Im ersten Teil der Abhandlung soll mit P.F. Strawson (und über ihn hinaus) der These das Wort geredet werden, dass unser
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German Pages VIII, 240 [240] Year 2020
Table of contents :
Front Matter ....Pages I-VIII
Front Matter ....Pages 1-1
Vorrede (Daniel Schwab)....Pages 3-4
Vorbemerkungen zur Methode (Daniel Schwab)....Pages 5-12
Überblick über den Gedankengang (Erster Teil) (Daniel Schwab)....Pages 13-24
Überblick über den Gedankengang (Zweiter Teil) (Daniel Schwab)....Pages 25-38
Front Matter ....Pages 39-39
Ein kurzer Problemaufriss und einige erste Implikationen (Daniel Schwab)....Pages 41-50
Determinismus von Gottes Gnaden und der klassische Kompatibilismus (Daniel Schwab)....Pages 51-62
Carnaps Metaphysikkritik und ihre Folgen für die Freiheitsfrage (Daniel Schwab)....Pages 63-76
Strategiewechsel? (Daniel Schwab)....Pages 77-86
Optimismus in Sachen Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Praxis (1) – Wolf Singer (Daniel Schwab)....Pages 87-95
Optimismus in Sachen Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Praxis (2) – P. F. Strawson (Daniel Schwab)....Pages 97-110
Ein verbliebenes Desiderat (Daniel Schwab)....Pages 111-122
Eine überraschende Wendung (Daniel Schwab)....Pages 123-132
Front Matter ....Pages 133-133
Kant über das Problem der Vereinbarkeit zwischen Freiheit und Determinismus (1) (Daniel Schwab)....Pages 135-150
Über die Vereinbarkeit der Kantischen Raum-Zeit-Lehre mit der Allgemeinen Relativitätstheorie und ein mögliches Problem für die Notwendigkeit der (kategorialen) fundamen-talobjektivierung (Daniel Schwab)....Pages 151-167
Determinismus, Kausalität und Objektivität (Daniel Schwab)....Pages 169-180
Das An-sich-Seiende und sein Sinn bei Kant (Daniel Schwab)....Pages 181-194
Kant über das Problem der Vereinbarkeit zwischen Freiheit und Determinismus (2) (Daniel Schwab)....Pages 195-206
Das An-sich-Seiende in seinem Setzungscharakter und die Unergründlichkeit der Moralität unserer Handlungen (Daniel Schwab)....Pages 207-219
Die Autonomie des Willens (Daniel Schwab)....Pages 221-235
Back Matter ....Pages 237-240
Daniel Schwab
Umwege zur Freiheit Determinismus, Moral und der freie Wille
Umwege zur Freiheit
Daniel Schwab
Umwege zur Freiheit Determinismus, Moral und der freie Wille
Daniel Schwab Mannheim, Deutschland Vorliegendes Buch ist die geringfügig überarbeitete Fassung einer Dissertation, die im Spätsommer 2019 von der Philosophischen Fakultät Heidelberg angenommen wurde.
ISBN 978-3-662-62208-7 ISBN 978-3-662-62209-4 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Carina Reibold J.B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Für Otto
Inhaltsverzeichnis
Teil I
Einleitung
1
Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
2
Vorbemerkungen zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
3
Überblick über den Gedankengang (Erster Teil) . . . . . . . . . . . . . . . .
13
4
Überblick über den Gedankengang (Zweiter Teil) . . . . . . . . . . . . . . .
25
Teil II
Erster Teil
5
Ein kurzer Problemaufriss und einige erste Implikationen . . . . . . .
41
6
Determinismus von Gottes Gnaden und der klassische Kompatibilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
Carnaps Metaphysikkritik und ihre Folgen für die Freiheitsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
8
Strategiewechsel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
9
Optimismus in Sachen Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Praxis (1) – Wolf Singer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
10 Optimismus in Sachen Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Praxis (2) – P. F. Strawson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
11 Ein verbliebenes Desiderat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
12 Eine überraschende Wendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
7
VII
VIII
Teil III
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil
13 Kant über das Problem der Vereinbarkeit zwischen Freiheit und Determinismus (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
14 Über die Vereinbarkeit der Kantischen Raum-Zeit-Lehre mit der Allgemeinen Relativitätstheorie und ein mögliches Problem für die Notwendigkeit der (kategorialen) fundamen-talobjektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
15 Determinismus, Kausalität und Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
169
16 Das An-sich-Seiende und sein Sinn bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181
17 Kant über das Problem der Vereinbarkeit zwischen Freiheit und Determinismus (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195
18 Das An-sich-Seiende in seinem Setzungscharakter und die Unergründlichkeit der Moralität unserer Handlungen . . . . . . . . . . .
207
19 Die Autonomie des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237
Teil I Einleitung
1
Vorrede
Der Titel dieser Abhandlung, „Umwege zur Freiheit“, ist in mehrfacher Hinsicht Programm. Wir werden, dies das eine, immer wieder mal kleinere, mal auch größere Um- und Abwege gehen bei unserem Versuch der Freiheitsbegründung, vor allem aber diesen: Nachdem wir uns die Begründungslasten vor Augen geführt haben werden, die im Zuge eines solchen Unterfangens abzuarbeiten wären, werden wir, anstatt uns mutig ans Werk zu setzen, von unserem primären Ziel zunächst Abstand nehmen und sehen, ob wir ein anderes Ziel – die Begründung von Moral –, welches für gewöhnlich das Hauptinteresse derer darstellt, die sich in Freiheitsbeweisen üben, nicht auch auf anderen Wegen, ohne Freiheit, erreichen können. Dass eben dieser (vermeintliche) Abweg sich unter der Hand als unerwartet fruchtbar für unser ursprüngliches Ziel erweisen und somit in der Tat einen Umweg zur Freiheit darstellen wird, bildet die eine (und hauptsächliche) Grundlage für die Wahl des Titels. Darüber, wie es hierbei im Einzelnen zugeht, wird der erste Teil der nachfolgenden Abhandlung Auskunft geben. Zudem wird es, dies das nächste, nötig sein, Freiheit, wo wir ihr bzw. ihrer Möglichkeit tiefer auf den Grund gehen wollen, einen Status zuzuerkennen, der wesentlich, wenn auch freilich nicht allein, auf einer Abstraktion beruht, nämlich der von der (raum-zeitlichen) Objektivität der Objekte. So werden wir auf eine ‚Ordnung der Dinge‘ geführt werden, die sich prinzipiell jeglicher Möglichkeit der ‚gewöhnlichen‘, nämlich beschreibenden (oder erklärenden), Erkenntnis entzieht. Auch daher – weil wir die Dinge (eigentlich nur unsere Sicht auf dieselben) in dieser Weise werden ‚aufspalten‘ und auf die ‚dunkle Seite‘ derselben ausweichen müssen, um zur Freiheit zu gelangen, ein Dunkel, das es wiederum in ganz eigener Weise aufzuhellen gilt –, erhält der Titel „Umwege zur Freiheit“ seine Rechtfertigung. Darüber, wie es hierbei im Einzelnen zugeht, wird der zweite Teil der nachfolgenden Abhandlung Auskunft geben. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_1
3
4
1 Vorrede
Nicht zuletzt erhält der Titel auch aus der Entstehungsgeschichte dieser Arbeit seine Rechtfertigung. Ursprünglich sollte dies ein Werk zu Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft werden, welche, wie Kenner wissen, zwar durchaus in vielerlei Hinsicht mit dem Freiheitsthema in Verbindung gebracht werden kann, dasselbe jedoch eher nicht zum hauptsächlichen Gegenstand hat – und so wollte auch ich es ursprünglich halten. Nun ergibt eine Arbeit zu Kants Dritter Kritik nur wenig Sinn, wenn man nicht auch wenigstens ein paar einführende Worte zu Kants philosophischem Programm verliert, wie er es in seinen ersten beiden Kritiken aufgezogen hat, und es schien mir angebracht, dies auch, wenn auch nicht nur, anhand von Kants Freiheitskonzeption zu leisten. So wie die Zeit ins Land ging, waren nun aber doch sehr viele Worte hierüber und nur sehr wenige zur Kritik der Urteilskraft verloren, ein Umstand, den ich mir schließlich zum Anlass genommen habe, meine Konzeption zu überdenken und Freiheit zum hauptsächlichen Gegenstand meiner Arbeit zu machen. Ich hoffe sehr – auch wenn ich nicht so recht daran glauben mag –, dass diese (und weitere) Änderung(en) an der Konzeption nicht allzu tiefe Spuren zuungunsten des Gesamteindrucks hinterlassen hat bzw. haben. Zwischenzeitlich hatte ich mich sogar (fast) gänzlich von einer Darstellung Kantischer Theorieelemente verabschieden wollen. In dieser Zeit ist der erste Teil der vorliegenden Arbeit entstanden, in der Kant in der Tat mit kaum einem Wort erwähnt wird. In diesem Zuge hatte ich mich in recht intensive Studien der – der Sache nach Kantisch geprägten und doch von Kants Argumentation weitgehend unabhängigen – Philosophie von Anton Friedrich Koch vertieft, auch Donald Davidson, allem voran dessen Begriff davon, was eine Sprache ist (und was nicht), rückte mehr und mehr in das Zentrum meiner Aufmerksamkeit – mein Thema, Freiheit, indessen wiederum ein wenig aus demselben heraus –, und zu beiden hatte ich auch schon weit mehr niedergeschrieben, als der Text, wie er nun vorliegt, erahnen lässt. Daher war, sobald mir klar wurde, dass ich meine neuerlichen Studien in der Zeit, die ich mir noch gegeben hatte, kaum zu einem guten Ende würde bringen können, eine Änderung der Konzeption angebracht, die mich schließlich wieder zu Kant zurückgeführt hat. Der zweite Teil der Abhandlung stellt zum größten Teil eine Aufbereitung der Ergebnisse dar, die ich mir zuallererst erarbeitet habe, noch bevor mir klar wurde, dass Freiheit zum zentralen Thema meiner Dissertation werden würde. Sie wurden, wenn man so will, über Umwege der Freiheit zugeführt.
2
Vorbemerkungen zur Methode
Der Gegenstand, dem wir uns in der Hauptsache widmen werden, Freiheit, ist in verschiedener Ausgestaltung in allen Bereichen des menschlichen Lebens präsent. Er kann zum Beispiel künstlerisch beschrieben oder besungen werden, in Form von Rechtsnormen auf verschiedene Bereiche des Lebens, etwa Wahlen, Religionsausübung, Kunst oder Meinungsäußerungen, bezogen, garantiert und in Gerichtsprozessen nachher wiederum verhandelt werden, oder er kann als ein politisches (oder auch ganz individuell-persönliches) Desiderat auftreten, für deren Anerkennung – rechtlich oder gesellschaftlich (oder auch nur bei der eigenen Ehefrau) – in Wort und Tat, auch künstlerisch, gestritten werden kann. Wer nun, zum Beispiel als politischer Aktivist, für etwas streitet, hat einen (mehr oder weniger) bestimmten Begriff davon, für was er streitet. Dieser Begriff – dieses Verständnis – kann wiederum zum Gegenstand genommen und daraufhin untersucht werden, was er, bei genauerer Betrachtung, im Einzelnen in sich befasst, d. h. er kann zum Gegenstand der Begriffsanalyse gemacht werden. Diese Methode, die Begriffsanalyse, ist nur schwer (falls überhaupt) trennscharf von der Methode der Sprachanalyse zu unterscheiden, weil natürlich auch diese zuletzt darauf ausgeht, was mit einem bestimmten Wort oder einem Satz – besser übrigens: einer Wort- oder Satzäußerung (s. u.) – gemeint ist, das heißt, was darunter verstanden (begriffen) wird, und umgekehrt auch die Begriffsanalyse, falls überhaupt, nur schwerlich überhaupt ansetzen kann, wo sich kein sprachlicher Ausdruck des zu untersuchenden Begriffs findet. Eine Begriffsanalyse, wie ich sie hier verstehe, ist, auch wenn sie gelegentlich im Gewand der Sprachanalyse auftreten mag – jedenfalls sprachlich (im engeren Sinne, also nicht malerisch, musisch oder gestisch) vermittelt werden wird –, ist allerdings nicht zu verwechseln mit einer Angabe (und Analyse) von Wortbedeutungen (und in diesem Sinne Begriffen), so wie sie im Lexikon zu finden oder einer anderen mehr oder weniger gebräuchlichen Sprechkonvention zu entnehmen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_2
5
6
2 Vorbemerkungen zur Methode
sind. Sofern unter „Sprach-“ oder „Begriffsanalyse“ diese Tätigkeit verstanden wird, mag sie ihren guten Sinn in historischen, linguistischen oder soziologischen Kontexten haben, doch für philosophische Zwecke ist sie unbrauchbar. Zum Verständnis indessen von beliebigen sprachlichen Äußerungen ist sie, wie Davidson gezeigt hat, zwar überaus hilfreich, aber weder hinreichend noch überhaupt notwendig. Warum dem so ist, ist im Grunde einfach erklärt.1 Menschen sprechen nun einmal, abhängig von ihrer Erziehung, ihren sprachlichen und anderweitigen Kompetenzen, sonstigen Erfahrungen und nicht zuletzt auch in Rücksicht auf die jeweiligen Umstände, unter denen sie das Wort erheben (in einer Vorlesung an der Universität oder beim Fußballspielen unter Freunden), ganz individuell und unterschiedlich und es wäre geradezu verrückt, anzunehmen, als Interpret könne man sich bei all diesen unterschiedlichen Sprechsituationen jeweils (allein) auf eine (sei es auch inoffizielle, subkulturelle) Sprechkonvention verlassen. (Und wer sich dem ungeachtet unverdrossen rigide auf eine bestimmte Konvention beruft, handelt sich unter seinen Gesprächspartnern bald den Ruf der Unverständigkeit, und je nach vorausgesetztem Bildungsgrad für die angelegte Konvention vielleicht auch den des (Sprach-)Elitarismus, ein.) Die Bedeutung einer Äußerung, das heißt der Begriff oder das Verständnis, der bzw. das durch die Äußerung mitgeteilt wird, ergibt sich in der kommunizierenden Praxis und hat nur insofern Bestand, als von ihr sprechend und hörend (oder schreibend und lesend) Gebrauch gemacht wird, mit anderen Worten: Die Bedeutung eines bestimmten Wortes oder Satzes, unabhängig von seiner (raum-zeitlichen) Äußerung, gibt es nicht bzw. sofern es sie geben mag, ist sie nicht unbedingt kommunikationsrelevant.2
1 Ich
gebe im Folgenden nur die grobe Stoßrichtung der Davidsonschen Überlegungen wieder, die hier im Einzelnen nicht entfaltet werden können. Zu näherem vgl. Davidson (2008 [7. Eine hübsche Unordnung von Epitaphen]) und, in Verteidigung der Thesen des ersten Aufsatzes gegen Dummett, ders. (2008 [8. Der soziale Aspekt der Sprache]). 2 Vgl. Davidson 2008 [8.], S. 199: „Die Bedeutung – in dem speziellen Sinn, der uns interessiert, wenn wir von dem reden, was eine Äußerung buchstäblich bedeutet – empfängt ihr Leben aus jenen Situationen, in denen jemand beabsichtigt (oder annimmt oder erwartet), daß seine Worte in bestimmter Weise verstanden werden, und in denen sie wirklich so verstanden werden. In solchen Fällen können wir ohne zu zögern sagen: Wie der Sprecher verstanden werden wollte und wie er verstanden worden ist, das ist die von ihm und mit seinen Worten bei dieser Gelegenheit gemeinte buchstäbliche Bedeutung. Daneben gibt es noch viele weitere Lesarten des Begriffs der (buchstäblichen, sprachlichen) Bedeutung, doch die übrigen sind von der hier genannten abhängig. „[…] [E]s ist das Verstehen, das der Bedeutung Leben verleiht, und nicht umgekehrt“. [Hier und in der Folge sind sämtliche Hervorhebungen innerhalb von Zitaten, sofern nicht anders gekennzeichnet, von mir getätigt.]
2 Vorbemerkungen zur Methode
7
Aus diesen Überlegungen lassen sich meines Erachtens einige interessante Folgerungen ziehen. Zum Beispiel scheint mir die These von der Abhängigkeit von Bedeutungen von der (gelungenen oder wenigstens möglicherweise gelingenden) kommunizierenden Praxis äquivalent zu einer These, die Davidson in einem anderen Aufsatz vertritt, nämlich die, dass es keine Begriffsschemata geben kann (auch nicht im Singular),3 die ja die Möglichkeit der bedeutungsvollen, aber (wenigstens teilweise) nicht kommunizierbaren Rede einschließen würden. Des Weiteren ließen sie sich vielleicht auch zu der These zuspitzen, dass die Bedeutung einer Äußerung letztlich in einem nicht-metaphorischen, buchstäblichen Sinne an den (nahen wie fernen) raum-zeitlichen Äußerungsumständen abgelesen werden kann (und muss), womit nicht zuletzt auch, sofern Bedeutungen immer (auch) Bewusstseinszustände sind, die nur auf den ersten Blick etwas seltsam anmutende These vom über die raum-zeitlichen Grenzen des Gehirns und sogar des menschlichen Körpers ausgedehnten Bewusstsein verbunden werden könnte. Aber all dies sei hier nur im Vorbei gehen erwähnt, worauf es mir an dieser Stelle ankommt und weswegen ich dies Thema – Bedeutungen – überhaupt angerissen habe, ist dies: Was für Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke gilt, gilt auch für (unausgedrückte) Begriffe. Begriffe mögen sich von dem je spezifischen Begreifen (also einem konkreten Bewusstsein) abstrahieren und insofern (quasi-)unabhängig machen und ‚entspezifizieren‘ lassen – als Theoretiker machen wir von dieser Möglichkeit massiven Gebrauch –, doch einen realen, (potentiell, nämlich in Form von Äußerungsbedeutungen) kommunikationsrelevanten Bestand haben sie nur in und durch jenes spezifische Begreifen. Das heißt insbesondere, dass es Begriffe nicht in Form von selbstständig, d. h. bewusstseinsunabhängigen Entitäten geben kann, weder als Universalien (im ontologischen Sinne), noch als „drittes Reich“ (im Fregeschen Sinne) – und sofern dies alles sein sollte, was W.V. Quine mit seiner Bedeutungsbzw. Propositionskritik zum Ausdruck bringen wollte,4 können wir ihm auch vorbehaltlos beispringen. Aber jenen, wenngleich überaus flüchtigen, realen Bestand haben sie – und sofern Quine auch diesen leugnen wollte, ich verstehe ihn in dieser Sache offen gestanden schlicht nicht, gälte es, ihm entsprechend entgegenzutreten. Ein Begriff – in seiner spezifischen Konkretion – ist ein Verständnis von etwas als etwas. Ein solches Verständnis, so wie es etwa unser 3 Vgl.
Davidson 1974. etwa Quine 1986, S. 8: „The uncritical acceptance of propositions as meanings of sentences is one manifestation of a widespread myth of meaning. It is as if there were a gallery of ideas, and each idea were tagged with the expression that means it; each proposition, in particular, with an appropriate sentence“.
4 Vgl.
8
2 Vorbemerkungen zur Methode
politischer Aktivist von der Freiheit haben mag, für die er streitet, ist zwangsläufig sehr viel reichhaltiger als das, was sich durch das divide et impera der theoretischen Abstraktion an ihm festmachen lässt; es wird sich auch niemals völlig decken mit dem Verständnis seiner Mitstreiter und von Zeit zu Zeit wird es sich, etwa in der Diskussion mit denselbigen oder durch anderweitige Erfahrungen, auch ändern. Begriffe befinden sich, wie das jeweilige Bewusstsein, in dem sie verankert sind, in einem beständigen Fluss und auch untereinander verwoben, sodass sie sich schwerlich je trennscharf werden voneinander isolieren lassen können. Was ich, in dem Augenblick, da ich dies hier schreibe, unter Freiheit verstehe, hängt, zugespitzt ausgedrückt, auch davon ab, in welcher Reihenfolge ich heute morgen meine Socken angezogen habe (sofern dies sich, was wahrscheinlich ist, in irgendeiner Form in meinem Bewusstsein festgesetzt hat) oder wie ich zum Syrienkonflikt stehe (und umgekehrt). Im Grunde gibt es immer nur je einen – oder Einen – Begriff, nämlich das jeweilige Bewusstsein einer Person – und insofern schließen wir uns auch bereitwillig einem Theorienholismus a là Quine an, dem zufolge gilt: „It is only the theory as a whole, and not any one of the hypotheses, that admits of evidence or counter-evidence in observation and experiment“ (Quine 1986, S. 5). Aber das bedeutet, anders als Quine offenbar meint (s. u.), nicht, dass es nicht auch gewisse Randbedingungen gäbe, unter denen ein bestimmter Begriff – und damit letztlich das ganze Bewusstsein als solches, sofern dieser Begriff in ihm verankert ist – stünde, die nicht zur Disposition stehen in dem Sinne, dass sie Bedingungen (gleichfalls begrifflicher Natur) darstellen, die mitgedacht werden müssen, sobald jemand etwas zum Beispiel als Freiheit fasst, gleich wie dieser Begriff sich im Einzelnen sonst ausgestalten mag. So mag jeder, gemäß seiner je individuellen Erfahrung, einen Begriff von Freiheit haben, der mit dem keines anderen Menschen übereinstimmt, und mögen sich doch an demselben Züge (oder Merkmale) aufweisen lassen, die allen – und sogar allen möglichen – Menschen gemein sind. Solche Züge auszuweisen ist das genuine Geschäft der philosophierenden Zunft und dem wollen wir uns widmen. Die diesem Zweck angemessene Methode ist die bereits angesprochene Begriffsanalyse, die im Übrigen immer auch eine begriffliche Analyse ist, wobei sich Gegenstand und Handwerkszeug letztlich gar nicht recht voneinander trennen lassen, das Prozedere also von vornherein durch eine unhintergehbare Selbstbezüglichkeit charakterisiert ist. To be sure (wie es im angelsächsischen Sprachraum so schön heißt und mir mit „um sicherzugehen“ nur leidig übersetzt zu sein scheint): Wir – das heißt wir alle, die diesen Text hier lesen (oder schreiben) – gehen jene Prozedur dabei als eine Selbstanalyse an, die aber, sofern jedenfalls, wie
2 Vorbemerkungen zur Methode
9
sie erfolgreich sein wird, in sich ausgreift auf alle anderen wirklichen und möglichen (und, was die Verstorbenen betrifft, nach aktuellen Hochrechnungen auch etwa 100 Milliarden mittlerweile unmöglichen) Leser. In diesem Sinne verstehen wir die Philosophie als ein Lehnstuhlgeschäft, wie auch Quine selbst es übrigens de facto betrieben hat, auch wenn er es den Lehnstuhlliebhabern seinerzeit im Prinzip hat streitig machen wollen. Auch Quine erkennt ja gewisse, etwa logische oder mathematische Randbedingungen der Theoriebildung – und damit, wie wir sagen können, des begreifenden Bewusstseins – an, meint ‚nur‘, dass diese nicht absolut unverhandelbar sind, sondern nur relativ zu anderen Überzeugungen, mit denen diese Randbedingungen eng verwoben sind, wobei die Folgen ihrer Nicht-Anerkennung mitunter überaus drastisch sein können, wie er in Bezug auf die Prinzipien der klassischen Logik herausstellt: Der Satz vom Widerspruch etwa lässt sich gar nicht effektiv leugnen, da man dabei von einer Operation, der (klassischen) Verneinung, Gebrauch machen müsste, die sich nur konzipieren lässt, wenn der Satz vom Widerspruch als gültig anerkannt wird. Was der ‚Gegner‘ des Satzes vom Widerspruch stattdessen vornimmt, wenn er versucht, sich gegen denselben zu stellen, ist ein (ziemlich radikaler) Themenwechsel.5 Er verlässt die Bedingungen, so müssten wir dies wohl ausbuchstabieren, unter denen die klassische Logik formuliert ist, an der Wurzel und geht in eine Theorie – ein (Begriffs-)Schema – über, die gegenüber solchen Theorien, die unter Zugrundelegung des Satzes vom Widerspruch gefasst sind, schlicht unvergleichlich ist. Nun hielt Quine derart radikale Themenwechsel zwar für reichlich unpragmatisch, offenbar jedoch nicht für unmöglich.6 Doch dem lässt sich, ohne dass wir hier auf die Details eingehen können, mit Davidson, der gezeigt hat, dass es unvergleichliche Begriffsschemata (oder Theorien) und dementsprechend ineinander ganz oder auch nur teilweise unübersetzbare Sprachen nicht geben kann, ein Riegel vorschieben; Sprachverhalten als solches ist ipso facto verständlich und damit auch übersetzbar, andernfalls ließe es sich noch nicht einmal als Sprachverhalten erkennen.7 Entsprechend kann es auch 5 Vgl.
Quine 1986, S. 81: „[W]hen [the deviant logician] […] tries to deny the doctrine he only changes the subject“. Vgl. hierzu auch meine Überlegungen zum Ende von § 10. 6 Vgl. Quine 1963 [2.], S. 43: „Any statement can be held true come what may, if we make drastic enough adjustments elsewhere in the system. Even a statement very close to the periphery can be held true in the face of recalcitrant experience by pleading hallucination or by amending certain statements of the kind called logical laws“. 7 Das ist der sehr kurze Schluss („very short line“ (Davidson 1974, S. 7)), den Davidson bereits recht zu Beginn seines Aufsatzes vorstellt und zwar für wahr erklärt, allerdings auch für möglicherweise kurzschlussverdächtig hält und in der Folge schrittweise, zuletzt über die fehlende Anwendbarkeit des Wahrheitsbegriffs auf unübersetzbare Sprachen, die
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2 Vorbemerkungen zur Methode
keine Begriffsschemata geben (oder Begreifsweisen), die so sehr voneinander abweichen würden, dass sie eine solche Unübersetzbarkeit ermöglichen würden. Doch wie auch immer man es in dieser Sache halten mag, so können wir Quine, was die Frage nach begrifflichen Randbedingungen betrifft, wenigstens insofern auf unsere Seite ziehen, als ihre Aufgabe mitunter einen radikalen Themenwechsel nach sich ziehen würde, der sich innerhalb der Theorie, in dem diese Randbedingungen herausgestellt werden, gar nicht formulieren und noch nicht einmal verstehen (begreifen) lässt. In diesem Sinne werden wir zum Beispiel – in Anschluss an Koch – auch sehen, dass eine ‚echte‘ Objektivitäts- und Wahrheitsskepsis sich gar nicht im Modus derjenigen Urteilsweisen ausdrücken ließe, die sich in skeptischer Absicht vor der Hand anbieten, nämlich der Enthaltung oder des Zweifels, da diese nur vor dem Hintergrund der allgemeinen Objektivitätsunterstellung – als allgemeine Randbedingung all unseres epistemischen Gebarens (des Meinens, Zweifelns, sich Enthaltens usf.) – möglich sind (vgl. Kapitel 14). Die einzige Möglichkeit des ‚Vollblutskeptikers‘ – der meint (oder ‚meint‘), es gäbe überhaupt kein wahr und falsch – wäre dann nur noch ein radikaler Themenwechsel der Quineschen Art; seine Position für uns, die wir meinen, zweifeln, uns enthalten usf., dann aber solange kein mögliches Thema, wie wir meinen, zweifeln, uns enthalten usf. (Die verbliebene Frage wäre dann, ob wir einen solchen Themenwechsel für möglich halten sollen oder nicht, wozu wir ihn wenigstens als solchen identifizieren können müssten – eine Möglichkeit, die sich jedenfalls meinem Verständnis entzieht.)8 (ihrem Anspruch nach) als „largely true but not translatable“ (a .a. O., S. 16) zu gelten hätten, näher begründet. Ich begnüge mich hier mit dem kurzen Schluss und verweise zur Begründung dafür, dass es sich nicht um einen Kurzschluss handelt, auf die übrige Argumentation bei Davidson. 8 Ich bin mir nicht sicher, vermute aber, dass dies Bekenntnis meinerseits, nicht zu verstehen, wie ein solcher Themenwechsel möglich sein soll, auf das Davidsonsche Bekenntnis hinausläuft, nicht verstehen zu können, was ein Begriffsschema sein soll. (Die Unsicherheit rührt daher, dass Davidson, wenn ich ihn recht verstehe, letztlich die fehlende Anwendbarkeit des Wahrheitsbegriffs auf je alternative Begriffsschemata geltend macht, und derselbe im Fall der radikalen Skepsis ja gerade abgelehnt würde.) In direktem Zusammenhang mit diesen Überlegungen steht übrigens auch mein oben geäußertes Unverständnis hinsichtlich Quines Propositionskritik. Denn sofern Quine dergleichen Themenwechsel und entsprechend divergierende Begriffsschemata für möglich hält, muss er sich sich nicht bloß gegen Bedeutungen (Propositionen) im Sinne von für sich bestehenden Entitäten (Universalien) wenden, sondern auch gegen Äußerungsbedeutungen im Davidsonschen Sinne, da diese Davidson zufolge ipso facto verständlich sein müssen, womit auch auch (divergierende) Begriffsschemata (und entsprechende Themenwechsel) – auf deren Basis prinzipiell unverständliches Sprachverhalten stattfinden müsste – nicht möglich sein dürften. Andererseits kennt Quine sogenannte Reizbedeutungen, die mir im Grunde ganz ähnlich, nämlich
2 Vorbemerkungen zur Methode
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Dies ist eine sehr allgemeine – und tiefgreifende – Feststellung genau der Art, wie wir sie suchen, gewonnen – per begrifflicher Analyse – letztlich allein aus der (Kantischen) Annahme, dass wir jeder Vorstellung, die wir von etwas haben, hinzusetzen können „Ich denke, dass…“ (und eben der, dass die klassischen Logik gilt)! Das ist Philosophie und in dieser Weise wollen wir uns auch dem Begriff der Freiheit nähern, der, wie wir sehen werden, so einige (positive wie negative) Implikationen – logische Ein- und Ausschlüsse – in Rücksicht auf andere Begriffe, etwa dem der Handlung, der Person oder der Moral in sich birgt und die wir mit der gebotenen Sorgfalt herausstellen wollen. Absehen – abstrahieren – werden wir dabei, wie bereits angedeutet, von all den spezifischen und de facto äußerst unterschiedlichen Vorstellungen, die jeder von Freiheit, nach Maßgabe seiner individuellen Lebenssituation, hat, ermitteln werden wir, sollte nach erfolgter Abstraktion noch etwas übrig bleiben, aber keine Universalien (oder Bürger eines Platonischen Ideenhimmels bzw. Fregeschen dritten Reiches), sondern eben Randbedingungen eben derselben Begriffe, die jeder von uns, als Bürger dieser Welt, in seiner spezifischen Konkretion von Freiheit hat. Eine gesonderte Anbindung unserer Ergebnisse an die ‚wirkliche‘ Welt wird indessen nicht nötig sein, da wir sie zu keinem Zeitpunkt verlassen werden. Nur Beweise der Art, dass zum Beispiel alle Wesen der zoologischen Gattung Mensch über einen freien Willen verfügen (und andere Wesen nicht), werden wir auf dem Wege der begrifflichen Analyse nicht erbringen können, sondern nur der Art, dass wir jedem Menschen (jedem Wesen), wenn wir ihn (es) auch als ein Teilnehmer einer moralischen Praxis begreifen, einen freien Willen unterstellen müssen. Oder dass wir, wenn wir jemanden als ein Wesen begreifen, das einen freien Willen gebunden an die jeweiligen Umstände, zustandezukommen scheinen wie Davidson Äußerungsbedeutungen – mit einem, vermutlich entscheidenden Unterschied, nämlich dem, dass Quine die Bedeutungen mit seiner Konzeption zu ‚nah‘ am menschlichen Körper konstruiert, nämlich an unseren Nervenenden, sodass eine Kluft zwischen den beobachtbaren Objekten und unserer unseren unmittelbaren Sinnesreizen entsteht („a gulf yawns between them [the observable objects and events] and our immediate input from the external world, which is rather the triggering of our sensory receptors“ (Quine 1990, S. 2)). Hierin ist die Möglichkeit divergierender Begriffsschemata im Grunde bereits angelegt, daher Davidson die Bedeutungsfrage, ‚ferner‘ vom menschlichen Körper, unter Verweis auf die gemeinsame, öffentlich beobachtbare Welt um uns herum, beantwortet und uns – ohne weitere Vermittlungsinstanz – in direktem, unvermitteltem Kontakt zu den Objekten („unmediated touch with the […] objects“ (Davidson 1974, S. 20)) sieht, wodurch ein Begriffsschematismus ausgeschlossen ist. Etwas von dieser Art scheint mir jedenfalls im Hintergrund zu stehen, wenn Davidson Quine seine „distale [Bedeutungs]theorie […] aufnötigen“ (Davidson 2008 [4.], S. 110) möchte, da er fürchtet, dass dessen „proximale Theorie[…] zu einem mit Bezug auf Einzelpersonen relativierten Wahrheitsbegriff und zum Skeptizismus“ (a. a. O., S. 107) führe. Doch wir können dies hier nicht weiter verfolgen.
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2 Vorbemerkungen zur Methode
hat, wir nicht zugleich – oder doch? Und wenn ja, nach welchem Begriff davon, was ein freier Wille überhaupt ist? Diese Fragen werden uns sehr beschäftigen – davon ausgehen können, dass der Lauf der Dinge naturgesetzlich determiniert ist. Doch diese zum Teil eher kursorischen Vorbemerkungen zur Methode werden ihren Sinn am Besten im Werk selbst entfalten, zu dessen Inhalt wir nun übergehen.
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Nun also zur Sache im vorgreifenden Überblick: Im fünften Kapitel werde ich zunächst drei Implikationsverhältnisse vorstellen, die sich bei der Frage nach der Freiheit (mehr oder weniger) intuitiv aufdrängen, zwei davon affirmativ – (1) Strafe impliziert Verantwortung und (2) Verantwortung impliziert Freiheit –, die dritte negativ – (3) Freiheit und Determinismus schließen einander aus –, zunächst, ohne zu ihnen eigens Position zu beziehen. Sie sind, dies wird Gegenstand der nachfolgenden, eher losen und zur allgemeinen Einführung in die Freiheitsproblematik konzipierten Reflexionen sein, obwohl vielleicht intuitiv, in Wahrheit auch (noch) viel zu unbestimmt formuliert, um so recht entscheiden zu können, welche Meinung man sich eigentlich zu eigen machen würde, würde man sie – in dieser Formulierung – bekräftigen (oder leugnen). Im Fall des ersten der drei Sätze werden wir die nötige Bestimmung allerdings sogleich nachholen und ihn dieser Bestimmung entsprechend auch bejahen können, namentlich in Form der These (5.1) Der Begriff der Strafe impliziert den Begriff der Verantwortung,
das heißt, dass es nicht möglich ist, den Gedanken an Strafe zu fassen, ohne dabei den Gedanken an Verantwortung mitzufassen (wie falsch, ungerecht oder anderweitig krude es dabei übrigens auch zugehen mag). Im Zuge der Erörterung dieser These werden wir zugleich auch eine erste Fingerübung im Sinne der von uns angegebenen Methode – der Begriffsanalyse – hinter uns gebracht haben. Anschließend werden wir uns, die Diskussion von Satz (2) aufschiebend, Satz (3) zuwenden, dem – mutmaßlichen – Ausschlussverhältnis von Freiheit und Determinismus, und in seinem Umfeld zunächst die klassisch-kompatibilistische Position diskutieren, der zufolge zwar ‚echte‘, d. h. alternative Möglichkeiten
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_3
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im Weltlauf implizierende Willensfreiheit und Determinismus einander ausschließen, aber die Behauptung von Handlungsfreiheit, als die Freiheit, seinen Willen möglichst ungehindert durch psychische oder physische Zwänge handelnd zu realisieren, durchaus (begrifflich) kompatibel ist mit einer deterministischen Weltsicht. Wie wir sehen werden, scheitert diese Option, Satz (3) zu behaupten – wiederum natürlich aus begrifflichen Gründen. Wir würden (und könnten) nichts als eine freie Handlung begreifen, ohne dabei, jedenfalls in Gedanken, die Möglichkeit in Rücksicht zu stellen, dass die entsprechende Handlung auch hätte unterlassen werden können, eine Möglichkeit, die wiederum nur dann zu begreifen ist, wenn wir zusätzlich die Möglichkeit in Rechnung stellen, dass auch die jeweils der Handlung entsprechende Willensbestimmung unterlassen werden könnte, mithin Willensfreiheit in dem starken, alternative Möglichkeiten implizierenden Sinne, den der Kompatibilist gerade außen vor lassen will. Entsprechend dieser Implikation gilt die These (5.2.) Der Begriff der Freiheit schließt sowohl den Begriff des Nicht-tun-Müssens wie auch – über diesen – den des Nicht-wollen-Müssens in sich ein. (Handlungsfreiheit impliziert Willensfreiheit.)
In Kapitel 6 werden wir dem Unterschied zwischen göttlichem und naturgesetzlichem Determinismus in Hinblick auf die Freiheitsfrage Kontur verleihen können, indem wir G.W. Leibnizens Konzeption zur Vereinbarkeit von Freiheit und göttlichem Determinismus begutachten werden. Leibniz stellt, wie wir feststellen werden, ganz im Sinne moderner (klassisch-)kompatibilistischer Strategien, die Freiheit zur Willensbestimmung als ein determinismusunverträgliches Element des Freiheitsbegriffs heraus, das er folglich – als Anhänger einer ontologischen Variante des Satzes vom zureichenden Grund, die ihm zum allgemeinen Determinationsprinzip dient – ablehnt. Da er indes dennoch an der menschlichen Freiheit festhalten will und offenbar auch, im Grunde ganz im Sinne unserer These (5.2), weiß, dass diese ohne die Annahme alternativer Möglichkeiten nicht zu konzipieren ist, bringt er seine These von der bedingten – im Gegensatz zur unbedingten oder absoluten – Notwendigkeit des Weltlaufs, als Gottes Schöpfung, in Anschlag. Dieser These zufolge kann keine Begebenheit in der Welt, folglich auch keine Willensbestimmung, als absolut notwendig gelten, nicht weil wir, sondern weil Gott im Zuge seiner Schöpfung des Kosmos ja auch anders hätte entscheiden können als er es wirklich getan hat. Somit besteht, in Abhängigkeit von Gottes (freiem) Willen, nur eine bedingte Notwendigkeit allen Geschehens in der Welt und bestehen insofern alternative Möglichkeiten auch für uns. Dass damit der Annahme menschlicher Freiheit nur leidig gedient
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ist, liegt auf der Hand, und inwiefern unter Leibnizens Bedingungen wiederum Gott überhaupt eine echte Entscheidungsgewalt zugebilligt werden kann (oder er dies überhaupt will), bleibt sein Geheimnis, aber angenommen – hierauf wird es uns vor allen Dingen ankommen –, Gottes Freiheit könnte gerettet werden (durch Leibnizens oder irgendeine andere, verwandte Konzeption), so erlaubt uns diese Konzeption wenigstens die Erklärung des Scheins der Freiheit in dem starken, alternative Möglichkeiten implizierenden Sinne, den wir zu unserem Ziel ausgerufen haben werden. Denn dafür, überhaupt meinen zu können, ob wahr oder falsch, man sei frei, muss man irgendwoher die begrifflichen Ressourcen beziehen, die in diesem Fall Gott durch seine eigene Freiheit bereitstellen würde (uns indessen aber nur den Schein derselben retten könnte). Wer sich hingegen für einen (allein) naturgesetzlichen Determinismus ausspricht, der kann, wie wir zum Ende des Kapitels sehen werden, noch nicht einmal dies leisten. Alternative Möglichkeiten im Sinne der Freiheit sind der naturgesetzlichen Bestimmung per definitionem fremd, ihr gar geradewegs zuwider, und es käme einem Wunder gleich, würde aus ihr allein, falls überhaupt irgendeine Vorstellung, die solcher Möglichkeiten an irgendeiner Stelle des Weltlaufs einmal entsprungen sein. Entsprechend werden wir uns auf die folgende These festlegen können: (6.3.) Wenn der naturgesetzliche Determinismus wahr ist – und durch ihn all unsere willentlichen Entscheidungen und Handlungen bestimmt sind –, dann ist noch nicht einmal die Illusion von Freiheit möglich.
Da wir nun aber offenbar in der Tat meinen, dass wir frei sind, werden wir uns mit einem Mal in der zwar vor der Hand sehr aussichtsreichen, aber auch befremdlichen Lage befinden, zu schließen, dass wir genau dann frei sind, wenn der naturgesetzliche Determinismus gilt (und der göttliche nicht). Er dürfte natürlich nicht allein gelten, d. h. es bräuchte noch irgendeine zusätzliche Ebene oder einen Bereich, auf der bzw. in dem wir Freiheit ansiedeln könnten – aber, so viel wüssten wir dann, es müsste irgendetwas von dieser Art geben, wenn der naturgesetzliche Determinismus gilt (und der göttliche nicht). Doch unser Freude über diese erstaunliche Lage wird nicht von Dauer sein, der Freiheitsskeptiker hat noch ein Ass im Ärmel, das er, im Anschluss an Rudolf Carnaps Metaphysikkritik, gegen uns ausspielen kann: Den Sinnlosigkeitsverdacht, dem wir uns in Kapitel 7 widmen werden. Diesen werden wir mit einer Zusammenfassung unserer Optionen in Thesenform einleiten:
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(7.4) Entweder es gilt (im Ausgang von dem Faktum, dass wir – wahr oder falsch – meinen können, dass wir Handlungs- und Willensbestimmungen unterlassen können): Der naturgesetzliche Determinismus ist nicht wahr, und es herrscht eine indeterministische Variante des (kausalen) Zusammenhangs der Dinge (Ereignisse, Weltzustände) im Weltlauf oder es gilt ein nicht-(allein-)naturgesetzlicher, sondern z. B. göttlicher Determinismus, oder die Geschichte über die Wirklichkeit (Möglichkeit) eines starken Freiheitsbegriffs ist unter der Annahme der Wahrheit des Determinismus noch nicht zu Ende erzählt – oder unser ‚Faktum‘ ist gar keines und selbst die irrige Annahme, eine Handlung oder Willensbestimmung auch unterlassen zu können, uns in der Tat nicht möglich.
Nicht-naturgesetzliche Determinismen schließen wir ohne weitere Argumentation für uns aus. Zunächst ebenfalls ohne weitere Argumentation werden wir uns auch gegen indeterministische Varianten des natürlichen Kausalzusammenhangs aussprechen. Damit bleiben uns zwei Optionen, die wir an anderer Stelle im Kapitel wie folgt formulieren werden: (1) Dass der naturgesetzliche Determinismus gilt, bedeutet nicht, dass (auch) unsere Willens- und Handlungsbestimmungen determiniert sind – sie könnten demungeachtet frei sein. (2) Bei freiheitsbezogenen Sätzen handelt es sich um bloße Scheinsätze. Wie für Satz (2) argumentiert werden könnte, werden wir in der ersten Hälfte des Kapitels ermitteln und uns dabei Carnaps Metaphysikkritik zum Vorbild nehmen, der zufolge es sich bei Satz- oder Wortverwendungen genau dann um nur scheinbar bedeutungsvolle solche handelt, wenn kein empirisches Verifikations- oder Falsifikationskriterium für sie ermittelt werden kann, d. h. (grob gesprochen), wenn es keinen empirischen Gegenstand gibt, auf den wir uns durch diese Verwendungen beziehen könnten. Nun hatten wir durch These (6.3) bereits selbst festgestellt, dass im Fall der Gültigkeit des naturgesetzlichen Determinismus und dem, dass mit demselben Freiheit ausgeschlossen sei, auch der irrige Schein derselben ausgeschlossen sei, eine Feststellung, die der Freiheitsskeptiker freimütig eingestehen und sogar zu einem alternativen Ausdruck seiner eigenen Pointe erheben kann, wenn er uns nur darüber hinaus noch erklären kann, wie es zu der sinnlosen Rede, die wir seiner Ansicht nach von der Freiheit schwingen, gekommen sein mag. Zum Prinzip einer solchen Erklärung mag er sich mit Carnap den Umstand nehmen, dass natürliche Sprachen grammatisch korrekte, aber unsinnige Verbindungen aus sinnvollen Elementarsätzen zulassen – wie zum Beispiel „Hans ist
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ebenerdig“ aus dem Eigennamen „Hans“ und dem Prädikat „… ist ebenerdig“ –, und so möge sie ihm auch nach Wunsch gelingen. Als reductio ad absurdum der freiheitsskeptischen Position, wie wir es uns bereits hoffnungsfroh, wenn auch nur zögerlich ausgemalt haben werden, genügt jene These also jedenfalls nicht. Allzu irritiert werden wir uns von dem Sinnlosigkeitsverdacht aber auch nicht zu zeigen brauchen, im Grunde führt uns der Freiheitsskeptiker damit nur noch einmal die Anforderungen vor Augen, vor denen wir bei unserem Versuch einer Freiheitsbegründung (und damit bei einer versuchten Argumentation für Satz (1)) stehen, die wir anschließend elaborieren und durch die folgende These festhalten werden: (7.5) Zur Begründung der Möglichkeit von Freiheit – und der entsprechenden sinnvollen Rede von ihr – benötigen wir einen vom naturgesetzlichen Zusammenhang unabhängigen Bereich eigenen Rechts, nicht aber eigenen Seins, von dem her es möglich ist, auf den naturgesetzlichen Zusammenhang Einfluss zu nehmen.
Können wir einen solchen Bereich ausfindig machen, hat sich freilich auch der Sinnlosigkeitsverdacht erledigt, jedenfalls in der vorgetragenen, von empirischen Verifikationsbedingungen abhängigen Form. Allerdings werden wir eine abgewandelte Form von Satz (2) festschreiben, nämlich: (7.6) Freiheitsbezogene Sätze sind Scheinsätze, sofern sie sich auf ein immaterielles Sein beziehen oder auf ein materielles Sein, so wie dasselbe naturgesetzlich bestimmt ist.
Ein immaterielles Sein, darauf legen wir uns im Tenor der gegenwärtigen Philosophie fest, gibt es nicht, daher auch nichts darin, auf das wir uns sinnvoll beziehen könnten. Aber auch das materielle Sein, sofern dieses naturgesetzlich bestimmt ist, taugt, wie wir ja selbst schon gesagt haben werden, noch nicht einmal zur Illusion – dem irrigen Schein – von Freiheit, entsprechend so bezügliches Sprachverhalten hätte also gleichfalls als sinnlos zu gelten, entsprungen dann aus einer (oder einer ganzen Reihe von zunehmend) sinnbefreienden, wiewohl grammatisch völlig korrekten, Verbindung(en) ursprünglich sinnvoller Elementarsätze (s. o.). Um zwischen diesen beiden Bereichen – dem immateriellen Sein und dem materiellen Sein, sofern es naturgesetzlich bestimmt ist – einen Durchgang zu finden, benötigen wir eben jenen „Bereich eigenen Rechts, nicht aber eigenen Seins“, den wir durch These (7.5) zu unserem Ziel erkoren haben. Vielleicht Carnaps Lebensgefühl? Auch diesen Gedanken werden wir in diesem siebten Kapitel erwägen, allerdings sogleich auch wieder verwerfen, da es ihm zwar, wie gewünscht,
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an einem eigenständigem Sein, letztlich allerdings wohl auch, jenem Desiderat entgegen, an begrifflicher Eigenständigkeit mangelt. Wir würden eine entsprechende Theorie, so werden wir noch lose vorab feststellen, so fassen müssen, dass durch sie am materiellen Sein selbst ein nicht naturgesetzlich bestimmter Rest gegenüber dessen naturgesetzlich bestimmtem Anteil behauptet werden könnte, der weder auf diesen reduziert werden kann, noch, und sei es auch nur unter der Hand, die Einführung immaterieller Seinsanteile zulässt. I Kapitel 8 werden wir zunächst das Einwirkungsproblem besprechen, das Freunde der substanzdualistischen Theoriebildung sich einhandeln, vornehmlich mit dem Ziel, zu zeigen, dass die Annahme einer zweiten, immateriellen Seinsgattung neben dem materiellen Sein auch dann nicht für unser Unterfangen der Freiheitsbegründung fruchtbar gemacht werden könnte, wenn wir sie ansonsten durchgehen lassen würden. Entweder, so werden wir dort sehen, müssen wir uns dann nämlich dem aussichtslosen Unterfangen widmen, eine Erklärung für die Möglichkeit der Interaktion zwischen zwei (Seins-)Bereichen zu bieten, die aufgrund ihrer Wesensverschiedenheit gar nicht miteinander interagieren können – René Descartes’ Versuch, die ‚kleine Eichel‘ (Zirbeldrüse) als Medium zwischen immateriellem und materiellem Sein zu etablieren, wird uns dabei zur Veranschaulichung der (absurden) Konsequenzen dienen, die man sich dabei einhandelt –, oder wir halten uns an Leibnizens These der von Gottes Gnaden prästabilierten Harmonie, die unter den fraglichen Voraussetzungen – Substanzdualismus und göttlicher Determinismus – aufgehen mag, aber freiheitsunverträglich ist. Anschließend werden wir auf einen interessanten Zusammenhang zu sprechen kommen, der zwischen der Annahme der Möglichkeit irrtumsimmuner (Selbst-) Bezugnahmen wie dem berühmten „Ich denke, ich bin“, das Descartes einst dazu verleitete, neben (oder über) dem materiellen noch ein immaterielles Sein anzunehmen, das in ausgezeichneter Weise erkennbar ist, und dem Begriff der Objektivität besteht, festgehalten durch die These (8.7) Wenn je ich irrtumsimmunes Wissen von mir selbst haben kann, dann kann es sich bei dem dadurch erkannten Sachverhalt nicht um einen meinungsunabhängigen solchen handeln und kann das dadurch erkannte Selbst folglich nicht als Gegenstand zu erkennen gegeben werden.
Im Hintergrund dieser These wird die „Platitüde“ – wie Koch sich in Anschluss an Davidson ausdrückt – stehen, dass das Bestehen von objektiven Meinungen im Allgemeinen noch nicht deren Wahrheit verbürgt, mit anderen Worten, dass sie
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auch falsch sein können. Irrtumsimmunität und Objektivität schließen also einander aus. Daher gilt, gegen Descartes, auch, dass, sollte ich etwa in irrtumsimmuner Weise von meiner Existenz wissen, dieses Wissen kein objektives solches sein und also auch auf keinen (gesonderten, immateriellen) Gegenstandsbereich verweisen könnte. Die sich bietende Möglichkeit, auf Basis bzw. im Umkreis dieser Überlegungen eine Theorie des Gegenständlichen zu entwickeln, gemäß unserer zum Ende von Kapitel 7 gestellten Anforderung, am materiellen Sein selbst einen nicht naturgesetzlich bestimmten Rest zu behaupten, werden wir allerdings, jedenfalls für den Moment, ungenutzt verfallen lassen und stattdessen einen Strategiewechsel vorbereiten, der sich, gemessen an unserem Vorhaben, zunächst übermäßig defensiv ausnehmen wird, allerdings, wie wir später (Kapitel 12) sehen werden, eine überaus glückliche Überraschung im Sinne desselben in sich birgt. Vielleicht, so werden wir für den Moment einmal annehmen, haben wir uns auch einfach zu viel vorgenommen und Freiheit ist in Wahrheit schlicht nicht zu begründen, zumal unter der Bedingung, dass daneben noch der naturgesetzliche Determinismus gelten soll. Also werden wir uns zunächst auf die Gründe unserer Unternehmung besinnen und uns in diesem Zuge erinnern, dass wir – gemäß der zweiten der eingangs erwähnten Implikationen: (2) Verantwortung impliziert Freiheit – Freiheit offenbar vor allem um der Moral willen benötigen. Anschließend werden wir zur Einordnung eine kurze Vorabzusammenfassung von P.F. Strawsons „Freedom and Resentment“ geben, wo selbiger sich für die These einsetzt, dass entgegen der herrschenden Meinung1 die uns gewohnte moralische Praxis des Zuschreibens von Verantwortung und des Verhängens von Strafen durch die Erkenntnis, dass all unser Verhalten vollständig determiniert – und also nicht frei –2 wäre, nicht im Geringsten berührt wäre. Wie er zu diesem Schluss kommt und ob wir ihm darin zustimmen können, werden wir allerdings noch nicht gleich näher verhandeln, sondern im Kapitel 9 zunächst eine entgegengesetzte Position kennenlernen, die mit Strawson zwar auch als optimistisch in Sachen Vereinbarkeit von moralischer Praxis und der Determinismusannahme bezeichnet werden kann, zu diesem Zweck allerdings einen in der Tat unmäßigen Preis zu bezahlen bereit ist. Der Optimist in Sachen Vereinbarkeit von moralischer Praxis und Determinismus, den wir in Person des auch über Fachkreise hinaus bekannten Wolf Singer auftreten lassen werden, plädiert angesichts des von ihm diagnostizierten Verlustes der 1 Dies
– „herrschende Meinung“ – ist eine Bezeichnung, die in philosophischen Auseinandersetzungen meist fehl am Platze ist, in diesem Fall allerdings durchaus in einem gewissen Recht steht. 2 Diesen Schluss – die ausschließende Implikation (3) zwischen Freiheit und Determinismus – akzeptiert Strawson wiederum mit der herrschenden Meinung.
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Freiheit, und durchaus, wenn auch mit schwankender Konsequenz, eingedenk der Implikationen (1) und (2), für eine grundsätzliche Änderung unserer moralischen Praxis dergestalt, dass wir den Begriff der moralischen Schuld (und, jedenfalls in dem dieselbe implizierenden Sinne, dann auch den der Verantwortung), von dem die uns gewohnte Praxis offenbar wesentlich zehrt, dahingeben und stattdessen die Begriffe der sozialen Wirksamkeit und der Normerhaltung zu den obersten Prinzipien dieser Praxis erklären. Hauptsächlich werden wir dieses Kapitel damit zubringen, die Konsequenzen einer solchen Konzeption zu ermitteln und uns im Zuge dessen auch zu fragen, inwiefern Singers Position mit der des Optimisten, wie Strawson sie in seinem Aufsatz zeichnet, übereinstimmt. Dabei wird sich herausstellen, dass Singers Ausführungen der Sache nach das Material zu einem Schluss hergeben, den Strawsons Optimist offenbar nicht zu ziehen bereit ist (und den auch Singer selbst sich zumindest nicht allzu ausdrücklich zu ziehen getraut): Wenn wir nämlich den Begriff der Strafe nur noch in Hinblick auf seine soziale Wirksamkeit bzw. seine normerhaltende Kraft fassen, ohne jegliche Implikation von (persönlicher) Schuld, dann kollabiert auch jener Begriff der Strafe selbst, und eine Gesellschaft, die unter solchen Bedingungen gefasst würde, geriete zu einem reinen (Um-)Erziehungslager im Sinne der je geltenden Norm, dies überdies, ohne noch, wie uns gewöhnlich, begrifflich einen Unterschied machen zu können zwischen dem Regelfall (mehr oder weniger) voller Schuld- und daher Straffähigkeit und dem Ausnahmefall der Straf-, da Schuldunfähigkeit. Vor diesem Bild mag man, wie Strawsons Pessimist in Sachen Vereinbarkeit von moralischer Praxis und Determinismusannahme, aus moralischen Gründen zurückschrecken, doch diese Art von Bedenken lässt sich womöglich noch unter Verweis auf den Umstand abwiegeln, dass, wer sie hegt, offenbar genau den überkommenen Moralvorstellungen anhängt, die der Optimist als unvernünftig erkannt hat (wir werden dies nicht weiter verfolgen). Auch der folgende begriffliche Einwand – den wir im zehnten Kapitel behandeln werden – hat nur seine Berechtigung, wenn wir, mit Strawsons Optimisten, die entsprechende Unterscheidung überhaupt noch treffen: (10.8) Es kann keinen Sinn von „determiniert“ geben, demzufolge wir einerseits alles menschliche Verhalten als determiniert betrachten und andererseits eine objektive Einstellung zu Abweichungsfällen einnehmen, weil wir die so betrachteten Personen für in diesem Sinne determiniert halten.
Strawson reflektiert hier eine ‚beliebte‘ Inkonsequenz auf Seiten von Theoretikern wie Singer, der sich, wie wir im neunten Kapitel gesehen haben werden,
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nicht so recht entscheiden kann, ob er zwischen Norm- und Abweichungsfällen der genannten Art überhaupt noch unterscheiden will (oder kann). Doch diese Unklarheit werden wir auf diesem Stand der Dinge bereits zu Ungunsten einer solchen Unterscheidung aufgelöst haben. Insofern reflektieren wir mit Strawson, der These (10.8) für ein schlagkräftiges Argument gegen die Position des Optimisten zu halten scheint, durch dieselbe eigentlich nur noch einmal auf unsere eigenen, in Kapitel 9 bereits angestellten Überlegungen, die jedenfalls solche Optimisten wie Singer gar nicht stören müssen, wenn sie nur mutig genug sind, auf die Beteuerung zu verzichten, im Zuge der entsprechenden Umbauarbeiten an unserer Praxis würde sich im Grunde gar nicht so viel an derselben ändern. Doch Strawson hat noch ein weiteres, weitaus schlagkräftigeres Argument parat, dessen Konsequenz wir in der folgenden Formulierung in unsere Thesenliste aufnehmen werden: (10.9) Falls es auch möglich sein sollte, den Blick der objektiven Einstellung allem Verhalten gegenüber einzunehmen, so entscheidet sich die Debatte darüber, ob wir dies auch tun sollten, nicht an der Determinismusdebatte.
Der „Blick der objektiven Einstellung (objective attitude)“ ist, dies sei der Klärung halber eingefügt, eben derselbe ‚nüchtern-wissenschaftliche‘, auf Schuldoder auch Verdienstzuweisungen bzw. mit Strawson noch einen Schritt früher angesetzt: Groll- oder Dankbarkeitsgefühle Verzicht tuende Blick, den Singer uns angesichts der allgemeinen Determinismusthese, die er für wahr hält, anempfiehlt. In der subjektiven Einstellung (subjective attitude) hingegen verzichten wir entsprechend umgekehrt auf diesen Verzicht (diese Abstraktion) und grollen, danken usf. ganz gemäß der uns gewohnten moralischen Praxis. Der Grund nun für These (10.9) liegt, auf den Punkt gebracht, im Begriff der – nicht bloß der uns gewohnten, sondern jeder denkbaren – moralischen Praxis. Was eine moralische Praxis ist, wissen wir nur von den uns gewohnten subjektivmoralischen Einstellungen wie Dankbarkeit, Groll usf. her und selbst ein Verzicht auf dieselben und die entsprechende Änderung unserer Praxis ist nur begreiflich in Abstraktion von diesen Einstellungen, die also auch dann noch, wenigstens im Hintergrund, präsent bleiben müssen, wenn wir uns darin mühen, sie aufzugeben. Die (wertende) Perspektive der subjektiven Einstellung – und damit das uns gewohnte zwischenmenschliche Miteinander – ist, mit anderen Worten, von der Warte der (erklärenden) Perspektive der objektiven Einstellung her unhintergehbar und steht insofern in ihrem eigenen begrifflichen Recht. Daher gilt These (10.9) bzw., in etwas anderer Akzentuierung, auch
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(10.10) Fragen der Gewichtung zwischen objektiv und subjektiv eingestellter Perspektive sind Fragen, die aus und zum Zweck der subjektiv eingestellten Perspektive gestellt und beantwortet werden müssen.
Die durch diese beiden Thesen festgeschriebene begriffliche Eigenständigkeit der Perspektive der subjektiven Einstellung gegenüber derjenigen der objektiven Einstellung werden wir uns in Kapitel 12 zunutze machen, um mit Strawson über Strawson hinaus das Manöver, auf den Versuch einer Freiheitsbegründung zu verzichten, unter der Hand in ein solches aufgehen zu lassen, das derselben sogar überaus dienlich ist. Zunächst, im Kapitel 11, werden wir uns jedoch unzufrieden zeigen mit dem Ergebnis, das Strawson uns allem Anschein nach präsentiert; dies nicht, weil wir Zweifel an der Trefflichkeit seiner Analyse hegen würden, sondern weil uns etwas Wesentliches fehlen wird: Wir brauchen, so werden wir dort, nun in kritischer Auseinandersetzung mit Strawson, argumentieren, Freiheit eben doch für Moral; dies indes nicht – hierin werden wir Strawson (weiterhin) Recht geben – zur Begründung der Legitimität (im Sinne von ‚Vernünftigkeit‘) unserer moralischen Praxis, sei es die uns gewohnte solche, sei es ein abstraktives, nüchtern eingestelltes Analogon von derselben, sondern zur Begründung ihrer (begrifflichen) Möglichkeit. Selbst Strawson, von dem wir uns ja die Möglichkeit erhofft hatten, auf eine Freiheitsbegründung um der Moral willen verzichten zu können, ist sich, wie wir sehen werden, der Notwendigkeit der Unterstellung irgendeines Freiheitsbegriffs bewusst, doch kommt er nicht über die kompatibilistisch verstümmelte Version desselben hinaus, gegen die wir uns bereits ganz zu Beginn unserer eigentlichen Untersuchung, im Kapitel 5, ausgesprochen haben werden. Dabei besteht, wie wir zu unserem Glück sehen werden, gar keine Not zu einer solchen Verstümmelung. Zunächst jedoch werden wir, wo geboten, bereits unabhängig von Strawson gewonnene Erkenntnisse in Hinblick auf Strawsons Überlegungen aufwärmen, dem zugleich aber auch neue, bislang jedenfalls unterbelichtete Aspekte hinzufügen. Dabei werden wir vor allem mit Christine Korsgaard gegen Strawson argumentieren, dass es nicht genügt, zwischen freien, verantwortungsfähigen Personen einerseits und unfreien, der Verantwortungszuschreibung unfähigen Personen andererseits derart zu unterscheiden, dass die ersteren sich im Gegensatz zu den letzteren ihrer Handlungsmotive (mehr oder weniger) voll bewusst sind und sich deshalb auch bewusst mit ihnen identifizieren können. Denn damit ein solches Bewusstsein als ein Vorteil im Sinne der Freiheit interpretiert werden kann, bedarf es einer Möglichkeit, die Strawson nicht in Rechnung stellt, nämlich der, sich mit seinen Handlungsmotiven bewusst nicht zu identifizieren, mit anderen Worten: Die Möglichkeit der Wahl nicht erst gewissen – unbewussten oder bewussten – Motiven gemäß, sondern auch in Hinblick auf diese grundlegenden – ‚ersten‘ – Motive. Folglich werden wir festhalten:
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(11.11) Der Begriff der Verantwortung impliziert den Begriff ‚starker‘, d. h. indeterministischer (libertarischer) Freiheit.
(Sofern wir annehmen, dass wir Verantwortungszuschreibungen nur im Rahmen von Handlungszuschreibungen tätigen können und Handlungen wiederum, damit wir in ihrem Rahmen Verantwortungszuschreibungen tätigen können, als in irgendeinem Sinne frei begriffen werden müssen, läuft dies freilich schlicht auf eine neuerliche Bestätigung von These (5.2), d. h. auf die Einsicht hinaus, dass kompatibilistische Freiheit eben nicht genügt, um sinnvoll die Rede von Freiheit schwingen zu können. Um der Möglichkeit unserer Rede von Moral willen brauchen wir aber, wie ja selbst Strawson anerkennt, die Möglichkeit einer solch sinnvollen Rede. Diese Zusammenhänge, so lässt sich dann auch sagen, werden wir zwar nach Möglichkeit bewusst auszuklammern versucht haben, doch es hilft nichts, sie holen uns wieder ein.) Wird unser Versuch der Freiheitsvermeidung also umsonst gewesen sein? Auf den ersten Blick mag es so aussehen. Allerdings wird sich in Kapitel 12 nach einer ausführlichen Reflexion auf die Wege, die wir in diesem elften und dem vorangegangenen Kapitel 10 gegangen sein werden, zeigen, dass wir uns unter der Hand in eine weitaus glücklichere Position versetzt haben werden als zuvor. Denn wenn, kurz gefasst, unsere moralische Praxis (des Zuschreibens von Verantwortung usf.) begrifflich unabhängig davon ist, ob der naturgesetzliche Determinismus gilt oder nicht – dies ja der Grund für unsere Thesen (10.9) und (10.10) –, dann gilt dies auch für alles, wovon wiederum jene Praxis begrifflich abhängt, insbesondere: Freiheit. Folglich ist die Annahme indeterministischer Freiheit, so seltsam es auch klingen mag, begrifflich unabhängig davon, dass der naturgesetzliche Determinismus gilt (wenn er gilt), sodass wir festhalten können werden: (12.12) Die allgemeine Determinismusannahme und die Annahme indeterministischer Freiheit sind miteinander vereinbar.
Es ist, so werden wir dies näher erläutern, schlicht eine Frage der Perspektive, ob wir uns als determiniert oder als frei begreifen; und die Perspektive, die wir einnehmen, wiederum eine Frage des Interesses, d. h. ob wir eine bestimmte Handlung in objektiver Einstellung (naturkausal) erklären oder in subjektiver Einstellung (moralisch) bewerten (wollen). Beide Perspektiven stehen in ihrem eigenen Recht, keine tut der anderen, recht verstanden, Eintrag. Mit Blick auf dieses konkurrenzlose Beieinander löst sich der anscheinende Widerspruch zwischen einem starken Freiheitsbegriff und einem Naturbegriff unter deterministischen Vorzeichen auf.
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Dass diese Vereinbarkeit gegeben ist, wird zum Ende des ersten Teils dieser Arbeit also bereits feststehen. Allerdings werden wir bis dahin noch keine weiteren Einblicke darin gewonnen haben, wie es möglich ist, dass wir auf so unterschiedliche Weise auf die Dinge blicken können, Dinge, die – sofern wir nach wie vor dabei bleiben wollen, keinen (ontologischen) Leib-Seele-Dualismus für uns in Anspruch zu nehmen – nur in einer Weise sein können, nämlich als Körper, und es dennoch zulassen, dass auf sie in einer Weise Bezug genommen werden kann, die über ihr Sein als Körper weit hinauszureichen scheint. Dass dies möglich ist, wissen wir dann zwar bereits, damit auch, dass es einen, wie durch These (7.5) gefordert, Bereich eigenen Rechts, nicht aber eigenen Seins geben muss, von dem her auf den naturgesetzlichen Lauf der Dinge Einfluss genommen werden kann, doch wird uns dies auf diesem theoretischen Stand der Dinge wie ein Wunder erscheinen müssen – um jenen Bereich (theoretisch) ausfindig machen zu können, werden wir mehr benötigen als das, was wir auf dem bis dato erarbeiteten Stand der Dinge zu bieten haben werden. Wir benötigen, so werden wir (erneut) feststellen, offenbar eine Konzeption des Körperlichen, die eine solch doppelte Bezugnahme auf es erlaubt, das heißt, einen Rest an sich selbst aufweist, der sich der objektiven Einstellung – die, falls der naturgesetzliche Determinismus gelten sollte – auch diejenige ist, aus der heraus wir das Sein, sofern es naturgesetzlich determiniert ist, erfassen, ebenso prinzipiell entzieht wie es die Perspektive der subjektiven Einstellung gegenüber derjenigen der objektiven solchen tut. Im Übrigen werden wir in diesem Paragraphen noch einige weitere Konsequenzen der behaupteten begrifflichen Unabhängigkeit herausstellen, etwa die, dass der objektiven Unhintergehbarkeit von Handlungsbewertungen auf der einen Seite eine subjektive Unhintergehbarkeit (und damit eine moralische Unangreifbarkeit) von Handlungserklärungen in objektiver Einstellung entspricht – sofern diese nicht (insgeheim doch) zum Zweck der Handlungsbewertung in subjektiver Einstellung erfolgen, womit sie freilich wiederum den Maßstäben derselben unterlägen. Außerdem werden wir auch die Einwirkungsfrage für uns klären können, und zwar wie folgt: Wenn es sich, wie wir (weiterhin) gegen den ontologischen Dualismus annehmen werden, (jeweils) um ein und denselben – körperlichen – Gegenstand(sbereich) handelt, dem wir in subjektiver respektive objektiver Einstellung begegnen, dann muss alles, was durch Freiheit entschieden oder auch nur erwogen wird, ipso facto wirksam sein; denn eben derselbe Gegenstand, den wir in subjektiver Einstellung, sozusagen im ‚Freiheitsmodus‘, vor Augen haben, ist auch der, den wir andererseits in objektiver Einstellung erklären können müssen. Eine nicht wirksame Entscheidung aus Freiheit dürfte, umgekehrt gesprochen, nicht auch noch ein Gegenstand der objektiven Erklärung sein können. So wir aber annehmen, dass letzteres der Fall ist, muss eine Einwirkung angenommen werden – auch wenn wir (noch) nicht verstehen, wie es dabei zugehen mag.
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Überblick über den Gedankengang (Zweiter Teil)
In Kapitel 13 und damit in den zweiten Teil unserer Untersuchung einsetzen werden wir mit der zum Voraus geschickten Bemerkung, dass wir in Kant in Sachen Vereinbarkeit (starker) Freiheit mit dem naturgesetzlichen Determinismus einen Gefährten im Geiste haben; eine Gefährtschaft, die, wie wir sehen werden, sowohl Strawson wie auch Geert Keil – aus verschiedenen und doch ganz ähnlichen Gründen – nicht gerne angenommen hätten. Nachdem wir ein paar – zwangsläufig nur vorläufige – Worte zu der Kritik beider an Kants Position – die wir ja noch gar nicht kennengelernt haben werden – verloren haben werden, werden wir uns sogleich daran machen, dieselbe zu erkunden, namentlich anhand der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft, in welcher Kant unter dem Titel der Dritten Antinomie der reinen Vernunft zwischen zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzten Thesen vermittelt, nämlich (1) „Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.“ (KrV, B 472/ A 444)1
und (2) „Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur.“ (KrV, B 473/ A 445)
Auffallen wird uns schon an der Formulierung der beiden Sätze, dass Kant die Freiheitsfrage (zunächst) offenbar unter etwas anderen Vorzeichen formuliert als 1 Werke
Kants zitiere ich, wo möglich, zuerst nach der Originalpaginierung und, wo hilfreich, anschließend in eckigen Klammern zusätzlich nach der Akademie-Ausgabe. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_4
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wir es bis dahin getan haben werden (und es auch sonst in der Debatte üblich ist). Zwar geht es bei dem Streit um diese beiden Thesen ganz offensichtlich um die Freiheitsfrage – und irgendwie scheint diese auch mit dem naturgesetzlichen Determinismus in Verbindung gebracht zu werden –, doch geht es dabei offenbar um die Frage, ob wir Freiheit, als eine zweite Kausalitätsart neben der ‚gewöhnlichen‘ Naturkausalität, zur Erklärung der Natur benötigen, eine Frage, die uns bis dahin nicht in den Sinn gekommen sein wird. In der Hoffnung, aus ihrer Entwicklung und Beantwortung von Seiten Kants dennoch Gewinn für unser Unterfangen ziehen zu können, werden wir uns dem unbeachtet auf sie einlassen und uns zunächst die Argumente für die beiden Sätze (1) und (2), die Kant vorstellt, genauer ansehen. Grund für beide Behauptungen ist, wie wir sehen werden, offenbar der Satz vom zureichenden Grund, der, angewandt auf die Kausalreihe der Begebenheiten in der Welt, zu dem scheinbar unwiderstehlichen Schluss einlädt, dass es an dieser Reihe ein Unbedingtes geben muss, entweder, wie man dann meinen muss, am Anfang derselben in Gestalt einer selbst (natur-)kausal unbedingten – und insofern freien – Ursache oder in der Reihe selbst, die dann – ohne Anfang – als unendlich gegebene gefasst werden müsste. Zwischen diese beiden Behauptungen scheint kein Drittes zu passen, eine von ihnen muss also, so scheint es, wahr sein. Gemessen an den Argumenten, die auf beiden Seiten vorgetragen werden – als reductio ad absurdum der jeweiligen Gegenseite – scheinen aber beide wahr bzw. – je nach Hinsicht – beide falsch sein zu müssen, es handelt sich, mit anderen Worten, anscheinend um eine waschechte Antinomie. In dieser prekären Lage werden wir Kant mit der These auftreten sehen, dass die Voraussetzung, unter der obiger Streit zustande kommt, die Anwendbarkeit des Satzes vom zureichenden Grunde – das als Prinzip der Logik unangetastet bleibt – auf die realen (Kausal-)Verhältnisse, in der Tat falsch ist. Es gibt kein Unbedingtes in der Welt, keinen kausalen Anfang derselben, aber auch keine gegebene Unendlichkeit ihrer Kausalfolge, beide, sowohl der Vertreter von Satz (1) wie auch der von Satz (2) liegen falsch. Wie begründet Kant diese Ansicht? Und was ist das Dritte, das er nun offenbar zur Vermittlung zwischen beiden in Anschlag bringen muss? Die Antwort auf beide Fragen, so werden wir feststellen, bietet Kants Erscheinungslehre, der zufolge Raum und Zeit und entsprechend sowohl die Gegenstände wie auch die Verhältnisse in denselben nicht schon unabhängig davon vorliegen, dass wir sie anschauen, keine An-sich-Seienden sind, sondern – in einem Sinne, den es noch näher zu erläutern gelten wird – als Erscheinungen in Abhängigkeit von unserer Subjektivität gefasst werden müssen. Raum und Zeit, so bekanntlich die Zentralthese der Transzendentalen Ästhetik, sind (die) reine(n) und subjektiven Formen aller möglichen Anschauung der Gegenstände und damit, nach Maßgabe unserer Erkenntnisbedingungen, die
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durch diese Formen zugleich markiert sind, auch die aller (uns) möglichen Gegenstände. Zudem steht der Zentralthese der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe zufolge alle mögliche Anschauung unter gewissen Verstandesbegriffen – den Kategorien –, die wir qua ursprünglicher, nicht zu hintergehender Synthesis des sinnlich Gegebenen als objektiv gültige Formen der Wirklichkeit hervorbringen. Ohne diese beiden Zutaten unserer Subjektivität, Raum und Zeit als reine Anschauungsformen und die reinen Verstandesbegriffe inklusive dem der Kausalität, geschieht, zumindest nach Maßgabe der unhintergehbaren Erkenntnisbedingungen, unter denen wir Kant zufolge nun einmal stehen, überhaupt nichts zwischen Himmel und Erde und ist auch unabhängig von uns nichts, auch keine Reihe der kausalen Bedingungen, überhaupt nur gegeben. Vielmehr sind uns die Dinge, Ereignisse und Verhältnisse in der Welt in ihrer Gesamtheit auf gegeben, wir stellen, im Ausgang von einer beliebigen Begebenheit, die Reihe ihrer (kausalen) Bedingungen durch unseren Rückgang in der Zeit in gewissem Sinne erst her. (Deshalb gilt der Satz vom zureichenden Grund nicht auch für reale Verhältnisse – es gibt nichts bereits unabhängig von uns An-sich-Bestehendes, woran er greifen könnte.) Diese freilich noch erklärungsbedürftige These hat, damit werden wir dieses Kapitel schließen, auf den uns vorliegenden Streit näher die folgende Wirkung: Insofern sie annehmen, es müsse eine in sich abgeschlossene, Kausalreihe als gegeben vorliegen, liegen beide Seiten falsch. Dem Vertreter von Satz (2) ist aber wenigstens insofern Recht zu geben, als er meint, dass innerhalb der Erscheinungsreihe kein Raum für eine Freiheitskausalität sein kann, denn diese würde den Regressus in der Verfolgung der Kausalreihe, der uns ad indefinitum aufgegeben ist, in unzulässiger Weise abbrechen. Aber auch der Vertreter von Satz (1) hat nicht gänzlich Unrecht. Zum einen hat er natürlich Recht darin, dass es keine unendlich gegebene Reihe von Kausalbedingungen geben kann – es ist, entgegen seiner eigenen Behauptung, nur auch kein Anfang derselben gegeben. Zum anderen kann er, insofern er davon Abstand nimmt, Freiheit zur Begründung der natürlichen Kausalreihe einzusetzen, dieselbe vielleicht aber abseits derselben behaupten, eben als ein An-sich-Seiendes. Zumindest, so der Stand am Ende von Kants theoretischer Freiheitslehre, kann den Freunden der Freiheit ihr Gegenstand dann nicht mehr durch (natur-)theoretische Überlegungen abgerungen werden, da ihre Kriterien in diesem, noch weiter aufzuklärenden, Bereich prinzipiell versagen. Den Anklang an Strawsons Unabhängigkeitsbehauptung, der hierin zweifellos liegt, werden wir für den Moment verstummen lassen und uns in Kapitel 14 einerseits die Kantische Raum-Zeit-Lehre, andererseits seine These von der Notwendigkeit der, wie wir es nennen werden, Fundamentalobjektivierung – also der ursprünglichen Synthesis alles uns in Raum und Zeit anschaulich
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Gegebenem – noch einmal etwas ausführlicher vornehmen. Denn es regt sich Widerstand. Gegen Kants Raum-Zeit-Lehre von Seiten der Physik, näher durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, der zufolge Raum und Zeit (bzw. die Raumzeit) masseinduzierte Krümmungen erleiden (können), folglich, so scheint es, selbst materieller Natur sein müssen und damit augenscheinlich schwerlich reine Anschauungsformen sein können. Diese Problematik spiegelt sich wider in der Frage nach der Euklidizität der Raumzeit, die Kant in Übereinstimmung mit der Physik seiner Zeit noch angenommen hat, die aber, wie wir heute annehmen, nicht vorliegt. In der Meinung, „daß alle äußere Gegenstände unsrer Sinnenwelt notwendig mit den Sätzen der [reinen, euklidischen; ds] Geometrie nach aller Pünktlichkeit übereinstimmen müssen“ (Prol., A 60 [=AA IV, 287]), werden wir Kant in der Tat widersprechen müssen, mit einem kleinen, aber entscheidenden Nachsatz: Es sei denn, wir abstrahieren von der Masse der Gegenstände, wie wir es, worauf Koch hinweist, im Grund- und Grenzfall der per se masselosen Imagination auch wirklich und notwendigerweise tun. Gleichfalls musste Kant in seiner Reflexion auf die transzendentalen Möglichkeitsbedingungen der Gegenständlichkeit von deren Materialität und erst recht von ihrer Masse abstrahieren, Eigenschaften, die sich erst in Rücksicht stellen lassen (und in Rücksicht gestellt werden müssen), wenn wir diese Abstraktion wieder rückgängig machen und die Gegenstände in ihrer empirischen Raumzeitlichkeit betrachten. Es gilt, so werden wir feststellen, nach wie vor der Transzendentalen Ästhetik gemäß, dass wir ohne die Voraussetzung der Räumlichkeit der äußeren bzw. der Zeitlichkeit der sowohl äußeren wie inneren Gegenstände gar keine Gegenstände anschaulich vorstellen könn(t)en. Doch auf dem Stand dieser – von allen empirischen Eigenschaften der Gegenstände abstrahierenden – Lehre haben wir noch kein wirkliches Dasein vor Augen stehen, weder von Raum und Zeit, noch von den materiellen Gegenständen in denselben. Ziehen wir dieses – und dessen Bedingungen – hingegen mit in Betracht, können wir der Kantischen (und müssen wir der Einsteinschen) Lehre gemäß, ungeachtet der Notwendigkeit der Voraussetzung von Raum und Zeit zur Anschaulichkeit von Gegenständen überhaupt, von einer Abhängigkeit der materiellen Raum-Zeit-Struktur von den Gegenständen in derselben ausgehen. Daher gilt, so werden wir es für uns festschreiben: (14.13) Kants Lehre von Raum und Zeit ist mit der Raum-Zeit-Lehre der Allgemeinen Relativitätstheorie vereinbar.
Und da wir ansonsten keinen Grund für uns sehen werden, der Kantischen RaumZeit-Lehre zu widersprechen, werden wir auch die folgenden Thesen festhalten können:
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(14.14) Der Raum ist die subjektiv formale Vorbedingung des äußeren und die Zeit die subjektiv formale Vorbedingung des äußeren wie inneren Sinnes.
Und entsprechend: (14.15) Die Gegenstände unserer Sinne sind keine An-sich-Seiende, sondern bloße Erscheinungen in Raum und Zeit.
Insbesondere, was die letztere These betrifft, werden sich freilich weitere Nachfragen regen, darunter vor allem der schon seinerzeit gegen Kant erhobene Idealismusverdacht. Diesen Verdacht wird es auszuräumen gelten, dies auch und nicht zuletzt, um der Kantischen Lehre einen Sinn abgewinnen zu können, den wir für unsere Frage nach den tieferen Gründen für die Vereinbarkeit von Freiheit und naturgesetzlichem Determinismus fruchtbar machen können. Doch diese Zusammenhänge werden uns auf diesem Stand der Dinge noch allenfalls dunkel vor Augen schweben. Widerstand gegen die These von der Notwendigkeit der Fundamentalobjektivierung – dass alle mögliche Wahrnehmung bereits kategorial und damit objektivierend eingefasst sein muss –, die wir in Kapitel 13 noch ohne zu zögern als eine Kantische ausgegeben haben werden, regt sich indessen von ganz unerwarteter Seite, nämlich, so scheint es jedenfalls, von Kant selbst, der in den Prolegomena gelegentlich recht unzweideutig von der Objektivierung als einer gegenüber der bloßen, nicht objektivierenden, Wahrnehmung nachträglichen Leistung spricht. Doch wir werden uns hiervon – mit Koch – unerschüttert zeigen, ob mit oder ohne Kants Beifall: Ohne Objektivierung kein Selbstbewusstsein, ohne Selbstbewusstsein keine Möglichkeit, eine Vorstellung mit der Ich-denke-Begleitung versehen zu können, die aber für jede mögliche Vorstellung gegeben sein muss (oder zumindest für jede, deren wir uns als einer solchen bewusst sind); dies – die Unhintergehbarkeit der ursprünglich objektivierenden Synthesis – ist die Lehre, die wir aus dem § 16 von Kants Transzendentaler Deduktion ziehen müssen und die auch der Sache angemessen ist. Möglich – und in der Tat nicht ungewöhnlich – ist hingegen die nachträgliche Deobjektivierung, etwa im Stand der Enthaltung oder des Zweifels, die aber immer nur vor dem Hintergrund einer bereits erfolgten Objektivierung ansetzen und dieselbe auch nur ausklammern, nie völlig abschalten kann. Wir werden uns also auf die folgende These festlegen (14.16) Aus der Notwendigkeit der Möglichkeit der Ich-denke-Begleitung ergibt sich die Nachträglichkeit des Wahrnehmungsbewusstseins (und im Übrigen auch aller sonstigen athetischen, z. B. enthaltenden oder zweifelnden, Bewusstseinszustände) gegenüber dem objektivierenden Bewusstsein.
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Selbst der Zweifel bleibt eingebettet in Objektivitätsansprüche und wer diese wirklich in wahrheitsskeptischer Absicht umgehen will (und nicht nur so tun als ob), der müsste sich – ähnlich der Weise, in der Quine den Leugner des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch das Thema wechseln lässt – in einen epistemischen Stand begeben, der von dem, der uns bekannt ist, so grundverschieden ist, dass wir uns mit einer solchen Person gar nicht mehr verständigen, ja sie noch nicht einmal mehr als Person wahrnehmen könnten. Diesen Gedanken werden wir sogleich im fünfzehnten Kapitel noch einmal aufgreifen und zu zeigen unternehmen, dass ein Themenwechsel dieser Art auch dann erforderlich wäre, würden wir uns gegen den naturgesetzlichen Determinismus aussprechen. Zum Gegenpol unserer Überlegungen wird uns die von Keil sogenannte und sogleich als seine eigene Position vorgetragene „Gesetzesskepsis“ dienen. Keil begründet die dieser Skepsis entsprechende These, dass es keine (determinierenden) Naturgesetze gibt, vornehmlich damit, dass es (1) de facto keinerlei befriedigenden Kandidaten zur Formulierung auch nur eines solchen Naturgesetzes – das zumindest in seiner sinnenbezogenen Konkretisierung ein empirisches Verlaufsgesetz sein müsste – gibt und es (2) offensichtlich auch gar nicht nötig sei, einen solchen Kandidaten zu kennen (formuliert oder unformuliert), um uns in der Welt (erkennend, das heißt objektivierend) orientieren zu können. Wir werden Keil in den Punkten (1) und (2) indes vorbehaltlos zustimmen, seinen gesetzesskeptischen Schluss allerdings nicht akzeptieren können. Natürlich, werden wir meinen, gibt es keine adäquate Formulierung (und auch keine ausgedrückte Kenntnis) eines konkreten Kausalgesetzes – die Bedingungen, die hierbei alle in Rücksicht zu stellen wären, wären aufgrund der allseitigen kausalen Verstrickungen wohl nur einem all- oder wenigstens übermäßig-viel-wissenden Wesen einsichtig –, aber das muss nicht bedeuten, dass es dergleichen nicht gibt. Und natürlich brauchen wir auch kein solches Gesetz zu kennen, um uns im Alltag wie auch in den sowohl theoretischen wie angewandten Wissenschaften – jedenfalls leidig – orientieren, Kenntnis von der Welt erlangen und dieselbe etwa in Form von Teilchenbeschleunigern oder Raumfahrtschiffen gestalterisch verarbeiten zu können. Aber (so werden wir entgegensetzen): Sofern wir nicht bloß mit Ausnahmen von unseren Regularitätsbehauptungen, sondern mit solchen der Regularitäten zu rechnen hätten, müssten wir in einem Zug auch damit rechnen, dass die Begebenheiten bzw. Objekte, die von ihnen betroffen wären, als solche keine möglichen Gegenstände einer objektivierenden Bezugnahme wären. Nicht nur wären uns solche Begebenheiten dann unerklärlich, sondern wir würden sie noch nicht einmal als Begebenheiten erkennen (und auch nicht wahrnehmen) können, mit anderen Worten: So weit wir sehen können, kann es keine ‚echten‘ Regularitätsstörungen geben, und eine andere Sicht der Dinge käme einer Aufgabe des Begriffs der
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Objektivität und damit einem Themenwechsel der Art gleich, auf den sich auch die radikale Objektivitäts- und Wahrheitsskepsis festlegen müsste, von dem wir uns jedoch keinen Begriff machen können. Anschließend werden wir einige eher lose – und in der Tat sicher unzureichende – Überlegungen zum Verhältnis dieses Resultats zu quantenmechanischen Phänomenen anstellen, deren geläufige Interpretation bekanntlich indeterministischer Natur ist. Zunächst wird uns scheinen, als würden wir uns entscheiden und entweder behaupten müssen, dass diese geläufige Interpretation falsch ist, oder, dass unsere Überlegungen es sind. Wir werden allerdings auch auf eine dritte Möglichkeit hinweisen, durch die der uns geläufige Begriff von Objektivität gewahrt bleiben und dennoch die indeterministische Deutungsvariante Recht behalten könnte, indem wir darauf verweisen, dass auch statistische (oder probabilistische) Gesetze, auch wenn sie den Lauf der Dinge nicht eindeutig – und somit nicht deterministisch – festlegen, nichtsdestoweniger Gesetze, folglich ausnahmslos gültige Regularitäten sind. Eindeutige Vorhersagen wären dann im Bereich der Quanten (und sofern die Quantenunbestimmtheiten sich auch in die Makroebene hin fortpflanzen auch im Bereich der gewöhnlichen Einzeldinge) in der Tat unmöglich, strikt gesetzmäßig müsste es dabei aber dennoch zugehen. Wir werden jedoch keine der genannten Optionen im Einzelnen ausbuchstabieren, sondern zum Schluss des Kapitels konstatieren, dass es uns im Sinne unseres Vorhabens der Freiheitsbegründung im Grunde gleichgültig sein kann, wie es mit der Determinismusfrage zugeht – solange uns darüber nur nicht die umfassende Wahrheits- und Objektivitätsskepsis droht, die wir als aus unserer Sicht unzulässigen Themenwechsel aber ausklammern können –, und zwar aufgrund derselben Überlegung, die uns die Behauptung der Vereinbarkeit eines starken Freiheitsbegriffs mit der Annahme des naturgesetzlichen Determinismus beschert haben wird (These (12.12)): Es ist, aus der Perspektive der subjektiven Einstellung, die sich in unserer moralischen Praxis manifestiert und deshalb wiederum auf Freiheit gründen muss, schlicht irrelevant, ob der Determinismus gilt oder nicht (Thesen (10.9), (10.10) und (11.11)). Gilt er, ist dies kein Hindernis zur Behauptung von Freiheit. Gilt er nicht, kann dies genau deshalb aber auch keine Hilfe dabei sein, Freiheit zu behaupten. (Da wir diese These im Grunde bereits längst herausgestellt haben werden und unsere Argumentation für die Determinismusthese zu viele Fragen offen lässt, um sie als ein fertiges Resultat präsentieren zu können, werden wir keine der beiden Thesen in unsere nummerierte Liste mit aufnehmen.) In Kapitel 16 wird es gelten, das im dreizehnten gegebene und im vierzehnten Kapitel erneuerte Versprechen endlich einzulösen, die Kantische Erscheinungslehre unter dem Licht der folgenden Frage näher zu untersuchen: Wenn gemäß These (14.15) die Gegenstände unserer Sinne bloße Erscheinungen und keine
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Dinge an sich (An-sich-Seiende) sind, müssen wir dann nicht schließen, dass wir es Kant zufolge im Erkennen nur mit einer besseren Illusion zu tun haben, einer Erkenntnis der Welt eben nur, wie sie uns erscheint, und nicht, wie sie wirklich ist? Die Antwort auf diese Frage wird negativ ausfallen, mit welchem – exegetischen wie sachlichen – Recht wir diese Antwort geben können, jedoch der ausführlichen Erläuterung bedürfen. Hierzu werden wir uns zunächst die folgende Bemerkung Kants ansehen, dass „[w]as es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen an sich und abgesondert von aller dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, […] uns gänzlich unbekannt“ bleibe und „[w]ir [nichts] […] kennen“ würden, „als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, ob zwar jedem Menschen, zukommen muß“ (KrV, B 59/ A 42). Die Versuchung, die Lage, in der Kant uns dieser Bemerkung zufolge im Verhältnis zu den Gegenständen sieht, auf die eine oder andere Weise in ein Bild zu fassen, ist, so werden wir sehen, groß, muss jedoch tunlichst vermieden werden, sogar in der Form, dass man sich – nach einiger Reflexion – zu dem Zugeständnis durchringt, dass es die Pointe der Kantischen Lehre sei, dass wir nicht angeben können, ob das Bild, das man sich von jener Lage verschafft hat, der Wahrheit entspricht oder nicht, andere, etwa Gott, aber durchaus zu einer solchen Beurteilung in der Lage wären. Es gibt, so könnte man die (exegetische wie sachliche) Position, für die wir uns einsetzen werden, gar keine Lage, von der irgendwer (oder -etwas) sich ein Bild machen könnte. Der durch unsere Erkenntnisbedingungen markierte Standpunkt, den wir gegenüber den Dingen Kant zufolge einnehmen, ist schlechthin unhintergehbar, und der von Kant in der zitierten Passage angedeutete Standpunkt, von dem aus die Gegenstände ihrem An-sich-Sein erkennbar wären, ist in Wahrheit gar kein gegenüber dem Standpunkt, von dem aus wir ihre Erscheinung erkennen, selbstständiger solcher, sondern nichts weiter als ein – wiewohl notwendiger – Gedanke, gewonnen in Abstraktion von der Raum-Zeitlichkeit der Erscheinungen. Unterstützung für diese interpretatorische Sicht werden wir vor allem von Henry E. Allison erhalten, mit dem dieselbe sich auch so ausdrücken lässt, dass Kant, anstatt eine – gegenüber seinen Vorgängern – alternative (Erscheinungs-)Ontologie anzubieten, vielmehr eine Alternative zur Ontologie anbietet: Reine, durch und durch ontologiebefreite Epistemologie, die sich – dies der Zusammenhang zwischen Allisons Diktum und obiger Interpretation – dadurch rechtfertigt (und sogleich notwendig macht), dass wir neben (über oder unter) unserem epistemischen Stand in Bezug auf die Dinge gar nichts haben, mit dem wir sonst theoretisch arbeiten könnten, um philosophische Grundlagenarbeit am Sein zu verrichten.
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In die nähere Erläuterung der soeben angerissenen Gedanken wird sich, gegen Ende des Kapitels, auch die Ausräumung eines Verdachts fügen, den Marcus Willaschek gegenüber einer solch durch und durch epistemologischen Lesart der Kantischen Erscheinungsthese erhebt; dass sie nämlich nur um den Preis der Abwertung der Kritischen Metaphysik aufrechterhalten werden könne, die Kant sowohl im weiteren Verlauf seiner Kritik der reinen Vernunft, wie auch vor allem in späteren Arbeiten betreibt, bei der er nämlich das An-sich-Seiende, anders, als wir bis dato, nicht in einem bloß negativen, sondern durchaus auch in einem positiven Sinne in Anspruch nimmt (affirmativ bestimmt). Dieser Verdacht, so werden wir argumentieren, ist unbegründet, weil der positive Gebrauch vom Ansich-Seienden dem negativen gegenüber nachträglich ist. Die Möglichkeit der affirmativen Bestimmung des An-sich-Seienden kann nur dann in genuin Kritischer Weise erfolgen, wenn wir die Kritische Wende, die durch jene Zuwendung zur reinen Epistemologie eingeläutet wurde, nachher nicht wieder rückgängig machen. Erst müssen wir das An-sich-Seiende als die bloße Abstraktion von bzw. das bloße Negativ zur Raum-Zeitlichkeit der Erscheinungen fassen, als einen bloßen – per se gar nicht wahrheitswertfähigen – Gedanken, dann (und nur dann) können wir, gleichfalls bloß in Gedanken, dasselbe affirmativ bestimmen. Es gilt eben, so werden wir festhalten: (16.17) Das An-sich-Seiende ist (im ersten logischen Schritt) nicht als Wirklichkeit sui generis, sondern nur im Negativ zum Standpunkt der Objektivität der Erscheinungen zu konzipieren, als Abstraktion von der Raum-Zeitlichkeit (und damit der Objektivität) derselben, und affirmative Bestimmungen desselben sind nur unter der Voraussetzung dieser ursprünglichen Negativität möglich.
Diesen Gedanken – der uns bis zum Schluss der Arbeit begleiten wird – werden wir anschließend, in Kapitel 17, am Beispiel derjenigen affirmativen Bestimmung des An-sich-Seienden nachvollziehen, an der uns im Rahmen dieses Unterfangens ganz besonders gelegen ist, namentlich am Beispiel der Freiheit. In diesem Zuge werden wir auch ein scheinbar tiefgreifendes Bedenken heben können, das schon Jacobi seinerzeit gegenüber der Kantischen Philosophie erhoben hat: Dass Kant, um seine Erscheinungslehre konzipieren zu können, das An-sich-Seiende als ein, wiewohl unbekanntes, substantielles Substrat der Erscheinungen hinzukonzipieren muss, das in Rücksicht auf dieselbe auch als wirkmächtig zu fassen ist – Bestimmungen, die Kants eigener Lehre von der Beschränktheit des Kategoriengebrauchs auf die Erscheinungen zufolge, wie Jacobi meint, jedoch nicht vorgenommen werden dürften. Doch dem liegt, wie wir sehen werden, ein Missverständnis zugrunde. Beschränkt ist der Gebrauch
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der Kategorien und damit jener Begriffe auf die Erscheinungen nur insofern, als sie nur in Rücksicht auf dieselben Erkenntnisse zu verschaffen in der Lage sind. Dies sieht zwar auch Jacobi, doch weil er letztlich nicht davon loskommt, das An-sich-Seiende bei Kant als eine von den Erscheinungen unabhängige Wirklichkeit sui generis zu begreifen, muss er uns bei der übrigen (nicht-erkennenden) Anwendung der Kategorien auf das An-sich-Seiende im Stand einer bloßen (und prinzipiell unüberprüfbaren) Vermutung sehen. Sollte diese Sicht der Dinge in Bezug auf Kants Lehre das letzte Wort behalten, so wäre dies natürlich alles andere als befriedigend, nicht zuletzt übrigens auch in Bezug auf Freiheit: Denn dann wäre die Zuweisung der letzteren auf Seiten der Dinge an sich ebenfalls nichts weiter als eine bloße Vermutung oder gar schlimmer noch: Eine uns wohlgefällige, zumindest mutmaßlich (selbst-)betrügerische Phantasie, die wir uns nur deshalb unbestritten erlauben können, weil – außer dem Allmächtigen – keiner weiß, wie die Dinge wirklich liegen, und uns daher auch niemand des Betrugs überführen kann. Da aber gemäß der Interpretation, die wir in Kapitel 16 entwickelt haben werden, das An-sich-Seiende gar nicht als Wirklichkeit sui generis zu verstehen ist, sondern, jedenfalls ursprünglich, als eine Perspektive, die wir im bloßen Negativ zur raum-zeitlich eingefassten (bzw. einfassenden) Perspektive auf die Objekte einnehmen, stellt sich die Lage weit weniger verdächtig dar. In direktem Anschluss an das zuletzt im sechzehnten Kapitel Gesagte können wir die affirmativen Bestimmungen, die Kant in Bezug auf das An-sich-Seiende in der Tat vornimmt, einschließlich der Freiheit, anstatt als unüberprüfbare Vermutungen über eine von den Erscheinungen unabhängige Wirklichkeit sui generis, als Quasi-Bestimmungen einer bloß gedanklichen Projektionsfläche fassen, die wir uns in negativer Abhängigkeit – in Abstraktion – von der Raum-Zeitlichkeit der Erscheinungen selbst schaffen. Damit, so die begründete Hoffnung, die wir damit verbinden können werden, erledigt sich die Frage nach der (Seins-)Wirklichkeit derselben von vornherein selbst. Es obliegt, mit anderen Worten, ganz uns – unserer Subjektivität –, diese Projektionsfläche mit Quasi-Bestimmungen zu versehen, ohne dass wir fürchten müssten, irgendeine an-sich-seiende Wirklichkeit mit denselben nicht recht zu treffen, weil es diese Wirklichkeit schlicht nicht gibt. Für unseren Gegenstand der Freiheit gilt entsprechend (17.18) Freiheit ist nur möglich als affirmative Quasi-Bestimmung des An-sichSeienden gemäß der in These (17.17) festgeschriebenen Konzeption desselben und damit ebenso wie dieses nicht als Wirklichkeit sui generis bzw. Teil einer solchen, sondern nur als eine Setzung auf Basis der Abstraktion von der Raum-Zeitlichkeit der Erscheinungen.
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Dass wir uns eine Einwirkung aus Freiheit, wie anschließend dargelegt werden soll, nicht bestimmt vorstellen, sondern sie nur in abstracto erwägen können als eine, durch die sich aufgrund der allseitig ausgreifenden kausalen Verstrickungen der Dinge und Ereignisse untereinander letztlich der gesamte Weltlauf im Ganzen ändern müsste (ohne eine solche Änderung in concreto nachvollziehen zu können), ist indes kein Mangel, sondern vielmehr eine, wenn nicht gar die Pointe der Kantischen Freiheitskonzeption. Denn würden wir uns eine bestimmte Vorstellung davon machen können, müsste es sich um eine Einwirkung unter den Bedingungen der (immer raum-zeitlichen) Objektivität, d. h. der Erscheinungen handeln, was der Voraussetzung widerspricht. Als Wirkung einer an-sich-seienden Kausalität dagegen entzieht sie sich schon prinzipiell den Bedingungen der Objektivität und damit der Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit, daher wir der negativen Antwort, die Keil sich auf die zugleich titelgebende Frage seines Aufsatzes Kann man nichtzeitliche Verursachung verstehen? gibt, ganz im Sinne Kants – und der Sache – beherzt zustimmen können, hierin jedoch, anders als Keil, kein Problem sehen werden. Diese prinzipielle objektive Unhintergehbarkeit des An-sich-Seienden und damit auch der Freiheit und ihrer Wirkungen wird uns in Kapitel 18 weiterhin beschäftigen, näher unter dem Gesichtspunkt der prinzipiellen Unmöglichkeit einer Einsicht in die Moralität unserer Handlungen, die Kant in einer Fußnote zu seiner Auflösung der Freiheitsantinomie in der Transzendentalen Dialektik diagnostiziert – und auch ein wenig zu beklagen scheint. Doch zur Klage besteht, wie wir im Anschluss an die Thesen (16.17) und (17.18) feststellen werden, gar kein Grund. Das ‚Einsichtsproblem‘ erwächst daraus, dass wir zum einen Zuordnungen zwischen Moralität und Freiheit vornehmen dergestalt, dass eine Handlung als desto moralisch wertvoller (oder schändlicher) zu bewerten ist, je eher wir davon ausgehen müssen, dass es sich um eine Handlung aus freiem Entschluss handelt und nicht etwa um eine (un-)willkommene (Neben-)Wirkung des objektiv bestimmbaren, da in den Naturzusammenhang der Erscheinungen eingebetteten Naturells der jeweils handelnden Person, zum anderen aber dieses letztere Verhältnis – zwischen Freiheit und Natur – aufgrund der prinzipiellen Uneinsichtigkeit des An-sich-Seienden gar nicht bestimmen können, folglich auch nicht den Grad an Moralität, der jeweils vorliegt. Dass es sich bei diesem Umstand indes gar nicht wirklich um ein Problem handelt, wird sich zeigen, indem wir – erneut – auf die entwickelte Konzeption des An-sich-Seienden merken und feststellen werden, dass die Frage nach einer Einsicht in dasselbe – und damit auch in die Moralität unserer Handlungen – als solche schon falsch gestellt ist. Es ist nun einmal genau so, wie wir mit Strawson bereits längst festgestellt haben (Thesen (10.9) und (10.10)) und in diesem Kapitel nur noch einmal etwas anders nuancieren
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– in Einem aber auch sogleich mit den Kantischen Lehren verbinden – werden; dass die Frage, in welchem Maße wir die naturkausalen Bedingungen, unter denen eine Handlung steht, berücksichtigen sollen, keine Frage ist, die sich in objektiver Einstellung, vom Standpunkt der Erscheinungen, sondern zuletzt nur in subjektiv eingestellter Perspektive, vom Standpunkt der Moralität (und damit des An-sichSeienden) her beantworten lässt. Ob und inwiefern wir, anders ausgedrückt, die schwere Kindheit oder den Alkoholpegel eines mutmaßlichen Übeltäters bei unserer Bewertung in Rechnung stellen, ist in letzter Analyse und zugleich primär eine moralische Frage, und nur sekundär, nachträglich zu entsprechenden moralischen Prinzipien, eine Frage, die sich durch objektive Untersuchungen – durch Fakten – klären lässt. Unsere moralische Praxis ist eben objektiv unhintergehbar, ein ‚Einsichtsproblem‘ stellt sich gar nicht. (Die Gelegenheit, angesichts dieser Diagnose in (allerdings eher kreativem) Anschluss an Kant in Vorschlag zu bringen, dass es, anstatt sich in mühsamem – und letztlich vergeblichem – Kleinklein zu üben, wo es um Fragen der moralischen Bewertung zu tun ist, vielleicht eher geboten ist, ohne weitergehende Analyse die Frage nach der eigenen Moralität vorsichtshalber in toto mit einer gesunden (nicht selbst-geißelnden) Skepsis und die nach der Moralität anderer tendenziell mit (wiewohl möglichst freiheitsbelassender) Milde zu betrachten, werde ich nicht vorbeiziehen lassen, ohne hieraus jedoch weitergehende Folgerungen für unser Vorhaben zu ziehen.) Der tiefere Grund für die objektive Unhintergehbarkeit unserer moralischen Praxis indes ist – so werden nun die Fäden, die wir über unsere Untersuchung hinweg gesponnen haben werden, zusammenlaufen – die objektive Unhintergehbarkeit des An-sichSeienden, welches eben jenen Bereich eigenen Rechts, nicht aber eigenen Seins darstellt, das wir nach These (7.5) benötigen, um Freiheit neben der naturgesetzlich bestimmten Ordnung theoretisch installieren zu können. Wir werden diesen Einsichten entsprechend die folgenden drei Thesen zu unserer Liste hinzufügen können: (18.19) Kantische Erscheinungen bieten die Möglichkeit zur Strawsonschen doppelten Bezugnahme und damit auch zur Vereinbarkeit von (starker) Freiheit und (striktem) Naturdeterminismus. (18.20) Die objektive Unhintergehbarkeit der moralischen Praxis (in subjektiver Einstellung) erklärt sich aus der objektiven Unhintergehbarkeit der Abstraktion von der Raumzeitlichkeit der Erscheinungen (bzw. der objektiven Unhintergehbarkeit des An-sich-Seienden). (18.21) Das An-sich-Seiende, als die Abstraktion von der Raumzeitlichkeit der Erscheinungen, stellt den gemäß These (7.5) geforderten Bereich eigenen Rechts,
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nicht aber eigenen Seins, von dem her es möglich ist, auf den naturgesetzlichen Lauf der Dinge Einfluss zu nehmen.
In Kants Erscheinungslehre werden wir also, mit anderen Worten, die zum Ende des zwölften Kapitels ausgeschriebene Theorie des Körperlichen (Gegenständlichen) gefunden haben, durch die wir uns erklären können, wie es möglich ist, auf die Gegenstände – je nach Interesse, erklärend oder wertend – in objektiver oder in subjektiver Einstellung Bezug nehmen zu können. Für das neunzehnte und letzte Kapitel verbleiben wird noch die Beantwortung der folgenden Frage: Wenn wir in der Ausübung unserer Freiheit per definitionem auf eine Perspektive zurückgeworfen sind, die durch nichts als sich selbst bestimmt sein kann, wie kann sie dann überhaupt durch irgendetwas bestimmt sein? Anders gefragt: Nach welchem Prinzip erfolgen eigentlich die Setzungen, mit denen wir das An-sich-Seiende aus Freiheit belegen? Die im vorangegangenen Kapitel aufgestellte Behauptung, wir seien in der Besetzung des An-sich-Seienden auf moralische Prinzipien zurückgeworfen, mag uns einen Hinweis liefern, doch ohne Weiteres wird sie uns nicht weiterhelfen können. Bestimmte, möglichst allgemeingültige moralische Prinzipien wie „Du sollst nicht töten!“ mögen sich vor der Hand zwar anbieten, sind aber grundsätzlich – dem Wesen der Freiheit gemäß – hinterfragbar; jedenfalls ohne Weiteres besteht keine Notwendigkeit, sich irgendein inhaltlich bestimmtes Prinzip zum Prinzip seiner Setzungen zu machen. In der Tat sind, wie wir mit Kant sehen werden, die beiden Fragen nach einem Prinzip der Freiheit und nach einem Prinzip der Moral (bzw. der moralischpraktischen Vernunft) identisch, und zu beantworten (jedenfalls zunächst) nicht durch inhaltliche Prinzipien – da Inhalte nur durch die Sinne gegeben werden können –, sondern durch ein rein formales Prinzip, das nichts weiter enthalten kann als die Forderung nach Gesetzmäßigkeit (oder Prinzipienhaftigkeit) dessen, was da auch immer im Einzelnen gesetzt werden wird. Dieser Forderung trägt Kant mit dem Kategorischen Imperativ Rechnung. Folglich werden wir festhalten: (19.22) Das konstitutive und damit oberste Prinzip des freien Willens ist das Prinzip der Gesetzmäßigkeit seiner Bestimmungen (der kategorische Imperativ)
Ein nicht gesetzmäßig verfasster (bzw. gesetzter) Wille ist im Umkehrschluss kein freier Wille, womit die Prinzipienfrage beantwortet und im Übrigen auch dem sogenannten Zufallseinwand – dass eine durch nichts als sich selbst bestimmte Freiheit letztlich durch gar nichts bestimmt sein könnte – Rechnung getragen, allerdings die Frage aufgeworfen sein wird, mit welchem Recht wir Setzungen
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Überblick über den Gedankengang (Zweiter Teil)
nicht gesetzmäßiger Art – das moralische Falsche, Böse – dann noch als Setzungen aus Freiheit begreifen können. Wie, diese Frage wird uns zum Schluss noch beschäftigen, ist das Böse möglich? Zudem bleibt, wenn nur das Gesetzmäßige, Gute, aus Freiheit getan werden kann, letztlich auch für dieses keine wirkliche Freiheit, da keine Wahlmöglichkeit gegenüber dem Bösen mehr übrig. Handelt es sich bei unseren gesetzwidrigen Bestimmungen letztlich um bloße Irrtümer – versehentliche Falschsetzungen – oder gibt es letztlich gar keine vollends gesetzwidrigen Bestimmungen und ist auch in der Widrigkeit immer noch ein Rest an Autonomie und damit Gesetzmäßigkeit präsent? Die erste Option wird für uns ausscheiden, da sie zwar die gesetzwidrige Bestimmung erklären können mag, nicht aber das Böse an ihr. Doch auch die zweite Option, durch die wir uns zwar die Autonomie an der moralisch schlechten Handlung erklären können, lässt Fragen offen. Zwar würden wir mit ihr den Widerspruch heben können zwischen der Notwendigkeit der Gesetzmäßigkeit des Willens, damit dieser frei genannt werden kann, und der Wahl des Gesetzwidrigen, welches dann nie ein völlig, sondern nur vergleichsweise Gesetzwidriges sein kann; doch so recht zufrieden werden wir uns mit ihr nicht zeigen können. Denn wenn mit der Gesetzmäßigkeit auch die Freiheit schwindet, scheint das Böse eher als das Resultat einer Schwäche des Willens gedeutet werden zu müssen denn als das Resultat einer wirklich freien Entscheidung. Kant jedenfalls wäre, wie wir zu guter Letzt noch sehen werden, mit dieser Lösung nicht zufrieden gewesen, weswegen er sich in seiner Religionsschrift allem Anschein nach auf die Behauptung eines übergeordneten Standpunktes festlegt, von dem her zwar nicht völlig gegen das moralische Gesetz, aber doch für oder gegen dessen Unterordnung unter das konkurrierende Prinzip der Selbstliebe entschieden werden und somit eine Wahl zwischen Gut und Böse wenigstens in dieser Hinsicht radikal erfolgen kann Nur, so werden wir uns fragen, nach welchem Prinzip, wenn nicht dem der Freiheit? So recht erklären werden wir uns auch mit Kant die Wahl des Bösen nicht können, vielmehr scheint er ihre Möglichkeit, auch und insbesondere als Wahl, schlicht zu setzen. Mehr, so werden wir unsere Abhandlung schließen, kann aber vielleicht auch wirklich nicht zum Thema gesagt werden – zumal uns eben dieser Standpunkt durch die vorangegangenen Kapitel ja stets begleitet haben wird: Dass Freiheit, und alles, was mit ihr zusammenhängt, eben durch und durch – im besten Sinne – Setzung ist.
Teil II Erster Teil
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Ein kurzer Problemaufriss und einige erste Implikationen
Die Frage nach der Freiheit ist allem Anschein nach intuitiv verbunden zum einen mit der Frage nach Verantwortung und dem gegebenenfalls entsprechenden Verhängen von Strafen, und zum anderen mit der Frage nach dem Determinismus, dies näher wie folgt: Strafe impliziert Verantwortung, Verantwortung impliziert Freiheit. Das ist die eine Verbindung, genau genommen sogar zwei. Determinismus und Freiheit, das ist die andere, schließen einander aus. Determinismus wiederum, so könnte man dann querverbindend weiterschließen, schließt Verantwortung und damit wiederum Strafe aus. Diese Formulierungen laden, besonders bei Zeitgenossen, die in der Thematik bereits mehr oder wenig fest verwurzelt sind, freilich zu Nachfragen ein. Offenbar nämlich sind sie reichlich unterbestimmt. Inwiefern – z. B. konventionell, physikalisch, begrifflich, theoretisch oder praktisch – sollen die genannten Implikationsverhältnisse bestehen? Von welcher Freiheit – (nur) Handlungs- oder (auch) Willensfreiheit – sprechen wir hier? Und von welchem Determinismus, einem naturgesetzlichen oder einem göttlichen – oder gar einem moralischen? Halten wir uns diese Fragen vor, ist der Anschein der Intuitivität schnell dahin und wird die Lage äußerst diffizil, was sich nicht zuletzt in der Mannigfaltigkeit der verschiedenen – und einander teilweise aufs Schärfste widersprechenden – Ansätze und Theorien zum Thema widerspiegelt. Manch einer, zum Beispiel Kant, behauptet tatsächlich, dass (Willens-)Freiheit und Determinismus einander in Wahrheit gar nicht ausschließen. Andere wiederum, etwa Leibniz (oder auch nur meine Karikatur von ihm), meinen, dass der – in diesem Fall sowohl naturgesetzliche wie auch und zuvörderst göttliche – Determinismus und Willensfreiheit auf keinen Fall miteinander in Einklang gebracht werden
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_5
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können, dass aber Handlungsfreiheit mit dem ersteren (begrifflich) durchaus vereinbar ist. Dass dem nicht so sein kann, näher, dass der Begriff der Freiheit nicht in dieser Weise aufgespalten werden kann, werden wir noch in diesem Kapitel zeigen können. Damit aber legen wir uns augenscheinlich darauf fest, entweder die Behauptung des naturgesetzlichen Determinismus oder die der Willensfreiheit fallenzulassen; es sei denn natürlich, wir schließen uns Kant und damit der vor der Hand absurd anmutenden Behauptung an, dass die Behauptung beider gar keinen Widerspruch darstellt – und eben dies gedenken wir, zu tun, zunächst allerdings ganz unabhängig von Kant, im Anschluss an P. F. Strawson, der sich selbst gegen diese Vereinbarkeit ausspricht – zumindest in dem Sinne, in dem wir sie aufzuweisen gedenken –, allerdings, wie wir sehen werden (Kapiteln 10 und 11), selbst alles Nötige bereitstellt, sie zu behaupten. Auch Strawson können wir übrigens unter diejenigen rechnen, die sich gegen die Vereinbarkeit von Willensfreiheit mit dem naturgesetzlichen Determinismus, allerdings auch unter diejenigen, die sich für eine solche Vereinbarkeit aussprechen. Dies liegt indes nicht daran, dass er sich leichthin auf einen allzu offensichtlichen Widerspruch festlegt, sondern daran, dass wir unter „Willensfreiheit“ Unterschiedliches verstehen können, einmal, etwas grob gesprochen, als die Freiheit des Willens von bestimmten inneren oder äußeren Zwängen wie psychischer Krankheit oder vorgehaltenen Waffen – wie Strawson die Lage fasst –, einmal, sehr grob gesprochen, als die Freiheit des Willens von jeglichem Zwang (abgesehen von dem, den er womöglich auf sich selbst ausübt) – eine Freiheit, die Strawson schon ganz unabhängig von der Vereinbarkeitsfrage für ein Unding hält. (Er spricht sich also für die Vereinbarkeit von Determinismus mit der ersteren Freiheit aus.) Wir wollen, unsererseits ganz unabhängig von der Frage nach ihrer Möglichkeit (oder gar Wirklichkeit), unter „Willensfreiheit“ letzteres verstehen und ersteres (eher) als ein Fall von „Handlungsfreiheit“ begreifen – sofern diese sprachliche Aufteilung begrifflich überhaupt recht durchgehalten werden kann, was, wie wir bald sehen werden, nicht der Fall ist. Doch ganz gleich, wie wir uns zu stellen gedenken, schon aus diesen kurzen, unzulänglichen Bemerkungen dürfte klar geworden sein, dass die Möglichkeiten, sich in der Frage nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Determinismus zu stellen, vielfältig sind. Ähnlich unübersichtlich verhält es sich bei der Frage nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Verantwortung. Dafür, wie man sie beantwortet, ist zum einen wiederum die – vermeinte – Unterscheidung zwischen Handlungs- und Willensfreiheit ausschlaggebend – manche meinen, man brauche nur Handlungs-, nicht aber Willensfreiheit, um (gerechtfertigt) Verantwortungszuschreibungen tätigen zu können, andere wiederum beharren darauf, dass dies ohne Willensfreiheit nicht möglich bzw. gerecht wäre –, und zum anderen die
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Weise der Verbindung, die man zwischen beidem behauptet (oder leugnet). Wir haben das Problem, um das es in dem letzten Fall geht, in der soeben in Gedankenstrichen eingefügten Anmerkung bereits implizit reflektiert: Geht es um eine Verbindung derart, dass die Zuschreibung von Verantwortung für gewisse Handlungen ungerecht wäre, wenn wir zu der Erkenntnis kommen müssten, dass wir in Wahrheit gar nicht frei sind? Zumindest auf den ersten Blick scheint diese Vermutung ein echtes Problem zu reflektieren, das sich zuspitzen lässt zu der Behauptung, dass die uns geläufige moralische Praxis, in der wir allenthalben Verantwortungszuschreibungen tätigen, ihr moralisches Recht von Seiten der Philosophen und deren Antwort auf die Frage nach der Willensfreiheit zu gewärtigen hätte. Zu unserem Glück ist an dieser Befürchtung, wie Strawson zeigt (und wir mit ihm, insbesondere in Kapitel 10, nachvollziehen werden), überhaupt nichts dran. Dennoch werden wir uns um der moralischen Praxis willen für die Freiheit ins Zeug legen müssen, nicht aber im Sinne eines moralischen Aktivismus für deren moralische Rechtfertigung, sondern – dies eine weitere Möglichkeit, die Implikation zwischen Freiheit und Verantwortung zu verstehen – im Sinne unserer philosophischen Tätigkeit für deren begriffliche Rechtfertigung. Doch über den Gang dieser Abhandlung ist in der Einleitung bereits in nuce Auskunft gegeben worden und alles Weitere wird sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen. Hier sollte nur noch einmal auf die Problemlage hingewiesen werden bei der Frage danach, wie eine Behauptung wie die, dass Verantwortung Freiheit impliziere, überhaupt verstanden werden soll, und darauf, dass sich auch in diesem Fall, jedenfalls vor der Hand, vielfältige Möglichkeiten zur Ausbuchstabierung ergeben. Am leichtesten haben wir es sicher mit der ersten der genannten Verbindungen bzw. deren erstem Teil. Strafe impliziert Verantwortung. Dies scheint unter allen vernünftigen Hinsichten korrekt. Faktisch handhaben wir es so, wie irrig und krude wir dabei bisweilen auch vorgehen mögen. Wir würden niemanden für etwas bestrafen, wofür wir ihn oder sie nicht für verantwortlich halten. Und mehr noch: Auch begrifflich scheint das eine das andere zu implizieren, das heißt, es scheint auch gar nicht möglich, den bloßen Gedanken der Strafe zu fassen, ohne den der Verantwortung gleich mitzufassen. Das heißt, wir würden nicht nur, sondern wir können in Wahrheit auch gar niemanden für etwas bestrafen, wofür wir ihn oder sie nicht für verantwortlich halten. Mögliche Gegenbeispiele scheinen jedoch auf der Hand zu liegen. Was ist mit dem Richter, der die Angeklagte für unschuldig hält, von seinen Schöffen aber überstimmt wurde? Oder dem Henker, der gar nicht weiß, welche Übeltaten dem zu Henkenden zur Last gelegt werden? Hierauf lässt sich erwidern, dass der Henker nicht in eigenem, sondern z. B. königlichem Auftrag seines Amtes waltet – und dieser wiederum im Auftrag Gottes oder, etwas moderner, des Volkes. Und auch der Richter spricht nicht für sich,
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auch nicht für seine Schöffen, sondern für das Gericht, das als Organ der rechtsprechenden Gewalt vom Volk beauftragt wurde. Am Ende ist es das Volk, das straft, Richter und Henker sind nur Spruch- bzw. Vollzugsorgan des übergeordneten Volkswillens. (Und der Volkswille wiederum ist, so die Idee, nicht die Summe aller Einzelwillen, sondern ein ideelles und einheitliches Ganzes.) Dies sind freilich recht abstrakte Konstruktionen, zu denen sich vielerlei Fragen stellen, denen wir hier aber nicht weiter nachgehen werden. Sie und vergleichbare Ideen sind es jedenfalls, die es dem Individuum ermöglichen, eine Handlung, die durch seine Hand vollzogen oder aus seinem Mund angewiesen wird, auch dann als Strafe zu begreifen, wenn es selbst, als Individuum, ganz anderer Ansicht ist, sich enthält oder gar nichts von der Anklage weiß.1 Und ohne dergleichen Konstruktionen wäre es nicht möglich, eine Handlung gegenüber jemandem als Strafe zu begreifen, den man nicht selbst für verantwortlich hält. Dies gilt auch dann, wenn der entsprechende Akt von anderer Seite als Strafe aufgefasst wird, wozu es gleichfalls der Idee einer Verantwortungszuschreibung von Seiten irgendeiner Instanz – sei es eine bestimmte Person, die Natur, das Schicksal, Gott, die Geschichte oder das System – bedarf. Sobald jemand meint, bestraft zu werden, sieht er sich in die Verantwortung gestellt; ob zu Recht oder zu Unrecht (im doppelten Sinne) spielt keine Rolle, die Implikation ist begrifflich unvermeidlich. Über diese Verbindung sind sich jedenfalls alle Parteien in der Debatte einig (einen nur vermeintlichen Ausnahmefall – Wolf Singer – werden wir im Kapitel 9 behandeln). Halten wir also thetisch fest: (5.1.) Der Begriff der Strafe impliziert den Begriff der Verantwortung.
Besteht eine solch unvermeidliche Implikation auch zwischen Verantwortung und Freiheit? Hier scheiden sich nun die Geister. Doch zunächst wollen wir noch einmal näher auf die dritte, negative, Implikation zu sprechen kommen: Determinismus schließt Freiheit aus (und umgekehrt). Dies scheint ebenfalls ein wahrer 1 Es
gehört ja gerade zum Konzept der institutionellen Strafe, dass die Meinung der Individuen, die das Amt des Richters oder Henkers bekleiden, gar keine Rolle spielen soll. Der Inquisitor, der in eigener Autorität handeln würde, würde – in den Augen Gottes – selbst zum Häretiker, auch dann, wenn sein Wille und der Wille Gottes (dann nämlich nur zufällig) zeitlebens übereinstimmen (seine Strafe droht ihm dann eben erst im Jenseits), beim Richter wäre es in letzterem Fall etwas komplizierter, zumindest in einem Rechtssystem, das nicht gesinnungsstrafrechtlich organisiert ist. Er müsste schon öffentlich zum Ausdruck bringen, dass er im Zweifel gegen den im Gesetzestext niedergeschriebenen Volkswillen entscheiden würde und vermutlich würde er dann – im Namen des Volkes, für das er sich zu sprechen weigert – abgesetzt.
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Satz zu sein. Doch auch hier muss differenziert werden. Willensfreiheit, so lautet eine recht häufig vertretene Position, wäre in einer determinierten Welt nicht zu retten. Aber Handlungsfreiheit könnten wir dennoch behaupten, ohne in Widerspruch mit der Annahme eines determinierten Weltlaufs zu treten. Geert Keil charakterisiert diese Position, den sogenannten klassischen Kompatibilismus, in seinem Übersichtsbuch zum Thema, „Willensfreiheit“, wie folgt: „Als ‚klassischen Kompatibilismus‘ bezeichnet man die freiheitstheoretischen Auffassungen von Hobbes, Hume und Mill. Freiheit fassen diese Autoren als die ungehinderte Ausübung der Fähigkeit auf, zu tun, was man will. Zerlegt man diese Erläuterung in ihre Bestandteile, so besteht die Freiheit des klassischen Kompatibilismus aus zwei Elementen: (a) dem Vermögen, seinen Willen handelnd zu verwirklichen, (b) der Abwesenheit von Zwang und äußeren Hindernissen bei der Ausübung dieses Vermögens.“ (Keil 2007b, S. 50)
Klassisch nennt sich dieser Kompatibilismus, weil er schon recht alt – Hobbes wurde noch im 16. Jahrhundert geboren – und doch mustergültig dafür ist, wie auch heute noch argumentiert wird, wenn es darum geht, unsere zweifellos vorhandene Intuition, wir seien in irgendeinem Sinne frei in unserem Tun und Lassen, als mit der These, der Weltlauf sei determiniert, kompatibel zu erweisen. Lange Zeit war es der göttliche Determinismus, an dem die Freunde der (menschlichen) Freiheit ihre Argumentationskünste versuchen mussten, bis dieser um die Zeit der Aufklärung durch den naturgesetzlichen Determinismus abgelöst wurde, ohne dass sich das zugrundeliegende Problem wesentlich geändert hätte: Ein determinierter Weltlauf ist ein – von Gott oder von den Naturgesetzen (bei gegebenen Anfangsbedingungen) – (vorher-)bestimmter Weltlauf, an dem sich nun, da er einmal in Gang gekommen, auch nichts mehr ändern lässt, d. h. alles, was geschieht, geschieht mit (göttlicher oder naturgesetzlicher) Notwendigkeit. Wenn und insofern wir uns aber als frei begreifen, meinen wir für gewöhnlich, dass das Geschehen, auf das wir uns in diesem Begriff beziehen, eben nicht schon bestimmt ist – oder war oder sein wird. In diesem Selbstbegriff befinden und benehmen wir uns nun offenbar allenthalben. Wir begreifen uns wohl auch unter gewissen sogenannten Zwängen, doch nur im uneigentlichen Sinne, denn so unliebsam uns auch die Konsequenzen gelegentlich sein mögen, die uns drohten, würden wir ihnen widerstehen; dass wir ihnen jederzeit widerstehen könnten, scheint uns meist dennoch gewiss. Niemand würde der Aussage beipflichten, dass er (oder sie) mit naturgesetzlicher oder gar göttlicher Notwendigkeit jeden Morgen zur Arbeit fährt oder zum Feierabend zehn Bier trinkt, so sehr er (oder sie) sich durch die Umstände auch dazu gedrungen sehen mag. Doch wenn der Determinismus wahr ist, sollten wir solchen Aussagen, wie es scheinen mag, besser
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beipflichten. (Fragt sich freilich, inwiefern wir diese Entscheidung dann noch in der Hand und unsere Einsicht nicht vielmehr von einem entsprechenden Weltlauf oder der Güte Gottes zu gewärtigen hätten.) Der klassische Kompatibilist nun nimmt, um dieses Problem zu umgehen, folgende Differenzierung vor: Wenn der Determinismus gilt, so meint er, dann ist in der Tat kein Raum für ‚echte‘ Willensfreiheit, die oft auch „metaphysische“ oder mit Kant „transzendentale Freiheit“ genannt wird. Sofern damit gemeint ist, dass wir, um mich einer Formulierung Galen Strawsons zu bedienen, „genuine Schöpfer unserer selbst“2 seien, haben wir es, wie der Kompatibilist hinzufügen mag, aber ohnehin dramatisch übertrieben, unser Verlust ist entsprechend, bei nüchterner Betrachtung, überschaubar. Unser Wille ist determiniert, was bleibt, ist die Freiheit, diesen Willen möglichst ungehindert handelnd zu verwirklichen, Handlungsfreiheit. Sogenannte kompatibilistische Freiheitsbegriffe gibt es in mehreren Spielarten, die Keil im Anschluss an die oben zitierte Passage auch alle durchgeht und schließlich ablehnt.3 Keil fasst seine Kritik, der ich mich vorbehaltlos anschließe, pointiert wie folgt zusammen: „Unsere gewöhnliche Rede über Handlungen, Überlegungen und Entscheidungen ist im Rahmen der selbstverständlichen vortheoretischen Annahme entstanden, dass die Zukunft offen und beeinflussbar ist, und dass wir im Handeln eine dieser offenen Möglichkeiten ergreifen. Wer diese Annahme zurückzieht, weil er den Weltlauf für alternativ fixiert hält, sollte besser von Quasi-Entscheidungen, Quasi-Handlungen, Quasi-Überlegungen, Quasi-Fähigkeiten und Quasi-Freiheit sprechen.“ (Keil 2007b, S. 79, Herv.: Keil)
2 „We
must be genuine ‚originators‘ of ourselves, and our natures, at least in certain respects“ (G. Strawson 2008, S. 344). Das Zitat ist etwas aus dem Kontext gerissen. G. Strawson ist zwar (naturgesetzlicher) Determinist, aber kein Kompatibilist. Deshalb passt er eigentlich nicht so recht in den Zusammenhang. Er hält jedoch, dies wiederum passend, die Annahme eines freien Willens in dem starken Sinne, den er hier referiert, auch unabhängig von der Determinismusfrage für falsch. G. Strawsons Kritik besteht in der Befürchtung eines unendlichen Regresses der Willensbestimmungen (vgl. ebd.), der sich, wie wir hinzufügen können, als ein Regress, der sich letztlich in sich selbst ‚zurückbiegen‘ müsste, auch in Form des Causa-sui-Verdachts darstellen ließe, ein Einwand, dem wir im nächsten Kapitel auch von Leibnizens Seite erneut begegnen werden, aber erst zum Ende dieser Arbeit, am Ende des Kapitels 17, Rechnung tragen werden können. 3 Vgl. Keil 2007b, S. 50–80.
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Dieselbe Pointe, nur noch einen Gran deutlicher, bringt im Übrigen auch Kant zum Ausdruck, dem Handlungsfreiheit ohne Willens- oder Entscheidungsfreiheit bzw. – in Kants eigener Terminologie – „psychologische und komparative, nicht transzendentale, d.i. absolute“ Freiheit nicht mehr ist als „die Freiheit eines Bratenwenders […], der auch, wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet“ (KpV, A 174), womit er den Grundgedanken des kompatibilistischen Ansatzes weniger überzeichnet als vielmehr haargenau auf den Punkt getroffen haben dürfte. Der Kompatibilist mag zwar abgeleiteterweise auch von Willensfreiheit sprechen, indem er auf die verschieden möglichen Faktoren deutet, die unseren Willensbildungsprozess beeinträchtigen können, und einen Willen, auf den möglichst wenige solcher Faktoren Einfluss haben, einen freien Willen nennt. In Abwesenheit von z. B. Geldnöten, Publikationsdruck, gebrochenen Beinen, diversen Neurosen und Süchten oder vorgehaltenen Waffen lässt es sich gewiss befreiter über die nächsten Schritte befinden als in dem gegenteiligen Fall. Doch dies ist gleichfalls nur eine „komparative“, keine „absolute“ Freiheit. Solch komparativ freie Zustände sind sicher zu begrüßen, doch ohne einen Zusatz, der qualitativ über sie hinausreicht, hat Kant mit seiner Bratenwender-Analogie das letzte Wort und ist „frei“ für diese Zustände im Grunde gar kein angemessener Ausdruck – oder jedenfalls keiner, dessen Bedeutung über die der Rede von z. B. frei schwingenden Saiten einer Gitarre oder frei gen Boden fliegenden Blumentöpfen wesentlich hinausreichen würde. Nun könnte der Kompatibilist, zwar nicht zum Beweis, aber zur Veranschaulichung seiner These, anmerken, dass wir doch in der Tat, wenn wir im alltäglichen Umgang von Freiheit sprechen, auf die An- oder Abwesenheit genau solcher Hindernisse zur Willensbildung oder -ausführung rekurrieren – und uns dies auch genügt, ja, dass, wenn er doch einmal getätigt wird, der ausgesprochene Verweis auf eine, wie Kant es nennt, absolute Freiheit, meist lächerlich und leer erscheint. Das mag richtig sein. Aber, so könnte man im Gegenzug anmerken, es genügt uns nicht deshalb, unsere gewöhnliche Rede von Freiheit auf die An- oder Abwesenheit besonderer Bedingungen zu beschränken, weil unsere Freiheit sich darin erschöpfen würde, sondern es genügt uns, weil der darüber hinausgehende, wesentliche Teil derselben im vortheoretischen Alltag als selbstverständlich gesetzt wird und uns daher gar nicht der – gewöhnlichen – Rede wert ist. „Natürlich“, würden wir, einmal doch zur Rede über solche Dinge gedrungen, antworten, „muss ich nicht zur Arbeit fahren, muss ich kein Geld verdienen und muss ich auch nichts essen“ und in der eigentümlichen Weisheit unserer Alltagssprache hinzufügen: „Müssen tu’ ich gar nix – außer sterben“. (Beim Sterben indessen endet auch unsere Vorstellungskraft und wird, solange
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sie ihr eigenes Ende nur zu antizipieren versucht und noch nicht wirklich stirbt, im Angesicht ihres Todes zu ganz besonders lebendigen Einbildungen über ein etwaiges Fortleben im Jenseits animiert. Im irdischen Leben jedenfalls gilt:) Wir denken und agieren zum einen mit alternativen Möglichkeiten in Bezug auf den Lauf der Dinge und zum anderen mit der Fähigkeit, diese Möglichkeiten auch wissentlich und willentlich zu nutzen, wenn nicht sogar eigens zu schaffen – und beides bringen wir zum Ausdruck, wenn wir sagen, dass wir etwas nicht tun müssen. Die Frage ist natürlich, ob wir recht so denken. Insofern wir aber so denken, ist dieser Gedanke für gewöhnlich der Rede nicht wert, weil er unserem Begriff davon, was eine Handlung und was ein Wille überhaupt ist, so wesentlich inhärent ist. Es hat tatsächlich meist etwas Lächerliches, angesichts einer beliebigen Handlung zu sagen „Ich muss das nicht tun“ (und damit eben jene Offenheit des Weltlaufs und unsere Fähigkeit anzuzeigen, diese wissentlich und willentlich zu nutzen, die jedem nicht-kompatibilistischen Freiheitsbegriff eigen ist), aber würden wir nicht so denken, würden wir uns gar nicht als Handelnde begreifen können. Daher, weil „Unterlassbarkeit eine analytische Komponente des Handlungsbegriffs […] ist“ (Keil 2007b, S. 79), meint Keil im Übrigen, dass wir im Fall von Handlungen im Sinne des Kompatibilismus nur noch von QuasiHandlungen sprechen sollten. Und weil weiter „libertarische Willensfreiheit ein integraler Bestandteil der Handlungsfreiheit ist“ (ebd.) – weil jedes „Ich muss das nicht tun“ auch ein „Ich muss das nicht wollen“ mit einschließt –, handelt es sich im Fall von Entscheidungen nach kompatibilistischen Begriffen auch nur um Quasi-Entscheidungen, und in beiden Fällen nur noch um Quasi-Freiheit. Sollte also dem Lauf der Dinge – und damit auch dem unseres menschlichen Daseins – ein Determinismus eingeschrieben sein, rühre er nun von Gottes Willen oder von den Naturgesetzen her, so scheint es, als gäbe es keine, auch keine kompatibilistisch motivierte, Rechtfertigung dafür, uns darin auch nur als Handelnde, geschweige denn als frei Handelnde, und noch weniger als frei Wollende zu begreifen. Darauf, dass dieser Schein auch der Wahrheit entspricht, wollen wir uns hier noch nicht festlegen. Zumindest die folgende These in Bezug auf den Begriff der Freiheit können wir aber festhalten: (5.2.) Der Begriff der Freiheit schließt sowohl den Begriff des Nicht-tun-Müssens wie auch – über diesen – den des Nicht-wollen-Müssens in sich ein. (Handlungsfreiheit impliziert Willensfreiheit.)
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Diese Formulierung ist nicht so eindeutig nicht-(klassisch-)kompatibilistisch, wie sie zunächst wirken mag. Mit ein wenig Geschick nämlich ließe sie sich in Anschluss an G.E. Moores konditionale Analyse des Ausdrucks „können“ (als affirmative Umformulierung von „nicht müssen“) noch in der Weise interpretieren, dass der Begriff der Freiheit den Begriff des Nicht-tun-Müssens nur in der Form impliziere, dass in einem gegebenen Fall auch eine andere Entscheidung hätte fallen können, die eine andere Tat bzw. die Unterlassung der fraglichen Tat determiniert hätte. Und auch die Möglichkeit des Nicht-wollen-Müssens muss, so mag man weiter schließen, ja gar nicht in dem Sinne gemeint sein, dass der Wille nicht determiniert sei, sondern kann auch so interpretiert werden, dass eine andere, vorgängige Entscheidung eine andere Entscheidung hätte determinieren können. Alles, was es Moore zufolge dazu benötigt, diese Form des Nicht-tun- bzw. Nicht-wollen-Müssens behaupten zu können, ist unsere offenkundige Unwissenheit darüber, wie der Lauf der Dinge – mithin auch unsere Handlungen und Entscheidungen –, sei dieser auch determiniert, ausfallen wird.4 Wir werden im nächsten Kapitel sehen, dass Leibniz die Freiheit in ganz ähnlicher Weise vor dem Determinismus zu retten versucht hat, bloß mit dem Unterschied, dass selbiger in Leibnizens Fall ein göttlicher zu sein hatte, während Moore sich vermutlich mit einem naturgesetzlichen Determinismus begnügt hat. Es besteht jedenfalls, so werden wir sehen, eine entscheidende Differenz zwischen der Annahme eines göttlichen und der eines naturgesetzlichen Determinismus, sofern dadurch, wie bei jenem, auch all unsere Taten und Entscheidungen determiniert sind, doch hierzu an anderer Stelle mehr.5 Was die These (5.2) jedenfalls zum Ausdruck bringen soll, ist nicht das, was sich mit Moore daraus machen lässt, nicht, dass es zum Begriff der Freiheit genügt, von einem Nicht-tun- bzw. Nicht-wollen-Müssen in dem Sinne auszugehen, dass wir nicht wissen, wie wir im Einzelnen dazu determiniert sind, zu tun und zu wollen. Was wir zum Begriff der Freiheit stattdessen benötigen ist die Annahme, dass
4 Vgl.
Moore 1912, S. 196–222. letztere Zusatz muss hier noch unverständlich erscheinen. Wenn der naturgesetzliche Determinismus gilt, so wird man sich fragen, sind dann nicht ipso facto auch alle Taten und Entscheidungen determiniert? Die Antwort lautet: Nicht unbedingt. Aber um diesen Punkt auch nur verständlich machen, geschweige denn, für ihn argumentieren zu können, haben wir noch einen weiten Weg vor uns.
5 Dieser
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wir in unserem Tun und Wollen tatsächlich nicht determiniert sind.6 Mag dieser Begriff übrigens auch völlig an der Realität vorbeigehen.7
6 Auch
mir fällt es daher, wie Stefan Gerlach, „nicht ganz leicht, die Verwunderung darüber zu verbergen, dass die Moorsche Argumentation noch heute als Kernargument in der Willensfreiheitsdebatte um das Prinzip der alternativen Handlungsmöglichkeiten gebraucht wird“ (Gerlach 2010, S. 47, Fn). 7 Wobei sich der bloße Umstand, dass wir über einen solchen Begriff verfügen, jedenfalls prima facie, auf bemerkenswerte Weise in eine Beweislastumkehr zu Lasten des Freiheitsskeptikers verwandeln lässt, wie Keil 2007a, S. 930 bemerkt: „Wenn Aristoteles, Kant und von Wright [und Keil selbst; ds] Recht haben, dann implizieren bereits unsere gewöhnlichen Handlungsbeschreibungen eine starke Freiheitsannahme, nämlich das Vermögen des So-oder-Anderskönnens. Es gehört dann zum Begriff des Handelns, dass Akteure das Vermögen haben, sich in einer gegebenen Situation für oder gegen die Handlung zu entscheiden. Begriffliche Implikationen sind freilich kein Freiheitsbeweis, aber sie dürften immerhin die Beweislast zu Ungunsten des Freiheitsleugners verschieben. Er muss dann ja erklären, wie es zu einer derartig tiefsitzenden, in unsere gewöhnliche Zuschreibungspraxis eingebauten Täuschung kommen konnte“ – dieses Motiv wird uns über die nächsten Kapitel hinweg noch beschäftigen.
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Determinismus von Gottes Gnaden und der klassische Kompatibilismus
Welche Art von Determinismus herrscht, falls überhaupt einer, haben wir noch nicht entschieden. Angenommen, es gilt ein göttlichen Determinismus: Dann mag man sich fragen, ob die in göttlicher Freiheit geschaffene und fortan durchgängig bestimmte Folge der Ereignisse nicht eine Selbstentmachtung des Weltschöpfers qua Schöpfung bedeuten würde und es nicht angemessener sei, sich den Weltlauf mit (göttlich vorhergesehenen?) Unbestimmtheiten vorzustellen, durch deren Behebung der Schöpfer gelegentlich seine herrschende Kraft unter Beweis stellen kann. Leibniz und Clarke diskutieren diese Frage eingehend in ihrem berühmten Briefwechsel unter der Aufsicht der damaligen Prinzessin von Wales Caroline von Brandenburg-Ansbach in den Jahren 1715/16. Clarke hielt es (mit Newton) mit der letzteren Option und charakterisierte den Leibnizianischen Gott über den Vergleich mit einem weltlichen Herrscher wie folgt: „If a King had a Kingdom, wherein all Things would continually go on without his Government or Interposition, or without his Attending to and Ordering what is done therin; it would be to him, merely a Nominal Kingdom; nor would he in reality deserve at all the Title of King or Governor“ (Leibniz und Clarke 1742, S. 17)
– woraufhin Leibniz erwidert: „’Tis just as if one should say, that a King, who should originally have taken care to have his Subjects so well educated, and should, by his Care in providing got their Subsistence, preserve them so well in their Fitness for their several Stations, and in their good Affection towards him, as that should have no Occasion ever to be amending any thing amongst them; would be only a Nominal King.“ (a. a. O., S. 33)
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_6
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Determinismus von Gottes Gnaden und der klassische …
Doch dies sei hier nur zur lockeren Einstimmung auf ein ganz anderes Thema angerissen. Die zu dieser Zeit sehr lebendige Debatte darüber, welche Art von göttlichem Herrscher wohl der mächtigere wäre, interessiert uns hier eigentlich gar nicht. (Möge der Gütigere herrschen.) Was Leibniz so sehr missfiel an der Newtonschschen Konzeption der göttlichen Schöpfung, die Clarke in seiner Korrespondenz mit dem Carolineschen Günstling vertrat, war aber nicht bloß ein theologisches, sondern auch ein ontologisches Bedenken, das auf unser Problem zu münzen leicht geschehen ist. Denn könnte (und müsste) Gott in den Lauf der Dinge nachträglich noch eingreifen, wäre derselbe offenbar noch nicht zureichend bestimmt, ein Umstand, den Leibniz nicht hinnehmen kann, da er damit sein Königsprinzip, den sogenannten Satz vom zureichenden Grund, verletzt sieht. Er selbst charaktersiert dieses Prinzip wie folgt: „[T]he Principle of a sufficient Reason, viz. that nothing happens without a Reason why it should be so, rather than otherwise.“ (Leibniz und Clarke 1742, S. 21)
Grundlose Verursachung, besagt der Satz Leibniz zufolge, kann es nicht geben, oder: Nichts geschieht ohne (zureichenden) Grund. Wie wir noch sehen werden (Kapitel 13), hat Kant den Satz vom zureichenden Grund einige Jahrzehnte später von dem ontologischen Recht, in dem Leibniz ihn offenbar stehen sieht, auf seine bloß logische Gültigkeit zurechtgestutzt und damit einen wichtigen Baustein im Sinne der Freiheitsrettung gesetzt. Wie es damit zugeht, können wir an dieser Stelle noch nicht wissen, fest steht jedoch, dass es sich beim ihm, wenn er als ein ontologisches Prinzip gilt, offenbar um ein kausales Determinationsprinzip handelt, sehen wir für den Moment auch einmal ganz von der Frage nach Gottes Wirken oder auch nur seiner Existenz ab. Und jedenfalls prima facie scheint Leibniz damit einen gewichtigen Punkt für sich zu haben. Geschehnisse, die ohne Grund geschehen, so die natürliche Intuition, sind so gut wie gar keine Geschehnisse. Doch welche Folgen dies in Bezug auf menschliche Handlungen hätte, lässt sich leicht erahnen und führt Leibniz in seiner Theodizee auch selbst aus: „Es besteht […] eine Freiheit des Zufälligen oder gewissermassen Gleichgültigen; sofern man unter dem Gleichgültigen versteht, dass uns Nichts zu der einen oder der andern Seite zwingt; allein sie ist niemals die Folge eines Gleichgewichts, d. h. wo auf beiden Seiten alles gleich wäre. Eine Unzahl grosser und kleiner, innerer und äusserer Beweggründe treffen in uns zusammen, deren man sich meistentheils nicht bewusst wird, und ich habe schon gesagt, dass bei dem Verlassen eines Zimmers selbst Gründe uns bestimmen, mit einem bestimmten Fusse vorauszugehen, ohne dass wir darauf achten. Denn es giebt nicht überall einen Sclaven, wie in dem Hause des Trimalchio bei Petronius, welcher uns zuruft: Mit dem rechten Fusse voran.
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Alles von mir Gesagte stimmt auch vollständig mit den Lehren der Philosophen, wonach eine Ursache ohne Geneigtheit zur Thätigkeit, nicht wirken kann; diese Neigung ist es, welche eine Vorherbestimmung enthält, mag der Handelnde sie von aussen empfangen haben oder in Folge dessen, was er selbst vorher gethan hat.“ (Leibniz, Theodizee, Abh. II, § 46)
Der Schwenk von der Kompatibilismusfrage zu dem Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke musste zunächst etwas unmotiviert wirken. Wir sehen nun allmählich, warum er dies nicht ist. Die Summe all unserer äußeren wie inneren Beweggründe, so lässt sich Leibnizens Ansicht zusammenfassen, machen unsere Bewegungen aus, wiederum: die äußeren wie die inneren, und was die letzteren betrifft, einschließlich der willentlichen. Zwar soll hierin kein Zwang „zu der einen oder der andern Seite“ liegen, sondern bloß „Geneigtheit“, und es fragt sich, ob die Ursache hierfür nicht in der Differenz zwischen inneren und äußeren Beweggründen zu suchen, mögliche (starke) Willensfreiheit hier in ersterem Fall noch zu hoffen sein dürfte. Doch dies würde verlangen, was nach Leibniz nicht zu gewähren ist, nämlich nicht nur einen Beweggrund, der innerlich, sondern einen, der auch selbst nicht wiederum bedingt und damit nicht zureichend gegründet ist. Entsprechend wird Leibniz, was unsere Hoffnung betrifft, geradezu überdeutlich: „Was das Wollen selbst betrifft, so passt es nicht, es den Gegenstand des freien Willens zu nennen. Wir wollen handeln, richtig gesprochen, und wir wollen nicht wollen, sonst könnte man auch sagen, dass wir den Willen zu wollen haben wollen und dies ginge in’s Endlose. Wir folgen auch nicht immer dem letzten Urtheile des praktischen Verstandes, wenn wir uns zu wollen bestimmen, aber wir folgen bei unserem Wollen immer dem Endergebnisse aller Antriebe, welche von Seiten der Vernunft, wie der Leidenschaften kommen, und zwar oft ohne ein ausdrückliches Urtheil des Verstandes. […] Alles ist deshalb im Voraus bei dem Menschen gewiss und bestimmt, wie überall anderwärts und die menschliche Seele ist eine Art geistiger Automat, obgleich die zufälligen Handlungen überhaupt und die freien Handlungen insbesondere deshalb nicht nothwendig im Sinne einer unbedingten Nothwendigkeit sind, welche in Wahrheit mit der Zufälligkeit sich nicht vertragen würde.“ (Leibniz, Theodizee, Abh. II, §§ 51–52)
Unser Wille mag frei genannt werden, doch frei ist er nicht in Bezug auf sich – sein Wollen – selbst, sondern nur auf Handlungen. Wir sehen, Keil hätte Leibniz zu den Vertretern des klassischen Kompatibilismus hinzurechnen können. Die Konsequenz einer solchen Sicht der Dinge spricht Leibniz selbst unmissverständlich aus: Wir sind geistige Automaten – zum Bratenwender ist es dann nicht mehr
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weit.1 Alles, auch unser Wollen, wie auch der Grund für unser Wollen und wiederum dessen Grund usf., muss einen zureichenden Grund haben. Warum unser Wollen und Handeln dennoch frei genannt zu werden verdienen, liegt Leibniz zufolge einzig und allein darin begründet, dass andere Weltläufe (andere Schöpfungen Gottes) möglich sind, d. h. wirklich gewesen wären, hätten andere kausale Anfangsbedingungen (hätte ein anderer Wille Gottes) vorgelegen. Daher ist der, dem wir nun unterliegen, nur bedingt und nicht unbedingt notwendig, bedingt für Leibniz durch die – bekanntlich best-, jedoch nicht alleinmögliche – Wahl Gottes zu seiner Schöpfung als denjenigen kausalen Anfangsbedingungen, die unseren Kosmos vor allen anderen möglichen als den wirklichen auszeichnen.2 Allein deshalb also, weil am (kausalen) Anfang der Dinge auch ein Sandkorn so hätte liegen können, dass ich hier und jetzt etwas anderes will als ich es in der Tat tue, will ich so nicht mit absoluter, sondern nur mit bedingter Notwendigkeit, und kann mein Wille frei genannt werden. Würden wir diese Bedingungen (Gottes Willen) kennen, müsste uns natürlich klar werden, dass und wie genau wir in Wahrheit dazu bestimmt sind, zu wollen und zu handeln, wie wir es tun, doch zum Glück – vielmehr Gott sei Dank – hat der Schöpfer die Dinge wohlweislich angeordnet: „Prudens futuri temporis exitum Caliginosa nocte premit Deus. (Gott verhüllt weislich den Ausfall der kommenden Zeit in dunkle Nacht.)“ (Leibniz, Theodizee, Abh. II, § 57)
– so fasst Leibniz seine Sicht der Dinge pointiert zusammen und legt sich damit auf einen, wie wir uns mit Keil ausdrücken können, „epistemische[n] Indeterminismus“ (Keil 2007b, S. 74) fest. Sollten die Dinge wirklich so liegen, wie Leibniz zu meinen scheint, fragt sich natürlich, warum Gott in seiner Allmacht und zum Höhepunkt seiner Schöpfung nichts Mächtigeres und Höheres gelungen ist als ein paar bessere Bratenwender, oder, wie Leibniz ja selbst sagt, geistige Automaten. Andererseits sind die Alternativen offenbar rar gesät. Wenn, wie Leibniz meint, „[a]lles […] im Voraus bei dem Menschen gewiss und bestimmt [ist]“, dann kann selbst der Allmächtige nichts daran ändern, dass dies die Wahrheit der entgegengesetzten Haltung ausschließt, die wir im vortheoretischen Alltag einnehmen und
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Leibnizens „automaton […] spirituale“ hat Kant seine Bratenwender-Analogie denn auch ausdrücklich bezogen (vgl. KpV, A 173, 174). 2 Vgl. Leibniz und Clarke 1742, S. 161.
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die wir für so wesentlich dafür befunden haben, überhaupt sinnvoll von (menschlicher) Freiheit sprechen zu können, nämlich dass unser Wollen und Tun je jetzt (noch) nicht gewiss und bestimmt ist. Er kann allenfalls noch dafür sorgen – und Leibniz zufolge tut er dies auch –, dass wir eine solche Haltung mangels oder gar, wie in Leibnizens eigenem Fall, wider besseren Wissens (dennoch) einnehmen, wahrer wird sie dadurch nicht. Fast scheint es, als hätte Leibnizens Gott seine Unfähigkeit, einen zureichend gegründeten Weltlauf und freie Wesen (darin) zu schaffen, durch Verdunkelung der Tatsachen zu kaschieren versucht. Wenigstens dies aber wäre ihm dann gelungen: Selbst wenn wir wissen, dass unsere nächsten Schritte schon vorherbestimmt sind, so wissen wir nicht, wie sie dies sein werden, und bleibt uns genügend Raum dafür, uns in einer Freiheit, in der wir nicht sind, immerhin zu wähnen. Aber natürlich hätte Leibniz uns dazu eingeladen, in der Abwesenheit der Freiheit des Willens zu seinem eigenen Wollen und insofern auch in Gottes Schöpfung gar keinen Mangel zu erblicken, den es zu kaschieren gäbe. Ganz im Gegenteil: Ein Wille, der sich selbst zu wollen hätte, würde uns in einen infiniten Regress der Willensbestimmungen führen, wie Leibniz mit seiner Bemerkung andeutet, dass man dann „auch sagen [könnte], dass wir den Willen zu wollen haben wollen und dies […] in’s Endlose [ginge]“ (s. o.), und sofern wir uns aus diesem Regress befreien wollen, bekommen wir es, so scheint es, mit einem causa-sui-artigen Zufallsautomaten zu tun. Wer meint, nicht nur gemäß des eigenen Willens handeln, sondern diesen Willen selbst auch (frei-)willig bestimmen zu können, der muss sich der Frage stellen, woher ihm der Wille dazu, so und so zu wollen, komme. Von außerhalb des Willens gerade ja nicht, es könnte nur der Wille selbst sein, der also den Willen zum Wollen qua seiner selbst, dem Willen, zu bestimmen hätte, für den dasselbe Prozedere aber erneut gälte. Und weil es offenbar, wie auch diese etwas ungelenke Ausformulierung anzeigt, eine ganz äußerliche und künstliche Hinsicht wäre, von mehreren ‚Willen‘ nter Ordnung auszugehen, die sich zu einem infiniten Regress iterieren, vielmehr Operator und Operandum des Willens in Eins zusammenfallen, handelt es sich bei einem so gedachten Willen um eine selbstbezügliche Struktur, die weiter in ihrer Selbstbezüglichkeit nicht bloß etwa erkennen, sondern auch und vor allem bewirken soll und also als eine causa sui, als Ursache (und Wirkung) ihrer selbst anzusehen wäre, welche überdies, ohne sowohl fremden wie auch eigenen Bestimmungsgrund, wie es scheint, völlig grundlos operieren müsste. Auf den letzteren Einwand, den sogenannten Zufallseinwand, werden wir zum Ende dieser Arbeit zu sprechen kommen (Kapitel 19), der Causa-sui-Verdacht wird sich erledigen bzw. wenigstens geeignet mildern lassen, sobald wir uns im Zuge der Explikation der Kantischen Erscheinungslehre klargemacht haben werden, in welcher Weise wir eigentlich auf uns referieren, wenn wir auf uns als freie Personen referieren
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(Kapitel 17). (Clarke nimmt übrigens genau eine solche causa sui in Anspruch, und zwar nicht bloß für den schöpferischen Willen Gottes, sondern auch für den seiner menschlichen Geschöpfe, unter dem Namen eines selbstbewegenden Vermögens („Self-moving Faculty“ (Clarke 1717, S. 23)), das, um seiner Wirksamkeit willen, nicht bloß als geistige, sondern auch und vor allem als physische Kraft („Physical Power“ (ebd.)) bestehen muss. Wie wir sehen werden (Kapitel 13), steht er damit ganz auf Seiten der Thesis in der dritten Vernunftantinomie in Kants Kritik der reinen Vernunft.) Leibnizens Stellung zum Begriff der causa sui im Falle Gottes werden wir sogleich noch im Vorbeigehen problematisieren, für uns Menschen bleibt seiner Konzeption zufolge nur der denkbar schwache Trost, dass wir zum einen, obwohl wir der bestmöglichen Wahl des Schöpfers gemäß nun einmal wollen, wie wir wollen, in anderen möglichen Welten anders gewollt hätten – und zum anderen nicht dazu in der Lage sind, jeweils im Vorhinein zu bestimmen, in welcher der (noch je übrig gebliebenen) möglichen Welten wir tatsächlich leben. Was Leibnizens Konzeption indessen gegenüber modernen Kompatibilismen auszeichnet – und warum wir sie hier überhaupt so ausführlich diskutieren –, ist, dass sie auf eine schöpfende Instanz verweisen kann, welche die begrifflichen Ressourcen dazu bereitstellt, mit dem Freiheitsgedanken und den daran anschließenden Begriffen wie Handlung, Zweck, Schuld etc. in irgendeiner – und sei es noch so nachträglichen – Weise überhaupt zu operieren. In Leibnizens Konzeption kann dieses Problem durch den Begriff einer zwecksetzenden Instanz aufgefangen werden, welche uns – in welchem nachträglichen Maße auch immer – nach ihrem eigenen Bilde erschaffen hat.3 Im Falle des modernen Kompatiblismus – 3 Eine
(noch) freiheitsfreundlichere Option zur Lösung des Problems, wie zwischen göttlichem Determinismus und menschlicher Freiheit zu vermitteln ist, wählt Descartes, indem er wie folgt räsonniert: „Aus diesen Schwierigkeiten können wir uns befreien, wenn wir bedenken, dass unsere Seele endlich ist, Gottes Macht aber […] unendlich. Deshalb erfassen wir diese zwar genügend, um klar und deutlich einzusehen, dass sie in Gott ist, aber wir begreifen sie nicht genügend, um zu verstehen, wie sie die freien Handlungen der Menschen unbestimmt lässt. Dagegen sind wir uns unserer Freiheit und Bestimmungslosigkeit so genau bewusst, dass wir nichts Anderes so klar und vollkommen begreifen. Denn es wäre verkehrt, deshalb, weil wir die eine Sache nicht begreifen, die ihrer Natur nach uns unbegreiflich bleiben muss, eine andere zu bezweifeln, die wir völlig begreifen und in uns wahrnehmen“ (Descartes 1887, S. 21). Doch so sehr wir Descartes’ freiheitsfreundliches Ansinnen auch begrüßen, so wenig darf uns seine Auflösung zufriedenstellen, die auf die Behauptung hinausläuft, dass der Widerspruch, der zwischen der Bestimmungslosigkeit unseres Denkens, Willens und Handelns und der göttlichen Bestimmung unserer Ansicht nach bestehen muss, in Gott schon irgendwie aufgelöst sein wird. Dabei ist es, um dies sogleich anzufügen, nicht unbedingt das grundsätzliche Argumentationsmuster, das man in Descartes’ Überlegung unter Abstraktion seines (sonstigen) Inhalts erblicken kann, die
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ohne göttliche, sondern allein mit naturgesetzlicher Determination – dagegen scheint der Gedanke wie eine unerklärliche Laune der Natur, die uns mit begrifflichen Mitteln versieht, die über das, was wir der Natur selbst entnehmen können, in einer Weise hinausreicht, die unserem Begriff von derselben sogar offen widerspricht. Doch wie hat Leibniz eigentlich die Freiheit Gottes – die er für seine Konzeption braucht – verteidigt? Spinoza jedenfalls sah nicht bloß für den Menschen, sondern auch für den Schöpfer selbst keinen Raum für freiheitliche Zwecksetzung. Aber er unterschied auch nicht zwischen der Selbst- und der Weltschöpfung Gottes und meinte, dass „[d]ie particulären Dinge […] nichts [sind] als Erregung oder Daseynsweisen der Attribute Gottes“ (Spinoza 1841, S. 44). Wenn nämlich, um diesen Zusammenhang etwas aufzuklären, wie Spinoza sich hierüber auch ausdrückt, „in dem Sinne, wonach Gott Ursache seiner selbst genannt wird, […] er auch Ursache aller Dinge genannt werden“ (ebd. [Anmerkung]) müsse, und Gott, wie gemeinhin angenommen (wenn auch unterschiedlich ausgemalt) wird, nur in einer möglichen – nämlich vollkommenen – Weise existieren kann, so gilt dies auch für die Welt, die dann mit absoluter Notwendigkeit in der Weise existiert, in der sie existiert, dies im Übrigen, auch hier ist Spinoza konsequent, Gottes Wesen entsprechend, „in der höchsten Vollkommenheit“ (Spinoza 1841, S. 54). Da Gott sich nun weder sein eigenes Wesen und Dasein noch das der Welt aussuchen kann, gilt auch, dass er „nicht nach Freiheit des Willens wirkt“ (Spinoza 1841, S. 51, 52). Demgegenüber brachte Leibniz zur Rettung der göttlichen – und in seiner ganz eigenen Weise auch der menschlichen – Freiheit seine These von der Unterscheidung zwischen absoluter und bedingter Notwendigkeit in Anschlag und zur dafür wiederum nötigen Trennung zwischen Gott – als Schöpfer und Geschöpf seiner selbst – von der Welt – als bloßem Geschöpf Gottes – seine Monadenlehre.4 Jacobi indessen beurteile Leibnizens Abgrenzungsversuch gegenüber Spinoza als eher weniger gelungen: Auflösung eines apparenten Widerspruchs ins Unbestimmte, Unerkennbare zu verlagern. Kant, dessen Überlegung zur Vereinbarkeit zwischen (Natur-)Determinismus und Freiheit wir an anderer Stelle ausführen und befürworten werden (§§ 9 ff.), geht in ganz ähnlicher Manier vor. Nur muss die Auflösung, wo nicht erkenn-, so doch wenigstens widerspruchsfrei denkbar sein, und zwar nicht (nur) für Gott, sondern (auch und vor allem) für uns. Irgendeine – über den bloßen Verweis auf eine andere Erkenntnisform hinausgehende – Überlegung muss man schon anbieten, was Descartes jedoch nicht tut und was ihm auch gar nicht möglich ist. Die göttliche Bestimmung ist – anders als, wie wir sehen werden, die naturgesetzliche – allumfassend; dieser entgegen eine menschliche Bestimmungslosigkeit anzunehmen, ist ein gerader Widerspruch, dem sich nicht ausweichen lässt, noch nicht einmal in Gedanken. 4 Näheres zu diesem Konflikt zwischen Spinoza und Leibniz findet sich bei Wolfe (2008).
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„Die Leibniz-Wolfische Philosophie, ist nicht minder Fatalistisch, als die Spinozistische, und führt den unabläßigen Forscher, zu den Grundsätzen der letzteren zurück“ (Jacobi 1789, S. 224)
– und für den Fall des Menschen haben wir Jacobi, wie mit Keil und Kant (Kapitel 5) (und letztlich auch Leibniz selbst) gesehen, Recht zu geben. Wie es sich im Falle Gottes verhält, können wir dahinstehen lassen. Aber wenn sich gegen Spinozas Überlegungen ein Schöpfer behaupten ließe, der über einen freien Willen verfügt, so viel jedenfalls lässt sich wohl sagen, dann ließe sich – in der Fluchtlinie des Gesagten – wenigstens die Illusion eines solchen auch beim Menschen begreiflich machen, andernfalls noch nicht einmal dies.5 Dies gilt erst recht für den (allein) naturgesetzlichen Determinismus moderner Tage. Oder jedenfalls ist dies die These, die wir im nächsten Schritt prüfen werden. Doch ich hatte noch ein paar Worte zu Leibnizens Stellung zur causa sui versprochen. Innerhalb von Gottes Schöpfung hat eine solche Gedankenfigur bei Leibniz keinen Platz. Zwar schließt Leibniz kausale Interaktionen zwischen seinen Monaden – die Leibnizens Theorie zufolge den substantiellen Grundstoff des Kosmos bilden – aus und konzipiert diese insofern als je selbstgenügsame
5 Auch
Spinoza versucht, ähnlich wie Leibniz, die Freiheitsillusion aus unserer Unwissenheit herzuleiten und im Übrigen unsere Zweckgerichtetheit aus unserem Streben nach dem uns Nützlichen zu erklären: „Es wird hier genügen, wen ich als Grundsatz das annehme, was Alle zugeben müssen, nämlich dieß, daß alle Menschen der Ursachen der Dinge unkundig geboren werden und daß alle das Bestreben haben, das ihnen Nützliche zu suchen, dessen sie sich bewußt sind. Hieraus folgt erstens, daß die Menschen sich für frei halten, weil sie sich ihres Wollens und ihres Bestrebens bewußt sind und an die Ursachen, von welchen sie disponirt werden, etwas zu begehren und zu wollen, da sie ihrer unkundig sind, nicht im Traume denken. Es folgt zweitens, daß die Menschen Alles wegen eines Zweckes thun, nämlich wegen des Nützlichen, das sie begehren“ (Spinoza 1841, S. 62, 63). Was den zweiten Punkt betrifft, wäre die interessante, und grundlegendere, Frage, wie uns denn ein solches Bewusstsein des Nützlichen in den Sinn kommen mag, das den Zweckbegriff ja bereits in sich trägt. Zwecke kann es nach Spinozas Begriffen in der Natur nicht geben, da sie ihrem – und damit dem Wesen Gottes – widerstreiten würden; „denn, wenn Gott wegen eines Zweckes handelt, begehrt er nothwendig etwas, dessen er entbehrt“ (Spinoza 1841, S. 67). Noch mehr aber trifft Spinoza die Frage danach, wie uns das – dann falsche (oder womöglich sinnlose) – Bewusstsein von Freiheit hat kommen können in einem Universum, das alternative Möglichkeiten weder in seinem Fortgang trägt, noch selbst, von Seiten eines Schöpfergottes, eine solche Alternative darstellt. Die in Kürze folgenden Ausführungen gelten, obwohl nicht eigens darauf gemünzt, insofern auch für Spinozas Universum.
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Entitäten.6 Doch selbstgenügsam sind sie nur einander gegenüber, nicht gegenüber ihrem Schöpfer.7 Was Gottes Weltschöpfung betrifft, so verweigert Leibniz sich dem Gedanken eines unbedingten, sich selbst schöpfenden Willens ebenfalls, der Grund dafür ist (abermals) der Satz vom zureichenden solchen, den Leibniz für alles, was da ist in und an Gottes Schöpfung, einschließlich dem Akt der Schöpfung selbst, unbedingt gewahrt wissen will.8 Doch bei der Schöpfung des Schöpfers selbst, so mag man meinen, kommt Leibniz um den Begriff der causa sui nicht herum. Ich jedenfalls neige zu dieser Meinung, da es mir widersinnig scheint, den Schöpfer aller Dinge noch in irgendetwas anderem gegründet zu sehen als in ihm selbst. Doch sollte diese Annahme auch zutreffen, so würde man sie nicht gegen Leibnizens sonstige Abneigung gegen selbstbewirkende Strukturen und/oder Entitäten wenden können, die sich ja auf die Besorgnis stützt, es andernfalls mit einem Mangel an zureichender Gegründetheit zu tun zu bekommen. Diese Besorgnis hat ihr Recht überall dort, wo es um die Frage nach Ursachen (in) der Welt zu tun ist, beim Schöpfer selbst fällt sie weg und fallen Selbstbewirkung und zureichende Gründung in eins. Ein allmächtiger Schöpfer, der sich nicht selbst geschaffen hätte, wäre ja eben dies nicht – ein allmächtiger Schöpfer – und daher auch nicht zureichend gegründet. Insofern gelten für den Fall, da Gott nur in Beziehung auf sich selbst erwogen wird, andere Bedingungen als im Fall der Erwägung seiner Beziehung auf die Welt und erst recht dem der Beziehungen der Dinge in der Welt untereinander. Kurz: Gott gründet sich in seiner Allweisheit, Allmacht und Allgütigkeit selbst und aufgrund seines selbst(und-damit-zureichend-gegründeten) Wesens gründet er – nach dem wiederum 6 Vgl.
Wolfe 2008, S. 16: „Following Spinoza’s proposal that unique substances […] cannot causally interact with one another, monads cannot be externally motivated to action by one another – no other substance can have any bearing upon its activity“. 7 Vgl. Wolfe 2008, S. 17: „Leibniz’s monads, substances though he might claim them to be, are independent only of one another. They are not self-generating, in the way that God as Substance was for Spinoza (however unfree this generation was); rather, they are substances created by God“ (Herv.: Wolfe) – und zu beiden Punkten Leibniz selbst, Theodizee, Abh. I, § 10: „Diese Substanzen [gemeint sind die Monaden; ds] bestehen unabhängig von allen anderen, ausgenommen von Gott“. 8 Das Prinzip zur zureichenden Gründung der Schöpfung ist das moralische Prinzip des Besten: „[A] Contingent which exists, owes its Existence to the Principle of what is Best, which is a sufficient Reason for the Existence of Things. […] And […] this Moral Necessity is a good Thing, agreeable to the Divine Perfection“ (Leibniz und Clarke 1742, S. 161) – inwiefern Leibniz unter dieser Bedingung noch einen freien Willen Gottes behaupten kann – denn eine Schaffung des Nicht-Besten würde wohl Gottes Natur widersprechen –, scheint zumindest fraglich (und dies mag auch Jacobi zu dem Urteil veranlasst haben, Leibnizens Konzeption sei ebenso fatalistisch wie die Spinozas), ist hier aber nicht weiter Thema.
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in seinem Wesen gegründeten Prinzip des Besten, das Leibniz zur Erklärung der Nicht-Beliebigkeit des Schöpferwillens zwischenschaltet – die beste aller möglichen Welten. Im Streit mit Spinoza lag Leibniz demnach auch nicht wegen dem Begriff der causa sui per se – wie auch sonst sollte Gottes Existenz, falls überhaupt, erklärt werden können? Spinoza selbst erwähnt den Umstand, dass „Gott Ursache seiner selbst genannt wird“ (s. o.), dieser Diagnose entsprechend auch nur in beiläufiger Selbstverständlichkeit –, sondern darüber, ob mit Gott, wie Spinoza meint, auch dessen Weltschöpfung als Produkt seiner selbst anzusehen wäre. Ist dies der Fall – und sind Gott und die Welt letztlich als miteinander identisch anzusehen – gilt für den Weltlauf, dass er mit absoluter Notwendigkeit, ist dies nicht der Fall, gilt mit Leibniz für denselben, dass er bloß mit bedingter Notwendigkeit so erfolgt, wie er erfolgt. Die Möglichkeit einer Wahl zwischen alternativen Möglichkeiten besteht indes für Spinoza, trotz Annahme einer causa sui, nirgends und auch für Leibniz nicht auf der Stufe der Selbstbewirkung des Schöpfers, sondern erst auf der dann nicht mehr causa-sui-artigen Weltschöpfung. Doch wir wollen dies nun nicht weiter verfolgen, sondern uns wieder unserer obigen (Zwischen-)These zuwenden, die wir, obgleich es noch das eine oder andere zu ihr zu sagen geben wird, sogleich in unsere Liste mit aufnehmen: (2.3.) Wenn der naturgesetzliche Determinismus wahr ist – und durch ihn all unsere willentlichen Entscheidungen und Handlungen bestimmt sind –, dann ist noch nicht einmal die Illusion von Freiheit möglich.
Die Zusatzklausel in Gedankenstrichen mag überflüssig erscheinen. Wie wir sehen werden, trügt dieser Schein. Jedenfalls wollen wir hier mit der Ansicht arbeiten, der naturgesetzliche Determinismus bestimme all unsere willentlichen Entscheidungen und Handlungen. Wir haben gesehen (1.2.), dass Freiheit ohne Unterlassbarkeit im Handeln und Wollen (Nicht-tun-Müssen und Nicht-wollenMüssen) begrifflich nicht zu konzipieren ist. Von hier aus stellt sich die Frage, angenommen, die Freiheitsannahme sei falsch, „wie es“, noch einmal Keil zitierend, „zu einer derartig tiefsitzenden, in unsere gewöhnliche Zuschreibungspraxis [gemeint ist die Praxis des Zuschreibens von Handlungen; ds] eingebauten Täuschung kommen konnte“ (Keil 2007a, S. 930), mit anderen Worten: Wo wir die begrifflichen Ressourcen auch nur zu der irrtümlichen Annahme hernehmen, wir seien frei. Der naturgesetzliche Determinismus schließt alternative Möglichkeiten und damit Unterlassbarkeit innerhalb seines Geltungsbereiches per definitionem aus. Dies gilt genauso für den göttlichen Determinismus. Doch während dieser über den Begriff eines freihandelnden (und -wollenden) Schöpfers womöglich
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noch die begrifflichen Ressourcen bereitstellt, sich im determinierten Lauf der Dinge wenigstens als freihandelndes Geschöpf zu wähnen, gilt dies für den naturgesetzlichen Determinismus nicht. Die uns fehlende Einsicht in den Lauf der Dinge, die Leibniz heranzieht, um unserem Wahn begrifflichen Raum zu verschaffen, kann ihn nicht allein begründen. Gäbe es nicht in der Tat die Möglichkeit, gewisse Willensbestimmungen auch zu unterlassen, wäre es zwar womöglich eine notwendige Bedingung dafür, wenigstens zu meinen, man könne so tun, dass wir im Einzelnen nicht wissen (können), wie genau wir dazu bestimmt sind, so und so zu wollen. Doch wenn unsere Meinungen vollständig durch Bedingungen bestimmt sind, die ihrerseits keine alternativen Möglichkeiten aufweisen, dann kann keine dieser Bedingungen einen (Meinungs- oder Wunsch-)Zustand begründen, der den Begriff (oder das Gefühl oder die Wahrnehmung) alternativer Möglichkeiten – und damit auch keinen, der den Begriff der Unterlassbarkeit, und damit wiederum keinen, der den der Freiheit – in sich befasst. Mögen sich auch, wie man unter dem Stern vollständig naturalisierter Bedingungsverhältnisse sämtlichen Seins in der Welt annehmen muss, die Möglichkeit selbstreflexiven Bewusstseins und (damit) auch die aller sonstigen mentalen Aktivitäten, die nicht mit der Annahme der Unterlassbarkeit der eigenen Handlungsund Willensbestimmungen hantieren, allein auf Basis geschlossen naturgesetzlicher (Wechsel-)Wirkungsverhältnisse begründen oder wenigstens vorstellen lassen. Im je individuellen Zentrum dieser Wirkungsverhältnisse, d. h. im Zusammenspiel zwischen Neuronen und Großhirn, mögen sich auch allerlei Verbindungen ergeben, die es ermöglichen, Vorstellungen zu fassen, die über das, was sich unseren Sinnen für gewöhnlich präsentiert, weit hinausgehen, ohne dass hierbei mutmaßlich übernatürliche Mächte wie die Freiheit im Spiel sein müssten; phantastische Kombinationen von Wesen und Gegenständen aller Art, die sich wiederum zu neuen Kombinationen verbinden lassen, auch Wünsche oder Begierden mögen sich allein auf diesem Wege zu immer komplexeren und ‚naturferneren‘ solchen entwickeln können. Doch im Fall der Vorstellung alternativer Möglichkeiten stehen wir vor einem geraden Widerspruch mit einer Welt, die keinerlei Alternativen im Angebot hat. In der Natur, so wie sie naturgesetzlich determiniert ist, „finden wir nichts, das der Freiheit ähnelt“ (Deleuze 1990, S. 70).9 Von der epistemischen Unbestimmtheit des Weltlaufs, d. h. unserer Unwissenheit darüber, wie dieser im Einzelnen bestimmt ist, scheint es 9 Der
ganze Satz bei Deleuze, der damit im Übrigen auch nur die Position eines anderen Autoren, nämlich Kant wiedergibt, lautet: „Solange wir die Phänomene, so wie sie unter den Bedingungen von Raum und Zeit erscheinen, betrachten, finden wir nichts, das der Freiheit ähnelt“. Dass diese vor der Hand etwas umständlich anmutende Formulierung „die Phänomene, so wie sie unter den Bedingungen von Raum und Zeit erscheinen“ für Kant
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zwar nur ein kleiner Schritt, ein leichtfertiger, aber vielleicht naheliegender Schnellsch(l)uss unseres Denkvermögens, zu der Meinung überzugehen, jener sei auch ontisch, d. h. der Sache nach unbestimmt, offen – worauf sich dann die Meinung oder auch nur der Wunsch danach, diese Offenheit willentlich für sich nutzen zu können, aufsetzen ließe. Doch auch ein (vermeintlich) kleiner Schritt bedarf eigens gewisser Voraussetzungen, unter denen er möglich wird und es ist nicht ersichtlich, worin diese in diesem Fall innerhalb eines naturgesetzlich determinierten Weltlaufs auch nur zu suchen sein sollten. Dies könnte eine interessante theoretische Weichenstelle darstellen, da unter der Annahme des Determinismus nur noch zwei Optionen zur Verfügung zu stehen scheinen. Entweder nämlich es gälte dann der göttliche Determinismus, demnach Gott, selbst freiwählende Existenz, uns zu unserem Schicksal verdammt und zum Ausgleich den Schein (und hierzu aus sich selbst heraus auch die nötigen begrifflichen Ressourcen) mitgegeben hat, es wäre anders, oder es wäre – wo weitere Optionen nicht ersichtlich oder allzu phantastisch (nicht-göttliche Dämonen oder sonstige übernatürliche Kräfte) sind – die Freiheit selbst, die sich in ihrem Schein bekundet, und dies obwohl der – dann naturgesetzliche – Determinismus gilt. Denn die Prinzipien des letzteren stellen zur Begründung auch nur des irrigen Scheins der Freiheit nichts Brauchbares bereit. Wenn aber weder Gott noch die Welt (als Natur) uns den Schein der Freiheit erklären können, müsste die Freiheit es selbst sein, die ihn produziert und damit in Einem auch bestätigt. Ein wahrlich erstaunlicher Schluss! Wir müssten dann ‚nur‘ noch (1) den göttlichen Determinismus (endgültig) aus dem Weg räumen und (2) den naturgesetzlichen Determinismus beweisen, um Freiheit zu beweisen. Wir haben allerdings Einspruch zu fürchten, wo nicht, was unseren Schluss betrifft, dann bei einer entscheidenden Prämisse, die wir bis hierhin einfach stillschweigend angenommen haben: Dass wir überhaupt sinnvoll meinen können, wir seien frei. Wir haben zu einem solchen Einspruch ja sogar förmlich eingeladen, indem wir zuletzt noch dafür argumentiert haben, dass Freiheit in der Weise, wie wir sie verstehen, gar nicht verstanden werden könnte, würden einzig und allein naturgesetzliche Verhältnisse am Sein – und damit auch an uns – bestehen. Was sollte uns davon abhalten, diesen Schluss fortzuführen und zu meinen, wir verstünden in der Tat gar nicht, wovon wir überhaupt sprechen, wenn wir „Freiheit“ sagen und „alternative Möglichkeiten“ hinzusetzen? Diese dem (ungläubigen) Freiheitsskeptiker noch verbliebene Strategie könnte selbiger sich von Rudolf Carnap abschauen, dessen sogenannter „Metaphysikkritik“ wir uns im nächsten Kapitel widmen werden. in der Tat gleichbedeutend ist mit „die Natur, so wie sie naturgesetzlich determiniert ist“, werden wir noch sehen (§§ 9 ff.).
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Carnaps Metaphysikkritik und ihre Folgen für die Freiheitsfrage
Aus dem im vorigen Kapitel Gesagten ergibt sich, um unsere Lage überblickend thetisch zusammenzufassen, folgender disjunktiver Satz: (7.4) Entweder es gilt (im Ausgang von dem Faktum, dass wir – wahr oder falsch – meinen können, dass wir Handlungs- und Willensbestimmungen unterlassen können): Der naturgesetzliche Determinismus ist nicht wahr, und es herrscht eine indeterministische Variante des Zusammenhangs der Dinge (Ereignisse, Weltzustände) im Weltlauf oder es gilt ein nicht-(allein-)naturgesetzlicher, sondern z. B. göttlicher Determinismus, oder die Geschichte über die Wirklichkeit (Möglichkeit) eines starken Freiheitsbegriffs ist unter der Annahme der Wahrheit des Determinismus noch nicht zu Ende erzählt – oder unser ‚Faktum‘ ist gar keines und selbst die irrige Annahme, eine Handlung oder Willensbestimmung auch unterlassen zu können, uns in der Tat nicht möglich.
Dies ist etwas umständlich formuliert, ich erläutere:1 Wir benötigen gewisse begriffliche Ressourcen, um meinen zu können, wir seien frei. Ein determinierter Weltlauf (allein) kann diese nicht bereitstellen. Also womöglich ein nicht-determinierter solcher, der an sich selbst Alternativen zu bieten hat? Und wenn ja: Irren wir uns in unserer Meinung, auch selbst Alternativen zu haben und nicht nur durch die Natur im Zufallsmodus getrieben zu werden, oder nicht? Oder ist es, wie Leibniz meint, Gottes nicht-determinierter Wille, der uns glauben macht, wir hätten gleichfalls einen nicht-determinierten Willen? Oder es stimmt am Ende doch: Wir sind frei – obwohl der naturgesetzliche Determinismus gilt? Wären dies die einzigen Optionen, würde unsere Folgerung lauten können: Der 1 Die
folgende Erläuterung (und damit auch These (7.4)) unterscheidet sich inhaltlich von den zum Ende des vorangegangenen Kapitels vorgetragenen Überlegungen nur in dem Aspekt, dass wir hier auch die Möglichkeit indeterministischer Naturtheorien in Rücksicht stellen, daher kann sie kurz gehalten werden. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_7
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Carnaps Metaphysikkritik und ihre Folgen für die Freiheitsfrage
Schein der Freiheit, unter dem wir stehen, verifiziert sich selbst genau dann, wenn wir ausschließen können, dass wir es weder mit einer indeterministischen Variante des naturgesetzlichen Weltlaufs zu tun haben noch mit einer deistischen Variante des Determinismus. Doch all diesen Optionen zusammen genommen ist ein weiteres, ausschließendes „Oder“ entgegengesetzt: Noch nicht einmal der Schein der Freiheit ist echt, wir können in Wahrheit gar nicht angeben, was wir damit meinen, wenn wir von Freiheit in einem Sinne sprechen, der solche Bedingungen wie diejenigen in sich befasst, die wir bislang elaboriert haben. In diesem Fall wäre ihre Annahme nicht etwa bloß gegenstands-, sondern sinnlos und somit als Annahme, als – wahrer oder falscher – Schein gar nicht möglich. Wer in diese Richtung argumentieren möchte, wird auf der Suche nach einem Gefährten im Geiste bei Carnap fündig werden, der sich in einem vielbeachteten Aufsatz zu Beginn der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts2 dafür ausgesprochen hat, die „vorgeblichen“ Sätze und Wörter der klassischen Metaphysik als „gänzlich sinnlos“ (Carnap 1931b, S. 220) zu verwerfen. Unter den von Carnap abgelehnten Wörtern befinden sich neben „Prinzip“ (a. a. O., S. 224) und „Gott“ (a. a. O., S. 225), die gesondert abgehandelt werden, auch „‚Idee‘, ‚das Absolute‘, ‚das Unbedingte‘, das ‚Unendliche‘“ (a. a. O., S. 227) und viele weitere Zeichenketten, denen Carnap die Eigenschaft abspricht, bedeutungsvolles Zeichen für etwas zu sein. „Die metaphysischen angeblichen Sätze“, meint Carnap dort S. 227, „die solche Wörter enthalten, haben keinen Sinn, besagen nichts, sind bloße Scheinsätze“ und als solche weder wahr noch falsch noch ungewiss noch unfruchtbar, sondern schlicht sinnlos, d. h. überhaupt gar keine wahrheitswertfähigen Sätze (vgl. a. a. O., S. 219, 220). Das Kriterium, durch das solche Scheinsätze von wirklichen, d. h. wahrheitswertfähigen Sätzen unterschieden werden sollen, besteht Carnap zufolge erstens darin, dass die in ihm vorkommenden Wörter syntaktisch in einem Elementarsatz ausgedrückt werden können, z. B. das Wort „Stein“ in „x ist ein Stein“ (vgl. a. a. O., S. 221), wobei an der Stelle von „‚x‘ irgendeine Bezeichnung aus der Kategorie der Dinge [steht], z. B. ‚dieser Diamant‘, ‚dieser Apfel‘“ (a. a. O., S. 221), und zweitens darin, dass für den je entsprechenden Elementarsatz dessen Wahrheits- bzw. Ableitungs- bzw. Verifikationsbedingungen gegeben sein müssen (vgl. a. a. O., S. 221, 222), die – die Einzelheiten bei Seite gelassen – empirischer Natur zu sein haben. „Freiheit“ befindet sich nicht in der von
2 Carnap, Rudolf (1931) – Die Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache (detaillierte Angaben finden sich im Literaturverzeichnis). Fortan kurz: Metaphysikkritik.
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Carnaps Metaphysikkritik und ihre Folgen für die Freiheitsfrage
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Carnap angeführten Liste. Doch wer, vom naturgesetzlichen Determinismus überzeugt und gegen die Möglichkeit von Freiheit im nicht kompatibilistischen Sinne eingenommen, die faktisch zweifellos gegebene Rede von „Freiheit“ und „alternativen Möglichkeiten“ erklären möchte (und das sollte er tun), könnte mit Carnap in Analogie zu folgendem Beispiel verfahren: „Nehmen wir als Beispiel den metaphysischen Terminus „Prinzip“ (und zwar als Seinsprinzip, nicht als Erkenntnisprinzip oder Grundsatz). Verschiedene Metaphysiker geben Antwort auf die Frage, was das (oberste) „Prinzip der Welt“ (oder „der Dinge“, „des Seins“, „des Seienden“) sei, z. B.: das Wasser, die Zahl, die Form, die Bewegung, das Leben, der Geist, die Idee, das Unbewußte, die Tat, das Gute und dergl. mehr. Um die Bedeutung, die das Wort „Prinzip“ in dieser metaphysischen Frage hat, zu finden, müssen wir die Metaphysiker fragen, unter welchen Bedingungen ein Satz von der Form „x ist ein Prinzip von y“ wahr und unter welchen er falsch sein soll; mit anderen Worten: wir fragen nach den Kennzeichen oder nach der Definition des Wortes „Prinzip“. Der Metaphysiker antwortet ungefähr so: „x ist das Prinzip von y“ soll heißen „y geht aus x hervor“, „das Sein von y beruht auf dem Sein von x“, „y besteht durch x“ oder dergl. Diese Worte aber sind vieldeutig und unbestimmt. Sie haben häufig eine klare Bedeutung; z. B. sagen wir von einem Ding oder Vorgang y, er „gehe hervor“ aus x, wenn wir beobachten, daß auf Dinge oder Vorgänge von der Art des x häufig oder immer solche von der Art des y folgen (Kausalverhältnis im Sinn einer gesetzmäßigen Aufeinanderfolge). Aber der Metaphysiker sagt uns, daß er nicht dieses empirisch feststellbare Verhältnis meine; denn sonst würden ja seine metaphysischen Thesen einfache Erfahrungssätze von der gleichen Art wie die der Physik. Das Wort „hervorgehen“ solle hier nicht die Bedeutung eines Zeitfolge- und Bedingungsverhältnisses haben, die das Wort gewöhnlich hat. Es wird aber für keine andere Bedeutung ein Kriterium angegeben. Folglich existiert die angebliche „metaphysische“ Bedeutung, die das Wort im Unterschied zu jener empirischen Bedeutung hier haben soll, überhaupt nicht.“ (Carnap 1931b, S. 224, 225)
Es gibt, mag unser Freiheitsskeptiker analog zu dieser Überlegungen räsonnieren, empirisch gehaltvolle – und mit dem Determinismus leicht vereinbare – Verwendungen von „frei“, die sich in dem Elementarsatz „x ist frei“ syntaktisch korrekt ausdrücken lässt, zum Beispiel bei einem Schachfeld, auf dem keine Figur steht (oder auch bei einem Willen, der nicht unter dem Einfluss von Drogen steht). Außerdem gibt es eine empirische gehaltvolle Verwendung von „wollen“, mit „x will y“ als entsprechendem Elementarsatz und Bezug auf bestimmte Relationen zwischen einem Lebewesen und einem Ding oder einer Tätigkeit, zum Beispiel bei einem Hund, der an einer Tür kratzt und sich dabei aufbäumt – weil er austreten will. Nun gibt es zwar einige Verwendungsweisen von „wollen“, die, im Unterschied zu „begehren“, eine optionale
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Komponente mit sich führen, wie sich auch an der etymologischen Verwandtschaft zwischen „wollen“ und „wählen“ zeigt (und die wir z. B. bei dem Hund, der an der Tür kratzt, nicht mitdenken), doch auch diese mag sich entweder selbst wiederum irgendwie empirisch gehaltvoll erklären lassen oder ist eben selbst schon eine nur scheinbar bedeutungsvolle Komponente. Gleichfalls hat die Wortfolge „nicht müssen“, so mag unser Freiheitsskeptiker weiter meinen, eine empirisch bedeutungsvolle Verwendung, nämlich als Ausdruck unserer Unwissenheit („Dunkle Wolken ziehen auf, gleich wird es regnen. Aber das muss nicht sein.“), auch etwa in Verbindung mit „wollen“ (s. u.) – und so mag der Freiheitsskeptiker auf diesem – oder einem vergleichbaren – Wege den Schein nachkonstruieren, etwa mit dem Satz „Ich muss nicht zur Arbeit gehen; ich muss noch nicht einmal zur Arbeit gehen wollen – ich bin frei“ etwas Bestimmtes, Wahrheitswertfähiges, das über die bloße Unwissenheit über den Weltlauf (einschließlich des eigenen Willens) hinausgeht, zu meinen. Die entsprechenden Elementarsätze, so dürfte er schließlich verkünden, sind in der Tat bedeutungsvoll, aber nur insofern, als es den, der von Freiheit im starken – metaphysischen? – Sinne spricht, nicht interessiert. Und was die Zusammenstellung der Worte in dem obigen Satz betrifft, so mag folgendes gelten: Die Wortzusammenstellung vor dem Gedankenstrich hat durchaus ihre sinnvolle Verwendung, nämlich insofern, als sie zum Beispiel bedeutet, dass ich nicht weiß, ob ich wirklich zur Arbeit gehen werde (weil ich keine völlige Einsicht in den Weltlauf besitze), und ich auch nicht weiß, ob ich wirklich zur Arbeit gehen will (weil ich keine völlige Einsicht in mein Inneres – das zum Weltlauf gehört – besitze). Die Zusammenstellung der Worte nach dem Gedankenstrich, „Ich bin frei“, aber ist sinnlos, zumindest im Verbund mit der Bedeutung der voranstehenden Wortreihe. Ihre Möglichkeit und der Schein einer Bedeutung derselben hat sich nur dem Umstand zu verdanken, dass unsere natürliche Sprache „im Gegensatz zu einer logisch korrekten Sprache, grammatische Formgleichheit zwischen sinnvollen und sinnlosen Wortreihen zuläßt“ (Carnap 1931b, S. 230). So wie etwa „Hans ist ebenerdig“ syntaktisch korrekt und alle der verwendeten Worte in bedeutungsvollen Elementarsätzen vorkommen können, dieser Satz selbst allerdings bedeutungslos ist, mag der Satz „Ich bin frei“ syntaktisch korrekt gebildet sein und auf bedeutungsvollen Elementarsätzen ‚beruhen‘ (in Carnaps nicht-metaphysischem Sinne von „beruhen“), doch er selbst dennoch sinnlos sein, entsprungen diesen Sätzen und der zunehmend sinnbefreiten Dynamik, die sich auf ihrer Basis über die Jahrtausende hinweg entwickelt hat. Doch dies nur zur Veranschaulichung der Stoßrichtung, die unser vom Determinismus überzeugter Freiheitsskeptiker einzuschlagen hätte. Er würde damit
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unsere These (6.3) weiter untermauern, dass unter der Bedingung des Determinismus – und der, dass damit freie Handlungen und Willensbestimmungen unmöglich sind – noch nicht einmal die Illusion von Freiheit möglich ist, allerdings in einer Weise, die unserer ursprünglichen Absicht zuwiderläuft. Wir wollten die Freiheitsskeptiker ad absurdum führen, indem wir sagen „Wir sprechen doch von Freiheit in dem Sinne, den ihr für falsch befindet – erklärt uns das!“ und haben uns (im Geiste Carnaps?) prompt die Retourkutsche eingehandelt: „Ihr sprecht von Freiheit in diesem ‚Sinne‘“, könnte der Freiheitsskeptiker uns erwidern, „aber ihr meint nichts dabei; wenn es euch interessiert, kann ich euch erklären, wie ihr auf ein solch unsinnige Rede gekommen seid – aber das ist nicht die Art von Erklärung, die ihr haben wolltet, keine für ein So-Meinen, nur für ein So-Reden“. Dies ist eine bemerkenswerte Konstellation, die etwas weiter zu entfalten unsere Aufgabe für den Schluss dieses Kapitels darstellen wird. Wie Carnap selbst zu unserer Frage gestanden hat, ist indes nicht leicht zu sagen. Einerseits scheinen wir ihn zu den Kritikern eines Freiheitsbegriffs der Art, wie wir ihn im Auge haben, rechnen zu dürfen. Zum sogenannten Physikalismus, d. h. der These, dass alle (wissenschaftlich?) gehaltvollen Sätze sich zuletzt auf physikalische Sätze zurückführen lassen müssten, hat er sich jedenfalls in jungen Jahren bekannt, ausführlich etwa in seinem (ebenfalls) 1931 erschienenen Aufsatz „Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“. Das heißt, nicht bloß gilt, wie zu erwarten, auf dem „Gebiet der anorganischen Naturwissenschaften, der Chemie, Geologie, Astronomie usw.“ (Carnap 1931a, S. 448), dass all ihre Ausdrücke sich letztlich auf physikalische Ausdrücke zurückführen lassen, sondern auch, für manch einen vielleicht schon etwas anstößiger, auf dem der organischen Wissenschaften, d. h. der Biologie (a. a. O., S. 449, 450), und – ganz besonders umstritten – auf den Gebieten der Psychologie und Soziologie (a. a. O., S. 450 ff.). Andererseits legt Carnap zum Ende seiner Metaphysikkritik eine durchaus vielversprechende Spur, indem er erklärt, er habe sich nicht gegen die Verwendung von metaphysisch aufgeladenen Worten per se wenden wollen, sondern nur, insofern sie „zur Darstellung von Sachverhalten“ (Carnap 1931b, S. 238) dienen sollen, anstatt dem bloßen „Ausdruck des Lebensgefühls“ (ebd.), was den philosophischen Freiheitsliebenden zu der Hoffnung veranlassen könnte, in letzterem eine Grundlage zur legitimen Äußerung freiheitsbezogener – oder anderweitig über den bloßen physikalischen Naturzusammenhang hinausdeutender – Sätze (oder auch ‚nur‘ Gefühle) finden zu können. Sinnlos, mag man vor diesem Hintergrund ansetzen, sprechen wir von Freiheit nur insofern, als wir sie überhaupt in einem der Wissenschaft zugänglichen Sinne behaupten (oder leugnen) wollen, aber womöglich ist das gar nicht der richtige Weg, um über
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Freiheit zu sprechen. Vielleicht sollten wir die Rede von Freiheit als Ausdruck unseres – athetischen – Lebensgefühls betrachten, als etwas, das, im Gegensatz zum behauptenden Modus der Metaphysik, der Argumentation gar nicht zugänglich, vielmehr, der folgenden Diagnose Carnaps entsprechend, reine Kunst (bzw. deren Grundlage) ist: „Der Metaphysiker glaubt sich in dem Gebiet zu bewegen, in dem es um wahr und falsch geht. In Wirklichkeit hat er jedoch nichts ausgesagt, sondern nur etwas zum Ausdruck gebracht, wie ein Künstler. Daß der Metaphysiker sich in dieser Täuschung befindet, können wir nicht schon daraus entnehmen, daß er als Ausdrucksmedium die Sprache und als Ausdrucksform Aussagesätze nimmt; denn das gleiche tut auch der Lyriker, ohne doch jener Selbsttäuschung zu unterliegen. Aber der Metaphysiker führt für seine Sätze Argumente an, er verlangt Zustimmung zu ihrem Inhalt, er polemisiert gegen den Metaphysiker anderer Richtung, indem er dessen Sätze in seiner Abhandlung zu widerlegen sucht. Der Lyriker dagegen bemüht sich nicht, in seinem Gedicht die Sätze aus dem Gedicht eines anderen Lyrikers zu widerlegen; denn er weiß, daß er sich im Gebiet der Kunst und nicht in dem der Theorie befindet. Vielleicht ist die Musik das reinste Ausdrucksmittel für das Lebensgefühl, weil es am stärksten von allem Gegenständlichen befreit ist. Das harmonische Lebensgefühl, das der Metaphysiker in einem monistischen System zum Ausdruck bringen will, kommt klarer in Mozartscher Musik zum Ausdruck. Und wenn der Metaphysiker sein dualistisch-heroisches Lebensgefühl in einem dualistischen System ausspricht, tut er es nicht vielleicht nur deshalb, weil ihm die Fähigkeit Beethovens fehlt, dieses Lebensgefühl im adäquaten Medium auszudrücken? Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit.“ (Carnap 1931b, S. 240)
Diese so schön wie vernichtend formulierte Kritik der Tätigkeit (und Persönlichkeit) des Metaphysikers im Allgemeinen auf unsere Frage nach der Freiheit im Besonderen gemünzt würde zunächst bedeuten, dass die Frage nach der Wirklichkeit eines Vermögens, sich unabhängig von naturgesetzlichen Kausalverhältnisse selbst zu einer gewissen Handlung (oder Unterlassung) zu bestimmen, was ihren theoretischen und thetischen Gehalt betrifft, eine bloße Scheinfrage ist, auf die eine sinnvolle Antwort zu geben gar nicht möglich ist. Und im Übrigen würden wir auf unser athetisches Lebensgefühl verwiesen. Unter „Lebensgefühl“ versteht Carnap im Einzelnen „die Haltung, in der ein Mensch lebt, die gefühls- und willensmäßige Einstellung zur Umwelt, zu den Mitmenschen, zu den Aufgaben, an denen er sich betätigt, zu den Schicksalen, die er erleidet.“ (ebd.)
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„Dieses Lebensgefühl“, geht es fort, „äußert sich, meist unbewußt, in allem, was der Mensch tut und sagt; es prägt sich auch in seinen Gesichtszügen, vielleicht auch in der Haltung seines Ganges aus. Manche Menschen haben nun das Bedürfnis, darüber hinaus noch einen besonderen Ausdruck für ihr Lebensgefühl zu gestalten, in dem es konzentrierter und eindringlicher wahrnehmbar wird. Sind solche Menschen künstlerisch befähigt, so finden sie in der Formung eines Kunstwerkes die Möglichkeit, sich auszudrücken.“ (ebd.)
(Und sind sie es nicht, machen sie es wie David Hasselhoff und singen „I’ve been looking for freedom“. Doch Spaß – und für den Moment auch wieder Carnap – bei Seite:) Wir haben bereits unabhängig von Carnap gefunden, dass es innerhalb des Wirkungsbereiches der naturgesetzlichen Determination unmöglich wäre, sich auch nur die Illusion von Freiheit in dem Sinne zu verschaffen, nach dem es uns möglich ist, eine Willensbestimmung oder eine Handlung auch zu unterlassen. Ob der naturgesetzliche Determinismus gilt oder nicht, haben wir noch gar nicht untersucht. Wir werden uns aber, dies sei hier zum Voraus verraten, für ihn aussprechen, und zwar nicht aufgrund naturwissenschaftlicher Belege, aber auch nicht aus metaphysisch-ontologischen, sondern aus erkenntnistheoretischen Gründen (Kapitel 15). Was genau diese letztere Bemerkung bedeuten soll, muss an dieser Stelle noch offen bleiben. In jedem Fall gilt: Von den in These (7.4) angeführten Optionen bleiben uns unter seiner Voraussetzung – und unter Ausschluss einer göttlichen Determination – nur noch zwei Optionen. Die eine haben wir oben, etwas lapidar, so ausgedrückt, dass „die Geschichte über die Wirklichkeit (Möglichkeit) eines starken Freiheitsbegriffs […] unter der Annahme seiner [des naturgesetzlichen Determinismus] Wahrheit noch nicht zu Ende erzählt [ist]“, die andere so, dass „selbst die irrige Annahme, eine Handlung oder Willensbestimmung auch unterlassen zu können, nicht möglich“ ist. Wir können sie auch wie folgt formulieren: (1) Dass der naturgesetzliche Determinismus gilt, bedeutet nicht, dass (auch) unsere Willens- und Handlungsbestimmungen determiniert sind – sie könnten demungeachtet frei sein, (2) Bei freiheitsbezogenen Sätzen handelt es sich um bloße Scheinsätze.
Wie diese beiden Optionen, je für sich und im Verhältnis zueinander, zu bewerten sind, hängt davon ab, wie man sie versteht. Unser determinismusgläubige Freiheitsskeptiker, zu dessen Unterstützung wir Carnap herangezogen haben, von dem wir aber gar nicht so recht sagen können, ob er diese
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Einordnung überhaupt verdient, würde offenbar (1) leugnen oder für sinnlos befinden und (2) behaupten müssen. Wer hingegen (1) behauptet, hebt dabei offenbar, so er nicht direkt Widersprüchliches behaupten will, darauf ab, Freiheit in einem Bereich anzusiedeln, der in irgendeiner Weise von dem verschieden ist, der durch den naturgesetzlichen Determinismus belegt ist. In der klassischen Variante geschieht dies durch einen ontologischen Leib-SeeleDualismus, der dem Bereich des Körperlichen, Sinnfälligen noch einen Bereich des Geistigen, Übersinnlichen überordnet, der eine gleichfalls substantielle, aber immaterielle Realität besitzt. Wer nun in dieser Weise vorgeht, wird – dem Freiheitsskeptiker spiegelbildlich entsprechend – (2) leugnen. Die letztere Variante ist heute selbst vehementen Verfechtern der These, dass es ein vom Körperlichen irgendwie Verschiedenes – Geist, Subjektivität, Personalität usf. – geben muss, zu extrem, sie konsequent zu vermeiden ist aber gar nicht so leicht, sobald man sich in irgendeiner sinnvollen Weise auf die Verwendung solcher Ausdrücke wie den genannten und erst recht dem der Freiheit einzulassen gedenkt. Da wir uns für Freiheit auszusprechen gedenken und diese innerhalb des naturgesetzlich determinierten Zusammenhangs nicht zu begründen ist, werden wir uns diesem Risiko wohl oder übel aber aussetzen müssen. Innerhalb der naturgesetzlich determinierten Ordnung ist kein Raum für Freiheit, also werden wir uns andernorts umsehen müssen, nach einem Raum oder Bereich, in dem uns die sinnvolle Rede von Unterlassen-Können, alternativen Möglichkeiten, freier Willensbestimmung und dergleichen gestattet ist. Es wird ein Bereich eigenen Rechts sein müssen, der nicht bloß aus dem Stand der Unwissenheit über den Lauf der Dinge markiert wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir glauben, dass diese Unwissenheit faktisch oder auch nur im Prinzip zu beheben ist oder nicht. Selbst eine prinzipielle, nicht einzuholende Unwissenheit, wie Leibniz sie veranschlagt, gereicht uns allenfalls zur Annahme einer Illusion von Freiheit – und auch dies nur dann, wenn wir in einem zwecksetzenden, freien Welturheber die begrifflichen Ressourcen für eine solche Illusion bereitgestellt bekommen. Allerdings wird es sich, um der Vermeidung der Option des ontologischen Leib-Seele-Dualismus willen, nicht um einen Bereich eigenen Seins handeln dürfen. Und zu guter Letzt darf es sich bei einer dort angesiedelte Freiheit nicht um einen zahnlosen Tiger handeln, d. h. es muss verständlich gemacht werden können, dass – und im besten Fall auch wie – es möglich ist, von diesem Bereich her Einfluss auf den naturgesetzlichen Lauf der Dinge zu nehmen. Fassen wir zusammen: (7.5) Zur Begründung der Möglichkeit von Freiheit – und der entsprechenden sinnvollen Rede von ihr – benötigen wir einen vom naturgesetzlichen Zusammenhang
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unabhängigen Bereich eigenen Rechts, nicht aber eigenen Seins, von dem her es möglich ist, auf den naturgesetzlichen Zusammenhang Einfluss zu nehmen.
Wir legen uns mit unserer Abweisung des ontologischen Dualismus (auf den wir im nächsten Kapitel noch näher zu sprechen kommen werden) also darauf fest, neben dem, wie wir annehmen, naturgesetzlich bestimmten, körperlichen Sein keine weitere Seinsgattung in unser theoretisches Repertoire aufzunehmen. Zudem haben wir uns ebenfalls bereits gegen (klassisch-)kompatibilistische Freiheitskonzeptionen ausgesprochen, seien diese wiederum in (leib-seele)dualistischer oder in materialistisch-monistischer Weise gezeichnet. In der Summe bedeutet dies, dass wir, obwohl wir uns für Satz (1) stark machen wollen, Satz (2) dennoch nicht ganz von der Hand weisen können. Nutzen wir diese Gelegenheit, die gehörige Gemengelage, in die wir uns bereits verwickelt haben, ein wenig aufzulösen und in der Klarstellung, wo genau wir uns in derselben positionieren, auch die Variante von Satz (2) zu formulieren, die wir zu vertreten gedenken. Auch der Kompatibilist wird Satz (2) behaupten können und womöglich sogar darauf bestehen, dies zu tun. Er mag uns also darin zustimmen, dass wir weder aus übernatürlichen Quellen noch aus dem naturgesetzlich bestimmten Lauf der Dinge die begrifflichen Ressourcen beziehen können, die wir benötigen, um auch nur die irrtümliche Vorstellung von Freiheit in dem Sinne fassen zu können, wie wir sie im Auge haben. Aber in Satz (1) wird er dann unter „Freiheit“ bzw. „frei“ nicht dasselbe verstehen, das er selbst unter diesem Wort in Satz (2) versteht – und auch nicht dasselbe, das wir in Satz (1) darunter verstehen. Unter Annahme seines kompatibilistischen Freiheitsbegriffs mag er somit folgenden Satz behaupten: (1*) Dass der Determinismus gilt, bedeutet nicht, dass (auch) unsere Willens- und Handlungsbestimmungen determiniert sind – sie könnten demungeachtet frei* sein,
wobei „frei*“ den kompatibilistischen Sinn von Freiheit bezeichnet, demnach gewisse äußere, physische, oder innere, psychische, Zwänge abwesend sind (und wir uns wie ein gewissenhaft konstruierter und pfleglich behandelter Bratenwender ungehindert im Kreise drehen, sobald unser Einsatz gefragt ist). Der Clou des Kompatibilisten besteht also darin, den Freiheitsbegriff dergestalt abzuwandeln, dass das scheinbar inkonsistente Satzpaar (1) und (2) unter Verwendung je unterschiedlicher Freiheitsbegriffe von seiner Inkonsistenz befreit wird. Sofern es sich bei ihm, wie heutzutage üblich, um einen Vertreter materialistischer Theoriebildung handelt, wird er seine Position unter Zugrundelegung seines kompatibilistischen Freiheitbegriffs klarstellen wollen – ohne hierdurch Satz (2) in
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seiner Allgemeingültigkeit anzutasten, bei dem er einen nicht-kompatibilistischen Freiheitsbegriff anlegt – und in dieser Absicht zusätzlich eine spezifische Variante von Satz (2) behaupten, nämlich: (2*) Freiheitsbezogene Sätze* sind (wie alle Sätze) Scheinsätze, sofern sie auf ein immaterielles Sein bezogen sind,
und einen weiteren Satz, nämlich (2**) Freiheitsbezogene Sätze* sind Scheinsätze, sofern sie auf ein materielles Sein bezogen sind,
leugnen, folglich ~ (2**) behaupten. Derselbe Zug scheint auch möglich, wenn der Kompatibilist nicht Satz (2), sondern wiederum eine Abwandlung hiervon vor Augen stehen hat, (2’) Freiheitsbezogene (und so bezüglich affirmative)3 Sätze sind falsch.
Allerdings müsste er in diesem Fall angeben, unter welchen Bedingungen solche Sätze wahr wären, das heißt (auch), woher die darin vorkommenden Ausdrücke, inklusive „frei“ oder „Freiheit“ im nicht-kompatibilistischen Sinn, ihre Bedeutung und damit ihre begrifflichen Ressourcen beziehen, vor welcher Not wir ihn bis auf Weiteres retten können, indem wir ihm gleich Satz (2) zuweisen. Anderes gilt natürlich für den Kompatibilisten seinsdualistischer Fassung, der mit Leibniz oder in dessen Geiste in Gott als frei wählendem Wesen das Prinzip wenigstens zum (unter der Bedingung des göttlichen Determinismus nur leider täuschenden) Schein der Freiheit im nicht-kompatibilistischem Sinne erblicken mag. Satz (2’) müsste dann zwar ein klein wenig eingeschränkt werden zu (2’m) Freiheitsbezogene (und so bezüglich affirmative) Sätze sind falsch, sofern sie sich nicht auf Gott beziehen,
doch dem Kompatibilisten ist ja (letztlich) um die nicht-göttliche, menschliche Freiheit zu tun; diese, meint Leibniz, gibt es nicht (sondern nur die menschliche Freiheit*). Was im Übrigen die Sätze (2*) und (2**) betrifft, neigen wir, 3 Dieser
Zusatz ist hier nötig, da andernfalls auch freiheitsbezogene und sobezüglich leugnende Sätze als falsch zu gelten hätten, womit sie sich in freiheitsbejahende Sätze verwandeln würden, was der Kompatibilist ja gerade nicht will (oder nicht glaubt, dass er es erreichen kann).
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wenn wir einen dualistischen Standpunkt einnehmen, offenbar zu einer Umkehrung der Vorzeichen, d. h. zur Behauptung von (2**) und zur Leugnung von (2*), doch wirklich in genau dieser Formulierung? Muss es sich bei freiheitsbezogenen (bejahenden oder verneinenden) Sätzen* in diesem Fall wirklich um Scheinsätze handeln, sobald sie sich auf materielles Sein beziehen? Die Antwort lautet wohl: Ja. Denn obwohl der dualistische Kompatibilist, anders als der (monistische) Materialist, denjenigen Seinsbereich, für den er die Anwendung freiheitsbezogener Sätze* für – neutral gesprochen – unangebracht hält, nicht leugnet, leugnet er ihn als mögliches Prinzip zur Verifizierung oder Falsifizierung von freiheitsbezogenen Sätzen*, das er stattdessen in der (menschlichen) Seele (dem Geist, dem Verstand) ansiedelt. Doch kompatibilistischen Freiheiten, gleich welcher Grundlage, haben wir ohnehin bereits abgeschworen, das heißt, dass uns eine Lösung der Art, Satz (1) in Satz (1*) zu verwandeln, um eine Vereinbarkeit mit Satz (2) – oder auch Satz (2’) oder Satz (2’m) – herzustellen, nicht offensteht. Das heißt auch, dass wir mit den Sätzen (2*) und (2**) in dieser Form nichts anzufangen wissen. In abgewandelter – eigentlich: in ihrer ursprünglichen, unverstümmelten – Form jedoch können wir sie uns noch einmal ansehen. Sicher wollen wir nämlich, als Anti-Dualisten, folgenden Satz behaupten: (2.I) Freiheitsbezogene Sätze sind (wie alle Sätze) Scheinsätze, sofern sie auf ein immaterielles Sein bezogen sind.
Insofern halten wir es ganz mit Carnap bzw. dem materialistischen Freiheitsskeptiker, wie im Übrigen auch dem materialistischen Freiheitskompatibilisten*. Wir verstehen nicht, was zum Beispiel der Satz „Ich bin frei“ bedeuten soll, wenn „Ich“ auf einen immateriellen Gegenstand und „… bin frei“ auf eine gleichfalls immaterielle Eigenschaft desselben referieren soll. Argumente dafür, warum wir diesen Satz nicht verstehen, können wir uns an dieser Stelle sparen, der Sinnlosigkeitsverdacht in Bezug auf Freiheit als immaterieller Eigenschaft immaterieller Substanzen ist (mittlerweile) so gewöhnlich, dass ihn uns kaum jemand streitig machen wird. Und der Freiheitsskeptiker, dem entgegenzutreten wir ja bestrebt sind, wird sogar Beifall klatschen, wenn auch sich zugleich fragen, was uns eigentlich noch an Optionen übrig bleibt. Nicht sehr viele, müssen wir gestehen. Wir werden dazu gezwungen sein, den folgenden Satz zu leugnen: (2.II) Freiheitsbezogene Sätze sind Scheinsätze, sofern sie auf ein materielles Sein bezogen sind.
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Wie aber nun dies, wenn wir annehmen, dass das materielle Sein naturgesetzlich bestimmt ist und sich innerhalb der naturgesetzlichen Ordnung kein Raum für Freiheit, ja noch nicht einmal für den irrigen Schein von Freiheit finden lässt? Nun, folgenden Satz müssen wir offenbar wiederum behaupten: (2.II*) Freiheitsbezogene Sätze sind Scheinsätze, sofern sie auf ein materielles Sein bezogen sind, so wie dieses naturgesetzlich bestimmt ist.
Um die Leugnung von (2.II) mit der Behauptung von (2.II*) zu vereinen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Die erste bestünde natürlich darin, den naturgesetzlichen Determinismus zu leugnen. Freiheitsbezogene Sätze sind, so könnte man dann sagen, deshalb keine Scheinsätze (bezogen auf materielles Sein), weil das materielle Sein gar nicht (naturgesetzlich) determiniert ist. Es gibt, könnte man dann sagen, im Lauf der Dinge selbst echte Alternativen, mit deren Hilfe wir zumindest dahin gelangen könnten, den irrigen Schein von Freiheit zu erklären, und vielleicht gar noch mehr. Aber wir wollten den naturgesetzlichen Determinismus ja annehmen, folglich werden wir diese Option nicht ziehen können. Die zweite Möglichkeit, von der wir stattdessen Gebrauch machen wollen, die wir an dieser Stelle aber noch nicht recht verstehen, sondern nur lose andeuten können, besteht darin, am materiellen Sein selbst einen nicht naturgesetzlich bestimmten Rest gegenüber dessen naturgesetzlich bestimmtem Anteil zu behaupten. Ein Rest, der es uns erlaubt, uns auch unter Abstraktion von den naturgesetzlichen Bestimmungen noch auf etwas zu beziehen – „etwas“, das heißt etwas Körperliches, Materielles, kein obskurer immaterieller Seinsrest oder -kern. Wir werden die Lage weiter so fassen müssen, dass wir die Körper, auf die wir uns in dieser Weise beziehen, qua Bezug nicht als Körper zu fassen bekommen, gleichfalls auch nicht als etwas anderes, Nicht-Körperliches, was uns vor die Frage stellen wird, ob wir uns überhaupt noch auf etwas beziehen, m.a.W.: Ob so bezügliche Sätze, wenngleich sie vielleicht auch nicht per se sinnlos sind, überhaupt noch einen relevanten Zug im, um mich an dieser Stelle einmal ganz aus dem Zusammenhang gerissen einer Formulierung Kochs zu bedienen, „Spiel des Gebens und Forderns von Gründen“ (Koch 2006, S. 219) darstellen. Ähnliches steht übrigens zu befürchten, wenn wir Carnaps Lebensgefühl als mögliches Siedlungsgebiet für freiheitsbezogene Sätze ins Auge fassen. Wir haben bereits recht ausführlich aus Carnaps Charakterisierung desselben zitiert, indes ohne weiter auf ihre Brauchbarkeit für unsere Zwecke einzugehen. Es ist damit auch nicht ganz einfach. Dass wir uns im (angemessenen) Ausdruck
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desselben Carnap zufolge außerhalb des Einzugsbereichs der theoretischen Wissenschaften und damit auch naturgesetzlicher oder physikalischer Erklärungen befinden, kommt uns allem Anschein nach sehr entgegen, und die Formulierung, beim Lebensgefühl handele es sich um „die Haltung, in der ein Mensch lebt, die gefühls- und willensmäßige Einstellung zur Umwelt, zu den Mitmenschen, zu den Aufgaben, an denen er sich betätigt, zu den Schicksalen, die er erleidet“ (Carnap 1931b, S. 240), ist zumindest gut dazu geeignet, die Intuition zu wecken, hier könnte auch Freiheit mit im Spiel sein. Was uns dagegen eher misstrauisch stimmen sollte ist der Umstand, dass Carnap uns im Ausdruck unseres Lebensgefühls keinerlei Sach- oder Gegenstandsbezug mehr zu erlauben scheint. Je weiter weg vom Gegenständlichen wir uns dabei befinden, so scheint er die Dinge zu sehen, desto besser, wie etwa in seiner Vermutung implizit liegt, „die Musik“ sei „[vielleicht] das reinste Ausdrucksmittel für das Lebensgefühl, weil es am stärksten von allem Gegenständlichen befreit ist“ (ebd.). Doch auch, wenn auch wir uns in gewissem Sinne von der Gegenstands- oder Objektbezogenheit unseres Bewusstseins werden entfernen müssen, um einen eigenständigen Bereich für die Freiheit markieren zu können, so werden wir uns dennoch davor hüten müssen, uns zu weit davon zu entfernen. Etwas – oder jemand – soll es schon sein, das da frei ist – und es auch wirklich ist und nicht bloß das Gefühl oder den Wunsch danach hat, frei zu sein (wiewohl dies womöglich immerhin ein Fortschritt gegenüber der Annahme wäre, jegliches Freiheitsbewusstsein bzw. diesbezügliches Sprachverhalten sei gänzlich sinnlos). Dass Carnap uns im Ausdruck unseres Lebensgefühls keinerlei Gegenstandsbezug zubilligt, weckt überdies den Verdacht, dass seine Eigenständigkeit gegenüber dem Einzugsbereich physikalischer Sätze bloß faktischer und damit stets vorläufiger Natur ist, die, sofern sie besteht, nur einen besseren, weil sich nicht zur These versteigenden und einstweilen kreativ verarbeiteten Stand der Unwissenheit markiert anstatt tatsächlich zur Gründung eines Bereichs eigenen Rechts zu taugen, wie wir ihn im Auge haben. Carnap selbst äußert sich hierzu nicht weiter, aber es läge nahe, den Bereich des Lebensgefühls prinzipiell dem Einzugsbereich der Psychologie zuzuordnen, der Carnap zufolge letztlich mit dem der Physik zusammenfällt, weil die Sätze der Psychologie, wie die aller anderen Wissenschaften auch, „in die physikalische Sprache übersetzbar“ (Carnap 1932/33, S. 108) sein müssen und ansonsten sinnlos sind, da „[e]in Satz […] nicht mehr als das [besagt], was an ihm nachprüfbar ist“ (a. a. O., S. 116) (und es außer physikalischen Sätzen, wie Carnap meint, keine solchen gibt, die einer geeigneten Nachprüfung zugänglich wären). Die athetischen Ausdrücke des Lebensgefühls selbst wären dann in letzter Analyse nichts weiter als die psychologisch – und damit in letzter Analyse physikalisch – mehr
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oder weniger raffinierte Verarbeitung des historisch bedingten Mangels an besserem Wissen, lobenswert, wenn sie sich nicht zur These versteigt, anders also, als es in der Metaphysik geschieht, tadelnswert, wenn sie sich, wie eben dort, thetisch gibt; aber auch die lobenswürdige Athese hat nur solange Bestand, wie sie noch nicht durch passende, d. h. jenen Mangel nachvollziehend ausbessernde physikalische Beschreibungen eingeholt und durch diese nicht bloß prinzipiell, sondern auch faktisch überflüssig gemacht worden sein wird. Physikalisch irreduzibel wäre der Bereich oder die Bezugsweise des Lebensgefühls dann allenfalls relativ zu einem bestimmten technischen und wissenschaftlichen Entwicklungsstand zu nennen, nicht aber prinzipiell. Eine prinzipielle, nicht bloß faktische Irreduzibilität aber ist genau die Anforderung, die an einen gegenüber dem Physikalischen eigenständigen Bereich zu stellen ist. Der Bereich des Mentalen, als – mutmaßlicher – Gegenstand der Psychologie als einer eigenständigen Wissenschaft, erfüllt diese Anforderung Carnap zufolge offenbar nicht und sofern der Bereich des Lebensgefühls diesem zu subsumieren sein sollte, gilt für ihn entsprechend dasselbe. Nehmen wir, ohne recht zu verstehen, wie genau sie sich von dem umfassenden Satz (2) unterscheidet, zum Schluss dieses Kapitels unsere Variante von diesem Satz in unsere fortlaufende Thesenliste mit auf: (7.6) Freiheitsbezogene Sätze sind Scheinsätze, sofern sie sich auf ein immaterielles Sein beziehen oder auf ein materielles Sein, so wie dasselbe naturgesetzlich bestimmt ist.
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Strategiewechsel?
In diesem (Übergangs-)Kapitel werden wir, nach einem knappen Aufriss des Einwirkungsproblems aus dualistischer Perspektive, einen Strategiewechsel vorbereiten, dem zufolge wir uns von der schwer zu lösenden Freiheits-DeterminismusFrage womöglich werden unabhängig machen können. Der in Kapitel 5 bereits erwähnte Begriff der Verantwortung wird hierbei in den Vordergrund rücken und zu einer Reihe von Fragen Anlass geben, deren Beantwortung wir uns über die nächsten Kapitel hinweg widmen werden, mit dem vorläufigen Ziel, ihn angesichts der Schwierigkeiten, die sich bei einer sinnvollen theoretischen Implementierung des Freiheitsbegriffs ergeben, von demselben zu lösen. Pate hierbei wird uns P.F. Strawson mit seinem Aufsatz „Freedom and Resentment“ stehen. Doch zunächst zum ersten Punkt. Descartes vertrat bekanntlich einen Leib-Seele-Dualismus par excellence, indem er unterschied zwischen einer „körperlichen Substanz“ (Descartes 1887, S. 27) einerseits, die als solche durch das Attribut der „Ausdehnung in die Länge, Breite und Tiefe“ (a. a. O., S. 26) zu erkennen sei, und einer „denkenden Substanz“ (a. a. O., S. 27) andererseits, erkennbar am Denken (und dies denn Descartes zufolge bekanntlich durch die je denkende Substanz selbst jeweils in privilegierter und irrtumsimmuner Weise)1 . Wer aber einen solchen Dualismus zwischen körperlicher und denkender Substanz theoretisch pflegen möchte, muss 1 Wie
werden sogleich darauf zurückkommen, vgl. einstweilen Descartes 1887, S. 5: „Indem wir […] alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper giebt; dass wir selbst weder Hände noch Füsse, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe. Deshalb ist die Erkenntnis: „Ich denke, also bin ich,“ von allen die erste und gewisseste, welche bei einem ordnungsmässigen Philosophiren hervortritt“. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_8
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sich darüber erklären, wie es möglich ist, dass gegebenenfalls Einwirkungen von der einen auf die andere Substanz (und umgekehrt) stattfinden (oder die beiden Substanzbereiche als gegenüber einander wirkungslos betrachten). Descartes tut dies auch, über die so von ihm genannte „kleine Eichel“ (gemeint ist die Zirbeldrüse), die ihm zum Medium zwischen Körper und Geist dient, und zwar, was im Besonderen unsere Frage nach der Einflussnahme des Willens auf die Natur betrifft, wie folgt: „[J]ede Thätigkeit der Seele besteht darin, dass sie durch ihr blosses Wollen von Etwas die kleine Eichel, mit der sie eng verbunden ist, in der Weise bewegt, wie es zu der Wirkung nöthig ist, die diesem Wollen entspricht.“ (Descartes 1870b, S. 38, 39)
Die Schwierigkeit, die es mit dieser Erklärung gibt, liegt offen zu Tage: Die Zirbeldrüse ist Teil (oder in Descartes’ Sprache: Attribut) der körperlichen, der Wille Teil (bzw. Attribut) der denkenden Substanz und die Frage bleibt, wie das eine mit dem anderen kausal interagieren kann. Dies gilt erst recht, wenn das eine, der Wille als Attribut der denkenden Substanz, frei, und das andere, die Zirbeldrüse als Attribut der körperlichen Substanz, (bei Descartes: göttlich, für uns: (nur) naturgesetzlich) determiniert sein soll. In einem Wort: Es funktioniert nicht. Oder wenn schon, dann wäre noch am ehesten Leibniz mit seiner These der prästabilierten Harmonie zu folgen, der sich über das Einwirkungsproblem unter Voraussetzung eines ontologischen Dualismus – den er teilt – wie folgt erklärt: „Herr Jaquelot hat in seinem Buche über die Uebereinstimmung der Vernunft mit dem Glauben sehr gut gezeigt, dass dieses sich so verhält, als wenn jemand, der alles wüsste, was ich den andern Tag meinem Diener befehlen werde, einen Automaten machte, welcher diesem Diener genau gliche und welcher den andern Tag pünktlich das ausführte, was ich ihm befehlen würde. Offenbar würde dies mich nicht hindern, frei alles zu befehlen, was mir gefiele, obgleich die Handlung des mich bedienenden Automaten nichts freies an sich haben würde. […] Man kann indes dieser gegenseitigen Abhängigkeit des Körpers und der Seele von einander einen wahrhaften und philosophischen Sinn beilegen. Danach hängt die eine Substanz von der andern ideal insofern ab, als der Grund von dem, was in der einen sich zuträgt, in dem aufgezeigt werden kann, was in dem andern besteht. Dies hat schon bei den Beschlüssen Gottes stattgefunden, als Gott im Voraus die Harmonie zwischen beiden geregelt hat, wie ja auch der Automat mit seiner Thätigkeit als Diener, von mir ideal abhängen würde, in Folge des Wissens desjenigen, welcher meine kommenden Befehle voraussieht und danach den Automaten so eingerichtet hat, dass er mich pünktlich den andern Tag in allem bedienen kann. Die Kenntniss meines Willens am nächsten Tage hatte diesen grossen Künstler veranlasst, danach den Automaten zu fertigen; mein Einfluss dabei wäre ein objectiver,
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seiner ein physischer, da Gott, in so weit als die Seele vollkommen ist und deutliche Vorstellungen hat, den Körper der Seele angepasst hat und im voraus es so eingerichtet hat, dass der Körper getrieben wird, ihre Befehle zu vollführen.“ (Leibniz, Theodizee, §§ 63 u. 66)
Wir haben bereits gesehen (Kapitel 6), wie Leibniz zu einem freien Willen, wie wir ihn im Sinn haben, steht: Frei ist unser Wille nur insofern, als wir heute noch nicht wissen, welche Entscheidungen wir morgen treffen werden, weil wir den göttlich determinierten Lauf der Dinge nicht kennen. Was Leibniz hier also „frei“ nennt, ist es in Wahrheit gar nicht; mit Gott als übernaturgesetzlichem Welturheber mag aber wenigstens der Schein einer solchen Freiheit verständlich gemacht werden können. Doch frei oder nicht: In der Einwirkungsfrage versucht Leibniz sich, anders als Descartes, gar nicht erst darin, eine Schaltstelle oder ein Medium zwischen den beiden Substanzarten ausfindig zu machen, sondern lässt die Dinge gleich den Allmächtigen regeln, der dieselben so aufeinander abgestimmt hat, dass jeder Regung der Seele eine körperliche Bewegung, sozusagen in vorauseilendem Gehorsam, entspricht. Weil Gott z. B. weiß, dass ich in fünf Minuten mein Wohnungsfenster werde öffnen wollen, hat er es so angerichtet, dass ich mich, nachdem sich in meinem Gehirn das entsprechende Bereitschaftspotential aufgebaut hat, zu genau dieser Zeit erheben, auf das Fenster zugehen und es – so keine anderweitigen Bestimmungen von göttlicher Seite dem entgegenstehen – auch tatsächlich öffnen werde, ganz gemäß meiner Absicht, genau so zu handeln. Kaum jemand wird eine solche Erklärung heute noch akzeptieren, aber es ist immerhin eine, und unter den Voraussetzungen einer göttliche Vorsehung und eines vom Leiblichen abgetrennten Seelenreiches sicher eine der besten, die zu bekommen sind. Sie ist nur nicht sonderlich freiheitsverträglich, weshalb auch Descartes sie seinerzeit kaum akzeptiert hätte. Nun wollen wir den Pfad des Substanzdualismus zwar ohnehin nicht beschreiten, doch das Einwirkungsproblem werden auch wir zu lösen haben, damit wir es, sollte es uns auch gelingen, einen Bereich eigenen Rechts neben der naturgesetzlich determinierten Ordnung zu installieren, nicht mit einem zahnlosen Tiger zu tun bekommen. Wie wir es aber ohne dualistische Abwege so weit bringen wollen, unseren Tiger überhaupt in Stellung zu bringen, bleibt rätselhaft. Dass übrigens weder der ontologische Dualismus noch der (reduktiv-) materialistische (Seins-)Monismus geeignete Ansätze zur philosophischen Theoriebildung darstellen, und zwar ganz allgemein, auch ohne Blick auf die Freiheitsfrage, ergibt sich genau dann, wenn Descartes mit seiner These von der epistemischen Privilegiertheit und Irrtumsimmunität der Selbstbezugnahme Recht
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behalten sollte. Dass diese Diagnose nach der einen, materialistischen (oder physikalistischen) Seite hin zutrifft, dürfte unumstritten sein, ist es doch gerade jene Privilegiertheit und Irrtumsimmunität, die uns mit Descartes erst in die dualistische Versuchung geraten lässt. Denn sollte sich in solchen Sätzen wie „Ich denke“, „Ich bin“ oder auch „Ich habe Durst“ etwas bekunden, das in unfehlbarer Weise bekannt ist, also (im strengstmöglichen Sinne) gewusst wird, dann bin dies offenbar ich selbst, mein Bewusstsein und dessen Zustände (oder Akte), und zwar allem Anschein nach nicht als etwas Körperliches, sondern als etwas Geistiges oder, modern gesprochen, Mentales. Descartes jedenfalls kommt, auf der Suche nach einer festen Grundlage der Wissenschaften, zu diesem Schluss, und zwar, indem er alle seine täuschungsanfälligen Meinungen suspendiert, sich gar selbst von ihrer Falschheit überzeugt,2 und schließlich fragt: „Was bleibt da Wahres? Vielleicht das Eine, dass es nichts Gewisses giebt. Aber woher weiss ich, dass es Nichts giebt, was, im Unterschied von allem bisher Aufgezählten, nicht den mindesten Anlass zum Zweifeln giebt? Ist es nicht ein Gott, oder wie sonst ich den nennen will, der mir diesen Gedanken einflösst? – Weshalb soll ich aber dies glauben, da ich vielleicht selbst der Urheber desselben sein kann? – Bin ich selbst also wenigstens nicht Etwas? – Aber ich habe schon geleugnet, dass ich irgend einen Sinn, irgend einen Körper habe. Doch ich stocke; denn was folgt daraus? Bin ich denn so an den Körper und die Sinne geknüpft, dass ich ohne sie nicht sein kann?“ (Descartes 1870a, S. 28)
Die Antwort folgt auf dem Fuße: „Aber ich habe mich überredet, dass es nichts in der Welt giebt, keinen Himmel, keine Erde, keine Seelen, keine Körper; weshalb also nicht auch, dass ich selbst nicht bin? – Gewiss aber war ich, wenn ich mich überredet habe.“ (ebd.)
Von so gut wie allen Meinungen lässt sich annehmen, sei es im bloßen Modus der Enthaltung, sei es in dem des veritablen Zweifels ob einer angenommenen Täuschung durch einen bösartigen Dämonen, dass sie falsch sind, abgesehen von der, dass je ich es bin, der sich enthält, der zweifelt, der irrt (oder auch nicht). Somit steht fest, schließt Descartes, dass ich bin, und zwar „so lange, als ich denke“ (Descartes 1870a, S. 30). Fest steht damit natürlich nicht, ob ich (darüber hinaus) 2 „[Ich]
will […] Alles fern halte[n], was dem geringsten Zweifel unterliegt, gleich als hätte ich es für ganz falsch erkannt, und ich will fortfahren, bis ich etwas Gewisses erreiche, wäre es auch nichts Anderes als die Gewissheit, dass es nichts Gewisses giebt. […] Es gilt mir daher alles, was ich sehe, für falsch; ich lasse nichts von dem gelten, was das trügerische Gedächtnis mir von dem Früheren vorführt; ich habe gar keine Sinne; mein Körper, meine Gestalt, Grösse, Bewegung, Ort sind Chimären“ (Descartes 1870a, S. 27).
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irre oder wahrspreche, aber es steht fest, dass ich, der ich bin, etwas meine und auch jeweils, was ich meine. Und im Fall der Enthaltung oder des Zweifels steht auch fest, dass ich mich enthalte und wobei ich mich enthalte bzw. dass ich zweifle und woran ich zweifle. Was ich bin, weiß ich dadurch noch nicht; insbesondere ist der Fall sich selbst denkender reiner Körperlichkeit auf diesem Stand noch nicht ausgeschlossen, doch Descartes schließt ihn für sich aus, indem er anführt, dass „alle […] Bilder [von körperlichen Gegenständen; ds] und überhaupt Alles, was auf die Natur von Körpern sich bezieht, möglicherweise nur Traumbilder sind“ (a. a. O., S. 31), das heißt, dass solche Vorstellungen, im Gegensatz zu der Behauptung der eigenen Existenz, falsch sein können. Womit er Recht hat. Descartes kann aber nicht recht begründen, warum dem so ist. Fehlbarkeit ist nämlich immer dann (und nur dann) im Spiel, wenn es um Gegenstände geht, körperliche zum Beispiel, aber auch – sollte es so etwas geben – geistige. Indem Descartes das „Ich“ also zu einem inneren Objekt reifiziert, zu einem körperlosen „denkende[n] Ding“ (ebd.), müsste er seine Meinungen über es für fehlbar halten; indem er dies aber nicht tut, braucht er einen anderen Grund für die Unfehlbarkeit seiner Meinungen über dieses innere Objekt. Und den kann er – verständlicherweise – nicht angeben, weil es keinen anderen Grund gibt. Grundlage für all diese Überlegungen (und noch vieles mehr) ist „die ‚Platitüde‘3 […], daß bloßes Fürwahrhalten im Allgemeinen noch keine Wahrheit verbürgt. […] Wenn ich, in einem Urteil, einen Anspruch auf objektive Wahrheit erhebe, dann beanspruche ich, daß etwas sich soundso verhält, unabhängig davon, daß ich diesen Wahrheitsanspruch erhebe. „Der Neckar fließt in den Rhein“, behaupte ich etwa, und ich meine damit, daß dies objektiv der Fall ist, daß der Neckar auch dann in den Rhein flösse, wenn mich ein böser Dämon vom Gegenteil überredete. Bestünde diese Unabhängigkeit der Sachverhalte von meinen Meinungen nicht, so wäre, was immer ich meine, auch schon wahr, entgegen jener Platitüde. Und umgekehrt: Wenn ich nicht irrtumsanfällig wäre bezüglich einer Meinung, so wäre
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bezieht sich hier auf Davidson (1990), S. 305, wo selbiger klarstellt, dass seine Abweisung der sogenannten Korrespondenztheorie der Wahrheit, „the doctrine that the real and true are independent of our beliefs“, nicht bedeute, dass er besagte Platitüde ebenfalls ablehnen würde. Man darf, an dieser Stelle kurz und grob gesprochen, Wahrheit und Urteil (oder Meinung) weder zu sehr einander annähern – sonst verbürgen unsere Meinungen ihre eigene Wahrheit –, noch zu sehr voneinander trennen – sonst gerät die Frage nach der Wahrheit unserer Meinungen zum Zufallsspiel. Die Antwort, wie in dieser Frage zu vermitteln ist, ist nicht leicht zu geben. Kants Erscheinungslehre, die wir in den Kapiteln 13 ff. erläutern und zu unseren Gunsten verwenden werden, kann aber als eine solche gesehen werden.
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deren Gegenstand nichts von meinem Meinungsakt Unabhängiges, nichts Objektives. Meine durchgängige Fehlbarkeit in meinen Urteilen ist demnach kein Zeichen menschlicher Schwäche, sondern ein Zeichen der Objektivität dessen, worauf ich im Urteilen bezogen bin.“ (Koch 1999, S. 31, 32)
Nicht bloß im Alltag, auch im philosophischen Theoretisieren neigen wir dazu, ohne Rücksicht auf die (in einer Weise vielleicht zu) einfachen, selbstverständlichen Einsichten zu Werke zu gehen und unsere Kräfte an allerhand zu verwenden – und zu verschwenden –, das im Resultat, so kreativ, gedankenreich oder aufsehenerregend es auch sein mag, keinen, jedenfalls keinen dauerhaften, Gewinn an Erkenntnis oder Glück zu verschaffen imstande ist. Hier haben wir nun eine solch einfache Wahrheit, eine Platitüde, vor uns liegen und wir sollten die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, sie zu würdigen. Einen guten Teil der Arbeit nimmt Koch selbst uns schon gleich mit seinen nächsten Sätzen ab: Würden die behaupteten Sachverhalte nicht unabhängig davon bestehen (oder nicht bestehen), dass ich meine, dass sie es tun, wäre ich in meinem Meinen unfehlbar – und umgekehrt; d. h. in meinen unfehlbaren Meinungen, sofern es welche gibt, kann ich mich gar nicht auf Objektives, Gegenständliches – als solches – beziehen, konkret auf unseren Fall bezogen: (8.7) Wenn je ich irrtumsimmunes Wissen von mir selbst haben kann, dann kann es sich bei dem dadurch erkannten Sachverhalt nicht um einen meinungsunabhängigen solchen und kann das dadurch erkannte Selbst folglich nicht als Gegenstand zu erkennen gegeben werden.
Irrtumsimmunität und Gegenständlichkeit der Bezugnahme schließen einander aus; erstaunlich genug wäre es, sollte sich zeigen lassen, dass unumstößlich privilegierte Selbstbezugnahmen möglich – und nicht bloß leeres Gerede – sind, mehr als erstaunlich, nämlich unmöglich, wäre es deshalb, würden wir es dabei mit einer geistigen Substanz und deren Zuständen zu tun bekommen. Damit wäre auch eine überaus heiße Spur in Richtung der Art von Theoriebildung gelegt, wie wir sie zum Ende des letzten Kapitels hin ausgerufen haben, welche uns dahin bringen könnte, „am“, wie ich mich dort ausgedrückt haben, „materiellen Sein selbst einen nicht naturgesetzlich bestimmten Rest gegenüber dessen naturgesetzlich bestimmtem Anteil zu behaupten“. Denn sollten solche Bezugnahmen (sinnvoll) möglich sein, hätten wir offenbar einen Kandidaten dafür gefunden, auf das körperliche Sein in einer Weise Bezug zu nehmen, die es als solches – d. h. sofern es naturgesetzlich bestimmt ist – nicht in den Blick nehmen kann (andernfalls könnten wir dabei ja irren). An ihm ließe sich dann womöglich auch ablesen, wie wir in Hinblick auf Bezugnahmen auf uns selbst als freie Wesen
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weiter vorzugehen hätten. Wir werden diese Spur dennoch weiter unverfolgt liegen lassen und sie uns für eine andere Gelegenheit bewahren müssen, da sie uns dazu zwingen würde, uns in Überlegungen zu vertiefen, die in gegenwärtigem Rahmen nicht mehr mit der gebotenen Sorgfalt verfolgt werden können. Damit scheint freilich auch unser Projekt der Freiheitsbegründung auf Eis gelegt. Tun wir einmal so, als wäre dem tatsächlich so und besinnen uns auf die Gründe unseres Bestrebens nach einer Freiheitsbegründung, mit der Frage im Hintergrund, ob sich die damit verbundenen Ziele am Ende nicht auch ohne Freiheit erreichen lassen. Der gewiss nächst liegende und daher auch am häufigsten in Anspruch genommene Grund dafür, den Freiheitsgedanken in irgendeiner – und sei es noch so verstümmelten Weise – aufrechterhalten zu wollen, liegt in der gleich eingangs dieser Arbeit angesprochenen, bis hierhin jedoch unbearbeitet liegengelassenen Verbindung, die allem Anschein nach zwischen ihm und dem Gedanken der (moralischen) Verantwortung besteht. Strafe impliziert Verantwortung. Verantwortung impliziert Freiheit. Freiheit und Determinismus schließen einander aus. So lauteten die drei Sätze, die uns im Zusammenhang mit der Freiheitsfrage zu Beginn eingefallen waren. Bearbeitet haben wir bislang nur zwei von ihnen, beantwortet gar nur eine, die erste. Der Begriff der Strafe impliziert den Begriff der Verantwortung (These 5.1), d. h. nichts kann als Strafe begriffen werden, wenn die entsprechende Handlung – das Einsperren im Gefängnis, die öffentliche Vierteilung oder auch nur der verächtliche Blick – nicht im Rahmen einer Verantwortungszuschreibung erfolgt (oder es wenigstens dem, der sich gestraft sieht, so scheint), sei diese auch noch so weit hergeholt. Über die Frage nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Determinismus haben wir uns einerseits auf naturgesetzlicher Ebene für eine Bekräftigung der Ausschlussbehauptung starkgemacht (vgl. die Thesen (6.3) und (7.6)), andererseits aber auch schon eine andere Ebene, einen Bereich eigenen Rechts angedeutet, auf den sich womöglich ausweichen und unter dessen Inanspruchnahme sich eventuell doch eine Vereinbarkeit behaupten ließe (vgl. These (7.5)). Doch angesichts der Begründungslasten, die damit offenbar verbunden sind, lohnt sich womöglich ein prüfender Blick auf die Behauptung, Verantwortung impliziere Freiheit, genauer, nach dem Vorbild der ersten Implikation, die, dass der Begriff der Verantwortung den Begriff der Freiheit impliziere. Dieser Implikation entsprechend verhalten wir uns offenbar in unserer alltäglichen Praxis. Insofern wir uns etwa einem Tier und dessen Verhalten, zum Beispiel einem um uns herumschleichenden Hund gegenüber einer (ernsthaften) Freiheitszuschreibung verweigern, halten wir ihn nicht (ernsthaft) für verantwortlich, dies näher nicht bloß für sein Treiben, sondern gleichfalls für seinen Willen, zu essen, gestreichelt zu werden und dergleichen. In ähnlicher Weise verfahren wir mit
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menschlichen sogenannten „Triebtätern“, die wir, insofern wir sie für ihrer Willensbildung nach – in Rücksicht auf das entsprechende Geschehen – für unfrei befinden, sowohl, was ihre äußere Handlung, als auch, was ihren Willen betrifft, nicht für verantwortlich halten. Daher ziehen wir sie in der ersteren Rücksicht auch nicht zur Verantwortung (strafen nicht), sondern wollen ihnen helfen und ordnen, wenn wir dies nicht (rechtzeitig) können, Sicherungsverwahrung an, und wir halten sie in der letzteren Rücksicht – ihrem Willen nach – auch nicht für bösartig, sondern für bedauernswert. Dies entspricht jedenfalls der gewöhnlichen Ansicht. Legen wir aber hieran das begriffliche Ausschlussverhältnis zwischen dem naturgesetzlichen Determinismus und Freiheit an und behaupten weiterhin, wenn auch nach wie vor ohne Argument, den naturgesetzlichen Determinismus, dann, so scheint es, hat kein – inneres wie äußeres – Verhalten als frei in unserem Sinne zu gelten und ist folglich niemand für seine Taten verantwortlich, die überlegte Mörderin ebensowenig wie die zwanghafte Grapscherin. Allerdings halten wir einander (in der Regel) für verantwortlich und verhängen demgemäß – im Öffentlichen wie im Privaten – Strafen (oder erteilen Lob) für gewisse Willensbestimmungen, vor allem aber für äußere Handlungen (oder was wir dafür halten); dies dann aber, wie es scheint, zu Unrecht. In diesem Schluss geht so einiges durcheinander, doch wir wollen uns auf den uns im Moment interessierenden Teil konzentrieren und den Rest für zugestanden halten. Für zugestanden halten wir um des Argumentes willen (und in Ermangelung schlagkräftiger Argumente dagegen), dass der naturgesetzliche Determinismus und Freiheit in dem starken Sinne, wie wir ihn im Auge haben, einander ausschließen. Selbst behauptet haben wir auch schon das Implikationsverhältnis zwischen Strafe und Verantwortung und gerne würden wir auch eines zwischen Verantwortung und Freiheit behaupten – zumindest erscheint dies intuitiv –, doch wenn wir dies tun und uns zugleich für den naturgesetzlichen Determinismus aussprechen, dann scheinen wir uns auch von unserer Praxis des Zuschreibens von Verantwortung und Verhängens von Strafen (und natürlich auch Erteilens von Lob) verabschieden oder dieselbe wenigstens einer substantiellen Veränderung unterziehen zu müssen.4 Für ersteres optiert der Inkompatibilist, für letzteres der Kompatibilist in Sachen Determinismus und Verantwortung, bei P.
4 Vgl.
auch G. Strawson 2008, S. 344: „The familiar point is that if determinism is true, then true desert, desert as ordinarily understood, is not possible. And free will and moral responsibility, which are most naturally defined in terms of such desert when one is seeking to characterize one crucial part of our ordinary understanding of them, are equally impossible“.
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F. Strawson, der in seinem Aufsatz „Freedom and Resentment“ zwischen diesen Parteien verhandelt, auch Pessimist bzw. Optimist genannt. Die Debatte zwischen den beiden, die mit dem obigen Schluss, anders als Strawson, völlig einverstanden sind, stellt sich genauer wie folgt dar:5 Der Optimist, der vor allem auf die soziale Wirksamkeit der uns gewohnten Praxis abhebt und daher nicht ganz auf sie verzichten möchte, glaubt, sie um ihre freiheitsimplizierenden Anteile reduzieren und somit vor dem Determinismus ‚retten‘ zu können. Dabei gerät auch der Begriff der Verantwortung unter die Räder, ebenso der der Strafe, wenngleich der Optimist sich durchaus darüber bewusst ist, dass er gänzlich ohne diese Begriffe kaum auskommen wird und daher entsprechende Analoga, nennen wir sie „Verantwortung*“ und „Strafe*“, in Vorschlag bringt. Schließlich bringt er auch, wenngleich mitunter eher zögerlich, eben jene kompatibilistisch verstümmelte Freiheit, Freiheit*, ins Spiel, die wir in den vorangegangenen Kapiteln bereits erwogen und für unsere Zwecke für zu leicht befunden haben. Was dies im Einzelnen für unsere moralische Praxis bedeuten würde, werden wir im nächsten Kapitel eingehend untersuchen. Auf den Punkt gebracht nutzt der Optimist, dessen Denken für gewöhnlich ganz unter dem Stern der (Natur-)Wissenschaft steht, die Gelegenheit der Freiheitsdebatte, um darauf hinzuwirken, unser zwischenmenschliches Miteinander jeglichen metaphysischen und religiösen Ballastes zu entledigen, von der dasselbe seiner Ansicht nach geprägt ist. Erziehung im Sinne der sozialen Wirksamkeit oder Normerhaltung ersetzt Strafe bzw. Sühne, das Pech, zu sozial unverträglichem Verhalten determiniert zu sein, ersetzt Verantwortung bzw. Schuld, und das Unglück, entsprechenden Erziehungsmaßnahmen gegenüber resistenter und insofern im Verhalten und in der Willensbildung augenscheinlich beschränkter zu sein als andere, ersetzt den Mangel an Freiheit. So jedenfalls sieht der Plan des Optimisten aus. Und natürlich glaubt er, am Ende seiner Durchführung ginge es in der Welt besser und gerechter zu als zuvor. Der Pessimist auf der anderen Seite erschrickt vor diesem Plan, der ihn an Dystopien a là Brave New World erinnern mag, hält ihn jedoch auch für begrifflich inkonsistent und damit in letzter Konsequenz gar nicht für durchführbar. Der Glaube an seine Undurchführbarkeit mag seinen dystopischen Charakter indes gar nicht mildern, sondern noch zusätzlich verstärken, wie wir angesichts der teils subtilen, teils brachialen, jedenfalls beinahe ausnahmslos schrecklichen Gewalt, mit der in der Historie letztlich Undurchführbares, wenn auch sicher meist 5 Ich
nehme in der Folge die Grundgedanken des gesamten Aufsatzes von Strawson einschließlich meiner Zusätze, insbesondere, was die Position des Optimisten betrifft (vgl. Kapitel 10 zu Beginn), in einem Zug vorweg; zu Strawson eigener Darstellung der Ausgangslage in der Debatte vgl. Strawson 1993, S. 46–48.
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gut Gemeintes, viel zu häufig auf Biegen und Brechen wenigstens zur QuasiRealisierung zu treiben gesucht wurde, fürchten müssen. Doch dies sei hier nur en passant gesprochen, wie uns auch die Frage nach der moralischen Qualität des Plans des Optimisten hier gar nicht weiter interessieren muss. Anders die begrifflichen Bedenken des Pessimisten, die Strawson teilt, auf die wir noch eingehend zu sprechen kommen werden (Kapitel 10). Eine solche Praxis, wie sie dem Optimisten vorschwebt, kann, so die Quintessenz der Kritik des Pessimisten, nur vor dem Hintergrund und aus der Perspektive derjenigen Praxis entworfen und in die Tat umgesetzt werden, die es dem Plan des Optimisten gemäß gerade zu überwinden gilt, letztlich also überhaupt nicht. Die uns gewohnte moralische Praxis ist in vielerlei Hinsicht verhandelbar, in ihren Grundzügen allerdings nicht zu hintergehen und durch ein gleichsam herabgekühltes Analogon ihres selbst zu ersetzen. So weit also stellt sich Strawson auf die Seite des Pessimisten, doch – und hier wird es für uns interessant – fügt hinzu, dass selbiger seinerseits nicht in der Not ist, um der moralischen Praxis willen in gewohnt inkompatibilistischer Manier einen indeterministischen Freiheitsbegriff für sich in Anspruch zu nehmen; womit er sich wiederum auf die Seite des Optimisten stellt, den er seinerseits zurechtstutzt und davor warnt, das Kind (die uns gewohnte moralische Praxis) gleich mit dem Bade (Freiheit) auszuschütten. Der Determinismus mag wahr sein – und indeterministische Freiheit daher, wie auch Strawson meint, unmöglich –, die uns gewohnte Praxis ist unhintergehbar, Punkt. In dieser Weise könnte es uns gelingen, unser kleines Ausweichmanöver zu einem guten Ende zu bringen. Doch obwohl wir Strawsons Überlegungen weitgehend zustimmen werden, insbesondere darin, dass unsere moralische Praxis von der Determinismusfrage unabhängig ist, werden wir zu dem Schluss kommen, dass selbiges für die Freiheitsfrage nicht gilt, und zwar aus begrifflichen – nicht etwa aus moralischen – Gründen. Wir verstünden gar nicht, was Dankbarkeit, Groll, Missbilligung und dergleichen überhaupt ist, würden auch gar nicht in dieser Weise empfinden, würden wir nicht mit der Unterstellung arbeiten, dass andere Personen, wie auch wir selbst, dazu in der Lage sind, Willensbestimmungen auch zu unterlassen. Damit allerdings werden wir der Lösung unseres ursprünglichen Problems, das wir eigentlich haben umgehen wollen, unversehens ein großes Stück näher gekommen sein; denn wenn unsere moralische Praxis von der Determinismusfrage unabhängig ist, von der Freiheitsfrage jedoch nicht, dann sind offenbar die Determinismus- und die Freiheitsfrage ihrerseits unabhängig voneinander und es kann zwischen der Annahme von Freiheit und der des (naturgesetzlichen) Determinismus gar kein Widerspruch bestehen. Doch eins nach dem anderen. Zunächst wollten wir uns die Position des Optimisten in der Debatte genauer ansehen.
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Optimismus in Sachen Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Praxis (1) – Wolf Singer
Beginnen wir mit einem Zitat aus einem Vortrag von Wolf Singer, hauptberuflich Neurophysiologe, der sich vor einigen Jahren in die philosophische Freiheitsdebatte eingebracht und diese mit seinen teils provokativen Äußerungen auch einer breiteren Öffentlichkeit zugeführt hat: „Es geht nicht darum, ob der Wille oder die Entscheidungen frei oder determiniert sind, sondern wie ein bestimmter Mensch sich verhält. Und da Verhalten auf neuronalen Prozessen beruht, die durch die funktionelle Architektur des Gehirns determiniert sind, beurteilen wir im Grunde die Normabweichung von Hirnfunktionen. Wenn einer unter Zwängen tut, was die meisten unter gleichen äußeren oder inneren Zwängen auch getan hätten, ist die Normabweichung gering. Es geht also nicht um die Beurteilung von Freiheit und aus ihr abgeleiteter Schuld, sondern um die Feststellung der Normabweichung und – wie die Strafbemessung nahe legt – um die Schwere der Tatfolge, die mit der subjektiven Freiheit beziehungsweise Schuld nur sehr bedingt korreliert.“ (Singer 2007, S. 17)
Wir haben es hier mit einem geradezu paradigmatischen Fall von Optimismus in dem zuletzt angeführten Sinne zu tun, was an zweierlei besonders gut zu ersehen ist: Erstens verweist Singer, wie zum Beweis der Kompatibilität seines optimistischen Plans (über dessen Einzelheiten wir noch mehr erfahren werden) mit der uns gewohnten Praxis, auf die tatsächlich gängige Rechtspraxis, die Frage, das Strafmaß entscheidend von dem angerichteten Schaden abhängig zu machen. Singers eigenes Beispiel ist das des Überfahrens einer roten Ampel ohne (weitere) Folgen einerseits beziehungsweise „mit Todesfolge und lebenslanger Behinderung“ (Singer 2007, S. 17) eines dabei angefahrenen Fußgängers andererseits. Die „subjektive[…] Schuld“, resultierend aus dem (Fehl-)Gebrauch der „subjektiven Freiheit“, das heißt für Singer: der „Fähigkeit zur bewußten Abwägung von
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_9
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Argumenten“ (a. a. O., S. 18) – die Singers Position zufolge freilich ebenfalls als determiniert und damit frei allenfalls im kompatibilistischen Sinne gedacht werden sollte – ist in beiden Fällen die gleiche, die Strafe jedoch fällt in letzterem Fall ungleich höher aus. Dies ist ein interessanter Punkt, da er illustriert, dass wir den Begriff der Verantwortung und den der Strafe in gewissem Sinne getrennt voneinander zu entwickeln imstande sind und dies auch regelmäßig tun. Die Entkopplung ist allerdings, wie man hinzusetzen muss, nur eine graduelle, keine prinzipielle. Wo wir partout keine Verantwortung erblicken können, erhebt sich auch kein Straf- oder Belobigungsgedanke, nur das Ausmaß der Strafe (oder des Lobes) fällt bei gleichbleibender persönlicher Verantwortung bisweilen unterschiedlich aus. Wenn ich zur Befestigung eines Bettlakens einen Ziegelstein auf mein Fensterbrett lege, dieser herunterfällt und einen polizeibekannten Vergewaltiger am Kopf trifft, werde ich zwar in der Tat (dennoch) mit einer höheren Strafe zu rechnen habe als in dem Fall, dass niemand von dem Ziegel getroffen wird. Unser ‚Rotsünder‘ aber wird, wenn ihm auf dem Weg zur Ampel in die Brust geschossen wird, auch dann nicht verurteilt werden, wenn er ein siebenjähriges Schulmädchen überfährt. Was das Strafmaß betrifft, machen die Auswirkungen de facto oft einen erheblichen Unterschied bei der Beurteilung; die Diskussion darüber, warum dem so ist und ob es vernünftig ist, die Dinge so zu handhaben, können wir jedoch anstehen lassen. Die grundsätzliche, begriffliche Strafe-Verantwortungs-Implikation (These (5.1)) ist davon nicht berührt. Es ist aber auch unklar, inwiefern Singer die Infragestellung dieser Implikation überhaupt zu motivieren versucht. Wir werden sogleich darauf zurückkommen. Zweitens legt Singer nahe, dass wir, ohne den Gedanken der Freiheit im Hintergrund zu haben, die moralische Verantwortung – und die entsprechende Strafe für eine Tat – daran bemessen können (und auch wirklich so handeln), ob und inwieweit das entsprechende Verhalten eine Abweichung von der (gesellschaftlich oder rechtlich festgelegten) Norm darstellt. Determiniert bin ich, meint Singer, ohnehin. Bin ich aber dazu determiniert, ein strafrechtlich unauffälliges Leben zu führen, habe ich wahrscheinlich Glück und werde eine Gefängniszelle allenfalls als Wärter oder als Besucher einmal von innen sehen. Andernfalls habe ich einfach Pech gehabt und man wird mich ins Gefängnis stecken, weil ich dazu determiniert bin, mich in einer Weise zu verhalten, die irgendwann in meinem Leben z. B. den Straftatbestand der räuberischen Erpressung erfüllt. Für diese Tat bin ich dann, so scheint Singer zu meinen, verantwortlich im Sinne des Straftatbestandes, weil eben ich sie begangen habe und kein anderer,1 die nachfolgende 1 Vgl.
Singer 2007, S. 18: „Selbstverständlich bleibt die Notwendigkeit zur Zuschreibung von Verantwortung unberührt, denn wer sonst als das handelnde Individuum könnte die Tat
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Strafe dient jedoch nicht etwa dem Zweck der moralischen Buße, sondern dem der Umerziehung im Sinne der Norm, so wie wir auch ein Kind, das wir für nicht eigentlich schuldfähig im freiheitsbezogenen Sinne halten, „bestrafen und belohnen […] in der Absicht, seine Hirnarchitektur so zu prägen, daß es später Entscheidungen treffen wird, die mit den sozialen Normen der Gesellschaft, in welche es integriert werden soll, konform sind“ (Singer 2007, S. 17, 18). In dieser Weise zwischen Schuld und Verantwortung unterscheidend scheint sich mit Singer eine Entkoppelung des Begriffs der Schuld von dem der Strafe behaupten zu lassen, während die Strafe-Verantwortungs-Implikation beibehalten wird. Verantwortung schreiben wir dann schlicht jedem zu, der das jeweilige entsprechende Verhalten als Individuum an den Tag gelegt hat, Schuld jedoch erfordert einerseits, meint Singer selbst, einen gewissen Spielraum an Optionen („Optionenraum“, Singer 2007, S. 17) und andererseits die bereits genannte Kompetenz zur „bewußten Abwägung von Argumenten“ (s. o.). Natürlich kann es sich, sofern der Schuldbegriff in eine solche Konzeption wie die Singersche übernommen werden soll, bei dem „Optionenraum“, den es dafür benötigt, nicht um einen solchen handeln, der sich erst nicht-kompatibilistischer, indeterministischer Freiheit erschließen würde, sondern müsste Singer sich auf die Behauptung kompatibilistischer Freiheit festlegen. Doch er scheint zu ahnen, dass mit ihr allein (ganz im Sinne unserer These (5.2)) kein Staat zu machen ist, daher ist es nur konsequent, wenn er fragt: „Der Arzt kann dem Richter Auskunft darüber geben, ob die Hirnfunktionen des Täters hinsichtlich bestimmter Eigenschaften der Norm entsprechen. Dabei wird offensichtlich vor allem geprüft, ob der Deliquent in der Lage war, in vollem Besitz seines Bewußtseins zu entscheiden. Was aber ist damit gewonnen, wenn auch der bewußte Deliberationsprozeß auf neuronalen Vorgängen beruht, die ihrerseits durch genetische Dispositionen, frühe Prägungen und erlernte Routinen in idiosynkratischer Weise, in einer für das Individuum spezifischen Weise ablaufen[?]“ (Singer 2007, S. 16)
In letzter Konsequenz wäre also gar nicht mehr schen einer sexuell übergriffigen Person, die wir gen Kenntnisstand als Triebtäterin fassen müssten, nach denselben Kriterien als frei zu gelten hätte. schuldig in dem Sinne, dass sie einen tatsächlich
zu unterscheiden zwinach unserem derzeitiund einer solchen, die Keine der beiden wäre vorhandenen Spielraum
verantworten?“ – hier also setzt Singer sich ausdrücklich für die Strafe-VerantwortungsImplikation ein. Ob er dies auch konsequent durchhalten kann (und wenn ja, inwiefern), wird uns noch beschäftigen.
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hätten ausloten und nutzen können, beide aber – und dies gleichermaßen – verantwortlich für ihre Tat in dem Sinne, dass es eben ihre Hand war, die den Übergriff vollzogen, und ihr Gehirn, das ihn ‚angeordnet‘ hat. Dem unbenommen scheint Singer eine vergleichbare Unterscheidung, die für die Bemessung des Strafmaßes bzw. die Frage, ob und inwiefern überhaupt gestraft werden soll, relevant ist, dennoch für angebracht zu halten. So bemerkt er zum Schluss seines Aufsatzes „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen“: „Offenbar ahnden wir Verstöße dann besonders streng, wenn sie gegen explizit Gewußtes begangen werden, gegen Wertordnungen also, die über Erziehungsprozesse im deklarativen Gedächtnis verankert wurden. Wir begründen dies, indem wir bewußten Entscheidungen ein besonderes Maß an Freiheit zuschreiben und daraus besondere Schuldfähigkeit, Verantwortlichkeit und Sanktionsnotwendigkeit ableiten. An dieser Praxis würde die differenziertere Sicht der Entscheidungsprozesse, zu der neurobiologische Erkenntnisse zwingen, wenig ändern. Die Gesellschaft darf nicht davon ablassen, Verhalten zu bewerten. […] [S]ie muß Delinquenten die Chance einräumen, durch Lernen zu angepaßteren Entscheidungen zu finden, und – wenn all dies erfolglos bleibt – sich durch Freiheitsentzug schützen. Nur die Argumentationslinie wäre eine andere. Sie trüge den hirnphysiologischen Erkenntnissen Rechnung, ersetzte die konfliktträchtige Zuschreibung graduierter „Freiheit“ und Verantwortlichkeit durch bewußte und unbewußte Prozesse und eröffnete damit einen vorurteilsloseren Raum zur Beurteilung und Bewertung von „normalem“ und „abweichendem“ Verhalten.“ (Singer 2004, S. 64–65)
Zweierlei geht, genau besehen, nicht aus dieser Passage hervor: Zum einen bezieht Singer die Fähigkeit, „durch Lernen zu angepaßteren Entscheidungen zu finden“, ausdrücklich nur auf das Verhalten nach einer Tat und ob zum anderen die Verhaltensänderung gegebenenfalls bewusst erfolgt oder nicht, ist nicht weiter spezifiziert. Wir wollen, diese Leerstellen in Singers Sinne berücksichtigend, einerseits unterscheiden zwischen bewusster und nicht-bewusster Verhaltensänderung und die entsprechende Fähigkeit zum möglicherweise entscheidenden Kriterium auch für die Bewertung des Verhaltens vor bzw. während einer Tat nehmen, sodass gilt, dass nur, wer zu einer bewussten Verhaltensänderung – ganz oder auch nur bezüglich der infragestehenden Angelegenheit – fähig ist, ein Delikt „gegen explizit Gewußtes“ verüben kann in dem Sinne, der einen Unterschied bei der Verhaltensbeurteilung zu begründen imstande ist. Zeugnis von dieser Fähigkeit vor der Tat mag das Aufweisen derselben nach der Tat geben und diese wiederum an bestimmten neurologischen Mustern oder auch an den distalen Objekten festgestellt werden können, der entscheidende Punkt ist:
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Wenn Singer in der Unterscheidung zwischen Personen, die zu einer bewussten Verhaltensänderung fähig sind und solchen, die es nicht sind, einen Unterscheidungsgrund für die Verhaltenbewertung sieht, haben wir es hiermit mit einem Kriterium zu tun, das über das der bloßen Verantwortungszuschreibung in seinem eigenen Sinne (s. o.) hinausgeht. Der Umstand, dass es meine Hand war, die den Herrn neben mir unsittlich berührt hat, reicht dann nicht aus, mich zu bestrafen, noch nicht einmal der, dass mich dabei keiner geschubst hat oder dergleichen, sondern ich muss diese Handbewegung selbst und bewusst vollzogen haben; andernfalls werde ich, falls mir dergleichen, ohne dass ich zu einer Änderung fähig wäre, ständig geschieht, zwar aus dem Verkehr gezogen, aber nicht eigentlich bestraft. Sofern demgemäß eine Implikation zwischen Strafe und Verantwortung besteht, dann nur, wenn „Verantwortung“ in einem freiheits- oder, wie mit Singer konsequenterweise gesagt werden müsste: bewusstseinsimplizierenden Sinne verstanden wird, also als subjektive Schuld. Sofern Singer eine solche Aufteilung aber, wie wir zuletzt vermutet haben, als begrifflich inkonsistent rügt, weil der Begriff der Verantwortung im schuldimplizierenden Sinne ohne den Begriff indeterministischer Freiheit nicht zu konzipieren ist, und für eine (strenge) Implikation zwischen Strafe und Verantwortung nur in dem Sinne plädieren möchte, der letztere nicht als schuldimplizierend fasst, dann dürfte es auch keine Rolle mehr spielen, ob eine Fähigkeit zur bewussten Verhaltensänderung besteht oder nicht, und kollabiert auch der begriffliche Unterschied zwischen Strafe und Umerziehung. Anstelle der Frage nach der subjektiven Schuld- und Rehabilitierungsfähigkeit, als der Fähigkeit, sein Verhalten bewusst normgerecht zu gestalten, träte dann unterschiedslos die Frage nach der Fähigkeit zur normgerechten Verhaltensanpassung. Diese Deutung scheint mir dem Vorhaben Singers letztlich eher zu entsprechen, auch wenn sie dessen Beteuerung, dass sich an unserer Praxis, zwischen Fällen bewussten und nicht bewussten Zuwiderhandelns einen kategorischen Unterschied zu machen, wenig ändern würde, zuwiderläuft. Ein Strafen im eigentlichen Sinne dürfte es dann in der Konsequenz freilich nicht mehr geben. Insofern bliebe das strenge Implikationsverhältnis zwischen Strafe und Verantwortung im schuldimplizierenden Sinne gewahrt, nur dass mit Singer letztlich gesagt werden müsste, dass wir besser gar nicht strafen sollten, weil niemand Schuld trägt an seinem Verhalten. Genau gesprochen müsste man also sagen, dass Singer, was die Strafe-Verantwortung-Implikation betrifft, nicht bloß für eine Ersetzung des Verantwortungsbegriffs in einem schuldimplizierenden Sinne durch einen solchen optiert, der diese Implikation nicht aufweist, sondern für eine Ersetzung der gesamten Implikation durch eine andere, nennen wir sie die Anpassungs-Abweichungs-Implikation.
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Der Sache nach muss man sich die Praxis, die Singer für wünschenswert hält, dann wohl wie folgt vorstellen: Insofern der Blick in die Vergangenheit gerichtet wird, auf die bereits vollzogene Tat, ist die Sache gegessen. Der bedauerliche Übertritt ist geschehen, die Steuern wurden hinterzogen, das Kind entführt und umgebracht, die entscheidende Frage ist nunmehr, wie wir es hinbekommen, dass so etwas möglichst nicht mehr geschieht. Ein Mittel hierzu mag der temporäre Freiheitsentzug sein, ein anderes die Geldstrafe, wiederum ein anderes die Kastration. Gegen den an dieser Stelle sich womöglich erhebenden Einwand, dass in diesem Bild bei entsprechender Wirksamkeit jedes Mittel Recht wäre, ließe sich noch anführen, dass gewisse Mittel qua Norm als unverhältnismäßig ausgeschlossen sein oder werden könnten. Zwar stellt sich hier wiederum die allgemeine Frage, mit welchem Recht eine bestehende Norm in diesem oder irgendeinem anderen Sinne geändert werden könnte, wenn sie den alleinigen Maßstab zur Beurteilung darstellt, doch diesen Einwand können wir dahinstehen lassen. Zwischen bewusstem und nicht-bewusstem Fehlverhalten könnte dann im Übrigen immer noch insofern unterschieden werden, als das Mittel zur Anpassung daran orientiert wird, ob es (direkt) auf das Bewusstsein des Täters oder auf andere Weise auf denselben einzuwirken hätte, um die gewünschte Veränderung zu bewirken. Wenn Lieschen nur, aber auch immer dann ihren Freund verprügelt, wenn sie betrunken ist, es aber qua bewusster Entscheidung nicht hinbekommt, mit dem Trinken aufzuhören, wird sie zwangsentgiftet – und dann wird es darauf ankommen, ob sie in der Folge die Fähigkeit aufweisen wird, sich bewusst weiterhin gegen die Trinkerei zu entscheiden oder nicht. Wenn sie aber die Fähigkeit dazu aufweist, sich auch ohne vorgehenden Zwangsentzug bewusst gegen das Trinken zu entscheiden, dann hilft vielleicht schon bloßes Gut-Zureden. Der Umstand, dass Lieschen in letzterem Fall nach dem gängigen Bild ein höheres Maß an Schuld zugeschrieben werden würde, weil sie einer bewussten Verhaltensänderung zugänglich ist bzw. war, sodass sie auch eine höhere Strafe erhalten müsste, dürfte in diesem Bild jedoch keine Rolle mehr spielen. „Keiner kann anders, als er ist“ (Singer 2004, S. 63), meint Singer aufgrund des neurophysiologischen Determinismus schließen zu müssen, also sollten wir auch nicht so tun, als wäre dem anders und stattdessen unsere moralische Praxis nur noch daran orientieren, wie wir möglichst wirksam pässliches Verhalten begünstigen und unpässliches verhindern. Zwar können wir nach wie vor in der uns gängigen Weise unterscheiden und Singer scheint sich, wie gesehen, nicht ganz mit sich einig darüber, inwiefern wir es noch tun sollten (vielleicht will er auch nur nicht gleich mit der ganzen, beunruhigenden ‚Wahrheit‘ herausrücken); aber gemäß seinen eigenen Prämissen wäre dies inkonsequent.
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In dem starken Sinne, in dem wir bislang von Verantwortung gesprochen hatten, akzeptiert Singer damit im Übrigen auch nicht bloß die StrafeVerantwortungs-, sondern auch die Verantwortung-Freiheits-Implikation. Denn unabhängig von seiner terminologischen Wahl, „freies“ lieber in „bewusstes“ und „unfreies“ lieber „unbewusstes“ Verhalten umtaufen zu wollen, plädiert er der Sache nach ja dafür, dass bewusstes (Fehl-)Verhalten nicht dazu hinreicht, statt einer bloßen Delikt- eine Schuldzuschreibung vorzunehmen, und er tut dies, weil er meint, hierdurch würde die Möglichkeit vorausgesetzt, einen vorhandenen Spielraum an Optionen bewusst zu nutzen, eine Möglichkeit, die es seiner Ansicht nach nicht geben kann – weil es wiederum einen entsprechenden Spielraum überhaupt nicht gibt. Woran Singer bei allen Modifikationen, die er entweder selbst vorschlägt oder die sich in der Konsequenz aus seinen Überlegungen ergeben, nichts ändern möchte, ist die Existenz der moralischen Praxis selbst. „Die Gesellschaft“, haben wir bei ihm gelesen, „darf nicht davon ablassen, Verhalten zu bewerten“ (s. o.) – was freilich impliziert, dass sie es überhaupt kann, eine Implikation, an der Strawson, wie wir gleich sehen werden, abarbeitet und zu dem Schluss kommt, dass die Erwägung einer solchen Möglichkeit sinnlos ist, ganz gleich, wie wir zu der Determinismusfrage stehen. Doch gegeben für den Moment, diese Möglichkeit besteht: Warum dürfen wir unsere moralische Praxis nicht (ganz) aufgeben? Singers Antwort offenbar: Weil sie (wirksam) „unerwünschte Entscheidungen unwahrscheinlicher werden“ (Singer 2004, S. 64) lässt. Werfen wir von hier aus einen Blick auf den Konflikt zwischen dem Optimisten und dem Pessimisten in Strawsons Darstellung. Der einzige Grund, den der Optimist Strawson zufolge anführen kann, um die obige Frage zu beantworten, ist die Wirksamkeit in Bezug auf Verhaltenssteuerung in gesellschaftlich erwünschter Weise („efficacy of these practice[…] in regulating behaviour in socially desirable ways“, Strawson 1993, S. 48). Insofern haben wir mit der Vermutung, bei Singers Position handele es sich um einen geradezu paradigmatischen Fall von Optimismus in Strawsons Sinne, also offenbar einen Volltreffer gelandet. Doch Singer geht noch weiter. Strawsons Optimist kann mit der Kritik, dass dies – bloße soziale Wirksamkeit – weder hinreichende, noch überhaupt die richtige Art von Grundlage für unsere Praxis sei, wie wir sie verstünden („not a sufficient basis, […] not even the right sort of basis, for these practice […] as we understand [it]“, ebd.), noch sprachlos gemacht werden („he really has no more to say“, ebd.), weil er einerseits meint, in einem kompatibilistischen Freiheitsbegriff das
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Prinzip zur Unterscheidung zwischen schuldhaftem und nicht schuldhaftem Fehlverhalten erblicken zu können,2 andererseits aber keine Antwort auf die Frage weiß, wie bzw. warum Freiheit in diesem Sinne eine solche Unterscheidung rechtfertigen soll – wo doch alles (menschliche) Verhalten, wie er meint, determiniert ist – („But why does freedom in this sense justify blame, etc.?“, a.a.O., S. 47). Singer – oder jedenfalls der Singer, den wir uns zuletzt zurechtgelegt haben – zieht hingegen eine Konsequenz, die sich Strawsons Optimist nicht zu ziehen getraut, nämlich die, auf den Begriff der Schuld und damit auf die Unterscheidung zwischen straffähigen und nicht straffähigen Handlungen und Personen gänzlich zu verzichten, womit die (Um-)Erziehung im Sinne der Norm zum letztlich einzig relevanten Faktor unserer moralischen Praxis und dieselbe, wie wir sie kennen, für grundsätzlich reformbedürftig erklärt werden müsste. Singer stünde mit seiner Position also insofern auf der Seite des Pessimisten, als er keinen Grund mehr dafür sieht, von dem Begriff der Schuld innerhalb unserer moralischen Praxis Gebrauch zu machen, und doch – letztlich – auf der Seite des Optimisten, indem er die fehlende Legitimation des Schuldbegriffs, die er selbst – mit Strawsons Pessimisten – behauptet, nicht als Schaden interpretiert, geschweige denn zum Anlass nimmt, gänzlich auf jedwede moralische Praxis zu verzichten, sondern sogar zum Anlass nimmt, von einer „humaneren, weniger diskriminierenden Beurteilung von Mitmenschen“ zu träumen, „die das Pech hatten, mit einem Organ volljährig geworden zu sein, dessen funktionelle Architektur ihnen kein angepaßtes Verhalten erlaubt“ (Singer 2004, S. 63). Gemeint sind dabei dann aber, dies sei noch ausdrücklich festgehalten, nicht bloß diejenigen Mitmenschen, denen wir nach der uns gängigen Praxis einen Sonderstatus einräumen (und denen auch Strawsons Optimist einen Sonderstatus einräumt), sondern gleichermaßen die, bei denen wir dies gegenwärtig nicht zu tun gewillt sind. Es gibt dann nämlich schlicht keine begriffliche Grundlage mehr, solche Ausnahmefälle von irgendeinem Regelfall zu unterscheiden. Ganz ähnliches wie Singer scheint übrigens auch Gerhard Roth im Sinne zu haben, wenn er schreibt: „Es bleibt […] auch dann das legitime Interesse der Gesellschaft, an ihren Verboten festzuhalten, wenn dem einzelnen Straftäter für die begangenen Taten kein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Die Sanktion erfolgt in diesem Fall aber
2 Vgl.
Strawson 1993, S. 46–47, wo selbiger den kompatibilistischen Freiheitsbegriff einen negativen solchen nennt, was wohl daher rührt, dass jemand, der in diesem Sinne frei ist, nicht durch Bedingungen beschränkt ist, die ihn (teilweise oder ganz) schuld- und damit strafunfähig machen würden.
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nicht in Form von Bestrafung, sondern vielmehr aus generalpräventiven Gründen zur Nomerhaltung […]. Die reine Strafverbüßung als abschreckende Maßnahme hat sich zumindest bei Intensivstraftätern als wenig effektiv erwiesen, was sich an den enorm hohen Rückfallquoten zeigt. Zugleich haben sich Maßnahmen, die auf Besserung des Straftäters abzielen, bisher als umso unwirksamer erwiesen, je schwerer die psychischneurobiologischen Defizite sind. […] Hier ist jedoch jahrzehntelang kaum geforscht worden, wobei sich das Festhalten am herkömmlichen Schuldbegriff und dem damit verbundenen Vergeltungsgedanken als besonders hemmend erwiesen hat.“ (Roth 2016, S. 183)
Und ähnlich wie Singer scheint auch Roth sich am Ende doch nicht Recht entscheiden zu können, ob er denn noch unterscheiden will zwischen Ausnahmeund Regelfällen im obigen Sinne. Wenn die Normerhaltung zum obersten Prinzip unserer moralischen Praxis erklärt wird, wäre eine solche Unterscheidung jedenfalls nicht mehr zu rechtfertigen. Sowohl Roth wie auch Singer mögen übrigens Recht darin haben, dass unser Verhalten Straftätern gegenüber verbesserungswürdig ist. Man muss jedoch nicht vom Schuldprinzip abkommen, um sich zu fragen, ob „reine Strafverbüßung“ das richtige Mittel zur Verhaltenskorrektur ist, und noch weniger, um den Gedanken an Vergeltung widersinnig zu finden, läuft man dabei doch leicht Gefahr, am Ende selbst zum Schuldigen zu werden. Dasselbe gilt übrigens auch für das geradezu irrwitzige Phänomen der moralischen Empörung. Doch dies sei hier nur nebenbei bemerkt.
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Strawsons Pessimist glaubt, eine moralische Praxis sei ohne einen positiven, starken Freiheitsbegriff nicht zu halten, da dieser eine erforderliche Bedingung für eine gerechtfertigte Zuweisung von Schuld und Strafe darstellt.1 Singer stimmt – gegen Strawsons Optimisten – mit der letzteren Implikation überein, verliert darüber aber keineswegs seinen Optimismus in Sachen Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Praxis. Die von ihm antizipierte Praxis wiederum mag man schrecklich finden – und im Übrigen genau jene Befürchtung des Strawsonschen Pessimisten bestätigt sehen, die diesen dazu bewegt, von dem Rechtfertigungsversuch des Strawsonschen Optimisten für die uns gewohnte Praxis Abstand zu nehmen –2 und sich seinerseits erst Recht für die Freiheit verwenden wollen.3 In jedem Fall an allen Beteiligten auszusetzen hat Strawson 1 Vgl.
Strawson 1993, S. 47: „[The pessimist] might say, familiarly enough, that the man who is the subject of justified punishment, blame or moral condemnation must really deserve it; and then add, perhaps, that, in the case at least where he is blamed for a positive act rather than an omission, the conditions of his really deserving blame is something that goes beyond the negative freedoms that the optimist concedes. It is, say, a genuinely free identification of the will with the act“. 2 Ich werde in der Folge, wo anderes nicht unbedingt geboten ist, darauf verzichten, zwischen den beiden Optimismusvarianten klar zu differenzieren. Der Singersche Optimismus, wie wir ihn gezeichnet haben, ist, wie wir gesehen haben, nur eine konsequente Fortführung der Position, die Strawson an dieser Stelle der Debatte einzeichnet. Wo nötig, werden wir die letztere entsprechend ergänzen, wodurch, wie sich zeigen wird, manche Argumente Strawsons vor der Hand ins Leere laufen, in der Hauptsache sich jedoch nichts ändern wird. 3 So kritisiert etwa Keil die von Singer (und Roth) angedeutete „Ersetzung des Schuldprinzips durch den Präventionsgedanken“ durch folgendes Beispiel: „Hätte man im Jahr 1945 alle lebend gefassten KZ-Kommandanten psychiatrisch begutachtet, so hätten die Gutachter vermutlich bei vielen von ihnen eine Wiederholungsgefahr verneint – und sei © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_10
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selbst, dass sie angesichts der Behauptung des Determinismus überhaupt über eine Änderung unserer Praxis nachdenken: Sei der Determinismus, um Strawsons zentrale These noch einmal in Erinnerung zu bringen, auch wahr und sei – daher, wie Strawson meint – auch kein starker Willensfreiheitsbegriff theoretisch zu implementieren, so gehört es doch schlicht zur Natur der zwischenmenschlichen Interaktion, dass wir einander für verantwortlich halten in dem schuldimplizierenden Sinne, den der Optimist gerade ablehnt. Wir hegen nun einmal moralische Gefühle, sei es in Reaktion auf die Taten anderer einem selbst oder wiederum anderen gegenüber (bei Strawson sogenannte „personal“ bzw. „vicarious reactive attitutes“ (Strawson 1993, S. 57), oder sei es in Reaktion auf unsere eigenen Taten anderen (oder, wie ich hinzufügen würde, aber das spielt an dieser Stelle keine Rolle, wiederum uns selbst) gegenüber (bei Strawson „self-reactive attitudes“ (ebd.), wie wir sie auch nach meinem Zusatz noch nennen können, nur dann eben noch einmal untergliedern müssten). Die Frage ist schon falsch, ob es, angenommen, wir wären von der Wahrheit des Determinismus überzeugt, vernünftiger wäre, solche Gefühle wie Verärgerung oder moralische Missbilligung, Dankbarkeit oder Achtung vollständig zu unterdrücken und eine rein objektive Einstellung anderen und sich selbst gegenüber anzustreben. Es ist uns letztlich auch überhaupt nicht möglich, so zu agieren, jedenfalls in der Praxis: „The human commitment to participation in ordinary interpersonal relationships is, I think, too thoroughgoing and deeply rooted for us to take seriously the thought that a general theoretical conviction might so change our world that, in it, there were no longer any such things as interpersonal relationships as we normally understand them […].“ (Strawson 1993, S. 54)
Gehen wir, um diese These Strawsons zu verstehen, Schritt für Schritt vor, ausgehend vom Begriff der objektiven Einstellung, der in der nachfolgenden Argumentation eine zentrale Rolle einnehmen wird. Strawson schreibt dazu, etwas vage:
es aus dem Grund, dass die historisch-politische Konstellation, in der sozial angepasste Familienväter zu Massenmördern wurden, nicht mehr bestand. Ginge es allein um Spezialprävention, hätte man diese Täter also freilassen müssen. Dass dies für viele Menschen – nicht nur für die Opfer! – eine unerträgliche Vorstellung ist, ist nicht bloß Ausdruck eines unaufgeklärten Rachebedürfnisses“ (Keil 2010, S. 169). Worum es stattdessen (auch) geht, ist, wie Keil im Anschluss anführt, die „Wiederherstellung der Normgeltung“ (ebd.), unabhängig davon, wie man hinzufügen muss, ob diese der künftigen Normeinhaltung wirksam dienlich ist oder nicht (andernfalls könnten Singer und Roth diesen Gedanken wiederum für sich verwenden).
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„To adopt the objective attitude to another human being is to see him, perhaps, as an object of social policy; as a subject for what, in a wide range of sense, might be called treatment; as something certainly to be taken account, perhaps precautionary account, of; to be managed or handled or cured or trained; perhaps simply to be avoided, though this gerundive is not peculiar to cases of objectivity of attitude.“ (Strawson 1993, S. 52; Herv.: Strawson)
Gemeint ist der ‚nüchterne Blick‘, den wir an den Tag legen, sobald wir – aus welchem Grund auch immer – nicht (mehr) nach Schuld oder Verantwortung, sondern nur nach Erklärungen für gewisse Handlungen suchen. Man könnte versucht sein, zu sagen, dass, was in diesem Fall außen vor bleibt, die Gefühle und der Wille des Betrachteten sind, aber das ist nicht ganz richtig. Wer mit einer objektiven Einstellung auf einen Menschen blickt, mag wohl sehen, was derjenige fühlt und will. Er bettet das, was er da sieht, nur ein in ein z. B. psychologisches oder soziologisches Gefüge, aus dem heraus er dann zu erklären versucht, warum der so Betrachtete fühlt, was er fühlt, oder will, was er will, ohne das Gesehene als in seinem eigenen Recht stehend zu beurteilen, kurz: er fragt nach (herkömmlichen) Kausalerklärungen. Der Hass des Hetzers mag dann etwa aus schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit, dem Einfluss falscher Freunde oder Medien, oder genetisch begründet werden, die Liebe des Wohltäters aus entsprechend guten Erfahrungen oder Genen (oder in beiden Fällen einer Mixtur aus alledem). Aus diesem Blick heraus tadeln wir nicht, respektieren aber auch nicht und sind auch nicht dankbar. Eine solche Haltung einzunehmen, ist, als Abweichung vom Standardfall der weniger nüchternen Haltung, sowohl möglich wie auch meist völlig legitim, bisweilen sogar angeraten. Letzteres ist z. B. dann der Fall, wenn wir es mit Individuen zu tun haben, bei denen wir den Eindruck haben, und sei es auch nur für einen Abend, es sei ihnen gegenüber nicht gerecht, sie als vollwertige, eigenverantwortliche Teilnehmer unserer moralischen Gemeinschaft zu betrachten. Kinder, Demenzkranke, Narzissten (im psychiatrischen Sinne), Schockpatienten, auch Volltrunkene zum Beispiel fallen insofern unter ein und dieselbe Kategorie, als für sie gilt, dass sie für den Zeitraum, in dem sie Kind, demenzkrank, volltrunken usf. sind, für ihre Taten nicht (voll) verantwortlich gemacht werden sollten und insofern als psychologisch abnormal gelten.4 Wir können uns einer solchen Haltung aber auch in psychologisch normalen Fällen bedienen, sei es, um uns für den Moment von einer emotionalen Verstrickung zu distanzieren, sei es auch nur interessehalber, wie es z. B. beim Sozio- oder 4 Vgl.
Strawson 1993, S. 55: „Now it is certainly true that in the case of the abnormal […] our adoption of the objective attitude is a consequence of our viewing the agent as incapacitated in some or all respects for ordinary inter-personal relationships“.
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Psychologen, sofern er seiner Tätigkeit nachgeht, habitualisiert geschieht (und in seinem Fall wiederum auch geschehen sollte).5 Nun können wir aber nicht sagen, dass wir in dem Fall, dass wir unsere gewohnte subjektive Einstellung gegenüber einer Person zurückstellen, weil wir glauben, wir hätten es mit einem Abweichungsfall der Art zu tun, welcher ein solches Zurückstellen erfordert, es dabei mit einem Fall determinierten Verhaltens in dem Sinne zu tun haben, der gemeint ist, wenn wir sagen, dass alles menschliche Verhalten determiniert sei, und wir uns ihnen gegenüber deshalb objektiv einstellen.6 Denn dann müssten wir ja alles, also auch das vergleichsweise normale, gesunde Verhalten in solcher Einstellung beurteilen, ein abweichendes Verhalten in dem Sinne, in dem wir es aus unserer uns gewohnten zwischenmenschlichen Praxis heraus konstatieren, wäre dann begrifflich gar nicht mehr möglich. Der Optimist könnte dieser Überlegung nun durchaus beipflichten (Singer und Roth scheinen, wie gesagt, dazu zu tendieren), aber dafür plädieren, dass wir eine solche Unterscheidung dann eben einfach nicht mehr treffen. Mit Strawson könnte man jedoch wiederum einwenden, dass ein solcher Schritt gar nicht nötig, sondern es gerade die Möglichkeit des Heraustretens aus unserer gewohnten, zwischenmenschlichen Praxis ist, in eine Einstellung, in der wir von der Verantwortlichkeit der betrachteten Person abstrahieren und sie im Einzelnen für fremdbestimmt – determiniert – halten, welche ipso facto die Vereinbarkeit der allgemeinen Determinismusannahme mit unserer gewohnten Praxis verbürgt. Man mag sich also mit Singer entschließen, die Abweichungsfälle der Betrachtung zur Norm zu erheben; man mag es aber auch mit Strawson bleiben lassen, ohne sich dabei der begrifflichen Inkonsequenz schuldig zu machen. Zudem, und damit kehren wir zum ersten der beiden obigen Zitate zurück, mag es sich zwar nicht unbedingt um eine absolute Unmöglichkeit, sicher wird es sich aber um eine
5 „[W]e
can sometimes look with something like the same eye [as on the behaviour of the abnormal; ds] on the behaviour of the normal and the mature. We have this resource and can sometimes use it: as a refuge, say, from the strains of involvement; or as an aid to policy; or simply out of intellectual curiosity“ (Strawson 1993, S. 53). 6 Vgl. Strawson 1993, S. 55, wo Strawson an die Feststellung, dass wir gewisse Personen als der Teilnahme an der gewöhnlichen zwischenmenschlichen Praxis unfähig erachten und sie daher in objektiv-nüchterner Einstellung betrachten, anschließt: „But there is something else which, because this is true, is equally certainly not true. And that is that there is a sense of ‚determined‘ such that (1) if determinism is true, all behaviour is determined in this sense, and (2) determinism might be true […], and (3) our adoption of the objective attitute towards the abnormal is the result of prior embracing of the belief that the behaviour, or the relevant stretch of behaviour, of the human being in question is determined in this sense“.
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praktische Unmöglichkeit handeln, die Ausnahme zur Regel zu machen und alle Personen durchgehend in solch objektiver Einstellung zu begutachten.7 Vor allem aber gilt, dass, sollte es uns auch möglich sein, uns in dieser Weise einzustellen, es eine offene Frage ist, ob es sich dabei überhaupt um eine vernünftige Entscheidung handeln würde, eine Frage, die nicht am Verhandlungstisch von Wissenschaftlern, seien diese nun Neurophysiologen, Psychologen, Soziologen oder auch Philosophen, sondern an dem und aus Sicht der gewöhnlichen Teilnehmer der Gemeinschaft entschieden werden müsste.8 Denn welch anderen Sinn als den, das zwischenmenschliche Miteinander zu verbessern, könnte ein mögliches Gelöbnis haben, was sonst könnte es zu einem rationalen Akt werden lassen, einander mehr mit dem nüchternen Blick der objektiven Einstellung zu begegnen denn mit dem der unmittelbar reaktiven, will nicht sagen reaktionären, Schuldzuweisungen? Weder der Optimist noch der Pessimist in Sachen Kompatibilität unserer moralischen Praxis mit dem Determinismus, so Strawsons Sicht der Dinge, sehen diese Zusammenhänge klar genug. Beide sind offenbar der Ansicht, dass unsere gewohnte zwischenmenschliche Praxis, gegeben die Überzeugung, der Determinismus sei wahr, nicht mehr zu halten wäre. Der Optimist unterscheidet sich vom Pessimisten in dieser Hinsicht nur insofern, als er meint, die uns gewohnte Praxis durch ein dann mutmaßlich vernünftigeres Analogon ersetzen zu können, deren Legitimität allein in ihrer verhaltensregulierenden Wirksamkeit in Hinblick auf die soziale Ordnung gründet.9 Um feststellen zu können, wie wir unser zwischenmenschliches Miteinander dieser Richtschnur gemäß künftig zu organisieren haben, betrachten wir es dann möglichst wie
7 „It
does not seem to be self-contradictory to suppose that this might happen. So I suppose we must say that it is not absolutely inconceivable that it should happen. But I am strongly inclined to think that it is, for us as we are, practically inconceivable“ (Strawson 1993, S. 54). 8 „And […] if we could imagine what we cannot have, viz. a choice in this matter, then we could choose rationally only in the light of an assessment of the gains and losses to human life, its enrichtment or impoverishment; and the truth or falsity of a general thesis of determinism would not bear on the rationality of this choice“ (a. a. O., S. 55, 56, Herv.: Strawson). 9 When […] the optimist […] undertakes to show that the truth of determinism would not shake the foundations of the concept of moral responsibility and of the practices of moral condemnation and punishment, he typically refers in a more or less elaborated way, to the efficacy of these practices in regulating behaviour in socially desirable ways. These practices are represented solely as instruments of policy, as methods of individual treatment and social control“ (a. a. O., S. 62).
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ein Soziologe oder ein Politologe, unvoreingenommen, emotional – auch moralisch emotional – regungslos. Wenn es der sozialen Ordnung dient, jemanden für eine gewisse Handlung zu verurteilen, dann ist es auch richtig, andernfalls – und nur dann – ist es falsch. Und wenn es derselben dient, offenbar Geistesgestörte an den Schaltstellen politischer und wirtschaftlicher Weltmacht zu installieren, dann ist es auch richtig, andernfalls – und nur dann – falsch. Von diesem Bild, meint Strawson, ist der Pessimist in der Kompatibilitätsfrage schockiert, und zwar sowohl begrifflich wie auch emotional. Sein emotionaler Schock liegt Strawson zufolge in der geforderten Nüchternheit gegenüber dem menschlichen Verhalten begründet, das sich ja auf alle Ebenen desselben erstrecken würde. Nicht bloß auf alle Straftäter, sondern auf alle Menschen überhaupt.10 Gemeint ist damit wohl, dass einer solchen Haltung nicht bloß der Blick auf ‚das Üble am Üblen‘, sondern auch der auf ‚das Gute am Guten‘ zum Opfer fallen würde. Nicht nur die leidenschaftliche moralische Missbilligung oder Missachtung der Taten des Übeltäters, sondern auch die in dieser Weise empfundene Achtung oder Dankbarkeit gegenüber dem Wohltäter hätten in einer solchen Welt keinen Platz, ganz zu schweigen vom vielleicht höchsten aller moralischen Gefühle, der aufrechten (also nicht selbsterniedrigenden) Liebe und Achtung selbst dem Übeltäter gegenüber. Doch die Frage nach der moralischen Qualität des Plans unseres Optimisten wollten wir ja dahinstehen lassen. Wichtiger ist uns der begriffliche Schock des Pessimisten angesichts des etwas kalten Szenariums des Optimisten, der daher rührt, dass dieses, wie Strawson meint, die Begriffe der moralischen Verurteilung und Verantwortung ganz wesentlicher Elemente berauben würde.11 Es sind eben jene urmenschlichen Einstellungen der Missbilligung, Verärgerung oder Dankbarkeit, die diese Begriffe als solche erst konstituieren und es ist nicht nur reichlich kaltherzig, sondern begrifflich widersinnig und selbstvergessen, das eine von dem anderen in der Weise, die Strawsons Optimist vorschlägt, trennen zu wollen. Es gehört zu unserer menschlichen Praxis des Zuschreibens von Verantwortung und Schuld und 10 „I have remarked that it is possible to cultivate an exclusive objectivity of attitude in some cases, and for some reasons, where the object of the attitute is not set aside from developed inter-personal and moral attitudes by immaturity or abnormality. And the suggestion which seems to be contained in the optimist’s account is that such an attitude should be universally adopted to all offenders. This is shocking enough in the pessimist’s eyes. But sharpened by shock, his eyes see further. It would be hard to make this division in our natures. If to all offenders, then to all mankind“ (a. a. O., S. 62). 11 „[A] thoroughgoing objectivity of attitude, excluding as it does the moral reactive attitudes, excludes at the same time essential elements in the concepts of moral condemnation and moral responsibility. This is the reason for the conceptual shock“ (Strawson 1993, S. 62, Herv.: Strawson).
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des Verhängens von Strafen, dass wir – jedenfalls der Idee nach – einander so behandeln, wie wir es, gemäß unserer jeweiligen Verantwortung, verdienen und dieses Verdienst – im Guten wie im Schlechten – auch selbst einsehen und fühlen können.12 Diese Komponente fehlt in dem Szenarium des Optimisten, der völlig zu Recht die Wirksamkeit dieser Praxis in Hinblick auf die soziale Ordnung herausstellt, dabei aber – zu Unrecht – so tut, als könne er unsere moralische Praxis, sei es die uns gewohnte, sei es eine nur geringfügig abweichende, sei es nur irgendeine, als solche unter vollendeter Abstraktion von den reaktiven Einstellungen unseres gewohnten zwischenmenschlichen Miteinanders auch nur begreifen. Der Pessimist geht Strawson zufolge also völlig recht darin, das Szenarium des Optimisten abzulehnen, nicht erst aus emotionalen, sondern auch schon aus begrifflichen Gründen. So ergibt sich zusammenfassend folgende Lage: Wenn der Determinismus uns dazu zwingt, unsere reaktiven Einstellungen als ungegründet oder irrational anzusehen, dann mit ihnen auch unsere Praxis des Zuschreibens von Verantwortung und des Verhängens von Strafen. Entweder also, so scheinen wir dann allem Anschein nach schließen zu müssen, wir lassen diese Praxis gleich ganz dahingehen oder wir suchen nach Argumenten für die Möglichkeit freiheitlicher Selbstdetermination und damit gegen den naturgesetzlichen Determinismus. Strawson akzeptiert diesen Schluss in seiner Gänze, aber meint, dass es gar nicht nötig ist, ihn zu ziehen, weil schon die erste Teilprämisse falsch ist. Der Determinismus – die Annahme seiner Wahrheit – zwingt uns entgegen der Ansicht sowohl des Optimisten als auch des Pessimisten, nicht dazu, die reaktiven Einstellungen unseres gewohnten zwischenmenschlichen Miteinanders als unbegründet oder irrational anzusehen. Somit fällt die Not, sich nach indeterministischen Alternativen zur Begründung dieser Praxis umzusehen oder sie, wie Singer (und Roth), von ihren schuld- und strafdurchsetzten Aspekten zu befreien, weg. Das uns gewohnte zwischenmenschliche Miteinander ist Strawson zufolge nun einmal die manifeste Lebensform, in der wir uns befinden und diese ist der alleingültige und -mögliche Maßstab dafür, zu entscheiden, ob und inwiefern es rational ist, unsere reaktiven Einstellungen zurückzustellen, um einer objektiven Betrachtungsweise Platz zu machen. Sich vor diesem Hintergrund für eine völlige Zurückstellung, gar 12 Strawson hierzu für den Fall des Übeltäters: „Just as the other-reactive attitudes are associated with a readiness to acquiesce in the infliction of suffering on an offender, within the ‘institution’ of punishment, so the self-reactive attitudes are associated with a readiness on the part of the offender to acquiesce in such infliction without developing the reactions (e.g. of resentment) which he would normally develop to the infliction of injury upon him; i.e. with a readiness, as we say, to accept punishment as ‘his due’ or as ‘just’“ (Strawson 1993, S. 63).
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Abschaffung unserer reaktiven Einstellungen zu entscheiden, hält Strawson, wie gesagt, für praktisch (wenn auch nicht theoretisch) unmöglich. Aber angenommen doch, eine solche Entscheidung wäre möglich, so würde sie aufgrund von Erwägungen bezüglich des zwischenmenschlichen Miteinanders getroffen werden, nicht aufgrund der Überzeugung von der Wahrheit der Determinismusthese. Entsprechend konstatiert Strawson: „Inside the general structure or web of human attitudes and feelings of which I have been speaking, there is endless room for modification, redirection, criticism, and justification. But questions of justification are internal to the structure or relate to modifications internal to it. The existence of the general framework of attitudes itself is something we are given with the fact of human society. As a whole, it neither calls for, nor permits, an external ‘rational’ justification.“ (Strawson 1993, S. 64)
Beenden wir nun unsere schon etwas länger andauernde Abstinenz von thetischen Festlegungen und nehmen aus dem zuletzt Erörterten folgendes mit: (10.8) Es kann keinen Sinn von „determiniert“ geben, demzufolge wir einerseits alles menschliche Verhalten als determiniert betrachten und andererseits eine objektive Einstellung zu Abweichungsfällen einnehmen, weil wir die so betrachteten Personen für in diesem Sinne determiniert halten.
Auf den ersten Blick scheint diese Überlegung wie Wasser auf den Mühlen von Singer (und Roth) – wenn auch nicht auf die von Strawsons Optimisten –, die uns in dieser Lage anraten würden, vom Begriff der Abweichung in diesem Sinne gänzlich Abstand nehmen, doch hierzu besteht, wie gesagt, keinerlei Not. Es gilt: (10.9) Falls es auch möglich sein sollte, den Blick der objektiven Einstellung allem Verhalten gegenüber einzunehmen, so entscheidet sich die Debatte darüber, ob wir dies auch tun sollten, nicht an der Determinismusdebatte.
Am Ende gibt Strawson dem Optimisten in Sachen Kompatibilität also Recht, wenn auch mit einer entscheidenden Modifikation, die auch den Pessimisten trifft. Beide Parteien sind der Überzeugung, dass unsere gewohnte zwischenmenschliche Praxis, um als gerechtfertigt gelten zu können, von der Falschheit der Determinismusthese abhängt. Wäre dem so, dann, hierin gibt Strawson dem Pessimisten cum grano salis Recht, dann könnte, angenommen, die Determinismusthese ist wahr, keine Art von zwischenmenschlicher Praxis des Zuschreibens von Verantwortung und Verhängens von Strafe als gerechtfertigt, gar überhaupt nur möglich gelten,
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auch kein etwaiges objektiv eingestelltes Analogon derselben, dessen bloße Antizipation begrifflich von seinem naturwüchsigen Original zehrt und sich mit diesem ipso facto selbst unbegreiflich machen würde. Sofern wir uns in objektiver Einstellung benehmen, so tun wir dies unter Abstraktion von unserer gewohnten, nicht objektiv eingestellten Praxis, und wie weit wir es damit auch treiben mögen, so bleibt uns diese gewohnte Praxis stets im Hintergrund, als der Bezugspunkt, von dem ausgehend wir uns in objektiver Einstellung entwerfen. Auch der sich berufsmäßig in einer solch abstraktiven Einstellung übende Soziologe etwa, oder der historische Anthropologe, dessen Ergebnisse als Vorbild für einen solchen Entwurf gelten mögen, tut, was er tut, vor diesem Hintergrund. Er abstrahiert von ihm, klammert die Schuldfrage aus und stellt seinen moralischen Zeigefinger zurück, doch sowohl der Grund für seine Tätigkeit wie auch die Bedeutung seiner Ergebnisse erschließen sich nur in Hinblick auf gerade diejenige Perspektive, von der er qua seiner Tätigkeit abstrahiert. So entspringt etwa die Frage nach einer Erklärung für die, mit Helmut Schmidt zu sprechen, fabrikmäßige Ermordung von zig Millionen jüdischer Mitmenschen im nationalsozialistischen Deutschland einem tiefliegenden, alles andere als objektiv eingestellten Bedürfnis unserer menschlichen Natur. Im Zuge der Erklärung selbst soll von den moralischen Empfindungen, die wir dem Geschehen gegenüber hegen, abstrahiert werden, weil wir aus ihr etwas lernen wollen, was wir nicht können, solange wir uns auf unsere zwischenmenschlichen Reaktionen auf das Geschehen konzentrieren. Denn in dieser Konzentration empfinden wir nichts als Grauen, Abscheu, Ekel und dergleichen alles einnehmende Gefühle. Aber daraus (allein) lernen wir nichts. Es bedarf der Zurückstellung dieser Gefühle, um das Geschehen auf eine Weise analysieren zu können, die uns zum Beispiel dabei hilft, ähnliches Geschehen in Zukunft verhindern zu können – ein Interesse, das wir aber wiederum nur haben, weil wir jenem Geschehen gegenüber ursprünglich gerade nicht objektiv eingestellt sind. Die Gefühle allein sind hilf-, ohne diese aber, und darum geht es im Moment, jede Erklärung zwecklos. Grund und Zweck einer solchen – und jeder ähnlich gearteten, d. h. auf unser zwischenmenschliches Miteinander bezogenen – Erklärung ist folglich nicht diese selbst aus der Perspektive der objektiven Einstellung, sondern, zumindest letztlich, unser zwischenmenschliches Miteinander aus der Perspektive der subjektiven Einstellung. Grund insofern, als die Fragen, die im Miteinander entstehen, auf – bestehenden, drohenden oder auch nur vorweggenommenen – Konflikten innerhalb desselben basieren (und sei es nur im Miteinander mit einem selbst), Zweck insofern, als genau dieselben Fragen qua ihrer bloßen Existenz implizit oder explizit darauf abzielen, ein Miteinander zu konstituieren, in dem ihre Antwort bestensfalls gar nicht mehr ermittelt werden muss (und selbst die jeweiligen Fragen idealerweise auch gar nicht mehr
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aufkommen, weil es die entsprechenden zwischenmenschlichen Probleme nicht mehr gibt). Die Frage jedenfalls, wie wir unser zwischenmenschliches Miteinander zu gestalten haben, insbesondere die, inwiefern wir dabei auf die Perspektive der objektiven Einstellung zurückgreifen, dies wollen wir noch festhalten, ist primär keine Frage der objektiven Wissenschaften, sondern eine dieses Miteinanders selbst. In Thesenform festgehalten: (10.10) Fragen der Gewichtung zwischen objektiv und subjektiv eingestellter Perspektive sind Fragen, die aus und zum Zweck der subjektiv eingestellten Perspektive gestellt und beantwortet werden müssen.
Strawsons überaus findige Analyse trifft die Debatte ins Mark. Wieso sollte uns, gegeben die Überzeugung, dass die Determinismusthese wahr ist, diese Überzeugung auch nur zu der Frage verleiten, ob wir unsere gewohnt zwischenmenschliche Praxis ändern sollen? Sie ist so, wie sie nun einmal ist, und wenn man schon, könnte man über Strawson hinausgehend versucht sein, anzufügen, nach einer externen Rechtfertigung Ausschau hält, dann genügt der Determinismus dafür, jedenfalls vor der Hand, ebensogut wie der Indeterminismus. Denn wenn der (naturgesetzliche) Determinismus wahr ist – und dies impliziert, dass, wie alle an der Debatte Beteiligten, inklusive Strawson meinen, kein Raum für indeterministische Freiheit übrig ist –, dann ist auch unsere gewohnt zwischenmenschliche Praxis mit (naturgesetzlicher) Notwendigkeit entstanden. Andererseits würde ein etwaiges Hinausgehen über diese Praxis, hin zu einem vollständigen Blick der objektiven Einstellungen, ebenfalls in dieser Weise erwachsen, ebenso wie die etwaige Tatsache, dass jemand sich durch das schlechte Argument, er sei, wie alle zu jeder Zeit, determiniert gewesen, als er eine gewisse Übeltat begangen hat, aus der Verantwortung stehlen will – und ebenso wie die, dass er für seine Tat dennoch bestraft wird (oder auch nicht). Wenn Klara also meint, sie könne sich von der Verantwortung für eine besonders dreiste Lüge, die mich in Verruf gebracht hat, dadurch lossprechen, dass sie, wie alle, determiniert sei und also keinen freien Willen hätte, werde ich erwidern, ich sei dafür, sie im Gegenzug zu verklagen, ebensowenig verantwortlich. Selbstverständlich kann sie darauf hoffen, dass ich dazu determiniert bin, ihre ‚Entschuldigung‘ fälschlicherweise für ein gutes Argument zu halten, und dann hat sie Glück gehabt. In jedem Fall steht die Entscheidung, wenn wir so auf die Dinge blicken, nicht zu meiner Disposition, ich tue einfach, was ich tun muss, ebenso, wie Klara tut, was sie tun muss, einschließlich natürlich ihrem Versuch, mich durch ein schlechtes Argument zu besänftigen.
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Aber damit bin ich, wie gesagt, bereits über Strawson hinausgegangen. Oder sagen wir: Ich habe es versucht. Die Binnensicht unseres zwischenmenschlichen Prozedere der gegenseitigen Verantwortungszuschreibung zeigt sich, wenn Strawson Recht hat, von solchen Überlegungen wie den eben angestellten qua ihrer eigenen Natur unbeeindruckt. Dass er damit Recht hat, zeigt sich bei genauerem Hinsehen im Übrigen auch an diesen Überlegungen selbst, die sich in merkwürdiger Weise in sich selbst verschließen. Wenn ich Klara antworte, nicht nur sie, sondern auch ich sei dann dazu determiniert, zu tun, was ich tue, halte ich ihrer Argumentation den Spiegel vor – im Rahmen unseres urwüchsigen zwischenmenschlichen Miteinanders. Was ich ihr damit sagen will, ist eigentlich gar nicht, dass dann, wenn alle determiniert sind, dies nicht bloß auf etwaige Täter, sondern auch auf ihre Opfer, die Staatsanwälte, Richter usf. und deren Reaktionen zutrifft – und dass daraus folgt, dass etwa meine verärgerte Reaktion genauso ‚legitim‘ sei wie Klaras Lüge. Das ist nur ein Vehikel. Indem ich Klara in dieser Weise antworte, führe ich ihre Argumentation ad absurdum, natürlich, aber meine eigene, so, wie ich sie in diesem Kontext äußere, gleich mit. Ich will ihr sagen, dass sie sich nun nicht bloß der üblen Nach-, sondern auch der faulen Ausrede schuldig gemacht hat. Weil es für unseren Fall gar keine Rolle spielt, was wir, Klara und ich, von der Determinismusthese halten – und sie das genau weiß. Ob sie nun glaubt, meine Reaktion sei angemessen oder nicht; gewiss wird sie sie nicht, meiner ‚Gegenargumentation‘ folgend, als determiniert betrachten, ebensowenig wie wiederum ihre Reaktion darauf. Das will ich ihr damit sagen. Dass es absurd ist, so zu argumentieren. Und damit befinden wir uns mitten in Strawsons Überlegungen. Wenn wir einander oder uns selbst mit dem abstrahierenden Blick der objektiven Einstellung begegnen, dann nicht, weil wir davon überzeugt sind, dass alles menschliche Verhalten determiniert ist. Wenn Klara, zum Versuch der Entschuldigung, argumentiert, sie sei aus einem bestimmten Grund nicht Herr ihrer Sinne gewesen, hätte zum Beispiel unter Drogen oder großem Stress gestanden, dann mag ich darüber nachdenken, diese Entschuldigung zu akzeptieren. Über eine Entschuldigung über den allgemeinen Determinismus denke ich noch nicht einmal nach; allenfalls darüber, wie ich eine solche Entschuldigung ad absurdum führen kann. Oder darüber, wie ich, wenn ich ihr sonst sehr geneigt bin, ihre faule Ausrede vor dem Hintergrund eines besonderen Entschuldigungsgrundes auslegen kann, den sie vielleicht nur nicht erwähnt, weil sie sich schämt. Es steht mir eine breite Palette an möglichen Reaktionen zur Verfügung, doch wie auch immer ich mich benehme und wie auch immer Klara sich benimmt, so jedenfalls nicht in einer Weise, die die Binnensicht des zwischenmenschlichen Miteinanders transzendiert.
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So auch bei der Argumentation, dass wenn alles menschliche Verhalten determiniert sei – und dies eine indeterministische Freiheit ausschließt –, dann auch unsere gewohnte zwischenmenschliche Praxis der Zuschreibung von Verantwortung etc. Denn dabei handelt es sich offenbar um eine strukturgleiche Reaktion zu meiner Antwort auf Klaras Ausrede. Der gedachte Widerpart, gegen den ich mich damit wende, will mir weismachen, dass der allgemeine Determinismus ein Argument dafür sei, unsere zwischenmenschliche Praxis zu modifizieren. Und ich antworte mit einer nur vermeintlich sachlichen Fortführung seines eigenen Gedankens, die eigentlich bloße Polemik ist. Der Zweck dieser Polemik besteht, wie auch in dem vorigen Beispiel, darin, meinen Widerpart in die Schranken der Binnensicht unserer Praxis zu ver- und darauf hinzuweisen, dass es aus derselben keine Rolle spielt, was wir im Allgemeinen über den Determinismus meinen. Nehmen wir an, es würde eine Rolle spielen, dann wäre unser gewohntes Verhalten genauso rational wie die Überwindung desselben, die Überzeugung meines Widerparts ebenso wie die meine – denn wer könnte sich wohl erdreisten, anzunehmen, die Natur, Gott oder wer bzw. was auch immer uns determiniert, würde dies in irrationaler Weise tun? Auch eine solche Annahme wäre dann freilich wiederum determiniert und daher keineswegs irrational in dem Sinne, in dem der so Annehmende meint, dass unsere zwischenmenschliche Praxis es sei. Aber es geht mir, wenn ich in dieser Weise antworte, nicht um die Konsequenzen dieser Überlegung, sondern – wiederum – darum, meinem Widerpart den Spiegel vorzuhalten und ihm dadurch mitzuteilen, dass seine Argumentation schon im Ansatz krankt. Weil er selbst nicht so denkt, wie er meint, dass wir es tun müssten, und er dazu auch gar nicht in der Lage ist. Insofern er meint, dass es womöglich rationaler wäre, einander in objektiver Einstellung zu begegnen, so kann er dies nicht mit seiner Determinismusüberzeugung begründen – und sofern er es doch versucht, versteht er sich selbst nicht. Ich für meinen Teil kann im Übrigen auch nicht in dieser Weise für das Gegenteil argumentieren, das ist ja der Punkt, den ich machen will, indem ich so tue, als könnte man so argumentieren, eigentlich aber nur zum Ausdruck bringen will, dass der Maßstab der Rationalität in Hinblick auf die Frage nach Rechtfertigung und möglicher Modifikation unserer zwischenmenschlichen Praxis nicht außer-, sondern innerhalb derselben liegt. (Oder – dies gilt in beiden Fällen – falls mir dies nicht bewusst ist, dann führe ich mich selbst, ohne es zu wissen, ad absurdum und ein Dritter müsste mich auf die eigentliche Kraft – wenn dann auch nicht Intention – meiner Reaktion hinweisen.) Insoweit folge ich also Strawsons Überlegungen. Worin ich ihm – nun doch – nicht folgen werde, ist die Annahme, dass Determinismus und indeterministische
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Freiheit einander ausschließen. Dies war zwar genau die Prämisse, in Verbindung mit der Annahme der Wahrheit der Determinismusthese, die uns überhaupt zu Strawsons Überlegungen getrieben hat, Überlegungen, von denen wir uns die Erfüllung eines gewissen Zwecks versprochen hatten, nämlich den, unabhängig von der Freiheits-Determinismus-Frage Zweifel an der Legitimität der uns gewohnten moralischen Praxis zu zerstreuen. Wir hatten uns angesichts der Begründungslasten, die wir uns offenbar eingehandelt hatten, gefragt, warum uns eigentlich so viel an einer Freiheitsbegründung liegt, und uns zur Antwort gegeben, der Grund hierfür sei die Moral bzw. die uns gewohnte moralische Praxis. Diese Praxis, so schien uns, ist bedroht, wenn wir die Behauptung des naturgesetzlichen Determinismus für wahr halten, da aus ihr – wie wir einmal mit der herrschenden Meinung angenommen haben – die Unmöglichkeit von (starker Willens-)Freiheit und aus dieser womöglich wiederum die Illegitimität unserer moralischen Praxis folgen könnte.13 Diese Bedenken haben wir mit Strawson zerstreuen können, der seine Ansicht zum Schluss seines Aufsatzes wie folgt auf den Punkt auf den Punkt bringt: 13 Diesbezüglich scheint übrigens auch Gerlach (2010) die Lage etwas verwirrt zu fassen, wenn er schreibt: „[W]er keine Wahl hat, wer nur so, nicht aber anders handeln kann, wem nur ein Weg offen steht, den kann man für das Betreten dieses Weges auch nicht verantwortlich machen. Dieser Zusammenhang ist es auch, durch welchen dem Determinismusproblem seine enorme rechtliche Bedeutung zukommt: Insbesondere der strafrechliche Schuldbegriff als der [sic!] Bedingung der Strafbarkeit ist unmittelbar mit dem Gegebensein alternativer Handlungsoptionen verknüpft: sowohl in allgemeiner als auch in konkreter Hinsicht. Allgemein beinhaltet der strafrechtliche Schuldvorwurf, dass eine Person sich gegen die unrechtmäßige und für die rechtmäßige Handlung hätte entscheiden und diese auch ausführen können. […] Dies tritt konkret nochmals auf in der Frage nach der Schuldfähigkeit von Tätern bei vorhandenen psychischen Defekten. […] Verantwortlich zu sein für eine Handlung ist also auch strafrechtlich unmittelbar an das Vorhandensein alternativer Möglichkeiten geknüpft“. Das Determinismusproblem hat, wie wir nach Strawson schließen können, keinerlei rechtliche oder sonstwie auf unser zwischenmenschliches Miteinander bezogene Bedeutung, es sei denn die, dass, wie wir bald gegen Strawson bemüht sein werden, darzulegen, wir ohne die Annahme indeterministischer Freiheit keinen Begriff davon hätten, was Verantwortung, was Schuld, was Strafe usf. überhaupt sein sollen. Diese Frage hat aber für die Frage, ob wir jemanden im Einzelfall für eine Tat verantwortlich halten sollen oder nicht, keine Bedeutung. Zwar ist richtig, dass wir bei der Einzelfallbeurteilung auch die Frage nach alternativen Möglichkeiten stellen, doch dies nicht im Sinne indeterministischer und insofern unbedingter Freiheit, sondern im empirischen, komparativen Sinne von „Freiheit“, es sei denn, unsere Prüfung geht so weit, dass wir uns fragen, ob wir es überhaupt mit einer handelnden Person zu tun haben. Doch auch dann ist die allgemeine Determinismus-Freiheits-Frage nicht berührt, da zumindest die allgemeine Möglichkeit indeterministischer Freiheit vorausgesetzt sein muss, damit die Frage, ob ein bestimmtes Wesen ihrer teilhaftig ist oder nicht, sinnvoll gestellt werden kann.
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„Our practices do not merely exploit our natures, they express them. Indeed the very understanding of the kind of efficacy these expressions of our attitudes have turns on remembering this. When we do remember this, and modify the optimist’s position accordingly, we simultaneously correct its conceptual deficiencies and ward off the dangers it seems to entail, without recourse to the obscure and panicky metaphysics of libertarianism.“ (Strawson 1993, S. 66)
Die Panik des Libertariers entspringt einem Kurzschluss der Determinismusfrage mit der Frage nach der Rechtfertigung unserer moralischen Praxis. Strawson repariert diesen Kurzschluss, übernimmt aber, wie wir im nächsten Kapitel argumentieren werden, einen anderen, den zwischen der Determinismus- und der Freiheitsfrage, unreflektiert in seine Überlegungen. Dabei geben diese, wie wir bereits von Ferne sehen und daraus neuen Mut schöpfen können für unser ursprüngliches Unterfangen, alles Nötige dazu her, auch diesen Kurzschluss zu reparieren. Das Material liegt bereit, wir müssen nur ein wenig Bastelarbeit leisten.
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Strawson begnügt sich mit der Diagnose, dass wir [1.] einander, was unsere Handlungen betrifft, de facto in subjektiver Einstellung begegnen und nur gelegentlich, sei es in entschuldigender, sei es in erklärender Absicht, Ausnahmen davon machen und zur objektiven Einstellung übergehen, [2.] die Ausnahme aber nicht zur Regel machen können – oder jedenfalls nicht aus dem Grund, dass wir den naturgesetzlichen Determinismus für wahr halten (angenommen auch, er sei wahr und wir wüssten darum). Damit sind wir, als rege Teilnehmer an jener moralischen Praxis, insofern fein raus, als wir uns von Neurophysiologen nicht erzählen lassen müssen, es sei vernünftiger, unsere Praxis in objektiver Einstellung zu gestalten, weil der Determinismus wahr sei – mögen wir den Hirnforschern, was den letzteren betrifft, auch Glauben schenken (obwohl es sich bei einer allgemeinen These wie dem naturgesetzlichen Determinismus schwerlich um eine empirische These handeln kann (vgl. Kapitel 15)). Als Philosophierende indes haben wir uns darüber versichert, dass die Entscheidung darüber, wie wir unser zwischenmenschliches Miteinander zu gestalten haben, nicht in unserer Hand liegt, sondern wir, wie es sich gehört, in der ungestörten Ruhe unserer Lehnstühle damit fortfahren können, uns darüber Gedanken zu machen – nicht festlegend, sondern feststellend –, unter welchen allgemeinen Randbedingungen sich das zwischenmenschliche Miteinander wohl befinden möge (bis wir, auch dies soll ja fortkommen, in dasselbe verwickelt werden und es, dies die mitunter beunruhigende Kehrseite dieser Einsicht, nicht mehr zu philosophieren, sondern zu entscheiden und zu handeln gilt). Was diese allgemeinen-begrifflichen Rahmenbedingungen betrifft, leistet Strawson uns wichtige Dienste mit seiner Feststellung der Differenz zwischen objektiver und subjektiver Einstellung und der Unhintergehbarkeit der letzteren, lässt uns aber bei der Frage im Stich, wie es möglich ist, dass wir diese irreduzible Unterscheidung vornehmen. Dass es möglich ist, ist offenbar, wir tun es ja unentwegt, wenn nicht in Bezug auf andere, dann in Bezug auf uns selbst. Dass es auch © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_11
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legitim ist, so zu verfahren – wie wir es bereits seit Menschengedenken tun –, mag für manch einen eine erfreulich beruhigende Nachricht darstellen, andere hingegen enttäuschen, wobei in beiden Fällen die Motivationslage dahinter, Nachrichten dieser Art von wissenschaftlichen Entdeckungen oder eben auch philosophischen Untersuchungen zu gewärtigen, notorisch unklar bleibt und auf einer etwas verwirrten Vorstellung davon beruhen dürfte, was in den Kompetenzbereich eines Wissenschaftlers fällt und was nicht. Nur, weil diese Verwirrung offenbar besteht, mussten wir mit Strawson überhaupt eingreifen, zwar primär, allerdings nicht nur in den wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch in das (Selbst-)Verständnis unseres zwischenmenschlichen Miteinanders, so fern es sich von jenem Diskurs hat irritieren lassen, um uns noch einmal eigens darüber zu versichern, dass wir ganz recht so tun, wie wir tun, wenn wir zwar so manche Erklärung – schwere Kindheit, Krankheit, Unwissenheit oder vorgehaltene Waffen – als Ausrede für eine geschehene Verletzung gelten lassen, aber ganz bestimmt nicht den naturgesetzlichen (und auch keinen göttlichen) Determinismus. Was uns indes fehlt, nun wiederum als bloß Philosophierende, sind die begrifflichen Ressourcen, zu erklären, dass wir uns überhaupt in subjektiver, verantwortungszuschreibender Einstellung verhalten. Woher rührt dieses merkwürdige Verhalten? Und woher die Unhintergehbarkeit der Perspektive, aus der wir uns so verhalten? Ohne die moralisch-reaktiven Einstellungen wie Missbilligung, Groll oder Dankbarkeit, die unser gewohnt zwischenmenschliches Miteinander konstituieren, ist es uns, meint Strawson, nicht möglich, unsere moralische Praxis des Zuschreibens von Verantwortung und Verhängens von Strafe zu begreifen, und außerhalb des Rahmens, den diese Einstellungen und unsere Praxis gemeinsam bilden, über eine andere, objektiver eingestellte Praxis auch nur nachzudenken, ist sinnlos. Nur wie, so können wir weiterfragen, sind uns wiederum jene reaktiven Einstellungen begreiflich? Werfen wir einen Blick auf ein Beispiel, das Strawson selbst anführt: „If someone treads on my hand accidentally, while trying to help me, the pain may be no less acute than if he treads on it in contemptuous disregard of my existence or with a malevolent wish to injure me. But I shall generally feel in the second case a kind and degree of resentment that I shall not feel in the first. If someone’s actions help me to some benefit I desire, then I am benefited in any case; but if he intended them so to benefit me because of his general goodwill towards me, I shall reasonably feel a gratitude which I should not feel at all if the benefit was an incidental consequence, unintended or even regretted by him, of some plan of action with a different aim.“ (Strawson 1993, S. 49)
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Strawson versetzt sich selbst in die Lage einer Person, die von den Auswirkungen der Handlung einer anderen Person betroffen ist, einmal schmerzlich, einmal glücklich. Widmen wir uns dem ersten Fall (und setzen mich an Strawsons Stelle): Jemand verletzt meine Hand. Dieses Ereignis verursacht, so viel steht (jedenfalls in dem Normalfall, dass meine Hand nicht taub ist) fest, Schmerzen und für gewöhnlich auch einen gewissen Ärger, Gefühle, die aber – zumindest ihrer Art nach – genauso auftauchen würden, würde ich mir die Hand an einer Schreibtischkante verletzen. Dass es aber keine Schreibtischkante ist, sondern eine andere Person, die mir diese Verletzung zufügt, setzt zugleich unmittelbar den Raum frei für eine breite Palette von Gefühlen und entsprechenden Reaktionen, die mir meinem Schreibtisch gegenüber (normalerweise) nicht in den Sinn kommen würden. Was macht den Unterschied? Es ist offenbar der Umstand, Strawson bringt ihn selbst ins Spiel, dass eine Person gewisse Absichten hat und ich das weiß. Welche Absichten sie hat oder ich glaube, dass sie sie hat, ist natürlich wichtig dafür, welche Gefühle ich ihr gegenüber hege, aber allein der Umstand, dass ich weiß – oder zumindest glaube, zu wissen –, dass sie welche hat, bringt mich ihr gegenüber von vornherein in eine ganz andere Lage, auch und insbesondere in eine andere Gefühlslage, als ich mich gegenüber einem Schreibtisch, einer Wand oder dergleichen befinden würde, an dem ich mich verletze. Verletzt sie mich nun in der – offenkundigen – Absicht, mich zu verletzen, werde ich mich nicht nur darüber ärgern, dass ich nun verletzt bin und Schmerzen habe, sondern auch darüber, dass sie mich verletzen wollte. Und infolge dieses Wissens werde ich die verletzende Handlung missbilligen. Wollte sie mir aber eigentlich nur helfen und die Verletzung lag nicht in ihrer Absicht, werde ich die verletzende Handlung eher nicht missbilligen – wenn auch nicht unbedingt, was den verletzenden Anteil daran betrifft, begrüßen – und die Dankbarkeit gegenüber der hilfeleistenden Person wird überwiegen. Auf die mannigfaltigen Möglichkeiten, die bestehen, die Situation zu interpretieren und entsprechend eingestellt zu sein, kommt es hier nicht an. Natürlich mag es sein, dass ich glaube, mir wäre anders – und ohne Verletzung – leichter zu helfen gewesen und ich deshalb einen Groll gegenüber der Person hege, anstatt ihr dankbar zu sein. Oder meine Gefühlslage ist eher diffus, teils dankbar, teils missbilligend. Vielleicht wollte ich auch gar nicht, dass mir überhaupt geholfen wird, oder jedenfalls nicht von dieser Person. Wie wir alle nur zu gut wissen, liegen die Dinge im echten Leben selten so klar und differenziert, wie wir sie uns als Theoretiker gerne zurechtlegen (würden), ganz gleich, wie viel Mühe wir uns dabei geben. Irrelevant ist auch die Frage, welchen moralischen Kodex wir jeweils anlegen und ob wir dies zurecht tun. Worauf es gegenwärtig ankommt, ist, dass wir in der Konfrontation mit Personen, die sich uns gegenüber
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als Handelnde benehmen, Gefühle der beschriebenen Art infolge dieses Benehmens hegen. Und dass wir sie hegen in Abhängigkeit davon, was wir glauben, welche Absichten sie dabei hatten, sich so zu benehmen. Aber das ist noch nicht alles. Tieren gegenüber hegen wir keine missbilligenden Gefühle (oder sollten es zumindest nicht) – sie sind keine legitimen Adressaten moralischer Einstellungen wie Dankbarkeit oder Missbilligung. Aber auch Tiere mögen – Korsgaard weist auf diesen Umstand hin – Absichten haben, sie müssen ja nicht davon wissen (wir ja ebenfalls nicht).1 Was ihnen abgeht und uns Menschen nicht, ist die Fähigkeit, ihre Absichten als Absichten in Betracht zu ziehen.2 Sofern jedenfalls, wie wir sie so behandeln, würden wir nicht meinen, dass Groll, Missbilligung oder Dankbarkeit ihnen gegenüber angemessene Gefühle wären. So weit, denke ich, können wir Strawson noch auf unsere Seite ziehen; es genügt nicht, dass wir glauben, dass Absichten bestehen, damit sich uns dieses Gefühlsspektrum eröffnet, auch nicht, dass es die Welt diesen Absichten gemäß zu gliedern weiß, sondern wir müssen glauben, dass es um seine Absichten als Absichten weiß. Und bei uns Menschen jedenfalls ist dem so. Wir wissen um unsere Absichten in dieser Weise (oder können es jedenfalls). Wir haben nicht nur z. B. die Absicht, Nahrung aufzunehmen, und wissen auch nicht nur, dass etwa ein Apfel dieser Absicht dient (und ein Drucker nicht), sondern wir wissen auch, dass wir die Absicht haben, Nahrung aufzunehmen. Bei dieser Gelegenheit nehmen wir gleich noch eine weitere Bedingung dafür, moralische Gefühle einem anderen Wesen gegenüber zu empfinden, in unser Repertoire mit auf; bislang haben wir nur betrachtet, was wir hierfür je von anderen glauben müssen, aber wir müssen auch je selbst die Züge aufweisen (und von ihnen wissen), von denen wir meinen, dass andere sie aufweisen. Andernfalls wären wir nicht dazu in der Lage, andere als Wesen, die Absichten haben und um diese auch wissen, zu erkennen (oder meinen zu erkennen). Gefühle der Missbilligung oder Dankbarkeit ihnen gegenüber könnten uns folglich nicht in den Sinn kommen. (Sofern also z. B. Katzen nicht um ihre Absichten wissen, sind sie auch nicht dankbar, wenn man ihnen Futter bereitstellt, und sie missbilligen es auch nicht, wenn man sie hungern lässt, sondern freuen bzw. ärgern sich bloß. Wir reden natürlich bisweilen anders und mögen bisweilen auch glauben, was wir sagen – aber nicht zufällig geht die Rede von vorwurfsvollen oder dankbaren Blicken von Seiten einer Katze meist mit solchen Reden wie der einher, dass sie 1 Vgl.
zu dieser Ansicht Korsgaard (2009), S. 98: „The animal must indeed be guided by a conception, and his movements must have a purpose, but he need not have a conception of his purpose“. 2 Vgl. Korsgaard (2010), S. 18: „[A]s rational beings we are aware of our attitudes. We know of ourselves that we want certain things, fear certain things, love certain things, believe certain things, and so on“.
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„weiß, was sie will“ oder dergleichen. Vielleicht weiß sie das ja auch. Sie müsste es jedenfalls wissen, um uns mit Gefühlen wie Dankbarkeit oder Missbilligung begegnen zu können; andernfalls projizieren wir unsere Möglichkeiten der Interaktion zu Unrecht auf sie. Dies – ob wir, wenn wir so tun, Recht damit tun – zu entscheiden, ist jedoch nicht unsere Aufgabe.) Aber auch dies ist noch nicht alles, was wir an Voraussetzungen mitbringen und unterstellen müssen, um solche Gefühle zu empfinden. Um es kurz zu machen: Besseren Bratenwendern gegenüber einen Groll zu hegen, ist sinnlos. Und solange wir glauben, dass dieser Zustand die (sei es auch nur vorläufige) Krönung der Schöpfung darstellt, gibt es keinen Grund dafür, anzunehmen, dass eines dieser Wesen Gefühle wie Missbilligung oder Groll gegenüber irgendjemandem oder -etwas empfinden könnte. Was uns fehlt zu unserem Glück (oder Groll), ist die Annahme, dass das Wesen, demgegenüber wir missbilligend oder dankbar eingestellt sind, seine Absichten so nicht hätte wählen müssen, mit anderen Worten: Was uns fehlt, ist die Annahme eines nicht-(klassisch-)kompatibilistischen freien Willens. Dass irgendein Verständnis von Freiheit nötig ist, um unsere moralische Praxis begründen zu können, verkennt Strawson zwar keineswegs. Doch sein eigenes fällt klassisch-kompatibilistisch aus, wie an dem folgenden Beispiel deutlich wird: „[C]onsider […] the strain in the attitude of a psychoanalyst to his patient. His objectivity of attitude, his suspension of ordinary moral reactive attitudes, is profoundly modified by the fact that the aim of the enterprise is to make such suspension unneccessary or less necessary. Here we may and do naturally speak of restoring the agent’s freedom. But here the restoring of freedom means bringing it about that the agent’s behaviour shall be intelligible in terms of conscious purposes rather than in terms only of unconscious purposes.“ (Strawson 1993, S. 61)
Strawson selbst geht es bei diesem Beispiel darum, noch einmal anschaulich zu machen, wie unsinnig es wäre, anzunehmen, wir würden uns gegenüber jemandem in objektiver Einstellung verhalten – als Psychoanalytiker unserem Patienten oder, wie Strawson zuvor meint, als Eltern unseren Kindern gegenüber –, weil wir sie für determiniert halten in einem Sinne von „determiniert“, der alles menschliche Verhalten umfasst. Darum haben wir uns bereits gekümmert, doch die Pointe, die Strawson durch dieses Beispiel macht, ist auch für unser gegenwärtiges Thema von Belang. Sie besteht darin, dass wir in einem solchen Fall zwar durchaus in einem Sinne davon ausgehen, unser Gegenüber sei determiniert; und dass nach erfolgtem Heilungs- bzw. Erziehungsprozess entsprechend auch durchaus davon gesprochen werden kann, dass unser Patient (oder Kind) seine Freiheit (wieder-)erlangt hätte. Aber der Sinn von „determiniert“, der hierbei im Spiel ist,
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kann nicht der sein, dem zufolge wir alles menschliches Verhalten für determiniert halten, sonst ergäbe unsere Therapie bzw. Erziehung als solche, und zwar begrifflich, nicht erst in der konkreten Anwendung, keinen Sinn. Entsprechend kann auch das Verständnis von „Freiheit“, welches wir in einem solchen Fall anlegen, keines sein, das jenem Sinn von „determiniert“ entgegengesetzt ist. Kurz: Der Gegensatz „allgemeiner Determinismus – indeterministische Freiheit“ ist bei der konkreten Einzelfallbeurteilung gar nicht unser Thema, in solchen Fällen nicht, und da diese nur einen Extremfall unserer üblichen Erwägungen in Bezug auf die Frage darstellen, ob, warum und inwiefern wir zwischen der subjektiven und objektiven Einstellung wählen sollen, auch sonst nicht. Worum es stattdessen geht, ist, wie Strawson durch seine Schilderung des Heilungsprozesses, der durch den Psychoanalytiker angestoßen wird, deutlich macht, der Gegensatz zwischen einem solchen Handeln, welches durch nicht-bewusste Motive angeleitet ist, und einem solchen, bei welchem wir uns unserer Motive klar und deutlich bewusst sind. Dies ist eine wichtige Einsicht. Doch dass eine solche Art von ‚Befreiung‘ stattfinden kann, steht unter der Voraussetzung der Möglichkeit der Wahl unserer Motive selbst, von der bei Strawson indes keine Rede ist. In seinem einige Zeit nach Freedom and Resentment erschienenen Aufsatz Liberty and Necessity erklärt Strawson sich zum Thema zwar wie folgt: „[I]n the experience of deliberation, we are not mere spectators of a scene in which – setting aside the element of reckoning, of calculation – contending desires struggle for mastery with ourselves as prize. This image may sometimes be appropriate, but it is not the image appropriate to the standard experience of deliberation. That experience heightens our sense of self; in the higher-order desire which determines what we call our choice we identify ourselves the more completely; and this is why we call it ourchoice.“ (Strawson 2011, S. 148)
Zunächst wirkt es, als würde Strawson uns mit unserer Vermutung Lügen strafen. Es ist (normalerweise) nicht so, meint Strawson, dass wir uns bei unseren Erwägungen darüber, was wir tun sollen, als bloße Beobachter einer Szenerie begreifen würden, in der unsere Wünsche miteinander darum konkurrieren, uns für sich zu gewinnen und unser Handeln zu bestimmen. Wir sind, soll damit offenbar gesagt sein, unseren Begierden nicht hilflos ausgeliefert. Dies ist in jedem Fall das Desiderat, dem ein gehaltvoller Begriff davon, was Freiheit, und gar, was überhaupt eine Handlung im eigentlichen Sinne sein soll, zu genügen hat, welches wir durch These (5.2) bzw. im Umkreis derselben auch schon längst festgeschrieben haben – und Strawson scheint dies durch seine anfängliche Schilderung auch als solches anzuerkennen. Aber das Bild, das Strawson anschließend zeichnet, welches unseren tatsächlichen Selbstbegriff bei der Erwägung unserer Handlungen von dem
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zuvor geschilderten in der gewünschten Weise abheben soll, genügt diesem Desiderat allenfalls auf den ersten Blick. Zwar ist von einer Wahl („choice“) die Rede, doch diese ist, meint Strawson, durch einen Wunsch übergeordneten Status („higher-order desire“) bestimmt. Hierdurch bessert sich die Lage gegenüber derjenigen, die wir weiter oben beschrieben und mit dem Hinweis flankiert haben, dass bei Strawson von einer Wahl der Absichten (oder Wünsche) keine Rede sei, nur marginal. Zwar ist nun durchaus von einer Wahl die Rede, doch wenn diese, als Wahl unserer untergeordneten Wünsche, gemäß einem übergeordneten solchen getroffen wird, der nicht zu unserer Wahl steht, dann kann von einer Wahl im eigentlichen Sinne keine (sinnvolle) Rede sein. (Aus diesem Grund habe ich in dem obigen Zitat auch nicht das „choice“, sondern nur das „our“ fett markiert.) Worum es Strawson nur geht, ist der Unterschied zwischen dem (Normal-)Fall, dass wir uns über unsere handlungsbestimmenden Absichten wohl bewusst sind, und dem (Abweichungs-)fall, dass dem nicht so ist. Sind wir uns unserer Absichten bewusst, können wir die denselben gemäße Wahl Strawson zufolge die unsrige nennen, anstatt in dem anderen Fall, in welchem wir uns unseren übergeordneten Absichten nicht wohl bewusst wären, die Identifikation mit denselben entsprechend fehlen und die ihnen gemäße Wahl fremdbestimmt ausfallen würde. Doch damit wir sinnvoll von einer Wahl sprechen können, müssen wir uns, was unsere Absichten (oder Zwecke betrifft), mit Christine Korsgaard zu sprechen, die folgende Frage stellen können: „Dass ich diesen Zweck habe, lässt in mir die Neigung aufkommen, jenes zu tun, aber habe ich auch einen Grund dazu, so zu tun?“3 Mag die Antwort im Übrigen auch bekräftigend ausfallen, so dokumentiert diese Frage doch eine reflexive Distanz zu dem jeweiligen Zweck, welche eine Möglichkeit einschließt, die Strawson nicht in Rechnung stellt, nämlich die, sich mit ihm bewusst nicht zu identifizieren. Diese Möglichkeit der bewussten NichtIdentifikation ist es, die der bewussten Identifikation erst den nötigen Hintergrund dafür bietet, als Ausdruck der Selbstbestimmung gelten zu können. Gewiss ist es, um von hier aus zum Beispiel der psychoanalytischen Therapie zurückzukommen, wo unsere Handlungen von Absichten geleitet werden, die uns nicht oder nicht zureichend bewusst sind, ein notwendiger Schritt zum selbstbestimmten Handeln, eben jene Absichten zu Bewusstsein zu rufen. Aber das bloße bessere Wissen um unsere leitenden Motive macht uns, wiewohl sicher klüger, noch nicht zu selbstbestimmten Akteuren. Dass, hierin hat Strawson gewiss Recht, das Gewahrwerden 3 Vgl.
Korsgaard (2009), S. 115: „We are conscious of the potential grounds of our actions, the principles on which our actions are based, as potential grounds. […] We can say to ourselves ‘I am inclined to do act-A for the sake of end-E. But should I?’“.
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über unsere Motive, sei es mit, sei es ohne therapeutische Hilfestellung, in der Tat eine befreiende Wirkung entfaltet, liegt, dies sieht Strawson allem Anschein nach nicht klar, nicht etwa daran, dass wir nun, nach erfolgter Reflexion, einfach nur besser Bescheid wissen und uns nun mit vollem Bewusstsein mit Wünschen identifizieren, mit denen wir uns zuvor nicht oder nur unbewusst identifiziert haben, sondern daran, dass jene Motive dadurch, dass wir über sie Bescheid wissen, einer weiteren Reflexion zugänglich sind, nämlich eben jener Frage, ob wir uns mit ihnen identifizieren bzw. durch sie leiten lassen wollen. Erst hierdurch, d. h. dadurch, dass ich, etwa nach erfolgter Therapie, dazu in der Lage bin, zu entscheiden, ob ich mich mit den Motiven, über die ich mir nun im Klaren bin, identifzieren will, erhält die einmal erfolgte Identifikation ihre selbstbestimmende Kraft. Dies ist auch die Voraussetzung, die wir tätigen, wenn wir einander im zwischenmenschlichen Miteinander begegnen, und die uns grollen oder dankbar sein lässt, wenn wir meinen, dass jemand uns absichtlich wohl- oder übeltun wollte; die (richtige oder falsche) Feststellung, dass eine gewisse Wohl- oder Übeltat uns gegenüber mit einer entsprechenden Absicht erfolgt ist, ist für sich genommen noch kein Grund, zu grollen oder dankbar zu sein (wenn auch sicher notwendige Voraussetzung) – was uns grollen oder dankbar sein lässt, ist, dass wir wissen (oder meinen, zu wissen), dass die Person, die derartige Absichten hegt, sie sich selbst ausgesucht, dass sie die Wahl getroffen, sich selbst dazu bestimmt hat, uns gegenüber in schädlicher oder wohltuender Weise zu agieren. Daher grollt in R.R. Martins Lied von Eis und Feuer auch niemand der Armee von (Un-)Toten, die vom hohen Norden her auf die sieben Königslande zuwandert, mit der Absicht (welcher diese Wesen sich, wie wir einmal annehmen, wohlbewusst sind), alles Leben auf Erden auszulöschen, sondern allenfalls dem Eiskönig, dessen Willen sie offenbar bedingungslos unterworfen sind. Die Menschen fürchten sich vor diesen Angreifern und wollen sie unschädlich machen, doch einen Groll ihnen gegenüber entwickelt, anders als im Fall seiner oder ihrer Mitmenschen, niemand in der Geschichte, und dies hat der Autor völlig zu Recht so konzipiert, weil alles andere offenbar Unsinn wäre.4
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wenig entwickeln wir als Leser (oder im Fall der Verfilmung als Zuschauer) einen Groll diesen Wanderern gegenüber – anders im Fall der menschlichen Figuren, die gleichfalls keinen freien Willen haben (weil es sie nicht wirklich gibt), die aber als solche Wesen gezeichnet sind, die, wenn es sie gäbe, einen freien Willen hätten. Diesen fiktiven Menschen gegenüber einen Groll zu entwickeln, mag ebenfalls unsinnig sein, aber in einer anderen Weise als es bei ihren untoten Angreifern der Fall ist. Im ersten Fall ist es ‚nur‘ eine Frage ihrer Existenz, in dem letzteren ist es eine begriffliche Frage, die auch dann virulent wäre, würden diese Figuren tatsächlich existieren.
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Den Menschen indessen, gegenüber denen wir unseren Groll – oder auch unsere Dankbarkeit – zurückstellen und uns in objektiver Einstellung benehmen, weil wir sie nicht für verantwortlich halten für das, was sie tun, fehlt, anders als einem Untoten unter dem Einfluss eines (gleichfalls untoten) bösen Königs, nicht etwa die grundsätzliche Fähigkeit zur reflexiven Distanz – ihr Wille ist, was dies betrifft, so frei wie der eines jeden anderen Menschen auch –, sondern ein angemessenes Bewusstsein, als Selbstwissen, über die Motive, die sie antreiben, und das Weltwissen, das dazu gehört, gewisse Motive als Zwecke auch nur zu erwägen. Die Worte „Nein, ich will nicht“ gehören zum Standartrepertoire eines jeden Kindes, sobald es zu sprechen gelernt hat, gleichfalls zu dem eines jeden Demenzkranken, solange jedenfalls, wie er das Sprechen noch nicht verlernt hat. Und sofern mit diesen Worten, wie wir einmal annehmen wollen, etwas gemeint ist, handelt es sich um einen Ausdruck der Weigerung, bestimmte Motive, die dem Kind oder dem Demenzkranken aufgedrängt werden (oder von denen es bzw. er meint, sie würden ihm aufgedrängt), anzunehmen, folglich um den unverminderten, weil unverminderlichen Ausdruck ihres freien Willens. Freiheit, in diesem grundsätzlichen Sinne, ist nicht graduierbar, sondern eine bloße Ja-NeinKompetenz, die in Hinblick auf alle Motive in Anspruch genommen werden kann, sobald sie einem nur klar, d. h. als solche zu Bewusstsein stehen. Sofern jedenfalls, wie wir die Dinge so betrachten, verhält es sich so, dass wir, wenn wir von Kindern oder geistig beeinträchtigten Personen sagen, sie hätten kein Unrechtsbewusstsein oder seien nicht frei, ihnen gar nicht die grundsätzliche Fähigkeit dazu absprechen, es jedenfalls nicht müssen und dann womöglich auch nicht sollten, moralisch zu urteilen und freie Entscheidungen zu treffen, sondern nur die nötige Erfahrung mit ihrer Außen- und Innenwelt, dies auf eine Weise zu tun, die von der Um- und Weitsicht eines durchschnittlichen Erwachsenen zeugt. Es bedarf, um sich gewisser Motive als möglichen Zwecken bewusst werden zu können, gewisser kognitiver Kompetenzen und Erfahrung. Ein Kleinkind etwa weiß (vermutlich) nichts von den Umständen, die es ihm ermöglichen würden, den Zweck, einmal Finanzbuchhalter oder NGO-Aktivist zu werden, auch nur zu erwägen, ein Demenzkranker mag vergessen haben, was es dazu braucht, um den Zweck in Erwägung zu ziehen, seine Enkelkinder anzurufen oder die Blumen zu gießen. Allgemein gesagt: Wer sehr wenig über die Welt (einschließlich sich selbst) weiß, hat einen entsprechend begrenzten Horizont, was die Zwecke betrifft, die er sich setzen kann, und im Übrigen auch, was die Mittel betrifft, die zu deren Erreichung tauglich sind, und ist dieser Horizont gegenüber dem Normalmaß beträchtlich eingeschränkt, fehlt, etwas grob gesprochen, das nötige Material, um vernünftige Entscheidungen treffen zu können; die Fähigkeit, überhaupt zu entscheiden, zu
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wählen zwischen den Zwecken (und Mitteln), die einem zu Bewusstsein stehen, ist davon nicht berührt. Diese letzteren Bemerkungen bedürften freilich noch der weiteren Entwicklung und mögen dahingestellt bleiben. Wir können uns ihrer ungeachtet auf die These festlegen, dass der Unterschied zwischen dem Zustand, in dem eine Person sich über ihre handlungsleitenden Motive im Klaren ist, und dem, in dem sie dies nicht ist, sofern er zur Beantwortung der Frage relevant ist, ob wir sie für ihre Handlungen verantwortlich halten, dies aus dem Grund ist, dass sie in dem ersteren Fall in reflexive Distanz zu ihren Motiven treten und entscheiden kann, ob sie ihnen (bedingungslos) nachgehen will oder nicht, und in dem letzteren nicht, das heißt die Unterstellung nicht-(klassisch-)kompatibilistischer Freiheit ist integraler Bestandteil jeglicher Zuschreibung von Verantwortung und damit begriffliche Bedingung auch für die reaktiv-moralischen Gefühle wie Groll, Missbilligung oder Dankbarkeit. Wir müssen meinen, dass die Personen, mit denen wir es zu tun haben, sich auch anders hätten entscheiden können, andernfalls wäre es nicht etwa ungerecht oder unvernünftig, ihnen dankbar zu sein oder zu grollen, sondern würden – und könnten – wir dies schlicht nicht tun. Strawson bleibt auch dieses Desiderat nicht verborgen – insofern können wir uns also (erneut) von ihm bestätigt sehen –, wenngleich er es sich in einer Weise zurechtlegt, die der Sache (erneut) nicht ganz gerecht wird: „When, in a context of moral appraisal, the common moral consciousness delivers the judgment ‘He could have acted otherwise’ […], is this judgement really equivalent to ‘There was no sufficient natural impediment or bar, of any kind whatsoever, however complex, to his acting otherwise’ […]? I find it difficult, as others have found it difficult, to accept this equivalence. The common judgement of this form amounts rather to the denial of any sufficient natural impediment of certain specific kinds or ranges of kinds. For example, ‘He could (easily) have helped them (instead of withholding help)’ may amount to the denial of any lack on his part of adequate muscular power or financial means. Will the response ‘It simply wasn’t in his nature to do so’ lead to a withdrawal of moral judgement in such a case? I hardly think so; rather to its reinforcement.“ (Strawson 2011, S. 150)
Das Desiderat, das wir genannt haben, ist die Unterstellung der Möglichkeit, dass die Person, mit der wir es zu tun haben, auch anders hätte entscheiden können. Strawson lässt es als Möglichkeit, anders handeln zu können, auftreten, doch diesen Unterschied können wir vernachlässigen. Wer nicht anders entscheiden kann, kann auch nicht anders handeln, allenfalls sich entgegen seiner Entscheidung bewegen, etwa unwillkürlich mit den Händen zittern oder sich im Schlaf im Bett herumwälzen. Worauf wir unser Augenmerk eher richten sollten, ist die Weise, in
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der Strawson dieses Desiderat auftreten lässt, nämlich in Form einer Äußerung, so wie sie uns im Alltag allenthalben begegnet. Wenn die Löhne in der Firma, für die wir arbeiten, gesenkt werden, mögen wir sagen „Das hätte der Vorstand so nicht entscheiden müssen (die Mittel hätten noch gereicht und auch die Aktionäre haben sich noch ruhig verhalten)“, und wenn uns jemand auf dem Heimweg überfällt, rufen wir vielleicht „Sie müssen das nicht tun (sondern können auch einer ehrlichen Arbeit nachgehen)!“. Was wir meinen, wenn wir so sagen, meint Strawson, ist aber nicht, dass es keinen zureichenden naturgesetzlichen Grund für das fragliche Tun gibt, sondern nur, dass gewisse Beschränkungen, die den Handlungsspielraum der fraglichen Personen entscheidend einengen würden, nicht vorliegen, folglich kompatibilistische Freiheit. Und hiermit mag Strawson auch Recht haben. Zumindest ist der Hinweis auf die Abwesenheit naturgesetzlich (oder göttlich oder gesellschaftlich) unbedingt zwingender Motive in der Regel sicher nicht der Grund dafür, dass wir solche Äußerungen tätigen. Aber das heißt nicht, dass wir diese Voraussetzung dabei nicht implizit mitdenken. Wir müssen sie sogar mitdenken, andernfalls ergäbe es keinen Sinn, von einem „nicht-müssen“ überhaupt zu sprechen in einem Sinne, der für unsere zwischenmenschliche Praxis relevant ist. Eben deshalb ergibt es aber auch keinen Sinn, hierauf noch eigens hinzuweisen (vgl. hierzu auch Kapitel 5). Würde ich etwa einem der Mitglieder aus dem Vorstand begegnen, der meinen Lohn gesenkt hat, und ihn darauf hinweisen, dass die Lohnsenkung nicht nötig gewesen wäre, würde er mir vermutlich Gründe dafür anführen, dass dem entgegen meiner Ansicht doch so war, dass andernfalls etwa mein Arbeitsplatz gefährdet gewesen wäre oder der von hunderten anderen Personen. Präzisierte ich nun aber mein Anliegen dahingehend, dass es mir um solche Arten von (bloß relativer) Notwendigkeit und Zwang gar nicht ginge, sondern darum, dass es keinen absoluten, schlechthin unwidersetzlichen – naturgesetzlichen oder göttlichen – Zwang dazu gab, so zu handeln, würde diese Person mich wohl nur unverständig anschauen; dies indes nicht, weil sie nicht verstünde, was ich meine, sondern weil ich, was die Relevanz meiner Aussage betrifft, ebensogut hätte vorrechnen können, dass eins und eins zwei ergibt. (Mit entsprechend diabolischem Humor könnte sie natürlich auch erwidern: „Natürlich bin ich keinem göttlichen oder naturgesetzlichem Zwang unterworfen – sonst würde es ja nicht so viel Spaß machen, Ihren Lohn zu senken!“) Ziehen wir nun endlich auch ausdrücklich den Schluss, auf den wir es schon die ganze Zeit abgesehen haben: (11.11) Der Begriff der Verantwortung impliziert den Begriff ‚starker‘, d. h. indeterministischer (libertarischer) Freiheit.
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Doch woher mit einem Mal so selbstsicher? Wir waren schon einmal bei diesem Schluss angelangt, uns dann aber angesichts der augenscheinlichen Kollision dieses Schlusses mit dem Determinismusprinzip unsicher geworden darüber, ob wir ihn auch wirklich ziehen sollen, und aus Vorsicht abgebogen zu Strawsons Versuch, unsere moralische Praxis – der gewöhnliche und vielleicht auch wichtigste Grund, sich in Freiheitsbeweisen zu üben – ohne die Annahme indeterministischer Freiheit zu begründen. Doch wir können unsere Scheu nun ablegen, und zwar nicht trotz, sondern wegen Strawsons Überlegungen – abgesehen von denen, die wir uns zuletzt angesehen haben. Wir haben mit Strawson gesehen, dass es (auch) unter der Determinismusannahme keinen Grund dazu gibt, zu meinen, dass es sich bei der uns gewohnten moralischen Praxis des Verhängens von Strafen und Zuschreibens von Verantwortung um eine unvernünftige oder ungerechte solche handeln würde – oder jedenfalls keinen, der von der Determinismusannahme abhängig gemacht werden könnte. Unter Zugrundelegung dieser Überlegungen können wir das obige Implikationsverhältnis nun einsetzen, ohne in Konflikt mit der Determinismusthese zu geraten. Determinismus und indeterministische Freiheit sind miteinander vereinbar. Doch bevor wir diese These ebenfalls festschreiben, werfen wir im nächsten Kapitel zur Sicherheit noch einmal einen zusammenfassenden Blick auf die vorangegangenen Überlegungen.
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Rekapitulieren wir: Der Begriff der Strafe, so haben wir bereits ganz zu Beginn gesehen (These 5.1), impliziert den Begriff der Verantwortung; der Begriff der Verantwortung, so wollten wir schließen, impliziert den der Freiheit. Freiheit und Determinismus aber, so scheint es, schließen einander aus, an der Determinismusthese jedoch, so haben wir uns festgelegt, wollen wir festhalten (und sei es nur, wie sich immer mehr herauskristallisiert, um des Argumentes willen, an dessen Ende wir sie auch wieder – folgenlos – über Bord werden werfen können). Da nun die uns gewohnte moralische Praxis ohne die Begriffe der Strafe und Verantwortung (im starken, moralische Schuld implizierenden Sinne) nicht denkbar ist, haben wir unter solchen Vorzeichen offenbar keine andere Wahl, als mit Singer (und Roth) zu meinen, dass diese Praxis keine begriffliche Grundlage besitzt. Es scheint, mit anderen Worten, unvernünftig, so zu agieren, wie wir es tun, und dann auch, weil wir im Unverstand Schuld zuweisen, wo gar keine ist, sogar ungerecht. Nun könnte man vielleicht meinen, dass zumindest der letztere Gedanke – dass unsere Praxis ungerecht ist – sich selbst widerlegt, indem er sich innerhalb der Kategorien bewegt – Verantwortung und Schuld, Vorwurf und womöglich auch Strafe –, die er gerade als unangebracht brandmarkt und meint, es sei moralisch falsch, zu meinen, etwas sei moralisch falsch (oder richtig). Doch so leicht bekommen wir die Singers und Roths in der Debatte nicht zu fassen; sie müssen ihre Kritik ja nicht in Form einer moralischen Schuldzuweisung meinen (auch wenn sie bisweilen so klingen mögen), sondern können, selbst schon geläutert durch ihre eigenen Überlegungen, die Kategorien anlegen, die sie auch sonst für unsere moralische Praxis in Vorschlag bringen; nüchterne Feststellung einer Normverletzung in objektiver statt empörter Schuldzuweisung in subjektiver Einstellung mit Blick darauf, welche Erziehungsmittel (statt Strafe) im Sinne der Erhaltung sozialer Normen die bestmögliche Wirkung erzielen würden (statt dem Zweck der Sühne). Um diese Kategorien innerhalb unserer moralischen Praxis etablieren © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_12
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zu können, benötigen wir freilich erst eine entsprechende Norm, der zufolge es verkehrt ist, Schuldzuweisungen zu tätigen, aber darauf, sie zu etablieren, mögen Singer und Roth ja hinwirken – und anschließend einen ‚vernünftigen‘, weil normerhaltenden Umgang mit den dann sicher nach wie vor unzähligen Fällen von Normverletzung (erfolgte Schuldzuweisungen gemäß der uns gewohnten Praxis) finden. (Allzu drakonische Umerziehungsmaßnahmen würden gewiss zur sofortigen Gegenrevolution führen, es sei denn natürlich, sie brächten Hollywood und Twitter auf ihre Seite.) An dieser Stelle nun können wir Strawson auf den Plan treten lassen, der meint, dass eine solche Umgestaltung unseres zwischenmenschlichen Miteinanders nicht auf Basis von Überlegungen aus der nüchternen, objektiven Einstellung möglich ist, sondern, wenn überhaupt, dann nur aufgrund und zum Zweck eben desjenigen zwischenmenschlichen Miteinanders, in dem wir uns in gewohnt subjektiver Einstellung benehmen (Thesen (10.9) und (10.10)). Mit anderen Worten: Wenn wir es uns zur Norm machen wollen, uns künftig nur noch in objektiver Einstellung zu verhalten, dann nicht, weil wir annehmen, dass der Determinismus wahr ist (den wir in objektiver Einstellung feststellen mögen, aber auch nur aus Perspektive derselben feststellen und nach ihm verfahren können). Deshalb kann es gar nicht unvernünftig sein – was auch immer wir unter „unvernünftig“ verstehen mögen –, aus der Determinismusannahme nicht die Konsequenz zu ziehen, unsere subjektiv-eingestellte Praxis dahingehen zu lassen. Es mag andere Gründe dafür geben, sich eine solch weitreichende Umgestaltung vorzunehmen, deren Güte sich aber nach Maßstäben entscheiden müsste, die der uns gängigen Praxis immanent sind – womit sich, genau besehen, aber auch diese Möglichkeit erledigt haben dürfte, da wir das Ziel, das wir uns vorsetzen würden, gar nicht recht begreifen könnten. Dies entspricht Strawsons Diagnose, dass nicht bloß unsere, sondern jede mögliche moralische Praxis begrifflich von den subjektiv-reaktiven Einstellungen zehrt, die uns den starken, schuldimplizierenden Begriff von Verantwortung bescheren, gegen den etwa Singer und Roth sich so vehement wenden wollen. In Wahrheit aber, so dürfen wir die Angelegenheit in Strawsons Sinne und Fichtes Worten wohl auf den Punkt bringen, verstehen sie sich selbst nicht und wissen nicht, was sie wollen.1 1 Das
Thema der Fichteschen sogenannten „Aenesidemus-Rezension“, in welcher Fichte sich in dieser Weise ausdrückt, ist bekanntlich ein ganz anderes, nämlich das Vorstellungsvermögen und die Frage nach dessen Grundlegung, vgl. J.G. Fichte, GA I, S. 11: „Das V.V. [Vorstellungsvermögen; ds] existirt für das V.V. und durch das V.V.; diess ist der nothwendige Zirkel, in welchem jeder endliche, und das heisst, jeder uns denkbare, Verstand eingeschlossen ist. Wer über diesen Zirkel hinaus will, versteht sich selbst nicht, und weiss nicht, was er will“ (Herv.: Fichte). Doch wo wir schon dabei sind, möge man uns
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Wir haben den Strawsonschen Dreh dann im Grunde nur noch ein kleines bisschen weiter getrieben, indem wir hinzugefügt haben, dass die subjektiv-reaktiven Einstellungen, von denen unsere gewohnte moralische Praxis zehrt, ihrerseits vom Begriff indeterministischer Freiheit zehren. Nun wollte Strawson mit seiner ganzen Argumentation zwar gerade diesen Schluss vermeiden, doch er selbst stellt durch seine Überlegungen das theoretische Grundgerüst dazu bereit, es anders zu sehen. Wir waren (These (7.5), Kapitel 7) auf der Suche nach den Bedingungen, unser Vorhaben zum Erfolg zu führen, zu dem Desiderat eines Bereiches gelangt, der dem der naturgesetzlichen Ordnung gegenüber in einem eigenen Recht steht, ohne darum ein eigenes, nicht-körperliches Sein zu gründen oder auf ihm zu beruhen, von dem aus es möglich ist, auf den naturgesetzlichen Lauf der Dinge Einfluss zu nehmen. Wir standen angesichts der scheinbar erdrückenden Beweislasten, die wir uns damit auferlegt haben, selbst auf der Schwelle dazu, unser Vorhaben für verrückt zu erklären, haben uns jedenfalls nach einem möglichen Ausweichmanöver umgesehen und schienen bei Strawson auch fündig geworden. Doch unversehens haben wir ein mächtiges Instrument zur Hand bekommen, die Vereinbarkeitsfrage, der wir eigentlich haben ausweichen wollen, entschieden zu bejahen. Strawson will sich – unsere moralische Praxis – von der Annahme indeterministischer Freiheit unabhängig machen, doch wovon er sich – sie – mit seiner Argumentation in der Tat unabhängig macht, ist nur der naturgesetzliche Determinismus. Zwar haben wir mit Strawson auch geschlossen, dass wir zur Legitimation unserer moralischen Praxis keines Freiheitsbeweises bedürfen, so verstanden, dass es keinen (vernünftigen) Entschuldigungsgrund dafür darstellt, sich daneben zu benehmen, zu meinen, unser aller Wille sei nicht frei (sondern determiniert). Doch der Grund, den wir hierfür angeführt haben, war wiederum, dass unsere moralische Praxis von der Determinismusannahme unabhängig ist und in ihrem eigenen Recht steht. Keine dieser beiden Überlegungen nimmt Schaden, wenn wir darüber hinaus annehmen, dass unsere moralische Praxis begrifflich von der Annahme indeterministischer Freiheit abhängt. Denn wenn unsere Praxis unabhängig davon in ihrem (moralischen, aber auch und vor allem begrifflichen) Recht steht, wie wir uns in der Determinismusfrage stellen, dann auch alles, wovon sie begrifflich den kleinen Spaß verzeihen, angeführte Sätze gleich vollständig in Strawsons Sinne umzuschreiben: „Die uns gewohnte zwischenmenschliche Praxis existiert für die uns gewohnte zwischenmenschliche Praxis und durch die uns gewohnte zwischenmenschliche Praxis; dies ist der notwendige Zirkel, in welchem alles zwischenmenschliche Miteinander eingeschlossen ist. Wer über diesen Zirkel hinaus will, versteht sich selbst nicht, und weiß nicht, was er will“. Ganz an der Wahrheit vorbeigeschossen hätten wir, würden wir aus unserem Spaß Ernst machen, sicher nicht.
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abhängig ist (und auch alles, was von ihr begrifflich abhängig ist), und sei dies auch indeterministische Freiheit.2 Wir können also festhalten: (12.12) Die allgemeine Determinismusannahme und die Annahme indeterministischer Freiheit sind miteinander vereinbar.
Ob wir uns als determiniert oder als frei betrachten, ist dann, etwas floskelhaft pointiert, schlicht eine Frage der Einstellung. Wie wir uns je einstellen, indes aber keine Frage der wissenschaftlichen oder weltanschaulichen Überzeugung (oder gar des Glaubens), sondern eine des Interesses, wobei grundsätzlich nur zwei mögliche Arten von Interesse zur Wahl stehen; zum einen das der moralischen 2 In
Keil 2010, S. 162–163 fasst selbiger Strawsons Argumentation konzise zusammen und setzt sogleich nach: „Die zentrale Stellung der These der Unaufgebbarkeit unserer Haltungen und Praxen verführt dazu, Strawsons Argumentation gegen den Strich zu lesen, denn diese These ist ja nicht charakteristisch für den Kompatibilismus. Dass wir unsere auf nichtdistanzierten Haltungen beruhende Lebensform nicht einfach aufgeben könnten, selbst wenn wir es wollten, zeigt ja noch nicht, dass wir den Determinismus ernstlich für wahr halten könnten. […] Aber vielleicht wird umgekehrt ein Schuh daraus: Dass wir jemanden für das, was er getan hat, loben oder tadeln, beruht auf der Annahme, dass er eine Wahl hatte. Eine Wahl zu haben heißt aber, so oder anders entscheiden zu können. Der Handelnde hat eine von mehreren Möglichkeiten ergriffen – diese Annahme bringt jedenfalls jeder mit, der noch nicht durch kompatibilistische Philosophie belehrt worden ist. […] Das aber würde bedeuten, dass wir den Determinismus, der ja die direkte Negation des Bestehens alternativer Möglichkeiten ist, gar nicht ernsthaft für wahr halten können.“. Diese Einschätzung ist überaus interessant, da Keil mit ihrer Hilfe ganz ähnlich wie wir Strawsons eigene Überlegungen um den Zusatz der Annahme indeterministischer Freiheit anreichert und damit gleichsam gegen sich selbst wendet, mit einem kleinen, aber feinen und entscheidenden Unterschied: Während Keil meint, Strawson würde nur zeigen, dass wir unsere manifeste moralische Praxis nicht aufgeben können, nicht aber, dass wir dem ungeachtet den Determinismus „ernstlich für wahr halten könnten“ – und damit Strawsons Unabhängigkeitsbeweis (der moralischen Praxis von der Determinismusfrage) nicht wirklich ernst nimmt –, und diesen Umstand dazu verwendet, die Lage so zu deuten, dass, ziehen wir indeterministische Freiheit als Bedingung für unsere moralische Praxis hinzu, Strawson indirekt eigentlich (ganz im Sinne von Keil selbst) einen Beweis für indeterministische Freiheit und damit gegen den Determinismus erbracht hätte, nehmen wir Strawsons Unabhängigkeitsbeweis ernst und können so unter der Zusatzannahme indeterministischer Freiheit auf Seiten der moralischen Praxis auch eine Unabhängigkeit derselben von der Determinismusfrage behaupten (und diese Konsequenz insgeheim auch Strawson unterstellen). Welcher dieser beiden Einschätzungen unter diesen Vorzeichen der Vorzug zu geben ist, hängt also offenbar davon ab, für wie gelungen man Strawsons Unabhängigkeitsbeweis hält. Und da wir ihn für sehr gelungen halten – und Keil keine Argumente aufbringt, uns vom Gegenteil zu überzeugen –, können wir unseren Schluss ziehen und uns in der grundsätzlichen Bewegung, die wir dabei vollzogen haben, sogar von dem Determinismusskeptiker Keil (vgl Kapitel 15) bestätigt sehen.
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Wertung und zum anderen das der wissenschaftlichen Erklärung (im weitesten Sinne des Wortes „wissenschaftlich“, unter den etwa auch, wie man sagt, ‚küchenpsychologische‘ Erklärungen fallen). Dabei ist die Einsicht zentral, dass diese beiden Interessen im Prinzip gar nicht miteinander konkurrieren. Eine noch so präzise und einsichtige kausale Erklärung für ein gewisses Verhalten muss mich nicht meinem Groll – und auch nicht meinem Recht zum Groll – demselben bzw. der jeweiligen Person gegenüber entheben, sowie auch umgekehrt selbst ein noch so tief sitzender Groll mich nicht davon abhalten muss, eine kausale Erklärung für dasselbe Verhalten zu akzeptieren oder gar selbst vorzunehmen, der zufolge völlig einsichtig wird, wie es zu demselben hat kommen können (und gar müssen). Diese prinzipielle Unabhängigkeit der beiden Perspektiven voneinander zeigt sich daran, dass wir jemandem, der meint, angesichts einer einsichtigen wissenschaftlichen Erklärung für ein gewisses (Fehl-)Verhalten hätten wir nun keinen Grund mehr, zu grollen, ohne Schwierigkeit erwidern können, dass es gewiss auch eine einsichtige wissenschaftliche Erklärung für unseren Groll gäbe, bzw. umgekehrt daran, dass wenn jemand meint, angesichts der Abscheulichkeit einer gewissen Handlung verbiete es sich, nach einer Erklärung für dieselbe auch nur zu suchen, wir ohne zu zögern antworten können, dass wir ihm seine Empfindung der moralischen Abscheu gar nicht streitig machen wollen, sie gar selbst teilen mögen, und es eben jene Abscheu sei, die unser Erklärungsinteresse erst geweckt habe, um derartige Vorkommnisse, ganz im Sinne des sozialen Miteinanders, in Zukunft besser im Voraus erkennen und, wo möglich, verhindern zu können. Eine andere Sache ist es allerdings, Erklärung aus objektiv eingestellter Perspektive im Dienste des Interesses an einer moralischen Beurteilung vorzunehmen. Dies ist freilich, ohne die prinzipielle Unabhängigkeit beider zu verletzen, möglich. (Entsprechendes dürfte dann wohl auch umgekehrt für die Indienstnahme der subjektiv eingestellten Perspektive aus Sicht der objektiv eingestellten solchen gelten, doch dies wollen wir hier nicht weiter verfolgen.) Wie viel indes der ersteren im Dienste der letzteren in Rücksicht zu stellen ist, ist eine Frage, die wiederum nur aus der Perspektive der subjektiven Einstellung beantwortet werden kann und keiner objektiven (Er-)Klärung zugänglich ist. Doch hierzu habe ich mich bereits ausführlich geäußert. Wir werden diese, bereits recht ausführlich diskutierte und doch noch nicht recht entfaltete Einsicht an anderer Stelle auch noch einmal thematisieren (Kapitel 18). An dieser Stelle wollte ich nur darauf merken, dass eine Erklärung in objektiver Einstellung mitunter durchaus unangebracht sein kann, dann nämlich, wenn sie einerseits dem Interesse der moralischen Bewertung untergeordnet ist, andererseits aber nach Maßstäben der moralischen Bewertung zu weit geht in der Erklärung, und somit die Form einer ungerechtfertigten Entschuldigung annimmt. (Dabei mag übrigens auch durch eine Person
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eine Erklärung zur ungerechtfertigten Entschuldigung verwendet – missbraucht – werden, die ursprünglich von einer anderen Person ganz im Geiste der Wissenschaft gegeben worden ist.) Mit dem obigen sollte also nicht gesagt sein, dass objektive Erklärungen per se moralisch unangreifbar sind, sondern nur, dass sie es immer dann sind, wenn sie nicht im Dienste (zum Zweck) der moralischen Beurteilung erfolgen. Was übrigens nicht Gegenstand der Untersuchung ist, sobald wir uns in subjektiver Einstellung einer anderen Person gegenüber verhalten, ist die Frage, ob sie in dem indeterministischen Sinne, den wir als begriffliche Grundlage zur Möglichkeit der subjektiven Einstellungen behaupten, frei ist. Das setzen wir voraus und ist allenfalls Thema bei der Entscheidung hinsichtlich der Frage, ob wir uns ihr gegenüber überhaupt in subjektiver Einstellung verhalten sollen. Doch eigentlich noch nicht einmal dies, sofern zumindest, wie wir eine Person als solche bereits (an-)erkennen. Die Frage danach, wie wir uns ihr gegenüber zu verhalten haben, mag sich hernach freilich durchaus stellen, doch dies nur im Sinne kompatibilischer, oder sagen wir besser: komparativer Freiheit, als Frage nach der An- oder Abwesenheit von gewissen physischen oder psychischen Zwängen oder anderweitig erschwerenden oder erleichternden Bedingungen zum Beispiel sozialer, kognitiver oder physiologischer Natur. In diesem Sinne gebrauchen wir Erklärungen, die wir in objektiv eingestellter Perspektive gewinnen, durchaus nicht selten zur Urteilsfindung in moralischer Hinsicht, dann aber nicht, weil der Determinismus wahr ist (wenn er wahr ist), sondern wiederum aus moralischen Gründen. Wir machen uns in solchen Fällen die Perspektive der objektiven Einstellung, die unter deterministischen Prinzipien stehen mag, nur dienstbar unter der Herrschaft der Perspektive der subjektiven Einstellung, eine Herrschaft, die auch dann noch virulent ist, wenn diese es unter (fast) völligem Rückzug jener gebietet, einer Person gegenüber (fast) durchweg in objektiver Einstellung zu agieren. Ein minimaler Rest von Seiten der subjektiv eingestellten Perspektive muss indes schon deshalb immer übrigbleiben, da wir unser Gegenüber andernfalls nicht mehr als handelnde Person (an-)erkennen könnten. Sofern wir dies jedenfalls tun – ob zu Recht oder zu Unrecht – läuft die Unterstellung stets mit, dass das Gegenüber seine Absichten bzw. diejenigen unter denselben, die seiner bewussten Abwägung zugänglich sind, frei wählen kann. Aber auch umgekehrt gilt, dass wir uns einer Person oder einer Handlung gegenüber schon darum, dass wir sie als eine solche zu erkennen in der Lage sind, nie ausschließlich in subjektiver Einstellung verhalten können, selbst nicht im Rahmen unserer unmittelbar reaktiven Einstellungen. Wir benötigen ja zumindest einen nicht-immateriellen Gegenstand unseres Grolls, unserer Dankbarkeit usf., also ein raum-zeitliches Objekt (oder Ereignis), das wir als Gegenstand in
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der materiellen Kausalfolge von Objekten (oder Ereignissen) fassen müssen, z. B. als einen Akt der Tötung auf dem Schlachtfeld von Verdun am 13. April 1942 durch einen französischen an einem deutschen Soldaten, ehe wir uns in subjektiver Einstellung zu ihm – d. h. diesem und keinem anderen, etwa immateriellen Gegenstand – verhalten können. Personen sind (auch) Körper, dasselbe gilt für Handlungen, für die äußeren zumal, aber auch Willensbestimmungen, als innere Handlungen, sind körperliche, wenngleich flüchtige, Objekte (oder Ereignisse) und stehen insofern auch unter den allgemeinen – deterministischen? – Bedingungen der Körperlichkeit. Sie sind nur zugleich als Personen bzw. Handlungen bzw. Willensbestimmungen allein unter diesen Bedingungen nicht zu begreifen, zu welchem Zweck es der Bedingungen der subjektiven Einstellung bedarf, an deren (logischem) Ende, wie gesehen, die Annahme indeterministischer Freiheit stehen muss. Darum ist es auch gar keine Frage mehr, sobald wir etwas als Handlung betrachten, ob sie aus Freiheit geschieht oder nicht, gleichfalls keine, sobald wir jemanden als (handelnde) Person betrachten, ob diese frei ist oder nicht, in beiden Fällen in dem allgemeinen, indeterministischen Sinne, der wiederum der Möglichkeit jeglicher Freiheitszuschreibung und auch -absprechung im Sinne der Ab- oder Anwesenheit von gewissen Zwängen (Handlungsfreiheit oder komparative Freiheit) zugrunde liegt (These (5.2)). Bleibt noch die Frage nach der Möglichkeit der Einflussnahme in die naturgesetzlich bestimmte Ordnung, die nach These (7.5) gegeben sein muss, damit wir es nicht mit einem, wie ich mich ausgedrückt habe, zahnlosen Tiger zu tun bekommen. Hieran, so könnte man meinen, muss unsere Konzeption doch scheitern, denn auch wenn der Bereich bzw. die Perspektive, in dem bzw. der wir Freiheit begrifflich ansiedeln können, ihrerseits begrifflich unabhängig ist von demjenigen Bereich, der unter physikalischen Gesetzen steht, so brauchen wir doch eine begreifliche Erklärung dafür, dass und wie es möglich ist, dass von jenem auf diesen eingewirkt werden kann, was nur möglich scheint, wenn wir die natürliche Ordnung als nicht determiniert begreifen, da dieselbe nur in diesem Fall den nötigen Spielraum offen zu lassen scheint, von den alternativen Möglichkeiten, die wir in subjektiver Einstellung vor uns sehen, auch wirksam Gebrauch zu machen. Wiederum aber können wir uns auf die begriffliche Unabhängigkeit der beiden Perspektiven berufen, wenn wir sie nur konsequent genug beibehalten und nicht zu einseitigen Gunsten der einen oder anderen aufweichen. Auch wenn wir nicht verstehen, wie, aber dass eine Möglichkeit der Einflussnahme gegeben ist, und zwar auch dann, wenn wir davon ausgehen, dass der naturgesetzliche Determinismus gilt, steht fest. Denn wenn wir einerseits die Freiheit haben, unsere Absichten selbst zu wählen, und diese, d. h. dieselben Absichten, andererseits, in
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objektiver Einstellung, sei es nach deterministischen, sei es nach indeterministischen Prinzipien, erklärt werden können, dann haben wir durch unsere Wahl ipso facto Einfluss ausgeübt, andernfalls wären unsere Absichten entweder nicht frei gewählt, d. h. sie wären kein möglicher Gegenstand von Erwägungen in subjektiver Einstellung (gewesen), oder ließen sich nicht erklären, d. h. sie wären kein möglicher Gegenstand von Überlegungen in objektiver Einstellung. Einen zahnlosen Tiger bekämen wir nur, wenn wir der – zugegeben gängigen und prima facie auch durchaus naheliegenden – Meinung nachgäben, es könnte (freie) Willensentscheidungen geben, die nicht in irgendeiner Weise (natur-)wirksam würden. Naheliegend ist diese Vorstellung von der (leidigen) Selbsterfahrung her, dass wir allerhand Entscheidungen treffen, ohne sie jemals in die Tat umzusetzen oder auch nur ernsthaft an einer Umsetzung zu versuchen. Aber das ist etwas anderes als anzunehmen, es gäbe (möglicherweise) auch Entscheidungen, die völlig wirkungslos bleiben, d. h. gar keinen Eingriff in den natürlichen Lauf der Dinge darstellen. Gerlach arbeitet unter dieser Voraussetzung, wenn er schreibt: „[F]reie Willensentschlüsse bedürfen der Möglichkeit, sich wunschgemäß zu realisieren, d. h., in den Naturablauf einzugreifen. Ein freier Wille, wie auch immer man ihn charakterisiert, würde sonst gleichsam nur ohnmächtig zusehen können, wie sich der Ablauf der körperlichen Tätigkeiten (und der auf sie bezogenen basalen Wünsche) vor seinen Augen vollzieht.“ (Gerlach 2010, S. 51)
Richtig ist: Ohne die Möglichkeit, unsere Willensbestimmungen in die Tat umzusetzen, d. h. die uns gesetzten Zwecke zu verwirklichen, würde Wesentliches fehlen, aber nicht die Möglichkeit, in die naturgesetzliche Ordnung einzugreifen. Andernfalls könnte es sich nicht um ein und denselben Gegenstand handeln, dem unser Interesse in sowohl subjektiver wie auch objektiver Einstellung gelten kann. Und natürlich darf es sich bei diesem Gegenstand nicht um eine immaterielle Substanz handeln. Alles, auf das wir uns (sinnvoll) beziehen können, ist körperlich, folglich auch der freie Wille, der sich damit sowohl in seinen Resultaten wie übrigens auch in seinen Erwägungen, mimisch, gestisch, oder auch nur neuronal, auf die naturgesetzlich bestimmte Ordnung auswirken muss – Freiheit, wenn sie ist, ist auch wirksam, durch und durch. Die Antwort auf die Frage, wie all dies, das wir zuletzt ausgeführt haben, zusammengeht, schwebt auf diesem Stand der Dinge allenfalls noch recht undeutlich vor uns. In diesem Zuge wird uns in der weiteren Bearbeitung vor allem die Frage interessieren, wie es möglich ist, dass wir gegenüber ein und demselbem – körperlichen – Gegenstand solch unterschiedliche Perspektiven einnehmen
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können. Man kann dies als Gegebenheit hinnehmen, so wie Strawson, der allerdings nicht damit gerechnet hat, dass sich auf dem Wege, den er einschlägt, gerade die Art von Freiheit – ‚echte‘, ‚starke‘ Freiheit – begründen lässt, die er selbst noch als Ausdruck panischer Metaphysik („panicky metaphysics“, Strawson 1993, S. 66) betrachtet. Wobei er aus seiner Sicht vermutlich auch Recht hat; die Freiheit, die ihm offenbar vorschwebt (bzw. von der er meint, dass sie dem Libertarier vorschweben muss), ist von der Art, dass sie innerhalb der natürlichen Ordnung allenthalben für unerklärliche Momente sorgen müsste, dies im Übrigen nicht bloß, wie wir vielleicht ohnehin aus der Beobachtung quantenmechanischer Phänomene zu schließen haben, im mikro-, sondern auch und insbesondere im makrophysikalischen Bereich, bei den mittelgroßen Einzeldingen, die sich nach allem, was wir wissen, trotz allen Merkwürdigkeiten, die sich aus Sicht der klassischen Physik der Quantenphysik zufolge für die Welt im ganz Kleinen (bei den Quanten) oder nach der Allgemeinen Relativitätstheorie im ganz Großen (beim materiellen Raum-Zeit-System) ergeben, dennoch mehr oder weniger ‚klassisch‘ verhalten. Insbesondere die Energieerhaltungssätze müssten wohl in weit gehörigerem Maße strapaziert werden, als es, so viel wir wissen, geboten sein kann, sei es von außerhalb, als Eingriff von Seiten eines immateriellen Geistes, sei es von innerhalb der naturgesetzlichen Ordnung aus, als Eingriff durch physikalische, causa-sui-artige Krafterzeugung. Doch wir wollen aus diesen eher losen und womöglich auch schiefen Querverweisen zur Physik keine weiteren Folgen ziehen. Mögen die Physiker selbst entscheiden, ob und inwiefern sie innerhalb ihres Einzugsbereichs Raum für radikal nicht-klassische Konzeptionen ihrer eigenen Wissenschaft finden können, für Freiheit, die als solche kein physikalischer Gegenstand ist, werden sie – so viel können wir von unserer Profession her anmerken – keinen finden. Aber auch dies tut hier nur beiläufig etwas zur Sache. Wir wollten nur Strawson cum grano salis in seiner Ansicht beipflichten, dass panische Metaphysik nicht die Lösung sein kann, wenn es um die (theoretische) Lösung des Freiheitsproblems geht, keine immaterielle Substanz, keine physikalisch beschreibbaren Freiheitsgeneratoren. Und anmerken, dass wir dergleichen aber auch gar nicht benötigen. Was wir benötigen, ist allerdings eine Konzeption des Körperlichen – oder des Gegenständlichen, des Seienden –, die eine solch doppelte Bezugnahme auf dasselbe, wie Strawson selbst sie annimmt und wir im Grunde nur etwas weiter ‚geschraubt‘ haben, in objektiver wie in subjektiver Einstellung, erlaubt. Dabei können wir indes ganz gelassen vorgehen. Nichts wirklich Wesentliches hängt (mehr) davon ab, weder die Legitimation unserer moralischen, noch die der wissenschaftlichen Praxis. Beide stehen, dies haben wir mit Strawson gezeigt, in ihrem vollen, eigenständig-begrifflichen Recht. Strawson meint zwar, dies nur um den Preis indeterministischer, starker Willensfreiheit zeigen zu
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können, doch dank unserer eigentlich nur geringfügigen Arbeiten am Gewinde konnten wir auch dahingehend für Beruhigung sorgen. Im Grunde haben wir gar nichts mehr geleistet, nur noch einmal den gedanklichen Schraubenschlüssel angelegt und festgestellt, dass die Konstruktion, die Strawson bereits völlig sauber und ordentlich angeschraubt hat, fest genug sitzt, um die Freiheit mit ihrem ganzen Gewicht darauf abzuladen.
Teil III Zweiter Teil
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Kant über das Problem der Vereinbarkeit zwischen Freiheit und Determinismus (1)
Unsere Behauptung, der naturgesetzliche Determinismus und indeterministische Freiheit seien miteinander vereinbar, ist gar nicht so innovativ, wie man angesichts der modernen Freiheitsdebatte, in der die Unvereinbarkeit beider in der Regel schlicht vorausgesetzt wird, vermuten könnte. Bekanntlich hat Immanuel Kant schon vor etwa 250 Jahren dieselbe These aufgestellt, aber das ist vermutlich schon so lange her, dass sie außerhalb des über weite Strecken in sich merkwürdig geschlossenen Kosmos der Kantexegese (aus dem ich selbst komme), wenn sie überhaupt Erwähnung findet, dem unter zeitgenössischen Philosophen weit verbreiteten Generalverdacht der zeitalterbedingten metaphysischen Verschrobenheit regelrecht anheimfallen und damit von vornherein als überkommen gelten muss. Strawson etwa registriert Kants Vereinbarkeitsthese übrigens durchaus, tut sie jedoch sogleich in bemerkenswerter Weise ab, indem er schreibt: „That we have a sense of freedom, that we necessarily act, as Kants says, under the idea of freedom, is generally allowed. That this sense entails a belief incompatible with the universal reign of natural causality is frequently denied; by Kant for dubiously intelligible reasons; by others for more pedestrian reasons. The pedestrian compatibilist will maintain, not that free actions are free from all causality, but that they are free from certain kinds of causality – the causality, he will say, of constraint; and he will be ready enough to illustrate what he means by this with examples of physical force or intrusive psychological compulsion.“ (Strawson 2011, S. 147)
Bemerkenswert ist diese Passage vor allem deshalb, weil sie den Eindruck vermittelt, es ginge in Kants und in Strawsons eigenem Fall jeweils um (mehr oder
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_13
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weniger) dieselbe Sache und Kant hätte seinen ganzen transzendentalphilosophischen Apparatus (dem wohl das Attribut „dubiously intelligible“ gilt) aufgefahren, um zu beweisen, dass die Idee komparativer Freiheit von physischen oder psychischen Zwängen mit der Annahme des naturgesetzlichen Determinismus vereinbar sei – wobei diese Vereinbarkeit doch viel leichter gezeigt werden könnte. (Und die letztere ist es denn auch, die, wie Strawson meint, so häufig behauptet wird.) Womöglich hat Strawson, der durchaus als kantbeflissener Autor zu gelten hat und daher sicher auch von Kants Einstellung zu ‚Bratenwender-Freiheiten‘ Notiz genommen haben dürfte (vgl. Kapitel 5), aber auch schlicht nicht die Notwendigkeit dazu gesehen, über den Begriff der psychologisch-komparativen Freiheit hinauszugehen und hält Kant implizit diesen Fehler vor; wiederum läuft es aber auf einen ganz ähnlichen Vorwurf hinaus, nur diesmal etwas anders akzentuiert. Statt Kant zu sagen, er würde einen kaum verständlichen, überbordenden systematischen Apparatus für eine Freiheit aufwenden, die desselben gar nicht bedarf, würde er ihm vorhalten, er würde jenen Apparatus für eine Freiheit aufwenden, die es gar nicht wert sei, begründet zu werden. Für welche Variante der Deutung der obigen Passage wir uns auch entscheiden (ich tendiere zur letzteren), im Kern haben wir es offenbar beide Male mit einem Fall des oben angesprochenen Generalverdachts der Überkommenheit zu tun, angereichert um den Zusatz des Verdachts der unnötigen Überladung seiner (Kants) Theorie entweder zu Zielen, die anders viel einfacher zu erreichen sind (kompatibilistische Freiheit), oder zu solchen, die erreichen zu wollen Unsinn ist (inkompatibilistische Freiheit).1 Etwas mehr Aufmerksamkeit lässt Keil der Kantischen Vereinbarkeitsthese zuteil werden, namentlich in dem Aufsatz Kann man nichtzeitliche Verursachung verstehen? Kausalitätstheoretische Anmerkungen zu Kants Freiheitstheorie, den er 1 Dass
Strawson es nicht für nötig hält, über den klassisch-kompatibilistischen Freiheitsbegriff hinauszugehen, haben wir bereits gesehen und ihm hierin widersprochen (Kapitel 11). Dass er es auch gar nicht für sinnvoll hält, macht er klar, wenn er meint: „[W]hen those who accept the equivalence [gemeint ist die Äquivalenz der Sätze „Er hätte anders handeln können“ und „Er war nicht naturgesetzlich dazu determiniert, so zu handeln“; ds] are invited to enlarge on the question, how a belief in the absence of determining causes explains or justifies the practices and attitutes in question, their answers are singularly insufficient. It is hard to see how randomness, or a belief in randomness, could either explain or justify any such thing; and attempts to formulate the appropriate belief in other terms have never resulted in anything but either high-flown nonsense or psychological descriptions which are in no way inconsistent with the thesis of determinism“ (Strawson 2011, S. 150–151). Diesen zumindest vor der Hand durchaus berechtigten Einwand haben wir bislang unterschlagen. Dabei geht es um die Frage, ob ein freier Wille im inkompatibilistischen Sinne, als aktive Kraft, die durch nichts bedingt ist, nicht ein Zufallsautomat sein müsste. Wir werden erst ganz zum Schluss dieser Arbeit darauf zurückkommen (Kapitel 19).
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eigens zu ihrer kritischen Würdigung verfasst hat, doch sein Schluss ist umgekehrt eindeutig: „Das Problem der Vereinbarkeit der Freiheit mit dem Determinismus muss nicht aufgelöst werden, weil für die Determinismusannahme eine Rechtfertigung fehlt“ (Keil 2012, S. 229). Außerdem lautet Keils Antwort auf die Titelfrage seines Aufsatzes: Nein – und da Kant meinte, zur Begründung von Freiheit ohne nichtzeitliche Verursachung nicht auskommen zu können, kann er uns auch nicht verständlich machen, was Freiheit überhaupt ist; was er in dieser Weise aber auch nicht muss, da gilt, wie Keil meint, dass, „[f]alls gezeigt werden könnte, dass das libertarische So-oder-Anderskönnen durchaus in die empirische Welt passt, […] der Hauptgrund dafür [entfiele], die Freiheitsrettung auf das Ursprungsmodell zu gründen“ (a. a. O., S. 227). Keil ist also, wie wir auch schon ganz zu Beginn dieser Abhandlung gesehen haben, anders als Strawson, durchaus ein Vertreter der starken Freiheitsauffassung: Wir brauchen alternative Möglichkeiten, ansonsten wissen wir noch nicht einmal, was eine Handlung oder gar eine Entscheidung überhaupt ist (vgl. Kapitel 5). Aber weil der Determinismus gar nicht gilt, wie Keil annimmt, „passt“ Freiheit „in die empirische Welt“, soll heißen: sie widerspricht ihr nicht, auch wenn es zum Beweis der Freiheit freilich noch zusätzlicher Argumente bedarf. Wenn wir hingegen (mit Kant) die Wahrheit des Determinismus annehmen – und er auch wirklich gilt – , dann ist in der empirischen Welt, zumindest, sofern sie, wie wir hinzusetzen sollten, naturgesetzlich determiniert ist (vgl. Kapitel 7, These (7.6)), kein Raum für indeterministische Freiheit. Wir müssen die Bedingung der Unterlassbarkeit von Handlungen und Willensbestimmungen dann gleichsam außer der naturgesetzlich bestimmten Reihe fassen, die auch eine zeitliche Reihe ist (daher die Bezeichnung „nichtzeitliche Verursachung“), und damit Freiheit mit Blick auf diese Reihe hin durch ein „Ursprungsmodell“, also so, dass es möglich ist, von dieser nicht-zeitlichen Warte her gesehen als gleichfalls nicht-zeitlicher Ursprung einer Reihe von Ereignissen zu gelten, die wiederum selbst zeitlicher Natur und damit – nach Kant – naturgesetzlich determiniert sind. Wir verstehen gegenwärtig natürlich noch nicht, was mit alledem im Einzelnen gemeint sein soll. Die Stoßrichtung der Argumentation, wie Keil sie Kant zuschreibt und Kant sie auch wirklich geführt hat, ist im Grunde aber genau dieselbe, die wir schon längst eingeschlagen haben: Wenn innerhalb der naturgesetzlich bestimmten Ordnung kein Raum für Freiheit ist, müssen wir uns nach einem Bereich außerhalb derselben umsehen, von dem her es möglich ist, in die naturgesetzliche Ordnung einzugreifen. Und auch Kant hat zu diesem Zweck, wie wir in den Kapiteln 16 und 17 noch sehen werden, keinen Bereich eigenen Seins, keinen ontologischen Dualismus, in Anschlag gebracht, weder absichtlich, noch unabsichtlich. Keils Vorwurf an Kant, dies können wir an dieser Stelle noch festzuhalten, ist
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im Prinzip strukturgleich mit dem Strawsons: Dass er eine unnötig metaphysisch aufgeladene – Stichwort „nicht-zeitliche Verursachung“ – und in der Tat überkommene Strategie zur Lösung eines Problems vorschlägt, das so, wie Kant meinte, dass es besteht, in Wahrheit gar nicht besteht. Nur mit dem Unterschied, dass Keil einen indeterministischen Freiheitsbegriff für sowohl nötig wie auch möglich hält. Keil positioniert sich in der modernen Debatte also auf Seiten des Inkompatibilisten und des Libertariers (und im Übrigen auf der des Pessimisten in Sachen Determinismus und Verantwortungszuschreibung)2 . Auf Keils Einwand gegen das Konzept nicht-zeitlicher bzw. nichtnaturgesetzlicher Verursachung wird zurückzukommen sein (Kapitel 17), einstweilen aber sollten wir uns erst einmal ansehen, worin dieses Konzept überhaupt besteht und wie Kant darauf kommt, es zu fassen. Kant formuliert das Freiheits-Determinismus-Problem vor dem aus heutiger Sicht zumindest vordergründig eher ungewohnten Hintergrund der Frage nach dem Unbedingten, genauer nach dem Unbedingten der kausalen Reihe nach. (Analoge Probleme lassen sich auch gemäß den anderen Titeln von Kants Kategorientafel – Quantität, Qualität und Modalität – formulieren (der für die Kausalität verbliebene Titel ist dann der der Relation), diese sollen hier aber nicht unser Thema sein.) Denn wir können das Unbedingte der (Kausal-)Reihe nach auf zweierlei – und einander entgegengesetzte – Weise erwägen, einmal „als bloß in der ganzen Reihe bestehend, in der also alle Glieder ohne Ausnahme bedingt und nur das Ganze derselben schlechthin unbedingt wäre“ (KrV, B 445/A 418), einmal als „ein Teil der Reihe, dem die übrigen Glieder untergeordnet sind, der selbst aber unter keiner anderen Bedingung steht“ (ebd.). In beiden Fällen ist, dies sei zum Verständnis hinzugesetzt, zwar die Reihe unendlich, sofern zumindest dem Progressus in Richtung des Bedingten keine Grenze gesetzt ist – welche Frage uns Kant zufolge jedoch gleichgültig sein kann, weil ein Gegebenes seiner Möglichkeit nach durch das ihn Bedingende bestimmt ist und nicht durch das durch ihn Bedingte –3 , aber der Regressus, der Rückgang zu den Bedingungen, ist einmal endlich, dann nämlich, wenn er mit, und einmal unendlich, wenn er ohne 2 Vgl.
Keil 2010, S. 170: „Der Determinist behauptet ja, dass der Täter in der gegebenen Situation nicht anders handeln konnte, weil Naturgesetze und Anfangsbedingungen das tatsächliche Geschehen, also auch seine Entscheidung, alternativlos festgelegt haben. Und einer starken Intuition zufolge wäre es ungerecht, jemanden für etwas zur Rechenschaft zu ziehen, was er nicht vermeiden konnte“. 3 Vgl. KrV, B 437/A 410 ff.
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Anfang gedacht wird. Die entsprechenden Sätze, Thesis und Antithesis, in Bezug auf die Frage nach dem Unbedingten der Kausalreihe lauten wie folgt: [Thesis:] „Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.“ (KrV, B 472/A 444)
und [Antithesis:] „Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur.“ (KrV, B 473/A 445)
Zunächst ist zu bemerken, dass beide Standpunkte, Thesis wie Antithesis, sich aus Überlegungen über den natürlichen Weltlauf ergeben. Des Weiteren ergeben sie sich nicht direkt, aus einem eigenständigen, positiven Beweis, sondern über eine reductio ad absurdum des je gegenläufigen Standpunktes. Wenn, so schließt der Vertreter der Thesis, es „keine andere Kausalität, als nach Gesetzen der Natur“ (KrV, B 472/A 444) gäbe, würde uns die Reihe der kausal nachgeordneten Weltzustände zu einer unbegreiflichen Unendlichkeit geraten, die darum unbegreiflich ist, dass sie ohne Voraussetzung eines bestimmten ersten Anfangs der Reihe die Bedingung verletzte, die wir nach Naturgesetzen voraussetzen müssen, dass „ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache nichts geschehe“ (KrV, B 474/A 446). Suchen wir also, so scheint es, das Unbedingte in der Reihe selbst und lassen keine andere Kausalität als die nach Naturgesetzen gelten, verlieren wir in ein und demselben Zug den Halt, dessen wir bedürfen, um ein bestimmtes Ereignis nach diesen Gesetzen überhaupt als ein solches ansehen zu können. Es würde sich dann nämlich offenbar um ein bodenlos verursachtes Ereignis handeln müssen.
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Bodenlose Verursachung aber ist so gut – oder schlecht – wie gar keine Verursachung. Daher muss es eine von den Naturgesetzen unabhängige Freiheitskausalität geben.4,5 Führen wir aber eine weitere Art von Kausalität ein, um angesichts jener Bodenlosigkeit Abhilfe zu verschaffen, so sind wir, wie der Vertreter der Antithesis argumentiert, um nichts besser dran. So unverständlich uns eine unendliche Abfolge aus kausalen Nachfolgerweltzuständen auch sein mag, so würde die Annahme einer sinnlich – und damit auch zeitlich – unbedingten Kausalität die naturgesetzliche Ordnung erst recht verletzen. Nicht bloß (schwierig genug, aber um des Argumentes willen einmal zugestanden) die frei handelnde, substantielle Ur-Sache, sondern auch die Kausalität, durch die sich diese Ursache zum Freihandeln erst bestimmte, müsste „schlechthin anfangen, so daß nichts vorhergeht, wodurch diese geschehende Handlung nach beständigen Gesetzen bestimmt sei“ (KrV, B 475/A 447), sodass der Zustand, in dem die Ursache sich im Moment ihrer freien Handlung befände, „mit dem vorhergehenden [Zustand] eben derselben Ursache gar keinen Zusammenhang der Kausalität“ haben „d.i. auf keine Weise daraus“ (ebd.) erfolgen dürfte. Ein Zustand aber, der als unverursacht gelten muss, ist so gut – oder so schlecht – wie gar kein Zustand. Daher kann es eine von den Naturgesetzen unabhängige Freiheitskausalität nicht geben.6 4 Vgl.
Recki 2016, S. 138, die dort das Argument der Thesis wie folgt fasst: „Wenn wir von der durchgängigen Kausalverknüpfung ausgehen und das Programm lückenloser Erklärung verfolgen, dann müssen wir in der Kette der Verursachung nach jeder Begründung immer noch eine Stelle weiterfragen, bei jeder Ursache für eine Wirkung wiederum nach deren Ursache suchen und so immer weiter ins Unendliche. Wir geraten in einen infiniten Regress, wodurch das Programm der Kausalerklärung ad absurdum geführt wird. Die These der durchgängigen Bestimmung durch Naturkausalität wird zu einem selbstwidersprüchlichen Satz, weil sich so die Begründung nicht durchführen, da niemals zum Abschluss bringen lässt“. 5 Ähnlich argumentiert auch Clarke 1717, S. 6: „Motion cannot begin necessarily; because Necessity of Motion, supposes an Efficiency Superiour to, and irresistible by, the thing moved; and consequently the Beginning of the Motion cannot be in that which is moved necessarily, but in the superiour Cause, or in the Efficiency of some Other Cause still superiour to That, till at length we arrive at some Free Agent“ bzw., noch deutlicher, ebd. S. 26–27: „[I]f a Man has not within himself a Principle of Self-motion, or a Power of Beginning Motion; then, being No Agent at all, […] any more than a Clock or a Watch, – his Motions must all be wholly owing to the efficient Impulse of some extrinsick Cause, and the Motions of That to the Efficiency of some Other Cause; and so on; till either at length we arrive at some Free Agent, in whom is perfect Liberty, or else we must go on in infinitum through an eternal Chain of dependent Effects without Any Cause at all; Which is Absurd“. 6 Wenn wir das Zugeständnis in Rechnung stellen, das Kant den Antithetiker am Ende seiner „Anmerkung zur Antithesis“ noch machen lässt, dass „[w]enn auch indessen allenfalls
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Die beiden Standpunkte führen einander also jeweils ad absurdum, was uns in der Gesamtschau zu dem widersprüchlichen Urteil zu nötigen scheint, dass es eine Kausalität aus Freiheit genau dann nicht geben kann, wenn es eine geben muss und umgekehrt. Hieraus ergibt sich übrigens, anders als in der modernen Freiheitsdebatte, eine direkte, unvermittelte Not zur Auflösung, die darin gegründet liegt, dass es ein und derselbe Sachverhalt – die Einheit der Natur – ist, deren argumentative Fundierung uns zu den einander widerstreitenden Urteilen führt und nicht etwa auf der einen Seite die Natur und auf der anderen Seite die Moral.
ein transzendentales Vermögen der Freiheit nachgegeben wird, um die Weltveränderungen anzufangen, […] dieses Vermögen doch wenigstens nur außerhalb der Welt [würde] sein müssen“ (KrV, B 479), so können wir vielleicht Leibniz als einen atypischen Vertreter der Antithesis einsetzen. Interessanter als diese philosophiehistorische Frage ist aber, dass Kant ‚seinen‘ Antithetiker dieses Zugeständnis überhaupt machen lässt. Es liegt nahe, diesen Hinweis als eine Vorwegnahme des Kantischen Lösungsansatzes zu lesen, Determinismus und Freiheit auf zwei unterschiedlichen Ebenen anzusiedeln. Mir scheint allerdings, dass mit einer Freiheit „außerhalb der Welt“ dem Substanzdualismus das Wort geredet werden müsste, was Kant, wie wir noch sehen werden, anders als, wie bereits gesehen, Leibniz, vermeiden will, indem er weder zwei Welten annehmen, noch ein und dieselbe Welt in zwei (Seins-)Bereiche unterteilen, sondern stattdessen zwei Perspektiven auf ein und dieselbe Welt begründen will. Daher mag auch richtig sein, dass, wie Finster 1982, S. 274 ff. zu zeigen unternimmt, bereits Leibniz eine zweifache Betrachtungsweise zur Lösung des Freiheits-Determinismus-Problems angelegt hat, sodass „[e]inerseits […], alles aus Naturkausalität erklärt werden können [muß], andererseits aber […] kein Widerspruch darin [besteht], dasselbe Geschehen, das durch Naturkausalität fest in den gesamten Weltzusammenhang eingebunden ist, zugleich als aus dem unbedingten Tätigwerden der vis activa primitiva, als aus unbedingter Kausalität entstanden zu erklären“ (a. a. O., S. 276) – es müsste dies mit Leibnizens These in Einklang gebracht werden, wir seien (auch in letzter Analyse) geistige Automaten (daher unsere, wenn auch zögerliche, Zuweisung Leibnizens zur Antithese) –, sein Substanzdualismus verhindert, dass wir diese Lösung als solche akzeptieren können. Recki 2016, S. 138 sieht in der Annahme einer außerweltlichen Kausalität indessen gerade das Problem, das der Antithetiker bearbeitet: „Die Antithesis der deterministischen Freiheitsbestreitung macht Gebrauch von dem Argument, dass durch die Annahme einer solchen absoluten Spontaneität ein Vermögen außerhalb der Welt […] angenommen und durch die damit gegebene Konzession eines willkürlichen, regellosen Einflusses auch jede Berechtigung preisgegeben wäre, weiterhin von Naturgesetzmäßigkeit zu sprechen“. Dies scheint mir als Deutung der Argumentation des Antithetikers unzutreffend, der Sache nach spricht Recki aber natürlich ein wichtiges Problem – das Einwirkungsproblem – an, dem unter der Annahme einer tatsächlich außer(erscheinungs-)weltlichen – d. h. in einer zweiten Welt oder Substanz anzusiedelnden – Freiheit Rechnung zu tragen wäre. Wir haben in nuce bereits gesehen, wie es damit zugeht. Entweder man rechnet mit Descartes der einen, freien, Substanz Wirksamkeit in Hinblick auf die andere zu und verletzt damit u. a. die Naturgesetze, oder man entwirft
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Dieser Not kann Kant zufolge indes abgeholfen werden, indem gezeigt wird, dass sie auf einer fehlerhaften Identifikation des logischen Prinzips des zureichenden Grundes, das wir bereits in in Auseinandersetzung mit Leibniz kennengelernt haben (Kapitel 6), mit dem transzendentallogischen Prinzip der Kausalität beruht, die zwar naheliegt, aber nicht das letzte Wort behalten darf: „Die ganze Antinomie der reinen Vernunft beruht auf dem dialektischen Argumente: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe aller Bedingungen desselben gegeben: nun sind uns Gegenstände der Sinne als bedingt gegeben, folglich usw.“ (KrV, B 525/A 497)
Nehmen wir Kant die Mühe ab, den Schluss zu Ende zu schreiben, müsste es wohl heißen: „[…] folglich ist auch die ganze Reihe aller Bedingungen der Gegenstände der Sinne gegeben (, mithin entweder die Reihe selbst ein Unbedingtes oder ein solches innerhalb der Reihe zu suchen)“. Der Punkt, den Kant in diesem Abschnitt macht, betrifft alle der vier Antinomien, doch da sich der Schluss in unserem Fall auf kausale Verhältnisse bezieht, dürfen wir – was sollte uns davon abhalten? – an allen entsprechenden Stellen „kausal“ bzw. „kausalen“ einsetzen, sodass das Argument, um das es uns hier geht, in einem Stück präsentiert, wie folgt lautet: (OS) Wenn ein kausal Bedingtes gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe aller kausalen Bedingungen desselben gegeben (US) Gegenstände der Sinne sind uns als kausal bedingt gegeben. (K) Uns ist (also) die ganze Reihe aller kausalen Bedingungen der Gegenstände der Sinne gegeben.
Ein einfacher, zweifellos gültiger Schluss. Doch sollte er auch schlüssig sein, geraten wir in die Antinomie, indem wir uns fragen, inwiefern wir das Gegebensein der Reihe aller kausalen Bedingungen der Sinnesgegenstände verstehen sollen – als gegebene Unendlichkeit oder als Endlichkeit mit einem kausalen, jedoch kausal unbedingten Anfang –, angesichts der jeweiligen Gegenargumentation jedoch keinen der beiden Standpunkte aufrechterhalten können. Der Untersatz ist unverdächtig und sogar einer der Leitsätze der Kritischen Philosophie Kants: Alle Gegenstände der Sinne sind kausal bedingt und uns in dieser Weise auch gegeben, ja, als nicht kausal Bedingte könnten sie uns überhaupt mit Leibniz ein System der prästabilierten Harmonie, dem zufolge aber zumindest fraglich wird, inwiefern wir es dann überhaupt noch mit einer Freiheit zu tun haben, die diesen Namen verdient.
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nicht gegeben sein. Diesen Satz in Zweifel zu ziehen, wäre für Kant jedenfalls keine Option gewesen (vgl. das Eingangszitat zu Kapitel 17). Sehen wir uns also den Obersatz genauer an. Ich hatte in den Gedankenstrichen oben gefragt, was uns davon abhalten sollte, an den entsprechenden Stellen, vor die Termini „Bedingtes“ bzw. „Bedingungen“ die Termini „kausal“ bzw. „kausalen“ einzusetzen. Man möchte vielleicht erwidern, dass die Antinomie uns davon abhält oder besser abhalten sollte, allerdings muss es noch einen unabhängigen Grund dafür geben. Nur, weil die Konsequenz uns nicht gefällt, dürfen wir uns nicht einfach der Behauptung eines Satzes verweigern, zumal eines so einfachen und scheinbar unbestreitbaren wie dem, dass wenn ein Bedingtes gegeben ist, auch alle Bedingungen gegeben sein müssen. Dieser Satz, wie ich ihn soeben wiedergegeben habe, ohne Zusatz, drückt sogar eine logische Wahrheit aus, nämlich „nichts anderes, als die logische Forderung […], vollständige Prämissen zu einem gegebenen Schlußsatze anzunehmen“ (KrV, B 528/A 500), mit anderen Worten: den Satz vom zureichenden Grund. Diesen zu bestreiten ist Kant nicht in den Sinn gekommen und sollte auch uns nicht in den Sinn kommen. (So wir es doch einmal wagen, stellt sich die Frage, ob durch einen zureichenden oder einen unzureichenden Grund. Ersteres – den Satz vom zureichenden Grund aus zureichenden Gründen bestreiten zu wollen – wäre erkennbar absurd, letzteres – ihn aus unzureichenden Gründen zu bestreiten – auch nicht viel besser.) Was bleibt also übrig? Nur eines, nämlich zu fragen, ob ein Satz, der für logische Verhältnisse gilt, dies auch im Fall realer, zum Beispiel eben kausaler Verhältnisse tut. Und er tut es – legen wir den Transzendentalen (oder Kritischen) Idealismus Kants zugrunde – nicht: „Denn die Erscheinungen sind, in der Apprehension, selber nichts anderes, als eine empirische Synthesis (im Raume und der Zeit) und sind also nur in dieser gegeben. Nun folgt es gar nicht, daß, wenn das Bedingte (in der Erscheinung) gegeben ist, auch die Synthesis, die seine empirische Bedingung ausmacht, dadurch mitgegeben und vorausgesetzt sei, sondern diese findet allererst im Regressus, und niemals ohne denselben, statt.“ (KrV, B 527/A 499)
Was steckt hinter dieser Erklärung? Zunächst und zuvörderst die Kantische Zentralthese von der empirischen Realität und transzendentalen Idealität von Raum und der Zeit und die sich aus ihr ergebende Konsequenz, „daß alle unsre Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung sei; daß die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie uns erscheinen, und daß, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne
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überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte im Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können.“ (KrV, B 59/A 42)
Diese Konsequenz ergibt sich – ich gebe die einschlägigen Argumente aus der Transzendentalen Ästhetik (insbesondere die §§ 2 bis 5, KrV B 37–49/A 22–32) nur in grober Zusammenfassung wieder – aus dem apriorischen und damit subjektabhängigen Charakter der Formen, in deren Einrahmung wir die Dinge, mit denen wir uns konfrontiert sehen, vorstellen müssen, dem Raum als Form der äußeren, und der Zeit als Form sowohl aller inneren wie aller äußeren Anschauung. Versuchen wir nämlich, sie uns an den Gegenständen unserer Anschauung wegzudenken, entschwindet uns der Gegenstand selbst. Es gibt nichts, das als uns Äußerliches und dabei raumlos vorgestellt werden kann, ein unräumlicher, äußerer Gegenstand ist überhaupt kein Gegenstand. Ebenso wenig kann ein uns Äußeres zeitlos verfasst sein. Unsere inneren Vorstellungen wiederum sind zwar unräumlich, aber ihrerseits ebenfalls niemals unzeitlich. Diese Charakteristika, der Räumlichkeit und Zeitlichkeit, gehören den Gegenständen unserer Vorstellung a priori – immer schon, sobald wir anschauen –7 an. Man darf sich die Notwendigkeit der Voraussetzung von Raum und Zeit also auch nicht so vorstellen, dass die (an sich raum- und zeitlosen) Gegenstände im Raum (oder der Zeit) wie in einem Behältnis liegen müssen, sondern sie müssen, wie wir uns auch schon ausgedrückt
7 Gelegentlich
trifft man auf das Missverständnis, bei Vorstellungen (begrifflicher oder anschaulicher Natur), über die wir a priori verfügen würden, müsse es sich um angeborene Vorstellungen handeln, so auch offenbar Kant selbst, der sich zum Thema in einer ungewöhnlich harschen Replik auf eine ihm offensichtlich ganz und gar missfällige Interpretation seiner Lehre von einem gewissen Herrn Eberhard (Über eine Entdeckung nach der alle neue Critik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll) wie folgt äußert: „Die Kritik [der reinen Vernunft] erlaubt schlechterdings keine anerschaffene oder angeborne Vorstellungen; alle insgesamt, sie mögen zur Anschauung oder zu Verstandesbegriffen gehören, nimmt sie als erworben an. Es gibt aber auch eine ursprüngliche Erwerbung (wie die Lehrer des Naturrechts sich ausdrücken), folglich auch dessen, was vorher gar noch nicht existiert, mithin keiner Sache vor dieser Handlung angehöret hat. Dergleichen ist, wie die Kritik behauptet, erstlich die Form der Dinge im Raum und der Zeit, zweitens die synthetische Einheit des Mannigfaltigen in Begriffen; denn keine von beiden nimmt unser Erkenntnisvermögen von den Objekten, als in ihnen an sich selbst gegeben, her, sondern bringt sie aus sich selbst a priori zu Stande“ (ÜE, BA 68 [=AA VIII, 221]). Eben diesen Charakter der Anschauungsformen Raum und Zeit als Resultat einer ursprünglichen Erwerbung will ich mit der Formulierung „immer schon, sobald wir anschauen“ (deren ersten Teil ich wiederum zum ersten Mal in einer Vorlesung von Koch gehört habe) zum Ausdruck bringen.
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haben, selbst räumlich und zeitlich sein.8 Daher kann es sich bei ihnen nicht um An-sich-Seiende handeln, nicht um – seien es absolute, seien es relative – Seinbestimmungen oder -formen, die unabhängig von unserem anschauenden Bewusstsein bereits vorliegen würden und erst noch perzeptiv aufgegriffen werden müssten. Denn wäre dem so, gäbe es eine nicht-raum-zeitliche Anschauung, von der wir zuerst Gebrauch machen müssten, um zur Anschauung von Raum und Zeit zu gelangen, welche dann aber keine apriorischen Voraussetzungen der Gegenständlichkeit mehr sein könnten. Des Weiteren kann es sich bei ihnen ihrem Ursprung nach nicht um begriffliche, sondern muss es sich um wesentlich anschauliche Vorstellungen handeln, da sie als Kontinua jeweils ein Ganzes darstellen, das zwar in (relativ) diskrete, viele Einzelne unterteilt werden, aus diesen aber wiederum nicht zusammengesetzt sein kann, somit aber selbst ein allumfassendes Einzelnes darstellen muss. Begriffe, als Allgemeinvorstellungen, unter die potentiell unendlich viele Einzelne fallen, können ihrerseits keine Einzelvorstellungen sein oder enthalten, sondern eben nur unter sich fassen, als Anwendungsfälle (deren es tatsächlich auch nur einen einzigen oder überhaupt keinen geben mag), nicht als Bestandteile oder Wesensmerkmal ihrer. (Was uns natürlich nicht hindert, uns einen Begriff vom Raum und von der Zeit zu bilden, der aber dennoch – so ja auch in Kants Metaphysischen Erörterungen – die Nichtbegrifflichkeit des Raumes und der Zeit selbst in sich befassen kann und muss.)9 Auf der Annahme der Apriorizität und Anschaulichkeit der (ursprünglichen) Raum- bzw. Zeitvorstellung gründen sich nun, meint Kant in seiner Transzendentalen Erörterung des Raum- bzw. Zeitbegriffs, auch „andere“ (KrV, B 40), gleichfalls apriorische und synthetische Erkenntnisse, „apodiktische Grundsätze von den Verhältnissen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit überhaupt“ (KrV, B 47) bzw. „die geometrischen Sätze“ (KrV, B 41), etwa die Eindimensionalität der Zeit bzw. Dreidimensionalität des Raumes oder das Nacheinander der verschiedenen Zeiten bzw. das Zugleichsein der verschiedenen Räume (vgl. jeweils ebd.), die wiederum, wie Kant zumindest in Bezug auf die Zeit anmerkt, „als Regeln [gelten], unter denen überhaupt Erfahrungen möglich sind, und […] uns vor derselben [belehren], und nicht durch dieselbe“ (KrV, B 47). Demnach ist
8 Vgl.
zu diesem Absatz (bis hierhin) insbesondere die je ersten beiden Raum- bzw. Zeitargumente Kants aus der Metaphysischen Erörterung des Raum- bzw. Zeitbegriffs (KrV, B 38–39/A 23–24 bzw. B 46/A 30–31). 9 Vgl. zu diesem Absatz insbesondere das dritte und vierte Raum- bzw. vierte und fünfte Zeitargument Kants aus der Metaphysischen Erörterung des Raum- bzw. Zeitbegriffs (KrV, B 39–40/A 24–25 bzw. B 47–48/A 31–32).
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es nicht möglich, einen erkennenden Blick in die Welt zu werfen, ohne die Voraussetzungen des Nacheinanders in der Zeit und der Eindimensionalität derselben bzw. des Zugleichseins im Raum und der Dreidimensionalität desselben bereits mitzubringen.10 Raum und Zeit liegen demnach a priori aller möglichen Anschauung als Formen derselben zugrunde, sie sind unser subjektives Mitbringsel zu aller (uns) möglichen Anschauung, die nun, diesem Mitbringsel gemäß, aber gleichfalls keine Anschauung von An-sich-Seiendem sein kann, sondern wesentlich eine solche von Erscheinungen – Für-uns-Seienden – sein muss; daher gilt, dass, wie bereits zitiert, „alle unsre Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung sei“. Damit ist das An-sich-Seiende nicht gänzlich aus dem Spiel genommen. Es wird bei der Auflösung der oben dargestellten Antinomie sogar eine zentrale Rolle einnehmen. Kant braucht es, so können wir vorläufig und noch ohne Blick auf die Freiheitsfrage sagen, zumindest als Kontrastbegriff zu dem uns anschaulich Zugänglichen, als dasjenige, von dem sich sagen lässt, dass es uns nicht anschaulich zugänglich ist. Und in irgendeinem, noch näher zu erkundenden, Sinne spielt das An-sich-Seiende bei Kant auch die Rolle eines Substrats der Erscheinungen, eines denselben Zugrundeliegenden, zusammengefasst also die des nicht anschaulich zugänglichen Substrats der Erscheinungen. Doch dies sei hier nur lose vorweg gesprochen. Wir werden darauf, wie dies zu verstehen ist, noch ausführlich zu sprechen kommen (Kapitel 12 und 13). Die notwendig raum-zeitlich eingefassten Erscheinungen wiederum sind, und zwar als solche, qua Erscheinung, wie Kant in seiner Transzendentalen Deduktion zu zeigen unternimmt, nun nicht bloß anschaulich-formal, sondern auch begrifflich-kategorial eingerahmt. Ein rein sensorischer Eindruck, ohne jede Verstandesleistung, könnte uns keinen Unterschied zwischen uns und dem angeschauten Gegenstand vermitteln, er wäre ein Ursachverhalt, in dem die von seinem „Erfassen […] jeweils gesättigte Subjektivität […] ganz […] auf[ginge]“ (Koch 2002, S. 148). Dass nun derartige Bewusstseinszustände (jedenfalls für uns als Subjekte) unmöglich sind, zeigt Koch unter Berufung auf die von Kant im Rahmen seiner Kategoriendeduktion in Anspruch genommene Notwendigkeit der Möglichkeit der Ich-denke-Begleitung:11 10 Auf die Schwierigkeit mit der Behauptung, die „reine [und euklidische; ds] Geometrie“ hätte, wie Kant in seinen Prolegomena bemerkt, „objektive Realität“ (Prol., A 59 [= AA IV, 287]), die offenbar mit der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins konfligiert, werde ich in Kapitel 14 noch zu sprechen kommen. 11 „Das Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so
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„Wären unsere Wahrnehmungsinhalte sensorische Ursachverhalte, so ginge das wahrnehmende Subjekt jeweils restlos in ihnen auf und wäre, als ein ‚vielfarbiges verschiedenes Selbst‘12 , weder fähig, sie zu objektivieren, d.h. als Bestimmungen von Objekten aufzufassen, noch sich selbst von ihnen im Mir-so-Scheinen bzw. in der Ich-denke-Begleitung zu distanzieren und sie gegebenenfalls zu deobjektivieren und als bloßen Anschein dahingestellt sein zu lassen. Alle meine (bewußten) Vorstellungen aber sind von einem ‚Ich denke‘ begleitbar, und zwar, weil dies ein analytischer Satz ist, der nur besagt, daß in der Ich-denke-Begleitung die Meinigkeit der Inhalte meiner Vorstellungen explizit gemacht wird, notwendigerweise. Also sind ebenso notwendigerweise die Inhalte meiner Vorstellungen grundsätzlich keine Ursachverhalte, sondern immer schon von mir auf Objekte als deren Bestimmungen bezogen worden.“ (Koch 2006, S. 470)
Jede Vorstellung, die bewusst ist, muss die vorstellende Person sich auch als die ihrige vorstellen können. In einer völlig begriffslosen Anschauung wäre dies aber nicht möglich, das vorstellende Subjekt könnte sich vom sensorischen Gehalt ihrer Vorstellung in keiner Weise distanzieren, nicht sagen (oder denken) „Ich denke, dass x“, somit aber auch nicht in dem entsprechenden Bewusstseinszustand sein, zu denken bzw. in diesem Fall zu empfinden, dass x, da nur Bewusstseinszustände – Vorstellungen –, die vom „Ich denke“ begleitet werden können, überhaupt (uns) mögliche Bewusstseinszustände sind. Dieser Sachverhalt dient Kant zur Ausgangslage seiner Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, zwölf Kategorien, die sich als auf unsere sinnliche Anschauung ursprünglich angewandte Formen der objektivierenden Synthesis „notwendiger Weise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung [beziehen], weil nur vermittelst ihrer überhaupt irgend ein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann“ (KrV, B 126/A 93) „und um deren willen […] [der Verstand] auch nur ein reiner Verstand ist; indem er durch sie allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein Objekt derselben denken kann“ (KrV, B 106/A 80). Auf sie im Einzelnen einzugehen, wäre ein füglicher Gegenstand für eine eigenständige Dissertation. Im gegenwärtigen Rahmen genüge uns die Feststellung der Notwendigkeit einer Fundamentalobjektivierung, ohne welche uns keine Vorstellung als die unsrige bewusst sein könnte. Nach diesem kursorischen Überblick über die Grundzüge der Kantischen Transzendentalphilosophie können wir nun die obige Erklärung Kants ein wenig besser
viel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein“ (KrV, B 131–132). 12 Koch zitiert an dieser Stelle Kant, vgl. KrV B 134.
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verstehen. Eine Erscheinung ist eine bzw. Resultat einer13 empirische(n) Synthesis, d. h. eine Verknüpfung von einzelnen, wiederum empirischen, Vorstellungsgehalten. Als „Synthesis der Apprehension“ (KrV, B 164) ist letztere der für „alle mögliche Wahrnehmung“ (ebd.) unentbehrliche Fortsatz der „transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen überhaupt“ (KrV, B 157), d. h. der ursprünglichen Verstandesleistung einer immer schon kategorial eingerahmten Fundamentalobjektivierung, der sie ihrerseits wiederum gemäß sein muss, daher denn auch, so das Ergebnis der Transzendentalen Deduktion, „alle Erscheinungen der Natur, ihrer Verbindung nach, unter den Kategorien stehen“ (KrV, B 165). Es gibt – für uns –, mit anderen Worten, keine unsynthetisierten Vorstellungsgehalte, die Synthesis aber ist – transzendental wie empirisch – eine Aktivität unseres (begrifflich agierenden) Selbstbewusstseins. Demnach sind wir es, die das Resultat, eine Erscheinung, allererst qua Synthesis hervorbringen, gleichfalls in der regressiven Rückverfolgung die Reihe derselben, die also – wider alle natürliche Erwartung – eben noch nicht gegeben ist, weder als unendliche, noch als endliche Reihe. Sie ist uns vielmehr, als „ein Regressus zu den Bedingungen, d.i. eine fortgesetzte empirische Synthesis auf dieser Seite geboten oder auf gegeben“ (KrV, B 527/A 499). Wir sollen den Rückgang anstellen, immer weiter, „in unbestimmte Weite (in indefinitum)“ (KrV, B 540, 541/A 512). Daher gibt es keinen – zureichenden – Grund dafür, den Satz vom zureichenden Grund auf reale Verhältnisse zu übertragen, wenn wir diese, wie geboten, als Verhältnisse zwischen Erscheinungen und nicht als solche zwischen Dingen an sich betrachten. Indem sie ein Unbedingtes behaupten, als in einem kausalen Anfang oder in der Reihe selbst bestehend, haben demnach beide, Vertreter der Thesis wie Vertreter der Antithesis, Unrecht. Allerdings kann letzterem mit Kant insofern doch Recht gegeben werden, als eine unbedingte Kausalität in der Reihe der Begebenheiten (oder Weltzustände) „eine Befreiung vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller Regeln“ (KrV, B 475/A 447) darstellen würde und in der Tat nicht stattfinden kann, wenn er jene Begebenheiten (oder Weltzustände) nämlich als sinnliche Erscheinungen auffasst. Um die Thesis scheint es vor diesem Hintergrund schlechter bestellt, doch ist ihr ebenfalls wenigstens insofern Recht 13 Vgl. KrV, B 160, wo Kant bemerkt, dass er „unter der Synthesis der Apprehension [, d. i. die empirische Synthesis; ds] die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung verstehe, dadurch Wahrnehmung, d. i. empirisches Bewußtsein derselben (als Erscheinung), möglich“ werde, was, anders als in der oben zitierten Passage, eher danach klingt, als sei die Erscheinung nicht selbst die Synthesis, sondern nur deren Resultat. Vermutlich stimmt am Ende aber beides in gewisser Weise, da die Erscheinung mit der Synthesis sogleich gegeben ist und damit sowohl durch sie bedingt ist, aber auch schon in ihr selbst besteht.
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zu geben, als es eine unendliche Reihe der kausalen Bedingungen nicht gibt und auch nicht geben kann. Unrecht hat ihr Vertreter darin, stattdessen eine Freiheitskausalität zum unbedingten Anfang dieser Reihe in der Natur selbst zu setzen. Dennoch ist, indem die Behauptung der ausnahmslosen und durchgängigen kausalen Bestimmtheit auf die sinnlichen Erscheinungen beschränkt wurde, auf ‚Seiten‘ der Dinge an sich (oder dem An-sich-Seienden) ‚Raum‘ für die Behauptung einer Freiheitskausalität geschaffen.14 Wie wir dies zu verstehen haben und ob uns damit auf unseren Wegen geholfen ist, können wir erst ermessen, wenn wir uns darüber klargeworden sind, wie wir Kants Konzeption vom An-sich-Seienden im Einzelnen zu verstehen haben. Ich 14 Gerlach
2010, S. 103 ff. zweifelt offenbar daran, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Einschränkung der Determinismusbehauptung auf die Sinnenwelt handeln kann, und zwar aus dem Grund, dass Kant „unter den Behauptungen der Antithesis, eine vollkommene Gleichförmigkeit der Denkungsart und völlige Einheit der Maxime, nämlich ein Principium des reinen Empirismus“ (KrV, B 493–494/A 465–466) bemerkt haben will, der Empirismus allerdings „das in keiner Weise anschauliche Kausalgesetz leugnen müsste“ (Gerlach 2010, S. 104). Es bestehen, mit anderen Worten, von Gerlachs Seiten Zweifel daran, „dass Kant [in der dritten Antinomie; ds] authentische Positionen vorkritischer Philosophie vorträgt“ (a. a. O., S. 103) und mindestens dem Antithetiker nicht bereits wesentliche Resultate – insbesondere den naturgesetzlichen Determinismus – aus seiner eigenen Lehre unterschiebt, wofür auch spreche, „dass Kant selbst im Rückblick auf die Antithesis sagen wird, dass ‚der durchgängige Zusammenhang aller Begebenheiten, nach unwandelbaren Naturgesetzen, schon als ein Grundsatz der transzendentalen Analytik fest‘ (B 564) gestanden habe“ (a. a. O., S. 104). Ich teile diese Bedenken indes nicht. Dass Kant im Nachgang auf seinen eigenen Beweis für den naturgesetzlichen Determinismus rekurriert, hindert ja nicht, dem Vertreter der Antithesis einstweilen um des Argumentes willen zuzugestehen, er hätte den Beweis für denselbigen mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln erbracht. Auch darin, dass die Antithesis Kant zufolge „ein Principium des reinen Empirismus“ enthalten soll, sehe ich vor diesem Hintergrund keine Schwierigkeit. Dass „das […] Kausalgesetz [in keiner Weise anschaulich[…]]“ ist und der Empirist somit seine eigenen Prinzipien verlassen müsste, um es zu beweisen, muss er ja nicht wissen bzw. selbst wenn er es weiß und daraus schließt, dass er dasselbe „leugnen müsste“ (was ja selbst dann noch nicht einmal zwingend ist), kann Kant ihm cum grano salis beispringen unter der Annahme, dass der Empirismus sich ohne Anerkennung des Kausalgesetzes als Position völlig unmöglich machen würde. Außerdem ist die Frage, welcher philosophischen Strömung die Positionen des Thetikers und Antithetikers zuzuordnen sind, auch gar nicht weiter relevant, auch nicht, ob sie jemals von Autoren vertreten worden sind, und noch weniger, ob sie unter transzendentalphilosophischen Gesichtspunkten konsistent vertreten werden können, sondern allein die vortheoretische (und damit freilich auch vorkritische) Intuition, dass nichts ohne zureichenden Grund geschieht, eine Intuition, von der – einschließlich ihrer Problematik – sich jeder auf der Stelle selbst überzeugen kann, der nur einmal damit beginnt, sich nach der Ursache für irgendein beliebiges Ereignis zu fragen.
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habe bereits davon gesprochen, allerdings nur recht knapp und schemenhaft, und die weitere Erörterung vertagt. So bleiben wir für den Moment reichlich unbefriedigt zurück, werden aber darauf zurückkommen. Zunächst gilt es allerdings, in Bezug auf Kants Zentralthesen noch das eine oder andere nachzutragen, das uns auch in dieser Frage und damit sogleich in Hinblick auf unsere Unternehmung im Ganzen dienlich sein wird.
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In diesem Kapitel wird zweierlei zu erledigen sein. Zunächst werden wir den Anschein des Widerspruchs heben, der sich zwischen Kants Raum-Zeit-Lehre und der allgemeinen Relativitätstheorie ergibt, sodass wir die erstere und deren für Kants Philosophisches System zentrale Konsequenz – dass die Gegenstände unserer Wahrnehmung keine An-sich-Seienden, sondern Erscheinungen sind – werden entschieden bejahen können, ohne fürchten zu müssen, darum in Konflikt mit der Physik zu geraten. Anschließend gilt es, einen Widerspruch, der sich innerhalb Kants eigener Lehre – jedenfalls dem Wortlaut nach – zu ergeben scheint, im Sinne derselben aufzulösen. Dieses zweite Problem betrifft die im letzten Kapitel besprochene Notwendigkeit der kategorialen Fundamentalobjektivierung, die, wie wir mit Koch gemeint haben, eine ursprüngliche, in die Wahrnehmung selbst integrierte Leistung sein muss. Dieser Meinung scheint Kant selbst nämlich an manchen Stellen in seinen Prolegomena zu widersprechen. Wir werden uns in Kants eigenem Sinne gegen seinen gelegentlichen Wortlaut zu wenden haben und aus unserer Begründung dafür, dass wir so tun, schließlich – mit oder ohne Kants Einvernehmen – eine interessante Konsequenz in Hinblick auf die Anforderungen an eine philosophische Wahrheitsskepsis ziehen, eine Konsequenz, durch welche wir dieselbe zwar nicht begründet ab-, aber doch als zumindest reichlich unattraktiv erweisen können werden. Doch zunächst zum ersten Problem. In einer Anmerkung zum § 13 seiner Prolegomena schreibt Kant: „Die reine Mathematik, und namentlich die reine Geometrie, kann nur unter der Bedingung allein objektive Realität haben, daß sie bloß auf Gegenstände der Sinne geht, in Ansehung deren aber der Grundsatz feststeht: daß unsere sinnliche Vorstellung keineswegs eine Vorstellung der Dinge an sich selbst, sondern nur der Art sei, wie sie uns erscheinen. Daraus folgt, daß die Sätze der Geometrie nicht etwa Bestimmungen eines bloßen Geschöpfs unserer dichtenden Phantasie, und also nicht mit Zuverlässigkeit auf wirkliche Gegenstände könnten bezogen werden, © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_14
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sondern daß sie notwendiger Weise vom Raume, und darum auch von allem, was im Raume angetroffen werden mag, gelten, weil der Raum nichts anders ist, als die Form aller äußeren Erscheinungen, unter der uns allein Gegenstände der Sinne gegeben werden können.“ (Prol., A 59–60 [=AA IV, 287])
Hiermit festgeschrieben wäre eine unbedingte Abhängigkeit der raum-zeitlichen Verhältnisse der materiellen Gegenstände von den raum-zeitlichen Verhältnissen, wie die „reine Geometrie“ sie feststellt. Nun ist die reine Geometrie eine euklidische, ihr zufolge können sich etwa zwei einander parallele Geraden niemals schneiden und beträgt die Winkelsumme in einem Dreieck stets 180°, Voraussetzungen, die nach der Allgemeinen Relativitätstheorie für die wirkliche Welt nicht bzw. nur näherungsweise, folglich nicht mit der von Kant behaupteten Strenge gelten. Die materiellen Gegenstände krümmen durch ihre Masse (bzw. Gravitationspotentiale) den Raum, wie Einstein lehrte und Experimente bestätigen, d. h. sie haben offenbar Einfluss auf denselben und seine Geometrie, die dann, als eine Geometrie der wirklichen Gegenstände, keine euklidische mehr sein kann. Es gibt, so scheint hieraus zu folgen, keine reine Geometrie bzw. sofern es sie gibt, beschreibt sie, entgegen Kants Ansicht, nicht die wirkliche Welt. Vor allen Dingen aber kann ein Raum bzw. eine Raumzeit, die von den empirisch-messbaren Eigenschaften der Gegenstände abhängt, offenbar kein apriorisches Mitbringsel unserer Subjektivität sein, womit sich Kants Zentralthese, dass Raum und Zeit die reinen Formen aller Anschauung sind, als falsch erwiesen hätte. Es gibt allerdings auch Stimmen, die dieser Konsequenz zu entgehen versuchen. Zum Beispiel bemerkt Ilse Schneider, eine Zeitgenossin und Bekannte Einsteins in ihrer Habilitationsschrift: „Kant behauptet, daß der Raum der dreidimensionalen euklidischen Geometrie identisch ist mit dem Raum, in dem das Newtonsche Gravitationsgesetz gilt, und die funktionale Abhängigkeit dieser Eigenschaften von einander. Einsteins allgemeine Relativitätstheorie steht zu dieser Behauptung durchaus nicht in Widerspruch. Im Gegenteil: In dem Spezialfall konstanter Gravitationspotentiale ergibt sich auch für Einstein ein Raum von euklidischer Metrik. Die verallgemeinerten Feldgleichungen führen unter bestimmten Approximationsgesichtspunkten in erster Näherung auf das Newtonsche Gesetz. Variieren die Gravitationspotentiale dagegen, so wird die Metrik des Raumes eine kompliziertere, es existiert ein zu berücksichtigendes Gravitationsfeld. Wir finden also auch in diesen für Einsteins Physik so charakteristischen Gedankengängen keine Widersprüche zur kantischen Lehre, sie schließen den Spezialfall, den Kant betrachtete, ein.“ (Schneider 1921, S. 72)
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Weit davon entfernt, eine bloße Immunisierungsstrategie darzustellen, wie mit Hentschel (1922, S. 459, 460) anderen Versuchen, die Theorie Kants mit derjenigen Einsteins zu versöhnen, vielleicht noch vorgeworfen werden kann, spielt Schneider hier auf eine Behauptung Kants an, die sogar in grundlegender Übereinstimmung mit der Allgemeinen Relativitätstheorie stehen soll. Kant selbst hatte bereits, wie Schneider zuvor durch Passagen aus dessen Erstlingsschrift, den Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte, belegt, ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der geometrischen Struktur des physikalischen Raumes von den in ihm wirkenden Kräften angenommen.1 Da, was sich mit Einstein über 150 Jahre später dann als ein bloßer Spezialfall herausgestellt hat, die ungekrümmte, dreidimensionale Metrik zu Kants Zeiten noch als Standardfall betrachtet wurde, lag für ihn die Vermutung nahe, dass eben jene euklidisch verfasste geometrische Struktur der Raumzeit auch der Struktur der wirklichen, physikalischen Raumzeit entspricht. Was die funktionale Abhängigkeit betrifft, wurde er von Einstein für den „Spezialfall konstanter Gravitationspotentiale“ dann sogar bestätigt. Wobei Schneider sicherlich auch Recht damit hat, zu bemerken, dass, „[w]ie weit diese Abhängigkeit“ – zwischen der „[Kraft] [der] Substanzen […], außer sich zu würken“ und der „Vielheit der Abmessungen des Raumes“ (GSK, A 11 [= AA I, 23)) – „geht, und wie die Maßverhältnisse selbst von der Gravitation abhängig sind, […] Kant noch nicht zum Bewußtsein kommen [konnte]“ (Schneider 1921, S. 71). Gegeben jedoch die grundsätzliche Übereinstimmung, ist dies für unsere Zwecke von nur nachgeordneter Relevanz. Und doch bleibt dieser Befund merkwürdig, da er sich nicht mit der späteren, kritischen Lehre Kants zu vereinen lassen scheint, dass Raum und Zeit eben nicht materiell seien, sondern zunächst und vor allem apriorische, gar reine Formen der äußeren und/oder inneren sinnlichen Anschauung. Materiell müssten sie aber sein, wenn sie ihrerseits von den Gegenständen und den durch diese wirkenden Kräften in welcher Weise auch immer abhängig sein sollen. Hat Kant etwa mit gerade 22 Jahren tatsächlich den Grundgedanken der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Abhängigkeit zumindest der Raumgeometrie von den im Raum wirkenden Kräften, vorausgesehen und ca. 35 Jahre später mit seiner Transzendentalen Ästhetik eine Raum-Zeit-Lehre vertreten, die mit jener, wie wir heute sagen dürfen, geradezu prophetischen Einsicht nicht in Einklang gebracht werden kann? Es wäre dies eine bemerkenswerte Ironie der Geschichte. Kant wäre für eine Lehre berühmt geworden, die über 100 Jahre nach seinem Tod durch die 1 Vgl.
etwa GSK, A 12 [= AA I, 24], wo Kant die These zu begründen unternimmt, „daß die dreifache Abmessung des Raumes von dem Gesetze herrühre, nach welchem die Kräfte derer Substanzen in einander würken“.
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experimentelle Bestätigung einer Theorie widerlegt worden wäre, deren Grundgedanken er selbst schon antizipiert, aber wieder verworfen hatte! Hat er auf das falsche Pferd gesetzt? Mir scheint eher, dass Kant, obwohl er von seiner These von der funktionalen Abhängigkeit der Raumgeometrie von der Beschaffenheit der Materie meines Wissens ausdrücklich nachher kein Wort mehr verloren hat, von der Voraussetzung, die nötig ist, um ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis zumindest für möglich, d. h. nicht a priori ausgeschlossen zu halten, niemals abgerückt ist – und diese sich gar wohl mit seiner Kritischen Lehre vereinigen lassen muss. Kant selbst muss dies jedenfalls angenommen haben, wenn er in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft wie folgt zwischen zwei Hinsichten auf den Raum unterscheidet: (1) Der Raum als transzendental-ästhetische Möglichkeitsbedingung oder „Form aller äußeren sinnlichen Anschauung“ (MAN, A 2 [= AA IV, 481]), (2) derselbe als „Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung und selbst ein Objekt derselben“, d. h. als „empirische[r] Raum“ (MAN, A 3 [= AA IV, 481]).
Wie bringen wir diese beiden Hinsichten zusammen? Kant selbst äußert sich nicht weiter dazu, vermutlich war es ihm schlicht eine Selbstverständlichkeit. Wir indessen müssen ein wenig basteln: In der letzteren, empirischen Hinsicht ist der Raum, meint Kant, selbst „empfindbar, d.i. durch das, was empfunden werden kann, bezeichnet“ (MAN, A 2, 3 [= AA IV, 481]), und insofern, wie wir hinzufügen dürfen, auch möglicher – und wirklicher – Gegenstand der Physik und ihrer experimentell zu überprüfenden mathematischen Beschreibungen der Außenwelt. Empfindbar kann er jedoch nur sein unter Voraussetzung der ersteren Hinsicht, der zufolge er als reine „Form aller äußeren sinnlichen Anschauung“ bereits vor- und damit den Erfahrungsgegenständen, deren Kompositum den empirischen Raum darstellt, zugrundeliegt. Er ist demnach, so lautet mein Vorschlag, einerseits die uns innere, reine, anschauliche Form dessen, was uns als äußerlich präsent ist, selbst äußerlich ist er andererseits aber wiederum vermöge der Dinge, die wir in ihm anschauen und die sogleich seinen empirischen, materiellen Aspekt konstituieren. Es handelt sich um ein und denselben Raum, der zwei Aspekte an sich aufweist, die beide zusammen notwendige Bedingung dafür sind, die Dinge urteilend zu objektivieren. Beide gehören zusammen, sind eigentlich eins, trennbar nur durch eine verlustreiche Abstraktion, die aber von der Warte der Wissenschaft aus durchaus produktiv und notwendig sein kann, und zwar nach beiden Seiten hin. Kant macht sich in seiner Kritik der reinen Vernunft die eine Seite der Abstraktion, die vom Raum als materieinduziertem Produkt der Erfahrungsgegenstände,
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als Epistemologe zu eigen und Nutze, um zu zeigen, dass nach erfolgter Abstraktion immer noch etwas übrig bleibt und bleiben muss, das als nicht-empirisches und außerdem unbegriffliches, also a priori Anschauliches in rein formaler Hinsicht vorausgesetzt werden muss. Die Physik ihrerseits abstrahiert in umgekehrter Richtung vom Raum als subjektiver Vorbedingung aller möglichen (äußeren) Anschauung, kann und muss dies ihrer Natur als empirische Wissenschaft zufolge auch, die sie ja bei allen Anleihen aus der Mathematik ist und bleibt. Von ihrer Warte kann der Raum, wie offenbar auch Kant schon wusste, nicht unabhängig von den Gegenständen existieren und muss auch seiner Struktur nach als deren Produkt bzw. das der durch sie wirkenden Kräfte angesehen werden. Aufgabe der Physik ist es, diese Struktur zu ermitteln. Die hierfür nötige Abstraktion ist aus Sicht der Physik dieser Diagnose entsprechend natürlich legitim und auch nötig, zu Fehleinschätzungen würden wir nur dann verleitet, wenn wir sie außerhalb der Physik weiterhin vornehmen und für bare Münze halten würden. Dann nämlich würden ipso facto nicht bloß, wie nur billig, alle Dinge, sondern auch alle Aspekte der Dinge zu Gegenständen der physikalischen Untersuchung und müssen sich ihr alle anderen Wissenschaften, einschließlich der Philosophie, unterordnen. Dies wiederum ist eben darum nicht möglich, dass es einen erfahrungsunabhängigen, apriorischen Hinter- oder Untergrund an Voraussetzungen braucht, durch den Erfahrung – und damit auch Erfahrungswissenschaft – überhaupt erst möglich wird, womit wir wieder auf der anderen Seite der Abstraktion angekommen wären. Eine dieser Voraussetzungen ist nach dem Gesagten der Raum als Form aller äußeren, eine andere die Zeit als Form aller sowohl äußeren wie auch inneren Anschauung. Für die letztere gilt in Hinblick auf das Verhältnis zwischen epistemologischen Erwägungen und physikalischen Untersuchungen ähnliches wie für den Raum. Auch sie mag, als empirische, masseinduzierte Krümmungen in sich erleiden, da sie ihre objektive Realität letztlich nur in Abhängigkeit der Gegenstände in ihr bezeugen kann. Doch sie sind eben dies: in ihr, und sie müssen es sein, bevor (im logischen Sinne) sie bzw. die in ihnen oder durch sie wirkenden Kräfte sich in experimentell feststellbarer Rücksicht krümmend auf ebendieselbe Zeit ihrem physikalischen Aspekt nach auswirken können. So sie in letzterer Hinsicht, also rein ihrem physikalischen Aspekt nach, betrachtet wird, mag es denn auch weiter so sein, dass sie gegenüber dem Raum an Eigenständigkeit einbüßt und als vierte Dimension Einer nur als Gesamtheit wirklichen Raumzeit betrachtet werden kann oder sogar muss. Als reine Form vor allem des inneren Sinnes aber bewahrt sie ihre völlige Eigenständigkeit und, sofern es so etwas wie einen inneren Sinn gibt, auch ihre Notwendigkeit. Der innere Sinn, als das „Anschauen[…] unserer selbst und unseres inneren Zustandes“ (KrV, B 49/A 33) kann für sich genommen nichts Räumliches zum Gegenstand haben, er „[gibt] keine Gestalt“
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(KrV, B 50/A 33). Je meine Vorstellungen, mein innerer Zustand, stehen aber sehr wohl und notwendigerweise unter der Bedingung der Zeit und wären ansonsten nichts. Gerade noch habe ich jenes gedacht, gefühlt, gesehen, gehört etc., nun denke, fühle, sehe oder höre ich dies. Eine solche Ordnung, als das zeitliche Nacheinander dessen, was ich je vorstelle, kann nicht erst nachträglich zu meinen Vorstellungen hinzugefügt worden, nicht erlernt sein. Nicht erst habe ich mich so und so gefühlt oder habe ich dies und jenes wahrgenommen und dann (zeitlich) gelernt, dass diese Wahrnehmungen zeitlich geordnet sind. Auch hat nicht die Schwierigkeit, mir vorzustellen, dass das Universum und mit ihm mein innerer Zustand sich mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung der vierdimensionalen Raumzeit ausbreitet, mich dazu bewogen, die Zeit zu erfinden, um diesen Mangel auszugleichen. (Bestimmte, empirische Zeitverhältnisse dagegen müssen wir alle natürlich erlernen. Diese Verhältnisse sind denn auch, anders als die Zeit als reine Anschauungsform, wahrnehmbar und dies sind sie durch die Gegenstände, die in ihr auf uns, die wir ebenfalls gegenständlich sind, wirken. Wir sehen mit unseren Augen, wenn der Stürmer schneller läuft als der Verteidiger, hören mit unseren Ohren den Rhythmus der Musik oder fühlen den der Trommelschläge des Physiotherapeuten auf unserem Rücken.) Wie steht es demnach nun um die reine, Euklidische Geometrie und ihr Verhältnis zu uns bzw. zur Welt? Darin, dass sie für die materielle, empirische Raumzeit gilt, hat Kant sich geirrt. Nicht geirrt jedoch hat er sich in seiner Behauptung der apriorischen und apodiktischen Gewissheit eben jener Euklidischen Geometrie: Sie gilt – und dies gewiss –, wie wir uns mit Koch auch ausdrücken können, für die ungefüllte und daher masse- und gravitationsunabhängige „Raum-Zeit der Imagination“, die „ja nichts Reales enthält, das sie krümmen könnte“ (Koch 2016a, S. 61). Die euklidische ist daher auch, nämlich, folgen wir Schneider, im indes zwar möglichen, wiewohl sehr unwahrscheinlichen – und einem Leben, wie wir es kennen, sicher recht abträglichen – „Spezialfall konstanter Gravitationspotentiale“ (s. o.), aber nicht nur eine weitere Geometrie unter anderen möglichen wirklichen, sondern ebenfalls – und vor allem – die privilegierte und einzige Geometrie des Grund- und Grenzfalls masseloser Imagination bzw., in Kants Terminologie, der reinen Anschauung.2 Wir alle – auch Physiker, 2 Tatsächlich
lassen sich nicht-euklidische, etwa sphärische oder pseudosphärische Geometrien, in denen der Raum als positiv bzw. negativ gekrümmt aufgefasst wird, in gewisser, nämlich abstraktiver Weise doch auch imaginieren, wie etwa Helmholtz (1883) unter Berufung auf entsprechende Modelle der Mathematiker Riemann, Lobatschewsky und Beltrami darlegt. Legen wir eine euklidische Raumstruktur an und zeichnen uns in Gedanken eine sattelförmige (hyperbolische) Fläche in diesen hinein, so gilt das Parallelaxiom auf dieser Sattelfläche, unter Abstraktion des euklidischen Rahmens, in das wir sie eingezeichnet
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nur eben nicht als solche – haben auch jederzeit und problemlos Zugriff auf sie. Wenn ich den Sessel, der auf der anderen Seite des Tisches steht, an dem ich sitze, in meiner Vorstellung an einen anderen Ort im Raum verrücke, oder mich daran erinnere, wie ein Freund von mir gestern noch darin saß, ist in dieser Vorstellung nichts enthalten, das auf die raum-zeitliche Struktur, die sie hat, irgendeinen Einfluss haben könnte, keine „reale Masse, um das Raum-Zeit-System aus seiner reinen, euklidischen Grundstellung zu bringen“ (Koch 2016a, S. 58). Die geometrischen Sätze, deren anschaulichen Beweise wir in der Schule haben – oder hätten – nachvollziehen dürfen, gelten für den Raum der Imagination mit aller geforderten Strenge und Gewissheit, so dass jedes Subjekt an jedem Ort und zu jeder Zeit sie in gleicher Weise für sich nachvollziehen kann. Es gibt nur keine bzw. – bei konstantem Gravitationspotential – nur eine, allerdings äußerst unwahrscheinliche, mögliche Welt, in der eine euklidische Raum-Zeit-Struktur empirisch realisiert wäre. Es gibt jedenfalls keine mögliche Welt, in der sie nicht als imaginativer Grenzfall notwendigerweise gültig wäre, weil es keine (uns) mögliche Welt gibt, in der Raum und Zeit nicht als reine Anschauungsformen vorausgesetzt werden müssen. Es gibt, nach Maßgabe unserer Weise, die Welt zu erkennen, über die wir nicht hinaussehen können, keine zeitlose Innenwelt und keine raumlose – und über den indirekten Umweg, dass „alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Dinge zum Gegenstande haben, oder nicht, doch an sich selbst, als Bestimmungen des Gemüts, zum inneren Zustande gehören“ (KrV, B 50/A 34), der wiederum unter die „Bedingung […] der Zeit gehört“ (ebd.), auch keine zeitlose – Außenwelt. Realiter ist der Raum und ist die Zeit durch die Materie bzw. präziser gesagt: durch die Verhältnisse der Gravitationspotentiale der einzelnen, materiellen Dinge untereinander gekrümmt, idealiter aber, im imaginativen Grund- und Grenzfall der reinen, materielosen Anschauung, sind sie notwendig euklidisch verfasst. Doch sind damit nicht, wie Kant sich in polemischer Abgrenzung ausdrückt, „die Sätze der [reinen; ds] Geometrie […] Bestimmungen eines bloßen Geschöpfs unserer dichtenden Phantasie“ (Prol., A 59 [= AA IV, 287])? Nein. Sie geben haben, nicht. Dass wir von der Euklidizität unserer Imagination in dieser Weise abstrahieren können, bedeutet jedoch nicht die Unwesentlichkeit derselben, nicht, dass sie sich etwa auch umgekehrt aus einer nicht-euklidischen Geometrie, unter Abstraktion von deren wesentlichen, mit der Nicht-Gültigkeit des Parallelaxioms verbundenen Eigenschaften, allererst imaginativ konstruieren lassen könnte (wenngleich eine gegenseitige Übertragung rein rechnerisch, glauben wir, wie billig, den Männern und Frauen vom Fach, offenbar möglich ist, sie in dieser Hinsicht also als gleichwertig zu bezeichnen sind). Keines der einschlägigen Modelle kommt darum herum, von der euklidischen Raumanschauung auszugehen, um darin eine nicht-euklidische Raumstruktur konstruieren zu können.
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die Struktur der realen – und jeder möglichen – Raumzeit durchaus wieder, nur eben in Abstraktion von der Masse, die sie de facto krümmt. Dies wiederum bedeutet nicht, dass der Raum (bzw. die Zeit) eine empirische Vorstellung sei, die „von äußeren Erfahrungen abgezogen worden“ (KrV, B 38/A 23), kann es auch gar nicht bedeuten, jedenfalls nicht ihrem Ursprung nach, sondern er (sie) steht demungeachtet in seinem (ihrem) Recht als notwendiges Mitbringsel unserer Subjektivität zu jeder möglichen äußeren (und inneren) Anschauung. Nur in der Meinung, „daß alle äußere Gegenstände unsrer Sinnenwelt notwendig mit den Sätzen der [reinen; ds] Geometrie nach aller Pünktlichkeit übereinstimmen müssen“ (Prol., A 60 [= AA IV, 287]), müssen wir Kant ein klein wenig korrigieren, die hierfür nötige Unterscheidung zwischen empirischem und transzendentalem Raum bzw. empirischer und transzendentaler Hinsicht auf den Raum (Entsprechendes gilt für die Zeit) stellt er in seinen Metaphysischen Anfangsgründen jedoch selbst bereit. Der Raum ist demnach einerseits die apriorische Vorbedingung aller möglichen äußeren Anschauung – und damit auch aller möglichen äußeren Gegenstände –, andererseits ist er das empirische Resultat der Gegenstände, die in ihm erscheinen, und der Kräfte, die darin wirken. Man kann auch sagen: Die materiellen Gegenstände verleihen dem Raum, der ihnen empirische Realität verleiht, ihrerseits empirische Realität und über diesen Umweg realisiert sich der Raum selbst. Sowie jedenfalls, wie er als Empfindbares, Reales betrachtet wird, weist er an sich selbst Krümmungen auf, die er unter Abstraktion von der Realität der Gegenstände in ihm – und damit seiner eigenen – nicht aufweisen kann. Fassen wir zusammen: Dass die Apriorizität der Raumvorstellung ungeachtet der Materialität des realen Raumes gewahrt bleibt, zeigt sich daran, dass – gemäß dem ersten Raumargument – diese Abstraktion möglich ist, die umgekehrte jedoch (äußere Gegenstände unter Abstraktion des Raumes) nicht. Damit, dass die erstere der beiden Abstraktion auch nötig ist, um eine pünktlich euklidische Raumstruktur zu erhalten, hat Kant offenbar nicht gerechnet. Aber das war es denn auch schon mit der Korrektur. (Analoges gilt für die Zeit.) Wir können folgern: (14.13) Kants Lehre von Raum und Zeit ist mit der Raum-Zeit-Lehre der Allgemeinen Relativitätstheorie vereinbar.3
3 Koch
meint, Kants Theorie mit seinen Überlegungen, die ideale Raum-Zeit der Imagination als transzendentale, euklidische Grundstellung im Gegensatz zur nicht-euklidisch verfassten realen Raum-Zeit modifiziert zu haben, sodass die „transzendentale Ästhetik widerspruchsfrei mit der allgemeinen Relativitätstheorie und ebenso mit der Quantenphysik vereinbar“ (Koch 2016a, S. 63) würde. Die meinerseits mit Schneider und auf Basis
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Ungeachtet der – von der Physik zu beantwortenden – Frage nach der Beschaffenheit des realen Raum-Zeit-Systems können wir also den im vorigen Kapitel bereits dargelegten Raum- und Zeitargumenten folgen und somit der Kantischen Lehre gemäß festhalten: (14.14) Der Raum ist die subjektiv formale Vorbedingung des äußeren und die Zeit die subjektiv formale Vorbedingung des äußeren wie inneren Sinnes.
einiger Textbelege aus den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft angestellten Überlegungen legen nahe, dass es einer solchen Modifikation überhaupt nicht bedarf, dass vielmehr die Abkehr von der Annahme der euklidischen Struktur der realen Raum-Zeit, auch, wenn Kant sie seinerzeit nicht selbst erwogen hat, problemlos in sein philosophisches System eingebettet werden kann. In privater Korrespondenz hat Koch sich gegenüber dieser Deutungsmöglichkeit offen und von ihr angetan gezeigt, ohne dabei doch von seiner Ansicht abzuweichen, dass in jedem Fall nicht weiterhin mit Kant von der transzendentalen Idealität und – damit – bloß empirischen Realität der Raum-Zeit ausgegangen werden könne, sondern erstere konsequent in den Bereich der Imagination wandern und letztere als eine Realität simpliciter begriffen werden müsse, ohne Zusatz und (damit) ohne unbestimmbare, ideale Gegenseite. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Punkt überhaupt recht verstehe. Transzendentale Idealität kommt einem Vorstellungsgegenstand nach meinem Verständnis nur insofern zu, als dadurch bedeutet werden soll, dass es sich nicht um einen an-sich-seienden Gegenstand handelt. Daher scheint mir, dass etwa im Fall des Raums der empirische, empfindbare und de facto nicht-euklidische Raum durchaus transzendental ideal genannt zu werden verdient, insofern nämlich, als er – wie alle anderen Gegenstände auch – keinen an-sich-seienden Gegenstand darstellt, sondern bloß unbestimmterweise, rein in abstracto, auf einen solchen verweist. Der Raum als reine Anschauungsform ist die transzendentale Möglichkeitsbedingung von Erfahrung, deren Voraussetzung uns die begriffliche Auftrennung zwischen empirischer Realität und transzendentaler Idealität ermöglicht, die aber selbst weder das eine noch das andere, weder empirisch real noch transzendental ideal ist. Für sich genommen ist der Raum als reine Form aller äußeren Anschauung neutral gegenüber allfälligen Krümmungen, Streckungen und Stauchungen und daher notwendig euklidisch verfasst. In dieser Weise aber tritt er de facto nie und nirgends auf. Auftreten, realisiert sein kann er bloß in Abhängigkeit von der Materie, die ihn erst „zum Gegenstande der Sinne und zum Object möglicher Warnehmungen“ (AA XXII, S. 437) macht und ihn, wie wir heute wissen, sogleich verunreinigt, indem sie ihn krümmt, streckt und staucht. Hierin befinde ich mich, wenn ich es recht sehe, mit Koch in Übereinstimmung. Nur würde ich den reinen Anschauungsraum, für sich genommen, nicht als transzendental ideal begreifen, sondern bloß als transzendental(e Möglichkeitsbedingung von Erfahrung), und – im Sonderfall der masselosen Imagination – als ideal (e Grundstellung, von welcher er als realer materiebedingt abweicht). Transzendental ideal wird der Raum erst, indem er materiebedingt empirisch realisiert, damit aber
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Und entsprechend: (14.15) Die Gegenstände unserer Sinne sind keine An-sich-Seiende, sondern bloße Erscheinungen in Raum und Zeit.4
Dass der subjektive Ursprung von Raum und Zeit, als transzendentalen und formalen Vorbedingungen der Anschauung, der Objektivität der Gegenstände in ihnen keinen Abbruch tut und der Umstand, dass wir dieselben ihrem An-sich-Sein nach nicht erkennen können, nicht auf eine ‚noch wirklichere‘ oder ‚wahre Objektivität‘ verweist, ergibt sich zum einen aus dem bereits Gesagten – bloß eingebildete Gegenstände könnten die reale Raumzeit (die ihrerseits von jener ursprünglich subjektiven Voraussetzung zehrt) nicht durch ihre Masse krümmen – und wird im Übrigen Thema der Kapitel 16 und 17 sein, die uns schließlich auch wieder auf unsere Frage nach dem Wie der Vereinbarkeit zwischen Freiheit und naturgesetzlichem Determinismus zurückführen werden. Doch nun zu dem zweiten Problem, das wir uns für dieses Kapitel vorgenommen haben. Wirft man einen Blick in den § 18 der Prolegomena, mag man den scheinbar unmissverständlichen Eindruck gewinnen, Kant würde die Objektivierung von Wahrnehmungsinhalten entgegen dem im vorigen Kapitel Behaupteten als eine nachträgliche Leistung begreifen: „Empirische Urteile, so fern sie objektive Gültigkeit haben, sind Erfahrungsurteile; die aber, so nur subjektiv gültig sind, nenne ich bloße Wahrnehmungsurteile. Die letztern bedürfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt. Die erstern aber erfordern jederzeit, über die Vorstellungen der sinnlichen Anschauung, noch besondere im Verstande ursprünglich erzeugte Begriffe, welche es eben machen, daß das Erfahrungsurteil objektiv gültig ist. Alle unsere Urteile sind zuerst bloße Wahrnehmungsurteile: sie gelten bloß vor uns, d.i. vor unser Subjekt, und nur hinten nach geben wir ihnen eine neue Beziehung, nämlich auf ein Objekt, und wollen, daß es auch vor uns jederzeit und eben so vor jedermann gültig sein solle“ (Prol., A 78 [= AA IV, 298])
Wolfgang Wieland konstatiert entsprechend, dass das Wahrnehmungsurteil, „in der Sprache der Kritik […] [ein; ds] bloßes Vorstellungsverhältnis[,] allenfalls eine Vorstufe des eigentlichen, des objektbezogenen Urteils im engeren Sinn des ipso facto nicht mehr bloß reine Anschauungsform, sondern selbst auch Gegenstand der Anschauung ist. 4 Vgl. Prol., A 59 [= AA IV, 287]: „[D]aß unsre sinnliche Vorstellung keineswegs eine Vorstellung der Dinge an sich selbst, sondern nur der Art sei, wie sie uns erscheinen.“
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Wortes darstellt“ (Wieland 2001, S. 98). Nun droht aber die Gefahr, dass mein Selbst sich so „vielfärbig“ gestaltet, „als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin“ (KrV, B 134), nicht etwa nur bei manchen Urteilen und bei anderen nicht. Es muss Ein „Selbstbewußtsein“ (KrV, B 132) sein, welches qua einer ursprünglichen Synthesis die „durchgängige Identität der Apperzeption, eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen“ (KrV, B 133) stiftet, andernfalls zerfiele unser Bewusstsein in jede einzelne, unterschiedslose Wahrnehmung sensorischer Eindrücke, die es je gegenwärtig hat bzw. dann vielmehr ist. So aber jene Einheit mit einer Subjekt-Objekt-Distanzierung einhergeht, diese aber als Urteilsleistung denkseitig einer logischen Einrahmung bedarf, die weltseitig als kategoriale Einrahmung der Erfahrungsgegenstände begriffen werden muss – so in nuce die Argumentationsstrategie Kants in seiner Kategoriendeduktion –, gibt es keinen Grund, von einem möglichen Urteil auszugehen, welches ein sinnlich Mannigfaltiges zu einer Einheit verbindet, die noch nicht unter den Kategorien steht. Es gilt eben, dass „[a]lle sinnlichen Anschauungen […] unter den Kategorien [stehen]“ (KrV, B 143), wie Kant bereits am Ende des ersten Beweisschrittes seiner Deduktion schließt.5 Dass Kant nun in den Prolegomena bemerkt, dass Wahrnehmungsurteile „nur der logischen Verknüpfung“ bedürfen, nicht aber eines „reinen Verstandesbegriffs“, außerdem „[a]lle unser Urteile zuerst bloße Wahrnehmungsurteile“ seien, denen „[wir] nur hinten nach […] eine neue Beziehung, nämlich auf ein Objekt [geben]“, wirkt vor diesem Hintergrund irritierend. Denn wenn alle Anschauungen unter den Kategorien stehen, dann natürlich auch alle Urteile, „die der Verstand [dann bloß scheinbar; ds] lediglich aus Anschauungen macht“ (Prol., A 87 [= AA IV, 304]). Es ist ja gerade die Pointe (des ersten 5 Vgl.
auch Ginsborg 2006, S. 63, 64: „[…] Kant […] does not want to say that the role of the categories, and more generally the understanding, is restricted to what we would pretheoretically regard as the making of a judgment as opposed to the having of a perception; rather, unterstanding is required for perception itself“ – Ginsborg spielt hier auf unser vortheoretisches Verständnis von einem Urteil an, dem zufolge wir zunächst nur mit Wahrnehmungen konfrontiert sind, die uns zur Beurteilung anstehen, wobei es uns freisteht, das Wahrgenommene per Urteil zu objektivieren oder im bloß subjektiven Wahrnehmungszustand zu verharren, das auch Ginsborg für sowohl interpretatorisch wie auch sachlich falsch hält. Auch Willaschek (1997, S. 558, 559) teilt diese Ansicht: „Anschauungen allein verfügen […] noch gar nicht über einen intentionalen Gegenstandsbezug. Sie sind vielmehr dasjenige, was in Verbindung mit einem Begriff die intentionale Bezugnahme auf Einzeldinge ermöglicht. Dies erklärt auch Kants andernfalls unnötig umständliche Redeweise, Anschauung sei das, wodurch sich eine Erkenntnis auf Gegenstände bezieht (A 19/B 33) oder wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird (ebd.; vlg. A 50/B 74). […] Selbst die undifferenziertesten und begrifflich am wenigstens bestimmten Wahrnehmungen, die sich uns als Vorstellungen von einem Gegenstand präsentieren, gehen demnach bereits auf eine Verbindung von Anschauungen und Begriffen zurück“ (Herv.: Willaschek).
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Beweisschrittes) der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, dass „das empirische Bewußtsein eines gegebenen Mannigfaltigen Einer Anschauung“ (KrV, B 144) – oder „die Anschauung, deren ich mir bewußt bin, d.i. Wahrnehmung (perceptio)“ (Prol., A 81 [= AA IV, 300]) – „unter einem reinen Selbstbewußtsein a priori […] stehe“, eine Unterstellung, welche „durch die Kategorie“ (KrV, B 144) geleistet wird. Ich bin daher geneigt, das Wahrnehmungsurteil, so es, wie Wieland sich ausdrückt, „keinen Anspruch [erhebt], der über die Faktizität des aktuellen Urteilens hinausweist“ (Wieland 2001, S. 98), vielmehr als eine nachträgliche Schwund-, denn als eine „Vorstufe des […] objektbezogenen Urteils“ (s. o.) zu begreifen. Der Akt der objektivierenden Synthesis steht uns als ursprünglicher und (selbst-)bewusstseinskonstitutiver nicht frei zur Disposition. Ohne die durch ihn erfolgende Distanzierung der je Vorstellenden von dem je Vorgestellten gäbe es schlichtweg kein vorstellendes Bewusstsein, das von sich selbst wüsste, d. h. kein Selbstbewusstsein. Diese Distanzierung von einem Vorgestellten – und damit sogleich auch Bezugnahme auf es – kann zu keinem selbstbewussten Zeitpunkt erst noch anstehen oder rückgängig gemacht worden sein, sondern höchstens, im Bewusstsein der je eigenen Fehlbarkeit, in den Stand der Urteilsenthaltung gebracht werden, nachdem man aber schon – vorläufig – dies und jenes geurteilt und die damit verbundene Objektivierung dann in vielleicht lobenswerter Vorsicht eingeklammert, nicht aber völlig rückgängig gemacht hat. In jedem Fall handelt es sich bei dem Rückzug auf den eigenen Wahrnehmungszustand, wie Wieland richtig konstatiert, um ein Urteil, das als solches „stets singulär[…], positiv[…] und präsentisch[…]“, außerdem „noch nicht einmal negationsfähig“ ist, und daher um ein „monovalente[s] Gebilde, […] [dessen] Wahrheit schon durch […] [seine] Faktizität verbürgt wird“ (Wieland 2001, S. 99). Wenn ich urteile, dass ich, der ich einen Laptop mit Bildschirm vor mir auf meinem Schoß wahrnehme, auf diesem wahrgenommenen Bildschirm deutschsprachige Schriftzeichen wahrnehme, dann drückt dieses Urteil ipso facto eine Wahrheit aus, gar eine, die ich in unfehlbarer Weise weiß. Ob dort wirklich Schriftzeichen zu finden sind und ob sie deutschsprachig sind etc., lasse ich dabei dahingestellt. Ich meine dann nur, dass ich unter dem Wahrnehmungseindruck stehe, dass dem so ist, dass es mir, um in Kochs Duktus zu sprechen, so scheint, als sei dort ein Bildschirm, auf dem deutschsprachige Schriftzeichen abgebildet sind – es könnte aber auch nur ein Zigarre paffender Bär sein, der da auf meinem Schoß sitzt.6 Der Schein mag trügen, der Schein aber, dass mir so scheint, ist per se untrüglich. 6 Vgl.
Koch 2006, S. 206 ff., wo selbiger verschiedene Aspekte und Weisen der Athese entfaltet und dabei unter anderem – und nicht zufällig auch aus demselben Grund, nämlich die Unmöglichkeit (für uns), in strikt nicht-objektivierenden Sinne noch bei
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Wenn Kant aber meint, wir würden unseren zunächst bloß subjektiv gültigen Wahrnehmungsverknüpfungen „nur hinten nach […] eine neue Beziehung, nämlich auf ein Objekt, [geben]“ (s. o.), dann liegt in seinem eigenen Sinne viel daran, dies auf eine Weise zu deuten, die der Unumgänglichkeit der Fundamentalobjektivierung für uns – und alle selbstbewussten Wesen, bei denen Verstand und Sinnlichkeit auseinanderfallen – nicht in den (theoretischen) Rücken fällt. Wenn von einem vorgängigen, vor aller Objektivierung aktualisierten urteilenden Bewusstseinszustand die Rede sein können soll, dann muss es sich – strukturanalog zum Fall der Bezugnahme auf noch nicht synthetisierte Sinnesdaten – bei diesem Zustand um einen solchen handeln, der sich außerhalb des Rahmens dessen befindet, was einem Wesen mit Selbstbewusstsein zu demselbigem stehen kann.7 Selbstverständlich gibt es übrigens Bewusstseinszustände, durch die nicht objektiviert wird, entweder weil die Objektivierung in athetischer Vorsicht zurückgestellt wird oder weil, wie es bei Gefühlen der Fall ist, das Vorgestellte einer Objektivierung überhaupt nicht fähig ist. Doch müssen sowohl die deobjektivierende Athese als auch Gefühlszustände stets in einen objektivierenden Rahmen eingebettet sein. Selbst die allumfassende Deobjektivierung, etwa als ein Cartesisches vollziehendes Erwägen der Möglichkeit, den eigenen – mutmaßlichen – Wachzustand als einen Traum zweiter (dritter, vierter, …) Ordnung zu begreifen, bleibt angewiesen auf eine vorgängige und in der Athese nicht etwa völlig (Selbst-)Bewusstsein zu sein – ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass das, mit Koch zu sprechen, „athetische Bewußtsein der Epoché […] insofern nachträglich und unselbständig [ist], als es durch Abstraktion von unseren Objektivitätsansprüchen gewonnen wird aus dem vorausgesetzten gewöhnlichen Wahrnehmungsbewußtsein, in dem wir uns auf objektive, öffentliche Dinge und Ereignisse beziehen“ (a. a. O., S. 228). Wobei in Hinblick auf mögliche terminologische Verwirrungen anzumerken ist, dass Koch, wenn er von einem „gewöhnlichen Wahrnehmungsbewußtsein“ oder von „Wahrnehmungsurteile[n]“ (a. a. O., S. 206) spricht, etwas anderes, objektiveres darunter versteht als Kant, dem Wahrnehmungsurteile „nur eine Beziehung zweener Empfindungen auf dasselbe Subjekt [ausdrücken], nämlich mich selbst, und auch nur in meinem diesmaligen Zustande der Wahrnehmung“ (Prol., A 80 [= AA, 299]). Kant würde das, was Koch „Wahrnehmungsurteile“ nennt, wohl „Erfahrungsurteile“, und das, was Koch „athetische[s] Bewußtsein“ nennt, „Wahrnehmungsurteile“ nennen. 7 Vgl. auch Prauss 1971, der dort eine ausführliche Analyse des Wahrnehmungsurteils als „Verscheinungsfunktion“ (a. a. O., S. 253) – also als Fälle von „Mir scheint, dass…“Urteilen – anbietet und sie dabei in „unlösbarer Abhängigkeit von Erfahrungsurteilen“ begreift, da nun einmal, wie auch Prauss konstatiert, „alle Erscheinungen oder Wahrnehmungen, von denen sie jeweils handeln, nach Kant in einer Weise zur Gegebenheit gelangen müssen, in der sie von vornherein eine den Kategorien gemäße Beschaffenheit erlangen“ (ebd.).
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bei Seite gelassene, sondern bloß eingeklammerte Objektivierung. Wenn wir träumen, wissen wir zwar in der Regel nicht, dass wir träumen, sondern meinen, zu wachen. Und wenn dies, dann mag auch unser mutmaßliches Wachen, das wir im Vergleich zu unserem vormaligen, nächtlichen Traum als ein solches interpretieren, wiederum nur ein Träumen sein. Doch der vermeintlich zulässige Schluss darauf, dass es dann auch gar kein wirkliches Erwachen geben könnte, sondern wir uns in einer bodenlosen Abfolge aus Träumen in Träumen in Träumen usf. befinden könnten, geht fehl. Zwar mag es wohl sein, dass ich hier und jetzt träume. Doch gegen eine bodenlose Traum-im-Traum-Szenerie spricht die Unumgänglichkeit der objektivierenden Synthesis. Eine je mir bewusste Vorstellung, träumend oder wachend, falsch oder wahr, stellt, wie wir gesehen haben, letztlich einen Fall der Subjekt-Objekt-Distanzierung dar und muss sich als solche am Ende – auch an dem einer möglichen Kette von Träumen – auf ein reales Objekt beziehen. Diesem Umstand entspricht denn auch unser gewöhnliches Verständnis davon, was ein Traum ist, nämlich eine ungewöhnliche Verarbeitung von im Wachzustand Objektiviertem. Wer sich also bei – mutmaßlich – vollem Bewusstsein die Möglichkeit vor Augen hält, sich samt und sonders in einem träumenden Schein zu befinden und sich daher hinsichtlich jeglicher Objektivierung in athetischer Weise zurückhält, ist dabei auf eine vorgängige Objektivierung angewiesen, aus der sich der Anschein, unter dem er (oder sie) steckt, speist und von der er (oder sie) auch weiß. „Nur dem“, können wir mit Koch schließen, „der objektives Wissen hat, kann etwas der Fall zu sein scheinen“ (Koch 2006, S. 212) – andernfalls müssten wir „ein so vielfärbiges verschiedenes Selbst haben, als […] Vorstellungen“ (KrV, B 134), welche Möglichkeit es tunlichst auszuschließen gilt und die zu unserem Glück aus den angeführten Gründen auch immer schon ausgeschlossen ist, sobald wir uns eine Vorstellung, als Bewusstseinszustand, selbst zuschreiben können (welcher Möglichkeit wir uns jederzeit und umstandslos vergewissern können, schlicht, indem wir die Selbstzuschreibung vollziehen). Obwohl der Wortlaut der Prolegomena allem Anschein nach eine andere Sprache spricht, kann es ein Wahrnehmungsurteil im Sinne Kants also lediglich in Form einer nachträglichen Deobjektivierung und ansonsten nur als bloß gedachte Projektion hinter unseren (selbst-)bewussten Rücken geben.8 Der Verstand, der 8 Mein
Dank geht in diesem Punkt an Koch, der mir in privater Korrespondenz die Möglichkeit eröffnet hat, die von Kant der Rede nach ausgedrückte Vorgängigkeit der Wahrnehmungsurteile als eine abstraktive Rückprojektion zu deuten. Nicht erst in den Prolegomena, sondern auch schon in der Kritik spricht Kant im Übrigen bisweilen so, als würde er die Objektivierung qua reiner Verstandesbegriffe als einen nachträglichen – und daher in gewissem Sinne nicht notwendigen – Akt halten, etwa KrV, B 123/A 90–91,
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als das „Vermögen zu urteilen“ (KrV, B 94) in keinem Urteil völlig fehlen darf, ist in ihnen über die logischen Urteilsfunktionen nur in einer Schwundstufe aktiv und selbst in dieser Funktion ist ihm die Kategorialität seiner Gegenstände im Prinzip bewusst. Er sieht von ihr nur in abstracto ab, als ob er – und dies gilt für beide der genannten Fälle – nicht immer schon in der objektivierenden Synthesis stünde, sobald er sich mit einem Anschauungsmannigfaltigen konfrontiert sieht.9 Wir dürfen schließen: (14.16) Aus der Notwendigkeit der Möglichkeit der Ich-denke-Begleitung ergibt sich die Nachträglichkeit des Wahrnehmungsbewusstseins (und im Übrigen auch aller sonstigen athetischen, z. B. enthaltenden oder zweifelnden, Bewusstseinszustände) gegenüber dem objektivierenden Bewusstsein.
Träume ich etwa, dass meine Füße sechs Zehen haben, meine Haut grün ist und mein Kopf dreieckig, so stellt dies nur auf den ersten Blick eine völlig andere Welt dar als die – angenommen – wirkliche, in der ich fünf Zehen habe, meine Haut weiß und mein Kopf eher rundlich ist, da ich immerhin weiß, was ein Kopf, ein Fuß und ein Zeh, was Haut und was grün ist (und noch vieles mehr). Und sollte es sich bei der hier angenommenen Wirklichkeit in Wahrheit auch nur um eine weitere Traumwelt handeln, so wird diese ihrerseits von einer Wirklichkeit zehren müssen, die, welche es auch sei, nicht bloß – am Ende aller Träume – existieren,
wo er im Vorgang zur Deduktion für den Fall, dass „Erscheinungen so beschaffen“ seien, „daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände, und alles so in Verwirrung läge, daß z. B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich nichts darböte, was eine Regel der Synthesis an die Hand gäbe, und also dem Begriff der Ursache und Wirkung entspräche“, meint, dass „Erscheinungen […] nichts destoweniger unserer Anschauung Gegenstände darbieten [würden]“, da „die Anschauung […] der Funktionen des Denkens auf keine Weise“ bedürfe. Auch dies müsste denn in der beschriebenen Weise gedeutet werden, nämlich so, dass derartig sich uns Darbietendes jedenfalls uns nicht als Gegenstand zu Bewusstsein stehen könnte. 9 Vgl. wiederum hierzu auch KrV, A 112: „So ist der Begriff einer Ursache nichts anders, als eine Synthesis (dessen, was in der Zeitreihe folgt, mit anderen Erscheinungen) nach Begriffen, und ohne dergleichen Einheit, die ihre Regel a priori hat, und die Erscheinungen sich unterwirft, würde durchgängige und allgemeine, mithin notwendige Einheit des Bewußtseins, in dem Mannigfaltigen der Wahrnehmungen, nicht angetroffen werden. Diese würden aber alsdenn auch zu keiner Erfahrung gehören, folglich ohne Objekt, und nichts als ein blindes Spiel der Vorstellungen, d.i. weniger, als ein Traum sein“. Weniger als ein Traum wäre ein solch blindes Spiel, weil wir uns auch träumend noch unserer selbst bewusst sind, ja sein müssen, da wir andernfalls einen Traum, als eine oftmals zwar verwirrende, immer aber einheitliche (Fehl-)Erfahrung überhaupt nicht haben könnten.
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sondern die uns auch in ihren wesentlichen Zügen oder zumindest gerade insoweit bekannt sein muss, als wir sie träumend umgestalten, in Kochs Worten: „Wie unsere Träume von der Wachwelt zehren und viel Wahres über sie enthalten (etwa daß es phänomenale Farben gibt), so muß auch unser Wachbewußtsein, selbst wenn es uns in vielem systematisch täuschen sollte, grundsätzlich Wahres enthalten.“ (Koch 2006, S. 212)
An diesen Überlegungen zeigt sich im Übrigen, wie tief eine philosophische Wahrheitsskepsis zu greifen hätte. Sie hätte sich nicht bloß gegen die Möglichkeit (wahrer) thetischer, sondern auch gegen die athetischer Bewusstseinszustände zu wenden, nicht bloß Behauptung und Leugnung, sondern auch Schein, Enthaltung und Zweifel aus ihrem Begriffsschatz streichen, d. h. sich entweder – am Zweifel zweifelnd – in einen Widerspruch verwickeln oder in der Weise dessen, der die klassische Logik ablehnen will, wie Quine in seiner Philosophy of Logic zeigt, das Thema wechseln. Denn der Modus, in dem der Zweifel angegangen werden müsste, müsste sich der Sprache verweigern, in der das Anzugehende formuliert ist, so wie, wer den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch negiert und ‚wahre‘ Widersprüche zulässt, unter „Negation“ etwas anderes verstehen müsste als der, der dies nicht tut – daher gilt für den abweichenden Logiker, wie Quine meint: „[W]hen he tries to deny the doctrine he only changes the subject“ (Quine 1986, S. 81). Allerdings gilt auch umgekehrt, dass die Anklage dessen, der die Möglichkeit des Zweifels preisgibt, nicht in der Sprache formuliert werden kann, die den Zweifel (und damit die Objektivität) für sich bewahrt, so wie der, der die Folgen einer Ablehnung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch abschätzen möchte, diese nicht ad absurdum führen kann, indem er beklagt, dass dann alle Sätze wahr sein müssten – daher gilt für beide, den abweichenden Logiker wie dessen Kritiker: „[N]either party knows what he is talking about. They think they are talking about negation, ‘ ~ ’, ‘not’; but surely the notation ceased to be recognizable as negation when they took to regarding some conjunctions of the form ‘p. ~ p’ as true, and stopped regarding such sentences as implying all others.“ (ebd.)
Das heißt, der Freund der klassischen Logik hat zwar vollkommen Recht in seiner Folgerung, dass, wer auch nur einen wahren Widerspruch zulässt, alle Sätze für wahr halten muss, allerdings nur unter Zugrundelegung der klassischen Logik, die er verteidigt und die sein Gegenspieler gerne ablehnen würde. Daher können wir durch unsere These (14.16) die Position des Skeptikers auch nicht als widerlegt
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ansehen, da wir ihn gar nicht mit unseren Mitteln tangieren können – er uns indessen allerdings auch nicht, nur wir uns im Zweifel selbst, falls wir uns aufgrund der Dysfunktionalität unserer Ansprüche zum Sprach- bzw. Themawechsel gezwungen sehen müssten. (Allerdings stellt sich dann die Frage, wie dies im bewussten Vollzug möglich sein und wie sich der Wechsel dann, wenn er vollzogen wurde, als Wechsel feststellen lassen soll.)
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Wir gedenken, beim Thema – epistemisches Gebaren, wie wir es kennen, d. h. inklusive der (sinnvollen) Möglichkeit deobjektivierenden und, daraus folgend, der Grundständigkeit objektivierenden Bewusstseins – zu bleiben. Einer der wesentlichen Züge unseres objektivierenden Bewusstseins, und damit der Objekte selbst, ist Kant zufolge bekanntlich die der kausalen Strukturierung bzw., weil sie immer schon vollzogen ist, die der durchgängigen kausalen Strukturiertheit der Erscheinungen, mit anderen Worten: Der naturgesetzliche Determinismus.1 Wir haben diese Position bislang ohne Argument angenommen und werden auch weiter so verfahren, gemessen zumindest an den strengen Maßstäben, die an eine Beweisführung im eigentlichen Sinne anzulegen wären, worunter vor allem gehört, dass sie sich wider die grundsätzliche Wahrheits- und Objektivitätsskepsis abzusichern vermag. Aber wir wollen in der Folge wenigstens zeigen, dass genau eine solche Skepsis die Folge davon wäre, den naturgesetzlichen Determinismus abzulehnen. Zum Gegenpol unserer Überlegungen wird uns Keil dienen, der sich dafür einsetzt, dass eine, wie Keil seine eigene Position nennt, „Gesetzesskepsis“ (Keil 2012, S. 237) keine grundsätzliche Skepsis nach sich zieht, und zwar wie folgt: „In der Sache erscheint die Befürchtung, dass jedes Abgehen vom deterministisch verstandenen Kausalprinzip einheitliche Naturerfahrung unmöglich machen würde, als übertrieben. Freilich darf es in der Welt nicht völlig chaotisch zugehen, aber es steht nicht Ordnung gegen Chaos, wie Kant suggeriert, sondern es 1 Zu
einer Reflexion darüber, dass die durchgängige kausale Strukturiertheit der Erscheinungen womöglich auch nicht-deterministisch aufgefasst werden kann, vgl. meine Überlegungen zum Ende dieses Kapitels in Hinblick auf quantenmechanische Phänomene und deren Deutung. An der grundsätzlichen Argumentationsstrategie, die wir hier verfolgen, ändert sich dadurch nichts. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_15
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stehen ausnahmslose Regularitäten gegen begrenzte, störbare Regularitäten, und die Behauptung muss lauten, dass letztere für die Einheit der Erfahrung […] genügen. Offenbar genügen sie, denn es ist ja weniger eine philosophische These als vielmehr ein schwer zu leugnender Befund, dass es keine empirisch wahren Sukzessionsgesetze über tatsächliche Ereignisverläufe gibt und dass gleichwohl leidlich erfolgreich Naturwissenschaft betrieben wird“ (Keil 2012, S. 240, 241)
Zunächst ist zu bemerken, dass der „schwer zu leugnende[…] Befund“, von dem Keil in dieser Passage spricht, eigentlich nicht die Absenz von „wahren Sukessionsgesetze[n]“ betreffen kann, sondern nur die selbige von (All-)Aussagen „über tatsächliche Ereignisverläufe“ bzw. von der (auch unformulierten) Kenntnis von Sukzessionsgesetzen. Gesetze nämlich können nicht wahr (oder falsch) sein, sondern sie gelten (oder gelten nicht). Doch dies scheint mir nur eine terminologische Korrektur zu sein, der Keil sich nach meinem Verständnis vorbehaltlos anschließen könnte. Wir wiederum können uns dann seiner Diagnose ohne jeden Vorbehalt anschließen und sie sogar verstärken zu der Behauptung, dass es schwerlich je dazu wird kommen können, dass jemand Kenntnis von einem ausnahmslos gültigen Verlaufsgesetz erlangt. Wollten wir ein solches Gesetz formulieren, müsste es von der folgenden Art sein: (VG) Immer dann und nur dann, wenn ein Ereignis von der Art X geschieht, folgt daraus ein Ereignis von der Art Y.
Die Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben, hierfür wirklich passende Beispiele zu finden, sind offenkundig. Problematisch hierbei ist unter anderem die Anforderung, dass das Ereignis von der Art X nicht bloß hinreichende („Immer dann“), sondern auch notwendige („Nur dann“) Bedingung dafür zu sein hat, dass ein Ereignis der Art Y erfolgt. Doch auch wenn wir von diesem Problem für den Moment absehen und meinen, es genüge, nur eine Immer-dann-Relation zu behaupten, sehen wir uns vor große Hürden gestellt. Ad hoc möge uns der eine oder andere Kandidat einfallen, etwa (VG1 ) Immer dann, wenn ein Ereignis von der Art Regen stattfindet, folgt ein Ereignis von der Art Nässen
oder (VG2 ) Immer dann, wenn ein Ereignis von der Art Blitz stattfindet, folgt ein Ereignis von der Art Donnern
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Doch das Problem mit solchen Formulierungen ist, dass sie entweder zu unbestimmt sind, um tatsächlich reale Verhältnisse zu beschreiben, oder, bei entsprechender Präzisierung, für Gegenbeispiele (mehr oder weniger leicht) anfällig sind. Nicht jeder Regen irgendwo nässt überall und für alle Zeit alles, sondern ein Regen an einem gewissen Ort zu einer gewissen Zeit nässt, will mit (VG1 ) vermutlich gesagt sein, den Boden an demselben Ort zu derselben Zeit. Doch wiederum bedarf es der Präzisierung. Wenn es etwa jetzt, am 14. Juni 2019, hier in Mannheim regnet, dann wird der Boden unter meinen Füßen, der ich in meiner Wohnung sitze, (hoffentlich) nicht nass werden. „Alle nicht durch wasserdichte Materialien bedeckte Oberflächen an einem gewissen Ort zu einer gewissen Zeit werden immer dann nass, wenn es an demselben Ort zu derselben Zeit regnet“, mögen wir präzisieren, doch was ist, wenn der Regen unterwegs verdunstet? „… und der Regen nicht unterwegs verdunstet“, mögen wir erschöpft, aber siegessicher anfügen, doch ein Moment der Überlegung zeigt, dass zu einer (nicht bloß uns, sondern auch die Sache) erschöpfenden Formulierung noch mehr nötig wäre. Nicht bloß, dass wir jeden noch so unwahrscheinlichen Hinderungsgrund in Rechnung zu stellen hätten dafür, dass der Regen am Ende auch auf den entsprechenden Oberflächen ankommt, wir müssten auch die Hinderungsgründe selbst wiederum absichern gegen die Möglichkeit, dass sie, obwohl zunächst wirksam, wieder außer Kraft gesetzt werden, etwa indem das Wasser nach der Verdunstung wiederum kondensiert, und diese wiederum gegen eine Außerkraftsetzung ihrer usf. Und natürlich ist auch die Formulierung „an einem gewissen Ort“ bzw. „an demselben Ort“ (1) noch viel zu ungenau und (2) ebenfalls anfällig für ‚Störungen‘; der Wind mag den Regen, der genau über mir aus den Wolken bricht, einige Meter zur Seite tragen, wogegen sich wiederum durch eine entsprechende Ausschlussbedingung geschützt werden müsste, die ihrerseits abzusichern wäre gegen umkehrende Einflüsse usf. Auf dem eingeschlagenen Wege erhielten wir also einen Regress (oder gleich mehrere davon) aus „und-nichtes-sei-denn“-Bedingungen, den eine Ceteris-paribus-Klausel wie „… und sonst nichts geschieht“ nicht lösen, sondern nur verdecken würde und aus dem es auch sonst kein Entkommen zu geben scheint – es sei denn, wir lassen uns auf die explizite Formulierung von Ausschlussbedingungen gar nicht erst ein und versuchen uns darin, sie in einer gänzlich affirmativen Formulierung implizit abzudecken. Diese Formulierung könnte uns, wenn wir sie entsprechend präzise fassen, jenen Regress ersparen, doch das hierzu erforderliche Maß an Präzision würde zumindest die faktischen Grenzen unseres Fassungsvermögens übersteigen. Zu alledem kommt, dass wir das zu erklärende Konsequenz bislang noch recht unbestimmt gelassen haben. An demselben Ort, an dem es regnet, soll es nass werden, gemeint ist in der Regel etwas von dieser Art: „Mehr oder weniger in
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dem Bereich, der sich direkt unterhalb der Wolke befindet“. „Mehr oder weniger“ genügt jedoch nicht zur Formulierung einer Gesetzmäßigkeit, wenn wir aber genauer werden und den Umkreis festlegen wollen, ergeben sich wiederum neue Ausschlusskriterien auf der Seite des Antezedens und am Ende dürften wir es mit der Beschreibung eines ganzen räumlichen Quer- und zeitlichen Ausschnittes, als einem ‚Weltereignis‘, zu tun bekommen und die Formulierung einer hinreichenden ganz von selbst auch in die einer notwendigen Bedingung umschlagen. Doch diese letztere Überlegung beiseitegestellt, müssen wir, um der Anforderung Rechnung zu tragen, dass es sich um ein deterministisches Gesetz handeln soll, ohnehin eine Erklärung nicht bloß der Art „Immer dann, wenn ein Ereignis der Art X auftritt (usf.)“ geben, sondern eine der Art „Immer dann und nur dann, wenn ein Ereignis der Art X auftritt (usf.)“. Wir wollen unser ermüdendes Formulierungsspiel nicht von Neuem beginnen, klar ist, dass es ermüdend würde und das Ergebnis, falls überhaupt möglich, im Übrigen zumindest so komplex und zugleich spezifisch ausfallen, dass die Menge der Ereignispaare, die unter ein solches Gesetz fallen würden, denkbar überschaubar wäre.2 In der Ahnung all dieser Umstände ist das Interesse daran, eine solche Beschreibung zu finden, bei den meisten Menschen auch entsprechend gering. Selbst die Physik begnügt sich mit nicht-sukzessiven Erklärungen über „Koexistenzgesetze über Universalien, Aussagen über Kräftegleichgewichte und Erhaltungssätze“ (Keil 2007a, S. 939), wie Keil treffend feststellt.3 Doch Keils Schluss geht offenbar weiter, nämlich von der nicht existenten Kenntnis von allgemeinen und notwendigen Sukzessionsgesetzen auf eine Skepsis bezüglich der Existenz solcher Gesetze selbst. Sein hauptsächliches Argument für diese These besteht darin, dass der Umstand, dass wir nicht über eine entsprechende Kenntnis verfügen, uns sowohl im Alltag wie auch in der Wissenschaft gar 2 Vgl.
zu diesem letzten Punkt auch Davidson 2008 [14. Gesetze und Ursachen], S. 334– 335: „Die Verallgemeinerungen, auf die sich nicht nur das ungeschulte Kleinkind meistens verläßt, sondern auch unser erwachsenes Ich, sind auf ‚das Normale‘, ‚das Übliche‘ abgestimmt. […] Je präziser und allgemeiner die Gesetze, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, daß wir in der Lage sein werden, sie zur Vorhersage der Ergebnisse unserer normalen Handlungen oder des Wetters zu benutzen“. 3 Keil präzisiert dies am Beispiel des Newtonschen Gravitationsgesetzes: „Newtons Gravitationsgesetz besagt und impliziert nicht, dass jeder Körper, der aus einem Meter Höhe auf den Boden fällt, mit einer bestimmten Geschwindigkeit unten ankommt. Die meisten Körper fallen aufgrund von Kräfteüberlagerungen schneller oder langsamer und manche werden aufgehalten, bevor sie unten ankommen. Das Gravitationsgesetz wird durch diese Fälle nicht falsifiziert, denn es sagt überhaupt nichts darüber, was tatsächlich geschieht. Es ist kein Sukzessionsgesetz, sondern ein Koexistenzgesetz, das eine Aussage über das synchrone Verhältnis physikalischer Größen trifft“ (Keil 2012, S. 237).
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nichts ausmacht. In unserem alltäglichen Umgang mit den Begebenheiten in der Welt genügt uns die provisorische Unbestimmtheit, mit der wir die Dinge erfassen, völlig, um uns auf die ständigen Wechselfälle des Lebens jederzeit neu – und abermals provisorisch – einstellen zu können, und selbst die Wissenschaft begnügt sich, sobald es an die Umsetzung ihrer in der Theorie gewonnenen Erkenntnisse geht, bei aller Sorgfalt letztlich mit dem bloßen Ungefähr und dies immerhin erfolgreich genug, um Satelliten meist zielsicher ins All, Raketen auf den Mond und riesige, unterirdische Teilchenbeschleuniger in Gang zu bringen. Ganz und gar ungenügend hingegen wäre es, und an dieser Stelle kündigen wir Keil unsere Gefolgschaft, würden nicht bloß unsere Regularitätsbehauptungen, sondern auch die Regeln selbst, denen wir in einem solchen Ungefähr begegnen, von Ausnahmen betroffen sein. Wir können sagen „Die Regel ‚Wenn einer einen Schuss in den Hinterkopf bekommt, wird dies seinen Tod verursachen‘ ist von Ausnahmen betroffen“, doch wir können dies nur, weil wir von den Ausnahmen einen Begriff haben, d. h., weil wir sie selbst als Fälle einer anderen Regel behaupten könn(t)en, wobei uns wenigstens implizit klar sein muss, dass das, was wir als „Ausnahme von der Regel“ bezeichnen, eigentlich bloß unsere eigene Feststellung betrifft. Denn wenn jede Ausnahme von einer Regel, um als solche erkannt werden zu können, wiederum einer Regel unterliegen muss, die zwar ihre Ausnahmen hat, die aber wiederum etc., entzieht sich die Feststellung einer wirklichen, der Natur selbst anhaftenden Ausnahme- oder Störanfälligkeit – einer nicht-strikten Regelmäßigkeit – ins Unbestimmte. Dies gilt dann (aber auch ohnehin schon aufgrund der Natur des Empirischen) zwar auch für die Feststellung einer insgesamt strikten, ungestörten Regel-, d. h. Gesetzmäßigkeit. Doch ist eine Regel ohne Ausnahme im Empirischen zwar nicht zu finden, aber wenigstens denkbar, eine Ausnahme ohne Regel (die eine ‚echte‘, nicht unbestimmt weit in weitere Regularitäten verlagerbare Störung bedeuten würde) hingegen verschließt sich jedem Versuch, sie als eine solche zu begreifen, in sich selbst. Da aber eben dies, Ausnahmen ohne Regel, möglich oder wenigstens begreiflich sein müssten, um den Gedanken einer Regel mit Ausnahme nicht bloß der Rede, sondern auch der Sache nach verstehen zu können, kann es auch diese nicht und muss es also, soweit jedenfalls, wie unser Verständnis reicht, ausschließlich Regeln ohne Ausnahmen geben. Auch wenn wir die Regeln, unter denen die Begebenheiten stehen, nicht genau kennen, so stehen wir doch in der festen Erwartung, dass es welche geben wird, und zwar für jede noch so unmerkliche Regung der Härchen auf unseren Armen, Regeln, deren (Rück-)Verfolgung uns auf eine Ursache der je fraglichen Begebenheit führen würde, auch dann, wenn es sich bei ihr um eine solche Begebenheit
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handelt, die eine Ausnahme von einer bislang für ausnahmslos gültig befundenen Regel konstituiert (die wir dann offenbar nur nicht recht gefasst haben). Eingeschränkt wird diese Behauptung freilich durch den Umstand, den wir im vorletzten Kapitel (Kapitel 13) mit Kant herausgestellt haben, dass die Reihe der Kausalbedingungen nicht (vollständig) gegeben sein kann, sondern nur aufgegeben ist. Doch an der grundsätzlichen Idee ändert sich dadurch wenig, wir müssten nur präzisieren, dass die Rückverfolgung der Begebenheiten uns zwar nie auf eine vollständig bestimmte Ursache führen wird, es aber unser notwendiger Auftrag ist, der Idee einer solchen Ursache immer weiter nachzugehen (und uns außer Ermüdung und Tod auch nichts davon abbringen kann, dies zu tun). An dieser Stelle könnte man noch versucht sein, mit Keil einzuwenden, dass, sollte es auch keine ‚echten‘ Störungen geben, sondern alles, wie soeben von uns behauptet, (natur-)gesetzlich geregelt sein, daraus noch nicht die Annahme des Determinismus folge, und zwar wie folgt: „Ein Kausalgesetz erlaubt gemeinsam mit den Antezedensbedingungen den Schluss auf das Eintreten des Explanandums, aber Explanandum und Gesetz erlauben keinen Rückschluss auf das Vorliegen der Antezedensbedingungen. Das Explanandum hätte ja auch durch anderes verursacht werden können. In einer deterministischen Welt besteht diese Asymmetrie nicht; jeder beliebige Weltzustand ist gemeinsam mit den Naturgesetzen eine hinreichende Bedingung für jeden anderen, sei er früher oder später.“ (Keil 2007b, S. 85)
Doch es reicht nicht hin, Ursachen nur als hinreichende Bedingungen zu begreifen. Es gibt keine alternativen Ursachen für bestimmte Begebenheiten und auch nichts Überflüssiges an den tatsächlichen, wie wir mit Davidson an dem folgenden Beispiel sehen können: „Wir wollen annehmen, sagt Sosa [gegen den Davidson sich wendet; ds], daß jemand durch einen lauten Schuß getötet wird. In diesem Fall sei die Lautstärke des Schusses irrelevant dafür, daß er den Tod verursacht hat. […] [Hingegen gilt:; ds] Wäre das Gewehr mit einem Schalldämpfer ausgestattet gewesen, hätte ein leiser Schuß – wenn er ebenso gezielt und ansonsten in relevanter Hinsicht ähnlich ausgeführt worden wäre wie der tödliche – wohl einen Tod nach sich gezogen. Es wäre jedoch nicht derselbe Schuß gewesen wie der tödliche, und der dadurch verursache Tod hätte nicht derselbe Tod sein können.“ (Davidson 2008 [13. Denkende Ursachen], S. 310, Herv.: Davidson)
Der – unser – Begriff davon, was eine Ursache ist, verstattet keine Determinismus, oder jedenfalls, wie wir angesichts quantenmechanischer Phänomene womöglich
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in Rücksicht stellen müssen, keine Gesetzesskepsis (s. u.). Dass es keine unverursachten Begebenheiten geben kann, gälte es streng genommen freilich noch, wider den Skeptiker zu zeigen. Doch die Art von Skepsis, gegen die wir uns dabei zu wenden hätten, wäre nicht etwa die der Keilschen Gesetzes-, sondern eine fundamentale Objektivitäts- und Wahrheitsskepsis. Sicher würde Keil uns sofort und ohne Beweis zustimmen, dass es völlig unverursachte Ereignisse in der Welt nicht geben kann, gleichfalls solche, die gar keine Auswirkung(en) auf irgendetwas hätten. Wir wüssten gar nicht, was wir uns für einen Begriff von solchen Ereignissen zu machen hätten, da sie – in der fraglichen Hinsicht – völlig zusammenhanglos sein müssten. Sowohl das eine wie auch das andere könnte nicht Teil der Welt sein bzw. jedenfalls kein Teil derselben, auf den wir uns irgendwie – durch wahre oder falsche Meinungen – beziehen könnten. Wäre etwa der Gesang der Vögel draußen vor meinem Fenster ohne jede Wirkung, wäre er für mich, da er geschieht, als solcher gar nicht zu erkennen. Er müsste gleichsam in sich selbst zusammenbrechen, ‚verpuffen‘. Und wäre er ohne jede Ursache, würde er von der anderen Seite, im kausalen Vorgriff, nicht unter die möglichen zukünftigen Ereignisse gezählt haben und könnte entsprechend auch jetzt nicht unter die möglichen Geschehnisse zählen. Aus dem Hintergrund dieser Überlegungen hallt natürlich die bereits angesprochene Kantische Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich wider, daher wir jene mit Koch auch durch den Schluss zusammenfassen können, dass wenn „die sukzessiven Zustände der Weltsubstanz nicht einer den anderen nach strengen Gesetzen determinierten, wenn, mit anderen Worten, kein Determinismus der Weltzustände nach Naturgesetzen gälte, […] die Welt […] ein prinzipiell unerkennbares Ding an sich [wäre].“ (Koch 2006, S. 480)4
Jedenfalls, fügen wir hinzu, gilt dies insofern, wie die Welt absolut unverursachte oder absolut wirkungslose Begebenheiten enthalten würde. Keil versucht, diese 4 Die
letzten Auslassungszeichen verschleiern, dass Koch hier bloß das Problem des Rückbzw. Vorgriffs auf Vergangenes bzw. Zukünftiges thematisiert. Er tut dies vor dem Hintergrund, dass wir die jeweilige Gegenwart wahrnehmen können, während dem im Fall der Vergangenheit und der Zukunft nicht so ist und also, so wir uns auf ihn beziehen können sollen, „aus dem gegenwärtigen Zustand mittels inhaltlicher Schlußregeln, die die Zeitfolge betreffen, d. h. mittels Kausal- oder Naturgesetzen, erschlossen werden können“ (Koch 2006, S. 480) müssen. Doch wenn, wie ich zur Rechtfertigung der Auslassung hinzusetzen würde, allein unsere Gegenwart erkennbar wäre, wären wir in einem Gegenwartssolipsismus gefangen, der sich selbst schon deshalb unmöglich machen dürfte, weil unser jeweiliges Gegenwartsbewusstsein begrifflich davon zehrt, dass es eine Herkunft hat, und ansonsten immer schon in sich kollabiert sein müsste.
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Konsequenz zu umgehen, indem er der Welt, unter Beibehaltung ihrer Erkennbarkeit, kausal schwächer geordnet sieht als es der Determinismusthese gemäß der Fall sein müsste. Doch wir haben gesehen, dass eine solche Abschwächung nicht möglich ist, nicht, ohne damit den Begriff der Kausalfolge selbst unmöglich zu machen und damit einer Art von Skepsis Vorschub zu leisten, mit der letztlich niemand in Verbindung gebracht werden will, weil niemand versteht, was sie uns überhaupt zu sagen hätte (vgl. Kapitel 14). Nun scheint es aber, wie Beobachtungen aus dem Bereich der Quantenmechanik nahelegen, zumindest im mikrophysikalischen Bereich in der Tat indeterministisch zuzugehen und damit irreduzible, objektive Unbestimmtheiten zu geben. Andererseits spiegelt sich die Indeterminiertheit im Kleinen im Großen offenbar nicht ohne Weiteres wider, Tennis- oder Fußbälle verhalten sich nach allem, was wir wissen, wesentlich berechenbarer als Elementarteilchen. Die Unbestimmtheiten im Kleinen würden sich dann immerhin im Großen in Bestimmtheiten verwandeln (wie auch immer dies zugehen mag), sodass uns bei gewöhnlichen Bezugnahmen – auf makrophysikalische Objekte – nach wie vor nicht bange werden müsste. Doch wie kommt es zu dieser merkwürdigen Verwandlung? Sie müsste entweder aufgrund eines bloß quantitativen Unterschiedes (Zahl der Elementarteilchen) ein qualitativ Verschiedenes (Bestimmtheit gegenüber der Unbestimmtheit) hervorbringen, oder der Unterschied am Ende bloß quantitativ gedeutet werden, die Unbestimmtheit bloß kleiner geworden sein, ohne zu verschwinden, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass etwas vollkommen Unberechenbares geschieht, etwa der Laptop vor meiner Nase seine raum-zeitliche Stabilität verliert, obzwar ziemlich gering, immer noch vorhanden wäre.5 Im ersten Fall würde also eine Bestimmtheit auf der Makroebene gesetzt, aber nicht erklärt, und im anderen Fall würde etwas erklärt, das nur näherungsweise als Bestimmtheit zu fassen wäre – und ohnehin bliebe das Problem auf der Mikroebene nach wie vor bestehen. Es gibt aber auch eine determinismusverträgliche Deutungsvariante, auf die etwa Daumer (1995) hinweist, erarbeitet von Bohm (1952), nach der es auch auf der Mikroebene in nicht-probabilistischer Weise wohlbestimmt zugeht, wenn man von verborgenen Parametern ausgeht, die nicht-lokaler Natur sind und qua instantaner Fernwirkung – die nicht mit einer Ausbreitung mit 5 „[W]hat
is so special about macro-observables“?, könnte man auch mit Putnam 2005, S. 625 fragen, dem zufolge die klassische, sogenannte Kopenhagener Deutung eine Antwort auf jene Frage schuldig geblieben ist (vgl. ebd.) – vielleicht, indem sie sich mehr oder weniger auf die erste Variante, den qualitativen Sprung durch quantitative Unterschiede festgelegt hat, doch dies erwähne ich nur als lose Mutmaßung. Die zweite Variante entspricht jedenfalls der ebenfalls von Putnam (ebd.), S. 623 ff. beschriebenen GWR-Theorie, die Putnam gegenüber der Kopenhagener Deutung bevorzugt.
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unendlicher Geschwindigkeit zu verwechseln ist – miteinander zusammenhängen (vgl. Daumer (1995), S. 22 ff.). Wir wollen – und können – in dieser Sache nicht entscheiden, sondern im Sinne des zu Gunsten des naturgesetzlichen Determinismus Gesagten zunächst nur auf zwei Dinge hinweisen. Zum einen spricht selbst das vielzitierte Paradebeispiel der Quantenmechanik nicht so eindeutig gegen die Determinismusthese wie weithin angenommen. Die Physiker selbst sind hierüber uneins, wobei zum anderen in wenigstens einer Hinsicht Konsens herrscht: In dem Maße, in dem wir von objektiven Unbestimmtheiten auszugehen haben, verstehen wir die Welt nicht mehr – was merkwürdig ist, da wir sie zumindest als solche an einem Verhalten feststellen könnten, was für eine ‚echte‘ Unbestimmtheit nicht möglich sein dürfte. Entweder, so scheint dann zu gelten, muss eine deterministische Deutungsvariante der einschlägigen Phänomene gelten, oder wir müssen den Begriff der Objektivität radikal neu fassen. Vielleicht gibt es aber auch noch ein ‚Schlupfloch‘ zur allseitigen Zufriedenheit, durch welches wir uns von der Voraussetzung unabhängig machen können, zuletzt müsse es sich bei allen Gesetzen um deterministische solche handeln, ohne darum die Begriffe der Ursache und Objektivität aufs Spiel zu setzen: Die probabilistischen Regeln (bzw. Regularitätsbehauptungen), deren sich die Physik bedient, um quantenmechanische Ereignisse vorauszusagen, sind – dem Anspruch nach, d. h. sofern sie korrekt formuliert sind – ja dennoch Gesetze, d. h. ausnahmslos gültige Regeln, durch welche (im Ausgang von einem bestimmten Ausgangsereignis) aufgrund ihres probabilistischen Charakters bloß kein einzelnes Ereignis, sondern nur eine Wahrscheinlichkeitsverteilung von Ereignissen festgelegt ist, dies aber ebensowohl wie bei deterministischen Gesetzen sowohl hinreichend wie auch notwendig (Keils Abschwächungsversuch würde also auch in diesem Fall nicht funktionieren). Eindeutige, objektiv bestimmende Vorhersagen von Ereignissen sind dann, dem klassischen Determinismus entgegen, nicht möglich (selbst Gott nicht), durchaus aber eine – gleichfalls eindeutige – solche der jeweiligen Möglichkeiten und ihrem Wahrscheinlichkeitswert.6 (Und in der Tat haben wir in diesem Kapitel bislang bei genauerem Hinsehen auch gar nicht für die Vorhersehbarkeit von Ereignissen argumentiert, sondern nur dafür, 6 Vgl.
hierzu auch Carnap 1931a, S. 464: „Im Gesamtsystem der Physik ist es grundsätzlich stets möglich, für einen einzelnen Sachverhalt eine Erklärung zu finden, d. h. ein Gesetz, nach dem dieser Sachverhalt durch andere, erkannte Sachverhalte (mit Wahrscheinlichkeit) bedingt ist. Dabei ist es für unsere Überlegung nicht von Belang, ob diese Gesetze eindeutig determinieren, wie die klassische Physik es annahm (Determinismus), oder nur die Wahrscheinlichkeit gewisser Werteverteilungen der Zustandsgrößen bestimmen, wie die gegenwärtige Physik es annimmt (statistische Gesetze der Quantenmechanik)“.
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dass, was auch immer geschieht, ausnahmslos gültigen Regularitäten – Gesetzen – unterliegen muss; insofern müsste wohl gelegentlich unsere Sprache, nicht jedoch die Denkweise angepasst werden.) Fassen wir zusammen: Wir haben gesehen, dass, entgegen der Ansicht Keils, der Kant zufolge erfahrungskonstitutive Verstandesgrundsatz „Alle Veränderung hat ihre Ursache“ (KU, B XXXII/A XXX) – das Kausalprinzip – in der Tat mit der Annahme von strikten, ungestörten Naturgesetzen, die den Weltlauf bestimmen, identisch ist, wenn auch nicht mit der Annahme auch nur der Möglichkeit, dass wir jene Gesetze im Einzelnen jemals in ihrer Striktheit und Notwendigkeit werden, wie Kant sich ausdrückt, „einsehen“ (KU, B XXXIII/A XXXI) können. Diese prinzipielle Nicht-Einsehbarkeit dürfte denn weiter auch der Grund dafür sein, dass unser Zugang zu Kausalzusammenhängen bisweilen auch ganz andere – etwa kontrafaktische, dispositionale oder interventionistische – Formen annehmen kann als es in dem kontrapossiblen Fall der völligen Einsicht in die empirische Gesetzes- und Sachverhaltslage der Fall wäre, ohne, dass dadurch ein echtes Konkurrenzverhältnis zwischen nomologischen und etwa kontrafaktischen und/oder dispositionalen Erklärungsweisen entstehen würde. Wenn ‚fertige‘ nomologische Erklärungen über den empirischen Weltlauf ohnehin nicht gegeben werden können, besteht auch kein Druck, sämtliche forschenden Annäherungen an die bestehenden Kausalverhältnisse auf nomologische Weise zu formulieren und können andere, nicht-nomologische Herangehensweisen durchaus auch als ein Ausdruck der der Rücksicht gegenüber den eigenen, begrenzten Bedingungen gedeutet werden. Dispositionsfeststellungen wie die, dass Magnete die Eigenschaft besitzen, umliegende oder sich nähernde, kleinere Metallteile sehr schnell an sich zu ziehen, können durch kontrafaktische Feststellungen wie etwa die, dass ein Löffel nicht über den Tisch gerückt wäre, wäre am anderen Ende kein Magnet befestigt gewesen, auf Einzelfälle angewandt und kausal reinterpretiert werden, und unser Wissen über jene allgemeine Dispositionseigenschaft wie auch den bestimmten Kausalzusammenhang mögen wir wiederum auf interventionistische Weise dadurch erworben haben, dass wir diese und ähnliche Versuchsanordnungen mehrfach durchgespielt haben. Wobei die dispositionale Zugangsweise dem Umstand Rechnung trägt, dass bestimmte Kräfte zumindest vergleichsweise allgemein behauptet werden können, die kontrafaktische dem, dass die Manifestierung bestimmter Kräfte in jedem Einzelfall aber auch verhindert werden kann, und die interventionistische dem, dass wir über all dies nicht allwissend sind, sondern uns die Welt häppchenweise durch Beobachtungen und Experimente erschließen müssen (wobei uns wiederum ein probabilistischer Zugang sehr behilflich sein kann, durch den wir uns in unserer Unsicherheit dennoch vermutend schließend
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fortbewegen können, ohne uns im Fall des Irrtums vorwerfen lassen zu müssen, wir hätten behauptet, es müsse sich so verhalten wie vermutet). Die pragmatische Vorsicht, die sich durch derartige Herangehensweisen ausdrückt, verwandelt sich allerdings in theoretische Unbedachtheit, wenn die Unsicherheiten in unseren Feststellungen, die uns zu solchen Vorsichtsmaßnahmen treiben, als Störungen auf die kausalen Verhältnisse selbst übertragen und gegen die nomologische Kausalitätsauffassung ausgespielt werden. Allerdings scheint es nicht weniger unbedacht, eine gewünschte Sicherheit arglos den kausalen Verhältnissen selbst zuzuschreiben und insofern Keil Recht zu behalten, wenn er bemerkt, dass die Antwort auf die Frage, „[o]b es […] ausnahmslose[…] empirische[…] Kausalgesetze gibt, […] davon ab[hängt], wie die Welt beschaffen ist“ (Keil 2012, S. 239) – und nicht davon, wie wir die Welt haben wollen. Bloß ist eben jene Beschaffenheit nach dem Vorigen für uns Urteilende nur insofern Thema, als es in ihr keine echten Ausnahmefälle gibt. Aus unserer Sicht gibt es sie also überhaupt nicht bzw. ist es unklar, wie auch nur die Möglichkeit absolut unregelmäßiger und daher unerkennbarer Stellen an oder in der Beschaffenheit der Welt überhaupt erwogen werden kann. Von Wunsch oder Wille kann also keine Rede sein, weil die Welt, um eine Welt für uns zu sein, streng kausal geordnet sein muss und ansonsten überhaupt nichts (für uns) ist und also keine sinnvolle Frage nach ihrer Beschaffenheit erlaubt. Ich weiß nicht, ob die in diesem Kapitel vorgetragenen Überlegungen zu überzeugen vermögen, es ist dies für unser Vorhaben, wie wir mit Blick auf den ersten Teil dieser Abhandlung schließen können, letztlich aber auch gar nicht weiter relevant, da zum einen eine begriffliche Unabhängigkeit der für die moralische Praxis maßgeblichen Perspektive der Wertung (oder subjektiven Einstellung) gegenüber der für die wissenschaftliche Praxis maßgeblichen Perspektive der Erklärung (oder objektiven Einstellung) (Thesen (10.9) und (10.10)) und zum anderen eine begriffliche Abhängigkeit jener Perspektive der Wertung (die ihrerseits von der begrifflichen Möglichkeit der Verantwortungszuschreibung zehrt) von der Annahme ‚starker‘, indeterministischer Freiheit (These (11.11)) besteht. Dann aber gilt nicht bloß, wie wir bereits festgestellt haben (These (12.12)), dass die Behauptung des naturgesetzlichen Determinismus der Freiheitsbegründung nicht hinderlich, sondern gleichfalls, hierauf kommt es uns an dieser Stelle an, dass auch die Leugnung des naturgesetzlichen Determinismus der Freiheitsbegründung gar nicht dienlich sein kann. Oder sagen wir es so: Wenn Freiheit selbst unter der Bedingung des naturgesetzlichen Determinismus behauptet werden kann, dann sollte sie von indeterministischen Weisen der Naturerklärung schwerlich profitieren können. Sie muss weder vor dem Determinismus gerettet, noch muss (und kann) ihr von Seiten indeterministischer Erklärungsstrategien
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geholfen werden.7 Sollte also auch – entgegen des in diesem Kapitel Behaupteten – eine nicht-deterministische bzw. nicht-strikt-naturgesetzliche Erklärungsweise dem Begriff der Objektivität Genüge tun können oder um dessentwillen sogar nötig sein, soll es uns nur Recht sein. Sollten wir hier indes wenigstens die richtige Richtung eingeschlagen haben und Objektivität strikte Naturgesetzlichkeit sogar erfordern, dann wird in Rücksicht auf die Freiheitsfrage eher sogar umgekehrt zu der geläufigen Ansicht ein Schuh daraus und die Möglichkeit von Freiheit, zumindest indirekt, sogar von der Wahrheit der Determinismus- bzw. Naturgesetzlichkeitsbehauptung abhängig, da mit dem Begriff der Objektivität letztlich alle Begriffe, so wie wir sie kennen, dahingehen müssten und ein umfassender ‚Themenwechsel‘ anstünde, von dem wir uns keinerlei Vorstellung machen können (vgl. These (14.16)). Aber wir wollen diesem Verdacht nicht weiter nachgehen, sondern uns nun wieder Kants Erscheinungslehre zuwenden.
7 Und
schon gar nicht könnten etwaige Quantenunbestimmtheiten der Freiheit dienlich sein, wie Koch 2016b, S. 886 bemerkt: „Beim Zusammenbruch der Wellenfunktion geschieht – durchaus im Rahmen strenger probabilistischer Naturgesetzlichkeit – etwas im einzelnen objektiv Unvorherbestimmtes. Es sind daher keine verborgenen Variablen im Spiel, insbesondere also nicht die Freiheit in der Rolle einer verborgenen Variablen. Die Quantenmechanik und der absolute Zufall helfen in der Freiheitstheorie nicht weiter“. Dies gälte freilich nur für den Fall, dass der Gesetzesbegriff für quantenmechanische Phänomene aufrechterhalten werden kann. Dass damit zumindest einerseits der Diagnose von objektiven Unbestimmtheiten entsprochen wäre, ohne andererseits den Begriff der Objektivität zu gefährden, haben wir bereits vermutet, und da die Fasslichkeit der ersteren von dem letzteren zehren dürfte, wird diese Option, die wir noch als ‚Schlupfloch‘ bezeichnet haben, jedenfalls der einer radikalen Objektivitätsskepsis vorzuziehen sein.
Das An-sich-Seiende und sein Sinn bei Kant
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Ich habe, bevor ich im vierzehnten Kapitel zwei wichtige Erläuterungen zu Kants Raum-Zeit-Lehre einerseits und seiner Lehre der Notwendigkeit der Möglichkeit der Ich-denke-Begleitung andererseits angefügt und im fünfzehnten Kapitel die längst überfällige Stellungnahme zur Determinismusfrage nachgeholt habe, das Kapitel 13 mit der – weiter unerläuterten – Bemerkung geschlossen, dass wir die kausale Geschlossenheit des Weltlaufs der Kantischen Erscheinungslehre gemäß auf ‚Seiten‘ der sinnlichen Erscheinungen ansiedeln müssen, womit auf ‚Seiten‘ der Dinge an sich ‚Raum‘ für Freiheit geschaffen sei. In den folgenden Kapiteln werden wir uns der Frage widmen, wie diese Bemerkung im Einzelnen zu verstehen ist. Zu diesem Zweck werden wir uns die Kantische Erscheinungslehre etwas genauer ansehen. Bei alledem wird unser hauptsächliches Interesse der Ausarbeitung einer Interpretationstendenz gelten, die wir für die in den Kapiteln 5 bis 12 erzielten Ergebnisse fruchtbar machen können, insbesondere in Hinblick auf das Folgende: Zum Ende von Kapitel 12 hatten wir, bevor wir uns Kant zugewandt haben, noch das Desiderat einer Konzeption des Körperlichen – oder, wie wir in Ermangelung weiterer Objektsorten auch sagen können, des Objektiv-Gegenständlichen – ausgeschrieben, die es erlaubt, in solch zweifacher Weise auf dasselbe Bezug zu nehmen, wie wir es zuvor (mit Strawson und über ihn hinaus) herausgestellt hatten, namentlich in sowohl subjektiver, wertender und freiheitsimplizierender, wie auch objektiver, erklärender und freiheitsunverträglicher Einstellung. Die Arbeitshypothese, die uns durch das Folgende leiten wird, ist die, dass Kant mit seiner Erscheinungslehre genau eine solche Konzeption anbietet. Um sie bestätigt zu finden, gilt es allerdings, einige Hindernisse zu überwinden, allen voran dieses, dass Kant dem An-sich-Seienden eine gegenüber dem Für-uns-Seienden eigenständige Existenz einzuräumen und damit einem ontologischen Dualismus wo nicht zwischen Leib und Seele, so doch zwischen erscheinendem und nicht-erscheinendem © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_16
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Sein das Wort zu reden scheint, etwa, indem er zum Ende der Transzendentalen Ästhetik bemerkt: „Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen an sich und abgesondert von aller dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts, als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, ob zwar jedem Menschen, zukommen muß.“ (KrV, B 59/A 42)
Stellen wir uns, falls nötig, naiv und versetzen uns (zurück) in die Lage eines Menschen, der diese Worte zum ersten Mal liest. Zunächst müssen wir ihm offenbar zugestehen, dass es überaus schwer fällt, sich bei der Lektüre dieser Erläuterung kein Bild von der Lage zu machen, in der Kant uns zu sehen scheint, etwa von einem Menschen links und einem Gegenstand rechts, wobei der erstere von dem letzteren, obwohl er ihn ‚anschaut‘, nichts zu sehen (zu hören, zu spüren) bekommt als den Eindruck, den er sich seinen menschlichen Sinnen gemäß von ihm verschaffen kann, ein Eindruck, der, wie es sich vorzustellen nicht unbedingt nötig, aber naheliegend ist, nicht das repräsentiert, was der Gegenstand selbst in Wirklichkeit darstellt. Daneben zeichnen wir uns vielleicht noch ein weiteres Bild, in dem ein anderes – irdisches oder außerirdisches, jedenfalls nicht-menschliches – Wesen demselben Gegenstand gegenübersteht und gemäß der Beschaffenheit seiner Sinne einen Eindruck von ihm bekommt, der von dem verschieden ist, den der Mensch vor sich sieht (sei es in Form eines besseren oder schlechteren oder auch einfach nur anderen, gleich guten bzw. schlechten Eindrucks). In dieser oder einer ähnlichen Weise dürfte die Imagination der meisten unbeflissenen Leser eines solchen Satzes wie dem Obigen zunächst reagieren. Nun vergegenwärtigen wir uns aber, bei einer zweiten Lektüre des Satzes, unsere eigene, menschliche Natur und halten inne, stutzen unsere Imagination zurück eingedenk des Umstandes, dass wir, als Menschen, die wir sind, ja gleichfalls von der beschriebenen Einschränkung betroffen wären und rechts in unserem Bild folglich ebenso wenig etwas zu sehen bekommen wie der Mensch, den wir uns dabei eingezeichnet haben. Doch das Bild wird bleiben, der Gegenstand auf der Rechten nur etwas diffus werden, bis wir uns unsere Lage noch einmal bewusst machen und feststellen, dass für uns außer dem, was wir zu sehen bekommen, der Voraussetzung nach gar nichts zu sehen ist, kein wohlumrissener Gegenstand, auch keine diffus umherwabernde Materie oder dergleichen. Und doch: Das Bild, das wir uns in unserer anfänglichen Naivität einmal gemacht haben, will nicht ganz verschwinden. Immerhin, so denken wir uns, muss sich hinter dem Schleier der Erscheinung doch ein
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Gegenstand befinden oder wenigstens eine abgeschattete, an-sich-seiende Seite desselben Gegenstandes, den wir durch unsere Sinne zu sehen bekommen. Dieser Gegenstand – oder diese Seite des Gegenstandes – muss, ungeachtet seiner Unerkennbarkeit durch unsere menschlichen Sinne, sein. Und auch wenn wir langsam ahnen mögen, dass wir uns auch hiervon kein Bild machen können, so meinen wir doch nach wie vor, Kants Wortlaut folgen und meinen zu können, dass dieser – für uns unerkennbare – Gegenstand anderen Wesen, die mit einer anderen Sinnlichkeit ausgestattet sind (oder gar keiner), anders erscheinen würde. Und einige von ihnen mögen sogar den Gegenstand so erkennen können, wie er wirklich – an sich – ist.1 In dieses Bild – das zunehmend verschwimmt und doch nicht recht verschwinden will – scheint, obwohl es der ursprünglichen Intuition nicht entsprechen mag, auch noch zu passen, dass es, wie Kant zur Klärung bemerkt, nicht um „eine besondre Stellung oder Organisation dieses oder jenes Sinnes“ geht, sondern darum, „was der Anschauung […] wesentlich anhängt, und für jeden menschlichen Sinn überhaupt gilt“ (KrV, B 62/A 45), ungeachtet also der individuellen physiologischen Unterschiede zwischen Menschen und ungeachtet auch der Eigenheiten und möglicher evolutiver Veränderungen des menschlichen Körpers in dieser Hinsicht. Vor diesem Hintergrund lässt sich unterscheiden zwischen einem „empirisch[en]“ und einem „transzendentale[n] Unterschied“ (ebd.) zwischen dem Gegenstand, wie er erscheint und dem, wie er an sich ist. Dass wir etwa, um Kants eigenes Beispiel aufzugreifen, unter gewissen Umständen einen Regenbogen sehen, wenn es regnet, lässt sich empirisch als Erscheinung fassen, der Regen selbst demgegenüber, als der Grund dieser Erscheinung (die kein Schein ist), als „die Sache an sich selbst“ (KrV, B 63/A 45). Auch ganz allgemein die Farben, wie wir sie wahrnehmen, um ein anderes, vielleicht – wenigstens im Sinne unserer mittlerweile nicht mehr ganz so naiven Lektüre – etwas treffenderes Beispiel zu wählen, mögen sich diesem empirischen Sinne gemäß als Erscheinung, die elektromagnetische Strahlung dagegen als An-sich-Seiendes deuten lassen. Doch welche Beispiele wir auch 1 Zum
Ende des § 25 seiner Transzendentalen Deduktion legt Kant diesen Gedanken nahe, indem er – in Bezug auf die Selbstanschauung – bemerkt, dass „ich […] als Intelligenz [existiere], die sich lediglich ihres Verbindungsvermögens bewußt ist, in Ansehung des Mannigfaltigen aber, das sie verbinden soll, einer einschränkenden Bedingung, die sie den inneren Sinn nennt, unterworfen, jene Verbindung nur nach Zeitverhältnissen, welche ganz außerhalb den eigentlichen Verstandesbegriffen liegen, anschaulich machen, und sich daher selbst doch nur erkennen kann, wie sie, in Absicht auf eine Anschauung (die nicht intellektuell und durch den Verstand selbst gegeben sein kann), ihr selbst bloß erscheint, nicht wie sie sich erkennen würde, wenn ihre Anschauung intellektuell wäre“ (KrV, B 159). Wesen also, so scheint damit gesagt zu sein, die der sogenannten „intellektuellen Anschauung“ fähig wären, würden die Dinge auch ihrem An-sich-Sein nach erkennen können.
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wählen und wie wir den empirischen Unterschied im Einzelnen auch auffassen, so können wir uns von dem Ding oder dem Ereignis, das wir auf der Seite des An-sich-Seienden halten, doch immer einen bestimmten Begriff machen, da wir es unter gewissen Bedingungen auch anschauen können. Eben dies aber soll bei dem transzendentalen Unterschied, den wir mit Kant zu begreifen haben, nicht möglich sein. Doch in Analogie zu solchen Beispielen wenigstens, so mögen wir uns fragen, muss sich das Verhältnis zwischen Erscheinung und An-sich-Seiendem doch begreifen lassen? Völlig unbegreiflich kann uns der transzendentale Unterschied, der uns mit Kant vorzuschweben hat, in der Tat nicht sein. Doch schon, ihn als ein Verhältnis zu fassen, das, wenn auch nur der Analogie nach, zu begreifen sein könnte, birgt Gefahren. Nach wie vor wird unser Leser ein Bild vor Augen haben, eines, von dem er, wie er unserer Mahnung zur Vorsicht entgegenkommend meinen mag, weiß, dass er nicht weiß und auch gar nicht wissen kann, ob es zutrifft, dies weiter nicht bloß aus faktischen, sondern prinzipiellen, in seinen Erkenntnisbedingungen angelegten Gründen. Doch selbst dies ist der Vorsicht nicht genug, weder um Kant, noch um der Sache gerecht zu werden. Es liegt nämlich weiterhin eine manifeste seinsdualistische Intuition darin, wenn wir die Dinge so fassen. Es ist offenkundig, worin sie besteht: Sei das Ding an sich auch unerkennbar, so würden wir auf diesem Stand meinen müssen, so ist es doch, und sei das Verhältnis zwischen demselben und der Erscheinung auch gleichfalls nicht zu fassen, so besteht doch eines. Sehen wir für einen Moment von unseren, bislang ohnehin nur lose in den Raum gestellten, interpretatorischen Bedenken ab, wo stünden wir, wenn wir diese Lesart für bare Münze nehmen würden? Wir hätten einerseits eine Welt der sinnlichen Erscheinungen vor uns – ja, eigentlich bloß in uns – und andererseits, wie wir annehmen müssten, eine Welt des Ansich-Seienden dahinter, die uns jedoch prinzipiell und auf ewig verschlossen bleiben wird. Was wäre von einer solchen Einsicht zu halten? Die Wahrheitsliebenden – oder vielleicht auch nur von dieser Welt enttäuscht in Träumen Schwelgenden – unter uns müssten sich um den Gegenstand ihres Verlangens betrogen fühlen und Allison beipflichten, wenn er ausruft, dass wir unter solchen Umständen davon ausgehen müssten, die schlechtere von beiden Welten erhalten zu haben,2 und dürften hinzufügen: Eine Welt ist es ja 2 Allison
charakterisiert die sogenannte „Zwei-Welten-Interpretation“ der Kantischen Zentralthese (deren Konsequenzen wir gerade erörtern) genauer wie folgt: „One [of the two standard ways of interpreting transcendental idealism] is the familiar „two-world“ or „twoobject“ reading, which takes appearances and things in themselves to constitute two ontologically distinct realms of being. Although this may seem to be the more natural
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noch nicht einmal wirklich, sondern bloß eine bessere Illusion. Andere mögen die Dinge etwas gelassener und genügsamer – vielleicht auch furchtsamer – sehen; denn wer wüsste schon, was uns da blühte, würden wir (per impossibile) unserer Illusion beraubt? Am Ende wäre es womöglich wirklich besser so, wie es ist – zudem hülfe es ja auch gar nichts, Wahrheitsliebe hin oder her, in ihren Besitz gelangen könnten wir ohnehin nie.3 Doch wie wir uns dazu auch stellen würden, merkwürdig bliebe, dass wir überhaupt, wenn auch nur in abstracto, von dieser Wahrheit bzw. der diese in sich bergenden Wirklichkeit wüssten. Denn eigentlich dürften wir aufgrund der prinzipiellen Einschränkung jeglichen Wissens von der Welt auf unsere Erkenntnisbedingungen gar nicht die Mittel dazu besitzen, die an-sich-seiende Wirklichkeit als solche zu erfassen, auch nicht dazu, dass es sie überhaupt gibt. Nur wie sonst sollten wir die Rede vom An-sich-Sein bzw. vom Ding an sich verstehen? Es handelt sich, jedenfalls wollen wir uns für diese Lesart im Folgenden einsetzen, um nichts mehr als einen notwendigen Gedanken, eine nicht mehr als zu setzende Unbekannte, die der Erscheinung „entsprechen müsse“, damit und (jedenfalls im ersten Schritt) nur damit, wie Kant sich ausdrückt, „wo nicht ein beständiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber an sich selbst, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit […], reading, it has at least two untoward consequences. First, it suggests that transcendental idealism is to be understood as a form of subjectivism, according to which the mind is acquainted only with its own contents (representations). Second, and perhaps even worse, it requires the postulation of a distinct set of entities (things in themselves) to which, according to the theory, the human mind can have no cognitive access. […] On this „twoworld“ reading, then, it may truly be said that transcendental idealism gets the worst of both worlds!“ (Allison 2006, S. 112). 3 Barry Stroud etwa sieht diese Option und meint, dass Kant auch wirklich zu einer solch genügsamen Haltung anraten würde, zeigt sich dann aber doch unzufrieden: „In accepting transcendental idealism I lose nothing, Kant will say. My knowledge is not confined to things that are empirically dependent on me or merely subjective in the empirical way. I am theoretically capable of everything that the best physics, chemistry, mathematics, and other sciences can provide. […] But still, from the transcendental point of view – that is, when viewed from within the only kind of investigation that can properly explain how our knowledge is possible – everything we know in science and in everyday life has turned out to be subjective or dependend on human sensibility after all. It is not knowledge of how things really are, independently of us“ (Stroud 1984, S. 167). Und natürlich wäre Stroud zurecht unzufrieden, wenn Kant wirklich so sagen würde – aber das tut er nicht, wie wir gleich sehen werden.
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etwas, d.i. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß.“ (KrV, A 251, 252 (Anm.))4
Der Zirkel, den es abzuwenden gilt, besteht in einer ungut aufeinander zurückweisenden Beziehung zwischen dem Begriff der Erscheinung und dem Begriff des Gegenstandes: Wenn ein Gegenstand wesentlich Erscheinung und eine Erscheinung wesentlich gegenständlich ist, droht das Szenarium einer sich beständig wiederum auf die Kehrseite neigenden Drehung um die eigene Achse bei der Erklärung dessen, was ein Gegenstand und was eine Erscheinung überhaupt ist. Um eben diesen unguten Kreisgang in der Erklärung zu vermeiden, braucht es den Gedanken von etwas, das erscheint, dabei aber nicht selbst wiederum eine Erscheinung sein kann, sondern sich als spür- und greif- bzw. wenigstens messbarer Gegenstand in der Welt manifestieren und als solcher auch wiederum erkannt werden können muss – nur eben nicht nach dem, was er abgesehen von allem, das wir an ihm erspüren, ertasten oder messen können, noch „an sich selbst“ haben könnte. Es gilt, um es anders zu formulieren, das Kunststück zu vollbringen, einerseits der notwendigen Voraussetzung Rechnung zu tragen, dass wir es – letztlich – mit einem von unserer sinnlichen Vorstellung verschiedenen Gegenstand zu tun haben, sobald wir etwas sinnlich vorstellen, und andererseits der Kantischen Zentralthese gerecht zu werden, dass uns über unsere sinnlich bedingte Vorstellung hinaus nichts von den Gegenständen bekannt sein kann, weder, was ihre Beschaffenheit, noch auch, was ihre bloße Existenz betrifft. Diese beiden Desiderate können nur erfüllt werden, wenn wir das Ding an sich – oder das ansich-seiende Substrat der Erscheinungen – als bloße Setzung betrachten, die im Übrigen, wie Kant im Rahmen seiner umfangreichen Vorarbeiten zu einem Werk, welches nach Kants Ableben in seiner unvollendeten Form belassen und als sein Opus Postumum veröffentlich wurde, auch nicht in einem positiven, der Erscheinung etwas hinzusetzenden, sondern in einem (wenigstens im ersten Schritt) rein negativen, von derselben etwas – in Gedanken – abziehenden (abstrahierenden) Sinne zu verstehen ist:
4 Vgl.
auch KrV, BXXVI–XXVII, wo Kant bemerkt, dass bei aller nötigen „Einschränkung aller nur möglichen spekulativen Erkenntnis der Vernunft auf bloße Gegenstände der Erfahrung […] [g]leichwohl […], welches wohl gemerkt werden muß, doch dabei immer vorgehalten [wird], daß wir eben dieselben Gegenstände auch als Dinge an sich selbst, wenn gleich nicht erkennen, doch wenigstens müssen denken können. Denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erscheinungen ohne etwas wären, was da erscheint“.
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„Jede Vorstellung als Erscheinung wird als von dem was der Gegenstand an sich ist unterschieden gedacht (das Sensibile einem Intelligibelen) das letztere aber = x ist nicht ein besonderes ausser meiner Vorstellung existirendes Object sondern lediglich die Idee von der Abstraction vom Sinnlichen welche als nothwendig anerkannt wird. Es ist nicht ein cognoscibile als Intelligibele sondern x weil es ausser der Form der Erscheinung ist aber doch ein cogitabile (und zwar als nothwendig denkbar) was nicht gegeben werden kann aber doch gedacht werden muß weil es in gewissen anderen Verhältnissen die nicht sinnlich sind vorkomen kann.“ (AA XXII, S. 23)
„Das Ding an sich (ens per se)“, schreibt Kant wenig später, „ist nicht ein Anderes Object sondern eine andere Beziehung (respectus) der Vorstellung auf dasselbe Object“ (AA XXII, S. 26, 27) – eine abstrahierende und in diesem Sinne negative Beziehung. Der entscheidende Dreh, uns von der Annahme zu befreien, bei dem Ding an sich handele es sich um ein von den Erscheinungen unabhängiges Ding – oder auch, was am Ende dasselbe ist, um einen erscheinungsunabhängigen Aspekt desselben Dinges, das wir nur seiner Erscheinung nach erkennen –5 , besteht also darin, zu begreifen, dass der Gedanke an das Ding an sich, als ein Standpunkt unabhängig von unseren Erkenntnisbedingungen, selbst wiederum nur in Abhängigkeit von eben denselben Bedingungen möglich ist bzw. in Kants eigenen Worten, dass das „transzendentale Objekt […] sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern [läßt], weil alsdann nichts übrig bleibt, wodurch es gedacht würde“ (KrV, A 254, 255) 5 Allison
unterscheidet, wie in der Literatur üblich, zwischen der Zwei-Welten- und der Zwei-Aspekte-Lesart der Kantischen Zentralthese und meint, dass die letztere „makes it possible to avoid saddling Kant with the excess baggage of an ontologically distinct, yet cognitively inaccessible, noumenal realm“ (Allison 2006, S. 112). Allison erläutert dies näher wie folgt: „On this [two-aspect; ds] reading […] the distinction is adverbial rather than adjectival, since it characterizes the ways in which things can be considered in a reflection on the conditions of their cognition, not the kinds of thing being considered“ (ebd.). Um diese Unterscheidung verständlich machen zu können, darf allerdings kein Verhältnis zwischen den Erscheinungen und dem An-sich-Seienden angenommen werden, d. h. das letztere dürfte gerade nicht dasjenige Etwas darstellen, von dem Kant meint, dass wir es den Erscheinungen als derselben korrespondierend unterlegen müssen. Denn wenn wir dieses Verhältnis berücksichtigen, ist der Unterschied, ob wir nun sagen, wir können dieses Etwas nicht erkennen, sondern nur ein anderes Objekt, das uns dadurch gegeben wird, die Erscheinung, oder, dass wir dieses Etwas nur demnach erkennen können, wie es uns erscheint, kaum mehr als ein Unterschied in der Betonung. Eine andere Betrachtungsweise gibt einen anderen Gegenstand, ein anderer Gegenstand – wo er überhaupt etwas gibt – ‚nur‘ eine andere Betrachtungsweise auf denselben. Insofern ginge die Zwei-Weltenvon selbst in die Zwei-Aspekte-Lesart über (und umgekehrt).
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Die Klage, die Dinge nicht so sehen zu können, wie sie an sich sind, ist demnach nicht etwa vergeblich, sondern schlicht unsinnig. Es bedarf gar keiner Mahnung zur Genügsamkeit. Indem wir uns nämlich wünschen, von unserem Standpunkt nicht bloß in Gedanken abstrahieren, sondern ihn wirklich verlassen zu können, erstreben wir in Wahrheit die Selbstauflösung oder wenigstens die Auflösung des Selbst, wie wir es kennen und auch nur kennen können, selbst als bloßem Gedanken. Im tatsächlichen Vollzug der Abstraktion von unseren Erkenntnisbedingungen, ihrem wirklichen Verschwinden, würde das abstraktive, rein gedankliche Gegenbild des unbestimmten An-sich-Seins der Dinge gleich mitverschwinden – und damit im Übrigen auch die Denkbarkeit von Wesen, die anders anschauen oder denken als wir. Es ist, mit anderen Worten, schlicht unmöglich. Mit Henry E. Allison lässt sich die Sicht, für die wir uns in den letzten Absätzen ausgesprochen haben, auch wie folgt ausdrücken: „[…] Kant’s transcendental distinction, as well as the consequent limitation of human cognition to things as they appear, results from a reflection on the conditions of discursive knowing rather than on the ontological status of what is supposedly known. Consequently, it opens up the possibility of an essentially nonontological interpretation of transcendental idealism, one which allows to be viewed as a true counterpart to transcendental realism. On this view, human cognition for Kant is not a pale copy or distorted, finitized version of the divine variety, but a genuine alternative to it. In fact it is precisely the latter that is problematic, not because we are unable to attain it, but because we cannot determine whether the putative epistemic condition of such cognition, namely, a nonsensible, intellectual mode of intuition, is even possible.“ (Allison 2006, S. 120)
Wenn Kant also, meint Allison und ich mit ihm, von einer Beschränkung unserer Erkenntnis auf die Erscheinungen spricht, dann gibt er damit keine Antwort auf die Frage des ontischen Status dessen, was es zu wissen gibt, sondern eine – und (jedenfalls im ersten Schritt) nur eine – der epistemischen Verknüpfung unsereins mit den Gegenständen, oder sagen wir es so: Alle Nachfrage nach dem Sein der Gegenstände ist, wo überhaupt legitim, schlicht gleichbedeutend mit der Frage nach unserem Erkennen derselben. Und Kant scheint auch in der Tat so zu meinen, wenn er, wie an die Adresse des enttäuschten Skeptikers Barry Stroud (vgl. Fn 3), schreibt: „Es ist eine Welt. – Der [empirische; ds] Idealism u. tranc. Egoism können die objective Realitat der Sinnenvorstellungen mithin die Erfahrung nicht aufgeben: denn es ist schlechthin einerley zu sagen es sind solche Gegenstände oder ich bin
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ein Subject dem der Zustand meiner Vorstellung eine solche gesetzmäßige Kette des Manigfaltigen was wir Erfahrung nennen zuführt.“ (AA XXI, S. 53)
Unsere Weise des Erkennens kann vor diesem Hintergrund, wie Allison in dem obigen Zitat klarstellt, nicht als eine gefasst werden, die einer etwaigen göttlichen – oder jedenfalls nicht auf Erscheinungen beschränkten Erkenntnisweise – nachträglich, oder, wie Allison sich ausdrückt, eine blasse Kopie („pale copy“) derselben sei, sondern muss als eine echte Alternative („genuine alternative“) zu ihr gefasst werden. Wobei der Begriff der Alternative im strengstmöglichen Sinne zu verstehen ist; als ein Wesensanderes, das aus prinzipiellen Gründen gar nicht hintergangen werden kann. Oder zumindest gilt dies für uns: Von unserer Warte aus betrachtet ist eine mögliche göttliche Erkenntnis kein bzw. nur insofern mögliches Thema, als wir sie in negativer Abgrenzung zu der unsrigen entwerfen. Aus unserer Sicht gibt es folglich gar keine göttliche Erkenntnis, auch nicht der bloßen Möglichkeit nach. (Wobei die Zusätze „für uns“ und „von unserer Warte aus“ nur nötig sind, um den transzendentalphilosophischen ‚Dreh‘, nicht, um unsere Stellung in einem an-sich-seienden Kosmos zu markieren.) Die Abstraktion von bzw. das Negativ zu unseren sinnlichen Bedingungen spielt in der Kantischen Philosophie fraglos eine durchaus wichtige, wenn nicht gar tragende Rolle, jedoch nicht die der Norm, an die wir uns in unserem Erkennen zu halten haben, für welche wir einzig unsere eigenen Erkenntnisbedingungen, keine etwaige, wenn auch nur in abstracto postulierte göttliche Sicht auf die Dinge, zur Verfügung haben bzw. sofern wir eine solche Sicht zur Verfügung haben, dann nur in Abhängigkeit von den nämlichen Bedingungen und für die Erkenntnis unter diesen Bedingungen.6 Wir stellen sie uns im Bedarfsfall also selbst bereit. Kants Konzeption des Transzendentalen Idealismus ist, so können wir unsere Sicht mit Allison zusammenfassend auf den Punkt bringen,
6 Vgl.
hierzu Allison 2006, S. 114: „In short, the conditions of human cognition, whatever they may turn out to be, rather than the unattainable ideal of a Gods-eye view of things, determine the norms of our cognition“.
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vielmehr eine Alternative zur Ontologie denn eine – etwa gegenüber dem Cartesischen Substanzdualismus oder dem Humeschen Materialismus – alternative Ontologie.7,8 Bevor wir im nächsten Kapitel dazu übergehen werden, die hier gewonnenen Ergebnisse auf Kants Lösung der Freiheitsfrage zu übertragen, gilt es noch, auf einen möglichen Kritikpunkt an unserer Interpretation einzugehen. Und zwar weist Willaschek in gewisser Weise zu Recht darauf hin, dass es für Kant offenbar „zwei Arten von Noumena9 [gibt]“ (Willaschek 2001, S. 685), nämlich einmal im negativen und einmal im positiven Verstand. Wir hatten bislang nur von demselbigen im negativen Verstand gesprochen. Kant hingegen spricht in der Tat von 7 „[T]here
is no thought of any access (cognitive or otherwise) to an ontologically superior order of being. Consequently, transcendental idealism is best viewed as an alternative to ontology, rather than, as it usually is, as an alternative ontology.“ (Allison 2006, S. 123) Vgl. hierzu auch KrV, B 303: „[Die] Grundsätze [des Verstandes] sind bloß Prinzipien der Exposition der Erscheinungen, und der stolze Name einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben (z. E. den Grundsatz der Kausalität), muß dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen“. 8 Auch Prauss scheint die hier vorgetragene Sicht zu teilen, wenn er schreibt: „Um sie [die Dinge, die einerseits als subjektabhängig und daher als Erscheinungen begriffen werden müssen; ds] transzendentalphilosophisch zureichend zu kennzeichnen, muß […] [die transzendentale Reflexion] vielmehr auch ihrer andern Seite, nämlich ihrer Objektivität gerecht werden. Das heißt, was einerseits subjektabhängiges Phänomen ist, muß anderseits auch noch als das gedacht werden, was es, von dieser Subjektabhängigkeit abgesehen, selber ist. Zum Begriff „Phänomen“, unter dem die transzendentale Reflexion die eine Seite der empirischen Dinge faßt, muß sie auf ihrer eigenen Reflexionsebene auch das Gegenteil bilden, um darunter auch noch die andere Seite dieser Dinge zu erfassen. Aus dieser Überlegung ergibt sich für Kant als Gegensatz zu „Phaeonomenon“ (zur „Erscheinung“ im transzendentalphilosophischen Sinne) der Begriff des „Noumenon“ (des „Dings an sich“ in transzendentalphilosophischem Sinne). […] Sie sind keine empirischen, sondern philosophische Reflexionsbegriffe, die sich zudem beide, wenn auch in je besonderer Hinsicht, jeweils auf ein und dasselbe empirische Ding richten“ (Prauss 1971, S. 21, 22). 9 „Noumenon“ ist hier nur eine andere Bezeichnung für „Ding an sich“ oder, wie ich mich hier meist ausdrücke, „An-sich-Seiendes“, so wie „Phaenomenon“ nur eine andere Bezeichnung für „Erscheinung“ oder „Für-es-Seiendes“ ist, vgl. KrV, B 306, wo Kant der Sache nach auch schon die Unterscheidung zwischen den zwei Arten von Noumena einführt, die wir gleich näher auseinanderlegen werden: „[E]s [liegt] doch schon in unserm Begriffe, wenn wir gewisse Gegenstände, als Erscheinungen, Sinnenwesen (phaenomena) nennen, indem wir die Art, wie wir sie anschauen, von ihrer Beschaffenheit an sich selbst unterscheiden, daß wir entweder eben dieselbe nach dieser letzteren Beschaffenheit, wenn wir sie gleich in derselben nicht anschauen, oder auch andere mögliche Dinge, die gar nicht Objekte unserer Sinne sind, als Gegenstände bloß durch den Verstand gedacht, jenen
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beiden; inwiefern es die letzteren für Kant wirklich „gibt“, ist jedoch zweifelhaft. Willaschek bezieht sich auf das Kapitel Phaenomena und Noumena in der Kritik der reinen Vernunft (auf das wir uns auch schon mehrfach berufen haben), in dem Kant bemerkt: „Wenn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer Anschauungsart desselben abstrahieren: so ist dieses ein Noumenon im negativen Verstande. Verstehen wir aber darunter ein Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besondere Anschauungsart an, nämlich die intellektuelle, die aber nicht die unsrige ist, von welcher wir auch die Möglichkeit nicht einsehen können, und das wäre das Noumenon in positiver Bedeutung.“ (KrV, B 307, Herv.: Kant)
Hieraus – dass Kant meint, dass wir es mit einer Anschauungsart zu tun haben, deren Möglichkeit wir nicht einsehen können – ist schon implizit klar, was Kant nur wenig später noch einmal explizit macht, nämlich, dass, „was von uns Noumenon genannt wird, […] als ein solches nur in negativer Bedeutung verstanden werden [muß]“ (KrV, B 309). Anhänger der ontologischen Lesart der Kantischen Zentralthese, die sich ja offenbar auf die positive Bedeutung von „Noumenon“ berufen, finden auch an dieser Stelle keinen Griff. Wirklich? Hat Kant gar keine Verwendung für einen solchen Begriff? Doch, und er macht in der Folge – namentlich in seiner theoretischen Ideenlehre und erst recht in seiner praktischen Philosophie – sogar ausgiebig Gebrauch davon. Und auch wir werden – mit Kant – einen solch positiven Gebrauch von dem Ausdruck „noumenon“ machen, um verstehen zu können, wie Kant die Annahme einer naturgesetzlich bestimmten Natur mit der Freiheitsannahme zu vereinen gedenkt. Aber (und dies kann gar nicht genug betont werden): Der positive ist dem negativen Gebrauch logisch nachträglich. Erst benötigen wir das Noumenon bzw. Ding an sich als „Idee von der Abstraction vom Sinnlichen“ (s. o.), dann – wenn wir diese Einsicht fest umklammert halten und dabei auch keinen Deut nachgeben – können wir allen weiteren, über die sinnlichen Erscheinungen hinausgehenden Bedürfnissen freien Lauf lassen und, wie Willaschek sich ausdrückt, „kritisch gewendete[…] Metaphysik“ (Willaschek 2001, S. 288) betreiben, von Gott, der Seele und eben auch Freiheit. Willaschek meint, diese würde der methodologischen Zwei-Aspekte-Lesart – die wir hier mit Allison vertreten und die, wie gesehen und geschehen, den negativen Gebrauch vom Begriff des Noumeni in gleichsam gegenüber stellen, und sie Verstandeswesen (noumena) nennen“. Wobei Kant hier den Terminus „noumena“ noch nur für den letzteren Fall zu reservieren scheint. Wie wir gleich sehen werden, gebraucht er denselben Terminus aber auch für den ersteren Fall, welchen Gebrauch wir in der Folge übernehmen werden.
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den Vordergrund stellt – zugunsten von Kants Erkenntnistheorie in unzulässiger Weise benachteiligt (vgl. ebd.), und lässt sich gar zu der Vermutung hinreißen, dass „[f]alls eine von beiden [Gebrauchsweisen; ds] die wichtigere sein sollte, dann aus kantischer Sicht wohl [die] […] letztere“ (a. a. O., S. 289). Doch es besteht, wenn wir die Dinge so fassen wie gehabt, gar kein Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden. Vielmehr ist die kritische Wendung in Kants Metaphysik erst vor dem Hintergrund richtig zu verstehen, dass der negative Gebrauch vom Begriff des An-sich-Seienden der logisch primäre ist – wobei im Übrigen dahingestellt bleiben kann, ob er auch der „wichtiger[e]“ ist. Andernfalls läge der Verdacht nahe, dass wir uns mit dem positiven Gebrauch jenes Begriffs in unzulässige Spekulationen verwickeln über ein Sein, das uns per se nicht zugänglich sein kann. Ein Verdacht, dem nur vorgebeugt werden kann, indem wir unter Verweis auf das Primat des negativen Gebrauchs mit Nachdruck versichern, dass da gar nichts ist, kein – jedenfalls kein anderes – Etwas, über das auch nur spekuliert werden könnte (und wir das wissen), und wir die Welt der Körper, und damit die der Erscheinungen, auch gar nicht eigentlich verlassen, wenn wir auf das An-sich-Seiende reflektieren. Wir betrachten sie dann nur nicht als solche, nicht als körperliche Erscheinungen (nicht als Objekte), obwohl wir uns doch auf sie, die Objekte, die Erscheinungen sind – und zwar durch und durch, ohne ontischen Rest – beziehen. Wir abstrahieren sozusagen nicht von den Objekten, sondern bloß von ihrer Raum-Zeitlichkeit (ihrer Anschaulichkeit) und insofern von ihrer Objektivität, und übrig behalten wir, jedenfalls im ersten Schritt, nichts weiter als eine leere Projektionsfläche für unsere eigenen Gedanken, das „Noumen[on] im negativen Verstande“ (KrV, B 307). Wären indes Raum und Zeit – und damit auch die Gegenstände in ihnen – An-sich-Seiende, dann würde eine solche Abstraktion die Körperwelt, sofern wir diese dann überhaupt für möglich bzw. zugänglich halten können, gänzlich verlassen und entweder in substanzdualistischer Manier auf eine gediegende Verstandeswelt ausweichen müssen oder in reduktiv-materialistischer Manier gar nichts mehr übriglassen können, noch nicht einmal in Gedanken. Nur dann, wenn sie es nicht sind, sondern apriorische Anschauungsformen – und die Gegenstände in ihnen wesentlich Erscheinungen –, ist wenigstens der Gedanke möglich, dass wir immer noch bei den Objekten sind, wenn wir von ihrer Raum-Zeitlichkeit abstrahieren, und zwar denselben, körperlichen Objekten, die wir anschauen. Es ist dann aber eben auch nur ein Gedanke, kein Erkennen. Hieran zeigt sich, in nuce, ja gerade die Raffinesse an Kants Konzeption. Die Abstraktion von der Raum-Zeitlichkeit war auch anderen vor ihm ein wichtiges Werkzeug. Nur behaupteten die einen, die Materialisten, im Anschluss noch nicht einmal mehr einen (gegenstandsbezogenen) Gedanken fassen zu können (und machten dies zu ihrer Pointe), und die anderen,
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die substanzdualistisch orientierten Metaphysiker alter Schule, nach vollendeter Abstraktion in eine immateriell-substantielle Verstandeswelt eingetreten zu sein (was diese wiederum zu ihrer Pointe erhoben). Körper sind raum-zeitliche Gegenstände, hierin sind sich alle Beteiligten einig. Betrachten wir sie aber als An-sich-Seiende, bleibt nach Abstraktion von ihrer Raum-Zeitlichkeit nichts mehr von ihnen übrig, auf das wir uns (sinnvoll) beziehen könnten. Folgen wir dagegen Kant und betrachten sie als Erscheinungen, bleiben wir bei den körperlichen Objekten, wenn wir von ihrer Raum-Zeitlichkeit abstrahieren, auch wenn wir sie als solche dann nicht mehr zu fassen bekommen. Oder jedenfalls können, ja müssen wir die Dinge so sehen, vielmehr denken – andernfalls gäbe es, so viel wir sagen können, nichts, das uns erscheinen könnte. Damit hätten wir, wie zum Ende von Kapitel 12 gefordert, in nuce eine Konzeption des Körperlichen vor uns, die eine doppelte Bezugnahme auf es erlaubt, einmal als naturgesetzlich determinierte Erscheinung in Raum und Zeit – wir können auch sagen: in objektiver Einstellung –, einmal im Negativ zu der ersten Bezugsweise als jener Erscheinung zugrundeliegendes An-sich-Seiendes. Ob die letztere Art der Bezugnahme allerdings derjenigen entspricht bzw. entsprechen kann, die nach der Konzeption, die wir mit Strawson gefasst haben, in subjektiver Einstellung vollzogen wird, ist alles andere als klar. Es gibt übrigens, dies sei zum Schluss dieses Kapitels noch angemerkt, noch eine weitere Möglichkeit, von der Objektivität der Objekte zu abstrahieren, die wir auch bereits kennengelernt haben (Kapitel 14), nämlich als Abstraktion von ihrer Begrifflichkeit, unter Beibehaltung ihrer Anschaulichkeit, die das wesentliche Moment der Kantischen Wahrnehmungsurteile bzw. des Kochschen athetischen (Wahrnehmungs-)Bewusstseins bildet. Auch in Bezug auf diese Art der Abstraktion war es uns wichtig, zu betonen, dass sie eben dies, eine Abstraktion, ist und ihr Resultat, das Wahrnehmungsurteil, dem ‚gewöhnlichen‘, objektiven Urteil gegenüber nachträglich ist. Insofern laufen diese beiden Operationen parallel zueinander. Eine weitere Parallele, die natürlich eng mit der ersten verknüpft ist, besteht darin, dass beide nichts zu erkennen geben – nichts anderes jedenfalls als das operierende Subjekt selbst (dies dann aber wiederum nicht als Objekt). Außerdem tendieren beide, würden sie tatsächlich vollzogen werden können, zur Selbstauflösung. Es wäre sicher mehr als nur einen Gedanken wert, das Verhältnis dieser beiden Operationen zueinander, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede, näher zu beleuchten, was hier leider nicht mehr geleistet werden kann. Zwei Bemerkungen scheinen mir aber dennoch, zur wenigstens vorläufigen Einordnung, angebracht:
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(1) Zur Reflexion auf das An-sich-Seiende dürfte nur die Abstraktion vom Anschauungscharakter der Erscheinungen in Frage kommen, da die Abstraktion vom Begriffscharakter derselben gerade dasjenige an den Erscheinungen behält (wenn auch schlussendlich per impossibile), ihre Raum-Zeitlichkeit und ihre Sinnlichkeit, das ihr Gegebensein-für-uns ausmacht. (2) Was ist mit der dritten Option, nicht nur entweder vom Anschauungs- oder vom Begriffscharakter der Erscheinungen zu abstrahieren, sondern gleich von beiden? Ich wüsste nicht, wie wir uns so etwas vorstellen können sollten, selbst als bloß ‚uneigentliche‘ Operation wie die anderen beiden. Um eine Abstraktion erfolgreich vollziehen zu können, benötigt man immer auch etwas, das man nach erfolgter Abstraktion übrigbehält. Dieses dürfte dann weder etwas Sinnliches (selbst kein Gefühl oder Instinkt) noch etwas Begriffliches (kein Gedanke und auch kein Wille) sein, nur was sonst? An dieser Stelle versagen uns unsere Vorstellungskräfte ihren Dienst.
Als Lehre aus diesem Kapitel können wir jedenfalls die folgende These in unsere Liste mit aufnehmen: (16.17) Das An-sich-Seiende ist (im ersten logischen Schritt) nicht als Wirklichkeit sui generis, sondern nur im Negativ zum Standpunkt der Objektivität der Erscheinungen zu konzipieren, als Abstraktion von der Raum-Zeitlichkeit (und damit der Objektivität) derselben, und affirmative Bestimmungen desselben sind nur unter der Voraussetzung dieser ursprünglichen Negativität möglich.
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Wir sind hinsichtlich der Unterscheidung zwischen dem Begriff der Erscheinung und dem des An-sich-Seienden nun um einiges klüger und können uns demnach endlich auch einen Begriff davon machen, wie die – bislang nur aufgestellte (Kapitel 13), aber nicht weiter erläuterte – Behauptung zu verstehen ist, dass unter Zugrundelegung jener Unterscheidung auf ‚Seiten‘ der Dinge an sich ‚Raum‘ für Freiheit geschaffen sei. Für die Sinnenwelt gilt, daran lässt Kant keinen Zweifel, der naturgesetzliche Determinismus: „Die Richtigkeit jenes Grundsatzes, von dem durchgängigen Zusammenhange aller Begebenheiten der Sinnenwelt, nach unwandelbaren Naturgesetzen, steht schon als ein Grundsatz der transzendentalen Analytik fest und leidet keinen Abbruch.“ (KrV, B 564/A 536)
In Hinblick auf die Erscheinungen (als solche) brauchen wir die Frage nach der Freiheit also noch nicht einmal zu formulieren. Wir brauchen dies, wie wir aus unabhängigen Gründen geschlossen haben (ausdrücklich am Ende von Kapitel 15), auch dann nicht zu tun, wenn der naturgesetzliche Determinismus nicht gälte. Doch um zu dieser Feststellung zu gelangen, bedarf es einer geeigneten Hinsichtenunterscheidung, die Kant an dieser Stelle erst herauszustellen sucht, in Form der „[…] Frage: ob dem [der Wahrheit der Determinismusthese; ds] ungeachtet in Ansehung eben derselben Wirkung, die nach der Natur bestimmt ist, auch Freiheit stattfinden könne, oder diese durch jene unverletzliche Regel völlig ausgeschlossen sei.“ (ebd.)
Es geht (zunächst) also darum, die Möglichkeit zu erwägen, dass ein und dasselbe Ereignis nicht bloß naturgesetzlich determiniert ist, sondern zugleich auch © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_17
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durch Freiheit hervorgebracht worden sein kann, dass also „beides in verschiedener Beziehung bei einer und derselben Begebenheit zugleich stattfinden könne“ (ebd.). Ist es etwa möglich, dass der Umstand, dass ich hier und jetzt schreibend am Laptop sitze, einerseits völlig nach Naturgesetzen determiniert ist, andererseits aber sogleich Wirkung einer (sinnlich) unbedingten Kausalität, als (geglücktes) Resultat einer freien Entscheidung? Wir haben diese Frage bereits positiv beantwortet, aufgrund der Unterscheidung zwischen zwei Perspektiven (der subjektiven und objektiven Einstellung) und der Feststellung der begrifflichen Irreduzibilität dieser Perspektiven aus Sicht der jeweils anderen, insbesondere der Irreduzibilität der Perspektive der subjektiven Einstellung, aus der heraus wir uns für frei halten können und müssen, auf die Perspektive der objektiven Einstellung. Ist eine solche Hinsichtenunterscheidung plus Irreduzibilität der Hinsichten einmal implementiert, lässt sich auch der Schein lösen, die Möglichkeit von Freiheit sei durch den naturgesetzlichen Determinismus bedroht und müsse vor ihm gerettet werden, und kann stattdessen die Unabhängigkeit jener von diesem bzw. seiner Gültigkeit behauptet werden, damit aber auch davon, dass er nicht gilt. Doch so weit sind wir mit Kant an dieser Stelle noch nicht (auch, wenn wir, wie wir sogleich sehen werden, bereits alles Nötige vorliegen haben, legen wir also los:) Die Antwort auf die obige Frage fällt auch Kant zufolge positiv aus und er bedient sich seiner Erscheinungslehre als Lösungsschlüssel dabei wie folgt:1 Die Gegenstände unseres Bewusstseins sind keine Dinge an sich, sondern Erscheinungen. Denken wir es uns so, müssen wir dem uns Erscheinenden, wie gesehen, aber auch ein erscheinendes, wiewohl unerkennbares Substrat unterlegen, was sich in der gefragten Hinsicht gerade wegen der Unerkennbarkeit dieses Substrats als ein theoretischer Glücksfall erweist. Denn wenn sich nichts Bestimmtes über es sagen lässt, so die Idee, dann zumindest auch nicht, dass es nicht frei wirken könnte. Und da wir offenbar auch zu den erscheinenden Gegenständen – zu den Körpern – in der Welt gehören, die also bei sich selbst auch ein entsprechendes Substrat hinzudenken müssen, dann gilt auch für uns, dass kein zureichender Grund dafür angeführt werden kann, zu behaupten, dass wir in dieser Hinsicht nicht frei wären. Und dies weiter nicht im Sinne einer sich im An-sich-Seienden verweilenden und ansonsten (sinnlich) wirkungslosen Freiheit, sondern auch und gerade respektive auf die – unsere eigenen – Erscheinungen. Schon ganz unabhängig von der Freiheitsfrage mussten wir ja festhalten: Das Substrat wirkt auf unsere Sinnlichkeit, kann – und muss – also in Hinblick auf die Erscheinungen, mit denen wir konfrontiert sind,
1 Vgl.
für das Folgende KrV, B 566/A 538 ff.
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als ursächlich angesehen werden. An dieser Deutung des Kantischen Kritizismus mag man mit Jacobi auszusetzen haben, „daß der Kantische Philosoph den Geist seines Systems ganz verläßt, wenn er von den Gegenständen sagt, daß sie Eindrücke auf die Sinne machen, dadurch Empfindungen erregen, und auf diese Weise Vorstellungen zuwegebringen: denn nach dem Kantischen Lehrbegriff kann der empirische Gegenstand, der immer nur Erscheinung ist, nicht ausser uns vorhanden, und noch etwas anders als eine Vorstellung seyn: von dem transcendentalen Gegenstande aber wissen wir nach diesem Lehrbegriffe nicht das geringste“ (Jacobi 1787, S. 220; Herv.: Jacobi)
Doch Kant selbst äußert sich in dieser Frage recht unmissverständlich: „Wenn […] Erscheinungen für nichts mehr gelten, als sie in der Tat sind, nämlich nicht für Dinge an sich, sondern bloße Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhängen, so müssen sie selbst noch Gründe haben, die nicht Erscheinungen sind.“ (KrV, B 565)
Jacobi besorgt wohl, dass die kausal geprägte Rede vom „Eindrücke auf die Sinne machen“, „Empfindungen erregen“ oder „Vorstellungen zuwegebringen“ einen unzulässigen Gebrauch der Kategorien impliziert, indem sie dem unbestimmbaren An-sich-Sein der Dinge ein bestimmtes, wirkliches und wirkmächtiges Sein zuschreibt, was nach dem „Kantischen Lehrbegriff“ einen unzulässigen Tritt über die Grenzen der uns möglichen Erfahrung darstellen und diesen so von innen heraus korrumpieren würde. Dass es auf der anderen Seite aber unumgänglich ist, es sich gerade auf diese Weise zu denken, war Jacobi freilich ebenfalls nicht ergangen, und so konstatiert er, „daß dieser Anstand mich bey dem Studium der Kantischen Philosophie nicht wenig aufgehalten hat, so daß ich verschiedene Jahre hintereinander die Critik der reinen Vernunft immer wieder von vorne anfangen mußte, weil ich unaufhörlich darüber irre wurde, daß ich ohne jene Voraussetzung in das System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darinn nicht bleiben konnte.“ (Jacobi 1787, S. 222, 223; Herv.: Jacobi)
Worin ich ihm, wenn wir schon so persönlich werden, aus eigener Erfahrung beipflichten kann. Doch diesen Bedenken kann Abhilfe verschafft werden und wir haben auch schon gesehen, wie, nämlich so, dass es sich bei dem transzendentalen Gegenstand in der Tat, wie Jacobi übrigens selbst antizipiert, um nichts weiter als einen reinen Gedanken handelt, „blos damit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer Receptivität correspondiere“ (a. a. O., S. 221). Wir müssen
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es uns so denken, können es uns aber auch nur denken, in unbestimmter, prinzipiell nicht weiter zu erhellender Weise. Auf der einen Seite müssen wir bezüglich der (Un-)Erkennbarkeit eines transzendentalen Gegenstandes also denkbar radikal bleiben und dürfen es noch nicht einmal „wahrscheinlich finden“ (a. a. O., S. 229), dass er uns wirklich, in bestimmbarer Weise, affiziert. Was wahrscheinlich ist oder vermutet werden kann, betrifft die Möglichkeit eines (theoretisch) objektiv bestimmbaren Sachverhalts, welche in diesem Fall nicht eingeräumt werden kann. Auf der anderen Seite drückt der Begriff der Wahrscheinlichkeit aber auch etwas Schwächeres aus als das, worauf wir uns hier mit Kant festlegen müssen, denn in anderer Hinsicht ist es nicht bloß wahrscheinlich, sondern absolut notwendig, sich eine transzendentale Ursache der sinnlichen Eindrücke zu denken, andernfalls wir diese nicht als solche zu konzipieren berechtigt wären. Und man muss beides zusammendenken, die Notwendigkeit der Annahme der Ursächlichkeit des An-sich-Seienden in Hinblick auf die Erscheinungen wie auch die des bloß negativ-noumenalen Charakters desselben, andernfalls gerät man, wie Jacobi, nun unter der ersteren Annahme, auf das Bedenken, dass „alle Grundsätze des Verstandes nur subjektive Bedingungen ausdrücken, welche Gesetze unseres Denkens, aber keineswegs der Natur an sich, sondern ohne allen wahrhaft objektiven Inhalt und Gebrauch sind“ (a. a. O., S. 227; Herv.: Jacobi). Wir haben aber bereits gesehen, dass die Rede von einem „wahrhaft objektiven Inhalt und Gebrauch“ eine sowohl unnötige wie in der Tat unzulässige Ausweitung des Begriffs der Objektivität in sich trägt und daher tunlichst zu vermeiden ist. Jacobi hat zwar den richtigen Ansatz gewählt, ist damit jedoch auf halbem Wege stehengeblieben. Denn er tadelt zwar Redeweisen, die eine Erkennbarkeit des an-sich-seienden Substrats implizieren, scheint ein solches Substrat aber nichtsdestoweniger als eine eigene oder eigentliche(re) Wirklichkeit sui generis anzunehmen, in Vergleich zu welcher er den uns möglichen Zugang zu den bloßen Erscheinungen als etwas Mangelhaftes, eben nicht wahrhaft Objektives fassen muss. Auf diese Weise kommt aber ein Idealismus ontologischer Prägung heraus, den wir mit Kant gerade vermeiden wollten. Streicht man jedoch diese letzte Annahme und mit ihr die einer wahrhaften Objektivität abseits dessen, was unsere Erkenntnisbedingungen hergeben, bekommt der Tadel von Redeweisen, die auf eine Erkennbarkeit des an-sich-seienden Substrats deuten, eine ganz andere Färbung und bedeutet dann nicht bloß einen Verweis auf die völlige Aussichtslosigkeit, sondern mehr noch, was entscheidend ist, auf den gänzlichen Widersinn eines solchen Unterfangens. Der konsequent epistemologischen oder methodologischen (statt ontologischen) Lesart des Kantischen Kritizismus zufolge, die wir im vorangegangenen Kapitel ausführlich dargelegt haben, ist das An-sich-Sein der Dinge den uns präsenten
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Erscheinungen nämlich nicht eigentlich vorgängig, sondern vielmehr nachträglich – oder wenigstens gleichursprünglich zu denselben –, als ein bloß gedachtes Negativ zu den uns präsenten Erscheinungen. Denken wir es uns aber als ein solches Negativ, dann löst sich schon der Wunsch danach, es unter Abstraktion von den uns eigenen Erkenntnisbedingungen bestimmt zu erkennen, in Wohlgefallen auf, indem jenes unabhängig von diesen noch nicht einmal mehr gedacht werden könnte. Wir können – und müssen – uns das An-sich-Sein zum unbestimmten Negativ des bzw. in Abstraktion vom uns Erscheinenden denken. Daher kann es uns dann aber auch füglich zur Projektionsfläche für diverse Quasi-Bestimmungen dienen, mit anderen Worten, zum Noumenon in positiver Bedeutung, das sich affirmativ bestimmen lässt. Denn wenn wir uns darüber nur klar bewusst sind, dass es sich bei derartigen Zuschreibungen nicht um Versuche handelt, ein außer uns befindliches An-sich-Sein selbst nur der Möglichkeit, geschweige denn Wahrscheinlichkeit nach objektiv zu bestimmen, sondern um Quasi-Bestimmungen eines selbst bloß Gedachten – einer Setzung –, können wir dem in dieser Weise gedachten An-sichSeienden nun gefahrlos Diverses zuschreiben, zum Beispiel eben, dass es unsere Sinne affiziert und dadurch Vorstellungen in uns bewirkt, auch wenn diese Redeweise Jacobi und andere irritiert haben mag. Es handelt sich ja bloß um QuasiBestimmungen eines „etwas überhaupt = X“ (KrV, A 104), das wir uns unter Abstraktion von unseren eigenen sinnlichen Bedingungen denken. Und sofern auch wir Erscheinungen neben anderen sind, die einen transzendentalen Grund haben müssen, dürfen wir uns auch selbst mit diversen Quasi-Bestimmungen versehen.2 Übrigens ist dann auch der Unterschied zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung ein bloß gedachter, denn um je unser an-sich-seiendes Substrat, als Erscheinungen, von dem anderer wohl bestimmt unterscheiden zu können, müssten wir sie uns wiederum als Erscheinungen denken, was wir ja gerade nicht wollen. Würden wir uns, als An-sich-Seiende, mit jenen, als ebensolchen, in Identität setzen wollen, ergibt sich dasselbe Problem, nur unter umgekehrten 2 Vgl.
hierzu auch KrV, B 702/A 674, wo Kant in Bezug auf die transzendentalen Ideen allgemein (Freiheit, Seele, Gott) bemerkt: „[Sie] sollen […] an sich selbst nicht angenommen werden, sondern nur ihre Realität, als eines Schema des regulativen Prinzips der systematischen Einheit aller Naturerkenntnis, gelten, mithin sollen sie nur als Analoga von wirklichen Dingen, aber nicht als solche an sich selbst zum Grunde gelegt werden. Wir heben von dem Gegenstande der Idee die Bedingungen auf, welche unseren Verstandesbegriff einschränken, die aber es auch allein möglich machen, daß wir von irgend einem Dinge einen bestimmten Begriff haben können. Und nun denken wir uns ein Etwas, wovon wir, was es an sich selbst sei, gar keinen Begriff haben, aber wovon wir uns doch ein Verhältnis zu dem Inbegriffe der Erscheinungen denken, das demjenigen analogisch ist, welches die Erscheinungen unter einander haben.“
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Vorzeichen – nichts dergleichen lässt sich bestimmt feststellen. Aber eben wohl denken. So dürfen wir uns etwa als einzelne, substantiell-beharrliche An-sichSeiende denken, die respektive auf ihre eigene Erscheinung wirksam sind und dies weiter in einer Weise, die, anders als im Fall der naturkausalen Wirksamkeit, selbst als unbedingt, frei von anderen, von sinnlichen ohnehin, aber auch anderen denkbaren ihnen äußerlichen Bedingungen, vorgestellt, wenn auch nicht sinnlich – auch nicht imaginativ – fasslich gemacht werden kann, weder ihrer Beschaffenheit, noch ihrer Wirkungsweise nach. Es gilt (17.18) Freiheit ist nur möglich als affirmative Quasi-Bestimmung des An-sichSeienden gemäß der in These (17.17) festgeschriebenen Konzeption desselben und damit ebenso wie dieses nicht als Wirklichkeit sui generis bzw. Teil einer solchen, sondern nur als eine Setzung auf Basis der Abstraktion von der Raum-Zeitlichkeit der Erscheinungen.
Es ist also, dieses Ergebnis mag ein wenig ernüchternd erscheinen, auf die Frage, wie wir uns eine freiheitliche Einwirkung auf die naturgesetzlich bestimmte Ordnung vorzustellen – mithin auch, wie wir sie zu begreifen – haben, keine bestimmte Antwort zu geben. (Dies gilt übrigens in jedem Fall, d. h. auch dann, wenn wir das An-sich-Seiende als Wirklichkeit sui generis zu konzipieren hätten.) Soviel aber können wir wohl wenigstens sagen, dass sich durch eine solche Einwirkung in gewisser Weise die ganze Welt – als Inbegriff der Erscheinungsreihe – ändern müsste, so, dass sich das, was sich aus der Freiheitsperspektive als ein Eingriff in die Naturreihe darstellt, der nicht aus dem Vorigen erfolgt, nachher aus der Naturperspektive doch wieder als aus diesem erfolgt begreifen lassen kann. Insofern bestehen auch alternative Möglichkeiten im Lauf der Dinge oder vielmehr: des Laufs der Dinge, deren Denkbarkeit sich übrigens daraus ergibt, dass Kants Erscheinungslehre zufolge, wie Koch sich ausdrückt, die „[kausalen] Anfangsbedingungen des Weltprozesses […] unbestimmt lange in der Zeit zurück[liegen]“ (Koch 2016b, S. 888) – also eben nicht schon am Anfang der Reihe oder durch die Reihe selbst gegeben sind. Denn dann, wenn der Weltlauf zwar kausal geschlossen, aber – selbst in Richtung der Vergangenheit hin – nicht kausal abgeschlossen ist, lässt sich auch denken, dass wir diese Anfangsbedingungen aus Freiheit, die ja nichtzeitlich gedacht werden muss und also auch nicht an den Pfeil der Zeit gebunden ist, „mitbestimmt“ (a. a. O., S. 889) haben und auf diesem Wege sogar auch noch rückwirkend mitbestimmen
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können.3 Insofern können wir also den Leibnizschen Gedanken der bedingten – anstatt absoluten – Notwendigkeit des Weltlaufs doch für uns nutzen, nur darf (1), anders als bei Leibniz, kein Gott dabei ‚im Weg stehen‘, uns an die Stelle der (Mit-)Urheber der kausalen Weltreihe zu setzen, es sich (2), anders als bei Leibniz und auch anders als bei Moore, nicht um eine bloß epistemische Unbestimmtheit handeln – die Änderungen müssen wirklich stattfinden und nicht bloß aus Unwissenheit als solche deklariert werden können –, und (3) diese Betrachtung dennoch niemals in eine konkrete Vorstellung davon münden können, wie eine freiheitliche Einwirkung vonstatten geht, was auch bedeutet, dass wir die Alternativen niemals konkret ausbuchstabieren, keinen ‚Weltenvergleich‘ anstellen können. Wollte man sich, entgegen dieser letzteren Warnung, doch darin versuchen, sich eine Einwirkung aus Freiheit vorzustellen, wird einem vielleicht etwas von der Art vorschweben, dass zum Beispiel ein Schmetterling, der vorgestern in Südamerika mit den Flügeln geschlagen hat und damit irgendwie entscheidend daran beteiligt gewesen war, dass ich, wäre ich gerade nicht aus freien Stücken hier in Mannheim vor meinem Laptop sitzend von der Kommentarseite eines OnlineNachrichtenportals wieder zu meiner Arbeit zurückgekehrt, in einer Minute hätte niesen müssen, nun doch nicht mit den Flügeln geschlagen, sondern etwa ruhig auf einem Blatt gesessen hat. Mit genügend Wissen über die Kausalzusammenhänge müsste es dann, so scheint es, prinzipiell auch möglich sein, aus freien Stücken hier und jetzt durch eine entsprechend clevere Entscheidung Donald Trumps Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika anno 2016 oder Adolf Hitlers Machtergreifung anno 1933 ungeschehen zu machen. Aber das 3 Koch
erläutert dies am Beispiel von Brutus’ Ermordung Cäsars wie folgt: „Brutus etwa sorgt durch die freie Urwahl seines intelligiblen Charakters außer aller Zeit mit dafür, dass er in der Zeit in eine Situation kommt, in der er nach Naturgesetzen an der Tötung Cäsars beteiligt ist“ (Koch 2016b, S. 889). Koch hat mit dieser Lösung übrigens seine Schwierigkeiten, und zwar, wie er meint, aufgrund der damit verbundenen „Zweiweltenlehre, die schon für sich problematisch ist und hier noch den besonderen Nachteil erkennen lässt, dass sie […] den Metakompatibilismus der Möglichkeit beraubt, einen Beitrag zum Verständnis des Zeitpfeils zu leisten: denn die Freiheit wirkt der Zweiweltenlehre zufolge ja von außerhalb der Zeit“ (ebd.). Dass indes gar keine „Zweiweltenlehre“, kein echter Dualismus von Erscheinungswelt und intelligibler Welt angenommen werden muss, haben wir in den vorigen Kapiteln gezeigt. Ob hierdurch aber auch das Bedenken gehoben werden kann, dass so verstandene Freiheit nicht die Möglichkeit des Zeitpfeils erklärt, ist fraglich und bedürfte der genaueren Untersuchung, die im Rahmen dieses Unterfangens hier allerdings nicht mehr geleistet werden kann. Auch Kochs alternativen Vorschlag zur Vereinigung von Freiheit und Naturdeterminismus, die Freiheitstheorie des Zeitpfeils, werden wir entsprechend nicht berücksichtigen können. Ein kurzer Abriss derselben findet sich a. a. O., S. 889 ff.
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ist so gesprochen natürlich Unsinn. Nicht bloß, dass eine schier göttliche Kenntnis des Weltlaufs aus der gegenwärtigen Perspektive vonnöten wäre, um die entsprechenden Stellschrauben zu erkennen. Angenommen auch, eine solche Kenntnis wäre dennoch möglich – oder, falls doch nicht, könnte man eine entsprechende Änderung wenigstens noch aus Versehen für möglich halten; ähnlich dem obigen Beispiel mit mir hier am Laptop in Mannheim und dem Schmetterling in Südamerika, der ja vielleicht nicht bloß mit dem Zustand meiner Nasenschleimhäute verknüpft war, sondern auch mit dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA im Jahr 2016. Der entscheidende Punkt ist, dass es dann – aus der dann gegenwärtigen Sicht – in Wahrheit niemals eine Welt gegeben haben kann und darf, in der diese Dinge geschehen sind. Die Geschichtsbücher wären in der Folge anders geschrieben worden, unsere Erinnerung hätte sich anders konstituiert etc. und zuvor wäre vielleicht Hillary Clinton niemals zur demokratischen Präsidentschaftskandidatin erkoren worden, der Schmetterling hätte ruhig auf seinem Blatt gesessen und/oder Wladimir Putin hätte eine Rede gehalten, in der er zugibt, sich mit Donald Trump verbunden zu haben, um Russland zur neuen Weltmacht zu erheben (oder was auch immer hätte geschehen müssen, damit die Welt sich ganz genau so konstituiert, wie es sein muss, damit mein – aus intelligibler Sicht freier – Wechsel von der Kommentarspalte des Online-Nachrichtenportals zurück zu meiner Arbeit – und natürlich auch die Wahlniederlage von Donald Trump, die wir als damit verknüpft betrachten – nach unausbleiblichen Naturgesetzen mit dem Rest der Weltgeschichte verknüpft ist). Es gäbe dann (von der Warte der Erscheinungen aus betrachtet) schlichtweg keine Veränderung des Weltlaufs, könnte es auch überhaupt keine geben, da andernfalls der naturgesetzliche Determinismus über die Hintertür doch wiederum verletzt wäre, was wir ja gerade vermeiden wollten, m. a. W.: die Annahme, eine Veränderung des determinierten Weltlaufs durch Freiheit bestimmt nachvollziehen zu können, widerspricht sich, recht entfaltet, selbst. Um den Gedanken einer freiheitlichen Einwirkung in die naturgesetzlich bestimmte Erscheinungsreihe nicht gleich völlig unglaubwürdig erscheinen zu lassen, gilt es also, der Versuchung zu widerstehen, eine solche Einwirkung gemäß unserem ersten Näherungsversuch zu verstehen. Und einen zweiten gibt es nicht. Von alternativen Weltläufen kann in concreto keine verständliche Rede sein, auch wenn sie, um den Gedanken einer Einwirkung in den Lauf der Dinge fassen zu können, in abstracto geschwungen werden muss. Es bleibt, wie zu erwarten war, wieder einmal beim Denken, oder Andenken ihrer, in der Folge aber auch beim Andenken einer freiheitlichen Einwirkung in die naturgesetzlich bedingte Erscheinungsreihe selbst. Dieses Resultat ist freilich alles andere als überraschend, zeigt sich daran doch nur einmal mehr, dass wir es mit einem Gegenstand zu tun
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haben, der sich von der Warte des uns sinnlich Gegebenen nicht beschreiben lässt, selbst dann noch, wenn wir ihn, als ein Vermögen, aus freien Stücken in die Erscheinungsreihe einzugreifen, von seinem sinnlich erscheinenden Resultat her begreifen wollen. Das ist indes keine Not, sondern ein Vorzug der Kantischen Freiheitskonzeption. Denn könnten wir die Wirkungsweise eines freiheitskausalen Vermögens auch nur indirekt bestimmt phänomenal nachvollziehen, müsste es sich bei diesem Vermögen selbst um ein Phänomen handeln, was den Ansprüchen an einen starken, reichhaltigen Freiheitsbegriff zuwiderlaufen würde, sofern zumindest, wie wir die Phänomene für naturgesetzlich determiniert halten. Im Zuge dieser Deutung kann übrigens auch einem viel rezipierten Einwand gegen Kants akteurskausal orientierte Freiheitskonzeption der Wind aus den Segeln genommen werden, dem sogenannten Datiertheitseinwand, der ursprünglich C.D. Broad zuzuschreiben ist und von Keil wie folgt wiedergegeben wird: „Handlungen sind wie andere Ereignisse etwas, was zu einer bestimmten Zeit vorkommt. Die Nennung der Ursache für eine Handlung sollte erklären, warum die Wirkung zu diesem bestimmten Zeitpunkt eintritt und nicht zu einem beliebigen anderen. Der bloße Verweis auf die handelnde Person kann dies aber nicht erklären. Die Person war schon zuvor da und wird auch nachher noch da sein. Sie ist eine beharrende Substanz, die den Veränderungen, die an oder in ihr stattfinden, zugrunde liegt und sie überdauert. Die Nennung der Person beantwortet deshalb nicht die Frage, warum zum fraglichen Zeitpunkt eine Wirkung eintritt. Also können Personen nicht im Wortsinne Ursachen von etwas sein.“ (Keil 2012, S. 243)4
Die Antwort, die Keil sich auf die Titelfrage seines Aufsatzes Kann man nichtzeitliche Verursachung verstehen? gibt – wir haben zu Beginn von Kapitel 13 bereits davon gesprochen –, lautet entsprechend „Nein“. Und hierin können wir ihm sogar beherzt zustimmen, wenn auch nur cum grano salis, da dem Gesagten zufolge hinzuzufügen ist, dass diese Unbeantwortlichkeit keinen Einwand gegen die Kantische Theorie, sondern geradezu ihr Charakteristikum darstellt. Zwar müssen wir so denken – und entsprechend auch reden –, als wäre unsere „Vernunft […] die beharrliche Bedingung aller willkürlichen Handlungen, unter denen der Mensch erscheint“ (KrV, B 581/A 553), einen bestimmten Begriff von dieser beharrlichen Bedingung aber können wir nicht geben. Als Vermögen können wir die Vernunft in Hinblick auf ihre (Fehl-)Leistungen analysieren und insofern einer Kritik unterziehen, ihr aber, als einem „intelligble[…n] Vermögen“ (KrV, B 579/A 551), bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, die sie als eine gediegen 4 Vgl.
Broad 1952, S. 215.
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substantielle, transzendental wirksame Seele erkennbar machen würden, ist – dies ist ja, wie gesehen, die Pointe an Kants Zentrallehre – nicht bzw. nur in der Weise einer auf vernünftigen Glauben hin vorgenommenen Quasi-Bestimmung erlaubt. Warum die Wirkung einer Handlung – ob als ein Tun oder als ein Unterlassen – zu gerade diesem und keinem anderen Zeitpunkt erfolgt ist, lässt sich dann ebenso wenig beantworten wie die Frage, warum sie überhaupt erfolgt ist. Der Datiertheitseinwand greift nur, solange man nach einer bestimmten bzw. bestimmbaren Relation zwischen intelligibler Ursache und erscheinender Wirkung fragt – oder vielmehr, solange man meint, nach einer derartigen Relation überhaupt nur fragen zu können. Keil selbst konstatiert denn auch, dass bei einer Handlung, als Tun – oder Unterlassen – „[d]er Akteur […] eine besondere und irreduzible Rolle [spielt], die in einer ereigniskausalen Analyse“ – seiner eigenen – „nicht eingefangen wird“ (Keil 2012, S. 255), ja, die überhaupt nicht, jedenfalls nicht begrifflich, eingefangen werden kann und insofern „viel dafür [spricht], dass der Begriff des Tuns“ – als freiwilliger Akt einer Person – „zu den primitiven, nichtanalysierbaren Grundbegriffen unserer deskriptiven Metaphysik gehört“ (a. a. O., S. 254). Nur will Keil den Umstand, dass wir uns als „erste Urheber unserer Handlungen“ (ebd. S. 255) begreifen müssen, „besser ohne das kausale Idiom“ (ebd.) ausgedrückt wissen, was ihm freilich unbenommen bleibt, uns damit aber etwas ratlos zurücklässt, wenn wir uns fragen, wie sonst, wenn nicht in kausaler Weise, wir uns als „Urheber unserer Handlungen“ zu denken haben. „Die begriffliche Irreduzibilität des Selbsttuns“ bildet, meint Keil, „den kleinen wahren Kern des Modells der Akteurskausalität“ (ebd.), aber „[d]as Ausführen oder Vollziehen einer Handlung sollte nicht in der Terminologie des Verursachens beschrieben werden. Was der Akteur dazu tut, dass seine Handlung geschieht, tut er eben, aber er verursacht es nicht.“ (ebd.)
Sicher wäre es etwas gewöhnungsbedürftig, zu sagen, dass ich, als Akteur, die Tastenanschläge auf der Tastatur vor mir oder die Wahl einer etwas diplomatischeren Formulierung meines Bedenkens gegenüber Keils Ausführungen, als sie mir zuerst durch den Kopf geschossen sein mag, verursache. Aber ich kann mir keinen Begriff davon machen, wie sonst mein Tun zu verstehen sein soll. In einem anderen Zusammenhang – dies ist der einzige Hinweis, der sich in Keils Text finden lässt – unterscheidet Keil zwischen „Kausalbeziehung“ und „Beziehung der Rechtfertigung oder vernünftigen Begründung“ (a. a. O., S. 244) und entsprechend (in umgekehrter Reihenfolge) zwischen dem „Gehalt eines Grundes“ und seinem „Erwogenwerden, also die mentale Episode des praktischen Überlegens“ (ebd.). Mit dieser Unterscheidung meint Keil, Kant beim „Themenwechsel“ (ebd.) zu
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ertappen, wenn selbiger bemerkt, dass „das Verhältnis der Handlung zu objektiven Vernunftgründen […] kein Zeitverhältnis“ (Prol., A 156 [AA IV, 346]) sei und dies als Erklärung für die Möglichkeit (bzw. Denkbarkeit) eines „Vermögen[s]“ ansieht, „eine Reihe von Zuständen von selbst anzufangen“ (ebd.), mit anderen Worten: einer Freiheitskausalität. Verursachung ist, dies ist ja der Punkt, auf den Keil mit seinem ganzen Text hinauswill, nur zu verstehen, wenn wir sie als zeitliche begreifen, also kann es sich bei dem von Kant in Anspruch genommenen nichtzeitlichen Verhältnis zwischen objektiven Vernunftgründen und Handlungen nicht um ein Verursachungsverhältnis handeln. Stattdessen handelt es sich um ein Verhältnis der Rechtfertigung bzw. vernünftigen Begründung, was, wie Keil zu meinen scheint, sicher angeht, aber dann zumindest von vornherein nie ein Problem für den naturgesetzlichen Determinismus dargestellt hat.5 Wir haben dem Einwand, dass nichtzeitliche Verursachung nicht zu verstehen ist, bereits bereitwillig stattgegeben – und zur Pointe erhoben; doch dies sei für den Moment zurückgestellt. Die Frage hier ist nun, ob sich ein bloßes Begründungsverhältnis, ohne „Kausalidiom“ (s. o.), dazu eignen würde, zu verstehen, was ein (freies) Tun ist. Und das tut es offensichtlich nicht. Gewiss würden wir ein Tun (oder vielmehr einen Tun-Kandidaten), für das es keine Gründe (im Sinne von „Rechtfertigung“) gibt, nicht als ein Tun, und schon gar nicht als Handlung begreifen können. Dasselbe gilt aber auch für ein Tun (oder Tun-Kandidaten), bei dem etwaige vorhandene Gründe, falls dies streng genommen überhaupt möglich ist, keine Wirksamkeit entfalten. Tun (frei oder nicht) ist Wirken, Selbsttun ist Selbstwirken. Soviel müssen wir dem Begriff des (Selbst-)Tuns noch abgewinnen, bevor wir ihn für nicht weiter analysierbar erklären.6 Es muss sich also bei dem Verhältnis zwischen den Gründen für eine Handlung und der Handlung selbst immer auch um ein Kausalverhältnis handeln; das wir im Fall frei bewirkter Handlungen zwar nicht verstehen, aber ohne Widerspruch, innerlich, d. h. ohne Selbstwiderspruch, wie äußerlich, d. h. ohne Widerspruch zur Naturgesetzlichkeit der Erscheinungen, denken können. Mehr ist auf diesem Stand der Dinge nicht möglich, aber auch gar nicht gefragt. Ähnliches dürfte übrigens auch für eine weitere Eigenschaft gelten, die wir einem Willen, der von einer derartigen Kausalität geprägt ist, allem Anschein nach zuschreiben müssen, nämlich, dass er nicht bloß in Bezug auf anderes – seine 5 „Wenn
die nichtzeitliche Art der ‚Determination‘ einer Handlung durch den intelligiblen Charakter, die Kant anführt, gar keine kausale ist, dann ist auch ‚Kausalität durch Freiheit‘ keine Kausalität und konfligiert schon deshalb nicht mit der Naturkausalität“ (Keil 2012, S. 244). 6 Vgl. Keil 2012, S. 254, 255.
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Erscheinungen –, sondern gar auch schon in Bezug auf sich selbst als Ersturheber, mithin als causa sui zu gelten hätte. Wir sind dem Causa-sui-Verdacht gegenüber dem freien Willen bereits begegnet, einmal, nur angedeutet, im fünften Kapitel von Seiten Galen Strawsons, einmal, etwas ausführlicher, im darauffolgenden Kapitel 6 von Seiten Leibnizens. Vielleicht können wir die Schärfe, die in ihm liegt, vor dem Hintergrund des Gesagten wie folgt abmildern: Wir verstehen nicht, wie etwas Ursache seiner selbst sein kann, und würden wir eine solche Ursache innerhalb der naturgesetzlich bestimmten Ordnung annehmen, würden wir uns selbst widersprechen; doch wenn wir sie außerhalb derselben ansetzen, und zwar nicht in einer weiteren, übernatürlichen Ordnung der Dinge, sondern als ein An-sich-Seiendes, das wir uns als den Bedingungen der Zeit und damit der Naturgesetzlichkeit nicht unterworfen denken, mag ein solcher Gedanke als widerspruchsfrei und damit legitim im gesuchten Sinne durchgehen. In sich, so ließe sich dann sagen, stellt der Gedanke einer Ursache seiner selbst, keinen Widerspruch dar, sondern derselbe kommt erst ins Spiel unter den Bedingungen der Zeitlichkeit und damit der Kausalität, wie wir sie allein in bestimmter Weise fassen können.7
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ist zugegebenermaßen nur eine Ad-hoc-Lösung, von der ich nicht weiß, ob sie zu überzeugen vermag. Vielleicht aber besteht das Problem auch gar nicht in dieser Schärfe, wenn man es wie Gerlach sieht, der schreibt: „Das Ich, das einen kausalen Anfang seiner eigenen Handlungen setzt, macht sich dadurch selbst zu etwas: es wird zur Ursache der spezifischen Art von Person, die es dadurch ist, dass es eben jene Handlung ausführt. Damit ist sie causa sui – aber nicht hinsichtlich ihrer Existenz, wie dies dem klassischen Begriff einer causa sui entspräche (eines Wesens, das sich selbst ins Sein bringt), sondern hinsichtlich ihres Wesens, der Art, wie sie ist“ (Gerlach 2010, S. 63). Andererseits erscheint es mir wiederum schwierig, das Ich bzw. den Willen von der Art abzulösen, wie es bzw. er ist. Eine Substanz, und sei sie auch nur gesetzt, ohne Akzidentien ist nichts, und sofern eine Substanz sich darin selbst setzt, wie sie ist, setzt sie sich auch in ihrer Existenz.
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Das An-sich-Seiende in seinem Setzungscharakter und die Unergründlichkeit der Moralität unserer Handlungen
Die Unbegreiflichkeit des Verhältnisses zwischen dem frei wirkenden An-sichSeienden und der determinierten Erscheinung hat bemerkenswerte Konsequenzen für die Frage nach der moralischen Bewertung, die Kant in einer Fußnote zu seiner Darstellung der Auflösung der Dritten Antinomie schön, wenn auch, wie wir sehen werden, vielleicht etwas missverständlich, auf den Punkt bringt: „Die eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns daher, selbst die unseres eigenen Verhaltens, gänzlich verborgen. Unsere Zurechnungen können nur auf den empirischen Charakter bezogen werden. Wie viel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der bloßen Natur und dem unverschuldeten Fehler des Temperaments, oder dessen glücklicher Beschaffenheit (merito fortunae) zuzuschreiben sei, kann niemand ergründen, und daher auch nicht nach völliger Gerechtigkeit richten.“ (KrV, B 579/A 551 (Fn))
Unserer, dank Strawson gewonnen, Einsicht zufolge haben wir zwei Perspektiven zur Verfügung, die der Bewertung (oder subjektiven Einstellung) und die der Erklärung (oder objektiven Einstellung), und wir haben festgestellt, dass die beiden begrifflich gar nicht miteinander konkurrieren, sondern unabhängig voneinander sind. Genauso sieht es auch Kant, der, wie um unsere in den Kapiteln 10 bis 12 gewonnenen Ergebnisse zu erläutern, das Beispiel des Lügners gibt, dessen Tat wir einerseits „in der schlechten Erziehung, übler Gesellschaft“ (KrV, B 582/A 554) und dergleichen begründet und dadurch völlig erklärt sehen können und „[den Täter] […] nichts destoweniger [tadeln]“ (KrV, B 583/A 555), weil wir der Ansicht sind, er hätte „jetzt, in dem Augenblicke, da er lügt, gänzlich Schuld“ (ebd.). Wir messen die Tat, meint Kant dort auch, „seinem intelligibelen Charakter bei[…]“ (ebd.), obwohl sie seinem empirischen Charakter gemäß völlig erklärlich ist. Dennoch können, lesen wir ebenfalls bei Kant, „unsere Zurechnungen […] nur auf den empirischen Charakter bezogen werden“, mit anderen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_18
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Worten darauf, was wir zu sehen (hören, tasten, riechen, schmecken) bekommen – was uns erscheint. Wie gehen diese beiden Standpunkte – die der Behauptung einer fehlenden Einsicht in die Moralität aufgrund einer fehlenden Einsicht in das Verhältnis zwischen freien Ursachen und ihren erscheinenden Wirkungen und die Rigorosität, mit der wir von den Erscheinungsbedingungen auch einfach im Ganzen absehen können – zusammen? Wohl so: Eine direkte Bezugnahme auf den intelligiblen Charakter einer Person ist genauso wenig möglich wie es allgemein möglich ist, auf irgendein An-sich-Seiendes direkt Bezug zu nehmen, weil es, wie wir nach den Thesen (16.17) und (17.18) sagen können, weder das eine noch das andere, als unabhängig von den Erscheinungen für sich Bestehendes, gibt. Wir können uns, haben wir gesehen, auf das An-sich-Seiende nur indirekt beziehen, in negativer Abhängigkeit, d. h. in Abstraktion von der Raumzeitlichkeit und damit der Objektivität einer Erscheinung. Vom An-sich-Seienden bleibt damit im ersten (logischen, nicht zeitlichen) Schritt nichts mehr als der bloße Gedanke eines unbestimmten Etwas überhaupt. Im zweiten Schritt können wir dieses dann mit Quasi-Bestimmungen, z. B. eben Freiheit, Wille, Güte, Bösartigkeit etc. besetzen und die raum-zeitlichen Objekte als Wirkungen derselben, z. B. eines bösartigen freien Willens, betrachten. Wobei der Ausgangspunkt unserer Besetzung, dasjenige, worauf wir uns zunächst beziehen und zumindest in bestimmter Weise auch nur beziehen können, immer die Erscheinung ist; im Fall des Moralischen die Handlung selbst sowie ihre näheren und gegebenenfalls auch ferneren Begleitumstände wie Mimik, Gestik, früheres Verhalten in ähnlichen Situationen usf. Von ihr – dem empirisch erscheinenden Charakter einer Person und ihrer Handlung – her schließen wir auf eine ideale Ursache der Handlung und messen sie insofern dem an-sich-seienden (oder intelligiblen) Charakter einer Person in indirekter Bezugnahme bei. Welche Beimessungen allerdings angemessen sind und welche nicht, können wir indes weder den Erscheinungen noch einer unabhängig von denselben – an sich – bestehenden Wirklichkeiten ablesen, den ersteren nicht, weil ihre Lektüre nicht das zu erkennen geben kann, wonach wir suchen, der letzteren nicht, weil sie überhaupt nichts zu lesen geben kann. Wir sind offenbar, und dies gilt ganz allgemein in Bezug auf das An-sich-Seiende, auf uns selbst zurückgeworfen, müssen die Geschichten, die wir lesen wollen, selbst erst schreiben. Und wir dürfen. Sofern wir uns nicht in Widersprüche verwickeln, kann auch gar nichts Irriges dabei herauskommen, nur mehr oder weniger Lesenswertes, Erbauliches, Anstößiges, Schönes oder eben auch Gutes bzw. Böses. Wagen wir nun – ohne unsere obige Frage zu vergessen – einen großen, die Ergebnisse der letzten Kapitel mit dem Erreichten aus dem ersten Teil (noch näher) verbindenden Schritt nach vorne. Wir haben mit Strawson die zwischenmenschliche Praxis des Zuschreibens von Verantwortung und des Verhängens
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von Strafen, unser manifestes moralisches Miteinander, für eine aus Sicht der objektiven Wissenschaften irreduzible Gegebenheit befunden und daher – ebenfalls mit Strawson – geschlossen, dass die Frage, ob und inwiefern wir die für die erstere charakteristische subjektive Einstellung zugunsten einer für die letztere charakteristische objektive Einstellung aufgeben, keine Frage der objektiven Wissenschaften ist, sondern eine, die nur aufgrund und zum Zweck des zwischenmenschlichen Miteinanders beantwortet werden kann (vgl. Kapitel 10, insbesondere die Thesen (10.9) und (10.10)). Es liegt demnach in unserem – auf das zwischenmenschliche Miteinander abgestimmten – Ermessen, wie viel der objektiven Erklärung wir zur Bewertung einer Handlung zulassen, wissenschaftliche Maßstäbe hierzu kann es nach Voraussetzung gar nicht geben bzw. sofern wir uns dabei der objektiven Wissenschaften bedienen, dann auch dies wiederum bloß im Dienste des zwischenmenschlichen Miteinanders und nicht aus ihrem eigenen Recht heraus. Mit These (11.11) haben wir – über Strawson hinaus – hinzugesetzt, dass der Begriff der Verantwortung (im vollen, schuldimplizierenden Sinne) den der Freiheit (im starken, indeterministischen Sinne) impliziert. (Und hieraus wiederum, da die begriffliche Unabhängigkeit des zwischenmenschlichen Miteinanders von den objektiven Wissenschaften auch für den Fall gilt, dass aus der Sicht der letzteren deterministische Prinzipien gälten, dass auch Freiheit und der naturgesetzliche Determinismus miteinander vereinbar sind (These (12.12)).) Die Frage nach dem Maß der objektiven Erklärung, das zur (moralischen) Bewertung einer Handlung herangezogen wird, ist, als Frage nach dem Maß der Verantwortlichkeit somit auch eine Frage nach dem Maß der Freiheit. Wir befinden uns mit diesen Überlegungen also – dessen wollten wir uns an dieser Stelle noch einmal versichern – im direkten Dunstkreis eben jener Überlegungen, die bei Kant offenbar im Hintergrund stehen, wenn er konstatiert, dass „niemand ergründen“ könne, wieviel des empirisch-erscheinenden Charakters, auf den allein wir uns bei unseren Zurechnungen bestimmt beziehen können, „reine Wirkung der Freiheit, wie viel der bloßen Natur und dem unverschuldeten Fehler des Temperaments, oder dessen glücklicher Beschaffenheit (merito fortunae) zuzuschreiben sei“. Unsere Erklärung für diesen Umstand lautet dann mit Strawson bzw. dem, was wir aus seinen Überlegungen gemacht haben, wie folgt: Um eine solche Ergründung leisten zu können, bedürfte es einer Erklärung nach Maßstäben der objektiven (Natur)Wissenschaften, die aber zur moralischen Bewertung einer Handlung – die hier offenbar das Ziel ist – nicht bzw. nur insofern relevant sind, als es nach Maßstäben des zwischenmenschlichen Miteinanders (in subjektiver Einstellung, oder sagen wir, da bei Kant auch mit objektiven moralisch-praktischen Erkenntnissen zu rechnen ist, besser: aus der Perspektive der genuin praktischen Disziplinen) geboten
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scheint. Deshalb kann „niemand ergründen“, wie viel der Freiheit, wie viel der Natur usf. bei einer bestimmten Handlung im Spiel war – weil es schlicht gar nichts zu ergründen gibt bzw. die Maßstäbe, welche anzulegen nötig wäre, an dieser Stelle aus prinzipiellen Gründen versagen. Wie es wiederum zu einer solchen Irreduzibilität der Perspektive des zwischenmenschlichen Miteinanders kommen kann, erklärt Strawson nicht, lässt sich aber wiederum mit Kants Erscheinungslehre erklären, wie wir sie dargelegt haben. Ihr zufolge sind objektive Erklärungen nur für raumzeitliche Erscheinungen möglich und sind auch umgekehrt Erscheinungen für Prinzipien, die über das objektiv Erklärliche hinausgehen, prinzipiell unzugänglich. Den Erscheinungen gegenüber steht dessen an-sich-seiendes Substrat, das wir uns in negativer Abstraktion von der Raumzeitlichkeit der ersteren hinzudenken können und müssen und bei dessen Bestimmung wir aus prinzipiellen Gründen auf uns selbst und unsere eigene Autorenschaft gestellt sind. Ebenso, wie es sich nun in Bezug auf das An-sich-Seiende im Allgemeinen verhält, verhält es sich im Speziellen offenbar auch bei der Frage nach dem Maß der Verantwortung und damit auch dem der Freiheit, das wir einander (und uns selbst) im Zuge der moralischen Bewertung zuschreiben. In welchem Maße wir objektive Erklärungen zulassen bzw. ignorieren, um den zugeschriebenen Grad der Verantwortung und der Freiheit zu mildern oder zu stärken, ist keine Frage, die sich durch objektive Erklärungen beantworten lässt, sondern eine solche, die nach anderen, nämlich moralischen Maßstäben – oder Prinzipien des zwischenmenschlichen Miteinanders – bearbeitet werden muss. Und die Erklärung dafür, dass dem so ist, besteht dann schlicht darin, dass es sich bei dem Gegenstand der Zuschreibung letztlich um ein An-sich-Seiendes handelt, das sich der objektiven Bestimmbzw. Erklärbarkeit prinzipiell entzieht und daher auf Setzungen angewiesen ist, die nach anderen Prinzipien erfolgen, als es bei der Bestimmung von Erscheinungen der Fall sein kann. Es fragt sich natürlich, wie und mit welchem Recht wir dazu kommen, diesen Gegenstand überhaupt zu erkennen – oder vielleicht vielmehr: anzuerkennen –, aber auch bei der Beantwortung dieser Frage spielen die Maßstäbe der objektiven Erklärung keine Rolle, sondern müssen andere Maßstäbe angelegt werden. Auf die Objekte bezogen sollten sie indes dennoch sein, auch wenn sie dabei als solche nicht – oder nicht im vollen Sinne – in Betracht gezogen werden. Dies gewährleisten zu können war die Anforderung, mit der wir an Kants Lehre Erscheinungslehre herangetreten sind und die von derselben, wie gesehen, im Allgemeinen auch erfüllt wird. Im Besonderen, bei der Zurechnung einer Handlung, verhält es sich offenbar ebenso, wie sich auch daran zeigt, dass wir dabei Kant zufolge stets auf den empirischen Charakter bezogen sind, schlicht, weil wir außer demselben – außer den Erscheinungen – nichts haben, worauf wir
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uns beziehen können, jedenfalls zunächst. Wir klammern ihn – bzw. sie – als solche nur in Gedanken ein und setzen ihm – bzw. ihnen – einen intelligiblen, gutoder böswilligen, jedenfalls frei wirksamen Charakter zum Grunde, sodass wir den Gedanken fassen können, dass dieser jenen empirischen Charakter in eigener Verantwortung und aus freien Stücken gewählt hat. Auf diese Weise verdoppelt unser Bezug sich gleichsam in sich selbst, ausgehend aber vom Bezug auf die sinnliche Erscheinung, als unserem primären Bezugsobjekt, dem wir in negativer Abstraktion von ihrer Raumzeitlichkeit ein unbestimmtes An-sich-Seiendes unterlegen, welches wir anschließend mit positiven moralischen Bestimmungen – guter Wille, böser Wille – versehen können, sofern uns nur, dies wird uns im nächsten Kapitel noch beschäftigen, die entsprechenden Prinzipien dazu gegeben sind, ihren Begriff zu ermöglichen. An welcher Stelle wir indes mit dieser Betrachtung ansetzen und wie weit wir damit gehen, das heißt, ob wir jemandes Erscheinung als in besonderem Maße freiheitsgewirkt oder naturbedingt betrachten, hat natürlich zum einen Auswirkungen auf das zugeschriebene Maß an Moralität, ist aber zum anderen – dieser Punkt kann gar nicht genug betont werden – seinerseits vor allen Dingen eine Frage der Moral und nur nach Maßgabe derselben auch eine der objektiven Beobachtung. Was übrigens nicht bedeutet, dass dabei keine Fehler gemacht werden könnten, moralische dann ohnehin, aber auch logische – und auch solche, die auf mangelndem Wissen über Erfahrungsumstände beruhen. Zwei Personen unter hinreichend ähnlichen Umständen ein unterschiedliches Maß an Freiheit – und damit an Schuld oder Verdienst – zuzuschreiben zum Beispiel ist widersprüchlich oder zumindest inkonsequent, vorausgesetzt natürlich, man weiß auch um diese Umstände und ihre Ähnlichkeit. Insofern können auch aus mangelndem Wissen Fehlzuschreibungen erfolgen, nämlich vergleichsweise zu anderen Fällen, bei bereits bestehenden, gleichbleibenden Maßstäben der moralischen Bewertung. Doch welche Bewertungsmaßstäbe ursprünglich angelegt werden sollen, d. h. eben auch: wie viel der Freiheit und damit Verantwortlichkeit wir einer oder allen Person(en) in einer bestimmten Situation oder generell zugestehen (oder zumuten), lässt sich den Erscheinungen – und dem An-sich-Seienden erst recht – nicht ablesen, sondern muss im Sinne dessen, was man für moralisch gut oder gerecht hält, festgelegt werden. Dies ist ja die (um unseren Zusatz der Freiheit angereicherte) zentrale Einsicht aus Strawsons „Freedom and Resentment“, nur etwas anders nuanciert und durch Kants Erscheinungslehre nun auch theoretisch (weiter) fundiert, die es uns erlaubt hat, unsere moralische Praxis (und Freiheit) unabhängig von der Determinismusfrage zu fassen. Wenn wir es für im Sinne unseres objektiv irreduziblen zwischenmenschlichen Miteinanders (des Menschlichen überhaupt, des Guten oder der Gerechtigkeit) befinden würden, einander
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künftig ausschließlich in objektiver Einstellung zu betrachten, dann wäre dies eine solche Festlegung. Ebenso würde es sich verhalten, würden wir beschließen, alle und nur diejenigen in unserer Gemeinschaft so weit als möglich in subjektiver Einstellung, d. h. als freie und selbstverantwortliche Personen zu betrachten, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und alle anderen (Sklaven, Arbeitslose, Kinder, Hausmänner, Greise) in objektiver Einstellung. Oder wenn wir meinen würden, es sei angebracht, alle Männer, denen vor ihrem 22. Lebensjahr mindestens einmal ein Stapel Holz auf den Fuß gefallen ist, von ihrem 22. Lebensjahr an dann und nur dann als frei und verantwortlich zu betrachten, wenn sie verheiratet und nicht erwerbstätig sind. Es gibt natürlich weitaus sinnvollere (und sicher auch moralisch weniger zu beanstandende) Setzungen als diese. Zudem sind sie offensichtlich ziemlich unterkomplex. Tatsächlich verfügt jede Gemeinschaft – und auch jede einzelne Person – über ein reichhaltiges und fein nuanciertes System von Festlegungen dieser Art. Dass diese Systeme sich übrigens, zum Teil auch in frappierendem Ausmaß, voneinander unterscheiden bzw. zu unterscheiden scheinen, hat mit ihrem Setzungscharakter, dies sei an dieser Stelle noch angefügt, nichts zu tun, dieser kann also keineswegs zur Begründung eines manifesten Moralrelativismus herangezogen werden, den manch einer hinter der Verschiedenheit der Systeme vermuten und sich durch die Behauptung, es handele sich dabei um bloße Setzungen, auch theoretisch bestätigt könnte. Es mag im Übrigen sein, dies wollen wir hier noch gar nicht ausschließen, dass es tiefere, theoretische Gründe für die Verschiedenheit der Systeme gibt. Andererseits gibt auch noch andere, nicht relativistische Erklärungen für diesen Umstand. So mag man gegenüber den Autoren dieser Systeme etwa den Verdacht hegen, dass sie sich dieselben insgeheim mehr auf ihre – naturgemäß verschiedenen – Partikularinteressen zugeschnitten haben, als sie zugeben würden, anstatt sich darauf zu konzentrieren, was das Richtige wäre. Oder man kann die Gemeinsamkeiten im Grundsatz betonen, aber auch auf die Schwierigkeiten im Detail hinweisen, selbst bei bestem Willen, die Orientierung in einem solch reichhaltigen Geflecht zu behalten, wie wir es in dieser Welt nun einmal vorfinden. Zudem in Rücksicht zu stellen ist auch die Möglichkeit, dass sie alle je auf unterschiedliche Umstände bezogen sind und es bisweilen, weil dies von außen im Einzelnen schwer nachzuvollziehen ist, daher auch nur so scheint, als wären je andere Maßstäbe am Werk oder wäre der Überblick verlorengegangen, wo man denselben bei der Beurteilung eines solchen Systems in Wahrheit nur selbst verloren hat (oder auch selbst unmoralische Interessen verfolgt) und daher Unterschiede feststellt, wo in Wahrheit gar keine sind. Der entscheidende Punkt ist: Selbst wenn es einen fertigen und bis ins letzte Detail ausgeschriebenen, allgemein anerkannten und ewig gültigen Katalog
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an Vorschriften gäbe (was selbst nur seiner Möglichkeit nach mehr wäre, als zu einer nicht-relativistischen Moraltheorie erforderlich ist, und wohl auch mehr, als ihr gut täte), zu bestimmen, welcher Erscheinung welches Maß an Freiheit und Moralität zuzuschreiben wäre, so würde dies an ihrem Charakter als Setzungen nichts ändern. Fassen wir zusammen: Die uns prinzipiell fehlende Einsicht in die Moralität unserer Handlungen, die Kant benennt – und vielleicht auch ein bisschen beklagt, wenn er hinzufügt, dass „daher auch […] [niemand] nach völliger Gerechtigkeit richten“ (s. o.) könne –, erklärt sich aus der prinzipiellen Unzugänglichkeit des An-sich-Seienden für Erklärungen in objektiver Einstellung, die zu beklagen, wie gesehen – und wie Kant selbst sonst ja auch meint –, jedoch widersinnig ist. Stattdessen erweist sie sich sogar als unschätzbarer Vorzug, wenn wir uns nur darüber klar werden, dass die Frage nach Einsicht in das An-sich-Seiende oder nach einer Ergründung desselben, entsprechend eigentlich auch die Behauptung seiner Unzugänglichkeit, gar nicht die trefflichen Modi sind, sich ihm zu stellen, sondern wir es eher wie ein Werkstück betrachten sollten, dem wir nach Maßgabe von Bedürfnissen, die von den Erscheinungen nicht gestillt werden können, unseren eigenen Zuschnitt geben können, dies indes, ohne in den Verdacht des träumerischen Zurichtens einer uns unbekannten ‚wirklicheren Wirklichkeit‘ (als die der Erscheinungen) zu geraten, die es ja gar nicht gibt. (Falls es eine solche Welt ‚gäbe‘, wäre sie kein mögliches Thema für uns, auch nicht in bloß unbestimmtem Bezug, was nach Maßgabe unserer Möglichkeiten dasselbe ist, wie zu sagen, dass es sie nicht gibt und sogar auch gar nicht geben kann.) Betrachten wir es so, brauchen wir auch die fehlende Einsicht in die Moralität unserer Handlungen nicht zu beklagen – oder jedenfalls nicht aufgrund einer eigentlich nur vermeinten Unzugänglichkeit des An-sich-Seienden – und sofern Kant dies tut, lässt sich mit seinen eigenen Mitteln Abhilfe schaffen: Es liegt, dies war auch die Pointe, die wir bei Strawson herausgearbeitet haben, ursprünglich in unserem moralischen Ermessen (in subjektiver Einstellung), wie weit wir, sei es in Bezug auf die Allgemeinheit, sei es in Bezug auf Einzelfälle, jemandes Erscheinung (in objektiver Einstellung) zum Zweck der Bewertung in Rücksicht stellen. Dabei sollte es natürlich nicht bloß moralisch, sondern auch logisch korrekt zugehen und in der spezifischen Anwendung der entsprechenden Prinzipien ergeben sich freilich auch mannigfaltige empirische Schwierigkeiten – und hieran mag es dann mit der vollends gerechten Beurteilung schließlich vielleicht sogar aus prinzipiellen Gründen scheitern. Aber dies liegt denn nicht an der Unerkennbarkeit des An-sich-Seienden, sondern an den allfälligen Problemen, die uns die Erkenntnis
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der Erscheinungen bereitet, deren Reihe uns, wie wir bereits für den Fall der Kausalreihe (Relation) gesehen haben (Kapitel 14), wie es aber auch der raumzeitlichen Größe (Quantität), der materiellen Zusammensetzung (Qualität) und der Weise ihres Bestehens (Modalität) nach gilt, nicht gegeben, sondern nur aufgegeben ist. Aber natürlich ist das Unterfangen, das wir hier vor Augen stehen hatten – die Möglichkeit, Prinzipien zur bestimmten 1:1-Zuweisung von Erscheinungen zu freien Ursachen aufzustellen –, ohnehin, wo nicht zum Scheitern verurteilt, so doch wenigstens viel zu kompliziert, um sich als ‚nutzerfreundlich‘ erweisen zu können, und sollten wir uns im Einzelfall vielleicht weniger auf das bestimmte Geschehen, als vielmehr darauf konzentrieren, die Gelegenheit zu nutzen, die Zeichen, so weit sie nur augenscheinlich sind, umgehend und ganz ohne Haarspalterei in einer Weise deuten, die der je eigenen Vollkommenheit und je fremden Glückseligkeit – die beiden höchsten Zwecke, die Kant zufolge zugleich auch Pflichten sind –1 so gut als möglich dienlich ist. Das hieße im einzelnen: Kultivierte Vorsicht, um nicht zu sagen Skepsis, in Bezug auf die je eigene Motivlage, ohne der Selbstgeißelung anheimzufallen, damit die je eigenen Handlungen in Zukunft (noch) besser ausfallen mögen als bislang, und geübte Nachsicht in Bezug auf die Motivlage anderer, ohne sie indes in ihrer Autonomie anzugreifen und zu besseren Tieren zu degradieren, damit sie in dem wenigen Glück, das ihnen, wie uns allen, auf Erden beschieden ist, nicht auch noch durch moralinsaure Erziehungsversuche beeinträchtigt werden. Doch wir wollen aus diesen letzteren Überlegungen keine weiteren Folgen ziehen und können sie also dahinstehen lassen.2 1 Vgl.
TL, A 13 [= AA VI, 385] ff. Koch 2006, S. 633 nimmt zu der Einsichtsfrage Stellung und scheint im Grundsatz eine ganz ähnliche Richtung einzuschlagen wie wir: „Wir handeln […] unter einer generellen Freiheitsunterstellung, die aber nichts darüber präjudiziert, in welchen Fällen wir im vollen positiven Sinne frei, d. h. autonom und aus Pflicht handeln und in welchen heteronom und gegen die Pflicht. Wie wiederum Kant selber anerkennt, können wir sogar im je eigenen Fall nicht sicher wissen, ob die Maxime unserer Handlung wirklich verallgemeinerbar war. Kant betrachtet dies aber als ein rein epistemisches Defizit und nimmt an, daß wir objektiv nach einer wohlbestimmten Maxime gehandelt haben, die ein allfälliger ‚Herzenskündiger‘, der ‚das Innerste der Gesinnungen eines jeden‘ [Rel., B 139/A 131 [= AA VI, 99]; ds] durchschaut, somit erkennen würde […]. Doch so einfach können die Dinge nicht liegen. Wenn wir prinzipiell nicht wissen, was die Maxime unserer Handlung war, wird die Vorstellung eines Herzenskündigers, der es kann, haltlos, wie wir der Kritik der metaphysischen [der uns epistemisch auf Dinge an sich bezogen wähnt; ds] und der Begründung des erkenntnistheoretischen Realismus [demzufolge wir epistemisch nur auf Erscheinungen bezogen sind; ds] entnehmen können.“ – In der Folge schlägt Koch vor, unsere Lage besser so zu verstehen, dass wir „unser faktisches Tun möglichst so
2 Auch
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Was wir in der Hauptsache feststellen wollten und auch festgestellt haben, war, dass Kants Erscheinungslehre uns in der Tat die zum Ende von § 8 ausgeschriebene Erklärung der Möglichkeit bietet, in zweifacher, einmal in objektiv erklärend und einmal in subjektiv wertend eingestellter Weise auf ein und denselben Gegenstand Bezug zu nehmen, kurz: (18.19) Kantische Erscheinungen bieten die Möglichkeit zur Strawsonschen doppelten Bezugnahme und damit auch zur Vereinbarkeit von (starker) Freiheit und (striktem) Naturdeterminismus.
Dass die Kantische Erscheinungslehre eine geeignete Grundlage für die Überlegungen ist, die wir mit Strawson angestellt haben, zeigt sich, auch deshalb haben wir die ‚Einsichtsfrage‘ aufgeworfen, auch daran, dass sich mit ihren Mitteln erklären lässt, was wir bis dato nur konstatieren konnten, nämlich dass es, wie wir mit Strawson gesehen haben, zuletzt immer die Perspektive der subjektiven Einstellung ist, aus der heraus wir die Frage beantworten müssen, ob und inwiefern eine Person für ihr Handeln verantwortlich ist, d. h. (auch), wie viel der objektiven Erklärung wir zur Bewertung desselben heranzuziehen haben. Wiederum kurz und knapp: (18.20) Die objektive Unhintergehbarkeit der moralischen Praxis (in subjektiver Einstellung) erklärt sich aus der objektiven Unhintergehbarkeit der Abstraktion von der Raumzeitlichkeit der Erscheinungen (bzw. der objektiven Unhintergehbarkeit des An-sich-Seienden).
Und nicht zuletzt gilt auch (wobei dies eigentlich nur eine anders nuancierte Formulierung von These (18.19) darstellt): (18.21) Das An-sich-Seiende, als die Abstraktion von der Raumzeitlichkeit der Erscheinungen, stellt den gemäß These (7.5) geforderten Bereich eigenen Rechts,
[…] deuten, daß unseren Handlungen verallgemeinerbare [und damit Kant zufolge moralisch gute; ds] Maximen zugeordnet werden können“ (ebd.), ein Vorschlag, der freilich dem Verdacht des moralischen Zynismus anheimfällt, gegen den Koch sich anschließend jedoch (m. E. erfolgreich) zu wehren versucht, doch wir wollen dies hier nicht weiter untersuchen, ebenso nicht, ob er Recht darin behält, dass Kant die Einsichtsfrage für ein „rein epistemisches Defizit“ hält. Jedenfalls erhalten wir, dies wollte ich nicht unerwähnt lassen, offenbar von Kochs Seite Unterstützung für unsere These, dass die Frage nach der Moralität einer Handlung selbst schon wesentlich eine moralische Frage ist.
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nicht aber eigenen Seins, von dem her es möglich ist, auf den naturgesetzlichen Lauf der Dinge Einfluss zu nehmen.3,4
Wir hätten dies alles auch schon früher, spätestens zum Ende von Kapitel 17, festschreiben können. Doch erst in diesem Kapitel ist es uns gelungen, die etwas trockenen Ausführungen über Kants Erscheinungslehre, die uns zu diesem Ergebnis geführt haben, mit den naturgemäß etwas lebendigeren Überlegungen, die wir zuvor mit Strawson (und über ihn hinaus) in Bezug auf die moralische Praxis angestellt hatten, in Beziehung zu setzen, wodurch vor allen Dingen der Setzungscharakter des An-sich-Seienden und der (Quasi-)Bestimmungen seiner durch die Anwendung auf moralische Erwägungen – hoffentlich – in einem gleichfalls etwas lebendigeren Licht erscheinen konnte. Allem voran sollte noch einmal klar und deutlich geworden sein, dass das Ziel solcher Setzungen nicht darin besteht, eine für von den Erscheinungen unabhängig befundene, aber unerkennbare Realität, eine ‚wirklichere Wirklichkeit‘ aufs bloße Geratewohl zu bestimmen bzw., weil dies nicht möglich ist, ihr kurzerhand nach unseren metaphysischen oder moralischen Bedürfnissen gewisse Eigenschaften überzustülpen, sondern darum, uns eine an-sich-seiende Realität in gewissem Sinne allererst selbst zu 3 Falls
der natürliche Lauf der Dinge überhaupt gesetzlich verfasst, geschweige denn determiniert ist. Es ist für die Frage nach der Freiheit aber auch gleichgültig, ob er es ist oder nicht, wie wir bereits in Kapitel 15 festgestellt haben und wie durch die prinzipielle Unhintergehbarkeit des An-sich-Seienden nun auch mit Kant festgestellt (und weiter erklärt) werden kann (oder könnte, wäre der Determinismus bzw. wenigstens Naturgesetzlichkeit bei Kant nicht sogar umgekehrt Möglichkeitsbedingung der Freiheit, indem er bzw. sie die Erscheinungen mitkonstituiert, von denen wir in Absicht auf Freiheit abstrahieren müssen). 4 Und auch für das An-sich-Seiende – und damit Freiheit – im Verhältnis zu den Erscheinungen gilt, was wir zum Ende des zwölften Kapitels im Zuge unserer Überlegungen zur Strawsonschen doppelten Bezugnahme über die Einwirkungsfrage gesagt haben, nämlich dass, auch wenn wir uns nicht vorstellen können, wie, und auch ganz gleich, wie wir uns die Möglichkeit einer Einwirkung theoretisch auch ausmalen wollen, Freiheit qua Freiheit durch und durch wirksam sein muss. Zwar gilt, wie Deleuze 1990, S. 88 bemerkt, dass „[e]ine freie Ursache […] rein intelligibel [ist]; aber wir müssen“, fügt selbiger sogleich an, „berücksichtigen, daß dasselbe Wesen Phänomen und Ding an sich ist, der natürlichen Notwendigkeit als Phänomen unterworfen, Ursprung der freien Kausalität als Ding an sich. Mehr noch: dieselbe Handlung, dieselbe sinnliche Wirkung verweist einerseits auf eine Verkettung sinnlicher Ursachen, nach denen sie notwendig ist, aber andererseits mit ihren Ursachen selbst auf eine freie Ursache, deren Zeichen oder Ausdruck sie ist. Eine freie Ursache hat niemals ihre Wirkung in sich selbst, da in ihr weder etwas geschieht noch beginnt; die freie Kausalität hat keine andere als eine sinnliche Wirkung“ (Herv.: Deleuze). Auch in dieser Hinsicht besteht also, wie gewünscht, wenngleich vielleicht auch wenig überraschend, Übereinstimmung zwischen unseren Überlegungen aus den Kapiteln 10 bis 12 und der Kantischen Konzeption.
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schaffen. Dies geschieht nach unseren metaphysischen oder moralischen Bedürfnissen, sicher, aber ohne jede Gefahr der Fehlbestimmung in zumindest dem Sinne, in dem wir richtig oder eben auch falsch über die gewöhnlichen Einzeldinge urteilen können. Dass es sich dabei bloß um Setzungen handelt, denen weder eine objektive Realität entspricht noch auch nur entsprechen kann, tut übrigens ihrer Nützlichkeit und in einigen Fällen – etwa dem der Freiheit – auch ihrer Notwendigkeit keinen Abbruch. Um uns, dies ja der Fall, um den es uns zu tun ist, als moralische Wesen begreifen zu können – was wir offenkundig tun –, müssen wir uns als freie Wesen begreifen – setzen –, eine Setzung, die, was ihren modalen Stand betrifft, ebenso gut ist wie eine mathematische oder logische Wahrheit, und besser, als eine Erkenntnis der empirischen Naturwissenschaften es jemals sein kann, und sei diese auch noch so häufig experimentell bestätigt worden, da sie als Setzung völlig gewiss ist. Es handelt sich bei ihr eben nur nicht um eine mathematische, logische oder physikalische, sondern um eine moralische Notwendigkeit.5 Dass es sich bei einer Bestimmung – ob notwendig oder nicht – um eine moralische solche handelt, ist übrigens eine Eigenschaft, der die Charakterisierung als ‚bloße‘ Setzung nicht etwa bloß genügt, sondern sogar geradewegs entgegenkommt. Denn damit steht von vornherein fest, dass je wir selbst – als Individuum und als Gemeinschaft – es sind, die diese Bestimmungen in eigener Autorenschaft vornehmen. Dabei sollte es freilich nicht völlig regellos zugehen und manche der Setzungen, die wir vornehmen, sind auch unumgänglich, mögen nachher sogar mit Recht objektiv genannt werden, aber das ändert ja nichts an ihrem Charakter als Setzung, und auch nichts daran, dass wir es sind, die diese Setzung vornehmen. (Ihre Objektivität kann dann keine theoretische, erklärende, sondern bloß eine praktische, wertende solche sein.) Schon die Setzung des An-sichSeienden überhaupt stellt ja eine allgemeingültige Setzung dar, negativ begründet aus (abstrahiert von) der Raumzeitlichkeit der Erscheinungen. Dabei handelt es sich freilich nicht um eine moralisch, sondern um eine theoretisch notwendige Setzung, wenigstens zunächst. Ebenfalls (zunächst) bloß theoretisch notwendig 5 Vgl.
hierzu auch Allison 1997, S. 41–42: „[F]reedom is an Idea, that is, a product of reason that can never be encountered in possible experience. Otherwise expressed, it is a thought that we bring to the conception of ourselves, insofar as we conceive ourselves as agents, not a fact that we might discover about ourselves through introspection or empirical enquiry. […I]t is […] constitutive (and therefore […] hardly optional), not of some putative object – the self – but of one’s conception of oneself as an agent. That is to say, freedom is not simply a property that we may attribute to ourselves as rational agents on heuristic grounds; it is rather the defining feature of this very conception“ (Herv.: Allison).
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sind die positiv quasi-bestimmenden Setzungen des An-sich-Seienden als substantiell und wirkmächtig in Hinblick auf die Erscheinungen, Bestimmungen, die wir gleichfalls einerseits von den Objekten, aber auch (und zunächst) von uns selbst, unserem Verstand, hernehmen, diesmal nicht (mehr) in bloß negativer Abstraktion von, sondern (auch) in Analogie zu den Erscheinungen. Selbst die Setzung einer Freiheitskausalität nehmen wir in gewisser Weise analogisch zu einer wesentlichen Bestimmung der Erscheinungen – Kausalität –, zugleich aber auch wiederum in Abstraktion von wesentlichen Elementen dieser Bestimmung, namentlich ihrer Zeitlichkeit, sodass wir die Kausalität übrigbehalten als ein – objektiv unverständliches – Rudiment, Ursächlichkeit ohne Zeitfolge und damit auch ohne eine der je gedachten Ursache vorhergehende Eingabe, mithin als ein Vermögen zur Ersturheberschaft.6 Theoretisch notwendig ist diese aber nicht bzw. allenfalls in Rücksicht auf eine (dann aber nur einmalige) kausale Urheberschaft des Weltlaufs – immerhin aber doch, „gesetzt daß es übrigens auch bloß erdichtet sein sollte“ (KrV, B 573/A 545), denkbar. Sie ist aber nicht erdichtet, sondern, wo nicht theoretisch, so doch bzw. vor allem moralisch – oder, in einer alternativen Terminologie Kants, praktisch – notwendig, und dies nicht nur einmalig, sondern immer dann, wenn wir etwas als eine (der moralischen Wertung zugängliche) Handlung begreifen. Und insbesondere im je eigenen Fall zeigt sich auch hier schon, auf dieser denkbar allgemeinen moralischen Ebene, die Passgenauigkeit dieser Bestimmung als Setzung in Rücksicht auf moralische Bestimmungen, genauer daran, dass man dann, recht bedacht, eigentlich sagen müsste, dass wir uns, indem wir uns als frei setzen, als solche (moralisch handelnde Wesen) wiederum durch Freiheit selbst setzen. Denn wenn Freiheit eine Setzung unsererseits ist, dann ist es auch dasjenige, das durch dieselbe ermöglicht wird, in diesem Fall unsere Eigenschaft, nicht bloß erkennende, sondern auch handelnde Subjekte zu sein. Wir sind, mit anderen Worten, in moralischer Hinsicht die Autoren unserer selbst, selbst schon darin, überhaupt moralische Wesen zu sein – und eben dies ist es ja, was letztlich erforderlich ist, um die begriffliche Irreduzibilität unserer moralischen Praxis gegenüber der erklärenden Perspektive der objektiven Einstellung (die hier, wo es um die Ursprünge der moralischen Praxis geht, vielleicht vor
6 Daher
kann Kant auch schreiben: „Als ein vernünftiges, mithin zur intelligibelen Welt gehöriges Wesen kann der Mensch die Kausalität seines eigenen Willens niemals anders als unter der Idee der Freiheit denken; denn Unabhängigkeit von den bestimmten Ursachen der Sinnenwelt […] ist Freiheit.“ (GMS, BA 109 [= AA IV, 452]) – denkt man sich, mit anderen Worten, diejenige Bestimmung, die den Kausalitätsbegriff in der Sinnenwelt verankert – die Zeitfolge – qua Abstraktion von derselben weg, gelangt man zwangsläufig von selbst auf eine Freiheitskausalität.
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allem eine evolutionsbiologische Perspektive wäre) aufrechterhalten bzw. begründen zu können. Fremdeinflüsse mag es mannigfaltige geben (und gibt sie es auch in der Tat), aber nichts davon darf in Hinblick auf unseren Willen – der der Träger jeglicher moralischer Bestimmung ist – bestimmend wirken; außer dem jeweiligen Willen selbst hat jedoch ipso facto alles als fremd zu gelten, d. h. der Wille muss sich, um ein genuin moralischer sein zu können, selbst bestimmen können, d. h. ein freier Wille sein, und zwar durch und durch, selbst schon in Beziehung auf seine eigene Freiheit, die er sich somit gleichfalls selbst setzt.
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Wir haben noch eine Rechnung offen, namentlich (wieder einmal) mit Strawson, der im Vorbeigehen einen Einwand gegen die indeterministische Konzeption von Freiheit erhebt, für die wir uns stark gemacht haben, den wir ebenfalls nur im Vorbeigehen erwähnt, aber noch nicht weiter behandelt haben (Kapitel 13, Fn 1), nämlich dass wir uns, wenn wir uns für indeterministische Freiheit stark machen, in Wahrheit für einen Zufallsgeneratoren einsetzen.1 Gerade noch, zum Ende des vorigen Kapitels, haben wir diejenige Eigenschaft, an der Strawson sich stößt, eigens hervorgehoben, indem wir gesagt haben, dass ein freier Wille durch nichts als sich selbst bestimmt sein könne – selbst in seiner eigenen Freiheit –, und nun mag man mit gewissem Recht die Nachfrage erheben, ob ein solcher Wille denn überhaupt etwas ist, das wir, angenommen auch, wir müssten ihn annehmen, für wünschenswert befinden könnten. Offensichtlich nicht, wenn wir ihn dann als einen Zufallsgeneratoren zu konzipieren hätten, was jedoch unumgänglich wäre, würden wir ihn als einen solchen fassen müssen, der absolut indeterminiert, d. h. durch gar nichts bestimmt wäre. „‚Was will er denn jetzt schon wieder, mein Wille¿ würden wir uns immer wieder seufzend fragen“ (Koch 2006, S. 501) – so bringt Koch die Lage, in der wir uns dann befänden, pointiert, wenn auch, wie mir scheint, etwas ungerade zum Ausdruck – ungerade, da hinter einer solchen Stimmung wie der, die Koch hier antizipiert, wohl ein dem unberechenbaren Treiben entgegengesetzter Wille stecken müsste, der demselben, was seine eigene Bestimmung betrifft, nicht ausgeliefert ist. (Wie auch immer wir uns wiederum dies vorzustellen hätten.) Doch dies sei hier nur nebenbei bemerkt, das Entscheidende ist, dass der Umstand, dass der Wille durch nichts sonst als sich selbst bestimmt sein kann, nicht bedeuten muss, dass er durch gar nichts
1 Vgl.
Strawson 2011, S. 151.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4_19
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bestimmt ist. Der Wille ist ja nicht nichts. Er gibt nur, ohne anderweitigen Einfluss, selbst keine Materie zu seiner Bestimmung her, vielleicht aber braucht es die auch gar nicht und eine rein formale Bestimmung genügt für unsere Zwecke. Jedenfalls ist dies die – Kantische – Strategie, die wir zu verfolgen gedenken. Wir werden uns dabei allerdings, obwohl es sich ursprünglich um eine Kantische Strategie handelt, zunächst an eine – besonders schöne und eingängige – Formulierung derselben von Korsgaard halten und sie gegebenenfalls mit der originalen, Kantischen abgleichen. Lassen wir Korsgaard, bevor wir mit ihr gemeinsam zur Lösung schreiten, auch noch einmal zum Problem zu Wort kommen: „Kant defines a free will as a rational causality that is effective without being determined by any alien cause. Anything outside of the will counts as an alien cause, including desires and inclinations of the person. The free will must be entirely self-determining. Yet, because the will is a causality, it must act according to some law or other. […] Alternatively, we may say that since the will is practical reason, it cannot be conceived as acting and choosing for no reason. Since reasons are derived from principles, the free will must have a principle. But because the will is free, no law or principle can be imposed on it from outside. Kant concludes that the will must be autonomous: that is, it must have its own law or principle. And here again we arrive at the problem. For where is this law to come from? If it is imposed on the will from outside then the will is not free. So the will must adopt the law for itself. But until the will has a law or principle, there is nothing from which it can derive a reason. So how can it have any reason for adopting one law rather than another?“ (Korsgaard 1996, S. 97, 98)
Auf den Zufallseinwand kommt Koorsgard hier zwar nicht zu sprechen, doch dass wir uns mit ihren Ausführungen in direkter Nähe zu dem Problemfeld bewegen, in das wir eingetreten sind, ist offensichtlich: Die Frage ist, wie ein Wille, der durch nichts als sich selbst bestimmt ist, auch nur irgendwie bestimmt sein kann. Und die Antwort, die es abzuwenden gilt, ist die, dass er unter so bewandten Umständen überhaupt nicht bestimmt sein kann – nur wie dies? Bestimmungen erfolgen nach Prinzipien (oder Gründen oder Gesetzen), Prinzipien (oder Gründe oder Gesetze) sind aber selbst auch schon eine Form der Bestimmung, also kann auch das – nun offenbar gesuchte – Prinzip zur Selbstbestimmung des Willens, der ja durch und durch ein freier sein soll, nicht von außerhalb desselben genommen werden bzw. sofern es von außerhalb genommen werden sollte, so muss dasselbe nach einem dem Willen inhärenten Prinzip anerkannt werden, für welches sich jedoch dasselbe Spiel von neuem ergibt. Das Problem lässt sich, entlang dieser Überlegungen, auch wie folgt formulieren: Alles, was sich an möglichen Inhalten zur Willensbestimmung darbietet – als handlungsleitende Motive –, etwa das Motiv, nicht zu töten, oder das Motiv, sich
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jeden Morgen die Zähne zu putzen, hat sich der Nachfrage zu stellen, ob, und dann natürlich auch, warum dieses Motiv als handlungsleitend anerkannt werden sollte. Auf den ersten Blick haben wir hierfür meist schnell Antworten parat; man sollte sich jeden Morgen die Zähne putzen, weil es der Gesundheit förderlich ist, und man soll nicht töten, weil jeder Mensch ein Recht auf Leben hat, aber warum sollte ich meine Gesundheit befördern wollen, warum ein (vielleicht nur vorgebliches) menschliches Recht auf Leben – und sei es auch nur mein eigenes – anerkennen? Alle möglichen Antworten auf diese Frage(n), die von außerhalb des Willens selbst kommen, sei es über eine staatliche oder göttliche Autorität, sei es über (evolutions-)biologische oder auch psychologische Prinzipien, sind keine – da das Problem nur einen oder mehrere Schritte hinaus verlagernde – Antworten auf dieselbe(n), wenn die Freiheit des Willens nicht durch die Hintertür doch untergraben werden soll. Denn auch sie erlauben dann natürlich die Frage nach dem Warum ihrer – wiederum vielleicht nur vorgeblichen – Natur als je handlungsleitendem Motiv. Warum sollte ich Gott oder der Staatsmacht gehorchen? Warum ins Himmelreich einziehen oder nicht geköpft werden wollen? Sicher, in der Hölle würde ich bestimmt unglücklich und vor dem Tod habe ich vielleicht Angst, aber – und das ist der entscheidende Punkt – wäre der Drang nach Glückseligkeit, Erhaltung meines Lebens und dergleichen, d. h. sinnlich-körperliche Bedingungen, alles, was meinen Willen bestimmen würde, könnte ich denselben niemals frei nennen. Ich würde noch nicht einmal auf den Gedanken kommen können, zu fragen, warum ich diesen Prinzipien folgen soll, ich würde es schlicht tun. Alternativ ließe sich vielleicht vermuten, dass im Willen selbst – an sich – gewisse moralische, über bloß sinnlich-körperlich bedingte Prinzipien hinausgehende solche bereitliegen, ein inhaltliches, nicht weiter zu hinterfragendes moralisches Wissen darum, was gut und was böse ist. Doch abgesehen von dem Bedenken, dass nicht einsichtig ist, warum wir dasselbe nicht wiederum hinterfragen können sollten – und dass damit, dass wir es nicht könnten, wiederum unsere Freiheit gefährdet wäre –, ist dergleichen für uns spätestens mit unserem Bekenntnis zur Kantischen Erscheinungslehre, der zufolge es keine an-sichseienden Inhalte geben kann, die wir nicht selbst gesetzt haben, ohnehin keine Option. Was innerhalb der Natur (der Erscheinungen) an Prinzipien bereitsteht, erklärt nicht unsere Freiheit, und ein gediegenes Außer- oder Oberhalb in Rücksicht auf die Erscheinungen gibt es schlicht nicht. Der Wille, so es sich um einen freien handeln soll, muss daher im Wesentlichen von sich selber zehren, nicht nur, was seine spezifischen Bestimmungen, sondern auch schon, was das Prinzip dieser Bestimmungen betrifft. Dieses Prinzip kann nun aber kein inhaltliches sein, alle
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mögliche Materie zur Willensbestimmung ist empirisch – und damit den Naturgesetzen unterworfen –2 , nicht-empirische inhaltliche Grundsätze der Art „Du sollst nicht töten!“, „Du sollst nicht ehebrechen!“ oder auch eine mögliche allgemeine Idee des Guten (Gerechten, Tugendhaften) müssen ursprünglich, falls es sie überhaupt geben kann, als Folge einer Willensbestimmung auftreten und können nur hernach den Grund für weitere solche abgeben. Aber wie – wir hängen in unserer Frage fest – ist dies möglich? Die Lösung bietet uns der Kategorische Imperativ: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ (KpV, A 54)
Wie nun dies? Lassen wir Korsgaard für uns (und Kant) sprechen: „Well, here is Kant’s answer. The Categorical imperative tells us to act only on a maxim that we could will to be a law. And this, according to Kant, is the law of a free will. To see why, we need only compare the problem faced by the free will with the content of the Categorical imperative. The problem faced by the free will is this: the will must have a law, but because the will is free, it must be its own law. And nothing determines what that law must be. All that it has to be is a law. Now consider the content of the Categorical imperative. The Categorical imperative simply tells us to choose a law. Its only constraint on our choice is that it [must; ds] have the form of a law. And nothing determines what that law must be. All that is has to be is a law. Therefore the categorical imperative is the law of a free will. It does not impose any external constraint on the free will’s activities, but simply arises from the nature of the will. It describes what a free will must do in order to be what it is. It must choose a maxim it can regard as a law.“ (Korsgaard 1996, S. 98)
Sehen wir uns mit dieser Erläuterung im Hintergrund noch einmal die obige Formulierung des Kategorischen Imperativs an, stellen wir fest, dass er in der Tat keinerlei bestimmten Inhalt vorgibt, sondern nur Gesetzmäßigkeit verlangt. Lösen wir zum Test unserer Ausdrucksweise die Formulierung auf und betten in diese Auflösung gleich noch ein paar weitere gedankliche Schritte mit ein:
2 Vgl.
KpV, A 48: „Die Materie eines praktischen Prinzips ist der Gegenstand des Willens. Dieser ist entweder der Bestimmungsgrund des letzteren, oder nicht. Ist er der Bestimmungsgrund desselben, so würde die Regel des Willens einer empirischen Bedingung (dem Verhältnisse der bestimmenden Vorstellung zum Gefühle der Lust und Unlust) unterworfen, folglich kein praktisches Gesetz sein“.
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Eine Maxime ist Kant zufolge ein subjektiv gültiger praktischer (d. h. auf Bestimmungen des Willens bezogener)3 Grundsatz, der in Rücksicht auf die Willensbestimmung aber doch allgemein gilt,4 also etwas von der Art „Immer dann, wenn ich mein Tagewerk vollbracht habe, will ich jemanden aus meinem Freundeskreis oder meiner Familie anrufen“ oder „Immer dann, wenn mich jemand auf der Straße schief anschaut, will ich ihm zeigen, wo der Hammer hängt“. Der subjektiven Allgemeinheit zwar genau dieser (und ähnlicher) Maximen, aber nicht von Maximen überhaupt, abträglich ist es übrigens, wenn sie gewisse Sonderbestimmungen enthalten wie „… es sei denn, ich bin zu krank/ zu betrunken für ein Telefonat/eine Prügelei“ oder dergleichen (dasselbe gilt auch für in die Maxime eingefasste Orts- oder Zeitbestimmungen wie „… nächste Woche…“ oder „… bei mir zu Hause…“). Sie müssen nur einmal gefasst sein, dann gelten sie inklusive der Sonderbestimmungen genauso allgemein je für mich wie exklusive derselben. Das ist also nicht das Problem. Aber diese Allgemeinheit ist eben nur auf je mich – das einzelne Subjekt – bezogen, auf meinen Willen, genau genommen sogar nur auf meinen Willen jetzt und hier (der sich ja jederzeit wieder ändern könnte), und die Anforderung, die durch den Kategorischen Imperativ an mich gestellt wird, ist die, dass ich meine Maximen, also Grundsätze von der obigen Art, so fasse, dass sie „jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne[n]“; diese Formulierung wirkt zunächst etwas dunkel. Soll sie bedeuten, dass sich aus meiner Maxime (weitere) Gesetze ableiten lassen (können) sollen? Ja und nein – wir werden dies sogleich aufklären. In jedem Fall muss es sich bei der Maxime, die als ein solches Prinzip gelten könne, offenbar selbst um ein Gesetz handeln. Welchen Inhalts, ist uns aus dieser Forderung jedoch nicht gegeben; es muss sich, mehr sagt uns der Kategorische Imperativ, jedenfalls im ersten logischen Schritt, in der Tat nicht, nur um ein Gesetz handeln – der so bestimmte Wille und die entsprechend in Gang gesetzte Handlung also in jedem Fall gesetzmäßig, d. h. irgendeinem Gesetz gemäß sein. Gesetze nun gelten aber in unbeschränkter Allgemeinheit und mit strikter Notwendigkeit, d. h. sie verstatten keine Änderung, komme, was wolle. Nur gilt auch hier: Weder der Allgemeinheit noch der Notwendigkeit eines Gesetzes ist es abträglich, wenn es gewisse Sonderbestimmungen wie die oben genannten enthält, im Gegenteil. Wie wir bereits für den Fall der Naturgesetze gesehen haben (Kapitel 15), müssen Gesetze, die für konkrete Begebenheiten gültig sein sollen, sogar überaus spezifisch sein; dasselbe gilt natürlich auch für moralische 3 Vgl.
KpV, A 29, wo Kant bemerkt, dass im „praktischen Gebrauche der Vernunft […] sich [… dieselbe; ds] mit Bestimmungsgründen des Willens [beschäftigt]“. 4 Vgl. KpV, A 35.
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Gesetze.5 Angenommen also, ich würde gerade jetzt nach einer ziemlich komplexen, da auf meinen Fall jetzt und hier zugeschnittenen Maxime handeln, die auch wirklich die geforderte Gesetzmäßigkeit aufweist, so ist es für ihren Status als gesetzmäßig völlig irrelevant, ob es noch einen Fall gibt, auf den genau diese Maxime anwendbar ist, ohne ihren Status zu verlieren. Aber sie muss – ganz analog zu den empirischen Verlaufsgesetzen der Natur – Implikationen für andere Fälle in sich bergen, womit sich auch aufklärt, inwiefern sie als „Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne[n]“ soll. Ich hatte diesbezüglich die Frage in den Raum gestellt, ob dies bedeute, dass sich (weitere) Gesetze daraus ableiten lassen können müssen und mit einem schwammigen „Ja und nein“ geantwortet, nun können wir es etwas präziser fassen: Die jeweiligen Maximen, nach denen wir handeln, sind einerseits – und müssen dies auch sein – den jeweiligen Umständen, in denen wir uns befinden und die wir handelnd gestalten möchten, angepasst und weisen also einen entsprechend hohen Spezifikationsgrad auf. Nun kann eine Maxime, so wie sie auf die jeweiligen (und – sehen wir von der Möglichkeit von Symmetrie- und Wiederkehrwelten einmal ab – auch einzigartigen) Umstände zugeschnitten ist, für sich genommen natürlich kaum als hinreichender Ableitungsgrund für weitere Maximen, und sofern sie gesetzmäßig ist, auch kaum als ein solcher für weitere Gesetze dienen, die ebenso spezifisch sein sollen wie jene(s). Aber sie kann andererseits als Teil eines größeren Systems von Gesetzen dienen und zum Aufbau desselben – zur allgemeinen Gesetzgebung – ihren Beitrag leisten, indem sie Implikationen bereitstellt, die sich – in Kombination mit anderen Implikationen aus anderen (möglichen) Gesetzen – auf andere Fälle übertragen lassen. Es geht, mit anderen Worten, um Einstimmigkeit in der Willensbestimmung, nicht erst mit anderen, sondern auch schon je mit uns selbst. Daher müssen meine Maximen jeweils die Form eines Gesetzes annehmen (gesetzmäßig sein), sodass sich, wie in einem Netzwerk von Naturgesetzen, eindeutige Folgerungsbeziehungen ergeben sowohl zwischen je meinen Willensbestimmungen untereinander wie auch, im Idealfall, zwischen denselben und den Willensbestimmungen aller anderen möglichen Subjekte. Eben dies – Gesetzmäßigkeit und damit Tauglichkeit zur (Selbst)Einstimmigkeit (Identität), wie sie vom Kategorischen Imperativ gefordert wird – ist nun zugleich die Antwort auf die Frage, wie ein Wille möglich sein soll, der durch nichts als sich selbst bestimmt ist, wie wir Korsgaard bereits haben feststellen und zum Abgleich auch noch einmal Kant bemerken sehen können: 5 Auch
Korsgaard sieht die Dinge in dieser Weise: „In Kant’s theory, any difference in the situation that is actually relevant to the decision properly belongs in our maxim, and this means that our maxim may be quite specific to the situation at hand“ (Korsgaard 2009, S. 73).
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„Da der Begriff einer Kausalität den von Gesetzen bei sich führt, nach welchen durch etwas, was wir Ursache nennen, etwas anderes, nämlich die Folge, gesetzt werden muß: so ist die Freiheit, ob sie zwar nicht eine Eigenschaft des Willens nach Naturgesetzen ist, darum doch nicht gar gesetzlos, sondern muß vielmehr eine Kausalität nach unwandelbaren Gesetzen, aber von besonderer Art, sein; denn sonst wäre ein freier Wille ein Unding [wie Strawson vermutet; ds]. Die Naturnotwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursachen; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze möglich, daß etwas anderes die wirkende Ursache zur Kausalität bestimmte; was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstand haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Prinzip der Sittlichkeit: also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.“ (GMS, BA, 97, 98)
Die Forderung nach Gesetzmäßigkeit – der kategorische Imperativ – erwächst demnach aus der Natur des freien Willens, oder in Korsgaards Worten: „It describes what a free will must do in order to be what it is“ (s. o.). Man kann daher auch sagen, es handelt sich beim kategorischen Imperativ um einen Satz (zu) seiner (des freien Willens) eigenen Identität. Halten wir fest: (19.22) Das konstitutive und damit oberste Prinzip des freien Willens ist das Prinzip der Gesetzmäßigkeit seiner Bestimmungen (der kategorische Imperativ)
Ein Wille, der nicht gesetzmäßig verfasst ist, ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, gar kein freier Wille. Und eine Handlung, die nicht auf einem gesetzmäßig verfassten Willen beruht, ist keine freie Handlung. Dieses Resultat ist nach allem, was wir bis hierhin festgestellt haben, zwar ganz im Sinne unseres Unterfangens – und löst auch den Zufallseinwand –, wirft aber die Frage auf, wie es unter solchen Umständen möglich sein soll, freiwillig ungesetzmäßig – und damit unmoralisch – zu handeln. Offenbar überhaupt nicht. Also gibt es entweder gar keine unmoralischen Handlungen (und wir sind alle Heilige) – eine offenbar unsinnige, wenn auch vielleicht verführerische Folgerung – oder es gibt zwar unmoralische Handlungen, die dann aber nicht aus freiem Willen geschehen – womit wir nicht viel besser zu stehen scheinen. Zumal uns die zweite Alternative dadurch versperrt ist, dass, da, wie wir schon in Kapitel 5 im Umkreis von These (5.2) festgestellt haben, der Handlungsbegriff ohne die Unterstellung eines freien Willens gar nicht sinnvoll zu fassen ist, wir schon aus diesem Grund aus These (19.22) schließen müssen, dass im Fall eines nicht gesetzmäßig verfassten Willens keine unmoralische
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Handlung folgen kann, schlicht, weil unter solchen Umständen dann gar nichts folgen kann, was – zurecht – als Handlung zu begreifen ist.6 Wiederum landen wir also bei der Behauptung, dass alles, was eine Handlung ist, auch auf einem freien Willen beruht, und damit, weil es, indem es auf einem freien Willen beruht, auf einem gesetzmäßigen Willen beruht (und weil ein gesetzmäßiger Wille moralisch gut ist), auf einem moralisch guten Willen – wir sind alle Heilige. Doch selbst wenn wir dazu bereit wären, die nötige Ignoranz gegenüber dem offenkundigen moralischen Grauen aufzubringen, das sich von Anbeginn unserer Zeit bis heute im Großen wie im Kleinen durch das menschliche Dasein zieht, um diese Konsequenz als praktisch akzeptabel betrachten zu können, bliebe ein theoretisches Problem in Bezug auf den Begriff der Freiheit selbst, das sich mit Koch wie folgt ausdrücken lässt: „Sofern jemand frei entscheidet (und handelt), ist sein Wille zwar nicht natural, wohl aber praktisch determiniert, jedenfalls also determiniert. Als hätte die betreffende Person nicht anders entscheiden können, als sie entschieden hat. Also war sie unfrei nach dem hairetischen Aspekt der Freiheit. Also widerspricht das praktische Moment des Freiheitsbegriffs dem hairetischen Moment. Folglich ist der Begriff der Freiheit widerspruchsvoll und Freiheit demnach unmöglich.“ (Koch 2006, S. 618)
Der hairetische Aspekt der Freiheit ist Koch zufolge derjenige, demnach wir zur Entscheidung zwischen zwei oder mehreren Alternativen befähigt sind. Wir können ihn auch den Entscheidungs- oder den Wahlaspekt nennen. Dieser Aspekt war es, so lassen sich unsere bisherigen Unternehmungen mit Blick auf den Freiheitsbegriff bündig zusammenfassen und sogleich im Vorbeigehen die dreifaltige Struktur des Wahrheitsbegriffs, die uns implizit die ganze Zeit über verfolgt hat, explizit entfalten, der uns schon sehr früh über die Möglichkeit hinausgetrieben hat, Freiheit kompatibilistisch zu fassen (allgemein in Bezug auf den Handlungbegriff in Kapitel fünf, These (5.2), und nochmals, in Bezug auf den Begriff moralischer Verantwortung, in Kapitel 11, These (11.11)), wobei wir zumindest implizit auch schon einen weiteren Freiheitsaspekt mit in unsere Konzeption eingebaut hatten, den Koch den „kosmologischen Aspekt der Freiheit“ (Koch 2006,
6 Vgl.
auch Korsgaard 2009, S. 91: „The Groundwork portrays bad action as heteronomous action. Commentators often complain that if that is supposed to mean action that is caused by external forces, it is impossible to see how people are ever responsible for bad action. But of course the problem is much deeper than that, for if a person’s movements are caused by external forces, it is not clear why we should call them actions at all“.
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S. 615) nennt und der die Unabhängigkeit von der naturgesetzlichen Determination markiert. Darin, diesen – und damit auch den hairetischen – Aspekt, den wir unter dem Namen indeterministischer Freiheit gefasst haben, theoretisch sinnvoll zu installieren, bestand in der Folge unsere Hauptsorge, der wir uns jedoch letztlich entledigen konnten. Allerdings konnten wir es, auch wenn er dadurch definiert ist, dass er nicht naturgesetzlich determiniert ist, nicht bei der absoluten Indeterminiertheit des freien Willens belassen, sondern mussten dem Willen ein Prinzip und damit der Freiheit einen dritten Aspekt abringen, den Koch den „praktischen“ (s. o.) oder den „nomologischen Aspekt der Freiheit“ (Koch 2006, S. 616) nennt. Nun droht aber, nehmen wir diesen Aspekt in unsere Konzeption mit auf, neuerliches Ungemach, von innen her, wo die objektiven Naturwissenschaften und ihr Verhältnis zur Freiheit gar keine Rolle mehr spielen, sondern der Begriff der Freiheit sich selbst zu bedrohen scheint. Wir können auf keinen dieser drei Aspekte verzichten, doch ihre Einheit scheint eine widersprüchliche solche darzustellen – wie gehen wir damit um? Koch geht im Anschluss an die oben angeführte Diagnose des Aporiebefalls mehrere Therapiemöglichkeiten durch. Die erste, soweit ich sie verstehe, allerdings unzureichende, besteht darin, „die Aporie unter der Hand die Form eines milden Paradoxons“ (Koch 2006, S. 619) annehmen zu lassen, indem man erklärt, dass in der Tat „niemand freiwillig und wissentlich das Schlechte [tut], wohl aber freiwillig das Gute und sogar nur das, was […man] für gut hält“ (ebd.) – wer das Falsche tut (bzw. anstrebt), handelt demnach entweder tatsächlich überhaupt nicht oder irrt sich in Bezug darauf, was zu tun (bzw. anzustreben) gut wäre. Wobei ja auch der letztere Fall darauf hinauslaufen müsste, dass in Wahrheit gar keine Handlung vorliegt, sondern nur der irrtümliche Schein einer solchen. Dem Schein, dass wir handeln, allerdings, ob veridisch oder nicht, unterliegen wir ausnahmslos, d. h. zumindest in dem je eigenen, gegenwärtigen Fall können wir uns gar nicht als Nicht-Handelnde begreifen, womit, was je uns in dem uns gerade vorkommenden Fall betrifft, das Pendel immer in Richtung der Freiheit – und damit der Moralität – ausschlagen muss. Worin aber soll hier nun die Abmilderung bestehen, die Koch verspricht? Der Gegensatz – moralisch richtig oder überhaupt nicht handeln – bleibt virulent, das Böse wird nur näher erklärt als der irrtümliche Schein einer Handlung, ein Zufallsprodukt der versehentlich ungesetzmäßig konstituierten Willensbildung, ist jedoch ebenso wenig willentlich (ab-)wählbar wie zuvor, mit einem Wort: der hairetische Aspekt der Freiheit bleibt unerklärt. Sogleich an die letzteren Erläuterungen anschließen lässt sich – diesmal womöglich tatsächlich mit mildernder Wirkung – ein weiterer Therapievorschlag Kochs, die gänzliche Fremdbestimmtheit (Heteronomie) des je eigenen Willens zum kontrapossiblen Grenzfall (eine von Kochs Lieblingswendungen, die ich mir
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in diesem Zusammenhang einmal ‚stehle‘) der (Un-)Freiheit zu erklären und in der Folge zu vermuten, dass „die [gewöhnliche; ds] Heteronomie kein Totalausfall der praktischen Freiheit, sondern ihr defizitärer Modus [ist]“ (Koch 2006, S. 620)7 . Auf diesem Wege, so jedenfalls vor der Hand die Hoffnung, könnten auch die ungesetzmäßige(re)n Willensbestimmungen als frei gelten, insofern nämlich, als in ihnen immer ein Rest an Gesetzmäßigkeit (und daher auch Freiheit) verbleiben muss, ganz gleich, wie stark sie der Gesetzwidrigkeit zuneigen mag. Natürlich ließe sich wiederum einwenden, dass auch ein nur geringer, geschweige denn ein großer Mangel an Gesetzmäßigkeit auf eine Ungesetzmäßigkeit simpliciter hinausläuft, so wie auch eine Meinung, die nicht ganz wahr, immer noch falsch 7 Auch
diese Formulierung ‚stehle‘ ich in einem gewissen Sinn und mache sie durch den in dieselbe eingesetzten Zusatz „gewöhnliche“ fruchtbar für die nachfolgenden Überlegungen. Eigentlich fällt sie im Rahmen eines Therapievorschlags, den Koch selbst, zumindest so, wie er ihn (zunächst) ausbuchstabiert, nämlich so, „[d]as Handwerk der Freiheit [als] […] das Handwerk der psychologischen Selbstaufklärung“ (Koch 2006, S. 621) zu fassen, für wenig aussichtsreich hält, da in diesem Fall „[d]er Grad unserer Bewußtheit […] [den wir keineswegs frei bestimmt haben] unser Handeln [bestimmte]“ (ebd.). Wie wir bereits gesehen haben (Kapitel 11), unterbreitet Strawson einen ähnlichen Vorschlag, allerdings nicht zur Lösung der internen Freiheitsaporie. Strawson will damit plausibel machen, dass ein solches Verständnis von Freiheit genügt, um unseren Begriff davon, was eine moralische Praxis ist, zu fassen, womit er, wie dort gleichfalls gesehen, falsch liegt, weil er den Freiheitsaspekt der Unabhängigkeit vom bzw. Indeterminiertheit durch den naturgesetzlichen Lauf der Dinge (bewusst) außer Acht lässt. Unsere Kritik bestand, zur Erinnerung, darin, dass die bewusste Identifikation mit den je eigenen, vormals nicht bewussten, Absichten – Strawsons Verständnis von Freiheit als psychologische Selbstaufklärung – allein nur einen kognitiven Fortschritt gegenüber dem je vormaligen Zustand darstellt, und nur dann als ein Zustand der (größeren) Freiheit betrachtet werden kann, wenn dem die Möglichkeit gegenübersteht, sich bewusst nicht mit der fraglichen Absicht zu identifizieren, eine Möglichkeit, für die Strawson keinen rechten Raum haben mag bzw. kann, da sie die Indeterminiertheit des Willens durch naturgesetzliche Bedingungen voraussetzt, die er ablehnt. Diese aber, der kosmologische Freiheitsaspekt, ist nötig, um den hairetischen Aspekt der Freiheit, d. h. in diesem Fall die Möglichkeit, das (selbst-)therapeutisch vergrößerte Bewusstsein über die eigenen Absichten auch (ab-)wählend zu nutzen, fassen zu können. Ich bin mir nicht sicher, ob Koch mit seiner Kritik ähnliche Überlegungen vor Augen stehen hat, aber aufgrund unserer Überlegungen dürfen wir schließen, dass das Handwerk der psychologischen Selbstaufklärung de facto sicher eine wichtige Komponente des Handwerks der Freiheit darstellt (wir haben uns selbst, ebenfalls im elften Kapitel, dafür stark gemacht), allerdings nur unter Voraussetzung des hairetischen Freiheitsaspekts, den es in gegenwärtigem Rahmen aber gerade zu erklären gilt. Anders – und noch allgemeiner – ausgedrückt: Der philosophische Freiheitsbegriff muss bereits fest installiert sein, bevor sich psychologische Freiheiten darin einsetzen lassen, die also, in welcher Couleur auch immer, mit unserem Thema allenfalls am Rande etwas zu tun haben und jedenfalls zur ersteren Aufgabe nichts beitragen können.
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ist. Andererseits widerspräche letzteres unserer vortheoretischen Intuition, dass manche Beschreibungen tatsächlich in irgendeinem Sinne näher an der Wahrheit, von der es also Grade zu geben scheint, sind als andere, gleichfalls ließen sich auch – was sollte uns davon abhalten? – Grade der (praktischen) Gesetzmäßigkeit annehmen, sodass selbst noch in der Wahl des Gesetzlosen ein Gran Freiheit liegen muss. Die Korrelation zwischen Freiheit und Moralität würde abgemildert zu einer graduierbaren Beziehung, bliebe allerdings weiterhin gewahrt, sodass (nach wie vor) gälte, dass eine Willensbestimmung desto mehr zum moralisch Schlechten tendiert, je weniger frei sie ist. Analoges gälte dann auch für die entsprechende Handlung, die, je ungesetzmäßiger sie willentlich fundiert ist, desto eher dazu tendiert, sich in Wohlgefallen aufzulösen und zur bloß unwillkürlichen Bewegung zu regredieren, ohne dass dieser Tendenz je völlig nachgegeben, die Freiheit, die in der jeweiligen Handlung steckt, je gänzlich verlorengehen könnte. Und auch dies entspricht durchaus unserer vortheoretischen Intuition, der zufolge wir die meisten Übeltäter als Getriebene betrachten, getrieben etwa von Lust, Gier oder Hochmut, als vielleicht sogar sehr intelligente und einsichtige, letztlich jedoch – zwar nicht restlos, aber doch in signifikantem Maße – unfreie Menschen. Korsgaard, die, wie wir bald sehen werden, zu einer solchen Lösungsstrategie unseres Problems neigt, bringt die Lage des (chronischen) Übeltäters konzis auf den Punkt, wenn sie schreibt: „At bottom, bad souls are mere heaps, and different types of heaps by their nature don’t have very definite criteria of identity – counting them must be something of a rough and ready business.“ (Korsgaard 2009, S. 164)
Wir haben bereits gesehen, dass der Kategorische Imperativ auch als ein Satz der (bzw. zur) Identität des Willens gelesen werden kann. Korsgaard macht sich diese Eigenschaft – als diejenige Beschaffenheit des Willens, dernach derselbe dem Kategorischen Imperativ gemäß wäre – zunutze, um zu erklären, wie ein Wille beschaffen sein müsste, der dem Kategorischen Imperativ zuwiderläuft; es müsste sich um eine lose, haufenweise Ansammlung von Bestimmungen handeln, die ihn bald nach der einen, bald nach der anderen Seite hin neigen, er müsste, mit einem Wort, identitätslos, d. h. gar kein Wille mehr sein.8 Womit wir 8 Es
gibt noch eine weitere Spielart des Bösen, die Korsgaard ebenfalls in Rechnung stellt, nämlich die der pervertierten Identität unter dem – vereinigenden – Stern eines ganz bestimmten Triebes, die in einem solchen Charakter die Stelle des übergeordneten Prinzips einnimmt (und in diesem Sinne tyrannisiert): „The tyrannized soul can never separate himself from one of his impulses, and so consolidates himself into a mere […] force of nature, an object, a thing“ (Korsgaard 2009, S. 173). Getrieben, ob nun allenthalben in
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wieder bei unserem Problem wären, wie auch Korsgaard feststellt, dass in der Folge dieser Überlegung allem Anschein nach nur die gute Handlung überhaupt als Handlung zu zählen hätte und schlechte Handlungen unmöglich seien.9 Aber der Identitätsverlust muss ja kein totaler sein, „action“, wie Korsgaard an anderer Stelle bemerkt, „comes in degrees“ (Korsgaard 2009, S. 163), und entsprechend können wir hinzusetzen, dass auch die Identität des Willens, durch den eine Person sich zur Handlung bestimmt, graduierbar, und offenbar auch tatsächlich von Person zu Person und von Zeit zu Zeit unterschiedlich graduiert ist, ohne dabei je zum absoluten Nullpunkt der Handlungsfähigkeit zu geraten oder auch nur geraten zu können. Fassen wir die Lage in dieser Weise, können wir mit Korsgaard zu der These gelangen, dass schlechte Handlungen (und die entsprechend schlechten Willensbestimmungen) solche sind, die schlecht in einer bestimmten Sache sind, nämlich darin, überhaupt eine Handlung zu sein und damit auch darin, uns als (gesetzmäßige und damit freie) Autoren derselben zu konstituieren bzw. (unserer Sprachregelung gemäß) zu setzen.10 Da nun aber auch schlechte Handlungen immer noch Handlungen sind, so wie ein schlechtes Essen immer noch ein Essen ist oder ein schlechtes Fußballspiel immer noch ein Fußballspiel, eignen ihr auch nach wie vor diejenigen Bestimmungen, die machen, dass es sich überhaupt um eine Handlung handelt, mithin Gesetzmäßigkeit und Freiheit des derselben zugrundeliegenden Willens. Freilich handelt es sich dabei dann um eine entsprechend verdorbene Gesetzmäßigkeit, aus der sich nur schwerlich Implikationen für bzw. zu anderen Willensbildungen ziehen lassen, es sei denn wiederum durch gleichfalls verdorbene Charaktere, wie es in der Welt vielleicht auch wirklich zumeist zugeht, und um eine entsprechend angeschlagene Freiheit, die gleichfalls nur unter ähnlich angeschlagenen Charakteren für erstrebenswert gehalten werden
verschiedene Richtungen oder pervertiert in genau eine, sind die bösen Seelen Korsgaard zufolge in jedem Fall. Nur scheint die tyrannische Seele aber nun doch eine Identität unter Prinzipien aufzuweisen; es ist aber in einem solchen Fall nicht die frei gewählte Identität einer Person, sondern die eines bloßen, allein naturgesetzlich bedingten Objektes. 9 Vgl. Korsgaard 2009, S. 160. 10 Vgl. Korsgaard 2009, S. 32: „[B]ad actions, defective actions, are ones that fail to constitute their agents as the unified authors of their actions“ bzw. a. a. O., S. 160– 161, wo Korsgaard, nachdem sie neben Kants auch Platons Moraltheorie analysiert hat, bemerkt: „[A]ccording to Kant and Plato, moral standards are constitutive principles of action […] – they are standards that actions must meet in virtue of what they are. Just actions, according to Plato, actions on universalizable maxims, according to Kant, are actions that are good as actions, in the way a house that shelters successfully is good as a house. Bad actions, actions that are contrary to justice and the categorical imperative, then, are defective actions, actions that are bad as actions“.
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kann. Doch auch mit angeschlagenen Freiheiten und verdorbenen Gesetzmäßigkeiten lässt sich arbeiten. Das Bild, das uns dabei vorschweben müsste, wäre dann dies, dass zwar nur diejenigen Handlungen für völlig frei zu halten sind, deren zugrundeliegende Maximen vollkommen gesetzmäßig konstruiert sind, dass aber auch vergleichsweise ungesetzmäßige Konstruktionen zur Freiheitszuschreibung durchaus tauglich sind, da sie zumindest eine Restautonomie an sich aufweisen. So könnten wir dann mit Koch schließen, dass „[es] [u]nter den Be]dingungen der Endlichkeit […] eben keinen vollkommen guten und vollkommen autonomen, aber auch keinen vollkommen schlechten und vollkommen heteronomen Willen [gibt], der dann als solcher gar kein Wille mehr wäre[,]“ (Koch 2006, S. 636)
und somit unser Problem für gelöst halten. Doch mit dieser Lösung muss man nicht zufrieden sein, denn nach wie vor erscheint das Böse wie eine versehentliche Fehlkonstruktion, eine bloße Schwäche des Willens – und nicht jeder muss dies für eine moralisch akzeptable Lösung halten. Und auch theoretisch ist sie zumindest fragil, denn so recht wählen können wir das Böse dann nach wie vor nicht, oder jedenfalls verstehen wir nicht, wie eine solche Wahl möglich sein sollte. Kant selbst jedenfalls hätte diese Lösung wohl eher weniger akzeptiert, wie sich der folgenden Bemerkung in seiner Religionsschrift entnehmen lässt: „Der Mensch (selbst der ärgste) tut, in welchen Maximen es auch sei, auf das moralische Gesetz nicht gleichsam rebellischerweise (mit Aufkündigung des Gehorsams) Verzicht. Dieses dringt sich ihm vielmehr, kraft seiner moralischen Anlage, unwiderstehlich auf […]. Er hängt aber doch auch, vermöge seiner gleichfalls schuldlosen Naturanlage, an den Triebfedern der Sinnlichkeit, und nimmt sie (nach dem subjektiven Prinzip der Selbstliebe) auch in seine Maxime auf. […] Da er nun natürlicherweise beide in dieselbe aufnimmt […]: so würde er, wenn der Unterschied der Maximen bloß auf den Unterschied der Triebfedern (der Materie der Maximen), nämlich, ob das Gesetz, oder der Sinnenantrieb eine solche abgeben, ankäme, moralisch gut und böse zugleich sein; welches sich […] widerspricht. Also muß der Unterschied, ob der Mensch gut oder böse sei, nicht in dem Unterschiede der Triebfedern, die er in seine Maxime aufnimmt (nicht in dieser ihrer Materie), sondern in der Unterordnung (der Form derselben) liegen: welche von beiden er zur Bedingung der anderen macht.“ (Rel., B 34/A 29–30 [= AA VI, 36])
Dass wir uns nicht bloß nicht gegen das Gesetz auftun, sondern auch gar nicht gegen dasselbe auftun können, begründet Kant zuvor übrigens noch wie folgt:
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„Sich als ein frei handelndes Wesen, und doch von dem, einem solchen, angemessenen, Gesetze (dem moralischen) entbunden denken, wäre so viel als eine ohne alle Gesetze wirkende Ursache denken (denn die Bestimmung nach Naturgesetzen fällt der Freiheit halber weg): welches sich widerspricht.“ (a. a. O., B 32/A 28 [= AA VI, 35])
Daher muss auch der böse Wille noch ein solcher sein, der dem moralischen Gesetz in irgendeiner Weise Rechnung trägt – eben ein autonomer Wille. Zunächst also scheinen wir Kant der obigen Vermittlungsthese das Wort reden zu sehen, der zufolge wir uns irgendwo zwischen völliger Autonomie und völliger Heteronomie des Willens in einem Zwischenstand befinden würden; sowohl das moralische Gesetz, gegen das wir uns nicht „rebellischerweise“ auftun können, wie auch die sinnlichen Triebfedern unserer Naturanlage – die wir nun einmal, als sinnliche Wesen, haben –11 sind, als die beiden möglichen Prinzipien zur Willensbildung, unwiderstehlich integraler Bestandteil unserer Maximen. Doch anstatt, wie wir oben, von hier aus darauf zu schließen, dass Autonomie und Heteronomie bzw. Gut und Böse Extrempunkte ein und derselben, graduierbaren Skala sind, springt Kant – die Details der Argumentation zu diesem Sprung lassen wir bei Seite – offenbar auf einen übergeordneten Standpunkt, von dem aus wir uns entscheiden können, welchem der beiden Prinzipien wir gegenüber dem anderen den Vorrang geben, sodass wir immer nur entweder gut oder böse sind (und nichts dazwischen). Die Annahme eines übergeordneten Standpunktes ist freilich eine naheliegende Idee, warum sind wir nicht schon von selbst darauf gekommen? Nun, nachdem wir den Kategorischen Imperativ zum obersten und letztlich auch einzigen Prinzip des freien Willens erkoren hatten, war mit dergleichen schlicht nicht zu rechnen, im Gegenteil. Daher fragt sich auch, woher Kant uns mit einem Mal dazu berufen sieht, über die Ordnung unserer Triebfedern zu entscheiden, wenn nicht aus Freiheit – also autonom, also nach dem Kategorischen Imperativ. Das Problem scheint hierdurch nicht gelöst, sondern erneut nur verlagert. Wiederum fragt sich, wie die Wahl des Bösen, d. h. der „Umkehrung der Triebfedern durch seine Maxime, wider die sittliche Ordnung“ (a. a. O., B 34/A 31 [= AA VI, 36]) – und damit auch die des Guten, als Wahl – möglich ist. Und so viel ich sehen kann, beantwortet Kant diese Frage kurzerhand mit einer Setzung. Das „moralisch Böse[…] [ist] 11 Auch diese taugen nicht zum eigentlichen „Grund des Bösen“: „Denn nicht allein, daß diese keine gerade Beziehung aufs Böse haben (vielmehr zu dem, was die moralische Gesinnung in ihrer Kraft beweisen kann, zur Tugend die Gelegenheit geben): so dürfen wir ihr Dasein nicht verantworten (wir können es auch nicht; weil sie als anerschaffen uns nicht zu Urhebern haben)“ (Rel., B 31/A 27, 28 [= AA VI, 34, 35]).
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nur als Bestimmung der freien Willkür möglich“ (a. a. O., B 20/A 18 [= AA VI, 29]); und auch der „natürliche[…] Hang zum Bösen […] selber“ – den Kant in seiner Religionsschrift zu erklären sucht – muss „am Ende doch in einer freien Willkür gesucht werden“ und ist deshalb gleichfalls „moralisch böse“ (a. a. O., B 35/A 31–32 [= AA VI, 37]). Uns hier muss die Frage, ob nun ein natürlicher Hang des Menschen zum Bösen besteht oder nicht, für sich genommen nicht weiter bekümmern; dafür indes, dass er besteht, lässt Kant die „Menge schreiender Beispiele“ sprechen, „welche uns die Erfahrung an den Taten der Menschen vor Augen stellt“ (Rel., B 27–28/A 25 [= AA VI, 32–33]). Kurz: Wir erfahren (am eigenen Leib oder durch die Zeugnisse anderer) Widriges in den Handlungen der Menschen und setzen dem einen bösen Willen zugrunde, der, damit er als böse (und nicht bloß als schuldlos getrieben) begriffen werden kann, auch als frei gesetzt werden muss. In dieser Weise ‚erklärt‘ – vielmehr setzt – Kant, dass der Mensch, als Gattung gesehen, böse ist bzw. einen seinem Wesen eingeschriebenen Hang zum Bösen aufweist, und in dieser Weise – ungeachtet der Antwort auf die erstere Frage – müsste sich auch jede einzelne böse Entscheidung ‚erklären‘ – setzen – lassen, in Analogie zu. nicht aber als Herleitung aus dem, was sich in der Erfahrung zeigt. Ganz gegen das moralische Gesetz kehren kann sich niemand, da ihm ansonsten die Freiheit abgesprochen werden müsste, wie Kant ja selbst sagt, aber dem Prinzip der Selbstliebe unterordnen können wir es, wie er weiter meint. Nur nach welchem Prinzip, wenn nicht dem der Freiheit, das uns notwendig dem Guten zuneigen würde? Letztlich bleibt das Böse unerklärlich, und vielleicht ist dies auch einfach das letzte Wort, das es zu diesem Thema zu verlieren gibt. Wir können nicht verstehen, wie das Böse möglich ist, sondern wir müssen es einfach als Möglichkeit setzen. Sobald wir uns in diesem Feld, dem der Moral und damit der Freiheit, bewegen, ist eben alles Setzung, alles Freiheit und somit auch alles Wahl, selbst das Urteil, dass und inwiefern überhaupt eine Wahl – zum Bösen wie zum Guten – möglich ist.12
12 „Im Grunde ist alles Freiheit“ (Koch 2006, 652), schreibt auch Koch zum Schluss seines Versuch[es] über Wahrheit und Zeit im Rahmen eines weiteren (und letzten), an seine eigene philosophische Lehre angebauten, Vorschlages zur Lösung der internen Freiheitsaporie, den wir hier allerdings nicht mehr nachvollziehen können. Mehr als eine bloße Wortgleichheit (oder -ähnlichkeit) zu dem hier zuletzt vorgeschlagenen wird, so viel sei noch verraten, aber wohl eher nicht bestehen.
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© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Schwab, Umwege zur Freiheit, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62209-4
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