Umkämpfter Weg zur Bildung: Armenische Studierende in Deutschland und der Schweiz von der Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts [1 ed.] 9783666310386, 9783525310380

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Umkämpfter Weg zur Bildung: Armenische Studierende in Deutschland und der Schweiz von der Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783666310386, 9783525310380

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Arpine A. Maniero

Umkämpfter Weg zur Bildung Armenische Studierende in Deutschland und der Schweiz von der Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts

Schnittstellen Studien zum östlichen und südöstlichen Europa Herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Ulf Brunnbauer Band 9

Arpine A. Maniero

Umkämpfter Weg zur Bildung Armenische Studierende in Deutschland und der Schweiz von der Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts

Vandenhoeck & Ruprecht

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Graduiertenschule für Ostund Südosteuropastudien der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Porträt des bekannten armenischen Komponisten Komitas (1869–1935), der im Konservatorium in Berlin studierte und Gründungsmitglied der »Internationalen Musikgesellschaft« war. (Foto: Archiv des Charents-Museums für Literatur und Kunst in Yerewan.) Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2566-6614 ISBN (Print) 978-3-525-31038-0 ISBN (PDF) 978-3-666-31038-6 https://doi.org/10.13109/9783666310386 Dieses Material steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/.

Inhalt 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Thema, Fragestellung und theoretische Grundlagen . . . . . . . . 9 1.1.1 Thema und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1.2 Theoretische Grundlagen und Methode . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Forschungsstand und Quellenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Rahmenbedingungen und Hintergründe armenischer Bildungsmigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1 Die Bildungssituation der Armenier in Transkaukasien . . . . . . 33 2.1.1 Staatliche Organisation des Hochschulstudiums kaukasischer Untertanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.1.2 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.2 Deutsch-armenische Kulturbeziehungen und die akademische Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Studium und Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.1 Die Universität Dorpat als Hochburg der armenischen Studentenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.2 Statistische Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3 Armenische Frauen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.3.1 Erste armenische Kindergärtnerinnen im Zwiespalt zwischen Europa und dem Kaukasus . . . . . . . . . . . . . . 129 3.3.2 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.4 Studium und das gesellschaftliche Leben . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4. Stipendien für das Auslandsstudium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.1 Die Finanzierung des Auslandsstudiums durch Spenden und Nachlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.2 Die Förderung des Auslandsstudiums durch die armenische Kirche 166 4.2.1 Komitas, Husik Zohrabian und Eznik Gyanǰecian . . . . . . 181 4.2.2 Studienfinanzierung durch den Rat der armenischen Kirche in St. Petersburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4.2.3 Weitere Spenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

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Inhalt

4.3 Das Notwendige Liebeswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.3.1 Das Notwendige Liebeswerk bis 1908 . . . . . . . . . . . . . . 200 4.3.2 Das Notwendige Liebeswerk als selbstständiger Verein . . . 207 4.3.3 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4.4 Der Nachlass von Hovhannes Ēfendian . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4.5 Der Nachlass von Avetis Łukassian . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 5. Armenische studentische Vereine in Deutschland und der Schweiz . . 251 5.1 Vergesellschaftung und politische Mobilisierung der Studenten . . 251 5.1.1 Die Entstehung armenischer studentischer Vereine . . . . . . 255 5.1.2 Die Gründung der Parteien Armenakan und Hnčak . . . . . 259 5.2 Marxismus und Sozialdemokratie unter den armenischen Studenten in Deutschland und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . 263 5.3 Der Armenisch-Akademische Verein zu Leipzig . . . . . . . . . . . 289 5.4 Der Verein Armenischer Studenten Europas . . . . . . . . . . . . . 293 5.4.1 Der zweite Kongress des Vereins . . . . . . . . . . . . . . . . 295 5.4.2 Die dritte und vierte Vollversammlung des Vereins . . . . . 300 5.4.3 Der fünfte Kongress in Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5.4.4 Die Tätigkeit des Vereins nach 1903 . . . . . . . . . . . . . . . 310 5.5.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 5.5 Der Verein Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas . . . . 317 5.6 Publikationen armenischer Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 5.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 6. Modernisierungsdebatten vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 6.1 Auslandsstudium und Modernisierung der Gesellschaft . . . . . . 353 6.2 Reformdebatten in der armenischen Kirche vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums . . . . . . . . . . . . . . . 367 6.3 Reformdebatten im Bildungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Inhalt

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Dissertationen armenischer Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Statut des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig . . . . . . . . 422 Mitgliederliste des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig . . . 426 Die Satzung des Vereins Armenischer Studenten Europas . . . . . . . . 436 Die neue Satzung des Vereins Armenischer Studenten Europas . . . . 438 Die Satzung des Vereins »Notwendiges Liebeswerk« . . . . . . . . . . . 441 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Universitätsmatrikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Enzyklopädien und Handbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Thematische Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

1. Einleitung

1.1

Thema, Fragestellung und theoretische Grundlagen

1.1.1 Thema und Fragestellung Seitdem die vorwärts schreitende Zivilisation ihre Strahlen über das armenische Volk ausgebreitet, sein Denken damit erhellt und das Verlangen nach Wissenschaft erweckt hat, seit dem Tag fing die armenische Studentenschaft an, an die Türen europäischer Hochschulen zu klopfen und fand dort freundlichen Empfang. Heute gibt es neben den an russischen Hochschulen studierenden Armeniern in vielen europäischen Städten, in denen man eine gute Ausbildung bekommen kann, eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Studenten, die dazu berufen sind, eine Führungsrolle in unserer jungen Gesellschaft zu übernehmen.1

Mit dieser nicht unpathetischen Passage leitete die Zeitschrift Tełekagir ­Evropayi hay usanołakan miut’ean2 (Mitteilungsblatt des Vereins Armenischer Studenten Europas) ihre erste Nummer ein und berührte damit ein Thema, das die armenischen Intellektuellen im ausgehenden 19. Jahrhundert umtrieb: Wie kann einem Land, das über keine Hochschulen verfügt, der Anschluss an die Entwicklung der (westlichen) Welt gelingen? Die Antwort sahen die zeitgenössischen Akteure in der transnationalen Bildungsmigration, die junge Armenier an europäische Hochschulen führte. Da es im Kaukasus bis 1918 keine Universität gab, engagierte sich die wirtschaftliche Elite dafür, ihr Studium an russländischen oder europäischen Universitäten zu finanzieren. Mit dem dort erlangten Wissen sollte die hochgebildete Elite den sozialen Wandel der armenischen Gesellschaft forcieren. Damit verband sich auch der Wunsch, auf lange Sicht in der Heimat bessere Bildungsmöglichkeiten für kommende Generationen zu schaffen. Am Ende des 19. Jahrhunderts blieb das historische Armenien zwischen zwei Imperien, dem Russländischen und dem Osmanischen Reich geteilt. Infolge des Russisch-Persischen Krieges in den Jahren 1826–1828 hatte Persien 1 Tełekagir Evropayi hay usanołakan miut’ean. 1897/98, 1898/99 (Mitteilungsblatt des Vereins Armenischer Studenten Europas. 1897/98, 1898/99, im Folgenden Tełekagir). Wien 1899, 3. 2 Die Transliteration der armenischen Schrift richtet sich nach DIN 32706. Vgl. Information und Dokumentation – Umschrift des armenischen Alphabets. Berlin 2010. Der freund­ licheren Lesbarkeit halber wird »u« (zu lesen wie »u« in »Hut«) statt »ow« verwendet.

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die südkaukasischen Gebiete, darunter die Khanate Eriwan und Naxiǰevan, an Russland verloren. Mit dem am 22. Februar 1828 unterzeichneten Vertrag von Turkmentschai wurde außerdem die Einwanderung der Armenier in den Kaukasus festgelegt, wenn auch eine größere Gemeinde in Persien bestehen blieb. Die Armenier waren im Russländischen und im Osmanischen Reich sowie in Persien jeweils unterschiedlichen sozialen Bedingungen unterworfen. In allen drei Ländern waren ihre politischen Rechte trotz der noch zu beschreibenden Teil-Autonomie in Fragen der Bildung stark eingeschränkt. Dazu gehörte auch die Tatsache, dass junge Armenier in ihrer Heimat kaum ein vollwertiges Hochschulstudium absolvieren konnten, was ihre Bereitschaft förderte, ins Ausland zu gehen. Miroslav Hroch charakterisiert die Studentenschaft als eine der treibenden Kräfte der nationalen Bewegungen »kleiner« bzw. »unterdrückter« Völker. Vom Bildungswesen über den Verwaltungs- und Beamtenapparat bis hin zu den Kirchen übte sie Einfluss auf die verschiedensten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus, in die sie die Idee der nationalen Selbstbesinnung hineintrug.3 Diese Beschreibung trifft auch auf die armenischen Studenten zu, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs Hochschulen in Deutschland und der Schweiz besuchten. Gerade diese Studenten sollten sich in der Vorstellung der armenischen intellektuellen Elite an die Spitze einer Reformbewegung stellen. Das vorliegende Buch gilt diesen Studierenden.4 Es widmet sich den akademischen Erfahrungen, die sie in den Aufnahmeländern machten, ihrer Sozialisation im Ausland und ihrem gesellschaftlichen Wirken. Dabei geht es sowohl um die politischen Aktivitäten, die sie an ihren Studienorten entfalteten, als auch um die für ihr Herkunftsland entwickelten Reforminitiativen. Die politische Partizipation der Armenier nahm bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich zu, in der Folge gewann auch die Forderung an den Zentralstaat nach Angleichung der Bildungschancen an Gewicht. Da diese Forderung jedoch nur teilweise erfüllt wurde, orientierte sich die aufsteigende Bildungselite zunehmend an ausländischen Universitäten. Die wachsende internationale vor allem wirtschaftliche Konkurrenz sowie die Hoffnung auf bessere Lebens- und Berufschancen verstärkten diese Tendenz zusätzlich. Doch die akademische Migration zielte nicht nur darauf ab, die Konkurrenzfähigkeit des eigenen Nachwuchses zu stärken, sondern hatte auch andere 3 Hroch, Miroslav: Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas. Eine vergleichende Analyse zur gesellschaftlichen Schichtung der patriotischen Gruppen. Praha 1968, 137. 4 Den armenischen Studentinnen ist im Buch ein Unterkapitel gewidmet, daher wird – von einigen allgemeinen Beschreibungen einmal abgesehen – in der Regel von Studenten und nicht von Studierenden die Rede sein.

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Dimensionen: Die armenischen Intellektuellen etwa sahen sie als Chance, die nationale Eigenständigkeit nicht allein durch den bewaffneten Kampf, sondern auch über gebildete Eliten zu gewinnen. Für das Russländische Imperium wiederum war es wichtig, die peripheren Regionen des Reiches wirtschaftlich nutzbar zu machen, was die zunehmende Nachfrage an gut ausgebildeten Fachkräften bedingte. Auch bei der wissenschaftlichen Erforschung dieser Gebiete, die unter anderem durch staatlich finanzierte Expeditionen der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften erfolgte, war man auf lokale Spezialisten mit Kenntnis der dortigen Sprachen angewiesen.5 Doch an ihnen herrschte großer Mangel. Zwar nahm die Zahl armenischer Studenten an russländischen Hochschulen im Laufe des 19. Jahrhunderts stetig zu, doch mehrere Faktoren trugen dazu bei, dass immer mehr Armenier zum Studium ins Ausland gingen. Zum einen reichten selbst die Zeugnisse armenischer geistlicher Seminare für die Immatrikulation an russländischen Universitäten nicht aus. Notwendig war die Vorlage des Reifezeugnisses eines klassischen achtjährigen Gymnasiums. Zum anderen brachten die armenischen Bewerber dürftige Russischkenntnisse mit und sahen sich bei der Immatrikulation gerade an technischen Fakultäten zudem mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Dies förderte die Beliebtheit des Auslandsstudiums zusätzlich. Die Präferenz für deutsche bzw. auch schweizerische Hochschulen war dabei natürlich kein Zufall, sondern entsprach dem Fluss russländischer Studenten insgesamt. Diese Entwicklung war aber auch der Tatsache geschuldet, dass die sogenannte erste Generation armenischer Studenten bereits ab den 1830er Jahren an der Universität in Dorpat6 studiert hatte, deren prominente Absolventen seither das Auslandsstudium, vor allem eine Ausbildung an deutschen Universitäten, propagierten. Infolge dieser starken Bildungsmigration bildete sich im Ausland um die Jahrhundertwende eine Gruppe junger armenischer Intellektueller, die sich berufen fühlten, mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung Einfluss auf die Zukunftsgestaltung ihres Landes zu nehmen. Viele künftige Pädagogen, Wissenschaftler, Politiker, Künstler und Geistliche formulierten bereits während des Studiums eine Vision von der Zukunft ihrer Heimat, die sie durch den Transfer von Wertesystemen und -vorstellungen zu verwirklichen suchten. Eine wichtige Rolle für den Prozess des Wissenstransfers spielten dabei die

5 Vgl. Reisner, Oliver: Die Erforschung Kaukasiens im Zarenreich und der frühen Sowjetunion – Der Wandel von Interessen und Konzepten in den Regionalwissenschaften. In: Pietrow-Ennker, Bianka (Hg.): Russlands imperiale Macht. Integrationsstrategien und ihre Reichweite in transnationaler Perspektive. Wien u. a. 2012, 179–208, 183 f. 6 Die heutige Stadt Tartu in Estland.

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armenischen Gemeinden auch außerhalb des Kaukasus. Sie wurden, wie die Zeitschrift Ararat7 bereits 1895 beschrieb: […] zu den modernen Zentren, von denen aus sich der europäische Geist unter den Armeniern verbreiten konnte. Smyrna8 und Konstantinopel führten die Türkeiarmenier, Moskau, Petersburg und Tiflis Russlandarmenier, und Indien [gemeint sind hier vor allem die armenischen Gemeinden in Madras und Kalkutta, d. Vf.] die Persien­ armenier.9

Doch es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass der rasante Aufschwung, den die armenische Bildung und Kultur unter europäischem Einfluss erlebten, zu den außerhalb dieser Zentren lebenden Armeniern ebenso rasch vordringen konnte. Während im 19. Jahrhundert etwa in Smyrna oder Konstantinopel moderne Bildungsanstalten, Kultureinrichtungen und Zeitschriften gegründet wurden, blieb eine vergleichbare Entwicklung in den entfernten Vilajets des Osmanischen Reiches aus. Noch schwieriger gestaltete sich die Modernisierungsbewegung in Persien, obwohl die armenische Stadt Nor J̌ uła10 bereits im 18. Jahrhundert zu einem Handels- und Kulturzentrum aufgestiegen war. Ein intellektueller Austausch fand im 19. Jahrhundert fast ausschließlich über die nach Europa reisenden Kaufleute statt und vermochte keine größeren Kreise mehr zu ziehen. Die etwas stabileren Lebensbedingungen der Armenier im Kaukasus hingegen erlaubten es, sich Fragen der Modernisierung zuzuwenden und Strategien für eine Reform des Bildungssystems auszuarbeiten. Kaum ein anderes Thema wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert in der armenischen Presse so kontrovers diskutiert wie das Auslandsstudium. Die Bildungsmigration wurde implizit oder explizit mit den Modernisierungs­ prozessen assoziiert. Sie war zwar akzeptiert und wurde gefördert, doch dem mit der Bildungsmigration verbundenen Wunsch nach Modernisierung stand die Angst vor einem Verlust nationaler Identität gegenüber. Die Vergesellschaftung armenischer Studenten an westlichen Universitäten trug nicht nur zur Herausbildung ihres nationalen und politischen Selbstbewusstseins bei. Diese Studenten begriffen sich nun als Teil Europas und versuchten, die europäischen Normen und Werte in ihrer Heimat durchzusetzen, was aber oftmals auf ablehnende Reaktionen stieß. Denn die Reforminitiativen, die sich am europäischen Vorbild orientierten, galten nur dann als akzeptabel, 7 Die Zeitschrift Ararat wurde von 1868 bis 1919 als Presseorgan der armenischen Kirche herausgegeben und umfasste sowohl wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der armenischen Geschichte, Kirchengeschichte, Kultur, Ethnologie und Literatur als auch literarische Werke zeitgenössischer armenischer Schriftsteller. Vgl. Matenagitut’yun »Ararat« amsagri. Bearb. von Seda Kotsinyan. Ēǰmiaċin 1970. 8 Die heutige Stadt Izmir in der Türkei. 9 Ararat. 1895, 2, 63–67, 63. 10 Heute ist Nor J̌ uła ein Stadtteil von Isfahan in Iran.

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wenn sie auf armenischen nationalen Traditionen basierten. So sahen sich die Studenten oft dem Vorwurf ausgesetzt, mit Ansichten in die Heimat zurückzukehren, die mit den tradierten Werten unvereinbar waren. Besonders brisant waren die Reformprojekte auch insofern, als sie auf die Loslösung einzelner Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, vor allem aber der Bildung, aus dem Einflussbereich des Klerus zielten. Die vielfach geäußerte Befürchtung, dieser Prozess könnte eine Gefahr für die eigene Sprache und Kultur darstellen, war trotzdem nicht völlig unbegründet. Unter den Armeniern fehlte am Ende des 19. Jahrhunderts ein modernes säkulares Schul­ wesen. Nach der Eingliederung der südkaukasischen Gebiete in das Russländische Reich wurden dort staatliche Schulen und Gymnasien eröffnet, welche die armenische intellektuelle Elite als Konkurrenz zu den eigenen Lehranstalten wahrnahm. Erschwerend kam hinzu, dass die sich unter der Obhut des Ēǰmiaċin11, dem geistlichen Zentrum der Armenier, befindenden Schulen wiederholt von Schließungen bedroht waren. Dies war in den Jahren 1885, 1895/96 sowie 1903 der Fall und verstärkte unter den Armeniern das Gefühl, einer aggressiven Assimilation ausgesetzt zu sein. Dass die staatliche Politik gegenüber der armenischen Kirche mit Blick auf die innen- und außenpolitischen Interessen des Russländischen Reiches eher zwiegespalten war, trug keinesfalls zur Entschärfung der angespannten Situation bei. Zwar wurde die Autorität des Kirchenoberhaupts, dessen Titel Kathołikos Aller Armenier12 lautete, für den imperialen Einfluss auf die armenischen Untertanen des Osmanischen Reiches und in Persien als förderlich erachtet. Doch implizierte dies eine weitgehende Eigenständigkeit des Ēǰmiaċin, was im Widerspruch zu den innenpolitischen Interessen stand. Dabei verfügte das Zentrum über sehr eingeschränkte Möglichkeiten, den Autonomiebestrebungen der armenischen Kirche, die sich insbesondere in der Regelung der Bildungsangelegenheiten ausdrückte, mit politischen Mitteln 11 Ēǰmiaċin (in Vałaršapat) wurde nach der Gründung der Mutterkathedrale bereits im 4. Jahrhundert zum geistlichen und administrativen Zentrum der Armenisch-Apostolischen Kirche. Der Hauptsitz des Kirchenoberhaupts wird offiziell als Mayr At’oṙ (der Mutterstuhl) bezeichnet. Dieser wurde zwischen dem 5. und 15. Jahrhundert einige Male verlegt, unter anderem nach Sis, Hauptstadt des Königreichs Kleinarmenien in Kilikien. Nach der Rückkehr des Mair At’oṙ nach Vałaršapat 1441 erlangte diese Stadt eine führende Bedeutung für das geistliche Leben der Armenier. Daneben existierten weiterhin das Kathołikat des Großen Hauses von Kilikien, seit dem 7. Jahrhundert das Patriarchat von Jerusalem und seit 1461 das Patriarchat in Konstantinopel. Vgl. K’ristonya Hayastan. Hanragitaran [Enzyklopädie Christliches Armenien]. Band 1. Jerewan 2002, 459–463. In der vorliegenden Arbeit wird Ēǰmiaċin als übergeordneter Begriff für die armenische Kirche als geistliche und administrative Einheit benutzt. 12 Das Oberhaupt der armenischen Kirche in Ēǰmiaċin trug seit dem 10. Jahrhundert den Titel Kathołikos Aller Armenier, offiziell wurde der Titel jedoch erst im 19. Jahrhundert eingeführt. Ebd., 457–459.

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entgegenzuwirken. Wenn die Bürokratie aber versagte, was an der Peripherie des Reiches häufig der Fall war, wurden die Repressionen zum Mittel, um die Machtverhältnisse bzw. die Autorität des Zentrums wiederherzustellen.13 Dies war eine Politik, die auch gegenüber anderen religiösen Gemeinschaften des Imperiums angewandt wurde: Religionsdisziplinierend wirkte der Staat, indem er einzelne Bekenntnisse und Bekenntnisrichtungen förderte und in deren Erziehungswesen hineinwirkte. Dieser Ansatz war von der Diskreditierung von Religion nicht eindeutig zu trennen, konnte doch die Disziplinierung in Repression umschlagen, wenn in der Religion ein für den Staat gefährliches politisches Potenzial erkannt wurde.14

So zog die andauernde Kontroverse der armenischen Kathołikoi mit staat­ lichen Behörden eine Kette disziplinierender Maßnahmen nach sich, die letztlich zum Beschluss vom 12. Juni 1903 führten, den gesamten Besitz der armenischen Kirche zu konfiszieren.15 Aus der Sicht des Zentrums war dieser Schritt auch deshalb notwendig geworden, weil die Kirche – indem sie etwa finanzielle Mittel zurückhielt – die staatliche Kontrolle über die armenischen Schulen um jeden Preis zu verhindern versuchte. Diese Politik zielte aber auch darauf ab, den revolutionären Strömungen unter den Armeniern, die angeblich von der Kirche unterstützt und finanziert wurden, ebendiese finanzielle Grundlage zu entziehen. Infolge dieser Politik, die der Oberbefehls­ haber im Kaukasus Grigorij Sergeevič Golizyn maßgeblich initiierte, büßte die Kirche nicht nur einen Teil ihrer Eigenständigkeit ein. Der Beschluss hatte auch auf das Bildungswesen dramatische Auswirkungen, da er die geistlichen Schulen und Seminare in den armenischen Eparchien der kirchlichen Kontrolle entzog. Damit ging der Einfluss der Kirche auf das Auslandsstudium verloren, das bis dahin zum Teil aus kirchlichen Eigenmitteln, zum Teil durch Spenden und Nachlässe finanziert und gefördert worden war. Es ist daher wenig überraschend, dass die Armenier starken Widerstand gegen diesen

13 Grundsätzlich hierzu Baberowski, Jörg / Feest, David / Gumb, Christoph (Hg.): Imperiale Herrschaft in der Provinz. Repräsentationen politischer Macht im späten Zarenreich. Frankfurt am Main 2008. 14 Schulze Wessel, Martin: Revolution und religiöser Dissens. Der römisch-katholische und der russisch-orthodoxe Klerus als Träger religiösen Wandels in den böhmischen Ländern und in Russland 1848–1922. München 2011, 29 f. 15 Werth, Paul W.: Pravoslavie, inoslavie, inoverie․ Օčerki po istorii religioznogo raznoobrazija Rossijskoj Imperii [Orthodoxie, Heterodoxie, Andersgläubigkeit: Skizzen der Geschichte der religiösen Vielfalt im Russländischen Imperium]. Moskva 2012, 195; Ders.: Glava cerkvi, poddannyj imperatora: Armjanskij katolikos na perekrёstke vnutrennej i vnešnej politiki imperii, 1828–1914 [Kirchenoberhaupt, Untertan des Imperators: Der armenische Kathołikos im Schnittpunkt der Innen- und Außenpolitik des Imperiums, 1828–1914]. In: Ab Imperio. 2006, 3, 99–138, 125.

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Beschluss leisteten und bereits 1905 die Rückgabe der konfiszierten Güter erzwangen.16 Die spannungsreiche politische Konstellation in Russland wirft die Frage auf, wie die Bildungsmigration von den Rändern des Reiches nach Europa funktionierte. Wer waren die jungen Armenierinnen und Armenier, die ins westliche Ausland gingen, um zu studieren? Warum gingen sie vorzugsweise nach Deutschland und in die Schweiz und welche Fächer studierten sie? Wie veränderten das Leben und die Ausbildung in Europa ihre Weltsicht und ihr nationales Bewusstsein? Wie setzten sie ihre in Europa erworbenen Kenntnisse später in der Heimat ein, und inwiefern gaben sie die Richtung der dortigen Modernisierungsprozesse vor? Nahm ihre Herkunftsgesellschaft diesen Einfluss als Bedrohung für die nationale Identität wahr – und falls sich dies so verhielt: wie reagierte die armenische Gesellschaft darauf? Das sind Fragen, die von der Forschung bisher nur gestreift wurden, die aber für das Verständnis der sozialen Prozesse, die um die Jahrhundertwende beide Teile der armenischen Gesellschaft – die im Osmanischen wie die im Russländischen Reich – maßgeblich prägten, von zentraler Bedeutung waren. 1.1.2 Theoretische Grundlagen und Methode

Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches stehen das Studium junger Armenierinnen und Armenier im Ausland und die Transformationsprozesse, welche die Bildungsmigration in ihrer Heimat auslöste. Methodisch werden beide Fragestellungen mit Ansätzen der akademischen Bildungsmigration und des Kultur- und Wissenstransfers untersucht. Migration ist ein Phänomen, das von jeher fester Bestandteil der europäischen Kulturgeschichte war und einen etablierten Gegenstand der sozialhistorischen Migrationsforschung bildet.17 Insbesondere in den letzten Jahrzehnten entstanden wegweisende Studien,18 die Ansätze der Migrationsforschung theoretisch begründet und kontextualisiert haben. Dabei unterscheiden sie 16 Gazer, Rafi Hacik: Die Reformbestrebungen in der Armenisch-Apostolischen Kirche im ausgehenden 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Göttingen 1996, 71–74. 17 Reith, Reinhold: Einleitung. Elitenwanderung und Wissenstransfer. In: Dahlmann, Dittmar / Ders. (Hg.): Elitenwanderung und Wissenstransfer im 19. und 20. Jahrhundert. Essen 2008, 7–15, 7. 18 Zu verschiedenen theoretischen Ansätzen der Migrationsgeschichte siehe exemplarisch Hahn, Sylvia: Historische Migrationsforschung. Frankfurt am Main 2012; Han, Petrus: Theorien zur internationalen Migration. Ausgewählte interdisziplinäre Migrationstheorien und deren zentralen Aussagen. Stuttgart 2006; Ders.: Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle, Fakten, politische Konsequenzen, Perspektiven. 2. Auflage. Stuttgart 2005; Kleinschmidt, Harald: Menschen in Bewegung. Inhalte und Ziele historischer Migra­tionsforschung. Göttingen 2002.

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nicht nur zwischen epochalen Besonderheiten der Migration, sondern auch zwischen verschiedenen Wanderungsarten wie etwa der rural-urbanen Migra­ tion, der transatlantischen Migration oder politisch wie religiös motivierten Migrationsbewegungen. Im Kontext dieser Studie interessiert insbesondere die Bildungsmigration im engeren Sinne. Trotz der Konjunktur der Migrationsforschung sind gerade mit Blick auf die Bildungsmigration immer noch gewisse Defizite zu verzeichnen. So stellt Dittmar Dahlmann fest, die historische Forschung habe sich bislang stark auf die wissenschafts- und geistesgeschichtlichen Aspekte konzentriert, während sozialhistorische Fragen nach den Prozessen der Assimilierung und Akkulturation, den sozialen Kontakten bzw. der Entwicklung von Lebensweisen vernachlässigt wurden.19 Dies bestätigt auch Jan und Leo Lucassens Befund, dass zwischen Forschern, die sich hauptsächlich mit Migrationsbewegungen beschäftigen, und denjenigen, die die Geschichte von Ansiedlungs- und Eingliederungsprozessen und damit die Integration, Assimilation, Rassismus und Ethnizität in den Blick nehmen, ein mangelnder Austausch herrscht.20 Gerade die Theorie der Assimilation und der Akkulturation umfasst die soziokulturellen Aspekte der Migration, während das Interesse der historischen Migrationsforschung insbesondere den transkulturellen Räumen gilt.21 In der modernen Migrationsforschung haben sich zudem die Begriffe »Brain-Drain«, »Brain-Gain« und »Brain-Circulation«22 etabliert. Zwar beschreiben sie die Abwanderung von Hochqualifizierten aus Entwicklungsländern in die Industrieländer und ihre eventuelle Rückwanderung. Doch die Probleme, die sie ansprechen, beschränken sich keineswegs auf die heutige globalisierte Welt, sondern eignen sich zur Charakterisierung von Eliten­ 19 Dahlmann, Dittmar: Gelehrte auf Reisen. In: Beer, Mathias / Ders. (Hg.): Über die trockene Grenze und über das offene Meer. Binneneuropäische und transatlantische Migrationen im 18. und 19. Jahrhundert. Essen 2004, 119–132, 121. 20 Vgl. Lucassen, Jan / Lucassen, Leo: Alte Paradigmen und neue Perspektiven in der Migrationsgeschichte. In: Beer / Dahlmann (Hg): Über die trockene Grenze, 17–42, 28. 21 Siehe insbesondere Hahn: Historische Migrationsforschung, 29–36; Harzig, Christiane / ​ Hoerder, Dirk: What is Migration History? Cambridge 2009. 22 Mit diesen Begriffen werden die mit der Aus-, Ein- und Rückwanderung von hochqualifizierten Kräften verbundenen Phänomene beschrieben. Die Auswanderung vor allem aus Drittländern führt dieser Theorie zufolge zu einem Verlust von intellektuellem Potenzial in den Herkunftsländern (Brain-Drain), während die Einwanderung von qualifizierten Kräften einen Gewinn (Brain-Gain) der Aufnahmeländer darstellt. Die Auslandserfahrungen sind aber hinsichtlich der erworbenen Kenntnisse, Know-how und Kontakte, sofern diese für das Wohl der Heimatgesellschaft eingesetzt werden können, wertvolle Ressourcen und können umgekehrt durch die Auswanderung zu positiven Entwicklungen in den jeweiligen Heimatländern beitragen (Brain-Circulation). Siehe hierzu Solimano, Andrés (Hg.): The International Mobility of Talent. Types, Causes, and Development Impact. Oxford 2008; Saxenian, AnnaLee: Brain Circulation: How High-Skill Immigration Makes Everyone Better off. In: The Brookings Review. 20 (2002), 1, 28–31.

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wanderung und Wissenstransfer insgesamt.23 So wurden Debatten über den Verlust von intellektuellem Potenzial, die heute unter dem Schlagwort BrainDrain laufen, durchaus auch schon in den Ausgangsgesellschaften des 19. Jahrhunderts geführt. Die »Enzyklopädie Migration in Europa« unterscheidet innerhalb des Migrationsprozesses drei Phasen: Erstens die Formulierung der Wanderbereitschaft und die konkrete Entscheidung zur Auswanderung, zweitens die Reise zum Zielort und drittens die Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft, wobei eine eventuelle Rückwanderung der mehrfachen Migration zugeordnet wird, bei der sich die drei Phasen wiederholen.24 Als bestimmende Impulse für Migrationsbewegungen gelten dabei, so Wolfgang Köllmann, die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den Ausgangs- und die vermeintlich besseren Chancen in den Aufnahmegesellschaften, wobei sozio-ökonomische Motive ebenso eine Rolle spielen wie religiöse, politische und kulturelle.25 Das bedeutet, dass ein Wissenschaftler, der keine Möglichkeit für Bildung und Forschung in seiner Heimat findet, sich ebenso für Auswanderung entscheidet wie diejenigen, die etwa wegen ihrer politischen Überzeugungen Verfolgungen ausgesetzt sind.26 Bildungswanderung wird als eine temporäre Migration verstanden. Doch wenn die meisten Bildungsmigranten ihre Studienreise auch mit dem Vorsatz antreten, nach dem Abschluss in ihre Heimat zurückzukehren, kann eine Rückwanderung, so Petrus Han, nicht vorausgesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit des Verbleibs im Gastland sei dabei unter anderem von der Dauer des Studiums bzw. dem gewählten Studienfach abhängig.27 Eine wichtige Rolle dafür, ob Bildungsmigranten in ihr Heimatland zurückgehen, spielt aber auch der Erfolg (oder Misserfolg) der Akkulturation im Gastland. Dieser hängt ebenfalls mit der Dauer des Studiums zusammen und zeitigt wesentlichen Einfluss auf die Rückkehrentscheidung: Sie übernehmen bewusst oder unbewusst Wertvorstellungen, Verhaltensnormen und Lebensstil des Gastlandes, was oft mit den Traditionen und Konventionen ihres Heimatlandes nicht zu vereinbaren ist. Wenn dieser Akkulturationsvorgang durch bessere berufliche Chancen und Arbeitsbedingungen im Gastland verstärkt wird, ist die 23 Reith: Einleitung, 10. 24 Hoerder, Dirk u. a.: Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung. In: Bade, Klaus J. / Emmer, Pieter u. a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn u. a. 2007, 28–53, 32. 25 Köllmann, Wolfgang: Versuch des Entwurfs einer historisch-soziologischen Wanderungstheorie. In: Engelhardt, Ulrich / Sellin, Volker / Stuke, Horst (Hg.): Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Stuttgart 1976, ­260–269, 265. 26 Ebd., 264. 27 Han: Soziologie der Migration, 123.

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Bleibeentscheidung der Studierenden für das Gastland zunehmend wahrscheinlicher, vorausgesetzt, dass das Gastland dies politisch und rechtlich zulässt.28

Für das maßgeblich durch Wohltätigkeit finanzierte Auslandsstudium der Armenier war die Rückwanderung ein entscheidendes Kriterium, wiewohl diese statistisch kaum zu erfassen ist. Die wenigen gut dokumentierten Fälle, die die Rückkehr von Stipendiaten oder den Verbleib im Gastland bzw. eine erneute Auswanderung aufzeigen, machen Akkulturationsprobleme bzw. Fremdheitserfahrungen im Gast- wie im Heimatland sichtbar. Während des Studiums grenzten sich die armenischen Studenten innerhalb ihres sozialen Umfelds von den sie umgebenden akademischen, politischen und kulturellen Einflüssen keinesfalls ab. Für ihre Anpassungsprozesse ist daher zu fragen, wie die transkulturellen Begegnungen wahrgenommen und wie Beziehungen geknüpft wurden. Dabei interessiert einerseits der Prozess ihrer Selbstver­ ortung in der für sie fremden Gesellschaft, andererseits – und für armenische Studenten von großer lebensweltlicher Bedeutung  – innerhalb der russlän­ dischen Studentenschaft. Die Bildungsmigration ist erst dann umfassend beschrieben, wenn auch die nachfolgenden Prozesse des Wissens- und des Kulturtransfers sowie die Übernahme bzw. Ablehnung der »fremden kulturellen Werte« einbezogen werden.29 Sozialgeschichtlich wird Kulturtransfer als »Übertragung von Ideen, kulturellen Artefakten, Praktiken und Institutionen aus einem spezifischen System gesellschaftlicher Handlungs-, Verhaltens- und Deutungsmuster in ein anderes« beschrieben.30 Als Formen des Kulturtransfers, welche die frühneuzeitlichen und modernen europäischen Gesellschaften prägten, unter-

28 Ebd. 29 Zum Wissens- und Kulturtransfer siehe exemplarisch Biermann-Kesper, Sylvia: Kommunikation, Austausch, Transfer. Bildungsräume im 19. Jahrhundert. In: Möller, ­Esther  / ​ Wischmeyer, Johannes (Hg.): Transnationale Bildungsräume. Wissenstransfers im Schnittfeld von Kultur, Politik und Religion. Göttingen u. a. 2013, 21–42; Lipphardt, Veronika / ​ Ludwig, David: Wissens- und Wissenschaftstransfer. In: Institut für Europäische Geschichte (IEG) (Hg.): Europäische Geschichte Online (EGO). Mainz 2011–09–28. URN: urn:nbn:de:0159–2011081833; Ther, Philipp: Comparisons, Cultural Transfers, and the Study of Networks. Toward a Transnational History of Europe. In: Haupt, Heinz-Gerhard / Kocka, Jürgen (Hg.): Comparative and Transnational History. Central European Approaches and New Perspectives. New York u. a. 2009, 204–225. 30 Lüsebrink, Hans-Jürgen: Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer. 4., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart 2016, 129; Zum Kulturtransfer siehe Muhs, Rudolf / Paulmann, Johannes / Steinmetz, Willibald (Hg.): Aneignung und Abwehr. Interkultureller Transfer zwischen Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert. Bodenheim 1998; Paulmann, Johannes: Internationaler Ver­gleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. In: Historische Zeitschrift. 267 (1998), 649–685.

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scheidet Hans-­Jürgen Lüsebrink unter anderem zwischen den Selektions-, Vermittlungs- und Rezeptionsprozessen kultureller Werte. Diese bezeichnen jeweils die selektive Auswahl des zu transferierenden Kulturguts, die unterschiedlichen  – etwa institutionellen, medialen und individuellen  – Ebenen seiner Vermittlung und schließlich die verschiedenen Formen der Aufnahme, Nachahmung und Adaption, aber auch der Ablehnung, Resistenz bzw. der Verweigerung in der sogenannten Zielgesellschaft.31 Entscheidend in diesen Prozessen ist einerseits die Faszination für fremde Kulturen, die mit der Infrage­stellung der eigenen kulturellen Werte und Normen einhergeht, andererseits wirken Ängste und Misstrauen, die die Abgrenzung vom »Fremden« bedingen.32 Eine weitere Perspektive, die Lüsebrink Neugierde und Pragmatismus nennt, wird auf das wachsende Bedürfnis nach »Herrschaftswissen« zurückgeführt. Die grundlegende, politisch und sozial bedingte Motivation, die unterworfenen außereuropäischen Gesellschaften durch die Kenntnis ihrer Sprachen und Kulturen besser und effizienter zu beherrschen, gab unter anderem wichtige Impulse für die Entstehung von Fachdisziplinen wie der Ethnologie, Afrikanistik, Anthropologie, Islamwissenschaften oder der Orientalistik.33 Dies regte die Zusammenarbeit mit Vertretern indigener Völker an, trug zum wachsenden Interesse an der eigenen Geschichte, Sprache und Kultur bei und spielte direkt oder indirekt eine wichtige Rolle für die zunehmende Bildungsmigration. Offenkundig traf die Übernahme »fremder« kultureller Werte in einer Gesellschaft wie der armenischen, die sich von Assimilierungspolitik zweier Imperien bedroht fühlte, auf offene wie latente Ablehnung. Indem man die Ideen des im 19. Jahrhundert vorherrschenden Nationalismus und den damit verbundenen Auftrag zur Stärkung der eigenen Ethnie und zur Ausgrenzung fremder kultureller Einflüsse annahm, glaubte man, die eigene Sprache und Religion zu schützen. Beides sahen konservative Kreise durch das Auslandsstudium und den Kulturtransfer gefährdet. Dabei galt es als wichtiges Kriterium, ob die Übernahme kultureller Werte aus (West-)Europa durch die dort studierenden Armenier »direkt« oder aber über Russland und mit einer »russischen Beimischung« erfolgte. Intellektuelle Kreise und die Presse, die diese Unterscheidung diskutierten, plädierten zugunsten eines »direkten« europäischen Einflusses. Die erfolgreiche Adaption dieser kulturellen Werte wurde in gewisser Hinsicht von der Voraussetzung des direkten Imports abhängig gemacht.

31 Lüsebrink: Interkulturelle Kommunikation, 145–158. 32 Ebd., 107–113. 33 Ebd., 110 f.

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Ähnliche Diskurse über russländische und westliche Einflüsse im Zusammenhang mit den Modernisierungsprozessen waren auch innerhalb anderer ethnischer und religiöser Gruppen im Kaukasus zu beobachten. Zwar kann von einem umfassenden subregionalen Ideenaustausch kaum die Rede sein, doch wurden gegenseitige Impulse durchaus wahrgenommen. Am Beispiel muslimischer Eliten stellt Eva-Maria Auch beispielsweise fest, dass die transnationalen Kontakte, die nicht zuletzt durch die Bildungsmigration zustande kamen, zur selektiven Übernahme kultureller Wertvorstellungen führten, die sich an westeuropäischen und russischen, aber eben auch georgischen und armenischen Vorbildern orientierten.34 Die Rolle der Studenten als Träger des Ideenaustausches sowie die Bildungsmigration insgesamt wurden dabei von den Zeitgenossen in ihrer Bedeutung als zentral angesehen – und das unabhängig vom Erfolg des Transferprozesses. Die Bildungsmigration armenischer Studenten sowie die Prozesse des Kultur- und Wissenstransfers waren stark von den Voraussetzungen in der Heimat und im Gastland bestimmt. Das Streben nach besserer Ausbildung, die Hoffnung auf sozialen Aufstieg, oft aber auch die Loslösung von der wahrgenommenen Rückständigkeit der eigenen Familie und des unmittelbaren sozialen Umfelds bildeten für die armenische Jugend um die Jahrhundertwende die Motivation, für ein Hochschulstudium ins Ausland zu gehen. Zusätzlich attraktiver wurde dieser Schritt dadurch, dass wohlhabende Armenier das Auslandsstudium finanzierten, um damit zur langfristigen Verbesserung der Bildungssituation in der Heimat beizutragen. Freilich standen »Wanderungsintention und Wanderungsergebnis«35 nicht immer im Einklang. Das bedeutet, dass das ursprünglich formulierte Ziel der Bildungsmigration unter dem Eindruck der sozialen, politischen und kulturellen Einflüsse des Studienortes einem gewissen Wandel unterworfen sein konnte; dieser wirkte sich dann wiederum auf die in die Heimat getragenen Prozesse aus. Die Bildungsmigration ist auch ein Elitenphänomen. Welche Rolle den deutschen Universitäten in den Elitenbildungsprozessen der armenischen Gesellschaft tatsächlich zukam, wird noch zu klären sein. An dieser Stelle sei nur festgehalten, dass der Begriff der Elite für den armenischen Kontext einer Präzisierung bedarf. Denn damit sind nicht einflussreiche Gruppen wie etwa der Adel gemeint, die über politisches oder soziales Kapital verfügten. Vielmehr handelte es sich um eine Funktionselite, der hochgebildete Akademiker angehörten. Mit ihrem Einsatz für Modernisierung erlangten sie exponierte öffentliche Positionen, nahmen durch die Gründung neuer 34 Auch, Eva-Maria: Wanderer zwischen Welten. Muslimische Bildungseliten in Kaukasien am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Dahlmann / Reith (Hg.): Elitenwanderung, 181–206, 204 f. 35 Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl., München 2016, 10.

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Zeitschriften wesent­lichen Einfluss auf die öffentliche Meinung und gaben grundlegenden Debatten die Richtung. Sie initiierten Reformen, welche die Öffentlichkeit  – unabhängig von ihrem Ausgang  – als Versuch wahrnahm, eine Transformation in die Wege zu leiten. Aus der Logik der vorstehenden Überlegungen ergibt sich der Aufbau des Buches, das sich neben der Einleitung in fünf Kapitel gliedert. Im ersten Teil geht es um die Ausgangslage, in der sich die akademische Migration ent­ wickelte, sowie um die Bildungssituation der Armenier in Transkaukasien. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den deutsch-armenischen wissenschaft­ lichen Kontakten, die den Hintergrund der akademischen Migration bildeten. Das Ziel ist allerdings nicht nur, einen Beitrag zu den deutsch-armenischen Kulturbeziehungen beizusteuern. Es geht auch darum, die Transformationsprozesse, die die armenische Gesellschaft um die Jahrhundertwende durchlief, in den europäischen Kontext einzuordnen und zu fragen, welche Rolle den Studenten im Ausland in diesen Prozessen zukam. Der zweite Teil bietet einen statistischen Überblick über die Situation der armenischen Studenten an deutschen und schweizerischen Universitäten, wobei Phänomene wie die zwischenuniversitäre Fluktuation untersucht und in den Gesamtkontext des Verhaltens der russländischen Studentenschaft eingeordnet werden. Weiter werden das Studium, der Alltag und das Leben armenischer Studenten analysiert, wobei sich das Interesse besonders auch auf die Situation der armenischen Frauen im Ausland richtet. Sodann geht es im dritten und vierten Teil einerseits um die Förderung des Auslandsstudiums durch Stipendien und andererseits um die politische Vergesellschaftung armenischer Studenten, um ihre Vereine und studentische Presse. Einzelne Persönlichkeiten – nicht unbedingt nur bekannte – werden immer dann mit detaillierten biographischen Angaben vorgestellt, wenn sich an ihrer Person wichtige sozialpolitische und gesellschaftliche Phänomene wie der Auslandsaufenthalt oder der Wissenstransfer exemplarisch veranschaulichen lassen. Abschließend wird die Auseinandersetzung der armenischen intellektuellen Elite mit der wachsenden Zahl der Studenten an europäischen Universitäten dargestellt und gefragt, welchen Einfluss die Ausbildung dieser jungen Menschen in Europa auf die Armenier im Kaukasus ausübte. Dabei finden das Bildungswesen und die Kirche, als die Bereiche, die dem stärksten Modernisierungsdruck ausgesetzt waren, besondere Berücksichtigung. In den Blick genommen wird die Zeitspanne von den 1860er Jahren, als sich die ersten armenischen Studenten an deutschen und schweizerischen Hochschulen immatrikulierten, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. In der Auswahl der untersuchten Studienorte überwiegen Universitäten des Deutschen Reiches und der deutschsprachigen Schweiz, in bestimmten Kontexten werden aber auch andere Standorte wie etwa Genf oder Liège herangezogen. Ein

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besonderes Augenmerk liegt auf der Universität Dorpat, an der bereits ab den 1830er Jahren eine große Zahl von Armeniern ihre Ausbildung erhalten hatte. Für die Erstellung dieser Studie wurde eine Vielzahl armenischsprachiger Periodika ausgewertet. Um die Lektüre nicht zu erschweren, wurden diese Titel in den Fußnoten immer mit der Angabe des Jahrgangs bzw. der Heftnummer und der Seitenzahl in der entsprechenden Zeitschrift oder Zeitung zitiert. Eine vollständige Zitation mit der Nennung des Autorennamens und der Aufsatztitel findet sich chronologisch sortiert im Literaturverzeichnis unter der thematischen Bibliografie. Abschließend ein Wort zur Begrifflichkeit: In der armenischen, aber auch der europäischen Geschichtsschreibung sind die Bezeichnungen Ost- und Westarmenien etablierte Begriffe. Damit wird die Aufteilung der historischen Gebiete Armeniens unter verschiedenen Mächten im Laufe seiner Geschichte beschrieben. Um die Wende zum 20. Jahrhundert ersetzten die Termini Westbzw. Ostarmenier die bis dahin verwendeten Bezeichnungen »Türkeiarmenier«, »Persienarmenier« oder »Russlandarmenier«. Der Gesamtbegriff Armenien beschrieb dagegen die politische, ideologische, durchaus aber auch geographische Gesamtheit der Armenier in der Rhetorik der Studenten selbst, wurde aber auch in der zeitgenössischen armenischen Presse so gebraucht. Er wird auch im vorliegenden Buch in diesem Sinne verwendet.

1.2

Forschungsstand und Quellenbasis

Die akademische Migration aus dem Russländischen Reich gehört als Teil der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte zu einem Forschungsbereich, der seit den 1990er Jahren neuen Aufschwung erlebt. Schon die vorrevolutionäre und später die sowjetische Geschichtsschreibung schenkten Russlands akademischen Beziehungen zu Deutschland, insbesondere zu einzelnen Universitäten und Wissenschaftlern, große Aufmerksamkeit. Doch erst in der zeit­genössischen Forschung wurden einzelne Fragestellungen neu akzentuiert und brachten notwendige Perspektivierungen. Dies führte insbesondere dazu, dass einzelne ethnische und religiöse Gruppen, die aus dem Russländischen Reich an deutsche und schweizerische Hochschulen gingen, das Frauen­studium oder alltagsgeschichtliche Aspekte ebenso in die Forschung integriert wurden wie die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen dem Deutschen und dem Russländischen Reich.36 36 Siehe exemplarisch Maurer, Trude: Diskriminierte Bürger und emanzipierte »Fremdstämmige«: Juden an deutschen und russischen Universitäten. Graz 2013; Dies. (Hg.): Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer. Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg.

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In der aktuellen deutschen Forschung zu russländischen Studenten sind insbesondere zwei Studien hervorzuheben, nämlich die Sammelbände »›Schnorrer, Verschwörer, Bombenwerfer‹? Studenten aus dem Russländischen Reich an deutschen Hochschulen vor dem 1. Weltkrieg« sowie »Universitäten als Brücken in Europa. Studien zur Geschichte der studentischen Migration«.37 Beide entstanden als Ergebnis internationaler Forschungskolloquien und zielen unter anderem darauf, neue methodische Ansätze zur Bildungsmigration aus dem Russländischen Reich der akademischen Community vor­ zustellen. In diesen Bänden stellt Hacik Gazer einige Aspekte des armenischen studentischen Lebens in Deutschland und die Tätigkeit des »Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig« dar.38 Davon abgesehen bleibt die Erforschung der akademischen Migration aus dem Kaukasus im ausgehenden 19. Jahrhundert und des mit dieser verbundenen Wissens- und Kulturtransfers ein Forschungsdesiderat. Das gilt für die armenische Historiografie genauso wie für die russische und die internationale. Sofern die studentische Migration der Armenier überhaupt thematisiert wurde, geschah dies entweder im Kontext russländischer Studenten insgesamt, oder aber ihre Anwesenheit an deutschen Hochschulen wurde als weiterer Nachweis für die guten deutsch-armenischen Kulturbeziehungen herangezogen.39 Dabei ist die Bedeutung der akademischen Migration in den Eliten­ bildungsprozessen im ausgehenden 19. Jahrhundert in der armenischen Geschichtsschreibung durchaus anerkannt. Bisher hat das aber nichts an der Tatsache geändert, dass umfassende Studien nicht nur über die Bildungsmigra­tion nach Deutschland und in die Schweiz, sondern auch über die Studenten im

Göttingen 2006; Andreev, Andrej Ju.: Russkie studenty v nemeckich universitetach XVIII – pervoj poloviny XIX veka [Russische Studenten an deutschen Universitäten im 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts]. Moskva 2005; Maurer, Trude / Auch, Eva-Maria (Hg.): Leben in zwei Kulturen. Akkulturation und Selbstbehauptung von Nichtrussen im Zarenreich. Wiesbaden 2000; Hausmann, Guido: Universität und städtische Gesellschaft in Odessa, 1865–1917. Soziale und nationale Selbstorganisation an der Peripherie des Zarenreiches. Stuttgart 1998. 37 Peter, Hartmut Rüdiger / Tikhonov, Natalia (Hg.): Universitäten als Brücken in Europa. Les universités: des ponts à travers l’Europe. Studien zur Geschichte der studentischen ­Migration. Études sur l’histoire des migrations étudiantes. Frankfurt am Main 2003; Ders. (Hg.): »Schnorrer, Verschwörer, Bombenwerfer«? Studenten aus dem Russländischen Reich an deutschen Hochschulen vor dem 1. Weltkrieg. Frankfurt am Main 2001. 38 Gazer, Hacik: Notizen zu den Versammlungen der armenischen Studenten in Europa in den Jahren 1897 bis 1914. In: Peter / Tikhonov (Hg.): Universitäten als Brücken, ­329–332; Ders.: Deutsch-Armenische akademische Beziehungen und der Leipziger »Armenisch-​ Akademische Verein«. In: Peter (Hg.): »Schnorrer, Verschwörer, Bombenwerfer«?, 169–186. 39 Vgl. exemplarisch Meyer, Enno / Berkian, Ara J. (Hg.): Zwischen Rhein und Arax. Neunhundert Jahre deutsch-armenische Beziehungen. Oldenburg 1988.

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Russländischen Reich,40 in Frankreich, in England und in Italien fehlen. Es ist bezeichnend, dass die einzige monografische Darstellung über dieses Thema aus dem Jahr 1901 stammt. Es handelt sich um das Buch »Germaniayi hay usanoułut’iunẹ« (Armenische Studentenschaft in Deutschland)41 von Gevorg Melik’-Łaragyosian42. Der Autor geht lediglich auf die Jahre 1898 und 1899 ein, eine kurze Zeitspanne, die immerhin den vorläufigen Höhepunkt der armenischen Studienmigration nach Deutschland bildete. Melik’-Łaragyosian liefert hier überaus interessante Informationen über die damals besonders regen studentischen Aktivitäten, über die Akkulturation armenischer Studen­ten in Deutschland und über die Tätigkeit ihrer Organisationen. Seine Schlussfolgerungen basieren jedoch eher auf eigenen Erfahrungen als auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bereits in einer Rezension aus dem Jahr 1902 wurden Melik’-Łaragyosians Beobachtungen zu den Charaktereigenschaften der Ostund Westarmenier, zum Leben der armenischen Studenten in Deutschland und ihrer Anpassungsschwierigkeiten, oder auch zu dem von ihm beschworenen Einfluss des deutschen Geistes auf die Armenier als übertrieben, zum Teil sogar falsch bezeichnet.43 Melik’-Łaragyosian hinterließ zudem eine umfangreiche Sammlung nicht veröffentlichter Artikel über die deutsch-armenischen kulturellen Beziehungen bzw. über den »bemerkenswerten Einfluss« der deutschen Sozialdemokratie auf die armenischen Studenten und damit zugleich auf die armenische 40 Zur Situation armenischer Studenten an russländischen Hochschulen siehe Manukyan, Beniamin: Moskvayi hamalsarani hay usanołut’yan hasarakakan gorċuneut’yan patmut’yunic [Aus der Geschichte der sozialen und politischen Aktivitäten der armenischen Studenten an der Universität Moskau]. In: Patma-banasirakan handes (Historisch-philologisches Journal, im Folgenden PBH). 2006, 1, 201–209; Ders.: Peterburgi hamalsarani hay usanołut’yan hratarakčakan gorċuneut’yan patmut’yunic [Aus der Geschichte der publizistischen Aktivitäten der armenischen Studentenschaft in St. Petersburg]. In: PBH . 1965, 1, 86–92; Arsharuni, A. M.: Moskvayi hamalsaranẹ ev hay araǰavor mtavorakanut’yunẹ [Die Universität Moskau und die fortschrittliche armenische Intelligenzija]. Jerewan 1982. 41 Melik’-Łaragyosian, Gevorg: Germaniayi hay usanołut’iunẹ [Armenische Studentenschaft in Deutschland]. Tiflis 1901. 42 Gevorg Melik’-Łaragyosian (1873–1940) war ein armenischer Publizist, Redakteur der Zeitschrift Kavkazskij Vestnik (Der kaukasische Bote)  und Begründer des Deutsch-­ Armenischen Komitees. Zwischen 1918 und 1919 hatte er den Posten des Bildungsministers in der Ersten Armenischen Republik (1918–1920) inne. Vgl. Petrosyan, Davit: Gevorg Melik’-Łaragyosyanẹ hayoc hamalsarani himnadrman akunk’nerum [Gevorg Melik’Łaragyosyan als Mitbegründer der armenischen Universität]. In: Hayagitut’yan harcer. Handes (Armenologische Fragen. Bulletin). 2019, 2 (17), 3–11. 43 Rezension zu: Gevorg Melik’-Karageozean: Germaniayi hay usanołut’iunẹ [Gevorg ­Melik’-Karageozean: Armenische Studentenschaft in Deutschland]. In: Lumay. 7 (1902), 1, 231–238; Rezension zu: Gevorg Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ [Gevorg Melik’-Łaragyosian: Armenische Studentenschaft in Deutschland]. In: Murč’. 1902, 1, 143–147.

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Gesellschaft. Schließlich veröffentlichte er regelmäßig Presseberichte über die Arbeit deutscher Hilfsorganisationen für Armenier in der Zeitschrift Murč’ 44 (Der Hammer). Des Weiteren sind drei Studien von Artašes Abełian45 zu erwähnen, die als Ergebnis seiner Studienreise nach Tartu entstanden sind und die frühe Etappe – die 1830er bis 1860er Jahre – der armenischen Bildungsmigration beschreiben.46 In diesen Büchern sowie in mehreren Aufsätzen würdigt Abełian den »außerordentlichen Einfluss«, den Dorpat auf armenische Studenten ausübte. Mit diesem Einfluss verband er letztlich auch den in den späteren Jahrzehnten einsetzenden Strom junger Armenier an die Hochschulen in Deutschland. Weiterhin ist das Buch von Sabine Stephan »Karapet Episkopos TerMkrttschjan (1866–1915). Materialien zu einem Kapitel armenisch-deutscher wissenschaftlicher Zusammenarbeit«47 zu erwähnen. Die Autorin nimmt in dieser Untersuchung das Studium und die Tätigkeit des armenischen Geistlichen Karapet Ter-Mkrtčian in den Blick, mit dessen Namen sich um die Jahrhundertwende die wichtigste Reformbewegung innerhalb der armenischen Kirche verband. Eine Biografie von Ter-Mkrtčian legte bereits 1911 sein Schüler und Kommilitone Ervand Ter-Minassian (1879–1974) unter dem Titel »Karapet Episkopos Ter-Mkrtčean. Keank’n u gorċuneut’iunẹ« (Kara­pet Episkopos Ter-Mkrtčean, das Leben und Werk)48 vor. Darin schildert er dessen

44 Die Zeitschrift Murč’ wurde 1889 vom bekannten armenischen Ökonomen, Literaturkritiker und Publizisten Avetik’ Arasxanian gegründet und gehörte um die Jahrhundertwende zu den einflussreichsten armenischen Periodika. In kürzester Zeit konnte Murč’ die Vertreter der armenischen wirtschaftlichen wie intellektuellen Elite um sich sammeln. In dieser Zeitschrift wurden Artikel über die aktuelle sozialpolitische Situation sowohl im Kaukasus als auch in den armenischen Gemeinden in Europa, aber auch die Werke junger armenischer Schriftsteller veröffentlicht. Nach der Ersten Russischen Revolution 1907 wurde die Zeitung geschlossen. Vgl. Kacakhyan, Karapet (Hg.): Matenagitut’yun »Murč’« amsagri. 1889–1907 [Bibliografie der Zeitschrift »Murč’«. 1889–1907]. Jerewan 1977. 45 Artašes Abełian (1878–1955) war ein armenischer Philologe, Historiker und Pädagoge, der von 1899 bis 1904 in Marburg, Berlin und Leipzig studierte. Ausführlicher zum Abełians Studium siehe Kapitel 4.3. 46 Abeghjan, Artasches: Step’anos Nazarean ev Dorpat. Divanakan vaverakan ałbyurneri himan vra [Step’anos Nazarean und Dorpat. Auf der Grundlage amtlicher Quellen]. P.  Ayrȇs 1954; Ders.: K’erovbe Patkanean Dorpatum [K’erovbe Patkanean in Dorpat]. Vienna 1949; Ders.: Dorpati hay usanołut’iunẹ [Armenische Studentenschaft in Dorpat]. Vienna 1942; Ders.: Dorpati hay usanołut’iunẹ [Armenische Studentenschaft in Dorpat]. In: Handes Amsoreay. 1941, 1/6, Sp. 106–117; Ebd., 1941, 7/12, Sp. 243–256. 47 Stephan, Sabine: Karapet Episkopos Ter-Mkrttschjan (1866–1915). Materialien zu einem Kapitel armenisch-deutscher wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Halle (Saale) 1983. 48 Ter-Minassian, Ervand: Karapet Episkopos Ter-Mkrtčean. Keank’n u gorċuneut’iunẹ. Kat’ołikosakan ẹntrut’iunneri aṙt’iv [Karapet Episkopos Ter- Mkrtčean. Das Leben und Werk. Anlässlich der Wahl des Kathołikos]. Moskva 1911.

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Studienjahre in Deutschland, seine wissenschaftliche Tätigkeit sowie die Zusammenarbeit mit den deutschen theologischen Kreisen. Eine wichtige Ergänzung zu dieser Studie bringt Stephans Buch insbesondere durch den Abdruck der bis dahin unveröffentlichten Korrespondenz zwischen Ter-Mkrtčian und dem deutschen evangelischen Kirchenhistoriker Friedrich Loofs. Die Geschichte der Reformbewegung in der armenischen Kirche und die Tätigkeit von Karapet Ter-Mkrtčian sowie zwei weiterer wichtiger Protagonisten dieser Bewegung – des schon erwähnten Ervand Ter-Minassian sowie Garegin Hovsep’ian49, beide Absolventen deutscher Hochschulen  –, behandelt Hacik Gazers Buch »Die Reformbestrebungen in der Armenisch-Apostolischen Kirche im ausgehenden 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts«.50 Gazer analysiert den Einfluss der deutschen Hochschulbildung auf armenische Theologen und fragt nach der Genese der Reformidee in unterschiedlichen, mitunter durch politische Umbrüche markierten Epochen bis in das Jahr 1938. Jüngeren Datums ist Axel Meißners Werk »Martin Rades ›Christliche Welt‹ und Armenien. Bausteine für eine internationale Ethik des Protestantismus«,51 das unter anderem die Geschichte des »Notwendigen Liebeswerks«, eines Stipendienfonds für die Unterstützung armenischer Theologiestudenten in Deutschland, vorstellt. Diese gründliche Auswertung der von Martin Rade herausgegebenen Christlichen Welt sowie verschiedener christlich-kirchlicher Blätter zeigt nicht nur die Bandbreite der deutschen evangelischen Hilfsarbeit für Armenier auf, sondern macht auch deutlich, in welchem Umfang armenische Themen in den deutschen Medien und der Öffentlichkeit präsent waren. Wiewohl die Reforminitiativen in der armenischen Kirche in diesen Werken umfassend beschrieben werden, fehlt mitunter ihre Einordnung in den Kontext vergleichbarer Reformbewegungen im (Ost-)Europa des 19. Jahrhunderts. Indessen waren die im Ausland ausgebildeten Geistlichen stärker als andere Akteure in die transnationale Kommunikation involviert, was sich in ihren Reformvorstellungen widerspiegelte. Sei es die Neuorganisation des Religionsunterrichts, sei es die Abschaffung des Zölibats, sei es die Umgestal49 Garegin Hovsep’ian (1867–1952) war ein bekannter armenischer Theologe und ab 1943 Kathołikos des Großen Hauses von Kilikien. Ausführlicher zu Garegin Hovsep’ian siehe Virabyan, Amatuni (Hg.): Garegin A. Hovsep’ean. Kathołikos Meċi Tann Kilikioy (1867–1943–1952). P’astat’łt’eri ev nyut’eri žołovaċu [Garegin A. Hovsep’ean. Kathołikos des Großen Hauses von Kilikien (1867–1943–1952). Eine Quellen- und Dokumentensammlung]. Band 1. S. Ēǰmiaċin 2017. 50 Das Thema der armenischen Kirchenreform behandelt Hacik Gazer auch in mehreren Aufsätzen. Vgl. Literaturverzeichnis. 51 Meißner, Axel: Martin Rades »Christliche Welt« und Armenien. Bausteine für eine internationale Ethik des Protestantismus. Berlin 2010.

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tung des Priesteramts, diese Forderungen wiesen deutliche Parallelen zu den Bewegungen auf, die den religiösen Wandel in ostmitteleuropäischen Gesellschaften im 19. Jahrhundert markierten. Mit den transnationalen Erfahrungen armenischer Geistlicher war zudem die Reform des Bildungssystems als wichtiger Effekt des Auslandsstudiums verbunden. Diese Reform erreichte auch die geistlichen Schulen und Seminare, sodass die dort als Lehrer tätigen Priester sich gedrängt sahen, zum Reformprozess beizutragen. Die Theologen, die im Ausland studiert hatten, beanspruchten, selbst als Träger einer modernen Ausbildung, der Gesellschaft ein besseres bzw. »richtiges« Verständnis der Religion zu vermitteln – und das sowohl innerhalb der Kirche als auch in der Schule. Dafür war die Reform des Bildungssystems eine wichtige Voraussetzung, daher gewann neben dem Transfer der religiösen Ideen auch der Systemtransfer der säkularen Bildung aus Deutschland an Bedeutung. Die Rolle der »Kleriker als Bildungsbürger«52 überschritt damit den engeren kirchlichen Rahmen, ihr Gewicht wuchs im Bildungswesen wie in der Gesellschaft insgesamt. Zugleich wurde ihre Autorität in Bildungsfragen von der säkularen armenischen Elite um die Jahrhundertwende durchaus in Frage gestellt, ja ihnen wurde sogar vorgeworfen, umfassende Reformen im Bildungssektor zu verhindern. Der Mitwirkung des Klerus an den Modernisierungsprojekten im Bildungsbereich wird im vorliegenden Buch daher besondere Aufmerksamkeit geschenkt, obgleich ein religionsgeschichtlicher Ansatz im Sinne der von Martin Schulze Wessel formulierten Arbeitsfelder53 nicht verfolgt werden kann. Die Situation armenischer Studenten in Deutschland wurde auch in zahlreichen Publikationen deutscher wie armenischer Zeitzeugen thematisiert, vor allem im Zusammenhang mit den deutsch-armenischen Kulturbeziehungen bzw. mit der Lage der Armenier im Russländischen und im Osmanischen Reich und mit der deutschen evangelischen Hilfsarbeit. Exemplarisch seien die zahlreichen Beiträge von Paul Rohrbach, Johannes Lepsius, Martin Rade, Ewald Stier54 in den Zeitschriften Die Christliche Welt, Die Deutsch-Armenische Korrespondenz, Der Christliche Orient, Das notwendige Liebeswerk, Der Orient erwähnt. Zudem publizierte das von Paul Rohrbach und Artašes Abełian herausgegebene Mitteilungsblatt der Deutsch-Armenischen Gesell-

52 Zum Begriff siehe Schulze Wessel, Martin: Religion – Gesellschaft – Nation. Anmerkungen zu Arbeitsfeldern und Perspektiven moderner Religionsgeschichte Osteuropas. In: Nordost Archiv. 7 (1998), 2, 353–364. 53 Ebd., 356–360. 54 Ewald Stier (1864–1946) war deutscher Pfarrer und Kirchenrat der evangelischen Landes­ kirche Anhalt. Ausführlicher zu Stier und zu seinem Engagement für Armenier siehe Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 365–374.

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schaft regelmäßig Berichte und Untersuchungen über armenische Studenten bzw. über die deutsch-armenischen Kulturbeziehungen.55 Mit Blick auf die Bildungssituation von Frauen aus dem Russländischen Reich und ihre Präsenz an schweizerischen Universitäten sind mehrere Studien und Aufsätze vor allem von Natalia Tikhonov und Trude Maurer zu erwähnen.56 Viele Untersuchungen befassen sich zudem mit Vertreterinnen der nationalen und religiösen Minderheiten des Russländischen Imperiums, etwa jüdischen, polnischen oder baltischen Studentinnen. Doch es lässt sich auch hier konstatieren, dass die Situation der Studentinnen aus dem Kaukasus bislang, wenn überhaupt, praktisch nur im russländischen Gesamtkontext Berücksichtigung gefunden hat. Dieses Manko gilt grundsätzlich auch für die russische Geschichtsschreibung, in der verschiedenste Aspekte der akademischen Migration nach Deutschland eigentlich große Beachtung finden. Dabei werden die Entwicklung des russländischen Hochschulwesens seit dem 18. Jahrhundert und das Studium russländischer Untertanen im Ausland erstmals auch in den Kontext der gesamteuropäischen Universitäts- und Bildungsgeschichte eingeordnet.57 Ausgiebig behandelt wurden vor allem die Präsenz russländischer Studenten an einzelnen deutschen Hochschulen wie etwa in Jena, Heidelberg oder Göttingen.58 Die Forschung zur Bildungsmigration einzelner nationaler Minder55 Siehe exemplarisch Abeghjan, Artasches: Studienreise nach Dorpat. In: Mitteilungsblatt der Deutsch-Armenischen Gesellschaft (im Folgenden MDAG). 1939, 5/6, 12 (76)–15 (79); Stier, Ewald: Warum Deutsch-Armenische Gesellschaft? Ebd., 1938, 2, 1 (17)–4 (20); .Abeghjan, Artasches: Deutschland und Armenien in ihren kulturellen Beziehungen. Ebd., 1937, 1, 6–10; Stier, Ewald: Die deutsch-armenischen Kulturbeziehungen. In: Heinrich, Hans (Hg.): Armeniertum – Ariertum. Potsdam 1934, 23–28. 56 Maurer, Trude: Emanzipierte Untertaninnen: Frauenstudium im Russischen Reich. In: Dies. (Hg.): Der Weg an die Universität. Höhere Frauenstudien vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Göttingen 2010. 108–146; Tikhonov, Natalia: Zwischen Öffnung und Rückzug. Die Universitäten der Schweiz und Deutschlands angesichts des Studentinnenstroms aus dem Russischen Reich. In: Peter / Dies. (Hg.): Universitäten als Brücken, 157–174; Dies.: Les étudiantes russes dans les universités suisses à la fin du XIXe siècle et au début du XXe siècle: les raisons d’un choix. In: Head, Anne-Lise / Mottu, Liliane (Hg.): Les femmes dans la société européenne, 8e Congrès des Historiennes suisses. Genève 2000, 91–103. 57 Siehe exemplarisch Andreev, Andrej Ju. (Hg.): »Byt’ russkim po duchu i evropejcem po obrazovaniju«. Universitety Rossijskoj Imperii v obrazovatel’nom prostranstve Central’noj i Vostočnoj Evropy XVIII – načala XX v. [»Ein Russe im Geiste und Europäer nach der Ausbildung«. Die Universitäten des Russländischen Reichs im Bildungsraum Mittelund Osteuropas]. Moskva 2009; Ders.: Rossijskie universitety XVIII – pervoj poloviny XIX veka v kontekste universitetskoj istorii Evropy [Die russischen Universitäten vom 18. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Kontext der europäischen Universitätsgeschichte]. Moskva 2009. 58 Siehe exemplarisch Peter, Hartmut Rüdiger: Russländische Studenten in Jena vor dem Ersten Weltkrieg. In: Steinbach, Matthias (Hg.): »Klassische Universität« und »akade-

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heiten aus den Peripherien des Russländischen Reiches nach Europa weist dagegen erhebliche Lücken auf. Hier gilt es, insbesondere nach den Effekten der zarischen Bildungspolitik auf das Migrationsverhalten von Bildungswilligen zu fragen sowie danach, wie das Zentrum auf das Wirken junger Experten reagierte, die nach dem Abschluss des Studiums in die Heimat zurückgingen. Die skizzierten Forschungsdesiderate werden im vorliegenden Buch auf der Grundlage von bisher nur sehr lückenhaft bzw. gar nicht berücksichtigten Materialien in armenischen, russischen, deutschen und schweizerischen Archiven angegangen. Im armenischen Fall handelt es sich um Bestände im Nationalarchiv Armeniens, im Archiv des Museums für Literatur und Kunst sowie im Handschriftenarchiv »Matenadaran«59. Diese Quellenkorpora beherbergen sowohl Briefe und Tagebücher armenischer Studenten als auch ausführliche Berichte der Stipendiaten über den Verlauf der einzelnen Semester, denen Listen besuchter Veranstaltungen, Quittungen über die erhaltenen Stipendien sowie Prüfungs- und Reisekosten beigegeben sind. Der umfangreiche Briefwechsel mit den Studienförderern gibt darüber hinaus Auskunft über die Regelungen der Stipendienvergabe, die damit verbundenen Verpflichtungen der Stipendiaten, den genauen Studienablauf, über Abschluss- und Dissertationsthemen, aber auch über die Studienkosten sowie administrative und finanzielle Schwierigkeiten im Ausland. Diese en détail geführte Korrespondenz, aber auch Briefe und Memoiren bieten einen sehr guten Einblick in die persönlichen Wahrnehmungen der Studienmigrantinnen und -migranten und erlauben es, deren eigenen Blick auf das Auslandsstudium zu rekonstruieren. Inhaltlich aufschlussreicher sind zahlreiche Nachlässe von Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern, die im Archiv des Museums für Literatur und Kunst in Jerewan aufbewahrt werden und in vielen Fällen den Einfluss des Auslandsstudiums auf die spätere professionelle Karriere der betreffenden Persönlichkeiten zeigen. Wichtig sind diese Quellen zum einen, weil in ihnen die sozialen und kulturellen Einflüsse im Gastland besonders eindrucksvoll reflektiert werden. Zum anderen bilden diese Erlebnisberichte armenischer Studierender in Deutschland und in der Schweiz eine hervorragende Grundmische Provinz«. Studien zur Universität Jena von der Mitte des 19. bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Jena [u. a.] 2005, 475–488; Wischhöfer, Elfriede (Hg.): Russische Studenten in Heidelberg. Unveröffentlichte Texte von G. Svatikov. Heidelberg 1997; Birkenmaier, Willy: Das russische Heidelberg. Zur Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen im 19. Jahrhundert. Heidelberg 1995; Brundig, Karl: Die Weimar-jenaer »Iskra«-Tradition. Jena 1977; Lauer, Reinhard: Die Beziehungen der Göttinger Universität zu Russland. In: Göttinger Jahrbuch. 1973, 219–241. 59 Matenadaran (das Mesrop-Maštoc-Institut für alte Manuskripte) ist das Zentralarchiv für alte Handschriften in Jerewan und beherbergt eine der größten Sammlungen mittelalterlicher Bücher und Handschriften. Vgl. Abgaryan, Gevorg: Matenadaran. Jerewan 1962.

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lage für einen Vergleich mit den Erfahrungen anderer Bildungsmigrantinnen und -migranten in anderen sozial- und kulturgeschichtlichen Kontexten. Neben den armenischen wurden zahlreiche Dokumente aus russischen Archiven ausgewertet. In Moskau beherbergt das Staatsarchiv der Russländischen Föderation (Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii, GARF) im Fond des Polizeidepartements (1880–1917) eine umfangreiche Dokumentation insbesondere über »politisch auffällige« Studenten bzw. über studentische Organisationen, zum Teil auch Korrespondenz. Überaus ergiebig hinsichtlich der Entwicklung des armenischen Schulwesens, der kaiserlichen Bildungspolitik und des Auslandsstudiums ist zudem die Dokumentation im Russländischen Historischen Staatsarchiv (Rossijskij Gosudarstvennyj Istoričeskij Archiv, RGIA) in Sankt Petersburg. Hier sind vor allem die offiziellen Berichte der kaukasischen Administration aufschlussreich, die die Verbreitung revolutionärer Ideen in der jüngeren Generation unter dem Einfluss der Partei »Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’iun«60 (Armenische Revolutionäre Konföderation) oder der sozialdemokratischen Bewegung auf die akademischen Erfahrungen der armenischen Studenten in Europa, insbesondere in Deutschland und in der Schweiz, zurückführten. In den deutschen und schweizerischen Archiven sind die Universitätsmatrikel und einzelne Studienakten promovierter Studenten von besonderem Interesse, aber auch die Bestände des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig. Ferner sind Akten zu ausländischen, primär den russländischen Studenten relevant, die einen Eindruck davon vermitteln, wie ihre Präsenz an den Hochschulen Deutschlands und der Schweiz wahrgenommen wurde und mit welchen hochschulpolitischen Maßnahmen die Behörden auf die ausländischen Studenten reagierten. Da sich alle infolge dieser Politik an den verschiedenen Universitäten eingeführten Regelungen und Einschränkungen direkt auf die armenischen Studenten auswirkten, werden sie in der vorliegenden Arbeit in gebotener Kürze dargestellt. Über die Tätigkeit der studentischen Organisationen gibt die armenische studentische Presse besonders gut Auskunft. Diese ist zwar nicht sehr umfangreich, dafür aber überaus informativ. Es geht um die eingangs bereits 60 Die Partei Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’iun (Armenische Revolutionäre Konföderation, im Folgenden Dašnakcut’iun oder HYD) wurde von K’ristap’or Mik’ayelian (1859–1905), Simon Zavarian (1866–1913) und Step’an Zorian (1867–1919) als dritte politische Partei der Armenier 1890 in Tiflis gegründet. Dašnakcut’iun verstand sich als eine sozialistische Partei, widmete sich allerdings primär der Lösung der Armenischen Frage, der Befreiung Armeniens von der Herrschaft des Osmanischen, dann aber auch des Russländischen Reiches. Vgl. Niut’er H. Y. Dašnakcut’ean patmut’ean hamar [Archivdokumente zur Geschichte der Partei A. R.  Konföderation]. Bände 1–12. Peyrouth 1984–2016; Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean (k’aṙahator šark’) [Historiografie der Partei Armenische Revolutionäre Konföderation (vierbändige Reihe)]. At’enk’ 1990–1995.

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erwähnte Zeitschrift Tełekagir, herausgegeben vom »Verein Armenischer Studenten Europas«, sowie um die Zeitschrift Usanoł (Der Student), die als Presseorgan des »Vereins Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas«61 bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs erschien. Tełekagir war ein Berichtsheft über die Situation armenischer Studenten in Europa, ergänzt durch statistische Angaben. Die dort publizierten Nachrichten über armenische Studenten in verschiedenen europäischen Städten, über ihre Versammlungen, Vortragsabende und andere Aktivitäten sind insofern einzigartig, als diese von den Studenten selbst dem Verein regelmäßig gemeldet wurden und ausschließlich im Tełekagir überliefert sind. Viel länger und regelmäßiger erschien die Zeitschrift Usanoł. Diese veröffentlichte zwar auch Beiträge zur aktuellen sozialen und politischen Situation in Europa, über die sozialdemokratische Bewegung sowie Übersetzungen aus den Werken deutscher und europäischer Politiker, Publizisten und Wissenschaftler. Doch sie verstand sich in erster Linie als Plattform für die ersten publizistischen Versuche armenischer Studenten. Interessant sind zudem die ausführlichen Berichte über die Versammlungen des Vereins, die einen guten Einblick in die Themen und Probleme vermitteln, welche die armenische Studentenschaft zu dieser Zeit bewegten. Mit der wachsenden Zahl armenischer Studenten in Europa, spätestens aber nachdem sich die Finanzierung des Auslandsstudiums durch »nationale Mittel«, also durch die von der Kirche und von einzelnen Mäzenen bereitgestellten Stipendien, etabliert hatte, gelangte dieses Thema in das öffentliche Bewusstsein und fand einen festen Platz in der Publizistik. Dabei kam der finanziellen Förderung eine viel größere Bedeutung zu, als in der Forschung bisher angenommen wurde. Diese Tatsache führte mitunter dazu, dass die Haltung der Armenier und der armenischen Kirche zum Auslandsstudium falsch eingeschätzt wurde. Die bisher unveröffentlichten Archivbestände, aber auch die zeitgenössische armenische Presselandschaft geben Aufschluss über das damalige Stipendienwesen und vermitteln damit ein Bild von der tatsächlichen gesellschaftlichen Stimmung gegenüber der massenhaften Bildungsmigration junger Armenier nach Westeuropa sowie von den Erwartungen, die damit verbunden waren.

61 Dieser Verein war der studentische Flügel der HYD. Die Mitglieder dieser Partei bzw. der studentischen Organisation bezeichneten sich als Dašnaken.

2. Rahmenbedingungen und Hintergründe armenischer Bildungsmigration

2.1

Die Bildungssituation der Armenier in Transkaukasien

Die akademische Migration der Armenier an europäische Hochschulen ist ohne die Berücksichtigung der zarischen Bildungspolitik nicht zu verstehen. Diese wurde zwar den imperialen Interessen dienstbar gemacht und provozierte damit konflikthafte Auseinandersetzungen im Kaukasus. Doch gleichzeitig war sie auch darauf ausgerichtet, das Studium der kaukasischen Untertanen an russländischen Hochschulen zu organisieren und zum Teil durch Staatsstipendien zu finanzieren. Für Kritik sorgten dabei nicht nur das vorrangige Ziel, dadurch den vorhandenen Defiziten in der Region entgegenzuwirken, sondern auch der begrenzte Umfang dieser Politik. Erste Versuche, den staatlichen Bedarf an Spezialisten durch gezielte Studienfinanzierung zu decken, gab es bereits 1802, nach der Eingliederung des Georgischen Königsreichs in das Russländische Imperium. Im Rahmen der Seuchenbekämpfung hatte der Oberbefehlshaber im Kaukasus General Pavel Dmitrievič Cicianov damals empfohlen, 12 junge Georgier und Armenier aus Tiflis für das Medizinstudium nach Moskau und St. Petersburg zu schicken. Diese Spezialisten könne man später effektiver einsetzen, da ihre Landsleute ihnen mehr Vertrauen entgegenbrächten.1 Nach dem Russisch-Persischen Krieg (1826–1828) und der Eingliederung der südkaukasischen Gebiete in das Territorium des Reiches wurde deren Integration in das russländische Staatswesen effizienter fortgesetzt.2 Wie vom Reichsrat 1833 festgehalten, sollte die Bevölkerung in diesem peripheren Gebiet dazu gebracht werden, »russisch zu sprechen, zu denken und zu fühlen«.3 1 Arsharuni: Moskvayi hamalsaranẹ, 18 f. 2 Nach der Eingliederung der südkaukasischen Gebiete in das Russländische Reich wurde zunächst die Verwaltungseinheit »Armjanskaja oblast’« gebildet, die jedoch nicht lange existierte. 1840 wurde Transkaukasien in zwei Verwaltungseinheiten, »Gruzino-imeretinskaja gubernija« und »Kaspijskaja oblast’«, unterteilt, in den folgenden Jahren gab es weitere Aufteilungen. 1844 wurde die kaukasische Statthalterschaft gegründet, die 1882 durch die Kaukasische Verwaltung ersetzt wurde. Erst 1905 wurde die Statthalterschaft erneut etabliert und existierte bis 1917. 3 Zitiert nach: Kappeler, Andreas: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall. 2. Auflage. München 2008, 146.

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Rahmenbedingungen und Hintergründe armenischer Bildungsmigration

Die Eröffnung staatlicher Schulen sowie die Ausbildung von Spezialisten in definierten Bereichen zielten nicht nur darauf ab, den neuen Staatsbürgern des Reiches die russische Sprache, Wissenschaft und Kultur näherzubringen. Auch politische Loyalitäten sollten geschaffen werden, sodass die Verwaltung der Region in die Hände von an russländischen Universitäten ausgebildeten lokalen Eliten gelegt werden konnte. Deren Integration und Akkulturation wurde als eine Notwendigkeit angesehen, die durch Nobilitierung, den Aufstieg in den Staatsdienst oder durch die Partizipation in Wissenschaft und Kultur erreicht werden sollte. Die Zulassung kaukasischer Untertanen zum Hochschulstudium war für diese Zwecke eine Voraussetzung und stand in engem Zusammenhang mit der Gründung weiterer Bildungseinrichtungen in dieser Region. Die Schaffung eines Elementar- und Mittelschulnetzes sowie die Eröffnung von Gymnasien gehörten dazu, wobei der hohe Bedarf an administrativen Staatsdienern wie auch an qualifizierten Lehrern selbst in den zentralen Gouvernements des Reiches ein schwerwiegendes Problem darstellte. Diesem Mangel war geschuldet, dass schon im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts an den Universitäten Dorpat, Kazan’, Khar’kov und Moskau pädagogische Institute entstanden. Für die Lehrerausbildung im Kaukasus waren die in den 1870er Jahren in Ekaterinodar, Tiflis, Gori und 1881 in Kutaisi und Eriwan gegründeten Lehrerseminare zuständig.4 Doch der infolge der Schulgründungswelle im Laufe des 19. Jahrhunderts kontinuierlich wachsenden Nachfrage an qualifizierten Lehrern konnten diese Einrichtungen nicht gerecht werden. Der Aufbau des säkularen Schulsystems sowie die staatliche Organisation des Hochschulstudiums kaukasischer Untertanen zielten aber auch darauf ab, den sich neu konstituierenden Eliten »Grundüberzeugungen von der Gesellschaft und der staatlichen Ordnung« zu vermitteln.5 An Bedeutung gewann diese Politik insbesondere mit Blick auf die staatlich geregelte Lehrerausbildung für die Schulen nationaler Minderheiten, in die diese Werte hineingetragen werden sollten. Zwar konnte diese Politik in der Praxis nicht effektiv umgesetzt werden, doch allein den Versuch begriffen die armenischen Intellektuellen als Angriff auf die eigenen Traditionen und auf ihr nationales Selbstverständnis. Selbst diejenigen unter der armenischen Intelligenzija, die sich für eine höhere Ausbildung der Jugend einsetzten, befürchteten wegen des Fehlens einer »nationalen Ausbildung« katastrophale Folgen für das ar4 Auch, Eva-Maria: Muslim  – Untertan  – Bürger. Identitätswandel in gesellschaftlichen Transformationsprozessen der muslimischen Ostprovinzen Südkaukasiens (Ende 18. – Anfang 20. Jh.). Ein Beitrag zur vergleichenden Nationalismusforschung. Wiesbaden 2004, 314. 5 Hausmann, Guido: Der Numerus clausus für jüdische Studenten im Zarenreich. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. N. F. 41 (1993), 4, 509–531, 510.

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menische Volk. Sofern die »fremde« Ausbildung, und darunter wurde auch die russische verstanden, es den Armeniern nicht ermöglichte, dem eigenen Volk zu dienen, sei diese nicht nur nutzlos, sondern gar gefährlich. So zeichnete Step’anos Nazarian6, selbst Absolvent der Dorpater Universität, Mitte des 19. Jahrhunderts ein überaus düsteres Bild der aktuellen Bildungssituation der armenischen Jugend: Soweit ist es gekommen, dass jedes Volk in der eigenen Sprache gute oder schlechte Ausbildung bekommen kann, nur der Armenier nicht. […] Unsere Kinder, die hierher [nach Moskau] kommen, müssen zuerst Russen werden, damit sie dann auf Russisch dem Unterricht folgen können. Die armenischen Kinder werden in den Händen der Russen täglich vernichtet, sodass es kein großer Verlust für das armenische Volk wäre, wenn man ihnen einen Stein um den Hals binden und sie ins Wasser werfen würde.7

Nazarians pessimistisches Bild, das durchaus auch andere Akteure teilten, bezog sich allerdings nicht allein auf die Situation im Russländischen Reich. Das Schulwesen der Armenier war am Anfang des 19. Jahrhunderts äußerst asymmetrisch entwickelt. In Kulturzentren wie Konstantinopel und Smyrna, aber auch in den armenischen Gemeinden in Ostmitteleuropa wirkten die teilweise noch im vorangegangenen Jahrhundert gegründeten Schulen fort bzw. entstanden neue. Dagegen gab es in den entlegenen Vilajets des Osmanischen Reiches nur wenige Schulen, deren Programm über die Elementarbildung hinausging, zudem fehlte es an einer hochgebildeten Lehrerschaft. Einen positiven Wendepunkt stellte im Osmanischen Reich die Einführung der Nationalverfassung8 der Armenier im Jahr 1863 dar, die eine Gründungswelle nationaler Schulen in Gang setzte. Verschiedenste Aspekte der Bildungsfrage, angefangen bei der Gründung, über die Finanzierung von Schulen bis hin zur Organisation des Unterrichts wurden ab 1864 durch die »Vorschrift zum allgemeinen Gemeinwohl der Nationalschulen« geregelt, wobei in den

6 Step’anos Nazarian (1812–1879) war ein bekannter armenischer Publizist, Schriftsteller, Orientalist und Herausgeber der Zeitung Hiusisap’ayl [Polarlicht]. Vgl. Ōv ōv ē. Hayer. Kensagrakan hanragitaran. Erku hatorov [Wer ist wer. Armenier. Biografische Enzyklopädie. In zwei Bänden]. Band 2. Jerewan 2005, 196 f. 7 Levonyan, Garegin (Hg.): Hayoc parberakan mamulẹ. Liakatar cucak hay lragrut’yan. Skzbic minčev mer orerẹ (1794–1934) [Die armenische Presse. Vollständige Liste der arme­ nischen Zeitungen von den Anfängen bis zur Gegenwart. (1794–1934)]. Jerewan 1934, XXIV. 8 Die Nationalverfassung der Armenier im Osmanischen Reich, die bereits 1860 fertiggestellt wurde, wurde 1863 von der Regierung bestätigt und regelte die inneren Angelegenheiten in den armenischen Vilajets, unter anderem das kulturelle Leben und das Bildungswesen. Vgl. Azgayin sahmanadrut’iun hayoc [Die Nationalverfassung der Armenier]. K. Polis 1860.

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folgenden Jahrzehnten weitere angepasste und verbesserte Versionen veröffentlicht wurden.9 Bis in die 1880er Jahre hinein wurden mehrere Grund- und Mittelschulen nicht nur in Konstantinopel, sondern auch in Van, Erzurum (Karin), Smyrna, Ayntap und in anderen Orten gegründet. Erwähnt sei insbesondere die durch die Initiative des Patriarchen Xoren Ašẹgian (1842–1899) 1889 nicht weit von Konstantinopel in dem Vorort Armaš gegründete geistliche Akademie, deren erster Direktor der spätere Patriarch in Konstantinopel Małak’ia Ōrmanian (1841–1918) war. Eine wichtige Rolle spielte außerdem das 1886 vom Patriar­ chen Nerses Varžapetian (1837–1884) in Konstantinopel gegründete Gedronagan-Gymnasium, das Lehrer für armenische Schulen ausbilden sollte. Viele Absolventen dieses Gymnasiums konnten ein Studium in Frankreich oder in der Schweiz aufnehmen. Gerade mit Blick auf das Auslandsstudium waren zudem die 1876 in Konstantinopel gegründete Perperian- sowie die 1881 in Erzurum gegründete Sanasarian-Schule bedeutend. Ab den 1880er Jahren wurde diese Entwicklung jedoch durch die repressive Politik Abdul Hamids II., die unter anderem zur Schließung vieler Schulen und Kultureinrichtungen sowie zu einer Pressezensur führte, massiv behindert.10 Im Russländischen Reich regelte erstmals die am 11. März 1836 in Kraft getretene »Položenie«, die höchste Anordnung für die Leitung der Angelegenheiten der Armenischen Kirche, die Verwaltung und Finanzierung der geistlichen Schulen. Deren Aufsicht wurde mit dieser Regelung dem Kathołikos und den Bischöfen in den armenischen Diözesen11 übertragen, wobei die geistliche Führung für alle administrativen Angelegenheiten verantwortlich war. Sie stellte auch das Unterrichtsprogramm zusammen, das vom Hl. Synod in Ēǰmiaċin überprüft und von der Regierung bestätigt werden sollte.12 In den folgenden Jahrzehnten wurden ein-, zwei- bzw. dreijährige Parochialschulen, sechs- bis achtjährige kirchlich-geistliche Schulen, aber auch Volksschulen, Realschulen und Mädchenschulen gegründet.13 Den Angaben des Hl. Synods zufolge gab es bereits Anfang der 1870er Jahre 142 geistliche Schulen mit etwa 6.000 Schülern.14 9 Voskanyan, Shoghik: Urvagċer arevmtahay dproci ev mankavaržakan mtk’i patmut’yan (1850–1920) [Skizzen zur Geschichte der westarmenischen Schule und Pädagogik ­(1850–1920)]. Jerewan 2009, 274–279. 10 Ebd., 266–271. 11 Nach dieser Anordnung wurden die armenischen Diözesen in Eriwan, Karabach, Šamaxi, Nor Naxiǰevan und Bessarabien, Georgien-Imeretien und Astrachan geschaffen, deren administrative Verwaltung ebenfalls der Kirche übertragen wurde. Vgl. Gazer: Hacik Rafi: Studien zum kirchlichen Schulwesen der Armenier im Kaukasus. Teil I: 19. Jahrhundert. Berlin 2012, 53. 12 RGIA . Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96, Bl. 11. 13 Gazer: Studien zum kirchlichen Schulwesen, 56 f. 14 RGIA . Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96, Bl. 13.

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Die Položenie legte darüber hinaus die Gründung von je einem geist­lichen Seminar in jeder Diözese fest. In der Folge wurden 1837 das Seminar in ­Eriwan, 1838 diejenigen in Šuši und Astrachan, 1844 das Seminar in Šemacha und erst 1881 eines in Nor Naxiǰevan eröffnet.15 In Tiflis wurde die Nersesian-​ Schule, die bereits 1824 von Nerses Aštarakeci (1770–1857), dem damaligen Leiter der Diözese Georgien-Imeretien, später Kathołikos Aller Armenier, gegründet worden war, 1837 in ein geistliches Seminar umgewandelt. 1874 folgte schließlich durch die Initiative des Kathołikos Gevorg  IV. (1813–1882) und mit der höchsten kaiserlichen Genehmigung die Gründung der Gevorgian-Akademie in Ēǰmiaċin.16 Letztere bot als eine höhere geistliche Lehranstalt, die aus einem sechsjährigen Seminar und einer dreijährigen Akademie bestand, eine allgemeine und theologische Ausbildung und war überdies für die Lehrerausbildung für armenische Schulen zuständig. Die Tatsache, dass die Kontrolle der Parochialschulen und der geistlichen Seminare durch die Položenie der armenischen Kirche überlassen wurde, bewertete die kaukasische Verwaltung als eine in höchstem Maße prekäre Situation. Dieses Privileg würde die armenische Kirche im Vergleich zu anderen »Fremdkonfessionen« beinahe auf die gleiche rechtliche Ebene wie die Russisch-Orthodoxe Kirche stellen.17 Dass die kaukasische Verwaltung und Ēǰmiaċin grundsätzlich konträre Auffassungen vertraten, wie dieses Privileg in der Praxis umgesetzt werden sollte, verschärfte die ohnehin konfliktgeladene Situation zusätzlich. Wie in einem Bericht des »Departements für geistliche Angelegenheiten ausländischer Konfessionen« des Innenministeriums festgehalten, sah die der armenischen Kirche zugestandene Eigenständigkeit ausschließlich die Schulverwaltung sowie die Vermittlung allgemeiner Kenntnisse in Religion und eine Elementarbildung vor – und das ausdrücklich nur in den Parochialschulen. Eine Ausbildung, die darüber hinausging, wurde als Verletzung der geltenden Anordnungen bezeichnet: Diese Ausnahme hat dazu geführt, dass sich unter der Kontrolle der armenischen Kirche solche Schulen befinden, die eigentlich unter die Zuständigkeit des Lehrbezirks fallen. Das sind weder kirchliche Realschulen noch geistliche Seminare, sondern weltliche allgemeinbildende Lehranstalten mit zwei, drei oder vier Klassen und einem mehrköpfigen Lehrpersonal, wobei nicht klar ist, woher diese Personen kommen und von wem sie ihre Lehrerlaubnis erhalten.18

Also ließen diese Schulen, so der Verdacht, ihre Schüler von nicht autorisierten Lehrern unterrichten, die teilweise fremde Untertanen seien und dem Unter15 Gazer: Studien zum kirchlichen Schulwesen, 56. 16 Vgl. Tunjan, V. G.: Ečmiadzinskij vopros v politike Rossii. 1873–1903 gg. [Die ĒǰmiaċinFrage in Russlands Politik. 1873–1903]. Jerewan 2002, 17. 17 RGIA , Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96, Bl. 13. 18 Ebd.

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richt der russischen Sprache, Geschichte und Geografie keinerlei Aufmerksamkeit schenkten.19 Diese Situation bewertete der Kurator des kaukasischen Lehrbezirks Baron Alexander Pavlovič Nikolai als Versuch der »ungebildeten und konservativen« Geistlichkeit, die betroffenen Lehranstalten national abzuschotten und jeglichen Einfluss russischer Schulen auf sie zu verhindern.20 Die Forderung nach schärferen Regelungen für armenische allgemeinbildende Schulen, aber auch für Parochialschulen wurde sowohl mit der vermeintlich mangelnden Bildung der dortigen Lehrer begründet als auch damit, dass die weitgehende Eigenständigkeit von Ēǰmiaċin in Bildungsfragen das Weiterstudium junger Armenier an russländischen Hochschulen verhindere.21 Diese Situation blieb nach der Einführung der Položenie von 1867 über den kaukasischen Lehrbezirk zunächst unverändert. In den Jahren 1868 und 1869 veröffentlichte der Kathołikos Gevorg IV.  – ohne eine Absprache mit dem Kaukasischen Statthalter bzw. ohne Genehmigung von höherer Stelle – in der Zeitschrift Ararat Anordnungen über die Verwaltung der kirchlichen Schulen und geistlichen Seminare.22 Demnach durfte die Schulleitung nicht nur die bestehenden Klassen sowie das Lehrprogramm nach eigenem Ermessen erweitern. Da der Bedarf an hochqualifizierten Lehrern nicht allein durch Geistliche gedeckt werden konnte, wurden auch weltliche Lehrer für den Unterricht eingeladen. Aus staatlicher Sicht zielte diese Politik ganz eindeutig darauf ab, unter dem »kirchlichen Deckmantel« ein Netz allgemeinbildender Schulen in den armenischen Eparchien zu etablieren.23 Daraufhin leitete die kaukasische Regierung 1871 eine eingehende Überprüfung der Položenie von 1867 ein, wobei der Minister für Volksaufklärung Graf Dmitrij Andreevič Tolstoj in einem Schreiben an den kaukasischen Statthalter Michail Nikolaevič Romanov 1873 dafür plädierte, die armenischen allgemeinbildenden Schulen nach den in den zentralen Gouvernements geltenden Regelungen unter staatliche Kontrolle zu stellen.24 Am 22. November 1873 bestätigte Alexander II. die Empfehlung des Staatsrats über die Bildungsorganisation im Kaukasus. Die Aufsicht über alle staatlichen Kreisund Elementarschulen sowie über die Privatschulen aller Konfessionen wurde damit im Gouvernement Tiflis den Direktoren der Volksschulen und in allen anderen Gouvernements den staatlichen Inspekteuren unterstellt. Angeordnet wurde ebenso der Unterricht der russischen Sprache in sämtlichen Schulen 19 Ebd. 20 Ebd., Bl. 12. 21 Ebd., Bl. 26. 22 Die Regelungen für die Parochialschulen wurden veröffentlicht in: Ararat. 1868, 6, 70–72; für die geistlichen Diözesanschulen in: Ebd. 1869, 10, 141–146; für die Klosterschulen in: Ebd. 1869 1, 4–8. 23 RGIA , Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96, Bl. 13. 24 Ebd., Bl. 14.

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sowie der Geschichte und Geografie des Imperiums in jenen Einrichtungen, deren Programm diese Fächer umfasste.25 Gegen die geplante Ausdehnung der staatlichen Kontrolle auch auf die Parochialschulen protestierte jedoch der Kathołikos, indem er die Leiter der jeweiligen Eparchien dazu anhielt, den staatlichen Regelungen keine Folge zu leisten. Stattdessen ernannte er diözesane Inspekteure, die die Kontrolle über die geistlichen Schulen übernehmen sollten. Dabei berief sich Gevorg IV. auf die Položenie von 1836, argumentierte mitunter aber auch mit der zu erwartenden Unzufriedenheit der Armenier aus Konstantinopel.26 Die beschriebenen staatlichen Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Bildungssystems waren keinesfalls stimmig, zumal in verschiedenen Ministerien konträre Auffassungen über deren Umsetzung existierten. Während viele hohe Beamte eine eher restriktive Politik gegenüber der armenischen Kirche anstrebten, plädierten andere wiederum für eine effizientere Bildungspolitik unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten. Die kaukasische Regierung hielt die Renitenz der armenischen Kathołikoi zwar für untragbar, die Empfehlung des Innen- und des Außenministeriums lautete dennoch, besonnene und freundschaftliche Beziehungen zu Ēǰmiaċin zu pflegen. Diese Mahnung zur Vorsicht war nicht nur dem hohen Amt des Kathołikos geschuldet, das zu respektieren als notwendig galt. Sein Einfluss auf die Armenier im Osmanischen Reich und in Persien war für die imperiale Machtposition im Orient ein wichtiger außenpolitischer Faktor, mit dem sich die staatlichen Stellen immer wieder auseinandersetzen mussten.27 Gerade die Entwicklungen im Bildungs- und Kulturbereich im Osmanischen Reich beobachteten die staatlichen Stellen des Russländischen Imperiums durchaus mit Besorgnis. Für Beunruhigung im Departement für geistliche Angelegenheiten ausländischer Konfessionen sorgten etwa die im Jahr 1863 eingeführte Nationalverfassung für Armenier, die ihnen darin eingeräumten Rechte im Bildungsbereich, ferner die Pläne zur Gründung eines geistlichen Seminars sowie das Studium junger Armenier in Paris auf Staatskosten. Diese Politik des osmanischen Staates bewertete der Leiter des Departements Graf Emmanuel Karlovič Sivers in erster Linie als Versuch, den Einfluss »russischer Armenier« auf die geistlichen Einrichtungen ihrer Glaubensgenossen in der Türkei zu verhindern, indem man deren Bildungsniveau anhob. Mit Blick auf die außenpolitischen Interessen des Staates hielt Sivers es für notwendig, den russischen Einfluss auf die ausländischen Armenier »gregorianischen Glaubens« durch die armenische Kirche, aber auch durch

25 Ebd. 26 Ebd., Bl. 14–15. 27 Ebd., Bl. 15.

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die Verbreitung der russischen Zivilisation unter den Staatsbürgern des Reiches zu sichern.28 Diese Ansicht war einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, dass trotz der »gefährlichen Eigenständigkeit« der armenischen Kathołikoi bei der Verwaltung der Parochialschulen und geistlicher Seminare immer wieder Zugeständnisse gemacht wurden. Doch gleichzeitig – und gerade mit Blick auf den Einfluss der Kathołikoi  – war im Innenministerium die Befürchtung groß, die eigenständigen Handlungen des armenischen Kirchenoberhauptes würden »zur nationalen Isolierung« eines beachtlichen Teils der Bevölkerung in dieser Region führen. Dies verlangte wiederum, die Handlungsräume der armenischen Geistlichkeit auf den rein religiösen Rahmen zu beschränken.29 Ein Versuch, zwischen zentralstaatlichen Geltungsansprüchen und der angestrebten Eigenständigkeit der armenischen Kirche einen Kompromiss zu finden, waren die Sonderregelungen, die am 24. Juli 1874 bestätigt wurden. Damit behielt die Kirche weiterhin das Recht, Parochialschulen zu gründen und deren Verwaltung zu organisieren. Die staatlichen Inspekteure durften in den Volksschulen und allgemeinbildenden Parochialschulen den Unterricht der russischen Sprache, Geschichte und Geografie kontrollieren, während jene geistlichen Schulen, die nur Priester ausbilden sollten, von dieser Kontrolle ausgenommen waren.30 Diese Regelung sorgte in der kaukasischen Verwaltung allerdings für höchste Unzufriedenheit: […] damit verwaltet die armenische Kirche ohne Einschränkung sogar allgemein­ bildende Schulen jeglicher Art, von Elementarschulen bis hin zu höheren Lehranstalten (d. h., würde die Geistlichkeit über genug finanzielle Mittel verfügen, hätte sie das Recht, selbst eine armenische Universität zu verwalten).31

In den 1880er und 1890er Jahren spitzte sich der Konflikt um die Hoheit in Bildungsfragen weiter zu. Bereits 1883 wurden nicht nur die Kontrollen auf kirchliche Parochialschulen verschärft und die Presse einer strengeren Zensur unterstellt. Die vermeintlich privilegierte Stellung von Ēǰmiaċin in Bildungsfragen wurde von staatlichen Stellen wiederholt als ein »Irrtum längst vergangener Tage« bezeichnet.32 Der Beschluss von 1896, der vom Innenministerium an das Departement für geistliche Angelegenheiten ausländischer Konfessionen geleitet wurde, stellte schließlich die Parochialschulen der Armenier unter die Kontrolle des kaukasischen Lehrbezirks. Diesem Beschluss war 1895 die Schließung der armenischen Schulen vorausgegangen. Zwar wurden sie im folgenden Jahr wiedereröffnet, doch die Lage spitzte sich weiterhin zu und führte 28 Ebd., Bl. 18. 29 Ebd., Bl. 15. 30 Ebd. 31 Ebd., Bl. 16. 32 Ebd., Bl. 18.

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mit der Konfiszierung des gesamten Besitzes der Kirchen und Klöster im Jahr 1903 zum zwischenzeitlichen Höhepunkt des Konflikts. Erst im Jahr 1905 übernahm die Kirche wieder die Leitung der geistlichen Schulen und Seminare. Die dargestellte Auseinandersetzung zwischen der armenischen Kirche und den staatlichen Behörden wurde vor dem Hintergrund der notwendigen Modernisierung des Bildungssystems ausgetragen, stand aber auch in Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen zur Ausbildung kaukasischer Untertanen. In dieser Gemengelage stellt die Position der armenischen Intelligenzija gegenüber der kirchlichen Vormundschaft über Bildungsfragen ein besonders aufschlussreiches Feld dar. Ihre Haltung – so beschrieb es die Zeitung Baku – resultierte nicht etwa daraus, dass der »progressivere Teil der armenischen Gesellschaft«, der sich seit Jahren für eine vollständige Demo­ kratisierung des Schulsystems einsetzte, die kirchliche Obhut über diese Schulen so sehr schätzte. Die staatliche Kontrolle wurde zwar gefürchtet, doch auch der starke kirchliche Einfluss auf diese Schulen rief ambivalente Reaktionen hervor. Der »kirchliche Schutzmantel« sei letztlich nur deshalb toleriert worden, weil dies als der einzige Garant für die Unabhängigkeit dieser Schulen angesehen wurde.33 Das Engagement der armenischen Kirche für eine selbstständige Regelung der Bildungsfragen erschien in den Augen armenischer Intellektueller insbesondere deshalb legitim, weil die flächendeckende Einführung der russischen Sprache, so beklagten dies die kaukasischen Eliten, auf Kosten lokaler Sprachen verlief. In den staatlichen Schulen gehörten die armenische, die georgische und die tatarische Sprache ohnehin als Wahlsprachen zu den nicht-obligatorischen Unterrichtsfächern.34 Die immer wieder eingeführten restriktiven Maßnahmen erschwerten deren Unterricht noch zusätzlich. So wurde Georgisch mit der erwähnten Verordnung vom 22. November 1873 als Unterrichtsfach vom Lehrplan staatlicher Mittelschulen teilweise ganz gestrichen. In den folgenden Jahren ging der Unterricht dieser Sprache, der nunmehr durch private Finanzierung getragen werden sollte, an öffentlichen Mittelschulen immer weiter zurück.35 Eben diesen Effekt befürchtete die armenische Elite auch, sollten die geistlichen Schulen und Seminare unter die Kontrolle des kaukasischen Lehrbezirks gestellt werden.

33 Zitiert nach: Zapiska ob armjanskich školach [Anmerkung zu armenischen Schulen]. S.-Peterburg 1911, 83 f. 34 Vgl. Žurnal Ministerstva Narodnogo Prosveščenija (Zeitschrift des Ministeriums für Volksaufklärung). 6 (1887), CCLI, 98. 35 Vgl. Reisner, Oliver: Die Schule der georgischen Nation. Eine sozialhistorische Unter­ suchung der nationalen Bewegung in Georgien am Beispiel der »Gesellschaft zur Verbreitung der Lese- und Schreibkunde unter den Georgiern« (1850–1917). Wiesbaden 2004, 111.

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2.1.1 Staatliche Organisation des Hochschulstudiums kaukasischer Untertanen

Angesichts der beschriebenen Bildungssituation wurde die staatliche Organisation des Hochschulstudiums kaukasischer Untertanen von den armenischen Intellektuellen, aber auch von vielen hochrangigen Beamten im Bildungsbereich als nicht effizient genug bezeichnet. Zwar wurden ab den 1830er Jahren Untertanen aus dem Kaukasus zum Studium an russländische Hochschulen geschickt, um dem Mangel an Spezialisten in verschiedensten Bereichen zu begegnen. Doch sowohl die lokalen Eliten als auch viele Kuratoren des Kaukasischen Lehrbezirks stellten diese Maßnahmen wiederholt als höchst unzureichend dar. Im Dezember 1848 wurde die entsprechende Položenie über das Studium kaukasischer und transkaukasischer Untertanen an den Hochschulen des Imperiums veröffentlicht, mit der eine Anzahl der Studenten festgelegt wurde, die auf Staatskosten an russländischen Hochschulen studieren und später in den Staatsdienst eintreten sollten.36 Doch diese Fassung enthielt so viele Einschränkungen, dass selbst Baron Nikolai scharfe Kritik erhob. Die unzureichenden Maßnahmen würden dazu führen, dass die Schulen im Kaukasus bald ohne Lehrer blieben. Er bemängelte insbesondere die geringe Zahl der vorgesehenen Fakultäten, an denen lediglich für den Staatsdienst geeignete Spezialisten ausgebildet werden sollten. Das Alexandrovskij Lyzeum oder die Kaiserliche Kunstakademie, die seiner Meinung nach durchaus imstande waren, Fachleute für den Kaukasus auszubilden, wurden in der Položenie gar nicht berücksichtigt. Als nachteilig erachtete er auch, dass außer der Abteilung für Orientalistik der St. Petersburger Universität, der kaiserlichen Rechtsschule und des Lazarev-Instituts37 keine höhere Lehranstalt den Unterricht der örtlichen Sprachen im Angebot hatte. Dabei sei eine angemessene Beherrschung der Muttersprache unabdingbar, wenn hochgebildete Fachleute die Interessen des Reiches im Kaukasus vertreten sollten.38 Am 11. Juni 1849 wurde die Položenie bestätigt, die es Studenten aus der kaukasischen Region erlaubte, mit staatlichen Stipendien an russländischen Hochschulen jene Fächer zu studieren, die an kaukasischen Gymnasien nicht 36 RGIA . Fond 733 (1849–1850), op. 89, d. 184, Bl. 3. 37 Das Lazarev-Institut wurde 1815 ursprünglich als eine Ausbildungsstätte für arme armenische Kinder unter dem Namen »Die Armenische Lazarev-Schule« von der wohlhabenden Lazarian-Familie in Moskau gegründet. Im Jahr 1827 wurde die Schule dem Ministerium für Volksaufklärung übergeben und trug fortan den Namen Lazarev-Institut für Orientalische Sprachen. Siehe exemplarisch Baziyanc, A. P.: Lazarevskij institut vostočnych jazykov v istorii otečestvennogo vostokovedenija [Das Lazerev-Institut für Orientalische Sprachen in der Geschichte der russischen Orientalistik]. Moskva 1974. 38 RGIA . Fond 733 (1849–1850), op. 89, d. 184, Bl. 3–4.

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unterrichtet wurden. Die Zahl der Staatsstipendiaten wurde von 100 auf 150 erhöht, ebenso die Anzahl der Fakultäten, die diese Studenten aufnehmen sollten. An den Universitäten waren sie folgendermaßen verteilt: In St. Petersburg waren 20 Studenten für den Staatsdienst und weitere 10 im Hauptpädagogischen Institut39 als zukünftige Lehrer für die kaukasische Region vorgesehen. In der Kaiserlichen Rechtsschule sollten 5 Studenten Rechtswissenschaften und weitere in verschiedenen Lehranstalten Eisenbahnbau, Bergbau und andere technische Fächer studieren. Die Moskauer Universität nahm 20 Studenten an die medizinische Fakultät und 20 an andere Fakultäten auf, während weitere 20 Studenten am Lazarev-Institut eine Ausbildung als Übersetzer oder Lehrer machen durften.40 Die Zahl der Studenten konnte theoretisch den Bedürfnissen der Region angepasst werden, in der Praxis schwankte sie in den folgenden Jahren nur unwesentlich.41 In den neu gegründeten Lehranstalten konnte die Zahl kaukasischer Stipendiaten nach entsprechenden Absprachen festgelegt werden. Die Vertreter der kaukasischen adeligen Oberschicht waren nach dem Studium dazu berechtigt, in den mittleren, aber auch in den höheren Staatsdienst einzutreten. Das Hochschulstudium stand allerdings auch den Angehörigen der kaufmännischen und anderer Gesellschaftsschichten offen, von deren Diensten man sich Vorteile für die Entwicklung von Handel und Industrie in der Region versprach. Nach Paragraph 45 der eben genannten Položenie sollten staatliche Stipendiaten nach dem Abschluss des Studiums mindestens sechs Jahre ihren Staatsdienst im Kaukasus ableisten. Sie erhielten die gleichen Privilegien, die auch anderen Absolventen russländischer Universitäten zustanden, nämlich die Verleihung des wissenschaftlichen Grads von der jeweiligen Hochschule bzw. eines Rangs im Staatsdienst.42 Neben der Regelung des Hochschulstudiums wurden bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts Initiativen ergriffen, um auch die Ausbildung der Geistlichen einheitlich zu gestalten. Ihre höhere Ausbildung sowie die Leitung der jeweiligen geistlichen Lehrbezirke samt der dazugehörigen Seminare und Schulen oblag im Russländischen Reich den geistlichen Akademien. Wie be39 In St. Petersburg existierte seit 1804 das Pädagogische Institut, das 1816 zum Haupt­ pädagogischen Institut (Glavnij pedagogičeskij institut) umorganisiert und 1819 in die neu gegründete Universität eingegliedert wurde. Das Institut wurde 1828 wiedereröffnet und bildete Gymnasial- und Kreisschullehrer aus, bevor es 1858 endgültig schließen musste. Vgl. Kusber, Jan: Eliten- und Volksbildung im Zarenreich während des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 2004, 421. 40 RGIA . Fond 733 (1860–1862), op. 89, d. 184, Bl. 9. 41 Im Jahr 1866 waren beispielsweise in St. Petersburg 5, in Moskau 40 und für das Lazarev-Institut 15 Studenten vorgesehen. Vgl. Hausmann: Universität, 166 f. 42 Aus einer ihm vorgelegten Liste konnte der kaukasische Statthalter Angestellte für die freien und zu besetzenden Stellen auswählen. Diejenigen, die kein Angebot erhielten, konnten auch außerhalb des Kaukasus in den Staatsdienst treten. RGIA . Fond 733 ­(1860–1862), op. 82, d. 331, Bl. 1.

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reits erwähnt, übernahm die Gevorgian-Akademie nach ihrer Gründung die Ausbildung der armenischen Geistlichen und Lehrer. Für die »nationale« Ausbildung der armenischen Jugend kam dieser Lehranstalt alsbald eine so hohe Bedeutung zu, dass jegliche Einmischung in die Angelegenheiten der Akademie, aber auch in jene der geistlichen Seminare in den armenischen Eparchien auf den vehementen Widerstand der Katołikoi stieß. Ein Ergebnis dieser Einstellung war, dass selbst nach der Einführung von einheitlichen Statuten für alle geistlichen Akademien des Reiches im Jahr 1871 keines der armenischen Seminare ein vom Ministerium bestätigtes Statut mit festgelegter Struktur und einem Lehrplan vorweisen konnte. Einzig für das Seminar in Nor Naxiǰevan und Besarabien wurde 1880 ein Statut noch vor der Eröffnung vom Innenministerium und mit höchster kaiserlicher Genehmigung bestätigt.43 Die nach mehrfacher Aufforderung durch das Innenministerium zunächst vom Kathołikos Makar I. T’ełutci (1813–1891) im Jahr 1889, dann von seinem Nachfolger Mkrtič I. Chrimian (1820–1907) 1896 vorgelegten Statuten wurden mit dem Argument abgelehnt, sie würden eine nahezu vollkommene Unabhängigkeit der Akademie bezwecken.44 Zwar bewertete der Staat die Eröffnung der Akademie ursprünglich als ein durchaus positives Ereignis, da hier Geistliche nicht nur aus den Reihen der russischen, sondern auch der im Ausland lebenden Armenier, insbesondere der türkischen und persischen Untertanen ausgebildet werden sollten. Doch barg die angestrebte Eigenständigkeit der Akademie und ihres Lehrprogramms aus der Sicht des Zentrums ein so gefährliches politisches Potenzial, dass man ihre Kontrolle nicht Ēǰmiaċin allein überlassen wollte. 1908 verlangte das Innenministerium erneut, bis Anfang des nächsten Schuljahrs entsprechende Statuten vorzulegen, anderenfalls drohte die Schließung der Seminare.45 Gleichzeitig wurden dem Hl. Synod Regelungen vorgelegt, die im Statut berücksichtigt werden sollten und staatliche Kontrollhebel über die Akademie festlegten. So wurde unter anderem die Einführung der russischen Sprache für allgemeinbildende Fächer vorgesehen, zudem sollten die Lehrer höherer Klassen Absolventen russischer Universitäten und diejenigen der niederen Klassen russischer Mittelschulen sein. Neues Personal durfte in jedem Fall nur mit Einverständnis des Kurators des kaukasischen Lehr­bezirks eingestellt werden.46 Diese Einschränkungen befand jedoch selbst der Vizekönig im Kaukasus Illarion Ivanovič Voroncov-Daškov angesichts der

43 44 45 46

Zapiska ob armjanskich školach, 7. Ebd., 5. Ebd., 10 f. Ebd., 12.

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Freiheiten, die die armenische Kirche in Bildungsfragen bis dahin genossen hatte, für nicht zumutbar.47 Weitere Verhandlungen mit dem neuen Kathołikos Matt’eos II. Izmirlian (1845–1910) bestärkten das Innenministerium in der Annahme, bei den geistlichen Seminaren und der Akademie handele es sich um allgemeinbildende Schulen, die den konfessionellen »Deckmantel« nur als Instrument gegen die staatliche Kontrolle verwendeten. Ein großer Teil des Lehrpersonals besaß nach Angaben des Ministeriums keinen geistlichen Rang, hatte im Ausland studiert und konnte einen Doktortitel – meist in einem nicht-theologischen Fach  – ausländischer Universitäten vorweisen.48 Mit der Einstellung dieser Personen versuchte der Kathołikos nach Auffassung des Ministeriums, einerseits Lehrer mit russischer Ausbildung von den armenischen Seminaren und der Akademie fernzuhalten und andererseits Absolventen ausländischer, allen voran deutscher und schweizerischer Universitäten stärker in den Unterricht einzubinden: Es ist nicht notwendig, das Missverhältnis der deutschen Politik zu den russischen politischen Idealen im Orient zu betonen, ebenso wenig die Bedeutung der Schweiz als Herd armenischer revolutionärer Abenteuer. Diese ›pädagogischen Märkte‹ zu schließen oder zumindest die Nachfrage nach ihnen zu lähmen, ist selbstverständlich die Aufgabe einer gesunden russischen Staatspolitik.49

Andere Beamte wiederum erklärten diesen Drang nach dem Auslands­ studium mit den Hürden, die den Absolventen armenischer Seminare im Russländischen Reich in den Weg gelegt wurden und damit ein Studium an russländischen Hochschulen verhinderten. Ministerpräsident Pёtr Arkad’evič Stolypin hob in einem Brief an den Minister für Volksaufklärung Aleksander Nikolaevič Schwartz vom 7. November 1909 die Tatsache hervor, dass die meisten Absolventen armenischer Schulen und geistlicher Seminare wegen ihrer unzureichenden Russischkenntnisse nicht imstande waren, an russländischen Universitäten zu studieren, und daher ins Ausland strebten: Laut den an mich herangetragenen Informationen geht in der letzten Zeit eine Reihe junger Armenier, die die Akademie bzw. andere Seminare absolviert haben und vor­ haben, sich der geistlichen oder pädagogischen Tätigkeit zu widmen, ins Ausland. Dort immatrikulieren sie sich an Universitäten mit dem Ziel, allgemeinbildende Fächer zu studieren. Unter den westeuropäischen Universitäten haben vor allem die deutschen ihre Türen für diese Armenier weit geöffnet.50

47 48 49 50

Ebd., 13 f. Ebd., 21. Ebd., 25 f. RGIA . Fond 733 (1909), op. 201, d. 102, Bl. 2–3.

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Infolge dieser Politik, so Stolypin weiter, hätte nun fast die Hälfte der geistlichen Oberschicht in Ēǰmiaċin eine deutsche Ausbildung. Als besonders misslich befand er die Tatsache, dass diese Studenten ihre erste Ausbildung in den eigenen konfessionellen Lehranstalten erhielten, die weitgehende Autonomie genossen und daher den staatlichen Interessen kaum entsprechen konnten. Im Anschluss daran gingen sie vom Kaukasus – ohne Russland kennenzulernen – direkt nach Deutschland, von wo sie »fremdes Wissen« und eine feindliche Einstellung gegenüber ihrer Heimat mitbrächten:51 Selbstverständlich kann die Volksausbildung, die nach zuverlässigen und staatlichen Interessen treu dienenden Führungsfiguren verlangt, nicht solchen Personen anvertraut werden, die nur zwei Ideale kennen, nämlich ihr Zuhause im Kaukasus und das gastfreundliche und mit hohen kulturellen Werten gewappnete Europa, aber nicht Russland im Kern.52

So notwendig es auch sei, die Rückständigkeit dieser Region durch Bildung zu bekämpfen, so müsse doch sichergestellt werden, dass die Ausbildung im Ausland, fern der staatlichen Kontrolle und Einwirkung, später für das Wohl und nicht gegen den Staat eingesetzt werde. Große Probleme sah Stolypin darin, dass die Lehrer in den armenischen Seminaren, oft selbst Absolventen derselben, schlecht ausgebildet waren, meist die russische Sprache nicht beherrschten und damit die konfessionelle wie die allgemeine Ausbildung der armenischen Jugend in eine den staatlichen Interessen zuwiderlaufende Richtung lenkten.53 Die Ausstattung armenischer Schulen mit geeigneten Lehrern wurde zwar als primäre Aufgabe der geistlichen Akademie in Ēǰmiaċin bzw. des Nersesian-Seminars in Tiflis gesehen, offensichtlich war aber auch, dass diese Einrichtungen allein nicht imstande waren, für alle armenischen Schulen Lehrer auszubilden. Zu diesem Zweck sollten an verschiedenen russischen Hochschulen, vor allem an der historisch-philologischen Fakultät und der Fakultät für Physik und Mathematik Lehrer ausgebildet werden, die sowohl unterrichten als auch administrative Aufgaben in der armenischen Kirche übernehmen könnten. Zweifellos hatte Stolypin die imperialen Interessen vor Augen, als er vorschlug, alle jungen Menschen, die die geistliche Akademie bzw. das Nersesian-Seminar in Tiflis absolviert hatten und entschlossen waren, sich der geistlichen und / oder pädagogischen Tätigkeit zu widmen, an russischen Hochschulen aufzunehmen. Er räumte durchaus ein, dass die Ausbildung an den armenischen Gymnasien und Seminaren nicht der an vergleichbaren russischen Lehranstalten entsprach und für die Immatrikulation an einer Univer51 Ebd., Bl. 3. 52 Ebd. 53 Ebd.

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sität nicht ausreichte. Um den Eindruck zu vermeiden, die armenischen Studenten würden an russländischen Hochschulen bevorzugt behandelt, schlug er vor, diesen Studenten nach dem Ende des Studiums nicht jene Privilegien zuzusprechen, die die Absolventen der Universitäten in der Regel erhielten.54 Doch fand Stolypins Vorschlag im Bildungsministerium keinen Zuspruch: Schwartz plädierte vielmehr dafür, alle armenischen Schulen, die Akademie eingeschlossen, dem Bildungssystem des Reiches anzupassen, womit ihre Autonomie und damit die Möglichkeit, auch jenseits deutscher Universitäten ihre Schüler in einer Russland gegenüber wenig freundlichen Atmosphäre zu erziehen, weitgehend eingeschränkt würde. Sofern es genug Armenier »gre­ gorianischen Glaubens« gab, die nach dem Studium an russischen Mittelschulen und Gymnasien als Lehrer in den armenischen Schulen unterrichten könnten, sah Schwartz keine Notwendigkeit, Sonderregelungen einzuführen.55 Bemerkenswert ist, dass der Minister das Studium junger Armenier im Ausland nicht für einen anhaltenden Prozess hielt und dementsprechend darin nicht jene Gefahren sah, die Stolypin beschwor. So konstatierte Schwartz: Ob diese Erscheinung eine dauerhafte oder nur vorübergehende ist, ist mir nicht bekannt. Auch gibt es keine Informationen darüber, wie groß die Zahl derjenigen ist, die an deutschen Universitäten studieren, und mit welchen Mitteln (nicht zufällig mit kirchlichen?) sie sich dort finanzieren.56

Die »Unwissenheit« des Ministers über die im Ausland studierenden Armenier scheint insofern nachvollziehbar, als die Zahl russländischer Studenten an deutschen Hochschulen bald nach dem auf das Revolutionsjahr 1848 erfolgten Verbot des Auslandsstudiums wieder stark anstieg. An der Schwelle des 20. Jahrhunderts besaß keine der zuständigen Behörden des Reiches  – das Außenministerium eingeschlossen – einen Überblick über die Zahl der russländischen Untertanen an europäischen Hochschulen. Zwar wurde stets versucht, über die sogenannten studentischen »Kolonien«, akademische und sonstige Vereine Informationen über die in Deutschland studierenden Untertanen des Reiches zu sammeln. Doch traten armenische Studenten in diesen Kolonien eher selten in Erscheinung. Zwei Möglichkeiten jedenfalls könnten nach Meinung des Ministers den Zustrom armenischer Studenten an deutsche Universitäten veranlasst haben. Er vermutete zum einen, dass die mit der Konfiszierung der Kirchen­güter verbundenen Unruhen im Kaukasus, die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Armeniern und Tataren und die Schließung armenischer Lehranstalten viele gezwungen hätten, auszuwandern bzw. ihr Studium im Ausland 54 Ebd., Bl. 6. 55 Ebd., Bl. 12–13. 56 Ebd., Bl. 13.

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fortzusetzen. Schwartz hielt dies für eine vorübergehende Erscheinung, da »die reichen Armenier und die Kirche nicht immer das Studium im Ausland finanzieren« würden.57 Eine andere, das Auslandsstudium begünstigende Möglichkeit sah er darin, dass es in Europa ein wohlhabendes und organisiertes armenisches Mönchtum gab, mit dessen Mitgliedern Ēǰmiaċin nicht nur in ständigem Kontakt stand, sondern die zudem zu den engsten Vertrauten des Kathołikos gehörten und sicherlich auch eine Rolle im Auslandsstudium der Armenier spielten.58 Dessen ungeachtet könnten die Nachteile einer privilegierten Behandlung der Absolventen armenischer Seminare gravierend sein, so Schwartz. Die Zulassung von Personen ohne ausreichende Kenntnisse und eine allgemeine Hochschulreife zum Universitätsstudium wären sowohl für die staatlichen Interessen als auch für das russländische Hochschulsystem, das »behutsamen Umgang« verlange, verheerend.59 Die von Stolypin vorgeschlagenen Einschränkungen hinsichtlich der späteren Dienst- bzw. gesellschaftlichen Stellung würden, so der Minister, alsbald ihre Bedeutung verlieren. Folglich würde das Diplom diesen Personen nicht nur den Weg als Lehrer in armenische Schulen, sondern auch in den Staatsdienst ebnen. Wäre die Bedeutung dieser Einschränkungen einmal verloren, würde dies die reichen Armenier dazu veranlassen, noch mehr Seminare zu eröffnen und Kinder aller gesellschaftlichen Schichten an russländische Hochschulen zu schicken. Damit würde auch die Hoffnung auf eine im Kaukasus »gegenwärtig hitzig diskutierte« Eröffnung einer Universität in Tiflis genährt. Alsbald würden dort unzählige Lehranstalten eröffnet werden, für deren Absolventen, obgleich sie ihre Ausbildung nicht nach einem autorisierten Lehrprogramm und in ihrer eigenen Sprache erhalten hätten, die russländischen Hochschulen offenständen. An diesem Vorbild würden sich sogleich die Adelsgymnasien in den baltischen Regionen orientieren, die mit jedem staatlichen Programm einverstanden wären, wenn dieses nur auf Deutsch wäre. Solche Privilegien würden dann auch die vom polnischen und georgischen Adel unterstützten Gymnasien für sich beanspruchen.60 Es ist zweifellos wichtig, in der für die armenischen Seminare auszuarbeitenden Položenie das Fundament für eine strikte Trennung der Ausbildung zunächst in den Mittelschulen, dann aber auch in den Hochschulen nach den Nationalitäten zu legen. Sofern dies den staatlichen Interessen entspricht, sollte man die russischen Hochschulen erst einmal für Russen und für diejenigen, die russische Gymnasien absolviert haben, vorbehalten. […] Die Möglichkeit, alle Armenier zum Hochschulstudium 57 58 59 60

Ebd., Bl. 13–14. Ebd., Bl. 14. Ebd., Bl. 15–16. Ebd., Bl. 16.

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zuzulassen, finde ich gefährlich und den staatlichen Interessen im Allgemeinen und den Interessen der russischen Bildungspolitik im Einzelnen nicht entsprechend.61

Somit blieb der Zugang der Absolventen armenischer geistlicher Seminare und der Akademie zu den russländischen Hochschulen weiterhin problematisch. Selbst der Erlass von 1906, der die Absolventen geistlicher Seminare zum Hochschulstudium zuließ, änderte an dieser Situation nichts. Denn diese Regelung bezog sich, wie im ersten Abschnitt des entsprechenden Rundschreibens vom 30. Juni angemerkt wurde, nur auf die orthodoxen Seminare.62 So wies das Ministerium für Volksaufklärung den Kurator des St. Petersburger Lehrbezirks darauf hin, dass die Absolventen der Gevorgian-Akademie und des Nersesian-Seminars in Tiflis nicht unter diese Regelung fielen. Selbst Personen, die den kompletten Kurs der erwähnten Lehranstalten absolviert hätten, könnten nicht von diesem Erlass profitieren.63 Bemerkenswert ist die Antwort des Rektors der St. Petersburger Universität auf die verordnete Ablehnung von Absolventen armenischer geistlicher Seminare an russländischen Hochschulen. In einem ausführlichen Schreiben schilderte Ivan Ivanovič Borgman die Lage an den armenischen geistlichen Seminaren, vor allem an der Akademie in Ēǰmiaċin, im Nersesian-Seminar in Tiflis und im Seminar in Naxiǰevan am Don, wobei er sich auf die Analyse von Nikolai Marr64, einem Kenner der armenischen Bildungssituation, stützte. Demnach war das Lehrprogramm armenischer Seminare in den allgemeinen Studienfächern keinesfalls schlechter als das in den orthodoxen. Der einzige Unterschied zwischen den orthodoxen und den armenischen Seminaren bestand in den Augen des Rektors darin, dass die klassischen Sprachen an den letzteren nicht unterrichtet wurden. Dies werde jedoch durch den Unterricht der altarmenischen Sprache und Literatur kompensiert. Der Unterricht der modernen Sprachen hingegen befände sich in den armenischen Seminaren auf höchstem Niveau; die Absolventen des Nersesian-Seminars würden ausgezeichnet Französisch und die der Gevorgian-Akademie Deutsch beherrschen. Als Besonderheit des Lehrprogramms hob Borgman den Pädagogik- und Psycho­logieunterricht in den höheren Klassen hervor  – entsprechend dem 61 Ebd. 62 CGIA . Fond 139, op. 1, d. 10511, Bl. 21. 63 Ebd. 64 Nikolai Marr (1865–1934) war ein georgischer Orientalist, Sprachwissenschaftler und Archäologe. Er hatte die Universität in St. Petersburg absolviert, ab 1911 war er Dekan der Fakultät für Orientalistik und ab 1912 Mitglied der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften. Marr hatte grundlegende Forschungen im Bereich der altarmenischen und -georgischen Literatur vorgelegt sowie fundamentale archäologische Untersuchungen in den Städten Ani und Van durchgeführt. Golubeva, Ol’ga D.: N. Ja. Marr. Sankt-Peterburg 2002.

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Ziel, Lehrer für armenische Schulen vorzubereiten –, hinter dem die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer zurücktraten. Doch auch diese, so Borgman, wurden an den armenischen Seminaren in einem größeren Umfang unterrichtet als an den orthodoxen.65 Auch das Unterrichtsniveau hielt er für ausgezeichnet, da alle Lehrer Absolventen russischer bzw. europäischer Universitäten seien. Als Beweis dafür nannte er die Tatsache, dass die Armenier unter den »armenisch-georgischtata­rischen« Gasthörern an den russländischen Universitäten die größte Gruppe bildeten.66 Viele von ihnen seien so gut vorbereitet, dass sie nach einiger Vorarbeit Reifeprüfungen in den klassischen Sprachen ablegen konnten. Da ihnen der Zugang zu den russländischen Hochschulen aber trotzdem oft verwehrt blieb, würden sie nach Westeuropa, vor allem nach Deutschland gehen. Dies waren junge Menschen, so Borgman, die später an den französischen und deutschen Hochschulen Dutzende wertvolle wissenschaftliche Arbeiten verfassten: Es können keine Zweifel daran bestehen, dass die zusätzlichen Hindernisse für die Absolventen armenischer Seminare bei der Immatrikulation an den russischen Hochschulen bedeuten, dem Zustrom junger Kräfte aus den armenischen Schulen nach Westeuropa, vor allem nach Deutschland beizutragen. Das schadet dem Einfluss heimischer Universitäten erheblich und behindert nachhaltig die Durchsetzung der russischen Bildung im Kaukasus.67

Im Grunde genommen machten hohe Beamte die staatliche Politik dafür verantwortlich, dass wichtiges Potenzial im Kaukasus nicht erkannt wurde und akademische Leistungen den europäischen anstelle von russländischen Universitäten zugutekamen. Angesichts dieser schwierigen Bildungssituation im Kaukasus ist es erstaunlich, dass von den lokalen Intellektuellen nur wenige Vorstöße unternommen wurden, dort eine Universität zu begründen. Dennoch wurde das Thema in den politischen und akademischen Debatten vor Ort wie auch im imperialen Zentrum immer wieder aufgegriffen. Ab den 1880er Jahren war diese Frage Gegenstand von Diskussionen in der Stadtadministration in Tiflis, die sogar angekündigt hatte, vom Stadtbudget jährlich 10.000 Rubel einzusparen und diese Summe nebst einem Grundstück der zu gründenden Universität zur Verfügung zu stellen.68 1894 wurde das Anliegen dem Landwirtschaftsminister Aleksej Jermolov während seines Besuchs im Kaukasus angetragen, wobei zu dieser Gelegenheit nicht mehr von einer Universität, sondern von 65 CGIA . Fond 139, op. 1, d. 10511, Bl. 31–32. 66 Ebd., Bl. 32. 67 Ebd. 68 Murč’. 1907, 1, 65–89, 66.

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einem Polytechnischen Institut mit Abteilungen für Wirtschaft und Bergbau die Rede war. Aber auch die Gründung eines Polytechnikums im Kaukasus hielt der Minister nicht für notwendig und schlug stattdessen vor, eine landwirtschaftliche Mittelschule zu eröffnen.69 Die Forderung, in Tiflis eine Universität zu gründen, brachte wiederholt Graf Georgij Michailovič Tumanov, Publizist und Abgeordneter der Tifliser Stadtduma vor. So auch im Jahr 1900 aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Eingliederung Georgiens in das Russländische Reich: Die Sonderkommission unter dem Vorsitz des Autors dieser Zeilen ist zum Schluss gekommen, dass ein angemessenes Denkmal zur Würdigung der 100-jährigen russischen Verwaltung im Kaukasus eine Hochschule wäre. Dies würde von den Erfolgen der russischen Kultur im Kaukasus zeugen und wäre ein Beweis des Fortschrittes dieser Region unter russischer Herrschaft.70

Doch der Mangel an Professoren sowie finanzielle Schwierigkeiten verhinderten die Gründung einer Universität, von der die kaukasische Intelligenzija laut Tumanov schon lange träumte. Dabei sei diese Region die einzige Peripherie des Reiches, die keine Hochschule habe und zudem unzureichend mit den akademischen Zentren verbunden sei.71 Von staatlicher Seite werde die Notwendigkeit einer Universität im Kaukasus und deren Rolle bei der Entwicklung der »Kaukasiologie« verkannt, aber auch die privaten Geldgeber seien für eine Hochschule mit rein wissenschaftlicher Ausrichtung nicht zu gewinnen. Viel eher könnte ein Polytechnikum, das notwendige Fachleute für die Industrie, den Handel und die Landwirtschaft ausbilden würde, finanzielle Unterstützung finden.72 Im September und Oktober 1906 fanden in Lesno und St. Petersburg Besprechungen über die Eröffnung einer Universität im Kaukasus statt, deren Initiator wiederum Tumanov war. Beide Treffen leitete Alexander Sergejevič Posnikov, Dekan der Wirtschaftsabteilung des St. Petersburger Polytechnischen Instituts. Anwesend waren außerdem weitere Professoren des Instituts, Mitarbeiter der Stadtadministration in Tiflis und Vertreter der einflussreichen Großunternehmen im Kaukasus. Neben dem Finanzierungsproblem sorgte vor allem die Frage für Diskussionen, ob für die wirtschaftliche Entwicklung des Kaukasus eine theoretische universitäre oder eher eine praktische Fachausbildung dringlicher sei. Doch unabhängig davon, so der Professor des St. Petersburger Polytechnikums Sergej I. Družinin, war eine Hochschule in einer Region mit »9. Millionen Bevölkerung« unverzichtbar. Zum einen soll69 Ebd. 70 Tumanov, G. M.: Zametki o gorodskom samoupravlenii na Kavkaze [Anmerkungen zur städtischen Selbstverwaltung im Kaukasus]. Tiflis 1902, 70. 71 Ebd., 66. 72 Murč’. 1907, 1, 65–89, 68 f.

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ten die jungen Menschen die Möglichkeit haben, in der eigenen Heimat eine Hochschulbildung zu erhalten. Zum anderen würde so eine Lehranstalt, in der Vertreter aller Nationalitäten des Kaukasus studieren könnten, nicht nur zur Entstehung gebildeter Eliten beitragen, sondern auch dem zwischenethnischen Hass entgegenwirken.73 Die Haltung der armenischen Intelligenzija in dieser Frage war gespalten: Die Gründung einer Universität bzw. eines Polytechnikums im Kaukasus hielten viele für unverzichtbar, dagegen betonte Grigor Arċruni74, einer der bedeutendsten armenischen Publizisten seiner Zeit, immer wieder die Notwendigkeit, der armenischen Jugend eine Ausbildung an europäischen Universitäten, fern der angenommenen Rückständigkeit der kaukasischen Gesellschaft zu ermöglichen. Die »erste Generation« armenischer Studenten sollte demnach an deutschen bzw. europäischen Hochschulen ausgebildet werden. Erst nach ihrer Rückkehr könne man über die Reformierung des Bildungssystems bzw. die Gründung eigener Hochschulen nachdenken.75 Der armenische Faktor wurde von den Gegnern dieses Projekts mitun­ ter aufgenommen und instrumentalisiert. So argumentierte Vasilij L’vovič Veličko, Publizist und Vertreter der monarchistisch-nationalistischen Organisation »Schwarze Hundertschaften«, dass sich eine Hochschule in Tiflis binnen weniger Monate in eine armenische Universität verwandeln würde.76 In der Zeitung Kavkas plädierte er für die Gründung einer Hochschule in Vladikavkaz, da dort Vertreter aller Nationalitäten des Reiches studieren könnten, während eine Universität in Tiflis vor allem den Armeniern zugutekäme.77 Gegen diese Behauptung führte Tumanov das Argument ins Feld, die Ar­menier hätten den geringsten Bedarf an einer Hochschule im Kaukasus, schickten doch die reichen Armenier ihre Söhne ohnehin an russländische Universitäten oder ins Ausland. Auch diejenigen, die finanziell schlechter aufgestellt seien, profitierten von Spenden ihrer reichen Landsleute, während 73 Ebd., 77 f. 74 Grigor Arċruni (1845–1892) war ein bekannter armenischer Publizist, Begründer und Herausgeber der Zeitung Mšak (Der Bauer). Er studierte zunächst in Moskau und St. Petersburg, ging jedoch 1866 krankheitsbedingt nach Europa. 1867 hörte er als Gaststudent einige Vorlesungen in Genf und Zürich und immatrikulierte sich im selben Jahr an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg, die er 1869 absolvierte. Seine liberalen Ansichten vertrat er nicht nur im Mšak, sondern schrieb auch für andere armenische Zeitungen und gehörte zu den Vorreitern der armenischen Modernisierungsbewegung um die Jahrhundertwende. Vgl. Leo: Grigor Arċruni. Band 1. Tiflis 1902; Yericeanc, A.: Grigor Arċrunu ev nra k’sanẹ hing tarvay grakan gorċuneut’ean aṙit’ov (1865–1890) [Anlässlich der 25-jährigen literarischen Tätigkeit von Grigor Arċruni (1865–1890)]. Tiflis 1890. 75 Haykakan Ašxarh. 4 (1868), 6/7, 194–200. 76 Tumanov: Zametki, 74 sowie 84 f. 77 Ebd., 74.

Die Bildungssituation der Armenier in Transkaukasien 

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Russen, Georgier und andere Nationalitäten im Kaukasus, die nicht über solche Möglichkeiten verfügten, keine Chance auf eine Hochschulbildung hätten.78 Trotz aller Initiativen blieb die staatliche Sicht auf die Universitätsgründung im Kaukasus bis zum Zerfall des Zarenreichs unverändert, was nicht nur mit finanziellen und personellen Schwierigkeiten zusammenhing. Die Gründung von Hochschulen an der Peripherie des Reiches wurde auch deshalb als gefährlich eingeschätzt, weil eine solche Institution als Katalysator nationaler Aspirationen galt. Doch eine Hochschule im Kaukasus würde die staatliche Russifizierungspolitik, so Tumanov, keinesfalls bremsen. Ganz im Gegenteil, ein zu erwartender Zustrom russischer Professoren und Studenten würde die Verbreitung der Bildung und damit auch der russischen Sprache eher begünstigen.79 2.1.2 Zwischenfazit

Die Bildungssituation im Kaukasus blieb im Laufe des 19. Jahrhunderts und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs höchst problematisch, und Bemühungen, sie zu verbessern, gerieten immer wieder in Konflikt mit imperialen Interessen. Für die aufsteigende armenische Bildungselite bot die akademische Migration an europäische Universitäten daher die Möglichkeit, einen Hochschulabschluss jenseits der politischen Turbulenzen in ihrer Heimat zu erlangen. Zwar war ihre Zahl auch an russländischen Universitäten nicht unerheblich, doch die »massenhafte« Aufnahme junger Menschen aus dem Kaukasus an imperiale Hochschulen war wie gezeigt nicht vorgesehen. Andererseits wurde aber auch das Auslandsstudium, das eine mittelbare Folge dieser Politik war, aus Sicht des Zentrums als hochgradig suspekt empfunden. Denn die nationalen Bildungseliten gingen von der Peripherie des Reiches an westeuropäische Universitäten und studierten dort, wie Stolypin dies für Deutschland beklagte, in einer dem Russländischen Staat gegenüber feindlichen Atmosphäre. Dies konnte den staatlichen Interessen kaum entsprechen, zumal sich eben nicht garantieren ließ, dass die Auslandserfahrungen dem Imperium tatsächlich zugutekommen würden. Trotz dieser Sachlage stand die wissenschaftliche Erschließung des wachsenden Imperiums durchaus auf der Tagesordnung staatlicher Politik, womit nicht zuletzt die möglichst effiziente ökonomische Nutzung dieser Region erreicht werden sollte. So erlebte auch die russländische Orientalistik ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Aufschwung. 78 Ebd., 76 f. 79 Ebd., 77.

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Die regelmäßigen Expeditionen der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften hatten sowohl die geographische Erforschung dieser Region als auch geschichtswissenschaftliche und philologische Studien zum Ziel. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts erschienen zahlreiche Artikel über die armenische und die georgische Geschichte, Geographie, Sprache und historische Quellen in russischen wissenschaftlichen Periodika, etwa in den Zeitschriften des Innenministeriums und des Ministeriums für Volksaufklärung, in den Monatsschriften Sovremennik (Zeitgenosse), Biblioteka dlja čtenija (Bibliothek für das Lesen), aber auch an der Peripherie, etwa in Kavkaz, Kavkazskoe obozrenie (Die Kaukasische Revue), Kavkazskij Kraj (Die Kaukasus-Region) usw.80 Mit der Gründung entsprechender Lehrstühle erhielt die Orientalistik eine solide Grundlage, was zahlreiche europäische Orientalisten nach Russland zog, die hier bessere Voraussetzungen für die Erforschung der armenischen und georgischen historisch-philologischen Studien sahen als in ihrer Heimat.81 Darüber, dass die wissenschaftliche Erforschung nicht ohne die Beteiligung von Experten aus der Region gelingen würde, waren sich die meisten Orientalisten einig. Nikolai Marr war der Meinung, dass der Staat gegenüber der Vergangenheit der Völker, die nun innerhalb der Grenzen des Reiches lebten, nicht gleichgültig sein dürfe. Mehr noch, es sei eine Ehrensache für das Imperium, eine führende Rolle in der wissenschaftlichen Erschließung zumindest jener orientalischen Regionen zu übernehmen, die einen Teil des Russländischen Reiches bildeten.82 Die sich etablierende Erforschung der kaukasischen Region bereitete den Boden für die ersten wissenschaftlichen Kontakte der Armenier mit der europäischen Wissenschaft und begünstigte das Auslandsstudium zusätzlich. An dieser Forschung beteiligte sich die aus Dorpat zurückgekehrte erste Generation armenischer Wissenschaftler, wie etwa Step’anos Nazarian oder K’erovbe Patkanian83, die sich um den Aufbau der russländischen Orientalistik verdient machten. Sie brachten aber zunehmend auch ihre eigenen Frage­stellungen und Zielsetzungen in die Wissenschaft ein, indem sie die Übernahme europäischer wissenschaftlicher Konzeptionen durchaus auch aus einer nationalen Perspektive betrachteten, was mit den vom Zentrum ausgehenden Konzepten nicht unbedingt im Einklang stand. 80 Vgl. Akopyan, Eduard: Armenovedenie v Rossii. Voprosy filologii [Armenologie in Russland. Fragen der Philologie]. Jerewan 1988, 42. 81 Ebd., 85 f. 82 Ebd., 226 f. 83 K’erovbe Patkanian (1833–1889) war ein armenischer Orientalist und Publizist. Er studierte zunächst im Lazarev-Institut in Moskau, dann an den Universitäten in Dorpat und St. Petersburg. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität in St. Petersburg publizierte er zahlreiche Untersuchungen über die armenische Sprache und Literatur. Vgl. Ōv ōv ē. Band 2, 311.

Deutsch-armenische Kulturbeziehungen und die akademische Migration 

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2.2 Deutsch-armenische Kulturbeziehungen und die akademische Migration Die Zeit um die Jahrhundertwende gilt als Periode reger deutsch-armenischer Kontakte im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich. Diese Auffassung vertraten bereits zeitgenössische Akteure auf beiden Seiten, sie hat sich aber auch in der historischen Forschung etabliert.84 Besonders deutlich zeigte sich der Bezug zu Deutschland einerseits in der Reformbewegung der armenischen Kirche, andererseits in den Debatten über die Modernisierung des Bildungssystems. Auch die Präsenz armenischer Studenten in Deutschland wurde oft mit jenen wissenschaftlichen Vorzügen verbunden, die ein Hochschulstudium in Deutschland bot: Von Etschmiadzin aus, dem Zentrum der armenischen Kirche und dem Wohnsitze des Kathołikos, ist nun die Bereicherung Armeniens durch deutsches Geistesleben immer mehr erfolgt. Von hier aus wurden in wachsendem Maße auch Studenten auf deutsche Hochschulen geschickt, aus der Überzeugung heraus, dass die deutsche Hochschulwissenschaft allen anderen überlegen sei.85

Auch dem Einfluss des »deutschen Geistes« auf die Armenier und deren Affinität zur deutschen Kultur und Sprache wurde allgemein große Bedeutung beigemessen. So blickte Artašes Abełian im Mitteilungsblatt der DeutschArme­nischen Gesellschaft auf das 19. Jahrhundert als eine Zeit zurück, in der die Grundlagen für die große kulturelle Nähe gelegt wurden: Dem 19. Jahrhundert war es jedoch beschieden, die wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Armenien zu vertiefen und außerordentlich zu befruchten. Das geschah auf einem doppelten Wege: einmal durch die Pflege der armenischen Studien in Deutschland, zum zweiten aber durch die Pflege der deutschen Sprache und der deutschen Kultur in Armenien selbst.86

84 Zu den deutsch-armenischen Beziehungen siehe exemplarisch Feigel, Uwe: Das evangelische Deutschland und Armenien. Die Armenierhilfe deutscher evangelischer Christen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Kontext der deutsch-türkischen Beziehungen. Göttingen 1989; Froundjian, Dirajr: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen. In: Deutsche Kultur im Leben der Völker. Mitteilungen der Deutschen Akademie. 1 (1942), 101–113; Stier: Die deutsch-armenischen Kulturbeziehungen; Ders.: Die Armenier und die europäische Kultur. In: Noris. Jahrbuch für protestantische Kultur. 1914, 38–54; Rohrbach, Paul: Vom Kaukasus zum Mittelmeer. Eine Hochzeits- und Studienreise durch Armenien. Leipzig u. a. 1903; Ders.: Deutschland unter den Armeniern. In: Preußische Jahrbücher. 96 (1899), 308–328. 85 Stier: Die Deutsch-armenischen Kulturbeziehungen, 27. 86 Abeghjan: Deutschland und Armenien, 7.

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Die Gründe für die akademische Migration der Armenier nach Deutschland wurden aber auch in anderen Faktoren gesehen. So führt Hermann Goltz den starken Zustrom armenischer Studenten nach Deutschland nicht allein auf den außerordentlich guten Ruf der deutschen Hochschulen zurück. An diese Tendenz seien auch politische Hoffnungen auf eine engere armenisch-deutsche Verbindung geknüpft gewesen.87 Der These einer intensiven deutsch-armenischen Zusammenarbeit ist freilich mit Vorsicht zu begegnen. Es bestehen keine Zweifel daran, dass nicht nur in der Theologie und Bildung, sondern auch in anderen Bereichen das deutsche Beispiel als vorbildlich galt und nachgeahmt wurde. Auch existierte in Deutschland ein von der evangelischen Hilfsarbeit angestoßenes humanitäres Interesse an christlichen Armeniern, und viele ehemalige Studenten deutscher Hochschulen unterhielten noch Jahrzehnte nach ihrer Rückkehr Kontakte zu ihren akademischen Lehrern. Doch diese Beziehungen blieben in der Regel auf der Ebene des persönlichen Austausches. Handelte es sich um bedeutende Akteure, riefen sie mitunter eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit für bestimmte Themen hervor. Anschauliches Beispiel dafür waren die akademischen Kontakte etwa von Karapet Ter-Mkrtčian oder Ervand Ter-Minassian zu Deutschland, die noch lange Jahre nach dem Studium fortwährten. Doch ergab sich daraus kein breiteres gesellschaftliches Interesse. Unterschiedliche Intensität hatten die deutsch-armenischen Beziehungen zudem in den beiden Teilen der armenischen Gesellschaft, im Russländischen und im Osmanischen Reich. Der armenische Publizist Rouben Darbinian88 hob die Tatsache hervor, dass von den beiden Teilen des armenischen Volkes die Russlandarmenier engere Beziehungen zu Deutschland pflegten und deswegen eine bessere Vorstellung von der deutschen Kultur gewinnen konnten als die Türkeiarmenier: Man sollte nur erwähnen, dass die Pioniere der armenischen Literatur und Publizistik, vor allem Xačatur Abovian89 und Grigor Arċruni, Träger der deutschen Kultur 87 Goltz, Hermann: Der Ararat kam zu Loofs. Dokumente und Reflexionen. In: Ulrich, Jörg (Hg.): Friedrich Loofs in Halle. Berlin u. a. 2010, 185–234, 200. 88 Rouben Darbinian (Artašes Čilinkarian, 1883–1968) war ein bekannter armenischer Publi­zist und Politiker. Er hatte nach dem Abschluss eines russischen Gymnasiums in Tiflis in Heidelberg und München studiert und schrieb für mehrere armenische Zeitschriften und Zeitungen. Wegen der politischen Verfolgungen im Russländischen Reich ließ er sich 1913 in Deutschland nieder, wo er den Decknamen Rouben Darbinian annahm. In Berlin beteiligte er sich an der Gründung der »Deutsch-Armenischen Gesellschaft«. Ab 1920 war er Justizminister der Ersten Armenischen Republik, 1921 wurde er verhaftet und verbrachte einige Monate im Gefängnis. Nach der Niederlage des Aufstands im Februar 1921 emigrierte Darbinian in die USA , wo er die Zeitschrift Hayrenik’ (Die Heimat) herausgab. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 345. 89 Siehe Kapitel 3.1.

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waren. Erwähnt werden sollte auch, dass einige Generationen der Russlandarmenier – auch Geistliche – in Deutschland ihre Hochschulausbildung bekamen.90

Während also die oben geschilderten Entwicklungen in Russland den Boden für deutsch-armenische kulturwissenschaftliche Begegnungen bereiteten, war dieser im Osmanischen Reich den machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen des Deutschen Reiches untergeordnet. Mit diesem Sachverhalt wurde auch die These begründet, armenische Staatsbürger des Osmanischen Reiches seien an deutschen Hochschulen eine Seltenheit gewesen. Als Grund dafür wurde in der armenischen Presse das Bündnis zwischen dem deutschen Kaiser und dem türkischen Sultan angeführt, das Deutschland in den Augen der im Osmanischen Reich verfolgten Armenier ebenfalls zum Feind machte: […] es ist wahrlich sehr unangenehm, dass die in der Türkei lebenden Deutschen sich im Hass gegenüber den Armeniern mit den Türken messen. […] da war es nur natürlich, dass die Armenier, aber auch die Jungtürken, Deutschland nur noch als den Verbündeten ihres Peinigers91 wahrnehmen mussten.92

Nicht nur die deutsche Politik, sondern auch die öffentliche Meinung sollte für die Probleme der christlichen Minderheiten im Orient sensibilisiert werden, was im Mittelpunkt des Engagements deutscher Hilfsorganisationen stand. In Deutschland herrschte eine gespaltene Meinung über die Armenier: Dem Bild der im Osmanischen Reich verfolgten und im Zarenreich von der Russifizierungspolitik bedrohten christlichen Minderheit standen Vorurteile über die »besondere Geschäftstüchtigkeit« armenischer Kaufleute gegenüber.93 Gravierender war jedoch die nicht zuletzt von der Presse verbreitete Meinung über die »rebellierenden« Armenier im Osmanischen Reich, deren Unterstützung dem Ansehen der deutschen Außenpolitik erheblichen Schaden zufügen würde.94 Bemerkenswert ist, dass ein offenes Engagement des Deutschen Reiches zugunsten der christlichen Untertanen des Sultans nicht nur als christliche, sondern auch als politische Pflicht einer Weltmacht dargestellt wurde. Diese Erwartungshaltung war vor allem unter jenen Armeniern stärker vertreten, die in Deutschland studiert hatten. In einem an Martin Rade gerichteten Schreiben beklagte Karapet Ter-Mkrtčian die Massaker an den christlichen 90 Darbinian, Rouben: Aknarkner žamanakakic Germanio vray [Bemerkungen zum zeitgenössischen Deutschland]. In: Mesrop. 1 (1914), 24–29, 25. 91 Gemeint war der Sultan Abdul Hamid II . 92 Horizon. 2 (1910), 197, 1. 93 Vgl. Saupp, Norbert: Die Armenische Frage im Brennpunkt der deutschen Türkeipolitik 1878–1913. In: Armenien. Geschichte und Gegenwart in schwierigem Umfeld. Frankfurt am Main 1998, 7–19, 9. 94 Ebd., 9 f.

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Armeniern im Osmanischen Reich und drückte seine Erbitterung über das tatenlose Zusehen Europas, Deutschlands und der gesamten christlichen Welt aus: Oft ist an mich in dem Kreis der Freunde die sarkastische Frage gestellt worden: nun, wo sind deine edlen, ideal gesinnten Deutschen? Und ich musste mich selber bangig fragen: Wird denn in diesem Lande, wo ich so viele hochgesinnte Geister, so sehr tieffühlendes Gemüt, solch ein echtes Christentum getroffen habe, niemand sich finden, kein Mann, keine Gesellschaft, keine Institution, die, trotz aller Politik und aller inneren Frage und Unruhen, wenigstens ihre Entrüstung über das unschuldige Hinschlachten der Christen kundgeben wollten?95

In der armenischen Presse wurde außerdem auf den großen Einfluss verwiesen, den das deutsche akademische Leben auf die armenische Gesellschaft hatte. Auch daraus wurde eine gewisse Verpflichtung Deutschlands abgeleitet: […] noch vor zwei Jahrzehnten war unter der armenischen Intelligenz eine tiefe Zuneigung gegenüber Deutschland bemerkbar. Die deutschen Universitäten und die deutsche Wissenschaft waren hochgeschätzt, und viele Bücher wurden aus dem Deutschen ins Armenische übersetzt. Umso schmerzlicher ist es, dass die deutsche Presse und die deutschen Schriftsteller sich ausnahmslos auf die Seite des blutigen Sultans stellen. Es würde der deutschen Presse nicht schaden, die Situation in der Türkei besser zu studieren sowie sich etwas mehr für die Armenier zu interessieren.96

Doch auch ohne einen breiten politischen oder gesellschaftlichen Rückhalt entwickelte sich in Deutschland ein Unterstützerkreis für Armenier, der im Rahmen humanitärer Hilfe, aber auch aus akademischem Interesse agierte. Dieser Bewegung gehörten solch prominente Vertreter des deutschen Protestantismus an wie Johannes Lepsius, Adolf von Harnack, Friedrich Loofs, Paul Rohrbach, Martin Rade und viele andere. Und gerade ihnen ging es nicht allein um humanitäre Hilfe. Sie hielten es darüber hinaus für notwendig, den Armeniern etwa durch bessere Bildungsmöglichkeiten für die junge Generation zu helfen. Daher verwundert die Tatsache nicht weiter, dass die Betreuung armenischer Studenten in Deutschland einen wichtigen Teil dieser Hilfsarbeit ausmachte. Mehr noch, Paul Rohrbach begründete sein Plädoyer für eine deutsche Intervention zugunsten der im Osmanischen Reich lebenden Armenier neben den wirtschaftlichen Interessen des Deutschen Reiches, mit den Eisenbahnbauten und Militärmissionen, auch mit der Pflege geistiger Beziehungen und der Kulturarbeit. Beabsichtigt sei damit die »innere Kräftigung« der

95 Die Christliche Welt (im Folgenden ChW). 10 (1896), Sp. 243. Zum Hintergrund dieses Schreibens siehe außerdem Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 59 f. 96 Horizon. 2 (1910), 197, 1.

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türkischen Verhältnisse mit Hilfe der deutschen Wissenschaft und Bildung. Dafür seien die Armenier, so Rohrbach, unentbehrlich, denn mehr als bei allen anderen Völkern des Orients könne man bei Armeniern die Bereitschaft feststellen, mit deutscher Hilfe und auf deutschen Schulen und Universitäten Bildung zu erlangen. Diese Ansätze sollten gepflegt und erweitert werden.97 Sein Argument, gerade die Armenier hätten das Potenzial, im Orient Kulturarbeit zu leisten, unterstrich Rohrbach mit dem Hinweis auf armenische Bildungsanstalten und die hohe Zahl von Schülern und Lehrern »beiden Geschlechts« im Osmanischen wie im Russländischen Reich: Heute studiert auf den russischen Universitäten ein ganz unglaublich hoher Prozentsatz von Armeniern, mehrere tausend. In Deutschland gibt es auf Universitäten, Akademien, technischen Hochschulen, Konservatorien usw. schätzungsweise etwa 150 Armenier, in der Schweiz 200, in Frankreich 500 (!). Auch England, Italien, Österreich und Amerika haben zahlreiche studierende Armenier.98

Mit einer stärkeren Präsenz der Deutschen im kulturellen Leben des Osmanischen Reiches argumentierte auch Ewald Stier und wies zudem auf die massive französische »Konkurrenz« und den Einfluss der französischen Bildung auf die dort lebenden Armenier hin: Was hätte es bedeutet, wenn auch in der Türkei die deutsche Sprache eine ähn­ liche Verbreitung hätte finden und dem Französischen Konkurrenz machen können? Frankreich besaß in der Türkei 800 Schulen, teils Missionsschulen, teils solche der Mission Laїque, und subventionierte jede Schule, die Französisch als Lehrfach einführte.99

Der französischen Sprache und dem Studium junger Armenier in Frankreich und in der französischsprachigen Schweiz maß Stier für die westarmenische Gesellschaft die gleiche Bedeutung zu, wie sie die deutschen Universitäten für die Armenier aus dem Kaukasus hätten.100 Doch trotz dieser Einschätzung gab es bereits ab den 1860er Jahren vereinzelte akademische Kontakte zwischen deutschen evangelischen Theologen und Armeniern im Osmanischen Reich. 1860 bildete sich in Berlin der »Verein für die protestantischen Armenier«, dessen Ziel es laut Statut war, junge protestantische Armenier in Deutschland für das Predigt- und Schulamt für ihre heimische Kirche auszubilden und zugleich der armenisch-protestan­ tischen Gemeinde in Konstantinopel den Bau einer eigenen Kirche zu ermög97 Vgl. Rohrbach, Paul: Die Armenier als politischer und kultureller Faktor im Orient. In: Mesrop. 1 (1914), 1–11, 11. 98 Ebd., 11. 99 Stier: Warum Deutsch-Armenische Gesellschaft?, 3 (19). 100 Ebd.

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lichen.101 Genau zu diesem Zweck kam der Leiter dieser Gemeinde Simon Xačaturian nach Berlin, wo er an der Versammlung der evangelischen Allianz teilnahm. Begleitet wurde er von zwei jungen Männern, für die er eine Ausbildung zu evangelischen Lehrern und Predigern in Deutschland erhoffte.102 Dies gab den Anstoß zu einer Spendensammlung, an der sich verschiedene Akteure, darunter der Verein für die protestantischen Armenier, »Comité für den armenisch-evangelischen Kirchenbau und die Bildung armenisch-­ evangelischer Prediger in Deutschland« sowie der »Deutsche Zweig des Evangelischen Bundes« beteiligten. Unter anderem sollte dadurch das Studium armenischer Theologen in Deutschland unterstützt werden.103 In der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung wurde 1860 ein entsprechender Aufruf ver­ öffentlicht, in dem es unter anderem hieß: Die armenisch-evangelische Gemeinde zu Konstantinopel hat mit ihrem Pastor Simon Utujian, der die letzten Wochen unter uns wirkte, auch zwei evangelisch gläubige, begabte Jünglinge gesendet, welche sie zum Predigtamt unter den Armeniern an einer deutschen Universität gebildet zu sehen wünscht und hat auch damit auf unsre Liebe und Theilnahme gerechnet.104

Im Jahr 1862 wurde erneut ein Aufruf um finanzielle Unterstützung veröffentlicht mit dem Verweis darauf, dass den Armeniern »nichts mehr Noth thut, als europäische Bildung«.105 Die Förderung, die die Mechitaristen in Venedig, Padua, Wien und Paris von der katholischen Kirche erfuhren, erwarteten die protestantischen Armenier vom evangelischen Deutschland.106 Ein Ergebnis dieser Bemühungen war tatsächlich das Studium einiger Armenier in Deutschland, zu denen Tigran Assadurian gehörte. Von 1863 bis 1865 studierte er an der Theologischen Fakultät der Universität Berlin. Ein weiterer Armenier, der noch lange Jahre nach seinem Studium Kontakte zu den evangelischen Kreisen in Deutschland bewahrte, war Łazaros Čop’urian. Ab 1860 besuchte er das Schullehrerseminar in Berlin, das er im Jahr 1864 absolvierte. In Istanbul gründete er 1868 seine eigene Schule, die jedoch bald 101 Pischon, Carl Nathanael: Die protestantischen Armenier und ihre Bitte an das evange­ lische Deutschland. Ein Beitrag zur Orientierung über Orientalische Kirchenverhältnisse. Berlin 1863, 77. 102 Pfeiffer, Ernst: Die Armenier in der Türkei. Ihre Erleuchtung, Noth und Hoffnung. Berlin 1863, 52. 103 Ausführlicher dazu siehe Gazer, Hacik Rafi: Der Beitrag von preußischen Gelehrten, Geistlichen und Gemeinden zur Förderung der protestantisch-armenischen Gemeinde in Konstantinopel. In: Flogaus, Reinhard / Wasmuth, Jennifer (Hg.): Orthodoxie im Dialog. Historische und aktuelle Perspektiven. Festschrift für Heinz Ohme. Berlin 2015, 43–58. 104 Neue Evangelische Kirchenzeitung. 2 (1860), 26, Sp. 401–403. 105 Ebd., 4 (1862), Sp. 309. 106 Ebd.

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einem Brand zum Opfer fiel. Obgleich dies für Čop’urian auch persönliche Verluste bedeutete, konnte er 1872 mit deutscher Unterstützung eine neue Schule eröffnen.107 Auch seitens armenischer Lehranstalten gab es Bemühungen, ihre Absolventen zum Studium nach Deutschland zu schicken. Das bekannteste Beispiel war wohl das oben bereits erwähnte Perperian-Gymnasium, dessen Begründer der Schriftsteller, Pädagoge und Publizist Rethäos Perperian (1848–1907) nach Kräften das Weiterstudium der Absolventen dieses Gymnasiums in Deutschland förderte. In diesem Sinne wirkte auch die vom wohlhabenden Armenier Mkrtič Sanassarian (1818–1889) gegründete Sanassarian-Schule in Erzurum. Noch vor der Eröffnung der Schule schickte Sanassarian den Pädagogen P’ilippos Vardanian (1842–1916) nach Deutschland, der dort studieren und später in seiner Schule wirken sollte.108 Dieselbe Bedingung galt auch für jene »elf begabte junge Menschen«, die mit Sanassarians Förderung zum Studium nach Leipzig und Jena109 gingen: Die Schule war ein getreues Abbild einer deutschen Anstalt mit allen Disziplinen, nach Art des Barth’schen Institutes in Leipzig mit einem dreijährigen Seminar. […] Das Ideal dieser Schüler war, auf deutschen Hochschulen zu studieren, und viele von ihnen bevölkerten dann die Universitäten in Leipzig, Jena, Bonn, Heidelberg und Berlin. Ein deutscher Arzt, der sechzehn Jahre in der Türkei und unter anderem in Erzurum tätig war, bemerkt (1916) über die Sanassarian-Anstalt: ›Wir Deutschen können stolz darauf sein, im entlegenen Asien eine solche Pflanzstätte deutschen Geistes zu besitzen‹, und die Zeitung, die diese Ausführungen bringt, fügt hinzu: ›Die leitenden Professoren haben ihre Erziehung und Bildung in Deutschland genossen, so dass diese urarmenische Anstalt tatsächlich in deutschem Sinne wirkt‹.110

Ungeachtet der beschriebenen Beispiele galt das Osmanische Reich dennoch als »traditionelle französische Einflusszone«, in der sich der deutsche kulturelle Einfluss erst noch etablieren sollte. So kommt auch der armenische Historiker Vahe Oshagan zu der Schlussfolgerung, dass im 19. Jahrhundert nirgendwo im Osmanischen Reich eine nennenswerte deutsche kulturelle 107 Gazer: Der Beitrag von preußischen Gelehrten, 54–56. 108 Vardanian absolvierte nach dem Studium noch einige Studienaufenthalte unter anderem an der Sorbonne und arbeitete danach an mehreren armenischen Schulen, etwa der Gevorgian-Akademie, wo er Geschichte, russische Literatur und Deutsch unterrichtete. Vgl. Mkhitaryan, M.: XIX dari erkrord kesi arevelahay parberakan mamuli patmut’yunic (»P’orj«, »Arjagank’«) [Aus der Geschichte der ostarmenischen Presse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (»P’orj«, »Arjagank’«]. Jerewan 1976, 65. 109 Im Jahr 1877 berichtete die Zeitschrift Ararat von fünf weiteren Studenten, die dank Sanassarians Finanzierung an der Jenaer Universität studieren konnten. Vgl. Ararat. 1877, 9, 337–342, 341. 110 Froundjian: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen, 110.

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Präsenz anzutreffen war.111 Die Situation änderte sich jedoch am Anfang des neuen Jahrhunderts maßgeblich. Nach der Jungtürkischen Revolution und den verlorenen Balkankriegen setzten auch dort Modernisierungsprozesse ein, die unter anderem das Bildungswesen betrafen und sich nicht nur an dem deutschen Vorbild orientierten, sondern auch bestimmte Transferprozesse in Gang setzten.112 Im Unterschied zum Osmanischen Reich wurde der deutschen Sprache und Kultur im Kaukasus eine ganz andere Stellung eingeräumt. Gerade das besondere Interesse der Armenier wurde nicht zuletzt auf die wachsende Zahl von Studenten zurückgeführt, die eine deutsche Ausbildung der französischen und selbst der russischen vorzögen und dadurch maßgeblich zur Verbreitung der deutschen Sprache und des deutschen Einflusses unter den Armeniern, aber auch unter den anderen im Kaukasus lebenden Völkern beitrugen. Einzelnen Akteuren, wie etwa Grigor Arċruni, und ihren akademischen Erfahrungen an deutschen Hochschulen wurde dabei ein besonderes Verdienst zugesprochen: Es ist verständlich, dass Arċruni mit seiner wuchtigen Feder stets ein Vorkämpfer der deutschen Kultur und der deutschen Denkart geblieben ist und während seiner zwanzigjährigen publizistischen Tätigkeit nicht nur beim armenischen Volk, sondern im ganzen Kaukasus ein Förderer alles Deutschen wurde.113

Diese »armenische Übermittlung des Deutschen« hoben in zum Teil sehr überspitzten Darstellungen gleich mehrere deutsche Reisende, Wissenschaftler und Mitarbeiter christlich-evangelischer Missionen hervor, die im 19. Jahrhundert immer wieder im Kaukasus verweilten. Bereits in den 1850er Jahren berichtete Prinz Albrecht von Preußen von einem armenischen Geistlichen, einem Absolventen der Dorpater Universität, der in der entlegenen Bergstadt Šuši in Anwesenheit des Prinzen und seiner Gefolgschaft eine »wohlstilisierte Rede in deutscher Sprache« gehalten und die historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Armenien dargelegt habe.114 Einen offensichtlichen Einfluss des »deutschen Geistes« insbesondere auf die Gevorgian-Akademie bezeugte auch der den Armeniern gegenüber ansonsten nicht sonderlich wohlgesinnte Zoologe Wilhelm Petersen in seinem Reisebericht »Aus Transkaukasien und Armenien«. Die Lage in den armenischen Städten und insbesondere im Kloster Ēǰmiaċin schilderte er in einem 111 Oshagan, Vahé: Some Notes on German Influence on Western Armenian Literature in the Nineteenth Century. In: The Armenian Review. 33 (1980), 48–64, 49. 112 Vgl. Gencer, Mustafa: Der Transfer deutschen Bildungswissens in das Osmanische Reich. In: Möller / Wischmeyer (Hg.): Transnationale Bildungsräume, 117–136. 113 Froundjian: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen, 108. 114 Abeghjan: Deutschland und Armenien, 9.

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sehr düsteren Ton. Über seine Begegnung mit den armenischen Lehrern und Studenten an der Akademie schrieb er dennoch: Eine andere Luft wehte uns im Seminar an, das den etwas hochtrabenden Titel einer Akademie führt. Was wir hier an Einrichtungen und Organisation fanden, musste unsere volle Bewunderung erregen, und besonders wohlthuend berührte der Eifer, die Lust und Liebe, mit welcher Lernende und Lehrende an ihre Arbeit zu gehen schienen. Die junge Saat europäischer Kultur und europäischen Geisteslebens, die hier frisch aufkeimte, stand im grellsten Gegensatz zu dem Moderdunst früherer Jahrhunderte, der uns in den Räumen des Klosters umfangen hatte. Unter den Lehrern der Akademie fanden wir sehr angenehme und gebildete Leute, die ihren Posten wohl ganz ausfüllen mochten, und im Kreise derselben verbrachten wir angenehme Stunden. Sogar ein ›deutscher Abend‹ wurde uns zu Ehren arrangiert und hier konnten wir uns wieder von der außerordentlichen Befähigung der Armenier für fremde Sprachen überzeugen.115

Von einer besonderen Stellung der deutschen Sprache im Kaukasus berichtete auch Ewald Stier, der im April 1908 dorthin reiste, um sich über den Stand der armenischen Kirchenreformen ein Bild zu machen und weitere Stipendiaten für das »Notwendige Liebeswerk« zu werben. Während seines Aufenthalts in Täbris, wo sich Karapet Ter-Mkrtčian zu dieser Zeit als Erzbischof aufhielt, gewann Stier sogar den Eindruck, die deutsche Sprache, Wissenschaft und Kultur würden den französischen Einfluss allmählich verdrängen. Diese Entwicklung schrieb er den »jährlich 200 an deutschen Universitäten studieren[den]«116 Armeniern zu: Es wäre sehr gut, wenn man in Deutschland die Armenische Frage auch einmal unter diesem Gesichtspunkte betrachtete, dass sich hier die Begründung einer Filiale der deutschen Kultur im Orient anbahnt. Wenn das der Fall ist, dann müssen wir als Kulturvolk ein Interesse daran behalten, dass dieses Volk nicht untergeht. […] Denn die kulturelle Entwicklung des armenischen Volkes geht in deutschen Bahnen, sie ist gleichbedeutend mit der Verbreitung der deutschen Kultur im Orient.117

Stier traf während seiner Reise im Kaukasus auch auf ehemalige Studenten deutscher Hochschulen, die nun »mit dem besten Erfolg« in den armenischen Schulen Deutsch unterrichteten: Im Kaukasus wurde in den höheren armenischen Schulen mit dem besten Erfolg Unterricht in der deutschen Sprache gegeben, wovon ich mich bei einem Besuch im Nersissian Seminar in Tiflis selbst überzeugen konnte, wo Dr. A. Abeghian den deutschen Unterricht eingeführt hatte.118 115 Petersen, Wilhelm: Aus Transkaukasien und Armenien. Reisebriefe. Leipzig 1885, 134 f. 116 Stier, Ewald: Ostern in Tauris. In: ChW. 22 (1908), Sp. 586–588, 588. 117 Ebd. 118 Stier: Warum Deutsch-Armenische Gesellschaft?, 4 (20).

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Um eine vergleichbare Stellung der deutschen Sprache in den armenischen Schulen im Osmanischen Reich bemühte sich Stier indes vergeblich. Selbst nachdem sich der armenische Patriarch in Konstantinopel bereit erklärt hatte, in den armenischen Schulen Deutsch als Unterrichtssprache einzuführen, blieben die Versuche, die Vertreter der deutschen Botschaft in Istanbul für diese Idee zu begeistern, erfolglos: Vergeblich versuchte ich den deutschen Geschäftsträger  – der Botschafter war im Urlaub – für diesen Plan zu interessieren. Er bedauerte sogar die armen Kinder, die neben Englisch und Französisch nun auch noch Deutsch lernen sollten; der Gedanke, dass das Deutsche an die Stelle einer anderen Fremdsprache treten könnte, war ihm unfassbar.119

Überzeugte Protagonisten der Theorie über den Einfluss des »deutschen Geistes« auf die Armenier gab es durchaus auch unter den Armeniern. Einer von ihnen war der oben bereits erwähnte Publizist Melik’-Łaragyosian, der sich intensiv mit den deutsch-armenischen Beziehungen befasste und dabei vor allem auf die deutsche Hilfsarbeit einging. In seinem unveröffentlichten und auf Deutsch verfassten Artikel »Der Einfluss des deutschen Gedankens auf die armenische geistige Kultur« begründete er das große Interesse armenischer Studenten an deutschen Hochschulen mit demselben Argument: Für diejenige, die gar keine Kenntnisse in armenischen Sachen haben, der Titel dieses Aufsatzes soll ziemlich sonderbar erscheinen. Der Leser möchte ja vielleicht sogar den Artikel nicht anders [verstehen] als eine Anstrengung historischer Forschung, um jeden Preis Merkmale einer solchen Wirkung des deutschen Gedankens auf die armenische Kultur zu erfinden. In der Tat aber ist dem nicht so und der Einfluss der deutschen geistigen Kultur auf die armenische ist ungemein groß.120

Melik’-Łaragyosian sprach von einem starken Einfluss des »westländischen« Ideenguts auf die Armenier und erklärte damit die Rolle, die dem »deutschen Gedanken« vorbehalten war. Dabei unterschied er zwei verschiedene Richtungen, von wo der »westländische« bzw. deutsche Einfluss Armenien erreichte, nämlich über Russland und durch die Vermittlung der russischen Kultur und zum anderen durch den unmittelbaren Kontakt armenischer Studenten in Deutschland, die dieses Gedankengut mit ihrer Rückkehr in ihre Heimat transferierten. Die Vermittlung der europäischen Kultur über Russland hielt er dabei für nicht besonders effektiv: […] wegen der großen Unterschiede in der nationalen Psychologie der Russen und der Armenier verliert der russifizierte westländische Gedanke auf dem armenischen Boden seine auf der Reise durch Russland eingeholten Beimischungen. Der beste [Beweis] 119 Ebd. 120 Nationalarchiv Armeniens. Fond 502, Liste 1, Akte 143, Bl. 1.

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dafür kann jene Tatsache sein, dass das, was speziell auf armenischen geistigen Boden eingepflanzt ist, durch jene einwirkt, die ihre geistige Entwicklung unmittelbar aus Deutschland oder deutschem Milieu geholt haben.121

Als solche »Kulturträger« nannte er beispielhaft Xačatur Abovian, Step’anos Nazarian und Grigor Arċruni, alle Absolventen deutscher Hochschulen, die sich ihr ganzes Leben mit Hingabe für die Modernisierung der armenischen Gesellschaft nach europäischem, vor allem aber nach deutschem Vorbild eingesetzt hätten.122 Als empfänglich für die deutsche Kultur schätzte aber auch Melik’-Łara­ gyosian ausschließlich die Russlandarmenier ein, während die Türkei- und Persienarmenier ganz anderen Einflüssen ausgesetzt seien und von deutscher Einwirkung keine Rede sein könne.123 Mit diesem Argument reproduziert Melik’-Łaragyosian die zu dieser Zeit verbreitete Meinung über die angeb­ lichen Mentalitätsunterschiede der West- und Ostarmenier, die sich unter französischem bzw. russischem Einfluss herausgebildet hätten und ihre Weltanschauung, ja gar die Charaktereigenschaften, stark prägen würden.124 Gerade diese Vorprägung machte seiner Ansicht nach die deutsche Hochschulbildung für die Armenier so wichtig: Während sich die armenische Studentenschaft in Deutschland unter dem gesunden (sic!) deutschen Einfluss befand, stand die armenische Studentenschaft aus dem Osmani­schen Reich bereits in der Heimat unter dem Einfluss der französischen Kultur. […] für keine Nation sind Ordnung und Disziplin so wichtig wie für die Deutschen. Diese strenge Erziehung, die die armenischen Studenten in der deutschen Umgebung genießen, ist für die temperamentvollen Studenten aus dem Kaukasus außerordentlich wichtig. Die launenhafte romanische Kultur ist für die Erziehung der armenischen Jugend nicht streng genug.125

Die kulturellen und akademischen Kontakte zwischen Deutschen und Armeniern wurden durch die ab den 1860er Jahren sich intensivierende Studien­ migration zusätzlich begünstigt. Der vorläufige Höhepunkt dieser Beziehungen stellte die Gründung der »Deutsch-Armenischen Gesellschaft« (im Folgenden DAG) am Vorabend des Ersten Weltkriegs dar.126 Die akademische 121 Ebd., Bl. 4–5. 122 Ebd., Bl. 5. 123 Ebd. 124 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanoułut’yunẹ, 19. 125 Ebd. 126 Zur Deutsch-Armenischen Gesellschaft siehe insbesondere einzelne Beiträge in: DeutschArmenische Gesellschaft (Hg.): 100 Jahre Deutsch-Armenische Gesellschaft. 1914–2014. Erinnern, gedenken, gestalten. Düsseldorf 2014; Deutsch-Armenische Gesellschaft (Hg.): 75 Jahre Deutsch-Armenische Gesellschaft. Festschrift. Mainz 1989.

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Migration armenischer Studenten konnte zu diesem Zeitpunkt bereits eine fast 50-jährige Tradition vorweisen. Für die neue Gesellschaft spielte dies insofern eine essenzielle Rolle, als neben den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen eben auch die akademischen Interessen dem Aufbau einer solchen Organisation zusätzlichen Ansporn verliehen. Dies betonte Johannes Lepsius, als er am 29. März 1913 alle an intensiven deutsch-armenischen Beziehungen interessierten Kreise aufforderte, sich der DAG anzuschließen.127 In dem Gründungsaufruf hieß es unter anderem: Auf armenischer Seite wird schon längst das Studium deutscher Sprache, Literatur und Wissenschaft mit größtem Eifer betrieben. Mehrere Hunderte von armenischen Studenten sind auf deutsche Hochschulen gekommen und haben Verbindungen mit Lehrern und Schülern unserer wissenschaftlichen Institute angeknüpft. Auch für die Erschließung der reichen Schätze des eigenen Volkstums haben sie hier Anregung und Förderung empfangen, da die Erforschung der Sprache, Geschichte und Literatur Armeniens unter tätiger Mithilfe der deutschen Wissenschaft geschieht. Alle diese Bestrebungen stehen aber ohne innere Verbindung zueinander. Weitverbreitete Vorurteile hindern die engere Gestaltung der deutsch-armenischen Beziehungen. Es gilt, unter den beiden Völkern eine bessere Kenntnis der beiderseitigen Kultur anzubahnen und zu erhalten.128

Die offizielle Gründung der DAG fand am 16. Juni 1914 im Auditorium des Museums für Völkerkunde in Berlin statt. Zum Vorsitzenden wurde ­Johannes Lepsius gewählt, Paul Rohrbach und James Greenfield129 waren stellvertretende Vorsitzende, Ewald Stier und Avetik’ Isahakian130 wurden zu Schriftführern und Dr. Armenak Hayranian131 zum Schatzmeister gewählt. Die 127 Vgl. Stier, Ewald: Zur Geschichte der Deutsch-Armenischen Gesellschaft. In: MDAG . 1939, 5/6, 1 (65)–12 (76), 2 (66). 128 Goltz: Der Ararat, 214 f. 129 Dr. James Greenfield (1870–1939) war der diplomatische Vertreter der Ersten Armenischen Republik in Deutschland in den Jahren 1918–1920 sowie der Mitbegründer und erster Vorsitzende der armenischen Gemeinde in Berlin. Vgl. MDAG . 1939, 5/6, 20 (84); Vgl. auch: Haykakan Harc. Hanragitaran [Die Armenische Frage. Eine Enzyklopädie]. Jerewan 1996, 108. 130 Avetik’ Isahakian (1875–1957) war einer der bedeutendsten armenischen Schriftsteller seiner Zeit. Er war Akademiemitglied der Armenischen Akademie der Wissenschaften, Autor zahlreicher Romane, Gedichte und Essays. 1936 kehrte Isahakian von Berlin, wo er sich ab 1911 aufhielt, nach Sowjetarmenien zurück. Von 1946 bis 1957 war er der Vorsitzende des Schriftstellerverbands Armeniens. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 464. 131 Armenak Hayranian (1881–1915) war ein armenischer Arzt, der zunächst in Genf, dann in Berlin studiert hatte. Hayranian hatte zwar in Berlin die Tochter eines armenischen Kaufmanns geheiratet, kehrte jedoch 1913 in seinen Heimatort Tevrik, eine Kleinstadt in der türkischen Provinz Sivas (Sebastia), zurück, um seine kranke Mutter zu pflegen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er als Chirurg in die osmanische Armee einberufen, fungierte aber gleichzeitig als Übersetzer für deutsche Offiziere. Im Mai

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organisatorische Zusammensetzung der Gesellschaft aus Deutschen und Armeniern sollte die enge Zusammenarbeit mit den armenischen Kreisen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Russland, Ungarn, Polen, aber auch im Kaukasus und in der Türkei anregen. Die Gesellschaft erklärte die Verbreitung einer »gerechten, unvorein­ genommenen Meinung« über das armenische Volk in Deutschland und über die Deutschen unter den Armeniern zu ihrem Ziel. Sie wollte aber auch die Vermittlung der armenischen Kultur in Deutschland und die Pflege persönlicher Kontakte zwischen Deutschen und Armeniern fördern. Zu diesem Zweck sollte unter anderem ein Informationsdienst gegründet werden, um der oft als verzerrt eingeschätzten Berichterstattung der deutschen Presse über Armenien entgegenzuwirken und diese mit »zuverlässigen Berichten« zu versorgen. Dabei betonten die Protagonisten der DAG, dass es sich hierbei nicht etwa um eine »Patronage« der Armenier handele, sondern um eine »ständige Zusammenarbeit mit den armenischen Kreisen«.132 Dazu gehörte auch das Anliegen, die armenische Kultur, Geschichte und Sprache in Deutschland besser bekannt zu machen. Die armenischen Studenten an deutschen Hochschulen hätten, so Ewald Stier, bereits damit angefangen, zahlreiche Werke deutscher Schriftsteller ins Armenische zu übersetzen, also sollte die DAG hier anknüpfen und die Leistungen armenischer Dichter und Gelehrter in Deutschland bekannt machen.133 Zudem beschloss die Gesellschaft, die zweisprachige Monatsschrift Mesrop134 herauszugeben, die die deutsche und armenische Kultur in beide Richtungen vermitteln sollte. Geplant war, auf den Seiten der Zeitschrift unter anderem Übersetzungen aus den Werken herausragender deutscher und armenischer Schriftsteller zu veröffentlichen. Das erste Heft erschien bereits 1914 und enthielt zweisprachige Beiträge von Paul Rohrbach, Johannes 1915 wurde Hayranian zusammen mit einigen anderen armenischen Ärzten verhaftet und in der Nähe von Sivas getötet. Vgl. Minasyan, Harutyun: Osmanyan kaysrut’yunum, Turk’iayi hanrapetut’yunum ev harakic taraċk’nerum brnač’nšunmeri ev cełaspanut’yan ent’arkvaċ hay bžiškner. Hamaṙot kensagrakan baṙaran [Die im Osmanischen Reich, in der Türkischen Republik und in den benachbarten Orten gewaltsam verfolgten und massakrierten armenischen Ärzte. Ein kurzes biografisches Wörterbuch]. Jerewan 2014; Hay bžškut’yan tvaċ zoherẹ, cucakagrvaċ vaverakan p’asterov [Armenische Ärzte als Opfer des Genozids. Nach dokumentierten Quellen]. Istanbul 1919; Lepsius, Johannes: Der Todesgang des armenischen Volkes. Bericht über das Schicksal des Armenischen Volkes in der Türkei während des Weltkrieges. 2. Auflage. Potsdam 1919, XVII–XIX . 132 Vgl. Stier: Warum Deutsch-Armenische Gesellschaft?, 2 (18). 133 Ebd. 134 Der Name Mesrop ging auf den armenischen Geistlichen des 4. Jahrhunderts und den Begründer des armenischen Alphabets Mesrop Maštoc zurück. Die erste Nummer der Zeitschrift erschien im Juni 1914 und wurde in der Türkei, in Persien und im Kaukasus verbreitet. Das zweite Heft, obwohl bereits druckfertig, konnte nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht mehr erscheinen.

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­Lepsius, James Greenfield und anderen. Den armenischen Teil leitete Greenfield mit einem Vorwort über die Gründung der DAG und über die Zeitschrift selbst ein. Dabei betonte er den unpolitischen Charakter der Gesellschaft ausdrücklich: Um mögliche Missverständnisse und falsche Interpretationen über die Ziele der Deutsch-Armenischen Gesellschaft gleich vorzubeugen, finden wir sinnvoll, folgendes nachdrücklich zu betonen: Uns und unseren deutschen Freunden liegt es fern, unsere Gesellschaft ein Werkzeug deutscher politischer Interessen in Armenien werden zu lassen bzw. ihr eine gegensätzliche Richtung zur Politik der anderen Staaten, vor allem von Russland zu geben. Wie oben bereits erwähnt, verfolgt unsere Gesellschaft ausschließlich kulturelle Zwecke.135

Die Zeitschrift sollte zunächst zweimonatlich erscheinen und bei Bedarf in eine Monatsschrift umgewandelt werden. Zusätzlich sollte in Deutschland eine armenische wissenschaftliche Bibliothek zur Unterstützung des Studiums der armenischen Sprache, Kultur und Geschichte gegründet werden. Nicht zuletzt verpflichtete sich die Gesellschaft in ihrem Programm, den Unterricht der deutschen Sprache in den armenischen Schulen zu fördern, eine Auskunftsstelle für armenische Studenten in Deutschland zu gründen und diesen Studenten die Möglichkeit zu bieten, Kontakt mit deutschen Familien aufzunehmen.136 In der Tat war die DAG unter anderem für diejenigen Studenten eine wichtige Anlaufstelle, die Probleme mit dem Studium in Deutschland hatten. So wandte sich beispielsweise der Stipendiat Hakob Harut’yunian aus Ēǰmiaċin im Jahr 1914 mit einer Bitte an die Gesellschaft. Die Universität Berlin ließ ihn nicht zur Promotionsprüfung zu, weil er keine Lateinkenntnisse hatte, also hoffte er, die DAG könnte beim preußischen Kultusministerium eine Sondergenehmigung für ihn erwirken. Johannes Lepsius setzte sich persönlich für ihn ein, erhielt aber die Antwort, diese Entscheidung sei allein der jeweiligen Fakultät überlassen und das Ministerium mische sich nicht ein.137 Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs waren auch die armenischen Studenten den »für die feindlichen Ausländer geltenden Bestimmungen« unterworfen. Am 26. August 1914 beschloss der Vorstand der DAG, die sich immer noch in Deutschland befindenden Armenier zu unterstützen und auf Wunsch die Heimreise für sie zu organisieren.138 Dabei nutzten die Mitglieder ihren politischen Einfluss, um für die verbliebenen Studenten Sonderrechte zu erwirken. Es gab etwa Verhandlungen mit dem preußischen Kultusministerium 135 136 137 138

Mesrop. 1 (1914), 1–7, 6. Stier: Warum Deutsch-Armenische Gesellschaft?, 2 (18). Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil II, Bl. 347. Stier: Zur Geschichte der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, 4 (68).

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und den entsprechenden Ministerien einzelner deutscher Staaten, um das Weiterstudium der armenischen Studenten trotz des Krieges zu ermöglichen. Auf diesen Antrag hatte das preußische Kultusministerium, so Stier, wohlwollende Prüfung zugesagt. Die Gesuche armenischer Studenten um Weiterstudium seien auch in anderen deutschen Ländern mit einziger Ausnahme von Sachsen genehmigt worden.139 Wie aus den Universitätsmatrikeln und Einträgen in den Studienakten ersichtlich, wurden trotzdem bereits 1914 mehrere armenische Studenten vom Studium ausgeschlossen. Viele von ihnen, allen voran die Stipendiaten, wechselten an Universitäten in der Schweiz, wo sie eine sichere Kommunikation mit den Institutionen in der Heimat bewahren konnten. Das Engagement der sogenannten proarmenischen Kreise in Deutschland setzte sich auch nach dem Krieg und selbst nach der Gründung der Arme­nischen Sowjetrepublik fort und zielte weiterhin darauf ab, die deutscharmenischen kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zu fördern. Nach Rohrbachs Tod wurde die DAG 1956 allerdings aufgelöst und nahm ihre Tätigkeit erst 1972 unter dem Vorsitz des evangelischen Theologen und Kirchenhistorikers Friedrich Heyer wieder auf.140 Der Zustrom armenischer Studenten nach Deutschland war wie gezeigt von der russländischen Bildungspolitik genauso beeinflusst wie von den sich intensivierenden deutsch-armenischen akademischen Beziehungen. Doch ein Studium gerade an deutschen Hochschulen war nicht zuletzt auch wegen der bemerkenswerten Entwicklung der dortigen Wissenschaft und Lehre im 19. Jahrhundert besonders erstrebenswert. Die sogenannten akademischen Freiheiten prägten die deutsche Hochschullandschaft und sorgten dafür, dass sie attraktiver erschien als etwa das stärker utilitaristische französische Bildungssystem.141 Die auf Wilhelm von Humboldt zurückgehende Universitätsidee hatte in Ost und West – im Russländischen Reich wie in Nordamerika – großen Einfluss auf die Entwicklung verschiedener Fachdisziplinen ausgeübt und entscheidend dazu beigetragen, dass zahlreiche junge Akademiker aus 139 Ebd. 140 Kantian, Raffi: Phoenix aus der Asche. Von der Neugründung 1972 bis heute. In: 100 Jahre Deutsch-Armenische Gesellschaft, 193–202, 193. 141 Zu den verschiedenen Facetten der akademischen Freiheit sowie der Entwicklung der deutschen Hochschullandschaft siehe insbesondere Bruch, Rüdiger vom: Wissenschaftsfreiheit in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. In: Müller, Rainer Albert / Schwinges, Rainer Christoph (Hg.): Wissenschaftsfreiheit in Vergangenheit und Gegenwart. Basel 2008, 69–92; Kopetz, Hedwig: Forschung und Lehre: die Idee der Universität bei Humboldt, Jaspers, Schelsky und Mittelstraß. Wien 2002; Boockmann, Hartmut: Wissen und Widerstand. Geschichte der deutschen Universität. Berlin 1999; Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neubegründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus. Darmstadt 1956.

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Rahmenbedingungen und Hintergründe armenischer Bildungsmigration

beiden Richtungen nach Deutschland strömten.142 Mit den umfassenden akademischen Freiheiten wiederum war eine hohe Qualität der Forschung verbunden, die den aus den utilitaristischen Systemen stammenden Studenten besonders imponierte. Für armenische bzw. russländische Studenten war dies insofern essenziell, als die Verschränkung von Dienstrang und akademischer Bildung noch am Ende des 19. Jahrhunderts für Russland symptomatisch blieb, ja das Bildungswesen wesentlich von Staatsbedürfnissen bestimmt war.143

142 Lingelbach, Gabriele: Der amerikanische und der französische Blick auf die deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert. In: Fuchs, Eckhardt (Hg.): Bildung International. Historische Perspektiven und aktuelle Entwicklungen. Würzburg 2006, 61–86; Röhrs, Hermann: Der Einfluss der klassischen deutschen Universitätsidee auf die Higher Education in Amerika. Weinheim 1995. 143 Vgl. Geyer, Dietrich: Zwischen Bildungsbürgertum und Intelligenzija: Staatsdienst und akademische Professionalisierung im vorrevolutionären Russland. In: Conze, Werner / ​ Kocka, Jürgen (Hg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil I. Bildungssystem und Professionalisierung im internationalen Vergleich. Stuttgart 1985, 207–230, 209.

3. Studium und Alltag

3.1

Die Universität Dorpat als Hochburg der armenischen Studentenschaft

Für die Hochschulbildung nationaler Minderheiten des Russländischen Imperiums hatte die Universität Dorpat eine eminente Bedeutung.1 Selbst nach der in den 1880er Jahren einsetzenden Russifizierung bewahrte sie in gewissem Umfang noch die akademische Freiheit, büßte auch nicht ihre kulturelle Ausstrahlung ein und blieb weiterhin als ein wichtiges Zentrum der Bildung nationaler Eliten erhalten. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war diese Universität Mittelpunkt des akademischen Lebens in Estland und Livland und fungierte mit der überwiegend deutschen Professorenschaft als wichtige Repräsentantin der deutschen wissenschaftlichen Schule an der Peripherie des Russländischen Reiches. Für polnische Studenten, die nach der Russifizierung der Warschauer Universität infolge des Aufstands von 1863 in größerer Zahl Dorpat aufsuchten, oder für jüdische Studenten war diese Universität ein wichtiger Ort für die akademische Weiterbildung. Auch für Armenier hatte die Dorpater Universität im Laufe des 19. Jahrhunderts eine so große Bedeutung wie kaum eine andere deutsche Hochschule. Dies erklärte der armenische Schriftsteller Leo unter anderem mit dem Wunsch der wohlhabenden Lazarian-Familie2, eine bessere Ausbildung der jungen Armenier zu unterstützen. Das Studium am Lazarev-Institut wurde für nicht ausreichend genug erachtet, daher sollten die besten Absolventen dieser Lehranstalt nach Dorpat geschickt werden. Bald bildeten sie, so Leo,

1 Zur Geschichte der Universität Dorpat siehe exemplarisch Maurer, Trude: Germanizacija, rusifikacija i likvidacija: Strasburgskij i Jur’evskij universitety v 1872/1887–1918 gg. [Germanisierung, Russifizierung und Liquidierung: Straßburger und Dorpater Universitäten in den Jahren 1872/1887–1918]. In: Andreev (Hg.): »Byt’ russkim po duchu i evropejcem po obrazovaniju«, 157–182; Tamul, Sirje: Zur Studentenschaft der russifizierten Universität Tartu 1883–1918. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte. 4 (2001), 102–111. 2 Die Lazarian-Familie (ab 1873 Abamelik’-Lazarian) war eine wohlhabende, ab 1749 in Moskau ansässige armenische Familie, die für ihre Verdienste von Katharina II . in den erblichen Adelsstand erhoben wurde. Die Mitglieder dieser Familie spielten mit ihrer Wohltätigkeit eine wichtige Rolle unter anderem im Bildungsbereich der Armenier. Siehe exemplarisch Tadeossian, Josef: Patmut’iun Lazarean tohmi ev Lazarean č’emarani arevelean lezuac [Geschichte der Lazareffs und des Lazareffischen Institutes der orientalischen Sprachen zu Moskau]. Vienna 1963.

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Studium und Alltag

die Mehrheit der an dieser Universität studierenden Armenier.3 Viele von ihnen spielten im kulturellen und akademischen Leben der Armenier eine so große Rolle, dass Artašes Abełian die Dorpater Universität rückblickend als die Wiege der national-kulturellen Wiedergeburt des armenischen Volkes bezeichnete.4 Auch Dirajr Froundjian schrieb ihr eine überragende Rolle für die nationale Erweckung zu.5 Das spätere Interesse der armenischen Studentenschaft für die deutschen Universitäten sahen beide Forscher folgerichtig in den akademischen Erfahrungen in Dorpat begründet: […] Der Geist der Zeit, die deutsche Umgebung, neue Ideale, all das war wahre Begeisterungsquelle für sie [armenische Studenten]. Und diese jungen Männer waren nach Dorpat gekommen, um sich mit der deutschen Wissenschaft und der europäischen Kultur zu bewaffnen. […] Keine Frage, dass das Beispiel von Abovian und Nazarian eine unendliche Begeisterungsquelle für sie war; beide waren wie führende Sterne.6

Auch die spätere Forschung bescheinigte der Universität Dorpat einen enormen Einfluss auf das »Armenian national awaking«, was der armenische Historiker Wahe Balekjian mit der »beeindruckenden Zahl von 250 armenischen Studenten«, die über drei Generationen in Dorpat studierten, begründete.7 In der Historiografie wird die akademische Migration der Armenier nach Dorpat traditionell mit der Reise des deutschen Naturforschers Friedrich Parrot verbunden, der an der Spitze einer Expedition im Jahr 1829 im Kaukasus verweilte. Die Beziehung zwischen Parrot und Xačatur Abovian (1809–1848), einem Absolventen der Nersesian-Schule, der ihn als Dolmetscher auf seiner Reise und bei der Besteigung des Berges Ararat begleitete, ist sowohl in der deutschen als auch der armenischen und der russischen Geschichtsschreibung mehrfach beschrieben worden.8 Parrot legte Abovian nahe, für ein Hochschulstudium nach Dorpat zu gehen, was zunächst jedoch auf den starken Widerstand sowohl seiner Familie als auch des Kathołikos Ep’rem I. Joragełci 3 Vgl. Leo: Rusahayoc grakanut’iunẹ skzbic minčev mer ōrerẹ [Literatur der Russlandarmenier von den Anfängen bis zur Gegenwart]. Venetik 1904, 17. 4 Abeghjan: Deutschland und Armenien, 8. 5 Froundjian: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen, 104. 6 Abeghjan: K’erovbe Patkanean Dorpatum, 36 f. 7 Balekjian, Wahe: The University of Dorpat and Armenian National Awaking in the Nineteenth Century. In: The Armenian Review. 41 (1988), 4/164, 41–50, 41. 8 Siehe exemplarisch Goltz, Hermann: Der Antritt des neuen Jahrhunderts. Ein neues Schiller-Original oder ein Schiller-Apokryphon? In: Temcke, Martin (Hg.): Blicke gen Osten: Festschrift für Friedrich Heyer zum 95. Geburtstag. Münster 2004, 373–396; Hofmann, Tessa: Die Armenier. Schicksal, Kultur, Geschichte. Nürnberg 1993; Ganin, Žorž I.: Chačatur Abovjan. 1809–1848. Moskva 1986; Chačatur Abovjan. Problemy tvorčestva i literaturnych svjazej [Xačatur Abovian. Fragen des Wirkens und der literarischen Beziehungen]. Jerewan 1987; Hakobyan, Pion: Xačatur Abovian. Kyank’ẹ, gorċẹ, žamanakẹ (1809–1836) [Xačatur Abovian. Leben, Werk, Epoche. (1809–1836)]. Jerewan 1967.

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(1740–1835) traf. Der letztere fürchtete, dass Abovian im fernen Norden und unter den fremden Einflüssen seinen Glauben verlieren und der armenischen Kirche damit verlustig gehen würde. Stattdessen wurde ihm ein Studium am Lazarev-Institut versprochen, in einer »armenischen Schule und unter Armeniern«, wo ihm keine Gefahr drohe.9 Derweil bemühte sich Parrot um ein staatliches Stipendium für Abovian. Er wandte sich mit dieser Bitte an den Geheimrat Stepan Stepanovič Strekalov, der seinerseits dieses Anliegen an Graf Ivan Fëdorovič Paskevič weiterleitete. Würde die Regierung, so Strekalov, die notwendigen Mittel für Abovians Ausbildung aufwenden, könnte man später auf seine Dienste zurückgreifen, um Bildung unter den Armeniern zu verbreiten.10 Doch befand der Minister für Volksaufklärung Karl Andreevič Lieven, dass zwei Jahre für diesen Zweck nicht ausreichend waren. Dem Kaiser schlug er persönlich vor, Abovian einen dreijährigen Aufenthalt in Dorpat zu ermöglichen, damit er sich nicht nur die notwendigen Fächer und Sprachen, sondern auch deren Unterrichtsmethoden aneignen könnte. Während dieser Zeit erhielt er 200 Silberrubel als staatliches Stipendium, 400 für Reisekosten sowie 100 Silberrubel für den Kauf von für das Studium notwendigen Gegenständen.11 Allerdings verweilte Abovian lediglich als Gasthörer in Dorpat, denn Parrot hatte für ihn eigentlich nur eine Allgemeinbildung vorgesehen. In einem Brief an Nerses Aštarakeci, den damaligen Bischof der armenischen Gemeinde in Nor Naxiǰevan und Bessarabien, schrieb Abovian, dass er Geschichte, Geographie, Mathematik, Geometrie, Naturkunde, Logik, Psychologie, Musik, Landwirtschaft, Gesang, Deutsch und Latein studierte,12 jene Studienfächer also, die sich für den Unterricht in den armenischen Mittelschulen eigneten. In all diesen Fächern habe er Prüfungen abgelegt, über die er bei seiner Abreise von den Professoren entsprechende Zeugnisse bekommen sollte.13 Abovians Studienjahre in Dorpat lassen sich auf der Grundlage der von ihm hinterlassenen umfangreichen Korrespondenz fast minutiös rekonstruieren. In Dorpat widmete er sich mit Parrots Hilfe zunächst dem Erlernen der deutschen Sprache. Später erhielt er in den oben genannten Studienfächern Privatunterricht von den Dozenten der Universität Eberhard David Friedländer, Johann Christian Martin Bartels, Gottlob Benjamin Jäsche, Johann Friedrich Leberecht Schmalz und anderen.14 Ab 1831 besuchte Abovian zusätzlich 9 Shahaziz, Ervand (Hg.): Divan Xačatur Aboviani [Archiv des Xačatur Abovian]. Jerewan 1940, 12; Arjagank’. 15 (1896), 101, 2–3, 2. 10 Hakobyan: Xačatur Abovian, 354. 11 Ebd., 357. 12 Shahaziz, Ervand (Hg.): Divan Xačatur Aboviani [Archiv des Xačatur Abovian]. Band 2. Jerewan 1948, 21 f. 13 Ebd., 22. 14 Vgl. Hakobyan: Xačatur Abovian, 408–413 sowie 490–498.

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Studium und Alltag

das von Dietrich Heinrich Jürgenson geleitete Elementarlehrer-Seminar, um sich mit den Unterrichtsmethoden einzelner Fächer vertraut zu machen. Dies schätzte er als eine wertvolle Erfahrung, die ihm später als Lehrer von großem Nutzen gewesen sei.15 Nach ausdrücklichem Wunsch von Parrot und mit Genehmigung des Kaisers wurde Abovians Aufenthalt in Dorpat verlängert, sodass er insgesamt vier Jahre dort verbrachte: Weitere Verlängerung finde ich angesichts dieser Großzügigkeit unangemessen, außerdem wäre meine rasche Rückkehr in die Heimat viel notwendiger, um mein Wissen unter meinen Landsleuten zu verbreiten, denen so eine Ausbildung nicht zuteil geworden ist.16

1836 kehrte Abovian in den Kaukasus zurück, wo er gleich mit mehreren Schwierigkeiten konfrontiert wurde. Zum Teil waren sie der Tatsache geschuldet, dass Abovian trotz zahlreicher Studiennachweise nicht als ordentlicher Student in Dorpat eingeschrieben war. Zum Teil belastete ihn aber auch die Ablehnung, die er seitens des höheren Klerus, durchaus aber auch von den Behörden erfuhr. Über diese Schwierigkeiten tauschte er sich mit seinem Studienfreund Step’anos Nazarian in den folgenden Jahren en détail aus. Dies war ein leidiges Thema zwischen den beiden Freunden, das sie in zahlreichen Briefen behandelten und das beiden den größten persönlichen Kummer bereitete. Im Zusammenhang mit Abovians unklarer beruflicher Zukunft schrieb Nazarian: Ich kann mir den Schmerz in deinem Herzen gegenüber dem ungebildeten Menschenhaufen dort sehr gut vorstellen. Dorpat hat Dich sehr weich gemacht, und Du gibst Dich jetzt einem Schicksal hin, das gar nicht so beneidenswert ist. […] Ich kann nicht verstehen, warum Du bis jetzt ohne Stellung bist. Hast Du nach Deiner Pädagogik­ prüfung hier [in Dorpat] keinen wissenschaftlichen Grad bekommen? Ich habe gehört, dass Parrot, Deiner Bitte entgegenkommend, sich um einen wissenschaftlichen Grad für Dich bemüht. In Russland war es schon immer so, dass die persönlichen Eigenschaften keine Bedeutung haben.17

1837 wurde Abovian zum Direktor einer Bezirksschule in Tiflis ernannt und blieb bis 1843 in dieser Position. Zwischenzeitlich hoffte er, eine Stellung am Lehrstuhl für armenische Sprache und Literatur an der Universität Kazan’ zu bekommen. Mit dieser Bitte hatte er sich an den St. Petersburger Orientalisten und Akademiemitglied Christian Martin Frähn gewandt, doch verschie15 Ebd., 446. 16 Shahaziz (Hg.): Divan Xačatur Aboviani, Band 2, 21. 17 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Xačatur Abovian, Nr. 299–301, Bl. 183.

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dene Umstände, darunter Kommunikationsschwierigkeiten, verhinderten Abovians Anstellung in Kazan’.18 Während seiner gesamten Lehrtätigkeit im Kaukasus setzte sich Abovian für die bessere Ausbildung der jungen Armenier nach europäischem Vorbild ein. Ideen über das gründliche Studium von künftigen Priestern und Lehrern, von denen er sich die Modernisierung der armenischen Gesellschaft erhoffte, hatte er noch während seiner Studienzeit in Dorpat entwickelt. Der mittelfristige Plan sah vor, aus verschiedenen Regionen Kinder von Priestern zusammenzuführen und sechs Jahre in jenen allgemeinen Studienfächern zu unterrichten, die Abovian selbst in Dorpat studiert hatte. Der Unterricht sollte unter anderem die armenische Geschichte und Religionsgeschichte sowie Armenisch und Russisch umfassen. Nach einfachen Prüfungen sollten diese Schüler als Priester und Lehrer in ihre Heimatorte zurückkehren. Falls die Eltern die Studienfinanzierung ihrer Kinder nicht übernehmen konnten, sollte sie von der Schule selbst getragen werden. Für sinnvoll erachtete er es zudem, dass Schüler aus ärmeren Familien am Ende des Studiums ein Handwerk erlernten.19 Kinder aus reichen Familien sollten zusätzlich zu den allgemeinen Studienfächern auch Naturwissenschaften, Mathematik und Geografie be­ legen. Diejenigen schließlich, die am meisten Fleiß und Begabung zeigten, sollten Deutsch und Latein lernen, um später an den europäischen Universitäten »für das Volk nützliche Wissenschaften« zu studieren.20 Abovian gründete in Tiflis in der Tat eine Privatschule und war dabei so offensichtlich bemüht, die in Dorpat erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen in seine pädagogische Tätigkeit einfließen zu lassen, dass dieser Umstand gleich von mehreren deutschen Reisenden in begeistertem Ton erwähnt wurde. Nicht ohne Euphorie wurde er von diesen Reisenden als Pionier der deutschen Kultur unter den Armeniern und unter den anderen Völkern des Kaukasus sowie als »auserwählter Kulturträger« im Orient gefeiert.21 Diesen Ruf verdankte er nicht nur seinem Studium, sondern generell dem Dorpater kulturellen und akademischen Einfluss. Er verkehrte dort mit Professoren und bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und war oft zu Gast bei ihren Familien:

18 Shahaziz (Hg.): Divan Xačatur Aboviani, 52–54. 19 Dem Erlernen eines Handwerks widmete Abovian große Aufmerksamkeit, was wiederum auf seine Dorpater Zeit zurückzuführen ist. Wie in seinen Tagebüchern beschrieben, fertigte er zusammen mit Parrot einen Globus mit armenischer Beschriftung und versuchte später, sich verschiedene handwerkliche Fertigkeiten aus dem landwirtschaftlichen und dem alltäglichen Bereich anzueignen, um diese unter seinem Volk zu verbreiten. Vgl. ­Hakobian: Xačatur Abovian, 499. 20 Shahaziz (Hg.): Divan Xačatur Aboviani, Band 2, 22 f. 21 Vgl. Abeghjan: Deutschland und Armenien, 8.

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Seine deutsche Umgebung, die deutschen Familien, in denen er verkehrte, machten auf ihn einen so gewaltigen Eindruck, dass er zeitlebens ein Pionier der deutschen Sprache und der deutschen Kultur im Kaukasus geblieben ist, den der deutsche Reisende und Naturforscher Hermann Abich mit Recht als ›den deutschen Stern Armeniens‹ bezeichnet hat.22

Abovians Leistungen im Bildungsbereich lobte in höchsten Tönen der deutsche Geograph und Naturforscher Moritz Wagner, der zwischen 1842 und 1845 den Kaukasus bereiste. Ungeachtet der »völligen Ablehnung von Aufklärung und Fortschritt seitens der armenischen Geistlichkeit« habe Abovian sich unermüdlich der gründlichen Ausbildung der armenischen Kinder gewidmet: Das Deutsche sprachen die [Schüler Abovians] mit reinem wohlklingendem ­Accent, und bei den schriftlichen Übungen, die der Lehrer sie in meiner Gegenwart machen ließ, bewunderte ich sowohl ihre festen zierlichen Schriftzüge als auch ihre genaue Kenntnis der Construction deutscher Sätze. Dabei lasen sie Werke von Goethe und Schiller und zeigten überhaupt ganz besondere Lust und Liebe zur deutschen ­Sprache.23

Mit großem Erstaunen habe er 1843 die Ignoranz und Trägheit der Lehrer in einer Schule in Eriwan beobachtet, während die »geistige Lebhaftigkeit, die Kenntnisse und die gute sittliche Haltung« von Abovians Schülern in Tiflis ihn angenehm überrascht hätten.24 Als Abovian 1843 zum Direktor der Kreisschule in Eriwan ernannt wurde, reagierte Wagner mit Begeisterung: Bei so tüchtigen Kenntnissen und Tugenden wie die seinigen, bei so edlem Streben all’ seine reichen Kräfte zur Bildung der Jugend seiner Heimat aufzubieten, bei so warmer Vaterlandsliebe, so tiefer, dankbar begeisterter Anhänglichkeit an seinen Kaiser, der durch Erwähnung seines Wunsches und Bewilligung der Mittel, in Dorpat sich deutsche Bildung zu holen, sein größter Wohlthäter geworden, wäre diesem ausgezeichneten und dabei so anspruchsvollen Mann ein recht weiter Wirkungskreis im wahrsten Interesse des Landes zu wünschen. Doch selbst in seinen jetzigen ziemlich beschränkten Verhältnissen wird es diesem wackeren Pflanzer deutschen Geistes, deutscher Tugend nicht fehlen, unter der verwahrlosten Jugend seiner Vaterstadt viel guten Samen mit guter Hoffnung und schönem Erfolge auszustreuen!25

Im Übrigen schrieb Wagner den »elenden Zustand« in den armenischen Kreisschulen im Kaukasus nicht nur dem Fehlen ausgebildeter Lehrer zu, die »mit demselben edlen Eifer« wirkten wie Abovian es in seiner Hingabe tat. Er 22 Froundjian: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen, 105. 23 Wagner, Moritz: Reise nach dem Ararat und dem Hochland Armenien. Beiträge zur Naturgeschichte des Hochlandes Armenien. Stuttgart 1848, 3. 24 Ebd., 85. 25 Ebd., 85 f.

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machte maßgeblich auch die zarische Politik dafür verantwortlich, dass sie die Notwendigkeit der Ausbildung lokaler Staatsdiener nicht erkannt habe.26 Abovian unterhielt kontinuierlich Kontakt zu den deutschen Reisenden und begleitete oft als Experte und Dolmetscher Kaukasus-Expeditionen. So stand er dem Dorpater Geologen Hermann von Abich bei drei erfolglosen Versuchen der Besteigung des Ararat zur Seite.27 Ein weiterer Reisender in Transkaukasien, der deutsche Botaniker Karl Koch, lernte Abovian während seiner zweiten gemeinsam mit dem deutschen Orientalisten Georg Rosen unternommenen Reise kennen und beschrieb ihn als: […] für europäische und zunächst deutsche Bildung so enthustasmirten (sic!) Armenier, den Parrot, der erste Ersteiger des Ararat, aus seiner dumpfen Zelle zu Etschmiadsin mit sich nach Dorpat nahm und ihm deutsches Wesen einimpfte.28

Neben der pädagogischen Tätigkeit widmete sich Abovian der Übersetzungsarbeit. Damit gehörte er bereits zu seiner Zeit zu den wichtigsten Übersetzern deutscher Schriftsteller ins Armenische und prägte auch als Autor die armenische Literatur des 19. Jahrhunderts nachhaltig. Der Einfluss der deutschen Wissenschaft zeigte sich dabei in erster Linie in seinem Einsatz für die Einführung der sogenannten neuarmenischen Sprache. Sein bekanntestes Werk, »Verk’ Hayastani« (Die Leiden Armeniens), das den Anfang der armenischen literarischen Romantik markiert, verfasste Abovian in dieser Sprache.29 Ein handschriftliches Exemplar dieses Werkes nahm Gevorg Ak’imianc ­(1829–1911), ein Schüler Abovians und später ein bekannter Publizist, mit nach Dorpat. Unter den dortigen Studenten, so Abełian, hatte dieses Buch eine wahre Sensation bewirkt. Sie hätten das Werk nicht nur mehrfach gelesen, sondern kannten es beinahe auswendig.30 1843 wurde Abovian aus seiner Stellung als Schuldirektor in Eriwan entlassen und unternahm danach einige selbstständige Reisen, um unter anderem ethnografisches Material zu sammeln. Im April 1848 verschwand er unter rätselhaften Umständen, wobei sein Verbleib bis heute von der Wissenschaft nicht lückenlos aufgeklärt werden konnte. Abovians Aufenthalt in Dorpat galt damals schon als Auslöser der mehr als ein halbes Jahrhundert andauernden Studienmigration an diese Universität. Nicht nur motivierte er seine Schüler, nach Dorpat zu fahren und dort zu stu26 Ebd., 85. 27 Mushegyan, Albert: Ličnost’ Chačatura Abovjana v nemeckoj literature [Die Person des Xačatur Abovian in der deutschen Literatur]. In: Chačatur Abovjan, 80–107, 96 f. 28 Koch, Karl: Wanderungen im Oriente, während der Jahre 1843 und 1844. Band 3: Reise in Grusien, am kaspischen Meere und im Kaukasus. Weimar 1847, 75. 29 Abovian, Xačatur: Verk’ Hayastani. Vołb hayrenasiri. Patmakan vep [Die Leiden Armeniens. Die Klage eines Patrioten. Historischer Roman]. Tiflis 1858. 30 Abeghjan: K’erovbe Patkanean Dorpatum, 39.

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dieren, er war auch bemüht, finanzielle Unterstützung für sie zu beschaffen. Zum Teil lässt sich dies aus diversen Memoiren, Briefen und Artikeln ehemaliger Studenten entnehmen, für die neben dem Prestige der Universität eben auch der Aufenthalt von Abovian dort zum entscheidenden Motiv wurde. So führte auch Alexandr Ṙotinian31 seine Entscheidung, nach Dorpat zu fahren, unter anderem auf Abovians Einfluss zurück: […] Abovian, der vor einiger Zeit ein Student der Dorpater Universität war, drängte seine Schüler in Tiflis, eine Hochschulbildung an der Universität Dorpat aufzunehmen. Obwohl ich kein Schüler von Abovian war, klingen seine Worte ›die deutsche Ausbildung ist schön‹ immer noch in meinen Ohren.32

An Abovian wandten sich aber auch Dorpater Professoren, die an der Hochschulbildung junger Armenier interessiert waren und dies für die beste Möglichkeit hielten, »dem armenischen Volke den Weg zum Aufstieg zu ebnen«.33 So erkundigte sich beispielsweise der deutsche Jurist Friedrich von Schwebs bei Abovian nach weiteren Armeniern, die möglicherweise den Wunsch und die Möglichkeit hätten, in Dorpat zu studieren.34 Einer der ersten ordentlich eingeschriebenen armenischen Studenten an der Dorpater Universität war indessen Step’anos Nazarian, Begründer der neuarmenischen Publizistik, Herausgeber der Zeitschrift Hiusisap’ayl (Die Aurora), später Professor in Kazan’ und Moskau. Nazarian hatte an der Nersesian-Schule in Tiflis studiert, beschloss jedoch, früh mit dem Universitätsstudium anzufangen. Dieser Entscheidung ging eine lange Korrespondenz mit Abovian voraus, der bereits in Dorpat war und seinen Freund für das Studium dort zu begeistern versuchte. Später hat Nazarian geschrieben, dass die Korrespondenz mit Abovian zum entscheidenden Wendepunkt wurde, ohne jegliches Einkommen ein Hochschulstudium in Dorpat aufzunehmen: Indessen, der häufige Briefwechsel, den ich mit meinem Landsmanne Apowjanz nach Dorpat unterhielt, machte in mir den Wunsch immer lebendiger, sobald als möglich mich nach Europa zu begeben. Von seinen Mitteilungen völlig beseelt, wagte ich trotz meiner höchst nothdürftigen Mittel eine Reise nach Dorpat, wo ich mir einige Jahre durch sehr unbedeutende Unterstützungen meiner Freunde durchhalten musste.35

31 Alexander Ṙotinian (1832–unbekannt) war Förster im Departement der Reichsdomänen im Kaukasus. Vgl. Hasselblatt, Arnold / Otto, Gustav (Hg.): Album academicum der Kaiserlichen Universität Dorpat. Dorpat 1889, 429. 32 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 3. 33 Froundjian: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen, 107; Vgl. auch Abeghjan: Step’anos Nazarian, 16. 34 Abeghjan: Step’anos Nazarian, 16. 35 Nazarian, Step’anos: Namakani [Briefe]. Vorwort und Anmerkungen von Ruzan Nanumyan. Jerewan 1969, 40.

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Da Nazarian kein Reifezeugnis hatte, studierte er zunächst in einem Gymnasium und konnte nach einem privaten Vorbereitungskurs die Reifeprüfung frühzeitig ablegen. Nach externer Aufnahmeprüfung im Juni 1835 wurde er an die Dorpater Universität aufgenommen. Abovian nutzte derweil seine Kontakte, um für Nazarian ein Stipendium zu beschaffen, und wandte sich an Friedrich von Schwebs, der die finanzielle Unterstützung eines Armeniers bereits zugesagt hatte. Nazarian erhielt in der Tat eine gewisse Förderung und nannte von Schwebs seinen Wohltäter.36 Mit dem gleichen Anliegen wandte sich Abovian auch an Nerses Aštarakeci: […] es wäre ein viel zu großer Verlust für das armenische Volk, wenn so ein begabter junger Mann wie Nazarian wegen seiner Armut nicht studieren kann. Ich würde der Sklave von demjenigen werden, der die Kosten seines Studiums, die sich nicht mehr als auf 200 Rubel im Jahr belaufen, für zwei bis drei Jahre übernehmen würde.37

Von Nazarians finanzieller Lage war auch die Wahl des Studienfachs abhängig: Nachdem er zunächst bis Januar 1836 Kameralia, dann zwei Semester Medizin studiert hatte, wandte er sich mit einem Brief an die Universität und bat um ein Stipendium. Dabei betonte er explizit die Absicht, nach dem Studium als Lehrer in armenischen Schulen zu wirken.38 Sein Antrag wurde jedoch zunächst nicht bewilligt, sodass Nazarian ab Anfang 1837 in die historisch-philologische Abteilung der Philosophischen Fakultät wechselte und bis Sommer 1840 studierte.39 Diese Entscheidung diskutierte er ausführlich mit Abovian: Ich weiß nicht, ob Dir die Studienfächer, die ich mir ausgesucht habe, gefallen werden. Ich habe beschlossen, meine Aufmerksamkeit insbesondere der Geschichte zu widmen und mich in diesem Fach gründlich ausbilden zu lassen. […] Von den neuen Sprachen interessieren mich besonders Russisch und Französisch, denn beide sind sehr gefragt.40

Abovian kritisierte jedoch seine Wahl und legte ihm nahe, sich eher mit den Unterrichtsmethoden in den verschiedenen Fächern zu beschäftigen, um später eine pädagogische Tätigkeit aufnehmen zu können. Doch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt machte Nazarian seine Absicht klar, in der Wissenschaft Fuß zu fassen. Dafür müsse er seine ganze Energie und Aufmerksamkeit einem Fach widmen, nämlich der Geschichte mit dazugehörigen Hilfsfächern. 36 Abeghjan: Step’anos Nazarian, 16 f. 37 Shahaziz (Hg.): Divan Xačatur Aboviani, Band 2, 24 f. 38 Abeghjan: Step’anos Nazarian, 50. 39 Vgl. Hasselblatt (Hg.): Album academicum, 252. 40 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Xačatur Abovian, Nr. 299–301, Bl. 177.

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Ob dies nun »meinem Volk« nützlich sein würde oder nicht, war aus Nazarians Sicht für akademische Prinzipien unerheblich.41 Nazarians Antrag auf ein Stipendium wurde dank der Vermittlung des Kurators des Dorpater Lehrbezirks Gustav von Craffström letztlich doch bewilligt, womit er bis zum Ende des Studiums jährlich 500 Rubel als staatliches Stipendium erhielt.42 An Abovian schrieb er, dass sein Herzenswunsch endlich in Erfüllung gegangen sei und er von der Regierung finanziert werde. Dadurch habe er keine weiteren Verpflichtungen mehr, als nach dem Studium als Lehrer seiner Heimat, »falls so eine überhaupt existieren wird«, zur Verfügung zu stehen.43 Craffström bemühte sich auch um weitere finanzielle Unterstützung für ihn, sodass Nazarian davon ausging, vier bis fünf Jahre studieren zu können. Über die Knappheit des Geldes klagte er dennoch: Die kleine Unterstützung, die ich von der Regierung erhalte, reicht kaum, um meine physischen und seelischen Bedürfnisse zu befriedigen. Ich muss sehr sparsam leben, wenn ich zumindest die notwendigen Bücher kaufen möchte. Es ist sehr schmerzhaft, dass kein Mensch, weder Verwandte noch ein Freund, an mich denkt. Einer hatte sogar vor einigen Jahren geschrieben, dass ich in den Forderungen, die ich an meine Freunde stelle, zurückhaltender sein soll. Ich muss gestehen, es versetzt mich in einen seltsamen seelischen Zustand, wenn ich daran denke, dass alle Geldbeutel plötzlich leer werden und alle Quellen trocknen, wenn es darum geht, mir irgendeine Hilfe zukommen zu lassen. Herzlichen Dank und noch einmal Dank an meine gebildeten deutschen Freunde, deren Interesse an mir ein gänzlich anderes ist, als das von Menschen in Tiflis und anderswo.44

Im August und November 1840 legte Nazarian seine Gradualexamen »im Allgemeinen sehr erfolgreich« ab und erlangte nach dem Einreichen der Dissertation zum Thema »Sparta et Athene bello Peloponesiaco« in lateinischer Sprache den wissenschaftlichen Grad des Kandidaten45 der Geschichtswissenschaften.46 Nazarian verweilte noch in Dorpat, als im Jahr 1839 mit der Unterstützung des Kurators des Kazaner Lehrbezirks Michail Nikolaevič Musin-Puškin sowie des Ministers für Volksaufklärung Sergej Semënovič Uvarov an der Universität Kazan’ der Lehrstuhl für armenische Sprache und Kultur gegründet 41 Ebd., Bl. 180. 42 Ebd., Bl. 177. 43 Ebd. 44 Ebd., Bl. 181. 45 Nach den Universitätsregeln erlangten die Studenten nach der mündlichen Prüfung »die Würde eines graduierten Studenten«, was ihnen die Möglichkeit gab, in den Staatsdienst einzutreten. Den wissenschaftlichen Grad eines Kandidaten bekam man nach dem Einreichen einer schriftlichen Arbeit. 46 Vgl. Abeghjan: Dorpati hay usanołut’iunẹ, Sp. 116 f.

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wurde. Unter anderem sollte er die Erforschung der armenischen Sprache und Literatur in Russland befördern, aber auch der Annäherung der Armenier an die europäische Wissenschaft dienen.47 Für die Leitung des Lehrstuhls versuchte Musin-​Puškin, den deutschen Orientalisten Julius Heinrich Petermann zu gewinnen. Dieser war als Experte für die armenischen und die syrischen Sprachen in russischen akademischen Kreisen bestens bekannt, sodass auch die St. Petersburger Orientalisten und Akademiemitglieder Frähn und Marie-Félicité Brosset seine Ernennung »für einen herausragenden Gewinn für die Wissenschaft« hielten.48 Da Petermann jedoch das Angebot ablehnte, legte Brosset dem aus D ­ orpat gerade zurückgekehrten Nazarian nahe, sich auf die Stelle vorzubereiten. In einem an Frähn adressierten Brief versuchte Nazarian, den scheinbaren »Widerspruch« zwischen seiner Anstellung in Kazan’ und der Verpflichtung, nach dem Studium in seiner Heimat zu wirken, zu erklären: Es ist noch nicht bekannt, welchen Wirkungskreis die Regierung für mich beschlossen, aber dennoch lässt sich’s ganz sicher vermuten, dass meine Stellung in meinem Vaterlande, bei den unzähligen, feindselig wirkenden Verhältnissen, keineswegs die geeigneteste sein möchte zur Verwirklichung meiner Pflichten. Es scheint, ja, es wird ganz gewiss, wenn ich meine künftige Lage in meinen, in tausend Vorurteilen befangenen, Landsleuten reiflich erwäge, dass ich fern von meiner Heimat, fern von den misstrauisch-argwöhnischen Blicken meiner Armenier, viel segensreicher auf sie zurückwirken kann, als in ihrer Mitte. Außerdem, welche unendlichen Vorteile stehen mir zu erwarten von der unmittelbaren Nähe wissenschaftlich gebildeter Männer!49

Mit wohlwollender Unterstützung von Frähn und Brosset verbrachte Nazarian ein halbes Jahr an der St. Petersburger Universität und im Asiatischen Museum50 und übernahm schließlich im September 1842 die Leitung des Lehrstuhls. Über seine Tätigkeit schrieb Brosset dem Minister für Volksaufklärung Uvarov: […] mit der in Dorpat gewonnenen Erfahrung könnte Nazarian nicht nur seinen Wunsch verwirklichen, seinem Volk nützlich zu sein, sondern darüber hinaus auch den [von Uvarov] zusammengestellten Plan für die Weiterbildung des russischen Armeniens ins Leben rufen.51 Akopyan: Armenovedenie, 92. Ebd., 91. Nazarian: Namakani, 61. Das Asiatische Museum wurde durch Frähns Initiative 1818 in St. Petersburg als Sammelstätte von Handschriften verschiedener orientalischer Sprachen und als Bibliothek für Orientalistik gegründet. 1930 wurde auf der Basis des Asiatischen Museums und einiger anderer orientalischer Institutionen das Institut für Orientalistik an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR eröffnet. Vgl. Akopyan: Armenovedenie, 40–42. 51 Ebd., 92. 47 48 49 50

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Die Leitung des Lehrstuhls hatte Nazarian, der bis Anfang 1864 der einzige promovierte Spezialist für die orientalischen Sprachen in Russland war,52 bis 1849 inne. Nach seinem Umzug ins Lazarev-Institut in Moskau übernahm sein ehemaliger Student G. Gladyšev den Lehrstuhl und leitete diesen bis zu seiner Schließung im Jahr 1852. Nazarians Kontakt zur Dorpater Universität und den dort studierenden Armeniern brach in den folgenden Jahren nicht ab. Die »deutsche Ausbildung« betrachtete er als die bessere Option für die armenische Jugend, da er den deutschen Einfluss auf das armenische nationale Selbstbewusstsein für weniger »gefährlich« als die befürchtete Russifizierung einschätzte.53 Die jungen Armenier sollten also nach dem Abschluss einer guten armenischen Schule das Studium an einer deutschen Universität fortsetzen und danach an den armenischen Lehranstalten unterrichten. Damit würden sie, so Nazarian, erheblich zur »kulturellen Renaissance des armenischen Volkes« beitragen.54 Diese Haltung spiegelte sich unmittelbar in seiner Zeitung Hiusisap’ayl wider, in der er immer wieder Übersetzungen aus dem Deutschen, vor allem von Schiller druckte. Es ist auch kein Zufall, dass gerade in den 1850er Jahren, kurz nach Nazarians Anstellung am Lazarev-Institut, eine beachtliche Zahl armenischer Absolventen nach Dorpat ging.55 Selbst der russische Poet, Übersetzer und Kenner der armenischen Literatur Jurij Veselovskij hat später geschrieben, dass Nazarian sein Leben lang ein Verehrer der deutschen Wissenschaft und Literatur blieb, mit einer subjektiven Passion für alles, was deutsch sei.56 Die von Nazarian verbreitete Empfehlung, »den Wissensdurst in Dorpat zu stillen«, motivierte unter anderem auch Alexandr Ṙotinian, nach dem Abschluss des Lazarev-Instituts nach Dorpat zu gehen. Seine Erinnerungen schilderte er in einem ausführlichen Artikel,57 der zusammen mit Memoiren von Levon Tigranian58 im Archiv des Museums für Literatur und Kunst in 52 Bartold, Vasilij V.: Raboty po istorii vostokovedenija. Tom IX [Studien zur Geschichte der Orientalistik. Band 9]. Moskva 1977, 79. 53 Vgl. Abeghjan: Stap’anos Nazarian, 88. 54 Ebd., 89. 55 Vgl. Akopyan, E. A.: Kerope Patkanjan. Žisn’ i tvorčestvo [K’erobe Patkanian. Leben und Werk]. Jerewan 1975, 12. 56 Vgl. Abeghjan: Stap’anos Nazarian, 90. 57 Diesen Artikel hatte Ṙotinian offenbar dem armenischen Historiker, Professor Karapet Yełianc überlassen, der ihn in drei Teilen und in redigierter Form in der Zeitung Arjagank’ veröffentlichte. Vgl. Arjagank’. 1892, 107, 1–3; Ebd., 108, 1–3; Ebd., 110, 1–3. Das ungekürzte Manuskript ist im Fond von Artašes Abełian im Archiv des Museums für Literatur und Kunst in Jerewan zugänglich. 58 Levon Tigranian (1842–1906) war ein bekannter armenischer Arzt. Nach dem Studium in Dorpat bekämpfte er während des russisch-türkischen Krieges (1877–1878) das Fleckfieber in der russischen Armee an der Kaukasusfront. 1879 wurde er zum städtischen Arzt in Eriwan ernannt und leitete ab 1880 den ständigen Gesundheitsausschuss. Zwischen 1881 und 1884 gab er das Monatsjournal Aṙołǰapahakan t’ert’ (Die Zeitung für Gesundheit)

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Jerewan aufbewahrt wird. Diese Notizen sind mit Korrekturen, Verweisen und Berichtigungen von Abełian versehen und stellen für das akademische und soziale Leben armenischer Studenten in Dorpat eine wertvolle Quelle dar. Unter anderem geben sie detaillierte Auskunft über die akademischen Erfahrungen armenischer Studenten und ihre sozialen Kontakte zu anderen nationalen und religiösen Gruppen, sie enthalten aber auch von diesen Studenten verfasste Gedichte und Lieder, die niemals veröffentlicht wurden. Nicht nur Nazarian, sondern auch Ałat’on Akimian (1801–1853), ein vermögender Armenier aus St. Petersburg, der bereits einige Studenten in Dorpat finanziell unterstützte und sie mit Büchern armenischer Schriftsteller und Historiker versorgte, bestärkte Ṙotinian in seinem Vorhaben, ein Hochschulstudium in Dorpat aufzunehmen.59 1851 machte er sich mit minimalen Deutschkenntnissen auf den Weg: Bereits auf halbem Weg habe ich den Bedarf an dieser unbekannten Sprache gespürt. Je mehr wir uns Dorpat näherten, desto verwirrter und hilfloser wurde ich. Ich konnte nicht verstehen, was man um mich herum auf Deutsch sagte. Mein Begleiter, der ein Student der Dorpater Universität war und viele Armenier kannte, bat jemanden am Bahnhof, mir das Stadtviertel zu zeigen, wo die Armenier wohnten.60

Etwa ein halbes Jahr nach der Ankunft verbrachte Ṙotinian mit dem Erler­ nen der deutschen Sprache und konnte sich 1852 an der Universität immatri­ kulieren: Das erste halbe Jahr konnten wir deutsche Lektüre kaum verstehen, noch weniger waren die Vorlesungen der Professoren verständlich. Aber durch harte Arbeit wurden diese Schwierigkeiten überwunden. Weder Theater, noch Kartenspiel, noch eine andere Beschäftigung konnten wir uns leisten.61

Doch neben der deutschen Sprache wurde auch die schlechte Kenntnis seiner Muttersprache für Ṙotinian zu einer Hürde. Die Pflege der armenischen Sprache war den Dorpater Studenten ein besonderes Anliegen, wobei die meisten das sogenannte Neuarmenisch nicht beherrschten: »[…] jeder sprach und schrieb wie er konnte«.62 Gerade die Stipendiaten wandten sich daher oft an

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heraus. Tigranian war aktiv in die armenische nationale Befreiungsbewegung involviert und traf sich regelmäßig mit ihren herausragenden Aktivisten. Er übersetzte einige medizinische Wörterbücher aus dem Russischen und Lateinischen ins Armenische, aber auch Werke von Goethe. Vgl. Ōv ōv ē. Band 2, 606 f; Tigranian, Levon: Germanakan Dorpat hamalsaranẹ ev nora hay usanołnerẹ [Die deutsche Universität Dorpat und ihre armenischen Studenten]. In: Lumay. 8 (1903), 5, 5–33; Ebd., 6, 54–86. Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 8–9. Ebd., Bl. 9–10. Ebd., Bl. 12. Ebd., Bl. 12–13.

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ihre Geldgeber mit der Bitte, einen Studienaufenthalt bei den Mechitaristen für die Erlernung der armenischen Sprache zu finanzieren, was in den meisten Fällen tatsächlich genehmigt wurde.63 Wie die Quellen zeigen, konnten einige das Studium in Dorpat sogar frühzeitig abschließen, um die restliche Zeit in Wien zu verbringen. Die Bedeutung der Muttersprache machte Ṙotinian scherzhaft mit einer Anekdote deutlich: Die Studenten verpflichteten sich selbst, für jedes ausländische Wort eine halbe Kopeke zu zahlen: »Das half, allerdings hatten die Armenier aus Tiflis innerhalb eines halben Jahres 6 Rubel gesammelt«.64 Zum akademischen Leben in Dorpat gehörte neben dem Studium auch die Sozialisation in studentischen Vereinen. Indirekte Hinweise über die Vereini­ gungen armenischer Studenten finden sich zum Teil in der Presse. So erkundigte sich der Direktor des armenischen geistlichen Seminars in Arzach am 16. November 1912 beim Rektor der Universität Jur’ev, ob unter den 17 armenischen Studenten, die einmal eine Burschenschaft gebildet hatten und in der Folge aus der Universität ausgeschlossen wurden, der Name Xačatur Abovian vertreten sei.65 Andere Quellen legen wiederum nahe, dass die Zahl armenischer Studenten in Dorpat eigentlich zu klein war, um eigene Vereine zu gründen. Darüber hinaus waren die administrativen Hürden zu hoch,66 daher traten sie eher den deutschen Vereinen, etwa dem »Baltischen Verein« bei. Sie beteiligten sich aber auch generell an Versammlungen deutscher Kommilitonen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Dies war eine Praxis, die die russischen und polnischen Studenten offenbar ebenfalls pflegten.67 Immerhin bewegten diese Kontakte die armenische Studentenschaft dazu, eigene studentische Traditionen zu etablieren; dazu gehörten auch studentische Lieder. Anfangs wurden deutsche Lieder wie etwa »Aus dem Wirtshaus komm’ ich heraus«, » Mein Pfeifchen« oder »Krambambuli« ins Armenische übersetzt, später kamen auch originell armenische Lieder hinzu.68 So verfasste K’ristof Avak’ianc nach dem deutschen Beispiel ein studentisches Lied, 63 Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 87–88. 64 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 23. 65 Eigentlich wollte der Direktor wissen, ob Abovian überhaupt als ordentlicher Student an der Universität eingeschrieben war, was er studierte und ob er ein Zeugnis erhalten hatte. Nach einer Überprüfung der Archivmaterialien verneinte der Rektor alle Fragen, berichtete stattdessen, dass der Sohn von Abovian, Vardan Abovian von 1861 bis 1862 in Dorpat studiert habe. Zwar konnte er das Studium nicht abschließen, legte aber 1864 eine Prüfung ab und erhielt das Recht, Russisch zu unterrichten. Handes Amsoreay. 27 (1913), 6, 377–379. 66 Tamul: Zur Studentenschaft der russifizierten Universität Tartu, 104. 67 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 24. 68 Leo: Rusahayoc grakanut’iunẹ, 18 f; Abeghjan: K’erovbe Patkanean Dorpatum, 42–46.

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das zu Beginn jedes Treffens gesungen werden sollte. Außerdem wurde durch patriotische Lieder versucht, das nationale Selbstverständnis armenischer Studenten wachzuhalten. Hambarjum P’ap’azianc69 verfasste das später sehr bekannte Lied »Euch Söhne Armeniens ruft das Mutterland«, das sich rasch verbreitete und »selbst Abovian und Nazarian begeisterte«.70 Eine weitere Möglichkeit, sich mit armenischen Themen zu beschäftigen, waren sowohl wöchentliche Literaturabende in der Wohnung von Gevorg Ak’imianc als auch der »selbstverständlich kostenlose« Sprachunterricht, den Petros Simeonianc71 denjenigen Studenten anbot, die die Muttersprache nicht beherrschten. Bei diesen Gelegenheiten wurden nicht nur armenische Zeitschriften gelesen und diskutiert, sondern auch eigene auf Armenisch verfassten Werke vorgestellt.72 Dank der Vermittlung des Buchhändlers Hambarjum Ēnfiač’ian konnten die Dorpater Studenten regelmäßig die Zeitschriften Arċiv Vaspurakani (Adler von Vaspurakan), Aršaluys Araratean (Aurora von Ararat) sowie die auf Altarmenisch erscheinende Azgaser (Der Patriot) lesen. Im Jahr 1853 erreichte sie das oben erwähnte Buch von Abovian »Verk’ Hayastani« und sorgte sogleich für großen Aufruhr. Das war, so Ṙotinian, das erste Buch in jenem Dialekt, der im Gebiet Ararat zu den Lebzeiten von Abovian verbreitet war. Dies verschaffte den Bemühungen, den Gebrauch der neuarmenischen Sprache im Alltag durchzusetzen, zusätzlichen Auftrieb.73 Ṙotinian beschrieb auch seine Treffen mit den später bekannt gewordenen Persönlichkeiten, die in Dorpat studierten bzw. nur kurz dort verweilten. So lernte er im Haus von Simeonianc den gerade angereisten Dichter Rap’ael Patkanian74 kennen, der von 1853 bis 1854 als Gaststudent in Dorpat war. Als solcher bekam er ein kleines und äußerst unregelmäßig gezahltes Stipendium vom Rat der armenischen Kirche in St. Petersburg, lebte in großer Not und hielt sich von studentischen Aktivitäten fern. Ihn sah man, so Ṙotinian, 69 Hambarjum P’ap’azianc (1830–unbekannt) war ein armenischer Dichter und Bischof in Tiflis. Vgl. Hasselblatt: Album academicum, 397. 70 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 19. 71 Petros Simeonianc (1930–1911) war ein armenischer Publizist und Pädagoge. Nach dem Abschluss der Dorpater Universität arbeitete er als Lehrer im Nersesian-Seminar in Tiflis, war von 1863 bis 1886 Redakteur der Zeitschrift Mełu Hayastani (Biene Armeniens), von 1887 bis 1891 redigierte er die Zeitschrift Ararat. Vgl. Ōv ōv ē. Band 2, 460. 72 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 37. 73 Ebd., Bl. 25. 74 Rap’ayel Patkanian (Gamaṙ-K’at’ipa, 1830–1892) war ein bekannter armenischer Dichter und Schriftsteller. Nach dem Studium am Lazarev-Institut in Moskau ging er zunächst nach Dorpat, setzte dann das Studium in St. Petersburg fort, wo er die Fakultät für Orientalistik absolvierte. Seine ersten Gedichte mit vorwiegend patriotischem Inhalt schrieb Patkanian in Dorpat und thematisierte darin das Schicksal des armenischen Volkes unter türkischer Herrschaft. Auf die armenische Jugend hatte er vor allem wegen seines Einsatzes für die Einführung der neuarmenischen Sprache großen Einfluss. Vgl. Ōv ōv ē. Band 2, 309 f.

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auch bei den Vorlesungen selten.75 Gänzlich anders trat Patkanians Cousin auf, der oben bereits erwähnte Orientalist K’erovbe Patkanian. Dieser ging nach seinem Abschluss am Lazarev-Institut 1851 ebenfalls mit Förderung von Ałat’on Akimian nach Dorpat, studierte bis September 1852 Kameralia und lebte »in großem Stil«: Er hatte andauernd Schulden. Sobald er etwas Geld bekam, gab er alles wieder aus und blieb mit nichts. Ständig war er auf der Suche nach neuen Bekannten. Der enge Kreis der Armenier war ihm zu wenig, daher verkehrte er gern in den studentischen Versammlungen deutscher Kommilitonen.76

Diesen Lebensstil erklärten seine Biografen mit der beachtlichen Differenz zwischen dem abgeschotteten Leben im Lazarev-Institut und den studentischen Freiheiten in Dorpat.77 Patkanian selbst pries das freie studentische Leben in den Liedern, die er während seiner Dorpater Zeit schrieb. Auch übersetzte er deutsche studentische Lieder ins Armenische, die sogleich große Popularität gewannen.78 Patkanians Stipendium wurde jedoch nach knapp zwei Jahren eingestellt, sodass er gezwungen war, das Studium abzubrechen und nach St. Petersburg zurückzukehren. Von der Dorpater Universität erhielt er nur eine Studienbestätigung, was ihn natürlich nicht zum Staatsdienst berechtigte.79 Diesen Umstand führte Ṙotinian auf die mit dem Stipendium verbundene Bedingung zurück, nach dem Studium in den geistlichen Stand zu treten. Diese Forderung wurde freilich auch an K’erovbe Patkanian gestellt, war jedoch, so beschrieb  es Ṙotinian, seinen Wünschen ebenso wie seinem Wesen und Lebensstil zuwider.80 Patkanian war indes nicht der einzige, der aufgrund unregelmäßiger Stipen­ dienzahlungen das Studium abbrechen musste. Zwar sollte die finanzielle Unterstützung des Auslandsstudiums die Kirche mit gebildeten Fachkräften versorgen. Doch gleichzeitig war die Befürchtung groß, die Stipendiaten würden sich nach dem Studienabschluss und angesichts der ihnen nun zur Verfügung stehenden besseren Berufsmöglichkeiten gegen den geistlichen Dienst entscheiden. Daher wurden die Stipendienzahlungen, so die Annahme, noch vor der Beendigung des Studiums bewusst ausgesetzt. Das führte dazu, dass die Stipendiaten oft ohne Abschluss zurückkehren mussten.81 Auch Hambarjum P’ap’azianc und Grigor Ałapirianc waren gezwungen, die Universität 75 76 77 78 79 80 81

Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 39. Ebd., Bl. 43. Akopyan: K’erobe Patkanjan, 13. Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 43. Abeghjan: K’erovbe Patkanean Dorpatum, 29 f. Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 44. Abeghjan: K’erovbe Patkanean Dorpatum, 15 f.

Die Universität Dorpat als Hochburg der armenischen Studentenschaft 

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vorzeitig und ohne Abschlusszeugnis zu verlassen, denn der Kirchenrat in St. Petersburg hielt sie für »genug ausgebildet« und verlangte ihre sofortige Rückkehr.82 Ṙotinian machte diese Tatsache unter anderem dafür verantwortlich, dass sich die Zahl armenischer Studenten in Dorpat gegen Ende der 1850er Jahre drastisch reduziert hatte: Selbst andere Studenten wunderten sich, warum die Armenier nicht mehr nach Dorpat kamen, um eine deutsche Ausbildung zu bekommen, und warum unsere Zahl innerhalb von nur 1,5 Jahren so drastisch gesunken war. Und wir wussten nicht, was wir sagen sollten; diese Frage war und bleibt auch für uns ein Rätsel. […] Im Sommer kamen einige Kommilitonen aus russischen Universitäten, um uns zu besuchen und Deutsch zu lernen. Sie fanden das Leben hier zwar schön, wollten aber dennoch nicht in Dorpat studieren.83

Ṙotinian selbst absolvierte das Studium an der Landwirtschaftlichen Fakultät 1856 mit der erfolgreichen Verteidigung seiner Dissertation und kehrte noch im selben Jahr nach Tiflis zurück. Vom Kathołikos Nerses V. Aštarakeci, der höchstpersönlich Interesse an Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau bekundete, wurde er eingeladen, einige Vorlesungen über diese Themen in Ēǰmiaċin zu halten.84 Ein knappes Jahr vor Ṙotinians Rückkehr hatte sich in Tiflis bereits ein Kreis Dorpater Absolventen gebildet. Der Pädagoge und Naturforscher ­Gabriel Xatisian (1831–1889) gründete dort ein Internat, in dem Ṙotinian und Ak’imianc häufig zu Besuch waren. Da das Internat jedoch 1858 wieder geschlossen werden musste, begleitete Xatisian im August 1859 neun Studenten für ein Hochschulstudium nach Moskau. Diese scheiterten jedoch an der Aufnahmeprüfung und gingen nach Dorpat, wo die Prüfungen zweimal im Jahr, im Januar und November, abgelegt werden konnten. Nach einer Vorbereitung in den Fächern Deutsch und Latein konnten sich 1860 zunächst fünf von ihnen, 1861 dann die restlichen vier an der Universität Dorpat immatrikulieren.85 Gemeinsam mieteten sie eine große Wohnung, die ihnen allerdings, so Tigranian, als Versammlungsort zum Verhängnis wurde.86 Unter der Regie von Gevorg Dodoxian87, der als Vertreter der »älteren Generation« die Betreuung 82 83 84 85 86 87

Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 18. Ebd., Bl. 49. Ebd., Bl. 52–53. Ebd., Bl. 69. Ebd., Bl. 70. Gevorg Dodoxian (1830–1908) war ein armenischer Dichter, Übersetzer und Pädagoge. 1848 absolvierte er das Moskauer Lazarev-Institut und studierte zunächst an der St. Petersburger Kunstakademie, dann Wirtschaft und Jura in Dorpat. Dodoxian lehrte mehrere Jahre u. a. in St. Petersburg und auf der Krim, er übersetzte auch Werke russischer und deutscher Schriftsteller ins Armenische. In Dorpat verfasste Dodoxian eines der

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Studium und Alltag

dieser Studenten übernommen hatte, verfielen sie dem Alkohol, machten Schulden und vernachlässigten das Studium. Die lauten Zusammenkünfte hätten sich alsbald auch unter den deutschen Studenten herumgesprochen: Der Umtrunk und die Singerei nahmen kein Ende. Überall, wo Dodoxian war, verging kein Abend ohne 100 Flaschen Bier. Die Wohnung hatte sich zu einem Hotel verwandelt. Natürlich bekamen sie auch Besuch von deutschen Kommilitonen. Oft gingen die Armenier in die Kneipen außerhalb der Stadt und veranstalteten Trndez88, weswegen die einheimischen Esten sie für Feueranbeter hielten. […] Manchmal gingen sie zum Essen ins Hotel Blumberg. Jeder konnte essen und trinken, die Rechnung wurde gemeinsam gezahlt. Deren deutschen Freunde gingen häufig dorthin zum Essen und ließen die Rechnung auf die Armenier schreiben.89

Dieser Lebensstil war mit dem Studium in Dorpat freilich nicht vereinbar, daher verließen die meisten allmählich die Universität und gingen zurück nach Moskau.90 Ab den 1880er Jahren ging die Zahl armenischer Studenten an dieser Universität kontinuierlich zurück, doch auch in den folgenden zwei Jahrzehnten gab es in Dorpat immer wieder armenische Studenten; im Jahr 1900 erreichte ihre Zahl sogar ein knappes Dutzend. Bis zum Jahr 1917 studierten an der Universität Dorpat fast 93 ordentlich eingeschriebene armenische Studenten. Die meisten von ihnen stammten aus Tiflis (31), Eriwan (12), Baku (10), Jelizavetpol (10), einzelne Studenten gab es aus Astrachan, Šuši, Nor Naxiǰevan und anderen Orten. In der Regel waren sie Absolventen des Lazarev-Instituts, der Universitäten Moskau und St. Peters­burg, aber auch des Nersesian-Seminars und der Gevorgian-Akademie. Grafik 1 zeigt, wie sich die Studienfächer, die sie in Dorpat wählten, verteilten. Viele von diesen Studenten waren später bekannte Persönlichkeiten der armenischen Kultur und Wissenschaft und spielten eine bedeutende Rolle im öffentlichen Leben. Auf ihr Wirken wurde bereits von den Zeitgenossen sowie in der Historiografie die akademische Migration der Armenier an deutsche Universitäten zurückgeführt: Die in Dorpat studierenden Armenier kehrten in ihre Heimat zurück und brachten nicht nur wissenschaftliche Kenntnisse mit, sondern auch ihre Begeisterung für die deutsche Kultur und Sprache. Goethe und Schiller, Kant, Fichte, Hegel gehörten ihnen bekanntesten armenischen Gedichte »Ċiċeṙnak« (Die Schwalbe)  als Ausdruck seiner Sehnsucht nach der Heimat. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 352. 88 »Trndez« (Tyarnẹndaṙaǰ) ist ein in Armenien heute noch von der Kirche praktiziertes Fest, das die Darbringung Jesu im Tempel symbolisiert. Mit dem traditionellen Springen über ein Feuer hat das Fest jedoch heidnische Wurzeln. Vgl. K’ristonya Hayastan, ­1018–1020. 89 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 71–72. 90 Ebd., Bl. 72–73.

Die Universität Dorpat als Hochburg der armenischen Studentenschaft 

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Grafik 1: Die Verteilung der Studienfächer

genauso wie der deutschen Jugend. Es nimmt uns deshalb nicht wunder, dass bei der Russifizierung der Dorpater Universität (endgültig im Jahr 1889) die armenischen Studenten in die Universitäten in Deutschland strömten.91

Mit der Rückkehr der ersten Absolventen der Dorpater Universität intensi­ vierten sich die öffentlichen Debatten über verbesserte Studienmöglichkeiten der armenischen Jugend, für die Nazarians Zeitschrift Hiusisap’ayl eine wichtige Plattform darstellte. Die Vertreter der armenischen akademischen Elite setzten sich fortan für eine Ausbildung an deutschen Universitäten ein, was sie vor allem mit dem hohen wissenschaftlichen Niveau deutscher Hoch­ schulen begründeten. Nach der Russifizierung der Dorpater Universität verstärkte sich die bereits in den 1860er Jahren einsetzende Abwanderung armenischer Studenten nach Deutschland deutlich, womit die »Tradition« des Studiums an einer deutschen Universität nun in Deutschland selbst fortgeführt wurde.

91 Froundjian: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen, 107.

90

Studium und Alltag

3.2 Statistische Auswertung Das tatsächliche Ausmaß der armenischen akademischen Migration nach Deutschland und in die Schweiz sowie die Einzelheiten des Studiums können durch eine statistische Auswertung der Universitätsmatrikel aufgezeigt werden. Diese geben einen Überblick über die Zahl, die Herkunft, die soziale Lage und das Studium der armenischen Studenten, zeigen aber auch die starke zwischenuniversitäre Fluktuation. Um diese Daten zu erfassen, wurden die Matrikelbücher der Hochschulen in Berlin, Darmstadt, Dorpat, Freiburg  i. Br., Göttingen, Halle, Heidelberg, Jena, Karlsruhe, Leipzig, Marburg, München, Bern, Genf, Lausanne und Zürich durchgesehen. Die meisten dieser Universitätsmatrikel wurden in den letzten Jahren systematisch in Datenbanken erschlossen und um weitere biografische Angaben ergänzt. Wenige Online-Datenbanken, wie etwa jene der Universität Zürich, sind im Internet recherchierbar und geben die Informationen der Matrikel vollständig wieder. Die Matrikelbücher deutscher Universitäten sind zwar zum größten Teil digitalisiert worden, haben jedoch keine Datenbankerschließung und sind zudem – abgesehen von jenen in Heidelberg, in Halle oder in München – ­online noch nicht verfügbar.92 Neben den persönlichen Angaben sowie dem Herkunftsland und -ort ­lassen sich anhand der Matrikelbücher die Konfession, der Beruf des Vaters, der zumeist ein wichtiger Hinweis auf den sozialen Status des jeweiligen Studenten war, ferner der vorherige Studienort und damit indirekt die Vorkenntnisse der Studenten feststellen. Die Dokumentation dieser Merkmale – etwa der Angaben zur Konfession oder zum Beruf des Vaters – wurde jedoch von Universität zu Universität unterschiedlich gehandhabt bzw. war in manchen Fällen gar nicht erforderlich. Dabei wäre für der Feststellung der Nationalität die Konfession ein entscheidendes, wenngleich nicht ausschließliches Kriterium. Denn infolge der europäischen bzw. amerikanischen Missionsarbeit unter den Armeniern im Osmanischen Reich und im Kaukasus waren viele katholische und evangelische Gemeinden entstanden, deren Mitglieder zwar aus der armenischen Kirche ausgeschlossen waren, die sich jedoch weiterhin als Armenier begriffen. Auch die überaus heterogenen Angaben über das Herkunftsland liefern keine verlässlichen Anhaltspunkte für die Ermittlung der Nationalität. Im Falle der armenischen Studenten wurden häufig Kaukasus, Russland, Türkei und Persien, durchaus aber auch Armenien genannt. Zudem wurden oft die Nachnamen – vor allem bei wohlhabenden armenischen Familien – geändert. Erst auf der Basis vollständiger Angaben lässt sich mit Sicherheit feststellen, ob 92 Nach dem Stand von September 2019.

Statistische Auswertung 

91

es sich bei einer Person tatsächlich um einen Studenten armenischer Nationalität handelte. An dieser Stelle sei jedenfalls festgehalten, dass alle Studenten, die als Konfession armenisch-gregorianisch, armenisch-apostolisch bzw. nur armenisch oder nur gregorianisch angegeben hatten, in der Statistik berücksichtigt wurden. Wie anfangs bereits erwähnt, waren die meisten armenischen Studenten an deutschen Hochschulen, aber auch an den Universitäten der deutschsprachigen Schweiz in der Tat Untertanen des Russländischen Reiches. Die Zahl der Studenten  – nicht nur der armenischen  – aus dem Osmanischen Reich war im Vergleich zu den russländischen Studenten insgesamt auffallend niedrig.93 Dies lässt sich anhand konkreter Zahlen verdeutlichen: Die Suche in der Matrikeldatenbank der Universität Zürich liefert beispielsweise für die Jahre 1833 bis 1924 unter dem Stichwort »Russ. Reich« 3.979 Einträge, wobei zwischen 1870 und 1917 dort 87 armenische Studentinnen und Studenten immatrikuliert waren. Die Suche im gleichen Zeitraum unter dem Stichwort »Türkei« liefert dagegen nur 57 Einträge, davon neun armenische Studenten und keine Studentin.94 Vergleichbares lässt sich etwa über Göttingen sagen, wo es gegenüber 60 immatrikulierten Studenten aus dem Russländischen Reich im Sommersemester 1907 gerade einmal zwei aus der Türkei gab.95 In München standen 320 russländischen Studenten im Wintersemester 1909/10 neun Studenten aus der Türkei gegenüber.96 Ähnlich sah es in Genf aus: Auch als die Zahl russländischer Studenten kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor allem in der medizinischen Fakultät einen steilen Anstieg erfuhr, blieb die Zahl der Studenten aus dem Osmanischen Reich überschaubar klein. Im Sommersemester 1912 waren dort 718 Studenten aus Russland – 358 davon studierten Medizin – und 67 aus der Türkei immatrikuliert.97 Die im Vergleich geringere Anzahl der Armenier aus dem Osmanischen Reich in Deutschland lässt sich selbstverständlich nicht allein mit der bereits angesprochenen vermeintlichen Zurückhaltung der Türkeiarmenier gegenüber dem Deutschen Reich erklären. Vielmehr wirkte die Sozialisation der Türkeiarmenier in französischen Missionsschulen in die Richtung, dass viele 93 Auf die Bildungsmigration der armenischen Studenten aus dem Osmanischen Reich sowie auf die dortigen sozialpolitischen Voraussetzungen wird in der vorliegenden Arbeit nur sporadisch eingegangen, weil die türkischen Archive nicht berücksichtigt werden konnten. 94 Helfenstein-Tschudi, Ulrich (Hg.): Online-Matrikeledition. Universitätsarchiv Zürich. http://www.matrikel.uzh.ch/active/static/index.htm. 95 Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen Georg-­ Augusts-Universität zu Göttingen. Auf das halbe Jahr von Osten 1907 bis Michaelis 1907. Göttingen o. J. 96 Personalstand der Ludwig-Maximilians-Universität München. Winter-Semester 1909/10. München 1909, 172. 97 Liste des autorités, professeurs, assistants et étudiants. Semestre d’été 1912. Genève 1912.

92

Studium und Alltag

von ihnen nach Frankreich bzw. in die französischsprachige Schweiz gingen. Insbesondere Paris wurde nicht nur zu einem Ort, wo die aufsteigende armenische Elite aus Konstantinopel ihre höhere Bildung erhalten konnte. Sie ließ sich dort auch vom Echo der französischen Revolution inspirieren und stand unter dem Einfluss von Alphonse de Lamartine, François-René de Chateaubriand, Victor Hugo, Auguste Comte und anderen.98 Statistische Informationen über ihre Mitglieder leiteten oft auch armenische studentische Vereine an die Presse weiter. So ist aus der in der Zeitschrift Murč’ veröffentlichten Mitgliederliste des »Vereins Armenischer Studenten in Paris« ersichtlich, dass 39 Studenten aus der Türkei, hauptsächlich aus Konstantinopel stammten, während nur drei von ihnen russländische Untertanen waren.99 Einen Überblick über die Herkunftsländer der armenischen Studierenden an den Universitäten in Deutschland und der Schweiz bietet Grafik 2. Im Unterschied zu dem Herkunftsland wurde der genaue Herkunftsort in den Matrikelbüchern nicht immer angegeben, vielfach wurde aber auch nur »Kaukasus« ohne eine weitere Differenzierung vermerkt. Die Angaben in Grafik 3 stammen daher nicht nur aus den Matrikelbüchern, sondern auch aus anderen Quellen. In jedem Fall konnten nicht alle Studierenden erfasst werden. Die Wahl des Studienorts wurde durch mehrere Faktoren beeinflusst. Keine geringe Relevanz hatte etwa das Beispiel der bereits im Ausland studierenden Kommilitonen. Wie bei der Arbeitsmigration spielten auch beim Auslandsstudium Netzwerke und der darüber entstandene Informationsaustausch über die Zielländer eine entscheidende Rolle.100 Bedeutsam waren dabei nicht nur die persönliche Kommunikation, sondern auch die über die Presse vermittelten Informationen. So stellte im Jahr 1892 der spätere Agronom und Publizist Ašot At’anasianc, ein Student der Landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim, den jungen Armeniern in der Zeitung Mšak ausführliche Informationen über diese Hochschule zur Verfügung: Da es nicht möglich ist, die zahlreichen an uns adressierten Briefe über die Landwirtschaftliche Akademie in Hohenheim einzeln zu beantworten, bitten wir die Redaktion, diesen Brief zu veröffentlichen. Wir hoffen, nicht nur das Interesse jener zu befriedigen, die sich an uns wenden, sondern auch denjenigen eine Orientierung zu geben, die im Ausland dieses für unser Land so wichtige Fach studieren möchten.101

98 Etmekjian, James: The French Influence on the Western Armenian Renaissance, ­1843–1915. New York 1964, 95. 99 Murč’. 1898, 10/11, 1610–1612, 1611. 100 Vgl. Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. München 2012, 13–18. 101 Mšak. 20 (1892), 5, 2–3, 2.

Statistische Auswertung 

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600

500

400

300

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Persien

Russländisches Reich

Osmanisches Reich

Grafik 2: Herkunftsland

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80

60

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Grafik 3: Herkunftsort

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Studium und Alltag

Der Brief informierte sowohl über den Verlauf des Studiums und die Prüfungen als auch über die Studien- und Lebenshaltungskosten. Demnach wohnten alle Studenten in möblierten Einzelzimmern im Wohnheim der Akademie und konnten in der gemeinsamen Kantine zu Mittag essen. Für das Zimmer und das Studium seien pro Semester 240, für das Essen 140 Mark zu zahlen; hinzukamen die Kosten für die Bibliothek und das Chemielabor in Höhe von 35 Mark. Rechne man zudem solche Kosten wie Bücherkauf, Ausflüge, Abendessen, Theater usw. mit, so seien umgerechnet etwa 600 Rubel jährlich notwendig, um ein maßvolles Leben zu führen. At’anasianc unterstrich außerdem das Wirken einzelner Spezialisten wie etwa des Professors für Botanik Oskar von Kirchner als einen der großen Vorzüge dieser Hochschule. Den künftigen Studenten legte er nahe, unbedingt noch in der Heimat Deutsch zu lernen, um sowohl Geld als auch Zeit zu sparen. Nebenbei bemerkte At’anasianc mit Bedauern, dass weder die wohlhabenden Armenier noch die armenische Kirche die Bedeutung der Landwirtschaft genügend zu würdigen wüssten, sodass armenische Stipendiaten an dieser Akademie nach wie vor fehlten. In den vergangenen 15 Jahren hätten nur drei Armenier dort studiert.102 Vergleichbare mündliche und schriftliche Auskünfte über das Leben und Studium im Ausland, aber auch die an Förderinstitutionen übermittelte Informationen über bestimmte Universitäten und die Zulassungsbestimmungen dort waren für die akademische Migration ausschlaggebend. Sie beeinflussten nicht nur die Entscheidung, ins Ausland zu gehen, sondern bestimmten auch die Wahl des konkreten Zielorts. Damit lässt sich zumindest teilweise auch die starke zwischenuniversitäre Fluktuation erklären. Wählten die Bildungsmigranten angesichts der zu erwartenden sprachlichen, gesellschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten außerhalb der ihnen bekannten sozialen Strukturen zunächst einen Zielort aus, wo sie Freunde und Bekannte antreffen konnten, spielte dieser Faktor während des weiteren Aufenthaltes keine entscheidende Rolle mehr. Für das weitere Studium bzw. für den Abschluss waren dann vielmehr die Prüfungsvoraussetzungen entscheidend sowie die Lebenshaltungskosten in der jeweiligen Stadt. Eine wichtige Rolle bei der Wahl eines Studienorts spielte aber auch die Frage, ob die dortige Universität die Abschlusszeugnisse armenischer Lehranstalten akzeptierte. Da Angaben über die Vorbildung der Studierenden in den Matrikelbüchern oft fehlen, ist es schwer, ein Gesamtbild zu rekonstruieren. Die dokumentierten Fälle zeigen, dass die meisten Bewerber bei der Immatrikulation Zeugnisse des Nersesian-Seminars respektive der GevorgianAkademie, des Weiteren der Diözesanschulen in Šuši, Baku und Tiflis sowie des Gymnasiums in Eriwan vorlegten. Ebenfalls vertreten sind in den Quellen

102 Ebd., 3.

Statistische Auswertung 

95

Abschlusszeugnisse des Lasarev-Instituts, aber auch der Universitäten Moskau, St. Petersburg, Kiew, Odessa und Kazan’. Schließlich spielte der Beruf des Vaters für die Wahl des Studienorts wie des Studienfachs eine entscheidende Rolle. Obwohl diesbezügliche Angaben nur für knapp dreizehn Prozent der armenischen Studierenden ermittelt werden konnten, zeichnet sich eine deutliche Tendenz ab: Bei der überwiegenden Mehrheit wurde nämlich als Beruf des Vaters Kaufmann, Industrieller, Gutsbesitzer, in einigen Fällen aber auch Fürst103 angegeben. Vertreten waren ferner Berufe wie Geistlicher, Lehrer, Staatsmann, Arzt, Offizier, Bauer. Eine erste Schätzung der Zahl der in ganz Europa verstreuten armenischen Studenten erschien bereits 1899 im Tełekagir, in der von etwa 230 Studenten die Rede war. Gleichzeitig wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man keine Informationen über die sich in kleineren Städten aufhaltenden einzelnen Studenten habe, wobei deren Zahl täglich steige.104 Diese Daten wurden vom Verein Armenischer Studenten Europas durch eigens dafür erstellte Fragebögen ermittelt, die bei aller Unvollständigkeit interessante Informationen über die soziale Lage der damaligen Studenten, über ihren Herkunftsort, die Ausbildung in der Heimat, die Konfession, vor allem aber über die vorhandene (oder eben nicht vorhandene) Kenntnis der Muttersprache liefern. Diese Angaben wurden in den Heften des Tełekagir ohne Erwähnung konkreter Namen abgedruckt und vermitteln ein grobes Gesamtbild der Situation armenischer Studenten in Deutschland und in Europa. Die Informationen aus Frankreich und teilweise aus der Schweiz waren dabei laut Tełekagir überaus lückenhaft. Sowohl der Verein als auch Melik’Łaragyosian führten dies erneut auf die Situation der zwischen dem Russländischen und dem Osmanischen Reich aufgeteilten Armenier und ihre dadurch beeinflussten angeblich unterschiedlichen Charaktereigenschaften zurück: 103 Adeliger Abstammung waren etwa Mik’ayel Amatuni (1834–1865) und Peter Argutinski-Dolgorukov (1850–1911), beide aus Tiflis. Amatuni war ab 1856 an der Universität Dorpat im Fach Kameralia eingeschrieben. 1859 legte er seine Abschlussarbeit »Ordin Naschtschokin, der bedeutendste Diplomat Russlands im 17. Jahrhundert« vor und erhielt den Titel des Kandidaten. Vgl. Abeghjan: Dorpati hay usanołut’iunẹ, Sp. 248 f.; Argutinski-Dolgorukov studierte von 1871 bis 1877 Medizin in Heidelberg, Leipzig und Halle. Im Jahr 1891 wurde er vom Ministerium für Volksbildung für zwei Jahre ins Ausland delegiert. Diese Dienstreise verbrachte er in Berlin, wo er sich der Bakteriologie und der Erforschung des Tuberkulins widmete. Nach dem allgemeinen Einstieg in die Bakteriologie, die er am Berliner Hygienischen Institut absolvierte, widmete sich Argutinski-Dolgorukov dem praktischen Studium dieser Wissenschaft. Vgl. Mouktan, Agnessa V.: Studienaufenthalte russischer Mediziner in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Kästner, Ingrid / P frepper, Regine (Hg.): »…so ist die Naturwissenschaft das wahre internationale Band der Völker«. Wissenschaftsbeziehungen in Medizin und Naturwissenschaften zwischen Deutschland und dem Russischen Reich im 18. und 19. Jahrhundert. Band 9. Aachen 2004, 259–272, 270 f. 104 Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 20.

Studium und Alltag

96

Die Informationen aus Frankreich und aus der Schweiz sind nicht nur hinsichtlich der Zahlen, sondern auch der Informationen über Geburtsort, Studienfach und in anderen Punkten sehr lückenhaft. Dies ist kein Zufall, sondern ganz typisch und ist damit zu erklären, dass die Türkei-Armenier unfähig zur Kooperation sind bzw. ihnen das Interesse fehlt. So war es unmöglich, vollständige Informationen aus diesen Ländern zu bekommen, wobei die Daten aus der Schweiz vollständiger waren als die aus Frankreich. Der Grund dafür ist, dass in der Schweiz Armenier sowohl aus der Türkei als auch Russland studieren. […] man kann also nur hinsichtlich der Zahlen aus Deutschland zuversichtlich sein, weniger glaubwürdig sind die Zahlen aus der Schweiz, vor allem aus Genf, und die aus Frankreich und Paris haben erhebliche Lücken.105

In der Tat spielten wesentlich gewichtigere Aspekte eine Rolle als nur die unterstellte Unfähigkeit der Türkei-Armenier zur Kooperation bzw. ihr Desinteresse. Zuallererst müssen die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen einzelnen europäischen Städten und Ländern berücksichtigt werden. Briefe, Rundschreiben und einfacher Informationsaustausch ließen sich nur sehr langfristig und mühsam gestalten, sodass eine schnelle Kommunikation unter den armenischen Studenten in Europa fast unmöglich war. Auch ließen die knappen finanziellen Mittel sowie die kurze und anstrengende Studienzeit keine Reisen durch Europa zu, folglich konnte der Verein seine Informationen nicht aus erster Hand gewinnen. Auf der Basis der aus den erwähnten Matrikelbüchern zusammengestellten Informationen lässt sich sagen, dass von den frühen 1860er Jahren und bis 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0

1860–1869

1870–1879

1880–1889

1890–1899

1900–1909

1910–1915

nach 1915

Grafik 4: Anzahl der armenischen Studierenden in Deutschland und in der Schweiz 105 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 38 f.

Statistische Auswertung 

97

zum Anfang des Ersten Weltkriegs fast 770 Armenier an deutschen und schweizerischen Universitäten studierten. Da jedoch der Wechsel der Universität bereits nach einem oder zwei Semestern ein weit verbreitetes Phänomen war, weicht die Zahl armenischer Studenten an einzelnen deutschen und schweizerischen Universitäten von ihrer Gesamtzahl erheblich ab. Des Weiteren verweilten viele Studenten nur zeitweilig als Gasthörer an einer bestimmten Universität in Deutschland, was im Übrigen häufig nur aus persönlichen Nachlässen ersichtlich ist. Berücksichtigt wurden in der statistischen Auswertung in jedem Fall ausschließlich diejenigen Studenten, die eindeutig in den Universitätsmatrikeln zu finden sind (siehe Grafik 4). Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verließen viele armenische Studenten die deutschen Hochschulen, sodass im Wintersemester 1915/16 die meisten von ihnen an den schweizerischen Universitäten, vor allem in Zürich, Genf und Lausanne eingeschrieben waren. Sowohl bei der Wahl der Universität als auch beim häufigen Wechsel des Studienorts entsprach das Verhalten der armenischen Studenten weitgehend dem Muster der übrigen russländischen Studentenschaft, doch Ausnahmen gab es gleichwohl. Zog beispielsweise die Universität Heidelberg, eine der beliebtesten Studienanstalten russländischer Studenten, auch zahlreiche junge Armenier an, gab es im »russischen Göttingen«106 in der gesamten beobachteten Periode gerade einmal drei armenische Studenten. Einschränkend dazu muss jedoch angemerkt werden, dass die Zahl russländischer Studenten in Göttingen trotz des beträchtlichen Renommees dieser Universität im Vergleich zu Heidelberg oder Berlin doch relativ klein war.107 Trude Maurer erklärt diesen Umstand mit dem auffallend kleinen Anteil jüdischer (Medizin-) Studenten, was sich auf die Gesamtzahl russländischer Studenten in Göttingen reduzierend auswirkte. Diese wählten bevorzugt jene Universitätsstädte aus, an denen es größere jüdische Gemeinden gab wie etwa in Königsberg, Berlin oder Leipzig. Zudem sei ihre vergleichsweise geringere Zahl auf das wissenschaftliche Profil dieser Universität zurückzuführen, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts eher auf Mathematik und naturwissenschaftliche Studienfächer ausgerichtet war.108 106 Die Universität Göttingen diente ab Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur als Vorbild für die Gründung russischer Hochschulen, sie war eines der beliebtesten Studienziele russländischer Studenten. Vgl. Maurer, Trude: »Der historische Zug der Deutsch-Russen nach Göttingen« oder: Auslese und Abschreckung. Die Zulassung zarischer Untertanen an einer preußischen Universität. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung. 53 (2004) 2, 219–256; Andreev, Andrej Ju.: Die »Göttinger Seele« der Universität Moskau. Zu den Wissenschaftsbeziehungen der Universitäten Moskau und Göttingen im frühen 19. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte. 4 (2001), 83–101. 107 Vgl. Maurer: »Der historische Zug«, 220. 108 Ebd., 220 f.

Studium und Alltag

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In den Berichten der armenischen Studenten wurden sowohl die Zahl ihrer Landsleute bzw. die Existenz armenischer studentischer Organisationen als auch die fachliche Ausrichtung der verschiedenen Universitäten als wichtige Faktoren für die Wahl des Studienorts genannt. Die wissenschaftliche Reputation bestimmter Professoren spielte aber auch eine wesentliche Rolle. So begründeten viele armenische Studenten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ihre Abwanderung von Leipzig, wo sie noch ein Jahrzehnt zuvor in beeindruckender Zahl präsent gewesen waren, nach Berlin mit der dort bestehenden Möglichkeit, die Seminare von Theodor Mommsen, Hans Droysen, Heinrich von Treitschke, Gustav Kirchhoff, Richard Lepsius und anderen zu besuchen. Während also die Berliner Universität unter anderem wegen des überzeugenden Professorenaufgebots eine besondere Anziehungskraft auf diese Studenten ausübte, verdankte Leipzig seine Favoritenrolle der langjährigen Tätigkeit des dort ansässigen Armenisch Akademischen Vereins.

Grafik 5: Die Verteilung der armenischen Studierenden an einzelnen Universitäten

Einzelne Studenten gab es des Weiteren in Marburg (5), Göttingen (3), Tübingen (3), Dresden (3), Bonn (2), Gießen (2), Hohenheim (3), Braunschweig (1) und Erlangen (1). Gewisse Gemeinsamkeiten, aber auch Besonderheiten der Armenier im Vergleich zu der übrigen russländischen Studentenschaft lassen sich auch bei der Wahl des Studienfachs feststellen. Wie statistische Erhebungen indizieren, studierten in den Jahren 1895–1896 etwa zwei Drittel aller Studenten aus dem

Statistische Auswertung 

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Russländischen Reich an den philosophischen Fakultäten, daneben waren Kunst, Landwirtschaft und Naturwissenschaften, aber auch Medizin gefragt. Dies waren Fachrichtungen, die den infolge der Modernisierung und Professionalisierung entstandenen Bedarf im Staatsdienst und in der Landwirtschaft decken sollten und eine gute soziale Stellung versprachen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts ging die Zahl russländischer Studenten an den philosophischen Fakultäten kontinuierlich zurück, während sich immer mehr Studenten an den medizinischen Fakultäten immatrikulierten.109 Diese Tendenz war im Allgemeinen auch bei den armenischen Studenten zu beobachten, wobei am Anfang des 20. Jahrhunderts technische und naturwissenschaftliche Studienfächer bzw. Medizin deutlich dominierten. Doch wenn auch der berufliche Aspekt essenziell war, spielten im armenischen Fall die finanziellen Möglichkeiten, Vorgaben der Geldgeber sowie die vorhandenen Vorkenntnisse eine entscheidende Rolle. Wichtige Anhaltspunkte dafür, aus welchem sozialen Milieu der jeweilige Student stammte, über seine finanzielle Stellung und damit indirekt über die Motivation bei der Wahl des jeweiligen Studienfachs liefern wie erwähnt die Angaben über den Beruf des Vaters. So ist mithilfe der Statistik erkennbar, dass Angehörige niedrigerer Gesellschaftsschichten, die fast immer auf ein Stipendium oder eine Spende angewiesen waren und ihre berufliche Zukunft nicht ohne die Berücksichtigung der Erwartungen ihres jeweiligen Geldgebers planen konnten, meist Studienfächer wählten, die sich später für den Unterricht in den armenischen Schulen eigneten. Dagegen waren das Jura-, das Wirtschafts-, vor allem aber das Medizinstudium bei Studenten aus dem wohlhabenden Teil der armenischen Gesellschaft überaus populär. Auch technische und naturwissenschaftliche Fachrichtungen waren unter den armenischen Studenten sehr beliebt, wenngleich gerade diese sowie das Jurastudium mit Aufnahmeprüfungen verbunden waren, die sie oft vor große Herausforderungen stellten. Die meisten Absolventen armenischer Mittelschulen waren eigenen Angaben zufolge kaum in der Lage, diese Aufnahmeprüfungen ohne Vorbereitung erfolgreich abzulegen. Daher hatten nicht nur die finanzielle Stellung, sondern auch die hohen Hürden bei der Immatrikulation an bestimmten technischen Fakultäten entscheidenden Einfluss auf die Wahl des Studienfachs. Erschwerend kam hinzu, dass die Abschlusszeugnisse der armenischen bzw. russischen Gymnasien von den meisten deutschen technischen Hochschulen nicht anerkannt wurden. So berichtete der armenische

109 Peter, Hartmut Rüdiger: Russian Students at German Colleges and Universities in the Late 19th and Early 20th Centuries. In: Bade, Klaus J. et al. (ed.): The Encyclopedia of Migra­tion and Minorities in Europe. From the 17th Century to the Present. Cambridge 2011, 655–658, 657.

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Studium und Alltag

Stipendiat Hovhannes Karapetian (1875–1943) 1908 dem Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie: Zu den Hindernissen, auf die man als Absolvent der armenischen Mittelschulen und Gymnasien in Deutschland trifft, gehören die Bedingungen an den technischen Hochschulen. Man kann ja ohne große Schwierigkeiten anfangen, in den theologischen oder pädagogischen Fakultäten der ausländischen Universitäten zu studieren, aber in denjenigen technischen Abteilungen, wo man mit mathematischen Studienfächern zu tun hat, wird eine Aufnahmeprüfung verlangt […].110

An den deutschen, vor allem aber an den schweizerischen Universitäten waren Medizin und die Naturwissenschaften jene Studienfächer, die am häufigsten ausgewählt wurden. Wie sich weitere Studienfächer verteilten, zeigt Grafik 6. Auffällig an dieser Statistik ist, dass für gewisse Studienfächer bestimmte Universitäten ausgewählt wurden, wie etwa diejenigen in Darmstadt und Karlsruhe für das Studium der Chemie und der Elektrotechnik, oder aber die Technische Universität in München für das Architekturstudium. Eine vergleichbare Anziehung übten des Weiteren die Münchener Kunstakademie oder das Stern’sche Konservatorium in Berlin aus, wobei im Letzteren ab den 1880er Jahren auch mehrere armenische Frauen studierten. In München zog vor allem das Wirken von Friedrich von Kaulbach und Franz von Stuck viele russländische Maler an, darunter auch einige Armenier, die um die Jahrhundertwende zu den bedeutendsten Vertretern der armenischen Malerei gehörten. Die private Malschule von Anton Ažbe war ein Treffpunkt zahlreicher Künstler aus dem Russländischen Reich, wobei zu den bekanntesten unter ihnen Vasilij Kandinskij, Alexej von Javlenskij, Marianne Verëvkin, Dmitrij Kardovskij, Mstislav Dobužinskij gehörten. In der bayerischen Hauptstadt studierte auch der armenische Maler Hakob Koǰoian (1883–1959), der dem Rat des ossetischen Malers Macharbek Tuganov folgend nach München gegangen war und von 1905 bis 1907 an der Kunstakademie studierte. In der armenisch-sowjetischen Malerei, Tafelmalerei und Buch­ illustration entfaltete Koǰoian eine bedeutende Wirkung, wobei sich der Münchener Einfluss insbesondere in den beiden letztgenannten Genres zeigte.111 Im Jahr 1901 immatrikulierte sich Leon Hazarapetian (1881–1946), ein weiterer armenischer Maler, an der Kunstakademie in München und blieb nach dem Studium bis 1917 in Deutschland. Nach der Rückkehr in die Heimat unterrichtete er Malerei zunächst an der Gevorgian-Akademie, danach in 110 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil I., 46. 111 Aghasyan, Ararat: Hay kerparvesti zargacman ułinerẹ XIX–XX darerum [Entwicklungsrichtungen der armenischen Malerei im 19. und 20. Jahrhundert]. Jerewan 2009; Kurdoyan, E. M.: Hakob Koǰoian (ċnndyan 90-amyaki aṙt’iv) [Hakob Koǰoian zum 90. Geburtstag]. In: PBH . 1974, 2, 71–78; Zurabov, B. A.: Hakob Koǰoian (ċnndyan 100-amyaki aṙt’iv) [Hakob Koǰoian zum 100. Geburtstag]. In: PBH . 1983, 4, 3–12.

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Grafik 6: Die Verteilung der Studienfächer

Tiflis.112 Ein wichtiger Vertreter des armenischen Realismus war Hmayak Hakobian (1871–1939), der nach dem Abschluss des Nersesian-Seminars vom 1891 bis 1894 ebenfalls in München studierte. Er lebte und arbeitete lange Zeit in Deutschland und in der Schweiz, bevor er 1917 nach Tiflis zurückkehrte.113 Zu den bekanntesten armenischen Malern seiner Zeit gehörte Vardges Surenianc (1860–1921), der als Begründer der historischen Malerei in Armenien gilt.114 1879 studierte er in München Architektur, von 1880 bis 1885 Malerei und behauptete sich unter anderem mit Beiträgen in der satirischen Zeitschrift Fliegende Blätter in den Genres Graphikmalerei und Buchillustration. Sein Werk »Salome« wurde in München anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums der Kunstakademie ausgestellt.115 Die erwähnte Vorliebe für einzelne Universitäten hing jedoch nicht allein von der Qualität der akademischen Lehre ab, sondern auch von einer Reihe weiterer Faktoren. Die Lebenshaltungskosten spielten dabei genauso eine Rolle wie etwa die »malerische Umgebung«, die insbesondere in Bezug auf Heidelberg hervorgehoben wurde. Doch viel wesentlicher für die Frage, 112 Dznuni, Daniel: Hay kerparvestagetner (Hamaṙot baṙaran) [Armenische Kunstwissenschaftler (Ein kurzes Wörterbuch)]. Jerewan 1977, 241. 113 Ōv ōv ē. Band 1, 597. 114 Aghasyan: Hay kerparvesti zargacman ułinerẹ; Harutyunyan, Hasmik (Hg.): Vardges Surenianc (1860–1921). Jerewan 2010. 115 Harutyunyan: Vardges Surenianc, 18.

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welche Hochschule für das jeweilige Studium am besten geeignet war, waren die offiziellen Zulassungsbedingungen der einzelnen Universitäten. Die Anerkennung der Reifezeugnisse, Aufnahmeprüfungen, die Bedingungen für die Zulassung zur Promotion, aber auch die höheren Studiengebühren für Ausländer waren dabei wesentliche Aspekte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichte die Zahl russländischer Staatsangehöriger an deutschen Hochschulen, die nach 1848 kurzzeitig zurückgegangen war, ihren vorläufigen Höhepunkt. Dies ging mit einer gewissen Feindseligkeit gegenüber diesen Studenten einher, die sich sowohl aufseiten der deutschen Studierenden als auch auf politischer Ebene zeigte. Zur Zielscheibe wurden bestimmte Gruppen »akademischer Ausländer«, die von ihren deutschen Kommilitonen als Konkurrenz wahrgenommen wurden, während die Behörden ihre politische Einstellung als ein Problem betrachteten. Zwar blieben die Bildungsmigranten im Unterschied zu anderen Einwanderungsgruppen, die in der Gesellschaft als politisch Unerwünschte auf Ablehnung stießen bzw. als sozial schwach abgewertet und auch kriminalisiert wurden,116 von negativen Beurteilungen dieser Art weitgehend verschont. Doch gerade das Bild politisch radikaler Studierender aus dem Russländischer Reich war so prägend, dass die Anwesenheit solcher Studenten an deutschen Hochschulen in hoher Zahl durchaus für Befremden sorgte. An den preußischen Universitäten führte dies zu immer neuen Forderungen nach einer Erhöhung der Instituts- und Auditoriengelder und der Einführung von Deutschprüfungen für Ausländer, während in Bayern immer wieder vom Numerus clausus die Rede war. Konservative politische Kreise beschworen die Gefahr, die aus Russland stammenden Studenten würden den revolutionären Geist unter der deutschen Studentenschaft verbreiten, während an den Hochschulen und von den Studenten selbst die überfüllten Hörsäle und eine vermeintliche Bevorzugung der Ausländer Gründe für Unzufriedenheit und Proteste waren.117 Diverse Meldungen über die mangelhaften Vorkenntnisse russländischer Studenten zwangen die Universitätsbehörden, Maßnahmen für eine genauere Überprüfung der ausländischen Zeugnisse zu ergreifen. Nach den akademischen Vorschriften vom 12. März 1908 sollten Ausländer an preußischen Universitäten künftig Nachweise über eine hinreichende wissenschaftliche Vorbildung vorlegen, wobei jene Zeugnisse als ausreichend galten, die die jeweilige Person in ihrem Heimatland zum Universitätsstudium berechtigten. Am 6. Februar 1913 stellte das Ministerium für Kultus und Unterricht 116 Vgl. Kleinschmidt: Menschen in Bewegung, 157. 117 Zu der sogenannten »akademischen Ausländerfrage« siehe exemplarisch Peter, Hartmut Rüdiger: Politik und akademisches Ausländerstudium 1905–1913. Preußisches Beispiel und sächsisch-badische Variationen. In: Ders. / Tikhonov (Hg.): Universitäten als Brücken, 175–194.

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in Berlin aber fest, dass diese Bestimmung »namentlich Russen gegenüber nicht durchweg beachtet worden« war. Im Einzelnen wurde konstatiert, dass zahlreiche Absolventen russischer Realschulen auch ohne die erforderlichen Ergänzungsprüfungen zur Immatrikulation zugelassen worden waren.118 Verschärfte politische Maßnahmen gegenüber Ausländern wurden von den einzelnen Hochschulen indessen ambivalent gesehen, viele Einschränkungen sogar als Angriff auf die akademischen Freiheiten empfunden.119 Gleichwohl hatten die Verschärfung der Kontrollen sowie die Einführung der Auditorien­ gelder, die sowohl mit politischen als durchaus auch mit pragmatischen Argumenten begründet wurden, Folgewirkungen für andere Hochschulen. Badische Universitäten etwa erwarteten einen Andrang russländischer Studenten, der den genannten Einschränkungen und dem teilweise eingeführten Numerus clausus an den preußischen Hochschulen geschuldet war: […] bei aller Gastfreundschaft, die wir tüchtigen ausländischen Studenten nach Möglichkeit gewähren, muss berücksichtigt werden, dass der badische Staat nicht in der Lage ist, seine Hochschulbauten im Interesse der Ausländer zu vergrößern, und dass die vorhandenen Institute zur Ausbildung von Ausländern nur insofern zur Verfügung gestellt werden können, als für die Unterbringung der Inländer Vorsorge getroffen ist. Die Stellung der anderen deutschen Regierungen in der Ausländerfrage macht es uns zur Pflicht, dies mit allem Nachdruck zu betonen.120

Selbst wenn solche Entscheidungen über Zulassungsfragen den Hochschulen selbst überlassen waren, übten die zuständigen Ministerien zeitweise hohen Druck auf die Universitäten aus. So wurden 1911 die Zulassungsbestimmungen für russische Untertanen etwa in Bayern »angesichts ihres außerordentlich gesteigerten Zudranges« dahingehend eingeschränkt, dass sie nur in der Anzahl immatrikuliert werden konnten, in welcher sie im vorherigen Semester exmatrikuliert worden waren.121 An den badischen Universitäten wie in Freiburg i. Br. bzw. in Heidelberg waren die Hürden weniger hoch, es wurden aber 1912–1913 immerhin die Praktikums- und Auditoriengebühren erhöht sowie eine dem Physikum gleichwertige Fakultätsprüfung eingeführt. Von derartigen akademischen und administrativen Schwierigkeiten in Deutschland berichteten fast alle armenischen Stipendiaten. 1908 berichtete Hovhannes Karapetian dem Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie:

118 Universitätsarchiv Freiburg. Zulassung von Ausländern, B1/2766. 119 Vgl. Peter: Politik und akademisches Ausländerstudium, 193. 120 Universitätsarchiv Freiburg. Zulassung von Ausländern, B1/2766. 121 Vgl. Brocke, Bernhard vom (Hg.): Hochschulpolitik im Föderalismus. Die Protokolle der Hochschulkonferenzen der deutschen Bundesstaaten und Österreichs 1898 bis 1918. Berlin 1994, 97.

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Wie ich erfahren konnte, gab es in Deutschland sowohl für die Absolventen der russischen Mittelschulen als auch der armenischen Realschulen große Schwierigkeiten. Erstens braucht man einen Nachweis von einem 1 bis 2-jährigen Praktikum, die Gebühren sind zu hoch und es werden Prüfungen in den mathematischen Fächern abverlangt. Ungeachtet dessen bin ich nach Aachen gefahren, um mir selbst ein Bild davon zu machen. Dabei habe ich erfahren, dass es in Deutschland große Schwierigkeiten bei der Immatrikulation russischer Untertanen gibt. Ich verlor die Hoffnung in Deutschland und fuhr nach Belgien, nach Liège und Mons.122

Die Schulprogramme in den armenischen Mittelschulen waren, so Karapetian, weit davon entfernt, den Anforderungen deutscher Fachhochschulen zu genügen, sodass die armenischen Absolventen keine Chance hätten, die Prüfungen in Europa zu bestehen. Mit den besten einheimischen Diplomen blieben sie hilflos vor den Türen dieser Einrichtungen.123 Um dem Pädagogischen Rat einen Eindruck zu vermitteln, wie unvollständig das Mathematikstudium in den armenischen Realschulen und Seminaren war, fügte Karapetian seinem Bericht die Studienprogramme verschiedener technischer Hochschulen bei, damit diese in Zukunft als Grundlage in den armenischen Schulen benutzt werden konnten. Dies würde den zukünftigen Stipendiaten die Möglichkeit geben, sich auf die Prüfungen an den europäischen technischen Hochschulen besser vorzubereiten: Mit Blick darauf, dass jedes Jahr aus der Akademie neue Stipendiaten ins Ausland kommen und ohne die Kenntnis der Studienprogramme hiesiger Hochschulen vor großen Schwierigkeiten stehen, wäre es gut, wenn der Pädagogische Rat solche Programme den Stipendiaten zur Verfügung stellen würde.124

Von den akademischen Voraussetzungen und Bedingungen hing des Weiteren im Wesentlichen ab, an welchen Universitäten die meisten Studienabschlüsse erlangt werden konnten. So berichtete der Stipendiat Hakob Harut’yunian dem Pädagogischen Rat, dass er nach fünf Semestern in Berlin nach Leipzig umziehen müsse. Wegen der fehlenden Kenntnisse klassischer Sprachen könne er in Berlin die Abschlussprüfungen nicht ablegen. Dagegen könne man in Leipzig, einem Beschluss der dortigen Philosophischen Fakultät zufolge, als Absolvent der Gevorgian Akademie zu den Prüfungen zugelassen werden.125 Den Berichten auch anderer Stipendiaten zufolge bedingte die Suche nach einfacheren Prüfungsvoraussetzungen den häufigen Wechsel der Universität bzw. auch den Wechsel zwischen deutschen und schweizerischen Universitäten. In der Schweiz war die Zahl der Absolventen mit einer Promotion 122 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil I., Bl. 45. 123 Ebd. 124 Ebd., Bl. 46. 125 Ebd., Teil II ., Bl. 321.

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aufgrund der liberaleren Studienbedingungen im Vergleich zu Deutschland wesentlich höher. Vor allem an der Universität Zürich wurden in den Fächern Medizin und Naturwissenschaften die meisten Dissertationen abgeschlossen. Davon abgesehen lässt sich die Frage, an welcher Universität vornehmlich promoviert wurde, bei der vergleichsweise geringen Zahl promovierter Armenier in Deutschland nicht fundiert beantworten. Angesichts der erforderlichen Lateinkenntnisse, die für Armenier oft zu einer Hürde wurden, kann angenommen werden, dass eher die Zulassungsbestimmungen an den jeweiligen Hochschulen als beispielsweise der Wunsch, bei einem bestimmten Professor zu promovieren, hierbei ausschlaggebend waren. Einige Promotionen von Studenten, die später in der armenischen Wissenschaft eine bedeutende Karriere machten, seien nachfolgend exemplarisch erwähnt. In Deutschland war insbesondere der Mineraloge Andreas Arċruni (1847– 1898), Bruder des oben bereits erwähnten Grigor Arċruni, bekannt, der zunächst in St. Petersburg, dann in Heidelberg studierte. Nachdem er zwischen 1875 und 1877 wissenschaftlicher Assistent in Straßburg gewesen war, schloss er 1877 seine Habilitation über chemische Kristallographie in Berlin ab. Bis 1883 arbeitete Arċruni am Berliner Mineralogischen Museum, ab 1883 war er Extraordinarius an der Universität Breslau und ab 1884 Ordinarius für Mineralogie und Petrographie an der Technischen Hochschule in Aachen. Er beschäftigte sich unter anderem mit der chemischen und der physikalischen Kristallographie, unter seiner aktiven Mitarbeit wurden 1870 die Mineralienund Lagerstättensammlung an der Technischen Hochschule in Aachen sowie gleichzeitig der Lehrstuhl für Mineralogie und Hüttenkunde am dortigen Königlichen Polytechnikum gegründet. Andreas Arċruni zählte zu den bedeutenden Spezialisten auch der russischen Mineralogie, wurde als erster armenischstämmiger Wissenschaftler zum Korrespondenz-Mitglied der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften gewählt und war Ehrenmitglied der St. Petersburger Mineralogischen Gesellschaft. Ab 1874 unternahm er fast jährlich Expeditionen in den Kaukasus, bereiste aber auch den Ural und war überdies in Britisch Guyana, in Bolivien, Chile und Ägypten. Ein bekannter Name in der armenischen Philologie war Manuk Abełian (1865–1944). Nach Abschluss der Gevorgian-Akademie ging Abełian 1893 mit finanzieller Unterstützung des wohlhabenden armenischen Industriellen Aleksandr Mant’ašianc126 zunächst nach Jena, wo er zwei Semester Philologie 126 Aleksandr Mant’ašianc (1842–1911) war als Ölförderer in Baku einer der reichsten Industriellen seiner Zeit. Mehr als die Hälfte des Ölexportes aus Baku befand sich in der Hand der von Mant’ašianc gegründeten Firma Mantašev & Co. Mant’ašianc war bekannt für seine Wohltätigkeit: Er förderte den Bau von Waisenhäusern, Schulen und Kirchen nicht nur im Kaukasus, sondern auch in Moskau und St. Petersburg und finanzierte zudem den Bau der armenischen Kirche Hl. Johannes in Paris. Vor allem förderte Mant’ašianc aber das Auslandsstudium. Vgl. Alexandr Mant’ašianc. Hušagrut’yunner, hraparakumner,

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Abb. 1: Andreas und Grigor Arċruni in Heidelberg im Jahr 1869. Quelle: Leo: Grigor Arċruni, Band 1.

und Philosophie studierte, danach verbrachte er jeweils drei Semester in Leipzig und Berlin. Nach einem Jahr als Gasthörer an der Sorbonne kehrte er nach Jena zurück, wo er das Studium der allgemeinen Geschichte und Philosophie abschloss. 1898 reichte er seine »Der armenische Volksglaube« betitelte Dissertation ein, die der Philologe und Byzantinist Heinrich Gelzer als hervorragend bewertete.127 Das Buch, das 1899 in Leipzig erschien, widmete Abełian »in treuer Dankbarkeit« seinem Wohltäter Mant’ašianc. Nach seiner Rückkehr in die Heimat 1898 wurde er sofort an der Gevorgian-Akademie als Lehrer für armenische Literatur verpflichtet. Abełian entfaltete eine äußerst fruchtbare wissenschaftliche Tätigkeit vor allem in den Bereichen Philologie, Literatur, Sprache, Folklore, Verslehre und Lexikographie.128 pastat’łt’er [Alexandr Mant’ašianc. Memoiren, Publikationen, Dokumente]. Jerewan 2011; Saruxan, A.: Alexandr Mant’ašeanc. Meċ vač’aṙakanẹ ev baregorċẹ [Alexandr Mant’ašianc. Der große Kaufmann und Wohltäter]. Vienna 1931. 127 Harutyunyan, Sargis / Poghosyan, Anna: Manuk Abełian: kensamatenagitakan aknark ev matenagitut’yun [Manuk Abeghian: Biografischer Überblick und Bibliografie]. In: PBH . 2015, 1, 92–127, 95. 128 Zu den wichtigsten Werken von Manuk Abełian gehören unter anderem: Abeghian, Manuk: Grabari hamaṙot k’erakanut’iun [Kurze Grammatik der altarmenischen Sprache].

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Im Bereich des Kirchenrechts wurden in Zürich Abel Abeła129 Abrahamian mit der Arbeit »Die Grundlagen des armenischen Kirchenrechts« sowie Arsen Klidšian zum Thema »Das armenische Eherecht und die Grundzüge der armenischen Familienorganisation« promoviert. Über die letztgenannte Arbeit ist im Universitätsarchiv die umfangreiche Korrespondenz zwischen den Gutachtern der Arbeit und dem Fakultätsdekan erhalten. Sie bewerteten die Arbeit trotz der vielen sprachlichen Fehler als »eine überaus gute Leistung«, bedauerten aber gleichzeitig, wegen der mangelnden Kenntnis des armenischen Kirchenrechts die Arbeit inhaltlich nicht besser beurteilen zu können.130 Dennoch wurde festgehalten, dass Klidšian mit dieser Arbeit eine gute Studie über das armenische Kirchenrecht geliefert hatte, daher wurde sie zur Publikation in der Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft empfohlen.131 Erwähnt sei des Weiteren die Dissertation des Historikers Hakob Manandian (1873–1952), der 1893 nach Deutschland ging und in Jena, Leipzig und Straßburg Geschichte studierte. 1897 wurde er in Jena mit dem Thema »Beiträge zur albanischen Geschichte« promoviert. Der Literaturwissenschaft­ler Gevorg Alt’unian (1881–1947) reichte 1911 in Berlin die Dissertation »Die Mongolen und ihre Eroberungen im kaukasischen und kleinasiatischen Raum« ein und wurde ebenfalls erfolgreich promoviert. Eine weitere Arbeit, die hier abschließend erwähnt werden soll, verfasste der armenische Politiker Alexandr Bekzadian (1879–1938), der Mitglied der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP) war und sich zwischen 1906 und 1914 als Dissident in der Schweiz aufhielt. 1911 verteidigte er in Zürich seine Dissertation zum Thema »Der Agent-Provocateur (Lockspitzel) mit besonderer Berücksichtigung der politischen Provokation in Russland«.132 Diese und andere Erfolge armenischer Studenten fanden dank der Berichterstattung der einheimischen Presse große öffentliche Resonanz. Tatsächlich berichteten die Zeitungen schon früh über die Situation der armenischen Studenten im Ausland und über ihren Werdegang nach der Rückkehr in die Heimat. Bereits zu Beginn der 1870er Jahre berichtete Mšak über die Promotionen armenischer Studierender an deutschen und schweizerischen Hochschulen,133 druckte aber darüber hinaus auch Artikel über verschiedene Aspekte des AusVałaršapat 1907; Ders.: Ašxarhabari k’erakanut’iun [Grammatik der zeitgenössischen armenischen Sprache]. Vałaršapat 1906; Hayoc lezvi ułłagrut’iunẹ [Rechtschreibung der armenischen Sprache]. Tiflis 1892. 129 Abełas (Priestermönch) waren zölibatäre Mönche. Vgl. K’ristonya Hayastan, 8. 130 Universitätsarchiv Zürich. U 105, h 9/15. 131 Ebd. 132 Für die vollständige Liste der promovierten Armenier siehe Anhang. 133 So druckte Mšak beispielsweise Nachrichten über die wissenschaftlichen Erfolge von Dr. Andreas Arċruni in Berlin und Dr. P. Arejianc in Zürich sowie über die Promotionen zweier Armenier und eines Georgiers in Heidelberg. Mšak. 1 (1872), 1, 4.

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landsstudiums und über die Resonanz, auf die die Leistungen der Studenten unter den Armeniern im Kaukasus stießen. Für Mšak berichtete regelmäßig auch Andreas Arċruni, der nicht nur Informationen über die Zahl der an verschiedenen deutschen Hochschulen eingeschriebenen Armenier und über deren Studium übermittelte, sondern auch über wichtige wissenschaftliche Entwicklungen in Deutschland und Europa.134 Auch die Zeitschrift Murč’, die 1889 von Avetik’ Arasxanian135 als Presseorgan der armenischen liberalen Elite in Tiflis gegründet wurde, druckte regelmäßig statistische Angaben, die der Zeitschrift von Studenten verschiedener europäischer Hochschulen zur Verfügung gestellt wurden. Dafür wurde sogar ein Fragebogen konzipiert, in dem mindestens folgende Informationen enthalten sein sollten: Name und Vorname, Heimatland / Ort, Vorherige Ausbildungsstätte, Studienfach und -dauer, beabsichtigter Abschluss sowie Informationen über finanzielle Mittel (Eltern, eigene Mittel, andere). Einen ausgefüllten Fragebogen erhielt die Redaktion 1898 aus München, in dem der Student S. Zarafian über sieben in München studierende Armenier berichtete. Laut Zarafian war einer136 von ihnen an der Universität und ein anderer an der Kunstakademie eingeschrieben, die anderen studierten an der Fachhochschule Maschinenbau.137 Informationen dieser Art aus Deutschland, aber auch aus Frankreich und England publizierte Murč’ in den folgenden Jahren regelmäßig. Eigene statistische Daten stellten auch die studentischen Vereine der Presse zur Verfügung. Der Philologe Grigor Vancian (1870–1908), der Mitglied des Vereins Armenischer Studenten Europas und Mitarbeiter von Murč’ war, vermittelte von Berlin aus detaillierte Listen mit Auskünften über die armenischen Studenten an den Universitäten Berlin, Halle, Straßburg und Marburg sowie am Polytechnikum in Darmstadt.138 Vancian widmete dem Auslandsstudium auch nach der Rückkehr in die Heimat mehrere Presseartikel. Vor allem beschäftigte ihn die Frage, welchen Nutzen sich die armenische Gesellschaft von diesen akademischen Aktivitäten in der nahen Zukunft erhoffen durfte. Daher versuchte er, ein differenzierteres Bild von der Situation der armenischen Studenten an ausländischen 134 Vgl. etwa Mšak. 1 (1872), 2, 4; Ebd., 1 (1872), 10, 4. 135 Avetik’ Arasxanian (1857–1912) war ein armenischer Wirtschaftswissenschaftler und Publizist. Nach dem Abschluss der Realschule in Tiflis ging er 1876 nach Leipzig und studierte bis 1878 Wirtschaft und Politik. Das Studium setzte er nach einem kurzen Aufenthalt in Paris an der Universität Straßburg fort, die er 1882 mit Promotion abschloss. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 153. 136 Wie die Zeitschrift Murč’ dies richtigstellte, war damit Levon Sełbossian (1869–1951), ein bekannter armenischer Schriftsteller, Dramaturg, Pädagoge und Publizist gemeint, den man in der armenischen Literatur unter dem Künstlernamen Šant’ bereits kannte. Er studierte von 1892 bis 1899 in Leipzig, Jena und München. Vgl. Murč’. 1898, 1, 178. 137 Ebd. 138 Ebd. 1898, 4, 583.

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Universitäten zu gewinnen: »[…] erst wenn wir wissen, welche Werte und Ideale sie antreiben, können wir eine Vorstellung davon haben, welche Rolle sie später in unserer Gesellschaft annehmen werden«.139 An die armenische Studentenschaft in Russland und im Ausland adressierte Vancian einen offenen Brief, den er an die Redaktionen mehrerer Zeitungen schickte. Durch gezielte Fragen, auf die die Studenten möglichst ausführlich zu antworten hatten, sollte ein hinreichend getreues Bild der an ausländischen Universitäten studierenden Armenier rekonstruiert werden. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen in Berlin glaubte Vancian, die armenischen Studenten seien – nicht zuletzt wegen der mangelnden oder gar fehlenden Kenntnis ihrer Muttersprache  – mehr als alle anderen ausländischen Studenten von einer Assimilation bedroht. Ob und wie sich die armenischen Absolventen europäischer Hochschulen in ihrer Herkunftsgesellschaft später einsetzen würden, sei daher unmittelbar von der Frage abhängig, ob sie ihre Muttersprache beherrschten. Bis zum 1. Mai 1895 erwartete er ausführliche Antworten auf die Fragen, wie viele armenische Studentinnen und Studenten an europäischen Universitäten und dort an den einzelnen Fakultäten eingeschrieben waren, aus welchen gesellschaftlichen Schichten – Adel, Geistlichkeit, Handel, Bauernstand etc. – sie stammten, ob sie die Muttersprache beherrschten respektive während des Studiums Armenisch lernten, wie viele von ihnen Bücher und Zeitungen auf Armenisch lesen konnten und schließlich, ob sie mit der armenischen Geschichte und Literatur einigermaßen vertraut waren. Wichtig waren außerdem die Angaben über die Religionszugehörigkeit, die Finanzierung ihres Studiums sowie über ihre Herkunft.140 Vancian interessierte sich aber auch für die Tätigkeit der studentischen Vereine und in diesem Zusammenhang für die Frage, ob sie regelmäßige Treffen organisieren konnten, Zeitschriften und Broschüren veröffentlichten, ob sie über Bibliotheken verfügten und in welcher Sprache diese gegebenenfalls ihre Literatur bzw. Periodika sammelten. Von diesen Faktoren sei schließlich abhängig, ob sich die Studenten wegen der fehlenden Kenntnis der Muttersprache von solchen Vereinen und ihren Versammlungen möglicherweise fernhielten. Die studentischen Vereine, so Vancian, waren nicht nur deshalb so wichtig, weil sie den geeigneten Rahmen für ein gesellschaftliches Engagement bereits in den Studienjahren boten. Sie vereinten überdies die sich im Ausland aufhaltenden Armenier auf nationaler Grundlage und konnten sie so vor einer Assimilierung bewahren.141 Etwaige Ergebnisse dieser Umfrage sind in den Quellen nicht überliefert, doch bereits der Versuch, solche Daten zu erheben, zeugt vom Stellenwert des 139 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond »Murč’«, Nr. 44, Bl. 1. 140 Ebd., Bl. 2–5. 141 Ebd., Bl. 4.

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Studium und Alltag

Auslandsstudiums. Sicherlich dienten die statistischen Erhebungen jeglicher Art, die die Presse fortwährend druckte, letztlich auch dem Ziel, eine bessere Akzeptanz des Auslandsstudiums in der armenischen Gesellschaft herbeizuführen. Die ausdrückliche Berichterstattung über die Erfolge armenischer Studenten diente dabei als positive Argumentationshilfe, um dieses Ziel zu erreichen.

3.3 Armenische Frauen im Ausland Die Frage nach der Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium war ab der Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem europäischen akademischen Diskurs nicht mehr wegzudenken und gewann alsbald auch in der russländischen Gesellschaft an Brisanz. Nach der Etablierung der ersten Höheren Frauenkurse142 stieg die Zahl studierwilliger Frauen kontinuierlich an, ein Beleg dafür, dass diese Forderung keine temporäre Laune der Frauenemanzipation war, sondern – durchaus im Kontext dieser Bewegung – einem tiefen gesellschaftlichen Bedürfnis entsprach.143 In Europa waren die schweizerischen Universitäten bekanntlich die ersten, die in den 1860er Jahren den Frauen ihre Tore öffneten, wobei die erste Universität, an der Studentinnen aus dem Russländischen Reich eingeschrieben waren, wohl die in Zürich war.144 Förderlich für das Auslandsstudium wirkte sicherlich unter anderem das unkomplizierte Aufnahmeverfahren an den schweizerischen Hochschulen: Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Frauen aus dem Russländischen Reich relativ problemlos aufgenommen, meistens waren weder Aufnahmeprüfung noch Maturitätszeugnis erforderlich. Verfügte man über eine hinreichende Vorbildung, genügte in der Regel die Vorlage eines Sittenzeugnisses.145 142 Die bekanntesten Frauenkurse waren die sogenannten Bestužev-Kurse (1878–1918) in St. Petersburg sowie die vom Historker und Professor an der Moskauer Universität Vladimir Ivanovič Ger’je eingerichteten Kurse in Moskau. Siehe exemplarisch Vakhromeeva, Oksana B.: Duchovnoe prostranstvo universiteta. Vysšie ženskie (Bestuževskie) kursy 1878–1918 gg. Issledovanie i materialy [Der spirituelle Raum der Universität. Die höheren (Bestužev) Frauenkurse von 1878 bis 1918. Untersuchung und Materialien]. S.-Peterburg 2003. 143 Vgl. Heindl, Waltraud: Ausländische Studentinnen an der Universität Wien. In: Plaschka, Richard Georg / Mack, Karlheinz (Hg.): Wegenetz europäischen Geistes II . Universitäten und Studenten. Die Bedeutung studentischer Migration in Mittel- und Südosteuropa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Wien 1987, 317–343, 318. 144 Tikhonov: Zwischen Öffnung und Rückzug, 157. 145 Neumann, Daniela: Studentinnen aus dem Russischen Reich in der Schweiz. 1867–1914. Zürich 1987, 12.

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Die Aufnahmebedingungen veränderten sich ab 1904 insofern, als Studierende aus dem Russländischen Reich sich fortan nur mehr immatrikulieren konnten, wenn sie über Zeugnisse verfügten, die sie in ihrer Heimat zum Universitätsstudium berechtigten, anderenfalls mussten sie eine Aufnahmeprüfung ablegen.146 Aber selbst nach dieser Einschränkung riss der Zustrom russländischer Frauen an schweizerische Universitäten bis zum Ersten Weltkrieg nicht mehr ab. Unter diesen Studentinnen fanden sich mit der Zeit auch Vertreterinnen der nationalen und religiösen Minderheiten des Russländischen Imperiums wie Jüdinnen, Polinnen, Baltinnen, aber eben auch Armenierinnen und Georgierinnen, für die die Studienmöglichkeiten in der Heimat relativ eingeschränkt waren. Ihre Präsenz im akademischen Leben wurde durchaus ambivalent gesehen: Nicht nur die vermeintlich ungenügende Vorbildung vieler Untertaninnen des Russländischen Reiches, sondern auch ihr unkonventionelles Erscheinungsbild, ihr emanzipiertes Auftreten und ihre offen bekundete politische Einstellung riefen eine gewisse Ablehnung seitens der Studenten, aber auch einiger Professoren hervor.147 Etwa um die Jahrhundertwende waren Studentinnen aus dem Russländischen Reich allmählich auch an anderen europäischen Universitäten zu finden, wenngleich dort die Immatrikulationsbestimmungen nicht so liberal waren wie in Zürich. So gab es beispielsweise an der Universität Wien von den späten 1890er Jahren bis zum Jahr 1914 etwa 126 russländische Studentinnen, darunter immerhin drei Armenierinnen.148 An den deutschen Universitäten setzte sich die offizielle Zulassung von Frauen zwar gut drei Jahrzehnte später als in der Schweiz durch, allerdings durften Frauen bereits ab den 1890er Jahren mit Einverständnis des jeweiligen Professors als Gasthörerinnen Vorlesungen besuchen. Ab 1900 konnten Frauen zunächst an den badischen Universitäten, zwischen 1903 und 1908 in Bayern, Württemberg, Sachsen, Thüringen, Hessen und Preußen und ab 1909 auch in Mecklenburg zum regulären Studium zugelassen werden.149 Doch die Zahl der russländischen Frauen war an deutschen Universitäten zwischen 1908 und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs insgesamt sehr klein.150 Vor diesem Hintergrund verwundert die geringe Zahl auch armenischer Studentinnen in Deutschland nicht weiter. Dies mag unter anderem an den Immatrikulationsbestimmungen einzelner deutscher Hochschulen gelegen haben. Diese verlangten von Studentinnen aus dem Russländischen Reich ein 146 Ebd., 111. 147 Ebd., 97–103. 148 Vgl. Heindl: Ausländische Studentinnen, 331. 149 Vgl. Schötz, Susanne: »Sind Frauen studierfähig?«: Das Ringen um die Öffnung der Universitäten für Frauen in Deutschland. In: Fikentscher, Rüdiger (Hg.): Lernkulturen in Europa. Halle (Saale) 2014, 146–163, 146 f. 150 Vgl. Tikhonov: Zwischen Öffnung und Rückzug, 160 f.

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Reifezeugnis eines russischen Mädchengymnasiums in Verbindung mit dem Reifezeugnis für Latein eines klassischen Gymnasiums bzw. Knabengymnasiums sowie einen Nachweis über den erfolgreichen Besuch eines Höheren Frauenkurses in Moskau oder St. Petersburg.151 Vor allem letzteres dürfte für die Studentinnen aus dem Kaukasus ein großes Hindernis dargestellt haben, wurden sie doch vor allem wegen unzureichender Zeugnisse nicht immer zu diesen Kursen zugelassen. An einigen Hochschulen wie etwa in Berlin waren russländische Frauen aber grundsätzlich nicht als Hörerinnen zugelassen.152 Die Zahl armenischer Frauen in Deutschland beschränkte sich damit – abgesehen von einigen wenigen gelegentlichen Gasthörerinnen  – auf etwa siebzehn Studentinnen,153 wobei zwölf von ihnen an dem oben bereits erwähnten Stern’schen Konservatorium in Berlin studierten. Unter ihnen waren die auch in Europa bekannten Pianistinnen Helene (1881–1960) und Eugine Adamian (1883–1945). Von 1900 bis 1904 studierten die Schwestern zunächst an der Musikakademie in Genf, von 1904 bis 1908 dann am Stern’schen Konservatorium in Berlin in der Klasse von Martin Krause. Dort schlossen sie ihr Studium mit der Verleihung der »Gustav-Hollaender-Medaille« ab und gaben fortan Konzerte in mehreren westeuropäischen und russländischen Städten.154 Diese Auftritte würdigte auch der armenische Komponist und Musikwissenschaftler Komitas155, der ihre Erfolge auf der europäischen Bühne aufmerksam verfolgte.156 Im Russländischen Reich stand die Zulassungsfrage der Frauen zum Universitätsstudium bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Tagesord-

151 Universitätsarchiv Freiburg. Gesuche von Frauen um Zulassung zur Immatrikulation, B1/2740. 152 Ebd. 153 Unter diesen Studentinnen befand sich auch die Schriftstellerin Mariette Šahinian (1888–1982), die 1914 in Heidelberg Philosophie studierte. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde sie aus Deutschland ausgewiesen. Vgl. Avagyan, Sergej: Nšanavor hayuhiner [Bekannte Armenierinnen]. Jerewan 2006, 65. 154 Die Schwestern Adamian stammten aus einer wohlhabenden kaufmännischen Familie in Baku. Vgl. Navasargian, Alice: Armenian Women of the Stage. Bemin nvirvaċ hayuhiner [Armenische Frauen auf der Bühne]. Glendale, Ca. 1999, 114. Auch ihre beiden Brüder, Aršak und Hovhannes Adamian, erhielten ihre Hochschulbildung in Deutschland. Aršak Adamian studierte ebenfalls Musik am Stern’schen Konservatorium in Berlin und war später Rektor des Konservatoriums in Jerewan. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 27; Hovhannes Adamian besuchte die Universitäten in Leipzig und München und studierte an der Universität Zürich Chemie. Adamian entwickelte jene Technologie, die später zur Erfindung des Farbfernsehers führen sollte. Er gründete in Deutschland ein Labor und meldete mehrere Patente an. Vgl. Erkanyan, Vage: Armjanskaja kul’tura v 1800–1917 gg. [Die armenische Kultur in den Jahren 1800–1917]. Jerewan 1985, 115. 155 Siehe Kapitel 4.2.1. 156 Navasargian: Bemin nvirvaċ hayuhiner, 114.

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nung des zuständigen Ministeriums.157 Die sogenannten Großen Reformen158, die Alexander II. nach seiner Thronbesteigung einleitete, umfassten unter anderem auch den Bildungsbereich. Zwar konnten sich russländische Frauen wegen unzureichender Vorbildung nicht immatrikulieren, den Professoren wurde jedoch die Freiheit eingeräumt, Vorlesungen für sie anzubieten. Bereits ab Anfang der 1860er Jahre waren die ersten Frauen an den Universitäten in St. Petersburg, Moskau, Kiew und Kazan’ sowie an der Medizinisch-Chirur­ gischen Akademie in St. Petersburg anzutreffen.159 Dennoch wurde die Immatrikulationsfrage der Frauen, die in der geplanten neuen Universitätsordnung verankert werden sollte, nach den Studentenprotesten, die sich gegen die staatliche Politik richteten und 1861 zur Schließung der St. Petersburger Universität führten, in das neue Universitätsgesetz nicht aufgenommen.160 Im Laufe der 1870er Jahre wurden meist dank privater Initiativen sogenannte Höhere Frauenkurse zunächst an den Universitäten Moskau, Kazan’, Kiew und St. Petersburg, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch in Warschau, Odessa, Tomsk, Char’kov, Jur’ew und 1909 schließlich in Tiflis und Nowočerkassk angeboten. Dabei verfügten die beiden letztgenannten Städte noch nicht einmal über eine eigene Universität.161 Daneben wurde 1897 in St. Petersburg das Medizinische Institut für Frauen (Ženskij medicinskij institut) eröffnet, das an die Tradition der bereits im Jahr 1872 etablierten Medizinischen Frauenkurse (Ženskie vračebnye kursy) anknüpfen konnte. Weitere medizinische Fakultäten wurden 1906 in Moskau, 1907/09 in Kiew sowie 1910 in Char’kov und Odessa gegründet.162 Mit diesem Studienangebot 157 Ausführlicher zum Frauenstudium im Russländischen Reich siehe exemplarisch Maurer: Emanzipierte Untertaninnen; Ivanov, E. A.: Studenčestvo Rossii konca XIX – nachala XX veka. Social’no-istoričeskaja sud’ba [Die Studentenschaft Russlands Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Das sozial-historische Schicksal]. Moskva 1999; Fedosova, E. P.: Bestuževskie kursy – pervyj ženskij universitet v Rossii [Die Bestužev-Kurse. Die erste Frauenuniversität in Russland]. Moskva 1980. 158 Über die von Alexander II . initiierten Reformen siehe exemplarisch Čistjakov, Oleg I. (Hg.): Reformy Aleksandra II . Krest’janskaja reforma, finansovaja reforma, zemskaja reforma, gorodskaja reforma, policejskaja reforma, sudebnaja reforma, voennaja reforma, reforma v sfere narodnogo prosveščenija, reforma cenzury [Die Reformen des Alexander II . Bauernreform, Finanzreform, Landreform, Stadtreform, Polizeireform, Gerichtsreform, Militärreform, Reform im Bereich der Volksbildung, Reform der Zensur.] Moskva 1998; Eklof, Ben (ed.): Russia’s Great Reforms: 1855–1881. Bloomington u. a. 1994. 159 Johanson, Christine: Women’s Struggle for Higher Education in Russia, 1855–1900. Kingston 1987, 5. 160 Vgl. Burchardt, Anja: Blaustrumpf – Modestudentin – Anarchistin? Deutsche und russische Medizinstudentinnen in Berlin 1896–1918. Stuttgart u. a. 1997, 51. 161 Sizova, Anastassia: Probleme der Hochschulbildung in Russland am Vorabend der Februarrevolution 1917. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte. 11 (2008), 183–198, 189 f. 162 Vgl. Pfrepper, Regine: Lebendige Stoffe. Deutsch-russischer Wissensaustausch in der Physiologischen Chemie im 19. Jahrhundert. Aachen 2011, 60–62.

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war das Russländische Reich hinsichtlich der höheren Bildung von Frauen im europäischen Vergleich sogar führend.163 Leitend bei diesen Maßnahmen war allerdings nicht allein der Bildungsgedanke bzw. die Notwendigkeit, Lehrerinnen für Frauengymnasien und -institute auszubilden sowie den Frauenanteil im Medizinbetrieb zu erhöhen. Man wollte auch den Ansturm russländischer Frauen auf schweizerische Universitäten eindämmen, da sie sich dort, fern der staatlichen Kontrolle, angeblich leicht in revolutionäre Aktivitäten verwickeln ließen.164 Bald nach der Eröffnung der ersten Frauenkurse in Moskau wurde ein Manifest veröffentlicht, das die russländischen Frauen vor allem in Zürich aufforderte, bis zum 1. Januar 1874 in die Heimat zurückzukehren. Da nun Frauenkurse in der Heimat zur Verfügung stünden und weitere in anderen Städten eingerichtet werden sollten, gebe es keine Notwendigkeit mehr, zum Studium ins Ausland zu gehen.165 Die Etablierung Höherer Frauenkurse in Anlehnung an die jeweilige örtliche Universität, mit gleichem Programm und dem gleichen Lehrkörper, verlieh diesen Einrichtungen den Status einer höheren Lehranstalt, wenngleich sie ihren »Kursantinnen« unterschiedliche Abschlussmöglichkeiten offerierten. So durften die Absolventinnen der Kurse in Moskau, St. Petersburg, Kiew und Kazan’ ohne eine besondere Genehmigung des Ministers zu den Abschlussprüfungen zugelassen werden, während die Absolventinnen in Odessa, Char’kov und Warschau zusätzliche Prüfungen in jenen Fächern ablegen mussten, die in ihrem Studienplan fehlten. Die Kursantinnen in Tiflis dagegen konnten ohne eine explizite Erlaubnis des Ministers keine Prüfungen ablegen.166 Generell fanden die dortigen Kurse im Vergleich zu den anderen recht wenig Anklang, was nicht allein dieser Einschränkung, sondern auch dem Umstand geschuldet war, dass sich den kaukasischen Frauen nur wenige Möglichkeiten boten, in den Genuss einer höheren Bildung zu kommen. Daher machten die hier studierenden Frauen nach der Eröffnung der Kurse und in den folgenden Jahren nur etwa 1,4 % aller Kursantinnen des Reiches aus.167 Die meisten Kurse, mit Ausnahme jener in Tiflis und Novočerkassk, wurden 1912 offiziell den Universitäten gleichgestellt. Aber bereits in der Prüfungsordnung von 1911 war festgelegt, dass Frauen ihr Staatsexamen vor einer 163 Hobsbawm, Eric J.: Kultur und Geschlecht im europäischen Bürgertum 1870–1914. In: Frevert, Ute (Hg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert. Göttingen 1988, 175–189, 179. 164 Vgl. Vakhromeeva, O. B.: Rossijskie universitety i vysšee ženskoe obrazovanie v Rossii vtoroj poloviny XIX – načala XX veka [Die russländischen Universitäten und die höhere Bildung für Frauen in der zweiten Hälfte des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts]. In: Andreev (Hg.): »Byt’ russkim po duchu i evropejcem po obrazovaniju«, 279–301, 279 f. 165 Ebd., 280. 166 Ebd., 284 f. 167 Ebd., 299 f.

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regulären Prüfungskommission ablegen und die gleichen Zeugnisse bekommen konnten wie die Männer. Das Recht auf einen Rang im Staatsdienst blieb den Absolventinnen der Höheren Frauenkurse aber dennoch verwehrt.168 Die Bildungsmöglichkeiten für armenische Mädchen und Frauen im Kaukasus waren im Vergleich viel bescheidener. Für ihre Ausbildung standen nur wenige Mädchenschulen zur Verfügung, die oft dank privater Spenden existierten und sehr dürftige Schulprogramme hatten. Diese boten mit geringen Abweichungen in der Regel die Fächer Armenisch, Russisch, Französisch, Geographie, Mathematik, Volks- und religiöser Gesang, Malerei, Handwerk, Musik, Tanz und Sport an. Von Vertretern der armenischen wirtschaft­lichen Elite wurden ab den 1860er Jahren private Schulen für die Ausbildung armenischer Mädchen gegründet, zum Teil sogar im Haus der Stifter selbst. So unterhielt etwa die wohlhabende armenische Familie Haxumian ab 1864 unter ihrem eigenen Dach in Šuši eine Mädchenschule, die in den folgenden Jahrzehnten allerdings mehrere Male geschlossen und wiedereröffnet wurde. 1913 stifteten die Brüder Łukassian dieser Schule 200.000 Rubel zu Ehren ihrer verstorbenen Schwester. Die Schule trug fortan den Namen MariamŁukassian und existierte bis 1920.169 1866 wurde in Eriwan die Gayanian-Mädchenschule eröffnet, die ab 1883 den Status einer Mittelschule hatte. Das Programm umfasste in der ersten Klasse die Fächer Armenisch und armenische Geschichte, Russisch, armenische und russische Kalligrafie, Handarbeit und Malerei. In der zweiten Klasse kamen die Fächer Religion, Geografie und Mathematik hinzu. Explizit festgehalten wurde im Statut, dass der Unterricht in Armenisch stattfinden und nur die russische Sprache auf Russisch gelehrt werden sollte.170 1868 eröffnete der armenische Pädagoge und Publizist Xoren Step’ane (1840–1900) in Tiflis die Mariamian-Schule, in der Armenisch, Russisch, Französisch, Religion, armenische Geschichte, Geografie, armenische und russische Kalligrafie, Mathematik, Volks- und Kirchenmusik, Malerei, Handwerk, Tanz und Gymnastik unterrichtet wurden.171 1869 gründeten einige junge Männer nach ihrer Rückkehr von russischen Hochschulen eine weitere Gayanian-Mädchenschule in Tiflis․ Im selben Jahr wurde die Hripsimian-​ Schule in Baku eingerichtet, weitere Hripsimian-Schulen gab es in Eriwan, Šuši und Vałaršapat. Im Unterschied zu vielen anderen hatten die aufgezählten Schulen – obgleich wie alle anderen armenischen Bildungseinrichtungen immer wieder von der Schließung bedroht – ein recht stabiles Lehrprogramm und beschäf168 Vgl. Maurer: Frauenstudium im Russländischen Reich, 136. 169 Vgl. Haykakan Sovetakan Hanragitaran [Armenische sowjetische Enzyklopädie, im Folgenden HSH]. Band 7. Jerewan 1981, 319. 170 Mełu Hayastani. 1866, 19, 148–152. 171 Haykakan Ašxarh. 4 (1868), 4/5, 174–177.

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tigten Lehrer wie die aus Europa zurückgekehrten Grigor Arċruni und Levon Šant’, die an der Gayanian-Schule lehrten, bzw. Ervand Ter-Minassian, der an der geistlichen Arłut’ian-Schule unterrichtete. Die letztere wurde durch die Mittel aus dem Nachlass des armenischen Fürsten Łahraman Arłut’ianc in Alexandropol gegründet und widmete sich der Ausbildung armer Mädchen. Im Jahr 1871 berichtete die Zeitschrift Ararat über die Gründung einer weiteren Mädchenschule in Astrachan, wobei die Namen der Wohltäterinnen und die gespendeten Summen ebenfalls bekannt gegeben wurden.172 Gerade die Frauenvereine unterstützten durch Spenden, Nachlässe und andere wohltätige Zuwendungen die Gründung von Mädchenschulen und übernahmen auch deren spätere Betreuung. Das bestehende Angebot der Frauenbildung fand in der armenischen Presse ein eher zwiespältiges Echo, wobei sowohl Anerkennung für jene Geldgeber, die private Schulen gründeten, als auch scharfe Kritik wegen des unvollständigen Lernprogramms und der unprofessionellen Lehrer zum Ausdruck kamen. Arċruni kritisierte beispielsweise im Haykakan Ašxarh (Die armenische Welt), dass armenische Mädchen im Unterschied zu den Knaben keinen Zugang zu einer umfassenden Ausbildung hatten, da die wenigen Schulen nur oberflächliche Kenntnisse, aber kein fundiertes Wissen vermittelten.173 Das dürftige Niveau des Unterrichts in manchen Schulen wurde in derselben Zeitschrift als eine Fahrlässigkeit den »armen jungen Mädchen« gegenüber bezeichnet, was von ihren Eltern auch noch in Kauf genommen würde.174 Die armenischen Intellektuellen forderten ein adäquates Studienangebot auch für Mädchen und begründeten dies unter anderem damit, dass armenische Frauen dadurch gleichberechtigte Lebenspartnerinnen für ihre Ehemänner und vorbildliche Erzieherinnen für ihre Kinder werden könnten.175 Ein Universitätsstudium war unter den gegebenen Voraussetzungen nur sehr wenigen armenischen Frauen möglich, wobei zu den bereits erwähnten Schwierigkeiten finanzielle Hürden und der Widerstand der Familie hinzukamen. Eine offene Unterstützung des Frauenstudiums vonseiten einflussreicher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens war daher von entscheidender Bedeutung. Ein wirklich leidenschaftlicher Protagonist des Frauenstudiums war Grigor Arċruni, der sich sowohl für die Ausbildung armenischer Mädchen in der Heimat als auch für das Auslandsstudium einsetzte. Wenn sich die Presse, namentlich die Zeitschrift Haykakan Ašxarh, bereits in den 1860er Jahren diesem Thema widmete, so war auch dies den Beiträgen von Arċruni 172 173 174 175

Ararat. 1871, 4, 248–249. Haykakan Ašxarh. 4 (1868), 1, 7–17, 10 f. Ebd., 4 (1868), 9, 322. Minasarianc, Mik’ayel (Hg.): K’nar haykakan. Ergaran. Verǰabanut’iun. Mtaċut’iunk’ azgayin lusavorut’ean masin [Die armenische Lyra. Ein Liederbuch. Fazit. Überlegungen zu den Fragen nationaler Ausbildung]. S.-Peterburg 1868, 4 f.

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zu verdanken. Auf den Seiten dieser Zeitschrift plädierte er für mehr Unabhängigkeit und Bildung der armenischen Frauen, denn solange diese im Zustand »geistiger Sklaverei« lebten, würden sie auch ihre Kinder in diesem Geist erziehen.176 Die Lage war nicht zuletzt deshalb so dramatisch, so ein anderer Autor im Haykakan Ašxarh, weil die Ausbildung an armenischen Lehranstalten den Frauen denkbar geringe Möglichkeiten einräumte, später ein Hochschul­ studium im Ausland aufzunehmen. Angesichts der vielen Fördermöglichkeiten, die jungen Männern das Studium im Ausland ermöglichten, sei das Fehlen einer offiziellen Unterstützung für armenische Frauen geradezu skandalös. Der Autor sah in dieser Diskrepanz katastrophale Folgen für die Zukunft der armenischen Gesellschaft. Denn ohne eine bessere Bildung blieben die armenischen Frauen in einem tiefen patriarchalen Nationalismus befangen. Während also immer mehr junge Armenier sich im Ausland weiterbilden könnten, seien die armenischen Frauen in »dunklen provinziellen Ressentiments« gefangen. Das führe dazu, dass die hochgebildeten Männer in der Heimat keine gebildete Frau finden könnten, um eine glückliche Familie zu gründen, und deshalb gezwungen seien, ihr Glück in der Fremde zu suchen. Für so ein kleines Volk wie die Armenier sei es verheerend, das Frauenstudium derart zu vernachlässigen.177 Vor allem in seiner eigenen Zeitung Mšak befasste sich Arċruni in eindrucksvoller Manier mit diesem Thema, indem er den tatsächlichen Zustand der wenigen Mädchenschulen öffentlich machte. Die Bildungssituation sollte, so der Vorschlag in Mšak, dahingehend verbessert werden, dass es künftig auch jungen Armenierinnen gestattet sein solle, an russländischen und europäischen Hochschulen zu studieren. Die intellektuelle Elite und vermögende kaufmännische Familien wurden aufgefordert, sowohl für die Gründung neuer Mädchenschulen als auch für Auslandsstipendien junger Frauen zu spenden. 1880 machte sich Mšak für die Gründung einer Frauengesellschaft stark, die das Studium junger Armenierinnen im Ausland finanziell unterstützen sollte. Von den Mitgliedsgebühren der Gesellschaft sollte ein ständiges Kapital gebildet werden, dessen Zinsen jährlich mindestens zwei bis drei Frauen ein Auslandsstudium ermöglichen sollten. Dieser Plan zielte vor allem darauf ab, eine langfristige Finanzierung des Auslandsstudiums zu ermöglichen, was mit einzelnen Privatspenden nicht erreicht werden könnte. Das Stammkapital sollte dabei durch Einnahmen aus Theateraufführungen, Konzerten, Vorlesungen und durch weitere Spenden stetig wachsen.178 Diese Initiative fand jedoch kaum Resonanz, daher forderte Arċruni grundsätzliche 176 Haykakan Ašxarh. 3 (1867), 9, 363–371, 367. 177 Ebd. 3 (1867), 2/3, 94–104, 98 f. 178 Mšak. 9 (1880), 146, 1.

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Lösungen für das Frauenstudium. So sollte etwa in den Satzungen der wohltätigen Gesellschaften ein Anspruch der armenischen Frauen auf ein Hochschulstipendium verankert werden.179 Etwa ein Jahrzehnt später konnte Arċruni im Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre auf unverkennbare Erfolge verweisen. Der armenischen Frau sei es gelungen, die alten Ressentiments zu überwinden, sich nicht nur die Sprachen und die Literatur Europas anzueignen, sondern dort sogar zu studieren. An den Universitäten in Genf, Zürich, Leipzig oder Paris, an denen Frauen zum Studium zugelassen waren, studierten nun, so Arċruni, junge Armenierinnen, die demnächst mit dem Diplom einer pädagogischen, musikalischen oder medizinischen Hochschule in ihre Heimat zurückkehren würden.180 Das Frauenstudium wurde auch von anderen Akteuren thematisiert. 1867 übersetzte der Student Z. Grigorian aus St. Petersburg einen Artikel aus St. Peterburgskie Vedomosti (St. Petersburger Amtsblatt) über die Eröffnung der ersten Universität für Frauen in Amerika: Die Eröffnung der ersten Universität für Frauen in Amerika, das Vassar College, dürfte armenischen Frauen unendliche Freude bereiten, die lebenslang ihre Krankheiten und ihr Leiden geheim halten und sich den männlichen Ärzten nicht anvertrauen können. […] Auch für armenische Männer dürfte das eine großartige Neuigkeit sein, die ihre Frauen nach asiatischen Regeln verstecken und ihnen verbieten, mit männlichen Ärzten über ihr Leiden zu sprechen.181

Ein weiterer Grund zur Freude sei im Übrigen die Tatsache, dass unlängst auch in Kopenhagen eine Universität für Frauen eröffnet worden sei. Diesem Beispiel würden ohne Zweifel weitere fortschrittliche europäische Länder folgen, dies würde aber bald auch in Russland die Gründung einer Universität für Frauen befördern, wo auch armenische Ärztinnen studieren könnten.182 In einem Folgeartikel zog Grigorian Bilanz: Das europäische Beispiel zeige bereits die Vorzüge einer Hochschulausbildung der Frauen. Sie dürften dort den Lebensunterhalt mit ihrem »Schweiß und Blut« verdienen und seien weder auf eine Mitgift noch auf eine finanzielle Unterstützung durch ihren Mann angewiesen. Sie arbeiteten als Ärztinnen und Lehrerinnen, die nicht nur Vorlesungen an der Universität besucht hätten, sondern auch selbst unterrichteten. Grigorian beklagte generell die desolate Lage armenischer Frauen, die statt eine fundierte Ausbildung zu bekommen, eher mit Tanzabenden und Kartenspielen beschäftigt seien.183 Dem Autor war jedoch bewusst, dass für 179 180 181 182 183

Ebd., 11 (1882), 115, 1–2, 2. Ebd., 18 (1890), 17, 1–2, 1. Haykakan Ašxarh. 3 (1867), 1, 32–40, 33. Ebd., 34. Ebd., 3 (1867), 2/3, 94–104, 98.

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das Auslandsstudium der Frauen und ihre spätere Karriere eine breite gesellschaftliche Zustimmung im Kaukasus noch nicht vorhanden war: Ich erzähle das alles nicht deswegen, damit sich unsere Familien von heute auf morgen verändern, nach Europa reisen, die Universitäten besuchen, um Vorlesungen zu hören […], sondern um zu zeigen, dass sich in anderen Ländern solche Dinge zutragen, und dass dies sich früher oder später auch unter uns verbreiten wird und auch wir sollten alles daran setzen, unser Leben zu verbessern.184

Wie kontrovers das Frauenstudium von den armenischen Intellektuellen diskutiert wurde, zeigt das Beispiel von Grigor Zohrab (1861–1915), eines Abgeordneten des türkischen Parlaments und der armenischen Nationalversammlung. Der ansonsten so fortschrittlich denkende armenische Schriftsteller und Politiker war nach eigenem Bekunden »ein überzeugter Gegner des Frauenstudiums«.185 Zohrabs Meinung war, dass Männer und Frauen von Natur aus zur Erfüllung unterschiedlicher Aufgaben geschaffen seien, folglich sollte sich dies auch in ihrer Ausbildung niederschlagen. Selbstverständlich war Zohrabs Auffassung alles andere als außergewöhnlich und lehnte sich an die damals verbreiteten Degradierungsthesen an, die einen prinzipiellen Rangunterschied zwischen Mann und Frau unterstellten.186 In dem Artikel »Warum Männer eine zu gut ausgebildete Frau nicht heiraten wollen« behauptete Zohrab, dass die Weiblichkeit der Frauen durch zu viel Bildung Schaden nehmen würde.187 Eine gut ausgebildete Frau würde weder ihren Verpflichtungen als Mutter noch als Ehefrau nachkommen. Zohrab sehnte sich nach Frauen, die in ihrer Ungebildetheit und Naivität seiner Meinung nach die pure Weiblichkeit verkörperten.188 Ferner beklagte er, dass sich das Schulprogramm der Mädchen kaum von dem der Jungen unterschied. Die Frauen sollten vielmehr auf ihre spätere Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereitet werden, wobei ihnen das Lächeln und ihre Leichtigkeit nicht durch das unnötige Studium geraubt werden dürften.189 In seinen zahlreichen Projekten über das Studium junger Armenier im Ausland erwähnte Zohrab  – im Unterschied zu Arċruni  – niemals das Frauenstudium und sah auch keine Notwendigkeit, neben den jungen Männern auch die armenischen Frauen im Ausland zu unterstützen. Dagegen traten viele im Ausland studierende Männer als Protagonisten des Frauenstudiums auf. So berichteten etwa jene, die an schweizerischen Hochschulen studierten, dass die Universitäten in diesem Land ihre Tore nunmehr 184 Ebd., 101. 185 Zohrab, Grigor: Erkeri žołovaċu [Gesammelte Werke]. Bearbeitet v. Albert Sharuryan. In vier Bänden. Jerewan 2001–2004. Band 3. 2003, 134. 186 Vgl. Schötz: »Sind Frauen studierfähig?«, 156. 187 Zohrab: Erkeri žołovaċu, Band 3, 98–100. 188 Ebd., 100. 189 Ebd., 134–137.

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auch für Studentinnen geöffnet hätten. Darüber schrieb Grigor Arċruni bereits 1868, noch während seiner Studienzeit in Heidelberg. Im Haykakan Ašxarh berichtete er über das, wie er sagte, wunderbare Vorbild zweier russischer Frauen, die an der Züricher Universität Medizin studierten und »begabter und fleißiger waren« als viele Männer. Ihr Beispiel bewegte Arċruni zutiefst: 1867 bestand eine dieser Frauen glänzend ihre Doktorprüfung. Die Zeitungen in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich berichteten ihren Lesern, dass eine junge Frau mit dem Namen Suslova190 ihre Doktorprüfung in der Schweiz bestand. […] Welchen Empfang die Frau-Doktorin in ihrer Heimat bekommen hat, ist mir nicht bekannt, wie ich aber höre, ist ihr Beispiel nicht folgenlos geblieben. Man erzählt, dass es unter den Studenten der Züricher Universität nun etwa acht Frauen verschiedener Nationalität gibt.191

Y. Davt’ianc, ein anderer armenischer Student aus Genf, berichtete im Jahr 1888 über vier Armenierinnen, die zu dieser Zeit an der Universität Zürich studierten. Doch sein Artikel war weniger als Lob, sondern viel eher als Kritik zu verstehen: Von vier Millionen Armeniern im Russländischen und im Osmanischen Reich hätten gerade einmal vier Studentinnen den Weg an eine ausländische Universität gefunden. Diesen Zustand schrieb er vor allem der Ignoranz zu, die seiner Meinung nach in der armenischen Gesellschaft gegenüber dieser Frage herrschte.192 Dass man in der Provinz kein Verständnis für das Frauenstudium erwarten konnte, erklärte der Verfasser mit den patriarchalen Vorstellungen, die hier nach wie vor dominierten. Warum aber die Vertreter der armenischen Intelligenzija in den größeren Städten ihre Töchter nicht im großen Stil zum Studium ins Ausland schickten, blieb für ihn eine unerklärliche Frage. Der armenischen Bildungselite warf er daher genau jene patriarchalen Ressentiments vor, die in der Provinz anzutreffen seien. Dagegen sei der Wunsch, ein Hochschulstudium zu absolvieren, in den ärmeren Schichten der armenischen Gesellschaft größer. Vielen Mädchen bleibe ein Hochschulstudium nicht etwa wegen des Widerstands ihrer Familie versagt, sondern wegen fehlender finanzieller Mittel. Solche Mittel zur Verfügung zu stellen, erklärte Davt’ianc zu einer Verpflichtung der armenischen Wirtschaftselite.193 Dagegen sah der armenische Publizist und Mitglied der HYD Xačatur Malumian (1863–1915) bereits in der Tatsache, dass an den schweizerischen Universitäten Armenierinnen studierten – unabhängig von ihrer Zahl –, einen Grund zum Optimismus: 190 Nadežda Suslova (1843–1918) gilt als die erste russische Medizinstudentin an der Universität Zürich. Vgl. Maurer: Emanzipierte Untertaninnen, 116. 191 Haykakan Ašxarh. 5 (1868), 3, 67–71, 69 f. 192 Mšak. 16 (1888), 68, 1. 193 Ebd.

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Je mehr Armenierinnen eine Hochschulbildung anstreben, desto einfacher könnten wir neue Bereiche für ihre berufliche Betätigung etablieren. Wir könnten aber auch grundlegende Veränderungen in der Denkweise der Frauen herbeiführen. Die Armenierinnen, die eine Hochschulbildung bekommen, könnten und sollten hierbei eine große Rolle spielen, daher ist es unbedingt wünschenswert, dass ihre Zahl an den Universitäten nach Möglichkeit zunimmt und sie somit eine wirkungsvolle Kraft bilden.194

Für die bessere Ausbildung armenischer Mädchen zunächst in der Heimat, dann aber auch im Ausland setzten sich auch Frauengesellschaften ein, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl im Osmanischen als auch im Russländischen Reich existierten. Erwähnt seien etwa die in Konstantinopel wirkenden »Gesellschaft heimatliebender Armenierinnen«195 und »Gesellschaft schulliebender Frauen«196. 1881 wurde in Tiflis die »Wohltätige Gesellschaft der Armenierinnen«197 gegründet, 1906 folgte die Gründung der »›Mełu‹-Gesellschaft der Armenierinnen«. Neben ihrem Engagement im Bildungsbereich übernahmen sie auch die Armenfürsorge, während gerade die Mełu-Gesellschaft gegen die Arbeitslosigkeit der Frauen kämpfte.198 In der Debatte um die bessere Ausbildung der Frauen und ihre spätere Karriere waren aber auch singuläre Stimmen wirksam. Eine überzeugte Protagonistin des Auslandsstudiums junger Armenierinnen war zum Beispiel Grigor Arċrunis Lebensgefährtin Mariam Melik’-Ałamalian, die selbst die Höhere Töchterschule in Gotha besucht hatte und seitdem die im Ausland studierenden armenischen Frauen tatkräftig unterstützte.199 Aus ihrem Nachlass wird deutlich, wie sehr sie bemüht war, armenische Frauen für das Studium in der Schweiz zu begeistern. Durch die Vermittlung von Andreas Arċruni, mit dem sie eine intensive Korrespondenz führte,200 war sie mit deutschen und schweizerischen wissenschaftlichen Kreisen bestens vernetzt und vermittelte diese Kontakte den dort studierenden Armenierinnen. Einer ihrer Protegés war die armenische Studentin Varduhi Hakobian in Zürich. Dank der ausführlichen 194 Ebd., 17 (1889), 70, 1–2. 195 Adanalyan, M. L.: »Azganver hayuhyac ẹnkerut’yunẹ«. Stełċman 100-amyaki aṙt’iv [»Gesellschaft heimatliebender Armenierinnen«. Anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums]. In: PBH . 1979, 4, 255–259. 196 Harutyunyan, Anahit: Ereveli tiknanc darẹ. Hay kananc hasarakakan gorċuneut’yunẹ XIX darum ev XX daraskzbin [Die Epoche der herausragenden Frauen. Die gesellschaftliche Tätigkeit armenischer Frauen im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts]. Jerewan 2005, 54–64. 197 Ebd., 85–96. 198 Ebd., 100–109. 199 Ararat. 1877, 9, 337–342, 340. 200 Vardanyan, Varazdat: Andreas Arċrunu namaknerẹ Mariam Melik’-Ałamalianin [Briefe von Andreas Arċruni an Mariam Melik’-Ałamalian]. In: Lraber Hasarakakan Gitut’yunneri (Zeitschrift für Sozialwissenschaften, im Folgenden LHG). 1981, 9, 97–113.

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Briefe, in denen sie ihrer Mentorin über alle Einzelheiten des Studiums berichtete, lässt sich ihr Aufenthalt in der Schweiz und in Deutschland, angefangen von ihrer Ankunft in Zürich und dem Erlernen der deutschen Sprache bis hin zum Ablauf der einzelnen Semester vollständig rekonstruieren. In einem der ersten Briefe bedankte sie sich für die Vermittlung des Kontakts zu einer schweizerischen Familie, die anscheinend sowohl Mariam Melik’-Ałamalian als auch Grigor Arċruni sehr gut kannten. Hakobian hatte auch eine gewisse Verpflichtung auf sich genommen, regelmäßig für Mšak zu schreiben: […] da ich die deutsche Sprache noch gar nicht beherrsche, widme ich mich ausschließlich dem Erlernen der Sprache, was die einzige Möglichkeit ist, sich mit der hiesigen Situation vertraut zu machen. Seit drei Tagen habe ich mit dem Privatunterricht begonnen. Wenn ich die Sprache genug beherrsche, um in die Frauenhochschule (sic!) aufgenommen zu werden, werde ich mich mit der Struktur der hiesigen Schulen und Hochschulen befassen und dann viel Material zum Schreiben haben. Nun kenne ich nicht einmal die Straßennamen, um ohne Hilfe vom Unterricht zurück nach Hause zu finden.201

Nach den erfolgreich abgelegten mündlichen und schriftlichen Prüfungen in Deutsch und Französisch wurde Hakobian 1891 an der Züricher Universität angenommen, wo sie nach eigenen Angaben Sprachen, Naturwissenschaften und theoretische und praktische Pädagogik studierte: Die letztere findet in einer Grundschule statt, in der jede von uns nach einer Vor­ bereitung die Kinder unterrichten kann. Überhaupt fällt es schwer, die schöne Organisation der Lehranstalten hier mit unseren zu vergleichen. Was für ein riesiger Unterschied […]202

Auf diese Unterschiede zwischen den armenischen und den schweizerischen Lehranstalten waren die Artikel, die Hakobian in den folgenden Jahren für Mšak verfasste, im Wesentlichen fokussiert. Bereits nach einem Jahr berichtete sie sowohl von ihren Erfolgen beim Spracherwerb als auch bei der Anpassung an die europäische Umgebung: […] sicherlich schien am Anfang alles viel zu schwer, weil die mich umgebenden Umstände so fremd und unverständlich waren, vor allem die Schwierigkeiten mit der Sprache machten mir zu schaffen. Nun, wenn ich mich an diese vergangenen Tage erinnere, muss ich lächeln. Jetzt beherrsche ich die deutsche Sprache so gut, dass ich mich der Französischen widmen kann. Im Frühjahr werde ich mich in die Frauenhochschule in Genf immatrikulieren. Dort werde ich die Möglichkeit haben, das Studiensystem kennenzulernen und, meinem Versprechen treu, Ihnen darüber zu berichten.203 201 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Grigor Arċruni, Nr. 306, Bl. 307. 202 Ebd., Bl. 309. 203 Ebd., Bl. 308.

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1893 bekam Hakobian von den Professoren ihrer Fakultät Empfehlungsschreiben, die es ihr gestatteten, in Leipzig die Vorlesungen zur physiologischen Psychologie und Volkspsychologie des »weltbekannten Wundt« zu besuchen. Wilhelm Wundt, der 1889/90 Rektor der Universität gewesen war, bestätigte ihr nach persönlicher Bekanntschaft, dass es Frauen in Deutschland zwar in der Tat nicht gestattet war zu studieren, wenn sie jedoch Vorlesungen besuchen wolle, würde ihr dies niemand verbieten.204 […] und so war es auch, ich habe alle von mir ausgewählten Vorlesungen besuchen dürfen. Aber um die Universitätsprüfungen abzulegen, muss ich zurück nach Zürich, denn Frauen dürfen hier keine Universitätsprüfungen ablegen.205

Begeistert berichtete Varduhi Hakobian von einem Abendessen, das sie bei Wundt zu Hause im Kreis seiner Familie verbringen durfte: Wundt hat, wie es scheint, große Sympathie für die Armenier. […] Er erzählte, als er Privatdozent an der Universität in Heidelberg war, war ein Großteil seiner Studenten Ausländer, die meisten davon Armenier. Wie groß war meine Freude, als er die beiden Arċrunis erwähnte. Unser Gespräch wurde ab diesem Augenblick viel interessanter.206

Über die Zeit in Leipzig berichtete Hakobian auch ansonsten sehr ausführlich und bedankte sich mitunter dafür, dass die Zeitung Mšak den armenischen Studenten regelmäßig nach Leipzig geschickt wurde. Dabei überließ sie auch ihre eigenen Exemplare den »hiesigen Armeniern«: Sicherlich wird es Sie interessieren, wen ich mit ›hiesige Armenier‹ meine. Das sind weitere fünf Studenten, unter ihnen eine junge Frau Suparian aus Tiflis, die Musik und Gesang studiert, des Weiteren zwei Priester, die auf Kosten der Akademie (man könnte in der Tat sagen auf nationale Kosten) Theologie und kirchliche Musik studieren, der dritte207 ist auch ein ehemaliger Student der Akademie, der als Neffe von Melik’-­ Haykazian208 auf seine Kosten studiert, der vierte mit dem Familiennamen Taragian,

204 Ebd., Bl. 313. 205 Ebd. 206 Ebd. 207 Es ging um den armenischen Theologen, Historiker und Pädagogen Aršak Ter-Mik’elian (1864–1901), der nach dem Abschluss der Gevorgian-Akademie mit finanzieller Unterstützung seines Onkels 1888 nach Deutschland ging und in Jena Theologie studierte. Nach Melik’-Haykazians Tod wandte sich Ter-Mik’elian an den Kathołikos Makar I. mit der Bitte, die Finanzierung seines Studiums zu übernehmen. Durch die Intervention des Kathołikos gewährte der Fürst Simeon Abamelik’-Lazarian, der Mitglied des Kuratoriums der armenischen Kirche in St. Petersburg war, Ter-Mik’elian 1.600 Rubel Stipendium für zwei Jahre. Vgl. Ter-Mik’elian, Aršak: Erkeri žołovaċu [Gesammelte Werke]. Sb. Ēǰmiaċin 2009, 7–9. 208 Alexandr Melik’-Haykazian war ein wohlhabender Armenier und Oberoffizier der russischen Armee. Er stellte jährlich eine bestimmte Summe für die Weiterbildung der Ab-

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den Sie, glaube ich, bereits kennen, ist gerade erst angekommen. Er lernt noch die Sprache, was er später studieren möchte, kann ich nicht sagen.209

Nach dem Aufenthalt in Deutschland verbrachte Varduhi Hakobian einige Semester in Genf, um Französisch zu lernen und sich mit dem französischen Bildungssystem vertraut zu machen. Wie andere Beobachter beschrieb auch sie das französische Bildungssystem im Vergleich zum deutschen als weniger anspruchsvoll, ja fast oberflächlich. Nach vier Monaten in Genf, wo sie sich mit der praktischen Pädagogik, dem Bildungssystem und den Unterrichtsmethoden vertraut machte, sprach sie von großen Unterschieden, die ihr im Vergleich zu Zürich aufgefallen waren: Hier in Genf nimmt man alles viel zu leicht, sodass man den Einfluss des franzö­ sischen Charakters merkt. Überhaupt fühlt man sich hier eher in Frankreich als in der Schweiz.210

Nebenbei bemerkte sie, dass es zu dieser Zeit in Genf sehr viele armenische Studenten gab, mehr noch als wenige Jahre zuvor, und zwar sowohl aus dem russischen als auch aus dem türkischen Teil Armeniens. Leider finden sich in keinem der zahlreichen Briefe von Varduhi Hakobian Hinweise auf andere in der Schweiz studierende Armenierinnen. Auch hat keine andere damalige armenische Studentin einen ähnlich ausführlichen Nachlass hinterlassen wie Hakobian. Eine Ausnahme hiervon sind die Briefe einer weiteren Studentin namens Nadežda K’alant’arianc, die von der armenischen Fürstin Sofia Arłut’ian211 im Murč’ veröffentlicht wurden.212 K’alant’arianc berichtet dort einer Freundin, mit der sie offenbar gemeinsam im Ausland studieren wollte, über ihre Reise nach Zürich, die sie ungeachtet aller Hindernisse und trotz der Vorurteile ihrer eigenen Familie unternommen hatte: Nach einer achttägigen Reise erreichte ich endlich Zürich. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich allein bin und wo… im Ausland! Weißt Du noch, was für ein Wunder, ein unwirklicher Traum es für uns war, ins Ausland zu gehen?213

solventen der Gevorgian-Akademie im Ausland und / oder in Russland zur Verfügung. Vgl. Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 21, 1–5. 209 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Grigor Arċruni, Nr. 306, Bl. 313. 210 Ebd., Bl. 312. 211 Sofia Arłut’ian (Erkaynabazuk, 1860–1954) gehörte zur armenischen Fürstenfamilie Arłut’ian-Erkaynabazuk, war Pädagogin und Publizistin. Sie absolvierte das Mädchengymnasium in Tiflis, dann die Fröbel’schen Kurse in St. Petersburg. 1881 eröffnete sie in Tiflis die erste Kinderbibliothek und 1886 einen Kindergarten. Im Jahr 1907 führte sie die Fröbel’schen Kurse in Tiflis ein. Vgl. Harutyunyan: Ereveli tiknanc darẹ, 77 f. 212 Murč’. 9 (1897), 5, 621–635; Ebd., 9 (1897), 6, 782–801. 213 Ebd., 9 (1897), 5, 621–635, 621.

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Ein armenischer Student namens Ašxatavorian, der es für seine Pflicht hielt, »mich keinen Augenblick allein zu lassen«, begleitete sie bis zur Wohnung der Familie Fendt, die der Onkel von K’alant’arianc für sie gefunden hatte.214 Ašxatavorian stellte sie Frau Fendt als ein aus einer traditionellen armenischen Familie stammendes Mädchen vor, das bis dahin niemals unter Fremden gelebt habe, kaum Deutsch spreche, aber vorhabe, nach dem Erlernen der Sprache an der Universität Medizin zu studieren: Diese Aussage versetzte die Hausherrin in Erstaunen, wobei ich nicht weiß, was sie am meisten verwunderlich fand: Dass ich von so weit gereist war, um zu studieren, oder die Tatsache, dass auch die ›Barbaren‹ nach Bildung streben?215

K’alant’arianc widmete sich sogleich mit »ganzem Eifer« dem Spracherwerb und konnte sich sechs Monate früher als geplant an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich immatrikulieren. Für das rasche Erlernen der Sprache hatte sie neben dem Studium offensichtlich auch andere Motivationen: Schrecklich, schrecklich ist die Situation jener Studenten, die ins Ausland kommen, ohne die Sprache zu beherrschen, zumal mit diesen pedantischen und kalten Deutschen. Obwohl ich schon etwas sprechen konnte, war alles um mich herum so schwer verständlich und alle waren so distanziert. Über meinen seelischen Zustand habe ich Dir ja geschrieben. Ašxatavorian wunderte sich, warum ich die Familie Fendt verlassen habe und in einer Pension unabhängig wohne. Wenn Du wüsstest, wie schwer es für uns ist, die eine herzliche Gastfreundschaft gewöhnt sind, mit solch distanzierten und pragmatischen Menschen zu leben. Sie zählen jedes Stück Brot, das Du isst, jeden Tropfen Wasser, den Du trinkst. Das ist kalt und unmenschlich, obwohl man sagt, dass diese Lebensweise zusammen mit der Zivilisation kommt. Gott bewahre, dass diese Zivilisation, wenn sie denn auch unser Land erreicht, unsere Gastfreundschaft beeinflusst.216

K’alant’arianc berichtete ausführlich von den Schwierigkeiten, die eine ausländische Studentin bewältigen musste, um ihren Platz in der deutschen bzw. schweizerischen Gesellschaft zu finden. Das gesellschaftliche Leben und die Familien in der Schweiz seien sehr verschlossen, was es für eine ausländische Frau beinahe unmöglich mache, sich Zutritt zu verschaffen. Vom Umgang mit den anderen Studenten seien die im Ausland studierenden Frauen ebenfalls abgeschnitten, und zwar wegen der »äußerst seltsamen« Haltung der deutschen Männer gegenüber studierenden Frauen: Die Mehrheit der Deutschen möchte nicht einmal zulassen, dass die Frauen an das Hochschulstudium denken. Du solltest sehen, wie sie in den Hörsälen die Studentinnen 214 Ebd., 622. 215 Ebd. 216 Ebd., 629 f.

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empfangen: Lachen, Flüstern, Spott! Es ist nur verständlich, dass die Frauen sehr vorsichtig in ihren Beziehungen zu diesen Studenten sein müssen. Es bleibt, mit den studierenden Frauen freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen, allerdings sind solche recht wenig und es ist schwer, wirkliche Freundschaften zu schließen.217

Die Vorlesungen und Bücher seien zwar für die Bildung notwendig, aber die Erfahrung, die man in einem fremden Land im Alltag sammeln könnte, könne kein Buch ersetzen. Daher sollten die Studierenden dennoch versuchen, gleichgültig ob Mann oder Frau, Beziehungen zu den anderen zu knüpfen.218 Was Nadežda K’alant’arianc über die Haltung studierender Männer berichtete, wird im Übrigen durch die Memoiren anderer russländischer Studentinnen bestätigt. Gerade die Pionierinnen des Auslandsstudiums in den 1860er und 1870er Jahren beklagten oft die abschätzige Haltung männlicher Studenten und erlebten selbst große Unsicherheit angesichts der fremden Umgebung.219 Ebenso wie Varduhi Hakobian war auch K’alant’arianc von den schweizerischen Schulen beeindruckt und kündigte in einem Brief an, deren System bei Gelegenheit besser zu studieren und für die Lehrerinnen in Tiflis einen Bericht darüber zu schreiben. Am 29. Juli 1889 bekam K’alant’arianc ihr Zeugnis von der Züricher Universität und zog für einige Zeit nach Leipzig, bevor sie in die Heimat zurückkehrte. Über die armenischen Studenten in Leipzig und überhaupt in Deutschland sprach sie mit großer Begeisterung. Diese hätten nach dem Vorbild ihrer deutschen Kommilitonen Vereine gegründet und versuchten, sich den einheimischen Studenten und ihrem gesellschaftlichen Leben anzunähern.220 In den letzten Briefen berichtete K’alant’arianc über ihre Beteiligung an einem öffentlichen Auftritt von August Bebel, bei dem dieser über die Arbeiterbewegung in Deutschland, aber auch über die Lage der in den Fabriken arbeitenden Frauen gesprochen hatte. Sie zeigte sich davon beeindruckt, wie die fortschrittlichen europäischen Denker sich für die Rechte der Frauen, vor allem für ihr Recht auf die höhere Bildung einsetzten: Alles soll daran gesetzt werden, das Hochschulstudium der Frauen zu fördern. Wir können nur hoffen, dass diese Fragen auch in Russland große Resonanz finden werden, sodass die mit Geduld wartende russische Frau bald erleben wird, wie ihre Brüder die Tore der Universität für sie öffnen.221 217 Ebd., 631. 218 Ebd. 219 Vgl. Brügger, Liliane: Russische Studentinnen in Zürich. In: Brang, Peter u. a. (Hg.): Bild und Begegnung. Kulturelle Wechselseitigkeit zwischen der Schweiz und Osteuropa im Wandel der Zeit. Basel u. a. 1996, 485–508, hier insbesondere 494–496. 220 Murč’. 9 (1897), 6, 782–801, 793. 221 Ebd., 796.

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In ihre Heimat kehrte K’alant’arianc mit der Überzeugung zurück, dass die armenische Gesellschaft für ihre Modernisierung weder Helden noch große Bahnbrecher brauchte, sondern hochgebildete und hart arbeitende Fachleute, die sich für das Wohl ihrer Heimat einsetzten.222 Dass sich im studentischen Milieu der Schweiz auch revolutionär gesinnte Armenierinnen fanden, ist sicher nicht verwunderlich. Die Memoiren der Studentin Maro Vardanian (Nazarbek, 1864–1941), die auch Mitbegründerin der Partei Hnčak223 war, liefern über die politischen Aktivitäten armenischer Studierender in der Schweiz gute Anhaltspunkte. 1881 absolvierte sie das Tifliser Gymnasium und besuchte die Bestužev-Kurse in St. Petersburg. Dies war, wie sie selbst schrieb, ein außerordentliches Ereignis und stieß nicht nur bei ihrer Familie auf Unverständnis. Für das Recht, im fernen Norden das Studium fortzusetzen, musste sie hartnäckig kämpfen, was schließlich zu ihrer Flucht und zum Abbruch jeglicher Kontakte zu ihrer Familie geführt habe.224 Moralische Unterstützung erfuhr sie von Arċruni, der in ihrem Schritt den Anfang einer neuen Tendenz in der armenischen Wirklichkeit sah und ihr einen Artikel im Mšak widmete.225 In St. Petersburg fand sich Vardanian sogleich im Kreis der Narodniki wieder, in deren Ideologie sie die Möglichkeit sah, ihre eigenen Träume, »im Volk und für das Volk zu arbeiten«, zu verwirklichen.226 Mit einer Gruppe junger Studierender ging sie abends in die Arbeiterviertel, um die Ideen der Narodniki zu propagieren und zu lehren. Wegen dieser Tätigkeit wurde sie jedoch schon bald von den Kursen ausgeschlossen und musste ins Ausland, zunächst nach Paris, dann nach Genf gehen, wo sie sich an der Universität einschrieb. In der Schweiz machte Vardanian Bekanntschaft unter anderem mit Georgij Valentinovič Plechanov und Vladimir Il’ič Lenin, die einen unmittelbaren Einfluss auf ihre weitere politische Karriere hatten. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits mit dem Publizisten und Mitbegründer der Partei Hnčak Avetis Nazarbekian (Na­zarbek, 1866–1939) verheiratet und widmete sich mit ihm gemeinsam der armenischen Befreiungsbewegung. Über das Studium selbst sind in Varda­nians Memoiren kaum Details enthalten. Da die revolutionäre Tätigkeit jedoch ihre »gesamte Zeit in Anspruch nahm«,227 kann angenommen werden, dass sie das Studium eher vernachlässigte. Einen Abschluss der Genfer Universität erlangte sie laut Universitätsmatrikel jedenfalls nicht. Politisch involviert waren auch die Schwestern Catherina und Ripsimia ­Tumanoff, Töchter eines armenischen Gutsbesitzers aus Theodosien. Cathe222 Ebd., 798. 223 Zur Partei Hnčak siehe Kapitel 5.1.2. 224 Nationalarchiv Armeniens. Fond 1456, Liste 2, Akte 27, Bl. 1. 225 Ebd. 226 Ebd. 227 Ebd., Bl. 3.

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rina Tumanoff studierte ab 1872 Medizin in Zürich, verließ die Universität jedoch noch im selben Jahr und kehrte 1873 nach Russland zurück. Wegen revolutionärer Propaganda wurde sie 1877 verhaftet und verurteilt. Von 1879 bis 1886 sowie 1891 folgten weitere Aufenthalte in Genf.228 Ihre Schwester ­R ipsimia studierte von 1872 bis 1875 Philosophie ebenfalls in Zürich, ging von der Universität jedoch ohne Zeugnis ab. Auch sie wurde wegen Beihilfe zur Flucht politischer Gefangener 1875 nach Ostsibirien verbannt.229 Ab Ende der 1860er Jahre und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs studierten etwa 124 Armenierinnen an schweizerischen und deutschen Hochschulen, wobei die meisten von ihnen im Fach Medizin an den Universitäten Zürich und Genf eingeschrieben waren. Beliebt waren aber auch Studien­ fächer wie Philosophie und Naturwissenschaften. Immer wieder kamen ­einige dieser Studentinnen für den Besuch bestimmter Vorlesungen auch nach Deutschland. Da in den deutschen Universitätsdokumentationen jedoch keinerlei Einträge darüber vorhanden sind, finden sich die einzigen Hinweise in den schweizerischen Matrikelbüchern. Die meisten konnten ihr Studium erfolgreich abschließen und verließen ihre Alma Mater mit entsprechenden Zeugnissen. Über promovierte Armenierinnen wiederum gibt es nur wenige Informationen, die vorhandenen Hinweise stammen aus den Matrikelbüchern der Universitäten Zürich. Dort wurden Margarit Melik-Beglarian mit der Arbeit »Über den Diabetes mellitus im Kindesalter« sowie Haykanduxt Čaxmaxčian zum Thema »Über die Pectoral- und Abdominalmuskulatur und über die Scalenus-Gruppe bei Primaten, eine vergleichende morphologische Untersuchung« promoviert. Die meisten armenischen Studentinnen an den schweizerischen Universitäten stammten aus dem Russländischen Reich, aus Persien gab es dort 3 und aus der Türkei nur 2 Armenierinnen. Über ihre soziale Herkunft ist nichts Näheres bekannt, da der Beruf des Vaters in den Matrikelbüchern oft fehlt. Aufgrund eines hohen Anteils russischer bzw. europäischer Vornamen vermutet Claudie Weill, die Familien, die ihren Töchtern eine höhere Ausbildung im Ausland ermöglichen wollten, hätten einem weniger traditionalistisch gesinnten kulturellen Milieu angehört.230 Ausschlaggebend scheint in jedem Fall die finanzielle Stellung der Familie gewesen zu sein. Wie aus der Statistik ersichtlich, stammten die meisten Studentinnen aus eher größeren Städten im Kaukasus wie etwa Tiflis, Baku, Eriwan, Šuši und Elizavetpol und legten bei der Immatrikulation entsprechende Abschlusszeugnisse der Mädchen-​ Gymnasien in diesen Städten vor. 228 Helfenstein-Tschudi (Hg.): Online-Matrikeledition, Matrikelnummer 4302. 229 Ebd., Matrikelnummer 4301. 230 Weill, Claudie: Étudiants russes en Allemagne, 1900–1914. Quand la Russie frappait aux portes de l’Europe. Paris 1996, 96.

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Grafik 7: Die Verteilung der Studienfächer

3.3.1 Erste armenische Kindergärtnerinnen im Zwiespalt zwischen Europa und dem Kaukasus

Ein weiterer Berührungspunkt armenischer Frauen mit der europäischen Wissenschaft, der hier nicht unerwähnt bleiben sollte, ist die vorschulische Bildung, die sich zu dieser Zeit auch im Kaukasus etablierte und eine klassische »Frauendomäne« war. Die Pionierinnen, die dort nach europäischem Vorbild die ersten Kindergärten gründeten, waren Sofia Arłut’ian sowie die Schwestern Sofia Babaian (1855–1940) und Anna Bayandurianc. Dabei hinterfragten sie durchaus kritisch, ob die grundlegenden wissenschaftlich-methodischen Ansätze der europäischen Kindergärten, vor allem aber die zu dieser Zeit sehr verbreiteten Fröbel’schen Theorien231 über die vorschulische Bildung in der armenischen Gesellschaft unverändert Anwendung finden sollten.

231 Friedrich Fröbel (1782–1852) war ein deutscher Pädagoge und gilt als der Begründer der ersten Kindergärten in Deutschland. Seine Theorien über vorschulische Erziehung und die Organisation der Kindergärten fanden weltweit Anerkennung und wurden von den sogenannten Fröbel’schen Gesellschaften in vielen Ländern umgesetzt. Vgl. Heiland, Helmut (Hg.): Friedrich Fröbel. Ausgewählte Schriften. Bd. 3: Texte zur Vorschulerziehung und Spieltheorie. Stuttgart 1998; Berger, Manfred: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch. Frankfurt am Main 1995.

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Studium und Alltag

Die Fröbel’schen Theorien und die deutschen Kindergarten-Erfahrung waren in der russländischen Öffentlichkeit bereits ab den 1850er Jahren vor allem durch die Veröffentlichungen des russischen Pädagogen Vasilij Ivanovič Vodovozov im Žurnal Ministerstva Narodnogo Prosveščenija bekannt. Ab 1871 gab es in St. Petersburg eine sogenannte Fröbel’sche Gesellschaft, die Ausbildungskurse für Erzieherinnen organisierte. Von 1876 an dauerten diese Kurse zwei Jahre und vermittelten Kenntnisse in Anatomie, Physiologie, Hygiene, Psychologie, allgemeiner Pädagogik und in der Theorie der Erziehung nach Fröbel, des Weiteren in den Naturwissenschaften, im Zeichnen, Modellieren, Gesang und in Gymnastik. Abgerundet wurde diese sehr breitgefächerte Ausbildung durch Praktika.232 In Tiflis wurde eine Fröbel’sche Gesellschaft unter aktiver Mitwirkung von Gayane Hovhannisian gegründet, die sich nach dem Studium in der Schweiz der Vorschulerziehung zugewandt und in Eriwan einen der ersten Kindergärten eröffnet hatte. Alsbald wurden sowohl Hovhannisian als auch ihr Ehemann von den Behörden nationalistischer Aktivitäten beschuldigt und nach Odessa ausgewiesen. 1887 zog das Ehepaar nach Konstantinopel um, wo Hovhannisian einen Kindergarten eröffnete und daneben Sommerkurse für armenische Frauen anbot. Dank ihrer aktiven Unterstützung konnten einige Kursteilnehmerinnen zum Studium nach Frankreich gehen.233 Eine weitere engagierte Kindergärtnerin war Sofia Babaian, die nach dem Abschluss einer Mittelschule in der privaten Pension Fovr mit ihrem Ehemann, dem armenischen Arzt Avetik’ Babaian (1844–1913), zum Studium nach Deutschland ging. Sofia Arłut’ian hat einen ausführlichen Artikel über sie verfasst und sie dort als Pionierin unter den armenischen Studentinnen im Ausland bezeichnet. Sofia Babaian träumte davon, so Arłut’ian, im Ausland zu studieren: Der Traum wäre aber ein Traum geblieben, wenn sie nicht geheiratet hätte. Ihr Ehemann, der Arzt Avetis Babaian, hatte sehr liberale Ansichten und unterstützte das Frauenstudium. Er war selbst ein junger Arzt, der gerade die medizinische Fakultät absolviert hatte und im Ausland weiterstudieren wollte. So gingen die Ehepartner gemeinsam zum Studium nach Deutschland.234

Dort absolvierte sie die Höhere Töchterschule in Gotha und begründete 1880 mit Unterstützung von ihrem Ehemann eine Fröbel’sche Gesellschaft in Tiflis. Diese eröffnete 1882 im Rahmen der Gayanian-Schule einen Kindergarten in armenischer Sprache. Selbstständig konnte der Kindergarten nicht existieren, 232 Vgl. Smagina, G. I. / Ippolitova, G. A.: Die St. Petersburger Fröbel-Gesellschaft zur Förderung der Vorschulerziehung der Kinder 1871–1917. In: Kästner / P frepper (Hg.): »…so ist die Naturwissenschaft das wahre internationale Band der Völker«, 335–342, 339. 233 Vgl. Avagyan: Nšanavor hayuhiner, 37. 234 Nationalarchiv Armeniens. Fond 466, Liste 1, Akte 34.

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da es keinesfalls erlaubt gewesen wäre, »eine Bildungsanstalt in nichtrussischer Sprache zu betreiben«.235 Dieses Projekt sollte die armenischen Familien nach und nach für die Idee eines in ihrer Muttersprache betriebenen Kindergartens gewinnen. Sofia Babaian war eine überzeugte Vorkämpferin für den Gebrauch der Muttersprache und machte ihre Ansichten über die vorschulische Bildung und die Rolle der Muttersprache auf verschiedenen Kongressen publik. Sofia Arłut’ian begegnete ihr zum ersten Mal auf einem Kongress armenischer Pädagogen, wo Babaian »mit einer glänzenden Rede« über den Gebrauch der Muttersprache auftrat: Sie hatte damals schon den Mut, offen zu sagen, dass alle Kulturvölker auf ihre Muttersprache stolz sind, wogegen unsere vermögenden Familien es für anstößig halten, die eigene Muttersprache in ihre Familien einzuführen.236

Gleichzeitig war Sofia Babaian in der Gayanian-Schule in Tiflis tätig und unterrichtete dort – trotz aller Kritik – die Fröbel’schen Theorien.237 Sie enga­ gierte sich aber auch in den wenigen anderen Kindergärten, die es im Kaukasus zu dieser Zeit gab, und vermittelte diesen sogar Spielzeuge aus Deutschland.238 Sofia Arłut’ian war selbst eine herausragende Persönlichkeit der armenischen Pädagogik. Sie reiste mit einer Gruppe armenischer Kindergärtnerinnen mehrere Male nach Europa, um die Struktur der vorschulischen Ausbildung in den europäischen Staaten kennenzulernen.239 In der Hoffnung, sich mit den europäischen Pädagogen auszutauschen, bereisten die Frauen Frankreich, Deutschland, die Schweiz, Belgien, Österreich, Finnland, Dänemark, Schweden und besuchten mehrere Kindergärten. In zum Teil nicht veröffentlichten Artikeln berichtete Sofia Arłut’ian über ihre Begegnungen etwa mit Eleonore Heerwart, der Gründerin des »Allgemeinen Deutschen Kindergärtnerinnen-Vereins«, und mit der amerikanischen Pädagogin und Schriftstellerin Elizabeth P. Peabody, der Gründerin des ersten englischsprachigen Kindergartens in den Vereinigten Staaten. Auf einem Frauenkongress in Kopenhagen erzählte Peabody Sofia Arłut’ian, dass die Kindergärten in Amerika eine wichtigere Rolle spielten als in Deutschland und dass Fröbels Ruhm als bedeutender Denker dort sicherlich größer sei als in seiner Heimat.240 Trotz der Anerkennung, die armenische Kindergärtnerinnen Fröbels Schülerinnen in den westlichen Ländern entgegenbrachten, standen sie einer be235 Ebd. 236 Ebd. 237 Harutyunyan: Ereveli tiknanc darẹ, 76. 238 Barseghyan, Ch. H.: Step’an Šahumian. Kyank’i ev gorċuneut’yan vaveragrakan taregrut’yun. 1878–1918 [Step’an Šahumian. Dokumentarische Chronik des Lebens und des Wirkens. 1878–1918]. Jerewan 1968, 20. 239 Nationalarchiv Armeniens. Fond 466, Liste 1, Akte 5, Bl. 1. 240 Ebd.

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dingungslosen Übernahme seiner Ansichten im Kaukasus mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Offenbar zogen sie das Modell eines experimentellen Kindergartens dem klassischen Fröbel’schen System vor. Die Kinder sollten durch spielerisches Basteln und viel Bewegung die Möglichkeit haben, ihre Fantasie, ihren Körper und ihren Geist zu entwickeln: Fröbel hatte sich Kindergärten in einer Atmosphäre von Musik, Rhythmus und Gesang vorgestellt und wenn er seine Kindergärten auf der Grundlage der Bewegungsspiele und Lieder seiner Zeit erschaffen hatte, so konnte er nicht ahnen, dass diese als Bedingung in allen Kindergärten der Welt eingesetzt werden würden.241

Auch sonst hielten armenische Kindergärtnerinnen die deutschen Methoden der Erziehung mit der kaukasischen Realität für unvereinbar. So berichtete Sofia Arłut’ian vom Besuch eines Kindergartens in Leipzig sowie eines Semi­nars, wo jährlich »Frebelički«242 ausgebildet wurden. Die armenischen Kinder­ gärtnerinnen waren von der, wie Arłut’ian es bezeichnete, eisernen Disziplin und der für einen Kindergarten ungewöhnlichen Stille offenbar sehr überrascht. Die Art und Weise, wie sich die Kinder dort »auf Kommando« in einer Reihe aufstellten, hinsetzten, malten usw. stand in markantem Gegensatz zum oben erwähnten alternativen Modell, von dem die Armenierinnen überzeugt waren: Die Kinder haben auf uns den Eindruck von Marionetten hinterlassen. Es war unheimlich. Auf die Frage, welches System wir in unseren Kindergärten verwenden, antworteten wir, dass wir die Fröbel’schen Kurse absolviert haben und jetzt durch Europa reisen, um verschiedene Modelle in den Kindergärten zu studieren und daraus unser eigenes Modell im Hinblick auf unsere Lebensbedingungen auszuarbeiten. Der eifrigen Nachfolgerin von Fröbel versuchten wir zu erklären, dass Fröbel im 18. Jahrhundert gelebt hatte, seine philosophischen Ansichten von den Strömungen seiner Zeit beeinflusst waren und nicht blind im 20. Jahrhundert angewandt werden können.243

Gegenüber den als starr wahrgenommenen Prinzipien des Fröbel’schen Systems schien zunächst das neue Modell der italienischen Ärztin, Reformpädagogin und Philosophin Maria Montessori attraktiver. Im Jahr 1900 traf Sofia Arłut’ian in Paris eine ehemalige Studentin von Montessori und stellte fest, dass diese wie die Nachfolgerinnen von Fröbel eine überzeugte Anhängerin der didaktischen Methoden ihrer Lehrerin war und keine Zweifel an deren Wirksamkeit duldete. Angesichts der Tatsache, dass Montessori sehr viel mit behinderten Kindern arbeitete, waren die Armenierinnen auch hier der Meinung, dass ihre Methoden nicht ohne weiteres auf »gesunde Kinder« an241 Ebd., Bl. 3. 242 Im Original auf Russisch. 243 Nationalarchiv Armeniens. Fond 466, Liste 1, Akte 5, Bl. 3–4.

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wendbar seien.244 Dagegen sprach Arłut’ian mit großer Begeisterung von den schweizerischen Kindergärten: In Zürich haben wir uns mit einer Kindergärtnerin unterhalten, die ebenfalls der Ansicht war, dass alle Methoden gut sind, aber jeder Kindergarten nach gründlicher Untersuchung der Methoden bekannter Pädagogen wie Fröbel oder Montessori und aufgrund von eigenen Erfahrungen eine eigene Methodik entwickeln sollte, um nicht zum blinden Anhänger des einen oder anderen Systems zu werden. Das könnte nicht nur den Kindern, sondern auch den Erzieherinnen selbst schaden. Es muss berücksichtigt werden, wann und unter welchen Umständen die eine oder andere Methode entwickelt wurde.245

Für ihre eigene Arbeit entwickelte Arłut’ian ein System, das eine Synthese aus beiden Modellen darstellen sollte, wobei ihrer Ansicht nach Fröbel und Montessori einander nicht ausschlossen, sondern ergänzten: Wenn uns die langweilige und ermüdende Manipulation der Fröbel’schen Methoden erschreckt, so wären noch viel erschreckender die nur mit ›Wissenschaftsgeist‹ beschäftigten überzeugten Anhängerinnen von Montessori, die die Kraft der Fantasie vergessen haben […].246

In der armenischen Pädagogik genossen sowohl Sofia Babaian als auch Sofia Arłut’ian große Anerkennung, beide nahmen an verschiedenen Kongressen armenischer Pädagogen teil und publizierten zahlreiche Beiträge sowohl in Fachzeitschriften als auch in der Presse. Vor allem die Autorität Sofia B ­ abaians war unter den armenischen Pädagogen unbestritten und ihr Rat bei der Gründung verschiedener Lehranstalten hochgeschätzt.247 Ein sprechendes Beispiel dafür war etwa die geplante Gründung eines Kindergartens in Nor Naxiǰevan, für den der wohlhabende Armenier Hakob Xlẹtč’eanc finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt hatte.248 Die Ankündigung dieses Vorhabens in der Zeitschrift Dproc (Die Schule) erreichte auch Sofia Babaian, die zu dieser Zeit noch in Deutschland weilte. Sie publizierte in derselben Zeitschrift einen Artikel, in dem sie diese Initiative begrüßte und gleichzeitig praktische Vorschläge machte.249 Dem Begründer legte sie beispielsweise nahe, frühzeitig eine »tüchtige« junge Frau auszuwählen, die die fünfte bzw. sechste Klasse eines Gymnasiums absolviert haben musste. Sie solle an der Höheren Töchterschule in Gotha 244 245 246 247

Ebd., Bl. 4. Ebd., Bl. 5. Ebd., Bl. 6. Zur Tätigkeit der von Sofia Babaian organisierten Fröbel-Gesellschaft und eines Kindergartens in Tiflis siehe exemplarisch Mšak. 11 (1882), 46, 1–2; Ebd., 14 (1886), 12, 2. 248 Hakob Xlẹtč’eanc widmete diese Stiftung dem Andenken seiner verstorbenen Frau. Vgl. Dproc. 2 (1875), 2, 45–51, 45 f. 249 Ebd., 5, 175–179.

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die für die Leitung dieser Einrichtung nötigen Kenntnisse erwerben. Sofia ­Babaian lieferte nicht nur genaue Informationen über die Kosten und die Dauer eines solchen Studiums, sondern wies auch explizit darauf hin, dass die ausgewählte Person nicht nur Vorlesungen besuchen, sondern auch praktische Erfahrungen sammeln müsse.250 Ferner erklärte sie sich bereit, so lange sie noch in Deutschland sei, Spielzeug und andere für den Kindergarten notwendige Materialen zu liefern.251 Am Ende des Artikels machte sie außerdem konkrete Vorschläge zur Organisation der Bewegungsspiele. So schlug sie beispielsweise vor, neben armenischen auch »ausländische« Spiele einzusetzen, diese allerdings an die armenischen Traditionen anzupassen.252 Der Redakteur der Zeitschrift stellte dem Artikel eine Vorbemerkung voran, in der er die Erfahrung der »gelehrten Verfasserin« würdigte und sich für ihre »wertvollen Ratschläge« bedankte. Diese Episode vermittelt einen anschaulichen Eindruck von der großen Popularität der ersten armenischen Kindergärtnerinnen, die sicherlich auch daher rührte, dass gebildete berufstätige Frauen in der armenischen Gesellschaft um die Jahrhundertwende noch eine Ausnahme waren. Mehr noch, die Vertreterinnen nationaler Minderheiten mussten unter den schwierigen sozialen und politischen Bedingungen im Osmanischen wie im Russländischen Reich für ihr berufliches Engagement große Hürden überwinden. Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass das öffentliche Auftreten einer Frau in der armenischen Gesellschaft als ein außerordentliches Ereignis wahrgenommen wurde. Anlässlich der Rede von Sofia Babaian bei der Eröffnung des Kindergartens in Tiflis bemerkte der bekannte armenische Schriftsteller Raffi (1835–1888): »[…] zum ersten Mal auf einem Podium, vor einer Menschenmenge tapfer und ohne Furcht spricht … die armenische Frau«.253 3.3.2 Zwischenfazit

Sowohl das Auslandsstudium als auch die berufliche Emanzipation armenischer Frauen wurde in der Presse vor dem Hintergrund vergleichbarer Debatten im Russländischen und im Osmanischen Reich und mit deutlicher Orientierung am europäischen Beispiel diskutiert. Gewisse Gemeinsamkeiten mit den Problemen der Bildung und der Gleichberechtigung der Frauen in diesen Ländern sind daher nicht zu übersehen. So blieb die Forderung nach einer besseren Bildung, aber auch einer Gleichberechtigung der Frauen ledig250 251 252 253

Ebd., 176 f. Ebd., 178. Ebd., 178 f. Mšak. 11 (1882), 46, 1–2, 1.

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lich auf ihre Position innerhalb der Familie beschränkt und bezog sich nur äußerst selten auf das Berufsleben.254 Eine bessere Bildung sollte die Frauen demnach auf ihre Rolle als Mutter und Erzieherin ihrer Kinder vorbereiten. Den Frauen, die trotz allem eine höhere Ausbildung »nach europäischem Geist und in europäischen Sprachen« erhielten, wurde unterstellt, zu stark unter europäischem kulturellem Einfluss zu stehen. Sie kamen, so die Befürchtung, in den Genuss einer höheren Bildung und des europäischen Fortschritts und konnten sich nicht mehr zurück in die armenische Wirklichkeit finden.255 Selbst wenn mit dem Bild der amerikanischen Ärztinnen die Notwendigkeit des Medizinstudiums auch in die armenische Gesellschaft transferiert wurde, waren Äußerungen über die berufliche Emanzipation der Frauen so selten wie vage. Doch gerade der Bedarf an Ärztinnen war in eher patriarchal geprägten Gesellschaften, in denen sich die Frauen den männlichen Ärzten nicht anvertrauen konnten, schwerlich in Abrede zu stellen. Dies war ein Argument, das nicht nur von armenischen Intellektuellen vorgebracht wurde.256 Um die gesellschaftliche Akzeptanz des Hochschulstudiums, vor allem aber der professionellen Karriere der Frauen zu fördern, wurde nicht nur im Russländischen und Osmanischen Reich, sondern selbst in Deutschland mit dem Beispiel der Länder argumentiert, in denen Frauen studieren und berufstätig sein konnten.257 Diese Erfahrung nutzte auch die armenische Presse: Neben den Beiträgen über Nadežda Suslova, berichtete Mšak über Frauen wie etwa Louise Atkins, die die Universität Zürich absolviert hatte und als Ärztin in der Frauenklinik in Birmingham tätig war. Dies sei das erste Mal, dass eine Frau eine so große Anerkennung genieße.258 Ein ausführlicher Artikel über die berufliche Emanzipation der Frauen in England und Amerika, insbesondere aber in Deutschland, und die mit dieser Erfahrung einhergehenden Erfolge wurde auch im Haykakan Ašxarh veröffentlicht.259 254 Die Diskussion über bessere Bildungschancen für Frauen wankte auch im Russländischen Reich zwischen der Forderung nach Gleichberechtigung und der Angst vor einem Zusammenbruch der traditionellen Familie hin und her. Ein Großteil der männlichen Studierenden unterstützte jedoch das Universitätsstudium der Frauen und argumentierte unter anderem damit, hochgebildete Frauen seien bessere Mütter. Vgl. Morrissey, Susan K.: Heralds of Revolution: Russian Students and the Mythologies of Radicalism. New York [u. a.] 1998, 164. 255 Vgl. Mšak. 1 (1872), 13, 2. 256 Im Osmanischen Reich wurden in dieser Diskussion von den türkischen Reformintellektuellen ganz ähnliche Argumente vorgebracht. Vgl. Gencer: Der Transfer deutschen Bildungswissens, 128. 257 Beispielsweise veröffentlichten die Neue Bahnen, das Presseorgan des »Allgemeinen Deutschen Frauenvereins«, in den 1860er Jahren zahlreiche Berichte über studierende bzw. berufstätige Frauen vor allem in Nordamerika und Großbritannien. Vgl. Schötz: »Sind Frauen studierfähig?«, 150. 258 Mšak. 1 (1872), 30, 4. 259 Haykakan Ašxarh. 10 (1877), 10/12, 257–263.

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Die Frage, welchen Einfluss das Studium im Ausland auf das spätere Leben armenischer Frauen und ihren beruflichen Werdegang hatte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Sowohl über den Aufenthalt armenischer Studentinnen im Ausland als auch über ihr weiteres Leben fehlen in der Regel – von wenigen Ausnahmen abgesehen  – jegliche Informationen. Die oben beschriebenen Einzelfälle mögen repräsentativ genug sein, um einen Eindruck von dem Aufenthalt einer »typischen« armenischen Studentin in der Schweiz zu vermitteln. Doch bleibt natürlich die Frage, ob das Beispiel dieser Pionierinnen Einfluss auf die gesellschaftliche und berufliche Stellung armenischer Frauen insgesamt ausüben konnte. Festgehalten werden kann, dass ab dem Moment, als die Nachricht über Nadežda Suslova die armenische Öffentlichkeit erreichte, das Frauenstudium von der Presse häufiger thematisiert wurde und damit auch aus den öffentlichen Debatten kaum mehr wegzudenken war. Spätestens um die Jahrhundertwende war das Studium armenischer Frauen in der Schweiz im öffentlichen Bewusstsein so präsent, dass sich nicht nur die studierenden Männer, sondern auch die armenische Gesellschaft insgesamt damit auseinandersetzen mussten. Allerdings war diese Diskussion vielfach durch Vorurteile und einseitige Wahrnehmungen stark vorgeprägt, vor allem, wenn es um die spätere berufliche Emanzipation der Frauen ging. Stießen beispielsweise Berufe wie Kindergärtnerin, Lehrerin oder Ärztin als Frauendomäne noch auf eine gewisse Akzeptanz, traf das vermeintliche Eindringen der Frauen in die von Männern dominierten Arbeitsbereiche auf starken Widerstand. Das führte dazu, dass diese Frauen ihre Heimat oft im Konflikt mit ihrem unmittelbaren familiären Umfeld verließen. In der Hoffnung auf eine bessere Ausbildung und damit auf bessere Zukunftschancen nahmen sie die Herausforderungen eines Auslandsstudiums in Kauf und kehrten mit sozialen Erfahrungen zurück, die häufig mit den in der armenischen Gesellschaft etablierten Wertvorstellungen kollidierten. Das Auslandsstudium war insofern eine empfundene Befreiung und Herausforderung zugleich: Den armenischen Studentinnen war sehr bewusst, dass ihnen ein Glück, wie sie es selbst beschrieben, zuteil geworden war, das den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen verwehrt blieb. Gerade deswegen empfanden sie es als eine besondere Verpflichtung, ihre Beobachtungen über das Schul- und Bildungssystem in der Schweiz in die Heimat zu transferieren, sei es in Form von Briefen und Artikeln in der Presse, sei es später als Lehrerin in den Schulen. Dies war aber auch der generellen Annahme geschuldet, das eigene Bildungswesen sei gegenüber dem europäischen unvollkommen und bedürfe einer Reformierung. Doch gerade am Beispiel armenischer Kindergärtnerinnen wird deutlich, dass die zu transferierenden Ideen durchaus einer kritischen Überprüfung unterzogen wurden. Ihr Transfer wurde unter der Voraussetzung ihrer Anpassung an die regionalen Bedürfnisse in Betracht gezogen, während eine bedingungslose Übernahme entschieden abgelehnt wurde.

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Im Unterschied zum öffentlichen und politischen Engagement armenischer Frauen in der Heimat bleibt die Frage des Hochschulstudiums im Ausland in der armenischen Historiografie bis heute vernachlässigt. Zu der Frage, welche Vorkenntnisse und Voraussetzungen sie erfüllen mussten, um zum Studium an russländischen Höheren Frauenkursen bzw. ausländischen Universitäten zugelassen zu werden, liegen bislang kaum Untersuchungen vor. Lediglich die Existenz der Mädchenschulen in beiden Teilen des armenischen Volkes bzw. das Studium einzelner armenischer Frauen an Höheren Kursen, in den Medizinischen bzw. Pädagogischen Instituten in St. Petersburg sowie im Ausland wurden als besondere Leistung in der damaligen Presse bzw. in einzelnen aktuelleren biografischen Werken anerkennend berücksichtigt.260 Kritische Auseinandersetzungen mit dem Frauenstudium fehlen dagegen gänzlich, sodass weitere vergleichende und verflechtungsgeschichtliche Untersuchungen vor dem Hintergrund der Bildungssituation im Russländischen und im Osmanischen Reich, aber auch in Europa sinnvoll sind.

3.4 Studium und das gesellschaftliche Leben Über das Leben, das Studium und die alltäglichen Probleme armenischer Studenten in Deutschland und in der Schweiz geben vor allem ihre Korrespondenz bzw. Memoiren, Berichte der Stipendiaten an ihre jeweiligen Geldgeber sowie die Beiträge in der zeitgenössischen armenischen Presse Auskunft. Inhaltlich betreffen diese Zeugnisse hauptsächlich die Anpassung an das Leben in Europa, aber auch die finanziellen Engpässe sowie sprachliche Barrieren. Die Lebensqualität in den europäischen Städten und die Unterschiede zwischen dem »fortschrittlichen Europa« und der Heimat lösten dabei sowohl Angst vor der unbekannten Umgebung wie auch Begeisterung und Bewunderung aus. So schwärmte beispielsweise der spätere Pädagoge und Professor am Staatlichen Pädagogischen Institut in Jerewan Aršavir Šavaršian (1884–1960) in einem Brief an seine Eltern von der deutschen Bahn, deren dritte Klasse viel sauberer sei als die zweite Klasse in den russischen Zügen.261 Vor allem das zügige Erlernen der deutschen Sprache, um möglichst schnell mit dem Studium anfangen zu können, stellte armenische Studenten vor ein schweres Dilemma. Die knappen finanziellen Mittel eines durchschnittlichen Studenten erlaubten es kaum, ausreichend Zeit für den Spracherwerb einzuplanen oder professionellen Deutschunterricht in Anspruch zu nehmen. Er260 Siehe exemplarisch Avagyan: Nšanavor hayuhiner; Harutyunyan: Ereveli tiknanc darẹ; Navasargian: Bemin nvirvaċ hayuhiner. 261 Nationalarchiv Armeniens. Fond 471, Liste 1, Akte 701, Bl. 1–4.

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fahrene Kommilitonen, die bereits länger im Ausland verweilten, legten den Neuankömmlingen verschiedene Methoden nahe, wie etwa die Nutzung eines Wörterbuchs, um die einfachsten und am häufigsten verwendeten Begriffe zu erlernen. Weitere Möglichkeiten waren der Besuch der Sonntagsliturgie, intensive Zeitungslektüre, Austausch mit deutschen Muttersprachlern sowie der Besuch von Vorlesungen, selbst wenn man anfangs nichts verstand.262 In manchen Fällen waren es aber auch andere Studenten, die ihren mittellosen Kommilitonen Nachhilfe gaben. Dies berichtete beispielsweise der Stipendiat des Nersesian-Seminars Nikołayos K’aramian, der sich wegen des knapp bemessenen Stipendiums keinen Deutschunterricht leisten konnte und die Hilfe eines anderen Studenten in Anspruch nahm.263 Ratsam war es zudem, in eine kleinere Stadt zu ziehen, in der es keine anderen Armenier gab, um die Zeit des Spracherwerbs optimal zu nutzen. Über solche Umzüge berichteten viele Studenten, so auch der armenische Schriftsteller Vrt’anes P’ap’azian (1866–1920), der ab 1891 in Genf Literatur und Sozialwissenschaften studierte. Für die Erlernung der französischen Sprache sei Genf vollkommen ungeeignet. Überall würde man dort auf armenische, russische und bulgarische Studenten treffen, die »genauso viel Französisch sprechen wie ich am ersten Tag meiner Ankunft«.264 Es ist unmöglich, der Gesellschaft dieser Studenten, die nur Russisch oder Armenisch sprechen, zu entkommen. Man kommt sich vor, als sei man in Russland. Kein armenischer Student hier hat einen französischen Bekannten, schon gar nicht ich. Es gibt hier Armenier, die seit 3–4 Jahren studieren, jedoch nicht einmal einen Satz ohne Stottern zu Ende bringen können. […] Dies zwingt mich, Genf zu verlassen und in eine andere Stadt zu ziehen, wo es keine Armenier und Russen gibt. Ich überlege, nach Brüssel zu gehen. Gerade habe ich das Programm der dortigen Universität bekommen. Dort gibt es bessere Professoren, was aber viel wichtiger ist, es gibt keinen einzigen Armenier.265

P’ap’azian beschwerte sich mitunter auch über die Qualität des Studiums in Genf. Die Professoren seien  – von einer Ausnahme abgesehen  – »törichte Schwätzer«, die sich nur auf das Podium stellten, um Anekdoten zu erzählen bzw. aus gedruckten Büchern vorzulesen und die Zeit der Studenten zu verschwenden.266 Für die Stipendiaten war das Sprachproblem meist nicht so gravierend, da sie in der Regel ein bis zwei Semester für die Erlernung der Sprache einplanen 262 Vgl. Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 18. 263 Nationalarchiv Armeniens. Fond 2, Liste 1, Akte 828, Bl. 18. 264 P’ap’azian, Vrt’anes: Erkeri žołovaċu. Hing hatorov [Gesammelte Werke. In fünf Bänden]. Band 5. Jerewan 1959, 664. 265 Ebd. 663 f. 266 Ebd., 664.

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konnten, bevor sie sich dem eigentlichen Studium widmeten. Dennoch waren dafür keine zusätzlichen Mittel vorgesehen, und der Sprachunterricht musste aus dem regulären Stipendium bezahlt werden. Gerade deswegen war der Druck auf die Stipendiaten enorm groß, die Sprache so schnell wie möglich zu erlernen, damit das Stipendium für das eigentliche Ziel verwendet werden konnte. So schrieb Hakob Harut’iunian an den Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie: Wegen der unzureichenden Sprachkenntnisse kann ich mich dieses Semester nicht immatrikulieren, deswegen möchte ich jetzt aus Berlin in eine kleinere, vielleicht auch eine nichtuniversitäre Stadt ohne armenische Kreise ziehen. Dort kann ich mich ganz und gar der Sprache widmen, damit ich mich bereits ab dem Wintersemester immatrikulieren und studieren kann. […] Jetzt überlege ich, nach Marburg oder nach Jena zu gehen.267

Nach einem knappen Jahr berichtete Harut’iunian dem Pädagogischen Rat aus Berlin, seine Schwierigkeiten mit der Sprache seien bereits überwunden und er käme mit dem Studium ohne Hindernisse voran: In diesem dritten Semester kann ich auch schon die Seminare besuchen. Glücklicherweise hat die Doppelung der Gebühren für den Seminarbesuch die Philosophische Fakultät nicht betroffen, sodass ich mich in viele Seminare einschreiben konnte.268

Auch der oben bereits erwähnte Aršavir Šavaršian, der 1910 nach Berlin gegangen war, berichtete zunächst von großen sprachlichen Schwierigkeiten: […] an der Grenze wurde unser Gepäck leicht kontrolliert. Man fragte, ob wir Zigaretten bei uns hätten. Hier fingen meine Schwierigkeiten an. Die Sprache war fremd, ich verstand kaum etwas. […] In Berlin angekommen, sperrte ich mein Gepäck am Bahnhof ein und um Gottes Hilfe betend machte ich mich auf den Weg. Zwar früh am Morgen, das Leben war aber in vollem Gange. Das Geräusch von Kutschen, Autos und der Trambahn war ohrenbetäubend. Auf beiden Seiten der Straße gingen Menschen mit ernsten und nachdenklichen Mienen vorbei. Sobald ich jemanden mit einem gutmütigen Gesicht sah, nahm ich meinen Hut ab und fragte auf Deutsch, wie ich die Straße finden könnte, wo mein Freund wohnte. Sie erklärten es höflich und gingen weiter. Natürlich verstand ich nichts, tat nur so, als würde ich verstehen.269

Trotz derartiger Schwierigkeiten war Šavaršian laut Universitätsmatrikel bereits ab dem Wintersemester 1910/11 in Jena als ordentlicher Student eingeschrieben. In einem weiteren Brief beklagte er zwar lästige Komplikationen wie etwa die Übersetzung seiner Zeugnisse, die er nach Leipzig bringen 267 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil II ., Bl. 269. 268 Ebd., Bl. 246. 269 Ebd., Fond 471, Liste 1, Akte 703, Bl. 2.

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musste, »weil es in Jena niemanden gibt, der Russisch versteht«,270 oder aber die hohen Studiengebühren und sonstige Kosten.271 Schwierigkeiten wegen der Sprache wurden jedoch nicht mehr erwähnt. Dass der Spracherwerb nicht nur für das Studium, sondern auch für die Integration in das deutsche studentische Milieu überaus wichtig war, betonten auch die deutschen Förderer des armenischen Auslandsstudiums. Wegen der mangelhaften Deutschkenntnisse seien die Armenier nämlich auf die Gesellschaft der russischen Studenten angewiesen. Dieser Umgang war aber, so Ewald Stier, nicht immer vorteilhaft. Es sei daher sehr wichtig, den armenischen Studenten zur »vollen Kenntnis der deutschen Sprache zu verhelfen«, um sie vom »schädlichen Einfluss« der russischen Studenten fernzuhalten.272 Die Stipendiaten des Notwendigen Liebeswerks sollten deshalb mindestens drei Monate in einer deutschen Familie verbringen, bevor sie anfangen konnten zu studieren.273 Diese Wohltat, wie Stier dies bezeichnete, sollte aber nicht nur den Stipendiaten, sondern auch der übrigen armenischen Studentenschaft zuteilwerden, da die sprachlichen Barrieren ihnen den Kontakt zu den deutschen Kommilitonen erschwerten bzw. den Zugang zu deutschen Familien fast unmöglich machten. Die Kenntnis der russischen Sprache würde sie dagegen zwangsläufig in die Kreise russischer Studenten führen, doch diese waren laut Stier »fast durchweg ein schlechter Umgang«.274 Dass viele Armenier nach dem Studium »verdorben und mit radikalen Anschauungen« in ihre Heimat zurückkehrten, wie die armenische Kirche Stier gegenüber kritisch anmerkte, sei nicht etwa dem vermeintlich schädlichen Einfluss der deutschen Universitäten, sondern eben den revolutionären russischen Studenten anzulasten: Dass die materialistische Weltanschauung unter den gebildeten Armeniern solche Fortschritte gemacht hat, liegt zum Teil gewiss auch an diesen Beziehungen zu den Russen. Wenn wir es unternehmen wollten, auch nichttheologischen armenischen Studenten Familien zu verschaffen, in denen sie Deutsch lernen, ferner solche, in denen sie während ihres Studiums verkehren können, dann würden wir ein Liebeswerk an dem ganzen Volke tun und indirekt auch dem kirchlichen Leben in Armenien aushelfen.275

270 Ebd., Bl. 4. 271 Die im Brief ausführlich beschriebenen Kosten beliefen sich auf etwa 64 Mark. Darin enthalten waren 20 Mark Kanzleigebühr für die Immatrikulation, vier Mark für die Krankenkasse und 40 Mark Studiengebühren. Für das Zimmer und Essen rechnete er 25 bzw. 24 Mark monatlich. Vgl. ebd. 272 Stier: Warum Deutsch-Armenische Gesellschaft?, 2 (18). 273 Ders.: Unser notwendiges Liebeswerk. In: An die Freunde. 1908, 24, Sp. 236–238, 237. 274 Ebd. 275 Ebd., Sp. 237 f.

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Ein weiteres wiederkehrendes Problem, mit dem die meisten Studenten im Ausland zu kämpfen hatten, waren finanzielle Engpässe. Über die schwierige soziale Lage russländischer Studenten informieren viele Quellen, vor allem ihre persönliche Korrespondenz, aber auch die Darstellungen verschiedener Hilfskomitees. Neben diversen studentischen Organisationen, Bibliotheken und Lesehallen gab es Vereine, die finanzielle Unterstützung für notleidende Studierende organisierten. Zu diesen gehörte beispielsweise das »Berliner Komitee für die Hilfe der bedürftigen Studentinnen und Studenten aus Russland«. Wie das Komitee 1898 mitteilte, stieg die Zahl der russländischen Studenten in Europa jährlich, wobei in Deutschland, Frankreich, in der Schweiz und in Belgien schätzungsweise 5.000 Russländer studierten.276 Die finanzielle Situation der meisten sei überaus schlecht: Für das Leben und Studium hätten sie genauso wenig Mittel wie ihre Kommilitonen in Russland, doch im Unterschied zu diesen hätten sie in Europa keine Möglichkeit, Stipendien zu erhalten bzw. von Studiengebühren befreit zu werden. Auch die finanzielle Unterstützung durch Hilfsorganisationen sowie die Möglichkeiten, selbst Geld zu verdienen, seien äußerst eingeschränkt. Neben den Anpassungsschwierigkeiten im Ausland und verschiedenen Hindernissen bei der Immatrikulation, so das Fazit des Komitees, hatten diese Studenten wegen ihrer finanziellen Notsituation zudem noch die Verachtung ihrer wohlhabenderen Landsleute, aber teilweise auch der Professoren zu ertragen.277 Mit Blick auf diese Situation wies das Berliner Komitee im Übrigen darauf hin, dass die meisten russländischen Studenten, die um die Jahrhundertwende nach Westeuropa kamen, dies nicht freiwillig taten. Viele Studenten, vor allem Angehörige der nationalen Minderheiten, seien wegen Zugangsbeschrän­ kungen an russländischen Hochschulen, wegen politischer Repressionen bzw. wegen der Schwierigkeiten, in Russland technische Fächer zu studieren, geradezu gezwungen, ins Ausland zu gehen.278 Das per Statut festgelegte Ziel des Komitees war daher, den in Not befindlichen Kommilitonen aus Russland finanzielle Hilfe zukommen zu lassen. Die Mittel dafür setzten sich aus Spenden, Mitgliedsgebühren sowie Einnahmen aus öffentlichen Vorlesungen zusammen. Die konkrete Hilfe bestand etwa darin, die Studiengebühren zu übernehmen bzw. studentische Mensen zu unterstützen. Da diese Hilfe allerdings als Leihgabe gedacht war, verpflichteten sich die Studenten, die geliehene Summe bei nächster Gelegenheit wieder zurückzuzahlen.279 Zusätzliche Schwierigkeiten für die Hilfsorganisationen bereitete die Unterstellung deutscher wie russländischer Behörden, die Unterstützung not276 GARF. Polizeidepartement, Sonderabteilung, Fond 102 (1898), op. 226, d. 3, č. 226. 277 Ebd. 278 Ebd. 279 Ebd.

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leidender Kommilitonen sei eigentlich nur eine Tarnung geheimer revolutionärer Aktivitäten. In den Akten des Polizeidepartements im GARF finden sich zahlreiche Berichte der Sonderabteilung über die in Deutschland tätigen studentischen Komitees und Mensen, die verdächtigt wurden, unter dem Deckmantel der Hilfstätigkeit politisch aktiv zu sein, sich aber zum Teil auch offen den Behörden zu widersetzen. So hätten beispielsweise die russischen Studenten in München das dortige russische Konsulat zwar um finanzielle Unterstützung für eine studentische Mensa gebeten, sich jedoch geweigert, der Forderung des Konsulats nachzukommen, während eines Konzerts die Hymne »Bože, Carja chrani!«280 zu singen. Stattdessen verzichteten sie lieber auf die finanzielle Unterstützung. Im Bericht wurde deshalb dringend empfohlen, solche studentischen Hilfskomitees der Russländer gerade in München stärker zu beobachten.281 Hinweise auf vergleichbare Hilfskomitees für armenische Studenten gibt es kaum, gleichwohl berichtete Tełekagir über die finanzielle Unterstützung, die einzelne Mäzene den Studenten und studentischen Organisationen zukommen ließen. So hätten 1896 einige vermögende Armenier den Studenten in Berlin etwa 600 Mark als Hilfe für die in Bedrängnis geratenen Kommilitonen geschenkt.282 Etwaige Nachweise, Quittungen oder Dokumente, welche die Verfügung über diese Summe belegen, fehlen jedoch gänzlich. An den russländischen Hochschulen konnte die finanzielle Unterstützung für armenische Studenten indessen besser organisiert werden. Da es in Moskau und St. Petersburg größere armenische Gemeinden gab, war es möglich, etwa durch Theateraufführungen finanzielle Mittel für hilfsbedürftige Studenten zu sammeln. Auch wenn es nicht leicht war, die Erlaubnis der Universitäts­behörden dafür zu bekommen, und die Studenten mitunter von Demütigungen berichteten, denen sie während der Spendensammlung vonseiten wohlhabender Armenier ausgesetzt waren, gab es solche Theaterauf­ führungen immer wieder. Über diese Veranstaltungen berichtete auch die Presse, die sogar die Höhe der Einnahmen sowie den Namen der damit unterstützten Person übermittelte.283 Da es für die Armenier in Deutschland und in der Schweiz keine Möglichkeit gab, solche Veranstaltungen zu organisieren, ruhte ihre Hoffnung dort in der Regel auf den Gaben und Schenkungen von Bekannten und Verwandten. Diese private Unterstützung war jedoch äußerst unzuverlässig, da die Geldgeber oft selbst in finanzielle Not gerieten oder aus anderen Gründen 280 281 282 283

»Gott, schütze den Zaren!« war die russische Nationalhymne von 1833 bis 1917.

GARF. Polizeidepartement, Sonderabteilung, Fond 102 (1898), op. 226, d. 3, č. 79.

Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 11. Vgl. Mšak. 11 (1882), 4, 1–3; Ebd., 10 (1881), 20, 1. Es gab auch Hinweise über mehrere mit georgischen Studenten gemeinsam organisierte Veranstaltungen. Ebd., 10 (1881), 22, 2–3; Mełu Hayastani. 1866, 19, 147; Haykakan Ašxarh. 1865, 12, 481–484.

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die Finanzierung einstellten. In manchen Fällen vermittelte der ArmenischAkade­mische Verein zu Leipzig, die einzige offiziell zugelassene studentische Organisation der Armenier in Deutschland, ein kleines Stipendium oder andere finanzielle Hilfe für solche Studenten. Die Anfragen, die auch vonseiten studentischer Vereine aus Moskau und St. Petersburg eingingen, richteten sich in der Regel an die »Armenische Humanitäre Gesellschaft in Baku«, die »Wohltätige Gesellschaft in Tiflis« oder den Rat der armenischen Kirche in St. Petersburg. Dies waren Adressen, an die sich die Studenten in finanzieller Not auch direkt wenden konnten. So bat der spätere Ethnologe und Archäologe Ervand Lalaian (1864–1931), der gemeinsam mit seiner Frau in Genf Naturwissenschaften studierte, die Humanitäre Gesellschaft um eine kleine Unter­stützung. Zwar habe er in der Heimat Grundbesitz, doch das dortige Einkommen von 500 Rubeln reiche nicht aus, um den Lebensunterhalt und das Studium zu finanzieren. Angesichts der bereits vorhandenen Schulden und der Notwendigkeit, weitere zu machen, wandte er sich wiederholt an die Humanitäre Gesellschaft mit der Bitte, ihm 600 Rubel zu überweisen. Als Sicherheit bot er sein Grundbesitz an, doch die Gesuche wurden wegen des Fehlens frei verfügbarer Mittel immer wieder abgelehnt. Zudem scheiterten Versuche, den besagten Grundbesitz bei Privatpersonen in Genf als Sicherheit zu hinterlegen und dafür Geld zu bekommen.284 Als dramatisch beschrieben die Studenten ihre Lage allerdings immer dann, wenn sie die Prüfungsgebühren nicht bezahlen konnten. Das wurde selbst für Stipendiaten oft zu einer besonderen Schwierigkeit, wurden doch für diverse Gebühren sowie für die Druckkosten der Dissertationen von den Geldgebern im Vorfeld keine zusätzlichen Mittel berechnet. Diese Ausgaben mussten aus dem regulären Stipendium bezahlt werden, das oft nicht einmal zum Leben ausreichte. Viele Stipendiaten ersuchten ihre Geldgeber daher um zusätzliche Unterstützung, die ihnen jedoch in der Regel gewährt wurde. Diejenigen, die ohne Stipendium studierten, wandten sich an verschiedene Hilfsorganisationen oder Privatpersonen. Während allerdings Gesuche um kontinuierliche Zuwendungen während des gesamten Studiums selten positiv beantwortet wurden, hatten Bitten um einmalige Unterstützungen bessere Erfolgsaussichten. Mkrtič Manučarian in Genf zum Beispiel konnte wegen finanzieller Schwierigkeiten die Studiengebühren für drei Semester sowie die Prüfungsgebühren nicht bezahlen und folglich sein Abschlusszeugnis nicht abholen. So überwies ihm die Wohltätige Gesellschaft in Tiflis auf seine Bitte hin 100 Rubel für die Bezahlung dieser Schulden.285

284 Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 179–180. 285 Ebd., Bl. 1–2.

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Auch der oben bereits erwähnte Schriftsteller und Publizist Vrt’anes P’ap’azian bat die Wohltätige Gesellschaft wiederholt um Hilfe, denn anderenfalls würde er nach so vielen Jahren Studium die Prüfungen nicht ablegen und somit keinen Abschluss erwerben können. Er war zunächst mit der Unterstützung der armenischen Schriftsteller Abeł Apresian und Hakob Hakobian 1891 in die Schweiz gegangen. Doch die finanzielle Situation beider Schriftsteller verschlechterte sich bald so sehr, dass sie die Unterstützung einstellen mussten. Zwar erhielt P’ap’azian eine gewisse Summe aus dem Verkauf seiner Bücher, dennoch bat er Hakobian in einem Brief darum, einige junger Armenier zu finden, die ihn mit 10 Rubeln monatlich im Ausland unterstützen könnten.286 P’ap’azian wandte sich auch mit der Bitte an Arċruni, bei ihm bekannten vermögenden Armeniern zumindest 40 Rubel monatlich für ihn zu vermitteln. Gegenwärtig habe er weder die Mittel zum Leben noch für die Rückkehr in die Heimat. Er sei bereit, sich zur Rückzahlung des Geldes zu verpflichten, wenn er nur die Möglichkeit erhielte, das Studium zu Ende zu bringen.287 Obgleich P’ap’azian während seines gesamten Auslandsaufenthalts kontinuierlich nach finanzieller Unterstützung suchte, schloss er das Studium 1895 mit dem Titel des Lizenziaten erfolgreich ab.288 Auch die Situation der armenischen Stipendiaten war äußerst schwierig – und das trotz der mehr oder weniger geregelten finanziellen Unterstützung. Wegen ausbleibender Zahlungen, Überweisungsschwierigkeiten, Komplikationen mit den europäischen Banken sowie der Inflation des Rubels nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren sie oft gezwungen, sich monatelang ohne Stipendium durchzuschlagen bzw. viele Schulden zu machen. Ihre Korrespondenz mit dem Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie, in der oft nicht nur alle Kosten genauestes aufgezählt, sondern auch die »seelischen und moralischen Qualen« beschrieben wurden, offenbart nicht nur die dramatische Verschlechterung ihrer Situation in Deutschland vor allem nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Sie ist zugleich eine wertvolle Quelle, um eine Vorstellung von den Lebenshaltungskosten und von der Höhe der Studien- und Prüfungsgebühren in Deutschland und in der Schweiz um die Jahrhundertwende und während des Krieges zu gewinnen. Die Notwendigkeit, sich an die Lebensumstände in Europa anzupassen, war für die armenischen Studenten ebenfalls von großer Bedeutung. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang die Wahl der Unterkunft. In Deutschland und in der Schweiz mieteten die Studenten in der Regel private Unterkünfte. Von den erfahrenen Studenten wurden allerdings vor allem Zimmer in Pensionen empfohlen, da diese einen besseren Kontakt und Aus286 P’ap’azian: Erkeri žołovaċu, Band 5, 659. 287 Ebd., 676 f. 288 Ebd., 688.

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tausch mit Einheimischen erlaubten. Doch eine Bekanntschaft mit einem Deutschen oder Europäer war für die Armenier laut Melik’-Łaragyosian so schwierig, dass »nicht einmal eine Pension hier behilflich sein kann«.289 Unter den armenischen Studenten war die Meinung verbreitet, die Südländer seien nicht in der Lage, dauerhafte freundschaftliche Beziehungen zu den Deutschen bzw. Europäern herzustellen. Deshalb lief es häufig darauf hinaus, dass sie nach »unzähligen ergebnislosen Versuchen wieder an die Türen der armenischen Vereine klopften«.290 Dieses Problem wurde auf den Versammlungen der studentischen Vereine oft thematisiert, wobei vor allem die Mentalitätsunterschiede als ein wesentliches Hindernis für die Annäherung an deutsche Familien und studentische Kreise hervorgehoben wurden. So resümierte Melik’-Łaragyosian, dass das leidenschaftliche und explosive Temperament, weswegen sich die Südländer leicht begeistern, aber auch schnell ärgern könnten, sowie die Neigung, vom ersten Blick an zu lieben oder zu hassen, mit der strengen Disziplin und Gefühlskälte der Deutschen nicht vereinbar seien.291 Derweil sei der Zugang zu den deutschen Familien »die einzige Tür«, durch die der Zutritt in die europäische Öffentlichkeit überhaupt gelingen könnte. Eine andere Frage war natürlich, inwiefern die jungen Menschen aus dem Kaukasus überhaupt die Bereitschaft zeigten, sich an die deutsche und europäische Umgebung anzupassen: Er [der Student] findet  – unter dem Einfluss seiner heimatlichen Umgebung und seiner Familie  – die deutschen familiären Unterhaltungen ziemlich langweilig, die Manieren übertrieben und unverständlich, die seinen Erwartungen in keiner Weise entsprechen. Er erwartet etwas anderes und aus diesem Grund kommt er unweigerlich wieder zu dem Schluss, dass die beste Umgebung für ihn doch der geeignete Kreis seiner Landsleute ist.292

Ein weiterer Faktor, der einen regelmäßigen Umgang mit deutschen studentischen Kreisen erschwere, war Melik’-Łaragyosian zufolge der Mangel an »gemeinsamen Idealen«. Ideologisch fühlten sich die Armenier nämlich eher den von revolutionären Ideen begeisterten russischen Studenten verbunden: Die Ideale, die uns heute antreiben, begeisterten einen Deutschen oder Europäer vor 50 Jahren. Der materialistische Geist hat den Orient nicht in dem Maße angesteckt wie den Okzident. Es wäre keine Übertreibung zu behaupten, dass die idealistischen Bestrebungen eine Eigenschaft eher der russischen als der europäischen Intelligenzija sind, und die armenische Gesellschaft befindet sich nun mal unter dem unmittelbaren Einfluss der russischen Gesellschaft.293 289 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 21. 290 Ebd. 291 Ebd., 22. 292 Ebd., 27. 293 Ebd., 23.

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In Wirklichkeit hatten die armenischen studentischen Organisationen die Herstellung von Kontakten und freundschaftlichen Beziehungen zu den deutschen studentischen Zirkeln und deutschen Familien zu einer wichtigen Aufgabe erklärt. Jeder armenische Student sollte demnach bemüht sein, neben dem gründlichen Fachstudium auch den notwendigen Kontakt zu deutschen studentischen Kreisen herzustellen. Durch diese Erfahrungen könnten sich diese Studenten, so die Erwartung, ihrer Heimat nützlicher erweisen, als durch zu große Zurückhaltung.294 Das erklärte Ziel armenischer studentischer Organisationen war daher, ihre Mitglieder zu einer aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben in Europa zu bewegen. Es wurde empfohlen, sich stets auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und Literatur zu halten, was ebenso zum Alltag gehöre wie Theater-, Ausstellungs- und Konzertbesuche. Selbst wenn die Mittel fehlten, die neuesten Bücher zu kaufen, sich aktuelle Theaterstücke anzusehen oder Ausstellungen zu besuchen, sollte man zumindest die Rezensionen und Kritiken lesen, um sich auf diese Weise einen Überblick über das Kulturleben in Europa zu verschaffen.295 Zum gesellschaftlichen Leben armenischer Studenten sowohl an den europäischen Hochschulen als auch in Russland gehörten neben den politischen und kulturellen Aktivitäten aber auch das Kartenspiel und Alkohol. Hierüber finden sich spärliche Überlieferungen vor allem in der Presse sowie in den Memoiren der Studenten selbst. Über das »unsittliche Verhalten« armenischer Studenten und exzessives Kartenspielen vor allem an den russländischen Hochschulen berichtete etwa die Zeitung Horizon (Der Horizont). Besonders bedrohlich sei, dass die Studenten diese »Seuche« nach ihrer Rückkehr auch noch mit in die Heimat brächten: »Wenn es so weitergeht, wird unsere Stadt Spitak zu einem Monte-Carlo werden«, klagte die Zeitschrift.296 Über die »lauten Versammlungen« armenischer, russischer, georgischer und jüdischer Studenten bei den Kartenspielen in Cafés oder privaten Wohnungen, die von Trinkgelagen und nächtlichen Ausflügen begleitet waren und des Öfteren im Gefängnis oder mit Ausweisung endeten, erzählte in einem nicht veröffentlichten Artikel ein armenischer Student aus Genf namens K’amalian: […] sie tranken bis zur Bewusstlosigkeit, die Frauen küssten unbekannte Männer und hielten dies für ein Zeichen der Freiheit, eine Äußerung des freien Willens. […] es gab auch Personen, die sich für Studenten ausgaben, um am Schluss jemanden zu

294 Malayan, Ara: Das armenische Studententum in Deutschland. In: MDAG . 1943, 15/16, 16 (208)–18 (210), 16 (208) f. 295 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 87 f. 296 Horizon. 2 (1910), 202, 3.

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Abb. 2: Grigor Arċruni bei einer studentischen Versammlung in Heidelberg. Quelle: Leo: Grigor Arċruni, Band 1, 132.

heiraten oder auf dessen Kosten zu leben. Das gleiche gilt auch für die Frauen, die sich an den Universitäten einschreiben lassen, das Studium jedoch nur selten abschließen, sondern die Zeit in den nachfolgenden Jahren verschwenden und nach Hause zurückkehren, ohne zumindest die Sprache gelernt zu haben.297

K’amalian zufolge war das Kartenspiel in einigen studentischen Kreisen sogar ein regelmäßiger Zeitvertreib; von russischen und armenischen Studenten sei zu diesem Zweck der Klub »Cercle Russe« gegründet worden.298 Um Mitglieder zu gewinnen, erklärte sich der Klub zum Versammlungsort russländischer Studenten, an dem sich diese austauschen sowie Zeitungen aus der Heimat lesen konnten, die der Klub angeblich abonniert hatte: […] nach zwei Jahren Existenz wurde klar, dass dieser Klub nichts anderes war, als eine vernichtende Grube, die seit ihrer Eröffnung keine einzige Zeitung bekommen hatte, nicht einmal eine örtliche, und keine nennenswerte Versammlung organisiert hatte. Stattdessen war das ein gewaltiges vernichtendes Geldhaus, wo die Spiele manchmal ununterbrochen 28 bis 33 Stunden [vom Autor unterstrichen, d. Vf.] dauerten.299

Ein beliebter Ort für solche Versammlungen sei außerdem das Café Lyrique gewesen, »eine höhere Akademie für Glücksspieler«: Die Spieler waren vor allem Russlandarmenier aus Baku und Tiflis. Zurzeit beträgt ihre Zahl etwa zehn. Den Armeniern zahlenmäßig überlegen waren die Georgier, etwa zwanzig, von denen einige sogar längst keine Studenten mehr waren und sich aus Not

297 Nationalarchiv Armeniens. Fond 227, Liste 1, Akte 158, Bl. 15–16. 298 Ebd., Bl. 16. 299 Ebd.

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heraus jeglichen Betrügereien hingaben. […] Ihnen folgen Russen, Polen, Serben, Griechen usw. Die Persienarmenier waren eine glänzende Ausnahme und hielten sich von diesen Kreisen fern. Viele von ihnen haben bereits ihren Abschluss und sind wieder in die Heimat zurückgekehrt.300

Die exzessiven Kartenspiele beeinträchtigten das Studium erheblich und führten dazu, so K’amalian, dass man jede Woche die Fakultät wechselte, bis der Weg zur Universität gänzlich vergessen wurde und man sich rasch wieder um den »grünen Tisch« wiederfand, in der Trinkerei versank, unzählige Schulden machte und schließlich von einer in die andere Stadt flüchtete.301 Auch eine bemerkenswerte äußerliche Verwandlung beobachtete K’ama­ lian, die sich im Laufe der Studienzeit bemerkbar machte: Während die neu angereisten Kommilitonen, vor allem aber die Kommilitoninnen, durch ihre zurückhaltende Art und ihre bescheidene Kleidung auffielen, seien bereits nach einem Jahr gravierende Veränderungen festzustellen. Das Verhalten werde viel freizügiger, die Kleidung entspreche der letzten französischen Mode und statt mit dem Studium sei man mit lustigen Versammlungen beschäftigt.302 Die unerfahrenen jungen Frauen können diversen Verführungen nicht widerstehen. Getrieben durch die Neugier, geben sie sich diesen Verführungen hin und am Ende, nicht mehr in der Lage, die bittere Verantwortung zu ertragen, stürzen sie sich ins Elend, nehmen sich das Leben oder kehren schamvoll zu ihren Eltern zurück. Beim Spaziergang in Genf, Paris oder Nice kann man chic angezogene und parfümierte Frauen treffen, in denen man mit Bedauern die ehemals begabte Studentin erkennt, mit der man die Universitätsbank teilte, und die nun ihre Jugend an Unbekannte verkauft. Ich kann mich noch an einen [armenischen] Vater erinnern, der nach Europa gekommen war, um seine Tochter zu suchen, von der er lange Zeit keine Nachrichten mehr erhalten hatte. Diese versteckte sich zuerst aus Scham, dann ließ sie schließlich ihrem Vater sagen, sie hätte sich mit ihrer Situation abgefunden, ihre Eltern sollten sie am besten vergessen. Auch kenne ich eine junge Russin, die zu mir einmal sagte, ihre Eltern könnten ihr nicht genug Geld schicken, von anderen hätte sie nichts zu erwarten. Niemand würde ihr Geld geben, ohne den Geschmack ihres Körpers zu bekommen. Um das Studium aber abzuschließen, bräuchte sie Geld.303

Bemerkenswert ist, dass K’amalian die Niederschlagung der Ersten Russischen Revolution und die darauffolgende reaktionäre Politik des Zarenreiches in doppelter Hinsicht für diese Situation verantwortlich machte: Zum einen habe diese Entwicklung dazu beigetragen, dass viele Studenten, die wegen politischer Aktivitäten von den heimischen Universitäten ausgeschlossen worden 300 301 302 303

Ebd., Bl. 17–18. Ebd., Bl. 14–15. Ebd., Bl. 18. Ebd., Bl. 18–19.

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waren, nun die Ferne suchen mussten. Im Ausland gerieten sie aber sogleich »in die Krallen des Hungers, der Kälte und des Elends«.304 Diese Notsituation zwänge viele Studenten, sich in verschiedenste Abenteuer zu stürzen, manche konnten aus dieser Situation keinen Ausweg mehr finden. Zum anderen verband er mit der politischen Situation im Russländischen Reich einen gewissen moralischen Verfall jener Studenten, die sich noch wenige Jahre zuvor von den »höheren Idealen« der sozialdemokratischen Bewegung führen ließen, nach der Niederlage der Revolution aber bittere Enttäuschung erlebten.305 Diese Einschätzung stand durchaus im Einklang mit der zu dieser Zeit bereits vorhandenen Theorie, der zufolge »der Zerfall« der russischen Intelligenzija nach der Ersten Revolution nunmehr Realität geworden sei. Dies führte der russische Ökonom Michail Bernackij auf jene Desillusionierung zurück, die er als »Umwertung der Werte« beschrieb.306 Die aufmerksame Beobachtung gerade des studentischen Milieus erlaube dabei eine bessere Einschätzung der gesellschaftlichen Stimmung, da die Studenten als aufsteigende Intelligenzija den Gemütszustand der Öffentlichkeit am besten widerspiegelten. Im Großen und Ganzen stellte Bernackij fest, dass die linke Bewegung zerstört sei, dagegen steige die Aktivität der rechten Bewegung, einschließlich Antisemitismus und Antifeminismus. Zu einem gewissen Desinteresse an gesellschaftlichen Fragen führe dabei die steigende Zahl der unparteiisch gesinnten Studenten.307 Ähnliche Beobachtungen über das studentische Milieu machten auch andere Zeitzeugen. In den russischen studentischen Periodika wurde wiederholt eine Abschwächung des revolutionären Geistes festgestellt, die bewirkte, dass die Studierenden sich für nichts außerhalb ihres Universitätsprogramms interessierten.308 Der Verfall revolutionärer Ideale unter den Studenten wurde auch von armenischen studentischen Organisationen mit der Unterdrückung der Ersten Russischen Revolution in Verbindung gebracht, hatten doch die politischen Ereignisse in der Heimat großen Einfluss auf die Organisation und Tätigkeit studentischer Gruppen im Ausland. Auch die Intelligenzija habe sich 304 Ebd., Bl. 13–14. 305 Ebd., Bl. 14. 306 Bernackij, Michail W.: Predislovie [Vorwort]. In: K charakteristike sovremennogo studenčestva (po dannym perepisi 1909–10 gg. v S.-Peterburgskom technologičeskom institute) [Zur Charakteristik der zeitgenössischen Studentenschaft (nach der Umfrage am St. Petersburger technologischen Institut in den Jahren 1909–1910)]. S.-Peterburg 1911, V–VIII, V. 307 Ebd., VII . 308 Vgl. Peter, Hartmut Rüdiger: »Starye tradicii zabyty,  a novye ne vychodjat za ramki meščanstva«: russkie studenty v Germanii posle revoljucii 1905 g. [»Die alten Traditionen sind vergessen, und die neuen gehen nicht über den Rahmen des Kleinbürgertums hinaus«: Die russischen Studenten in Deutschland nach der Revolution im Jahr 1905]. In: Andreev (Hg.): »Byt’ russkim po duchu i evropejcem po obrazovaniju«, 302–318, 308 f.

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zurückgezogen und die Führung und Organisation der Studenten aufgegeben, sodass sich die letzteren verschiedenen Freveln wie Trinkerei und Kartenspiel hingäben: […] das studentische Milieu war rein, seine Ziele aufregend, jedoch mit der Zeit hat sich die Situation geändert. Die revolutionären Kräfte waren zerschlagen, die [studentischen] Organisationen wurden immer weniger und gingen auseinander, es kam die Zeit der schwarzen Reaktion, die aus allen Gesellschaftsschichten große Mengen zwielichtiger Personen emporbrachte, die sich für jede Tätigkeit bereit erklärten.309

Auch der Verein Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas konstatierte, dass die aktuellen politischen Umstände nach der missglückten Revolution und in den Jahren der darauffolgenden Reaktion gravierenden Einfluss auf die armenische Studentenschaft, aber auch auf das politische Leben insgesamt ausgeübt hätten. Viele Studenten zögen sich nach anfänglicher Euphorie von einer politischen Tätigkeit zurück, ja seien nunmehr gegenüber den revolutionären Traditionen gleichgültig gestimmt. Sie widmeten sich entweder einer kulturellen Tätigkeit oder aber ganz ihrem Studium. Dies sei der bessere Fall: Die anderen Studenten suchten den Sinn ihres Lebens nunmehr in Cafés und um den »grünen Tisch«. Sie aus dieser Atmosphäre herauszuholen und wieder auf den Weg des revolutionären Kampfes zu bringen, sei fortan die wichtigste Aufgabe der dašnakcakan Studenten.310

3.5 Zusammenfassung Um die Jahrhundertwende war die studentische Migration im öffentlichen Bewusstsein der Armenier sowohl im Russländischen als auch im Osmanischen Reich bereits tief verankert, sodass diverse studentische Netzwerke in ein­zelnen europäischen Staaten entstanden, aber auch der Kontakt zur Heimat intensiver wurde. Die Praxis, dass viele Mäzene oder ehemalige Studenten gezielt ganze Gruppen finanzierten bzw. zum Zweck des Hochschulstudiums in die Bildungszentren des Russländischen Reichs oder ins Ausland begleiteten, war daher nicht ungewöhnlich. 1872 berichtete die Zeitung Masis in Konstantinopel, dass P’ilippos Vardanian, der das Lazarev-Institut, dann die Juristische Fakultät der Universität Moskau absolviert hatte und seit einigen Jahren Pädagogik und Philosophie in Leipzig studierte, nach Konstantinopel gekommen war, um einige junge Armenier mit nach Deutschland zu nehmen. Dem Artikel zufolge sollten sie nach einem Vorbereitungskurs dort das Stu309 Nationalarchiv Armeniens. Fond 227, Liste 1, Nummer 158, Bl. 13. 310 Vgl. Usanoł. 1909, 3, 211 f.

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dium aufnehmen.311 Auf ähnliche Weise wurden immer wieder armenische Studenten an deutsche Hochschulen dirigiert, sodass um die Jahrhundertwende die Zahl armenischer Studenten an deutschen und schweizerischen Hochschulen signifikant anstieg und im Wintersemester 1906/07 ihren Höhe­ punkt erreichte. Das Auslandsstudium bedeutete nicht nur bessere Aussichten für die berufliche Zukunft, sondern war in gewissem Maße auch mit einer Neuentdeckung der eigenen nationalen Identität verbunden. Gerade die Tatsache, dass die Staatsangehörigen des Russländischen Reiches in der deutschen Öffentlichkeit oft ohne eine weitere Differenzierung als Russen wahrgenommen wurden, bewirkte eine national geprägte Solidarität unter den Studenten. Vor allem unter den jüdischen Studenten, die Diskriminierung und Antisemitismus sowohl in der Heimat als auch in Deutschland beklagten, war diese Solidarität sehr deutlich zu bemerken.312 Unter den armenischen Studenten zeigte sich eine gewisse nationale Geschlossenheit nicht nur in der Unterstützung der neu eingetroffenen Kommi­ litonen, sondern auch in den Versuchen, die eigene Muttersprache zu lernen und zu pflegen. Dies war schon in Dorpat sehr auffallend, gewann aber dank des Vorhandenseins studentischer Vereine in Deutschland einen konsequenteren Charakter. Das Gleiche gilt auch für die organisierte Hilfe unter den Studenten, die in gewisser Hinsicht ein ungeschriebenes Gesetz war und in Memoiren später oft beschrieben wurde. Diese Unterstützung umfasste sowohl praktische Hilfe etwa bei der Wohnungssuche als auch Beratung bei der Wahl des Studienfachs, ja selbst finanzielle Hilfe. Ob diese Studenten nun aus dem Russländischen bzw. dem Osmanischen Reich oder aus Persien stammten, spielte zunächst keine Rolle, gehörte aber dennoch zu den als problematisch empfundenen Aspekten der nationalen Zugehörigkeit. Die Verpflichtung, engere Beziehungen zwischen allen armenischen Studenten herzustellen und zu einer besseren Verständigung zwischen ihnen beizutragen, stand daher auf der Tagesordnung studentischer Organisationen, wenn auch die Erfolge eher als mäßig beschrieben wurden. Das soziale Leben der armenischen Studenten, ihre akademischen Erfolge, aber auch ihr allgemeines gesellschaftliches Erscheinungsbild standen durchweg im Zentrum der Aufmerksamkeit der armenischen Presse. Diese ver­mittelte oft ein idealisiertes Bild von diesen Studenten, die als künftige Führungsfiguren im kulturellen wie politischen Bereich dargestellt wurden. Jegliche Abweichung von diesem Idealbild, wie etwa das soziale Fehlverhalten oder mangelndes politisches und kulturelles Engagement, stieß auf scharfe 311 Vgl. Mšak. 1 (1872), 44, 4. 312 Vgl. Weill, Claudie: Das gesellschaftliche Leben der russischen Studenten in Deutschland 1900–1914. In: Peter (Hg.): »Schnorrer, Verschwörer, Bombenwerfer«?, 71–94, 94.

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Kritik. Die Rolle als zukünftige intellektuelle Elite wurde mitunter auch von den Studenten selbst übernommen und reproduziert und galt vielfach als Maßstab, an dem sich auch die studentischen Organisationen orientierten. Die armenische Presse fungierte aber auch als Vermittler für einen intellektuellen Austausch zwischen den Studenten und der armenischen Intelligenzija. Beispiele dafür waren die Anfragen, die die Studenten, in Erwartung des lebhaften Interesses, an die Presse richteten. Diese waren genauso häufig wie vielfältig: So berichtete beispielsweise Sedrak Taraianc aus Leipzig in einem Brief, welche Vorurteile seiner Meinung nach in Europa über Armenier verbreitet waren. Selbst die Professoren an den Universitäten würden ohne jede Einschränkung davon sprechen, dass die Armenier hauptsächlich mit Handel beschäftigt seien und im Orient eine vergleichbare Rolle wie die Juden im Okzident spielten. Alle Versuche, so Taraianc, die Hochschullehrer davon zu überzeugen, dass der Handel nur einen sehr geringen Anteil im wirtschaftlichen Leben der Armenier einnahm und dass diese sich vornehmlich mit Landwirtschaft und Handwerk beschäftigten, stießen auf taube Ohren. Nach Anregung eines Professors, dessen Name Taraianc nicht erwähnte, hatten einige armenische Studenten in Leipzig beschlossen, Material zu sammeln und eine Untersuchung über das Wirtschaftsleben der Armenier in Vergangenheit und Gegenwart zu veröffentlichen.313 Da das Unterfangen jedoch schwer zu realisieren war, wandten sie sich über Mšak an die armenische Intelligenzija mit der Bitte, ihnen möglichst umfassende Informationen über das armenische Wirtschaftsleben zukommen zu lassen. Wünschenswert seien vor allem solche Informationen, die Rückschlüsse auf den europäischen Einfluss auf den Handel und die Wirtschaft der Armenier erlaubten.314 Eine weitere Anfrage richtete ein gewisser Levon Ohanǰanianc, der an der Universität Dorpat Medizin studierte, an Mšak. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Rudolf Kobert schrieb er seine Dissertation zum Thema »Die Volksmedizin bei den Armeniern« und startete einen allgemeinen Aufruf an seine Landsleute, ihm bei dieser Unternehmung mit Hinweisen behilflich zu sein. Vor allem benötigte Ohanǰanianc Informationen über die armenische Bezeichnung verschiedener Krankheiten und ihre Etymologie, über Vorsichtsmaßnahmen, um bestimmten Krankheiten vorzubeugen, und über volkstümliche Methoden – etwa Gebete, Sprüche, Hexenkunst –, um Krankheiten zu heilen. Des Weiteren interessierte er sich für die Namen von Heilmitteln und deren Etymologie, für Rezepte zur Zubereitung von Medikamenten und für deren Anwendung, für Volkssagen über die Ursachen bestimmter Krank-

313 Sedrak Taraianc selbst wurde zum Thema »Das Gewerbe bei den Armeniern« pro­ moviert. 314 Mšak. 23 (1895), 2, 5.

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heiten sowie für Handschriften über die Volksmedizin. Alle Informationen sollten direkt an ihn nach Dorpat geschickt werden.315 Auch wenn über die Resonanz auf solche Anfragen nichts Näheres mehr bekannt ist, vermittelt das vielfältige und umfangreiche Archiv- und Quellenmaterial einen Eindruck von der Rührigkeit der armenischen Studenten in den großen akademischen Zentren des Russländischen Reiches sowie in Europa. Denn die dortigen Universitäten waren Orte, an denen nicht nur das akademische Potenzial einer künftigen Elite geformt, sondern auch eine rege soziale, politische und gesellschaftliche Tätigkeit entfaltet wurde. Ein weiteres Beispiel eines überaus lebhaften Austausches ist die Kommunikation von Andreas Arċruni mit seinem Bruder Grigor und dessen Frau Mariam Melik’-Ałamalian in Tiflis. Über die Zeitschrift Mšak vermittelte Arċruni nicht nur Neuigkeiten aus dem wissenschaftlichen Bereich, sondern lieferte auch allgemeine Informationen über die politischen Ereignisse in Europa. Die zahlreichen Ausschnitte aus den deutschen Zeitungen, die er regelmäßig an die Redaktion des Mšak sandte, sollten wiederum einen Überblick über die Berichtserstattung in der deutschen Presse zu armenischen Themen vermitteln. Gleichzeitig beklagte Arċruni aber, wie unwillig die Presse in Deutschland Informationen über die Armenier, insbesondere über die Ereignisse im Osmanischen Reich veröffentlichte. So konnte er die Nachrichten über die Hungersnot in Van erst nach vielen ergebnislosen Versuchen in der Vossischen Zeitung drucken lassen. Der Grund für diese Zurückhaltung sei nicht nur das allgemeine politische Desinteresse, das in Deutschland gegenüber dem Orient herrsche. Die meisten Zeitungen ließen sich vom »Prinzip des Korpsgeists« leiten, was bedeutete, dass selbst kurze Nachrichten nicht veröffentlicht wurden, wenn sie nicht von Personen stammten, die der Redaktion nahestanden: Ich habe in der letzten Zeit viele Ausschnitte aus Mšak über Persien und über Armenien übersetzt, aber erstaunlicherweise hat die Voss[ische] Zeitung entweder nichts veröffentlicht, oder die Zeilen über Armenien weggelassen. Aber über den Aufstand der Kurden wird alles berichtet… […] Ich werde bald einmal hingehen und fragen, was der Grund für diese erstaunliche Haltung gegenüber den Armeniern ist.316

Diese knappe Berichterstattung in der deutschen Presse sei auch dafür verantwortlich, dass viele im Ausland studierende junge Armenier scheinbar teilnahmslos gegenüber den Ereignissen in ihrer Heimat seien. In den meisten Fällen sei dies der mangelnden Information geschuldet.317

315 Ebd., 23 (1895), 11, 3. 316 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Grigor Arċruni, Nr. 113–115, Bl. 2. 317 Ebd.

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Studium und Alltag

Die zahlreichen Briefe zu den verschiedensten Themen, die Andreas Arċruni an seinen Bruder adressierte, dienten diesem als Informationsquellen, aus denen er regelmäßig Auszüge im Mšak veröffentlichte. Bereits um die Jahrhundertwende häuften sich die Nachrichten auch von anderen Studenten über die diversen Bereiche des Lebens und des Studiums junger Armenier im Ausland. Die Presse trug dabei nicht nur zur Popularisierung des Auslandsstudiums bei, sondern wurde zu einem wichtigen Medium für den Wissenstransfer und die Modernisierungsbewegung. Einerseits wurden zahlreiche von den Studenten verfasste Artikel gedruckt, die die Neuerungen in den Bereichen Wissenschaft, Technik, Kultur und Gesellschaft in Europa thematisierten. Auf der anderen Seite spielten die Übersetzungen aus den Werken führender russischer wie europäischer Schriftsteller und Wissenschaftler im Prozess des Wissenstransfers eine wichtige Rolle. Zum direkten Wissenstransfer sollte aber auch die Lehrtätigkeit der im Ausland ausgebildeten Stipendiaten beitragen, die angehalten wurden, solche Studienfächer zu wählen, deren Bedarf in den armenischen Schulen am größten war. Der Plan, die Modernisierung der armenischen Gesellschaft durch die massenhafte Immatrikulation armenischer Studenten an europäischen und russländischen Hochschulen zu forcieren, setzte allgemeine öffentliche Sensibilisierung für dieses Phänomen voraus. Dies sollte auch die Basis für eine umfangreiche Finanzierung bzw. für die Gründung eines ständigen Fonds zur Unterstützung des Auslandsstudiums bereiten.

4. Stipendien für das Auslandsstudium

4.1

Die Finanzierung des Auslandsstudiums durch Spenden und Nachlässe

Die Wohltätigkeit unter anderem im Bereich der Volksbildung hatte im Russländischen Imperium Tradition.1 In den Regierungsjahren von Katharina II. wurde die private Wohltätigkeit durch eine Reihe von Regelungen, die einen wesentlichen Einschnitt im Verwaltungswesen darstellten und unter anderem die Gründung eines Wohlfahrtsystems umfassten, faktisch auf eine gesetzliche Basis gestellt.2 In der Epoche der Großen Reformen nahm die Gründung sogenannter humanitärer Gesellschaften3 einen besonderen Schwung auf. Mit der Fürsorge für Arme, Kranke und Obdachlose, aber auch der gemeinnützigen Arbeit im Bildungsbereich konnten zahlreiche nicht zuletzt durch die Urbanisierung verursachte soziale Probleme, die vom Staat nicht oder nicht erfolgreich gelöst werden konnten, zunehmend von solchen Gesellschaften aufgefangen werden.4 Eine deutliche Begünstigung für wohltätige Gesellschaften brachte die Abschaffung der Verordnung, welche die höhere kaiserliche Erlaubnis für deren Gründung voraussetzte. Nunmehr wurde dies in die Hände des Innenministeriums gelegt, sodass mit dem Gesetz vom 3. Januar 1869 die Statuten neuer wohltätiger Gesellschaften vom Minister direkt bestätigt werden konnten.5 Diese Vereinfachung führte in den folgenden Jahren zur Gründung einer beachtlichen Zahl neuer humanitärer Gesellschaften, die Armen-, Kranken- und Waisenhäuser unterhielten, aber auch neue Schulen gründeten bzw. Schüler und Studenten unterstützten. 1 Zur Wohltätigkeit im Russländischen Reich siehe exemplarisch Sokolov, A. R.: Blagot­ voritel’nost’ v narodnom obrazovanii i eё rol’ v transformacii rossijskogo obščestva [Wohltätigkeit im Bereich der Volksbildung und ihre Rolle in der Transformation der russländi­ schen Gesellschaft]. S.-Peterburg 2006; Ul’ janova, G. N.: Blagotvoritel’nost’ v Rossijskoj Imperii. XIX – načalo XX veka [Die Wohltätigkeit im Russländischen Imperium. 19. Jahrhundert bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts]. Moskva 2005. 2 Vgl. Ul’ janova: Blagotvoritel’nost’, 137–139. 3 Auf Russisch »Čelovekoljubivoe obščestvo«, was wörtlich als »Mardasirakan ẹnkerut’yun« ins Armenische übersetzt wurde. 4 Vgl. Hubertus, Jahn F.: Charity and National Identity in Late Imperial Russia. In: Chulos, Chris J. / Remy, Johannes (ed): Imperial and National Identities in Pre-Revolutionary, Soviet, and Post-Soviet Russia. Helsinki 2002, 135–149, 136. 5 Vgl. Ul’ janova: Blagotvoritel’nost’, 153.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Diese Praxis wurde von den höchsten politischen Instanzen in der Regel unterstützt, während die Bekanntmachung durch die Presse wesentlich zur weiteren Etablierung der Wohltätigkeitsidee in der russländischen Gesellschaft führte. Die Položenie über die Spenden sowie die Namen jener, die beachtliche Summen für wohltätige Zwecke zur Verfügung stellten, wurden regelmäßig in der Zeitschrift Periodičeskoe sočinenie ob uspechach narodnogo prosveščenija (Periodisches Werk über die Erfolge der Volksaufklärung), später Žurnal Ministerstva Narodnogo Prosveščenija veröffentlicht. In Uvarovs Amtszeit als Minister in den 1830er und 1840er Jahren wurde die Wohltätigkeit insbesondere im Bereich der Volksbildung weiter ausgebaut. Neben staatlich bereitgestellten Stipendien, die sowohl für das Studium im Ausland als auch an den heimischen Hochschulen bestimmt waren, standen auch Spenden privater Geldgeber zur Verfügung. Die Mitglieder der kaiserlichen Familie, vermögende Gutsbesitzer und Kaufleute spendeten erhebliche Summen, wobei die Stipendien oft zum Ruhm des Gönners dessen Namen trugen und als sogenannte »imennye stipendii« (Namensstipendien) vergeben wurden.6 Eine Geldspende im Namen und zu Ehren verstorbener Familien­ angehöriger, sei es für die Gründung neuer Lehranstalten, sei es für den Lebensunterhalt der Stipendiaten, war  – zumindest bis in die 1880er Jahre hinein7 – eine verbreitete Form der Wohltätigkeit. Im Laufe der 1860er und 1870er Jahre wurde daher der Umgang mit den für das »Allgemeinwohl« bestimmten Nachlässen durch weitere Gesetze geregelt. Diese Form der Wohltätigkeit lässt sich auch für die armenische Gesellschaft feststellen, wobei die Kirche bzw. der Kathołikos persönlich als universeller Adressat der Spenden fungierte. Generell spielte die Kirche im Bildungsbereich der Armenier eine derart wichtige Rolle, dass ihre beinahe ausschließliche Entscheidungsmacht über die Verteilung der Stipendien bis hin zur Frage, was studiert werden sollte, bereits unter Zeitgenossen für kontroverse Wahrnehmungen sorgte. Über die Motive der spendenden Mäzene herrscht in der armenischen Historiografie bis heute Einigkeit: Ihr Handeln wurde oft auf die idealistische Vorstellung zurückgeführt, unter anderem zur Heranbildung einer gebildeten Generation beizutragen, die den Grundstein der nationalen Bildung in Armenien legen sollte. Bei einer genaueren Betrachtung können aber auch weitere Beweggründe identifiziert werden, wie etwa der durchaus pragmatische Wunsch, den expandierenden industriellen Bereich mit hochqualifizierten Spezialisten zu versorgen. Hinsichtlich einzel6 Kusber: Eliten- und Volksbildung, 416. 7 Der Rückgang der Spenden nach 1880 hing unter anderem mit der Politikänderung des Staates zusammen, in den Schulen das Prinzip des sozialen Stands (soslovnoe načalo) wiederherzustellen. Die finanzielle Unterstützung der Schüler aus den niederen Gesellschaftsschichten stand im Widerspruch zu dieser Politik. Vgl. Sokolov: Blagotvoritel’nost’, 75.

Die Finanzierung des Auslandsstudiums durch Spenden und Nachlässe 

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ner Individuen lässt sich aber auch ein gewisser Anspruch auf Einfluss und gehobene gesellschaftliche Stellung konstatieren. Gespendet wurde sowohl von Privatpersonen, die »imennye stipendii« für das Studium an russländischen und europäischen Hochschulen begründeten, als auch von wohltätigen Gesellschaften, die in einem größeren Umfang Armen- und Krankenpflege leisteten, aber auch das Auslandsstudium und die Gründung neuer Lehranstalten förderten. Über diese kontinuierliche Wohltätigkeit in beiden Teilen des armenischen Volkes liegen in der Historiografie kaum Studien vor. Die vorhandene Forschung hatte den Fokus eher auf einzelne Personen oder Organisationen gelegt, sodass die Tätigkeit der »Armenischen Humanitären Gesellschaft in Baku«, der »Armenischen Wohltätigen Allgemeinen Gesellschaft« in Kairo, der »Armenischen Kaukasischen Wohltätigen Gesellschaft« in Tiflis oder einzelner Mäzene wie Alexandr Mant’ašianc in zahlreichen Studien behandelt wurde.8 Die Wohltätigkeit als soziales Phänomen und unter Berücksichtigung der besonderen – jedoch gänzlich unterschiedlichen – Rahmenbedingungen im Osmanischen und im Russländischen Reich bleibt dagegen weitgehend unberücksichtigt. Einen Versuch, die von der Kirche initiierte und getragene Wohltätigkeit seit ihrer Entstehung und bis in die 1890er Jahre hinein darzustellen, unternahm in einer Artikelserie im Ararat Garegin Hovsep’ian.9 Seine Beobachtungen galten in erster Linie der Kranken- und Armenpflege, einem Sektor, den er naturgemäß in die – moralische – Zuständigkeit der Kirche einordnete. Auch die Versorgung armer Schüler und die Finanzierung ihres Studiums in den geistlichen Seminaren und später im Ausland wurden als eine Zuständigkeit der Kirche bewertet. Hovsep’ians Ausführungen waren ein erster Versuch, die gemeinnützige kirchliche Arbeit zu systematisieren, wobei er auch die Geschichte der Armenfürsorge in Europa behandelte.10 Am Ende des 19. Jahrhunderts traten in beiden Teilen des armenischen Volkes immer mehr wohltätige Einrichtungen in Erscheinung, die unter anderem Kultur und Bildung unterstützten, und deren Tätigkeit in der armenischen Öffentlichkeit einen bemerkenswerten Widerhall fand.11 Zu ihnen gehörte 8 Siehe exemplarisch Melkonyan, Eduard L.: Haykakan baregorċakan ẹndhanur miut’yan patmut’yun [Geschichte der Armenischen Wohltätigen Allgemeinen Gesellschaft]. Y ­ erevan 2005; Leo: Eresnameak Hayoc Baregorċakan ẹnkerut’ean Kovkasum. 1881–1911 [30-jähriges Gründungsjubiläum der Armenischen Kaukasischen Wohltätigen Gesellschaft. 1881– 1911]. Tiflis 1911; Galstyan, A.: Patmakan hamaṙot tesut’iun Bak’vi Hayoc Mardasirakan Ẹnkerut’ean 26-amya gorċuneut’ean [Kurzer historischer Überblick über die 26-jährige Tätigkeit der Armenischen Humanitären Gesellschaft in Baku]. Baku 1891. 9 Ararat. 1897, 5, 195–199; Ebd., 1897, 6, 243–251; Ebd., 1897, 7, 296–303. 10 Ebd., 1898, 6, 239–244; Ebd., 1898, 7, 288–292; Ebd., 1898, 8, 334–339. 11 1860 wurde in Konstantinopel die »Wohltätige Gesellschaft der Armenier« gegründet, die unter anderem das Ziel verfolgte, die Ausbildung junger Armenier aus armen Familien im landwirtschaftlichen und handwerklichen Bereich zu ermöglichen. Zu den Initiatoren

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insbesondere die 1881 in Tiflis gegründete Armenische Kaukasische Wohltätige Gesellschaft, die vor allem die armenischen Flüchtlinge nach dem Russisch-Türkischen Krieg 1877/78 unterstützte, dehnte ihre Tätigkeit aber auch auf die Förderung von Kultur und Bildung aus.12 Die Gesellschaft finanzierte armenische Lehrer, Schriftsteller und Künstler und vergab Stipendien an Schüler und Studenten, womit sie sich in der Förderung des Auslandsstudiums eine besondere Stellung sicherte. Die Form und der Umfang der Stipendien wurden durch die Presse bekanntgegeben, was einerseits die Studenten optimal über die bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten informieren, andererseits den Förderern bessere Optionen für die Auswahl der Stipendiaten bieten sollte.13 Reguläre Stipendien wurden dabei für gewöhnlich für drei bis vier Jahre gezahlt, wobei ihre Höhe variieren konnte. Die Möglichkeit, auf diese Weise eine Unterstützung zu erhalten, war unter den sich zu Studienzwecken im Ausland aufhaltenden Armeniern hinreichend bekannt. Insbesondere ab den 1880er Jahren wandten sich zahlreiche mittellose Studenten an die Wohltätige Gesellschaft mit der Bitte, ihre Lebens- und Studienkosten zu übernehmen. Besonders prekär war die Situation derjenigen, die auf die Hilfe von Freunden oder Verwandten vertrauend ins Ausland gingen und sehr oft mitten im Studium ohne jegliches Einkommen blieben. In einer solchen nach eigener Beschreibung aussichtslosen Lage befand sich beispielsweise Balasan Arak’elian, der mit der Unterstützung eines Verwandten ab 1893 in München Philologie studierte. Die Zahlungen wurden nach sieben Monaten eingestellt, sodass Arak’elian keine andere Wahl blieb, als möglichst schnell eine neue Finanzierung zu finden bzw. in die Heimat zurückzukehren.14 Sein Gesuch, ihn für die verbleibende Zeit finanziell zu unterstützen, lehnte die Gesellschaft wegen fehlender Mittel ab.15

12 13 14 15

und aktiven Mitgliedern dieser Gesellschaft gehörten Persönlichkeiten wie die Schriftsteller und Publizisten Mkrtič Pešiktašlian, Ċerenc, Grigor Otian und Mik’ayel Nalbandian. Die Gesellschaft existierte bis 1874. Vgl. Hay sp’yuṙk’. Hanragitaran [Armenische Diaspora. Enzyklopädie]. Jerewan 2003, 191; Die »Armenische Humanitäre Gesellschaft in Baku« wurde dank einer Initiative des Arztes Davit’ R ˙ ostomian gegründet. Die Gesellschaft unterhielt Waisen- und Krankenhäuser, eröffnete Kantinen, organisierte spezialisierte Gruppen für die Bekämpfung von Seuchen und vergab Stipendien an arme Schüler und Studenten. Sie wirkte laut Statut aber vor allem in den armenischen Gemeinden im Russländischen Reich. Die Gesellschaft existierte bis Mai 1920. Vgl. Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 294, Bl. 328; 1882 wurde in Tiflis die »Wohltätige Gesellschaft Armenischer Frauen« gegründet, die unter anderem einige Parochialschulen und einen Kindergarten unterhielt. Vgl. HSH . Band 6, 214. Siehe exemplarisch Leo: Eresnameak Hayoc Baregorċakan ẹnkerut’ean, 28–38. Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 110 sowie Bl. 125. Ebd., Bl. 156. Ebd., Bl. 157.

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In einer ähnlichen Situation war Barseł Zak’arianc, der Kameralwissenschaften in Genf studierte. Finanziert wurde er mit 30 Rubeln monatlich, die er vom wohlhabenden Ölindustriellen in Baku Arak’el Ċaturian (1830–1903) erhielt. Da dieser jedoch abgelehnt hatte, das Stipendium zu erhöhen, hoffte Zak’arianc auf die Hilfe der Wohltätigen Gesellschaft. Diese wandte sich in diesem Fall selbst an Ċaturian mit der Bitte, dem jungen Studenten die Möglichkeit zu geben, das Studium erfolgreich zu Ende zu bringen.16 In einigen Fällen leistete die Gesellschaft einmalige Zahlungen als kleine Unterstützung in äußersten Notsituationen. Dies berichtete beispielsweise Mkrtič Manučarian aus Genf, dem vor der Abreise mehrere Personen die Hilfe zugesichert hatten, letztlich aber die Zusage nicht halten konnten. Von der Wohltätigen Gesellschaft bekam er zweimal 25 Rubel, um die Schulden zu begleichen, seine weiteren Anträge wurden abgelehnt.17 Vor allem diejenigen Studenten, die neben den Vorlesungen auch praktische Unterrichtsstunden zu absolvieren hatten, konnten schnell in Geldnot geraten. Dies waren Ausgaben, die sowohl von den künftigen Studenten als auch ihren Geldgebern im Vorfeld nicht berücksichtigt werden konnten. So berichtete der in Zürich immatrikulierte Student Grigor Gurgenianc, dass seine ä­ußerst knappen finanziellen Möglichkeiten ihn dazu nötigten, den praktischen Labor­unterricht in Chemie und Physik zu unterbrechen. Bereits zwei Jahre studiere er Naturwissenschaften in Zürich, sei aber wegen Geldnot gezwungen, das Studium abzubrechen und in die Heimat zurückzukehren. Er wandte sich daher an die Wohltätige Gesellschaft mit der Bitte, ihm ein monatliches Stipendium von 15 Rubeln zu gewähren, die er für die Universitätsgebühren zunächst in Zürich, dann in Leipzig benötigte. Er verpflichtete sich, diese Summe nach seiner Rückkehr in Raten zurückzuzahlen.18 Besonders bemerkenswert ist, dass unter den Studenten offenbar die Annahme verbreitet war, die Wohltätige Gesellschaft bevorzuge die Finanzierung von bestimmten Fächern wie Theologie oder Philologie. Der Berliner Chemiestudent Tigran Mamikonian wandte sich an die Wohltätige Gesellschaft mit der Bitte, ihn mit 25 Rubeln monatlich für ein Jahr zu unterstützen, damit er das Studium abschließen könne. Zwar studiere er weder Philologie noch Theologie, doch auch ein Chemiker könne der armenischen Gesellschaft nützliche Dienste erweisen.19 Solche Mutmaßungen über die Bevorzugung bestimmter Fachrichtungen führten dazu, dass schon in der Heimat ein Studienfach ausgewählt wurde, auf dessen Finanzierung vermeintlich bessere Chancen bestanden. 16 17 18 19

Ebd., Bl. 108–107. Ebd., Akte 774, Bl. 55. Ebd., Akte 817, Bl. 107. Ebd., Bl. 163.

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Da die Mittel der Wohltätigen Gesellschaft in erster Linie den regulären Stipendiaten zustanden und freie Geldsummen meist nicht verfügbar waren, wurden Gesuche auf ein Stipendium selbst dann häufig abgelehnt, wenn sich eine bekannte Persönlichkeit für den betreffenden Studenten einsetzte. 1896 wandte sich beispielsweise die Fürstin Sofia Arłut’ian an die Wohltätige Gesellschaft. Sie unterstützte einen Studenten namens Artašes Minasian, der in Dresden immatrikuliert war, mit monatlich 25 Rubeln, doch für das Leben und das Studium in Deutschland sei diese Summe nicht ausreichend. Da es sich um einen sehr begabten jungen Mann handele, ersuchte sie die Wohltätige Gesellschaft, ihm ein Stipendium zu gewähren und damit die Möglichkeit zu geben, das Studium erfolgreich zu Ende zu bringen.20 Ihre Absage begründete die Wohltätige Gesellschaft damit, dass sie jährlich eine feste Zahl von Stipendiaten unterstütze und sich darüber hinaus keine weiteren Ausgaben mehr leisten könne.21 Die Mittel für die Unterstützung des Auslandsstudiums setzten sich wie bereits erwähnt auch aus privaten Spenden zusammen, die von den Vertretern der armenischen wirtschaftlichen Elite zur Verfügung gestellt wurden. Neben Mant’ašianc und Ċaturian spendeten auch andere vermögende Ölindustrielle in Baku, etwa Mik’ayel Aramianc (1843–1924), Step’an Lianosian (1872–1951), die Brüder Abraham und Aršak Łukasian sowie Grigor und Hovsep’ T’umaian, um nur einige zu nennen, große Summen für verschiedene wohltätige Zwecke, aber explizit auch für das Hochschulstudium an russländischen und europäischen Universitäten. Von der Großzügigkeit wohlhabender Armenier, die »unendlich opferwillig für alle Kulturzwecke waren«, berichtete auch Ewald Stier: Ein Industrieller22 in Baku unterhielt allein jährlich 20 Studenten; für Schulen hatten die Armenier stets etwas übrig. Ich war selbst Zeuge, wie bei einer Begründung einer Zentralschule in Täbris von Stiftungen bis zu 2.000 Tuman (1 Tuman = 4 Mark) mit einer Begeisterung gegeben wurden, die Ihresgleichen suchen könnte.23

Insbesondere die Wohltätigkeit von Alexandr Mant’ašianc wurde nicht nur von der armenischen Presse gewürdigt, sie war auch über die Grenzen des Russländischen Reiches hinaus bekannt. Nach Mant’ašiancs Tod widmete ihm die Zeitschrift Deutsch-Armenische Blätter unter dem Titel »Armenische Charitas« einen Bericht: Da bei dem großen Unglück des armenischen Volkes so große Summen auch aus Deutschland gespendet worden sind und noch jährlich Hunderttausende zum Besten 20 21 22 23

Ebd., Akte 288, Bl. 24. Ebd., Bl. 25. Stier meinte wohl Alexandr Mant’ašianc. Stier: Die deutsch-armenischen Kulturbeziehungen, 27.

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der Armenier aufgewendet werden, legen wir Wert darauf festzustellen, dass von armenischer Seite eine Wohltätigkeit geübt wird, die sicher diejenige anderer Völker erreicht, wenn nicht übertrifft. Die Gesamtzahl der Stiftungen dieses Wohltäters [Mant’ašiancs] beträgt 2.000.000 Rubel, über 4.000.000 Mark.24

Für die Restaurierung von Kirchen, den Neubau von Schulen sowie für die Unterstützung des Auslandsstudiums spendete Mant’ašianc außerordentliche Summen. Laut der Zeitung Žamanak (Die Zeit) hatte er die Studienkosten von rund 50 Studenten in Russland und im Ausland übernommen.25 Tatsächlich sind genauere Angaben über alle von Mant’ašianc finanzierten Studenten schwer zu ermitteln; verschiedene Quellen nennen unterschiedliche Zahlen. Der armenische Historiker und Schriftsteller Arak’el Saruxan (1863–1949), der knapp zwei Jahrzehnte der offizielle Vertreter von Mant’ašiancs Öl- und Industrieunternehmen in Batumi, Baku, Tiflis und St. Petersburg war, vermutete gar, dass mindestens 1000 junge Armenier mit dessen Unterstützung an russländischen bzw. europäischen Hochschulen studiert hatten. Saruxan hielt es jedenfalls für wahrscheinlich, dass Mant’ašianc selbst ihre Zahl nicht genau wusste.26 Bekannt sind aber immerhin die Namen jener Stipendiaten, die später in ihrem jeweiligen Fachgebiet bedeutende Persönlichkeiten waren. Gespendet wurde auch außerhalb des Kaukasus, in diversen armenischen Gemeinden des Russländischen Reiches. Einige Beispiele dieser privaten Wohltätigkeit seien zur Veranschaulichung aufgeführt: Im Jahr 1857 stiftete Graf Argutinskij-Dolgorukov dem Lazarev-Institut in Moskau 8.500 Rubel für Studenten, die bereit waren, nach dem Studium im Kaukasus bzw. Trans­ kaukasien zu arbeiten. Weitere 4.500 Rubel spendete er für die Ausbildung eines armen Mädchens im Kaukasus. Ein weiterer wohlhabender Armenier, Hagop Popovič, vermachte 1863 in seinem Testament einer armenischen Schule in Theodosien 800 Rubel jährlich und 10.000 Rubel einmalig, wobei mit den Zinsen dieser Summe immer ein Stipendiat unterhalten werden sollte. 1866 stiftete die »Armenische Gesellschaft in Moskau« dem Lazarev-Institut 6.000 Rubel als »Alexandrovskij-Stipendium« zur Erinnerung »an die wundersame Rettung des Lebens« des Imperators Alexander II. Ein weiteres Namensstipendium in seinem eigenen Namen vermachte der wohlhabende Armenier Jegor Tamamšev dem Institut. Der ab 1858 als Kurator des Instituts fungierende Xačatur Lazarian (1789–1871) stiftete die beiden Namensstipendien »Alexanderovskij« und »Alexandro-Mariinskij« »für arme russische Adelssöhne, Söhne von Staatsbeamten oder für Angehörige anderer Stände« zur Erinnerung an den Besuch Alexanders II. und seiner Frau am Lazarev24 Deutsch-Armenische Blätter (im Folgenden DAB). 7 (1911), Sp. 85–86, 85. 25 Žamanak. 1911, 779, 3. 26 Saruxan: Alek’sandr Mant’ašianc, 169.

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Institut. Weitere 200.000 Silberrubel wurden dem Institut von Lazarian direkt übergeben.27 Über zahlreiche weitere Spenden berichtete die zeitgenössische armenische Presse. Doch die Zahl der Auslandsstudenten hatte um die Jahrhundertwende solche Ausmaße erreicht, dass die verfügbaren Finanzmittel kaum mehr ausreichten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass mit der steigenden Zahl im Ausland studierender Armenier die zunächst spontan entstandene Selbsthilfe unter den Studenten relativ rasch einen organisierten Charakter bekam. An den russländischen Hochschulen waren vor allem öffentliche Veranstaltungen eine Möglichkeit, Geld für notleidende Kommilitonen zu sammeln. Nachrichten über die Inszenierung von Theaterstücken, die Höhe der Summe, die an solchen Abenden zusammenkam, sowie die Namen der mit dem Geld unterstützten Studenten wurden in der Presse regelmäßig veröffentlicht.28 Den Angaben im Haykakan Ašxarh zufolge wurden beispielsweise in Moskau von Januar 1866 bis Februar 1867 für mittellose Studenten etwa 2.282,35 Rubel gesammelt, wobei 253,75 Rubel von den Studenten selbst stammten. Die Einnahmen aus Theateraufführungen beliefen sich auf 486 Rubel, der Rest setzte sich aus Spenden zahlreicher Privatpersonen zusammen.29 Ein weiteres Beispiel der von den Studenten selbst organisierten Stipendienvergabe war die Gründung des »Vereins Armenischer Studierwilliger« in Paris im Jahr 1880. An der ersten Versammlung nahmen viele Studenten nicht nur aus Frankreich, sondern auch aus Deutschland teil, mit denen die Initiatoren bereits im Vorfeld in Kontakt standen. Vor allem ging es darum, die Satzung zu überarbeiten und dem französischen Innenminister zur Bestätigung vorzulegen. Die Tätigkeit des Vereins zielte darauf ab, das Studium mittelloser Armenier an europäischen Universitäten – hauptsächlich in den Fächern Landwirtschaft, Architektur, Maschinenbau und Pädagogik  – finanziell zu unterstützen. Die Bewerber sollten Armenisch sowie Französisch oder Deutsch beherrschen. Zudem waren gute Kenntnisse der armenischen und allgemeinen Geschichte, Geografie, Mathematik, Geometrie und Naturwissenschaften erforderlich. Die Stipendiaten verpflichteten sich, nach dem Abschluss des Studiums mindestens drei Jahre an einer armenischen Lehranstalt zu unterrichten. Die finanziellen Mittel des Vereins setzten sich aus den Mitgliedsbeiträgen sowie den Spenden wohlhabender Armenier zusammen. Dabei gab es neben den regulären Mitgliedern zwei weitere Kategorien: Diejenigen, die einmalig 500 Francs zahlten, zählten zu den Ehrenmitgliedern und wurden von weiteren Beitragszahlungen befreit. Jene Mäzene wiederum, die 1.000 Francs oder mehr spendeten, oder aber die Studienkosten eines Studen27 Vgl. Sokolov: Blagotvoritel’nost’, 124–255. 28 Siehe etwa: Haykakan Ašxarh. 3 (1867), 1, 45–51; Ebd., 4 (1868), 1, 34–36. 29 Ebd. 3 (1867), 2/3, 131–133.

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ten von Anfang bis zum Ende übernahmen, galten als Wohltäter. Das oberste Gremium des Vereins war die Hauptversammlung, die einmal im Jahr in Paris tagte. Ansonsten fanden regelmäßige Sitzungen an jedem ersten Sonntag des Monats statt. Der Verein hatte einen Vorstand sowie einen Kassenführer und beabsichtigte, in allen europäischen Städten, in denen es ausreichend Armenier gab, weitere Vertretungen zu gründen.30 Ähnlich agierte auch der »Verein Armenischer Studenten in Genf«, der zudem durch kleine Leihgaben die Not leidenden Kommilitonen in dieser Stadt auch direkt unterstützte. In einer in der Zeitung Kovkasi Lraber (Der Kaukasische Bote) veröffentlichten Ankündigung informierte der Verein über die Gründung eines bevollmächtigten Komitees, dessen Aufgabe die Eintreibung der Summen war, die von der Vereinskasse ausgeliehen, doch nicht mehr zurückgezahlt worden waren. Mit dieser Bekanntmachung ermahnte der Vorstand alle (zum Teil schon ehemaligen) Studenten, die seit 1906 Darlehen des Vereins in Anspruch genommen hatten, dem Verein diese Summe nebst einer Erklärung binnen drei Monaten zukommen zu lassen.31 Die Organisation des Auslandsstudiums und die Etablierung eines Systems regelmäßiger Stipendienzahlungen standen auch im Osmanischen Reich auf der Tagesordnung. Dabei ging es nicht nur um die Mobilisierung der armenischen Jugend, sondern auch um das Anliegen, das Engagement der hochqualifizierten Spezialisten für ihre Herkunftsgesellschaft sicherzustellen. So forderte etwa Grigor Zohrap, alljährlich begabte junge Männer ins Ausland, z. B. nach Deutschland zu schicken, damit diese nach einem fundierten Studium später einmal die Ausbildung der armenischen Jugend in der Heimat übernehmen könnten. Für diesen Gedanken versuchte er, den armenischen Patriarchen in Konstantinopel Małak’ia Ōrmanian zu gewinnen. Zohrab klagte grundsätzlich, dass nicht einmal das Echo des europäischen Fortschritts die Armenier erreiche: In keinem Studienfach haben wir entsprechende Spezialisten, schon lange fehlen uns Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften. […] Weder für Geschichte, noch für die Geographie, Sprachen oder Philosophie haben wir je gut ausgebildete Pädagogen gehabt.32

Die armenische Nationalversammlung in Konstantinopel beauftragte die sogenannte Nationalverwaltung, einen Plan zur Unterstützung armenischer Studenten im Ausland auszuarbeiten. Dieser sollte die genaue Zahl der zu unterstützenden Studenten, deren Alter, Bildungssituation sowie die Art und

30 Mšak. 9 (1880), 96, 1–3; Ebd., 97, 1–2; Ebd., 221, 1–3. 31 Kovkasi Lraber. 1912, 44, 4. 32 Zohrab: Erkeri žołovaċu, Band 3, 128.

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Dauer der Unterstützung berücksichtigen.33 Eine dieserart geregelte Finanzierung des Auslandsstudiums bezeichnete Zohrab als dringend notwendig, da die europäische Konkurrenz sowohl im landwirtschaftlichen Bereich als auch in Handel und Handwerk den armenischen Bauern, Handwerkern und Kaufleuten schon bald große Probleme bereiten werde. Um diesem Wettbewerb standzuhalten, müssten laut Zohrab nicht nur die armenischen Lehranstalten reformiert werden. Vielmehr gelte es, junge Armenier gezielt an europäische Hochschulen zu schicken, um das Handwerk und den Handel durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu erneuern beziehungsweise überhaupt erst zu etablieren.34 Zohrab legte 1913 ein Schema vor, nach dem das Auslandsstudium aus seiner Sicht sinnvoll geregelt werden könnte: Zum einen sollten diejenigen jungen Armenier, die eher an einer praktischen Ausbildung interessiert waren, in europäische Fabriken geschickt werden. Dies war die sogenannte »Stufe A« der praktischen Ausbildung. Die zweite Stufe war die Ausbildung an Lehranstalten wie etwa Technikum, École professionelle, École des Artes et Mètiers oder Fermes-École, wo junge Armenier in nur drei Jahren als Ingenieure ausgebildet werden könnten. Der dritte Weg schließlich führte an europäische Universitäten.35 Unter anderem hoffte Zohrab darauf, die Situation der Studenten, die bis dahin ganz auf sich allein gestellt waren, auf diese Weise zu verbessern. Der Nationalversammlung legte er einen detaillierten Plan vor, der eine umfangreiche Förderung des Auslandsstudiums vorsah. Demnach sollte sich das Patriarchat im Bildungsministerium um staatliche Stipendien bemühen, die armenischen Studenten in größerer Anzahl zugutekommen sollten. Darüber hinaus könnten die Auslandsvertretungen im Osmanischen Reich dafür gewonnen werden, armenische Studenten in Europa zu unterstützen. Eine staatliche Finanzierung war dabei ausschließlich für Studenten vorgesehen, die sich in einem Wettbewerb für ein Stipendium qualifiziert hatten. Die meisten Studenten sollten entweder im Polytechnikum oder in anderen technischen Lehranstalten Bergbau oder Landwirtschaft studieren, eine kleinere Anzahl sollte an Universitäten geschickt werden. Nicht zu vernachlässigen sei des Weiteren die praktische Ausbildung in europäischen Fabriken.36 Ein besonderes Augenmerk legte Zohrab auf den Erfolg der armenischen Studenten an europäischen Lehranstalten: So plante er etwa, besonders fleißige und engagierte Studenten durch verschiedene »Preise«, etwa ein Reisestipendium (bourse de voyage), zu belohnen. Aber auch die spätere berufliche 33 34 35 36

Ebd., Band 6, 254. Ebd., Band 3, 460. Ebd., Band 6, 254. In den folgenden Jahren betonte Zohrab immer wieder, dass die universitäre Bildung zwar sehr wichtig sei, die armenische Jugend sollte aber in erster Linie an »Écoles pratiques«, »Écoles industrielles« und »Écoles techniques« studieren. Vgl. ebd.

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Laufbahn dieser Studenten zu verfolgen, sei von großer Bedeutung, denn nur so könne man einschätzen, inwiefern dieser Plan erfolgreich gewesen sei. Als wichtig erachtet wurde zudem, die bereits im Ausland weilenden Studenten zu organisieren. Dafür könnten in größeren europäischen Städten, etwa in Paris oder Genf, sogenannte »Studentenhäuser« eingerichtet werden, die dort als Mittelpunkt des »armenischen Lebens« fungieren und »den nationalen Geist« unter den Studenten wachhalten sollten. Zur Vorbereitung der armenischen Studentenschaft auf diese akademische Zukunft sollten bereits die heimischen Lehranstalten entsprechende Auskünfte bereithalten, etwa eine Liste europäischer Bildungseinrichtungen sowie vollständige Angaben über die Immatrikulationsbestimmungen und andere »nützliche Informationen«.37 Als weiteres Instrument der Förderung des Auslandsstudiums könnte, so Zohrab, eine Zeitschrift dienen, die mindestens in dreimonatigen Abständen die studierende Jugend über aktuelle Entwicklungen an europäischen Bildungsinstituten, neue Gesetze im Bildungsbereich bzw. wichtige Publikationen in europäischen Fachzeitschriften informieren sollte. Mit den Türken, Franzosen, Russen, Deutschen, Engländern und Italienern sollten Beziehungen im Bildungsbereich geknüpft und gemeinsame Vereine gegründet werden. Schließlich sollte ein Mitteilungsblatt die Öffentlichkeit mindestens zweimal jährlich über die Fortschritte in den erwähnten Bereichen informieren. Die Umsetzung dieses Programms wollte Zohrab ab dem 1. Januar 1914 einem Komitee überantworten, das mit 300 bis 400 Goldmünzen jährlich ausgestattet sein sollte. Dieser Plan werde aber nur dann vollumfänglich aufgehen, wenn darüber hinaus auch großzügige Spender die Studenten und die Studentenhäuser finanziell unterstützten.38 Dieser von Zohrab ausgearbeitete Plan blieb in weiten Teilen ein Wunschgedanke. Bald musste er feststellen, dass die armenische Gesellschaft von der europäischen Ausbildung immer noch »eine chinesische Mauer« trennte.39 Viele Abgeordnete der Nationalversammlung verlangten inzwischen sogar, die für das Auslandsstudium vorgesehenen Mittel zu kürzen, da die geförderten jungen Männer der armenischen Gesellschaft bis dahin »keinen Nutzen« gebracht hätten. Den Grund dafür sah Zohrab zum einen darin, dass die Stipendiaten nicht sorgfältig genug ausgewählt wurden. Andererseits fühlten sich jene Studenten, die ihre Studien- und Lebenskosten im Ausland selbst bestreiten mussten, kaum dazu verpflichtet, das Studium gewissenhaft zu Ende zu bringen oder sich später ihrer Nation als Pädagoge oder Wissenschaftler zur Verfügung zu stellen.40 37 38 39 40

Ebd., 257. Ebd., 258. Ebd., 295. Ebd., 296.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Den Debatten über das Auslandsstudium der Armenier im Osmanischen Reich setzte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein abruptes Ende. Doch bereits davor führte der Weg vieler Studenten aus der Türkei nach Europa ohnehin über Ēǰmiaċin, wo die Finanzierung des Auslandsstudiums und die Vergabe der Stipendien besser geregelt waren.

4.2 Die Förderung des Auslandsstudiums durch die armenische Kirche Die gezielte Finanzierung des Auslandsstudiums in definierten Bereichen war in der armenischen Kirche auf mehreren Ebenen organisiert. Gefördert wurden in erster Linie freilich die Absolventen der Gevorgian-Akademie, was insbesondere den Bedarf an wissenschaftlich gebildeten Theologen in der armenischen Kirche decken sollte. Darüber hinaus war dem Pädagogischen Rat der Akademie, dem Hl. Synod bzw. dem Kathołikos direkt die Verfügung über sonstige Spenden und Nachlässe überlassen, die neben Hilfestellungen in anderen Bereichen auch die Förderung des Auslandsstudiums in verschiedenen Fachrichtungen zum Ziel hatten. Die Voraussetzungen für das Stipendium waren fast immer an Bedingungen geknüpft, die in den Nachlässen formuliert bzw. vom Pädagogischen Rat der Akademie festgesetzt wurden, wobei die Prämisse im Wesentlichen die gleiche war: Eine besondere Relevanz hatte für alle Geldgeber die Zugehörigkeit des Empfängers zur armenisch-apostolischen Kirche, sollte doch sichergestellt werden, dass die »nationalen Mittel« ausschließlich den Armeniern zugutekamen. Der zeitgenössischen Presse zufolge motivierte jedoch genau dieses Kriterium junge Männer anderer Nationalität, den armenisch-apostolischen Glauben anzunehmen und sich dann um ein Stipendium zu bewerben. Inwiefern davon tatsächlich umfassend Gebrauch gemacht wurde, ist schwer zu beurteilen. Die Presse berichtete jedenfalls von »zahlreichen solchen Fällen«,41 was eine heftige Debatte über die Verwendung der »nationalen Mittel« provozierte. Die Zeitung Biuzandion berichtete im September 1911, dass die Nachricht über einen jungen lateinischen (sic!) Mann, der den armenisch-apostolischen Glauben angenommen und sich um ein Stipendium beworben hatte, eine Welle der Empörung unter den »studierwilligen jungen Armeniern« ausgelöst hatte.42 Die Redaktion habe zahlreiche Briefe bekommen, in denen sie aufgefordert wurde, eine vollständige Liste der Nachlässe und der festgelegten Bedingungen zu veröffentlichen. Besonders misslich war 41 Biuzandion. 15 (1911), 4528, 2. 42 Ebd.

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die Tatsache, so Biuzandion, dass es gewiss nicht der armenisch-apostolische Glaube selbst es war, was junge Männer anderer Nationalität dazu bewegte, diesen anzunehmen. Vielmehr sei die Möglichkeit verlockend, von den zu Studienzwecken gespendeten Mitteln wohlhabender Armenier zu profitieren. Trotz der Bekanntmachung in der Presse gab es laut Biuzandion vor allem aus Mittel- und Osteuropa kaum Bewerber um Stipendien, obwohl viele Förderer gerade das Studium junger Armenier aus dortigen armenischen Gemeinden unterstützen wollten. Die Nachrichten über die Fördermöglichkeiten verbreiteten sich aber natürlich auch unter jungen Männern anderer Nationalität, die sich dann um die frei gebliebenen Stellen bewarben.43 Die Bedingung der Zugehörigkeit zur armenischen Kirche bewirkte aber auch, dass katholische oder protestantische Bewerber armenischer Nationa­ lität ebenfalls zurückgewiesen werden konnten. Dies war insofern ein Problem, als sich im Laufe des 19. Jahrhunderts infolge der europäischen und der amerikanischen Missionsarbeit innerhalb der armenischen Ökumene zahlreiche katholische und protestantische Gemeinden gebildet hatten. Hovhannes Xačumian, der als Religionslehrer tätig war und sich um ein Stipendium beworben hatte, beschrieb in seinem Antrag die Lage der Armenier im Osmanischen Reich und in Persien. Die katholische Missionsarbeit unter dem Protektorat westlicher Großmächte, aber auch die Zwangskonversion hätten dort zu einer katastrophalen Lage der armenischen Gemeinden geführt. Die Propaganda der anderen Religionen nehme immer mehr zu, was die Kirche schwäche und das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit unter den Armeniern zusehends zerrütte. Gegen diese Propaganda solle man mit der Gründung einer eigenen religiös-missionarischen Gesellschaft auftreten. Sein Ziel sei es daher, nach dem Auslandsstudium in den zölibatären Kirchendienst einzutreten, eine solche Gesellschaft zu gründen und sich der Missionstätigkeit zu widmen.44 Insbesondere die Vertreter der liberalen Intelligenzija standen der Glaubensfrage mehr als kritisch gegenüber. Gravierend war Arċruni zufolge vor allem die Tatsache, dass die religiöse Zugehörigkeit als Bedingung in den Satzungen der humanitären Gesellschaften festgehalten war: Stellen Sie sich vor, es gebe in Moskau eine wohltätige Gesellschaft, die eine Bewerbung von einem mittellosen armenischen Studenten mit dem Namen zum Beispiel Petrosian oder Vardanian bekommt. Dieser Student bittet um eine kleine Unterstützung für das Studium. Er wird nett empfangen, ihm wird die Hilfe gar zugesagt, bis die Verantwortlichen erfahren, dass er protestantisch oder katholisch ist. Sie müssen sich in so einem Fall an ihre Satzung halten und lehnen den Antrag ab. Wie soll sich dieser junge Mann nun fühlen? ›Ich war Armenier mit meiner Sprache, meinen Gefühlen 43 Ebd. 44 Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 117.

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Stipendien für das Auslandsstudium

und Ideen, wenn Sie mich aber nicht für einen Armenier halten und finden, dass ich lieber verhungern soll, nur weil ich nicht den apostolischen Glauben habe, so möchte ich fortan auch kein Armenier mehr sein‹.45

Eine weitere Voraussetzung für ein Stipendium war die Verpflichtung, nach dem Ende des Studiums in der armenischen Kirche zu dienen bzw. an den Schulen zu unterrichten. Die Stipendiaten waren verpflichtet, den Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie regelmäßig über den Verlauf ihres Studiums zu informieren, was zur Entstehung einer umfangreichen Korrespondenz beitrug und erlaubt, den akademischen Weg vieler Stipendiaten während ihres ganzen Studiums von Anfang bis zum Ende nachzuvollziehen. Unter anderem vermittelt diese Kommunikation einen Eindruck davon, wie die Stipendiaten mit den Erwartungen, die an ihren Aufenthalt im Ausland geknüpft waren, zurechtkamen und inwiefern sie die Förderung als eine Verpflichtung verstanden, das Studium um jeden Preis erfolgreich zu Ende zu bringen. Auch der psychische Druck, dem sich viele Studenten ausgesetzt sahen, die Schwierigkeiten wegen der Knappheit des Geldes bzw. der verspäteten Zahlungen sowie die Notwendigkeit äußerster Sparsamkeit wurden immer wieder thematisiert. Detaillierte Begründungen für jeden Sprachkurs, den Kauf von Kleidung und Büchern oder etwa den Umzug in eine andere Stadt waren in den Briefen keine Seltenheit, weil ein Student eben »kein moralisches Recht hat, mit dem Stipendium leichtsinnig umzugehen oder es sinnlos auszugeben«.46 Gerade die letztgenannte Voraussetzung zielte auch darauf ab, das akademische Potenzial des Auslandsstudiums später optimal zu nutzen. Einerseits sollten die im Ausland ausgebildeten Akademiker einen qualitativ besseren Unterricht an den Schulen und an der Gevorgian-Akademie gewährleisten, auf der anderen Seite wollte die Kirche dem erkennbaren Mangel an theologischen Nachwuchskräften entgegenwirken. Eine entscheidende Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Angst vor einer gravierenden staatlichen Reaktion, sollte es der Akademie nicht gelingen, für die Kirche in ausreichender Zahl geistliche Diener auszubilden. Ganz unbegründet war diese Sorge indessen nicht: Von den ersten Absolventen der Gevorgian-Akademie, die im akademischen Jahr 1882/1883 das Studium abschlossen, trat keiner in den geistlichen Stand. Bereits von zeitgenössischen Akteuren wurde dies auf das unzureichende Niveau des theologischen Unterrichts zurückgeführt. Um Abhilfe zu schaffen, holte der Kathołikos Makar I.  Tełutci den damaligen Leiter der armenischen Diözese in Karin Małak’ia Ōrmanian als Theologielehrer an die Akademie. Zwar hatte bereits der Begründer der Akademie, der Kathołikos Gevorg  IV., eine ganze Reihe von zum Teil in Europa ausgebildeten 45 Mšak. 11 (1882), 7, 1. 46 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil II ., Bl. 270.

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Spezialisten als Lehrer engagiert. Es handelte sich dabei Ōrmanian zufolge jedoch nicht um Theologielehrer, wo doch der Akademie gerade Theologen mit universitärer Ausbildung fehlten.47 Dabei ziele die staatliche Politik darauf ab, den schwachen Religionsunterricht als Vorwand für die Schließung der Akademie zu verwenden.48 Ōrmanian konzentrierte sich in seiner Lehrtätigkeit in Ēǰmiaċin daher auf die Einführung eines profunden Theologieunterrichts: Es war notwendig, mit dem Unterricht der natürlichen Theologie und der Psychologie anzufangen, Apologetik zu ergänzen sowie theoretische und Moraltheologie zu unterrichten. Einmal wöchentlich wurde in allen drei Klassen Einführung in die Bibel unterrichtet. Samstagabends hatte ich Unterricht in Ethik über kirchliche und studentische Themen.49

Doch das Wirken von Ōrmanian an der Akademie provozierte binnen kürzester Zeit die Unzufriedenheit der Regierung. Als türkischer Staatsbürger, der zudem, so der Verdacht staatlicher Stellen, in die Aktivitäten armenischer Geheimorganisationen involviert war, war Ōrmanian in der wichtigsten Bildungsanstalt der Armenier für die Regierung äußerst unerwünscht.50 Ōrmanian selbst erklärte die entstandenen Schwierigkeiten mit der Unzufriedenheit des kaukasischen Statthalters über die eigenmächtigen Entscheidungen des Kathołikos, der seine Bischöfe nach eigenem Ermessen einsetzte und einen fremden Untertan ohne offizielle Genehmigung an der Akademie beschäftigte. In jedem Fall teilten, so Ōrmanian, sowohl der Kathołikos als auch die höhere Geistlichkeit und die Lehrer der Akademie die Überzeugung, dass mit seinem Weggang die Akademie, die keinen Ersatz für ihn hätte und daher den theologischen Unterricht aufgeben müsste, als geistliche Schule nicht weiterbestehen könnte.51 Trotzdem gab der Kathołikos dem enormen Druck aus dem Zentrum schließlich nach: Im Juli 1888 musste Ōrmanian nach nur einem Jahr Ēǰmiaċin wieder verlassen. Er selbst bedauerte vor allem, dass es ihm deswegen nicht gelang, auch Studenten aus dem »Türkischen Armenien« an die Akademie zu holen und so den Zusammenhalt zwischen den in beiden Teilen der armenischen Nation tätigen Geistlichen zu fördern.52 47 Vgl. Ōrmanian, Małak’ia: Xohk’ ev xosk’ [Überlegungen und Reden]. Jerusałem 1929, 142. 48 Kostandian, E. A.: Małak’ia Ōrmaniani gorċuneut’yunẹ Ēǰmiaċni Gevorgian č’emaranum ev Armaši dprevank’um [Das Wirken von Małak’ia Ōrmanian an der Gevorgian Akademie in Ēǰmiaċin und am Seminar in Armaš]. In: LHG . 2012, 2/3, 14–31, 15. 49 Ōrmanian: Xohk’ ev xosk’, 144 f. 50 Vgl. Kostandian: Małak’ia Ōrmaniani gorċouneut’iunẹ, 18. 51 Behburdyan, Sandro (Hg.): Vaveragrer hay ekełecu patmut’yan. Małak’ia Ark’episkopos Ōrmanian, Kostandnupolsi patriark’ (1896–1908) [Dokumente zur armenischen Kirchengeschichte. Erzbischof Małak’ia Ōrmanian, Patriarch von Konstantinopel]. Band 15. Jerewan 2007, 162. 52 Ōrmanian: Xohk’ ev xosk’, 149.

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Dass am Ende des Studienjahres 1887/88 dennoch vier Absolventen der Gevorgian-Akademie die Bereitschaft äußerten, in den geistlichen Stand zu treten, wurde damals schon als direktes Resultat von Ōrmanians Wirken angesehen. Drei von ihnen, nämlich Karapet Ter-Mkrtčian, Gevorg Čorek’čian53 und Garegin Hovsep’ian verpflichteten sich als zölibatäre Priester und wurden 1889 zu Diakonen geweiht. Im gleichen Jahr gingen Ter-Mkrtčian und Čorek’čian auf Anordnung des Kathołikos und mit einem Stipendium aus den Mitteln der Hl. Gevorg Kirche in Tiflis zum Studium nach Deutschland,54 Hovsep’ian folgte ihnen 1892.55 Karapet Ter-Mkrtčians Studium in Deutschland und seine Rolle in den deutsch-armenischen wissenschaftlichen Beziehungen im Bereich der Theolo­ gie wurde in der Historiografie beider Länder bereits hinreichend behandelt,56 daher seien im Folgenden lediglich die wichtigsten Stationen seiner Studienzeit zusammengefasst. Ter-Mkrtčian studierte drei Jahre Theologie in Leipzig, Halle und Berlin und besuchte unter anderem die Vorlesungen von Harnack, Haupt, Loofs, Treitschke und Wundt. Über sein Auftreten an der Universität Leipzig hat Ewald Stier später geschrieben: Im Jahre 1889 erregte eine fremdartige Erscheinung in den theologischen Hörsälen in Leipzig Aufsehen: ein Student in der Tracht der armenischen Geistlichen mit der bekannten spitzen Kapuze. Es war der Archidiakonus Karapet Ter-Mkrtitschian, den der Patriarch Makar auf Veranlassung des Rektors der Akademie in Etschmiadsin Arschak Nahapetian nach Deutschland gesandt hatte, um sich dort eine höhere Bildung anzueignen.57 53 Gevorg VI. Čorek’čian (1868–1954) war Kathołikos Aller Armenier von 1945 bis 1954. 1913 wurde er vom Kathołikos Gevorg V. zum Vardapet, 1917 zum Bischof geweiht, 1916 wurde er außerdem in den Hl. Synod gewählt. Von 1922 bis 1927 leitete er die armenische Eparchie in Georgien. Nach dem Tod des armenischen Kathołikos Choren I., der 1938, inmitten der stalinistischen Repressionen, vom staatlichen Sicherheitsdienst ermordet wurde, übernahm Čorek’čian die laufenden Geschäfte der Kirche, wurde aber erst 1945 zum Kathołikos gewählt. Ausführlicher zu Čorek’čian siehe Behburdyan, Sandro (Hg.): Vaveragrer hay ekełecu patmut’yan. Gevorg 6. Čorek’čian, Kathołikos Amenayn Hayoc (1938–1955 t’t’.) [Dokumente zur armenischen Kirchengeschichte. Gevorg 6. Čorek’čian, Kathołikos Aller Armenier (1938–1955)]. Band 6. Jerewan 1999; Nšanavor č’emarana­ kanner. Prak A. [Berühmte Absolventen der Akademie. Prak A]. S. Ēǰmiaċin 2005, 91–98. 54 Ter-Minassian: Karapet Episkopos, 9. 55 Hovsep’ians Reise nach Deutschland hatte sich nach dem Tod von Makar I. verzögert. Doch durch die Vermittlung von Ōrmanian erhielt Hovsep’ian von dem als Stellvertreter amtierenden Erzbischof Eremia die Erlaubnis, ins Ausland zu gehen. Vgl. Kensagrut’iun Eranašnorh T. T. Garegin A. Kat’ołikos Yovsep’eani. A. Ink’nakensagrut’iun [Biografie des Kathołikos Garegin I. Hovsep’ian. 1. Autobiografie]. In: Hask. 1952, 7/9, 211–234, 221. 56 Vgl. Ter-Minassian: Karapet Episkopos; Stephan: Karapet Episkopos; Gazer: Reform­ bestrebungen; Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«. 57 Stier, Ewald: Armenische Theologen in Deutschland. In: Der Orient. Zweimonatsschrift. Hg. Dr. Lepsius Deutsche Orient-Mission. 7 (1925), 115–118, 115.

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Ter-Mkrtčian habe zwar nur sehr geringe Kenntnisse der deutschen und der griechischen Sprache und überhaupt keine in Latein gehabt, dennoch hätte der Patriarch »keinen tüchtigeren Studenten als Karapet schicken können«.58 Im Wintersemester 1891 zog Ter-Mkrtčian von Leipzig nach Halle um, wo er sich intensiv mit den exegetischen Fächern beschäftigte, ab dem Wintersemester 1892 studierte er in Berlin. Bereits in dieser Zeit übersetzte er im Auftrag von Harnack bzw. des Theologen und Kirchenhistorikers Oskar von Gebhardt armenische Schriften ins Deutsche.59 1893 wurde Ter-Mkrtčian in Leipzig mit der Arbeit »Die griechischen Quellen über die Paulikianer«60 promoviert, deren erweiterte Fassung unter dem Titel »Die Paulicianer im Byzantinischen Kaiserreiche und verwandte ketzerische Erscheinungen in Armenien« 1893 in Leipzig erschien.61 Die Idee, über die Paulikianer zu promovieren, hatte er, wie aus dem Vorwort der gedruckten Fassung hervorgeht, seinem Lehrer Prof. Loofs zu verdanken. Dabei zog er in erster Linie armenische Quellen heran, die »[…] mir freilich am nächsten lagen und aus denen ich am ehesten etwas Neues zu Tage zu fördern imstande wäre«.62 Nach der Promotion blieb Ter-Mkrtčian mit Erlaubnis des Kathołikos ein weiteres Jahr in Europa, besuchte freie Vorlesungen an der Sorbonne, am Collège de France und an der protestantischen theologischen Fakultät in Paris. Einen weiteren Monat verbrachte er in England, um seine Englischkenntnisse zu verbessern und sich mit den wohltätigen englischen christlichen Einrichtungen vertraut zu machen.63 Im Frühjahr 1894 reichte Ter-Mkrtčian die gleiche Dissertation in Marburg noch einmal ein und erhielt als besondere Ausnahme den akademischen Grad des Lizenziaten.64 Garegin Hovsep’ian studierte von 1892 bis 1896 Theologie, Philosophie und Geschichte in Leipzig, Halle und Berlin. Die Finanzierung seines Studiums 58 Ebd. 59 Es handelte sich um die Werke »Das Leben des Hl. Pion« sowie »Die Widerlegung der Sekte des Marcion« aus dem vierteiligen Werk des armenischen Kirchenvaters Yeznik von Kołb »Widerlegung der Irrlehren«. Vgl. Stephan: Karapet Episkopos, 7; Weber, Simon (Hg.): Ausgewählte Schriften der armenischen Kirchenväter. Band 1. Eznik, Koriun, Hatschachapatum. München 1927. 60 Ter-Mkrttchian, Karapet: Die griechischen Quellen über die Paulikianer. InauguralDisser­tartion. Leipzig 1893. 61 Ders.: Die Paulikianer im byzantinischen Kaiserreiche und verwandte ketzerische Erscheinungen in Armenien. Leipzig 1893. 62 Ebd., VI . 63 Ter-Minassian: Karapet Episkopos, 12. 64 Die Lizenziatenprüfung setzte normalerweise die volle Akzeptanz der reformatorischen Bekenntnisschriften voraus, weswegen Ter-Mkrtčian als Ausländer erst gar nicht hätte zugelassen werden dürfen. Für ihn setzte sich insbesondere der Berliner Theologieprofessor Bernhard Weiss im Kultusministerium ein, sodass er schließlich zur Prüfung zugelassen wurde. Vgl. hierzu Ter-Minassian: Karapet Episkopos, 13; Stephan: Karapet Episkopos, 8.

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übernahm die Wohltätige Gesellschaft, die zuvor beschlossen hatte, das Studium eines Absolventen der Gevorgian-Akademie in den Fächern Theologie, Geschichte oder Philologie mit 600 Rubeln jährlich zu finanzieren.65 Im April 1892 erhielt Hovsep’ian den Bescheid über seine Förderung und über die Verpflichtungen, die er als Stipendiat übernehmen musste. Er sollte drei bis vier Jahre Theologie studieren und sich dann nach dem Studium im kirchlichen oder pädagogischen Bereich in die Dienste seines Volkes stellen.66 Zu ­Hovsep’ians Pflichten gehörte auch, am Ende jedes Semesters seinem Geldgeber ausführliche und von der Universitätsverwaltung beglaubigte Nachweise über seine akademischen Leistungen zu schicken. So entstand eine regelmäßige Korrespondenz, die unter anderem Informationen über die besuchten Veranstaltungen sowie Bestätigungen über das erhaltene Stipendium umfasste. Im Sommer 1892 ging Hovsep’ian, nach einem kurzen Aufenthalt bei Karapet Ter-Mkrtčian in Berlin, nach Leipzig und berichtete im ersten Brief über seine komplikationslose Reise. Diese Stadt sei ihm von den anderen armenischen Studenten wegen der optimalen Bedingungen für einen Studien­ anfänger besonders empfohlen worden.67 Bis zur Immatrikulation im Oktober versuchte er, seine Deutschkenntnisse soweit zu verbessern, dass er sich einschreiben und den Vorlesungen folgen konnte. Diesem Zweck diente neben dem privaten Sprachunterricht auch das Zimmer bei einer deutschen Familie, was ihm den Umgang mit den Einheimischen und damit die schnellere Erlernung der Sprache ermöglichen sollte.68 Von 1892 bis 1894 studierte Hovsep’ian in Leipzig, ab 1894 in Halle und von 1895 bis 1896 in Berlin. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten unter anderem der lutherische Theologe und Kirchenhistoriker Albert Hauck, der Theologe und Palästinaforscher Hermann Guthe, der Pädagoge Friedrich Paulsen, des Weiteren Friedrich Loofs, Wilhelm Wundt und Adolf von Harnack. Neben dem Studium beschäftigte sich Hovsep’ian, wie aus seiner Korrespondenz ersichtlich, mit wohltätigen Organisationen in Deutschland. Dem Rat von Karapet Ter-Mkrtčian folgend wandte er sich an die »Stiftungen Bethel« in Bielefeld, die Kranke und Notdürftige versorgten.69 Über diese Einrichtung berichtete Ter-Mkrtčian, der diese in seiner Studienzeit selbst besucht hatte, in ­ ovsep’ian einem Artikel im Ararat.70 Während der Sommerferien absolvierte H dort ein Praktikum und erhoffte sich davon wichtige Erfahrungen für seine 65 Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 124. 66 Ebd., Bl. 126. 67 Ebd., Akte 288, Bl. 35. 68 Ebd. 69 Ebd., Akte 817, Bl. 201. 70 Ararat. 1895, 6, 182–188.

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spätere Tätigkeit in der armenischen Kirche.71 Die oben erwähnten Artikel über die Wohltätigkeit in der armenischen Kirche waren in jedem Fall auf ebendiese Erfahrung zurückzuführen. Hovsep’ian war außerdem Mitglied des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig und reiste als dessen Vertreter gemeinsam mit Ter-Mkrtčian nach Wien, um sich mit dem neu gewählten Kathołikos Mkrtič I. Chrimian zu treffen. Unter anderem machten sie sich dort mit den Geistlichen der Wiener Mechitaristen-Kongregation bekannt.72 Während des gesamten Studiums kämpfte Hovsep’ian ähnlich wie andere Stipendiaten mit finanziellen Engpässen, die insbesondere durch verspätete Zahlungen verursacht wurden. In einem Brief an die Wohltätige Gesellschaft bezeichnete er seine Lage nach zwei Monaten ohne Stipendium als äußerst prekär, wobei er mehrfach Schulden machen musste. Dieser Bedürftigkeit war auch die Bitte geschuldet, mit dem noch fehlenden Geld für die Monate Februar und März nach Möglichkeit auch das Stipendium für das nächste Trimester zu schicken. Dies sei vor allem deshalb dringend notwendig, weil er mit der regulären Zahlung nur seine Schulden zurückzahlen könne, danach jedoch sofort wieder mittellos sei.73 Im Jahr 1896 wurde Hovsep’ian in Leipzig mit dem Thema »Die Ent­ stehungsgeschichte des Monotheletismus« promoviert.74 Bereits im Dezember 1895 hatte er die Wohltätige Gesellschaft über seine bevorstehende Prüfung am Ende des kommenden Sommersemesters informiert und darum gebeten, ihm die Prüfungsgebühren in Höhe von 200 Mark sowie etwa 200 Rubel für den Druck seiner Dissertation zu überweisen.75 Die Antwort auf diese Bitte war niederdrückend: Sein Stipendium sollte nur noch bis Anfang September gezahlt werden, während der Termin für die mündliche Prüfung für Oktober festgesetzt war. Auch die Prüfungsgebühren und die Druckkosten des Buches könne die Wohltätige Gesellschaft nicht übernehmen; Hovsep’ian solle sich an den Hl. Synod wenden.76 Doch Hovsep’ian war entschlossen, das Studium zu jedem Preis zu Ende zu bringen, notfalls auch ohne das Stipendium. Finanzielle Hilfe bekam er unter anderem von Hermann Guthe, aber auch aus Ēǰmiaċin trafen weitere Zahlungen ein.77 Wie aus einem seiner Briefe ersicht71 72 73 74

Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 201. Kensagrut’iun Eranašnorh T. T. Garegin A. Kat’ołikos Yovsep’eani, 223. Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 207. Das Buch erschien unter dem Titel »Die Entstehungsgeschichte des Monotheletismus nach ihren Quellen geprüft und dargestellt« 1897 in Leipzig. Siehe auch Rezension zu: Owsephian, G.: Die Entstehungsgeschichte des Monotheletismus, nach ihren Quellen geprüft und dargestellt. Leipzig 1897. In: Ararat. 1898, 1, 15; Rezension zu: Owsephian, G.: Die Entstehungsgeschichte des Monotheletismus nach ihren Quellen geprüft und dar­ gestellt. Leipzig 1897. In: Byzantinische Zeitschrift. 9 (1900), 2, 544–546. 75 Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 288, Bl. 8. 76 Ebd., Bl. 8–9. 77 Kensagrut’iun Eranašnorh T. T. Garegin A. Kat’ołikos Yovsep’eani, 224.

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lich, erteilte ihm der Kathołikos persönlich die Erlaubnis, bis Ende Oktober in Deutschland zu bleiben.78 Die Prüfung konnte er jedoch erst im Februar 1897 ablegen und kehrte noch im selben Jahr nach Ēǰmiaċin zurück. Zeitgleich mit Ter-Mkrtčian war auch Gevorg Čorek’čian nach Deutschland gegangen und studierte von 1889 bis 1894 in Leipzig Theologie an der Universität und Musik am Konservatorium. Nach der Rückkehr in die Heimat widmeten sich alle drei Theologen unter anderem der pädagogischen Tätigkeit. Čorek’čian unterrichtete zunächst Musik an der Gevorgian-Akademie, kehrte jedoch nach einem Jahr in seinen Geburtsort Nor Naxiǰevan zurück, wo er neben der geistlichen Tätigkeit weiterhin Musik und Gesang unterrichtete. Hovsep’ian und Ter-Mkrtčian wirkten in Ēǰmiaċin, wo Ter-Mkrtčian bald zum stellvertretenden Rektor und ab 1899 zum Rektor der Gevorgian-­ Akademie aufstieg. Darüber hinaus leitete er ab 1894 die Redaktion zunächst des theologischen Teils, bis 1899 auch der gesamten Zeitschrift Ararat. Im Jahr 1900 überließ er die Redaktion der Zeitschrift Garegin Hovsep’ian, der diese Stelle – allerdings mit zum Teil längeren Unterbrechungen – bis zu seiner Entlassung im November 1908 innehatte. 1905/06 und von 1915 bis 1917 übernahm er außerdem die Stelle des Rektors der Gevorgian-Akademie. Gerade die Zeitschrift Ararat und die Gevorgian-Akademie boten den beiden Theologen den geeigneten Rahmen zur Verwirklichung ihrer Reformvorstellungen, die auf die Umgestaltung des Theologieunterrichts genauso abzielten wie auf die umfassende kirchliche Reform. Ihre Tätigkeit markierte an der Gevorgian-Akademie den Anfang eines kontinuierlichen wissenschaftlichen Theologieunterrichts auf jenem fachlichen Niveau, für das sich bereits Ōrmanian eingesetzt hatte und das sie während ihres Studienaufenthalts in Deutschland kennengelernt hatten. Neben vielen Übersetzungen aus deutschen theologischen Schriften publizierten sie im Ararat mehrere Artikel, die sich mit der Entwicklung der armenischen Kirchenlehre und vor diesem Hintergrund mit der Notwendigkeit der Kirchenreform befassten.79 Diese Aufklärung zielte auch darauf ab, die Grundlage für ein neues Religionsverständnis zu bereiten, das wiederum von der Geistlichkeit in das Volk hineingetragen werden sollte. Dafür bedurfte es aber weiterhin eines kontinuierlichen Zustroms armenischer Theologen nach Deutschland, wofür sich Ter-Mkrtčian in den folgenden Jahren tatkräftig einsetzte. Er stand noch lange Jahre nach seinem Studium in Korrespondenz mit seinen ehemaligen Lehrern in Deutschland und schmiedete mit ihnen Pläne über eine regelmäßige finanzielle Unterstützung sowohl für die Absolventen der Gevorgian-Akademie als auch für diejenigen der Akademie in Armaš. Mit Hilfe dieser Fachkräfte hoffte 78 Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 288, Bl. 40. 79 Ausführlicher zu Karapet Ter-Mkrtčians und Garegin Hovsep’ians Tätigkeit siehe Kapitel 6.2.

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er, nicht nur dem Mangel an akademisch gebildeten Geistlichen abzuhelfen, sondern auch die kirchliche Reform voranzutreiben. Eine weitere Persönlichkeit in dieser Reihe hochgebildeter Theologen war Ervand Ter-Minassian, der im September 1900 mit einem Stipendium aus dem Nachlass von Šołakat Melikian zum Weiterstudium nach Deutschland geschickt wurde.80 Seine Studienzeit an der Gevorgian-Akademie, die ersten Kontakte zu Ter-Mkrtčian, das Studium in Deutschland und die spätere Tätigkeit in Armenien wurden in der Historiografie im Kontext der deutsch-­ armenischen theologischen Beziehungen und der armenischen Kirchenreform ausgiebig behandelt.81 Nicht rezipiert dagegen wurde bisher die umfangreiche Korrespondenz, die er als Stipendiat mit Ēǰmiaċin führen musste. Diese umfasst vor allem regelmäßige Berichte an den Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie inklusive ausführlicher Darlegungen zu seinen akademischen Aktivitäten während des jeweiligen Semesters. Enthalten sind in der Korrespondenz ferner schriftliche Bestätigungen des Stipendiums, das er von September 1900 bis Oktober 1904 erhielt, sowie Auskünfte über die Drucklegung seiner Dissertation und Anträge auf eine Verlängerung seiner Studienzeit. Ter-Minassians Entscheidung, das Studium in Deutschland fortzusetzen, war nicht nur dem Einfluss von Ter-Mkrtčian zu verdanken. Dieser Schritt war, so Ter-Minassian, auch durch die staatliche Bildungspolitik motiviert, da Absolventen armenischer Mittelschulen an den kaiserlichen Universitäten nicht zugelassen waren.82 Seiner akademischen Ausbildung wurde in Ēǰmiaċin jedenfalls große Bedeutung beigemessen. Kathołikos Mkrtič I. ­Chrimian persönlich äußerte den Wunsch, ihn für das Pädagogikstudium nach England zu schicken, doch die für sein Studium genehmigten 800 Rubel jährlich waren dafür nicht ausreichend. Ter-Minassian selbst hatte Interesse an Geschichte, Philologie und Philosophie, daher wurde beschlossen, dass er in Deutschland Religionsgeschichte studieren und dabei den Schwerpunkt auf die armenische Kirchengeschichte und ihre Beziehungen zu den benachbarten Kirchen legen sollte.83 Bereits die Ausreise bereitete Ter-Minassian jedoch große Schwierigkeiten, da er trotz zahlreicher Versuche die erforderlichen Ausreisepapiere vom Gouverneur in Eriwan nicht bekommen konnte. Mit solchen administrativen Hürden, so Ter-Minassian, wurden die armenischen Geistlichen bei der Ausreise grundsätzlich konfrontiert.84 Die notwendigen Papiere konnte er schließlich 80 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 49, Bl. 10. 81 Vgl. Gazer: Reformbestrebungen; Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«. 82 Nationalarchiv Armeniens. Fond 1, Liste 123, Akte 9397, Bl. 34. 83 Ter-Minassian, Ervand: Hušer im kyank’ic [Erinnerungen aus meinem Leben]. Jerewan 2005, 38. 84 Ebd.

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durch die Vermittlung des Leiters der armenischen Diözese in Bessarabien bekommen und war im September 1900 bereits in Leipzig.85 Die ersten fünf Monate seines Aufenthaltes verbrachte Ter-Minassian damit, seine »geringen Deutschkenntnisse« durch Privatunterricht zu verbessern, um den »für gewöhnlich sehr schnell vorgetragenen Vorlesungen« folgen zu können.86 Danach studierte er Geschichte der christlichen Kirche sowie hebräische Sprache und Altes Testament in Leipzig und Berlin. In einem für Ēǰmiaċin verfassten Zeugnis schrieb sein Lehrer Hermann Guthe unter anderem: […] Er hat durch seinen Fleiß so erfreuliche Fortschritte in diesen Dingen gemacht, dass er gegenwärtig leichte Abschnitte des Alten Testaments aus dem Hebräischen ohne jede Vorbereitung [im Original unterstrichen, d. Vf.] rasch übersetzen kann und das Verständnis eines schwierigen Abschnittes sich mit den gewöhnlichen Hülfsmitteln erschließen kann. Er hat als Mitglied meiner alttestamentlichen Gesellschaft in dem vergangenen Wintersemester 1901/02 eine schriftliche Arbeit angefertigt über das Thema: Bedeutung des Namens Levit im AT bis Ezechiel[,] und damit eine sorgfältige und scharfsinnige Untersuchung geliefert.87

Die Beziehungen zu seinen Professoren, die »mir immer Sympathie und großes Wohlwollen entgegenbrachten«, waren Ter-Minassian zufolge so inspirierend, dass er das Studium trotz aller – vor allem finanzieller – Schwierigkeiten mit dem notwendigen Elan vorantreiben konnte.88 Vor allem zu Hermann Guthe, der »jeden Sommer Urlaub irgendwo in Egypten oder Palestina machte und mich nach der Rückkehr zum gemeinsamen Abendessen mit ›Palestina­ wein‹ einlud«,89 hatte er ein gutes Verhältnis. Mehr noch, als Ēǰmiaċin wegen der Konfiszierung des Kirchenvermögens die Stipendienzahlung an Ter-­ Minassian vorläufig einstellte, bot ihm Guthe finanzielle Unterstützung an, bis sich die Situation in Ēǰmiaċin wieder regeln würde. Auch wandte sich Guthe mit der Bitte an den Prof. Max Heinze, den Vorstand des Konvikts in Leipzig, Ter-Minassian auf die Liste jener Studenten zu nehmen, die kostenlose Mahlzeiten bekamen.90 1904 wurde Ter-Minassian in Leipzig mit dem Thema »Die Beziehungen der armenischen Kirche zu den syrischen bis zum Ende des 6. Jahrhunderts« promoviert und erhielt den Titel »Doktor phil.« ersten Grades. Darauf folgte ein langer Briefwechsel mit Ēǰmiaċin, in dem es zunächst um seine Prüfungskosten, die sich für ausländische Studenten auf 350 Mark beliefen, sodann um 85 Ebd. 86 Ebd., 39. 87 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 49, Bl. 17. 88 Ter-Minassian: Hušer, 40. 89 Ebd. 90 Ebd., 40 f.

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die Druckkosten der Arbeit ging. Die Veröffentlichung in der Reihe Leipziger semitistische Studien sollte wegen »zu vielen osteuropäischen Schriftzeichen« zwischen 400 und 450 Mark kosten.91 Über diese zusätzlichen Ausgaben informierte Ter-Minassian die Akademie bereits im März 1904, noch vor der Abgabe der Arbeit, und erbat darüber hinaus die Erlaubnis, mindestens bis Ende Oktober in Deutschland zu bleiben, um den Druck seiner Arbeit vorzubereiten. Doch im Sommer 1904 wurde er vom Kathołikos aufgefordert, seine Studien unverzüglich zu beenden und nach Ēǰmiaċin zurückzukehren.92 Den Druck seiner Dissertation konnte Ter-Minassian dennoch finanzieren. Laut einer Ausgabenliste des Hl. Synods wurden ihm von März bis Oktober 1904 insgesamt 900 Mark geschickt, davon waren 100 Mark für seine Reisekosten vorgesehen und 200 Mark für die Überführung seiner Bücher. Diese seien für seinen späteren Unterricht an der Akademie unentbehrlich.93 Da die Druckkosten der Dissertation mit dieser Summe nicht gedeckt werden konnten, wandte sich Ter-Minassian mit der Bitte an Adolf Harnack, die Arbeit in der Zeitschrift der Berliner Akademie der Wissenschaften Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altkirchlichen Literatur zu veröffentlichen.94 Harnack, der zu dieser Zeit Redakteur der Zeitschrift war, las den Text »innerhalb von zwei Tagen« und teilte Ter-Minassian seine positive Entscheidung mit.95 In den Monaten Juli, August und September war ich mit dem Druck meines Buches beschäftigt, was ich erfolgreich durch Hilfe von Prof. Heinrich Zimmern, der die zweite Redaktion, vor allem die Korrektur der assyrischen Texte übernommen hatte, zu Ende brachte. Im August überreichte ich der Universität die erforderlichen Kopien und bekam mein Diplom. Im Oktober war ich damit beschäftigt, mein Buch an verschiedene Wissenschaftler zu schicken und um ihre Kritik und Meinungen zu bitten.96

In den Fachkreisen wurde Ter-Minassians Buch nicht nur wohlwollend aufgenommen, er avancierte schnell zu einer gefragten Autorität im Bereich der armenischen und altorientalischen Kirchengeschichte. Seine Schlussfolgerungen bezeichneten die Orientalisten Heinrich Hübschmann und Carl Brockelmann, der Philologe und evangelische Theologe Erwin Preuschen, ja selbst der schweizerische Philologe, Althistoriker und Byzantinist Heinrich Gelzer, gegen dessen Thesen Ter-Minassian argumentierte, als große Leistung nicht 91 92 93 94

Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 49, Bl. 37. Ebd., Bl. 38. Ebd., Bl. 39. Es handelte sich um die erweiterte Fassung seiner Dissertation. Ter-Minassiantz, Ervand: Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zu den syrischen Kirchen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Nach den armenischen und syrischen Quellen bearbeitet. Leipzig 1904. 95 Ter-Minassian: Hušer, 44. 96 Ebd., 45.

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nur im Bereich der Orientalistik, sondern auch der Theologie und Kirchengeschichte.97 Insbesondere Gelzer lobte die Arbeit in hohen Tönen, äußerte gleichzeitig die Hoffnung, dass Ter-Minassians Thesen auch »unter Ihren Landsleuten Wohlwollen erfahren werden, obgleich ich keine Zweifel daran habe, dass viele äußerst unzufrieden sein werden«.98 Gelzer bezog sich damit insbesondere auf Ter-Minassians Fazit, das alle seine Rezensenten99 besonders hervorgehoben hatten: In der Tat ist es von Bedeutung, dass T[er]-M[inassian] hat feststellen können, dass die armenische Kirche bis zum 8. Jahrh. (und genau genommen auch später noch) den julianischen, will sagen, den strengen Monophysitismus gepflegt hat, und zwar ist sie nicht etwa durch Bruch mit früheren Anschauungen dazu gelangt, sondern der Julianismus ist die reife Frucht einer ganz normalen Entwicklung. ›Die armenische Kirche hat sich die Christologie Cyrills tatsächlich angeeignet, aber sie stand nicht auf dem einen Punkte still, sondern hat die ganze Entwicklung innerhalb des Monophysitismus, die mit dem Streit des Severus mit Julian begonnen hatte, durchgemacht‹. Diesen Satz hat T[er]-M[inassian] überzeugend dargetan.100

Im Herbst 1904 wandte sich Ter-Minassian erneut an den Rektor der Akademie mit der Bitte, bis Ostern des folgenden Jahres in Deutschland bleiben zu dürfen, um seine Dissertation noch einmal einzureichen und den akademischen Grad des Lizenziaten zu erlangen. Auf die Prüfungen habe er sich vorbereitet, auch die Arbeit würde »mit Sicherheit von der Theologischen Fakultät angenommen«.101 Doch vom Rektor der Akademie wurde dies mit Hinweis auf die fehlenden finanziellen Mittel abgelehnt, gleichzeitig wurde Ter-Minassian per Telegramm aus Ēǰmiaċin mitgeteilt, er möge auf »Befehl seiner Heiligkeit sofort nach Etschmiadsin kommen«.102

97 Ebd., 47. 98 Ebd. 99 Rezension zu: Ter-Minassianc, Archidiak. Dr. Jerwand: Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zu den syrischen Kirchen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Nach den armenischen und syrischen Quellen bearbeitet. (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, herausgegeben von Oskar von Gebhardt und Adolf Harnack, Neue Folge, Elfter Band, Heft IV). In: Literarische Rundschau für das katholische Deutschland. 1905, 6, 208–210. 100 Rezension zu: Ter-Minassianz, Archidiak. Dr. Jerwand: Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zu den syrischen Kirchen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Nach den armenischen und syrischen Quellen bearbeitet. (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, herausgegeben von Oskar von Gebhardt und Adolf Harnack, Neue Folge, Elfter Band, Heft IV). In: Theologische Literaturzeitung. 1906, 2, 58–60. 101 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 49, Bl. 38. 102 Ebd.

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So sehr es geschmerzt hat, dass ich die Lizenziatenprüfung doch nicht ablegen kann, worauf ich ja schon vorbereitet war, mit Blick auf die finanzielle Situation in Ēǰmiaċin, die Sie geschildert haben, bin ich bereit, diese Angelegenheit, was ich bereits angefangen hatte, unvollendet zu lassen und so bald wie möglich zurückzufahren.103

Noch im Herbst 1904 kehrte Ter-Minassian nach Ēǰmiaċin zurück, wo er sogleich zum Abeła geweiht wurde und erhielt den Status des Vardapet104. Neben der Lehrtätigkeit an der Akademie und Leitung der Druckerei widmete er sich gemeinsam mit Ter-Mkrtčian der Edition und Übersetzung seltener – zum Teil als verschollen geltender – armenischer theologischer Schriften ins Deutsche, welche sie im Matenadaran in Ēǰmiaċin entdeckt hatten. Auch Ter-Minassian setzte sich von Anfang an für die Reformierung des Unterrichts an der Akademie sowie für eine Kirchenreform ein, wobei sich seine Kritik im Laufe der Zeit zunehmend radikalisierte. Durch seine unnachgiebige Haltung provozierte er eine harsche Hetzkampagne105 gegen sich, sodass er 1910 aus dem kirchlichen Stand zurücktrat und sich fortan der pädagogischen und der wissenschaftlichen Arbeit widmete. Den akademischen Grad des Lizenziaten erhielt Ter-Minassian im Jahr 1904 von der theologischen Fakultät der Universität Gießen für dieselbe in Leipzig eingereichte Arbeit aber trotzdem. Darüber wurde er bereits in Ēǰmiaċin von dem Theologen und Kirchenhistoriker Gustav Krüger per Brief aus Gießen informiert. Angesichts des besonderen wissenschaftlichen Werts seiner Dissertation, so Krüger, sei die Prüfung in Gießen ohnehin nur eine Formalität gewesen. Darüber hinaus lagen Empfehlungsschreiben von Albert Hauck und Hermann Guthe vor, sodass Krüger die Theologische Fakultät darum ersuchte, Ter-Minassian honoris causa den Titel des Lizenziaten zu gewähren. Dieser Bitte kam die Fakultät anlässlich des Geburtstags von Martin Luther nach.106 In einem Brief vom 17. November 1904 bedankte sich Ter-Minassian für die besondere Ehre: […] als besonders ehrenvoll muss ich empfinden, dass der Geburtstag des großen Reformators Martin Luther mit meiner Ehrenpromotion verbunden worden ist. Jede Kirche braucht Reformation und Weiterentwicklung, und wenn ich zu meinem Teil dazu beitragen könnte, dass unsere armenische Märtyrerkirche, die schwer unter allen möglichen Verfolgungen leidet und trotz alldem vorwärts strebt, sich weiterentwickele und im Sinne des Evangeliums unseres Herrn Jesu Christi sich reformiere, so würde

103 Ebd. 104 Vardapet ist ein akademischer Titel der armenischen Kirche, der den zölibatären Priestern nach dem Studienabschluss verliehen wird. Vgl. K’ristonya Hayastan, 971 f. 105 Ausführlicher dazu im Kapitel 6.2. 106 Ter-Minassian: Hušer, 51.

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das meiner Überzeugung nach der beste Dank sein, den ich der Hochwürdigen Fakultät der Universität Gießen je aussprechen kann.107

Sowohl Ter-Minassian als auch Ter-Mkrtčian fühlten sich während ihres wissenschaftlichen Wirkens in Ēǰmiaċin nach eigenem Bekunden der armenischen wie der deutschen theologischen Wissenschaft in gleichem Maße verpflichtet und empfanden die Verleihung der theologischen Lizenziatenwürde als eine besondere Ehre. Dies geht eindrucksvoll aus einem weiteren Schreiben Ter-Minassians an den Rektor der Universität Gießen und an die Theologische Fakultät hervor: Seit dem Tage, da mir die hochwürdige Fakultät die theologische Lizentiatenwürde h. c. verliehen hat, habe ich das brennende Verlangen gehabt, meiner aufrichtigen Dankbarkeit irgendwie Ausdruck zu verleihen. Ich bin aber seither so mit den verschiedenen Berufsarbeiten belastet, dass ich nicht daran denken kann, in absehbarer Zeit eine Schrift in deutscher Sprache zu verfassen und als Zeichen der Dankbarkeit dem hochwürdigen Fach zu widmen. Nun habe ich meine Mußestunden dazu benutzt, um gemeinsam mit Herrn Lic. Dr. Karapet Ter-Mkrtschjan die Schrift des alexan­drinischen Patriarchen Timothäus Alurus Widerlegung der auf der Synode zu Chalkedon festgesetzten Lehre aus einer alten, oft zur Unlesbarkeit verdorbenen armenischen Handschrift zu entziffern und mit einem Vorwort herauszugeben. […] Die Namen der armenischen Theologen sind einmal mit den protestantischen theologischen Fakultäten verbunden. Und da die Wissenschaft international ist, deshalb hoffe ich, dass diese armenische mühsame Arbeit der hochwürdigen Fakultät ebenso genehm sein wird, wie eine deutsche.108

Die erwähnte Arbeit beabsichtigten die beiden Wissenschaftler den »hochwürdigen Fakultäten« in Marburg und in Gießen als Zeichen ihrer Dankbarkeit zu widmen.109 Am 25. August 1954 schickte Ter-Minassian einen weiteren Brief an den Dekan der philosophischen Fakultät der Karl-Marx-Universität in Leipzig, um seine Dankbarkeit über die Erneuerung seines Diploms auszudrücken: Tief bewegt, spreche ich der hochwürdigen Philosophischen Fakultät und der gesamten Karl-Marx-Universität Leipzig meinen herzlichen Dank für die aus Anlass meines goldenen Doktorjubiläums erfolgte Erneuerung meines Doktor Diploms aus, das mir vor 50 Jahren, am 20. August 1904 von der Fakultät ausgestellt worden ist. Meine Studienjahre in Leipzig habe ich seitdem nie vergessen und fühle mich nach wie vor mit meiner Alma Mater aufs innigste verbunden.110 107 Matenadaran. Fond Ervand Ter-Minassian, Mappe 239/7, Dok. 62. 108 Ebd., Dok. 61. 109 Ebd. 110 Ebd., Mappe 239/6, Dok. 143.

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4.2.1 Komitas, Husik Zohrabian und Eznik Gyanǰecian

Zu der Generation von Studenten, deren Name mit grundlegenden Erneuerungen an der Ēǰmiaċiner Akademie verbunden war, gehörte freilich auch der bekannte Komponist und Musikwissenschaftler Komitas.111 Im Jahr 1890 wurde er gemeinsam mit Eznik Gyanǰecian, Husik Zohrabian und Benik Ełiazarian zum Diakon geweiht.112 Im Jahr 1893 absolvierte er die Gevorgian-Akademie und war dort als Abt und Gesangslehrer tätig. Bereits während des Studiums hatte Komitas angefangen, vor allem armenische und kurdische Volksmusik zu sammeln und aufzunehmen, und unternahm die ersten Versuche, armenische Melodien nach westlichem Vorbild zu harmonisieren.113 1895 schickte ihn der Kathołikos Mkrtič I. Chrimian nach Tiflis, wo Komitas bis April 1896 bei dem bekannten Komponisten und Musikpädagogen Makar Ekmalian (1856–1905) studierte. Komitas hegte jedoch den ausdrücklichen Wunsch, ein Studium in Deutschland aufzunehmen. Der Kathołikos wandte sich daraufhin persönlich an Alexandr Mant’ašianc, der seine Studienkosten in Höhe von 600 Rubeln jährlich übernahm.114 In Berlin wurde Komitas vom Rektor der Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst Joseph Joachim geprüft und studierte mit dessen Empfehlung an der privaten Musikschule von Professor Richard Schmidt.115 Gleichzeitig war er als ordentlicher Student an der Philosophischen Fakultät der Friedrich Wilhelm Universität eingeschrieben und studierte unter anderem 111 Komitas (Sołomon Sołomonian, 1869–1935) war armenischer Geistlicher, Musikwissen­ schaftler und -ethnologe. Er wurde in Kütahya im Osmanischen Reich geboren und blieb sehr früh ohne Eltern. 1881 kam er nach Ēǰmiaċin und wurde auf Weisung des Kathołikos Gevorg IV. an die Gevorgian-Akademie aufgenommen. Während des Genozids an den Armeniern wurde Komitas verhaftet und in die syrische Wüste vertrieben. Nach erheblichen Protesten europäischer Intellektueller sowie des amerikanischen Botschafters in der Türkei Henry Morgenthau wurde er wieder nach Konstantinopel geholt. Er kehrte jedoch, so eine verbreitete Theorie, in einem psychisch äußerst instabilen Zustand zurück und hörte ab 1916 auf zu schreiben. Komitas kam zunächst in die Psychiatrie in Konstantinopel. Dank der Bemühungen armenischer Intellektueller weltweit, die ein »Rettungskomitee« organisierten und Geld sammelten, wurde er in eine Klinik nach Paris verlegt, wo er 1935 starb. 1936 wurden seine sterblichen Überreste nach Armenien verlegt. Den Namen von Komitas trägt das 1921 gegründete staatliche Konservatorium in Jerewan. Poladian, Sirvart: Komitas Vardapet and His Contribution to Ethno­ musicology. In: Ethnomusicology. 16 (1972), 1, 82–97; Gasparyan, Gurgen: Komitas Vardapet (1869–1935). Jerewan 2009; Ders. (Hg.): Komitasẹ žamanakakicneri hušerum ev vkayut’yunnerum [Komitas in den Erinnerungen und Zeugnissen seiner Zeitgenossen]. Jerewan 2009. 112 Kensagrut’iun Eranašnorh T. T. Garegin A. Kat’ołikos Yovsep’eani, 221. 113 Randhofer, Regina: Komitas und die Berliner Musikwissenschaft. In: 100 Jahre Deutsch-​ Armenische Gesellschaft, 51–66, 53. 114 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 41, Bl. 36. 115 Ebd., Bl. 11–13.

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bei den Musikwissenschaftlern Heinrich Bellermann, Oskar Fleischer und Max Friedländer. Die bereits in der Heimat entwickelte Passion für die Volksmusik blieb für Komitas unter der Führung dieser drei Hochschullehrer, die selbst ein akademisches Interesse in diesem Gebiet hatten, weiterhin Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Oskar Fleischer, ein Experte im Bereich der Neumenforschung und Kenner der musikalischen Paläographie wies ihn darüber hinaus in die notationskundlichen Aspekte der Musik ein.116 1898 wurde durch Oskar Fleischers Initiative in Berlin die »Internationale Musikgesellschaft« gegründet, zu deren Mitgliedern auch Komitas gehörte. Im Rahmen der von dieser Gesellschaft organisierten Sitzungen etwa im Juni 1899 im Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin117 sowie auf den Kongressen 1906 bzw. 1914 in Paris hielt er Vorträge über die armenische Volks- und Kirchenmusik.118 1899 kehrte Komitas nach Ēǰmiaċin zurück, wo er bis zu seinem Weggang nach Konstantinopel im Jahr 1910 eine äußerst fruchtbare Tätigkeit unter anderem als Gesangslehrer an der Gevorgian-Akademie entfaltete. Er bereiste darüber hinaus als Forscher den Kaukasus, um armenische Volkslieder zu sammeln. Zur besonderen wissenschaftlichen Leistung von Komitas im Bereich der armenischen, kurdischen, türkischen und persischen Volksmusik gehörten seine zum Teil gemeinsam mit Manuk Abełian durchgeführten ethno­logischen Untersuchungen. Das Ergebnis dieser Kooperation waren zwei Broschüren, in denen 100 Volkslieder dokumentiert waren.119 Komitas widmete sich zudem der Aufschlüsselung der als Chasen bezeichneten altarmenischen Neumen. Das System der Neumen, ihre Funktion, Logik und ihr Aufbau erläuterte er im ersten Band der Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft.120 Sein wissenschaftliches Interesse galt vor allem den anthropologischen, soziologischen und historischen Aspekten der vergleichenden Musikwissenschaft.121 Komitas führte die europäische Methode der Musiknotation an der Gevorgian-Akademie ein, nutzte und unterrichtete die armenischen Neumen aber weiterhin, vor allem, weil »man für europäische Noten ein Blatt mit fünfzeiligem Liniensystem braucht, während ich unsere Noten leicht auf ein einfaches Blatt Papier kritzeln kann«.122 An der Akademie gründete er einen Chor und trat sowohl mit einer von ihm selbst komponierten vierstimmigen 116 Randhofer: Komitas, 57. 117 Zeitschrift der Internationalen Musik-Gesellschaft. 1 (1899), 1/2, 46–47. 118 Vgl. Poladian: Komitas Vardapet, 83. 119 Abeghjan, M. / Komitas Vardapet (Hg.): Hazar u mi xał. Žołovrdakan ergaran [Tausend und ein Spiel. Volkslieder]. Bände 1–2. Vałaršapat 1904–1905. 120 Komitas: Die armenische Kirchenmusik. I. Das Interpunktionssystem der Armenier. In: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft. 1 (1899), 1, 54–64. 121 Vgl. Poladian: Komitas Vardapet, 84. 122 Vgl. Gasparyan: Komitasẹ, 28

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Liturgie als auch mit Werken europäischer Komponisten auf. Von 1906 bis 1907 unternahm Komitas eine Konzertreise durch Europa, hatte Auftritte in Berlin, Genf, Lausanne, Venedig und Rom und konnte, so Garegin Hovsep’ian im Ararat, die armenische Kirchen- und Volksmusik den Europäern näherbringen.123 In den Jahren 1910 bis 1915 hatte er weitere Konzertauftritte an verschiedenen Orten im Osmanischen Reich und in Persien. Während Komitas unter den armenischen Intellektuellen große Popularität genoss und als »Reformator« der armenischen Musik gefeiert wurde, wurden seine Erneuerungen vom konservativen Klerus mit großen Vorbehalten aufgenommen, ja seine vierstimmige Liturgie als ein Beispiel des Lutherismus diffamiert.124 Seinen Weggang aus Ēǰmiaċin erklärte Ervand Ter-Minassian mit ebendiesem starken Widerstand des höheren Klerus, dem nachgesagt wurde, jegliche – vor allem aus Europa importierte – Neuerung an der Akademie abzulehnen.125 Zeitgleich mit Komitas gingen 1896 zwei weitere Vardapets aus Ēǰmiaċin nach Deutschland, deren Studium aus dem Nachlass des wohlhabenden Armeniers K’ristap’or Grigorian Tumaianc finanziert wurde. Dieser hatte der Humanitären Gesellschaft in Baku 40.000 Rubel vermacht, um das Studium derjenigen Absolventen der Gevorgian-Akademie zu finanzieren, die den gesamten Studiengang abgeschlossen hatten. Die Verwaltung der Akademie beschloss daraufhin, aus den Zinsen des Nachlasses jeweils 800 Rubel jährlich als Stipendium an Husik Zohrabian (1871–1942) und Eznik Gyanǰecian zu vergeben.126 Über das Studium dieser beiden Vardapets, aber auch über die akademische Ausbildung von Komitas liegt im Nationalarchiv Armeniens ebenfalls eine umfangreiche Dokumentation nebst Quittungen über die eingegangenen Stipendienzahlungen, Nachweisen über ihre akademischen Fortschritte, Listen der von ihnen besuchten Vorlesungen sowie den Namen ihrer Professoren vor. Husik Vardapet war zum Zeitpunkt der Genehmigung seines Stipendiums bereits in Deutschland und verbrachte durch die Vermittlung von Garegin Hovsep’ian fast einen Monat in Greifswald beim Pastor Winkler, um Deutsch zu lernen.127 Danach immatrikulierte er sich an der Universität Halle und studierte zunächst dort, dann in Leipzig Theologie. Eznik Vardapet studierte Philologie in Halle, Straßburg, Leipzig und Marburg, wobei er die ersten zweieinhalb Monate seines Aufenthalts in einem pommerschen Dorf verbrachte, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern.128 Bereits im Wintersemester 1896/97 123 124 125 126 127 128

Ararat. 1907, 10/11, 906–909. Gasparyan: Komitasẹ, 49 f. Matenadaran. Fond Ervand Ter-Minassian, Mappe 239/4, Dok. 25, Bl. 13–14. Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 41, Bl. 4. Ebd., Bl. 7–8. Stephan: Karapet Episkopos, 18.

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konnte er sich, wie er selbst später bezeugt hat, problemlos an der Universität Halle immatrikulieren, musste aber weiterhin Privatunterricht in Latein und Altgriechisch nehmen. Wie auch etliche andere Stipendiaten in solchen Fällen entschuldigte sich Eznik in einem seiner Berichte wegen dieses »Abweichens von seinen primären Zielen«.129 In der Zwischenzeit besuchte er »weniger anspruchsvolle und nicht sprachwissenschaftliche« Vorlesungen etwa über die Geschichte der deutschen Literatur oder Philologie der neueren deutschen Literatur.130 In Halle besuchte Eznik nach eigenen Angaben Vorlesungen über die vergleichende Philologie der gotischen und der altdeutschen sowie anderer indogermanischer Sprachen, ferner über die Phonetik und die Grammatik der griechischen Sprache, über die Übersetzung und Interpretation klassischer Sanskrit-Texte sowie über die Geschichte der griechischen Mythologie. 1898 ging er nach Straßburg, um Heinrich Hübschmanns Vorlesungen insbesondere über die vergleichende Grammatik der armenischen und der anderen indogermanischen Sprachen zu hören. Ab dem Wintersemester 1898/99 setzte er sein Studium bis zum Sommersemester 1900 wieder in Leipzig, dann in Marburg fort.131 Mit den Stipendienzahlungen an Husik Zohrabian und Eznik Gyanǰecian traten jedoch alsbald Probleme auf. Die Humanitäre Gesellschaft in Baku stellte die Zahlungen auf einmal ein und begründete dies damit, dass das Stipendium ursprünglich für armenische Geistliche an russländischen Hochschulen vorgesehen worden sei, während sich die beiden Vardapets im Ausland befänden. Diese Entscheidung hing offenkundig damit zusammen, dass sich die Tätigkeit der Humanitären Gesellschaft nach dem vom kaukasischen Statthalter bestätigten Statut auf das Gebiet des Russländischen Reiches zu beschränken hatte.132 Dies bestätigte auch Karapet Ter-Mkrtčian in einem Brief an Friedrich Loofs, in dem er die Lage der beiden Vardapets als äußerst prekär beschrieb.133 Im Oktober 1896 wandte sich die Verwaltung der Akademie mit der Bitte an den Hl. Synod, der Akademie 700 Rubel für die Auszahlung der Stipendien an Husik und Eznik zu leihen.134 Auf dieses Schreiben folgte sogleich Karapet Ter-Mkrtčians Bitte an Friedrich Loofs, für die beiden Vardapets in Deutschland eine finanzielle Unterstützung zu organisieren, weil diese ansonsten schon bald ohne jegliche Mittel dastehen würden:

129 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 41, Bl. 10. 130 Ebd., Bl. 9. 131 Ebd., Bl. 50, Bl. 61 und Bl. 67. 132 Ebd., Fond 28, Liste 1, Akte 294, Bl. 328. 133 Vgl. Stephan: Karapet Episkopos, 17 f. 134 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 41, Bl. 28.

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Was mir heute besonders zum Anlass wird, mit diesem Schreiben Sie zu belästigen, ist die Sache von meinen zwei Freunden, die neulich dorthin gekommen sind, um zu studieren. Beide sind Mönche, Archimandriten und Zöglinge unserer Akademie, nach Deutschland geschickt, um zu Lehrern für die Akademie sich auszubilden. […] Das Unangenehmste bei der Sache ist, dass sie beide bald ohne Unterstützung bleiben und genötigt sein könnten, nach der Heimat zurückzukehren. […] Wenn Sie zum Beispiel so gut sein wollten für den Archimandriten Husik eine freie Pension in Halle ausfindig zu machen, so würden wir schon die paar hundert Rubel für die übrigen Unkosten zusammenbringen. Dasselbe gilt auch für Archim. Esnik, dort in Halle od. in einer anderen Universitätsstadt eine Unterstützung zu finden. Ich kann beide Ihnen besonders empfehlen, das sind prächtige Burschen, die Ihnen, glaube ich, gefallen werden und die Sie in jede Familie getrost hinein führen können.135

In einem weiteren Brief berichtete Ter-Mkrtčian über die anhaltend schwierige Lage der beiden Vardapets: […] Das pekuniäre Verhältnis dieser beiden Archimandriten ist immer noch unsicher und ich fürchte sehr, dass ihr Studium auf dem halben Wege bleibt, aber belästigen möchte ich Sie und andere mit meinen Bitten nicht mehr. Geld hätten wir eigentlich leicht beschaffen können, aber es liegt einmal alles so – Ich hoffte, dass es mir gelingen würde, in diesem Sommer eine Reise nach Europ. Ländern zu unternehmen und unter anderem auch dafür zu arbeiten, dass einige freie Stellen für studierende Armenier geschaffen werden, aber es ist anders gekommen und wir müssen noch auf einen günstigeren Fall warten. Ich bin Ihnen auch schon für alles, was Sie für meine Landsleute gethan haben, von Herzen dankbar.136

Laut den im Nationalarchiv Armeniens erhaltenen Quittungen wurde das Stipendium an Husik und Eznik sowie an Komitas von Oktober 1897 bis September 1900 dennoch regelmäßig ausgezahlt. Für die Studienfinanzierung dieser drei Stipendiaten wurden damit allein in den ersten zwei Jahren insgesamt 2.400 Rubel ausgegeben, von denen 1.700 von der Akademie und 700 vom Hl. Synod stammten.137 Nach dem Aufenthalt in Deutschland absolvierte Husik Zohrabian 1916 einen Fernstudiengang in Jura an der Universität Moskau. Er unterrichtete von 1905 bis 1912 an der Gevorgian-Akademie und von 1913 bis 1917 im ­Lazarev-Institut. Bis 1920 leitete er die armenische Diözese in Nor Naxiǰevan, zwischen 1920 und 1942 war er Leiter der armenischen Gemeinde in Rumänien.138 Eznik Gyanǰecian gab gemeinsam mit dem deutschen Sprachwissenschaftler Franz Nikolaus Finck die Zeitschrift für armenische Philologie heraus. 135 136 137 138

Zitiert nach: Stephan: Karapet Episkopos, 17 f. Ebd., 20. Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 41, Bl. 29. Ōv ōv ē. Band 1, 400.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Zwischen 1903 und 1904 konnten auf Armenisch und Deutsch immerhin zwei Bände im Umfang von über 300 Seiten erscheinen.139 4.2.2 Studienfinanzierung durch den Rat der armenischen Kirche in St. Petersburg

Eine weitere wichtige Institution, die die Finanzierung des Auslandsstudiums zu ihren Aufgaben zählte, war der armenische Kirchenrat in St. Petersburg, der insbesondere das Studium des kirchlichen Nachwuchses in erster Linie in Dorpat, dann aber auch im Ausland förderte. Der Historiker und Byzantinist Nikołayos Adonc140, der dort zu dieser Zeit als stellvertretender Direktor tätig war, berichtete 1903 in einem Brief an den Schriftsteller und Publizisten Aršak Čopanian (1872–1954), dass der Kirchenrat jährlich 17.000 Rubel an Studenten verteilte. Von starren Prinzipien lasse man sich dabei nicht leiten, sondern achte vielmehr auf die Notsituation der Bewerber.141 Als Čopanian sich jedoch für die Förderung eines armen Studenten namens Słerdcian einsetzte, teilte ihm Adonc mit, dass neue Richtlinien etabliert wurden, die helfen sollten, die kirchlichen Mittel fortan sinnvoller zu verteilen. Demnach konnte die Bedürftigkeit als solche nicht mehr als ausschlaggebendes Kriterium für ein Stipendium bzw. eine finanzielle Hilfe angesehen werden. Die armenische Kirche sei die größte und auch die einzige nationale Einrichtung, die bestimmte Verpflichtungen gegenüber der armenischen Gesellschaft habe. Von einer solch bedeutungsvollen Institution sollten nur Personen Hilfe erwarten, die auch glaubhaft machen könnten, dass sie sich ihrem Volk in Zukunft als nützlich erweisen würden. Der von Čopanian empfohlene Student könnte sich bewerben, so Adonc. Sollte er aufgenommen werden, trage Čopanian allerdings in gewissem Maße die Verantwortung dafür, dass der Stipendiat der »Gesellschaft diese Unterstützung in seinem späteren Berufsleben zurückzahlt«.142

139 Handes hayagitut’ean [Zeitschrift für armenische Philologie]. Band 1. und 2. Marburg 1903–1904. 140 Nikołayos Adonc (1871–1942) studierte von 1894 bis 1899 Orientalistik an der St. Petersburger Universität. Weitere Studienaufenthalte hatte er in den folgenden drei Jahren in München, Paris, London und Venedig. Während des gesamten Studiums erhielt Adonc finanzielle Unterstützung von Aleksandr Mant’ašianc. Vgl. Hovhannisyan, Petros: Vit’xari anhatakanut’yun (Profesor Nikołayos Adonci ċnndyan 140-amyaki aṙit’ov) [Eine große Persönlichkeit. (Anlässlich des 140-jährigen Jubiläums von Professor Nikołayos Adonc)]. In: Syunyac Erkir. 2011, 17 (18. Oktober), 4–9, 4–6. 141 Ders.: Nikołayos Adonci antip namakneric [Aus unveröffentlichten Briefen von Niko­ łayos Adonc]. In: Banber Jerewani hamalsarani [Bulletin der Universität Jerewan]. 1988, 3, 87–96, 88. 142 Ebd., 89.

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Da sich der Kirchenrat vor allem mit der Unterstützung bedürftiger Studen­ ten befasste, stammte ein Großteil der Anträge von Personen, die während ihres Auslandsaufenthalts in eine schwierige Situation gerieten. Wie oben bereits erwähnt, war dies in der Regel entweder der falschen Kalkulation der Studienkosten oder unzuverlässigen Zahlungen von Bekannten geschuldet. So erklärte beispielsweise der in München studierende Balasan Arakelov (Arak’elian), dass er vor seiner Abreise zweieinhalb Jahre gearbeitet und Geld gespart habe, um in Deutschland zu studieren. Doch sehr bald stellte er fest, dass das gesparte Geld nicht ausreichen würde, um das Leben und Studium in München zwei Jahre lang zu finanzieren. Da die Wohltätige Gesellschaft, wie oben bereits erwähnt, seinen Antrag ablehnte, wandte er sich 1893 an den Kirchenrat mit der Bitte, ihm für die nächsten zweieinhalb Jahre ein Stipendium von 40 Rubeln monatlich zu gewähren.143 Der positive Entscheid des Kirchenrats hing von dem Nachweis der Bedürftigkeit des Bewerbers ab bzw. von der Bescheinigung einer Einrichtung oder einer vertrauenswürdigen Person. Daher verfassten oft andere Studenten entsprechende Empfehlungsschreiben für ihre Kommilitonen. Im Jahr 1900 wandten sich beispielsweise zehn Studenten der Universität Dorpat an den Kirchenrat, um für den Medizinstudenten Melk’on Abałian ein Stipendium in Höhe von 25 Rubeln monatlich zu erwirken. Dieser habe sich bislang mit Gelegenheitsarbeiten finanzieren können, befinde sich nun aber in einer sehr schwierigen Lage.144 Hovsep’ Mirzoian, ein anderer Student aus Leipzig, schilderte in einem drei Seiten langen Brief die Verdienste seines Kommilitonen Hayk Hovhannissian, der Mitglied des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig war und sich ebenfalls Hilfe suchend an den Kirchenrat gewandt hatte. Hovhannissian habe bereits 10 Jahre in armenischen Schulen gearbeitet und sei in seiner Freizeit als Publizist tätig gewesen. Durch diese Aktivitäten habe er sich bereits jetzt um sein Volk verdient gemacht, daher möge der Kirchenrat ihm die notwendige Hilfe zukommen lassen.145 Nachdem sowohl Mirzoians Schreiben als auch Hovhannissians eigener Antrag ohne Antwort blieben, verfasste die armenische Studentenschaft in Leipzig einen weiteren Brief, in dem abermals ­Hovhannissians Verdienste um das armenische Bildungswesen hervor­gehoben wurden. Weiter hieß es dort, die armenischen Studenten in Leipzig hätten Hovhannissian im Rahmen ihrer Möglichkeiten immer wieder geholfen, doch für den Abschluss seines Studiums bräuchte dieser mindestens für weitere zwei Jahre eine regelmäßige Finanzierung:

143 Nationalarchiv Armeniens. Fond 399, Liste 1, Akte 311, Bl. 1. 144 Ebd., Akte 161, Bl. 1. 145 Ebd., Akte 351, Bl. 32–35.

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Stipendien für das Auslandsstudium

[…] wer sollte denn dafür Sorge tragen, Armenier oder die Chinesen? Wir denken, die Armenier! Wessen Aufgabe sollte es sein, der armenischen Intelligenzija oder derjenigen ungebildeten Menschen, die durch einen glücklichen Zufall zum Millionär geworden sind? Wir denken der Intelligenzija! Derjenigen also, die über finanzielle Mittel und über die Möglichkeit verfügen, diese Mittel für einen bestimmten Zweck sinnvoll zu verwenden.146

Zu dieser letzten Kategorie zählten die Verfasser des Briefes auch den Kirchenrat in St. Petersburg, dessen Pflicht es sei, den notleidenden Studenten Hilfe zukommen zu lassen.147 1901 wandte sich auch der spätere Wirtschaftswissenschaftler und Publizist Baxši Išxanian (1879–1921), der an der Universität sowie an der Handelshochschule in Leipzig Landwirtschaft studierte, an den Kirchenrat in St. Petersburg. Sein Studium finanzierte er mit den 30 Rubeln, die ihm sein Bekannter Tigran Bekzadian aus Baku monatlich zur Verfügung stellte. Dieser Betrag sei jedoch so gering, dass er sich im Augenblick »in Krallen furchtbarer Not« befinde und häufig hungern müsse. In einer Stadt, wo man von »kaltherzigen« Deutschen umgeben sei und wo es keine armenischen Familien gibt, könne man von keiner Seite Hilfe erwarten.148 Da seine Studienkosten demnächst sogar noch zunehmen würden, bat Išxanian um ein Stipendium von 15 Rubeln monatlich bzw. 80 Rubeln pro Semester. Seiner Bewerbung legte er die vom Kirchenrat verlangte Armutsbescheinigung bei, ferner Bekzadians Bestätigung, dass dieser den Antragsteller monatlich mit 30 Rubeln unterstütze, des Weiteren Empfehlungsschreiben seiner Lehrer, in denen auf seine guten Studienleistungen verwiesen wurde. In seinem positiven Bescheid sicherte der Kirchenrat Išxanian 90 Rubel pro Halbjahr zu. Das Geld sollte am Anfang jedes Semesters ausgezahlt werden, da auch in Leipzig nunmehr die preußische Regelung Geltung besitze, die Studiengebühren zu Beginn des Semesters zu entrichten.149 Die äußerst unregelmäßig eingehenden Zahlungen brachten Išxanian jedoch, wie er selbst betonte, in eine so schwierige Situation, dass er für seine Briefe an den Kirchenrat, in denen er wiederholt um die Auszahlung des Stipendiums und außerdem um dessen Erhöhung bat, nicht einmal Briefmarken kaufen konnte. Zwar wurde sein Stipendium tatsächlich erhöht und betrug nunmehr 25 Rubel monatlich, die stets verspätet eintreffenden Zahlungen bereiteten ihm jedoch weiterhin große Schwierigkeiten: Ich bitte den hochwürdigen Kirchenrat, Erbarmen mit meinem unglücklichen Zustand zu haben und mir das von Euch selbst gewährte Stipendium möglichst schnell zu 146 Ebd., Bl. 43. 147 Ebd. 148 Ebd., Akte 490, Bl. 1. 149 Ebd., Bl. 7.

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schicken. Was soll ich machen? Mit welchen Mitteln soll ich in meiner erbärmlichen Lage in dieser fremden und kaltherzigen Umgebung überleben? An wen könnte man sich wenden, bis ich von Euch eine Antwort erhalte? An niemanden! Ich bitte noch einmal darum, Erbarmen zu haben und mir, so schnell es geht, das Stipendium zu schicken.150

1904 zog Išxanian für weitere drei Semester nach Berlin, wo die Wirtschaftslehre seinen Ausführungen zufolge auf einem höheren Niveau als in Leipzig unterrichtet wurde. Die unregelmäßige Korrespondenz mit dem Kirchenrat bzw. die verspäteten Stipendienzahlungen und seine eigene äußerste Not blieben aber auch dort und bis zum Ende seines Studiums Gegenstand der an Kirchenrat gerichteten Briefe. Išxanian beteiligte sich während des Studiums aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben der armenischen Studenten in Europa und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der »Sozial-Demokratischen Armenischen Arbeiterorganisation« (ASDAO) in Genf, die unter dem Namen »Spezifiken« in die Geschichte eingehen sollte.151 Er korrespondierte mit mehreren armenischen Zeitungen und übersetzte nebenbei das Werk »Lohnarbeit und Kapital« von Karl Marx ins Armenische.152 Nach der Rückkehr in die Heimat übernahm Išxanian 1905 die Redaktion des Organs der Spezifiken Kyank’ (Das Leben), wurde jedoch bald revolutionärer Umtriebe beschuldigt und verhaftet. Die Jahre 1911–1913 verbrachte er wieder in Leipzig, bevor er in der Ersten Armenischen Republik die Leitung des Statistischen Amtes übernahm. 1921 starb er auf dem Weg über Iran nach Europa.153 Ein weiteres  – von 94 Personen unterzeichnetes  – Ersuchen, diesmal für den in Leipzig studierenden Aršak Širinian, leitete die Gemeinde Šinuhayr in der Provinz Zangezur dem Kirchenrat in St. Petersburg zu. Die Gemeindemitglieder hatten zuvor bereits Arak’el Ċaturian gebeten, Širinians Studium zu finanzieren. Doch mit den 30 Rubeln, die dieser daraufhin monatlich zur Verfügung stellte, sei es nicht möglich, in Deutschland zu leben und zu studieren. Unter Verweis auf die extreme Armut von Širinians Familie baten die Unterzeichner den Kirchenrat, ihm eine Aufstockung des Stipendiums zu gewähren.154 Širinians Fall war besonders bemerkenswert: Bereits im Schulalter wurde er von der Gemeinde seines Heimatorts für eine akademische Ausbildung aus150 Ebd., Bl. 20. 151 Vgl. Hakobyan, A. M.: »Specifikner« (1903–1918). (Gałap’araxosut’yun, ċragir, gorċu­ neut’yun) [»Spezifiken« (1903–1918). (Ideologie, Programm, Tätigkeit)]. In: LHG . 1997, 2, 34–47. 152 Marx, Karl: Varju ašxatank’ ev kapital. T’argm. Baxši Išxanian [Lohnarbeit und Kapital. Übersetzt v. Baxši Išxanian]. Žnev 1904. 153 Ōv ōv ē. Band 1, 460. 154 Nationalarchiv Armeniens. Fond 399, Liste 1, Akte 913, Bl. 2.

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erwählt. Seine Studienkosten in der Parochialschule in Šuši übernahm Bischof Hovhannes Ayvasian, der damalige Leiter der armenischen Diözese Arzach.155 In dem ohnehin schon von Armut geprägten Dorf, so in dem Schreiben an den Kirchenrat, hätten die bereits einige Jahre andauernden schlechten Wetterbedingungen die Not noch verschlimmert. Dass der Ort über keine ausgebildeten Fachleute verfügte, die den Bewohnern in landwirtschaftlichen Fragen mit Rat und Tat zur Seite stehen könnten, aber auch generell die fehlenden Bildungsmöglichkeiten wurden als zusätzliche Erschwernisse beschrieben. Širinians Hochschulstudium sollte diesem Zustand abhelfen. Daher wurde er von den anderen Dorfbewohnern zum Studium der Landwirtschaft nach Leipzig geschickt, um nach dem Studium zurückzukehren und in seinem Heimatort zu wirken.156 Der Kirchenrat nahm den Antrag wohlwollend entgegen und gewährte Širinian ein Stipendium in Höhe von 180 Rubeln jährlich.157 Doch auch Širinian hatte unter unregelmäßigen Zahlungen zu leiden und ersuchte den Kirchenrat zudem wiederholt, die Stipendienzahlungen an die in Deutschland geltenden Fristen für die Zahlung der Studiengebühren anzupassen. Diese waren bis zum 20. Juni für das Sommersemester und bis zum 20. Dezember für das Wintersemester zu entrichten. Da der Kirchenrat auf diese Gesuche nicht reagierte, wurde Širinian zweimal sogar zwangsexmatrikuliert. Doch nicht nur das: Seine an den Kirchenrat gerichteten Anträge, ihm das Stipendium früher zu schicken, die Prüfungskosten zu übernehmen bzw. ihm die Möglichkeit zu geben, sich noch ein weiteres Jahr mit der praktischen Landwirtschaft zu beschäftigen, wurden allesamt abgelehnt. Širinian schickte daraufhin einen ausführlichen Brief an die Gemeindemitglieder in seinem Herkunftsdorf und teilte ihnen mit, dass er das Studium unter den gegebenen Umständen möglichweise vorzeitig abbrechen müsse. Diese wandten sich daraufhin ihrerseits mit der Bitte an den Kirchenrat, Širinian die Weiterführung des Studiums zu ermöglichen. Doch auch dieser Antrag wurde abgelehnt.158 Eine etwas ungewöhnliche Bewerbung erhielt der Kirchenrat von Hakob Grigorian, der nach dem Abschluss der Realschule in Eriwan ein Jahr in der örtlichen Bierfabrik gearbeitet hatte. Ein Gehalt habe er dort nicht bekommen, vielmehr habe man ihm versprochen, seine Ausbildung an der Münchener Bierakademie zu finanzieren. Doch die Inhaber der Fabrik lösten diese Zusage, so im Brief weiter, nicht ein, daher ging Grigorian mit finanzieller Unterstützung eines wohlhabenden Armeniers nach Leipzig. Sein Monatsbudget von 30 Rubeln reichte zum Zeitpunkt seines Antrags gerade noch aus, um Deutsch zu lernen, für die Ausbildung an der Bierakademie benötigte er 155 Ebd. 156 Ebd. 157 Ebd., Bl. 15. 158 Ebd., Bl. 41–42.

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jedoch fortan 150 Rubel monatlich. Zunächst lehnte der Kirchenrat Grigorians Antrag ab, willigte jedoch letztendlich ein, ihm die notwendigen 150 Rubel ab Januar 1903 zur Verfügung zu stellen.159 Ab 1905 häuften sich beim Kirchenrat Anträge von den an russländischen Universitäten studierenden Armeniern, die dem revolutionären Aufruhr durch einen Wechsel an deutsche Universitäten zu entkommen versuchten. Die derzeitigen politischen Ereignisse, so Isahak Ter-Łazarian, der an der historisch-philologischen Fakultät in Moskau studierte und Stipendiat des Kirchenrats war, hätten die Universitäten in Zentren des politischen Aufruhrs verwandelt, während das Studium selbst vernachlässigt werde. Die Studentenschaft beteilige sich nicht nur am revolutionären Kampf, sondern stehe sogar an der Spitze dieser Bewegung. Dies sei einerseits verständlich, da dies nun einmal ihre gesellschaftliche Berufung sei. Andererseits raube die ständige Einstellung des Universitätsbetriebs anderen Studenten kostbare Zeit und verhindere einen regelmäßigen akademischen Unterricht. Ter-Łazarian beabsichtigte daher, nach Deutschland zu gehen, und hoffte auf die Zustimmung des Kirchenrats.160 Tatsächlich ging er noch im selben Jahr zunächst nach Berlin, wo er Kameralia studierte, immatrikulierte sich dann aber an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig. Da er sich in seiner Dissertation mit der Finanzverfassung der armenischen Kirche beschäftigen wollte, bat er den Kirchenrat um die Erlaubnis, nach Ēǰmiaċin zu reisen, um dort Material zu sammeln. Das für diese Reise notwendige Geld und die Prüfungskosten in Höhe von 600 Mark erhoffte es sich ebenfalls vom Kirchenrat.161 Die hier beschriebenen Fälle sind nur einige Beispiele von mehr als eintausend Bewerbungen, die ab den 1870er Jahren und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei der Verwaltung des Kirchenrats eingingen. Die meisten Anträge stammten von Studenten aus Dorpat, doch auch aus Deutschland und der Schweiz gab es zahlreiche Bewerbungen. Die meisten der Antragsteller bekundeten in ihrer Bewerbung die Bereitschaft, nach dem Studium entweder in den Dienst der armenischen Kirche zu treten oder an den Schulen zu lehren, was vor allem darauf abzielte, das Wohlwollen des Kirchenrats zu gewinnen. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sich offenbar auch armenische Studentinnen aus St. Petersburg mit der Bitte um ein Stipendium an den Kirchenrat wandten. Welche Anträge letztlich positiv beschieden wurden und welche Motive den entsprechenden Entscheiden zugrunde lagen, ist dem Quellenmaterial, von einigen gut dokumentierten Fällen einmal abgesehen, nicht immer zu entnehmen.

159 Ebd., Akte 394, Bl. 1–4. 160 Ebd., Akte 492, Bl. 17. 161 Ebd., Bl. 93–94.

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4.2.3 Weitere Spenden

Im Laufe der 1890er Jahre wurden der Humanitären Gesellschaft in Baku, der Wohltätigen Gesellschaft in Tiflis bzw. Ēǰmiaċin direkt weitere Spenden und Nachlässe für die Unterstützung des Hochschulstudiums an den russländischen Universitäten, aber auch im Ausland vermacht. Einige dieser Zuwendungen seien im Folgenden knapp skizziert, wobei Angaben über die ausgewählten Stipendiaten meistens fehlen. 1896 erhielt Ēǰmiaċin finanzielle Mittel von den Kindern des oben bereits erwähnten Ölindustriellen in Baku Grigor Tumaianc, der verfügt hatte, 75.000 Rubel aus seinem Nachlass für wohltätige Zwecke zu spenden. Nach seinem Tod stellten seine neun Söhne und Töchter den armenischen Lehranstalten und Kirchen insgesamt 83.000 Rubel zur Verfügung.162 Unter anderem wurden 5.000 Rubel an das Nersesian-Seminar gestiftet, wobei mit den Zinsen im Namen des verstorbenen Ehepaares Stipendiaten eine geistliche Ausbildung erhalten sollten. Die Schulleitung verpflichtete sich, dem Kathołikos regelmäßig über die Auswahl der Stipendiaten zu berichten. Weitere 30.000 Rubel wurden der Humanitären Gesellschaft in Baku übertragen, um das Studium der Absolventen der Gevorgian-Akademie im Ausland zu finanzieren. Alle wichtigen Entscheidungen über die Auswahl der Stipendiaten, das Studienfach und die Studiendauer sowie über die Verpflichtungen, die die Stipendiaten ihrerseits eingehen sollten, waren allein dem Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie bzw. dem Kathołikos überlassen. Für den Fall, dass die Humanitäre Gesellschaft nicht mehr existieren oder verboten werden sollte, sollte die ganze Summe dem Ēǰmiaċin bzw. dem Hl. Synod zur Verwahrung übergeben werden, wobei sich die Bedingungen für die Vergabe des Stipendiums nicht verändern durften. Mit den Zinsen weiterer 5.000 Rubel sollte stets ein Stipendiat an der Gevorgian-Akademie unterhalten werden, dessen Auswahl der Pädagogische Rat in der Zeitschrift Ararat verkünden sollte. Darüber hinaus wurden 3.000 Rubel zur Unterstützung einer Schülerin an einer Realschule zum Gedenken an die zusammen mit den Eltern verstorbene Schwester gestiftet, die Hl. Erleuchter Kirche erhielt 5.000 Rubel für die Unterstützung der armenischen Mädchenschule in Baku. Weitere kleinere Summen wurden für den Bau bzw. für die Restaurierung renovierungsbedürftiger Kirchen zur Verfügung gestellt. Der direkte Adressat der Spenden war der Kathołikos, unter dessen Aufsicht sowohl die Auswahl der Stipendiaten als auch der Bau von Schulen und Kirchen erfolgen sollte.163 Im Jahr 1896 bekam die Humanitäre Gesellschaft weitere 10.000 Rubel von Hovakim Isahakian Adamianc, einem anderen armenischen Kaufmann aus 162 Grigor Hayrapetian Tumanianc und seine Frau starben bei einem Schiffsunglück im Schwarzen Meer. Vgl. Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 958, Bl. 3. 163 Ebd., Bl. 3–4.

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Baku. Mit den Zinsen aus dem Vermächtnis, etwa 450 bis 500 Rubel jährlich, sollte das Auslandsstudium des besten Absolventen der Gevorgian-Akademie finanziert werden. Die Gesellschaft wandte sich daraufhin an den Kathołikos mit der Bitte, einen Absolventen der Akademie auszuwählen, der bereits ab dem kommenden September im Ausland studieren könne. Obgleich die Humanitäre Gesellschaft auch selbst bereits Anträge erhalten habe, kenne man dort die Antragsteller nicht und überlasse daher die »Wahl der Stipendiaten ganz dem Wunsch Seiner Heiligkeit«. Das jährliche Stipendium wurde dem Pädagogischen Rat direkt zur Verfügung gestellt.164 1889 unterbreitete der armenische Oberst Alexandr Melik’-Haykazian dem Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie das Angebot, auf eigene Kosten und »als Pflichterfüllung meiner Heimat gegenüber so lange ich noch lebe«,165 das Studium von jährlich zwei Absolventen der Akademie für zwei Jahre im Ausland zu finanzieren. Dabei verpflichtete er sich, je 100 Rubel für die Hin- und Rückreise sowie 300 Rubel jährlich für die laufenden Kosten zur Verfügung zu stellen. Da diese Summe jedoch für das Leben und Studium im Ausland nicht ausreichend war und man, so die Antwort des Pädagogischen Rats, mindestens 840 Rubel dafür brauchte, schränkte Melik’-Haykazian sein Angebot ein: […] wenn die Gevorgian-Akademie in der Lage wäre, sich an diesem guten Unter­ fangen finanziell zu beteiligen, könnte ich meinen Vorschlag weiterhin aufrechterhalten. Ansonsten muss ich leider mitteilen, dass es mir nicht möglich sein wird, jährlich zwei Studenten im Ausland zu unterhalten und ihnen 840 Rubel zu zahlen, weil das Geld bereits so streng ausgeteilt ist, dass die Finanzierung mehrerer Kreisschulen, der Unterhalt dutzender Schüler in den heimischen, russischen und sogar ausländischen Schulen sichergestellt ist. Damit ich diese Schüler nicht der einzigen Bildungsmöglichkeit beraube, verpflichte ich mich, nur einen Absolventen der Gevorgian-Akademie auf meine Kosten mit der von Ihnen genannten Summe im Ausland, in Deutschland oder in England, zu unterhalten, wobei es ganz dem Stipendiaten überlassen sein soll, in welchem Studienfach er sich weiterbilden möchte. Nach seiner Rückkehr in die Heimat soll ein anderer Stipendiat diese Summe für seine Weiterbildung bekommen.166

Daraufhin beschloss der Pädagogische Rat, Sargis Ter-Gabrielian, der die Akademie zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen hatte, zum Studium der Theologie und der allgemeinen Kirchengeschichte nach Deutschland zu schicken. Dieser verpflichtete sich, sowohl der Akademie als auch Melik’-­ Haykazian regelmäßig über sein Studium zu berichten und nach dem Abschluss entweder an der Akademie oder an einer armenischen Schule zu 164 Ebd., Bl. 2. 165 Ebd., Akte 21, Bl. 113. 166 Ebd., Bl. 5.

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unterrichten. Seinerseits verpflichtete sich Melik’-Haykazian, ihm jährlich 840 Rubel für das Studium zu überweisen.167 Im Jahr 1908 informierte Mšak seine Leser, dass der im selben Jahr in Tiflis verstorbene armenische Kaufmann Mirzaǰan Xačatreanc insgesamt etwa 100.000 Rubel hinterlassen hatte. Ein beachtlicher Teil dieser Summe wurde dem Hl. Synod in Ēǰmiaċin übergeben; mit den Zinsen sollten Absolventen der Gevorgian-Akademie bzw. anderer armenischer Schulen an russländischen und europäischen Universitäten unterstützt werden. Die Auswahl der Stipendiaten war dem Hl. Synod überlassen.168 Zahlreiche weitere Hinweise über die der Kirche, den Schulen oder den humanitären Gesellschaften hinterlassenen Spenden und Stiftungen wurden regelmäßig auch in anderen armenischen Zeitungen veröffentlicht.

4.3 Das Notwendige Liebeswerk Durch das Studium von Karapet Ter-Mkrtčian und seiner Kommilitonen in Deutschland gerieten die höhere Ausbildung der armenischen Geistlichen sowie die daraus resultierende Debatte um die innere Reform ihrer Kirche in besonderer Weise ins Zentrum der Aufmerksamkeit der deutschen Theologen. Auf den Seiten der Zeitschrift Die Christliche Welt war das Thema Armenien seit den 1890er Jahren omnipräsent, wobei nicht nur die politische Lage der Armenier in den beiden Imperien im Mittelpunkt stand, sondern auch der Zustand der armenischen Kirche und die Notwendigkeit ihrer Reform.169 Diese Themen behandelte in drei Artikeln Paul Rohrbach, der die Hochschulbildung der armenischen Geistlichen in den direkten Zusammenhang mit der Kirchenreform stellte. Unter dem Titel »Was der armenischen Kirche not thut« beschrieb Rohrbach ausführlich, wie es in religiöser Hinsicht um diese Kirche bestellt war, die beiden folgenden Artikel behandelten die inneren und die äußeren Schwierigkeiten, die eine Kirchenreform behinderten.170 Das Grundproblem, unter dem die armenische Kirche und Nation litten, war laut Rohrbach ihr Mangel an Kultur. Die Lösung sah er entweder in der Vereinigung der armenischen mit einer anderen »überlegenen, kulturtragenden« Kirche, was er aber für gänzlich abwegig hielt, oder aber in einer 167 Ebd., Bl. 1. 168 Mšak. 36 (1908), 286, 1. 169 Zur thematischen Bibliografie zu Armenien in der ChW siehe Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 444–486. 170 Rohrbach, Paul: Was der armenischen Kirche not thut. In: ChW. 12 (1898), Sp. 33–37; Ders.: Innere Schwierigkeiten in der armenischen Kirche. In: Ebd., Sp. 85–88; Ders.: ­Äußere Schwierigkeiten für die armenischen Reformbestrebungen. In: Ebd., Sp. 105–111.

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»kulturellen Hebung« des armenischen Volkes selbst.171 Beides, sowohl die notwendige Reform der Kirche als auch der »geistige Aufschwung« des armenischen Volkes, waren, so Rohrbach, von einer besseren Volksbildung sowie der »Reform des Pfarrklerus« abhängig.172 Doch in Ēǰmiaċin war seiner Ansicht nach recht wenig Verständnis für die Notwendigkeit einer gründlichen theologischen Ausbildung und der wissenschaftlichen Arbeit vorhanden, wenn auch der armenische Kathołikos Mkrtič I. Chrimian durchaus freundlich gegenüber dem Wirken der in Europa ausgebildeten Theologen gestimmt war.173 Die Hauptschwierigkeit sah Rohrbach vielmehr in dem Misstrauen, es könnten durch die Verbindung zur evangelischen Kirche »dogmatische Ketzereien, ja womöglich gar eine verkappte protestantische Propaganda« in die armenische Kirche eingeschleppt werden.174 Diese Zweifel seien aber unbegründet, denn »[…] ein armenischer Theologe kann deutsche Theologie studieren, ohne darum ein Fremder in seiner angestammten Kirche werden zu müssen«.175 In jedem Fall führe der Weg zur inneren Reform der armenischen Kirche über die deutschen Universitäten. Dass im Russländischen Reich in absehbarer Zeit eine höhere Lehranstalt für die theologische Ausbildung der Armenier zur Verfügung stehen würde, hielt Rohrbach für unwahrscheinlich, daher sei es notwendig, »dass fortlaufend ein Stamm von in Europa geschulten theologischen Lehrern unterhalten wird  […]«.176 Die evangelischen Fakultäten in Deutschland und in der deutschsprachigen Schweiz waren nach seiner Auffassung für diesen Zweck am besten geeignet. Mit einer Beteiligung von Ēǰmiaċin an der Finanzierung des Auslandsstudiums der armenischen Theologen rechnete Rohrbach dabei genauso wenig wie mit der Unterstützung von vermögenden Armeniern. Diese seien zwar durchaus willens, sich für die allgemeine Volksbildung einzusetzen, ihre Hilfsbereitschaft gelte jedoch vor allem der Ausbildung in praktischen oder technischen Fachrichtungen.177 Als ein weiteres Hindernis sah Rohrbach die Einstellung des fortschritt­ lichen Teils der armenischen Gesellschaft an, die unter der Ägide von Mšak eine ausschließlich »weltliche Bildung« propagierte und die geistliche Ausbildung vernachlässigte bzw. sogar ablehnte.178 Noch gravierender sei jedoch die politische Lage der Armenier zwischen den türkischen »Scheußlich­keiten mit Feuer und Schwert« und den »Entnationalisierungsversuchen« des Zaren171 Ders.: Was der armenischen Kirche not thut, Sp. 34. 172 Ebd., Sp. 36. 173 Ders.: Innere Schwierigkeiten, Sp. 86. 174 Ebd. 175 Ebd., Sp. 87. 176 Ebd., Sp. 87 f. 177 Ebd., Sp. 87. 178 Ders.: Äußere Schwierigkeiten, Sp. 105 f.

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reichs.179 So versuche etwa die russische Regierung, das Auslandsstudium der Armenier zu erschweren, indem sie Stipendienzahlungen an die in Deutschland studierenden Kleriker verbot.180 Die grundsätzliche Frage, die Rohrbach angesichts dieser Schwierigkeiten formulierte, lautete, ob es unter diesen Umständen gelingen würde, die »zum Werke nötigen geistigen Kräfte auszubilden«?181 Für Rohrbach stand außer Frage, dass die Ausbildung der armenischen Theologen an deutschen Hochschulen eine Voraussetzung für die innere Reform der armenischen Kirche, aber auch für einen fundierten theologischen Unterricht an der Gevorgian-Akademie war. Diese Ansicht teilten auch die in Deutschland bereits ausgebildeten armenischen Theologen, die ihrerseits Studienaufenthalte weiterer Absolventen der Gevorgian Akademie an deutschen Hochschulen beförderten. Gerade Karapet Ter-Mkrtčian setzte sich nach der Rückkehr in die Heimat dezidiert dafür ein, den armenischen Geistlichen ein Studium in Deutschland zu ermöglichen und damit eine Grundlage für die innere Reform der armenischen Kirche zu schaffen. Als die unsichere finanzielle Lage der Vardapets Husik und Eznik den konkreten Anlass lieferte, wandte sich Ter-Mkrtčian wie erwähnt mit der Bitte an Friedrich Loofs, an deutschen Universitäten »einige freie Stellen für studierende Armenier« zu schaffen.182 Dabei führte er die Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Auslandsstudiums auf den Strom armenischer Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich zurück. Auf deren Unterstützung seien sämtliche finanziellen Mittel der Kirche gerichtet, sodass das Auslandsstudium nicht mehr von der Kirche allein getragen werden könne.183 Ter-Mkrtčians Bitte traf bei Loofs auf ein offenes Ohr. In der ChW veröffentlichte er einen Artikel, in dem er die Notwendigkeit dieser Unternehmung umfassend diskutierte und auch gleich einen Plan darlegte, wie die für armenische Studenten gesammelten Gelder verwendet werden könnten. Loofs erachtete es für sinnvoll, sollte eine nennenswerte Summe zusammenkommen, diese einer Körperschaft, etwa einer theologischen Fakultät zu überweisen. Die Zinsen könnten dann zur Finanzierung des Studiums armenischer Theologen dienen bzw. für »Studien über orientalische Kirchenverhältnisse und dergleichen« ausgegeben werden.184 Für denselben Zweck, »endlich praktische Hilfe« für armenische Studenten zu organisieren, hatte sich auch Martin Rade ausgesprochen:

179 Ebd., Sp. 108. 180 Rohrbach meinte wohl die Einstellung der Zahlungen an Husik und Eznik, was aber, wie erwähnt, mit der Satzung der Wohltätigen Gesellschaft in Baku zusammenhing. 181 Ders.: Äußere Schwierigkeiten, Sp. 110. 182 Zitiert nach: Stephan: Karapet Episkopos, 68. 183 Ebd., 69. 184 ChW. 10 (1896), Sp. 1217.

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Auf deutschen Universitäten studieren Armenier auch Theologie. Sie sind zu uns geschickt, um neue Erkenntnisse, neues Leben mit Heim zu bringen zur Belebung eines alten erstarrten Kirchenwesens. Man hat sie zu diesem Zweck von der Heimat aus erhalten. Nun aber versiegen dort die Quellen. Bitterste Not in nächster Nähe, tödlicher Hunger wollen gestillt sein. Auch die russischen Armenier, die unter uns studieren, sehen sich im Stich gelassen, weil die Ihrigen daheim alle Kräfte für die Volks- und Glaubensgenossen in der Türkei anspornen müssen. Wir eröffnen daher eine besondere Sammlung für die darbenden in Deutschland studierenden Armenier, vornehmlich für die Theologie studierenden. […] Gerade akademische Kreise sollen sich dieser Sache besonders annehmen.185

Diese Ankündigung in der ChW, womit die Angelegenheit praktisch in die Öffentlichkeit getragen wurde, war für Karapet Ter-Mkrtčian  – auch wenn er selbst die Initiative ergriffen hatte – offenbar eine große Überraschung. In einem Brief an Friedrich Loofs bat er nachdrücklich um Diskretion: […] Als ich Ihnen den Brief mit der Bitte um Unterstützung schrieb, da hatte ich nicht im Sinne, dass eine öffentliche Frage daraus sich entwickeln könnte. Ich dachte nur an Eventualitäten, und wenn solche sich nicht einstellten, mir lag es fern, Ihnen zuzu­muten, dass Sie weitere Sorgen auf sich nähmen. Darum war ich nicht wenig erschrocken, als ich die Anmerkung in der Christlichen Welt, vollends Ihren schönen Brief, an dem ich sonst viel Freude hatte – zu lesen bekam. Sie haben ja selbst richtig bemerkt, welche Gefahren mit der ganzen Unternehmung verbunden sind. Uns mangeln eigentlich nicht die Geldmittel, sondern die richtigen Organe sie aufzubieten und zu verwenden. Man giebt (sic!) uns, auch in hoher Stelle mehr noch als man Sinn dafür hätte, die Sache direkt zu befördern. Solange nun der jetzige Rektor bei der Zeitung der Akademie bleibt, und ich bei ihm, werden wir natürlich alles tun, damit unsere Freunde dort ihre Studien ruhig fortsetzen. Die Verhältnisse können aber sehr leicht sich ändern, gleich in diesem Jahre, und dann kann es vorkommen, dass man sie zurückruft auch im Falle, wenn sie materiell sichergestellt sind.186

Das gesamte Unternehmen könnte, so Ter-Mkrtčian, schnell in ein zweifelhaftes Licht geraten, sollte bekannt werden, dass man »durch die Presse Gelder für armenische Mönche sammelte«: Wir haben ein großes Interesse daran, im Stillen wirken zu können und so wenig wie möglich von uns reden zu lassen. Sie wissen von welcher Seite uns die größte Gefahr droht, und wenn sie einmal ausbricht, dann ist alles verloren. Schön nur, wenn wir bis dahin so viele Kräfte sammeln können, dass das Feuer nicht mehr auslöscht. Ich werde vielleicht nächstens auch an Herrn Dr. Rade zu schreiben im Stande sein, lassen Sie aber vorläufig ihn dringend bitten, nach Kräften dafür zu wirken, dass alles im Stillen geschehe, was geschehen soll, und kein Lärm von alledem entstehe, dass besonders

185 Ebd., Sp. 1171. 186 Zitiert nach: Stephan: Karapet Episkopos, 70.

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unsere Namen nie im Druck erscheinen. Besser auf die ganze Unterstützung zu verzichten, als der Unternehmung dadurch irgendwie zu schaden.187

Die sofortige Stiftung eines Stipendienfonds hielt Rade aber insofern für nicht zeitgemäß, als die für Armenier gesammelten Spenden in erster Linie zur Linderung der »heutigen und morgenden Not« des armenischen Volkes dienen sollten: »Wo Tausende am Verhungern und Verkommen sind«, so Rade, würde eine andere Unternehmung auf wenig Verständnis stoßen. Er schlug daher vor, ihm die Vollmacht zu erteilen, in Zusammenarbeit mit Johannes Lepsius und mit befreundeten Universitätsprofessoren armenische Theologiestudenten je nach Bedürftigkeit zu unterstützen.188 Die dennoch für armenische Studenten eingehenden Spenden wurden unter den getrennten Titeln »für Armenier« und »für armenische Studierende« gesammelt.189 Einen neuen Aufschwung erhielt die Initiative, armenische Theologen in Deutschland finanziell zu unterstützen, durch den Anstoß von Paul ­Rohrbach. Als er während seiner Rückreise aus Turkestan nach Deutschland einen Zwischenstopp in Ēǰmiaċin einlegte,190 bot sich für Karapet Ter-Mkrtčian die Gelegenheit, mit ihm auch persönlich zu sprechen. Rohrbach stellte das Vorhaben nach seiner Rückkehr im Oktober 1897 auf der Jahresversammlung der »Freunde der Christlichen Welt« in Eisenach vor. Die Idee traf auf Zu­ stimmung, sodass einstimmig beschlossen wurde, einen Stipendienfonds unter der Leitung von Martin Rade einzurichten. Im Frühjahr 1898 kündigte Rade in der ChW an, dass unter dem Titel »Ein notwendiges Liebeswerk« Gaben für einen guten Zweck gesammelt werden sollten. Offener könne man darüber vor der Öffentlichkeit nicht sprechen, doch niemand solle Schlimmes hinter dieser Heimlichkeit vermuten. Ein vertraulicher Kreis sei bereits mit einer Druckschrift über die Einzelheiten unterrichtet worden, andere Interessenten sollten sich an Rade wenden.191 Diese Geheimhaltung war diversen politischen Umständen geschuldet. Insbesondere wurden Schwierigkeiten seitens der russländischen Regierung befürchtet, sollte die finanzielle Unterstützung armenischer Untertanen des Russländischen Reiches bekannt werden: 187 Ebd., 71. 188 Rade, Martin: »Ein neuer Weg, Armenien zu helfen«. In: ChW. 10 (1896), Sp. 1215–1218, 1218. 189 Ebd., Sp. 1255. 190 Paul Rohrbach, der 1896/97 eine Reise nach Turkestan unternahm, besuchte auch Ēǰmia­ ċin und wurde vom armenischen Kathołikos Mkrtič I. Chrimian empfangen. Vgl. Rohrbach, Paul: In Turan und Armenien auf den Pfaden russischer Weltpolitik. Berlin 1898. Ein zweites Mal führte ihn seine Hochzeitsreise im Jahr 1900 wieder nach Armenien. Vgl. ders.: Vom Kaukasus zum Mittelmeer. 191 ChW. 12 (1898), Sp. 284.

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Direkt an die Öffentlichkeit zu treten, ist uns aus dem Grunde nicht möglich, weil die russische Regierung nichts davon erfahren darf, dass Armenier in Deutschland beim Studium der Theologie unterstützt werden. Jede innere Kräftigung der armenischen Kirche wird von Russland perhorreszirt; wir würden riskieren, dass armenischen Theologen überhaupt die Reise ins Ausland verboten würde.192

Diese Sorgen waren auch deshalb nicht völlig unbegründet, weil die Loyalität der armenischen Kirche in den hohen politischen Kreisen im Russländischen Reich ohnehin in Zweifel gezogen wurde. Vor diesem Hintergrund könnte die Nachricht, dass in Deutschland finanzielle Mittel zur Unterstützung armenischer Theologiestudenten gesammelt würden, während sowohl die Gevorgian-Akademie als auch der Kathołikos selbst des Separatismus bezichtigt wurden, tatsächlich ernsthafte Reaktionen des Zentrums hervorrufen. Dieser Geheimhaltung war auch geschuldet, dass die ChW zunächst nur sehr spärlich über die Arbeit des Notwendigen Liebeswerks bzw. über die Situation der armenischen Studenten berichtete. Ausführlichere Informationen waren ab 1904 in den vertraulichen Mitteilungen An die Freunde enthalten, die von der »Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt« herausgegeben wurden. Das Blatt war nur für den engen Kreis der Mitglieder bestimmt und informierte in jährlichen Berichten über die eingegangenen Spenden, die für Stipendiaten bereitgestellten finanziellen Mittel, ferner über deren weiteres Schicksal nach der Rückkehr in die Heimat, aber auch über die Fortschritte der armenischen Kirchenreform.193 Die Unterstützung der armenischen Theologen war allerdings, so die ursprüngliche Planung, nur als eine zusätzliche Finanzierung neben den hauptsächlich von armenischen Förderern zur Verfügung gestellten Studienkosten gedacht. In den folgenden Jahren wurde auf allen Veranstaltungen der Freunde der Christlichen Welt für diesen Zweck geworben, wobei man zeitweise damit rechnete, 5 bis 6 Stipendiaten gleichzeitig in Deutschland unterhalten zu können. Dafür sei es allerdings notwendig, »überall Freunde zu haben, die persönlich für die Sache werben«.194 Doch wie sich bald herausstellen sollte, fehlten dem Liebeswerk nicht nur die finanziellen Mittel, um die Unterstützung in dem geplanten Ausmaß zu verwirklichen, sondern auch die Stipendiaten selbst.

192 Zitiert nach: Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 357 f. 193 Nachdem das Notwendige Liebeswerk als selbstständiger Verein etabliert worden war, wurden von 1908 bis 1910 und von 1915 bis 1920 die vertraulichen Mitteilungen unter dem Titel Das notwendige Liebeswerk veröffentlicht, in der Zwischenzeit trug das Blatt den Titel Deutsch-Armenische Blätter. 194 Stier, Ewald: Das notwendige Liebeswerk. In: An die Freunde. 1904, 3, Sp. 17–18, 17.

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4.3.1 Das Notwendige Liebeswerk bis 1908

Der erste durch das Notwendige Liebeswerk finanzierte Stipendiat war Hakob Top’čian aus Kilikien. Er studierte von 1898 bis 1903 Philosophie und evangelische Theologie unter anderem bei dem evangelisch-lutherischen Theologen Willibald Beyschlag und Friedrich Loofs in Halle und Marburg. Von Januar bis Oktober 1903 bekam Top’čian ein monatliches Stipendium vom Notwendigen Liebeswerk; das Geld für die Monate November und Dezember stellte Lepsius persönlich zur Verfügung.195 Im Januar 1904 wurde Top’čian in Halle mit dem Thema »Die inneren Zustände von Armenien unter Ašot I.« promoviert und kehrte danach in die Türkei zurück. Doch gleich nach der Rückkehr wurde er in Konstantinopel verhaftet, was die Träger des Notwendigen Liebeswerks einmal mehr darin bestätigte, dass den jungen Armeniern nach ihrem Auslandsstudium in Deutschland sowohl im Russländischen als auch im Osmanischen Reich mit Misstrauen begegnet wurde. Rade mahnte daher wiederholt zur Vorsicht: Mit näheren Mitteilungen muss man leider immer sparsamer sein. Wie schwer glaubt die Politik an reines, idealistisches Handeln. Unser Freund T. [Top’čian] hat die ersten vierzehn Tage nach dem Betreten seines Vaterlandes im Gefängnis zu Konstantinopel zugebracht trotz aller Pässe und Geleitbriefe.196

Später unterrichtete Top’čian an der geistlichen Akademie in Armaš und war ab 1905 Redakteur der Zeitschrift Masis, des Presseorgans des Patriarchats. Der zweite Stipendiat des Liebeswerks war der später auch in Deutschland gut bekannte Historiker und Philologe Artašes Abełian, der von 1899 bis 1904 in Marburg, Leipzig und Berlin Geschichte, Theologie und Philosophie studierte. Vom Notwendigen Liebeswerk erhielt Abełian im Juli 1904 eine zusätzliche einmonatige Finanzierung, um in London seine Englischkenntnisse zu verbessern. Einmal wöchentlich nahm er dort Englischunterricht bei dem deutschen evangelischen Theologen und Religionshistoriker Heinrich Hackmann, weitere zwei Stunden erhielt er bei einer Lehrerin.197 Im Jahr 1905 wurde er in Marburg mit der Arbeit »Vorfragen zur Entstehungsgeschichte der Altarmenischen Bibelübersetzungen« promoviert und kehrte nach dem Studium zurück in den Kaukasus. Abełian war zunächst als Lehrer im Nersesian-Seminar in Tiflis tätig, wo er von 1919 bis 1920 auch Rektor war. 1918 wurde er außerdem ins Parlament der Ersten Armenischen Republik gewählt, emigrierte jedoch nach der 195 Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 375. 196 Rade, Martin: Eine schwere Sorge. In: An die Freunde. 1904, 4, Sp. 27–28, 28. 197 Universitätsarchiv Marburg. Nachlass Rade, Martin (1857–1940), Theologe, Publizist und Politiker. Abeghian zu Rade, Bl. 2.

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Sowjeti­sierung Armeniens zunächst nach Istanbul und 1922 nach Deutschland. 1926 erhielt Abełian einen Lehrauftrag für Armenisch am Seminar für Orientalische Sprachen der Universität Berlin. Zwischen 1944 und 1951 war er zunächst in Dresden, dann in Tuttlingen und Stuttgart als Übersetzer tätig, unterrichtete schließlich von 1951 bis zu seinem Tod im Jahr 1955 Armenisch im Rahmen des Lehrgangs Indogermanistik an der Universität München.198 Missak Xostikian aus Van, der von 1904 bis 1908 Theologie und Philosophie in Marburg, Straßburg und Bern studierte, war der dritte Stipendiat des Notwendigen Liebeswerks. Nach dem Studium machte sich Xostikian auf die Suche nach einem geeigneten Promotionsthema, was zu einer langen Korrespondenz mit Rade und Stier führte. Theobald Ziegler, der Professor der Philosophie und Pädagogik in Straßburg war, hatte sich bereiterklärt, eine Arbeit zum Thema Aristoteles und Armenien zu betreuen, sofern Heinrich Hübschmann die Sichtung armenischer Quellen übernehmen würde.199 Letztlich wurde Xostikian aber in Bern unter Betreuung des deutschen evangelischen Theologen Karl Marti mit der Dissertation »David, der Philosoph« promoviert.200 Nach der Rückkehr in die Heimat unterrichtete er zunächst Theologie an der Gevorgian-Akademie, war später Lehrer am Nersesian-Seminar in Tiflis und ab 1919 an einer Schule in Eriwan. Mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland gab er in Tiflis die Reihe Religiös-Historisch-Philosophische Bibliothek heraus, in der bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges immerhin sechs Hefte erscheinen konnten.201 Danach brach die Verbindung nach Deutschland ab: Es ist uns bis jetzt trotz mehrerer Versuche noch nicht gelungen, mit unseren dortigen armenischen Freunden in Verbindung zu treten. Wir wissen infolgedessen nicht, ob und in welcher Weise dieses Unternehmen hat Fortgang gewinnen können. Wir vermuten freilich, dass auch in Armenien jetzt keine günstige Zeit für solche literarischen Unternehmungen sein wird. Der Herausgeber ist in der Lage, auch ohne Zuschüsse von uns das Werk vorläufig fortzuführen, da wir den Druck der ersten Hefte voll bezahlt haben und die Einnahmen aus dem Verkauf daher für mehrere Hefte verwendet wurden und noch künftig verwendet werden können.202

Nach dem Studienabschluss dieser drei Stipendiaten nahm das Notwendige Liebeswerk zunächst keine weiteren Bewerber mehr auf. In einem Bericht aus 198 Gazer, Hacik Rafi: Artasches Abeghian. Ein armenischer Theologe, Philologe, Pädagoge, Politiker, Journalist und Historiker. In: Armenisch-Deutsche Korrespondenz. 3 (1997), 97, 34–35. 199 Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 384. 200 Ebd. 201 Stier, Ewald: Jahresbericht. In: Das notwendige Liebeswerk (im Folgenden DNL) vom 10. Mai 1915, Sp. 157–160, 158. 202 Ebd.

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dem Jahr 1907 zog Stier mit Blick auf die bisherige Leistung des Stipendienfonds eine zuversichtliche Zwischenbilanz: Was haben wir nun erreicht? Wir haben zweifellos mit der wissenschaftlichen Ausbildung dieser drei Männer der armenischen Kirche und dem armenischen Volke – beides ist ja in gewissem Sinne Eins – einen Dienst getan. Wir haben die Zahl der auf deutschen Universitäten gebildeten Armenier vermehrt, und bei der geringen Zahl der studierten armenischen Theologen bedeuten auch diese drei schon Etwas.203

Noch während Xostikians Studienzeit hatte Stier jedoch verkündet, dass das Liebeswerk kaum über 1.500 Mark im Jahr verfügte und vorerst nicht in der Lage sei, weitere Stipendiaten aufzunehmen. Selbst die Heimreise von Xostikian sei durch die Spende eines Gönners aus Hamburg finanziert worden.204 Diese Situation blieb in den folgenden Jahren unverändert, zumal die Spendensammlung nicht die erwarteten Ergebnisse brachte. Laut Stier waren im Jahr 1904 nur 1.355 Mark eingegangen, während der jährliche Bedarf bei etwa 3.000 Mark lag, hinzu kamen frühere Schulden in Höhe von 1.300 Mark.205 Die Jahresbeiträge sollten nach Stiers Berechnung verdoppelt werden, außerdem sollte in »allen Vereinigungen von Freunden« weiterhin gesammelt werden, damit das Liebeswerk seine Unterstützung aufrechterhalten konnte: Der eine der von uns unterhaltenen Studenten kehrt nach der Heimat zurück, der andere wird ihm voraussichtlich noch in diesem Jahre folgen: Sie brauchen Geld für ihre Doktorarbeit und die Heimreise.206 Schon warten andere junge Armenier sehnlichst darauf, an ihrer Stelle das Studium in Deutschland zu beginnen; nur der Mangel an Mitteln hat uns verhindert, bereits im Herbst, wie wir dringend gebeten wurden, einen neuen Stipendiaten aufzunehmen. Dürfen wir sie noch länger warten lassen?207

Wegen der kontinuierlich fehlenden Mittel nannte auch Martin Rade das Notwendige Liebeswerk eine »andauernd schwere Sorge«.208 Unter anderem das Ausscheiden von Paul Rohrbach, der dem Liebeswerk immer wieder größere Summen hatte zukommen lassen, wurde als ein zusätzlicher Verlust regis­ 203 Ders.: Das notwendige Liebeswerk. In: An die Freunde. 1907, 21, Sp. 197–203, 198. 204 Ebd.; Laut Axel Meißner trug das Exemplar des in Meißners Besitz befindlichen Buches von Xostikian die Widmung: »Dem sehr geehrten Freund Freiherrn A[lbert W.] v. Westenholz in Dankbarkeit vom Verfasser, Etschmiadzin, den 8. Dez[ember] 1907«. Meißner geht – auch aufgrund eines Briefes von Westenholz an Lepsius, in dem sich dieser nach dem Befinden seines ehemals »hiesigen« Freundes erkundigte – davon aus, dass es sich bei dem anonymen Unterstützer um Westenholz handeln könnte. Vgl. Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 385, Fn. 312. 205 Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 17. 206 Für Top’čians und Abełians Promotion wurde 220 bzw. 233 Mark ausgegeben, zusätzliche Kosten waren mit der Heimreise verbunden. Vgl. An die Freunde. 1905, 12, Sp. 99. 207 Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 17. 208 Rade: Eine schwere Sorge, Sp. 27.

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triert.209 Insbesondere die älteren Schulden hatte man mit seiner Hilfe zum größten Teil tilgen können. Einen Ausweg aus dieser Situation sah Rade darin, den Mitgliedsbeitrag der »organisierten Freunde« zu erhöhen und in kleineren und größeren Kreisen der »nicht organisierten Freunde« immer wieder Spendensammlungen zu veranstalten.210 Eine bedeutende Veränderung für das Notwendige Liebeswerk ergab sich im Jahr 1903: Auf der Versammlung der Freunde der Christlichen Welt am 29. und 30. September in Eisenach wurde beschlossen, die »Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt« zu gründen, die die Organisation des Notwendigen Liebeswerkes fortan übernehmen sollte. Die Vereinigung gab vertrauliche Mitteilungen An die Freunde heraus, in denen sowohl über die Stipendiaten als auch über die Fortschritte der Kirchenreform in Ēǰmiaċin in aller Ausführlichkeit informiert wurde. Die Verwaltung des Liebeswerks lag nunmehr in den Händen von Ewald Stier sowie von Martin Rade und dessen Frau Dora. Außerdem wurde der Standort der Organisation von Marburg nach Alten bei Dessau verlegt, wo Stier als Priester tätig war.211 Mit dieser Erneuerung war durchaus auch die Hoffnung auf eine finanzielle Verbesserung verbunden, doch vorerst galt es, das Liebeswerk zumindest im vorhandenen Umfang zu erhalten. Die finanziellen Schwierigkeiten waren indessen auch der Tatsache geschuldet, dass die Förderung aus Ēǰmiaċin – anders als ursprünglich geplant – weitgehend ausgeblieben war. Unter anderem war dies auf die sich zuspitzende politische Lage zurückzuführen, die mit der Konfiszierung der Kirchengüter 1903 ihren Höhepunkt erreichte. An eine Finanzierung des Auslandsstudiums war unter diesen Umständen nicht zu denken, in den deutschen Kreisen wurde gar das Ende der Reformbewegung befürchtet: Die Armenier sind der letzten Möglichkeit beraubt, aus eigenen Mitteln etwas für die Ausbildung ihres theologischen Nachwuchses zu tun. Die Hoffnung einer Kirchen­ reform in Armenien beruht nunmehr allein auf dem, was die deutsche Christenheit – oder sagen wir es gleich deutlich heraus: auf dem, was unser Kreis für die Ausbildung der armenischen Theologen tut. Wer sollte sonst helfen? Die deutsche Orientmission von Dr. Lepsius, an die man vielleicht noch denken könnte, muss ihr eigenes Werk einschränken und ringt um ihre Existenz. Wir wissen keinen Kreis in der deutschen Christenheit, der ebenso sehr Verständnis für den Wert deutscher Universitätsbildung wie ein durch konfessionelle Engherzigkeit nicht getrübten Bild für die Bedeutung der orientalischen Christenheit hätte.212 209 Rohrbach war 1903 nach Südwestafrika berufen worden und konnte bis 1906 nicht für das Notwendige Liebeswerk tätig werden. 210 Rade: Eine schwere Sorge, Sp. 28. 211 Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 378. 212 Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 17.

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Die Situation in Ēǰmiaċin entspannte sich nach 1905 und in den darauffolgenden Jahren in Augen der Verantwortlichen des Notwendigen Lebenswerks soweit, dass Stier wieder den ursprünglich gefassten Plan aufnehmen wollte, armenische Theologen nur partiell zu unterstützen und ihre Versorgung ansonsten ihrer eigenen Kirche zu überlassen: Ich denke mir auch für künftig eine andere Art der pekuniären Beihülfe an unsere Studenten. Es war von Anfang an unser Plan, dass wir nur einen Teil der Kosten tragen wollen und im Übrigen die armenische Kirche für ihre Leute selbst sorgen sollte. Das war ihr bisher durch die Verhältnisse fast unmöglich gemacht. Jetzt kann sie aufatmen. Sie hat dazu, wie ich höre, kürzlich eine Stiftung erhalten, die ihr die Unterhaltung auch eines Theologen wieder ermöglicht. Ich denke mir unsere Beteiligung so, dass wir den armenischen Studenten ein festes Stipendium geben und im Übrigen die Fürsorge für sie ihrer Heimatkirche überlassen. Mit 2.000 Mark jährlich könnten wir schon viel ausrichten: und die müssten wir doch zusammen bekommen können!213

Zusätzliche Sorgen bereitete Stier wie auch den anderen Unterstützern des Stipendienfonds die Kirchenreform, die aus der Studienfinanzierung armenischer Theologen resultieren sollte. Aus Ēǰmiaċin erreichten Stier bedenkliche Nachrichten. In einem Brief beschrieb Abełian 1906 die dortige aussichtslose Lage, die inmitten der russischen Revolution und der blutigen armenisch-tatarischen Auseinandersetzungen keinen Raum mehr für religiöse Tätigkeit lasse: Die russische Revolution hat den größten Einfluss auf unsere Nation gehabt. Die Lebensanschauungen, die Verhältnisse zwischen Kirche und Nation, alles ist anders geworden. Die Religion steht in Verachtung, das religiöse Leben befindet sich im traurigsten Zustand. Nicht dass allein die orthodox-armenische Kirchenanschauung so verachtet ist, auch von einer zu reformierenden Kirche will niemand etwas hören. Der Materialismus und Sozialismus haben den größten Einfluss auf unsere gebildete Jugend. Von der Schule will man die Religion ausjagen. So ist der Zustand bei uns einfach hoffnungslos. Stellen Sie sich vor: Dr. Karapet, Ter-Minassianz und die anderen Freunde haben abgedankt, die Akademie verlassen! Ich werde auch abdanken.214

Von einer Resignation in den geistlichen Seminaren und an der Akademie berichtete auch Ter-Mkrtčian in einem an Martin Rade gerichteten Brief. Der Grund dafür sei unter anderem, dass dort seit Jahrzehnten Lehrer unter­ richteten, die weltlich gebildet seien, daher herrsche in ihnen »unter einem kirchlichen Schein ein weltlicher Geist«.215

213 Ders.: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 203. 214 An die Freunde. 1906, 17, Sp. 141. 215 Zitiert nach: Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 199.

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Wir, die in Deutschland Theologie studiert haben, versuchten in diese Schulen, vor allem in die Akademie, durch einen etwas besser geregelten Religionsunterricht und durch frischgebackene theologische Vorträge einiges Verständnis für die christ­liche Religion und damit irgend eine Zuneigung zum kirchlichen Wesen zu bringen. Unsere Kräfte waren jedoch sehr gering im Verhältnis zu der in mancher Hinsicht feindlich gestellten Umgebung, und wir haben auch schief angefangen. Die meisten unserer Kinder bringen von Haus aus fast keine Religion mit, und auch das, was sie haben, verlieren sie oft in den unteren Klassen der Schule zufolge eines verkehrten Unterrichts.216

Diese ohnehin angespannte Lage an der Akademie wurde durch interne Differenzen zwischen Karapet Ter-Mkrtčian und den von ihm anfänglich protegierten jungen Theologen zusätzlich erschwert. In Deutschland weckte die Tatsache, dass Ter-Mkrtčian an mehreren Dogmen der Kirche festhielt und damit mitunter Konflikte mit seinen ehemaligen Schülern provozierte, zunehmende Besorgnis. Die Situation wurde durchaus als eine ernste Gefahr auf dem Weg der armenischen Kirchenreform begriffen, sodass Stier selbst einräumte, sich unter Umständen neu orientieren zu müssen: […] es kommt aber darauf an, welche Richtung die meiste Aussicht auf Erfolg hat, wie die anderen studierten Theologen in Armenien selbst sich stellen, wie die Stimmung im Volke ist. Das müssen wir wissen, um beurteilen zu können, ob wir uns weiterhin mit Karapet identifizieren sollen, oder an wen wir uns sonst zu halten haben.217

Um sich ein Bild von der Situation an Ort und Stelle zu machen, aber auch um weitere Stipendiaten für das Notwendige Liebeswerk zu gewinnen, hielt Stier eine Reise nach dem Kaukasus für unabdingbar. Diese wollte Martin Rade noch im Revolutionsjahr 1905 antreten, verschob sie aber auf Rat von Ter-Mkrtčian. Inzwischen war auch Paul Rohrbach aus Südwestafrika zurückgekehrt und erklärte sich bereit, wieder für das Notwendige Liebeswerk tätig zu werden. Im August 1907 sollte er gemeinsam mit Ewald Stier die geplante Kaukasus-Reise endlich antreten, die nun allerdings wegen der Dumawahlen im Russländischen Reich auf April des kommenden Jahres verlegt wurde. Eine weitere Verschiebung hielt Stier, sofern die Arbeit des Notwendigen Liebeswerks fortgesetzt werden sollte, für nicht mehr vertretbar.218 In der Tat machte er die Fortführung des Liebeswerks maßgeblich von den Erfahrungen und Eindrücken abhängig, die sich ihm im Kaukasus bieten würden. Die Möglichkeit, dass er aufgrund dieser Erlebnisse den Mitstreitern empfehlen müsste, das Werk aufzugeben, schloss er jedenfalls nicht aus.219 216 Ebd. 217 Ebd., Sp. 201. 218 Ebd. 219 Ebd.

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Im Frühjahr 1908 machten sich Stier und Rohrbach gemeinsam auf den Weg nach Tiflis. Da Rohrbach seine Reise von dort aus nach Turkestan und China fortsetzte, war Stier nunmehr »auf die nie fehlende Unterstützung« seiner armenischen Bekannten angewiesen.220 Von Tiflis reiste er nach Ēǰmiaċin, wo er bei Garegin Hovsep’ian wohnte, und ging anschließend zu Ter-Mkrtčian nach Täbris. Dieser war dort als Leiter der armenischen Diözese Atrpatakan tätig und hatte Stier eingeladen, Ostern bei ihm zu ver­bringen.221 Seine dort gewonnenen Eindrücke beschrieb Stier in der Zeitschrift Die Christliche Welt und im Blatt An die Freunde, in denen er für die Fortsetzung des Notwendigen Liebeswerks unter allen Umständen plädierte: Denn wir müssen es unbedingt fortsetzen. Wir sind es den Armeniern schuldig, die auf uns ihre Hoffnungen gebaut haben; wir sind es dem Orient schuldig, denn wenn wir überhaupt an die Ausbreitung des Christentums im Morgenlande denken, dürfen wir den Versuch, die armenische Kirche neu zu beleben, nicht unbeachtet lassen […]222

Doch seien dafür wissenschaftlich und praktisch gebildete Theologen in großer Zahl notwendig, die zudem die armenische Kirchenleitung dazu bewegen könnten, weitere Stipendiaten aus den Mitteln der Kirche ins Ausland zu schicken. Tatsächlich leisteten diejenigen Theologen, die bereits in Deutschland studiert hatten Stier zufolge sowohl im pädagogischen als auch im wissenschaftlichen Bereich große Arbeit. Ter-Mkrtčian hatte beispielsweise die ersten vier Evangelien des Neuen Testaments mit Unterstützung von Ter-­Minassian, Zohrabian und Hovsep’ian ins Armenische übersetzt. Doch es fehlte an weiteren ausgebildeten Kräften, um die Arbeit voranzutreiben. Diese »unendlich wichtige Arbeit« könnte viel rascher voranschreiten, wenn noch mehr wissenschaftliche Mitarbeiter zur Verfügung stünden. Dafür sei die Mithilfe des Notwendigen Liebeswerks weiterhin erforderlich, zumal fast alle Theologen aus armen Familien stammten und ihre Ausbildung nicht aus eigener Kraft finanzieren könnten.223 Stier hatte während seines Aufenthalts die Zusage bekommen, dass weitere drei Stipendiaten nach Deutschland geschickt werden würden: Wir können jetzt drei armenische Theologen bekommen, die teils aus Stipendien, teils aus eigenem Erspartem einen Teil ihres Unterhalts bestreiten. Wir sollten allen dreien zusammen jährlich 1.800 Mark geben, dann können sie das Studium ermöglichen. Das ist ungefähr die Summe, die schon jetzt einkam und womit wir einen Studenten,

220 Ders.: Unser Notwendiges Liebeswerk, Sp. 236. 221 Meißner: Martin Rades »Christliche Welt«, 391. 222 Stier: Unser Notwendiges Liebeswerk, Sp. 236. 223 Ebd., 237.

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einschließlich der Kosten für Doktordissertation, Reise usw. unterhielten; nun soll es reichen für Drei. Das ist m. E. ein so günstiges Angebot, dass wir es nicht von der Hand weisen dürfen.224

Die Förderung des Liebeswerks sollte aber auch den armenischen Theologiestudenten aus dem Osmanischen Reich zugutekommen, wurde doch für den Erfolg der Kirchenreform die Mitwirkung ausgebildeter Theologen sowohl aus Ēǰmiaċin als auch aus Konstantinopel als unerlässlich vorausgesetzt. Seine Rückreise nach Deutschland trat Stier über Konstantinopel an, um sich von der »neuen Situation« nach der Jungtürkischen Revolution ein Bild zu machen und zugleich den armenischen Patriarchen Ōrmanian für die Unterstützung der Theologiestudenten in Deutschland zu gewinnen. Tatsächlich sagte der Patriarch zu, zwei Absolventen der Akademie in Armaš zum Theologiestudium nach Deutschland zu schicken. Doch die Zusage, die Ōrmanian Stier gegeben hatte, war schon bald wieder hinfällig, da der dem Sultan gegenüber als nachgiebig geltende Patriarch kurz darauf gestürzt wurde.225 4.3.2 Das Notwendige Liebeswerk als selbstständiger Verein

Am 7. Oktober 1908 ergab sich eine weitere bedeutende Veränderung in der Struktur des Notwendigen Liebeswerks. Während der Versammlung der Freunde der Christlichen Welt in Eisenach wurde es zum selbstständigen Verein umorganisiert und löste sich damit offiziell von der Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt.226 Zwar verfolgte der neue Verein weiterhin die ursprünglich formulierten gemeinsamen Ziele, doch er hatte nunmehr einen eigenen Vorstand sowie Vertrauensmänner in jenen Universitätsstädten, in denen Armenier studierten.227 In den Vorstand des neuen Vereins wurden neben Stier, der den Vorsitz hatte, Rade, Rohrbach, Guthe und der evangelische Theologe Caspar René Gregory gewählt, wobei sich die beiden letztgenannten auch in der Vergangenheit bereits um die in Leipzig studierenden Armenier gekümmert hatten.228

224 Ebd. 225 Ōrmanian verfolgte vor allem in den 1890er Jahren eine vorsichtig konservative Politik, die sowohl die Missgunst der armenischen nationalen Parteien als auch vieler Geistlicher des armenischen Patriarchats in Jerusalem hervorgerufen hatte. Am 16. Juli 1908 drangen die Teilnehmer einer Demonstration in Konstantinopel in das Patriarchat ein und erklärten den Patriarchen für abgesetzt. Vgl. Ōv ōv ē. Band 2, 688 f. 226 Für die Satzung des Vereins siehe Anhang. 227 Stier, Ewald: Ein neuer Verein. In: DNL . 1908, 1, Sp. 1–3, 3. 228 Ebd., Sp. 3.

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In der ersten Nummer der nunmehr unter dem Titel Das notwendige Liebes­werk erscheinenden vertraulichen Blätter benannte Stier die zwei für die Gründung des neuen Vereins wesentlichen Motive: Zum einen habe das Liebeswerk in den vergangenen Jahren Mitglieder gewinnen können, die nicht zu den »organisierten Freunden« der Christlichen Welt gehörten und die nun dem neuen Verein beitreten könnten. Zum anderen habe der Stipendienfonds seit der Gründung immer größere Aufgaben gewonnen. Zwar musste Stier feststellen, dass das Ziel, fünf bis sechs Studenten jährlich zu unterstützen sowie Jahresbeiträge in Höhe von 3.000 Mark zu sammeln, nicht erreicht werden konnte, zudem sei der zugesagte finanzielle Beitrag der Armenier bislang ausgeblieben. Doch die Unterstützung von drei Stipendiaten, die das Liebeswerk auch ohne die armenische Finanzierung bestritten habe, müsse man nicht bereuen: Sie sind alle drei tüchtige Männer, die bei uns etwas gelernt haben und das Gelernte zum Besten ihres Volkes zum Teil in wichtigen Stellungen ausnutzen. Aber wir müssen trotzdem streben, rascher vorwärts zu kommen. Wir müssen mehr Studenten auszubilden suchen und, da unsere Mittel auch bei größerer Anstrengung dazu kaum ausreichen werden, engere Fühlung mit Armenien nehmen, um auch von dort, wie es ursprünglich beabsichtigt war und wie es in mehrfacher Hinsicht das Richtige ist, Gelder zu bekommen. […] Die Armenier sind ein armes Volk – woran der Umstand nichts ändert, dass es eine Anzahl sehr reicher Kaufleute unter ihnen gibt. Was von ihnen hier in Deutschland studiert, lebt von Stipendien und Stiftungen. Es wäre vielleicht möglich gewesen, solche Stiftungen auch für unsere Schützlinge flüssig zu machen – meist sind diese Stiftungen, anders als bei uns, gerade nicht für Theologen bestimmt –, aber dazu hätte eine engere persönliche Fühlung mit den Armeniern gehört, und die war damals nicht möglich.229

In dem Verweis auf die »engere persönliche Fühlung« bekundete sich nicht zuletzt die Absicht, die Armenier öfter im Kaukasus zu besuchen. Ferner gab es, so Stier, einen gemeinsam mit Karapet Ter-Mkrtčian entwickelten Plan, einen ähnlichen Verein auch dort zu gründen und sich auf diese Weise gegenseitig »die Hand zu reichen«.230 Ein weiterer Anlass, das Notwendige Liebeswerk zu einem eigenständigen Verein zu machen, war laut Stier die Schwierigkeit, weitere Kreise für das Werk zu gewinnen. Dies sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass über die Arbeit des Liebeswerks immer noch nicht »in voller Offenheit« gesprochen werden könne:

229 Ebd., Sp. 1. 230 Ebd., Sp. 2.

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[…] So müssen wir weiterhin in vertraulichen Blättern und geschlossenen Versammlungen für unsere Sache werben. Dazu reichen aber die Blätter und Versammlungen der Freunde der Christlichen Welt nicht aus  – die Generalversammlung ist immer schon so reichlich besetzt, dass die Zeit für die vielen sich jetzt anschließenden Spezialversammlungen nicht mehr zureicht. Es gibt nur eine Lösung: wir müssen einen eigenen Verein für das Liebeswerk bilden.231

Auf der Agenda des neuen Vereins stand nun die Aufgabe, engere Beziehung zu den Armeniern sowohl im Russländischen als auch im Osmanischen Reich aufzubauen, um weitere Stipendiaten zu gewinnen. Dies war jedoch maß­ geblich von der Situation vor Ort abhängig. Am Ende des Jahres 1908 folgten an beiden Orten, nach Ōrmanians Absetzung in Konstantinopel und nach dem Tod von Mkrtič I. Chrimian in Ēǰmiaċin, kurz aufeinander Wahlen der neuen Kirchenleitungen.232 Stier wurde daher von Karapet Ter-Mkrtčian aufgefordert, mit der Auswahl der neuen Stipendiaten noch abzuwarten. Bereits vor der Wahl des neuen Patriarchen habe er die Zusage seines Stellvertreters bekommen, einige Absolventen der Akademie in Armaš zum Studium nach Deutschland zu schicken, doch die endgültige Entscheidung hänge vom neuen Patriarchen ab: Deswegen bat er mich an Sie zu schreiben, dass Sie die Güte hätten noch zwei Monate abzuwarten um die Studentenfrage zu lösen. Also wie ich in meinem vorigen Briefe zu schreiben die Ehre gehabt hatte, man wird von hier mit großem Vergnügen und mit herzlicher Dankbarkeit einen oder zwei Studenten senden, aber um die finanziellen Schwierigkeiten zu ebnen und die Verantwortlichkeit zu übernehmen wartet man auf den zukünftigen Patriarchen. […] Sie können also in Ihrem Vortrag unsere lieben Wohltäter versichern, dass aus der Türkei unbedingt Studenten geschickt werden sollen, aber sie werden erst im Oktober oder im Anfang November da sein, d. h. nach der Wahl des Patriarchen. Ich werde alles tun, was ich kann.233

Wiederholt mahnte Ter-Mkrtčian die Träger des Notwendigen Liebeswerks zum vorsichtigen Handeln, insbesondere befürchtete er, die russische Regierung wolle auf die Wahl des Kathołikos Einfluss nehmen: […] bei diesen Verhältnissen könnte das Zutagetreten einer deutschen Gesellschaft mit der Absicht, der armenischen Kirche neue Kräfte zuzuführen, ein auf keiner Weise erwünschtes Aufsehen erregen. Darum möchte ich bitten, einstweilen fortzufahren im 231 Ebd. 232 Die Wahlen fanden Ende 1908 sowohl in Konstantinopel als auch in Ēǰmiaċin statt. Von den beiden Kandidaten Ełiše Durian und Matt’eos Izmirlian wurde der Letztere von der armenischen Nationalversammlung in Konstantinopel einstimmig zum Patriarchen gewählt. Nur einige Tage später, am 31. Oktober (13. November), fanden die Wahlen in Ēǰmiaċin statt, wobei Izmirlian die meisten Stimmen erhielt. 1909 wurde er vom Nikolaus II . zum Kathołikos Aller Armenier ernannt. 233 DNL . 1908, 1, 6.

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Stillen zu wirken, bis die mit der Patriarchatswahl verbundenen Fragen geklärt sein werden und wir sehen können, woran wir sind […]234

Nach der Wahl von Ełiše Durian (1860–1930) nutzte Stier die »Gunst der Stunde«, erneut Beziehungen zu den »neuen Männern im türkischen Armenien« zu knüpfen.235 1909 reiste er wieder – teilweise von Rohrbach begleitet – nach Konstantinopel, wo er sich mit dem neuen Patriarchen, des Weiteren mit den beiden armenischen Abgeordneten im türkischen Parlament Tałavarian und Zohrab, mit dem Vorstand der armenischen Nationalversammlung sowie mit den Redakteuren führender Zeitungen wie Biusandion, Azatamart (Freiheits­kampf) und Arevelk’ (Orient) traf. Die Notwendigkeit der Universitätsbildung der höheren Geistlichkeit wurde von diesen Akteuren kaum in Zweifel gezogen, einig war man sich ebenfalls darin, dass die höhere Ausbil­ dung am besten in Deutschland erlangt werden könnte. Die Hilfe des Notwendigen Liebeswerks wurde dabei, so Stier, mit Freude und Dank angenommen.236 Mehr noch, während eines Gesprächs mit dem armenischen Patriarchen Ełiše Durian, bei dem auch der deutsche Publizist Ernst Jäckh anwesend war, erhielt Stier die Zusage, dass armenische Studenten nach Deutschland geschickt werden würden, sofern ihnen dort ein deutsches Stipendium für ein Universitätsstudium zur Verfügung stünde.237 Gleichwohl äußerte der Patriarch aber die Befürchtung, die jungen Theologen könnten durch die akademische Freiheit in Deutschland in ihrem Glauben »erschüttert« werden: Dass der Patriarch dabei nicht ohne Bedenken war, es möchten ungefestigte junge Leute durch die akademische Freiheit in Deutschland in ihrem Glauben gefährdet werden, verdenken wir ihm keineswegs. Es schien ihm aber möglich zu sein, durch den vorhergehenden Unterricht im armenischen Priesterseminar ihnen genug Halt zu geben […]238

Die Stipendiaten sollten noch vor dem Beginn des Studiums in Deutschland eintreffen und zwei bis drei Monate in einer deutschen Familie verbringen, um die Sprache zu erlernen und sich auf das Studium vorzubereiten. Wann jedoch die ersten Studenten aus dem Osmanischen Reich nach Deutschland kommen würden, ließ Stier in seinem Bericht offen, da dies nicht zuletzt von der politischen Situation in der Türkei abhängig war. Die Tatsache jedoch, dass der armenische Patriarch in der Presse eine Mitteilung über den Besuch von Stier 234 Ebd. 235 Stier, Ewald: Jahresbericht. In: DNL . 1909, 3, Sp. 25–30, 26. 236 Ebd. 237 Jäckh, Ernst: Der aufsteigende Halbmond. Beiträge zur türkischen Renaissance. Berlin 1911, 111 f. 238 Stier: Jahresbericht, Sp. 26.

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hatte drucken lassen, interpretierte er als Zeichen dafür, dass dem Studium armenischer Geistlicher durchaus große Bedeutung beigemessen wurde.239 Die erste Hauptversammlung des Notwendigen Liebeswerks als selbstständiger Verein fand am 29. April 1909 in Eisenach im Anschluss an die Generalversammlung der Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt statt. Eingeleitet wurde sie mit einem Vortrag von Rohrbach über die Lage der Armenier in der Türkei, gefolgt von Stiers ausführlichem Jahresbericht. Diesem zufolge hatte das Notwendige Liebeswerk bereits 321 Mitglieder, wobei 95 von ihnen nicht der Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt angehörten. Diese Vereinigung selbst hatte sich mit einem Jahresbeitrag von 30 Mark korporativ dem Verein angeschlossen,240 womit die festen Jahresbeiträge insgesamt bei 1.287 Mark lagen.241 Damit könnte man, so Stier, den anvisierten Aufgaben nachkommen, ohne wie früher öfter Vorschüsse zu beanspruchen. Doch notwendig bleibe weiterhin, durch gewählte Vertrauensmänner242 und gezielte Vorträge neue Kreise für die Unterstützung des Liebeswerks zu gewinnen.243 Ab dem Jahr 1908 wurde ein weiterer Stipendiat, Galust Ter-Grigorian Iskenderian, finanziell unterstützt. Er studierte von 1908 bis 1914 in Marburg und Halle und wurde 1914 in Leipzig mit dem Thema »Die Kreuzfahrer und ihre Beziehungen zu den armenischen Nachbarfürsten bis zum Untergange der Grafschaft Edessa, nach armenischen Quellen« promoviert. Seine Heimreise nach dem Studium verzögerte sich wegen des Krieges um ein weiteres Jahr, das er dafür nutzte, seine Dissertation für den Druck vorzubereiten. Das Buch erschien im Verlag Harrassowitz und kostete zwei Mark, wobei von jedem verkauften Exemplar eine Mark der Kasse des Liebeswerks zugutekam.244 Nach der Rückkehr nach Tiflis befasste sich Iskenderian überwiegend mit Übersetzungen aus dem Deutschen, später war er Rektor einer Mädchenschule in Baku. Im Rahmen des »Weltkongresses für freies Christentum und religiösen Fortschritt«, der vom 5. bis 10. August 1910 in Berlin tagte, erfolgte die nächste Hauptversammlung des Notwendigen Liebeswerks. Bedeutend war dieses Treffen insofern, als Stier die neue Politik des Vereins verkündete, nunmehr aus der »Verborgenheit herauszutreten«.245 Dies drückte sich zunächst in der 239 Ebd. 240 Ders.: Unsere Arbeit. In: DNL . 1908, 2, Sp. 17–18, 17. 241 Ders.: Jahresbericht, Sp. 25. 242 Als solche Vertrauensmänner wurden Oberlehrer Ehrentraut in Dresden, Pastor Eger in Chemnitz, Privatdozent Lic. Dr. Hoffmann in Leipzig und Oberlehrer Mauer in Plauen gewählt. Vgl. DNL . 1909, 3, Sp. 25. 243 Ebd. 244 Stier, Ewald: Unser Liebeswerk. In: DNL vom 20. November 1917. 245 Ders.: Die Hauptversammlung des Vereins »Notwendiges Liebeswerk«. In: DAB. 1910, 5, Sp. 53–54, 53.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Gründung der Deutsch-Armenischen Blätter (DAB) aus, die Das notwendige Liebeswerk ablösten. Die vierte Nummer der Zeitschrift erschien im Jahr 1910 bereits unter dem neuen Titel, war nicht länger für den vertraulichen Kreis der Freunde bestimmt und machte die Arbeit des Vereins damit öffentlich. Unter anderem war diese Politik auch darauf gerichtet, die Lage der Armenier in Deutschland bekanntzumachen und den »unendlich oberflächlichen Vorurteilen« über die Armenier in der deutschen Gesellschaft entgegenzuwirken.246 Die Mitgliederzahl des Vereins war inzwischen auf 340 gewachsen, von denen feste Jahresbeiträge von 1.369,50 Mark zu erwarten waren.247 Das Liebeswerk unterstützte weiterhin das Studium von Ter-Grigorian in Marburg, geplant war außerdem ein Studienaufenthalt des Bruders von Ervand Ter-­ Minassian, Wałarš Ter-Minassian, dem der Gouverneur in Eriwan jedoch im letzten Augenblick den Pass verweigerte. Ter-Minassian musste zunächst ein Jahr Wehrdienst leisten, bevor er sein Studium in Deutschland aufnehmen konnte. Aus der Türkei hingegen gab es weiterhin keine Stipendiaten.248 Am 4. Oktober 1911 tagte die nächste Hauptversammlung des Vereins, diesmal wieder im Rahmen der Versammlung der Freunde der Christlichen Welt. Stier berichtete über diese Zusammenkunft in den DAB mit einer knappen Passage, in dem er auf die leicht gestiegene Mitgliederzahl und die dementsprechend etwas höheren Mitgliedsbeiträge verwies.249 Mit einer kurzen Notiz erwähnte er außerdem die Wahl des armenischen Kathołikos, die mit der Ernennung von Gevorg V. Surenianc (1847–1930) ja nicht so ausgegangen war, wie es sich die Träger des Notwendigen Liebeswerks erhofft hatten.250 Im Jahr 1913 kam Šahe Gasparian (1882–1935), ein weiterer Schüler von Karapet Ter-Mkrtčian, nach Deutschland und sollte nach dem Erlernen der deutschen Sprache Geschichte studieren. In einem an Stier adressierten Brief bat Ter-Mkrtčian darum, Gasparian unmittelbar zu beraten, vor allem dafür zu sorgen, dass er »unter bestem sittlichen Einflusse stehe«.251 Gasparian ging jedoch bald nach Amerika, wo er Theologie studierte und mit dem Thema »Die Ähnlichkeit zwischen der Armenisch-Apostolischen und der Anglikanischen Kirche« promoviert wurde.252

246 Ebd. 247 Ders.: Jahresbericht. In: DAB. 1910, 5, Sp. 54–60, 54. 248 Ebd. 249 DAB. 1912, 9, Sp. 119. 250 Am 24. Dezember 1910 war der armenische Kathołikos Matt’eos II . Izmirlian gestorben. Neben Małak’ia Ōrmanian und Gevorg Surenianc stand auch Karapet Ter-Mkrtčians Kandidatur zur Wahl. Dies machte in Deutschland freilich die Hoffnung, mit ihm würde ein »die Bedürfnisse der Zeit verstehender Kathołikos« gewählt. Vgl. ebd. 251 ChW. 30 (1916), Sp. 209. 252 Arev. 2 (1916), 52 (208), 2.

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Im Jahr 1915 wurde Diran Meštuǰian, der aus Schumla in Bulgarien stammte und, wie Stier betonte, protestantischer Konfession war, als Stipendiat auf­genommen und studierte bis 1919 Theologie in Halle. In einem in der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk veröffentlichten Brief an Stier lieferte Meštuǰian neben einer sehr detailreichen Beschreibung seines Studiums insbesondere einen Bericht über die Erfahrungen, die er als Armenier während der Kriegsjahre in Deutschland machte: Ich darf ganz bescheiden aussprechen, dass ich ein Verständnis für das deutsche Wesen habe. Und es ist für mich im höchsten Grade tragisch, dass das deutsche Volk, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die Armenier nicht richtig zu würdigen versteht. Das ist Ihnen schon eine bekannte Tatsache. Vor einigen Tagen klopfte ein deutscher Student an meiner Tür, trat herein und sagte, dass er alle seine Beziehungen zu mir abbrechen wolle, da ich als Armenier ein Feind der Deutschen sei. Ich ließ ihn laufen; etwas besorgt bin ich allerdings gewesen, da er unter meinen Lehrern  – unter den Histo­rikern hier sind nicht alle über die Armenier unterrichtet – Verwirrung anrichten kann. Das ist ein Beispiel von vielen Fällen, die ich beobachten konnte.253

Im Dezember 1919 verteidigte Meštuǰian seine Dissertation zum Thema »Die Geschichte Armeniens vor der Herrschaft der Arsakiden in Armenien« und wurde nebenbei im Fach Deutsch promoviert. Dass ihm dies mit Prädikat »gut« gelang, hielt Stier für eine besondere Genugtuung für das Notwendige Liebeswerk, stand doch das Werk stellvertretend für die deutsch-armenischen Beziehungen.254 Derweil verlobte sich Meštuǰian mit der Lehrerin Gertrud Hetzel, die bei Lepsius arbeitete, und plante mit ihr die Rückreise nach Konstantinopel. Doch solange er noch in Deutschland war, wollte ihm das Notwendige Liebeswerk eine letzte Hilfestellung gewähren, nämlich den Druck seines Buches. Darum bemühte sich auch die zwischenzeitlich gegründete Deutsch-Armenische Gesell­schaft, doch deren finanzielle Mittel reichten kaum für die Herausgabe der eigenen Zeitschrift.255 Stier versuchte, einerseits einen günstigen Verlag zu finden, andererseits Spenden von den Mitgliedern des Vereins zu sammeln. Für die Unterstützung der Veröffentlichung setzte sich auch der Archäologe und Professor an der Universität Halle Ernst von Stern ein, der die Arbeit betreut hatte: Ich würde es für sehr wünschenswert halten, dass diese fleißige und sehr nützliche Arbeit, die über die Geschichte Armeniens gut orientiert, im Druck erschiene. Bei ihrem Umfang ist es bei der heutigen Lage ausgeschlossen, dass Herr Diran Meschtudjian allein die Kosten für die Drucklegung tragen kann; wenn ihm aber eine entsprechende 253 DNL vom 20. November 1917. 254 Stier, Ewald: Ein Abschluss. In: DNL vom 15. März 1920. 255 Ebd.

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Beihilfe gewährt werden könnte, so wäre das Ziel erreichbar. Da ich in der Annahme bin, dass es im Interesse der deutsch-armenischen Gesellschaft liegt, dass eine zeitgemäße, streng wissenschaftliche Geschichte Alt-Armeniens erscheint, gestatte ich mir, die Arbeit des Herrn Meschtudjian bestens zu empfehlen, und sein Gesuch um eine entsprechende Unterstützung für den Druck angelegentlichst zu befürworten.256

Letztlich waren die Verlagskosten so hoch, dass beschlossen wurde, das Buch im Eigenverlag in einer billigen Druckerei herstellen zu lassen und mit Kommissionsvertrag einem Verlag zu überlassen. Dazu kam es jedoch nicht, da Meštuǰian am 7. März 1920 an einer Grippe starb. Nach Meštuǰian hatte das Notwendige Liebeswerk keinen weiteren Stipendiaten mehr. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Hauptversammlung des Vereins im Jahr 1914 ausgesetzt, der Jahresbericht in der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk 257 von Stier jedoch regulär veröffentlicht.258 Nach dem Kassenstand von 1914 wurden aus dem Gesamtguthaben von 1.623,59 Mark neben den Mitgliedsgebühren für die Deutsch-Armenische Gesellschaft259 1.000 Mark als Stipendium sowie 70 Mark für den Druck der Deutsch-­ Armenischen Blätter ausgegeben.260 Obgleich der Kassenführer Professor Curt Ehrentraut als Soldat eingezogen worden war, konnten die Mitgliedsgebühren weiterhin von seinem Postscheckkonto der Kasse des Werks zufließen.261 Zu diesem Zeitpunkt äußerte sich Stier noch zuversichtlich, dass die Arbeit des Liebeswerks nach dem Frieden – sollte der Krieg für Deutschland »glücklich« ausgehen – noch intensiver fortgeführt werden könnte, da der Einfluss von Deutschland vor allem in der Türkei unermesslich steigen würde.262 Immerhin sei es ein gewisses Verdienst des Liebeswerks gewesen, dass die deutsche Politik die Armenier als »Kulturfaktor« im Orient endlich zur Kenntnis genommen habe, der Beweis dafür sei der Einsatz der Generalinspekteure Hoff und Westenenk263 in den armenischen Provinzen. Zwar mussten sie nach 256 Ebd. 257 Die DAB hatten mit der Nummer 13 aufgehört zu existieren, daher wurden weitere Meldungen fortan in den vertraulichen Mitteilungen Das notwendige Liebeswerk veröffent­ licht. 258 Stier: Jahresbericht, Sp. 157–160. 259 Der im Jahr 1914 gegründeten Deutsch-Armenischen Gesellschaft hatte sich das Notwendige Liebeswerk mit einem Beitrag von 300 Mark jährlich körperschaftlich angeschlossen. Als Gegengabe erhielt der Verein 60 Exemplare der Zeitschrift Mesrop, die jenen Mitgliedern des Liebeswerks zugesandt werden sollten, die mehr als 5 Mark Mitgliedsgebühren zahlten. Vgl. ebd., Sp. 158. 260 Ebd., Sp. 160. 261 DNL vom 10. Mai 1915, Sp. 157. 262 Stier: Jahresbericht, Sp. 159. 263 Nach der türkischen Niederlage in den Balkankriegen (1912–1913) wurden die Reformforderungen in den armenischen Vilajets immer stärker, insbesondere Russland übte

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Ausbruch des Kriegs ihre Posten wieder verlassen, doch Stier zeigte sich zuversichtlich, dass Deutschland diese »Politik der armenischen Reformen« nach dem Krieg weiterhin im geplanten Umfang fördern würde.264 Erst am 14. Juni 1916 fand in Goslar die nächste Versammlung des Notwendigen Liebeswerks statt, der Jahresbericht von Stier folgte in der Ausgabe vom 20. November 1917. Unter anderem kam er darin zu dem Schluss, dass hinsichtlich der armenischen Kirchenreform alle Hoffnungen hinfällig seien, zumal der Tod von Karapet Ter-Mkrtčian weitere Entwicklungen in dieser Richtung unmöglich gemacht hätte.265 Wegen der auferlegten Zensur konnte die nächste Nummer der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk erst am 15. Juni 1919 erscheinen, was unter anderem bewirkte, dass der Verein über den Völkermord an den Armeniern, wodurch auch »die Ehre des deutschen Namens« in Mitleidenschaft gezogen worden sei, nicht berichten konnte.266 Einen, wie Stier es ausdrückte, bescheidenen Beitrag lieferte das Notwendige Liebeswerk, indem es das Studium von Meštuǰian in Halle unterstützte, danach sollte die Finanzierung armenischer Stipendiaten erst einmal eingestellt werden. In der Gründung der unabhängigen armenischen Republik 1918 sah man die Chance, dass die Armenier ihre inneren Angelegenheiten nun ohne fremde Hilfe regeln könnten.267 Genaugenommen kündigte Stier damit die Auflösung des Vereins bereits an, da es für die Fortsetzung des Werks keinen Raum mehr gab. Nicht nur hatten sich aus Armenien keine Interessenten mehr gemeldet, das »arme Deutschland« selbst habe für absehbare Zeit keine Möglichkeit, ausländische Studenten an deutschen Hochschulen zu finanzieren. Das Band zwischen Deutschland und Armenien sollte aber, so Stier, nicht reißen. Die Pflege

massiven Druck auf die türkische Regierung aus. Am 8. Februar 1914 wurde ein Abkommen zwischen der Türkei und Russland unterzeichnet, das vorsah, aus den armenischen Vilajets in den ostanatolischen Gebieten zwei Provinzen zu machen, die unter der Aufsicht von zwei europäischen Generalinspektoren, des Norwegers Nikolai Hoff und des Holländers Louis C. Westenenk, stehen sollten. Sie sollten in Erzurum (Karin) respektive Van residieren. Das Reformpaket wurde allerdings bereits am 16. Dezember 1914, also kurz nach dem Eintritt der Türkei in den Ersten Weltkrieg, gestoppt. Siehe exemplarisch Kieser, Hans-Lukas (Hg.): Die armenische Frage und die Schweiz (1896–1923). La Question Arménienne et la Suisse (1896–1923). Zürich 1999; Martirosyan, Mikayel: Armjanskij vopros i russkaja diplomatija [Die Armenische Frage und die russische Diplomatie]. Jerewan 1990; Dussen, W. J. von der: The Question of Armenian Reforms in 1913–1914. In: The Armenian Review. 39 (1986), 1, 11–28; Westenenk, L. C.: Diary Concerning the Armenian Mission. In: Ebd., 29–89; Davison, Roderic H.: The Armenian Crisis, ­1912–1914. In: American Historical Review. 53 (1948), 3, 481–505. 264 Vgl. Siter: Jahresbericht, Sp. 159. 265 Ders.: Unser Liebeswerk. In: DNL vom 20. November 1917. 266 Ders.: Unser Liebeswerk. In: DNL vom 15. Juni 1919. 267 Ebd.

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kul­ tureller Beziehungen zu den Armeniern war weiterhin das Ziel der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, die gewissermaßen eine Nachfolgeorganisation des Notwendigen Liebeswerks war. Stier rief alle bisherigen Mitglieder dazu auf, ihrem weiter bestehenden Interesse an Armenien mit dem Beitritt in die Deutsch-Armenische Gesellschaft Ausdruck zu verleihen, falls sich das Liebeswerk bei der nächsten Versammlung auflösen oder zeitweilig suspendieren sollte.268 Am 10. September 1920 informierte Stier schließlich mit einem Flugblatt »An die Freunde des Notwendigen Liebeswerks« sowohl über den Tod von Meštuǰian als auch die Auflösung des Vereins, die auf der Hauptversammlung am 30. September 1920 in Eisenach vollzogen wurde.269 4.3.3 Zwischenfazit

Ab dem Zeitpunkt seiner Gründung hatte das Notwendige Liebeswerk das Studium von fünf armenischen Theologiestudenten finanziert und einige weitere durch kleinere Zuwendungen unterstützt. Doch was war das Motiv der deutschen protestantischen Kreise, mit einer solchen Konsequenz das Studium junger armenischer Theologen in Deutschland zu fördern? Das Werk und seine Träger waren  – dies wurde in diversen schriftlichen Zeugnissen immer wieder hervorgehoben – an einem theologisch-wissenschaftlichen Dialog auf eine Weise interessiert, die nicht vornehmlich von missionarischen Gedanken geprägt war, sondern Raum für akademische Beziehungen ermöglichte. Dass unter der armenischen Geistlichkeit dennoch Zweifel an den uneigennützigen Zielen des Notwendigen Liebeswerks vorhanden waren, führt Hacik Gazer unter anderem auf die anglo-amerikanische Missionsarbeit im Laufe des 19. Jahrhunderts zurück, die zu zahlreichen Gewissenskonflikten unter den Armeniern geführt hatte.270 Doch die Arbeit des Notwendigen Liebeswerks sei keineswegs im gleichen Kontext zu betrachten. Gazer betont die Tatsache, dass die armenischen Studenten unter den unterschiedlichen theologischen Strömungen, die zu dieser Zeit in Deutschland verbreitet waren, wie etwa die Vermittlungstheologie oder die lutherisch-konfessionelle Theologie, gerade mit der liberalen Theologie in Berührung kamen. Dieser würden »jegliche Missionsansprüche an sich fernliegen«, was die Voraussetzung gewesen sei, in Deutschland protestantische Theologie zu studieren, ohne deshalb zwangsläufig zu Protestanten zu werden.271 268 Ders.: Ein Abschluss. 269 Ders.: An die Freunde des Notwendigen Liebeswerks. 10. September 1920. 270 Vgl. Gazer: Die Reformbestrebungen, 50 f. 271 Ebd., 51; Ders.: Friedrich Loofs und das Notwendige Liebeswerk. In: Ulrich (Hg.): Friedrich Loofs, 235–247, 247.

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Diese Tatsache betonten damals schon die Träger des Notwendigen Liebeswerks: Paul Rohrbach bezeichnete die Arbeit des Stipendienfonds als eine Möglichkeit, den »begabten und tüchtigen Söhnen des armenischen Volkes« eine deutsche theologische Ausbildung zugänglich zu machen, welche sie später in ihrer Heimat »anpflanzen« könnten.272 Das direkte Resultat sollte die Reform der armenischen Kirche werden, wenngleich immer wieder explizit betont wurde, dass eine Einmischung in die innerkirchlichen Angelegenheiten nicht die Absicht dieser Unternehmung war. Vielmehr ging es darum: […] für mehrere armenische junge Theologen, die Theologen in ihrer Kirche bleiben sollen und wollen, die Möglichkeit akademischen Studiums zu schaffen, und zwar so, dass ihnen weder äußere politische Schwierigkeiten noch ihre persönliche Empfindlichkeit wachgerufen wird.273

Indem man der armenischen Kirche »die Elemente einer besseren theolo­ gischen Bildung und einer tieferen religiösen Auffassung« zuführte, erwartete man die innere Erneuerung dieser Kirche nach den ihr »eigentümlichen Bedingungen«.274 Dabei sei dieser Auftrag, zur besseren Bildung armenischer Geistlicher beizutragen, an das Notwendige Liebeswerk von den Armeniern selbst herangetragen worden: Wir haben uns nicht dazu gedrängt. Die Armenier haben es uns angetragen, ihnen dabei zu helfen. Sie haben gerade zu unserem Kreise das Vertrauen, dass es ihnen das geben könne und werde, was sie brauchen. Sie haben wissenschaftlich und praktisch durchgebildete Theologen nötig: die denken sie durch das Studium an deutschen Fakultäten und durch die Berührung mit einem freien und frommen Christentum, wie wir es pflegen wollen, zu erhalten.275

Man war in Deutschland also zuversichtlich, dass die deutsche Ausbildung nicht nur die Grundlage für die Umgestaltung des theologischen Unterrichts an armenischen geistlichen Seminaren bzw. an der Gevorgian-Akademie und für die Entwicklung der theologischen Wissenschaft schaffen, sondern auch die innere Reform der Kirche ermöglichen würde. Rückblickend hat Stier doch einige Erfolge konstatieren können: Die Armenier legen auf unseren Universitäten ihre Studien mit vorbildlichem ­Eifer ab und bringen meist ein deutsches Doktordiplom heim; zwei von ihnen haben auch den theologischen Lizentiatengrad erworben. Die armenische Kirche hat von dieser vermehrten Bildung ihrer Glieder reichen Gewinn gemacht. Die theologische Wissenschaft wird seitdem auf der Akademie in Etschmiadzin im Sinne und Geiste 272 Rohrbach, Paul: Armenien und Deutschland. In: ChW. 17 (1903), 9, Sp. 205–207, 206 f. 273 Stier: Armenische Theologen, 116. 274 Ders.: Unser notwendiges Liebeswerk, Sp. 236. 275 Ebd.

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der deutschen Theologie getrieben, vielfach ist auch der Religionsunterricht auf den Schulen, der im allgemeinen noch sehr im Argen liegt, dadurch befruchtet worden.276

Gleichwohl musste er aber auch einräumen, dass das Studium der armenischen Geistlichen in Deutschland für ihre Kirche zugleich einen Verlust bedeutete: Nicht wenige von ihnen sind aus dem geistlichen Stand ausgetreten, in der Hauptsache, weil sie die Spannung zwischen ihrer auf einem früheren Stadium stehengebliebenen Kirche und dem protestantischen Geistesleben der Gegenwart zu stark empfunden haben; vor allem konnten sie sich nicht mehr in das Zölibat hineinfinden. Wir haben ergreifende Zeugnisse darüber aus ihrem Munde gehört. Aber auch dann ist ihre Arbeit der Kirche nicht immer verloren gegangen; verschiedene von ihnen wirken noch weiter als Religionslehrer oder Rektoren an höheren Schulen.277

In der Tat agierten die meisten der in Deutschland ausgebildeten Theologen später in ihrer Heimat in einem Spannungsfeld zwischen inneren und äußeren Widerständen, welche die Umsetzung der armenischen Kirchenreform maßgeblich verhinderten. Und gerade mit Blick auf diese »inneren und äuße­ ren Widerstände«, womit neben der Politik der zarischen Regierung auch die ambivalente Haltung der armenischen liberalen Elite und der religiösen Kreise gemeint war, scheint es sinnvoll, das Auslandsstudium armenischer Theologen zunächst einmal getrennt von der Reformfrage zu betrachten. Die Notwendigkeit des Hochschulstudiums vor allem der höheren Geistlichkeit wurde an und für sich nicht in Zweifel gezogen, wobei die deutschen Universitäten als Orte galten, die eine exzellente theologische Ausbildung versprachen. Ob jedoch die Reform der armenischen Kirche von den an protestantischen Fakultäten in Deutschland erworbenen Erfahrungen ausgehen sollte, war durchaus umstritten. Ter-Minassians Feststellung, die kirchlichen Reformen seien trotz ihrer Dringlichkeit weder unter der Geistlichkeit noch unter der Intelligenzija und der breiten Öffentlichkeit populär, verwundert vor diesem Hintergrund kaum.278 Erschwerend hinzu kam die Annahme, dass das Studium an deutschen Hochschulen und die Berührung mit den akademischen Freiheiten zu Glaubenskonflikten führen und mitunter die Rückkehr der armenischen Theologen in ihre Heimatkirche wesentlich erschweren könnten. Dies war aber ein Aspekt, mit dem sich nicht nur die Armenier, sondern auch Studenten anderer Nationalität auseinanderzusetzen hatten. Die große internationale Popularität, welche die deutsche wissenschaftliche Theologie im 19. Jahrhundert genoss, ging vielfach mit Vorbehalten gegenüber einer unreflek­tierten 276 Ders.: Die armenische Kirche. In: Mitteilungen über Armenien. 1918, 7, 67–75, 69. 277 Ebd., 70. 278 Matenadaran. Fond Ervand Ter-Minassian, Mappe 239/4, Nr. 25, 8 f.

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Übernahme der deutschen »historisch-kritischen Standards« einher. Die zentralen Stichworte in diesem Zusammenhang waren »Glaubenskrise« bzw. »moralische und intellektuelle Gefahren«.279 Selbst in Deutschland, so Martin Rade, gab es einen Widerstreit zwischen der modernen und der konservativen Theologie, »wie breit muss erst die Kluft zwischen derselben modernen Theologie und der Erstarrung jener uralten armenischen Kirche sein?«280 Auch Stier sprach die »schweren Weltanschauungskämpfe« der armenischen Theologen, die durch das Studium an deutschen Universitäten verursacht waren, nicht nur einmal an. Widersprüche zwischen der modernen und einer konservativen Theologie könnten Glaubenskonflikte hervorrufen, die sogar den deutschen Theologen, die in die »scharfe Luft der wissenschaftlichen Theologie« hineinkamen, nicht erspart blieben. Umso weniger sollte dies, so Stier, im Falle der armenischen Theologen überraschen, die aus einem Land mit so unterschiedlichen Zuständen stammten und einer Kirche angehörten, die nichts weiter kannte als liturgische Akte und ihren Mitgliedern geistig so wenig zu bieten hatte. Man dürfe sie folglich nicht – wie die deutschen Studenten – sich selbst überlassen, damit die Zweifel, die »das Studium in ihnen erweckte«, erkannt und bekämpft werden könnten.281 Ein konkretes Beispiel war die von Xostikian geäußerte Meinung, die protestantische Kirche bestehe nur durch den Halt des Pietismus. Damit solche »schiefen Urteile« vermieden werden konnten, sollte den armenischen Theologen neben dem akademischen Studium auch die praktische Gemeindearbeit zugänglich gemacht werden.282 Stier schlug daher vor, den Stipendiaten ein Vikariat zu ermöglichen, um sie mit den praktischen Seiten des deutschen evangelischen Lebens vertraut zu machen.283 So verbrachte Xostikian auf seinen Vorschlag die letzten Monate seines Aufenthalts in Deutschland zunächst in Chemnitz, dann bei dem evangelischen Theologen Walter Classen und bei dem Pastor Clemens Schultz in Hamburg, um Volksheim- und Jugendvereinsarbeit kennenzulernen.284 Generell war es nach Stiers Auffassung nicht ausreichend, nur »das nötige Geld zuzuschießen«, damit die Stipendiaten ihr Studium abschließen konnten. Die wissenschaftlich-theologische Ausbildung sollte auch deshalb durch Praktika ergänzt werden, damit den Studenten das kirchliche Leben, die soziale Arbeit sowie die christliche Liebestätigkeit nähergebracht werden 279 Eine ähnliche Debatte gab es etwa mit Blick auf die nordamerikanischen Theologiestudenten an deutschen Hochschulen. Siehe: Wischmayer: Vermittlungstheologie als Bildungsraum, 83–115. 280 An die Freunde. 1905, 12, Sp. 100. 281 Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 198–200. 282 Gazer: Friedrich Loofs, 240. 283 Ebd. 284 Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 199.

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Stipendien für das Auslandsstudium

konnte. Ein ausschließlich akademisches Studium ohne eine solche Vorbereitung werde unweigerlich zum falschen Verständnis und zu einer Fehlinterpretation der protestantischen Theologie führen: Die Gelegenheiten zu einer solchen praktischen Ergänzung des Studiums sollten wir ihnen, sei es in den Ferien, sei es nach Abschluss des Studiums, eröffnen. Sie müssen unser deutsches Volksleben kennen lernen, müssen mitten hinein, wo es pulsiert, sie sollen in deutsche Familien gehen und den Segen christlicher Häuslichkeit erfahren.285

Auch diese Maßnahmen dienten letztlich dem einzigen in der Satzung des Vereins Notwendiges Liebeswerk formulierten Zweck, nämlich der Förderung der armenischen Kirchenreform. Diese konnte jedoch nicht zuletzt wegen der politischen Verhältnisse im Russländischen wie im Osmanischen Reich nicht umgesetzt werden. Die sich permanent verändernden Voraussetzungen in Ēǰmiaċin wurden in Deutschland abwechselnd mit Sorge und Euphorie beobachtet. Stier machte nicht nur den Widerstand in den kirchlichen Kreisen für die Lähmung der Reformen verantwortlich, sondern auch die sozialdemokratische Ideologie, die unter den Armeniern rasch an Popularität gewann. Diese in Russland verbreitete Bewegung sei im Kaukasus zu einer besonderen Stärke herangewachsen. Während noch vor zehn Jahren von einer sozialdemokratischen Bewegung unter den Armeniern kaum die Rede gewesen sei, sei diese in den letzten Jahren sogar zu einer dominierenden politischen Richtung geworden.286 Als besonders schmerzlich empfand Stier, dass vor allem die gebildeten Armenier, die an ihrer Kirche als Repräsentantin des einzigen gemeinsamen Bandes ihres Volkstums festhielten, für die Religion eigentlich nichts mehr übrig hatten.287 Mit Blick auf die Reformfrage in der Türkei wiederum musste Stier konstatieren, dass ungeachtet aller liberal-demokratischer Entwicklungen nach der Revolution und trotz der armenischen Verfassung, die Bevölkerung dort so viel »Zurücksetzung und Ungerechtigkeit« zu beklagen hatte, dass an langfristige Reformen nicht zu denken war.288 Sowohl die Erste Russische Revolution und die Verbreitung der marxistischen Ideologie unter der armenischen Intelligenzija als auch die konträren Meinungen innerhalb der »Reformpartei« und der Widerstand des höheren Klerus hielt Stier für denkbar schlechte Voraussetzungen, um die innere Reform der Kirche durchzuführen. Die gründliche Ausbildung der armenischen Geistlichen in Deutschland betrachtete er dennoch als den wichtigsten Grundstein, der die noch zu erwartende religiöse Renaissance des armenischen Volkes herbeiführen werde: 285 Ders.: Unser notwendiges Liebeswerk, Sp. 237. 286 Ders.: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 198. 287 Ebd. 288 Ders.: Jahresbericht, Sp. 57.

Der Nachlass von Hovhannes Ēfendian 

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Ebenso schnell wie die Revolution in ihrer Religionsfeindlichkeit hereinbrach, ebenso schnell kann eine neue religiöse Bewegung dort einsetzen: vielleicht sind die Anzeichen vorhanden. Wenn sie kommt, dann ist für uns die Ernte da. Wir haben uns bei vielen gebildeten armenischen Theologen einen Schatz des Vertrauens erworben, vor allem durch unsre Dozenten, die ihre Lehrer geworden sind, aber auch durch unser Liebeswerk. Diesen Schatz wollen wir nicht verzetteln, sondern ihn mehren durch weitere Arbeit an dem armenischen Volke.289

Auch wenn die Zahl der durch das Notwendige Liebeswerk finanzierten armenischen Theologiestudenten in Deutschland sehr überschaubar war, regte ihr Wirken dennoch die Diskussion über eine bessere Ausbildung armenischer Theologen sowie über die Reform der Kirche an. Zwar blieben die wissenschaftlichen Kontakte armenischer Theologen zu ihren akademischen Lehrern in Deutschland – Harnacks Briefwechsel mit seinen ehemaligen Schülern war dafür ein bezeichnendes Beispiel290 – innerhalb eines engen Radius. Doch ermöglichte der zwischen den armenischen und den deutschen Theologen am Ende des 19. Jahrhunderts etablierte Dialog nicht nur den Transfer theologisch-wissenschaftlicher Inhalte, sondern auch theologisch-pädagogischer Praktiken und bahnte der wissenschaftlichen Theologie den Weg an die Gevorgian-Akademie.

4.4 Der Nachlass von Hovhannes Ēfendian Die Finanzierung des Auslandsstudiums der Armenier, die um die Jahrhundertwende beachtliche Ausmaße angenommen hatte, löste öffentliche Debatten über die zweckmäßige Verteilung des Geldes sowie über den zu erwartenden gesellschaftlichen Nutzen aus. In diesem Zusammenhang wurden insbesondere Rolle der Geistlichkeit und ihr Verhältnis zur Wissenschaft kritisch hinterfragt. Diese Auseinandersetzungen waren, nicht zuletzt durch die Berichte der in Deutschland ausgebildeten Theologen, auch in den deutschen evangelischen Kreisen bestens bekannt. Dort herrschte jedoch die Meinung vor, dass in der armenischen Gesellschaft das Auslandsstudium des geist­ lichen Nachwuchses eher auf Ablehnung stoße und dass auch die Kirche selbst für diesen Gedanken erst gewonnen werden müsse. 289 Ders.: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 203. 290 Siehe dazu Gazer, Hacik Rafi: Der Briefwechsel zwischen Adolf von Harnack und Armenischen Theologen. In: Temcke (Hg.): Blicke gen Osten, 347–372; Ders.: Adolf von Harnack und die Armenier. Betrachtungen zu einem wissenschaftlichen Austausch um die Jahrhundertwende. In: Pehlivanian, Meliné (Hg.): Armeni syn die menschen genant… Eine Kulturbegegnung in der Staatsbibliothek. Begleitband zur Ausstellung in der Staatsbibliothek Berlin 16. März – 29. April 2000. Berlin 2000, 173–200.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Diese Auffassung dominierte lange auch in der Historiografie und war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Namen vieler Mäzene, die am Ende des 19. Jahrhunderts erhebliche finanzielle Mittel für verschiedene Zwecke zur Verfügung stellten, im Unterschied zu Alexandr Mant’ašianc eher im Verborgenen blieben. Dabei ist weniger die Höhe der gespendeten Summe bemerkenswert, sondern vielmehr das damit aufgebaute Stipendienwerk, das explizit auch das Studium der künftigen Geistlichen einschloss. Im Nationalarchiv Armeniens wird eine beachtliche Anzahl von Dokumenten über Spenden und Nachlässe wohlhabender Armenier verwahrt. In den folgenden zwei Unterkapiteln sollen zwei besonders beeindruckende Beispiele dieser Großzügigkeit näher beleuchtet werden. Im Jahr 1872 vermachte der wohlhabende Armenier Hovhannes Ēfendian 62.000 Rubel dem Nersesian-Seminar, damit mit den Zinsen sogenannte Ēfendian-​Stipendiaten »eine geistliche Ausbildung für den Dienst in der armenischen Kirche« erhalten konnten.291 Die besten von ihnen hatten dann die Möglichkeit, mit einem Stipendium von jährlich 300 Rubeln für das Weiterstudium ins Ausland zu gehen, wobei sie jene Fächer studieren bzw. jene Handwerke erlernen sollten, die im Kaukasus als besonders wichtig erachtet wurden. Die zentrale Bedingung war, dass die Stipendiaten ausnahmslos aus armen Familien stammen sollten. Neben dem regulären Stipendium wurden auch die Reisekosten gedeckt, wobei diejenigen Studenten, die aus gravierenden Gründen wie etwa wegen Krankheit das Studium abbrechen und zurückkehren mussten, trotzdem eine Erstattung der Reisekosten bekamen. Nach der Rückkehr der Stipendiaten sollten umgehend neue ausgewählt werden. Das Nersesian-Seminar durfte über die ihm vermachte Summe verfügen, solange es als geistliche Schule unter kirchlicher Obhut blieb.292 Bis ins Jahr 1916 wurden aus Ēfendians Nachlass Stipendiaten an russländischen und europäischen Hochschulen unterstützt. In erster Linie diente dieses Stipendienwerk freilich dazu, den symptomatischen Bedarf des Nersesian-Seminars an qualifizierten Lehrern in verschiedenen Unterrichtsfächern zu decken. Das Kuratorium beschloss daher, die Wahl der Stipendiaten freier zu gestalten und auch frühere Absolventen, die bereits einige Jahre an verschiedenen armenischen Schulen unterrichtet hatten und über Berufserfahrung verfügten, ein Hochschulstudium im Ausland zu ermöglichen.293 Die ausgewählten Stipendiaten versicherten mit ihrer Unterschrift, dass sie sich später den armenischen Lehranstalten als Lehrkraft zur Verfügung stellen würden oder bereit seien, anderenfalls das erhaltene Stipendium in doppelter Höhe zurückzuzahlen.294 291 292 293 294

Nationalarchiv Armeniens. Fond 2, Liste 1, Akte 2105, Bl. 8. Ebd., Bl. 8–9. Ebd., Bl. 15. Ebd., Bl. 3.

Der Nachlass von Hovhannes Ēfendian 

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Einer der ersten Ēfendian-Stipendiaten war Sahak Sahakian, der im Oktober 1879 für ein Pädagogik- und Theologiestudium nach Tübingen ging. Dort mietete er für 110 Mark im Haus einer deutschen Familie ein Zimmer, wobei im Preis die Kosten für das Zimmer selbst, für die Verköstigung und für eine Stunde Deutschunterricht täglich enthalten waren. Nach Sahakians Einschätzung war dies eine sehr günstige Vereinbarung, da für ein solches Arrangement in der Regel bis zu 130 Mark aufzuwenden waren.295 Sahakian beabsichtigte, bis zum Sommersemester 1880 die deutsche Sprache ausreichend zu beherrschen, um sich immatrikulieren zu können. Doch der Spracherwerb gestaltete sich mühsamer als erhofft und nahm mehr Zeit in Anspruch. Sahakian zog daher im April 1880 nach München, wo es – wie ihm seine Kommilitonen versicherten – bessere Voraussetzungen für einen Deutschunterricht gab. Zum Sommersemester immatrikulierte er sich an der dortigen Universität und besuchte vor allem religionswissenschaftliche Vorlesungen, denen er allerdings wegen des wissenschaftlichen Vokabulars und der Verwendung des Lateinischen nicht richtig folgen konnte. In den Sommerferien beschäftigte er sich deshalb intensiv mit der Grammatik der lateinischen Sprache.296 Zum Sommersemester 1881 zog Sahakian nach Leipzig um, da die dortige Universität für das Theologie- bzw. das Pädagogikstudium besser geeignet sei als Tübingen und München, vor allem stünden diese Studienfächer dort, nicht zuletzt dank einschlägiger Spezialisten, auf einer besseren wissenschaftlichen Basis. Sahakian besuchte die theoretischen und praktischen Seminare des deutschen Philosophen und Pädagogen Tuiskon Ziller, der in seinem pädagogischen Seminar eine Übungsschule mit praktischem Unterricht eingerichtet hatte. Sahakians Berichten zufolge wurden die Leistungen der Studenten von Ziller, den anderen Dozenten sowie sonstigen Zuhörern in schriftlicher und mündlicher Form begutachtet.297 Bis zum Ende des Studiums schickte Sahakian regelmäßig ausführliche Berichte an das Kuratorium des Nersesian-Seminars über alle Vorlesungen, die er besucht hatte, über den praktischen Unterricht in Zillers Seminar sowie über die erhaltenen Stipendienzahlungen. Im Frühjahr 1883 ging er nach dem Abschluss der Leipziger Universität nach Wien, um »Vorlesungen bekannter Pädagogen zu besuchen und sich bei den Mechitaristen näher mit der armenischen Sprache zu beschäftigen«.298 In einem weiteren Schreiben berichtete er von den alljährlich in Deutschland stattfindenden allgemeinen pädagogischen Versammlungen, an denen er 1881 und 1882 auf eigene Kosten teilgenommen hatte. Da das Leben in Wien aber viel teurer sei als in den meisten deutschen 295 296 297 298

Ebd., Akte 715, Bl. 13. Ebd., Bl. 26. Ebd., Bl. 26–30. Ebd., Bl. 47.

Stipendien für das Auslandsstudium

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Städten, bat er den Pädagogischen Rat, ihm als Geschenk oder als Leihgabe 75 Rubel für die Reise zur nächsten Konferenz zu überweisen, was das Kuratorium auch genehmigte.299 Von 1879 bis 1883 erhielt Sahakian insgesamt 3.908 Rubel als Stipendium, inklusive diverser Reisekosten.300 Einer der bekanntesten Stipendiaten, der aus dem Nachlass von Ēfendian finanziert wurde, war der oben bereits erwähnte Ethnologe und Archäologe Ervand Lalaian. Nach dem Abschluss des Nersesian-Seminars wandte sich Lalaian an den Kathołikos persönlich mit der Bitte, sein geplantes Studium in Genf mit einer einmaligen Zahlung von 800 Rubeln zu unterstützen. Nach einer entsprechenden Empfehlung der Schulkuratoren wurde beschlossen, Lalaian aus dem Nachlass von Ēfendian 400 Rubel zur Verfügung zu stellen, weitere 400 Rubel sollte die Humanitäre Gesellschaft überweisen.301 Nach dem Abschluss der Fakultät für Soziologie in Genf ging Lalaian 1894 zu den Mechitaristen nach Wien, um armenische Handschriften zu studieren. Zahlreiche an das Nersesian-Seminar sowie an den Kathołikos persönlich gerichtete Briefe, in denen er darum ersuchte, ihm mehr Geld zu schicken, damit er ein weiteres Jahr in Wien bleiben und die Mechitaristen in Venedig besuchen könnte, blieben unbeantwortet.302 Nach seiner Rückkehr in die Heimat im Jahr 1895 unterrichtete Lalaian zunächst an der Realschule in Šuši und gründete 1896 die ethnologische Zeitschrift Azgagrakan Handes. Ab den 1890er Jahren erhielten der Pädagogische Rat und das Kuratorium auch von früheren Absolventen des Seminars zahlreiche Bewerbungen um ein Stipendium. Unter ihnen waren einige bekannte Namen wie der Philologe Grigor Vancian, der Zahnarzt Nikołaios Kač’kač’ianc, der Maler David Ok’roian (1874–1943) sowie der Hnčak-Marxist Ervand Palian. Sie alle hoben in ihrem Schreiben insbesondere die Tatsache hervor, dass sie bereits mit einem Stipendium am Seminar studiert hätten und den innigen Wunsch hegten, das Studium in Deutschland fortzusetzen. Im Februar 1895 wählte das Kuratorium Davit Ok’roian, Grigor Vancian und Simeon Hovuianc als weitere Stipendiaten aus. Ok’roian wurden 40 Rubel monatlich für ein Studium an der Kunstakademie in St. Petersburg gewährt, die beiden letztgenannten gingen mit einem Stipendium von jeweils 50 Rubeln monatlich nach Deutschland. Alle drei erklärten sich bereit, nach dem Studium vier Jahre am Nersesian-Seminar oder an einer anderen armenischen Schule zu unterrichten.303 Grigor Vancian, der zunächst mit Unterstützung seines Onkels, dann als Stipendiat von 1885 bis 1890 am Nersesian-Seminar studiert hatte, arbeitete 299 300 301 302 303

Ebd., Bl. 49. Ebd., Bl. 2–4. Ebd., Akte 503, Bl. 1. Ebd., Bl. 9–20. Ebd., Akte 1326, Bl. 2–38.

Der Nachlass von Hovhannes Ēfendian 

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nach dem Studium als Lehrer an verschiedenen armenischen Schulen und verfasste zugleich Berichte für die Zeitschriften Murč’ und Mšak. Noch während des Studiums lernte er den armenischen Dichter und Schriftsteller Hovhannes T’umanian (1869–1923) kennen und gehörte gemeinsam mit ihm zu den ersten fünf Gründungsmitgliedern des literarischen Zirkels Vernatun.304 Im Jahr 1895 wandte sich Vancian erstmals an das Nersesian-Seminar mit der Bitte, ihn zum Weiterstudium ins Ausland zu schicken. Nach wiederholten Anträgen wurde er schließlich vom Kuratorium als Ēfendian-Stipendiat ausgewählt und ging im Juni 1895 nach Berlin. Nach einigen Monaten Deutschunterricht immatrikulierte er sich im September an der Berliner Universität und besuchte unter anderem die Vorlesungen des »berühmten Pädagogen« Friedrich Paulsen.305 Um sich gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium zu verschaffen, bat Vancian das Seminar um Empfehlungsschreiben für Professor Paulsen bzw. für Adolph Wagner, den damaligen Rektor der Universität. Diese Personen sollten »leitend und richtungsweisend« sein Studium begleiten. Da diese Bitte recht ungewöhnlich war, erkundigte sich das Kuratorium offenbar bei ehemaligen Stipendiaten, ob sie solche Empfehlungen für notwendig erachteten. In einem nicht unterzeichneten Brief erklärte ein ehemaliger Stipendiat, dass er während des gesamten Studiums in Berlin für ein solches Schreiben keinen Bedarf gehabt hatte. Mehr noch, er fand es seltsam, dass Vancian sich ausgerechnet an den Rektor der Universität wenden wollte, wo dieser doch in akademischen Kreisen vor allem für seinen Antisemitismus und Radikalismus bekannt war.306 Im Oktober 1895 schickte der Pädagogische Rat dennoch ein auf Deutsch verfasstes Schreiben nach Berlin, in dem die beiden genannten Professoren gebeten wurden, das Studium der Stipendiaten des Nersesian-Seminars mit fachlichen Ratschlägen zu begleiten.307 Im Sommersemester 1896 zog Vancian nach Jena, um dort die Vorlesungen des Pädagogen Wilhelm Rein zu hören und als Hospitant dessen Pädagogisches Seminar zu besuchen. Ein weiterer geplanter Umzug nach Leipzig bewegte ihn dazu, nach zwei Jahren Studium dem Kuratorium von seiner außerordentlichen Geldknappheit zu berichten. Er habe zwar zugesagt, von 50 Rubeln monatlich im Ausland zu leben und zu studieren, doch sei ihm nicht bekannt gewesen, welche Kosten auf ihn zukommen würden. Mit dem ihm bewilligten Stipendium sei es zwar möglich, den Lebensunterhalt auf bescheidenstem Niveau zu bestreiten, andere für das Studium notwendige Ausgaben, wie etwa den Kauf von Büchern, könne er jedoch von dem Betrag nicht 304 T’umanianẹ žamanakakicneri hušerum [T’umanian in Erinnerungen der Zeitgenossen]. Bearbeitet von Karapetyan, L. M. Jerewan 1969, 270. 305 Nationalarchiv Armeniens. Fond 2, Liste 1, Akte 1326, Bl. 68. 306 Ebd., Bl. 93. 307 Ebd., Bl. 96.

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Stipendien für das Auslandsstudium

tätigen. Nur seine finanzielle Not halte ihn davon ab, nach Leipzig zu gehen und die Vorlesungen der bedeutenden Pädagogikprofessoren an der dortigen Universität zu besuchen. Seine Bitte, das Stipendium um 10 Rubel monatlich zu erhöhen oder ihm Geld zu leihen, wurde trotzdem abgelehnt.308 Nach dem Studium in Deutschland absolvierte Vancian noch kürzere Studienaufenthalte in Genf sowie in Wien bei den Mechitaristen.309 Da das Kuratorium nicht bereit war, sein Stipendium um ein weiteres Jahr zu verlängern, konnte Vancian nicht promovieren und kehrte nach vier Jahren im Juli 1899 in den Kaukasus zurück. Während seines Studienaufenthalts in Deutschland beteiligte er sich aktiv an der Arbeit des Vereins Armenischer Studenten Europas, hielt Vorträge auf den vom Verein organisierten Konferenzen und beschäftigte sich auch in den folgenden Jahren intensiv mit der Situation der armenischen Studentenschaft sowohl an den russländischen als auch an europäischen Hochschulen. Nach der Rückkehr stellte sich Vancian sogleich dem Nersesian-Seminar als Lehrer zur Verfügung. Doch zu seiner großen Enttäuschung hatte das Seminar keine freien Stellen zu vergeben, nicht einmal eine Stelle als »Répétiteur« wurde ihm angeboten. Auch die Schulen in Eriwan und Šuši konnten ihn nicht beschäftigen. Deshalb ging er mit dem ausdrücklichen Einverständnis und sogar mit einer finanziellen Unterstützung des Kuratoriums nach Baku, um sich dort eine Arbeit zu suchen.310 Später unterrichtete Vancian ein Jahr an der Realschule in Eriwan und ging anschließend nach Tiflis, um an der dortigen Handelsschule Armenisch zu unterrichten. Neben seiner pädagogischen und publizistischen Tätigkeit veröffentlichte Vancian auch einige Schulbücher. Am 5. Mai 1908 beging er Selbstmord, wobei die näheren Umstände ungeklärt blieben. Bazmavep widmete Vancians Leben und Wirken einen Artikel, in dem unter anderem bedauert wurde, dass seine Erfahrungen und sein im Ausland erworbenes Wissen den armenischen Schulen wegen seines frühen Todes nunmehr verwehrt blieben.311 Konfliktreich waren die Beziehungen zwischen dem Kuratorium und dem Stipendiaten Davit Ok’roian, der inzwischen die Kunstakademie in St. Petersburg absolviert hatte. Im Jahr 1912 wurde er in einem Brief aufgefordert, sich nach Tiflis zu begeben und dort die Stelle eines Kunstlehrers wahrzunehmen. Ok’roian unterrichtete zu dieser Zeit an einer Realschule in St. Petersburg und bot zudem Privatkurse an. Deshalb versuchte er, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen und beklagte sich darüber, dass die vierjährige Unterstützung des Nersesian-Seminars zur Finanzierung seines Kunststudiums ohne308 309 310 311

Ebd., Bl. 176. Ebd., Bl. 204. Ebd., Bl. 234. Bazmavep. 68 (1910), 1, 35–38, 36; Siehe auch Mšak. 36 (1908), 97, 2; Ararat. 1908, 5/6, 600–601.

Der Nachlass von Hovhannes Ēfendian 

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hin nicht ausgereicht habe. Er habe sich in den 14 Jahren seither kontinuierlich weitergebildet und dies auch selbst finanziert. Außerdem könne er als Maler nicht einfach aus der Hauptstadt weggehen, ohne vollständig den Kontakt zur dortigen Künstlerszene zu verlieren. Da er sich jedoch seiner Verpflichtung bewusst sei, bat er darum, ihm zwei bis drei Jahre Zeit zu geben, damit er zuerst seine Arbeit in St. Petersburg regeln und dann nach Tiflis ziehen könne. Sollte die Schule dies nicht wollen, sei er bereit, die für sein Studium aufgewendete Summe zurückzuzahlen. Das Kuratorium sah in dieser Reaktion eine klare Vertragsverletzung und verlangte von Ok’roian die Rückzahlung des Stipendiums in doppelter Höhe, also insgesamt 6.000 Rubel. Die Korrespondenz zwischen Ok’roian und dem Nersesian-Seminar wurde noch bis 1914 weitergeführt. Im Oktober übergab die Schule die Angelegenheit an eine juristische Kanzlei mit der Bitte, die Forderung der Schule gerichtlich durchzusetzen.312 Ein weiterer Stipendiat, der allerdings direkt aus den Mitteln des Nersesian-Seminars finanziert wurde, war Nikołaios K’aramian. Im Jahr 1882 beschloss das Kuratorium, den Aufenthalt eines Stipendiaten im Fach Philologie an einer ausländischen Universität zu finanzieren, und sammelte Informationen über drei Absolventen des Seminars. Die Wahl fiel schließlich auf K’aramian, der anschließend in Leipzig Philologie studieren durfte. Da sein Jahresstipendium in Höhe von 600 Rubeln für den Privatunterricht in Latein und die Bestreitung seines Lebensunterhalts in Leipzig nicht ausreichte, zog er zunächst in einen Vorort, um dort die Entscheidung des Pädagogischen Rats über die Erhöhung des Stipendiums abzuwarten.313 Deutsch lernte er seinen Berichten zufolge autodidaktisch, später wurde er von dem oben erwähnten Ēfendian-Stipendiaten Sahak Sahakian unterrichtet. Dem Kuratorium schickte K’aramian eine Kalkulation seiner laufenden und voraussichtlichen künftigen Kosten mit der Bitte, ihm jährlich 840 Rubel zu schicken. Mit dem bereits bewilligten Stipendium sei es ihm zwar möglich, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, für das Studium und den Sprachunterricht reiche das Geld jedoch nicht aus. Daraufhin erhöhte das Kuratorium sein Stipendium auf 750 Rubel jährlich.314 Den Privatunterricht in Latein, Griechisch und Deutsch setzte K’aramian im gesamten ersten Jahr seines Auslandsaufenthalts fort und immatrikulierte sich danach an der Leipziger Universität. Vom Kuratorium erhielt er weitere 210 Rubel, um die Vorlesungen bezahlen zu können.315 Dem Rat von Heinrich Hübschmann folgend, wechselte K’aramian ab dem Wintersemester 1884/85 an die Universität Tübingen, um dort die Vorlesungen des Historikers und 312 313 314 315

Nationalarchiv Armeniens. Fond 2, Liste 1, Akte 1326, Bl. 246–285. Ebd., Akte 828. Bl. 16. Ebd., Bl. 19–20. Ebd., Bl. 24–25.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Orientalisten Alfred von Gutschmid zu besuchen und Sanskrit zu lernen.316 Doch im Mai 1885 forderte ihn die Administration des Nersesian-Seminars auf, sein Studium innerhalb von vier Monaten abzuschließen und in die Heimat zurückzukehren, da die zwei Semester, die er vor Beginn des eigentlichen Studiums dem Sprachunterricht gewidmet hatte, ebenfalls als Studienjahr angerechnet wurden. K’aramian wandte sich umgehend an seine deutschen Professoren, die in ausführlichen Briefen das Nersesian-Seminar darum ersuchten, K’aramians Studium noch ein weiteres Jahr zu finanzieren. Die Orientalisten Albert Socin und Karl Friedrich Geldner in Tübingen sowie der Indologe Rudolf von Roth lobten seinen »großen Eifer und trefflichen Erfolg« und appellierten an die Administration des Nersesian-Seminars, ihm »volle vier Jahre (mit Ausschließen der Vorbereitungsjahre)  akademische Studien zu ermöglichen«. Abschließend betonten sie, dass es sehr schade wäre, wenn K’aramian das Studium vorzeitig abbrechen müsse.317 Mit einer ähnlichen Begründung wandte sich auch Alfred von Gutschmid an die Administration des Seminars und forderte die Verantwortlichen dort auf, K’aramian wenigstens vier volle Jahre studieren zu lassen.318 Dies zeigte offenbar Wirkung, sodass K’aramian im folgenden Semester nach Berlin ziehen konnte, um dort die Vorlesungen von Mommsen zu besuchen.319 Noch während des Studiums veröffentlichte er unter anderem in den Zeitschriften Ararat und ­Bazmavep historische und philologische Studien. Außerdem erstellte er eine Liste der im Königlichen Handschriftenarchiv in Berlin verwahrten armenischen Handschriften.320 Im Frühjahr 1887 bewilligte ihm das Seminar weitere 50 Rubel im Monat, damit er bei den Mechitaristen in Venedig seine Kenntnisse der armenischen Philologie vervollständigen konnte.321 Im Sommer desselben Jahres kehrte er schließlich in die Heimat zurück und wurde dort vom Kathołikos Mkrtič I. Chrimian als Direktor des Diözesan-Seminars in Eriwan verpflichtet. Dort führte K’aramian sogleich anstelle des Französischen Deutsch als Fremdsprache ein, was er unter anderem mit der hohen Bedeutung eines Auslandsstudiums in Deutschland begründete.322 K’aramian beklagte sich während des gesamten Studiums über die verspäteten Stipendienzahlungen und über seine permanente Bedürftigkeit, die ihn mitunter sogar in die Verlegenheit brachte, sich auf die Suche nach Lebens­

316 Ebd., Bl. 54. 317 Ebd., Bl. 86–87. 318 Ebd., Bl. 90–91. 319 Ebd., Bl. 116–117. 320 Ebd., Bl. 125. 321 Ebd., Bl. 132. 322 Vgl. Gazer: Studien zum kirchlichen Schulwesen, 72.

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mitteln zu machen, um nicht zu verhungern.323 Dies brachte er in seinen Briefen sehr eindringlich zum Ausdruck. K’aramians Beispiel sorgte aber wegen eines anderen Problems, nämlich der Zeitdauer des Studiums, für Änderungen bei der Stipendienvergabe. Fortan wurde das Stipendium für fünf Jahre gewährt, wobei das erste Jahr explizit für die Vorbereitung vorgesehen war. Anschließend waren die Stipendiaten verpflichtet, das Studium innerhalb von vier Jahren zu beenden. Sollten sie sich nach einem Jahr nicht immatrikulieren können, waren weitere Zahlungen hinfällig.324 Eine Verbesserung der finanziellen Lage brachten wiederum die zahlreichen Briefe, in denen die Stipendiaten in demselben Tenor wie K’aramian ihre materielle Not darlegten. Im Jahr 1912 beschlossen der Pädagogische Rat, die Kuratoren und die Nachlassverwalter, nur jeweils einen Studenten mit einem Stipendium von 600 Rubeln jährlich auszustatten, da 300 Rubel für ein Leben in einer europäischen Großstadt nicht ausreichend seien.325 Wie eingangs bereits erwähnt, war die Stipendienvergabe von dem jeweils aktuellen Nachwuchsbedarf des Nersesian-Seminars selbst abhängig, sodass die Wahl des Studienfachs in der Regel ganz dem Kuratorium überlassen blieb. Die Kandidaten äußerten allenfalls einen Wunsch oder verwiesen auf ihre besondere Neigung für ein bestimmtes Fach. Ansonsten waren sie bereit, sich vollständig auf die Bedingungen des Kuratoriums einzulassen. Diejenigen, die bereits studierten, standen bisweilen vor dem Problem, insbesondere die Wahl einer technischen Fachrichtung »glaubhaft« begründen zu müssen. So erklärte Allahverdi Ter-Sargsian, der am Handelsinstitut in Moskau studierte und sich um ein Stipendium beworben hatte, dass der Institutsname die Verantwortlichen nicht irritieren solle, da dort neben Ökonomie, Sozialund Rechtswissenschaften auch Pädagogik gelehrt werde. Außerdem könne die armenische Gesellschaft gewiss auch andere Spezialisten, wie etwa Öko­ nomen, gebrauchen. Da Ter-Sargsian jedoch unbedingt ein Stipendium erhalten wollte, erklärte er sich sogar dazu bereit, nach Deutschland zu gehen und dort Philologie und Literatur zu studieren, falls das Studium am Moskauer Handelsinstitut für die Bewilligung des Stipendiums ein Hindernis darstelle. Er habe in Moskau bereits ausreichend Deutsch gelernt, um mit ein wenig zusätzlichem Lernaufwand den Vorlesungen auf Deutsch zu folgen.326 In ähnlicher Weise erklärte sich der Bewerber Harut’iun Babasian bereit, trotz seiner besonderen Begabung für Musik dennoch Naturwissenschaften zu studieren, sollte die Schule keinen Bedarf an Musiklehrern haben.327 In der Hoffnung, ihre Chancen auf ein Stipendium zu erhöhen, fügten einige 323 324 325 326 327

Nationalarchiv Armeniens. Fond 2, Liste 1, Akte 828, Bl. 122–125. Ebd., Akte 2105, Bl. 98. Ebd., Bl. 89. Ebd., Bl. 33. Ebd., Bl. 62.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Bewerber dem ausgewählten Studienfach obligatorisch auch Pädagogik hinzu. Doch allen Kandidaten gemeinsam war die Zuversicht, der armenischen Gesellschaft künftig einmal wertvolle Dienste leisten und ihr – erhofftes – Stipendium auf diese Weise zurückzahlen zu können.

4.5 Der Nachlass von Avetis Łukassian Ein weiteres Stipendienwerk wurde an der Gevorgian-Akademie mit dem Nachlass des Kaufmanns Avetis Łukassian (1837–1902) etabliert, der schon zu seinen Lebzeiten sowohl für verschiedene Kulturzwecke als auch explizit für das Auslandsstudium junger Armenier Geld spendete. Łukassian und seine Brüder handelten mit Industrieprodukten, vor allem Textilfäden, zuerst in ihrer Heimatstadt Šuši, dann unter anderem in Moskau und Nuchi. Diese Tätigkeit setzte Łukassian später in Baku fort und wandte sich schließlich als Teilhaber der G. Arafelian and co. Gesellschaft dem Ölgeschäft zu. 1892 beendete er seine Handelskarriere und ließ sich in Tiflis nieder. Im Alter von 58 Jahren bekam er seine erste Tochter und widmete sich fortan ganz der Wohltätigkeit.328 In Baku, Tiflis und an anderen Orten baute er Kirchen und Schulen und stiftete in Tiflis ein religionshistorisches Museum, das einer armenischen Kirche angegliedert war. Dafür erhielt er vom Kathołikos die Erlaubnis, sich gemeinsam mit seiner Frau im Innenhof der betreffenden Kirche begraben zu lassen. Łukassian schrieb außerdem einen Preis in Höhe von 500 Rubeln aus, der alljährlich für das beste in alt- oder neuarmenischer Sprache verfasste Werk im Bereich der armenischen Philologie, Geschichte oder Pädagogik vergeben wurde. Publik gemacht wurde der Preis auch in russischen und in ausländischen Zeitungen, da sich nicht nur Armenier, sondern auch Vertreter anderer Nationalität bewerben konnten. Die Auswahlkommission setzte sich aus fünf Mitgliedern zusammen und trat regelmäßig in den Räumen des religionshistorischen Museums in Tiflis zusammen. Sie traf unter den eingereichten Arbeiten eine Vorauswahl und übergab die ausgewählten Werke Spezialisten zur weiteren Begutachtung. Fand keine Arbeit die Zustimmung der zuständigen Gremien, konnte das Preisgeld auch für die Veröffentlichung älterer wissenschaftlicher Arbeiten verwendet werden.329 Insgesamt spendete Łukassian nach Einschätzung der Zeitschrift Lumay für diverse wohltätige Zwecke 200.000 Rubel – und das aus einem, wie die Zeitschrift unterstrich, »nur mäßigen Vermögen«.330 328 Lumay. 1902, 6, 304–306, 304. 329 Ebd., 1902, 2, 237–240. 330 Ebd., 1902, 6, 306.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

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Im Jahr 1901 regelte Łukassian seinen Nachlass, mit dessen Verwaltung er seinen Neffen Połos Łukassian, einen vermögenden Ölindustriellen in Baku, und seinen Schwager Mnacakan Xununc, den Rektor des Nersesian-Seminars, betraute. Unter anderem hatte er 60.000 Rubel Ēǰmiaċin hinterlassen, wovon 30.000 für die Ausbildung sogenannter geistlicher und 30.000 für sonstige – weltliche  – Stipendiaten an russländischen und europäischen Universitäten vorgesehen waren.331 Gemäß den Regularien eines üblichen Stipendienwerks sollte das Grundkapital unberührt bleiben, während die Zinsen es »geistlichen« Stipendiaten ermöglichen sollten, an russländischen oder europäischen Universitäten »armenologische« und theologische Fächer zu studieren. Die »weltlichen« Stipendiaten sollten die Möglichkeit erhalten, sich in »verschiedenen Wissenschaften« auszubilden.332 Dabei war es das Hauptanliegen, die Absolventen der Gevorgian-Akademie zu fördern, die sich verpflichteten, nach dem Studium in den geistlichen Dienst der armenischen Kirche im Kaukasus, in der Türkei oder in Persien einzutreten bzw. an armenischen Schulen zu unterrichten. Bewerben konnten sich auch Armenier aus dem Osmanischen Reich und aus Persien, wobei das entscheidende Kriterium die Zugehörigkeit zur armenisch-apostolischen Kirche war. Alle Entscheidungen bezüglich des Stipendiums bzw. der zur Verfügung stehenden Summe waren dem Kathołikos und dem Pädagogischen Rat der Gevorgian-Akademie überlassen. Ausdrücklich festgehalten war ferner, dass allein der Kathołikos die Verantwortung über das Testament trug, falls die Akademie in Ēǰmiaċin einmal nicht mehr existieren sollte. Die hinterlassene Summe war in Staatsobligationen bei der Staatlichen Bank in St. Petersburg angelegt, welche die Zinsen regelmäßig an die von den Nachlassverwaltern benannte Institution transferierte. Für diese Dienste, aber auch für die Verwahrung der Wertpapiere behielt die Bank aus den fünfprozentigen Zinsen eine Gebühr ein. Die Belege über diese Transaktionen schickten die Nachlassverwalter regelmäßig an den Hl. Synod. Mit diesem kam es in den folgenden Jahren zu einer umfangreichen Korrespondenz über die Umsetzung des Testaments im Sinne des verstorbenen Avetis Łukassian. Vor allem ging es darum sicherzustellen, dass es »in der Zukunft um dieses Testament keine unerwünschten Handlungen gibt und es zu keinen Missverständnissen kommt«.333 Der Pädagogische Rat der Gevorgian-Akademie verpflichtete sich, einmal im Jahr im Ararat oder, sollte Ararat nicht mehr erscheinen, in einer anderen im Kaukasus verbreiteten armenischen Zeitung genaue Informationen über den Nachlass, das Wachstum der Zinsen und 331 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil I., Bl. 4. 332 Ebd. 333 Ebd., Bl 86.

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Stipendien für das Auslandsstudium

deren Verwendung, sodann aber auch über die Auswahl einzelner Stipendiaten und über deren Studienfortschritte zu veröffentlichen. Ebenso waren die Stipendiaten verpflichtet, dem Pädagogischen Rat zweimal im Jahr einen von ihrer Fakultät beglaubigten Bericht über den Verlauf ihres Studiums und die von ihnen belegten Vorlesungen zu schicken. Diese Belege mussten einmal im Jahr zusammen mit dem Bericht über die Verwendung der Zinsen vorgelegt werden. Das Jahresstipendium betrug für das Ausland 700 und für Russland 500 Rubel und wurde von den Nachlassverwaltern in Absprache mit dem Hl. Synod in zwei Jahresraten ausgezahlt. Die zulässige Studiendauer war prinzipiell fachabhängig, jedoch in der Regel auf vier Jahre begrenzt und konnte nur in Ausnahmefällen verlängert werden. Frei gewordene Stellen waren unverzüglich mit neuen Stipendiaten zu besetzen. Auch waren die Nachlassverwalter berechtigt, den Hl. Synod auf eventuelle Versäumnisse hinzuweisen, die dieser unverzüglich zu korrigieren hatte.334 Noch bevor die ersten Stipendien offiziell in den Zeitungen ausgeschrieben wurden, erhielten dank einer persönlichen Intervention des Kathołikos Mkrtič I. Chrimian zwei Absolventen der Akademie, Nerses Vardapet T’ovmaAłaian und der armenische Komponist, Musikwissenschaftler und Pädagoge Spiridon Melik’ian (1880–1933), ein Stipendium für das Studium in Berlin. Spiridon Melik’ian studierte von 1905 bis 1908 Musik am Konservatorium und besuchte als ordentlicher Student Vorlesungen zur Musikgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität. Laut seinem Abschlussbericht bekam er von Xununc während seiner letzten drei Studienjahre 750 Rubel jährlich: […] nur für das erste Jahr habe ich 600 Rubel bekommen, weil ein anderer Vardapet, der vor mir ins Ausland ging, nach dem Befehl des Heiligen Vaters 900 Rubel bekam. Alle meine Ersuche, die fehlende Summe mir nachträglich zu überweisen, blieben ohne Ergebnis. Das hatte zu Folge, dass ich von den hier lebenden Bekannten immerzu Geld leihen musste und in den folgenden Jahren wie ein Bettler lebte, weil für einen Musikstudenten selbst 750 Rubel zu wenig sind.335

Melik’ian schloss sein Studium am Konservatorium trotz der beschriebenen Schwierigkeiten erfolgreich ab. In der Abschlussprüfung stellte er seine einstündige Komposition zur Hovhannes T’umanians Ballade »Ach, T’amar« für großes Orchester vor und erhielt sein Diplom als Musiker und Konzertsänger. Nach dem Studium kehrte er nach Ēǰmiaċin zurück und bekundete dort in einem Brief an den Kathołikos sogleich seine Bereitschaft, als Lehrer an einer armenischen Schule zu arbeiten.336 334 Ebd., Bl. 87. 335 Ebd., Bl. 54. 336 Ebd.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

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Im Frühjahr 1907 erschien die erste offizielle Ausschreibung über die Stipendien, die aus Łukassians Nachlass vergeben werden sollten, in ausgewählten armenischen Zeitungen: Die Verwaltung der Gevorgian-Akademie gibt bekannt, dass mit dem Nachlass des verstorbenen Avetis Łukassian drei junge Armenier apostolischen Glaubens für eine Hochschulbildung nach Russland oder ins Ausland geschickt werden sollen. Die Bewerber sollen die Gevorgian-Akademie oder eine Mittelschule absolviert haben, die Abschlusszeugnisse sowie eine Publikationsliste, sofern vorhanden, sind der Bewerbung beizulegen. Wünschenswert sind zudem Empfehlungsschreiben vom Pädagogischen Rat der jeweiligen Schule. Die Bewerber sollen angeben, welches Fach sie studieren wollen. Der Pädagogische Rat der Akademie wird historisch-philologische, pädagogische und naturwissenschaftliche Studienfächer bevorzugen.337

Nach dieser Ausschreibung gingen binnen eines Monats 87 Anträge bei der Verwaltung der Gevorgian-Akademie ein.338 Aus diesen Bewerbungen suchte der Pädagogische Rat nach zwei Sitzungen zunächst 15 Bewerber aus, von denen dann drei in geheimer Wahl als Stipendiaten auswählt wurden. Anschließend wurden die Nachlassverwalter über den Ausgang der Wahl informiert und gleichzeitig aufgefordert, die Reisekosten sowie die Hälfte des ersten Jahresstipendiums an die Berechtigten auszuzahlen. Unmittelbar nach der Auswahl der ersten regulären Stipendiaten unterrichtete Xununc die Gevorgian-Akademie über die finanzielle Lage und das Wachstum der Zinsen. Nach seinen Berechnungen waren für die drei ausgewählten Stipendiaten insgesamt 1.700 Rubel jährlich notwendig, während für »weltliche« Stipendiaten nur Zinsen in Höhe von 1.500 Rubeln zur Verfügung standen. Das Defizit lasse sich, so sein Vorschlag, aus den in früheren Jahren bereits angefallenen Zinsen ausgleichen, für Stipendienausschreibungen in den folgenden Jahren müsse das Budget jedoch neu berechnet werden. Im Übrigen beliefen sich am 1. Januar 1907 die seit 1904 erwirtschafteten Zinsen auf insgesamt 4.728,75 Rubel, die die Nachlassverwalter zur Unterstützung weiterer – nicht regulärer – Stipendiaten verwenden wollten. Xununc nannte der Akademie drei Studenten, die man mit dieser Summe unterstützen könne. Bei einem von ihnen handelte es sich um Petros Ter-Hovhannisian, der mit Avetis Łukassian verwandt war. Xununc sah es als moralische Pflicht der Akademie und der Nachlassverwalter an, diesen jungen Mann zu unterstützen, zumal er keinen Vater mehr hatte und die Mutter die Studienkosten für ihre Söhne durch harte Arbeit verdienen musste. So lasse sich auch Łukassians Andenken angemessen würdigen.339 Der zweite Kandidat war Gurgen Ter-Hovhannisian, 337 Ebd., Bl. 5. 338 Ebd., Bl. 8. 339 Ebd., Bl. 35–36.

Stipendien für das Auslandsstudium

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der bereits in Berlin studierte, der dritte hieß Mušeł Ałaian und beabsichtigte, an der Universität in St. Petersburg zu studieren. Diese beiden waren die Söhne der Schriftsteller Muracan (1854–1908) und Łazaros Ałaian (1840–1911), die trotz ihrer Bekanntheit das Studium ihrer Kinder nicht finanzieren konnten. Die Nachlassverwalter wandten sich daher in einem Brief an den Kathołikos persönlich: […] wir, die Vertreter des verstorbenen Avetis Łukassian, wissen ganz genau, wie sehr er die armenischen Schriftsteller ehrte und ihre Verdienste schätzte, und wie sehr er die jungen und begabten Armenier fördern wollte. Der beste Beweis dessen ist sein Nachlass an Hl. Ēǰmiaċin. Daher erlauben wir uns den Heiligen Vater, den Kathołikos, und den Vorstand der Gevorgian-Akademie darum zu bitten, diesen jungen Männern zumindest 30 Rubel im Monat als Hilfe zur Verfügung zu stellen […], womit sich die Situation ihrer Eltern doch erheblich erleichtern würde.340

Die erwähnten drei Studenten sollten für vier Jahre mit je 360 Rubeln jährlich unterstützt werden, was die verfügbare Summe zwar erheblich überschreite, sich aber Xununc zufolge mit den Zinseinnahmen der folgenden Jahre wieder ausgleichen lasse.341 Muracan wandte sich auch persönlich an den Kathołikos mit der Bitte, seinem Sohn, der das Realgymnasium in Heidelberg absolviert habe und bereits am Polytechnikum in Berlin studiere, mit einem Stipendium zu unterstützen. Er verwies dabei auf seine eigenen Verdienste um die armenische Literatur, aber auch auf seine Bedürftigkeit und die gesundheitlichen Probleme, die ihm die Versorgung seiner Familie und die Finanzierung des Studiums seiner drei Söhne unmöglich machten.342 Schließlich wandte sich auch der Rektor der Gevorgian-Akademie Mesrop Vardapet Ter-Movsesian (1865–1939) mit der Bitte an den Kathołikos, er möge den Söhnen »dieser angesehenen Schriftsteller« ein Studium ermöglichen. In dem Schreiben hieß es: […] da Herr Xununc ja für solche Leute bittet, die mit ihrer literarischen und päda­ gogischen Tätigkeit in der armenischen Gesellschaft nicht unbekannt sind und in der Tat sich in einer finanziellen Notlage befinden, erachte ich die Unterstützung ihrer Söhne für möglich und wende mich an Sie mit der Bitte, dies zu bewilligen.343

Nicht für sinnvoll befand der Rektor dagegen die Unterstützung von Petros Ter-Hovhannissian und schlug stattdessen vor, Senek’erim Ter-Hakobian (1881–1938), den später bekannten Pädagogen aus dem Osmanischen Reich, finanziell zu unterstützen.344 Dieser hatte 1902 die Gevorgian-Akademie abgeschlossen und arbeitete dort seitdem als Lehrer. 340 341 342 343 344

Ebd., Bl. 36. Ebd., Bl. 89. Ebd., Bl. 29. Ebd., Bl. 37. Ebd., Bl. 40.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

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Dem resümierenden Bericht von Mnacakan Xununc vom 9. Dezember 1909 zufolge wurden nach der ersten Auswahl folgende Stipendiaten mit dem Nachlass von Avetis Łukassian finanziell unterstützt: Mesrop Vardapet Maxudianc erhielt jährlich 750 Rubel und studierte Armenologie (sic!) an der École des Hautes Études in Paris; Ruben Abrahamian345 studierte mit 500 Rubeln zunächst an der Universität Kiew klassische Sprachen, Kunstgeschichte sowie alte Literatur und zog später nach Leipzig; Gevorg Alt’unian346 bekam 700 Rubel und studierte an der historisch-philosophischen Fakultät in Berlin; Hovhannes Karapetian347 studierte mit 500 Rubeln jährlich Geologie an der Mineralogischen Akademie in Mons. Sodann wurden mit jeweils 360 Rubeln jährlich Senek’erim Ter-Hakobian an der historisch-philosophischen Fakultät der Universität Berlin, Gurgen Ter-Hovhannissian am Polytechnikum in Berlin sowie Mušeł Ałaian in St. Petersburg unterstützt.348 345 Ruben Abrahamian (1881–1951) war ein armenischer Orientalist, Philologe und Übersetzer. Nach dem Abschluss der Realschule in seinem Heimatdorf Gnišik (im heutigen Armenien), absolvierte er die Gevorgian-Akademie. Danach studierte er zunächst in Kiew, dann in Leipzig und St. Petersburg. Nach dem Studium unterrichtete er an der Gevorgian-Akademie Russisch in den unteren Klassen und Philologie und klassische Philosophie in den höheren. Von 1912 bis 1920 lehrte er in Tiflis, bevor er 1921 nach Persien zog und lange Jahre an den armenischen Schulen in Täbris, Nor Dschulfa und Teheran unterrichtete. 1935 gründete er an der Universität Teheran den Lehrstuhl für alt- und mittelpersische Sprache. 1946 kehrte er nach Sowjetarmenien zurück. 1965 veröffentlichte er sein wichtigstes Werk »Pahlaveren-parskeren-hayeren-ṙuseren-angleren baṙaran« [Das mittelpersisch-persisch-armenisch-russisch-englische Wörterbuch]. Jerewan 1965. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 22. 346 Gevorg Alt’unian war ein armenischer Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Bühnenautor. Nach dem Studium in Berlin unterrichtete er an der Gevorgian-Akademie, dann an einer Schule in Leninakan (Gyumri). Zu seinen literarischen Werken gehören: Altunian, G.: Hay gri ev tpagrut’ean meċ yobeleanẹ. 412–1512–1912 [Das große Jubiläum der armenischen Schrift und des Drucks. 412–1512–1912]. Ēǰmiaċin 1912; Ders.: Germanakan nor grakanut’ean patmut’iun: Hamaṙot aknarkov skzbnakan šrǰani masin [Geschichte der neuen deutschen Literatur: Mit einem kurzen Überblick über die ältere Epoche]. Ēǰmiaċin 1914. Alt’unian war außerdem Autor zahlreicher Übersetzungen von Hermann Sudermann, Karl Bücher, Goethe usw. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 51. 347 Hovhannes Karapetian war ein armenischer Geologe. Nach dem Abschluss der Mineralogischen Hochschule in Mons kehrte er 1913 nach Tiflis zurück und unternahm mineralogische Untersuchungen in Transkaukasien. Er machte sich vor allem um die Reaktivierung diverser Bergbauunternehmen im Kaukasus verdient und erstellte zahlreiche Gutachten über die geologischen Bedingungen großer wasserbaulicher Projekte. Von 1925 bis 1930 war er mit der Untersuchung der Mineralquellen und des Süßwassers in der Armenischen SSR beschäftigt und als Berater beim Kanalbau ­Moskau-Wolga tätig. 1935 gründete Karapetian das Geologische Institut, das er bis 1939 leitete. Darüber hinaus lehrte er an der Universität Jerewan Geografie und Geologie und war Leiter des Lehrstuhls für Allgemeine Geologie. Am Institut für Geologie richtete Karapetian 1937 das Geologische Museum ein, das seit 1944 seinen Namen trägt. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 549 f. 348 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte, 55, Teil I., Bl. 88–89.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Hovhannes Karapetian absolvierte 1895 das Nersesian-Seminar in Tiflis und versuchte, in den folgenden Jahren als Lehrer an verschiedenen Kreisschulen genug Geld zu verdienen, um sein Studium in Russland zu finanzieren. Sein Antrag auf Zulassung zur Aufnahmeprüfung am neu eröffneten Polytechnikum in Kiew wurde jedoch abgelehnt, weil er keinerlei Kenntnisse der klassischen Sprachen nachweisen konnte. Zum Zeitpunkt der Genehmigung seines Stipendiums war er als Sekretär der Armenischen Humanitären Gesellschaft in Baku tätig. In seinem Bewerbungsschreiben betonte er seine »besondere Leidenschaft« für den Bergbau und beschrieb die Studienreisen, die er bereits in geologisch interessante Regionen des Kaukasus unternommen hatte.349 Karapetian wurde ein Stipendium an einer russländischen Universität zugesagt, wobei sich die Akademie offiziell an die ausgewählten Universitäten wenden musste, um seine Zulassung zum regulären Studium zu ermög­ lichen.350 Doch Karapetian entschied sich dafür, die Schwierigkeiten eines Auslandsstudiums auf sich zu nehmen und nach Deutschland zu gehen. Zum einen betonte er die Tatsache, dass die wissenschaftliche Geologie und das Bergbauwesen dort weiter entwickelt seien. Zum anderen befürchtete er, dass die instabile politische Lage in Russland ihm ein geordnetes Studium dort ohnehin nicht erlauben würde: Mit dem Diplom des Nersessian-Seminars hätte ich in Russland sowieso einige Se­ mester als Gaststudent verbringen müssen, und selbst dann hätte es passieren können, dass man mich nicht zum Studium zugelassen hätte.351

Karapetian erkundigte sich zunächst danach, an welcher ausländischen Universität er mit den ihm zur Verfügung stehenden 500 Rubeln und seinen Vorkenntnissen studieren könne. Für das Studienfach seiner Wahl kamen die Städte Berlin, Freiburg und Aachen, Liège und Mons in Belgien sowie Paris und Saint-Étienne in Frankreich in Frage. 1907 teilte er dem Pädagogischen Rat mit, dass für die Immatrikulation in Berlin offizielle Leistungsnachweise in mathematischen Fächern wie »géométrie analytique, géométrie descriptive, mécanique, chimie, trigonometrie, géométrie modérne« erforderlich seien, von denen man in »unseren Mittelschulen nicht einmal eine Vorstellung bekommt«.352 Ohne eine Aussicht, diese Prüfungen erfolgreich abzulegen, ging er im Dezember 1908 nach Lausanne und bereitete sich dort »trotz der sprachlichen Schwierigkeiten« zwei Semester lang auf die Aufnahmeprüfung vor. Diese bestand er sowohl an der École des Mines in Mons als auch an der 349 Ebd., Bl. 8. 350 Ebd. 351 Ebd., Bl. 45. 352 Ebd., Bl. 75.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

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École Polytechnique der Universität Brüssel, wo er zunächst studierte und sich damit »im Zentrum des belgischen akademischen Lebens« befand.353 Bereits nach einem Semester wechselte er aber nach Mons, da die Semesterprüfungen in Brüssel viel Geld kosteten, außerdem sei an der École des Mines in Mons die theoretische eng mit der praktischen Ausbildung verbunden.354 Zusammen mit einem seiner ersten Berichte schickte Karapetian als Hilfestellung für künftige Stipendiaten den Studienplan der Universität Brüssel nach Ēǰmiaċin. In Ēǰmiaċin sah man in Karapetians Berichten jedoch ein zweifaches Problem: Zum einen hatte er kein geisteswissenschaftliches Studienfach ausgewählt, war daher nach Auffassung des Pädagogischen Rats für den Schuldienst untauglich. Darüber hinaus sei die Bergakademie keine Universität, wo ihm doch ein Stipendium für ein Hochschulstudium gewährt worden sei.355 Am 26. Dezember 1909 erhielt Karapetian ein »lakonisches Schreiben« aus Ēǰmiaċin, in dem er bezichtigt wurde, gegen den »Sinn des Testaments« gehandelt zu haben. Karapetian traf diese Anschuldigung insofern überraschend, als er mit der Genehmigung seines Antrags auch das Studium der Geologie und des Bergbauwesens für bewilligt erachtet hatte: Nach fast 2,5 Jahren, nachdem ich den schwierigsten und auch den größten Teil meines Studiums hinter mir habe, nach jährlichen Berichten, die ich an den Pädago­ gischen Rat schickte, mich dieser Versäumnisse zu beschuldigen, verwundert mich und bereitet mir große Schmerzen. […] Im Übrigen darf ich festhalten, dass mit der Wahl der Geologie ich keineswegs meine Karriere vor Augen hatte, sondern vorhabe, meine Untersuchungen im Kaukasus und in der Türkei fortzusetzen. Außerdem ist Geologie ein sehr breit angelegter Zweig der Naturwissenschaften, was mir durchaus erlauben wird, diese an Schulen zu unterrichten.356

Zudem erklärte Karapetian ausführlich, dass es sich bei der Bergakademie in Mons durchaus um eine Hochschule handele, der Beweis dafür sei die Anwesenheit ausländischer Studenten aus Russland, Italien, Frankreich und England, die andernfalls diese Einrichtung nicht in so großer Zahl besuchen würden.357 In den folgenden Jahren verschlechterte sich Karapetians finanzielle Situation zusehends. Das Stipendium reichte ohnehin nicht, um die Kosten für Studium und Lebenshaltung zu decken. Außerdem trafen die Zahlungen aus Ēǰmiaċin unter anderem wegen Schwierigkeiten mit der Banque du Hainaut nicht termingerecht ein: 353 Ebd. 354 Ebd., Bl. 79. 355 Ebd., Bl. 104. 356 Ebd., Bl. 105. 357 Ebd., Bl. 106.

Stipendien für das Auslandsstudium

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Ich bin müde und enttäuscht von meiner unklaren Situation in der letzten Zeit. In meinem letzten Bericht hatte ich geschrieben, dass ich seit Juli ungeduldig auf mein Stipendium warte. Ohne jegliche finanzielle Mittel und ohne regelmäßiges Essen bin ich krank geworden, worüber ich Ihnen [dem Pädagogischen Rat] berichtet hatte. Ich hoffe, dass die erwähnte Bank mir in den nächsten Tagen mein Stipendium von 1.059 Francs (400 Rubel) auszahlen wird. Ich werde dann in der Lage sein, aus dieser Summe die Studiengebühren von 285 Francs zu zahlen, um wieder in die Schule gehen zu können. Als Beweis, dass ich diese Summe zahlen muss, schicke ich Ihnen die Quittung aus dem letzten Jahr. Danach werden mir 774 Francs zur Verfügung stehen, woraus ich 50–60 Francs für Bücher und die für das Studium notwendigen Gerätschaften ausgeben und meine Schulden in Höhe von etwa 300 Francs zurückzahlen werde. Für die restlichen 8,5 Monate würden mir somit 400 Francs übrigbleiben.358

In einem weiteren Schreiben bat Karapetian darum, ihm für das laufende Jahr 600 oder 700 Rubel zu schicken, damit er seine Dissertation zu Ende bringen könne. Bemerkenswert an seinem Schreiben ist, dass er darin auf die Angebote verweist, die er dank seiner »fleißigen und sorgfältigen Arbeit« kontinuierlich von seinen Professoren erhielt. Beispielsweise habe er die Möglichkeit, an einer belgisch-deutschen geologischen Expedition in den Nahen Osten, oder aber an einer englisch-belgisch-deutschen Expedition nach Afrika teilzunehmen, lehne diese Angebote aber aus »Pflichtgefühl« seiner Heimat gegenüber ab. Stattdessen habe er beschlossen, alle Schwierigkeiten zu ertragen und in die Heimat zurückzukehren, da auch im Kaukasus solche Expeditionen dringend notwendig seien. Sollte er jedoch aus Ēǰmiaċin keine weitere Unterstützung erhalten, würde er sich als von dieser »moralischen Pflicht« befreit betrachten. Er schloss nicht aus, dass er dann irgendein Angebot annehmen und für einige Jahre nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Sicher sei jedoch, dass er nicht ohne das Diplom zurückkehren werde.359 Seiner Bitte um mehr Geld kam der Pädagogische Rat dennoch nicht nach. In einem letzten Schreiben vom 5. März 1911 bat Karapetian wiederholt darum, sein Stipendium um ein Jahr zu verlängern bzw. ihm statt 500 zumindest einmalig 650 oder 700 Rubel zu schicken, damit er seine Dissertation abschließen und drucken lassen könne. Ferner merkte er an, dass er wegen seiner Geldknappheit als gewöhnlicher Bauarbeiter in der Kohlemine für einen Tagelohn arbeiten müsse.360 Ob Karapetian letztlich zusätzliche finanzielle Mittel gewährt wurden, geht aus der Korrespondenz nicht hervor. Doch aus einem Bericht von Xununc an den Pädagogischen Rat ist ersichtlich, dass Karapetian seine Dissertation abgeben und den Studienabschluss erlangen konnte.361 358 359 360 361

Ebd., Teil II ., Bl. 262. Ebd., Bl. 263. Ebd., Teil I., Bl. 133. Ebd., Bl. 154.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

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Das Studium von Ruben Abrahamian verlief ebenfalls nicht ohne Schwierigkeiten. Ursprünglich sollte er Philologie an einer russländischen Universität studieren, wurde jedoch von der historisch-philologischen Fakultät der Universität Moskau nicht angenommen. Da für die Anmeldung Gebühren in Höhe von 25 Rubeln notwendig waren, hatte er sich in dem Bewusstsein, dass »von dieser Fakultät erfahrungsgemäß noch niemand abgewiesen worden ist«, an keiner anderen Hochschule mehr beworben.362 Die nachträglich nach St. Petersburg, Kiew und Dorpat gesandten Anträge wurden wegen der abgelaufenen Immatrikulationsfrist ebenfalls abgelehnt. Auch Abrahamian entschied sich zunächst dafür, ins Ausland zu gehen, um Deutsch zu lernen und sich ab dem kommenden Jahr an der Universität Dorpat zu immatrikulieren. Doch die Perspektive, mit 500 Rubeln jährlich im Ausland zu leben, hielt ihn letztlich davon ab. Stattdessen schrieb er sich im Folgejahr an der Universität Kiew ein, die ihn jedoch wegen der politischen Umwälzungen schon bald zwangsexmatrikulierte. Abrahamian zog schließlich nach Leipzig und studierte in den folgenden vier Jahren an der dortigen Universität Philologie. In seinem Abschlussbericht kam Abrahamian ausführlich auf die Hürden zu sprechen, denen er sich als Stipendiat ausgesetzt gesehen hatte: Ich darf dem Pädagogischen Rat mitteilen, dass ich mein Abschlussdiplom bekommen habe, und somit stellt sich die Frage der Wahl meines Nachfolgers. Ich erlaube mir den [Pädagogischen] Rat darauf aufmerksam zu machen, dass für die Stipendiaten in Russland weniger Geld als für diejenigen im Ausland vorgesehen ist. Da ich sowohl das Leben in den russischen als auch in den ausländischen Großstädten (Kiew, St. Petersburg, Leipzig) kenne, finde ich diese Entscheidung ungerecht. Das Leben in Russland ist unvergleichbar teurer, als das im Ausland. […] Genauso wichtig ist die Tatsache, dass es keine Regelung gibt, den Stipendiaten in Notfällen zu helfen, aber auch, um die Kosten der Abschlussprüfungen zu übernehmen. Die Stipendiaten werden ihrem Schicksal überlassen, wenn sie sich einmal in der äußersten Not befinden.363

Mit Not meinte Abrahamian die Krankheit, die in Leipzig ausgebrochen war und deren Folgen er »vermutlich lebenslang« tragen würde.364 Ohne eine Hilfe aus Ēǰmiaċin sei er auf das Wohlwollen seiner Professoren und Ärzte angewiesen gewesen: […] Der einzige Ausweg aus solch einer unnatürlichen Situation wäre das Verlassen der Universität gewesen. Aber sich wegen des Pflichtbewusstseins einem großen Risiko auszusetzen und weiterhin seinem Ziel entgegenzustreben, sollte kein Präzedenzfall, sondern eine Ausnahme sein.365 362 Ebd., Bl. 44. 363 Ebd., Bl. 144. 364 Ebd. 365 Ebd.

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Stipendien für das Auslandsstudium

Ausdrücklich bedankte er sich bei Mnacakan Xununc, dank dessen fürsorglicher Arbeit er das Stipendium im Laufe seiner gesamten Studienzeit stets vorzeitig bekommen habe.366 Gevorg Alt’unian, der als dritter Stipendiat einstimmig ausgewählt wurde, hatte 1902 die Gevorgian-Akademie abgeschlossen und war dort seitdem als Lehrer und Bibliothekar tätig. Er beherrschte ausreichend Deutsch und Französisch und hatte bereits einige veröffentlichte und unveröffentlichte Artikel über die armenische Geschichte verfasst.367 Von 1907 bis 1911 studierte er an der historisch-philologischen Fakultät der Universität Berlin. 1911 informierte er die Akademie über den Abschluss seiner Dissertation und bat um zusätzliches Geld, um diese abgeben und sich für die mündliche Prüfung anmelden zu können. Insgesamt seien 179 Mark mit der schriftlichen Arbeit einzuzahlen, weitere 185 Mark seien für die mündliche Prüfung notwendig. Als Nachweis schickte er dem Pädagogischen Rat die aktuelle Promotionsordnung der Universität Berlin. Die Kosten für die Abschlussprüfungen in Höhe von 150 Rubeln, die für die Veröffentlichung der Dissertation vorgesehenen Ausgaben sowie die Rückfahrtkosten nach Ēǰmiaċin wurden übernommen.368 Noch bevor die ersten Stipendiaten das Studium aufnahmen, führten ­einige Missverständnisse zwischen dem Pädagogischen Rat der Akademie und den Nachlassverwaltern zu ernsten Auseinandersetzungen und im Jahr 1909 schließlich zum Abbruch der Zusammenarbeit. Der Konflikt hatte bereits 1902 seinen Lauf genommen, da der Hl. Synod nach eigenen Angaben im Unklaren darüber war, wo genau das von Łukassian hinterlassene Kapital verwahrt wurde: […] Am Ende des Jahres 1902 hat die Akademie immer noch keine Kenntnis davon, wo sich die vermachte Summe befindet und wie die Zinsen verwendet werden; Nachrichten bekommt die Akademie bis jetzt nur über private und nicht offizielle Quellen. Daher haben wir uns mit Erlaubnis Seiner Heiligkeit an den Nachlassverwalter M. Xununc in Tiflis gewandt. Nach seinen Angaben befindet sich die Summe zurzeit noch bei Xununc, wobei aus den Zinsen von 30.000 Rubeln Stipendien an den Vardapet T’ovma-Ałaian und an Diakon Spiridon im Ausland gezahlt wurden, außerdem bekam Komitas 650 Rubel. Die Zinsen von weiteren 30.000 Rubeln bleiben unangetastet.369

Da Łukassian dieses Geld aber Ēǰmiaċin vermacht hatte, nutzte der Pädagogische Rat die unklare Situation, um die Überführung des Geldes von St. Petersburg nach Tiflis sowie die Übernahme der Kontrolle durch den Hl. Synod zu erwirken.370 366 Ebd. 367 Ebd., Bl. 8. 368 Ebd., Bl. 168. 369 Ebd., Bl. 4. 370 Ebd.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

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Für weitere Kontroversen sorgte das mit dem Pädagogischen Rat nicht abgestimmte Empfehlungsschreiben des Kathołikos Mkrtič I. Chrimian an die Nachlassverwalter, in dem er sich für eine finanzielle Unterstützung seines Verwandten Garegin Chrimian einsetzte. Dies stellte die Nachlassverwalter freilich vor ein Dilemma, zumal der Kathołikos sich nicht zum ersten Mal mit einem Anliegen dieser Art an sie wandte.371 Xununc betonte letztlich in einem Schreiben an den Pädagogischen Rat, dass die Wahl der Stipendiaten in den Nachlassbestimmungen unmissverständlich geregelt sei und der Kathołikos nur dann allein Entscheidungen treffen durfte, wenn die Akademie nicht mehr existiere. Erschwerend kam hinzu, dass der vom Katholikos protegierte junge Mann die Akademie gar nicht absolviert hatte und die Nachlassverwalter über seine Begabungen äußerst unvorteilhafte Beurteilungen von seinen Lehrern erhielten.372 Spätestens jedoch die durch Karapetians Studium aufgeworfene Frage, für welche Studienfächer Mittel aus dem Nachlass bereitgestellt werden sollten, entfachte einen ernsthaften Konflikt mit den Nachlassverwaltern. Die Finanzierung der geisteswissenschaftlichen Studienfächer erachtete der Hl. Synod für dringlicher, zumal die technischen Fächer für den Unterricht an den armenischen Schulen als ungeeignet galten. Die Förderung technischer Studienfächer sei demnach dem »Sinn des Testaments« fremd.373 Dagegen argumentierten die Nachlassverwalter, dass es den »weltlichen« Stipendiaten – im Unterschied zu den »geistlichen« – gestattet sei, sich in verschiedenen, nicht näher bezeichneten Studienfächern auszubilden.374 Trotz der wiederholten Proteste aus Ēǰmiaċin sahen sie daher in der Förderung auch anderer Fachrichtungen keinen Widerspruch zu den im Nachlass festgehaltenen Bedingungen. Die geschilderten Konflikte führten schließlich zum endgültigen Abbruch der Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Rat. Xununc überwies nach dem entsprechenden Befehl des Kathołikos die gesamte Summe an die Kaukasische Abteilung der Staatlichen Bank in Tiflis, wobei die eigentliche Summe weiterhin unangetastet bleiben sollte und nur die Zinsen für Stipendien verwendet werden sollten. Nach Auskunft des von Xununc verfassten Berichts wurden die ersten Stipendiaten vom 1. Januar 1907 bis zum 1. Juli 1911 unterstützt, 371 Bereits zuvor hatte sich der Kathołikos für Nerses Vardapet T’ovma-Ałaian eingesetzt, der daraufhin mit einem Stipendium nach Berlin geschickt worden war. Durch diese Entscheidung zogen sich die Nachlassverwalter den Unwillen der Akademieverwaltung zu. Vgl. ebd., Bl. 2–3. 372 Ebd., Bl. 3. 373 Ebd., Bl. 95. 374 Wörtlich hieß es in dem Dokument: »чтобы стипендиаты эти, по принятии духовного сана, отправлялись заграницу для усовершенствования въ Армянских и Богословскихъ наукахъ«, aber auch: »усовершенствовались въ разных наукахъ«. Vgl. ebd.

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auch Ałaians und Muracans Söhne erhielten weiterhin Geld. Den Pädagogischen Rat bat Xununc explizit darum, die Prüfungskosten der ersten vier Stipendiaten sowie die Druckkosten für ihre Dissertationen zu übernehmen. Über die Wahl weiterer Stipendiaten sollte der Pädagogische Rat die Nachlassverwalter informieren.375 Im Jahr 1911 wurden in den Zeitungen Mšak, Surhandak (Der Bote) und Horizon zum zweiten Mal Stipendien für das Studium an russländischen oder europäischen Universitäten ausgeschrieben. Die Bewerber »apostolischen Glaubens« sollten ein Studium in Philologie, Literaturwissenschaft, Pädagogik oder aber in Mathematik oder in einem naturwissenschaftlichen Fach anstreben. Die Höhe des Stipendiums für das Ausland blieb unverändert, während für russländische Universitäten nunmehr 600 Rubel vorgesehen waren.376 Gleichzeitig wurde die Wahl eines »geistlichen« Stipendiaten angekündigt: Die Verwaltung der Geistlichen Gevorgian-Akademie verkündet, dass mit den Zinsen der von A. Łukassian hinterlassenen Summe entweder ein Geistlicher der Armenisch Apostolischen Kirche (Vardapet, Priester, zölibatärer Geistlicher) oder jemand, der sich bereit erklärt, in den geistlichen Stand einzutreten und der armenischen Kirche im Kaukasus, in der Türkei oder in Persien zu dienen, für das Theologiestudium ins Ausland geschickt werden soll. a) Die Bewerber sollen Absolventen der GevorgianAkademie sein, b) eine beglaubigte Kopie des Abschlusszeugnisses ist der Bewerbung beizulegen, c) der Pädagogische Rat der Akademie wird das Studium in Theologie, Geschichte, Philologie, Literatur, Musik bzw. kirchlichem Recht bevorzugen, d) das Stipendium beträgt jährlich 800 Rubel. Alle Bewerbungen, die bis Februar des kommenden Jahres 1913 eingehen, werden berücksichtigt.377

Doch diesmal gingen lediglich zwei Bewerbungen beim Pädagogischen Rat ein, was ein im Vergleich zur ersten Ausschreibung signifikanter Rückgang war. Auch eine Fristverlängerung brachte nicht mehr als zwei weitere Anträge. Die Bewerbung von Nšan Allahverdian, der sich bereit erklärte, in den geistlichen Stand zu treten und später in einer armenischen Stadt im Kaukasus als Priester tätig zu werden, lehnte der Pädagogische Rat ab.378 Der zweite Bewerber war Abel Abeła Abrahamian, der kirchliches Recht in Deutschland bzw. Geschichte in England studieren wollte. Zwar unterstrich Abrahamian in seiner Bewerbung, dass er hinreichend Deutsch beherrsche, um ohne Hindernisse mit dem Studium beginnen zu können. Da jedoch »bereits so viele Studenten aus Ēǰmiaċin zum Studium nach Deutschland gehen«, erklärte er sich bereit, in England Geschichte zu studieren.379 Dem Pädagogischen Rat 375 376 377 378 379

Ebd., Bl. 154–155. Ebd., Bl. 129. Ebd., Bl. 135. Ebd., Bl. 235. Ebd., Bl. 239.

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schien aber das Studium des kirchlichen Rechts, zumal in einem Land, wo dieses Fach »auf einem sehr hohen Niveau« unterrichtet würde, von ungleich größerer Bedeutung. Daher wurde Abrahamian 1913 mit einem jährlichen Stipendium von 800 Rubeln nach Deutschland geschickt. Vor der Abreise verpflichtete er sich, das Stipendium in voller Höhe wieder zurückzuzahlen, sollte er sich nach dem Studium aus eigenem Antrieb aus dem geistlichen Dienst zurückziehen bzw. sich etwas zuschulden kommen lassen, was Ēǰmiaċin veranlassen würde, ihm seinen geistlichen Rang abzuerkennen. Am 27. Oktober 1913 immatrikulierte er sich an der juristischen Fakultät der Universität Marburg und legte als Nachweis seiner finanziellen Unabhängigkeit der Universitätsverwaltung folgendes Schreiben vor: Die Direktion der geistlichen Akademie zu Etschmiadzin bezeugt hiermit, dass Abel Abrahamian, Ieromonach aus Daschburun in Russisch Armenien, ein Stipendium unserer Akademie bezieht, durch das er jährlich acht hundert Rubel erhält. Zur Beglaubigung dessen wird dieses Zeugnis mit dem Siegel der Akademie und mit der Unterschrift des Rektors versehen […]380

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zog Abrahamian nach Zürich und setzte das Studium an der dortigen Universität fort. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz hatte er mit extremen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Verwaltung der Akademie berichtete er, dass er nach der Zahlung von Studiengebühren, Miete, Kleidung sowie Deutschstunden für zwei Mark pro Stunde, kein Geld mehr habe. Deshalb bat er darum, ihm das Stipendium für das nächste halbe Jahr vorzeitig zu schicken.381 In einem weiteren Brief berichtete er, dass er gänzlich ohne finanzielle Mittel sei und dringend einer Unterstützung bedürfe: »[…] der hochwürdigen Verwaltung sollte sicher bekannt sein, was es bedeutet, in Deutschland ohne Geld zu leben, vor allem in einer Stadt, in der es keine Armenier gibt«.382 Doch wenn es sich nicht gerade um Kosten handelte wie die Prüfungsgebühren beim Abschluss oder die Druckkosten der Dissertation, kam Ēǰmiaċin den Gesuchen der Stipendiaten um zusätzliches Geld selten entgegen. So hatte Abel Abrahamian fälschlich geglaubt, dass es sich bei einer Überweisung aus Ēǰmiaċin in Höhe von 357 Mark um zusätzliches Geld für seine Lateinstunden handle. Um die Erstattung dieser Kosten – Lateinkenntnisse waren in Marburg eine Voraussetzung für das Jurastudium – hatte er die Verwaltung der Akademie wiederholt gebeten. Gerührt bedankte er sich beim Pädagogischen Rat für die Überweisung des Geldes, musste jedoch zu seiner großen Ent-

380 Ebd., Bl. 244. 381 Ebd., Bl. 253–254. 382 Ebd., Bl. 251.

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täuschung feststellen, dass es sich dabei um die reguläre Stipendienzahlung handelte. Zusätzliche Schwierigkeiten bereiteten den Stipendiaten die Kursschwan­ kungen des Rubels während des Krieges: […] damit die hochwürdige Verwaltung eine Vorstellung gewinnt, wie ich nach meinem Umzug nach Zürich lebe, möchte ich nur erwähnen, dass ich mich in einer Armenkantine für 70 Cent für Mittag- und 50 Cent für Abendessen ernähre. Seit fast einem Jahr konnte ich mir keine neuen Kleider mehr kaufen, die billigsten Schuhe, die man bekommen kann, kosten 25 Franken. Ohne lange darüber schreiben zu wollen, möchte ich den Hl. Synod nur darauf aufmerksam machen, dass meine Sorge einzig meiner Gesundheit gilt, die ich keine Absicht habe in der Schweiz zu lassen.383

1916 legte Abrahamian seine Dissertation zum Thema »Die Grundlagen des armenischen Kirchenrechts« vor und bat den Pädagogischen Rat, 400 Franken für die Prüfungskosten sowie 100 Franken für die zweifache maschinen­ schriftliche Vervielfältigung der Arbeit zu überweisen. Da aus Ēǰmiaċin jedoch keine Antwort folgte, musste Abrahamian sich das notwendige Geld leihen, um die Frist für die Abgabe nicht zu versäumen.384 Wegen der verspäteten bzw. der komplett ausgebliebenen Überweisungen, so beschrieb Abrahamian seine augenblickliche Situation, konnte er sich nach der Zahlung seiner Miete von 150 Franken nicht einmal mehr Zigaretten und Streichhölzer leisten und bat die Akademie, ihn zumindest darüber aufzuklären, warum er keine Zahlungen mehr erhielt: Aber ich habe nicht einmal die Perspektive, bald Geld zu bekommen. Meine Arbeit wurde bereits gedruckt, nur die Druckerei gibt kein Exemplar heraus, bis ich nicht alle Kosten in Höhe von 920 Franken gedeckt habe. Wenn es so weiter geht, werde ich vielleicht noch Zinsen zahlen müssen. Sie wissen auch, dass ich, wenn ich nicht binnen eines Jahres die Pflichtexemplare der Universität vorlege, entweder um neue Fristen bitten muss, oder kein neuer Termin für die Prüfung festgelegt wird.385

Trotz seiner prekären Lage legte Abrahamian 1917 an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Zürich alle Prüfungen erfolgreich ab. Ein zweiter Stipendiat, der zusammen mit Abrahamian ausgewählt wurde, war Hakob Harut’yunian, der sich 1912 »ohne die zu erwartenden Schwierigkeiten« zunächst an der Universität Berlin immatrikulierte, bald darauf jedoch einen kleineren Ort suchte, um Deutsch zu lernen.386 Bereits im zweiten Semester berichtete er, dass er über genügend Sprachkenntnisse verfüge, um 383 384 385 386

Ebd., Bl. 317. Ebd., Bl. 354. Ebd., Bl. 369. Ebd., Bl. 215.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

245

den Vorlesungen zu folgen und an Seminaren teilzunehmen. In einem ersten Bericht bat er den Pädagogischen Rat darum, ihm 300 Rubel bzw. am besten das gesamte Stipendium für die nächsten Monate zu überweisen, da er sein ganzes Geld bereits für die Immatrikulation und die notwendigen Arbeitsmaterialien ausgegeben habe. Außerdem benötigte er eine auf Deutsch verfasste Bestätigung darüber, dass er Stipendiat der Akademie sei und ein ausreichendes Stipendium erhalte, um davon in Deutschland zu leben und zu studieren: […] weil ich die Miete für die Wohnung nicht zahlen konnte, musste ich sowohl unangenehme Auseinandersetzungen mit den Vermietern als auch mit der Polizei auf mich nehmen. Sie fordern die sofortige Zahlung der Miete, verlangen aber auch eine Bestätigung, dass ich in Berlin leben kann, ohne Dritten zur Last zu fallen und gezwungen zu sein, Gesetzeswidrigkeiten zu begehen. Ich habe für die elementarsten Sachen wie zum Beispiel für das Essen oder Kleidung kein Geld mehr. Aber all diese materiellen Nöte sind nichts im Vergleich zu den moralischen Leiden, die ich wegen dieser Situation ertragen muss. Hier darf man keinen Tag ohne bares Geld leben, so grausam und rücksichtslos ist das Leben […]387

Zu Harut’yunians Schwierigkeiten kam die Tatsache hinzu, dass die Studiengebühren an der Universität Leipzig ab 1913 für Ausländer verdoppelt wurden. Da derartige, völlig unerwartete Kosten bei der Berechnung des Stipendiums natürlich nicht berücksichtigt worden waren, sah sich Harut’yunian gezwungen, im Wintersemester 1913/14 nicht mehr so viele Seminare zu besuchen wie zuvor: […] das Wintersemester 1913/14 hat angefangen, ich musste mir Winterkleidung kaufen und nun habe ich kein Geld mehr, mich für die Seminare einzuschreiben. Daher seien Sie bitte so nett, mir das Geld für die Monate Dezember und Januar sofort zu schicken, damit ich dieses bis zum 10. November (nach europäischer Zeitrechnung) bekomme und mich einschreiben lassen kann.388

Nach dem Kriegsausbruch zog auch Harut’yunian nach Zürich, wo er sich unter anderem eine bessere Kommunikation mit Ēǰmiaċin sowie eine regelmäßige Auszahlung des Stipendiums erhoffte: Nach eineinhalb Monaten vergeblichen Wartens musste ich dem dringenden Rat des Arztes folgend aus Deutschland hierher ziehen, weil ich wegen der schlechten Ernährung (jawohl, wegen des Hungerns, verursacht durch meine finanzielle Situation, aber auch durch die Hungersnot in Deutschland insgesamt) und wegen des überanstrengenden Arbeitens Tuberkulose bekam.389

387 Ebd., Bl. 220. 388 Ebd., Bl. 271. 389 Ebd., Bl. 340.

246

Stipendien für das Auslandsstudium

Nach zwei Jahren legte er in Zürich seine Dissertation vor, wobei sein Stipendium kurz zuvor bereits um ein halbes Jahr verlängert worden war, damit er die Arbeit abgeben und die Abschlussprüfungen ablegen konnte: Nachdem ich das Geld erhalten habe, habe ich sofort meine Arbeit eingereicht und mich für die Prüfungen angemeldet, damit ich diese am Anfang des nächsten Semesters ablegen kann (in den Semesterferien kann man keine Prüfungen ablegen). Darüber habe ich die Verwaltung der Akademie rechtzeitig informiert mit der Bitte, entweder mein Stipendium nochmals zu verlängern und mir damit die Möglichkeit zu geben, zu Ende zu studieren, oder aber mir die Reisekosten zu schicken, damit ich in die Heimat zurückkehren kann.390

Seine Dissertation konnte Harut’yunian jedoch wegen administrativer Schwierigkeiten nicht verteidigen. Das Problem in Zürich bestand darin, dass er keine zweite moderne Fremdsprache beherrschte, wogegen in Leipzig, wohin er inzwischen wieder gezogen war, die Arbeit gar abgelehnt wurde.391 Hakob Harut’yunian war der letzte Stipendiat, der aus Łukassians Nachlass im Ausland finanziert wurde, nach 1913 gab es keine weitere Ausschreibung mehr. Mit dem Nachlass von Avetis Łukassian wurde in Ēǰmiaċin ein durchaus zeitgemäßes Stipendienwerk aufgebaut, das bei der Mittelvergabe zudem sorgfältig zwischen »geistlichen« und »weltlichen« Stipendiaten unterschied. Generell war die gezielte Förderung geistlicher Stipendiaten, die nach dem Studienabschluss entweder an armenischen Schulen arbeiten oder aber der Kirche dienen sollten, in zahlreichen anderen Nachlässen, auch jenem von Ēfendian, verankert. Damit war die Studienfinanzierung der Geistlichen der armenischen Kirche weder eine Seltenheit noch ungewöhnlich. Dennoch taucht der Name von Avetis Łukassian in Karapet Ter-Mkrtčians Korrespondenz mit seinen deutschen Kollegen nicht auf, wenn auch wiederholt über die der Kirche überlassenen Mittel für das Auslandsstudium gesprochen wurde. So informierte Stier in der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk über einen der armenischen Kirche vermachten Nachlass, aus dem auch Theologen unterstützt werden sollten, ging jedoch auf die Details nicht näher ein. Gleichwohl berichtete er später über Abrahamian und dessen Jurastudium in Deutschland und in der Schweiz: Viele von den höheren Geistlichen sind zudem noch von der Kirche auf russische oder (seit 1891) deutsche Universitäten geschickt worden, wo sie nicht bloß theologische, sondern auch philosophische, einige auch musikalische Studien getrieben haben; in letzter Zeit hat sogar ein armenischer Archimandrit in Deutschland und der Schweiz Jura studiert, um seiner Kirche bei ihrer umfangreichen Verwaltungstätigkeit dienen

390 Ebd. 391 Ebd., Bl. 347.

Der Nachlass von Avetis Łukassian 

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zu können. Er wurde in Zürich zum juristischen Doktor promoviert und hat uns eine wertvolle Arbeit über die Grundlagen des armenischen Kirchenrechts geschenkt; er versieht gegenwärtig das Pfarramt in der armenischen Gemeinde in Marseille, nachdem er während seiner Studienzeit zugleich die zahlreichen Armenier in Genf kirchlich betreut hatte.392

Das Studium im Ausland war selbst mit Stipendium keine einfache Zeit. Das Geld reichte kaum für die notwendigsten Ausgaben, hinzu kamen adminis­ trative Hindernisse und die schwierige Kommunikation mit Ēǰmiaċin, welche die Lage zusätzlich verkomplizierten. Neben den verspäteten Zahlungen bereiteten zudem die Überweisungen, die nicht an die europäische Zeitrechnung angepasst waren, den Stipendiaten erhebliche Schwierigkeiten. Mitunter führte dies zu Auseinandersetzungen mit den Behörden und sogar der Polizei. Über die Probleme, die die verspäteten Zahlungen verursachen konnten, berichtete Harut’yunian: Ich bitte Sie höflichst, das Stipendium rechtzeitig zu schicken. Abgesehen davon, dass die Verspätungen des Geldes viele nützliche Unternehmungen und Pläne verhindern, wird man unnötigen Qualen, Leiden und Beleidigungen ausgesetzt, kommt in unangenehme und unerträgliche Situationen, wird vom Unterricht abgehalten und von seinen Zielen abgelenkt. Die verspätete Zahlung hat dieses Mal beispielsweise verhindert, eine Sprachreise zu unternehmen, ich konnte mich auch nicht rechtzeitig für die Seminare einschreiben, womit das gesamte Semester gefährdet sein kann, wenn man sich weigert, mich außerhalb der Frist einzuschreiben. Das kann mir später bei den Prüfungen durchaus weitere Schwierigkeiten bereiten.393

Außerdem beklagte er die kriegsbedingte Inflation des Rubels, die dazu geführt habe, dass die Stipendiaten für das deutlich teurere Leben in der Schweiz auf einmal viel weniger Geld zur Verfügung hatten: Wegen der schrecklichen Inflation des Rubels (Vater Abel wurden für 300 Rubel von der Bank 508 Franken ausgezahlt) und wegen des teuren Lebens hier ist es gänzlich unmöglich, mit 100–107 Franken monatlich zu leben und zu studieren. […] Deswegen bitte ich den Pädagogischen Rat, monatlich 200 Franken zu schicken. Damit hatten wir uns mit Vater Abel schon mit entsprechender Bitte an den Pädagogischen Rat gewandt. Da es aber sein könnte, dass wegen der gegenwärtigen unzuverlässigen Arbeit der Post der Brief sein Ziel nicht erreicht hat, wiederhole ich diese Bitte. Außerdem bitte ich darum, mir zusätzlich 400 Franken zu schicken, damit ich meine früheren Schulden bezahlen kann, mit der Bedingung, dass ich dieses Geld in der Heimat nach und nach zurückzahle.394

392 Stier: Die armenische Kirche, 69. 393 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil II ., Bl. 225–226. 394 Ebd., Bl. 314.

248

Stipendien für das Auslandsstudium

Von 1907 bis 1916 erhielten acht reguläre Stipendiaten finanzielle Zuwendung aus dem Nachlass von Avetis Łukassian, mindestens vier weitere wurden in einem geringeren Umfang unterstützt. Wie in einem Bericht der Gevorgian-Akademie an den Hl. Synod festgehalten, wurden von 1913 bis 1915 insgesamt 2.600 Rubel für Stipendiaten ausgezahlt.395 Alle aus Łukassians Nachlass finanzierten Stipendiaten – mit Ausnahme von Hakob Harut’yunian – konnten trotz finanzieller Hürden und der kriegsbedingten Schwierigkeiten das Studium mit der Promotion erfolgreich abschließen.

4.6 Zusammenfassung Eine durch Staatsstipendien bzw. durch Spenden unterstützte prospektive Elite zum Studium ins Ausland zu schicken und so in den Herkunftsländern die Entstehung des nationalen akademischen Nachwuchses zu begünstigen, war in den ost- und südosteuropäischen Gesellschaften üblich. In einigen Regionen setzte dieser Prozess bereits im 18. Jahrhundert ein, um sich dann, abhängig von politischen Umbrüchen, in regional unterschiedlicher Inten­sität im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr zu verstärken. Die staatliche, aber auch die private Finanzierung des Auslandsstudiums war dabei zumeist an die Bedingung geknüpft, das im Ausland erworbene Wissen später durch den Eintritt in den Staatsdienst oder durch eine pädagogische Tätigkeit der Herkunftsgesellschaft nutzbar zu machen.396 Dieser Impuls, durch ein Auslandsstudium des akademischen Nachwuchses den Bedarf an qualifizierten Spezialisten, insbesondere an Lehrkräften, zu decken, war im Russländischen wie im Osmanischen Reich ebenso präsent. An diesem Ziel orientierte sich auch die armenische Intelligenzija, die sich in beiden Teilen des armenischen Volkes um bessere Bildungsmöglichkeiten der heranwachsenden Generation bemühte. So nahmen die Spenden wohlhabender Armenier – sei es für die Gründung neuer Bildungsanstalten, sei es zur Finanzierung des Auslandsstudiums – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts signifikant zu. Als besonders gravierend wurde in diesem Zusammenhang das Fehlen qualifizierter Pädagogen empfunden, ein Zustand, der für das armenische Bildungswesen im Laufe des 19. Jahrhunderts symptomatisch war. Vor allem dieses Manko sollte die Förderung des Auslandsstudiums beheben. Die liberale Presse versuchte, die armenische intellektuelle Elite für eine flächen-

395 Ebd., Bl. 278. 396 Vgl. zu einzelnen Ländern: Wegenetz europäischen Geistes II .

Zusammenfassung 

249

deckende und umfassende Förderung des Auslandsstudiums zu mobilisieren. Auf ihre vermeintlich indifferente Haltung reagierte Mšak mit scharfer Kritik: Man sagt, die Zivilisation und Aufrichtigkeit einer jeden Gesellschaft entspreche der Zahl jener humanitären Einrichtungen, die diese Gesellschaft unterhält. Nun, wenn man die Armenier nach diesem Maß messen würde, würde man sie für Barbaren halten.397

Mšak appellierte immer wieder an die armenische intellektuelle und wirtschaftliche Elite, für mittellose Studenten zu sammeln bzw. einen allgemeinen Stipendienfonds zu gründen, der die finanzielle Unterstützung der jungen Leute im Ausland übernehmen könnte. Vor allem von jenen Vertretern der armenischen Intelligenzija, die selbst unter schwierigen Bedingungen studiert hatten, erwartete Mšak Verständnis für dieses Vorhaben und Unterstützung für die »heutigen Studenten«.398 Heftige Kritik an der armenischen Elite übte Mšak anlässlich der Feier des 125-jährigen Gründungsjubiläums der Moskauer Universität am 12. Januar 1880 in Tiflis. Dort hatten sich ehemalige Studenten russischer Hochschulen, Ärzte, Anwälte, Beamte und Bankiers, zu einem »ausgiebigen Umtrunk« zusammengefunden, konnten bei dieser Gelegenheit für mittellose Studenten jedoch lediglich 700 Rubel zusammenbringen. Dies wurde, so die Kritik, auch noch als große Wohltat gefeiert: […] derweil hätte man von der armenischen Intelligenzija durchaus erwarten können, dass sie einen so besonderen Tag mit einer bedeutungsvollen Tat würdigte. Das Geld könnte ja für mittellose Studenten bestimmt sein. Ist es aber nicht lächerlich, sich anzusehen, wie diese ›Elite‹, die schöne Reden hält und gerade 3.000 Rubel für das Essen ausgegeben hat, für die armen Studenten gerade einmal 700 Rubel sammeln konnte?399

Viele Mitglieder dieser Elite, so im Mšak, die inzwischen eine bestimmte gesellschaftliche Stellung erreicht hatten und großes Ansehen genossen, hätten die Schwierigkeiten ihres eigenen studentischen Lebens offenbar schnell vergessen und hielten ihre Pflichten der Gesellschaft gegenüber für erfüllt, wenn sie gelegentlich ein paar Stunden kostenlos in einer Schule unterrichteten oder als deren Treuhänder tätig seien.400 Große Ambivalenzen herrschten zudem gegenüber der Praxis, vor allem Absolventen des Nersesian-Seminars bzw. der Gevorgian-Akademie mit Auslandsstipendien auszustatten, um für die armenischen Schulen Lehrer und für die Kirche Priester zu gewinnen. Diese Debatte verlief stets vor dem Hin397 Mšak. 9 (1880), 3, 2. 398 Ebd. 399 Ebd., 9 (1880), 4, 1. 400 Ebd., 9 (1880), 3, 2.

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Stipendien für das Auslandsstudium

tergrund der Anforderung, auch andere Studienfächer – etwa Naturwissenschaften – mindestens im gleichen Maße zu finanzieren wie das Studium von Theologie und Pädagogik, denn es »[…] sollten ja nicht alle jungen Armenier nur Priester und Lehrer werden«.401 Die Notwendigkeit einer besseren Ausbildung der Lehrer stand dennoch kaum zur Debatte, während die finanzielle Unterstützung armenischer Geistlicher im Ausland vor allem in der liberalen Presse durchaus kontrovers diskutiert wurde. Dass die Existenz einer gebildeten geistlichen Oberschicht selbst von den Vertretern der armenischen intellektuellen Elite letztlich aber doch für unverzichtbar gehalten wurde, war auch der Tatsache geschuldet, dass die Reform des armenischen Bildungssystems ohne die Unterstützung der Geistlichkeit zu diesem Zeitpunkt als undenkbar erschien. Neben Stimmen, die das Bildungssystem gänzlich vom Einfluss der Kirche abkoppeln wollten, gab es daher auch solche, die dafür plädierten, die Rolle der Geistlichen – nicht zuletzt als Lehrer – in diesem System neu zu definieren. Die Finanzierung des Auslandsstudiums, die mit den ersten von der armenischen Kirche nach Deutschland geschickten Stipendiaten in den 1860er Jahren ihren Anfang genommen hatte, erreichte um die Jahrhundertwende ihren Höhepunkt. Ob durch kirchliche Mittel, Spenden wohlhabender Armenier oder durch die Unterstützung des Notwendigen Liebeswerks – die kontinuierliche Unterstützung im Ausland studierender junger Armenier brach bis zum Ersten Weltkrieg nicht mehr ab. Dass die Stipendiaten bei der Rückkehr Reformvorstellungen mitbrachten, die für die bestehenden Traditionen unter Umständen nicht unproblematisch waren, sorgte immer wieder für Kontroversen. Doch sowohl von wohlhabenden Armeniern als auch von der Kirche selbst wurde das Auslandsstudium nunmehr als Notwendigkeit angesehen und mit einem beachtlichen Nachdruck gefördert.

401 Ararat. 1870, 1, 13–22, 19.

5. Armenische studentische Vereine in Deutschland und der Schweiz

5.1

Vergesellschaftung und politische Mobilisierung der Studenten

Über die Vergesellschaftung und politische Mobilisierung armenischer Studenten in Europa, die sowohl in der Gründung eigener Organisationen als auch in der Mitgliedschaft in russländischen Vereinen ihren Ausdruck fand, liefern vor allem die studentischen Zeitschriften Hinweise. Die ausführlichen Berichte der jeweiligen Mitteilungsblätter des Vereins Armenischer Studenten Europas bzw. des Vereins Armenischer Dašnakcakan Studenten Europas bieten einen sehr guten Überblick über die Tätigkeit studentischer Gruppen, über deren Ziele und die Aufgaben, die sie sich stellten. Diese waren in Abhängigkeit vom akademischen oder politischen Charakter der Vereine definiert, doch gemeinsam war ihnen durchaus das Ziel, die europäische Öffentlichkeit für die Armenische Frage zu sensibilisieren. Die Studenten ließen sich aber auch von den zeitgenössischen politischen Strömungen in Europa, vor allem von der deutschen Sozialdemokratie inspirieren, und eiferten diesen nach. Zwei Anliegen prägten damit ihre Tätigkeit maßgeblich: Einerseits versuchten sie, der Armenischen Frage in Europa Gehör zu verschaffen. Auf der anderen Seite sahen sie sich in der Verpflichtung, die politischen Tendenzen in Europa zu verstehen, diese dann in ihre Heimat zu transferieren und unter ihren Landsleuten zu verbreiten. Beide Aufgaben implizierten enge Kontakte und Zusammenarbeit nicht nur zwischen den in verschiedenen europäischen Städten verstreuten armenischen Studenten, sondern auch mit den Kommilitonen anderer Nationalität. Letzteres wurde von allen armenischen Studentengruppen und -vereinen als eine besonders wichtige Aufgabe hervorgehoben. Die Rolle, die die Vereine armenischer Studenten bei der Herausbildung einer künftigen politischen Elite in der Heimat für sich selbst beanspruchten, fand in ihren Statuten einen deutlichen Niederschlag. Diese vermitteln eine sehr gute Vorstellung von der Entwicklung dieser Vereine, die ihre Ziele immer wieder neu definieren mussten. In den Satzungen wurde dieser Wandel festgehalten, und er zeigt die Bandbreite beabsichtigter politischer und kultureller Aktivitäten. Diese umfassten die Befreiung der Armenier von der Herrschaft des Osmanischen und des Russländischen Reiches, die kulturelle und wissenschaftliche Annäherung Armeniens an Europa sowie die Heraus-

252

Armenische studentische Vereine in Deutschland und der Schweiz

bildung des politischen und gesellschaftlichen Bewusstseins der armenischen Studenten. Am Ende des 19. Jahrhunderts standen vor allem nationale Fragen im ­Fokus der armenischen Studenten, doch weder ihre Organisationen, die sich in Form und Struktur an russländischen Vereinen orientierten, noch ihre Aktivitäten lassen sich isoliert betrachten. Dies gilt umso mehr, als bereits um die Jahrhundertwende auch diejenigen Studenten aus Russland nach Westeuropa strömten, die wegen ihrer politischen Tätigkeit von den russländischen Universitäten ausgeschlossen worden waren. Die politischen Folgen dieser Entwicklung betrafen in Russland selbst, aber auch in Deutschland direkt oder indirekt auch die armenische Studentenschaft. In St. Petersburg wurde die Beobachtung russischer studentischer »Kolonien« in den akademischen Zentren Europas, vor allem aber in Deutschland und in der Schweiz, als dringende Notwendigkeit erachtet. Diese Aufgabe übernahm die sogenannte Dritte Abteilung oder die Geheimkanzlei bzw. ab 1898 die Sonderabteilung des Polizeidepartments in enger Zusammenarbeit mit der russischen Botschaft und den Konsulaten in Deutschland sowie mit der deutschen Polizei. Russländische diplomatische Vertretungen wurden angewiesen, Informationen über politisch auffällige Studenten an deutschen Hochschulen zu sammeln und an das Polizeidepartment zu übermitteln, wobei neben der sozialen auch der national-konfessionellen Zugehörigkeit der Studenten besondere Wichtigkeit beigemessen wurde.1 Das Staatsarchiv der Russländischen Föderation (GARF) bewahrt die Akten der Sonderabteilung des Polizeidepartments im Fond 102 auf, in dem ausführliche Berichte auch über armenische Studenten vorliegen. Aus ihnen geht hervor, dass anlässlich eines akuten Verdachts gegen den armenischen Studenten Step’an Malumianc Listen mit weiteren verdächtigen Personen an die Grenzkontrollstellen übermittelt wurden. Dort sollten diese Personen bei der Wiedereinreise kontrolliert, bei Verdacht sogar festgenommen werden. Insbesondere die Einfuhr verbotener Literatur galt als große Gefahr, weshalb eine strenge Kontrolle des Gepäcks angeordnet wurde. Die Sonderabteilung war in jedem Fall genau darüber zu informieren, wohin diese Personen ihre Reise fortsetzten, um eine geheime Verfolgung und Beobachtung auch weiterhin zu ermöglichen.2 Unter Verdacht konnten mitunter auch Studenten geraten, gegen die nichts vorlag. Dies war etwa bei dem armenischen Historiker und Byzantinisten Nikołayos Adonc der Fall, der unter polizeiliche Beobachtung gestellt wurde, weil er nach dem Abschluss seines Studiums in Europa seine 1 Vgl. Ivanov, A. E.: Russische Studenten an deutschen Hochschulen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhand von Archivmaterial des Polizeidepartments. In: Peter / ​ Tikhonov (Hg.): Universitäten als Brücken, 241–246, 242 f. 2 GARF. Polizeidepartement, Sonderabteilung, Fond 102 (1903), op. 230, č. 441, Bl. 1–8.

Vergesellschaftung und politische Mobilisierung der Studenten 

253

Bücher per Post aus Paris nach St. Petersburg schickte. Daraufhin wurde dringend eine scharfe Beobachtung empfohlen, die allerdings genauso wenig erbrachte wie die Kontrolle seiner eingetroffenen Bücher.3 Politisch verdächtige Vereine russländischer Studenten standen am Vorabend und während der Ersten Russischen Revolution auch in Deutschland unter strenger polizeilicher Beobachtung. Die Situation verschärfte sich sogar, nachdem der deutsche Konsul in Moskau vor einem »gewaltigen Andrang« russländischer Studenten an deutsche Universitäten gewarnt hatte, dessen Auslöser die »russischen Hochschulwirren« seien.4 Von dieser waren in der Tat nicht nur die politischen Aktivisten, sondern auch andere Studenten betroffen, die kaum mehr darauf hoffen konnten, das Studium an den russländischen Hochschulen ohne Zwischenfälle zu Ende zu bringen. Von solchen Verhältnissen berichteten auch armenische Stipendiaten, die mit knappen finanziellen Mitteln lieber in Deutschland als in Russland studieren wollten: »[…] an den russischen Universitäten kann man plötzlich vom Studium ausgeschlossen werden, ohne dies verschuldet zu haben«.5 Der als politisch brisant eingestufte Zustrom russländischer Studenten ging nicht nur mit administrativen Einschränkungen einher, die letztlich zu strengeren Zulassungsbestimmungen an deutschen Hochschulen führten. Die Situation hatte Auswirkungen auch auf die studentischen Vereine, deren Tätigkeit von den Universitätsleitungen zunehmend mit Misstrauen betrachtet und deren Gründung wesentlich erschwert wurde. Der Universitätssenat in Freiburg lehnte beispielsweise den Antrag auf Gründung eines russischen Lesevereins, zu dessen Mitgliedern auch die armenischen Medizinstudenten Ter-Movsisianc und Simeon Juzbašianc zählten, zunächst mit der Begründung ab, die Universität könne aufgrund früherer Vorkommnisse nicht ausschließen, dass ein »derartiger Verein gleichzeitig anderen, als bloß literarischen Bestrebungen dienstbar gemacht wird«.6 Die Absage stützte sich aber auch auf die Erfahrungen anderer Universitäten mit den Bibliotheken und literarischen Vereinigungen russländischer Studenten, welche sich in der Folge als »ein Herd politischer Agitationen erwiesen haben«.7 In den weiteren Begründungen des Senats hieß es, dass den Recherchen zufolge »[…] auch seitens anderer Universitätsbehörden (z. B. in Berlin) Vereine – und diesen Charakter trägt auch die beabsichtigte Vereinigung – russischer Studierender sowie überhaupt ausländischer Studenten niemals zugelassen worden sind«.8 3 Ebd., č. 787, Bl. 2. 4 Vgl. Maurer: »Der historische Zug«, 225. 5 Nationalarchiv Armeniens. Fond 312, Liste 1, Akte 55, Teil I., Bl. 45. 6 Universitätsarchiv Freiburg. Russische Lesehalle, B1/2652. 7 Ebd. 8 Ebd.

254

Armenische studentische Vereine in Deutschland und der Schweiz

Diejenigen Vereine, die bereits unter dem akuten Verdacht revolutionärer Aktivitäten standen, waren mitunter von einem Verbot bedroht. Dies war beim »Russisch-Akademischen Verein zu Leipzig« der Fall, dessen Gründung nur unter der Voraussetzung zugelassen wurde, dass der Verein gemäß dem vorgelegten Statut ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken diente. Die Gründer des Vereins wurden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass »die Erlaubnis sofort entzogen werden würde, sobald der Verein sich mit Politik zu befassen gedenken sollte«.9 Wie aus einem Bericht des Kaiserlich-Russischen Konsulats in Leipzig im Jahr 1907 hervorgeht, bestand dennoch der akute Verdacht, dass der Verein sich »vom Tag seiner Gründung an der revolutionären Propaganda hingegeben hat«.10 Gegen diese Anschuldigungen, so im Bericht weiter, ließ sich wenig anführen: Dem Konsulat ist gleichfalls bekannt, dass die genannte russische studentische Verbindung sich ausschließlich aus den extremen Elementen rekrutiert, die ein gewaltsames Vorgehen gegen unsere Regierung sich zur Aufgabe gestellt haben, und daher ließen sich die vom Universitätsrichter vorgebrachten Verdachtsmomente wohl kaum bestreiten. Das Einzige, was angeführt werden konnte, wäre das, dass die besagten extremen Elemente durchaus nicht die Mehrzahl der sich hier zu Studienzwecken aufhaltenden russischen Untertanen bilden, sondern im Gegenteil sich auf eine verhältnismäßig geringe Gruppe von hauptsächlich jüdischen und armenischen Studenten begrenzen, welche durch ihr Gebahren (sic!) die ganze übrige russische Studentenschaft von Leipzig diskreditieren […]11

Dies sei durchaus nicht das erste Mal, dass das Konsulat sich zur Verteidigung russischer Studenten genötigt sehe, da »das gefährliche Betragen dieser Minorität« zu pauschalen Anschuldigungen seitens örtlicher Autoritäten führe. Für sie sei der russische Student gleichbedeutend mit dem Revolutionär, doch dies entspreche bei weitem nicht der Realität. Die Mehrheit russischer Studenten, denen die Zustände in den heimischen Lehranstalten unerträglich geworden waren, würden sich ausschließlich zu Studienzwecken in Leipzig aufhalten.12 Der Verweis auf jüdische und armenische Studenten kam in diesem Bericht indes nicht von Ungefähr: Die offiziöse russische Presse distanzierte sich deutlich von den »revolutionären Elementen« an den ausländischen Universitäten, wobei eine antisemitische Haltung nicht zu übersehen war. Mit Blick auf die armenischen Studenten wurde in den polizeilichen Berichten immer wieder auf ihre vermeintliche politische Radikalisierung an deutschen und schweizerischen Hochschulen verwiesen. 9 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. I. HA . Rep. 77, St 18, Nr. 264, Bl. 4. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 Ebd.

Vergesellschaftung und politische Mobilisierung der Studenten 

255

5.1.1 Die Entstehung armenischer studentischer Vereine

Die studentische Migration aus dem Russländischen Reich nach Westeuropa um die Jahrhundertwende war zumindest teilweise politisch motiviert, sodass viele Organisationen in der Tat als Tarnung für revolutionäre Aktivitäten dienten. Doch Armenier waren auf deren Mitgliederlisten, die dem Universitätsgericht zur Bestätigung vorgelegt werden mussten, nur vereinzelt zu finden. Neben diesen Listen belegen nur die Polizeiberichte als einzige weitere Quelle die Mitgliedschaft armenischer Studenten in russländischen Vereinen, die zum Teil dem Fehlen einer adäquaten armenischen Alternative geschuldet war. Spätestens ab den 1890er Jahren galt auch unter den Armeniern die Mobilisierung der Studenten, die Formung ihrer politischen Weltanschauung und ihres gesellschaftlichen Bewusstseins als wichtige Aufgabe: […] Solche Vereine müssen gerade unter den Armeniern gegründet werden, da unser gesellschaftliches Leben von Konstantinopel, Amerika, Bulgarien und Ägypten bis nach Tiflis so schwach entwickelt ist und so wenige herausragende Anführer hat.13

Der Aufenthalt in Europa wurde dabei als eine einzigartige Möglichkeit verstanden, selbst wenn einer aktiven politischen Tätigkeit dort deutliche Grenzen gesetzt waren. Die Studenten fühlten sich dort sicherer als im Russländischen oder im Osmanischen Reich. Im Unterschied zu ihren Kommilitonen konnten sie sich in diesen »freien Ländern« sowohl der politischen als auch der wissenschaftlichen Tätigkeit ohne Angst vor staatlicher Reaktion und Verfolgung widmen.14 Tatsächlich hatten viele Studenten feste politische Überzeugungen und forderten – sei es mit Blick auf die nationale Befreiungsbewegung der Armenier, sei es für den sozialistischen Kampf – eine klare Stellungnahme studentischer Vereine: Wenn man sich öffentlich betätigen möchte, sollte man eine geordnete und konsequente Weltanschauung besitzen. Somit gehört man schon zu der einen oder anderen Partei. […] Außerhalb der Parteien gibt es weder öffentliche Meinung noch öffentliche Tätigkeit.15

Doch viele Studenten versuchten sich gerade von politisch orientierten Vereinen fernzuhalten, was diverse Gründe hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass die Mitgliedschaft in solchen Organisationen sowohl im Russländischen als auch im Osmanischen Reich zu Verfolgungen und Verhaftungen führen 13 Vahuni, V.: Evropayi hay usanołut’iunẹ [Armenische Studentenschaft in Europa]. In: Handes. 1 (1900), 4/5, 193–206, 197. 14 Ebd., 198. 15 Ebd., 203.

256

Armenische studentische Vereine in Deutschland und der Schweiz

könnte, versuchten viele Studenten, vor allem die Stipendiaten, ihre Zeit effi­ zienter zu nutzen, um das Studium möglichst schnell zu Ende zu bringen. Andere wiederum argumentierten damit, dass die studentischen Vereine in politischen Fragen Neutralität bewahren und ihre Mitglieder dadurch zum politischen Bewusstsein erziehen sollten, dass sie ihnen einen möglichst neutralen Zugang zu den verschiedenen politischen Richtungen ermöglichten, ohne dabei eine dieser Richtungen kategorisch zu bevorzugen. Was die akademischen Vereinigungen betrifft, so bildeten sie sich den Informationen des Tełekagir zufolge in mehreren Universitätsstädten, in denen Armenier studierten. Das Blatt liefert auch Informationen über die von diesen Gruppen organisierten Veranstaltungen sowie die Namen ihrer Mitglieder. Diese Vereine – wie sie sich selbst oft nannten – hatten in der Regel keine offizielle Legitimation durch die entsprechende Universitätsbehörde, zählten nur wenige Mitglieder und richteten Veranstaltungen wie etwa Lesungen und Vorträge aus. Ansonsten zielte ihre Tätigkeit vor allem darauf ab, den »nationalen Geist« unter den armenischen Studenten in der fremden Umgebung wachzuhalten, die Landsleute an der jeweiligen Universität zu vereinen und durch Kulturabende und Vorträge zu ihrer Fortbildung beizutragen. Sie fungierten aber auch als eine erste Anlaufstelle für die neu angereisten Kommilitonen, denen sie durch Beratung, manchmal aber auch durch finanzielle Unterstützung beizustehen versuchten. Neben ihrer beratenden und helfenden Funktion nahmen sie nach eigenem Verständnis aber auch die Funktion einer Brücke ein, die den notwendigen Kontakt zu den deutschen studentischen Kreisen erleichtern sollte. Dies wurde für genauso wichtig angesehen wie das Studium selbst: […] jeder armenische Student sollte bemüht sein, neben dem gründlichen Fach­ studium auch notwendige Kontakte zu den deutschen Studentenkreisen aufzubauen. Durch diese Erfahrungen kann er sich seinem Volk nützlicher erweisen als durch eine strenge Fachausbildung.16

Wann die ersten organisierten Gruppen oder Vereine unter den armenischen Studenten entstanden, ist schwer zu rekonstruieren. Die meisten konnten nicht zuletzt wegen des Fehlens einer amtlichen Anerkennung bzw. wegen des Weggangs ihrer ohnehin nicht zahlreichen Mitglieder nicht lange existieren. Die kurze Lebensdauer dieser Gruppen war aber auch anderen Faktoren geschuldet, etwa der mangelnden Erfahrung ihrer Mitglieder, dem Fehlen eines konsequenten Programms bzw. »gemeinsamer Ideale« sowie politischen Divergenzen und der Unregelmäßigkeit der Treffen.17 Doch bei aller Kritik wurde die Existenz solcher Vereine für notwendig gehalten, da sie ihre Mitglieder auf der »nationalen Grundlage« vereinten: 16 Malayan: Das armenische Studententum, 17 (209). 17 Vahuni: Evropayi hay usanołut’iunẹ, 204 f.

Vergesellschaftung und politische Mobilisierung der Studenten 

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[…] die Pflicht eines jeden Akademikers ist, seine nationale Gesinnung beizube­halten, um seine im Ausland erworbenen Kenntnisse befruchtend für das vaterländische Geistesleben anzuwenden und dadurch seinem eigenen Heimatlande Nutzen zu bringen.18

Einer dieser lokalen Vereine wurde laut Melik’-Łaragyosian 1896 in Berlin gegründet, als einige wohlhabende Armenier ihren dort studierenden Landsleuten etwa 600 Mark schenkten.19 Dieser Verein hatte keine strenge ideologische Orientierung, sondern stand allen eingeschriebenen Studenten unabhängig von ihren politischen Überzeugungen offen. Diese Tatsache war Melik’-Łaragyosian zufolge Ursache vieler Streitigkeiten und Missverständnisse innerhalb des Vereins, die letztlich zur Spaltung führten. Der Verein existierte nur sehr kurz und löste sich bereits im März 1897 auf. Seine finanziellen Mittel, die durch Mitgliedsbeiträge gewachsen waren, wurden durch einen gewählten Kassenführer verwaltet und gehörten weiterhin den Studenten in Berlin. Am Anfang bzw. Ende jedes Semesters wurden diese auf einer eigens dafür einberufenen Versammlung über die Einnahmen und Ausgaben informiert.20 Aus diesem Verein ging laut Melik’-Łaragyosian eine weitere Organisation hervor, die sich »Materialistischer Verein Armenischer Studenten« nannte.21 Am 20. November 1897 wurden auf der konstituierenden Versammlung die Ziele des Vereins festgelegt, der allen armenischen Studenten mit materialistischer Weltsicht ein Forum bieten wollte, sich über die Grundsätze dieser Weltanschauung auszutauschen. Im Wintersemester 1897/98 hatte der Verein bereits 17 Mitglieder und entfaltete mit diversen Vortragsabenden und Versammlungen eine recht intensive Tätigkeit.22 Für jede Versammlung wurden ein Vorsitzender und ein Schriftführer gewählt, darüber hinaus war ein Ge18 19 20 21 22

Malayan: Das armenische Studententum, 16 (208). Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 51. Ebd., 53. Ebd., 54. Im Wintersemester 1897/98 lauteten die Themen der Vorträge: 1) Unsere Erwartungen an die bakteriologische Chemie; 2) Zur Geschichte der ideologischen und materialistischen Weltanschauung; 3) Die Gesellschaft und die Intelligenzija; 4) Die Genese der Familie; 5) Die Korruption im Kaukasus; 6) Über die wirtschaftliche Entwicklung des Kaukasus; 7) Marx und Marxismus; 8) Die Finanzen des Vereins und unsere Bibliothek; 9) Der Einfluss der deutschen Schule auf das Leben im Kaukasus; 10) Seidenproduktion im Kaukasus; 11) Die Verbindung zwischen Naturwissenschaften und Wirtschaftslehre; 12) Die guten und schlechten Seiten des Kapitalismus; 13) Chemie im Alltag; Im Sommersemester 1898 wurde referiert über: 1) Wirtschaftsmaterialismus; 2) Die Naturwissenschaften als Grundlage für Weltanschauung und praktisches Leben; Im Wintersemester 1898/99: 1) Eines der wichtigsten Probleme der Psychologie – Geist und Körper; 2) Die Grundlagen des Materialismus; 3) Darwinismus und Sozialismus; 4) Die Folgen des privaten Eigentums; 5) Die Entstehung des Menschen, 6) Die Körperzellen und deren Leben. Vgl. Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 12 f.

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Armenische studentische Vereine in Deutschland und der Schweiz

schäftsführer, der für das ganze Semester gewählt wurde, für die Verteilung der aktuellen Aufgaben verantwortlich. Dies diente nicht nur dem Ziel, eine möglichst lange Existenz des Vereins zu sichern, sondern sollte auch alle Mitglieder zur aktiven Mitarbeit anregen. Eine weitere Organisation, die im Dezember 1898 unter Beteiligung von 15 Studenten in Berlin gegründet wurde, war die »Allgemeine Literarische Vereinigung Armenischer Studenten«. Die Tätigkeit dieses Vereins zielte darauf ab, die armenischen Studenten an der dortigen Universität mitein­ ander bekannt zu machen und in engeren Kontakt zu bringen. Laut Tełekagir hatte der Verein im Wintersemester 1898/99 19 und im Sommersemester 1899 18 Mitglieder und organisierte regelmäßig von Vorträgen begleitete Versammlungen.23 Die beiden zuletzt erwähnten Vereine organisierten auch gemeinsame Vortragsabende, die jedoch, so Melik’-Łaragyosian, oft zu »hitzigen Diskussionen« führten.24 Der Grund dafür sei die grundverschiedene Weltan­schauung ihrer Mitglieder gewesen, was sich bereits an der Wahl des Studienfachs gezeigt habe. Die Studenten, die im Materialistischen Verein mitwirkten, studierten laut Melik’-Łaragyosian vor allem Naturwissenschaften, während die Mitglieder der Allgemeinen Literarischen Vereinigung in philosophischen Fachrichtungen eingeschrieben gewesen seien.25 Solche Veranstaltungen stellten in jedem Fall wichtige Eckpunkte der Tätigkeit studentischer Vereine dar und kannten, wie die an Tełekagir geschickten Listen auch anderer Vereinigungen zeigen, keine erkennbaren thematischen Einschränkungen. Im Gegenteil, ihre Vielfalt wurde für die Weiterbildung der Studenten als sehr wichtig angesehen. Jeder Vortrag wurde von einem Studenten moderiert, der mit dem betreffenden Thema vertraut sein sollte. Dies sollte den Studenten die Möglichkeit geben, sich im akademischen Leben vielseitig zu behaupten und Erfahrungen zu sammeln. An Tełekagir wurden die Titel der Vorträge und die Namen der Vortragenden gemeldet, wobei die Zeitschrift Informationen auch über kleinere Veranstaltungen an einzelnen Universitäten abdruckte. Abgesehen von diesen Angaben gibt es über die Tätigkeit dieser Vereinigungen ansonsten keinerlei Dokumentation. 23 Folgende Vorträge wurden auf diesen Versammlungen u. a. gehalten: 1) Der armenische sakrale Gesang im 19. Jahrhundert; 2) Einige Worte zum zeitgenössischen Patriotismus; 3) Der Ahnenkult unter den Armeniern und dessen Folgen; 4) Die zeitgenössische naturwissenschaftliche Weltanschauung; 5) Die Beziehungen zwischen Religion und Wissenschaft oder das »Unerkennbare« [im Original auf Deutsch, d. Vf.] nach Spencer; 6) Die Entwicklung der ökonomischen Tätigkeit im Mittelalter; 7) Die ökonomische und soziale Bedeutung der Familie; 8) Die Lungenentzündung; 9) Die türkisch-armenische Frau. Vgl. ebd., 11 f. 24 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 56. 25 Ebd.

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Ab den 1890er Jahren führte die dramatische Verschlechterung der Lage der Armenier im Osmanischen Reich dazu, dass die Studenten sich immer stärker politisch engagierten. Sie nutzten alle ihnen in Europa zur Verfügung stehenden Instrumente, um die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit auf die Situation der Armenier und die Missstände in der Türkei zu lenken. Damit stellte die Studentenschaft an deutschen und schweizerischen Universitäten für die um die Jahrhundertwende aktiven politischen Parteien der Armenier eine wichtige intellektuelle und organisatorische Ressource dar. Doch nicht nur das: Auf die Entstehung der ersten politischen Parteien nahmen die Studenten auch direkten Einfluss bzw. beteiligten sich aktiv daran. 5.1.2 Die Gründung der Parteien Armenakan und Hnčak

Im Jahr 1885 wurde in Van, in der Türkei, die erste armenische politische Partei unter der faktischen Führung des Publizisten Mkrtič Avetisian (Terle­ mezian, 1864–1896) gegründet. Avetisian war ein Schüler des Pädagogen und Publizisten Mkrtič P’ort’ugalian (1848–1921), der in Van die bekannte Haykazian-Kedronakan Schule gegründet hatte und aktiv in die armenische Befreiungsbewegung involviert war. Wegen seiner Tätigkeit wurde er 1885 verhaftet, verließ die Türkei noch im selben Jahr und ließ sich in Marseille nieder. Dort gründete er 1885 die Zeitschrift Armenia, die als ideologisches Sprachrohr der in Van entstandenen Partei »Armenakan« fungierte. Die von der Partei propagierte Idee des bewaffneten Kampfes für die Befreiung Armeniens von der osmanischen Herrschaft verbreitete sich in kürzester Zeit unter den in Europa studierenden Armeniern. Für große Aufregung sorgte vor allem der Aufruf, alle bereits bestehenden Gruppen, aber auch Individuen unter dem Dach einer allgemeinen Organisation zu vereinen.26 Zu diesem Zeitpunkt waren der armenische Publizist Avetis Nazarbekian und seine Frau Maro Vardanian bereits in Genf und standen in engem Kontakt zu P’ort’ugalian. Beide stammten aus wohlhabenden Familien, hatten Sozialwissenschaften studiert und waren begeisterte Anhänger der sozialdemokratischen Bewegung. In Genf trafen sie auf weitere Studenten wie Ruben Khanazat (Khan-Azat, 1862–1929), Gabriel Kafian27 (1860–1930), Mkrtič Manučarian, 26 Vgl. Dasnabedian, Hratch: The Hunchakian Party. In: The Armenian Review. 41 (1988), 4/164, 17–39, 17. 27 Gabriel Kafian war früh in die armenische Befreiungsbewegung involviert. Ende der 1880er Jahre beantragte der russische Staat bei der Sächsischen Regierung die Auslieferung von Gabriel Kafian, der bereits durch seine revolutionäre Tätigkeit aufgefallen war. Dieser Auslieferungsantrag blieb jedoch ohne Folge. Nach der Aktion »Wechsel der Fünfhundertscheine« (siehe Fn. 118 in diesem Kapitel) wurde erneut ein Auslieferungsantrag gestellt, der drei weitere »verdächtige russische Terroristen« betraf, wobei Kafians Fall

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mit denen zusammen sie einen Aufruf an P’ort’ugalian richteten. Darin wurde er unter anderem aufgefordert, für die Gründung der oben genannten Organisation eine Spendensammlung zu initiieren. P’ort’ugalian druckte zwar diesen Aufruf in Armenia, den Vorschlag wies allerdings zurück.28 Daraufhin löste sich die Genfer Gruppe von Armenia und begründete unter dem Namen Hnčak (Die Glocke)29 eine eigene Zeitschrift. 1887 wurde im Umfeld dieser Zeitschrift die sozialdemokratische Partei Hnčakian gegründet. Die Ideologie dieser Partei stützte sich zwar auf Ideen der Sozialdemokratie, verfolgte jedoch das primäre Ziel, die Befreiung Armeniens von der Osmanischen Herrschaft durch bewaffneten Kampf herbeizuführen. Die angestrebte Kooperation mit Mkrtič P’ort’ugalian und seiner Zeitschrift Armenia kam dabei nicht zustande. Auf den Appell der Genfer Gruppe, P’ort’ugalian möge aktiver werden, durch Propaganda in der Armenia die europäische Gesellschaft für die Armenische Frage sensibilisieren und die Befreiungsbewegung der Armenier endlich in Gang bringen, antwortete dieser, er habe die Gründung einer Organisation mit demselben Ziel so gut wie abgeschlossen und sei gerade im Begriff, deren Programm zu Papier zu bringen.30 Doch das ging den Studenten in Genf, die inzwischen weitere Studenten aus anderen Städten mobilisiert hatten, definitiv zu langsam. Aus Montpellier siedelten Kristap’or Ohanian, Gevorg Łaraǰian (1861–1936), Matteos Šahazizian und Połos Afrikian nach Genf über, um sich dort der Partei anzuschließen. In der Zwischenzeit verfassten Nazarbekian, Vardanian und Gevorg Łara­ ǰian das Programm und die Satzung der Partei. Beides wurde am Vorabend der Parteigründung, im August 1887, fertiggestellt und 1888 in der November-/ Dezember-Ausgabe von Hnčak veröffentlicht.31 Das Programm umfasste die generellen langfristigen Ziele der Partei, nämlich den Aufbau einer sozialistischen Ordnung. Diese wurde als eine Gesellschaftsordnung ohne Ungleichheit und ohne Ungerechtigkeit dargestellt, in der die Menschenrechte

28 29

30 31

in diesem Zusammenhang wieder aufgerollt wurde. Da zwischen Sachsen und Russland kein Auslieferungsvertrag bestand, wurden solche Anträge immer von Fall zu Fall entschieden, wobei aber grundsätzlich an der Gewährleistung der Reziprozität festgehalten wurde. Vgl. Geh. Staatsarchiv München. Bayer. Gesandtschaft Dresden, Nr. 2821. Dasnabedian: The Hunchakian Party, 18. Der Name Hnčak war von Alexander Herzens Zeitschrift Kolokol (Die Glocke) inspiriert. Hnčak erschien in den Jahren 1887–1892 in Genf, 1892–1894 in Athen, 1894–1904 in London, 1904–1915 in Paris und 1935–1940 schließlich in Providence (USA). Die Redaktion der Zeitschrift hatten unter anderem Avetis Nazarbekian, Ruben Khanazat und Gabriel ­Kafian inne. Die Zeitschrift wurde zunächst in Nazarbekians Wohnung in Genf gedruckt und kostenlos in der Türkei und in Russland verbreitet. Die Hefte wurden dabei auf besonders dünnem Papier gedruckt und in versiegelten Umschlägen von diversen europäischen Städten aus verschickt, um die Zensur zu umgehen. Vgl. ebd., 19. Ebd., 18. Hnčak. 1888, 11/12, 2–5.

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garantiert, die Entwicklung der Fähigkeiten, Talente und des Potenzials jedes einzelnen Gesellschaftsmitglieds gefördert, das Gemeinschaftseigentum an den Produktionsmitteln und Produkten gesichert und die sozialen und die wirtschaftlichen Beziehungen in der Gesellschaft kohärent geregelt würden. Demgegenüber waren die kurzfristigen Ziele auf die Befreiung Armeniens von der osmanischen und der russischen Herrschaft gerichtet. Dieser Vorgang sollte sich in Etappen vollziehen, denen jeweils konkrete Aufgaben zugewiesen wurden, beginnend mit der Analyse der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation der Armenier im Osmanischen Reich bis hin zur Etablierung jener freiheitlichen demokratischen Ordnung, die letztlich zur nationalen Unabhängigkeit der Armenier führen sollte. Durch die Verwirklichung dieser einzelnen Schritte sollten die Bedingungen für freie und allgemeine Direktwahlen ohne jegliche Diskriminierung geschaffen werden, des Weiteren die Voraussetzungen für eine umfassende regionale und kommunale Autonomie, für demokratische Freiheiten (Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, Glaubensund Pressefreiheit), die Unantastbarkeit der Person und des Eigentums sowie den verpflichtenden Militärdienst. Auf diese Weise sollte der Boden für die oben beschriebenen langfristigen Ziele bereitet werden.32 Die Revolution bzw. der bewaffnete Kampf waren aus Sicht der Partei­ mitglieder nicht die einzigen Möglichkeiten, um diese Pläne zu verwirklichen. Durch Propaganda und politische Erziehung sollte die Idee der nationalen Unabhängigkeit in der armenischen Gesellschaft verbreitet werden. So wollte man die Armenier dazu motivieren, für ihre demokratischen Rechte und Freiheiten zu kämpfen, sich gegen die Willkür der Behörden zur Wehr zu setzen bzw. ihrer Unzufriedenheit durch Versammlungen und Proteste Ausdruck zu verleihen. Terroristische Handlungen, die helfen sollten, die revolutionäre Leidenschaft der Armenier zu entfachen, wurden dabei durchaus in Betracht gezogen.33 Diese Agenda ist nicht verwunderlich, standen doch die meisten Studenten aus dem Russländischen Reich, die den Kern dieser Partei bildeten, unter dem Einfluss der Ideen des revolutionären Kampfes in Russland. Auf der einen Seite waren sie von der Terrorstrategie der Narodniki überzeugt und hielten diese für die geeignete Form des Kampfes gegen die »Tyrannei« im Osma­ nischen Reich. Auf der anderen Seite ließen sie sich von der marxistischen Lehre begeistern. Diese beiden Einflüsse fanden ihren Ausdruck in ihrem ersten Programm.34 32 Ċragir Hnčakean kusakcut’ean [Programm der Partei Hnčakean]. Socialistakan gradaran (Sozialistische Bibliothek), Ausgabe 3. London 1897, 1–12. 33 Ebd., 10 f. 34 Kitur, Arsen: Patmut’iun S. D. Hnčakean Kusakcutean [Geschichte der S(sozal) D(emokratischen) Hnčakean Partei]. Band 1. Peirut 1962, 30 f.

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In kürzester Zeit konnte die Partei durch aktive Propaganda eine beachtliche Anzahl von Mitgliedern sowohl im Osmanischen als auch im Russländischen Reich gewinnen. An vielen Orten wurden weitere Gruppen gegründet, die zunächst vom sogenannten Zentrum in Genf aus geleitet wurden. Nach dem Umzug von Avetis Nazarbekian und Maro Vardanian nach London galt diese Stadt nunmehr als das offizielle Zentrum der Partei. Ab den 1890er Jahren beteiligten sich die Aktivisten der Partei Hnčakian an den bewaffneten Kämpfen der Armenier im Osmanischen Reich, für die auch Studenten rekrutiert wurden. Sicherlich trugen die Kämpfe in Sasun im Jahr 1893, der Aufstand in Zeyt’un 1895 oder der Verteidigungskampf in Van 1896 maßgeblich dazu bei, dass eine Gruppe junger Aktivisten nunmehr den nationalen Befreiungskampf der Armenier in den Vordergrund stellte und das sozialistische Programm der Partei ablehnte. Die unter Sultan Abdul Hamid II. geschehenen Massaker an den Armeniern in den Jahren 1894–1896 beschleunigten diese Entwicklung, was schließlich zur Spaltung der Partei führte. Am 1. August 1896 wurde in London, in Abwesenheit von Nazarbekian, eine Versammlung der »oppositionellen« Mitglieder der Partei einberufen. Die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ziele lehnte die Versammlung genauso ab wie das sozialistische Programm, dessen praktische Umsetzbarkeit ohnehin in Zweifel gezogen wurde. Dementsprechend wurde die sozialistische Propaganda zu einer zweitrangigen Aufgabe erklärt. Stattdessen fassten die sogenannten »reorganisierten« Hnčaken den Beschluss, die Tätigkeit der Partei fortan auf den nationalen Kampf zu fokussieren. Dabei sollte eine allgemeine Revolution der Armenier die kleineren Kämpfe künftig ablösen. Im Gegenzug bestätigte die Gruppe um Nazarbekian das sozialistische Programm und den sozialistischen Charakter der Partei ausdrücklich. Erst im Jahr 1902 gab es einen Versuch, die »alten« und »neuen« Hnčaken zu vereinen, wobei der nationale Befreiungskampf zum primären Ziel der Partei erklärt wurde. Doch die Kluft zwischen den beiden Lagern vertiefte sich in den folgenden Jahren zunehmend und führte letztlich zur endgültigen Spaltung der Partei.35 Die Partei Hnčakian  – und dies ist für den Kontext dieses Buches besonders wichtig – wurde zwar von Studenten bzw. mit deren aktiver Beteiligung gegründet, doch war sie keine »klassische« studentische Organisation. Dementsprechend zielte sie nicht auf die Vereinigung oder Mobilisierung der armenischen Studenten in Europa, wie dies bei den anderen Vereinen der Fall war. Vielmehr handelte es sich um eine der wichtigsten zeitgenössischen politischen Parteien der Armenier, die neben der Dašnakcut’iun an der Spitze der armenischen Befreiungsbewegung im Osmanischen Reich stand. Für die 35 Hovhannisyan, Gegham: Hnčakyan kusakcut’yan patmut’yun (1887–1915) [Geschichte der Partei Hnčakian. (1887–1915)]. Jerewan 2012, 117–135.

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armenische Studentenschaft in Europa war die Tätigkeit dieser Partei insofern wichtig, als sie erstmals einen geeigneten Rahmen bot, innerhalb dessen sich die politisch orientierten Studenten organisierten konnten.

5.2 Marxismus und Sozialdemokratie unter den armenischen Studentenin Deutschland und der Schweiz Das Bild der Studenten als intellektueller Treibkraft der Arbeiterklasse und Bauern wurde insbesondere in der sowjetischen Geschichtsschreibung konstitutiv herausgearbeitet und blieb lange Zeit auch für die moderne westliche Historiografie prägend. Das überrascht wenig, wurde den Studenten doch schon früh eine Schlüsselrolle bei der Organisation der Arbeiterklasse und der Verbreitung marxistischer Ideen zugeschrieben.36 Mehr noch, selbst wenn die aktive politische Beteiligung der Studenten auch anderswo in Europa vor allem in schicksalhaften Momenten der Geschichte ihres Landes nicht negiert wird, so wird die revolutionäre Bewegung der russischen Studenten doch als beispiellos dargestellt.37 Die neuere Forschung sieht dies differenzierter und hat auf jene dynamischen Politisierungs- und Entpolitisierungsprozesse innerhalb der Studentenschaft aufmerksam gemacht, die insbesondere vor und nach der Ersten Russischen Revolution deutlicher hervortraten.38 Die politische Vergesellschaftung der armenischen Studenten sowohl an den europäischen als auch an den russländischen Hochschulen geschah vor dem Hintergrund dieser Prozesse und wies – trotz nationaler Besonderheiten – durchaus eine ähnliche Dynamik auf. Die Gründung der ersten politischen Parteien der Armenier unter aktiver studentischer Beteiligung und der Kampf dieser Gruppen für die nationale Unabhängigkeit gaben dem Mobilisierungsprozess zusätzlichen Auftrieb. Die Rolle des Importeurs sozialdemokratischer Ideologie in den Kaukasus beanspruchten wiederum jene an russländischen und europäischen Universitäten studierenden Armenier für sich, die es als ihre wichtigste Aufgabe ansahen, die armenische Gesellschaft mit den »fortschrittlichen Ideen des Marxismus und des sozialistischen Kampfs« vertraut zu ma36 Siehe exemplarisch Ščetinina, G. I.: Studenčestvo i revoljucionnoe dviženie v Rossii. Poslednnjaja četvert’ XIX v. [Studentenschaft und die revolutionäre Bewegung in Russland. Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts]. Moskva 1987; Olesič, N. Ja.: V. I. Lenin i revoljucionnoe studenčestvo Rossii [V. I. Lenin und Russlands revolutionäre Studentenschaft]. Moskva 1982; Gusjatnikov, P.: Revoljucionnoe studenčeskoe dviženie v Rossii. 1899–1907 [Die revolutionäre studentische Bewegung in Russland]. Moskva 1971. 37 Kiss, Gábor: Die gesellschaftspolitische Rolle der Studentenbewegung im vorrevolutionären Russland. München 1963, 94–95. 38 Vgl. Morrissey: Heralds of Revolution.

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chen. Dieser Import revolutionärer Ideen sorgte in offiziellen Kreisen in Russland für Unruhe, da den ehemaligen Studierenden europäischer Hochschulen durchaus die Fähigkeit zugetraut wurde, die Massen zu organisieren und eine revolutionäre Bewegung herbeizuführen. Im armenischen Fall wurden in den polizeilichen Berichten vor allem die Parteien Dašnakcut’iun und Hnčak als Träger sozialistischen Gedankenguts hervorgehoben, deren Popularität und Einfluss unter den armenischen Studenten im Ausland enorm groß sei.39 Im Ausland zog vor allem das russische revolutionäre Exil in der Schweiz die Studenten aus dem Zarenreich geradezu magnetisch an und sorgte so dafür, dass sich in der schweizerischen öffentlichen Wahrnehmung ein spezifisches Bild der russländischen Studentenschaft etablierte. Vor allem das angebliche Treiben der russländischen Studentinnen, die sich diesen Vorstellungen zufolge in »politische Wirren und revolutionäre Hetzereien« verstrickten, wurde allgemein als verstörend empfunden.40 Die wachsende Zahl russländischer Studenten um die Jahrhundertwende verstärkte diese Wahrnehmung sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland sogar noch mehr. Die intensiver werdenden studentischen Proteste in Russland gingen nämlich mit dem massenhaften Ausschluss aus russländischen Hochschulen einher. Als Grund für eine solche Relegation reichte oft bereits der Verdacht, in revolutionäre Aktivitäten involviert zu sein, der Besitz verbotener Literatur oder ein Umgang mit »unzuverlässigen« Personen. Oft wurden aber auch Studenten der Universität verwiesen, gegen die keine belastenden Beweise vorlagen. Dies führte dazu, dass auch diejenigen Studenten ins Ausland gingen, die wegen politischer Repressionen in ihrer Heimat das Studium nicht zu Ende bringen konnten. Doch zwischen den revolutionär gesinnten und den lediglich zu Studienzwecken in der Schweiz oder in Deutschland weilenden Studenten wurde oft kaum unterschieden. Aus Berlin erging immer wieder die Anweisung, »uner­w ünschte russische Elemente« von Preußens Hochschulen fernzuhalten.41 Bei den Behörden war nämlich die Befürchtung groß, dass die »russischen revolutionären Anarchisten« durch die im Ausland gebildeten Gruppen eigentlich nur die Absicht verfolgten, die »russische Revolution mit Geld, Waffen, Sympathiekundgebungen usw.« zu unterstützen.42 Auch die Nationalität der Studenten aus dem Zarenreich spielte kaum eine Rolle, mit Ausnahme jener Gruppen, die von vornherein auf Wohlwollen wie etwa die Balten, oder prinzipiell auf Ablehnung wie die jüdischen oder die polnischen Studenten stießen.

39 40 41 42

GARF. Polizeidepartement, Sonderabteilung, Fond 102 (1907), op. 237, č. 171, Bl. 1–3.

Tikhonov: Zwischen Öffnung und Rückzug, 168. Peter: Politik und akademisches Ausländerstudium, 182. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. I HA . Rep. 77, St. 18, Nr. 264, Bl. 98.

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Bestimmte Universitäten bzw. Technische Hochschulen standen derweil in dem Ruf, bei den revolutionär gesinnten Studenten aus Russland besonders beliebt zu sein. Wie die Sonderabteilung des Polizeidepartements 1899 feststellte, war München als ein Zentrum der sozialdemokratischen Bewegung für die studierende russländische Jugend überaus attraktiv.43 Dies habe unter anderem negative Auswirkungen auf die Zulassungsbestimmungen an den deutschen Hochschulen für russische Staatsbürger: Die Universität München weigerte sich, diejenigen Studenten aufzunehmen, die aus den russischen Hochschulen ausgeschlossen worden waren. Dafür gibt es im Polytechnikum etwa 80 Russen, von denen allerdings 90 % Juden aus den südwestlichen Gebieten sind. An sich kann man diese Studenten in zwei Gruppen einteilen: diejenigen, die sich hier nur zum Faulenzen aufhalten, und die Revolutionäre, die mit dem in Russland herrschenden System unzufrieden sind und dieses mit Hilfe der Arbeitermassen zu zerstören träumen.44

In einem weiteren Bericht hieß es, die polizeiliche Beobachtung »unzuverlässiger« Russen im Ausland habe ergeben, dass sich russische Untertanen »in Scharen« nach München begäben.45 Nach diesen Berichten waren die meisten Studenten aus Russland in verdächtige politische Aktivitäten involviert, sie besuchten Versammlungen verschiedener sozialdemokratischer Vereine, pflegten persönliche Kontakte zu deutschen Sozialdemokraten und wohnten zum Teil sogar in deren Wohnungen, was ihnen Zugang zu sozialistischer Literatur verschaffte. Angesichts dieser Erkenntnisse wurde dringend empfohlen, die Tätigkeit der sich in München aufhaltenden russländischen Studenten genau zu beobachten, sie aber vor allem nach der Heimkehr unter polizeiliche Beobachtung zu stellen.46 Die Überwachung politisch auffälliger Studenten war indessen auch in Deutschland üblich, und zwar in enger Zusammenarbeit mit der russischen Polizei. In Berlin, einer ebenfalls bevorzugten Destination revolutionär ge­ sinnter Studenten, wurden in einem Bericht des Polizeipräsidenten vom 5. Oktober 1910 etwa 166 unter Verdacht stehende russländische Studenten erwähnt, die zwischen 1900 und 1910 an der dortigen Universität und an den Technischen Hochschulen immatrikuliert gewesen waren. 39 von ihnen wurden wegen vermuteter politischer Tätigkeit des preußischen Territoriums verwiesen. Die Zahl 166 wurde dabei als verhältnismäßig gering bezeichnet, da eben nicht alle aus dem Russländischen Reich stammenden Studenten unter Beobachtung gestellt werden konnten. Darüber hinaus enthielten sich 43 GARF. Polizeidepartement, Sonderabteilung, Fond 102 (1898), op. 226, č. 3, Teil 79, Bl. 5–6. 44 Ebd., Bl. 1–2. 45 Ebd., Bl. 2. 46 Ebd.

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viele immatrikulierte Studenten politischer Aktivitäten, da »die Ausweisung dem wirklichen Studenten viel unheilbarere Nachteile als dem nicht immatrikulierten und deshalb wurzelloseren sonstigen russischen Revolutionär« bringen würde.47 Demselben Bericht zufolge waren die politischen Organisationen der russischen Revolutionäre teils öffentlich, teils geheim.48 Zu den geheimen Organisationen gehörten einige Unterstützungskassen49, die Ortsgruppen der Parteien sowie die Parteivertrauensmänner, wobei die letzteren, so der Polizeipräsident, nur auf vertraulichem Wege ermittelt werden konnten. Als öffentliche oder geheime Ortsgruppen wurden der »Literarisch-wissenschaftliche Verein«, der »Sozialistische russisch-jüdische Arbeiterbund«, kurz Bund, die zeitweise in Berlin existierende sogenannte »Balmašev-Gruppe«, vor allem aber die »Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei« (RSDAP) erwähnt.50 Mitglieder der letztgenannten Partei waren auch die armenischen Studenten in Berlin Awraamoff, Gabriel Gambaroff, Martiros Harut’yunianc, Eznik Melkonianc, Ter-Ogannessian und Aršak Išxanianc. Wegen ihrer Beteiligung an sozialdemokratischen Versammlungen bzw. als Unterzeichner der Protestresolution gegen den Reichskanzler Bernhard von Bülow vom 5. März 47 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. I HA . Rep. 77, St. 18, Nr. 265, Bl. 100– 101. 48 Als »politisch angemeldete Organisationen« der Russen wurden in dem erwähnten Bericht der »Verein der Studierenden aus Russland«, später »Saltykov-Lesehalle«, der »Literarisch-wissenschaftliche Verein« sowie die »Čechov-Lesehalle« erwähnt. Die Saltykov-Lesehalle wurde Anfang 1892 ursprünglich ohne »politische Tendenz« gegründet und geriet ab 1900 nach und nach in den Bann der sozialistischen Bewegung. Am 23. Mai 1907 wurden bei einer polizeilichen Durchsuchung in ihren Räumen fast ausschließlich revolutionäre Zeitungen vorgefunden, etwa Publikationen wie Iskra, das Organ der RSDAP Vperëd Proletarij (Vorwärts, Proletarier!), ferner das Blatt Revoljucionnaja Rossija (Revolutionäres Russland), die Organe des Bundes Neuer Weg und Zeitgeist sowie die deutschen »Anarchistenblätter« Der Revolutionär und Der freie Arbeiter. Was den Literarisch-wissenschaftlichen Verein anbelangt, so wurde dieser im Jahr 1898 durch Jakob Žitomirskij und andere Mitglieder der Saltykov-Lesehalle gegründet und galt zunächst ebenfalls als unpolitisch. Die Vorträge, die dort gehalten wurden, streiften jedoch, so der Bericht, »von Anfang an das politische Gebiet«. Die Jahre 1905/06 galten als der Höhepunkt der Tätigkeit des Vereins. Der dritte Verein, die Čechov-Lesehalle, wurde 1906 gegründet und nahm entgegen den in ihren Statuten formulierten Zielen ebenfalls schon bald einen politischen Charakter an. So dauerte es nicht lange, bis die Mitglieder sich sogar mehrheitlich für eine linksradikale Ausrichtung aussprachen und alle dieser Tendenz nicht entsprechenden Zeitungen aus der Lesehalle verbannten. Die in den Räumen des Vereins gehaltenen Vorträge behandelten ebenfalls durchweg sozialistische Themen. Vgl. ebd., Bl. 107–109. 49 Ausdrücklich erwähnt wurde die sogenannte außerparteiliche Kasse, die angeblich nur bedürftige russische Studenten unterstützen sollte, tatsächlich aber anderen Zwecken diente. Ihre Sammlungen trugen den Aufdruck »Kasse zur Unterstützung sibirischer Emigranten aller Parteirichtungen«. Vgl. ebd., Bl. 102. 50 Ebd., Bl. 102–106.

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1904 waren sie in dem oben erwähnten Polizeibericht ebenfalls aufgelistet.51 Einige von ihnen, etwa Hayk Melk’onianc, der sich am 18. März 1908 an der Demonstration am Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain beteiligt hatte, wurden sogar aus Preußen ausgewiesen.52 In den Reihen der sozialdemokratischen Studenten aus dem Russländischen Reich waren armenische Studenten somit immer wieder zu finden, zumal es unter ihnen anfangs keinen organisierten marxistischen Verein gab. Die meisten dieser Studenten kamen bereits mit dem klar definierten Ziel nach Deutschland, sich mit der sozialdemokratischen Bewegung in Europa vertraut zu machen, ihre Kommilitonen in der Heimat mit marxistischer Literatur zu versorgen bzw. »geschulte Agitatoren« in die Heimat zu schicken. Diese Studenten waren prononcierte Gegner der unter den armenischen Studenten stark vertretenen nationalistischen Gesinnung und separierten sich keinesfalls von der russischen sozialdemokratischen Bewegung. Sie forderten die armenische Studentenschaft auf, sich zu vereinen und sozialistische Gruppen zu bilden, um aus den eigenen Reihen erfahrene Vorkämpfer für den Sozialismus hervorzubringen. Dies gelte umso mehr, als die Arbeiterbewegung im Kaukasus sich noch in einem embryonalen Zustand befinde und deshalb bislang zum revolutionären Prozess aus eigener Kraft nicht beitragen könne.53 Die künftigen Vorkämpfer des Sozialismus sollten sich also aus Studenten in Europa rekrutieren: Es wird unter der armenischen Studentenschaft solche Individuen geben, die die sozialen Probleme und die historische Mission der Arbeiterbewegung begreifen, sich von der bürgerlichen Gesellschaft und dem bürgerlichen Lebensstil entfernen und für den Kampf der Arbeiterbewegung und des Sozialismus zur Verfügung stehen werden.54

Die Hoffnung ruhte vor allem auf den aus der Mittelschicht stammenden Studenten, da das Proletariat in Armenien noch eine Minderheit bilde und zu schwach sei, um aus den eigenen Reihen eine Intelligenzija hervorzubringen. Damit wurde den im Ausland ausgebildeten Studenten eine immense Verantwortung zugewiesen: Freilich wählen auch armenische Studenten solche Fächer aus, die ihnen in naher Zukunft zu materiellem Wohlstand und einer guten gesellschaftlichen Stellung verhelfen sollen. Medizin, Chemie, Physik, Jura sind Studienfächer, die unserer Jugend die Türen zu den ›freien‹ Berufen eröffnen sollen. Aber wenn andererseits diese Studenten, die sich ein langjähriges Studium im Ausland leisten können, auch die Sorgen der armenischen Bauern und Arbeiterschaft nicht teilen müssen und sich mit ihrem erlern51 52 53 54

Ebd., Bl. 104–113. Ebd., Bl. 107. Vahuni: Evropayi hay usanołut’iunẹ, 197. Ebd., 201.

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ten Beruf in Zukunft vom Leiden der Arbeiterklasse freimachen und sich finanziellen Wohlstand sichern können, so sollten sie sich doch bemühen, noch an der Universität gewisse aus diesen Voraussetzungen entstehende Verpflichtungen wahrzunehmen.55

Vor diesem Hintergrund wurden diejenigen Studenten, die sich nur ihrem Studium widmeten und keinerlei Interesse an politischen Aktivitäten zeigten, wegen ihrer Neutralität scharf kritisiert. Der »politisch bewusste« Teil der armenischen Studenten verstand sich als die zukünftige Elite einer entstehenden Gesellschaft, die noch über keine erfahrene politische Führung verfügte. Dieser Umstand verpflichtete sie dazu, bereits während des Studiums eine gewisse Verantwortung zu übernehmen bzw. genug Erfahrung zu sammeln, um zur Lösung aktueller politischer Probleme in der armenischen Gesellschaft beitragen zu können. Denn weder die Wirtschaftselite noch die geistliche Oberschicht des Landes vertrete wegen ihrer streng konservativen Ansichten die wahren Interessen der armenischen Gesellschaft. Es bedürfe daher einer neuen, in Europa ausgebildeten Führungsschicht, die in der Lage sei, die Lösung der zahlreichen sozialen Probleme zu übernehmen: Die armenische Studentenschaft könnte unserer Gesellschaft nützliche Dienste erweisen, wenn sie ihre moralische Verpflichtung anerkennt, sich nach dem Vorbild der europäischen Studentenschaft organisiert, die gesellschaftlichen Probleme in Europa und in Armenien studiert und sich dann für die Zukunft der armenischen Gesellschaft einbringt. In der Tat brauchen wir weder Genies noch größte Talente, sondern junge Studenten, die sich in Europa für die Führung unseres Volkes vorbereiten.56

Diese Studenten sollten sich die ideologischen und die wissenschaftlichen Grundlagen des Sozialismus aneignen, da man ohne ein fundiertes Verständnis dieser Bewegung die im Nationalismus verhaftete armenische Gesellschaft, vor allem aber die ländliche Bevölkerung, nicht für den sozialistischen Kampf gewinnen könne.57 Der Boden für die Mobilisierung der armenischen Studenten für sozialdemokratische Ideen war durch ihre Mitwirkung in russländischen Vereinen bzw. die Aktivitäten der Partei Hnčak bereits vorbereitet. Die erste sozialdemokratische Gruppe entstand in Genf unter der Leitung von Ervand Palian und mit Beteiligung von Studenten verschiedener europäischer Hochschulen. Im Jahr 1900 startete Palian in Genf die Herausgabe der Zeitschrift Handes (Das Journal), die sich als sozialistisches Organ der politischen Aufklärung verpflichtet fühlte. Das gründliche Verständnis des Sozialismus und seiner wissenschaftlichen Weltanschauung war dabei genauso wichtig wie die Her55 Ebd., 194. 56 Ebd., 197. 57 Ebd., 206.

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ausarbeitung der Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten zwischen der Entwicklung der europäischen Gesellschaften und der armenischen Geschichte. Ihre wichtigste Aufgabe sah die Gruppe um Handes darin, ein vollständiges Konzept für eine sozialdemokratische armenische Partei auszuarbeiten und die Übersetzung und Publikation wichtiger sozialistischer Literatur auf den Weg zu bringen. Ferner plante man, das gesellschaftliche Leben der Armenier im Osmanischen Reich ebenso wie im Kaukasus und sogar in Amerika vom Standpunkt des Sozialismus aus zu studieren. Faktisch strebten die Mitglieder dieser Gruppe als Marxisten danach, die Arbeitermassen zu organisieren, das existierende politische System zu stürzen und eine sozialistische Weltordnung aufzubauen.58 Palian beabsichtigte die Gründung einer allgemeinen armenischen sozialdemokratischen Konföderation mit Beteiligung lokaler Parteien sowohl im Kaukasus als auch unter den Westarmeniern, in Bulgarien, in Ägypten und in Amerika. Eines der wichtigsten Prinzipien des Sozialismus sah er darin, dass die Parteien der diversen Nationalitäten – beispielsweise im Zarenreich – auf föderativer Basis Teil der Sozialdemokratischen Partei des jeweiligen Landes werden sollten.59 Die von Handes propagierte Ideologie bildete die Grundlage für die später gegründete Armenische Sozialdemokratische Arbeiterorganisation (ASDAO). Die Gruppe um Handes verfasste das Programm der ASDAO und gab mehrere Broschüren heraus. Eine effiziente Zusammenarbeit zwischen der neuen Organisation und der sozialdemokratischen Gruppe in Genf scheiterte allerdings an diversen Meinungsverschiedenheiten. Am 27. September 1903 gründeten einige Studenten gemeinsam mit Palian in Genf die Gruppe »Armenische Sozialdemokratie«, der jedoch nur ein kurzes Leben beschieden war.60 Die meisten Mitglieder dieser Gruppe gehörten ursprünglich der HYD an, die wegen zunehmender Kontroversen mit der Führung ihrer Partei diese letztlich verlassen und sich der sozialdemokratischen Bewegung angeschlossen hatten.61 Die Abspaltung war im Wesentlichen der Tatsache geschuldet, dass jener Teil der armenischen Studentenschaft, der sich mit marxistischer Literatur und marxistischer Ideologie beschäftigte und letztlich den Weg des internationalen Klassenkampfs einschlug, sich mit dem Kampf der Dašnaken 58 Handes. Socialistakan organ. Tntesakan-k’ałak’akan-hasarakakan amsagir (Handes. Sozialistisches Organ. Wirtschaftlich-politisch-gesellschaftliches Journal). 1 (1900), 1, 20. 59 Vgl. Hakobyan, Vahagn: Sozial-demokratakan banvorakan hay kazmakerput’yan (SDBHK) jevavorman patmut’yunic [Aus der Entstehungsgeschichte der armenischen sozialdemokratischen Arbeiterorganisation (ASDAO)]. In: PBH . 2009, 2/3, 46–59, 47. 60 Ebd., 51; Banvor. 1 (1904), 1/2, 1. 61 Zum Konflikt zwischen nationaler und sozialistischer Ideologie in der armenischen Politik siehe insbesondere Suny, Ronald Grigor: Populism, Nationalism and Marxism: The Origins of Revolutionary Parties Among the Armenians of the Caucasus. In: The Armenian Review. 32 (1979), 2/126, 134–151.

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für die Belange der Armenier in der Türkei nicht mehr zufrieden gab. Allmählich lösten sich diese Studenten von dem »nationalistischen Handeln« der armenischen Parteien, wohingegen Dašnakcut’iun auf einer Parteiversammlung 1903 in Baku weiterhin die Lösung der Armenischen Frage als das primäre Ziel bestätigte. Die Organisation der Arbeitermassen und die sozialdemokratische Bewegung seien zwar wichtig, hieß es in der Erklärung, doch Dašnakcut’iun dürfe die eigenen Kräfte nicht zersplittern und konzentriere sich daher auf die nationalen Bestrebungen der Armenier im Osmanischen Reich.62 Die sozialdemokratische Bewegung unter den armenischen Studenten in Europa trat zu keiner Zeit unter dem Dach einer etwa mit dem jüdischen Bund vergleichbaren Organisation auf. Sie brachte eher einzelne Personen und Gruppen hervor, deren Aktivitäten die sozialdemokratische Bewegung der Armenier über den Rahmen rein studentischer Interessen hinaus prägten. Zu diesen Persönlichkeiten gehörten sicherlich Gevorg Łaraǰian63 sowie Hovsep’ At’abekianc64. Łaraǰian studierte von 1883 bis 1889 Soziologie an der Universität Genf. Gleich am Anfang seines Studiums lernte er Plechanov und andere Mitglieder der Gruppe »Befreiung der Arbeit« kennen und wandte sich allmählich von den Narodniki ab und den Marxisten zu. Łaraǰian korres­ pondierte noch während des Studiums unter anderem mit den Zeitschriften Armenia, Murč’ und Mšak, wobei er in seinen Aufsätzen nicht nur Fragen der Entwicklung des Kapitalismus im Kaukasus und der Entstehung der Arbeiter62 Hakobyan: Sozial-demokratakan banvorakan hay kazmakerput’yan jevavorman patmut’yunic, 52. 63 Gevorg Łaraǰian hielt sich wiederholt von 1908 bis 1917 im Exil in der Schweiz auf. Er arbeitete mit Plechanov zusammen und veröffentlichte die Monografie: Arkomed, S. T.: Rabočee dviženie i social-demokratija na Kavkaze. S 80-ch gg. po 1903 g. S predisl. k 1-mu izd. G. V. Plechanova [Die Arbeiterbewegung und die Sozial­demokratie im Kaukasus. Von den 80er Jahren bis zum Jahr 1903. Mit einer Einleitung zur ersten Ausgabe v. G. V. Plechanov]. Moskva 1923. Nach der Februarrevolution 1917 kehrte er in den Kaukasus zurück und wurde Mitglied des Rats der Arbeiterdeputierten in Armenien sowie der sozialdemokratischen Fraktion des armenischen Parlaments. Darüber hinaus war er Mitglied der Stadtduma in Tiflis und in Jerewan. Vgl. HSH . Band 7, 29. 64 Hovsep’ At’abekianc (1871–1916) war ein armenischer Publizist und Übersetzer. Nach dem Abschluss des Ersten Knabengymnasiums in Tiflis studierte At’abekianc zwei Jahre in St. Petersburg, bevor er im Jahr 1880 sein Studium an der landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim aufnahm. Dort studierte er bis 1884 und unterhielt gleichzeitig enge Kontakte zu deutschen Sozialdemokraten in Stuttgart. 1895 kehrte er in die Heimat zurück und beschäftigte sich hauptsächlich mit Fragen der Landwirtschaft. Im Jahr 1904 leistete er seinen Militärdienst in Kars ab und wurde von seiner Garnison zum Mitglied der 2. Staatsduma gewählt. In dieser Eigenschaft setzte er sich für die Lösung der Autonomiefrage des Gebiets Kars ein. Nach der Auflösung der Duma beschäftigte er sich weiter mit Fragen der Landwirtschaft, entwickelte hydrotechnische Anlagen und verfasste einige Untersuchungen. 1914 wurde er wieder als Offizier in die Armee berufen, am 15. Januar 1916 beging er Selbstmord in Kars. Vgl. HSH . Band 1, 126.

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bewegung behandelte, sondern auch versuchte, die armenische Befreiungsbewegung vom Standpunkt des Marxismus aus zu interpretieren. Noch in der Schweiz gab er den Anstoß zur Übersetzung des »Manifests der kommunistischen Partei« ins Armenische, ein Projekt, das er allerdings nicht zu Ende bringen konnte. Nach der Rückkehr in die Heimat widmete sich Łaraǰian ganz der revolutionären Tätigkeit. Er leitete die 1898 gegründete erste marxistische Gruppe armenischer Arbeiter in Tiflis, zudem unterrichtete er von 1889 bis 1895 an den Schulen in Eriwan und in Šuši, von 1919 bis 1920 am Nersesian-­ Seminar und an der Gayanian-Schule in Tiflis. An sämtlichen dieser Wirkungs­ stätten setzte er sich für die Verbreitung der marxistischen Ideologie ein.65 Auch At’abekianc sympathisierte in seinen Studienjahren in St. Petersburg zunächst mit der Bewegung der Narodniki, wandte sich aber während des Studiums in Deutschland ebenfalls dem Marxismus zu. Von 1880 bis 1884 studierte er Landwirtschaft in Hohenheim und machte sich bereits während dieser Zeit mit den Werken von Friedrich Engels, Clara Zetkin und Karl Kautsky vertraut. Über seine Zeit und die Tätigkeit in Stuttgart schrieb die Zeitung Horizon: Er lebte mit Parvus66 zusammen und war bei den Veranstaltungen mit Beteiligung von Kautsky und Zetkin stets anwesend. Er hat marxistische Literatur nicht nur gelesen, er verschlang sie. Das ›Kapital‹ war in seinen Augen die Bibel der Bibeln, die Zusammenfassung aller Weisheit und wissenschaftlicher Wahrheit. Marx und Engels waren für ihn wie Halbgötter. […] Er gab sich dieser neuen Lehre mit seinem ganzen armenischen, orientalischen Temperament hin. Er war der Liebling der Stuttgarter Marxisten, die sich noch lange an den ›feurigen armenischen Genossen‹ [im Original auf Deutsch, d. Vf.] erinnerten.67

Im Jahr 1894 reiste At’abekianc nach Italien, besuchte Turin, Mailand, Neapel, Sizilien und andere Orte, machte sich mit den dort üblichen Anbautechniken für Baumwolle und Reis bekannt und arbeitete auch selbst auf dem Feld. Die Lage des italienischen Proletariats beschrieb er in einigen Artikeln in der Zeitung Die Neue Zeit, die von Kautsky herausgegeben wurde.68 Sein Ziel war es Melik’-Łaragyosian zufolge, die europäischen landwirtschaftlichen Techno­ 65 Vgl. Barseghyan, Ch. H.: Mark’sizmi taraċumẹ Hayastanum․ Girk’ 2. Payk’ar Mark’s-­ Leninyan gałap’arneri hałt’anaki hamar (1905–1920) [Die Verbreitung des Marxismus in Armenien. Band 2. Der Kampf um den Sieg der marxistisch-leninistischen Ideologie (1905–1920)]. Jerewan 1975, 308–310. 66 Alexander Parvus (Israil Lazarevič Helphand, 1867–1924) war ein russischer Revolutionär, der sich ab 1886 zunächst in der Schweiz, dann in Deutschland aufhielt. Unter anderem war Parvus an der Vorbereitung der Reise Lenins im Jahr 1917 nach Russland involviert. Vgl. RBS . Band 11, 416. 67 Horizon. 8 (1916), 14, 1–2, 1. 68 Atabekianc veröffentlichte zahlreiche Artikel mit der Unterschrift Atb. in: Neue Zeit. 1895, 27; 28; 32; 33.

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logien auch in seiner Heimat einzusetzen, um die Lage der armenischen Bauern zu verbessern.69 At’abekianc initiierte die Übersetzung der »Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« von Friedrich Engels ins Armenische, die unter dem Titel »Gitakan socializm« (Wissenschaftlicher Sozialismus) im Verlag der Dašnaken erschien.70 In den Jahren 1894 bis 1896 unternahm er den zweiten Versuch, das »Kommunistische Manifest« ins Armenische zu übersetzen. Mit der Bitte um »einige Worte« für das Vorwort dieser Ausgabe wandte sich At’abekianc am 1. November 1894 in einem umfangreichen Brief an Friedrich Engels: Die Ausgabe des ›Kommunistischen Manifests‹ in armenischer Sprache, was Sie im Vorwort der fünften deutschen Ausgabe des Manifests als kurios71 bezeichneten, wird bald eine vollendete Tatsache sein. Einige Schwierigkeiten, die sich für die Übersetzung ins Armenische herausstellten, sind überwunden; wir haben versucht, uns keinerlei Freiheiten in der Übersetzung zu erlauben und hielten uns überall streng am deutschen Original. Die Übersetzung des Manifests mit allen Vorworten und mit dem Statut der Internationale (sic!) ist bereit für die Veröffentlichung und wartet nur noch auf Ihr Einverständnis. Wenn Sie so nett wären, einige Worte zu unserer Publikation des Manifests – zumindest einige warme, herzliche Worte – zu schreiben, wären wir Ihnen äußerst dankbar. Wir wenden uns mit dieser Bitte an Sie, weil wir wissen, dass Ihre Worte der neuen Sache den notwendigen Anstoß geben sowie der Propaganda sozialistischer Ideen unter dem armenischen Volk, […] das sich bereits seit zehn Jahren auf dem revolutionären Weg befindet, helfen können.72

In dem Brief schilderte At’abekianc außerdem die politische Lage der Armenier von den antiken Zeiten bis ins 19. Jahrhundert. Im Russländischen Reich präsentiere sich die Situation der Armenier dank der Einwirkung der 69 Tiflisskij listok. 39 (1916), 16 (21. Januar), 2 f. 70 Gitakan socializm [Wissenschaftlicher Sozialismus]. Vienna 1894; Vgl. auch Hovhannisian, Ashot: Pis’mo Iosifa Atabekianca F. Engel’su po povodu perevoda na armjanskij jazyk kommunističeskogo manifesta [Der Brief von Iosif Atabekianc an F.  Engels die Übersetzung des Kommunistischen Manifests ins Armenische betreffend]. In: PBH . 1959, 2/3, 320–327, 320. 71 Atabekian bezog sich hier auf die Anmerkungen zur armenischen Übersetzung, die Engels am 30. Januar 1887 beziehungsweise 1890 in den jeweiligen Einleitungen zum »Kommunistischen Manifest« gemacht hatte. Die Übersetzung wurde 1887 in Konstantinopel einem Verleger angeboten, der jedoch Angst hatte, ein Buch von Marx zu veröffentlichen. Er bot dem Übersetzer daher an, das Buch unter dessen Namen herauszubringen, was aber abgelehnt wurde. Vgl. Marx, Karl / Engels, Friedrich: Komunistakan kusakcut’yan manifest [Manifest der Kommunistischen Partei]. Jerewan 1973, 27. Original in: Marx, Karl: Das Kommunistische Manifest. Vierte autorisierte deutsche Ausgabe. Mit einem Vorwort von Friedrich Engels. London 1890, 6. 72 Karl Marx / Friedrich Engels Papers, 1263. International Institute of Social History. Inv.nr. L 111 [L I 14_8], Blattnummer 2689a.

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europäischen Kultur und Bildung fortgeschrittener und zivilisierter als bei den Landsleuten in der Türkei. Diese seien der Möglichkeit des aktiven kulturellen Austauschs mit Europa beraubt. At’abekianc setzte voraus, dass die Geschichte der Armenier im Russländischen Reich Engels hinreichend bekannt war, daher konzentrierte er sich eher auf die schlechten Lebensbedingungen der Armenier im Osmanischen Reich. Schließlich beschrieb er die Lage der Arbeiterklasse, die erst einen sehr geringen Anteil der armenischen Gesellschaft bildete. Doch selbst die Armenier im Osmanischen Reich wählten wegen der massiven Verfolgung den Weg der Revolution, was die sozialdemokratische Bewegung dazu motivieren sollte, unter diesen Armeniern die sozialistische Lehre zu propagieren.73 Der Brief endete mit einer Notiz von Kautsky: »Lieber General, Atabekianc ist mir als ernster und eifriger Genosse bekannt  – das genügt wohl; sein Brief spricht jedenfalls für sich selbst, mit bestem Gruß, dein Karl«.74 Engels dankte in seiner Antwort vom 23. November 1894 zunächst für die Übersetzung seiner Werke ins Armenische, bemerkte jedoch, dass er diese Sprache nicht verstehe und die Übersetzung daher nicht einleiten könne: Tue ich es Ihnen zu gefallen, dann kann ich es anderen nicht abschlagen, und da könnte es mir doch einmal vorkommen, dass meine Worte unabsichtlich oder selbst absichtlich entstellt in die Welt hinaus kämen, und ich es vielleicht erst nach Jahren oder gar nicht erführe. Dann aber auch  – so dankbar ich Ihnen auch bin für Ihre interessante Darstellung der armenischen Situation, weil ich es nicht für recht und billig halten kann, wollte ich ein Urtheil abgeben über Dinge, die ich nicht aus eigenem Studium habe kennenlernen (sic!). Und dies um so mehr, als es sich hier um ein unterdrücktes Volk handelt, das das Unglück hat, zwischen der Scylla des türkischen, und des Charybdis des russischen Despotismus eingekeilt zu sein, wo der russische Zarismus die Rolle des Befreiers spielt, und wo die russische Presse nie verfehlt, jedes der armenischen Befreiung sympathische Wort zu Gunsten des eroberischen Zarismus auszubeuten. Meine aufrichtige Privatansicht ist aber die, dass die Befreiung Armeniens von Türken und von Russen möglich wird erst an dem Tag, wo das russische Zarismus abstürzt.75

Die Übersetzung des Manifests konnte 1894 dennoch veröffentlicht werden. 1895 kehrte At’abekianc in den Kaukasus zurück und widmete sich Fragen der Landwirtschaft, etwa dem Bau von Wasserkanälen unter Einsatz neuer Technologien.76 Nach der Rückkehr in die Heimat betätigte sich At’abekianc politisch nicht mehr aktiv, auch wenn er in seiner Freizeit einige weitere Über73 Bbd., Blattnummer 2689g. 74 Ebd.; Veröffentlicht auch in: Dokumente des Sozialismus. Band 3. Stuttgart 1903, 562 f. 75 Karl Marx / Friedrich Engels Papers, 1263. International Institute of Social History. Inv.nr. K 37–38 [K 4–4_1], Blattnummer 3401a–3401b. 76 Eghiazaryan, A. M.: Hovsep’ At’abekianc. In: PBH . 1959, 2/3, 204–210, 207 f.

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setzungen fertigte. Über At’abekianc hat der Historiker Ašot Hovhannisian (1887–1972) später geschrieben: Bis zu den letzten Jahren blieb seine umfangreiche marxistische Bibliothek erhalten. Wir hatten die Gelegenheit, dort einige alte Ausgaben von Hegel, Feuerbach und von anderen Klassikern des wissenschaftlichen Sozialismus zu sehen, in denen Auto­ gramme bekannter Sozialdemokraten, Freunden von At’abekianc, enthalten waren.77

Weitaus bekannter und einflussreicher in der armenischen sozialdemokratischen Bewegung waren Step’an Šahumian78, Hayk Azatian79 und Sargis Kasian80, die ebenfalls in Deutschland studierten und Schlüsselfiguren der später gegründeten armenischen kommunistischen Partei waren. Von 1889 bis 1898 besuchte Step’an Šahumian die Realschule in Tiflis und ging mit finanzieller Unterstützung von Mant’ašianc 1898 zum Hochschulstudium nach St. Petersburg, wo er sogleich Kontakte zu sozialdemokratischen Gruppen knüpfte. Nach einem kurzen Aufenthalt am Technologischen Institut in St. Petersburg setzte Šahumian sein Studium am Polytechnischen Institut in Riga fort, kehrte aber wegen finanzieller Schwierigkeiten bald in den Kaukasus zurück. Noch vor seiner Abreise beklagte sich Šahumian in einem Brief

77 Ebd., 209. 78 Step’an Šahumian (1878–1918) gehörte zu den bedeutendsten sozialdemokratischen Aktivisten im Kaukasus. 1905 kehrte nach dem Studium in Deutschland nach Tiflis zurück, ab 1907 wirkte er in Baku. 1916 wurde Šahumian verhaftet und konnte erst kurz nach der Februarrevolution, im Jahr 1917, freikommen. Nach der Oktoberrevolution wurde Šahumian zum außerordentlichen Kommissar für den Kaukasus und zum Vorsitzenden der Volkskommissare in Baku. Nachdem es zunächst gelungen war, den Aufstand der sogenannten Musavatisten 1918 zu unterdrücken, wurde Baku von englischen Truppen besetzt. Šahumian und andere wurden in Turkmenistan verhaftet und am 20. September erschossen. Vgl. Ōv ōv ē. Band 2, 249 f. 79 Hayk Azatian (1881–1964) war Mitglied der armenischen Kommunistischen Partei und ein bekannter Wissenschaftler. 1903 nahm Azatian sein Medizinstudium an der Universität Bern auf, kehrte jedoch zu Beginn der Ersten Russischen Revolution 1905 in den Kaukasus zurück und widmete sich ganz der revolutionären und wissenschaftlichen Tätigkeit. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 33. 80 Sargis Kasian (Ter-Kasparian, 1876–1937) war armenischer Publizist. Nach dem Studium in Deutschland widmete er sich im Kaukasus der revolutionären Tätigkeit, wurde in den Jahren 1914–1917 in die Verbannung nach Astrakhan und Wologda geschickt. Ab Dezember 1920 hatte er den Vorsitz des armenischen Revolutionskomitees inne, 1924–1927 war er Rektor der Kommunistischen Universität in Transkaukasien, 1927–1931 Vorsitzender des Zentralen Exekutivkomitees der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik sowie später der Armenischen SSR . Er übersetzte mehrere Werke aus dem Deutschen ins Armenische, unter anderem das »Manifest der kommunistischen Partei« sowie die »Grundsätze des Kommunismus« von Friedrich Engels. Im Zuge der stalinistischen Säuberungen wurde er 1937 hingerichtet. Erst 1955 wurde er wieder rehabilitiert. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 538.

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darüber, dass der Unterricht wegen studentischer Unruhen erneut eingestellt worden war: Ich überlege, ob es nicht besser wäre, Russland und die Universität zu verlassen und ins Ausland zu gehen. Es scheint nicht möglich zu sein, das Studium in Russland heil zu überstehen. Entweder drohen dir Gefängnis oder Exil, oder aber du musst moralisch verderben oder gar sterben, um die Barbarei um dich herum nicht mitzubekommen.81

1899 organisierte er die erste marxistische Gruppe unter den Armeniern im Kaukasus, die sich regelmäßig in einer Bibliothek in Tiflis versammelte, um Schriften von Vissarion Belinskij, Nikolaj Dobroljubov und Nikolaj Černyševskij zu lesen. Die Werke dieser Autoren gehörten unter den russländischen Studenten an einhei­mischen wie auch an ausländischen Universitäten zur obligatorischen Lektüre.82 In diesen Jahren gab Šahumian die handschriftliche Zeitung Ċiaċan (Der Regenbogen) heraus, im Jahr 1900 trat er der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP) bei. Im Sommer desselben Jahres imma­trikulierte er sich wieder in seinem früheren Institut in Riga, wo er »dank seines außerordentlichen Charismas« sogleich zum Kopf der sozialdemokratischen Studentenschaft aufstieg.83 Hier organisierte er die studentische Gruppe »Teoretik«, die sich mit dem theoretischen Marxismus beschäftigte und zugleich die nationalistischen Ansichten armenischer Studenten bekämpfte. In einem Brief vom 2. August 1900 schrieb er unter anderem: Neben der Vorbereitung für die Prüfungen im Polytechnikum beschäftige ich mich auch mit anderen Angelegenheiten. Ich habe mich gründlich mit der Arbeiterbewe­ gung vertraut gemacht, mit jener gesellschaftlichen Bewegung, die den Namen Sozialismus trägt […]84

Am 24. November 1901 beteiligte sich Šahumian an einer großen studen­ tischen Versammlung in Riga, in der die Forderung der Rede-, Glaubens- und Pressefreiheit im Mittelpunkt stand. Begleitet wurde die Versammlung von Märschen und Unruhen, was zum gewaltsamen Eingreifen der Polizei führte. Im Februar 1902 wurde eine weitere große Protestaktion organisiert, in der akademische Freiheiten und die Freilassung verhafteter Kommilitonen gefordert wurden. Diese Linie aktiver Proteste verteidigte Šahumian 1902 auch auf dem Kongress russischer sozialdemokratischer Studenten, an dem er im Namen der Rigaer Studenten teilnahm. Seine Ansicht war, dass die studen81 Barseghyan: Step’an Šahumian, 54. 82 Vgl. Ščetinina: Studenčestvo, 59. 83 Barsełyan: Step’an Šahumian, 68. 84 Ebd., 60.

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tische Bewegung den akademischen Rahmen verlassen und endlich auf dem politischen Feld agieren solle.85 Im selben Jahr fand in Riga unter Šahumians Vorsitz ein Kongress armenischer Studenten statt, auf dem die Beteiligung der armenischen Studentenschaft an der russischen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im Mittelpunkt der Diskussion stand. Nach hitzigen Debatten und dank Šahumians Fürsprache wurde letztlich beschlossen, dass sich die armenische Studentenschaft als Teil der armenischen Gesellschaft im Kaukasus nicht von der russischen Arbeiterbewegung abgrenzen dürfe.86 Diese Aktivitäten führten freilich dazu, dass Šahumian 1902 aus dem Polytechnischen Institut ausgeschlossen und in den Kaukasus ausgewiesen wurde. Doch bereits im selben Jahr konnte er mit finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters87 nach Berlin gehen, wo er sich neben dem Studium auch der marxistischen Literatur widmete. An seine Frau schrieb er, dass er jede freie Minute deren Lektüre widme und dafür alle ihm zugänglichen Quellen nutze; eine Möglichkeit, die sich ihm im Kaukasus niemals bieten würde.88 In Berlin fand Šahumian sofort Anschluss an russische sozialdemokratische Studenten und leitete bald eine Gruppe kaukasischer Studenten. Er unternahm oft Ausflüge nach Leipzig, um dort mit sozialdemokratischen Studenten aus dem Kaukasus zu arbeiten.89 Schon bald verkehrte er außerdem in den Kreisen des sozialistischen russischen Exils in Deutschland und in der Schweiz und hatte enge Beziehungen zu Julius Martov, später zu Lenin und Plechanov. Die Bekanntschaft mit Karl Kautsky wiederum öffnete ihm die Tür zur deutschen Sozialdemokratie. Šahumian war ständiger Gast auf den Versammlungen des linken Flügels der deutschen Sozialdemokraten in dem Lokal »Zukunft« in Berlin und wurde zum wichtigsten »Informanten« der russischen Arbeiterbewegung.90 In dieser Zeit übersetzte er das »Erfurter Programm« ins Armenische und bat Kautsky, ein Vorwort zu schreiben. Dieser 85 Vgl. Step’an Šahumyanẹ žamanakakicneri hušerum [Step’an Šahumyan in Erinnerungen der Zeitgenossen]. Jerewan 1984, 206 f. 86 Vgl. Pirumov, N. D.: Pervye universitety [Die ersten Universitäten]. In: O Stepane Šaumjane. Vospominanija, očerki, stat’i sovremennikov [Über Step’an Šahumian. Erinnerungen, Skizzen, Artikel der Zeitgenossen]. Moskva 1988, 12–15, 13; Sarukhanyan, N.: Studenčeskie gody [Die studentischen Jahre]. In: Ebd., 16–20, 19. 87 Laut einigen Quellen studierte Šahumian sowohl in Riga als auch in Berlin mit Mant’ašiancs finanzieller Unterstützung. Vgl. Barseghyan: Step’an Šahumian, 95. Doch aus einem Archivdokument im Fond von Step’an Šahumian im Nationalarchiv Armeniens geht hervor, dass er mit finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters nach Berlin gegangen war. Vgl. Nationalarchiv Armeniens. Fond 1437, Liste 2, Akte 86, 3. 88 Ebd. 89 Akopyan, G. S.: Stepan Šaumjan. Žizn’ i dejatel’nost’ (1878–1918) [Stepan Šahumian. Sein Leben und Wirken (1878–1918)]. Moskva 1973, 31. 90 Step’an Šahumyanẹ žamanakakicneri hušerum, 176.

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verfasste daraufhin einen Aufsatz mit dem Titel »Die nationale Frage in Russland«, was für die Armenier, so der Autor, zu diesem Zeitpunkt eine besondere Bedeutung hatte.91 Später erschien dieser Aufsatz in einer separaten Broschüre in St. Petersburg.92 Über Šahumians Studium und Wirken in Deutschland publizierte sein Kommilitone Mkrtič Manučarian einen Artikel in der Zeitung Bakinskij Rabočij (Der Bakuer Arbeiter).93 Ihre enge Zusammenarbeit hatte nicht nur politische Hintergründe. Auch Manučarian wurde wegen seiner Beteiligung an der studentischen Bewegung »Sturm und Drang« (im Original auf Deutsch) des Kiewer Polytechnikums verwiesen.94 Die beiden teilten daher auch die Erfahrung des politischen Exilanten, wie sie sich selbst bezeichneten. In Deutschland kämpften sie um Einfluss auf die russländischen Studenten, unter denen es neben Sozialdemokraten auch »allerlei Idealisten angefangen von Narodniki bis hin zu armenischen Dašnakan und georgischen Föderalisten« gab.95 Zum Zeitpunkt von Šahumians Ankunft in Berlin gab es dort bereits eine kleine Gruppe armenischer Sozialdemokraten, die zwar mit dem marxistischen Denken schon wesentlich besser vertraut waren, sich aber Manučarian zufolge von Šahumians Persönlichkeit beeindruckt zeigten: Zwei Jahre vergingen mit gründlichem Studium der Theorie des wissenschaftlichen Marxismus. Allerdings brauchten sowohl Step’an als auch wir nicht so sehr die Theorie, die uns hinreichend bekannt war, sondern die faktische Begründung aller parlamentarischen Thesen des Marxismus. In dieser Hinsicht hatte die Universität in Berlin großen Verdienst, wo Step’an bei den Professoren [Gustav] Schmoller, [Adolph] Wagner, [Ignaz] Jastrow und anderen Staatswissenschaften studierte. Ich kann mich erinnern, wie er nach zwei Jahren Arbeit in den Seminaren dieser Koryphäen der deutschen Wirtschaftswissenschaft immer wieder jene Worte Bebels wiederholte, die dieser an Wagner, seinen Hauptgegner, gerichtet hatte: ›Unser Unglück ist, dass unsere Gegner genauso stark und überzeugend sind wie wir, perfekt gewappnet mit dem Wissen der historischen Wissenschaft‹.96

Obgleich Šahumians politische Überzeugungen mit den Lehren, in deren Genuss er an der Universität kam, nicht immer korrespondierten, war er ganz in sein Studium vertieft, bevor er den Hörsaal zugunsten des revolutionären Kampfes zunächst einmal verließ. Laut Manučarian war dieser Schritt durch 91 Akopyan: Stepan Šaumjan, 31. 92 Kautsky, Karl: O nacional’nom voprose v Rossii [Über die nationale Frage in Russland]. S.-Peterburg 1906. 93 Čar: Stepan za granicej [Step’an im Ausland]. In: Bakinskij Rabočij. 1922, 211 (20. September). 94 Step’an Šahumyanẹ žamanakakicneri hušerum, 172. 95 Ebd., 173. 96 Ebd., 173 f.

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Abb. 3: Mkrtič Manučarian und Stap’an Šahumian in Berlin im Jahr 1904. Quelle: O Stepane Šaumjane. Vospominanija, očerki, stat’i sovremennikov. Moskva 1988.

den großen Mangel an sozialistischer Literatur im Kaukasus motiviert, deren Übersetzung und Herausgabe Šahumian sich fortan widmete.97 Die Zahl der armenischen Sozialdemokraten in Berlin war sehr klein, daher versuchte die neu gebildete Gruppe, alle Sympathisanten zu identifizierten und unter dem Dach einer gemeinsamen Organisation zu vereinigen. Ihre Wortführer kritisierten Palians Pläne, eine allgemeine sozialdemokratische Arbeiterpartei zu gründen, in der sich alle Armenier im Osmanischen und im Russländischen Reich, aber auch in Persien, in Europa und in Amerika zusammenfinden sollten. Diese Forderung wurde für eine Utopie gehalten. Vielmehr verlangten einige armenische Studenten in Genf eine – dem Status des jüdischen Bundes ähnliche  – Unabhängigkeit der armenischen Sozial­ demokraten. Šahumians Vision dagegen war es, die armenischen Sozial­ demokraten für den Zusammenschluss unter dem gemeinsamen Dach der russischen Arbeiter­bewegung zu gewinnen. Dank seiner Anwesenheit in Berlin stieg die Stadt zum Zentrum der armenischen Sozialdemokraten auf, die von dort aus Studenten an verschiedenen Universitäten kontaktierten und

97 Ebd., 179 f.

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aufforderten, ihre Meinungsverschiedenheiten beizulegen und in die Reihen der RSDAP einzutreten: Bald bekamen wir Nachrichten aus allen Universitätsstädten in Deutschland und Österreich, wo es eine [armenische] Studentenschaft gab, über die Bildung örtlicher Gruppen. Sie baten uns, zu ihnen zu fahren und gegen die Dašnaken Vorlesungen zu halten.98

In dieser Zeit verfasste Šahumian die Referate »Die nationale Frage« und »Unsere strategischen Meinungsverschiedenheiten«, in denen er unter anderem den in armenischen Studentenkreisen verbreiteten Nationalismus und die politische Neutralität kritisierte: Der Nationalismus war unter den armenischen Studenten am meisten verbreitet. Das war die eigenartige Epoche der Haydukenromantik99, als die ganze armenische Gesellschaft mit den naiven Predigten von Gamaṙ-K’at’ipa und Raffi lebte und alles mit nationalistischen Motiven begründet wurde. […] Großes Durchhaltevermögen und Fleiß war notwendig, um diesen allgemein verbreiteten Nationalismus zu bekämpfen. Die kleine sozialdemokratische Gruppe, die sich unter den armenischen Studenten im Ausland gebildet hatte, war hauptsächlich mit dieser Aufgabe beschäftigt. Für die politische Erziehung der Massen führte diese Gruppe auf der einen Seite Propaganda­ arbeit mit Hilfe von Vorlesungen und Versammlungen durch, auf der anderen Seite veröffentlichte sie Broschüren und Flugblätter.100

Über die politische Neutralität armenischer Studenten in Deutschland sprach Šahumian mit tiefer Verachtung: Sie hätten an deutschen Hochschulen »angeblich jahrelang studiert«, kehrten jedoch »geistig barfuß« in die Heimat zurück, ohne die einzigartige Möglichkeit genutzt zu haben, sich zumindest mit der Geschichte des Klassenkampfs in Deutschland vertraut zu machen.101 Im Jahr 1903 musste Šahumian wegen finanzieller Schwierigkeiten seine Familie, die bei ihm in Deutschland war, zurück nach Tiflis bringen und reiste anschließend in die Schweiz, wo er Lenin und Plechanov kennenlernte. Diese Begegnungen wurden zum großen Wendepunkt in seiner weiteren politischen Karriere. Über das Zusammentreffen mit Lenin hat sein Kommilitone V. Harut’yunian später geschrieben: Ich erinnere mich an die Bekanntschaft mit Vladimir Il’ič (das war Frühjahr 1903, an den genauen Monat kann ich mich nicht erinnern), als sei das gestern gewesen. Ich erinnere mich an seinen einfachen Holztisch im Balkon seiner Wohnung, an die weiße 98 Ebd., 179. 99 Als »Hayduken« wurden – in Anlehnung an den auf dem Balkan verbreiteten Ausdruck – die Vorkämpfer der armenischen Befreiungsbewegung bezeichnet. 100 Xorhrdayin Hayastan. 7 (1927), 215 (20. September), 2. 101 Step’an Šahumyanẹ žamanakakicneri hušerum, 208 f.

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Blechkanne und die Blechtassen, in denen Nadežda Konstantinovna uns Tee brachte. Ich weiß noch, wie lebhaft sich Il’ič für die Lage im Kaukasus interessierte und Step’an darum bat, ihn stets darüber zu informieren. […]102

Einen beträchtlichen Aufschwung erlebte der Marxismus unter den Studenten nach der Gründung des Genfer Komitees für die Veröffentlichung sozialdemokratischer Literatur in armenischer und georgischer Sprache, die Lenin selbst im Februar 1904 nach dem zweiten Kongress der RSDAP initiiert hatte.103 Das Komitee leitete Šahumian, der weitere Gruppen etwa in Berlin zur Unter­stützung dieser Arbeit gründen und sogar Mitglieder des Vereins Armenischer Studenten Europas gewinnen konnte. Neben zahlreichen anderen Übersetzungen wurde dank Manučarians und Šahumians Bemühungen im Sommer 1904 eine weitere Übersetzung des »Manifests der kommunistischen Partei« fertiggestellt.104 Die Dringlichkeit dieser Aufgabe war durch die Situation im Kaukasus vorgegeben: In einem Brief an Manučarian beschrieb Šahumian seine Erlebnisse während der Sommermonate 1903, die er dort verbrachte. Das größte Hindernis für die Verbreitung marxistischer Ideen unter den Arbeitern und Bauern sei das Fehlen entsprechender Literatur in armenischer Sprache. Notwendig seien sowohl populäre Bücher für die Arbeiterklasse als auch theoretische Werke für jene Schichten der Intelligenzija, die die russische Sprache nicht beherrschten. Die vom Genfer Komitee übersetzen Bücher wurden illegal  – Manučarian erwähnt mindestens drei Lieferungen  – nach Russland verschickt; sie wurden aber auch unter den armenischen und georgischen Studenten an den europäischen Universitäten verbreitet.105 Im Jahr 1904 ging Šahumian nach einem kurzen Kuraufenthalt in Kniepow nach Berlin zurück und wandte sich wieder seinem Studium zu.106 1905 konnte er dieses erfolgreich abschließen und kehrte anschließend nach Tiflis zurück, wo er sogleich unter polizeiliche Beobachtung gestellt wurde. Auch in Deutschland war Šahumian vom russländischen Polizeidepartment sorgfältig observiert worden. Bald nach seiner Ankunft in Berlin erfolgte schon der erste Bericht darüber, dass ein gewisser Šahumian sich in den Kreisen emigrierter 102 Zitiert nach: Barseghyan: Stepan Šahumian, 96 f. 103 Ders.: Bolševikyan hay parberakan mamuli patmut’yun. 1900–1920 [Die Geschichte der armenischen bolschewistischen Presse. 1900–1920]. Jerewan 1956, 110. 104 Ebd., 112. 105 Step’an Šahumyanẹ žamanakakicneri hušerum, 181. 106 Laut Manučarian besuchte er folgende Seminare: Außenhandelspolitik bei Adolph Wagner; Deutschland als Industriestaat bei Max Weber; Soziologie als Lehre von den Formen der Vergesellschaftung bei Georg Simmel; Hegels Lehre bei Georg Lasson; Über die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse bei Gustav Schmoller. Vgl. Step’an Šahumyanẹ žamanakakicneri hušerum, 182.

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Revolutionäre bewege und es geboten sei zu überprüfen, auf welchen illegalen Wegen er mit seiner Familie nach Berlin gelangt sei.107 Am 23. Juni 1903 berichtete der Leiter der Ermittlungsabteilung in Tiflis, dass: […] der in Berlin lebende Šahumian, der vor anderthalb Jahren dorthin gegangen ist, nach den der Abteilung vorliegenden Geheiminformationen Student irgendeines Instituts für Ingenieure ist. Dabei konnte nicht festgestellt werden, mit welchen Dokumenten er ausgereist ist, denn unter dem Namen Šahumian ist in den letzten fünf Jahren niemand aus Tiflis abgereist.108

Zwar konnte die Ermittlungsabteilung in Tiflis bei seiner Rückkehr nichts Verdächtiges in seinem Gepäck feststellen, dennoch wurde eine sorgfältige Beobachtung angeordnet. Diese bestätigte seinen Umgang mit armenischen und russischen Sozialdemokraten, doch konkrete strafbare Aktivitäten konnten nicht festgestellt werden.109 Šahumians Engagement in Riga, in Berlin und in Genf prägte die Entwicklung der sozialdemokratischen Bewegung in den Kreisen der armenischen Studenten in Europa maßgeblich, auch wenn die Sozialdemokraten wesentlich weniger Anhänger hatten als die »Nationalisten«, von denen es Manučarian zufolge einige hundert gab.110 Šahumian ließ auch später, während seiner revolutionären Tätigkeit im Kaukasus, die armenische Studentenschaft in Europa und ihre Vereine nicht aus den Augen. Eine weitere bedeutende Figur in der armenischen sozialdemokratischen Bewegung war Sargis Kasian. Auch er beteiligte sich bereits als Realschüler in Baku an der Arbeit geheimer Untergrundorganisationen und wurde in der siebten Klasse der Schule verwiesen. Wie Kasian selbst später berichtet hat, wollte er nicht an einer russischen Hochschule studieren und träumte von einer Ausbildung in Deutschland. Diese musste er aber aufgrund seiner finanziellen Situation erst einmal aufschieben. Unter dem Einfluss russischer Narodniki beschloss er, zunächst einige Zeit als Lehrer in einem Dorf zu arbeiten. Doch die Verhältnisse auf dem Land und die »unendliche Rückständigkeit« der armenischen Bauern sorgten dafür, dass es ihn schon bald in die Stadt zurückzog.111 Durch die Briefe seines Bruders, der an der Philosophisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn studierte, erhielt er einen ersten Eindruck von der Theorie und Praxis des europäischen Sozialismus. Gleichzeitig betrachtete er das Programm und die Ziele der »sogenannten revolutionären Parteien« der Armenier mit »großer Skepsis«.112 107 GARF. Polizeidepartement, Sonderabteilung, Fond 102 (1903), op. 230, č. 441, Bl. 6. 108 Ebd. 109 Ebd., Bl. 11. 110 Step’an Šahumyanẹ žamanakakicneri hušerum, 173. 111 Nationalarchiv Armeniens. Fond 1445, Liste 1, Akte 16, Bl. 12. 112 Ebd., Bl. 1–8.

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Mit finanzieller Unterstützung seines Bruders konnte Kasian 1900 schließlich nach Deutschland reisen, wo er zunächst an der Handelshochschule in Leipzig, dann an der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin studierte. In Berlin, so Kasian in seinen Memoiren, stürzte er sich »gierig auf die marxistische Literatur«.113 Zwar sympathisierte er am Anfang des Studiums noch mit der Partei Hnčak, in späteren Jahren distanzierte er sich jedoch zunehmend von der armenischen nationalen Bewegung: […] Zu dieser Zeit gab es unter den kaukasischen, aber vor allem unter den armenischen Studenten in Deutschland sehr viele vermeintliche Sozialdemokraten, die man aber eigentlich für Barbaren (sic!) halten sollte. Diese Gruppe setzte sich aus verschiedenem Gesindel wie Theologen, Liberalen, Dašnaken usw. zusammen; wir mussten gegen sie kämpfen.114

Noch als Student an der Leipziger Handelshochschule schloss er sich 1902 dem linken Flügel der Partei Hnčak an. 1903 veröffentlichte er zum ersten Mal unter dem Pseudonym Kasian im Zentralorgan der Hnčaken einen Artikel, in dem er die politische Neutralität armenischer Studenten kritisierte: Mein Artikel war wohl in einem so scharfen Ton geschrieben, dass er die Angriffe ­eines ausländischen armenischen Journalisten provozierte. […] Diesen Kampf habe ich von Berlin aus weitergeführt, wohin ich nach dem Abschluss des Leipziger Kommerzinstitutes umzog und wo ich mich an der Universität immatrikulierte. Auch aus Berlin schrieb ich bis Anfang 1904 weiter in der Hnčak Presse, die es in Belgien gab, bis ich bei einer Versammlung der deutschen Sozialdemokratischen Partei in Dresden, wohin ich auf eigenen Wunsch, mit eigener Initiative und auf eigene Kosten, aber als Korrespondent derselben Zeitung gefahren war, zufällig von einer in Tiflis erscheinenden Zeitung der deutschen Sozialdemokratie namens ›Kampf des Proletariats‹ erfuhr.115

Nach der Rückkehr in die Heimat trat Kasian 1905 in die RSDAP ein und widmete sich fortan ganz der revolutionären Tätigkeit. Wie Šahumian lehnte auch Kasian alle Anstrengungen zur Etablierung einer armenischen nationalen Arbeiterpartei ab und war fest davon überzeugt, dass der Kampf des armenischen Proletariats ausschließlich unter dem Dach der RSDAP im Rahmen des internationalen Klassenkampfes geführt werden sollte. Im Jahr 1906 gründete er mit anderen Armeniern in Baku die erste armenische bolschewistische Zeitung Banvori jaynẹ (Stimme des Arbeiters), die jedoch bald verboten wurde. In den folgenden Jahren gründeten Kasian, Šahumian und andere Revolutionäre in Tiflis nacheinander die Zeitungen Kayċ (Der Funke), Nor xosk’ (Neues 113 Ebd., Fond 4, Liste 3663, Akte 41, Bl. 15. 114 Ebd. 115 Ebd.

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Wort) und Orer (Die Tage), die ebenfalls bald nach der Gründung verboten wurden. Im Jahr 1920 wurde Kasian zum Vorsitzenden des armenischen revolutionären Komitees gewählt und unterschrieb die Erklärung über die Etablierung der Sowjetmacht in Armenien. Er hinterließ umfangreiche Schriften zu sozialistischen Themen, übersetzte »Das Manifest der Kommunistischen Partei« von Marx sowie die »Grundsätze des Kommunismus« von Engels ins Armenische.116 Die dritte Person in dieser Reihe, die ebenfalls eine wechselvolle politische und revolutionäre Laufbahn hatte, war Hayk Azatian. Von 1903 bis 1905 studierte er in Bern Medizin, außerdem absolvierte er Studienaufenthalte in Paris und Berlin. Das Studium brach er jedoch zu Beginn der Ersten Russischen Revolution ab und kehrte nach Tiflis zurück. Ab 1905 war er Mitglied der RSDAP und machte später in Sowjetarmenien sowohl eine politische als auch eine wissenschaftliche Karriere. Azatian übersetzte unter anderem »Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland« von Friedrich Engels sowie »Kommentare zum Erfurter Programm« von Karl Kautsky ins Armenische und redigierte die armenischen Übersetzungen der Werke von Marx und Engels.117 An der spektakulären Aktion »Wechsel der Fünfhundertscheine«118 war ein weiterer Aktivist der sozialdemokratischen Bewegung beteiligt, und zwar der Student an der Universität Zürich Alexander Bekzadian119. In einer aus-

116 Marx, Karl / Engels, Friedrich: Kominustakan manifestẹ. T’argm. Sargis Kasiani [Manifest der Kommunistischen Partei. Übersetzt von Sargis Kasian]. Jerewan 1927; Engels, Friedrich: Komunismi skzbunk’nerẹ [Grundsätze des Kommunismus]. Jerewan 1930. 117 Nationalarchiv Armeniens. Fond 1449, Liste 1, Akte 20, Bl. 6. 118 Dabei ging es um die Aktion »Tiflisskaja ekspropriacija« (Tifliser Expropriation). Am 13. Juni 1907 wurde das Staatsgeld bei der Überführung vom Postamt in die Tifliser Abteilung der Staatsbank unter Führung des armenischen Revolutionärs Kamo (Simon Ter-Petrossian, 1882–1922) gestohlen und der bolschewistischen Fraktion zur Verfügung gestellt. Das Geld konnte jedoch zunächst nicht verwendet werden, da die Banken über Listen mit den Nummern der Scheine verfügten. In den Jahren nach der Ersten Russischen Revolution, als viele Parteimitglieder im Gefängnis waren, benötigte die revolutionäre Bewegung viel Geld. Einige Parteimitglieder unternahmen daher den Versuch, das Geld gleichzeitig in verschiedenen Städten im Ausland umzutauschen. Die Aktion wurde allerdings aufgedeckt, und viele der Beteiligten, darunter auch Kamo in Berlin, wurden verhaftet. Vgl. Gusljarov, E. N.: Lenin v žizni. Sistematizirovannyj svod vospominanij sovremennikov, dokumentov epochi, versij istorikov [Lenin im Leben. Erinnerungen von Zeitgenossen, Dokumente, Interpretationen von Historikern: Eine systematisierte Sammlung]. Moskva 2004, 127; Brachmann, Botho: Russische Sozialdemokraten in Berlin. 1895–1914. Berlin 1962, 74 sowie 80. 119 Alexander Bekzadian war ab 1903 Mitglied der RSDAP, 1904 wurde er Mitglied des Vereinskomitees der Russischen Sozialdemokratischen Partei in Baku, 1905 des Vereinskomitees in Transkaukasien. Bekzadian nahm an verschiedenen Kongressen und Konferenzen der Bolschewiki in Europa teil, unter anderem 1912 am Kongress der II . Internationale in Basel. Er war auch Delegierter der RSDAP auf dem Kongress der

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führlichen Autobiographie hat er später seine revolutionären Aktivitäten in Zürich und Paris im Zusammenhang mit der genannten Affäre geschildert. Ab Juni 1906 ließ er sich zuerst in Genf, dann in Zürich nieder und absolvierte erfolgreich die juristische Fakultät der dortigen Universität. Während dieser Zeit war er aktiv in den Reihen der Bolschewiki tätig, unterhielt Kontakte mit deren Zentrum in Paris und erhielt unmittelbar von dort seine Anweisungen. Für die Aktion »Wechsel der Fünfhundertscheine« wählte Bekzadian 1907 aus dem Kreis seiner Züricher Kommilitonen vertrauenswürdige Personen aus, etwa Olga Ravič, Misak Xoǰamirian und Kostya Bałdasarian. Bei dem Versuch, das Geld in Stockholm und in München zu wechseln, wurden die meisten der Beteiligten Anfang Januar 1908 verhaftet; Bekzadian selbst konnte zurück in die Schweiz fliehen.120 Im Jahr 1909 organisierte er in Zürich eine bolschewistische Gruppe, die er bis 1914 leitete und als deren Mitglied er 1912 am internationalen sozialistischen Kongress in Basel und 1913 am Kongress der deutschen Sozialdemokratie in Jena teilnahm.121 Zuletzt sei der Historiker Ašot Hovhannisian noch erwähnt, ein weiterer bekannter sozialdemokratischer Aktivist, der seine Laufbahn ebenfalls in Deutschland begann.122 Er studierte von 1906 bis 1913 in Jena, Halle und München Geschichte und politische Ökonomie. 1913 verfasste er in München seine viel zitierte Dissertation »Israel Ori und die armenische Befreiungsidee« und erlangte den philosophischen Doktorgrad. Hovhannisian unterhielt noch in der Heimat Kontakte zu armenischen Sozialdemokraten, beispielsweise zu den gerade erst aus Europa zurückgekehrten Alexander Bekzadian und Sargis Ter-Gabrielian, und kam mit marxistischer Literatur in Berührung. Später hat er geschrieben, dass am Vorabend der Ersten Russischen Revolution die Werke eines Kautsky oder eines Plechanov einen deutlich größeren Einfluss auf junge Armenier im Kaukasus gehabt hätten als die »schwerverdaulichen« Arbeiten von Marx und Engels: In den Schuljahren lasen wir begierig die bekannten Arbeiten von Kautsky, vor allem aber von Plechanov. Zu dieser Zeit hatte kein anderes Buch, das wir besaßen, eine so große Wirkung auf uns wie das Werk von Plechanov ›Zur Frage der Entwicklung der

deutschen Sozialdemokraten im September 1913 in Jena. 1914 kehrte er in den Kaukasus zurück. In den Jahren 1926 bis 1930 war er stellvertretender Vorsitzender der Regierung der Transkaukasischen Sowjetischen Föderativen Republik und Handelsminister. Von 1930 bis 1934 war Bekzadian Botschafter der UdSSR in Norwegen und von 1934 bis 1937 in Ungarn. Er fiel dem Stalinismus zum Opfer. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 224. 120 Vgl. Nationalarchiv Armeniens. Fond 4033, Liste 5, Akte 70, Bl. 9–10. 121 Ebd., Bl. 2. 122 Ašot Hovhannisian war in den Jahren 1920–1921 Bil­dungsminister der Armenischen SSR , ab 1960 war er Mitglied der Akademie der Wissenschaften Armeniens. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 663.

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monistischen Geschichtsauffassung‹. Die Werke von Lenin wurden uns viel später zugänglich, erst in den Studienjahren.123

In Deutschland knüpfte Hovhannisian sogleich Kontakte zu russischen und deutschen Sozialdemokraten und trat noch im Jahr 1906 in Jena offiziell der RSDAP bei.124 Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Lehrer für Deutsch und für allgemeine Geschichte in seinem Heimatort Šuši. 1914 gab ihm der Kathołikos Gevorg V. Surenianc eine Anstellung an der Gevorgian-Akademie, wo Hovhannisian Wirtschaft, Latein, Deutsch und Geschichte unterrichtete. Er nutzte diese Gelegenheit, um sozialdemokratische Ideen unter seinen Schülern an der Akademie zu propagieren, und gründete eine geheime Gruppe, der unter anderem die später bekannt gewordenen kommunistischen Funktionäre Ałasi Xandjian (1901–1936) und Anastas Mikoian (1895–1978) angehörten.125 Nach der Sowjetisierung Armeniens wurde Hovhannisian 1922 zum ersten Sekretär des Zentralkomitees der armenischen Kommunistischen Partei berufen, 1927 zog er nach Leningrad, wo er bis 1931 am Institut für Marxismus-​ Leninismus arbeitete. Von 1931 bis 1935 war er stellvertretender Direktor des Instituts für Nationalitäten der UdSSR und bis 1937 stellvertretender Direktor des Instituts für Geschichte der UdSSR . 1937 wurde Hovhannisian im Zuge der stalinistischen Säuberungen verhaftet und verbrachte die folgenden Jahre im Gefängnis und in verschiedenen Arbeitslagern. Erst 1943 durfte er nach Armenien zurückkehren – allerdings nicht nach Jerewan. In den Jahren der Tauwetter-Periode wurde Hovhannisian rehabilitiert, nahm seine wissenschaftliche Tätigkeit wieder auf, verteidigte 1955 seine Doktorarbeit und blieb mit seiner wissenschaftlichen Arbeit bis zu seinem Tod der armenischen Akademie der Wissenschaften verbunden.126 Für die erwähnten Akteure war die Mobilisierung der armenischen Studenten in Europa genauso wichtig wie der Transfer der politischen Ideologien, mit denen sie sich während ihrer Studienjahre vertraut gemacht hatten, in die Heimat. Die zahlreichen von ihnen zum Teil noch während des Studiums initiierten Übersetzungen marxistischer Literatur und deren Verbreitung in Studentenkreisen im Kaukasus dienten ebenfalls dazu, diese Ideologien auch in der Heimat populär zu machen. Im Fokus der Propaganda standen dabei 123 Vgl. Hovhannisian, Ashot: Hušer ancyalic [Erinnerungen aus der Vergangenheit]. In: LHG . 1966, 3, 66–75, 68 f. 124 Nationalarchiv Armeniens. Fond 4033, Liste 22, Akte 670, Bl. 31. 125 Sarukhanyan, Norayr: Akademikos Ašot Hovhannisyani kyank’ẹ ev patmagitakan žaṙan­g ut’yunẹ [Das Leben und das historiografische Erbe von Ašot Hovhannisyan]. In: PBH . 2012, 2, 271–276, 272. 126 Ders.: Mtorumner ev hušer akademikos Ašot Hovhannisyani masin. Ċnndyan 125-​ amyaki aṙt’iv [Erinnerungen an Ašot Hovhannisjan. Anlässlich seines 125-jährigen Jubiläums]. Jerewan 2012, 10.

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insbesondere die armenischen Lehranstalten, von denen die Gevorgian-Akademie zweifellos die wichtigste war. Das studentische Leben verlief dort bis zur Ersten Russischen Revolution noch weitgehend ungestört. Von den aufrührerischen Stimmungen, die sich unter den armenischen Studenten sowohl an den russländischen als auch den europäischen Hochschulen bereits seit längerer Zeit bemerkbar machten, war dort zunächst wenig zu spüren. Doch während der Revolution und in den darauffolgenden Jahren traten unter dem Einfluss aus Europa zurückgekehrter Studenten auch dort erste politische Gruppierungen in Erscheinung. Während die meisten Lehrkräfte anfangs noch politische Neutralität wahrten, machten sich unter den Studenten rasch die ersten Anzeichen einer politischen Positionierung bemerkbar: »[…] Über die Hälfte der Schüler waren Dašnaken, es gab wenig Hnčaken und nur einige, die sich für Sozialdemokraten hielten. Den Rest könnte man für verlorene Schafe halten«.127 Die Beziehungen der Studenten der Akademie zu ihren Kommilitonen im Ausland – ob Sozialdemokraten, Dašnaken oder Hnčaken – wurden in den folgenden Jahren immer intensiver. Sie erhielten genaue Anweisungen, wie sie das marxistische Gedankengut in den armenischen Dörfern zu verbreiten hatten, und wurden mit marxistischer Literatur versorgt.128 Dieser Austausch war für die Studenten der Gevorgian-Akademie äußerst wichtig, da die Welle der Revolution sie »vollkommen unvorbereitet traf«: An der Akademie beherrschten wir die neue Literatur und die neue Sprache nicht. In den Debatten mit den aus dem Ausland zurückgekehrten Studenten waren wir immer die Unterlegenen. Marx hat dies gesagt, Plechanov hat jenes gesagt. Sie brachten zahlreiche Zitate aus den uns unbekannten Büchern und Broschüren und wir waren nicht imstande, diesen Plechanovs adäquate Antworten zu geben. Raffi und Gamaṙ-K’at’ipa waren nunmehr nicht gut genug, wir brauchten neue Waffen, sonst drohten wir unterzugehen. Wir hörten mit großem Interesse den Reden der aus dem Ausland Zurückgekehrten zu und bekamen starke Zweifel an unseren bisherigen Überzeugungen.129

Die Jahre der Ersten Russischen Revolution sorgten unter den Schülern der Akademie für weiteren Aufruhr. Sie verlangten die Abschaffung der klassischen Sprachen und der Theologie und stattdessen die Einführung naturwissenschaftlicher Fächer und der politischen Ökonomie nach der Lehre von Marx und Kautsky. Das Eindringen des marxistischen Denkens in die Aka127 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 385. 128 So hatten sich die Schüler einiger armenischer Lehranstalten an die Gruppe um die Zeitschrift Handes in Genf mit der Bitte gewandt, marxistische Literatur in den Kaukasus zu schicken. Vgl. Hakobyan: Sozial-demokratakan banvorakan hay kazmakerput’yan jevavorman patmut’yunic, 50. 129 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 387.

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demie nahmen auch die Mitglieder der HYD mit tiefer Verunsicherung zur Kenntnis: Unter dem Einfluss unserer sozialistischen Kameraden aus dem Ausland verstärkte sich selbst unter den Dašnakcakan-Schülern der Akademie sozialistisches Denken. Wir konnten uns während der Versammlungen und Debatten mit den aus dem Ausland zurückgekehrten Studenten nicht nur erfolgreich ›verteidigen‹, sondern auch gewinnen. Nun drohte uns aber eine andere Gefahr: Die alten Kameraden aus der Partei Dašnakcut’iun waren mit ›unserem Sozialismus‹ unzufrieden. Unsere sozialistischen Reden verärgerten sie.130

Die Dašnaken organisierten daher für die Schüler der verschiedenen Lehranstalten regelmäßige Treffen, die einerseits einer weiteren Verbreitung des Marxismus vorbeugen sollten, andererseits aber auch gegen die gefürchtete Russifizierung gerichtet waren. Vor allem die jungen Armenier, die russische Schulen besuchten, seien durch die gezielte Politik dieser Lehranstalten der armenischen Kultur und Tradition zunehmend entfremdet worden. An dieser Arbeit nahmen aber auch Vertreter anderer politischer Richtungen wie Hnčaken und Sozialdemokraten teil, wobei sie das gemeinsame Ziel hatten, die Schüler mit den Fragen und Problemen der armenischen Gesellschaft vertraut zu machen. Das größte Problem blieb dabei weiterhin, so der Politiker und Historiker Abraham Gyulxandanian (1875–1946), das Fehlen geeigneter Literatur.131 Die Verbreitung sozialistischen Gedankenguts unter den Armeniern beobachtete auch das russländische Innenministerium mit zunehmender Besorgnis. In der Landbevölkerung im Kaukasus waren sozialistische Ideen nach Auffassung der Behörden zwar nicht besonders weit verbreitet, dafür aber in der Stadtbevölkerung und in der Intelligenzija umso mehr. Während »der armenische Bauer fest in seinem Land verwurzelt« sei, lebe der »wurzellose Stadtintellektuelle« in dem Bewusstsein, dass sich sein Volk seit 1300 Jahren in einem »versklavten Zustand« befinde. In den Städten finde die Parole »Proletarier aller Länder  – vereinigt Euch« daher durchaus ein offenes Ohr.132 Die Herausbildung der Vorkämpfer des Sozialismus unter den »russischen Armeniern« sei nicht länger zu bestreiten. Dass diese Revolutionäre nicht stärker in Erscheinung traten, führten die staatlichen Behörden auf das Vorhandensein der nationalen Parteien zurück, deren Propaganda die Tätigkeit, aber auch die Autorität der sozialdemokratischen Aktivisten hemme. Ein weiterer Grund wurde darin gesehen, dass die russische sozialdemokratische 130 Ebd., 388. 131 Hakobyan: Sozial-demokratakan banvorakan hay kazmakerput’yan jevavorman patmut’yunic, 50. 132 RGIA . Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96, Bl. 95–102.

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Bewegung das dort vorhandene Potenzial noch nicht voll erkannt und die armenischen Genossen deshalb nicht optimal in den sozialistischen Kampf eingebunden habe.133 Bei der Organisation der Arbeiterbewegung, der Anpassung der theoretischen Grundlagen des Marxismus an die regionalen Verhältnisse und Bedürfnisse sowie bei der Verbreitung marxistischer Literatur im Kaukasus spielten die ehemaligen Studenten deutscher und schweizerischer Universitäten eine zentrale Rolle; aus ihrer Feder gingen zahlreiche Übersetzungen sozialdemokratischer Literatur hervor.134 Zur Etablierung eines Angebots an marxistischer Literatur in armenischer Sprache, und zwar sowohl in Form von Übersetzungen als auch in Gestalt originär armenischer Werke leisteten zudem Varlam Avanesov135, ein Absolvent der Universität in Zürich, des Weiteren Hayk Azatian, Avetik’ Arasxanian, Hakob Mełavorian136 und andere einen bedeutenden Beitrag.

133 Ebd., Bl. 101. 134 Beispielhaft erwähnt seien etwa Engels, Friedrich: Hełap’oxut’yunẹ ev hakahełap’oxut’­ yunẹ Germaniayum. T’argm. Ašot Hovhannisian [Revolution und Konterrevolution in Deutschland. Übersetzt von Ašot Hovhannisian]. Jerewan 1933; Engels, Friedrich: Socializmi zargacumẹ utopiayic depi gitut’yun. T’argm. Ervand Ter-Minassian [Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. Übersetzt von Ervand Ter-Minassian]. Jerewan 1933; Engels, Friedrich: Ẹntanik’i, masnavor sep’akanut’yan ev petut’yan ċagumẹ. T’argm. Ervand Ter-Minassian [Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Übersetzt von Ervand Ter-Minassian]. Jerewan 1932; Marx, Karl: Lui Bonaparti Bryumeri tasnut’ẹ. T’argm. Ervand Ter-Minassian [Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Übersetzt von Ervand Ter-Minassian]. Jerewan 1931; Marx, Karl: K’ałak’aciakan paterazmẹ Fransiayum. T’argm. Ervand Ter-Minassian [Der Bürgerkrieg in Frankreich. Übersetzt von Ervand Ter-Minassian]. Jerewan 1931. 135 Varlam Avanesov (Suren Martirosian, 1884–1930) war ein armenischer Politiker und Mitglied der RSDAP. Um der Verfolgung im Russländischen Reich zu entgehen, emi­ grierte er in die Schweiz, wo er enge Beziehungen zu Lenin knüpfte. 1913 kehrte er wieder nach Russland zurück und entfaltete eine äußerst aktive politische Tätigkeit. Vgl. Ōv ōv ē. Band 1, 136 f. 136 Hakob Mełavorian (1856–1930) war ein armenischer Jurist und Pädagoge. Er absolvierte die Universität Lausanne und verteidigte 1894 die Dissertation zum Thema »Etude ethnographique et juridique sur la famille et le mariage arméniens précédée d’un aperçu historique«. Vgl. Parsamian, Armen: Hay azgagrut’yan ev iravunk’i mark’sistakan usumnasirman aṙaǰin porjẹ [Der erste Versuch, die armenische Ethnografie und das Recht vom marxistischen Standpunkt aus zu untersuchen]. In: LHG . 1981, 10, 33–39.

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5.3 Der Armenisch-Akademische Verein zu Leipzig Die einzige von einem Universitätsgericht offiziell zugelassene studentische Organisation der Armenier in Deutschland war der »Armenisch-Akademische Verein zu Leipzig«, der im Wintersemester 1892/93 gegründet wurde und bis 1913 existierte. Ihm war bereits ein anderer Armenisch-Akademischer Verein vorausgegangen, dessen Mitglieder Nicołayos K’aramianc, der spätere Pädagoge Hovhannes Ter-Mirak’ian (1856–1938) und Sissak Arut’iunianc am 10. März 1884 dem Hohen Universitätsgericht zu Leipzig zwei Exemplare des Statuts sowie eine Mitgliederliste zur Bestätigung vorlegten. Ein Jahr später, am 4. März 1885, wurde von X. Vahanian das neue und gemäß den Forderungen des Universitätsgerichts abgeänderte Statut erneut eingereicht und bestätigt.137 Ziel des Vereins war es unter anderem, sich mit dem »alten und neuen Leben« der Armenier sowie mit aktuellen Problemen vertraut zu machen, zum freundschaftlichen Austausch zwischen den Mitgliedern des Vereins beizutragen, insbesondere einen bleibenden Kontakt auch über die Studienjahre hinaus zu ermöglichen, aber auch den neu eingetroffenen Kommilitonen durch moralische Unterstützung beizustehen.138 Vor allem der erste dieser Punkte wurde deshalb als besonders wichtig angesehen, weil viele Absolventen russischer Gymnasien, so der Verdacht, weder ihre eigene Geschichte kannten noch ihre Muttersprache beherrschten. In Europa sei dies unverständlich, und die betroffenen Studenten könnten einem Europäer nicht ohne rot zu werden erklären, warum sie ihrer eigenen Muttersprache nicht mächtig seien. Die Tatsache, dass immer mehr Studenten aus staatlichen Schulen des Kaukasus nach Deutschland kamen, verlieh dieser Angelegenheit eine besondere Dringlichkeit.139 Dieser Verein hatte aber nur ein sehr kurzes Leben; bereits am 9. März 1887 informierten seine Mitglieder Arut’iunianz und Vahanian das Universitätsgericht darüber, dass der ArmenischAkademische Verein »aufgrund mangelnder Mitgliederzahl aufgelöst wird«.140 Erst fünf Jahre später, am 9. November 1892, reichte Ašot At’anasianc im Namen der in Leipzig studierenden Armenier das neue Statut beim Universitätsgericht zur Bestätigung ein. Dieses wurde dort geprüft, zur Überarbeitung zurückgegeben und schließlich am 3. Dezember 1892 bestätigt.141 Über den Zeitpunkt der Gründung dieses Vereins gab es in der Historiografie konträre Meinungen, die zum Teil auch in der aktuellen Forschung fortbestehen. D ­ irajr 137 UAL . Rep. II / X VI / I II A 21, Bl. 1–7. 138 Lumay. 7 (1902), 1, 231–238, 237. 139 Ebd. 140 UAL . Rep. II / X VI / I II A 21, Bl. 14. 141 Für das Statut des Vereins siehe Anhang.

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Froundjian erwähnte 1942 in einem Artikel einen angeblich bereits 1860 organisierten Bund der armenischen Studenten in Leipzig und behauptete, die dortige Universität sei bei den Armeniern damals offenbar die beliebteste gewesen.142 In der Forschungsliteratur wurde der von Froundjian erwähnte Bund fälschlich mit dem Armenisch-Akademischen Verein zu Leipzig gleichgesetzt, doch im Jahr 1860 gab es in Leipzig keine armenischen Studenten. Laut Universitätsmatrikel war der erste dort immatrikulierte Armenier Spandarat Spandarian, der erst ab dem Wintersemester 1866/67 an der Universität Philosophie und Jura studierte.143 Aufgabe des Armenisch-Akademischen Vereins war es laut Statut zum einen, seinen Mitgliedern durch gegenseitige Hilfe zu einem möglichst großen Nutzen aus dem akademischen Leben zu verhelfen. Zum anderen wollte man mit Hilfe der Presse die Armenier mit Europa und umgekehrt die Europäer mit den wichtigsten Merkmalen des Lebens und der Literatur Armeniens bekannt machen. Der Verein hatte einen Vorsitzenden, einen Schriftführer und einen Kassierer, wobei dieser sich gleichzeitig um die Bibliothek kümmerte. Dort waren Werke der armenischen Literatur ebenso vertreten wie fremdsprachige Texte über die Armenier. Zu den aktiven Mitgliedern des Vereins gehörten zunächst einmal die an der Leipziger Universität immatrikulierten Armenier. Es waren aber auch Studierende anderer Nationalität willkommen, die Armenisch verstanden. Die aktiven Mitglieder zahlten einmalig ein Eintrittsgeld von 2 Mark und fortan einen Beitrag von 6 Mark pro Semester. Passive Mitglieder waren nichtimma­trikulierte Armenier, die das Recht hatten, Vorträge zu halten und sich an den Diskussionen zu beteiligen; die Leipziger passiven Mitglieder konnten auch mit abstimmen. Zum Ehrenmitglied wiederum konnte vom Verein jede Person ernannt werden, die sich »um den Verein bzw. die von ihm gepflegten Zwecke besondere Verdienste erworben hatte«.144 Die Mitglieder des Vereins benutzten als Erkennungszeichen ein Armband in den Farben Grün, Rot und Blau. Laut Melik’-Łaragyosian wurden diese von den Mechitaristen in Venedig als armenische Nationalfarben vorgeschlagen.145 Wie der Name bereits impliziert, hatte der Verein einen rein akademischen Charakter und hielt sich von jeglicher politischen Tätigkeit fern, auch wenn seine Türen allen armenischen Studenten in Leipzig unabhängig von ihrer politischen Einstellung offen standen. Die vorsichtige Haltung des Vereins zur politischen Tätigkeit erklärte Melik’-Łaragyosian mit der Verantwortung, die aus der offiziellen 142 Froundjian: Deutsch-armenische Kulturbeziehungen, 107. 143 Blecher, Jens (Hg.): Die Matrikel der Universität Leipzig. 1809 bis 1909. Band 3. Die Jahre 1863 bis 1876. Weimar 2008, 78. 144 UAL . Rep. II / X VI / I II A 21, Bl. 25. 145 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 49.

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Zulassung des Vereins durch die Universität resultiere; diese könne man leicht wieder verlieren.146 Über die Tätigkeit des Vereins, vor allem über die während der akademischen Sitzungen gehaltenen Vorträge, wurde im Tełekagir berichtet.147 Die Vereinsmitglieder konnten den Inhalt ihrer Vorträge relativ frei bestimmen, denn thematische Schwerpunkte waren nicht vorgegeben. Vielmehr sollten sie den etablierten wissenschaftlichen Standards entsprechen und allgemein zur Weiterbildung der Studenten beitragen. Dies war als eines der primären Ziele des Vereins auch in der Satzung verankert. Gleichwohl dienten die Vortragsabende aber auch dem Zweck, über die armenische Geschichte und Kultur zu debattieren und diese auch in Europa bekannt zu machen. Neben den akademischen gab es noch andere Vereinsversammlungen wie ordentliche und außerordentliche Sitzungen sowie Generalversammlungen. Die letzteren wurden am Anfang und am Ende jedes Semesters einberufen und waren den internen Vereinsangelegenheiten, vor allem der Wahl des Vorstands gewidmet. Von der Gründung bis zur Auflösung zählte der Verein insgesamt 117 Studenten zu seinen Mitgliedern.148 Dem Universitätsgericht wurde jedes Semester eine Mitgliederliste vorgelegt, die einen genauen Einblick in die Zusammensetzung erlaubt. Überwiegend stammten die Studenten aus dem Russländischen Reich, wobei die meisten aus Šuši (15), Tiflis (13) und Baku (11) kamen. Die Studienfächer – wie sie auf den Mitgliederlisten angegeben waren – verteilten sich wie folgt: Agrarwissenschaften (21), Chemie (10), Jura (2), Kameralia (13), Medizin (11), Naturwissenschaften (11), Ökonomie (5), Philologie (1), Philosophie (36), Theologie (7). Zu den Mitgliedern des Vereins gehörten später so bekannte Persönlichkeiten wie Garegin Hovsep’ian, Gevorg Čorek’čian, Husik Zohrabian, Eznik Gyanǰecian, Ervand Ter-Minassian, Artašes Abełian, James Greenfield, die Pädagogen Tigran Ṙašmač’ian (1862–1946) und Gurgen Ēdilian (1885–1942), der Philologe Manuk Abełian, der Publizist Gevorg Melik’-Łaragyosian und andere mehr. Die höchsten Mitgliederzahlen hatte der Verein direkt nach der Gründung im Sommersemester 1893 (14) und dann wieder im Wintersemes146 Ebd., 50. 147 Im Wintersemester 1898/99 wurden beispielsweise folgende Vorträge gehalten: 1) Trennung der georgischen Kirche von der armenischen; 2) Über die Ziele der bildenden Kunst; 3) Über das deutsche Theater (Vortrag eines Deutschen); 4) Die chinesische Dichtung und Konfuzius (Vortrag eines Deutschen); 5) Die armenische Sprache im Kontext der vergleichenden Linguistik; 6) Über die praktische Weltanschauung; 7) Die Kohlevorkommen in Deutschland (Vortrag eines Deutschen); 8) Die innen- und außenpolitische Situation in Armenien und die armenische Studentenschaft; 9) Die Grundlagen der Wirtschaftslehre; 10) Die Wechselbeziehung zwischen Pflanze und Mensch in der armenischen Dichtung; 11) Ein allgemeiner Überblick über den Fortschritt der großen europäischen Nationen im Kunstbereich. Vgl. Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 14. 148 Für die Mitgliederliste des Vereins siehe Anhang.

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ter 1905/06 (12), als die Zahl der an der Universität Leipzig eingeschriebenen Armenier mit insgesamt 44 Studenten ihren Höhepunkt erreichte. Die Tätigkeit des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig blieb keinesfalls auf die akademische Ebene beschränkt. So gehörte die Unterstützung neu eingetroffener Kommilitonen ebenso zu den Aufgaben des Vereins, wobei praktische Hilfe etwa bei der Wohnungssuche oder aber bei der Erlernung der deutschen Sprache geleistet wurde. Die Quellen liefern darüber hinaus Hinweise auf die Organisation von Wohltätigkeitsveranstaltungen. In einem dem Universitätsgericht vorgelegten Antrag bat der Vorsitzende des Vereins Mkrtič Wane­zian am 15. Februar 1907 um die Erlaubnis, ein »Wohltätigkeitskonzert mit anschließendem Ball in den Räumen des Buchhändlerhauses« zu veranstalten.149 Am 14. Dezember 1909 informierte der Verein das Universitätsgericht, dass in den Räumen des Künstlerhauses mit polizeilicher Genehmigung »ein geschlossenes Wohltätigkeitsfest zum Besten der Verunglückten von Adana (Türkei)« veranstaltet wird.150 Der Vorstand des Vereins setzte sich auch für in Leipzig studierende mittellose Armenier bei potenziellen Geldgebern im Kaukasus ein. Zahlreiche Gesuche mit der Bitte um finanzielle Unterstützung oder ein kleines Stipendium insbesondere für diejenigen Studenten, die aus verschiedenen Gründen mitten im Studium ohne finanzielle Unterstützung blieben, wurden vor allem an die Wohltätige Gesellschaft in Tiflis gerichtet. So wandte sich am 7. Mai 1899 der Vorsitzende des Vereins an die Wohltätige Gesellschaft, um auf die Situation von Levon Babaian aufmerksam zu machen. Babaian hatte die Realschule in Šuši absolviert und studierte in Leipzig Geschichte. Die ihm von verschiedenen Personen zugesicherte finanzielle Unterstützung kam nicht zustande, sodass er auf monatlich 20 Rubel angewiesen war, die er von einer wohlhabenden Armenierin namens At’abekian bekam. Der Verein wandte sich an die Wohltätige Gesellschaft mit der Bitte, Babaian weitere 20 Rubel monatlich für die nächsten zweieinhalb Jahre zu gewähren und ihm damit die Möglichkeit zu geben, das Studium erfolgreich abzuschließen.151 Zwar erhielt man nicht auf jedes solche Gesuche eine positive Antwort, doch die Einschaltung des Vereins versprach bessere Erfolgsaussichten. Der insgesamt sehr starke Rückgang der Zahl armenischer Studenten an deutschen Hochschulen am Vorabend des Ersten Weltkriegs dämpfte ab 1913 die studentischen Aktivitäten nicht nur in Leipzig. In dem Jahr studierten nur noch etwa 25 Armenier in Deutschland, sodass am 27. Mai 1913 der Vorsitzende des Vereins Tigran Markarian das Universitätsgericht über die Auflösung des Vereins informierte: 149 UAL . Rep. II / X VI / I II A21, Bl. 28. 150 Ebd., Bl. 29. 151 Nationalarchiv Armeniens. Fond 28, Liste 1, Akte 817, Bl. 198.

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In Anbetracht dessen, dass die Mitgliederzahl des Armenisch-akad[emischen] Vereins, wegen d[es] Mangels an der Univ[ersität] immatrikulierter Studenten, nicht d[er] gesetzlich festgestellten minimalen Zahl entspricht, hat der Vorstand d[es] oben genannten Vereins beschlossen, den Verein von jetzt an aufzulösen.152

Wie im Statut festgelegt, sollte das Eigentum des Vereins nach der Auflösung der Universität übergeben werden, die dieses wiederum einem später mit dem gleichen Zweck gegründeten Verein zur Verfügung stellen sollte.153 Vor allem betraf dies die Bibliothek des Vereins. Die Bücher, die mit dem ovalen ­Stempel »Armenisch-Akademisch. Verein Leipzig« versehen waren, wurden der Universität Halle übergeben, deren Bibliothek sie in ihren regulären Bestand aufnahm.154 Im Januar 2001 hat ein Verein namens »Armenisch-Akademischer Verein 1860 e. V.« in Bochum seine Tätigkeit aufgenommen und sieht sich seither als Nachfolger des Leipziger Vereins. Auf der Agenda dieser Organisation stehen vor allem die Förderung kultureller Aktivitäten und verschiedene Publikationen.155

5.4 Der Verein Armenischer Studenten Europas Die steigende Zahl der Armenier an diversen europäischen Universitäten verstärkte den Bedarf nach einer Organisation, die ihnen allen ein gemeinsames Dach bieten sollte. Die Initiative dazu ergriffen im Jahr 1894 die Mitglieder des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig, die bereits einige Jahre Erfahrung hatten. Aus den eigenen Reihen wählten sie ein vierköpfiges Komitee, das die Satzung des zu gründenden Vereins entwerfen sowie eine allgemeine Konferenz armenischer Studenten in Europa einberufen sollte. Diese fand vom 12. bis 15. April 1897 in Heidelberg statt und markierte gleichzeitig die Gründung des »Vereins Armenischer Studenten Europas«. Der Verlauf dieses Kongresses wurde im Tełekagir minutiös wieder­gegeben. Die erste Versammlung startete am 12. April in Anwesenheit von 22 Studenten mit dem Eröffnungsvortrag »Über Nationalismus insgesamt und Nationalismus unter uns«. Bis zum 15. April fanden insgesamt acht Sitzungen statt, wobei das tägliche Programm jeweils aus einer praktischen und einer wissenschaftlichen Sitzung bestand. Gegenstand der letzteren waren Vorträge 152 153 154 155

UAL . Rep. II / X VI / I II A21, Bl. 30. Ebd., Bl. 24. Singer, Jindra: Der Armenisch-Akademische Verein Leipzig. Leipzig 2008, 1. Ordukhanyan, Azat: Armenier in Deutschland. Geschichte und Gegenwart. Vortrag am 19. April 2008 in Erfurt. Erfurt 2009.

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zu verschiedenen Themen, die von den Studenten vorbereitet worden waren. Dagegen zielten die sogenannten praktischen Sitzungen vor allem darauf, die Satzung des Vereins zu formulieren und seine Ziele festzulegen. Wie es die Leipziger Kommilitonen vorgeschlagen hatten, wurde die neue Organisation Verein Armenischer Studenten Europas genannt und setzte sich ganz allgemein zum Ziel, Ideen zu entwickeln, die den Mitgliedern für ihre spätere Tätigkeit in der Heimat als Orientierung dienen sollten. Nach einigen Korrekturen bestätigte die Versammlung die ebenfalls von den Leipziger Studenten vorgelegte Satzung. In dieser ersten Fassung wurde noch der rein studentische Charakter des Vereins hervorgehoben, dessen Tätigkeit sich »in dem für einen Studenten annehmbaren und erlaubten Rahmen« bewegen sollte.156 Die einzelnen Punkte der Satzung, so wurde in Heidelberg beschlossen, konnten während späterer Versammlungen mit einer Stimmenmehrheit von drei Vierteln geändert werden. Für Diskussionen sorgte die Frage, wer als Student gelten und damit gemäß der Satzung Mitglied des Vereins werden dürfe. Im Unterschied zu den späteren Fassungen wurde dies in der ersten Version der Satzung jedem Armenier erlaubt, der sich zu Studienzwecken in Europa aufhielt. Darüber hinaus wurde beschlossen, jährlich eine oder zwei Vollversammlungen sowie kleinere organisatorische Treffen auszurichten. Der Kontakt zwischen den Mitgliedern des Vereins sollte durch Rundschreiben aufrechterhalten werden. Laut den im Statut formulierten Zielen war die Tätigkeit des Vereins darauf gerichtet, zum geistigen und moralischen Austausch unter den armenischen Studenten in Europa beizutragen, enge persönliche und professionelle Kontakte zu den einzelnen Studenten und studentischen Organisationen herzustellen und »gemeinsame Ideale« zu entwickeln. Das wichtigste Gremium des Vereins war der jährlich zu organisierende Kongress, dessen Beschlüsse nur bei mehrheitlicher Teilnahme der Mitglieder Gültigkeit hatten.157 Für die Organisation des Kongresses sollte stets ein gewähltes vierköpfiges Verwaltungs­ komitee zuständig sein, dessen Mitglieder abwechselnd Studenten einer bestimmten Universität waren. Zu den Aufgaben dieses Komitees gehörten neben der Ausrichtung des Kongresses auch die Vorbereitung der Rundbriefe, die zweimal im Jahr erscheinen sollten, die Regelung der finanziellen Angelegenheiten des Vereins, aber explizit auch die Sammlung statistischer Informationen über alle in europäischen Städten verstreuten armenischen Studenten. Neben einzelnen Studenten konnten auch studentische Organisationen Mitglied des Vereins werden; sie sollten jeweils einen Vertreter zu den jährlichen Versammlungen entsenden. Damit die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden konnten, sollten organisatorische Vorschläge dem Ver156 Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 4. 157 Ebd., 7.

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waltungskomitee schriftlich mitgeteilt werden. Dieses informierte dann alle anderen studentischen Organisationen bzw. auch einzelne Studenten über die eingegangenen Vorschläge, damit sie die Haltung ihrer jeweiligen Gruppen im Kongress vertreten konnten. Diejenigen Mitglieder, die nur eine beratende Funktion hatten – etwa die geladenen Ehrengäste –, durften dem Kongress ohne Stimmrecht beiwohnen. Die Mitgliedsgebühr wurde auf 80 Pfennig bzw. 1 Franken festgesetzt; darüber hinaus trugen die Mitglieder des Vereins die Verwaltungskosten sowie die Kosten für die Organisation der Vereinsveranstaltungen.158 5.4.1 Der zweite Kongress des Vereins

Die Organisation des zweiten Kongresses wurde in Heidelberg den Studenten aus Paris anvertraut, die jedoch »wegen innerer Unstimmigkeiten« bald wieder von der Aufgabe zurücktreten mussten. Die Pflichten des Verwaltungs­ komitees übernahm daher im Sommersemester 1898 eine Gruppe aus Berlin, die sogleich die Erstellung der ersten Statistik armenischer Studenten in Europa initiierte. Die Resultate sollten bei der nächsten Vollversammlung vorgestellt werden. Diese fand vom 27. bis zum 31. März 1899 wieder in Heidelberg statt, da diese Stadt laut Tełekagir eine für alle Studenten gut erreichbare Lage hatte.159 Auf der Tagesordnung standen wie schon bei der ersten Zusammenkunft wissenschaftliche Vorträge mit anschließender Diskussion sowie Besprechungen organisatorischer Fragen. Innerhalb von fünf Tagen fanden bis zu 10 Sitzungen statt, für die am Anfang des Kongresses jeweils ein Vorsitzender, ein Stellvertreter und drei Sekretäre gewählt wurden. Die Versammlung startete in Anwesenheit von 20 Studenten mit dem Tätigkeitsbericht des Verwaltungskomitees, gefolgt von wissenschaftlichen Vorträgen. Diese führten oft zu leidenschaftlichen Diskussionen, die Melik’Łaragyosian aber für einen sehr geeigneten Weg hielt, um den geistigen Austausch zwischen den Studenten zu fördern.160 Zu persönlichen Bekanntschaften wiederum trugen die gemeinsamen Spaziergänge bei, die allerdings, so Melik’-Łaragyosian, so laut waren, dass selbst die Presse über die lärmenden Zusammenkünfte »griechischer Studenten« berichtete.161 Die praktischen Sitzungen widmeten sich der Besprechung und Verbesserung der Satzung sowie der Gründung eines Presseorgans. Die Herausgabe einer Zeitschrift wurde aus mehreren Gründen für wichtig gehalten: Haupt158 Ebd., 6–8. 159 Ebd., 8. 160 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 68. 161 Ebd.

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sächlich sollte sie statistische Angaben über die armenischen Studenten in Europa enthalten, aber darüber hinaus auch den studentischen Organisationen in unterschiedlichen Städten die Möglichkeit bieten, sich gegenseitig über ihre Tätigkeit zu informieren. Ein eigens dafür gewähltes Komitee fertigte bis zum Ende des Kongresses ein Konzept für die Herausgabe der Zeitschrift an. Nach diesem ersten Entwurf sollte das jeweilige Verwaltungskomitee die Redaktion der Zeitschrift übernehmen und pro Semester ein Heft veröffentlichen. Darüber hinaus könne der Verein, so ein Vorschlag der Genfer Studen­ ten, wissenschaftliche Broschüren übersetzen und veröffentlichen, aber auch finanzielle Mittel für solche Publikationen bereitstellen, die die europäische Öffentlichkeit über die Lage des armenischen Volkes im Osmanischen Reich, über die Armenische Frage, aber auch über die armenische Geschichte, Sprache und Kultur unterrichten und das Land und seine Probleme somit in Europa besser bekannt machen könnten.162 Da viele Vorschläge außerdem eine klare politische Positionierung des Vereins implizierten, wurde während des Kongresses wiederholt festgehalten, dass dieser sich vor allem den studentischen Angelegenheiten widme, und zwar unabhängig von den Aktivitäten bzw. Interessen bestimmter Parteien.163 Wenn seine Mitglieder sich politisch, gesellschaftlich oder anders engagierten, so wurde dies als deren private Angelegenheit betrachtet und nicht als eine des Vereins: Wenn der Verein zu keiner Zeit ein Werkzeug in den Händen einer gewissen politischen Partei [gemeint war wohl die sozialdemokratische Bewegung, d. Vf.] geworden ist, was die Bestrebung der Studenten aus Genf war, so ist das nur der parteilosen und positiven Haltung der armenischen Studenten in Deutschland zu verdanken.164

Die in unterschiedlichen politischen Kreisen aktiven armenischen Studenten mussten daher ihre anfängliche euphorische Hoffnung, dass sie den Verein für ihre jeweiligen Zwecke würden vereinnahmen können, zunächst wieder aufgeben. Dass es solche Versuche aber immer wieder gab, wird aus einer Korrespondenz mit der ASDAO ersichtlich. Diese schickte dem Verwaltungskomitee die Anfrage, auf dem dritten Kongress mit einem Vortrag aufzutreten: Wir haben gehört, dass im April eine Versammlung des Vereins der armenischen Studenten Europas stattfinden soll. Entsprechend den Paragraphen 18 und 25 der Vereinssatzung schlägt das Auslandskomitee der Armenischen Sozialdemokratischen Organisation vor, einen Vortrag in die Tagesordnung aufzunehmen, den unser Vertreter halten soll. Das Thema wird sein: ›Die revolutionären Parteien im Kaukasus,

162 Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 9–11. 163 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 64. 164 Ebd., 65.

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die Sozialdemokratie und die Rolle der armenischen Studentenschaft‹. Außerdem schlagen wir dem Kongress vor, aus den Mitteln des Vereins jährlich eine bestimmte Summe für die Übersetzung der sozialdemokratischen Literatur zur Verfügung zu stellen. Natürlich in armenischer Sprache.165

Diesem Schreiben war eine Liste von Büchern beigefügt, die die armenische sozialdemokratische Organisation zu publizieren gedachte. Die Antwort auf diesen Brief ist zwar nicht überliefert, doch lässt die im Nationalarchiv Armeniens vorhandene Rückantwort der ASDAO die Reaktion des Vereins erahnen: Das Auslandskomitee der Armenischen Sozialdemokratischen Arbeiterorganisation hat ihren Brief erhalten. Wir dürfen ihnen mitteilen, dass der an den Kongress ihres Vereins gerichtete Vorschlag sich auf die Satzung ihres Vereins stützt, aber auch unser Recht in Anspruch nimmt, ihnen so einen Vorschlag zu unterbreiten. Das hatten wir bereits in unserem ersten Schreiben betont. Sicherlich könnten wir diesen Vorschlag durch einen eigens dafür zu Ihnen entsandten Studenten wiederholen, wir wollten jedoch in dem von Ihrer Satzung erlaubten Rahmen bleiben und dachten, dass ihr Verein und seine Organe in den öffentlichen Angelegenheiten reif genug sind, um nicht hinter solchen Formalitäten zurückzustehen. Wir sind guter Hoffnung, dass unser Vorschlag eine positive Reaktion finden und der Vortrag in die Tagesordnung des Kongresses aufgenommen wird.166

Indessen wurde von den sozialdemokratischen Studenten nicht nur die politische Neutralität des Vereins kritisiert, sondern auch die Tatsache, dass ausnahmslos alle armenischen Studenten unabhängig von ihrer politischen Orientierung als Mitglied aufgenommen wurden. Diese Bestimmung sei zwar in der Satzung festgehalten, mache aber eine zielführende Tätigkeit des Vereins gänzlich unmöglich. Personen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen, die möglicherweise sogar Mitglied verschiedener Parteien seien, könnten sich nicht vereinen, um gemeinsame Ziele oder Projekte zu verfolgen.167 Zwar organisiere der Verein jährlich Veranstaltungen, doch hätten diese keine dauerhaften positiven Auswirkungen. Im besten Fall könnten sie die armenischen Studenten besser miteinander bekannt machen, mehr könne man von diesem Verein allerdings nicht erwarten.168 Trotz der Kritik, die bereits während des Kongresses aufflackerte, blieb das Anliegen, zwischen den armenischen Studenten nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika, in Persien, im Osmanischen und im Russländischen Reich eine Brücke zu bilden, zunächst das wichtigste Motiv des Vereins. Entsprechend euphorisch wurde die Nachricht gefeiert, dass die Einladung zum zwei165 Nationalarchiv Armeniens. Fond 1455, Liste 1, Akte 5, Bl. 10. 166 Ebd., Bl. 27. 167 Vahuni: Evropayi hay usanołut’iunẹ, 204. 168 Ebd.

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ten Kongress eine Gruppe armenischer Studenten in Lemberg erreicht hatte. In einem Schreiben, das in Heidelberg vorgelesen wurde, drückten diese ihre Freude und Begeisterung über die Existenz eines solchen Vereins aus, kündigten an, dem Verein beitreten zu wollen, bedauerten jedoch, keinen Vertreter zum zweiten Kongress schicken zu können.169 Im selben Brief entschuldigten sie sich dafür, dass sie ihre Muttersprache nicht mehr beherrschten. Die Frage, ob der Verein jemanden nach Lemberg schicken könne, um sie in der Muttersprache zu unterrichten, wurde in Heidelberg tatsächlich erörtert. Der Brief war auf Deutsch und Französisch verfasst und wurde als ein an die armenischen Studenten Europas gerichteter Appell verstanden, »die Reste der ehemals blühenden armenischen Gemeinde in Polen zu retten«. Diese stehe nämlich im Begriff, die eigene Identität, die Sprache und – unter dem Druck des katholischen Klerus – sogar ihre Religion zu verlieren.170 Eine direkte Reaktion auf diesen Brief war die Reise von Grigor Vancian nach Lemberg; später hat er in einem Artikel im Ararat ausführlich über seine Eindrücke dort berichtet.171 Nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, legte er auf der Rückreise in den Kaukasus je einen Zwischenstopp in München, Wien und Lemberg ein und besuchte die dort studierenden Armenier. Vancians Bericht zufolge waren an der Universität Lemberg zu diesem Zeitpunkt auch einige armenische katholische Theologiestudenten eingeschrieben, wobei einer von ihnen, August Theodorovič, der Leiter der armenischen Gemeinde in Lemberg war. In den Räumen der armenischen Kirche traf Vancian auf armenische katholische Priester, die  – abgesehen von wenigen Wörtern – die armenische Sprache nicht mehr beherrschten. »Nur einer von ihnen, ein gewisser Davidovič, konnte fließend Armenisch sprechen. Mit den anderen musste ich Deutsch sprechen«.172 Motiviert von dem »angenehmen und warmen« Empfang, den die Lemberger Studenten Vancian bereiteten, verschob er seine Weiterreise um weitere zwei Tage, um sich mit der Situation der armenischen Studenten in Lemberg näher vertraut zu machen bzw. ihnen »die Möglichkeit des Umgangs mit einem Landsmann« zu geben.173 Ihre Begeisterung und Freude über einen Gast aus Armenien, so Vancian, kannte keine Grenzen: […] Nach einem armenischen Essen wurde ich vom Theodorovič in das Haus von Manukevič eingeladen, wo vier armenische Studenten in einem Zimmer wohnten. In kürzester Zeit war ich schon von etwa zehn armenischen Studenten umgeben. Alle waren begeisterte, energische junge Männer, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Nach den 169 Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 8. 170 Ararat. 1900, 6, 291–295, 291. 171 Ebd. 172 Ebd., 292. 173 Ebd., 293.

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Lektüren von Nalbandian, Abovian und Nazarian hatte ich lange nach solchen jungen Menschen oder überhaupt nach der typischen Jugend der 50er und 60er Jahre gesucht, aber niemals gefunden. In diesen Studenten in Lemberg sah ich in Wirklichkeit die Jugend meiner Träume vor mir stehen. Ihr Geist, ihr unschuldiger Glaube und ihre bewundernswerte Begeisterung erinnerten mich an die 50er Jahre.174

Sehr erstaunt, zugleich aber hocherfreut reagierten diese Studenten laut Vancian auf die Nachricht, dass die Armenier im Kaukasus noch immer ihre Muttersprache beherrschten, sich zum größten Teil weiterhin mit Landwirtschaft beschäftigten, dass es unter den Armeniern Presse und Schulen gab, vor allem aber, dass der Katholizismus keine Bedrohung für sie darstellte.175 Vancian wurde immer wieder gebeten, armenische Lieder zu singen, von denen einige sogar aufgeschrieben wurden: […] ihre Begeisterung stieg dermaßen, dass viele beschlossen, bei der ersten Gelegenheit nach Armenien zu reisen, wieder Armenisch zu lernen und ein armenisches Mädchen zu heiraten. […] Sie dachten, ihr katholischer Glaube wird mir unangenehm sein und erklärten in Abwesenheit von Theodorovič, dass sie bereit seien, sich im ersten passenden Moment vom katholischen Glauben abzuwenden und wieder zur armenisch-apostolischen Kirche zurückzukehren.176

Vancian musste ihnen versichern, dass die Zeiten des religiösen Fanatismus vorbei seien; wichtig sei nur, dass die Armenier – trotz des katholischen Glaubens  – sich weiterhin ihrer nationalen Identität bewusst seien. Kanonikus Therodorovič, der eine große Bibliothek fremdsprachiger Literatur besaß und auch selbst zahlreiche Artikel über die Armenische Frage veröffentlicht hatte, machte Vancian mit einem weiteren Armenier, Professor Antonievič von der Universität Lemberg bekannt. Dieser gab ihm umfassende Informationen über die dort studierenden Armenier, wobei die wenigsten von ihnen, so Antonievič, überhaupt von ihren armenischen Wurzeln wüssten. Vancian versprach, nach Möglichkeit einen armenischen Studenten zu motivieren, an der Universität Lemberg zu studieren und die dortigen Armenier ihre Muttersprache zu lehren.177

174 Ebd. 175 Ebd. 176 Ebd. 177 Ebd., 295.

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5.4.2 Die dritte und vierte Vollversammlung des Vereins

Der dritte Kongress wurde von den Studenten aus Genf organisiert und fand vom 12. bis zum 15. Oktober 1900 in Zürich statt. Auszüge aus den Protokollen dieser dritten, aber auch der vierten Versammlung in München wurden im zweiten Heft des Tełekagir veröffentlicht, das für die fünfte Versammlung in Genf vorbereitet worden war.178 Zunächst legte das Verwaltungskomitee einen Bericht über die Organisation des Kongresses vor, dann folgten eine statistische Erhebung über die Situation der armenischen Studenten in Europa und schließlich ein Bericht über den Eingang der Mitgliederbeiträge und über die Veröffentlichung des Tełekagir.179 Für die weiteren Aktivitäten des Vereins stellte die Versammlung in Zürich insofern eine Zäsur dar, als sie eine bemerkenswerte Erweiterung seines Tätig­keitsfelds beschloss. Fortan sollte sich der Verein vor allem mit der gegenwärtigen Lage des armenischen Volkes, mit der Armenischen Frage und den alltäglichen Problemen der armenischen Gesellschaft beschäftigen. Darüber hinaus sollte er sowohl die armenischen Studenten in Europa wie auch die europäische Öffentlichkeit besser über die soziale und politische Lage in Armenien aufklären. Mit dieser doch grundsätzlichen Veränderung reagierte der Verein auf die zahlreichen an das Verwaltungskomitee gerichteten Schreiben armenischer Studenten, der politischen Lage der Armenier im Osmanischen Reich, aber auch im Kaukasus mehr Aufmerksamkeit zu schenken und deren Situation in der europäischen Öffentlichkeit publik zu machen. Diese Anregungen wurden dem Kongress als Anträge vorgelegt und einstimmig angenommen. Mehr noch, die vorrangige Bedeutung der Armenischen Frage wurde ausdrücklich in die Satzung aufgenommen und stellte damit einen Grundsatz der Vereinstätigkeit dar. In verschiedene europäische Sprachen übersetzte Texte über die Armenische Frage, aber auch die finanzielle Unterstützung anderer Organisationen sollten dabei helfen, das Thema in der europäischen Öffentlichkeit besser bekannt zu machen. Zu diesem Zweck wurde ein fünfköpfiges Komitee damit beauftragt, in verschiedenen europäischen Städten Konferenzen zu organisieren, in der europäischen Presse Artikel über die Armenier und die Armenische Frage zu veröffentlichen sowie die erwähnten Übersetzungen auf den Weg zu bringen.180

178 Davor konnte aus finanziellen und technischen Gründen kein Heft erscheinen. Auch die angekündigte separate Broschüre mit statistischen Angaben über armenische Studenten wurde nicht veröffentlicht. 179 Evropayi hay usanołakan miut’ean tełekagir. Patrastaċ hingerord hamagumari hamar [Mitteilungsblatt des Vereins Armenischer Studenten Europas. Vorbereitet für den fünften Kongress]. Genf 1902, 2 f. 180 Ebd., 3.

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Weitere Änderungen der Satzung folgten der Logik dieser Neuorientierung. So sollten wissenschaftliche Vorträge fortan nur noch Themen zur Lage der Armenier behandeln (§ 18), die jährlichen Versammlungen sollten eine breitere Legitimation erhalten (§ 19), des Weiteren wurde das Wahlsystem verändert (§ 10) und der Kreis teilnehmender Studenten erweitert (§ 25).181 Die neue Satzung wurde nach der Konferenz in Zürich gedruckt und am 25. November 1900 mit einem Rundschreiben an alle dem Verein bekannten studentischen Gruppen in Europa versandt. Im Januar 1901 galt sie aufgrund der allgemeinen Zustimmung als bestätigt, lediglich die Studenten aus Marseille sprachen sich gegen die beabsichtigte politische Tätigkeit des Vereins aus.182 Für den vierten Kongress setzte sich München mit 68 Stimmen als Veranstaltungsort gegen Genf, Heidelberg, Berlin und Dresden vor allem deshalb durch, weil dort mehr Teilnehmer und Referenten gewonnen werden konnten. Wegen der größeren Entfernungen insbesondere zu den schweizerischen Städten sollen viele Studenten ihre Teilnahme abgesagt haben.183 Die Eröffnung des Kongresses fand am 4. April 1901 im Festsaal des Hôtels Métropol statt. Anwesend waren 48 Studenten aus Berlin, Leipzig, Darmstadt, Karlsruhe, Heidelberg, Freiburg, Brüssel, Genf, Lausanne und Zürich; die Studenten aus München waren, so Tełekagir, vollzählig anwesend.184 Der Vorsitzende des Verwaltungskomitees Xačatur Malumian verwies auf die Koinzidenz der Konferenz mit der 10-jährigen Existenz der armenischen Befreiungsbewegung185 und schlug vor, der armenischen Opfer mit einer Schweigeminute zu gedenken.186 Der Kongress in München galt mit Blick auf die Teilnehmerzahl, die thematische Vielfalt der Vorträge und die organisatorischen Beschlüsse im Vergleich zu den Veranstaltungen der Vorjahre als großer Erfolg. Innerhalb von acht Tagen wurden 16 Sitzungen abgehalten, die vor allem wissenschaftlichen Vorträgen und deren anschließender Diskussion gewidmet waren; außerdem wurden organisatorische Angelegenheiten und verschiedene Vorschläge besprochen. Zunächst berichtete Xačatur Malumian über die Tätigkeit des Verwaltungskomitees und die jüngsten Satzungsänderungen. Dabei wurde das Schreiben der Studenten aus Marseille vom 28. Dezember 1900 verlesen, in dem sich diese von der beabsichtigten politischen Tätigkeit des Vereins distanzierten. Malumian stellte fest, dass dies nicht nur die Haltung der Studenten 181 Ebd. 182 Ebd., 8. 183 Ebd., 9 184 Ebd., 4. 185 In den 1890er Jahren lebte die Befreiungsbewegung der Armenier im Osmanischen Reich mit neuer Kraft auf, was nicht zuletzt mit der Tätigkeit der gerade entstandenen Parteien Hnčak und Dašnakcut’iun zu tun hatte. 186 Tełekagir. 1902, 13.

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aus Marseille, sondern die generelle Einstellung der armenischen Studenten an den französischen Universitäten sei, die – fast ausschließlich – aus der Türkei stammten. Ihre Zurückhaltung mit Blick auf die Politisierung des Vereins begründeten sie wie folgt: 1. Wir sind alle Studenten aus der Türkei, und es wird uns nach unserer Rückkehr teuer zu stehen kommen, wenn sich der Verein der armenischen Studenten der politischen Tätigkeit widmet. 2. Studentenschaft und Politik sind nun wirklich miteinander nicht vereinbar. 3. Der Verein der armenischen Studenten wird mit seiner politischen Tätigkeit nichts erreichen, außer die Zahl der politischen Parteien um eine weitere zu vermehren.187

Vielmehr bestanden die Initiatoren des Schreibens darauf, dass der Verein seinen ursprünglich rein literarischen und wissenschaftlichen Charakter beibehalte. Dieser Vorschlag fand jedoch keine Unterstützung, und die neue Satzung wurde mit einigen Korrekturen bestätigt.188 Nach diesem Kurswechsel boykottierten viele Studenten aus dem Osmanischen Reich jegliche Aktivitäten des Vereins, die nicht direkt mit dem Studium bzw. der Weiterbildung verbunden waren. Mehr noch, in den folgenden Jahren blieben sie den weiteren Versammlungen des Vereins fern. Nach einer entsprechenden Aufforderung des Verwaltungskomitees wurden lediglich statistische Angaben über die armenischen Studenten in Paris eingesandt, die im Tełekagir zwar veröffentlicht, aber als unvollständig und unzuverlässig bezeichnet wurden. Nach Malumians Darstellung wurde die Erstellung der letzten Statistik armenischer Studenten auch insofern zur Herausforderung, als das Verwaltungskomitee Informationen nicht nur über die Studenten in europäischen Städten, sondern auch in Amerika und im Russländischen Reich zu sammeln suchte. Der Studentenschaft in Amerika wurde in einem Presseaufruf angeboten, Mitglied des Vereins zu werden und Vorschläge für die nächste Versammlung sowie statistische Angaben zu schicken. Auch wenn solche Anfragen meistens ohne eine Antwort blieben, übernahmen fast alle armenischen Zeitungen, so Malumian, mit Freude die Rolle des Vermittlers und veröffentlichten verschiedene Rundschreiben, ohne auf eventuelle inhaltliche bzw. politische Meinungsverschiedenheiten Rücksicht zu nehmen.189 Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Tagesordnung in München war die Regelung der finanziellen Angelegenheiten. Die vorhandenen Mittel reichten nicht aus, um die anvisierten Aufgaben erfolgreich zu erledigen, daher war der Verein auf Spenden angewiesen. Gleichzeitig auf mehreren Ebenen sollten Spendensammlungen organisiert werden, etwa von den Studenten in ihrer 187 Ebd., 8. 188 Ebd. 189 Ebd., 12.

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jeweiligen Universitätsstadt oder auch im Kaukasus. Die politischen, gesellschaftlichen und akademischen Organisationen der Armenier in Genf, Berlin, München, Lausanne sowie diejenigen in Russland wurden aufgefordert, Mittel für die Arbeit des Vereins zur Verfügung zu stellen.190 Nach Einschätzung des Verwaltungskomitees waren 12. bis 15. Tausend Franken notwendig, damit »dieser großartige Verein auch Großartiges vollbringen kann und sich nicht auf die Erfüllung unbedeutender Aufgaben beschränken muss«.191 Die knappen finanziellen Mittel standen insbesondere einer angemessenen Öffentlichkeitsarbeit im Weg, wo diese doch gerade die europäische Gesellschaft auf die Versammlungen des Vereins und damit auch auf die Armenische Frage aufmerksam machen sollte.192 Demselben Zweck diente im Übrigen die enge Zusammenarbeit mit anderen ausländischen Studenten, vor allem aber mit denjenigen, die den »gleichen Kampf« wie die Armenier führten. Kaum verwunderlich war also, dass der Verein enge Kontakte sowohl zu den türkischen Studenten, die gegen das osmanische Regime kämpften, als auch zur Makedonischen Bewegung aufbauen konnte.193 Während des Kongresses in München wurde der Beschluss gefasst, der Makedonischen Bewegung in einem Brief die Sympathie der armenischen Studenten zu bekunden, in einem weiteren Schreiben betonte der Kongress ausdrücklich seine Unterstützung für alle Europäer, die sich für die Armenische Frage einsetzten. Entsprechende Telegramme wurden an die Redaktion von Pro Armenia194 bzw. an das Makedonische Obere Komitee in Sofia geschickt. Der zweite dieser Briefe wurde mitsamt der Antwort darauf im Tełekagir veröffentlicht:

190 Ebd, 10. 191 Ebd. 192 Ebd. 193 Ausführlicher zur Makedonischen Bewegung siehe: Troebst, Stefan: Von den Fanarioten zur UÇK : Nationalrevolutionäre Bewegungen auf dem Balkan und die »Ressource Weltöffentlichkeit«. In: Requate, Jörg / Schulze Wessel, Martin: Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2002, 231– 249; Perry, Duncan M.: The Macedonian Revolutionary Organization’s Armenian Connection. In: The Armenian Review. 42 (1989), 1/165, 61–70; Ders.: The Politics of Terror: The Macedonian Liberation Movements, 1893–1903. Durham, NC 1988; Adanir, Fikret: Die Makedonische Frage. Ihre Entstehung und Entwicklung bis 1908. Wiesbaden 1979. 194 Die Zeitschrift Pro Armenia wurde im Herbst 1900 unter der redaktionellen Leitung von Pierre Quillard als Bühne für eine öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit der Armenischen Frage gegründet. Die Partei Dašnakcut’iun spielte nicht nur bei der Gründung der Zeitschrift eine große Rolle. Sie wurde auch heimlich von Dašnakcut’iun finanziert und druckte viele übersetzte Artikel von Drošak (Die Fahne), dem Organ der HYD. Pro Armenia erschien bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wobei sie in den Jahren 1912 bis 1913 den Namen Pour les Peuples d’Orient trug. Vgl. Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 90.

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Die Versammlung der armenischen Studenten in Europa, die in München stattfand, drückt Euch ihre tiefe Sympathie aus. Die Söhne Armeniens, die Opfer der türkischen Tyrannei werden, können angesichts der von Blut gesäumten Heimat ihre zweite Hoffnungsheimat, Makedonien, nicht vergessen. Das Unglück hat uns zusammengeführt, so möge sich dieser Zusammenhalt im Krieg noch mehr verstärken. Grüße an das freie Makedonien!195

Darauf folgte die Antwort des Makedonischen Komitees: Zutiefst gerührt überbringen wir unseren Brüdern im Unglück unsere Dankbarkeit. Wir werden keiner Macht, keinem Druck nachgeben und werden unseren edlen Kampf für die Freiheit fortsetzen. Wir sind stolz, in der nahen Zukunft mit unseren tapferen Brüdern, den Armeniern, gegen den Feind zu kämpfen. Es lebe das freie Armenien!196

Neben anderen Aufgaben beinhaltete die in München sorgfältig ausgearbeiteten Agenda konsequente Schritte, um eine breitere europäische Öffentlichkeit zu erreichen und für die Armenische Frage zu gewinnen. Insbesondere die europäische Presse, aber auch Konferenzen und andere Veranstaltungen in größeren Städten und mit Beteiligung angesehener Europäer wurden als passendes Instrument zur Popularisierung der Armenischen Frage angesehen. Geplant war außerdem die Herausgabe eines großen illustrierten Sammelbands in französischer Sprache. Dieser sollte die armenische Sprache, Kultur, das Land sowie eben die Armenische Frage zum Thema haben, gleichzeitig aber ein Aufruf zur Unterstützung der Armenier in der Türkei sein. Um die gewünschte Wirkung zu erreichen, sollten für den Sammelband bekannte Europäer als Autoren gewonnen werden.197 Im Juli 1901 und im Februar 1902 veröffentlichte das Verwaltungskomitee zwei Rundschreiben, um die armenische Studentenschaft über die bevorstehenden Aufgaben zu informieren. Da beide Texte wichtige Belege für das Selbstverständnis des Vereins darstellen, sollen sie im Folgenden vollständig wiedergegeben werden: Freunde! Das Verwaltungskomitee hat gemäß dem in München gefassten Beschluss eine Versammlung in Genf einberufen und das Programm der künftigen Tätigkeit festgelegt. Folgende Auszüge teilen wir hiermit zu Eurer Kenntnis mit: a) Aufruf an die europäische Studentenschaft: Wir wollen mit Unterstützung des Pariser internationalen Büros einen Rundbrief in französischer Sprache an die Studenten aller Nationalitäten in Europa richten, mit der Aufforderung, in ihren Kreisen für die Armenische Frage zu werben. Der gleiche Brief soll bei Bedarf auch auf Englisch und auf Deutsch

195 Tełekagir. 1902, 14. 196 Ebd. 197 Ebd., 15.

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verfasst werden. b) Broschüre: Um Informationen über die Armenische Frage kurz und eindrucksvoll in jenen Kreisen der europäischen Öffentlichkeit zu verbreiten, in denen sie noch unbekannt ist, soll eine Broschüre in französischer Sprache und von einem bekannten europäischen Publizisten mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren herausgegeben und kostenfrei verbreitet werden. c)  Der große Sammelband »L’Arménie et la Question Arménienne«: Dieser illustrierte und in französischer Sprache verfasste Band soll einerseits den Aufruf bekannter Europäer für die Befreiung der Türkeiarmenier beinhalten, andererseits Beiträge über die Armenische Frage, über armenische Literatur, Geschichte, Ethnographie, die Rolle der Armenier im Orient und die armenische Freiheitsbewegung mit entsprechenden Illustrationen umfassen. Anm.: Für diese Publikation sind in die Kasse des Vereins bereits 7.000 Franken eingegangen. d) Konferenzen und Propaganda: Um die öffentliche Meinung für die Armenische Frage zu gewinnen, sollen: 1. Konferenzen in großen europäischen Städten und mit Beteiligung bekannter Europäer organisiert werden (die Kosten trägt der Verein), 2. Artikel für die europäische Presse verfasst werden. Dies ist vor allem in Deutschland wichtig, da die Propagandaarbeit hier immer noch sehr schwach ist. Die Mitglieder des Vereins sollen örtliche Gruppen bilden, die gezielt mit den Zeitungen in Kontakt treten. Wir haben außerdem die Idee, ein Büro aufzubauen, um [der europäischen Presse] Material zu liefern. e) Finanzielle Hilfe: Aus den Mitteln des Vereins sollen 1) 1.000 Franken an Pro Arménia übergeben werden, die treu den Interessen der Armenischen Frage dient; 2) 500 Franken soll jemand bekommen, der in das türkische Armenien fahren und dort Informationen über das armenische Volk sammeln wird. Das Verwaltungskomitee bittet alle Freunde, die Dringlichkeit dieser Aufgaben in allen Kreisen zu verbreiten und zu unserer gemeinsamen Sache sowohl finanziell als auch durch den persönlichen Einsatz beizutragen.198

Der im Februar veröffentlichte zweite Rundbrief berichtete über die zwischenzeitlich erzielten Erfolge und kündigte weitere Schritte an: Freunde! Wie Ihr wisst, hat die Hauptversammlung letztes Jahr beschlossen, Konferenzen über die Armenische Frage in verschiedenen Orten und mit Beteiligung bekannter Europäer zu organisieren sowie durch Veröffentlichungen in der europäischen Presse und das Zuliefern von entsprechendem Material die Propagandaarbeit zu forcieren. Das Verwaltungskomitee hat die Organisation einer Konferenz initiiert, die am 10. Februar in Genf mit Beteiligung des bekannten französischen Publizisten Francis de Pressensé stattfand. Den Vorsitz hatte der Präsident der Kantonsregierung von Genf Georges Favon, was tausende Teilnehmer aus allen Gesellschaftsschichten dieser freiheitliebenden Stadt in den imposanten Saal Victoria Hall lockte (viele ­mussten wegen Platzmangels draußen bleiben). Die Konferenz, die große Resonanz nicht nur in der schweizerischen, sondern auch in der übrigen europäischen Presse fand, war ein außergewöhnlicher Erfolg. Lobende Worte wurden über die Armenier, aber auch über den Verein armenischer Studenten Europas gesagt, der diese Konferenz organisiert hatte. Wir sind froh, Euch mitteilen zu können, dass eine weitere öffent­ 198 Ebd., 16 f.

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liche Veranstaltung über die Armenische Frage in Berlin mit Beteiligung von Eduard Bernstein organisiert wird, wobei sie die erste solche Konferenz in Deutschland sein wird. Außerdem sind Konferenzen in Brüssel und, falls wir Erfolg haben, in Rom geplant. Kameraden! Es ist nicht notwendig zu beweisen, wie wichtig solche Veranstaltungen sowie überhaupt proarmenische Propaganda in der jetzigen gefährlichen Lage sind. Die große Bedeutung der öffentlichen Meinung für die Armenische Frage betonte selbst der Außenminister von Frankreich [Théophile] Delcassé in seiner berühmten Rede vom 20. Januar. Selbst wenn die öffentliche Meinung die Armenische Frage nicht lösen kann, so kann sie zumindest neue Schläge des Großen Mörders [Abdul Hamid II.] verhindern. Die Ereignisse in den letzten zwei Jahren haben das bewiesen. Wir sollten deshalb die öffentliche Stimmung im Rahmen unserer Möglichkeiten weiter anheizen und ihre Wellen gegen die Gleichgültigkeit der europäischen Politik lenken. Wir sollten Europa, aber auch dem skeptischen Teil unseres Volkes zeigen, dass die armenische Studentenschaft sich nicht allein dem trockenen Studium hingibt, sondern bereits auf der Universitätsbank mit dem Schmerz seines Volkes leidet. Das Verwaltungskomitee ruft alle Freunde auf, sich einzubringen, in ihren Städten Konferenzen zu organisieren und darüber für die Presse zu berichten. Der Boden ist überall bereit, wir brauchen nur Fleiß und Initiative. […]199

Diese beschriebenen Aufgaben nahmen natürlich deutlich mehr Kraft und Zeit in Anspruch, daher wurde neben den bis dahin existierenden zwei Gremien, nämlich dem jährlichen Kongress und dem Verwaltungskomitee, ein sogenannter bevollmächtigter Ausschuss etabliert, in dessen Verantwortung alle mit der Armenischen Frage verbundenen Aufgaben gegeben wurden. Die Satzung wurde nach den Kongressen in Zürich und München entsprechend korrigiert und im Januar 1901 bestätigt.200 5.4.3 Der fünfte Kongress in Genf

Die zweite Nummer von Tełekagir war gleichzeitig die letzte, sodass die weitere Tätigkeit des Vereins auf der Grundlage sekundärer Quellen rekonstruiert werden muss. In München wurden der Zeitpunkt und der Ort für den fünften Kongress festgelegt, der während der Osterferien 1902 in Genf stattfand. Die Aufgaben des Verwaltungskomitees übernahm diesmal eine Gruppe der Studenten aus Paris, Genf, Lausanne, Zürich und München.201 Ein ausführlicher Bericht über diese Versammlung existiert dank aktiver Mitarbeit der Dašnakcakan-Studenten an der Vorbereitung des Kongresses und wurde in

199 Ebd., 18 f. 200 Siehe Anhang. 201 Tełekagir. 1902, 9.

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Drošak 202 (Die Fahne) abgedruckt.203 Dabei wurde der Verein Armenischer Dašnakcakan-Studenten faktisch als Nachfolger des Vereins Armenischer Studenten Europas dargestellt, da dessen Gründung im Jahr 1897 doch dem Wunsch armenischer studentischer Organisationen entsprochen habe, sich unter der Schirmherrschaft der Partei Dašnakcut’iun zu vereinen.204 Nach den richtungsweisenden Beschlüssen von München, die die Tätigkeit des Vereins neu definierten, kam der Versammlung in Genf eine besondere Bedeutung zu. Da auch die jährlichen Zusammenkünfte dafür genutzt werden sollten, die europäische Öffentlichkeit auf die Situation der Armenier aufmerksam zu machen, versuchten die Organisatoren im Vorfeld des Kongresses, angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für Vorträge zu gewinnen. So wurde beispielsweise der belgische Parlamentarier und Sozialdemokrat Émile Vandervelde wegen eines Vortrags über die Armenische Frage angesprochen. Dieser hielt sich zwar zu diesem Zeitpunkt sogar in Genf auf, konnte die Einladung jedoch wegen anderer Verpflichtungen nicht annehmen.205 Weiterhin wurden die Redaktion der Zeitung Drošak und der Redakteur der Zeitschrift l’Armenia, der Schriftsteller Minas Čeraz ­(1852–1929), eingeladen. Čeraz sollte über die Armenische Frage und den Berliner Kongress von 1878 referieren, er lehnte dies jedoch ab. Eine Absage erhielt das Verwaltungskomitee auch von den Mechitaristen in Wien sowie von dem Redakteur der Zeitschrift Armenia Mkrtič P’ort’ugalian. Dieser sollte über das Gebiet Vaspurakan, den Entstehungsort der Partei Armenakan sprechen, konnte jedoch wegen beruflicher Verpflichtungen Marseille nicht verlassen. Eine negative Antwort kam auch von dem Literaturwissenschaftler Norair Byuzandaci (1845–1915), der aus finanziellen Gründen nicht in der Lage war, von Stockholm nach Genf zu reisen. Von dem Büro der Partei Hnčak und den Mechitaristen in Venedig erhielt der Verein überhaupt keine Antwort. All diese Absagen wurden während der fünften Versammlung vorgelesen und als destruktive und distanzierte Haltung der armenischen Intelligenzija dargestellt. Diese Leute, hieß es, würden sich weder der Herausforderung stellen, ihren Standpunkt zur Armenischen Frage öffentlich darzustellen und zu verteidigen, noch legten sie Wert darauf, zu einem wichtigen Teil der armenischen Öffentlichkeit, nämlich der Studentenschaft, in Beziehung zu treten.206 Dennoch erwies sich die fünfte Versammlung, die am 31. März 1902 im Saal des Hôtel des Alpes in Genf begann und eine ganze Woche dauerte, dank 202 Drošak war das offizielle Organ der HYD und wurde 1891 in Tiflis gegründet. Nach 1892 wurde die Redaktion aus Rumänien nach Genf verlegt, wo die Zeitschrift bis 1914 erschien. 203 Drošak. 12 (1902), 4, 61–63. 204 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 115. 205 Tełekagir. 1902, 10. 206 Ebd., 11.

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der Anwesenheit von »mehr als 90 Studenten und Vertretern studentischer Organisationen aus den wichtigsten Universitätsstädten Europas« als der bis dahin größte Erfolg des Vereins.207 Vor dem Hintergrund neu ausgebrochener bewaffneter Kämpfe im Osmanischen Reich verlief der Kongress hoch politisiert, wobei die Solidarität des Vereins mit den im Osmanischen Reich kämpfenden Armeniern durch zahlreiche Symbole demonstrativ dargestellt wurde. An einer zentralen Stelle stand die armenische dreifarbige rot-weißgrüne Fahne208 mit zwei schwarzen Trauerschleifen an beiden Seiten und sechs Sternen, welche die sechs armenischen Vilajets in der Türkei symbolisierten. Für die kulturelle Bedeutung des armenischen Volkes standen die auf der einen Seite des Saals aufgestellten Porträts mit kurzen biographischen Abrissen zeitgenössischer armenischer Dichter, Schriftsteller und Publizisten wie Abovian, Patkanian, Arċruni, Raffi und anderen. Auf der anderen Seite standen Bilder der Anführer der armenischen Befreiungsbewegung im Osmanischen Reich. Vertreter der Presse bzw. der Universität Genf und anderer Organisationen durften nur bei der Eröffnung anwesend sein. Am Auftakt nahm auch eine Gruppe makedonischer Studenten teil, deren Anwesenheit Mik’ayel Varandian (Hovhannisian), Nachfolger von K’ristap’or Mik’ayelian209 in der Redaktion von Drošak, besonders hervorhob: […] sie sind gekommen, um ein weiteres Mal die armenisch-makedonische Freundschaft zu betonen, die sich jüngst in den Kämpfen um Edirne und auf Galgen verfestigt hatte. Die Tyrannei ist international, unter den Henkern herrscht Einigkeit, es ist notwendig, dass auch unter den Opfern Einigkeit besteht.210

Anwesend bei der Eröffnung waren auch einige prominente Gäste wie die Schriftstellerin Ilse Frapan211, die sowohl »ihre Begeisterung« über die Versamm­lung 207 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 115. 208 Es handelte sich um die Farben einer historischen armenischen Fahne, die symbolisch verwendet wurden, da aktuell keine offizielle armenische Fahne existierte. Vgl. ebd., 119, Fn. 2. 209 K’ristap’or Mik’ayelian war ein armenischer Politiker und Publizist, Mitbegründer der Partei Dašnakcut’iun. Bereits in den Studienjahren in Tiflis beschäftigte er sich mit den Schriften führender Sozialdemokraten, widmete sich aber schon bald und bis zum Ende seines Lebens dem armenischen Befreiungskampf. Mik’ayelian starb 1905 bei der Erprobung einer selbstgebauten Bombe. Vgl. Frangean, Ervand: K’ristap’or Mik’ayelean. Nra keank’ẹ jev ašxarhhayecołut’iunẹ [K’ristap’or Mik’ayelian. Sein Leben und seine Weltanschauung]. Libanan [1989]. 210 Drošak. 12 (1902), 4, 61–63, 62. 211 Ilse Frapan (1849–1908) war eine deutsche Schriftstellerin, die vor allem durch ihre »Hamburger Novellen« bekannt war. 1898 lernte sie den armenischen Schriftsteller Iwan Akunoff kennen und publizierte seither unter dem Pseudonym Akunian. Durch Akunoff war sie mit den armenischen intellektuellen Kreisen vernetzt und engagierte sich für die Armenier im Osmanischen Reich. Vgl. Kraft-Schwenk, Christa: Ilse Frapan. Eine Schriftstellerin zwischen Anpassung und Emanzipation. Würzburg 1985.

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der armenischen Studenten als auch »ihren Zorn« über die Untätigkeit der preußischen Regierung angesichts der Massaker an den Armeniern und anderen Christen im Osmanischen Reich zum Ausdruck brachte.212 Der Soziologieprofessor der Genfer Universität Louis Varé betonte seine Sympathie für die Armenische Frage und konstatierte gleichzeitig einen »schmerzhaften Widerspruch« zwischen der Dringlichkeit dieser Frage und der »kosmischen Ohnmacht« in Europa.213 Der Redakteur der französischsprachigen Zeitschrift Le Mouvement Macedonien Simeon Radew verwies auf den gemeinsamen Kampf, den die Makedonier und die Armenier führten, vor allem aber auf die fundierten Beziehungen zu der Zeitschrift Drošak und der Partei Dašnakcut’iun.214 Der Eröffnung folgte die Wahl eines Vorstands, danach berichtete Malumian über die Aktivitäten des Vereins im zurückliegenden Jahr, vor allem über jene Maßnahmen, die die europäische Öffentlichkeit für die Armenische Frage sensibilisieren sollten. So wurden unter anderem Vorträge organisiert, bei denen auch der französische Politiker und Journalist Francis de Pressensé, Eduard Bernstein, Ilse Frapan und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zugegen waren. Des Weiteren hätten »solch bekannte Persönlichkeiten« wie der in der Schweiz lebende protestantische Theologe, Schriftsteller und Publizist Ernest Naville und der französische Parlamentarier und Humanist Frédéric Passy ihre Unterstützung für die geplante umfangreiche Publikation »L’Arménie et la Question Arménienne« zugesagt.215 Diese Politik, zugunsten der Armenischen Frage aufzutreten, wollte der Verein sogar intensivieren: Auch im folgenden Jahr sollten Vorträge in größeren Städten Deutschlands, Frankreichs und Italiens organisiert werden. Vor allem in Deutschland sei intensive Propaganda für die Armenische Frage notwendig, nach Möglichkeit sollte sogar eine Zeitschrift in deutscher Sprache heraus­gegeben werden. Die Mitglieder des Vereins wurden aufgefordert, überall durch Vorträge und Pressepublikationen für Armenien und die Armenische Frage zu werben. Da es nicht möglich sei, in der Türkei oder im Kaukasus frei über diese Themen zu sprechen, solle verstärkt publizistische Arbeit in Europa geleistet werden. Für eine Reihe von Veröffentlichungen wurden 25.000 Franken und für größere Versammlungen und Konferenzen 15.000 bis 20.000 Franken zur Verfügung gestellt.216 Die Dringlichkeit der Armenischen Frage ergab sich insbesondere aus der augenblicklichen Lage der Armenier in der Türkei, und sie verlangte, so einer 212 Drošak. 12 (1902), 4, 61–63, 62. 213 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 116 f. 214 Ebd., 117. 215 Ebd. 216 Ebd., 118.

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der Beschlüsse des Kongresses, die ungeteilte Aufmerksamkeit auch der armenischen Intelligenzija im Kaukasus. Durch diesen Beschluss reagierte der Verein ausdrücklich auf den sich im Kaukasus ausbreitenden Marxismus und die dortigen Aktivitäten armenischer Sozialdemokraten. Diese hätten den internationalen Klassenkampf im Rahmen der russischen sozialdemokratischen Bewegung zu ihrem Ziel erklärt und betrachteten die Befreiung Armeniens durch dieses Prisma.217 5.4.4 Die Tätigkeit des Vereins nach 1903

Wie in Genf beschlossen, sollte der sechste Kongress des Vereins im April 1903 in Brüssel tagen. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser offenbar im April 1905 tatsächlich stattfinden konnte; in Drošak findet sich eine kurze Notiz über die Beschlüsse dieser Versammlung. Wie auch in den früheren Jahren druckten die armenischen Studenten während dieser Versammlung ihre Sympathie gegenüber der Makedonischen Bewegung aus und erklärten ihre Solidarität mit den Völkern, die sich gegen die »Tyrannei des Zaren und des Sultans« erhoben hatten. Der Verein nahm zudem Stellung zu den »blutigen armenisch-tatarischen Auseinandersetzungen«, die sich 1905 in Baku ereigneten, und rief beide Völker auf, sich der »Provokation der zarischen Regierung« nicht zu beugen. Letztlich dankte der Verein der Redaktion von Pro Armenia für die große Arbeit, die diese für Armenische Frage geleistet hatte.218 Einen weiteren Hinweis über diesen Kongress liefert ein Brief von Step’an Šahumian, der sich während seines Aufenthalts in Deutschland dafür eingesetzt hatte, den Verein zu einem weiteren Stützpunkt der armenischen sozialdemokratischen Bewegung zu machen. Zwar kritisierte er das vermeintliche Fehlen eines politischen Bewusstseins unter den armenischen Studenten, er unterstellte dem Verein andererseits, unter dem Einfluss von »Nationalisten-​ Drošakisten« zu stehen.219 Am 18. März 1905 schrieb er an das Zentralkomitee der RSDAP, dass für den 1. April der Kongress des Vereins Armenischer Studenten Europas geplant sei. Dieser Verein stand, so Šahumians Bewertung, gänzlich unter dem Einfluss der Nationalisten, denen es gelungen war, beinahe die gesamte armenische Studentenschaft in Europa und deren finanzielle Mittel für ihre politischen Zwecke zu vereinnahmen: Der Verein hat in seiner Kasse gegenwärtig 25.000 bis 30.000, nach anderen Angaben bis zu 50.000 Franken. Dank der Tätigkeit der Sozialdemokraten ist es uns 217 Ebd. 218 Drošak. 15 (1905), 4, 63. 219 Šahumian, Stepan: Erkeri liakatar žołovaċu [Vollständige Sammlung der Werke]. Band 1. Jerewan 1975, 62.

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gelungen, einen bedeutenden Teil der Studentenschaft für uns zu gewinnen. Wir hoffen, auf solchen Kongressen die Mehrheit zu erreichen. Es wird den Interessen der sozial­demokratischen Bewegung dienen, wenn wir beim Kongress die Auflösung des Vereins und die Vereinigung aller sozialdemokratischen Studenten unter dem Dach unserer Partei anstreben. Außerdem werden wir darauf hinwirken, dass das Budget geteilt wird, und hoffen für die Kasse der armenischen sozialdemokratischen Redaktion 10.000 Franken zu bekommen.220

In der Tat löste sich nach dem sechsten Kongress die Gruppe armenischer sozialdemokratischer Studenten endgültig vom Verein, da sie dessen primären Ziele, nämlich die Befreiung Armeniens von der Osmanischen Herrschaft und die Lösung der Armenischen Frage für »eine Gefahr für das sozialistische Bewusstsein der armenischen Arbeiterbewegung«221 hielten. Dies wurde in einem Manifest festgehalten: Sicherlich gibt es in der armenischen Gesellschaft Differenzen hinsichtlich der Interessen verschiedener politischer Gruppen. Damit sind auch unterschiedliche Vorstellungen verbundenen, die unter der armenischen Studentenschaft verbreitet sind. Es ist unserer Ansicht nach nicht möglich und auch unnatürlich, solche heterogenen Elemente, aus denen sich die armenische Studentenschaft in Europa zusammensetzt, unter einer Fahne zu vereinen und für das gleiche Ziel mobilisieren zu wollen. Auch kann so ein Verein, der im öffentlichen Bereich tätig ist, politische Ideologien nicht abwehren, weil damit seine Tätigkeit vollständig gelähmt würde, wie dies am Beispiel des Vereins armenischer Studenten in Europa in den letzten Jahren deutlich wurde. Die armenische sozialdemokratische Studentenschaft in Europa kann wegen ihrer eigenen Weltanschauung, ihren Prinzipien und parteilichen Interessen weder praktisch noch theoretisch mit den armenischen nationalistischen Studenten kooperieren. Daher haben die an diesem Kongress teilnehmenden sozialdemokratischen Studenten mit 17 gegen 34 Stimmen beschlossen, den Verein armenischer Studenten Europas als aufgelöst zu betrachten, und sie entfernten sich am Abend des sechsten Kongresstags aus dem Saal. Ab sofort kann der ›Verein‹ nicht mehr als eine Vereinigung aller armenischen Studenten in Europa gelten, da sich ein bedeutender Teil dieser Studenten vom Verein getrennt hat. Es versteht sich von selbst, dass weder die gegenwärtige noch die zukünftige armenische Studentenschaft, die die Interessen des Klassenkampfes vertritt, einem Verein beitreten bzw. mit jenen Elementen unter den Studenten zusammenarbeiten kann, die mit ihren Ansichten den Weg des Nationalismus einschlagen.222

Dieses Manifest wurde von den am Kongress teilnehmenden sozialdemokratischen Delegierten unterzeichnet und an die Redaktion der Zeitschrift Vperёd (Vorwärts) geschickt. Diese wiederum bezeichnete in einem einleiten220 Ebd. 221 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 265. 222 Šahumian: Erkeri liakatar žołovaċu, Band 1, 64 f.

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den Text die Dašnaken und die Hnčaken als Nationalisten, von denen sich die armenischen Sozialdemokraten distanzierten. Doch zumindest die Hnčaken betrachtete Šahumian zu diesem Zeitpunkt durchaus noch als eine politische Kraft, mit der seiner Meinung nach eine gemeinsame politische Linie gefunden werden könnte. Daher bat er nach der Veröffentlichung des Manifests Lenin persönlich darum, den Text zu korrigieren: Damit sowohl mit den Hnčaken (die haben mir schon geschrieben) als auch mit jenen Kameraden, die während des Kongresses für das Manifest gestimmt haben, keine Missverständnisse entstehen, möchte ich Sie darum bitten, in unserem Organ folgende Zeilen drucken zu lassen: ›Wir wurden gebeten, unsere Leser zu informieren, dass im Manifest, in dem es um die aus dem nationalistischen Verein armenischer Studenten Europas ausgetretenen Studenten ging, die Hnčaken nur durch Missverständnis neben den Dašnaken erwähnt wurden. Von den Hnčaken konnte allein schon deshalb keine Rede sein, weil sie keine Delegierten am Kongress hatten. Soweit wir wissen, gibt es unter den armenischen Studenten in Europa überhaupt keinen einzigen Hnčakisten‹. Ich bitte Sie, Vladimir Il’ič, noch einmal eindringlich, diese Zeilen drucken zu lassen.223

Die Korrektur wurde in der Zeitschrift Proletariat, im Heft vom 17. Juni 1905 veröffentlicht.224 Dieses Manifest ist nicht nur deshalb sehr interessant, weil es Hinweise auf den sechsten Kongress des Vereins im Jahr 1905 überliefert. Auch vermittelt diese Deklaration einen Eindruck von der politischen Stimmung und den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der verschiedenen Gruppen der armenischen Studentenschaft. Der Verein Armenischer Studenten Europas wurde ja auf Initiative des Leipziger akademischen Vereins gegründet und stellte sich ursprünglich Aufgaben, die ausschließlich die studentischen Belange betrafen. Im Laufe der Zeit zählte der Verein jedoch Personen wie Xačatur Malumian zu seinen Mitgliedern, die gleichzeitig in der Partei Dašnakcut’iun aktiv waren. Der Einfluss der Partei auf die armenische Studentenschaft in Europa nahm rapide zu, sodass der Kurswechsel des Vereins von einer rein studentischen Organisation zum aktiven Verfechter der Armenischen Frage kaum verwunderlich war. Die Diskrepanz, die ab diesem Zeitpunkt zwischen den Mitgliedern des Vereins entstanden war, tritt in ­Šahumians Korrespondenz sehr deutlich zutage. Der Verein Armenischer Studenten Europas existierte vermutlich bis ins Jahr 1912 – zumindest wurde in diesem Jahr der letzte Mitgliedsbeitrag an den »Verein Armenischer Dašnakcakan-Studenten« gezahlt.225 Eine weitere Quelle, die Rückschlüsse auf die Tätigkeit des Vereins erlaubt, sind die Bro223 Ebd., 66 f. 224 Ebd., 104. 225 Usanoł. 1912, 7, 286.

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schüren, die dieser bis ins Jahr 1907 herausgegeben hatte. Vor allem beinhalten sie Informationen über die vom Verein angekündigten und durchgeführten Veranstaltungen, etwa die Versammlung in Berlin im Jahr 1903. Anwesend war dort unter anderem Ilse Frapan, die in ihrer Rede eine deutsche Ein­ mischung im Osmanischen Reich zugunsten der Armenier forderte. Die Ausrede, in Deutschland würde man die Armenier nicht einmal kennen, bezeichnete sie als populistisch. Dafür würden, so Frapan, die Armenier Deutschland gut kennen, und die deutsche Regierung habe ihnen nach dem Berliner Kongress schließlich vertraglich Hilfe zugesichert: Bis in die letzte Hütte Armeniens weiß man heute, dass es einen Berliner Vertrag gibt, in welchem die 6 Großmächte Europas es im Namen Gottes des Allmächtigen übernommen haben, das Leben und Eigentum der Armenier zu schützen. Täglich, stündlich, auch in diesem Augenblick, verehrte Anwesende, sind tausende von Augen hierhergerichtet […] Sie blicken besonders nach Deutschland hin, denn aus deutschen Freiheitssängern, die armenische Kinder in der Schule lesen, haben sie die Vorstellung gewonnen, dass Deutschland die Freiheit höher achtet als das Leben, und Mut und Begeisterung haben sie aus Schillers Tell, aus Körners Leyer und Schwert, aus den Griechenliedern Wilhelm Müllers geschöpft! Wollen wir unseren deutschesten Dichter, unseren Schiller leugnen?226

Eine weitere Veranstaltung zugunsten der im Osmanischen Reich unterdrückten Armenier und Makedonier, der »mehr als 4.000 Menschen« beiwohnten, fand am 15. Februar 1903 im Château d’Eau in Paris statt.227 Die Veranstal­tung stand im Zeichen der Solidarität zwischen dem armenischen und dem makedonischen Volk und des gemeinsamen Befreiungskampfs gegen das Osmanische Reich. Von den Rednern wurden die »allgemeine euro­päische Zurückhaltung und stille Zulassung von Gewalttaten sowie der maßlose Machtmissbrauch des Sultans« angeprangert. Diese Redner hätten, so Frapan, ihre »Spaltungen und Reibungen« vergessen und verlangten eine Intervention Frankreichs und Europas, sie erinnerten an die Verpflichtungen, die die europäischen Mächte mit dem Artikel 61 des Berliner Vertrags übernommen hätten.228 Die Versammlung stieß auf große Resonanz sowohl in Frankreich als auch in anderen europäischen Ländern. Im Büro der Organisatoren gingen zahlreiche Erklärungen ein, etwa vom Verein Armenischer Studenten Europas, von der Partei Dašnakcut’iun, vom Makedonischen Komitee in Sofia sowie 226 Frapan, Ilse: Die Armenische Frage und das europäische Gewissen. Öffentlicher Vortrag. Veranstaltet zu Hamburg, den 22. Mai 1903. Hg. von der Union der Armenischen Studenten in Europa. Genf 1903, 25. 227 Für Armenien und Macedonien. Eine Manifestation. Übersetzt und mit einem Vorwort für deutsche Leser versehen von Ilse Frapan. Hg. v. Union des Étudiants Arméniens de l’Europe. Genf 1903, 3. 228 Ebd.

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von mehreren armenischen, bulgarischen, serbischen und griechischen Komi­ tees.229 Außerdem wurden Gruß- und Sympathiebriefe von zahlreichen Abgeordneten, vom Vize-Präsidenten der Liga der Menschenrechte Louis Havet, von Marcellin Berthelot, einem Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften, und von anderen vorgelesen. Am Ende der Veranstaltung wurde einstimmig von den »versammelten französischen Bürgern aller politischer Meinungen […]« eine Resolution angenommen, die das entschlossene Handeln Frankreichs zugunsten des Artikels 61 und von Reformen in den armenischen Vilajets in der Türkei forderte.230 In einem deutlich kleineren Kreis fand am 22. Mai 1903 in Hamburg eine weitere Veranstaltung statt. Der vom Verein eingeladene dänische Schriftsteller Georg Brandes betonte in seiner Rede, es sei ihm durchaus bewusst, dass das Wort eines Schriftstellers nicht überschätzt werden dürfe und die Entscheidungen in Angelegenheiten der großen Politik letztendlich den politischen Machthabern zu überlassen seien. Doch seien diese Machthaber gleichwohl gezwungen, auf die öffentliche Meinung zu hören, deshalb gelte es, die Öffentlichkeit aufzurütteln  – und das insbesondere im Deutschen Reich.231 Um seinem Publikum die Realität im Osmanischen Reich vor Augen zu führen, schilderte Brandes bewusst Einzelheiten der »vielen Gräueltaten« dort, denn »wolle man einen unvergesslichen Eindruck machen, müsse man ins Einzelne gehen«.232 Es ist ihnen grässlich gewesen, dies anzuhören. Vervielfältigen sie dann die Gräuel, die ich erzählt habe, mit einigen hunderttausend, und bedenkt: was die Berliner Damen nicht haben hören können, das haben Armenier hunderttausendfach erduldet!233

Auch während dieser Versammlung hielt Ilse Frapan im Auftrag des Vereins eine emotionale Rede über die Armenische Frage und das »europäische Gewissen«, angefüllt mit Zitaten aus den Gedichten armenischer und europäischer zeitgenössischer Dichter sowie mit anschaulichen Schilderungen der Lage der Armenier, vor allem armenischer Frauen, Mädchen und Kinder im Osmanischen Reich. Wie Brandes beschrieb auch sie Einzelheiten der Massaker und verteidigte die Notwendigkeit einer europäischen Intervention. Am Ende der Versammlung wurde eine symbolische Resolution für »die Rettung Armeniens und Makedoniens auf der Grundlage des Berliner Vertrages« angenommen: 229 Ebd., 71. 230 Ebd., 70–77. 231 Brandes, Georg: Armenien und Europa. Vortrag, gehalten zu Berlin am 2. Februar 1903. Hg. von der Union des Étudiants Arméniens de l’Europe. Genf 1903, 3. 232 Ebd., 6. 233 Ebd., 9 f.

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1. Die Versammlung spricht ihren tiefsten Abscheu gegen die von Abdul-Hamid und seiner Regierung an den Armeniern verübten Schandtaten aus. 2. Die Versammlung wünscht sich dringend, dass diesem Blut- und Folterregiment ein Ende gemacht werde. 3. Die Versammlung sieht die Rettung Armeniens und Makedoniens in der strikten Durchführung des Berliner Vertrages. 4. Die Versammelten werden durch Schrift und Wort Propaganda für die Durchführung des Berliner Vertrages machen, überall in Deutschland und besonders bei den Abgeordneten des deutschen Reichstags, damit es baldigst zu einer Intervention kommt.234

5.5.5 Zwischenfazit

Die Tätigkeit des Vereins Armenischer Studenten Europas war wechselvoll und mit Blick auf die große Arbeit, die er nicht nur für die Mobilisierung der armenischen Studenten in Europa, sondern auch bekannter Europäer für die Armenische Frage leistete, nicht zu unterschätzen. Das Engagement gerade für die Armenische Frage wurde zwar im Laufe der Jahre zum wichtigsten Anliegen des Vereins, doch auch die Vereinigung der armenischen Studenten in Europa und im Russländischen Reich sowie ihre Weiterbildung blieben nach wie vor auf der Agenda. Gerade die zweite dieser beiden Aufgaben galt als eine Chance, sich über Themen auszutauschen, die an den Universitäten nicht behandelt wurden. Die Verantwortlichen wählten die Themen der Vorträge, die auf den Jahreskongressen gehalten wurden, daher mit Umsicht aus, damit die Studenten, die für die Teilnahme weite Entfernungen und hohe Kosten auf sich nehmen mussten, von den Versammlungen profitieren und dort praktische Erfahrungen sammeln konnten. Des Weiteren konnten bekannte Persönlichkeiten für Vorträge gewonnen werden, da sich solche Auftritte auf lokaler Ebene nicht organisieren ließen. Auch das thematische Spektrum der Vorträge wandelte sich im Laufe der Jahre: Behandelten diese zunächst meist allgemeine Themen, standen später vor allem armenische Angelegenheiten im Fokus. Laut Tełekagir befassten sich von den 52 Vorträgen, die auf den beiden ersten Kongressen gehalten wurden, nur 11 mit armenischen Themen. Doch dieses Bild änderte sich bald: Die Forderung, während der Versammlungen des Vereins nur Vorträge über armenische Themen zu halten, kann nur berechtigt sein. […] Die armenischen Studenten diskutieren kontinuierlich über verschiedene Probleme in der armenischen Gesellschaft. Wenn sie bei solchen Diskussionen ihre Meinung darüber äußern können, warum dies also nicht in Form von Vorträgen machen, die zu lebhaften Debatten anregen können?235 234 Frapan: Die Armenische Frage, 32. 235 Melik’-Łaragyosian: Germaniayi hay usanołut’iunẹ, 76 f.

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In der Regel erfüllten diese Vorträge keine streng wissenschaftlichen Kriterien. Vielmehr handelte es sich meist um Berichte über das politische, gesellschaftliche oder kulturelle Leben der Armenier. Der Grund dafür war unter anderem die oft mangelnde wissenschaftliche Qualifikation der Studenten, die zudem weder Zugriff auf relevante Literatur noch auf Quellenmaterial hatten. Dass diesen Vorträgen dennoch große Bedeutung beigemessen wurde, bezeugt die Absicht, sie in einem Sammelband zu veröffentlichen. Überdies wurde die Gründung eines Redaktionskomitees in Erwägung gezogen, das die Referate begutachten und die für eine Publikation geeigneten an einschlägige Zeitungen und Zeitschriften weiterleiten sollte. Beide Projekte kamen aus technischen und finanziellen Gründen nicht zustande. Ein weiteres Projekt des Vereins war der Versuch, eine öffentlich zugäng­ liche Bibliothek mit Werken zeitgenössischer armenischer Schriftsteller zu etablieren. So wurde etwa der Schriftsteller Smbat Šahaziz (1840–1907) in einem Schreiben darum ersucht, den armenischen Studenten in Europa jeweils ein Exemplar seiner Bücher kostenlos zu überlassen: […] die Studentenschaft spielt im gesellschaftlichen Leben der Armenier eine wichtige Rolle. Sie ist aber aus verschiedenen Gründen der Möglichkeit beraubt, Einfluss auf die bedauerlichen gesellschaftlichen Umstände zu nehmen. Die armenischen Mittelschulen, wo die künftigen Studenten ausgebildet werden, sind hinsichtlich der nationalen Erziehung der armenischen Jugend mehr als nutzlos. Sie sind nicht einmal in der Lage, sie die Muttersprache zu lehren. Dieser unnatürliche Zustand zwingt die studentischen Organisationen, selbst tätig zu werden. Eines der wichtigsten Ziele des Vereins armenischer Studenten in Europa ist die Tätigkeit auf der nationalen Ebene. Darauf muss man sich aber bereits in den Studienjahren unter anderem durch das Verfassen von Artikeln vorbereiten. Doch den armenischen Studenten fehlen dafür die Mittel. In den europäischen Städten ist es nicht möglich, armenische Bücher und Periodika zu finden, aus eigenen Mitteln kann der Verein solche Bücher nicht erwerben. Der Kongress der armenischen Studenten bittet Sie daher, uns je ein Exemplar ihrer Veröffentlichungen zu schenken.236

In einem weiteren Brief bat ein Vereinsmitglied namens Nazarian den Schriftsteller Alexander Širvanzade (1858–1935) darum, die Bücher von Šahaziz – »natürlich falls er diese geben wird« – entgegenzunehmen und zusammen mit seinen eigenen Werken an Herrn Top’čian nach Berlin-Charlottenburg zu schicken. Der Verein erklärte sich bereit, die Portokosten sofort zu überweisen.237 Der Verein Armenischer Studenten Europas verstand sich als eine Vereinigung aller armenischen Studenten in diversen europäischen und sogar außereuropäischen Ländern, doch die Arbeit war hauptsächlich in den Händen 236 GARF. Fond 102 (1898), op. 226, d. 3, č. 79, Bl. 1–3. 237 Ebd., Bl. 6.

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einer Gruppe aktiver Mitglieder in Deutschland und der Schweiz konzentriert. Über die Mitwirkung der Studenten aus Frankreich finden sich in Tełekagir nur einzelne Hinweise, über diejenigen in England, an den Universitäten der Habsburger Monarchie sowie in anderen europäischen Ländern fehlen in den Berichten des Vereins jegliche Informationen. Obwohl der Verein ursprünglich gegründet worden war, um einen Beitrag zur »moralischen und geistigen Annäherung« zwischen den armenischen Studenten zu leisten bzw. sie auf ihre künftigen beruflichen und öffentlichen Aufgaben in der Heimat vorzubereiten, wurde die Armenische Frage alsbald zu seinem zentralen Anliegen. Dieses Engagement führte zu der Gründung des Vereins Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas, an den sich der Verein Armenischer Studenten Europas angeschlossen hatte.

5.5 Der Verein Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas Im Jahr 1890 wurde in Tiflis die Partei Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’iun (Armenische Revolutionäre Konföderation, HYD) gegründet, die ebenso wie die anderen Parteien von Beginn an die armenische Studentenschaft in Europa zu organisieren versuchte. K’ristap’or Mik’ayelian, ein Mitbegründer der Partei, ging 1898 nach Genf, um der Armenischen Frage unter den führenden europäischen Politikern und Intellektuellen Gehör zu verschaffen sowie die Studenten zu mobilisieren: […] er beklagte, warum sie bisher nichts in dieser Richtung [Mobilisierung der europäischen Öffentlichkeit zugunsten der Armenischen Frage, d. Vf.] unternommen hätten und verpflichtete sie darauf, die deutsche Presse mit der Armenischen Frage zu konfrontieren, diese Frage auf die Tagesordnung des Reichstags zu bringen, die Aufmerksamkeit bekannter Deutscher zu gewinnen und auf diese Weise zur Bildung einer öffentlichen Meinung beizutragen.238

Mik’ayelian nahm regelmäßig an den studentischen Veranstaltungen teil und arbeitete gezielt mit Personen zusammen, die er für den aktiven Kampf im Kaukasus und in der Türkei für geeignet hielt. Unter seiner Ägide entstand in Genf alsbald ein Kreis aktiver Mitarbeiter der HYD, bestehend vor allem aus Studenten der schweizerischen und deutschen Universitäten. Zu ihnen gehörte etwa der langjährige Mitarbeiter von Mšak und ein Mitglied des Vereins Armenischer Studenten Europas Xačatur Malumian, der im Herbst 1898, nach der Genesung von einer Krankheit, zur Erholung nach Genf gegangen war und sich dort später an der Universität immatrikulierte. Obgleich Malumian zuvor 238 Frangean: K’ristap’or Mik’ayelean, 55.

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weder mit HYD noch mit Drošak in Berührung gekommen war, wurde er nach kürzester Zeit zum aktiven Mitarbeiter der Zeitschrift und publizierte unter dem Decknamen Aknuni. Die rechte Hand von Mik’ayelian wurde aber ein anderer Student aus Genf, Mik’ayel Varandian, der bereits länger für Drošak schrieb, einige Fremdsprachen beherrschte und »als erfahrener und fähiger Mitarbeiter für K’ristap’or eine Entdeckung war«.239 Zwei weitere Studenten, die unmittelbar in den revolutionären Kampf eingebunden wurden, waren Sargis Barsełian und Zak’aria Pztikian. Barsełian verließ nach nur wenigen Semestern die Universität und beteiligte sich an dem von Mik’ayelian organisierten Manöver der Gruppe Pot’orik (Der Sturm) in den Bergen in Šuši.240 Pztikian wurde nach der Beendigung des Studiums nach Adana geschickt, um dort die Geschäfte von HYD zu leiten.241 Zu dieser »Genfer Schule« gehörte auch der oben bereits erwähnte Armenak Hayranian, der dort Medizin studierte und 1908/09 in Berlin eine chirurgische Fachausbildung absolvierte. Während seiner gesamten Studienzeit berichtete er für die Dašnakcakan-Presse und war aktiv in die Parteiarbeit involviert. Mik’ayelian versuchte, diese und andere armenische Studenten auf mehreren Ebenen in den revolutionären Kampf einzubinden, zu dem auch die Propagierung der Armenischen Frage unter anderem durch eine Mitarbeit im Drošak gehörte. Mik’ayelian hatte ein Auftreten, das der armenische Schriftsteller Avetis Aharonian (1866–1948), der an der Universität Lausanne studierte, als zugleich charismatisch und aufdringlich empfand: Als K’ristap’or erfuhr, dass ich zum Studium in die Schweiz gehen wollte, hoffte er, dass ich mich in die Redaktion von Drošak einbringen würde. […] Geh nach Genf, sagte er mir, Genf ist sehr dafür geeignet, um dort zu studieren. Sein Ziel war mir sofort klar: In Genf war die Redaktion von Drošak. In der Schweiz angekommen, wählte ich aber dennoch Lausanne. Ich hatte Angst vor K’ristap’or, was aber unnötig war. 239 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 265. 240 Für die Organisation des armenischen Befreiungskampfes und für die Finanzierung von Pro Armenia waren immer wieder größere finanzielle Mittel notwendig; dieses Geld versuchte K’ristap’or Mik’ayelian zu beschaffen, indem er die wohlhabenden armenischen Kaufleute zur Kooperation aufforderte. Nach zahlreichen misslungenen Versuchen wurde beschlossen, nach dem Vorbild der Inneren Mazedonischen Revolutionären Organisation, die kurz zuvor die US -amerikanische protestantische Missionarin Ellen Stone entführt hatte, vermögende Armenier zu entführen und ein Lösegeld für sie zu verlangen. Gleich der erste Versuch missglückte jedoch, da der entführte Kaufmann Žamharian für seine Freilassung zunächst die Bezahlung einer großen Summe versprach, stattdessen aber die Polizei informierte. Die meisten Organisatoren dieser Aktion wurden verhaftet, Barsełyan konnte durch eine gewaltsame Intervention auf dem Weg ins Gefängnis befreit werden. Vgl. Varandyan, M.: K’ristap’or Mik’ayelian. In: Hayrenik’. 2 (1924), 12, 78–85, 79–82; Zum makedonischen Fall siehe Troebst: Von den Fanarioten zur UÇK , 235–241. 241 Varandyan: K’ristap’or Mik’ayelian, 78.

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Später ging ich freiwillig von Lausanne nach Genf, um K’ristap’or zu sehen und bei ihm zu arbeiten. […] Kaum war ich in Lausanne angekommen, fand mich K’ristap’or. Er sprach lange mit mir, erklärte mir die Leiden unseres Volkes. Er versuchte mich zu überreden, für Drošak zu schreiben. Das erste Thema schlug er sogar selbst vor und ging fort. Er ging, ich blieb in tiefen Zweifeln. Von Drošak und K’ristap’or werde ich nicht mehr loskommen, und was wird aus meinem Studium? Ich dachte lange nach, es gab aber keinen Ausweg. Ich musste sowohl das eine als auch das andere machen. K’ristap’or konnte ich nicht im Stich lassen. […] Noch lange nach seiner Abreise klang seine überzeugende Stimme in meinen Ohren.242

Mik’ayelian traf sich regelmäßig mit führenden europäischen Politikern und war der Ansicht, dass neben diplomatischen Bemühungen auch das positive Bild über die Armenier in der europäischen Öffentlichkeit der Armenischen Frage zugutekommen würde. Gerade in dieser Hinsicht könnten sich die Studenten am besten einbringen. Gefragt und unverzichtbar waren aber auch ihre finanziellen Ressourcen. Während die Verhandlungen mit wohlhabenden Armeniern, von denen sich die revolutionäre Bewegung finanzielle Unterstützung erhoffte, meistens scheiterten, ließen sich die notwendigen Mittel etwa für Pro Armenia vor allem in den armenischen Gemeinden in Europa und unter den Studenten sammeln.243 Die Aktivitäten von Mik’ayelian und von anderen Parteimitgliedern hatten den Boden für die Gründung des »Vereins Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas« bereits vorbereitet. In mehreren europäischen Universitätsstädten gab es bereits Dašnakcakan-Gruppen, nun galt es, eine gemeinsame Organisatoin zu gründen, die diese Gruppen vereinen und den Rahmen der künftigen Tätigkeit festlegen sollte. Die Gruppe »J̌ ank’« (Mühe) aus Genf machte während der Versammlungen des Vereins Armenischer Studenten Europas immer wieder den Vorschlag, ein Treffen zu arrangieren, um sich zunächst einmal kennenzulernen. Die Initiative ergriff letztlich die Dašnakcakan-Gruppe in Berlin, die die konstituierende Sitzung 1908 in Genf anberaumte.244 In Anwesenheit weniger Studenten wurden bei dieser ersten Versammlung die primären Aufgaben des Vereins festgelegt. Die Satzung ist nicht überliefert, deshalb müssen seine Ziele und Aktivitäten anhand der meist sehr ausführlichen Protokolle seiner jährlichen Kongresse rekonstruiert werden. Diese zielten vor allem darauf, alle armenischen DašnakcakanStudenten unter dem Dach einer gemeinsamen Organisation und auf der Grundlage der Ideologie und der Prinzipien der HYD zu vereinen, die armenischen Studenten in Europa mit dem Parteiprogramm bekannt zu machen und sie auf ihre künftige politische Tätigkeit vorzubereiten. 242 Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean, 266 f. 243 Vgl. Varandyan: K’ristap’or Mik’ayelian, 79. 244 Drošak. 18 (1908), 4, 62.

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Während seiner sechsjährigen Existenz organisierte der Verein fünf Versammlungen, an denen sowohl gewählte Delegierte aus örtlichen Dašnakcakan-Gruppen als auch einzelne Mitglieder teilnahmen. Konnten die Delegierten aus diversen – meist aus finanziellen – Gründen nicht zur Mit­ gliederversammlung anreisen, wählte der Vorstand nach dem Kooptationsprinzip andere stimmberechtigte Mitglieder, die dann kurzfristig zum jeweiligen Kongress eingeladen wurden. Die Versammlungen verliefen stets nach dem gleichen Schema: Zunächst wurde ein Vorstand gewählt, der aus drei Vorsitzenden bestand, die sich täglich ablösten, dazu kamen zwei Sekretäre. Wie beim Verein Armenischer Studenten Europas waren die jährlichen Mitgliederversammlungen das wichtigste Gremium des Vereins. Neben wissenschaftlichen Vorträgen standen die Tätigkeitsberichte des Verwaltungskomitees sowie verschiedener lokaler Gruppen auf dem Programm. Einen Rechenschaftsbericht musste ferner die Redaktion der Zeitschrift Usanoł (Der Student) präsentieren, die als offizielles Presseorgan des Vereins fungierte. Das Verwaltungskomitee hatte alle organisatorischen Aufgaben in der Hand, stellte die Tagesordnung zusammen und sorgte dafür, dass alle Mitglieder ordnungsgemäß zur nächsten Hauptversammlung eingeladen wurden. Laut Usanoł gab es nahezu in jeder Universitätsstadt Dašnakcakan-Studenten, die sich aber noch nicht organisiert hatten. Doch bereits nach der ersten Mitgliederversammlung hätten die Aktivitäten einzelner Kommilitonen zur Gründung neuer Dašnakcakan-Gruppen in mehreren europäischen Städten geführt, auch wenn diese Arbeit alles andere als einfach war: […] das ist uns noch nicht ganz gelungen, weil es sehr schwer war, die Adressen unserer Kameraden etwa in Italien, England oder in Holland herauszufinden. Wir wissen nicht einmal, ob wir überhaupt Kommilitonen in diesen Ländern haben.245

Als besonders wichtig erschien es zudem, Beziehungen zu den Dašnakcakan-Studenten in Russland, im Osmanischen Reich, in Persien, aber auch in Amerika aufzubauen und die Gründung weiterer studentischer Vereine in diesen Ländern in die Wege zu leiten: […] wie wir erfahren, haben die Dašnakcakan-Studenten in Russland beschlossen, in naher Zukunft eine Konferenz zu organisieren und einen Verein zu gründen. Wir begrüßen unsere Kommilitonen und senden ihnen die besten Wünsche für den Erfolg dieser Unternehmung. Der Kongress hat keine Zweifel, dass nach der Bildung des Vereins der Dašnakcakan-Studenten in Russland die Beziehungen zwischen den Dašnakcakan-Studenten in Europa und in Russland organischer werden und somit positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Partei Dašnakcut’iun haben werden.246

245 Usanoł. 1909, 1, 45. 246 Ebd., 46.

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Eine weitere Zielgruppe waren die Kommilitonen anderer Nationalität, zu denen ebenfalls enge Beziehungen hergestellt werden sollten. Das erklärte Ziel dabei war der gemeinsame Kampf gegen die »Tyrannei«: Alle Dašnakcakan-Gruppen sollen enge Beziehungen zu den studentischen Vereinigungen anderer Nationalitäten herstellen. Überall, wo es solche Vereine nicht gibt, soll man zu deren Bildung beitragen und sie mit dem Programm und der Tätigkeit von Dašnakcut’iun bekanntmachen. Die Mitgliederversammlung findet, dass sich die Idee einer engen Zusammenarbeit durch solche Verbindungen und Bekanntschaften auch unter den Studenten anderer Nationalität etablieren wird. Dies wird eine wohltuende Auswirkung auf die politische Orientierung dieser Studenten in Zukunft haben und überhaupt ein zusätzlicher Impuls für die Vernichtung des Despotismus durch vereinte Kräfte sein, wofür sich unsere Partei so zielstrebig einsetzt.247

Entsprechend aufmerksam wurden die Zusammenkünfte und Veranstaltungen anderer studentischer Gruppen verfolgt. Als die türkischen Oppositionel­ len in Paris zu einem Kongress zusammentrafen, an dem auch Vertreter der HYD teilnahmen, bekundeten ihnen die Dašnakcakan-Studenten explizit ihre Solidarität. Alle Mitglieder wurden aufgerufen, oppositionelle Parteien im Osmanischen Reich im gemeinsamen Kampf für die Befreiung der unterdrückten Völker zu unterstützen.248 Kontroverser diskutiert wurde auf der ersten Mitgliederversammlung dagegen der sich unter den armenischen Studenten rasch ausbreitende Marxismus. Das aus dieser Entwicklung resultierende Spannungsverhältnis zwischen Dašnaken und Sozialdemokraten stellte nach Einschätzung des Vereins ein Hindernis für den Erfolg der Revolution dar. In der Diskussion ging es primär um jene Kommilitonen, die sich unter dem Einfluss der armenischen Sozialdemokraten von der HYD getrennt und der sozialdemokratischen Bewegung angeschlossen hatten. Eigentlich sahen die Dašnakcakan-Studenten zwischen ihrer eigenen Partei und den Sozialdemokraten keine grundsätzlichen ideologischen Differenzen und verwiesen sogar auf die erfolgreiche Zusammenarbeit beider Gruppen im Kaukasus. Daher empfanden sie die »feindselige« Haltung sozialdemokratischer Studenten gegenüber der HYD als unangemessen: Wir haben uns mit den Motiven der Abspaltung der Sozialdemokraten von Dašna­ kcut’iun beschäftigt und können keinen ernsthaften oder prinzipiellen Grund dafür erkennen. Wir finden, dass ihre Haltung der ungenauen Kenntnis der armenischen Realität bzw. der Politik unserer Partei geschuldet ist und den Interessen der Arbeiterbewegung zuwiderläuft. Der Kongress hofft, dass die bevorstehende Versammlung der Sozialdemokraten alles unternehmen wird, um einen Modus Vivendi zwischen den beiden Parteien herzustellen und jene Kluft zu bekämpfen, welche die Tätigkeit der 247 Ebd., 46 f. 248 Ebd., 47.

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Sozialdemokratischen Partei verursacht hat. Diese Partei hat ja – vom Standpunkt der sozialistischen Revolution aus gesehen – keine prinzipiellen Neuerungen in die armenische Realität eingebracht, sondern eher Chaos im Bewusstsein der Arbeitermassen hervorgerufen und den Prozess ihrer Organisation gestört.249

Letztlich verfolgte der Verein angesichts der konfliktgeladenen Situation mit den armenischen Marxisten und den »abtrünnigen« Dašnaken jene politische Linie, auf die sich HYD während ihres vierten Kongresses 1906 geeinigt hatte. Die Debatte dort, an der sich auch einige Studenten beteiligten, hatte sich um die Frage gedreht, ob Dašnakcut’iun sich als sozialistische Partei im Sinne der zeitgenössischen Interpretation dieses Begriffs definieren oder jene »national-demokratische Selbstverteidigungsarmee« bleiben solle, als welche man sie seit 1903 kannte. Letztlich positionierte sich die Partei zwischen diesen beiden Polen, sodass der Sozialismus als absolutes Leitprinzip festgelegt wurde, ohne allerdings die Lösung der Armenischen Frage aufzugeben. Der Sozialismus sei nicht gegen den nationalen Kampf und die nationale Befreiungsidee gerichtet, so das Resümee des Kongresses. Ganz im Gegenteil, die Befreiungsidee sei ein Teil des sozialistischen Programms. Die Partei erklärte sich nicht nur programmatisch, sondern auch hinsichtlich ihrer Organisation, ihrer politischen Vorgehensweise und ihrer Presse für sozialistisch.250 Angesichts dieser Differenzen wurde im Vorfeld der zweiten Mitgliederversammlung des Vereins der Dašnakcakan-Studenten grundsätzlich diskutiert, ob es nicht sinnvoller wäre, künftig auf diese kostspieligen Veranstaltungen zu verzichten. Stattdessen könnten Vereinsmitglieder in verschiedene europäische Universitätsstädte geschickt werden und für armenische Studenten Vorträge über die Prinzipien der HYD halten. Dieser Vorschlag setzte sich jedoch nicht durch, und am 20. Februar wurden alle Kommilitonen über die bevorstehende Versammlung informiert. Der Kongress fand vom 10. bis zum 15. April 1909 in Leipzig statt, worüber Usanoł in seiner dritten Nummer ausführlich berichtete.251 Insgesamt waren diese Versammlungen organisatorisch aufwendiger als diejenigen des Vereins Armenischer Studenten Europas, was bis zu einem gewissen Grad auf die bereits vorhandenen Erfahrungen mit solchen Veranstaltungen zurückzuführen war. Eröffnet wurde die Versammlung mit der Wahl des Vorsitzenden der vorbereitenden Sitzung, der Festlegung der Tagesordnung, der Prüfung der Mandate und der Wahl des Vorstands. Alle geladenen Delegierten waren, abgesehen von einigen Mitgliedern aus dem sogenannten West-Büro der HYD in Bern und Zürich, vollzählig anwesend. 249 Ebd., 48. 250 Ebd., 5. 251 Ebd. 1909, 3, 199–220.

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Aus Paris und Lausanne war aus Kostengründen jeweils nur ein Teilnehmer angereist, die zweite Stimme dieser Städte wurde an andere Konferenzteilnehmer übertragen. Somit waren zwölf stimmberechtigte Studenten anwesend, weitere wurden nach dem im Statut festgelegten Kooptationsrecht gewählt und nachträglich eingeladen, wobei nur einer von ihnen anreisen konnte.252 Nach den vorbereitenden Sitzungen wurde der Kongress in Anwesenheit von 16 stimmberechtigten Studenten und einigen Gästen offiziell eröffnet. Das Verwaltungskomitee verwies in seinem Bericht sogleich auf seine erfolgreiche einjährige Tätigkeit – und das trotz der Skepsis »der Gegner unseres Vereins«. Diese hätten dessen Gründung als eine temporäre Laune bezeichnet und ihm eine bestenfalls kurze Lebensdauer prophezeit.253 Doch genau das Gegenteil sei eingetreten: Angesichts der niedergeschlagenen russischen Revolution und der »allübergreifenden Reaktion« seien der Verein und HYD die einzigen politischen Kräfte unter den Armeniern in Europa, die auf der politischen Bühne nach wie vor präsent seien. Die übrige armenische Studentenschaft sei entweder damit beschäftigt, sich vor der Reaktion zu verstecken, oder auf der Suche nach neuen Geldgebern für das Studium: Selbst wenn unsere Gegner, unsere Nonplusultra-Sozialisten und -Revolutionäre nicht erkennen können, dass unsere Tätigkeit den Interessen der Revolution entspricht, so können sie in jedem Fall nicht leugnen, dass wir inmitten des allgemeinen politischen Stillstandes unsere Kraft zum Handeln noch nicht verloren haben.254

Die von Vereinsmitgliedern organisierten regelmäßigen Versammlungen, die Veröffentlichungen in der Parteipresse, die zu einer wichtigen Verpflichtung erklärt worden waren, vor allem aber die Publikation der Zeitschrift Usanoł wurden als positive Errungenschaften dargestellt. Diese Aktivitäten sollten in Zukunft noch ausgebaut werden, obgleich sowohl technische als auch finanzielle Probleme vor allem die Publikation von Usanoł erschwerten. Für lange Diskussionen sorgten indessen die Rechenschaftsberichte diverser Ortsgruppen, die angesichts der wachsenden Zahl studierender Armenier in Europa bei der Einwerbung neuer Mitglieder eine als unerträglich empfundene Passivität an den Tag legten. Die Dringlichkeit dieses Anliegens wurde anhand von Zahlen aus Leipzig verdeutlicht: Von den 40 bis 45 Studenten an der dortigen Universität zählten lediglich drei zu den Mitgliedern des Vereins.255 Die Delegierten aus Leipzig erklärten diese Situation damit, dass die meisten dieser Studenten aus wohlhabenden Kreisen stammten bzw. dem armenischen kaufmännischen Milieu angehörten und deshalb kein Interesse 252 253 254 255

Ebd., 200. Ebd., 1909, 2, 65. Ebd., 66. Ebd., 1909, 3, 202.

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an revolutionären, insbesondere an sozialistischen Aktivitäten zeigten.256 Die Delegierten aus Paris und Lausanne dagegen erklärten die »verwunderliche (politische) Unwissenheit und das Desinteresse« der dortigen Studenten mit der Tatsache, dass diese fast ausschließlich aus der Türkei stammten und sich angesichts möglicher Verfolgungen von jeglicher politischen Tätigkeit fernhielten. Ein ähnliches Bild zeichnete sich in Liège ab: Dass das Verwaltungskomitee dort überhaupt armenische Studenten erreichen konnte, war eher dem Zufall zu verdanken. Im Jahr 1909 studierten laut Usanoł 35 bis 40 armenische Studenten an der dortigen Universität, es gebe aber unter ihnen, so in einem Antwortschreiben aus Liège, keine Dašnaken.257 Dies wurde freilich für sehr unwahrscheinlich gehalten. Vielmehr solle man gezielt mit diesen Kommilitonen arbeiten und ihnen die Möglichkeit eines intensiven Austausches mit den Dašnaken geben, was allmählich zur Entstehung des notwendigen politischen Bewusstseins führen werde.258 Trotz dieser Sachlage konstatierte der Vorsitzende des Verwaltungskomitees immerhin einen positiven Einfluss des Vereins auf die armenischen Studenten insgesamt. Dieser äußere sich beispielsweise darin, dass diese Studenten sich enger mit der Partei verbunden fühlten, als dies in den vergangenen Jahren der Fall gewesen sei, und sich mehr für soziale und politische Fragen interessierten: Das Interesse der Studenten gegenüber der Tätigkeit des Vereins zeigt sich sowohl darin, mit welcher Ungeduld die neueste Ausgabe von Usanoł erwartet wird und welchen positiven Empfang sie findet, als auch in einer ganzen Reihe von theoretischen Vorträgen, die von unseren Studenten an verschiedenen Orten organisiert werden. Das soziale und politische Bewusstsein spiegelt sich aber auch in ihren publizierten Artikeln wider.259

Ebenfalls als Erfolg wurde nach nur einem Jahr Vereinstätigkeit die Zahl von etwa 90 Vereinsmitgliedern gewertet – und das angesichts politischer Verfolgungen im Osmanischen wie im Russländischen Reich sowie der generellen Zurückhaltung der Studenten bei politischer Tätigkeit.260 Ein geringfügiger Rückgang im zweiten Jahr des Vereins wurde mit der Beendigung des Studiums und der Rückkehr in die Heimat einiger Mitglieder erklärt, während aus politischer Überzeugung nur ein Mitglied die Reihen des Vereins verlassen habe. Dagegen kamen unter anderem in Paris 5 und in Lausanne sogar 21 neue Mitglieder hinzu.261 Diese Studenten stammten laut Usanoł fast alle aus dem 256 Ebd. 257 Ebd., 205. 258 Ebd., 202. 259 Ebd., 204. 260 Ebd., 206 261 Ebd.

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Osmanischen Reich, während die Zahl der Studenten aus dem Kaukasus einen kontinuierlichen Rückgang erlebte. Diese immatrikulierten sich, so die Einschätzung, häufiger an russländischen Universitäten.262 Weitere Themen auf der Mitgliederversammlung waren die Finanzen des Vereins und allgemeine Fragen. Zu den letzteren gehörten unter anderem die Vorträge, die von den Mitgliedern des Vereins an verschiedenen Orten gehalten wurden. Diese waren insofern von besonderer Relevanz, als solchen persönlichen Auftritten eine mobilisierende Wirkung zugeschrieben wurde, zudem galten sie als ein geeigneter Weg, um die Ideologie der HYD unter den armenischen Studenten zu verbreiten. Daher wurden die zurückliegenden Veranstaltungen ausführlich analysiert und die künftigen genau geplant. Von besonderer Signifikanz waren Vorträge, die Vereinsmitglieder auf Veranstaltungen anderer Organisationen hielten. Zwei solche Referate über theoretische und praktische Fragen des Separatismus wurden beispielsweise im Oktober 1908 im »Club liberal Ottoman« in Lausanne gehalten. Diese Organisation wurde laut Usanoł unter aktiver Mitarbeit von Dašnakcakan-Studenten gegründet und zielte darauf ab, Kontakte zu Studenten anderer Nationalität, vor allem aber zu solchen herzustellen, deren »Schicksale historisch miteinander verbunden sind«.263 Zwar gebe es unter den 30 Mitgliedern des Clubs nur fünf Dašnaken, doch hätten sie sich »in kürzester Zeit eine bemerkenswerte Stellung gesichert, sodass der Club ohne sie zerfallen würde«.264 Weniger erfreulich stand es dagegen um das Budget, das sich aus Mitgliedsbeiträgen und »sonstigen Quellen« wie etwa Einnahmen aus Abendveranstaltungen und Vorträgen speiste. Doch weder wurden die Mitgliedsbeiträge regelmäßig gezahlt noch konnten in allen Städten, wo es Dašnakcakan-Gruppen gab, Abendveranstaltungen organisiert werden.265 Dass die Mitglieder des Vereins mit der Zeit immer mehr Geld auch für HYD spendeten, zeugte, so Usanoł, von dem positiven Einfluss des Vereins auf das politische Bewusstsein der Studenten, keinesfalls aber von einer Verbesserung ihrer finanziellen Lage.266 Die Dynamik der studentischen Aktivitäten war durch die Finanzen jedenfalls genauso beeinflusst, wie durch das Wirken Einzelner oder die Größe der Ortsgruppen. Als Beispiel seien die Tätigkeit von K’ristap’or Mik’ayelian in Berlin oder aber die Existenz größerer Dašnakcakan-Gruppen in Genf und Lausanne genannt. Die weitere Tätigkeit des Vereins sollte, so die entsprechenden Beschlüsse der zweiten Mitgliederversammlung, weiterhin darauf ausgerichtet sein, durch Vorträge das politische Bewusstsein der parteilosen Kommilitonen zu 262 Ebd. 263 Ebd., 207. 264 Ebd., 208. 265 Ebd. 266 Ebd.

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wecken. Diejenigen Mitglieder, die für diese Vorträge nicht kompetent genug waren, sollten Diskussionsabende veranstalten und dort über politische Texte bedeutender Autoren referieren. Dabei hatten die Studenten relativ freie Hand, solche Veranstaltungen nach eigenem Ermessen zu organisieren. Nur wenn die Aktivitäten einer Gruppe über die lokalen Rahmen hinausgingen, war dies vorher mit dem Verwaltungskomitee abzustimmen. Als dringend notwendig wurde weiterhin der intensive Austausch mit den armenischen Studenten aus dem Osmanischen Reich erachtet, die immer noch eine spürbare Distanz zu den Aktivitäten des Vereins wahrten. Das Verwaltungskomitee übernahm die Aufgabe, eine Statistik über die Dašnakcakan-Studenten in Europa zu erstellen und die Mitglieder des Vereins laufend über die Tätigkeit der HYD zu informieren.267 Für kontroverse Diskussionen sorgten die Vorschläge der Gruppe »J̌ ank’« aus Genf, die zum Auftakt der zweiten Versammlung zu der im Vorfeld festgelegten Tagesordnung hinzugefügt wurden. Diese waren im Wesentlichen darauf gerichtet, die Arbeit des Vereins zielgerichteter zu gestalten. So wurde beispielsweise empfohlen, einige Kommilitonen in den Kaukasus zu schicken, wo sie den Platz verhafteter Kameraden einnehmen bzw. in der Türkei die politische Lage beobachten sollten. Mehr noch, angesichts der sich zuspitzenden Lage in diesen Ländern und der häufig wiederholten Bitte um die Entsendung »fähiger Revolutionäre« sollte der Verein sogar konkrete Studenten auswählen und sie zur Übernahme dieser Aufgaben verpflichten. Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt, da der Verein sich nicht das moralische Recht anmaßen wollte, eine derartige Vorgehensweise, die eine psychologische und körperliche Vorbereitung voraussetzte, zu übernehmen und seine Mitglieder unter so einen enormen Druck zu setzen. Vielmehr solle die Bedeutung dieser Angelegenheit immer wieder betont werden, sodass die Studenten sich frei­ willig dazu bereit erklären könnten, die Aufgabe zu übernehmen.268 Demselben Zweck, nämlich der Mobilisierung der Studenten, sollten auch sorgfältig geplante Veröffentlichungen dienen, etwa die Publikation spezieller Broschüren, die möglicherweise sogar Usanoł ersetzen könnten. Ein Heft mit näheren Auskünften über das Leben der armenischen Studenten in Europa samt statistischen Angaben bzw. Informationen über das europäische Großstadtleben könnte, so der Vorschlag aus Genf, für zukünftige Studenten durchaus hilfreich sein.269 Auch wenn sich in diesen Vorschlägen nur die Stimmung eines Teils der Vereinsmitglieder reflektierte, zeigt gerade diese Episode explizit, dass die Dašnakcakan-Studenten durchaus bereit waren, sich am aktiven revolutionä267 Ebd., 216 f. 268 Ebd., 218. 269 Ebd.

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ren Kampf zu beteiligen. Von ihrem Engagement auf diesem Feld zeugte auch der Beschluss der zweiten Versammlung in der sogenannten Angelegenheit Asev 270. Im Namen des Vereins wurde ein Telegramm an die russische sozialrevolutionäre Partei in Paris geschickt, in dem die Dašnakcakan-Studenten ihre Solidarität zum Ausdruck brachten: Liebe Kommilitonen! Der Verein armenischer Dašnakcakan-Studenten in Europa hat während seines zweiten Kongresses einstimmig beschlossen, Euch sein herzliches Beileid wegen des Unglücks, das Euch der niederträchtige Verrat von Asev bereitet hat, zu bekunden. Vor dem Hintergrund der großartigen Vergangenheit, die Eure Partei auszeichnet, sind wir davon überzeugt, dass wir Euch bald wieder im Kampf für gemeinsame Ideale sehen werden. Liebe Kommilitonen, wir schicken Euch unsere besten Wünsche für eine baldige Erholung Eurer Partei von diesen schmerz­lichen Herausforderungen, was alle aufrichtigen Revolutionäre, darunter auch uns – Eure Freunde – unendlich freuen wird. Mit brüderlichen Grüßen, das Verwaltungskomitee.271

Die zweite Mitgliederversammlung des Vereins war nicht zuletzt auch wegen des bevorstehenden fünften Kongresses der HYD von besonderer Bedeutung. Im Mittelpunkt stehen sollte dort die politische Situation der Armenier in der Türkei nach der jungtürkischen Revolution von 1908 sowie ihre Lage im Russländischen Reich und in Persien. Der studentische Verein hatte erstmals Gelegenheit, sich als eigenständige Organisation zu diesen Fragen zu positionieren. Doch eine ausführliche Vorbereitung auf die Veranstaltung verhinderten sowohl die Erschöpfung der Beteiligten nach den 8-stündigen Sitzungen als auch die polizeiliche Beobachtung, die eine vorzeitige Auflösung der Versammlung notwendig machte. Lediglich einige wichtige Punkte wurden von jeweils einem Studenten vorgetragen und anschließend diskutiert, auf eventuell noch 270 Evno Asef oder Asev (1869–1918) gehörte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu den führenden Akteuren der russischen sozialrevolutionären Bewegung. 1892 ging er nach Deutschland, wo er am Polytechnischen Institut in Darmstadt studierte. 1893 bot er dem russischen Polizeidepartment an, im Ausland lebende russische revolutionäre Studenten und studentische Organisationen auszuspionieren. 1899 trat er nach der Rückkehr nach Russland in die Sozialrevolutionäre Partei ein und beteiligte sich als deren führendes Mitglied an der Lieferung verbotener Literatur nach Russland, des Weiteren am Bau von Bomben und der Vorbereitung von Terrorakten. Die wohl bekannteste Terroraktion war der Mord an Innenminister Vjačeslav Konstantinovič fon Pleve. Im Februar 1909 – Asev war inzwischen wieder im Ausland – klärte der russische Publizist und Revolutionär V. L. Burcev die Sozialrevolutionäre Partei über seinen Verrat auf. Asev selbst bestritt seine Kooperation mit der Polizei vehement, flüchtete jedoch von Paris nach Deutschland, um nicht vor dem Parteigericht erscheinen zu müssen. Ab 1909 an lebte er unter dem Namen Neumayr in Berlin, wurde jedoch im Juni 1915 verhaftet und war bis Dezember 1917 im Moabiter Gefängnis inhaftiert. Dort erkrankte er schwer und verstarb schließlich im April 1918. Vgl. RBS . Band 1, 53 f. 271 Usanoł. 1909, 3, 217.

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verbleibende Fragen sollte bei Bedarf Usanoł eingehen. Im Anschluss wurden die Delegierten für den fünften Kongress der HYD gewählt.272 Mit einem Vortrag über die Befreiungsbewegung in Persien und die Rolle der HYD in diesem Geschehen, abschließend mit einer vergleichenden Bilanz der ersten und zweiten Jahrestagung wurde die Versammlung beendet. Festgehalten wurde, dass die erste Mitgliederversammlung zwar äußerlich glanzvoll ins Werk gesetzt und von viel Euphorie begleitet war, die zweite dafür gehaltvoller gewesen sei und sich vor allem der Sacharbeit verschrieben habe.273 Die dritte Mitgliederversammlung konnte aus finanziellen Gründen im Jahr 1910 nicht stattfinden und tagte vom 5. bis 12. April 1911 in Genf. Ein ausführliches Protokoll der Versammlung sowie der Rechenschaftsbericht des Vereins für die Zeit von April 1909 bis April 1911 wurden diesmal unmittelbar nach Abschluss des Kongresses in einem von Usanoł separat gedruckten Tełekagir Evropayi hay dašnakcakan usanołakan miutean (Mitteilungsblatt des Vereins Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas) in Genf veröffentlicht.274 Die vorbereitende Sitzung samt Prüfung der Mandate und Wahl des Vorstands fand am 5. April im Saal der Brasserie Plainpalais in Anwesenheit von 12 Delegierten und 14 Gästen statt. Die offizielle Eröffnung erfolgte am 6. April in Anwesenheit von Delegierten aus Paris (2), Liège (1), Genf (4), Lausanne (2), Berlin (1), Bern (1) und Nancy (1). 16 weitere Mitglieder gehörten der Gruppe J̌ ank’ in Genf an und waren ohne Stimmrecht anwesend.275 Vor dem Hintergrund der Konflikte mit den Sozialdemokraten betonte der Vorsitzende des Verwaltungskomitees in seinem Bericht explizit, dass sowohl HYD als auch der studentische Verein die einzigen Trägerinnen jenes sozialdemokratischen Gedankenguts seien, das zugleich im Einklang mit der armenischen Realität stehe.276 Die Rolle und Bedeutung der Dašnakcakan-Studenten betonte auch ein anwesender Gast von der HYD: Die Versammlungen der armenischen Dašnakcakan-Studenten in der heutigen intoleranten politischen Atmosphäre Europas sind äußerst tröstlich. Diese Studenten sind der Kern unserer Gesellschaft und die große Hoffnung der Partei Dašnakcut’iun wie des ganzen armenischen Volkes für unsere Zukunft. […] Unsere älteren Partei­ genossen leben mit dem glücklichen Gefühl, sich dem Dienst ihres Volkes gewidmet zu haben. Nun können sie diese Aufgabe den neuen Kameraden überlassen, die die Fahne der Partei weiterhin mit Würde tragen werden.277 272 Ebd., 219. 273 Ebd., 219 f. 274 Tełekagir Evropayi hay dašnakcakan usanołakan miutean [Mitteilungsblatt des Vereins Armenischer Dašnakcakan-Studenten in Europa]. Vom 1. April 1909 bis zum 1. April 1911. Genf 1911. 275 Ebd., 5 f. 276 Ebd., 7. 277 Ebd.

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Vor Beginn der regulären Arbeit wurden Grußworte etwa der Redaktion der Zeitschrift Drošak, des »Vereins Russischer Sozialdemokratischer Studenten« in Paris, der Dašnakcakan-Studenten aus Konstantinopel und aus Russland sowie der armenischen Studenten aus Amerika verlesen.278 Schließlich ehrte die Versammlung mit einer Schweigeminute alle im Russländischen und im Osmanischen Reich sowie in Persien umgekommenen Dašnakcakan-Kameraden. Die Versammlung verurteilte die im Russländischen Reich weiterhin fortschreitende Reaktion, die bereits viele Parteifreunde ins Gefängnis gebracht habe. Ihrem Protest gegen diese Politik verliehen die Dašnakcakan-Studen­ ten  – zum Teil im Schulterschluss mit anderen russländischen Vereinen  – durch diverse Aktionen Ausdruck. So sammelten sie beispielsweise zugunsten der im Kaukasus verhafteten Dašnaken Geld oder protestierten gemeinsam mit den russischen sozialdemokratischen Studenten gegen die Verhältnisse, die Egor Sazonov 279 in den Tod getrieben hatten. Die Situation im Osmanischen Reich nach der jungtürkischen Revolution und der Wiedereinführung der Verfassung wurde wiederum als sehr positiv bewertet. Mehr noch, während die Zahl armenischer Studenten aus dem Kaukasus mittlerweile deutlich zurückgegangen sei, immatrikulierten sich immer mehr Studenten aus der »freien Türkei« an europäischen Universitäten.280 Die tatsächlich rückläufige Zahl armenischer Studenten im Ausland ab den 1910er Jahren spiegelte sich auch in der Statistik des Vereins. Den Berichten örtlicher Gruppen zufolge zählte der Verein in den Jahren 1909/10 insgesamt 110 Mitglieder, bis 1912 ging ihre Zahl in verschiedenen Städten jedoch kontinuierlich zurück. Auch dies wurde nicht nur mit den politischen Repressionen in Russland, sondern auch mit den zunehmenden Restriktionen in Europa erklärt. Außer in Frankreich, Deutschland und der Schweiz wurden weitere Dašnakcakan-Studenten in England und Italien vermutet, doch nähere Informationen konnten wegen Kommunikationsschwierigkeiten nicht gesammelt werden.281 Mit Blick auf die Finanzen wurde im Bericht des Verwaltungskomitees betont, dass nach der Versammlung in Leipzig die alten Schulden beglichen werden konnten, was vor allem mit der Publikation der Zeitschrift Usanoł zusammenhing. So ließ sich die finanzielle Lage konsolidieren, zumal dem Ver278 Ebd., 8. 279 Sazonov, Egor (1879–1910) war ein russischer Revolutionär und einer der Männer, die den Anschlag auf den Innenminister V. K. fon Pleve verübten. Nach dem erfolgreichen Attentat wurde der verwundete Sazonov verhaftet und verbrachte die folgenden Jahre in verschiedenen Gefängnissen. Aus Protest gegen die Gewalt, der sich politische Gefangene ausgesetzt sahen, nahm Sazonov am 27. November 1910 im Gefängnis Gift. Vgl. Serge, Victor: Memoirs of a Revolutionary. Iowa 2002, 25. 280 Tełekagir Evropayi hay dašnakcakan usanołakan miutean, 10. 281 Ebd., 9 f.

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ein in diversen Universitätsstädten insgesamt 972,20 Franken zuflossen. Der Verkauf von Usanoł brachte weitere 369,95 Franken ein, zudem zahlte der Verein Armenischer Studenten Europas 1.166 Franken in die Vereinskasse ein.282 Positiv gestalteten sich auch die Beziehungen zu anderen studentischen Organisationen, wobei der Verein seinen Einfluss – allerdings weiterhin nicht in dem erhofften Umfang – durch diverse Versammlungen und Vorträge ausbauen konnte. Die meisten Schwierigkeiten resultierten dabei daraus, dass die Studenten durch große geografische Entfernungen voneinander getrennt waren, sodass die Kommunikation nur sehr mühsam funktionierte. Außerdem konnten sich die Mitglieder wegen des Studiums nicht in dem gewünschten Maße für Vereinsangelegenheiten engagieren. Zwar hatten sich viele bereiterklärt, Aufgaben in der Redaktion von Usanoł bzw. im Vorstand zu übernehmen, erwiesen sich oft jedoch als überfordert und mussten deshalb schon bald wieder von ihrer Position zurücktreten. So lastete die redaktionelle Arbeit bei Usanoł wegen akuten Personalmangels auf den Schultern eines einzigen Mitarbeiters, der diese Tätigkeit zudem ein Jahr länger ausüben musste, als er sich eigentlich verpflichtet hatte. Aus diesem Grund war die Redaktion von Usanoł, die ja zu den wichtigsten Gremien des Vereins gehörte, zur großen Verwunderung der Teilnehmenden auf der Konferenz in Genf nicht vertreten: Mit Blick darauf, dass die Redaktion weder einen Vertreter noch einen Bericht geschickt hat, um über die wohl wichtigste Aufgabe des Vereins zu berichten, verurteilt die Konferenz eine solche Vernachlässigung und hält dies dem Verein und den übernommenen Aufgaben gegenüber für unverantwortlich.283

Nicht anwesend war des Weiteren die Gruppe aus Leipzig, was ebenfalls wenig Verständnis fand. Zwar hatten die dortigen Studenten einen Brief geschickt und darin ihr Fernbleiben gerechtfertigt. Die dort angeführten Gründe wurden jedoch für nicht stichhaltig befunden.284 Weitere Fragen, mit denen sich die Versammlung befasste, waren die Missachtung der Parteirichtlinien bei der Aufnahme neuer Kommilitonen, ferner die innerhalb vieler Gruppen schwelenden Meinungsverschiedenheiten und schließlich das auffällige Desinteresse vieler Vereinsmitglieder am politischen Zeitgeschehen.285 Die Beitragszahlungen hingegen wurden regelmäßiger geleistet als in den Jahren zuvor, allerdings reichte das Geld für die Umsetzung sämtlicher Beschlüsse trotzdem nicht aus. So gelang es etwa nicht, einen stabilen Kontakt zur armenischen und europäischen Presse aufzubauen. Die Ortsgruppen, aber auch die einzelnen Studenten wurden wiederholt angehalten, die Partei282 Ebd., 16. 283 Ebd., 19. 284 Ebd., 22. 285 Ebd., 20 f.

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propaganda nicht nur durch aktive Kontakte zu anderen Studenten und zu politischen Parteien voranzutreiben, sondern auch Artikel in der europäischen Presse zu veröffentlichen. Das Verwaltungskomitee wiederum sollte durch Rundschreiben den Austausch zwischen den Gruppen und einzelnen Studenten wachhalten und zur Intensivierung des politischen Lebens unter den Studenten insgesamt beitragen.286 Von essenzieller Bedeutung war es ferner, neue armenische Studenten als Mitglieder zu gewinnen. In jenen Universitätsstädten, in denen es ausreichend Armenier gab, sollte es mindestens je eine Dašnakcakan-Gruppe geben, um deren Gründung sich nicht nur das Verwaltungskomitee, sondern auch die studentischen Gruppen und die einzelnen Mitglieder kümmern sollten. Als negatives Beispiel diente in diesem Zusammenhang Liège, wo trotz einer großen Zahl armenischer Studenten immer noch keine Dašnakcakan-Gruppe existierte. Angesichts des großen Potenzials in dieser Stadt wurden die Verhältnisse dort als eine »unnatürliche Situation« bezeichnet: Es gibt in Liége eine beachtliche Zahl armenischer Studenten, die für unsere Zwecke bis heute zwar unerreichbar waren, trotzdem für uns unverzichtbar sind. Daher muss das Verwaltungskomitee auf Liège und ähnliche Orte besondere Aufmerksamkeit richten. Auch die Studenten müssen ihre Bemühungen verdoppeln, um durch eine breite Propaganda unsere Reihen zu ergänzen.287

Um dieses Ziel zu erreichen, wurden zielgerichtete Vorträge als hilfreich bezeichnet. Doch weil es weder die erforderlichen finanziellen Mittel noch ausreichend Referenten gab, konnten diese nicht in gewünschtem Umfang stattfinden. Immerhin wurde versucht, die Stellung der Partei in jenen Städten zu verbessern, in denen sie zwar schwach erschien, wo man aber ein gewisses Potenzial vermutete. Für die Reisekosten sollte nach Möglichkeit die Vereinskasse aufkommen. Damit sich diese Ausgaben aber bezahlt machten, sollten an jedem Ort mindestens zwei unterschiedliche Vorträge gehalten werden. Für die Auswahl der Studenten, die für diese Aufgabe in Frage kamen, war das Verwaltungskomitee zuständig, das auch die Themen der Vorträge vorgab. Diese sollten eine solide wissenschaftliche Grundlage haben und inhaltlich nicht mit den Prinzipien der Partei kollidieren. Weitere Vorträge sollten nach Möglichkeit die gesamte armenische Studentenschaft in Europa über die Tätigkeit der HYD aufklären.288 Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand weiterhin der Kontakt zu den armenischen Studenten in anderen Ländern. Die Nachricht, die Studenten in Russland würden sich endlich organisieren und einen Verein gründen, sorgte 286 Ebd., 21. 287 Ebd. 288 Ebd., 24.

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auf dem dritten Jahrestreffen für große Euphorie. Usanoł kündigte im Vorfeld an, dass sich die Studenten in »West und Ost« bald zusammenschließen und einen großen gemeinsamen Verein gründen würden.289 Insbesondere mit den armenischen Schülern und Studenten im Osmanischen Reich, etwa in Beirut, Damaskus, Konstantinopel, Smyrna, Erzurum usw., stand der Verein in lebhaftem Austausch. Von diesen Studenten erreichten das Verwaltungskomitee zahlreiche Briefe mit der Ankündigung, in diversen Städten ähnliche Vereine gründen zu wollen.290 Die schwerfällige Kommunikation im Osmanischen Reich verhinderte allerdings einen regelmäßigen Austausch und vereitelte auch die Verwirklichung des Plans, einen gemeinsamen Kongress für Schüler und Studenten in der Türkei zu organisieren. Auf der Versammlung in Genf wurde dennoch beschlossen, dass Vereinsmitglieder, die nach dem Studium in die Türkei zurückkehrten, an ihrem dortigen Wohnort Gruppen und Vereine gründen sollten.291 Mit Blick auf die weitere Mobilisierung der Studenten wurde beschlossen: […] intensive Beziehungen zu den armenischen Studenten in der Türkei zu pflegen, sie auf föderativer Basis zu vereinen und sowohl durch Briefe als auch durch unmittelbare Hilfe unserer Mitglieder zu ermutigen. Das Verwaltungskomitee soll sich aber auch bemühen, enge Beziehungen zu den Dašnakcakan-Studenten in Russland und in Amerika herzustellen. Kommilitonen, die dorthin reisen, sollen verpflichtet werden, über die dortigen Studenten Informationen zu sammeln und diese an das Verwaltungskomitee weiterzugeben.292

Auch der Kontakt zu den Studenten anderer Nationalität, die »der armenischen Realität besonders nahestehen«, blieb wichtiger Bestandteil der Vereinspolitik. Dabei ging es vor allem um türkische und persische Studenten, die man für den gemeinsamen Kampf gegen die politische Ordnung in diesen Ländern zu gewinnen trachtete. Die Arbeit in dieser Richtung beurteilte die Versammlung in Genf insgesamt als unzureichend: Mehr oder weniger stabile Beziehungen konnten etwa zu den russischen Studenten in Berlin, München und Bern hergestellt werden. So wurden an verschiedenen Orten Proteste gegen die »repressive Politik« des Russländischen Reichs bzw. zugunsten der politischen Gefangenen im Kaukasus organisiert. Diesen Kampf wollte man außerdem auf weitere russländische Organisationen ausdehnen und sie zu einer Kooperation animieren: Da von den Kommilitonen deutlich der Wunsch geäußert wurde, gegen das gewaltsame russische Regime zu protestieren, beschließt die Versammlung, dass einzelne 289 Ebd., 25. 290 Ebd. 291 Ebd. 292 Ebd., 26.

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Gruppen sich anderen studentischen Organisationen und politischen Parteien anschließen sollten, um durch die Organisation von Protesten die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit auf die zarischen Repressionen zu lenken, sie vor allem mit der Situation im Kaukasus und mit dem Problem der politischen Gefangenen bekanntzumachen.293

Laut Tełekagir gab es einige Versuche, unter den zahlreichen persischen Studenten in Genf und Lausanne politisch orientierte Gruppen zu gründen, die jedoch ohne Erfolg blieben.294 Etwas stabiler sei die Zusammenarbeit mit den türkischen Studenten, die die politische Situation in ihrem Land nicht gleichgültig lassen könne. Die Versammlung erklärte, dass sich in Paris, Lausanne und Genf Organisationen türkischer Studenten gebildet hätten, zu denen die Dašnakcakan-Studenten anfangs gute Beziehungen gepflegt und bei deren Aktivitäten sie sogar eine gewisse Rolle gespielt hätten. Allerdings hätten sich diese Beziehungen mit der Zeit immer komplizierter gestaltet: »[…] in Paris sind sie ganz schlecht und in Genf vernachlässigt, nur in Lausanne werden sie mit wenig Veränderung weitergeführt«.295 Nach langen Diskussionen kam die Versammlung zu dem Beschluss, dass: […] in Anbetracht der gegenwärtigen politischen Lage in der Türkei die ganze Aufmerksamkeit armenischer Dašnakcakan-Studenten in verschiedenen Städten auf die Notwendigkeit gelenkt werden muss, zu den türkischen und persischen Studenten gute Beziehungen herzustellen. Da diese Studenten Bedenken haben dürften, sich mit uns unter dem Dach einer gemeinsamen Organisation zu vereinen, empfiehlt es sich, mit Umsicht vorzugehen und sie allmählich für eine Kooperation zu gewinnen. Mit den russischen Studenten sollten wir uns auf sozialistischer Grundlage einigen.296

Die regelmäßige Anwesenheit bei den Versammlungen türkischer und persischer studentischer Vereine und die Unterstützung ihrer Arbeit waren hierfür Voraussetzung, daher forderte der Verein diese Studenten in einem Aufruf in französischer und in türkischer Sprache zur Kooperation auf.297 Vor Abschluss der Versammlung wurde in einer separaten Sitzung über die Zuschriften und Vorschläge einzelner Gruppen und Studenten beraten. Im Einzelnen ging es etwa darum, die überarbeitete Satzung,298 die separat 293 Ebd., 35 f. 294 Ebd., 27. 295 Ebd., 27 f. 296 Ebd., 28. 297 Ebd., 29. 298 Die Satzung des Vereins wurde separat gedruckt und ist daher weder im Usanoł noch im Tełekagir Evropayi hay dašnakcakan usanołakan miutean überliefert. Der Tełekagir berichtete allerdings über einige Korrekturen, die die dritte Mitgliederversammlung vorgenommen hatte. Da diese Korrekturen aber nicht die Ziele des Vereins berührten, wurden sie auch nicht weiter dargelegt.

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gedruckt wurde, an alle Mitglieder des Vereins zu schicken. Auch die Berichte des Verwaltungskomitees und einzelner Ortsgruppen, aber auch die Aufzeichnungen über die Arbeit des 5. Kongresses der HYD sollten zusammengefasst und als Broschüre herausgegeben werden. Für die Teilnahme an diesem Kongress sollte ein Vertreter des Vereins in Urwahl bestimmt werden. Listen mit möglichen Kandidaten wurden vom Komitee an alle Mitglieder geschickt, die diese Kandidaten entweder wählen oder eigene Kandidaten hinzufügen konnten. Große Bedeutung wurde den Regionalversammlungen insbesondere dann beigemessen, wenn keine Hauptversammlung des Vereins stattfinden konnte. Da es in der Vergangenheit bereits mehrmals Konflikte gegeben hatte, wurde außerdem ein Vermittlungsgericht eingerichtet, das Streitigkeiten zwischen einzelnen Mitgliedern lösen sollte. Mit Blick auf die Finanzen wurde beschlossen, eine dauerhafte Rücklage zu bilden. Um die Arbeit des Verwaltungs- und des Redaktionskomitees zu optimieren, wurde in geheimer Wahl ein aus drei Mitgliedern und zwei Stellvertretern bestehendes Komitee bestimmt, welches die Aufgaben beider Gremien fortan übernehmen sollte. Im Namen des Vereins wurde schließlich der Redaktion von Drošak gedankt, in deren Druckerei die dritte und vierte Nummer von Usanoł gedruckt werden konnte.299 Damit ging die Arbeit der dritten Versammlung am Abend des 12. April in einer Stimmung »allgemeiner Euphorie« zu Ende:300 Von den Rednern wurde die Tatsache hervorgehoben, dass die Arbeit der Versammlung bei allen Kommilitonen einen positiven Eindruck hinterlassen hat. […] Die älteren Mitglieder, die schon an der Gründungsversammlung teilgenommen hatten, waren beim Abschied besonders emotional. Sie haben über Jahre hinweg versucht, mit ihren eigenen Kräften den Verein am Leben zu halten, und haben dadurch selbst viel gewonnen. Sie konnten neue Bekanntschaften knüpfen, sich für die Partei Dašnakcut’iun einsetzen, haben ihre Weltsicht erweitert und konnten die aus der Heimat mitgebrachten Grundsätze untermauern. Deswegen wird ihnen nach der Rückreise in die Heimat die Verbindung zur Partei Dašnakcut’iun nicht fehlen, denn es fehlte ihnen nie an Begeisterung für die Angelegenheiten der Partei und für ihre Ziele. […] Unser Verein ist jene Umgebung, in der sich der armenische DašnakcakanStudent selbst erfindet. Durch kleine Opfer lernt er später größere Opfer zu bringen, anstatt sich allein in seine studentischen Angelegenheiten zu vertiefen. Opferbereitschaft und Initiative, das sind die Ziele, die der Verein der armenischen DašnakcakanStudenten für seine Mitglieder neben dem eigentlichen Studium anstrebt. Alle unsere Beschlüsse, Programme und Ziele resultieren aus diesen zwei Prinzipien. […] Die meisten Dašnakcakan-Studenten haben keine nennenswerten finanziellen Mittel, die Studienzeit ist sehr begrenzt, aber diese Studenten haben bereits gelernt, das Studium 299 Tełekagir Evropayi hay dašnakcakan usanołakan miutean, 36. 300 Nach dem Kongress wurde ein Flugblatt veröffentlicht, in dem in aller Kürze über den Verlauf des Kongresses berichtet wurde. Drošak. 21 (1911), 3/4, 55–56.

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nicht von den Angelegenheiten der Partei zu trennen. Das ist eine Tatsache, die uns zuversichtlich macht, bei der nächsten Versammlung einen großen Teil unserer Pläne realisiert zu sehen.301

Auch die vierte Mitgliederversammlung des Vereins fand aus pragmatischen Gründen wieder in Genf statt, da diese Stadt für die meisten Mitglieder am einfachsten zu erreichen war. Der Jahresbericht und der Bericht über diese Versammlung wurden aus finanziellen Gründen im siebten Heft von Usanoł abgedruckt. Die Eröffnung fand am 9. April 1912 im Saal der Brasserie Universelle statt, wobei diesmal vier Delegierte aus Genf, drei aus Paris und je einer aus Lausanne, Nancy, Zürich, Berlin und Leipzig anwesend waren. Vier weitere Delegierte wurden nach dem Kooptionsprinzip in der vorbereitenden Sitzung gewählt, von denen drei an der Versammlung teilnehmen konnten.302 Gleich am Anfang wurden in mehreren Bereichen bemerkenswerte Erfolge konstatiert, zum Beispiel der nach leichtem Abfall wieder gewachsene Zahl von Vereinsmitgliedern. Einen Höhepunkt der Vereinstätigkeit in den Jahren 1911/12 markierten zudem zahlreiche Versammlungen und Vortragsabende, auf die Usanoł in seiner Berichterstattung ausführlich einging. Die Vorträge stießen dabei laut Usanoł im Unterschied zu den vergangenen Jahren nicht nur auf ein breites Interesse bei den armenischen Nicht-Dašnakcakan-Studenten, sondern auch bei Studenten anderer Nationalität.303 Einige dieser Vorträge wurden offensichtlich an mehreren Orten gehalten. Dabei stand neben dem Programm und der Tätigkeit von Dašnakcut’iun stets auch die politische Situation in der Türkei, in Persien und in Russland im Zentrum der Aufmerksamkeit. Vorträge wurden auch auf den Veranstaltungen der türkischen Vereine in der Schweiz gehalten, zu denen insbesondere die armenischen Studenten aus der Türkei in engem Kontakt standen. Für diese Zusammenarbeit stellten die neue Konstitution »des Orients« und die Idee des globalen Friedens Usanoł zufolge die geeignete Grundlage dar.304 Als Erfolg wurde auch die Zusammenarbeit mit den russischen Studenten gewertet. Die armenischen Studenten hätten sich an den Feierlichkeiten zum 1. Mai sowie an einer Protestversammlung gegen die zarische Regierung beteiligt. Darüber hinaus habe die Genfer Dašnakcakan-Gruppe eine Vermittlerrolle in einem Streit zwischen einigen russischen Vereinen übernommen, was unter anderem vom Gewicht und der Autorität dieser Gruppe zeuge.305 Dagegen gelang die erhoffte Zusammenarbeit mit den armenischen Dašnak301 Tełekagir Evropayi hay dašnakcakan usanołakan miutean, 37 f. 302 Usanoł. 1912, 7, 274 f. 303 Ebd., 277–279. 304 Ebd., 279. 305 Ebd., 279 f.

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cakan-Studenten in Russland weiterhin nicht, obgleich dieses Anliegen auf jeder Versammlung thematisiert wurde. Kritisiert wurden ferner die Propagandaarbeit und die publizistischen Aktivitäten einzelner Studenten, aber auch die unregelmäßige Zahlung der Mitgliedsbeiträge.306 Die finanzielle Situation des Vereins hatte sich nämlich im Laufe der Jahre kaum verbessert. Die auf der vorhergehenden Versammlung beschlossene Bildung eines Grundstocks hatte sich angesichts der laufenden Kosten als sehr schwierig erwiesen. Besonders kostspielig waren der Druck des Usanoł, aber auch die Beitragszahlungen an die HYD.307 Wichtige Beschlüsse dieser Versammlung betrafen zum einen die Tätigkeit einzelner Ortsgruppen, zum anderen die Richtlinien des Vereins. Die bereits existierenden Dašnakcakan-Gruppen sollten gestärkt, außerdem neue Gruppen in diversen europäischen Städten gegründet werden. Themenfokussierte Vorträge mit anschließender Diskussion wurden dabei weiterhin als ein wichtiges Instrument angesehen, um das politische Interesse der Kommilitonen zu wecken. Zu diesem Zweck hatte das Verwaltungskomitee sogar eine Liste mit Vortragsthemen zusammengestellt. Zur Stärkung der politischen Einheit des Vereins sollten diejenigen Kommilitonen, die trotz langer Mitgliedschaft die politischen Ansichten der Partei nicht teilten, vom Verein ausgeschlossen werden. Unerwünscht waren überdies Verbindungen zu Vereinen und Gruppen, deren Tätigkeit und ideologische Orientierung im Widerspruch zu den Prinzipien der HYD standen. Weiterhin wurde grundsätzlich beschlossen, dass einzelne Dašnakcakan-Gruppen oder die Mitglieder des Verwaltungskomitees nur an Versammlungen bzw. Fest- und Jubiläumsveranstaltungen teilnehmen sollten, die einen politischen Charakter hatten. Der Verein sprach außerdem den in der Türkei aktiven demokratischen Organisationen seine Unterstützung aus.308 Die fünfte und letzte Versammlung des Vereins fand nach fast zweijähriger Pause vom 25. bis zum 30. Dezember 1913 in Paris statt. Anwesend waren vier Delegierte aus Genf, jeweils zwei aus Lausanne und Zürich und je einer aus Berlin, Liège und Paris. Drei weitere Delegierte aus Paris wurden nach dem Kooptionsprinzip gewählt und eingeladen. Die Tagesordnung hatte das Verwaltungskomitee im Vorfeld an alle Gruppen geschickt und ihnen damit Gelegenheit gegeben, gewünschte Korrekturen und Anmerkungen durch Delegierte im Plenum vortragen zu lassen. In der vorbereitenden Sitzung wurde beschlossen, zweimal am Tag, in der Früh bis 7 Uhr und am Abend von 8:30 bis 24 Uhr zu tagen, um den arbeitenden Kommilitonen die Teilnahme zu ermöglichen.309 306 307 308 309

Ebd., 280. Ebd., 282. Ebd., 286–288. Ebd., 1913, 8, 32.

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Über diese Versammlung berichtete Usanoł nicht mehr in der gewohnten Ausführlichkeit, sondern zitierte nur Auszüge aus den wichtigsten Beschlüssen. Mit Blick auf die knappen finanziellen Mittel des Vereins wurde beispielsweise beschlossen, eine zweimonatige Zeitschrift mindestens im Umfang von Drošak zu veröffentlichen. Diese sollte die ursprünglich geplanten Sammelbände ersetzen – ein Vorhaben, das sich sowohl aus finanziellen als auch aus zeitlichen Gründen als nicht realisierbar erwiesen hatte. Die geplante Zeitschrift sollte sich auf das Leben der armenischen Studenten in Europa fokussieren, über die Höhe der Auflage und den Umfang der Publikation sollte das Verwaltungskomitee nach eigenem Ermessen entscheiden.310 In organisatorischer Hinsicht wurde konstatiert, dass es auch nach fünfjähriger Existenz noch nicht gelungen sei, in allen großen europäischen Städten, in denen eine gewisse Anzahl Armenier studierten, Dašnakcakan-Gruppen zu bilden. Mehr noch, viele Gruppen würden sich bereits nach kurzer Zeit wieder auflösen, weil sie nicht genügend ideologische und politische Unterstützung erhielten. Ein eigenes Budget sollte künftig dazu dienen, »Propagandisten« in verschiedene europäische Städte zu schicken, damit sie dort mit den Studenten arbeiten konnten. Gruppen, die sich an nicht weit voneinander entfernten Standorten befanden, sollten öfter gemeinsame Versammlungen organisieren.311 Die für Dezember 1914 geplante sechste Konferenz des Vereins konnte wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr stattfinden; ebenso blieb das achte Heft die letzte Ausgabe des Usanoł. Während seiner fast sechsjährigen Tätigkeit entfaltete der Verein Armenischer Dašnakcakan-Studenten Europas eine aktive politische Tätigkeit. Dabei war er durchaus bestrebt, sich in gewissem Umfang und insbesondere in Fragen, die speziell die studentischen Interessen betrafen, von der HYD zu emanzipieren. Da diese Interessen von denen der Partei abweichen konnten, aber auch um eventuelle Konflikte und Missverständnisse zu vermeiden, behielt sich der Verein das Recht vor, mit diversen Gruppierungen in Europa selbständige Kontakte zu pflegen. In allen allgemeinen Angelegenheiten wie etwa bei der Unterstützung des nationalen Befreiungskampfs der Armenier und im Engagement für die Popularisierung der Armenischen Frage in Europa galt die Parteilinie als bindend. Auch verstand sich der Verein in seiner politischen Programmatik und in den übergeordneten Zielvorstellungen in erster Linie als sozialistisch. Deshalb überwogen auf Seiten des Usanoł wie des Drošak eindeutig die sozialistischen Themen. Dasselbe galt für die von dem Verein organisierten Vortragsveranstaltungen. Was »sozialistisch« für Dašnaken bedeutete, tritt deutlich in der Diskussion um die Beteiligung der Partei an der Wahl des Kathołikos zutage. Diese sollte 310 Ebd., 35 f. 311 Ebd., 36 f.

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im Jahr 1910 stattfinden und beschäftigte natürlich auch die Mitglieder des Vereins. Der Berliner Philosophiestudent Arisian sandte an führende Sozialdemokraten in Deutschland und Frankreich einen Brief, in dem er fragte, ob die Beteiligung an der Wahl einer geistlichen Führungsperson mit den sozialistischen Prinzipien vereinbar sei. Insbesondere ging er auf die Gründe ein, warum ein Boykott der Wahl problematisch sei, handelte es sich doch bei der Person des Kathołikos nicht nur um das geistliche Oberhaupt der armenischen Kirche, sondern auch um einen politischen Akteur mit einem merklichen innen- wie außenpolitischen Einfluss. Ein Beleg dafür war nach Arisians Meinung im außenpolitischen Bereich etwa dessen Auftritt vor dem Vorstand der Friedenskonferenz in Den Haag im Jahr 1899, wo er gegen die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich protestiert hatte. Im Jahr 1903 erhob der Kathołikos seine Stimme bei den Regierungen von England und Frankreich gegen die Konfiszierung des armenischen Kirchenvermögens.312 Der innenpolitische Einfluss des armenischen Kirchenoberhauptes dage­ gen beruhte nach Arisians Überzeugung auf Umständen, die es für die Sozialisten sehr schwierig machten, die Kirche als Organisation zu unterstützen. So habe die armenische Kirche beispielsweise viel Grundbesitz, was die Bauern von den »Launen und der Willkür« des Klerus abhängig mache. Der Einfluss des Kathołikos erstrecke sich aber auch auf das Bildungswesen und auf weitere gesellschaftliche Bereiche. Wegen des Fehlens der Zivilehe im Russländischen Reich habe der Kathołikos beispielsweise in allen Ehe- und Scheidungsangelegenheiten die alleinige Entscheidungskompetenz.313 Diese Argumente sprachen Arisian zufolge eigentlich für eine Teilnahme an der Wahl. Tatsächlich werde sogar überlegt, durch eine aktive Mitwirkung einem möglichst demokratisch gesinnten Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. Doch wie auch immer die Wahl ausgehen sollte, so Arisian, weder dürften die demokratischen Verhältnisse in den Schulen Schaden nehmen noch die Befreiungsbemühungen der Türkeiarmenier. Auf der anderen Seite werteten viele Dašnaken die Teilnahme an der Wahl einer geistlichen Führungsperson als Verrat an sozialistischen Prinzipien, wenn auch die aktuelle Rolle und der Einfluss des Kathołikos nicht bestritten wurden.314 Arisians Brief wurde an den deutschen SPD -Politiker Eduard David, den österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer, den ersten Vorsitzenden der bayerischen SPD Georg von Vollmar, des Weiteren an Karl Kautsky, August Bebel und Eduard Bernstein geschickt. Weitere Adressaten in Frankreich waren der Historiker und Politiker Jean Jaurès, der Schriftsteller und kommunistische Funktionär Paul Vaillant-Couturier. Hinzu kam noch der belgische 312 Ebd., 1909, 2, 113. 313 Ebd., 113 f. 314 Ebd., 114 f.

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Sozialdemokrat Émile Vandervelde, wobei die drei letztgenannten Personen wegen Schwierigkeiten mit der Postzustellung den Brief nicht erhielten.315 Eduard David und Otto Bauer schickten Rückmeldungen, die in Usanoł abgedruckt wurden, auch von Kautsky, Bebel, Bernstein und von Vollmar wurden solche angekündigt, jedoch nicht mehr veröffentlicht. Sowohl David als auch Bauer verwiesen in ihrem Antwortschreiben darauf, dass sie über die Situation in Armenien nicht hinreichend informiert und deshalb in der Angelegenheit nur bedingt urteilsfähig seien. Doch David unterstrich immerhin, dass man, auch wenn es sich um eine geistliche Persönlichkeit handle, den Genossen nicht verbieten dürfe, an der Wahl teilzunehmen. Er betonte die Bedeutung der Glaubensfreiheit, an der auch die deutsche Sozialdemokratie festhalte. Mehr noch, in Anbetracht des politischen und gesellschaftlichen Status des Kathołikos rief er die armenischen Genossen auf, sich mit ganzem Eifer an der Wahl zu beteiligen. Dabei sollten sie im Übrigen alle politischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten nutzen, um Propaganda für die sozialistische Sache zu machen.316 Ähnlich argumentierte auch Bauer, der auf die besondere Beziehung der Armenier zu ihrer Kirche und auf deren demokratische Struktur hinwies. Da diese Kirche im Unterschied zu anderen nicht als Verbündeter der Feinde des Sozialismus auftrete, richtete er an die armenischen Sozialisten die Empfehlung, Genossen, die sich an der Wahl beteiligen wollten, nicht davon abzuhalten.317 Indem Usanoł sowohl Arisians Brief als auch die Antworten darauf publizierte, leistete der Verein einen Beitrag zu der Debatte um die Legitimität einer Teilnahme an der Wahl des Kathołikos. Die in dem Briefwechsel ausgetauschten Argumente sollten jenen Kommilitonen als Orientierung dienen, die eine Beteiligung an der Wahl nicht von vornherein ausschließen wollten. Die wichtigste Aufgabe des Vereins war sicherlich die Mobilisierung der armenischen Studenten Europas, ebenso wichtig war aber auch die Kooperation mit den Studenten aus Russland, Persien und der Türkei. Gute Kontakte und Beziehungen zu anderen studentischen Gruppen und Organisationen sollten sorgfältig gestaltet werden. Denn in den Augen der Studenten war nicht nur der Wohlstand, sondern gar die physische Existenz der Armenier von der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in den drei genannten Staaten abhängig. Das gemeinsame politische Wirken schon an der Universität war auch deshalb so wichtig, weil die europäischen Universitätsabsolventen verschiedener Nationalität später in ihrer Heimat zusammenleben und arbeiten sollten. Da die Studenten künftig einmal die intellektuelle Elite darstellen und eine entscheidende politische Rolle spielen würden, musste die Grundlage 315 Ebd., 114. 316 Ebd., 116 f. 317 Ebd., 117 f.

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für eine friedliche Zusammenarbeit in der Zukunft Usanoł zufolge bereits in den Studienjahren gelegt werden.318

5.6 Publikationen armenischer Studenten Die publizistische Tätigkeit wurde von allen studentischen Organisationen der Armenier als wesentliches Element ihres gesellschaftlichen und politischen Engagements, aber auch als wichtige Vorbereitung auf das Berufsleben ange­ sehen: […] die Studienjahre können zwar nicht ausschließlich für soziale und politische Aktivitäten genutzt werden, ebenso ist Europa nicht der richtige Ort für armenische Studenten, um eine aktive politische Tätigkeit zu entfalten, andererseits können sich die Studenten hier an der politischen Propaganda beteiligen bzw. für die armenische Presse berichten.319

Nicht nur die Ziele und Aufgaben akademischer und politischer Vereine der Armenier in Europa sollten durch die Presse besser an die Öffentlichkeit gebracht werden. Ihre mediale Präsenz war einerseits darauf ausgerichtet, in der armenischen Gesellschaft Nachrichten über die politischen und kulturellen Entwicklungen in Europa zu verbreiten. Andererseits sollte die europäische Öffentlichkeit durch Presseartikel und Publikationen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten über das armenische Volk, seine Geschichte und Kultur aufgeklärt werden. Die Fokussierung auf die Armenische Frage war dabei Programm: Durch populärwissenschaftliche Texte wollte man in Europa Sympathie für die Armenier wecken, vor allem aber bekannte Europäer dazu bewegen, ihre Stimme für die »armenische Sache« zu erheben. Zwar wollten die beiden wichtigsten Organisationen der Armenier, der Verein Armenischer Studenten Europas und der Verein Armenischer Dašnakcakan-​ Studenten, auch einfach die armenischen Studenten in Europa vereinen und ihre akademischen und kulturellen Aktivitäten organisieren. Im Laufe der Zeit manifestierte sich jedoch das politische und soziale Engagement als die vorrangige Aufgabe des »pflichtbewussten« armenischen Studenten. Der Presse kam dabei vor allem die Funktion zu, die europäische Öffentlichkeit auf die Armenische Frage aufmerksam zu machen. Die beiden periodisch erscheinenden Presseorgane der armenischen Vereine waren das bereits erwähnte Mitteilungsblatt (Tełekagir) des Vereins Armenischer Studenten Europas sowie der Usanoł; daneben wurden zahlreiche 318 Ebd., 1912, 7, 287 f. 319 Vahuni: Evropayi hay usanołut’iunẹ, 198 f.

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andere Publikationen herausgegeben. Tełekagir wurde im Jahr 1899 mit dem Ziel gegründet, die Tätigkeit des Vereins, aber auch anderer armenischer studentischer Organisationen zu dokumentieren und statistische Daten über die Situation der armenischen Studenten an europäischen Hochschulen zu erheben. Daher diente diese Zeitschrift weniger als Plattform für publizistische Beiträge der Studenten, sondern verstand sich primär als Informationsblatt. Allerdings fehlt jegliche Auskunft darüber, in welcher Auflage Tełekagir gedruckt und wie es verbreitet wurde. Während der vierten Mitgliederversammlung des Vereins Armenischer Studenten Europas in München einigte man sich darauf, dass die aktive publizistische Tätigkeit im Mittelpunkt der Bemühungen um die Lösung der Armenischen Frage stehen müsse. Im Ergebnis gab der Verein zwischen 1903 und 1907 zahlreiche Publikationen heraus, welche die europäische Öffentlichkeit aufrütteln und auf den drohenden Untergang der Armenier in der Türkei aufmerksam machen sollten.320 So hoffte man, in Europa einen Kreis zuverlässiger Freunde zu etablieren, auf dessen Unterstützung immer wieder zurückgegriffen werden konnte. Dabei kam es den Studenten nicht nur darauf an, dass die gewaltsame Politik des Sultans gegenüber seinen christlichen Untertanen sowie die politische Repression im Russländischen Reich verurteilt wurden. Vielmehr sollten die europäischen Mächte zur aktiven Einmischung motiviert werden. Der Kampf um die Unterstützung der Armenischen Frage in Europa stellte allerdings nur die eine Seite der Medaille dar. Die andere Seite war, durch zielgerichtete Übersetzungen, aber auch durch eigene Texte die in Europa populären gesellschaftlichen und politischen Diskurse in die armenische Gesellschaft zu transferieren. Dieses Anliegen verfolgte vor allem Usanoł, der sich als Sprachrohr eines politisch engagierten Vereins verstand. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs erschien Usanoł relativ regelmäßig und verbreitete die 320 Olivieri, Vittorio R. di: La questione armena e il dovere dell’Italia. Ginevra 1906; Frapan: Ilse: Armenier und Zarismus. Genf 1906; Aknuni, E. (Malumian, Xačatur): La censure Russe au Caucase. Genève 1905; Ders.: La question arménienne et le tsarisme. Genève 1905; Für Armenien und Macedonien; Sassoun et les atrocités hamidiennes. Interpellation. Les atrocités. Rapport officiel. Genève 1904; Frapan: Die armenische Frage; Brandes: Armenien und Europa [sowie auf Französisch: Brandes, G.: L’Arménie et l’Europe. Conférence faite à Berlin le 2 février 1903. Publiée par l’Union des étudiants arméniens de l’Europe. Genf 1903]; Pressensé, Francis de: L’Arménie et la Macédoine. Conférence donnée au Château d’Eau à Paris le 15 février 1903. Genève 1903; Bernstein, E.: Les souffrances du peuple arménien et le devoir de l’Europe: Conférence publique faite à Berlin, le 26 juin 1902. Genève 1902 [sowie auf Deutsch: Bernstein, Ed.: Die Leiden des armenischen Volkes und die Pflichten Europas. Genf 1902.]; Les Arméniens et la réforme de la Turquie. Conférence faite par M. Albert Vandal de l’Académie Française dans la Salle de la Société de Géographie, le 2 février 1897, sous la Présidence de M. Le Comte De Mun. Paris 1897.

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Abb. 4: Eine Veröffentlichung des Vereins Armenischer Studenten Europas

politischen Ansichten und Grundsätze der HYD. Daneben erklärte das erste Heft die Analyse der politischen Lage im Kaukasus, in Persien und in der Türkei sowie der sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung in Europa zum Tätigkeitsrahmen der Zeitschrift.321 Für die Gründung eines Periodikums entschieden sich die Mitglieder des Vereins auf dem zweiten Kongress. Dabei wurden bereits im Vorfeld gewisse Schwierigkeiten und Probleme angesprochen. So wurde etwa darüber debattiert, ob der Verein überhaupt in der Lage sei, im Monats- oder Zweimonatsrhythmus eine Zeitschrift herauszubringen. Die Einrichtung einer mehr oder weniger kontinuierlich arbeitenden ortsfesten Redaktion erwies sich dabei insofern als schwierig, als die Studenten häufig ihren Studienort wechselten. Die Existenz der Zeitschrift könne unter diesen Umständen immer wieder gefährdet sein, so die Befürchtung. Viele Vereinsmitglieder waren außerdem der 321 Usanoł. 1909, 1, 1.

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Meinung, dass die Studenten für ein solches Projekt weder über ausreichend Zeit noch über die notwendigen finanziellen Mittel verfügten. Deshalb wurde der Vorschlag diskutiert, eine Zeitschrift mit deutlich geringeren Kosten im Kaukasus zu gründen. Letztlich wurde jedoch beschlossen, die Zeitschrift Usanoł als offizielles Organ des Vereins in einem zweimonatigen Rhythmus zu veröffentlichen. Außerdem sollte die Zeitschrift eine Verbindung zu den Mitgliedern und Ortsgruppen des Vereins herstellen, die Studenten zur publizistischen Tätigkeit motivieren, darüber hinaus Fragen der Parteiideologie kritisch thematisieren und auf Angriffe der gegnerischen Presse angemessen reagieren.322 Im Winter 1908 nahmen drei Mitglieder des Verwaltungskomitees in Berlin die Redaktion der Zeitschrift in die Hand und konnten im Februar 1909 die erste und im April die zweite Nummer herausbringen. Dank der in Usanoł regelmäßig veröffentlichten Zahlen lassen sich nicht nur die Auflage und die Herstellungskosten der einzelnen Hefte nachvollziehen, sondern auch ihre Verbreitung. Die meisten Hefte wurden in die Türkei geschickt, davon 200 nach Konstantinopel, 50 nach Smyrna, jeweils 20 nach Van und Erzurum sowie 10 nach Trabzon. Darüber hinaus wurden 80 Hefte in den Kaukasus sowie 15 nach Teheran geschickt. In Europa wurden insgesamt 80 Hefte nach Genf, Zürich und Bern geliefert, 20 nach Lausanne, 100 Exemplare sollten von Berlin aus in Deutschland verbreitet werden; des Weiteren versandte man 30 Hefte nach Bulgarien und 35 nach Boston: »Wenn all diese Exemplare verkauft werden und der Verein diese Summe bekommt, dann können wir sagen, dass die Zeitschrift ihre Eigenkosten gedeckt hat«.323 Von 1909 bis 1914 konnten insgesamt acht Hefte erscheinen, die sowohl ausführliche Tätigkeitsberichte als auch Artikel und Aufsätze über verschiedene sozialpolitische Themen enthielten. Die Zeitschrift hatte einen Rezensionsteil, in dem vor allem die aktuelle sozialdemokratische Literatur besprochen wurde, aber auch Werke über die politische Situation im Osmanischen und im Russländischen Reich.324 Da Usanoł nicht als offizielles Organ der HYD galt, hatten die Vereinsmitglieder die Möglichkeit, kritische Meinungen über die Tätigkeit der Partei dort frei zu äußern, was unter anderem internen Konflikten vorbeugen sollte.

322 Ebd., 1 f. 323 Ebd., 1909, 3, 211. 324 Beispielhaft seien Rezensionen zu folgenden Werken genannt: Gerlach, H. von: August Bebel. Ein biographischer Essay. München 1909; Sombart, Werner: Das Lebenswerk von Karl Marx. Jena 1909; Sax, Carl Ritter von: Geschichte des Machtverfalls der Türkei bis Ende des 19. Jahrhunderts und die Phasen der »orientalischen Frage« bis auf die Gegenwart. Wien 1908. Vgl. ebd., 1909, 4, 308–319.

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Die Beiträge in Usanoł sollten aber auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, da es hinsichtlich der Erforschung vor allem »Türkeiarmeniens« noch erheblichen Nachholbedarf gab: Lange Zeit gab es keine Möglichkeit, dieses Land zu erforschen, daher waren, bis der Verein sich dies zum Ziel setzte, die Berichte europäischer Reisender und Missionare die einzigen vorhandenen Informationsquellen. Nach dem Niedergang der Tyrannei ist diese Möglichkeit nun gegeben, wobei aber auch diese fremden Quellen ihren Wert nicht verloren haben. Sie beinhalten ein reiches Material, das man nicht unberücksichtigt lassen kann. Außerdem brauchen diejenigen, die verschiedene Gebiete des uns interessierenden Landes erforschen wollen, eine gewisse Führung und Methode. Aus diesem Grund stellt Usanoł eigene Seiten für Untersuchungen solcher Art zur Verfügung. Mehr noch, wir sind davon überzeugt, dass niemand über bessere Voraussetzungen verfügt, solche Untersuchungen durchzuführen als die armenische Studentenschaft in Europa.325

Nicht zuletzt stellte Usanoł auch die theoretische Grundlage der sozialdemokratischen Bewegung in den Mittelpunkt, da diese im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine enorme Erfahrung gesammelt habe, welche die HYD als politische Kraft in einem »rückschrittlichen Land« nicht unbeachtet lassen könne. Viele Fehlentscheidungen wären vermeidbar gewesen, wenn man die europäische sozialdemokratische Bewegung besser gekannt und die Fehler der europäischen Genossen nicht wiederholt hätte. Eine der wichtigsten Aufgaben von Usanoł war folgerichtig, die Bevölkerung im Kaukasus über die europäische sozialdemokratische Bewegung zu informieren und ihr damit die Grundlage für das künftige politische Agieren zu liefern.326 Organisatorisch bestand die Redaktion von Usanoł aus drei Mitgliedern und zwei Stellvertretern, die zwischen den jährlichen Mitgliederversammlungen des Vereins vier Ausgaben in zweimonatigen Abständen herausgeben sollten. Auf inhaltliche Schwerpunkte sollte dabei genauso geachtet werden wie auf die sprachliche Redaktion. Die Studenten klagten nämlich regelmäßig über die maßlose Verwendung von Fremdwörtern in den Texten, was einerseits dem Fehlen äquivalenter Begriffe in der armenischen Sprache, andererseits aber auch dem Umstand geschuldet war, dass die Redaktion mit den zu spät eingereichten bzw. komplizierten Texten oft überfordert war.327 Das regelmäßige Erscheinen der Zeitschrift wurde durch finanzielle Engpässe und technische Schwierigkeiten immer wieder verhindert, aber auch zu spät eingereichte Beiträge bzw. deren ungenügende Anzahl veranlassten die Redaktion, die Veröffentlichung einzelner Heften zu unterlassen. Die Veröf­ 325 Ebd., 1909, 1, 2. 326 Ebd., 2 f. 327 Ebd., 1912, 7, 6.

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fentlichung der Zeitschrift wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass keine Druckerei in Deutschland in armenischer Schrift drucken konnte. Bessere Möglichkeiten dafür gab es in Frankreich oder in der Schweiz; allerdings waren die gewählten Mitglieder der Redaktion vor allem Studenten deutscher Universitäten, sodass selbst die Schweiz zunächst nicht in Frage kam. Da sich die Probleme in Deutschland aber mittelfristig nicht lösen ließen, wurde überlegt, den Druck nach Genf, Paris oder sogar nach Konstantinopel oder Smyrna zu verlegen. Letztlich wurden die Hefte in unterschiedlichen Druckereien in Paris, Genf und Konstantinopel gedruckt. Zur Erschwernis wurde für die Zeitschrift außerdem der Weggang erfahrener Mitglieder nach dem Abschluss des Studiums. Die redaktionellen Verpflichtungen lasteten daher immer wieder auf den Schultern des Verwaltungskomitees, was dazu führte, dass bis zur dritten Mitgliederversammlung statt der beabsichtigten 12 nur 3 Hefte – immerhin die Nummer drei mit 65, die Nummern vier und fünf mit je 100 Seiten – veröffentlicht werden konnten. Dabei stammten von insgesamt 20 Aufsätzen in diesen drei Heften 15 von Studenten deutscher Universitäten. Die Zeitschrift wurde an alle bekannten studentischen Organisationen sowie an die armenischen Gemeinden in Europa geschickt. Doch die Einnahmen von nur 369,95 Franken waren gegenüber den Kosten von 1.290,60 Franken für die Herstellung und den Versand der drei Hefte mehr als bescheiden. Laut Usanoł schuldeten dem Verein die Studenten, die in verschiedenen Orten als sogenannte Verkaufsagenten tätig waren, nach dem Stand von 1911 immer noch 1.084 Franken.328 Die schwierige finanzielle Lage blieb auch in den nächsten Jahren unverändert, sodass die geplante Schaffung einer festen Rücklage immer wieder verhindert wurde. Erschwerend kam die Unzuverlässigkeit örtlicher Gruppen und einzelner Studenten hinzu, die entweder gar nicht oder sehr spät auf Briefe und Anfragen der Redaktion reagierten. Auf Schwierigkeiten dieser Art reagierte die dritte Mitgliederversammlung in Genf mit einschneidenden strukturellen Veränderungen. Fortan sollte die Zeitschrift halbjährlich erscheinen, dafür sollten die Hefte einen Umfang von 300 Seiten, inklusive eines Anhangs mit statistischen Angaben über die an europäischen Universitäten studierenden Armenier haben. Inhaltlich waren weiterhin sowohl wissenschaftliche als auch literarische Aufsätze von Interesse, zwei neue Rubriken für Presseschau und Übersetzungen kamen hinzu.329 Die Redaktion trug die Verantwortung dafür, dass alle Artikel inhaltlich mit den Prinzipien des Vereins konform waren; sie sollten außerdem wissenschaftlich fundiert und in einer »einwandfreien und von fremden Einflüssen 328 Tełekagir Evropayi hay dašnakcakan usanołakan miutean, 18. 329 Ebd., 31–34.

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freien« Sprache verfasst sein. Wichtig war weiterhin, dass nach Möglichkeit alle Rubriken inhaltlich vertreten waren. Die Redaktion durfte auch kritische Aufsätze annehmen, solange diese die Vorhaben des Vereins oder der Partei nicht gefährdeten.330 Darüber hinaus wurde eine »methodische Handreichung« für die sogenannte »Provinzintelligenzija«, also für die im Kaukasus lebenden Wissenschaftler als Orientierung für ihre historischen bzw. sozialwissenschaftlichen Forschungen geplant.331 Das sechste Heft von Usanoł erschien nach diesen Neuregelungen in 1000 Exemplaren, von denen 92 in Europa, 221 in verschiedenen Städten der Türkei, 70 in Persien, 222 in Amerika, 55 in Bulgarien, 21 in Ägypten, 13 in Rumänien und 1 Heft in Ungarn, insgesamt 695 Exemplare, verkauft wurden.332 Offizielle Zahlen über die möglicherweise nach Russland oder in den Kaukasus geschickten Hefte fehlen auf dieser Liste. Die Sitzungsprotokolle der Mitglie­ derversammlungen machen deutlich, dass der Verein eine mehr oder weniger geregelte Zusammenarbeit mit den armenischen Studenten in der Türkei aufbauen konnte; im Rahmen der dritten Versammlung wurde sogar diskutiert, Usanoł mit dem Verein armenischer Dašnakcakan-Studenten in Konstantinopel gemeinsam herauszugeben. Dagegen kam eine Kooperation mit den Kommilitonen in Russland sowie in Amerika trotz aller Versuche offenbar nicht zustande, auch gab es von dort auf die wiederholte Einladung des Vereins, für Usanoł zu schreiben, keine Rückmeldungen.333 Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Hefte von Usanoł auf geheimen Wegen nach Russland geschafft wurden. Nach der vierten Mitgliederversammlung wurde beschlossen, Usanoł in Zukunft in einem Umfang von 400 bis 600 Seiten jährlich zu drucken, wobei die Entscheidung, ob in einem oder in mehreren Heften, je nach finanzieller Lage allein der Redaktion überlassen war. Die geplante siebte Ausgabe der Zeitschrift widmete der Verein dem 400-jährigen Jubiläum der armenischen Typographie sowie dem 1500-jährigen Jubiläum der Erfindung der armenischen Schrift. In der achten Nummer, die erst nach einjähriger Pause und mit – wie im Editorial eingeräumt – vielen grammatikalischen und Interpunktionsfehlern erschien, wurde wieder die Rückkehr zur zweimonatigen Erscheinungsweise angekündigt. Als Motiv wurde die Notwendigkeit angegeben, die armenische Studentenschaft über die Tätigkeit des Vereins und der HYD zeitnah zu informieren. Außerdem hätten die eher analytischen Texte unter der Studenten-

330 Ebd., 34 331 Ebd., 33 f. 332 Usanoł. 1912, 7, 283. 333 Ebd., 282.

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schaft wiederholt für Unzufriedenheit gesorgt und einmal mehr den Bedarf an einem periodisch erscheinenden Organ verdeutlicht.334 Die Tatsache, dass die Zeitschrift auch außerhalb der studentischen Kreise in der Türkei, in den armenischen Gemeinden in Europa und sogar in Amerika bekannt war, motivierte die Vereinsmitglieder, trotz diverser Hindernisse ihre Veröffentlichung weiterhin aufrechtzuerhalten. Die während der jährlichen Konferenzen wiederholt vorgetragenen Vorschläge, anstelle einer studentischen Zeitschrift eine publizistische Reihe herauszugeben bzw. im Kaukasus eine Zeitschrift zu begründen, wurden als eine direkte Bedrohung für die Existenz des Vereins begriffen, zumal Usanoł letztlich das einzige studentische Presseorgan der Armenier in Europa war. Doch wie oben bereits erwähnt, sollte die achte Ausgabe die letzte Nummer der Zeitschrift sein. Welche konkreten Ziele mit den Publikationen armenischer Studenten, ob in der europäischen oder der armenischen Presse, als selbstständige Werke oder als Übersetzungen, auch verfolgt wurden, einig waren sich die Studenten darin, dass eine vergleichsweise ungehinderte publizistische Tätigkeit ausschließlich in Europa entfaltet werden konnte. Im Kaukasus waren unter Golizyns Regierung ab den 1890er Jahren nicht nur armenische Schulen, wohl­ tätige Gesellschaften und Kultureinrichtungen wiederholt von Schließung bedroht. Auch die Presse unterlag einer strengen Zensur, sodass viele Zeitschriften und Zeitungen nach der Veröffentlichung von nur wenigen Heften wieder verboten wurden. Ähnlich war die Situation in der Türkei, wo sich die Repressionen gegenüber der Presse vor allem in den 1890er Jahren, auf dem Höhepunkt der Hamid’schen Massaker, verschärften.335 Ungeachtet dessen gab es sowohl an russländischen Universitäten als auch in Konstantinopel armenische studentische Periodika.336 In Konstantinopel publizierte beispiels­ weise der dortige »Verein Armenischer Dašnakcakan-Studenten« die Zeitschrift Yerkunk’ (Die Geburt), die enge Beziehungen zu Usanoł unterhielt. Doch wegen der Gefahr möglicher politischer Verfolgung konzentrierte sich dieses Blatt eher auf literarische Themen. Gerade deshalb verstanden die Studenten an europäischen Hochschulen es als ihre besondere Verpflichtung, sowohl eigene Schriften als auch Übersetzungen über die gesellschaftliche und soziale Situation im Russländischen und im Osmanischen Reich, über die Arme­nische Frage und die Hauptanliegen der sozialdemokratischen Be-

334 Ebd., 1914, 8, 5. 335 Charatyan, Albert: Osmanyan grak’nnut’yunẹ ev arevmtahay mamulẹ. (1870–1890-​a kan t’t’.) [Die osmanische Zensur und die armenische Presse. (1870–1890)]. In: PBH . 1985, 4, 103–116. 336 Manukyan: Peterburgi hamalsarani hay usanołut’yan hratarakčakan gorċuneut’yan patmut’yunic; Ders.: Moskvayi hamalsarani hay usanołut’yan hasarakakan gorċuneut’yan patmut’yunic.

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wegung zu veröffentlichen und diese Publikationen unter ihren Landsleuten in beiden Imperien zu verbreiten.337 Armenische Studenten veröffentlichten auch zahlreiche Artikel in den im Kaukasus und in der Türkei erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften, die aber eher auf Fragen des europäischen Bildungssystems, auf verschiedene Entwicklungen im politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Bereich, aber auch auf das Auslandsstudium fokussiert waren. Ihre Anzahl in der armenisch- und russischsprachigen Presse ist unüberschaubar groß, im Folgenden seien daher nur diejenigen hervorgehoben, die auf Vorträge bei verschiedenen studentischen Versammlungen zurückgehen: In Murč’ wurde 1897 der Vortrag von Grigor Vancian »Über die Melodiehaftigkeit der armenischen Sprache«338 veröffentlicht, der während eines studentischen Abends in Berlin 1896 sowie während der Versammlung des Vereins Armenischer Studenten Europas in Heidelberg 1897 gehalten wurde. Ebenfalls aus Vancians Feder stammte der Aufsatz »Materialen zur Untersuchung des Armenischen«,339 der auf seinem Vortrag während einer studentischen Versammlung in Berlin 1897 basierte. Das Referat von Ašot Ter-Połosian »Geistesanbetung und deren Rückstände unter uns«, gehalten während der Versammlung des Armenischen Literarischen Vereins in Berlin, erschien ebenfalls in Murč’.340 Weiterhin wurde der Aufsatz von Melik’-Łaragyosian »Deutsche Politik in der Türkei«, ursprünglich ein Vortrag auf derselben Versammlung in Berlin, in Novoe Obozrenie in russischer Übersetzung veröffentlicht.341 Von Melik’-Łaragyosian erschien auch der Aufsatz »Deutsche Hilfsvereine für Türkeiarmenien«, ein Vortrag auf der Versammlung des Vereins Armenischer Studenten in Paris im Jahr 1899.342 Dieser Artikel erschien auch als separate Broschüre.343 Erwähnt werden sollen schließlich noch die zahlreichen Übersetzungen, die von armenischen Studenten in Europa in die Hand genommen wurden. Übertragungen aus dem Deutschen ins Armenische, die etwa die sozialdemokratische Gruppe in Genf, oder aber andere studentische Vereine veröffentlichten, wurden oben bereits angeführt. Erwähnt seien an dieser Stelle noch die Übersetzungen armenischer Werke ins Deutsche, die der Publizist und Übersetzer Abgar Joannissiany, ein Absolvent der Leipziger Universität, initiierte. Nach dem Abschluss des Studiums gründete er 1880 den Tifliser Verlag 337 Vgl. Hovsepyan, M.: HHD -n ev K. Polsi dašnakcakan mamulẹ (1905–1915 t’t’.) [Die HHD und die dašnakcakan Presse in Konstantinopel (1905–1915)]. In: LHG . 2001, 1, 211–222, 216–222. 338 Murč’. 1897, 6, 829–847. 339 Ebd. 1899, 2/3, 278–281. 340 Ebd. 1900, 1, 55–62; Ebd. 1900, 2, 207–218. 341 Novoe Obozrenie. 1899, 7/8. 342 Murč’. 1899, 11/12, 1447–1460; Ebd., 1900, 1, 63–81; Ebd., 1900, 2, 219–229. 343 Melik’-Łaragyosian: Germanakan ognut’ean ẹnkerut’yunnerẹ Tač’ka-Hayastani hamar [Deutsche Hilfsorganisationen für Türkei-Armenien]. Tiflis 1901.

Zusammenfassung 

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für die Herausgabe armenischer Bücher, gleichzeitig gab er die Zeitschriften P’orj (Erfahrung) von 1876 bis 1881 und Arjagank’ (Das Echo) von 1882 bis 1898 heraus. Zusammen mit Arthur Leist344 begründete er 1886 die Reihe Armenische Bibliothek, in der elf Bände auf Deutsch und unter Herausgeberschaft von Joannissiany veröffentlicht wurden.345 Wie im Vorwort des ersten Bandes angemerkt, verfolgte die Initiative die Absicht, die Kenntnis der neueren armenischen Literatur »wenigstens einigermaßen« zu verbreiten – und das in der »Sprache der Nation, die immer dem Aufstreben junger Litteraturen (sic!) Interesse gewidmet und unter deren intellektuellem Einflusse sich das neuere armenische Schrifttum zu gutem Teil entwickelt hat«.346

5.7 Zusammenfassung Die Rolle, welche die armenische Studentenschaft europäischer und russländischer Universitäten bei der Entstehung und Entwicklung von politischen Strömungen und Parteien spielte, wurde in der Historiografie in diversen Zusammenhängen zwar mehrmals behandelt, dennoch sind diese Untersuchungen eher episodenhaft geblieben. Wurde beispielsweise die eminente Rolle der Studenten an deutschen, vor allem aber an den schweizerischen Universitäten bei der Entstehung der armenischen nationalen Befreiungsbewegung bzw. in der Tätigkeit der HYD in vielen Studien hervorgehoben,347 fehlt nach wie 344 Arthur Leist (1852–1927) war ein deutscher Schriftsteller und Journalist, Chefredakteur der Wochenzeitung Kaukasische Post. 345 Bis 1888 wurden folgende Bücher in dieser Reihe veröffentlicht: Drei Erzählungen von Raphael Patkanian. Aus dem Armenischen übertragen von Arthur Leist. Armenische Bibliothek I, Leipzig 1886; Literarische Skizzen von Arthur Leist. Armenische Bibliothek II, Leipzig 1886; Bilder aus Persien und Türkisch-Armenien von Raffi. Aus dem Armenischen übersetzt von Leo Rubenli. Armenische Bibliothek III, Leipzig [1886]; Märchen und Sagen. Mit einer Einleitung von Grikor Chalatianz. Armenische Bibliothek IV, Leipzig 1887; Sako. Roman in zwei Bänden von Pertsch Proschian, aus dem Armenischen übersetzt von Johannes Lalaian. Erster Band. Armenische Bibliothek V, Leipzig 1887; Die ruinierte Familie. Lustspiel in drei Aufzügen von Gabriel Sundukianz. Aus dem Armenischen von Leo Rubenli. Armenische Bibliothek VII, Leipzig [1888]; Zwei Jahre in Abyssinien oder Schilderung der Sitten und des staatlichen und religiösen Lebens der Abyssinier von Sr. Hochw. Pater Timotheus, Legat Sr. Eminenz des armenischen Patriarchen bei König Theodor von Abyssinien. Erster Teil. Armenische Bibliothek VIII, Leipzig 1888. Zweiter Teil. Armenische Bibliothek IX , Leipzig 1888. 346 Joannissiany, Abgar: Vorwort. In: Armenische Bibliothek I, Leipzig 1886, III–IV. 347 Siehe exemplarisch Nalbandian, Luise: The Armenian Revolutionary Movement. The Development of Armenian Political Parties through the Nineteenth Century. Berkeley: University of California Press, 1963; Barseghyan: Mark’sizmi taraċumẹ; Patmagrut’iun Hay Yełap’oxakan Dašnakcut’ean.

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Armenische studentische Vereine in Deutschland und der Schweiz

vor eine systematische Untersuchung über den unmittelbaren Einfluss dieser Studenten auf die armenische politische Kultur um die Jahrhundertwende in beiden Teilen des armenischen Volkes. Dabei stützten sich die politischen Parteien Dašnakcut’iun und Hnčak, aber auch die armenische sozialdemokratische Bewegung sowohl zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als auch in ihrer weiteren Tätigkeit auf das intellektuelle Potenzial der armenischen Studentenschaft im Ausland ebenso wie auf die Netzwerke, die durch deren Kontakte aufgebaut werden konnten. Nicht zuletzt fungierten die Studenten als Mittler zwischen den in Europa bereits etablierten politischen Richtungen und jenen, die unter den Armeniern gerade im Entstehen begriffen waren; für diese Strömungen schufen sie – etwa durch zahlreiche Übersetzungen – auch die theoretische Grundlage. Das zentrale Anliegen sowohl des Vereins Armenischer DašnakcakanStuden­ten wie auch des Vereins Armenischer Studenten Europas war die Propagierung der Armenischen Frage in der europäischen Öffentlichkeit. Um diese Frage auf die aktuelle Tagesordnung der höchsten politischen Ebenen zu bringen, wurden alle verfügbaren Mittel eingesetzt. Die Handlungsmuster anderer Bewegungen – im armenischen Fall war die Makedonische ein Exempel par excellence – waren für diese Vereine wenn nicht richtungsweisend, so zumindest beispielhaft. Dabei war die mediale Vermittlung genauso wichtig wie die Veranstaltung von Kongressen oder die Gründung von Vereinen, also die »Schaffung von Versammlungsöffentlichkeiten«.348 Auch die angestrebten Kooperationen dienten dazu, die europäische Öffentlichkeit zu erreichen, die Einzigartigkeit des eigenen Anliegens sollte aber davon unbeeinflusst bleiben. Diese Dichotomie war nicht unbedingt als Konkurrenz zu verstehen, sie verstärkte vielmehr die Dringlichkeit des Appells und den Handlungsbedarf, bzw. sie forderte Einmischung einer wie auch immer verstandenen europäischen Politik. Ein Instrument für die Schaffung einer internationalen oder zumindest europäischen Aufmerksamkeit war die Beteiligung bekannter Europäer an dieser Propaganda. Der Appell richtete sich durchaus nicht an eine allgemein verstandene europäische Öffentlichkeit, sondern an bestimmte Personen, von denen erwartet wurde, dass sie durch ihre Autorität schneller und besser ein allgemeines Interesse initiieren oder ein bestimmtes Resultat herbeiführen könnten. Man strebte also einen Zirkel angesehener europäischer Akteure an, der die Armenische Frage auf der europäischen politischen Bühne wirksam thematisieren konnte. Eine solche – europäische – Plattform war beispielsweise die in Paris erscheinende Zeitschrift Pro Armenia. Redakteur dieser Zeitschrift war der französische Schriftsteller Pierre Quillard, der bei mehreren Versammlungen 348 Grundlegend hierzu Requate / Schulze Wessel: Europäische Öffentlichkeit, 11–39.

Zusammenfassung 

351

für die Rechte der im Osmanischen Reich verfolgten Christen auftrat. Die Finan­zierung der Zeitschrift trug im Wesentlichen die HYD, für sie berichteten sowohl Mitglieder des Vereins Armenischer Studenten Europas als auch des Vereins Armenischer Dašnakcakan-Studenten. Das gemeinsame Ziel war, zunächst die Aufmerksamkeit, dann aber die Sympathie bekannter Europäer zu erregen und sie schließlich für die Propagierung der Armenischen Frage zu gewinnen. Somit richtete sich die gezielte Politik beider Vereine darauf, Kontakte zu europäischen Politikern, Publizisten und anderen bekannten Persönlichkeiten herzustellen. Dabei sollte deren öffentlich geäußerte Empörung über Missstände im Osmanischen Reich für die Armenische Frage dienstbar gemacht werden. Die politische Vergesellschaftung armenischer Studenten in Europa hatte großen Einfluss auf nationale und kulturelle Entwicklungen wie auch auf die Formierung des politischen Selbstbewusstseins der Armenier um die Jahrhundertwende, wurden doch die wesentlichen Ideen der europäischen Aufklärung durch sie in die armenische Gesellschaft transferiert. Diese Ideen bildeten den Hintergrund sowohl der Herausbildung des nationalen Identitätsbewusstseins als auch der politischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Doch die Rahmenbedingungen, in denen die Vereine agierten, waren im Laufe der Zeit einem deutlichen Wandel unterworfen. Insbesondere die Erste Russische Revolution erschütterte nicht nur die alten Werte und Überzeugungen, sondern brachte auch gesellschaftliche Polarisierung mit sich. Die Differenzen und Meinungsverschiedenheiten mit den politisch neutralen Studenten, aber auch zwischen verschiedenen Gruppierungen nahmen deutlich zu. Standen die jungen Armenier aus dem Russländischen Reich unter dem Einfluss der HYD, aber auch unter dem erheblichen Einfluss der russischen sozialdemokratischen Bewegung, hielten sich die Westarmenier ostentativ von den politischen Aktivitäten anderer Studenten fern. Vor allem die Sympathien mit der russischen sozialdemokratischen Bewegung, mit der sich viele Armenier im Kaukasus solidarisierten, teilten die armenischen Untertanen des Sultans nicht. Wenn sich also in der Tat ein fehlendes gegenseitiges Verständnis bzw. unterschiedliche Einstellungen unter den Armeniern aus dem Osmanischen und dem Russländischen Reich feststellen lassen, so waren diese auch ein Ergebnis divergenter Vorstellungen über die Zukunft Armeniens in den beiden Teilen der armenischen Gesellschaft.

6. Modernisierungsdebatten vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums

6.1

Auslandsstudium und Modernisierung der Gesellschaft

Den Prozess der Modernisierung begreift die historische Forschung »als einen auf ganz spezifischen Ausgangskonstellationen beruhenden bestimmten Typ des sozialen Wandels«, der sich zudem als eine langwierige Entwicklung im Wesentlichen am okzidentalen Beispiel orientiere.1 Merkmale wie wirtschaftliches Wachstum, politische Institutionalisierung, Wertewandel, hohe Alphabetisierung, Mobilisierung etc. bilden dabei wichtige Bestandteile dieses als revolutionär und progressiv wahrgenommenen Prozesses.2 Auch die Bildungsexpansion, die im Russländischen Reich deutlich später einsetzte, als es im restlichen Europa der Fall war, war nicht nur einer der bestimmenden Faktoren des Modernisierungsprozesses, sondern wurde wesentlich dadurch begünstigt. Lag beispielsweise bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Alphabetisierung der erwachsenen Bevölkerung im Russländischen Reich bei etwa 5 bis 10 Prozent, womit das Land deutlich hinter Großbritannien, Deutschland oder Frankreich hinterherhinkte, konnte das Imperium umgekehrt in der Expansion der Hochschulen mit diesen Ländern durchaus gleichziehen:3 Möglicherweise handelt es sich hier um das erste historische Beispiel einer ›kopflastigen‹ Bildungsentwicklung mit erheblichen Konsequenzen für die Prozesse der sozialen Mobilisierung und politischen Modernisierung, wie sie heute in vielen Entwicklungsländern zu beobachten ist.4

Gerade die soziale Mobilisierung und politische Modernisierung gaben den Anstoß für die Bildungsentwicklung auch an den Peripherien des Russländischen Reiches, wobei sie dort oft als Bestandteil der nationalen Emanzipation verstanden wurde. Die staatlichen Bestrebungen zur Zentralisierung des Bildungssystems waren daher durchaus von sozialen Spannungen gezeichnet, denen die ethnisch-, religiös- wie geschlechtsspezifische Chancenungleichheit eine zusätzliche Brisanz verlieh. Die Schaffung einer nationalen Bildungsland1 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Modernisierungstheorie und Geschichte. Göttingen 1975, 59. 2 Ebd., 47. 3 Flora, Peter: Modernisierungsforschung. Zur empirischen Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung. Opladen 1974, 147. 4 Ebd.

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Modernisierungsdebatten vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums

schaft – wie bei Armeniern oder Georgiern im Kaukasus – als Kontrast zu der mit einer konkreten Zielsetzung geführten staatlichen Bildungspolitik diente dazu, nationale Interessen durchzusetzen und zu schützen. Im Zentrum der jeweiligen Modernisierungsdiskurse stand dabei die sich neu konstituierende Bildungselite, die durch eine nationale Presse ebendiesen Diskursen die Richtung vorgab.5 Ihre Herausbildung war auf der einen Seite ein unmittelbares Resultat der russländischen Bildungspolitik, die trotz national wie konfessionell geprägter Benachteiligung gleichwohl die notwendigen Voraussetzungen für ihre Entstehung schaffte.6 Im armenischen Fall war dies sicherlich aber auch eine Folge des Auslandsstudiums, das in der gesellschaftlichen Wahrnehmung – obgleich immer noch durch den Vorwurf des »fremden Einflusses« belastet – nicht die Gefahr der Russifizierung implizierte und daher bessere Voraussetzungen für eine öffentliche Akzeptanz bot. Um kein anderes Thema kreisten die Debatten an der Schwelle des 20. Jahrhunderts in vergleichbarer Ambivalenz wie um das Auslandsstudium. Die jährlich steigende Zahl armenischer Studenten in Europa sowie die Finanzierung des Auslandsstudiums mit »nationalen Mitteln« beschworen nicht nur Fragen nach dem Nutzen der in der Ferne erworbenen akademischen Erfahrungen herauf. Sie offenbarten gleichzeitig die Ängste vor »fremden Einflüssen«, denen die armenische Jugend vermeintlich ausgesetzt war. Zwar galten die Absolventen russländischer und europäischer Hochschulen als wichtige Träger der Modernisierung, trotzdem begegnete man dem Studium weit von der Heimat und in fremder kultureller Umgebung mit Vorsicht. Insbesondere das Fehlen höherer Bildungsinstitutionen in der Heimat, was das Studium einer ganzen Generation in »fremde Hände« legte, wurde von Vertretern der armenischen Intelligenzija als hoch problematisch empfunden. Die jungen und leicht beeinflussbaren Studenten, so das Argument, studierten in Russland und in Europa fremde Geschichte, während sie von der eigenen kaum eine Vorstellung hatten. Sie lernten aber auch das Leben in europäischen und russländischen Großstädten kennen und wollten nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. In der Zeitschrift Haykakan Ašxarh wurde das Hochschulstudium, das jeder anderen Nation Glück und Wohlstand bringe, als ein »Abgrund« für die armenische Jugend bezeichnet, da es sie von ihrer Heimat 5 In der gegenwärtigen armenischen Historiografie wird dieser Frage bemerkenswert wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erwähnenswert sind in jedem Fall einige Aufsätze in der Zeitschrift The Armenian Review, die diesem Thema immerhin ein ganzes Heft gewidmet hat. Kortian, Garbis: The Concept of Modernity. In: The Armenian Review. 36 (1983), 9–16; Tabibian, Jivan: Modernization, Political Culture, and Political Economy in the Diaspora. In: Ebd. 17–25; Oshagan, Vahe: Modernization in Western Armenian Literature. In: Ebd. 62–75; Der-Karabetian, Agop: Multiple Social Identity as a Reflection of Modernity. In: Ebd. 100–105. 6 Vgl. Hausmann: Universität, 416.

Auslandsstudium und Modernisierung der Gesellschaft 

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und ihren Wurzeln wegreiße. Die einzige Möglichkeit, der heranwachsenden Generation ein richtiges, für das armenische Volk später »nützliches« Studium anzubieten, sah man darin, nationale Hochschulen zu begründen, die den Interessen des armenischen Volkes dienten.7 Die zentralen Themen der Diskussion um das Auslandsstudium lassen sich unter den Schlagworten Generationen-, Glaubens- und Geschlechterkonflikt zusammenfassen. Konfliktsituationen ergaben sich beispielsweise, wenn ein Hochschulstudium im Ausland entweder aus finanziellen Gründen nicht möglich war oder weil nach dem Weggang der jungen Männer zu Hause helfende Hände fehlten. Zusammen mit der Schwierigkeit, nach dem Studium wieder zurück in die Heimatgesellschaft und in die dort etablierten traditionellen Strukturen zu finden, bedingte dies den Generationenkonflikt, der bereits vor dem Studium seinen Anfang nahm und sich nach der Rückkehr in die Heimat fortsetzte. Leitend war dabei die Vorstellung, die aus Europa importierten modernen Ideen würden die armenische Gesellschaft, vor allem die jüngere Generation, verderben. Besonders brisant war diese Vorstellung auch deshalb, weil zu Protagonisten dieser vermeintlich verdorbenen Ideen nun die eigenen Söhne wurden, denen man – unter großer finanzieller Last – ein Studium im Ausland ermöglichte. Nicht ohne Ironie konstatierte Arċruni: Sie [die Eltern] haben ihre Söhne zum Studium in fremde Länder geschickt, wollen aber, dass deren neuen Ansichten sich nicht von den alten unterscheiden. Sie wurden in moderne Länder geschickt, erwartet wird aber, dass sie altmodisch zurückkehren. Sie ermöglichen den Eintritt ihrer Söhne in fortschrittliche Kreise und wundern sich, wenn sie selbst fortschrittlicher werden. Sie ermöglichen ihren Söhnen ein Studium, aber wundern sich, wenn sie Unterschiede zwischen diesem Studium und ihrer eigenen Ungebildetheit entdecken.8

Umgekehrt hielten die studierten jungen Menschen, so kam es im Mšak zur Sprache, ihre Familien und die unmittelbare Umgebung für ungebildet und unaufgeklärt und wirkten ihrerseits abgehoben bzw. arrogant und intolerant gegenüber der Kultur und den Sitten des eigenen Landes.9 Dies war den ehemaligen Studenten durchaus bewusst: Die vergangenen Studienjahre erdrückten mich und erinnerten mich daran, dass ich hier fremd bin: Fremd mit meiner Weltanschauung, fremd mit meiner Sprache, fremd mit meinem Geschmack, fremd mit meinem Lebensstil… Die Kleidung meines Vaters schien mir fremd. Warum? Ich wusste es nicht. Ich fühlte nur, dass mein Herz in einem seltsam unruhigen Zustand war.10 7 8 9 10

Haykakan Ašxarh. 10 (1877), 1, 20–24, 23. Mšak. 1 (1872), 12, 1–2, 1. Ebd. 10 (1881), 232, 1. Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 51.

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Modernisierungsdebatten vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums

Solche Akkulturationsphänomene, die mit der Übernahme von Wertevorstel­ lungen des Gastlands im Prozess der Sozialisation einhergingen, stellten ein beständiges Element der Bildungsmigration dar. Ein besonders anschau­ liches Beispiel dafür bietet der Fall des späteren Chemieprofessors in Zürich ­Harut’yun Abełianc. Im Jahr 1865 erhielt Abełianc ein Stipendium des Nersesian-Seminars, um in Heidelberg Geschichte und Sprachwissenschaften zu studieren. Wie üblich war an diese Zuwendung die Bedingung geknüpft, später als Lehrer an armenischen Schulen zu wirken. Doch Abełianc konnte sich weder die Rückkehr noch das Leben in seiner durch die »russischen Zustände aufs entsetzlichste misshandelten« Heimat vorstellen.11 1869 ging er nach Zürich und wandte sich den Naturwissenschaften zu, 1872 schloss er das Studium mit Promotion ab. Bald danach wurde er Privatdozent an der Universität Zürich und lehrte auch am Polytechnikum. Die praktische Arbeit im chemischen Laboratorium brachte ihm den Posten des Kantonschemikers ein.12 Im Jahr 1884 wurde Abełianc zum außerordentlichen Professor der Universität Zürich ernannt.13 Noch als Assistent des Chemieprofessors Viktor Merz kümmerte sich Abe­ łianc um die in Zürich eingeschriebenen Studentinnen und verliebte sich in Virginia Šlykova, eine Medizinstudentin aus Russland. Das Paar verlobte sich bald, was die Rückkehr von Abełianc in seine Heimat noch unwahrscheinlicher machte.14 Dies veranlasste seine Mutter, 1875 eine lange Reise auf sich zu nehmen, um ihren Sohn zu überreden, sich der einmal übernommenen 11 Rogger, Franziska / Bankowski, Monika: Ganz Europa blickt auf uns! Das schweizerische Frauenstudium und seine russischen Pionierinnen. Baden 2010, 103. 12 Harut’iun Abełianc wurde die Expertise im Todesfall des Schaffhauser Großindustriellen und Multimillionärs Heinrich Moser anvertraut, was ihn schlagartig bekannt machte. Nachdem der Verdacht aufgekommen war, dass Moser vergiftet worden sein könnte, wurde Abełianc beauftragt, seine exhumierte Leiche zu obduzieren. Während der Arbeit wurden immer wieder Anschuldigungen laut, Abełianc habe sich bestechen lassen und würde das gewünschte Ergebnis liefern. Doch die Obduktion förderte keinen Beweis für eine Vergiftung zutage, und Abełianc konnte seine Unbestechlichkeit und Professiona­ lität unter Beweis stellen. Ebd., 159–160. 13 Im Jahr 1890 wurde Abełianc zum Ordinarius befördert, doch bald zog er die Unzufriedenheit sowohl seiner Kollegen als auch der Studenten auf sich. Die letzteren beklagten vor allem, dass er nicht in der Lage sei, seine Doktoranden kompetent zu betreuen. Auch wissenschaftlich hatte er keine nennenswerten Leistungen vorzuweisen, seine Lehrtätigkeit an der Universität wurde auf die Hauptvorlesung für anorganische Chemie eingeschränkt. Vor seiner Erneuerungswahl im Februar 1902 wurde eine eingehende Prüfung seiner Lehrtätigkeit und wissenschaftlichen Leistungen angeordnet, deren Ergebnis für Abełianc niederschmetternd ausfiel. Er wurde nicht im Amt bestätigt, sondern nur provisorisch für ein weiteres Jahr beschäftigt. Seine Lehraufträge sollten aber in den folgenden Jahren trotz zahlreicher Konflikte mit Kollegen bestätigt werden, endgültig verabschiedete sich Abełianc vom Universitätsdienst kurz vor seinem Tod, im April 1921. Ebd., 214–220. 14 Ebd., 102.

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Verpflichtung zu stellen. Über die Erscheinung seiner in der »asiatischen Finsternis« verhafteten Mutter, die ihrerseits nichts von der westlichen Welt und den dort lebenden Menschen hielt, ärgerte sich Abełianc genauso sehr wie über ihre Hoffnungen, ihn mit in die Heimat zu nehmen. Später bedauerte er durchaus seine kühle und ablehnende Haltung ihr gegenüber, wo sie doch eigentlich die Ursache dafür gewesen sei, dass er aus dieser »asiatischen Finsternis« überhaupt erst herausfinden konnte.15 Einer der schwerwiegendsten Gründe, warum Abełianc im Kaukasus nicht arbeiten wollte, war der Missmut, in russischer Sprache unterrichten zu müssen. Seine Abneigung Russland gegenüber brachte er zum Ausdruck, indem er sich weigerte, die Trauung mit seiner Verlobten in der russischen Kirche in Genf durchführen zu lassen. Stattdessen reiste er nach Paris, wo sich zu dieser Zeit Karapet Ter-Mkrtčian aufhielt, und holte ihn für die Trauung nach dem armenischen Ritus nach Zürich.16 Zu den ohnehin schon als Bedrohung empfundenen Neuerungen, die mit dem Auslandsstudium einhergingen, kam das Frauenstudium hinzu. In dem armenischen Diskurs über die Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden war die Adaption westlicher kultureller Werte an die Bedingung geknüpft, die eigenen Traditionen dadurch nicht zu gefährden. Mit anderen Worten: Die Grundlagen der traditionellen armenischen Familie durften durch die Übernahme der als fortschrittlich wahrgenommenen Elemente nicht angetastet werden. Mit Blick auf das Frauenstudium wurde dieser Appell besonders plakativ formuliert. Wurde eine bessere Ausbildung der Frauen in der armenischen Gesellschaft thematisiert, so bediente diese Forderung meist die Vorstellung über gebildete Mütter, die eine gute Erziehung ihrer Kinder gewährleisten sollten. Der Schritt ins Ausland verlangte studierwilligen Frauen daher viel Kampfbereitschaft und Durchsetzungsvermögen ab. Dass sie zudem nicht von den für das Auslandsstudium bereitgestellten »nationalen Mitteln« profitieren konnten, kam erschwerend hinzu. Von den Frauen selbst wurde nicht nur die fehlende Möglichkeit beklagt, eine bessere Ausbildung zu bekommen. Sie fühlten sich auch vom Austausch mit dem intellektuellen Teil der armenischen Gesellschaft ausgeschlossen: Gar nicht beneidenswert ist die Lage unserer Lehrerinnen, die aus ihrer Umgebung herauswollen. Sie haben überhaupt keine Kontakte zu der Intelligenzija, die ihre Weltanschauung erweitern und ihre Entwicklung fördern könnten. Selbst von der Gesellschaft, in der sie arbeiten, sind sie abgeschnitten: Sie haben nichts mit dieser Gesellschaft zu tun, und die Gesellschaft hat nichts mit ihnen zu tun. Sie müssen sich mit dem Kreis enger Freunde zufriedengeben.17 15 Ebd., 103–104. 16 Ebd., 147. 17 Murč’. 9 (1897), 5, 621–635, 625.

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Modernisierungsdebatten vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums

Noch während seiner Studienzeit in Zürich und Heidelberg setzte sich Grigor Arċruni für bessere Studienmöglichkeiten armenischer Frauen in der Heimat ein und verteidigte auch ihr Recht auf ein Auslandsstudium. In einem bemerkenswerten Artikel im Haykakan Ašxarh ordnete Arċruni die Gleichberechtigung der Frauen und ihr Recht auf Bildung und Aufklärung in den Kontext des christlichen Glaubens ein, sei doch die aktuelle europäische Wissenschaft aus dem Christentum entstanden und habe sich unter dessen unmittelbarem Einfluss weiterentwickelt. Doch anstatt diesem Beispiel zu folgen, anstatt für die gleichen Rechte beider Geschlechter zu kämpfen und beiden im gleichen Maße Bildung und Wissenschaft zuteilwerden zu lassen, räume die armenische Kirche nur den Männern das Recht ein, von der Aufklärung zu profitieren.18 Diese würden jedoch so lange keine Fortschritte machen, so lange die armenische Frau nicht in der Lage sei, an Bildung aktiv teilzunehmen.19 Dieser Aufsatz und insbesondere der letzte Satz, in dem Arċruni den armenischen Frauen unterstellte, ihre Muttersprache nicht zu beherrschen und den Aufsatz folglich nicht lesen zu können, provozierte jedoch ambivalente Wahrnehmungen. Im Haykakan Ašxarh antwortete eine junge Armenierin namens Šušanik auf diese Vorurteile.20 Dass armenische Frauen vermeintlich nicht läsen, liege nicht etwa daran, dass sie es nicht könnten, sondern es sei vielmehr der Tatsache geschuldet, dass nur wenig Lesenswertes in armenischer Sprache existiere. Doch es gebe viele Armenierinnen, die nicht nur lesen und schreiben könnten, sondern auch Übersetzungen aus anderen Sprachen in derselben Zeitschrift veröffentlichten. Die im Kaukasus existierenden Mädchenschulen seien zwar nur ein kleiner Anfang, aber immerhin ein Schritt in Richtung besserer Bildungsmöglichkeiten. Die Autorin zeigte sich der festen Überzeugung, dass eine umfassende Ausbildung allmählich auch für armenische Frauen möglich sein und es ihnen erlauben würde, die alten Vorurteile zu überwinden.21 Der dritte Punkt, der im folgenden Unterkapitel noch genauer zu beleuchten sein wird, betraf schließlich den Gewissenskonflikt. Dieser erwuchs aus den Erfahrungen in den westlichen Gesellschaften und wurde unter dem Einfluss aktueller politischer Entwicklungen sogar noch verschärft. Die Absolventen ausländischer Universitäten wurden in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen in der Heimat gemeinhin als Ketzer stigmatisiert, die kirchen- und religionsfeindliche Ideen durch ihren Unterricht auch noch in die Schulen hineintransportierten. Mögliche Glaubenskonflikte thematisierten die Studenten aber auch grundsätzlich, wenn sie fragten, ob der Besuch eines protes18 19 20 21

Haykakan Ašxarh. 5 (1869), 6/8, 203–209, 204 f. Ebd., 209. Ebd., 5 (1869), 9, 320–322. Ebd., 322.

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tantischen Gottesdienstes zulässig sei und ob dies nicht eine Glaubenskrise provozieren würde.22 Als Lösung für diese vielschichtigen Konflikte wurde in der Presse die Gründung einer nationalen Hochschule empfohlen, was von der armenischen Intelligenzija aber ebenfalls kontrovers diskutiert wurde. Insbesondere Grigor Arċruni setzte sich in mehreren Artikeln intensiv mit diesem Thema auseinander, wobei seine Ansichten im Laufe der Zeit einen Wandel erlebten. Verteidigte er anfangs die Idee des Auslandsstudiums fern von der Heimat und vom familiären Einfluss, kam er letztlich zu der Einschätzung, dass der Bedarf an einer Universität im Kaukasus immer akuter wurde. Der kaukasische Lehrbezirk brauche dringend eine Hochschule, in der junge Menschen in großer Zahl ausgebildet werden könnten.23 Doch zumindest die erste Generation armenischer Studenten sollte nach seiner Überzeugung eine Hochschulbildung im Ausland, in einer weltoffenen Atmosphäre und fern von den vermeintlich rückschrittlichen Einflüssen der heimischen Gesellschaft genießen. Das Hochschulstudium war für Arċruni allgemein mit hoher Mobilität verbunden, die über die Grenzen des Kaukasus hinausführte. Ein erfolgreiches Hochschulstudium sollte nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch eine breite Weltanschauung vermitteln und damit die seit der frühen Kindheit in den Köpfen eingepflanzten Fehl- und Vorurteile bekämpfen. Der Kontakt zu den Studenten anderer Nationalität sowie die Freiheit des Studentenlebens seien feste Bestandteile des Hochschulstudiums, aber sie seien in der armenischen Gesellschaft noch nicht gegeben. Als Beispiel schilderte Arċruni die »grenzenlose« Toleranz, die gegenüber der Studentenschaft in der schweizerischen Gesellschaft herrschte. Zum Studium gehörten eben »allerlei Verrücktheiten« sowie die Möglichkeit, diese in den Studentenjahren frei auszuleben.24 Selbst die von den Studenten begangenen offensichtlichen Ordnungswidrigkeiten, so Arċruni, wurden von den Europäern mit hoher Nachsicht toleriert: »Ach, es sind wieder die Studenten«.25 Die zahlreichen Verbote und Einschränkungen, die in der armenischen Gesellschaft üblich seien, zwängen die Jugend zu anderen extremen Entscheidungen, »zum unmoralischen Handeln oder zur radikalen politischen Tätigkeit, die gleichermaßen gefährlich sind«.26 Eine Universität in Tiflis würde also nicht nur die ohnehin geringe Zahl armenischer Studenten in Russland und im Ausland reduzieren. Diese Studenten hätten kaum die Möglichkeit, sich von den patriarchalen Einflüssen der heimischen Gesellschaft und ihrer eigenen Familien zu lösen. Mehr noch, 22 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Artašes Abełian, Nr. 25, Bl. 38. 23 Mšak. 11 (1882), 45, 1. 24 Masis. 35 (1886), 3812, 750–755, 751. 25 Ebd. 26 Ebd.

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eine Hochschulbildung in Tiflis würde keinen spürbaren Nutzen bringen, aber mangels guter Bibliotheken, guter Spezialisten und fortschrittlicher Techniken »eine ganze Generation vernichten«.27 Was die Befürworter der Idee, in Tiflis eine Universität zu gründen, nicht berücksichtigten, war laut Arċruni die Tatsache, dass eine Universität nur dann gute Ergebnisse zeitigen kann, wenn auch ihre soziale Umgebung die für das Studium notwendigen Voraussetzungen und Freiheiten liefert.28 Solange diese in den kaukasischen Gesellschaften fehlten bzw. von den eigenen Familien unterdrückt würden, erachtete er eine Universität in der Heimat als zwecklos. Die in der Zeitung Russkaja Reč’ (Die Russische Sprache)  geäußerte Meinung, eine Universität in Tiflis würde die gründliche Ausbildung der armenischen Jugend ermöglichen und damit den Einfluss der ostarmenischen Intelligenzija auch auf die Westarmenier bzw. die Armenier in Persien verstärken, hielt Arċruni für eine »hübsche, dennoch unrealistische« Idee. Dies gelte umso mehr, als die Westarmenier bzw. die Armenier aus Persien wegen ihrer unzureichenden Abschlüsse ohnehin schlechte Voraussetzungen hätten, dort zum Studium zugelassen zu werden.29 Zwar plädierte Arċruni für ein Studium fern des Kaukasus, doch die russländischen Hochschulen lehnte er ebenfalls ab. Das Studium diene dort nicht der Wissenschaft wie in Deutschland, sondern ebne den Absolventen vor allem den Weg in den Staatsdienst. Erst dann, wenn dieses Privileg einmal abgeschafft sei, könne man annehmen, dass nur diejenigen jungen Menschen ein Universitätsstudium anstrebten, die sich in der Tat der Wissenschaft widmen wollten. Hieraus resultierte Arċrunis insistente Haltung gegenüber dem Studium im Ausland: Arċruni kritisierte die Studenten in Russland und hob die im Ausland, insbesondere in Deutschland studierenden Armenier hervor, idealisierte sie, hielt sie für Boten der Moderne, mit ihnen verband er die Hoffnung unserer Rettung.30

Gleichzeitig kritisierte Arċruni aber jene Studenten, die nach dem Studium nicht mehr zurückkehrten, ihre Erfahrungen nicht zum Wohl ihrer Heimat einsetzten oder aber alles Armenische für »unwürdig und rückständig« hielten. Dies seien leere, faule, nichts könnende, ichbezogene Bummler, an denen die armenische Gesellschaft keinen Bedarf habe. Arċruni fährt fort: »Wenn Ihr, liebe Studenten, nach dem Studium nicht in die Heimat zurückkehrt, will ich nichts mehr mit Euch zu tun haben«.31 27 28 29 30 31

Haykakan Ašxarh. 4 (1868), 6/7, 194–200, 200. Ebd., 196. Mšak. 9 (1880), 152, 1. Leo: Rusahayoc grakanut’iunẹ, 207. Mšak. 1 (1872), 20, 1–2, 1.

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Arċrunis kompromissloser Kampf für das Auslandsstudium junger Männer und Frauen war selbst außerhalb der Grenzen des Kaukasus bekannt. Im Jahr 1906 widmete Der christliche Orient seiner Tätigkeit einen Aufsatz, in dem insbesondere sein unermüdliches Engagement für eine bessere Ausbildung der armenischen Jugend bzw. für die Eröffnung von Mädchenschulen hervorgehoben wurde.32 Seine Bemühungen honorierte auch die armenische Presse: […] mit ihrem gerechten Wesen hat die Zeitung Mšak nicht nur das Leben der Armenier in Tiflis, sondern im ganzen Kaukasus revolutioniert, die ruhenden nationalen Gefühle der Armenier erweckt und beinahe in jedem Herzen den Geist des nationalen Selbstbewusstseins eingraviert. […] Und als es notwendig war, für die hungernden Armenier Spenden zu sammeln, wurden allein dem Aufruf von G. Arċruni folgend über 100 Tausend Rubel für diesen und andere Zwecke gesammelt. Gibt es einen anderen Redakteur in der armenischen Wirklichkeit, dem es gelungen wäre, etwas Vergleichbares zu erreichen?33

Anders als Arċruni hatte Step’anos Nazarian das Fehlen einer nationalen Hochschule als große Katastrophe für die Armenier bezeichnet. Selbst die vorhandenen Mittelschulen und Seminare waren seiner Meinung nach nicht imstande, ihre Absolventen hinreichend auszubilden und damit die Grundlage für das Auslandsstudium zu schaffen. Nazarian forderte die Einführung der neuarmenischen Sprache in den Schulen sowie eine Erweiterung des Schulprogramms durch Unterrichtsfächer und -methoden, die der heranwachsenden Generation nicht nur Wissen vermittelten, sondern auch selbstständiges Denken beibringen könnten.34 Die Spannung zwischen dem Modernisierungsziel und dem möglichen Verlust der nationalen Identität zeigte sich in Nazarians Werken besonders zugespitzt. Einerseits bedauerte er, dass der Weg an ausländische Hochschulen über russische Gymnasien führte, auf der anderen Seite sprach er der russischen Vermittlung der westlichen Werte im Modernisierungsprozess eine besondere Rolle zu. In jedem Fall durfte sich nach seiner Auffassung die bessere Ausbildung der armenischen Jugend als eine Voraussetzung für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen nicht gegen die armenische nationale Identität richten. Nazarian sah keine Alternative zur apostolischen Ausrichtung der armenischen Kirche und zur Erhaltung der armenischen Sprache; diese stellte er als zwei Säulen dar, auf denen sich die armenische Identität stützte.35 Doch zugleich forderte er eine deutliche Emanzipation von der »diktatorischen« 32 33 34 35

Der Christliche Orient. Monatsschrift der deutschen Orientmission. 7 (1906), 152–153. Masis. 35 (1886), 3807, 634–638, 637. Hiusisap’ayl. 1863, 1, 1–16, 9. Ebd., 1864, 3, 129–144.

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Macht der Kirche und dem »vernichtenden Einfluss« ungebildeter Priester in den Schulen: […] Solange unsere Nation nicht ihre geistige Volljährigkeit erreicht hat, solange ihr Selbstbewusstsein und der Gedanke ihres ungeteilten Rechts auf ihre Sprache nicht erweckt sind, solange wird die Kirche diese lenken.36

Den Weg zur Weiterentwicklung der armenischen Gesellschaft und zur Bildung des nationalen Bewusstseins sah Nazarian darin, die Errungenschaften der europäischen und russischen Kultur und Wissenschaft unter den Armeniern zu verbreiten. Dies würde die Grundlage für die Etablierung einer säkularen Literatur, der modernen Presse sowie von Volksschulen vorbereiten. Zwar hielt Nazarian die »geistige und moralische Renaissance« der Armenier durch russische und europäische Kultur und Wissenschaft für ein großes Geschenk, dennoch übte er Kritik an der drohenden »Verun­ reinigung« der armenischen Sprache und Religion.37 Das Studium an den russländischen Universitäten könnte, so Nazarians Befürchtung, die zarischen Russifizierungsbestrebungen indirekt unterstützen. Der Aufenthalt in Europa wiederum barg für die armenische Kultur, Sprache und Religion, die ja seit Jahrhunderten ein Garant für das Überleben dieses Volkes waren, ebenfalls Gefahren. Nazarian war mitnichten der Auffassung, dass die unreflektierte Nachahmung des europäischen Modells die Modernisierung der armenischen Gesellschaft herbeiführen würde. Vielmehr sollte ein armenisches nationales Fundament gewahrt bleiben und auf dieser Grundlage die Reformierung etwa der zeitgenössischen Volksliteratur nach russischem und europäischem Vorbild, aber mit armenischem Inhalt initiiert werden. Das Ziel war also, die europäischen Erfolge in verschiedenen Bereichen zu studieren, diese auf eine mit armenischen nationalen Traditionen konforme Art zu überarbeiten und damit eine reine Volksbildung und Wissenschaft zu begründen.38 Den Ausgangspunkt einer umfassenden gesellschaftlichen Modernisierung verband Nazarian mit der Einführung der neuarmenischen Sprache. Diesem Aspekt kam insofern eine wichtige Bedeutung zu, als die Sprache, so die Begründung, in einer ganz besonderen Art und Weise das nationale Selbstbewusstsein repräsentierte. Die Reformierung der Sprache sei daher eine Voraussetzung für die Etablierung der modernen Wissenschaft in der eigenen Sprache. Das Altarmenische – ähnlich wie das Altkirchenslawische oder Latei36 Mkhitaryan, M.: Arevelahay mamuli skzbnavorumẹ ev lusavorakan šaržumẹ XIX dari aṙaǰin kesin [Die Entstehung der ostarmenischen Presse und die Modernisierungsbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts]. Jerewan 1994, 303. 37 Karinyan, Artashes: Aknarkner hay parberakan mamuli patmut’yan [Überblick über die Geschichte der armenischen periodischen Presse]. Band 1. Jerewan 1956, 22. 38 Nazarian: Namakani, 75.

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nische – könne dem veränderten Sprachverständnis des Volkes nicht mehr genügen und nicht länger als Mittel zum Ausdruck des nationalen Denkens bzw. als Wissenschafts- oder Bildungssprache gelten.39 Nazarian unterhielt einen regen Austausch mit den Studenten in Dorpat, mit denen er unter anderem die notwendige Sprachreform diskutierte. In einem Brief an den armenischen Studenten Samson Maysurian beschwerte er sich über den kläglichen Zustand des Unterrichts der armenischen Sprache sowohl in den Mittelschulen im Kaukasus als auch an den russländischen Hochschulen: Es tut mir unendlich leid, dass unsere schöne Sprache von angeblichen Spezialisten und ungebildeten ›Schriftstellern‹ verunstaltet wird. Der Unterricht ist unvollständig und sinnlos, die Verwendung sowohl der schriftlichen als auch der mündlichen Sprache barbarisch (sic!). Die Armenier, die in Russland ihre Bildung bekommen, denken nicht armenisch, sondern russisch. Wir gleichen immer mehr einer Nation, die keine eigene Sprache hat.40

Die Tatsache, dass er seine Korrespondenz mit Maysurian auf Deutsch führen musste, weil dieser zwar perfekt Deutsch, aber nicht Armenisch sprach, sei ein weiterer Beweis für diese missliche Lage.41 Ein anderes Beispiel war der oben bereits erwähnte Pädagoge P’ilippos Vardanian, der das Lazarev-Institut in Moskau und die Universität in St. Petersburg absolviert und »eine glänzende Weiterbildung in den besten pädago­ gischen Einrichtungen Deutschlands« erhalten hatte. Er beabsichtigte, eine armenische Zeitschrift zu begründen, was Nazarian zwar grundsätzlich begrüßte, aber als aussichtslos einschätzte, da Vardanian weder sein Volk im Kern kannte noch Armenisch beherrschte, dafür allerdings ausgezeichnet Deutsch und Russisch sprach.42 Ähnlich wie Arċruni verfolgte Nazarian den Werdegang der an deutschen Hochschulen studierenden Armenier und bemerkte kritisch, dass die Absolventen dieser Universitäten nach dem Studium oftmals nicht mehr in ihre Heimat zurückkehrten, so etwa der armenische Arzt Minas Mkrtčian, der nach dem Studium in Berlin geblieben war, während in seiner Heimat so dringend erfahrene Ärzte nötig seien.43 Doch im Unterschied zu Arċruni zeigte Nazarian Verständnis für die kulturelle Kluft, die ja nunmehr zwischen den »deutsch denkenden und fühlenden jungen Menschen« und der armenischen Gesellschaft bestand, die mitunter nicht geneigt sei, sie zu akzeptieren.44 So 39 Ebd., 171. 40 Archiv des Museums für Literatur und Kunst. Fond Step’anos Nazarian, Nr. 13–16, Bl. 16. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Ebd., Bl. 13. 44 Ebd., Nr. 20–23, Bl. 20.

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Modernisierungsdebatten vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums

unterstützte Nazarian die Entscheidung von Peter Argutinski, eines anderen armenischen Arztes, nach dem Studium in Halle eine Beschäftigung entweder in Dorpat oder in der Hauptstadt zu suchen.45 Mit der steigenden Zahl armenischer Studenten im Ausland gewann die Diskussion um dieses Thema auch im Osmanischen Reich an Intensität. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte unter anderem die schwierige finanzielle Lage der Studenten, was mitunter physische und psychische Probleme zur Folge haben könnte. In der Presse wurde wiederholt dazu aufgerufen, ­eigens für die Studienfinanzierung vorgesehene Stiftungen zu gründen. Es ging nicht nur darum, die finanzielle Lage der Studenten zu verbessern, sondern auch das Auslandsstudium zu steuern und junge Absolventen armenischer Schulen regelmäßig ins Ausland zu schicken. Wie oben bereits erwähnt, gehörte Grigor Zohrab zu den prominentesten Protagonisten des Auslandsstudiums, der die höhere Bildung in Europa, fern von den »sinnlosen Zwängen« des klöster­lichen Lebens, zu einer Notwendigkeit von essenzieller Bedeutung erklärt hatte. Vor allem argumentierte er mit der zu erwartenden wirtschaftlichen Konkurrenz, der am besten mit einer gründlichen Ausbildung zu begegnen sei: Deutsche und österreichische Kaufleute werden dieses Land alsbald überschwemmen. Angesichts dessen ist die Einführung wissenschaftlichen Denkens eine unabdingbare Voraussetzung, um dieser Konkurrenz standzuhalten.46

Zwar seien die nationalen Millets im Osmanischen Reich in Bildungsfragen weitgehend autonom, was eine gewisse Kontrolle über das Auslandsstudium ermögliche. Doch würden diese gleichwohl durch diverse staatliche Kontrollhebel erheblich eingeschränkt. Problematisch waren vor allem die geplanten Sonderregelungen im Militärdienst, die insbesondere diejenigen Studenten betrafen, die ohne eine staatliche Sanktionierung ins Ausland gingen. Zohrab verteidigte das Recht auf das Auslandsstudium energisch und bezeichnete jegliche Kontrolle über die Studenten als eine Unterdrückung des höheren Studiums. Da die Armenier von staatlichen Stipendien wenig profitierten, seien sie besonders betroffen: Ich wundere mich, wir haben nun wirklich nur wenige Studenten nach Europa geschickt, und gerade sie wollt ihr unbedingt zum Militärdienst einberufen? Wie viele Studenten haben wir überhaupt in Europa? Das kleine Bulgarien hat zehnmal so viele wie wir. Die Zahl unserer Studenten beträgt kaum zwei- bis dreihundert, wovon hundertachtzig staatlich sanktioniert sind. Für wen wollt ihr Sonderregelungen einführen? Für die restlichen zwanzig bis dreißig Studenten, die auf eigene Kosten studieren?47

45 Ebd. 46 Zohrab: Erkeri žołovaċu, Band 3, 460. 47 Ebd., Band 5, 436.

Auslandsstudium und Modernisierung der Gesellschaft 

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Gerade diese Studenten bezeichnete Zohrab als die Hoffnungsträger der Gesellschaft, da sie trotz aller Schwierigkeiten und ungeachtet ihrer dürftigen Vorbildung die Belastung eines Auslandsstudiums auf eigene Kosten auf sich nahmen.48 Vielmehr sollte den angehenden Studenten ausreichend Zeit für die Vorbereitung auf die Prüfungen gegeben werden, zumal die heimischen Lehranstalten eine angemessene Ausbildung, die ein Studium in Europa ohne zusätzliche Vorbereitung ermöglichte, nicht gewährleisten konnten. Da diese Studenten oft aber trotzdem als Militärdienstverweigerer galten, appellierte Zohrab an die zuständigen Behörden, sie nicht mit unnötigen staatlichen Kontrollen und Einschränkungen zu belasten: […] die Situation der Studenten ist sehr schwierig; es kommt oft vor, dass sie das Jahr wiederholen müssen. Keiner der Absolventen unserer Gymnasien kann etwa an der Kunstakademie in Paris studieren, ohne sich zwei bis drei Jahre dort vorbereiten zu müssen. Und die Regierung möchte diese Studenten zum Militärdienst einberufen, mit der Argumentation, sie hätten die Prüfung nicht bestanden. Die Regierung sollte auf die Kontrolle gerade derjenigen Studenten verzichten, die vorhaben, auf eigene Kosten in Europa zu studieren. Das ist für ihre guten Vorsätze Beweis genug. Wir haben bereits hunderte Studenten im Ausland, die auf eigene Kosten studieren. Warum sollten wir für sie ein neues Gesetz einführen und vielen korrupten Beamten damit weitere Bestechungsmöglichkeiten geben?49

Wären nämlich die auf eigene Kosten studierenden Männer, so Zohrab, tatsächlich Militärdienstverweigerer, könnten sie sich ebenso vom Militärdienst freikaufen, was auf jeden Fall weniger kosten würde, als das Studium im Ausland.50 Gleichermaßen kritisierte Zohrab diejenigen Studenten, die – ob nun mit staatlicher Finanzierung oder auf eigene Kosten – das Studium nicht zu Ende brachten bzw. nach dem Studium nicht mehr in die Heimat zurückkehrten. Kennzeichnend sei das Beispiel der Medizinstudenten in Frankreich: Viele könnten nicht einmal ausreichende Kenntnisse der französischen Sprache vorweisen und seien wenig am Medizinstudium interessiert. Vielmehr strebten sie das Recht an, als praktizierende Ärzte tätig zu werden, womit sich viel Geld verdienen lasse: Aus diesem Grund hat keiner der Armenier, der in Frankreich studiert hat, einen wissenschaftlichen Grad erworben, ihre Abschlusszeugnisse sind nur eine Ermächtigung zum ärztlichen Praktizieren, aber keine wissenschaftlichen Titel. Diese in Europa angeblich ausgebildeten Ärzte sind nicht einmal in der Lage, ihrer Nation eine ihrem Ruf entsprechende wissenschaftliche Schrift zu schenken.51 48 49 50 51

Ebd., 436 f. Ebd., Band 6, 7. Ebd., 7 f. Ebd., Band 3, 116.

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Modernisierungsdebatten vor dem Hintergrund des Auslandsstudiums

Die Bildungssituation der Armenier in der Türkei könnte sich, so Zohrabs Einschätzung, nach der Jungtürkischen Revolution wesentlich verbessern, wenn die armenische Nationalversammlung dafür die richtigen Voraussetzungen schaffen würde. Doch weder konnten die armenischen Studenten von den staatlichen Stipendienprogrammen in Europa profitieren noch gab es genug Engagement, um das Unterrichtsniveau in den armenischen Lehranstalten zu verbessern. Die Zahl ihrer Absolventen dürfe nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass in keinem Studienfach, nicht einmal in den Fremdsprachen, nennenswerte Fortschritte zu verzeichnen seien. Es sei bezeichnend, dass die heimischen Zeitungen eher damit beschäftigt waren, jede noch so kleine Erfolgsgeschichte der armenischen Studenten zu feiern, anstatt die Gesellschaft auf ihre finanzielle Notlage im Ausland und verschiedene andere Missstände aufmerksam zu machen.52 Vor dem Hintergrund der beschriebenen Probleme wurde die Frage, was die Armenier vom Auslandsstudium erwarten konnten und ob sich dieses Phänomen positiv auf die Modernisierungsbewegung auswirken würde, sowohl im Russländischen als auch im Osmanischen Reich zur Grundsatzfrage. Da auch die »nationalen Mittel«, die für die Finanzierung des Auslandsstudiums bereitgestellt wurden, Gegenstand dieses Diskurses waren, wurde nicht nur das Studium, sondern auch die spätere Laufbahn junger Armenier zu einem öffentlichen Anliegen. Doch warum wurde die Übermittlung europäischer Werte gerade durch die Studenten so heftig diskutiert, obwohl doch andere Migrationsarten sowie der internationale Handel ebenfalls vergleichbare Transferprozesse auslösen konnten? Mehr als andere gesellschaftlichen Gruppen galten die Studenten, die an ausländischen Universitäten ausgebildet wurden, als jene intellektuellen Kräfte, die fremde Kulturen kennen- und schätzen lernten und diese bewusst in ihre Heimatgesellschaft transferierten. An den ab der Mitte des 19. Jahrhunderts geführten Debatten über die Reformierung der armenischen Sprache, Bildung und Wissenschaft nahm die Studentenschaft nicht nur aktiv teil, sie gab sogar oft deren Richtung vor. Doch spätestens mit ihrem Einsatz in den armenischen Schulen wurden ihre oft als ketzerisch empfundenen Ansichten in Modernisierungsfragen zum Politikum. Am deutlichsten zeigte sich dies bei den Vorstellungen über die Kirchenreform bzw. bei den Reformprojekten im Bildungsbereich, daher sollen diese Themen in den folgenden beiden Unterkapiteln näher erläutert werden.

52 Ebd., Band 6, 251.

Reformdebatten in der armenischen Kirche 

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6.2 Reformdebatten in der armenischen Kirchevor dem Hintergrund des Auslandsstudiums Die Modernisierungsprozesse im 19. Jahrhundert wurden in der Historiografie oft im Zusammenhang mit dem Rückgang der sozialen Bedeutsamkeit der Religion betrachtet. So gelangte die Forschung zu der These, die Moderne sei in mehr oder weniger großem Umfang vom Prozess der Säkularisierung der Gesellschaft bestimmt.53 In der aktuellen sozialgeschichtlichen Forschung steht diese These bereits seit geraumer Zeit in der Kritik, wobei nicht nur grundsätzlich die Vereinbarkeit der Religion mit der Moderne festgestellt wird, sondern auch ein möglicher starker kirchlicher Einfluss auf die Wandlungsprozesse in der Gesellschaft. Den Herausforderungen der Moderne wurde begegnet, indem sich auch religiöse Institutionen Prozessen wie der »Verwissenschaftlichung«, der »Bürokratisierung« oder der »Pädagogisierung«54 stellten. Konkrete Beispiele liefern etwa der Evangelikalismus in England oder der Pietismus und Verbandskatholizismus in Deutschland, die nicht nur keinen Widerspruch zur Modernisierung aufwiesen, sondern sie »[…] waren ein Teil dieses von Reibung und Konflikt geprägten Prozesses, und sie modernisierten dabei auch fortlaufend sich selbst«.55 Vorwürfe über den Rückgang der sozialen Relevanz der Kirche und die Angst vor einer drohenden Säkularisierung evozierten natürlich auch unter den armenischen zeitgenössischen Akteuren Debatten über den Stellenwert des Religiösen in der modernen Gesellschaft. Die Wahrnehmung der Kirche durch die gebildete armenische Öffentlichkeit war am Ende des 19. Jahrhunderts allzu sehr vom Bild der ungebildeten Priester geprägt und ging mit dem Vorwurf von deren Selbstisolation vom einfachen Volk einher. Die Reformbestrebungen verlangten daher die Loslösung verschiedener gesellschaftlicher Subsysteme von der kirchlichen Obhut, wobei diese Forderung besonders auf das Bildungswesen gerichtet war. Gazer führt diese Tendenzen vor allem auf die Verbreitung der marxistischen Ideologie in der armenischen Gesellschaft und auf die Gründung der Partei Dašnakcut’iun (HYD) zurück: »Beide Be53 Pollack, Detlef: Säkularisierungstheorie. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte. 7.3.2013, DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok.2.251.v; Kuhlemann, Frank-Michael / ​Schmuhl, Hans-Walter: Einführung. In: Ders. (Hg.): Beruf und Religion im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 2003, 9–28; Casanova, José: Public Religions in the Modern World. Chicago 1994. 54 Vgl. Liedtke, Rainer / Weber, Klaus: Einleitung. Zivilgesellschaften im Spannungsfeld von Religion, Staat und Philanthropie. In: Dies. (Hg.): Religion und Philanthropie in den europäischen Zivilgesellschaften. Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert. Paderborn u. a. 2009, 9–17. 55 Ebd., 12.

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wegungen verstärkten den ohnehin im Gang befindlichen Prozess der Säkularisation der armenischen Gesellschaft erheblich«.56 Harsche Forderungen gegenüber der Kirche, die bereits Garegin Hovse­ p’ian in mehreren Artikeln im Ararat kritisierte, radikalisierten sich insbesondere nach der Ersten Russischen Revolution. Den Vertretern armenischer politischer Parteien machte Hovsep’ian den Vorwurf, das Recht der Kirche auf ihren Grundbesitz, auf die Kontrolle über die geistlichen Schulen und insgesamt auf eine zivilisatorische Rolle abzustreiten. Stattdessen sei sie zu einem Ort erklärt worden, wo von einer halbgebildeten Geistlichkeit Rituale durchgeführt werden sollten. Dies sei die einzige der armenischen Kirche noch zugestandene Legitimation, zumal auch die Geistlichkeit ihre moralische Auto­rität in den Augen des Volkes verloren habe.57 Ein Großteil der Intelligenzija betrachte die Kirche nur noch als Garanten für das Fortbestehen der armenischen Sprache und der Schulen, hoffe aber, mit den durch die Revolution erlangten Freiheiten das nationale Erbe auch ohne die Kirche bewahren und weiter­entwickeln zu können.58 In der Tat stellten die Vertreter solch rabiater Ansichten, die der Kirche ihre Legitimation gänzlich abstritten, ihre Ideologie mit dem »neuen Zeitgeist« als nicht kompatibel hinstellten oder gar auf der Abschaffung dieser Institution beharrten, eine Minderheit in der armenischen Gesellschaft dar. Gerade die Idee der »identitätswahrenden Rolle«59 der Kirche war selbst in jenen Kreisen verbreitet, die gleichzeitig die vermeintliche Rückständigkeit der Kirche und die Ungebildetheit ihrer Geistlichen bekämpften. Nicht die Abschaffung der Kirche, gar der Religion war die Intention, sondern die Neudefinition der Rolle einer reformierten Kirche und ihrer gebildeten Geistlichkeit. Beiden Aspekten wurde nicht zuletzt deshalb große Bedeutung beigemessen, weil noch am Vorabend der Russischen Revolution keine wirkliche Alternative zu den geistlichen Schulen existierte. Allgemeinbildende Schulen mussten dem Ministerium für Volksaufklärung unterstellt werden, ein einheitliches staatliches Unterrichtsprogramm einführen und würden so den Vorstellungen armenischer Intelligenzija über nationale Schulen nicht entsprechen. Wenn aber die kirchliche Obhut der einzige Garant für die Bewahrung des wie auch immer verstandenen »nationalen« Charakters dieser Schulen war, so galt es, durch eine bessere Ausbildung der Geistlichen dort einen den Ansprüchen der modernen Zeit genügenden Unterricht einzuführen. Zu den prominentesten Kirchenkritikern, dessen Aussagen mitunter auch in Deutschland rezipiert wurden, gehörte sicherlich Arċruni, wobei auch er 56 Gazer: Reformbestrebungen, 200. 57 Ararat. 1907, 4, 323–330, 323 f. 58 Ebd., 324. 59 Vgl. Gazer: Reformbestrebungen, 200.

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nicht die Kirche per se angriff, sondern die in ihr herrschenden Missstände bemängelte: […] wir sind nicht Feinde der Kirche, sondern ihrer unwürdigen Diener, und wir sind nicht Feinde einer Institution, sondern der innerhalb ihrer Mauern stattfindenden Missstände. […] mit unserer Kritik zeigen wir, dass es uns gleichgültig ist, welche Kleidung jemand trägt, es kommt darauf an, dass es sich um eine gebildete Person handelt.60

Nicht nur die Ungebildetheit der Geistlichen stand im Mittelpinkt von Arċrunis Kritik, sondern auch die Resistenz der armenischen Kirche gegenüber grundsätzlichen Neuerungen im religiösen Bereich und im Bildungswesen. Vom höheren Klerus würden selbst dann progressive Reformideen abgelehnt, wenn deren Urheber aus ihren eigenen Reihen stammten bzw. von der Kirche zum Studium ins Ausland geschickt worden seien. Dadurch würden diese Personen später – obgleich die Kirche ihr Studium finanziert habe – entweder ohne Anstellung bleiben oder so wenig verdienen, dass man diese Behandlung eigentlich nur als demütigend bezeichnen könne.61 Die Haltung des höheren Klerus in Bildungsfragen wurde in einem Bericht im Mšak als geradezu lethargisch bezeichnet; ein Beweis dafür sei das unmittelbar nach der Gründung des Lazarev-Instituts im Jahr 1815 eingerichtete ­Stipendienprogramm, das jährlich 30 weltlichen und 20 geistlichen Stipendia­ ten das Studium an diesem Institut ermöglichen sollte. Schnell wurde die Frage aufgeworfen, in welchem Maße von dieser Möglichkeit in der Tat umfassend Gebrauch gemacht wurde bzw. ob diese Ausbildung der Kirche zugutekam. Im Rückblick auf die vergangenen 70 Jahre wurde eine entmutigende Bilanz gezogen: Seit der Begründung des Stipendiums seien »tausende Geistliche« auf Kosten der Familie Lazarian ausgebildet worden, keiner von ihnen sei jedoch später in den geistlichen Stand eingetreten. Dies zeuge von einer grundlegend falschen Organisation der priesterlichen Ausbildung und von einer Verschwendung erheblicher finanzieller Mittel.62 Auch andere Akteure, die auf verschiedene in der Kirche und in den Gemeinden herrschende Zustände aufmerksam machen wollten, nutzten Mšak als Sprachrohr für ihre Kritik. Zu ihnen gehörte der Schriftsteller und Publizist Levon Sargsian (1862–1927), der sich selbst als überzeugten Gegner des Klerikalismus darstellte, jedoch zu keiner Zeit die gesellschaftliche Bedeutung der Priester abstritt. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall: Die Geistlichen verfügten über Handlungsmöglichkeiten, die den weltlichen Akteuren nicht zur Verfügung stünden, daher seien sie durchaus in der Lage, dem armeni60 Mšak. 10 (1881), 189, 1. 61 Ebd. 62 Ebd., 10 (1881), 7, 1.

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schen Volk große Dienste zu erweisen.63 Im Mšak kritisierte Sargsian Xačatur ­Malumians These, die Geistlichkeit habe sich vom einfachen Volk isoliert und sei zu einer überflüssigen Klasse geworden. Grundsätzlich könnten sich die Priester, so Malumian, der armenischen Gesellschaft als nützlich erweisen, doch unter ihnen gebe es zu viele ungebildete Personen, während diejenigen, die ihrer Berufung würdig seien, allen möglichen Verfolgungen ausgesetzt seien. Malumians Worte mündeten letztlich in den Appell an die armenische Intelligenzija, sich von einer solchen Klasse zu distanzieren.64 Dagegen war Sargsian der Meinung, dass die Geistlichkeit nach wie vor Funktionen erfülle, die von großer gesellschaftlicher Relevanz seien, daher sollten die inneren Zustände der Kirche und in den Gemeinden der armenischen Intelligenzija nicht gleichgültig sein.65 Seine im Mšak formulierte Kritik gegenüber der Kirche veröffentlichte Sargsian 1900 in einer separaten Broschüre66 und lieferte Karapet Ter-Mkrtčian damit den Anlass, im Ararat zu den Anschuldigungen Stellung zu nehmen.67 Unter dem Titel »Hin cav« (Der alte Schmerz), der sich auf die Trägheit der Priester bezog, verdächtigte Sargsian die gelehrte sogenannte neue Generation der Geistlichkeit unter anderem, Klerikalismus zu propagieren. Dabei richtete sich seine Kritik vor allem auf diejenigen, die an europäischen Universitäten Theologie studiert hatten. Ter-Mkrtčian verteidigte nicht nur die Bedeutung der Theologie als Wissenschaft, sondern auch die ersten armenischen Theologen, die bei den besten Professoren in Europa studiert und ein mit mühevoller Arbeit erworbenes Diplom heimgebracht hatten: Man hat beklagt, dass es keine ausgebildeten Priester gebe. Nun haben einige die Akademie absolviert und sind dann auch noch ins Ausland gegangen. Doch sie haben Theologie studiert und sind in Augen dieser Kritiker keine Fachleute: sie wollten Juristen, Landwirte etc. Auch das haben wir studiert, dann wurde aber gesagt, dass diese Berufe auch Laien ausüben können; die Priester sollten in die entfernten Regionen Persiens und der Türkei reisen und unter dem Volk wirken. Aber selbst dann war die Kritik noch nicht zu Ende.68

Im Grunde genommen warf Ter-Mkrtčian seinen Kontrahenten also vor, unkonstruktive Kritik zu üben, um die Autorität der armenischen Kirche insbesondere im Bildungsbereich in Frage zu stellen. Denn weder hätten diese Kritiker genug Kenntnis von der Geschichte der armenischen Kirche, um 63 64 65 66 67 68

Ebd., 26 (1898), 79, 1–2, 1. Ebd., 2. Ebd., 26 (1898), 80, 1–2, 2. Sargseanc, Levon: Hin cav [Der alte Schmerz]. Moskva 1900. Ararat. 1900, 7, 338–343. Ebd., 342.

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fundierte Aussagen daraus abzuleiten, noch würden sie Mittel und Wege vorschlagen, die genannten Missstände abzustellen.69 Der Vorwurf, Klerikalismus zu propagieren, war indessen nicht neu und wurde von der Presse immer wieder aufgegriffen. So wurde die junge Geistlichkeit der armenischen Kirche in der Zeitschrift Hayrenik’ (Die Heimat) darin verdächtigt, in »religiös fanatischen Zentren« Deutschlands eine oberflächliche Theologie studiert zu haben und dem armenischen Volk klerikales Denken beibringen zu wollen.70 In der Zeitschrift Ararat empörte sich TerMkrtčian öffentlich gegen solche Vorwürfe: So, Berlin, Halle, Marburg und Tübingen sind also religiös fanatische Zentren, und Harnack, Kaftan, Kautzsch, Loofs, Hermann und Weizsäcker, die in ganz Europa als freidenkende Theologen anerkannt sind, sollen rückschrittlich sein.71

Ein Grund für Anschuldigungen dieser Art war sicherlich auch die Tatsache, dass die Forderungen nach einer grundlegenden Kirchenreform, die die in Deutschland ausgebildeten Theologen vorbrachten, mit einem erheblichen Ideentransfer aus ihrer protestantischen Studienumgebung verbunden waren. So beschuldigte Ełiše Vardapet Gełamean die »Urheber der Kirchenreform« Stp’anos Nazarian, Grigor Arċruni und Ervand Ter-Minassian, Reformvorschläge zu verbreiten, ohne den Nutzen davon für das Volk klar zu benennen. Die armenische Kirche sei eine Volkskirche, doch verlangten nun die genannten Personen, dass das Volk diese eigenhändig aufgebaute Kirche nach dem deutschen bzw. europäischen Beispiel reformiere. Diese Nazarians, Arċrunis und Ter-Minassians seien aber noch lange nicht das armenische Volk. Gełamean gelangte zu der Schlussfolgerung, die Religionsfragen dürften nicht zur Angelegenheit einer Minderheit werden. Wenn man davon ausgehe, dass die armenische Kirche eine Volkskirche sei, so solle man ihre Reform auch dem Volk überlassen. Dieses »gefährliche und ärgerliche Fehlurteil« motivierte Karapet Ter-Mkrtčian, das Schweigen72 über die Reformfrage zu brechen und in der Zeitung Hovit (Das Tal) wieder öffentlich Stellung dazu zu nehmen.73 In einem knappen Artikel entkräftete er zwar die Notwendigkeit einer fundamentalen Wandlung der armenischen Kirche. Dass sie jedoch den Bedarf einer Erneuerung bzw. Verbesserung habe, stehe ebenfalls außer Zweifel.74 69 Ebd., 343. 70 Ebd., 1895, 7, 250–254, 251. 71 Ebd. 72 Ter-Mkrtčian hatte sich während seiner Amtszeit als Leiter der armenischen Diözese in Täbriz von der Reformfrage zurückgezogen, was unter anderem die Kritik von Ervand Ter-Minassian provozierte. Vgl. Mšak. 38 (1910), 228, 4. 73 Hovit. 8 (1913), 2, 19–21. 74 Ebd., 21.

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Weitere Kontroversen um die innerkirchliche Reform waren mit den divergierenden Vorstellungen verbunden, die zwischen der sogenannten Reformpartei und dem traditionalistisch gesinnten höheren Klerus bestanden und ebenso bis zu einem gewissen Grad aus den Auslandserfahrungen resultierten. Zwar sah und akzeptierte die höhere Geistlichkeit die Notwendigkeit der Reformen, die Neuerungen sollten jedoch nur bestimmte Bereiche betreffen, d. h. die Dogmen der Kirche nicht berühren. Selbst der als demokratisch geltende Kathołikos Matt’eos  II. Izmirlian, der nicht grundsätzlich gegen die äußerliche Veränderung der kirchlichen Bräuche war und immerhin die neuarmenische Sprache im Schriftverkehr einführte, lehnte jegliche »Eingriffe« in die Dogmen der Kirche ab. Mit Blick auf die Reformvorschläge des oben bereits erwähnten Arztes Avetik’ Babaian, die insbesondere die »Kirchenhygiene« betrafen, zeigte sich der Kathołikos gegenüber vielen Vorschlägen offen. Es gebe aus Sicht der armenischen Kirche kein kanonisches Verbot, diese Hygienevorschriften im Bedarfsfall einzuführen.75 Gleichzeitig konstatierte er: […] Ich halte es aber für meine heilige Pflicht, schon jetzt bestimmt mitzuteilen und zu erklären, dass in jedem Falle die Glaubensdogmen und die Lehren der armenischen Kirche unantastbar bleiben müssen. Das ist unbedingt und absolut notwendig für die sichere Bewahrung ihrer Existenz und Unabhängigkeit.76

Die der »Reformgeistlickeit« vorschwebenden Erneuerungen gingen jedoch tiefer und betrafen die Reformierung der Kirchenverfassung, des Wahlsystems und der kirchlichen Rituale bei Hochzeit, Taufe und Begräbnis, des Weiteren die Abschaffung des Zölibats, die Etablierung der Liturgie in der neuarmenischen Sprache, umfassende Hochschulbildung für alle Geistlichen, die Aufhebung der Fastengebote, die Unterdrückung des Aberglaubens etc. Als unerlässlich wurde insbesondere eine moderne theologische Ausbildung für die geistlichen Diener der armenischen Kirche dargestellt; deren Notwendigkeit begründeten Karapet Ter-Mkrtčian, Garegin Hovsep’ian und Ervand Ter-Minassian in zahlreichen Artikeln. Nicht zuletzt die armenische Intelligenzija sollte für die Bedeutung der akademischen Ausbildung der Geistlichkeit sensibilisiert werden, denn gerade dieser Gruppe wurde wiederholt eine den kirchlichen Reformen gegenüber ablehnende Haltung bescheinigt. Gazer 75 Avetik’ Babaian hatte seine Reformvorschläge in einer Studie zusammengefasst, in der er nicht nur die Notwendigkeit darlegte, in der Kirche zum Beispiel Bänke zur Verfügung zu stellen, eine Lüftung zu installieren bzw. die Kirche im Winter zu heizen. Er ging auch auf Fragen der kirchlichen Rituale etwa bei Begräbnis oder Heirat ein. Gerade diese Vorschläge veranlassten den Kathołikos, die kirchlichen Bräuche mit Nachdruck zu verteidigen. Vgl. Babayean, Avetik’: Ekełecakan aṙołǰabanut’iun [Die kirchliche Hygiene]. Tiflis 1909. Nach der Lektüre des Buches adressierte der Kathołikos einen Brief an den Autor, der in Folge unter anderem im Ararat abgedruckt wurde. Vgl. Ararat. 1910, 4, 305–308. 76 Ebd., 307; Die Übersetzung von Ervand Ter-Minassian erschien in: DAB. 1910, 5, 61.

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führt dies vor allem auf die zarische Politik zurück, die mit der Gründung des Hl. Synods und der Einführung der Položenie im Jahr 1836 in der armenischen Kirche bis dahin fremde Institutionen etabliert hatte. Ein Resultat dieser Politik sei gewesen, dass die Laien von der Verwaltung und Organisation der Kirche ausgeschlossen wurden, was wiederum wesentlich zu einer antikirchlichen Haltung vor allem in der armenischen Bildungselite führte: Es waren die gebildeten Laien, die den Reformdiskussionen distanziert bis ablehnend gegenüberstanden, besonders, wo es um Reformen der akademischen Ausbildung für die Geistlichen ging. Sie sahen darin eine weitere Verstärkung des Klerikalismus. Die Wiederherstellung der Rechte der Laien an der Leitung und Verwaltung der Gemeinden wurde im Rahmen der Reformbemühungen deshalb auch immer wieder angestrebt.77

Doch die entstandenen Konfliktlinien verliefen nicht allein entlang staatspolitischer Grenzen. Die Kluft, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zwischen Kirche und Intelligenzija gebildet hatte, vertiefte sich parallel zur Auseinanderentwicklung der Vorstellungen beider Seiten über die Modernisierung der armenischen Gesellschaft. In der Presse wurden Stimmen laut, die die Priester als ein Rudiment aus längst vergangenen Zeiten bezeichneten und ihnen weder einen Platz noch eine Rolle in der modernen Welt einräumten. Dagegen begründete Ter-Mkrtčian die Rolle und Bedeutung des Priesters in der Gesellschaft gerade mit den Beispielen aus modernen Ländern wie Amerika, England oder dem »Wissenschafts- und Erziehungszentrum« Deutschland.78 Dass die armenische Bildungselite Schwierigkeiten hatte, die Wissenschaftlichkeit der Theologie anzuerkennen, brachte er mit dem Umstand in Zusammenhang, dass die gebildete neue Intelligenzija unter dem Einfluss der Naturwissenschaften stehe und in religiösen Fragen eine andere Weltanschauung entwickelt habe. Die im Ausland ausgebildeten Theologen seien aus deren Sicht nur Betrüger, die die Gutgläubigkeit des Volkes ausnutzten, um es in die Irre zu führen.79 Gegen diese Vorurteile kämpfte Ter-Mkrtčian nicht nur auf den Seiten von Ararat, sondern auch mit an verschiedenen Orten gehaltenen Predigten, in denen er die akademische Bildung der Geistlichkeit als Gebot der Stunde darstellte. Die Priester bezögen die »Fundamente ihres Glaubens« aus der Hl. Schrift, so Ter-Mkrtčian, allein deshalb sollten sie diese richtig verstehen können und imstande sein, ihre eigene Ethik und praktische Theologie daraus zu entwickeln.80 An Beispielen aus seiner Studienzeit in Deutschland 77 78 79 80

Gazer: Die Reformbestrebungen, 9. Ararat. 1898, 5, 199–204, 200. Ebd., 1901, 5/6, 267–270, 268. Ebd., 1898, 5, 199–204, 201.

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zeigte er die Divergenz, die bei der religiösen Bildung zwischen Deutschland und den Armeniern zu beobachten sei. Als beeindruckend beschrieb er die Sonntagsschule in Berlin, die von Dozenten der Evangelisch-Theologischen Fakultät geleitet wurde.81 Ter-Mkrtčian hatte während seiner Studienzeit dort als Kindergottesdiensthelfer gearbeitet und zeigte sich beeindruckt, wie die Kinder geistliche Lieder sangen oder Geschichten aus der Bibel erzählten. Dies veranlasste ihn zu der Schlussfolgerung, diese Kinder hätten von der Hl. Schrift mehr Ahnung als die meisten armenischen Priester.82 In Ēǰmiaċin plädierte er nicht nur dafür, Sonntagschulen zu eröffnen, sondern auch Kindergottesdienste in den Diözesanschulen einzuführen.83 Zu der ohnehin angespannten Situation um die Kirchenreform trug die Erste Russische Revolution ein Übriges bei. Mit dieser Tatsache erklärte TerMkrtčian sowohl die inneren Widerstände als auch die weitgehende Säkularisierung der armenischen Gesellschaft, die er dafür verantwortlich machte, dass ein geregelter und moderner Religionsunterricht an der Akademie immer noch fehlte. Das von ihm und seinen Kommilitonen vermittelte Wissen falle unter diesen Umständen auf unfruchtbaren Boden, dementsprechend sei die »Ernte eine trostlose«.84 Nicht nur hätten die in Deutschland erworbenen Ideen noch wenig Wurzeln gefasst; die »falsch verdaute« Theologie mache unter falschen Einflüssen die jungen Menschen mitunter sogar religions- und kirchenfeindlicher.85 Es mag paradox erscheinen, dass angesichts des starken Widerstands gegenüber der armenischen Kirchenreform gerade die Zeitschrift Ararat zum wichtigsten Sprachrohr der Reformbewegung wurde. Bereits Ter-Mkrtčian hatte in dieser Zeitschrift mehrere Artikel publiziert, in denen er verschiedene Aspekte kirchlicher Reformen analysierte. Seine Ansichten veröffentlichte dort auch Garegin Hovsep’ian, der ebenfalls die mangelhafte Ausbildung der Geistlichkeit kritisierte und deren fundierte theologische Bildung als Voraussetzung für die Reform der armenischen Kirche ansah. In den Provinzen habe er Priester getroffen, die nicht einmal lesen und schreiben konnten. Von ihnen könne man eine ihrer Berufung entsprechende christliche Erziehung »ihrer Herde gemäß dem Geist und der Lehre unseres Stifters« nicht er­ warten.86 Dass sich die jüngere Generation von der Kirche abwandte, für die ihre Väter zu sterben bereit gewesen waren, fand Hovsep’ian unter diesen Umständen nicht verwunderlich. So eine gesellschaftliche Haltung sei aber auch ein Produkt der Unkenntnis über das Wesen, die Ziele und die Berufung 81 Ebd., 1895, 8, 297–301, 298. 82 Ebd., 299 f. 83 Ebd., 300 f. 84 Zitiert nach: Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 199. 85 Ebd. 86 Ararat. 1900, 3, 101–104, 101 f.

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der Kirche und sie verbreite sich freilich auch unter dem einfachen Volk.87 Eine Möglichkeit, die kirchliche Autorität wiederherzustellen, sah er darin, den Beruf des Priesters völlig neu zu definieren, vor allem sollten sie mit ihrer Bildung höher stehen als das einfache Volk, weil »ein Blinder einen anderen Blinden nicht führen kann«.88 Die Etablierung einer wissenschaftlichen Theologie, »der geistigen Waffe der Priester«, war in Hovsep’ians Vorstellung eine Voraussetzung für die Wiederbelebung der armenischen Kirche.89 Die Absolventen der Gevorgian-​ Akademie sollten an russländische und europäische Universitäten gehen, um später als Lehrer an der Akademie zu wirken. Die ersten von ihnen seien bereits zurückgekehrt und unterrichteten dort, nun sollten sie die Möglichkeit erhalten, neben der Lehre auch wissenschaftlich tätig zu werden.90 Die Professionalisierung im pädagogischen wie im wissenschaftlichen Bereich hielt Hovsep’ian für den Schlüssel, um unter anderem der ausländischen Konkurrenz begegnen zu können. Neben hochgebildeten Theologen seien dafür eine Bibliothek und eine Druckerei notwendig. Der großen Bedeutung einer wissenschaftlichen Bibliothek widmete Hovsep’ian einen separaten Artikel, in dem er dafür plädierte, die in Ēǰmiaċin bereits vorhandene Bibliothek zu bereichern und zu einem armenologischen Zentrum zu machen. Für diese beinahe wichtigste nationale Einrichtung sollten weder Mühe noch Opfer gescheut werden.91 Mindestens für genauso wichtig erachtete er den Druck populärer und wissenschaftlicher theologischer Werke. Zwar habe Ēǰmiaċin bereits eine Druckerei, die zu den besten im Kaukasus zählte, sie sei dennoch weit von europäischen Standards entfernt.92 Ab Januar 1907 übernahm Garegin Hovsep’ian die Redaktion der Zeitschrift Ararat wieder und verteidigte umfassende kirchliche Reformen in mehreren Artikeln sogar noch eindringlicher. In einen engen Zusammenhang mit diesen Reformen stellte er den Zustand der Schulen, aus denen die künftigen Geist­lichen hervorgehen sollten. Das augenblickliche »babylonische Durch­einander« in den Schulen erklärte er zum einen mit dem Einfluss der russischen Revolution, zum andern mit dem »unsinnigen« Kampf armenischer politischer Parteien, der auch in den Schulen ausgetragen werde, zum dritten aber auch mit der schwachen kirchlichen Kontrolle.93 Die revolutionäre Welle aus Russland habe letztlich dazu geführt, dass Schüler rebellierten, der Lehrkörper eigenständige Regelungen und Änderungen ohne die Erlaub87 Ebd., 1900, 8/9, 373–378, 375. 88 Ebd., 376. 89 Ebd. 90 Ebd., 377. 91 Ebd., 1901, 1, 18–25, 19. 92 Ebd., 1900, 8/9, 373–378, 378. 93 Ebd., 1907, 2, 129–135, 133 f.

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nis der geistlichen Führung durchzusetzen versuche, ja die Anordnungen aus Ēǰmiaċin offen boykottiert würden. In der Tatsache, dass die revolutionären Parteien ihre Propaganda auch in den Schulen verbreiteten, sah Hovsep’ian eine Gefahr für das Fortbestehen des Schulsystems und für die Erziehung der heranwachsenden Generation. Um dem entgegenzutreten, sei eine Neuorganisation notwendig, hätten sich doch alle politischen Kräfte unter dem Einfluss des russischen Befreiungskampfes vereinigt und neu organisiert. Dies solle auch die armenische Geistlichkeit tun, nur so könne sich die Kirche ihren Platz als eine Bildungsinstitution in der neuen gesellschaftlichen Ordnung sichern.94 Auf Hovsep’ians Ansichten reagierte der nach dem Tod des Kathołikos Mkrtič I. Chrimian als Stellvertreter amtierende Erzbischof Gevorg Surenianc mit scharfer Kritik. Den konkreten Anlass lieferte der Aufsatz »Der Sitz des armenischen Kathołikos« im Ararat.95 Unter dem Pseudonym »Abwesender Bruder« wies Surenianc in derselben Zeitschrift die von Hovsep’ian genannten Mängel in den verschiedenen kirchlichen Bereichen und die daraus resultierende Notwendigkeit grundlegender Reformen entschieden zurück. Im Gegenteil sogar: Er rief zur Vorsicht auf gegenüber solchen »gefährlichen Neuerungen« und forderte, sich an die »alten und vernünftigen« Ideen zu halten.96 In seiner Antwort, die direkt auf diesen Artikel folgte, betonte ­Hovsep’ian zunächst, wie wenig Ahnung ein verdienter Vertreter der alten Generation vom wirklichen Leiden und dem aktuellen Zustand der armenischen Kirche habe. Angefangen vom Gottesdienst bis hin zur Erneuerung der Klöster und zur Berufung eines allgemeinen religiösen Konzils waren, so Hovsep’ian, grundlegende Reformen notwendig.97 In einem separaten Artikel, der im selben Jahr im Ararat abgedruckt wurde, vertiefte er diese Ideen noch und lieferte damit Anlass zu neuen Konfrontationen.98 Die sich zuspitzende Situation mündete letztlich in Hovsep’ians Entlassung aus seinem Amt als Redakteur des Ararat. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Zeitung unter seiner Leitung ihre Ziele nicht mehr erfülle.99 Unter solchen Umständen war allein schon die Idee gefährlich, der armenischen Kirche durch die Ausbildung weiterer junger Geistlicher an deutschen Hochschulen zu einer inneren Reform zu verhelfen, zumal der Tod des auf Mkrtič I. Chrimian gefolgten Kathołikos Matt’eos II. Izmirlian eine weitere Zuspitzung der Lage mit sich gebracht hatte. Vor allem Karapet Ter-Mkrtčian war nicht nur gezwungen, sich in seinen Reformbestrebungen stark zurück94 95 96 97 98 99

Ebd., 1907, 4, 323–330, 329 f. Ebd., 1908, 1, 27–35. Ebd., 1908, 4, 364–367, 367. Ebd., 367–373. Ebd., 1908, 10, 852–866. Ebd., 1908, 11, 959.

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zunehmen. Von seinen Gegnern wurde ihm sogar die Schuld am Tod des Kathołikos zugeschoben: […] ich habe solche gewissenlose Gegner, die sich nicht gescheut haben, das Gerücht zu verbreiten, ich hätte durch mein letztes ›beleidigendes‹ Gespräch die Erkrankung des Patriarchen (er erkrankte zehn Tage nach meinem letzten Besuch) herbeigeführt, weil ich protestantisch gesinnt sei und den Protestantismus lehre. Wie leicht könnten also meine Äußerungen ausgenutzt werden, um mich vor der Regierung in Misskredit zu bringen.100

Für die Wahl des neuen Kathołikos wurde eine nationale Versammlung aus allen – russischen, türkischen und persischen – Diözesen einberufen. Zwar stand die Frage der kirchlichen Reform auf der Tagesordnung und sogar eine Kommission wurde gebildet, um einen Reformplan auszuarbeiten. Doch der neu gewählte Kathołikos Gevorg V. Surenianc zeigte sich gegenüber grundlegenden Neuerungen eher zurückhaltend. In seinem Jahresbericht in der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk zitierte Ewald Stier aus den Briefen von Ervand Ter-Minassian und Hakob Top’čian, in denen sie mit Blick auf die Haltung des Kathołikos zu der Reformfrage zu einem ähnlichen Fazit gelangten: Auch wenn der neue Kathołikos nicht abgeneigt war, so Ter-Minassian, »dies und jenes zu reformieren«, viel sollte man von ihm dennoch nicht erwarten.101 Vor allem die Reform der kirchlichen Dogmen lehne der Kathołikos mit der Begründung ab, deren Vereinfachung würde das Ansehen der armenischen Kirche schädigen und der Regierung möglicherweise sogar Veranlassung geben, ihre liberale Haltung gegenüber der armenischen Kirche zu überdenken.102 Die Ideen derjenigen Geistlichen, die unter dem starken Einfluss neuerer philosophischer Schulen standen, hielt er in der armenischen Kirche für nicht durchführbar.103 Der mangelnden Bildung der Priester und der daraus resultierenden unerträglichen Situation sowohl in den armenischen Gemeinden als auch in den Schulen stand vor allem Ervand Ter-Minassian unversöhnlich gegenüber. Seine Reformideen präsentierte er unter anderem in einem Vortrag, den er auf dem »Fünften Weltkongress für Freies Christentum und Religiösen Fortschritt« hielt. Der Kongress, zu dem Ter-Minassian vom Verein Notwendiges Liebeswerk eingeladen worden war, fand vom 5. bis 10. August 1910 in Berlin statt. Ein ausführlicher Artikel zu diesem Thema erschien bereits in der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk, seine Ansichten hatte Ter-Minassian auch

100 Zitiert nach: Stephan: Karapet Episkopos, 40. 101 Stier: Jahresbericht, Sp. 29. 102 Ebd. 103 Ebd.

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in einem Buch zusammengefasst.104 In diesen Schriften legte er unter anderem die augenblickliche Situation in Ēǰmiaċin ausführlich dar. Demnach hätten sich mit dem traditionalistisch gesinnten höheren Klerus und der jüngeren gebildeten Geistlichkeit zwei gegensätzliche Lager gebildet, wobei die letztere Gruppe für Tendenzen und Forderungen kämpfe, die bis dahin in der armenischen Kirche nicht existierten. Ter-Minassian vertrat die Vorstellung, eine Religion, die nicht mit der Zeit fortschreiten und sich weiterentwickeln wolle, sei ein Rudiment einer Kulturstufe der Menschheit, die längst überholt, ja schon verschwunden sei.105 Es stellt sich also die Frage: Was sollen wir tun, dass diese schwere Krise eine für die Kirche förderliche Lösung findet? Die Antwort auf diese Frage kann nur sein: Was nicht den gegenwärtigen Anschauungen entspricht und auch für die Religion gleichgültig ist, muss beseitigt und dafür etwas Lebensfähigeres und den jetzigen Bedürfnissen Entsprechenderes eingeführt werden.106

Die armenische Kirche solle den Mut aufbringen, ihre eigene religiöse Weltanschauung und das religiöse Leben auf Wahrhaftigkeit hin zu überprüfen. Doch so eine Forderung werde bei der armenischen Geistlichkeit angesichts ihrer überaus schlechten Allgemeinbildung womöglich auf wenig Verständnis treffen.107 Dass die ausschließlich auf Dogmen und Kultus konzentrierte religiöse Welt selbst diejenigen von der Kirche fernhalte, die ihr eigentlich gar nicht feindlich gegenüberstünden, hielt Ter-Minassian für eine Folge der beschriebenen Zustände: »Es wäre nicht verkehrt, unter solchen Umständen zu hinterfragen, ob die moderne Bildungselite tatsächlich im Unrecht ist, wenn sie sich von der Kirche und der Religion distanziert?«108 Die Organisation und die Verwaltung der Kirche, aber auch die Dogmen und der Kultus sollten daher grundsätzlich erneuert werden, zumal gerade der letztere zu einer von unverständlichen und veralteten Elementen belasteten »sinnlosen Gewohnheit« geworden sei. Alle Erneuerungen setzten für

104 Ter-Minassian, Ervand: Reformbestrebung in der armenischen Kirche. In: DNL . 1909, 3, Sp. 33–38; Ders.: Veranorogut’ean karik’ẹ Hayoc Ekełecu hamar [Die Reformbedürftigkeit der armenischen Kirche]. In: Ararat. 1908, 5/6, 465–486; Ders.: Hayoc ekełecu veranorogman xndirẹ [Die Frage der Erneuerung der armenischen Kirche]. In: Ararat. 1908, 7/8, 872–887 (diese Seiten wurden auf Befehl des Kathołikos aus der Zeitung herausgerissen und verbrannt. Sie fehlen daher im Ararat); Ders.: Veranorogutean karik’ẹ hayoc ekełecu hamar [Die Notwendigkeit der Reform der armenischen Kirche]. Vałaršapat 1908. 105 Ter-Minassian: Veranorogutean karik’ẹ, 26. 106 Zitiert nach: Stier, Ewald / Rohrbach, Paul: Mission und Evangelisation im Orient. In: ChW. 23 (1909), Sp. 516–522, 519. 107 Ter-Minassian: Reformbestrebung, Sp. 35. 108 Ebd.

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Ter-Minassian eine gründliche Ausbildung der Priester voraus, wobei er die augenblickliche Situation als unhaltbar beschrieb: Der Sohn des Priesters lernt von seinem Vater lesen, schreiben und einige kirchliche Ordnungen, wie der Sohn eines Handwerkers sein Handwerk von seinem Vater lernt. Damit sind alle Anforderungen, die an einen künftigen Priester der armenischen Kirche zu stellen sind, erfüllt. […] Wenn nun aber von der modernen armenischen Kirche derartige elementare Kenntnisse als genügend anerkannt werden, so kann man sich vorstellen, wie es dann erst um die allgemeine Bildung der niederen Geistlichkeit bestellt sein muss.109

Die gründliche akademische Bildung der Priester nannte er die Voraussetzung für das Fortbestehen der armenischen Kirche. Die höhere Geistlichkeit sollte den Abschluss der Geistlichen Akademie, aber auch eine höhere theologische Ausbildung vorweisen können, weil »eine Kirche, die in der modernen Welt noch irgendwelchen Einfluss behalten möchte, gebildete, das heißt der modernen Kultur gewachsene Vertreter haben muss«.110 Ein grundsätzliches Problem, das nicht unwesentlich die Durchsetzung der Reformen hemme, sei dabei das Zölibat, an dem die höhere Geistlichkeit festhalte. Nicht nur habe diese Hürde verhindert, die Reihen der ēǰmiaċiner Bruderschaft durch gelehrte Mitglieder zu ergänzen. Wegen der konservativen Politik des neu erwählten Kathołikos Gevorg V.  Surenianc sei zu erwarten, dass viele aus dem geistlichen Stand sogar wieder austreten würden. Die Zahl zölibatärer Geistlicher würde sich damit drastisch verringern, eine Tendenz, die auch in der Türkei zu beobachten sei.111 Derweil wurde das Zölibat nicht nur von der Reformgeistlichkeit als veraltet und unzeitgemäß empfunden, auch das Volk habe die Vorstellung von dem »heiligen« ehelosen Priester längst aufgegeben.112 Die gebildete Geistlichkeit sei nicht mehr bereit, sich für die Ehelosigkeit zu opfern. Mehr noch, gerade wegen dieser Hürde blieben viele fähige Persönlichkeiten der Kirche fern. Zusammenfassend betrachtet betrafen die vom protestantischen Beispiel inspirierten Reformforderungen von Ter-Minassian die moderne Ausbildung der Geistlichkeit, die Anerkennung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen, die Umgestaltung der Kirchenlehre nach zeitgenössischen philoso­ phischen Begriffen sowie die Demokratisierung der Kirchenverfassung. Er kritisierte insbesondere, dass sich der Glaube in der armenischen Kirche stärker im kirchlichen Zeremoniell statt in einem christlichen Geist zeige, und hielt das Priestertum für eine aus anderen Religionen übernommene Praxis, 109 Matenadaran. Fond Ervand Ter-Minassian, Mappe 239/4, Dok. 25, Bl. 5. 110 Ebd., Bl. 14. 111 Ter-Minassian: Reformbestrebung, Sp. 37. 112 Ebd.

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die eigentlich nicht mit dem wahren Wesen des Christentums vereinbar sei. »Die sich ihres Berufes bewussten Geistlichen müssen das Volk so erziehen, dass dieser heidnische Begriff abstirbt und jeder Christ sich unmittelbar mit Gott in Verbindung setzt«.113 Diesen Gedanken formulierte Ter-Minassian wiederholt: Unsere jetzigen Priester, die dazu berufen sind, dem Volke die Gedanken des allge­ meinen Priestertums und der Gotteskindschaft nahezubringen, verstehen meistens selber nichts vom Christentum und von der Kirche, weshalb sie auch in einem absonderlichen Aberglauben stecken. Die natürliche Folge dieses Zustandes der Priester ist, dass in unserer Kirche das Heidentum so stark präsent ist […]114

Nur das lebendige Wort der Predigt, so Ter-Minassian, war in der Lage, diesem ausgeprägten und im Volk verbreiteten heidnischen Aberglauben entgegen­ zuwirken. Sein Fazit lautete, die armenische Kirche habe für die Gesellschaft beinahe jegliche religiöse Bedeutung verloren, ja sich im Verständnis des Volkes zu einem Ort transformiert, in dem der Gottesdienst und weitere ­R ituale wie Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen durchgeführt würden, ohne dass diesen Zeremonien eine geistliche Relevanz beigemessen werde. Dieses Grundverständnis der Religion gelte es bereits auf der Schulbank zu korrigieren, was die Aufgabe gebildeter Priester sein sollte. Stattdessen waren, so Ter-Minassian, nur dürftig gebildete Geistliche des niederen und des höheren Rangs in den kirchlichen Volksschulen für die Ausbildung der armenischen Kinder zuständig.115 Als zusätzliche Erschwernis bezeichnete Ter-Minassian das Fehlen eines einheitlichen Programms in den geistlichen Seminaren. Mehr noch, gegen die Einführung religionsgeschichtlicher Fächer bzw. die Erhöhung ihrer Stundenzahl protestierten sowohl die Schüler als auch ein Teil der Geistlichkeit, ja selbst die Laien: Ich bin 6 Jahre in Ēǰmiaċin gewesen, davon 4 Jahre Dozent an der dortigen Akademie, und es ist kein Schuljahr vergangen, ohne dass die Schüler durch äußere revolutionäre Einflüsse und innere Klosterintrigen bestärkt, das Einstellen der Vorlesungen über die Kirchengeschichte, Einleitung in das Neue Testament, christliche Religionsgeschichte usw. nicht verlangt hätten.116

Unter diesen Umständen sei es keine einfache Aufgabe, in der armenischen Öffentlichkeit um Verständnis für die Notwendigkeit der kirchlichen Reform zu werben. Die armenische Intelligenzija unterteilte Ter-Minassian in drei 113 Ter-Minassian, Ervand: Die Frage der armenischen Kirchenreformation. In: DNL . 1910, 4, Sp. 45–51, 46. 114 Ders.: Reformbestrebung, Sp. 36. 115 Matenadaran. Fond Ervand Ter-Minassian, Mappe 239/4, Dok. 25, Bl. 4. 116 Ebd., Bl. 6.

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Gruppen, die kraft ihrer gesellschaftlichen Stellung Einfluss auf die Kirchenreform nehmen könnten. Auf der einen Seite stehe die nationalistisch gesinnte Intelligenzija, die für die Unabhängigkeit Armeniens kämpfe. Sie verlange die Bewahrung des nationalen Charakters der armenischen Kirche, die als Garant für die Einheit der Armenier, ja sogar für ihre Existenz als Nation verstanden wurde. Die Vertreter dieser Gruppe sahen die Kirche als Instrument zur Bewahrung des armenischen Nationalcharakters und waren daher, so Ter-­Minassian, weder für die innere Reformierung der Kirche noch für eine bessere theologische Ausbildung der Geistlichen zu gewinnen.117 Deutlich feindseliger gegenüber der Kirche sei die revolutionäre Intelligenzija eingestellt, die der Kirche im neuen Zeitalter keine Bedeutung beimesse und die Religion als Produkt eines unwissenschaftlichen Denkens betrachte. Wenn viele äußerlich dennoch zur Kirche hielten, so sei dies dem Umstand geschuldet, dass die Kirche nach wie vor als die einzige offizielle Institution der Armenier einen gewissen politischen und kulturellen Einfluss besitze. Die Reformierung der Kirche sei ihnen jedoch ein Dorn im Auge, denn von einer fast toten Kirche habe man nichts zu befürchten, eine lebendige und erneuerte Kirche dagegen könne für sie wirklich »gefährlich werden«.118 Nur ein sehr kleiner Teil der armenischen Gesellschaft hatte laut Ter-Minassian Verständnis für die Notwendigkeit von Reformen, viele von ihnen wirkten sogar aktiv mit, seien aber wegen diverser Intrigen, nicht zuletzt aber auch wegen des Zölibats, genötigt, sich vom kirchlichen Dienst fernzuhalten. Zu dieser kleinen Gruppe zählte Ter-Minassian diejenigen, die an deutschen theologischen Fakultäten ihre Ausbildung erhalten und die Reformierung der armenischen Kirche zu ihrer Lebensaufgabe erklärt hatten.119 Die von Ter-Minassian immer offensiver formulierten Reformforderungen provozierten alsbald nicht nur die Missgunst des höheren Klerus, sondern führten auch zu Angriffen in der Presse.120 Zu mehreren im Mšak veröffentlichten Artikeln nahm Ter-Minassian in derselben Zeitung Stellung.121 Die meisten Gegenargumente, die sich gegen Ter-Minassians Reformvorschläge richteten, aber auch generell einen antiklerikalen Charakter hatten, bezeichnete er als Missverständnis.122 Als Quelle dieser »Missverständnisse« nannte Ter-Minassian seine 1908 im Ararat erschienenen Artikel, deren Veröffent­ lichung »wie aus dem heiteren Himmel einen Sturm der Entrüstung« ausgelöst habe.123 Unter Anordnung von zu diesem Zeitpunkt noch Erzbischof Gevorg 117 Ebd., Bl. 7–8. 118 Ebd., Bl. 9. 119 Ebd. 120 Siehe exemplarisch Mšak. 36 (1908), 286, 4; Ebd., 37 (1909), 45, 4; Gorċ. 2 (1909), 102, 2–3. 121 Mšak. 37 (1909), 226, 4; Ebd., 228, 3–4; Ebd., 229, 3–4; Ebd., 230, 2–3. 122 Ebd., 37 (1909), 226, 4. 123 Matenadaran. Fond Ervand Ter-Minassian, Mappe 239/4, Dok. 25, Bl. 13.

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Surenianc wurde sein Artikel aus der Zeitung herausgerissen und auf dem Platz vor der Kathedrale in Ēǰmiaċin öffentlich verbrannt.124 Daraufhin machte Ter-Minassian in einem an Surenianc gerichteten Schreiben die höhere Geistlichkeit dafür verantwortlich, dass bei der Reformierung der armenischen Kirche nach wie vor keine Fortschritte zu verzeichnen, ja selbst Überlegungen dazu offenbar nicht mehr erwünscht seien.125 Er verlangte, eine Versammlung einzuberufen, um die Haltung der ēǰmiaċiner Geistlichkeit zu seinen Reformvorschlägen zu klären. Von dieser erwarte er, entweder die Dringlichkeit der von ihm geschilderten Probleme anzu­ erkennen oder aber sein mögliches Fehlurteil »wissenschaftlich zu belegen«.126 Da das Schreiben ohne Antwort blieb, legte Ter-Minassian mit einem weiteren Brief, dem sowohl seine Artikel als auch das Protestschreiben an Surenianc beigefügt waren, die Angelegenheit in die Hände des Kathołikos Matt’eos II. Dieser verfügte jedoch, Ter-Minassian »als einen Ketzer« seines Amtes an der Akademie zu entheben, und plante sogar die Einberufung einer Kommission, um dessen Rechtgläubigkeit zu überprüfen. Dazu kam es jedoch nicht, da Karapet Ter-Mkrtčian die Leitung dieser Kommission ablehnte.127 Für die »Reformpartei«, die aller Möglichkeiten beraubt sei, für eigene Überzeugungen zu kämpfen, blieb nun nach Meinung Ter-Minassians nur noch die Abdankung als einziger Ausweg.128 Am 9. Februar 1910 wandte er sich mit der Bitte an den Kathołikos, ihn aus dem geistlichen Stand zu entlassen und ab sofort als Laien zu betrachten.129 Über seine berufliche Zukunft nach dem Ausscheiden aus dem geistlichen Amt schrieb er: Wie es mir in der großen Welt ergehen wird, weiß ich nicht. Nur eines ist mir klar, dass ich mit all meiner Kraft und Energie für die Reform der armenischen Kirche weiterarbeiten werde. Freilich wird es mir in der ersten Zeit sehr schwer fallen, für das Leben zu sorgen, da ich ja ganz unbemittelt dastehe und vielleicht nicht gleich und leicht eine passende oder gar unpassende Stellung finde, aber ich verzweifle nicht, denn ich weiß, dass jede ernste Sache mit schweren Opfern verbunden ist. Dabei ist mir ein großer Trost, dass meine deutschen Freunde treu zu mir halten werden.130

Doch Ter-Minassians Abdankung stimmte die Gemüter keinesfalls sanfter. Eine regelrechte Hetzkampagne startete die Zeitung Žayṙ (Der Fels), die Ter-​ Minassian unter anderem vorwarf, auf Kosten von Ēǰmiaċin im Ausland studiert zu haben. Nicht nur habe er dieses Geld niemals zurückgezahlt, sondern 124 Ebd. 125 Ebd., Bl. 14. 126 Ebd. 127 Ebd. 128 Ter-Minassian: Reformbestrebung, Sp. 34. 129 Matenadaran. Fond Ervand Ter-Minassian, Mappe 239/6, Dok. 181. 130 Stier, Ewald: Die Reformfrage in Etschmiadzin. In: DNL . 1910, 4, Sp. 41–43, 43.

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unterrichte die Schülerinnen der kirchlichen Arłut’ian-Mädchenschule in Alexandropol zudem in einer »heidnischen Religion«.131 In der Zeitung Axurean ging Ter-Minassian auf diese Anschuldigungen ein und erklärte, dass er während seiner vierjährigen Tätigkeit als Lehrer in Ēǰmiaċin auf die Hälfte seines Gehalts als Ausgleich für das Stipendium verzichtet habe. Damit habe er seine Schulden, inklusive aller Zinsen, vollständig zurückgezahlt. Über den Religionsunterricht in der Arłut’ian-Mädchenschule schrieb Ter-Minassian: […] Ich bin nicht der Religionslehrer in der kirchlichen Arłut’ian-Mädchenschule […], ich habe dort lediglich 18 Stunden, davon 10 Stunden Armenisch, 6 Stunden Allgemeine Geschichte und 2 Stunden Geschichte der armenischen Kirche. Ich denke, es sollte klar sein, dass ich während dieser Stunden wohl kaum die Möglichkeit hätte, ›heidnische Religion‹ zu unterrichten.132

Doch damit war die Angelegenheit nicht zu Ende. In der Zeitung Horizon erhob Senek’erim Ter-Hakobian, der ja Stipendiat in Berlin gewesen war, neue Anschuldigungen. Er hatte die ersten vier Nummern der vertraulichen Mit­teilungen Das notwendige Liebeswerk für 3 Mark erworben und nutzte Auszüge daraus, um die Verbundenheit von Ter-Minassian mit diesem Verein zu »entlarven«.133 In den im Horizon veröffentlichten drei Artikeln134 beschuldigte er Ter-Minassian, ein »Agent-Reformator« der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk, dieses »unkorrekten Sprachrohrs« des gleichnamigen Vereins gewesen zu sein.135 Auslöser für Ter-Hakobians Artikel war die Kritik in demselben Blatt am Zustand der armenischen Kirche, die er als »einseitig und beleidigend« bezeichnete: Es soll noch erwähnt werden, dass die Fortsetzung der reformatorischen Tätigkeit von Ter-Minassian und seinen Genossen die rege Arbeit für die Kathołikatswahl in Etschmiadzin ist. Herr Ter-Minassian und die Seinigen, die das Kirchenleben gründlich studiert haben, sind zu einfältig, wenn sie denken, dass es schon genügen würde, wenn sie diesen oder jenen Freund auf den Thron setzen, um mit einem Schlage des Zauberstabes oder durch das deutsche Wunderrezept die verfallene armenische Kirche auf einmal zu heben und ihre verlorenen Glieder zu retten. Man muss eine seltsame Geschichts­auffassung haben, um zu glauben, dass durch das von Ōrmanian, oder Karapet, oder meinetwegen auch von Ter-Minassian von der Höhe des Kathołikatsthrones gesprochene Wort alles zu verändern oder dass mit seinem ›heimgebrachten‹ Maß alles zu messen möglich ist.136 131 Žayṙ. 5 (1911), 72, 4. 132 Axurean. 5 (1911), 57, 4. 133 Stier, Ewald: Ein armenischer Angriff auf das »Notwendige Liebeswerk«. In: DAB. 1911, 9, Sp. 115–118, 115. 134 Horizon. 3 (1911), 265, 2–3; Ebd., 267, 2–3; Ebd., 276, 2–3. 135 Ebd., 3 (1911), 267, 2–3, 2. 136 Stier: Ein armenischer Angriff, Sp. 116.

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Auf diesen Artikel, dessen Echo selbst Deutschland erreichte, antwortete Stier mit einem langen Schreiben an Horizon, um den durch diese Artikel womöglich beschädigten Ruf des Vereins wiederherzustellen.137 Die Tatsache, so Stier, dass die ersten Nummern der Zeitschrift Das notwendige Liebeswerk vertraulich waren, hätten beim Autor Zweifel an den wahren Intentionen des Vereins geweckt. Doch auch Unkenntnis des Werks und seiner Arbeit provozierten Anschuldigungen wie jene, die Ter-Hakobian gegen das Notwendige Liebeswerk erhob: Es ist ein Irrtum von ihm, als ob der Gedanke, Armenier in Deutschland Theologie studieren zu lassen, von unserem Verein ausgegangen und mit der Absicht, ihnen unsere religiösen Überzeugungen einzuimpfen, verbunden gewesen wäre. Es war Seine Heiligkeit der Katholikos aller Armenier Makar, der, überzeugt von dem hohen Werte einer gründlichen Universitätsbildung, zuerst Glieder des armenischen höheren Klerus auf unsere Hochschulen sandte. Alle jetzigen oder früheren Vardapets, die in Deutschland studiert haben, auch Dr. Ter-Minassian, haben dies auf Kosten der armenischen Kirche oder armenischer Gönner getan. Wie kann man uns da verdächtigen wollen, wenn unser Verein dazu eine kleine Hülfe geleistet hat?138

Ter-Hakobian übersah offensichtlich, so Stier weiter, dass die Ausbildung an deutschen Universitäten von der armenischen Gesellschaft sowohl im Russländischen Reich als auch in der Türkei sehr unterstützt wurde. Das Studium armenischer Geistlicher in Deutschland würde aber auch von den beiden Vorstehern der armenischen Kirche in Ēǰmiaċin und in Konstantinopel nach Kräften unterstützt. Der Aussage wiederum, das Organ des Vereins diene dazu, die »Heldentaten« von Ter-Minassian, diesem »Schoßkind« des Vereins, herauszuposaunen,139 hielt Stier das Argument entgegen, die Aufgabe der Zeitschrift bestehe in erster Linie darin, Armenien und seine Kirche »dem deutschen Volke lieb zu machen«; nur für die Unterstützung der armenischen Studenten habe man das Blatt nicht nötig.140 Stiers Schreiben an Horison, das die Zeitung in der Tat veröffentlichte, löste konträre Reaktionen aus: Aus Berlin erreichte die Redaktion der DAB ein Schreiben eines armenischen Studenten, der dem Verein die Dankbarkeit des armenischen Volkes für seine Wohltätigkeit aussprach und die Anerkennung der Armenier zusicherte.141 In einem weiteren Brief aus Ēǰmiaċin wurde dagegen die Frage gestellt, mit welchem Recht sich die deutschen Geistlichen in die Angelegenheiten der armenischen Kirche einmischten. Der Autor, der 137 Ebd., Sp. 116–118. 138 Ebd., Sp. 117. 139 Ebd. 140 Ebd., Sp. 118. 141 Ders.: Der armenische Angriff auf das »Notwendige Liebeswerk«. In: DAB. 1912, 10, Sp. 126.

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sicherlich, so Stier, ein Dašnak war, griff gleichzeitig jene Armenier an, die mit diesem Verein kooperierten.142 Der genannte Dašnakist aber hat vier Jahre in Deutschland studiert und ist erst vor einigen Monaten in seine Heimat zurückgekehrt. Weist das nicht auf ein großes Versäumnis hin, das wir an den hier studierenden Hunderten von Armeniern begangen haben? Dürfen wir uns darauf beschränken, für die Armenier draußen zu arbeiten, ist es nicht die nähere Pflicht, uns der Armenier in Deutschland in ganz anderer Weise als bisher anzunehmen? Unsere Freunde in den Universitätsstädten, vor allem in Berlin und Leipzig, sollten sich bemühen, recht viele, innerliche Beziehungen zu den studierenden Armeniern zu suchen, damit sie verstehen lernen, dass uns wahrlich alle eng selbstsüchtigen Motive völlig fern liegen.143

Die Auseinandersetzungen um Ter-Minassians Reformvorstellungen zeigten einmal mehr, dass das Studium an deutschen protestantischen Fakultäten zu den als besonders problematisch empfundenen Aspekten der kirchlichen Reform gehörte. Den Verantwortlichen des Notwendigen Liebeswerks war dies von Anfang an bewusst und veranlasste sie zu äußerster Vorsicht. Paul Rohrbach betonte ausdrücklich, dass es für die armenischen Geistlichen kein Problem sein dürfte, in Deutschland evangelische Theologie zu studieren und dennoch ihrer Kirche treu zu dienen. Nach der Rückkehr in ihre Heimat würden sie wissen, so Rohrbach, was kirchliches Leben, theologische Wissenschaft und geistig-religiöses Bedürfnis für Dinge sind. Dies würde sie befähigen, aus den großen kirchlich-religiösen Zusammenhängen das zu erkennen, was für die armenische Kirche in der augenblicklichen Lage das Gebotene sei. Die an deutschen Universitäten erworbenen Fähigkeiten sollten also nicht auf die bloße äußere Nachahmung von Formen und Institutionen reduziert werden, da auf diese Weise gemeinsame Bestrebungen nach einer Reform und Modernisierung der armenischen Kirche nicht Gestalt gewinnen könnten.144 Doch das Auslandsstudium der armenischen Geistlichen wurde auch in den deutschen Kreisen kontrovers wahrgenommen, wie der Artikel der Mitarbeiterin von Johannes Lepsius in der persischen Predigtstation Choi, Anna Harnack, zeigte. In der von Lepsius herausgegeben Zeitschrift Die Reich Christi veröffentlichte sie die Beobachtungen, die sie während ihrer Reise durch den Kaukasus, insbesondere an der Gevorgian-Akademie gemacht hatte. Die jüngeren unter der armenischen höheren Geistlichkeit seien zwar an den deutschen Hochschulen gründlich ausgebildet worden, meist jedoch »leider in der allermodernsten Theologie«, in der sie wiederum die Jugend in Ēǰmiaċin unterrichteten. Nicht nur für die armenische Kirche und ihre Diener, 142 Ebd. 143 Ebd. 144 Rohrbach: Innere Schwierigkeiten, Sp. 87.

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sondern für das gesamte armenische Volk verbargen sich darin, so Harnack, große Gefahren: […] So droht diese in Deutschland erworbene Bildung dem Volke gerade das zu nehmen, was in seiner unglücklichen Lage ihm den einzigen Trost zu gewähren imstande ist, nämlich den Glauben, für den seit sechzehn Jahrhunderten Märtyrerblut geflossen ist.145

Diese ausgerechnet von einer Mitarbeiterin von Lepsius geäußerte Meinung kritisierte Stier ausdrücklich und kam dabei zu der Einschätzung, dass Lepsius für das Notwendige Liebeswerk wohl »ganz ausscheiden muss«.146 In jedem Fall warf das Misstrauen, die in Deutschland geschulten Theologen seien innerlich Protestanten geworden und wollten ihre Kirche protestantisch machen, einen Schatten auf die »deutsche Liebesarbeit am armenischen Volk«, wie Stier es formulierte.147 Diesen Verdacht versuchte er zu entkräften, indem er die Tatsache unterstrich, dass die armenischen Studenten in Deutschland mit Vertretern eines freien und wissenschaftlich fundierten Protestantismus konfrontiert waren. Diese seien selbst »von der Bedeutung der Geschichte und von den Mängeln unserer eigenen Kirchenformen« zu sehr durchdrungen, als dass sie jemals die Absicht hätten, die für sie berechtigte Art unter so gänzlich anderen Bedingungen der armenischen Kirche aufzu­ zwingen.148 Es sei zu keiner Zeit die Bestrebung des Notwendigen Liebeswerks gewesen, dass die armenische Kirche ihre Eigenart aufgeben und sich nach dem Muster einer anderen Kirche umgestalten solle. Daher distanzierte sich Stier beispielsweise deutlich von der Tätigkeit des »American Board«149, die von Anfang an darauf abzielte, protestantische Gemeinden unter den Armeniern zu gründen, die dann »von ihren Volksgenossen als ein Pfahl im eigenen Fleische« empfunden wurden.150 Womit man der armenischen Kirche umgekehrt helfen könnte, sei die deutsche Wissenschaft sowie jene Frömmigkeit, die die jungen armenischen Theologen in Deutschland erfahren könnten.151 Der Transfer wissenschaftlicher Ideen und bildungspolitischer Praktiken aus dem deutschen Bildungsraum in den Kaukasus wurde auch deshalb amHarnack, A.: Aus dem persischen Armenien. In: Das Reich Christi. 10 (1907), 40–50, 46. Stier: Das notwendige Liebeswerk, Sp. 202. Ders.: Soll die armenische Kirche protestantisch werden? In: DAB. 1911, 6, Sp. 69–71, 69. Ebd., Sp. 70. American Board of Commissioners for Foreign Missions war die älteste US -amerikanische Auslandsmissionsgesellschaft, die neben der Islammission auch unter den christlichen Kirchen des Osmanischen Reiches Missionsarbeit leistete. Vgl. Gazer: Der Beitrag von preußischen Gelehrten, 45 f; Zur Tätigkeit des American Board siehe auch Richter, Julius: Mission und Evangelisation im Orient. Reprint der 2. Auflage 1930. Nürnberg 2006. 150 Stier: Soll die armenische Kirche protestantisch werden?, Sp. 70. 151 Ders.: Jahresbericht, Sp. 59. 145 146 147 148 149

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bivalent wahrgenommen, weil sie gewisse »moralische Gefahren« implizierte, die nicht zuletzt mit den akademischen Freiheiten in Deutschland einher­ gingen. Dass solche Reflexionen natürlich nicht singulär waren und die akademischen Freiheiten generell für antagonistische Wahrnehmungen sorgten, zeigte das Beispiel etwa der griechischer Theologiestudenten, denen in der Heimat eine »protestantophile Geisteshaltung« vorgeworfen wurde.152 Der kritische Blick war aber auch im Zusammenhang mit dem Theologiestudium nordamerikanischer Studenten und dem transatlantischen Ideentransfer vernehmbar: Das Christentum im Mutterland der Reformation wurde als durchaus ambivalent wahrgenommen: Man respektierte den hohen Standard der dort praktizierten wissenschaftlichen Theologie, es bestanden aber viele Vorbehalte gegenüber einer Übernahme ihrer religionsphilosophischen Prämissen und ihrer Arbeitstechniken – vor allem der historisch-kritischen Bibelexegese – in den eigenen theologischen Ausbildungsinstitutionen.153

Dass aus Ēǰmiaċin dennoch Geistliche für ein Hochschulstudium nach Deutschland gingen, war sicherlich dem großen Bedarf an hochgebildeten Priestern geschuldet, an die wachsende gesellschaftliche Anforderungen herangetragen wurden. Der Kampf gegen die zunehmende Einflusslosigkeit der Kirche schien aber nicht nur deshalb notwendig, um den Herausforderungen der Moderne angemessen zu begegnen. Sie war auch mit Blick auf die katholische und protestantische Missionsarbeit unter den Armeniern wichtig. Die Kanzlei des kaukasischen Statthalters erklärte die Gründung dieser Gemeinden nicht etwa damit, dass die Armenier besonders empfänglich für missionarische Propaganda seien, sondern mit der Unfähigkeit der »ungebildeten Geistlichen«, die religiöse Erziehung des Volkes zu gewährleisten.154 Auch die in Deutschland ausgebildeten Theologen begründeten die Notwendigkeit grundlegender Reformen mit komplexen politischen und religiösen Zusammenhängen. Letztlich sollte die Kirche als eine lebendige Institution nicht nur ihre religiöse Mission erfüllen, sondern auch in der Lage sein, den konkurrierenden Lehren der Protestanten und Katholiken entgegenzutreten, der 152 Vgl. Tsirpanles, Zacharias N.: Die Ausbildung der Griechen an europäischen Universitäten und deren Rolle im Universitätsleben des modernen Griechenlands (1800–1850). In: Plaschka, Richard Georg / Mack, Karlheinz (Hg.): Wegenetz europäischen Geistes. Wissenschaftszentren und geistige Wechselbeziehungen zwischen Mittel- und Südosteuropa vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Wien 1983, 250–272, 264. 153 Vgl. Wischmeyer, Johannes: Vermittlungstheologie als Bildungsraum. Der Transfer hochschulorganisatorischen Wissens zwischen deutschen und US -amerikanischen protestantischen Theologen im 19. Jahrhundert. In: Möller / Ders. (Hg.): Transnationale Bildungsräume, 83–115, 86. 154 RGIA . Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96, Bl. 18–19.

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heftigen Ablehnung des sozialistischen Lagers gegenüber Religion und Kirche standzuhalten, aber auch die armenische Gesellschaft vor der voranschreitenden Russifizierung zu schützen. Dass die Reform der armenischen Kirche zu diesem Zeitpunkt dennoch nicht Realität wurde, war auf den starken innerkirchlichen Widerstand genauso zurückzuführen wie auf eine Verschränkung von außen- und innen­ politischen Faktoren. Zu diesen gehörte nicht nur die Haltung derjenigen Kreise, die die Kirche als Trägerin einer politischen und gesellschaftlichen, aber auch einer religiösen Autorität ablehnten und ihr allenfalls eine symbolische Rolle als Repräsentantin der armenischen nationalen Identität zuwiesen. Groß war außerdem die Befürchtung, eine gründliche Reform der armenischen Kirche könne eine einschneidende Reaktion des Zentralstaats auslösen. Die Haltung gegenüber der armenischen Kirche war auf der höchsten politischen Ebene wie oben bereits erörtert überaus ambivalent: Die Kanzlei des kaukasischen Statthalters beschuldigte faktisch sowohl das Nersesian-Seminar als auch die Gevorgian-Akademie Personen zu beschäftigen, die in Deutschland studiert hatten und sozialdemokratisch gesinnt seien. Die Akademie habe sich längst zu einer Arena politischer Propaganda bzw. zu einem Lager von Waffen und illegaler Literatur verwandelt. Dieser Zustand habe sich im Laufe der Zeit derart zugespitzt, dass die Studenten nicht nur die Abschaffung der religiösen Unterrichtsfächer verlangten, sondern ihre Kommilitonen, aber auch die Lehrer sogar vom Gebet abzuhalten versuchten. Man ging offensichtlich davon aus, dass sich dieser revolutionäre Einfluss rasch auch auf andere armenische Lehranstalten ausbreiten würde.155 Vor allem in den 1890er Jahren, als mit der Gründung der ersten politischen Parteien unter den Armeniern die Unabhängigkeitsbestrebungen deutlicher hervortraten, wandelte sich die staatliche Sicht auch auf die Person des Kathołikos grundsätzlich. Nunmehr wurde er zum »Anführer der gefährlichen Ideen der armenischen Unabhängigkeit, die aus dem Osmanischen Reich importiert worden sind«.156 Angesichts dieses dem Kathołikos faktisch unterstellten »Separatismus« sollte der politische Einfluss der Kirche auf eine kontrollierbare Ebene heruntergestuft werden, indem man die »universelle« Zuständigkeit des Kathołikos als Kirchenoberhaupt für alle Armenier beseitigte und seine Vollmachten sowie die Gerichtsbarkeit des Ēǰmiaċin innerhalb des Reiches einschränkte.157 Nicht zuletzt diese Politik brachte die Protagonisten der Reformbewegung sowohl in Deutschland als auch unter den Armeniern letztlich zu der Überzeugung, die Reformierung der armenischen Kirche unter dem Einfluss der in Deutschland ausgebildeten Theologen stehe 155 GARF. Fond 102 (1906), op. 236, d. 11, Teil 1, Bl. 6–7. 156 Werth: Pravoslavie, inoslavie, inoverie, 190. 157 Ebd., 196.

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im schroffen Gegensatz zu den politischen Interessen des Russländischen Imperiums.

6.3 Reformdebatten im Bildungsbereich Im Gesamtlagebericht des Kaukasischen Statthalters über die Verwaltung der südlichen Gebiete des Imperiums wurde mit Blick auf die dortige Bildungssituation ein aus staatlicher Sicht gravierendes Fazit gezogen: In den transkaukasischen Gebieten ist unter der christlichen Bevölkerung in der letzten Zeit ein starker Bildungswunsch festzustellen. Die städtische Bevölkerung, hauptsächlich die Armenier, spenden bereits seit längerer Zeit erhebliche Summen für die Gründung neuer Schulen, die sich unter dem Schein kirchlicher Realschulen der Kontrolle des Lehrbezirks entziehen. Ihnen ist auch der nationalistische Separatismus nicht fremd.158

Die Etablierung eines nationalen Bildungssystems um die Jahrhundertwende war eines der wichtigsten Ziele der armenischen Bildungselite, die in der Existenz nationaler Schulen das einzig wirksame Mittel gegen die befürchtete Russifizierung sah. Auf der Agenda stand die Schaffung eines Mittelschul­netzes, auf dessen Basis in der Zukunft ein eigenes Hochschulsystem aufgebaut werden sollte. Mehr noch, im Zusammenhang mit der angestrebten nationalen Selbstständigkeit fiel der Bildungsfrage eine prioritäre Bedeutung zu. Durch die intensiven transnationalen Beziehungen der Studenten kam es zudem zu Auseinandersetzungen mit alternativen Konzepten, die unter anderem die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung des Bildungssystems umfassten. Die europäischen Modelle und Erfahrungen wurden eingehend diskutiert, man verglich das deutsche, französische, schweizerische, aber auch amerikanische Beispiel miteinander und prüfte deren Anwendungsmöglichkeiten im Kaukasus. Dies bedeutete mit anderen Worten, dass, obwohl die Bildungsfrage durchaus als eine nationale Angelegenheit verstanden wurde, der internationalen Erfahrung, aber auch Transfer- und Aneignungsprozessen große Bedeutung beigemessen wurde. Bei der Reform des Bildungssystems stand das Auslandsstudium damit im Vordergrund, dienten doch die Stipendien in erster Linie dem Ziel, zur Ausbildung qualifizierter Lehrer für armenische Schulen beizutragen. Jede andere, dieser Erwartung zuwiderlaufende Handlung, sei es seitens der Geldgeber, sei 158 Otčët po glavnomu upravleniju Namestnika Kavkazskogo za I-e desjatiletie s 1862 po 1872 gody [Hauptlagebericht des Kaukasischen Statthalters für das erste Jahrzehnt von 1862 bis 1872]. Tiflis 1873, 277 f.

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es seitens der Stipendiaten, konnte mitunter auf scharfe Kritik treffen. Diese Haltung war vor allem der schwierigen sozialen Lage der Armenier im Kaukasus geschuldet, die in den Augen vieler Akteure den Bedarf an Absolventen bestimmter Studienfächer bis zu einem gewissen Grad vorgegeben hatte. So wunderte man sich im Haykakan Ašxarh, dass drei junge Armenier in Heidelberg Medizin, Landwirtschaft bzw. Chemie studierten. Dies seien zweifelsohne nützliche Gebiete, doch mit Blick darauf, dass hunderten armenischen Schulkindern eine ordentliche elementare Ausbildung verwehrt blieb, wurde das Studium dieser Fächer im Ausland, zumal durch Stipendien finanziert, erst einmal als zweitrangig betrachtet. Dies gelte umso mehr, als für ein Medizinstudium die Fakultät in Moskau bzw. die medizinische Akademie in St. Petersburg zur Verfügung stünden, die jährlich hunderte Ärzte ausbildeten. Die Stipendiaten im Ausland dagegen sollten verpflichtet werden, für den Unterricht an den armenischen Schulen geeignete Studienfächer zu wählen.159 Die Probleme der heimischen Schulen wurden auf den Seiten armenischer Periodika mit einer besonderen Intensität thematisiert. Vor allem Haykakan Ašxarh widmete sich dem Schulsystem und dessen Reform, wobei der Ton deutlich und von scharfer Kritik bestimmt war. Diese Monatsschrift wurde 1864 als eine der ersten in neuarmenischer Sprache erscheinenden Zeitschriften von Xoren Step’ane begründet. Durch zahlreiche Veröffentlichungen, in denen er sich für das moderne und progressive europäische Bildungssystem einsetzte, sagte Step’ane unter anderem den konservativen Kreisen und ihrem Presseorgan Mełu Hayastani (Biene Armeniens) den Kampf an. Dass Grigor Arċruni bereits in seiner Studienzeit mit solchen Artikeln wie »Der Einfluss der Familie und die Universität«160 oder »Wieder über die Universität«161 für diese Zeitschrift schrieb, war bezeichnend, denn diese Themen hatte Step’ane plakativ zum Schwerpunkt erklärt. 1871 trat Step’ane in den geistlichen Stand ein und arbeitete bis 1880 in verschiedenen Schulen in Eriwan, Šuši, Tiflis und Baku, bevor er mit kirchlicher Finanzierung nach Deutschland und Frankreich ging, um sich im Bereich der Pädagogik weiterzubilden. Anschließend sollte er als Lehrer an der Akademie wirken, doch dies traf unter anderem auf den starken Widerstand des Innenministeriums.162 Für Unzufriedenheit sorgte nicht nur sein unermüdlicher

159 Haykakan Ašxarh. 3 (1867), 9, 347–363, 352. 160 Ebd., 3 (1867), 9, 363–371. 161 Ebd. 4 (1868), 6/7, 194–200. 162 Step’ane erhielt zunächst eine Stellung im Kloster Surb Xač (Das Hl. Kreuz) in Nor Naxiǰevan, wurde dann bis zur Schließung der armenischen Schulen im Jahr 1885 zum Schulinspektor in Achalzicha und Achalkalak, 1887 wirkte er etwa 9 Monate in St. Petersburg und Moskau. Vgl. Mkhitaryan, Margo: Xoren Step’anei »Haykakan Ašxarh« amsagirẹ [Die Zeitschrift »Haykakan Ašxarh« von Xoren Step’ane]. Jerewan 2002, 25 f.

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Kampf für die Reform des Bildungswesens, sondern auch die enge Zusammenarbeit mit Grigor Arċruni. Die Kanzlei des kaukasischen Statthalters machte ihm 1887 schließlich eine weitere publizistische Tätigkeit unmöglich und verbannte ihn in das Kloster Surb Xač (Das Hl. Kreuz) in Nor Naxiǰevan. 1894 kehrte Step’ane gemeinsam mit dem Kathołikos Mkrtič I. Chrimian nach Ēǰmiaċin, wo er 1894 zum Bischof geweiht wurde. Seine Tätigkeit als Vikar der armenischen Diözese in Astrachan provozierte weitere Unzufriedenheit der Regierung, sodass er 1895 wiederholt nach Surb Xač verbannt wurde. Erst im Jahr 1900, kurz nach der Schließung der armenischen Schulen, wurde ihm die Rückkehr nach Ēǰmiaċin wieder erlaubt, doch Step’ane starb im selben Jahr auf dem Weg dorthin.163 Step’ane war zutiefst davon überzeugt, dass die »Rettung der armenischen Nation« von zwei Faktoren, nämlich der Schule und der Kirche abhing, daher richtete er seine unversöhnliche Kritik gegen die in diesen beiden Bereichen herrschenden Zustände. Er verlangte die Reformierung des Bildungssystems nach fortschrittlichem europäischem pädagogischem Beispiel und war der festen Überzeugung, dass der nationale Charakter der armenischen Schulen dadurch sogar gestärkt würde. Seine progressiven pädagogischen Ansichten wurden durch die praktische Tätigkeit noch unterstrichen: Wie oben bereits erwähnt, gründete Step’ane 1868 in Tiflis die Mariamian-Mädchenschule, 1869 folgte die Gründung der ersten Schule für beide Geschlechter. Zahlreiche Probleme im Bildungsbereich kritisierte auch Grigor Arċruni zunächst im Haykakan Ašxarh, dann in seiner eigenen Zeitung Mšak. Er hob beispielsweise die Tatsache hervor, dass sich der Unterricht in den unter kirchlicher Obhut stehenden Parochialschulen auf religiöse Inhalte konzentrierte. Die Erfahrungen der im Ausland ausgebildeten Pädagogen sollten seiner Meinung nach in erster Linie dafür genutzt werden, um verschiedene Unterrichtsfächer von religiösen Einflüssen zu befreien und inhaltlich zu erneuern. Doch gerade in dieser Forderung, die auch von anderen Akteuren vorgebracht wurde, sah die Kirche eine grundsätzliche Gefahr für die geistlichen Schulen und Seminare, deren primäre Aufgabe die religiöse und geistliche Erziehung sei. Die armenischen Lehranstalten dürften sich nicht ändern, sondern müssten als geistliche Schulen erhalten bleiben, die Lehrer und Priester, in gewissem Umfang auch andere Fachleute ausbildeten. Um dies zu gewährleisten, sollte das Lehrprogramm erweitert werden, was in der damaligen Situation realistischer erschien als eine grundsätzliche strukturelle Erneuerung. Der jeweiligen Schule blieb dann überlassen, ob ihre Absolventen nach ein bis zwei Jahren Dienst in einer Kirche das Priesteramt erlangten oder ob man Mittel fand, zumindest einige von ihnen zum Pädagogikstudium nach Europa zu schicken.164 163 Ebd., 30. 164 Ararat. 1870, 1, 13–22, 15.

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Doch als besonders bedrohlich wurde der Vorwurf empfunden, der »trostlose« Zustand der armenischen Schulen sei der kirchlichen Obhut geschuldet. Das Ziel der geistlichen Schulen war, so im Ararat, für das Volk qualifizierte Priester und Lehrer auszubilden. Für jegliche fortschrittliche Pläne, wie etwa die europäische Ausbildung, sei die Kirche kein Hindernis. Auch sei es nicht der Kirche anzurechnen, dass die weltlichen Akteure dringende Aufgaben nicht von den zweitrangigen unterscheiden konnten: […] vor wenigen Jahren wurden einige junge Menschen auf Kosten des Nachlasses von Ēfentianc nach Europa geschickt, um zu studieren. Jetzt fragen wir, wessen Schuld war es, dass diese Studenten nicht verpflichtet wurden, Pädagogik zu studieren, um ihr Können zumindest einige Zeit lang in den Dienst der Schulen zu stellen? Wir denken, das würde auch dem Sinn des Testaments entsprechen. Wir wollen niemanden angreifen, da die Unkenntnis solcher Verpflichtungen ein allgemein verbreiteter Fehler ist, wir wollen damit lediglich sagen, dass sogar in solch eindeutigen Situationen die leitenden Personen in Tiflis Schwierigkeiten haben, das wesentliche Ziel zu erkennen.165

Im Ararat wurde die Politik, in den geistlichen Schulen Priester und Lehrer auszubilden, mit Hinweis auf die aktuelle politische Lage der Armenier, die zwischen zwei Imperien geteilt seien und in beiden von einer akuten Assimilierungspolitik bedroht würden, argumentativ unterstützt. Unter diesen Umständen könne die »richtige« Erziehung armenischer Kinder ausschließlich von der Kirche gewährleistet werden, daher solle »ein guter Lehrer gleichzeitig ein guter Priester sein und umgekehrt«.166 Bei allen »armen oder aufsteigenden« Nationen sei die Situation so, dass die Lehrer nicht aus den weltlichen Gymnasien, sondern aus den geistlichen Seminaren hervorgingen. Die letzteren könnten ihr Lehrangebot dabei so ausdehnen, dass sie vielseitig qualifizierte Lehrer ausbildeten: Das Ziel der Nersesian-Schule ist beispielsweise die Verbindung dieser zwei Wege und nicht die Erfindung neuer, was nur für Verwirrung sorgen wird. Die geistlichen Seminare unterrichten schließlich ja auch andere Fächer, sodass nicht nur die zukünftigen Priester und Lehrer davon profitieren werden. Auch diejenigen, die andere Wege einschlagen wollen, werden als gebildete Mitglieder der Gesellschaft das Seminar verlassen. […] Natürlich hätten diese Absolventen Schwierigkeiten, beispielsweise in den Dienst kaiserlicher Behörden zu treten; dafür gibt es aber in Russland genug Einrichtungen, die solche Spezialisten ausbilden. Wir haben weder die Mittel dafür noch sehen wir die Notwendigkeit dazu.167

165 Ebd. 166 Ebd., 15. 167 Ebd., 19.

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Eine weitere Perspektive, die vom Mšak in die Bildungsdebatte eingeführt wurde, war die Gründung weltlicher Mittelschulen für beide Geschlechter. Inspiriert vom deutschen und amerikanischen Beispiel forderten mehrere Autoren solche Schulen, in denen Mädchen und Knaben gemeinsam studie­ren konnten. Dabei wurde wiederholt unterstrichen, dass es weder aus finanzieller noch aus moralischer Sicht sinnvoll sei, separate Schulen mit separaten Lehrern zu unterhalten.168 Die Finanzierungsfrage betonte man indes nicht zufällig: Für den Bildungsbereich standen nur sehr begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung, daher wurde in deren Verwendung für die flächendeckende Unterstützung des Auslandsstudiums eine Bedrohung gesehen, die die Existenz der armenischen Schulen unmittelbar betraf. Für die geistlichen Schulen war ja keine staatliche Finanzierung vorgesehen, stattdessen war ihr Fortbestehen vor allem von Spenden abhängig.169 Dies hatte zu einer symptomatischen Geldnot geführt, die zusammen mit dem Mangel an qualifizierten Lehrern und dem eingeschränkten Lehrangebot die insgesamt sehr schwierige Lage des armenischen Bildungssystems kennzeichnete. Zur Debatte standen also zwei gegensätzliche Reformentwürfe: Die eine Variante sah vor, die zur Verfügung stehenden »nationalen Mittel« zunächst auf den Aufbau bzw. die Erneuerung des eigenen Bildungssystems zu richten und erst danach die in den armenischen Lehranstalten gut ausgebildeten und vorbereiteten jungen Menschen für ein Hochschulstudium ins Ausland, nach Norddeutschland oder in die Schweiz zu schicken.170 Dagegen betonten die Befürworter des Auslandsstudiums die Tatsache, dass es in Europa zahlreiche pädagogische Schulen gab, die die Ausbildung qualifizierter Lehrer auf einem viel höheren Niveau gewährleisten könnten. Doch gerade darin wurden auch erhebliche Schwierigkeiten gesehen: Dieser Forderung könnte man nachgehen, wenn unsere Wohltäter zum Beispiel versuchten, nicht nur eine oder zwei Personen finanziell zu fördern, sondern das allgemeine Streben nach Bildung zu erfüllen. Dann könnte man junge Menschen nach Europa schicken, um die hohe Kunst der Pädagogik zu erlernen, gleichzeitig auch andere wohlhabende Armenier ermutigen, diesem Beispiel der Wohltätigkeit zu folgen. Man darf aber nicht vergessen, dass es nur sehr wenige solche Wohltäter gibt. Man denke nur daran, wie viele Mittel nötig sind, um einigermaßen begabte junge Menschen nach Europa zu schicken und ihre Bildung zu finanzieren […]171

168 Vgl. exemplarisch Mšak. 10 (1881), 30, 2–3; Ebd., 9 (1880), 126, 1–2; Ebd., 128, 1–2. 169 Mit der Položenie von 1836 wurde der Kirche das Recht zugestanden, für die Finanzierung der unter ihrer Obhut stehenden Schulen Spenden zu sammeln. Vgl. Gazer: Studien zum kirchlichen Schulwesen, 54. 170 Ararat. 1870, 2, 47–51. 171 Ebd., 1870, 1, 13–22, 16.

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Daher sollte zunächst die Ausbildung in den armenischen Schulen auf ein angemessenes Niveau gebracht werden, um damit die Grundlagen für das Auslandsstudium zu schaffen. Würde der Vorstand beispielsweise des Nersesian-​Seminars dies erkennen, so das Argument im Ararat, so wäre diese Schule durchaus in der Lage, sich aus eigener Kraft selbst zu reformieren. Weder auf Gaben wohlhabender Armenier noch auf den guten Willen der in der Regel mit den eigenen Angelegenheiten beschäftigten Absolventen europäischer Universitäten wäre sie dann angewiesen. Mehr noch, anstatt die Dienste der Letzteren teuer zu bezahlen, könnte diese Schule aus eigenen Mitteln Geld sparen und jährlich ein bis zwei begabte Absolventen zum Pädagogikstudium nach Europa schicken. Diese wiederum würden durch ihr späteres Engagement als Lehrer allmählich zur Modernisierung dieser Lehranstalt beitragen.172 In der Presse gab es sogar den Vorschlag, pädagogische Seminare mit einem drei- bzw. vierjährigen Studienprogramm einzurichten, um Studenten, die erst ab dem 18. Lebensjahr aufgenommen werden sollten, auf die päda­ gogische Tätigkeit gezielt vorzubereiten.173 Eine weitere Frage, die von der Zeitschrift Dproc ins Feld geführt wurde, betraf die Vergütung der Lehrer. Nur ihre gute Ausbildung wurde für die Entwicklung des Schulsystems für nicht ausreichend gehalten, man müsse auch die angemessene Bezahlung der Lehrer sicherstellen. Die gegenwärtige Situation hatte aber laut der Zeitschrift dazu geführt, dass ungebildete Priester oder gar irgendwelche Betrüger in den armenischen Lehranstalten tätig waren, während sich gut ausgebildete Menschen von den Schulen fernhielten.174 Ob die im Ausland ausgebildeten Fachkräfte angesichts dieser vielfältigen Schwierigkeiten insbesondere in den Provinzen einsetzbar waren, war eine grundsätzliche Frage, die aber nicht nur mit der Vergütung zusammenhing. In der Presse wurde auch die vermeintliche Entfremdung der Absolventen ausländischer Hochschulen von der armenischen Realität als ein gravierendes Problem hervorgehoben.175 Die von Unwissenheit, Aberglaube und Armut geprägten armenischen Städte und Provinzen haben solche Lehrer nötig, die eng mit dem Volk verbunden sind, die seine Sorgen und Nöte gut kennen und somit seine ›Wunden‹ heilen können. Nur solche Lehrer können tausende unserer Schüler in das Licht der Wissenschaft führen.176

Den aus Europa zurückgekehrten Spezialisten – seien sie noch so gut ausgebildet – wurde faktisch unterstellt, sich von den heimischen Gegebenheiten zu sehr entfremdet zu haben, sodass sie für den Schulunterricht in den entfernten 172 Ebd. 173 Ebd., 1870, 2, 47–51, 48. 174 Dproc. 2 (1876), 9, 325–333, 328 f. 175 Vgl. exemplarisch: Mšak. 10 (1881), 224, 1; Ebd., 10 (1881), 232, 1. 176 Ararat. 1870, 1, 13–22, 16 f.

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Provinzen eigentlich gar nicht mehr geeignet seien. Diese Annahme entstand nicht von ungefähr: Vor allem die Stipendiaten, die nach dem Studium in den Schulen unterrichten sollten, bemühten sich eher um eine Stellung in den größeren Städten bzw. wurden vom Nersesian-Seminar oder von der Gevorgian-Akademie in Dienst genommen, wo doch der Bedarf an gebildeten Lehrern in entlegenen Dörfern am größten war. Dies war auch die Ursache für die asymmetrische Entwicklung des Bildungssystems, dessen Qualität in den größeren Städten, etwa in Tiflis, deutlich zunahm, während in den Regionen im besten Fall ein Stillstand verzeichnet wurde: Wenn man die Lage in den verschiedenen armenischen Städten und Dörfern betrachtet, so weiß man, welche Lehrer uns fehlen. Um in diesen Orten zu unterrichten, muss man nicht das Talent eines Pestalozzi haben, es reicht, wenn man die Willenskraft aufbringt, im Volk zu leben. Dafür ist das Auslandsstudium das geringste Kriterium.177

Das Engagement der in Europa ausgebildeten Spezialisten wurde damit als ein Privileg dargestellt, das den armenischen Kindern in der Provinz ohnehin nicht zugutekommen würde. Dieses Argument stellte das Auslandsstudium grundsätzlich in Frage, da es zwar erhebliche finanzielle Mittel in Anspruch nahm, in der armenischen Realität aber, so die Sorge, so gut wie folgenlos blieb: Es wird immer gesagt, in Europa werden schöne Pflüge gefertigt, womit man die Erde gut beackern kann, und wir brauchen auch solche europäischen ›Pflüge‹. Diese müssen aber an die Schwierigkeiten unseres Bodens angepasst sein, sonst werden sie bei dem einen oder anderen reichen Mitglied der Gesellschaft liegenbleiben, oder aber für das Ackern einiger Gärten benutzt werden. Die Möglichkeit, für unsere Erde geeignete Pflüge zu bekommen, sehen wir im Moment nur bei uns selbst.178

Auch wenn gewisse positive Effekte des Auslandsstudiums in Einzelfällen nicht bestritten wurden, wurde vor dem beschriebenen Hintergrund die insbesondere von Arċruni, aber auch von anderen, bereits im Ausland ausgebildeten Akteuren vorgebrachte Forderung, in jeder Stadt Fonds zu gründen und mit diesen Mitteln die armenische Jugend in Europa zu unterstützen, als illusorisch etikettiert: Uns scheint, als hätten die Autoren dieser These keine Ahnung von unserer Jugend, den notwendigen Eigenschaften und der Vorbereitung, die ein zukünftiger Lehrer haben sollte. Oder aber es erscheinen ihnen die europäischen Universitäten wie ein Farbkübel, in den sich die armenische Jugend einige Male eintauchen lässt und schon hat man den perfekten armenischen Lehrer. Dann fragen wir diese Rhetoriker, aus welcher Jugend sollte denn diese nach Europa zu schickende zukünftige Lehrer177 Ebd., 17. 178 Ebd., 20.

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schaft ausgewählt werden? Aus den Schülern armenischer Seminare oder Realschulen? Überall müsste man jahrelang suchen, bis man durch einen glücklichen Zufall den einen oder anderen jungen Mann findet, der dafür geeignet wäre, ein engagierter Lehrer zu werden.179

Die Schwierigkeit, überhaupt begabte junge Menschen für das Auslandsstudium zu finden, wurde ebenfalls mit der sozialen Situation in den Dörfern erklärt. Die Schulkinder seien gezwungen, neben dem Unterricht hart zu arbeiten, um der Familie zu helfen. Im Ararat berichtete ein gewisser S. Marut’ianc über seine Erlebnisse in einigen Privatschulen der armenischen Gemeinde in Alexandropol. Der Unterricht fand demnach in sehr kleinen, niedrigen, schmutzigen und dunklen Räumen statt, wo 10 bis 15 junge Schüler auf dem Boden saßen und von einem ebenfalls auf dem Boden sitzenden Lehrer unterrichtet wurden. Dabei versuchte dieser verzweifelt, durch Schläge und Beschimpfungen die Klasse im Griff zu halten.180 Die Einrichtung größerer und angenehmerer Räume mit bequemen Schulbänken und die Verpflichtung kompetenter Lehrer war, so Marut’ianc, mit zu großen Kosten verbunden, sodass die Situation nach wie vor die gleiche blieb: Ungeachtet all der Aufklärung über das moderne Studium gingen die Kinder ärmerer Dorfbewohner auch weiterhin mit einem Lumpen in der Hand in die Schule, setzten sich auf den Boden und buchstabierten das Alphabet.181 Dies sei das tatsächliche Bild der privaten Realschulen in den armenischen Gemeinden sowohl im russischen als auch im türkischen Teil Armeniens. Mit so einer Elementarbildung »gewappnet« gingen diese jungen Menschen dann meist auf die Akademie in Ēǰmiaċin oder auf verschiedene Gymnasien, wo sie aber erst einmal »auf den rechten Weg« gebracht werden müssten, ehe sie studieren, geschweige denn ins Ausland gehen könnten. Die meisten Schulen, ja selbst die Akademie, seien mit dieser Aufgabe jedoch völlig überfordert.182 Alle zur Verfügung stehenden finanziellen und professionellen Mittel auf die Reform des eigenen Bildungssystems zu richten, wurde als der einzig gangbare Weg dargestellt, um diese Situation zu verbessern. Erst danach sollten alljährlich begabte junge Menschen mit finanzieller Unterstützung der wohlhabenden wirtschaftlichen Elite zum Weiterstudium ins Ausland gehen und ihr Wissen und ihre Erfahrung später für die Weiterentwicklung der bereits existierenden Gymnasien einsetzen bzw. die Neugründung weiterer Lehr­anstalten in verschiedenen Städten anstoßen. Nur in diesem Fall wären »nationale Mittel« sinnvoll investiert: 179 Ebd., 17. 180 Ebd., 1869, 6, 140–142, 142. 181 Ebd. 182 Ebd.

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Wenn später tatsächlich gebildete Lehrer in unserer Gesellschaft tätig werden und weitere qualifizierte Lehrer in der Heimat ausbilden würden, erst dann werden sich diese Ausgaben lohnen, und wir werden die Früchte unserer Bemühungen ernten können.183

Ein ähnliches Konzept zur Reformierung des Bildungssystems legte der armenische Publizist Mik’ayel Minasarianc (1830–1880) im Schlusswort des Buches »K’nar haykakan« (»Die armenische Lyra«) vor. Demnach sollte jede Schule, die annährend die Größe und die pädagogischen Möglichkeiten des Nersesian-Seminars hatte, ein festes und einheitliches Lehrprogramm einführen. Dieses sollte Fächer wie Grabar (Altarmenisch), Ašxarhabar (Neuarmenisch), die altarmenische Literatur, Geographie und Geschichte, des Weiteren die europäische Literatur, Mathematik, Geometrie, Malerei, Sport und Musik umfassen. Die Schüler sollten darüber hinaus Fremdsprachen lernen, wobei der deutschen Sprache ein Vorrang eingeräumt wurde. Diejenigen Schulen, die diese Fächer aus unterschiedlichen Gründen nicht einführen konnten, sollten zumindest kleinere, aus den besten Schülern bestehende Gruppen bilden, die nach diesem Schema unterrichtet werden sollten. Im Anschluss an diese Vorbereitung sollten diese Schüler bevorzugt nach Berlin oder Heidelberg gehen, um ihr Studium dort fortzusetzen. Nach ihrer Rückkehr würden diese jungen Spezialisten in der Lage sein, selbst hochqualifizierte Lehrer und Lehrerinnen auszubilden.184 Solche Reformvorstellungen mögen im Grundsatz dilettantisch wirken, doch die aus einer Fülle verschiedenartiger Presseartikel ausgewählten Beispiele zeigen durchaus die Intensität, mit der die Notwendigkeit gründlicher Reformen des armenischen Bildungswesens im Zusammenhang mit dem Auslandsstudium diskutiert wurde. Weitaus anspruchsvollere und professionellere Pläne zur Modernisierung des Bildungssystems, die zudem durch zahl­reiche Übersetzungen wissenschaftlich fundiert waren, stammten aus der Feder der Experten, die in Deutschland studiert hatten und später auf eine bedeutende pädagogische Karriere zurückblicken konnten. Eine Plattform für ihre Reformdebatten bot dabei die ab 1908 in Tiflis erscheinende Zeitschrift Nor dproc (Die neue Schule), die von Artašes Abełian, Isahak Harut’yunian185, Tigran Ṙašmač’ian und Hovhannes Ter-Mirak’ian herausgegeben wurde und die Fachbereiche Pädagogik, Ethik und Ästhetik, die Schulgesundheit und -statistik umfasste sowie einen Rezensionsanteil hatte. Einer der bekanntesten Pädagogen seiner Zeit war Isahak Harut’yunian, der nach dem Abschluss des Nersesian-Seminars 1883 nach Deutschland ging. 183 Ebd., 1870, 1, 13–22, 19. 184 Minasarianc (Hg.): K’nar haykakan, 10–15. 185 Badalyan, Melkon: Isahak Harut’yuniani mankavaržakan hayack’nerẹ [Die pädagogischen Ansichten von Isahak Harut’yunian]. Jerewan 1980; Šavaršian, Aršavir: Mankavarž Isahak Harut’yunyan [Der Pädagoge Isahak Harut’yunian]. Jerewan 1956.

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Ein halbes Jahr verbrachte er im Lehrerseminar in Eisenach, danach studierte er Philosophie, Pädagogik und Geschichte in Leipzig und Jena. Harut’yunian engagierte sich aktiv im gesellschaftlichen Leben der armenischen Studenten und wurde nach der Gründung des »Armenisch-Akademischen Vereins« zum Verwaltungsleiter gewählt. 1888 kehrte er nach dem Studienabschluss zurück in die Heimat und wurde sogleich im Nersesian-Seminar sowie in den Gayanian- und Hovnanian-Mädchenschulen als Lehrer für Pädagogik, Psychologie, aber auch für Armenisch und Deutsch engagiert. Darüber hinaus war er in der Verwaltung armenischer Lehranstalten in Georgien tätig und leitete die Schulen und Waisenhäuser der »Armenischen Wohltätigen Gesellschaft« in Tiflis. Harut’yunian hinterließ ein überaus umfangreiches publizistisches Werk, darunter zahlreiche pädagogische Arbeiten und Lehrbücher für Schüler und für Lehrer, aber auch Übersetzungen aus den Werken bekannter europäischer Pädagogen und Philosophen. Hervorgehoben sei insbesondere seine Broschüre über die Tätigkeit deutscher Hochschulen und die armenische Studentenschaft, die er 1893 veröffentlichte und seinem Lehrer, dem Professor an der Universität Jena Wilhelm Rein widmete.186 Harut’yunians pädagogische Ansichten hatten sich während seiner Studienjahre in Deutschland geformt. Einen großen Einfluss auf ihn hatten dabei seine akademischen Lehrer Karl Stoy und Wilhelm Rein, die Anhänger des Herbartianismus waren, einer auf die Lehre des Philosophen und Pädagogen Johann Friedrich Herbart zurückgehenden Theorie. Erst in den folgenden Jahren entfernte sich Harut’yunian von dieser Schule allmählich und wandte sich der sogenannten »Experimentellen Pädagogik« zu. In der Heimat konzentrierte er sich auf die spezielle Situation der armenischen Schulen, deren Entwicklung unter der kirchlichen Verwaltung seiner Ansicht nach stagnierte. Die Rolle der Kirche für die im Russländischen wie im Osmanischen Reich politisch benachteiligten Armenier bezeichnete er als eminent, doch der Zustand der Schulen grenze in vielen Gemeinden geradezu an Verwahrlosung. Harut’yunian bestritt nicht die oberste Autorität von Ēǰmiaċin in Bildungsfragen, aber er plädierte für die Berufung eines zentralen pädagogischen Komitees sowie von pädagogischen Diözesanräten, die die lückenlose Organisation des Bildungswesens in Angriff nehmen sollten. Für die Struktur der Schulen und den Unterrichtsplan machte er konkrete Vorschläge: Das armenische Bildungssystem sollte nach seiner Auffassung aus vier- bzw. sechsjährigen Grundschulen, acht- oder zehnjährigen Mittelschulen, sowie aus Berufsschulen und Hochschulen bestehen. Im Grunde genommen schlug Harut’yunian

186 Harutyunian, Isahak: Germaniayi mankavaržakan barjraguin hastatut’yunneri gorċu­ neut’iunẹ ev hay usanołnerẹ [Die Tätigkeit der pädagogischen Hochschulen in Deutschland und die armenische Studentenschaft]. Tiflis 1893.

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damit vor, ein einheitliches Bildungssystem mit Schulunterricht für beide Geschlechter und in neuarmenischer Sprache zu schaffen.187 Im Jahr 1905 beschloss ein in Tiflis berufener pädagogischer Kongress, ein einheitliches Regelwerk für armenische Schulen sowie ein Unterrichtsprogramm für Grundschulen zu entwerfen und der Öffentlichkeit vorzustellen. Für diese Aufgabe wurde ein Komitee gegründet, das unter Mitwirkung von Haruty’unian und des bekannten Pädagogen Sedrak Mandinian188 ein breit angelegtes Schulprogramm entwickelte. Dieses umfasste den Unterricht unter anderem in Theologie, Geschichte, Geografie, Naturwissenschaften, Mathematik, Geometrie sowie Armenisch, Russisch und Deutsch und sollte damit eine gründliche Allgemeinbildung in den Grundschulen gewährleisten. Doch das Programm wurde weder vom kaukasischen Statthalter noch zunächst von der armenischen Kirchenleitung bestätigt. Der Grund war zum einen sein als demokratisch angesehener Charakter, zum anderen das Fehlen der russischen Geschichte und Geografie. Erschwerend kam hinzu, dass die kaukasische Regierung diesen Plan sowieso als Versuch wahrnahm, ein nationales armenisches Bildungssystem zu etablieren. Dieses Hindernisses ungeachtet wurde das Programm veröffentlicht und in Teilen sogar angewandt, im Jahr 1910 wurde es von der Kirche auch offiziell bestätigt.189 In den folgenden Jahren wandte sich Harut’yunian dem Programm der Mittelschulen zu, wobei er in mehreren Artikeln jedes einzelne Unterrichtsfach, dessen Zweckmäßigkeit und Umfang ausführlich diskutierte. Im Übrigen war bereits im vorhandenen Unterrichtsprogramm Deutsch als einzige europäische Fremdsprache enthalten, was Harut’yunian für eine sehr gute Wahl hielt, hatte doch nach der russischen Literatur gerade die deutsche einen großen Einfluss auf die armenische Intelligenzija ausgeübt. Neben den mangelhaften Unterrichtsplänen kritisierte Harut’yunian des Weiteren das Fehlen qualifizierter Lehrer. In fünf armenischen Diözesen gab es nach seinen Angaben 150 Schulen mit etwa 10.400 Schülern und 500 Lehrerinnen und Lehrern, wobei das Budget jährlich insgesamt 210.000 Rubel erreichte.190 Doch es gab kein einziges Lehrerseminar und auch keine andere vergleichbare Einrichtung, wo die zukünftigen Lehrer eine theoretische und 187 Badalyan: Isahak Harut’yuniani mankavaržakan hayack’nerẹ, 23 f. 188 Sedrak Mandinian (1844–1915) war einer der bekanntesten armenischen Pädagogen seiner Zeit. Er studierte von 1857 bis 1863 am Lazarev-Institut in Moskau, dann bis 1869 an der St. Petersburger Universität und ging anschließend nach Deutschland. Dort studierte er zunächst im Lehrerseminar in Gotha, ab 1871 dann in Heidelberg, Leipzig und Wien. Vgl. Matrikel der Universität Heidelberg 1386–1920. UAH M11: 1858–1872, 314; Hovsepyan, Emma: Ēǰer Sedrak Mandiniani namakagrut’yunic [Seiten aus dem Briefwechsel von Sedrak Mandinian]. In: Banber Hayastani Arxivneri (Bulletin der Archive Armeniens). 2003, 2 (102), 3–5, 3. 189 Badalyan: Isahak Harut’yuniani mankavaržakan hayack’nerẹ, 34. 190 Harutyunian: Germaniayi mankavaržakan barjraguin hastatut’yunneri gorċuneut’iunẹ, 5.

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praktische Ausbildung bekommen konnten. In seiner Eigenschaft als Schulinspektor besuchte Harut’yunian mehrere Diözesan-Schulen und stellte fest, dass die meisten Lehrer keine entsprechende pädagogische Ausbildung vorweisen konnten. Eine noch so gute Allgemeinbildung war seiner Ansicht nach nicht ausreichend, um an einer Schule zu lehren, daher machte er den Vorschlag, eine eigens dafür vorgesehene pädagogische Schule bzw. spezialisierte Klassen an den Schulen einzurichten. Wollten die Armenier, dass ihre Kinder in der Schule nicht nur lesen und schreiben lernten, sondern dass die Schulen als wahrhaft pädagogische Einrichtungen auch die religiös-moralische Erzie­hung und Aufklärung der jungen Generation übernähmen, so sollten sie über die Ausbildung entsprechender Lehrer nachdenken.191 Harut’yunian organisierte die ersten Sommerschulen, die die Fortbildung der Lehrer gewährleisten sollten, wobei gerade diese Idee von seinen in Deutschland erworbenen Erfahrungen genauso beeinflusst war wie der Appell, Arbeitsschulen zu gründen, die für die praktische Ausbildung überaus wichtig seien. Seine Ideen und Reformvorschläge veröffentlichte Harut’yunian in einer Artikelserie vor allem in den Zeitschriften Arjagank’ und Nor dproc, in denen er angefangen von den Mädchenschulen über die Erneuerung des Unterrichts bis hin zu den extrakurrikularen Aktivitäten alle Bereiche des Bildungs­ systems behandelte. Ein weiterer bedeutender Pädagoge und Wissenschaftler war Gurgen Ēdilian, der in Jena, Leipzig und Bern studiert hatte. Nachdem Ēdilian 1903 die sechste Klasse der Gevorgian-Akademie absolviert hatte, wandte sich sein Vater an den Kathołikos persönlich mit der Bitte, das angestrebte Auslands­ studium finanziell zu unterstützen. Sein Sohn würde später ganz sicher ein würdiges Mitglied der armenischen Gesellschaft werden und diese Zuwendung mehrfach zurückzahlen.192 Im Jahr 1904 ging Ēdilian nach Deutschland, wo er unter anderem bei Wilhelm Wundt, dem Psychologen und Pädagogen Ernst Meumann und dem Psychologen Hermann Ebbinghaus studierte. 1909 verteidigte er in Bern seine Doktorarbeit zum Thema »Kritik der Ziller’schen Formalstufentheorie« und erhielt den philosophischen Doktorgrad. Diese Arbeit, die im selben Jahr als Monographie erschien,193 brachte ihm bereits in Deutschland Anerkennung. Ēdilian kritisierte darin die von Johann Herbart und seinen Anhängern entwickelte sogenannte Formalstufentheorie194, von deren unwissenschaftlichem und unpädagogischem Charakter er überzeugt 191 Ebd., 9. 192 Aleksanyan, L. P. (Hg.): Gurgen Ēdilian. Kensamatenagitut’yun [Gurgen Ēdilian. Biographie und Bibliographie]. Jerewan 1985, 6 f. 193 Ēdilian, Gurgen: Kritik der Ziller’schen Formalstufentheorie. Rötha [1909]. 194 Zu der sogenannten Formalstufentheorie siehe exemplarisch Scheffler, Heribert: Zillers Formalstufentheorie und der Vorwurf des unterrichtsmethodischen Schematismus. Kastellaun 1977.

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war. Diese Arbeit stieß in den armenischen Zeitungen auf große Resonanz, zumal die kritisierte Theorie bereits bis in den Kaukasus vorgedrungen war und dort überzeugte Befürworter gefunden hatte. Sedrak Mandinian schrieb über das Buch: Bei uns hat sich eine regelrechte Verehrung dieser Formalstufentheorie entwickelt, womit die wichtigeren Probleme der Pädagogik in Vergessenheit geraten sind, während Ēdilian dieser begeisterten Bewunderung gnadenlos den Garaus macht.195

Nach der Rückkehr in die Heimat widmete sich Ēdilian der pädagogischen Tätigkeit zunächst an der Gevorgian-Akademie, wo er Philosophie, Geschichte der Pädagogik, praktische und theoretische Pädagogik, Psychologie, Logik, Armenisch, Deutsch und andere Fächer unterrichtete.196 Gleichzeitig setzte er sich für die Erneuerung des Lehrplans an der Akademie ein, verlangte die Entfernung überflüssiger Studienfächer aus dem Programm, die Kürzung des Religionsunterrichts sowie die Einführung neuer Studienfächer, womit den Studierenden eine den modernen Anforderungen genügende Ausbildung geboten werden sollte. Von 1914 bis 1919 war er dann im Nersesian-Seminar tätig und übernahm 1919, nach der Gründung der Ersten Armenischen Republik, die Leitung der Grundschulen. Doch bereits nach einem knappen Jahr legte er diese Tätigkeit aus Protest nieder, weil er die Regierung für den schlechten Zustand in den Schulen verantwortlich machte. Nach der Eröffnung der staatlichen Universität in Jerewan im Herbst 1920 leitete er die Lehrstühle für Pädagogik und Psychologie und hatte gleichzeitig die Leitung des Lehrstuhls für Psychologie am Pädagogischen Institut inne. Ēdilian setzte sich für die Gründung pädagogischer Vereine, Lehrerverbände und Gewerkschaften ein und hatte großen Anteil an der Etablierung der theoretischen und praktischen Pädagogik in Armenien.197 An der Reformierung des Bildungssystems beteiligte sich auch Tigran Ṙašmač’ian, einer der bekanntesten armenischen Pädagogen und Publizisten seiner Zeit. Nach dem Abschluss der Gevorgian-Akademie setzte er sein Studium in Leipzig und Jena fort, wo er nach eigenen Angaben Pädagogik, Psychologie und verwandte naturwissenschaftliche Fächer studierte.198 Nach der Rückkehr in die Heimat unterrichtete er bis 1926 ohne Unterbrechung an verschiedenen armenischen Schulen. Große Anerkennung erhielt er für seinen Einsatz bei der Bekämpfung des Analphabetismus in Armenien in den frühen Sowjetjahren. Zudem veröffentlichte er zahlreiche pädagogische und

195 196 197 198

Hoviv. 4 (1909), 15, 238. Aleksanian (Hg.): Gurgen Ēdilian, 10. Ebd., 10 f. Nationalarchiv Armeniens. Fond 1292, Liste 1, Akte 238, Bl. 41.

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psychologische Aufsätze in verschiedenen Fachzeitschriften und Zeitungen und wirkte an der Entwicklung verschiedener Schulbücher mit.199 Eine weitere bekannte Persönlichkeit in dieser Reihe war Mkrtič Navasar­ dian, der in der Schweiz studiert hatte und sich während seiner gesamten späteren Tätigkeit in der Heimat für die Einführung des Sportunterrichts in den Schulen einsetzte. Er kritisierte die Tatsache, dass der Schulunterricht nur auf die geistige und moralische Erziehung der Kinder konzentriert sei, ohne auf die physische Gesundheit Rücksicht zu nehmen. Da der Sportunterricht an den armenischen Schulen, so Navasardian, keine Tradition hatte und sowohl theoretische als auch praktische Erfahrungen fehlten, sollte wieder das europäische Beispiel zu Rate gezogen werden. Die Fortschritte des Sportunterrichts an europäischen Lehranstalten sollten dabei untersucht und an die armenischen Gegebenheiten angepasst werden. Navasardian beklagte nicht nur eine verbreitete Ignoranz in der Gesellschaft und die Gleichgültigkeit der Schulleitungen bzw. der Trägervereine gegenüber der Hygiene und der körperlichen Verfassung ihrer Schutzbefohlenen.200 An den Lehranstalten fehle es an jeglichen statistischen Daten über die Schüler und deren Gesundheitszustand, ebenso wenig seien Angaben bei den zuständigen Ärzten oder bei den zentralen Stellen in Ēǰmiaċin vorhanden. Dies erschwere es zusätzlich, einen bedarfsgerechten Sportunterricht zu organisieren. Eine weitere wichtige Frage war die Organisation des Sportunterrichts an den Mädchenschulen. Da geeignete Lehrerinnen fehlten, sollte der Sportunterricht, so Navasardian, von den Lehrern übernommen werden: […] bis die glücklichen Tage eintreten, wenn auch wir gut ausgebildete Lehrerinnen dafür haben werden. So war es in meinen Studienjahren in Küsnacht nahe Zürich, im Lehrerseminar, wo die Jungen und Mädchen zusammen lernten und nur der Sportunterricht getrennt war.201

Durch zahlreiche Artikel in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften sowie durch Übersetzungen aus den Werken bekannter europäischer Fachleute versuchte Navasardian, die physische Erziehung in der Schule auch theoretisch zu begründen bzw. die armenische Gesellschaft für deren Notwendigkeit zu sensibilisieren. Über diese Themen führte Navasardian eine ausführliche Korrespondenz mit dem Kathołikos Mkrtič I. Chrimian, in der er nicht nur die Fragen des Sportunterrichts und der Hygiene, sondern insgesamt die Notwendigkeit grundlegender Reformen ansprach, um die verbreitete Rückständigkeit in den Schulen zu bekämpfen. Auf diese Rückständigkeit führte 199 Ṙašmač’ian, Tigran u. a. (Hg.): Dasẹnker [Schulkamerad]. Tiflis 1909; Siehe auch zahlreiche pädagogische Artikel in den Zeitschriften Hasker, Nor dproc, Hoviv u. a. 200 Horizon. 2 (1910), 207, 1. 201 Ebd.

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Navasardian auch zurück, dass viele junge Armenier nach dem Studium nicht mehr in die Heimat zurückkehrten, sondern lieber eine »Ausländerin heirateten« und in Europa blieben.202 Zwar sprachen sich alle erwähnten Akteure dafür aus, sich bei der Reform des armenischen Bildungssystems am europäischen Beispiel auszurichten, doch bedeutete dies keineswegs die unreflektierte Übernahme der aus Europa importierten Ideen. Die Europareise, die armenische Kindergärtnerinnen unternahmen, um die dort vorhandenen Systeme der vorschulischen Erziehung kennenzulernen und deren Umsetzung an die Gegebenheiten im Kaukasus anzupassen, war dafür ein sprechender Beleg. Das Fröbel’sche System wurde in den armenischen Kindergärten zwar eingesetzt, und es entstanden auch schon die ersten Fröbel’schen Gesellschaften im Kaukasus, dennoch betrachteten sich Sofia Arłut’ian und Sofia Babaian, die Pionierinnen der vorschulischen Erziehung in Armenien, zu keiner Zeit als Anhängerinnen von Fröbel. Vielmehr versuchten sie, sowohl seine Theorien als auch die von Montessori für den armenischen Kontext zu modifizieren. Ihr Beispiel fand alsbald Resonanz auch unter den Armeniern im Osmanischen Reich. 1892 wurde in Konstantinopel – nur wenig später als in Tiflis – der erste armenische Kindergarten eröffnet, in dem die Fröbel’schen Methoden zur Anwendung kamen.203 Das europäische Beispiel wurde auch in anderen Bereichen kritisch geprüft und auf den Seiten armenischer Periodika im Zusammenhang mit dem Auslandsstudium und dem dadurch angestoßenen Wissenstransfer diskutiert. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sollten diese Debatten jedoch erst einmal zum Stillstand kommen, bevor die Reform des Bildungssystems zunächst in der Ersten Armenischen Republik (1918–1920), dann in Sowjetarmenien unter gänzlich anderen Voraussetzungen weitergeführt werden sollte.

202 Matenadaran. Fond Gyut Vardapet Ter-Łasarian, Mappe 2, Dok. 87. 203 Oshagan: Some Notes, 54.

Schlussbemerkungen

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellte für das Auslandsstudium der Armenier eine einschneidende Zäsur dar: Ihre Zahl war in Deutschland wie in der Schweiz bereits zu Beginn der 1910er Jahre kontinuierlich zurückgegangen, nach dem Kriegsausbruch waren an den Universitäten beider Länder nur noch vereinzelt armenische Studierende anzutreffen. Der Krieg bereitete aber auch den Reforminitiativen in der Heimat ein abruptes Ende. Während der kurzen Existenz der Ersten Armenischen Republik konnten keine grundlegenden Reformen in Gang gesetzt werden. Dazu kam es erst im Zuge der Sowjetisierung Armeniens und unter gänzlich anderen ideologischen Voraussetzungen. Doch dieser Prozess sowie die Rolle, die die europäischen Universitätsabsolventen dabei spielten, sind nicht mehr Gegenstand des vor­liegenden Buches. Das Hauptinteresse der Untersuchung richtete sich vielmehr auf die Analyse der armenischen Bildungsmigration ab den 1860er Jahren und in diesem Kontext auf grundsätzliche Debatten über die gesellschaftliche Modernisierung. Dazu gehörten der sich in diesem Zeitraum zusehends verstärkende Wunsch der Armenier nach nationaler Selbstbestimmung und politischer Partizipation, die Bemühungen um die Etablie­rung einer nationalen pädagogischen und akademischen Tradition sowie Fragen der Frauenemanzipation. Diese Ideen beschäftigten damals natürlich nicht nur die armenische Intelligenzija, sondern sie waren Teil ähnlicher Debatten im Russländischen Reich, aber auch in den ost- und ostmitteleuropäischen Gesellschaften. Dies zeigt auch die hier vorgenommene Einordnung der armenischen Bildungsmigration und ihrer sozialen und politischen Hintergründe in den Kontext entsprechender Entwicklungen in diesen Ländern. Das Auslandsstudium der Armenier wurde im vorliegenden Buch sowohl mit Blick auf die migrationsgeschichtlichen Aspekte als auch auf Fragen des Kultur- und Wissenstransfers behandelt. Damit leistet das Buch einen Beitrag zu den deutsch-armenischen Kulturbeziehungen, aber auch zur Sozial- und Bildungsgeschichte Armeniens. Die noch vorhandenen Forschungsdesiderate betreffen in erster Linie das Studium junger Armenierinnen und Armenier an den Hochschulen im Russländischen Reich, in Frankreich sowie in England und Italien. An den italienischen Hochschulen erhielten bereits im 18. Jahrhundert mehrere armenische Ärzte aus dem Osmanischen Reich ihre Ausbildung, doch dieses frühe Kapitel des Auslandsstudiums ist bis dato beinahe völlig unerforscht.

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Schlussbemerkungen

Die Entscheidung junger Armenierinnen und Armenier, für ein Hochschulstudium ins Ausland zu gehen, war durch eine ganze Reihe von Faktoren beeinflusst. Diese reichten vom Fehlen adäquater Studienmöglichkeiten im Kaukasus und den Einschränkungen an russländischen Universitäten über die unruhige politische Situation bis hin zu den repressiven Verfolgungen in der Heimat. Die im Vergleich günstigeren Studienbedingungen in Deutschland und in der Schweiz verliehen dieser Tendenz einen zusätzlichen Auftrieb. Dass so viele der Bildungsmigranten gerade nach Deutschland bzw. an deutschsprachige Universitäten gingen, lag aber auch an der besonderen Qualität der deutsch-armenischen Kulturbeziehungen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte zudem das Wirken des »Notwendigen Liebeswerks«. Auch wenn der Stipendienfonds nur wenige armenische Theologen finanziell unterstützen konnte, betonten die Verantwortlichen dieses für studierende Armenier wichtigen Netzwerks immer wieder die Notwendigkeit, auch andere armenische Studenten beim Spracherwerb zu unterstützen und ihnen so den Zutritt in die deutsche Gesellschaft zu ermöglichen. Mit der möglichst schnellen Aneignung der deutschen Sprache war die Adaption armenischer Studierender an die lokalen Bedingungen verbunden, aber auch die Herstellung transnationaler Beziehungen. Denn sowohl in ihren akademischen als auch politischen und sozialen Aktivitäten orientierten sich die armenischen Studierenden durchaus am Beispiel der Kommilitonen anderer Nationalität. Dies gab ihnen die Möglichkeit, ihre eigenen Ideen und Erfahrungen in den breiteren Kontext der europäischen sozialen und politischen sowie kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklungen einzuordnen. Dabei konnten sie sowohl Artikulationsformen der modernen politischen Kultur in Europa adaptieren als auch eine gewisse Distanz zu dem in ihrer Heimatgesellschaft verbreiteten Traditionalismus entwickeln. Für die nationale Mobilisierung der Armenier war die Beteiligung der Studenten ein wichtiger Faktor, auch wenn ein Großteil der Studierenden sich von politischen Aktivitäten zurückhielt und die studentischen Belange in den Vordergrund stellte. Eine tiefe Zäsur im Prozess der nationalen Mobilisierung armenischer Studenten stellten die Revolutionen 1905 im Russländischen bzw. 1908 im Osmanischen Reich dar. Beide Ereignisse übten auf die akademische Migration einen enormen Einfluss aus und sie prägten auch die sozialen und politischen Aktivitäten armenischer Studenten. An deutschen und schweizerischen Hochschulen wurden alternative Räume gebildet, in denen die politischen Ereignisse unbeeinträchtigt von den Verfolgungen in der Heimat diskutiert werden konnten. Damit spielten die in Europa studierenden Armenier in der Entstehung der nationalen (Befreiungs-)Bewegung eine wesentliche Rolle, was sich etwa im Kontext ihrer Beteiligung an der Tätigkeit der Parteien Armenakan, Hnčak und Dašnakcut’iun beobachten lässt. Sie waren es aber auch, die die europäischen politischen Ideologien in ihre Heimatgesellschaft

Schlussbemerkungen

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transferierten, diese als Lehrer in den Schulen und Seminaren verbreiteten und die Entstehung der modernen armenischen politischen Kultur an der Schwelle zum 20. Jahrhundert mitgestalteten. Sozialgeschichtlich lassen sich die armenischen Studierenden damit in das Hrochsche Modell über die Rolle der Studenten bei den kleinen Völkern im Prozess der sogenannten »nationalen Wiedergeburt« einreihen.1 Wichtige Rahmenbedingungen für diese Aktivitäten armenischer Studierender in Europa boten die akademischen, politischen, aber auch die persönlichen Freiheiten, die unter anderem ihre Mobilisierung in Vereinen ermöglichten. Einige von ihnen, wie die Vereine Armenischer Studenten Europas und Armenischer Dašnakcakan-Studeneten Europas, erlangten weit über den lokalen Rahmen hinaus Autorität und fungierten nicht nur als Zusammenschlüsse der armenischen Studenten in Europa, sondern knüpften auch Beziehungen zu anderen nationalen Bewegungen. Der Armenisch-Akademische Verein zu Leipzig wiederum verfügte als die einzige Organisation armenischer Studenten über eine offizielle Zulassung der Universitätsbehörde, aus der seine außerordentliche Bedeutung resultierte. Diese Vereine trugen als ein weiterer Faktor wesentlich zur nationalen Mobilisierung der armenischen Studenten bei, bereiteten die Bühne für deren soziales und politisches Engagement und organisierten zudem Selbsthilfe für notleidende Kommilitonen. Doch nicht nur das: Bedeutend war die Rolle dieser Vereine auch als Verfechter armenischer Interessen in Europa. So machten sie es sich zur Aufgabe, eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen, die die Armenische Frage auf die politische Bühne bringen und damit zu ihrer Lösung beitragen könnte. Dieser Öffentlichkeit ein positives Bild von der armenischen Kultur und Geschichte zu vermitteln und sie für die politischen Belange der Armenier zu gewinnen, war nach ihrer Auffassung genauso wichtig wie die praktische Politik oder der bewaffnete Kampf. Diesem Zweck dienten auch zahlreiche Veranstaltungen studentischer Vereine, bei denen großer Wert auf die Beteiligung europäischer Akteure gelegt wurde. Wichtig waren zudem Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten und zielgerichtete Übersetzungen aus dem Armenischen in europäische Sprachen. All diese Maßnahmen dienten letztlich dazu, die europäischen Großmächte für eine Intervention zugunsten der Armenier im Osmanischen Reich zu bewegen. Mit der christlichen Tradition der Armenier wurde dabei genauso argumentiert wie mit ihrem jahrhundertealten kulturellen Erbe. Die Vereine hatten zudem große Bedeutung dafür, dass die Studierenden sich an ihren jeweiligen Universitäten zurechtfanden. Denn für einen erfolgreichen Studienaufenthalt stellten Akkulturation und Integration im Gastland entscheidende Faktoren dar. Natürlich reüssierten die armenischen 1 Hroch: Die Vorkämpfer, 137.

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Neuankömmlinge nicht immer an den europäischen Hochschulen, auch wenn Vereine ihnen bei der Integration in die deutsche respektive schweizerische Gesellschaft Hilfe und Orientierung anboten. Oft erwies sich aber auch die Wiederintegration in die Heimatgesellschaft nach der Rückkehr als schwierig. Der Aufenthalt in den akademischen und kulturellen Zentren Europas und des Russländischen Imperiums hatte den Studierenden die Diskrepanz vor Augen geführt, die zwischen der europäischen und ihrer nach wie vor traditionellen Heimatgesellschaft herrschte. Diese Erfahrung führte in vielen Fällen zu Akkulturationsproblemen  – mitunter mit dem Resultat einer erneuten Rückwanderung. Im Zusammenhang mit der möglichen Assimilierung wiederum wiesen die Vertreter armenischer Intelligenzija immer wieder auf die dürftigen Kenntnisse der Muttersprache hin. Dessen waren sich auch die Studierenden bewusst, sodass die Vereine in diversen statistischen Erhebungen diese Frage sogar in den Vordergrund stellten. Vor allem in Dorpat organisierten die Studenten Sprachkurse, die dazu beitragen sollten, die neuarmenische Sprache als neue Kommunikations- und Wissenschaftssprache zu etablieren. Diese Bestrebungen korrespondierten durchaus mit den Zukunftsvorstellungen der armenischen Intelligenzija, die in diesem Buch immer wieder aufgegriffen werden. Ihre Ideen und Äußerungen zeigen deutlich, dass das Auslandsstudium als Institution weitgehend unumstritten war, während mit Blick auf verschiedene Reformprojekte starke Divergenzen herrschten. Die armenische intellektuelle Elite, deren Vertreter selbst zu einem großen Teil an deutschen, schweizerischen, französischen und russländischen Hochschulen ausgebildet worden waren, verstand die Modernisierung als eine Entwicklung, die mit der westlichen Zivilisation konform war und die Emanzipation von den vorhandenen dogmatischen Strukturen bringen sollte. Diese Vorstellung stieß bei den traditionalistisch gesinnten gesellschaftlichen Schichten auf Ablehnung. Diese zogen eine deutliche Trennlinie zwischen der Bewahrung bzw. Wiederbelebung der nationalen Kultur und dem Import bildungspolitischer Elemente »fremder« Hochkulturen. Da die aus Europa kommenden Reformideen unvereinbar mit der mythisch gefärbten nationalen Kultur waren, wurden die historischen Traditionen neu diskutiert und kritisch überprüft. Die (selektive)  Übernahme bestimmter bildungskultureller Komponenten kristallisierte sich dabei als für den Modernisierungsprozess oftmals notwendig heraus. Diese Dichotomie zwischen Modernisierung und Traditionalismus wurde im vorliegenden Buch anhand der öffentlichen Wahrnehmung der Auslandserfahrungen dargestellt, die widersprüchlicher hätte nicht sein können. Zum einen begegneten die konservativen Kreise der armenischen Gesellschaft den Reformideen, die die Absolventen europäischer Universitäten mitbrachten, mit Skepsis. Die Erwartungen, die sie an die Rückkehrer richteten, waren widersprüchlich: Einerseits sollten diese den Bedarf an Fachkräften in der

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Wirtschaft, aber auch an Lehrern und Priestern decken. Andererseits warf man ihnen Prätention und Arroganz gegenüber der eigenen Gesellschaft vor, ihr vom Reformgeist bestimmtes Verhalten wurde als Missachtung der traditionellen Sitten und Kultur verurteilt. Die Kirche befürchtete zudem, die Rückkehrer würden die Säkularisierung der armenischen Gesellschaft vorantreiben. Gerade der Versuch, die armenische Sprache vom Einfluss des Altarmenischen zu befreien und die neuarmenische Sprache als Kommunikations-, Literatur- und Wissenschaftssprache zu etablieren, wurde als Ausdruck der fortschreitenden gesellschaftlichen Säkularisierung bekämpft.2 Auch die armenische intellektuelle Elite diskutierte die mit dem Auslandsstudium einhergehenden Verpflichtungen kontrovers. Eine bedingungslose Hingabe »für das Wohl der Heimat« wurde nicht nur von Stipendiaten erwartet, sondern generell von allen Landsleuten, die an europäischen Hochschulen studiert hatten. Wer diese Erwartung nicht erfüllte, sah sich scharfer Kritik ausgesetzt. Sie traf besonders diejenigen, die im Ausland blieben – wenn auch die Aktivitäten einzelner Persönlichkeiten, die darauf gerichtet waren, armenische Interessen in Europa zu vertreten, honoriert wurden. Dies war etwa bei Andreas Arċruni der Fall, der als Professor der Mineralogie in Aachen lehrte, sich aber lebenslang für die »richtige« Darstellung der Armenischen Frage in der deutschen Presse einsetzte bzw. regelmäßig die deutsche Berichterstattung für Mšak auswertete. Misstrauen erfuhren die aus dem Ausland zurückgekehrten Absolventen aber auch seitens staatlicher Behörden des Russländischen Reiches. Die aka­demische Migration nach Westeuropa lief der integrativen imperialen Politik zuwider, zumal den Kenntnissen und Erfahrungen, die diese jungen Menschen mitbrachten, kein Vertrauen entgegengebracht wurde. Als Lehrer wurden die Heimkehrer zudem mit dem Vorwurf konfrontiert, »verderblichen Einfluss« auf die studierende Jugend auszuüben.3 Eine ganze Generation junger Armenier, so stellte das Departement für die Angelegenheiten ausländischer Konfessionen fest, ging nach der »unglücklichen Schließung« armenischer Schulen im Kaukasus 1903 nach Deutschland und in die Schweiz, von wo sie als überzeugte Sozialisten zurückkehrten.4 Diese Bewertung der staatlichen Behörden resultierte nicht zuletzt aus der um die Wende zum 20. Jahrhundert unaufhaltsamen Verbreitung der sozialdemokratischen und marxistischen Ideologie, aber auch aus der Propaganda nationaler Parteien, die unter anderem in der Schule ausgetragen wurde. Gerade die HYD sah in der Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins bereits auf der Schulbank 2 Vgl. Oshagan, Vahé: Cultural and Literary Awakening of Western Armenians, 1789–1915. In: The Armenian Review. 36 (1983), 3, 57–70, 58 f. 3 RGIA . Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96, Bl. 102. 4 Ebd.

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ein notwendiges Gegengewicht zur befürchteten Russifizierung, was staat­ liche Behörden mit zunehmendem Misstrauen beobachteten bzw. mit rabiaten Maßnahmen beantworteten. Die einleitend formulierte Frage, inwiefern das Auslandsstudium das Wertesystem der armenischen Studenten veränderte, welche Konflikte dieser Wandel möglicherweise verursachte und ob die neuerworbene Weltsicht mit den Realitäten in der Heimat noch zu vereinbaren war, wurde anhand exemplarischer Biografien beantwortet. Sie verdeutlichen das breite Spektrum der Lebenswege nach der Migration: Während einzelne Personen wie Harut’iun Abełian, Professor an der Universität Zürich, sich eine Rückkehr in den Kaukasus nicht mehr vorstellen konnten, machten andere in den akademischen Zentren des Russländischen Reichs Karriere. Die meisten Studierenden kehrten jedoch nach dem Abschluss des Studiums in ihre Heimat zurück. Die Tatsache, dass viele von ihnen später auf einen beachtlichen beruflichen Werdegang zurückblicken konnten, ist ein Beleg dafür, dass ihnen allen Hindernissen zum Trotz viele Möglichkeiten für eine professionelle Tätigkeit offenstanden. Gleichwohl barg der »europäische Einfluss« für die entsendende Gesellschaft ein beträchtliches Konfliktpotenzial, das sich in der Frage der Frauen­ bildung besonders eindrücklich zeigte. Diese war ein zentrales Thema in der Diskussion über das Auslandsstudium, die von dem Argument dominiert wurde, dass die armenische Nation gebildete Mütter für die Erziehung der heranwachsenden Generation brauchte. Die Frage der beruflichen Emanzipation der Frauen wurde dieser Vorstellung deutlich untergeordnet. Besonders brisant in der gesellschaftlichen Wahrnehmung war die Annahme, die im Ausland studierenden Frauen würden auf eine alternative Welt treffen, in der die Unabhängigkeit der Frauen, die Möglichkeit zu studieren und zu reisen, Selbstverständlichkeiten waren und nicht (mehr) erkämpft werden mussten. Diese Vorstellung erschütterte das basale Verständnis der traditionellen armenischen Familie und der Rolle der Frau innerhalb patriarchaler Strukturen. In einem Brief an eine Freundin berichtete die Studentin Nadežda K’alant’arianc über eine englische Frau, die allein nach Afghanistan gereist war, dort einige Jahre gelebt hatte und nun in England Vorlesungen über dieses Land hielt. Sie bewunderte den Mut dieser Frau und verband mit diesem Beispiel die Hoffnung, dass sich die Situation in der Heimat – nicht zuletzt durch das Beispiel der ersten Pionierinnen im Ausland beeinflusst – schon bald ändern werde. Vor allem sollte die kommende Generation der Frauen eine höhere Ausbildung erhalten dürfen, ohne durch gesellschaftliche Vorurteile daran gehindert zu werden.5 Im Zusammenhang mit der kirchlichen Reform trat die Kluft zwischen den gegensätzlichen Lagern sogar noch deutlicher zutage. Denn nicht nur die Vertreter des höheren Klerus begegneten den Auslandserfahrungen junger 5 Murč’. 9 (1897), 5, 621–635, 634.

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Theologen mit Skepsis. Gerade die Finanzierung ihres Studiums durch die sogenannten »nationalen Mittel« machte sie zur Zielscheibe einer antiklerikalen Kritik von Seiten der armenischen liberalen Elite und ihrer Presse. Inmitten der politischen Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Kirchenreform, zu der die in Deutschland ausgebildeten Theologen den Anstoß geben wollten, wenig populär. Sie forderten in erster Linie eine bessere Ausbildung der Geistlichen, ferner ging es um die grundsätzliche Neudeutung des Priesterberufs, um die Überwindung bestimmter dogmatischer Verpflichtungen, vor allem um die Abschaffung des Zölibats. Argumentiert wurde dabei mit der Notwendigkeit, eine »lebendige« Kirche zu schaffen, die auch in einer veränderten, modernisierten Welt ihren Platz haben würde. Doch mit diesen Forderungen scheiterten sie letztlich – zu groß war der Widerstand gegenüber den vermeintlichen Angriffen auf die Dogmen der armenischen Kirche. Erschwerend kam hinzu, dass die Protagonisten der Kirchenreform nicht dazu in der Lage waren, ein kohärentes Programm zu entwickeln, das Reformorientiere in und außerhalb der Kirche angesprochen hätte. Sie schafften es nicht einmal, verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen die Notwendigkeit einer solchen Reform plausibel zu erklären. Die erwähnten Konflikte ergaben sich in erster Linie aus den divergierenden Wertvorstellungen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Kaukasus. Auf den ersten Blick mag es daher paradox erscheinen, dass das Studium junger Armenier an europäischen Hochschulen dennoch großzügig finanziell gefördert wurde. Das lässt sich mit dem Handlungsdruck erklären, dem sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen durch die ausländische  – nicht nur wirtschaftliche  – Konkurrenz ausgesetzt sahen. Die Konsequenz waren zahlreiche Spenden wohlhabender Armenier. Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden unter den Armeniern sowohl im Russländischen als auch im Osmanischen Reich wohltätige Gesellschaften, die neben dem Neubau bzw. der Restaurierung von Kirchen und Schulen zahlreiche andere soziale und kulturelle Projekte förderten. Im Kaukasus fungierten die Armenische Humanitäre Gesellschaft in Baku sowie die Wohltätige Gesellschaft in Tiflis als wichtige Adressen für Spenden und Nachlässe vermögender Armenier. Beachtliche Mittel wurden zudem der armenischen Kirche oder den geistlichen Seminaren direkt überlassen. Mit dieser Zuwendung sollte das Studium der Absolventen dieser Seminare an russländischen oder europäischen Hochschulen finanziert werden. Die Voraussetzung allerdings war, dass diese Stipendiaten später in den geistlichen Dienst der armenischen Kirche treten oder an einer Schule unterrichten sollten. Dass diese Vorstellung sowohl von den privaten Spendern als auch von den Verantwortlichen in den Seminaren stets in den Vordergrund gestellt wurde, lag an seinem unumstrittenen Ziel: Die Finanzierung des Auslandsstudiums sollte in erster Linie dazu beitragen, die armenischen Schulen mit qualifizierten Lehrern auszustatten. Ein

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Schlussbemerkungen

modernes und funktionierendes Bildungssystem wurde in der Presse als die erste Stufe zu einer umfassenden Modernisierung dargestellt. Die armenische wirtschaftliche Elite spielte aber nicht nur in der Finanzierung des Auslandsstudiums eine entscheidende Rolle. Ihre wirtschaftliche Potenz verlieh ihr eine gewisse Autorität und damit die Möglichkeit, die soziale Situation der Armenier im Kaukasus zu beeinflussen. Das Gelingen der Reformen war eben nicht nur von dem Wirken der aus Europa zurückgekehrten Spezialisten abhängig, sondern auch von einer angemessenen Finanzierung. Auf die Unterstützung der wirtschaftlichen Elite hofften auch diejenigen zeitgenössischen Akteure, die sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts für die Gründung einer Hochschule im Kaukasus engagierten. Diese Debatten waren sicher von der russischen Universitätsidee beeinflusst, schließlich gehörte es zum Wesen dieser Idee, dass sie sich über Grenzen hinweg verbreiten und sich unter den verschiedensten kulturellen, politischen und sozialen Gegeben­ heiten verwirklichen konnte. Solche Transfers wurden für gewöhnlich durch Bildungseliten bewerkstelligt, die die Möglichkeit hatten, das Universitätssystem im Ausland kennenzulernen und dieses später im Heimatland – mit eventuellen Anpassungen – zu etablieren. So wurden auch im Kaukasus Fragen über die Bestimmung der Universität, über ihre Funktion und die gesellschaftliche Rolle eingehend diskutiert. Dass die Gründung einer Hochschule in dieser Region bis zum Zusammenbruch des Zarenreichs dennoch nicht realisiert werden konnte, war nicht nur der zurückhaltenden Politik des Staates geschuldet. Unter der kaukasischen Intelligenzija herrschte in der Frage, ob eine Universität oder eher eine technische Hochschule in dieser Region finanziert werden sollte, keine Einigkeit. Zudem sahen viele Armenier in diesen Projekten eine Konkurrenz zum Auslandsstudium, entsprechend zäh gestaltete sich die Debatte. Die ersten Universitäten im Kaukasus wurden 1919 in Tiflis, dann in Baku eröffnet. Die Gründung der armenischen Universität wurde bereits in den Regierungsjahren der Ersten Armenischen Republik in Angriff genommen; die offizielle Eröffnung fand am 31. Januar 1920 in Alexandropol statt. Im Sommer desselben Jahres zog die Universität nach Jerewan um, doch ein geregelter Unterricht in den geplanten historisch-philologischen, juristischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten konnte unter anderem wegen des Türkisch-Armenischen Krieges 1920 nicht stattfinden. Auf der Grundlage dieser Einrichtung wurde nach der Sowjetisierung Armeniens mit der Anordnung vom 17. Dezember 1920 die Volksuniversität Jerewan mit den beiden Fakultäten für Natur- und Sozialwissenschaften gegründet.6 In den 1920er 6 Nersisyan, M. G.: Hay mšakuyt’i nšanavor kentronẹ (Erevani petakan hamalsarani 50-​ amyaki aṙt’iv) [Das bedeutende Zentrum der armenischen Kultur (anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Staatlichen Universität Jerewan)]. In: PBH . 1970, 4, 177–190, 178.

Schlussbemerkungen

413

und 1930er Jahren wurden sowohl neue Fakultäten etabliert als auch  – auf Basis einiger Fakultäten – eigenständige Institute eröffnet, wie etwa das Medizinische, Polytechnische oder Landwirtschaftliche Institut.7 Diese Geschichte ist nicht mehr Teil der vorliegenden Untersuchung und kann auch nicht als unmittelbare Folge des Auslandsstudiums in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bezeichnet werden. Gleichwohl soll darauf hingewiesen werden, dass die Entwicklung der genannten Institute sowie einzelner Lehrstühle an der Universität durchaus auf die Tätigkeit der Spezialisten zurückgeht, die ihre akademischen Erfahrungen an deutschen, schweizerischen, aber auch an russländischen Hochschulen gesammelt hatten. Zu ihnen gehörten die oben bereits erwähnten Akteure wie Hakob Manandian, Manuk Abełian, Garegin Hovsep’ian, Ervand Ter-Minassian, die Pädagogen Gurgen Ēdilian und Aršavir Šavaršian, der Chemiker Hakob Hovhannisian, in seiner Eigenschaft als erster Volkskommissar für Bildung Ašot Hovhannisian und andere. Auf den Bemühungen von Aršavir Šavaršian fußte des Weiteren die Gründung des Pädagogischen Instituts, das nach Xačatur Abovian benannt wurde. Neben den bereits erwähnten Personen wirkten dort zudem Hayk Azatian, Tigran Ṙašmač’ian, Hovhannes Ter-Mirak’ian und andere. Kaum ein anderes europäisches Land hatte auf die Reformdebatten der Armenier im Kaukasus im ausgehenden 19. Jahrhundert eine vergleichbare Wirkung wie Deutschland und die Schweiz mit ihren höheren Bildungs­ einrichtungen; ein ähnlicher Kultureinfluss ging nur noch von den Hochschulen des Russländischen Reiches aus. Die Bildungsmigration der Armenier in diese Länder war einerseits durch den Wunsch motiviert, sich in verschiedensten Fachrichtungen ausbilden zu lassen und dieses Wissen später für die Modernisierung ihrer Heimat zu nutzen. Sie war auf der persönlichen Ebene aber auch mit der Hoffnung des sozialen Aufstiegs und der Loslösung von den als rückständig empfundenen Strukturen in der Heimat verbunden. Natürlich erfüllten die Auslandsstudenten damit – wie in vielen anderen Ländern – nicht immer die Erwartungen derer, die sie auf den Weg geschickt und finanziert hatten. Dennoch war die akademische Migration der Armenier trotz der vielfältigen Konflikte und Widerstände, mit denen die Rückkehrer konfrontiert waren, zumindest auf der persönlichen Ebene eine Erfolgsgeschichte. Gesamtgesellschaftlich lässt sich dies so nicht behaupten, was an der konfliktreichen politischen Geschichte liegt, aber auch an der großen Zäsur, die der Erste Weltkrieg mit sich bringen sollte.

7 Ebd., 183.

Dank

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die im Sommersemester 2016 von der Ludwig-Maximilians-Universität angenommen wurde. Die Idee, das Studium junger Armenierinnen und Armenier in Deutschland und in der Schweiz zu untersuchen, entstand bereits nach meinem Geschichtsstudium in Jerewan. Seither und bis zur Entstehung dieses Buches ist sehr viel Zeit vergangen, zum Teil bei inten­ siven Recherchen in verschiedenen Ländern und Archiven. Vielen Personen, die mich während dieser Zeit und in der Schreibphase unterstützt haben, möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Zunächst danke ich meinem Doktorvater Martin Schulze Wessel, der die Entstehung dieser Arbeit von Anfang an gefördert und mit fachlichen und methodischen Anregungen begleitet hat. Ihm danke ich außerdem für die Freistellung, die mir in einer wichtigen Schreibphase den notwendigen Freiraum verschaffte. Für wichtige Hinweise und sachliche Unterstützung danke ich zudem meinem Zweitgutachter Guido Hausmann sowie Mark Hengerer. Die Entstehung dieses Buches wäre ohne das Kurzstipendium des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst), das mir erstmals die Arbeit in deutschen Archiven gestattet hatte, sicher nicht möglich gewesen. Während des Stipendienaufenthalts in München stand mir Edgar Hösch mit ersten fachlichen Anregungen fördernd zur Seite. Dank seiner Unterstützung ist mir die Promotion in München erst möglich geworden. Danken möchte ich auch Hartmut Rüdiger Peter, der mich an das Projekt »Russische Studenten an deutschen Hochschulen vor dem ersten Weltkrieg« herangeführt und damit für die Entstehung wichtiger Kontakte gesorgt hat. Während der Workshops und Konferenzen, die im Rahmen dieses Projekts organisiert wurden, wurde die Grundlage für viele methodische und inhaltliche Fragen gelegt. Für wichtige Anregungen, aber auch praktische Hilfe bin ich zudem Hacik Gazer, der von Anfang an mit großem Interesse die Entstehung dieser Arbeit verfolgt hat, zu besonderem Dank verpflichtet. Dem vorliegenden Buch liegt ein umfangreiches Quellenmaterial aus verschiedenen Archiven und Bibliotheken zugrunde. Für wertvolle Hinweise und optimale Arbeitsbedingungen möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Einrichtungen, insbesondere Sonya Mirzoyan vom National­ archiv Armeniens und Haykanush Ghazaryan von der Armenischen Nationalbibliothek, danken.

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Dank

Mein herzlicher Dank gilt weiterhin meinen Kolleginnen und Kollegen am Collegium Carolinum, die mich während der Arbeit am Buch mit wichtigen Hinweisen und Kritik unterstützt haben. Für erste Anregungen sei Monika Heinemann und Johannes Gleixner herzlich gedankt. Insbesondere danke ich Hermann Beyer-Thoma, Christiane Brenner, Ulrike Lunow und Stephanie Weiß, die das Buch mit größter Sorgfalt lektoriert haben. Von Ulrike ­Lunow erhielt ich zudem große Unterstützung bei der Arbeit mit französischen Texten. Für die Aufnahme dieser Studie in die Reihe »Schnittstellen« möchte ich den Herausgebern Martin Schulze Wessel und Ulf Brunnbauer herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt außerdem der Graduiertenschule für Ostund Südosteuropastudien der Ludwig-Maximilians-Universität München und Universität Regensburg für die großzügige Finanzierung der Drucklegung. Gedankt sei an dieser Stelle auch Daniel Sander vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der mit viel Geduld und sachlicher Unterstützung zur Fertigstellung des Buches beigetragen hat. Die allerwichtigste Inspiration bekam ich von meiner Tochter Amelia und von meiner Familie. Meinem Ehemann danke ich nicht nur für die formale Korrektur der Arbeit, sondern auch für seine Ausdauer und Nachsicht. Schließlich danke ich meinen Eltern, die mir in den schwierigen Jahren nach der Wende das Hochschulstudium in Jerewan ermöglicht haben. Ohne ihre tatkräftige Unterstützung wäre auch die Promotion in München nicht denkbar gewesen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. München, März 2020

Abkürzungen

ASDAO

Armenische Sozialdemokratische Arbeiterorganisation čislo (Nummer) CGIA Central’nyj Gosudarstvennyj Istoričeskij Archiv (Zentrales Historisches Staatsarchiv) ChW Die Christliche Welt d. delo (Akte) DAB Deutsch-Armenische Blätter DNL Das notwendige Liebeswerk GARF Gosudarstvennyj Archiv Rossijskioj Federacii (Staatliches Archiv der Russischen Föderation) HSH Haykakan Sovetakan Hanragitaran (Armenische sowjetische Enzyklopädie) HYD oder HHD Hay Yełap’oxakan (Hełap’oxakan) Dašnakcut’iun (Armenische ­Revolutionäre Konföderation) LHG Lraber hasarakakan gitut’yunneri (Bulletin der Sozialwissenschaften) MDAG Mitteilungsblatt der Deutsch-Armenischen Gesellschaft o. J. ohne Jahresangabe o. S. ohne Seitenzahl op. opis’ (Inventarverzeichnis) PBH Patma-banasirakan handes (Historisch-philologisches Journal) RBS Russkij biografičeskij slovar’ (Russisches biografisches Lexikon) RGIA Rossijskij Gosudarstvennyj Istoričeskij Archiv (Russländisches Historisches Staatsarchiv) RSDAP Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SSR Sowjetische Sozialistische Republik UAL Universitätsarchiv Leipzig UdSSR Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken č.

Anhang

Dissertationen armenischer Studenten Abeghian, Artasches: Vorfragen zur Entstehung der altarmenischen Bibelübersetzungen. Leipzig: A. Pries, 1906, 46 S. (Diss., Marburg, 1906). Abeghian, Arthur: Über den Bichloräther. Zürich: Zürcher & Furrer, 1872 (Diss., Zürich, 1871). Abeghian, Manuk: Der armenische Volksglaube. Leipzig: W. Drugulin, 1899, 127 S. (Diss., Jena, 1898). Abrahamian, Abel: Die Grundlagen des armenischen Kirchenrechts. Zürich: Buchdr. Gebr., Leeman & Co. 1917, 163 S. (Diss., Zürich, 1917). Aharonian, Avetis: Les anciennes croyances arméniennes (d’apres le folklore arménien). Genève: Jent, 1913, 73 S. (Thèse, Lausanne, 1913). Akulian, Aram: Einverleibung armenischer Territorien durch Byzanz im XI. Jahrhundert. Ein Beitrag zur vorseldschukischen Periode der armenischen Geschichte. Grüningen: J. Wirz, 1912, 94 S. (Diss., Zürich, 1912). Altunian, Georg: Die Mongolen und ihre Eroberungen in kaukasischen und kleinasiatischen Ländern im 13. Jahrhundert. Berlin: Emil Ebering, 1911, 52 S. (Diss., Berlin, 1911). Athabegian, Lewon: Über die Lage der Achillessehne bei verschiedenen Fußstellungen und bei Kontraktion der Wadenmuskulatur. (Diss., Zürich, 1894). Asadourian, Pascal: Die politischen Beziehungen zwischen Armenien und Rom von 190 v. Chr. bis 428 n. Chr. Ein Abriss der armenischen Geschichte in dieser Periode. Venedig: Mechitaristendruckerei auf San Lazzaro, 1911, 196 S. (Diss., Freiburg i. Schw., 1911). Bekzadian, Alexander: Der Agent-Provocateur (Lockspitzel): mit besonderer Berücksichtigung der politischen Provokation in Russland. Ein Beitrag zum Strafrecht und zur Kriminalpolitik. Zürich: Leeman & Co., 1913, 143 S. (Diss., Zürich, 1914). Ediljan, Gurgen: Kritik der Ziller’schen Formalstufentheorie. Rötha [1909], 88 S. (Diss., Bern, 1908/09). Ghazarian, Mkrtitsch: Armenien unter der arabischen Herrschaft bis zur Entstehung des Bagraditenreiches, nach arabischen und armenischen Quellen. Marburg: N. G. Elwert, 1903, 87 S. (Diss., Strassburg, 1902). Iskenderian, Galust (Ter-Grigorian): Die Kreuzfahrer und ihre Beziehungen zu den armenischen Nachbarfürsten bis zum Untergange der Grafschaft Edessa. Weide i. Th.: Thomas & Hubert, 1915, 112 S. (Diss., Leipzig, 1915). Johannissian, Aschot: Israel Ori und die armenische Befreiungsidee. München: Müller, 1913. 166. S. (Diss., München, 1913). Johannissian, Hayk: Das literarische Porträt der Armenier bei ihren Historikern vom 5.–8. Jahrhundert n. Chr. Mit einer Einleitung über ihre Abstammung, historische

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Anhang

Entwicklung und Geschichtsschreibung. Röthe bei Leipzig: G. Apitz, 1912, 289 S. (Diss., Leipzig, 1912). Khostikian, Missak: David, der Philosoph. Bern: W. Drugulin, 1907, 80 S. (Diss., Bern, 1907). Klidschian, Arsen: Das armenische Eherecht und die Grundlage der armenischen Familienorganisation. Stuttgart: Union deutsche Verlagsgesellschaft, 1911, 128 S. (Diss., Zürich, 1911). Manandian, Hakop: Beiträge zur albanischen Geschichte. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1897, 48 S. (Diss., Jena, 1897). Maxudianz, Mesrop: Le parler armènien d’Akn. Paris: Ρ. Geuthner, 1912, 146 S. (Thèse, Paris, 1911/12). Mégavorian, Agop: Etude ethnographique et juridique sur la famille et le mariage arméniens précédée d’un aperçu historique. Lausanne: impr. de Ch. Pache, 1894, 127 S. (Diss., Lausanne, 1894). Mekerttschiantz, Minas (Ter-Gabrielian): Über die Ovariotomie und Diagnose der Ovarialcysten. Berlin: M. Niethe, 1872, 59 S. (Diss., Berlin, 1872). Melik Allachwerdoff, Grigor v.: Der Begriff des sozialen und der Soziologie bei Comte und Marx und der Psychologismus in der Soziologie. Freiburg: Fr. Zeugner & Co. Liebertwolkwitz, 1914, 94 S. (Diss., Freiburg, 1912). Melik-Beglarian, Margarit: Über den Diabetes mellitus im Kindesalter. Zürich: Meyer, 1893, 34 S. (Diss., Zürich, 1895). Musaeljan, Heirapet: Die Agrarverhältnisse Transkaukasiens in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Borna-Leipzig: Robert-Noske, 1909, 114 S. (Diss., Erlangen, 1909). Nazarian, Stephanos: Sparta et Athene bello Peloponesiaco (Diss., Dorpat, 1840). Owsepian, Garegin: Die Entstehungsgeschichte des Monotheletismus nach ihren Quellen geprüft und dargestellt. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1897, 50 S. (Diss., Leipzig, 1897). Tarajanc, Sedrak: Das Gewerbe bei den Armeniern. Leipzig: C. Grumbach, 1897, 63 S. (Diss., Leipzig, 1897). Ter-Mikelian, Aršak: Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zur Byzantinischen (vom IV. bis zum XIII. Jahrhundert). Jena: G. Neuenhahn, 1892, 41 S. (Diss., Jena, 1892). Ter-Minassiantz, Erwand: Die Beziehungen der armenischen Kirche zu den syrischen bis zum Ende des 6. Jahrhunderts. Leipzig: A.  Pries, 1904, 59 S. (Diss., Leipzig, 1904). Ter-Mkrttschian, Karapet: Die griechischen Quellen über die Paulikianer. Leipzig: Druck v. Hartmann & Wolf, 1893, 40 S. (Diss., Leipzig, 1893). Ter-Saakiantz, Hayk: Die akuten Ileusfälle an der chirurgischen Klinik in Zürich in den Jahren 1898–1909. Zürich: A. Schereschewski, 1911, 20 S. (Diss., Zürich, 1911). Thopdschian, Hagob: Die inneren Zustände von Armenien unter Ašot I. (ausgenommen die Geschichte der armenischen Nachararowt’iwns und der armenischen Kirche). In: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen zu Berlin. Jg. 7, Abt. 2. Westasiatische Studien. Berlin: Reichsdruckerei, 1904, S. 104–153. (Diss., Halle-Wittenberg, 1904). Tschachmachtschjan, Haykanduxt: Über die Pectoral – und Abdominalmuskulatur u.

Dissertationen armenischer Studenten 

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üb. die Scalenus-Gruppe bei Primaten. Eine vergleichende morphologische Untersuchung (Diss., Zürich, 1910). Trapesonzjanz, Chatscheres: Über die Einwirkung des Propylen- und Pseudobutylen­ bromids auf primäre aromatische Basen. Über die Molekularrefraktion der Aldoxime & Ketoxime und ihre Beziehung zur Constitution derselben. (Diss., Zürich, 1893).

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Anhang

Statut des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig Zweck des Vereins § 1. Der Zweck des Vereins ist: 1) Auf dem Wege gegenseitiger Hülfe möglichst großen Nutzen aus dem akademischen Leben zu ziehen. § 2. 2) Durch die Presse die Kenntnis des europäischen Lebens dem armenischen Volke zu vermitteln und die Haupterscheinungen des armenischen Lebens und der Literatur den Europäern bekannt zu machen. Die Mittel zur Erreichung des Zweckes. § 3. Die Mittel zur Erreichung des Zweckes sind: 1) Vorträge, 2) Bibliothek, 3) das gegenseitige gesellige Leben. a) Die Vorträge können jedem wissenschaftlichen Gebiete und den gesellschaftlichen Lebenserscheinungen entnommen sein. b) Die Bibliothek besteht aus armenischer alter und neuer Litteratur, aus fremden die Armenier betreffenden und aus allgemeinen den Geist bildenden Büchern und Zeitungen. c) Zur Beförderung einer engeren geselligen Verbindung unter den Mitgliedern dienen der persönliche Verkehr und die abendlichen Zusammenkünfte. § 4. Es ist die moralische Pflicht des Vereins den angekommenen und kommenden Landsleuten mit Rath und That zu helfen. Die Mitglieder des Vereins § 5. Die Mitglieder des Vereins sind: 1. active, 2. passive [wurde durch­ gestrichen, d. Vf.], 3. Ehrenmitglieder. a) Actives Mitglied kann jeder akademische Armenier und jeder Studierende anderer Nationalität sein, der armenisch versteht. b) Passives Mitglied kann jeder nicht academische Armenier und jeder von anderer Nationalität sein, der armenisch versteht [dieser Punkt wurde durchgestrichen, d. Vf.] c) Zu Ehrenmitgliedern werden vom Verein diejenigen ernannt, welche sich um den Verein selbst oder die von ihm gepflegten Zwecke besondere Verdienste erworben haben. Die Rechte der Mitglieder § 6. Die activen Mitglieder haben: 1. actives und passives Wahlrecht, 2. beschliessende Stimme, und 3. das Recht Anträge zu stellen und zu interpellieren. § 7. Die passiven Mitglieder haben das Recht Vorträge zu halten und zu

Statut des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig 

§ 8 § 9.

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discutieren, aber abstimmen können nur die Leipziger passiven Mitglieder. [durchgestrichen, d. Vf.] Die Ehrenmitglieder haben alle Rechte der activen Mitglieder (sub. § 7) mit Ausschluss des passiven Wahlrechts. Alle Mitglieder geniessen gleichmässig alle vom Verein gebotenen Vorteile.

Die Pflichten der Mitglieder § 10. Jedes active Mitglied ist verpflichtet, an die Vereinskasse, beim Eintritt 2 Mark und pro Semester 6 Mark Beitrag zu entrichten (mit Ausnahme der nicht Studierenden, die pro Semester nur 3 Mark zu entrichten verpflichtet sind [wurde durchgestrichen, d. Vf.]). § 11. Alle Mitglieder sind verpflichtet: 1. die Interessen des Vereins zu fördern, 2. Den Statuten zu gehorchen, 3. allen Anordnungen des Vorsitzenden sich zu unterziehen. § 12. Die activen Mitglieder sind verpflichtet die Vereinssitzungen regelmäßig zu besuchen. Wer ohne einen schriftlich angegebenen Grund wegbleibt, zahlt eine Strafe von 50 Pfennigen. § 13. Die activen Mitglieder müssen dem Vereinszwecke entsprechende Vorträge halten. NB. Ausgezeichnete Vorträge werden mit Einwilligung des Vortragenden ins Archiv aufgenommen. § 14. Jedes Mitglied, das aus dem Verein austreten will, muss seinen Austritt schriftlich oder mündlich dem Verein mitteilen. § 15. Derjenige aber, der nach dem Austritt noch alter Herr bleiben will, muss seine Adresse in das Mitgliederverzeichnis eintragen lassen. § 16. Diejenigen Mitglieder, die nach Ermahnung sich weigern den Semesterbeitrag zu zahlen, oder in irgendeiner Weise ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, werden durch Vereinsbeschluss aus dem Verein ausgeschlossen. Der Vorstand § 17. Die Mitglieder des Vorstandes sind: 1. der Vorsitzende, 2. der Schriftführer und 3. der Cassier, der zu gleicher Zeit der Bibliothekar ist. § 18. Der Vorstand vertritt den Verein nach Aussen hin und verwaltet innere Angelegenheiten. § 19. Die Mitglieder des Vorstands werden am Schlusse oder am Anfange eines jeden Semesters gewählt. § 20. Der Vorstand wird unter geheimer Abstimmung und mit absoluter Majorität gewählt.

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Anhang

Die Pflichten des Vorstandes § 21. Der Vorsitzende leitet die inneren Angelegenheiten des Vereins und wehrt die Interessen desselben. § 22. Der Vorsitzende 1. beruft die Vereinssitzungen und leitet sie, 2. er giebt den Einzelnen das Wort der Reihe nach und entzieht in nötigen Fällen das Wort, 3. eröffnet und schliesst die Vereinssitzungen. § 23. Wenn der Vorsitzende verhindert wird sein Amt zu versorgen, dann wählen die Mitglieder einen zeitweiligen Vicepraeses. § 24. Der Vorsitzende ist verpflichtet am Ende des Semesters einen Bericht über die Thätigkeit, den Fortschritt und das Vermögen des Vereins abzustatten, der auch publiziert wird. § 25. Der Schriftführer schreibt alle Protokolle ausgenommen diejenigen über den Wissenschaftlichen Theil, den jedes Mitglied der Reihe nach ausführt, und bewahrt den Stempel des Vereins. § 26. Der Cassier hat 1. die Casse des Vereins, 2. die Bibliothek und 3. das Archiv. § 27. Der Cassier nimmt die Beiträge und Geschenke in Empfang, er hat das Recht, diejenigen, die den Beitrag nicht bezahlt haben, privatim und nach 3 Monaten öffentlich zu mahnen. § 28. Der Cassier macht die durch Vereinsbeschlüsse bestimmten Ausgaben, eigenmächtig aber kann er monatlich nur 2 Mark für die Vereinsangelegenheiten ausgeben. § 29. Der Cassier verpflichtet sich am Schlusse jeden Semesters genaue Rechenschaft über den Cassenbestand und die Bibliothek zu geben. Die Vereinsversammlungen § 29. Die Vereinsversammlungen zerfallen: 1. in die ordentlichen Sitzungen, 2. Generalversammlungen 3. ausserordentliche Versammlungen. § 30. Die academischen Sitzungen finden wöchentlich ein Mal mit folgender Tagesordnung statt. 1) Vorlesen und Bestätigen des Protokolls. 2) Vortrag oder mündliche Erörterungen verschiedener Fragen 3) Kneipe § 31. Die Generalversammlungen finden am Anfang und am Ende eines jeden Semesters statt. a) Der Gegenstand der Generalversammlungen sind alle Vereinsangelegenheiten insbesondere die Wahl des Vorstandes. b) Die erste Generalversammlung ist beschlussfähig, wenn die Hälfte der Mitglieder zugegen sind, dagegen die letzte Generalversammlung ist auf jeden Fall beschlussfähig. § 32. Die ausserordentlichen Versammlungen werden von dem Vorstande in besonderen Fällen berufen.

Statut des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig 

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§ 33. Jede Vereinssitzung muss 24 Stunden vorher am schwarzen Brette in der Universität angekündigt werden. § 34. Den ordentlichen Versammlungen können ausser den Mitgliedern auch Gäste beiwohnen. § 35. Die Gäste bedürfen der Einführung und müssen sich über ihre Person beim Vorsitzenden ausweisen, und ihren Namen ins Gästealbum eintragen. Sie sind berechtigt zu discutieren. Das Vereinsvermögen § 36. Das Vereinsvermögen besteht: 1. aus der Vereinskasse, 2. aus der Bibliothek, 3. aus dem Inventar. a) zur Bibliothek gehören 1. alle durch Kauf und Geschenk erworbenen Bücher, 2. alle vom Verein gehaltenen Zeitschriften und Blätter. b) Die Kasse besteht: 1. aus den Beiträgen der Mitglieder, 2. aus Geschenken. c) Zum Vereinsinventar gehören 1. alle im Verein befindlichen Gegenstände, wie Stempel usw. 2. Vereinsbücher und Protokolle. Die Statuten und die Auflösung des Vereins § 37. Eine Abänderung der Statuten kann stattfinden, wenn 2/3 der activen Mitglieder es wünschen. § 38. Der Verein ist aufgelöst, wenn er weniger als drei Mitglieder zählt. § 39. Das Eigentum des Vereins wird nach der Auflösung desselben der Universität übergeben, welche ersucht wird dasselbe einem eventuell später mit gleichem Zwecke sich bildenden Vereine zur Verfügung zu stellen. § 40. (Sollte sich der Verein auflösen, so haben die armenischen und anderen Studenten das Recht, die Bücher des Armenisch-academischen Vereins zu benutzen. [Diese Passage wurde durchgestrichen, d. Vf.]). Finis1

1 UAL Rep. II / X VI / I I A 21, Bl 16 bis 24.

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Mitgliederliste des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig Wintersemester 1892/93 1. Athanassiantz, Aschot (I. Vor.), oecon., Eriwan 2. Babajanz, Lewon, philos., Schuscha 3. Chatschumianz, Howhannes (Cas.), Theolog., Elisawetpol 4. Owsepianz, Garegin (Schrift.), Theol., Schuscha 5. Tschorektschian, Georg, theol., Nor Nachitschewan Sommersemester 1893 1. Athanassiantz, Aschot (Schriftführer), oecon., Eriwan 2. Athabekian, Lewon, philos., Schuscha 3. Abowian, Sarkis, oecon., Djalalogli 4. Babajan, Lewon, philos., Schuscha 5. Chodjajan, Mgrditsch, rer. nat., Nor-Nachitschewan 6. Greenfield, James, phil., Tavris 7. Chatschaturian, Astuazatur, phil., Alaschkert 8. Howsepian, Garegin, theol., Schuscha 9. Segbosian, Lewon, phil., Konstantinopel 10. Ter-Sarkisian, Lewon, rer. nat., Schuscha 11. Tschorektschian, Georg, theol., Nor Nachitschewan 12. Terterian, Michajel (Vorsitz), rer. nat., Schuscha 13. Tschilingarjan, Arschak, phil., Alexandropol 14. Raschmadjian, Tigran, phil., Alexandropol Sommersemester 1894 1. Babajan, Lewon, philos., Schuscha 2. Chamdandjian, Mikael, phil., Konstantinopel 3. Chodjajanz, Nikita (Kass.), chem., Nachitschewan 4. Owsepian, Garegin, theol., Armenien 5. Raschmadjian, Tigran, phil., Alexandropol 6. Tarajanz, Sedrak (Vorsitz), phil., Schemacha 7. Ter-Sarkisianz, Lewon, chem., Baku 8. Tschilingarianz, Arschak, phil., Alexandropol 9. Tschörektschianz, Georg, theol., Nor Nachitschewan

Anhang

Mitgliederliste des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig 

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Wintersemester 1894/95 1. Abeghian, Manuk (d.z. Vorsitzende), phil., Nachitschewan in Russland 2. Chamdandjian, Mikael (d.z. Schriftführer), phil., Konstantinopel 3. Chatschumianz, Johannes, theol. und phil., Elisabetopol in Russland 4. Chodschajew, Nikita, chem., Pjatigorsk in Russland 5. Eghiajan, Sedrak, med., Aleppo in Türkei 6. Melik-Beglarian, David, landw., Karatschinar in Russland 7. Manandow, Jacob, phil., Achalzich in Russland Wintersemester 1895/96 1. Abowian, Sarkis, agr., Tiflis 2. Buniatian, Mentor, cam., Zigna (Armenien) 3. Chamdandjian, Mikael, phil., Konstantinopel 4. Chodschajew, Nikita, chem., Pjatigorsk in Russland 5. Gukassow, Abraam, phil., Baku 6. Manandoff, Jacob, phil., Achalzig (Armenien, Russl.) 7. Minassiantz, Artasches, phil., Trapesunt 8. Nalbandian, Wahan, phil., Wan (Armenien) 9. Scharabandian, Nikita, rer.nat., Baku Sommersemester 1896 1. Abowian, Sarkis, agr., Tiflis 2. Chamdandjian, Mikael (Vorsitzender), phil., Konstantinopel 3. Chodschajew, Nikita, chem., Pjatigorsk in Russland 4. Eghiajan, Sedrak, med., Syrien 5. Gukassian, Abraham, phil., Baku 6. Hachumian, Christophor (Cassierer), rer. nat., Baku 7. Pogossian, Aschot (Schriftführer), phil., Van (Armenien) 8. Saruchanjanz, Stephan, landw., Schemachi (durchgestrichen, d. Vt.) 9. Tscharektschian, Aram, rer.nat., Erzurum Wintersemester 1896/97 1. Buniatian, Mentor, cam., Zigna (Armenien) 2. Chodschajew, Nikita, chem., Pjatigorsk in Russland 3. Eghiajan, Sedrak, med., Aintab (Kilikien) 4. Gukassow, Abraam, rer.nat., Schemachi (Kaukasus) 5. Hachumian, Christopor, rer. nat., Baku (Kaukasus) 6. Nalbandian, Wahan, phil., Wan (Armenien)

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7. Melik-Karagösian, Geork, cam., Tiflis 8. Scharabandjan, Nikita, rer. nat., Baku 9. Ter-Pogossian, Aschot, phil., Wan (Armenien) 10. Tscharektschian, Aram, rer.nat., Erzurum Sommersemester 1897 1. Buniatian, Mentor (Schriftführer), cam., Zigna (Armenien) 2. Gukassow, Abraam, rer.nat., Schuscha (Armenien) 3. Hachumian, Christopor, rer. nat., Bacou 4. Nalbandian, Wahan, phil., Wan (Armenien) 5. Scharabandjan, Nikita (Vorsitzender), rer. nat., Bacou Wintersemester 1897/98 1. Adamian, Jacob, rer. nat., Baku 2. Jedogarian, Arschak, phil., Alt-Nachidschewan 3. Gukassian, Abraham, rer. nat., Schuscha 4. Hachumian, Christophor (Vorsitz), rer. nat., Baku 5. Nalbandian, Wahan (Kassierer – Bibliothekar), phil., Wan 6. Tscharektschian, Aram (Schriftführer), cam., Erzurum Sommersemester 1898 1. Nalbandian, Wahan (Vorsitz), phil., Wan 2. Schamandjian, Mikael (Schriftführer), cam., Konstantinopel 3. Tscharektschian, Aram (Kassierer – Bibliothekar), cam., Erzurum Wintersemester 1898/99 1. Abowian, Gostandin (Bibliothekar), nat., Wagarschabad (Russland) 2. Gambarian, Stepan, nat., Tiflis (Russland) 3. Giantschezian, Jesnik, philol., Schuscha (Russland) 4. Kotscharian, Sagathel, cam., Tubikend (Russland) 5. Sohrabian, Hussik, theol., Metz-Sola (Russland) 6. Nalbandian, Wahan (Kassierer), phil., Wan (Armenien) 7. Tscharektschian, Aram (Vorsitzender), cam., Erzurum (Armenien) 8. Jeritzantz, Adom (Schriftführer), cam., Egin (Armenien) Sommersemester 1899 1. Abowian, Konstantin, rer. nat., Etschmiadzin 2. Awetjan, Awetis, cam., Schuscha

Mitgliederliste des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig 

3. Gambaroff, Stephan, rer. nat., Tiflis 4. Giantschezian, Jesnik (II. Vors.), philol., Schuscha 5. Jusbaschjew, Arutjun, chem., Baku 6. Kegamianz, Sarmair, chem., Achalzich 7. Kotscharian, Sagathel (III. Vors.), cam., Tubikend 8. Ovvjan, Michael, rer. nat., Ardwi 9. Sarkisjantz, Christophor, cam., Bacu 10. Sohrabian, Hussik (I. Vors.), theol., Metz-Sola Wintersemester 1899/1900 1. Awetjan, Awetis (Kassierer – Bibliothekar), cam., Schuscha (Russland) 2. Jeritzantz, Atom, cam., Egin 3. Gambaroff, Stephan, rer. nat., Tiflis (Russland) 4. Mantascheff, Leon, cam., Tiflis (Russland) 5. Narimanoff, Grigor, cam., Tiflis (Russland) 6. Palakian, Diran (Schriftführer), med., Türkisch Armenien 7. Schawarschian, Arschawir (Vorsitzender), cam., Baku (Russland) 8. Sorabian, Hussik, theol., Metz-Sola (Russland) 9. Tamamschian, Konstantin, med., Tiflis (Russland) 10. Ter-Poghossian, Aschot, phil., Wan, Türkisch Armenien 11. Salambekjantz, Konstantin, chem., Tiflis (Russland) Sommersemester 1900 1. Gambaroff, Stephan (I. Vors.), rer. nat., Tiflis (Kaukasus) 2. Jusbascheff, Arutjun, rer.nat., Baku 3. Mantascheff, Leon, cam., Tiflis 4. Narimanoff, Grigor, chem., Tiflis 5. Salambekiantz, Konstantin, chem., Tiflis 6. Sarkisjantz, Christophor, cam., Baku 7. Tamamscheff, Konstantin, rer.nat., Tiflis 8. Ter-Poghossian, Aschot, phil., Wan (Türkei) Wintersemester 1900/01 1. Abowian, Konstantin, nat., Etschmiadzin in Russ. Armenien 2. Balakian, Diran, med., Tokad in Armenien 3. Jusbaschjew, Aruthün, chem., Baku in Russland 4. Schadinoff, Johann, nat., Tiflis Russland 5. Tamamscheff, Konstantin, med., Tiflis 6. Wesiroff, Djemad, agr., Schuscha in Russland

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Anhang

Sommersemester 1901 1. Abowian, Konstantin (Vorsitz), rer. nat., Etschmiadzin (R. Armenien) 2. Balakian, Diran, med., Tokad 3. Jerizianz, Adom, phil., Egin 4. Jusbaschjew, Aruthün, chem., Baku 5. Oltezianz, Aram, phil., Kars 6. Tamamscheff, Konstantin, med., Tiflis 7. Ter. Johannissianz, Smbat (Kassierer), cam., Baku 8. Ter. Minassianz, Erwand (Schriftführer), theol., Gptschach Wintersemester 1901/02 1. Atamian, Erwand, chem., Philoppopol 2. Abowian, Konstantin, chem., Etschmiadzin 3. Balakian, Diran, med., Tokad 4. Howwjanz, Simon (I. Vorsitzender), philos., Ardwi 5. Jusbaschjan, Haruthün (Kassierer), chem., Baku 6. Tamamschian (Tamamscheff), Konstantin, med., Tiflis 7. Ter-Minassian, Erwand, theol., Gptschach 8. Erizianz, Atom, phil., Egin 9. Ter-Johannissjan (Ter-Owanessoff), Smbat, cam., Baku 10. Olthezjan, Aram (Schriftführer), philos., Kars Sommersemester 1902 1. Abeghian, Artasches (Kass. und Bibl.), theol., Astapat 2. Abowian, Konstantin, rer.nat., Etschmiadzin 3. Howwjanz, Simon, phil., Artwin 4. Jusbaschian, Jaruthiun, chem., Baku 5. Karapetian, Georg (Vors.), agron., Wan 6. Oltezian, Aram (Schriftführer), phil., Kars 7. Tamamscheff, Konstantin, med., Tiflis 8. Ter-Minassianz, Erwand, theol., Gptschach Wintersemenster 1902/03 1. Jusbashian, Haruthün (Kassierer, Bibliothenk), chem., Baku, Kaukasus 2. Karapetjan, Georg (Vorstand), agr., Wan (Türkei) 3. Oltezian, Aram, phil., Kars – Kaukasus 4. Sarkissian, Nikolaus, chem., Schuscha 5. Schirinian, Arschak, agr., Sangesur

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6. Tamamschian, Konstantin, med., Tiflis 7. Ter-Minassian, Erwand, theol., Gptschach – Kaukasus Sommersemester 1903 1. Karapetian, Georg (Vorsitz.), agr., Wan (Türk-Armenien) 2. Jusbasheff, Haruthün agr., Baku 3. Tamamscheff, Constantin (Schriftführer), cand. med., Tiflis 4. Schirinian, Arschak, stud. agr., Schinuhajr 5. Sarkissian, Nikolaus, stud. chem., Schuscha Sommersemester 1904 1. Atabegian, Leon (Dr. med., Vorsitzender), med., Schuscha 2. Balakian, Diran (Schriftführer), med., Tokat (Türkei) 3. Tamamscheff, Constantin, med., Tiflis (Russland) 4. Ter-Minassian, Erwand (Schatzmeister), theol., Gptschach (Kaukasus) 5. Ter-Pogossian, Avetik, phil., Wartablur (Russland) 6. Ter-Wartanjan, Suren, chem., Eriwan (Russland) Wintersemester 1904/05 1. Ediljan, Gurgen, philos., Karwansara 2. Kasaroff, Tatewos (Schatzmeister), agr., Kanaker 3. Schirinjan, Arschak, agr., Schnker 4. Tachtadjean, Leon (Schriftführer), agr., Batum 5. Ter-Pogossian, Avetik (Vorsitzender), agr., Wartablur 6. Ter-Wartanjan, Suren, chem., Eriwan Sommersemester 1905 1. Ediljan, Gurgen (Schatzmeister), phil., Karwansara 2. Kazaroff, Tatewos, agr., Kanaker 3. Mirsojeff, Joseph, agr., Schuscha 4. Ter-Pogossian, Awetik (Vorsitzender), oec., Wardablur 5. Ter-Wardanjan, Suren, chem., Eriwan Wintersemester 1905/06 1. Chosroweff, Garegin, med., Tiflis 2. Ediljan, Gurgen, phil., Karwansara 3. Kazaroff, Tatewos (Schriftführer), oec., Erivan

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Anhang

4. Mirsojeff, Joseph, oec., Schuscha 5. Tachtatschian, Leon, oec., Batum 6. Teletjew, Georg, oec., Astrachan 7. Ter-Mowsisjan, Johannes, med., Schikahoch 8. Terterian, Artasches, med., Miyrischen 9. Terterianz, Nicolaj, phil., Miyrischen 10. Ter-Wardanjan, Suren, chem., Eriwan 11. Thardekimanjanz, Alexander (Vorsitzender), med., Schemacha 12. Wanezian, Mikirtisch (Schatzmeister und Bibliothekar), phil., Eriwan Sommersemester 1906 1. Ediljan, Gurgen (Cassierer), philos., Karwansaraj (Kaukasus) 2. Khosrowian, Garegin, med., Tiflis (Kaukasus) 3. Tschubuchtschian, Arutjun, med., Nor-Nachitschewan 4. Terterianz, Artasches, med., Miyrischen (Kaukasus) 5. Terterianz, Nicolas (Vorsitz), philos., Miyrischen (Kaukasus) 6. Ter-Mowsisian, Owanes, med., Schikahog (Kaukasus) 7. Ter-Mekertschian, Stephan (Schrift.), Camer., Zgna (Kaukasus) 8. Ter-Petrosian, Petros, med., Schuscha (Kaukasus) 9. Zowianian, Leon, med., Tiflis (Kaukasus) 10. Zowianian, Napoleon, med., Tiflis (Kaukasus) Wintersemester 1906/07 1. Bagaturoff, Mikael, jur., Schuscha 2. Barchudarjantz, Lewon, nat., Kaswin 3. Chosroeff, Garegin, med., Tiflis 4. Keworkiantz, Oganes, chem., Kagagik 5. Paroniantz, Alexsander, jur., Baku 6. Schahidjaniantz, Sumbat, agr., Derbent 7. Terterjantz, Artasches, med., Mürischen 8. Terterjantz, Nikolai, phil., Mürischen 9. Tanjantz, Bagrat, agr., Schuscha 10. Wanezian, Mikirtisch, phil., Eriwan Sommersemester 1907 1. Edilchanoff, Michael, agr., Astrachan 2. Erizian, Choren, agr. Sanain (Kaukasus) 3. Kalantarian, Papa, agr., Ardwi (Kaukasus) 4. Melikoff, Georg, agr., Baku 5. Tachtadjan, Leon, agr. Batum

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6. Teletoff, Georg, agr., Astrachan 7. Ter-Kasariantz, Isaak, phil., Tiflis 8. Wanezian, Mikirtitsch, phil., Eriwan Wintersemester 1907/08 1. Bagdassarianz, Nerses, chemie, Schuscha 2. Bagdassarianz, Mikael, medie., Schuscha 3. Chatschaturianz, Acob (Vorsitzender), phil., Eriwan 4. Ericianz, Choren, oecon., Sanahin 5. Johannissianz, Haik, phil., Zgna 6. Kalantaroff, Papa (Schriftführer), oecon., Ardwi 7. Melik-Alawerdianz, Grigor, oecon., Nucha 8. Pogossiantz, Hussik, chem., Eriwan 9. Ter-Kasarianz, Isaak, phil., Tiflis Sommersemester 1908 1. Bagdassarianz, Mikael, med., Schuscha in Kaukasus 2. Bagdassarianz, Nerses, chemie, Schuscha in Kaukasus 3. Barchudarian, Lewon, Naturwiss., Kaswin in Persien 4. Chatschatrian, Hakob (Kassierer), Philosoph., Eriwan in Kaukasus 5. Johannissian, Haik, Philosoph., Zgna in Kaukasus 6. Kalantarian, Papa (Schriftführer), agron., Ardwi in Kaukasus 7. Kasarian, Thatewos, agron., Eriwan in Kaukasus 8. Keworkian, Johannes (Vorsitzender), Chemie, Akulis in Kaukasus 9. Pogossian, Husik, Chemie, Eriwan in Kaukasus Wintersemester 1908/09 1. Howiwianz, Simon, chem., Lory 2. Kalantarian, Grigor, agr., Lory 3. Kevorkianz, Ogannes, chem., Kagakik 4. Manukianz, Chatschatur, phil., Erserum 5. Pogossianz, Hussik, chem., Eriwan 6. Ter-Mekertschian, Stephan (Vorsitzender), cam., Zgna Sommersemester 1909 1. Arsumanian, Gabriel, agr., Kalasar (Persien) 2. Erizian, Choren, agr., Sanahin 3. Manukian, Sarkis, philos., Erzurum 4. Markarian, Tigran, phil., Achalkalaki

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Anhang

5. Melik-Grigorian, Arutin, agr., Thäbris (Persien) 6. Melik-Husseinjan, Tigran, cam., Gerüssi 7. Kalantaroff, Papa (Schriftführer), agr., Ardwi 8. Pogossian, Hussik, chem., Eriwan 9. Ter-Grigorian, Wahan, philos., Birnokoth 10. Wanezian, Mikirtitsch, philos., Eriwan Wintersemester 1909/10 1. Arsumanian, Gabriel, agr., Kalassar (Persien) 2. Johannissian, Haik, Philosoph., Zgna 3. Kalantarian, Papa, agr., Ardwi 4. Markarianz, Tigran, philos., Achalkalaki 5. Melik-Grigorian, Arutun, agr., Täbris (Persien) 6. Pogossian, Hussik, chem., Eriwan 7. Ter-Grigorian, Wahan, philos. 8. Wanezian, Mikirtitsch, philos., Eriwan Sommersemester 1910 1. Arsumanian, Gabriel, agr., Kalassar (Persien) 2. Barsegian, Armenak, phil., Tokat (Türkei) 3. Jusbaschian, Ruben, med., Schuscha (Kaukasus) 4. Kalantarow, Papa, agr., Ardwi (Kaukasus) 5. Pogossian, Hussik, chem., Eriwan (Kaukasus) 6. Serobian, Nasareth-Aga, med., Tiflis (Kaukasus) 7. Ter-Grigorian, Wahan (Vorsitzender und Bevollmächtigter), philos., Pirnaut (Kaukasus) 8. Wanezian, Mikirtitsch, phil., Tiflis (Kaukasus) 9. Margarian, Tigran, phil., Achalkalak (Kaukasus) Wintersemester 1910/11 1. Barsegian, Armenak, philos. 2. Dschagetian, Nersses, landw., Karwansarai 3. Iskandarian, Galust, theol., Wan 4. Jusbaschian, Ruben, med., Schuschi 5. Kalantarow, Papa, agr., Ardwi 6. Markarian, Tigran, phil., Achalkalak 7. Ter-Grigorian, Wahan, philos., Pirnaut 8. Serobian, Nasar, med., Achalzych 9. Terlemesian, Mihran, philos., Wan 10. Pogossian, Hussik, chem., Eriwan

Mitgliederliste des Armenisch-Akademischen Vereins zu Leipzig 

Sommersemester 1911 1. Aharonian, Anton, phil., Kagisman. 2. Barchudarian, Alexander, phil., Tiflis 3. Dschagetian, Nerses, öcon., Karwansarai 4. Markarian, Alexander, agr., Akulis 5. Schawarschian, Arschawir, phil., Nowobajazet 6. Serobian, Nasar, med., Tiflis 7. Terlemesian, Mihran, philos., Wan Wintersemester 1911/12 1. Aharonian, Anton, phil., Kagisman 2. Barsegian, Armenak, philos., Thokad 3. Barchudarian, Alexander, philos., Tiflis 4. Jusbaschian, Ruben, med., Schuscha 5. Pogossian, Hussik, chem., Eriwan 6. Serobian, Nasar, med., Achalzich 7. Terlemesian, Mihran, phil., Wan 8. Ter-Grigorian, Wahan, phil., Pirnaut 9. Markarian, Tigran, philos., Achalkalak Sommersemester 1912 1. Aharonian, Anton, phil., Kagisman 2. Alexandrian, Arschawir, oec., Kars 3. Dschagetian, Nerses, oec., Karwan-Sarai 4. Markarian, Alexander (Vorsitz. und Bevolmä.), oec., Akulis 5. Schawarschian, Arschawir, phil., Nowobajazet 6. Serobian, Nasar, med., Tiflis 7. Terlemesian, Mihran, philos., Wan Wintersemester 1912/13 1. Aharonian, Anton, phil., Kagisman 2. Alexandrian, Arschawir, oec., Kars 3. Dschagetian, Nerses, oec., Karwan-Sarai 4. Gendschian, Jenok, phil., Alexandropol 5. Markarian, Alexander, oec., Akulis 6. Skandarian, Erwand, phil., Wan 7. Schawarschian, Arschawir, phil., Nowobajazet 8. Terlemesian, Mihran, philos., Wan

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Anhang

Die Satzung des Vereins Armenischer Studenten Europas § 1. Das Ziel Moralische und geistige Verbindungen zwischen den armenischen Studenten und studentischen Organisationen zu schaffen, zur Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen beizutragen und gemeinsame Ideale zu wecken. § 2. Organisation 1. Einmal im Jahr findet die Hauptversammlung statt. 2. Bildung eines Verwaltungskomitees zwischen den Hauptversammlungen. 3. Flugblätter (siehe § 6). § 3. Mitgliedschaft 1. Alle armenischen Studentinnen und Studenten haben das Recht, unabhängig von einer eventuellen Mitgliedschaft in örtlichen studentischen Organisationen, Mitglied des Vereines zu werden (Anm.: Als Student gelten diejenigen, die für das entsprechende Semester in den Universitätsmatrikeln eingetragen sind bzw. diejenigen, die das unterbrochene Studium im nächsten Semester fortsetzen möchten). 2. Jedes aktive Mitglied kann wählen und gewählt werden. 3. Die aktiven Mitglieder sind verpflichtet, für die laufenden Kosten des Vereins in jedem Semester eine bestimmte Summe zu zahlen, die mindestens 1 Franken oder 80 Pfennig beträgt. 4. Die aktiven Mitglieder können nach dem Abschluss oder einer Unterbrechung des Studiums weiterhin Mitglied des Vereines bleiben, jedoch ohne Stimmrecht. 5. Alle Mitglieder haben das Recht, Vorträge zu halten oder diese dem Kongress zu schicken, falls sie persönlich nicht anwesend sein können. § 4. Allgemeine Versammlung oder Kongress 1. Den Ort, die Zeit und die Dauer der Hauptversammlung legt das Verwaltungskomitee nach Absprache mit den Studenten und studentischen Organisationen fest. 2. Jede studentische Organisation, die Mitglied des Vereines ist, hat das Recht, Delegierte für die Hauptversammlung zu entsenden (Anm.: Der offizielle Delegierte vertritt die Haltung seiner Organisation und hat nur eine Stimme). 3. Die Hauptversammlung wird vom Vorsitzenden des Verwaltungskomitees eröffnet, der die Wahl des ersten Vorsitzenden der Hauptversammlung einleitet. 4. Der Vorstand der Hauptversammlung bildet sich aus je einem Vorsitzenden für jede Sitzung und drei Sekretären für alle Sitzungen, die durch offene Abstimmung gewählt werden.

Die Satzung des Vereins Armenischer Studenten Europas 

§ 5.

§ 6.

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5. Die Sitzungen verlaufen nach der vom Verwaltungskomitee im Vorfeld festgelegten Tagesordnung (Anm.: Der Hauptversammlung bleibt das Recht vorbehalten, bei Notwendigkeit die Tagesordnung zu ändern; außerordentliche Fragen können erst nach der Erschöpfung des festgelegten Programms und mit einstimmigem Einverständnis der Mitglieder zur Diskussion gestellt werden). 6. Gegenstand für Diskussionen sind der Bericht des Verwaltungskomitees, allgemeine den Verein betreffende Fragen, Vorträge und sonstige Meldungen. 7. Gegenstand der Vorträge können nur solche Themen sein, die sich in irgendeiner Weise mit der armenischen Realität befassen. 8. Die Sitzungen der Hauptversammlung können nur bei Mehrheit der anwesenden Mitglieder als ordentlich gelten. 9. Die Beschlüsse der Hauptversammlung über die wichtigen praktischen Tätigkeiten des Vereins sind nur dann gültig, wenn sie allen Mitgliedern des Vereines zur Abstimmung vorgelegt werden und die Mehrzahl der Stimmen bekommen. Danach kann mit der Umsetzung durch das Verwaltungskomitee begonnen werden. 10. Die Beschlüsse des Kongresses sind nur dann gültig, wenn sie die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen. (Anm.: Anderenfalls ist der Beschluss nach der dritten Abstimmung bei einfacher Mehrheit gültig). 11. Am Ende jeder Hauptversammlung wird jene Universität festgelegt, deren Studenten aus ihren Reihen ein Verwaltungskomitee wählen sollen. Vom vorherigen Komitee erhalten sie Unterlagen des Vereins. Verwaltungskomitee 1. Die von der Hauptversammlung ernannten Studenten wählen aus ihrer Mitte ein Verwaltungskomitee aus. 2. Das Verwaltungskomitee setzt sich aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und mindestens zwei weiteren Mitgliedern zusammen. 3. Das Verwaltungskomitee sammelt Informationen von den und über die Studenten; diese werden in den Flugblättern veröffentlicht. Mindestens einen Monat vor der nächsten Hauptversammlung wird die endgültige Tagesordnung durch ein Flugblatt bekanntgegeben. 4. Das Verwaltungskomitee übergibt die Verwaltungsunterlagen des Vereins dem Vorstand der Hauptversammlung. Flugblätter 1. Die Mitglieder des Vereines pflegen dauerhafte Beziehungen zueinander, indem sie dem Verwaltungskomitee entsprechende Informationen zukommen lassen. Das Komitee verbreitet diese Nachrichten durch Flugblätter unter allen armenischen Studenten in Europa.

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§ 7.

2. Die Flugblätter beinhalten a) Informationen über die studentischen Organisationen, b) statistische Angaben über die Studenten, c) Informationen über die Hauptversammlung, d) die Aufrufe der Hauptversammlung an die Studenten. Satzung 1. Änderungsvorschläge für die Satzung müssen einen Monat vor der Hauptversammlung dem Verwaltungskomitee vorliegen und werden mittels der Flugblätter unter allen Mitgliedern des Vereines verteilt. 2. Die Vorschläge werden zur Vorabstimmung allen Mitgliedern des Vereines vorgelegt und werden mit ¾-Stimmenmehrheit ange­ nommen.2

Die neue Satzung des Vereins Armenischer Studenten Europas (Zusammengestellt im Oktober 1900 während des Kongresses in Zürich und bestätigt von den studentischen Gruppen im Januar 1901) § 1. Das Ziel 1. Moralische Beziehungen zwischen den armenischen Studenten und studentischen Organisationen in Europa herzustellen. 2. Die Studenten mit dem Leben der Armenier, vor allem aber mit ihrer politischen Situation bekannt zu machen. 3. Die Europäer mit dem Leben der Armenier bekannt zu machen. 4. Herausgabe von Büchern und Übersetzungen über die Armenische Frage in armenischer Sprache, sowie bei Bedarf in verschiedenen Fremdsprachen (Anm.: Der Verein kann die anderen in Europa existierenden armenischen Organisationen finanziell unterstützen, um für dasselbe Ziel Bücher herauszugeben). § 2. Mitgliedschaft 1. Alle in Europa studierenden armenischen Studentinnen und Studenten haben das Recht, unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in anderen örtlichen Organisationen, Mitglied des Vereines zu werden. (Anm.: Alle Mitglieder bekommen vom Verwaltungskomitee einen Ausweis). 2. Jedes Mitglied kann wählen und gewählt werden. 3. Der Mitgliedsbeitrag für jedes Semester beträgt 2,5 Franken bzw. 2 Mark. Der Verein darf von Mitgliedern und Nichtmitgliedern

2 Tełekagir. 1897/98, 1898/99, 20–22.

Die Satzung des Vereins Armenischer Studenten Europas 

§ 3. § 4.

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freiwillige Geschenke annehmen, die in gesonderten Heften dokumentiert werden. Gremien Der Verein setzt sich aus a) dem Kongress, b) dem Verwaltungskomitee, c) einem bevollmächtigten Ausschuss zusammen Kongress 1. Der Kongress findet einmal im Jahr statt. Darüber hinaus können das Verwaltungskomitee und der bevollmächtigte Ausschuss bei wichtigen Angelegenheiten in gegenseitigem Einvernehmen eine außerordentliche Sitzung einberufen. 2. Der Kongress setzt sich aus Delegierten und Mitgliedern zusammen. Die Delegierten verfügen über zwei, die Mitglieder über eine Stimme. (Anm.: Die Nichtmitglieder können am Kongress als Gäste mit ihren Ratschlägen teilnehmen). 3. Aus jeder Stadt, in der es einen Zweig des Vereins gibt, werden Delegierte entsandt, die nach dem Prinzip der Verhältniswahl gewählt werden. Die in einer Stadt voneinander unabhängig existierenden Organisationen können nach dem gleichen Prinzip gewählte Delegierte schicken. (Anm.: Für je 10 Mitglieder des Vereins wird ein Delegierter gewählt. Damit aber auch die Städte, die weniger als 10 Studenten haben (jedoch mindestens 3), am Kongress teilhaben können, erhalten sie das Recht, einen Delegierten zu entsenden. Die Studenten in jenen Städten, wo die Zahl der Studenten geringer als 3 ist, müssen sich an den Wahlen in der nächstgelegenen größeren Stadt beteiligen). 4. Die Reisekosten eines Delegierten tragen  – falls er selbst nicht in der Lage ist, diese zu tragen – die Studenten, die ihn gewählt haben. Falls auch sie keine Möglichkeit haben, die Reisekosten zu tragen, übernimmt diese das Verwaltungskomitee. 5. Den Kongress eröffnet der Vorsitzende des Verwaltungskomitees nach der Feststellung der Beschlussfähigkeit. 6. Die Sitzungen können nur dann als ordentlich gelten, wenn mehr als die Hälfte der am Kongress teilnehmenden Mitglieder präsent sind. 7. Der Kongress wählt für jede Sitzung einen Vorsitzenden und drei Sekretäre. 8. Bei den Wahlen gilt das Prinzip der offenen Abstimmung mit klarer Mehrheit (Anm.: Dasselbe gilt auch für die Beschlüsse.) 9. Die Sitzungen des Kongresses folgen der Tagesordnung, die das Verwaltungskomitee im Vorfeld festlegt. (Anm.: Der Kongress darf bei Bedarf die Tagesordnung ändern. Außerordentlich vorgeschlagene Themen können nach eingehender Behandlung aller

440

§ 5.

§ 6.

Anhang

Programmpunkte und mit Einverständnis aller Mitglieder besprochen werden). 10. Die Aufgaben des Kongresses sind: a)  Berichte des Verwaltungs­ komitees und des bevollmächtigten Ausschusses, b)  Besprechung des Budgets, c) Wahlen, d) Vorträge, c) Anträge. 11. Gegenstand der Vorträge können nur Themen sein, die unmittel­ baren Bezug zum armenischen Leben, vorzugsweise der armenischen Geschichte und Literatur sowie der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation haben. 12. Der Kongress darf als oberstes Gremium und im Rahmen der Satzung jegliche Beschlüsse fassen. 13. Der Kongress legt den Ort und die Zeit für die nächste Versammlung fest. Die Studenten der gewählten Stadt wählen unter sich das Verwaltungskomitee. Verwaltungskomitee 1. Das Verwaltungskomitee besteht aus 5 Mitgliedern und bei Bedarf 2 Vertretern. Die Mitglieder wählen einen Vorsitzenden, einen Buchhalter und einen Sekretär. 2. Jedes Komitee wirkt nur ein Jahr zwischen zwei Kongressen. 3. Das Komitee verwahrt die Unterlagen und Stempel des Vereins, empfängt die Mitgliedsgebühren, Geschenke und kümmert sich um anfallende Kosten. Des Weiteren pflegt das Komitee die Korrespondenz mit den Studenten und gibt das »Mitteilungsblatt armenischer Studenten in Europa« heraus. (Anm.: Das Mitteilungsblatt enthält a) statistische Angaben über die armenischen Studenten in Europa, b) Auskünfte über den Kongress und studentische Organisationen, c) Finanzdaten und weitere Berichte aus den Unterlagen des Verwaltungskomitees und des bevollmächtigten Ausschusses). 4. Die Unterlagen und der Besitz des Vereines befinden sich unter Aufsicht des Verwaltungskomitees. Dieses übergibt beides am Ende seiner Amtszeit seinem Nachfolger. 5. Das Verwaltungskomitee darf Privatpersonen und Organisationen einladen, sich mit Vorträgen am Kongress zu beteiligen. Diese können aber auch ohne Einladung am Kongress teilnehmen, wenn sie im Vorfeld das Verwaltungskomitee über ihre Vorschläge und Vortragsthemen informieren. 6. Die Studenten in den jeweiligen Städten wählen unter sich ein oder zwei Mitglieder aus, die als Vermittler zwischen dem Verwaltungskomitee und den örtlichen Organisationen agieren. Der bevollmächtigte Ausschuss 1. Der Kongress wählt aus den Mitgliedern des Vereins für ein Jahr einen bevollmächtigten Ausschuss, der aus fünf Personen besteht.

Die Satzung des Vereins »Notwendiges Liebeswerk« 

§ 7.

§ 8.

441

Bei Bedarf darf der Ausschuss die Hilfe anderer Mitglieder in Anspruch nehmen. 2. Der bevollmächtigte Ausschuss a)  organisiert Versammlungen in verschiedenen Städten Europas, b) schickt Repräsentanten zu wichtigen Veranstaltungen, c) propagiert in den europäischen Zeitungen die Armenische Frage und generell armenische Angelegenheiten, d) organisiert und leitet die Herausgabe der im Punkt 4. erwähnten Bücher. Signet 1. Der Verein hat ein Signet und einen Stempel. Das Logo wird vom Kongress festgelegt. Der Stempel trägt folgende Inschrift: »Verein Armenischer Studenten Europas« [in armenischer Sprache] sowie auf Französisch Union des Étudiants Arméniens de l’Europe. Die Satzung 1. Vorschläge über die Änderung einzelner Punkte der Satzung können von den Delegierten dem Kongress schriftlich vorgelegt werden. Sollte ein solcher Vorschlag mit einer ¾-Stimmenmehrheit angenommen werden, wird er allen Mitgliedern zur Abstimmung geschickt. Die Änderung kann nur dann umgesetzt werden, wenn sie die ¾-Stimmenmehrheit erhält.3

Die Satzung des Vereins »Notwendiges Liebeswerk« § 1. § 2.

§ 3. § 4. § 5.

Der Verein »Notwendiges Liebeswerk« bezweckt die Förderung der Reformierung in der armenischen Kirche, insbesondere die Beratung und Unterstützung armenischer Studenten in Deutschland. Mitglied des Vereins wird jeder, der sich zu einem regelmäßigen Jahresbeitrage verpflichtet. Das Ausscheiden eines Mitglieds erfolgt durch seine schriftliche Erklärung oder durch Nichtzahlung des Jahresbeitrags trotz zweimaliger Mahnung. Organe des Vereins sind der Vorstand, die Vertrauensmänner und die Generalversammlung. Der Vorstand führt die Geschäfte des Verein Er hat das Recht der Kooperation bei Ausscheiden eines seiner Mitglieder während des Vereinsjahres. Die Vertrauensmänner haben in dem ihnen zugewiesenen Bezirke das Interesse für die Vereinssache zu pflegen.

3 Tełekagir. 1902, 28–32.

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Anhang

§ 6.

Die Generalversammlung tritt ordnungsgemäß jährlich einmal möglichst in Verbindung mit der Generalversammlung der Freunde der Christlichen Welt zusammen. Sie nimmt den Jahresbericht entgegen, beschließt über die Entlastung der Rechnung und wählt den Vorstand wie die Vertrauensmänner. In ihr hat jedes Mitglied eine Stimme. Die Einladung zur Generalversammlung muss den Mitgliedern unter Angabe der Tagesordnung mindestens eine Woche vorher zugestellt werden. Außerordentliche Generalversammlungen kann der Vorstand unter Innehaltung der gleichen Frist jederzeit berufen. Bei Auflösung des Vereins fällt das etwa vorhandene Vereinsvermögen an die Christliche Welt.4

§ 7.

4 DNL . 1908, 1, Sp. 3.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen Nationalarchiv Armeniens:

Zentralkomitee der Armenischen Kommunistischen Partei (Fond 1, Akte 9397) Nersesian-Seminar (Fond 2, Akte 828; 1326; 1851; 2105) Das Regionalkomitee der Armenischen Kommunistischen Partei in Jerewan (Fond 4, Liste 3663, Akte 41) Die Armenische Wohltätige Gesellschaft im Kaukasus (Fond 28, Akte 294; 817) Redaktion der Zeitung Mšak (Fond 227, Akte 158) Gurgen Mesropi Ēdilian (Fond, 284, Akte 38) Gevorgian-Akademie in Ēǰmiaċin (Fond 312, Akte 21; 27; 41; 49; 55 Teil I und Teil II; 958) Der Verwaltungsrat des Vermögens der armenischen Kirche in St. Petersburg (Fond 399, Akte 311; 913) Arłutian, Sofia Vasili (Fond 466, Akte 5; 34) Šavaršian, Aršavir Mesropi, Pädagoge, Publizist (Fond 471, Akte 701; 703; 766; 781) Melik’-Łaragyosian, Georgi Paveli, Publizist, Politiker (Fond 502, Akte 143) Rašmač’ian, Tigran Hakobi, Pädagoge, Publizist (Fond 1292, Akte 238) Step’an Šahumian (Fond 1437, Akte 41; 86; 287) Sargis Kasian (Fond 1445, Akte 16; 70) Hayk Azatian (Fond 1449, Akte 20) Dokumentensammlung der armenischen sozialdemokratischen Hnčakian Partei (Fond 1456, Akte 25; 27)

Archiv des Museums für Literatur und Kunst namens Ełiše Čarenc Fond Artašes Abełian Fond Xačatur Abovian Fond Grigor Arċruni Fond »Murč’« Fond Step’anos Nazarian

Matenadaran

Fond Ervand Ter-Minassian (Mappe 239/4, Akte 25; Mappe 239/7, Akte 61; Mappe 239/7, Akte 62; Mappe 239/7, Akte 143, Mappe 181, Liste 123, Akte 9397) Fond Garegin Hovsep’ian (Mappe 91, Akte 1514; Mappe 96, Akte 1559) Fond Gyut Vardapet Ter-Łasarian (Mappe 2, Akte 87) Fond Karapet Ter-Mkrtčian (Mappe 100, Akte 223–242)

444

Quellen und Literatur

Gosudarstvennyj Archiv Rossijskioj Federacii, GARF (Staatliches Archiv der Russischen Föderation)

Polizeidepartement, Sonderabteilung, Fond 102 (1898–1911): (Informationen über Lehranstalten. Über das Polytechnikum in München (Op. 226, d. 3, č. 79); Informationen über Lehranstalten. Über das Berliner Komitee für die Hilfeleistung armer Studenten und Studentinnen aus Russland (Op. 226, d. 3, č. 226); Korrespondenz mit der Polizei, Bern (Op. 226, d. 17); Über den Armenier Kristafor Mikaeljan (Op. 226, d. 594); Schriftwechsel über die studentische Bewegung (Op. 228, d. 1142); Über Stepan Malumjanc (Op. 230, d. 441); Über Nikolaj Adonc (Op. 230, d. 787); Nationalbewegungen mit einem politischen Charakter: Die armenische (Op. 236, d. 11); Über die armenische revolutionäre Partei Dašnakcutjun (Op. 237, d. 171); Über die armenische revolutionäre Partei Dašnakcutjun (Op. 238, d. 14); Russische sozialdemokratische Bewegung, Gruppe in Zürich (Op. 240, d. 5, Teil I); Informationen aus dem Ausland (Op. 240, d. 20); Die studentische sozialrevolutionäre Gruppe (Op. 241, d. 61, Teil I))

Rossijskij Gosudarstvennyj Istoričeskij Archiv, RGIA (Russländisches Historisches Staatsarchiv)

Akte über die Rechte und Pflichten der kaukasischen Stipendiaten an den höheren Lehranstalten (Fond 733 (1829–1862), op. 82, d. 331) Akte über das Studium der kaukasischen Untertanen an den Universitäten in Moskau und St. Petersburg (Fond 733 (1859), op. 82, d. 322) Innenminister an A. N. Schwartz (Fond 733 (1909), op. 201, d. 102) Department für die Angelegenheiten ausländischer Konfessionen des Innenminis­ teriums. Akte über einige Änderungen in der Položenie von 1836 (Fond 821 (1864– 1911), op. 7, d. 1) Department für die Angelegenheiten ausländischer Konfessionen des Innenministeri­ ums. Notizen und Auskünfte über die armenisch-gregorianische Kirche in Russland (Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 96) Department für die Angelegenheiten ausländischer Konfessionen des Innenministe­ riums. Briefwechsel über die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Katho­ łikos Aller Armenier und dem Kurator des kaukasischen Lehrbezirks (Fond 821 (1864–1911), op. 7, d. 196)

Central’nyj Gosudarstvennyj Istoričeskij Archiv, CGIA (Zentrales Historisches Staatsarchiv)

Untertanen aus dem Kaukasus an der Fakultät für Orientalistik der Universität (Fond 14, op. 1, d. 4681) Kurator des Lehrbezirks (Fond 139, op. 1, d. 10511)

Universitätsarchiv Freiburg

Überwachung sozialdemokratischer und kommunistischer Studierender (B1/1634) Zulassung von Ausländern (B1/2766)

Gedruckte Quellen 

445

Russische Lesehalle (B1/2652) Gesuche von Frauen um Zulassung zur Immatrikulation (B1/2740) Promotionsakte Grigor von Melix-Allachwerdoff (B29/620) Promotionsakte Joseph von Beksadian (B54/1556)

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

Abschrift eines Geheimberichts des Kaiserlich Russischen Konsulats in Leipzig an das Ministerium des Innern in St. Petersburg über die revolutionären Tätigkeiten russischer Studenten (I HA . Rep. 77, St. 18, Nr. 264) Bericht des Polizeipräsidenten von Berlin über revolutionäre russische Studenten an der Berliner Universität und anderen Technischen Hochschulen (I HA . Rep. 77, St. 18, Nr. 265) Tätigkeit von russischen Revolutionären in Deutschland (I HA . Rep. 77, St. 18, Nr. 324)

Universitätsarchiv Berlin

BeStud – Berühmte Studenten und interessante Persönlichkeiten (1896–1899), Vardapet Komitas

Universitätsarchiv Marburg

Nachlass Rade, Martin (1857–1940), Theologe, Publizist und Politiker

Geheimes Staatsarchiv München

Bayerische Gesandtschaft Dresden, Nr. 2821

Universitätsarchiv Leipzig

Armenisch-Akademischer Verein zu Leipzig, Statuten (UAL . Rep. II / X VI / III A 21, Bl. 1–30)

Universitätsarchiv Zürich

Klidschian Arsen (U 105, h 9/15) Verzeichnis der russischen Studierenden an der Universität Zürich (P 239 4 47) Justiz / Polizei des Landes Zürich (P 239 4 51)

Gedruckte Quellen Universitätsmatrikel Amtliches Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Beamten und Anstalten … und der … zu haltenden Vorlesungen. Halle 1822–1923. Amtliches Verzeichnis der Lehrer, Beamten und Studierenden an der Königlich-Bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. 1848/49(1849) – WS 1908/​ 09(1908). München 1849–1909.

446

Quellen und Literatur

Amtliches Verzeichnis der Lehrer, Behörden, Beamten und Studierenden der Großherzogl. und Herzogl. S. Gesamt-Universität Jena. Jena 1892–1920. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen Friedrich-​ Wilhelms-Universität zu Berlin. (WiSe 1850/51 – WiSe 1916/17). Berlin 1850–1917. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen Georg-­ Augusts-Universität zu Göttingen. Göttingen 1883–1917. Blecher, Jens (Hg.): Die Matrikel der Universität Leipzig. 1809 bis 1909. Bände 1–7. Weimar 2006–2012. Catalogue des étudiants de l’Université de Lausanne: année universitaire… Lausanne 1890/91(1891) – 58.1918/19(1919. Die Matrikel der Universität Heidelberg. Heidelberg 1386–1920. Hasselblatt, Arnold / Otto, Gustav (Hg.): Album academicum der Kaiserlichen Universität Dorpat. Dorpat 1889. Helfenstein-Tschudi, Ulrich (Hg.): Matrikeledition der Universität Zürich 1833–1924. http://www.matrikel.uzh.ch/active/static/index.htm. Liste des autorités, professeurs, assistants et étudiants. Genève 1874/75–1935/36. Matrikelbuch / Verzeichnis der Zuhörer. Darmstadt 1869–1890. Matrikel der Universität Heidelberg 1386–1920 (DOI: https://doi.org/10.11588/diglit.​ 42181). Personalstand der Ludwig-Maximilians-Universität München (SoSe 1909  – WiSe 1917/18). München 1909–1920. Tartu ülikooli üliõpilaskonna teatmik (Album Academicum Universitatis Tartuensis). 1889–1918. Tartu 1986–1988. Toepke, Gustav (Hg.): Die Matrikel der Universität Heidelberg. Band 6. 1846–1870. Heidelberg 1907. UA Darmstadt Bestand 100: Hochschulverwaltung vor 1945: Matrikel- und Zensur­ bücher. Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Anstalten, Beamten und Studierenden der ­Badischen Universität Freiburg (SS 1836 – WS 1918/19(1919). Freiburg 1836–1930. Verzeichniß der Lehrer, Behörden, Beamten und Studirenden auf der Großherzogl. und Herzogl. S. Gesammt-Universität Jena. Jena 1835–1892.

Enzyklopädien und Handbücher Bautz, Friedrich Wilhelm: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Hamm [1975]–. Hay žołovrdi patmut’yun. Nor žamanakašrǰan. 17-rd dari erkrord kes – 1918 t. [Geschichte des armenischen Volkes. Neuere Epoche. 17. Jahrhundert bis 1918]. Band 3. Jerewan 2010. Haykakan Harc. Hanragitaran [Die Armenische Frage. Enzyklopädie]. Jerewan 1996. Haykakan sovetakan hanragitaran [Armenische sowjetische Enzyklopädie]. 13 Bände. Jerewan 1974–1987. Hay sp’yuṙk’. Hanragitaran [Armenische Diaspora. Enzyklopädie]. Yerevan 2003.

Gedruckte Quellen 

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K’ristonya Hayastan. Hanragitaran [Christliches Armenien. Enzyklopädie]. Band 1. Jerewan 2002. Ōv ōv ē. Hayer. Kensagrakan hanragitaran. Erku hatorov [Wer ist wer. Armenier. Biografische Enzyklopädie. In zwei Bänden]. Jerewan 2005. Russkij biografičeskij slovar’. V dvadcati tomach. Sost. P. Kallinikov / I. Korneeva [Russisches biografisches Wörterbuch. In 20 Bänden. Bearb. v. P. Kallinikov u. I. Korneeva]. Moskau 1998–2001.

Periodika An die Freunde: vertrauliche d. i. nicht für d. Öffentlichkeit bestimmte Mitteilungen. Marburg (1.1903–111.1934) Ararat. Sb. Ēǰmiaċin (1868–1919) Arev (Die Sonne). Alexandria, Kairo (1915–1950) Arjagank’ (Das Echo). Tiflis (1891–1898) Bazmavep. Venedig (1843–) Banvor (Der Arbeiter). Genf (1904) Biuzandion. Konstantinopel (1896–1914) Das notwendige Liebeswerk. Marburg (1.1908–4.1910) Das Reich Christi. Potsdam (1.1898–13.1911) Der christliche Orient und die Muhammedaner-Mission. Monatsschrift der Deutschen Orient-Mission. Potsdam (11.1910–19.1918) Der Deutsche Gedanke. Zeitschrift für auswärtige Politik, Wirtschaft und Auslandsdeutschtum. Berlin (1.1924–5.1928) Der Orient. Zweimonatsschrift. Potsdam (1919–1927; 10.1928–21.1939) Die Christliche Welt. Protestantische Halbmonatsschrift. Leipzig (2.1888(1889)– 55.1941) Die Neue Zeit. Wochenschrift der Deutschen Sozialdemokratie. Berlin (1.1883– 41.1922/​23) Deutsch-Armenische Blätter. Altenau (5.1910–13.1914) Deutsche Kultur im Leben der Völker. Mitteilungen der Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums. München (13.1938–18.1943) Dproc (Die Schule). Vałaršapat (1874–1876) Drošak (Die Fahne). Tiflis, Wien, Genf (1891–1914, 1925–1933) Gorċ (Die Arbeit). Tiflis (1908–1909) Handes. Socialistakan organ. Tntesakan-k’ałak’akan-hasarakakan amsagir (Handes. Sozialistisches Organ. Wirtschaftlich-politisch-gesellschaftliches Journal). Genf (1900) Handes Amsoreay. Wien (1887–1974; 1976–) Hask. Paštonakan amsat’ert’ Kat’ołikosut’ean Hayoc Kilikioy (Hask. Die offizielle Monatsschrift des armenischen Kathołikats in Kilikien). (1932–) Haykakan Ašxarh (Die Armenische Welt). Tiflis u. a. (1865–1871, 1874–1879) Hayrenik’ (Die Heimat). Boston (1901–1913, 1918–1927, 1930) Hiusisap’ayl (Die Aurora). Moskau (1858–1864) Hnčak (Die Glocke). London, Athen, Paris (1888–1908, 1910–1911, 1913–1915) Horizon (Der Horizont). Tiflis (1909–1918)

448

Quellen und Literatur

Hoviv. Tiflis (1906–1910) Hovit (Das Tal). Tiflis (1910–1917) Kaukasische Post. Die deutsche Monatszeitung aus dem Südkaukasus. Tiflis (1.1906/​ 07–9.1914, 10.1918–14.1922) Kovkasi Lraber (Der Kaukasische Bote). Tiflis (1912–1914) Lumay. Tiflis (1896–1912) Masis. Konstantinopel (1852–1869, 1882, 1884–1890, 1892–1894, 1896, 1898–1908) Mełu Hayastani (Biene Armeniens). Tiflis (1858–1868, 1871–1886) Mesrop. Zeitschrift der Deutsch-Armenischen Gesellschaft. Berlin (1.1914) Mšak (Der Bauer). Tiflis (1872–1921) Mitteilungsblatt der Deutsch-Armenischen Gesellschaft. Berlin (1.1937–13/14.1942) Murč’ (Der Hammer). Tiflis (1889–1907) Neue Evangelische Kirchenzeitung. Berlin (1.1859–28.1886) Nor dproc (Die neue Schule). Tiflis (1908–1914) Noris. Jahrbuch für protestantische Kultur. Berlin (1908–1914) Ex Oriente Lux. Jahrbuch der Deutschen Orient-Mission. Berlin (1903) Porj (Die Erfahrung). Tiflis (1876–1881) Preußische Jahrbücher. Berlin (1.1858–240.1935) Pro Armenia. Paris (1900–1908) Tiflisskij listok (Das Tifliser Blatt). Tiflis (1878–1919) Usanoł (Der Student). Paris, Genf, Konstantinopel (1909–1914) Xorhrdayin Hayastan (Das Sowjetische Armenien). Jerewan (1922–1937, 1940) Žajṙ (Der Fels). Alek’sandrapol (1907–1911, 1917) Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft. Leipzig (1899–1914) Žurnal Ministerstva Narodnogo Prosveščenija (Journal des Ministeriums für Volksaufklärung). St. Petersburg (1.1834–362.1905, 1.1906–72.1917)

Thematische Bibliografie Ararat

Bacatrut’iun dprocakan harceri [Einige Erläuterungen zu den die Schule betreffenden Fragen]. In: Ararat. 1916, 9/10, 682–687․ Ēdilian, Gurgen: K’nnadatut’iun Cilleri jevakan astič’anneri [Kritik der Ziller’schen Formalstufentheorie]. In: Ararat. 1911, 3, 210–217; Ebd., 4, 306–313; Ebd., 5, 378– 383; Ebd., 6, 456–459; Ebd., 7, 553–561; Ebd., 9, 749–753; Ebd., 10, 836–845; Ebd., 11, 925–936; Ebd., 12, 992–1003. –: Dprocakan keank’ [Das Schulleben]. In: Ararat. 1911, 2, 147–154. –: Usucičner patrastelu xndirẹ [Die Frage der Lehrerausbildung]. In: Ararat. 1911, 1, 69–75. Hay ekełeci [Die armenische Kirche]. In: Ararat. 1910, 4, 305–308. Hovsep’ian, Garegin: Ekełecioy kočumẹ [Die Berufung der Kirche]. In: Ararat. 1908, 10, 852–866. Ter-Minassian, Ervand: Veranorogut’ean karik’ẹ hayoc Ekełecu hamar [Die Reformbedürftigkeit der armenischen Kirche]. In: Ararat. 1908, 5/6, 465–486.

Thematische Bibliografie 

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Bacakay miaban: Norut’iunk’ [Neuerungen]. In: Ararat. 1908, 4, 364–367. Hovsep’ian, Garegin: S. Ēǰmiaċni miabanut’iunẹ [Die Bruderschaft des Hl. Ēǰmiaċin]. In: Ararat. 1908, 2, 139–149. –: Hayoc hayrapetakan atoṙẹ [Der Sitz des armenischen Kathołikos]. In: Ararat. 1908, 1, 27–35. –: Petk’ ē kazmakerpvenk’ [Wir müssen uns organisieren]. In: Ararat. 1907, 4, 3­ 23–330. Ter-Minassian, Ervand: Mayr At’oṙi hogevor č’emarani barekargut’ean mi ċragir [Ein Reformplan für die Geistliche Akademie des Mayr At’oṙ]. In: Ararat. 1907, 3, 226–238. Hovsep’ian, Garegin: Dprocẹ ekełecu naxagavit’n ē [Die Schule ist das Atrium der Kirche]. In: Ararat. 1907, 2, 129–135. –: Komitas vardapeti eražštakan č’anaparhordut’iunẹ Evropayum [Die musikalische Reise von Komitas Vardapet in Europa]. In: Ararat. 1907, 1, 10–11. Łukassian mrcanaki kanonadrut’iun [Regelungen des Łukassian-Preises]. In: Ararat. 1902, 3/4, 252–255. Č’emaran Mayr Atoṙi [Die Akademie des Mayr Atoṙ]. In: Ararat. 1901, 9/10, 429–437. Ter-Mkrtčian, Karapet: K’ristoneutean iskut’iunẹ [Das Wesen des Christentums]. In: Ararat. 1901, 5/6, 267–270; Ebd., 7/8, 333–338. Hovsep’ian, Garegin: Mayr At’oṙi matenadaranẹ [Die Bibliothek des Mayr At’oṙ]. In: Ararat. 1901, 1, 18–25. –: Gitut’iun ev ekełeci [Die Wissenschaft und die Kirche]. In: Ararat. 1900, 8/9, 373–378. Ter-Mkrtčian, Karapet: Hin cav [Der alte Schmerz]. In: Ararat. 1900, 7, 338–343. Vancian, Grigor: Avstrio katolik hayk’ [Katholische Armenier in Österreich]. In: Ararat. 1900, 6, 291–295. Hovsep’ian, Garegin: K’ahananeri ẹntrut’ean ełanakẹ [Die Wahlordnung der Priester]. In: Ararat. 1900, 3, 101–104. –: Ekełecin ev ałk’atneri xnamatarut’ean gorċẹ Evropayum [Die Kirche und die Armenfürsorge in Europa]. In: Ararat. 1898, 6, 239–244; Ebd., 7, 288–292; Ebd., 8, 334–339. Ter-Mkrtčian, Karapet: Krkin k’ahanayakan harcẹ ev astvaċabanut’iunẹ [Nochmals die Priesterfrage und die Theologie]. In: Ararat. 1898, 8, 344–349. –: Kronavorner petk’ en? [Braucht man Mönche?]. In: Ararat. 1898, 6, 254–258. –: Astvaċabanner petk’ en? [Braucht man Theologen?]. In: Ararat. 1898, 5, 199–204. Inč karik’ uni hayoc ekełecin [Was der armenischen Kirche not tut]. In: Ararat. 1898, 2, 81–83. Hovsep’ian, Garegin: Ekełecin ev ałk’atneri xnamatarut’ean gorċẹ [Die Kirche und die Armenfürsorge]. In: Ararat. 1897, 5, 195–199; Ebd., 6, 243–251; Ebd., 7, 296–303. Ter-Mkrtčian, Karapet: Kiraknorya dprocnerẹ kam mankanc žamapaštut’iunẹ Germaniayum [Die Sonntagsschulen oder der Kindergottesdienst in Deutschland]. In: Ararat. 1895, 8, 297–301. –: Hay hogevorakanut’ean meǰ kłerakan vogi voronołnerẹ [Unter der armenischen Geistlichkeit nach klerikalem Geist Suchende]. In: Ararat. 1895, 7, 250–254. –: Bet’el ankelanocẹ Bilefeldi mot [Das Armenhaus Bethel in Bielefeld]. In: Ararat. 1895, 6, 182–188. Šahaziz, Ervand: Nor-Naxiǰevani usumnakan gorċi ancyalẹ [Die Vergangenheit der

450

Quellen und Literatur

Bildungsfrage in Nor-Naxiǰevan]. In: Ararat. 1895, 1, 23–27; Ebd., 2, 63–67; Ebd., 3, 96–99; Ebd., 4, 131–133; Ebd., 5, 165–169. Tigranean, Levon: Mankakan partez. Frobeli krt’akan ełanakẹ [Der Kindergarten. Fröbels Erziehungsmethode]. In: Ararat. 1894, 11, 336–342; Ebd., 12, 375–381. –: Mankakan partez. Patmakan tesutiun mankakan partezi masin [Der Kindergarten. Ein historischer Überblick über den Kindergarten]. In: Ararat. 1894, 7, 212–218; Ebd., 8, 246–250. –: Mankakan partez [Der Kindergarten]. In: Ararat. 1894, 6, 180–184. Haykordi: Haykakan dprocac ardi ev apaga vič’akin hamaṙot tesut’iunẹ [Ein kurzer Überblick über die gegenwärtige und zukünftige Lage der armenischen Schule]. In: Ararat. 1877, 2, 67–73. P. H. O. G.E.Ẹ: K’ani mi drutiunk’, t’e inčpes petk’ ē patrastel mankavarž usucičner [Einige Richtlinien, wie pädagogische Lehrkräfte ausgebildet werden sollten]. In: Ararat. 1870, 2, 47–51. –: Darjeal varžapetner patrastelu xndirẹ [Wieder über die Frage der Lehrerausbildung]. In: Ararat. 1870, 1, 13–22. T’emakan dprocac kanonadrut’iun [Regelungen für Diözesanschulen]. In: Ararat. 1869, 10, 141–146. Maruteanc, S.: Mek k’ani xosk’ Alexandrapoli veray [Einige Worte über Alexandropol]. In: Ararat. 1869, 6, 140–142. Kanonadrut’iun vanakan dprocac [Regelungen für Klosterschulen]. In: Ararat. 1869, 1, 4–8. Kanon. Yałags ċxakan hogevor dprocacn hayoc vor i Rusastan [Regelungen für armenische Parochialschulen in Russland]. In: Ararat. 1868, 6, 70–72.

Arjagank’

Ṙotinianc, Alexandr: Dorpatean hay usanołut’ean keank’ic [Aus dem Leben der arme­ nischen Studentenschaft in Dorpat]. In: Arjagank’. 1892, 107, 1–3; Ebd., 108, 1–3; Ebd., 110, 1–3.

Axurean

Ter-Minassian, Ervand: Im patasxanẹ »Žayṙ« t’ert’in [Meine Antwort der Zeitung »Žayṙ«]. In: Axurean. 5 (1911), 57, 4.

Dproc

Azgayin dprocneri ayžmean drut’iunẹ [Die gegenwärtige Lage der nationalen Schulen]. In: Dproc. 2 (1876), 9, 325–333. Mankakan partez [Ein Kindergarten]. In: Dproc. 1 (1875), 5, 175–179.

Drošak

Šrǰaberakan [Flugblatt]. In: Drošak. 21 (1911), 3/4, 55–56. Evropayi daš. usanoł. aṙaǰin hamagumarẹ [Der erste Kongress der dašnakcakan Studenten in Europa]. In: Drošak. 18 (1908), 4, 62.

Thematische Bibliografie 

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Evropayi hay usanołakan miut’ean tarekan hamagumarẹ [Der jährliche Kongress des Vereins armenischer Studenten Europas]. In: Drošak. 12 (1902), 4, 61–63.

Gorċ

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Haykakan Ašxarh

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Literatur 

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Quellen und Literatur

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Register

Abałian, Melk’on  187 Abamelik’-Lazarian, Simeon  123 Abdul Hamid II.  36, 57, 262, 306, 315 Abełian, Artašes  25, 27, 55, 63, 72, 77, 82 f., 200–202, 204, 291, 397, 430 Abełian, Manuk  105 f., 182, 291, 413, 427 Abełianc, Harut’yun  356 f., 410 Abich, Hermann von  76 f. Abovian, Sarkis  426 Abovian, Vardan  84 Abovian, Xačatur  56, 65, 72–80, 84 f., 299, 308, 413 Abowian, Gostandin  428–430 Abrahamian, Abel  107, 242–244, 246 f. Abrahamian, Ruben  235, 239 Adamian, Aršak  112 Adamian, Eugine  112 Adamian, Helene  112 Adamian, Hovhannes  112 Adamian, Jacob  428 Adonc, Nikołayos  186, 252 Afrikian, Połos  260 Aharonian, Anton  435 Aharonian, Avetis  318 Akimian, Ałat’on  83, 86 Ak’imianc, Gevorg  77, 85, 87 Akunoff, Iwan  308 Ałaian, Łazaros  234, 242 Ałaian, Mušeł  234 f. Ałapirianc, Grigor  86 Alexander II.  38, 113, 161 Alexandrian, Arschawir  435 Allahverdian, Nšan  242 Alt’unian, Gevorg  107, 235, 240 Amatuni, Mik’ayel  95 Apresian, Abeł  144 Arak’elian, Balasan  158, 187 Aramianc, Mik’ayel  160 Arasxanian, Avetik’  25, 108, 288

Arċruni, Andreas  105–108, 121, 123, 153 f., 409 Arċruni, Grigor  52, 56, 62, 65, 105 f., 116–123, 127, 144, 147, 153 f., 167, 308, 355, 358–361, 363, 368 f., 371, 390 f., 395 Argutinski-Dolgorukov, Peter  95, 364 Arisian  338 f. Arłut’ian, Sofia (Erkaynabazuk)  124, 129–133, 160, 403 Arłut’ianc, Łahraman 116 Arsumanian, Gabriel  433 f. Arut’iunianc, Sissak  289 Asef (Asev), Evno  327 Ašẹgian, Xoren  36 Assadurian, Tigran  60 At’abekianc, Hovsep’  270–274 Atamian, Erwand  430 At’anasianc, Ašot  92, 94, 289, 426 Athabekian, Lewon  426, 431 Atkins, Louise  135 Auch, Eva-Maria  20 Avak’ianc, K’ristof  84 Avanesov, Varlam  288 Avetisian (Terlemezian), Mkrtič  259 Awetjan, Awetis  428 f. Ayvasian, Hovhannes  190 Azatian, Hayk  274, 283, 288, 413 Ažbe, Anton  100 Babaian, Avetik’  130, 372 Babaian, Levon  292, 426 Babaian, Sofia  129–131, 133 f., 403 Babasian, Harut’iun  229 Bagaturoff, Mikael  432 Bagdassarianz, Mikael  433 Bagdassarianz, Nerses  433 Balakian, Diran  429–431 Bałdasarian, Kostya  284

Register

486 Balekjian, Wahe  72 Barchudarian, Alexander  435 Barchudarjantz, Lewon  432 f. Barsegian, Armenak  434 Barsełian, Sargis  318 Bartels, Johann Christian Martin  73 Bauer, Otto  338 f. Bayandurianc, Anna  129 Bebel, August  126, 277, 338 f. Bekzadian, Alexandr  107, 283 f. Bekzadian, Tigran  188 Belinskij, Vissarion  275 Bellermann, Heinrich  182 Bernackij, Michail  149 Bernstein, Eduard  306, 309, 338 f. Berthelot, Marcellin  314 Beyschlag, Willibald  200 Borgman, Ivan Ivanovič  49 f. Brandes, Georg  314 Brockelmann, Carl  177 Brosset, Marie-Félicité  81 Bücher, Karl  235 Bülow, Bernhard von  266 Buniatian, Mentor  427 f. Burcev  V. L.  327 Byuzandaci, Norair  307 Ċaturian, Arak’el  159 f., 189 Čaxmaxčian, Haykanduxt  128 Čeraz, Minas  307 Ċerenc 158 Černyševskij, Nikolaj  275 Chamdandjian, Mikael  426 Chateaubriand, François-René de  92 Chatschaturianz, Acob  433 Chatschaturian, Astuazatur  426 Chodjajan, Mgrditsch  426 f. Choren I. Muradbekian  170 Chosroweff, Garegin  431 f. Chrimian, Garegin  241 Cicianov, Pavel Dmitrievič  33 Classen, Walter  219 Comte, Auguste  92 Čopanian, Aršak  186 Čop’urian, Łazaros  60 f.

Craffström, Gustav von  80 Dahlmann, Dittmar  16 Darbinian, Rouben  56 David, Eduard  338 f. Davt’ianc, Y.  120 Delcassé, Théophile  306 Dobroljubov, Nikolaj  275 Dobužinskij, Mstislav  100 Dodoxian, Gevorg  87 f. Droysen, Hans  98 Družinin, Sergej I.  51 Dschagetian, Nersses  434 Durian, Ełiše  209 f. Ebbinghaus, Hermann  400 Edilchanoff, Michael  432 Ēdilian, Gurgen  291, 400 f., 413, 431 f. Ēfendian, Hovhannes  221 f., 224, 246, 392 Eghiajan, Sedrak  427 Ehrentraut, Curt  214 Ekmalian, Makar  181 Ełiazarian, Benik  181 Ēnfiač’ian, Hambarjum  85 Engels, Friedrich  271–273, 283 f. Ep’rem I. Joragełci  72 Erizian, Choren  432 f. Favon, Georges  305 Feuerbach, Ludwig  274 Fichte, Johann Gottlieb  88 Finck, Franz Nikolaus  185 Fleischer, Oskar  182 Frähn, Christian Martin  74, 81 Frapan (Akunian), Ilse  308 f., 313 f. Friedländer, Eberhard David  73 Friedländer, Max  182 Fröbel, Friedrich  129–133, 403 Froundjian, Dirajr  72, 290 Gamaṙ-K’atipa s. Patkanian, Rap’ael Gambarian, Stepan  428 f. Gambaroff, Gabriel  266 Gasparian, Šahe 212

Register

Gazer, Hacik  23, 26, 216, 367, 372 Gebhardt, Oskar von  171 Gełamean, Ełiše  371 Geldner, Karl Friedrich  228 Gelzer, Heinrich  106, 177 f. Gendschian, Jenok  435 Gevorg IV. Konstandnupolseci  37–39, 168, 181 Gevorg V. Surenianc  170, 212, 285, 376 f., 379, 382 Gevorg VI. Čorek’čian  170, 174, 291, 426 Gladyšev, G.  82 Goethe, Johann Wolfgang von  76, 83, 88, 235 Golizyn, Grigorij Sergeevič  14, 347 Greenfield, James  66, 68, 291, 426 Gregory, Caspar René  207 Grigorian, Hakob  190 f. Grigorian Tumaianc, K’ristap’or  183 Grigorian, Z.  118 Gurgenianc, Grigor  159 Guthe, Hermann  172 f., 176, 179, 207 Gutschmid, Alfred von  228 Gyanǰecian, Eznik  181, 183–185, 196, 291, 428 f. Gyulxandanian, Abraham  287 Hachumian, Christophor  427 f. Hackmann, Heinrich  200 Hakobian, Hakob  144 Hakobian, Hmayak  101 Hakobian, Varduhi  121–124, 126 Han, Petrus  17 Harnack, Adolf von  58, 170–172, 177, 221, 371 Harnack, Anna  385 f. Harut’yunian, Hakob  68, 104, 139, 244–248 Harut’yunian, Isahak  397–400 Harut’yunian, V.  279 Harut’yunianc, Martiros  266 Hauck, Albert  172, 179 Haupt, Erich  170 Havet, Louis  314

487 Hayranian, Armenak  66 f., 318 Hazarapetian, Leon  100 Heerwart, Eleonore  131 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  88, 274, 280 Heinze, Max  176 Herbart, Johann Friedrich  398, 400 Herzen, Alexander  260 Hetzel, Gertrud  213 Heyer, Friedrich  69 Hoff, Nikolai  214 f. Hovhannisian, Ašot  274, 284 f., 413 Hovhannisian, Gayane  130 Hovhanisian, Hakob  413 Hovhannissian, Hayk  187, 433 f. Hovsep’ian, Garegin  26, 157, 170–174, 183, 206, 291, 368, 372, 374–376, 413, 426 Hovuianc, Simeon  224, 430 Howiwianz, Simon  433 Hroch, Miroslav  10, 407 Hübschmann, Heinrich  177, 184, 201, 227 Hugo, Victor  92 Humboldt, Wilhelm von  69 Isahakian Adamianc, Hovakim  192 Isahakian, Avetik’  66 Išxanian, Baxši  188 f. Išxanianc, Aršak  266 Jäckh, Ernst  210 Jäsche, Gottlob Benjamin  73 Jastrow, Ignaz  277 Jaurès, Jean  338 Javlenskij, Alexej von  100 Jedogarian, Arschak  428 Jeritzantz, Adom  428–430 Jermolov, Aleksej  50 Joachim, Joseph  181 Joannissiany, Abgar  348 f. Jürgenson, Dietrich Heinrich  74 Jusbaschjew, Arutjun  429–431 Jusbaschian, Ruben  434 Juzbašianc, Simeon  253

488 Kač’kač’ianc, Nikołaios  224 Kafian, Gabriel  259 f. Kaftan, Julius  371 Kalantarian, Grigor  433 Kalantarian, Papa  432–434 K’alant’arianc, Nadežda  124–127, 410 K’amalian 146–148 Kamo 283 Kandinskij, Vasilij  100 Kant, Immanuel  88 K’aramian, Nikołayos  138, 227–229, 289 Karapetian, Georg  430 f. Karapetian, Hovhannes  100, 103 f., 235–238, 241 Kardovskij, Dmitrij  100 Kasian, Sargis  274, 281–283 Katharina II.  71, 155 Kaulbach, Friedrich  100 Kautsky, Karl  271, 273, 276, 283 f., 286, 338 f. Kautzsch, Emil  371 Kazaroff, Tatewos  431, 433 Kegamianz, Sarmair  429 Keworkiantz, Oganes  432 Khanazat (Khan-Azat), Ruben  259 f. Kirchhoff, Gustav  98 Kirchner, Oskar von  94 Klidšian, Arsen  107 Kobert, Rudolf  152 Koch, Karl  77 Koǰoian, Hakob  100 Köllmann, Wolfgang  17 Komitas  112, 181–183, 185, 240 Körner, Theodor  313 Kotscharian, Sagathel  428 f. Krause, Martin  112 Krüger, Gustav  179 Krupskaja, Nadežda Konstantinovna 280 Lalaian, Ervand  143, 224 Lamartine, Alphonse de  92 Łaraǰian (Arkomed, S. T.), Gevorg  260, 270 f.

Register

Lasson, Georg  280 Lazarian, Xačatur  161 Leist, Arthur  349 Lenin, Vladimir Il’ič  127, 276, 279 f., 285, 288, 312 Lepsius, Johannes  27, 58, 66, 68, 198, 200, 202 f., 213, 385 f. Lepsius, Richard  98 Lianosian, Step’an  160 Lieven, Karl Andreevič  73 Loofs, Friedrich  58, 170–172, 184, 196 f., 200, 371 Lucassen, Jan  16 Lucassen, Leo  16 Łukasian, Abraham  115, 160, 427 f. Łukasian, Aršak  115, 160 Łukassian, Avetis  230 f., 233–235, 240, 242, 246, 248 Łukassian, Połos  231 Lüsebrink, Hans-Jürgen  19 Luther, Martin  179 Makar I. T’ełutci  44, 123, 168, 170, 384 Malumian (Aknuni), Xačatur  120, 301 f., 309, 312, 317 f., 370 Malumianc, Step’an  252 Mamikonian, Tigran  159 Manandian, Hakob  107, 413, 427 Mandinian, Sedrak  399, 401 Mantascheff, Leon  429 Mant’ašianc, Aleksandr  105 f., 157, 160 f., 181, 186, 222, 274, 276 Manukian, Sarkis  433 Manukianz, Chatschatur  433 Manučarian, Mkrtič (Čar)  143, 159, 260, 277 f., 280 f. Markarian, Alexander  435 Markarian, Tigran  292, 433–435 Marr, Nikolai  49, 54 Marti, Karl  201 Marut’ianc, S.  396 Marx, Karl  189, 271 f., 283 f., 286 Martov, Julius  276 Matt’eos II. Izmirlian  45, 209, 212, 372, 376, 382

Register

Maurer, Trude  28, 97 Maysurian, Samson  363 Maxudianc, Mesrop  235 Meißner, Axel  26, 202 Mełavorian, Hakob  288 Melik’-Ałamalian, Mariam  121 f., 153 Melik-Alawerdianz, Grigor  433 Melik-Beglarian, David  427 Melik-Beglarian, Margarit  128 Melik-Grigorian, Arutin  434 Melik’-Haykazian, Alexandr  123, 193 f. Melik-Husseinjan, Tigran  434 Melikian, Šołakat  175 Melik’ian, Spiridon  232, 240 Melik’-Łaragyosian, Gevorg  24, 64 f., 95, 145, 257 f., 271, 290 f., 295, 348, 428 Melikoff, Georg  432 Melkonianc, Eznik  266 Melk’onianc, Hayk  267 Merz, Viktor  356 Meštuǰian, Diran  213 f., 215 f. Meumann, Ernst  400 Mik’ayelian, K’ristap’or  30, 308, 317– 319, 325 Mikoian, Anastas  285 Minasarianc, Mik’ayel  397 Minasian, Artašes  160, 427 Mirzoian, Hovsep’  187, 431 Mkrtčian, Minas  363 Mkrtič I. Chrimian  44, 173, 175, 181, 195, 198, 209, 228, 232, 241, 376, 391, 402 Mommsen, Theodor  98, 228 Montessori, Maria  132 f., 403 Morgenthau, Henry  181 Moser, Heinrich  356 Müller, Wilhelm  313 Muracan  234, 242 Musin-Puškin, Michail Nikolaevič  80 f. Nahapetian, Aršak  170 Nalbandian, Mik’ayel  158, 299 Nalbandian, Wahan  427 f. Narimanoff, Grigor  429

489 Navasardian, Mkrtič  402 Naville, Ernest  309 Nazarbekian, Avetis (Nazarbek)  127, 259 f., 262 Nazarian, Step’anos  35, 54, 65, 72, 74, 78–83, 85, 89, 299, 361–364, 371 Nerses V. Aštarakeci  37, 73, 79, 87 Nikolai, Alexander Pavlovič  38, 42 Nikolaus II. 209 Ohanian, Kristap’or  260 Ohanǰanianc, Levon  152 Ok’roian, Davit  224, 226 f. Oltezianz, Aram  430 Ōrmanian, Małak’ia  36, 163, 168–170, 174, 207, 209, 212, 383 Otian, Grigor  158 Ovvjan, Michael  429 Palian, Ervand  224, 268 f., 278 P’ap’azian, Vrt’anes  138, 144 P’ap’azianc, Hambarjum  85 f. Paroniantz, Alexsander  432 Parrot, Friedrich  72–75, 77 Parvus, Alexander  271 Paskevič, Ivan Fëdorovič  73 Passy, Frédéric  309 Patkanian, K’erovbe  54, 86 Patkanian, Rap’ael  85 f., 279, 286, 308 Paulsen, Friedrich  172, 225 Peabody, Elizabeth P.  131 Perperian, Rethäos  61 Pešiktašlian, Mkrtič  158 Petermann, Julius Heinrich  81 Petersen, Wilhelm  62 Plechanov, Georgij Valentinovič  127, 270, 276, 279, 284, 286 Pleve, Vjačeslav Konstantinovič fon ​ 327, 329 Pogossian, Aschot  427 Pogossiantz, Hussik  433–435 Popovič, Hagop  161 P’ort’ugalian, Mkrtič  259 f., 307 Posnikov, Alexander Sergejevič  51

490 Pressensé, Francis de  305, 309 Preuschen, Erwin  177 Preußen, Albrecht Prinz von  62 Pztikian, Zak’aria  318 Quillard, Pierre  303, 350 Rade, Martin  26 f., 57 f., 196–198, 200–205, 207, 219 Radew, Simeon  309 Raffi  134, 279, 286, 308 Ṙašmač’ian, Tigran  291, 397, 401, 413, 426 Ravič, Olga  284 Rein, Wilhelm  225, 398 Rohrbach, Paul  27, 58 f., 66 f., 69, 194–196, 198, 202 f., 205–207, 210 f., 217, 385 Romanov, Michail Nikolaevič  38 Rosen, Georg  77 Ṙostomian, Davit’  158 Roth, Rudolf von  228 Ṙotinian, Alexandr  78, 82–87 Sahakian, Sahak  223 f., 227 Šahaziz, Smbat  316 Šahazizian, Matteos  260 Šahumian, Step’an  274–282, 310, 312 Salambekjantz, Konstantin  429 Sanassarian, Mkrtič  61 Šant’  108, 116, 426 Sargsian, Levon  369 f. Sarkisjantz, Christophor  429 Sarkissian, Nikolaus  430 f. Saruchanjanz, Stephan  427 Saruxan, Arak’el  161 Šavaršian, Aršavir  137, 139, 413, 429, 435 Sazonov, Egor  329 Schadinoff, Johann  429 Schahidjaniantz, Sumbat  432 Schamandjian, Mikael  428 Scharabandian, Nikita  427 f. Schiller, Friedrich  76, 82, 88, 313 Schmalz, Johann Friedrich  73

Register

Schmidt, Richard  181 Schmoller, Gustav  277, 280 Schulze Wessel, Martin  27 Schultz, Clemens  219 Schwartz, Aleksander Nikolaevič  45, 47 f. Schwebs, Friedrich von  78 f. Sełbossian, Levon s. Šant’ Serobian, Nasareth-Aga  434 f. Simeonianc, Petros  85 Simmel, Georg  280 Širinian, Aršak  189 f., 430 Širvanzade, Alexander  316 Sivers, Emmanuel Karlovič  39 Skandarian, Erwand  435 Šlykova, Virginia  356 Socin, Albert  228 Spandarian, Spandarat  290 Step’ane, Xoren  115, 390 f. Stephan, Sabine  25 f. Stern, Ernst von  213 Stier, Ewald  27, 59, 63 f., 66 f., 69, 140, 160, 170, 201–217, 219 f., 246, 377, 384–386 Stolypin, Pёtr Arkad’evič  45–48, 53 Stone, Ellen  318 Stoy, Karl  398 Strekalov, Stepan Stepanovič  73 Stuck, Franz  100 Sudermann, Hermann  235 Surenianc, Vardges  101 Šušanik 358 Suslova, Nadežda  120, 135 f. Tachtadjean, Leon  431 f. Tałavarian, Nazaret’  210 Tamamschian, Konstantin  429–431 Tamamšev, Jegor  161 Tanjantz, Bagrat  432 Taraianc, Sedrak  152, 426 Teletjew, Georg  432 Ter-Gabrielian, Sargis  193, 284 Ter-Grigorian Iskenderian, Galust ​ 211 f., 434 Ter-Grigorian, Wahan  434 f. Ter-Hakobian, Senek’erim  234 f., 383 f.

Register

Ter-Hovhannisian, Gurgen  233, 235 Ter-Hovhannisian, Petros  233 f. Ter-Johannissianz, Smbat  430 Ter-Łazarian, Isahak  191, 433 Terlemesian, Mihran  434 f. Ter-Mekertschian, Stephan  432 f. Ter-Mik’elian, Aršak  123 Ter-Minassian, Ervand  25 f., 56, 116, 175–180, 183, 204, 206, 212, 218, 291, 371 f., 377–385, 413, 430 f. Ter-Minassian, Wałarš  212 Ter-Mirak’ian, Hovhannes  289, 397, 413 Ter-Mkrtčian, Karapet  25 f., 56 f., 63, 170–175, 179 f., 184 f., 194, 196–198, 204–206, 208 f., 212, 215, 246, 357, 370–374, 376, 382 f. Ter-Movsesian, Mesrop  234 Ter-Mowsisjan, Johannes  432 Ter-Petrosian, Petros  432 Ter-Pogossian, Avetik  431 Ter-Połosian, Ašot  348, 428 f. Ter-Sargsian, Allahverdi  229 Ter-Sarkisian, Lewon  426 Terterian, Artasches  432 Terterian, Michajel  426 Terterian, Nicolaj  432 Ter-Wardanjan, Suren  431 f. Thardekimanjanz, Alexander  432 Theodorovič, August  298 f. Tigranian, Levon  82 f., 87 Tikhonov, Natalia  28 Tolstoj, Dmitrij Andreevič  38 Top’čian, Hakob  200, 202, 316, 377 T’ovma-Ałaian, Nerses  232, 240 f. Treitschke, Heinrich von  98, 170 Tscharektschian, Aram  427 f. Tschilingarjan, Arschak  426 Tschubuchtschian, Arutjun  432 Tuganov, Macharbek  100 T’umaian, Grigor  160, 192 T’umaian, Hovsep’  160 T’umanian, Hovhannes  225, 232 Tumanoff, Catherina  127 f. Tumanoff, Ripsimia  127 f.

491 Tumanov, Georgij Michailovič  51–53 Utujian, Simon s. Xačaturian, Simon Uvarov, Sergej Semënovič  80 f., 156 Vahanian, X.  289 Vaillant-Couturier, Paul  338 Vancian, Grigor  108 f., 224–226, 298 f., 348 Vandervelde, Émile  307, 339 Varandian (Hovhannisian), Mik’ayel ​ 308, 318 Vardanian, Maro (Nazarbek)  127, 259 f., 262 Vardanian, P’ilippos  61, 150, 363 Varé, Louis  309 Varžapetian, Nerses  36 Veličko, Vasilij L’vovič  52 Verëvkin, Marianne  100 Veselovskij, Juri  82 Vodovozov, Vasilij Ivanovič  130 Vollmar, Georg von  338 f. Voroncov-Daškov, Illarion Ivanovič  44 Wagner, Adolph  225, 277, 280 Wagner, Moritz  76 Wanezian, Mkrtič  292, 432–434 Weber, Max  280 Weill, Claudie  128 Weiss, Bernhard  171 Weizsäcker, Carl Heinrich  371 Wesiroff, Djemad  429 Westenenk, Louis C.  214 f. Wundt, Wilhelm  123, 170, 172, 400 Xačatreanc, Mirzaǰan 194 Xačaturian, Simon  60 Xačumian, Hovhannes  167, 426 Xandjian, Ałasi  285 Xatisian, Gabriel  87 Xlẹtč’eanc, Hakob  133 Xoǰamirian, Misak  284 Xostikian, Missak  201 f., 219 Xununc, Mnacakan  231–235, 238, 240–242

492 Zak’arianc, Barseł  159 Zarafian, S.  108 Zavarian, Simon  30 Zetkin, Clara  271 Ziegler, Theobald  201 Ziller, Tuiskon  223 Zimmern, Heinrich  177 Žitomirskij, Jakob  266

Register

Zohrab, Grigor  119, 163–165, 210, 364–366 Zohrabian, Husik  181, 183–185, 196, 206, 291, 428 f. Zorian, Step’an  30 Zowianian, Leon  432 Zowianian, Napoleon  432