitt dieses Kapitels: »Navajo Weberei«. Eine Studie hat kürzlich versucht zu quantifizieren, ob und wie viel sich die Brachzeiten der Wanderkultivierung/der tavy-Landnutzung in einem bestimmten Regenwald-Korridor im Osten Madagaskars verkürzt haben. Die Studie gibt an, Methoden benutzt zu haben, die Wissenssysteme und Aussagen von Agrikulturexperten und von lokalen Bauern gleichermaßen ernst nimmt. Vgl. die Schlussfolgerungen von Styger u. a. (2007), »Influence of Slash-and-Burn Farming Practices on Fallow Succesion and Land Degradation in the Rainforest Region of Madagascar«, S. 257: »Während der letzten 30 Jahre haben sich die Brachzei­ten von 8–15 auf 3–5 Jahre verkürzt. Deshalb verändert sich die Brachen­ vegetation innerhalb von 5–7 Brach/Pflanz-Zyklen nach der Rodung von Baum­ bewuchs (Trema orientalis) zu Strauchbewuchs (Psiadia altissima, Rubus moluc­ canus, Lantana camara) zu Krautbewuchs (Imperata cylindrical und Farne) und Grasland (Aristida sp.), bis das Land nicht mehr für den Anbau zu gebrauchen ist. Diese Sequenz läuft 5–12 Mal schneller ab als früher festgestellt. Der häufige Gebrauch von Feuer führt dazu, dass einheimische Pflanzen von exotischen, aggressiven ersetzt werden und holzartige von grasartigen, die baumlose Landschaften erzeugen; Landschaften, die, was Produktivität und Ökologie betrifft, wenig wert sind.« Die Studie hebt hervor, dass die lokale Bevölkerung, die Betsimisaraka, sehr viel über Brachennutzung und Regenerierung weiß, aber durch die zahlreichen, sich beschleunigenden Kräfte der Landvernutzung unter Druck geraten ist. Ökologische, auf die Ethnie, die soziale Hierarchie, die Bevölkerung bezogene, regionale, nationale, internationale und ökonomische Kräfte wirken

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zusammen, um Biodiversität und die vielschichtigen Lebensgrundlagen für Leute und andere Kritter zu erdrosseln. Wanderkultivierer haben traditionell wenig Interesse an großen Familien und haben deshalb verschiedene Methoden zur Geburtenkontrolle angewandt. Warum sich Bevölkerungsdruck und Landmangel seit Mitte des 20. Jahrhunderts in den höher gelegenen Reisanbaugebieten und Wäldern von Madagaskar trotzdem so entwickelt haben, ist nicht leicht zu beantworten. Privateigentum, der Nationalstaat und koloniale Instrumente tragen eine große Verantwortung dafür, aber nicht die ganze. Der hohe Tribut der menschlichen Bevölkerungsgröße kann nicht thematisiert werden, indem man die Verantwortung auf den Teller (oder in die Gebärmutter) eines/einer anderen schiebt. Überhaupt ist die Bevölkerungsgröße Madagaskars schwer schätzbar, da seit 1993 kein Zensus mehr stattgefunden hat. Die erste Volkszählung war 1975. Die »Methode« der folgenden Aussagen ist Rückschluss: »Der Überarbeitung der Weltbevölkerungsschätzung von 2010 nach zählte die Gesamtbevölkerung 2010 20.714.000 gegenüber nur 4.084.000 im Jahr 1950. […] UN-Schätzungen lauten auf ca. 50 Millionen 2050. Die Geburtenraten gingen in urbanen und in ländlichen Regionen zurück, stärker in den urbanen Regionen. 70 Prozent der Bevölkerung ist rural bzw. betreibt Subsistenzlandwirtschaft.« United Nations, »World Population Prospects«. 62 Deborah Ross ist Buchkünstlerin, sie hat mit vielen großen Zeitschriften, mit Zoos und botanischen Gärten gearbeitet. Sie hat Aquarellkurse für die Walt Disney Studios und DreamWorks, für Pixar und Cal Arts geleitet. Für das Ako-Projekt waren ihre Kunstworkshops für ländliche Gemeinden in Kirindy und Tampolo am wichtigsten. Vgl. Ross, »Deborah Ross Arts«. Janet Mary Robinson hat die Poster für das Ako-Projekt gemacht. Sie ist Wissenschaftsillustratorin und hat Ökologie und Umweltwissenschaften studiert. Dank an Margaretta Jolly für die Informationen über die Anfänge des Projekts. E-Mail Jolly an Haraway, 28. Juni 2015. 63 Jolly (2010), »Alison Jolly and Hantanirina Rasamimanana«, S. 45. Die Geschichte ihrer ersten Begegnung und der Anfänge ihrer Zusammenarbeit findet sich in: Jolly (2004), Lords and Lemurs. Ein Eindruck des gemeinsamen Denkens von Jolly und Rasamimanana mit weiteren KollegInnen findet sich in: Jolly u. a. (2006), »Territory as Bet-Hedging«. 64 Ohne die Hoffnung fahren zu lassen, bedauert Jolly, dass nicht einmal Rasamimananas Anstrengungen, Lehre und Forschung des Ako-Projekts zu fördern, die Abwehrhaltung vieler LehrerInnen dem unorthodoxen Material gegenüber überwinden konnte. Jolly (2015), Thank You, Madagascar, S. 51. Dolins u. a. fordern, dass »obwohl NGO-Bemühungen sehr wichtig sind und auch bleiben werden, das Bildungsministerium dringend Biodiversitätsbildung in die Curricula aller Schulstufen von der Grundschule bis zur Universität aufnehmen muss«. (Abstract) Vgl. Dolins u. a. (2010), »Conservation Education in Madagascar«.

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65 Fifth International Prosimian Congress, Webseite. Durrell Wildlife Conservation (2013), »World Primate Experts Focus on Madagascar«. Eine Liste damit zusammenhängender Publikationen findet sich unter: »ValBio,« »ICTE-Centre ­ValBio Publications«. 66 Jolly (2015), Thank You, Madagascar, S. 362. 67 Dieses Zitat ist der englische Untertitel auf einem Screenshot des Never AloneTrailers, der Nuna, den arktischen Fuchs und einen Geisterhelfer zeigt. Ausschnitte eines Radiointerviews mit Amy Fredeen vom Cook Inlet Tribal Council und mit Sean Vesce von E-Line Media finden sich in Demby (2014), »Updating Centuries-Old Folktales with Puzzles and Power-Ups«. Aus dem Interview: »Die letzte lebende Person, die die Geschichte erzählt hat, war ein Meistererzähler namens Robert Cleveland. Amy und ihr Team leisteten großartige Arbeit und fanden die älteste lebende Nachfahrin von Robert: eine Frau namens Minnie Gray, die in ihren 80ern ist. Sie entdeckten, dass Minnie nur ein paar Straßen vom Hauptsitz des Cook Inlet Tribal Councils entfernt wohnte. Wir luden sie ein und konnten eine Reihe von Gesprächen mit ihr führen. Wir stellten ihr das Team und unser Vorhaben vor. Und wir freuten uns sehr, als sie uns wirklich nicht nur aufforderte, die Geschichten ihres Vaters als Inspiration zu nutzen, sondern auch dazu, sie im Kontext des Spiels zu adaptieren und weiterzuentwickeln. Wir haben von ihr unter anderem gelernt, dass das Geschichtenerzählen keine feststehende Sache ist.« Der Prozess der Spielentwicklung wird sehr detailliert beschrieben. Eine Konsequenz war folgende: »Wir trafen die künstlerische Entscheidung, die [gesprochene] Tonspur in Inupiaq zu halten und sie in zehn Sprachen als Untertitel zu präsentieren. Wir versuchten bewusst, die Erfahrung, eine Geschichte von einem Älteren in seiner eigenen Sprache erzählt zu bekommen, nachzubauen. Es ist schwer, diese Empfindung zu beschreiben, aber wir wollten versuchen, sie für die SpielerInnen so nachzubauen, dass sie ein Verständnis dafür entwickeln können, wie kraftvoll es gewesen wäre, eine dieser Geschichten damals zu hören.« Im Interview zitiert Amy Fredeen Daniel Starkey, einen Spielekritiker indigener Herkunft auf Eurogamer.net: »Never Alone (Ki­ sima Ingitchuna auf Inupiaq) ist anders. Dass es überhaupt existiert, fordert mich heraus. Anstatt Selbstmitleid zu provozieren, trotzt es allem, was ich gelernt habe zu sein; es sagt mir nicht nur, dass ich besser sein soll, sondern zeigt mir auch, wie das geht.« Vgl.: Starkey (2014), »Never Alone Review«. Ungefähr vierzig Mitglieder der Inupiat-Community haben das Projekt auf verschiedene Arten und Weisen unterstützt, punktuell waren es noch viel mehr Leute. Sicher zu gehen, dass das Spiel in der Ökologie, Erfahrung und den Ideen der Inupiat gründete, war ein zentrales Anliegen der indigenen KooperationspartnerInnen, auch der Kinder, die geholfen haben, indem sie die frühen Fassungen spielten. Im Radiointerview kommt zur Sprache, dass die Kinder sich

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sehr für die Frage interessiert haben, welches Tier – Fuchs? Eule? Wolf? – das Menschenkind Nuna begleiten würde. Never Alone erzählt die Geschichte eines nicht-enden-wollenden Sturms, der die Leute bedroht. Gegenwärtige arktische Völker verfügen über ausgereifte Darstellungen von Klimaveränderungen und solchen ihrer Umwelten, aber der Ausdruck Anthropozän ist für sie nicht sehr relevant. Beispiele finden sich im ISUMA-Film Inuit Knowledge and Climate Change aus dem Jahr 2010. Auf der Webseite heißt es: »Der Regisseur Zacharias Kunuk (Atanarjuat The Fast Run­ ner), ein Nunavut, und der Forscher und Filmemacher Dr. Ian Mauro (Seeds of Change) haben sich mit Inuit-Communities zusammengetan, um ihr Wissen und ihre Erfahrung mit dem Klimawandel zu dokumentieren. Diese neue Dokumentation, der erste Inuktitut-sprachige Film zu dem Thema, nimmt die ZuschauerIn mit ›auf’s Land‹, zu den Älteren und den Jägern, um dort die sozialen und ökologischen Auswirkungen der sich erwärmenden Arktis zu erkunden. Dieser unvergessliche Film hilft uns dabei, die Inuit-Kultur und ihre Expertise bezüglich veränderter Umweltbedingungen, aber auch indigene Strategien der Adaption besser zu würdigen.« Vgl. auch Callison (2014), How Climate Change Comes to Matter für eine Feldforschung darüber, in welchen Mundarten eine Gruppe von Inuit aus Alaska den Klimawandel anspricht. Es gibt viele Formate neben Computerspielen, die in Erwägung gezogen werden können, um über komplexe Geschichten und Politiken situierter, indigener digitaler Kulturen nachzudenken. Und es gibt weitere Computerspiele, die mit indigenem kulturellem Material arbeiten, aber nicht so wie Never Alone. Vgl. Ginsberg (2008), »Rethinking the Digital Age«; Ginsberg u. a. (2002), Media Worlds; Lewis (2012), Navajo Talking Picture. Das Konzept Sila wird in einer »Kulturellen Einsicht« erklärt, die von SpielerInnen von Never Alone verdient werden muss. Ich sterbe im Spiel immer, bevor ich so weit komme, aber man kann auf YouTube ein wenig schummeln. Vgl. »Never Alone Cultural Insights – Sila Has a Soul«. Fannie Kuutuuq und andere diskutieren hier Sila. Sila ist ein pan-Inuit Begriff, der so viel bedeutet wie »Wetter«, aber nur, wenn Wetter den Himmel und die Luft meint, Atemseele, ein Element, das die Welt umgreift und den Wesen Leben einhaucht, außerdem die Umwelt zwischen Erde und Mond mit ihren dynamischen Veränderungen und Kräften. Vgl. Merker (1983), »Breath Soul and Wind Owner«. Das Konzept Klimawandel wird Sila nicht verschlucken und auch nicht umgekehrt; aber diese Ideen/Arbeitsobjekte sind einander begegnet. Und diese Begegnung wird Konsequenzen für Handlungsfähigkeiten, Zeitlichkeiten und Responsabilitäten haben. Es ist von Gewicht, welche Gedanken Gedanken denken, welche Geschichten Geschichten erzählen, welches Wissen Wissen weiß. Ich stimme mit William Elliott bezüglich dieser Vorsichtsmaßnahmen überein,

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auch mit seinem Engagement mit und für indigene Geschichten und DenkerInnen; und auch bezüglich neuerer Ansätze zu lokalisierten Animismen. Elliott (2017), »›Ravens‹ World«, sowie Elliott (2015), »Never Alone«. Im bereits erwähnten Radiointerview merkt Amy Fredeen vom Cook Inlet Tribal Council über die Zusammenarbeit mit E-Line Media an: »Das klingt vielleicht etwas überzogen, aber als wir darüber sprachen, die erste indigene Computerspiel-Firma zu gründen, wollten wir die Messlatte hoch anlegen. Und wir wollten den Raum des Erzählens traditioneller, kultureller Geschichten in Videospielen besetzen.« Vgl. Demby (2014), »Updating Centuries-Old Folktales«. Fredeen macht deutlich, dass die Möglichkeit des Teilens indigener Geschichten außerhalb der üblichen Bedingungen kolonisierender Aneignung vom Besitz der Geschichten sowie des Apparats des Geschichtenerzählens abhängt. Zitat von der Webseite von Never Alone (Kisima Ingitchuna). Orig. von Anna Tsing: »[…] the arts of living on a damaged planet.«, Anm. KH. Takahashi (2015), »After Never Alone«. Takahashi schreibt: »[Das Spiel] hat mehr als 700 Kritiken in sehr unterschiedlichen Publikationen bekommen (u. a. in GamesBeat) und es wurde weltweit diskutiert. Es war auf mehr als fünfzig ›Best of 2014‹-Listen. YouTube- und Twitch-Spielervideos haben Millionen von Besuchen generiert.« Dank an Marco Harding für diesen Hinweis und dafür, dass er mir beigebracht hat, das Spiel zu spielen. Orig.: sensible in der Doppelbedeutung von vernünftig und empfindsam. Anm. KH. Eduardo Viveiros de Castro, persönliche Kommunikation, 2. Oktober 2014. Das ist einer der Gründe, warum »Glaube« nichts mit den Praktiken der Wissenschaft zu tun hat. Die Wissenschaften sind in all ihren materiell-semiotischen Funktionsweisen sensible Praktiken, auch die Mathematik und die Physik. Isabelle Stengers ist unnachgiebig kohärent in diesem Punkt; ihr Verständnis von Galileos geneigten Flächen hängt mit ihrem Verständnis von sensibler Wissenschaft zusammen. Jemanden danach zu fragen, ob er an die Klimaveränderung oder die Evolution »glaubt«, ist eine christliche Frage, auch wenn sie säkular daherkommt; deshalb ist darauf auch nur eine bekenntnishafte Antwort erlaubt. In solchen Welten regieren Wissenschaft und Religion und es ist unmöglich, Never Alone zu spielen. Harding (2014), »Secular Trouble«, ist mein Reiseführer zur Geschichte der Kategorie des Glaubens, speziell in protestan­t ischen Kolonialkulturen. Vgl. Harvey (2013), The Handbook of Contemporary Animism. »Dzit Yíjiin bikáa’gi iiná náánásdláadóó ha’níigo biniiyé da’jitt’ó«, ins Englische übersetzt von Mae Washington: »Black Mesa, on it life. There will be life again, this is what they say. For this reason they are weaving.« Vgl. Black Mesa Weavers for Life and Land, »Black Mesa Weavers and Wool«. Fortdauerndes Weben bezeichne ich als materiell-semiotische Praxis. Die Black Mesa Water Coalition präsentiert auf ihrer Facebook-Seite Bilder von verkäufli-

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chen, wundervollen, zeitgenössischen Decken und ihren Weberinnen. Auch Bilder von Kindern, die das Weben gerade lernen, und Decken, die noch im Herstellungsprozess sind, sind dabei. Black Mesa Weavers for Life and Land hat drei limitierte Auflagen von Black Mesa-Decken beauftragt. Als sympoietische Arbeit wurden diese Decken von Diné-Hirten und Weberinnen entworfen, aus Navajo-Churro-Wolle gesponnen und zusammen mit den Black Mesa Weavers for Life and Land, mit dem San Jose Museum for Quilts and Textiles, dem Christensen Fund und den Pendleton Wool Mills produziert. Vgl.: San Jose Museum for Quilts and Textiles, »Black Mesa Blanket«. Die Pendleton Wollmühle, die im 19. Jahrhundert im großen Stil Wolldecken nach Indien vertrieb, spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte der rauen Bedingungen für Navajo-Weberei. Die »großen Deckenfabrikanten bemächtigten sich des indigenen Markts und beherrschten einen großen Anteil des englischsprachigen Markts.« Vgl. M’Closkey (2002), Swept under the Rug, S. 87. Heute stellen die Decken des Pendleton American Indian College Fund Stipendien für indigene Studierende zur Verfügung und Navajo-Familien wertschätzen Pendle­ ton-Decken ebenso wie Navajo-Weberei. 80 DenkerIn/MacherIn (thinker/maker) ist eine Bezeichnung für diejenigen, die in den unentwirrbaren Praktiken des Denkens/Machens, die man Kunst nennt, engagiert sind. Ich habe den Ausdruck hier gelernt: Loveless (2010), »Acts of Pedagogy«. 81 Willink/Zolbrod (1996), Weaving a World, S. 8. Dieser Band basiert auf ausgedehnten Diskussionen über Webereien und das Weben, die in den 1990er Jahren mit über 60 Älteren des östlichen Teils der Navajo-Nation in und um Crownpoint, New Mexico, stattgefunden haben. Der Beginn der Navajo-Teppich-Auktion in Crownpoint (1968) und die Gründung der Crownpoint Rug Weavers Association, die sich aus Navajo-Weberinnen aus dem ganzen Südwesten zusammensetzt, markieren wichtige Kreuzungspunkte zur Stärkung des Wohlstands und der Kontrolle des Marktes, der Designs und der Geschichten durch die Weberinnen selbst; KäuferInnen aus aller Welt beziehen hier direkt von den Weberinnen, die die Auktionen veranstalten. Vgl.: »Crownpoint Navajo Rug Auction« und Iverson (2002), Diné, S. 268. Die meisten Weberinnen bekommen jedoch immer noch viel zu wenig für ihre Arbeit und noch viel weniger für alles andere, was in die Herstellung der Decken einfließt. Die Auktion erlebte 2014 ihren finanziellen Zusammenbruch und hat sich nun neu organisiert. 1996 hatten Willink und Zobrod bereits mehr als 25 Jahre zusammengearbeitet. Roseann Willink, die an der Universität von New Mexico arbeitet, ist Mitglied des mexikanischen Clans, dem Towering House Clan. Paul Zolbrod hat Diné ba­ hane’, die vollständigste englische Version der Navajo-Schöpfungsgeschichte, veröffentlicht. Er zeigt, dass Dichtung und Geschichten der Navajo intim in den

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alltäglichen Lebensvollzug eingefaltet sind, sodass Beziehungen zwischen Personen innerhalb der Gemeinschaft mit dem Kosmos in Verbindung stehen. Vgl. Denetdale (2007), Reclaiming Diné History, S. 23–26. Der Film Weaving Worlds von Bennie Klain ermöglicht einen Einblick in Geschichten der Navajo-KunsthandwerkerInnen und in das ökonomische und kulturelle Überleben durch die Kunst des Webens. 82 M’Closkey (2002), Swept under the Rug, S. 17–23, 205–252, stellt überzeugend Navajo-Weberei als kosmologische Performance dar. Sie bezieht sich auf ihre eigene Arbeit mit Weberinnen, aber auch auf frühere Forschung, speziell auf Witherspoon/Peterson (1995), Dynamic Symmetry and Holistic Asymmetry, sowie auf Willink/Zolbrod (1996), Weaving a World. Aufgrund der langen Geschichte des Verkaufs von Navajo-Webereien unter hochgradig ungerechten Bedingungen und da die Weberinnen gezwungen sind, mit Mustern, Fasern und Farben zu arbeiten, die vom Kunstmarkt und vom Tourismus diktiert werden, haben die meisten WissenschaftlerInnen und MuseologInnen Navajo-Webereien als Ware oder Kunstwerk behandelt und nicht als indigene kosmologische Performance zur Bewahrung von hózhó. Unter anderem führte das dazu, dass es keinen Urheberrechtsschutz für Navajo-Muster gibt und billige Kopien an Orten wie Oaxaca und Pakistan hergestellt werden; unter nur allzu gut vorstellbaren Arbeitsbedingungen. Vgl. M’Closkey/Halberstadt (2005), »The Fleecing of Navajo Weavers«. Die Menge und die Qualität heutiger Navajo-Webereien ist beeindruckend; die Weberinnen müssen sich auf einem Markt behaupten, der von Kopien aus dem Ausland überschwemmt wird und auf dem ältere, exquisite und authentische Navajo-Decken zirkulieren, die seit dem späten 19. Jahrhundert und bis in die 1960er Jahre auf den Handelsplätzen der Reservate pro Pfund verkauft wurden, um Geld für den Einkauf von Notwendigem einzunehmen. Diese Traditions­ decken verkaufen sich heute auf dem Kunstmarkt manchmal für Hunderte oder Tausende Dollar, ohne dass Geld an die Familien der ursprünglichen Weberinnen zurückfließen würde; Decken von gleicher oder besserer Qualität, mit alten und neuen Designs, erzielen auf Auktionen für individuelle KäuferInnen oder für den Kunsthandwerksmarkt bessere Preise als früher, aber sie werden immer noch zu Summen verkauft, die den meisten Weberinnen und ihren Familien kein Auskommen garantieren. Vgl. M’Closkey (2002), Swept under the Rug, für eine Detailanalyse der Ausbeutung von Navajo-Weberinnen und Webereien. Ein großer Teil der Informationen, die M’Closkey ausgewertet hat, kommt aus den Archiven des Hubbell Trading Post, der 1967 eine nationale Geschichtsstätte geworden ist. Vgl. Hubbell Trading Post, »History and Culture«. In Kapitel 1 »Fadenspiele mit Art-GenossInnen« wurde dargestellt, das Navajo na’atl’o’, die Navajo-Fadenfiguren, mit den Schöpfungsgeschichten und Performances von Spider Woman und den heiligen Zwillingen in Verbindung stehen. Na’atl’o’ wird auch »fortdauerndes Weben« genannt.

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83 Vgl. Begay (1996), »Shi’Sha’Hane (My Story)«, S. 13–27. Vgl. auch Jones (2013), »Navajo Tapestries Capture the Soul of Her Land«, die Dokumentation einer Ausstellung der in vierter Generation webenden, innovativen D. Y. Begay. Ihre Teppiche wurden 2013 im Gorman Museum der UC Davis gezeigt. Vgl. ebenfalls die Webseite »Weaving in Beauty« der Monument Valley High School: »Nda­ hoo’aah Relearning/New Learning Navajo Crafts/Computer Design«. Nda­ hoo’aah ist ein Programm für Design, Programmierung, Mathematik und traditionelle Navajo-Künste, das jeden Sommer an der Monument Valley Highschool stattfindet. »Ndahoo’aah lehrt einige immer noch im Reservat praktizierte Navajo-Handwerke. […] Gleichzeitig lernt man dort die Programmierung mit LOGO Graphics, mit Fokus auf Mathematik (speziell Geometrie). Grafikwerkzeuge werden im Anschluss dazu verwendet, traditionelle Muster und Farbgebungen herzu­stellen.« Unter der »Stories«-Unterseite finden sich Geschichten von WeberInnen und anderen DenkerInnen/MacherInnen. Vgl. auch Eglash, »Native American Cybernetics«. Eglash und seine MitarbeiterInnen lernen mit und von jungen Leuten von Black Mesa, vom Diné College und auch von den Weberinnen, die den BesucherInnen geholfen haben, ihre Algorithmen zu verstehen. Die ForscherInnen verbinden die Robustheit solcher Wissenswelten mit dem, was sie »generative Gerechtigkeit« nennen. Es geht dabei nicht um eine Vermischung von indigenem und westlichem Wissen, nicht darum, es zu verrühren; vielmehr soll die belastete Möglichkeit generativer Kontaktzonen erkundet werden, ohne dass die lange Geschichte der Gewalt verleugnet wird. E-Mail von Ron Eglash an Donna Haraway, 2. März 2016. 84 Clinton (2006), »The Corn Pollen Path of Diné Rug Weaving«: »Der Schönheit des Webens von Teppichen wohnt ein künstlerisches Können inne, das die Geistesverfassung der einzelnen Weberin widerspiegelt und dabei Designs einer kontinuierlichen, mathematischen Bewegung und der Regenerierung von DinéSymbolismen kreiert.« Katie King (2015) schlägt in ihrem Buchprojekt »Attaching, for Climate Change« den khipu, die Knotenschnüre der Inka, als Modell und Performance komplexer Systeme vor; mediale und geologische Veränderungen bezeichnet sie als »transkontextuelles, transdisziplinäres Gewirr«. Sie schreibt: »Faserkunst [fiber art] und Ethnomathematik sind notwendige transdisziplinäre Ressourcen für jene Art von Wissensarbeit, die in einer Zone ungewöhnlicher kultureller Kontinuität, sogar nach der Eroberung, fortgesetzt re-kreiert wird. Die Anden sind eine multitemporale, geopolitische Zone der Sorge um Objekte/Ökologie.« Vgl. auch King, »In Knots«. Auch Korallenriffe, Wälder auf Madagaskar, die Arktis der Inuit und Black Mesa der Navajo-Hopi sind »multitemporale, geopolitische Zonen der Sorge um Objekte/Ökologie, sogar nach der Eroberung«. Im Speziellen sind es »fortdauerndes Weben«, kosmologische Performances, Weltspiele und »Schreiben ohne Worte« in khipu, Never Alone, Navajo-Webereien und im gehäkelten Korallenriff,

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die komplexe Fadenfiguren des Denkens/Machens/Handelns hervorbringen. Noch einmal in Kings Worten, sind das »sichtbar gemachte Reziprozitäten«. Boone/Mignolo (1994), Writing without Words. Die »sichtbar gemachten Reziprozitäten« sind aus Salomon (2004), The Cord Keepers, S. 279. Dank an Katie King für diese Hinweise. 85 Als ich zu den Churro-Schafen in den südwestlichen Wüsten der USA forschte, stieß ich auf eines meiner liebsten indigenen Medienprojekte: Ein Video mit animierten Knetfiguren auf Shoshoni. Die Gosiute im östlichen Nevada und westlichen Utah sind Völker der Shoshone. Wie alle Völker des US-amerikanischen Südwestens sind sie mit den Ökologien, Ökonomien und Politiken von Nuklearbergbau, Krieg, Abfallverarbeitung und -entsorgung verwickelt. Ihre Verwandten haben seit über Tausend Jahren in diesen Wüsten gelebt; tot oder lebendig sind sie Angehörige des Chthuluzäns, verheddert im Zugriff des kolonialen und imperialen Anthropozäns oder Kapitalozäns. Für den Animationsfilm Frog Races Coyote/Itsappeh wa’ai Wako wurde aus dem Archivmaterial mehrerer shoshonisprechender Geschichtenerzähler des Gosiute/Shoshone-Projekts der Universität Utah eine Art Audiocollage als Soundtrack generiert. Frösche denken mit Fröschen; Frösche gewinnen das Rennen gegen Kojote rund um den See. Kollektive Aktion kann auch den gerissensten Gegner besiegen. Die Frosch-und-Kojote-Geschichte wird heute als Teil des Utah-Indian-Curriculums gelehrt, vgl. Utah Indian Curriculum Guide, »The Goshutes«. Dass man heute in öffentlichen Schulen oder im Internet Shoshoni hören und lernen kann, zeigt, dass das indigene Amerika nicht (mehr) verschwindet, sondern in Zungen an unerwartete Orte reist, um Fragen zum Weiterbestehen, zu Verantwortung und lebendigem Geschichtenerzählen wieder zu eröffnen. Über die Wichtigkeit, die tatsächliche Verwendung indigener Sprachen zu fördern, vgl. Perley (2012), »Zombie Linguistics«. Der Text stellt die »emergente Vitalität« der Sprachen unter jungen Menschen dar, die sie nicht länger fließend sprechen. 86 Vgl. Denetdale (2007), Reclaiming Diné History, S. 62–86; Johnson (1973), Navajo Stories of the Long Walk Period; Morrison (1999), Paradies. Die Gesetze zur Landteilung des Navajo-Hopi-Reservats und die gewaltsame Vertreibung von Tausenden von Navajo von Black Mesa/Big Mountain/Dzil ni Staa, die den Weg für industriellen Kohlebergbau freimachte, wird manchmal als zweiter großer Hwéeldi bezeichnet. 1977 haben Pauline Whitesinger, ihre Verbündeten im Klan und andere Ältere begonnen, Widerstand zu leisten; und er dauert immer noch an. »1980 begannen die Widerständigen der Big Mountain Dineh und ihre wenigen, aber zahlreicher werdenden nicht-indigenen Verbündeten Netzwerkstrategien zu verfolgen, die bis Washington (Staat), Südkalifornien und an die Ostküste reichten. Nicht-indigene Unterstützerkollektive brachten sich selbst und ihre Logistik in die inzwischen zugangsbeschränkte Zone ein. Die indigene Commu-

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nity und die Nicht-Indigenen teilten das Bedürfnis, die vorsätzliche Verletzung von Menschenrechten zu dokumentieren, die gewaltsame Okkupation zur Extraktion von fossilen Brennstoffen zu stoppen, der Schändung einer menschlichen Religion Einhalt zu gebieten und die Welt wissen zu lassen, dass die USRegierung dabei war, einen Genozid zu begehen.« Vgl. Keediniihii [Katenay] NaBahe [Bahe] (2015), »The Big Mountain Dineh Resistance«. 2014 intensivierten sich die Bemühungen erneut, die Navajo-Schaf hirten und ihre Tiere umzusiedeln; einschließlich starker Bemühungen des BIA und der indigenen Polizeibehörde, das Bündnis zwischen Diné und nicht-indigenen Alliierten zu zerbrechen. Vgl. die Black Mesa Indigenous Support-Webseite. Black Mesa Indigenous Support veranstaltet Frühlingstrainingscamps für AktivistInnen. Ich verdanke »originäres Trauma« Kami Chisholm. Eine vielschichtige Darstellung des Sich-verwandt-Machens bei indigenen AmerikanerInnen, die neben Menschen auch Pflanzen und Tiere enthält (Prozesse, die durch die aufgezwungenen Warenverhältnisse und christliche Verwandtschaftssysteme unterbrochen werden), findet sich bei TallBear, »Failed Settler Kinship«. TallBear bezieht sich in diesem langen Blogeintrag auf Geschichten der Dakota. TallBear ist eine Vorreiterin, wenn es darum geht, »Liebe und Beziehungen jenseits von Siedlersexualitäten« zu denken. Eine ganze Reihe von Quellen sind in meine Skizze der Beinahe-Ausrottung der Churro-Schafe in den 1930er Jahren eingeflossen, besonders aber das sorgsam recherchierte Buch von Weisiger (2009), Dreaming of Sheep in Navajo Country. Vgl. Ebenfalls: Weisiger (2007), »Gendered Injustice«; die Webseite des Navajo Sheep Project; White (1983), The Roots of Dependency; Johnson/Roessel (1974), Navajo Livestock Reduction; McPherson (1998), »Navajo Livestock Reduction in Southeastern Utah, 1933–46«. Melville (1997) stellt dar, dass die spanischen Schafe bestürzend effiziente Kolonialisten waren, imperiale Kreaturen, die für immer die Ökologie und indigene Gesellschaft im zentralmexikanischen Hochland zugunsten der Eroberer verändert haben. Das Gleiche ließe sich über die Schafe des US-Südwestens sagen. Das stimmt alles, aber Ursprünge sind keine abgeschlossenen Schicksale; Schafe, indigene und alliierte Leute dieser Territorien haben erstaunlich langlebige, artenübergreifende Wege gefunden, um miteinander auf dem Colorado-Plateau zu leben und zu sterben, und zwar in einer komplexen Widerstandshaltung gegenüber immer noch andauernden, kolonialen Praktiken. Vgl. Melville (1997), A Plague of Sheep. Horoshko (2013), »Rare Breed«; Navajo Sheep Project, »History«. Vgl. Black Mesa Weavers for Life and Land, »Diné Navajo Weavers and Wool«; Halberstadt (2001), »Black Mesa Weavers for Life and Land«. Diné be’iína/The Navajo Lifeway, »Dibé be’iína/Sheep Is Life«. Strawn/Littrel (2007), »Returning Navajo-Churro Sheep for Weaving«. Die Geschichte von Roy Kady, einem der bekanntesten männlichen Weber der

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Navajo-Nation, der sein Leben dem Wohlergehen der Navajo-Churro gewidmet hat, findet sich in Kiefel (o. J.), »Heifer Helps Navajos Bolster Sheep Herd«. Blystone/Chanler (2009), A Gift from Talking God, ist eine berührende Dokumentation, erzählt wird sie von Jack Loeffler, mit Roy Kady, Jay Begay, Lyle McNeal und Gary Paul Nabhan. Vgl. ebenso Kraker (2005), »The Real Sheep«; Cannon (2010), »Sacred Sheep Revive Navajo Tradition, for Now«. Tate u. a. (2006), »Behavioural and Neurophysiological Evidence«, S. 2155: »Verhaltensstudien unseres Labors, die mit Entscheidungslabyrinthen und operanten Unterscheidungsaufgaben arbeiten, haben ziemlich bemerkenswerte Gesichtserkennungsfähigkeiten bei Schafen gezeigt, ähnlich den menschlichen. […] Die Experimente haben gezeigt, dass Schafe zwischen Schafs- und Menschengesichtern unterscheiden können, zwischen verschiedenen Arten von Schafen und zwischen den Geschlechtern der gleichen Art.« Als Verein bezeichnet Peter Hagerty das Geschäft. Der Mitgründer von Peace Fleece war Pferde- und Schafzüchter, als er 1985 Wolle aus der Sowjetunion kaufte, um irgendwie den Kalten Krieg zu entknoten: »Früher habe ich Peace Fleece als internationales Textilunternehmen bezeichnet, das mit historischen Feinden Handel treibt: mit Palästinensern und Israelis und Russen und Amerikanern. Diese Beschreibung stimmt immer noch, aber inzwischen sehe ich Peace Fleece stärker als einen Ort, an dem ganz normale Leute regelmäßig zusammenkommen und einander dabei helfen, durch den Tag zu kommen.« (Peace Fleece, »The Story«). Vgl. Peace Fleece, »Irene Bennalley«. Mehr über Irene Bennalley findet sich bei Benanav (2012), »The Sheep Are Like Our Parents«. Black Mesa Water Coalition, »About«. Über die Gründung und die Ziele von BMWC vgl. Paget-Clarke (2004), »An Interview with Wahleah Johns and Lilian Hill«. Johns ist Diné vom Forest Lake, eine Gemeinde auf Black Mesa (Johns, Webseite). Von der San Francisco Bay Area aus arbeitend, war Johns seit 2013 die Koordinatorin des Solarenergieprojekts des BMWC. Hill ist Kykotsmovi, Tabak Klan. Sie lebt in Kykotsmovi und ist eine zertifizierte Permakultur-Gestalterin und Architektin mit Naturmaterial (Hill, »Hopi Tutskwa Permaculture«). BMWC-AktivistInnen waren beim COP21 in Paris 2015 aktiv, nämlich beim Peoples Climate Justice Summit/Indigenous Rising. Die Geschäftsführerin des BMWC, Jihan Gearon, sagte am 23. September beim Peoples Tribunal aus. Eine Audioaufzeichnung findet sich unter: Gearon (2014), »Peoples Climate Justice Summit«. Haraway/Tsing (2015), »Tunneling in the Chthulucene«. Bass (1996), Wisdom Sits in Places, ist ein weiteres Beispiel für das Denken-mit einem indigenen Volk aus dem Südwesten. BMWC, »OurWork«; Communities United for a Just Transition, »Our Power Convening«; Vgl. BMWC, »10th Anniversary Video«; erzählt von der Geschäfts-

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führerin Jihan Gearon. Ein Video der Kodirektoren der BMWC von 2009 findet sich unter: Johns/Begay (2009), »Speech at Power Shift ›09«. Vgl. auch BMWC, »Green Economy Project«. Eine kraftvolle Reflexion darüber, wie man langfristig über Differenzen hinweg zusammenarbeiten kann, bietet Gearon (2015), »Strategies for Healing Our Movements«. Gearon ist Tódích‹ií’nii (Bitter Water) Klanmitglied und Afroamerikanerin. Sie hat in Stanford Geosysteme studiert, mit Fokus auf Energietechnologien. Vgl.: Afro-Native Narratives, »Jihan Gearon, Indigenous People’s Rights Advocate«. In ihrer Generation wird das dringend notwendige Gespräch zwischen verschiedenen Konzepten und Praktiken leichter – politisch, kulturell, spirituell, wissenschaftlich. Gearon hat eine Ausgabe des Grist-Magazins gemacht: »Grist 50: The 50 People You’ll Be Talking About in 2016«, https://grist.org/grist-50/profile/jihan-gearon/, Zugriff 17. März 2016. 99 Das Wortspiel »humusities, not the humanities« verweist auf die geisteswissenschaftlichen Fächer, die humanities, diese Bedeutung kann im Deutschen nicht wiedergegeben werden. Anm. KH. 100 Giovanna DiChiro, eine Professorin für Umweltwissenschaften am Swarthmore College, ist seit vielen Jahren meine Reiseführerin, um die feministische Bewegung, multiethnische und antirassistische Umweltgerechtigkeit, die Kritter der Meere, der Flüsse und des Landes, urbane Antivergiftungskoalitionen und Ak­ tionsforschung zusammenzubringen. Wir sind auch durch Forschung über Symbiose und evolutionäre Beziehungen verbunden. Es waren Fadenspiele, die Frauen – und Männer – durch Freundschaft, Mentoring und Forschungsprojekte quer durch all diese Welten in Verbindung gebracht und dieses Muster hervorgebracht haben. Vgl. DiChiro (2017), »Seaweed, Soul-ar Panels and Other Entanglements«; Dies. (2015), »A New Spelling of Sustainability«; Dies. (2011), »Acting Globally«; Dies. (2003), »Beyond Ecoliberal ›Common Futures‹«. Giovanna, Teil einer sympoietischen Seetang-Schwesternschaft, die ihr Leben geformt hat, war 1979 Studentin an der UC Santa Cruz und arbeitete mit der Algenforscherin Linda Goff zusammen. Giovanna war eine der SammlerInnen für jenes Team, das in Oahu, Hawaii, an der Korallenriff-Forschungsstation vor Coconut Island Prochloron didemni charakterisiert hat, jenes Cyanobakterium, das als Symbiont im Verdauungstrakt von Seescheiden lebt. Die molekulare und ultrastrukturale Analyse ergab, dass eine evolutionäre Verwandtschaft zwischen Prochloron und den eukaritischen Chloroplasten von Grünpflanzen besteht. Giddings u. a. (1980), »Supramolecular Structure of Stacked and Unstacked Regions of the Photosynthetic Membranes of Prochloron«. Einige Jahre vorher  – ich unterrichtete Biologie und Wissenschaftsgeschichte an der Universität Hawaii auf Oahu und hatte bereits einige Kapitel meiner Doktorarbeit darüber geschrieben, wie organismische Metaphern Embryonen in der Entwicklungsbiologie formen  – lebte ich auf Coconut Island in einer Kommune, u. a. mit Michael Hadfield, einem wichtigen Meeresbiologen der aktuell auf blühenden EcoEvoDevo-Biologie, die

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ich im ersten Teil dieses Kapitels diskutiert habe. Vgl. Haraway (2004), Crystals, Fabrics and Fields. Ich war Giovannas PhD-Betreuerin am History of Consciousness-Department der UCSC. Sie schloss 1995 ab. Fadenfiguren, tatsächlich. 101 Stengers (2010, 2011), Cosmopolitics I, Cosmopolitics II; Dies. (2005a), »The Cosmopolitical Proposal«.

Kapitel 4: Sich verwandt machen. Anthropozän, Kapitalozän, Plantagozän, Chthuluzän 1

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Intra-Aktion ist ein Konzept, das uns Karen Barad gegeben hat. Ich verwende weiterhin auch Interaktion, um für ein Publikum lesbar zu bleiben, das noch nicht versteht, welch radikale Umstellung Barads Analyse erfordert, aber vielleicht auch aus meiner Tendenz zu linguistischer Promiskuität heraus. Barad (2007), Meeting the Universe Halfway. Tsing (2015a), »Feral Biologies«. Moore (2015), Capitalism in the Web of Life. Ich habe Scott Gilbert zu danken, der während der Ethnos-Gespräche und anderer Zusammenkünfte an der Aarhus-Universität im Oktober 2014 darauf hinwies, dass das Anthropozän (und das Plantagozän) wie die K-Pg-Grenze als Grenzereignis und nicht als Epoche verstanden werden sollte. In einem aufgezeichneten Ethnos-Gespräch erfanden die TeilnehmerInnen gemeinsam den Namen Plantagozän (Plantationocene) für die zerstörerische Umwandlung verschiedener, von Menschen betriebener Höfe, Weiden und Wälder in extraktive, eingezäunte Plantagen, die auf Sklavenarbeit und Formen ausbeuterischer, entfremdeter und üblicherweise räumlich transportierter Arbeitskraft basierten. Vgl. Tsing u. a. (2016): »Anthropologists Are Talking about the Anthropocene«. Vgl. AURA, Webseite. ForscherInnen haben schon lange begriffen, dass das Sklaven-Plantagen-System Modell und Motor des karbongierigen, maschinenbasierten Fabriksystems war, das oft als Wendepunkt für das Anthropozän zitiert wird. Die Gärten der SklavInnen, die auch unter härtesten Bedingungen unterhalten und gepflegt worden sind, lieferten dabei nicht nur überlebenswichtige Nahrung für Menschen, sie waren auch Refugien für bio­ diverse Pflanzen, Tiere, Pilze und Böden. Die Gärten der SklavInnen sind in ihrer Rolle für die Reise und Verbreitung von zahlreichen Krittern untererforscht, speziell im Vergleich zu den imperialen botanischen Gärten. Der Transport von materiell-semiotischer Fortpflanzungskraft rund um den Globus, zur Kapitalakkumulation und zur Profitsteigerung – die rapide Umsiedelung und Reformulierung von Kernplasma, Genomen, Ablegern und all der anderen Namen und Formen für Teile von Organismen, entwurzelten Pflanzen, Tieren und Leuten – ist eine der definierenden Operationen, wenn man Plantagozän, Kapitalozän und

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Anthropozän zusammennimmt. Das Plantagozän setzt sich mit immer noch größerer Grausamkeit in Form von industrieller Fleischproduktion, Monokultur-Agrobusiness und Auswechslung von Wäldern fort; von Wäldern, die von vielfältigen Arten bewohnt sind, die menschliche wie nichtmenschliche Kritter ernähren und die aktuell durch Monokulturen, wie Ölpalmen, ersetzt werden. An den Ethnos-Gesprächen nahmen teil: Noboru Ishikawa, Kulturanthropologie, Center for South East Asian Studies, Universität Kyoto; Anna Tsing, Kulturan­ thropologie, Universität von Kalifornien in Santa Cruz; Donna Haraway, History of Consciousness, Universität von Kalifornien in Santa Cruz; Scott F. Gilbert, Biologie, Swarthmore; Nils Bubandt, Abteilung Kultur und Gesellschaft, Universität Aarhus, und Kenneth Olwig, Landschaftsarchitekt, Swedish University of Agricultural Sciences. Gilbert hat den Begriff Plantagozän für zentrale Argumente im Anhang zur zweiten Auflage seines gefragten Lehrbuchs adaptiert: Gilbert/Epel (2015), Ecological Developmental Biology. Einer persönlichen Mail-Kommunikation mit Jason Moore und Alf Hornborg zufolge, hat Malm, der damals noch Doktorand war, den Begriff Kapitalozän in einem Seminar in Lund, Schweden, 2009 vorgeschlagen. Ich habe den Begriff unabhängig davon seit 2012 in Vorträgen verwendet. Moore hat 2016 ein Buch mit dem Titel Anthropocene or Capitalocene? herausgegeben, das Beiträge von uns beiden und anderen enthält. Unsere kollaborativen Netzwerke verdichten sich. Das Suffix -zän proliferiert! Ich riskiere dieses Überangebot, weil ich von der Bedeutung des Wortstamms kainos gefesselt bin, nämlich von der Zeitlichkeit eines dichten, faserigen und klumpigen »jetzt«, das antik ist, aber auch nicht. Os Mil Nomes de Gaia/The Thousand Names of Gaia war eine produktive internationale Konferenz, die Eduardo Viveiros de Castro, Déborah Danowski und weitere KooperationspartnerInnen im September 2014 in Rio de Janeiro veranstaltet haben. Vgl. The Thousand Names of Gaia (2014), »Videos«, und Haraway (2014), »Entrevista«. Clifford (2013), Returns, S. 8, 64, 201, 212. Van Dooren (2014), Flight Ways; Despret (2013), »Ceux qui inistent«. Der Reichtum von Desprets Essays, ins Englische übersetzt, findet sich in: Buchanan u. a. (2015), »Philosophical Ethology II: Vinciane Despret«. Card (1992), Sprecher für die Toten. Orig. »Cyborgs for Earthly Survival«, »Run Fast, Bite Hard«, »Shut Up and Train«, »Make Kin Not Babies!«, Anm. KH. Das Sich-verwandt-Machen muss in Hinsicht auf historisch situierte, hoch diverse Verwandtschaftsverhältnisse stattfinden und darf nicht im Interesse einer zu schnell hingeworfenen Kategorie, wie etwa die eines Gemeinsamen der Menschheit, eines artenübergreifenden Kollektivs o. Ä., generalisiert oder angeeignet werden. Verwandtschaftssysteme schließen aus und schließen ein, und das sollen sie auch. Bündnisse müssen deshalb aufmerksam für solche Prozesse

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sein. Das traurige Schauspiel, das viele weiße Liberale in den USA boten, als afro­ amerikanische und verbündete Organisationen begannen, sich gegen Polizei­mord an Schwarzen zu organisieren, ist aufschlussreich. Sie wehrten sich gegen #BlackLivesMatter, in dem sie auf #AllLivesMatter bestanden. Das Schmieden von Bündnissen erfordert die Anerkennung von Spezifik, von Prioritäten und Dringlichkeiten. Alicia Garza, die #BlackLivesMatter mit Patrisse Cullors und Opal Tometi als eine Aufforderung zur Aktion eingerichtet hat, hat eine eindringliche Geschichte des Hashtags und der Bewegung geschrieben; auch über die Anstrengungen, sie mit falschen universellen Verwandtschaftsbehauptungen zu delegitimieren, anstatt verantwortungsvolle Bündnisse zur Feier der Humanisierung schwarzer Leben zu suchen. Vgl.: Garza (2014), »A Herstory of the #BlackLivesMatter Movement«. Sie stellt dar, dass die Befreiung der Schwarzen zwar alle befreit, dass diese Befreiung aber eine Fokussierung auf schwarze Leben erfordert, da diese in der US-Gesellschaft weiterhin degradiert werden. Ähnliche Themen heften sich an die zentrale Beziehung zwischen BlackLivesMatter und Umweltgerechtigkeit, ein Thema, das in einer Reihe von scharfsinnigen Posts auf Grist vom Redakteur für Rechtsfragen, Brentin Mock, ins Auge gefasst wurde: https://grist.org/author/brentin-mock/, Zugriff vom 17. März 2016. Sich verwandt zu machen, hat auf vielen Ebenen mit diesen Themen zu tun. Solche Fragen richten sich an den zu leichtfertig gebrauchten Begriff Versöhnung (reconciliation), der in Prozessen der Staaten- und Verwandtschaftsbildung verwendet wird. Er wird mit der Absicht, Verwandtheit zu stiften, gebraucht, ohne sich klar darüber zu sein, dass vergangene und weiter andauernde koloniale (oder andere) Maßnahmen der Auslöschung und/oder Assimilation gelinde gesagt sehr dysfunktionale »Familien« hervorgebracht haben. Kim TallBear und Erica Lee leisten Grundlagenarbeit auf diesem Gebiet, mitten in einer produktiven Explosion feministischen, indigenen öffentlichen Denkens, Engagements und Forschens. Das ist der Ort, an dem gemeinsame Welten – eine Kosmopo­ litik – des Weitermachens eine Chance haben, gebaut zu werden. Vgl.: TallBear, »Failed Settler Kinship«, und Lee (2016), »Reconciling in the Apocalypse«. Ich wurde aufgeklärt durch TallBears Kritik an Siedlersexualitäten und ihrer Darstellung von ererbten und noch zu erfindenden Praktiken der Verwandtschaft, die von historisch aufmerksamen, aktuellen und experimentellen indigenen Verweltlichungen durchdrungen sind. Zu hören unter: TallBear (2016), »Making Love and Relations Beyond Settler Sexualities«. IdleNoMore zapft, wie BlackLives­ Matter, jene Kanäle an, die die Voraussetzung für jegliche Multikritter-, Multimenschen-, Mykorrhiza-»Holoenten« auf einem beschädigten Planeten ­schaffen. 14 Strathern (1990), The Gender of the Gift. 15 Latour (2013a), »Facing Gaïa«.

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16 Robinson (2013), 2312. Diese außergewöhnliche SF-Geschichte hat den Nebula Award für den besten Roman gewonnen. 17 Anspielung auf Hamlets Erwiderung auf seinen Onkel, und mittlerweile Stiefvater, der ihn Cousin und Sohn nennt. Claudius sei »a little more than kin, and less than kind«, Anm. KH. 18 Strathern (2013), »Shifting Relations«. Sich verwandt zu machen ist eine um sich greifende populäre Praxis und neue Worte dafür proliferieren. Vgl. Skurnick (2015), That Should be a Word, über den Begriff »KinnovatorIn« für jemanden, der sich auf unkonventionelle Weise Familie und Verwandtschaft herstellt. Ich würde dem »Kinnovation« hinzufügen. Skurnick schlägt zudem Klanar­chistIn vor. Das sind nicht einfach nur Worte; sie sind die ersten Hinweise und Stupser eines Erdbebens im Verwandt-machen, das nicht nur in westlichen, heteronormativen und nicht-heteronormativen Familienapparaten stattfindet. Ich bin der Meinung, dass Babys selten, gehegt und kostbar sein sollten. Und Verwandtschaft sollte üppig, unerwartet, dauerhaft und kostbar sein. 19 Gens ist ein weiteres in seinen Ursprüngen patriarchales Wort, mit dem FeministInnen spielen. Ursprünge und Zwecke determinieren einander nicht. Kin und gens sind in der Geschichte der indo-europäischen Sprachen Wurfgeschwister. In einem hoffnungsvollen, intra-aktionalen, kommunistischen Moment lohnt es sich, Bear u. a. (2015), »Gens«, zu lesen. Der Text ist vielleicht ein wenig zu trocken (obwohl die stichwortartige Zusammenfassung hilft), und es gibt keine saftigen Beispiele, die den verwöhnten Leser/die verwöhnte Leserin verführen könnten, aber im Literaturverzeichnis finden sich viele Ressourcen für all das, hauptsächlich als Ertrag von langfristigen, persönlich engagierten, theoretisch tief durchdrungenen Ethnografien. Vgl. speziell Tsing (2015b), The Mushroom at the End of the World. Die methodische Präzision von »Gens« wendet sich an jene Möchtegern-MarxistInnen, die den Feminismus zurückweisen und sich nicht in die Heterogenität des wirklichen Lebens hineinbegeben, sondern lieber bei Kategorien des Markts, der Ökonomie, der Finanzialisierung verbleiben (und ich möchte hinzufügen: der Reproduktion, der Produktion, der Population – kurz gesagt, bei den angeblich adäquaten Standardkategorien der liberalen, nicht-feministischen, sozialistischen politischen Ökonomie). Auf geht’s, Honolulu Revolution Books und all deine Verwandten! 20 Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die mir als »unsere Leute« viel bedeuten, also die Linke oder was auch immer für einen Namen wir benutzen, ohne einen Schlaganfall zu bekommen; diese Leute haben die Tendenz, Neoimperialismus, Neoliberalismus, Misogynie und Rassismus (wer könnte es ihnen verübeln?) im zweiten Teil des Slogans »Macht euch verwandt, nicht Babys!« zu hören. Wir glauben, dass der erste Teil, das Sich-verwandt-Machen, einfacher ist und ethisch wie auch politisch auf festerem Boden steht. Das stimmt nicht! »Macht euch verwandt« und »nicht Babys« sind beide schwierig; beide erfordern

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das Beste unserer emotionalen, intellektuellen, künstlerischen und politischen Kreativität, sowohl individuell als auch kollektiv, quer zu ideologischen und regio­nalen Differenzen, neben anderen Differenzen. Ich habe den Eindruck, dass »unsere Leute« teilweise mit einigen christlichen Klimawandel-LeugnerInnen vergleichbar sind: Glaube und Verwicklung sind zu tief, als dass sie eine Erneuerung von Denken und Fühlen zulassen könnten. Für »unsere Leute« kann es sich anfühlen, als würde man auf die »Dunkle Seite« wechseln, wenn man anfängt, sich mit etwas zu beschäftigen, das so lange den Rechten und den Profis der »Entwicklungshilfe« gehört hat: der »Bevölkerungsexplosion«. Aber Verleugnung wird uns nicht helfen. Mir ist klar, dass »Population« eine staatenmachende Kategorie ist, jene Sorte von »Abstraktion« und »Diskurs«, die die Wirklichkeit für alle verändert, aber nicht zu jedermanns Vorteil. Ich denke auch, dass eine große Bandbreite von Belegen, die epistemologisch und affektiv sehr unterschiedlich sind, so divers wie die Belege für den rapiden, anthropogenen Klimawandel, beweisen, dass 7 bis 11 Milliarden Menschen Bedürfnisse haben werden, die nicht ohne immensen Schaden für menschliche und nichtmenschliche Wesen überall auf der Erde befriedigt werden können. Das ist keine Angelegenheit einfacher Kausalitäten. Ökologische Gerechtigkeit verfügt nicht über den einen zugelassenen Ein-Variablen-Ansatz bezüglich aktueller, kaskadierender Vernichtung, Verelendung und Ausrottung. Aber die Schuld an jener aktuellen Zerstörung, die mit der menschlichen Bevölkerungsgröße zu tun hat, auf den Kapitalismus, den Imperialismus, den Neoliberalismus, die Modernisierung oder ein anderes »nicht wir« zu schieben, wird auch nicht helfen. Diese Fragen erfordern schwierige und hartnäckige Arbeit; aber sie erfordern auch Freude, Spiel und Responsabilität, um sich mit unerwarteten Anderen zusammenzutun. All die Bestandteile dieser Themen sind zu wichtig für Terra, um sie den Rechten, den Profis der »Entwicklungshilfe« oder sonst jemandem aus dem Lager des business-as-usual zu überlassen. Auf die seltsamen Verwandten (Oddkin) – nicht durch Geburt und abseits von Kategorien! Wir müssen einen Weg finden, niedrige Geburtenraten zu feiern und persönliche, intime Entscheidungen für ein gedeihliches und großzügiges Leben zu ermöglichen (dazu gehört auch, dauerhafte Verwandtschaft zu erneuern: kinnova­ ting); und das, ohne mehr Babys zu machen – dringlich und speziell, aber nicht nur, in den reichen Regionen, Nationen, Gemeinschaften, Familien und sozialen Klassen, die durch ihre Überkonsumation Elend in andere Regionen exportieren. Wir müssen Bevölkerungs- und andere Politik anregen, sich um die beängstigenden demografischen Themen zu kümmern, aber im Sinne einer anders-alsnatalen Verwandtschaft  – einschließlich nichtrassistischer Immigration und ökologischer wie sozialer Unterstützung für neu Hinzugekommene und hier Geborene im gleichen Maß (Bildung, Wohnen, geschlechtliche und sexuelle Kreativität, Landwirtschaft, eine Pädagogik der Pflege anders-als-menschlicher Krit-

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ter, Technologien und soziale Innovationen, um ältere Menschen gesund und produktiv zu erhalten etc., etc.). Das unveräußerliche persönliche »Recht« (was für ein Wort für so eine körperlich-denkende Angelegenheit!), ein Baby zu gebären oder nicht zu gebären, steht für mich außer Frage, denn Zwang ist hierbei auf jeder nur vorstellbaren Ebene falsch und hat ohnehin die Tendenz, nach hinten loszugehen, selbst wenn man Zwangsverordnungen und Gewohnheiten verdauen kann (ich kann es nicht). Was wäre andererseits, wenn es die neue Normalität würde, dass die kulturelle Erwartung darin bestünde, jedes neue Kind mit zumindest drei lebenslang verpflichteten Eltern auszustatten (die nicht zwangsläufig in Liebesbeziehungen leben würden und nach dem ersten Kind keine weiteren Babys auf die Welt bringen würden, obwohl sie möglicherweise in Mehrkinder- und Mehrgenerationenhaushalten lebten)? Was wäre, wenn man ernsthaft über Adoptionspraktiken durch und von Älteren nachdenken würde? Was wäre, wenn jene Nationen, die sich um niedrige Geburtenraten sorgen (Dänemark, Deutschland, Japan, Russland, Singapur, Taiwan, das weiße Amerika etc.) zugeben würden, dass die Angst vor ImmigrantInnen ein großes Problem darstellt und Projekte und Fantasien von Rassenreinheit das Wiederaufleben von Pronatalismus befeuert? Was wäre, wenn Menschen, die auf der Suche nach nicht-natalistischen Kinnovationen sind, sich Individuen und Kollektive in queeren, dekolonialen und indigenen Welten ansehen würden, und nicht die europäischen, euro-amerikanischen, chinesischen und indischen, reichtumextrahierenden Sektoren? Zur Erinnerung daran, dass Rassenreinheitsfantasien und die Weigerung, ImmigrantInnen als volle BürgerInnen zu akzeptieren, tatsächlich die aktuelle Politik in »progressiven« und »entwickelten« Länder antreibt vgl. Hakim (2015), »Sex Education in Europe Turns to Urging More Births«. Der Wissenschaftsautor Rusten Hogness hat am 9. April 2015 auf Facebook eine Antwort auf diesen Artikel publiziert, in dem er schreibt: »Was ist nur mit unserer Vorstellungskraft los und mit unserer Fähigkeit, aufeinander aufzupassen (auf Menschen und auf Nichtmenschen), wenn wir nicht dazu in der Lage sind, Fragen, die sich aus einer Neuverteilung von Altersgruppen ergeben, anders zu beantworten als damit, immer mehr menschliche Babys zu bekommen? Wir müssen Wege finden, junge Menschen, die beschließen, keine Kinder haben zu wollen, zu feiern und nicht dem bereits jetzt potenten Mix des pronatalistischen Drucks noch Nationalismus hinzufügen.« https://www.facebook.com/rusten.hogness?fref=ts, Zugriff vom 17. März 2016. Der Pronatalismus und seine einflussreichen Verkleidungen müssen fast überall kritisch befragt werden. Ich bleibe beim »fast« als einem Erinnerungszeichen an die Konsequenzen von Genozid und Vertreibung ganzer Völker – ein anhaltender Skandal. Das »fast« ist auch ein Anstoß, den zeitgenössischen Missbrauch von Sterilisation nicht zu vergessen, ein schockierend unpassendes und un-

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brauchbares Mittel zur Verhütung, aber auch nicht die Reduktion von Frauen und Männern auf Zahlen in alten und neuen Populationskontrollmaßnahmen sowie andere misogyne, patriarchale, ethnizistische/rassistische Praktiken, die in das business-as-usual rund um die Welt eingebaut sind. Vgl. z. B. Wilson (2015), »The ›New‹ Global Population Control Policies«. Eine unverzichtbare, kritische Analyse von geopolitischen Aspekten einer globalen Wissensgeschichte der Bevölkerungskontrolle liefert Bashford (2013), Global Population. Eine fokussierte, kritische Studie des unterdrückenden Soziallebens der Zahlen in Guatemala bietet Nelson (2015), Who Counts?. Diese Studien zeigen, warum eine erneute Betonung des Bevölkerungswachstums, speziell dann, wenn es sich um eine globale, demografische Abstraktion handelt, so gefährlich sein kann. Dank an Michelle Murphy für diese Hinweise und auch für ihren Widerstand gegen meine Argumente, ganz egal, wie gut sie gemeint sind. Ich glaube immer noch, dass sie notwendig sind. Vgl. Murphy (2015), »Thinking against Population and with Distributed Futures«. Wir brauchen risikobereite gegenseitige Unterstützung, konflikthaft und kollaborativ, das ist absolut wichtig in all diesen Angelegenheiten.

Kapitel 5: Überschwemmt von Urin. DES und Premarin in artenübergreifender Responsabilität 1

Cyborgs können als Holoenten aufgefasst werden, in dem Sinn, wie ich sie im 3. Kapitel entwickelt habe. 2 »Diethylstilbestrol«, Wikipedia. Der Wikipedia-Artikel ist eine erste Adresse mit einer hilfreichen Bibliografie, aber völlig unbrauchbar, wenn es darum geht, die feministischen und Frauengesundheits-Verbindungen zu DES zu finden. Vgl. Bell (2009), DES Daughters. Barbara Seaman, die 2008 verstorben ist, ist eine meiner Heldinnen dieser Geschichte. Ihre Arbeit war entscheidend, um die USBundesbehörde dazu zu bringen, eine Taskforce zu DES zusammenzustellen. 1975 war sie eine der Gründerinnen des National Women’s Health Network. Informationen zu Seaman, ihrer Geschichte, aber auch verschiedene Würdigungen finden sich in: »A Tribute to Barbara Seaman«, und Seaman (2009), »Health Activism, American Feminist«. Jüdische Frauen waren zentral für die Geschichte des feministischen Frauengesundheitsaktivismus. Eine andere Heldin, die kürzlich verstorbene Pat Cody, hat ebenfalls sehr effektiv daran gearbeitet, eine persönliche, von DES verursachte Tragödie in eine globale feministische Gesundheitsbewegung umzuwandeln. Vgl.: Rosen (2011), »Pat Cody«. Eine innovative und Standards in der feministischen Wissenschaftsforschung setzende Studie ist Oodshourn (1994), Beyond the Natural Body. Die erste Generation der DES-Einnehmenden bekommt häufiger Brustkrebs

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und stirbt auch häufiger daran. Die zweite Generation, die »DES-Töchter«, bekam sehr gefährliche Formen von Brust- und Uteruskrebs, viele wurden unfruchtbar oder hatten »abnormale Schwangerschaftsresultate«. Das heißt: geschädigte oder tote Kinder. DES ist das einzige Karzinogen, das transplazental übertragen wird. Was für eine Auszeichnung! Es ist darüber hinaus fruchtschädigend. Vgl. »abnormal pregnancy outcome«. DES-Söhne haben ebenfalls mit hässlichen Auswirkungen zu kämpfen. Aus Forney, »Diethylstilbestrol for Veterinary Use«: »Die ernsthaftesten Nebenwirkungen der Östrogentherapie [bei Hunden] sind Knochenmarksschwund und -vergiftung, die zu tödlicher aplastischer Anämie führen können […] Nebenwirkungen sind bei älteren Tieren häufiger.« Vgl. Brooks, »Diethylstilbestrol«: »Als der Gebrauch von DES auf ein paar tierärztliche Verwendungen schrumpfte, war die Produktion von DES nicht weiter profitabel und es verschwand in den späten 1990er Jahren vom Markt. Zum Glück für zahlreiche inkontinente, weibliche Hunde, die hofften, ein Leben im Haus führen zu können, ist das Thema der Karzinogenität nicht in die Arena der Hundegesundheit übergesprungen. Niedrige und minimal-frequente Dosierung haben DES zu einer unvergleichlich sicheren und bequemen Medikation zur Behandlung von Inkontinenz bei Hunden gemacht. Arzneimittel herstellende Apotheken produzieren die Medizin speziell für Patientinnen mit Rezept.« Ein wichtiger Mitspieler in art-genössischem Konsumentenmarketing, Foster/Smith, »Diethylstilbestrol«, sagt jedoch, dass eine lang anhaltende Gabe auch bei Haustieren Eierstockkrebs auslösen kann. Raun/Preston (2002), »History of Diethylstilbestrol Use in Cattle«. Die Doppelbedeutung von conjugate als konjugieren, also beugen im linguis­ tischen Sinn, aber auch als Begriff für eine (eheliche) Verbindung oder Paarvereinigung lässt sich im Deutschen nicht adäquat wiedergeben. In der Chemie und Biologie ist auch im Deutschen das Konjugieren in der Bedeutung von Verbinden im Gebrauch, vgl. dazu die Wikipedia-Seite, »Konjugation«, Zugriff vom 20. Oktober 2017, Anm. KH. Moby Thesaurus ist ein Open-Source-Nachschlagewerk, erreichbar unter http:// moby-thesaurus.org, Zugriff vom 4. September 2017. Conglobulate spielt auf den Globus und das Globale an, allerdings wurzelt die Wortbedeutung nicht im aktuell gebräuchlichen Begriff. Der Begriff ist Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden und bezieht sich auf lat. globulus (Kugel), heißt also übersetzt »kugelförmig machen«. Webster-Online: https://www.merriam-webster.com/dictionary/conglo​ba​ te#medicalDictionary Zugriff vom 20. Oktober 2017, Anm. KH. Populäre Seiten über Östrogen in und für Frauen sind: Healthy Women.org, »Estrogen«, und Midlife-Passages.com, »Estrogen«. Premarin® ist eine Mixtur konjugierter Östrogene, die unter einer eingetragenen Marke vermarktet werden. Diese Pferde-Östrogene sind chemisch anders zusammengesetzt als diejenigen,

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die im menschlichen Körper hergestellt werden, d. h., sie sind nicht bioidentisch, sondern quer durch die Spezies bioaktiv. Das derzeit häufig in Empfängnisverhütungspillen auffindbare Ethinyl estradiol ist ein künstliches Östrogen und wird, wie DES, im Labor hergestellt. Die Hormone betreffende Nomenklatur, die um Begriffe wie natürlich, synthetisch, biomimetisch, bioidentisch und künstlich kreist, ist biologisch wie politisch verwirrend. So werden beispielsweise Ös­ trogene, die aus Soja gewonnen werden, häufig »natürlich« genannt, aber nicht weil sie chemisch identisch mit »natürlich« in Menschen vorkommenden Östrogenen sind. »Natürlichkeit« handelt von in vielerlei Hinsicht umstrittenen, mit Schutzmarken versehenen Biowerten. Cenestin ist ein konjugiertes Östrogen, das von Duramed Pharmaceuticals vertrieben wird. Weil es aus Pflanzen hergestellt wird, wird es »natürlich« genannt, aber es eine konjugierte Mischung, die chemisch betrachtet eine Kopie von Premarin ist; also ist weder das eine noch das andere bioidentisch mit menschlichen Östrogenen. Weil es von Pferden gewonnen wird, heißt Premarin »synthetisch«. Und es wird im Labor zwar stark verarbeitet, aber nicht synthetisiert. Vgl. Petras, »Making Sense of HRT«. Als pflanzliches Substitut für Pferdeurin ist Cenestin eine Art Behelfslösung, die dann kosteneffizient wird, wenn die biopolitischen/bioethischen Kosten eines technowissenschaftlichen Produkts in einer bestimmten natürlich-kulturellen Ökologie zu hoch werden. Duramed nennt sein Östrogen »synthetisch« und eine »weiterentwickelte Form von Premarin« und betont, dass Cenestin »keine Hormone enthält, die im Pferd synthetisiert werden«. Cenestin ist also gleichzeitig natürlich, synthetisch, mimetisch und eine Weiterentwicklung, während die Beziehung zwischen Premarin und Pferden das Label »natürlich« verbietet. Das Patentierungsdickicht hat die Namensrechte dieser Medikamente überwuchert und Unternehmensanwälte gut beschäftigt. 9 Hormone Health Network, »Emmenin«. Die erste in den USA erhältliche Hormontherapie gegen Symptome der menschlichen Menopause war 1929 ein Derivat von Kälberfruchtwasser. Emmenin, das aus dem Urin schwangerer Kanadi­ erinnen gewonnen wurde, wurde in den USA erstmals 1933 vertrieben. 1939 wurde DES als potenteres Östrogen beworben. Einen so offenkundigen CyborgCocktail, diese Mischung aus historisch situierten, organischen und technologischen, menschlichen und nicht-menschlichen Arten, kann man eigentlich kaum übersehen. 10 Women’s Health Initiative, »Risks and Benefits of Estrogen Plus Progestin in Healthy Postmenopausal Women«; Vance (2007), »Premarin«. Vgl. auch Wilks, »The Comparative Potencies of Birth Control and Menopausal Hormone Drug Use«. 11 North American Equine Ranching Information Council, »About the Equine Ranching Industry«.

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12 Ebd., »Equine Veterinarians’ Consensus Report on the Care of Horses on PMU Ranches«. 13 HorseAid, »What Are the Living Conditions of the Mares?«. 14 »Premarin Controversy«, Wikipedia; Horse Fund, »Fact Sheet«; Hall (2006), »The Bright Side of PMU«. 15 HorseAid Report (1988), »PREgnant MARes’ urINe, Curse or Cure?«. 16 Horse Fund, »Fact Sheet«. Das Informationsblatt von horsefund.org zeichnet ein ganz anderes Bild als die NAERIC-Webseite. HorseAid war sorgfältiger als der International Fund for Horses in seinen Beschreibungen und bei der Datengenerierung. Letzterer publizierte noch 2011 Berichte über Haltebedingungen, die in den 1980er und 1990er Jahren aktuell waren. Auf der Webseite fand sich im November 2011 eine aufschlussreiche, die Praxis verdammende Zeitachse über Premarin und seine buntgescheckte, wirtschaftliche und medizinische Geschichte. http://www.horsefund.org/premarintimeline.php war im August 2015 nicht mehr verfügbar. Daten über die Verkaufszahlen von Premarin und Zahlen zu PMU-Farmen zwischen 1965 und 2010 finden sich in Allin (2010), »Wyeth Wins, Horses Lose«. Allin forschte 2010 für den International Fund for Horses. Pfizer wird die PMU-Ernte 2016 und 2017 erhöhen. 17 Das Equine Angels Rescue Sanctuary arbeitet seit ca. neun Jahren in Manitoba und berichtete im Oktober 2011 über seine Hilfe für PMU-Farmer, die aus dem Geschäft aussteigen möchten. Der Plan nahm auf die Bedürfnisse der Landwirte, der Fohlen, der Stuten und der Hengste Rücksicht. Eine Notiz auf der Webseite vom 3. Februar informiert über den Fortschritt des Projekts. Vgl. Weller (2008), Equine Angels. 2011 waren noch mehrere andere PMU-Pferde-Rettungswebseiten online. Das letzte Mal habe ich am 13. August 2015 die noch nicht zu Ende erzählte Geschichte gecheckt, vgl. Equine Advocates, »PMU Industry«. Da die Zahl der Betriebe seit 2002 stark zurückgegangen ist, beschäftigen sich die Rettungsoperationen inzwischen vorrangig mit nicht mehr gebrauchten PMU-Pferden und weniger mit den »überproduzierten« Fohlen, aber der Urin der schwangen Stuten wird immer noch hergestellt und in Premarinhaltigen Produkten eingesetzt.

Kapitel 6: Welten säen. Eine Tüte Samen für das Terraforming mit irdischen Anderen 1

In allem, was ich über Art-GenossInnen schreibe, bin ich von Anna Tsing instruiert: Tsing (2012), »Unruly Edges«. Ohne jeden trügerischen Komfort des menschlichen Exzeptionalismus erzählt sie sowohl erfolgreich Weltgeschichte aus dem Blickwinkel unserer fungalen Assoziierten als auch ein bekanntes Buch neu: Engels (1962), Der Ursprung der Familie. Ihre Fabel ist eine spekulative Fabu-

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lation, ein SF-Genre, das zentral für feministische Theorie ist. Sie und ich unterhalten eine Beziehung der reziproken Anregung. Ein Prozess, der auch für evolutionär-ökologisch-entwicklungsgeschichtliche Verweltlichungen als fundamental gilt und die Basis von allem Mit-Werden bildet. Vgl. Gilbert/Epel (2015), Ecological Developmental Biology. Rose (2004), Reports from a Wild Country, hat mir verständlich gemacht, dass Rückgewinnung gebraucht wird und vielleicht gerade noch möglich ist, und nicht Versöhnung oder Restaurierung. Ich finde viele Wörter, die mit re beginnen [auf Deutsch mit »Rück-« oder »Wieder-«, Anm. KH] brauchbar, auch resur­ gence (Wiederaufleben) und resilience (Rückstellungsvermögen, Belastbarkeit). Post- ist ein größeres Problem. Vgl. speziell zu Le Guin (1997), Das Wort für Welt ist Wald, und Dies. (1988), »The Author of the Acacia Seeds«. Der letztgenannte Titel wurde 1974 das erste Mal in Fellowship of the Stars publiziert. Vgl. speziell zu Butler (1999), Die Parabel vom Sämann, und Dies. (1998), The Parable of the Talents. Butler hat eine neue Generation von »Geschichten von Bewegungen für soziale Gerechtigkeit« angeregt. Vgl. Brown/Imarisha (2015), Octavia’s Brood. Le Guins Arbeit durchzieht viele Texte über Umweltgerechtigkeit und ökologische Wiederbelebung. Koans heißen bestimmte Sentenzen, die aus dem Buddhismus stammen und zunächst paradox oder sinnlos klingen, aber einer inneren Logik folgen. Ihr Urspung sind die Fragen und Antworten zwischen Meister und Schüler während der frühen Tang- und Song-Zeit. Vgl. Wikipedia, dt. »Koan«, Anm. KH. Le Guin (1989a), »The Carrier Bag Theory«, hat mein Nachdenken über die Narrative der Evolutionstheorie und der Figur der »Frau als Sammlerin« in Primate Visions geformt. Le Guin wiederum hat die evolutionstheoretische Tragetaschentheorie aus Fisher (1975), Women’s Creation. Es war eine Zeit von großen, mutigen, spekulativen, weltlichen Geschichten, die in der feministischen Theorie der 1970er und 1980er Jahre entbrannten. Wie die spekulative Fabulation ist auch der spekulative Feminismus immer noch eine SF-Praxis. Le Guin (1989a), »The Carrier Bag Theory«, S. 166. Ebd., S. 169. Ebd. Mein Reiseführer durch SF, mein »Mystra«, ist LaBare (2010), »Farfetchings«. (Das Wort Mystra wird ab S. 17 mit Bedeutungen aufgeladen.) LaBare argumentiert, dass SF nicht wirklich ein Genre ist, selbst in einem erweiterten Sinn nicht, der Film, Comics und noch vieles mehr jenseits von gedruckten Büchern und Magazinen umfasst. Der SF-Modus sei vielmehr ein Modus der Aufmerksamkeit, eine Theorie der Geschichte und eine Praxis der Verweltlichung. Er schreibt: »Was ich ›SF-Modus‹ nenne, bietet eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit zu konzentrieren, eine Möglichkeit, sich alternative Welten zu denjenigen vorzustellen und zu gestalten, die, leider, der Fall sind.« (S. 1) LaBare schlägt vor, den

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SF-Modus so zu verstehen, dass er Aufmerksamkeit für »das Wahrnehmbare, das Mögliche, das Unauf haltsame, das Plausible und das Logische« organisiert. Eine seiner wichtigsten Mystras ist Le Guin, speziell ist er von ihrer Auffassung des »Rückwärtssprechens« in der postapokalyptischen, in Nordkalifornien angesiedelten SF-Geschichte Always Coming Home geködert. Die Parabel vom Sämann und Always Coming Home zusammenzulesen ist eine gute Übung für Küstenreisende, um die Tragetasche für ein wiedergewinnendes Terraforming vor anstatt nach der Apokalypse zu füllen. In so einem SF-Modus geübte menschliche Leute und irdische Andere können vielleicht noch unauf haltsame Desaster vermeiden und wahrnehmbare Keime der Möglichkeit für eine Multispezies-, MultizeitortRück­gewinnung pflanzen, bevor es zu spät ist. Im Deutschen schwingt timber noch im Zimmern und im Zimmer mit, die sich aus dem althdt. zimbar, mhdt. zimber entwickelt haben. Anm. KH. Myrmex ist das griechische Wort für Ameise und in einer Geschichte verärgert eine attische Magd namens Myrmex die Göttin Athene, indem sie die Erfindung des Pflugs für sich reklamiert. Als Strafe wird sie in eine Ameise verwandelt. Ich jedenfalls denke, dass in Anbetracht all der Tunnel, die Ameisen weltweit graben, und im Vergleich zu Athenes eher himmelsorientierten und kopflastigen Referenzen Myrmex wahrscheinlich den stärkeren Anspruch auf die Erfindung des Pflugs erheben kann. Aus dem Kopf des Vaters zu entspringen ist wirklich etwas anderes als sich durch die Erde zu tunneln, ganz egal, ob man Göttin, Frau oder Ameise ist. Bezüglich wirklicher Ameisen kann man es kaum besser beschreiben als hier: Gordon (2000), Ants at Work; Dies. (2010), Ant Encounters und Dies. (2014), »The Ecology of Collective Behaviour«. Einen entgegengesetzten Ansatz und eine andere Erklärung liefern Hölldobler/Wilson (2009), The Super­ organism; Diess. (1990), The Ants. Gorden hat E. O. Wilsons Ansatz eines streng determinierten Ameisenverhaltens kritisiert und dabei auf ihre Studien zur Entwicklung des Termiten- und Ameisenverhaltens in der Wüste von Arizona zurückgegriffen. Sie konnte zeigen, dass individuelle Ameisen im Laufe ihres Lebens ihre Aufgaben wechseln. Wilson verhält sich wie die heroische Athena zu Gordons erfinderischer attischer Magd Myrmex mit ihrer Samentasche und ihrem Grabwerkzeug. Um eine erste Vorstellung von Akazien zu bekommen, empfiehlt sich ein Besuch auf der Wikipedia-Seite »Acacia«, danach die Lektüre von »Biology of Acacia«, einer Spezialausgabe von Australian Systematic Biology (2003). Damit nicht der Eindruck erweckt wird, alles Weltbauen sei eine Ameisenangelegenheit, lohnt sich ein Blick hier hinein: Mann (2010), »Termites Help Build Savannah Societies«. Le Guin (1988), »The Author of the Acacia Seeds«, S. 174. Ebd. Vgl. beispielsweise Gilbert/Epel (2015), Ecological Developmental Biology; Gilbert u. a. (2010), »Symbiosis as a Source of Selectable Epigenetic Variation«; McFall-

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Ngai (1998), »The Development of Cooperative Associations between Animals and Bacteria«; Dies. (2002), »Unseen Forces«; sowie Hird (2009), The Origins of Sociable Life. Über Symbiogenese als treibender Kraft evolutionärer Veränderung vgl. Margulis/Sagan (2002), Acquiring Genomes. Für Informationen über australische Akazien, die in Südamerika und Südafrika Probleme machen, vgl. die Webseite der Global Invasive Species Database. Vgl. auch »Pacific Islands Ecosystems at Risk« für den Fall der Acacia mearnisii (Schwarzholz-Akazie). Verschiedene Akazien, speziell die langblättrige Acacia cyclops machen den NaturschützerInnen in Kalifornien Sorgen. All diese umstrittenen Reisenden lehren uns, im artenübergreifenden Tumult unruhig zu bleiben; ein Tumult, der den Großteil meiner aktuellen Arbeit und meines aktuellen Spiels motiviert. Vgl. Bonfante/Anca (2009), »Plants, Mycorrhizal Fungi, and Bacteria«. Dieser Beitrag lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die facettenreichen Praktiken der Kommunikation zwischen den Mitgliedern artenübergreifender Konsortien. Das Abstract fasst zusammen: »Die Freisetzung von aktiven Molekülen im volatilen physischen Kontakt zwischen Partnern scheinen wichtig für den Auf bau des Bakterien/Mykorrhiza/Pflanzen-Netzwerks zu sein. Man diskutiert den potenziellen Anteil von quorum sensing [die Fähigkeit von Einzellern, mittels chemischer Kommunikation die Zelldichte der Population zu messen, Anm. KH], von Typ III Sekretierungssystemen, auch wenn unklar ist, wie genau das Wesen der komplexen Interspezies/Interphylum-Interaktion beschaffen ist.« »Acacia«, Wikipedia; Heil u. a. (2004), »Evolutionary Change«. Attenborough, »Intimate Relations«; Ross, »Devilish Ants Control the Garden«. Meine Schulden bei Deborah Bird Rose sind hier und im ganzen Essay offenkundig. Vgl. speziell die Entwicklung des Konzepts des doppelten Todes in Rose (2006), »What If the Angel of History Were a Dog?«. Doppelter Tod meint, Kontinuität zu unterbrechen und die Generationenfolge zu sprengen. Rose hat mir gezeigt, wie die Aborigine Verantwortung herstellen, wie man eine Zeit bewohnt, und dass wir Rückgewinnung brauchen. Vgl. Rose (2004), Reports from a Wild Country. Vgl. auch das wichtige Open-Access-Journal Environmental Hu­ manities, nun bei Duke University Press. Le Guin (1988), »The Author of the Acacia Seeds«, S. 175.

Kapitel 7: Eine neugierige Praxis Motto Despret: Persönliche Mitteilung, Motto Arendt (2002), Vom Leben des Geis­ tes, S. 446. 2 Despret (2005), »›Sheep Do Have Opinions‹«, S. 360. 3 Despret (2014), »Domesticating Practices«, S. 24. 1

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4 Ebd., S. 36. 5 Ebd., S. 31. 6 Despret (2008), »The Becoming of Subjectivity in Animal Worlds«, S. 124. Mit Mut und Genauigkeit hat Porcher auch die fürchterlichen industriellen Schweinebetriebe erforscht, die niemals Bauernhöfe genannt werden sollen. Ihre Vision dessen, was möglich ist, findet sich in Porcher (2011), Vivre avec les animaux. 7 Despret (2008), »The Becoming of Subjectivity in Animal Worlds«, S. 133. 8 Ebd., S. 135. 9 Despret (2004), »The Body We Care For«. 10 Stengers/Despret (2014), Women Who Make a Fuss. 11 Ebd., S. 46. 12 Ebd., S. 47. 13 Ebd., S. 159. 14 Ebd., S. 162–163. 15 Zitate aus einer Skizze, die ich 2013 erhielt, keine Paginierung; später publiziert als Despret (2015b), »Why ›I Had Not Read Derrida‹«. 16 Man kann sich zum Beispiel diesen Film ansehen: Davaa/Falorni (2003), The Story of the Weeping Camel. 17 Vgl. Despret (2015a), Au bonheur des morts. 18 Aus dem Kapitel wurde in überarbeiteter Form das erste Kapitel dieses Buchs. Der Vortrag in Cerisy wurde auf Französisch publiziert: Haraway (2014b), »Jeux de ficelles avec les espèces compagnes«. 19 Vgl. Crasset (2003), »Capsule«, und Abb. 1.5 in diesem Buch. 20 Despret (2013), »Ceux qui insistent«.

Kapitel 8: Camilles Geschichten. Die Kinder der Kompostisten Debaise/Stengers (2016), Gestes Spéculatifs; darin Haraway (2016), »Sympoièse, sf, embrouilles multispécifiques«. 2 Zoutini u. a. (2015), »Les enfants du compost, les enfants des monarques«. Vom ungehorsamen Wurf der Kinder der Kompostisten inspiriert hat Terranova 2016 ein narratives Filmporträt gemacht: Donna Haraway: Story Telling for Earthly Sur­ vival. 3 »Anthropocene: Arts of Living on a Damaged Planet«, Santa Cruz, Kalifornien, 8.–10. Mai 2014. Videos der Vorträge sind auf der Webseite erhältlich. Anna Tsing und ihre KollegInnen haben diese Konferenz organisiert. Vgl auch Tsing u. a. (2017), Arts of Living on a Damaged Planet. 4 Die beiden Projekte »Make Kin Not Babies« und »Children of Compost« werden eine kollektive Online-Welt bekommen, wo Geschichten gespostet und gespielt werden können. Fragmente, voll ausgestaltete Geschichten, Plot-Skizzen, wis1

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senschaftliche Spekulationen, Zeichnungen, plausible biologische und technologische Mechanismen für fortgesetzte Transformationen der Syms, Designs, Bilder, Animationen, Videospiele, Charaktere, Pamphlete, Manifeste, Geschichte und Kritik, Bestiarien, Bestimmungsbücher, Blogposts, Slogans: Alles wird willkommen sein. Sym-Fiktion kann die Handlung verändern, neue Charaktere und Geschichten einführen, mit Medien spielen, argumentieren, zeichnen, spekulieren etc. Man kann sich schon jetzt auf die Webseiten und Blogs einstimmen. Vgl. auch die Webseite Stories for Change, ein »Online-Treffpunkt für VermittlerInnen digitalen Geschichtenerzählens und für AktivistInnen«. 5 Dieser Slogan ist Teil eines Wurfs symbiogenetischer und sympoietischer Provokationen, die mein Schreiben ködern. In den 1980er Jahren gab mir Elizabeth Bird, damals Promovendin am History of Consciousness-Programm, »Cyborgs for Earthly Survival«. Kürzlich übergab mir Rusten Hogness bei einem Frühstücksgespräch »Nicht posthuman, sondern Kompost!« und Humusität statt Humanität. Camille gibt uns »Macht euch verwandt, nicht Babys!«. Das »notwendige« Band zwischen Verwandtschaft und Reproduktion zu durchschneiden ist für zeitgenössische FeministInnen eine wichtige Aufgabe. Es ist höchste Zeit, einen Wirbel zu machen. Illoyal bezüglich patriarchaler Genealogie wie wir sind, haben wir mitgeholfen, die Wahrnehmung der natürlichen Notwendigkeit eines Bandes zwischen Rasse und Nation zu deaktivieren; und wir haben die Verbindung von Sex und Gender aufgetrennt. Obwohl, fertig sind wir mit keiner der beiden Aufgaben. FeministInnen waren außerdem mit viel Nachdruck daran beteiligt, die Anmaßungen des menschlichen Exzeptionalismus zurückzuweisen. Kein Wunder, dass noch sehr viel mehr kollaborative Arbeit ansteht, um Netzwerke zu stärken, einige Knoten zu durchschlagen und andere zu knüpfen, damit wir in einer bewohnbaren Welt gut leben und gut sterben können. Adele Clarke und ich haben im November 2015 beim Treffen der Society for Social Studies of Science in Denver ein Panel mit dem Titel »Make Kin Not Babies« organisiert, auf dem wir für innovative, antirassistische, frauenfreundliche, kinderfreundliche, proindigene, gegen Siedlermentalität gerichtete, nicht-natalistische Ansätze geworben haben. Neben Clarke und mir nahmen Alondra Nelson, Michelle Murphy, Kim TallBear und Chia-Ling Wu an dem Panel teil. Das Beerben und das Neuknüpfen fortdauernder Netze affektiver und materieller Beziehungen steht auf dem Spiel; solche Netze sind für das Unruhigbleiben notwendig. In akademischen Kreisen verstehen die EthnografInnen am besten, dass das Sich-verwandt-Machen alle möglichen Kategorien von AkteurInnen einschließt – unter anderem Götter, Technologien, Kritter, erwartbare und unerwartete »Angehörige« – und auch diverse Prozesse, die zusammengenommen ein Verständnis von Verwandtschaft, das ausschließlich aus genealogischer Herkunft und Reproduktion, als Bündnis oder Linie geformt ist, wenig nachhaltig erscheinen lässt. Es gibt sehr viel Literatur über Verwandtschaft und über die

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Herstellung von Beziehungen, die nicht genealogisch, und Prozesse, die nicht Reproduktion genannt werden sollten. Camilles Geschichten bauen speziell auf folgende Ethnografien auf: Strathern (1990), The Gender of the Gift, Dies. (1995), The Relation; Goslinga (2011), »Embodiment and the Metaphysics of Virgin Birth in South India«; Ramberg (2013), »Troubling Kinship«, Dies. (2014), Given to the Goddess. Das Wort kin (Verwandtschaft) ist zu wichtig, um es den KritikerInnen zu überlassen, und »Familie« kann nicht die Arbeit leisten, die kin mit seinen Wegen und Wurzeln zu kind (mit all seiner Polyvalenz) vollbringt. Mein Verständnis des Sich-verwandt-Machens erfordert nicht nur situierte Gottheiten und Seelen – was die sogenannten Modernen immer noch mürbe macht –, sondern auch heterogene Kritter mit biologischer Überzeugungskraft. In Camilles Welt muss sich-verwandt-zu-machen im animistischen und im biologischen Register sensibel sein. Wichtige Worte müssen resignifiziert, wiederbevölkert und wie­ derbewohnt werden. »Macht euch verwandt, nicht Babys« handelt davon, oddkin (seltsame Verwandte) zu schaffen, und dazu gehört auch, sich Verweltlichungen mit Unterstützung von Daniel Heath Justices »Kynship Chronicles« neu zu imaginieren. (Vgl. auch die Webseite Justice, »Imagine Otherwise«.) Ohne SF geht es nicht. Marilyn Strathern, eingetaucht in melanesische Welten, macht den Vorschlag, dass »eine Person die Form ist, die Beziehungen annehmen, ein Kompositum aus Beziehungen eher als ein sich selbst besitzendes Individuum«. Vgl. Ramberg (2013), »Troubling Kinship«, S. 666; Strathern (1990), The Gender of the Gift. Die Kompostistengemeinschaften übernehmen diesen Ansatz des Herstellens von mehr-als-humanen Personen im Spiel mit Fadenfiguren. 6 Motley als Nomen ist das Narrenkostüm. Motley als Adjektiv handelt von nicht zusammenpassender Diversität [etwa im Sinn von zusammengewürfelt, Anm. KH]. Beide Färbungen sind notwendig. 7 Einige der anderen Siedlungen und Migrationen der Kompostistengemeinschaften konzentrierten sich auf die Effekte des Bergbaus: (1) in China, in Dörfern auf ruiniertem Land rund um Kohleminen, angeführt von älteren Frauen aus den Dörfern und von chinesischen AktivistInnen der grünen Bewegung. Vgl. »China and Coal«. Dank an meine KollegInnen Chris Connery und Lisa Rofel und an die unschätzbare chinesische, marxistische Feministin und Kulturkritikerin Dai Jinhua für ihre Hilfe; (2) in Alberta und Nunavut in Kanada, in Verbindung mit dem Widerstand gegen Teersandextraktion und gegen andere Projekte zur Förderung von fossilen Brennstoffen, in einer Koalition zwischen First Nations und dem Süden; (3) im Galilee-Becken in Australien, in Solidarität mit dem Widerstand der Wangan und Jagalingou gegen eine Carmichael-Kohlemine. Vgl. Palese (2015), »It’s Not Just Indigenous Australians v. Adani«; (4) bei den Navajound Hopi-Nationen auf Black Mesa, zusammen mit AngloamerikanerInnen, LateinamerikanerInnen und indigenen AktivistInnen; (5) in Peru und Bolivien,

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in Solidarität mit den Anti-Bergbau-Bewegungen. Vgl. de la Cadena (2010), »Indigenous Cosmopolitics in the Andes«; (6) in der Putumayo-Region Kolumbiens, im Widerstand gegen seine Widmung als Gebiet für Bergbau und agroindustrielle Extraktion. Vgl. Lyons (2015b), »Soils and Peace«, sowie Dies. (2014b), »Soil Science«; vgl. auch Forest Peoples Program (2015), »Indigenous Peoples of Putumayo Say No to Mining in Their Territories«. 8 Was reproduktive Freiheit genau ausmacht, blieb eine leidige Frage in den Versammlungen der Kinder der Kompostisten, speziell in denen der ersten Generationen, für die die Folgen der hohen Bevölkerungszahl noch stark spürbar waren. Das rasche Anwachsen der Bevölkerungszahlen begann nach 1950 und beschleunigte sich Ende des 21. Jahrhunderts, aber der Prozess des Austarierens und der Verringerung, der ohne Verschärfung tiefer Ungleichheit vonstattengehen sollte, war überall auf der Welt in jeder nur vorstellbaren Art und Weise schwierig. Manche Gemeinschaften arbeiteten daran, rechtliche Verbindlichkeiten zu schaffen, die die letzte Entscheidungsbefugnis bei Personen verorteten, die als Individuen konzipiert waren. Aber andere Gemeinschaften beerbten und erfanden ganz andere Wege des Denkens und Praktizierens des Machens neuer Personen, von sich verzweigenden Verbindlichkeiten und Kräften weiterer involvierter Personen. Jeder Zwang, ein Kind zu machen oder zu bekommen, nicht zu machen oder nicht zu bekommen, wurde als Verbrechen erachtet, der zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führte; aber Konflikte über das Kinderkriegen und darüber, wer und was Angehörige sein sollten, kamen vor. Die Kompostistengemeinschaften beharrten darauf, dass Verwandtschaft nicht undifferenzierte und universelle Verbundenheit bedeuten sollte. Exklusion und Inklusion blieben, wie schon immer, Teil des Spiels der Verwandtschaft. Welche Exklusionen und Inklusionen das waren, welche Expansionen und Kontraktionen, veränderte sich grundlegend und häufig auf turbulente Art und Weise. Den Kindern der Kompostisten war klar, dass die Umgestaltung von Definitionen und Praktiken reproduktiver Freiheit in Begriffen der Symbiose eine ihrer Hauptaufgaben war. Aber das hielt sie nicht davon ab, gegenüber unterdrückerischen und totalitären Kräften in den wohlmeinenden Gemeinschaften wachsam zu sein; und genausowenig verschwand die Notwendigkeit, jene Kategorien des Diskurses der Symbiogenesis, die als »bio« gekennzeichnet waren, zu befragen. 9 Symbiont und Symbiot [der zweite Ausdruck ist im Deutschen nicht gebräuchlich, Anm. KH] sind Synonyme; beide verweisen auf einen Organismus, der im Zustand der Symbiose lebt, egal ob das beiden Beteiligten zuträglich ist, nur einem (oder nochmal anderen) oder nicht. Deshalb sollen in unseren Geschichten sowohl der menschliche als auch der nicht-menschliche Partner Symbiont oder Symbiot genannt werden. Symbiogenese meint das Zusammenschustern von lebendigen Entitäten, mit dem Ziel, etwas Neues im biologischen Sinn herzustellen, mehr, als einen digitalen oder anderen Modus. Symbiogenese führt auch zu

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neuen Organisationsformen, nicht nur zu neuen Krittern. Symbiogenese öffnet die Palette (und die Papillen) möglicher kollaborativer Lebensweisen. Viele Kompostistengemeinschaften stießen symbiogenetische Transformationen mit Pilzoder Pflanzensymbionten als erste Partner für die menschlichen Babys und Föten an; und alle Symbiosen enthielten notwendigerweise intime Assemblagen von Bakterien, Archaeen, Protisten, Viren und Pilzen. Camilles Gemeinschaft war enger mit anderen Gruppen verbunden, die Kinder mit Tieren als ihren ersten Partnern zusammenbrachten, aber all diese Unterscheidungen wurden über die Generationen schwächer, als sich vielerlei, bis dahin unvorstellbare Multispezies-Sozialitäten bildeten. 10 Provokatives Denken zu Korridoren findet sich in Hannibal (2012), The Spine of the Continent; Soulé/Terborgh (1999), Continental Conservation; Hilty u. a. (2006), Corridor Ecology; Meloy (2005), Eating Stone. Die Yellowstone to Yukon Conservation Initiative (vgl. Webseite) ist inspirierend und kritisch. Ich schätze diese Wissenschaften und ihre Texte, obwohl ich Sehnsucht nach entschlossenen Begegnungen mit anspruchsvollen, situierten, multinaturalen, multilingualen, multikulturellen Wissenschaften habe und nach einem Modus der Begegnung mit indigenen Kosmopolitiken, der unromantisch, wertschätzend und praktisch ist. Ein positives Beispiel findet sich in Koelle (2010), »Rights of Way«. Die weiterbestehenden Trennungen und Missverständnisse zwischen dekolonialem und Biodiversitäts-Denken und entsprechenden Projekten ist eine Tragödie für Leute und andere Kritter gleichermaßen. Indem sie Korridordenken praktizierten, taten die Kompostistengemeinschaften alles, was sie vermochten, um disparate Welten in Kontakt zu bringen. 11 Ökologisch-evolutionär-entwicklungsgeschichtliche Biologie, oder EcoEvoDevo, ist eine der wichtigsten Wissenspraktiken, die im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert die Wissenschaften umgeformt haben. Vgl. Gilbert/Epel (2015), Ecologi­ cal Developmental Biology, speziell das Nachwort von Gilbert. 12 Vgl. »Mountaintop Removal Mining«; Stephens/Sprinkle, Goodbye Gauley Moun­ tain. Ich platziere Camilles Gruppe im Gebiet entlang des Kanawha-Flusses, wo die Künstlerin Beth Stephens aufgewachsen ist und wohin sie und ihre Partnerin Annie Sprinkle zurückgekehrt sind, um ihren Film zu machen. In einem Akt des Sich-verwandt-Machens haben Annie und Beth den Berg geheiratet. Er ist einer der vielen erdigen Partner, die sie in ihren reisenden öko-sexuellen Praktiken zusammengestrickt haben. Geschichte und fortgesetzte Vitalität der ArbeiterInnen-Kultur und ArbeiterInnen-Politik im Kohlebergbau sind grundlegend für das, was Camille und pers Gemeinschaft lernen muss. Historisch betrachtet war West Virginia Lebens- und Jagdgebiet der Shawnee, Cherokee, Delaware, Seneca, Wyandot, Ottawa, Tuscarora, Susquehannock, Huron, Sioux, Mingo, Iroquois und weiterer indigener Völker. Als im 18. Jahrhundert schottische und irische Siedler von Virginia aus nach Westen vordrangen, suchten viele

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Native Americans in den Blue Ridge Mountains Zuflucht. Die entlang der Linien Rasse und Klasse divergierenden Geschichten von (1) weißen Siedlern und afroamerikanischen Kohlebergbaufamilien und Gemeinschaften, die im 20. und 21. Jahrhundert durch die Abförderung von Bergspitzen und der anschließenden ökonomischen Restrukturierung der Kohleindustrie (King Coal) verwüstet worden waren und (2) des benachbarten indigenen Volkes der Black Monacan aus Amherst, Virginia, und anderorts im Südosten, das sich für ein Wieder­erstarken von Politik und Identität engagierte, waren für Camilles Gemeinschaft wichtig, um herauszufinden, wie sie sich wirkungsvoll mit den lokalen Leuten für artenübergreifende Zukünfte zusammentun könnten. Vgl. Cook (2000), Monacans and Miners. Ihre Erzählung über das Aufwachsen in und Zurückkehren nach West Virginia findet sich in Stephens, »Goodbye Gauley Mountain«. Der Tagebau richtet bei Land und Leuten einen so verheerenden Schaden an, dass es nicht vorstellbar ist. Um die Situation in den Appalachen (Kohle) mit der in Peru (Kupfer) zu vergleichen, empfehle ich Gallagher (2015), »Peru«, und »Mountain Justice Summer Convergence«. Tagebau ist nicht die ganze Geschichte; das wird deutlich, wenn man sich die rasche Zunahme von Erdgas-Fracking, auch in den Appalachen, vor Augen führt. Vgl. Cocklin (2014), »Southwestern Plans to Step on the Gas Pedal in Appalachia Next Year«. 13 Oberhauser/Solensky (2004), The Monarch Butterfly; Rea u. a. (2010), Milkweed, Monarchs and More; Pyle (2014), Chasing Monarchs; Kingsolver (2012), Flight Be­ havior. Derzeit gibt es eine Kontroverse darüber, ob die Population der nordamerikanischen Monarchfalter insgesamt schrumpft oder nur diejenige der wandernden Population. Vgl. Burnett (2016), »Monarch Migration Rebounds« und Kaplan (2015), »Are Monarch Butterflies Really Being Massacred?«. Vgl auch die Webseiten »Monarch Butterfly«; »Monarch Butterfly Conservation in California«; »Monarch Butterfly Biosphere Reserve«; »West Virginia State Butterfly«. Eine gute Karte ihrer Wanderungen bietet »Flight of the Butterflies«. Der westliche Monarchfalter überwintert in Kalifornien, auch in meiner Stadt, Santa Cruz, wo wir die Falter begeistert im Eukalyptus, in Pinien und Zypressenhainen im Natural Bridges State Park und im Lighthouse Park suchen. 1997 wurden in Santa Cruz 120.000 Monarchfalter gezählt, 2009 waren es nur noch 1.300 und 2014 ein paar Dutzend. Es könnten im Winter 2015 wieder ein paar Hundert werden. Vgl. Jepsen u. a. (2010), »Western Monarchs at Risk«. 14 Es gibt ca. 110 Seidenpflanzenarten in Nordamerika und etwa 3.000 Arten weltweit. 15 Tucker (2004), »Community Institutions and Forest Management in Mexico’s Monarch Butterfly Reserve«; Farfán u. a. (2007), »Mazahua Ethnobotany and Subsistence in the Monarch Butterfly Biosphere Reserve, Mexico«; Zebich-Knos (2006), »A Good Neighbor Policy?«; Vidal u. a. (2013), »Trends in Deforestation and Forest Degradation in the Monarch Butterfly Biosphere Reserve in Mexico«;

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Rendón-Salinas/Tavera-Alonso, »Forest Surface Occupied by Monarch Butterfly Hibernation Colonies in December 2013«. Vgl. ebenfalls: »Mazahua People«; Arauho u. a. (2011), »Zapatista Army of Mazahua Women in Defense of Water«. Sie schreiben: »Die Mazahuas sind ein indigenes Volk Mexikos, das im nordwestlichen Teil des Bundesstaats Mexikos und im nord-östlichen von Michoacán siedelt, aufgrund aktueller Migration auch im Federal District [México City, Anm. KH]. Die meisten Mazahua leben in den Gemeinden San Felipe del Progreso und San José del Rincón, beide im Bundesstaat Mexiko (Estado de México), in der Nähe von Toluca. Laut Zensus von 1990 gibt es 127.826 Mazahuasprechende; der letzte Zensus zählte 350.000 Mazahua. Das Wort Mazahua kommt aus dem Nahuatl und bedeutet ›die Besitzer von Wild‹, was vielleicht auf die reiche Fauna der Bergregionen, in denen die Mazahua siedeln, Bezug nimmt. Sie selbst bezeichnen sich als Hñatho.« 16 Es bestand die Möglichkeit, dass keine schwangere Person der nachfolgenden Generation die Entscheidung treffen würde, eine symbiotische Bindung zwischen dem neuen Kind und den Monarchfaltern einzuleiten, sondern diese symbiotische Verbindung zugunsten einer anderen zu beenden. Solche Entscheidungen gab es, aber die meisten Geburtseltern der folgenden Generationen hatten in Körper und Geist das intensive Gefühl, dass die FünfgenerationenSymbiose auch für sie wichtig war. 17 Haudenosaunee Confederacy: eine traditionsreiche Konföderation verschiedener Nationen, die unterschiedliche Namen getragen hat, u. a. Iroquois/Irokesen, Haudenosaunee ist die Selbstbezeichnung. Vgl. Wikipedia »Iroquois«, Anm. KH. 18 Der 1930 geboren Oren R. Lyons Jr., Turtles Clan, Seneca Nation, Haudenosaunee Confederation schrieb: »Wir schauen nach vorne, wie es eines der ersten Mandate verlangt, die uns als chiefs gegeben wurden. Wir müssen sichergehen, dass jede Entscheidung, die wir fällen, eine Beziehung zum Wohlergehen und Wohlbefinden der siebten Generation von jetzt an unterhält.« Und weiter: »Wie steht es mit der siebten Generation? Wohin bringt ihr sie? Was werden sie haben?« Vgl. Lyons (1980), »An Iroquois Perspective«, S. 173, 174. Vgl. ebenfalls: ­Lyons u. a. (1998), Exiled in the Land of the Free. Das »Great Binding Law« (das große, bindende Gesetz) besagt: »In all unseren Verhandlungen im Konföderationsrat, in all unseren Anstrengungen, Recht zu schaffen, in all unseren offiziellen Akten soll Eigeninteresse verworfen werden. Verwirf aber nicht die Warnungen der Neffen und Nichten, sollten sie dich für einen Irrtum oder einen Fehler, den du begangen hast, tadeln, sondern kehre auf den Weg des großen Gesetzes zurück, das gerecht und richtig ist. Suche das Wohlergehen des ganzen Volkes und führe dir immer nicht nur die Gegenwart, sondern auch die kommenden Generationen vor Augen, auch diejenigen, deren

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Gesichter noch unter der Erde liegen  – die Ungeborenen der zukünftigen Nation.« Vgl. Constitution of the Iroquois Nations. Vgl. auch Barker (2011), Native Acts, Dies. (2015), »Indigenous Feminisms«. Eine Einführung in ein außergewöhnliches Nachdenken und Forschung zu Indigenität und Technowissenschaften findet sich auf der Webseite von Kim TallBear. 19 United Nations (2015), »World Population Prospects«. Professionelle Demografen, die mit der Kategorie der »Population« denken, wussten, dass sogar extreme Ereignisse wie Kriege und Pandemien in der Mitte des 21. Jahrhunderts an der schlussendlichen Last von etwa 11 Milliarden Menschen zum Ende des 21. Jahrhunderts nicht viel ändern würden. Nur eine überall auf der Erde erzwungene, radikale Einkindpolitik hätte etwas ändern können. Abgesehen davon, dass das unmöglich zu bewerkstelligen wäre, war selbst den abstraktesten DenkerInnen klar, dass der Ansatz ungerechte, Zwangsmaßnahmen beinhaltende, misogyne, rassistische Politik implizieren würde. Die Praktiken der Kompostisten, die auf Ansteckung und nicht auf Zwang setzten, waren radikaler als eine Einkindpolitik. Sie führten zu einer Dreieltern-Norm, die sich rasch durchsetzte und zwar in einer Matrix aus traditionellen und neu erfundenen, nichtbiogenetischen Mehrkind- und Mehrgenerationen-Lebensvollzügen. Die Geschichte der Einkindpolitiken des 20. Jahrhunderts hatte ihnen deutlich gemacht, dass diese von Sanktionen abhing und in Zwang und ungleich verteiltem Verzicht wurzelte. Der zuerst utopisch erscheinende Dreieltern-Ansatz erwies sich als realistisch, besonders im Zusammenspiel mit üppigen dekolonialen Praktiken, die von den Kindern der Kompostisten befördert wurden. Drei-oder-mehr-Eltern-Praktiken, die über mehrere Dekaden von Kompostistengemeinschaften entwickelt worden waren, stellten sich als überaus kinderfreundlich, elternfreundlich, freundschaftsfreund­ lich und gemeinschaftsfreundlich heraus, sowohl für menschliche Leute als auch für andere Kritter. HistorikerInnen sehen in dieser erfinderischen Periode eine Zeit der Verbreitung von Ritualen, Zeremonien und Festen, die das sympoietische anstatt biogenetische Verwandtmachen feiern. Eines der kraftvollsten Resultate dieses Erfindungsreichtums war das weltweite Wiederaufleben von Praktiken der Freundschaft, zwischen Kindern und zwischen Erwachsenen. Vgl. Murphy (2015), »Thinking against Population and with Distributed Futures«; Nelson (2015), Who Counts?; Bashford (2013), Global Population; Crist (2015), »Choosing a Planet of Life«. Collard u. a. (2015), »Manifesto for Abundant Futures«, S. 322: »Mit abundant [üppig, reichlich, Anm. KH] meinen wir ein Mehr an verschiedenartigen und autonomen Lebensformen und Arten des Miteinanderlebens. Wenn wir darüber nachdenken, wie artenübergreifende Welten realisiert werden können, sind wir von indigenen und bäuerlichen Bewegungen weltweit und von dekolonialer und postkolonialer Theorie inspiriert.« 20 Die vier hauptsächlich erhältlichen Geschlechter  – im Westen, im frühen 21.

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Jahrhundert  – waren Cis-Frau, Cis-Mann, Trans-Frau und Trans-Mann. Die meisten Leute, die sich auskannten, erachteten diese Liste als missverständlich; sowohl weil sie geografisch und historisch beschränkt war, aber auch weil sie so ärmlich war. Die Schönheit des Bezeichnungssystems bestand jedoch in seiner Querverbindung zum Stereo-Isomerismus in der Chemie und zu den raumbezogenen Sensibilitäten domänendurchkreuzender Taxonomien. Fragen wie diejenige, wie man ein guter Cis-Liebhaber/eine gute Cis-Liebhaberin für einen Trans-Partner sein konnte, wurde in dieser frühen Periode der Reformatierung von Geschlecht intensiv diskutiert. Viele Mitglieder der Siedlung von Camille 1 waren in Trans-Zirkeln aktiv gewesen, bevor sie sich einer Kompostistengemeinschaft angeschlossen hatten. Der historisch betrachtet anormale, extreme Geschlechterbinarismus der sogenannten modernen Periode des Westens hörte nicht auf, Wahrnehmungs- und Namensgebungspraktiken bis weit in die Epoche des Späten Zauderns hinein heimzusuchen. Erst ab diesem Zeitpunkt konnten die Kompostistengemeinschaften wirkliche Veränderungen für das Gedeihen von Mehrgeschlechtlichkeit und artenübergreifender Verwandtschaft erwirken. Vgl. Weaver (2014), »Trans Species«, und Ders. (2013), »Becoming in Kind«. Robinson (2013), 2312. In seinem Roman sind die genauen Daten des »Großen Zauderns« mit 2005 bis 2060 angegeben, gefolgt vom Jahr der Krise mit multiplen Systemzusammenbrüchen und dann der Balkanisierung der Erde in den Weltraum hinaus. Die Erde wird als zwar notwendige, aber hoffnungslose Jauchegrube artenübergreifender Verelendung und erbarmungslos unwirksamer menschlicher Aktion zurückgelassen. Oddkin war der alltagssprachliche Ausdruck für anders-als-konventionelle biogenetische Verwandte. Eine Notiz zu Pronomina: per wurde als geschlechterneutrales Pronomen für alle Personen benutzt. Marge Piercy hatte es in Frau am Abgrund der Zeit bereits 1976 vorgeschlagen. Egal ob eine Person im Laufe des Lebens den geistreich-körperlichen Habitus eines oder mehrerer Geschlechter entwickelte, per blieb das gebräuchliche Pronomen, wenngleich einige Personen ein geschlechterdeskriptives Pronomen bevorzugten. Da es den Vorteil der Verständlichkeit in vielen Sprachen hatte, wurde sym häufig als Pronomen für die menschlichen und tierischen Partner in einer Symbiose oder andere radikale Formen der Sympoiesis eingesetzt. 2012 waren mehr als fünf hundert seltene, bedrohte oder gefährdete Kritter (Insekten, Spinnen, Mollusken, Fische, Reptilien, Amphibien, Vögel, Säugetiere) im West Virginia Natural Heritage Programm registriert. Vgl. West Virginia Department of Natural Ressources, »Rare, Threatened, and Endangered Animals«. Die Appalachen sind ein weltweit einzigartiger Hotspot der Biodiversität von Salamandern. Die Abförderung von Bergspitzen ist eine Gefahr für sie, weil ihre

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Lebensräume zerstört und das Wasser verschmutzt wird. Wandersalamander, die sich zwischen trockenem Land und ihren Brutgewässern hin und her bewegen, sind besonders gefährdet, weil ihre Lebensräume fragmentiert werden. Die höheren Temperaturen durch die Erderwärmung werden große Effekte auf Salamander haben, und der Schutz ihrer Korridore, die ihnen ermöglichen, die kühleren Brutplätze zu erreichen, ist eine zentrale Aufgabe. Lanno (2005), Amphib­ ian Declines; »Appalachian Salamanders«; »Biodiversity of the Southern Appalachians«; Conservation and Research Center of the Smithsonian National Zoological Park, »Proceedings of the Appalachian Salamander Conservation Workshop, May 30–31, 2008«; IUCN Red List of Threatened Species, »Ambystoma barbouri«. Es gibt keine bewegendere und informativere Darstellung dieser wunderbaren Wanderfischart, die im Laufe ihres Lebens zahlreiche Transformationen durchlebt, als Prosek (2011), Eels. Über das offizielle Zaudern bezüglich ihres Schutzes kann man hier etwas erfahren: US Fish and Wildlife Service, »The American Eel«. Buntfalken waren zu Camille 1’ Zeiten nicht offiziell als gefährdete Art eingestuft, aber sie wurden an vielen Orten ihres Vorkommens deutlich seltener, als die Agrarindustrie zunehmend ihre Lebensräume vernichtete. Zuvor hatten die Buntfalken von der weniger toxischen und nicht-monokulturellen Landwirtschaft profitiert, einschließlich der Tierweiden, da sie als Räuber offene Felder, Lichtungen, Weiden und Grasstreifen an Straßenrändern dem Wald vorziehen. Auch die Wiederbewaldung von aufgegebenen landwirtschaftlichen Flächen im Nordosten der USA ist ein Problem für die Buntfalken. Diese wunderschönen kleinen Falken jagen kleine Säugetiere, etwa Wühlmäuse und Mäuse, kleine Vögel und Reptilien, aber auch Insekten wie Grashüpfer, Grillen, Käfer, Libellen, Schmetterlinge und Motten. Eine Zählung der Falken im Raubvogel-Schutzgebiet Hawk Mountain hat ergeben, dass die Zahl dieser geflügelten Jäger von den 1930er Jahren bis Mitte der 1970er Jahre gestiegen ist, in den späten 1970ern und frühen 1980ern zurückging und in den späten 1980ern und 1990ern relativ stabil war, bis die Vögel in den frühen 2000ern selten wurden. Der Westnil-Virus könnte ein wichtiger Faktor gewesen sein; 95 Prozent der getesteten Vögel hatten 2015 Antikörper gegen den Virus ausgebildet. Bei der Geburt von Camille 1 und dem ersten Geburtsjahrgang im Jahr 2025 waren Buntfalken trotz ihrer langen Geschichte der Anpassung an Menschen an vielen Orten in großen Schwierigkeiten. Manche Buntfalkenpopulationen bleiben das ganze Jahr über an einem Ort; andere wandern über weite Distanzen in Nord-Süd-Richtung. Es gibt sie nur in den Amerikas und sie finden von Feuerland bis zu den nördlichen Wäldern Alaskas und Kanadas ihr Auskommen. In Neu Gauley begegnet man Buntfalken während ihrer Wanderschaft am ehesten zwischen Mitte September und Mitte Okto-

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ber. Vgl. Hawk Mountain, »Long-Term Study of American Kestrel Reproductive Ecology«. 2015 beantragte das US Fish and Wildlife Service für zwei in West Virginia beheimatete Krebsarten offiziell den Status einer bedrohten Art. In beiden Fällen hatte die Abförderung von Bergspitzen im Zuge des Kohlebergbaus ihre Wasserwege zerstört. Sie waren die ersten von vielen Arten, deren Zukunft durch die Absprengung von Bergen verwüstet wurde und für die später ebenfalls der Status beantragt wurde. Vgl. die Pressemitteilung des Center for Biological Diversity vom 6. April 2015: »Two Crayfishes Threatened by Mountain-Top Removal Mining in West Virginia, Kentucky, Virginia Proposed for Endangered Species Act Protection.« Es wird hier gesagt, dass Krebse »eine Schlüsselart sind, da die Löcher, die sie graben, Lebensraum für andere Tiere, zum Beispiel Fische, darstellen. Krebse halten die Flüsse sauber, indem sie verwesende Pflanzen und Tiere fressen, und umgekehrt werden sie von Fischen, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Säugetieren gefressen, was sie zu einem wichtigen Glied in der Nahrungskette macht. Der große Sandkrebs und der Guyandotte River-Krebs sind empfindlich, was die Wasserqualität betrifft. Das macht sie zu einer Indikatorenart für Wasserqualität«. WissenschaftlerInnen nennen solche Anforderungen philopatrisch; nicht-kompostistische Anglophone sprechen von patriotism. Kompostisten sprechen von Liebe und dem Bedürfnis nach einem Heim, nach diesem Heim, nicht irgendeinem. Sie haben das von den kleinen Pinguinen im Hafen von Sydney gelernt, die ihre Geschichten in van Dooren (2014), Flight Ways, erzählt haben. Auf der Webseite des Roode Lab finden sich Forschungsergebnisse über die Ökologie und Evolution von Parasiten in ihren Wirten und auch über die Genetik der Monarchfalterwanderungen. Mit der Redewendung »in Konflikt und Kollaboration« zu denken und neu zu denken habe ich im Research Cluster of Women of Color in Conflict and Collaboration an der UC Santa Cruz gelernt, der während der Universitäts-Präsidentschaft von Angela Davies (1995–1998) eingerichtet wurde. Eine Konferenz, die im frühen 21. Jahrhundert in Dänemark stattfand und die sich mit drängenden ökologischen Fragen des Anthropozäns beschäftigte, war für die Kompostisten von Neu Gauley besonders nützlich. Die AURA-Konferenz »Postcolonial Natures« wurde so angekündigt: »Drei der vorgeschlagenen Beginndaten des Anthropozäns verbinden planetarischen Wandel mit kolonialen Prozessen: der Kolumbianische Austausch, ein Produkt des portugiesischen und spanischen Imperialismus; die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, ein Abkömmling der britischen Kolonialunternehmungen; und die ›Große Beschleu­ nigung‹ der 1950er Jahre, tief verstrickt mit dem amerikanischen Imperialismus und den Formen von Konsumkapitalismus, die er hervorgebracht hat […] Die Konferenz fokussiert Fragen von Macht, Kolonialismus und Kapitalbeziehun-

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gen, um zu erproben, wie die Geschichte der Ungleichheit und Unterdrückung Landschaften heimsucht und artenübergreifende Beziehungen formt.« Es sei hinzugefügt, dass die »Große Beschleunigung« genau jene Zeit ist, in der die menschliche Bevölkerung anfing, derart zerstörerisch zu wachsen. Die Verbindungen zwischen der Größe der menschlichen Weltbevölkerung und den Fragen der Konferenz sind zahlreich und eng. Vgl. die Webseiten »Nausicaä: Character« und »Nausicaä of the Valley of the Wind«. Der japanische Film wurde 1984 veröffentlicht. Ich danke Anna Tsing dafür, dass sie meine Aufmerksamkeit auf diesen außergewöhnlichen Film zurückgelenkt hat. Raffles (2010), Insectopedia, S. 166–167, bezieht sich auf eine Übersetzung der japanischen Geschichte aus dem 12. Jahrhundert »The Lady Who Loved Worms«, genauer gesagt die prächtigen Raupen von Schmetterlingen und Motten. Die Geschichte »The Lady Who Loved Insects« findet sich in einer Kurzgeschichtensammlung: Tsutsumi Chūnagon Monogatari, unbekannter Autor. Miyazaki sagte in einem Interview 1995 (»The Finale of Nausicaä«), dass er eine Heldin kreieren wollte, die »nicht völlig normal« wäre. Im gleichen Interview beschreibt Miyazaki die Ohmu als während ihres ganzen Lebens larval, von der Jugend bis ins Alter. Kein Wunder, dass Camille 1 verzaubert war! Vgl. auch Mirasol (2010), »Commentary on Nausicaä of the Valley of the Wind«, ein Youtube-Video des philippinischen Filmkritikers Michael Mirasol. Scott Gilbert ist mein Reiseführer, wenn ich versuche, mir den entwicklungs­ geschichtlichen Mechanismus der Implantierung eines Schmetterlingsbarts vorzustellen (persönliche E-Mail an die Autorin, 7. April 2015): »Es könnte verschiedene Wege geben, Schmetterlingsfühler in einen menschlichen Kiefer einzupflanzen. Eine Methode wäre es, Toleranz zentral zu induzieren. Wenn die Gemeinschaft bereits weiß, dass Camille mit dem Monarchfalter verbunden wird, könnten sie [dem Neugeborenen] Schmetter­lings­fühler­extrakt injizieren (wahrscheinlich würde man dafür Kulturen anlegen oder den Extrakt aus toten Schmetterlingen gewinnen). Das Immunsystem würde sich dann noch entwickeln und darauf trainiert werden, diese Substanzen als ›Eigenes‹ anzuerkennen. Wenn die Entscheidung erst später im Leben fällt, könnte man versuchen, klonale Anergie zu induzieren, indem man Schmetterlingsmaterial bei Abwesenheit bestimmter T-Zellen injiziert. Das war bisher nicht von Erfolg gekrönt, da periphere Toleranz bisher nicht unsere Allergien heilt. Vielleicht in Zukunft […]. Eine interessante Methode wäre es, das benachbarte Gewebe so zu induzieren, dass es plazental wird! Die Plazenta stellt eine Umwelt her, die das Immunsystem der Mutter davon abhält, den Fötus zu zerstören. Durch die Plazenta produzierte Faktoren scheinen T-Regulationszellen zu befördern und die Formierung von T-Helferzellen einzuschränken. (Ein aktueller Artikel dazu ist: Svenson-Arveland u. a. [2015], ›The Human Fetal Placenta Promotes Tolerance

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against the Semiallogenic Fetus by Producing Regulatory T Cells and Homeostatic M2 Macro­phages‹.) Eine andere SF-Methode dafür wäre, symbiotische Bakterien dazu zu verwenden, in den Schmetterlings-Antigenen Toleranz zu induziea. [2014], ren. Das wird derzeit untersucht, um Erdnussallergien (Ren u.  ›Modulation of Peanut-Induced Allergic Immune Responses by Oral Lactic Acid Bacteria-Based Vaccines in Mice‹) und atopische Dermatitis (Farid u. a. [2011], ›Effect of a New Syn­biotic Mixture on Atopic Dermatitis in Children‹) zu verhindern oder abzu­schwächen. Ein langer Kontakt zu den Bakterien könnte antigenspezifische T-Regula­tionszellen induzieren. Das wäre interessant, denn man würde Sym­biose für die Erzeugung von Toleranz verwenden.« Es gab also viele Optionen, die die WissenschaftlerInnen von New Gauley mit per fünfzehnjährigen Camille 2 diskutieren konnten. Per probierte zuerst die Methode der über die Plazenta hergestellten Faktoren, aber die ersten Versuche scheiterten. Man war mit jener Methode erfolgreich, im Zuge derer die Gabe von symbiotischen Bakterien Schmetterlingsfühler-Antigene exprimiert und im menschlichen Wirt Toleranz für die Implantate induziert. Aus »Butterfly Anatomy«: »Die Fühler des Monarchs Danaus plexippus sind mit über 16.000 olfaktorischen (Geruch wahrnehmenden) Sensoren bedeckt – manche sind schuppenförmig, manche haarförmig, manche grubenförmig. Die schuppenförmigen Sensoren (ca. 13.700) sind sensibel für Sexualpheromone und Honiggeruch, um Nektar zu lokalisieren. Schmetterlingsfühler werden, wie diejenigen der Ameisen und Bienen, auch dazu benutzt, physisch zu kommunizieren. Es ist beispielsweise häufig zu beobachten, wie ein männlicher Schmetterling ›Kleiner Fuchs‹ (Aglais urticae) während der Werbung mit seinen Fühlern auf die Hinterflügel des Weibchens klopft, vielleicht um die Pheromone zu ›kosten‹ […] Man sieht Schmetterlinge häufig dabei, wie sie mit ihren Fühlern ›schöpfen‹, mit den Fühlern die Erde oder Blätter betupfen. In diesem Fall kosten sie das Substrat, um seine chemischen Qualitäten zu testen. So erfahren sie, ob der Boden wichtige Nährstoffe enthält. Männliche Schmetterlinge trinken häufig mineralisierte Feuchtigkeit, um Sodium zu gewinnen, das sie während der Paarung an die Weibchen weitergeben.« 33 In den Appalachen regierte die Kohle und die zerstörten Gewerkschaften, die gesprengten Orte, die verwüsteten menschlichen Lungen und die widerstandsfähigen Leute, aber auch die verschwundenen Gipfel, Gewässer und Kritter formten den Kern von Camille 1’ Erbe. Andere, für Neu Gauley und die Camilles zentrale Regionen und Bevölkerungen waren die vielen indigenen Nationen, die in Kanada um Teersand streiten, sowie die Diné und Hopi des Black Mesa Plateaus in ihrer Auseinandersetzung mit den Kohleunternehmungen von Peabody Energy. Vgl. Kapitel 3. Die Diné (Navajo) sind der Meinung, dass das einzige wirkliche Übel der Welt Gier ist. Die Zerstörung von Grundwasser-Reservoirs, Bächen, Seen, Feuchtgebieten und

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Flüssen durch die Extraktion von fossilen Brennstoffen verband die Camilles mit Völkern und Krittern des Vulkangürtels in Mexiko, dem Winterquartier der Monarchfalter, wo das Wasser in riesigen Transferprojekten über die Berge nach Mexico City umgeleitet wurde. 34 Dekoloniale Ansätze zu artenübergreifenden Verweltlichungen und Rehabilitierungen, die Camille 2 auf ihren Aufenthalt in Mexiko vorbereitet haben: Basso (1996), Wisdom Sits in Places; Danowski/Viveiros de Castro (2014), »L’Arrêt du Monde«, S. 221–339 [die dt. Übersetzung dazu: Danowski/Viveiros de Castro (voraussichtl. 2018): In welcher Welt leben?, Anm. KH]; de la Cadena (2015a), Earth Beings; Escobar (2008), Territories of Difference; Green (2013), Contested Ecologies; Hogan (1998), Power; Kaiser (2014), »Who Is Marching for Pachamama?«; Kohn (2013), How Forests Think; Laduke (1999), All Our Relations; Tsing (2005), Friction; Weisiger (2009), Dreaming of Sheep in Navajo Country. Kristina Lyon, die viele Jahre in Putamayo, Kolumbien, gearbeitet hat, schreibt: »Ländliche Kommunen artikulieren im Zuge ihrer Kämpfe zunehmend ökologische Konzepte von Territorialität. Es sind Kämpfe, die nicht nur die Möglichkeitsbedingungen menschlichen Lebens verteidigen, sondern eine geteilte relationale Existenz mit einem Kontinuum von Elementen (Böden, Wälder, Flüsse, Insekten, Tiere, Nahrungspflanzen, medizinische Pflanzen und Menschen), die geteilte Kontingenz von Leben und Arbeit unter militärischem Zwang.« Vgl. Lyon (2015), »Can There Be Peace with Poison?«. Lyon schlägt den Begriff selva als gleichermaßen theoretisch wie auch situiert in naturkulturellen Orten vor. Selva arbeitet anders als die koloniale »Natur«. Die Kompostisten erinnerten sich an die britische Kultur- und Sozialanthropologien Marilyn Strathern, die darauf bestand, dass es von Gewicht ist, welche Ideen Ideen denken. Vgl. auch Lyons (2014a), Fresh Leaves und de la Cadena (2015b), »Uncommoning Nature«. Die vieldeutigen, kontroversen, manchmal vitalen, manchmal schockierenden Aktivitäten von Umweltorganisationen viele Aspekte »grüner« Fragen betreffend thematisiert ein aktueller Artikel der Begründerin einer feministischen Ökologie, Rocheleau (2015), »Networked, Rooted and Territorial«. Der Geburtsort der zapatistischen Bewegung, Chiapas, wurde eine Region, die Camille 2 gut kennenlernen sollte. Vgl. Harcourt/Nelson (2015), Practicing Feminist Political Ecolo­ gies. Dianne Rocheleau, eine Geografin, veränderte von dem Moment an meine Welt, als Anna Tsing mir im Rahmen unseres ersten von drei Graduiertenseminaren an der USCS über Geofeminismus (2002, 2007, 2010) einen Text von ihr in die Hand drückte. Rocheleau/Edmunds (1997), »Women, Men and Trees«. 35 Um den Kontext der Organisation der Mazahua als Teil der mexikanischen und internationalen indigenen Bewegungen seit 1968 zu verstehen, vgl. GallegosRuiz/Larsen (2006), »Universidad Intercultural«. 36 Gómez Fuentes u. a. (2009), »The Fight for the Right to Water«.

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37 Molina (2013), »Zapatistas’ First School Opens for Session«. Der Aufstand der Ejército Zapatista de Liberación Nacional begann 1994 in Chiapas. 38 Eine beredte Geschichte von Amazonas-Schmetterlingen, die Schildkröten-Tränen trinken, findet sich in Main (2013), »Must See«. 39 Ich lasse hier kraftvolle Zeilen aus und nehme das Gedicht aus Gallegos-Ruiz/ Larsen (2006), »Universidad Intercultural«, S. 24–25. 1980 hat ein kleines Mädchen das Gedicht dem Präsidentschaftskandidaten Miguel de la Madrid auf Mazahua und Spanisch vorgelesen. Das spanische Gedicht findet sich unter Garduño Cervantes (1982), »Soy Mazahua«. Ein Volksschulmädchen rezitiert das Gedicht auf Spanisch (2011) in Guadalupe, »Soy mazahua«. Zur Gefahr des Verschwindens der Mazahua-Sprache vgl. Domínguez (2011), »De la extinción de su lengua mazahua«. Ich habe keine geschriebene oder gesprochene Version des Gedichts auf Mazahua gefunden. [Übersetzung der Gedichtfragmente aus dem Spanischen: KH.] 40 Es sei daran erinnert, dass die Wissenschaften nicht auf die Weise modern sind, die hier gemeint ist. Sie sind nicht »die Wissenschaft«. Die Armut der Sprache bezwingt auch begeisterte KompostistInnen. 41 Camille war mit den enorm destruktiven Effekten des überregionalen Transports von Wasser aus dem Colorado im Westen der USA, der im 20. und 21. Jahrhundert stattgefunden hat, vertraut. Ein Bohrloch wurde durch die San JacintoBerge in Arizona getrieben, um Wasser nach Südkalifornien zu liefern; außerdem wurde der Fluss von Westen nach Osten durch ein weitläufiges Tunnel- und Aquäduktsystem über die Rockies gepumpt, um Denver mit Wasser zu versorgen. Lustgarten (2015a), »End of the Miracle Machines«. Vgl. auch Kapitel 3. Die Pro-Position findet sich auf der Webseite der Colorado Water Users Association. Es brauchte Bündnisse von indigenen und anderen Umweltschutzgruppen, um diese Praktiken einzustellen und durch nachhaltigere Politiken und Ökologien zu ersetzen, die sich rund um Umweltgerechtigkeit und gerechten Systemwechsel organisieren. Vgl. die Webseiten der Just Transition Alliance und des Indigenous Environmental Network. 42 Enciso L. (2015), »Mexico«; Geo-Mexico, »Where does Mexico City Get Its Water?«, »Water Management in Greater Mexico City«, Wikipedia. 2004 traten die Mazahua-Frauen in Aktion. Vgl. Gómez Fuentes u. a. (2009), »The Fight for the Right to Water«: »Wir sagten uns: ›Sie stellen den Männern das Bein und spielen mit ihnen, weil sie keine Aktion sehen.‹ ›Das war der Zeitpunkt, an dem wir beschlossen haben, unseren Mut zu sammeln und die Kämpfe anzuführen‹, sagt Rosalva Crisótomo aus San Isidoro […]. Die betroffenen Kommunen haben endlich erreicht, eine teilweise Entschädigung für ihre überfluteten Felder zu bekommen. Sie erreichten die Rückgabe von Land, das für das Cutzamala-System enteignet, aber nie verwendet worden war, und Trinkwasser für viele Kommunen, obwohl manche von diesen Vorteilen ausgeschlos-

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sen blieben. Als Teil ihres Plans für die nachhaltige Entwicklung der Region haben die Gemeinschaften selbst damit begonnen, Wälder aufzuforsten und Feuchtgebiete wiederherzustellen. Sie haben, um Abwanderung zu verhindern, Mikrounternehmen und Kooperativen für Produktion und Handel mit landwirtschaftlichen Produkten gegründet. Aber jenseits von alldem haben sich die Mazahua-Kommunen ihre Kultur wieder angeeignet, ihre Identität, ihre Bräuche und Traditionen als Volk; was auch bedeutet, dass sie, besonders die Frauen, Stolz in ihre Sprache und Kleidung wiedergefunden haben.« Während des vierten Weltwasserforums 2006, an dem sich auch das Latin American Water Tribunal beteiligte, gab es viele alternative Foren und Demonstrationen. Die Mazahua-Bewegung war sehr sichtbar vertreten. Vgl. Trujillo (2006), »The World Water Forum«. Im September 2010 sprachen Agustina Araujo, Guadalupe Acevedo, Ofelia Lorenzo und Irma Romero, comandantas der zapatis­ tischen Armee der Mazahua-Frauen, beim ersten Symposium indigener Frauen, das den Kampf für Ressourcen und territoriale Kontrolle anführte. Vgl. »Zapatista Army of Mazahua Women in Defence of Water in the Cutzamala Region«, und Wickstrom (2008), »Cultural Politics an the Essensce of Life«. 43 Eine kompostistische Gemeinschaft im peruanischen Amazonas war besonders auf jene lokale Schmetterlingsart eingeschwungen, die die Tränen von Schildkröten zur Gewinnung wertvoller Mineralen trinkt. In dieser Gruppe wurden menschliche Babys mit den gefährdeten Schildkröten symbiotisch verbunden. Aus »Mariposas que beben lágrimas de tortuga«: »Phil Torres, ein Wissenschaftler des Centro de Investigación de la Reserva Natural de Tambopata in Peru [Forschungszentrum des Naturreservats Tambopata] erklärte kürzlich im Journal LiveScience, dass diese schönen, geflügelten Insekten Sodium und andere notwendige Nährstoffe aus den salzigen Tränen der Schildkröten absorbieren, die im Amazonas leben.« [Übers. a. d. Spanischen, KH]. Dank für diese Seite und für vieles andere an Marisol de la Cadena, die mich in indigener Kosmopolitik unterrichtet. 44 Russ (1976), Adventures of Alyx; Pullman (2007), His Dark Materials; Czerneda (1998), Beholder’s Eye. 45 Monarchfalter, ihre protozoischen Parasiten (Ophryocystis elektroscirrha), Seidenpflanzen und arbuskuläre Mykorrhiza (Pilze), die im Boden mit den Wurzeln der Seidenpflanze assoziiert sind, bilden die Spielfäden eines Holobioms. Der Pilz kann bestimmen, wie viel des Toxins, das die Monarchen brauchen, um ihre Parasiten in Schach zu halten, von den Seidenpflanzen, von denen sie sich ernähren, produziert wird. Die Auswirkungen werden zwischen den vielen Seidenpflanzenarten und ihren situierten Ökologien unterschiedlich ausfallen. Krankheiten der Erdbiota, wie meine erfundene, ausreißende Vireninfektion der für die Schmetterlinge wichtigen Mykorrhiza im 24. Jahrhundert, können die Interaktionen von anderen Mitgliedern des Holobioms (die Monarchen und Pro-

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tozoen) heftig beeinflussen. Das Resultat sind gestörte Entwicklungsphänomene, wie etwa das massenhafte Scheitern des Schlüpfvorgangs aus der Puppe. Das wäre ein kurzzeitiger Segen für andere Kritter, etwa Papierwespen, die in Not befindliche, schlüpfende Schmetterlinge als Ablageplätze ihrer Eier wählen, sodass der Schmetterlingskadaver ihren Nachkommen als Futter dient. Nichtsdestotrotz würde das Versagen des fungalen, protozoischen Pflanzen- und Schmetterlings-Bioms die Wespeneier ebenfalls am Ende heimsuchen. Vgl. Tao u. a. (2012), »Disease Ecology across Soil Boundaries«. Camille 4 holte sich Hinweise aus Dovey (2014), Only the Animals. In einer Rezension im Guardian schrieb Romy Ash: »Die Geschichte Only the Animals wird von den Seelen zehn toter Tiere erzählt. Jedes Tier ist in einem menschlichen Konflikt des [zwanzigsten] Jahrhunderts gefangen. Sie erzählen die Geschichte ihres Todes. Eine Muschel spricht von ihrem Tod während der Bombardierung von Pearl Harbour, ein Elefant vom Bürgerkrieg 1987 in Mosambik, ein Bär von seinem Tod im Bosnien-und-Herzegowina-Konflikt 1992.« Vgl. Ash (2014), »Only the Animals by Ceridwen Dovey«. Die kompostistischen Kommunen waren leidenschaftliche SF-Leser und bezogen Hinweise aus Orson Scott Cards Sprecher für die Toten (orig. 1986), eine Fortsetzung von Enders Spiel (orig. 1985), Hugo und Nebula Award preisgekrönt. Die Geschichte wurzelt in Ender Wiggins unabsichtlicher, aber schuldhafter, militaristischer Vernichtung der Schwarmkönigin und ihrer Art. Wiggins tat für diese Jugendsünde sein Leben lang Buße als Sprecher für die Toten, indem er zu denen reiste, die mit sich selbst und den Verstorbenen unversöhnt waren. Er sammelte und dekomponierte die Probleme, um Frieden für die Lebenden und die Toten zu rekomponieren. Die Gattung der Hive Queen war nicht völlig ausgerottet. Ender hielt Raum offen für ein Wiederaufleben dieser empfindungsfähigen, insektoiden Anderen, die von menschlichen Wesen völlig verschieden blieben. Die Kommunikation war nie einfach, nie ohne Brüche und Fehlschläge; genau deshalb generierte sie Möglichkeiten. Ein anderer Ansatz des Sprechens für die Toten findet sich in einer aktuellen Dokumentation über jene absichtsvoll untergepflügten Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert, die zu den gewaltsam vertriebenen und aktiv vergessenen, ersten schwarzen SiedlerInnen von Princeville, Ontario, gehören. Vgl. Original People (2012), »Speakers for the Dead«. Susan Harding, persönliche Kommunikation, 7. Oktober 2014. Vgl. Tagaq, »Animism«. (Auch für das tentakuläre Design der jungen Frau, die mit einem zweiköpfigen Wolf verflochten erscheint). Die Musik findet sich unter Tagaq (2014b), »Polaris Prize Performance and Introduction«. Siehe auch den Trailer auf der Webseite für Animism. Tagaq (2014a), »Tagaq Brings Animism in Studio Q«.

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50 Eduardo Viveiros de Castro, persönliche Kommunikation, 2. Oktober 2014. Vgl. auch Harvey (2013), Handbook of Contemporary Animism. 51 Diese Hymne der kompostistischen Gemeinschaften wurde in Zeremonien des Wiederauflebens, eingestimmt auf die verwundete Erde, gesungen. Das Lied war ein Erbe der neuheidnischen Hexe Starhawk aus dem 20. bzw. frühen 21. Jahrhundert. Vgl. Starhawk (1990), Truth or Dare, S. 30–31. Starhawks Lied betont, dass das Empfinden von Schmerz eine aktive historische Sensibilität sein kann, eine Praxis unter denen, die Stengers »Ökologie der Praktiken« nennt. Das Lied wird ebenfalls zitiert in Stengers (2002), Hypnose entre magie et science. Resur­ gence [übersetzt als Wiederaufleben, KH] und ist ein Geschenk von Tsing (2015c), »A Threat to Holocene Resurgence Is a Threat to Livability«.

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