Umwelt des Neuen Testaments, 10. durchgesehene Auflage [10., durchgesehene Auflage] 9783525513606

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Umwelt des Neuen Testaments,  10. durchgesehene Auflage [10., durchgesehene Auflage]
 9783525513606

Table of contents :
Einführung 5
I. Teil: Das J u d e n t u m in der Zeit des Neuen Testaments
1. Kapitel: Die politische Geschichte des Judentums in der hellenistischen
Zeit
1. Palästina unter der Herrschaft der Perser 7
2. Palästina unter Alexander d. Gr. und der Herrschaft Ägyptens . 10
3. Palästina unter der Herrschaft Syriens und der makkabäische Freiheitskampf
12
4. Das Königtum der Hasmonäer 18
5. Palästina unter der Herrschaft der Römer 21
6. Der jüdische Krieg und der Aufstand unter Bar Kochba . . . . 31
2. Kapitel: Religiöse Bewegungen und geistige Strömungen im
Judentum zur Zeit des Neuen Testaments
a) Die Apokalyptik 37
1. Die Grundstruktur der Apokalyptik 37
2. Das apokalyptische Schrifttum 45
b) Gruppen und Gemeinschaften im palästinischen Judentum . . . 51
1. Die Sadduzäer 51
2. Die Pharisäer 53
3. Die Zeloten 58
4. Die Essener 59
5. Die Therapeuten 62
6. Die Gemeinde von Qumran 63
7. Die Schriftgelehrten 82
c) Das Judentum in der Diaspora 86
1. Die jüdische Diaspora in der hellenistischen Welt 86
2. Die Septuaginta 92
3. Philo von Alexandria 97
4. Josephus 101
3. Kapitel: Jüdisches Leben und jüdischer Glaube in der Zeit des
Neuen Testaments
1. Die sozialen Verhältnisse der Juden in Palästina und in der Diaspora
106
2. Der Tempelkult in Jerusalem 109
3. Die Feste 113
4. Die Synagoge 115
5. Schrift, Gesetz und Tradition 121
6. Gott und Mensch 130
7. Das zukünftige Heil 137
II. Teil: Die hellenistisch-römische Umwelt des Neuen Testaments
1. Kapitel: Politik und Gesellschaft im Römischen Reich im ersten
Jahrhundert n. Chr.
1. Das Römische Reich unter der Herrschaft der Caesaren . . . . 145
2. Die sozialen Verhältnisse im Römischen Reich im ersten Jahrhundert
n. Chr 153
3. Der Kaiserkult 159
2. Kapitel: Religiöse Bewegungen und geistige Strömungen in der
hellenistisch-römischen Welt zur Zeit des Neuen Testaments
1. Die Götter der Griechen und Römer 163
2. Volksglaube und Schicksalsvorstellung 167
3. Die Mysterienreligionen 171
4. Die Popularphilosophie 179
3. Kapitel: Die Gnosis
1. Die Grundstruktur der Gnosis 187
2. Das Corpus Hermeticum als Zeugnis vorchristlicher Gnosis . . 194
3. Die Ausbreitung der Gnosis im ersten Jahrhundert n. Chr . . . 198
Schluß 205
Literaturverzeichnis 207
Zeittafel 215
Register 218
a) Namenregister 218
b) Sachregister 219
c) Register der neutestamentlichen Stellen 220
Anhang: 2 Karten und 2 Übersichten am Schluß

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Grundrisse zu m Neue n Testamen t 1

V&R

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513606 — ISBN E-Book: 9783647513607

Grundrisse zum Neuen Testamen t Das Neue Testament Deutsc h • Ergänzungsreihe Herausgegeben vo n Karl-Wilhelm Niebuh r und Samue l Vollenweide r Bandl Umwelt de s Neuen Testament s

Göttingen • Vandenhoeck & Ruprech t • 2000

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Umwelt de s Neuen Testament s von Eduard Lohs e

Mit zwe i Karte n un d zwe i Übersichten i m Anhan g sowie einer Skizz e im Text

10., durchgesehen e Auflag e

Göttingen • Vandenhoeck & Ruprech t • 2000

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lohse, Eduard: Umwelt de s Neuen Testaments / von Eduar d Lohse . 10., durchges . Aufl. Göttingen: Vandenhoec k un d Ruprecht , 200 0 (Grundrisse zum Neue n Testament; Bd . 1 ) ISBN 3-525-51360- 7 NE:GT © 1971 , 2000 Vandenhoec k & Ruprecht , Göttinge n http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed i n Germany. - Da s Werk einschließlich alle r seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt . Jede Verwertung außerhal b der engen Grenze n de s Urheberrechtsgesetzes is t ohn e Zustimmung de s Verlages unzulässig und strafbar . Das gilt insbesondere fü r Vervielfältigungen, Übersetzungen , Mikroverfilmung un d di e Einspeicherung un d Verarbeitung in elektronischen Systemen . Satz: Dörlemann-Satz, Lemförd e Druck un d Bindearbeit : Huber t & Co. , Göttinge n

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Einführung „Als di e Zeit erfüll t war " - s o schreibt de r Apostel Paulu s - „sandt e Got t seinen Sohn , gebore n vo n eine r Fra u un d unte r da s Geset z getan " (Gal.4,4) . Wie ein Gefä ß bi s zum Ran d gefüll t wird , s o war da s Maß de r Zei t voll , al s der Soh n Gotte s i n di e Welt kam . Luthe r bemerk t i n eine r Vorlesung , di e er 1516/17 übe r de n Galaterbrie f gehalte n hat , z u diese r Stelle , nich t di e Zei t habe e s bewirkt , da ß de r Soh n gesand t wurde , sonder n umgekehrt : Di e Sendung de s Sohne s führt e di e Zei t de r Erfüllun g herauf . Di e Zeit , i n de r Jesus vo n Nazaret h predigt e un d da s Evangeliu m unte r Jude n un d Grieche n zum erstenma l ausgerufe n wurde , zeichnet e sic h nich t etw a dadurc h vo r allen andere n Jahrhunderte n de r menschliche n Geschicht e aus , da ß di e Menschen damal s i n besondere r Weis e au f dies e Botschaf t vorbereite t ge wesen wären . Si e erhielt vielmeh r ihr e Prägun g durc h jene s Geschehen , vo n dem da s Evangeliu m Kund e gibt . Di e Menschen , di e Jesu s begegneten , di e die Bote n Christ i hörte n un d Gliede r de r erste n Gemeinde n wurden , ware n Menschen wi e all e andere n auch . Si e hatte n ihr e täglich e Arbei t z u verrich ten, si e lebte n al s Männe r un d Frauen , al s Kinde r un d Alte , Reich e un d Arme. Sie kannten Sorg e und Leid , abe r auc h Freud e un d Glück , si e fragte n nach de m Sin n ihre s Leben s un d suchte n nac h eine r gültige n Antwor t au f diese letzt e Frage . Dies e Antwor t wil l da s Evangeliu m geben : Got t sandt e seinen Sohn , de r vo n eine r Fra u gebore n wurd e un d da s menschlich e Ge schick durchlebt e bi s zu m Tode , „dami t e r die , die unte r de m Geset z waren , erlöste, dami t wi r di e Kindschaf t empfingen " (Gal.4,5) . Jesus vo n Nazaret h wurd e gebore n unte r de r Regierun g de s Kaiser s Augustus ; I k.2,1). „I m fünfzehnte n Jah r de r Herrschaf t de s Kaiser s Tibe rius, al s Pontiu s Pilatu s Statthalte r i n Judäa , Herode s Tetrarc h i n Galilä a und sei n Bruder Philippu s Tetrarc h i n Iturä a un d i n de r Landschaf t Tracho nitis un d Lysania s Tetrarc h z u Abilen e war , al s Hannas un d Kaipha s Hohe priester waren " (Lk.3,1) , tra t Johanne s de r Täufe r i n de r Wüst e au f un d begann bal d darau f Jesu s vo n Nazaret h öffentlic h z u predigen. Seine Predig t enthielt ebensoweni g wi e di e urchristlich e Verkündigun g di e Mitteilun g allgemeiner Wahrheiten , di e ohn e jede n Bezu g au f di e Lag e de r Höre r weitergegeben werde n könnten , sonder n di e Mensche n wurde n d a ange sprochen, w o si e mitte n i n ihre m Lebe n standen . Ihr e Sorge n wurde n i n de r ihnen geläufige n Sprach e bedacht , ihr e Frage n mi t de n ihne n vertraute n Worten beantwortet . Wei l da s Evangeliu m a n eine m bestimmte n Or t un d zu eine r bestimmte n Zei t de r Geschicht e zu m erstenma l lau t geworde n ist , ist e s fü r da s sachgemäß e Verständni s seine r Botschaf t unerläßlich , nich t nur di e Sprachen , i n dene n ma n damal s redet e - Hebräisch , Aramäisc h un d Griechisch - z u studieren , sonder n auc h di e politische n Verhältnisse , di e Lebensbedingungen un d Gebräuch e jene r Menschen , ihr e Hoffnunge n un d

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Einführung

Erwartungen, ihr e Vorstellunge n un d Ansichte n s o gena u wi e möglic h i n Erfahrung z u bringen . J e genaue r wi r darübe r Beschei d wissen , w o di e Menschen vo n de r christliche n Verkündigun g angetroffe n wurde n un d wi e man da s Evangeliu m verstan d un d weitertrug , u m s o besse r wir d e s un s gelingen, den Inhal t diese r Botschaf t au s de r Redeweis e un d de n Vorstellun gen de r alte n Wel t i n die Sprache unserer Zei t zu übersetzen . Die Umwel t de s Neue n Testament s biete t ei n überau s bunte s Bild . I n de r Zeit de s Hellenismu s begegnete n di e Grieche n de n Völker n de s alte n Orients, trafe n Os t un d Wes t aufeinander , kame n ihr e Religione n un d Kul turen i n enge Berührung. Au s de r reiche n Füll e dieser Wel t de r ausgehende n Antike sol l hie r zu r Darstellun g kommen , wa s fü r da s Verständni s de s Neuen Testament s unmittelba r vo n Belan g ist . Dahe r kan n ebensoweni g auf di e griechisch e Geschicht e i m einzelne n wi e au f kulturgeschichtlich e Probleme de s Vordere n Orient s i m besondere n ausführlic h eingegange n werden. Di e Aufgab e bleib t vielmeh r stren g darau f bezogen , eine n Beitra g zum Verständni s de s Neue n Testament s z u leisten . Jesus , sein e Jünge r un d die erste n Christe n ware n Juden . Alsbal d abe r dran g da s Evangeliu m übe r die Grenze n Palästina s hinau s i n di e hellenistisch-römisch e Umwelt . Beid e Bereiche - da s Judentu m au f de r eine n un d di e hellenistisch-römisch e Um welt au f de r andere n Seit e - lasse n sic h nich t schar f voneinande r scheiden . Denn sei t de r Zei t Alexander s d . Gr . stan d auc h Palästin a unte r starke n hellenistischen Einflüssen , di e sic h überal l i m Land e un d selbs t i n Jerusale m kräftig auswirkten . D a di e christliche n Gemeinden , di e sic h i n rasche r Folg e rings u m da s Mittelmee r bildeten , vielfac h au s Kreise n hellenistische r Syna gogen un d ihre s Anhang s hervorgingen , ha t da s früh e Christentu m da s griechische Erb e un d sein e hellenistisch e Fortentwicklun g zumeis t durc h di e Vermittlung des hellenistischen Judentum s kennengelernt . Die Überlieferun g von Jesu s vo n Nazaret h is t nich t i n aramäischen , sonder n i n griechische n Worten aufgezeichnet , di e Brief e de s Apostel s Paulu s sin d wi e di e Evange lien i n griechische r Sprach e abgefaß t worden . Somi t gib t da s Neu e Testa ment selbs t Zeugni s vo n de r überau s weitreichende n Bedeutun g de s Helle nismus für Palästina , de n Vordere n Orien t un d de n ganzen Mittelmeerraum . Die Schrifte n de s Neue n Testament s sin d zugleic h di e wichtigst e Quell e fü r das Verständni s seine r Umwelt ; den n si e enthalte n zeitlic h gena u z u da tierende Angabe n übe r di e Verhältniss e i n Palästin a un d i m Römische n Reich, di e durc h Vergleic h mi t de r zeitgenössische n Literatur , Inschrifte n und unliterarische n Dokumente n sowi e de n Entdeckunge n de r Archäologi e näher z u beschreibe n un d z u veranschauliche n sind . Band 8 de r Grundriss e zu m Neue n Testamen t enthäl t ei n Textbuc h zu r neutestamentlichen Zeitgeschichte , herausgegebe n vo n H.G . Kippenber g un d G. A. Wewers (1979). Auf Vergleichstexte, die zum Verständnis der Umwelt des Neuen Testament s heranzuziehe n sind , wir d i n diese m Ban d jeweil s hinge wiesen mi t de m Vermerk : vgl . Kippenber g - Wewers .

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I.TEIL

Das Judentum i n de r Zeit de s Neuen Testament s I. KAPITEL

Die politische Geschicht e de s Judentum s in der hellenistischen Zei t Das Judentu m zu r Zei t de s Neue n Testament s is t Erb e seine r wechsel vollen Geschicht e i n de n vergangene n Jahrhunderten . Ebens o wi e di e ihne n benachbarten Völke r stande n auc h di e Jude n jeweil s unte r de r Oberherr schaft de r Großmächte, die nacheinander de n Vordere n Orien t regierten , de n kleinen Völkerschafte n zeitweis e ei n ziemlic h unbehinderte s Eigenlebe n ermöglichten, bisweile n abe r auc h gewaltsam eingriffe n un d ihr e Lebensfor m zu bestimme n suchten . Jed e diese r sic h ablösende n Mächt e ha t di e Ge schichte de s Lande s un d seine r Bewohne r nachhalti g beeinflußt , s o da ß ihre Auswirkunge n i n neutestamentliche r Zei t deutlic h erkennba r sind . Daher kan n di e Lage , i n de r sic h da s Judentu m zu r Zei t Jes u befand , nu r auf de m Hintergrun d de r geschichtliche n Vergangenheit , durc h di e e s ge prägt wurde , zutreffen d beschriebe n werden . 1. Palästina unter der Herrschaft der Ferser Die Geschicht e de s Judentum s beginn t mi t de r Zei t de s babylonischen Exils. Di e zeh n i m Norde n de s Lande s angesiedelte n Stämm e Israel s ware n nach de r Zerstörun g Samaria s durc h di e Assyrer 72 2 v. Chr. untergegangen . Judäa wa r 58 7 v . Chr . endgülti g vo n de n Babylonier n erobert , Jerusale m zerstört un d di e Oberschich t de r Bevölkerun g nac h Babylo n deportier t wor den. Di e i n di e Fremd e verschleppte n Judäe r konnte n i n Babylo n beieinan der bleibe n un d dor t de n Glaube n a n de n Got t Israel s bewahren . Wa r e s ihnen versagt , de n Tempelkul t fortzuführen , s o hielte n si e doc h a m Geset z ihres Gotte s fes t un d befolgte n da s Gebot de s Sabbats un d de r Beschneidun g als Zeichen, a n dene n Israe l sic h ständi g seine r Aussonderun g au s alle n Völ kern bewuß t wird . Dadurc h wurd e di e geistige und geistlich e Voraussetzun g dafür geschaffen , da ß nac h de m End e de r babylonische n Herrschaf t ei n neuer Anfan g i m Lan d de r Väte r gemach t werde n konnte . Die Wende ka m mi t de m Siegeszu g des persischen König s Kyrus, de r de m neubabylonischen Reic h mi t gewaltige n Schläge n ei n End e bereitete . 53 9

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Eduard Lohse , Umwelt des Neuen Testament s

v. Chr. zog er al s Sieger in Babylon ei n und wurd e damit Herrsche r nich t nu r über da s Zweistromland , sonder n auc h übe r Syrie n un d Palästina . Gegen über de n fremde n Völkern , di e unte r ihr e Herrschaf t kamen , verfolgte n di e Perser ein e ander e Politik , al s si e vo r ihne n di e Assyre r un d Babylonie r betrieben hatten . Diese hatten nac h de r Eroberung der Länder ganze Völker schaften verpflanz t ode r zumindes t di e Oberschich t deportiert ; si e hatte n überall ihre n Kul t al s Staatsreligio n durchgesetzt . Di e Perse r dagege n er zwangen wede r größer e Umsiedlunge n noc h verlangte n sie , daß überal l ein e einzige Staatsreligio n anerkann t werde n müsse . Si e knüpfte n vielmeh r a n die jeweil s gegebene n örtliche n Verhältniss e an , ließe n di e Eigenarte n de r Völker bestehen , gestatteten , da ß si e weiterhi n ihre m Herkomme n ent sprechend lebten , un d suchte n si e au f dies e Weis e fü r sic h z u gewinnen . Für de n amtliche n Verkeh r bedient e sic h di e persisch e Regierun g nich t de r eigenen, sonder n de r aramäische n Sprache , di e i n Syrie n un d Palästin a wei t verbreitet war . Dies e Politi k de r Perse r bo t auc h de r Judenschaf t di e Mög lichkeit, ih r Eigenlebe n mi t ausdrückliche r Unterstützun g de r Regierun g z u entfalten. Alsbal d nac h de r Eroberun g Babylon s verfügt e de r Köni g Kyru s in eine m Erlaß , da s Hau s Gotte s i n Jerusale m wiede r aufzubaue n un d di e Gerätschaften zurückzugeben , di e Nebukadneza r au s de m Tempe l fort genommen hatt e (Esr a 6,3-5) . Vermutlic h habe n jedoc h zunächs t nich t all zu viel e de r i m Exi l lebende n Jude n vo n de r Erlaubni s Gebrauc h gemacht , in di e Heima t zurückzukehren . Un d di e jüdisch e Restbevölkerun g i n Pa lästina lebt e i n s o bescheidene n Verhältnissen , da ß de r Wiederaufba u de s Tempels nu r langsa m un d mühsa m i n Gan g gesetz t wurde . Im fünfte n Jahrhunder t ginge n vo n de n Juden , di e i m Zweistromlan d geblieben waren , stark e Anstöß e zu m Ausba u de r jüdische n Gemeind e i n Jerusalem aus . I m Auftra g de s Großkönig s kame n nacheinande r Nehemi a und Esr a nac h Palästina , u m di e Verhältniss e z u ordnen . Nehemi a sorgt e dafür, da ß Jerusale m mi t befestigte n Mauer n umgebe n wurde , un d nah m den Judäer n da s eidlich e Verspreche n ab , kein e Ehe n mi t Angehörige n de r fremdstämmigen Nachbarvölke r einzugehen . Esr a lehrt e sein e Einwohne r das Geset z un d setzt e e s au f Anordnun g de s König s i n Kraft . Mi t hohe r Wahrscheinlichkeit kan n angenomme n werden , da ß diese s Geset z di e fün f Bücher Mose , d.h . de n Pentateuch , umfaßte , i n dene n di e alte n Überliefe rungen Israel s gesammel t un d geordne t waren . Inde m di e Judäe r darau f verpflichtet wurde n un d ei n königlicher Erla ß da s Gesetz bestätigte , galt nu n das Geset z Israel s al s persische s Landrech t i n Jerusale m un d Judäa . De r Kultus de r jüdischen Gemeind e stan d dahe r unte r de m Schut z der persische n Regierung, s o da ß si e ih r Lebe n nac h de n Vorschrifte n de s Gesetze s unge hindert entfalte n konnte . Diese Entwicklun g rie f be i de n umwohnende n Nachbar n un d insbeson dere de n Einwohner n Samarias Nei d un d Mißguns t hervor . I m Norde n Palästinas ware n nac h de r Eroberun g durc h di e Assyre r fremd e Siedle r seßhaft geworden , di e sic h mi t de r verbliebene n Bevölkerun g vermischte n (2.Kön. 17). Dere n Nachkomme n verehrte n zwa r Jahw e al s de n Got t de s

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Die politisch e Geschicht e de s Judentum s i n de r hellenistische n Zei t 9

Landes, de r de m Bode n Fruchtbarkei t un d Gedeihe n verleiht , wurde n abe r von de n Jude n nich t al s recht e Israelite n anerkannt . Dahe r sondert e sic h die Jerusaleme r Gemeinde , di e durc h Nehemi a un d Esr a daz u angehalte n worden war , kein e Verbindunge n mi t andere n Völker n einzugehen , vo n ihnen ab und pflegte keine n Austausc h und Verkeh r mi t ihnen. Diese schroff e Trennung un d di e stark e Privilegierun g Jerusalem s durc h de n Großköni g schufen unte r de n Leute n i m Gebie t vo n Samari a Verbitterung , di e z u wachsender Entfremdun g zwische n Norde n un d Süde n un d schließlic h de r politischen Trennun g de r Provinze n Samari a un d Judä a führte . Sowei t di e samaritanische Bevölkerun g Jahw e al s de n Got t Israel s verehrte , wa r si e gehalten, nac h Jerusalem , i n di e Hauptstad t de r benachbarten , ih r abe r unfreundlich gegenüberstehende n Provinz , z u gehen , u m dor t a m Tempe l zu opfer n un d anzubeten . Dies e Entwicklun g lie ß dahe r be i de n Samarita nern de n Wunsc h aufkommen , ei n eigene s Heiligtum z u errichten, durc h da s sie von Jerusale m unabhängi g würden . Zunächst habe n als o di e Samaritaner noc h zu r Jerusaleme r Kultgemeind e gehört; den n nu r s o is t es erklärlich, da ß di e Samaritaner mi t de n Jude n di e fünf Büche r Mos e al s heilig e Schrif t gemeinsa m haben , nich t jedoc h di e übrigen Teil e des alttestamentlichen Kanons , die prophetischen Schrifte n un d die poetische n Bücher . E s mu ß als o nac h Abschlu ß de s Pentateuc h un d vo r der endgültige n Festlegun g de r kanonische n Grenze n de r übrige n Teil e de s Alten Testaments (vgl . S. 121-123) zu r Trennung zwische n Jude n un d Sama ritanern gekomme n sein . Zwa r berichte t de r jüdisch e Geschichtsschreibe r Josephus, di e Samaritane r hätte n ers t unte r Alexande r d . Gr . di e Genehmi gung zu r Errichtun g eine s Tempel s au f de m Garizi m erhalte n (Jüdisch e Altertümer XIII, 74-79), wahrscheinlich abe r wir d de r Ba u ihre s Heiligtum s schon einig e Zei t frühe r erfolg t sein . D a da s Perserreic h vo r seine m Unter gang starke n Erschütterunge n ausgesetz t war , wir d e s i n diese r Zei t a m ehesten möglic h gewese n sein , di e Zustimmun g de s Großkönig s zu m Ba u der heilige n Stätt e de r Samaritane r z u erwirken . Volle r Stol z wiese n di e Samaritaner darau f hin , da ß nich t Jerusalem , woh l abe r ih r heilige r Ber g Garizim i m Geset z de s Mos e ausdrücklic h genann t se i (5.Mos e 11,29 ; 27,12 f.). Seit di e Samaritane r ih r eigene s Heiligtu m besaßen , herrscht e bitter e Feindschaft zwische n ihne n un d de n Juden , s o da ß e s a m End e z u kriege rischen Auseinandersetzunge n ka m un d di e Jude n i m Jahr e 12 8 v . Chr . unter Johanne s Hyrka n de n Tempe l au f de m Garizi m zerstörten . Obwoh l er vo n de n Samaritaner n nich t wiederaufgebau t werde n konnte , hielte n si e doch unbeirr t a m Garizi m al s ihrer heilige n Stätt e fest . Noc h heut e feier t di e kleine samaritanisch e Gemeind e a n diese r Stell e alljährlic h da s Passafes t nach de m vo n ihne n bewahrte n uralte n Brauch . Zur Zei t Jes u verkehrte n Jude n un d Samaritane r nich t miteinande r (Joh.4,9). Si e galte n de n Jude n al s fremdstämmi g (Lk . 17,18). Samaritane r wurde al s Schimpfwor t gege n jemande n verwendet , de n ma n fü r verrück t hielt (Joh.8,48) . Wollte n jüdisch e Festpilge r durc h samaritanische s Gebie t

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Eduard Lohse , Umwelt de s Neuen Testament s

nach Jerusale m ziehen , s o mußte n si e mi t Behinderunge n un d feindliche n Handlungen au f de m Weg e rechne n (Lk . 9,51-56). Die Samaritane r beriefe n sich zwa r au f di e Erzväte r al s ihr e Vorfahre n (Joh.4,12) , abe r diese n An spruch ließe n di e Jude n nich t gelten . Jesu s führ t nich t di e Ta t eine s Juden , sondern di e eines Samaritaners al s Beispiel für selbstlo s erwiesen e Nächsten liebe a n (Lk . 10,30-37). Un d vo n eine m Samaritaner , nich t abe r vo n eine m Juden wir d erzählt , da ß e r nac h de r Heilun g vo m Aussat z Got t di e Ehr e gab (Lk . 17,11-19). Nach anfängliche m Zöger n (Mt . 10,5 f.) überwan d auc h die Urgemeind e alsbal d di e Trennung , di e zwische n Jude n un d Samarita nern bestand , un d tru g da s Evangeliu m nac h Samari a hinau s (Apg . 8,4-25). Die alt e Streitfrage , o b ma n au f de m Garizi m ode r i n Jerusale m anbete n solle (Joh.4,20) , wa r nu n hinfällig ; „den n Got t is t Geist , un d di e ih n an beten, die müssen ih n i m Geis t un d i n der Wahrheit anbeten " (Joh.4,24) . 2. Palästina unter Alexander d. Gr. und der Herrschaft Ägyptens In de r Schlach t be i Issu s (33 3 v . Chr. ) bezwan g Alexander d. Gr. de n Perserkönig Dariu s II L un d öffnet e sic h durc h diese n Sie g de n We g übe r Syrien un d Palästin a nac h Ägypten . De m rasche n Vormarsc h de r makedo nischen Streitmach t konnt e nu r geringe r Widerstan d entgegengesetz t wer den. Di e stark e Inselfestun g Tyru s konnt e sic h zunächs t behaupten , bi s si e nach siebenmonatige r Belagerun g kapituliere n mußte ; Gaz a hiel t sic h zwe i Monate lang , dan n fiel auc h dies e Stadt . Nac h Überwindun g diese r Hinder nisse konnt e Alexande r a n de r Küst e de s Mittelmeer s entlan g geradeweg s nach Ägypte n marschieren . Mi t de r Eroberun g un d Besetzun g de s Binnen landes hiel t sic h de r siegreich e Köni g nich t lang e auf , sonder n überlie ß dies e Aufgabe seine n Generälen . Judä a unterwar f sic h de m Feldherr n Parmenio , ohne da ß ma n versuchte , Widerstan d z u leisten . Samaria , de r Sit z de s per sischen Statthalters , wurd e vo n Perdikka s un d seine n Soldate n erobert . Di e Juden ware n tie f beeindruck t vo n de r Schlagkraf t de s griechische n Heere s und erkannte n ohn e Zöger n di e überlegen e Mach t de r neue n Herre n an . Da di e Jude n sic h friedlic h gefüg t hatten , wurde n ihne n di e Rechte , di e si e unter persische r Herrschaf t besaßen , weiterhi n gewährt . Di e Jerusaleme r Gemeinde konnt e wi e bishe r ihre n Kul t ungehinder t ausüben . Wenn sic h auc h durc h de n Wechse l de r Herrschaf t a n de r Rechtslag e de r jüdischen Gemeind e äußerlic h kau m etwa s änderte , s o wirkt e sic h doc h u m so tiefgreifende r de r Wande l aus , de r mi t de m Einzu g de r Griechen i m ganzen Lan d vo r sic h ging . Zwar ware n einzeln e griechisch e Händler , Kauf leute und Reisend e scho n i n früheren Zeite n nac h Palästin a gekommen , jetz t aber gelangte n Hande l un d Lebensweis e de r Grieche n überal l in s Land . Die Völke r de s Vordere n Orient s öffnete n sic h de m griechische n Einfluß , den Umgangsforme n de r Griechen , ihre r Kultu r un d ihre m Geistesgut , s o daß di e Nachfahren de r alte n Phönizie r un d Philiste r ihr e Sprache aufgaben , das Griechisch e annahme n un d dami t i n de r Wel t de s Hellenismu s s o voll ständig aufgingen , da ß sie.ih r Eigenlebe n verloren . Griechisch e Siedlunge n

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und Städt e wurde n gegründet , abe r auc h i n de n bestehende n Städte n ließe n sich Griechen nieder . Die bezwungene Festung Tyrus wurd e mi t Griechen ne u besiedelt; di e Stad t Samaria , di e Widerstan d geleiste t hatte , erhiel t make donische Einwohner . Viel e Städt e gabe n sic h nich t nu r eine n griechische n Namen, sonder n auc h griechisches Stadtrecht. Forta n lebte n dahe r di e Jude n in Palästin a i n unmittelbare r Nachbarschaf t vo n Griechen , di e ihr e Sprach e als Verkehrssprach e durchsetzten . We r si e nich t z u rede n verstand , gal t al s Barbar. Viel e Juden erlernte n di e Sprache der Fremden , di e in alle n Ländern , die Alexande r d . Gr . i n seine m Siegeszu g erreich t hatte , gesproche n wurde , so da ß i n neutestamentliche r Zei t viel e Mensche n i n Palästin a da s Grie chische verstehen un d spreche n konnten . Wen n ma n mi t de n Vertreter n de r römischen Besatzungsmach t z u tu n hatte , konnt e ma n sic h au f Griechisc h verständigen. Al s Paulu s i n Jerusale m verhafte t worde n wa r un d sic h vo r der Volksmeng e verantworte n wollt e - s o berichtet di e Apostelgeschichte - , war ma n überrascht , da ß e r hebräisc h bzw . aramäisc h un d nich t griechisc h redete (Apg.22,2) . Offenbar hätt e ma n da s eine wie das ander e ohne Schwierigkeiten verstehe n können . Mit de r Sprach e ka m auc h hellenistisch e Zivilisatio n i n da s Land ; den n die griechische n Siedle r brachte n ihr e Lebensforme n mi t un d hielte n a n ihnen fest . Griechisch e Baute n entstanden , Theate r un d Therme n wurde n i n den Städte n errichtet , i n Gymnasie n wurd e Spor t getrieben . Griechische Sitte bürgert e sic h ein , inde m ma n sic h bei m festliche n Mah l z u Tisc h legt e (vgl. Mk. 14,18 Par . 2 2 Par.). Man ka m i n de n Genu ß de r vo n de n Grieche n hochentwickelten ärztliche n Kuns t (Mk.5,2 6 Par.) . Wi e di e Grieche n eine n Gedankengang i m Gespräc h entfaltete n un d durc h da s Wechselspie l vo n Frage un d Antwor t di e Lösun g de s Problem s z u finden suchten , s o lernte n nun di e Juden , z u diskutiere n un d i m Lehrgespräc h di e Wahrhei t de s gött lichen Willen s z u erfrage n un d z u klären . Dies e Beispiel e zeigen , wi e auc h die Jude n sic h de n neue n Verhältnisse n anzupasse n un d sic h i n ihne n zu rechtzufinden wußten . Di e Sympathie , di e ma n fü r di e überlegen e Kultu r und Zivilisatio n de r Grieche n i n manche n jüdische n Kreise n empfand , gin g so weit , da ß e s i m zweite n Jahrh . v . Chr . i n Jerusale m Jude n gab , di e alle n Ernstes de r Meinung waren, si e seien mit den Spartaner n verwandt , di e ihrer untadeligen Gesetz e wege n berühm t waren . I m 1 . Makkabäerbuc h is t vo n einem Brie f di e Rede , de n Areus , de r Köni g vo n Sparta , a n de n Hohen priester Onia s geschriebe n habe n soll ; dari n heiß t es , ma n hab e i n eine r alten Schrif t gefunden , di e Spartaner un d di e Juden seie n Brüder und stamm ten beid e au s de m Geschlech t Abraham s (l.Makk . 12,21). Dies e Entwick lung hätt e durchau s daz u führe n können , da ß auc h Jerusale m un d Judä a wie da s Lan d de r Phönizie r un d Philiste r vollkomme n hellenisier t worde n wäre. Da s vo n de n Väter n überkommen e Geset z aber , da s i n hebräische r Sprache niedergeschriebe n war , verpflichtet e di e Gemeind e dazu , de n alte n Glauben z u bewahren , nac h de m Geset z Mose s de n Gottesdiens t z u verrich ten un d sic h desse n bewuß t z u bleiben , da ß de r Got t Israel s sei n Vol k au s allen Völker n ausgesonder t hatte .

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Der jäh e To d Alexander s d . Gr. , de r 32 3 v . Chr . i m Alte r vo n 3 3 Jahre n starb, hatt e zu r Folge , da ß da s rasc h zusammengebracht e riesig e Reic h i n politische Wirre n gestürz t wurde . Da di e Feldherren de s König s sic h u m da s Erbe stritten , zerbrac h di e Einhei t de s Reiches . Der i n Ägypte n residierend e Statthalter Ptolemäu s ließ Palästina besetze n und brachte es zunächst i n sein e Gewalt. Antigonu s aber , de r i n Syrie n regierte , machte Palästin a de m Ptole mäus streiti g un d entri ß ih m da s Lan d (31 5 v . Chr.) . Al s jedoc h Antigonu s fast da s ganz e alt e Perserreic h gewinne n konnte , mißgönnte n ih m di e übri gen ehemaligen Statthalte r Alexander s de n Erfolg un d wandte n sic h gemein sam gege n ihn . Ptolemäu s gelan g e s infolgedessen , erneu t di e Herrschaf t über Palästin a un d de n südlichen Tei l von Syrie n zu erhalten. Dami t wa r di e Entscheidung für di e nächsten hunder t Jahr e gefallen. Palästina , das in seiner Geschichte scho n s o of t zu m Zankapfe l zwische n de n Großmächte n i n Ägypten un d i m Zweistromlan d geworde n war , stan d unte r de r Ober herrschaft Ägyptens , da s nu n ei n hellenistische r Staa t war , s o da ß de r helle nistische Einflu ß i n Palästin a unveränder t wirksa m blieb . Wie di e Perse r un d Alexande r d . Gr . habe n sic h offensichtlic h auc h di e Ptolemäer nich t i n di e innere n Angelegenheite n de r Jerusaleme r Kult gemeinde eingemischt . Di e Leitun g de r Judenschaf t la g i n de r Han d de s Hohenpriesters, de r ihr e Belang e mi t Billigun g de r hellenistische n Herrsche r Ägyptens ordne n un d lenke n konnte . Ih m stande n Prieste r un d Älteste , di e Häupter de r einflußreiche n Familie n Jerusalems , i m Synedriu m zu r Seite . Seit wan n e s dies e oberst e jüdisch e Behörd e gab , is t nich t mi t Sicherhei t festzustellen. Zwa r könnt e ih r Ursprun g noc h i n di e persisch e Zei t zurück reichen, abe r ers t fü r di e hellenistisch e Zei t is t si e eindeuti g bezeugt . I m ersten Jahrhunder t v . Chr . kame n z u de n Priester n un d Älteste n al s dritt e Gruppe di e Schriftgelehrte n hinz u (vgl . S.20) . I n diese r Zusammensetzun g wird da s Synedriu m häufi g i m Neuen Testament , vo r alle m i n de r Passions geschichte, erwähn t (Mk . 10,33 Par. ; 11,2 7 Par. ; 14,4 3 Par . u . ö.) . Wen n gelegentlich nu r zwe i Gruppe n genann t sin d - di e Oberprieste r un d Schrift gelehrten (Mk . 11,18 Par. ; 14, 1 Par . u . ö. ) bzw . di e Oberprieste r un d Ältesten (Mt . 21,45; 26,3.47 u. ö.) - ode r nu r di e Oberprieste r al s Repräsen tanten de s Synedrium s angeführ t werde n (Mk . 14,55 Par . u . ö.) , s o is t doc h immer di e oberst e jüdisch e Behörd e gemeint , di e unte r de m Vorsit z de s Hohenpriesters zusammentrat , u m all e weltliche n un d geistliche n Ange legenheiten z u ordnen , di e di e jüdisch e Bevölkerun g betrafen . 3. Palästina unter der Herrschaft Syriens und der makkabäische Freiheitskampf Nach eine m erste n vergebliche n Versuc h gelan g e s u m di e Wend e vo m dritten-zum zweite n Jahrhunder t de m syrische n Köni g Antiochus III. (223187 v . Chr.) , Palästin a de n Ägypter n z u entreißen . Di e Ptolemäe r mußte n sich zurückziehe n un d da s Lan d de n Syrer n überlassen . D a di e Jude n recht zeitig erkann t hatten , da ß di e Waagschal e sic h zugunste n de r Syre r neigte ,

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und sic h währen d de r Streitigkeite n au f dere n Seit e geschlagen hatten , wur den si e vo n de n Syrer n nac h ihre m Sie g entgegenkommen d behandelt . Di e Kriegsschäden, di e Jerusale m währen d de r Kämpf e erlitte n hatte , sucht e man z u heilen , un d z u de n bisherige n Rechte n wurde n weiter e Privilegie n verliehen: De r fü r de n Tempelkul t benötigt e Bedar f sollt e bi s z u eine r be stimmten Höh e au s de r Staatskass e bestritte n werden , de n Mitglieder n de s Ältestenrates un d de n Schriftgelehrte n wurd e Steuerfreihei t gewährt . Doch di e freundliche n Verhältniss e sollte n nich t lang e andauern . I n Syrien herrschte die Dynastie de r Seleukiden, die nach de m Tod e Alexander s d. Gr . durc h Seleuku s begründe t worde n war . Di e Seleukiden suchte n durc h Förderung de r hellenistische n Kultu r di e verschiedene n Völkerschafte n ihre s Reiches enge r zusammenzuschließen . Weit e Kreis e de r Jude n stande n diese r Politik aufgeschlosse n gegenüber , un d soga r i n de r Priesterschaf t i n Jerusa lem ga b e s manch e Anhänge r de r Hellenisierung . De r Hoheprieste r hatt e als Haupt de r Judenschaf t dafü r z u sorgen , da ß di e Gesetz e un d Befehl e de s syrischen König s durchgeführ t wurden . D a e r auc h dafü r verantwortlic h war, da ß di e geschuldete n Steuer n pünktlic h entrichte t wurden , konnte n sich di e Syre r a n ih n halten , wen n si e meh r Gel d einforder n wollten . Al s im Jah r 17 5 v . Chr . Antiochus IV. in Syrie n di e Regierun g übernahm , wa r in Jerusale m Onias Hoherpriester , ei n fromme r Mann , de r da s Geset z befolgte. E r hatt e jedoc h i n de r Priesterschaf t Gegner , vo r alle m i n seine m Bruder Josu a un d unte r de n Anhängern de r Hellenisierung . Josua gräzisiert e seinen Name n z u Jason, bo t de n Syrer n ein e beträchtlich e Summ e Geldes , die durc h Erhöhun g de r Steuer n eingebrach t werde n sollte , un d erreichte , daß Onia s seine s Amte s enthobe n un d e r selbs t al s Hoherprieste r eingesetz t wurde. De r Wechse l i m Am t de s Hohenpriester s wurd e vollzogen , ohn e daß di e unterlegen e Seit e Widerstan d leistete . Onia s wurd e einig e Jahr e später i n Antiochi a ermordet , sei n gleichnamige r Soh n flo h nac h Ägypte n und gründet e mi t Unterstützun g de r Ptolemäe r u m 16 0 v . Chr . eine n Tempel i n Leontopolis , w o nac h de m Vorbil d de s Tempel s vo n Jeru salem de r Opferkul t aufgenomme n un d bi s 7 3 n . Chr . durchgeführ t wurde . Die Bedeutung diese s Heiligtums blie b jedoch gering , da auc h di e ägyptisch e Judenschaft weiterhi n a m Tempe l i n Jerusale m festhielt . I n Jerusale m lie ß Jason zwa r de n Tempelkul t de n Vorschrifte n de s Gesetze s entsprechen d verrichten, abe r e r betrie b mi t Energi e de n Fortgan g de r Hellenisierung . Ei n Gymnasium wurd e erbaut , i n de m jung e Männe r unbekleide t Spor t trieben ; auch Prieste r nahme n dara n teil . Al s Jude n schämte n si e sic h dabe i ihre r Beschneidung, übe r di e di e Grieche n spotteten , s o da ß manch e durc h ein e Operation di e Beschneidun g beseitige n ließe n (l.Makk . 1,15) - ei n Verhal ten, da s e s auc h zu r Zei t de s Paulu s noc h de s öftere n unte r Jude n ga b (vgl . l.Kor7,18). Al s Jason dre i Jahr e lan g amtier t hatte , bo t ei n gewisse r Menelaus de m syrische n Köni g noc h höher e Geldbeträge , al s e s einst Jaso n geta n hatte, un d wurd e daraufhi n anstell e de s Jaso n zu m Hohenprieste r gemacht . Das Am t de s Hohenpriester s wa r z u eine m käufliche n Gegenstan d de r Politik geworden .

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Die Römer , di e nac h de m siegreiche n Kamp f gege n Hanniba l ihre n mili tärischen un d politische n Einflu ß auc h i m Orien t gelten d machten , ergriffe n für di e i n Ägypte n regierende n Ptolemäe r un d gege n Antiochu s vo n Syrie n Partei. Antiochus hatte gege n Ägypten Krie g geführt, mußt e abe r sei n Unter nehmen abbrechen , als die Römer ih m Halt geboten. Nach de m mißlungene n ägyptischen Feldzu g verbreitet e sic h i n Jerusale m da s Gerücht , Antiochu s sei um s Lebe n gekommen . Dies e Gelegenhei t sucht e de r au s seine m Am t verdrängte Jaso n z u nutzen , inde m e r mi t Waffengewal t Menelau s vertrie b und mi t de m Am t de s Hohenpriester s auc h di e Herrschaf t übe r Jerusale m wieder a n sic h zog . Al s Antiochu s vo n diese n Vorgänge n erfuhr , grif f e r voller Zor n ei n un d bracht e Menelau s wiede r i n sei n Am t zurück . Doc h dieser konnt e sein e Stellun g nu r mi t Unterstützun g de r Syre r halte n un d ihnen dahe r auc h keine n Widerstan d entgegensetzen , al s Antiochu s 16 9 v. Chr . sein e i n de n Kriege n geleerte n Kasse n durc h Plünderun g de s Jerusa lemer Tempel s auffüllte : Di e kostbare n Gerät e de s Tempels , de r Räucher altar, de r siebenarmig e Leuchte r un d de r Schaubrottisc h wurde n nac h Antiochia gebrach t (l.Makk . 1,20-24) . Auf diese n erste n Schlag , der gege n de n heilige n Or t geführ t worde n war , folgte alsbal d ei n zweite r noc h härtere r Eingriff . Di e Hellenisierun g Jerusa lems und Judäas , die zwar au f einige n Widerstan d gestoße n war , i m übrige n aber erheblic h a n Bode n gewonne n hatte , sollt e nu n mi t Gewal t vollende t und dami t da s Eigenlebe n de r jüdische n Gemeind e aufgehobe n werden . Di e Mauern Jerusalem s wurde n niedergerissen , un d au f de m Hüge l de r alte n Davidsstadt erbaut e ma n ein e Zwingbur g (Akra) . De n Jude n wurd e be i Androhung de r Todesstraf e untersagt , de n Sabba t z u halten un d ihr e Kinde r zu beschneiden . Aufsehe r de s König s zoge n durc h da s Land , u m di e Befol gung dieser Anordnunge n z u überwachen . I n Jerusale m wurd e a n de r Stell e des Brandopferaltar s ei n heidnische r Alta r errichte t un d dor t de m höchste n Gott, de m olympische n Zeus , geopfert (16 7 v. Chr.). Auch Schwein e wurde n als Opfertier e dargebracht . Konnte n Grieche n diese n Wande l al s Ausdruc k dafür ansehen , da ß i n alle n Kulte n doc h letztlic h de r ein e Got t verehr t wurde, un d e s fü r gleichgülti g halten , o b sei n Nam e Jahwe , Baa l de s Him mels oder Zeu s hieß , so bedeutete für di e Juden di e Entweihung de r heilige n Stätte de n Greue l de r Verödun g (vgl . Dan. 11,31; 12,11) . In diese m Ereigni s sah ma n ei n Zeiche n de r letzte n Zei t un d sprac h auc h späte r imme r wiede r vom Greue l de r Verödun g al s einem Geschehen , da s sich kurz vo r de m End e dieses Äons zutrage n werd e (Mk . 13,14 Par.). Diese Vorgäng e brachte n ein e überaus gefährlich e Kris e fü r da s Judentum , desse n End e bevorzustehe n schien. Aber die gläubige Gemeind e ließ sich nicht widerstandslos vo m Glau ben de r Väte r trennen . Da s Buc h Danie l wurd e al s ein e Trostschrif t fü r di e bedrängte Gemeind e verfaßt ; Verfolgun g un d Leide n wurde n al s Zeiche n der letzte n Zei t begriffen , di e durc h Gotte s Ta t bal d ei n End e finden sollte . Fromme Jude n nahme n liebe r Leide n un d To d au f sich , al s de m Gehorsa m gegen da s Gesetz abzusage n (2.Makk.7) .

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Die Landbevölkerun g hatt e zähe r a m Glaube n de r Väte r festgehalte n al s viele Städter , di e sic h de n Einflüsse n de r hellenistische n Kultu r un d Zivili sation öffneten . I n ihre n Kreise n wuch s de r Widerstan d gege n di e syrisch e Politik, de r sic h durc h eine n Vorfall , de r sic h i n de m kleine n Dor f Modei n unweit vo n Lydd a zutrug , zu r Erhebun g gege n di e Fremdherrschaf t ent zündete. Al s di e Aufsehe r de s König s auc h i n diese n Or t kamen , u m di e Juden zu r Darbringun g heidnische r Opfe r z u nötigen, tötete de r alt e Prieste r Mattathias - da s Haup t eine r Familie , di e sic h nac h ihre m Ahnherr n di e Hasmonäer nannt e - eine n Juden , de r berei t war , au f de m Alta r z u opfern , und erschlu g auc h de n königliche n Beamten , de r zu m Opfe r aufgeforder t hatte. Dies e Ta t erregt e ungeheure s Aufsehen . Mattathia s un d sein e Söhn e mußten fliehe n un d sic h i n da s Gebirg e de r Wüst e Jud a zurückziehe n (l.Makk. 2,15—28) , w o sic h alsbal d ein e Scha r kampfwillige r Jude n u m si e sammelte. Au s de r Wüst e führt e ma n zunächs t hie r un d d a kleiner e Vor stöße durch , u m heidnisch e Tempel , di e überal l i m Lan d errichte t wurden , zu zerstöre n ode r abgefallen e Jude n z u strafen . Al s kurz e Zei t darau f de r alte Prieste r Mattathia s starb , übernah m sei n Soh n Judas di e Führun g de r Kämpfer. E r erhiel t de n Beiname n „de r Makkabäer" , wa s wahrscheinlic h „der Hammerartige " bedeute t (vo n aramäisc h makkab a = de r Hammer) , und wurd e al s tüchtige r Kriege r vo n seine n Freunde n geachtet , vo n seine n Gegnern gefürchtet . Juda s lie ß e s alsbal d nich t meh r be i kleinere n Parti sanenunternehmen un d Überfälle n bewenden , sonder n wagt e es , größer e Angriffe gege n di e Syre r z u führen . Di e Syre r waren dahe r genötigt , sic h zu r Wehr z u setzen . De r Köni g Antiochus , de r i m Oste n gege n di e Parthe r kämpfte, schickt e seine n Feldherr n Lysia s nac h Palästina . Juda s blie b gege n ihn erfolgreich , schlu g di e Syre r i n mehrere n Kämpfen , zo g siegreic h nac h Jerusalem, besetzt e di e entweiht e heilig e Stätt e un d stellt e di e vo m Geset z vorgeschriebene Verehrun g de s Gotte s Israel s wiede r her . A m 25 . Kisle v (d. i. im Dezember ) de s Jahres 16 4 v. Chr. wurde de r Alta r ne u geweiht un d mit eine m achttägige n Fes t de r rechtmäßig e Gottesdiens t wiede r aufgenom men. Seither gedenkt da s Judentum alljährlic h diese s Ereignisses i n de m Fes t der Tempelweih e (hebräisch : ch a nukka) (vgl . Joh . 10,22), be i de m Lichte r angezündet werde n zu m Zeiche n dafür , da ß Dunke l un d Finsterni s de m Licht weiche n müssen . Die Syrer hielte n jedoc h nac h wi e vor di e Burg in Jerusale m besetzt . Nac h einigen kleinere n kriegerische n Unternehmunge n began n Judas , di e Bur g zu belagern, und forderte dami t eine n Gegenschla g der Syrer heraus. Anstelle des König s Antiochus , de r währen d eine s Feldzuge s gege n di e Parthe r gestorben war , regiert e de r Feldher r Lysia s al s Vormun d de s unmündige n Königssohnes un d Verwese r de s Reiches . Er entsandt e ei n gu t ausgerüstete s Heer, da s di e Jude n schlu g un d Jerusale m einschloß . I n diese r bedrängte n Lage kame n Juda s un d seine r Scha r Thronstreitigkeite n z u Hilfe , di e i n Syrien ausbrachen . Ei n andere r Feldher r sucht e Lysia s z u verdrängen . U m gegen ih n frei e Han d z u bekommen , schlo ß Lysia s mi t de n Jude n ei n Über einkommen: E r gestattet e ihne n di e ungehindert e Ausübun g ihre r Religion ,

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und si e erkannte n di e syrisch e Oberherrschaf t an . Be i diese m Zugeständni s blieb es fortan. Auc h während de r nich t abreißenden Wirren , di e es in Syrie n um di e Besetzun g de s Throne s gab , ha t kei n syrische r Herrsche r diese n Vertrag noc h einma l i n Frag e gestellt . Mit diese m Ergebni s de s makkabäische n Freiheitskampfe s ware n groß e Teile de s jüdische n Volke s zufrieden , zuma l nac h einige r Zei t auc h da s ver waiste Am t de s Hohenpriester s wiede r besetz t werde n konnte . Menelaus , der da s Am t gründlic h mißbrauch t hatte , wa r durc h di e makkabäisch e Re form beseitig t worden . Bei m syrische n Köni g Demetrius , de r 16 2 v. Chr . di e Herrschaft a n sic h gerisse n hatte , wurde n hellenistisc h gesonnen e Kreis e Jerusalems vorstelli g un d führte n Klag e darüber , da ß si e vo n Juda s unter drückt würden . De r Köni g schenkt e ihne n Gehö r un d setzt e eine n Man n namens Alkimus al s Hohenpriester ein , der zwar z u den Freunden de r Helle nisierung gehörte , abe r au s aaronidische m Geschlech t stammte . D a de r Kul t nun wiede r de n Vorschrifte n de s Gesetzes entsprechend versehe n wurd e un d man ungehinder t al s gläubige r Jud e lebe n konnte , sahe n di e Fromme n (he bräisch: ch asidim), die de r syrische n Gewaltpoliti k widerstande n hatten , da s Ziel ihre s Einsatze s erreicht . Si e fanden sic h bereit , de n vo n de n Syrer n ein gesetzten Hohenprieste r al s rechtmäßigen Inhabe r de s Amtes anzuerkennen . Aber Juda s un d sein e Freund e mißtraute n de n Syrern . Ihne n gin g e s nich t nur darum, den rechten Gottesdiens t wiederherzustellen , sondern si e wollten darüber hinau s di e politische Unabhängigkei t erreichen , durc h di e allei n ei n wirksamer Schut z gegen den syrisch-hellenistischen Einflu ß würd e gewonne n werden können . Judas widersetzt e sic h dahe r de m Hohenprieste r Alkimus , de r di e Syre r zu Hilf e rief . E s ka m z u wechselnde n Kampfhandlungen , i n dere n Verlau f Judas 16 0 v . Chr . fiel. Sein e Anhänge r wurde n vo n de n Syrer n bluti g ver folgt, w o immer ma n ihre r habhaf t werde n konnte . Die Gruppen de r Kämp fer zoge n sic h i n di e Wüst e zurück , anstell e de s Juda s wurd e sei n Brude r Jonathan ih r Führer . Obwoh l sein e Streitmach t nu r klei n un d di e Lag e äußerst bedräng t war , gelan g e s ihm , sic h z u behaupten , inde m e r di e dauernden Thronstreitigkeite n i n Syrie n geschick t z u nutze n verstan d un d sich bal d au f di e eine , bal d au f di e ander e Seit e de r streitende n Parteie n schlug. Vo n jede r Seit e wußt e e r jeweil s bestimmt e Zugeständniss e einzu handeln un d konnt e au f dies e Weis e da s seine m Einflu ß unterstehend e Ge biet erweitern : De r Südtei l Samarias , desse n Bewohne r sic h zu m Tempe l i n Jerusalem hielten , wurd e seine r Botmäßigkei t unterstellt . Da s Am t de s Hohenpriesters wa r sei t de m To d de s Alkimus , de r End e de s Jahre s 16 0 v. Chr . gestorbe n war , unbesetz t geblieben . Nu n gelan g e s Jonathan , di e Zustimmung de r Syre r dafü r z u gewinnen , da ß e r diese s Am t übernah m (153 v. Chr.). Ein Mann , de r sich ständig im Krie g verunreinigen mußte , de r zwar au s eine m Landpriestergeschlech t kam , abe r nich t zadoqidische r Herkunft war , wurd e Hoherprieste r Israels . Di e Kreis e de r Frommen , di e einst di e makkabäisch e Erhebun g mitgetrage n hatten , ware n übe r diese n Vorgang tie f betroffen .

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Die politisch e Geschicht e de s Judentum s i n de r hellenistische n Zei t 1

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Als Jonathan 14 3 v. Chr. durc h Lis t de r Syre r ermordet wurde , übernah m Simon, de r dritt e de r Brüder , di e Führung de s Kampfes . Ih m gelan g es , auc h für sic h dieselb e Stellun g z u gewinnen , di e Jonatha n errunge n hatte . E r wurde nich t nu r Feldher r un d Oberhaup t de r Judenschaft , sonder n auc h ih r Hoherpriester. Hatt e Jonatha n da s vo n ih m beherrscht e Gebie t erweiter n können, s o wa r Simo n erfolgreic h i m Kamp f gege n di e syrisch e Besatzun g in de r Bur g vo n Jerusalem , di e besieg t un d endgülti g vertriebe n wurde . D a Jerusalem nu n gan z fre i vo n fremde r Herrschaf t war , konnt e Simo n auc h nach auße n Unabhängigkei t gewinnen . Er erreichte, daß di e Syrer de n Jude n Steuerfreiheit zugestande n (14 2 v . Chr.) , un d prägt e eigen e jüdisch e Mün zen. Das Amt des Hohenpriesters, Feldherrn un d Anführers de r Juden wurd e ihm vo m Vol k 14 0 v . Chr . erblic h bestätig t un d dami t di e Dynasti e de r Hasmonäer begründet , di e auc h vo n de n Römer n anerkann t wurde . Da s jüdische Gemeinwesen hatt e weitgehend e Selbständigkei t erlang t und erlebt e unter de r Regierung de s Simon wiede r friedlich e Verhältnisse . Die Mensche n atmeten auf ; ma n prie s di e Herrschaft Simon s al s eine Zeit de s Friedens un d Glücks: „Ma n konnt e i n Friede n sei n Lan d bebauen , un d da s Lan d ga b seinen Ertra g un d di e Bäume au f de m Fel d ihr e Frucht. Ältest e saße n i n de n Straßen un d beredete n sic h übe r da s gemein e Wohl , un d di e Jüngling e kleideten sic h mi t de m Schmuc k de s Kriegsgewands . Di e Städt e versa h e r (Simon) mi t Lebensmittel n un d rüstet e si e au s mi t Befestigungswerken , s o daß sei n ruhmvolle r Nam e bi s a n da s End e de r Erd e genann t wurde . E r schaffte Friede n i m Land , un d Israe l wa r hoc h erfreut . Ei n jede r sa ß unte r seinem Weinstoc k un d unte r seine m Feigenbaum , un d nieman d schreckt e sie auf. Nieman d bekriegt e si e mehr im Land, un d di e Könige waren i n jene r Zeit gedemütigt . E r hal f alle n Elende n seine s Volkes , e r wa r vol l Eife r fü r das Geset z un d vertilgt e jede n Abtrünnige n un d Übeltäter . E r macht e da s Heiligtum herrlic h un d vermehrt e di e Gerät e de s Heiligtums " (l.Makk . 14,8-15). (Vgl . Kippenberg - Wewers, S . 27. ) Die Zei t de s Simon wir d i n diese n Worte n de s l.Makkabäerbuche s über schwenglich gerühmt , di e friedliche n Verhältniss e werde n al s Erfüllun g de r prophetischen Verheißun g begriffen : ei n jede r werd e unte r seine m Wein stock un d unte r seine m Feigenbau m sitzen , ohn e da ß eine r si e aufschreck t (Mi. 4,4). Di e weis e Regierun g Simons , sein e Fürsorg e un d sei n Eife r u m Gesetz un d Tempe l werde n mi t Züge n beschrieben , wi e si e i n de r endzeit lichen Erwartun g de m Messia s beigeleg t werden . Doc h s o überzeugen d is t sein Bil d keinesweg s alle n Jude n erschienen . Manch e Prieste r un d Fromm e standen mi t scharfe r Mißbilligun g de r Herrschaf t de r Hasmonäe r gegen über, di e wede r au s hohepriesterliche m Geschlech t noc h au s de m David s stammten un d dennoc h da s hohepriesterlich e Am t mi t de m de s Herrscher s über Israe l verein t hatten . Scho n unte r Jonatha n mu ß e s z u Auseinander setzungen zwische n diese n Kreise n de r Fromme n un d de m Hohenprieste r und seine n Anhänger n gekomme n sein , di e daz u führten , da ß ein e Grupp e gesetzesstrenger Jude n sic h i n di e Wüst e zurückzog , u m a m Ufe r de s Tote n Meers ih r Lebe n i n ungeteilte m Gehorsa m gege n da s Geset z z u führe n 2 Lohse , Umwel t

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(vgl. S.70f.) . Si e hätte n niemal s de m Lob , da s da s erst e Makkabäerbuc h über di e Regierun g de s Simo n ausspricht , zustimme n können . Die Herrschaf t de s Simo n nah m ei n plötzliche s Ende , al s e r 13 4 v . Chr . einem vo n seine m Schwiegersoh n Ptolemäu s angezettelte n Mordanschla g zum Opfe r fiel. Doc h de m Mörde r gelan g e s nicht , sic h a n Simon s Stell e z u setzen. Di e Herrschaf t ka m vielmehr , wi e e s de m unte r Simo n gefaßte n Beschluß de s Volke s entsprach , a n seine n Soh n Johanne s Hyrkan . 4. Das Königtum der Hasmonäer Nachdem ei n letzte r Versuc h de r Syrer , au f di e Verhältniss e i n Palästin a Einfluß z u nehmen, fehlgeschlagen wa r (12 8 v. Chr.), hatte Johannes Hyrkan freie Hand , da s ganz e Lan d z u regieren . E r unternah m Kriegszüg e i n di e Umgebung vo n Judäa , führt e dies e abe r nich t mi t eine m Volkshee r durch , das fü r de n Glaube n Israel s stritt , sonder n mi t eine r Söldnertruppe , di e e r angeworben hatt e un d di e bereitwilli g tat , wa s imme r e r befahl . Hatte n schon Jonatha n un d Simo n de n Machtbereic h de r Jude n ausdehne n kön nen, s o wa r auc h Hyrka n darau f bedacht , sein e Herrschaf t z u erweitern . 128 v . Chr. wurd e de r Tempe l au f de m Garizi m vernichte t un d dami t de n Samaritanern ihr e heilig e Stätt e genommen . Nac h Idumäa , i n da s Gebie t des alte n Edom , führt e ei n andere r Vorstoß , durc h de n di e Bevölkerun g gewaltsam zu m Judentu m bekehr t un d ih r Lan d unte r jüdisch e Herrschaf t gebracht wurde . Ei n Feldzu g gege n Samari a endet e gleichfalls , erfolgreich : Die hellenisiert e Stad t wurd e 10 7 v . Chr. erober t un d zerstört . Obwohl di e Politi k de s Hyrka n i n seine n kriegerische n Unternehmunge n glücklich verlief , fan d e r doc h weni g Zustimmun g bei m Vol k un d Ableh nung i n de n Kreise n de r Frommen . Si e ware n darau f bedacht , ih r Lebe n nach de m Geset z Gotte s z u gestalten , un d tadelte n dahe r da s Machtstrebe n der Hasmonäe r al s weltliches Handel n de r Herrschenden . Au s de n Gruppe n der gesetzestreue n Juden , di e di e makkabäisch e Erhebun g getrage n hatten , war di e Gemeinschaf t de r Pharisäe r hervorgegange n (vgl . S.53f.) . Hatte n ihnen ursprünglic h di e Hasmonäe r nahegestanden , s o tra t nu n doc h ein e starke Entfremdun g ein , s o da ß Hyrka n nich t be i de n Pharisäern , sonder n bei dene n Rückhal t suchte , di e eine r nüchterne n Realpoliti k zuneigte n un d sich auc h dem Hellenismus nich t verschließen wollten . Hyrkan wa r zunächs t nach de m pharisäische n Verständni s de s Gesetze s verfahren , abe r allmäh lich wandt e e r sic h davo n a b un d nähert e sic h de n Sadduzäer n (vgl . S . 5 1 53), di e bereit waren , sein e Bestrebungen z u unterstützen. Di e Überlieferun g weiß davo n z u berichten , da ß e s z u eine m plötzliche n Bruc h zwische n Hyrkan un d de n Pharisäer n gekomme n sei . Al s e r einma l ein e Versamm lung vo n Pharisäer n gebete n habe , ih m offe n z u sagen , wen n si e irgendw o sehen würden , da ß e r vo m rechte n We g abirre , hab e zunächs t nieman d Kritik geübt , all e seie n de s Lobe s vol l gewesen . D a abe r hab e sic h ei n Pharisäer mi t Name n Eleaza r erhobe n un d Hyrka n aufgefordert , e r mög e die Würd e de s Hohenpriester s niederlegen , wei l sein e Mutte r zu r Zei t de s

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Antiochus Epiphane s i n Gefangenschaf t gerate n sei . Ein e Fra u könn e mög licherweise i n de r Gefangenschaf t vergewaltig t worde n sein , un d deshal b dürfe de r Soh n eine r solche n Mutte r nich t da s Am t ausüben , fü r da s de r höchste Gra d priesterliche r Reinhei t erforderlic h sei . Hyrkan wa r übe r dies e Äußerung s o erbost, da ß e r si e als Ausdruck de r vo n alle n Pharisäer n geteil ten Meinun g ansa h un d de n Bruc h mi t ihne n herbeiführte . Di e Erzählun g hebt hervor , da ß de r hasmonäisch e Herrsche r nac h de m Urtei l de r From men nich t de r Vorschrif t de s Gesetze s übe r di e Reinhei t de s Hohenpriester s genügte. Ih m wa r da s Am t de s Feldherr n un d Herrscher s übe r di e Jude n wichtiger al s die kultische Aufgabe de s Hohenpriesters, obwoh l di e Münzen , die e r prägen ließ , die Aufschriften truge n „De r Hoheprieste r Johanne s un d die Gemeinschaf t de r Juden " bzw . „De r Hoheprieste r Johanne s da s Haup t der Gemeinschaf t de r Juden" . Nach de m Tod e de s Vater s ri ß sei n Soh n Aristobul di e Herrschaf t a n sich. Zwa r hatt e Hyrka n verfügt , nac h ih m soll e sein e Gemahli n regieren ; Aristobul abe r war f di e Mutte r un d dre i seine r Brüde r in s Gefängnis . Nu r seinen Brude r Antigonu s beteiligt e e r a n de r Regierung , bi s ander e ih n be i ihm verdächtigte n un d e r ih n ermorde n ließ . Aristobu l gebärdet e sic h wi e die König e kleine r orientalische r Staate n un d legt e sic h al s erste r jüdische r Herrscher de n Tite l eine s König s zu . Di e Kriegszüg e führt e e r for t un d errang i n Galilä a Erfolge ; di e Bevölkerun g de r eroberte n Gebiet e wurd e zur Beschneidun g gezwungen . Doc h di e gewaltsame Bekehrun g zu m Juden tum dient e nich t religiöse n Absichten , sonder n de r Unterwerfun g unte r di e Herrschaft de s Königs . Nac h auße n tra t e r al s Freun d de r Grieche n au f und folgt e auc h dari n de m Vorbil d andere r orientalische r Herrscher . Nach kurze r Regierun g star b Aristobu l 10 3 v . Chr. Sein e Gemahli n Salome Alexandr a befreit e di e Brüde r de s verstorbene n König s au s de r Gefangenschaft, übertru g de m Älteste n di e Regierun g un d wurd e sein e Gemahlin. De r neu e Herrsche r gräzisiert e seine n Name n Jonatha n z u Jan näus un d nannt e sic h Alexander Jannäus. Auc h e r führt e viel e Krieg e un d blieb wi e sein e Vorgänge r meis t erfolgreich . Nachde m e r da s Gebie t a n der Küst e de s Mittelmeer s erober t un d auc h in s Ostjordanlan d Vorstöß e unternommen hatte , konnt e e r sic h jedoc h i n de r Auseinandersetzun g mi t dem aufstrebende n Reic h de r Nabatäe r nu r mi t Müh e behaupten . Durc h seine Feldzüg e bracht e e r ei n Gebie t zusammen , desse n Ausdehnun g ungefähr de m Umfan g vo n Israe l un d Jud a zu r Zei t de s König s Salom o entsprach; abe r sei n Reic h wa r nich t fes t gefügt . D a di e Bewohne r de r er oberten Teil e entwede r vertriebe n ode r mi t Gewal t judaisier t worde n waren, ga b e s imme r wiede r Unruhen , un d de r Köni g mußt e häufi g vo n einer Eck e seine s Lande s i n di e ander e eilen , u m Widerstan d z u unter drücken ode r z u verhindern . Wei l di e Herrschaf t de r Hasmonäe r sic h nich t auf ein e breit e Zustimmun g i m eigene n Vol k stütze n konnte , blie b si e schwach gegründet . Di e Fromme n stande n i n offene m Widerspruc h zu r Politik de s Herrschers , de r al s Kriegsmann , de r e r war , zugleic h da s Am t des Hohenpriester s z u versehe n hatte . E r schreckt e nich t davo r zurück , mi t 2*

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Grausamkeit un d Rücksichtlosigkei t seine n Wille n durchzusetze n un d di e Pharisäer un d ihr e Anhänge r mi t Gewal t z u unterdrücken . Di e Spannun g stieg s o hoch , da ß e s z u bewaffnete n Auseinandersetzunge n kam . E s wir d überliefert, Jannäu s hab e 80 0 Aufständisch e gefangengenommen , nac h Jerusalem gebrach t un d an s Kreu z schlage n lassen . Vo r de n Kreuze n hab e er mi t seine n Fraue n ei n Festgelag e veranstalte t un d di e Fraue n un d Kinde r der gekreuzigte n Männe r vo r dere n Auge n hinschlachte n lassen . D a noc h niemals di e grausame Straf e de s Kreuzestode s i n Israe l angewende t worde n war, rie f di e schrecklich e Rache , di e Alexande r Jannäu s a n seine n Gegner n nahm, inde m e r „Mensche n lebendi g aufhängte " (4QpNah.I,6f.) , Ent setzen un d Furch t bei m Vol k hervo r (vgl . S. 69). Zwar brac h Jannäu s durc h Terror de n offene n Widerstand , abe r di e inner e Ablehnung , mi t de r ma n ihm i m Vol k gegenüberstand , blie b bestehen . Alexander Jannäu s sol l au f de m Totenbet t seine r Gemahli n Salome Alexandra gerate n haben , si e mög e sic h wiede r mi t de n Pharisäer n ver söhnen. Si e übernah m nac h de m Tod e de s König s di e Regierun g un d ha t sie neu n Jahr e lan g mi t Umsich t un d Weishei t geführ t (76-67 v.Chr.) . D a sie al s Fra u zwa r Königi n sein , nich t abe r ei n priesterliche s Am t führe n konnte, wurd e ih r Soh n Hyrkan II.> ei n schwache r un d weni g tatkräftige r Mann, al s Hoherprieste r eingesetzt . Salom e führt e ein e Verständigun g mi t den Pharisäer n herbei , di e nu n auc h Einflu ß au f da s politisch e Geschic k des Lande s gewannen . Schriftgelehrt e de r pharisäische n Gemeinschaf t wurden Mitgliede r de s Synedriums , de m bi s dahi n nu r Oberprieste r un d Älteste angehör t hatten , un d konnte n hie r ihr e Meinun g gelten d mache n und vielfac h durchsetzen . We r vo r de r Gewaltherrschaf t de s Jannäu s ge flohen war , konnt e heimkehren . Di e Kreis e de r Sadduzäer , dere n Meinun g im Hohe n Ra t de r Jude n bestimmen d gewese n war , sahe n sic h benach teiligt. Mi t ihne n un d allen , di e mi t de r Regierun g de r Königi n unzufriede n waren, nah m ih r jüngere r Soh n Aristobu l II., der mi t Energi e nac h de r Macht strebte , Fühlun g auf . Angesicht s diese r Spannunge n führt e Salom e die Züge l mi t Behutsamkei t un d vermie d es , kriegerisch e Unternehme n z u beginnen. Si e sucht e vielmeh r de n Friede n z u festigen , u m dadurc h auc h eine inner e Befriedun g de s Lande s z u gewinnen . Ihr e Regierun g wir d dahe r in de r pharisäische n Überlieferun g al s ein e gesegnet e friedlich e Zei t ge rühmt. E s heißt , i n de n Jahre n de s Simo n be n Schatach , de r de r bedeu tendste Schriftgelehrt e zu r Zei t de r Königi n Salom e Alexandr a war , se i de r Regen s o reichlic h gefallen , da ß di e Weizenkörne r s o gro ß wi e Niere n ge worden seien , di e Gerstenkörne r wi e Olivenkern e un d di e Linse n wi e Golddenare. Als Salom e Alexandr a i m Jah r 67 v . Chr. starb , hätt e ih r rechtmäßiger weise ih r Soh n Hyrka n II. im Am t de s König s folge n müssen , abe r sei n Bruder Aristobul II. machte ih m di e Würd e streitig . E s kam z u bewaffnete n Auseinandersetzungen, be i dene n sic h di e Soldate n de s Aristobu l dene n des Hyrka n al s überlege n erwiesen . Hyrka n wurd e vo n seine n Leute n i m Stich gelassen , si e ginge n zu m Stärkere n über . E r mußt e sic h dahe r berei t

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Die politische Geschicht e des Judentums i n der hellenistische n Zei t 2

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finden, eine m Abkomme n zuzustimmen , durc h da s di e Würd e de s Hohen priesters un d König s a n Aristobu l überging . Doc h dami t wa r de r Strei t keineswegs beendet . Den n nu n stellt e sic h Antipater, desse n Vate r unte r Alexander Jannäu s königliche r Statthalte r i n Idumä a gewese n war , a n di e Seite de s verdrängte n Hyrkan . E r bracht e de n Nabatäerköni g Areta s au f ihre Seite , inde m ih m di e Rückgab e de r Städt e versproche n wurde , di e ih m Jannäus geraub t hatte . Areta s un d Antipate r marschierte n mi t ihre n Truppen nac h Jerusale m un d begannen , di e Stad t z u belagern . Doc h eh e es zu r Entscheidun g komme n konnte , tra t di e überlegen e Mach t Rom s au f den Plan , di e forta n da s Geschic k de s Vordere n Orient s un d dami t auc h Palästinas bestimme n sollte . Als Fompejus mi t seine n Legione n heranrückte , zerbrach da s schwach e Reic h de r Seleukide n un d wurd e al s Provin z Syrie n dem Römische n Reic h einverleibt . Beid e Parteien , di e sic h u m di e Mach t in Judä a stritten , wandte n sic h a n Pompejus , u m ih n fü r sic h z u gewinnen . Das Vol k abe r lie ß ih n wissen , e r mög e doc h da s Königtu m überhaup t ab schaffen un d di e alt e Herrschaf t de r Prieste r wiederherstellen . Da s König tum de r Hasmonäe r hatt e nich t nu r di e äußer e Mach t verloren , e s besa ß auch i m Vol k de r Jude n kein e Anhängerschaf t mehr , di e e s hätt e stütze n können. Dami t wa r sei n End e unwiderruflic h gekommen . Doc h Pompeju s übereilte sic h nicht , seine n Spruc h z u fällen , sonder n verhiel t sic h zunächs t abwartend, ehe er als Schiedsrichter urteilte. (Vgl. Kippenberg —Wewers, S.31.) 5. Palästina unter der Herrschaft der Kömer Jede de r beide n streitende n Parteien , di e einande r i n Judä a gegenüber standen, wa r bemüht , di e Guns t de s Pompeju s fü r sic h z u gewinnen . Zu nächst hatt e e s de n Anschein , Aristobu l hab e besser e Aussichten , sein e Sache zu m Erfol g z u führen . Al s abe r Pompeju s di e Entscheidun g übe r Palästina hinausschob , verlo r Aristobu l di e Gedul d un d versucht e durc h militärische Vorkehrunge n de n Bestan d seine r Herrschaf t z u sichern . D a wurde Pompeju s mißtrauisc h un d rückt e bi s Jerusale m vor . Di e Nabatäe r waren au f eine n Win k de r Röme r abgezogen . Aristobu l un d sein e Anhänge r verschanzten sic h i n de r Stadt , abe r nac h dreimonatige r Belagerun g wa r ihr Widerstan d gebrochen . Pompeju s zo g i n Jerusale m ei n un d betra t de n Tempel, auc h da s Allerheiligst e schaut e e r sic h an . Doc h e r raubt e nicht s aus de m Heiligtu m un d befahl , ma n mög e alsbal d de n Gottesdiens t wiede r aufnehmen. Da ß ei n Heid e selbs t vo r de m Allerheiligsten , i n da s nu r de r Hohepriester Zugan g hatte , nich t haltmachte , erschie n de n Fromme n al s eine furchtbar e Entweihun g de s Tempels , di e nu r al s Gerich t Gotte s übe r sein schuldi g gewordene s Vol k begriffe n werde n konnte . I n de n Psalme n Salomos, di e bal d darau f i n pharisäische n Kreise n entstanden , heiß t e s i n deutlicher Anspielun g au f di e Vorgänge , di e sic h be i de r Eroberun g Jerusa lems durc h Pompeju s abspielten : „I n seine m Übermu t stürzt e de r Sünde r mit de m Widde r fest e Mauern , un d d u hindertes t e s nicht . Fremd e Heide n bestiegen deine n Altar , betrate n (ihn ) übermüti g i n ihre n Schuhen , dafür ,

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daß di e Söhn e Jerusalem s da s Heiligtu m de s Herr n entweihten , di e Opfe r Gottes in Gottlosigkeit schändeten " (Ps . Sal. 2,1-3). Auf di e Klage folgt dan n die Bitte : „La ß genu g sein , Herr , da ß dein e Han d au f Jerusale m laste t i m Andrang de r Heiden " (Ps.Sal.2,22) . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S.31f. ) Nach de r Eroberun g de r Stad t ordnet e Pompeju s di e Verhältniss e i n Palästina. Aristobu l wurd e mi t seine n beide n Söhne n Alexande r un d Anti gonus gefange n nac h Ro m gebracht , Hyrka n wurd e wiede r i n da s Am t de s Hohenpriesters eingesetzt . Di e Grenze n wurde n ne u gezogen : Di e Städt e im Küstenbereic h wurde n selbständig ; di e hellenistische n Städt e de s Ost jordanlandes, di e unte r de n Hasmonäer n unterworfe n worde n waren , wurden z u eine m freie n Städtebun d zusammengeschlossen , de r vo n Damas kus i m Norde n bi s Philadelphi a (de m heutige n Amman ) i m Süde n reichte . Dieser Bun d de r sogenannte n Dekapoli s - d.h . de r zeh n Städt e - ha t lang e Zeit bestande n un d wir d auc h i m Neue n Testamen t verschiedentlic h er wähnt (Mk.5,20 ; 7,31 ; Mt.4,25). Auc h Samari a wurd e di e Selbständigkei t gegeben, s o da ß de m Hohenprieste r nu r da s Gebie t unterstell t blieb , da s unmittelbar zu r Jerusaleme r Kultgemeind e gehörte , Judäa , da s Binnenlan d von Galilä a un d Perä a i m Ostjordanland . De r römisch e Provinzstatthalte r in Syrien , Gabinius , ha t dan n i m Jah r 57 v . Chr. Palästin a i n fün f Verwal tungsbezirke eingeteilt , di e unmittelba r de m Provinzstatthalte r unterstehe n sollten. Judä a wurd e i n di e Bezirk e Jerusalem , Gazar a un d Jerich o geglie dert, Galilä a wurd e zu m Bezir k Sepphoris , Perä a zu m Bezir k Amanthu s be stimmt. Dies e Ordnun g wa r woh l durchdach t un d hätt e ein e friedlich e Entwicklung ermögliche n können , wen n nich t di e i m Innere n de s Lande s fortschwelende Unruh e un d vo n auße n kommend e Stöß e neu e schwer e Erschütterungen gebrach t hätten . Alsbal d beganne n Aristobu l un d sein e Söhne sic h wiede r z u regen , nachde m si e au s de r römische n Gefangenschaf t hatten entkomme n un d nac h Palästin a zurückkehre n können . I n Jerusale m gab e s manch e Leute , di e mi t de r schwache n Amtsführun g de s Hyrka n unzufrieden ware n un d deshal b mi t Aristobu l sympathisierten . Doc h di e Macht de r römische n Waffe n hindert e ih n daran , sein e Ziel e i n Palästin a verwirklichen z u können . Die schwere n Auseinandersetzunge n u m di e Herrschaf t i m Römische n Reich wirkte n sic h auc h au f Palästin a aus . I m Kamp f zwische n Pompeju s und Caesa r unterstande n Hyrka n un d sein e Leut e de r Herrschaf t de s Pompejus, de r de n Oste n de s Reiche s i n de r Han d hielt . Al s dan n Caesa r siegreich blie b un d Pompeju s 4 8 v . Chr. i n Ägypte n ermorde t wurde , ge lang e s Hyrka n un d Antipater , rasc h un d glücklic h zu r überlegene n Parte i hinüberzuwechseln. Si e schickte n Caesar Hilfstruppe n nac h Ägypte n un d gewannen sein e Gunst . Caesa r erneuert e nich t nu r di e überkommene n Rechte de r Jerusaleme r Kultgemeinde , sonder n verlie h daz u weiter e Privi legien: Di e Stad t Jopp e wurd e wiede r zu m Herrschaftsbereic h de s Hohen priesters hinzugefügt , Hyrka n wurd e i n seine m Am t al s Hoherprieste r bestätigt un d zu m Ethnarche n un d Bundesgenosse n de r Röme r ernannt , Antipater erhiel t da s erblich e römisch e Bürgerrech t un d wurd e al s Proku -

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rator vo n Judä a eingesetzt . Dami t wa r de m altüberkommene n Am t de s Hohenpriesters da s eine s Statthalter s a n di e Seit e gestellt , de r Ro m al s Garant fü r di e Wahrun g de r Interesse n de s Reiche s i m Land e diente . Judä a wurde vo n de r Pflich t befreit , römisch e Legione n überwinter n z u lassen . Die ungehindert e Ausübun g de s Gottesdienste s wurd e nich t nu r fü r di e Tempelgemeinde, sonder n auc h fü r di e Synagogengemeinde n i m Reic h zu gesichert, s o da ß da s Judentu m vo n nu n a n unte r de m Schut z de s römische n Staates stand . Antipater hatt e durc h dies e Regelun g ein e stark e Stellun g gewonnen . Seine beide n Söhn e lie ß e r a n seine r Mach t teilhaben , inde m e r Phasae l die Verwaltun g vo n Judä a übertrug , Herode s di e vo n Galiläa . Herodes be seitigte i n Galilä a da s Unwese n de r sogenannte n Räuber , d.h . nationali stischer jüdische r Partisanen , un d verhängt e dabe i Todesurteile , ohn e sic h um da s Synedriu m i n Jerusalem , be i de m eigentlic h di e oberst e Rechts gewalt lag , z u kümmern . Al s ma n ih n deswege n i n Jerusale m zu r Verant wortung ziehe n wollte , erschie n e r i n Begleitun g eine r Leibwach e vo r de m Synedrium, s o da ß ma n e s nich t wagte , gege n ih n z u verhandeln . Mit de r Ermordun g Caesar s (4 4 v . Chr.) brache n neu e Wirre n i m Römi schen Reic h aus . Hyrka n un d Antipate r stellte n sic h zunächs t au f di e Seit e der Caesarenmörder , doc h dere n Herrschaf t währt e nich t lange . Octavia n und Antoniu s besiegte n si e 4 2 v.Chr . i n de r Schlach t be i Philippi . Nac h dem Sie g übernah m Antonius di e Regierun g übe r de n Oste n de s Reiche s und residiert e mi t de r ägyptische n Königi n Kleopatr a i n Alexandria . Anti pater fiel eine m Mordanschla g zu m Opfer . Hyrka n un d di e beide n Söhn e des Antipater abe r wurde n vo n Antoniu s i n ihre n Ämter n bestätigt . Hyrka n amtierte weiterhi n al s Hoherpriester , Herode s un d Phasae l regierte n da s Land. Antoniu s hiel t sic h ständi g i n Ägypte n auf , s o da ß e r sic h u m Syrie n und Palästin a nich t vie l kümmer n konnte . Da fielen au s de m Oste n di e Parthe r ein , mi t dene n Antigonus, de r Soh n Aristobuls II., im Bund e stand . Bishe r hatt e e r sic h wi e sei n Vate r vergeb lich daru m bemüht , di e Mach t z u gewinnen ; nu n gelangt e e r a n da s Zie l seiner Wünsche . Di e Parthe r nahme n Hyrka n un d Phasae l gefangen . Pha sael tötet e sic h selbst , Hyrka n wurd e a n Antigonu s ausgeliefert . De r lie ß seinem Ohei m di e Ohre n abschneiden , s o da ß e r al s Verstümmelte r untaug lich fü r da s Am t de s Hohenpriester s wurde . Antigonu s übernah m dies e Würde a n seine r Stell e un d wurd e dari n vo n de n Parther n bestätigt . Dre i Jahre lan g konnt e e r mi t ihre r Hilf e al s Hoherprieste r un d Köni g de r Jude n regieren (40-3 7 v.Chr.) . Hyrka n un d Phasae l ware n ausgeschaltet , übrig geblieben wa r allei n Herodes . Herodes ta t da s Klügste , was e r i n diese r Lag e tu n konnte : E r flo h z u de n Römern un d sucht e be i ihne n Schut z un d Hilf e gege n Antigonu s un d di e Parther. 4 0 v . Chr. ka m e r nac h Ro m un d gewan n dor t da s Vertraue n un d die Förderun g vo n Antoniu s un d Octavian . Au f offizielle n Beschlu ß de s Senats wurd e e r zu m Köni g de r Jude n ernannt , zunächs t freilic h z u eine m König ohn e Land ; den n i n Palästin a stande n sein e ärgste n Feinde , dene n

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er ers t da s Lan d entreiße n mußte . Vo n Syrie n aus , w o di e Röme r di e Parther bal d vertreibe n konnten , stie ß e r mi t römischer Hilf e nac h Palästin a vor un d konnt e 3 7 v . Chr. Jerusale m einnehme n un d sei n königliche s Am t antreten. Antigonu s gerie t i n Gefangenschaft un d wurd e hingerichtet . Dami t war de r letzt e Versuc h de r Hasmonäer , noc h einma l di e Herrschaf t z u ge winnen, gescheitert . Herode s befan d sic h i m Besit z de s Königtum s un d lie ß es sic h nich t wiede r streiti g machen . Wie Herode s mi t römische r Unterstützun g di e Mach t bekomme n hatte , so gelan g e s ih m auch , si e mi t Rom s Hilf e z u festigen . E r wa r verschlage n und rücksichtslos , abe r auc h verwege n un d geschickt , wen n e s darau f an kam, rasch e Entscheidunge n z u treffe n un d entschlosse n z u handeln . Zu nächst stan d e r au f de r Seit e de s Antonius , de r i n Ägypte n übe r de n Oste n des Reiche s regierte , un d fügt e sic h seine n Weisungen , selbs t wen n si e de n eigenen Interesse n zuwiderliefen . S o mußt e e r gut e Mien e zu m böse n Spie l machen, al s Antoniu s de r Kleopatr a au f ihr e Bitt e di e Städt e a n de r Küst e und Jerich o schenkte . E r wa r z u klug , u m nich t z u wissen , da ß e r sic h unte r allen Umstände n di e Unterstützun g de s römische n Herrscher s z u bewahre n hatte, u m sein e eigen e Stellun g behaupte n z u können . Al s späte r Antoniu s gegen Octavia n unterlag , mußt e Herodes zusehen , möglichs t rasc h ei n gute s Verhältnis zu m neue n Herrsche r de s Reiche s z u gewinnen . E r reist e z u Octavian, de r sic h au f Rhodo s aufhielt , gestan d ih m offe n ein , e r hab e bis her di e Parte i de s Antoniu s vertreten , un d legt e zu m Zeiche n seine r Er gebenheit sein e Kron e nieder . Wor t un d Gest e verfehlte n ihr e Wirkun g nicht. Octavia n bestätigt e Herode s al s Köni g de r Jude n un d ga b ih m di e Städte, di e Antoniu s Kleopatr a übereigne t hatte , zurück . S o erlangt e Hero des auc h di e Guns t de s Augustu s - Octavia n nah m diese n Beiname n a n (s. S. 25.147) - un d hat sie sic h mit Geschick zu erhalte n gewußt. De r Friede, der mi t de r Regierun g de s Augustu s i m Römische n Reic h einkehrte , ka m auch Palästin a zugute . Endlic h wurd e da s Lan d nich t meh r vo n Kriege n heimgesucht. (Vgl . Kippenberg- Wewers, S.39f. ) Gegner seine s Regiment s un d jeden , de r möglicherweis e sein e Herrschaf t hätte gefährde n können , beseitigt e Herodes , ohn e Band e de r Freundschaf t und de r Famili e z u achten . Durc h sein e Eh e mi t Mariamne, di e au s de r Familie de r Hasmonäe r stammte , wa r e r mi t de m alte n Königsgeschlech t verbunden. D a e r au s Idumä a kam , wa r e r ständi g vo n de r Sorg e geplagt , man könn e ih n al s nich t ebenbürti g ansehen . De r alt e Hyrka n wurd e er mordet, obwoh l e r de r erlittene n Verstümmelunge n wege n nich t meh r zu m Amt de s Hohenpriester s tauglic h war . Herode s selbs t wa r nich t priester licher Abkunf t un d konnt e dahe r nich t Hoherprieste r werden . Nachde m er zunächs t eine n ih m gefügige n Man n eingesetz t hatte , ga b e r schließlic h dem Dränge n seine r Schwiegermutte r un d de r de n Hasmonäer n nahe stehenden Kreis e nac h un d übertru g da s Am t seine m junge n Schwage r Aristobul. Doc h e r wurd e di e Sorg e nich t los , di e Hasmonäe r könnte n ih m gefährlich werde n un d ih n verdränge n wollen . Al s ein Jahr späte r Aristobu l im Ba d ermorde t wurde , wa r e s zwa r offene s Geheimnis , da ß di e Mörde r von Herode s gedunge n waren , abe r de r Köni g heuchelt e gleichwoh l vo r

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der Öffentlichkei t Traue r übe r de n To d de s Hohenpriesters . Di e Eifersuch t gegen di e Hasmonäe r wurd e schließlic h s o stark , da ß e r auc h sein e Gatti n Mariamne töte n und einig e Zeit danach ihr e Söhne Alexander un d Aristobu l umbringen ließ . Seinem erstgeborene n Soh n Antipate r bewahrt e e r di e Zu neigung, abe r kur z vo r seine m Tod e lie ß e r auc h ih n al s Verräte r un d Aufrührer hinrichten . Argwoh n bestimmt e da s Handel n de s Herodes ; mi t diesem Bil d seine s Charakter s stimm t di e neutestamentlich e Erzählun g vo m bethlehemitischen Kindermor d durchau s überei n (Mt.2,16) . Wi e Herode s stets au f de r Hu t war , wen n seine r Herrschaf t vo n irgendeine r Seit e Gefah r drohte, un d sic h nich t scheute , har t un d rücksichtslo s durchzugreifen , s o schreckte e r nicht davo r zurück, jeden ermorde n z u lassen, der ihm möglicher weise hätt e gefährlic h werde n können . (Vgl . Kippenberg - Wewers S.77f. ) Zum Reic h de s Herode s gehörte n nich t nu r Juden , sonder n auc h Heiden , die vornehmlic h i n de n Gebiete n wohnten , di e durc h di e Schenkunge n Octavians unte r sein e Herrschaf t gekomme n waren . Herode s setzt e nich t die Politi k de r Hasmonäe r fort , Heide n gewaltsa m zu m Judentu m z u be kehren, sonder n e r stellt e Grieche n un d Jude n gleichberechtig t nebenein ander un d wollt e al s Köni g de n Jude n ei n Jud e un d de n Grieche n ei n Grieche sein . E r umga b sic h mi t eine m Krei s gebildete r Helleniste n un d förderte di e Bautätigkei t i n de n griechische n Städten , i n dene n Bäder , Theater, Gymnasie n un d Tempe l errichte t wurden . Di e fromme n Jude n waren empört , da ß de r jüdisch e Köni g de n Grieche n sein e Guns t zuwandte . Doch auc h di e Juden sucht e er zu gewinnen, inde m e r den Tempel erweiter n und umbaue n ließ , so daß e r wieder di e Gestal t erhielt , di e e r eins t zu r Zei t des König s Salom o gehab t hatte . Be i de n umfangreiche n Bauarbeite n nah m der Köni g darau f Bedacht , da ß gena u nac h de m Geset z verfahre n wurde . Das Heiligtu m wurd e sorgfälti g verdeck t gehalten , s o da ß nieman d hinein schauen konnte . Auc h i n de r Diaspor a tra t Herode s al s Beschütze r de s Judentums au f un d fördert e da s Eigenlebe n de r Synagogengemeinden . Trotzdem gelan g e s ih m nicht , di e Zuneigun g de r fromme n Jude n z u ge winnen. Durc h sei n strenge s Regimen t un d de n Terror , mi t de m e r jed e Regung vo n Oppositio n niederhielt , blie b e r de r große n Mehrzah l de s Volkes verhaßt . (Vgl . Kippenberg- Wewers, S.40f. ) Beim hellenistische n Bevölkerungstei l dagege n fan d Herode s meh r Dan k als be i de n Juden . A n de r Stell e de r zerstörte n Stad t Samari a wurd e ein e neue Stad t errichtet , di e z u Ehre n de s Augustu s de n Name n Sebast e erhiel t (von griechisc h sebasto s = lateinisc h augustu s = de r Erhabene) . A n de r Küste wurd e ei n Hafe n gebaut , de r durc h Dämme , di e i n da s Mee r vor getrieben wurden , gege n Versandun g geschütz t wurde . Di e Stadt wurd e mi t reichen Baute n ausgestatte t un d erhiel t wiede r de n Name n seine s hohe n Gönners: Caesarea . I m ganze n Lan d wurde n stark e Befestigunge n angelegt . In Jerusale m entstan d di e Bur g Antonia , unmittelba r a m Tempelplat z ge legen; vo n hie r konnt e Herode s ständi g di e Vorgäng e überwachen , di e sic h im un d a m Heiligtu m abspielten . Di e stärkst e Festun g führt e e r a m West ufer de s Tote n Meere s auf ; di e Bur g Masad a la g nahez u uneinnehmba r

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auf de r Höh e de s Berges . I n Jerich o lie ß sic h Herode s ei n Schlo ß errichten , um dor t a n Wintertage n z u verweilen . Zeugniss e diese r Bautätigkei t sin d noch heut e i m Land e z u sehen : Di e sogenannt e Klagemaue r is t vo m hero dianischen Tempelba u geblieben , un d di e Fundament e de r Bur g Antoni a sind noc h erhalten . Ausgrabunge n i n Jericho , Caesarea , Masad a un d a n anderen Stelle n haben ers t da s volle Ausmaß de r gewaltige n Anlage n wiede r ans Tageslich t gebracht . Diente n di e Festungsbaute n zu r Sicherun g seine r Herrschaft, s o sucht e Herode s sei n Ansehe n z u mehren , inde m e r a n aus wärtige Städt e Schenkunge n gab , u m dor t Baute n z u seine r Ehr e errichte n zu lassen . Dabe i tru g e r kei n Bedenken , auc h heidnisch e Kult e z u fördern , und handelt e dami t nac h de m Vorbil d hellenistische r Könige , die ihr e Groß mut sichtba r z u bezeige n suchten . Obgleich diese r Köni g vie l fü r da s Lan d tat , blie b e r de n Jude n doc h fremd. Da s Vol k mußt e ih m zwa r gehorchen , de n stärkste n Einflu ß au f Denken un d Handel n de r Bevölkerun g abe r übte n di e Pharisäe r aus , di e die Hoffnun g au f ein e vo n Got t herbeigeführt e Wend e nährten , jedoc h keinen gewaltsame n Umstur z betrieben . Gege n End e de r Jahr e de s Herode s wurden Johanne s de r Täufe r un d Jesu s vo n Nazaret h gebore n (Mt.2,1 ; Lk. 1,5). Nachdem es dem König gelungen war , durch sein e mit Geschick un d Verschlagenheit geführt e Politi k sein e Herrschaf t währen d eine r lange n Regierungszeit z u behaupten , sucht e e r vo r seine m Tod e sein e Nachfolg e zu regeln . Dre i seine r Söhne , di e fü r di e Erbschaf t i n Betrach t gekomme n wären, hatt e e r töte n lassen . I m Testament , da s de r Köni g kur z vo r seine m Tode machte , wurd e sei n Reic h unte r sein e dre i Söhn e Archelaus, Herodes Antipas un d Philippus geteilt : Archelau s sollt e Köni g werde n un d übe r Judäa, Samari a un d Idumä a herrschen , Antipa s Galilä a un d da s i m Ost jordanland gelegen e Perä a erhalten , Philippu s da s ostjordanisch e Gebie t i m Norden de s Reiches. Diese Verfügung konnt e abe r ers t rechtskräftig werden , wenn di e erforderlich e Bestätigun g i n Ro m erteil t worde n war . S o machte n sich nac h de m Tod e de s Herode s ( 4 v.Chr. ) di e dre i Söhn e au f di e Reis e in di e Welthauptstadt , jede r vo n ihne n mi t de r Absicht , fü r sic h möglichs t viel Gewin n herauszuschlagen . Di e Jerusaleme r abe r schickte n ein e Ge sandtschaft nac h Rom , di e di e Bitt e vortrage n sollte , di e Herrschaf t de r Herodianer abzuschaffe n un d di e Eigenständigkei t de r Jerusaleme r Kult gemeinde wiederherzustellen . Au f dies e Vorgäng e wir d i m Gleichni s Lk . 19, 12.14 angespielt : „Ei n vornehme r Man n zo g i n ei n ferne s Land , u m fü r sich di e Königskron e z u empfange n un d dan n wiede r heimzukehre n . . . Seine Bürge r abe r haßte n ih n un d sandte n ein e Gesandtschaf t hinte r ih m her un d sprachen : Wi r wolle n nicht , da ß diese r übe r un s Köni g werde! " Augustus folgt e diese m Begehre n nicht , sonder n verfuh r i m wesentliche n nach de m Testamen t de s Herodes . Antipa s un d Philippu s wurde n z u Tetrarchen ernannt , d.h . kleine n Fürsten ; Archelau s erhiel t nich t de n Tite l eines Königs , sonder n nu r de n geringere n eine s Ethnarchen . Fü r da s Vol k bedeuteten dies e Unterschied e de r Titulatu r freilic h nichts ; di e Herrsche r galten ih m al s Könige , s o da ß sowoh l Archelau s (Mt . 2,22) al s auc h Hero -

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des Antipa s (Mk . 6,14.26; Mt . 14,9) i m Neue n Testamen t al s Köni g er wähnt werden . Al s di e dre i Söhn e de s Herode s i n Ro m weilten , brache n Unruhen i m Land e aus . Römisch e Truppen , di e unte r de m Kommand o de s Quintilius Varus , de s Statthalter s i n Syrien , standen, griffe n ei n un d stellte n Ruhe un d Ordnun g wiede r her . Durc h di e Härt e un d Streng e ihfe s Vor gehens wuch s jedoc h di e antirömisch e Stimmun g de r Bevölkerung . Nac h ihrer Rückkeh r nahme n di e dre i Fürste n da s ihne n zugesprochen e Erb e i n Besitz. (Vgl . Kippenberg — Wewers, S.46. ) Am meiste n verhaß t be i de r Bevölkerun g wa r Archelaus, de r s o willkür lich un d mi t brutale r Streng e regiert e (vgl . Mt.2,22) , da ß di e geknechtete n Untertanen noc h einma l ein e Gesandtschaf t z u Augustu s schickte n un d ih m ihr Lei d s o wirkungsvol l klagten , da ß si e Gehö r fanden . Archelau s wurd e 6. n . Chr . seine s Amte s enthobe n un d nac h Gallie n verbannt ; sei n Gebie t wurde eine m römische n Statthalte r unterstellt , de r ein e allgemein e Schät zung de r Bevölkerun g i n Syrie n un d Palästin a anordnet e un d durchführe n ließ (vgl . S. 58. 156). Zur Zei t Jes u stande n dahe r Galilä a un d da s nördlich e Ostjordanland unte r de r Herrschaf t jüdische r Fürsten , währen d Samaria , Judäa un d Idumä a vo m römische n Statthalte r regier t wurde n (Lk.3,1) . Der Statthalte r residiert e i n Caesare a un d zo g nu r gelegentlic h nac h Jerusalem hinauf , meis t a n de n hohe n jüdische n Festtagen , d a dan n zahl reiche Jude n al s Pilge r i n di e Stad t kame n un d unte r de n versammelte n Scharen aufrührerisch e Bewegunge n rasc h u m sic h greife n konnten , s o da ß es gu t war , i n solche n Fälle n gleic h zu r Stell e z u sein . Da s Eigenlebe n de r Kultgemeinde un d di e Tätigkei t de r Priesterschaf t un d de s Synedrium s wurden nich t angetastet . I m Tempe l wurde n kein e Kaiserbilde r aufgestellt , und di e römische n Truppe n zoge n ohn e ihr e Feldzeiche n i n di e Stad t ein . Da di e oberste Rechtsgewal t i n di e Hand de s Statthalters geleg t war , konnt e das Synedriu m zwa r di e Angelegenheite n de r Jerusaleme r Kultgemeind e ordnen, nicht aber ein Todesurteil fälle n un d vollstrecken lasse n (Joh . 18,31). In de r Bur g Antoni a wa r nu r ein e klein e Abteilun g römische r Soldate n stationiert, di e zu r Zei t de r große n Fest e ode r be i Gefah r vo n Unruhe n verstärkt wurde . Soldate n wurde n au s de r nichtjüdische n Bevölkerun g de s Landes rekrutiert . S o wir d Apg . 10,1 ei n heidnische r Hauptman n Korneliu s erwähnt, de r in Caesarea, am Sit z des Statthalters, Dienst tat. Dorthin wurd e auch Paulu s zu r Untersuchun g seine s Falle s überführt , nachde m e r i n Jeru salem festgenomme n worde n wa r (Apg.23,23.33) . Zur Zei t Jes u amtiert e Pontius Pilatus al s römische r Statthalte r (26 36 n . Chr.). Phil o vo n Alexandri a berichtet , sein e Amtsführun g hab e be standen au s „Bestechlichkeit , Gewalttätigkeit , Räubereien , Mißhandlungen , Beleidigungen, fortgesetzte n Hinrichtunge n ohn e Gerichtsverfahren , fort währender, unerträgliche r Grausamkeit " (legati o a d Gaiu m 302) . E r nah m keine Rücksich t au f da s religiös e Empfinde n de r Jude n un d lie ß eine s Nachts römisch e Feldzeichen , di e di e Bilde r de s Kaiser s trugen , nac h Jerusalem bringen . Ers t al s di e Jude n erklärten , liebe r sterbe n z u wolle n als ein e Verletzun g de s Gesetze s z u ertragen , ga b e r schließlic h de n Befehl ,

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die Feldzeiche n wiede r au s de r Stad t z u entfernen . Groß e Unruh e entstand , als Pilatu s Gel d au s de m Tempelschat z nahm , u m ein e Wasserleitun g nac h Jerusalem baue n z u lassen . Abe r Pilatu s lie ß de n sic h regende n Widerstan d mit Gewal t i m Kei m ersticken . Al s ei n samaritanische r Prophe t verkünde t hatte, au f de m Garizi m seie n heilig e Gerät e au s de r Zei t Mose s vergraben , und sic h ein e große Meng e au f de m Ber g versammelte, lie ß Pilatus Soldate n aufmarschieren un d willkürlic h au f di e Mensche n einschlagen . Manch e wurden getötet , ander e gefangengenommen , de r Res t floh. Di e Empörun g der Samaritane r wa r s o groß , da ß si e sic h a n Vitellius , de n Legate n i n Syrien, wandte n un d be i ih m übe r Pilatu s Beschwerd e führten . Si e er reichten, da ß Pilatu s abberufe n un d nac h Ro m beorder t wurde , u m sic h dort fü r sei n Verhalte n z u verantworten . (Vgl . Kippenberg — Wewers, S.49f. ) Das Bild , da s di e zeitgenössische n Nachrichte n vo n Pontiu s Pilatu s über liefern, wir d durc h da s Neu e Testamen t bestätigt . Al s einma l galiläisch e Pilger i n Jerusale m opfer n wollten , richtet e e r unte r ihne n ei n Blutba d a n (Lk. 13,1). Des Umsturze s verdächtig e Persone n lie ß e r verhafte n un d töte n (Mk. 15,7 Par.27 Par.) . Hart un d rücksichtslos , wi e e r war , wir d e r schwer lich Bedenke n gehab t haben , eine n Juden , de n ih m da s Synedriu m al s politisch verdächtige n Man n auslieferte , nac h kurze m Verhö r zu m To d a m Kreuz z u verurteilen . S o star b Jesu s vo n Nazaret h vo r de n Tore n Jerusa lems, vo m römische n Statthalte r de r schimpflichste n Straf e preisgegeben , die die alt e Welt kannte . In Galilä a regiert e Herodes Antipas vo n 4 v . Chr. bi s 3 9 n . Chr. A m Se e Genezareth baut e e r sic h ein e Residenz , de r e r z u Ehre n de s regierende n Kaisers de n Name n Tiberia s ga b (vgl . Joh.6,1.23 ; 21,1) . D a di e Stad t au f dem Geländ e eine s ehemalige n Friedhofe s erbau t wa r un d dahe r nac h de m Gesetz al s verunreinig t galt , lehnte n e s di e gesetzesstrenge n Jude n ab , i n ihr z u wohnen . Herode s Antipa s kümmert e sic h nich t darum , sonder n führte sei n Lebe n nac h eigene m Gefalle n un d Gutdünken . E r wa r zunächs t mit eine r Tochte r de s Nabatäerkönig s verheiratet , späte r abe r nah m e r sic h Herodias, di e di e Gatti n seine s Halbbruder s - eine s nich t weite r bekannte n Herodes - gewese n war , zu r Frau . Dami t verstie ß e r gege n da s Gesetz , da s zwar di e Ehescheidun g erlaub t (5.Mose24,1-4) , e s abe r untersagt , seine m Bruder di e Fra u fortzunehme n (3.Mos e 18,16; 20,21) . Herodia s wa r ein e Enkelin de s König s Herode s un d de r Mariamne , di e Tochte r de s Aristobul , den Herode s wi e sein e Mutte r hatt e hinrichte n lassen . Di e ehrgeizig e un d ruhmsüchtige Fra u wurd e di e Gemahli n de s Herode s Antipas , de r sein e erste Fra u verstie ß un d z u ihre m Vate r i n da s Nabatäerreic h zurückkehre n ließ. Au s de r neue n Eh e gin g di e Tochte r Salom e hervor . Au f dies e Vor gänge wir d Mk . 6,17-29 Par . Bezug genommen , nu r wir d dor t versehentlic h Philippus al s erste r Man n de r Herodia s genannt . Johanne s de r Täufe r hatt e dem Landesherr n sei n Unrech t ungeschmink t vo r Auge n gehalten , wurd e ins Gefängni s geworfen , vo n de r grimmige n Feindschaf t de r Herodia s weiter verfolg t un d schließlic h ermordet .

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Die politische Geschicht e des Judentums i n der hellenistische n Zei t 2

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Die Eh e mi t Herodia s bracht e de m Herode s Antipa s Unglück . De r empörte Köni g de r Nabatäe r bekriegt e seine n ehemalige n Schwiegersoh n und fügt e ih m ein e empfindlich e Niederlag e zu . Josephu s berichte t dar über un d sagt , da ß manch e Jude n de n Untergan g vo n Herodes ' Hee r al s eine göttlich e Fügun g ansahen ; den n Got t hab e vo n Herode s fü r Johanne s den Täufe r di e gerecht e Straf e gefordert . „Diese n - s o fähr t de r Berich t fort - hatt e Herode s hinrichte n lassen , obwoh l e r ei n gerechte r Man n wa r und di e Jude n anhiel t . . . , zu r Tauf e z u kommen ; di e Tauf e werd e Got t dann angeneh m sein , wen n si e si e nich t zu r Beseitigun g gewisse r Verfeh lungen, sonder n zu r Heiligun g de s Leibe s anwendeten , d a di e Seel e scho n durch ei n gerechte s Lebe n gereinig t sei . D a ma n nu n vo n alle n Seite n ih m zuströmte, wei l jede r sic h durc h solch e Rede n gehobe n fühlte , fing Herode s an z u fürchten , de r Einflu ß eine s solche n Marines , vo n desse n Ra t sic h alle s leiten ließ , könn e eine n Aufruh r herbeiführen , un d hiel t e s dahe r fü r ge ratener, ih n vo r Ausbruc h eine r solche n Gefah r unschädlic h z u machen , al s später be i eine r Wendun g de r Ding e sein e Unschlüssigkei t bereue n z u müssen. Au f diese n Verdach t hi n wurd e Johanne s i n Kette n geworfen , nac h der Fest e Machäru s geschick t . . . un d dor t enthauptet " (Jüdisch e Alter tümer XVIII, 116-119). Zwa r is t di e Verkündigun g de s Täufer s i n diese r Darstellung i m Sinn e eine r hellenistische n Tugendpredig t beschriebe n (vgl . S. 104), aber di e Aufsehe n erregend e Wirkun g seine r Verkündigun g is t doc h treffend festgehalten . Herodes Antipa s wa r de r Landesher r Jesu . Al s e r vo n desse n Auftrete n erfuhr, meint e er , de r vo n ih m hingerichtet e Johanne s de r Täufe r se i vo n den Tote n auferstande n (Mk . 6,14-16Par.). E r äußert e de n Wunsch , de n Wundermann selbs t z u sehe n (Lk.9,9) . Jesu s abe r nannt e ih n eine n Fuch s (Lk. 13,32) un d macht e sic h au f de n We g nac h Jerusalem . Nu r i m Lukas evangelium wir d berichtet , Pilatu s hab e nac h eine m erste n Verhö r Jesu s z u Herodes Antipas , de r auc h zu m Passafes t nac h Jerusale m gekomme n war , geschickt, dami t auc h e r Stellun g nehme n sollt e (Lk . 23,6-16). Dies e Er weiterung de r Passionsgeschicht e stell t jedoc h ein e legendär e Ausgestaltun g der ursprünglic h seh r kur z gehaltene n Erzählun g vo m Verhö r Jes u durc h den römische n Statthalte r dar . Wi e nac h Ps.2,lf . di e König e de r Erd e sic h auflehnen un d di e Herre n miteinande r ratschlage n wide r Jahw e un d seine n Gesalbten, s o stehe n nac h de r lukanische n Schilderun g de r römisch e Her r und de r jüdisch e Fürs t al s di e Richte r da , vo r di e Jesu s gestell t wird , wäh rend da s tobend e Vol k sein e Verurteilun g fordert . Am End e wurd e e s de m Herode s Antipa s zu m Verhängnis , da ß sein e Gattin Herodia s ih m i n de n Ohre n lag , e r soll e sic h be i Caligul a daru m bemühen, da ß ih m di e Königswürd e verliehe n werde . De r Versuc h de s Fürsten schlu g fehl . Caligul a schöpft e Verdach t un d lie ß Herode s Antipa s nach Gallie n verbanne n (3 9 n.Chr.) . Im nördliche n Ostjordanlan d regiert e Philippus. E r baut e sic h ein e neu e Residenz, di e e r Caesare a Philipp i nannt e (vgl . Mk . 8,27 Par.) . De r Se e Genezareth bildet e zwische n seine m Gebie t un d de m de s Herode s Antipa s

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die Grenze , di e dan n a m Jorda n entlan g nac h Norde n verlief . I n Kaper naum befan d sic h ein e klein e Grenz - un d Zollstation , i n de r ein e Wach mannschaft de s Antipas lag , dere n Kommandan t Mt . 8,5-13 par. Lk . 7,1-10 erwähnt wird . Philippu s wa r de r erst e jüdisch e Herrscher , de r Münze n prägen ließ , di e da s Bildni s de s römische n Kaiser s trugen . D a di e vo n ih m regierte Bevölkerun g nu r zu m kleine n Tei l jüdisc h war , braucht e e r au f da s Bedenken de r Juden , kei n Menschenbildni s herzustellen , kein e Rücksich t zu nehmen . Philippu s star b 3 4 n . Chr., ohn e Nachkomme n z u hinterlassen . Palästina ka m noc h einma l fü r kurz e Zei t unte r di e Herrschaf t eine s jüdischen Königs . Agrippa, ei n Enke l de s König s Herodes , hatt e sic h i n Rom aufgehalte n un d dor t di e Guns t de s Caligul a z u gewinne n verstanden . Caligula schenkt e ih m 3 7 n.Chr . da s Gebiet , da s Philippu s regier t hatte , und übertru g ih m zwe i Jahr e späte r da s Lan d de s i n di e Verbannun g ge schickten Herode s Antipas . 4 1 n. Chr. wurd e ih m auc h di e Herrschaf t übe r Judäa, Samari a un d Idumä a gegeben , s o da ß e r da s ganz e Reich , da s sei n Großvater beherrsch t hatte , noc h einma l unte r seine m Zepte r vereinigte . In diese r Zei t droht e ei n schwere r Konflik t auszubrechen . Al s Caligul a ver langte, i m Tempe l z u Jerusale m soll e sei n Standbil d aufgestell t werden , brach unte r de n Jude n ein e gewaltig e Erregun g aus . Scho n sa h ma n de n Greuel de r Verödun g a n heilige r Stätt e aufgerichte t (vgl . Mk . 13,14 Par.) . Da wurd e Caligul a 4 1 n. Chr. ermordet ; sei n Nachfolge r Claudiu s abe r bestand nich t darauf , da ß ih m i m Tempe l de r Jude n göttlich e Verehrun g erwiesen werde n solle . Herodes Agripp a ga b sic h al s fromme r Jude , de r au f genau e Befolgun g des Gesetze s bedach t war . Vo n de n Schriftgelehrte n un d Pharisäer n wurd e er deswege n seh r gelobt . Abe r dies e Haltun g nah m e r nu r be i de n Jude n ein, de r hellenistische n Bevölkerun g seine s Reiche s tra t e r ander s gegen über. Hie r gebärdet e e r sic h al s hellenistische r Fürst , de r nac h de m Vorbil d seines Großvater s sei n Ansehe n durc h Baute n un d Stiftunge n z u mehre n suchte. Au f de r eine n Seit e wa r e r de n Pharisäer n z u Gefallen , verfolgt e di e christliche Gemeind e i n Jerusalem , lie ß de n Zebedaide n Jakobu s hinrichte n und Petru s in s Gefängni s werfe n (Apg . 12,1-3); au f de r andere n Seit e abe r ließ e r sic h i n hellenistische r Umgebun g al s gottgesandte r Fürs t huldige n und nah m di e de m Herrsche r erwiesen e göttlich e Verehrun g entgege n (Apg. 12,21-23). Al s e r starb , wurd e di e Herrschaf t nich t seine m Soh n Agrippa übertragen , sonder n da s ganz e Lan d zu r Provin z Syrie n geschlage n und vo n römische n Prokuratore n verwaltet , di e de m Statthalte r i n Syrie n unterstanden un d ihre n Amtssit z wiede r i n Caesare a nahmen . Agrippa II. erhielt einig e Jahr e späte r da s Gebiet , da s ehede m Philippu s regiert hatte . Ih m wurd e auc h da s Rech t erteilt , übe r de n Tempe l i n Jerusa lem di e Aufsich t z u führen . E r macht e vo n diese m Rech t Gebrauch , inde m er da s Am t de s Hohenpriester s besetzte , wi e e s ih m paßte , un d erregt e dadurch da s Mißfalle n de r Jerusaleme r Bevölkerung . Ansto ß rie f e r auc h dadurch hervor , da ß e r sein e Schweste r Berenik e ständi g be i sic h hatt e

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Die politisch e Geschicht e de s Judentum s i n de r hellenistische n Zei t 3

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(Apg.25,13). Ma n erzählt e sich , di e Geschwiste r lebte n i n blutschände rischer Gemeinschaft . Im Lan d wuch s de r Ha ß gege n di e Römer , imme r wiede r ka m e s z u Unruhen. Di e Grupp e de r Zelote n wollt e di e Fremdherrschaf t mi t Gewal t abwerfen un d fan d steigend e Zustimmun g be i de r Bevölkerung , di e sic h wiederholt durc h da s unbedachte ode r auc h böswillig e Verhalte n de r Röme r herausgefordert sah . Au s de r Reih e de r römische n Prokuratoren , di e i n dieser Zei t Palästin a z u verwalte n hatten , werde n i m Neue n Testamen t zwei mi t Name n genannt . Vo n 5 2 n . Chr. a n hatt e Felix da s Am t de s Statt halters inne . Er war al s Freigelassener z u diese r hohen Stellun g aufgestiegen , die e r durc h di e Guns t de s Kaise r Claudiu s erhalte n hatte . Tacitu s sag t von ihm , e r hab e „i n alle r Grausamkei t un d Lüsternhei t königliche s Rech t in sklavische r Sinnesar t gehandhabt " (Historie n V, 9). Di e zweit e seine r drei Fraue n wa r di e jüdisch e Prinzessi n Drusilla , di e Tochte r Agrippa s I., die e r ihre m Man n fortgenomme n hatte . Vo r Feli x un d Drusill a mußt e sich, wi e Apg . 24,24 berichte t wird , de r Aposte l Paulu s währen d seine r Gefangenschaft i n Caesare a verantworten . Feli x wurd e - wahrscheinlic h i m Jahr 6 0 n . Chr., möglicherweis e abe r scho n z u eine m frühere n Zeitpunk t von Porciu s Festus abgelöst . Obwoh l e r i m Unterschie d z u seine n Vor gängern ei n rechtlic h denkende r un d handelnde r Man n war , gelan g e s ih m nicht, di e starke n Spannunge n zwische n Jude n un d Römer n z u verringern . In sein e Amtszeit , di e 6 2 n . Chr . durc h seine n To d endete , fäll t di e letzt e Zeit de r Gefangenschaf t de s Paulus, dessen Proze ß i n Ro m entschiede n wer den sollt e (Apg . 24,27-26,32). 6. Der jüdische Krieg und der Aufstand unter Bar Kochba Das rücksichtslos e Verhalte n de r römische n Besatzungsmach t trie b de n Haß de r jüdische n Bevölkerun g au f de n Höhepunkt . Al s e s i n Caesare a z u antijüdischen Demonstratione n de r hellenistische n Einwohnerschaf t kam , suchten di e Juden be i de n Römer n Schutz , gabe n Geld , fande n jedoc h kein e Hilfe un d ware n übe r da s Verhalte n de r Röme r erbost . Di e Geldgie r de s Prokurators Gessius Florus wa r s o hemmungslos, da ß e r 66 n. Chr. siebzeh n Talente au s de m Tempelschat z raubte . Empört e Jude n verhöhnte n de n Statthalter, inde m si e i n Jerusale m umherginge n un d u m Gel d fü r de n armen Prokurato r bettelten . Gessiu s Floru s gerie t darübe r i n Wu t un d gestattete seine n Soldaten , i n de r Stad t z u plündern . Vo n Caesare a he r ließ e r zwe i weiter e Kohorte n anrücke n un d verlangt e vo n de n Juden , si e sollten di e Truppe n feierlic h einholen . Besonnen e Kreise , vo r alle m de r Hohepriester un d sein e Anhänger , rieten , nachzugebe n un d dies e Zu mutung nich t zurückzuweisen . S o fan d sic h da s Vol k bereit , sic h dies e tief e Demütigung gefalle n z u lassen . Al s ma n abe r di e römische n Soldate n de m Befehl entsprechen d begrüßte , bliebe n si e au f Weisun g de s Prokurator s stumm un d erwiderte n de n Gru ß de r Jude n nicht . D a ga b e s kei n Halte n mehr, de r Zor n de r gedemütigte n Mensche n brac h los . Rasc h wurd e de r

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Eduard Lohse , Umwelt de s Neuen Testament s

Tempelbezirk besetzt , de r Statthalte r mußt e sic h vo r de n Aufständische n nach Caesare a zurückziehen . I n Jerusale m blie b nu r ein e Kohort e i n de r stark befestigte n Bur g Antoni a zurück . Sons t befan d sic h di e ganz e Stad t in de r Han d de r Aufständischen . Was sollt e nu n geschehen ? Agripp a sucht e di e Jude n davo n z u über zeugen, bewaffnete r Aufstan d gege n Ro m se i unsinnig . De r Hohepriester , die priesterliche n Kreis e un d auc h di e Pharisäe r mahnte n zu r Mäßigung . Aber da s auflodernd e Feue r wa r nich t meh r z u löschen . Ma n stellt e da s Opfer, da s täglic h de m römische n Kaise r dargebrach t wurde , ei n un d ga b damit da s Zeiche n de s offene n Aufruhrs . De m Anstur m de r Erhebun g konnte auc h di e Bur g Antoni a nich t standhalten . Si e wurde eingenommen , und s o wa r nu n di e ganz e Stad t i n de r Han d de r Juden . De r erst e Erfol g riß viel e mit , di e zunächs t gezöger t hatten . Andere , di e sic h bedächti g ver hielten, wurde n entwede r umgebrach t ode r mi t Gewal t daz u gezwungen , sich de r Bewegun g anzuschließen . De r Hohepriester , de r vergeblic h ver sucht hatte , da s Unhei l z u verhindern , wurd e ermordet . Die Römer , di e durc h di e schnell e Entwicklun g überrumpel t wurden , waren nich t meh r Herre n de r Lage . Cestius , de r römisch e Statthalte r i n Syrien, rückt e mi t Truppe n heran . Abe r e s gelan g ih m nicht , Jerusale m z u nehmen. E r mußt e de n Feldzu g abbreche n un d wurd e au f de m Rückmarsc h nach Syrie n empfindlic h geschlagen . De r Jube l de r Jude n wa r groß , ma n hatte di e Römer au s dem Lan d vertriebe n un d da s Joch de r Fremdherrschaf t abgeworfen. D a ei n Gegenschla g nich t ausbleibe n konnte , rüstet e ma n sic h in alle r Eil e zu r Verteidigung . Au s Partisane n sollt e ein e schlagkräftig e Truppe gebilde t werden , i n Galilä a wurde n fest e Plätz e ausgebaut . Zu r Lei tung de r Maßnahmen , di e i m Norde n de s Lande s z u treffe n waren , wurd e Josephus, ei n junge r Priester , vo n Jerusale m nac h Galilä a geschickt . Der Kaise r Ner o beauftragt e Vespasian, seine n tüchtigste n General , de n Krieg gege n di e Jude n z u führen . Vespasia n gin g mi t seine m Soh n Titu s in de n Orient . E r rückt e vo n Antiochi a au s mi t starke n Kräfte n heran , Titus holt e Truppe n au s Ägypten . De r Angrif f de r Röme r richtet e sic h zuerst gege n Galiläa . Al s da s schlagkräftig e Hee r heranmarschierte , wurde n die Jude n vo n Angs t gepack t un d zoge n sic h i n di e Festunge n zurück , s o daß da s flach e Lan d de n Römer n kampflo s i n die Hände fiel. Josephus hatt e sich mi t seine n Leute n i n Jotapat a verschanzt , konnt e sic h abe r nich t be haupten. Al s de r Widerstan d de r Jude n nac h 47tägige r Belagerun g zu sammenbrach, verlangte n di e Zeloten , all e Verteidige r sollte n sic h de n To d geben. Josephu s lehnt e diese s Ansinne n a b un d verstan d es , sic h z u retten , indem e r sic h Vespasia n erga b un d ih m voraussagte , e r werd e di e Kaiser krone erhalten . Vespasia n schenkt e ih m da s Leben , un d Josephu s blie b fortan i m römische n Hauptquartier . S o wurd e e r zu m Augenzeuge n un d späteren Geschichtsschreibe r de s ganze n jüdische n Kriege s (vgl . S . 102). Johannes vo n Gischala , de r Führe r de r Zeloten , entka m mi t eine r kleine n Schar nac h Jerusalem . 67 n.Chr . befan d sic h gan z Galilä a wiede r i n de r Hand de r Römer .

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Die politisch e Geschicht e des Judentum s i n de r hellenistische n Zei t 3

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Die Entscheidun g mußt e i n Jerusale m fallen . I n de r Stad t gewanne n di e radikalen Gruppe n di e Oberhand. Di e Zelote n unte r Johanne s vo n Gischal a bemächtigten sic h de s Tempelbezirks , di e übrig e Stad t wurd e vo n Simo n bar Gior a besetz t gehalten . Di e Leut e de r beide n Anführe r stande n sic h feindlich gegenübe r un d befehdete n einander , Gegne r de s Krieg s un d Zau derer wurde n mi t harte m Terro r unterdrückt . U m dies e Zei t mu ß di e Ur gemeinde, di e sic h a m Aufstan d nich t beteiligte , di e Stad t verlasse n un d sich nac h Pell a i m Ostjordanlan d gewand t haben . Di e Röme r wartete n unterdessen i n Ruh e ab , wi e sic h di e Lag e i n Jerusale m entwickel n würde . Als 69 n. Chr. Vespasia n vo n seine n Soldate n zu m Kaise r ausgerufe n wurde , reiste e r nac h Ro m un d übertru g di e Fortführun g de s Kriege s seine m Soh n Titus. Währen d de r Passazei t de s Jahre s 7 0 n.Chr. , z u de r noc h einma l viele Festpilge r i n di e Stad t gekomme n waren , rückt e Titu s mi t vie r Legionen un d starke n Hilfstruppe n hera n un d schlo ß di e Stad t mi t ihre n Bewohnern un d de n Pilger n ein . D a Jerusale m au f de r Höh e lieg t un d nu r von Norde n he r ei n Anmarsc h übe r flache s Lan d möglic h ist , wurd e de r Angriff vo n diese r Seit e gege n di e Stad t geführt . Angesicht s de r furchtbare n Bedrohung brac h ma n de n Bruderkrie g ab , de r bi s dahi n i n de r Stad t ge wütet hatte , u m gemeinsa m de n Römer n Widerstan d z u leisten . Abe r gege n die wei t überlegen e römisch e Kriegstechni k konnte n sic h Kampfesmu t un d Tapferkeit de r Verteidige r au f di e Daue r nich t behaupten . I n de r Fassung , die de r Gerichtsred e Jes u i m Lukasevangeliu m gegebe n ist , wir d au f dies e aussichtslose Lag e hingewiesen : „Wen n ih r abe r seht , da ß Jerusale m vo n Heeren umring t wird , dan n erkennt , da ß sein e Verwüstun g nah e ist " (Lk . 21,20). „Den n e s werde n Tag e übe r dic h (nämlic h Jerusalem ) kommen , da werde n dein e Feind e eine n Wal l u m dic h aufwerfe n un d dic h ein schließen un d dic h vo n alle n Seite n bedränge n un d werde n dic h z u Bode n werfen un d dein e Kinde r i n di r un d werde n keine n Stei n i n di r au f de m anderen lassen " (Lk . 19,43f.). Jüdisch e Widerstandskämpfer , di e i n Ge fangenschaft gerieten , wurde n vo n de n Römer n a n Kreuz e geschlagen , di e auf de n Wälle n ring s u m di e Stad t aufgerichte t wurden , u m dadurc h di e Verteidiger z u schrecken . I n de r Stad t abe r hielte n di e Zelote n mi t un erbittlicher Streng e di e Züge l i n de n Hände n un d zwange n di e Bevölkerun g durchzuhalten. Ma n ga b sic h de r Hoffnun g hin , Got t werd e i n letzte r Stunde eingreife n un d sei n Vol k retten . Selbs t wen n de r äußer e Vorho f des Tempel s vo n de n Heide n eingenomme n un d di e Stad t un d de r Vorho f von ihne n zertrete n werde n sollten , s o werd e doc h Got t di e heilig e Stätt e ihnen nicht preisgeben (Vgl.Offb. Joh. 11,1 f.). (Vgl. Kippenberg-Wewers, S.60. ) Doch Einsat z un d Hoffnun g ware n vergeblich . Di e Röme r durchstieße n alle dre i Mauerringe , di e di e Stad t umgaben , un d drange n gege n de n erbit terten Widerstan d de r Verteidige r imme r weite r vor . De r Tempe l gin g be i den letzte n Kämpfe n i n Flamme n auf . Titu s konnt e noc h ebe n i n da s Alier heiligste eindringen , eh e e s zusammenstürzte . De r siebenarmig e Leuchte r und de r Schaubrottisch wurde n al s Siegestrophäe sichergestellt , um si e späte r im Triumphzu g mitzuführen , vo n de m noc h heut e di e Abbildun g au f de m 3 Lohse , Umwel t

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Titusbogen i n Rom zeugt . Da s Matthäusevangeliu m erwähn t i n seiner Wie dergabe de s Gleichnisse s vo m königliche n Hochzeitsmah l di e Zerstörun g Jerusalems durc h Feuer : De r Köni g wa r empör t darüber , da ß ma n sein e Einladung ausgeschlage n un d sein e Knecht e schimpflic h getöte t hatte , „schickte sei n Hee r aus , brachte di e Mörde r u m un d zündet e ihr e Stad t an " (Mt.22,7). Die letzten Gruppe n de r Verteidiger , di e noch Widerstan d z u leisten versuchten , wurde n aufgespürt ; Johanne s vo n Gischal a un d Simo n ba r Giora geriete n i n Gefangenschaf t un d wurde n zu r Siegesfeie r mi t nac h Ro m genommen. Mi t de m Untergan g de s Tempels un d de r Stad t hatt e da s Juden tum seine n sichtbare n Mittelpunk t verloren . Hier un d d a wurd e noc h Widerstan d geleistet , klein e Gruppe n vo n Auf ständischen hatte n sic h i n einig e befestigt e Burge n zurückgezogen . A m längsten hiel t sic h di e Besatzun g de r Festun g Masada. Di e Röme r schlösse n die Burg , di e au f hohem , unzugängliche m Ber g a m Ufe r de s Tote n Meere s gelegen ist , ein . Di e Spure n de r römische n Belagerun g un d di e Anlage n de r jüdischen Festung , di e au f Baute n de s König s Herode s zurückgehen , sin d kürzlich durc h gründlich e Untersuchunge n israelische r Archäologe n aufge deckt worden . Al s di e jüdische n Freiheitskämpfe r einsahen , da ß ihr e Lag e aussichtslos geworde n war , faßte n si e de n Entschluß , sic h da s Lebe n z u nehmen. Di e Römer , di e kurz darau f i n di e Festun g eindrangen , fande n nu r Tote vor . Nur zwe i Frauen, die sich mit fünf Kinder n i n einer unterirdische n Trinkwasserleitung versteck t hatten , überstande n da s End e de r jüdische n Verteidigung. Mit de m Fal l von Masada , de r 73 n. Chr. - vielleich t auc h ers t 74 n . Chr. - erfolgte , wa r de r letzt e Widerstan d gebrochen . Nac h de m Sie g ordnete Vespasian di e Verhältnisse i n Palästina. Judäa wurd e von Syrien ab getrennt un d zu r kaiserliche n Provin z gemacht , dere n Statthalte r wiede r i n Caesarea amtierte . Im Land e wurd e di e zehnt e römisch e Legio n stationiert , die ih r Lage r be i Jerusalem aufschlug . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S . 62-64.) Das Judentum konnt e di e furchtbar e Katastroph e überstehen , wei l in ih m starke Kräft e lebendi g waren , di e ih m eine n neue n Anfan g ermöglichten . Die Pharisäe r hatte n i n scharfe m Gegensat z zu r Priesterschaft , di e über wiegend sadduzäisc h gesonne n war , gestanden . Be i de r Zerstörun g Jeru salems abe r ware n di e Sadduzäe r umgekommen . Di e vo n Schriftgelehrte n geführte pharisäisch e Bewegun g leitet e de n Aufba u de r jüdische n Gemein den, di e sic h nac h de r Katastroph e wiede r sammelten , un d ga b ihne n da s Gepräge. Mi t de m Tempe l wa r auc h de r Opferkul t untergegangen . Di e Anbetung de s Gotte s Israel s abe r konnt e weiterhi n i n de n Synagoge n er folgen, i n dere n Gottesdiens t nu n auc h Stück e de r Tempelliturgi e über nommen wurde n (vgl . S . 117). In Jahne (Jamnia ) fan d sic h ei n neue s Syne drium zusammen , de m kein e Prieste r un d Älteste n meh r angehörten , son dern nu r Schriftgelehrte . Di e Röme r tastete n di e Rechte , di e ma n de m Judentum grundsätzlic h zugestande n hatte , nich t an , s o da ß di e Synagoge n weiterhin unte r de m Schut z de r staatliche n Behörde n bliebe n un d sic h da s Leben de r Gemeinde n ne u entfalte n konnte . Di e Tempelsteuer , di e ma n

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Die politisch e Geschicht e de s Judentum s i n de r hellenistische n Zei t 3

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von jede m Jude n i n Palästin a un d i n de r Diaspor a eingesammel t hatte , u m den Kul t i n Jerusale m bestreite n z u können , wurd e weiterhi n erhoben , mußte nu n abe r al s Steue r a n di e Röme r abgeführ t werden . Im zweite n Jahrhunder t n.Chr . unternah m da s palästinisch e Judentu m noch einma l de n Versuch , da s römisch e Joc h abzuschüttel n (132-13 5 n.Chr.). Übe r di e Vorgänge , di e sic h währen d de s Aufstand s unte r de r Führung de s Bar Kochba (bzw . Bar Kosiba, wi e sei n Nam e i n neuerding s entdeckten Texte n heißt ) zugetrage n haben , is t kein e zusammenhängend e Darstellung erhalten . De r zweit e jüdisch e Aufstan d ha t keine n Geschichts schreiber gehabt . Z u einzelne n kurze n Angaben , di e be i antike n Schrift stellen vermerk t sind , sin d Fund e hinzugetreten , di e be i archäologische n Untersuchungen in Palästina gemacht wurden. Spuren der Aufständischen,dar unter Brief e un d einig e schriftliche Aufzeichnungen , wurde n entdeckt , so da ß der Ablau f de r Ereigniss e mi t einige r Sicherhei t rekonstruier t werde n kann . Unter de r Regierun g de s Kaiser s Hadria n (117-13 8 n.Chr. ) ka m e s z u einer plötzliche n Erhebun g de r Juden . De n Anla ß hatte n wahrscheinlic h zwei Anordnunge n gegeben , di e Hadria n getroffe n hatte . Währen d eine r Reise, di e e r 130/13 1 n.Chr durc h de n Orien t unternahm , ga b de r Kaise r Anweisungen z u neue n Bauten . Dabe i befah l e r auch , au f de n Trümmer n des Tempel s i n Jerusale m ei n Heiligtu m fü r de n Jupite r Capitolinu s z u erbauen. Sodan n verfügt e Hadria n i n eine m Erla ß ei n allgemeine s Verbo t der Kastration , mi t de m zugleic h auc h di e Beschneidun g untersag t wurde . Daß a n de r heilige n Stätt e ei n heidnische r Tempe l errichte t un d Israe l seine s Bundeszeichens beraub t werde n sollte , rie f groß e Erbitterun g unte r de n Juden hervor . De n Aufständische n gelan g es , groß e Teil e vo n Judä a i m Handstreich i n ihr e Gewalt z u bringen . O b si e in Jerusale m de n Opferdiens t wieder aufnehme n konnten , is t nich t siche r überliefert . Ma n prägt e Münze n zum Zeiche n de r ne u gewonnene n Selbständigkei t un d began n nac h eine r neuen Är a z u zählen , di e mi t de m erste n Jah r de r Erhebun g ihre n Anfan g nahm. De r Führe r de r Aufständische n wurd e vo n Rabb i Aqiba , de m angese hensten Schriftgelehrte n de r damalige n Zeit , al s de r verheißen e Sternensoh n von 4.Mos e 24,17 begrüßt . Di e messianisch e Zei t schie n anzubrechen . Da die Judenchristen , di e i n Palästin a lebten , de m messianische n Anspruc h de s Bar Kochb a nich t zustimme n konnten , wurde n si e vo n ih m un d seine n An hängern bluti g verfolgt . We r sic h weigerte , Jesu s al s de m Messia s abzusa gen, wurd e verhaftet ; viel e wurde n hingerichte t (vgl . Justin , Apologi e I, 31). (Vgl . Kippenberg - Wewers, S.65f. ) Die Röme r ginge n langsa m gege n di e Aufständische n vor , di e sic h nich t in offene r Feldschlach t stellten , suchte n si e i n de n Schlupfwinkel n auf , i n denen si e sich versteckten , schlösse n si e ein, hungerte n si e au s un d zwange n sie zu r Übergabe . Di e Widerstandskraf t de r jüdische n Kämpfe r began n all mählich z u schwinden . I m Wad i Murabba'a t wurd e ein e Reih e vo n Doku menten au s de r Zei t de s Ba r Kochb a gefunden , darunte r ei n Brief , de n mehrere Führe r de r Aufständische n a n Jeschu a be n Gilgola , eine n Kom 3»

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mandanten a m Tote n Meer , geschriebe n haben . Dari n heiß t es , die Heide n seien i m Anmarsch , deshal b könn e ma n nich t z u ih m kommen . Un d i n einem Schreiben , da s Simo n ba r Kochb a a n denselbe n Empfänge r richtet , droht e r ihm , e r werd e sein e Füß e i n Fessel n legen , wen n e r nich t di e Be ziehungen mi t de n Galiläer n abbreche . Vielleich t hatte n sic h jen e Galiläe r nicht a m Aufstan d beteilige n wollen , ode r e s handelt e sic h u m unzuver lässige Leute . Jedenfall s abe r mußt e de r Führe r de r Aufständische n mi t aller Energi e au f unbedingt e Befolgun g seine r Befehl e dringen . A n di e Stell e des Jubels , mit de m zunächs t viel e Jude n di e Erhebun g al s Befreiun g Israel s begrüßt hatten , tra t ein e sic h imme r weite r ausbreitend e Enttäuschung . Als di e Röme r di e Aufständische n Zu g u m Zu g i n di e Eng e trieben , ver schanzte sic h Ba r Kochb a mi t seine n Getreue n i n Beth-Te r i n Judäa . Doc h die Festun g wurd e vo n de n Römer n erobert , un d Ba r Kochb a fiel i m Kampf. Dami t wa r di e Hoffnung , e r werd e al s de r Messia s di e Heilszei t heraufführen, zunicht e geworden . Wei l di e unglückliche n Ereigniss e ein deutig erwiese n hatten , da ß Ba r Kochb a nich t de r Gesalbt e Gotte s gewese n sein konnte , erwähn t da s rabbinisch e Judentu m späte r seine n Name n nu r selten. Abe r ma n erho b nich t de n Vorwurf , e r hab e Got t gelästert . Dies e Anschuldigung wir d i m Judentu m nich t gege n eine n falsche n Messias , son dern ers t d a gelten d gemacht , w o nac h jüdische r Ansich t di e Einzigkei t Gottes angetaste t wir d (vgl . Joh.5,18; 10,36) . Auf de n Trümmer n Jerusalem s wurd e ein e römisch e Koloni e gegründet , die de n Name n Coloni a Aeli a Capitolin a erhielt ; ei n Tempe l wurd e de m Jupiter errichtet . Di e neu e Stad t wurd e nu r vo n NichtJude n bewohnt , de n Juden wa r e s untersagt , si e z u betreten . Vol l tiefe r Traue r gedachte n di e Juden alljährlic h a m 9 . Ab (da s is t End e Juli , Anfan g August ) de r Zer störung Jerusalem s un d de r Vernichtun g de s Tempels . I m vierte n Jahr hundert n . Chr. wurd e e s ihne n dan n erlaubt , a n diese m Tag e de r Traue r die Stad t z u betrete n un d a n de r Mauer , di e vo m herodianische n Tempe l geblieben war , ihr e Klagegebet e z u verrichten . Das Judentu m hatt e abermal s schwerst e Verlust e erlitten ; viel e Schrift gelehrte, di e de n Aufstan d unterstütz t hatten , ware n umgekommen . Di e Legende erzählt , ma n hab e Rabb i Aqib a entsetzlic h gepeinig t un d sei n Fleisch mi t eiserne n Kämme n gekämmt . Al s dan n abe r di e Stund e kam , zu de r de r Jud e da s „Hör e Israel , de r Herr , unse r Gott , is t einer " (5.Mos e 6,4) al s Ausdruc k seine s Bekenntnisse s z u spreche n hat , hab e Aqib a da s Wort ,einer ' - wi e e s i m Gebet , da s al s verdienstlic h gilt , geschehe n sol l ganz lang ausgehalte n un d se i mit diese m Wor t au f de n Lippe n verschieden . So bewahrt e e r di e Treu e gege n da s Geset z bi s zu m letzte n Augenblic k seines Lebens . Di e Festigkeit , mi t de r di e Leidende n un d Sterbende n zu m Gesetz standen , erfüllt e abe r auc h di e Lebende n un d hal f ihnen , di e schwe r geschlagenen Gemeinde n wiede r u m da s Geset z z u sammel n un d a m Glauben de r Väte r festzuhalten . (Vgl . Kippenberg — Wewers, S . 228 f. )

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Religiöse Bewegunge n un d geistig e Strömunge n i m Judentu m 3

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II. KAPITEL

Religiöse Bewegunge n un d geistig e Strömungen i m Judentu m zur Zei t de s Neuen Testament s a) Die Apokalyptik 1. Die Grundstruktur der

Apokalyptik

Im Lauf e seine r vo n viele n Wechselfällen , Kriege n un d Notzeite n be wegten Geschicht e wurd e fü r da s Judentu m di e Frage imme r bedrängender , wann den n Got t sein e Verheißunge n wah r mache n werde . Wei l di e gött lichen Heilszusage n i n krasse m Widerspruc h z u de r vo n Lei d un d Be trübnis erfüllte n Gegenwar t standen , richtet e sic h di e Hoffnun g de r From men nich t au f innergeschichtlich e Ereignisse , sonder n au f di e zukünftig e Weltenwende, durc h di e alle s verwandel t werde n sollte . Vo n diese r Er wartung is t i n de r apokalyptische n Literatu r di e Rede , di e i n de r Zei t vo m Beginn de s zweite n vorchristliche n Jahrhundert s bi s zu m Anfan g de s zweiten nachchristliche n Jahrhundert s entstande n ist . Di e Bezeichnun g Apokalyptik knüpf t a n di e erste n Wort e de r Offenbarun g de s Johanne s a n und verwende t da s griechisch e Wor t apokalypsi s = Offenbarung , u m sowohl di e apokalyptisch e Literatu r al s auc h di e i n ih r zu m Ausdruc k ge brachten Vorstellunge n z u benennen . I n de n literarische n Dokumente n de s apokalyptischen Judentum s findet sic h kei n derartige r zusammenfassende r Begriff. Woh l abe r wir d i n de n verschiedene n Büchern , di e i n diese r Zei t entstanden sind , ein e au f da s End e gerichtet e Hoffnun g ausgesproche n un d dargestellt, i n de r ein e bestimmt e Grundstruktu r erkennba r wird , di e sic h trotz manche r Verschiedenheite n i n de r jeweilige n Ausprägun g durchhält . Die Apokalypti k erwarte t nicht , da ß sic h de r Gan g de r Geschicht e zu m Besseren wende n wird , sonder n si e rechne t damit , da ß dies e Wel t unte r furchtbaren Schrecke n z u End e gehe n wird . Da s Hei l abe r wir d mi t de r neuen Welt , di e Got t heraufführt , anhebe n un d de n Fromme n i n nich t auf hörender Herrlichkei t zutei l werden . Dies e Wel t is t de m Tod e un d Ver gehen verfallen , jen e Wel t abe r wir d kein e No t kenne n un d di e Wieder kehr paradiesische r Zuständ e bringen . „De r Höchst e ha t nich t eine n Äo n geschaffen, sonder n zwei " (4.Esra7,50) . „E r ha t au f de r Waag e de n Äo n gewogen, e r ha t di e Stunde n mi t de m Maß e gemesse n un d nac h de r Zah l die Zeite n gezählt " (4.Esra4,36f.) . Durc h Gotte s Eingreife n wir d de m Lau f der Geschicht e ei n End e gesetz t un d de r Begin n seine r ewige n Herrschaf t heraufgeführt. S o schau t Danie l ein e mächtig e Gestalt , da s Haup t vo n feinem Gold , di e Brus t un d Arm e vo n Silber , de r Bauc h un d di e Lende n von Erz , di e Schenke l au s Eise n un d di e Füß e teil s au s Eisen , teil s au s Ton . Da roll t plötzlic h ei n Stein , nich t vo n Menschenhan d gelöst , au f di e Statu e zu, triff t ihr e Füße , wirf t si e u m un d zermalm t sie , s o da ß Eisen , Ton , Erz , Silber un d Gol d auseinanderfalle n un d nicht s übri g bleib t (Dan . 2,31-35).

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II. KAPITEL

Religiöse Bewegunge n un d geistig e Strömungen i m Judentu m zur Zei t de s Neuen Testament s a) Die Apokalyptik 1. Die Grundstruktur der

Apokalyptik

Im Lauf e seine r vo n viele n Wechselfällen , Kriege n un d Notzeite n be wegten Geschicht e wurd e fü r da s Judentu m di e Frage imme r bedrängender , wann den n Got t sein e Verheißunge n wah r mache n werde . Wei l di e gött lichen Heilszusage n i n krasse m Widerspruc h z u de r vo n Lei d un d Be trübnis erfüllte n Gegenwar t standen , richtet e sic h di e Hoffnun g de r From men nich t au f innergeschichtlich e Ereignisse , sonder n au f di e zukünftig e Weltenwende, durc h di e alle s verwandel t werde n sollte . Vo n diese r Er wartung is t i n de r apokalyptische n Literatu r di e Rede , di e i n de r Zei t vo m Beginn de s zweite n vorchristliche n Jahrhundert s bi s zu m Anfan g de s zweiten nachchristliche n Jahrhundert s entstande n ist . Di e Bezeichnun g Apokalyptik knüpf t a n di e erste n Wort e de r Offenbarun g de s Johanne s a n und verwende t da s griechisch e Wor t apokalypsi s = Offenbarung , u m sowohl di e apokalyptisch e Literatu r al s auc h di e i n ih r zu m Ausdruc k ge brachten Vorstellunge n z u benennen . I n de n literarische n Dokumente n de s apokalyptischen Judentum s findet sic h kei n derartige r zusammenfassende r Begriff. Woh l abe r wir d i n de n verschiedene n Büchern , di e i n diese r Zei t entstanden sind , ein e au f da s End e gerichtet e Hoffnun g ausgesproche n un d dargestellt, i n de r ein e bestimmt e Grundstruktu r erkennba r wird , di e sic h trotz manche r Verschiedenheite n i n de r jeweilige n Ausprägun g durchhält . Die Apokalypti k erwarte t nicht , da ß sic h de r Gan g de r Geschicht e zu m Besseren wende n wird , sonder n si e rechne t damit , da ß dies e Wel t unte r furchtbaren Schrecke n z u End e gehe n wird . Da s Hei l abe r wir d mi t de r neuen Welt , di e Got t heraufführt , anhebe n un d de n Fromme n i n nich t auf hörender Herrlichkei t zutei l werden . Dies e Wel t is t de m Tod e un d Ver gehen verfallen , jen e Wel t abe r wir d kein e No t kenne n un d di e Wieder kehr paradiesische r Zuständ e bringen . „De r Höchst e ha t nich t eine n Äo n geschaffen, sonder n zwei " (4.Esra7,50) . „E r ha t au f de r Waag e de n Äo n gewogen, e r ha t di e Stunde n mi t de m Maß e gemesse n un d nac h de r Zah l die Zeite n gezählt " (4.Esra4,36f.) . Durc h Gotte s Eingreife n wir d de m Lau f der Geschicht e ei n End e gesetz t un d de r Begin n seine r ewige n Herrschaf t heraufgeführt. S o schau t Danie l ein e mächtig e Gestalt , da s Haup t vo n feinem Gold , di e Brus t un d Arm e vo n Silber , de r Bauc h un d di e Lende n von Erz , di e Schenke l au s Eise n un d di e Füß e teil s au s Eisen , teil s au s Ton . Da roll t plötzlic h ei n Stein , nich t vo n Menschenhan d gelöst , au f di e Statu e zu, triff t ihr e Füße , wirf t si e u m un d zermalm t sie , s o da ß Eisen , Ton , Erz , Silber un d Gol d auseinanderfalle n un d nicht s übri g bleib t (Dan . 2,31-35).

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Eduard Lohse , Umwel t de s Neue n Testament s

Dieses Bild wird dahi n gedeutet , da ß di e verschiedenen Metall e di e nachein ander kommende n un d gehende n Weltreich e vo n de n Neubabylonier n bi s zu Alexande r d . Gr . un d de m Zeitalte r de s Hellenismu s darstellen . Inde m sie z u eine r einzige n Gestal t verbunde n werden , wir d di e ganz e Weltge schichte in de n Blick genommen un d di e Abfolge de r aufsteigende n un d wie der vergehende n Großreich e z u eine r Einhei t zusammengezogen , de r Got t ein End e setzt , u m sei n Königreic h aufzurichten , da s niemal s vergehen , all e Königreiche diese r Erd e zermalmen , selbs t abe r i n Ewigkei t bleibe n wir d (Dan. 2,44). Das Problem , waru m dies e Wel t de m Untergan g verfalle n ist , ha t di e Apokalyptiker imme r wiede r beschäftigt . I n de n leidvolle n Ereignisse n de r Geschichte erkenn t ma n Gotte s strafende s Handeln , mi t de m e r di e Schul d der Mensche n heimsucht , nich t nu r de r lebenden , sonder n auc h de r ver gangenen Geschlechter . J e meh r ma n übe r dies e Frag e nachsinnt , u m s o umfassender wir d di e Antwort , di e ma n z u gebe n sucht . Di e letzt e un d tiefste Ursach e dafür , da ß übe r diese n Äo n da s Gerich t verhäng t wurde , sieht ma n schließlic h i n de r Ta t Adam s begründet , de r da s ein e Gebo t Gottes, da s ih m gegebe n war , übertrete n hat . Di e Folge n seine r Ta t abe r haben all e Nachkommen betroffen , un d di e böse Saat , die in Adam s Herze n aufging, ha t ihr e Fruch t getrage n (4.Esra4,30) . Den n vo n nu n a n müsse n alle Mensche n sterben . Ada m ha t als o durc h seine n Ungehorsa m de n To d in di e Welt gebrach t un d di e Jahr e dere r verkürzt , di e vo n ih m abstamme n (syr. Bar. 23,4). Da s Todesgeschic k is t jedoc h nich t lediglic h al s ei n unab wendbares Verhängni s übe r di e Menschhei t hereingebrochen , sondern : „Wenn Ada m zuers t gesündig t un d übe r all e de n vorzeitige n To d gebrach t hat, s o ha t doc h auc h vo n denen , di e vo n ih m abstammen , jede r einzeln e sich selbs t di e zukünftig e Pei n zugezogen " (syr . Bar. 54,15). Infolg e de s Sündenfalls konnte n de r Sata n un d sei n Hee r Mach t übe r dies e Wel t ge winnen. U m diese n Äo n is t e s dahe r s o schlech t bestellt , wei l di e Gewalte n der Finsterni s i n ih m ih r Regimen t führen . Di e böse n Engel , die Nachfahre n der gefallene n himmlische n Wese n (1.Mose6,1-4) , verführe n al s Dämone n die Mensche n zu m Götzendiens t un d z u schlimme n Taten . Di e finsteren Scharen, di e Arge s wirken , w o si e nu r können , stehe n unte r de m Befeh l des Widersacher s Gottes , de r al s Satan , Drache , Enge l de r Finsterni s ode r Belial (bzw . Beliar ) bezeichne t wird . E r streb t nac h de r Herrschaf t übe r di e Welt un d führ t sei n Hee r zu m Kamp f gege n di e Frommen , u m si e durc h Bedrängnis, i n di e e r si e stürzt , zu m Abfal l vo n Got t z u bewege n un d schließlich de n letzte n un d gefährlichste n Angrif f gege n di e heilig e Stad t z u richten. Weil da s Verhängni s scho n vo n Ada m herrühr t un d de r Sata n mi t de n dämonischen Mächte n i n diese r Wel t sei n Unwese n treibt , mu ß e s mi t dieser Wel t z u End e gehen . Si e bleib t freilic h Gotte s Schöpfung ; den n Got t hat beid e Äone n geschaffen , diesen , de r vergehe n muß , un d jenen , de r kommt. Sündig e Mensche n un d teuflisch e Gewalte n abe r habe n übe r dies e Welt da s Verderbe n gebracht , s o da ß da s Gerich t unwiderruflic h herauf -

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Religiöse Bewegunge n un d geistig e Strömunge n i m Judentu m 3

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zieht. I n de r letzte n Zei t werde n di e Mensche n a n Kraf t verlieren , entsetz liche Krankheite n werde n unte r ihne n wüte n un d si e schwächen . Kinde r werden mi t weiße m Haa r de r Greis e geboren , Mißgeburte n werde n sich häufen , di e Fraue n werde n überhaup t aufhöre n z u gebären . Di e Erd e wird ihr e Fruch t versagen , vergeblic h wir d di e Saa t au f di e Felde r gestreut , es wir d kei n Rege n meh r fallen , s o da ß da s Lan d vertrockne t un d di e Vegetation abstirbt . Ei n Vol k wir d gege n da s ander e aufstehen , Krieg e werden di e Menschhei t zerreißen , i n de n Familie n werde n Väte r gege n Söhne, Brüde r gege n Brüde r aufstehe n un d sic h entzweien , s o da ß e s nirgendwo meh r Friede n gebe n un d alle s verwüste t un d zerstör t wird . Wenn schließlic h auc h di e kosmisch e Ordnun g au s de n Fuge n gerate n wird , werden di e Gestirn e nich t meh r regelmäßi g ihr e Bahne n ziehe n un d a m Himmel grauenhaft e Zeiche n z u erblicke n sein . Dies e rasc h aufeinander folgenden Katastrophe n werde n vo n de n Fromme n al s die Wehen begriffen , in dene n sic h da s Komme n de r neue n Wel t Gotte s ankündigt . Got t streite t siegreich gege n di e böse n Mächte , möge n si e sic h auc h noc h s o grauenhaf t austoben, un d wir d a m End e übe r de n Sata n un d sein e Untertane n trium phieren. Die Gewißhei t de r Frommen , da ß di e kommend e Wel t a n di e Stell e de s vergehenden Äon s trete n wird , is t unerschütterlich ; den n Got t ha t ihne n die Zeite n mitgeteilt , s o da ß si e wissen , wa s noc h übe r dies e Wel t herein brechen muß , eh e da s End e kommt . I n de r Apokalypti k spiele n dahe r Zahlen ein e groß e Rolle . De r Verlau f de r Wel t roll t i n einzelne n Epoche n ab, di e bisweile n nac h de m Ma ß eine r große n Weltwoch e berechne t werden: Nac h 600 0 Jahre n wir d ei n Sabba t vo n tausen d Jahre n folgen . Di e Bedrückung dagege n is t au f ein e kurz e Fris t begrenzt , wi e z.B . durc h di e Hälfte de r Zah l siebe n - 3V 2 Jahr e (Dan . 7,25; 12,7 ) - angezeig t wird . I n Babylonien kannt e ma n siebe n al s Gottheite n verehrt e Gestirne , di e de n Lauf de s Kosmo s regieren . Di e Siebe n gal t dahe r de r alte n W 7elt al s Zah l der umfassende n Fülle . Of t wir d auc h di e Vie r erwähnt : Vie r Jahreszeiten , vier Ende n de r Erde , vie r Himmelsrichtunge n bestimme n di e Ordnun g de s Weltlaufs. Auc h di e Zwöl f steh t i m Zusammenhan g mi t de n Gestirnen : I n zwölf Monate n durchmiß t da s Jah r seine n Gang , s o da ß di e Zwöl f al s Sinnbild de r Vollendun g gilt . Wa r di e inhaltlich e Bestimmun g de r Zahle n durch Überlieferung , wi e si e de m Judentu m au s de r orientalische n Umwel t zugekommen war , bereit s vorgegeben , s o leg t di e Apokalypti k de n Zahle n nun Bedeutun g fü r di e endzeitlich e Erwartun g bei . Got t allei n kenn t da s Maß; e r ha t bestimmt , wi e lan g di e No t währe n sol l un d wieviel e Fromm e leiden un d sterbe n müssen , bi s das End e kommt . I n seine r Han d lieg t dahe r der Lau f alle n Geschehens , desse n letzt e Schrecke n e r verkürzt , u m di e Auserwählten z u retten . Wenn di e No t au f ihre n Höhepunk t gelang t ist , „wir d Gotte s Herrschaf t über all ' sein e Kreatu r erscheinen ; dan n wir d de r Teufe l ei n End e habe n und di e Traurigkei t hinweggenomme n werde n . .. De r Himmlisch e wir d von seine m Herrschersit z aufstehe n un d heraustrete n au s seine r heilige n

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Wohnung i n Empörun g un d Zor n wege n seine r Kinder . D a wir d di e Erd e erbeben, bi s z u ihre n Ende n erschüttert , un d hoh e Berg e werde n erniedrig t und erschüttert , un d Täle r werde n einsinken . Di e Sonn e wir d kei n Lich t mehr gebe n un d sic h i n Finsterni s verwandeln ; di e Hörne r de s Monde s werden zerbrechen , un d e r verwandel t sic h gan z i n Blut , un d de r Krei s de r Sterne wir d i n Verwirrun g geraten . Da s Mee r wir d bi s zu m Abgrun d zu rückweichen, un d di e Wasserquelle n werde n ausbleibe n un d di e Flüss e erstarren; den n de r höchst e Got t wir d sic h erheben , de r allei n ewi g ist , un d wird offe n hervortreten , u m di e Heide n z u strafen , un d all e ihr e Götzen bilder vernichten . Dan n wirs t d u glücklic h sein , Israe l . . . Un d Got t wir d dich erhöhe n un d a m Sternenhimme l schwebe n lassen , a m Or t ihre r Woh nung. Dan n wirs t d u vo n obe n herabschaue n un d dein e Feind e au f Erde n sehen und si e erkennen un d dic h freue n un d Dan k sage n un d dic h z u deine m Schöpfer bekennen " (Himmelfahr t de s Mos e 10,1-10). Wenn mi t de m Ta g de s Herr n da s End e de r Notzei t d a ist , dan n nimm t der Höchst e au f de m Richterthro n Platz , de r himmlisch e Gerichtsho f ver sammelt sic h u m ihn , Zehntausend e vo n Engel n erscheinen . Büche r werde n herbeigebracht, i n dene n all e Tate n de r Mensche n verzeichne t sind , au s denen ersehe n werde n kann , wa s jede r geta n hat , Gute s un d Böses , un d i n denen vermerk t ist , we r zu m Lebe n un d we r zu m To d un d Verderbe n be stimmt ist, so daß danach da s Urteil gesproche n un d unverzüglic h vollstreck t werden kann . All e Mensche n müsse n vo r Gotte s Gerich t erscheine n - nich t nur di e Juden , sonder n auc h di e Heiden , nich t nu r di e Lebenden , sonder n auch di e Toten . Von de r Auferstehung der Toten wir d i m Judentu m etw a sei t de r Wend e vom dritte n zu m zweite n Jahrhunder t v . Chr. i n deutliche n Worte n ge sprochen. Zunächs t hie ß es , da ß nu r di e Gerechten , di e vo r Anbruc h de s Heils gestorbe n waren , auferstehe n werden , u m a n de r zukünftige n Herr lichkeit teilzuhabe n (vgl . Lk . 14,14: Auferstehun g de r Gerechten) . Doc h i m Zusammenhang mi t de r Erwartun g de s Weltgericht s wurd e de r Gedank e der Auferstehun g bal d erweiter t (vgl . S. 142f.), s o da ß ma n nu n dachte , da ß nicht nu r di e Gerechte n zu r Seligkei t auferstehen , sonder n all e Mensche n aus de m Tod e auferweck t werden , u m sic h vo r de m Richtstuh l Gotte s z u verantworten. I n de r Zwischenzei t sin d di e Seele n de r Verstorbene n a n einem himmlische n Or t aufbewahrt , di e Leibe r abe r ruhe n i n de n Gräbern . Am Jüngste n Ta g „werde n sic h di e Vorratskammer n auftun , i n dene n di e Zahl de r Seele n de r Gerechte n aufbewahr t worde n ist , un d si e werde n her ausgehen; un d di e viele n Seele n werde n all e au f einmal , al s ein e Scha r eine s Sinnes, zum Vorschei n kommen " (syr . Bar. 30,2). Die Tote n stehe n zunächs t in de r Gestal t auf , i n de r si e eins t au f Erde n geleb t haben . E s bleib t als o die Identitä t de s auferstandene n Mensche n mi t dem , de r eins t geleb t hat , gewahrt, s o da ß e r fü r sein e Tate n Rechenschaf t abzulege n hat . Ers t wen n der Spruc h de s Richter s ergange n ist , vollzieh t sic h di e Verwandlung : Di e Gerechten werde n i n himmlische m Glan z erstrahlen , di e Gottlose n abe r müssen i n di e Unterwel t hinuntergehe n (syr . Bar. 49-52).

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Vielfach wir d di e Szen e de s Gerichte s s o dargestellt , da ß Got t allei n au f dem Thro n sitz t un d da s Urtei l fällt . I n de r Abfolg e de r endzeitliche n Er eignisse brauch t nac h apokalyptische r Vorstellun g nich t notwendi g ein e messianische Gestal t aufzutreten ; den n Got t un d kei n andere r häl t da s Gericht und führ t di e neue Welt herauf. Verschiedentlich abe r begegne t auc h in de r Apokalypti k ein e messianisch e Rettergestalt , dere n Züg e freilic h deutlich vo n de r vo r alle m i n de n Kreise n de r Pharisäe r entfaltete n Erwar tung eine s endzeitliche n Herrscher s abweichen , de r nac h de m Vorbil d Davids al s Köni g Israel s auftrete n wir d (vgl . S.138f.) . Vo m Himme l he r wird de r göttlich e Gesandt e erscheinen , u m de n neue n Äo n einzuleiten , Not, Krankhei t un d To d z u vertreiben , de n Sata n z u besiege n un d di e Wiederkehr de s Paradiese s z u bringen . Die Gestal t de s himmlische n Menschensohnes wir d zu m erste n Mal e Dan. 7,13 f. erwähnt . Nachde m de r Hochbetagt e au f seine m Thro n Plat z genommen hat , u m seine n unwiderrufliche n Richterspruc h z u fällen , er scheint au f de n Wolke n de s Himmel s eine r wi e eine s Mensche n Sohn , de r vor de n Hochbetagte n gebrach t wird . De r verleih t ih m Gewalt , Ehr e un d Herrschaft, da ß ih m all e Völker , Natione n un d Zunge n diene n sollen . De r Menschensohn wir d dan n a m End e de s Kapitel s au f da s Vol k de r Heilige n des Höchste n gedeutet , de m da s Reich , di e Herrschaf t un d di e Mach t ge geben wir d (Dan . 7,27). I m Gegensat z z u de n Tieren , di e nac h Dan . 7,4- 8 die nacheinande r aufsteigende n Weltreich e darstellen , bilde t de r Menschen sohn da s Gottesvol k de r zukünftige n Heilszei t ab , da s nich t wi e all e dies seitigen Völke r un d Mächt e vergehe n wird . In de n Bilderrede n de r äthiopische n Henochapokalyps e 37-7 1 wir d de r Menschensohn de m Gottesvol k gegenübergestell t un d al s de r vo m Himme l her erscheinend e Rette r un d Richte r beschrieben . I n visionäre r Scha u er blickt de r Sehe r de n göttliche n Richte r au f de m Thron , de r ei n betagte s Haupt ha t un d desse n Haup t wei ß wa r wi e Wolle . „Un d be i ih m wa r ei n anderer, desse n Antlit z wi e da s Aussehe n eine s Mensche n war , un d sei n Antlitz wa r vol l Anmu t gleichwi e eine s vo n de n heilige n Engeln " (äth.Hen . 46,1). Au f di e Frag e de s Sehers , we r diese r sei , antworte t de r Engel , de r ihm all e Geheimniss e zeigt : „Die s is t de r Menschensohn , de r di e Gerechtig keit hat , be i de m di e Gerechtigkei t wohnt , un d de r all e Schätz e dessen , wa s verborgen ist , offenbart; den n de r Her r de r Geiste r ha t ih n auserwählt , un d sein Lo s ha t vo r de m Herr n de r Geiste r alle s durc h Rechtschaffenhei t i n Ewigkeit übertroffen . Diese r Menschensohn , de n d u gesehe n hast , wir d die König e un d Mächtige n vo n ihre n Lager n un d di e Starke n vo n ihre n Thronen sic h erhebe n machen ; e r wir d di e Züge l de r Starke n löse n un d di e Zähne de r Sünde r zermalmen " (äth.Hen.46,3f.) . E r wir d al s Richte r seine s Amtes walte n un d di e König e de r irdische n Reich e vo n ihre n Throne n stoßen, ihne n di e Herrschaf t nehme n un d übe r all e Gottlose n Gerich t halten. Al s Rette r abe r wir d e r handeln , u m di e Gerechte n z u erlösen , di e Gemeinde de r Auserwählte n zu r Freihei t z u führen , mi t de n Seine n da s

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messianische Freudenmah l z u feier n (äth.Hen . 62,13-16) un d al s neue r Paradieseskönig z u herrsche n (äth.Hen.69,26-29) . Das Gerichtsurteil, da s a m Jüngste n Ta g gesproche n wird , is t endgülti g und unwiderruflich . De n Gottlose n un d Sünder n wir d dan n kein e Gelegen heit meh r gebote n werden , umzukehre n un d ihre n böse n We g z u verlassen . Sie werde n de r ewige n Verdammni s überantwortet , au s de r e s kei n Ent rinnen meh r gibt , un d müsse n i n de r Finsterni s un d ewige n Pein , i n di e si e geworfen werden , i n de r vollkommene n Gottesfern e bleiben . Die Gerechte n aber werde n i n di e ewig e Gemeinschaf t mi t Got t eingehe n un d di e nich t endende Freud e de s Paradiese s genießen . Got t selbs t wir d übe r ihne n woh nen, di e himmlisch e Herrlichkei t tu t sic h ihne n auf , e s wir d kei n Lei d un d keine Krankhei t meh r geben , kein e Sünd e un d nicht s Böses . In ungestörte m Frieden werde n di e Flure n grüne n un d di e Felde r überreich e Fruch t tragen . Die Fromme n werde n i n de r unsagbare n Freud e leben , di e mi t de r neue n Welt Gotte s kommt . Das Ende der alten Welt wir d gelegentlic h s o beschrieben , da ß si e i n einem ungeheure n Feuerbran d vernichte t wird . A n ihr e Stell e trete n de r neue Himmel un d di e neue Erde, von denen scho n a m Ende de s Jesajabuche s die Red e is t (Jes . 65,17; 66,22) . De n Anbruc h de r neue n Wel t denk t ma n sich entweder so , daß Jerusalem , de r Zio n un d da s heilig e Lan d verwandel t werden, s o da ß au s ihne n de r Garte n de s Paradiese s wird . Ode r abe r ma n stellt sic h vor , da ß di e neu e Wel t scho n i m Himme l bereitlieg t un d sic h a m Ende de r Tag e au f di e Erd e herabsenke n wird . Da s neu e Jerusale m is t prä existent be i Got t scho n vorhande n un d wir d dan n i n wunderbare m Glan z an di e Stell e de r alte n Stad t treten . Got t ha t di e himmlisch e Stad t scho n erbaut, al s e r de n Entschlu ß faßte , da s Paradie s z u schaffen . Ada m durft e sie schaue n vo r de m Sündenfall , Abraha m un d Mos e durfte n ih r Bil d er blicken (syr . Bar. 4,2-6). Di e Stadt , di e au s kostbare n Baustoffe n errichtet , mit Juwele n geschmück t un d mi t ungeheure n Mauer n un d Türme n be festigt ist , wir d eine n weitau s größere n Rau m einnehme n al s da s i n Trüm mer gesunken e Jerusale m un d sic h au f Gotte s Befeh l s o wei t dehnen , da ß es fü r all e Plat z bietet , di e zu m Israe l de r Heilszei t gehöre n un d a m Or t der Selige n i n herrliche m Glan z lebe n dürfen . Die Grundstruktu r de r Apokalyptik , di e be i alle r Vielfal t de r Bilde r un d Aussagen i n de n einzelne n Schrifte n überal l erkennba r wird , is t durc h de n Dualismus bestimmt : Dies e Wel t vergeh t - jen e Wel t kommt . Wei l sic h in de n Bedrängnisse n de r Gegenwar t bereit s di e Wend e ankündigt , daru m kann e s nich t meh r lang e dauern , bi s de m Lei d ei n End e bereite t un d di e Seligkeit de n Gerechte n zutei l wird . Wa s imme r a n Schrecke n noc h übe r die Gemeind e de r Fromme n hereinbreche n mag , kan n di e Gewißheit , da ß die Erlösung naht , nich t anfechten . Diese dualistisch e Grundstruktu r de r Apokalypti k kan n nich t allei n au s der Fortführun g alttestamentlich-jüdische r Überlieferun g erklär t werden . Wohl is t i n de r Apokalypti k i n reiche m Maß e alttestamentlicbe Traditio n aufgenommen un d verwende t worden , u m de r au f da s End e gerichtete n

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Hoffnung Ausdruc k z u geben . Vo m Gerich t un d de r Erlösung , vo m neue n Himmel un d de r neue n Erd e is t i n de n prophetische n Schriften , vo r alle m in denen , di e i n de r Zei t nac h de m Exi l entstande n sind , of t di e Rede . A n diese Gedanke n knüpfe n di e Apokalyptiker , di e sic h al s Erbe n de r alttesta mentlichen Prophete n verstehen , an . Abe r darübe r hinau s is t di e vo n ihne n vorgetragene endzeitlich e Erwartun g mi t mancherle i Züge n ausgestattet , die nich t au s de m Alte n Testamen t genomme n sind . Da s Gerich t ergeh t nicht nu r übe r di e heidnische n Völker , di e a n Israel s Grenze n wohnen , e s betrifft nich t nu r di e Juden , sonder n e s wir d al s Weltgerich t übe r di e Lebenden un d di e Tote n gehalten . Di e Tote n werde n au s de n Gräber n auf erstehen, u m dan n entwede r i n di e ewig e Verdammni s ode r i n di e ewig e Freude einzugehen . Di e Wend e vo m alte n zu m neue n Äo n ha t kosmisch e Ausmaße; all e Welt , Himme l un d Erd e sin d vo n diese m Geschehe n be troffen. Im persische n Reic h lebte n Jude n un d Anhänge r de r iranischen Religion in friedlicher Nachbarschaf t nebeneinander , s o daß mancherle i Berührunge n entstehen konnten . Di e iranisch e Religio n is t vo n eine m schroffe n Dualis mus geprägt : De r gut e Got t steh t de m böse n Got t gegenüber , beid e liege n im Kamp f miteinander . Da s Ringe n zwische n diese n Mächten , da s sic h durch di e ganze Weltgeschichte zieht , führt allmählic h zu r Überlegenheit de s Guten übe r da s Böse . A m End e de r Wel t werde n di e Tote n zu m Lebe n er weckt. Ei n Feuerbran d fäll t vo m Himme l un d vernichte t di e alt e Welt , all e Menschen abe r müsse n durc h da s Feue r hindurchgehen . Fü r di e eine n wir d es wi e ei n Ba d i n warme r Milc h sein , fü r di e andere n wir d e s entsetzlich e Qualen bringen , di e jedoc h reinigend e Wirkun g ausüben , s o da ß schließlic h alle Mensche n gerette t werden . Di e Mächt e de s Böse n abe r werde n a m Ende besieg t un d entmachtet . Das Judentu m ha t di e dualistisch e Grundstruktu r de r Apokalypti k aus gebildet, inde m iranisch e Vorstellunge n aufgenomme n un d mi t de m Be kenntnis zu m Got t Israel s al s de m Herr n de r Wel t verbunde n wurden : Diesem Äo n steh t jene r Äo n gegenüber . Gege n di e satanisch e Gewal t mu ß ein harte r Kamp f bestande n werden . Di e Tote n werde n auferweckt , dan n folgt da s Gerich t un d di e endzeitlich e Erlösung . Di e Übernahm e endzeit licher Vorstellunge n au s de r iranische n Religio n wurd e dadurc h ermöglicht , daß i m Judentu m di e Voraussetzunge n vorhande n waren , u m mi t Hilf e de r aus dem Ira n kommende n Anschauunge n de n alte n Glaube n i n neue r Weis e zum Ausdruc k z u bringen . Jahw e wa r fü r di e Jude n nich t nu r de r Her r seines Volkes , sonder n de r Her r de r Geschicht e alle r Völker , de r ganze n Welt. Di e iranische n Gedanke n bliebe n jedoc h nich t unverändert , sonder n wurden nu n vo m Jahweglaube n her , de m si e dienstba r gemach t wurden , inhaltlich umgeprägt . Vo n eine m böse n Gott , de r de m gute n Got t al s gleich rangiger Gegenspiele r gegenübersteht , konnt e da s Judentu m nich t sprechen . Während de r Sata n al s ei n abgefallene r Enge l gilt , vo n wei t geringere r Macht, al s si e Got t eignet , is t un d bleib t Got t de r Schöpfer , de r de n böse n Gewalten ein e bestimmt e Zei t gelasse n hat , i n de r si e ih r Unwese n

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treiben dürfen . I n seine r Han d lieg t da s Regimen t übe r di e vergehend e un d über di e kommend e Welt . Diese s i n de r Apokalypti k ausgeprägt e Bil d de s endzeitlichen Geschehen s sprengt e de n Rahme n de r ältere n Anschauung , die au f di e Grenze n Israel s beschränk t war , s o da ß sic h de r Horizon t weitete un d zugleic h da s Selbstverständni s Israel s veränderte . Den n inde m es seine n Got t al s de n Herr n alle r Wel t bekannte , verstan d e s sic h nich t mehr i n erste r Lini e al s Gemeinschaf t eine s Volkes , sonder n vornehmlic h als di e Gemeind e de r Auserwählten , di e unte r de r Herrschaf t Gotte s steht , dessen Regimen t alle r Wel t offenba r werde n wird . Die endzeitliche Erwartung der ersten Christen bedient e sic h vielfac h apokalyptischer Vorstellunge n un d Begriffe , di e da s Judentu m ausgebilde t hatte. Jesu s predig t da s Komme n de r nahende n Gottesherrschaf t (Mk . 1,1 5 Par.), lehn t abe r mi t alle r Entschiedenhei t da s Ansinne n ab , di e Friste n und Zeite n z u berechne n (Lk . 17,20f.). Sein e Verkündigun g is t dahe r i m Unterschied zu r Apokalypti k vo n jede r Gesetzlichkei t fre i un d sag t de n Anbruch de r Gottesherrschaf t al s di e groß e Freudenbotschaf t an . Di e ur christlichen Gemeinde n erwartete n i n nahe r Zukunf t di e Erscheinun g de s Herrn zu r Befreiun g de r Seine n un d zu m Gerich t übe r all e Welt . Diese r Äon vergeh t (1.Kor . 7,31), unte r Krie g un d Not , Bedrängnisse n un d kos mischen Erschütterunge n abe r kündig t sic h da s Komme n de s Menschen sohns a n (Mk . 13,1-27 Par.) . Wi e i n de r jüdische n Apokalypti k entwede r Gott allei n al s de r Richte r vorgestell t ode r abe r de r Menschensoh n al s de r von ih m beauftragt e Vollstrecke r de s Gerichte s beschriebe n wird , s o kan n auch i n de r endzeitliche n Erwartun g de s Urchristentum s einma l vo m Richt stuhl Gotte s (Rom . 14,10), ei n andere s Ma l abe r vo m Richtstuh l Christ i (2.Kor.5,10) gesproche n werden , ohn e da ß dami t ei n Bedeutungsunter schied vorliegt . Den n de r Menschensohn/Messia s handel t kraf t göttliche r Vollmacht un d walte t au f Weisun g de s Höchste n seine s Amtes . Wei l nie mand de n Ta g un d di e Stund e de s Ende s z u nenne n wei ß (Mk . 13,32Par.), müssen all e ständi g berei t sei n un d wachen . Ja , mi t Christu s is t di e neu e Schöpfung bereit s angebrochen ; den n we r i n Christu s ist , de r is t hie r un d jetzt neu e Kreatu r (2.Kor.5,17) . E r dar f sic h dahe r nich t meh r vo n de r prägenden Gewal t diese s Äon s bestimme n lasse n (Rom . 12,2) un d nich t de r Weisheit diese r Wel t folgen , de r da s Wor t vo m Kreu z al s Torhei t erschein t (1.Kor. 1,20); den n Christu s ha t sic h dahingegebe n fü r unser e Sünden , u m uns au s de m gegenwärtige n böse n Äo n herauszureiße n (Gal . 1,4). Währen d in de r jüdische n Apokalypti k di e Wend e vo m alte n zu m neue n Äo n vor gestellt werde n kann , ohn e da ß ein e messianisch e Gestal t dabe i mitwirkt , ist fü r di e endzeitlich e Hoffnun g de r Christe n ih r Glaub e a n de n gekreu zigten un d auferstandene n Messias , de n si e al s de n kommende n erwarten , schlechthin bestimmend . W o ma n dahe r i n de n christliche n Gemeinde n apokalyptische Vorstellunge n übernahm , wurde n si e vo n de r Christologi e her mi t neue m Inhal t gefüllt , u m nu n de r Entfaltun g de r christliche n Ver kündigung z u dienen .

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Die Christe n knüpfte n nich t nu r a n dies e un d jen e Gedanke n au s de r jüdischen Apokalypti k an , sonder n si e lase n auc h apokalyptisch e Schrifte n und deutete n di e dari n ausgesprochene n Verheißunge n au f da s i n Christu s offenbar geworden e Heil . Um sic h von de n Christe n kla r abgrenze n z u kön nen, verzichtet e dahe r da s rabbinisch e Judentum , da s nac h de n beide n miß lungenen Aufstände n di e Synagogengemeinde n wiede r sammelte , au f di e apokalyptischen Büche r un d stie ß si e ab . Dies e Trennun g wurd e s o schar f vollzogen, da ß ma n i n de n Synagoge n di e apokalyptische n Büche r vernich tete und nu r seh r wenige apokalyptisch e Text e i n de r hebräischen Ursprach e erhalten sind . Di e meiste n Schrifte n sin d i n Übersetzunge n überliefert , i n denen si e von Christe n gelese n un d weitergegebe n worde n sind . 2. Das apokalyptische Schrifttum Das Wisse n u m di e kommend e Äonenwend e un d de n Plan , de n Got t mi t der Wel t hat , is t de n Apokalyptiker n durc h geheim e Offenbarun g kund gemacht worden . I n Träumen , ekstatische n Entrückunge n un d Visione n wird da s zukünftig e Geschehe n geschaut . Währen d di e alttestamentliche n Propheten vornehmlic h i m Wor t di e Botschaf t Gotte s empfinge n un d si e durch Verkündigun g weitergaben , diene n i n de r Apokalypti k Bil d un d Gleichnis, di e ein e eingehend e Deutun g erfahre n müssen , zu r Übermittlun g göttlicher Weisung . Predigte n di e Prophete n eins t unmittelba r de n Men schen ihre r Zeit , s o verfasse n di e Apokalyptike r literarisch e Werke . Ihr e Botschaft verhülle n si e mi t de m Schleie r de s Geheimnisses , dami t si e beson ders anziehen d wirkt , un d gebe n di e apokalyptische n Büche r unte r de m Namen eine s große n Fromme n de r Vergangenhei t heraus . Hinte r de n Namen de s Henoch , Abraham , Jako b un d seine r Söhne , Mose , Baruch , Daniel, Esr a un d andere r verberge n sic h di e anonyme n Verfasse r jüdische r Apokalypsen. Si e lasse n dies e Gottesmänne r spreche n un d de n Gan g de r Geschichte weissagen . Vo n de n Tagen , i n dene n de r alttestamentlich e Pro phet lebte , bi s zu m Zeitpunk t de r Abfassun g de s apokalyptische n Buche s wird di e bereit s vergangen e Geschicht e beschrieben , al s o b de r Gottesman n deren Lau f i m einzelne n vorausgesehe n hätte . Wi e sic h dies e prophetisch e Schau bishe r gena u erfüll t ha t (vaticini a e x eventu) , s o werde n auc h di e weiteren Weissagungen , di e sic h au f di e Endereigniss e beziehen , eintreffen . Die Geschehnisse , di e de m End e diese r Wel t vorangehen , werde n i n wech selnden Visione n mi t reiche r Phantasi e ausgemalt . Di e Darstellun g de r Äonenwende un d de r neue n Schöpfun g bilde t de n Abschlu ß de r bunte n Szenenfolge. Die Fromme n de s Alte n Testaments , di e nac h de r Darstellun g de r apo kalyptischen Büche r solche r Gesicht e gewürdig t wurden , habe n ihr e Schrif ten verschlosse n un d versiegelt , dami t si e dereins t i n de r Zei t de r No t ge öffnet un d gelese n würden . Wei l di e Gegenwart , i n de r di e Apokalyptike r schreiben, i n de r Erwartun g de s baldige n Ende s steht , wir d jetz t de r Inhal t der apokalyptische n Schrifte n de r Gemeind e mitgeteilt , u m si e i n de r An -

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fechtung z u trösten . Den n si e wei ß nu n u m da s kommend e End e un d di e verheißene Herrlichkeit . Apokalyptische Abschnitt e finden sic h bereit s i n einige n de r jüngere n alt testamentlichen Schriften , s o i m Buc h Sacharj a un d i n de n Kapitel n Jes . 24-27, dem jüngste n Stüc k im ganzen Jesajabuch . Di e älteste apokalyptisch e Schrift is t unte r de m Name n de s Daniel überliefert . I n ihre m erste n Tei l nimmt si e Geschichten auf , i n dene n vo m Ergehe n de s Danie l un d seine r ge setzestreuen Freund e a m babylonische n Ho f erzähl t wir d (Kap . 1-6); i m zweiten Tei l werde n di e prophetischen Gesichte , di e Danie l übe r di e Ereig nisse de r letzte n Zei t schaut , beschriebe n (Kap . 7-12). Di e Folg e de r große n Weltreiche, di e unter vie r unheimliche n Tiergestalte n dargestell t wird , mün det i n di e Herrschaf t de r Diadoche n un d de r gottlose n Tyranne i de s syri schen König s Antiochu s IV., dessen gege n da s Judentu m gerichtete n Maß nahmen i m Zusammenhan g de r prophetische n Aussage n genann t werden : „Seine Heer e werde n komme n un d Heiligtu m un d Bur g entweihe n un d da s tägliche Opfe r abschaffe n un d da s Greuelbil d de r Verwüstun g aufstellen " (Dan. 11,31). Di e geschichtliche n Vorgänge , di e de r makkabäische n Er hebung vorangingen , werde n bi s i n di e Einzelheite n gena u geschilder t un d in de n Rahme n kosmische r Ereigniss e hineingestellt . Bi s Dan . 11,39 wir d der historisch e Ablau f i n di e For m de r Weissagun g gekleidet , dan n beginn t echte Voraussage : Antiochu s werd e i m Feldzu g gege n Ägypte n umkomme n (Dan. 11,40-45). Tatsächlic h abe r is t de r syrisch e Köni g nich t i n Ägypten , sondern 16 4 v. Chr. i m Oste n gestorben . Da s Buc h Daniel mu ß dahe r i n de r Zeit zwische n 16 7 un d 16 4 v . Chr. verfaß t worde n sein , u m de r Gemeind e zu sagen, di e Notzeit werd e nich t lange dauern , dan n werd e Got t eingreife n und de r Bedrängni s ei n End e bereiten . I n Träume n un d Gesichte n wir d dem Sehe r mitgeteilt , wa s i n de r letzte n Zei t geschehe n soll : „I m erste n Jahr Belsazars , de s König s vo n Babel , hatt e Danie l eine n Trau m un d Ge sichte au f seine m Bett ; un d e r schrie b de n Trau m auf " (Dan . 7,1). De n Sinn dessen , wa s e r schaute , verma g de r Sehe r nich t sogleic h z u er kennen, daru m bedar f e s einer deutende n Erklärung : „Ich , Daniel, war ent setzt, un d die s Gesich t erschreckt e mich . Un d ic h gin g z u eine m vo n denen , die dastanden , un d ba t ihn , da ß e r mi r übe r da s alle s Genauere s berichtete . Und e r redet e mi t mi r un d sagt e mir , wa s e s bedeutete " (Dan.7,15f.) . Di e Schilderung dessen , wa s komme n wird , münde t i n de n Aufruf , i n de r be fristeten Notzei t auszuharren : „Woh l dem , de r durchhält " bi s zu m bal digen Ende (Dan . 12,12). Während da s Buch de s Daniel al s eine der jüngste n Schriften noc h i n de n Krei s de r kanonische n Büche r de s Alte n Testament s aufgenommen worde n ist , is t au s de r Vielzah l de r Apokalypsen , di e bal d danach entstanden , kein e meh r z u kanonische m Ansehe n gelangt . Doc h haben di e Bücher , i n dene n de n Fromme n geheime s Wisse n mitgeteil t wird , weite Verbreitun g i m Judentum gefunden . Unter de m Name n de s Henoc h sin d zwe i Büche r überliefert , da s ein e i n äthiopischer (äth.Hen.) , da s ander e i n slavische r Sprach e (slav.Hen.) . Da s äthiopische Henochbuch, da s au f ei n hebräische s ode r aramäische s Origina l

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zurückgeht, gehör t zu m alttestamentliche n Kano n de r äthiopische n Kirch e und is t dari n überliefer t worden . Da s Buc h enthäl t rech t verschiedenartig e Stoffe un d kan n al s ein e klein e Bibliothe k bezeichne t werden , i n de r meh rere Schrifte n miteinande r vereinig t sind . A n ein e einleitend e Mahnred e (Kap. 1-5) schließ t sic h ei n größere r Zusammenhan g an , i n de m vo m Fal l der Enge l (l.Mos.6,1-4 ) un d dere n Geschic k sowi e eine r Fahr t de s Henoc h durch di e Wel t un d di e Unterwel t berichte t wir d (Kap . 6-36). Ein e selb ständige Einhei t stelle n di e sogenannte n Bilderrede n da r (Kap . 37-71), di e in di e bevorstehende n Endereigniss e Einblic k gewähren . Vo n Wolke n un d Winden a n da s End e de s Himmel s versetzt , sieh t Henoc h di e Wohnunge n der Gerechte n un d schau t de n Menschensohn , de n de r Her r de r Geiste r zum Richte r i m Weltgerich t un d zu m Rette r de r Auserwählte n bestimm t hat. Di e Bedeutun g de r Gesicht e wir d Henoc h jeweil s durc h eine n Enge l erläutert. I n de n Kapitel n 72-10 5 sin d astronomisch e Stücke , di e vo m Lau f der Gestirn e handeln , mi t Zukunftsvisione n un d ermahnende n Ausführun gen verbunden ; Kap . 106-108 schließe n da s ganz e Buc h ab , desse n verschie dene Abschnitt e sicherlic h nich t gleichzeiti g verfaß t worde n sind . Währen d einige Stück e bi s i n di e makkabäisch e Zei t hinaufreichen , sin d di e jüngste n Teile ers t unte r römische r Herrschaf t entstanden . Wan n di e Bilderreden ab gefaßt wurden , kan n nich t siche r bestimm t werden . Au s de r Tatsache , da ß es unter de n Fragmenten de s Henochbuches, di e unte r de n Schrifte n de r Ge meinde vo n Qumra n gefunde n wurden , keine s au s de n Bilderrede n gibt , kann jedoc h nich t gefolger t werden , di e Schilderun g de s Menschensohne s sei ers t i n christliche r Zei t entworfe n worden . Di e Stoffe , di e i n de n Bilder reden verarbeite t wurden , sin d vielmehr i n traditionsgeschichtlicher Hinsich t eindeutig al s vorchristliche n Ursprung s z u bestimmen . Di e abschließend e Redaktion de s ganzen Buches, das mit genuin jüdische n Überlieferungen auc h kosmologische un d astronomisch e Traditione n nichtjüdische r Herkunf t ver bindet, wir d kau m frühe r al s u m di e Zei t vo n Christ i Gebur t erfolg t sein . Daß sic h das Buch nicht nur i m Judentum, sondern auc h im frühen Christen tum große r Beliebthei t erfreu t hat , beweis t auc h ei n Zita t au s de r Henoch apokalypse i m Judasbrief V. 14f.: „E s hat abe r auc h von ihne n (nämlic h de n gottlosen Irrlehrern ) geweissag t Henoch , de r siebent e vo n Ada m an , un d gesprochen: Siehe , de r Fler r komm t mi t vie l tausen d Heiligen , Gerich t z u halten übe r all e und z u strafe n all e Gottlose n fü r all e Werke ihre s gottlose n Wandels, womi t si e gottlo s gewese n sind , un d fü r al l da s Freche , da s di e gottlosen Sünde r wide r ih n gerede t haben " (vgl . Henoch 1,9) . Das slavische Henochbuch, da s au f ei n verlorene s Origina l i n griechische r Sprache zurückgeht , weis t i n inhaltliche r Hinsich t mancherle i Berührunge n mit de r äthiopische n Henochapokalyps e auf , is t vo n ih r sicherlic h abhängi g und dahe r etwa s späte r entstanden . Henoc h reis t durc h di e siebe n Himme l und erhäl t vo n Got t Mitteilun g übe r de n Vorgan g de r Schöpfung . Di e Aus führungen de s Buche s reiche n vo n de r Erschaffun g de s Mensche n bi s zu r Androhung baldige n Gericht s un d münde n wiede r i n eine n Aufru f z u Treu e und Durchhalten . Di e griechisch e Ursprach e deute t darau f hin , da ß di e

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Schrift i n de r Diaspora , vermutlic h i n Ägypten , u m di e Mitt e de s erste n Jahrhunderts n . Chr., aufgezeichne t wurde . Unter de m Tite l „Himmelfahrt des Mose" is t i n lateinische r Sprach e da s Fragment eine r Apokalyps e erhalten , di e ursprünglic h au f hebräisc h bzw . aramäisch abgefaß t worde n ist . Si e gib t ein e Ansprach e wieder , di e Mos e vor seine m Hinscheide n a n seine n Nachfolge r Josu a hält , u m ih m sei n Ver mächtnis anzuvertraue n un d de n Verlau f de r Geschicht e Israel s vo n de r Landnahme a n vorauszusagen . Wen n de r Geschichtsabri ß i n di e Ankündi gung mündet , ei n freche r un d gottlose r Köni g werd e 3 4 Jahre lan g regieren , danach werd e bal d da s End e d a sein , s o wir d dami t deutlic h au f di e soebe n abgelaufene Regierungszei t de s König s Herode s angespielt . Ei n Man n namens Tax o (wahrscheinlic h = Ordne r [Israels] ) werd e auftreten , de r au s dem Stam m Lev i komme n un d mi t seine n siebe n Söhne n da s Martyriu m erleiden werde , dan n steh e di e groß e Wend e unmittelba r bevor . Da s Frag ment schließ t mi t de r a n Josu a gerichtete n Ermahnung , dies e Red e z u be wahren. I m verlorengegangenen letzte n Teil muß noch von de r Himmelfahr t des Mos e erzähl t worde n sein . Ei n Sat z au s diese m nich t meh r erhaltene n Abschnitt wir d i m Judasbrief angeführt , w o i n V. 9 von de m Strei t Michael s mit dem Sata n u m de n Leichna m de s Mos e die Rede ist . Unter de m Name n de s Esra is t ein e apokalyptisch e Schrif t abgefaß t wor den, die au f di e quälend e Frag e antworte n möchte , waru m Jerusale m preis gegeben un d zerstör t wurde . Die lateinische Kirche , die das ursprünglic h au f hebräisch geschrieben e Buc h i n Übersetzun g überliefer t hat , bezeichne t e s als 4 . Esra. Dies e Zählun g komm t dadurc h zustande , da ß di e alttestament lichen Schrifte n Esr a un d Nehemi a al s 1 . un d 2.Esr a un d ei n apokryphe s Buch, da s unte r Verwendun g vo n Stücke n au s Esr a un d Nehemi a di e Ge schichte de s Kultu s i n Jerusale m beschreibt , al s 3.Esr a gerechne t werden . Der Sehe r de s 4 . Esra , de r sein e Offenbarun g i m 30 . Jahr nac h de r Zerstö rung Jerusalems durch die Babylonie r erhalte n habe n sol l -also 557 v.Chr.- , berichtet: „I m 30 . Jahr e nac h de m Untergan g de r Stad t verweilt e ic h Sala thiel (de r auc h Esr a heißt ) i n Babel, und al s ich einmal au f meine m Bett e lag, geriet ic h i n Bestürzung , un d mein e Gedanke n ginge n mi r z u Herzen , wei l ich Zio n verwüstet , Babel s Bewohne r abe r i m Überflu ß sah . D a war d mei n Gemüt hefti g erregt , un d i n meine r Angs t began n ic h z u reden " (4.Esr a 3,1-3). I m Geschic k Jerusalem s habe n sic h letztlic h di e schwerwiegende n Folgen de s Falls Adams ausgewirkt . Waru m abe r ha t Got t sei n Vol k s o har t geschlagen un d läß t e r e s de n Heide n un d Gottlose n woh l ergehen ? Di e Schöpfung is t al t geworde n un d geh t de m nahende n End e zu . Wi e ei n Regenguß vorüberzieht , abe r einzeln e Tropfe n noc h hinterherfallen , s o is t auch das Maß de r Vergangenheit be i weitem größe r al s die noch ausstehend e Frist, di e de n wenige n letzte n Tropfe n vergleichba r is t (4.Esra4,49f.) . Di e Ernte is t reif , da s Gerich t komm t (4.Esr a 5,56-6,6). Nac h de m End e abe r wird di e neu e Wel t erscheinen , Grun d zu r Freud e un d Hoffnung . Doc h zunächst steh t alle n da s Gerich t bevor , vo r de m auc h di e Fromme n sic h fürchten. „Wa s hilft e s uns dann, daß uns Ewigkeit versprochen ist , wenn wi r

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Werke de s Tode s geta n haben? " (4.Esra7,119) . „Den n ach , wi r habe n i m Leben, d a wi r Sünd e taten, de r Leide n nich t gedacht , di e un s nac h de m To d bevorstehen!" (4.Esra7,126) . „I n Wahrheit, niemand is t der Weibgeborenen , der nich t gesündigt , nieman d de r Lebenden , de r nich t gefehlt " (4.Esra8,35) . Gott ha t dahe r alle s Rech t dazu , har t dareinzufahre n un d di e Mensche n z u strafen. Den n unter ihne n gib t e s seit dem Fal l Adams nicht einen Gerechten , keiner hat da s Heil verdient . An di e Gedanke n de s 4 . Esrabuches, da s einig e Zei t nac h 7 0 n . Chr . ent stand, knüpf t di e syrische Baruchapokalypse an . Auc h dies e Schrif t wa r ursprünglich au f hebräisc h abgefaßt , si e ist aber nur i n syrischer Übersetzun g erhalten. Baruch , de m Gehilfe n de s Prophete n Jeremia , wir d zunächs t di e Zerstörung Jerusalem s vorausgesagt ; späte r klag t e r au f de n Trümmer n de r Stadt übe r ihre n Untergang . Ih m wir d di e Nähe de s künftige n Gerichts , da s auch übe r di e Heiden hereinbreche n wird , angekündigt . Wi e i m 4 . Esra wir d das Todesverhängnis , de m all e Mensche n verfalle n sind , au f Adam s Fal l zurückgeführt, desse n bös e Folge n di e ganz e Menschhei t betroffe n haben . Aber mi t de m baldige n End e wir d auc h di e Herrlichkei t de r wiederkehren den paradiesische n Zei t anheben . D a di e syrisch e Baruchapokalyps e da s 4. Esrabuch voraussetzt , wir d di e Zei t ihre r Entstehun g etw a u m di e Wend e vom erste n zu m zweite n christliche n Jahrhunder t anzusetze n sein . Neben de r syrische n gib t e s auc h ein e griechische Baruchapokalypse, di e in das zweite Jahrhundert n . Chr. z u datieren ist . Baruch is t bekümmert übe r die Zerstörung Jerusalems , e r wird getröste t un d i n Gotte s Geheimniss e ein geführt. Vo n Engelshan d geleitet , reis t e r durc h di e fün f Himmel , dar f di e Stätte der Seligen und de n Or t der Verdammten sehe n und erhäl t di e Zusage, Gott werd e sic h der Seine n annehmen . In manche n jüdische n Schriften , di e i n de r Zei t vo m zweite n vorchrist lichen Jahrhunder t bi s zu m Anfan g de s zweite n Jahrhundert s n.Chr . ent standen sind , finde n sic h kürzer e un d länger e Abschnitte , i n dene n apo kalyptische Stoff e verwende t worde n sind . I n de n Testamenten der zwölf Patriarchen sin d lehrhaft e un d ermahnend e Teil e mi t Stücke n apokalyp tischen Inhalts verwoben. Jeder de r zwölf Söhn e Jakobs häl t vor seine m To d eine Rede , i n de r e r seine n Nachkomme n Weisunge n fü r di e Zukunf t gibt . Die verschiedene n Überlieferungen , di e diese r Schrif t zugrundeliegen , sin d von eine r Redaktion , di e da s Ganz e gerahm t hat , locke r zusammengefaß t und habe n dan n i n christliche r Zei t noc h einma l ein e Überarbeitun g erfah ren, durc h di e a n einzelne n Stelle n au f di e Zukunf t bezogen e Verheißunge n mit christologische n Anspielunge n versehe n wurden . Di e Geschicht e diese r Schrift zeigt , da ß di e christlich e Kirch e di e apokalyptische n Büche r de s Judentums übernah m un d christlic h ne u interpretierte , inde m ma n überal l da, w o ma n Anhaltspunkt e fand , Hinweis e au f di e Christusbotschaf t ein trug. S o heiß t e s z.B . i m Testamen t de s Benjamin , Jako b hab e ausgerufen : „O Kin d Joseph , d u has t da s Her z deine s Vater s Jako b überwunden . Un d er umfaßte ih n un d küßt e ih n zwe i Stunde n lan g un d sprach : E s wird erfüll t werden a n di r ein e Weissagun g de s Himmel s [übe r da s Lam m Gotte s un d 4 Lohse , Umwel t

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den Heilan d de r Welt] , da ß ei n Unschuldige r fü r Gottlos e dahingegebe n und ei n Sündlose r fü r Sünde r sterbe n wir d [i n de m Blu t de s Bundes , zu r Errettung de r Heide n un d Israels , un d da ß e r Belia r un d sein e Diene r ver nichten wird] " (Test . Benjamin 3,8) . Die in de n Klammer n stehende n Wort e fehlen i n eine r kürzere n Fassun g de s Textes , di e i n armenische r Überset zung erhalte n ist , un d gehe n eindeuti g au f di e Han d eine s christliche n Be arbeiters zurück , de r si e späte r hinzugefüg t hat . I n Nachahmun g griechisch römischer Orakelbüche r de r Sibyll e entstande n jüdisch e Sammlunge n sibyl linischer Sprüche , di e späte r christlic h erweiter t wurden . Nebe n viele n anderen Stoffe n sin d dabe i - besonder s i m dritte n un d vierte n Buc h - auc h apokalyptische Traditione n zu r Beschreibun g de r endzeitliche n Ereigniss e verwendet worde n (vgl . S. 89) . Von apokalyptische n Vorstellunge n is t schließlic h auc h i n starke m Maß e das Glaube n un d Denke n de r Gemeind e vo n Qumran gepräg t worde n (vgl . S.70-78). I n ihre n Schriften , insbesonder e i n de r sogenannte n Kriegsrolle , wird de r Kamp f beschrieben , de r sic h i n de r letzte n Zei t zwische n de n Söhnen de s Lichte s un d dene n de r Finsterni s vollzieht . Michae l un d sein e Engel streite n gegen Belia l un d sein e Scharen . I m Zeiche n diese r Ausein andersetzung wir d i n de n Schrifte n de r Gemeind e vo n Qumra n nich t nu r die Gegenwart , sonder n auc h di e Vergangenhei t betrachtet , s o da ß apoka lyptische Motiv e i n de n Rückblic k au f di e Geschichte , wi e e r i n de r Damaskusschrift gegebe n wird , un d i n di e Auslegun g de r alttestamentliche n Prophetenbücher, di e au f di e Erfahrunge n de r Gemeind e bezoge n werden , Eingang fande n (vgl . S.67) . Über di e Frage, in welche m Verhältni s di e apokalyptische n Büche r z u de n kanonischen Schrifte n de s Alte n Testament s stehen , gib t di e a m End e de s 4.Esrabuches erzählt e Legend e Auskunf t (4.Esr a 14,18-48). Esr a klagt , mi t der Zerstörun g Jerusalem s se i auc h da s Geset z Gotte s verbrann t worden , so da ß nu n nieman d Gotte s Tate n un d Wille n kenne , un d bitte t u m di e Gabe de s heiligen Geistes , u m mi t seine m Beistan d niederschreibe n z u kön nen, wa s sei t Anfan g de r Wel t geschehe n is t un d wa s i n Gotte s Geset z geschrieben stand , dami t di e Menschen de n rechte n We g zu m ewige n Lebe n finden. Nachde m Esr a di e Zusag e de s göttliche n Beistand s erhalte n hat , kann e r innerhal b vo n 4 0 Tage n mi t Hilf e vo n fün f Schreiber n vierund neunzig Büche r niederschreiben . „Al s abe r di e vierzi g Tag e vol l waren , d a sprach de r Höchst e z u mi r also : Di e vierundzwanzi g Bücher , di e d u zuers t geschrieben hast , solls t d u veröffentlichen , de n Würdige n un d Unwürdige n zum Lesen ; di e letzte n siebzi g abe r solls t d u zurückhalte n un d nu r de n Wreisen deine s Volke s übergeben . Den n i n ihne n fließ t de r Bor n de r Ein sicht, di e Quell e de r Weisheit , de r Stro m de r Wissenschaft " (4.Esral4 , 45-47). I n de n apokalyptische n Bücher n sol l als o entfalte t werden , wa s i n den kanonische n Schrifte n jederman n al s Gotte s Will e un d Geset z mit geteilt worde n ist , s o da ß i n de r apokalyptische n Traditio n ebens o wi e i n der heilige n Schrif t Gotte s Wor t un d Gebo t enthalte n ist . I n de n Apoka lypsen abe r sin d di e Verständigen , di e begreife n können , angeredet , u m

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ihnen Einsicht , Weishei t un d Wissenschaf t z u vermitteln . We r desse n ge würdigt wurde, Einblick in Gottes endzeitliche n Geschichtspla n z u gewinnen , ist nun u m s o meh r verpflichtet , nac h de m Wissen , da s ih m gegebe n wurde , zu handeln, de n Trost de s göttlichen Zuspruch s z u empfangen, vo m falsche n Weg umzukehre n un d sic h fü r da s kommend e End e bereitzumachen , inde m er Gotte s Gebo t hält . S o münde n di e apokalyptische n Schrifte n i n di e Er mahnung de r fromme n Gemeind e un d de n Aufru f z u treue m Beharren . Diesem Aufru f wollte n di e Gruppe n un d Gemeinschafte n folgen , di e sic h im Judentu m i m Lau f de s zweite n un d erste n vorchristliche n Jahrhundert s bildeten un d feste r zusammenschlössen , inde m si e jeweil s nac h de m rechte n Verständnis de s Gesetze s fragte n un d diese s i n di e Ta t umzusetze n suchten . b) Gruppen und Gemeinschaften im palästinischen Judentum 1. Die Sadduzäer Der jüdisch e Geschichtsschreibe r Josephu s schilder t seine n hellenistische n Lesern di e Gruppe n un d Gemeinschaften , di e e s i m Judentu m z u Anfan g des erste n Jahrhundert s n . Chr. gab , nac h de m Vorbil d griechische r Philo sophenschulen: „E s gib t nämlic h be i de n Jude n dre i Arte n vo n philosophi schen Schulen ; di e ein e bilde n di e Pharisäer , di e ander e di e Sadduzäer , di e dritte, welch e nac h besonder s strenge n Regel n lebt , di e sogenannte n Esse ner" (Jüdische r Krie g II, 119). Di e Sadduzäe r werde n vo n de n Rabbine n wiederholt mi t de n Epikureer n verglichen , dere n Philosophi e gan z au f da s diesseitige Lebe n gerichte t wa r (vgl . S . 180). Da di e Sadduzäe r mi t de r Zer störung Jerusalem s i m Jah r 7 0 n.Chr . untergegange n waren , sin d kau m direkte Nachrichte n vo n ihne n erhalten . Mi t Sicherhei t kan n ma n jedoc h feststellen, da ß di e Sadduzäe r alle s ander e ware n al s ein e philosophisch e Schule, dere n Auffassunge n dene n de r Epikuree r vergleichba r gewese n wären. We r abe r ware n di e Angehörige n jene r Gruppe , di e ma n di e Saddu zäer nannte ? Die Bezeichnun g Sadduzäe r is t sicherlic h mi t de m Name n de s Zado q i n Zusammenhang z u bringen , de r eins t unte r de m Köni g Salom o al s Hoher priester eingesetz t wurd e (l.Kön.2,35 ) un d vo n de m sic h di e Prieste r al s ihrem Ahnherr n herleiten . I n de m Entwurf , de r Ez . 40-48 vo n de r Zukunf t Israels, de s Lande s un d de s Heiligtum s vorgetrage n wird , is t de n Söhne n Zadoqs de r priesterlich e Diens t anvertrau t (Ez.40,46 ; 43,19 ; 44,15 ; 48,11) . Die Zadoqide n habe n dan n bei m Aufba u de r nachexilische n Gemeind e ein e maßgebende Roll e gespiel t un d al s di e legitime n Prieste r i n Jerusale m de n Tempeldienst versehen . In de n Wirre n unte r de r Herrschaf t de s syrische n König s Antiochu s IV. hatte di e alt e zadoqidisch e Dynasti e de r Hohenprieste r ei n unrühmliche s Ende gefunden . De r griechenfreundlich e Jaso n hatt e seine n Brude r Onia s verdrängt un d sic h al s Fördere r de s Hellenismu s aufgeführt . De m wachsen den Einflu ß de r Hellenisierun g scho b di e makkabäisch e Erhebun g eine n 4*

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Riegel vor. Als dann di e Hasmonäer einig e Zeit darau f da s hohepriesterlich e Amt übernahmen , obwoh l si e nich t zadoqidische r Herkunf t waren , ga b e s am Tempel i n Jerusalem weiterhi n Söhn e Zadoqs, die al s Priester amtierten . Die Hasmonäe r konnte n au f di e Daue r nu r regieren , wen n si e ei n erträg liches Verhältni s zu r Jerusaleme r Priesteraristokrati e gewannen , di e wieder um ihrerseit s auf da s politische Geschehen nu r dan n Einflu ß nehme n konnte , wenn si e sic h au f ein e Zusammenarbei t mi t de m Herrscherhau s einließ . Dazu wa r freilic h nich t di e gesamt e Priesterschaf t bereit . Ei n Krei s gesetzes strenger Prieste r schart e sic h u m de n Lehre r de r Gerechtigkei t un d schlo ß sich al s Gruppe zusammen , di e auf peinlich e Einhaltun g de r kultische n Vor schriften de s Gesetze s dran g (vgl . S.70f.). S o kam e s zu m Konflik t mi t de m Hohenpriester, de r daz u führte , da ß dies e Gemeinschaf t vo m Tempe l wei chen mußt e un d sic h a m Westufe r de s Tote n Meere s ein e Siedlun g anlegte , in de r sic h di e Gemeind e de s Bunde s sammelt e unte r de r Führun g vo n „Söhnen Zadoqs , de n Priestern , di e de n Bun d bewahren " (1Q S V,2.9). Vo n diesen Zadoqide n unterschiede n sic h di e Priester , di e i n Jerusale m blieben , weiterhin a m Tempel amtierte n un d di e Verständigung mit den Hasmonäer n billigten. Aus de n Kreise n de r Jerusaleme r Aristokrati e is t di e Gemeinschaf t de r Sadduzäer hervorgegangen , de r vorwiegend Inhabe r der hohen priesterliche n Ämter un d Gliede r de r einflußreiche n Jerusaleme r Geschlechte r angehörten . Ihr Herkomme n prägt e si e i n konservative m Sinne ; Ämte r un d Stellunge n aber, die sie innehatten, bestimmten si e zu praktischem Handeln un d realisti scher Einschätzun g de r Lage . Si e fande n sic h dahe r bereit , de n jeweilige n Machtverhältnissen Rechnun g z u tragen . Unte r de r Regierun g de r Königi n Salome Alexandr a gin g ih r Einflu ß erheblic h zurüc k (vgl . S.20) . Sei t phari säische Schriftgelehrt e i n da s Synedriu m aufgenomme n worde n waren , besaßen zwa r di e Sadduzäer weiterhin di e Mehrheit, si e mußten abe r ständi g Rücksicht au f di e Auffassungen de r Pharisäer nehmen . Die Sadduzäer hielte n sic h stren g a n de n Wortlau t de s Gesetze s un d lehn ten e s ab , de r mündliche n Überlieferung , di e di e Pharisäe r hochschätzten , gleichen Ran g wi e de m geschriebene n Buchstabe n zuzuerkennen . E s ga b unter de n Sadduzäer n auc h einig e Schriftgelehrte , di e Frage n de r Auslegun g des Gesetze s z u studiere n un d z u entscheide n hatten . Ihre m nüchterne n Denken entsprac h es , daß si e nich t a n Enge l un d Dämone n glaubte n (Apg . 23,8). Vo r alle m teilte n si e nich t di e Erwartung , da ß a m Jüngste n Tag e di e Toten au s de n Gräber n auferweck t werden . Mi t de r Frage , die nach Mk . 12, 18-27 Par . Jesu s vo n sadduzäische n Gesprächspartner n vorgeleg t wird , wollen si e zeigen , da ß e s kein e Auferstehun g de r Tote n gebe n könne . Ein e Frau ha t nacheinande r siebe n Männe r gehabt , eine r nac h de m andere n star b vor ihr , zuletz t auc h sie . Soll etw a a m Jüngste n Tag e di e Fra u dan n siebe n Männer haben ? Jesu s weist diese n Gedanke n al s absurd zurück . Denn wen n sie vo n de n Tote n auferstehen , werde n si e nich t freie n ode r sic h freie n lassen; da s Lebe n au s de m Tod e kan n i n gar keine r Weis e mi t de n irdische n Verhältnissen vergliche n werden . Di e Hoffnun g au f di e Auferstehun g de r

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Toten abe r wir d au s de m Geset z de s Mos e begründet : Got t is t de r Got t Abrahams un d de r Got t Isaak s un d de r Got t Jakobs (2.Mose3,6) . Weil Got t nicht ei n Got t de r Toten , sonder n de r Lebendige n ist , bürge n di e Name n der Väter , dere n Got t e r ist , dafür , da ß di e Tote n auferweck t werden . Noch strenge r al s di e Pharisäer ware n di e Sadduzäe r darau f bedacht , da ß der Sabba t i n peinliche r Sorgfal t gehalte n wurd e un d ma n nich t etw a ver suchte, durc h ein e ausgeklügelt e Kasuisti k diese n ode r jene n Auswe g z u finden, u m da s Sabbatgebo t abzuschwäche n ode r z u umgehen . Strafen , di e verhängt werden , mußte n de n Vorschrifte n de s Gesetze s gena u entsprechen , so da ß ei n vo n eine m jüdische n Gerich t gefällte s Todesurtei l stet s durc h Steinigung z u vollstrecke n war . Politische Umsich t un d geschickte s Handeln , di e di e Sadduzäe r scho n unter de n Hasmonäer n a n de n Ta g geleg t hatten , ermöglichte n e s ihnen , auch unte r Herode s un d de n römische n Statthalter n di e angesehene n Ämte r in Jerusalem z u bekleiden. Die Hohenpriester, di e die jeweiligen Machthabe r in ih r Am t einsetzten , wurde n stet s au s ihre n Kreise n genommen . Wi e di e Sadduzäer allezei t bemüht gewese n waren, ihren au f da s Diesseits bezogene n Glauben mi t eine r fü r di e Wel t aufgeschlossene n Haltun g z u verbinden , s o erkannten si e di e jeweilig e Regierun g a n un d ware n bestrebt , di e i m Vol k wachsende Feindschaf t gege n di e Röme r z u mäßigen . Si e waren Gegne r de r Zeloten, di e zum aktive n Widerstand aufforderten , abe r auc h de r Pharisäer , die de r heidnische n Obrigkei t innerlic h ablehnen d gegenüberstanden . Tat sächlich jedoc h ware n Mach t un d Einflu ß de r Sadduzäe r begrenzt , wi e Josephus ausdrücklich berichtet: „Den n s o oft si e zu Ämtern gelangen, halte n sie sich - wen n auc h widerwilli g un d gezwunge n - a n das , was di e Pharisäe r sagen, wei l da s Vol k si e sons t nich t dulde n würde " (Jüdisch e Altertüme r XVIII, 17). Als de r Aufstan d gege n di e Röme r losbrach , versuchte n si e ver geblich, di e bewaffnet e Auseinandersetzun g z u verhindern . De r Untergan g Jerusalems besiegelt e auc h ih r Geschick . Nachde m be i de r Zerstörun g de r Stadt un d de s Tempel s di e Sadduzäe r um s Lebe n gekomme n waren , wurd e der Wiederaufba u de r jüdische n Gemeinde n allei n vo n de n Pharisäer n bestimmt, di e di e Katastroph e überleb t hatten . 2. Die Pharisäer Der Nam e Pharisäe r wir d vo n hebräisc h p eruschim bzw . aramäisc h p rischajja = di e Abgesonderte n herzuleite n sein . Möglicherweis e wurd e ihnen dies e Bezeichnun g zunächs t vo n Außenstehende n beigelegt , wei l si e sich vo n ihre r Umwel t fernhielten , u m al s di e heilig e Gemeind e Gotte s di e Berührung mi t alle r Unreinhei t z u meiden . De r Nam e wurd e allgemei n üblich, weil er in der Tat einen wesentlichen Zu g de r pharisäischen Bewegun g richtig hervorhob . Di e Pharisäe r sin d dahe r ebensoweni g wi e di e andere n Gruppen, di e sic h i m Judentu m bildeten , ein e Philosophenschul e gewesen , als di e Josephu s si e beschreibe n möcht e (Jüdische r Krie g II, 119; Jüdisch e Altertümer XVIII, 11). e

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Die Anfäng e de r pharisäische n Bewegun g reiche n i n di e Makkabäerzei t zurück, al s e s galt , de n jüdische n Glaube n gege n di e hellenistisch e Über fremdung z u verteidigen . l.Makk.2,4 2 wir d „ein e Versammlun g fromme r Juden, tapfer e Männe r au s Israel , laute r solche , di e sic h willi g de m Geset z hingaben", erwähnt . Au s diese n Kreise n de r ch asidim, d.h . de r Frommen , die di e makkabäisch e Erhebun g getrage n haben , sin d di e Pharisäe r hervor gegangen al s di e Grupp e gesetzestreue r Juden , dene n nich t politisch e Ziel e vor Auge n standen , sonder n di e allei n vo m Eife r u m da s Geset z erfüll t waren, nac h de m Israe l sei n Lebe n führe n sollt e (l.Makk.7,13) . Al s de r rechte Gottesdienst un d das Leben nach de m Gesetz wiederhergestellt waren , trennten si e sic h dahe r vo n de n Hasmonäern , di e politische s Machtstrebe n entfalteten. E s ka m nich t nu r z u eine r Entfremdun g zwische n ihne n un d dem Herrscherhaus , sonder n unte r Alexande r Jannäu s brac h soga r ein e blutige Auseinandersetzun g aus , be i de r de r Hoheprieste r durc h Terro r un d Hinrichtungen de r Aufrühre r di e Oberhan d behiel t (vgl . S . 19f.). Seithe r gaben e s die Pharisäer auf , durc h Anwendun g vo n Gewal t ein e Veränderun g der politische n Verhältniss e z u erstreben , un d suchte n sic h durc h fromme s Leben, Gebe t un d Faste n au f di e zukünftig e Wend e z u rüsten , di e Got t heraufführen würde . Späte r lehnte n si e e s dahe r auc h ab , mi t de n Zelote n gemeinsame Sach e z u machen , al s dies e zu r Erhebun g gege n di e römisch e Besatzungsmacht rüsteten , u m durc h Kamp f gege n di e Heide n di e messia nische Zei t herbeizuzwingen . Die Pharisäer schlössen sich zu festen Gemeinschafte n zusammen , in dene n sie di e Gebot e de s Gesetze s gena u befolge n konnten . Alle n Mitglieder n de r pharisäischen Gemeinschaf t wurd e e s insbesonder e zu r Pflich t gemacht , di e Vorschriften kultische r Reinhei t un d di e Gebot e de r Verzehntun g mi t größ ter Sorgfalt z u beachten. Di e alttestamentliche n Gebote , die die erforderlich e priesterliche Reinhei t beschreiben , sollte n nich t nu r vo n Priester n un d Levi ten, sonder n vo n alle n Pharisäer n auc h währen d de s Alltag s eingehalte n werden. We r mi t Unreine m i n Berührun g gekomme n wa r - etw a mi t eine r Leiche ode r eine m tote n Tie r - ode r körperliche n Ausflu ß hatte , de r hatt e damit di e kultisch e Reinhei t verloren . U m si e wiederzugewinnen , mußt e e r sich eine m Reinigungsba d unterziehe n un d i n bestimmte n Fälle n auc h ein e Wartefrist verstreiche n lassen , eh e e r wiede r al s rei n gelte n konnte . Di e Pharisäer wusche n sic h dahe r vo r jede r Mahlzei t di e Händ e (Mk.7,3f.) , u m reine Hände zu m Gebe t z u erhebe n un d s o da s Mah l miteinande r z u halten . Sie achtete n jedoc h nich t nu r au f di e Reinhei t de s Menschen , sonder n auc h auf di e de r Geräte , die sie benutzten. Wa r etw a ein e Maus übe r eine n Telle r gelaufen ode r ei n Knoche n i n eine n Beche r gefallen , s o wa r dadurc h Ver unreinigung eingetreten . Auc h Beche r un d Schüsse l müsse n dahe r rein gehalten werde n (Mt.23,25f.par . Lk . 11,39f.). Das Gebot , de n Zehnte n vo n allem, was ma n ernte t un d erwirbt , z u geben, dami t davo n de r Stam m Levi , der kei n Erbtei l a m Lan d erhalte n hatte , lebe n un d de r Opferdiens t i m Tempel bestritte n werde n konnt e (3.Mose27,30-33 ; 4.Mose 18,21-24 u . ö.), wurde vo m damalige n Judentu m nich t sonderlic h gena u befolgt . Nicht -

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jüdische Einwohne r de s Lande s kümmerte n sic h natürlic h ga r nich t darum , und manche r Jud e wa r froh , wen n e r hie r un d d a Abgabe n vermeide n un d dadurch fü r sic h selbs t etwa s gewinne n konnte . E s wa r dahe r nich t gewiß , ob Ware , di e ma n vo n eine m jüdische n Händle r kaufte , auc h wirklic h vo n ihrem Erzeuge r verzehnte t worde n war . U m au f jede n Fal l de m Buchstabe n des Gesetze s gehorsa m z u sein , gabe n di e Pharisäe r nich t nu r vo m Ertra g ihres Landes, sondern auc h vo n allem , was sie käuflich erwarben , de n Zehn ten. Sie unterwarfen auc h Gewürz e un d Kräute r de r Verzehntung un d ließe n nichts aus , da s ma n unte r diese s Gebo t bringe n konnt e (Mt . 23,23 par. Lk. 11,42). Über dies e Verpflichtunge n hinau s ga b e s noc h zusätzlich e fromm e Leistungen wi e freiwillige s Fasten , da s ma n zweima l i n de r Woch e - a m Montag un d Donnersta g - auc h währen d de r Hitz e de s Tage s beobachtete , um Buß e z u tu n un d fü r Israe l un d sei n Hei l z u beten . De r i m Gleichni s genannte Pharisäe r prahl t dahe r nicht , sonder n e r erwähnt , wa s e r wirklic h tut: „Ic h fast e zweima l i n de r Woch e un d geb e de n Zehnte n vo n allem , wa s ich erwerbe " (Lk . 18,12). I m Talmu d is t ei n i m erste n Jahrhunder t n.Chr . formuliertes Gebe t überliefert , da s ei n fromme r Jud e spreche n sol l un d da s ganz ähnlic h laute t wie die Worte de s Pharisäers, der den Zöllne r i m Tempe l erblickt: „Ic h dank e dir , Herr , mei n Gott , da ß d u mi r mei n Tei l gabs t be i denen, di e i m Lehrhau s sitzen , und nich t bei denen , di e an de n Straßenecke n sitzen; denn ic h mache mic h früh auf , un d sie machen sic h früh auf : ic h mache mich frü h au f z u de n Worte n de s Gesetzes , und si e machen sic h frü h au f z u eitlen Dingen . Ic h müh e mic h un d empfang e Lohn , un d si e mühe n sic h un d empfangen keine n Lohn . Ic h laufe , un d si e laufen: ic h lauf e zu m Lebe n de r zukünftigen Welt , un d si e laufen zu r Grub e de s Verderbens " (babylon . Tal mud, B e rakot 2 8 b). De r Pharisäe r faß t als o alles , wa s e r i n seine m Lebe n erfährt un d tut , i n Wort e de s Danke s gege n Gott , durc h di e e r sic h jedoc h zugleich vo n de n andere n absondert , di e nich t wi e e r ei n Lebe n nac h de m Gesetz führen . Zu de n pharisäische n Gemeinschafte n gehörte n einzeln e Priester , vo r allem abe r Laien , Handwerker , Bauer n un d Kaufleute , di e nich t nu r i n de r Stadt, sonder n auc h au f de m Land , i n Judä a un d i n Galiläa , lebten . Si e ver sammelten sic h z u gemeinsamen Mahlzeiten , wei l si e dann u m s o besser da s Gebot de r Reinhei t einhalte n konnte n (vgl . Lk.7,36 ; ll,37f . u . ö.) . Nac h Möglichkeit kauft e ei n Pharisäe r auc h nu r vo n eine m Genossen , wei l e r dann siche r sei n konnte , da ß di e War e vorschriftsmäßi g verzehnte t worde n war. Zu r Gemeinschaf t de r Pharisäe r gehörte n nac h de m Berich t de s Jose phus „übe r 6000 " Mitgliede r (Jüdisch e Altertüme r XVIII, 42). Wen n dies e Zahl auc h i m Verhältni s zu r gesamte n Judenschaf t nich t sonderlic h hoc h ist, s o wa r doc h de r Einflu ß de r Pharisäe r gleichwoh l beträchtlich . E r wurde vornehmlic h vo n de n Schriftgelehrte n bestimmt , di e di e Führun g de r pharisäischen Gemeinschafte n innehatten , da s Geset z de s Mos e studierten , seine Auslegun g diskutierten , di e mündlic h weitergereicht e Traditio n kann ten un d si e i n da s recht e Verhältni s zu m geschriebene n Geset z z u bringe n

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wußten. Si e gabe n durc h ih r Verhalte n da s Vorbild , nac h de m ei n Schüle r des Gesetze s sic h z u richte n hatte , un d genosse n dahe r hohe s Ansehe n bei m Volk. Si e verehrte n di e Gräbe r de r Prophete n un d pflegte n di e Gedenk stätten de r Gerechte n (Mt . 23,29) un d verbande n au f dies e Weis e di e Volks frömmigkeit mi t de r Hochschätzun g de r Tradition . Von de n Leuten , di e da s Geset z wede r kenne n noc h befolgen , sonderte n sich di e Pharisäe r a b un d miede n de n Umgan g mi t ihnen . Mi t de m alttesta mentlichen Ausdruc k „Vol k de s Landes " (Jer.1,18 ; 34,19 ; 2.Kön . 11,14.19; 15,5 u . ö. ) bezeichnet e ma n verächtlic h „diese s Volk , da s da s Geset z nich t kennt" (Joh.7,49) , un d hiel t sic h vo n ih m fern . Vo r alle m wahrt e ma n Ab stand gegenübe r Zöllner n un d Sünder n un d sa h e s al s schlechterding s unerhört an , wen n ei n fromme r Jud e sic h mi t ihne n a n eine n Tisc h setzt e (Mk. 2,14-17 Par.; Lk . 15,2). Denn di e Zöllner stande n i m Diens t de r heid nischen Besatzungsmacht , di e di e Zollstatione n meistbieten d verpachtete , suchten au s ihre r Stell e s o vie l herauszuschlagen , wi e nu r irgen d möglic h war, un d setzte n sic h bedenkenlo s auc h übe r amtlich e Vorschrifte n hinweg , wenn nu r ih r Vorteil herauskam . D a ei n Sünder, de r umkehre n will , für alle s Unrecht, da s e r begange n hat , Wiedergutmachun g leiste n muß , ware n di e Pharisäer de r Meinung , ei n Zöllne r könn e nich t Buß e tun , wei l e r ja ga r nicht meh r wisse , wieviel e Mensche n e r betroge n habe . Al s Sünde r galte n nicht nur Leute , die in böser Absicht gegen Gotte s Gesetz verstoßen, sonder n auch solch e Menschen , di e eine n Beru f ausüben , durc h de n si e notwendi g in Konflikt mi t dem Geset z kommen müssen . Dazu zählte n Huren , herunter gekommene Mensche n un d auc h jen e Zöllner , di e mi t de n Heide n gemein same Sach e machte n (s . S . 107) . (Vgl . Kippenberg- Wewers, S . 109-111.) Leben un d Handel n de r Pharisäe r ware n darau f gerichtet , al s di e wahr e Israelgemeinde dem Geset z Gottes z u folgen. Unte r de n kanonischen Bücher n des Alte n Testament s wa r fü r si e das Geset z de r be i weite m wichtigst e Teil . Dessen Weisunge n abe r ware n nac h ihre r Überzeugun g nich t nu r i n de n geschriebenen Gebote n enthalten , sonder n ebens o auc h i n de n Vorschriften , die mündlic h weitergegebe n un d i n de r Traditio n entfalte t worde n waren , so da ß nebe n di e Schrif t fü r di e Pharisäe r di e „Überlieferun g de r Ältesten " (Mk.7,3) al s gleichrangige s Zeugni s de s göttliche n Willen s trat . Durc h ge schickte Erklärun g suchte n di e Pharisäe r da s Verständni s de r göttliche n Gebote s o wei t a n di e Gegenwar t anzupassen , da ß ma n praktikabl e Rege lungen z u ihre r Befolgun g herausfand . S o bemüht e ma n sich , di e Sabbat vorschriften durc h erleichternd e Bestimmungen - wirklichkeitsna h z u gestal ten: W o akut e Lebensgefah r bestand , d a durft e ausnahmsweis e de r Sabba t entweiht werden , u m eine m i n No t geratene n Mensche n z u helfen . Un d de r Bereich, i n desse n Grenze n ma n a m Sabba t etwa s trage n durfte , konnt e erweitert werden , inde m ma n di e Höf e mehrere r Häuse r z u eine m gemein samen Bereic h erklärte . Für de n Glaube n a n di e Auferstehung de r Tote n ga b es zwar i n den jüng sten Abschnitte n de s Alte n Testament s einig e Anhaltspunkt e (Jes . 24-27; Dan. 12,1-3), abe r ma n stützt e sic h darübe r hinau s au f di e Auslegun g de r ganzen Schrift , wi e si e i n de r mündliche n Überlieferun g weitergereich t un d

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entfaltet worde n war . Da ß ei n Tote r wiede r zu m Lebe n erweck t werde n kann, wurd e damal s durchau s nich t fü r unmöglic h gehalte n (vgl . Mk.6,1 6 par. Lk . 9,9). Doc h di e Pharisäe r entwickelte n di e Erwartun g de r Auferste hung de r Tote n z u eine r fes t formulierte n Lehre , durc h di e si e sic h vo n de n Sadduzäern unterschiede n (Apg.23,8) , und pflegte n ein e starke messianisch e Hoffnung. Wen n da s Vol k sic h i n Reinhei t un d Heiligkei t au f sei n Komme n vorbereitet, dan n werd e de r Messia s al s de r Davidssoh n erscheinen , u m di e zerstreuten Stämm e Israel s z u sammel n un d da s Reic h wiede r aufzurichten . Je entschiedener di e Herrschaft de r Hasmonäe r vo n de n Frommen abgelehn t wurde, u m s o meh r richtet e sic h ihr e Erwartun g au f di e Zukunft , i n de r de r Gesalbte au s David s Geschlech t erscheine n sollte , u m Jerusale m vo n de n Heiden z u reinigen , all e Gottlose n z u Bode n z u werfe n un d di e Herrschaf t zu übernehme n (vgl . S. 138f.). Weil di e Pharisäe r bestreb t waren , ih r Lebe n au f di e kommend e messia nische Zeit hi n auszurichten un d di e Gerechtigkeit z u erfüllen, di e das Geset z fordert, ware n si e ständi g darau f bedacht , sic h nu r j a kein e Übertretun g zuschulden komme n z u lassen . Si e zogen eine n „Zau n u m da s Gesetz" , u m nicht versehentlic h eine n Fehltrit t z u begehen . S o began n ma n scho n einig e Zeit vo r Sabbataben d mi t de r Arbeitsruhe , dami t unte r alle n Umstände n der siebent e Ta g mi t peinliche r Sorgfal t de m Got t Israel s geheilig t würde . Um fü r Sünden , die auch die Frommen hie r un d d a begehen , einen Ausgleic h zu schaffen , suchte n di e Pharisäe r durc h zusätzlich e fromm e Leistunge n überschüssige gut e Werk e anzusammeln , di e dan n gege n Verschuldunge n aufgerechnet werde n können , dami t a m End e da s Urtei l Gotte s au f Ge rechtigkeit laute n möchte . Ma n bemüht e sich , i n Gebe t un d Ta t nac h Gottes Wille n z u handeln, un d ga b Almose n fü r di e Armen (Mt . 6,2), um ei n Gott wohlgefällige s Lebe n z u führen . Verkündigung un d Tate n Jes u vo n Nazaret h stieße n be i de n Pharisäer n auf entschieden e Ablehnung . Wi e konnt e Jesus , de r doc h i n manche r Hin sicht de n Auffassunge n de r Pharisäe r nahestan d - s o i n de r Erwartun g de r Auferstehung de r Tote n un d de m Aufru f z u Buß e un d Umkeh r - mi t Zöll nern un d Sünder n Gemeinschaf t halte n (Mk.2,1 5 Par. ; Lk . 7,36-50; 15, 1 f. u. ö.) , sic h übe r di e Sabbatvorschrifte n hinwegsetze n (Mk . 2,23-3,6 Par. ) und sic h nicht u m da s Gebo t de r Reinhei t kümmer n (Mk . 7,1-5). Jesu s wirf t den Pharisäer n vor , i n ihre m Strebe n nac h Gerechtigkei t seie n si e Heuchler , die zwa r au f äußerlich e Befolgun g de s Gesetze s bedach t sin d (Lk . 11,39-43 par. Mt . 23,23-26), abe r di e Reinhei t de s Herzen s nich t kennen . Wen n si e auch mit Sorgfalt alle s verzehnten, so lassen si e die entscheidende Forderung , Gott gan z un d ungeteil t z u gehören , auße r acht . Au f Grun d ihre s fromme n Wandels trete n si e selbstsiche r auf , verachte n di e Verlorene n un d meinen , vor Gott de n Anspruch erhebe n z u können, al s Gerechte z u gelte n (Lk . 18,914). I m Verlauf de r Wirksamkei t Jes u ka m e s wiederholt z u strittigen Ausein andersetzungen mi t de n Pharisäer n übe r di e Frage, wie da s Wort de s Gesetzes zu verstehe n se i un d welch e Verbindlichkei t ih m gebühre . D a Jesu s de r vo n den Pharisäer n vertretene n Gesetzespraxi s entschiede n widersprach , beschlos sen diese , gege n ih n al s Übertrete r de s Gesetze s vorzugehe n (Mk . 2,1-3, 6

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Par.). S o trate n si e ih m i n entschiedene r Ablehnun g entgege n (Mk . 12,13-1 7 Par.). Die Pharisäe r übte n bi s zu r Zerstörun g Jerusalem s eine n gewichtige n Einfluß i m Synedriu m au s (Apg.5,34-40 ; 23,6-8) . Al s de r Ha ß de s Volke s gegen di e Herrschaf t de r Röme r s o hoc h gestiege n war , da ß e s zu r bewaff neten Erhebun g kam , konnte n auc h di e Pharisäe r da s Unglüc k nich t meh r verhindern. Viel e vo n ihne n schlösse n sic h de n Aufständische n an , ander e hielten sic h zurück . Obwoh l manch e Pharisäe r i m Krie g umkamen , über lebten doc h viel e die Katastrophe, s o da ß di e pharisäische Bewegun g au f di e geistige Prägun g de r Synagoge n nac h 7 0 n.Chr . entscheidende n Einflu ß nehmen un d di e vo n ih r vertreten e Lehr e zu r allgemeine n Anerkennun g bringen konnte . 3. Die Zeloten Als i m Jah r 6 n.Chr . de r jüdisch e Herrsche r Archelau s seine s Amte s ent hoben wurd e un d di e Röme r selbs t di e Herrschaft übe r Judä a übernahmen , ordneten si e an , da ß di e gesamt e Bevölkerun g de r neue n Provin z sic h regi strieren lassen müsse , um nac h diese r Schätzun g künfti g di e Steuern erhebe n zu könne n (vgl . S.27.156) . Dies e Maßnahm e rie f i n einige n jüdische n Kreisen Empörun g un d entschlossene n Widerstan d hervor , insbesonder e bei eine r Grupp e vo n Pharisäern , di e sic h vo n de r pharisäische n Gemein schaft, di e aktive m politische m Handel n abgesag t hatte , trennte n un d u m des Eifer s fü r da s Geset z wille n de n Römer n de n Gehorsa m verweigerten . Zwar stimmte n dies e Eifere r (griechisch : Zeloten ) i n alle n Frage n de r Lehr e weiterhin mi t de r Auffassun g de r Pharisäe r überein , abe r mi t Entschieden heit betonte n sie , daß „si e mit große r Zähigkei t a n de r Freihei t hänge n un d Gott allei n al s ihre n Herr n un d Köni g anerkennen " (Josephus , Jüdisch e Altertümer XVIII, 23). We r de n Kaise r al s Herr n anerkannt e un d ih m Steuern entrichtete , de r verstie ß nac h Auffassun g de r Zelote n gege n da s erste Gebot , da s vorschreibt , Got t allei n z u ehren . Die Zelote n weigerte n sich , sic h de r Herrschaf t de s römische n Kaiser s z u beugen un d ih n Kyrio s ( = Herr ) z u nennen . Si e waren nich t bereit , wie di e Pharisäer geduldi g au f di e zukünftig e messianisch e Wend e z u warten , son dern wollte n durc h aktive s Handel n selbs t de n Gan g de r Geschicht e be stimmen. Ih r Begründe r Juda s de r Galiläe r bracht e z u Anfan g de s erste n Jahrhunderts n . Chr. „ein e groß e Volksmeng e zu m Abfal l unte r seine r Füh rung" (Apg.5,37) . Wi e e r trate n auc h ander e messianisch e Prophete n au f (vgl. Apg.5,36; 21,38) , di e ihr e Gefolgschaf t i n di e Wüst e führten , u m dor t den wunderbare n Anbruc h de r Endzei t z u erleben . Gege n di e überlegen e militärische Mach t de r Röme r konnte n si e nicht i n offene m Kamp f antreten , doch richtete n si e i n de m schwe r zugängliche n Gebie t a m Ostabhan g de s judäischen Gebirge s Schlupfwinke l ein , au s dene n si e imme r wiede r z u ein zelnen Überfälle n gege n di e Besatzungsmach t vorstoße n konnten . I n dere n Augen ware n si e Räube r un d Banditen , gege n di e ma n mi t alle r Härt e un d Strenge vorzugehen suchte . Bei der Bevölkerun g Palästina s fande n si e jedoch

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wachsende Anhängerschaft , d a si e sic h durc h ihre n Eife r u m da s Geset z hervortaten. Si e schürte n di e Feindschaf t gege n di e Heiden , entfachte n wiederholt Unruhen , riefe n schließlic h zu m Aufstan d un d ware n di e trei bende Kraf t i m jüdische n Krieg . Mi t de r Zerstörun g Jerusalem s un d de r Vernichtung de r letzte n Widerstandsgruppen , di e sic h noc h kurz e Zei t i m Lande hatten halte n können , nah m dan n di e zelotische Bewegung ei n furcht bares Ende . Nach Lk . 6,15; Apg . 1,13 ha t sic h i m Jüngerkrei s Jes u ei n ehemalige r An hänger de r Zelote n befunden , Simo n de r Eiferer . Jes u Wirke n un d Verkün digung habe n sic h vo n de n Bestrebunge n eine s politische n Messianismu s eindeutig unterschieden . Den n di e Herrschaf t Gotte s komm t ohn e alle s menschliche Zutu n allei n durc h Gotte s Ta t (Mk . 4,26-29). Al s Jesus gefrag t wurde, o b e s rech t sei , dem Kaise r Steuer n z u zahlen , ha t e r nich t i m Sinn e der Zelote n geantwortet , sonder n gesagt , ma n soll e de m Kaise r geben , wa s des Kaiser s ist , abe r Gott , wa s Gotte s is t (Mk . 12,17Par.). S o ha t sic h Jesu s weder daz u verleite n lassen , den bestehende n Machtverhältnisse n de n Glan z göttlicher Würd e zuzuerkennen , noc h de n Revolutionäre n zugestimmt , di e mit Anwendun g vo n Gewal t di e Zuständ e veränder n un d da s Reic h Gotte s herbeizwingen wollten . 4. Die Essener Josephus nenn t nebe n de n Sadduzäer n un d de n Pharisäer n di e Essener al s dritte jüdisch e Gruppe , di e e r gleichfall s al s Philosophenschul e vorstelle n möchte. Währen d vo n Sadduzäer n un d Pharisäer n de s öftere n i m Neue n Testament di e Red e ist , werden di e Essene r dari n nirgendw o erwähnt . Ein gehendere Bericht e sin d nu r durc h Phil o vo n Alexandri a (Quo d omni s pro bus übe r si t 75-91 ) un d Josephu s (Jüdische r Krie g II, 119-161; Jüdisch e Altertümer XVIII, 18-22) überliefert . Wei l ihr e Darstellunge n jedoc h deut lich vo n de n eigene n Ansichte n de r Verfasse r gefärb t sind , di e di e Essene r hellenistischen Leser n verständlic h mache n wollen , müsse n si e mi t einige r Vorsicht gelese n un d kritisc h geprüf t werden . Die Essene r ware n ein e eigenständig e jüdisch e Bewegung , di e zurück gezogener lebt e al s di e Sadduzäe r un d di e Pharisäer , di e da s politisch e un d religiöse Lebe n i n starke m Maß e bestimmten . Ih r Nam e is t wahrscheinlic h von aramäisc h ch asajja = di e Fromme n herzuleiten , al s di e si e vielleicht zu nächst vo n Außenstehende n bezeichne t wurden . Vermutlic h is t i n ihre m Namen zugleic h ei n Hinwei s au f di e Herkunf t de r Essene r enthalten ; den n die gesetzestreuen Juden , di e die makkabäisch e Erhebun g trugen , hieße n di e chasidim, wei l si e di e Fromme n waren , „di e sic h willi g de m Geset z hin gaben" (l.Makk.2,42) . Dan n sin d di e Essene r au s denselbe n Kreise n her vorgegangen wi e di e Pharisäe r (vgl . S.54) , vo n dene n si e sic h durc h noc h strengeren Gehorsa m gege n da s Geset z unterschieden , de n si e durc h kein e Erleichterung un d kei n Zugeständni s a n di e alltäglich e Praxi s abschwäch ten. Ihr e Zah l betru g nac h de n Berichte n be i Phil o un d Josephu s 4000 . Si e

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lebten vorwiegen d i n Dörfern i n Palästina, einige von ihne n auc h i n Städten , und schlösse n sic h z u feste r Gemeinschaf t zusammen , u m sic h vo n alle r Un reinheit abzusondern . Ihre Mitglieder bliebe n ehelos . Sie verzichteten au f di e Ehe nich t au s asketische n Neigungen , di e de m Judentu m frem d sind , son dern miede n de n Umgan g mi t de r Frau , u m sic h nich t z u verunreinigen . E s gab abe r auc h Gruppe n vo n verheiratete n Essenern , di e jedoc h di e Eh e ers t nach dreijährige r Prüfun g de r Fra u eingingen , nachde m erwiese n war , da ß sie Kinde r gebäre n konnte . Di e Eh e wurd e ausschließlic h zu m Zwec k de r Fortpflanzung geschlossen ; währen d de r Zei t de r Schwangerschaf t de r Fra u enthielten si e sic h de s eheliche n Verkehrs . Fü r all e Essene r gal t als o da s unbedingte Gebot , di e kultisch e Reinhei t de r ganze n Gemeind e un d alle r ihrer Gliede r z u wahren . Die essenisch e Gemeind e lebt e unte r de r Leitun g vo n Vorstehern , dere n Weisungen jede r z u folge n hatte . We r i n di e Gemeinschaf t eintrete n wollte , erhielt zunächs t ein e klein e Hacke , eine n Schur z un d ei n weiße s Gewand . Daran zeig t sic h di e hohe Bedeutung , di e de m Gebo t de r Reinhei t zugemes sen wurde. Die Hacke dient e dazu , beim Austreten di e Exkremente i n eine m fußtiefen Loc h z u vergraben. De r Schur z sollt e di e Schamteile bedecken , u m nicht de n Lichtglan z Gottes , d.h . di e Sonne , z u beleidigen . Un d da s weiß e Gewand wurd e al s da s Klei d de r Reine n angelegt . De r Anwärter , de r u m Aufnahme i n di e Gemeinschaf t nachsuchte , mußt e zunächs t ein e einjährig e Probezeit durchmachen . Wa r si e fü r bestande n erklärt , s o wurd e e r z u de n Waschungen zugelassen , s o da ß e r a n de r Reinhei t de r Gemeinschaf t teil bekam. Ers t nach zwe i weiteren Jahre n wurd e e r dan n i n di e volle Mitglied schaft aufgenomme n un d durft e nu n auc h a n de n gemeinsame n Mahlzeite n teilnehmen. Die Gliede r de r Gemeinschaf t brachte n ih r persönliche s Eigentu m i n de n Besitz de r Gemeind e ein , i n de r all e Güte r geteil t wurden . Übe r dere n Ver wendung hatte n vo n de r Gemeinschaf t gewählt e Verwalte r z u bestimmen . Der Tageslau f began n frü h vo r Sonnenaufgan g mi t de r Verrichtun g de s Gebetes. Dan n wurd e au f de m Fel d gearbeitet . Zu r Mittagszei t kame n all e wieder zusammen , wusche n sic h i n kalte m Wasser , legte n weiß e Gewände r an un d versammelte n sic h zu m gemeinsame n Mahl , a n desse n Anfan g un d Ende ein Priester da s Tischgebet sprach. Am Nachmitta g wurde dan n wiede r gearbeitet, bi s man sic h a m Abend erneu t zu r Tischgemeinschaf t zusammen fand. De r stren g geregelt e Tageslau f wurd e i n äußerste r Diszipli n eingehal ten. E s wurde nu r s o vie l Speis e genossen, wi e zu r Sättigun g nöti g ist . Bei m Zusammensein de r Gemeinschaf t herrscht e Still e i m Saal , e s sprac h jeweil s nur eine r nac h de m andere n i n strenge r Ordnung . Jedes Glie d de r Gemeinschaf t wurd e be i de r Aufnahme feierlic h zu r Wah rung de r Satzunge n verpflichtet . Eh e eine r „bei m gemeinsame n Mah l er scheinen darf , mu ß e r de n Angehörige n de r Gemeinschaf t eine n furchtbare n Eid schwören , daß e r die Gottheit ehren , seine Pflichten gege n di e Mensche n erfüllen, nieman d au s eigene m Antrie b ode r au f Befeh l Schade n zufügen ,

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stets di e Ungerechte n hasse n un d de n Gerechte n beistehen , sowi e da ß e r Treue gege n jederman n un d besonder s gege n di e Vorgesetzte n übe n wolle " (Josephus, Jüdische r Krie g II, 139f.). Di e Gemeinschaf t wa r i n vie r Ständ e gegliedert, di e stren g voneinande r geschiede n waren . Ei n späte r eingetrete nes Mitglie d stan d eine m ältere n s o wei t nach , da ß e r e s nich t berühre n durfte. Wen n abe r ein e Berührun g stattgefunde n hatte , s o wa r ein e Verun reinigung entstanden, di e nur durc h ein e Waschung wiede r beseitig t werde n konnte. I n strenge m Gesetzesgehorsa m wurd e auc h da s Sabbatgebo t beob achtet. Keinerle i Arbei t durft e a m siebte n Ta g geta n werden , all e Speise n wurden scho n vorher vorbereitet . Es war nich t einmal erlaubt, a m Sabbat di e Notdurft z u verrichten , u m de n Ta g nich t z u entweihen . Wen n sic h jeman d einen Fehltrit t gege n di e Vorschriften , übe r dere n Befolgun g sorgsa m ge wacht wurde , hatt e zuschulde n komme n lassen , wurd e strenge s Gerich t gehalten. Schwer e Verfehlunge n wurde n dadurc h geahndet , da ß de r Schul dige au s de r Gemeinschaf t ausgeschlosse n wurde . Über da s Leben , di e Satzunge n un d di e Büche r de r Gemeind e durfte n di e Mitglieder gegenübe r Außenstehende n nicht s verlaute n lassen . U m welch e Schriften e s sich handelte, wir d i n de n Berichte n de s Josephu s un d de s Phil o nicht erwähnt . Wa s ihr e Lehr e betrifft , s o sag t Josephus , di e Essene r seie n der Überzeugung gewesen , die unsterbliche Seel e des Menschen stamm e vo m Himmel un d ih r Schicksa l se i ih r i m vorau s bestimmt , de r Lei b abe r se i ei n fleischliches Gefängni s de r Seele . Nach de m Tod e werd e si e von de n Fessel n des Leibe s befreit , di e gute n Seele n würde n sic h dan n zu m Himme l auf schwingen und zu m Or t de r Seligen gelangen, die schlechten dagege n würde n an de n Strafor t gebracht , u m de n verdiente n Loh n z u empfange n (Jüdische r Krieg II, 154-158). Hinte r diese r hellenisierende n Beschreibun g de r Ansich ten de r Essene r wir d ein e Lehr e sichtbar , di e einen schicksalhaf t bestimmte n Ursprung de s de m Mensche n jeweil s beschiedene n Wege s annimmt . Vo n Gottes Erwählun g häng t ab , ob de r We g de s Mensche n zu m Hei l ode r zu m Verderben führt . Da s Fleisc h vergeht , de r vo n Got t gegeben e Geis t abe r eröffnet da s Leben. Diese Grundzüge de r essenischen Lehre , die bei Josephu s nur ebe n angedeutet , abe r nich t ausgeführ t wird , decke n sic h weithi n mi t den lehrhafte n Ausführunge n de r Qumrantext e (vgl . S . 78). Glaub e un d Leben de r Essene r sin d vo m starke n Wille n geleitet , di e rein e Gemeind e Israels zu sein. Von dahe r is t ebenso ihr e verschärfte Auslegun g de s Gesetze s zu begreife n wi e auc h di e peinlich e Beobachtun g de r ReinheitsVorschriften . Die Essene r hatte n nac h de m Berich t Plinius ' de s Ältere n a m Ufe r de s Toten Meere s da s Zentru m ihre r Gemeinschaf t (Histori a naturali s V. 17). Wenn si e auc h weni g i n de r Öffentlichkei t auftraten , s o wirkt e doc h ihr e Lebensführung beispielhaf t un d fan d besonder e Beachtun g währen d de r Erhebung gege n di e Römer , a n de r manch e Essene r akti v teilnahmen , einig e in führenden Stellungen . Bis zum Ende hielten si e in unerschrockener Tapfer keit de m Geset z Israel s di e Treue . Josephu s rühm t ihre n Einsatz , inde m e r ihre Todesverachtun g hervorhebt : „Dies e ihr e Gesinnun g tra t s o rech t i m

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Krieg gege n di e Röme r zutage . Si e wurde n au f di e Folte r gespannt , ge martert, gebrann t un d zerstochen , ih r We g führt e durc h sämtlich e Folter kammern, u m si e zu r Lästerun g de s Gesetzgeber s ode r zu m Genu ß eine r verbotenen Speis e z u bringen . Abe r si e bliebe n fest , wede r da s ein e noc h das ander e au f sic h z u nehmen , wede r ei n bittende s Wor t a n ihr e Peinige r zu richte n noc h ein e Trän e z u vergießen . Lächeln d unte r Schmerze n spot teten si e ihrer Henker , gabe n si e ih r Lebe n freudi g dahi n i n de r Zuversicht , es eins t wiede r z u empfangen " (Jüdische r Krie g II, 152f.). I n de n Leide n und Schrecke n de s Kriege s gin g auc h di e essenisch e Gemeinschaf t unter . Das Bild , da s bishe r vo n de n Essener n entworfe n wurde , is t nac h de n Berichten de s Phil o un d de s Josephu s gezeichnet . Sei t di e umfangreiche n Textfunde vo n Qumra n bekann t sind , is t vo n viele n Forscher n di e Ansich t vertreten worden , di e Gemeind e vo n Qumra n se i da s Zentru m de r esse nischen Gemeinschaf t gewesen . Für dies e Annahme sprich t - wi e noch nähe r zu begründe n is t (vgl . S.78 ) - i n de r Ta t ei n hohe r Gra d vo n Wahrschein lichkeit, obwohl sic h in de n Schriften de r Gemeind e vo n Qumra n nirgendw o die Bezeichnung Essene r findet. 5. Die Therapeuten Den Essenern , di e ei n tätige s Lebe n führten , stell t Phil o di e Therapeute n gegenüber al s ein e Gemeinschaft , di e sic h de m beschauliche n Lebe n wid mete (d e vit a contemplativa) . Wen n auc h di e Schilderun g Philo s vo n seinen eigene n Ideale n gefärb t ist , s o enthäl t si e doc h sicherlic h eine n histo rischen Kern . Die Therapeute n hatte n a m Mareotische n See , nicht wei t vo n Alexandria, ein e klosterartig e Niederlassung . Ih r Nam e bedeute t Diene r bzw. Knecht e (Gottes) . Si e leistete n au f eigene n Besit z Verzich t un d ware n zum einfache n Lebe n bereit , da s jede s Glie d de r Gemeinschaf t al s Ein siedler i n eine r kleine n Hütt e führte , i n de r e r di e Tag e mi t Studiu m de r Schrift un d Meditatio n verbrachte . Ers t nac h Sonnenuntergan g wurd e di e bescheidene täglich e Speis e eingenommen . Nu r a m Sabba t versammelte n sich all e Mitgliede r de r Gemeinschaf t zu m Gottesdienst . Besonder s hervor gehoben wurd e jede r siebt e Sabbat , a n desse n Voraben d si e i n weiße n Kleidern zu m gemeinsame n Gottesdiens t un d zu r Mahlgemeinschaf t kame n und dara n di e heilig e Nachtfeie r anschlössen . Auc h dies e Gemeind e wollt e dem Geset z ungeteil t gehorsa m sei n un d nac h seine n Weisunge n leben . Wahrscheinlich sin d di e Therapeute n al s ei n Seitenzwei g de r essenische n Bewegung anzusehen , de r sic h i n de r ägyptische n Diaspor a selbständi g weiterentwickelte. Di e Kirchenväte r habe n späte r de n Berich t de s Phil o fü r die Beschreibun g frühe r christliche r Mönch e gehalte n (Euseb , Kirchen geschichte II, 17). Wen n e s auc h nich t ausgeschlosse n ist , da ß Zusammen hänge zwische n derartige n jüdische n Gemeinschafte n un d de n Anfänge n des christliche n Mönchtum s bestande n habe n könnten , s o fehle n doc h sichere Nachrichten , u m derartig e Vermutunge n beweise n z u können .

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6. Die Gemeinde von Qumran 1. Übersicht übe r di e Text e au s Qumra n Die Geschicht e de r Entdeckunge n bishe r unbekannte r jüdische r Hand schriften begann , al s i m Jahr e 194 7 Beduine n i n de r Wüst e Jud a au f ein e Höhle stießen, in de r in mehreren große n Tonkrüge n Schriftrolle n verborge n waren. Während de r folgende n Jahr e wurde n intensiv e Nachforschunge n i n der Umgebun g de r Fundstell e - zu m Tei l vo n Gelehrten , zu m weitau s über wiegenden Tei l abe r vo n Beduine n - durchgeführ t un d Tausend e vo n Höh len a n de n Gebirgshänge n untersucht , di e vo n de r Wüst e Jud a zu m Tote n Meer abfallen . Bi s zu m Jahr e 195 6 wurde n i n insgesam t el f Höhle n Text e und Textfragment e aufgespürt , di e umfangreichste n un d bedeutendste n i n den Höhlen 1 und 4. Um die Fülle de r Schrifte n un d Blätte r z u ordne n un d z u bezeichnen, is t es allgemei n üblic h geworden , jeweil s zuers t di e Höhle anzu geben, i n de r si e gelegen hatten : I Q , 2 Q usw. , un d dan n de n Anfangsbuch staben de s Titel s de r jeweilige n Schrif t hinzuzufügen : S = sere k hajjacha d = Ordnun g de r Gemeinde , pHab . = pesche r Habaku k = Habakukkom mentar usw . Archäologische Untersuchungen , di e ma n i n de r Zei t vo n 195 1 bis 195 6 i n de r Umgebun g de r Höhle n anstellte , habe n wichtig e Ergebniss e zutage gefördert , s o da ß di e Umriss e de r Geschicht e jene r Gemeinschaf t erkennbar werden , i n de r di e Schriften , di e ma n i n de n Höhle n fand , ent standen ode r abe r gelese n worde n sind . a) Der archäologische Befund: I n de r Näh e de r 194 7 entdeckte n Höhl e lag, nicht weit vom Ufer de s Toten Meere s entfernt, ei n kleiner Ruinenhügel . Die Frage , o b ei n Zusammenhan g zwische n diese m Chirbe t Qumra n ge nannten Or t un d de n Handschriften besteht , konnte auf Grun d vo n Grabun gen eindeuti g bejah t werden . E s wurd e ein e Siedlun g freigelegt , di e de r Mittelpunkt eine r jüdische n Gemeinschaf t gewese n ist . Ei n Haupthau s mi t einem Tur m weis t di e Abmessunge n vo n 3 0 ma l 3 7 m auf . Ei n große r Ver sammlungsraum, de r auc h fü r gemeinsam e Mahlzeite n benutz t wurde , ein e daneben gelegen e Anricht e mi t Tongeschirr , da s i m Speisesaa l gebrauch t wurde, ein e Töpferei , ei n Schreiberrau m un d ander e Werkstätte n diente n der ganze n Gemeinde . I n de r Siedlun g befande n sic h mehrer e Zisternen , di e durch Regenwasse r gefüll t un d durc h ein e Wasserleitun g gespeis t wurden , die vo m Gebirg e herunterführte . Dies e Anlage n ware n offensichtlic h nich t nur fü r di e Versorgun g mi t Trinkwasse r vo n Bedeutung , sonder n bote n auch di e Möglichkeit , Waschunge n un d Reinigungsbäde r vorzunehmen . D a es i n diese r Siedlun g kein e Unterkünft e un d Schlafräum e gab , dar f ma n vermuten, da ß di e Gliede r de r Gemeind e i n de n Höhlen , di e i n große r Zah l in de r nächste n Umgebun g vorhande n sind , genächtig t habe n un d a m Tag e in den Werkstätten arbeitete n ode r in den Versammlungsräumen zusammen kamen. Einig e de r Höhlen , i n dene n Handschrifte n gefunde n wurden , wer den vermutlic h Nachtquartier e vo n Gemeindemitglieder n gewese n sein . Di e sorgfältige Verpackun g de r Rolle n i n Höhl e 1 deute t abe r darau f hin , da ß hier ei n Verstec k planmäßi g angeleg t worde n ist . Un d di e erstaunlic h groß e

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Zahl vo n Texte n un d Textfragmente n i n Höhl e 4 läß t vermuten , da ß dor t eine Bibliothek de r Gemeind e gewese n sei n mag . Nach verschiedene n Münzen , di e i n de r Siedlun g lagen , kan n di e Zeit , i n der si e begründet worde n ist , ziemlic h gena u bestimm t werden . Di e älteste n Münzen stamme n au s de r Zei t de s Johannes Hyrka n (134-10 4 v . Chr.); als o ist die Siedlung etwa in der Mitte de s zweiten Jahrhundert s v . Chr. oder kur z danach angeleg t worden. Nach Auswei s weiterer Münzfund e is t sie währen d eines volle n Jahrhundert s benutz t worden . Durc h ei n Erdbeben , da s nac h antiken Berichten au f da s Jahr 31 v. Chr. zu datieren is t (Josephus , Jüdische r Krieg I, 370f.), sin d dan n s o schwer e Zerstörunge n angerichte t worden , da ß für einig e Zei t di e Häuse r unbewohnba r gewese n sei n müssen . Di e Münz funde setze n wiede r ei n mi t de r Regierungszei t de s Archelau s ( 4 v.Chr. 6 n . Chr.) un d reiche n bi s zur Zeit de s jüdischen Aufstand s gege n di e Römer . Starke Brandspure n weise n darau f hin , da ß di e Anlag e gewaltsa m zerstör t worden ist . Si e wir d i m Jahr e 6 8 n . Chr. vo n de n Römer n besetz t worde n sein, al s Vespasia n mi t seine n Truppe n de n Jordangrabe n bi s zu m Tote n Meer entlanggezoge n wa r un d da s Lan d wiede r i n di e Gewal t de r Röme r gebracht hatte . Wahrscheinlic h ha t di e Nachrich t vo m Heranrücke n de r Römer di e Gliede r de r Gemeind e daz u veranlaßt , di e große n Schriftrollen , die man i n Höhle 1 entdeckte, sorgfälti g i n Krüg e z u verpacke n un d z u ver bergen, um si e nach Beendigun g de r Kämpf e wiede r hervorhole n z u können . Dazu is t es jedoch nich t gekommen, d a di e Gemeinschaft i n de n Kriegsereig nissen unterging . Nac h de m Krie g is t i n Qumra n fü r einig e Zei t ei n Poste n der zehnte n römische n Legio n stationier t worden , un d währen d de s Auf standes unte r Ba r Kochb a habe n sic h noc h einma l jüdisch e Partisane n dor t festgesetzt. Danac h ende t die Geschichte der Siedlung, die seither al s Ruinenhaufen kein e weitere Beachtung fand . Im Oste n de r Siedlun g la g ei n große r Friedho f mi t meh r al s tausen d Gräbern, i n dene n di e verstorbene n Mitgliede r de r Gemeind e bestatte t wurden. Untersuchungen , di e a n de r südlic h gelegene n Süßwasserquell e Ai n Feschcha durchgeführ t wurden , ergaben , da ß hie r Vie h gehalte n wurde , Dattelpalmen angepflanz t wurde n un d i n geringe m Umfan g woh l auc h Ackerbau betriebe n wurde , s o daß di e Gemeinde i n diese r einsamen Gegen d für ihre n bescheidene n Lebensunterhal t sorge n un d unabhängi g vo n de r Außenwelt existiere n konnte . Der archäologisch e Befun d grenz t de n Zeitraum , i n de m di e aufgefunde nen Handschrifte n angefertig t wurden , eindeuti g ab : Vo n de r Mitt e de s zweiten Jahrhundert s v . Chr. bi s 6 8 n. Chr. ha t di e Gemeinschaf t i n Qumra n gelebt. Dahe r kan n kei n Zweife l darübe r bestehen , da ß di e Text e vo n Qumran au s eine r jüdische n Gemeind e stammen , di e zu r Zei t Jes u un d de r ersten Christenhei t i n Qumra n de n Mittelpunk t ihre s Gemeinschaftsleben s gehabt hat . b) Die biblischen Texte: Unte r de n Handschrifte n un d Fragmenten , di e i n den Höhle n vo n Qumran entdeck t wurden, befinden sic h zahlreiche biblisch e Texte. I n Höhl e 1 wurde n zwe i groß e Rolle n de s Jesajabuche s gefunden ;

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die ein e is t i n seh r gute m Zustan d erhalte n un d umfaß t nahez u da s ganz e Buch (lQJes. a ), di e ander e ha t stärker e Beschädigunge n erlitte n un d steh t an Umfan g hinte r de r erste n Roll e zurüc k (lQJes. b ). Dies e Handschrifte n sind ei n volles Jahrtausen d älte r al s di e älteste n bi s dahi n bekannte n Hand schriften de s hebräische n Alte n Testamentes . Zwa r gib t e s i n diese n beide n Rollen mancherle i Abweichunge n sowoh l i n de r Schreibweis e al s auc h i n einzelnen Wörtern , durc h di e si e sic h vo n de r Fassun g de s Texte s unter scheiden, wi e ih n späte r di e jüdische n Gelehrte n überliefer t haben , di e fü r die Weitergabe de r biblische n Büche r sorgte n (di e sogenannte n Masoreten) ; aber i m große n un d ganze n is t de r Jesajatex t de r beide n Rolle n nich t allz u weit vo m spätere n masoretische n Tex t entfernt . Be i andere n biblische n Handschriften verhäl t es sich jedoch nich t so , wie eine Fassung der Samuelis bücher beweist , di e nich t mi t de m masoretische n Text , sonder n mi t de r bis weilen soga r erheblic h abweichende n griechische n Übersetzun g de r soge nannten Septuagint a (vgl . S . 92-96) weithi n übereinstimm t (4QSam. a un d 4QSam. b ). Die griechische Übersetzung diese s Buches ist also nicht willkürlic h ihre eigene n Weg e gegangen , sonder n fuß t au f eine r ältere n hebräische n Vorlage, di e späte r nich t al s normative r Tex t anerkann t worde n ist . D a manche biblische n Handschrifte n un d Fragment e ei n frühe s Stadiu m de s späteren masoretische n Texte s bezeugen , ander e abe r sic h vo n ih m teilweis e erheblich unterscheiden , ha t e s zu r Zei t de r Gemeind e vo n Qumra n noc h keine einheitlich e Textfassun g de r biblische n Schrifte n gegeben . Di e Fest legung au f ein e einzige normativ e Gestal t de s Texte s is t vielmeh r ers t durc h die Gelehrte n vorgenomme n worden , di e nac h 7 0 n.Chr . de n Gemeinde n einen allgemei n verbindliche n Tex t de s Schriftworte s gaben . Zwar wurd e di e Frage , welch e Büche r al s kanonisc h anzuerkenne n sind , erst von de n Rabbine n gege n Ende de s ersten Jahrhundert s n . Chr. endgülti g entschieden (vgl . S . 121-123), abe r fü r di e Gemeind e vo n Qumra n wa r de r Kreis de r kanonische n Büche r de s Alte n Testamente s bereit s s o gu t wi e ge schlossen. Unte r de n zahlreiche n biblische n Texte n befinde n sic h Stück e au s allen Bücher n de s alttestamentliche n Kanon s mi t eine r Ausnahme : Da s Buch Esthe r is t i n Qumra n nich t bezeugt . Sei n Fehle n kan n au f Zufal l be ruhen, e s könnt e abe r auc h darau f zurückgeführ t werden , da ß diese s Buc h die Festroll e fü r da s Purimfes t darstell t un d möglicherweis e diese s Fes t vo n der Qumrangemeind e nich t gebillig t wurde , s o da ß daru m auc h da s Buc h Esther nich t gelese n wurde . So lehrreich di e biblische n Text e au s Qumra n fü r di e Kenntni s de r Über lieferung alttestamentliche r Schrifte n un d de s sic h allmählic h vollziehende n Abschlusses de r Grenze n de s Kanon s sind , noc h bedeutsame r sin d di e nicht biblischen Texte , di e i n de n Höhle n vo n Qumra n entdeck t wurden ; den n durch si e lerne n wi r ein e jüdisch e Gemeind e kennen , di e ein e ausgebildet e Lehre vo m rechte n Lebe n nac h de m Geset z entfaltet e un d si e i n di e Ta t umsetzte. c) Die jüdischen Texte: Au s de r Füll e de r i n Qumra n gefundene n Text e sollen i m folgende n kur z di e wichtigste n beschriebe n werden , u m dan n au s 5 Lohse , Umwel t

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Eduard Lohse , Umwel t de s Neue n Testament s

ihnen ei n Bil d vo m Glaube n un d Lebe n de r Gemeind e z u erheben . A n man chen Stelle n habe n di e Rolle n Beschädigunge n erlitten , s o da ß i m Tex t ein zelne Buchstabe n fehle n ode r sic h auc h größer e Lücke n finden. Vielfach is t es jedoc h möglich , da s Fehlend e au s de m Sinnzusammenhan g z u erschlie ßen. Solch e Ergänzunge n werde n i n Zitate n au s de n Qumrantexte n jeweil s in Klammer n gesetzt . Die Gemeinderegel (1QS ) - vielfac h auc h al s Sektenrege l bezeichne t - is t in eine r Handschrif t vo n el f Kolumne n nahez u unversehr t erhalten . Darübe r hinaus ha t e s el f weiter e Exemplar e i n Höhl e 4 gegeben , vo n dene n jedoc h nur noc h klein e Teil e vorhande n sind . Di e Regel , di e kein e literarisch e Ein heit darstellt , sonder n au s verschiedene n Stücke n zusammengesetz t ist , be ginnt mi t liturgische n Anweisunge n un d Bestimmunge n fü r da s jährlic h z u feiernde Fes t de r Bundeserneuerun g (1,1-111,12) . E s schließ t sic h ei n lehr hafter Abschnit t übe r di e beide n Geiste r an , di e da s menschlich e Lebe n bestimmen, de n Geis t de r Wahrhei t un d de n de s Frevel s (III, 13-IV, 26). Dann werde n Regel n fü r di e Ordnun g de r Gemeind e aufgeführ t sowi e ein e Reihe vo n Strafbestimmunge n fü r Vergehe n gege n Geset z un d Ordnun g (V, 1-IX,25). A m End e stehe n Gebetsanweisunge n un d ei n Psalm , i n de m der Beter sich lobend un d danken d z u Gottes Gerechtigkeit bekennt (IX, 2 6 XI, 22). Das Buc h ist - wi e fast all e andere n Schrifte n auc h - i n einem reine n Hebräisch abgefaßt , da s al s Sprach e de s Gesetze s i n de r Gemeind e gepfleg t worden ist . Die verschiedene n Inhalte , di e i n diese r Rege l zusammengestell t sind, sollen zeigen , wie die Gemeinde ih r Leben nac h de m Geset z führt. Inso fern biete t die Schrift ein e beispielhafte Zusammenfassun g vo n Anweisunge n für di e gottesdienstliche Praxis , die Lehre un d da s Lebe n de r Gemeinde . Zu diese r Gemeinderege l sin d zwe i kürzere , al s Anhäng e überliefert e Texte erhalten . I n de r sogenannte n Gemeinschaflsregel (IQSa ) werde n Bestimmungen fü r di e Gemeind e Israel s a m End e de r Tag e gegeben . E s werden Vorschrifte n übe r di e Heranbildun g de r Gemeindegliede r auf geführt, e s wir d vo n de r Einberufun g de r Vollversammlun g gehandel t un d schließlich festgelegt , wi e bei m messianische n Mah l di e Sitzordnun g aus sehen soll . I n de n Segenssprüchen (lQSb ) finden sic h Segenswort e fü r di e Gläubigen, de n Hohenpriester , di e Prieste r un d de n Fürste n de r Gemeinde . Ob dies e Anweisunge n jemal s gottesdienstlich e Verwendun g gefunde n haben, is t ungewiß . Vermutlic h sollte n si e al s liturgisch e Regel n fü r di e kommende Heilszei t dienen . Die sogenannte Damaskusschrift wurd e bereits 189 6 in der Esra-Synagog e in Alt-Kair o entdeckt . Ei n Tite l de r Schrif t is t nich t angegeben . D a di e Ge meinde sic h Gemeind e de s neue n Bunde s i m Land e Damasku s nenn t (vgl . Am. 5,27), is t di e Bezeichnun g Damaskusschrif t (CD ) allgemei n üblic h ge worden. E s handel t sic h u m ein e Handschrif t A 1 von vie r beiderseiti g be schriebenen Blätter n (Kol.I-VIII ) un d ein e vo n andere r Han d gefertigt e Handschrift A 2 vo n gleiche m Umfan g (Kol.IX-XVI) , daz u di e Handschrif t B, deren Tex t au f de n beide n Seite n eine s einzelnen Blatte s steh t (Kol.XIX XX). Da i n de n Höhle n 4 , 5 und 6 von Qumra n ein e Reihe vo n Fragmente n

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der Damaskusschrif t gefunde n wurd e un d ih r Inhal t mancherle i Berührun gen mi t de r Gemeinderege l aufweist , mu ß di e Damaskusschrift i n de r Qum rangemeinde entstande n sein . I n de n Kolumne n I—VIII steht ein e lang e Mahnrede, di e Anfan g un d Geschicht e de r Gemeind e i n ein e umfassend e Deutung de r Geschicht e Israel s hineinstell t un d di e streng e Auslegun g de s Gesetzes durc h di e Gemeind e begründet . Dies e Rede , dere n Begin n nich t vollständig überliefer t ist , bricht a m End e de r Kolumn e VIII ab, wird jedoc h in de r Handschrif t B , di e zunächs t mi t de m Tex t vo n Kol . VII/VIII weithi n parallel geht , fortgeführt . Di e Kolumne n IX-XV I enthalte n Rechtsbestim mungen, i n dene n da s radikal e Verständni s de s Gesetze s i n zahlreiche n Einzelvorschriften dargeleg t wird . D a C D i m Unterschie d z u 1Q S verhei ratete Mitgliede r kenn t un d eigene n Besit z i n ihre r Han d voraussetzt , gelte n die Bestimmunge n vo n 1Q S un d C D offensichtlic h nich t fü r dieselb e Gruppe. Die Roll e de r Loblieder (hebräisch : hodajot ) (1QH ) umfaß t 1 8 Kolum nen. Daz u komme n 66 meis t klein e Fragment e au s Höhl e 1 un d weiter e Stücke andere r Handschrifte n desselbe n Werke s au s Höhl e 4 . Gestal t un d Gehalt de r Liede r lehne n sic h a n di e alttestamentliche n Psalme n an . De r Beter beginn t regelmäßi g mi t de n Worte n „Ic h preis e dich , Herr" , schilder t dann sein e No t un d Verlorenheit , au s de r Got t ih n erlös t hat , rühm t di e Rettung, di e ih m widerfahre n ist , lob t di e recht e Erkenntnis , di e de n From men verliehe n wurde , un d richte t a n Got t di e Bitt e u m gnädig e Bewahrun g und Führung . Di e Sammlun g stell t gleichfall s kein e literarisch e Einhei t dar . In einige n Stücke n werde n leidvoll e Erfahrunge n erwähn t un d wir d de r Anspruch erhoben , durc h di e übermittelt e Lehr e da s Heil z u bringen , s o da ß diese wahrscheinlic h au f ein e bestimmt e Persönlichkeit , vermutlic h de n sogenannten Lehre r de r Gerechtigkei t (vgl . S.70f.) , zurückgeführ t werde n können (s o z.B . VII, 6-25). In andere n Lieder n dagege n finden sic h i n wei t stärkerem Maß e Ankläng e a n alttestamentliche Wendunge n un d formelhaft e Ausdrücke, di e typisch e Situatione n de s Beter s schildern . Der Kamp f de r Söhn e de s Lichte s gege n di e Söhn e de r Finsterni s wir d in de r sogenannte n Kriegsrolle (1QM ) dargestellt . Nebe n de r 1 9 Kolumne n umfassenden Schriftroll e wurde n kleiner e Fragment e andere r Handschrifte n in Höhl e 4 entdeckt , di e z.T . älter e Fassunge n al s de r Tex t au s Höhl e 1 bieten. Durc h diese n Befun d is t erwiesen , da ß di e Gestal t de r Kriegsrolle , wie si e i n 1Q M vorliegt , au f ältere n Traditione n un d Vorlage n fußt , di e überarbeitet un d weiterentwickel t worde n sind . De r Kampf , de r i n de r letzten Zei t bestande n werde n muß , wir d weithi n mi t alttestamentliche n Wendungen beschrieben , i n dene n Motiv e de s heilige n Kriege s aufgenom men werden , di e i n de r Makkabäerzei t i n de n Kreise n de r Fromme n wiede r lebendig geworde n waren . Fü r Ausrüstung , Aufstellun g un d Kampfesweis e der Truppe n werde n genau e Anweisunge n erteilt , au s dene n hervorgeht , daß de r Krie g ei n wirkliche r Kamp f ist , desse n Ausmaß e jedoc h i n de n Rahmen de s apokalyptische n Endgeschehen s eingespann t sind : Belia l un d sein Hee r stehe n au f de r eine n Seite , Michae l un d sein e Enge l au f de r 5*

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anderen, Got t abe r wir d de n Sie g herbeiführen. Di e Schilderung de s Kriege s wird imme r wiede r vo n liturgische n Texten , Dankgebeten , Hymne n un d priesterlichen Ansprache n unterbrochen . A n manche n Stelle n finden sic h auffällige Wiederholungen , ei n längere r Hymnu s kehr t soga r i n eine r fas t wörtlichen Dublett e wiede r (XII, 7ff.; XIX, 1 ff.). Darau s is t z u ersehen , daß Überlieferunge n verschiedene n Inhalt s locke r miteinande r verbunde n wurden, u m di e alt e Traditio n vo m heilige n Krie g Israel s au f di e Kampf situation anzuwenden , i n de r sic h di e Söhn e de s Lichtes i n de r Auseinander setzung mi t de n Söhne n de r Finsterni s befinden . Das umfangreichste Dokumen t unter den bisher bekannten Textfunden stell t die sog . Tempelrolle dar , di e freilic h teilweis e i n seh r schlechte m Zustan d er halten is t un d ers t 197 7 herausgegebe n werde n konnte . Si e behandel t vie r große Themenkreise: zunächst Gesetzesbestimmungen , di e durchweg ein e ver schärfende Auslegun g biblische r Vorschriften übe r Reinhei t un d Verhalten de r Israeliten vornehmen ; sodan n ein e Liste von Opfern un d Weihegaben; weite r diese Stück e umfasse n meh r al s di e Hälft e de r Roll e - ein e genau e Beschrei bung Jerusalem s un d de s Tempelbezirks, die sich sowohl von den alttestament lichen al s auc h de n zeitgenössische n Schilderunge n unterscheide t un d di e Heiligkeit de r erwählte n Stätt e hervorhebt ; un d schließlic h Vorschrifte n fü r den Köni g un d sei n Heer , di e fü r eine n drohende n Krie g berei t sei n sollen . Alle Gesetzesvorschrifte n sin d al s direkt e Gottesred e a n Mos e formuliert . Die umfangreich e Sammlun g geh t i n weite n Teile n au f älter e Traditione n zu rück, die in die Zeit reichen , als die Gruppen, au s denen später di e Gemeind e von Qumra n hervorging , sic h noch i n Jerusalem befande n un d a m Tempelkul t teilnahmen. In de r Gemeind e vo n Qumra n is t ei n intensive s Studiu m de r Schrif t ge trieben worden , nich t nu r de s Gesetzes , sonder n auc h de r prophetische n Bücher un d Psalmen . Dabe i wa r ma n bestrebt , di e Text e s o z u lesen , da ß ihre Bedeutun g fü r di e Gegenwar t un d di e Erfahrunge n de r Gemeind e aufgezeigt wurde . S o geh t de r Habakukkommentar (IQpHab. ) di e Kapitel 1 un d 2 de s alttestamentliche n Buche s Ver s fü r Ver s durc h un d fügt jeweil s ein e Deutun g (hebräisch : pescher ) an , di e di e Aktualisierun g des prophetische n Worte s vornimmt . De r Kommenta r wil l als o keine n Bei trag zu r Erhellun g de r historische n Situatio n leisten , i n de r sic h eins t de r Prophet un d sein e Adressaten befanden , sonder n di e Lag e de r endzeitliche n Gemeinde i m Lich t de r prophetische n Botschaf t erklären . Wen n da s dor t genannte feindlich e Vol k de r Chaldäe r au f di e Kittäe r gedeute t wird , di e mit große r Kriegsmach t heranziehen , s o könnte n entwede r di e Seleu kiden ode r di e Röme r gemein t sein . D a davo n di e Red e ist , da ß si e de n Feldzeichen opferte n (VI,3 f.), wir d a n di e Röme r gedach t sein . De r Ver fasser de s Kommentar s ha t dahe r ers t unte r römische r Herrschaf t ge schrieben un d blick t au f di e bereit s durchlaufen e Geschicht e de r Gemeind e zurück. De r Lehre r de r Gerechtigkeit , de m Got t di e Gab e prophetische r Erkenntnis verliehe n hat , is t mi t seine n Anhänger n verfolg t worden , s o da ß die Scha r de r Arme n mi t ih m in s Exi l gehe n mußte . I n Jerusale m abe r regiert de r Frevelpriester , de r zwa r zunächs t be i Antrit t seine s Amte s nac h

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dem Name n de r Wahrhei t genann t wurde , abe r dan n treulo s handelt e gegen di e Gebot e u m de s Reichtum s wille n (VIII,8-11). Durc h di e ein gehende Deutun g de s Texte s sol l da s Verständni s de s endzeitliche n Gesche hens, i n da s di e Gemeind e hineingestell t ist , erschlosse n un d dami t de r eigentliche bi s dahi n verborgen e Sin n de s Schriftworte s erhobe n werden . Auf ähnlich e Weis e werde n auc h ander e biblisch e Schrifte n erklär t un d mit bestimmte n Vorgänge n zeitgeschichtliche r Ereigniss e i n Zusammen hang gebracht . I n de n Kommentare n z u de n prophetische n Bücher n Jesaja , Hosea, Micha , Nahu m un d Zephanj a un d z u Psalm 3 7 finden sic h mancher lei Anspielunge n au f Vorgänge , di e di e Gemeind e erleb t hat , s o da ß au s diesen Hinweise n einig e Date n ihre r Entstehun g un d Geschicht e erschlosse n werden können . S o is t 4QpNah.I,6f . davo n di e Rede , da ß de r Löw e de s Zornes Mensche n lebendi g aufhängte , un d dami t deutlic h au f da s grausam e Vorgehen de s Alexande r Jannäu s gege n sein e Gegne r Bezu g genomme n (vgl. S.20) . I n de r Schilderun g de s 37 . Psalms, i n de r da s Geschic k de r Ge rechten de m de r Gottlose n gegenübergestell t wird , erkenn t di e Erklärun g die eigen e Situatio n de r Gemeind e wiede r un d deute t di e Schriftwort e au f die Bedrängnis , i n di e de r Lehre r de r Gerechtigkei t un d sein e Gemeind e durch di e Verfolgun g vo n Seite n de s gottlose n Priester s gerate n waren . Das sogenannt e Genesis-Apokryphon geh t mi t de m alttestamentliche n Text rech t fre i um , inde m e s ih n i n eine r aramäische n Paraphras e wieder gibt un d dabe i manch e Stelle n beträchtlic h erweiter t un d ausgestaltet . S o wird di e Gebur t de s Noa h beschriebe n un d da s wunderbar e Aussehe n de s Kindes i n eine m Gespräc h zwische n Lamec h un d seine m Weib e Bath Enosch geschildert . Un d i m Zusammenhan g de r Abrahamsgeschichte n wir d Saras Schönhei t eingehen d gewürdigt , inde m nacheinande r ih r Antlitz , ihr e Haare, ihr e Augen , ihr e Nase , ih r blühende s Aussehen , ihr e Brüste , ihr e Arme, ihr e Hände , ihr e Handteller , ihr e Finger , ihr e Beine , ihr e Schenke l und ihr e Weishei t gerühm t werden , womi t ein e ausgesproche n erbaulich e Erzählung de r Patriarchengeschicht e dargebote n wird . Auf eine m einzelne n Blatt , da s i n Höhl e 4 lag , steh t ein e klein e Samm lung alttestamentliche r Belegstellen , di e wahrscheinlic h au f Grun d de r mes sianischen Erwartun g de r Gemeind e ausgesuch t worde n sin d (4Qtest.) . 5.Mose5,28f. un d 18,18f . sin d z u eine m Doppelzita t verbunden , e s folge n 4.Mose24,15-17 un d 5.Mose33,8-ll , un d de n Abschlu ß bilde t Jos.6,26 . Dieses Dokumen t beweist , da ß e s i m damalige n Judentu m Testimonien sammlungen gegebe n hat , i n dene n alttestamentlich e Schriftwort e unte r bestimmten Gesichtspunkte n zusammengestell t wurden , dami t ma n jeder zeit au f dies e Beleg e zurückgreife n un d si e i n Lehr e un d Unterweisun g ver wenden konnte . Zum Abschlu ß diese r Übersich t se i noc h au f einig e besonder s eigentüm liche Text e hingewiesen . I n Höhl e 3 befan d sic h ein e Kupferrolle, di e ei n Verzeichnis vo n Schätze n enthäl t un d di e Stelle n angibt , a n dene n si e ver borgen sei n sollen . Di e Beträg e sin d jedoc h s o hoc h - insgesam t etw a 200 Tonne n a n Gold - un d Silbervorräte n - , da ß hie r schwerlic h di e Registrierung wirklic h vorhandene n ode r verborgene n Besitze s vorliege n

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kann. Vielleich t handel t e s sic h u m ein e Aufstellun g priesterliche r un d königlicher Schätze , wi e ma n si e sic h i n de r Phantasi e de s Volke s al s Besit z des alte n Israe l vorstellte . I n Höhl e 1 1 wurd e ein e Psalmenrolle gefunden , in de r neben 4 1 biblischen siebe n nichtbiblisch e Psalme n stehe n un d darübe r hinaus ei n Prosatex t übe r di e Psalmendichtun g Davids , de r insgesam t 4050 Psalmen verfaß t habe n soll . Die vorliegende Sammlun g wil l von seine r Kunst einig e Probe n biete n un d mach t dabe i a n de n Grenze n de s Kanon s nicht halt . Höchs t eigentümlic h mute t schließlic h ei n kleine s i n Geheim schrift abgefaßte s Fragmen t au s Höhl e 4 an , da s di e Anschauun g vertritt , das Sternbild, i n desse n Zeiche n de r Mensc h gebore n werde , bestimme auc h darüber, wi e sein e äußer e Gestal t - o b kräfti g ode r zar t - gebilde t wir d und wi e sich sei n Antei l a m Lich t z u de m a n de r Finsterni s verhäl t (4Qcry.) . Die Vielfal t de r Text e weis t darau f hin , da ß di e Lehr e de r Gemeind e nicht al s ein e vo n Anfan g a n feststehend e einheitlich e Größ e betrachte t werden darf , sonder n da ß si e i m Lauf e de r Geschichte , di e di e Gemeind e durchlebt hat , Veränderunge n un d Erweiterunge n erfahre n hat , inde m auf unterschiedlich e Uberlieferungssträng e zurückgegriffe n un d verschie dene Stoff e zusammengefaß t wurden , u m si e de r Auslegun g de s Gesetze s dienstbar z u machen . Wa r di e Gemeind e a m Anfan g vo n de r Erwartun g erfüllt, da s End e de r Zeite n steh e unmittelba r bevor , s o setzt e sic h allmäh lich di e Einsicht durch , da ß sic h di e letzte Zei t i n di e Länge zieh t (lQpHab . VII, 7). Dadurc h abe r gewan n di e Ausgestaltun g de r Lehre , di e de r Ge meinde helfe n sollte , di e verändert e geschichtlich e Situatio n z u verstehen , erhöhte Bedeutung . Diese m vielschichtige n Befun d de r Text e au s Qumra n ist Rechnun g z u tragen , wenn de r Versuc h unternomme n wird , ei n Bil d vo n Glauben un d Lehr e de r Gemeind e z u entwerfen . 2. Glaub e un d Lehr e de r Gemeind e vo n Qumra n Die Entstehung der Gemeinde geh t au f Jerusaleme r Priesterkreis e zurück , die au f sorgfältig e Beachtun g de s Gesetze s drangen . Prieste r nehme n i n de r Verfassung de r Gemeind e di e erst e Stell e ein ; auc h di e messianisch e Er wartung is t priesterlic h bestimmt , inde m si e sic h au f da s Komme n eine s priesterlichen Gesalbte n richtet , de r a n de r Seit e de s königliche n Messia s stehen wir d (vgl . S.77) . I n de n Kommentare n z u biblische n Schrifte n wir d wiederholt de r Lehre r de r Gerechtigkei t erwähnt , de r di e Gemeind e ge gründet hat . Er wa r ei n Priester , de m Got t di e Gabe de r rechte n Erkenntni s und Auslegun g de r Schrif t verliehe n hatt e (lQpHab.II,8-19 ; VII,4f.) . U m ihn sammelt e sic h ein e Scha r gesetzestreue r Priester , Levite n un d Laien , di e auf Wahrun g de r Reinhei t un d Beobachtun g de s vo n ihne n fü r allei n gülti g erachteten Festkalender s bedach t waren . Währen d ma n i n Jerusale m de n Kalender nac h de m Umlau f de s Monde s berechnete , wollten si e ein Sonnen jahr einführen , da s zwöl f Monat e z u j e 3 0 Tage n sowi e eine n zusätzliche n Tag fü r jede s Vierteljah r zählte . Dami t wurd e erreicht , da ß da s Jah r stet s mit de m gleiche n Wochentag , eine m Mittwoch , begann , all e Festtag e imme r auf de n gleiche n Wochenta g fielen un d niemal s ei n Festta g mi t eine m

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Sabbat zusammentraf . Mi t dieser Auffassung, di e einer strengeren Heiligun g des Sabbat s diente , setzt e sic h jedoc h dies e Grupp e nich t durch . E s ka m vielmehr z u eine r harte n Auseinandersetzun g mi t de n herrschende n Ober priestern, dene n si e vorwarfen , di e Vorschrifte n de s Gesetze s nich t gena u genug zu befolgen. Diese r Konflik t mi t de m amtierende n Hohenpriester , de r fortan nu r noc h Frevelprieste r genann t wurde , hatt e zu r Folge , da ß de r Lehrer de r Gerechtigkei t mi t seine r Gemeind e au s Jerusale m weiche n un d sich i n di e Einsamkei t de r Wüst e a m Ufe r de s Tote n Meere s zurückziehe n mußte. Dem gottlosen Priester wurd e nachgesagt , e r se i i m Lau f seine r Amts führung de n Gebote n Gotte s untre u geworden . Al s e r sei n Am t antrat , „wurde e r nac h de m Name n de r Wahrhei t genannt . Abe r al s e r zu r Herr schaft gelang t wa r i n Israel , erho b sic h sei n Herz , un d e r verlie ß Got t un d handelte t[re]ulo s gege n di e Gebot e u m de s Reichtum s willen . Un d e r raubte un d sammelt e Reichtu m vo n Männer n de r Gewalt , di e sic h gege n Gott empör t haben . Un d Reichtu m vo n Völker n nah m er , s o da ß e r di e Sünde de r Verschuldun g au f sic h häufte , un d Weg e vo n G[re]uel n macht e er i n alle r schmutzige n Unreinheit " (lQpHab . VIII,9-13). Gege n de n Leh rer de r Gerechtigkei t sucht e e r mi t Gewal t vorzugehen , inde m e r „a m Or t seiner Verbannun g un d zu r Zei t de s Feste s de r Ruhe , a m Versöhnungstag , bei ihne n erschien , u m si e z u verschlinge n un d si e z u Fal l z u bringe n a m Tage de s Fastens , de m Sabba t ihre r Ruhe " (lQpHab.XI,6-8) . Fü r sei n arges Handel n un d di e Verfolgun g de s Lehrer s de r Gerechtigkei t abe r ha t ihn di e verdient e Straf e Gotte s ereilt , inde m e r i n di e Han d seine r Feind e gegeben wurde , „u m ih n z u demütige n durc h Plag e un d Vernichtung " (lQpHab.IX, 10f.). Dies e Hinweis e au f de n gottlose n Prieste r stimme n a m ehesten mi t de n Ereignisse n überein , di e sic h zu r Zei t de s Makkabäer s Jonathan zutruge n (vgl . S. 16f.). Nachdem e r nach de m Tod e seine s Bruder s Judas di e Führun g de s Kampfe s gege n di e Syre r übernomme n hatte , hatt e er sich dann al s erster Hasmonäer di e Würde de s Hohenpriesters angeeignet , obwohl e r nich t au s zadoqidische m Haus e stammte . Sein e gewaltsam e Machtpolitik stan d i n schroffe m Widerspruc h z u de n Anforderungen , di e an di e Reinhei t eine s Priester s gestell t wurden , un d endet e damit , da ß e r durch di e Hand seine r Feind e um s Lebe n kam . Der Nam e de s Lehrers der Gerechtigkeit bleib t jedoc h unbekannt ; den n es wir d nirgendw o ein e Andeutun g gegeben . E r führt e di e Gemeind e i n di e Wüste hinau s un d sa h diese n We g durc h di e prophetisch e Aufforderun g von Jes.40, 3 vorgezeichnet : „I n de r Wüst e bereite t de n We g de s Herrn , macht ebe n i n de r Stepp e ein e Bah n unsere m Gott. " Diese s Schriftwor t wird 1QSVIII , 14 zitier t un d dan n folgendermaße n gedeutet : „Da s is t da s Studium de s Gesetzes , (welches ) e r durc h Mos e befohle n ha t z u tu n gemä ß allem, wa s offenbar t is t vo n Zei t z u Zeit , un d wi e di e Prophete n offenbar t haben durc h seine n Geist " (1QSVIII , 15f.). Di e Gemeind e wei ß sic h dahe r dazu aufgerufen , de n We g de s Herr n z u bereiten , inde m si e da s Geset z studiert, u m danac h gehorsa m z u leben , un d sieh t sic h durc h Gotte s Geis t

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befähigt, di e prophetische n Wort e z u verstehe n un d au s ihne n di e Zei t z u begreifen. Die priesterliche Gemeinde, de r e s nich t möglic h war , i n Qumra n de n Tempeldienst fortzusetze n un d Opfe r darzubringen , erhofft e fü r di e kom mende Heilszei t di e Wiederherstellun g de s rechtmäßige n Kultus . Di e Tren nung vo m Tempe l hatt e als o keinesweg s zu r Folge , da ß de r Kultu s al s solcher abgelehn t wurde , sonder n di e Kriti k de s Tempeldienste s betra f dessen derzeitig e Ausübun g durc h di e i n Jerusale m amtierende n Priester . Die Gemeind e hiel t sic h unte r de r Leitun g vo n Priester n ständi g bereit , u m den Kampf , de r i n de r letzte n Zei t geführ t werde n muß , siegreic h z u be stehen un d de n rechte n Kultu s wiede r aufzunehmen . Deshal b wahrt e di e ganze Gemeind e priesterlich e Reinheit , sucht e ma n jed e Verunreinigun g z u vermeiden un d durc h täglich e Waschunge n di e erforderlich e Reinhei t z u gewinnen. Doc h da s Wasche n allei n stellt e di e Reinhei t nich t her , wen n nicht di e Umkehr zu m rechten Gehorsa m gege n das Gesetz vollzoge n wurde . „Sie (nämlic h diejenigen , di e sic h verunreinig t haben ) könne n nich t ge reinigt werden , wen n si e nich t umgekehr t sin d vo n ihre r Bosheit ; den n Un reines ist an allen , die sein Wort übertreten " (1Q S V, 13 f.). Umkehr bedeute t Abkehr au s de r Wel t de r Boshei t un d Lüg e un d Hinwendun g z u Gott , ih n „zu suche n [mi t ganze m Herze n un d ganze r Seele , zu ] tun , wa s gu t un d recht vo r ih m ist , wie e r durc h Mos e un d durc h all e sein e Knechte , di e Pro pheten, befohle n hat ; un d alle s z u lieben , wa s e r erwähl t hat , un d alle s z u hassen, wa s e r verworfe n hat , sic h fernzuhalte n vo n alle m Bösen , abe r an zuhangen alle n gute n Werken ; un d Treue , Gerechtigkei t un d Rech t z u tu n im Lande " (1Q S 1,1-6). Die Gemeinde lebt e i n strenger Ordnung, u m de n Kamp f gege n di e Söhn e der Finsterni s führe n z u können . A n de r Spitz e stande n di e Söhn e Zadoqs , die Priester , dan n folgte n di e Leviten , danac h di e Meng e de r Männe r de s Bundes un d schließlic h diejenigen , di e sic h u m Aufnahm e i n di e Gemeind e beworben hatten . Si e mußte n zunächs t ein e Probezei t durchmachen , wäh rend de r si e noc h nich t a m gemeinsame n Mah l teilnehme n durften . Wen n zwei Jahr e de r Bewährun g verstriche n sind , „dan n sol l ma n ih n au f Gehei ß der Viele n (d.h . de r Vollversammlung ) prüfen " (1QSVI,21) . „Un d wen n ihm da s Lo s fällt , ih n i n di e Gemeinschaf t einzuführen , dan n sol l ma n ih n in di e Ordnun g seine r Rangstuf e einschreibe n unte r seine n Brüdern , fü r Gesetz un d Rech t un d Reinhei t un d Beteiligun g seine s Besitzes " (1QSVI , 21 f.). Dan n mußt e e r sic h „durc h eine n bindende n Ei d verpflichten , um zukehren zu m Geset z Mose s gemä ß allem , was e r befohlen hat , vo n ganze m Herzen un d ganze r Seele , z u allem , wa s vo n ih m offenbar t is t de n Söhne n Zadoqs, de n Priestern , di e de n Bun d wahre n un d seine n Wille n erforschen , und de r Meng e de r Männe r ihre s Bundes , di e sic h i n de r Gemeinschaf t willig erwiese n habe n z u seine r Wahrhei t un d zu m Wande l i n seine m Willen" (1Q S V, 8-10). Sei n persönliche s Eigentu m hatt e e r nu n i n de n Besitz der ganzen Gemeind e einzubringen, de r von eine m Aufseher verwalte t wurde; e r wurd e zu r Reinhei t de r Viele n zugelassen , d.h . da ß e r a n de n

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Waschungen de r Gemeind e teilnehme n durfte . Vo m Gedanke n de r priester lichen Reinheit , i n de r di e Gemeind e ständi g berei t sei n muß , wa r da s ganz e Leben ihre r Gliede r bestimmt , s o da ß si e auc h au f di e Eh e verzichteten , u m sich nich t durc h de n Umgan g mi t de r Fra u z u verunreinigen . Die priesterlich e Gemeind e versammelt e sic h z u Mahlzeiten, zu m Gottes dienst un d zu m Schriftstudium : „Gemeinsa m solle n si e essen , gemeinsa m Lobsprüche sage n un d gemeinsa m beraten . Un d a n jede m Ort , w o zeh n Männer vo m Ra t de r Gemeinschaf t sind , dar f nich t unte r ihne n ei n Prieste r fehlen. Un d si e solle n jede r entsprechen d seine r Rangstuf e vo r ih m sitzen , und s o solle n si e u m ihre n Ra t befrag t werde n i n jede r Angelegenheit . Un d wenn si e de n Tisc h richten , u m z u essen , ode r de n Most , u m z u trinken , soll de r Prieste r sein e Han d zuers t ausstrecken , u m de n Lobspruc h z u sage n über de n Erstlin g de s Brote s un d de s Mostes . Un d nich t sol l a n de m Ort , wo zeh n Männe r sind , eine r fehlen , de r i m Geset z forsch t Ta g un d Nacht , beständig, eine r nac h de m anderen " (lQSVI,2-7) . In de r Gemeind e herrscht e strenge Disziplin, jede s Glie d wa r i n ein e bestimmte Rangstuf e eingeordne t un d hatt e sic h entsprechen d z u verhalten . Wer abe r gege n di e Ordnun g de r Gemeind e verstieß , hatt e hart e Strafe n zu erwarten . „Wen n unte r ihne n ei n Man n gefunde n wird , de r falsch e An gaben mach t bezüglic h seine s Besitze s wide r sei n Wissen , s o sol l ma n ih n ausschließen au s de r Reinhei t de r Viele n au f ei n Jahr , un d e r sol l bestraf t werden mi t Entzu g vo n eine m Vierte l seine r Essensration " (1QSVI,24f.) . Selbst klein e Vergehe n wurde n har t geahndet : „We r mi t seine m Mun d ei n törichtes Wor t spricht , dre i Monate . Un d fü r denjenigen , de r mitte n i n di e Worte seine s Nächste n hineinredet , zeh n Tage . Un d we r sic h hinleg t un d schläft währen d de r Sitzun g de r Vielen , dreißi g Tage " (1Q S VII,9f.). „Un d wer törich t mi t laute r Stimm e lacht , de r sol l bestraf t werde n mi t dreißi g Tagen" (1QS VII, 14f.). Au s de r Gemeind e ausgeschlosse n z u werden , be deutete ein e empfindlich e Strafe . Den n de r Ausgeschlossen e durft e nich t mehr a n de r gemeinsame n Mahlzei t teilnehmen , e r konnt e sic h abe r auc h nicht irgendw o drauße n Nahrun g holen , w o e r sic h durc h Berührun g mi t der Wel t de r Lüg e verunreinige n würde . E r wa r als o darau f angewiesen , mühsam i n de r Stepp e eine n kümmerliche n Unterhal t z u suchen , bi s ih n schließlich di e Gemeinschaf t wiede r aufnahm . Während di e Pharisäe r bestreb t waren , da s Geset z s o auszulegen , da ß seine Bestimmunge n de n Lebensbedingunge n de s Alltag s angepaß t wurden , gab e s fü r di e Gemeind e vo n Qumra n keine n Kompromi ß un d kein e Er leichterung. E s gilt, das ganz e Geset z z u halten , all e Forderungen de r Thor a zu erfüllen . Dies e streng e Auffassun g vo n de n i m Geset z angeordnete n Geboten bestimm t auc h di e lang e Reih e vo n Sabbatvorschriften, di e i n de r Damaskusschrift aufgeführ t sin d (C D X, 14-XI, 18). Die Anweisungen „übe r den Sabbat , da ß ma n ih n halt e entsprechen d seine r Anordnung " (CDX , 14), werden mi t de m Hinwei s eingeleitet , ma n soll e a m Aben d vo r Begin n de s Ruhetages kein e Arbei t meh r ausführe n vo n de r Zei t an , „z u de r di e Sonnenscheibe vo n de m To r u m di e Länge ihre s Durchmesser s entfern t ist "

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(CDX, 15f.). A m Sabba t dar f nieman d ei n törichte s ode r eitle s Wor t sprechen (C D X, 17f.). „Nich t dar f ma n au s seiner Stadt weite r hinausgehe n als tausen d Ellen " (CDX,21) , währen d nac h de r pharisäische n Auffassun g der Sabbatwe g zweitausen d Elle n betrage n durfte . Wen n Vie h „i n eine n Brunnen fäll t ode r i n ein e Grube , s o sol l ma n e s a m Sabba t nich t wiede r herausholen" (C D XI, 13f.). Nac h Mt . 12,11 par. Lk.14, 5 abe r setz t Jesu s als anerkann t voraus , da ß ma n ei n Schaf , da s a m Sabba t i n ein e Grub e fällt, wiede r heraushole n darf , un d folger t dan n daraus : Wievie l meh r is t dann a m Sabba t eine m Mensche n z u helfen , de r sic h i n No t befindet . Der Bund , de m di e Gemeind e sic h zu r Treu e verpflichte t weiß , is t de r Bund de s Mos e oder , wi e e r auc h i n de r Damaskusschrif t genann t wird , der neu e Bund (C D VI, 19; VIII, 21; XIX, 34; XX, 12). Damit is t jedoch nich t ein zweite r Bun d gemeint , de r a n di e Stell e de s erste n tritt , sonder n de r neue Bun d is t vielmeh r de r Bund , de n Got t mi t Israe l a m Sina i geschlosse n hat un d de r nu n i n de r letzte n Zei t wiede r i n Kraf t gesetz t wird . We r sic h von Freve l un d Lüg e abwende t un d Glie d de r Gemeind e wird , de r vollzieh t die Umkeh r zu m Geset z Mose s (1Q S V,8) un d is t dami t de r Wel t de r Lüg e entronnen, de r nich t etwa nu r di e Heiden, sondern auc h unte r de n Israelite n alle Mensche n verfalle n sind , di e nich t mi t ungeteilte m Herze n nac h de m Gesetz leben . Wahrhei t un d Lich t abe r leite n di e Gemeind e de r Aus erwählten, dere n Glie d ma n nich t durc h natürlich e Herkunft , sonder n allei n durch di e entschieden e Umkeh r wird . Durch de n Gegensatz zwischen Licht und Finsternis wir d di e Kampf situation beschrieben , i n die die Gemeinde sic h gestellt sieht. Draußen stehe n das Lo s de r Söhn e de r Finsternis , da s Hee r Belial s (d.h . de s endzeitliche n Widersachers) un d di e Schare n de r heidnische n Völker , vo n dene n da s Alt e Testament of t gesproche n hat , Edom , Moab , Ammon , di e Philister , di e Kittäer vo n Assu r (1QMI,lf.) . Di e Söhn e de s Lichte s abe r werde n vo n Michael, de m Schutzenge l de s Gottesvolkes , un d seine r Streitmach t unter stützt. Di e hart e Auseinandersetzung , di e durchfochte n werde n muß , wir d in eine r lehrhafte n Unterweisun g au f Gotte s uranfänglich e Bestimmun g zurückgeführt. „Vo m Got t de r Erkenntni s komm t alle s Sei n un d Ge schehen" (1QSIII , 15). „Un d e r schu f de n Mensche n zu r Herrschaf t übe r den Erdkrei s un d bestimmt e ih m zwe i Geister , dari n z u wandel n bi s zu r vorbestimmten Zei t seine r Heimsuchung . Da s sin d di e Geiste r de r Wahr heit un d de s Frevels . A n de r Quell e de s Lichte s is t de r Ursprun g de r Wahrheit, abe r au s de r Quell e de r Finsterni s komm t de r Ursprun g de s Frevels" (1QS III, 17-19). Au f de r eine n Seit e steh t de r Fürs t de s Lichtes , in desse n Han d di e Herrschaf t übe r all e Söhn e de r Gerechtigkei t liegt , di e auf de n Wege n de s Lichte s wandeln . Au f de r andere n Seit e abe r üb t de r Engel de r Finsterni s sein e Herrschaf t übe r all e Söhn e de s Frevel s aus , di e auf de n Wegen de r Finsterni s gehen . Diese beide n Bereiche sind jedoc h nich t schlechthin voneinande r geschieden , sonder n durc h de n Enge l de r Finster nis „komm t di e Verirrun g alle r Söhn e de r Gerechtigkeit , un d all e ihr e Sünde, Misseta t un d Schul d un d di e Verstöß e ihre r Tate n komme n durc h

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seine Herrschaf t entsprechen d de n Geheimnisse n Gottes , bis z u seine r Zeit " (1QS 111,21-23). Di e böse n Mächt e „suche n di e Söhn e de s Lichte s z u Fal l zu bringen . Abe r de r Got t Israel s un d de r Enge l seine r Wahrhei t helfe n allen Söhne n de s Lichtes " (lQSIII,24f.) . A n de n Werke n de r Menschen , deren Wande l sic h i n diese n beide n Bereiche n vollzieht , kan n ma n er kennen, au f welch e Seit e si e gehören (1QSIV,2-14) . Abe r auc h dann , wen n der Mensc h gut e Tate n verrichtet , is t e r de r Auseinandersetzun g nich t ent ronnen, sonder n mu ß vielmeh r stet s de r Lüge , de m Freve l un d de r Finster nis widerstreiten . Ja , s o wir d di e Belehrun g übe r di e beiden Geiste r schließ lich zugespitzt , bi s zu m End e de r Tag e kämpfe n di e beide n Geister , de r der Wahrhei t un d de r de r Finsternis , i m Herze n de s Mensche n (1QSIV,23) . Keiner kan n sic h dahe r de m Kamp f entziehen , auc h di e Fromme n müsse n weiterhin streiten . „Entsprechen d de m Erbtei l eine s Mensche n a n Wahrhei t und Gerechtigkei t haß t e r de n Frevel , un d entsprechen d seine m Antei l a m Lose de s Frevel s handel t e r gottlo s i n ih m un d verabscheu t di e Wahrheit " (lQSIV,24f.). S o tob t de r Streit , bi s Got t ih m ei n End e macht . „Den n Seit e an Seit e ha t si e (di e Geister ) Got t gesetz t bi s zu r bestimmte n Zei t un d zu r neuen Schöpfung " (1QSIV,25) . Der Gegensat z vo n Lich t un d Finsterni s is t auc h i m Alte n Testamen t wiederholt beschriebe n (vgl . 1.Mos e 1,3-5.14-19; Am . 5,18 u.ö.) ; di e Über lieferung vo m heilige n Krieg , i n de m de r Got t Israel s fü r sei n Vol k streitet , ist sei t alter s bekann t un d wurd e i n de r Makkabäerzei t auf s neu e lebendig . Die Gegenüberstellun g vo n zwe i Geister n jedoch , di e durc h di e ganz e Ge schichte hindurc h i m Kamp f miteinande r liegen , ha t kein e Vorbilde r i m Alten Testamen t un d de r dara n anschließende n jüdische n Tradition . Woh l aber finden sic h vergleichbar e Vorstellunge n i n de r iranische n Religion , i n der de r Weltlau f al s ei n Strei t de s Gute n mi t de m Böse n aufgefaß t wird , der vo n Uranfan g a n gesetz t is t un d andauert , bi s endlic h de r Ta g kommt , an de m de r Sie g de s gute n Gotte s übe r de n böse n Got t vollende t ist . De r gute Geis t wirk t da s Tu n de r rechte n Ordnung , de r bös e dagege n stifte t dazu an , da s Schlecht e z u begehen , s o da ß a n de m Handel n de r Menschen , die entsprechen d i n zwe i Lage r geschiede n sind , sichtba r wird , au f welch e Seite si e gehören . Wi e iranisch e Gedanke n au f di e jüdisch e Apokalypti k eingewirkt habe n (vgl . S . 43 f.), s o wir d auc h di e dualistisch e Lehr e vo m Kampf de s Geiste s de r Wahrhei t un d de s Geiste s de s Frevel s unte r Auf nahme iranische r Anschauunge n ausgebilde t worde n sein . A n ein e un mittelbare Einwirkun g iranische r Motiv e au f di e Gemeind e vo n Qumra n ist siche r nich t z u denken , woh l abe r kan n übe r unbekannt e Zwischen glieder i n de r jüdische n Diaspor a i m Zweistromlan d di e Übernahm e ira nischer Gedanke n erfolg t sein . Si e sin d abe r nich t unveränder t geblieben , sondern de m Glaube n a n de n Got t Israel s al s de n Schöpfe r un d Lenke r de r Geschichte eingefüg t worden , de r alle s geschaffe n un d dahe r auc h de n Gegensatz de r beide n Geiste r bestimm t hat , de m e r eins t da s End e bereite n wird. S o dient di e dualistisch e Lehr e dazu , Gotte s Allmach t auszusage n un d zugleich de n Widerstrei t z u erklären , de n di e Gemeind e bi s zu m Jüngste n

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Tage ausfechte n muß . Dabe i is t de r Dualismu s al s Gegensat z beschrieben , der einerseit s durc h Gotte s vorzeitige n Ratschlu ß gegebe n ist , de r abe r andererseits sic h jeweil s verwirklich t i n de r Entscheidun g jede s einzelne n Menschen, di e e r i m große n Strei t mi t de n beide n Geister n vollzieht . Auf de r eine n Seit e heiß t es , daß Got t de n We g de s Mensche n lenkt , da ß seine Erwählun g übe r ih n entscheidet . Au f de r andere n Seit e abe r wir d immer wiede r betont , da ß da s Geset z de n Gehorsa m de s Mensche n fordert , daß e r umkehren , de n rechte n We g beschreite n un d di e Gebot e erfülle n soll, wei l e r fü r sein e Tate n vol l un d gan z verantwortlic h gemach t wird . Daß de r Mensc h vo r Got t nich t bestehe n kann , wir d vo n de n Fromme n deutlich erkann t un d i m Gebe t vo r Got t ausgesprochen : „Ic h gehör e zu r ruchlosen Menschheit , zu r Meng e de s frevelnde n Fleisches . Mein e Sünden , meine Übertretungen , mein e Verfehlunge n sam t de r Verderbthei t meine s Herzens gehöre n zu r Meng e de s Gewürm s un d derer , di e i n Finsterni s wandeln. Den n kei n Mensc h bestimm t seine n Weg , un d kei n Mensc h lenk t seinen Schritt ; sonder n be i Got t is t di e Gerechtigkeit , un d au s seine r Han d kommt vollkommene r Wandel , un d durc h sei n Wisse n is t alle s entstanden . Alles, wa s ist , lenk t e r nac h seine m Plan , un d ohn e ih n geschieh t nichts . Ich aber , wen n ic h wanke , s o sin d Gotte s Gnadenerweis e mein e Hilf e au f ewig. Un d wen n ic h strauchl e durc h di e Boshei t de s Fleisches , s o besteh t meine Gerechtigkei t durc h di e Gerechtigkei t Gotte s i n Ewigkeit " (1QSXI , 9-12). Di e Annahme de s verlorenen Mensche n geschieh t allein durch Gottes Gnade, durc h di e e r ih n rette t un d au f de n rechte n We g stellt : „Wa s is t ei n Lehmgebilde (d.h . ei n Mensch) , u m Wundertate n gro ß z u machen ? E s is t in Sünde vo m Mutterlei b a n un d bi s zu m Alte r i n de r Schul d de r Treulosig keit. Un d ic h erkannte , da ß bei m Mensche n kein e Gerechtigkei t is t un d nicht bei m Menschenkin d vollkommene r Wandel . Bei m höchste n Got t sind all e Werk e de r Gerechtigkeit , abe r de r Wande l de s Mensche n steh t nicht fest , e s sei den n durc h de n Geist , de n Got t ih m schuf , u m de n Wande l der Menschenkinde r vollkomme n z u machen , dami t si e all e sein e Werk e erkennen i n de r Kraf t seine r Stärk e un d di e Füll e seine s Erbarmen s übe r alle Söhn e seine s Wohlgefallens " (1QH IV, 29-33). In diese n Sätze n wir d di e Hinfälligkei t de s Mensche n beschrieben , de r aus Leh m gebilde t ist , al s Fleisc h de r Vergänglichkei t verfäll t un d dahe r schwach un d ohnmächti g ist . Zugleic h abe r is t e r durc h sein e Schul d vo n Gott getrennt , wei l be i ih m kein e Gerechtigkei t ist , e r Freve l begange n un d gottlos gehandel t hat . Durc h Gotte s Gnad e wir d e r gerette t un d nah e gebracht, da s bedeutet : i n di e Gemeind e de s Bunde s hineingeführt , i n de r er zu r Scha r de r Heilige n gehört . S o wir d de r Gottlos e allei n durc h Gotte s Barmherzigkeit gerettet , geschieh t „sol a gratia " di e „iustificati o impii" . Doch wen n e r gerechtfertig t ist , dan n is t e r au f de n rechte n We g gebrach t und nunmeh r befähigt , de m Geset z z u folge n un d sein e Forderunge n z u erfüllen. Di e Rechtfertigun g de s Sünders , vo n de r di e Gemeind e vo n Qum ran spricht , bedeute t als o kein e Einschränkung de s Gesetze s al s des einzige n

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Weges zu m Heil , de r dene n zutei l wird , di e di e Werk e tun , di e i m Geset z des Mos e gebote n sind . Gotte s Gnad e un d Barmherzigkei t stärk t de n schwachen Sünder , dami t e r nu n da s Geset z halte n un d sic h i m Gehorsa m bewähren kann . De r Ver s „De r Gerecht e wir d durc h sein e Treu e leben " (Hab. 2,4) wir d dahe r folgendermaße n ausgelegt : „Sein e Deutun g bezieh t sich au f all e Täte r de s Gesetze s i m Haus e Juda , di e Got t errette n wir d au s dem Haus e de s Gerichte s u m ihre r Mühsa l un d Treu e wille n zu m Lehre r der Gerechtigkeit " (lQpHab. VIII, 1-3). Da s Gesetz , wi e de r Lehre r de r Gerechtigkeit e s ausgeleg t hat , wir d vo n seine r Gemeind e gehalten , inde m sie i n unerschütterliche r Treu e ihre m Lehre r un d Gründe r folg t un d dabe i gewiß ist , da s zukünftig e Hei l z u erlangen . Vo n eine r Auferstehun g de r Toten is t jedoc h nirgendw o i n de n Texte n vo n Qumra n di e Rede . Insofer n unterscheidet sic h di e Lehre der Gemeinde vo n de r Weiterbildung de r Tradi tion, wi e si e durc h di e Pharisäe r entwickel t wurde . Abe r si e erwarte t de n Anbruch de r messianische n Zei t i n s o nahe r Zukunft , da ß di e Zwischenzei t kaum noc h eigen e Bedeutun g besitz t un d alle s darau f ankommt , ständi g bereit z u sei n fü r de n kommende n Tag . Die endzeitliche Hoffnung de r Gemeind e richte t sic h darauf , „da ß de r Prophet un d di e Gesalbte n Aaron s un d Israel s kommen " (1QSIX , 11). E s sollen als o dre i Gestalte n a m End e de r Tag e auftreten : zunächs t de r Pro phet, de r di e messianisch e Zei t ansagt , dan n di e beide n Gesalbten . Neben einander werde n de r priesterlich e un d de r königlich e Messia s stehen , de r geistliche un d de r weltlich e Leite r de r Heilsgemeinde , wi e e s scho n i n de r prophetischen Weissagun g vo n Sach. 4 angekündig t ist , i n de r de r Prophe t zwei Ölbäum e erblickt , di e dan n al s di e Gesalbte n gedeute t werden . Wäh rend de r Köni g nac h de m Vorbil d David s erscheine n un d da s Vol k regiere n wird, ha t de r priesterlich e Gesalbt e di e Aufgabe , fü r di e Reinhei t de r end zeitlichen Gemeind e z u sorgen . Ih m gebühr t de r erst e Platz , wi e di e Be schreibung de s messianische n Mahle s i n de r Gemeinschaftsrege l feststellt . „[Keiner darf ] sein e Han d [ausstrecken ] nac h de m Erstlin g de s Brote s un d [des Mostes ] vo r de m Priester ; den n [e r soll ] de n Sege n spreche n übe r de n Erstling de s Brote s un d de s Most[es . Un d e r soll ] zuers t sein e Han d [aus strecken] nac h de m Brot , un d dana[c h soll ] de r Messia s Israel s sein e Händ e nach de m Bro t ausstrecken . [Un d danach ] solle n si e [de n Segen ] sprechen , die ganz e Gemeind e de r Gemeinschaft , j e [der entsprechend ] seine r Würde " (lQSaII, 18-21). De n Schriftbele g fü r di e Erwartun g de r beide n Gesalbte n findet ma n 4.Mos e 24,17: „E s wir d ei n Ster n au s Jakob aufgehen un d sic h ein Zepter au s Israe l erheben " (4Qtest.l2) . (Vgl . Kippenberg — Wewers, S.74. ) Wissen und Einsicht der Frommen sin d durc h göttlich e Offenbarun g mitgeteilt, wi e de r Bete r spricht : „Au s de r Quell e seine r Erkenntni s ha t e r (Gott) sei n Lich t eröffnet , s o da ß mei n Aug e sein e Wunde r erblickt e un d das Lich t meine s Herzen s da s Geheimni s de s Gewordenen " (lQSXI,3f.) . „Auf das , wa s ewi g ist , ha t mei n Aug e geblickt , tief e Einsicht , di e de n Menschen verborge n ist , Wisse n un d klug e Gedanken , verborge n vo r de n

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Menschen" (lQSXI,6f.) . Darum : „Gepriese n seis t du , mei n Gott , de r d u zur Erkenntni s auftus t da s Her z deine s Knechtes " (1QSXI , 15f.). „D u has t alle Erkenntni s gelehrt " (1QSXI , 17f.). Di e Erkenntni s bezieh t sic h jedoc h nicht wi e i n de r Gnosi s au f kosmologisch e Zusammenhäng e un d mytho logische Spekulatione n übe r di e himmlisch e Heima t de s Menschen , de r i n das Gefängni s de r Materi e gebann t is t (vgl . S. 188-193). Der Dualismu s vo n Licht un d Finsterni s is t nich t al s physisch-stoffliche r Gegensat z vo n Geist substanz un d irdische r Hüll e verstanden , sonder n e r beschreib t de n Kampf , in de n di e Gemeinde , di e de m Geset z tre u ist , i n de r Wel t hineingestell t ist . Jeder Mensc h mu ß sic h dahe r entscheiden , u m de m Ru f zu r Umkeh r Folg e zu leisten . Vollzieht e r diese Wende, kehrt e r sic h zum Geset z Moses, so trit t er au f di e Seit e de s Lichte s un d gewinn t durc h Gotte s Gnad e di e recht e Einsicht. E r erkennt , da ß Got t de r Schöpfe r un d Her r ist , begreif t seine n Willen, wie e r i m Geset z enthalte n ist , er versteht, da ß de r Mensc h vo r Got t verloren ist , un d erfähr t di e gnädig e Barmherzigkei t Gottes . Wei l sic h a m Wandel de s Mensche n erweise n wird , welche r Geis t ih n bestimmt , de r de r Wahrheit ode r de r de s Frevels , daru m mu ß sic h da s recht e Wisse n i m Han deln auswirke n un d habe n alle , di e zu r Gemeind e gehören , „ih r Wisse n zu reinige n durc h di e Wahrhei t de r Gebot e Gotte s un d ihr e Kraf t ein zusetzen nac h de r Vollkommenhei t seine r Wege " (1QSI , 12f.). Betrachtet ma n Glaube n un d Lebe n de r Gemeind e vo n Qumran , wi e si e sich au s de n verschiedene n Schrifte n erhebe n lassen , s o sprich t i n de r Ta t ein seh r hohe r Gra d a n Wahrscheinlichkei t fü r di e Annahme , da ß e s sic h um di e Gemeinschaft der Essener handelt . Di e Siedlun g lieg t a m Ufe r de s Toten Meeres , wi e e s fü r di e Essene r bezeug t wurd e (vgl . S.61) . Di e Ge meinde wir d vo n Priester n geleitet , si e verrichte t täglich e Waschungen , u m in priesterliche r Reinhei t ständi g berei t z u sein . Ma n sonder t sic h stren g vom übrige n Vol k ab , u m al s Gemeind e de r Heilige n da s Lebe n nac h de m Gesetz z u verwirklichen . We r i n di e Gemeind e eintrete n will , mu ß zuers t eine Probezei t durchlaufen , eh e e r aufgenomme n un d durc h eine n binden den Eidschwu r zu r Reinhei t de r Gemeind e un d zu r Mahlgemeinschaf t zu gelassen wird . Nieman d verfüg t übe r eigene n Besitz , ma n leb t i n Güter gemeinschaft zusammen . Di e Gemeind e is t i n deutlic h voneinande r ge schiedene Klasse n gegliedert , häl t streng e Zuch t un d verzichte t au f di e Ehe , um kein e Verunreinigun g eintrete n z u lassen . Wi e e s nac h de m Berich t de s Josephus nebe n de r Gemeinschaft , di e i n Ehelosigkei t lebte , auc h ver heiratete Essene r ga b (vgl . S.60) , s o setz t di e Damaskusschrif t ein e Grupp e voraus, di e de r Gemeind e vo n Qumra n seh r nahesteht , abe r i n Lager n lebt, di e Eh e erlaub t un d ihre n Glieder n eine n gewisse n eigene n Besit z läßt . Wenn de r Nam e „Essener " i n de n Texte n vo n Qumra n nich t begegnet , s o könnte di e Ursach e dari n z u suche n sein , da ß dies e Bezeichnun g de r Ge meinde vielleich t vo n Außenstehende n beigeleg t worde n is t (vgl . S . 59). Die Gemeind e selbs t versteh t sic h al s da s wahr e Israel , al s di e Heilige n un d Auserwählten, dene n di e Geheimniss e Gotte s kundgeta n sind .

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3. Di e Texte au s Qumra n un d da s Neu e Testamen t Während i m Neue n Testamen t vo n unmittelbare r Begegnun g zwische n Jesus un d de n erste n Christe n einerseit s un d Pharisäer n un d Sadduzäer n andererseits wiederhol t berichte t wird , is t von eine r Auseinandersetzung mi t Angehörigen de r Qumrangemeind e ode r de n Essener n nicht s gesagt . Ob wohl di e Gemeind e a m Ufe r de s Tote n Meere s abgeschiede n lebte , mu ß doch da s Vorbil d ihre r Frömmigkei t un d ihre r Lehr e ein e gewiss e Aus strahlungskraft ausgeüb t haben , s o da ß manch e Gedanken , di e i n Qumra n entwickelt worde n waren , übe r de n Krei s de r Gemeind e hinau s i m damali gen Judentu m verbreite t un d aufgenomme n wurden . Dahe r is t e s nich t verwunderlich, da ß sic h Ankläng e un d Berührunge n mi t Begriffe n un d Vor stellungen de r Qumrantext e nich t nu r i n verschiedene n apokalyptische n Schriften finden, sonder n da ß Glaube n un d Lehr e de r Gemeind e vo n Qum ran auc h mancherle i Züg e enthalten , di e auffallend e Ähnlichkeite n z u Ver kündigung un d Lebe n de r älteste n Christenhei t aufweisen . Dies e Beziehun gen könne n nich t au f Einwirkun g christliche r Gedanke n au f di e Gemeind e von Qumra n zurückgeführ t werden . Woh l abe r wir d a n viele n Stelle n de s Neuen Testament s erkennbar , da ß di e erste n Christe n Gedankengu t au s Qumran i n Anknüpfung un d Widerspruc h verwende t haben . Nicht wei t vo n Qumran , a m Ufe r de s Jordans , tra t Johannes der Täufer auf, predigt e un d vollzo g di e Tauf e de r Umkeh r (vgl . Mk. 1,4 Par.). Auc h i n Qumran wußt e man , da ß nich t allei n di e äußere Waschun g di e Reinhei t de s Menschen herzustelle n vermag , sonder n da ß e s de r Umkeh r bedarf , dami t die Reinhei t mi t bußfertige m Herze n empfange n wir d (vgl . 1Q S 111,4-9; V, 13f.). Das Schriftwor t vo n Jes.40, 3 ha t i n Qumra n (vgl . S.71f.) wi e auc h in de r Verkündigun g de s Täufer s ein e wichtig e Roll e gespielt : I n de r Wüst e sammelt sic h di e Heilsgemeind e (vgl . 1Q S VIII, 13-16; IX, 19 f.; Mk.1, 3 Par.). Doc h währen d dies e sic h i n Qumra n i n strenge r Ordnun g u m da s Gesetz schar t un d sic h vo n de n andere n Mensche n absondert , stifte t Johan nes nich t ein e Gemeinschaft , di e nac h gena u festgelegte r gesetzliche r Rege l zu leben hat, sonder n ruf t all e auf, umzukehre n un d sic h au f di e Ankunft de s Kommenden z u rüsten . Wei l sein e Wirksamkeit allei n au f di e Ankündigun g dessen gerichte t ist , der stärke r sei n wir d al s er, darum werde n nich t ständi g zu wiederholend e Waschunge n vorgenommen , sonder n i n de m einmalige n Bad de r Tauf e erfolg t di e Reinigun g un d di e Bereitung au f di e messianisch e Wende. Jesus ruf t i n seine r Verkündigun g zu r Umkeh r au f un d lehr t ein e Radi kalisierung de s göttliche n Gebotes , desse n unbedingte r Forderun g de r Mensch nich t ausweiche n kan n (vgl . Mt.5,21-4 8 Par.) . Di e Umkeh r is t i n der Verkündigun g Jes u jedoc h vollkomme n ander s verstande n al s i n Qum ran: Wei l di e Gottesherrschaf t naht , wei l Gotte s fordernde r Will e un d zu gleich sein e schenkend e Barmherzigkei t di e Mensche n unmittelba r betrifft , darum gil t es , umzukehre n un d z u glaube n (vgl . Mk . 1,15; Lk . ll,32Par. ; 13,1-5; 15,7.1 0 u.ö.) . De m radika l verstandene n Gebo t Gotte s entsprich t

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die unerhört e Barmherzigkeit , di e de m Mensche n i n de r Vergebun g de r Sünden zutei l wir d un d ih n zu m Gehorsa m gegenübe r de m Gebo t Gotte s führt. Wei l Jes u letzte s Mahl , da s e r vo r seine m Tod e mi t seine n Jünger n hielt, nu r nac h de n synoptische n Evangelie n ei n Passamahl wa r (Mk . 14,1225Par.), nac h de r Darstellun g de s Johannesevangelium s abe r eine n Ta g früher stattfan d (Joh . 18,28; 19,14.36) , ha t ma n verschiedentlic h vermutet , Jesus könnt e nac h de m Ritu s de r Gemeind e vo n Qumra n mi t de n Jünger n gefeiert haben . Es ist jedoch schlechterding s undenkbar , irgen d jeman d hätt e in Jerusalem , w o doc h da s Passalam m a m Tempe l geschlachte t werde n mußte, nac h de m Kalende r de r Gemeind e vo n Qumra n da s Fes t begehe n können. I n Jerusale m ha t ma n sic h nu r nac h de m amtliche n Kalender , wi e ihn di e Tempelpriesterschaf t festlegte , gerichtet . Jesu s abe r is t nich t nac h Qumran, sonder n nac h Jerusale m gegange n un d ha t sic h offensichtlic h u m die Kalenderprobleme , di e manch e jüdisch e Kreis e s o star k beschäftig t haben, nich t gekümmert . E r kenn t nich t wi e di e Fromme n i n Qumra n ein e wohldurchdachte Gesetzeskasuistik , di e fü r jede n möglicherweis e eintreten den Fal l genau e Vorschrifte n entfalte t (s o z.B . in de n ausführliche n Sabbat geboten CDX , 14-XI, 18), sonder n e r verkündig t Gotte s Wille n al s sein e gute Gabe , di e de n Mensche n zu r Lieb e befreie n un d vo n ih m i n Dankbar keit angenommen werde n sol l (vgl . z. B. die Worte über de n Sabbat Mk. 2,27; 3,4 Par.; Mt . 12,11 f.par. Lk . 14,5). Da Jesu s kein e kasuistisch e Aufspaltun g des Gesetze s lehrt , gibt e s auc h kein e Trennun g vo n Söhne n de s Lichte s un d Söhnen de r Finsternis , kein e Abkeh r vo n de r Wel t un d Scheidun g vo n de n Menschen. E r wende t sic h vielmeh r alle n z u un d wir d de r Zöllne r un d Sün der Geselle . Währen d e s i n Qumra n heißt , all e Söhn e de s Lichte s seie n z u lieben, alle Söhne de r Finsterni s abe r z u hassen (lQSI,9f.) , weis t Jesus sein e Jünger an , auc h di e Feind e z u liebe n un d fü r di e Verfolge r z u bete n (vgl . Mt.5,43 f.Par.). Den n Gotte s Barmherzigkei t un d Lieb e kenne n kein e Gren zen. Wie di e Gemeind e vo n Qumra n wei ß sic h die erste Christenheit al s da s Gottesvolk de r Endzeit , al s di e Armen , di e Heiligen , dene n di e Verheißun gen de r Schrif t gelten . Si e nennen sic h „di e Auserwählte n de s Wohlgefallen s (Gottes)" (1QSVIII,6) , di e „Söhn e seine s (Gottes ) Wohlgefallens " (1Q H IV,32f.), „di e Söhn e deine s Wohlgefallen s (1QHXI,9) , „di e Mensche n de s Wohlgefallens (Gottes) " (Lk.2,14) . Wei l e s letzt e Zei t ist , kan n nu n de r eigentliche Sinn dessen , was Got t de n Seine n durc h di e Worte de s Prophete n hat sage n wollen , verstande n werde n (vgl . l Q H a b VII, lf.; l.Kor . 10,11) . Doch da s Hei l wir d nich t meh r wi e i n Qumra n vo n de r Zukunf t erwartet , sondern is t bereit s i n de r Sendun g de s Christu s offenba r geworden . Di e christliche Gemeinde , di e sic h z u Jesu s vo n Nazaret h al s de m gekreuzigte n und auferstandene n Messia s bekennt , übertru g au f ih n di e verschiedene n Hoheitstitel, di e da s Judentu m al s Ausdruc k seine r Hoffnun g au f di e Zei t des messianische n Heil s gepräg t hatte . Hatt e ma n i n Qumra n de n Prophe ten, den messianischen Köni g und de n messianischen Hohenprieste r erwarte t (vgl. 1QSIX,11 ; l Q S a I I , l l - 2 1 u.ö.) , s o gib t e s fü r di e Christe n nu r de n

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einen Gesalbte n Gottes , de r nich t nu r de r Messiaskönig , sonder n auc h de r Prophet Gotte s un d de r Prieste r seine s Volkes ist. Er abe r wa r nich t i n Herr lichkeit un d kultische r Reinhei t erschienen , sonder n al s ei n Verachtete r un d Verurteilter a n de n Schandpfah l genagel t worde n un d de n Fluchtto d gestor ben - fü r unser e Sünde n (vgl . 1.Kor . 15,3-5). Da s Herrenmah l de r christ lichen Gemeind e wir d nich t al s ein e vo n Priester n geleitet e Handlun g ge feiert (vgl . l Q S V I , 2 - 5 ; lQSa II, 17-21), sonder n al s Fortsetzun g de r Tisch gemeinschaft mi t Jesus . Die christliche Gemeind e gedenkt de s Todes Christi , bekennt sic h z u ih m al s de m auferstandene n Herr n un d empfäng t vo n ih m Vergebung de r Sünde n (vgl . 1.Kor . 11,23-26; Mk . 14,22-25 Par.). U m da s Leben de r Gemeind e z u ordnen , ha t di e palästinisch e Kirch e sic h i n man chen Stücke n a n da s Vorbild , da s ih r di e Gemeind e vo n Qumra n bot , an geschlossen. Si e schein t zeitweili g ein e freiwilli g übernommen e Güter gemeinschaft gehab t z u habe n (vgl . Apg.2,44f. ; 4,34f. ; 5,1-11 ) un d ha t irrende Brüde r ähnlic h wi e di e Gemeind e vo n Qumra n i n strenge r Zuch t zurechtgewiesen. We r eine r Mahnun g nich t folge n wollte , sollt e vor Zeuge n und schließlic h vo r de r ganze n Gemeind e zu r Verantwortun g gerufe n werden (vgl . Mt . 18,15-17; IQ S V,25-VI,1) . Di e christlich e Gemeind e ha t sich abe r nich t i n schroffer Gesetzlichkei t vo n de r Wel t abgesondert , son dern scho n seh r bal d wurd e da s Evangeliu m i n di e Welt hinausgetragen . Daß da s Lebe n de r Glaubende n nu r i m Kamp f gege n de n Sata n un d di e Mächte de r Finsterni s bestande n werde n kann , sag t de r Aposte l Paulus mit Ausdrücken , wi e si e i n Qumra n gepräg t worde n waren . E s gilt , di e Waffen de r Gerechtigkei t anzulege n (vgl . Röm.6,12f. ; 13,12-14) . De r Kampf, de r ausgefochte n werde n muß , richte t sic h nich t nu r gege n de n vo n außen angreifende n Feind , sonder n i m Mensche n ringe n Fleisc h un d Geis t miteinander, un d da s Fleisch möchte anstelle des Geistes die Herrschaft über nehmen (vgl . Gal . 5,16-24). Nac h de r Lehr e de r Gemeind e vo n Qumra n streiten di e beide n Geister , de r de r Wahrhei t un d de r de s Frevels , mitein ander, un d de r Mensc h mu ß sic h entscheiden , au f welch e Seit e e r trit t un d von welche m Geis t e r sic h leite n läß t (vgl . lQSIV,23-25) . De r Mensc h is t Fleisch un d i n seine r Hinfälligkei t stet s angefochten . Be i Paulu s stehe n sic h nicht zwe i Geiste r gegenüber , sonder n Fleisc h un d Geist , de r au f sic h selbs t vertrauende Mensch einerseit s und de r allei n au s Gottes Tat lebend e Mensc h andererseits. Doc h di e Grundstruktu r diese s Ringens , wi e e s i n de n Texte n aus Qumra n un d vo n Paulus dargestell t wird , weist rech t ähnlich e Züg e auf . Denn hie r wi e dor t sin d zwe i Bereich e menschliche n Existieren s einande r gegenübergestellt, i n denen de r Mensc h jeweils durc h ein e ihn beherrschend e Macht bestimm t wird . Au f de r rechte n Seit e abe r befinde t e r sic h nu r dann , wenn e r da s Urteil, da s Got t übe r ih n spricht , annimm t un d au s de r Gerech tigkeit lebt , di e Got t dene n schenkt , di e ih r Vertraue n allei n au f ih n setzen . In Qumran wird ebenso wie von Paulus die Rechtfertigung allei n aus Gnade n gelehrt. Doch währen d dies e nach de m Verständni s de r fromme n Jude n de n Menschen ers t in de n Stan d versetzt , Gotte s Geset z z u erkenne n un d z u tun , befreit nac h Paulus die Rechtfertigung de n Mensche n vom Geset z und mach t 6 Lohse , Umwel t

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ihn z u einem Knech t Jesu Christi . Nach de n Texte n au s Qumra n verpflichte t die Rechtfertigun g au s Gnade n de n Menschen , nu n da s ganz e Geset z z u halten, s o da ß de m „sol a gratia " ei n „sol a lege " entspricht , wei l e s ohne da s Gesetz kei n rechte s Gottesverhältni s un d kei n Hei l gebe n kann . Paulu s da gegen sieh t im Kreu z Christi das Ende de s Gesetze s (Rom . 10,4). Daher kan n Gottes Gerechtigkei t allei n i m Glaube n empfange n werden , de r Gotte s Tat , durch di e er un s in s reichte Verhältnis z u sic h setzt , gehorsa m bejaht , s o da ß mit de m „sol a gratia " da s „sol a fide" notwendi g zusammengehör t (vgl . di e unterschiedliche Auslegun g vo n Hab . 2,4 i n Qumra n un d be i Paulus : lQpHab. VIII, 1-3; Rom . 1,17; 3,21-31 ; Gal.3,6) . Auffallende Berührunge n mi t manche n Aussage n de r Text e au s Qumra n finden sic h schließlic h i m Johannesevangelium un d i n de n johanneische n Briefen. Hie r wi e dor t geh t e s u m di e Entscheidun g zwische n Lich t un d Finsternis, Wahrhei t un d Lüge . Di e Wahrhei t is t nich t nu r Gegenstan d de r Erkenntnis, sonder n si e sol l geta n werden . We r sic h z u Got t hält , is t ei n Sohn de s Lichtes . Doc h währen d dies e i n Qumra n di e Gliede r de r Bundes gemeinde sind , di e di e Wahrheit i n ungeteilte m Gehorsa m gege n da s Geset z halten, sin d e s nac h de m vierte n Evangeliu m di e Glaubenden , di e al s Söhn e des Lichte s au f de r Seit e de r Wahrhei t stehe n (vgl . Joh . 12,35f.). Den n da s Licht de r Welt , di e Wahrhei t is t kei n andere r al s Christu s allei n (vgl . Joh . 8,12; 9,5; 14,6) . Vo n eine m Gesandte n Gottes , de r vo m Himme l herab gekommen ist , is t abe r i n de r Lehr e de r Gemeind e vo n Qumra n nirgendw o die Rede . Die Text e au s Qumra n erhelle n Vorstellunge n un d Anschauungen , i n denen fromm e un d gesetzestreu e Jude n i n de n Tage n Jes u un d de r Aposte l dachten, glaubte n un d hofften . De r vo n ihne n geprägte n Ausdrück e un d Begriffe habe n sic h Jesu s un d di e erste n Christe n manche s Ma l bedient , u m zu zeigen , da ß di e Verkündigun g de s Evangelium s au f di e Fragen , wi e si e in de n Kreise n de r au f di e Heilszei t wartende n Fromme n gestell t wurden , die gültige Antwort gibt , die freilich i n mehr al s einer Hinsicht ander s lautet , als ma n si e erwarte t hatte . S o erhelle n di e Text e au s Qumra n de n Hinter grund, vo r de m sic h di e urchristliche Predig t deutlic h un d kla r abhebt . 7. Die Scbriftgelehrten Für di e Geschicht e de s Judentum s i n de r hellenistische n Zei t wa r de r Stand der Schriftgelehrten vo n höchste r Bedeutung ; den n Schriftgelehrt e bestimmten maßgeblic h di e verschiedene n Gruppen , di e sic h i m zweite n Jahrhundert v . Chr. herausbildeten , di e Sadduzäer , di e Pharisäer , di e Esse ner un d di e Gemeind e vo n Qumran . Di e Anfäng e de r Schriftgelehrsamkei t aber reiche n weite r zurück . Ursprünglic h wa r e s di e Aufgab e de r Prieste r gewesen, da s Gotteswor t mitzuteile n un d z u lehren . Esra , de r da s nach exilische Judentu m au f da s Geset z festlegte , wa r Prieste r un d Schreibe r (Esra7,11). Prieste r wa r e r seine r Herkunf t nach , al s Schreibe r abe r wurd e jemand bezeichnet , de r di e Kuns t de s Schreiben s z u übe n wußt e un d al s

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königlicher Beamte r Diens t tat . Mi t ausdrückliche r Billigun g de s persische n Großkönigs hatt e Esr a di e Jerusaleme r Gemeind e au f da s Geset z verpflich tet, so daß er in der Überlieferun g al s „ei n Schriftgelehrter, kundi g i m Geset z des Mose , da s de r Herr , de r Got t Israels , gegeben hatte " (Esr a 7,6) bezeich net wurde. Di e später e Traditio n leite t vo n ih m un d de n Männer n de r Gro ßen Synagoge , di e Esr a begründe t habe n soll , di e ununterbrochen e Reih e der Schriftgelehrte n he r (Mischn a Abo t I, 1; vgl . S.123f.) . Di e Männe r de r Großen Synagog e solle n da s Geset z weitergegebe n un d di e Brück e vo n de n Propheten z u de n Schriftgelehrte n geschlage n haben . Angabe n übe r einzeln e Schriftgelehrte sin d jedoc h ers t vo m zweite n vorchristliche n Jahrhunder t a n überliefert, zuers t vo n eine m Man n mi t eine m griechische n Namen , de m Antigonus vo n Sokh o (Abo t 1,3). Unte r de r Herrschaf t de s Alexande r Jan näus un d de r Königi n Salom e Alexandr a ha t Simo n be n Schatac h gewirk t (vgl. S.20) . Au s de r Zei t Jes u un d de r erste n Christe n is t dan n ein e ganz e Reihe von angesehene n Gelehrte n namentlic h bekannt . Die Ausbildung eine s Stande s vo n Schriftgelehrte n mu ß i n de r Begegnun g und Auseinandersetzun g mi t de m Hellenismu s erfolg t sein . Wen n ma n gegenüber de m starke n Einflu ß de s griechische n Geiste s di e eigenständig e Unterweisung i m Geset z erhalte n wollte , konnt e di e alt e Priesterlehr e nich t mehr genügen . Ma n mußt e sic h vielmeh r de r Methode n un d de s geistige n Rüstzeugs de r Grieche n bedienen , u m di e Schrif t z u studiere n un d sach gerecht auszulegen , un d lernt e vo n de n Griechen , wi e ei n Schulgespräc h durch Frage n un d Gegenfrage n z u gemeinsa m gewonnene r Antwor t z u führen ist . Wi e di e Grieche n sic h au f di e Autoritä t de r Lehre r beriefe n un d die Kette ihre r Name n i n de n Philosophenschule n bewahrten , s o zählt e ma n auch unter de n jüdischen Schriftgelehrte n di e Reihe ehrwürdiger Name n auf , die sic h a n Esra un d di e Männe r de r Große n Synagog e angeschlosse n habe n soll. Da di e Gelehrte n sic h au f di e Wahrun g de r Überlieferung , di e Erklärun g und Anwendun g de r Schrif t verstehen , werde n si e auc h Weise , Lehre r de s Gesetzes ode r Meiste r genannt . Wei l da s Geset z Gotte s all e Bereich e de s Lebens bestimmt , hatte n si e nicht nu r theologische , sonder n auc h rechtlich e Fragen z u entscheiden, wie z.B.: wie weit im einzelnen da s Verbot de r Arbei t am Sabba t geht , wi e ei n Ehekontrak t z u schließen , wi e ein e Scheidun g z u vollziehen ist , wi e de r Kau f eine s Acker s ode r eine s Hause s vorzunehme n ist usw. De r hohe n Aufgabe , di e di e Gelehrte n z u erfülle n hatten , entsprac h das allgemein e Ansehen , da s si e im Vol k genossen . Nich t durc h Gebur t un d Herkunft, sonder n allei n durc h Wisse n un d Könne n fan d ma n Eingan g i n den Krei s de r Schriftgelehrten . E s ga b unte r ihne n einzeln e Prieste r un d Glieder vornehme r Familien , danebe n abe r auc h Leut e au s alle n Schichte n des Volkes , Kaufleute , Handwerke r un d soga r Proselyten . Jede r Gelehrt e trug fü r seine n Unterhal t selbs t Sorge , inde m e r vo n seine r eigene n Händ e Arbeit lebte . S o ha t auc h de r Aposte l Paulu s al s Zeltmache r gearbeitet , u m von de n Gemeinde n unabhängi g z u sei n (vgl . l.Thess.2,9 ; 2.Thess.3,8 ; l.Kor.4,12; 9,6-2 3 u.ö.) . 6*

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Wer Schriftgelehrte r werde n wollte , mußt e ei n lange s un d gründliches Studium durchlaufen . U m eine n berühmte n Lehre r sammelt e sic h ei n Krei s von Schülern . Wen n ei n Schüle r sic h daru m beworbe n hatte , i n di e Schul e des Lehrer s aufgenomme n z u werden , prüft e ih n de r Lehre r un d entschie d über Aufnahme ode r Ablehnung. Der Schüler trat dann i n die Lebensgemeinschaft mi t de m Lehre r ein , begleitet e ih n au f seine n Wegen , hörte , wi e e r Probleme durchdacht e un d löste , un d fragt e de n Lehrer , u m vo n ih m z u lernen. De r Lehre r tru g sitzen d sein e Lehr e vo r (vgl . Mt.5,1) , de r Schüle r saß z u seine n Füße n (vgl . Apg.22,3 ) un d hatt e sic h mi t de r Füll e de s über lieferten Stoffe s vertrau t z u machen, um den Reichtum der Tradition kennen zulernen un d anwende n z u können . Da s Studiu m vollzo g sic h weitgehen d als ei n Wiederhole n un d Einpräge n dessen , wa s vorgetrage n wurde . I m Schulgespräch fragt e de r Schüle r de n Lehrer , u m durc h desse n Rückfrag e auf de n richtige n We g de s Besinnen s un d Nachdenken s geführ t z u werden . Auf ein e erst e Frag e (vgl . z.B . Lk. 10,25) gib t de r Lehre r z u bedenken : Wi e liest du , wa s findest d u i n de r Schrif t (Lk . 10,26)? Wen n de r Schüle r vor bringt, wa s e r au s de r Schrif t anzuführe n wei ß (Lk . 10,27), antworte t de r Lehrer, e r hab e rech t gesag t (Lk . 10,28). Durc h ein e weiter e Nachfrag e de s Schülers wir d dan n ein e eingehend e Belehrun g vo n Seite n de s Lehrer s aus gelöst, di e schließlic h mi t eine r Frag e endet , durc h di e de r Schüle r zu r Ein sicht de r unausweichliche n Schlußfolgerun g gelang t (Lk . 10,37). I m Schul gespräch rede t auc h Jesu s verschiedentlic h mi t seine n Jünger n ode r mi t anderen Menschen , di e sic h fragen d a n ih n wenden . Jes u Verhältni s z u de n Jüngern abe r unterschie d sic h vo n de m de r Gelehrte n z u ihre n Schüler n vo n Anfang a n dadurch , da ß nich t di e Jünge r u m Aufnahm e i n de n Schülerkrei s nachgesucht hatten , sonder n da ß Jesu s si e i n sein e Nachfolg e berufe n hatt e und ander s al s di e Schriftgelehrte n mi t eine r unerhörte n Vollmach t lehrt e (vgl. Mk.l,22Par. ; Mt.7,2 9 u.ö.) . Hatte de r Schüle r sei n Studiu m erfolgreic h beendet , s o wurd e e r vo n sei nem Lehre r zu m Gelehrte n erklärt , inde m e r ih m di e Händ e auflegt e un d ihn ordinierte . Dadurch wurd e e r al s Glie d i n di e Traditionskett e eingefügt , die bis auf Mos e zurückgeführ t wurde , un d konnt e nunmeh r selbständi g al s Lehrer Frage n beantworte n un d Rech t sprechen . Al s Meiste r wurd e e r mi t der ehrende n Anred e „Rabbi " angesproche n (Mt.23,7f. ) un d durft e nu n das lang e Gewan d de s Gelehrte n trage n (Mk . 12,38 Par.). Ih m stan d i n de r Synagoge de r Ehrenplat z au f de r Kathedr a de s Mos e z u (Mk . 12,39Par.). Das Vol k grüßt e ih n ehrerbieti g (Mk . 12,38 Par.) un d wa r bereit , seine m Wort z u folgen . E s wir d erzählt , da ß i m zweite n christliche n Jahrhunder t R. Me'ir einma l ein e jüdisch e Gemeind e i n Kleinasie n besuchte , al s di e Zei t des Purimfeste s herankam . D a ma n a n diese m Ta g di e Estherroll e verliest , jene jüdisch e Gemeind e abe r kein e Estherroll e besaß , setzt e sic h de r Rabb i hin, schrieb da s Estherbuch au s de m Gedächtni s niede r un d la s die Rolle vo r (babylon. Talmud , M egilla 18b) . Solches Könne n fan d bei m Vol k Anerken nung un d Bewunderung . (Vgl . Kippenberg — Wewers, S . 157—161. )

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Zur Zei t Jes u ware n Hillel un d Schammai di e beide n hervorragende n Schulhäupter unte r de n Schriftgelehrten . Hille l wa r au s de r babylonische n Diaspora nac h Palästin a gekomme n un d hatt e al s arme r Tagelöhne r sei n Brot verdient , u m studiere n z u können . Eins t hatt e e r a n eine m kalte n Wintertag da s Eintrittsgel d zu m Lehrhau s nich t entrichte n können , wa r i n die Fensteröffnun g geklettert , u m vo n d a au s de m Vortra g z u folgen , er starrte dor t vo r Kält e un d wurd e i n diese r Lag e vo n andere n Studente n gefunden. S o eifri g wa r e r i m Studiu m gewesen . Al s Lehre r stande n e r un d seine Schul e i n intensive r Auseinandersetzun g mi t Schamma i un d seine n Schülern. Dabei fielen die von Hillel getroffenen Entscheidunge n i n der Rege l milder au s al s di e de s Schammai . Währen d diese r ein e Ehescheidun g fü r erlaubt erklärte , wen n di e Fra u sic h gege n Sitt e un d Ehr e vergange n hatte , lehrte dagegen Hillel , der Man n dürf e di e Frau entlassen , wann imme r e r a n ihr etwa s z u tadeln hab e - un d se i es, daß si e schlecht koche ; denn e s komm e lediglich darau f an , da ß de r Scheidebrie f rechtsgülti g ausgestell t se i (vgl . S. 108). Hille l gelan g e s auch , ein e Regelun g fü r ei n bi s dahi n ungelöste s Problem z u treffen . Wei l i m Sabbatjah r nac h alttestamentliche r Vorschrif t alle Schulde n erlosche n (vgl . 5.Mos e 15,9), wa r e s einig e Zei t vo r de m Sabbatjahr nahez u unmöglich , jemande n z u finden, de r berei t war , Gel d z u verleihen. Hie r zeigt e Hille l eine n Ausweg , inde m e r sagte , ei n Gläubige r könne de n Richter n seine s Orte s schriftlic h erklären , da ß e r sei n Darlehe n der Verordnun g übe r da s Sabbatjah r entziehe . Durc h dies e Regelung wurd e die Bestimmun g de s Gesetze s tatsächlic h einfac h umgangen , abe r ein e Mög lichkeit eröffnet , da s Finanzwese n i n Ordnun g z u halten , s o da ß ma n Hille l lobte, wei l e r dies e „Prosbol " genannt e Verfahrensweis e zu m allgemeine n Wohl angeordne t habe . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S.76. ) Aus de r Schul e Hillel s gin g Rabb i Gamaliel hervor , desse n Ra t nac h Apg . 5,34-39 i m Synedriu m hohe s Ansehe n genoß , der nac h Apg . 22,3 de r Lehre r des Paulu s gewese n sei n sol l un d i n de r jüdische n Traditio n al s eine r de r frömmsten Lehre r verehr t wird . De r Wiederaufba u de r jüdische n Gemein den wurd e maßgeblic h vo n R . ( — Rabbi ) Jochanan b. Zakkai gestaltet . E r war ei n demütige r Mann , vo n de m di e Überlieferun g sagt , e r hab e ni e i m Leben ei n unnütze s Gespräc h geführt , e r se i ni e i m Lebe n vie r Elle n ohn e Thora un d ohn e Gebetsrieme n gegangen , ni e i n seine m Lebe n se i jeman d früher al s e r i m Lehrhaus e gewesen , e r hab e ni e i m Lebe n i m Lehrhaus e geschlafen, e r hab e niemals , wen n e r fortging , jemande n i m Lehrhaus e zurückgelassen, niemal s hab e ih n jeman d müßi g sitzen d getroffen , sonder n nur studierend , ni e hab e ei n andere r al s e r selbs t di e Tü r fü r sein e Schüle r geöffnet, niemal s hab e e r etwa s gesagt , wa s e r nich t vo n seine m Lehre r gehört habe , un d niemal s hab e e r gesagt , e s se i Zeit , da s Lehrhau s z u ver lassen (babylon . Talmud , Sukk a 2 8 a). Al s Jerusale m durc h di e Röme r belagert wurde , gelangt e e r au s de r Stad t hinaus , inde m zwe i seine r Schüle r ihn wi e eine n Tote n nac h drauße n trugen . Nachde m di e Wache n si e hatte n vorüberziehen lassen , ohn e z u bemerken , da ß de r Lehre r nich t gestorbe n war, nahme n di e Röme r ih n au f un d gabe n ih m di e Erlaubnis , i n jabn e

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(Jamnia) ein e neu e Schul e z u begründen . Vo n hie r au s wurd e di e Lehr e de s Gesetzes i n di e Synagogengemeinde n getragen ; hie r sammelt e sic h wiede r ein Synedrium, da s nu n ausschließlic h au s Schriftgelehrten bestan d un d übe r alle Angelegenheiten , di e di e Judenschaf t betrafen , berie t un d entschied . Damit wurd e di e hillelitisch e Richtun g de r Schriftgelehrte n maßgeben d fü r die Neuorientierung , di e da s Judentu m nac h de r Zerstörun g Jerusalem s i n Fortführung de r pharisäische n Traditio n vollzog . (Vgl . Kippenberg— Wewers, S.115f.) Der bedeutendst e Lehre r z u Anfan g de s zweite n Jahrhundert s wa r R . Aqiba, u m de n sic h ei n große r Krei s vo n Schüler n scharte , mi t dene n e r di e Auslegung de r Schrif t studierte . Al s Ba r Kochb a de n Aufstan d gege n di e Römer begann , wurd e e r vo n R . Aqiba al s de r verheißen e Sternensoh n begrüßt. Nac h de m Scheiter n de r Erhebun g wurd e mi t viele n andere n auc h der berühmt e Lehre r vo n de n siegreiche n Römer n hingerichte t (vgl . S.36) . Obwohl e r sic h i n de r Meinung , Ba r Kochb a se i de r Messias , geirr t hatte , blieb sei n Andenke n auc h i m spätere n Judentu m i n hohe m Ansehen . Wi e Aqiba starbe n auc h ander e Schriftgelehrt e durc h di e Hand de r Römer , unte r ihnen de r berühmt e R . Jischma'el, de r gleichfall s Haup t eine r große n Schul e war un d Regel n fü r di e Erklärun g de s biblische n Texte s entwickel t hatte , die fü r di e weiter e exegetisch e Arbei t grundlegend e Bedeutun g gewanne n (vgl. S . 125). Obgleic h di e Schule n de r Schriftgelehrte n i n de r Ba r Kochba Zeit furchtbar e Verlust e erlitte n hatten , überstan d da s Judentu m auc h dies e Katastrophe. Nu n gin g ma n daran , di e Füll e de s Überlieferungsstoffe s z u sammeln, z u ordne n un d i n de n Traktate n de r Mischn a zusammenzufasse n (vgl. S . 127). R . J chuda, wege n de r große n Autorität , di e e r genoß , auc h einfach Rabb i genannt , fördert e tatkräfti g diese s Werk , s o da ß e s gege n Ende de s zweite n Jahrhundert s zu m Abschlu ß ka m un d dami t nebe n de m Buchstaben de r Schrif t nunmeh r auc h di e Auslegun g de s Gesetze s feststand , deren Bestimmunge n fü r da s Lebe n de r Gemeind e normativ e Bedeutun g gewannen. c) Das Judentum in der Diaspora 1. Die jüdische Diaspora in der hellenistischen Welt Mittelpunkt de r Judenschaf t wa r un d blie b Jerusalem . Hie r stan d de r Tempel, hie r wurd e de r täglich e Opferdiens t versehen , hie r wurde n di e hohen Wallfahrtsfest e begangen , z u dene n zahllos e Pilge r i n di e heilig e Stadt strömten . I m Land , da s Israe l gegebe n ist , befinde t sic h dahe r ei n Jude i n der ih m vo n seinem Got t geschenkte n Heimat , außerhal b de s Lande s Israel abe r is t er i n de r Fremde , i n unreine m Lan d (vgl . l.Sam.26,19f. ; Am . 7,17), i n de r Zerstreuun g unte r de n Völkern . Gleichwoh l lebte n i n de r Zei t Jesu un d de r erste n Christe n wei t meh r Jude n i n de r Diaspor a al s im Land e Israel. Mancherle i Ursache n hatte n daz u geführt , da ß si e in s Auslan d ver schlagen worde n waren , s o da ß ring s u m da s Mittelmeerbecke n überal l jüdische Gemeinde n anzutreffe n waren . Manch e Jude n hatte n sic h au f di e

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Wanderschaft begeben , u m de n große n Straße n de s Verkehr s z u folge n un d sich in Handelsplätzen ode r Hafenstädte n niederzulassen . Viel e waren durc h bittere No t au s de r Heima t vertriebe n worden , wei l di e Kämpfe , di e i m zweiten un d erste n Jahrhunder t v . Chr. i n Palästina wüteten , Not un d Elen d mit sic h brachten . Vo n de r bäuerliche n Bevölkerun g wurde n durc h di e je weils regierend e Mach t drückend e Steuer n eingetrieben . S o mußt e unte r de r syrischen Herrschaf t ei n Dritte l de r Getreide - un d di e Hälft e de r Wein - un d ölernte a n di e König e abgeführ t werde n (l.Makk . 10,30), un d di e Röme r forderten späte r de n vierte n Tei l de r Getreideernt e (Josephus , Jüdisch e Altertümer XIV, 203). Di e Armu t stie g infolg e diese r drückende n Lasten , so da ß manch e Jude n e s vorzogen, da s Lan d z u verlasse n un d woander s ih r Glück z u suchen . Durc h di e Krieg e ware n viel e Mensche n hin - un d her geworfen un d al s Kriegsgefangen e i n fern e Lände r verschlepp t worden . S o waren scho n i n frühe r Zei t Jude n - teil s al s Söldner , teil s al s Gefangen e nach Ägypte n gekommen . Al s di e Röme r de n Vordere n Orien t unte r ihr e Oberherrschaft brachten , wurde n jüdisch e Gefangen e auc h nac h Italie n un d nach Ro m verschleppt . Wurden si e später freigelassen , s o blieben manch e i m fremden Land . Di e Judenschaf t i n de r Diaspor a wuch s abe r auc h dadurch , daß sic h manch e NichtJude n ih r anschlössen ; überdie s nah m di e Zah l de r Juden rasche r z u al s di e de r übrige n Bevölkerung , wei l Kinderreichtu m al s Segen gal t un d e s Juden stren g untersag t war , Kinde r auszusetzen . Eine stark e Judenschaf t lebt e sei t de r Zei t de s Exil s i n Babylon . I n Syrie n waren durc h Hande l un d Verkeh r viel e Jude n ansässi g geworden . Ma n tra f sie auc h i n Kleinasie n un d Nordafrika . I n Ägypte n betru g di e Zah l de r Juden ein e Millio n (Philo , i n Flaccu m 43) , vo n dene n ei n große r Tei l i n Alexandria lebte . Aber auc h i n kleinere n Orte n ga b e s jüdisch e Gemeinden , selbst i n de r römische n Militärkoloni e Philipp i befan d sic h ei n jüdische r Betplatz (Apg . 16,13). Josephus schreib t volle r Stolz: „Ma n kan n nich t leich t einen Or t i n der Wel t finden, welche r diese s Volk nich t beherberg t un d nich t in seine r Gewal t ist . S o komm t es , da ß Ägypte n un d Kyrenäa , di e i n ihr e Hände gefalle n sind , un d viel e ander e Städt e di e Sitte n derselbe n nach ahmen, de r große n Scha r de r Jude n au f gan z besonder e Weis e zugeta n sin d und mi t ihne n mächti g werden, inde m si e nach de n altüberkommene n Sitte n der Jude n leben . I n Ägypte n habe n si e Bürgerrechte , un d ei n große r Tei l von Alexandri a is t soga r diese m Volk e besonder s eingeräumt ; si e habe n einen eigene n Vorsteher , de r ihr e Angelegenheite n besorgt , ihr e Hände l schlichtet un d ihr e Kontrakt e un d Verträg e bekräftigt , al s wen n e r ei n selb ständiger Herrsche r wäre " (Jüdisch e Altertüme r XIV, 115-117). Ma n wir d die Zah l de r Juden , di e zu r Zei t de s Kaiser s Augustu s i m Römische n Reic h lebten, au f 4V 2 Millione n - davo n V 2 bis 3A Millio n i n Palästin a - schät zen dürfen , wa s eine m Antei l vo n etw a 7°/ o de r Gesamtbevölkerun g de s Imperiums entspricht . Di e Zah l de r Diasporajude n ha t als o di e de r Juden , die i m Mutterlan d wohnten , be i weite m übertroffen . Die Rechte , di e Caesa r de r Judenschaf t i m ganze n Römische n Reic h zu gestanden hatt e (vgl . S.22f.), förderte n Bestan d un d Ausbreitun g de s Juden -

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tums. Di e Jude n ware n vo m Militärdiens t befreit , si e brauchte n a m Sabba t nicht vo r Behörde n un d Gerichte n z u erscheinen , un d di e Gemeinde n konn ten ihr e Angelegenheite n i n eigene r Verantwortun g regeln . Jede r Jud e ent richtete seine n Beitra g a n de n Tempel , inde m e r mindesten s eine n halbe n Schekel alljährlic h al s Tempelsteue r zahlt e ( = ein e Doppeldrachm e = 1,3 0 Goldmark - ei n Betrag , de n ei n Tagelöhne r mi t zwe i Tage n Arbei t ver diente; vgl . Mt . 17,24-27; 20,2.9) . We r daz u i n de r Lag e war , zahlt e frei willig auc h höher e Summen . Z u de n Wallfahrtsfeste n machte n sic h viel e Juden au f di e Reis e nac h Jerusalem , s o da ß auc h i n de r Diaspor a di e Ver bindung mi t de m Mutterlan d un d de r heilige n Stad t gewahr t blieb . Umge kehrt sucht e ma n vo n Jerusale m au s mi t de n jüdische n Gemeinde n i n de r Diaspora Verbindun g z u pflege n (vgl . Apg.9,2; 28,21) . Die Judenschaft , di e in der hellenistischen Wel t lebte , mußte sic h au f ihr e andersartige Umgebun g einstellen . Auc h i n Palästin a wa r sei t de r Zei t Alexanders d . Gr . ei n beträchtliche r Einflu ß de s Hellenismu s wirksa m ge worden, de r di e Jude n daz u veranlaß t hatte , vo n de n Grieche n z u lernen , aber auc h ihne n gegenübe r di e Eigenar t ihre s Leben s nac h de m Geset z z u behaupten. I n de r Diaspor a jedoc h ka m di e Judenschaf t i n wei t stärkere m Maße mi t griechische r Kultu r un d Zivilisatio n i n Berührung . Ma n baut e nicht nur die Synagogen i m griechischen Stil , übernahm nich t nur di e Lebensgewohnheiten de r Griechen , s o daß ma n in s Theater gin g und a n Sportwett kämpfen teilnahm , sonder n ma n verlo r alsbal d auc h di e hebräisch e bzw . aramäische Muttersprach e un d bedient e sic h nur noc h de r Sprach e de r Grie chen. Wo es möglich war, erwarben di e Juden da s Bürgerrecht hellenistische r Städte (vgl . Apg.21,39) , i n dene n si e wohnten , ode r bemühte n sich , da s römische Bürgerrech t z u erhalten . Nac h Apg . 16,37; 22,25-2 9 kan n de r au s Tarsus i n Kilikie n stammend e Diasporajud e Paulu s sic h rühmen , al s römi scher Bürge r gebore n z u sein . U m sic h i n di e griechisc h sprechend e Umwel t einzufügen, nahme n di e Jude n ger n eine n griechische n bzw . lateinische n Namen an , de r ihre m hebräische n bzw . aramäische n Name n möglichs t ähnlich klang . We r Josua/Jesu s hieß , nannt e sic h Jaso n (vgl . Rom . 16,21; Apg. 17,5-7.9), aus Silas wurdeSilvanus (vgl . Apg. 15,22.27.32 u. ö.; l.Thess . 1,1; 2.Thess.l,l ; 2.Kor . 1,19; l.Petr.5,12) , au s Saulu s Paulu s (vgl . Apg . 13,9). Die jüdisch e Diaspor a stan d de m griechische n Geis t wei t offene r gegen über al s di e Jude n i n Palästina . Manch e Jude n gabe n sic h de m Gedanke n hin, Jude n un d Grieche n würde n einma l z u eine r einzige n Gemeinschaf t zusammenfinden, i n de r di e Einhei t de r Menschhei t unte r de m eine n Got t verwirklicht sei n würde . Doc h di e Ereigniss e de r Makkabäerzeit , i n de r di e Judenschaft da s Lebe n nac h de m Geset z gege n hellenistisch e Überfremdun g verteidigte, wirkte n sic h nich t nu r fü r di e Jude n i n Palästina , sonder n auc h für di e ganz e Diaspor a dahi n aus , da ß di e Jude n sic h erneu t au f ih r Eigen leben besanne n un d sic h u m de s Gesetze s wille n deutliche r vo n de r nicht jüdischen Umwel t abgrenzten . Wen n ma n sic h de r philosophische n Begriff lichkeit de r Grieche n bedient e un d mi t ihre r Hilf e de n Glaube n Israel s auc h

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der nich t jüdischen Umwel t verständlic h z u mache n suchte , s o wollt e ma n sich dabe i zugleic h desse n vergewissern , da ß ma n auc h i n de r Diaspor a mi t guten Gründe n a m Erbe de r Väte r festhielt . De r Got t Israel s ist der Schöpfe r der ganze n Welt , desse n Logo s da s Al l durchwalte t un d desse n Schöpfer werke - s o sagt man i m Anschluß an stoisch e Gedanken - au f sein e Allmach t hinweisen, so daß ma n au s dem Betrachten de r Natur darau f schließe n kann , daß Got t übe r ih r un d i n ih r is t (vgl . Rom. 1,20). Weil di e Mensche n i n ih m leben, weben un d sin d (Apg . 17,28), muß ma n durc h vernünftig e Erkenntni s zu de r Einsich t gelangen , da ß Got t übe r alle m un d i n alle m ist . Er will , da ß die Menschen ei n vernunftgemäße s Lebe n führen , un d ha t diese r Forderun g ihren tiefste n Ausdruc k i m Geset z de s Mose gegeben , desse n Bestimmunge n von de r jüdischen Diaspor a i n erster Linie als ethische Weisungen verstande n und ausgeleg t wurden . Dabe i bemüht e ma n sic h darum , di e göttliche n Ge bote mi t de r sittliche n Verpflichtun g de s Mensche n i n Einklan g z u bringen , wie sie von de r griechische n Philosophi e gelehr t wurde . Der Einflu ß de r griechische n Sprach e un d de s griechische n Geistes , de m sich da s Judentu m i n de r Diaspor a öffnete , bewirkte , da ß Glaube n un d Leben de r Jude n nich t unveränder t blieben . Währen d sic h i n Palästin a di e endzeitliche Hoffnun g au f di e Auferstehun g de r Tote n richtete , schlo ß ma n sich i n de r Diaspor a a n de n geläufige n griechische n Gedanke n de r Unsterb lichkeit der Seele an. In de r Diaspor a tra t di e Eschatologie un d insbesonder e die messianisch e Erwartun g zurück ; den n wi e sollt e ma n sic h i n fremde n Ländern da s Auftrete n eine s Messia s denken , de r de n Glan z de s Volke s Israel wiederherstellt ? I n de r Lehr e de r Synagog e rückt e di e Ethik , di e de m einzelnen Anweisunge n fü r verantwortliche s Lebe n un d Handel n gibt , i n den Vordergrund . Di e kultische n un d rituelle n Vorschrifte n de s Gesetze s deutete ma n vielfac h mi t Hilf e de r allegorische n Auslegungsmethod e i n sitt liche Gebote um (vgl . S.97f.), s o daß da s Geset z Israel s al s eine Summe ethi scher Regel n erklär t wurde . Ma n sucht e hervorzuheben , di e Philosophe n seien letztlic h al s Schüle r de s Mos e z u verstehen , vo n de m si e all e gelern t haben (vgl . S.98L) . Di e jüdisch e Propagand a verfertigt e dahe r mancherle i Sätze, die man griechische n Schriftsteller n unterschob , u m jen e Übereinstim mung nachweise n z u können . Ma n la s di e Orake l de r Sibyllen , di e i n de r alten Wel t wei t verbreite t waren , un d fügt e i n di e Sammlunge n geheimnis voller Sprüch e jüdische Sätz e ein. Die Sibylle weissagt di e Geschicke der Welt von ihre m Anfan g bi s au f di e Gegenwart , a m End e abe r sprich t si e Drohun gen un d Verheißunge n fü r di e nächst e Zukunf t aus , häl t de n heidnische n Völkern i n strafende n Worte n ihr e Sündhaftigkei t vo r un d ruf t z u Buße un d Umkehr auf , s o da ß durc h dies e Neufassun g de r Orake l di e Sibyll e zu m Propheten jüdische r Lehr e wird . Jüdisch e Spruchweishei t setzt e ma n i n Verse, s o da ß si e i n Hexameter n eine m Grieche n vertrau t klinge n konnte . Indem ma n moralisch e Unterweisung , wi e si e i m Judentu m vorgetrage n wurde, in ei n Lehrgedich t faßt e un d angab , Phokylides, ein Dichte r au s de m sechsten Jahrhunder t v.Chr. , hab e diese s Wer k verfaßt , sucht e ma n de r

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hellenistischen Umwel t begreiflic h z u machen , di e Weishei t de r Grieche n und di e Weisheit Israel s gingen au f ei n un d dieselb e Wurze l zurück . Leben un d Gottesdiens t de r jüdische n Gemeinde n fande n i n de r nicht jüdischen Umwel t Beachtung . Die Versammlung i n de r Synagoge , in der au s der Schrif t vorgelese n wurde , Gebet e un d Psalme n gesproche n un d vielfac h auch Predigte n gehalte n wurden , erschie n manche n NichtJude n wi e ein e Zusammenkunft vo n Philosophen , di e miteinande r übe r di e letzte n Frage n des Lebens sprechen. Überdies war der Glaub e der Juden durc h vo n Geheim nis umwitterte n Ursprun g i n de r Geschicht e de s Volke s Israe l un d ehrwür dige Traditio n ausgezeichnet . S o sammelt e sic h u m di e Synagog e ei n bis weilen rech t stattliche r Krei s vo n Menschen , di e au f di e Lehr e de s Gesetze s hörten. Viel e von ihne n sahe n sic h jedoch durc h di e Forderung de r Beschneidung dara n gehindert , de n Übertrit t zu m Judentu m z u vollziehen , Proselyt zu werden un d sic h zum Halten de s ganzen Gesetze s einschließlich de r rituel len Bestimmunge n z u verpflichten . Ihne n sucht e ma n entgegenzukommen , indem ma n vo n de n Heide n nu r di e Befolgung de r wichtigste n Grundgebot e - vo r alle m de r Sabbat - un d Speisevorschrifte n sowi e de r sittliche n Weisun gen - un d da s Bekenntni s z u de m eine n Got t verlangte . We r sic h daz u ver pflichtete, gal t al s Gottesfürchtige r (vgl . Apg . 13,43.50; 16,14 ; 17, 4 u . ö.) . Obwohl e r rechtlic h Heid e blieb , gehört e e r doc h i n eine r lockere n Verbin dung zu r Synagoge . Of t entschlo ß sic h dan n di e nächst e Generatio n zu m vollen Übertritt zum Judentum. Im Lauf des ersten Jahrhunderts n. Chr. wurde es üblich, di e Aufnahm e eine s Proselyte n nich t nu r durc h di e Beschneidung , sondern auc h durc h ei n Tauchba d vorzunehmen , durc h da s di e de m Hei den anhaftend e kultisch e Unreinhei t abgewasche n wurde . Diese sogenannt e Proselytentaufe wurd e al s ei n Rechtsak t verstanden , durc h de n i n Gegen wart vo n Zeuge n de r Übertrit t zu m Judentu m vollzoge n wurde , s o da ß der Prosely t nu n i n jede r Hinsich t al s Jud e galt . S o wuchse n di e jüdische n Gemeinden i n de r Diaspora , inde m si e a n viele n Stelle n Zuzu g au s de r nichtjüdischen Bevölkerun g erhielten . Durc h de n strenge n Monotheismus , die Polemi k gege n de n Götzendiens t de r Heiden , de r viele n ohnehi n frag würdig geworde n war , un d di e sittlich e Kraf t de s Leben s nac h de m Geset z übte da s Judentu m ein e stark e Wirkun g au f sein e Umgebun g aus . Ein e planmäßig organisiert e Missionsarbei t wurd e jedoc h kau m betriebe n (vgl . aber Mt . 23,15); da s Judentu m wurd e vielmeh r durc h da s Lebe n de r Syn agogengemeinden un d durc h Ausbreitun g vo n Mun d z u Mun d weite n Kreisen de r alte n Wel t bekann t gemacht . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S. 152-157.) Der Anziehungskraft , di e vo m Judentu m ausging , steh t jedoc h au f de r anderen Seit e eine ausgesprochen e Abneigun g gegenüber , di e manch e Kreis e in meh r ode r wenige r scharfe r For m di e Jude n fühle n ließen . De r Jud e ging nich t i n de r ih n umgebende n Gesellschaf t auf , s o da ß e r vielfac h al s Fremder galt . Di e Sitte n un d Gewohnheite n de r Juden , vo r alle m ihr e Sabbatpraxis, wurde n al s eigenarti g angesehe n un d bisweile n verspottet . Man sagt e ihne n Aberglaube n un d geheimnisvoll e Praktike n nac h un d

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scheute sic h auc h nicht , si e z u verleumden . De r Spott , mi t de m ma n sic h mancherorts übe r di e al s frem d empfunden e Lebensweis e de r Jude n lusti g machte, konnte soga r z u blutige n Ausschreitunge n gege n si e führen. S o ka m es unte r de r Regierun g de s Caligul a i n Alexandri a z u schwere n Übergriffe n von seite n de r heidnische n Bevölkerung , di e fü r de n Kaise r gege n di e Jude n Partei ergriff , wei l si e sic h unte r keine n Umstände n bereitfinde n wollten , ihn al s göttlich e Erscheinun g z u verehren . Ma n plündert e di e Synagogen , legte Feue r un d mordet e unte r de n Juden , ohn e da ß de r römisch e Statt halter einschrit t (vgl . S.97) . Ers t mi t de m plötzliche m To d de s Caligul a fand di e Verfolgun g ei n Ende , un d de r Kaise r Claudiu s stellt e di e Recht e der Jude n wiede r he r (vgl . S. 150). So war di e Lage fü r da s Judentu m i n de r Diaspora nich t imme r einfach . Ma n mußt e sic h i n de r Fremd e zurecht finden un d konnt e doc h nich t i n ih r wirklic h heimisc h werden . Ma n wollt e sich de m griechische n Geis t öffnen , u m sic h seine s Rüstzeug s zu r Recht fertigung de s überkommene n Glauben s z u bedienen , abe r ma n konnt e un d durfte nich t vergessen , da ß Israe l da s Vol k seine s Gotte s is t un d diese r seiner Bestimmun g tre u z u sei n hat . Die Überlieferun g de r Weisbeitsliteratur gewan n fü r da s Judentu m i n der Diaspor a besonder e Bedeutung , wei l si e ih m einerseit s da s Erb e über kommener Lebenserfahrung , di e da s recht e Verhalte n de r Fromme n be schreibt, vermittelte , andererseit s ein e Verbindun g mi t philosophisc h be gründeter Weishei t ermöglichte . S o wurd e di e Spruchsammlun g de s Jesu s Sirach, di e z u Begin n de s 2 . Jahrhunderts v.Chr.i n Jerusale m i n hebräische r Sprache abgefaß t wurde , durc h de n Enke l de s Verfasser s in s Griechisch e übersetzt. Regel n fü r rechte s Verhalte n i n Hau s un d Familie , Umgan g mi t den Mensche n un d gottgefällige s Handel n fande n auc h i n de r Diaspor a weite Verbreitung . Al s Weishei t Salomo s wurd e ein e Schrif t bezeichnet , di e um di e Mitt e de s 1 . Jahrhundert s v . Chr . i n Alexandri a entstand . Si e ver einigt gleichfall s verschieden e Traditione n i n sic h un d such t de n Jude n z u zeigen, da ß di e Weishei t Israel s de r Religio n un d Philosophi e de r andere n Völker überlege n ist . Ein bezeichnende s Beispie l fü r di e Verbindun g griechische r Popularphilo sophie mi t de m Erb e jüdische n Leben s nac h de m Geset z biete t da s 4. Makkabäerbuch, da s etw a u m di e Zei t vo n Christ i Gebur t i n de r jüdi schen Diaspor a - i n Alexandri a ode r i n Syrie n bzw . Kleinasie n - ent standen ist . De r Verfasse r wil l eine n Vortra g halten , wi e ma n ih n ähnlic h hier un d d a i n Synagoge n veranstalte t habe n mag , un d gib t al s Them a sei ner Ausführunge n an , darlegen z u wollen, daß di e Vernunft übe r di e Affekt e herrschen soll . So führt e r sein Vorhaben mi t den Worten ein : „Ech t philoso phisch is t di e Ansprache , di e ic h übe r di e Frag e halte n will , o b di e fromm e Vernunft Selbstherrscheri n de r Trieb e ist . Daru m dar f ic h euc h woh l mi t Recht de n Ra t geben , au f dies e Philosophi e aufmerksa m z u achten"(4.Makk . 1,1). Gleic h i n de r Einleitun g wir d dargetan , Judentu m bedeut e wahr e Phi losophie, di e de n We g zu r Tugen d weist . Dahe r werde n zunächs t einig e be griffliche Ausführunge n vorangeschickt : „Vernunf t als o is t Verstand , de r mit richtige r Überlegun g da s Lebe n de r Weishei t erwählt . Weishei t abe r

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ist Erkenntni s göttliche r un d menschliche r Ding e un d ihre r Gründe " (1,15f.). Mi t diese n allgemei n gehaltene n Ausführunge n is t jedoc h nu r de r Rahmen fü r di e eigentlich e Darstellun g abgesteckt , di e de r Verfasse r gebe n möchte: „A n mancherle i Beispiele n hierhe r un d dorthe r könnt e ic h euc h zeigen, daß di e fromm e Vernunf t Selbstherri n de r Trieb e ist . Am allerbeste n aber glaube ich es beweisen z u können au s der wackeren Männlichkei t derer , die de r Tugen d zulieb e de n To d erlitten , de s Eleazar , de r siebe n Brüde r und ihre r Mutter ; den n inde m dies e de r Schmerze n bi s zu m To d allesam t nicht achteten , zeigte n sie , da ß di e Vernunf t übe r di e Trieb e Gewal t hat " (1,7-9). Vo n de r Standhaftigkei t de r gesetzestreue n Juden , di e unte r Antio chus Epiphane s liebe r de n To d au f sic h nahmen , al s de m Geset z untre u z u werden, wir d dan n ausführlic h erzählt , inde m di e älter e Überlieferung , wi e sie 2.Makk . 6-7 vorliegt , brei t ausgeführ t wird . De r greis e Eleaza r wir d vor de n Köni g gebracht , de r ih m bestreitet , ei n Philosop h z u sein , d a e r dann esse n müßte , wa s ih m di e Natu r biete . Wen n e r al s Jud e unrein e Speise nicht anrühre n wolle , s o se i da s ei n gan z törichte s Verhalten . Eleaza r antwortet, e r se i un d bleib e de m Geset z gehorsam . „D u spottes t übe r unsere Philosophie , al s se i e s ei n Mange l a n vernünftige r Überlegung , da ß wir i n ih r leben . Besonnenhei t lehr t si e uns , s o da ß wi r übe r all e Lüst e un d Begierden herrschen ; i n Mannhaftigkei t üb t si e uns , s o da ß wi r jede n Schmerz freiwilli g erdulden ; i n Gerechtigkei t erzieh t si e uns , s o da ß wi r i n allen wechselnden Stimmunge n gleichmäßi g handeln ; i n Frömmigkeit unter weist si e uns, so da ß wi r allei n de n Gott , de r ist , mi t de m ih m gebührende n Glanz verehren . Deshal b esse n wi r nicht s Unreines " (5,22-25) . Am 4 . Makkabäerbuch is t deutlic h abzulesen , wi e auc h di e jüdisch e Diaspora durc h di e Vorgänge de r Makkabäerzei t sic h erneu t desse n bewuß t wurde un d blieb , da ß Israe l au s de n Völker n ausgesonder t is t un d daru m nicht i n de r griechische n Umgebun g aufgehe n durfte , sonder n de m Gesetz , das sei n Got t ih m gegebe n hat , z u jede r Zei t gehorsa m z u bleibe n hatte . Eben diese n Gehorsa m sucht e di e Synagog e de r nichtjüdische n Umwel t ver ständlich z u machen , inde m ma n ih n mi t Hilf e philosophische r Begrifflich keit erklärt e un d dami t da s Judentu m al s wahr e Philosophi e beschrieb , i n der di e Ideal e de r Tugen d un d Standhaftigkei t nich t nu r gelehrt , sonder n auch i m Lebe n bewähr t werden . 2. Die Septuaginta Damit di e jüdische n Gemeinde n i n de r hellenistische n Wel t a m Geset z festhalten konnten , mußt e da s Gotteswor t au s de r hebräische n i n di e grie chische Sprach e übertrage n werden ; den n viel e Jude n hatte n di e Kenntni s des Hebräische n bzw . Aramäische n verlore n un d ware n dahe r darau f an gewiesen, da ß ihne n da s Geset z au f griechisc h erklär t wurde . Wahrschein lich is t zunächs t i n de n Synagoge n de r hebräisch e Tex t mündlic h übersetz t worden, alsbal d abe r is t dan n ein e schriftlich e Übersetzun g entstanden . Di e Legende wei ß davo n z u berichten , wi e ihr e Anfertigun g vo n wunderhafte n Vorgängen begleite t wurde , un d such t durc h dies e Erzählun g ihre n hohe n

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Rang z u begründen . Dies e Legend e is t i m sogenannte n Aristeasbrief , eine r Schrift au s de m End e de s zweite n Jahrhundert s v . Chr., erzähl t un d späte r auch be i andere n hellenistisch-jüdische n Schriftsteller n wiedergegeben . E s heißt, der König Ptolemäus II. Philadelphus (284-24 7 v.Chr.) se i durch seine n Bibliothekar Demetriu s darau f aufmerksa m gemach t worden , i n seine r Bibliothek fehl e ein e griechisch e Übersetzun g de s Gesetze s de r Juden , un d habe daraufhi n sofor t di e notwendige n Maßnahme n getroffen , u m dies e empfindliche Lück e schließe n z u lassen . E r schickt e Botschaf t zu m Hohen priester nac h Jerusale m un d erba t sic h 72 Gelehrte, aus jedem Stam m Israel s sechs, di e di e Aufgab e übernehme n sollten , da s Geset z fü r sein e Bibliothe k ins Griechische z u übertragen . De r Hoheprieste r entsprac h de m Wunsc h de s Königs; di e 7 2 Gelehrte n wurde n i n Alexandri a mi t hohe n Ehre n empfan gen un d machte n sic h au f de r Inse l Pharos , di e vo r Alexandri a liegt , an s Werk. A m Aben d jede n Tage s truge n si e zusammen , wa s jede r erarbeite t hatte, un d kame n durc h gegenseitige n Vergleic h überein , wi e de r Wortlau t des Texte s z u bestimme n sei . Nach 7 2 Tage n wa r da s Wer k vollendet : Da s Gesetz wa r in s Griechisch e übertrage n un d wurd e de r versammelte n jüdi schen Gemeind e vorgelesen . De r Jube l wa r groß , ungeteilt di e Bewunderun g für di e Genauigkei t un d Sorgfal t de r Wiedergabe , s o da ß vo n alle n erklär t wurde: „D a di e Übersetzun g i n schöner , fromme r un d durchau s genaue r Weise gefertigt ist , so ist es recht, da ß si e in diese m Wortlaut erhalte n werd e und kein e Änderun g stattfinde " (Aristeasbrie f 310) . Nach diese r Erzählun g hat dan n di e griechisch e Übersetzun g ihre n Name n erhalten , inde m di e Zahl 7 2 zu 7 0 (lateinisc h = septuaginta ) abgerunde t wurde . Der legendär e Charakte r de s Berichtes , der di e Würd e de s Gesetzes , nac h dem di e jüdische n Gemeinde n i n de r hellenistische n Wel t leben , aufzeige n soll, is t unverkennbar . Auc h ei n heidnische r Köni g is t vo n seine r Hohei t überzeugt un d setz t alle s daran , u m ein e griechisch e Fassun g herstelle n un d in sein e Bibliothe k einreihe n z u lassen . Sieh t ma n vo n diese n Züge n ab , so sin d doc h diese r Überlieferun g einig e historisc h zutreffend e Hinweis e z u entnehmen. E s wir d richti g sein , da ß di e jüdische n Gemeinde n i n Ägypte n eine griechische Übersetzun g de s Gesetze s unbeding t benötigten . U m diese m Werk i n alle n Gemeinde n Eingan g z u verschaffen , wir d ma n sic h vo n de r Diaspora au s mi t Jerusale m i n Verbindun g gesetz t un d u m Unterstützun g bei de r Durchführun g diese s Vorhaben s nachgesuch t haben . Auc h di e vo n der Legend e angegeben e Zei t - erst e Hälft e de s dritte n Jahrhundert s v. Chr. - dürft e etw a zutreffen . Di e Jude n Ägypten s konnte n ohn e jed e Schwierigkeit mi t Jerusale m verkehren , Botschafte n ginge n hi n un d her , wie da s uneingeschränk t i n de r Zei t möglic h war , al s Palästin a unte r de r Herrschaft de r i n Ägypte n regierende n Ptolemäe r stan d un d da s jüdisch e Gemeinwesen sic h weitgehende r Selbstverwaltun g erfreue n konnt e (vgl . S.12). Schließlic h wil l beachte t sein , da ß de r Aristeasbrie f nu r vo n de r Übersetzung de s Gesetzes , nich t abe r de r andere n Teil e de s Alte n Testa ments spricht . De r Pentateuc h wa r un d is t fü r da s Judentu m da s wichtigst e

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Stück der Schrift , vo n de m he r all e andere n Büche r z u verstehe n sind . Dahe r werden zuers t di e fün f Büche r Mos e i n de r hellenistische n Diaspor a Ägyp tens unte r Mithilf e palästinische r Gelehrte r übersetz t worde n sein . Die übrige n Teil e de s Alte n Testament s sin d dan n nac h un d nac h gleich falls in s Griechisch e übertrage n worden . Wortgebrauc h un d Stil , abe r auc h Genauigkeit un d Zuverlässigkei t de r Übersetzunge n stehe n keinesweg s überall au f de r gleiche n Höhe . Währen d de r Pentateuc h seh r gu t übersetz t worden ist , sin d di e Übertragunge n einige r prophetische r Texte , wi e z.B . des Jesajabuches , wenige r glücklic h ausgefalle n un d stell t di e griechisch e Fassung de s Danielbuche s ehe r ein e Umschreibun g al s ein e Übersetzun g dar. D a fü r da s hellenistisch e Judentu m ein e Grenz e de s Kanon s noc h keineswegs deutlic h gezoge n war , wurde n i n di e Septuagint a noc h weiter e Bücher aufgenommen , di e i m zweite n un d erste n Jahrhunder t v.Chr . ent standen, s o da ß de r Krei s de r Schrifte n i m griechische n Alte n Testamen t umfangreicher is t al s de r hebräisch e Kano n (vgl . S . 121-123). E s stehe n darin i m ganze n neu n Büche r meh r al s i n de r hebräische n Bibel : di e Büche r Judith un d Tobit , di e vie r Makkabäerbücher , da s Buc h Sirac h sowi e di e Weisheit un d di e Psalme n Salomos . Dazu komme n dan n noc h einig e Über arbeitungen bzw . Ergänzunge n z u alttestamentliche n Schriften : de r grie chische Esra, di e Oden, da s Baruchbuch , de r Brie f de s Jeremia , Susanna , Be i und de r Drach e un d einig e Erweiterunge n zu m Buc h Esther . Ei n Tei l de r Schriften geh t au f hebräische n Urtex t zurück , ei n Tei l abe r is t origina l griechisch abgefaß t wi e z.B . da s 4.Makkabäerbuch . Nachde m dan n di e griechische un d di e römisch e Kirch e einig e Büche r de r Septuaginta , di e übe r den Kano n de s hebräische n Alte n Testament s hinausgingen , z u ihre r Bibe l hinzugerechnet hatten , habe n späte r di e Kirche n de r Reformatio n allei n di e Schriften al s kanonisc h anerkannt , di e zu r hebräische n Bibe l gehörten . Di e Bücher, di e di e Septuagint a darübe r hinau s bietet , wurde n al s Apokryphe n bezeichnet, „da s sin d Bücher , di e de r heilige n Schrif t nich t gleichzuhalte n und doc h nützlic h un d gu t z u lese n sind " (M.Luther) . Durch di e Übersetzun g de s Alte n Testament s i n di e griechisch e Sprach e nahmen manch e griechische n Wörte r au f Grun d de r ihne n entsprechende n hebräischen Ausdrück e eine n neue n Gehal t an . Verstande n di e Grieche n unter „doxa " de n Anschein , di e Meinung , s o wurd e nu n da s Wor t „doxa " unter de m Einflu ß de s hebräische n „qabod " a n viele n Stelle n i n de r Be deutung vo n Glanz , Herrlichkei t verwendet . Mi t hebräisc h „panim " wir d die de m Betrachte r zugewandt e Seit e bezeichnet , s o da ß nich t nu r da s Ge sicht eine s Mensche n „panim " genann t wird , sonder n auc h vo m „Gesich t der Erd e bzw . de s Landes " (1.Mos e 2,6 u.ö. ) ode r „Gesich t de s Altars " (l.Kön. 8,22.31 u. ö.) gesproche n werde n kann . Unter Einwirkung de r hebrä ischen Redeweis e wir d dahe r de r Bedeutungsgehal t de s griechische n Worte s „prosoopon" ausgedehn t un d auc h i n übertragene r Weis e au f di e de m Blick sic h darbietende Seit e von Gegenstände n angewendet . Wei l i m Hebrä ischen Adjektiv e i n weitau s geringere m Umfan g al s i m Griechische n ge -

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bräuchlich sind , bedien t ma n sic h stat t desse n häufi g eine s i m Geniti v an gehängten Substantivs , u m ein e näher e Charakterisierun g anzuzeigen . D a diese Redeweis e i n de r Septuagint a vielfac h beibehalte n worde n ist , ent stehen hebraisierend e Ausdrück e wi e „di e Straß e de r Gerechtigkeit " ( = die rechte Straße ) (Ps.23,3) . Im Hebräische n sin d häufig a n Substantiv e Suf fixe angehängt , u m da s Beziehungsverhältni s anzugeben ; si e werde n i m Griechischen de r Septuagint a meis t durc h angefügt e Personalpronomin a „meiner", „deiner" , „seiner " usw . ersetzt . Infolgedesse n wurde n Wendun gen gebildet , di e i m Griechische n zwa r nich t unmöglich , abe r nich t üblic h waren. I m hebräische n Sat z steh t i n de r Rege l da s Verbu m a m Anfang , di e Satzteile sin d nich t i n kunstvoll e Periode n gefaßt , sonder n lediglic h durc h „und" - „und " aneinandergehängt . Dies e Gestal t de r Sätz e bleib t i n de r griechischen Übersetzun g meis t unverändert ; dahe r wir d seh r häufi g da s Prädikat gleic h z u Begin n de s Satze s genann t un d werde n nu r durc h ei n verknüpfendes „und " di e einzelne n Aussage n locke r zusammengeschlossen . Dieser Sprache , di e be i de r Verlesun g biblische r Abschnitt e i n de n Synago gen lau t wurde , eignet e ei n ausgesproche n biblische r Charakter , de r viel fach auc h di e frei e Erzählun g un d Auslegun g alttestamentliche r Geschichte n beeinflußte. D a di e neutestamentliche n Autore n fas t durchwe g da s Alt e Testament nac h de r Septuagint a zitiere n un d erklären , is t de r Einflu ß de s Septuaginta-Griechisch dan n auc h i m Neue n Testamen t a n viele n Stelle n wirksam geworde n - nich t nu r i n Verbindun g mi t alttestamentliche n Zita ten, sonder n auc h i n längere n Abschnitten , i n dene n bewuß t i n biblische n Wendungen gesproche n wird , u m di e besondere Eigenar t de s erzählte n Ge schehens zu m Ausdruc k z u bringe n (vgl . z . B. di e Kindheitsgeschicht e Johannes de s Täufer s un d Jes u Lk . 1-2) . Ist au f de r eine n Seit e da s Griechisc h de r Septuagint a durc h di e Vorlag e des hebräische n Alte n Testament s beeinflußt , s o is t au f de r andere n Seit e auch da s Bestrebe n de r Übersetze r unverkennbar , sic h eine r Begrifflichkei t zu bedienen , durc h di e si e griechisc h sprechende n Leser n di e Bedeutun g der biblische n Red e verständlic h mache n können . W o e s möglic h ist , such t man Anthropomorphisme n vo n Got t fernzuhalte n un d sic h eine s vernünf tigen Gottesbegriffe s z u bedienen . Stat t vo n de r Han d Gotte s wir d dan n von seine r Mach t gesproche n (Jos.4,24) , un d di e Allmach t Gotte s wir d unterstrichen, inde m di e Wendun g „Jahw e Zebaoth " durc h „Kyrio s Panto krator" wiedergegebe n wird . Got t is t i n seine r Hohei t wei t vo m Treibe n der Mensche n geschieden , s o da ß nich t Got t selbst , sonder n sei n Enge l de m Mose erschein t (2.Mos e 4,24). Al s Mos e a m brennende n Dornbusc h nac h dem Name n Gotte s fragte , wurd e ih m geantwortet : „Ic h bin , de r ic h bin " (2.Mose3,14)). I n de r Septuagint a wir d dies e Gottesbezeichnun g al s „Ich bi n de r Seiende " wiedergegebe n un d Got t dami t al s da s wahr e un d höchste Sei n beschrieben , wi e e s i m griechische n Denke n vorgestell t wird . Er is t Schöpfe r un d Her r übe r all e Welt , de r durc h sei n Wor t seine n Wille n kundgibt un d durc h da s Geset z alle n Mensche n sei n Gebo t mitteilt , u m si e

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zu sittlichem Handeln z u führen. Wer ih m folgt , wird de n Weg zur Erlangun g vonTugend,GlückundFrieden finden,wie Predig t und Lehre nach den jüngste n Teilen de r Septuagint a nähe r ausführe n (vgl . 4. Makkabäerbuch, S.91f.) . Sprache un d Botschaf t de r Septuagint a habe n de m frühe n Christentu m den Weg vorbereitet, au f de m e s in die hellenistische Welt vorstoße n konnte . Das griechisch e Alt e Testamen t wa r di e Bibe l de r christliche n Gemeinden , die i n rasche r Folg e i n de n Städte n de s Römische n Reiche s entstanden . De r eine Gott , de r seine n Wille n un d sei n Gebo t durc h Israe l alle r Wel t kund machen läßt , ha t sic h i n Christu s al s de r Vate r offenbart . I n de r Sprache , die durc h di e griechisch e Übersetzun g de s Alte n Testament s geform t war , konnte di e christliche Predig t zuers t i n de n Synagoge n un d dan n auc h unte r NichtJuden verkündig t werden . D a di e Christe n sic h de r Septuagint a al s ihrer Bibe l bediente n un d au s ih r auc h de n Schriftbewei s fü r di e Wahrhei t des Evangelium s z u führe n begannen , rückte n di e Jude n vo n ih r meh r un d mehr ab . Dabe i verstärkt e sic h ein e Tendenz , dere n Anfäng e scho n i n früherer Zei t z u wirke n begonne n hatten . Ma n bemüht e sic h nämlic h darum, ein e griechisch e Wiedergab e de s alttestamentliche n Texte s z u ge winnen, di e desse n Sprach e un d Inhal t noc h genaue r un d wörtliche r al s di e Septuaginta zu m Ausdruc k bringe n sollte . Die Septuagint a bo t de n Christe n an manche n Stelle n willkommene n Anhal t fü r ihr e Argumentation , s o z.B . wenn i n de m Sat z vo n Jes.7,14 , ein e jung e Fra u werd e schwange r werde n und eine n Soh n gebären , i m Griechische n da s Wor t Jungfra u gebrauch t ist , so da ß di e Christe n darau s eine n Schriftbewei s fü r di e wunderbar e Abkunf t Jesu herleite n konnte n (vgl . Mt . 1,23). Um diese r Auslegun g widerspreche n zu können , fertigt e ma n i n jüdische n Kreise n ein e neu e Übersetzun g an , di e sklavisch gena u jed e Wendun g de s Hebräische n i m Griechische n nach zuahmen suchte , ohne darau f Bedach t z u nehmen , da ß dadurc h ein e höchs t merkwürdige griechisch e Sprachgestal t entstand . Di e Arbeit , di e de r Pros elyt Aquila - nac h de r rabbinische n Überlieferun g ei n Schüle r de s R . Aqiba (vgl. S.35f. ) - u m 13 0 n . Chr. anfertigte , fan d di e ausdrücklich e Billigun g der Gelehrte n i n Palästina . Nebe n de m Wer k de s Aquil a entstan d ein e andere Übersetzung , di e Theodotion herstellte . E r bemüht e sic h darum , ein verständliche s Griechisc h z u sprechen , un d revidiert e di e Septuaginta , indem e r sic h enge r a n de n hebräische n Tex t anlehnte . Sein e Übersetzun g ist auc h vo n Christe n benutz t worden , un d zu m Buc h Danie l wurd e all gemein sei n Tex t de r Fassun g de r Septuagint a vorgezogen . U m di e Wend e vom zweite n zu m dritte n Jahrhunder t n . Chr. schu f dan n ei n Man n namen s Symmachus ein e weiter e griechisch e Übersetzun g de s Alte n Testaments , di e den Einflu ß rabbinische r Schriftauslegun g erkenne n läßt . Di e Entstehungs geschichte diese r Übersetzunge n zeig t deutlich , da ß di e jüdisch e Diaspor a in de r hellenistische n Welt , sowei t si e nich t christlic h geworde n war , i m zweiten Jahrhunder t n.Chr . unte r de n Einflu ß un d di e Aufsich t de r Rab binen geriet , di e forta n bestimmten , wi e da s Wor t de r Schrif t z u verstehe n ist un d di e Lehr e i n de r Synagog e auszusehe n hat .

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3. Philo von Alexandria Die Werke de s Philo vo n Alexandri a gebe n Zeugni s vo n de r denkerische n Kraft diese s jüdische n Gelehrten . Übe r seine n äußere n Lebensgan g is t weni g bekannt. Gebore n etw a u m 2 5 v . Chr., ha t e r i n Alexandri a da s Lebe n eine s zurückgezogenen Weise n geführt , de r sic h jedoc h nich t versagte , al s di e Juden i n Alexandria seine s tätige n Einsatze s bedurften. Al s es in Alexandri a zu Verfolgunge n de r Jude n durc h di e heidnisch e Bevölkerun g gekomme n war, di e de r römisch e Statthalte r Flaccu s gedulde t hatt e (vgl . S . 91), be schlossen di e Juden , ein e Gesandtschaf t zu m Kaise r Caligul a z u schicken , an dere n Spitz e dan n Phil o nac h Ro m reist e un d di e Verhandlunge n führt e (39/40 n.Chr.) . Übe r dies e Reis e ha t Phil o selbs t berichte t (legati o a d Gaium), i m übrige n abe r kein e weitere n Date n au s seine m Lebe n i n seine n Schriften mitgeteilt . Wie di e hellenistisch e Synagog e wa r auc h Phil o i n seine m Denke n un d Handeln bemüht , mi t Hilf e philosophische r Überlegunge n ein e vernünftig e Begründung fü r da s Judentu m z u gewinnen . De r größt e Tei l de s vo n ih m überlieferten Schrifttum s beschäftig t sic h mi t de r Erklärun g de s Gesetzes , vornehmlich de r Büche r Genesi s un d Exodu s (1 . un d 2 . Mose), z u dene n ausführliche Erklärunge n un d Überlegunge n dargebote n werden . Phil o ha t keine systematisch e Entfaltun g seine r Gedanke n vorgetragen , sonder n sein e Vorstellungen stet s unmittelba r i m Anschlu ß a n alttestamentlich e Text e entwickelt. Au s de r Vielzah l seine r Aussage n wir d jedoc h ein e einheitlich e Grundkonzeption erkennbar , dere n Leitgedanke n imme r wiederkehren . Philo gil t da s Geset z Israel s al s unantastbar e Autorität , zugleic h abe r wei ß er sich zutiefs t de m Erb e de r griechische n Philosophi e verpflichte t un d such t dieses mi t de m Geset z de s Mos e i n Einklan g z u bringen . E r sprich t vo m göttlichen Plat o un d bezieh t sic h häufi g au f sein e Gedanken , e r kenn t di e griechischen Tragike r un d di e hellenistische Popularphilosophi e un d bedien t sich ihre r a n viele n Stellen . Be i de r Erklärun g de s Pentateuch s häl t sic h Philo a n de n griechische n Bibeltex t un d leg t ih n weithi n mi t Hilf e de r allegorischen Methode aus , di e vo r alle m i n de r stoische n Philosophi e ent wickelt un d scho n vo r Phil o auc h i n de r jüdische n Bibelexeges e verwende t worden war . Di e Sto a wollt e einerseit s a n de n alte n Mythe n un d Sage n der Götte r festhalten , andererseit s abe r ein e vernünftig e Erklärun g diese r Geschichten bieten , u m au s de m Mythus , de r gleichsa m de n Lei b darstelle , dessen Seel e herauszuheben, d . h. seine ethische Bedeutung aufzuweise n (vgl . S. 181). Di e allegorisch e Erklärun g geh t vo n de r Voraussetzun g aus , de r Text mein e seine m eigentliche n Gehal t nac h etwa s anderes , al s e r zunächs t auszusagen scheint , s o da ß sei n vernünftige r Sin n nu r durc h ein e Inter pretation erhobe n werde n kann , di e di e eigentlich e Bedeutun g de s Texte s freilegt. S o wil l auc h Phil o di e Seel e de s Texte s vo n de r äußere n Gestal t seines Leibe s unterscheiden . Allegorische Auslegun g de s Alte n Testament s is t gelegentlic h auc h vo n den Verfasser n de r neutestamentliche n Schrifte n angewende t worden , u m 7 Lohse , Umwel t

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auf dies e Weis e ein e unmittelbar e Beziehun g au f di e christlich e Gemeind e zu gewinnen . S o verweist Paulu s au f 5.Mos e 25,4 - „D u solls t de m Ochsen , der d a drischt , nich t da s Mau l verbinden " - , u m z u fragen , o b Got t sic h etwa u m di e Ochse n kümmere . Nein , antworte t de r Apostel , i n Wahr heit se i diese s Wor t nich t u m de r Tier e wille n gesagt , dene n be i de r Arbeit ei n weni g Nahrun g zukomme n soll , sonder n vielmeh r u m unseret willen. Darau s wir d dan n gefolgert , da ß demjenigen , de r i m Diens t de s Evangeliums steht , vo n de r Gemeind e Unterhal t gewähr t werde n mu ß (l.Kor.9,9f.). Un d i m Galaterbrie f spiel t de r Aposte l au f di e Erzählun g von de n beide n Fraue n Abraham s a n un d fähr t dan n fort , di e Geschicht e von Haga r un d Sar a un d ihre n beide n Söhne n se i allegorisc h z u verstehen : Hagar mi t ihre m Soh n se i au f di e Knechtschaft , Sar a mi t Isaa k abe r au f di e Freiheit z u deuten , z u de r di e Glaubende n berufe n sin d (Gal.4,21-31) . W o allegorisches Verständni s de r Schrif t i m Neuen Testamen t vorgetrage n wird , bedient ma n sic h eine r Auslegungsmethode , di e i m hellenistische n Juden tum wei t verbreite t wa r un d di e insbesonder e Phil o seh r häufi g gebrauch t hat. Die Büche r de s Gesetze s werde n vo n Phil o mi t Hilf e de r allegorische n Erklärung al s hervorragend e Sittenlehre beschrieben , nac h de r di e Men schen, di e i n de r Genesi s erwähn t werden , psychologisch e un d ethisch e Be lehrung erteile n sollen . S o zeig t di e Schöpfungsgeschichte , da ß Ada m di e Vernunft abbildet , di e Tier e de s Felde s un d di e Vöge l de s Himmel s abe r die Affekt e darstelle n un d Ev a de r Vernunf t al s di e Sinnlichkei t gegenüber steht. Di e Schlang e al s Symbo l de r Lus t un d Lieb e bring t di e beide n Men schen zueinander . Wen n Abraha m zuers t mi t Haga r eine n Soh n zeugt , eh e er vo n Sar a Nachkommenschaf t erhält , s o bedeute t das , da ß ma n sic h zu erst mi t de n propädeutische n Wissenschafte n beschäftige n muß , eh e ma n sich zur Weisheit wende n un d di e Tugend al s ihre schönst e Frucht gewinne n kann. Da s Lebe n de s Josep h stell t ei n politische s Vorbil d da r un d zeigt , wie sic h de r Weis e i m Staatslebe n z u verhalte n hat , inde m e r ei n Beispie l klugen Handeln s gibt . Wi e di e Erzählunge n de r Genesi s au f dies e Weis e vernünftig erklär t werden , s o werde n auc h di e Gesetzesvorschrifte n alle gorisch interpretier t un d dami t i n ihre m ethische n Gehal t einsichti g ge macht. Di e biblisch e Bestimmung , ei n Opfertie r müss e ohn e Feh l sein , bedeutet: „D u wirs t finden, da ß jen e s o überau s sorgfältig e Untersuchun g des Tiere s symbolisc h di r di e Pflich t andeutet , dein e Sitte n z u bessern ; is t doch da s Geset z nich t fü r vernunftlos e Tier e gegeben , sonder n fü r Wesen , die Vernunf t un d Verstan d haben . Dahe r walte t nich t di e Rücksich t au f di e Opfertiere ob , da ß si e nu r j a keine n Make l aufweisen , sonder n au f di e Opfernden, da ß si e nu r a n keine m Affek t leiden " (d e specialibu s legibu s 1,260). Das Geset z lehr t somit , wa s nac h göttliche r Ordnun g de m Wese n de s Menschen gemä ß ist . Wie de r Sabba t Gelegenhei t bietet , de n Ta g de r Ruh e zu philosophische r Besinnun g z u nutzen , s o entspreche n auc h di e einzelne n Gebote jeweil s dem , wa s di e Natu r gebietet . Mos e lehr t dahe r nicht s an -

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deres al s di e griechischen Philosophen , ja , e r is t i n Wahrheit ih r Lehrer , vo n dem si e all e gelern t haben . De r Jud e brauch t sic h dahe r nich t z u schämen , wenn er inmitten eine r andersgläubige n Umwel t nach de m Geset z lebt. Denn er is t i m wahrste n Sinn e de s Worte s ei n Kosmopolit ; gehorch t e r doc h de m Gesetz de r Natur , da s au f da s deutlichst e vo n Mos e dargebote n worde n ist . Wenn Mos e de n Gesetze n ein e Darstellung de r Weltschöpfun g vorangestell t hat, so folgt daraus , daß da s Gesetz der Natu r entsprich t und dahe r Weisun gen darbietet , di e letztlic h alle n Mensche n gelten . Das Bekenntni s Israel s zu m eine n Gott findet Phil o auc h i n de n Lehre n der Philosophe n wieder . I m Verein mi t ihne n polemisier t e r gege n de n heid nischen Polytheismu s un d Götzendienst . De r ein e Gott steh t de r Welt gegenüber al s da s höchst e Gute . Vo n ih m kan n nu r i n negative n Aussage n ge sprochen werden , s o da ß sei n eigentliche s Wese n nich t beschrieben , sonder n nur andeuten d gekennzeichne t werde n kann . E r is t unsichtbar , unveränder lich, bedar f keine s anderen , is t fre i vo n menschliche n Fehlern . E r is t da s Gute und Schöne schlechthin, all e nur denkbar e Vollkommenhei t is t bei ihm. Platonische Gedanke n werde n als o vo n Phil o zu r Entfaltun g seine r Gottes lehre verwendet : „Got t allei n feier t i n Wahrhei t Feste ; den n e r allei n dar f sich freuen , e r allei n dar f fro h un d heite r sein , e r allei n ha t Friede n ohn e jeden Kampf ; e r ist ohn e Traue r un d ohn e Furch t un d vollkomme n fre i vo n Übeln, keine m nachgebend , ohn e Schmerzen , ohn e Müdigkeit , vol l reine r Glückseligkeit; sei n Wese n is t gan z vollkommen , meh r noch , Got t is t selbs t der Gipfel , de r Endpunk t un d di e Grenz e de r Glückseligkeit , e r brauch t keinen andere n zu ihrer Steigerung , gewährt vielmehr alle n Einzelgeschöpfe n Anteil a n de r Quell e de s Schönen , a n sic h selbst ; den n alle s Schön e i n de r Welt wär e niemal s s o geworden , wen n e s nich t de m wahrhaf t schöne n Ur bilde, dem ungeschaffenen , unvergängliche n nachgebilde t wäre " (d e Cheru bin 86) . Gott steh t hoc h übe r de r Wel t un d stell t durc h Zwischenwese n bzw . Hypostasen di e Verbindun g mi t de n Mensche n au f Erde n her . Der Gedank e der platonische n Idee n wir d mi t jüdische n Vorstellunge n übe r Engelwese n verbunden, wen n e s heißt , Got t hab e vo r Gründun g de r Wel t di e Urbilde r aller Ding e geschaffen . Durc h di e Kräfte , di e au s Got t hervorgegange n sind , ist Gott i n de r Wel t wirksam . Al s solche werden di e Weisheit, de r Geist , di e Güte un d di e Mach t genannt , vornehmlic h abe r de r Logos. E r is t di e Idee , die alle anderen Idee n in sich begreift, de r Gesandte un d Stellvertrete r Gotte s in der Welt, sein Werkzeug un d Offenbarer , durc h de n er die Welt geschaffe n hat, erhäl t un d regiert . De r Logo s is t abe r nich t nu r al s Gotte s Kraft , di e z u den Menschen kommt , am Werk, sondern zugleich ist er auch de r Fürspreche r der Mensche n be i Gott , ih r Hoherpriester , de r si e vor ih m vertritt. S o ist de r Logos da s Zwischenwese n zwische n Got t un d de n Mensche n schlechthin . Die Schöpfun g erfolgte , inde m Got t di e gestalt - un d eigenschaftslos e Materie, die leblos und ungeordne t war , durc h de n Logo s un d di e göttliche n Kräfte formt e un d dadurc h da s zuvo r scho n vorhanden e Urbil d verwirk lichte. Die Materie is t in ihrer Leblosigkei t da s absolute Gegenstüc k z u Gott ; 7»

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denn si e is t to t un d nichtig . Nur durc h de n göttliche n Logo s konnt e au s ih r die Schöpfun g gebilde t werden . Di e Erschaffun g de s Mensche n gin g s o vo r sich, da ß Got t zunächs t de n Urmensche n schuf , de r al s Abbil d de s wahre n Seins nach Gotte s Bil d gemach t wurde . Wird di e Aussage vo n l.Mosel,26f . auf de n Urmensche n bezogen , s o di e von 1.Mos e 2,7 au f de n irdische n Men schen, de r al s Abbil d de s Urbilde s entstand . De r himmlisch e Mensc h wa r nach de m Bild e Gotte s gestalte t worden , de r irdisch e Mensc h abe r wurd e geformt. E r begin g de n Sündenfal l un d wurd e au s de m Paradie s vertrieben , der himmlische Mensc h abe r weil t al s reine und vollkommen e Ide e des Men schen be i Gott . Der Mensch steh t dahe r zwische n beide n Welten . Sein e Seel e stamm t au s Gott un d gehör t zu r himmlische n Heimat , sei n Lei b abe r is t au s vergäng licher Materi e gebildet , schließ t di e Seel e wi e i n eine m Gefängni s ei n un d wird wiede r vergehen . De r Lei b is t Ursach e alle r Übel , Sünde n un d Schwä chen de s Menschen , di e Seel e abe r is t göttliche n Ursprung s un d sol l wiede r zu Got t zurückkehren . Daru m is t de m Mensche n di e Aufgab e gestellt , sein e Seele z u läutern , de n Affekte n un d Begierde n abzusage n un d sic h sittlic h z u vervollkommnen. Au s eigene r Kraf t wir d e r freilic h nich t daz u imstand e sein, diese s Zie l z u erreichen . Doc h Gotte s Hilf e komm t de m Strebende n entgegen und stärk t ihn , so daß er ein tugendhaftes Lebe n z u führen vermag . Die Gottzugehörigkeit , u m di e de r Glaubend e weiß , wir d vo m wahrhaf t Weisen i n eine r gesteigerte n For m erlebt , inde m e r sic h vo n alle m Irdische n löst un d di e unmittelbar e Anschauun g Gotte s erfährt . Nac h Plat o is t di e höchste Stufe , di e de m Weise n erreichba r ist , ei n intuitive s Schauen , di e Begeisterung, di e auc h al s Trunkenhei t un d Erfülltwerde n vo n himmlische r Liebe beschriebe n werde n kann . Phil o knüpf t a n dies e Gedanke n a n un d spricht si e i m Anschlu ß a n 1.Mos e 12,1 aus . Got t hatt e Abraha m befohlen , aus seine m Vaterland , seine r Verwandtschaf t un d seine s Vater s Haus e fort zuziehen i n ei n Land , da s e r ih m zeige n wolle . Daz u heiß t e s nun : „Wen n also, o Seele , das Verlange n übe r dic h kommt , de r göttliche n Güte r Erb e z u werden, s o verlass e nich t nu r ,Land' , de n Körper , , Verwandtschaft', di e Sinnlichkeit, un d , Vaterhaus', de n Logo s (d.h . hier : di e sic h durc h di e Sprache äußernd e Vernunft) , sonder n entflieh e auc h di r selbst , geh e au s di r heraus, gleic h de n Besessene n un d nac h Korybantenar t Rasende n verzück t und gotterfüll t mi t prophetische r Begeisterung . Den n die s is t da s Erb e de r Seele, di e gottbegeister t nich t meh r i n sic h ist , sonder n vo n himmlische r Liebe getriebe n un d entflammt , vo n de m wahrhaf t Seiende n geführ t un d z u ihm emporgetrage n wird , währen d di e Wahrhei t ih r voranschreite t und , was i m Weg e ist , hinwegräumt , dami t si e au f gebahnte r Straß e wandele " (Quis reru m divinaru m here s 69f.) . Wie Phil o di e innig e Gottverbundenhei t des Weise n mi t Begriffe n de r philosophische n Traditio n beschreibe n kann , so lehnt er sich an anderen Stelle n a n di e Sprache de r Mysterienreligionen a n und kan n sagen : „Dies e Lehren , o ih r Eingeweihten , di e ih r reine n Ohre s seid, nehmt al s wirklich heilig e Geheimniss e i n eur e Seele n au f un d plauder t sie keine m de r Uneingeweihte n aus , sondern bewahr t un d hüte t si e be i euc h

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als eine n Schatz , i n de m nich t Gol d un d Silber , vergänglich e Dinge , ruhen , sondern vo n alle n Besitztümer n da s schönste , di e Erkenntni s vo n de m Ur heber (de s Alls) und vo n de r Tugen d un d dritten s vo n dem Sprößlin g beider . Wenn ih r abe r eine m Eingeweihte n begegnet , s o halte t euc h a n ih n un d bittet ih n dringend , da ß er , wen n e r ein e neu e Geheimlehr e kennt , si e euc h nicht verberge, bis ihr darüber kla r belehr t seid. Denn auc h ich, der ic h durc h den Gottesfreun d Mos e i n di e große n Geheimlehre n eingeweih t war , hab e dennoch, al s ich nachher de n Prophete n Jeremi a kennenlernt e un d erkannte , daß e r nich t blo ß Eingeweihter , sonder n auc h ei n bedeutende r Hierophan t ist, kei n Bedenke n getragen , z u ih m i n di e Schul e z u gehen " (d e Cherubi n 48 f.). Die Sprache , di e Phil o hie r redet , dar f nich t falsc h verstande n werden . Denn wede r wil l e r ekstatische n Erfahrunge n al s solche n da s Wor t reden , noch wil l e r ga r da s Judentu m z u eine r Mysterienreligio n machen . Wen n e r gelegentlich sagt , de r vo n göttliche r Begeisterun g Erhoben e erfahr e heilig e Geheimnisse un d göttlich e Weihen , s o bedien t e r sic h eine r Redeweise , di e der hellenistische n Wel t geläufi g ist , u m si e i n übertragene m Sinn e z u ver wenden. Wahr e Einweihun g wir d durc h da s Studiu m de s Gesetze s un d de r Propheten erfahren , un d ekstatisch e Erlebniss e werde n demjenige n zuteil , der di e ihm gewährt e Erkenntni s al s Gabe Gotte s begreift . Philos Frömmigkei t ha t eine n ausgesproche n individualistische n Charak ter; den n Israe l wird vo n ih m al s Gemeinde de r Weise n vorgestellt . Im Krei s der Synagoge n blie b Phil o ei n einsame r Denker , desse n Wer k kein e weit e Ausstrahlung hatte , d a bal d nac h seine r Zei t auc h da s Diasporajudentu m unter de n Einflu ß de r Rabbine n ka m (vgl . S.96). Stark e Wirkung abe r übte n Philos Gedanken au f da s frühe Christentu m i n Alexandria aus . Die Christe n bedienten sic h de r vo n Phil o ausgebildete n Begrifflichkei t un d konnte n ins besondere di e Logosvorstellun g aufnehmen , u m si e fü r di e Ausbildun g de r Christologie z u verwenden. So ist Philo a n seine m Teil zu einem Wegbereite r christlicher Theologi e geworden , di e sein e Schrifte n aufbewahr t un d über liefert hat . Ohn e Phil o is t di e Theologi e de s Clemen s vo n Alexandri a un d des Origene s nich t denkbar ; den n vo n de m große n jüdische n Philosophe n und Theologe n habe n di e Christe n gelernt , wi e biblische r Glaub e philoso phisch z u begründe n ist , um ih n al s Erfüllun g alle n Streben s nac h Weishei t und Tugen d begreiflic h z u machen . 4. Josephus Josephus, de r au s de m palästinische n Judentu m stammte , abe r späte r in de r Diaspor a lebte , möcht e durc h sein e Büche r seine n hellenistische n Lesern ein e Rechtfertigun g de s Judentum s gebe n un d fü r de n Glaube n Israels werben. Dabe i komm t au f de r eine n Seit e palästinische Überlieferun g zu Wort , di e freilic h erkenne n läßt , da ß auc h i n Palästin a de r Einflu ß de s Hellenismus deutlic h spürba r war . Au f de r andere n Seit e abe r wir d i n helle nistischer Begrifflichkeit ein e Darstellung de s Judentums gegeben , die seinem

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Selbstverständnis i n eine r andersgläubige n Umwel t entspricht . Josephu s is t bei weite m kei n s o eigenständige r Denke r wi e Phil o vo n Alexandria . Dahe r können sein e Ausführunge n übe r da s zeitgenössisch e Judentu m abe r u m s o mehr al s Ausdruck fü r verbreitet e Vorstellunge n un d Anschauunge n i n Kreisen de r Synagoge n gelten . Seinen Lebenswe g ha t Josephu s i n eine r selbs t verfaßte n Biographi e be schrieben. U m 3 7 n . Chr . al s Soh n eine s Priester s i n Jerusale m geboren , lernte e r nacheinande r di e Gruppe n de r Pharisäer , Sadduzäe r un d Essene r kennen, indem er ihnen jeweils eine bestimmte Zeitlang angehörte. Nachde m er dan n dre i Jahr e lan g be i eine m Einsiedle r namen s Bannu s geweil t un d dessen harte s Lebe n geteil t hatte , kehrt e e r mi t neunzeh n Jahre n nac h Jeru salem zurück, schloß sich den Pharisäer n a n und begann , sich im öffentliche n Leben z u betätigen . Al s de r Aufstan d de r Jude n gege n di e Röme r losbrach , riet Josephu s zwa r zu r Mäßigung , nah m dan n abe r doc h a n de r Erhebun g teil un d wurd e al s Befehlshaber nac h Galilä a geschickt . Nachde m e r be i de r Eroberung vo n Jotapat a i n römisch e Gefangenschaf t gerate n war , gelan g e s ihm, di e Guns t Vespasian s z u gewinne n (vgl . S.32), s o da ß e r zunächs t de n ganzen Krie g i n Begleitun g de s römische n Feldherr n miterlebe n un d dan n nach Ro m gehen , sic h dor t niederlasse n un d sein e schriftstellerisch e Tätig keit zu r Ehrenrettun g seine s besiegte n un d verkannte n Volke s aufnehme n konnte. Bald nac h Kriegsend e verfaßt e Josephu s sein e Geschicht e de s jüdische n Krieges, die die Ereignisse von de r Zei t de s Antiochus IV. bis zu r Eroberun g und Zerstörun g Jerusalem s beschreibt . Da s Wer k wa r zunächs t i n aramä ischer Sprach e aufgezeichnet , dan n abe r in s Griechisch e übersetz t un d End e der 70e r Jahr e Vespasia n übergebe n worden . E s sol l zeigen , da ß da s Un glück der Juden letztlich durc h da s unsinnige Treibe n de r Zelote n verursach t wurde. 93/9 4 n . Chr . veröffentlicht e Josephu s ein e Geschicht e Israels , di e Jüdischen Altertümer . Di e ersten zeh n Büche r erzähle n i n Anlehnun g a n di e alttestamentlichen Schrifte n di e Geschicht e Israel s vo n de r Schöpfun g bi s zum babylonische n Exil . Fü r di e Folgezei t stande n Josephu s nu r wenig e Quellen zu r Verfügung , s o da ß di e nachexilisch e Period e rech t kur z dar gestellt wird . Ausführlic h wir d di e Berichterstattun g dan n wiede r fü r di e Makkabäerzeit, fü r di e di e Makkabäerbüche r reichlic h Materia l lieferten . Besonders eingehen d wir d i m 15.-17 . Buch di e Regierun g de s Herode s ge schildert; die letzten drei Bücher führen dan n bi s zum Ausbruch de s jüdischen Krieges. Durch dies e historischen Bericht e is t Josephu s de r wichtigst e Zeug e für di e Vorgäng e i n Palästin a i m erste n vorchristliche n un d erste n nach christlichen Jahrhundert , desse n eingehend e - i m Quellenwer t freilic h nich t immer gleichwertige - Darstellun g reichhaltige Mitteilunge n übe r da s Juden tum zu r Zeit Jes u un d de r ersten Christe n bietet . Di e apologetisch e Tenden z der Schriftstellerei de s Josephus bestimm t schließlic h auc h sei n Buch „Contr a Apionem". Darin weist Josephus verbreitete Vorwürfe un d Verdächtigunge n zurück, di e man gege n di e Juden erhob , indem e r auf da s hoh e Alter un d di e vornehmen Sitte n de r Jude n aufmerksa m macht , dere n Staa t wede r ein e

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Monarchie noc h ein e Oligarchi e ode r Demokratie , sonder n ein e Theokrati e war, i n de r Got t allei n i n alle n Bereiche n de s menschliche n Leben s de r Her r sein sollt e (contr a Apione m II, 16f.). Josephus schreib t wie ein hellenistischer Litera t un d möcht e den Anspruc h erheben, al s Historike r i n de r griechisc h sprechende n Wel t beachte t z u wer den. S o beginn t er , de r übliche n Gepflogenhei t entsprechend , sein e Ge schichte de s jüdische n Kriege s mi t eine m Vorwort , i n de m e r di e Aufgab e kurz beschreibt , di e Zuverlässigkeit seine r Berichterstattun g hervorheb t un d sein Werk nachdrücklic h empfiehlt : „De n Krie g de r Jude n gege n di e Römer , den bedeutendste n Krie g nich t nu r unsere r Zeit , sonder n auc h unte r alle n Kriegen, di e - wi e wi r gehör t habe n - zwische n Städte n ode r Völker n aus brachen, habe n scho n manch e beschrieben . Doc h teil s ware n si e be i de n Ereignissen ga r nich t dabei , sonder n habe n au s Gerüchte n töricht e un d widerspruchsvolle Geschichte n gesammel t un d au f sophistisch e Weis e ver arbeitet. Teils waren si e dabei; jedoch, um den Römer n z u schmeicheln, ode r aus Haß gege n di e Juden, haben si e die Ereignisse verfälscht. Dahe r bestehe n ihre Schriften zu m Tei l au s Lobhudelei , historisch e Wahrhei t abe r biete n si e nicht. Deshal b faßt e ich , Josephus , Soh n de s Matthias , au s Jerusalem , ei n Priester, de r ic h selbs t gege n di e Röme r gekämpf t hab e z u Anfan g de s Krie ges und de m weitere n Verlau f unfreiwilli g beiwohne n mußte , den Entschluß , den unte r römische r Herrschaf t lebende n Mensche n i n griechische r Sprach e Bericht z u gebe n vo n dem , wa s ic h scho n frühe r de n i m Inner n wohnende n Nichtgriechen hab e zugehe n lassen " (Jüdische r Krie g I, 1-3). I m folgende n legt Josephu s dan n noc h ausführlic h di e methodische n Grundsätz e seine r Arbeit dar , i n de r e r nicht s andere s tu n will , al s di e Ding e s o schildern , wie si e sic h zugetrage n haben . Mi t eine m Vorwor t führ t etw a zu r selbe n Zeit auc h de r Evangelis t Luka s sei n Buc h ein , indem e r einig e Worte voran schickt, die Aufgabe, Them a un d Quelle n de r Darstellun g angebe n un d de n Zweck nennen , de n di e Schilderun g de r Ereigniss e zu r Zei t Jes u un d de r Anfänge de r Kirch e bei m wohlgeneigte n Lese r erreiche n möcht e (Lk . 1,1-4). Durch ein e derartig e Einleitun g meldet e ei n Auto r de n Anspruc h an , ei n literarisches Wer k vorzulegen , da s dene n de r erste n Schriftstelle r de r helle nistischen Wel t gleichrangi g ist . Josephus möcht e be i nichtjüdischen Leser n Verständni s fü r da s Judentu m wecken un d e s ihne n al s vernünftig e Lebensweis e nahebringen . Da s Wese n Gottes, de r de r Schöpfe r de r ganze n Wel t ist , wir d mi t Begriffen , di e de n Griechen geläufi g sind , beschrieben , wen n e r Werkmeister , Vate r un d Ur sprung alle r Ding e genann t wird . Sein e Hohei t kan n nu r durc h negativ e Angaben bezeichne t werden : E r is t bedürfnislos , ungeworden , unveränder lich, unzerstörbar . Wei l Gotte s Wohnor t nich t lokalisier t werde n kann , wird au f di e Frage , wo Got t sei , geantwortet: „Ih r sei d überal l i n dem , wa s Gottes ist " (Jüdisch e Altertüme r V, 109). Dahe r sprich t Josephu s auc h nicht vo n eine r Himmelfahr t de s Henoc h ode r Elia , sonder n sag t stat t dessen, si e seie n zu r Gotthei t fortgegange n un d unsichtba r geworden . Al s der Schöpfe r ha t Got t di e tot e Materi e zu m Lebe n erweckt , inde m e r si e

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betrachtete un d au s de n vie r Elemente n de n ganze n Kosmo s schuf . De r alt testamentlich-jüdische Schöpfungsglaub e wir d als o i n griechische r Begriff lichkeit wiedergegeben , u m i n pantheistisc h formulierte n Aussage n da s Bekenntnis zu m eine n Gott , de r Her r alle r Ding e ist , festzuhalten . Durch di e Hellenisierun g de r religiöse n Sprach e komm t ei n rationalisti sches Element i n die Erzählung alttestamentliche r Geschichte n hinein . Wen n es z. B. heißt, da ß di e Philiste r wege n de s Raube s de r Bundeslad e vo n eine r Reihe vo n Plage n befalle n worde n seien , s o erwäg t Josephu s zu r Erklärun g dieser Vorgänge , „da ß dafü r kein e ander e Ursach e i n Betracht gezoge n wir d als einzi g di e Natur , di e sowoh l fü r di e Leibe r al s auc h fü r di e Erd e un d Gewächse und alles , was au s ihr besteht , nach de m Umlau f de r Zeiten solch e Veränderungen erzeugt " (Jüdisch e Altertüme r VI, 9). De r Grun d fü r ein e Hungersnot, di e Palästin a heimsuchte , könnt e entwede r dari n z u finden sein, „da ß Got t gezürn t ha t ode r aber , da ß da s Unglüc k entsprechen d de m Umlauf de r Zei t eintraf " (Jüdisch e Altertümer XV, 299). Obwoh l nich t ent schieden wird , wi e dies e Frag e z u beantworte n sei , lieg t e s doc h nahe , di e Ereignisse de s Leben s mi t de n Grieche n au s eine r Verkettun g natürliche r Veranlassungen z u deuten . Wenn Josephu s auc h kei n eigenständi g philosophierende r Gelehrte r war , so leg t e r doc h Wer t darauf , sic h vo r seine n Leser n al s geschulte r un d ge bildeter Man n auszuweisen . Di e Gruppe n de r Pharisäer , Sadduzäe r un d Essener stell t e r ihne n al s Philosophenschule n vo r (vgl . S . 51. 53. 59 ) un d bemerkt vo n de n Pharisäern , dene n e r sic h dan n au f di e Daue r anschloß , daß si e seh r groß e Verwandtschaf t mi t de r Philosophenschul e de r Stoike r haben (Vit a 12) . I n Wahrhei t kan n vo n derartige n Beziehunge n ode r Ähn lichkeiten kein e Red e sein , abgesehe n davon , da ß di e Stoike r ebens o wi e die Pharisäe r de r Ethi k groß e Bedeutun g zumaße n un d vo m Mensche n ein e gerechte un d tugendhaft e Lebensführun g verlangten . Selbs t di e jüdisch e Freiheitspartei de r Zelote n sol l al s ein e philosophisch e Schul e gelte n (Jüdische Altertümer XVIII, 23), obwohl ihr e politisch e Aktivitä t vo n philo sophischen Überlegunge n wei t entfern t wa r (vgl . S.58f.) . Wo ma n - wi e e s weithin i m hellenistische n Judentu m gescha h - di e au f die Zukunf t gerichtet e Hoffnun g mi t de r griechische n Vorstellun g de r Un sterblichkeit de r Seel e beschreibt , d a bleib t kei n Rau m meh r fü r ein e leben dige eschatologische Erwartung. Daher mußt e der Bericht über das Auftrete n Johannes de s Täufer s (vgl . S.29 ) vo n Josephu s s o gestalte t werden , da ß kein Wort meh r vo n de r Ankündigung de s Kommenden gesag t wird, sonder n Johannes ei n edle r Man n genann t wird , de r di e Jude n lehrte , „de r Tugen d na&hzustreben, gegeneinande r Gerechtigkei t un d gege n Got t Frömmigkei t zu üben " (Jüdisch e Altertüme r XVIII, 117). Wollten di e Jude n ihre n Glau ben de n Grieche n erkläre n un d be i de n römische n Behörde n keine n Arg wohn erregen , s o durfte n si e vo m Messia s nich t sprechen . A n di e Stell e einer Hoffnung , di e au f di e Zukunf t Israel s gerichte t war , tra t dahe r ein e Erwartung, di e allei n de m künftige n Geschic k de s einzelne n un d seine r un sterblichen Seel e gilt .

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Obwohl Josephu s vo m Anfan g de r christliche n Kirch e einige s hätt e wis sen könne n ode r vielleich t wirklic h gewuß t hat , schreib t e r darübe r nichts . Lediglich i m Zusammenhan g mi t de m Berich t übe r da s gewaltsam e End e des Herrenbruders Jakobu s erwähn t er , dieser auc h von de n Juden geachtet e Gerechte sei „de r Brude r Jesu, des sogenannten Christus " gewese n (Jüdisch e Altertümer XX, 200). Zwa r habe n Christen , di e späte r di e Schrifte n de s Josephus überlieferten , auc h a n einige n andere n Stelle n Hinweis e au f Jesu s Christus eingefügt , abe r dies e Ausführunge n sin d eindeuti g al s später e Zu sätze z u erkennen , di e nich t au f di e Han d de s Josephus selbs t zurückgehen . Das Judentu m i n de r hellenistische n Diaspor a hatt e e s verstanden , sic h einerseits de m griechische n Denke n gegenübe r aufgeschlosse n z u verhalten , andererseits abe r de r Bibe l tre u z u bleiben . Hie r un d d a ka m e s freilich vor , daß klein e jüdisch e Gruppe n de m Einflu ß de r Umwel t erlagen . S o drange n Astrologie un d Zaubervorstellunge n auc h i n jüdisch e Kreis e ein , un d i n Kleinasien ga b e s ein e Grupp e de r Sabbatfeierer , di e gleichzeiti g di e Ver ehrung de s Gotte s Sabazio s pflegte . Wen n auc h Einwirkunge n andere r Religionen vo r de n Synagoge n nich t haltmachten , s o hat doc h da s Judentu m in de r Diaspor a insgesam t ein e erstaunlich e Festigkei t un d Geschlossenhei t bewiesen. Zwa r öffnet e ma n sic h de r griechische n Kultu r un d Geisteswelt , aber di e Teilnahm e a n heidnische n Kulte n wurd e stet s al s fü r eine n Jude n unmöglich angesehen . Auc h folgt e ma n nich t de r Auskunf t aufklärerische r Vernunft, i n alle n Religione n werd e letztlic h ei n un d derselb e Got t an gebetet. Die Juden hielte n vielmeh r auc h i n der Diaspora , i n de r si e die griechische Sprach e angenomme n hatten , entschiede n a m Bekenntni s zu m Got t Israels fest . Si e ware n bereit , dafü r auc h Spot t un d Verfolgun g hinzu nehmen, wußten si e doch di e Wahrheit au f ihre r Seite . Wie Mos e de r Lehre r der Philosophen war , s o ist Israel de r Lehrer de r Völker , der ihnen de n eine n Gott z u bezeuge n hat , de r ewi g is t un d sei n Wor t durc h da s Geset z spricht , das e r durc h Israe l alle r Wel t gegebe n hat .

III. KAPITEL

Jüdisches Lebe n un d jüdische r Glaub e i n der Zei t des Neuen Testament s So vielfälti g un d bun t da s Bil d ist , da s di e Gruppe n un d Bewegunge n innerhalb de s Judentum s i n de r Zei t de s Neue n Testament s bieten , s o kla r sind doc h bestimmte Züg e des Lebens un d Glauben s de r Juden z u erkennen , die alle n gemeinsa m ware n un d si e vo n de r nichtjüdische n Umwel t unter schieden. Das Bekenntnis z u de m eine n Gott , de r de r Her r de r Wel t un d de r König seine s Volke s ist , sollt e i m Gehorsa m gege n seine n Wille n sichtba r werden. Di e Lehr e de s Judentum s drängt e dahe r au f Verwirklichun g i m Alltag un d wurd e nich t i n einem spekulative n theologische n System , sonder n

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in de r Anwendun g de s Gesetze s au f all e Fragen de s Lebens entfaltet . Wen n es auc h innerhal b de s Judentum s unterschiedlich e Auffassunge n darübe r gab, i n welche r Weis e da s Geset z i m einzelne n auszulege n un d z u befolge n sei, s o waren doc h all e Jude n i n de r Überzeugun g einig , da ß da s Geset z al s Gottes heilige r Will e seinem Vol k gegebe n ist , das er au s alle n Völker n aus gesondert hat . I n Tempe l un d Synagog e wurd e sei n Nam e gepriese n un d sein Will e verkündigt ; de r Glaub e a n de n eine n Gott , de r di e Seine n nich t verläßt, un d di e Hoffnun g au f di e kommend e Erlösun g wurde n vo n alle n Juden geteilt , mochte n si e i n Palästin a ode r i n de r Diaspor a leben , sic h i n gesicherten ode r i n bedrängte n Verhältnisse n befinden . 1. Die sozialen Verhältnisse der Juden in Palästina und in der Diaspora Es entsprac h de r römische n Politik , di e i n alle n Provinze n de s Reiche s geübt wurde , da ß zwa r di e Oberherrschaf t i n di e Han d de r Röme r geleg t wurde, i m übrige n abe r di e überkommene n politische n un d rechtliche n Verhältnisse nich t veränder t wurden . S o blie b i n Palästin a unte r de r Herr schaft de s König s Herode s ei n jüdische r Staa t bestehen ; un d al s i m Jah r 6 n. Chr . ei n römische r Statthalte r a n di e Stell e de s jüdische n Herrscher s i n Judäa trat , konnt e weiterhi n da s Synedriu m al s oberst e jüdisch e Behörd e seines Amte s walte n (vgl . S.27) . Di e höchst e Rechtsgewal t la g nu n bei m römischen Statthalter , de n führende n Kreise n i n Jerusale m blie b jedoc h ih r Einfluß au f de n Tempelkul t un d di e Gestaltun g de s jüdischen Leben s erhal ten. De r Hoheprieste r un d di e Oberprieste r bestimmte n wi e frühe r de n Ablauf de r gottesdienstliche n Handlunge n i m Tempel , un d di e alteingeses senen Geschlechte r konnte n nac h wi e vo r a m politische n Geschehe n mit wirken un d ei n wirtschaftlic h gesicherte s Lebe n führen . Nu r mußt e ma n darauf bedach t sein , di e römisch e Obrigkei t nich t durc h unvorsichtig e Handlungen herauszufordern . Fü r di e Mass e de s Volke s abe r hatt e sic h durch de n Wechse l de r Herrschaf t kau m etwa s a m Ablau f ihre s alltägliche n Lebens geändert . Die Juden i n de r Diaspor a genosse n de n Schut z de r Privilegien , di e ihne n von Caesa r verliehe n worde n ware n (vgl . S . 22f.), s o da ß si e ungehinder t überall i m Römische n Reic h Synagogengemeinde n gründen , de n Gottes dienst ausübe n un d innerhal b de r jüdische n Gemeinschaf t au f Einhaltun g des Gesetze s dringen konnten . Wen n di e Juden auc h durc h ihre n Gehorsa m gegen da s Geset z vo n ihre r Umgebun g abgesonder t waren , s o unterschiede n sie sic h doc h i n soziale r Hinsich t vo n ih r nicht . I n de n starke n jüdische n Bevölkerungsgruppen, di e i n de n Großstädte n Alexandria , Antiochi a un d Rom lebten , ware n nahez u all e Beruf e vertreten , di e e s auc h sons t gab , Handwerker, klein e Händler , abe r auc h Schauspiele r un d Bettler . Die wirtschaftlichen Verhältnisse, i n dene n di e Jude n i m Mutterlan d lebten, waren durchwe g rech t bescheiden . Nu r di e kleine n Kreis e de r Ober schicht i n Jerusale m un d de r Großgrundbesitze r i n Galilä a ware n begütert . Da weit e Teil e de s galiläische n Berglande s ursprünglic h Königslan d waren ,

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gehörten auc h i n hellenistische r Zei t manch e Güte r NichtJuden , di e of t i m Ausland lebte n un d ihre n Besit z durc h Verwalte r bearbeite n ließen . Di e jüdische Bevölkerung de s Landes verdient e sich ihre n Lebensunterhal t durc h Ackerbau, Handwer k un d Kleinhandel . Landwirtschaf t ga b e s vornehmlic h in de n Ebene n i m nördliche n Tei l de s Landes , i n geringere m Umfan g auc h in de r Umgebun g Jerusalems. Nac h de r Ernt e blieb da s Stoppelfel d brac h lie gen. I m Frühjah r streut e der Baue r den Same n au f da s Land; dan n ers t wurd e das Fel d umgepflügt , dami t di e Saa t aufgehe n un d reife n konnt e (vgl . Mk . 4,3—9 Par.) . De r Ertra g war meis t nur gering . Wer keine n eigene n Bode n besaß, mußt e sic h al s Tagelöhne r verdinge n un d mi t kärgliche m Verdiens t zu frieden sei n (vgl . Mt.20,1—16) . Ei n große r Tei l Judäas wa r damal s wi e heut e Wüste, s o da ß de r We g vo n Jerusale m nac h Jerich o durc h ödes , menschen leeres Gebie t hinunterführ t (vgl . Lk . 10,27-35). Di e karge n Landstrich e Judäas ermöglichte n nu r Vieh - un d Weidewirtschaft , i m Se e Genezaret h wurde Fischfan g betrieben , un d i m Jordanta l gediehe n Wein - un d Feigen bau. Di e bäuerlich e Bevölkerun g konnt e sic h durc h hart e Arbei t nu r ei n bescheidenes Auskomme n sichern . Nich t wesentlic h besse r gin g e s de n Handwerkern, di e al s Weber , Walker , Schneider , Schmiede , Schreibe r ode r Töpfer arbeiteten . Manch e Beruf e wurde n verachtet , s o de r de s Gerbers , weil e r sich ständi g verunreinige n mußt e (vgl . Apg. 10,6), oder de r de s Zöll ners, wei l e r i m Diens t heidnische r Herre n stan d un d betrügerisc h handelt e (vgl. S.56) . Durc h di e große n Bauten , di e Herode s i n Jerusale m un d a n anderen Orte n errichtete , fande n viel e Mensche n Beschäftigung . Trotzde m gab e s Arbeitslosigkeit , s o da ß jemand , de r sein e Stellun g verlor , u m sein e Zukunft bange n mußt e (vgl . Lk . 16,1-8). Armu t un d Bettele i ware n wei t verbreitet. I n Jerusale m ga b e s Märkt e fü r mancherle i Waren , di e i n di e Hauptstadt gebrach t wurden . Dadurc h gelangt e Jerusale m z u eine r ge wissen Blüte . Die Wege, die durch da s Lan d führten , wurde n bisweilen durc h Räuber gefährdet , di e di e Händle r überfiele n un d ausplünderten . Die jüdische Familie lebt e i n eine m kleine n Haus , da s meis t au s eine m einzigen fensterlose n Rau m bestan d (vgl . Lk. 15,8). Nur di e Vorratskamme r konnte abgeschlosse n werde n (vgl . Mt.6,6) . Verwandt e un d Freund e gast freundlich aufzunehmen , galt als selbstverständliche und gern gewährte Pflicht . Nachts la g di e ganz e Famili e au f eine m gemeinsame n Lage r (vgl . Lk.11,7) . Als Haup t de r patriarchalisc h geordnete n Famili e hatt e de r Vate r nich t nu r für da s äußer e Wohlergehe n alle r ihre r Gliede r z u sorgen , sonder n auc h di e Söhne i m Geset z z u unterweisen . Di e Kinde r hatte n ih m un d de r Mutte r Achtung z u bezeigen. Die Ehe einzugehen, galt im Judentum al s göttliches Gebot, wei l de r Schöpfungsbefehl , fruchtba r z u sei n un d sic h di e Erd e Unterta n zu mache n (1.Mos e 1,28), al s göttlich e Stiftun g de r Eh e verstande n wurde . Ehelosigkeit, wi e si e i n Qumra n geüb t wurde , ga b e s dahe r selten . I n de r Regel wurd e di e Eh e i n de r Jugen d geschlossen ; de r Man n heiratet e meis t im Alte r zwische n 1 8 un d 2 4 Jahren , di e Brau t wa r of t nich t älte r al s 1 2 bis 1 4 Jahre . Mi t de r Verlobung , di e durc h ein e rechtlich e Vereinbarun g mit de m Vate r de r Brau t zustand e kam , wa r di e Eheschließun g bereit s gül -

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tig. Star b de r Bräutiga m vo r de r Hochzeit , s o gal t di e zurückbleibend e Braut al s Witwe . Ein e Auflösun g de r Verlobun g konnt e nu r durc h eine n Scheidebrief erfolgen . Be i de r Eheschließun g mußt e de r Bräutiga m ein e sogenannte Hochzeitsverschreibun g geben , inde m ein e Summ e Gelde s zugunsten de r Fra u sichergestell t wurde , di e ih r späte r i m Fall e de s To des de s Manne s ode r nac h de r Ehescheidun g auszuhändige n war . Nu r dem Man n wa r e s nac h 5.Mos e 24, 1 gestattet , di e Eh e aufzulösen , inde m er de r Fra u eine n Scheidebrie f ausstellte , wen n e r a n ih r etwa s Schänd liches fand . Da s Schriftstüc k mußt e di e Name n de s Manne s un d de r Fra u angeben, da s Datu m nenne n un d di e ausdrücklich e Erklärun g de s Man nes enthalten , sein e Fra u se i hiermi t fre i un d jederman n zu r neue n Ehe schließung erlaubt . Zwe i ander e Männe r hatte n al s Zeuge n ihr e Unter schrift unte r da s Dokumen t z u setzen . Übe r di e Frage, wann ei n hinreichen der Grun d zu r Ehescheidun g vorliege , ware n di e Meinunge n de r Schrift gelehrten geteilt . Während di e Schule Schammais diesen Fal l als gegeben sah , wenn di e Fra u de m Man n untre u geworde n war , vertrate n di e Hillelite n die Ansicht , wen n nu r irgen d etwa s a n de r Fra u de m Man n mißfalle , lieg e bereits etwa s Schändliche s un d dami t ei n Grun d zu r Scheidun g vo r (vgl . S.85). I n de r Praxi s wa r e s freilic h de n Männer n nich t möglich , willkürlic h die Eh e aufzulösen , wei l si e verpflichte t waren , de r geschiedene n Fra u di e Hochzeitsverschreibung auszuzahle n un d be i Eingehe n eine r neue n Eh e einen weitere n Betra g aufzubringen . Au s diese m Grund e ha t e s auc h Poly gamie, die nach alttestamentliche m Geset z rechten s war , nu r selten , i n Krei sen reiche r Leute , gegeben . (.Vgl . Kippenberg - Wewers, S . 182-191. ) Die Frau wa r de m Man n untergeordnet , i n de r Öffentlichkei t konnt e si e weder al s Zeug e vo r Gerich t auftrete n noc h i m Kul t handeln . I m Tempel bezirk durfte n di e Fraue n nu r bi s i n de n Frauenho f gehen , un d de m Syn agogengottesdienst durfte n si e nu r zuhören d folgen , abe r nich t akti v mit wirken. Di e Fraue n ware n zwa r daz u verpflichtet , di e Verbot e de s Gesetze s einzuhalten, abe r si e hatten wede r au f di e Befolgung alle r Gebot e z u achte n noch da s Geset z z u studieren . E s is t dahe r woh l begreiflich , da ß R.J e huda im zweite n Jahrhunder t n . Chr. sagte , der Jud e soll e täglich dre i Lobsprüch e sagen: „Gepriese n sei , de r mic h nich t al s Heide n geschaffe n hat . Gepriese n sei, de r mic h nich t al s Fra u geschaffe n hat . Gepriese n sei , der mic h nich t al s Ungebildeten (nämlic h i m Gesetz ) geschaffe n hat . (Den n e s heißt Jes.40,17: ) ,Alle Heide n sin d nicht s vo r ihm. * (Gepriese n sei, ) de r mic h nich t al s Fra u geschaffen hat . Den n di e Fra u is t nich t z u de n Gebote n verpflichtet . (Ge priesen sei, ) de r mic h nich t al s Ungebildete n geschaffe n hat . Den n de r Un gebildete fürchte t sic h nich t vo r de r Sünde " (Tosepht a B e rakot VII, 18). Wie Fraue n un d Kinde r mußte n auc h Sklaven nu r di e Verbot e de s Ge setzes, nicht abe r all e Gebote beachten. Jüdischen Sklaven hatt e ein jüdische r Herr i m Sabbatjahr , d.h . spätesten s nac h Ablau f vo n siebe n Jahren , di e Freiheit z u geben . Wei l de r jüdisch e Sklav e durc h da s Geset z rechtlic h ge schützt war , suchte n heidnisch e Sklaven , di e unte r jüdische n Herre n z u dienen hatten , meis t gleichfall s de n Schut z de s Gesetze s z u erlangen , inde m

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sie zu m Judentu m übertrate n un d Proselyte n wurden . D a e s nu r wenig e reiche Leut e i n Palästin a gab , is t di e Zah l de r Sklave n nich t hoc h gewesen . Wenn Jude n z u heidnische n Herre n al s Sklave n gekomme n waren , be mühten sic h i n de r Rege l ihr e Glaubens - un d Volksgenossen , si e s o bal d als möglic h freizukaufen . S o sin d viel e Juden , di e al s Kriegsgefangen e i n fremde Lände r verschlepp t wurden , nac h einige r Zei t wiede r fre i geworden . Sie bliebe n dan n meis t i n de r Diaspora ; einig e kehrte n abe r auc h i n da s Mutterland zurück , s o da ß e s i n Jerusale m ein e Synagog e de r Libertiner , d.h. de r Freigelassenen , ga b (Apg.6,9) . 2. Der Tempelkult in Jerusalem Der Tempel i n de r heilige n Stad t hatt e i n de n Tage n Jes u nicht s vo n de r hohen Bedeutun g verloren , di e ih m i n de r Geschicht e Israel s vo n jehe r zu gekommen war . U m sein e Heiligkei t z u wahren , hatt e sic h de r makka bäische Freiheitskamp f gege n di e hellenistisch e Überfremdun g entzündet . Und di e Gruppe n de r Frommen , di e i n de r Folgezei t au f streng e Einhaltun g des Gesetze s z u dringe n suchten , ware n darau f bedacht , da ß de r Tempel kult gena u nac h de n Vorschrifte n de s Gesetze s durchgeführ t werde n sollte . Während abe r di e Pharisäe r erreiche n konnten , da ß di e sadduzäisch e Priesterschaft sic h weitgehen d nac h ihre n Ansichte n richte n mußte , ver mochte di e Gemeinde , di e sic h u m de n Lehre r de r Gerechtigkei t sammelte , ihre Auffassun g de s Gesetze s nich t durchzusetze n un d mußt e au s Jerusale m weichen (S.70f.) . Unter de r Regierun g de s König s Herode s wa r de r Tempe l vollständi g erneuert un d de r Tempelbezir k au f de n doppelte n Umfan g erweiter t worden, nachde m ma n ei n entsprechen d größere s Gebie t durc h Errichtun g von Stützmauer n gewonne n hatte . Fü r diese s Unternehme n ware n kein e Kosten gescheu t un d wa r ei n erhebliche r Aufwan d getriebe n worden . Nach dem di e Arbeite n i m Jahr e 20/1 9 v.Chr . begonne n worde n waren , konnt e zwar nac h zeh n Jahre n de r neu e Tempe l eingeweih t werden , abe r noc h Jahrzehnte lan g baut e ma n a n de m gewaltige n Wer k weite r un d konnt e e s erst kur z vo r Anbruc h de s Aufstande s gege n di e Röme r i m Jah r 6 4 n . Chr. vollenden. „We r nich t de n Ba u de s Herode s gesehe n hat , ha t ni e etwa s Schönes gesehen" , s o hie ß e s i n eine m Sprichwort . Un d al s Jesu s mi t seine n Jüngern vo r de m Tempe l i n Jerusale m stan d - s o berichte n di e Evan gelisten - , wiese n si e ih n vol l staunende r Bewunderun g au f di e Größ e de s Bauwerks hin : „Meister , sieh , wa s fü r Stein e un d wa s fü r Bauten! " (Mk . 13,1 Par.) In de r Ta t bo t sic h de r Tempe l seine n Betrachter n eindrucksvol l dar . Wer nac h Jerusale m hinaufzog , konnt e scho n vo n weite m de n hoch gelegenen Tempe l sehen , de r au s de r Fern e wi e ei n schneebedeckte r Hüge l in seine m leuchtende n Glan z erschien . Hatt e ma n di e Tore de r Stad t durch schritten un d ka m zu m Tempelbezirk , s o gelangt e ma n zunächs t i n de n äußeren Vorhof , de r auc h Heide n offenstand . De r äußer e Vorho f wa r ring s

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von eine r Maue r umschlossen , a n dere n Innenseit e bedeckt e Säulengäng e um de n ganze n Tempelplat z führten . Di e Säulenhalle , di e sic h a n de r Ost seite befand , wurd e Hall e Salomo s genannt , wei l e s hieß , si e se i scho n vo n König Salom o erbau t worde n (vgl . Joh. 10,23; Apg.3,11) . I m äußere n Vor hof spielt e sic h ei n bunte s Treibe n ab , wi e e s de r täglich e Opferkul t un d die Besuch e de r viele n Festpilge r erforderlic h machten . D a di e Juden , di e von weithe r zu m Tempe l kamen , nich t au f de r Reis e ei n Opfertie r mi t sic h führen konnten , mußt e e s ihne n ermöglich t werden , vo r de r heilige n Stätt e ein fehllose s Tie r z u kaufen , da s si e dan n zu m Opfe r bringe n konnten . Innerhalb de s Tempelbezirk s gal t sei t alter s di e tyrisch e Währung ; wei l aber di e Pilger übe r dieses Geld nich t verfügten, mußte n si e ihre mitgebrach ten Münze n i n di e gültig e Tempelwährun g einwechseln . Daru m saße n di e Wechsler mi t Erlaubni s de r amtierende n Tempelpriesterschaf t i m Vorho f des Tempels ; Verkäufe r bote n Taube n billi g feil , dami t auc h di e Arme n wenigstens ei n kleine s Opfe r zu m Alta r bringe n konnte n (vgl . Mk. 11,15-1 9 Par.; Joh.2,13-17) . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S . 124-131.) Der äußer e Vorhof wa r vo m innere n durc h Schranke n getrennt , a n dene n Warnschilder aufgestell t waren , au f dene n i n griechische r un d lateinische r Sprache geschriebe n stand : „Kei n Fremdstämmige r dar f eintrete n i n di e Schranken un d di e Umzäunun g ring s u m de n Tempel . We r abe r dabe i er -

Heiden vorhof

Heidenvorhof

1. Tempe l 2. Brandopferalta r 3. Fraue n vorhof 4. Vorho f de r Israelite n

griffen wird , is t selbs t schul d a n de r darau f folgende n Todesstrafe. " Dies e Warnung wurd e auc h vo n de r römische n Besatzungsmach t sorgsa m be achtet un d jed e Verletzun g de s heilige n Bereiche s vermieden . A n de r Ein gangspforte zu m innere n Vorho f lagerte n viel e Bettler, di e au f mild e Gabe n von de n Besucher n de s Tempel s hoffte n (vgl . Apg.3,2) . I n seine n östliche n Teil durfte n auc h jüdisch e Fraue n hineingehen , de r westlich e Tei l dagege n war allei n de n jüdische n Männer n vorbehalten , wei l nu r si e a m Kultu s

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teilnehmen durften . A n de r Säulenhalle , di e de n Frauenvorho f umgab , waren Opferstöck e angebracht , i n di e ma n Gabe n fü r de n Tempelkul t ein legte (vgl . Mk. 12,41-44 Par.). Vor de m Tempel befan d sic h de r Brandopfer altar; drinne n stande n de r golden e Räucheraltar , de r unablässi g brennend e siebenarmige Leuchte r un d de r Schaubrottisch , au f de n a n jede m Sabba t zwölf neu e Brot e geleg t wurden . Da s Allerheiligste , da s durc h dicht e Vor hänge vo m übrige n Tempe l abgetrenn t war , durft e nu r vo m Hohenprieste r betreten werden , wen n e r a m Große n Versöhnungsta g di e Sühnehandlun g für gan z Israe l z u vollziehe n hatte . Die Bundeslade, di e einst a n diese r Stell e gestanden hatte , wa r be i de r Zerstörun g Jerusalem s durc h di e Babylonie r 587 v . Chr. verlorengegangen . Al s ma n zwe i Generatione n späte r de n Tempel wiede r aufbaue n konnte , lie ß ma n diese n Plat z leer . Daru m wurd e von d a a n das Blut des Bockes, der a m Große n Versöhnungsta g vo m Hohen priester fü r di e Sünde n Israel s dargebrach t wurde , stat t a n di e Lad e a n de n Stein gesprengt , au f de m eins t di e Lad e gestande n hatte . Im Tempe l ta t di e Priesterschaf t ihre n Dienst , a n ihre r Spitz e der Hohepriester. Trot z alle r Beeinträchtigungen , di e da s Am t de s Hohenpriester s durch di e politische n Ereigniss e i m zweite n un d erste n Jahrhunder t v . Chr. erfahren hatte , blie b sei n Ansehe n erhalten . E r stan d al s Vorsitzende r de s Synedriums a n de r Spitz e de r ganze n Judenschaft , e r allei n konnt e di e kul tischen Handlunge n a m Große n Versöhnungsta g verrichten , u m Sühn e fü r die Sünde n de s Volke s z u schaffen . Nu r a n diese m Ta g i m Jah r mußt e e r amtieren; doc h wa r e s Brauch , da ß e r auc h a n Sabbaten , de n Neumonds festen un d de n dre i Wallfahrtsfeste n de n Kultu s i m Tempe l verrichtete . Täglich lie ß e r au f sein e Koste n ei n Speisopfe r darbringen , da s beauftragt e Priester fü r ih n vornahmen . Wi e hoc h geachte t di e Würd e de s Hohen priesters i n de n Auge n alle r Jude n war , bezeug t Phil o vo n Alexandria , indem e r schreibt : „De r Hoheprieste r is t zwar , mi t de n andere n zusamme n betrachtet, nu r wenig , vie l abe r wir d er , wen n e r allei n d a ist , (er wir d nämlich) de r ganz e Gerichtshof , de r ganz e Rat , da s ganz e Volk , di e groß e Masse, da s gesamt e Menschengeschlecht , j a meh r noch , wen n ma n di e Wahrheit sage n soll , ein e Ar t Mittelwese n zwische n Got t un d Mensch " (d e somniis 11,188) . Unter de m Hohenprieste r stande n di e Oberpriester, di e wi e e r au s de n vornehmen sadduzäische n Geschlechter n Jerusalem s kamen . Al s Stellvertre ter de s Hohenpriesters amtiert e de r Tempeloberst, de r di e Aufsicht übe r de n Kultus führt e un d di e Polizeigewal t i m ganze n Tempelbereic h ausübte . Di e Vorsteher de r einzelne n Priesterabteilungen , di e Tempelaufseher , dene n die Levite n unterstell t waren , un d di e Schatzmeiste r wohnte n ständi g i n Jerusalem un d hatte n gleichfall s einflußreich e Stellunge n a m Tempe l un d in de r Stad t inne . Die groß e Mass e de r Priester lebt e jedoc h mi t ihre n Familie n außerhal b Jerusalems i n kleineren Ortschafte n de s Landes. Sie waren i n 2 4 sogenannt e Standmannschaften eingeteilt , vo n dene n jed e ein e Woch e z u diene n hatte . Wenn di e Woch e vergange n war , wurd e di e Grupp e durc h di e nächst e ab -

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gelöst un d zo g wiede r heim , ebens o di e Leviten , di e mi t de n Priester n je weils fü r ein e Woch e a m Tempe l fü r de n Gesan g un d mancherle i Dienst e zu sorge n hatte n (vgl . Lk. 10,31 f.). Ein Prieste r hatt e sein e einwandfrei e priesterlich e Abstammun g nach zuweisen un d durft e nu r ein e Fra u au s reine m israelitische n Blu t heiraten . Er mußt e entsprechen d de n Vorschiifte n de s Gesetze s ohn e körperliche n Fehler sei n un d durft e durc h kein e rituell e Verunreinigun g wi e etw a di e Berührung eine s tote n Mensche n ode r Tiere s ode r körperlich e Ausflüss e für di e kultisch e Handlun g untauglic h geworde n sein . Unte r de n Priester n wurde durc h da s Lö s bestimmt , welch e Verrichtunge n vo n jede m einzelne n ausgeführt werde n sollte n (vgl . Lk . 1,8f.). Noc h vo r Tagesanbruc h rie f ei n Herold mi t laute r Stimme : „Ih r Priester , trete t a n z u eure m Dienst. " E s wird erzählt , da ß de r Köni g Herode s Agrippa , de r vo n 4 1 bi s 4 4 n . Chr. al s jüdischer Herrsche r übe r gan z Palästin a regierte , sic h einma l au f Reise n befand un d i n eine r Entfernun g vo n dre i persische n Meile n - da s sin d run d 16,5 km - de n Ru f de s Herold s höre n konnt e un d ih m zu m Zeiche n de r Anerkennung Geschenk e schicken ließ. Sobald di e Priester de n Ru f vernom men hatten , eilte n si e herbei , u m di e Vorbereitunge n fü r de n pünktliche n Vollzug de s Kultu s z u treffen . Täglic h wurd e ei n Räucheropfe r entzündet , das au s kostbare n Gewürze n un d Spezereie n bestan d un d Wohlgeruc h er zeugte; un d jede n Ta g wurd e ei n fehlerlose s einjährige s Lam m au f de m großen Brandopferalta r dargebracht . Darübe r hinau s ga b e s manche Privat opfer einzelne r Juden , di e si e zu m Zeiche n ihre r Dankbarkei t gege n Got t herbeitrugen (vgl . Lk.2,24) . An de n hohe n Festtage n kame n groß e Schare n vo n Pilger n nac h Jeru salem, dere n Zah l of t di e de r etw a 2 5 000 Einwohne r de r Stad t beträchtlic h überstieg. Fü r si e all e Unterkunf t z u finden, wa r nu r möglich , wei l di e Bür ger Jerusalem s fremde n Pilger n unentgeltlic h Aufnahm e z u gewähre n hat ten; den n Jerusale m gal t al s Eigentu m gan z Israels . Für di e ganz e Judenschaf t wa r de r Tempel , a n de m täglic h de r Opfer dienst verrichte t wurd e un d z u de m a n de n große n Wallfahrtsfeste n Tau sende vo n Pilger n zusammenströmten , di e heilig e Stätte . Auc h di e juden christliche Urgemeind e ha t sic h weiterhi n a n de n Tempe l al s Stätt e de r An betung Gotte s gehalte n (vgl . Mt.5,23f. ; 17,24-27 ; Lk.24,53 ; Apg.2,46 ; 3,1-10 u . ö.). Zeite n schwere r No t hinderte n nicht , da ß de r Gottesdiens t Tag fü r Ta g pünktlic h versehe n wurde . Währen d de r Belagerun g Jerusa lems durc h di e Röme r bracht e ma n mi t große r Treu e bi s zuletz t di e täg lichen Opfe r da r (vgl . S.33) . Al s de r herrlich e Ba u i n Flamme n aufging , verlor da s Judentu m seine n sichtbare n Mittelpunkt . Wen n e s dies e furcht bare Katastroph e überstehe n konnte , s o war da s nu r möglich , weil sei n reli giöses Lebe n nich t allei n a n de n Tempelkul t gebunde n war , sonder n auc h aus andere n Quelle n Hal t un d Kraf t empfing . Es wir d erzählt , bal d nac h de r Zerstörun g Jerusalem s durc h di e Röme r habe de r berühmt e Gelehrt e R . Jochana n be n Zakka i mi t seine m Schüle r Josua di e Trümmerstätte besucht . Als sie sahen , da ß da s Heiligtum , a n de m

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die Sünde n Israel s gesühn t worde n waren , i n Schut t un d Asch e lag , sagt e R. Jochanan, si e brauchte n sic h darübe r nich t z u betrüben ; den n si e hätte n eine Sühne , di e jene r gleichwerti g sei , di e Vollbringun g vo n Liebeswerken , steht doc h geschrieben : „A n Lieb e hab e ic h Wohlgefalle n un d nich t a n Schlachtopfern" (Hos . 6,6) (Abo t Rabb i Natha n 4). Wa s z u de n Tate n de r Liebe z u zähle n is t un d wi e dies e z u geschehe n haben , sag t da s Gesetz , dessen Gebot e i n de r Synagog e gelehr t werden . 3. Die Feste Im Frühjah r wurd e i n Jerusale m da s Passafest begangen , da s zu r Erinne rung a n di e Befreiun g Israel s au s de r Gefangenschaf t i n Ägypte n gefeier t wurde. Jed e Famili e ode r Pilgergrupp e hatt e sorgfältig e Vorbereitunge n z u treffen (vgl . Mk . 14,12Par.). De r Raum , i n de m ma n da s Passamah l halte n wollte, mußte nac h Durchsäuerte m untersuch t un d alle r Sauertei g ausgefeg t werden; den n eins t hatt e ma n bei m Auszu g au s Ägypte n nu r Ungesäuerte s gegessen (vgl . 2.Mose 12,1-28; l.Kor.5,6-8) . De r Rau m mußt e gro ß genu g sein, u m e s alle n Teilnehmer n z u ermöglichen , da s Mah l liegen d einzuneh men und sic h der Festfreude hingebe n z u können. Ein einjähriges männliche s fehlerloses Lam m wurd e zu m Tempe l gebracht , i m innere n Vorho f ge schlachtet un d dan n unte r sorgfältige r Beachtun g de r gesetzliche n Vor schriften gebrate n un d zubereitet . Dies e Vorbereitunge n fü r da s Passamah l wurden i m Lau f de s Nachmittag s a m 14 . Nisan getätig t un d mußte n bi s zum Aben d beende t sein . Wen n mi t Sonnenuntergan g - wi e stet s nac h de m jüdischen Kalende r - de r neu e Ta g begann , wurde n i m Krei s de r Famili e bzw. de r feiernde n Grupp e di e Passaliturgie un d da s Passamah l gehalten . Über de n Ablau f de r Feie r unterrichte t de r Mischnatrakta t P esachim. Seine Bestimmunge n sin d zwa r ers t i m zweite n Jahrhunder t n.Chr . auf gezeichnet worden , abe r di e Abfolg e de s Feste s wir d zu r Zei t Jes u nich t wesentlich ander s ausgesehe n haben , al s si e i n de r Mischn a beschriebe n wird. Ma n beginn t mi t eine m Weihespruch , de n de r Hausvate r übe r de m ersten Beche r Wein spricht , und nimm t ein e Vorspeise z u sich, die aus Grün und Bitterkräuter n besteht . Dan n wir d da s Mah l aufgetragen , abe r ma n iß t noch nicht . Ei n zweite r Beche r Wei n wir d bereitgemacht , abe r e s wird noc h nicht getrunken; den n jetzt folgt di e eigentliche Passaliturgie, in der der Vater auf di e Frage n seine s Sohne s antwortet . S o sag t de r Sohn : „Wori n unter scheidet sic h dies e Nacht vo n alle n andere n Nächten ? Den n i n alle n andere n Nächten esse n wi r Gesäuerte s un d Ungesäuertes , i n diese r Nach t nu r Un gesäuertes. I n alle n andere n Nächte n esse n wi r Fleisc h gebraten , gedämpf t und gekocht ; i n diese r Nach t nu r gebrate n usw. " Darau f wir d mi t Hin weis au f da s Geschic k Israel s bei m Auszu g au s Ägypte n erklärt , waru m di e Speisen de s Passafeste s vo n de m sons t übliche n Brauc h abweichen . Un gesäuertes Bro t wir d gegessen , wei l Israe l s o eili g au s Ägypte n aufbreche n mußte, da ß kein e Zei t blieb , um abzuwarten , bi s de r Tei g durchsäuer t war . 8 Lohse , Umwel t

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Bittere Kräute r nimm t ma n zu m Gedenke n daran , da ß di e Ägypte r da s Leben de r Väte r i n Ägypte n verbitterten . Un d a m Fes t dar f nu r gebratene s Fleisch genosse n werden . Au f dies e Weis e wir d da s Passafes t begangen ; denn „i n jede r Generatio n is t de r Mensc h verpflichtet , sic h selbs t s o an zusehen, wi e wenn e r au s Ägypte n ausgezoge n wäre ; den n e s heißt : ,Wege n dessen, wa s de r Her r mi r angeta n hat , al s ic h au s Ägypte n zog * (2.Mos e 13,18). Deshal b sin d wi r verpflichtet , z u danken , z u preisen , z u loben , z u verherrlichen, z u erheben , z u rühmen , z u segnen , z u erhöhe n un d z u be singen den , de r unsere n Väter n un d un s alle n dies e Wunde r geta n hat , de r uns au s de r Knechtschaf t zu r Freihei t herausgeführt , au s de m Kumme r zu r Freude, au s de r Traue r zu m Festtag , au s de m Dunke l z u große m Lich t un d aus de r Unterjochun g zu r Erlösung . Un d wi r werde n vo r ih m da s Halle luja anstimmen " (Mischn a P esachim X,5) . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S. 169-172. ) Als Lobgesan g folg t dan n de r erst e Tei l de s sogenannte n Hallel , d.h . Ps. 113 (bzw . 113-114) . Anschließen d wir d de r zweit e Beche r getrunken . Nun ers t wir d da s Hauptmah l gehalten , da s mi t de m Tischgebe t de s Haus vaters übe r de m ungesäuerte n Bro t eingeleite t un d be i de m da s Passalam m mit ungesäuerte m Bro t un d Bitterkräuter n verzehr t wird . Ei n Tischgebe t über de m dritte n Beche r beende t de n festliche n Schmaus . A m Schlu ß de r ganzen Feie r wir d de r zweit e Tei l de s sogenannte n Halle l angestimmt , d.h . Ps.114 (bzw . 115 ) bi s 11 8 (vgl . Mk . 14,26 Par.); ei n Lobspruc h wir d übe r dem vierte n Beche r gesagt , de r zu m Trun k gereich t wird . Di e Rahmen erzählung, di e di e synoptische n Evangeliste n u m de n Berich t vo m letzte n Mahl Jes u mi t seine n Jünger n herumgeleg t haben , setz t de n Ablau f eine r jüdischen Passafeie r vorau s (Mk . 14,12-17.26 Par.). Aus dieser theologischen Deutung, di e dadurc h de r Stiftun g de s Herrenmahl s gegebe n wird , folg t jedoch nich t zwingend , da ß di e Abendmahlsworte , di e i n de r älteste n Zei t der christliche n Kirch e ohn e di e späte r hinzugefügt e Rahmenerzählun g überliefert worde n sin d (vgl . 1.Kor . 11,23-25), au s de m Zusammenhan g einer Passafeie r verstande n werde n müßten . Als i m Jah r 7 0 n.Chr . de r Tempe l zerstör t wurde , konnt e ma n kein e Passalämmer meh r schlachte n un d zubereiten . Seithe r wir d da s Fes t über all i n de r Wel t vo n de n Jude n ohn e Passalam m gefeiert . Abe r ma n häl t die Hoffnun g lebendig , da ß einma l de r Ta g komme n möge , a n de m ma n wieder Passalämme r zu m erneuerte n Tempe l bringe n un d i n de r heilige n Stadt da s Fes t begehe n wird . Wi e Got t eins t sei n Vol k au s de r Gefangen schaft befrei t hat , s o wir d e r auc h i n de r zukünftige n Erlösun g retten d a n ihm handeln . Diese r Hoffnun g gib t de r Ru f Ausdruck , mi t de m di e Passa feier abgeschlosse n wird : „Da s nächst e Jah r i n Jerusalem. " 50 Tag e nac h de m Passafes t folg t da s Pfingstfest (vgl . Apg.2,1 ; 20,16 ; l.Kor. 16,8), da s al s Darbietun g de r Erstlingsgabe n begange n wurde , di e als erst e Frücht e vo m Fel d zu m Tempe l getrage n wurde n „zu m Dan k fü r die vergangen e Zeit , i n de r wi r di e Plage n de s Mangel s un d Hunger s nich t erfahren mußten , vielmeh r i n eine m fruchtbare n Jah r lebten , un d fü r di e

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zukünftige Zeit , wei l wi r fü r si e versorg t sin d mi t Vorräte n un d Mittel n und vol l beste r Hoffnunge n mi t Gotte s Gabe n haushalten " (Philo , d e spe cialibus legibu s 11,187) . Ein e Verbindun g de s Feste s mi t de r Geschicht e Israels sucht e ma n herzustellen , inde m ma n di e Übergab e de s Gesetze s au f dem Sina i au f Pfingste n datierte . Diese r Inhal t de s Feste s konnt e di e Zer störung de s Tempel s überdauer n un d wir d bi s heut e bewahrt . Im Herbs t findet da s Laubhüttenfest stat t (vgl . Joh.7,2) . I n feierliche r Prozession wurd e de r Alta r umschritten , fü r di e Ernt e Got t Dan k gesag t und ein e Wasserspend e dargebracht . Siebe n Tag e lan g wohnt e ma n i n kleinen Hütte n zu r Erinnerun g a n de n Zu g Israel s durc h di e Wüste . Wen n auch dies e Handlunge n a m Tempe l nac h 70.n.Chr . nich t meh r vollzoge n werden konnten , s o konnt e ma n doc h überal l Hütte n errichte n un d da s Laubhüttenfest weiterhi n begehen . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S . 173f.) Neben diese n dre i Wallfahrtsfesten , di e a m Tempe l i n Jerusale m gefeier t wurden, wa r vo r alle m de r Große Versöhnungstag, de r i n di e Herbstzei t fällt, vo n hohe r Bedeutun g fü r da s ganz e Volk . De r Hoheprieste r vollzo g den 3.Mosel 6 vorgeschriebene n Sühneritus , inde m e r zuers t eine n Boc k zur Sühn e seine r eigene n Sünde n opfert e un d dan n eine n zweite n Boc k mi t den Sünde n de s Volkes belu d un d i n di e Wüste hinausschickt e (vgl . Hebr. 7, 1-10,18). Nac h 7 0 n.Chr . konnt e auc h diese r Ritu s nich t meh r vollzoge n werden, s o da ß seithe r de r Groß e Versöhnungsta g al s Ta g de r Umkeh r ge halten wird , a n de m da s Vol k faste t (vgl . Apg.27,9 ) un d sein e Sünde n be kennt. (Vgl . Kippenberg - Wewers, S . 168f.) 4. Die Synagoge Die Anfänge der Synagoge liege n i m Dunkeln . E s ließ e sic h vorstellen , daß di e Juden, di e nac h de r Eroberun g Jerusalem s i m Jah r 58 7 v.Chr . nac h Babylon verschlepp t worde n ware n un d dor t i m Exi l lebe n mußten , sic h Stätten errichte t haben , a n dene n si e da s Wor t un d Gebo t Gotte s höre n konnten. Doc h fehle n darübe r bestimmter e Nachrichten . Di e erste n sichere n Zeugnisse stamme n au s de m dritte n vorchristliche n Jahrhundert ; damal s gab e s bereits Synagoge n i n de r ägyptische n Diaspora . Fü r da s zweit e Jahr hundert v.Chr . wir d dan n ein e Synagog e i n Antiochi a erwähnt . De r Ur sprung de r Synagog e wir d als o i n de r Diaspor a z u suche n sein , w o di e Juden zerstreu t unte r andersgläubige n Völker n lebten . Wei t vo m Mutter land entfernt , mußte n si e sic h i n de r Fremd e eine n Or t schaffen , a n de m sie zu m Gottesdiens t zusammenkomme n konnten . Di e Einrichtun g de r Synagoge ha t sic h dan n nich t nu r i n der Diaspora , sonder n auc h i n Palästin a rasch durchgesetzt , so daß i n de n Tage n Jes u i n jeder Ortschaft , i n der Jude n wohnten, auc h ein e Synagog e gestande n hat . I n größere n Städte n wi e Jerusalem, abe r auc h i n Rom , Alexandri a ode r Antiochi a ga b e s mehrer e Synagogen, i n dene n Gottesdiens t gehalten , da s Geset z studier t wurd e un d die Kinde r unterrichte t wurden . Di e Verbindun g vo n Geset z un d Synagog e war de n Jude n i n neutestamentliche r Zei t s o selbstverständlich , da ß ma n 8*

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meinte, e s hab e imme r scho n Synagoge n gegeben . Daru m kan n i n de r Apostelgeschichte einma l gesag t werden , Mos e hab e vo n lange n Zeite n he r an jede m Or t sein e Verkündiger , w o e r i n de n Synagoge n a n jede m Sabba t verlesen wir d (Apg . 15,21). (Vgl Kippenberg - Wewers, S . 133-139.) Das Synagogengebäude, i n de m sic h di e Gemeind e zusammenfand , wa r meist al s langgestrecktes , rechteckige s Hau s aufgeführt , da s i n Richtun g auf Jerusale m orientier t war . A n seine m Eingan g stande n Krüg e mi t Was ser, dami t jeder , de r di e Synagog e betrete n wollte , di e rituell e Reinigun g vornehmen konnte . De r Betsaa l wa r schlich t un d einfac h gehalten . I n eine r Nische wurde n di e Schriftrolle n verwahrt , di e zu m Gottesdiens t hervor geholt wurden . I n ältere r Zei t benutzt e ma n eine n transportable n hölzerne n Schrein, späte r wurd e a n de r Seit e de s Gebäudes , di e nac h Jerusale m ge wandt ist , ei n Thoraschrei n fes t eingebaut . I m Gottesdiens t wurd e an gesehenen Leute n ei n besondere r Plat z angewiesen . Di e Gelehrte n saße n auf de r Kathedr a de s Mos e (Mt.23,2) , mi t de m Rücke n zu m Thoraschrein , dem Vol k zugewandt , s o daß jeder si e sehen konnte . In manche n Synagoge n war de r Fußbode n mi t Mosaike n geschmückt , di e Ornamente , di e Zeiche n des Tierkreises ode r auc h biblisch e Szene n darstellten . Be i Ausgrabungen i n Dura-Europos, eine r Stad t a m Westufe r de s Euphrat , wurd e ein e Synagog e freigelegt, di e i m dritte n Jahrhunder t n.Chr . erbau t un d ausgestalte t worden war . Di e Wänd e diese r Synagog e sin d mi t eine m ganze n Zyklu s von Bilder n z u biblische n Geschichte n bedeckt . Dies e Malereie n sin d vo n orientalischen, römischen un d westliche n Einflüsse n bestimm t un d beweisen , daß da s Judentu m de r Diaspor a sic h gegenübe r de r Kultu r seine r anders gläubigen Umwel t nich t verschlosse n hat . Auch i n palästinischen Synagoge n - s o z . B. i n Beth-Alph a - ha t ma n Abbildunge n vo n Tiere n un d Mensche n angebracht. Da s Judentu m ha t als o keinesweg s überal l un d z u alle n Zeite n das biblisch e Bilderverbo t (2.Mose20,4 ) s o verstanden , da ß e s jegliche Dar stellung vo n Lebewese n untersagt . W o ma n Bilde r i n de n Synagoge n an brachte, sollte n si e zu r Verherrlichun g de s Handeln s Gotte s i n de r Ge schichte dienen , de r sei n Vol k Israe l wunderba r geführ t ha t un d e s dahe r auch i n Zukunf t leite n wird . Die Synagog e dient e de r örtliche n jüdische n Gemeinde, di e fü r ihr e Er haltung z u sorge n hatte . Di e Verwaltun g de r äußere n Angelegenheite n de r Synagogengemeinde la g meis t i n Hände n eine s au s dre i Mitglieder n be stehenden Vorstandes . A n Synagogenbeamte n ga b e s nu r de n Vorstehe r und de n Diener . De r Archisynagog , de r au s de n angesehenste n Männer n der Gemeind e gewähl t wurde , wa r fü r di e Leitun g de s Gottesdienste s ver antwortlich un d achtet e darauf , da ß de r Ablau f de r Versammlun g geregel t vor sic h gin g (vgl . Lk . 13,14). E r bestimmt e diejenigen , di e de n Diens t de s Vorbeters un d de s Vorleser s verrichte n sollten , un d lie ß geeigne t erschei nende Anwesend e daz u auffordern , ein e Predig t z u halte n (vgl . Apg. 13,15). Der Synagogendiene r holt e di e Schriftrolle (vgl . Lk.4,20) un d hatt e di e vo m Synagogenvorsteher fü r Gebet , Gesang und Predig t ausersehenen Gemeinde mitglieder zu r Erfüllun g ihre s Dienste s z u bitten . Of t is t ih m auc h di e

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Unterweisung de r Kinde r anvertrau t worden . Wen n übe r einzeln e Ge meindeglieder, di e sic h gege n da s Geset z vergange n hatten , Strafe n wi e Verabfolgung vo n Geißelhiebe n (vgl . 2.Kor . 11,24) verhäng t wurden , s o hatte si e de r Synagogendiene r z u vollstrecken . Solch e Strafe n wurde n durc h ein Kollegiu m vo n dre i Richter n ausgesprochen , wen n sic h jeman d wieder holt eine s vorsätzliche n Verstoße s gege n di e Thor a schuldi g gemach t hatte , indem e r z.B . di e Reinheitsvorschrifte n gröblic h mißachtete . Di e Zah l de r Hiebe durft e nich t meh r al s 3 9 betragen , u m au f keine n Fal l di e Bestim mung vo n 5.Mos e 25,3, w o 4 0 Schläg e angegebe n werden , z u überschreiten . Die Almosen , di e vo n de n Gemeindeglieder n erbete n wurde n (vgl . Mt.6,1) , sammelten eigen s daz u bestimmt e Almoseneinnehme r ein . Prieste r un d Schriftgelehrte hatte n i n de r Gemeind e kei n besondere s Am t inne , doc h hörte ma n ger n de n Vortra g eines Rabb i un d ba t eine n anwesende n Priester , den Sege n z u sprechen . U m de n Gottesdiens t i n de r Synagog e halte n z u können, mußte n mindesten s zeh n Männe r anwesen d sein . Der Gottesdienst i n de r Synagog e dient e de m Bekenntni s zu m eine n Gott, de m Gebet , de r Verlesun g de r Schrif t un d de r Belehrun g übe r de n Willen Gottes . Da s Bekenntni s zu m Got t Israel s un d de r Priestersege n hatten auc h i n de r Tempelliturgi e ihre n feste n Plat z gehabt . Nac h de r Zer störung de s Heiligtum s wurd e i n de r Synagog e di e Erinnerun g a n de n Tempel wachgehalten . Ei n siebenarmige r Leuchter , wi e e r ursprünglic h i m Tempel gestande n hatte , wurde i n den Synagoge n aufgestellt . Ma n betet e z u den Zeiten , z u dene n i m Tempe l regelmäßi g di e Opfe r dargebrach t worde n waren (vgl . Apg.3,1) , un d fleht e z u Gott , de r Tempe l mög e wiederher gestellt werden . Di e Synagog e wurd e dahe r auc h „Heiligtu m i m Kleinen " (vgl. Ez. 11,16) genannt , di e Stätte de s Gebets , die de n Platz fü r de n Wieder aufbau de s Tempel s freihält . A m Sabbat , abe r auc h a n Wochentagen , be sonders a m Monta g un d Donnerstag , un d z u de n hohe n Feste n fan d ma n sich zu m Gottesdiens t zusammen . Der Verlau f de s Gottesdienstes, de r i n seine n Grundzüge n vo n de n Tage n Jesu bi s au f di e Gegenwar t gleichgebliebe n ist , glieder t sic h i n zwe i Teile , einen erste n stärke r liturgisc h geprägte n un d eine n zweite n lehrhafte n Teil . Man sprich t zunächs t da s „Hör e Israel" , da s de r Jud e täglic h morgen s un d abends al s Bekenntni s zu m eine n Got t Israel s rezitiert . Diese s Bekenntni s besteht aus drei Schriftabschnitten, dere n genau e Abgrenzung nach 70 n. Chr. von de n Gelehrte n endgülti g festgeleg t wurd e un d da s nac h de m Anfan g des erste n Stücke s al s Sch ema ( = Höre ) bezeichne t wird : „Hör e Israel , de r Herr, unse r Gott , is t ei n Herr . Un d d u solls t de n Herrn , deine n Gott , liebe n von ganze m Herzen , vo n ganze r Seel e und mi t alle r deine r Kraft . Un d dies e Worte, di e ic h di r heut e gebiete , solle n di r in s Her z geschriebe n sein , un d du solls t si e deine n Kinder n einschärfe n un d d u solls t davo n reden , wen n du i n deine m Haus e sitzes t un d wen n d u au f de m Weg e gehst , wen n d u dich niederlegs t un d wen n d u aufstehst . D u solls t si e zu m Denkzeiche n auf dein e Han d binde n un d si e al s Merkzeiche n au f de r Stir n tragen . Un d du solls t sie auf di e Türpfosten deine s Hause s schreibe n un d a n dein e Tore "

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(5.Mose6,4-9). Dies e Bestimmunge n wurde n al s wörtliche s Gebo t ver standen: Zu r Rezitatio n de s Sch ema un d zu m Gebe t legt e ma n di e soge nannten Gebetsrieme n a n de r Stir n un d a n de n Hände n an , un d a m Tür pfosten de s Hause s befestigt e ma n ein e Kapse l (hebräisch : m e zuza), i n di e eine kleine Schriftroll e mi t de m Tex t de s Sch ema eingeschlosse n wurde . Au f diese Vers e au s 5.Mose6,4- 9 folg t de r Abschnit t 5.Mos e 11,13-21 , de r di e Verheißung göttliche n Segen s übe r da s Lan d enthäl t un d erneu t di e Auf forderung ausspricht , dies e Wort e a n di e Türpfoste n de s Hause s un d a n die Tor e z u schreiben . Di e Wort e au s 4.Mos e 15,37-41 bilde n de n Schlu ß und schärfe n di e Vorschrif t ein , da ß di e Israelite n sic h Quaste n a n de n Zipfeln ihre r Kleide r mache n sollen , damit si e der Gebot e Gotte s gedenken . Denn „ic h bi n de r Herr , eue r Gott , de r ic h euc h au s de m Land e Ägypte n herausgeführt habe , da ß ic h eue r Got t se i - ich , de r Herr , eue r Gott " (4.Mose 15,41). Auf da s „Höre , Israel" , desse n Rezitatio n mi t Lobsprüche n eingeleite t und abgeschlosse n wird , folg t da s sogenannt e Achtzehngebet , da s au s acht zehn Bitte n besteh t un d i n eine m Tei l seine s Wortlaute s scho n i n den Tage n Jesu festgestande n habe n wir d (vgl . 2.Makk . 1,24-29). E s is t i n zwe i Fas sungen überliefert , eine r babylonischen , di e vo n de n jüdische n Gemeinde n im Zweistromlan d au s z u allgemeine r Geltun g i m Judentu m gelang t ist , und eine r ältere n palästinischen , dere n Tex t End e de s vorige n Jahrhundert s in eine r alte n Kairoe r Synagog e (vgl . S.66 ) aufgefunde n wurde . Obwoh l beide Fassunge n i m Grundbestan d übereingehen , weiche n si e i n Einzelhei ten voneinande r ab , insbesonder e darin , da ß sic h i n de r babylonische n Rezension mancherle i Ergänzunge n un d Erweiterunge n finden. Der eigentlich e Haupttei l de s Gebet s is t vo n j e dre i Lobsprüche n ein gerahmt. Di e erste n dre i un d di e letzte n dre i Sprüch e rufe n auf , Got t z u preisen (di e folgende n Zitat e durchwe g nac h de r ältere n palästinische n Fassung): „Gepriese n seis t du , Herr , unse r Got t un d Got t unsere r Väter , Gott Abrahams , Got t Isaak s un d Got t Jakobs , großer , mächtige r un d furchtbarer Gott , höchste r Gott , Schöpfe r Himmel s un d de r Erde , unse r Schild un d Schil d unsere r Väter , unse r Vertraue n i n alle n Geschlechtern . Gepriesen seis t du , Schil d Abrahams " (1 . Benediktion). „D u bis t de r Held , der Hohe erniedrigt , de r Starke , und de r di e Gewalttätige n richtet , de r ewi g Lebende, de r di e Tote n auferstehe n läßt , de r de n Win d wehe n läß t un d den Ta u herniederfallen , de r di e Lebenden versorg t un d di e Toten lebendi g macht. I n eine m Augenblic k mög e un s Hilf e ersprossen . Gepriese n seis t du , Herr, de r di e Tote n lebendi g macht " (2 . Benediktion). „Heili g bis t du , un d furchtbar is t dei n Name , un d kei n Got t is t auße r dir . Gepriese n seis t du , Herr, heilige r Gott " (3 . Benediktion). Diese Sätz e werde n jeweil s vo n eine m Vorbete r gesprochen , di e Ge meinde antworte t nac h jede m Spruc h „Amen" , d.h . „Da s is t gewiß" , un d eignet sic h dami t an , wa s i m Gebe t gesag t worde n is t (vgl . l.Kor . 14,16). Die zwöl f Bitten , di e de n Haupttei l de s Gebete s ausmachen , beziehe n sic h einerseits au f di e Bedürfniss e de s Alltags , andererseit s au f di e messianisch e

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Zeit, di e Gotte s Erbarme n heraufführe n möge : „Vergi b uns , unse r Vater ; denn wi r habe n gesündig t gege n dich . Tilg e un d entfern e unser e Verfeh lungen for t au s deine n Augen ; den n gro ß is t dein e Barmherzigkeit . Ge priesen seis t du , Herr , de r vie l vergibt " (6 . Benediktion). „Segn e a n uns , Herr, unse r Gott , diese s Jah r zu m Gute n be i alle n Arte n seine r Gewächs e und bring e eilend s herbe i da s Jah r de r Zei t unsere r Erlösung . Un d gi b Ta u und Rege n au f di e Erde un d sättig e di e Welt au s de n Schätze n deine s Gutes . Und gi b Sege n au f da s Wer k unsere r Hände . Gepriese n seis t du , Herr , de r die Jahre segnet " (9 . Benediktion). Al s Ende de s ersten Jahrhundert s n.Chr . die endgültig e Trennun g vo n Kirch e un d Synagog e vollzoge n wurde , erhiel t die 12 . Benediktion folgende n Wortlaut : „De n Abtrünnige n se i kein e Hoff nung, un d di e frech e Regierun g ( = Rom ) möges t d u eilend s ausrotte n i n unseren Tagen . Un d di e Nazarene r ( = Judenchristen ) un d di e Mini m (= jüdische n Häretiker ) möge n umkomme n i n eine m Augenblick , aus gelöscht werde n au s de m Buch e de s Leben s un d mi t de n Gerechte n nich t aufgeschrieben werden . Gepriese n seis t du , Herr , de r Frech e beugt. " Sei t diese Verfluchung de r Christe n i m Gottesdienst de r Synagoge ausgesproche n wurde, ware n si e endgülti g au s de n jüdische n Gemeinde n ausgeschlosse n und wa r e s ihne n verwehrt , di e Synagoge n z u betrete n (vgl . Lk.6,22 ; Joh . 9,22; 12,42 ; 16,2) . Au f di e 13 . Benediktion, di e Gotte s Erbarme n fü r di e Proselyten erfleht , folg t di e Bitt e um Heraufführun g de s endzeitliche n Heils : „Erbarme dich , Herr , unse r Gott , i n deine r große n Barmherzigkei t übe r Israel, dei n Volk , un d übe r Jerusalem , dein e Stadt , un d übe r Zion , di e Wohnung deine r Herrlichkeit , un d übe r deine n Tempe l un d übe r dein e Wohnung un d übe r da s Königtu m de s Hause s Davids , deine s gerechte n Messias. Gepriese n seis t du , Herr , Got t Davids , de r Jerusale m erbaut " (14.Benediktion). (Vgl . Kippenberg- Wewers, S . 141-143.) Drei Benediktionen , dere n Inhal t wiederu m allgemeine r gehalte n ist , stehen a m End e de s Gebetes . Zwische n de n letzte n beide n Lobsprüche n hat de r Priestersege n nac h 4.Mos e 6,24-26 seine n Platz . War i m Synagogen gottesdienst ei n Prieste r anwesend , s o hatt e diese r de n Sege n z u erteilen . Wenn abe r kei n Prieste r d a war , wurd e vo n eine m Gemeindeglie d de r Segen i n For m eine r a n Got t gerichtete n Bitt e gesprochen . Di e Gemeind e antwortet wiede r mi t Amen . Dan n schließ t da s Gebe t a b mi t de r letzte n Benediktion: „Leg e deine n Friede n au f dei n Vol k Israe l un d au f dein e Stad t und au f dei n Eigentu m un d segn e un s all e allzumal . Gepriese n seis t du , Herr, de r de n Friede n schafft. " Der lehrhaft e Tei l de s Gottesdienste s umfaß t di e Lesunge n un d di e Aus legung de r Schrift . Fü r di e Lektionen , di e au s de r Thora , d.h . de n fün f Büchern Mos e al s de m wichtigste n Tei l de s Alte n Testaments , vorgelese n wurden, bildet e sic h allmählic h ein e bestimmt e Folg e heraus , i n di e ma n die Abschnitt e de s Gesetze s (hebräisch : Paraschen ) fü r de n Lau f de s Jahre s einteilte. Jede r jüdisch e Man n durft e i m Gottesdiens t nac h vor n trete n un d aus de r Schrif t vorlesen . E s wa r untersagt , auswendi g vorzutragen ; den n der Wortlau t de s Gesetze s dar f unte r keine n Umstände n veränder t werden .

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Da da s Vol k di e alt e hebräisch e Sprach e nich t meh r ohn e weitere s ver stehen konnte , wurd e e s notwendig , de n biblische n Tex t i n di e aramäisch e Umgangssprache z u übertragen . Nebe n de m Vorlese r stan d ei n Dol metscher, de r Ver s fü r Ver s di e Sätz e de r Thor a au f aramäisc h wiedergab . Diese aramäische n Übersetzungen , di e teil s wörtlich , teil s abe r auc h i n paraphrasierender Wiedergab e gehalte n waren , nahme n i n de r mündliche n Überlieferung fester e Gestal t an . Z u schriftliche n Aufzeichnunge n diese r sogenannten Targume (d.h . Übersetzunge n [biblische r Bücher] ) is t e s zwa r erst vo m fünfte n Jahrhunder t n . Chr. a n gekommen , abe r de r schriftliche n Fixierung is t ei n lange r Proze ß mündliche r Traditio n vorangegangen . E s is t anzunehmen, da ß e s scho n zu r Zei t Jes u ein e meh r ode r wenige r geläufig e Fassung de r aramäische n Übersetzun g de s biblische n Texte s gegebe n hat . So wir d z.B . Mk.4,1 2 ei n Zita t au s Jes.6,9f . angeführt , desse n Wortlau t am End e nich t de m Tex t de r hebräische n Bibel , sonder n de m de s Targu m entspricht. I m Alte n Testamen t is t vo n eine r vollständige n Verstockun g de s Volkes di e Rede : „da ß e s mi t seine n Auge n nich t seh e un d mi t seine n Ohren nich t höre , da ß nich t sei n Her z einsichti g werd e un d ma n e s wiede r heile". Mk.4,12 abe r laute t wi e di e targumische Wiedergab e de s Propheten wortes: „da ß si e sehe n un d doc h nich t sehen , höre n un d doc h nich t ver stehen, es sei denn, da ß si e umkehre n un d ihne n vergebe n werde" . Hie r ist als o di e Möglichkei t de r Umkehr , di e zu r Vergebun g führe n kann , nich t schlechthin verschlossen , sonder n noc h offengehalten . Au s diese r Berührun g zwischen Mk.4,1 2 un d de m Prophetentargu m dar f gefolger t werden , da ß die ers t spä t aufgezeichnet e aramäisch e Übersetzun g au f eine r alte n Über lieferung fußt , di e a n diese r Stell e sicherlic h bi s i n di e Tag e Jes u zurück reicht. An di e Lesun g au s de m Geset z schlo ß sic h noc h ein e Lektio n au s de n prophetischen Bücher n an . Di e Reihenfolg e de r prophetische n Text e wa r in neutestamentliche r Zei t noc h nich t festgelegt , s o da ß de r Vorlese r de n Abschnitt wähle n konnte , de n e r vortrage n wollte . D a mi t diese r zweiten Schriftlesun g de r Gottesdiens t schloß , wurd e di e Prophetenlektio n „Haphtare" ( = Entlassung ) genannt . E s konnt e freilic h a n ein e Schrift lesung noc h ein e Predigt angehäng t werden ; den n e s war jede m männliche n Gemeindeglied gestatte t z u predigen . Jesu s ha t vo n diese m Rech t i n de n Synagogen Gebrauc h gemacht , wi e Lk . 4,16-30 i n eine r anschauliche n Be schreibung de s Gottesdienstes i n der Synagog e i n Nazareth dargestell t wird . Jesus steh t auf , u m vorzulesen . Ih m wir d di e Roll e de s Prophete n Jesaj a gereicht, e r öffne t sie , lies t di e Wort e vo n Jes.61,lf . vor , roll t di e Roll e zusammen, gib t si e de m Synagogendiene r un d setz t sich . Sitzen d häl t de r Prediger de n Lehrvortrag , all e Auge n de r Anwesende n sin d volle r Span nung au f ih n gerichtet . Di e Predig t enthäl t zu m allgemeine n Verwunder n nur de n eine n herausfordernde n Satz : „Heut e is t dies e Schriftstell e erfüll t vor eure n Ohren " (Lk.4,21) . Die Predig t wir d of t nu r i n eine r umschreibende n Erklärun g de s bibli schen Texte s bestande n haben , i n di e ma n ger n auc h ander e Bibelstelle n

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einflocht. Beispiel e für versweis e vorgehende Auslegun g bieten di e biblische n Kommentare unte r de n Qumranschriften . I n de r rabbinische n Literatu r sind mancherle i Probe n vo n Synagogenpredigte n überliefert . S o wir d z.B . von R.N e horai, de r u m di e Mitt e de s zweite n Jahrhundert s n.Chr . lebte , erzählt, er hab e einma l folgend e Predig t gehalten : „Ein e Israeliti n zo g durc h das Rot e Meer , un d ih r Kin d wa r a n ihre r Hand , un d e s weinte. Da streckt e sie ihr e Han d au s un d pflückt e eine n Apfe l ode r eine n Granatapfe l mitte n im Mee r un d ga b ih m den. " Dies e anschaulich e Ausschmückun g de r Ge schichte vo m Durchzu g Israel s durc h da s Rot e Mee r wir d mi t Hinwei s au f ein Psalmwor t begründet : „Den n e s heiß t Ps . 106,9: ,E r lie ß si e durc h di e Fluten ziehe n wi e durc h ein e Trift. ' Wi e i n eine r Trif t nicht s mangelt , s o mangelte auc h nicht s i n de n Fluten . Da s is t es , wa s Mos e gesag t hat : ,Di e vierzig Jahre , da ß de r Herr , dei n Gott , mi t di r ist , ha t di r nicht s gemangelt ' (5.Mose2,7). Den n si e brauchte n nu r etwa s z u erwähnen , s o wurd e e s vo r ihnen erschaffen " (Midrasc h rabb a zu m Buc h Exodu s XXI). Ausschmükkende Exegese wurd e mi t Anekdoten, Gleichnisse n un d anschauliche n Schil derungen verbunden . Erklärunge n de s Gesetze s wurde n durc h Verknüp fung mi t andere n Bibelstelle n ode r Hinweis e au f Begebenheite n au s de m Leben bedeutende r Schriftgelehrte r bereichert . Di e breit e Überlieferun g vo n Schriftauslegungen, di e z u einzelne n Bücher n gesammel t wurden , ha t dan n in de n sogenannte n Midraschim (d.h . Studie n bzw . Auslegungen ) ihre n schriftlichen Niederschla g gefunden . Di e erste n Midraschi m wurde n vo n Rabbinen i m zweite n Jahrhunder t n . Chr. aufgezeichnet , i n de n folgende n Jahrhunderten entstan d ein e reichhaltig e Literatu r diese r Gattung . I n helle nistischen Synagoge n sin d auc h gelegentlic h kunstvol l gebaut e Vorträg e gehalten worden , i n di e mancherle i Wendunge n au s de r hellenistische n Popularphilosophie aufgenomme n wurde n (vgl . S.91f.) . Als Stätt e de r Unterweisun g wa r di e Synagog e zugleic h Or t de r Schul e und wurd e dahe r vielfac h auc h al s Lehrhaus bezeichnet . Bisweile n dient e ein un d derselb e Rau m zu m Gottesdiens t wi e zu m Unterricht , manchma l gab e s auc h nebe n de r Synagog e ei n eigene s Lehrhaus . Di e Kinde r wurde n durch eine n Lehre r i m Lese n de s Gesetze s angeleite t un d i n sei n Ver ständnis eingeführt . Nebe n de r Elementarschul e wurd e da s Studiu m de r Gelehrten betrieben , da s auc h i n de r Synagog e bzw . i m Lehrhau s seine n Platz hatte . De r Schriftgelehrt e vermittelt e dor t seine n Schüler n di e hoh e Kunst de r Auslegun g de s Gesetzes . Di e Synagog e bildet e de n Mittelpunk t des Gemeindelebens, s o da ß ma n dor t auc h z u Beratungen übe r kommunal e Angelegenheiten zusammenka m un d all e Frage n besprach , di e da s Lebe n der Gemeind e betrafen . S. Schrift, Gesetz und Tradition Der Krei s de r Schriften , au s dene n fü r di e jüdisch e Gemeind e de r gött liche Wille z u vernehme n ist , mußt e eindeuti g festgeleg t werden . Spätesten s im vierte n Jahrhunder t v . Chr. wir d di e Redaktio n de r fünf Bücher Mose

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zum Abschluß gebracht worden sein ; denn di e samaritanische Gemeinde , di e sich vo n de r jüdische n Kultgemeind e i n Jerusale m löste , hatte weiterhi n mi t dieser de n Pentateuc h al s heilig e Schrif t gemeinsam , s o da ß desse n end gültige Feststellun g vo r de r Trennun g de r Samaritane r vo n de n Jude n (vgl . S. 9) erfolg t sei n muß . Di e Thor a genieß t i m Judentu m unumstößlich e Autorität, ihr e Heiligkei t un d Würd e is t unvergleichlich . Nac h de r späte r von de n Rabbine n entwickelte n Ansich t gil t si e al s präexistent , si e wa r bereits vo r Erschaffun g de r Wel t be i Got t vorhanden . Di e übrige n Büche r des Alte n Testament s stehe n a n Ran g hinte r de r Thor a zurück . Währen d diese bereit s i m Himme l ferti g vorlag , eh e si e ohn e Mitwirkun g vo n Men schen a n Mos e übergebe n wurde , sin d di e andere n Schrifte n vo n Mensche n kraft göttliche r Inspiratio n niedergeschriebe n worden . De m Geset z gebühr t daher eindeuti g de r höchst e Rang , un d all e übrige n Schrifte n empfange n ihre Autoritä t nu r vo n ih m her , wei l ihne n kanonische s Ansehe n allei n au f Grund ihre r Übereinstimmun g mi t de r Thor a zukommt . In de r Sammlung der prophetischen Bücher unterscheide n di e Rabbine n zwischen de n Vordere n un d de n Hintere n Propheten . Z u de n Vordere n Propheten werde n di e Geschichtsbücher Josua , Richter, di e beiden Samuelis und di e beide n Königsbüche r gezählt ; di e Hintere n Prophete n sin d di e Schriften de r große n Prophete n Jesaja , Jeremi a un d Ezechie l sowi e de r zwölf kleine n Prophete n vo n Arno s bi s Maleachi . De r Krei s de r prophe tischen Büche r wa r bereit s i m zweite n Jahrhunder t v . Chr. geschlossen . Denn al s da s Danielbuc h entstan d (vgl . S.46) , konnt e e s nich t meh r unte r die Prophete n aufgenomme n werden ; e s wurd e vielmeh r mi t de n Bücher n Esra un d Nehemi a un d de m chronistische n Geschichtswer k a n de n Schlu ß des alttestamentliche n Kanon s gestellt . I m Prolo g de s Buche s Jesu s Sirach , das de r Enke l de s Verfasser s End e de s zweite n Jahrhundert s v.Chr . in s Griechische übertrug , wir d vo m Gesetz , de n Prophete n un d de n übrige n von de n Väter n überkommene n Bücher n gesprochen . Dami t is t de r Ab schluß des Gesetzes und de r Sammlun g de r prophetischen Bücher , abe r noc h nicht de s dritte n Teil s de s Alte n Testament s vorausgesetzt . I m Neue n Testament is t häufi g vo n de r Schrif t ode r auc h de m Geset z al s ihre m wichtigsten Stüc k di e Rede , of t werde n auc h da s Geset z un d di e Prophete n genannt (vgl . Mt.5,17 ; 7,12 ; 11,1 3 Par.; Lk . 16,29.31; Rom . 3,21 u.ö.) , nu r Lk. 24,44 findet sic h ein e dreigliedrig e Bezeichnun g „da s Geset z de s Mose , die Prophete n un d di e Psalmen" . Obwoh l di e endgültig e Abgrenzun g de s Kanons ers t kur z vo r de r Wend e vo m erste n zu m zweite n Jahrhunder t n. Chr. erfolgte , bezeuge n doc h sowoh l di e Schrifte n de r Gemeind e vo n Qumran al s auc h da s Neu e Testament , da ß i n de r Zei t Jes u de r Krei s de r kanonischen Büche r faktisc h geschlosse n war ; den n e s wir d au s alle n Teile n des Alte n Testament s zitiert . Als heilige Schrifte n sollte n di e Bücher gelten , „di e di e Händ e verunreini gen" (Mischn a Jadai m III, 5). Ihne n hafte t gleichsa m ein e dinglich e Heilig keit an , s o da ß derjenige , de r si e berühr t hat , ein e rituell e Waschun g de r Hände vornehme n muß . Profan e Schrifte n dagege n bewirke n nicht , da ß di e

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Hände unrei n werden . Di e Heiligkei t de r Schrifte n bedingt , da ß ihre n Rollen besonder e Aufmerksamkei t zutei l werde n muß . Wen n ein e Schrift rolle abgenutzt ist und au s dem gottesdienstliche n Gebrauc h gezogen werde n soll, darf si e nicht einfac h weggeworfe n werden ; si e wird vielmeh r zunächs t an eine m besondere n Plat z verborge n un d späte r mi t andere n Schriftrolle n sorgfältig begraben , u m au f dies e Weis e z u verhindern , da ß profane r Miß brauch mi t de r heilige n Schrif t getriebe n wird . Die Frage , welche n Bücher n diese r Charakte r de r Heiligkei t zuerkann t werden kann , is t unte r de n Rabbine n gege n End e de s erste n Jahrhundert s n.Chr. noc h einma l eingehen d verhandel t worden , d a e s i n einige n Fälle n noch stritti g war, wi e die Grenze de s Kanons z u ziehen sei . So bestanden Bedenken, o b di e Kapite l Ez . 40-48, i n dene n ei n Bil d vo n de r Zukunf t de r Israelgemeinde entworfe n wird , mi t de n vergleichbare n Stücke n de r Thor a wirklich übereinstimmen . Diese s Problem wurde , wie die Überlieferung sagt , durch de n Gelehrte n Chananj a be n Hiski a gelöst . E r setzt e sic h hin , ließ sich - s o heißt e s - dreihunder t Fässe r ö l fü r sein e Studierlampe bringe n und durchdacht e di e offenen . Fragen s o lange , bi s e s ih m schließlic h gelang , die voll e Übereinstimmun g zwische n de m Buc h Ezechie l un d de r Thor a nachzuweisen (babylon . Talmud , Schabba t 1 3 b). Umstritten wa r ferne r da s Buch Qohelet , desse n Skepsi s gegenübe r de m Lebe n Mißfalle n erregte . D a am Anfang un d End e der Schrift , al s deren Verfasse r de r Köni g Salom o galt , zur Gottesfurch t un d zu m Halte n de r Gebot e aufgeforder t wird , konnt e man darau s eine n Zusammenklan g mi t de m Geset z höre n un d da s Buc h al s kanonisch anerkennen . Schwierigkeite n ga b auc h da s Hoh e Lie d Salomo s auf. D a sic h abe r di e Ansich t durchsetzte , di e Liebesliede r de s Buche s seie n im übertragene n Sin n z u verstehe n un d au f da s Verhältni s Gotte s z u Israe l zu beziehen , konnte n di e Bedenken , di e gege n dies e Schrif t gelten d gemach t worden waren , ausgeräumt un d sei n kanonische s Ansehe n gesicher t werden . Das palästinisch e Judentu m bracht e mi t diese n Entscheidunge n de n lange n Prozeß de r Kanonsbildun g zu m Abschluß . Di e hellenistisch e Synagog e da gegen vollzo g nicht diese scharfe Abgrenzun g kanonische r Büche r vo n späte r entstandenen Schriften , sonder n benutzt e i n de r Septuagint a ein e umfang reichere Sammlun g vo n Büchern , di e auc h i m gottesdienstliche n Gebrauc h verwendet wurd e (vgl . S.94) . Ers t al s da s Judentu m au f di e Septuaginta , die inzwische n vo n de n Christe n übernomme n worde n war , verzichtete , setzte sic h de r enge r gefaßt e Kano n de r palästinische n Synagog e überal l durch. Die Thora , di e Got t Israe l gegebe n hat , is t nac h de r Lehr e de r Rabbine n von Geschlech t z u Geschlech t weitergereich t worden : „Mos e empfin g di e Thora a m Sina i un d überliefert e si e Josu a un d Josu a de n Älteste n un d di e Ältesten de n Propheten , un d di e Prophete n überlieferte n si e de n Männer n der Große n Synagoge " (Mischn a Abo t 1,1) . Da s Gesetz , da s Mos e eins t erhielt, umfaß t di e schriftlic h aufgezeichnet e un d di e mündlic h tradiert e Thora, wi e si e i n de r lückenlose n Folg e de r Schriftgelehrte n weitergegebe n worden ist , inde m si e - s o heiß t e s i n de r Fachterminologi e - jeweil s „emp -

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fangen" un d „überliefert " wurd e (vgl . 1.Kor . 11,23; 15, 3 u.ö.) . Di e Gültig keit de r mündliche n Thor a mußt e freilic h i m einzelne n gena u nachgewiese n werden, inde m di e Sätze de r Traditio n exegetisc h a m Pentateuc h begründe t bzw. au s de m geschriebene n Geset z abgeleite t wurden . Di e au f dies e Weis e ausgewiesene Überlieferun g stan d a n Ansehe n nich t hinte r de m Wor t de r Schrift zurück , d a j a i n de m aufgezeichnete n un d i n de m mündlic h weiter gereichten Gesetz de r eine übereinstimmende Gotteswill e lau t wird. Obwoh l die Sadduzäe r diese r Auffassun g widersprache n un d sic h allei n au f di e geschriebene Thor a beriefe n (vgl . S.52f.), setzt e sic h doc h di e Autoritä t de r vor alle m vo n de n Pharisäer n verteidigte n Tradition , di e si e al s „Überliefe rung de r Ältesten " (Mk.7,3 ) i n hohe m Ansehe n hielten , durc h un d wurd e dann nach 70 n. Chr. allgemein anerkannt. (Vgl. Kippenberg-Wewers, S . 148.) Die Entfaltun g de r Traditio n wurd e weitgehen d durc h Schriftauslegun g vorgenommen. Di e Halaka, d . h . die Weisung, wie man wandeln soll , mußt e ständig fortentwickel t werden , inde m ma n ne u auftauchend e Frage n a n de r Schrift prüft e un d entschied . Da di e Sätz e de r Thora vielfac h nu r allgemein e Bestimmungen enthalte n ode r nu r wenig e konkret e Anweisunge n geben , mußte ma n i n gelehrte n Diskussione n jeweil s di e aktuell e Bedeutun g de r Schrift erheben . Wen n e s z.B . heißt : „D u solls t de n Sabbatta g heiligen " (2.Mose20,8), so mußte genauer festgeleg t werden , was a m Sabbat verbote n ist, wa s erlaubt . Welch e Vorschrifte n sin d be i de r Eheschließun g un d Ehe scheidung z u beachten? Wa s gil t übe r rei n un d unrein ? Dar f ma n ei n Passa opfer auc h dan n darbringen , wen n da s Passafes t au f eine n Sabba t fällt , w o es doc h a m Sabba t untersag t ist , irgendwelch e Arbei t z u verrichten ? Diese s Problem, z u de m i m Pentateuc h nicht s gesag t ist , löst e Hillel , inde m e r folgendermaßen argumentierte : Wen n e s am Sabba t erlaub t ist , das Sabbat opfer darzubringen , u m wievie l meh r dar f dan n da s Passaopfe r a m Sabba t dargebracht werde n (babylon . Talmud , P esachim 6 6 a). Dies e Antwort , die de n Ruh m Hillei s begründete , wurd e vo n ih m gefunden , inde m e r ein e Schlußfolgerung vo m Geringere n au f da s Größer e vollzo g un d dami t eine n der exegetische n Grundsätz e anwendete , nac h dene n di e Auslegun g de r Schrift vorzunehme n ist . (Vgl . Kippenberg — Wewers, S . 148f.) Die Auslegung der Schrift, di e fü r di e Erhebun g de r aktuelle n Gültigkei t des Gesetze s vo n s o große r Bedeutun g war , wurd e als o keinesweg s will kürlich, sondern nac h bestimmte n Regel n durchgeführt , di e zum erste n Ma l durch Hille l zusammengefaß t un d genaue r beschriebe n wurden . Z u diese n Regeln gehör t de r ebe n genannt e Schlu ß vo m Geringere n au f da s Größere . Ein andere r Grundsat z is t de r Analogieschluß , de r etw a folgendermaße n aussehen kann : „Brotheb e un d Abgabe n sin d ein e Gab e fü r de n Priester , und di e Priesterhebe is t eine Gab e fü r de n Priester . S o wie man di e Priester hebe (a m Feierta g de m Priester ) nich t hinbringt , s o bring t ma n auc h di e Abgaben nich t hin " (Mischn a Bez a I, 7). Ferner kan n vo m Allgemeine n au f das Besonder e geschlosse n ode r abe r au s de r Wiederkeh r eine s bestimmte n Wortes a n eine r andere n Bibelstell e dies e zu r Auslegun g de r erste n heran gezogen werden . Vo n Bedeutun g wurd e auc h di e Ansicht , jede r Bibel -

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abschnitt, der dicht neben eine m andere n steht , müsse von diese m her erklär t werden. Wird z.B . 4.Mose25,l erwähnt : „Al s sich Israel in Sittim niederließ , fing da s Vol k an , mi t de n Töchter n de r Moabite r z u buhlen" , s o stell t sic h die Frage , we r den n di e Israelite n zu r Hurere i verführ t habe . Di e Antwor t wird au s de r Heranziehun g de s Kontexte s gefunden : D a 4.Mos e 22-24 vo n Bileam di e Rede ist , der daz u angestifte t werde n sollte , die Israeliten z u ver fluchen, sieh t ma n Bilea m auc h al s de n Schuldige n dafü r an , da ß di e Israe liten zu r Hurere i verleite t wurde n (Midrasc h Sifr e Numer i § 131) . Di e exegetischen Regeln , di e unte r Hille l z u siebe n Grundsätze n zusammen gefaßt wurden , sin d dann i n der Folgezei t weiter ausgebilde t un d i m zweite n Jahrhundert n.Chr . durc h R.Jischma'e l au f dreizeh n Bestimmunge n er weitert worden . Dabe i wurd e sorgsa m darau f geachtet , da ß be i de r Aus legung de r Schrif t auc h de r geringst e Hinwei s nich t übersehe n wurde . Selbs t das Jot a al s de r kleinst e Buchstab e ode r ei n Häkchen , mi t de m ma n eine n Buchstaben verzierte , durfte nich t außer ach t gelassen werden (vgl . Mt. 5,18). Und wen n ei n hebräische s Wor t mi t eine m zusätzliche n Konsonante n al s Träger eine s Vokals geschriebe n ist , so ist auch da s nich t z u überlesen. Den n gerade durc h Beobachtun g de r Feinheite n de r Schrif t schärf t de r Gelehrt e seinen Blick , u m auc h de n verborgene n Sin n de r Thor a z u erkenne n un d seine Bedeutung fü r di e Gegenwart aufzuspüren . Di e allegorische Auslegun g der Schrift , di e i m hellenistische n Judentu m i n reiche m Maß e geüb t wurde , haben di e Rabbine n zwa r auc h gekann t un d gelegentlic h angewendet , si e aber doc h wei t seltene r gebraucht , al s da s i n de r hellenistische n Synagog e geschah (vgl . S.97f.) . Beispiele fü r da s Verfahre n de r Schriftauslegung , wi e si e di e Rabbine n übten, finden sic h auc h i m Neue n Testament . S o beweis t Jesu s de n saddu zäischen Gesprächspartnern , di e di e Auferstehun g de r Tote n leugnen , au s der Thora , da ß Got t di e Tote n auferweckt ; den n Got t is t de r Got t Abra hams, Isaaks und Jakob s un d kan n dahe r nich t ei n Got t de r Toten , sonder n nur de r Lebendige n sei n (Mk . 12,26f.; vgl . S.52f.) . De n Schlu ß vo m Gerin geren au f da s Größer e wende t Paulu s wiederhol t an , s o z.B . wenn e r Rom . 5.15 argumentiert : „Den n wen n durc h di e Übertretun g de s eine n (nämlic h Adams) di e viele n (nämlic h all e Menschen ) gestorbe n sind , s o is t noc h vie l mehr di e Gnad e un d Gab e Gotte s durc h di e Gnad e de s eine n Mensche n Jesus Christu s de n viele n (nämlic h alle n Menschen ) reichlic h zutei l gewor den." Di e Regel, daß zwei verschiedene Bibelstellen , a n denen dasselb e Wor t vorkommt, sic h gegenseiti g erklären , lieg t de r Argumentatio n vo n Rom . 4,3-8 zugrunde : Abraha m wurd e sei n Glaube zu r Gerechtigkei t angerechne t (I.Mose 15,6), das heißt eben: „Woh l de m Manne , dem der Herr Sünd e nicht anrechnet" (Ps.32,2) , s o da ß Rechtfertigun g au s Glaube n notwendi g al s Sündenvergebung z u verstehe n ist . Un d de n Grundsatz , da ß auc h au f di e geringsten Feinheite n de r biblische n Ausdrucksweis e geachte t werde n muß , kann de r Aposte l gelegentlic h wi e di e Rabbine n betonen . S o weis t e r Gal . 3.16 darau f hin , da ß nich t zufälli g i n de r Schrif t vo n Abraha m un d seine m Samen di e Red e sei , inde m dabe i de r Singula r „Same " stat t de s Plural s

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gebraucht wird ; den n dami t se i angedeutet , da ß de r ein e Nachkomme, näm lich Christus , gemein t sei . Die Auslegun g de r Schrif t wa r nich t nu r zu r Erhebun g de r aktuelle n Gültigkeit de s Gesetze s vo n Bedeutung , sonder n auc h fü r di e Fortentwick lung de r Haggada. Di e Haggad a is t vo n de r Halaka , de r Weisun g zu m rechten Wande l nac h de m Gesetz , dadurch unterschieden , da ß si e all e nicht halakische Schriftauslegun g umfaßt , als o sowoh l erbaulich e Erzählun g un d Ausschmückung al s auc h di e Beschreibun g vo n Inhalte n de s Glauben s un d Hoffens, di e sic h nich t au f Gebot e de s Gesetze s beziehen . Di e vielfältig e Ausprägung endzeitliche r Hoffnun g is t dahe r de r Haggad a ebens o zu zurechnen wi e di e mancherle i Ausgestaltunge n biblische r Geschichte n i n de r späteren Überlieferung . Wen n z.B . gesag t wird , Mos e se i i n alle r Weishei t der Ägypte r erzoge n worde n (Apg.7,22) , s o geh t di e Haggad a dami t übe r den biblische n Tex t hinaus , de r davo n nicht s erwähnt . Ode r ma n wei ß di e Namen de r ägyptische n Zauberer , di e Mos e gegenübertraten , anzugeben , obwohl da s Alt e Testamen t si e nich t nenn t (2.Tim.3,8 , vgl . C D V, 18f.). 4.Mose 20,7-13 wir d vo m Quellwunde r berichtet , da s Mos e i n de r Wüst e vollzog, un d 4.Mos e 21,16-18 heiß t e s dann , nac h lange r Wanderun g se i das Vol k z u eine m Brunne n gekommen , vo n de m bemerk t wird : „Da s is t der Brunnen , vo n de m de r Her r z u Mos e sagte : Versamml e da s Volk , ic h will ihne n Wasse r geben. " Au s diese n kurze n Angabe n spinn t di e Haggad a eine großartig e Erzählung : de r Brunnen , z u de m Israe l i n de r Wüst e ge langt ist , se i ihne n au f ihre r Wanderun g gefolgt , se i mi t ihne n i n di e Bach täler hinabgestiege n un d mi t ihne n auc h wiede r i n di e Höhe hinaufgezoge n (vgl. l.Kor. 10,4). Der Vorgang de r Übergabe de s Gesetzes a n Mos e au f de m Sinai wir d i n de r erzählende n Überlieferun g mi t hohe n Worte n gepriesen , indem e s heißt , da s Geset z se i durc h Vermittlun g vo n Engel n z u Mos e ge kommen, un d au f dies e Weis e di e Würd e de r Thor a hervorgehobe n wir d (Apg.7,53; Gal.3,19) . U m Lebe n un d Sterbe n große r Männe r ranke n sic h legendäre Geschichten , s o da ß z . B. davo n gesproche n wird , wi e sic h nac h dem Tod e de s Mos e Michae l un d de r Sata n u m seine n Leichna m gestritte n haben (Jud.9) . l.Kön . 17, 1 heiß t es , es soll e diese Jahre weder Ta u noc h Re gen kommen , e s sag e e s denn de r Prophe t Elia , un d l.Kön . 18, 1 wir d dara n angeknüpft: „Nac h lange r Zei t aber , i m dritte n Jahr , ergin g a n Eli a da s Wort de s Herrn. " I n de r spätere n Wiedergab e de r Eliageschichte n wir d diese Zeitangab e präzisiert , inde m ma n sagt , di e Hungersno t zu r Zei t de s Propheten Eli a hab e dreieinhal b Jahr e - di e Hälft e de r Zah l siebe n - ge dauert (Lk . 4,25; Jak . 5,17). Die Haggad a biete t farbig e Beispiel e dafür , wi e ei n Lebe n nac h de m Gesetz aussieht , und ergänzt au f dies e Weise di e Halaka, de r de r unbedingt e Vorrang gebührt , wei l i n ih r da s Gebo t de s Gesetze s ausgeleg t wird . D a i m Fortgang de s Leben s sic h imme r wiede r neu e Frage n stellen , di e bedach t und beantworte t sei n wollen , konnte n da s Studiu m de s Gesetze s un d di e Ausarbeitung eine r Kasuistik , di e fü r all e denkbare n Fäll e di e Bestim mungen de s Gesetze s entwickelte , niemal s aufhören . De r Stof f de r Tradi -

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tion, i n de r di e Auslegun g de s Gesetze s dargeleg t un d weitergereich t wurde , wuchs ständi g an , s o da ß di e Füll e bal d schwe r übersehba r wurde . Anfäng lich wurd e di e gesamt e Überlieferun g mündlic h weitergegeben ; un d ei n großer Tei l de s Studium s de r Gelehrte n bestan d darin , de n Traditionsstof f dem Gedächtni s einzuprägen . Währen d di e gesetzesstreng e Gemeind e vo n Qumran daranging , Aufzeichnunge n de r au s ihre m Schriftstudiu m ent wickelten Halak a z u machen , blie b ma n i n pharisäische n Kreise n zunächs t dabei, di e mündlic h überliefert e Thor a nich t schriftlic h z u fixieren. I n de r ersten Hälft e de s zweite n Jahrhundert s n . Chr . began n ma n jedoch , di e überquellende Füll e de r ständi g wachsende n halakische n Traditio n z u sam meln, z u sichte n un d niederzuschreiben . Diese r Proze ß de s Ordnen s ha t einige Zei t i n Anspruc h genommen , s o da ß ers t i n de r zweite n Hälft e de s zweiten Jahrhundert s n . Chr . di e Mischna al s Sammlun g de r gültige n Halaka entstan d un d dan n ihr e Schlußredaktio n unte r R . J e huda-ha-Nasi gegen End e de s zweite n Jahrhundert s n.Chr . vorgenomme n wurde . Da s Wort Mischn a bedeute t di e durc h Wiederholun g z u erlernend e Lehre . De r Stoff wurd e i n 6 3 Traktate n niedergeschrieben , un d dies e wurde n z u sech s Ordnungen (hebräisch : s edarim) verbunden , di e jeweil s inhaltlic h ver wandte Traktat e zusammenfassen . Die erst e Ordnun g träg t de n Name n „Saaten" . Ihr e Traktat e beziehe n sich vornehmlic h au f de n Ackerbau , di e Verzehntun g de r Frücht e u . a. Vo n besonderer Bedeutun g is t de r erst e Traktat „B e rakot", i n de m erörter t wird , wann un d be i welche n Gelegenheite n di e Gebet e z u verrichte n un d Lob sprüche zu m Zeiche n de s Danke s a n Got t z u sage n sind . Zu r zweite n Ord nung, di e di e Vorschrifte n fü r di e „Feste " enthält , gehöre n s o wichtig e Traktate wi e „Sabbat" , „P e sachim" (d.h . Passafest ) un d „Sukka " (d.h . Laubhüttenfest). I n de r dritte n Ordnung , di e di e vielerle i Bestimmunge n über „Frauen " zusammenfaßt , werde n Frage n de r Eheschließung , de r Hochzeitsverschreibung, de r Scheidun g ode r de r Behandlun g eine s Ehe bruchs eingehen d abgehandelt . Dabe i wir d i n de n Bestimmunge n kei n Unterschied zwische n weltliche m un d geistliche m Rech t gemacht , sonder n weil da s Geset z Gotte s all e Bereich e de s menschliche n Leben s umgreift , werden au s ih m sowoh l Anweisunge n fü r da s Begehe n de r Fest e un d de s Gottesdienstes al s auc h Vorschrifte n abgeleitet , nac h dene n da s Lebe n de s Alltags z u regel n ist . Dahe r is t e s nich t verwunderlich , da ß i n de r vierte n Ordnung „Beschädigungen" , di e sowoh l Sache n al s auc h Persone n be treffen können , Frage n de s Zivilrechtes , de r Rechtspraxi s un d de r Verhän gung vo n Strafe n ausführlic h erörter t werden . Di e fünft e Ordnun g gil t de n „heiligen Dingen" , d.h . de n verschiedene n Opfer n un d ihre r Darbringun g im Tempel . Obwoh l di e heilig e Stätt e zerstör t worde n war , habe n di e Rab binen eingehen d übe r de n Kul t un d sein e Durchführun g diskutiert , u m stets berei t z u sein , de n Tempeldiens t i n volle r Übereinstimmun g mi t de n Geboten de r Thor a wiederaufnehme n z u können . Kultisch e Vorschrifte n bestimmen auc h de n Inhal t de r sechste n Ordnung , di e mit de m Wor t „Rein heit" überschriebe n ist . Wan n ei n Gerä t rein , wan n e s unrei n ist , wa s be i

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Auftreten vo n Aussat z z u bedenke n ist , wi e Tauchbäde r zu r Erlangun g de r Reinheit vorzunehme n sin d un d wa s bei m Wasche n de r Händ e z u beachte n ist, wir d i n alle n Einzelheite n festgestellt . Di e Füll e de s Stoffes , di e i n de n Traktaten de r Mischn a zusammengefaß t ist , is t nich t nac h strenge r Sach logik geordnet , sonder n de n Ausführunge n is t überal l abzuspüren , da ß si e aus de r mündliche n Überlieferun g erwachse n sind . Dabe i lieg t häufi g nu r ein lockere r Gedankenanschlu ß vor , bisweile n besteh t abe r auc h ga r kein e Verbindung zwische n einzelne n Stücken . Als Beispie l fü r di e kasuistisch e Argumentationsweis e de r Mischna , i n der ma n fü r jede n Fall , de r möglicherweis e auftrete n kann , genau e Anwei sungen z u gebe n bemüh t ist , seie n einig e Sätz e au s de m Trakta t „Sabbat " angeführt. Da s biblisch e Gebot , a m siebte n Tag e z u ruhen , bedurft e ge nauer Auslegung , wi e di e Ruh e einzuhalte n is t un d wa s al s Arbeit z u gelte n hat, di e unte r alle n Umstände n unterlasse n werde n muß . S o heiß t es : „Ei n Schneider dar f mi t seine r Nade l nich t nah e de m Dunkelwerde n (näm lich vo r Begin n de s Sabbats ) ausgehen , dami t e r nich t vergiß t un d ausgeht . (Das wär e ein e Arbei t a m Sabbat. ) Ei n Schreibe r dar f nich t mi t seine m Rohr ausgehen ; un d ma n dar f nich t sein e Kleide r nac h Ungeziefe r durch suchen. (Den n ma n dar f a m Sabba t kein e Tier e töten. ) Un d ma n dar f nich t lesen bei m Lampenlich t (Lichtanzünde n wär e ein e Arbeit.) " (1,3) . Nicht i n allen Frage n gib t e s ein e einhellig e Meinung , sonder n manchma l urteile n die Schule n de r Gelehrte n unterschiedlich : „Di e Schul e Schammai s sagt : Man dar f (a m Voraben d de s Sabbats ) nich t Tint e un d Farbstoff e un d Wicken (di e als Viehfutter dienen ) einweichen , e s se i denn, da ß genu g (Zei t ist), da ß si e noc h be i Tag e eingeweich t werden . Di e Schul e Hillei s abe r erklärt e s fü r erlaubt " (1,5) . Di e vielfältige n Einzelvorschriften , di e di e Rabbinen zu m Arbeitsverbo t a m Sabba t festgeleg t haben , sin d i n einige n listenartigen Anweisunge n zusammengefaß t worden . Di e wichtigst e diese r Aufzählungen stell t de r folgend e Katalo g dar : „Di e verbotene n Haupt arbeiten sin d vierzi g wenige r eins : We r sä t un d pflüg t un d ernte t un d Garben bindet ; we r drisch t un d worfel t un d ausliest ; we r mahl t un d sieb t und knete t un d backt ; we r Woll e schert , si e bleich t un d hechel t un d färb t und spinnt ; we r web t un d zwe i Fäde n (au f de m Webstuhl ) aufzieh t un d zwei Fäde n flich t un d zwe i Fäde n trennt ; we r eine n Knote n knüpf t un d auf löst un d zwe i Stich e näh t un d aufreißt , u m zwe i Stich e z u nähen ; we r ein e Gazelle jagt , si e schlachte t un d da s Fel l abzieht ; we r si e einsalz t un d ih r Fell zurichte t un d e s abschab t un d e s zerschneidet ; we r zwe i Buchstabe n schreibt un d wiede r auslöscht , u m zwe i Buchstabe n z u schreiben ; we r bau t und einreißt ; we r (Feuer ) auslösch t un d anzündet ; we r mi t de m Hamme r schlägt; we r au s eine m Bereic h i n eine n andere n trägt . Da s sin d di e Haupt arbeiten, vierzi g wenige r eins " (VII, 2). Dies e Bestimmunge n bedürfe n nu n im einzelnen noc h genauerer Ausführungen , di e z. B. im Blick auf di e Arbeit , die durc h da s Lösche n eine r Lamp e verrichte t wird , lauten : „Wen n jeman d eine Lampe auslösch t (wa s al s Arbei t eine n Versto ß gege n da s Sabbatgebo t bedeuten würde) , wei l e r sic h fürchte t vo r NichtJuden , vo r Räubern , vo r

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einem böse n Geis t (wei l bös e Geiste r ebens o wi e di e Räube r durc h da s Licht angelock t werden) , un d wen n e r e s tut, wei l ei n Kranke r schlafe n soll , so is t e r schuldfre i (trot z de s Verstoßes) . Wen n (e r e s abe r tut) , u m di e Lampe z u schonen , un d u m da s ö l z u schonen , s o is t e r schuldig . Rabb i Jose abe r erklär t ih n fü r schuldfre i i n alle n (Fällen ) auße r bei m Docht , wei l er (dadurch ) Kohl e bereitet " (11,5) . Gemein t is t hiermit , da ß e r bal d wiede r auslöscht, damit er durch die nun entstandene Verkohlung am Ende des Dochtes es bei m erneute n Anzünde n leichte r hat . (Vgl . Kippenberg — Wewers, S. 174-177.) Neben de r Mischna , i n de r di e al s normati v geltende n Weisunge n zu sammengestellt wurden , entstan d ein e Parallelsammlung , di e Sätz e vo n Ge lehrten aufnahm , di e nicht i n di e Mischn a Eingan g gefunde n hatten . Diese s Werk erhiel t di e Bezeichnung Tosephta, d . h. Hinzufügung bzw . Zusatz. Di e Tosephta stell t jedoc h ei n durchau s eigenständige s Wer k dar , da s Stück e enthält, di e entwede r i n de r Mischn a überhaup t nich t z u finden sind , ode r aber Sätz e bietet , di e vo n dene n de r Mischn a meh r ode r minde r erheblic h abweichen. I n de r Tosepht a is t als o da s einschlägig e Materia l au s de n gelehrten Diskussione n de s erste n un d zweite n Jahrhundert s n.Chr . zu sammengestellt, da s di e Mischn a ergänzt , erklärt , ih r widersprich t ode r Varianten z u ih r bietet , s o da ß sic h i n diese r Sammlun g manch e alte n Über lieferungen finden,die jedoc h nicht zu allgemeine r Anerkennung gelangt sind. Mit de r Kodifizierun g de r geltende n Halaka , wi e si e i n de r Mischn a vor genommen worde n war , wa r jedoc h di e Frage , wi e di e Weisunge n de s Ge setzes z u verstehe n sind , keinesweg s endgülti g gelöst . Di e Diskussio n lie f vielmehr weiter , wei l ma n sic h mi t zahllose n Einzelprobleme n de r Gesetzes auslegung z u befasse n hatte , di e di e Rabbine n vo m dritte n bi s zu m fünfte n Jahrhundert n . Chr. i n Anknüpfun g a n di e i n de r Mischn a zusammengefaß ten Lehrsätz e erörterten . S o wurd e z.B . di e Aufstellun g de r 3 9 fü r de n Sabbat verbotene n Hauptarbeite n dadurc h bi s i n di e kleinste n Einzelheite n ergänzt, da ß ma n z u jeder de r Hauptarbeite n sech s Unterarbeiten aufführte . Auf dies e Weis e wurd e ei n dichtes , kau m noc h überschaubare s Net z vo n Bestimmungen geknüpft . Di e gelehrte n Überlegunge n wurde n abe r auc h um mancherle i haggadische s Materia l bereichert , da s erbaulich e Schriftaus legung, Anekdote n übe r Begebenheite n i m Lebe n berühmte r Gelehrte r un d vielerlei interessant e Erzählunge n enthielt . Diese r umfangreich e Stof f wurd e als G e mara (d . h. de r erlernt e Wissensstoff ) jeweil s mi t de n einzelne n Sätze n derMischnatraktate al s deren Kommentierung zusammengeordnet . Um diese vielschichtigen Überlieferungen festzuhalten , entstand i m fünften Jahrhunder t n.Chr. schließlic h de r Talmud (d.h . di e Lehre) , de r i n zwe i verschiedene n Fassungen vorliegt . Zunächs t erhiel t i n de n Schule n Palästina s de r soge nannte palästinensisch e Talmu d (auc h jerusalemische r Talmu d genannt ) seine abschließend e Gestalt . Si e is t wesentlic h kürze r al s di e u m di e Wend e vom fünfte n zu m sechste n Jahrhunder t n.Chr . aufgezeichnet e Sammlung , die ma n i n de n Schule n i m Zweistromlan d herstellte . Der sogenannt e baby lonische Talmud , de r sic h durc h Reichtu m un d Vielfal t de r Traditione n 9 Lohse , Umwel t

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auszeichnet, di e e r i n sic h birgt , wurd e dan n i n de r weltweite n Judenschaf t überall al s di e gültig e Fassun g rabbinische r Lehr e anerkannt . Al s de r Tal mud, wi e ma n ih n einfac h nannte , wurd e e r imme r wiede r studiert , erklär t und späte r i n kunstvolle n Druckausgabe n verbreitet . Die Vielzah l de r 61 3 Einzelsatzungen , i n di e ma n i n de r rabbinische n Lehre di e Thor a auseinanderfaltet e - 24 8 Gebot e un d 36 5 Verbot e - ma g als kau m übersehba r erscheinen . E s is t dahe r begreiflich , da ß de r berühmt e Schammai einma l vo n eine m Heide n u m Auskunf t darübe r gebete n wurde , wieviele Gesetz e di e Jude n eigentlic h haben . Schamma i ga b zu r Antwort : „Zwei, di e mündliche un d di e schriftlich e Thora. " Al s dan n abe r Hille l die selbe Frag e vo n eine m Heide n mi t de n Worte n vorgeleg t wurde , e r woll e Proselyt werde n unte r de r Bedingung , da ß e r ih n di e ganz e Thor a lehre , solange er au f eine m Bei n stehe, sagte Hillel: „Wa s di r unlieb ist , tue keine m anderen; da s is t di e ganz e Thora , un d da s übrig e is t di e Erklärung " (baby lon. Talmud , Schabba t 31a) . I n de m geschriebene n un d de m mündlic h weitergereichten Gesetz , da s i n unendlic h viel e Einzelbestimmunge n hinei n ausgelegt wird , is t de r ein e bindend e Will e Gotte s enthalten , de r i n de r Mannigfaltigkeit de r einzelne n Gebot e konkretisier t wird . Da s Gesetz , da s von Got t scho n vo r Grundlegun g de r Wel t geschaffe n wurde , is t von ewige r Gültigkeit. Got t selbs t studier t täglic h i n de r Thora . Un d wen n de r Messia s einst kommen wird , s o wird e r nicht etw a ei n neues Geset z bringen, sonder n er wir d mi t de n Seine n i m Geset z forsche n un d ih m universal e Geltun g und Anerkennun g verschaffen . Allei n durc h da s Geset z kan n dahe r de r Mensch Gemeinschaf t mi t Got t gewinne n un d erfahren . Den n „wen n zwe i dasitzen un d si e beschäftige n sic h mi t de n Worte n de s Gesetzes , s o wohn t die Sch ekina (d.h . Gott ) unte r ihnen " (Mischn a Abo t III, 2). 6. Gott und Mensch Das Judentum kenn t weder ein e ausgeführte Dogmati k noch ein Glaubensbekenntnis, da s ein e kurzgefaßt e Gotteslehr e enthielte . Vo n Gott reden , heißt für da s Judentum, vo n seinem Geset z sprechen , durch da s Gotte s Will e und Gebo t lau t wird . Dahe r wir d Israe l nich t i n eine r systematisc h entfalte ten Lehr e von Gott , sonder n vielmeh r i n de r Auslegung de s Gesetze s gesagt , wer sei n Got t is t un d wa s e r vo n ih m fordert . Wa s imme r de r Jud e täglic h erlebt, wird vo n ih m al s Gabe Gottes begriffen. Widerfähr t ih m etwas Gutes , hat e r Anlaß zu r Freude , oder nimm t e r Speise und Tran k z u sich, so sprich t er ein kurze s Dankgebet. Dabei is t für di e einzelnen Fälle festgelegt, wie dies e Sprüche z u laute n haben . Genieß t e r di e Frücht e de s Baumes , s o ha t e r z u sagen: „Gepriese n seis t du , Herr , Köni g de r Welt , de r d u di e Fruch t de s Baumes schaffst! " Trink t ma n meh r al s eine n Fingerhu t vol l Wein , s o is t z u sprechen: „Gepriese n seis t du , Herr , Köni g de r Welt , de r d u di e Fruch t de s Weinstocks schaffst! " Un d wird von Früchte n de r Erde oder Bro t meh r al s in Größe eine r Oliv e gegessen , s o laute t de r Lobspruch : „Gepriese n seis t du , Herr, Köni g de r Welt , de r d u di e Fruch t de s Boden s schaffs t (bzw . de r

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hervorgehen läß t Bro t vo n de r Erde)! " (Mischn a B e rakot VI, 1). Mit diese n Worten bekenn t sic h de r Jud e z u seine m Got t al s de m Herr n de r Welt , de r die Erd e un d di e Mensche n geschaffe n hat , erhäl t un d mi t seine n Gabe n versorgt. Da Got t i m Wor t seine n Wille n verkünde t hat , gib t e s nebe n diese m Wort kein e andere Quell e der Offenbarung . Ma n wei ß jedoch vo n mancher lei wunderbare n Begebenheite n z u erzählen , di e sic h i n de r Geschicht e zu getragen habe n un d auc h i n de r Gegenwar t ereignen , bleib t abe r i n ihre r Beurteilung auffallen d vorsichtig . Di e Geschicht e Israel s wurd e großarti g ausgeschmückt, s o z.B . di e Überlieferun g vo m Durchzu g durc h da s Rot e Meer - Israe l zo g durc h stei l aufragend e Wänd e vo n Wasse r hindurc h oder di e Übergab e de s Gesetze s a m Sina i - unübersehbar e Schare n vo n En geln wirkte n dabe i mit . Fromm e un d gerecht e Männe r vermochte n au f Grund besondere r Kräft e Wundertaten z u vollbringen . S o heißt e s z.B . vo n dem berühmte n Gelehrte n Rabba n Gamlie l II., der u m di e Wend e vo m ersten zu m zweite n Jahrhunder t n . Chr. lehrte , e r se i eins t au f eine m Schif f gefahren. D a hab e sic h ei n Stur m erhoben , s o da ß de r Rabb i erschra k un d darin ein e Straf e dafü r erblickte , da ß e r daz u geholfe n hatte , seine n Gegne r R.Elicezer b . Hyrkano s mi t de m Ban n z u belegen . I m Gebe t z u Got t be kannte e r daraufhin , e r hab e da s nich t etw a z u seine r eigene n Ehr e getan , sondern ausschließlic h un d allei n zu r Ehr e Gottes , dami t sic h nich t di e Streitigkeiten i n Israe l mehrten . Au f diese s Gebe t hi n beruhigt e sic h da s Meer (babylon . Talmud , Bab a M ezia 5 9 b; vgl . dagege n Mk . 4,35-41). Da ß kranke Mensche n wunderba r geheil t wurden , wir d de s öftere n berichtet . S o beschreibt Josephu s ein e Dämonenaustreibung , di e ei n Man n namen s Elea zar i n Anwesenhei t de s Vespasian , seine r Söhne , de r Oberste n un d andere r Soldaten vollzo g un d di e er , Josephus , selbs t mi t angesehe n habe : „Di e Heilung gescha h i n folgende r Weise . E r (Eleazar ) hiel t unte r di e Nas e de s Besessenen eine n Ring , i n de m ein e Wurze l eingeschlosse n war , welch e Salomo angegebe n hatte , lie ß de n Kranke n dara n rieche n un d zo g s o de n bösen Geis t durc h di e Nas e heraus . De r Besessen e fiel sogleic h zusammen , und Eleaza r beschwo r dan n de n Geist , inde m e r de n Name n Salomo s un d die von ih m verfaßte n Sprüch e hersagte , nie meh r i n de n Mensche n zurück zukehren. U m abe r de n Anwesende n z u beweisen , da ß e r wirklic h solch e Gewalt besitze , stellt e Eleaza r nich t wei t davo n eine n mi t Wasse r gefüllte n Becher oder ein Becken au f un d befah l de m böse n Geist , beim Ausfahre n au s dem Mensche n diese s umzustoße n un d s o di e Zuschaue r davo n z u über zeugen, da ß e r de n Mensche n verlasse n habe . Da s gescha h auc h i n de r Tat , und s o wurd e Salomo s Weishei t un d Einsich t kund " (Jüdisch e Altertüme r VIII, 46-49; vgl . dagegen Mk . 1,23-28Par.; 5,1-20Par . u . a.) . Obwohl i n de n Legenden , di e sic h u m vergangen e Geschehniss e un d da s Leben große r Gottesmänne r rankten , di e Wundertate n ihre n feste n Plat z einnahmen, urteilte n di e Rabbine n zurückhalten d übe r di e Wunder . Ihr e Möglichkeit un d Wirklichkei t zo g ma n nich t i n Zweifel , abe r ma n erkannt e sie niemal s al s schlüssige n Bewei s i n strittige n Lehrfrage n an , di e vielmeh r 9*

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ausschließlich nac h de m Geset z un d desse n Auslegun g z u entscheide n sind . Das Wunde r gewinn t ers t dan n Bedeutung , wen n dies e au s de r Schrift exegese dargeta n werde n kann . Vo n de r kommende n messianische n Zei t erwartet ma n zwar , da ß si e vo n wunderbare m Handel n Gotte s erfüll t sei n wird, abe r de n Messia s stell t ma n sic h nich t al s Wundertäte r vor . E r ha t seine Würd e nich t durc h Wunder , sonder n durc h di e Erfüllun g de r Schrif t auszuweisen. Wer Got t is t un d wa s e r vo n de n Mensche n fordert , kan n ma n als o nac h Überzeugung de s Judentum s nu r au s seine m Wor t erfahren , au s de m Israe l weiß, daß er al s König der Welt über all e Menschen regiert . Aber di e Heide n kennen sei n Geset z nich t un d sin d dahe r i n Götzendiens t un d Unsittlichkei t verstrickt. Gegen di e Götter un d Götzen , di e von ihnen verehrt werden, wir d scharfe Polemi k un d bisweile n beißende r Spot t geschleudert . Hinte r ihre n Bildern steck t kein e Wirklichkeit , allenfall s de r Spu k vo n Dämone n (vgl . l.Kor.8,4; 10,20 ; Offb. Joh.9,20f.). Nu r de r Got t Israel s ist de r allei n wahr e Gott, vo n desse n Heiligkei t volle r Ehrfurch t gerede t wurde . De n Namen Gottes sprac h ma n nich t aus , um sic h keinerlei Mißbrauc h ode r Entweihun g zuschulden komme n z u lassen . Wei l mi t de m Wisse n eine s Namen s i n ge fährlicher Weis e Mach t ausgeüb t ode r gezauber t werde n kann , daru m dar f niemand auc h nu r vo n fer n di e Hohei t de s Gottesnamen s antasten . Gotte s Name (Jhwh-Jahwe ) is t i n de n Texte n vo n Qumra n meis t i n althebräische r Schrift geschriebe n ode r abe r durc h vie r Punkt e bezeichnet , un d i n de n älte sten Handschrifte n de r Septuagint a steh t Jhw h gleichfall s i n althebräische n Buchstaben. Wurd e de r biblisch e Tex t verlesen , s o wurd e stat t de s Gottes namens stet s „de r Herr " gesagt . Nur einma l i m Jahr durft e de r Hoheprieste r während de r Liturgi e de s Große n Versöhnungstage s de n Gottesname n aus sprechen. Di e Priester , di e i n seine r Umgebun g standen , fielen dan n ehr fürchtig z u Boden , de r Gesan g de r Tempelchör e abe r wa r s o kräfti g un d laut, da ß nieman d di e Stimm e de s Hohenpriester s höre n konnte . Da ma n de n Name n Gotte s sorgsa m mied , bedient e ma n sic h manche r Umschreibungen. Seh r of t heiß t e s „de r Heilige , gepriesen se i er" ode r „de r Höchste", „de r Ewige" , „de r Allmächtige" , „de r Erhabene" , „de r Her r de s Himmels" u . ä. Ma n wählt e auc h ander e Bezeichnungen , u m andeuten d au f Gott hinzuweisen . S o wurde z.B . von de n Himmel n gesprochen , wen n ma n Gott meinte . Da s Reic h de r Himmel , wi e e s meis t i m Matthäusevangeliu m genannt wird , bedeute t dahe r nicht s andere s al s da s Reic h Gottes . Und wir d gesagt, vo r de n Engel n i m Himme l werd e Freud e herrsche n übe r eine n Sün der, de r umkehr t (Lk . 15,7.10), so ist dami t vo n de r Freud e Gotte s di e Rede . Stellt Jesu s de n Schriftgelehrte n di e Frage , o b di e Tauf e de s Johanne s vo m Himmel ode r vo n Mensche n sei , dan n besag t das : „entwede r vo n Got t oder nu r vo n Menschen " (Mk.ll,30Par.) . öfter s wir d auc h „di e Kraft " genannt, u m au f Got t hinzuweisen , s o z.B . wen n e s heißt , de r Menschen sohn werd e sitze n zu r Rechten de r Kraft (Mk . 14,62 Par.). I n denTargumen , die i n aramäische r Paraphras e de n alttestamentliche n Tex t wiedergebe n (vgl. S. 120), ersetzt vielfac h „da s Wort" (nämlic h Gottes ) de n Gottesnamen .

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Häufig wir d auc h vo n „de m Wohnen " (nämlic h Gottes ) bzw . vo n „de m Namen" gesprochen . Ein e geläufig e Umschreibun g de s Gottesnamen s be steht schließlic h darin , da ß ma n passiv e Wendunge n gebraucht , u m Gotte s Handeln z u kennzeichnen . Dies e Ausdrucksweis e findet sic h auc h a n viele n Stellen de s Neue n Testaments , s o z.B . wen n i n de n Seligpreisunge n de n Trauernden verheiße n wird , da ß si e getröste t werde n solle n ( = Got t wir d sie trösten), den Hungernden , da ß si e gesättigt werde n solle n ( = Got t wir d sie sättigen) , un d de n Barmherzigen , da ß si e Barmherzigkeit erfahre n solle n ( = Got t wir d sich-ihre r erbarmen ) (Mt.5,3-10 ; Lk . 6,20-23). Als der Heilige , der übe r all e Welt regiert, ist Gott von de n Menschen wei t geschieden. D a e r i m Himme l wi e ei n große r Köni g thront , de m ma n sic h nur i n demütige r Ergebenhei t nahe n darf , sag t ma n nicht , da ß Got t selbs t sich freut , sonder n drück t e s s o aus , da ß vo r de m Vate r i n de n Himmel n Freude sei n wir d (Mt . 18,14), bzw. Freud e sei n wir d vo r de n Engel n Gotte s (Lk. 15,10). Nich t unmittelbar , sonder n nu r durc h Zwischenwese n un d Boten trit t Got t mi t de r Wel t i n Verbindung . Vo m Himme l läß t e r sein e Stimme erschallen , wen n besonder e Botschaf t auszurufe n is t (vgl . Mk . 1,1 1 Par.; 9,7 Par. u.ö.). Meist abe r bedien t er sich der Engel, di e um seine n Thron stehen un d al s sein e Diene r seine s Winke s gewärti g sind . Au s de n Heere n der Enge l rage n di e siebe n Erzenge l besonder s hervor . Gabrie l is t de r Über bringer göttliche r Kund e (Lk . 1,19.26) un d Michae l de r Streiter , de r fü r da s Gottesvolk kämpf t (Dan . 10,13.21; Offb . Joh. 12,7; Jud.9). Die großen Scha ren de r Enge l sin d i n Gruppe n un d Klasse n eingeteilt , s o da ß si e stet s zu m Einsatz berei t sind . Nac h volkstümliche r Vorstellun g gib t e s nich t nu r fü r das ganz e Vol k Israel , sonder n auc h fü r jede n einzelne n Mensche n eine n Schutzengel, de r ih n geleite t un d vo r Got t vertrit t (vgl . Mt. 18,10). Sein Aussehen gleich t de m de s Menschen, de n e r behütet , s o da ß beid e einande r zu m Verwechseln ähnlic h sehe n (vgl . Apg. 12,13-15). Gott un d seine n Engel n stehe n au f de r andere n Seit e de r Satan un d sei n Heer gegenübe r (vgl . S.38) . Zwa r wir d de r Sata n nich t al s ei n Got t eben bürtiger Gegenspiele r betrachtet , sonder n al s ei n gefallene r Engel , de r nu n die Mächt e de r Finsterni s anführt ; abe r sein e Mach t is t doc h bedrohend . Er regier t übe r ei n wohlorganisierte s Reic h (vgl . Mk.3,2 4 Par. ) un d üb t durch Dämone n un d finstere Mächt e sein e Gewal t au s al s de r Herrsche r dieser Welt (Joh . 12,31 u.ö.) bzw . de r Got t diese r Wel t (2.Kor.4,4) . Er führ t die Heer e de r böse n Geiste r an , di e di e Mensche n befalle n un d Plage n un d Krankheiten hervorrufe n (vgl . z.B . Mk.5,1-20Par.) . Doc h wen n auc h ih r Beginnen überau s schrecklic h ist , s o kan n e s doc h keinesfall s Gotte s Herr schaft gefährden . E r is t un d bleib t de r Herr , de r di e Wel t geschaffe n hat , ihren Lauf bi s zum Ende lenkt und von alle n Menschen Rechenschaf t fordert . Der Gedank e a n Gotte s künftige s Gericht bestimm t Glaube n un d Han deln de s frommen Juden , der au s dem Geset z seines Gottes weiß, was er hie r auf Erde n z u tu n ha t un d wonac h dereins t i m Gerich t gefrag t wird . De m Menschen is t di e Aufgab e gestellt , Got t z u gehorche n un d seine n Wille n z u tun; e r bleib t al s Knech t seine m Herr n verantwortlic h mi t Lei b un d Seele .

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Diese Verantwortlichkei t de s Mensche n wir d vo n de n Rabbine n i n eine m anschaulichen Gleichni s beschrieben : Ei n Köni g besa ß eine n schöne n Obstgarten, in dem er zwei Wächter angestell t hatte, einen lahmen un d eine n blinden. Eines Tages sprach der Lahme zum Blinden: Ich sehe schöne Frücht e im Garten , komm , la ß mic h au f di r reiten , dami t wi r si e un s hole n un d essen. D a setzt e sic h de r Lahm e au f de n Blinden , un d si e holten di e Frücht e und aßen . Nac h eine r Reih e vo n Tage n ka m de r Besitze r de s Obstgarten s und fragt e di e beiden , w o den n di e schöne n Frücht e gebliebe n seien . De r Lahme antwortete , e r habe doc h kein e Füße , um gehe n z u können . Un d de r Blinde sagte, er habe doc h keine Augen, um sehe n zu können. Was ta t d a de r Besitzer de s Gartens ? E r setzt e de n Lahme n au f de n Blinde n un d bestraft e sie zusammen . Di e Anwendun g diese s Gleichnisse s lautet : „Ebens o verfähr t auch de r Heilige , gepriese n se i er ; e r hol t di e Seel e un d bring t si e i n de n Körper, sodan n bestraf t e r si e zusammen " (babylon . Talmud , Sanhedri n 91a/b). Da da s Urtei l au f Grun d de r Werk e gesproche n wird , sin d di e Fromme n bemüht, i n ihre m Lebe n un d Tu n di e erforderlich e Gerechtigkei t z u erwer ben, di e dann i m Gerich t festgestell t un d anerkann t werde n kann . Nicht nu r durch Gebotserfüllungen , sonder n auc h durc h da s Verrichte n vo n frei willigen Liebeswerke n un d da s Gebe n vo n Almose n erwirb t ma n sic h Ver dienste, die vor de m Gerich t Gotte s gelten d gemach t werden können . Dahe r ist de r Jud e fro h übe r jed e Gelegenheit , di e sic h ih m bietet , Gute s z u tun : Hungrige speisen , Dürstende tränken , Fremd e beherbergen , Nackt e kleiden , Kranke un d Gefangen e besuche n (vgl . Mt . 25,31-46), Trauernd e tröste n und Tot e begraben . Nac h Überzeugun g de r Pharisäer , dere n Ansichte n di e herrschende Meinun g bestimmten , is t e s de n Mensche n durchau s möglich , gerecht z u lebe n un d z u handeln , da s Geset z z u erfüllen un d dami t vo r Got t zu bestehen . Paulu s kan n dahe r i m Rückblick au f sein e jüdische Vergangen heit sagen , e r se i nac h de r Gerechtigkei t i m Geset z untadeli g gewese n (Phil . 3,6), un d ei n Pharisäe r verweis t nich t ohn e Stol z i m Gebe t au f di e Werke , die er verrichte t ha t (Lk . 18,9-14). Wenngleich durc h Adam s Ta t da s Verhängni s de s Tode s übe r all e Men schen gekomme n ist , s o is t ihne n doc h di e Freiheit de s Willens un d de r Ver antwortung geblieben . Den n „Ada m is t einzi g un d allei n fü r sic h selbs t di e Veranlassung; wi r all e abe r sin d ei n jede r fü r sic h selbs t zu m Ada m gewor den" (syr . Bar . 54,19). Di e Übertretun g Adam s wir d als o i n de r Verschul dung jede s einzelne n Mensche n ständi g wiederholt , de r i n eine n Kamp f hineingestellt ist , de n e r fü r da s Gut e un d gege n da s Bös e vollführe n muß . Nach de r Lehr e de r Gemeinde vo n Qumra n mu ß gege n di e Lüge und fü r di e Wahrheit, gege n di e Finsterni s un d fü r da s Lich t gestritte n werden , wobe i der einzeln e sic h i n eine r schicksalhafte n Bestimmthei t entwede r unte r de m Geist de r Wahrhei t ode r de m de s Frevel s vorfinde t (vgl . S.74f.) . I n phari säischen Kreise n wurd e di e Lehr e vo m böse n un d vo m gute n Trie b ent wickelt. Währen d de r bös e Trie b de m Mensche n vo n Gebur t a n eige n ist , beginnt de r gut e Trie b ers t dan n z u wirken , wen n de r Mensc h dreizeh n

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Jahre al t is t un d al s bar-mizw a (d.h . Soh n de s Gebotes ) di e erforderlich e Kenntnis de s Gesetze s besitzt , u m i n eigene r Verantwortun g handel n z u können. Kraf t de s gute n Triebe s is t e r nu n imstande , gege n de n böse n z u kämpfen un d da s sündig e Begehren z u besiegen . De r bös e Trie b „sag t heut e zum Menschen : Tu e dies , un d morgen : Tu e jenes , bi s e r zuletz t sagt : Bet e andere Götte r an " (babylon . Talmud , Schabba t 10 5 b). Aber de m gil t e s z u widerstehen; den n de r allei n is t mächtig , de r seine n Trie b beherrsch t (Mischna A b o t I V , l ) . Während i n de r Gemeind e vo n Qumra n ei n radikalisierte s Verständni s des Gesetze s vertrete n wurde , nac h de m all e Gebot e un d Satzunge n ohn e Ausnahme ode r Einschränkun g z u halte n sin d (vgl . S.73f.), ware n di e Rab binen de r Ansicht , da ß Verdienst e gege n Verschuldunge n aufgerechne t wer den. Wenn a m End e die Verdienste überwiegen , wir d da s Urtei l au f Gerech tigkeit lauten . R.Aqib a faßt e dies e Lehr e i n folgende m Bil d zusammen : „Alles wird gege n Pfan d gegebe n un d da s Net z übe r all e Lebenden gestreift . Der Lade n is t geöffnet, un d de r Kräme r gib t Kredit , di e Schreibtafe l is t auf geschlagen, un d di e Han d schreibt , un d jeder , de r borge n will , komm t un d borgt; di e Einnehme r gehe n beständi g a n jede m Ta g heru m un d treibe n (ihre Forderungen ) vo n de n Mensche n ei n mi t ihre m Wisse n un d ohn e ih r Wissen, den n si e haben (Belege) , worauf si e sic h stütze n (können) ; da s Ge richt is t ei n Gerich t de r Wahrheit , un d alle s is t zu m Mah l bereitet " (Abo t III, 16). Über di e Taten eine s Mensche n wir d als o be i Got t Buc h geführt , de r dann di e Enge l al s sein e Beauftragte n ausschickt , u m di e Schulde n einzu treiben. Wen n a m End e di e Gesamtrechnun g positi v ausfällt , s o wir d de n Gerechten de r Zugan g zu m Mah l i n de r zukünftige n Gottesherrschaf t geöffnet. Da auc h de r Fromm e niemal s de r Gefah r gan z entgehe n kann , hie r ode r dort gege n Gotte s Gebo t z u verstoße n ode r unbedach t z u handeln , komm t es darau f an , fü r Verschuldunge n Sühne z u schaffen , u m au f dies e Weis e einen Ausgleic h fü r Fehltate n z u gewinnen . Nu r solch e Tate n könne n ge sühnt werden , di e versehentlich begange n wurden ; absichtliche r Freve l kan n keine Sühn e finde n (4.Mos e 15,22-31). In de r Mischn a wir d ei n Katalo g de r verschiedenen Sühnemöglichkeite n zusammengestellt , di e de m Mensche n gegeben sind : „Sund - un d Schuldopfe r wege n gewi ß begangene r Sünde n schaffen Sühne ; To d un d Versöhnungsta g sühne n i n Verbindun g mi t de r Umkehr. Di e Umkeh r schaff t Sühn e vo n leichte n Vergehen , gege n Gebot e und Verbote . Fü r schwer e Vergehe n wirk t si e Aufschub , bi s de r Versöh nungstag kommt" (Jom a VIII, 8). Zuerst wird als o auf de n Kultus verwiesen , die Opfe r un d de n Versöhnungstag . Zwa r konnt e nac h de m Untergan g de s Tempels de r Kul t nich t meh r vollzoge n werden , abe r dami t is t Israe l de r Weg zu r Sühn e nich t etw a verschlossen . Entscheidend e Bedeutun g wir d daher de r Umkeh r zugemessen , durch di e der Mensc h sic h vom falsche n Tu n abwendet un d wiede r z u Got t kehrt . R . Eli'ezer hatt e de n Ra t gegeben , ma n solle eine n Ta g vo r seine m Tod e umkehren . Al s abe r sein e Schüle r fragten , wie den n de r Mensc h wisse n könne , a n welche m Ta g e r sterbe n werde , er -

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widerte de r Lehrer : „U m s o meh r mu ß e r heut e umkehren , vielleich t stirb t er morgen . E s ergibt sic h also , daß e r all e sein e Tag e i n Umkeh r verbringt " (babylon. Talmud , Schabba t 15 3 a). Die letzt e un d höchst e Möglichkei t de r Sühne is t dem Mensche n durc h de n To d gegeben . Selbs t ei n Verbrecher , de r seiner Tate n wege n zu m To d verurteil t wurd e un d hingerichte t werde n soll , kann Sühn e finden, wen n e r am Or t de r Hinrichtun g vo r Vollzu g de r Steini gung de r Aufforderung , sein e Sünde n z u bekennen , entsprich t un d sagt : „Mein To d se i Sühnung fü r all e mein e Sünden " (Mischn a Sanhedri n VI, 2). Wie ei n Mensch durc h di e Leiden, di e e r al s Gottes Fügun g annimmt , scho n zu Lebzeite n di e wohlverdient e Straf e fü r sein e Sünde n abbüße n kann , s o wird i n noch höhere m Maß e durc h de n Tod Schul d gesühnt , dami t a m End e „ganz Israe l Anteil ha t a n de r zukünftige n Welt " (Mischn a Sanhedri n X, 1). Wie abe r steh t es , wenn ei n Gerechter , de r sic h keine r Vergehe n schuldi g gemacht hat , gleichwohl leide n muß ? Auf dies e Frage, die scho n di e Freund e Hiobs eingehen d erörterte n un d doc h nich t z u löse n wußten , wir d geant wortet, da ß da s Leide n de r Gerechte n stellvertreten d fü r Israe l getrage n wird. Dies e Lehr e findet ihre n deutlichste n Ausdruc k i m Rückblic k au f di e Blutzeugen, di e währen d de r makkabäische n Erhebun g ih r Lebe n gelasse n haben: „Si e sin d gleichsa m ei n Ersat z geworde n fü r (di e durch ) di e Sünd e (befleckte Seele ) de s Volkes . Durc h da s Blu t jene r Fromme n un d ihre n zu r Sühne dienende n To d ha t di e göttlich e Vorsehun g da s vorhe r schlim m be drängte Israe l gerettet " (4.Makk.l7,22) . Sterben d bitte t de r Fromme , de r bis i n de n To d de m Geset z tre u bleibt : „Se i gnädi g deine m Volk , la ß di r genügen di e Strafe , di e wi r u m si e erdulden . Z u eine r Läuterun g la ß ihne n mein Blu t diene n un d al s Ersat z fü r ihr e Seel e nimm mein e Seele " (4.Makk . 6,28f.). Di e Sühne , di e di e Gerechte n mi t ihre m unschuldige n Leide n un d Sterben erwerben , komm t de m ganze n Vol k zugute . Wei l e s - wi e e s späte r R. Ammi (u m 300 n. Chr. ) au f ein e knappe Formel bringt - keine n To d ohn e Sünde und kein e Leiden ohn e Schuld gib t (babylon . Talmud, Schabba t 55 a), darum kan n da s schuldlos e Sterbe n de r Gerechte n gan z Israe l zugut e kommen. Dem Judentu m is t de r gnädige Gott keinesweg s unbekannt . Di e Ge meinde vo n Qumra n wei ß davo n z u sagen , da ß de r Fromm e allei n au s de r Barmherzigkeit Gotte s lebt , desse n Gnad e sic h dari n erweist , da ß e r de n Menschen unte r da s Geset z führt , nac h de m e r lebe n sol l (vgl . S.76f.) . Di e pharisäisch-rabbinische Lehr e sieh t darin , da ß Got t sei n Geset z a m Sina i gegeben hat , de n Ausdruc k seine r Liebe ; den n e r ha t seine m Vol k dadurc h die Möglichkei t eröffnet , gut e Werk e z u vollbringen , sic h Verdienst e z u erwerben un d di e Gerechtigkei t z u erlangen . I m Gerich t werde n di e Ver dienste eines Menschen au f di e eine Schale einer Waag e gelegt , die Verschuldung au f di e andere . Wen n e s sic h dan n herausstellt , da ß Verdienst e und Verschuldunge n sic h i m Gleichstan d befinden , wir d Got t au f di e Seite de r Verdienst e ei n weni g hinzufügen , dami t si e sic h zugunste n de s Menschen neigt . Wi e de r gnädig e Got t handelt , wir d späte r vo n R . Z ecira (um 30 0 n . Chr.) i n eine m Gleichni s beschrieben , da s i n auffallende r Weis e

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an da s Gleichnis Jesu von de n Arbeiter n i m Weinberg (Mt . 20,1-16) erinner t und sic h zugleic h gerad e i m entscheidende n Punk t au f da s deutlichst e vo n ihm abhebt . Al s ei n begabte r Schriftgelehrter , R . Bu n be n Chijja , i m Alte r von 2 8 Jahren verstorbe n war , sucht e R . Z ecira i n de r Trauerred e da s Rätse l dieses frühe n Tode s z u lösen . „Womi t läß t sic h R . Bu n be n Chijj a ver gleichen? E s verhäl t sic h wi e mi t eine m König , de r viel e Arbeite r mietete . Es wa r abe r dor t ei n Arbeiter , de r sic h durc h sein e Arbei t überau s verdien t machte. Wa s ta t de r König ? E r nah m ih n for t un d ergin g sic h mi t ih m au f langen un d kurze n Wegen . Zu r Abendzei t kame n jen e Arbeiter , u m ihre n Lohn z u empfangen . E r ga b ih m mi t diese n seine n Loh n voll . D a murrte n die Arbeite r un d sagten : Wi r habe n de n ganze n Ta g gearbeitet , un d diese r hat nu r zwe i Stunde n gearbeitet , un d e r ha t ih m seine n Loh n mi t un s vol l gegeben. De r Köni g sprac h z u ihnen : Diese r ha t i n zwe i Stunde n meh r ge arbeitet, al s ih r de n ganze n Ta g hindurc h gearbeite t habt . S o ha t R . Bu n i n 28 Jahre n i n de r Thor a gearbeitet , wa s ei n tüchtige r Schüle r nich t i n 100 Jahre n lerne n kann " (paläst . Talmud , B e rakot II, 5c). Nich t i n fre i schenkender Güte , sonder n vielmeh r i n genaue r Entsprechun g vo n Leistun g und Loh n vollzieh t Got t di e Abrechnung . We r nac h de m Geset z lebt , dar f daher auc h au f da s Geset z vertrauen ; den n mi t de r Gerechtigkeit , di e durc h das Geset z gewonne n wird , is t auc h de r We g zu m Lebe n aufgetan . 7. Das zukünftige Heil Im Achtzehngebet , da s jede r Jud e täglic h spricht , wir d a n Got t di e Bitt e gerichtet, e r mög e sic h übe r Israe l erbarme n un d übe r da s Königtu m de s Hauses Davids , de s gerechte n Messia s (vgl . S.119) : „Stoß e i n di e groß e Posaune z u unsere r Freihei t un d erheb e ei n Panie r zu r Sammlun g unsere r Verbannten . . . Bringe wiede r unser e Richte r wi e vorde m un d unser e Rats herren wi e zu Anfang, un d se i König übe r uns , du allein " (10 . und 11 . Benediktion). Zwa r is t de r ein e Gott , z u de m Israe l sic h bekennt , scho n de r König un d Her r de r Welt , abe r noc h is t sein e Herrschaf t vo r de r Wel t ver borgen un d vo n de n Völker n nich t anerkannt . Daru m richte t sic h di e Hoff nung de r Fromme n au f di e Zukunft , i n de r Gotte s herrliche s Regimen t vo r aller Wel t offenba r werde n wird , un d flehe n si e z u Gott : „Dein e Herrlich keit mög e sichtba r werde n un d dein e hehr e Majestä t erkann t werde n . . . Und jetz t tu e eilend s dein e Herrlichkei t kun d un d zöger e nich t mi t dem , was vo n di r verheiße n worde n ist " (syr.Bar.21,23.25) . Im Judentu m wurde n rech t unterschiedlich e Vorstellunge n übe r di e Ver wirklichung de s künftige n Heil s vertreten . Bal d wurd e da s Heraufführe n der Heilszei t al s Gotte s wunderbar e Tat , bal d al s da s Wer k eine s Gesalbten vorgestellt, de r i n Gotte s Auftra g erscheine n un d wirke n wird . Verbindlic h ist fü r de n Jude n allei n di e Verpflichtung , de n Weisunge n de s Gesetze s z u folgen. Hinsichtlic h de r endzeitliche n Hoffnun g wir d ih m kein e bestimmt e Ansicht vorgeschrieben , s o da ß kein e einheitlich e Lehr e übe r di e letzte n

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Dinge festgeleg t wurde , sonder n mannigfalti g ausgeprägt e Erwartunge n unverbunden nebeneinanderstehen . In de n Tage n Jes u un d de r erste n Christe n wa r di e Hoffnung , de r Ge salbte Gotte s werd e bal d erscheinen , i n viele n Kreise n de s jüdische n Volke s lebendig. Imme r wiede r trate n Männe r auf , dere n Anhänge r i n ihne n de n kommenden Messia s sehe n wollten . Apg.5,36f . werde n zwe i derartig e pseudomessianische Bewegunge n erwähnt : ei n gewisse r Theuda s stan d auf , ihm folgte n etw a 40 0 Männer , abe r „e r wurd e getötet , un d alle , di e sic h zu ih m hielten , wurde n verspreng t un d vernichtet" . Nac h ih m ka m Juda s der Galiläe r „un d bracht e viele Leute zu m Abfal l unte r seine r Führung , abe r auch e r gin g zugrunde , un d alle , di e sic h z u ih m gehalte n hatten , wurde n zerstreut". Al s Paulu s i n Jerusale m verhafte t worde n war , wurd e e r vo n dem römische n Centurio , de r ih n i n Gewahrsa m genomme n hatte , nac h Apg. 21,38 gefragt , o b e r etw a de r Ägypte r sei , der kürzlic h di e 400 0 Man n von de n Zelote n aufgewiegel t un d i n di e Wüst e hinausgeführ t habe . Die herrschende Ansicht übe r di e messianisch e Wend e wa r i n de n Kreise n der Pharisäe r ausgebilde t worden . Si e hatten unte r de m Königtu m de r Has monäer un d de r Fremdherrschaft de r Röme r schwer e Enttäuschungen erfah ren (vgl . S . 18-21). Unte r de m Eindruc k diese r Ereigniss e hatte n di e alte n Verheißungen neu e Kraf t gewonnen : dereins t werd e Got t nac h de m Vorbil d Davids de n gesalbte n Herrsche r erstehe n lassen , dami t e r Israe l befrei e un d zu herrliche m Glan z führe , e r werd e Davi d de n gerechte n Spro ß erwecke n (Jer.23,5; 33,15 ; Sach.3,8 ; 6,2) , un d au s de m Stump f Isai s werd e ei n Rei s hervorgehen (Jes . 11,10). Vo r alle m abe r erinnert e ma n sic h de r göttliche n Zusage, di e durc h de n Prophete n Natha n de m Geschlech t David s gegebe n worden war : Got t werd e Davids Nachkomme n sein e Gnade nicht entziehen , sondern seine m Hau s un d Königtu m Bestan d gebe n un d seine n Thro n au f ewig befestige n (2.Sam . 7,12-16). A n diese s Verspreche n Gotte s klammert e sich di e Hoffnung , i n de r ma n sic h von de r leidvolle n Gegenwar t abwandt e und nac h de r Zukunf t ausschaute , i n de r Gotte s Gnadentate n Wirklichkei t werden sollten . Diese Erwartun g ha t i n de n Psalme n Salomos , di e i n pharisäische n Kreisen u m di e Mitt e de s erste n Jahrhundert s v . Chr. entstande n sind , ihre n deutlichsten Ausdruc k gefunden . Eh e ei n brei t ausgeführte s Bil d vo n de r kommenden Zei t de s Messia s entworfe n wird , wir d da s Bekenntni s zu m Gott Israel s ausgesprochen : „Herr , d u selbs t bis t unse r Köni g imme r un d ewig" (Ps.Sal . 17,1). Angesichts de s schwere n Leids , da s mi t de r Eroberun g Jerusalems durc h Pompeju s übe r da s Vol k gekomme n ist , wir d Got t a n seine alt e Verheißun g erinnert : „Du , Herr , has t Davi d erkore n zu m Köni g über Israel , un d d u has t ih m geschwore n übe r seine n Same n fü r all e Zeit , daß sei n Königtu m nich t aufhöre n soll e vo r dir " (17,4) . Wen n sic h auc h wegen de r Sünde n de s Volke s Gottlos e wide r Israe l erhebe n konnten , s o bleibt doc h Gotte s Zusag e gültig . Daru m wir d a n ih n di e Bitt e gerichtet : „Sieh darein , o Herr, un d la ß ihne n erstehe n ihre n König , de n Soh n Davids , zu de r Zeit , di e du erkoren , Gott , da ß e r übe r deine n Knech t Israe l regiere "

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(17,21). Wir d de r kommend e Herrsche r nac h de m Name n de s große n Königs David s genannt , s o is t dami t angezeigt , da ß di e Nathansweissagun g ihre Erfüllun g finde n wird . Wi e Got t eins t Davi d ausgerüste t un d gestärk t hat, s o wir d e r auc h de n endzeitliche n Befreie r mi t Kraf t gürten , dami t e r Jerusalem vo n de n Heide n reinige , di e Sünde r mi t eiserne m Stab e zer schmettere un d di e Heide n mi t de m Wort e seine s Munde s vernichte . Den n „er läß t nich t zu , da ß ferne r Unrech t i n ihre r Mitt e weile , un d nieman d darf be i ihne n wohnen , de r u m Böse s weiß " (17,27) . E r wir d regiere n al s „gerechter König , vo n Got t unterwiesen , übe r sie , un d i n seine n Tage n ge schieht kei n Unrech t unte r ihnen , wei l si e all e heili g sind , un d ih r Köni g der Gesalbt e de s Herr n ist " (17,32) . Wen n hie r ausdrücklic h beton t wird , der zukünftig e Herrsche r Israel s werd e vo n Got t unterwiese n sein , s o is t daran z u erkennen , da ß da s Bil d de s Messia s vo n de n Gesetzestreue n ge zeichnet wurde , di e vo n de m Gesandte n Gotte s vo r alle m erwarteten , da ß er Gotte s Gebo t gehorsa m sei , u m seine n Wille n wiss e un d da s Geset z zu r einzigen Richtschnu r seine s Handeln s mache . A m End e de r ausführliche n Beschreibung de s messianische n Heil s wir d abermal s z u Got t gerufen : „Got t lasse bal d sein e Gnad e übe r Israe l kommen ; e r rett e un s vo r de r Befleckun g durch unheilig e Feinde . De r Her r selbs t is t unse r Köni g imme r un d ewig " (17,45f.). (Vgl . Kippenberg- Wewers, S.73f. ) Die Hoffnung, de r Soh n David s werd e sei n Volk befreien un d de n Heide n ihre Gottlosigkeite n vorhalten , di e Ungerechtigkei t strafe n un d di e Freve l vor Auge n führe n (4.Esral2,32) , wurd e s o allgemei n geteilt , da ß de r Tite l „Sohn Davids " vo n de n Rabbine n durchgehen d al s Messiasbezeichnun g gebraucht werde n konnte , ohn e eine r nähere n Bestimmun g z u bedürfen . Über di e Katastroph e de r Zerstörun g Jerusalem s durc h di e Röme r wurd e diese Erwartun g hinweggetrage n un d blie b feste r Bestandtei l de r Gebete , die a n Got t gerichte t werden , e r mög e de n Spro ß David s sende n un d seine n Gesalbten erscheine n lassen . Neben diese r vorherrschende n Ansich t übe r da s Komme n de s Messia s wurden auc h ander s lautend e Meinunge n vertreten , di e diese s Bil d teilweis e ergänzen, teilweis e ih m abe r auc h widersprechen . Verschiedentlic h wa r davon di e Rede , de m Messia s werd e ei n Vorläufe r vorangehen , de r sein e Ankunft ankündige n un d vorbereite n solle . Meis t wir d de r wiederkehrend e Prophet Eli a al s de r Wegbereite r genann t (vgl . Mal. 3,23 f. [4, 5 f.]), i n Qum ran wir d nu r vo m Komme n eine s endzeitliche n Prophete n gesproche n (1QSIX, 11). Di e Gestal t de s Heilbringers , di e de m ih m vorangehende n Boten folgt , konnt e auc h al s ei n endzeitlicher Priester vorgestell t werden , der da s von Unreinhei t un d Sünd e befreite Vol k sammel n wird . Sein e Wirk samkeit wir d wede r nac h de m Vorbil d David s noc h nac h de m eine s Pro pheten, sonder n al s di e Zei t de s wiederkehrende n Paradiese s beschrieben . Dann wir d da s gege n Ada m drohend e Schwer t weggestellt , de n Heilige n vom Hol z de s Leben s z u esse n gegeben , di e Mach t de s Böse n beseitig t un d Beliar gebunde n werden , s o da ß di e Gemeind e de r Vollendun g unange -

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fochten i n paradiesische r Freud e lebe n un d de r Her r a n seine n Geliebte n Wohlgefallen habe n wir d bi s i n Ewigkei t (Test . Lev i 18) . Während i n de r endzeitliche n Erwartung , di e di e Gemeind e vo n Qumra n vertrat, di e Vorstellun g eine s messianische n Hohenpriester s mi t de r de s königlichen Gesalbte n verbunde n worde n is t (vgl . S . 77), ga b e s be i manchen Jude n di e Vorstellung , de r Gesandt e Gottes , de r i n de n letzte n Tagen auftrete n wird , werd e de r Prophe t schlechthi n bzw . de r wieder kehrende Mos e sein . De r Prophet , de r i n di e Wel t komme n sol l (Joh . 6,14; vgl. auch Joh . 1,21), wird i n Erfüllun g de r Verheißun g vo n 5.Mos e 18,15 er scheinen: „Eine n Prophete n wi e mic h (nämlic h Mose ) wir d di r de r Herr , dein Gott , erstehe n lassen , au s de r Mitt e deine r Brüder , au f de n soll t ih r hören." Die apokalyptische n Schilderunge n de r Wend e vo n diese m vergehende n Äon z u jene r kommende n Wel t Gotte s erwähne n entwede r überhaup t nich t einen Messias , ode r si e spreche n vo n de m Menschensohn, de r scho n be i Gott bereitsteht , u m a m End e de r Tag e au f de n Wolke n de s Himmel s herabzukommen, Gerich t z u halte n un d di e Gerechte n zu r Seligkei t z u führen (vgl . S.41f.) . Hie r is t de r Rette r nich t al s ein e irdisch e Erscheinun g von hoheitsvolle r Heiligkei t gedacht , sonder n al s überirdisch e Gestalt , di e aus de r himmlische n Wel t hervortrete n wird . Die Frage, wann den n da s Reich Gotte s komme , wurde überal l i m Juden tum gestell t un d nac h Zeiche n gesucht , a n dene n ma n ablese n könnte , o b die messianisch e Zei t sic h bereit s ankündig t (vgl . Lk . 17,20). Die Rabbine n antworteten au f dies e Frage , durc h strenge n Gehorsa m gege n da s Geset z könne Israe l di e Ankunf t de s zukünftige n Heil s beschleunigen . Wen n gan z Israel wirklic h Buß e täte , dan n werd e di e Erlösun g durc h de n Messia s kommen. D a de r Ta g de r Befreiun g au f sic h warte n ließ , vermutete n manche, de r Messia s werd e gan z verborge n bleibe n un d vielleich t werd e niemand ih n erkenne n (vgl . Joh . 7,27); ander e sagten , e r se i scho n gebore n worden un d unerkann t erschienen . I n solche n Sätze n sprac h sic h di e Ent täuschung darübe r aus , da ß Geschicht e un d Gegenwar t vo n de n Zeiche n der messianische n Zei t nicht s sichtba r werde n ließen . Gleichwoh l blie b i m Judentum di e Hoffnun g lebendig , Got t werd e sic h a m End e übe r sei n Vol k erbarmen un d sei n Elen d ansehen . So unterschiedlic h di e Anschauunge n übe r de n Messia s un d di e Zei t de s Heils auc h waren , ihne n alle n is t gemeinsam , da ß de r vo n Got t Gesalbt e als ei n Herrsche r un d Richte r auftrete n wird , de r di e Niedrigkei t Israel s aufheben, di e Heide n vertreibe n un d da s Reic h de r Herrlichkei t begründe n wird. Nirgendw o abe r wir d vo n eine m leidenden Messias gesprochen , de r um de r Sünde n de s Volke s wille n Schmac h un d To d au f sic h lade n wird . Da, w o da s Verhältni s de s Mensche n z u Got t allei n vo m Geset z bestimm t ist, w o ma n nac h de r Gerechtigkei t unte r de m Geset z frag t un d außerhal b des Gesetzes keine n andere n We g zu m Hei l kennt , kan n fü r eine n leidende n Messias, de r di e Schul d andere r au f sic h nimmt , kei n Plat z sein . Ers t al s die schreckliche n Ereigniss e währen d de s jüdische n Kriege s (66-7 0 n . Chr.)

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und de s Aufstande s unte r Ba r Kochb a (132-13 5 n.Chr. ) da s Judentu m schwer getroffe n hatte n un d di e Erwartung , de r Messia s werd e bal d er scheinen, zerbroche n war , wurd e hie r un d d a dara n gedacht , da ß de r Ge salbte Gotte s leide n un d sterbe n muß . Nebe n de m Messia s be n Davi d erwähnte ma n gelegentlic h eine n Messia s be n Joseph , de r al s Kriegsman n schwere Kämpf e ausfechte n mu ß un d i m Strei t fällt . Ein e später e Legend e erzählt, R . Josu a be n Levi , de r i m dritte n Jahrhunder t n . Chr. lebte , hab e einmal de n Prophete n Eli a getroffe n un d ih n gefragt , wan n de r Messia s kommen werde . Darau f hab e de r Prophe t gesagt , e r soll e ih n selbs t frage n und werd e ih n finden a m Tor e Roms , wo e r zwische n de n vo n Krankheite n behafteten Arme n sitze . Si e binde n di e Wunde n ihre s Aussatze s all e mi t einem Mal e au f un d verbinde n si e wieder, e r abe r bind e si e einzeln au f un d verbinde si e einzeln ; den n e r denke : Vielleich t werd e ic h verlangt , dan n soll kein e Verzögerun g entstehe n (babylon . Talmud , Sanhedri n 9 8 a). Mi t Krankheit beladen , häl t sic h de r Messias , de r unte r de n Elende n verborge n sitzt, ständi g berei t fü r di e Stunde , z u de r e r vo n Got t gerufe n wird . Auc h in diese n Worten , di e vo n eine m mi t Elen d behaftete n Messia s sprechen , ist nicht davo n di e Rede, da ß e r u m de r Sünde n andere r wille n leidet . Woh l aber is t e r i n di e Gemeinschaf t de s Leiden s mi t gan z Israe l eingetreten , da s auf di e Erlösun g geduldi g wartet . Die christlich e Gemeinde , di e de n gekreuzigte n un d auferstandene n Jesu s als de n Messia s verkündigt , ha t all e Würdetitel , di e i n de r endzeitliche n Erwartung de s Judentum s unverbunde n nebeneinanderstehen , au f ihre n Herrn übertragen . E r wir d nich t nu r de r Christu s ( = Messias ) un d Soh n Davids genannt , sonder n auc h de r Hohepriester , de r Prophe t un d de r Menschensohn. Nich t i n de r messianische n Hoffnun g de s Judentums , di e eine bunt e Vielfal t vo n Vorstellunge n darbot , sonder n ers t i m christliche n Bekenntnis wurde n di e verschiedene n Bezeichnunge n de s Messia s z u eine r Einheit zusammengefaßt . Dabe i wurde n si e vo m Kreuzesgeschehe n her , au f das si e nu n ausnahmslo s bezoge n wurden , zutiefs t umgestalte t un d inhalt lich ne u geprägt ; den n si e all e diene n nu n dazu , di e einzigartig e Hohei t de s erniedrigten Messia s z u beschreiben , de r fü r unser e Sünde n gestorbe n is t nach de n Schrifte n (l.Kor . 15,3). Das Judentu m kannt e i n de r Vielfal t seine r messianischen Bilde r nich t eine n Gesalbte n Gottes , de r de r Freun d de r Zöllner un d Sünde r wir d un d sterben d di e Schul d de r Wel t au f sic h lädt . Die Christe n abe r glaube n a n de n gekreuzigte n un d auferstandene n Messia s als de n lebendige n Herrn . Vo n eine m Glaube n a n de n Messia s wir d jedoc h im Judentu m niemal s gesprochen , Glaub e al s Vertraue n au f di e Wahrhei t des Worte s Gotte s is t vielmeh r ei n gute s Wer k i m Lebe n de r Fromme n neben anderen . Übe r di e Perso n de s Messia s werde n dahe r kein e nähere n Erwägungen angestellt . Den n nich t au f sein e Person , sonder n au f di e mes sianische Zeit , di e e r bringe n soll , un d da s Werk , da s e r i n Gotte s Auftra g vollführen wird , richte t sic h di e endzeitliche Erwartung . Wenn e r erscheine n wird, werde n Herrlichkei t un d Glan z anbrechen , di e Got t durc h sei n Werk -

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zeug seine m Vol k zutei l werde n lasse n will . De r Messia s wir d dahe r de r Vollstrecker, nich t abe r Grund , Sin n un d Inhal t de s Heil s sein . Die älter e Erwartun g eine s irdische n Messiaskönig s un d di e apokalyp tische Hoffnung, di e sich auf di e Wende de r Äone n richtet , stehe n ursprüng lich i n keine r gegenseitige n Beziehung . Doc h w o ma n späte r di e Frag e stellte, wie sich dies e unterschiedliche n Vorstellunge n zueinande r verhalten , suchte man eine n Ausgleic h au f folgend e Weis e herzustellen : Zunächs t wir d der davidisch e Messia s auftreten , Israe l befreie n un d regieren , sein e Herr schaft abe r wir d begrenz t sei n un d nu r de n Anfan g de r endzeitliche n Ge schehnisse bilden. Nac h eine m letzte n Anstur m de r feindliche n Mächt e wir d dann diese r Äon vergehen, die Toten werde n auferweck t un d de r Menschen sohn wir d übe r all e Mensche n richten , dami t di e neue Wel t Gotte s anhebe n kann un d di e eine n zu m Leben , di e andere n zu m ewige n To d eingehen . Auf dies e Weis e entstan d di e Vorstellun g eine s messianischen Zwischenreiches, da s de m End e diese r Wel t un d de r kommende n Gottesherrschaf t vorangehen soll . Nac h 4.Esra7,28f . wir d de r Messia s 40 0 Jahr e lan g herr schen, danac h abe r werde n e r un d alle , di e Menschenode m haben , sterben . Wenn di e ganz e Wel t siebe n Tag e lan g i m Schweige n de r Urzei t verharr t hat, werde n di e Tote n auferstehe n un d wir d da s Endgerich t stattfinden . Die Zei t de s Messia s au f Erde n stell t somi t nu r ein e Vorstuf e de r Herrlich keit dar , di e nach de m End e de s alte n Äon s anbreche n wird . Di e Daue r de s Zwischenreiches wurd e i n de r jüdische n Apokalypti k verschiede n an gegeben. W o sic h die Zahl 100 0 findet, is t si e von de r Vorstellun g de r Welt woche genommen , nac h de r 600 0 Jahr e lan g di e Weltgeschichte ihre n Gan g nehmen un d di e letzte n tausen d Jahr e de r groß e Weltsabba t herrsche n sol l (vgl. S.39). Dies e Erwartun g eine s messianische n Zwischenreiche s ha t dan n in eine r verchristlichte n Gestal t i n di e Offenbarun g de s Johanne s Eingan g gefunden (vgl . Offb.Joh . 20,1-10) . Da s konnt e u m s o ehe r geschehen , al s nach de r urchristliche n Verkündigun g Jesu s sowoh l Messiasköni g al s auc h Menschensohn genann t un d all e zukünftig e Erwartun g allei n a n seine n Namen geknüpf t wurde . In de n harte n Kämpfe n de r Makkabäerzei t hatt e sic h di e bedrängend e Frage erhoben , o b di e i m Krieg e gefallene n Gerechte n nich t a m zukünf tigen Hei l teilhabe n könnten . Di e Antwor t hatt e ma n zunächs t dari n ge funden, da ß einzeln e Fromm e au s de r Geschicht e Israel s un d di e Blutzeuge n vom Tod e auferweck t werde n sollen , u m di e voll e Seligkei t mitzuerlebe n (vgl. 2.Makk.7) . Di e Sünde r dagege n werde n i m Tod e bleiben : „De s Sün ders Verderbe n is t ewig , un d sei n wir d nich t gedacht , wen n e r (nämlic h Gott) di e Fromme n heimsucht . Da s is t da s Tei l de r Sünde r i n Ewigkeit ; aber di e de n Herr n fürchten , werde n auferstehe n zu m ewige n Leben , un d ihr Lebe n (verläuft ) i m Licht , un d (das ) wir d nimme r versiegen " (Ps.Sal . 3,11 f.). Doc h bal d wurd e de r Gedank e de r Auferstehung i m Zusammen hang mi t de m i n de r Apokalypti k geschilderte n zukünftige n Weltgerich t dahin erweitert , da ß nich t nu r di e Gerechte n zu r Seligkei t auferstehen , son dern all e Mensche n au s de m Tod e auferweck t werde n sollen , u m sic h vo r

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dem Richtstuh l Gotte s z u verantworten . Äth.Hen.2 2 heiß t es , da ß all e Toten de r Unterwelt , di e Gerechte n wi e di e Gottlosen , zu m Gerich t auf erstehen werden . Ausgenomme n sin d lediglic h di e ermordete n Sünder , di e durch ihre n To d bereit s hinreichend e Sühn e fü r ihr e Schul d geleiste t habe n und dahe r nich t meh r vo r Gerich t z u erscheine n brauchen . Di e Bilderrede n der äthiopische n Henochapokalyps e (Kap.37-71) , di e Visione n de r Esra apokalypse un d di e syrisch e Baruchapokalyps e (30,1-5 ; 50,2-51,3 ) setze n dann di e allgemein e Auferstehun g alle r Tote n voraus . Wenn nac h de m To d der Lei b i n da s Gra b geleg t wird , wir d di e Seel e de s Mensche n a n eine n himmlischen Or t gebracht , a n de m si e i m Zwischenzustan d verweilt . A m Jüngsten Ta g abe r werde n di e Leibe r au s de n Gräber n herausgehol t un d die Seele n wiede r mi t ihne n verein t werde n (vgl . S.40) . Wie di e Sadduzäe r de n Glaube n a n di e Auferstehun g de r Tote n ab lehnten (vgl . S.52) , s o vertra t auc h di e Lehr e de r Gemeind e vo n Qumra n die älter e For m de r endzeitliche n Erwartung , di e zwa r au f de n Sie g Gotte s und da s Hei l bezoge n ist , da s de n Söhne n de s Lichte s zutei l werde n soll , aber vo n eine r Auferstehun g de r Tote n nirgendw o ausdrücklic h spricht . Die Hoffnun g richte t sic h darauf , da ß di e Söhn e de r Wahrhei t „Überma ß des Frieden s habe n werden , solang e di e Tag e währen , un d Fruchtbarkei t des Samen s mi t alle n ewige n Segnunge n un d ewig e Freud e i n immerwäh rendem Lebe n un d eine n Kran z de r Herrlichkei t mi t prachtvolle m Gewan d in ewige m Licht " (lQSIV,7f.) . Wen n auc h di e Frage , wi e e s übe r de n To d hinaus Teilhab e a m Hei l gebe n kann , nich t erörter t wird , s o bekenn t doc h der Beter : „Ic h preis e dich , Herr ! Den n d u has t mein e Seel e erlös t au s de r Grube, un d au s de r Unterwel t de s Abgrund s has t d u mic h hinaufgehobe n zu ewige r Höhe " (1Q H III, 19f.). Als dan n nac h de r Zerstörun g Jerusalem s im Jah r 7 0 n.Chr . allei n di e pharisäische n Schriftgelehrte n di e Lehr e de r Synagoge bestimmten , wurd e di e Hoffnun g au f di e Auferstehung de r Tote n zum Bekenntnis , da s jede r Jud e z u bejahe n hat , inde m e r de n Got t Israel s preist, de r di e Tote n auferweckt . Nach de m Gerich t wir d fü r alle , di e i n di e Seligkei t eingehe n dürfen , da s ewige Lebe n anheben , da s bisweile n wi e ein e gesteigert e Fortsetzun g de s irdischen Leben s vorgestell t wird , de m nu n Laste n un d Plage n genomme n sind. I n festliche n Gelage n wir d gegesse n un d getrunke n (äth . Hen . 62,14 u.ö.), Krankhei t un d No t sin d gebann t (4.Esra8,53) . Da s ewig e Lebe n währt i m Unterschie d zu m diesseitige n ohn e di e Begrenzun g zeitliche r Dauer, wei l di e Herrschaf t de s Tode s gebroche n is t (syr.Bar.21,22f . u.ö.) . Auch wir d e s keine Sünd e meh r geben , nachde m de r bös e Trieb , de r i n de m Menschen wohnt , mi t ihre m Tod e erlosche n ist . Nac h andere n Aussage n ist da s ewig e Lebe n de m irdische n i n keine r Weis e vergleichbar , wei l dan n die Bedingungen , unte r dene n di e Mensche n ih r irdische s Dasei n führen , aufgehoben sind . In der zukünftigen Wel t wir d e s - s o könne n di e Rabbine n gelegentlich sage n - nich t Essen un d Trinken , nich t Zeugun g un d Fortpflan zung, nich t Kau f noc h Verkauf , nich t Nei d noc h Feindschaf t un d Strei t geben, sonder n di e Gerechte n werde n dasitze n mi t ihre n Krone n au f ihre n

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Häuptern un d sic h labe n a m Glan z de r Sch ekina (d.h . Gottes ) (babylon . Talmud, B e rakot 17a) . Im hellenistische n Judentu m is t unte r griechische m Einflu ß weithi n de r Glaube a n di e Unsterblichkeit der Seele aufgenomme n worde n (vgl . S.89) , so da ß auc h di e Hoffnun g au f da s ewig e Lebe n ein e ander e Bedeutun g ge wann. Sei n Begin n is t nu n nich t meh r notwendi g a n di e Auferstehun g de r Toten gebunden , sonder n da s ewig e Lebe n nimm t seine n Anfan g i n de m Augenblick, i n de m di e unsterblich e Seel e sic h vo m Leib e lös t un d i n di e Unvergänglichkeit hinaufgehobe n wird . Unmittelba r nac h de m Tod e schläg t die Stund e vo n Gerich t un d Vergeltung , i n de r darübe r entschiede n wird , ob de r Zugan g zu m ewige n Lebe n aufgeta n ode r verschlosse n wird . Den mannigfaltige n Vorstellunge n übe r da s Hei l un d de n verschiedene n Ausprägungen de r Hoffnun g au f da s ewig e Leben is t gemeinsam , da ß e s al s Gabe Gottes , de r allei n ewi g ist , de n Mensche n i n de r jenseitige n Wel t zuteil wird . Glaub e un d Wande l de s Frommen , Gehorsa m gege n da s Geset z bzw. ei n tugendhafte s Lebe n sin d di e Vorbedingunge n fü r da s Erlange n der zukünftige n Heilsgab e de s ewige n Lebens .

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II. TEIL

Die hellenistisch-römisch e Umwel t des Neuen Testament s I. KAPITEL

Politik un d Gesellschaf t i m Römische n Reic h im erste n Jahrhunder t n . Chr . Das nahez u unermeßlich e Reich , da s Alexande r d . Gr . mi t seine n Er oberungszügen zusammengebrach t hatte , wa r nac h de m frühe n To d de s jungen makedonische n König s alsbal d wiede r auseinandergefallen . De r nachhaltige Einflu ß de r griechischen Sprach e und Lebensgewohnheite n blie b jedoch i n de n Herrschaftsgebiete n de r Diadochen , di e da s Erb e Alexander s unter sic h aufteilten , mi t unverminderte r Stärk e wirksam . Syrie n un d Ägypten wurde n vo n hellenistische n Könige n regiert , di e Bevölkerun g er lernte di e Sprach e de r Grieche n un d paßt e sic h ihre n Gebräuche n un d Um gangsformen an . Al s dan n di e Röme r i n de n schwere n Auseinandersetzun gen mi t Karthag o siegreic h gebliebe n waren , wandte n si e vo n de r Mitt e des zweite n vorchristliche n Jahrhundert s a n ihr e Aufmerksamkei t i n stei gendem Maß e Griechenlan d un d de m Orien t zu . In de r Begegnung mi t de m Hellenismus übernahme n si e Kuns t un d Wissenschaf t de r Grieche n un d dehnten durc h ihr e politische n Erfolg e ihre n Machtbereic h imme r weite r aus. I m erste n Jahrhunder t v.Chr . wurde n Syrie n un d Palästin a de r römi schen Botmäßigkei t unterworfen , s o da ß nunmeh r de r ganz e Oste n de s Mittelmeerraums de r Herrschaf t Rom s unterstell t war . Dami t hatte n di e Römer überal l di e Nachfolg e de r Grieche n angetreten . Dabe i empfande n sie es al s ihr e Verpflichtung, fü r di e Erhaltun g de s ihne n zugefallene n Erbe s zu sorgen , da s al s hellenistisch-römisch e Kultu r un d Zivilisatio n durc h de n Bestand de s mächtige n Römische n Reiche s gefestig t un d weite r ausgebreite t wurde. 1. Das Römische Reich unter der Herrschaft der Caesaren Nachdem e s schließlic h Caesa r gelunge n war , sein e Gegne r z u besiege n und di e Gewalt a n sic h zu bringen , war e r i n de m Augenblick , i n de m e r di e Hand nac h de r Alleinherrschaf t ausstreckte , ermorde t worde n (4 4 v.Chr.) . Die Mörde r Caesar s konnte n sic h jedoc h nu r fü r kurz e Zei t behaupten . Dann machte n Octavia n un d Antonius , di e sic h zu m Kamp f gege n di e Caesarenmörder verbünde t hatten , ihre m Regimen t ei n Ende . Di e Siege r 10 Lohse , Umwel t

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teilten sic h das Reich : Antoniu s übernah m di e Herrschaft i m Osten , lebt e i n Alexandria mi t de r Königi n Kleopatr a zusamme n un d bestimmt e vo n dor t auch di e Geschick e Syrien s un d Palästinas ; Octavia n regiert e i n Ro m übe r Italien un d de n Weste n de s Reiches . Doc h dies e Regelun g sollt e nich t vo n Dauer sein , d a e s alsbal d zu m Zerwürfni s zwische n de n beide n Herrscher n kam. I m Krieg , de n si e gegeneinander austrugen , blie b Octavia n Sieger . Al s in de r Seeschlach t be i Actiu m di e Flott e de s Antoniu s unterla g (3 1 v.Chr.) , war sei n Schicksa l besiegelt . Forta n wa r Octavia n allei n Herrsche r übe r da s weite Römisch e Reich . Italien un d di e Provinze n hatte n unte r de n viele n Kämpfe n un d Aus einandersetzungen schwe r gelitten . Viel e Familie n ware n auseinander gerissen worden, die Männer al s Soldaten in ferne Lände r ausgerückt . Groß e Verluste hatt e di e Bevölkerun g erfahren ; Landwirtschaf t un d Hande l lage n darnieder. Bi s i n di e entlegenste n Winke l de s Reiche s hatte n sic h di e Er schütterungen ausgewirkt . Man hatt e sic h jeweils demjenige n füge n müssen , der i m Augenblic k di e Mach t besaß . Un d wen n ei n jähe r Umschwun g ein trat, s o mußt e ma n zusehen , rasc h di e Guns t de s neue n Herrscher s z u er langen. So war es dem jüdischen Köni g Herodes gelungen, jede Veränderun g der politische n Lag e sofor t z u erfasse n un d vo n eine r Seit e zu r andere n hinüberzuwechseln, wen n e s ihm nöti g schien (vgl . S.23f.). Nac h diese n leid vollen Jahre n wa r di e Bevölkerung de s ganze n Reiche s vo n tiefe r Sehnsuch t nach Friede n erfüllt . I n Italie n wi e i n de n Provinze n schaut e ma n volle r Er wartung nac h de m kommende n Herrsche r aus , de m e s endlic h gelinge n würde, di e Flamm e de s Kriege s z u zertreten . Diesen vo n alle n ersehnte n Friede n schu f Octavian, de m al s Siege r übe r Antonius di e uneingeschränkt e Mach t zugefalle n war . D a e r nu r al s Führe r des Heere s de n Bestan d de s Frieden s garantiere n konnte , behiel t e r al s Imperator da s Kommand o übe r di e Truppen . I n de r Öffentlichkei t tra t e r als Sachwalte r römische r Traditio n auf . Obgleic h e r allei n übe r di e Mach t verfügte, achtet e er den Senat und setzt e ihn wieder i n seine alten Recht e ein . Nicht-Römer, di e zu r Zei t Caesar s i n de n Sena t gekomme n waren , wurde n ausgeschlossen, u m da s Ansehe n de r oberste n Behörd e z u mehren . Di e Stel lung de s Octavia n wurd e gefestigt , inde m sei n Adoptivvate r Caesa r au f Be schluß de s Senat s unte r di e Götte r erhobe n wurde . Octavia n nannt e sic h fortan Soh n de s göttlichen Caesar , Imperato r Caesa r Divi filius. Obwoh l di e alte römische Verfassung wiede r i n Kraft gesetz t worde n war , lag tatsächlic h die Regierungsgewalt allei n be i Octavian . Al s er im Jah r 2 7 v. Chr. i n eine m öffentlichen Staatsak t all e Sondervollmachten , di e ih m übertrage n worde n waren, niederlegt e un d si e de m Sena t zurückgab , dami t di e alt e Ordnun g wiederhergestellt werde , ersucht e ih n de r Senat , sein e Stellun g z u behalten , damit e r de n Friede n schütz e un d weiterhi n fü r di e Wohlfahr t de s Staate s sorge. Daraufhi n nah m Octavia n di e Vollmachten , di e e r soebe n abgeleg t hatte, wiede r vo m Sena t entgegen . Dami t entstan d ein e neu e Regierungs form. Zwa r blie b de r Sena t oberst e Behörd e Roms , abe r Octavia n wa r de r erste Bürge r de s Staates , de r al s de r Princep s sein e Geschick e lenkte . Z u

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seinem Name n fügt e e r de n de s Augustu s hinz u un d ho b dami t di e einzig artige Würd e seine r Stellun g hervor ; den n bi s dahi n wa r dies e Bezeichnun g ( = de r Erhabene ) nu r al s Beinam e vo n Götter n verwende t worden . Zwa r hütete sic h Octavian , mi t de r römische n Tradition , di e stren g zwische n Göttern un d Mensche n schied , z u brechen , abe r inde m e r sic h Augustu s nennen ließ , brachte e r unmißverständlic h zu m Ausdruck , da ß sein e Macht stellung von unvergleichliche r Hohei t sei . Nachdem i m Jahr e 1 2 v . Chr . Augustu s au f Grun d eine r Volksabstim mung da s höchst e priesterlich e Am t de s pontife x maximu s übertrage n worden war , wurd e schließlic h di e Reih e de r Ehrenname n nochmal s ver mehrt, al s ih n de r Sena t 2 v . Chr . al s pate r patria e bezeichnete . Volle r Stol z hebt Augustu s i n eine m Rechenschaftsbericht , de n e r kur z vo r seine m Tod e im Rückblic k au f sein e Politi k erstattete , hervor , dies e Ehrunge n seie n ih m um seine r Tapferkei t un d Milde , seine r Gerechtigkei t un d Frömmigkei t willen durc h de n Sena t zutei l geworden . A n Machteinflu ß hab e e r all e über troffen, a n Amtsgewal t abe r nich t meh r besesse n al s di e übrigen , di e ih m i n jedem Amt e Amtsgenosse n gewese n seien . Von 2 7 bi s 23 v. Chr. ließ sic h Augustus Jah r u m Jah r da s Konsula t über tragen. Obwoh l ih m ei n zweite r Konsu l zu r Seit e stand , la g doc h di e Füh rung allei n be i ihm . Späte r wa r sein e Stellun g s o gefestigt , da ß e r nu r noc h hin un d wiede r da s Konsula t ausübte . Da s Hee r blie b ih m tre u ergeben , d a die Soldaten , di e größtenteil s au s Italie n rekrutier t wurden , Sold , Beförde rung un d gut e Abfindun g allei n vo m Caesa r erwarte n konnte n un d di e Offiziere, di e au s römische m Ade l kamen , darau f zähle n konnten , durc h Augustus z u Aufstie g un d Erfol g z u gelangen . E r mußt e freilic h fü r di e erheblichen Koste n aufkommen , di e di e Unterhaltun g de s ständige n Berufs heeres erforderlic h machte , wa r daz u jedoc h i n de r Lage , wei l e r nac h de m Sieg übe r Antoniu s un d Kleopatr a Ägypte n al s sei n persönliche s Eigentu m übernommen hatte . S o war e r de r be i weite m reichst e Man n i m Imperium , der abe r seine großen Mittel zu m Wohl de s Staates einsetzte. Er trug nicht nu r für di e Unterhaltun g de r Truppe n Sorge , sonder n lie ß auc h au s Ägypte n Korn heranschaffen , u m e s unte r da s römisch e Proletaria t z u verteilen , da s durch Bro t un d Spiel e (pane m e t circenses ) be i Laun e gehalte n wurd e un d jederzeit zu r Stell e war , wen n e s galt , de m Caesa r zuzujubeln , di e vo n ih m angesetzten Fest e z u begehe n un d ih m z u huldigen . Augustus verlegt e di e Legione n a n di e Grenze n de s Reiches , u m di e ge fährdeten Gebiet e z u schützen . I n Ro m stan d nu r di e Prätorianergarde , di e für Ordnun g un d de n Schut z de s Caesar s z u sorge n hatte . Di e Provinze n wurden vo n Statthalter n geleitet ; de n hellenistische n Städte n i m Oste n de s Reiches wurd e dabe i weitgehend e Selbstverwaltun g ihre r Angelegenheite n nach überkommene m Stadtrech t zugestanden . Di e Aufsich t übe r di e alte n Provinzen la g bei m Senat , de r auc h di e Statthalte r z u ernenne n hatt e un d in de r Rege l eine n Konsu l nac h Ablau f seine s Amtsjahre s al s Prokonsu l i n eine Provin z entsandte . S o wir d Apg . 18,12 berichtet , da ß de r Prokonsu l Gallio i n Korint h eintraf , u m da s Am t de s Statthalter s vo n Achaj a anzu 10*

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treten (5 1 n. Chr.) . Die ne u gewonnene n Gebiet e wi e Ägypten unterstande n dagegen nich t de m Senat , sondern ware n al s kaiserliche Provinze n unmittel bar de m Caesa r unterstellt , de r allei n darübe r entschied , we r al s sei n Statt halter amtiere n sollte . Zu m große n Verban d de s Reiche s gehörte n auc h verbündete Fürstentümer , di e vo n Ro m abhängi g waren . S o konnt e de r König Herode s nu r mi t Billigun g Rom s i n Palästin a regieren ; un d al s e r starb, mußt e sei n Testamen t vo n Augustu s bestätig t werden , u m i n Kraf t treten z u könne n (vgl . S.26f.) . Wen n sic h ei n Fürs t i n eine m vo n Ro m ab hängigen Lan d nich t s o verhielt , wi e ma n e s vo n ih m erwartete , konnt e e r seines Amte s enthobe n un d sei n Gebie t de r Aufsich t eine s römische n Pro kurators unterstell t werde n (vgl . S.27) . Die kluge und maßvoll e Politik , mi t de r Augustus da s Reich regierte, fan d nahezu allgemein e Zustimmung . Nac h de n langwährende n Schrecke n de r Kriege wa r endlic h überal l Fried e eingekehrt , un d di e Röme r ginge n nich t auf weiter e Eroberunge n aus , sonder n ware n au f Sicherun g de s Bestande s und Festigun g de r Grenze n bedacht . I m ganze n Reic h wurd e Augustu s al s Friedensherrscher gefeiert . S o heiß t e s i n eine r Inschrift , di e 9 v . Chr . i n Priene i n Kleinasie n angebrach t wurde , ma n woll e de n Jahresanfan g au f den Geburtsta g de s Caesar s legen ; den n di e göttlich e Vorsehun g hab e de m Leben de r Mensche n di e höchst e Vollendun g gebracht , „inde m si e un s de n Augustus schenkte , de n si e zu m Woh l de r Mensche n mi t Kraf t erfüllte , wi e sie ih n un s un d unsere n Nachkomme n al s Heilan d sandte , de r de m Krie g ein End e mache n un d alle s ordnen sollte" . Die froh e Kunde , di e vo n seine m segensreichen Walte n ergange n ist , hab e ihre n Anfan g genomme n mi t de r Nachricht vo n de r Gebur t de s Herrschers : „De r Geburtsta g de s Gotte s wa r für di e Wel t de r Anfan g vo n Freudenbotschafte n (griechisch : Evangelien) , die seinetwege n ergange n sind. " W o ih m solch e Huldigun g i n de n orienta lischen Provinze n de s Reiche s entgegengebrach t wurde , lie ß Augustu s si e sich gefallen , verlangt e jedoc h nich t entsprechend e Verehrun g i m Weste n oder ga r i n Rom . D a e r al s de r Friedensherrsche r anerkann t sei n wollte , de r mit Weishei t un d Güt e da s Woh l de r Mensche n fördert , lie h e r auc h mancherlei Klagen , di e vo n hie r ode r dor t au s de m weite n Reic h a n ih n herangetragen wurden , sei n Oh r un d grif f ein , u m unterdrückte n Völker schaften z u helfen, Schuldig e zu bestrafen ode r rücksichtslose Statthalter un d Herrscher ihre s Amte s z u enthebe n (vgl . S.27) . Überall i m Reic h wurde n neu e Städt e gegründet , Baute n vo n Tempeln , Theatern, Wasserleitunge n un d andere n öffentliche n Einrichtunge n auf geführt un d vo r alle m Verkehrsweg e angelegt . Militärpolize i sichert e di e römischen Straße n a n gefährdete n Stellen , s o da ß ma n ohn e Sorg e vo r räuberischen Überfälle n rasc h un d siche r von einem Or t zu m andere n ziehe n konnte; un d di e Seeweg e wurde n durc h di e Flotte de s Caesar s geschützt , s o daß di e Schiffahr t nich t durc h Seeräube r behellig t wurde . Wirtschaf t un d Handel blühte n infolgedesse n au f un d weitete n sic h auc h übe r di e Grenze n des Reiche s bi s a n de n Atlantik , di e Ostse e un d nac h Afrik a aus . Da s römische Bürgerrech t wurd e übe r Italie n hinau s auc h au f verdient e Ein -

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wohner i n de n Provinze n ausgedehnt . Jede r Bürge r de s Reiche s durft e fre i umherreisen, nu r a n de n Provinzgrenze n wurd e ei n geringe r Zol l erhoben . Der Bevölkerun g de s ganzen Reiche s war ei n Gefüh l de r Sicherhei t gegeben , endlich wa r ma n fre i vo n Bedrohun g a n Lei b un d Leben . Hand i n Han d mi t de r äußere n Festigun g de s Reiche s sucht e Augustu s Maßnahmen zu r innere n Refor m z u treffen . De n Sie g übe r Antoniu s hatt e er al s Triump h alte r römische r Tugende n gege n orientalisch e Überfrem dung hingestellt . Nu n sucht e e r eine m Verfal l de r Sitten , wie e r sic h i n Ro m überall zeigte , entgegenzuwirken , u m Tapferkei t un d Gerechtigkeit , Wah rung vo n Zuch t un d Sitt e wiede r einkehre n z u lassen . Au s Strebe n nac h Genuß lebte n viel e Römer ehelos , zahlreiche Ehen blieben ohn e Kinder, Ehescheidungen ware n a n de r Tagesordnung , di e groß e Scha r vo n Sklave n un d Sklavinnen bedeutet e ein e ständig e Gefährdun g de r Sittlichkeit . U m dies e Entwicklung aufzuhalten , wurde n Gesetz e zu m Schütz e de r römische n Familie erlassen : All e Männe r zwische n 2 0 un d 6 0 Jahre n un d all e Fraue n zwischen 2 0 un d 5 0 Jahre n sollte n verpflichte t werde n z u heiraten . U m di e Familien z u fördern, wurd e angeordnet , Ehelos e dürften nich t erben, kinder los Verheiratet e nu r zu r Hälfte , kinderreich e Väte r sollte n be i Bewerbunge n um Ämte r bevorzug t werden . Doc h dies e Maßnahme n verfehlte n ih r Ziel , da ma n di e gesetzlichen Bestimmunge n au f mannigfach e Weis e z u umgehe n suchte. Ehen wurde n nu r zu m Schei n geschlossen , de r Verfal l de r Sitte n wa r nicht aufzuhalten , s o daß ein e durchgreifende Änderun g nich t erziel t werde n konnte. Das Bild , da s Rom . 1,18-32 von de n sittliche n Zustände n de r helle nistisch-römischen Wel t gezeichne t wird , is t zwar mi t grellen Farben gemalt , wird abe r weithi n de n tatsächliche n Verhältnisse n entsproche n haben . Die Neuordnun g de s Reiches , di e währen d de r lange n friedliche n Regie rungszeit de s Augustu s getroffe n wurde , wa r a m End e seine s Leben s s o gefestigt, da ß si e übe r seine n To d hinau s Bestan d hatte . Al s Augustu s 1 4 n. Chr . i m Alte r vo n 76 Jahre n starb , übernah m sei n Adoptivsoh n Tiberins die Regierung , ei n erfahrene r Feldher r un d besonnene r Politiker , de r scho n im Alte r vo n 56 Jahre n stand . Di e Einrichtun g de s Prinzipat s hatt e sic h s o bewährt, da ß Tiberiu s di e Nachfolge ohn e Widerspruc h de s Senat s antrete n konnte. Eigentlich hatte Augustus ihn nicht al s seinen Nachfolge r ausersehe n wollen; abe r al s sic h ander e Möglichkeite n zerschlage n hatten , hatt e e r ihn schließlic h doc h daz u bestimmt . Tiberiu s wa r durc h manch e Ent täuschungen hindurchgegange n un d wirkt e finster un d verschlossen . Sein e Pflichten nah m e r stren g un d gewissenhaf t wahr , inde m e r al s Verwalte r des ih m zugefallene n Erbe s planmäßi g un d zielstrebi g di e Politi k seine s Vorgängers fortsetzte , abe r e s fehlt e dabe i de r schöpferisch e Geist , de r Augustus z u seine m Wer k befähig t hatte . Wege n seine r Streng e un d eine r gewissen Unsicherhei t besa ß Tiberiu s kei n Geschic k i m Umgan g mi t Men schen un d macht e sic h manch e Feinde . I n de r Zei t seine r Herrschaf t nah m die geordnet e Verwaltun g de s Reiche s ihre n Fortgang . Unte r seine r Regie rung wurd e Pontiu s Pilatu s al s Prokurator i n Judä a un d Samari a eingesetz t (26-36 n . Chr.) , trat Johanne s de r Täufe r i n Palästina au f (vgl . Lk.3,1) un d

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wirkte Jesu s von Nazaret h i m Lande , bis er i n Jerusalem vo m Synedriu m de m Statthalter übergeben , zum Tode verurteilt und durc h di e schimpfliche Straf e der Kreuzigung hingerichte t wurde . Auf Tiberiu s folgt e Caligula, de r be i Übernahm e de r Regierun g ers t 2 5 Jahre al t wa r (3 7 n.Chr.) . I m Unterschie d z u seine m Vorgänge r gebärdet e er sic h wi e ei n hellenistische r Herrsche r un d umga b sic h mi t eine m Krei s verdorbener junge r hellenistische r Fürsten , unte r dene n sic h auc h Herode s Agrippa befand , de r durc h di e Guns t de s Caligul a z u Einflu ß un d Herr schaft i n Palästin a gelangt e (vgl . S.30) . Sei n ausschweifende s Lebe n un d sein wahnwitzi g übersteigerte s Strebe n nac h göttergleiche r Überhöhun g de r herrscherlichen Stellun g hinderte n Caligul a a n de r Erfüllun g de r Aufgabe n seines Amtes . E r schreckt e auc h nich t davo r zurück , vo n de n Jude n z u for dern, si e sollte n i m Tempe l vo n Jerusale m sei n Standbil d aufstelle n (vgl . S.30). Di e Durchführun g seine s Vorhaben s wurd e jedoc h durc h seine n plötzlichen To d verhindert . I n de n wenige n Jahre n seine r Herrschaf t hatt e er sic h s o viel e Feind e gemacht , da ß ein e Palastrevolutio n sei n Regimen t beseitigte (4 1 n. Chr.). Die Prätorianergarde rie f Claudius, de n Ohei m de s Caligula , zu m Caesa r aus (41-5 4 n . Chr.) , eine n redliche n Mann , de r sic h bemühte , gewissenhaf t zu regieren . E r führt e eine n weitreichende n Briefverkeh r mi t de n Amts trägern i n de n Provinze n de s Reiches , u m übe r di e örtliche n Verhältniss e informiert z u sei n un d au f ihr e Gestaltun g Einflu ß z u nehmen . I n eine m ausführlichen Schreiben , da s e r a n di e Stad t Alexandri a schickte , stimm t e r der Errichtun g vo n Statue n seine r Perso n un d seine r Famili e a n verschiede nen Plätze n de r Stad t z u un d fähr t dan n fort : „Ic h billig e nich t di e Ernen nung eine s Oberpriester s fü r mic h un d de n Ba u vo n Tempeln ; den n ic h wünsche nich t be i meine n Zeitgenosse n Ansto ß z u erregen , un d mein e Ansicht ist , da ß Heiligtüme r un d ähnliche s allei n ei n Vorrech t de r Götte r sind, da s ihne n z u alle n Zeite n gebührt. " D a e s i n Alexandri a z u Ausein andersetzungen zwische n de r jüdische n un d de r nich t jüdischen Bevölkerun g gekommen war , ermahn t Claudiu s di e Alexandriner , „da ß ih r euc h einer seits geduldi g un d freundlic h gegenübe r de n Jude n betragt , di e sei t lange r Zeit i n derselbe n Stad t gewohn t haben , un d keine n de r vo n ihne n befolgte n Riten zu r Anbetun g ihre r Götte r schändet , sonder n ihne n erlaubt , ihre n Gebräuchen wi e zu den Zeite n de s göttlichen Augustu s nachzugehen , welch e ich, nachde m ic h beid e Seite n angehört , ebenfall s sanktionier t habe ; un d andererseits befehl e ic h de n Jude n ausdrücklich , nich t au f meh r Privilegien , als sie früher besaßen , hinzuarbeiten . . . Wen n ih r von diese n Dinge n ablaß t und i n gegenseitige r Nachsich t un d Freundlichkei t miteinande r lebe n wollt , will ic h meinerseit s di e wohlwollend e Sorg e fü r di e Stad t bezeigen , wi e si e euch auc h vo n meine n Vorfahre n bezeig t wurde " (Papyru s Londo n 1912) . Zwar is t Claudiu s i n diese m Erla ß unverkennba r vo n de m Bestrebe n ge leitet, beiden Parteie n gerech t z u werden, in Ro m abe r is t er gegen die Jude n eingeschritten, wei l e s zu Streitigkeite n unte r ihne n gekomme n war . Sueto n berichtet: „Di e Jude n vertrie b e r au s Rom , wei l sie , vo n eine m gewisse n

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Chrestus aufgehetzt , fortwähren d Unruh e stifteten " (Claudiu s 25) . Diese r unklar gehaltene n Nachrich t is t z u entnehmen , da ß e s de r Christusbotschaf t wegen z u Auseinandersetzunge n unte r de n Jude n gekomme n war . De r Bericht nenn t irrtümlicherweis e de n häufi g gebrauchte n Sklavenname n Chrestus, u m ih n al s verantwortliche n Schuldige n anzugeben . Tatsächlic h aber wir d di e Predigt , de r gekreuzigt e Jesu s vo n Nazaret h se i de r Christus , der Messia s Israels , di e Ursach e fü r di e Entstehun g de r Unruhe n gewese n sein, di e Claudiu s kurzerhan d zu m Anla ß nahm , u m di e Jude n au s de r Hauptstadt auszuweisen . Vielleich t habe n nich t all e Angehörige n de r zahl reichen Judenschaft , di e i n de r Welthauptstad t lebten , Ro m verlasse n müs sen, sicherlic h abe r wurd e ihne n di e Abhaltun g vo n Gottesdienste n un d Versammlungen i n de n Synagoge n untersagt . Vo n diese r Verordnun g wur den auc h di e Judenchriste n betroffe n (vgl . Apg . 18,2). Unte r Ner o wurd e dann da s Edikt des Claudius wieder aufgehoben , s o daß die Juden nac h Ro m zurückkehren konnten . Claudius wurd e 5 4 n . Chr. durc h sein e Gemahli n Agrippin a vergiftet , di e ihn au s de m Weg e schaffe n wollte , u m ihre n Soh n Nero au f de n Thro n z u bringen, de r au s ihre r erste n Eh e stammt e un d vo n Claudiu s adoptier t wor den war . E s gelang, den Regierungswechse l ohn e Unruhen z u vollziehen . D a der neue Herrscher erst 1 7 Jahre al t war, wurden zunächs t die Amtsgeschäft e vom Prätorianerpräfekte n un d de m Philosophe n Senec a geführt , eine m de r wohlhabendsten un d einflußreichste n Männe r i n Rom . Di e Jahr e ihre r Regentschaft verliefe n glücklich . Al s abe r Ner o selbs t di e Regierun g über nahm, lie ß e r all e Hemmunge n fahren . E r liebt e es , öffentlic h al s Künstle r aufzutreten, gebärdet e sic h al s Freund un d Fördere r griechische r Kultu r un d suchte seine herrscherliche Hohei t mi t göttlichem Glan z z u umkleiden. Ohn e Bedenken schafft e e r Menschen au s dem Wege, die ihm hinderlic h sei n konn ten. Au f sei n Betreibe n ka m e s zu r erste n Christenverfolgun g i n Rom . Nachdem sic h ei n furchtbare r Bran d ereigne t hatte , de m viel e Häuse r zu m Opfer gefalle n ware n (6 4 n. Chr.), verbreitete sic h da s Gerüch t und hiel t sic h hartnäckig, da s Feue r se i von Ner o befohle n worden . U m de n Verdach t vo n sich abzulenken , sucht e er Schuldige vorzuweisen, inde m e r sich a n die Chri sten hiel t un d all e zu m Tod e verurteile n ließ , dere n ma n habhaf t wurde . „Bei de r Hinrichtung " - s o schreib t Tacitu s - „wurd e auc h noc h Spot t mi t ihnen getrieben , inde m si e i n Tierhäut e gesteck t un d vo n wilde n Hunde n zerfleischt wurden . Ander e wurde n an s Kreu z geschlage n oder , zu m Feuer tode bestimmt , nac h Einbruc h de r Dunkelhei t al s nächtlich e Fackel n ver brannt. Fü r diese s Schauspie l hatt e Ner o seine n eigene n Par k hergegebe n und veranstaltet e gleichzeiti g ei n Zirkusspiel , wobe i e r sic h i n de r Trach t eines Wagenlenker s unte r da s Vol k mischt e ode r au f eine m Rennwage n stand" (Annale n XV, 44). Auc h i n de r eigene n Famili e mordet e Ner o un d trieb e s schließlic h s o arg , da ß e s zu r Verschwörun g gege n ih n ka m un d e r sich da s Lebe n nah m (6 8 n . Chr.) . Sei n plötzliche s End e wurd e vo n viele n Menschen mi t Jube l begrüßt ; ander e abe r ware n fassungslo s un d vermute ten, sei n To d könn e nich t wah r sei n un d e r leb e noc h a n verborgene m Ort .

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So entstan d di e Erwartung , e r werd e au s de m Oste n a n de r Spitz e de r Par therheere wiederkehren , bzw . e r werd e au s de m To d z u neue m Lebe n er weckt werden . Diese im Vol k verbreiteten Vorstellunge n gebe n di e Züge ab , mit dene n i n de r Offenbarun g de s Johannes di e Gestal t de s Tiere s au s de m Abgrund gezeichne t ist , da s al s Schreckenskaise r de r letzte n Zei t auftrete n wird (vgl . Offb.Joh . 13,1-18 ; 17,12-17) . Mit de m Tod e Nero s wa r di e Herrschaf t de s julisch-claudische n Hause s zu Ende . I n Spanie n wurd e Galb a vo n seine n Soldate n al s Caesa r ausge rufen, i n Ro m wollte n di e Prätoriane r Oth o zu r Herrschaf t bringen , un d i n Germanien erklärte n di e Legione n Vitelliu s zu m Nachfolge r de s Nero . Keiner de r dre i Männe r konnt e jedoc h di e Anerkennun g i m ganze n Reic h gewinnen, s o da ß di e Gefah r eine s neue n Bürgerkriege s heraufzuziehe n drohte. D a gelan g e s Vespasian, de r mi t seine n Legione n i n Palästin a stan d und vo n ihnen au f de n Schild gehoben wurde , die Herrschaft a n sic h zu brin gen und , gestütz t au f da s Heer, Ruh e un d Ordnun g z u schaffe n (6 9 n.Chr.) . Vespasian setzt e di e Erneuerun g de s vo n Augustu s geschaffene n Prinzipat s durch un d sichert e di e Erbfolge seine r Söhne . Als er 79 n . Chr . starb , wurd e sein Soh n Titus, de r Erobere r Jerusalems , Kaiser , un d 8 1 n.Chr. folgt e ih m sein Brude r Domitian (81-9 6 n.Chr.) . Domitia n betonte , da ß sein e herr scherliche Mach t unumschränk t sei , sucht e di e Heiligkei t seine r Perso n öffentlich hervorzukehre n un d hört e e s gern , wen n da s Vol k ih n un d sein e Gattin i m Amphitheate r a m Ta g de s große n Festschmause s mi t de m Zuru f begrüßte: „Heil unserem Herrn un d unserer Herrin!" (Sueton , Domitian 13) . Von allen verlangte er blinde Unterwerfung unte r sein e Befehle. Zwa r wurd e jede Regun g vo n Widerstan d unterdrückt , abe r e r konnt e nich t verhindern , daß Abneigun g un d Feindschaf t gege n ih n zunahmen . Den n di e Röme r wollten keine n Tyrannen al s Herrscher, sonder n schaute n nac h eine m Man n aus, de r al s Diener de s Staate s da s Regimen t führt . Al s Domitian 96 n . Chr . einer Verschwörung zum Opfer fiel, endete die Zeit des flavischen Herrscher hauses. Obwoh l mancherle i Gegensätz e un d Spannungen , z u dene n e s i m Lauf de s erste n Jahrhundert s n . Chr . imme r wiede r gekomme n war , Ro m stark erschütterten , hatt e sic h doc h da s vo n Augustu s gefestigt e Reic h al s beständig erwiesen . I n de n Provinze n arbeitet e di e römisch e Verwaltun g zuverlässig, ohn e vo n de n Vorgängen , di e sich i n de r Hauptstad t abspielten , näher betroffe n z u werden . Nach de m Tod e Domitian s tra t ein e Wend e ein ; den n de r Sena t wählt e sich eine n Man n zu m Kaiser , de r alte r römische r Famili e entstammt e un d dem Leitbil d eine s vo n stoische n Gedanke n erfüllte n Herrscher s entsprach . Mit Nerv a (96-9 8 n.Chr. ) beginn t di e Reih e de r Caesaren , di e sic h de n Lehren de r Philosophe n verpflichte t wußte n un d si e zum Woh l de s Gemein wesens z u verwirkliche n suchten . Da s stoisch e Herrscheridea l setzt e sic h durch, nac h de m de r Best e regiere n un d sei n Am t al s Diener de r Allgemein heit führe n sollte . Nerv a adoptiert e de n Genera l Trajan, de r dan n al s sei n Nachfolger 9 8 n. Chr . di e Regierung übernah m un d si e bis 11 7 n. Chr . aus übte. Durc h da s Adoptionsverfahre n wurd e gesichert , da ß ma n au s de m

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Kreis de r i n Betrach t kommende n Kandidate n de n tüchtigste n auswähle n und ih n zu m Herrsche r bestimme n konnte . Traja n wa r bemüht , Humanitä t walten z u lassen . Al s i n Kleinasie n Christe n ihre s Glauben s wege n verfolg t wurden un d ma n de n Kaise r fragte , wi e ma n gege n si e vorgehe n sollte , rie t er, ma n soll e sic h zurückhalte n un d amtlicherseit s de n Christe n nich t nach spüren. Wen n abe r Anzeig e gege n si e ergehe , s o müss e di e Sach e verfolg t werden; anonym e Denunziatione n soll e man jedoc h unberücksichtig t lassen . Wer de m Glaube n öffentlic h abschwör e un d de n Götter n opfere , se i z u begnadigen; di e andere n abe r seie n har t z u bestrafe n (Pliniu s d . J. , Brief e X, 96). Gege n End e de r Regierungszei t de s Traja n brac h ei n Aufstan d de r Juden aus , de r vo r alle m i n Ägypte n blutig e Opfe r fordert e un d schließlic h niedergeschlagen wurde . Auf Traja n folgt e Hadrian (117-13 8 n. Chr.), der sich als kosmopolitische r Herrscher verstand . E r reist e vie l i m Reic h umher , weilt e ger n i n Griechen land, ließ überall Bauten aufführe n un d war u m di e Wohlfahrt de r Provinze n bemüht. Durc h da s Verbo t de r Kastration , mi t de m auc h di e Beschneidun g untersagt werde n sollte , und di e Anordnung, a n de r Stell e des i n Trümmer n liegenden Tempel s i n Jerusale m ei n Heiligtu m fü r de n Jupite r Capitolinu s zu errichten , wurd e noc h einma l de r entschlossen e Widerstan d de r Jude n geweckt, de r z u de r Erhebun g unte r Ba r Kochb a führt e (132-13 5 n . Chr. ) (vgl. S.35f.). Vo n 138-16 1 n . Chr . regiertedan n AntoninusPius, ein vo n de r ganzen Bevölkerun g de s Reiche s hochgeschätzte r Herrscher . Nich t minde r groß wa r di e Achtung, di e Mark Aurel entgegengebrach t wurde , de m Philo sophen au f de m Kaiserthro n (161-18 0 n . Chr.) . Erfüll t vo n de r Such e nac h der Wahrhei t un d ständi g mi t Frage n de r Philosophi e beschäftigt , wa r e r bemüht, de n Friede n z u erhalte n un d di e Wohlfahrt de s Reiche s z u mehren . Es blie b ih m jedoc h nich t erspart , zu m Schwer t greife n z u müssen , u m di e Grenzen de s Reiche s gege n Anstürm e au s de m Oste n un d de m Norde n z u verteidigen. Mit Mar k Aure l gin g di e Reih e de r Herrsche r z u Ende , di e vo n de m stoischen Gedanke n de r Humanitä t erfüll t ware n un d sic h nac h Kräfte n bemühten, diese m Idea l tre u z u bleiben . Zwa r gelan g e s nicht , de n Friede n überall ungetrüb t z u erhalten ; inner e un d äußer e Auseinandersetzunge n machten kriegerische n Einsat z erforderlich . Abe r unte r de r Herrschaf t de r humanitär gesonnene n Caesare n wa r de m Reic h doc h ein e glücklich e Zei t beschieden. Die Grenzen bliebe n geschützt , s o daß de r inner e Aufba u voran gehen un d Entfaltun g un d Ausbreitun g de r hellenistisch-römische n Kultu r ungestört gedeihe n konnten . 2. Die sozialen Verhältnisse im Kömischen Reich im ersten Jahrhundert n. Chr. Das Römisch e Reic h wa r ei n kosmopolitische s Gemeinwesen , i n desse n weit ausgreifenden , durc h di e Waffe n gesicherte n Grenze n sic h di e helle nistisch-römische Kultur , di e au s griechische m un d römische m Erb e z u eine r

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einheitlichen Größ e zusammenwuchs , ungehinder t entfalte n konnte . Überal l im Oste n un d weithi n auc h i m Westen de s Reiches sprac h un d verstan d ma n das Griechische , da s sei t de r Zei t Alexander s d . Gr . zu r allgemeine n Ver kehrssprache i m Mittelmeerrau m geworde n war . I n Fortentwicklun g un d gewisser Vereinfachun g de s Attischen , wi e ma n e s i n Athe n zu r Zei t de r Tragiker un d Piaton s gesproche n hatte , wa r di e sogenannt e Koine (d . h . die allgemeine) entstanden , di e zur allgemeine n Verständigun g diente . Nich t überall schrie b un d sprac h ma n e s grammatisc h korrekt , un d einzeln e Wörter au s orientalische n Sprache n un d au s de m Lateinische n wurde n mi t eingemengt. Abe r jederman n wa r doc h bemüht , da s Griechisch e s o wei t z u beherrschen, da ß ma n ih n z u de n Grieche n un d nich t z u de n Barbare n zählte. Den n au f di e Barbare n sa h ma n geringschätzi g hinab , wei l ihr e Sprache wi e di e Aneinanderreihun g unverständliche r Laut e (bar-bar ) an mutete; un d jederman n wollt e eine n wen n auc h bescheidene n Antei l a n de r Kultur der Griechen für sic h in Anspruch nehmen . Die hellenistische Kultur hatt e ihren feste n Or t i n den Städte n de s Reiches, in dene n Hande l un d Verkeh r zusammenliefe n un d ma n e s z u Reichtu m bringen un d Wohlstan d entfalte n konnte . Jede Stadt war bestrebt , sich durc h ihre Bauwerk e vo r de n andere n auszuzeichnen , nac h de m Vorbil d griechi scher Bauweise frei e Plätz e z u gestalten , Tempe l aufzuführen , Wasserleitun gen anzulegen , Therme n z u errichten , Theate r un d Sportstätte n z u schaffen . Wohlhabende Bürge r setzte n vielfac h eine n große n Tei l ihre s Vermögen s zum Beste n ihre r Stad t ei n un d durfte n dafü r a n eine r de r Säule n a n de r Hauptstraße ih r Standbil d aufstellen . Ih r Reichtu m erlaubt e e s ihnen , sic h während de s Tages al s Zuschauer i m Theater ode r be i den Spiele n z u unter halten. Wettkämpfe , di e sei t alter s vo n griechische n Städte n ausgerichte t wurden, fande n auc h i n römische r Zei t statt . Manch e Wettkämpfe r hatte n den Spor t z u ihre m Beru f gemach t un d durc h ihr e Sieg e Begeisterun g un d Ansehen bei m Publiku m gefunden . I n Ro m strömt e di e Meng e häufi g in s große Amphitheate r de s Kolosseums , u m Kämpfe n vo n Gladiatore n ode r wilder Tier e zuzusehe n un d sic h a n diese m Treibe n z u vergnügen . Die Sprach e de r Grieche n wurd e nich t nu r i n Ägypten , Palästin a un d Syrien gebraucht , sonder n auc h i n Rom . Durc h griechisch e Siedlungen , di e im Süden Italiens schon seit Jahrhunderten bestanden , war längst ihre Kultu r in das Land gekommen. Doch ers t al s di e Römer sic h Griechenland Unterta n gemacht hatte n un d au s de m Oste n zahlreich e Sklaven , di e di e Koin e spra chen, nac h Ro m gebrach t worde n waren , gewan n da s Griechisch e i n de r Hauptstadt selbs t seinen feste n Platz . Die Römer ware n sic h desse n bewußt , daß da s politisc h ohnmächtig e Griechenlan d ihne n kulturel l überlege n war , und öffnete n sic h bereitwilli g de m reiche n Geistesgut , da s ihne n au s Hella s zuströmte. Ma n erlernt e di e Sprach e de r Griechen , la s ihr e Literatu r un d suchte ihr e Dichtkuns t nachzuahmen , u m si e au f Stoff e au s Geschicht e un d Leben de r Röme r anzuwenden .

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Die zahllose n Privatbriefe, di e au s hellenistische r Zei t erhalte n sind , be zeugen di e weit e Verbreitun g de r Koin e i n Os t un d West . Ma n schrie b di e Briefe au f Papyrus , da s Schreibmaterial , mi t de m Ägypte n da s ganz e Reic h versorgte. Ei n Brie f wa r meisten s kur z gehalten , s o da ß e r au f ei n einzige s Papyrusblatt aufgetrage n werde n konnte , da s ma n dan n zusammenrollt e und mi t eine m Siege l verschloß . Au f di e Rückseit e de s Blatte s wurde n de r Name de s Empfänger s un d sein e Anschrif t geschrieben . De r Briefeingan g nennt de n Absende r un d Adressate n un d füg t eine n Gru ß hinzu , mi t de m dem Empfänge r Wohlergehe n gewünsch t wird . A m Schlu ß steh t wieder ein e formelhafte Wendung , di e de r Gesundhei t de s Leser s gilt . De r Haupttei l umfaßt nu r wenig e Sätze , di e einig e Mitteilunge n enthalten , wi e z.B . ei n Brief au s dem Jah r 2 5 n. Chr. au s Ägypten: „Theo n grüß t de n hochgeschätz ten Tyrannos vielmals . Der Überbringe r diese s Briefes, Herakleides, ist mei n Bruder, weshal b ic h dic h mi t alle r Mach t anflehe , ih n unte r deine n Schut z zu nehmen . Ic h hab e auc h deine n Brude r Hermia s schriftlic h gebeten , ih n bei di r anzukündigen . D u tus t mi r de n größte n Gefallen , wen n d u ih n dei n Wohlwollen gewinne n läßt . Vo r alle m bet e ich , daß di r Gesundhei t un d de r beste Erfol g beschiede n sei n mög e un d Schut z gege n Schadenzauber . Leb e wohl. An Tyrannos de n Dioiketen (d.h . einen Beamten)." Kurze Privatbrief e wurden meis t eigenhändi g geschrieben . Reich e Leut e ließe n eine n Schreibe r nach ihre m Dikta t sic h einige Notizen au f ei n Wachstäfelchen machen , dan n den Brie f ausarbeite n un d sic h zu r Unterschrif t vorlegen . Wichtig e Schrift stücke diktiert e ma n wörtlich , wei l e s au f Genauigkei t de r Formulierunge n ankam (vgl . Rom . 16,22), un d schrie b dan n de n Schlu ß eigenhändi g niede r (vgl. Gal.6,11) . Das staatlich e Postwese n dient e nu r fü r de n amtliche n Bedarf , abe r ma n konnte Privatbrief e Reisende n mi t au f de n We g geben , di e da s Schreibe n schnell a n de n Or t seine r Bestimmun g brachte n (vgl . z. B. Rom. 16,1 f.). Au f den gu t ausgebaute n Verkehrswege n marschiert e de r einzeln e Reisend e meist z u Fuß , reicher e Leut e un d Händle r fuhre n mi t de m Wagen . Di e Schiffahrt mußt e i m Winte r wege n de r gefährliche n Stürm e eingestell t werden un d ruht e vo n Mitt e Novembe r bi s Mitt e Mär z vollständig , abe r auch schon z u einem früheren Zeitpunk t im Herbst konnte n di e Schiffe durc h plötzlich aufkommend e Stürm e i n Seeno t gerate n (vgl . 2.Kor . 11,25; Apg . 27,14-44). Die römische Verwaltung, de r all e Teil e de s Reiche s unterstell t waren , gestand de n lokale n Behörde n ein e gewiss e Eigenständigkei t zu . De r rö mische Statthalte r hatt e jedoc h di e Aufsich t übe r si e z u übe n un d konnt e jederzeit eingreifen , wen n e s ihm rech t erschie n (vgl . S.27). Nich t selte n ka m es vor , da ß di e römische n Beamte n ihr e Stellun g daz u benutzten , u m sic h während ihre r Dienstzeit , di e si e i n eine r Provin z verbrachten , schamlo s z u bereichern. Of t gelan g e s ihnen , mi t reiche r Beut e unangefochte n heimzu ziehen; bisweile n abe r wurd e gege n si e Klag e erhoben , s o da ß si e sic h vo r römischen Gerichte n verantworte n mußten . Di e oberst e Rechtsgewal t la g beim Kaiser , de r durc h di e Statthalte r un d Beamte n fü r jed e Provin z Ver -

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Ordnungen erlasse n un d Prozess e a n sic h ziehe n konnte , di e a n Or t un d Stelle schwer z u entscheiden waren . Wenn ei n römische r Bürge r irgendw o i n einen Prozeß verwickelt wurde, konnte er jederzeit a n de n Kaise r appelliere n und verlangen , da ß de r Rechtsstrei t i n Ro m entschiede n werd e (vgl . Apg . 25,6-12). Diese m Begehre n mußt e entsproche n un d de r Proze ß dan n a n ei n römisches Gerich t überwiese n werden , da s de r unmittelbare n Aufsich t de s Kaisers unterstand . Um genaue Unterlagen fü r di e Besteuerung de r einheimische n Bevölkerun g zu erhalten, wurde i n einzelnen Teile n de s Reiches ein e Erfassung de r Bevöl kerung vorgenommen , be i de r sic h all e Einwohne r unte r Angab e ihre r Heimatzugehörigkeit un d ihre r Vermögensverhältniss e registriere n lasse n mußten. Al s i m Jahr e 6 n . Chr . de r jüdisch e Fürs t Archelau s seine s Amte s enthoben un d Judä a eine m römische n Statthalte r unterstell t wurd e (vgl . S.27.58),befahl Quirinius,de r römisch e Befehlshaber i n Syrien,daß i n Syrie n und Palästin a ein e allgemein e Schätzun g veranstalte t werd e (Josephus , Jü dische Altertüme r XVII, 355; XVIII, 1-10.26). Dadurch ka m e s zu Unruhe n unter de r jüdische n Bevölkerung , die von nationalistische n Gruppen geschürt wurden. Abe r di e Röme r setzte n durch , da ß di e Anweisunge n de s Statt halters ausgeführ t wurden . Möglicherweis e könnt e dies e Schätzung auc h au f die Gebiet e ausgedehn t worde n sein , di e weiterhi n de r Regierun g de r Herodessöhne unterstell t blieben . Auc h i n Ägypte n wurde n Verzeichniss e für di e Besteuerung der Bevölkerung erstellt. Doch diese Maßnahmen fande n nicht zur gleichen Zei t statt, und von eine r Anordnung de s Augustus, daß i m ganzen Reic h z u eine m bestimmte n Termi n ein e allgemein e Schätzun g statt finden sollt e (Lk.2,1) , ist nichts bekannt . (Vgl . Kippenberg - Wewers, S.48f. ) Produktion un d Wirtschaf t wurde n zu m weitau s größte n Tei l durc h Skla ven betrieben . De r Sklave gal t nich t al s Person , sonder n al s Sache , über di e der Her r nac h eigene m Gutdünke n verfüge n konnte . E r konnt e übe r Kau f und Verkau f befinden , de n Sklave n strafe n un d mi t ih m umgehen , wi e e r wollte. Gewiss e Einschränkunge n wurde n freilic h durc h da s römisch e Rech t getroffen, inde m gröbst e Mißhandlunge n untersag t wurden . Nu r Richte r durften darübe r befinden , o b ei n Sklav e zu m Tierkamp f verurteil t werde n durfte; un d e s wurd e ein e Stell e eingerichtet , be i de r Sklave n übe r ihne n widerfahrene Mißhandlunge n Beschwerd e führe n konnten . Dennoc h blie b ihre rechtlich e Stellun g au f da s äußerst e eingeschränkt . Obwoh l ei n Sklav e keine Ehe eingehen durfte , ha t ma n e s doch tatsächlich meis t stillschweigen d geduldet, wen n Sklave n un d Sklavinne n i n eheähnliche r Gemeinschaf t zu sammenlebten, un d si e nich t gewaltsa m getrennt . Vielfac h wurd e e s auc h Sklaven ermöglicht, gewisse Geldbeträge anzusammeln , über di e sie verfüge n konnten. Abe r di e uneingeschränkt e Rechtsgewal t de s Herr n wurd e da durch nich t gemindert . Die Zahl de r Sklave n wa r beträchtlich , d a viel e Kriegsgefangene al s Beut e nach Ro m gebrach t un d dor t verkauf t worde n waren . De r Prei s fü r eine n Sklaven wa r niedrig , so daß vermögend e Leut e sic h große Schare n vo n Skla ven halte n un d si e z u Hunderte n au f ihre n Latifundien , i n Betriebe n un d

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Umschlagplätzen de s Handel s arbeite n lasse n konnten . We r etwa s gelte n wollte, mußt e zumindes t ei n Dutzen d Sklave n sei n eige n nennen . Wa r ihr e Zahl zunächs t durc h di e Kriegszüg e erheblic h angeschwollen , s o nah m si e durch natürlich e Vermehrun g weite r zu ; den n Kinde r vo n Sklave n galte n weiterhin al s Sklaven. Ihr Wert wurd e j e nach ihre r körperlichen Gesundhei t und ihre r Leistungsfähigkei t unterschiedlic h eingestuft . Sklaven , di e ihre m Herrn tre u gedien t hatten , wurde n vo n ih m vielfac h mi t de r Freilassun g belohnt. Ode r e s wurde ihne n di e Möglichkei t gegeben , ein e Summ e Gelde s zu sparen , durc h di e si e sich dan n freikaufe n konnten . De r Loskau f erfolgt e oft i n de r Weise , daß de r Geldbetra g i m Tempe l eine s Gotte s hinterleg t un d dann di e Freihei t i m Name n de s Gotte s gegebe n wurde , inde m di e Prieste r des Tempels di e ihnen anvertraut e Summ e dem bisherigen Herr n aushändig ten. Übe r diese n Loskau f wurd e ein e Urkund e ausgestellt , di e di e erfolgt e Freilassung inschriftlic h bezeugte . I m Tex t diese r Urkunden , di e sic h z.B . i n großer Zah l a m Heiligtu m de s Pythische n Apoll o i n Delph i finden, wurd e stets festgestellt , de r Besitze r eine s Sklave n - beid e wurde n namentlic h auf geführt - hab e diese n de m Apoll o fü r soundsovie l Mine n verkauft , s o da ß er nu n sei n Lebe n lan g fre i sei n solle , u m z u tun , wa s e r wolle . De r Frei gelassene konnt e nac h seine r Wah l i n sein e Heima t zurückkehre n ode r i m Land bleiben , i n de m e r sic h befand . D a e s i n Ro m häufi g vorkam , da ß Sklaven di e Freiheit geschenkt wurde, veränderte sic h die Zusammensetzun g der Stad t beträchtlich . Wa r de r Her r ei n römische r Bürger , s o erhiel t auc h der Freigelassen e da s römisch e Bürgerrecht . Manch e vo n ihne n kame n rasc h zu große m Reichtu m un d Einflu ß i n de r Stad t un d gelangte n i n angesehen e Stellungen. Durch di e stoisch e Lehre , nac h de r all e Mensche n Geschöpf e de r göttlic h durchwalteten Natu r sind , gewan n di e Ansich t Raum , da ß auc h de r Sklav e Mensch se i und menschenwürdig e Behandlun g verdiene . Doch di e Möglich keit, di e Institutio n de r Sklavere i abzuschaffen , wurd e auc h vo n stoische n Philosophen nich t erwogen , wei l ma n sic h offensichtlic h nich t vorstelle n konnte, wi e Wirtschaf t un d öffentliche s Lebe n ohn e Sklavere i bestehe n könnten. Überdie s hätt e ein e allgemein e Freilassun g de r Sklave n vermutlic h bedeutet, da ß viel e Mensche n vo n heut e au f morge n in s Elen d gestürz t un d dem Untergan g preisgegebe n worde n wären . S o wurde nirgendw o di e Frag e nach de m grundsätzliche n Rech t de r Sklavere i gestellt . De r Sklav e blie b daher au f da s Wohlwolle n seine s Herr n angewiesen . Konnt e e r sic h desse n erfreuen, s o ging es ihm gut ; rie f e r den Zor n seine s Herr n hervor , s o mußt e er sic h fürchten . Nich t selte n ka m e s vor , da ß Sklave n sic h davonstahle n und versuchten , au f eigen e Faust die Freiheit zu gewinnen (vgl . Phm. 10-16). Ein entlaufene r Sklav e konnt e i n eine m Heiligtu m Asy l finden ode r ver suchen, i n de r Großstad t unterzutauche n un d dor t durc h Bette l un d Dieb stahl sei n Dasein zu fristen. Wurd e e r ergriffen, s o mußte e r zu seinem Herr n zurückgebracht werden . Dan n wartete n hart e Strafe n au f ihn . Das Lebe n i n Hau s un d Familie hatt e durc h di e vielfältigen Einflüsse , di e aus de r hellenistische n Wel t nac h Ro m drangen , mancherle i Veränderunge n

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erfahren. Ursprünglic h wa r di e römisch e Famili e stren g patriarchalisc h ge ordnet, de r Vate r wa r ih r Oberhaup t un d hatt e allei n z u verfügen . Di e Eheschließung, di e meis t i n frühe m Alte r erfolgte , wurd e zwische n de n beiderseitigen Väter n vereinbar t un d i n eine m feierliche n Ak t vo r Zeuge n vorgenommen, durc h de n die Braut i n die Gewalt de s Mannes überging . Di e alte Ordnun g verändert e sic h jedoc h grundlegend , inde m ein e Konsenseh e üblich wurde, die ohne weitere Förmlichkeiten geschlosse n und entsprechen d leicht wieder aufgelös t werde n konnte . Dabei standen de r Frau grundsätzlic h die gleiche n Recht e z u wi e de m Mann , s o da ß si e wi e e r di e Möglichkei t hatte, ihrerseits au f Scheidun g z u dringen. Mit de r Lockerun g de r Sitten , wi e sie sic h i n Ro m verbreitete , ka m e s auc h imme r häufige r vor , da ß Ehebruc h begangen wurde , ma n mi t Dirne n umging , Knabenlieb e nac h griechische r Weise trie b un d sic h nich t scheute , sic h desse n vo r andere n z u rühmen . Luxus un d Wohlleben , di e mi t steigende m Reichtu m Einzu g hielten , tru gen daz u bei , da ß di e alte n römische n Sitte n verfiele n un d ma n e s i n jede r Hinsicht de n Grieche n gleichzutu n suchte . Nach griechische m Vorbil d wurd e auc h di e Erziehung der Kinder ge staltet. Forta n genügt e i n Ro m nich t meh r di e streng e militärisch e Ausbil dung frühere r Zeiten , sonder n de r heranwachsend e Knab e mußt e mi t de r geistigen Wel t de r Grieche n vertrau t gemach t werden . D a es . keine allgemei nen Schule n gab , mußte n di e Familie n selbs t fü r di e Bildun g ihre r Söhn e Sorge tragen . Eine m Sklave n wurd e aufgegeben , de n Knabe n täglic h z u beaufsichtigen, ih n zu m Unterrich t z u geleiten , seine n We g z u schützen , au f sein rechte s Benehme n z u achte n un d ih n notfall s zurechtzustoßen . Diese r Sklave wurd e Pädagog e genann t - nich t i m Sinn e eine s Erziehers , sonder n vielmehr eine s Zuchtmeister s (vgl . Gal.3,24), der nu r darau f z u sehe n hatte , daß de r ih m anvertraut e Knab e sic h schicklic h benahm . Di e Aufgabe, ih n z u bilden, wa r de n Lehrer n gestellt , di e ih n z u unterweise n hatten . Unte r de n griechischen Autoren , mi t dene n e r bekann t gemach t wurde , nah m Home r die erst e Stell e ein ; nebe n de r Einführun g i n di e Literatu r wurde n Musi k und sportlich e Ertüchtigun g gepflegt . Besonder e Bedeutun g wurd e de r Aus bildung i n de r Rhetori k zugemessen , di e scho n vo n de n Grieche n z u hohe r Kunst entwickel t worde n war . J e meh r e s a n schöpferische r Philosophi e fehlte, u m s o stärke r tra t di e Pfleg e de r Redekuns t i n de n Vordergrund . Da e s i n hellenistische r Zei t kau m Theme n gab , di e di e Gestaltun g de r großen Politi k betrafen , wandt e ma n sic h Frage n de s Alltags , de r Rechts pflege ode r de r Freud e a n gelungener formale r Red e zu , die nicht notwendi g einen gewichtige n Inhal t habe n mußte . Di e Röme r lernte n vo n de r Rhetori k der Grieche n un d verstande n es , sic h ihre r insbesonder e i m Rechtswesen , aber auc h zu r Beeinflussun g de s politische n Geschehen s z u bedienen . Di e Reden un d Schrifte n Cicero s gebe n davo n reichlic h Zeugnis ; den n e r wußte sic h da s philosophisch e Erb e de r Grieche n nutzba r z u machen , di e scharfe Waff e de s treffenden Worte s gege n den politischen Gegne r z u richte n und mi t seine n Rede n au f di e öffentliche n Entscheidunge n Einflu ß z u nehmen.

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Politik un d Gesellschaf t i m Römische n Reic h i m erste n Jahrhunder t n . Chr. 15

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Auch au f de m Fel d de r Wissenschaft ware n di e Röme r Schüle r de r Griechen. Si e hatten grundlegend e Erkenntniss e i n de r Mathemati k gewon nen, a n di e Anfäng e de r Astronomi e angeknüpft , wi e ma n si e i n Babylo n entwickelt hatte , un d de n Lau f de r Gestirn e un d di e Ordnun g de s Weltall s erhellt. Di e Medizi n wa r z u hohe r Blüt e gelangt , s o da ß Geschic k un d Kunst griechische r Ärzt e überal l bewunder t un d geschätz t wurden . Di e Griechen hatte n fremd e Lände r bereist , Sitte n un d Lebensverhältniss e be schrieben, di e Arte n de r Tierwel t studier t un d Botani k un d Zoologi e ge trieben. Si e hatte n di e Schrifte n de r klassische n Autore n sorgfälti g über liefert, mi t philologische r Genauigkei t Text e analysier t un d de n Ba u de r Sprache durchleuchtet . Kuns t un d Wissenschaft , di e i n de r hellenistische n Welt z u hohe r Blüt e gelang t waren , wurde n vo n de n Römern , dere n Sin n vornehmlich au f da s Praktisch e gerichte t war , geachtet , doc h si e verstande n es nicht , frei e Forschun g z u fördern . Si e übernahme n zwa r hellenistisch e Kunst un d knüpfte n a n di e Bauweis e de r Grieche n an , abe r si e wußte n nicht di e Bedingunge n z u erhalten , unte r dene n allei n ungehinderte s Ent falten de s Geiste s möglic h ist . S o blie b da s vorhanden e geistig e Erb e be wahrt; übe r di e Einsichte n jedoch , di e di e Grieche n sowoh l i n de r Philo sophie un d Philologi e al s auc h i n de n Naturwissenschafte n gewonne n hatten, ka m ma n noc h au f lang e Zei t nich t hinaus . 3. Der Kaiserkult Im Orien t sin d sei t alter s di e Herrsche r al s Söhn e de r Götte r angesehe n und geehr t worden . Au s de r Han d de r Gotthei t ha t de r Köni g da s Geset z empfangen, nac h de m e r sei n Vol k regiert, s o da ß ih m kraf t seine r Herkunf t und de r ih m verliehene n göttliche n Vollmach t unumschränkt e Gewal t un d Macht zukommt . Sei n Am t wir d unmittelba r vo n de n Götter n hergeleite t und is t dahe r vo n unantastbare r Hoheit . I n de m Köni g zeig t sic h di e Gott heit de n Menschen , inde m si e durc h ih n un d i n ih m ihne n sichtba r wir d und mi t ihne n i n Verbindun g tritt . Die Grieche n teilte n dies e Vorstellungen , di e i m Orien t wei t verbreite t waren, nicht . Den n i n ihre r freiheitliche n Gesinnun g kenne n si e kein e gött liche Hohei t de s Herrschers , de m all e Untertane n wi e Sklave n diene n müssen; un d di e Götter , di e si e verehren , sin d vo n de n Mensche n nich t durch ein e schar f gezogen e Grenz e getrennt . Bedeutend e Männe r könne n von de r menschliche n i n di e göttliche Sphär e hinaufgehobe n un d al s Heroe n in di e Gemeinschaf t de r Götte r versetz t werden . Könne n hervorragend e Menschen i n di e Gemeinschaf t de r Götte r aufgenomme n werden , s o be geben sic h umgekehrt bisweile n di e Götter i n Menschengestal t au f di e Erde . Wie lebendi g un d verbreite t dies e Vorstellunge n auc h i n hellenistische r Zeit waren , geh t au s de m Berich t de r Apostelgeschicht e übe r da s Auftrete n des Paulu s un d Barnaba s i n Lystr a hervor . Al s Paulu s eine n Kranke n ge sund gemach t hatte , der vo n Kindhei t a n lah m gewese n war , und di e Meng e sah, wie de r Geheilt e aufspran g un d umherging , riefe n si e laut: „Di e Götte r

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Eduard Lohse , Umwelt des Neuen Testament s

sind de n Mensche n gleic h geworde n un d z u un s herabgestiegen " (Apg . 14,11). Unte r de m Eindruc k de s Wunder s sin d si e vo n de r Epiphani e de r Götter überzeugt . Wei l Paulu s da s Wor t führte , nannte n si e ih n Hermes , den Götterboten , un d bezeichnete n Barnabas , de r sic h schweigen d verhielt , als Zeu s (Apg . 14,12). Durch di e siegreiche n Feldzüg e Alexander s d . Gr. , di e sei n Hee r wei t durch di e Lände r de s Osten s führten , begegnete n di e Grieche n de r orien talischen Vorstellun g de s Gottkönigtums . Al s de r makedonisch e Köni g i n Ägypten da s berühmt e Orake l de s Gotte s Ammo n i n de r Oas e Siw a auf suchte, u m e s übe r di e Zukunf t z u befragen , wurd e e r vo m Oberprieste r als Soh n de s Ammo n angeredet , wa s nac h griechische m Verständni s s o vie l bedeutete wi e Soh n de s Zeus. Alexander lie ß sich dies e Huldigung nich t nu r gefallen, sonder n e r betrachtet e sic h auc h forta n al s Soh n de s höchste n Gottes. Al s e r dan n bal d darau f plötzlic h starb , lie ß diese s unerwartet e Ende sei n Wer k i n de n Auge n seine r Zeitgenosse n noc h großartige r er scheinen. Nachde m de r tot e Köni g i n de r vo n ih m erbaute n Stad t Alexan dria beigesetz t worde n war , wurd e ih m al s de m Gründe r de r Stad t un d dem z u de n Götter n erhobene n Soh n de s Ammo n i n Alexandri a ei n Kul t mit eigene r Priesterschaf t gestiftet . Nich t nu r i n Ägypten , sonder n auc h a n anderen Orte n began n man , ih n kultisc h z u verehren , s o da ß i n Kleinasie n und selbs t i n Athe n de m unbesiegbare n Got t Tempe l errichte t wurden . Zwar wa r de n Grieche n vo n jehe r de r Gedank e vertraut , da ß Götte r au f Erden erscheine n könne n un d göttlich e Mensche n wunderbar e Werk e voll bringen, aber bi s dahin hatten sie sich niemals einem Herrscher al s Epiphani e der Gotthei t gebeugt . Die Diadochen , di e da s Erb e Alexander s unte r sic h aufgeteil t hatten , suchten di e göttlich e Würde , di e ma n de m große n Köni g zuerkann t hatte , auch fü r sic h in Anspruch z u nehmen. Wie den Ptolemäern gehuldig t wurde , die i n Ägypte n gleic h nac h de m Tod e Alexander s fü r di e Einrichtun g seine s Kults Sorg e getrage n hatten , bezeug t di e dreisprachig e Inschrif t au f de m Stein vo n Rosett e au s de m Jah r 19 6 v . Chr. Mi t hohe n Worte n wir d Ptole mäus V. als de r gepriesen , „de r Ägypte n Ordnun g gebrach t h a t . . . , de r da s Leben de r Mensche n glücklic h gemach t hat , da s lebendig e Abbil d de s Zeus , Sohn de s Helios , de r ewi g lebend e Ptolemäus , Lieblin g de s Ptah , Got t au f Erden, der , Got t vo n Got t un d Götti n stammend , . .. Ägypte n de n Frieden gebrach t hat , de r alle n ih r Rech t gab , Tempe l un d Altär e gründet e und die , welche de r Hilf e bedurften , wiede r aufrichtete , un d s o eine s wohl tätigen Gotte s Sin n bewies" . I m Seleukidenreich , i n desse n Grenze n ver schiedene Völkerschafte n wohnten , dient e di e religiös e Überhöhun g de s Königs zu r Festigun g de s Staatswesens , da s durc h de n amtlic h geförderte n Herrscherkult zusammengehalte n werde n sollte . Un d Demetriu s Polior ketes, de m Köni g vo n Makedonien , gelte n di e Worte : „Hei l dir , de s mäch tigsten Gottes , Poseidon s Sohn , Soh n auc h de r Aphrodite ! Di e andere n Götter sin d j a wei t entfern t ode r habe n kein e Ohre n ode r existiere n nich t oder frage n nich t nac h uns . Dic h abe r sehe n wi r leibhafti g gegenwärtig ,

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Politik un d Gesellschaf t i m Römische n Reic h i m erste n Jahrhunder t n . Chr . 16

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nicht hölzer n un d nich t steinern , sonder n wahrhaf t seiend . Daru m bete n wir z u dir. " Au s diese n Zeugnisse n de s Herrscherkultes , wi e e r i n de n hellenistischen Reiche n au s staatspolitische n Interesse n eingerichte t un d gefördert wurde , sprich t di e allgemein e Sehnsuch t nac h Frieden , de r ei n glückliches un d gesicherte s Lebe n ermögliche n sollte . De r Herrscher , de r diese Sehnsuch t z u erfülle n vermag , wir d al s göttlich e Erscheinun g begrüßt . Je meh r währen d de r lange n Auseinandersetzunge n de r Bürgerkrieg e i m ersten Jahrhunder t v.Chr . di e Bevölkerun g de s Römische n Reiche s unte r den Folge n de r Kämpf e z u leide n hatte , u m s o stärke r mußt e sic h de r Wunsch rege n un d Gehö r verschaffen , e s möcht e ei n End e de r Krieg e kom men. Diese Hoffnung erhiel t starke n Auftrieb , al s es Octavian un d Antoniu s gelang, di e Caesarenmörde r vernichten d zu . schlage n un d si e di e Herr schaft übe r da s Reic h unte r sic h aufteilte n (41/4 0 v.Chr.) . Z u diese m Zeit punkt verfaßt e de r römisch e Dichte r Vergi l sein e berühmt e viert e Ekloge , in de r e r in mythischer Sprach e dem Sehnen de r Menschen Ausdruc k verlieh . Dabei knüpft e e r a n di e i m Orien t wei t verbreitet e Erwartun g an , e s werd e ein vo m Himme l gesandte s Kin d erscheinen , da s ei n neue s Zeitalte r ein leiten werde , i n de m Friede n un d Glüc k herrschen : „Er wir d lebe n al s Got t un d di e Helde n de r Vorzei t erblicke n wandelnd unte r de n Göttern ; ih n werde n si e staunend betrachten . Frieden bring t e r de r Welt, mi t de s Vaters Kraf t si e regierend . In seine m Friedensreic h wir d e s wunderba r zugehen : Selber kommen nac h Haus e mi t schwere m Eute r di e Ziegen , nicht meh r fürchte n de n Löwe n de r Rinde r weidend e Herden , selbst de r Wiege entsprieß t ei n Kran z vo n schmeichelnde n Blumen . Schwinden wir d auc h di e Schlange, de r Gift e tückisch e Kräute r schwinden; e s spenden i n Fülle die Wiesen Assyrien s Balsam. " Diese paradiesische n Zuständ e werde n mi t de r Erscheinun g de s Kinde s heraufziehen, desse n Gebur t dahe r mi t Jube l begrüß t wird : „Auf nun , Jupiter s Sproß , d u liebe s göttliche s Kindlein . Schon komm t nähe r di e Zeit , nim m a n di e erhaben e Würde ! Sieh di e gewaltig e Las t de r Wel t sic h krümme n un d beben , Länder un d Meeresweite n zugleic h un d di e Tiefen de s Himmels , sieh, wi e alle s sic h freu t de r goldene n Zeit , di e bevorsteht. " Als di e Sehnsucht , wahre r Fried e mög e einkehren , ihr e Erfüllun g durc h die Herrschaf t Octavian s fand , begrüßt e ma n a n viele n Orte n i n de n öst lichen Teile n de s Reiche s sein e Herrschaf t al s Wunde r göttliche r Erschei nung, hatt e ma n doc h i m Orien t scho n vo n jehe r de n glückliche n Herrsche r als Heilan d geehrt . Dies e Würd e wa r hie r un d d a bereit s Caesa r zuge sprochen worden , al s e r au f de r Höh e seine r Mach t stand . S o nannt e ma n ihn au f eine n Volksbeschluß , de r 4 8 v . Chr. i n Ephesu s gefaß t wurde , „de n von Are s un d Aphrodit e stammende n Got t au f Erde n un d allgemeine n 11 Lohse , Umwel t

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Eduard Lohse , Umwelt de s Neuen Testament s

Heiland fü r da s Menschenleben" . I n Ro m bedient e ma n sic h nich t s o hohe r Worte, abe r bereit s 4 2 v. Chr. hatt e de r Sena t beschlossen , de n tote n Caesa r als Divu s Juliu s unte r di e Götte r aufzunehmen . Obwoh l au f Octavian , seinen Adoptivsohn , ei n Abglan z diese r einzigartige n Würd e fiel, mi t de r man da s Andenke n Caesar s ehrte , handelt e e r al s kluge r Politike r mi t Ma ß und Umsich t un d beansprucht e nicht , da ß ih m wi e eine m hellenistische n Gottkönig gehuldig t würde . Inde m e r sic h jedoc h i n feierliche m Staatsak t den Beiname n Augustu s übertrage n ließ , brachte e r unmißverständlic h zu m Ausdruck, da ß sein e Stellun g vo n unvergleichliche r Hohei t se i (vgl . S . 147). In de n orientalische n Provinze n prie s ma n sei n Werk , inde m ma n sic h un bedenklich de r überkommene n mythologische n Sprach e bediente , ih n al s den z u de n Mensche n gesandte n Heilan d un d Rette r bezeichnet e un d seine n Geburtstag al s Anfan g de r Freudenbotschafte n hervorhob , di e a n all e Wel t ergangen sin d (vgl . S . 148). Augustus lie ß e s sic h gefallen , da ß ma n ih m i n Kleinasien Tempe l errichtete , doc h macht e e r zu r Bedingung , da ß si e ih m und de r Götti n Rom a geweih t würden , u m au f dies e Weis e de n Oste n de s Reiches enge r mi t Ro m z u verbinden . (Vgl . Kippenberg, - Wewers, S.70f. ) Als Augustus 1 4 n. Chr. starb , stan d auße r Frage , da ß e r nunmeh r gleich falls unte r di e Götte r z u versetze n sei . E s fande n sic h alsbal d Zeugen , di e aussagten, gesehe n z u haben , wi e de r verstorben e Herrsche r ge n Himme l gefahren sei . De r Nachfolge r de s Augustu s pflegt e sei n Andenke n durc h kultische Verehrung , lehnt e e s jedoc h ab , dies e z u Lebzeite n auc h fü r sic h in Anspruc h z u nehmen . Al s a n Tiberiu s au s Spanie n da s Gesuc h heran getragen wurde , de m Kaise r un d seine r Mutte r eine n Tempe l baue n z u dürfen, wie s e r diese s Ansinne n zurück , d a e r ei n sterbliche r Mensc h sei , die göttliche n Ehre n abe r Augustu s gebührten , de m wahre n Heilan d de r Menschheit. Ebens o entschie d auc h Claudius . Caligula un d Ner o ließe n jedoc h all e Zurückhaltun g fahren . Caligul a wurde au f Münze n mi t de r Strahlenkron e de s Sonnengotte s Helio s ab gebildet un d Ner o al s Apoll o dargestellt . Doc h di e Ar t diese r beide n Caesaren, sic h nac h de m Vorbil d de s hellenistische n Gottkönigtum s z u gebärden, stie ß i n römische n Kreise n au f entschiedene n Widerspruch . Römischer Traditio n entsprac h vielmeh r di e skeptisch e Ironie , mi t de r de r sterbende Kaise r Vespasia n spötteln d sagte : „We h mir , ic h werd e siche r ein Gott. " Sei n Soh n Domitia n aber , de r End e de s erste n Jahrhundert s n. Chr . regierte , war vo n andere r Gesinnun g (vgl . S. 152). Er ga b sein e Wei sungen al s göttlich e Befehl e aus , inde m e r amtlich e Schreibe n mi t de n Worten einleitete : „Unse r Her r un d Got t befiehlt , da ß folgende s geschieht " (Sueton, Domitia n 13) , un d verlangte , da ß alle , di e mi t ih m sprache n ode r an ih n schrieben , ih n mi t diese r ehrerbietige n Anred e begrüßten . We r sic h dem widersetzte , wurd e vo n seine m Zor n getroffen . S o lie ß e r de n Konsu l Flavius Clemens , seine n Vetter , hinrichte n un d verbannt e desse n Gatti n Domitilla wege n Gottlosigkeit . Ihr e Schul d hatt e offensichtlic h dari n be standen, da ß si e sic h geweiger t hatten , de n Kaise r al s Got t anzuerkennen . Überall i m Reich lie ß Domitian Kaiserbilde r aufstelle n un d i n Ephesus eine n

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gewaltigen Tempe l mi t eine r überlebensgroße n Statu e de s Kaiser s erbauen . Diese Entwicklung is t in der Offenbarun g de s Johannes vorausgesetzt . Wäh rend di e meiste n Einwohne r Kleinasien s sic h ohn e Bedenke n bereitfinde n konnten, de n Herrsche r kultisc h z u verehren , wei l ma n e s gewöhn t war , in ih m ein e Erscheinun g de r Gotthei t z u sehen , mußt e e s fü r di e Christe n schlechterdings ausgeschlosse n sein , eine n Mensche n al s Herr n un d Got t zu bezeichnen . Den n e s gib t fü r si e nu r eine n Herr n alle r Herre n un d nu r einen Köni g alle r König e (Offb.Joh . 17,14 ; 19,16) , de r allei n z u ehre n un d anzubeten ist . Der Kaiserkult , de r sic h meh r un d meh r i m Römische n Reic h ausbreitete , diente vornehmlic h politische n Zwecken . Di e Röme r hinderte n di e viele n Völkerschaften, di e i n ihre m Reic h lebten , nich t daran , ihr e überkommene n Götter anzubeten , sonder n ließe n de n althergebrachte n Religione n freie n Raum. Di e Verehrung de s Herrschers wa r i n erste r Lini e Zeichen politische r Ergebenheit, di e i n kultische n Forme n ausgedrück t wurde . D a di e Jude n ein alte s Vol k mi t eine r ehrwürdige n Religio n waren , wurd e vo n ihne n nicht verlangt , a m Herrscherkul t teilzunehmen . Stat t desse n wurd e bi s zu m Ausbruch de s jüdische n Kriege s ei n tägliche s Opfe r fü r de n Kaise r i m Tempel dargebracht . Auc h nac h de m jüdische n Krie g bliebe n di e Rechte , die man de n Jude n gev/ähr t hatte , erhalten. Anfänglic h habe n di e römische n Behörden auc h di e Christe n hie r un d d a z u de n Jude n gerechne t ode r si e für ein e jüdisch e Sekt e gehalten. Al s sic h jedoc h alsbal d Jude n un d Christe n voneinander trennten , gin g damit fü r di e Christe n di e Möglichkei t verloren , an de n Rechten , dere n sic h di e Synagoge n erfreue n konnten , teilzuhaben . Obwohl si e di e staatliche n Behörde n al s vo n Got t eingesetzt e Ordnun g anerkannten, konnte n si e doc h unmöglic h a n eine r kultische n Verehrun g des Herrscher s teilnehmen , s o da ß e s imme r wiede r z u Konflikten , Verfol gungen un d schwere n Leide n de r Kirch e kam , bi s unte r Kaise r Konstanti n der Caesa r sic h de m Christu s beugte .

II. KAPITEL

Religiöse Bewegungen un d geistig e Strömunge n in de r hellenistisch-römische n Wel t zur Zei t de s Neuen Testament s 1. Die Götter der Griechen und Kömer Die Götter , di e di e Grieche n verehren , verkörper n Mächt e un d Kräfte , die i n de r Natu r wirken . Zeu s schleuder t Blitz e und läß t de n Donne r rollen , Poseidon herrsch t übe r da s Mee r un d führ t Stürm e herauf , Apoll o schick t Krankheiten un d spende t Heilung , Aphrodit e weck t di e Lieb e un d versinn bildlicht di e Schönheit . A n grüne n Hainen , a n Quelle n un d Flüssen , i m n*

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gewaltigen Tempe l mi t eine r überlebensgroße n Statu e de s Kaiser s erbauen . Diese Entwicklung is t in der Offenbarun g de s Johannes vorausgesetzt . Wäh rend di e meiste n Einwohne r Kleinasien s sic h ohn e Bedenke n bereitfinde n konnten, de n Herrsche r kultisc h z u verehren , wei l ma n e s gewöhn t war , in ih m ein e Erscheinun g de r Gotthei t z u sehen , mußt e e s fü r di e Christe n schlechterdings ausgeschlosse n sein , eine n Mensche n al s Herr n un d Got t zu bezeichnen . Den n e s gib t fü r si e nu r eine n Herr n alle r Herre n un d nu r einen Köni g alle r König e (Offb.Joh . 17,14 ; 19,16) , de r allei n z u ehre n un d anzubeten ist . Der Kaiserkult , de r sic h meh r un d meh r i m Römische n Reic h ausbreitete , diente vornehmlic h politische n Zwecken . Di e Röme r hinderte n di e viele n Völkerschaften, di e i n ihre m Reic h lebten , nich t daran , ihr e überkommene n Götter anzubeten , sonder n ließe n de n althergebrachte n Religione n freie n Raum. Di e Verehrung de s Herrschers wa r i n erste r Lini e Zeichen politische r Ergebenheit, di e i n kultische n Forme n ausgedrück t wurde . D a di e Jude n ein alte s Vol k mi t eine r ehrwürdige n Religio n waren , wurd e vo n ihne n nicht verlangt , a m Herrscherkul t teilzunehmen . Stat t desse n wurd e bi s zu m Ausbruch de s jüdische n Kriege s ei n tägliche s Opfe r fü r de n Kaise r i m Tempel dargebracht . Auc h nac h de m jüdische n Krie g bliebe n di e Rechte , die man de n Jude n gev/ähr t hatte , erhalten. Anfänglic h habe n di e römische n Behörden auc h di e Christe n hie r un d d a z u de n Jude n gerechne t ode r si e für ein e jüdisch e Sekt e gehalten. Al s sic h jedoc h alsbal d Jude n un d Christe n voneinander trennten , gin g damit fü r di e Christe n di e Möglichkei t verloren , an de n Rechten , dere n sic h di e Synagoge n erfreue n konnten , teilzuhaben . Obwohl si e di e staatliche n Behörde n al s vo n Got t eingesetzt e Ordnun g anerkannten, konnte n si e doc h unmöglic h a n eine r kultische n Verehrun g des Herrscher s teilnehmen , s o da ß e s imme r wiede r z u Konflikten , Verfol gungen un d schwere n Leide n de r Kirch e kam , bi s unte r Kaise r Konstanti n der Caesa r sic h de m Christu s beugte .

II. KAPITEL

Religiöse Bewegungen un d geistig e Strömunge n in de r hellenistisch-römische n Wel t zur Zei t de s Neuen Testament s 1. Die Götter der Griechen und Kömer Die Götter , di e di e Grieche n verehren , verkörper n Mächt e un d Kräfte , die i n de r Natu r wirken . Zeu s schleuder t Blitz e und läß t de n Donne r rollen , Poseidon herrsch t übe r da s Mee r un d führ t Stürm e herauf , Apoll o schick t Krankheiten un d spende t Heilung , Aphrodit e weck t di e Lieb e un d versinn bildlicht di e Schönheit . A n grüne n Hainen , a n Quelle n un d Flüssen , i m n*

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Eduard Lohse , Umwel t de s Neue n Testament s

Dunkel de s Walde s walte n Götte r un d Göttinnen , Fruchtbarkei t un d Sege n kommt vo n ihnen , ebens o abe r auc h Dürr e un d Strafe . Nebe n de n Gott heiten, die Ordnun g un d Geset z verwirklichen , steh t de r Got t Dionysus , de r in Rausc h un d Taume l einherzieh t un d dari n vo n seine n Verehrer n erkann t wird. I n üppige r Füll e läß t e r di e Gabe n de r Natu r de n Mensche n zutei l werden, s o daß de r Wein nich t zu r Neig e geht , sonder n au s ni e versiegende r Quelle sprudelt . Währen d di e Gottheite n de s Orient s Her r übe r da s Schick sal sind , bleibe n di e Götte r de r Grieche n ih m unterworfe n un d sin d vo n den Mensche n allei n dadurc h unterschieden , da ß si e unsterblic h sin d un d über wei t größer e Mach t verfüge n al s sie . Gemeinschaften un d Städt e de r Mensche n habe n ihr e besondere n Gott heiten. Di e Götti n Athen e beschütz t di e Stad t Athen , Artemi s wir d i n Ephesus verehr t (Apg . 19,28). Gleichwoh l sin d si e nich t nu r mi t eine r Stad t verbunden, sonder n di e Götter , vo n dene n da s homerisch e Epo s alle n Grie chen Kund e gibt , wurde n überal l vo n ihne n verehrt . Ma n errichtet e ihne n herrliche Tempel , i n dene n Götterbilde r aufgestell t wurden . Durc h da s Bil d ist di e Gotthei t gegenwärti g un d trit t si e mi t de n Mensche n i n Verbindung , indem geheim e Wink e ode r bedeutungsvoll e Hinweis e vo n de n Bilder n aus gehen. I m Orien t wurde n di e Gottheite n vielfac h al s gewaltige , Schrecke n erregende Tiergestalte n dargestellt , di e Götte r de r Grieche n sin d dagege n reine, wahr e Menschen . I m Orien t stan d da s Götterbil d i m Allerheiligsten , zu de m nu r geweiht e Prieste r Zugan g haben , di e Grieche n abe r kannte n solche streng e Scheidun g nicht . Meis t ga b e s be i ihne n keine n gesonderte n Priesterstand, sonder n di e priesterliche n Funktione n wurde n vo n einzelne n dazu bestimmte n Glieder n de r Gemeinschaf t versehen , un d fü r jede n Grie chen wa r da s Heiligtu m offen , s o da ß e r vo r da s Götterbil d trete n un d vo r ihm anbete n konnte . Der Will e de r Götte r bestimmt , da ß Stad t un d Gemeinwese n nac h wohl gegründeter Ordnun g leben . Si e trage n dafü r Sorge , da ß di e Gesetzmäßig keit de s Leben s gewahr t bleibt , un d wache n darüber , da ß ma n nich t gege n sie verstößt . Freventlic h handel t derjenige , de r sic h i n vermessene m Stol z gegen di e Götte r erheb t un d i m Übermu t nich t di e Grenz e sieht , di e de n sterblichen Mensche n gesetz t ist . Di e Hybri s gil t dahe r al s di e eigentlich e Verfehlung, dere n sic h de r Mensc h gege n di e Götte r schuldi g mache n kan n und fü r di e ih n di e Straf e alsbal d ereilt . Di e Verehrung , di e de n Götter n gebührt, wir d zu m Ausdruc k gebracht , inde m ma n a n de n kultische n Ver anstaltungen teilnimmt , di e durc h Herkomme n un d Sitt e festgeleg t sind . Einen allwöchentlic h wiederkehrende n Tag , wi e e s de r Sabba t de r Jude n ist, ga b e s wede r be i de n Grieche n noc h be i de n Römer n al s Ruhe - un d Feiertag. Doc h wa r übe r da s ganz e Jah r ein e reichlich e Zah l vo n Feste n gestreut, s o da ß sic h manch e Gelegenhei t bot , vo n de r Arbei t z u ruhe n und de n Götter n z u huldigen . Di e hohe n Feste , di e vo n de n Grieche n z u Ehren de r Götte r begange n wurden , ware n mi t Spiele n verbunden , di e i n regelmäßigen Abstände n durchgeführ t un d vo n gan z Griechenlan d be schickt wurden . A m berühmteste n ware n di e olympische n Spiele , di e all e

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Religiöse Bewegunge n un d geistig e Strömungen i n de r hellenistisch-römische n Wel t 16 5

vier Jahr e stattfanden , u m de n Götter n z u opfer n un d i m Wettkamp f u m den sportliche n Sie g zu streiten . We r ih n gewann , wa r allgemeine r Achtun g sicher. All e zwe i Jahr e wurde n be i Korint h di e isthmische n Spiel e ver anstaltet, di e gleichfall s viel e Teilnehme r un d Zuschaue r anzoge n (vgl . 1.Kor. 9,24-27). Das Heiligtu m de r Gotthei t wurd e meis t au f de r Höh e errichtet , oberhal b der Stad t ode r hoc h i n de n Bergen . A m Tempe l wurde n di e fü r di e Götte r bestimmten Opfe r dargebracht , di e ihne n al s Gabe n geweih t wurden . Di e Eingeweide de r geschlachtete n Tier e wurde n au f de m Alta r verbrannt , di e genießbaren Teil e fielen a n di e Prieste r ode r wurde n al s Fleisc h verkauft . Man konnt e kei n Fleisc h erhalten , da s nich t i n irgendeine r Weis e mi t de m Kultus i n Berührun g gekomme n war , d a vo n jede m Vieh , da s geschlachte t wurde, wenigsten s einig e gering e Teil e fü r di e Gotthei t verbrann t wurden . In Räume n de s Tempel s wurde n häufi g Kultmahl e veranstaltet , z u dene n man Verwandt e un d Freund e einlud , di e - wi e manch e Papyr i bezeuge n vielfach schriftlic h gebete n wurden , sic h z u bestimmte r Stund e i m Hau s des Gotte s z u fröhliche m Schmau s einzufinden . Ei n beträchtliche r Tei l de s gesellschaftlichen un d de s gesellige n Leben s spielt e sic h dahe r i m un d a m Tempel a b (vgl . l.Kor . 10,20f.25-28) . Die Opfer , di e fü r di e Götte r angezünde t wurden , diente n zu r Erfüllun g der ihne n geschuldete n Pflicht , sollte n abe r auc h au f di e Götte r einwirken , damit si e da s Geschic k de r Mensche n glücklic h lenkte n ode r vo n de r Stad t Unheil un d Verderbe n abwendeten . I n alte n Zeite n ha t ma n bisweile n auc h Menschen geopfert , u m di e Götte r gnädi g z u stimmen . Späte r trate n meis t Tieropfer a n ihr e Stelle , doch hiel t sic h i n einige n griechische n Städte n auc h der alt e Brauch , durc h Hingab e eine s Mensche n Sühn e z u wirken . Sollt e dieses Sühnopfe r Erfol g erzielen , s o mußt e e s sic h freiwilli g bereitfinden , i n den To d z u gehen . Dahe r sucht e ma n fü r diese n Zwec k arm e Menschen , denen ma n i n Aussich t stellte , ein volle s Jah r lan g au f da s best e au f Koste n der Stad t verpfleg t un d mi t gute n Speise n verwöhn t z u werden . Dies e Ver lockung veranlaßt e de n eine n ode r anderen , de r ei n elende s Dasei n führte , sich au f diese n Hande l einzulasse n un d sic h al s Sündenboc k z u verdingen , der nac h eine m i n Üppigkei t verbrachte n Jah r sei n Lebe n zu r Sühn e fü r die Gemeinschaf t hingebe n mußt e (vgl . l.Kor . 4,13). Die Röme r setzte n di e Götter , di e si e sei t alter s verehr t hatten , de n griechischen Gottheite n gleich , s o da ß Jupite r z u Zeu s wurde , Jun o z u Hera, Venu s z u Aphrodite , Merku r z u Hermes , Neptu n z u Poseido n usw . Die älter e römisch e Überlieferun g kannt e kein e Mythen , di e ma n vo n de n Göttern erzählte . Al s di e Röme r abe r eine n Zusammenhan g zwische n ihre n Göttern un d dene n de r Grieche n herstellten , übernahme n si e auc h di e Mythen, di e ma n i n Hella s i n bunte r Füll e ausgebilde t hatte , s o da ß ihr e Götter, di e di e Heiligkei t un d Unverletzlichkei t de r überkommene n Ord nung hüten , au f dies e Weis e ein e Geschicht e erhielten . Da de r Kul t Sache des Staate s wa r un d blieb , zu desse n Woh l e r i n pünkt licher Ordnun g de s Kalender s verrichte t wurde , ware n di e amtliche n Stelle n

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um sein e Förderun g bemüht . Zwa r wa r unte r de m starke n Einfluß , de r aus de r hellenistische n un d orientalische n Wel t nac h Ro m kam , i m Lau f des erste n Jahrhundert s v . Chr. di e Sorgfalt , mi t de r di e kultische n Pflichte n erfüllt wurden , beträchtlic h geschwunden ; unte r de r Regierun g de s Augu stus abe r wurd e erneu t darau f gesehen , da ß di e überliefert e Religio n ge pflegt wurde . Zahlreich e Tempe l wurde n wiederhergestellt , un d da s Am t der Prieste r wurd e wiede r z u Ehre n gebracht , u m gegenübe r de r Über fremdung durc h aufgeklärte s hellenistische s Denke n un d Verfal l de r Sitte n römisches Erb e i n respektvolle r Achtun g de r Götte r un d de r ihne n ge schuldeten Pflichte n z u wahren . De r Erfol g diese r Politi k konnt e freilic h nu r von begrenzte r Daue r sein , wei l Lebenshaltun g un d Lebensführun g de r Römer bereit s z u tiefgreifend e Veränderunge n erfahre n hatten , al s da ß man z u alte n Sitte n hätt e zurückkehre n können . De r Einflu ß fremde r Kulte , die au s de m Orien t nac h Ro m gelangten , erwie s sic h al s s o stark , da ß ma n ihn nich t meh r zurückdränge n konnte . Auch i n hellenistisch-römische r Zei t wurd e de r kultisch e Diens t i n de n Tempeln mi t Sorgfal t vollzogen , obwoh l manche r Spot t übe r da s Verhalte n der Götte r lau t wurd e un d manche r Zweife l geäußer t wurde . Wen n auc h der Glaub e a n di e Götte r schwäche r wurde , führt e ma n doc h ihne n z u Ehren i n Italie n un d Griechenland , i m Vordere n Orien t un d i n Nordafrik a gewaltige Baute n auf . Ungeminder t blie b di e Bedeutung, di e ma n göttliche n Orakeln un d Weisunge n zumaß . De r Flu g de r Vöge l wurd e aufmerksa m betrachtet, u m ih m Vorzeiche n z u entnehmen ; be i de r Zerlegun g de r Opfer tiere wurde n di e Eingeweid e beschaut , u m au s ihne n Hinweis e fü r di e Be stimmung de r Zukunf t z u erhalten ; vo r schwierige n Entscheidungen , vo r Antritt eine r Reis e ode r Begin n eine s wichtige n Unternehmen s sucht e ma n den Wille n de r Götte r z u erkunden . Gelan g e s bei m erste n Versuc h nicht , einen deutliche n un d ermutigende n Beschei d z u erhalten , konnt e ma n aber mals Opfertier e schlachte n un d di e Eingeweidescha u wiederholen . A n be stimmten Heiligtümer n konnt e ma n Frage n a n di e Gotthei t richte n un d aus de m dan n ergehende n Orake l erfahren , welche s de r göttlich e Will e sei. Sei t alter s wurd e vo n alle n Grieche n da s Orake l de s Apoll o i n Delph i aufgesucht, u m sic h a n di e Prieste r mi t de r Bitt e u m Beschei d z u wenden , die dann di e Fragen der Pythia vorlegten, einer Priesterin, die auf de m golde nen Dreifuß sa ß und i n seherischer Kraf t di e Weisung des Gottes ergründete . Viele Mensche n suchte n Auskunf t be i persönliche n Sorgen , Hilf e i n Krank heit ode r Ra t be i Schwierigkeite n i n Hau s un d Familie , abe r auc h politisch e Fragen wurde n de r Pythi a gestellt . Eh e Gesetz e erlasse n wurden , holt e ma n oft de n stet s sorgsa m abgewogene n Entschei d au s Delph i ein , u m nac h de m Willen de s Gotte s z u handeln . Der Tempe l i n Delph i tru g di e Inschrif t „Erkenn e dic h selbst" . Diese r Satz hiel t daz u an , de n Mensche n a n di e ih m gesetzt e Grenz e z u erinner n und ih n z u mahnen, sic h nicht übe r sic h selbs t z u erhebe n un d i n frevelnde m Hochmut di e Mach t de r Götte r z u verkennen . De r Mensc h sol l un d mu ß sich vielmehr desse n bewuß t sein , daß e r sterblich is t und ih m nu r ei n kurze s

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Maß a n Zei t bestimm t ist . Zwa r hatt e i n hellenistische r Zei t di e alt e Reli gion erheblich a n Kraf t verloren , aber die Frage nach dem Göttlichen schlechthin, da s de n Grun d alle n Sein s bestimmt , blie b lebendig . Wen n auc h nich t bekannt ist , o b e s wirklic h au f eine m Alta r i n Athe n ein e Inschrif t „de m unbekannten Gott " (Apg . 17,23) gegebe n hat , s o wurd e doc h vo n viele n Menschen Antwor t au f di e Frag e nac h de m unbekannte n Got t gesucht . Weithin sa h ma n de n Sonnengot t Helio s al s di e Gotthei t an , di e alle s lenkt , während Philosophe n vo n de m eine n Got t sprachen , desse n Walte n i n de r Natur erkennba r wird . Nebe n de m Kul t de r alte n Götte r un d eine m sic h anbahnenden Monotheismu s ga b e s ein e bunt e Füll e volkstümliche r Vor stellungen übe r da s Eingreife n göttliche r Mächt e un d geheimnisvolle r Kräfte, di e das Schicksal de s Menschen lenken . Weit stärke r al s der amtlich e Kult de r Götte r bestimmt e diese r Volksglaub e da s Lebe n de r Mensche n i n hellenistisch-römischer Zeit . 2. Volksglaube und Schicksalsvorstellung In de r alte n Wel t wa r de r Glaube , durc h wunderhaft e Begebenheite n göttliche Hilf e erfahre n z u können , wei t verbreitet . De r Kul t de s Heilgotte s Asklepius, der von ungezählten Mensche n angebete t und u m Hilf e angerufe n wurde, wa r scho n i n alte r Zei t a n verschiedene n Stelle n de s Mittelmeer raums begange n un d nac h de r große n Pest , di e Athe n heimgesuch t hatte , 420/19 v.Chr . auc h dor t eingeführ t worden . Wahrzeiche n de s Asklepiu s war di e Schlange ; den n ursprünglic h wa r e r al s chthonische r Schlangengot t in Thessalie n verehr t worden . Sei n zentrale s Heiligtu m fan d e r i n Epidau rus, w o i n hellenistische r Zei t groß e Baute n aufgeführ t wurden . Bei m Tempel befande n sic h weite Liegehallen, in denen sic h die Kranken lagerten , um z u ruhe n un d i m Schla f Heilun g z u empfangen . Lahm e konnte n wiede r gehen, Stumm e wiede r reden , Blind e wiede r sehen . Wunderbar e Erfahrun gen un d ärztlich e Heilkuns t brachte n viele n Mensche n Genesung , fü r di e sie dan n ihre n Dan k de m Heiligtu m erstatteten , inde m si e golden e ode r silberne Nachbildunge n de s geheilte n Gliede s spendete n ode r Gabe n a m Tempel darbrachten . Asklepiu s wurd e al s Got t de r Heilkuns t un d al s Hei land gepriesen , de r de n Mensche n beisteh t un d si e i n Fürsorg e geleitet . Wunderbares Geschehe n wir d durc h Männe r ausgelöst , di e mi t beson derer Mach t begab t sin d un d göttlich e Kraf t ausstrahlen . W o si e durc h das Lan d ziehen , grüne n di e Fluren , werde n Krank e gesun d un d ereigne t sich Außerordentliches . Al s Vespasia n bal d nac h Antrit t de r Regierun g nach Alexandri a kam , ba t ih n ei n Blinder , e r mög e sein e Auge n mi t Speichel benetzen , un d ei n Lahmer , da ß e r sei n Bei n mi t seine r Fers e be rühre. E s wir d berichtet , de r Kaise r hab e diese r Bitt e entsproche n un d heilende Kraf t au f di e Kranke n ausgeströmt , s o da ß si e vo n ihre n Leide n genasen (Sueton , Vespasia n 7) . De r Philosop h ApoUoniu s vo n Tyana , de r im erste n Jahrhunder t n.Chr . i n Kleinasie n lehren d umherzog , wurd e al s Wundertäter gepriesen , de r leidende n Mensche n z u helfe n un d Krank e z u

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heilen wußte . E s wir d überliefert , da ß einma l i n Athe n ei n junge r Mann , dessen Lebenswande l s o ausschweifen d un d verwerflic h war , da ß ma n Gassenlieder darau f gedichte t hatte , de n Vortra g de s Philosophe n anhörte . Als diese r jung e Man n i n ei n lautes , schamlose s Gelächte r ausbrach , blickt e Apollonius ih n a n un d sagte : „Nich t d u frevels t hier , sonder n de r bös e Geist, vo n de m d u besesse n bist. " Di e Erzählun g fähr t dan n fort : „E r wa r aber wirklic h besessen , ohn e da ß e s bekann t war ; e r lachte , w o nieman d lachte, weint e ohn e Ursache , san g un d hiel t mi t sic h Zwiegespräch . Di e Leute meinten , sein e zügellos e Jugen d verschuld e das ; ih n leitet e abe r ei n böser Dämon , un d e r erschie n i n seine m Freve l wi e trunken . Al s nu n Apol lonius ih n schärfe r un d zornige r anblickte , schri e de r Dämo n au f wi e ei n Gebannter un d Gefolterte r un d schwur , de n Jünglin g loszulasse n un d ni e wieder eine n Mensche n z u überfallen . Al s Apolloniu s abe r z u ih m sprac h wie ei n zornige r Her r z u eine m schamlo s böse n Knech t un d ih m befahl , sichtbar auszufahren , d a rie f e r aus : ,Da s Standbil d dor t wil l ic h umwerfen ' und wie s au f ein e Statu e be i de r Königshalle . Wirklic h gerie t dies e i n Be wegung un d stürzt e um . Welche r Schrecken ! Welche s Staunen ! We r mag' s beschreiben! De r Jünglin g abe r rie b sic h di e Auge n wi e ei n Erwachender , sah nac h de r Sonn e un d wa r verlegen , wei l alle r Auge n au f ih n sahen . Vo n da a n erschie n e r abe r nich t meh r s o wil d un d maßlo s wi e vorher , sonder n seine gesund e Natu r ka m wiede r zu m Vorschei n wi e nac h de m Gebrauc h eines Heilmittels " (Philostrat , Lebe n de s Apolloniu s IV, 20). Wi e dies e Ge schichte zeigt , wir d da s sonderbar e Wese n de s junge n Manne s nac h all gemein geteilte r Ansich t au f di e Einwirkun g vo n Dämone n zurückgeführt , die al s Geiste r vo n übermenschliche r Kraf t i n da s Lebe n de r Mensche n eingreifen. Si e könne n de n Mensche n gu t gesinn t sei n un d ihne n helfen d zur Seit e stehen ; e s gib t abe r auc h zahllos e bös e Geister , di e de n Mensche n Schaden zufüge n un d si e knechte n wollen . Übe r si e besitz t de r Exorzis t Macht, s o da ß e r kraf t seine r außergewöhnliche n Einsich t un d seine r Heil gabe di e böse n Geiste r auszutreibe n vermag . Sei n Erfol g wir d vo r alle r Augen bewiesen , inde m de r ausfahrend e Dämo n ein e Statu e umwirf t un d der jung e Mann , de r vo n ih m befrei t ist , gesun d dasteht , währen d di e Zeugen diese s Ereignisse s vo n staunende r Bewunderun g erfüll t sin d (vgl . Mk. 1,23-28 Par.; 5,1-20 Par. u. a.) . Da Lebensgan g un d Geschic k de s Mensche n vo n überirdische n Mächte n abhängig sind , komm t e s darau f an , dere n Bedeutun g genaue r z u erkennen . Man beobachte t dahe r di e Sterne , u m au s ihre m Lau f di e Gesetz e de s Makrokosmos z u begreife n un d darau s Schlußfolgerunge n fü r di e Einsich t in di e Bestimmun g de s Mikrokosmo s z u gewinnen . Den n wa s de m ein zelnen Mensche n zutei l werde n soll , steh t i n de n Sterne n geschrieben . Di e Kenntnisse, di e die Babylonier übe r de n Lau f de r Gestirn e gefunde n hatten , waren vo n de n Grieche n weitergeführ t un d durc h ihr e mathematische n Einsichten vertief t worden . Ma n verban d i n hellenistische r Zei t di e durc h die Wissenschaf t gewonnene n Ergebniss e mi t mancherle i volkstümliche n Vorstellungen un d magische n Praktiken , s o da ß ei n bunte s Gemeng e de r

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Astrologie entstand . Konnt e ihr e Kuns t vornehmlic h nu r vo n Gebildete n geübt werden , di e di e Berechnunge n durchzuführe n verstanden , s o ga b e s doch danebe n auc h mancherle i Wahrsager , di e vorgaben , gege n geringe s Entgelt de m einfache n Vol k au s de n Sterne n di e Zukunf t deute n z u können . Man stellt e da s Horoskop , u m Aufschlu ß übe r da s Schicksa l de s Mensche n zu erhalten ; bestimmt e Tage , di e kei n Glüc k verheißen , sucht e ma n z u meiden; Gelegenheiten , di e unte r eine m gute n Ster n z u stehe n schienen , suchte ma n z u ergreifen . Abergläubisch e Furch t lie ß di e Mensche n vol l gespannter Sorg e zu m Himme l blicken , wei l si e sic h de n kosmische n Mächten un d Gewalte n ausgeliefer t sahen , s o da ß ma n sic h nac h ihne n i n ängstlicher Sche u richten , ihr e Gesetz e erkenne n un d sorgsa m befolge n mußte, u m sic h vo r Schade n un d Gefah r z u hüte n un d mi t Klughei t di e Tage un d Stunde n z u nutzen , di e unte r de r Guns t de r Himmelsmächt e stehen. I n Schrifte n un d Bücher n wurde n astrologisch e Kenntniss e ver breitet, dere n sic h ei n kundige r Man n dan n bediene n konnte , wen n e r ein e wichtige Frag e z u entscheide n ode r ei n schwierige s Vorhabe n anzugreife n hatte. I n eine m astrologische n Ratgebe r heiß t e s z.B. : „Satur n i m Dreiec k zum Mar s bedeute t Unglück . Jupite r i m Dreiec k zu m Mar s ode r i n Kon junktion mi t Mar s verursach t Unzuch t un d Ehebruch ; wen n daz u noc h Merkur be i ihne n steht , erfolge n darau s Ausschweifun g un d Wollust . Wen n Merkur i n Konjunktio n mi t Jupite r steh t ode r i m Dreieck , verursach t da s günstige Handlunge n ode r Geschäfte , . . . wenn Mar s i m Dreiec k z u diese m und z u Satur n erscheint , bring t da s große s Glück , un d e r wir d groß e Er werbungen mache n . . . " (Papyru s Tebtuni s 276) . Unter de m Einflu ß de r Erkenntnisse , di e i n Astronomi e un d Geographi e gewonnen wurden , vollzo g sic h ein e Veränderun g de s Weltbildes . Hatt e man frühe r di e Erd e al s ein e flach e Scheib e angesehen , übe r de r sic h wi e eine groß e Glock e de r Himme l wölb t un d unte r de r sic h di e Unterwel t dehnt, s o betrachtet e ma n nu n di e Erd e al s ein e Kugel , di e vo n siebe n Planetensphären un d de m Fixsternhimme l umgebe n ist . I n di e himmlisch e Welt steige n di e Seele n de r Mensche n auf , wen n si e sic h i m Augenblic k de s Todes vo m Körpe r trennen . De r Lei b bleib t au f de r Erd e zurück , di e Seel e aber schwing t sic h z u de n Höhe n empor , i n dene n si e Läuterun g un d Vollendung erfährt . Di e Vorstellung, ma n könn e au s de n Sterne n Aufschlu ß über da s de r Seel e bestimmt e Geschic k erfahren , gewan n auc h i n Ro m a n Einfluß. Es gab zwa r ei n alte s Edikt , da s di e Sterndeuter au s Ro m verwiese n hatte, abe r di e Caesare n hielte n sic h nu r s o wei t daran , da ß si e e s Un befugten untersagten , di e Stern e übe r ih r Geschic k un d ihr e Zukunf t z u befragen. Gleichwoh l ließe n si e fü r sic h Erkundigunge n einziehe n un d sic h das Horosko p stellen , u m Glüc k verheißend e Hinweis e z u bekommen . Durch Zaube r un d Magi e sucht e ma n Einflu ß au f de n Lau f de s Schick sals zu gewinnen. Träumen wurd e bedeutungsschwere r Gehal t beigemessen ; vor böse n Geister n un d Schade n stiftende n Mächte n hatt e ma n au f de r Hut z u sein , u m nich t ihre m Treibe n zu m Opfe r z u fallen . Mancherle i Vor sichtsmaßregeln un d da s Anlege n vo n Amuletten , di e di e Dämone n ab -

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wehren un d ihne n keine n Zugan g gestatten , diente n dazu , gege n Schade n zu feien . Geheimnisvoll e Zauberworte , di e durc h Fremdhei t de r Red e un d mehrmalige Wiederholun g a n Kraf t gewinnen , sollte n au f de r eine n Seit e böse Geiste r un d ihr e Einwirkun g fernhalten , au f de r andere n Seit e da s Glück herbeizwingen . Ein e Vielzah l vo n Silbe n wurd e z u langen , kau m aus sprechbaren Wortungetüme n verbunden , Wörter n au s fremde n Sprache n außergewöhnliche Wirkungskraf t zugeschrieben . I n Ägypten , de m Land , i n dem di e Zaubere i sei t alter s besonder s entwickel t war , kame n Überliefe rungen au s verschiedene n Sprache n un d Religione n zusammen , di e ma n um s o liebe r aufnah m un d miteinande r vermengte , al s au f dies e Weis e de n Wendungen un d Formeln , di e ma n zu m Erreiche n bestimmte r Ziel e sprach , eine vo n Geheimnisse n umwittert e Bedeutun g zugeschriebe n werde n konnte. I n diese s bunt e Geflech t vo n Zaubersprüche n wurde n mi t beson derer Vorlieb e auc h einzeln e Wörte r un d Name n au s de r alttestamentlich jüdischen Überlieferun g aufgenommen , s o da ß auc h nichtjüdisch e Magie r zum Got t Abrahams , Isaak s un d Jakob s riefen , u m sic h seine r Hilf e z u versichern un d sic h dabe i bedenkenlo s übe r da s alttestamentlich e Gebo t hinwegsetzten, de n Gottesname n nich t z u mißbrauche n un d nich t z u Zauberzwecken z u verwende n (2.Mose20,7 ; 5.Mose5,1 1 u.ö.) . S o heiß t e s u. a. i n eine m lange n Text , de r Regel n fü r Magie r zusammenstellt : „Gege n dämonische Besessenheit . Erprobte s Zaubermitte l de s Pibechis . Nim m ö l von unreife n Früchte n nebs t de r Pflanz e Mastigi a un d Lotosmar k un d koche e s mi t Majora n (de m nichtfarbigen ) un d sprich : Joel , Ossarthiomi , Emori, Theochipsoith , Sithemeoch , Sothe , Joe , Mimipsothiooph , Phersoth i AEEIOYO, Joe , Eochariphta : Fahr e au s de m N . N . ! ' . . . Di e Schutzforme l aber schreib e au f ei n zinnerne s Täfeichen : J a e o , Abraothioch , Phtha , Mesenpsiniao, Pheoch , Jaeo , Charsok ' un d häng e e s de m Leidende n um : es ist für jede n Dämo n ei n Schauder , de n e r fürchtet. Stell e dich dan n gegen über un d beschwör e ihn . E s laute t abe r di e Beschwörun g also : Ic h be schwöre dic h be i de m Got t de r Hebräe r Jesu , Jaba , Jae , Abraoth , Aia , Thoth, Ele , Elo, Aeo, Eu, Jiibaech, Abarmas, Jabarau , Abelbel , Lona , Abra , Maroia, Brakion , i m Feue r Erscheinender , de r d u inmitte n vo n Flu r un d Schnee und Nebe l bist , Tannetis : Herabfahre n sol l dei n unerbittliche r Enge l und einweise n i n Haf t de n umherflatternde n Dämo n diese s Geschöpfes , da s Gott geschaffe n ha t in seinem heilige n Paradiese . Denn ic h bete zu m heilige n Gott, mic h gründen d au f Ammonipsentanch o . . . " (Parise r Zauberpapyru s 3007-3029). Ägyptische Götternamen , alttestamentlich e Bezeichnunge n un d Wortmalerei, di e kein e bestimmt e Bedeutun g erkenne n läßt , sin d hie r z u einem eigentümliche n Geweb e verbunde n worden , da s i n seine r Füll e un d der Vielfal t de r Fäden , au s dene n e s besteht , unte r alle n Umstände n da s treffende Zauberwor t enthalte n soll , durch da s Mach t übe r di e Geiste r un d Einfluß au f da s Geschic k de r Mensche n ausgeüb t werde n kann . Die kosmopolitisch e Weite , di e i n de n Grenze n de s Römische n Reiche s herrschte, stellt e e s de n Mensche n anheim , z u welche n Götter n si e rufe n und welche r religiöse n Überzeugun g si e sic h anschließe n wollten , s o da ß

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Religiöse Bewegungen un d geistig e Strömungen i n der hellenistisch-römischen Wel t 17 1

dem einzelne n dami t ei n freie r Rau m gegebe n war , de n e r fü r sic h ausfülle n mußte. Ein e meh r ode r minde r deutlic h ausgebildet e Schicksalsvorstellung , die of t mi t abergläubische n Ansichte n gepaar t war , wurd e vo n viele n ge teilt. Di e Gestal t de r Tyche , di e da s Glüc k versinnbildlicht , da s de n Men schen widerfähr t ode r abe r versag t bleibt , erfreut e sic h allgemeine r Beliebt heit. Jede r hoffte , ih m möcht e ei n freundliche s Geschic k beschiede n sein , und sucht e Zeiche n dafü r z u erlangen , da ß ih m un d de n Seine n Gute s zu kommen werde . Daß da s Lebe n de s Mensche n nu r ein e kurz e Spann e ausmacht , wa r all gemein schmerzlic h bewußt . Di e eine n zoge n au s diese r Einsich t di e Fol gerung, ma n müss e jede n Tag , a n de m di e Sonn e scheint , fröhlich genießen , weil morge n scho n da s plötzlich e End e eintrete n könne . Ander e ware n vo n Skepsis erfüllt , un d manch e lebte n meh r ode r wenige r unbekümmer t i n den Ta g hinein , ohn e sic h tiefer e Gedanke n z u machen . Di e Meinunge n gingen darübe r auseinander , wa s de m Mensche n nac h de m To d wider fahren wird . I m Vol k lebt e di e alte Ansicht fort, da ß di e Toten i n di e dunkl e Unterwelt komme n un d dor t al s Schatte n ih r Dasei n führen . Di e Über zeugung, da ß di e unsterblich e Seel e ers t i n de r himmlische n Wel t zu r Ent faltung ihre r eigentliche n Bestimmun g gelange n wird , wa r wei t verbreitet . Der Todesta g gal t dan n al s Geburtsta g de r Ewigkeit , wei l de r Geis t de n Leib verläß t un d i n di e göttlich e Wel t heimkehrt . Nac h volkstümliche r An schauung weilt e di e Seel e de s Verstorbene n noc h dre i Tag e lan g i n de r Nähe de s Grabes , eh e si e in di e Höh e entschwan d (vgl . Joh. 11,39). Manch e Menschen abe r bezweifelte n di e Erwartun g eine s Leben s nac h de m Tod e und sprache n deutlic h aus , da ß e s kei n Jenseit s geb e un d dahe r mi t de m Tode ei n unwiderrufliche s End e gesetz t sei . Di e Mannigfaltigkei t de r Vor stellungen wir d vo n de n Inschrifte n au f de n Gräber n widergespiegelt , dere n in Stei n gegraben e Wort e da s Andenke n a n de n Verstorbene n lebendi g er halten un d di e Vorübergehende n zu r Besinnun g mahne n sollten . I n Erinne rung a n de n Tote n versammelte n sic h sein e Famili e un d sein e Freund e i n regelmäßigen Abständen , z.B . a m Geburtsta g ode r a m Todesta g de s Ver storbenen. Vermögend e Leut e machte n z u Lebzeite n ein e Stiftung , di e daz u dienen sollte , da ß späte r Gedächtnismahl e abgehalte n werde n konnten . Denn di e Tote n bedürfe n de r Achtung , di e ihne n durc h Pfleg e de r Grab stätten un d ehrende s Gedächtni s bezeug t wird . 3. Die Mysterienreligionen Aberglaube un d Schicksalsvorstellung , Wundersucht , Astrologi e un d Magie, di e i n hellenistische r Zei t zahlreich e Anhänge r gefunde n hatten , lassen erkennen , da ß di e Mensche n vo n tiefe r Sorg e un d Lebensunsicher heit erfaß t waren . Bedroh t vo n Mächte n un d Dämonen , vo n Krankheite n und unvorhergesehene n Schicksalsschlägen , lebt e ma n i n Ungewißhei t un d Angst un d fühlt e sic h übermächtige n Gewalte n unterworfen , dene n gegen über ma n sic h nich t z u behaupte n vermochte . Durc h allerle i Praktike n un d

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Vorsichtsmaßnahmen sucht e ma n sic h z u wappne n un d z u schützen , u m dem Schicksa l standhalte n z u können . Di e Frage , wi e ma n eine m düstere n Untergang entrinne n un d vo n de r Angs t befrei t werde n könne , verlangt e nach eine r Antwort . Dies e Antwor t gabe n a n ihre m Tei l di e Mysterien religionen, di e de m Mensche n Rettun g verhießen , inde m si e ih m heilend e Kraft anboten , da s de m Leide n un d selbs t de m Tod e Widerstan d leiste n sollte. Vo n Mysterie n is t di e Rede , wei l di e religiöse n Gemeinschaften , di e sich z u bestimmte n Kulthandlunge n versammelten , übe r dere n Inhal t un d Bedeutung strenge s Stillschweige n wahrten , da s keine m Uneingeweihte n gegenüber gebroche n werde n durfte . Infolg e de r sorgsa m eingehaltene n Arkandisziplin sin d nu r spärlich e Nachrichte n überliefert ; doc h reiche n di e hier un d d a vorhandene n Hinweis e un d Andeutunge n aus , u m Wese n un d Bedeutung de r Mysterienreligione n beschreibe n z u können . In hellenistische r Zei t verbreitete n sic h orientalisch e Kult e i m ganze n Mittelmeerraum: de r au s Ägypte n kommend e Kul t de s Osiri s un d de r Isis , die i n Syrie n beheimatet e Verehrun g de s Adonis , de r phrygisch e Kul t de s Attis un d de r Kybel e un d de r au s Persie n stammend e Mithraskult . Al s di e verschiedenen Religione n aufeinanderstießen , setzt e ma n di e jeweil s ver ehrten Gottheite n weitgehen d gleich . Wi e imme r de r höchst e Got t genann t wurde, unte r de n verschiedene n Name n wurd e de r ein e Her r de r Wel t angerufen, s o daß di e Religionen, di e durch ihr e Anhänger i n ander e Lände r gebracht wurden , sic h nich t feindlich , sonder n duldsa m gegeneinande r ver hielten. Si e ließen e s durchaus zu , da ß ei n Mensch sic h gleichzeitig mehrere n religiösen Gemeinschafte n anschloß , u m au f mannigfach e Weis e mi t gött licher Kraf t i n Berührun g z u komme n un d vo n ih r erfüll t z u werden . Di e Mysteriengemeinschaften bildete n sic h durc h freie n Entschlu ß ihre r Mit glieder, wobe i Frei e un d Sklaven , Grieche n un d Fremde , Männe r un d Frauen aufgenomme n wurden , ohn e au f di e unterschiedlich e sozial e Stel lung Rücksich t z u nehmen ; den n all e wußte n sic h zu r Einhei t verbunde n i n der Verehrun g de r Kultgottheit . Obgleic h di e Kultmythe n de r einzelne n Mysterienreligionen unterschiedliche r Herkunf t ware n un d di e gottes dienstlichen Forme n au f mannigfach e Weis e ausgebilde t wurden , sin d doc h gewisse Grundzüg e erkennbar , di e unbeschade t bestimmte r Eigenheite n allen Mysteriengemeinschafte n gemeinsa m waren . In de r kultische n Handlun g wir d da s Schicksa l de r Gotthei t dargestellt , zu de r di e Gläubige n sic h bekennen . Nich t da s Wort , da s sic h i n de r Ver kündigung ausspricht , sonder n da s Dram a steh t i m Mittelpunk t de s Gottes dienstes. Z u de n Feier n de r Mysteriengemeinschaf t is t nu r zugelassen , we r sich eine r Einweihun g unterzoge n hat , all e andere n werde n ausgeschlossen . Obgleich grundsätzlic h di e Weih e jede m Mensche n erteil t werde n kann , gleich welche m Stan d ode r welche m Vol k e r angehört , sin d doc h i n einige n Mysterien Mensche n ausgenommen , di e bestimmt e Bedingunge n nich t er füllen. S o konnte n z.B . i n Eleusi s Barbaren , di e de r griechische n Sprach e nicht mächti g sind , un d Mörde r nich t zu r Weih e zugelasse n werden . Wer i n die Geheimniss e eingeführ t ist , is t dami t au s de r Mass e de r Uneingeweihte n

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Religiöse Bewegunge n un d geistig e Strömunge n i n de r hellenistisch-römische n Wel t 17 3

ausgesondert. Ih m werde n heilig e Formel n ode r symbolisch e Zeiche n mit geteilt, mi t dere n Hilf e di e Myste n einande r z u erkenne n gebe n können . Zwar is t di e For m de r Weih e i n de n einzelne n Mysterienreligione n unter schiedlich gestaltet , gemeinsa m abe r is t di e Vorstellung , da ß sic h i n de r Weihe di e Wiedergebur t de s Mensche n zu r Unsterblichkei t vollzieht . Während di e alte griechische Religio n di e Götter fre i vo n Leide n un d To d sah, erfahre n di e Gottheite n de r Mysterienreligione n da s Schicksa l vo n Leiden un d Sterben . Wi e di e Vegetatio n i n de r Natu r i m Frühlin g wächs t und aufblüht , i m Herbs t abe r wiede r abstirbt , s o durchläuf t auc h di e Gott heit de n Wechse l vo n Werde n un d Vergehen . Si e muß da s Leide n erdulden , aber si e durchschreite t es , u m sic h z u neue m Lebe n z u erheben . Inde m di e Mysten i m kultische n Dram a a m Geschic k de r Gotthei t teilnehmen , werde n sie i n diese s einbezoge n un d mi t göttliche r Kraf t erfüllt . Ihne n wir d i m Gottesdienst zugerufen : „Dem Got t war d Heil . Ihr, sein e Mysten , sei d getrost ; es wir d auc h euc h au s eure n Mühe n Hei l zuteil. " Diese liturgisch e Wendun g teil t Firmicu s Maternu s mit , de r nac h seine r Bekehrung zu m Christentu m gege n de n Irrtu m de r heidnische n Religione n in scharfer Polemi k angeht . Nachde m da s Götterbil d - s o schreib t e r - rück lings au f ein e Bahr e geleg t un d mi t Wehklage n betrauer t ist , wir d Lich t i n den dunkle n Rau m hineingebracht . Di e Prieste r salbe n allen , di e klagen d weinten, de n Schlun d un d flüster n ihne n dan n mi t langsame m Murmel n de n Aufruf zu r Freud e übe r da s Hei l zu , da s de r Gotthei t widerfahre n is t un d nun auc h ihre n Gläubige n vermittel t wir d (22,1-3) . Di e Rettung , di e si e empfangen, spende t unverlierbar e Wirkung , s o da ß alle , dene n si e zutei l wurde, nich t meh r verlorengehe n können , wa s auc h imme r geschehe n mag . Der Myst e kan n dahe r gewi ß sein , fortan unte r de m Schut z de r Gotthei t z u leben un d mi t unsterbliche r Kraf t begab t z u sein . Da de r Kultmythus , de r i n de r gottesdienstliche n Handlun g zu r Darstel lung gebrach t wird , da s i n de r Natu r sic h abspielend e Geschehe n vo n Wer den un d Vergehen , To d un d Lebe n abbildet , is t e r nich t au f ei n bestimmte s geschichtliches Ereigni s bezogen , sonder n veranschaulich t ein e immer gültig e Wahrheit. Sei n Inhal t „gescha h niemals , is t abe r immer " (Sallust , Übe r di e Götter un d di e Wel t 4 ) un d wir d au f Grun d de r jeweilige n Vorgeschichte , die di e heilige Erzählun g i n de n einzelne n Mysterienreligione n erfahre n hat , in verschiede n ausgeprägte r Gestal t überliefert . De n Griechen , di e i n de r Zeit de s Hellenismu s mi t de n au s de m Orien t stammende n Religione n bekannt wurden , ware n Mysterie n nich t fremd . De r Got t Dionysus wa r ihnen sei t lange m vertrau t al s Gottheit , di e i m überschwengliche n Rausc h erfahren wird , die Höhen un d Tiefe n de s Lebens umfaß t un d ihr e Gläubige n zum Taume l mitreiß t un d zu r Ekstas e erhebt . Sei n Kul t wa r scho n i m zweiten Jahrhunder t v . Chr. auc h nac h Italie n gelangt , dor t abe r au f starke n römischen Widerstan d gestoßen . Ma n war f ihre n Anhänger n vor : „Nicht s für Sünd e z u halten , se i unte r ihne n de r höchst e Gottesdienst . Di e Männe r

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weissagten wi e geistesschwach , mi t verzückte n Körperbewegungen , di e Frauen eilte n i n de r Trach t vo n Bacchantinne n fliegende n Haare s mi t lodernden Fackel n zu m Tiber , tauchte n di e Fackel n in s Wasse r un d zöge n sie wiede r brennen d heraus , wei l natürliche r Schwefe l mi t Kalkstei n darinnen sei . Ma n sage , di e Mensche n seie n vo n de n Götter n hinweg gerissen" (Livius , ab urb e condit a XXXIX, 13). Seit alter s wurde n i n Eleusis Mysterienfeier n begangen . De r Kultmythu s erzählt, Köre , di e Tochte r de r Demeter , de r Götti n de s pflanzliche n Wachs tums, sei von Hades , dem Beherrsche r de r Unterwelt , geraub t worden . Doc h Zeus hab e sic h erbarmt , un d e s se i vereinbar t worden , ach t Monat e soll e Köre be i ihrer Mutte r übe r de r Erd e bleiben , vier Monat e abe r i n die Unter welt zurückkehren . De r Mythu s bilde t als o da s Wachse n un d Gedeihe n sowie die Ernte der Früchte ab , die eingebracht un d i n unterirdischen Behält nissen geborge n werden . Au f de r Such e nac h de r verlorene n Tochte r - s o heißt e s weite r - se i di e tie f betrübt e Mutte r nac h Eleusi s gekommen . Zum Dan k fü r di e freundlich e Aufnahme , di e ih r dor t zutei l geworde n sei , habe si e de n Köni g vo n Eleusi s di e Kuns t de s Getreidebau s gelehr t un d ih n in di e heilige n Geheimniss e eingeweiht . Di e Mysterien , di e da s mythisch e Geschehen i n kultische r Begehun g vergegenwärtigen, verspreche n denen , di e daran teilhaben , da ß ihne n Rettun g un d ei n bessere s Lo s i n de r jenseitige n Welt widerfahre n sollen . Di e Meinun g de r Grieche n übe r de n Wer t de r Mysterien wa r freilich durchau s geteilt , wie das kritisch e Urteil de s Diogene s deutlich zeigt . Al s di e Athene r ih n aufforderten , sic h di e heilige n Weihe n spenden z u lassen, und ma n ih m sagte , im Hade s würde n di e Geweihte n vo r allen andere n de n Vorrang haben, erwiderte er , das sei doch lächerlich. Den n es se i schlechthi n unsinnig , da ß s o angesehen e Männe r wi e de r siegreich e Spartanerkönig Agesilau s un d de r berühmt e thebanisch e Feldher r Epami nondas, die keine Weihen erfahre n haben , sic h dan n i m Pfuh l herumtreibe n müßten, währen d nichtig e Gesellen , nu r wei l si e di e Weih e empfingen , au f den Insel n de r Selige n wohne n sollte n (Diogene s Laertiu s VI, 39). Ägyptischen Ursprung s is t de r Isis-Osiris- bzw . Serapis-Kult, de r überau s weite Verbreitun g fand . De r Mythu s is t i n verschiedene n Ausprägunge n bezeugt un d wir d a m deutlichste n vo n Plutarc h beschriebe n i n seine r Schrif t über Isi s un d Osiris . Danac h herrscht e eins t Osiri s al s Gottköni g a m Nil , sein Brude r Typho n abe r zettelt e ein e Verschwörun g gege n ih n a n un d dachte sic h ein e Lis t aus . Nachde m e r heimlic h de n Lei b de s Osiri s aus gemessen un d nac h seine r Größ e ein e schöne , reic h geschmückt e Lad e hatt e herstellen lassen , versprac h Typho n be i eine m Festgelage , dies e Lad e dem jenigen zu m Geschen k z u machen , de r dari n liegen d si e vollkomme n aus füllen werde . Durc h diese s Verspreche n verleitet e e r Osiri s dazu , sic h i n di e Lade z u legen . Kau m hatt e e r sic h niedergelegt , d a eilte n di e Verschwöre r herbei, verschlosse n di e Lade , gösse n heiße s Ble i darüber , truge n si e zu m Fluß hinau s un d warfe n si e in s Waser . Isis , di e Schweste r un d Gatti n de s Ermordeten, sucht e trauern d nac h de m tote n Osiris , fand ih n schließlic h be i Byblos, öffnete de n Sarg, legte ihr Angesicht a n da s der Leiche , küßte si e un d

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weinte. Als Typhon davo n erfuhr , lie ß er bei Nacht de n Leichna m de s Osiri s in vierzeh n Teil e zerreiße n un d umherstreuen . Doc h Isi s fan d di e Teil e un d setzte si e wiede r zusammen , s o da ß Osiri s i n di e Unterwel t eingehe n un d dort al s Got t di e Herrschaf t antrete n konnte . Sei n Soh n Horu s zo g au s zu m Streit gege n di e Feind e un d besiegt e Typhon ; Isi s abe r - s o schließ t de r Mythus - bracht e von Osiris , der ih r noch nac h seine m Tode beiwohnte , de n Harpokrates al s Frühgebur t zu r Welt . Daru m wir d si e al s Mutte r mi t de m Kind dargestell t un d verehrt . In de r Kultfeie r ziehe n di e Myste n klagen d aus , u m de n tote n Osiri s z u suchen. Jube l wir d angestimm t mi t de m Ruf : Wi r habe n ih n gefunden . Nu n ist di e Traue r z u Ende ; den n de r To d wir d i n Lebe n gewandelt . Osiri s herrscht i n de r Unterwel t al s Totenrichter , vo r desse n Thro n all e Tote n treten müssen . Wi e de r Leichna m de s Osiri s zu m Flu ß gebrach t wurde , s o muß auc h jede r Verstorben e übe r de n Ni l i n da s Reic h de r Tote n gefahre n werden. I n hellenistische r Zei t wurd e au f Anregun g de r Ptolemäe r (vgl . S. 12) de r Nam e de s Osiri s i n Serapi s gewandelt , u m mi t diese m Name n di e höchste Gotthei t z u bezeichnen , di e gleicherweis e vo n Ägypter n wi e vo n Griechen angebete t wird . De r Got t Serapi s wurd e mi t Zeus , de m Vate r de r Götter un d Menschen , gleichgesetz t un d al s Heilan d un d Rette r gepriesen , der alle n Mensche n hilft . Ih m zu r Seit e steh t Isi s al s di e göttlich e Mutter , deren Ansehe n s o hoc h stieg , da ß si e allmählic h di e Bedeutun g de s Gotte s übertraf, al s da s schön e Wese n alle r Götte r verherrlich t un d al s di e ein e Göttin angebete t wurde , di e alle s i n sic h begreift . Ein Hymnu s au f Isis , di e göttlich e Mutter , rühm t si e al s di e Helferi n de r Menschen au f alle n Wege n ihre s Lebens : „D u heilige , ständig e Retteri n de s Menschengeschlechtes, di e d u imme r mildtäti g bist , di e Sterbliche n z u er quicken, di e süß e Zärtlichkei t eine r Mutte r zeigs t d u de n Arme n i n ihre m Leid. Kei n Ta g un d kein e Nachtruhe , nich t einma l ei n kurze r Augenblic k vergeht ohn e dein e Wohltaten , da ß d u nich t z u Wasse r un d z u Land e di e Menschen beschirmst , di e Stürm e de s Leben s verscheuchs t un d dein e hilf reiche Han d reichst , mi t de r d u di e unentwirrba r gedrehte n Fäde n de s Ver hängnisses wiede r aufdrehst , di e Unwetter de s Schicksals beschwichtigs t un d den schädliche n Lau f de r Gestirn e hemmst . Dic h ehre n di e Himmlischen , achten die Unterirdischen, du lassest das Himmelsgebäude kreisen , die Sonne leuchten, lenks t di e Wel t un d tritts t de n Tartaru s unte r dein e Füße . Di r antworten di e Gestirne , kehre n di e Jahreszeite n wieder , jubel n di e Götter , dienen di e Elemente . Au f deine n Win k blase n di e Winde , spende n di e Wolken, keime n di e Samen , wachse n di e Keime . Vo r deine r Allmach t er schauert di e Vogelschar , di e a m Himme l streift , da s Wild , da s au f de n Ber gen schweift , di e Schlangen , di e sic h a m Bode n bergen , di e Tiere , di e i m Meere schwimmen . Doc h ic h bi n z u schwac h a n Geist , dei n Lo b z u singen , und z u gerin g a n Vermögen , di r Opfe r z u bringen . Mi r steh t nich t di e Füll e der Sprach e zu r Verfügung , u m z u sagen , wa s ic h übe r dein e Herrlichkei t empfinde, auc h nich t ei n tausendfache r Mun d un d ebensovie l Zungen , noc h ein ewi g dauernde r Flu ß unermüdliche r Rede . Also , wa s allei n ei n From -

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mer, abe r i m übrige n Arme r vermag , wil l ic h mic h bemühe n z u erreichen . Dein göttliche s Antlit z un d dein e heilig e Majestä t werd e ic h ewi g i n de m geheimen Inner n meine r Brus t geborgen wahre n un d mi r vo r Auge n halten " (Apulejus, Metamorphose n XI, 25). Die göttlich e Mutter , de r i n Prozessione n un d gottesdienstliche n Feier n gehuldigt wurde , versinnbildlichte di e treue Fürsorge , unte r de r de r Mensc h sich vor de n Angriffen de s Schicksals geborge n weiß . Da ih r Ansehe n s o wei t verbreitet un d ih r Ruh m überal l gepriese n wurde , konnt e i n de r Ausein andersetzung zwische n de n Religionen , wi e si e sic h i n de r Spätantik e voll zog, da s Christentu m manch e Züg e au s de r Isisreligio n übernehme n un d mit de r sic h ausbildende n Marienfrömmigkei t verschmelzen . Denen , di e zu r göttlichen Mutte r gehören , ruf t de r Prieste r di e tröstliche n Wort e zu : „Ma g nun da s Schicksa l seine n We g gehe n un d sic h fü r sein e Wu t un d Grausam keit ander e Gelegenhei t suchen . Den n übe r diejenigen , dere n Lebe n sic h di e Majestät unsere r Götti n i n ihre n Diens t genomme n hat , besitz t ei n feind liches Geschic k kein e Macht " (Apulejus , Metamorphose n XI, 15). Wer i n di e Mysterie n de r Isi s eingeweih t werde n will , empfängt zunächs t eine kurz e Unterweisung , mu ß sic h eine m Reinigungsba d unterziehe n un d darf zeh n Tag e lan g kei n Fleisc h esse n un d keine n Wei n trinken , bi s dan n am Aben d de s zehnte n Tage s di e Weih e vollzoge n wird . De r Neulin g wir d mit einem Leinengewan d bekleide t un d be i Sonnenuntergang i n de n heilige n Raum geführt . Di e kultisch e Handlun g selbs t is t zwa r au f Grun d de s Schweigegebots, da s alle n Myste n auferleg t wurde , nirgendw o beschrieben , aber mi t andeutende n Worten , di e offensichtlic h fü r di e Wissende n genu g besagten, wir d doc h i n de n Metamorphose n de s Apuleju s da s Erlebni s zu m Ausdruck gebracht , da s de m Eingeweihte n widerfährt : „Ic h bi n a n di e Grenze de s Tode s gekomme n un d hab e di e Schwell e de r Proserpin a be treten, durc h all e Element e bi n ic h gefahre n un d dan n zurückgekehrt , u m Mitternacht hab e ic h di e Sonn e i n blenden d weiße m Lich t leuchte n sehen , den Götter n drobe n un d drunte n bi n ic h von Angesich t z u Angesich t genah t und hab e si e au s nächste r Näh e angebetet " (Apulejus , Metamorphose n XI, 23). Bei der Weihe wir d als o de r Abstie g i n di e untere Welt un d de r Aufstie g in di e Höh e vollzogen , s o da ß To d un d Lebe n durchmesse n un d durc h di e kosmische Wanderun g göttlich e Kräft e de m Myste n übermittel t werden . Am folgende n Morge n trit t e r nac h Vollendun g de r feierliche n Handlung , mit eine r zwölffache n Stol a bekleidet , vo r da s Vol k un d zeig t sic h ih m i m Schmuck de s Sonnengottes . Durc h di e Weihe is t e r z u eine m göttliche n We sen geboren , vo n Kraf t erfüll t un d mi t strahlende m Lich t umgeben . I m Dienst de r Isi s ha t e r forta n ihre n Weisunge n z u folge n un d sittlic h z u han deln, dami t e r eins t vo r de m Totenrichte r Osiri s bestehe n kann . D a di e Isismysterien mi t de r Einweihun g i n di e Geheimniss e de r göttliche n Mutte r sittlichen Ernst zu verbinden wußten, ging von ihnen eine starke Anziehungs kraft aus . In Palästin a un d Syrie n is t der Adoniskult beheimatet , de r da s Mysteriu m von Tod un d Lebe n abbildet . Frauen, die das Gewan d de r Aphrodite trugen ,

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Religiöse Bewegunge n un d geistig e Strömunge n i n de r hellenistisch-römische n Wel t 17 7

säten i n Gefäße , di e nur mi t eine r dünne n Erdschich t bedeck t waren , Same n schnell aufsprießende r Pflanzen . Au f de n Dächer n de r Häuse r wurde n dies e Schalen de r Sonn e ausgesetzt , s o da ß di e Saa t emporwuch s un d bal d wiede r welkte. Dami t wurd e gleichnishaf t da s Aufblühe n un d Sterbe n de s Gotte s dargestellt. Aus Phrygie n komm t de r Kul t de r Kybele un d de s Attis, de r i n Rausc h und Ekstas e göttliche s Erlebe n erfahre n läßt . Dies e Züg e de s Attiskultes , der sic h zunächs t i n Kleinasie n un d dan n i m ganze n Mittelmeerrau m aus breitete, zeigen manch e Ähnlichkeit mi t der Verehrun g de s Dionysus, die be i der Hellenisierun g de s Attiskulte s nich t ohn e Einflu ß au f desse n weiter e Ausbildung blieb . Kybele , di e ursprünglic h i n de n Berge n beheimate t ist , wird al s di e große Gottesmutte r au f de m Thro n abgebildet , zwe i Löwe n z u ihren Seiten . De r Kultmythus , de r vo n de r Begegnun g de r Götti n mi t de m Hirten Atti s erzählt , wir d i n verschiedene n Fassunge n überliefert . Nac h de r bei Ovi d wiedergegebene n Traditio n (Fast i IV, 323 ff.) heiß t es , Kybel e se i in de n Wälder n de m schöne n Jünglin g Atti s begegnet , si e se i vo n ih m ent zückt worden un d hab e ihn i n Liebe für sic h festhalten wollen . Als dann abe r Attis au f di e bezaubernd e Nymph e Sagariti s traf , sic h i n si e verliebt e un d das Gelübd e brach , da s e r de r Götti n gegebe n hatte , wurd e Kybel e vo n loderndem Zor n gepack t un d tötet e di e Nymphe. Attis abe r wurde i n Wahn sinn gestürzt , entmannt e sic h selbs t mi t de m Ruf , e r hab e dami t di e verdiente Straf e empfangen , un d wurd e i n ein e Pini e verwandelt , di e al s Baum de r Kybel e de n tote n Atti s versinnbildlicht . Doc h e r blie b nich t i m Tod, sonder n wurd e z u neue m Lebe n erweck t un d hält , nebe n de r Kybel e thronend, mi t ih r au f eine m Löwenviergespan n ein e rasend e Siegesfahrt . Der Kul t de s Atti s un d de r Kybel e wurd e i n taumelnde r Ergriffenhei t de r Mysten begangen , di e i n de r Ekstas e vo n de r göttliche n Mach t erfaß t wur den un d i m Gottesdiens t di e Wort e ausriefen : „Au s de r Pauk e hab e ic h ge gessen, aus der Zimbel habe ich getrunken, und di e Geheimnisse de r Religio n habe ic h gründlic h erlernt , bzw . ic h bi n ei n Myst e de s Atti s geworden " (Firmicus Maternu s 18,1) . Die Instrument e werde n genannt , wei l durc h si e der ekstatisch e Zustan d erzeug t wurde , i n de m de r Rausc h di e Myste n er greift un d si e die sakramental e Feie r erlebe n läßt . Nebe n de r heilige n Mahl zeit, di e di e Myste n hielten , ha t e s noc h ein e merkwürdig e Weihehandlun g gegeben. Ma n ho b ein e tief e Grub e aus , i n di e ei n Prieste r hineinstieg , un d legte dan n durchlöchert e Brette r darüber , au f dene n ei n Stie r geschlachte t wurde, s o daß sei n verrinnende s Blu t durch di e Löcher hinuntertropfte . De r Priester, der sic h in der Grube befand , lie ß das Blut au f seine n Körper fließe n und nah m e s schlürfend i n sich auf. Wen n da s Vieh verendet war, zog man es fort, dami t de r Prieste r heraufsteige , der , übe r un d übe r vo n Blu t bedeckt , von de r Meng e al s Wiedergeborene r mi t Jube l begrüß t wurd e (Prudentius , Peristephanon X, 1011-1050). I n de r Tief e ha t e r da s Todesgeschic k de r Gottheit a n sic h selbs t erfahre n un d göttlich e Kräft e i n sic h aufgenommen , die ih m Hei l un d Lebe n übereignen . 12 Lohse , Umwel t

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Von Kamp f un d Sie g ga b di e Mithrasreligion Kunde , di e au s Persie n stammte un d besonder s i m zweite n un d dritte n Jahrhunder t n . Chr . zahl reiche Anhänge r i m Römische n Reic h fand . Nu r i n Griechenland , w o ma n sich sei t alte r Zei t abweisen d gegenübe r alle m verhielt , wa s au s Persie n kam, konnt e de r Mithraskul t nich t Fu ß fassen . Mithras , de r al s Lichtgot t verehrt wurde , wurd e stet s al s Kämpfe r abgebildet , de r de n Stie r tötet , al s siegreicher Hel d da s Lich t au f seine r Seit e ha t un d di e Finsterni s vertreibt . Viele Soldate n schlösse n sic h de m Kul t de s Mithra s a n un d truge n ih n bi s an di e Grenze n de s Reiches , auc h nac h Germanien . I m Unterschie d z u de n anderen Mysterienreligione n konnte n i n di e Mysterie n de s Mithra s nu r Männer eingeweih t werden , di e mi t eine m glühende n Eise n au f de r Stir n als Krieger de s Gottes gezeichne t wurden . Si e v/urden durc h ein e Taufhand lung aufgenommen un d durfte n dan n a n den heiligen Mahlfeiern teilnehmen , zu dene n sic h di e Gemeind e versammelte . D a di e Streite r de s Mithra s mi t ihm fü r de n Sie g de s Lichte s kämpften , sin d si e daz u verpflichtet , sittlich e Gebote einzuhalten . Jede r mu ß sic h nac h de m Tod e vo r eine m göttliche n Gericht verantworten , vo r de m sein e Tate n gewoge n werden , eh e den Gläu bigen de r Eingan g i n di e Lichtwel t aufgeta n wird . Durc h di e Betonun g de s Kampfes, de r gege n di e Finsterni s un d fü r de n Sie g de s Lichte s ausgetrage n werden muß , un d di e sittlich e Verpflichtung , di e alle n Gläubige n auferleg t wurde, übt e di e Mithrasreligio n stark e Anziehungskraf t au s und tra t i n ein e scharfe Auseinandersetzun g mi t de m sic h ausbreitende n Christentum , di e im vierten Jahrhunder t mi t dem Sie g des Christentums endete . An vielen Stelle n wurden dan n übe r Mithrasheiligtümer n christlich e Kirche n errichte t zu m Zeichen de s Triumphes de s Christu s übe r Mithras . In de r Zei t de s werdende n Christentum s ga b e s i m ganze n Römische n Reich Mysteriengemeinschaften . Mithra s wurd e i n Trier , a n Rhei n un d Donau un d überal l angebetet , w o römisch e Legione n ihr e Lage r aufge schlagen hatten . Isi s wurd e i n Rom , i n Italie n un d Griechenland , abe r auc h in Kleinasie n verehrt . De r Kul t de s Atti s un d de r Kybel e hatt e i n Rom , i n Spanien un d Gallien , abe r auc h i n Britannie n un d Afrik a Anhänge r gefun den. Au f di e Frage , wi e de r Mensc h Schut z vo r de n böse n Mächte n un d rettende Hilf e de r Gotthei t finden kann , gabe n di e Mysterie n Antwort , indem si e nich t i n eine r ausgebildete n Lehre , sonder n durc h di e kultische n Handlungen, a n dene n nu r di e geweihte n Myste n teilnehme n durften , da s Heil vermittelten . Diese Vorstellunge n de r Mysterienreligione n gewanne n au f manch e junge christlich e Gemeind e Einfluß , inde m ma n teil s unbewuß t di e gottes dienstlichen Handlunge n de r christliche n Gemeind e nac h de m Vorbil d de r Mysterien deutete , teil s abe r bewuß t a n Ansichte n de r Mysterienreligione n anknüpfte. Wi e de r Myst e a m Kultdram a teilnimm t un d dadurc h mi t de m Geschick de r Kultgotthei t verbunde n wird , s o deutet e ma n auc h de n Sin n der christliche n Taufe . We r au f Christu s getauf t ist , der wir d i n sei n Sterbe n und Auferstehe n hineingenommen , s o da ß e r vo n Kräfte n de r Unsterblich keit durchström t wird . Paulu s mu ß wiederhol t gege n di e Ansich t angehen ,

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als se i de r Chris t scho n z u unverlierbare m Lebe n auferweck t worde n (Rom . 6,1-5) ode r al s hätt e e r i n Tauf e un d Abendmah l dingliche s Hei l erhalten , das e s ih m nu n freistellte , z u tu n ode r z u lassen , wa s imme r ih m gefäll t (l.Kor. 10,1-13). Wi e ma n meinte , da ß zwische n de m Mystagogen , de r di e Weihe spendet , un d de m Mysten , de r si e vo n ih m empfängt , ein e bleibend e Verbindung begründe t werde , s o dachte n auc h manch e Christen , de r Täuf ling sei mit dem Täufer i n einen ähnliche n Zusammenhan g de r Heilsvermitt lung hineingestellt , s o da ß e r sic h volle r Stol z de s Namen s seine s Täufer s rühmen könn e (l.Kor . 1,12). Solche Vorstellunge n werde n sic h hie r un d d a unversehens eingeschliche n haben ; a n andere n Stelle n abe r ha t ma n sic h voller Überheblichkei t darau f berufen , i m christliche n Gottesdiens t se i de n Gläubigen Heilsmach t al s ih r verfügbare r Besit z übereigne t worden . Paulu s wendet sic h i n alle r Schärf e gege n dies e Meinunge n un d heb t hervor , da ß Taufe un d Abendmah l nich t - wi e ma n e s vo n de n Mysterie n annah m dingliche Heilsgabe n zukomme n lassen , sonder n di e Christe n de r Herrschaf t Christi unterstellen , u m dereins t auferweck t un d mi t ih m verein t z u werden . Während di e Mysterienweih e de n Myste n mi t de m Schicksa l eine r Natur gottheit verknüpf t un d ih m göttlich e Lebenskraf t vermittelt , is t de r Chris t durch di e Tauf e mi t de m einma l un d dami t ei n fü r allema l geschehene n Ereignis des Sterbens und Auferstehen s Christ i verbunden, dem er als seine m Herrn i m Wande l z u folge n hat . Nich t i n eine r Kulthandlung , di e kraf t de s korrekt vollzogene n Ritu s mi t unwiderstehliche r Gewal t wirkt , sonder n i m gepredigten Wort , da s de n gekreuzigte n Christu s al s de n Rette r verkündigt , wird alle r Welt da s Heil angeboten , da s in Glaub e un d Gehorsa m angenom men sei n will . 4. Die Popularpbilosophie Als Paulus au f de m Areopa g i n Athe n de n Grieche n di e Christusbotschaf t bezeugte, stande n ih m - s o wir d e s i n de r Apostelgeschicht e geschilder t epikureische un d stoisch e Philosophe n gegenübe r (Apg . 17,18). Diese Szene , die de r Verfasse r de r Apostelgeschicht e entwirft , is t dari n durchau s zutref fend gezeichnet , da ß dies e beide n Schule n damal s da s philosophisch e Ge spräch maßgeben d bestimmten . Dabe i la g da s Schwergewich t de r philoso phischen Überlegunge n bei m Durchdenke n praktische r Fragen , di e i m Blic k auf da s Handel n de s Mensche n i n de r Wel t eine r Antwor t bedurften . Di e feste Bindun g a n di e Stadt , de r de r Bürge r sic h zugehöri g wußte , wa r i n hellenistischer Zei t zerbrochen . Den n mi t de m Siegeszu g Alexander s d . Gr . war di e politische Geschicht e de r große n Städt e a n ih r End e gelang t un d ei n Weltreich entstanden , i n de m griechisch e Kultu r sic h ausbreitete . Dahe r sa h die Philosophi e nich t meh r di e Aufgab e vo r sich , nac h de m rechte n politi schen Handel n i m städtische n Gemeinwese n z u fragen , sonder n si e hatt e der tiefgreifende n Veränderun g de s Lebens Rechnung z u tragen, die mit de m Ende de r griechische n Poli s un d de r Ausbreitun g de s Hellenismu s ein getreten war . Si e mußt e de m einzelne n Menschen , de r sic h nich t meh r vo n 12*

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einem Gemeinwese n gehalte n sah , dem er sic h unmittelbar zugehöri g wußte , zeigen, wie e r sei n Lebe n z u führe n un d sic h i m Alltag z u verhalte n hatte . Angesichts de r neue n politische n Lage , wi e si e i n hellenistische r Zei t gegeben war, riet Epikur (etw a 342-270 v . Chr.) de n Menschen, sich aus de m öffentlichen Lebe n zurückzuziehe n un d i n de r Still e private n Dasein s z u bleiben, wei l ma n nicht s Bessere s tu n könne , al s sei n Lebe n z u genießen . Unter Genu ß is t dabe i de r Zustan d menschliche n Wohlbefinden s verstan den, de n ma n dan n erlangt , wen n ma n wahr e Weishei t gewinn t un d kraf t ihrer i n jede r Lag e da s Recht e z u finden un d z u tu n weiß . D a übermäßig e Lust diese n Zustan d störe n ode r aufhebe n könnte , komm t e s darau f an , i n weisem Bedenke n z u erforschen , wa s ma n wähle n un d wa s ma n meide n soll, un d alle s au s de m Weg e z u schaffen , wa s ei n ausgeglichene s Seelen leben trübe n könnte . Di e Sinnerfüllun g de s Leben s wir d nich t i n eine r jen seitigen Welt de r Seel e des Menschen zuteil , sondern si e wird allei n i m Dies seits erfahren ode r abe r verfehlt. D a ei n ausgewogene s Lebe n nu r vo n jede m einzelnen gefunde n un d geleb t werde n kann , steh t jederman n da s Rech t zu , diesem Zie l nachzustreben , ohn e irgendein e Rücksich t au f di e Gemeinschaf t zu nehmen . Epiku r bestrit t nicht , da ß e s Götte r gibt , abe r e r erwartet e vo n ihnen nicht , da ß si e irgendwi e i n da s Lebe n de r Mensche n eingreife n wür den, s o da ß si e sich auc h nich t u m di e Götte r z u kümmer n brauchen . Die Lehr e de s Meister s wurd e vo n seine n Schüler n fortgeführ t un d ihre r Einfachheit un d Klarhei t wege n von vielen angenommen . Si e stieß abe r auc h auf Ablehnung , wei l si e kei n Wor t z u de n Aufgabe n de s politische n Leben s zu sage n wußt e un d ausschließlic h au f da s Glüc k gerichte t war , da s de r ein zelne in seine m Lebe n gewinne n sollte . In de r Polemik , di e gege n di e Epiku reer vorgetrage n wurde , schal t ma n si e al s Leute , di e genüßlich e Freud e i m diesseitigen Lebe n erstrebten , ohn e a n ei n Jenseit s z u denken . I m Judentu m wurde Epikuree r z u eine m Schimpfwort , da s ma n dene n beilegte , di e wi e die Sadduzäe r nicht s vo n eine r Auferstehun g de r Tote n hielte n un d dahe r den Sin n de s Leben s allei n i m irdische n Dasei n erfüll t sehe n wollte n (vgl . S.51). Im Unterschie d z u de n Epikureer n verachtete n di e Kyniker jegliche n Lebensgenuß. Diogene s i n de r Tonn e bo t ei n anschauliche s Beispie l dafür , wie de r Mensc h bedürfnislo s sic h bescheide n soll . Mit de n Kyniker n lehnte n e s auc h di e Stoiker ab , da s Strebe n nac h Lus t als de n We g anzusehen , de r zu r Sinngebun g de s Leben s führt . Si e vertrate n jedoch ein e mildere Ethi k al s die Kyniker un d leitete n dies e von ihre r Natur lehre ab , wi e si e scho n vo n Zen o (etw a 336-26 3 v . Chr. ) un d Kleanthe s (etwa 331-23 2 v . Chr.) entwickel t worde n war . I m Lau f de r Jahrhundert e hat di e stoisch e Schul e dan n mancherle i Wandlunge n durchgemacht . Di e jüngere Stoa , dere n Lehre r i m erste n un d zweite n Jahrhunder t n . Chr. wirk ten, ist von de r ältere n un d mittlere n vo r alle m dari n unterschieden , da ß si e den Vorran g de r Ethi k nachdrücklic h hervorhob . Dabe i wurd e jedoc h un verändert di e Verbindun g de r Ethi k mi t de r Scha u vo n Wel t un d Natu r festgehalten.

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Die stoische Lehr e sieh t di e ganz e Wel t al s eine große Einheit . Da s Al l is t vom göttliche n Logo s und seine r Kraft erfüllt , desse n Walten a n de n Werke n des Kosmo s erkann t wird . De r Gottheit , di e auc h mi t de m überkommene n Namen Zeu s benann t werde n kann , ruf t Kleanthe s i n seine m berühmte n Hymnus di e preisenden Wort e zu : „Zeus, de r Unsterbliche n höchster , vielnamige r Herrsche r de s Weltalls , Ursprung d u de r Natur , de r alle s gesetzlic h regieret , sei mi r gegrüßt" ! Dich z u rufen , geziem t j a de n Sterbliche n allen . Denn si e stamme n au s deine m Geschlecht . De n Mensche n allei n nu r gabst d u di e Sprach e vo n allem , was leb t un d sic h reget au f Erden . Preis se i dir, un d dein e Gewal t sol l immer mei n Lie d sein . Willig gehorch t di r di e Welt , di e ring s di e Erd e umkreiset , folgt dir , wohi n d u si e führest , gefügi g de m mächtige n Willen. " Die Gottheit , di e übe r da s Al l regiert , sende t di e Vernunft , da ß si e di e Menschen leite , un d führ t di e Einsichtige n z u rechte r Gestaltun g ihre s Le bens. We r de n geordnete n Zusammenhan g de s Kosmo s erkennt , wir d darum i n da s Lo b de r Gotthei t einstimmen : „Denn kei n schön're r Beru f is t Götter n un d Mensche n gegeben , als da s ew'g e Geset z de s Weltall s würdi g z u preisen. " Die Sto a taste t di e überliefert e Religio n nich t an , abe r si e deute t di e My then mi t Hilf e de r allegorische n Auslegungsmethode , u m i n di e Überliefe rungen ihr e pantheistisch e Naturlehr e un d di e darau s folgend e Ethi k einzu tragen (vgl . S.97) . Wei l di e göttlich e Gewal t da s Al l durchflutet , ha t de r Mensch a n ihre m Wese n teil , inde m e r ehrfürchti g di e Ordnun g de r Natu r betrachtet, ihr e Gesetz e erkenn t un d ihne n folgt . Der Mensc h ha t sic h dahe r al s Glie d de r alle s umgreifende n Natu r z u verstehen un d sei n Lebe n entsprechen d einzurichten , inde m e r bestreb t ist , in Übereinstimmun g mi t de r Natu r z u leben . De r göttlich e Logos , de r über all wirkt , teil t sic h i n di e vielen zeugende n Geisteskräfte , di e al s Ausflu ß de r einen Gotthei t a n alle n Orte n schöpferisc h a m Wer k sind . Vo n ihne n wir d der Mensc h erfaßt , s o da ß e r sic h de r Gesetzmäßigkei t alle n Leben s bewuß t wird un d dadurc h begreift , wohi n e r gehör t un d wa s vo n ih m geforder t ist . Für di e Stoa sin d di e Unterschiede, di e es zwischen de n Mensche n gibt , nich t von letzter Bedeutung, da alle Menschen - o b reich ode r arm , ob Sklav e ode r Freier, o b Griech e ode r Barbar , o b Man n ode r Fra u - a n de r kosmische n Ordnung teilhaben . Da s stoisch e Humanitätsidea l is t kosmopolitisc h aus gerichtet un d verpflichte t z u menschliche m Handel n gegenübe r hoc h un d niedrig. Zwa r wir d nich t erwogen , di e bestehende n soziale n Unterschied e aufzuheben, abe r die Achtung, die jedem Mensche n geschuldet wird , is t auc h dem Sklave n z u erweisen . De r Mensc h is t vo n Natu r he r zu r Gemeinschaf t bestimmt, s o da ß e r Ehe , Famili e un d Staa t al s da s Fel d ansehe n soll , au f dem e r sic h z u bewähre n un d sein e Aufgabe n z u erfülle n hat . Di e Grund -

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Eduard Lohse , Umwel t de s Neue n Testament s

lagen de s Rechtes, das das Zusammenleben de r Menschen regelt , sind gleich falls au s de n Gesetze n de r Natu r abzulesen , s o da ß au s de m Naturrecht , das jede m da s Sein e zugesteht, di e konkret e Rechtsordnun g abgeleite t wird . Das Ideal , ei n de r Ordnun g de r Natu r entsprechende s Lebe n z u führen , verwirklicht de r stoisch e Weise , de r vo n allem , wa s de n Mensche n i n de r Welt bindet , innerlic h unabhängi g ist . D a ih n äußere r Besit z nicht s angeht , ist e r nich t darau f aus , Ha b un d Gut , Reichtu m ode r Famili e sei n eige n z u nennen, un d wir d e r nich t davo n betroffen , wen n Krankhei t ode r Lei d übe r ihn kommen . Wei l ih n nicht s anfechte n kann , ma g da s Schicksa l mi t ih m machen, wa s e s will ; den n wa s ih m widerfährt , nimm t e r hi n al s de n gött lichen Willen , de r ih m beschiede n ist , und ordne t sic h s o de r göttliche n Lei tung unter, au s deren Han d e r alle s empfängt. I n diese r innere n Freiheit , di e durch kein e vo n auße n kommende n Widerfahrniss e eingeschränk t werde n kann, is t de r Weis e gefestigt , u m alle m standzuhalten , wa s ih m auferleg t wird. Un d sollt e e r eine s Tage s da s Empfinde n gewinnen , sein e Zei t geh e zu Ende , so kan n e r ohn e Grol l un d Bitterkei t au s de m Lebe n scheiden . Wi e er i n unerschütterliche r Ruh e de n Friede n de r Seel e gewonne n un d bewahr t hat, s o dar f e r auc h de m To d ruhi g un d gefaß t entgegensehen . Die praktisch e Ausrichtun g de r stoische n Ethik , di e de n Mensche n i n Übereinstimmung mi t de r Natu r sein e Lebensaufgab e erkenne n lehrt , weis t Berührungen mi t de r Anschauun g de r Kynike r auf , de r Mensc h soll e sic h bescheiden un d bedürfnislo s verhalten . Kynisch e un d stoisch e Lehr e ver banden sic h zur kynisch-stoischen Popularphilosophie , die von umherziehen den Lehrer n al s Lebenshilf e dargebote n wurde . Ma n hiel t de n Mensche n vor Augen , w o si e bishe r versag t un d falsc h gehandel t hatten , u m si e zu r Besinnung z u rufe n un d ihne n handfest e Mora l anzubieten , nac h dere n Weisung si e ihr Lebe n i n Ordnun g bringe n sollten . Diese Lehr e wurde nich t in schwierige n gedankliche n Überlegungen , sonder n i n lebendiger Red e un d Gegenrede entfaltet , u m auc h de n schlichte n Höre r zu m Mitdenke n z u nöti gen un d ih n vo n de r Schlüssigkei t de r Argumentatio n z u überzeugen . De r Vortrag (griechisch : Diatribe ) verlie f meis t so , da ß ma n i m Wechse l de n einen Standpunk t gege n den andere n hielt , um au s diese r Gegenüberstellun g dann di e zwingend e Schlußfolgerun g abzuleiten . Dies e For m de r kynisch stoischen Diatribe , di e di e mündlich e Red e widerspiegelt , is t vo r alle m i n den Lehrvorträge n de s Epiktet (etw a 50-13 8 n . Chr. ) bezeugt , i n dene n of t Fragen gestell t werden , au f di e dan n di e Antwor t unmittelba r folgt : „Eine r stellte di e Frage , wi e ma n sic h davo n überzeuge n könne , da ß jed e einzeln e unserer Tate n vo n Got t beobachte t werde . Darau f Epiktet : Glaubs t d u nicht, da ß da s Al l eine Einheit darstellt ? - Gewi ß doch . - Weiter , glaubs t d u nicht, da ß da s Irdisch e mi t de m Himmlische n i n Wechselwirkun g steht ? Gewiß. - Ja , den n wi e würd e sons t alle s s o geordne t wi e au f ei n Gebo t Gottes ablaufen ? Wen n e r de n Pflanze n gebiete t z u blühen , s o blühe n sie ; wenn e r z u keime n gebietet , s o keime n sie ; wen n si e Fruch t bringe n sollen , so tun si e es . . . usw." (Gespräch e I, 14,1-3).

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Religiöse Bewegungen un d geistig e Strömunge n i n de r hellenistisch-römische n Wel t 18 3

Epiktet wa r al s phrygische r Sklav e nac h Ro m gekomme n un d dor t vo n seinem Herr n i n di e Schule de s Stoikers Musoniu s geschick t worden . Da ß e r in de r Philosophi e unterwiese n wurde , sa h Epikte t al s da s entscheidend e Ereignis seine s Leben s an , da s a n Bedeutun g be i weite m di e Befreiun g au s der Sklavere i übertraf , di e ihm späte r auc h geschenk t wurde. In seinen Lehr vorträgen, di e vo n seine m Schüle r Arria n aufgezeichne t worde n sind , such t Epiktet seine n Hörer n z u erklären , da ß si e sic h al s Geschöpf e de r i n de r Natur waltende n Gotthei t z u begreife n un d ih r Lebe n entsprechen d z u führen haben . Au s diese r Einsicht , da s Lebe n un d sein e Aufgab e au s Gotte s Hand empfange n z u haben , folg t fü r Epiktet , nicht s se i fü r de n Mensche n so wichti g wi e z u erkennen , wa s i n seine r Mach t steh t un d wa s nicht . Alle s Äußere - Leib , Besitz , Ansehen , sozial e Stellun g usw . - is t de m Mensche n nicht i n sein e Verfügun g gegeben , s o da ß e r hinnehme n muß , wa s ih m be schieden ist . In seine r Mach t abe r lieg t es , sei n Denke n un d Begehren , sei n Tun un d Handel n selbs t z u bestimmen . J e meh r e r sic h dari n fre i un d un abhängig weiß , u m s o glückliche r wir d e r i n seine m Lebe n sein . Da s klein e Handbüchlein, da s Arria n au s Worte n Epiktet s zusammengestell t hat , wir d mit de n grundlegende n Sätze n eingeleitet : „Vo n dem , wa s ist , steh t da s ein e in unsere r Macht , da s ander e nich t i n unsere r Macht . I n unsere r Mach t stehen Urteil , Trieb zu m Handeln , Begehren , Meiden , mi t eine m Wor t alles , was unser e Aufgab e ist ; nich t i n unsere r Mach t stehe n de r Leib , Ha b un d Gut, Ehren, Ämter, mi t eine m Wor t alles , was nich t unsere Aufgabe ist . Wa s in unsere r Mach t steht , is t seine m Wese n nac h frei , nich t aufzuhalten , nich t zu hindern; wa s nich t i n unsere r Mach t steht , is t ohnmächtig , unfrei , behin dert, is t fremde s Eigentum . Denk e imme r daran : Wen n d u das , was seine m Wesen nac h unfre i ist , für fre i hälts t un d fremde s Eigentu m fü r dei n eigenes , wirst d u Hinderniss e finden, i n Traue r un d Verwirrun g geraten , Götter n und Mensche n Vorwürf e machen . Wen n d u abe r nur , wa s di r gehört , fü r dein Eigentu m ansiehst , Fremde s abe r al s das , wa s e s ist , ebe n al s fremde s Eigentum, s o wir d nieman d dic h j e zwingen, nieman d dic h hinder n können , du wirs t niemande n schelten , niemandem Vorwürf e machen , nicht s wirst d u wider deine n Willen tun , niemand wir d di r schade n können , d u wirs t keine n Feind haben , nicht s wir d di r geschehen , wa s di r schädlic h sei n könnte " (Handbüchlein § 1) . Der Mensc h mu ß dahe r danac h streben , jen e inner e Unabhängigkei t z u gewinnen, i n de r e r di e wahr e Freihei t findet. Inde m e r sic h de m göttliche n Gesetz fügt , wir d e s ih m gelingen , di e Affekt e abzutöten , di e falsche s Be gehren wecke n un d i n Abhängigkeit verstricken . De r Weis e hat di e Erkennt nis de s Gute n un d Böse n gewonne n un d besitz t di e Freihei t zu r rechte n Entscheidung, s o da ß e r imstand e ist , da s Übe l z u meide n un d sittlic h z u handeln. E r wei ß sic h geleite t vo n de r Aufgabe , de n Mensche n z u dienen , und is t in jedem Augenblic k bereit , da s Lebe n un d alle s Vermögen de r Gott heit zurückzuerstatten , di e e s ih m anvertrau t hat . Inde m da s Ic h de s Men schen i n di e kosmische Ordnun g eingeht , wir d e s aufgehobe n i m All , dem e s zugehört.

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Die nüchtern e Ethi k un d di e kosmopolitisch e Weit e de r stoische n Lehr e ließen si e de n Römer n besonder s anziehen d un d brauchba r erscheinen . Ih r praktischer Sin n nah m di e Gedanke n de r Sto a auf , u m mi t ihre r Hilf e di e Aufgabe de s Römertum s ne u z u bestimmen . Da s Römisch e Reic h wurd e al s Verwirklichung eine r kosmopolitische n Gemeinschaf t beschrieben , i n de r jeder Mensc h di e ihm gestellt e Aufgabe al s göttlichen Auftra g verstehe n un d erfüllen sollte . Di e Lehr e vo m Naturrech t konnt e mi t de m Rechtsdenke n und de r Rechtspraxi s de r Röme r verbunde n werde n un d ga b diese n di e gedankliche Begründung , vo n de r au s si e weite r entfalte t werde n konnten . Die Röme r formte n dahe r di e stoische n Gedanke n i n politisc h praktikabl e Regeln um , wi e si e z.B . i n Cicero s Schrifte n entwickel t werden . De r Philo soph Senec a regiert e einig e Jahr e al s Vormun d de s Kaiser s Nero , un d i m zweiten Jahrhunder t n . Chr . setzt e sic h da s Idea l durch , de r Tüchtigst e soll e Herrscher werde n un d de r Diene r alle r sei n (vgl . S.152f.). Mi t Mar k Aure l kam ei n Philosop h au f de n Kaiserthron , de r sei n Handel n ständi g mi t kritischer Reflexio n begleitete , u m sic h desse n z u vergewissern , o b e r de r rechten Einsich t gefolg t se i und si e in di e Ta t umgesetz t habe . Da de r Weis e sei n Lebe n al s Gottesdiens t begreift , gewinn t fü r ih n di e Philosophie geradez u religiös e Bedeutung ; den n si e sprich t de m Mensche n in jede r Lag e Tros t un d Zuversich t zu , s o da ß Senec a ihre n Nutze n mi t preisenden Worte n beschreibe n kann : „Di e Philosophie . .. form t un d bilde t den Geist , si e ordnet da s Leben , si e bestimmt da s Handeln , si e zeigt, was z u tun un d z u lassen ist , sie sitzt a m Steuer und lenkt da s Lebensschiff durc h all e Gefahren. Ohn e di e Philosophi e kan n nieman d furchtlo s un d sorgenfre i leben . . . Philosophieren tu t not ! O b un s da s Walte n de s Schicksal s mi t un erbittlichem Geset z fesselt , o b Got t al s Lenke r de s Universum s alle s fest gelegt hat , o b de r Zufal l planlo s da s Menschenlebe n i n Gan g setz t un d durcheinanderwürfelt - di e Philosophie mu ß unse r Schut z sein . Sie wird un s anhalten, Got t willig , de m Schicksa l trotzi g z u gehorchen . Si e wir d un s lehren, de n Zufal l au f un s z u nehmen " (Brief e 16) . Stoische Gedanke n fande n auc h i n da s hellenistisch e Judentu m Eingang , da ma n i n de r Gottheit , di e di e Natu r lenkt , de n Schöpfe r un d Got t Israel s wiederzuerkennen un d da s natürlich e Gesetz , da s alle n Mensche n sittlich e Verpflichtungen auferlegt , mi t de m Geset z de s Mos e i n Verbindun g z u bringen sucht e (vgl . S.88f.) . Au s de n hellenistische n Synagoge n sin d dan n auch mancherle i stoisch e Vorstellunge n i n da s früh e Christentu m herüber gekommen. S o wir d i n de r Areopagred e ausdrücklic h au f de n Sat z Bezu g genommen, da ß di e Menschen a n de r göttliche n Natu r teilhabe n un d dahe r göttlichen Geschlecht s seie n (Apg . 17,28). Gott, de r alle s geschaffen un d de n Völkern ihr e Ordnun g gegebe n hat , ha t e s alle n Mensche n in s Her z gelegt , ihn z u suchen . Diese s Suche n abe r gelang t an s Ziel , inde m di e Unkenntni s aufgehoben wir d un d de m Mensche n di e recht e Einsich t übe r da s Walte n Gottes widerfährt . Betrachte t e r di e Werk e de r Schöpfung , s o wir d e r au f Grund de r Anschauung de r Gesetz e de r Natu r begreifen , da ß Got t si e lenk t und dahe r auc h das Leben de s Menschen leitet . Auch Paulus knüpft a n diese n

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Gedanken an , gibt ih m abe r ein e entgegengesetzte Wendung , inde m e r nich t im Sinn e eine r natürliche n Gotteserkenntni s argumentiert , sonder n umge kehrt sagt : Wei l all e Mensche n Got t hätte n erkenne n können , ih m abe r di e geschuldete Ehr e verweigert haben , daru m sin d si e alle ohne Entschuldigun g (Rom. 1,19-23). I n urchristliche n Bekenntnissätze n klinge n stoisch e Wen dungen an , wenn e s heißt, da ß au s Gott , durc h ih n un d au f ih n hi n alle s se i (Rom. 11,36; vgl . auc h l.Kor8,6 ; Eph.4,6) . Wi e de r Weis e e s al s unbedeu tend ansehe n kann , o b einer Sklav e oder Freier , Grieche oder Barba r ist , un d die Freihei t allei n i n de r innere n Unabhängigkei t gegründe t sieht , s o kan n auch Paulu s sagen , es komme letztlic h nich t darau f an , ob einer Knech t ode r Herr sei . Abe r di e Freihei t de s Christe n folg t nich t au s de r innere n Un erschütterlichkeit, sonder n si e ist die Freiheit derer , di e Christu s zu r Freihei t berufen ha t (l.Kor.7,17-24 ; Gal.5,1-1 3 u.ö.).'Paulu s bedien t sic h vielfac h der Argumentationsweis e de r kynisch-stoische n Diatribe , inde m e r i n rasc h wechselnder Red e un d Gegenred e de n Gedankengan g entfalte t (vgl . z.B . l.Kor.7,17-24). I m Jakobusbrie f wir d au f Beispiel e au s de r Natu r verwie sen (Jak . 3,1-5). Wi e ma n de n Pferde n Züge l i n de n Mun d legt , um si e folg sam z u machen , un d Schiff e durc h da s Steuerrude r gelenk t werden , „s o ist " - da s wir d au s diese n Hinweise n gefolger t - „auc h di e Zung e ei n kleine s Glied un d doc h kan n si e Große s vo n sic h sagen " (Jak.3,5) . Regeln , di e z u besonnener Lebenshaltun g mahnen , wurde n i n di e christlich e Unterweisun g aufgenommen un d kehre n sowoh l i n de n sogenannte n Haustafel n (vgl . z. B. Kol. 3,18-4,1) al s auc h i n de n Sätze n wieder , di e daz u anhalten , di e staat lichen Behörde n al s vo n Got t gesetzt e Ordnun g anzuerkenne n un d ihne n zu gehorchen (vgl . z.B. Rom. 13,1-7). Neben de n Epikureer n un d de r bedeutende n Bewegun g de r Sto a ga b e s auch ander e Philosophenschulen, di e das geistige Leben de r Spätantike beein flußten. Pythagoreisch e Gedanke n ware n i n de r Lehr e wirksam , di e de r berühmte Wanderpredige r Apollonius von Tyana (vgl . S.167f. ) vertrat . E r hielt z u asketische r Lebenshaltun g an , predigte Hohe n un d Niedrige n Buße , schalt alle , di e weichliche n Vergnügunge n nachgingen , un d dran g darauf , die Götte r tre u z u verehren , di e Tempe l z u pflege n un d di e Opfe r darzu bringen. Da s Lebe n de s Heilige n sollt e zwa r nich t ein e fü r all e verbindlich e Norm darstellen , ihne n abe r Anspor n un d Ermutigun g vermitteln . In Apollonius sahe n viel e di e Verkörperun g göttliche r Macht , di e sic h auc h i n Wundertaten sichtba r bezeugte , s o da ß sic h u m sei n Lebe n bal d Legende n rankten, di e i n de r Nachzeichnun g seine r Wirksamkeit , wi e si e Philostra t verfaßt hat , ihre n Niederschla g fanden . Wanderpredige r wi e Apollo nius zoge n vielerort s durc h di e Lande . Manch e ware n vo n echte m Bekeh rungseifer erfüllt , ander e abe r truge n ihr e Lehr e mi t de r Absich t vor , au s ih r Vorteil z u schlage n un d ihre n Lebensunterhal t z u gewinnen . U m nich t mi t solchen Leute n verwechsel t z u werden , weis t Paulu s i m erste n Brie f a n di e Thessalonicher nachdrücklic h darau f hin , da ß e r i n de r Kraf t de s heilige n Geistes bei ihnen gewirkt , kein e Ehre vo n Mensche n gesuch t und mi t eigene r Hand gearbeite t habe , um niemande m zu r Las t z u fallen (l.Thess . 1,1-2,13).

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Die Gedanke n Piatons übe r de n Kosmo s un d sei n Verständni s de s Men schen un d seine r unsterbliche n Seel e waren weithi n Gemeingu t de r Gebilde ten, wie eine kleine Schrift mi t dem Titel „Vo n de r Welt" bezeugt , die Aristoteles zugeschrieben wurde , aber au s dem erste n Jahrhunder t n . Chr . stammt . Der unbekannte Verfasse r entwickel t dari n di e Anschauung vo n de r Erschaf fung de r Wel t durc h Gott , de r „a m oberste n Plat z thront , desse n Kraf t abe r den ganze n Kosmo s durchdringt . . . fre i vo n Kummer , fre i vo n Müh e un d frei vo n jede r körperliche n Anstrengung . I m Unbewegte n thronend , beweg t er alle s mi t seine r Kraf t un d läß t e s kreisen , w o un d wi e e r will , i n unter schiedlichen Forme n un d Wesenheiten" . Di e platonisch e Sich t de r Wel t wurde auch von manche n gebildeten Juden aufgenommen , di e sie in biblisch e Texte hineinlase n un d au f dies e Weis e ihre n Glaube n mi t de r Philosophi e zu vereine n suchten , s o da ß Phil o vo n Alexandri a geradez u vo m göttliche n Plato spreche n konnte (vgl . S.97). Die Vorstellung, dies e Welt se i das Abbil d eines himmlische n Urbildes , wurd e sowoh l i n Kreise n de r hellenistische n Synagoge al s auc h i m frühe n Christentu m mi t de m biblische n Schöpfungs glauben verbunde n (vgl . z.B . Kol . 1,15; 2,17 ; Hebr.8,5 ; 10, 1 u.ö.) . Plato nisches Denke n leite t auc h di e umfangreich e Schriftstellere i de s Plutarc h (etwa 50-12 0 n.Chr.) , de r durc h sei n Studiu m i n Athe n un d weit e Reise n sich große s Wisse n un d reich e Bildun g erworbe n hatte . Al s Priester de s del phischen Apoll o wende t e r sic h gege n de n verbreitete n Aberglaube n un d hält z u rechte r Gottesverehrun g an , inde m e r di e Gedanke n de s große n Philosophen mi t de r Verehrun g de r Götte r un d rechte r Religio n z u ver binden sucht . D a de m Mensche n di e Aufgab e gestell t ist , nac h de m Gute n zu streben, wird de r Gebildet e i n ehrfürchtiger Haltun g gegenübe r de r über kommenen Religio n di e vo m Vol k entwickelte n religiöse n Vorstellunge n geistig z u durchdringe n verstehe n un d ein e von philosophische r Überlegun g geleitete Sittlichkei t entfalten . Den Bemühunge n vo n Philosophen , ei n positive s Verhältni s zu r Reli gion z u gewinnen , begegnete n manch e Zeitgenosse n mi t ironische r Kritik . Im zweiten Jahrhundert n . Chr. gießt Lukian von Samosat a seine n beißende n Spott übe r Religio n un d Verehrun g de r Götte r aus . Zwa r gehe n di e philo sophischen Meinungen , di e e r ausspricht , nirgendw o übe r allgemei n be kannte Ansichte n hinau s un d zeige n kein e eigenständig e Denkkraft ; abe r seine Bericht e enthalte n aufschlußreich e kultur - un d zeitgeschichtlich e Mit teilungen un d rede n di e Sprach e eine s Skeptikers , de r sic h nich t vo n her kömmlichen religiöse n Anschauunge n überzeuge n läß t un d auc h di e Christen, di e ih m gelegentlic h begegne t sind , fü r Vertrete r eine s merk würdigen Aberglauben s hält .

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Die Gnosi s

III. KAPITEL

Die Gnosi s 1. Die Grundstruktur der

Gnosis

Das Phänome n de r Gnosi s is t sei t de n Tage n de r alte n Kirch e i n hohe m Grad umstritten . Di e Kirchenväte r wandte n sic h i n scharfe r Polemi k gege n Gnostiker, di e ein e di e Wel t verneinend e Lehre , mythologisch e Spekula tionen un d vielfac h ein e libertinistisch e Ethi k vertraten . Ihne n wurd e vor geworfen, da ß si e de n Got t de s Alte n Testament s vo m Vate r Jes u Christ i trennten un d di e christlich e Predig t verfälschten . Di e Gnosi s erschie n al s ein Bünde l häretische r Gruppen , di e al s Ketze r vo n de r Großkirch e ge schieden werde n mußten . Lang e Zei t ha t ma n dahe r di e Gnosi s fü r ein e innerchristliche Erscheinun g gehalten , di e au s de r Begegnun g de s frühe n Christentums mi t de r hellenistische n Wel t entstande n se i un d i n di e Ge schichte christliche r Sekte n hineingehöre . Diese s Bil d wandelt e sic h jedoch , als ma n begann , di e Anfäng e de r christliche n Kirch e au f de m Hintergrun d der Religionsgeschicht e z u betrachten . Dabe i zeigt e sich , da ß di e Gnosi s keineswegs allei n al s ei n Gebild e i m Rahme n de r frühe n Kirchengeschicht e angesehen werde n kann , sonder n da ß si e ein e weitverzweigt e Bewegun g i n der hellenistische n Wel t darstellt , di e Einflüss e au s verschiedene n Reli gionen un d geistige n Bewegunge n aufnahm , vo r un d nebe n de m Urchristen tum sic h ausbreitet e un d dan n i n mannigfache r Weis e Verbindunge n mi t christlichen Elemente n einging , s o da ß sic h ein e größer e Zah l christlich gnostischer Gemeinschafte n herausbildete . Durch di e religionsgeschichtlich e Erforschun g wurd e da s Bil d de r Gnosi s auf de r eine n Seit e deutlicher , au f de r andere n Seit e abe r auc h erheblic h komplizierter. E s mußt e di e Frag e gestell t werden , wi e e s den n daz u ge kommen ist , da ß iranische , babylonische , ägyptisch e un d alttestamentlich jüdische Vorstellunge n mi t Gedanke n de r griechische n Philosophi e sic h z u einem merkwürdige n Gebild e hatte n vereine n können , da s nac h alle n Seite n in bunte n Farbe n schillert . Di e verschiedene n Einflüss e konnte n sic h nu r darum miteinande r verbinden , wei l si e vo n eine r bestimmte n Sich t de s Daseins zusammengehalte n wurden , di e ein e Deutun g de r Wel t un d de s Menschen z u gebe n versucht . De r dualistisch e Grundzug , de r sic h überal l in Vorstellunge n un d Aussage n gnostische r Kreis e durchhält , weis t zwa r auf Zusammenhäng e mi t iranische n Anschauunge n hin ; abe r durc h di e Verneinung de r Wel t un d da s Strebe n nac h Erlösun g de s wahre n Mensche n spricht sic h ei n neue s Verständni s de s Leben s aus , da s di e Wel t al s Fremd e beurteilt un d nac h de m We g zu m Hei l sucht , durc h de n di e Seel e z u ihre r eigentlichen Heima t zurückgelange n kann , di e ih r längs t entschwunde n ist . Die Frag e nac h de m gnostische n Verständni s menschliche n Dasein s er fuhr schließlic h i n de r neuere n Forschun g ein e schärfer e Zuspitzung , al s bis dahi n unbekannt e Text e entdeck t wurde n un d längs t bekannt e Über -

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lieferungen mi t Hilf e eingehende r Analyse n genaue r erklär t werde n konnte n als ehedem . Dabe i richtet e sic h di e Aufmerksamkei t insbesonder e au f mancherlei Erscheinunge n au f de m Bode n un d a m Ran d de s antike n Juden tums, da s keinesweg s ein e s o einheitlich e Größ e gebilde t hat , wi e e s di e spätere pharisäisch-rabbinisch e Lehr e darstelle n möchte . Jedenfall s steh t heute auße r Zweifel , da ß ei n nich t unbeträchtlicher Beitra g jüdische r Tradi tionen, di e sic h vo n eine r werdende n jüdische n Orthodoxi e erheblic h unter schieden, i n da s komplex e Phänome n de r Gnosi s eingegange n ist . Doc h obwohl di e Forschung intensi v daru m bemüh t ist , die Ursprüng e de r Gnosi s aufzuhellen, ha t ma n noc h nich t i n jede r Hinsich t gesichert e Erkenntniss e über ihr e Entstehun g gewinne n können ; manch e Problem e - wi e z.B . da s des gnostischen Erlösermythu s (daz u siehe unten S . 190-193) - sin d nac h wi e vor hefti g umstritten . Heut e wir d jedoc h allgemei n anerkannt , da ß di e Gnosis vorchristliche n Ursprung s ist , als breite Bewegung nebe n de m frühe n Christentum hergelaufe n is t un d sic h mi t diese m vielfac h verbunde n hat . Zu de n sei t alter s bekannte n Texten , i n dene n di e Kirchenväte r gege n gnostische Lehre n polemisiere n un d dabe i stückweis e au s ihne n Zitat e an führen, sin d i n neuere r Zei t (1945/46 ) wichtig e Fund e getreten , di e i n Nag Hammadi i n Oberägypte n ein e große gnostische Bibliothek zutag e geförder t haben. Apokryph e Evangelien , lehrhaft e Schriften , Brief e un d Apokalypse n zeigen, wi e christlich e Gnostike r i n Ägypte n de n Versuc h unternomme n haben, ein e gnostisch e Auslegun g de s Evangelium s darzubiete n un d recht e Erkenntnis al s de n We g zu m Hei l z u eröffnen . Zwa r handel t e s sic h aus nahmslos u m christlich e Schriften , di e als o keine n unmittelbare n Aufschlu ß über di e Gestal t de r vorchristliche n Gnosi s gebe n können ; abe r di e reich e Fülle de r Text e läß t doc h eine n tiefe n Blic k in di e Welt gnostische r Gemein schaften tun , di e nunmeh r mi t ihre n eigene n Worte n un d nich t durc h di e Brechung polemische r Zitat e be i de n Kirchenväter n z u un s sprechen . In sofern könne n als o di e Textfund e vo n Nag-Hammad i di e vielschichtig e Er scheinung de r Gnosi s a n wichtige n Punkte n erhellen . Gleichwoh l is t be i ihrer Beschreibun g nac h wi e vo r Behutsamkei t geboten , wei l e s nu r seh r wenige literarisch e Zeugniss e vorchristliche r Gnosi s gib t un d deshal b ihr e Anfänge nu r mi t größte r Vorsich t erschlosse n bzw . rekonstruier t werde n können. Will ma n be i diese m Stan d de r Forschun g ein e möglichs t zutreffend e Darstellung de r Grundstruktu r de r Gnosi s bieten , s o empfiehl t e s sich , vo n der Frag e auszugehen , wa s den n di e Gnosis nac h ihre m eigene n Verständni s sein wollte . Da s Wor t Gnosi s bedeute t Erkenntnis. Darunte r wir d jedoc h nicht wi e i n de r griechische n Philosophi e ein e Einsich t verstanden , di e au f dem Weg e wissenschaftliche r Untersuchun g un d kritische r Reflexio n ge wonnen wird . Auc h is t nich t da s recht e Wisse n gemeint , da s entwede r wi e in de r jüdische n Apokalypti k Einblic k i n di e Zusammenhäng e de s gött lichen Geschichtsplan s biete t ode r wi e i n de r Gemeind e vo n Qumra n di e wahre Erkenntni s de s göttliche n Gesetze s bedeute t (vgl . S.77f.) . Sonder n das Wisse n wir d durc h Offenbarun g zuteil , di e de m Mensche n Erkenntni s

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Die Gnosi s

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Gottes vermittelt . Si e umschließ t nac h de r Definition , mi t de r de r valen tinianische Gnostike r Theodotu s de n Begrif f de r Gnosi s bestimmt , folgend e Inhalte: „wer wi r waren , was wi r wurden ; wo wi r waren , wohinei n wi r geworfe n wurden ; wohin wi r eilen , worau s wi r erlös t werden ; was Gebur t ist , wa s Wiedergeburt " (Excerpt a e x Theodot o 78) . Die paarweis e Anordnun g de r Sätz e deute t de n dualistische n Charakte r der Gnosi s an . Di e erste n beide n Paar e beschreibe n di e Abwärtsbewegung , die sic h vo n de r ursprüngliche n Heima t de r Mensche n i n di e Wel t hinei n vollzog, i n di e si e geworfe n wurden . Di e letzte n beide n Paar e dagege n stellen di e Frag e nac h de r Befreiung , durc h di e di e Mensche n au s de r Ge fangenschaft erlös t un d zu m Hei l geführ t werden . Wen n ihne n dies e Ein sicht nich t zutei l wird , müsse n si e verlorengehen , wei l si e wede r ihre r Gefangenschaft inn e werden noc h de n We g in die Freiheit erkenne n können . „Wer Erkenntni s hat " - s o beschreib t da s sogenannt e Evangeliu m de r Wahrheit vo n Nag-Hammad i de n Begrif f de r Gnosi s -, „weiß , woher e r ge kommen is t un d wohi n e r geht . E r wei ß (es ) wi e jemand , de r betrunke n war un d sic h vo n seine r Trunkenhei t abwandte , de r sic h selbs t zuwandt e und da s Sein e wiederhergestell t hat " (22,13-20) . Diese Erkenntni s widerfähr t de m Menschen , inde m e r vo m Gegenstan d der Erkenntnis , d.h . vo n Got t selbs t ergriffe n wird . Got t is t al s de r Un bekannte schlechterding s unerreichbar , e s führ t kei n direkte r We g z u ihm . Aber e r bahn t de n We g vo n sic h zu r Seele , un d si e erkenn t ih n i n eksta tischer Schau . Inde m ih r dabe i plötzlic h ihr e Situatio n i n de r Wel t kla r wird, sieh t sie , da ß si e i n de r Materi e gefangengehalte n wird . Da s Wissen , das ih r widerfährt , befähig t si e abe r zugleich , di e Heimkeh r i n di e göttlich e Welt anzutreten , de r si e ursprünglic h zugehört . Au s diese r Erkenntni s folg t daher ein e negativ e Einstellun g zu r Welt , di e au s Stofflichkei t gebilde t is t und sic h bös e un d feindlic h gege n di e göttlich e Lichtkraf t verhält , di e i m Menschen schlummert . In de r hellenistisch-römische n Wel t wurd e weithi n da s Fremdartig e hoch geschätzt, da s i n de n religiöse n Überlieferunge n de s Orient s begegnete . I n ihren Vorstellunge n sucht e ma n geheimnisvoll e göttlich e Kund e z u er kennen un d nah m dahe r bereitwilli g mancherle i mythologisch e Traditione n auf, au s dene n ma n Gotte s Offenbarun g z u vernehme n trachtete . Dies e Vorliebe fü r unbekann t anmutend e religiös e Red e ha t i n reiche m Ma ß di e Sprache de r Gnosi s bestimmt . Di e Mythen , di e ma n i n gnostische n Kreise n erzählte, stelle n kunstvoll e Gebild e dar , i n dene n Stück e unterschiedliche r Herkunft miteinande r verbunde n wurden , u m di e Offenbarun g de r Er kenntnis möglichs t anziehen d erscheine n z u lassen . Di e Mythe n sollte n be greiflich machen , waru m dies e Welt s o geworden ist , wie si e ist , warum de r Mensch sic h i n de r Lag e befindet , i n de r e r gegenwärti g lebt , un d wi e schließlich der Weg zum Heil gewiese n werde n kann . Indem di e verschieden -

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artigen Stoffe , di e di e gnostisch e Bewegun g aufnahm , de r Aufgab e dienst bar gemach t wurden , de n Inhal t de r Erkenntni s z u verdeutlichen , entstan d durch di e Verschmelzun g tatsächlic h etwa s Neues , di e Sprach e de r Gnosis . Der inner e Zusammenhan g de r Wel t kan n nu r begriffe n werden , wen n ihre Entstehun g aufgehell t wird . Vo n ih r rede t di e Gnosi s i n de r Beschrei bung de r Kosmogonie , di e zwa r i n de n Einzelheite n unterschiedlic h dar gestellt werde n kann , abe r doc h ständi g wiederkehrend e Grundzüg e auf weist. Di e Schöpfung ereignet e sich , inde m au s de r göttliche n Sphär e de r reinen Lichtwel t ei n Tei l i n di e untere n Bereich e hinabfie l un d sic h mi t de r Materie verband . Wei l di e Wel t durc h eine n Fal l entstand , is t si e nich t da s eigentliche, sondern da s fremd e Wer k de r Gottheit , da s nu n vo n feindliche n Gewalten regier t wird . Fü r di e Gnosi s is t dahe r de r Kosmo s nich t Gotte s gute Ordnun g un d kan n nich t wi e i n de r Sto a a n de n Werke n de r Schöp fung abgelese n werden , da ß übe r un d i n ih r Got t selbs t waltet . De r Kosmo s ist vielmeh r i n Finsterni s verstrickt , de r Verlorenhei t anheimgegeben , e r ist da s Gefängnis , i n da s di e Lichtteil e eingeschlosse n sind . Währen d nac h der Sto a i n de r weite n Wel t di e göttlich e Vorsehun g alle s ordne t un d lenkt , so da ß Gotte s Will e i m Große n wi e i m Kleine n geschieht , is t fü r di e Gnosi s das Geset z de r Wel t ein e zwingend e Macht , di e alle s unte r ihre r Bot mäßigkeit halte n will . In de n Mythu s vo n de r Schöpfun g sin d z u eine m gute n Tei l auc h alt testamentlich-jüdische Vorstellunge n aufgenomme n worden , di e jedoc h eine schwerwiegend e Veränderun g erfahre n haben . Den n i n de r Schöpfun g ist nich t alle s seh r gu t geworden , sonder n di e Wel t is t böse . De r Urmensch , der a m Anfan g gebilde t wurde , is t nich t durc h sein e Schul d i n di e Lag e gekommen, i n de r sic h di e Mensche n nu n befinden , sonder n durc h eine n schicksalhaften Fal l is t e r i n di e Wel t hineingerate n un d i n ih r festgehalte n worden. Di e Mächte , di e übe r di e Wel t wachen , habe n ih n überwältigt , ihn trunke n gemach t un d eingeschläfert , dami t e r sein e Herkunf t au s de r himmlischen Heima t vergiß t un d nich t meh r weiß , wohe r e r kam . Di e Be schreibung de r Schöpfun g gipfel t - dari n durchau s de n alttestamentliche n Berichten vergleichba r - i n der Erzählung vo n Erschaffun g un d Geschic k de s Menschen, de r sic h i n eine r ih m feindlic h gegenüberstehende n Wel t vor findet. Wir d e r sic h desse n bewußt , s o is t dami t de r erst e Schrit t zu r Heim kehr getan , di e nu r i n de r Abkeh r vo n de r Wel t vollzoge n werde n kann . Mit de m Verständni s de r Schöpfun g is t als o di e Sich t de s Menschen au f das engst e verbunden . Den n de r Mythus , de r vo m Anfan g Kund e gibt , hellt di e gegenwärtig e Situatio n de s Mensche n auf , inde m ih m vo r Auge n gerückt wird , wohe r e r ka m un d wohinei n e r geworfe n wurde . D a i m Menschen weiterhi n ei n göttliche r Funk e schlummert , häng t alle s davo n ab, o b diese r Funk e wiede r zu m Leuchte n gebrach t werde n kan n ode r o b er erlösche n wird . Di e kosmische n Gewalte n habe n ei n vitale s Interess e daran, ih n nich t au s Gefangenschaft , Schlaf , Trunkenhei t un d Selbstver gessenheit freizugeben ; den n wen n di e Lichtteil e de m Kosmo s wiede r ent zogen würden , müßt e e r auseinanderfallen , wei l di e Materi e nicht s al s

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Finsternis ist . Daru m wolle n di e Mächt e di e Seele , die da s eigentlich e Selbs t des Mensche n ausmacht , betäub t lassen , dami t si e nich t erfährt , wa s ihr e Abkunft un d ihr e Zukunf t betrifft . Der göttlich e Funke , de r i n de r Seel e des Menschen steckt , kan n sic h nich t aus eigene r Kraf t au s diese r Gefangenschaf t befreien . I m sogenannte n Naassenerlied - eine m hymnische n Tex t de r gnostische n Gemeinschaf t de r Naassener - wir d da s verzweifelt e Suche n beschrieben , mi t de m di e Seel e sich müht , eine n Auswe g z u finden: „Jetzt träg t si e die Kron e un d schau t in s Licht ; jetzt wir d si e ins Elen d herniedergestürzt ; jetzt wein t si e und freu t si e sich wieder ; jetzt wein t si e und lach t si e zur gleiche n Zeit ; jetzt wir d si e gerichtet un d stirb t dahin ; jetzt wir d si e vo n neue m geboren ; und ausgangslo s schließ t ei n Labyrint h von Qua l di e unseli g Irrend e ein. " (Hippolyt, Refutati o omniu m haeresiu m V, 10,2) Angst, Sorg e un d Sehnsuch t nac h Befreiun g bleibe n vergeblich . D a da s To r zur Freihei t nu r s o aufgeta n werde n kann , da ß Got t de n We g zu r Heim kehr zeigt , schließ t di e Erkenntni s nich t nu r da s Wisse n übe r di e Geburt , sondern vo r alle m auc h übe r di e Wiedergebur t ein . In de r Soteriologi e wir d di e Frage nac h de m Heil beantwortet . Wei l Gott , der i n weite r Fern e übe r de r Wel t thront , un d di e göttlich e Substanz , di e in de r Seel e de s Mensche n ruht , au f Grun d naturhafte r Verwandtschaf t zusammengehören, daru m mu ß di e Seel e wiede r aufsteige n i n di e ober e Welt, au s de r si e eins t herabgefalle n ist . Währen d i n de r Weihe , di e di e Mysterienreligionen vollziehen , de m Mensche n vergottend e Kraf t wider fährt, di e ih m Unsterblichkei t vermittelt , bedeute t di e Wiedergebur t nac h gnostischem Verständni s Wiederherstellun g de s ursprüngliche n Zustandes . Es wir d de m Mensche n als o nich t wi e i n de n Mysterie n ein e Heilsgab e zuteil, di e ih m etwa s grundsätzlic h Neue s übereignet , sonder n e r wir d zu rückgeführt z u dem , wa s e r ursprünglic h wa r un d wa s i n Verborgenhei t auch imme r i n ih m fortbestande n hat . Dami t da s geschehe n kann , mu ß de r Mensch au s Schla f un d Trunkenhei t wachgerüttel t werde n un d mu ß e r sich darübe r kla r werden , da ß di e Wel t ih m frem d ist . Dies e Erkenntni s kommt de m Mensche n durc h de n Ru f zu , de r ih n al s göttlich e Offenbarun g trifft. Der Ruf , de r de n Mensche n wiede r seine r himmlische n Herkunf t bewuß t werden läßt , is t i n anschauliche r Weis e i m sogenannte n Perlenlie d de r Thomasakten beschriebe n (108-113) . Da s Lie d erzähl t vo n eine m Königs sohn, de r sic h verkleidete , nac h Ägypte n auszog , u m dor t ein e köstlich e Perle z u suchen , abe r i m fremde n Lan d sein e Herkunf t verga ß un d seine n Auftrag au s de m Aug e verlor . Dami t wir d da s Geschic k de r Seel e geschil -

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dert, di e i n de r Wel t einschläf t un d nich t meh r weiß , wohe r si e ka m un d welches ihr e Bestimmun g ist . Da s Perlenlie d fähr t dan n fort : Al s di e Elter n des Königssohnes , di e daheimgebliebe n waren , leiden d spürten , wa s ihre m Kind i n de r Fremd e widerfahre n ist , schreibe n si e eine n Brie f a n ihn , de r ihm folgend e Botschaf t überbringt : „Ste h au f vo n deine m Schlaf , un d ver nimm di e Worte unsere s Briefes . Erinnere dich , da ß d u ei n Königssoh n bist . Sieh di e Knechtschaft : we m d u dienst . Gedenk e de r Perle , derentwege n d u nach Ägypte n gegange n bist. " Diese r Brie f gelang t durc h eine n Adle r zu m Königssohn, de r be i seine r Stimm e un d seine m Rausche n erwach t un d vo n seinem Schla f aufsteht . Di e Wirkun g de r Wort e is t befreiend : „Gan z wi e es i n meine m Herze n stand , ware n di e Wort e meine s Briefe s geschrieben . Ich gedachte , da ß ic h ei n Königssoh n se i un d mein e Freihei t nac h ihre r Natur verlange . Ic h gedacht e de r Perle , derentwege n ic h nac h Ägypte n ge sandt ward. " Nu n geling t e s ihm , di e Perl e de m schreckliche n Drachen , de r sie bewacht , z u entwinden , di e Heimreis e anzutrete n un d glücklic h mi t de r Perle z u de n Elter n zurückzukehren . Die Erlösun g vollzieh t sic h als o i n de r Rückkeh r zu m Ursprung , inde m der verborgen e göttlich e Ker n de s Mensche n freigeleg t un d dadurc h seine r eigentlichen Bestimmun g zurückgegebe n wird . Di e Erkenntnis , di e durc h den Ru f geweck t wird , bedeute t nich t nur , da ß de r Mensc h sic h seine r Lag e bewußt wird , sonder n si e verleih t zugleic h di e Fähigkeit , di e Wächte r de s Gefängnisses z u überliste n un d di e Reis e i n di e Heima t anzutreten . Di e Gnosis mach t de m Mensche n klar , da ß e r nich t i n dies e Wel t gehört , un d fordert vo n ihm , da ß e r sic h vo n diese r Wel t trennt . Dies e Entweltlichun g kann sic h dan n entwede r dahi n auswirken , da ß de r Gnostike r sic h vo n de r Welt abkehr t un d i n Askes e alle m entsagt , wa s di e Wel t bietet ; ode r abe r sie führ t dazu , da ß derjenige , de r di e recht e Erkenntni s gewonne n hat , z u der Auffassun g gelangt , nichts , wa s e r i n de r Wel t genießt , könn e seine m eigentlichen Ic h etwa s anhaben . Di e Verachtun g de r Wel t kan n als o auc h eine libertinistische Haltun g hervorrufen , di e nac h de m Grundsat z verfährt , erlaubt sei , wa s gefällt , wei l nicht s Weltliche s da s Ic h de s Gnostikers , da s der göttliche n Sphär e angehört , z u berühre n vermag . In de n gnostische n Systemen , di e sic h i m Lau f de r Zei t herausbildeten , ist di e Übermittlun g de s Rufes , de r de n Mensche n zu r Erkenntni s bringt , auf unterschiedlich e Weis e beschrieben . Diese r Ruf , de r au s de r göttliche n Sphäre komm t un d de n Mensche n d a erreicht , w o e r sic h i n de r Wel t auf hält, gelang t durc h ein e Botschaft , durc h da s weckend e Wor t z u ih m un d weist ih m de n We g i n di e himmlisch e Heimat . Al s Überbringe r diese r Kunde kan n auc h ein e Rettergestal t auftreten , di e vo n Got t ausgeht , sic h verkleidet i n di e Bedingunge n hineinbegibt , i n dene n di e Mensche n leben , in ihre r Verhüllun g vo n de n kosmische n Wächter n nich t erkann t wir d un d den Mensche n di e erlösend e Nachrich t übermittelt . I n de r christlich-gnosti schen Lehr e is t Jesu s Christu s de r Erlöser , de r di e göttlich e Botschaf t z u den Mensche n trägt . E r is t i n Menschengestal t herabgekommen , u m nich t

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von de n Gewalthaber n vorzeiti g bemerk t z u werden , abe r e r wa r nich t wirklich Mensc h un d ha t dahe r auc h nich t selbs t Leide n un d To d au f sic h genommen. Di e Frage , o b auc h scho n di e vorchristlich e Gnosi s ein e Er lösergestalt gekann t hat , kan n nich t mi t Sicherhei t beantworte t werden . Da de r Ru f zu r Erlösun g au f verschieden e Weis e übermittel t werde n kann , ist de r gnostisch e Mythu s grundsätzlic h offe n fü r di e Aufnahm e eine r Erlösergestalt. Doc h e r bedar f nich t notwendi g eine s himmlische n Retters , weil de r Ru f auc h al s befreiend e Kund e unmittelba r lau t werde n kann . Daher is t e s nich t ausgeschlossen , da ß di e deutlic h gezeichnet e Erlöser gestalt ers t durc h de n starke n christliche n Einflu ß entstande n sei n könnte , der zu r Ausbildun g de r christlich-gnostische n System e geführ t hat . Da s Judentum kannt e di e Weishei t al s Mittleri n un d Inhal t de r Offenbarung , bei Phil o vo n Alexandri a wurd e de r Logo s al s Zwischenwese n zwische n Gott un d de n Mensche n genann t (vgl . S.99f.). Dies e Motiv e habe n zweifel los au f di e Gnosi s eingewirk t un d daz u beigetragen , da ß de r Gedank e de r göttlichen Offenbarun g durc h di e Vorstellun g eine s himmlische n Erlöser s veranschaulicht wurde . Der gnostisch e Mythu s handel t nich t vo n eine r bestimmte n Geschichte , wie si e i n de r christliche n Predig t verkündig t wird , sonder n e r sprich t ein e immer gültig e Wahrhei t aus , di e wede r historisc h faßba r wir d noc h au f ei n Ende zielt , das sic h in letztem Geschehe n ereignet . Di e Wahrheit de s Mythu s erweist sic h i n de r Erhellun g de r menschliche n Existenz , di e e r durc h di e Erkenntnis vermittelt . Notwendigerweis e mußt e e s dahe r zu r Auseinander setzung zwische n Gnosi s un d christliche m Glaube n au f de m Bode n de r alten Kirch e kommen . Durft e Jesu s vo n Nazaret h al s ei n mythische s Wese n verstanden werden , da s vo n Wel t un d Geschicht e getrenn t bleibt , nich t Mensch geworde n un d nich t an s Kreu z geschlage n ist ? Wa r e s di e Schul d des Urmensche n ode r ei n widrige s Geschick , da s da s Todesverhängni s übe r alle Mensche n brachte ? Is t di e Schöpfun g durc h eine n Fal l al s Gotte s un eigentliches Wer k entstanden , ode r is t si e au s de m schaffende n Wor t Gotte s hervorgetreten, de r de m Nichtseiende n ruft , da ß e s sei ? Schlummer t i m Menschen ei n Lichtfunke , de r i n naturhafte r Verwandtschaf t z u Got t ge hört un d daru m z u seine r Eigentlichkei t zurückgerufe n werde n muß , ode r ereignet sic h di e Erlösun g i n de r Vergebun g de r Sünden , durc h di e di e neu e Schöpfung i n Christu s sic h vollzieht ? Werde n di e Seele n de r Mensche n i n ihre himmlisch e Heima t zurückkehren , ode r wir d Got t di e Tote n auf erwecken un d di e Seine n mi t Christu s vereinen ? Wir d durc h di e Gnosi s substanzhaft greifbare s Hei l eröffnet , da s al s unverlierbare r Besit z de n Gnostikern erhalte n bleibt , wa s imme r si e tu n mögen , ode r wir d da s Hei l allein i m Glaube n erfahren , de r mi t Lieb e un d Hoffnun g gepaar t ist ? Da s geistige Ringen , da s da s Christentu m zu r Beantwortun g diese r Frage n voll ziehen mußte , fordert e di e Kirch e heraus , ihrerseit s di e Lehr e vo n de r Schöpfung, vo m Mensche n un d vo m Hei l deutliche r z u formulieren , u m sie de r gnostische n Lehr e entgegenzustellen . 13 Lohse , Umwel t

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2. Das Corpus Hermeticum als

Zeugnis vorchristlicher Gnosis

Gnostisches Denke n beherrsch t di e Sammlun g vo n achtzeh n Traktaten , die i n de m sogenannte n Corpu s Hermeticu m zusammengefaß t sind . De r griechische Gott Herme s heißt de r „dreima l große " (griechisch : trismegistos ) und wir d mi t de m ägyptische n Got t Thot h gleichgesetzt . Hermes , de r vo n den Grieche n de r Götterbot e genann t wurd e un d i n hellenistische r Zei t al s Gott de r Weishei t gilt , trit t al s Offenbare r auf , de r de n Mensche n göttlich e Kunde bring t un d si e zur Erkenntni s führt . Di e Unterweisun g vollzieh t sic h überwiegend i m Zwiegespräc h zwische n Mensc h un d Gott , inde m de r Mensch frag t un d de r Got t ih m mi t geheime r Belehrun g antwortet , di e nu r von Mun d z u Mund weitergegebe n werde n darf . Das Corpu s Hermeticu m stell t kei n einheitliche s literarische s Gebild e dar; den n a n de n achtzeh n Traktate n habe n mehrer e Verfasse r geschrieben , deren Ansichte n nich t imme r übereinstimmen . Di e meiste n Teil e sin d zwa r erst i n de r Zei t zwische n 10 0 un d 20 0 n . Chr. aufgezeichne t worden , abe r die Überlieferungen , di e dari n ihre n Niederschla g gefunde n haben , habe n vorher scho n ein e länger e Zei t mündliche r Traditio n durchlaufen . Si e weisen Züg e de r iranischen , babylonischen , ägyptische n un d griechische n Religion auf , habe n philosophisch e Gedanke n vo n Plato , de n Pythagoreer n und de r Sto a aufgenomme n un d sin d a n manche n Stelle n unverkennba r von alttestamentlich-jüdische n Vorstellunge n beeinflußt . Nirgendw o abe r läßt diese s farbig e Gemäld e ein e Berührun g mi t de r christliche n Botschaf t erkennen. Insofer n stell t da s Corpu s Hermeticu m ei n überau s bedeutsame s und lehrreiche s Beispie l gnostische r Weltanschauun g dar , di e noc h nich t i n eine Verflechtun g mi t de m Christentu m eingetrete n ist . Die Sammlun g wir d mi t de m Trakta t Poimandre s eröffnet , de r a n Be deutung seine s Inhalt s all e andere n Schrifte n be i weite m übertrifft . De r Name Poimandre s komm t wahrscheinlic h au s de m Ägyptischen , bedeute t ursprünglich „di e Erkenntni s de s Gottes" , is t dan n gräzisier t worde n un d dient zu r Bezeichnun g de s Mittler s de r Offenbarung . De r erst e Trakta t de s Corpus Hermeticu m faß t i n geraffte r Darstellun g di e Kosmologie , Anthro pologie un d Soteriologi e gnostische r Lehr e zusamme n un d verwende t dabe i verschiedenerlei mythologisch e Überlieferungen , di e zu r Beschreibun g de r Entstehung de r Welt , de r Erschaffun g de s Mensche n un d de r Erlösung , di e ihn au s de r Gefangenschaf t befreie n soll , zusammengefüg t worde n sind . Zu Begin n stell t sic h de r Offenbarungsmittle r de m Offenbarungsemp fänger mi t de n Worte n vor : „Ic h bi n Poimandres , de r Geis t de r höchste n Macht" (2) . A n ih n wir d di e Bitt e gerichtet : „Ic h wil l da s Seiend e kennen lernen un d sein e Natu r verstehen , un d ic h wil l Got t erkennen " (3) . Diese m Wunsch wir d entsproche n un d zunächs t i n mythologische r Red e vo m Anfang de r Wel t gehandelt . Got t is t Licht, „au s de m Lich t abe r . . . ka m ei n heiliges Wor t übe r di e Natur , un d ei n unvermischte s Feue r scho ß au s de r feuchten Natu r nac h obe n i n di e Höhe ; da s wa r leich t un d schar f un d zu gleich wirkungskräftig , un d di e Luft , di e leich t war , folgt e de m Feueratem ;

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sie stie g vo n de r Erd e un d de m Wasse r bi s zu m Feue r auf , s o da ß si e vo n ihm herabzuhänge n schien . Erd e un d Wasse r abe r bliebe n a n ihre r Stelle , miteinander vermischt , s o da ß ma n di e Erd e nich t vo m Wasse r unterschei den konnte . Si e wurde n beweg t durc h da s glutatmend e Wort , da s hörba r darauf lag " (5) . Gott , de r i n himmlische n Höhe n sic h befindet , setzt e au s sich einen „weitere n Geis t al s Weltschöpfer hervor , welche r Got t de s Feuer s und Geistatem s is t un d siebe n Verwalte r schuf , di e i n Kreise n de n wahr haften Kosmo s umfangen" (9) . Sie regieren übe r di e Welt, und da s bedeutet , daß si e das Schicksal bestimmen, de m di e Welt unterliegt. Der Weltschöpfer , der unte r de m höchste n Got t steht , lie ß di e Schöpfungswerk e ewi g kreisen . Durch dies e Rotatio n wurde n Lebewese n hervorgebracht ; di e Luf t wurd e mit Vögel n bevölkert , da s Wasse r mi t Fischen , un d di e Erd e bracht e Tier e hervor: Vierfüßler , Schlangen , Kriechtiere , wild e un d zahm e Tiere . De r ganze Kosmo s is t dahe r da s Wer k de s Weltschöpfer s (d.h . de s Demiurgen ) und de m ih m auferlegte n Geschic k unterworfen . Die Erschaffun g de s Mensche n wir d mi t feierlic h klingende n Worte n be schrieben, di e gewiss e Berührunge n mi t biblische n Sätze n erkenne n lassen : „Der Geis t aber , de r Lich t un d Lebe n ist , de r Vate r vo n allem , zeugt e eine n ihm gleiche n Menschen , de n e r liebt e al s seine n eigene n Sohn ; den n e r wa r sehr schön , d a e r da s Abbil d de s Vater s hatte , s o da ß Got t sein e eigen e Gestalt liebte . Ih m überga b e r di e ganz e Schöpfung " (12) . De r Urmensc h schaute da s Wer k de s Weltschöpfers , de r Anblic k seine r Schöpfungstätig keit abe r macht e ih n eifersüchtig , s o da ß e r sic h auc h schaffen d betätige n wollte. Di e Verwalter , di e übe r de n Kosmo s herrschen , liebte n ih n un d gaben ih m jede r tei l a n seine r eigene n Stellung . D a vollzo g sic h da s Ge schehen, da s übe r da s Geschic k alle r Mensche n bestimme n sollte : „Un d er , der all e Gewal t hatt e übe r di e Wel t de r sterbliche n Wese n un d de r ver nunftlosen Tiere , beugt e sic h niede r durc h di e Harmoni e (de r Sphären) , durchbrach ihr e Umschließun g un d zeigt e de r untere n Natu r Gotte s schön e Gestalt. Al s si e ih n sah , de r unendlich e Schönheit , all e Gewal t de r Ver walter un d di e Gestal t de s Gotte s i n sic h hatte , lächelt e si e i n Liebe , wei l sie de s Mensche n überau s schön e Gestal t i m Spiegelbil d i m Wasse r un d i m Schatten au f de r Erd e erblickte . Al s e r di e ih m gleich e i n de r (unteren ) Natur befindlich e Gestal t i n dem Wasse r erblickte , liebte auc h e r un d wollt e dort wohnen . Zugleic h abe r mi t seine m Wille n entstan d di e Durchführung , und s o bewohnt e e r di e vernunftlos e Gestalt . Di e Natu r abe r empfin g (damit) de n Geliebte n un d umschlan g ih n ganz , un d si e vereinigte n sic h und liebte n einander " (14) . S o vollzo g sic h de r Fal l de s Urmenschen , de r aus de r obere n Wel t i n di e unter e heruntergezoge n wurd e un d mi t de r Natur ein e ih n fesselnd e Verbindun g einging . Mi t ih r erzeugt e e r de n irdischen Menschen , de r infolgedesse n sic h zwa r vo n alle n andere n Lebe wesen unterscheidet , abe r doc h de r Sterblichkei t unterworfe n ist : „Des wegen is t de r Mensc h i m Gegensat z z u alle n Lebewese n au f de r Erd e ei n Doppelwesen, zwa r sterblic h durc h de n Körper , abe r unsterblic h durc h de n wesenhaften Menschen . Obwoh l e r unsterblic h un d mi t Gewal t übe r alle s 13*

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versehen ist , erdulde t e r Sterbliche s un d unterlieg t de m Schicksal . Obwoh l er übe r di e Harmoni e (de r Sphären ) gestell t ist , wurd e e r Sklav e innerhal b dieser Harmonie . Obwoh l e r mannweiblic h ist , wei l e r vo n eine m mann weiblichen Vate r stammt , un d obwoh l e r schlaflo s ist , wei l e r vo n eine m Schlaflosen kommt , wir d e r (vo n Liebes - un d Schlafsucht ) beherrscht " (15) . Fortan lebe n all e Mensche n ebens o wi e di e Tier e al s Man n un d Frau . Ihnen wurd e vo n Got t de r Befeh l erteilt , sic h z u mehre n - ei n Auftrag , de r wieder deutlic h a n di e biblisch e Schöpfungserzählun g anklingt : „Nehme t zu i m Wachstu m un d mehre t euc h i n de r Fülle , all e Kreature n un d Ge schöpfe" (18) . Diese m göttliche n Wor t entsprechen d „vermehrt e sic h alle s nach seine r Art " (19) . De r Mythu s vo n de r Erschaffun g un d de m Fal l de s Urmenschen erhell t als o di e gegenwärtig e Situatio n de s Menschen , desse n Leib au s tote r Materi e gebilde t ist , desse n göttliche r Ker n abe r himmlische n Ursprungs ist . We r au f Grun d diese r Offenbarun g sic h selbs t erkennt , wir d zum Gute n aufsteige n könne n un d gehör t z u de n Auserwählten . We r abe r von Lieb e z u Lei b un d Materi e erfüll t ist , wir d al s ei n Irrende r i n de r Finsternis bleibe n un d a n seine m Lei b de n To d erfahren . Wen n de r Mensc h begreift, we r e r is t un d we r e r sei n soll , wir d e r de n Leidenschafte n un d Affekten absage n un d sic h freimache n vo n allem , wa s a n de n Lei b un d damit a n di e Wel t fesselt . Mit de r rechte n Erkenntni s wir d zugleic h di e Einsich t übe r de n einzi g möglichen We g zu m Hei l gewonnen . I m Tod e verfäll t de r Lei b wiede r de r Auflösung i n di e Materie , s o da ß auc h di e sinnliche n Regunge n de s Leibe s vergehen. Di e Seel e aber , di e di e Reis e zu r himmlische n Heima t antrete n kann, wir d bei m Aufstie g ein e Läuterun g erfahren ; den n i n jede r Sphäre , die si e durchschreitet , leg t di e Seel e etwa s ab , wa s si e bi s dahi n beschwer t hat: zunächs t di e Fähigkeit , z u wachse n ode r geringe r z u werden , dan n de n Anschlag zu m Bösen , weite r di e trügerisch e Begierde , di e doc h z u nicht s führt, danac h di e Herrschsucht , ferne r di e gottlos e Kühnhei t un d di e vor sätzliche Tollkühnheit , darau f da s bös e Verlangen , nac h Reichtu m z u trachten, und schließlic h die hinterlistige Lüge. Von al l diesen Leidenschafte n befreit, trit t di e Seel e ei n i n di e acht e Sphäre , di e übe r de n siebe n Sphäre n liegt, un d vernimm t de n Lobgesan g alle r dor t befindliche n Kräft e un d Seelen, di e miteinande r de n Vate r preisen . Di e Seel e is t a n ih r Zie l gelangt : „vergöttlicht z u werden " (26) . Das Wisse n u m da s Sei n de s Menschen , di e Verfallenhei t de s Kosmo s und de n We g zu r Erlösun g weck t i n denen , di e di e Erkenntni s gewonne n haben, de n Wunsch , di e Gnosi s z u verbreiten . De r Empfänge r de r Offen barung mu ß daru m di e Schönhei t de r Frömmigkei t un d de r Erkenntni s ver kündigen: „Ih r Leute , erdgeboren e Menschen , di e ih r euc h de r Trunken heit, de m Schla f un d de r Nichterkenntni s Gotte s ergebe n habt , werde t nüchtern, hör t au f z u schwelgen , behex t wi e ih r sei d vo n unvernünftige m Schlaf . . . Warum , ih r erdgeborene n Menschen , hab t ih r euc h selbs t de m Tode überantwortet , w o ih r doc h Mach t hattet , de r Unsterblichkei t teil haftig z u werden ? Tu t Buße , di e ih r mi t de m Irrtu m zusammengegange n

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seid un d mi t de r Unwissenhei t Gemeinschaf t gehalte n habt ! Macht euc h fre i von de m finsteren Licht , werde t de r Unsterblichkei t teilhaftig , verlaß t di e Verderbnis" (27f.) . We r di e göttlich e Erkenntni s gewonne n hat , sol l de n anderen Mensche n zu m Wegführe r werden , u m ihne n al s de r Wissend e de n Weg zu r Erlösun g z u weise n un d ihne n z u zeigen , „wi e un d au f welch e Weise si e gerettet werden " (29) . Der Trakta t Poimandre s sprich t ebensoweni g wi e di e andere n Schrifte n des Corpu s Hermeticu m vo n kultische n Handlunge n un d gottesdienstliche n Feiern. Vo n keiner . Versammlung ode r Gemeind e is t di e Rede , sonder n e s wird ein e Lehr e vo n de r göttliche n Erkenntni s vorgetragen . We r si e hör t und annimmt , sol l un d kan n selbs t darau s di e notwendige n Folgerunge n ziehen. Während i m Corpu s Hermeticu m nicht s von eine r religiöse n Grupp e erwähnt wird , kan n di e gnostisch e Erkenntni s durchau s auc h mi t Forme n gläubiger Gemeinschaf t verbunde n werden , di e teil s al s überkommen e weitergeführt, teil s i n neue r Weis e gebilde t werden . Gnostisch e Vorstel lungen gehe n dahe r vielfac h i n di e Gestaltun g de r kultische n Begehunge n der Mysteriengemeinschafte n ein , ode r si e nehme n christlich e Züg e auf , s o daß Gemeinde n entstehen , di e da s Evangeliu m durc h de n gnostische n Mythus z u überhöhe n trachten . Gnostisch e Gedanke n könne n abe r auc h einfach i n eine r Predig t weitergetrage n werden , di e sic h a n di e Einsich t derer wendet , dene n di e Kunde von de r rettende n Erkenntni s gebrach t wird . So is t di e Erbauungsliteratu r de r hermetische n Schrifte n offensichtlic h nich t an bestimmt e Kreis e gerichtet , di e sic h zu m Gottesdiens t versammeln , son dern si e wil l di e Lese r wecke n un d aufrufen , dami t si e de n We g de r Er kenntnis beschreiten . Die Grundthemen , di e i m erste n Trakta t angeschlage n wurden , werde n in den andere n Traktate n imme r wiede r aufgenomme n un d i n verschiedene n Variationen wiederholt . Au s de r Reih e diese r Schrifte n rag t vo r alle m de r dreizehnte Trakta t hervor , de r vo n der Wiedergeburt de s Menschen handelt . Dabei is t nich t a n eine n sakramentale n Akt , sonder n allei n a n di e Erkennt nis Gotte s gedacht . A n de n Anfan g wir d di e Thes e gestellt , nieman d könn e gerettet werde n vo r de r Wiedergebur t (1) . Daru m is t e s notwendig , di e Lehre vo n de r Wiedergebur t z u lernen , di e vo m Tru g de s Kosmo s löst . De r Wiedergeborene erfähr t ein e wunderbare Veränderung , e r „is t Gottes Sohn , alles i n allem , au s alle n Kräfte n bestehend " (2) . Der Vorgan g de r Wieder geburt, di e Vergottun g bedeutet , is t nich t mi t leibliche m Aug e wahrzuneh men, sonder n ereigne t sic h al s vollkommen e Verwandlun g i n mystisch ekstatischer Schau . Di e Verwandlun g is t s o durchgreifend , da ß de r Wiedergeborene sage n kann, e r sei ein andere r (3) . Der Weg zur Erneuerun g wird durc h willentliche n Entschlu ß beschritten , inde m ma n di e Leiden schaften ablegt , di e ma n i n sic h trägt . Si e wirkte n - zwöl f a n de r Zah l durch de n sterbliche n Lei b un d di e sinnliche n Regungen , di e dafü r sorgten , daß di e Seel e i n ihre m Gefängni s festgehalte n wurde . W o abe r Erkenntni s ist, di e al s Erkenntni s Gotte s de n Zustan d de s Mensche n erhell t un d ih m die Rückkeh r z u Got t weist , d a is t da s Ende de r Unkenntni s gekomme n (8) .

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Ist di e Gnosi s gewonnen , s o weich t di e Ungerechtigkei t un d wir d de r Mensch gerecht . Da s bedeutet , da ß sic h a n ih m un d mi t ih m ein e physisch e Veränderung vollzieht , durc h di e e r vergotte t wird . Di e zeh n Tugenden , die ih m zutei l werden , vertreibe n di e zwölf Laster , s o da ß de r Mensc h Got t wird, Soh n de s Eine n (14) . Übe r diese s wunderbar e Geheimni s wahr t de r Gnostiker Schweigen , u m da s Ereigni s vo r Profanierun g z u schützen . Di e Einsichtigen abe r werde n mi t ih m ahnen d erfahren , wa s sic h i n de r Wieder geburt vollzoge n hat , di e ih n zu m rechte n Gottesdiens t un d zu m vernünf tigen Opfe r führt , da s i m lobende n Dankgebe t dargebrach t wir d (1 8 f.). Die Schrifte n de s Corpu s Hermeticu m lasse n Begrif f un d Inhal t de r Gnosis i n deutliche r Bestimmthei t hervortreten . Di e Erkenntni s wir d nich t durch eigen e geistig e Bemühun g un d Anstrengun g gewonnen , sonder n si e widerfährt durc h Offenbarun g Gottes , de r vo n de n Seine n erkann t werde n will. Daru m is t di e Gnosi s ihre m Wese n nac h Erkenntni s Gottes , di e nich t in philosophische r Überlegun g erreich t werde n kann , sonder n sic h al s Ver wandlung de s ganze n Mensche n vollzieht , de r mi t göttliche r Kraf t erfüll t wird, di e sic h mi t de m i n ih m schlummernde n göttliche n Funke n verbinde t und ih n zu m wahre n Lebe n führt . 3. Die Ausbreitung der Gnosis im ersten Jahrhundert n.Chr. Das Neu e Testamen t selbs t bezeugt , da ß e s ein e vorchristlich e Gnosi s gab un d da ß dies e bereit s weit e Ausbreitun g erfahre n hatte . Dami t is t ei n wichtiges religionsgeschichtliche s Datu m gegeben , wei l di e Entstehungszei t der Schrifte n de s Neue n Testament s i n di e zweit e Hälft e de s erste n Jahr hunderts n.Chr . bzw . be i wenige n Stücke n i n de n Anfan g de s zweite n Jahrhunderts n . Chr. fällt . Wen n dahe r i n diese n gena u datierbare n Doku menten bestimmt e Bezugnahme n au f gnostisch e Vorstellunge n ode r Aus einandersetzungen mi t gnostische n Anschauunge n vorliegen , s o is t dami t ein sichere r Anhaltspunk t fü r di e zeitlich e Bestimmun g gnostische r Motiv e gewonnen, di e dan n i m zweite n Jahrhunder t n.Chr . i n de n gnostische n Gemeinschaften, di e sic h au f de m Bode n de r alte n Kirch e gebilde t haben , deutlicher i n Erscheinun g treten . In de r Apostelgeschicht e wir d davo n berichtet , da ß di e christlich e Bot schaft bal d nac h de n Anfänge n de r Urgemeind e i n da s Gebie t de r Samari taner hinausgetrage n wurd e un d dor t di e Uraposte l mi t eine m Magier namens Simon zusammenstießen , de r Zaubere i getriebe n un d da s Vol k vo n Samaria verführ t habe , inde m e r sagte , e r se i jeman d Große s (Apg . 8,9). Seine Wirksamkei t hab e außergewöhnliche n Erfol g gehabt ; „den n ih m hingen all e an , klei n un d groß , un d si e sagten: De r is t di e Kraf t Gottes , di e man di e groß e nennt " (Apg . 8,10). Nac h de r Darstellun g de r Apostel geschichte wa r Simo n ei n Zauberer , de r davo n beeindruck t war , da ß di e Christen außerordentlich e Zeiche n un d Wunde r verrichte n konnten , un d sich daru m ihne n anschlo ß (Apg . 8,9-24). Hinte r de r Erzählung , wi e si e di e Apostelgeschichte bietet , wir d ein e früh e Auseinandersetzun g sichtbar , di e

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sich zwische n gnostische r Lehr e un d christliche r Verkündigun g vollzoge n hat. Den n di e Behauptung , di e groß e Kraf t z u sein , kan n nich t einfac h al s Meinungsäußerung eine s Zauberer s verstande n werden , sonder n bedeute t vielmehr de n Anspruch , Träge r göttliche r Offenbarun g z u sein . Di e pole mischen Berichte, mit denen sich im zweiten Jahrhundert n . Chr. die Kirchenväter Justin , Irenäu s un d Tertullia n gege n di e simonianisch e Gnosi s wen den, zeige n einerseits , da ß vo n diese m Simon , de r i n Samari a auftrat , ein e Bewegung ausgegange n ist , di e nich t nu r i n Palästina , sonder n alsbal d auc h in Ro m Anhänge r fand , un d schilder n andererseit s de n ausgesproche n gnostischen Charakte r diese r Lehre . Sieh t ma n vo n de n unterschiedliche n Ausgestaltungen ab , di e di e Überlieferun g erfahre n hat , s o wir d i n alle n Beschreibungen de r stren g dualistische Grundzu g der simonianische n Gnosi s hervorgehoben. Di e göttlich e Ennoi a ( = de r Gedanke ) stan d ursprünglic h als weibliche s Prinzi p nebe n de m Vate r de s Alls ; si e geriet dan n abe r unte r die Gefangenschaf t de r dämonische n Mächt e un d wandert e vo n eine m Frauenleib i n de n anderen , bi s si e zuletz t i n de n Lei b de r Helen a kam , di e sich i n eine m Bordel l i n Tyru s befand . I n ihre m Elen d wir d di e Gefangen schaft de r menschliche n Seel e abgebildet , di e rettungslo s verlore n ist , wen n ihr nich t vo n auße n Hilf e zutei l wird. D a erbarm t sic h der höchst e Got t un d steigt selbs t herab , u m si e z u erlösen , inde m i n Simo n di e göttlich e Mach t erscheint, di e di e Ennoi a i n Gestal t de r Helen a befrei t un d wiede r ihre r himmlischen Bestimmun g zuführt . Wen n auc h nich t siche r gesag t werde n kann, i n welche m Umfan g di e Züg e de r simonianische n Gnosi s au f de n historischen Simo n vo n Samari a zurückgeführ t werde n können , s o lasse n doch scho n di e knappe n Angabe n de r Apostelgeschicht e de n gnostische n Grundzug seine r Lehr e hervortreten. Di e simonianisch e Bewegun g entstan d nicht zufälli g au f samaritanische m Boden , wo mancherle i religionsgeschicht liche Einflüss e sic h mi t jüdische n Überlieferunge n verbinde n konnten , di e nicht dem strengen Maßstab de r jüdischen Orthodoxi e entsprachen , sonder n sich i m Bereic h de r samaritanische n Gemeind e freie r entwickel n konnten . Das Beispie l de r simonianische n Gnosi s zeig t deutlich , da ß ein e nich t un beträchtliche Komponent e vo n Vorstellungen , di e sich am Rand e de s Juden tums ausgebilde t haben , a n de r Entstehun g gnostische r Lehr e beteilig t ge wesen ist . Dennoc h wir d ma n nich t behaupte n dürfen , di e wei t verzweigt e Bewegung der Gnosis gehe auf eine n einzige n Ursprun g zurück , der in Sama ria gelege n habe ; den n da s Gebild e de r Gnosi s is t z u vielschichtig , al s da ß seine Entstehun g nu r au f eine n Or t ode r ga r eine n bestimmte n Gründe r zurückgeführt werde n könnte . Woh l abe r läß t sic h au s älteste n Berichte n über Simo n da s Bild eine r frühe n For m vorchristliche r Gnosi s gewinnen , di e alsbald i n scharf e Auseinandersetzun g mi t de m Christentu m gerate n mußte . Gnostische Anschauunge n habe n auc h di e verschiedene n Taufbewegun gen beeinflußt , di e e s i m syrisch-palästinische n Rau m gab . Da s Johannes evangelium setz t voraus , da ß Anhänge r Johanne s de s Täufer s nebe n Jün gern Jes u gewirk t habe n un d e s z u eine r gewisse n Konkurren z zwische n beiden Gruppe n gekomme n ist . Wenn nachdrücklic h beton t wird , Johanne s

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sei nicht selbst das Licht gewesen, sondern al s Zeuge des Lichtes aufgetreten , das i n Jesu s Christu s i n di e Wel t ka m (Joh . 1,6-8.15 u.ö.) , s o wende t sic h diese Feststellun g unmißverständlic h gege n bestimmt e Kreise , di e i n de m Täufer selbs t de n endzeitliche n Rette r sehe n wollten . I n de n Zusammen hang diese r Taufgemeinschafte n gehör t auc h di e Sekt e de r Mandäer, dere n Reste i n Gruppe n vo n insgesam t etw a 500 0 Anhänger n noc h heut e a m un teren Euphra t un d Tigri s leben . Ihr e heiligen Schrifte n wurde n ers t i n diese m Jahrhundert de r Forschun g bekann t un d habe n ein e lang e Diskussio n aus gelöst, di e noc h nich t i n alle n Punkte n z u wirklic h gesicherte n Ergebnisse n geführt hat . Die Bezeichnung de r Sekt e is t vo n de m Wor t „manda " = Gnosi s herzu leiten un d bedeute t als o „di e Gnostiker" . Di e Gemeind e selbs t nenn t sic h vornehmlich wi e di e syrische n Christe n „Nazoräer " un d gib t dami t eine n Hinweis, da ß si e i m Lau f ihre r Geschicht e mi t de m syrische n Christentu m in Berührun g gekomme n ist . Ihr e Büche r sin d i m siebte n un d achte n Jahr hundert n . Chr. aufgezeichne t worden , wei l ma n unte r de r Herrschaf t de s Islam heilig e Schrifte n vorweise n mußte , wen n ein e religiös e Gemeinschaf t amtliche Anerkennun g finden wollte . Di e dari n aufbehaltene n Überliefe rungen abe r sind weit älterer Herkunft; wi e weit sie zurückreichen, ist jedoch im einzelne n nich t mi t Sicherhei t z u klären . Die Lehre de r Mandäe r sprich t davon , daß Gott , de r da s groß e Lebe n ist , im Lichtreic h wohnt . Unte r ih m befinde n sic h zahlreich e Zwischenwese n oder Uthras , die eine Mittlerrolle zwische n Got t un d de n Mensche n spielen . Das wichtigst e von ihne n wir d Hibil-Ziw a ode r häufi g auc h Mand a d'Haij e genannt, was so viel bedeutet wie Gnosis des Lebens. Während Ruh a un d di e Planeten, di e übe r di e Wel t regieren , verhinder n wollen , da ß di e Mensche n zur Erkenntni s gelangen , un d si e in Irrtu m gefangenzuhalte n suchen , bring t Manda d'Haij e ihne n di e recht e Erkenntnis , kraf t dere r si e sic h übe r ihr e Lage kla r werde n un d de n We g zu r Freihei t beschreite n können . Fü r di e Reise i n di e himmlisch e Heima t wir d di e Seel e ausgerüste t durc h di e Waschungen un d di e Taufe , i n de r si e di e Weih e empfängt . Taufe , ö l salbung un d Feie r de r Kommunio n werde n i n de r Gemeind e begangen , um di e Seele n z u stärke n un d si e zu r Himmelsreis e z u befähigen , d a nu r i n entschiedener Abkeh r von de r Welt di e Erlösung gewonnen werde n kann . Neben Mand a d'Haij e erschein t i n de n mandäische n Schrifte n auc h de r Name Johanne s de s Täufers al s eines Übermittler s de r zu r Erlösun g führen den Erkenntnis . Genauer e Analyse n de r Texte , di e Johanne s de n Täufe r erwähnen, habe n jedoc h ergeben , da ß sein e Gestal t ers t i n eine m spätere n Stadium de r Überlieferun g i n di e Traditio n eingefüg t worde n ist . Die Man däer mußte n i n islamische r Zei t nich t nu r heilig e Schriften , sonder n auc h einen Prophete n vorweise n könne n un d habe n sic h dan n au f Johanne s be rufen, von dem sie aus christlichen Erzählungen bereit s wußten. Unter keine n Umständen könne n dahe r di e Mandäe r al s spät e Nachfahre n eine r Grupp e angesehen werden , dere n Gründe r Johanne s de r Täufe r selbs t gewese n sei n könnte. Wohl abe r kann di e Geschichte der Gemeinde , soweit ihr e Züge au s

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ihrem Schrifttu m erhobe n werde n können , bi s zu ihrem Ursprun g i m Gebiet des Jorda n zurückverfolg t werden . Vermutlic h is t die mandäische Sekt e am Rand de s Judentum s entstande n un d gehör t i n de n Zusammenhan g de r verschiedenen Gruppen , di e durc h Tauf e un d Waschunge n di e heilige Gemeinde reinige n un d sammel n wollten . Gege n End e de s erste n ode r z u Anfang de s zweite n Jahrhundert s n.Chr . is t si e dan n nac h Mesopotanie n ausgewandert, ha t sich dor t niedergelasse n un d durch di e Jahrhunderte bi s heute erhalten . I n diese r lange n Geschicht e ha t si e vielerle i Einflüss e auf genommen. Zunächs t is t ihr e Lehr e i m Sin n gnostische r Weltanschauun g ausgebildet worden , dan n is t de r Taufritu s au f Grun d vo n Einflüsse n au s dem syrische n Christentu m ausgestalte t worden , un d in arabische r Zei t is t die mandäische Lehr e um solche Züg e erweiter t worden , di e man benötigte, um di e Auseinandersetzung mi t dem Mohammedanismus bestehe n z u kön nen. Träg t ma n die verschiedenen Schichte n ab , die sic h i m Lau f de r Zei t über de n ursprüngliche n Grundbestan d de r mandäische n Kulthandlunge n und ihre r Sinngebun g geleg t haben , s o kann ma n mit aller Vorsich t sagen , daß di e Entstehung de r Mandäer etw a i n dieselbe Zei t fällt wi e di e Anfänge des Christentums . Die Mythologie, die die mandäische Traditio n allmählic h in immer reichere m Maß e ausgebilde t hat , wird jedoc h nu r mit größter Vor sicht zum Vergleich neutestamentliche r Text e herangezoge n werde n dürfen . Nur s o weit , wi e di e dari n ausgesprochene n gnostische n Gedanke n auc h durch ander e zeitlic h siche r datierbar e Text e bezeug t werden , kan n ih r hohes Alte r mi t einiger Bestimmthei t behaupte t werden . Die ersten Christen , die in Palästina un d Syrien, bald abe r auch in andere n Teilen de r alte n Wel t da s Evangeliu m verkündigten , redete n di e Sprach e ihrer Zeit . Daher sin d seh r bal d auc h gnostisch e Motiv e aufgenomme n wor den, u m si e zur Verdeutlichun g de r christlichen Predigt z u verwenden . S o wird wiederhol t de r Gedanke ausgesprochen , da ß diese Wel t vo n dämoni schen Mächte n beherrsch t wird , da ß i n ih r finstere Gewalte n ih r Wese n treiben, di e eine unüberbrückbar e Trennun g zwische n Got t un d den Men schen aufrichte n wolle n (vgl . z.B. Rom. 8,38f.; 2.Kor.4,4 ; Joh . 12,31; 14,30 ; 16,11). U m vo n de n Herre n de s Kosmo s nich t vo r de r Zei t bemerk t z u werden, mußt e de r Erlöser verborge n un d unauffällig i n die Welt kommen ; „denn wen n si e ihn erkannt hätten , dan n hätte n si e den Herrn de r Herrlichkeit nich t gekreuzigt " (l.Kor.2,8) , wei l si e ebe n dadurc h sic h selbs t da s Urteil gesproche n haben . Da ß übe r all e Mensche n da s Todesgeschic k ver hängt ist , wird abe r nirgendw o i m Neue n Testamen t au f eine n schicksal haften Fal l de s Urmensche n zurückgeführt , sonder n di e Sünd e ka m vom Sündigen un d bleibt dahe r i n ihre m Vorhandensei n wi e auch i n ihre n Fol gen imme r Schul d de s Menschen (Rom . 5,12-21). Di e Erlösung kan n dahe r nicht wi e in de r Gnosi s au f ein e naturhaft e Verwandtschaf t vo n Got t un d Menschen gegründe t werden , di e auf ein e künftig e Vereinigun g hinstrebt , sondern allei n i n de r Vergebun g de r Sünden , di e u m Christ i wille n zu gesprochen wird , wir d di e Freiheit geschenkt .

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In manche n frühchristliche n Gemeinde n ha t sic h alsbal d gnostische s Selbstverständnis mi t christliche m Freiheitsbewußtsei n verbunde n un d i n dem stolze n Gefüh l dere r ausgesprochen , di e vom Geis t erfaß t un d getrage n sind. Ein derartiger Enthusiasmu s begegne t zuerst in der von Paulu s gegrün deten Gemeind e von Korinth , in de r die Pneumatiker de r Ansicht waren , di e Vollendung durc h de n Geis t bereit s erfahre n z u haben , s o da ß di e Heilszei t schon gegenwärti g se i (l.Kor.4,8) , au s de n Sakramente n vo n Tauf e un d Abendmahl unverlierbar e Kraf t ström e (l.Kor . 10,1-13) un d dahe r ein e künftige Vollendung , di e mi t de r Auferstehun g de r Tote n komme n sollte , nicht meh r z u erwarte n se i (l.Kor . 15,12). I n ihre m Überschwan g vertrate n sie di e Meinung , di e christlich e Freihei t kenn e kein e Grenzen , un d e s se i schlechthin alle s erlaub t (l.Kor.6,12 ; 10,23) . Wa s ma n mi t de m Lei b tu e und erfahre , se i gleichgültig , wei l e s allei n au f de n Geis t ankomm e (l.Kor . 6,12-20 u.ö.) . Paulu s beton t demgegenüber , da ß di e künftig e Vollendun g noch ausstehe , di e Freihei t nu r i m Gehorsa m geleb t werde n könn e un d daher de r Lei b de m Kyrio s z u eige n gehör e (l.Kor . 6,13). Wie i n de r korinthische n Gemeind e s o ha t e s auc h a n andere n Stelle n schon seh r frü h ähnlich e enthusiastisch e Erscheinunge n gegeben . Zwa r wir d in de n Auseinandersetzungen , di e Paulus mi t solche n Meinunge n vollziehe n muß, nirgendw o ei n ausgebildete r gnostische r Mythu s erkennbar ; abe r da s stolze Selbstverständnis , mi t de m ma n sic h vo n de r Wel t abkehrt , si e fü r gleichgültig häl t un d allei n di e Wirkungen de s Geiste s hoc h bewertet , weis t doch Züg e auf , wi e si e wenig späte r auc h i n literarischen Zeugnisse n gnosti scher Gruppe n ausgepräg t sind . Daher wird ma n sowoh l di e Schwärmer vo n Korinth al s auc h jen e Gruppe , di e i n de r Gemeind e vo n Philipp i auftrat , al s frühe Forme n christliche r Gnosis bezeichnen dürfen . Betone n di e einen volle r Überheblichkeit di e Erkenntnis , di e si e z u besitze n meine n (l.Kor . 8,1), s o verachten di e anderen alle s Irdische, indem si e sich unbedenklich ausschwei fendem Handel n hingeben , „wei l ih r Got t de r Bauc h ist , ih r Ruh m i n ihre r Scham is t und ih r Sinn auf da s Irdische geht" (Phil . 3,19). Auch i n Kleinasie n zeige n sic h scho n frü h meh r ode r wenige r stark e Einflüsse gnostische r Weltanschauun g un d Lebenshaltun g au f di e christ lichen Gemeinden . I n Kolossa e trate n Lehre r auf , di e Schut z vo r de n feind lichen Weltelemente n (Kol . 2,8.20) z u biete n versprachen . Dies e Welt elemente wurde n al s gewaltig e Engelwese n vorgestellt , di e nich t nu r di e kosmische Ordnun g bestimmen , sonder n auc h da s Geschic k de s einzelne n Menschen lenken . Dahe r könn e ma n - s o sucht e ma n de n Christe n einzu reden - sic h nu r s o z u ihne n i n da s recht e Verhältni s bringen , da ß ma n i n kultischer Verehrung die Satzungen befolgt, di e sie auferlegen. Da s bedeutet , daß ma n di e ausgesonderte n heilige n Zeite n - Festtag , Neumon d un d Sabbat - gena u beachte n mu ß (Kol . 2,16) un d bestimmt e Speise n un d Ge tränke, dere n Genu ß stren g untersag t ist , z u meide n ha t (Kol.2,21) . Dies e Lehre zeig t ein e eigentümlich e Verbindun g kosmologische r Spekulatione n mit gesetzliche n Zügen , di e jüdisch e Vorschrifte n einschärfen , un d beweist , daß nich t nu r i n Palästin a un d Syrien , sonder n auc h i n Kleinasie n ei n be -

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trächtlicher jüdische r Beitra g a n de r Ausbildun g frühe r Forme n gnostische n Weltverständnisses beteilig t war . Gegen End e de s erste n Jahrhundert s n.Chr . ware n di e christliche n Ge meinden i n Kleinasien weiterhin i n starkem Umfan g de m Einfluß gnostische r Vorstellungen ausgesetzt . Di e Pastoralbrief e müsse n mi t scharfe n Worte n Irrlehrer zurückweisen , di e meinen , di e Auferstehun g se i scho n geschehe n (2.Tim.2,18) un d ma n soll e der Welt entsagen , indem ma n sic h de r Eh e un d bestimmter Speise n enthäl t (1.Tim . 4,3). Un d i n de n Sendschreibe n de r Offenbarung de s Johanne s wir d di e Grupp e de r Nikolaite n erwähn t (Offb . Joh.2,6.16), di e offensichtlic h de r Überzeugun g war , ma n hab e di e Tiefe n des Satan s erkann t (Offb . Joh.2,24), un d au s diese r Erkenntni s di e Freihei t ableitete, unbedenklic h Götzenopferfleisc h esse n un d Hurere i treibe n z u können (Offb . Joh.2,14f.). Gnostisch e Einsich t is t als o mi t libertinistische r Ethik gepaar t - ei n typische r Zu g de r Gnosis , de r auc h i n de r Polemi k de s Judasbriefes gege n jene Leute hervortritt, die das Fleisch beflecken, über alle s lästern un d nac h ihre n gottlose n Lüste n wandel n (Jud . 8.10.18). Das ]ohannesevangelium un d di e Johannesbrief e stehe n i n deutliche r Front gege n gnostisch e Verfälschun g de s Evangeliums . D a dies e Schrifte n vermutlich i n Syrie n entstande n sind , belege n sie , da ß u m di e Jahrhundert wende auc h i n diese m Rau m di e Gnosis verbreite t gewese n sei n muß, so da ß die christlichen Gemeinde n sic h gegen si e wenden mußten . Gege n gnostisch e Verachtung de r Schöpfung un d de s Fleisches wird nachdrücklic h betont , da ß alles durc h de n Logo s geschaffe n wurd e un d de r Logo s Fleisc h wurd e (Joh . 1,1-3.14). Da ß de r Kosmo s i n de r Finsterni s liegt , is t nich t Folg e eine s schicksalbedingten Falles , sondern der Schuld, daß sie das Licht angenomme n haben (Joh . 1,5.10). I m 1 . Johannesbrie f wir d di e Gemeind e belehrt , de r rechte Geist bekenne, „Jesus Christu s se i im Fleisch gekommen " (l.Joh.4,2) . Dieser Sat z is t gege n ein e doketisch e Christologi e gerichtet , di e di e Wel t verachtet un d dahe r de n Christu s mi t ih r nich t i n Verbindun g bringe n will . Gegen di e Ansicht , e r se i nu r i n Verkleidung , abe r nich t wirklic h i n de r Gestalt menschliche n Fleische s i n de r Wel t erschienen , wir d mi t alle r Ent schiedenheit dara n festgehalten , da ß Christu s wahrhafti g Mensc h wurde , durch Wasse r un d Blu t gekomme n (l.Joh.5,6) , un d da ß daru m alle , di e z u ihm gehören , de n Brüder n i n Lieb e verbunden sind . Durch di e neutestamentliche n Schrifte n is t somi t siche r bezeugt , da ß di e Gnosis i n de r zweite n Hälft e de s erste n Jahrhundert s n . Chr. a n verschiede nen Stelle n mi t de r christliche n Verkündigun g zusammenstieß . Di e Ent stehung de r simonianische n Lehr e i n Samaria , di e alsbal d auc h nac h Ro m gelangte, di e Anfäng e de r mandäische n Taufbewegung , di e Erscheinun g schwärmerischer Überheblichkei t i n de n Gemeinde n vo n Korint h un d Philippi, di e Auseinandersetzun g mi t gnostische r Lehr e i n Kleinasie n un d Syrien gehöre n all e noc h i n da s erst e Jahrhunder t n . Chr. Obwoh l übe r di e Entstehung de r erste n christliche n Gemeinde n i n Ägypte n keinerle i Nach richten erhalte n sind , wir d ma n doc h mi t hohe r Wahrscheinlichkei t an nehmen dürfen , da ß di e frühchristliche Missio n scho n i n de r zweite n Hälft e

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des erste n Jahrhundert s n . Chr. auc h nac h Ägypte n gekomme n ist . Im zwei ten Jahrhunder t n . Chr. ha t e s dor t ein e ganz e Reih e christlich-gnostische r Gruppen gegeben . Dabe i wir d ma n vielfac h de n Unterschie d zwische n gnostischer Lehr e un d rechtgläubige m Bekenntni s nu r schwe r habe n aus machen können . Da ß di e Grenze n noc h lang e Zei t fließen d gewese n sei n müssen, bezeug t di e umfangreich e Bibliothe k christlich-gnostische r Texte , die 1945/4 6 i n Nag-Hammad i entdeck t wurde . Urchristlich e Überlieferung , wie sie in manchen Herrenworte n bewahr t wurde , ist im Thomasevangeliu m mit ausgesproche n gnostische r Absag e a n Schöpfun g un d Wel t au f eigen artige Weis e verbunden . Sprüch e un d Gleichniss e Jes u werde n a n manche n Stellen i n eine r For m überliefert , di e de n Fassunge n i n de n synoptische n Evangelien rech t nah e steht . Di e ganz e Spruchsammlun g wir d jedoc h unte r das Mott o gestellt : „We r de n richtige n Sin n diese r Wort e findet, wir d de n Tod nich t schmecken. " Gnostisch e Gedanke n werde n Jesu s i n de n Mun d gelegt, wen n e r vo m himmlische n Ursprun g de r Seele n spricht , z u de m si e wieder zurückkehre n sollen : „Seli g sei d ih r Einsame n un d Auserwählten , denn ih r werde t da s Reich finden ; ih r stamm t j a au s ih m (und ) werde t (folg lich) wiede r dorthi n zurückkehren " (Spr.49) . Ode r e s wir d i n typisc h gnostischer Weis e betont , di e recht e Einsich t vermittl e di e Erkenntnis , di e Auferstehung de r Tote n se i scho n geschehen : „Sein e Jünge r sagte n z u ihm : Wann wir d di e Auferstehun g de r Tote n folge n un d wan n wir d di e neu e Welt kommen ? E r sagt e z u ihnen : Wa s ih r erwartet , is t (schon ) gekommen , aber ih r erkenn t e s nicht" (Spr.51) . Erlöse r un d Erlöst e werde n eins : „Jesu s sagte: We r vo n meine m Mund e trinkt , de r wir d werde n wi e ich . Ic h abe r werde e r werden ; un d de m wir d sic h da s Verborgen e enthüllen " (Spr . 108). Daß gnostisch e Frömmigkei t i n echte r un d tiefe r Gläubigkei t lebe n un d sich ausspreche n konnte , zeig t i n eindrucksvolle r Weis e ein e Sammlun g vo n Hymnen, di e i m zweite n Jahrhunder t n.Chr . entstande n un d mi t de r Be zeichnung „Ode n Salomos " versehe n worde n ist . I n eine m diese r Liede r bringt de r Bete r seine n Dan k fü r di e widerfahren e Erlösun g zu m Ausdruck , indem e r alttestamentlich e Wendunge n mi t de r gnostische n Anschauun g verbindet, da ß de r Erlöst e eine n Lichtlei b anlegt , übe r de n di e Finsterni s keine Mach t ha t un d de r i n di e unvergänglich e Gemeinschaf t de r Licht welt hinaufgetrage n wird : „Meine Arm e ho b ic h empo r zu r Höhe , zur Gnad e de s Herrn , weil er mein e Fesseln abgestreif t ha t vo n mi r und mei n Helfe r mic h erhobe n ha t z u seine r Gnad e un d Erlösung . Ich zog die Finsternis au s und ta t da s Lich t an . Und e s wurden mi r Gliede r a n meine r Seele , in denen kein e Krankhei t ist , noch Qua l noc h Schmerzen . Und überau s hilfreic h wa r mi r de r Ratschlu ß de s Herr n und sein e unvergänglich e Gemeinschaft .

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Und ic h wurd e emporgehobe n i n da s Lich t und gin g vorübe r vo r seine m Angesicht . Und ic h ka m ih m nahe , indem ic h ih n prie s un d bekannte . Er ließ mei n Her z aufsprudeln , un d e s befand sic h i n meinem Mund e und is t aufgegange n au f meine n Lippen . Und gro ß wurd e au f meine m Antlit z de r Jube l übe r de n Herr n un d sein Preis . Halleluja!" (Od e 21 ) In de r Begegnun g mi t de r Gnosi s mußt e entschiede n werden , wi e di e christliche Botschaf t sachgemä ß auszusage n ist . U m da s Evangeliu m al s Antwort au f di e offene n Frage n de r Mensche n nac h de r Sinngebun g ihre s Lebens un d de r rettende n Erlösun g verständlic h z u machen , mußt e e s in de n ihnen geläufige n Worte n un d Vorstellunge n gepredig t werden . Abe r durc h die Aufnahm e ebe n diese r Wort e un d Vorstellunge n durft e doc h keinesfall s eine inhaltliche Veränderun g ode r ga r Verfälschung de r christliche n Verkün digung eintreten. Wie man de n Jude n ei n Jude un d de n Grieche n ein Griech e werden kann , ohn e dadurc h di e Wahrhei t un d Freihei t de s Evangelium s anzutasten, wa r i m einzelne n of t schwe r z u sage n un d konnt e ers t nac h langer un d bisweile n mühselige r Überlegun g entschiede n werden . Di e Herausforderung, di e die Gnosis fü r di e alte Kirche bedeutete, verlangte vo n ihr intensiv e Bemühun g u m rechte s Verstehe n un d recht e Auslegun g de r Christusbotschaft, di e si e alle n Mensche n - Jude n un d Grieche n - schuldet .

Schluß Die Menschen , di e i n de r Zei t de s Neue n Testament s lebten , ware n vo n Sorgen un d Hoffnungen , vo n Zweifel n un d Erwartunge n erfüll t wi e di e Menschen alle r Tage . Di e Jude n lebte n nac h de m Gesetz , da s di e eine n in unerbittliche r Streng e einzuhalte n suchten , di e andere n abe r mi t griechi schem Denke n i n Einklan g bringe n wollten . Unbeschade t alle r Vielfal t de r Gruppen un d Richtungen , di e e s i m Judentu m i n Palästin a un d i n de r Diaspora gab , ware n si e all e doc h i n de r Überzeugun g geeint , da ß Israe l das Geset z al s Gotte s gnädig e Gab e anvertrau t worde n war , u m ih m de n Weg zu m Lebe n z u weisen . Di e Hoffnung , mi t de r si e nac h de r kommende n Messiaszeit ausschauten , erwartete di e Vollendung i n Fortsetzung un d Über höhung dessen , wa s Israe l gegenwärti g bereit s i m Gehorsa m gege n Gotte s Gebot erfährt . Den n auc h de r Messia s würd e unte r de m Geset z lebe n un d die Gemeind e de r Heilszei t nac h seine n Weisunge n regieren . D a e r sic h i n Übereinstimmung mi t de m Geset z al s de r Gesalbt e Gotte s ausweise n muß , um di e Heilszei t heraufzuführen , schaute n di e Jude n nac h diese n Zeiche n aus, di e untrüglich Gotte s Wirke n erkenne n lasse n würden . Auch di e Grieche n stellte n di e Frag e nac h de m Heil . Di e Vielfalt , di e da s Bild de r geistige n un d religiöse n Vorstellunge n un d Bewegunge n i n de r

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Und ic h wurd e emporgehobe n i n da s Lich t und gin g vorübe r vo r seine m Angesicht . Und ic h ka m ih m nahe , indem ic h ih n prie s un d bekannte . Er ließ mei n Her z aufsprudeln , un d e s befand sic h i n meinem Mund e und is t aufgegange n au f meine n Lippen . Und gro ß wurd e au f meine m Antlit z de r Jube l übe r de n Herr n un d sein Preis . Halleluja!" (Od e 21 ) In de r Begegnun g mi t de r Gnosi s mußt e entschiede n werden , wi e di e christliche Botschaf t sachgemä ß auszusage n ist . U m da s Evangeliu m al s Antwort au f di e offene n Frage n de r Mensche n nac h de r Sinngebun g ihre s Lebens un d de r rettende n Erlösun g verständlic h z u machen , mußt e e s in de n ihnen geläufige n Worte n un d Vorstellunge n gepredig t werden . Abe r durc h die Aufnahm e ebe n diese r Wort e un d Vorstellunge n durft e doc h keinesfall s eine inhaltliche Veränderun g ode r ga r Verfälschung de r christliche n Verkün digung eintreten. Wie man de n Jude n ei n Jude un d de n Grieche n ein Griech e werden kann , ohn e dadurc h di e Wahrhei t un d Freihei t de s Evangelium s anzutasten, wa r i m einzelne n of t schwe r z u sage n un d konnt e ers t nac h langer un d bisweile n mühselige r Überlegun g entschiede n werden . Di e Herausforderung, di e die Gnosis fü r di e alte Kirche bedeutete, verlangte vo n ihr intensiv e Bemühun g u m rechte s Verstehe n un d recht e Auslegun g de r Christusbotschaft, di e si e alle n Mensche n - Jude n un d Grieche n - schuldet .

Schluß Die Menschen , di e i n de r Zei t de s Neue n Testament s lebten , ware n vo n Sorgen un d Hoffnungen , vo n Zweifel n un d Erwartunge n erfüll t wi e di e Menschen alle r Tage . Di e Jude n lebte n nac h de m Gesetz , da s di e eine n in unerbittliche r Streng e einzuhalte n suchten , di e andere n abe r mi t griechi schem Denke n i n Einklan g bringe n wollten . Unbeschade t alle r Vielfal t de r Gruppen un d Richtungen , di e e s i m Judentu m i n Palästin a un d i n de r Diaspora gab , ware n si e all e doc h i n de r Überzeugun g geeint , da ß Israe l das Geset z al s Gotte s gnädig e Gab e anvertrau t worde n war , u m ih m de n Weg zu m Lebe n z u weisen . Di e Hoffnung , mi t de r si e nac h de r kommende n Messiaszeit ausschauten , erwartete di e Vollendung i n Fortsetzung un d Über höhung dessen , wa s Israe l gegenwärti g bereit s i m Gehorsa m gege n Gotte s Gebot erfährt . Den n auc h de r Messia s würd e unte r de m Geset z lebe n un d die Gemeind e de r Heilszei t nac h seine n Weisunge n regieren . D a e r sic h i n Übereinstimmung mi t de m Geset z al s de r Gesalbt e Gotte s ausweise n muß , um di e Heilszei t heraufzuführen , schaute n di e Jude n nac h diese n Zeiche n aus, di e untrüglich Gotte s Wirke n erkenne n lasse n würden . Auch di e Grieche n stellte n di e Frag e nac h de m Heil . Di e Vielfalt , di e da s Bild de r geistige n un d religiöse n Vorstellunge n un d Bewegunge n i n de r

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hellenistisch-römischen Wel t aufweist , zeigt , wi e di e Mensche n de r alte n Welt nac h de m letzten Sin n ihres Lebens forschten. De r Weg, auf de m sie ihn zu finden hofften , wa r di e Weisheit . Denken d suchte n di e Philosophe n si e zu ergründen , u m da s Lebe n nac h ihre r Nor m gestalte n z u können . I n Mysteriengemeinschaften un d gnostisc h gesinnte n Kreise n abe r begrif f ma n sie al s ein e mystisch-ekstatisch e Erfahrung , di e de n Mensche n durc h gött liche Offenbarun g erfaß t un d z u neue m Lebe n verwandelt , da s übe r da s Vergehen hinausgehoben wir d i n die Höhen himmlische n Lichtes. Erkenntnis und Einsicht , di e Got t un d di e Welt , de n Mensche n un d sei n Geschic k be greifen lehren , sollte n de n Zugan g z u Rettun g un d Hei l auftun . „Die Jude n forder n Zeiche n un d di e Grieche n frage n nac h Weisheit " schreibt der Apostel Paulus -, „wi r abe r predige n de n gekreuzigten Christus , den Jude n ei n Ärgerni s un d de n Grieche n ein e Torheit " (l.Kor . 1,22f.). Fü r die Mensche n de r alte n Wel t war e s um nicht s leichte r al s für di e Mensche n unserer Tage , di e Botschaf t vo m gekreuzigte n Christu s al s di e Wahrhei t anzunehmen. Da s Wor t vo m Kreu z mußt e vielmeh r de n Jude n al s ein e Herausforderung erscheinen , di e de m Geset z schlechterding s widerstreitet , so da ß ma n sic h ärgerlic h abwendet . Un d di e Grieche n mußt e dies e Predig t als unsinniger Widerspruc h z u alle r Weisheit anmuten . Gotte s Weisheit abe r sieht ander s aus , al s di e Mensche n si e sic h vorstellten ; un d sein e Kraf t trit t nicht i n Zeiche n hervor , di e ihne n bestätigen , wa s si e scho n wußten . Allei n das Wor t vo m Kreuz , da s Jude n un d Grieche n gepredig t wird , eröffne t Rettung un d Hei l fü r alle , di e e s glaubend annehmen . De r gekreuzigt e un d auferstandene Christu s wir d daru m al s Gotte s Kraf t un d Gotte s Weishei t verkündigt; den n di e vermeintlich e Torhei t Gotte s is t - wi e Paulu s sag t allemal weise r al s di e Menschen , un d di e vermeintlich e Schwachhei t Gotte s ist allema l stärke r al s si e (l.Kor . 1,25).

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Literaturverzeichnis Textausgaben Ausgewählte Texte aus der jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt des Neuen Testaments in deutscher Übersetzung E.Kautzsch, Di e Apokryphen un d Pseudepigraphe n de s Alten Testaments , 2 . Aufl. 192 1 P. Billerbeck, Kommenta r zu m Neuen Testamen t au s Talmud un d Midrasch , I-IV , 1922 1928 P.Rießler, Altjüdische s Schrifttu m außerhal b de r Bibel , 192 8 ( = 1966 ) L. Goldschmidt, De r babylonisch e Talmud , 1 2 Bände, 1929-193 6 C. K. Barrett/C.Colpe, Di e Umwel t de s Neuen Testaments . Ausgewählt e Quellen , 195 9 / . Maier, Di e Texte vo m Tote n Meer , I. Übersetzung, II. Anmerkungen, 196 0 R.Mayer, De r babylonisch e Talmud , ausgewählt , übersetz t un d erklärt , 196 3 / . Leipoldt/W. Grundmann, Umwel t des Urchristentums II: Texte zum neutestamentliche n Zeitalter, 2 . Aufl. 1970 , 8.Aufl . 199 2 E.Hennecke/W.Schneemelcher, Neutestamentlich e Apokryphe n i n deutsche r Überset zung, I 6.Aufl. 1990 , II 5.Aufl. 198 9 W.G.Kümmel (Herausgeber) , Jüdische Schriften au s hellenistisch-römischer Zeit , 1973ff . H.G.Kippenberg/G.A.Wewers, Textbuc h zu r neutestamentliche n Zeitgeschichte , 197 9 K. Berger/C.Colpe, Religionsgeschichtliche s Textbuc h zu m Neue n Testament , 198 7 Zweisprachige Ausgaben: Urtext mit deutscher Übersetzung Die Mischna, Text , Übersetzung und ausführliche Erklärung , herausgegeben vo n (G . Beer und O.Holtzmann ) K.H.Rengstor f un d L.Rost , sei t 191 2 Der babylonische Talmud, hebräisc h un d deutsch , herausgegebe n vo n L . Goldschmidt, 9 Bände , 1925-193 6 Josephus, D e Bell o Judaico , De r Jüdisch e Krieg , zweisprachig e Ausgabe , herausgegebe n von O.Miche l un d O.Baurnfeind , 1959-196 9 Die Texte aus Qumran, Hebräisc h un d deutsch, herausgegeben vo n E.Lohse, 4. Aufl. 198 6 Kritische Ausgaben des Urtextes Septuaginta, Vetu s Testamentum Graecum auctoritate Societatis Gottingensis editum, seit 1926 Septuaginta, herausgegebe n vo n A.Rahlfs , 193 5 ( = 8.Aufl . 1965 ) Philonis Alexandrini Opera qua e supersunt, herausgegeben von L. Cohn und P. Wendland, 7 Bände , 1896-193 0 Philo von Alexandria, Di e Werke i n deutscher Übersetzung , herausgegeben vo n L. Cohn, I.Heinemann, M.Adler , W.Theiler , 7 Bände, 1909-193 8 ( = 1962 ; Ban d 7 , 1964 ) Flavii Josephi Opera, herausgegeben vo n B . Niese, 1887-189 5 Josephus, De r Jüdisch e Krieg , Jüdisch e Altertümer , deutsch e Übersetzun g vo n H.Cle mentz, 1899/190 0 Josephus, De r Jüdisch e Krieg , übertrage n un d eingeleite t vo n H . Endrös, 1965/66 Zu den Ausgaben der griechischen und lateinische n Autoren vgl . das Abkürzungsverzeich nis de s Theologischen Wörterbuch s zu m Neue n Testamen t Gesamtdarstellungen E. Schürer, Geschicht e de s jüdische n Volke s i m Zeitalte r Jes u Christi , 3 Bände , 4 . Aufl. 1901-1911 H.Preisker, Neutestamentlich e Zeitgeschichte , 193 7 R.Bultmann, Da s Urchristentu m i m Rahme n de r antike n Religionen , 2.Aufl . 196 2 J.Jeremias, Jerusale m zu r Zei t Jesu , 3 . Aufl. 196 3

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214

Eduard Lohse , Umwelt de s Neuen Testament s

K. Rudolph (Herausgeber) , Gnosis und Gnostizismus , 197 5 K.Rudolph, Di e Gnosis, 3.Aufl . 199 0 2. R.Reitzenstein, Poimandres , 190 4 ( = 1966 ) ]. Kroll, Di e Lehren de s Hermes Trismegistos, 191 4 E.Haenchen, Aufba u un d Theologi e de s Poimandres , Zeitschrif t fü r Theologi e un d Kirche 5 3 (1956) , S . 149-191 = Got t un d Mensch . Gesammelt e Aufsätze , 1965 , S. 355-377 3. W.Bauer, Rechtgläubigkei t un d Ketzere i i m älteste n Christentum , 193 4 ( = 1964 ) K. Rudolph, Di e Mandäer I, Prolegomena: Da s Mandäerproblem, 1959 ; II, Der Kult , 1961 ders., Theogonie , Kosmogonie und Anthropologie i n den mandäischen Schriften , 196 5 W. C. v. Unnik, Evangelie n au s dem Nilsand , 196 0 R.Bultmann, Theologi e de s Neuen Testaments , 6. Aufl. 1968 , S. 166-186: Gnostisch e Motive ( = 9 . Aufl. 1984 ) W.Foerster (mi t E.Haenchen un d M.Krause), Di e Gnosis I. Zeugnisse de r Kirchen väter, 196 9 M.Krause un d K.Rudolph, Di e Gnosis II. Koptische un d mandäisch e Quellen , 197 1 R.McL.Wilson, Gnosi s un d Neue s Testament, 197 1 K.-W. Tröger (Herausgeber) , Gnosi s un d Neue s Testament , 197 3 K.Beyschlag, Simo n Magu s un d di e christlich e Gnosis , 1974 . G. Lüdemann, Untersuchunge n zu r simonianische n Gnosis , 197 6 R.Macuch, 7MT Sprache un d Literatu r de r Mandäer , 197 6 W.Schmithals, Gnosi s un d Neue s Testament , in : Verkündigun g un d Forschun g 2 1 (1976), S . 22-46 O. Betz, Da s Problem de r Gnosi s sei t de r Entdeckun g de r Text e vo n Na g Hammadi , ebda. S. 46-80.

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Zeittafel 722 v. Chr . 587 v. Chr .

Zerstörung Samaria s durch di e Assyre r Zerstörung Jerusalem s durch di e Babylonie r 539 v. Chr . 333 v. Chr .

323 v. Chr . Ende de s 4. Jh. v . Chr . Wende vo m 3 . zum 2 . Jh . v. Chr .

Eroberung Babylon s durch Kyru s Sieg Alexander s d . Gr . über de n Perserköni g Darius III. bei Issu s Tod Alexander s d . Gr .

Palästina unte r ägyptischer Herrschaf t Palästina unte r syrischer Herrschaf t

Antiochus IV. König 175-164 v. Chr . von Syrie n 169 v. Chr .

Plünderung de s Jerusa lemer Tempel s durc h Antiochus IV.

167 v. Chr .

Kult de s olympische n Zeus i n Jerusale m

164 v. Chr .

Wiederherstellung de s Tempelkultus durc h Judas Makkabäu s

160 v. Chr .

Tod de s Juda s Makkabäus

153 v. Chr .

Jonathan Hoherprieste r

143 v. Chr .

Ermordung de s Jonatha n

140 v. Chr .

Ämter de s Hohenpriesters , Feldherrn un d Anführer s der Jude n de m Simo n erblich bestätig t

134 v. Chr .

Ermordung de s Simo n

134-104 v . Chr . Johannes Hyrka n 128 v. Chr .

Zerstörung de s samarita nischen Tempel s

107 v. Chr .

Eroberung un d Zerstörung Samaria s

104-103 v . Chr . Aristobul Köni g der Jude n 103- 7 6 v. Chr . Alexander Jannäu s König de r Jude n

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Zeittafel

216 76- 67 v. Chr. Salorri e Alexandr a Königin de r Juden , Streit zwische n ihre n Söhnen Hyrka n un d Aristobul 64/63 v. Chr. Pompeju s i n Syrie n und Palästin a

40- 3 7 v. Chr. Einfal l de r Parthe r nach Palästina , Antigonu s Hoherpriester un d Köni g der Jude n 37 v. Chr. Herode s erober t Jerusa lem 37- 4 v. Chr. Herode s Köni g der Juden

48 v. Chr. To d de s Pompeju s 44 v. Chr. Ermordun g Caesar s 42 v. Chr. Niederlag e de r Caesaren mörder be i Philipp i

31 v. Chr .

Sieg de s Octavia n übe r Antonius be i Actiu m

27 v. Chr .

Begründung de s Prinzi pats Octavian s

12 v. Chr .

Augustus pontife x maximus

2 v. Chr .

Augustus pate r patria e

4 v. Chr. 6 n. Chr .

Archelaus Ethnarc h i n Judäa, Idumä a un d Samaria

ab 6 n. Chr .

sein Gebie t unte r der Verwaltun g römische r Statthalter

4 v. Chr. 39 n. Chr .

Herodes Antipa s Tetrarch i n Galilä a und Perä a

14- 3 7 n. Chr . Tiberius

4 v. Chr. 34 n. Chr .

Philippus Tetrarc h im nördliche n Ostjordan land

3 7 - 4 1 n. Chr . Caligula

41-44 n. Chr. Herode s Agripp a König de r Jude n ab 44 n. Chr. gan z Palästin a unte r der Verwaltun g römische r Statthalter 52-60(1) n. Chr. Feli x Statthalte r in Palästin a 60(?)-62 n. Chr. Porciu s Festus Statthalte r in Palästin a 66-70 n. Chr. jüdische r Krie g

14 n. Chr .

Tod de s Augustu s

41- 5 4 n. Chr. Claudiu s

54- 6 8 n. Chr. Ner o

69- 79 n. Chr. Vespasia n

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Eduard Lohse , Umwel t de s Neue n Testament s 70 n. Chr . Eroberun g un d Zerstö rung Jerusalem s 73 n. Chr . Eroberun g de r Festun g Masada

132-135 n . Chr . Erhebung de r Jude n unter Ba r Kochb a

79- 81 n. Chr. Titus 81- 96 n. Chr. Domitian 96- 9 8 n. Chr. Nerva 98-117 n.Chr. Trajan 117-138 n. Chr. Hadrian 138-161 n. Chr. Antoninus Piu s 161-180n. Chr. Mark Aure l

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217

Register a) Namenregister Alexander d . Gr . 1 0 f., 145 , 16 0 Alexander Jannäu s 1 9 f., 5 4 Antigonus 2 3 Antiochus III. 12 Antiochus IV. 13 ff. Antoninus Piu s 15 3 Antonius 2 3 ff., 14 5 f. Antipater 2 1 Apollonius vo n Tyan a 16 7 f., 18 5 Aristobul 1 9 Aristobul II. 20 ff. Aqiba 3 5 f., 8 6 Aquila 96 Augustus sieh e Octavia n Bar Kochb a 35 , 14 0 f . Caesar 22 , 87 , 14 5 f., 16 1 Caligula 150 , 16 2 Claudius 15 0 f . Delphi 157 , 16 6 Domitian 15 2 f., 16 2 f . Epiktet 18 2 ff. Epikur 18 0 Esra 8 Felix 3 1 Festus 3 1 Gamaliel 8 5 Gessius Floru s 3 1 Hadrian 35 , 15 3 Hasmonäer 1 5 ff. Herodes 2 3 ff. Herodes Agripp a 30 , 15 0 Herodes Antipa s 2 8 f . Hillel 85 , 108 , 12 5 Hyrkan II. 20 ff. Jabne (Jamnia ) 34 , 8 5 f. Jason 1 3 f. J c huda 86 , 12 7 Jesus 28 , 5 7 f., 7 9 f., 105 , 125 , 141 , 15 0 Jesus Sirac h 9 1 Jischma'el 86 , 12 5 Jochanan b . Zakkai 8 5 f . Johannes de r Täufe r 29 , 79 , 104 , 14 9

Johannes Hyrka n 1 8 f. Jonathan 1 6 f., 7 1 Josephus 9 , 3 2 f., 51 , 53, 58 f., 87 , 10 1 ff. Judas 1 5 Kleanthes 18 0 Kyrus 7 f. Leontopolis 1 3 Makkabäer 1 5 ff. Mariamne 2 4 Mark Aure l 15 3 Masada 3 4 Mattathias 1 5 Menelaus 1 3 f. Nag-Hammadi 18 8 f., 20 4 Nehemia 8 Nero 15 1 f., 16 2 Nerva 15 2 Octavian 2 4 f., 14 5 ff., 16 1 f. Onias 1 3 Paulus 31 , 8 1 f., 98 , 12 5 f., 17 8 f., 20 6 Philippus 2 9 Philo vo n Alexandri a 9 7 ff. Phokylides 8 9 f. Plato 97 , 18 6 Plutarch 18 6 Pompejus 2 1 ff. Pontius Pilatu s 2 7 f. Ptolemäer 12 , 9 3 Salome Alexandr a 2 0 Samaritaner 9 f. Schammai 85 , 108 , 12 8 Seleukiden 1 3 Simon 1 7 f. Simon de r Magie r 19 8 f . Symmachus 9 6 Theodotion 9 6 Tiberius 14 9 Titus 3 2 ff., 15 2 Trajan 15 2 f . Vespasian 3 2 f., 152 , 16 2 Virgil 16 1 f. Zeno 18 0

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Register b) Sac register Mandäer 20 0 f. Adoniskult 17 6 f. Menschensohn 41 , 14 0 Allegorische Auslegun g 9 7 f., 125 , 18 1 Messias 57, 77, 13 7 ff. Anthropologie 7 0 f., 100 , 13 3 f., 18 0 f. , Mischna 12 7 ff. 190 ff., 19 5 f. Mithrasreligion 17 8 Äonenwende 4 5 Mysterienreligionen 17 1 ff. Apokalyptik 3 7 ff. Oden Salomo s 20 4 f. Astrologie 16 8 f. Passa 11 3 ff. Attiskult 17 7 Pfingsten 11 4 Auferstehung de r Tote n 40 , 56 f., 14 2 ff. Pharisäer 53 ff. Baruchapokalypse 4 9 Popularphilosophie 17 9 ff. Briefe 15 5 Predigt 91 , 12 0 f. Corpus Hermeticu m 19 4 ff. Priester 70ff. , U l f . , 139f . Damaskusschrift 6 6 f. Proselyt 9 0 Danielbuch 4 6 Psalmen Salomo s 2 1 f., 13 8 f. Diaspora 8 6 ff. Qumran 50 , 6 3 ff. Dionysuskult 17 3 f. Rechtfertigung 7 6 f., 8 1 Dualismus 4 2 f., 7 4 ff., 18 8 ff. Reinheit 54 , 60 , 10 7 Ehe 6 0 , 7 3 , 10 8 f., 15 8 Sabbat 7 3 f., 80 , 85 , 12 8 f. Engel 13 3 Sadduzäer 5 1 ff. Erziehung 15 8 Satan 38 , 13 3 Esraapokalypse 4 8 Schöpfung 7 4 f., 19 0 Essener 59 ff . Schriftgelehrte 8 2 ff. Exil 7 Septuaginta 9 2 ff. Familie 10 7 f., 15 7 f. Sibyllinische Orake l 8 9 Gebet 11 7 ff. Sklaven 108f. , 156f . Gemeinderegel 66 Städte 15 4 Genesis-Apokryphon 69 Steuern 87 , 15 6 Gericht 4 1 f., 13 3 Stoa 18 0 ff. Gnade 7 6 f., 13 6 f. Sühne 13 5 f. Gnosis 18 7 ff. Sünde 38 , 7 4 ff., 13 4 f. Götter de r Grieche n un d Röme r 16 3 ff. Synagoge 11 5 ff. Gottesbezeichnungen 95 , 99 , 13 2 f. Targum 12 0 Habakukkommentar 6 8 Talmud 12 9 f. Haggada 12 6 f. Tempel 8 f., 1 3 ff., 25, 7 0 f., 10 9 ff. Halaka 12 4 Tempel rolle 6 8 Heil 13 7 ff., 173 , 19 1 ff. Testamente de r zwöl f Patriarche n 4 9 f. Hellenisierung 1 0 ff., 8 6 ff., 145 , 1 > Therapeute n 6 2 179 ff. Thomasevangelium 20 4 Henochbücher 4 6 ff. Tod 3 8 Himmelfahrt de s Mos e 4 8 Tosephta 12 9 Isiskult 17 4 ff. Tradition 12 3 ff. Kaiserkult 15 2 f., 15 9 ff. Unsterblichkeit de r Seel e 89 , 14 4 Kanon 12 1 ff. Urmensch 19 0 ff., 19 5 f. Koine 15 4 Versöhnungstag 11 5 Kriegsrolle 6 7 f. Weisheitsliteratur 9 1 Kult 10 9 ff., 16 5 f . Wiedergeburt 197f . Kyniker 18 0 Wirtschaft 106f. , 156f . Landwirtschaft 10 7 Wissenschaft 15 9 Laubhüttenfest 11 5 Wunder 13 1 f., 16 7 f. Loblieder 67 Zauber 16 9 f. Logos 9 9 f. Zeloten 5 8 f. Mahlgemeinschaft 6 0 f., 7 3 Zöllner 56, 10 7 Zwischenreich 39 , 14 2

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219

220 Registe

r c) Register der neutestamentlichen Stellen

Matthäus 2,1

96 26 25

6,2 6,6

22 84 133 122 79 112 80 57 107 122 84 30 10 122 80 27

1,23

2,16 2,22 4,25 -5,1 5,3-10 5,17 5,21-48 Par. 5,23 f. 5,43 f. Par.

7,n

7,29 8,5-13 10,5f. 11,13 Par. 12,11 f. 14,9 17,24-27 18,10 18,14 18,15-17 20,1-16 20,2. 9 21,45 22,7 23,2 23,7f. 23,15 23,23 23,23-26 23,25f. 25,31-46 26,3. 47

Markus

l,3f. Par. 1,11 Par. 1,15 Par. 1,22 Par. 1,23-28 Par. 2,1-3,6 Par. 2,14-17 Par. 2,15 Par. 2,27 3,4 Par. 3,24 Par. 4,3-9 Par . 4,12 4,26-29

26f.

88. 112

133 133 81

107, 137

88 12 34 116 84 90 55 57 54 134 12

5,1-20 Par. 5,20 5,26 Par. 6,14-16 Par. 6,14 6,16 6,17-29 Par. 6,26 7,1-5 7,3 f. 7,31 8,27 Par. 9,7 Par. 10,33 Par. 11,15-19 Par. 11,18 Par. 11,27 Par. 12,17 Par. 12,18-27 Par. 12,26f. 12,38 Par. 12,39 Par. 12,41-44 Par. 13,1-27 Par. 13,1 Par. 13,14 Par. 13,22 Par. 14,1 Par. 14,12 Par. 14,12-17 Par. 14,18 Par. 14,22 Par. 14,22-25 Par. 14,26 Par. 14,43 Par. 14,55 Par. 15,7 Par. 15,27 Par.

79 133

Lukas 1-2

84

1,5

44.79 131. 168 57 f.

56 57 80 80 133 107 120 59

1,1-4 1,8 f. 1,19.26

2,1

2,14 1 2,24

3,1

4,16-30 4,20 4,21 4,25

131.133.168

22 11 29 27 57 28 27 57

54.56

22 29 133 12 110 12 12 59 52 125 84 84 111 44 109

14.30

44 12 113 114 11 11 81 114 12 12 28 28

95 103 26 112 133

6,15 6,20-23 7,1-10 7,36

9,9

9,51-56 10,25-28 10,27-35 10,30-37 10,31f. 10,37 11,7 11,32 Par. ll,37f. Par. 11,39 f. Par. 11,39-43 11,42 13,1 13,1-5 13,14 13,32 14,5 15,2 15,7. 10 15,8 15,10 16,1-8 16,29. 31 17,11-19 17,18 17,20 17,20 f. 18,9-14 18,12 19,43 f. 21,20 23,6-16 24,44 24,53

Johannes

5.156

80 112

5. 27. 149

120 116 120 126

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1,1-3 1,14 1,21 2,13-17

4,9

4,12 4,20 4,24 5,18

6,1

6,14 6,23

59 133 30 55

29.57

10 84 107 10 112 84 107 79 55 54 57 55 28 79 116 29 80 56 79 107 133 107 122 10 9 140 44

57. 134

55 33 33 29 122 112 203 203

140 '

110 9 10 10 10 36 28 140 28

221

Register 7,2 7,27 7,49 8,12 8,48 9,5 9,22 10,23 10,36 12,31 12,42 14,6 14,30 16,2 16,11 18,28 18,31 19,24.36 21,1

115 140 56 82 9 82 119 110 36 133. 201 119 82 201 119 201 80 27 80 28

Apostelgeschichte 59 1,13 114 2,1 2,44 f. 81 112 2,46 117 3,1 3,1-10 112 3,2 110 3,11 110 81 4,35 f. 5,1-11 81 5,34-40 58 5,36f. 58. 138 7,22 126 7,53 126 8,4-25 10 8,9f. 198 8,9-24 198 9,2 88 10,1 27 10,6 107 12,1-3 30 12,13-15 133 12,21-23 30 13,15 116 13,43. 50 90 14,11 f. 160 15,21 116 15,22.27.32 88 16,13 87 16,14 90 16,37 88 17,4 90 88 17,5-7.9 17,18 179

17,28 18,12 19,28 20,16 21,38 21,39 22,3 22,25-29 23,6-8 23,8 23,23. 33 24,24 24,27-26,32 25,13 27,9 27,14-44 28,21

89 147 164 114 58.138 88 84 88 58 52.57 27 21 31 31 115 155 88

8,6 9,6-23 9,9 9,24-27 10,1-13 10,4 10,11 10,20 f. 10,23 10,25-28 11,23 11,23-26

185 83 98 165 179. 202 126 80 165 202 165 124 81. 114

Römerbrief 1,17 1,18-32 1,19-23 1,20 3,21 3,21-31 4,3-8 5,12-21 6,1-5 6,12f. 8,38f. 11,36 12,2 13,1-7 13,12-14 14,10 16,21 16,22

14,16 15,3 15,3-5 15,12 16,8

118 124. 141 81 202 114

82 149 185 89 122 82 125 201 178 f. 81 201 185 44 185 81 44 88 155

2. Korintherbrief

1. Korintherb rief 1,12 1,20 l,22f. 1,25 2,8 4,8 4,12 4,13 5,6-8 6,12 6,12-20 6,13 7,17-24 7,18 8,1

179 44 206 206 201 202 83 165 113 202 202 202 185 13 202

1,19 4,4 5,10 5,17 11,24 11,25

88

133. 201 44 44 117 155

Galaterbrief 1,4 3,6 3,16 3,19 3,24 4,4f. 4,21-31 5,1-13 5,16-24 6,11

44 82 125 126 158 5 98 185 81 155

Epheserbrief 4,6

185

Philipperbrief 3,6 3,19

134 202

Kolosserbrief 1,15 2,8 2,16 2,17 2,20 2,21 3,18-4,1

186 202 202 186 202 202 185

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222

Register

1. Thessalonicherbrief

Philemonbrief

1,1 8 1,1-2,13 18 2,9 8

10-16 15

8 3

5

2. Thessalonicherbrief 1,1 8 3,8 8

8 3

1. Timotheusbrief 4,3 20

3

2. Timotheusbrief 2,18 20 3,8 12

3 6

7

Hebräerbrief 7,1-10,18 11 8,5 18 10,1 18 Jakobusbrief 3,1-5 18 5,17 12 1. Petrusbrief 5,12 8 1. Johannesbrief 4,2 20

5 6 6 5 6 8 3

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Judasbrief 8 20 9 48 10 20 14 f. 4 18 20 Offenbarung des

2,6

2,14 f. 2,16

11,1*. 12,7 17,14 19,16 20,1-10

7

3 . 126 . 13 3 3 3

Johannes

203 203 203 33 133 163 163 142

Inhalt Einführung 5 I. Teil: Da s J u d e n t u m i n de r Zei t de s N e u e n Testament s 1. Kapitel : Di e politisch e Geschicht e de s J u d e n t u m s i n de r helle nistischen Zei t 1. Palästina unte r de r Herrschaf t de r Perse r 7 2. Palästina unte r Alexande r d . Gr . un d de r Herrschaf t Ägypten s . 1 3. Palästin a unte r de r Herrschaf t Syrien s un d de r makkabäisch e Frei heitskampf 1 4. Das Königtu m de r Hasmonäe r 1 5. Palästina unte r de r Herrschaf t de r Röme r 2 6. Der jüdisch e Krie g un d de r Aufstan d unte r Ba r Kochb a . . . . 3

0 2 8 1 1

2. Kapitel : Religiös e Bewegunge n u n d geistig e Strömunge n i m J u d e n t u m zu r Zei t de s N e u e n T e s t a m e n t s a) Di e Apokalypti k 3

7

1. Die Grundstruktu r de r Apokalypti k 3 2. Das apokalyptisch e Schrifttu m 4 b) Gruppe n un d Gemeinschafte n i m palästinische n Judentu m . .

7 5 .5

1

1. Die Sadduzäe r 5 2. Die Pharisäe r 5 3. Die Zelote n 5 4. Die Essene r 5 5. Die Therapeute n 6 6. Die Gemeind e vo n Qumra n 6 7. Die Schriftgelehrte n 8

1 3 8 9 2 3 2

c) Da s Judentu m i n de r Diaspor a 8

6

1. Die jüdisch e Diaspor a i n de r hellenistische n Wel t 8 2. Die Septuagint a 9 3. Philo vo n Alexandri a 9 4. Josephus 10

6 2 7 1

3. Kapitel : Jüdische s Lebe n u n d jüdische r Glaub e i n de r Zei t de s N e u e n Testament s 1. Die soziale n Verhältniss e de r Jude n i n Palästin a un d i n de r Dia spora 10

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525513606 — ISBN E-Book: 9783647513607

6

Inhalt

224

2. Der Tempelkul t i n Jerusale m 10 3. Di e Fest e 11 4. Di e Synagog e 11 5. Schrift, Geset z un d Traditio n 12 6. Gott un d Mensc h 13 7. Das zukünftig e Hei l 13

9 3 5 1 0 7

II. Teil: Di e hellenistisch-römisch e Umwel t de s N e u e n Testament s 1. Kapitel : Politi k u n d Gesellschaf t i m Römische n Reic h i m erste n J a h r h u n d e r t n . Chr . 1. Das Römisch e Reic h unte r de r Herrschaf t de r Caesare n . . . . 14 5 2. Die soziale n Verhältniss e i m Römische n Reic h i m erste n Jahr hundert n . Ch r 15 3 3. Der Kaiserkul t 15 9 2. Kapitel : Religiös e Bewegunge n u n d geistig e Strömunge n i n de r hellenistisch-römischen Wel t zu r Zei t de s N e u e n Testament s 1. Die Götte r de r Grieche n un d Röme r 16 2. Volksglaube un d Schicksalsvorstellun g 16 3. Die Mysterienreligione n 17 4. Die Popularphilosophi e 17

3 7 1 9

3. Kapitel : Di e Gnosi s 1. Die Grundstruktu r de r Gnosi s 18 2. Das Corpu s Hermeticu m al s Zeugni s vorchristliche r Gnosi s . . 3. Die Ausbreitun g de r Gnosi s i m erste n Jahrhunder t n . Ch r . . .

7 19 4 19 8

Schluß 20

5

Literaturverzeichnis 20

7

Zeittafel 21

5

Register 21

8

a) Namenregiste r 21

8

b) Sachregiste r 21

9

c) Register de r neutestamentliche n Stelle n 22

0

Anhang: 2 Karte n u n d 2 Übersichte n a

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