Wenn Menschen miteinander in Kontakt treten, nehmen sie aufeinander Einfluss. Dieser Einfluss führt nicht selten zu Ände
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German Pages [431] Year 2022
Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einführung
A. Ziel, Methode und Grenzen
B. Gang der Untersuchung
C. Vorüberlegungen
I. Das Kontinuum der Beeinflussung
II. Grundbegriffe
1. Etymologische Annäherung
a) „Täuschung“
b) „Manipulation“
2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme
A. Aristotelisch-thomanische Handlungstheorie
I. Praktischer Syllogismus
1. Praktischer Schluss
2. Logik des praktischen Syllogismus?
II. Zwecktrias („Threefold Division“)
III. Beeinflussung als Einwirkung auf Prämissen
1. Taxonomie der Einflussnahme
a) Passende Zwecke
b) Nützliche Zwecke
c) Angenehme Zwecke
2. Erste Konturen der Täuschung und Manipulation
B. Menschenbild der Handlungstheorie
I. Ideengeschichtlicher Kontext
II. Rational Choice Theory
III. Bounded Rationality
1. „Heuristics and Biases“
2. „Fast and Frugal Heuristics“ und ökologische Rationalität
3. Unterschiede, vor allem aber Gemeinsamkeiten
4. Heuristiken als Werkzeuge der Einflussnahme
a) Reziprozität
aa) Allgemeines
bb) Verwandte Heuristiken
(1) Kontrasteffekt
(2) Verwässerungseffekt
b) Konsistenz
aa) Allgemeines
bb) Verwandte Heuristiken
(1) Verfügbarkeitsheuristik, Rückschaufehler
(2) Framing, Mental Accounting
(3) Ankereffekt
(4) Reihenfolgeeffekt
(5) Repräsentativheuristik
c) Soziale Bewährtheit
d) Sympathie
e) Autorität
f) Knappheit
aa) Allgemeines
bb) Verwandte Heuristiken
IV. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“
1. Dual Process Theory
2. Kognitive Leichtigkeit und Ego-Depletion
C. Zusammenfassung von § 1
§ 2 Typologie der Täuschung
A. Linguistische Grundlagen
I. Die „Bedeutung“ sprachlicher Ausdrücke
1. Semantik und Pragmatik
2. Propositionale Gehalte
II. Schlüsse
1. Semantische Implikation
2. Präsupposition
3. Explikatur
4. Implikatur
a) Kooperationsprinzip
b) Nichterfüllen der Maximen
c) Entstehen einer konversationellen Implikatur
d) Exkurs: Konventionelle Implikaturen
III. Schluss und Grad der Verbindlichkeit
1. Hinführung: Die illokutionäre Kraft
2. Grad der Verbindlichkeit der Schlüsse
B. Täuschungstypen
I. Vorüberlegungen
1. Allgemeine Täuschungsdefinition
2. Unbeabsichtigte Täuschung?
3. Exkurs: Behauptungen und das Überzeugen
II. Semantische Täuschung
1. Wörtliche Falschheit
2. Falsche semantische Implikationen
3. Falsche Präsuppositionen
III. Pragmatische Täuschung
1. Falsche Explikaturen
2. Falsche Implikaturen
IV. Sonderfälle
1. Nicht-sprachliche Täuschung
2. Täuschung durch Unterlassen
a) Verstoß gegen das Kooperationsprinzip (Halbwahrheiten)
b) Verstoß gegen andere Normen (reines Unterlassen)
c) Kein Verstoß gegen Normen (Selbsttäuschung)
C. Zusammenfassung von § 2
§ 3 Typologie der Manipulation
A. (Weitere) Charakteristika der Manipulation
I. Umgehung oder Untergrabung der Rationalität?
1. Rationale Einflussnahme
a) Überzeugen als Urtyp rationaler Einflussnahme
b) Vergleich: Täuschung und Rationalität
c) Vorläufiges Fazit
2. Umgehung der Rationalität
3. Untergrabung der Rationalität
4. Fazit
II. Manipulation mittels propositionaler Aussagen
III. Dient die Manipulation negativen Zwecken?
IV. Manipulation und die freie Wahl
B. Typologie der Manipulation
I. Kognitive Manipulation
1. Beschreibung
2. Beispiele
II. Affektive Manipulation
1. Beschreibung
2. Beispiele
C. Zusammenfassung von § 3
Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
§ 4 Ethische Bewertung
A. Überblick über ethische Ansätze
I. Deontologische Ethik
II. Tugendethik
III. Konsequentialistische Ethik
B. Ansatzpunkte bei der Einflussnahme
I. Autonomie und Würde
1. Autonomie
a) Kants Autonomiekonzeption
b) Frankfurts Konzeption der Willensfreiheit
2. Würde
II. Vertrauen
1. Erosion kommunikativen Vertrauens
2. Konsequentialistische Kritik
3. Bewertung
C. Moralischer Unterschied zwischen Täuschung und Manipulation
D. Manipulation: The Good, the Bad, and the Ugly
I. „The Good“
II. „The Bad“
III. „The Ugly“
IV. Indikatoren
1. Machtbalancen
a) Figurationen
b) Unternehmer und Verbraucher
2. Situatives Umfeld: Das „Business Game“
a) Die Spielregeln
b) Das Spielfeld
E. Zusammenfassung von § 4
§ 5 Ökonomische Bewertung
A. Marktgleichgewicht und Wettbewerb
I. Marktgleichgewicht
II. Kräfte des Wettbewerbs
III. Zwischenfazit und die Gefahren der Marktkräfte
B. Täuschungs- und Manipulationsprofit
I. Neoklassische Wohlfahrtsanalyse
1. Nachfrager
2. Anbieter
3. Preismechanismus
a) Gütermarkt
b) Kapitalmarkt
II. Täuschungs- und Manipulationsprofit
1. Informationsasymmetrien, biases und Marktversagen
2. Täuschung und Manipulation als opportunistisches Verhalten
III. Wohlfahrtsanalyse unter dem Eindruck einer Einflussnahme
1. Wahrgenommener Nutzen höher als tatsächlicher Nutzen
2. Wahrgenommenes Risiko geringer als tatsächliches Risiko
3. Wahrgenommener Preis geringer als tatsächlicher Preis
4. Preismechanismus
a) Gütermarkt
b) Kapitalmarkt
IV. Soziale Kosten der Täuschung und Manipulation
1. Fehlallokation
2. Mitbewerber
3. Kosten für die Durchführung der Einflussnahme
4. Vorsorgeaufwendungen aufgrund eines Vertrauensverlusts
5. Ressourcenschäden
6. Verteilungsgerechtigkeit
C. Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht
I. Nochmals: Die „natürliche Selektion“ des Wettbewerbs
II. Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht
1. Hansons und Kysars „Market Manipulation“
2. Akerlofs und Shillers „Phishing Equilibrium“
3. Fazit: Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht
III. Marktlösungen
1. Lerneffekte
a) Lernen und (Lebens-)Erfahrung
b) Grenzen des Lernens
2. Reputation
3. Aufklärung und Rat
D. Zusammenfassung von § 5
Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
§ 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele
A. Das Recht der Einflussnahme als Regulierungsrecht
I. Rechtsgebietsübergreifender Blick
II. Methodische Hindernisse?
III. Begriff und Ziele der Regulierung
1. Regulierungsbegriff
2. Regulierungsziele
B. Regulierungsziele im Recht der Einflussnahme
I. Gewährleistung der Privatautonomie
1. Von der Willkür des Einzelnen …
2. … über den Vertrauens- und Verkehrsschutz …
3. … zur Steuerungsfunktion der Willkür
II. Wohlfahrtsmaximierung
1. Allgemeines
2. Institutionenschutz
3. Vertrauen im Besonderen
C. Spielarten der Regulierungsinstrumente
I. Allgemeines
II. Ex-ante- und Ex-post-Regulierung
III. Private und staatliche Initiierung
D. Zusammenfassung von § 6
§ 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente
A. Ökonomische Vorüberlegungen
I. Abschreckung
II. Wohlfahrtsschädlich oder wohlfahrtsförderlich?
1. Unbeabsichtigte Einflussnahme
a) Zwei-Personen-Verhältnis
b) Masseneinflussnahmen
aa) Risiko-Nutzen-Analyse: Mikroabwägung
bb) Beispiel
cc) Vorweg: Dogmatische Einkleidung
2. Absichtliche Einflussnahme
III. Soziale Kosten
1. Fehlallokationen und ihre Folgen
2. Beachtlichkeit von Umverteilungsschäden
a) Umverteilung zwischen Einflussnehmer und Adressaten
b) Umverteilung zwischen den Marktteilnehmern
IV. Folgerungen
B. Sachverhaltsbeurteilung: Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation
I. Feststellung einer Täuschung
1. An die Täuschung anknüpfende Rechtsregeln
2. Hinführung: Erklären und Verstehen
3. Interpretativer Ansatz
a) Die Kunst der Auslegung
b) Interpretationsobjekt
c) Interpretationsregeln
aa) Semantische Interpretation
bb) Pragmatische Interpretation
cc) Die Gefahr der Hase-Ente-Illusion
dd) Grad der Verbindlichkeit
d) Wahl der Interpretationsregel
aa) Formale und materielle Realisierbarkeit
bb) Verhaltenssteuernde Wirkung
cc) Kommunikative Umgebung
e) Interpretationsstandards
4. Effektbasierter Ansatz
a) Festzustellender Effekt
aa) Informationelle Effekte
bb) Mittelbare Täuschungseffekte
b) Evidenzbasierte Feststellung
aa) Demoskopische Befragungen
bb) Experimentelle Studien
cc) Ereignisstudien (event studies)
dd) Wesentlichkeitsschwelle, oder: „Irreführungsquote“
c) Erfahrungsgestützte Feststellung
aa) Alltagspsychologische Beobachtungen
bb) Wissenschaftliche Theorien und Hypothesen
d) Vor- und Nachteile der Feststellungsarten
5. Konstruktiver Ansatz
a) Abgrenzung zwischen Interpretation und Konstruktion
aa) „Interpretation“ und „Construction“ im US-Recht
bb) Konstruktion im Rahmen der Sachverhaltsbeurteilung
b) Maßfiguren und normative Konstruktion
aa) Maßfiguren als Maßstäbe für eine normative Konstruktion
bb) Konturen der Maßfiguren: Mikroabwägung
c) Pragmatische Täuschung und Irreführungsquote
aa) Pragmatische Bedeutungsgehalte
bb) Irreführungsquote
d) Verhältnis zum interpretativen und effektbasierten Ansatz
II. Feststellung einer Manipulation
1. An die Manipulation anknüpfende Rechtsregeln
2. Feststellung einer Manipulation
3. Defizite einer Ex-Post-Regulierung der Manipulation
a) Heterogenität der Adressaten
b) Wissensproblem der Gerichte
c) Eingeschränkte Lernfähigkeit
d) Fazit
4. Besonders verwerfliche Manipulation
III. Fazit zur Sachverhaltsbeurteilung
C. Kausalität
I. Transaktionskausalität
II. Preiskausalität
1. Kapitalmarkt
2. Gütermarkt
III. Wettbewerbliche Relevanz
D. Marktgegenseite
I. Rückabwicklung
1. Rechtsregeln
a) Unwirksamkeit nach § 138 BGB
b) Anfechtung
aa) Allgemeines
bb) Vorsatznachweis
c) Widerruf
d) Rücktritt
2. Steuerungswirkung
a) Verlust des Täuschungs- oder Manipulationsprofits
b) Neue Chance für eine Pareto-Verbesserung
II. Schadensersatz
1. Täuschung und Manipulation als Pflichtverletzung
a) Vertragliche Pflicht
b) Vorvertragliche Pflicht
c) Deliktische Pflicht
aa) Ressourcenschäden
bb) Vermögen als solches
cc) Spezialgesetzliche Kapitalmarktpflichten
dd) Lauterkeitsrechtliche Pflichten
ee) Mittelbare Schädigungen und Schutzzweckzusammenhang
2. Ersatzfähiger Schaden
a) Interesse
b) Vertragsabschlussschaden
aa) Konkurrenzverhältnis von c.i.c. und Anfechtung
bb) Mittelbare Schädigungen
c) Entgangener Gewinn
d) „Kleiner Schadensersatz“
aa) Wesen und Dogmatik
bb) Beispiel: „Dieselskandal“
cc) Transaktionskausalität erforderlich?
3. Steuerungswirkung
a) Wirtschaftliches Eigeninteresse des Einflussnehmers
aa) Im Allgemeinen
bb) Kapitalmarktinformationshaftung
b) Gefährdungshaftung
E. Mitbewerber
I. Abwehr
1. Täuschungstatbestände
a) „Durchschnittsverbraucher“ und Mikroabwägung
b) § 5 UWG
aa) Allgemeines
bb) Unwahre Angaben und Täuschungseignung
c) §§ 5a, 5b UWG
aa) § 5a UWG
bb) § 5b UWG
2. Manipulationstatbestände
3. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
4. Steuerungswirkung
a) Allgemeines
b) „Naming and Shaming“ im Lauterkeitsrecht?
II. Schadensersatz
1. § 9 Abs. 1 UWG
a) Entgangener Gewinn
b) Marktentwirrung
2. Allgemeines Deliktsrecht
F. Kollektiver Rechtsschutz
I. Verbandsklage
1. Allgemeines
2. Exkurs: Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG
II. Musterfeststellungsverfahren
G. Zusammenfassung von § 7
§ 8 Ex-ante-Regulierungsinstrumente
A. Verbote
I. Klassisches Verbot
II. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
B. Zertifizierung
C. Offenlegung, Standardisierung, Verhaltensregeln
I. Täuschung
1. Klarstellung
2. Greenwashing auf dem Finanzmarkt
II. Manipulation
1. Warnhinweise
2. Werbemaßnahmen von Wertpapierfirmen
D. „Softe“ Regulierung
I. (Regulierte) Selbstregulierung
1. Selbstregulierung mit Steuerungswirkung
2. „Comply or Explain“
II. Naming and Shaming
E. Steuern
I. Pigou-Steuer als Steuerungsinstrument
II. Umsetzung
F. Zusammenfassung von § 8
§ 9 Fallstudie: Digitale Manipulation
A. Manipulation früher und heute
B. Das Phänomen der digitalen Manipulation
I. Datensammlung
II. Analyse
1. Profiling
2. Algorithmische Identifizierung kognitiver Schwachstellen
a) Algorithmen und künstliche Intelligenz
b) Maschinelle Manipulation: „The End of Theory“
III. Einflussnahme
1. Microtargeting
2. „Dark Patterns“
3. Adaptive Entscheidungsarchitektur
4. Vorteile digitaler Einflussnahme
C. Ethische und ökonomische Besonderheiten
I. Ethische Erwägungen
II. Ökonomische Erwägungen
D. Regulierungsherausforderungen
I. Täuschung oder Manipulation?
II. Abschied vom durchschnittlichen Verbraucher?
1. Der verletzliche Verbraucher als Regelfall
2. Verletzlichkeit als situatives Konzept
III. Durchsetzungsdefizite
IV. Nachweis einer Manipulation
1. Feststellung einer Manipulation
a) Evidenzbasierte Feststellung
b) Erfahrungsgestützte Feststellung
2. Nachweis eines Verschuldens
3. Darlegungs- und Beweiserleichterungen
V. Regulierungsinstrumente
1. Ex-post-Regulierung
a) Bürgerlich-rechtliches Instrumentarium
b) Lauterkeitsrechtliches Instrumentarium
2. Ex-ante-Regulierung
a) Instrumentarium der DSGVO
aa) Personenbezogene Daten
bb) Verbot automatisierter Einzelfallentscheidungen
cc) Offenlegung
b) Überprüfung und Zertifizierung
c) „Comply or Explain“ und „Naming and Shaming“
d) Digitalsteuer
e) Ausblick: Verbot von Microtargeting
E. Zusammenfassung von § 9
Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse
Einführung
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme
§ 2 Typologie der Täuschung
§ 3 Typologie der Manipulation
§ 4 Ethische Bewertung
§ 5 Ökonomische Bewertung
§ 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele
§ 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente
§ 8 Ex-ante-Regulierungsinstrumente
§ 9 Fallstudie: Digitale Manipulation
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Studien zum Privatrecht Band 108
Dominik Meier
Täuschung und Manipulation im Privatrecht Eine philosophisch-ökonomische Annäherung an die Regulierung von Beeinflussungen
Mohr Siebeck
Dominik Meier, geboren 1992; Studium der Rechtswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; 2016 Erste Juristische Prüfung; Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Erlangen; 2020 LL.M. (Yale Law School); 2021 Promotion (Erlangen); Rechtsreferendariat am Oberlandesgericht Nürnberg. Orcid.org/0000-0002-1088-2698
Gedruckt mit Unterstützung der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung und der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität, Diss., 2021 ISBN 978-3-16-161413-2 / eISBN 978-3-16-161414-9 DOI 10.1628/978-3-16-161414-9 ISSN 1867-4275 / eISSN 2568-728X (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Garamond gesetzt, in Tübingen auf alte r ungs beständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Für Alexandra
Vorwort Gegenstand meiner Untersuchung sind die Täuschung, die Manipulation und ihre privatrechtliche Regulierung. Die Arbeit stellt die auf den Stand Mai 2022 gebrachte Fassung meiner im Wintersemester 2021/22 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommenen Dissertation dar. Beim Denken gibt es bekanntlich eine Zeit des Pflügens und eine Zeit der Ernte. Meinem verehrten Doktorvater und akademischen Lehrer, Klaus Ulrich Schmolke, danke ich von ganzem Herzen dafür, dass er mir in so vielfältiger Weise geholfen hat, meine Denkmuster zu lockern. Er hat meine Leidenschaft für die Wissenschaft entfacht und mir die rechtsrealistische Forschung nähergebracht. Ohne seine fachliche Anleitung, seine Anregungen und seine Kritik wäre die Ernte ausgeblieben und diese Schrift nicht entstanden. Er wird mir immer ein Vorbild bleiben. Franz Hofmann danke ich für die Zweitbegutachtung der Arbeit, für den akademischen Diskurs und für wertvolle fachliche Hinweise. Mein Dank gilt zudem Guido Cala bresi und Daniel Markovits. Beide inspirierten mich während meines Studiums an der Yale Law School und zeigten mir auf, wie sich die Grenze der eigenen Wissenschaftsdisziplin überschreiten lässt. Der Studienstiftung des deutschen Volkes gebührt mein herzlicher Dank für die Förderung durch ein Promotionsstipendium, der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung sowie der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) für großzügige Druckkostenzuschüsse. Auch wenn diese Schrift von Täuschungen und Manipulationen handelt, ist die Welt doch voller aufrichtiger Menschen. Viele davon darf ich meine Freunde und Kollegen nennen: Milan Bayram, Micha Cless, Christopher Dean, Florian Eckert, Fabian Giersdorf, Caroline Langner, Konstantin Neubert, Christian Schmidt, Robin Schulz und Markus Weißenberger. Viele ungenannt Bleibende wissen, dass ihre unschätzbare Freundschaft und Unterstützung nicht weniger bedacht ist. Nicht entstanden wäre diese Schrift ohne die bedingungslose Unterstützung meiner Familie. Ich danke meiner Mutter und meinem Vater dafür, dass sie mich mein ganzes Leben mit voller Hingabe unterstützt haben. Zudem danke ich den Familien Arnold und Greff für Rückhalt und Liebe. Schließlich gilt mein tiefster Dank Alexandra, die meine liebende Gefährtin, weiseste Kritikerin und beste Freundin ist. Ihr ist diese Schrift gewidmet. Erlangen, im Mai 2022
Dominik Meier
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Ziel, Methode und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 C. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Teil I : Das Wesen der Täuschung und der Manipulation . . . . . 11 § 1 Funktionsweise der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Aristotelisch-thomanische Handlungstheorie . . . . . . . . . . . . 13 B. Menschenbild der Handlungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Zusammenfassung von § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 § 2 Typologie der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 A. Linguistische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 B. Täuschungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 C. Zusammenfassung von § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 § 3 Typologie der Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 A. (Weitere) Charakteristika der Manipulation . . . . . . . . . . . . . 75 B. Typologie der Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 C. Zusammenfassung von § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Teil II : Ethische und ökonomische Bewertung . . . . . . . . . . . . 87 § 4 Ethische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 A. Überblick über ethische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 B. Ansatzpunkte bei der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 C. Moralischer Unterschied zwischen Täuschung und Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 D. Manipulation: The Good, the Bad, and the Ugly . . . . . . . . . . 103 E. Zusammenfassung von § 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 5 Ökonomische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 A. Marktgleichgewicht und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
X
Inhaltsübersicht
B. Täuschungs- und Manipulationsprofit . . . . . . . . . . . . . . . . 117 C. Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht . . . . . . . . . . . 137 D. Zusammenfassung von § 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Teil III : Rechtliche Regulierung der Einflussnahme . . . . . . . . 149 § 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele . . . . . . . 151 A. Das Recht der Einflussnahme als Regulierungsrecht . . . . . . . . 151 B. Regulierungsziele im Recht der Einflussnahme . . . . . . . . . . . 154 C. Spielarten der Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . 159 D. Zusammenfassung von § 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 § 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A. Ökonomische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Sachverhaltsbeurteilung: Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 C. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 D. Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 E. Mitbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 F. Kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 G. Zusammenfassung von § 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 § 8 Ex-ante-Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 A. Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 B. Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 C. Offenlegung, Standardisierung, Verhaltensregeln . . . . . . . . . . 293 D. „Softe“ Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 E. Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 F. Zusammenfassung von § 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 § 9 Fallstudie: Digitale Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 A. Manipulation früher und heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 B. Das Phänomen der digitalen Manipulation . . . . . . . . . . . . . . 314 C. Ethische und ökonomische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . 327 D. Regulierungsherausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 E. Zusammenfassung von § 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse . . . . . . . . . . 347 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Ziel, Methode und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 C. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 I. Das Kontinuum der Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . 5 II. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Etymologische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 a) „Täuschung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) „Manipulation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . 8
Teil I : Das Wesen der Täuschung und der Manipulation . . . . . 11 § 1 Funktionsweise der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Aristotelisch-thomanische Handlungstheorie . . . . . . . . . . . . 13 I. Praktischer Syllogismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Praktischer Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Logik des praktischen Syllogismus? . . . . . . . . . . . . . 15 II. Zwecktrias („Threefold Division“) . . . . . . . . . . . . . . . . 16 III. Beeinflussung als Einwirkung auf Prämissen . . . . . . . . . . 17 1. Taxonomie der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 18 a) Passende Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 b) Nützliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 c) Angenehme Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2. Erste Konturen der Täuschung und Manipulation . . . . 21 B. Menschenbild der Handlungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Ideengeschichtlicher Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Rational Choice Theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Bounded Rationality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. „Heuristics and Biases“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. „Fast and Frugal Heuristics“ und ökologische Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Unterschiede, vor allem aber Gemeinsamkeiten . . . . . 30
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4. Heuristiken als Werkzeuge der Einflussnahme . . . . . . 31
a) Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 bb) Verwandte Heuristiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (1) Kontrasteffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (2) Verwässerungseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Konsistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 bb) Verwandte Heuristiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (1) Verfügbarkeitsheuristik, Rückschaufehler . . . . . 35 (2) Framing, Mental Accounting . . . . . . . . . . . . 36 (3) Ankereffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (4) Reihenfolgeeffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 (5) Repräsentativheuristik . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Soziale Bewährtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Sympathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 e) Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 f) Knappheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Verwandte Heuristiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
IV. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ . . . . . . . . . . 45 1. Dual Process Theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Kognitive Leichtigkeit und Ego-Depletion . . . . . . . . 47 C. Zusammenfassung von § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 § 2 Typologie der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 A. Linguistische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Die „Bedeutung“ sprachlicher Ausdrücke . . . . . . . . . . . 51 1. Semantik und Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Propositionale Gehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Schlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Semantische Implikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Präsupposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Explikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Implikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Nichterfüllen der Maximen . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Entstehen einer konversationellen Implikatur . . . . . . . . 59 d) Exkurs: Konventionelle Implikaturen . . . . . . . . . . . . 60
III. Schluss und Grad der Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Hinführung: Die illokutionäre Kraft . . . . . . . . . . . . 61 2. Grad der Verbindlichkeit der Schlüsse . . . . . . . . . . . 62 B. Täuschungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Allgemeine Täuschungsdefinition . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Unbeabsichtigte Täuschung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
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3. Exkurs: Behauptungen und das Überzeugen . . . . . . . 65 II. Semantische Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Wörtliche Falschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Falsche semantische Implikationen . . . . . . . . . . . . . 68 3. Falsche Präsuppositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 III. Pragmatische Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Falsche Explikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Falsche Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 IV. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Nicht-sprachliche Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Verstoß gegen das Kooperationsprinzip (Halbwahrheiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Verstoß gegen andere Normen (reines Unterlassen) . . . . . 73 c) Kein Verstoß gegen Normen (Selbsttäuschung) . . . . . . . 73
C. Zusammenfassung von § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 § 3 Typologie der Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 A. (Weitere) Charakteristika der Manipulation . . . . . . . . . . . . . 75 I. Umgehung oder Untergrabung der Rationalität? . . . . . . . 76 1. Rationale Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
a) Überzeugen als Urtyp rationaler Einflussnahme . . . . . . 77 b) Vergleich: Täuschung und Rationalität . . . . . . . . . . . 77 c) Vorläufiges Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
2. Umgehung der Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Untergrabung der Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Manipulation mittels propositionaler Aussagen . . . . . . . . 80 III. Dient die Manipulation negativen Zwecken? . . . . . . . . . . 80 IV. Manipulation und die freie Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 B. Typologie der Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Kognitive Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Affektive Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 C. Zusammenfassung von § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Teil II : Ethische und ökonomische Bewertung . . . . . . . . . . . . 87 § 4 Ethische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 A. Überblick über ethische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Deontologische Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
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II. Tugendethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Konsequentialistische Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 B. Ansatzpunkte bei der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Autonomie und Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
a) Kants Autonomiekonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Frankfurts Konzeption der Willensfreiheit . . . . . . . . . 94
2. Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Erosion kommunikativen Vertrauens . . . . . . . . . . . . 98 2. Konsequentialistische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 C. Moralischer Unterschied zwischen Täuschung und Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 D. Manipulation: The Good, the Bad, and the Ugly . . . . . . . . . . 103 I. „The Good“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. „The Bad“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 III. „The Ugly“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Machtbalancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Figurationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Unternehmer und Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . 107
2. Situatives Umfeld: Das „Business Game“ . . . . . . . . . 108
a) Die Spielregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Das Spielfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
E. Zusammenfassung von § 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 5 Ökonomische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 A. Marktgleichgewicht und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Marktgleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Kräfte des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Zwischenfazit und die Gefahren der Marktkräfte . . . . . . . 116 B. Täuschungs- und Manipulationsprofit . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Neoklassische Wohlfahrtsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Nachfrager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Preismechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Gütermarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
II. Täuschungs- und Manipulationsprofit . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Informationsasymmetrien, biases und Marktversagen . . 123 2. Täuschung und Manipulation als opportunistisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
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III. Wohlfahrtsanalyse unter dem Eindruck einer Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Wahrgenommener Nutzen höher als tatsächlicher Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Wahrgenommenes Risiko geringer als tatsächliches Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Wahrgenommener Preis geringer als tatsächlicher Preis . 129 4. Preismechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Gütermarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
IV. Soziale Kosten der Täuschung und Manipulation . . . . . . . 133 1. Fehlallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Mitbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Kosten für die Durchführung der Einflussnahme . . . . 134 4. Vorsorgeaufwendungen aufgrund eines Vertrauensverlusts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5. Ressourcenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6. Verteilungsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 C. Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht . . . . . . . . . . . 137 I. Nochmals: Die „natürliche Selektion“ des Wettbewerbs . . . 137 II. Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht . . . . . . . . . 138 1. Hansons und Kysars „Market Manipulation“ . . . . . . . 138 2. Akerlofs und Shillers „Phishing Equilibrium“ . . . . . . . 139 3. Fazit: Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht . . 141 III. Marktlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Lerneffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
a) Lernen und (Lebens-)Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Grenzen des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
2. Reputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Aufklärung und Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 D. Zusammenfassung von § 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Teil III : Rechtliche Regulierung der Einflussnahme . . . . . . . . 149 § 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele . . . . . . . 151 A. Das Recht der Einflussnahme als Regulierungsrecht . . . . . . . . 151 I. Rechtsgebietsübergreifender Blick . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Methodische Hindernisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 III. Begriff und Ziele der Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Regulierungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Regulierungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 B. Regulierungsziele im Recht der Einflussnahme . . . . . . . . . . . 154 I. Gewährleistung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . 154
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1. Von der Willkür des Einzelnen … . . . . . . . . . . . . . . 154 2. … über den Vertrauens- und Verkehrsschutz … . . . . . 155 3. … zur Steuerungsfunktion der Willkür . . . . . . . . . . 156 II. Wohlfahrtsmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Institutionenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Vertrauen im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 C. Spielarten der Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Ex-ante- und Ex-post-Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Private und staatliche Initiierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 D. Zusammenfassung von § 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 § 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A. Ökonomische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Wohlfahrtsschädlich oder wohlfahrtsförderlich? . . . . . . . 165 1. Unbeabsichtigte Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . 165
a) Zwei-Personen-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Masseneinflussnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Risiko-Nutzen-Analyse: Mikroabwägung . . . . . . . 168 bb) Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Vorweg: Dogmatische Einkleidung . . . . . . . . . . . 173
2. Absichtliche Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Soziale Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Fehlallokationen und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Beachtlichkeit von Umverteilungsschäden . . . . . . . . . 177
a) Umverteilung zwischen Einflussnehmer und Adressaten . . 177 b) Umverteilung zwischen den Marktteilnehmern . . . . . . . 178
IV. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 B. Sachverhaltsbeurteilung: Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Feststellung einer Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. An die Täuschung anknüpfende Rechtsregeln . . . . . . . 182 2. Hinführung: Erklären und Verstehen . . . . . . . . . . . 182 3. Interpretativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
a) Die Kunst der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Interpretationsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Interpretationsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Semantische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Pragmatische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . 189 cc) Die Gefahr der Hase-Ente-Illusion . . . . . . . . . . . 191 dd) Grad der Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Wahl der Interpretationsregel . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Formale und materielle Realisierbarkeit . . . . . . . . . 194 bb) Verhaltenssteuernde Wirkung . . . . . . . . . . . . . . 196
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cc) Kommunikative Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . 197 e) Interpretationsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
4. Effektbasierter Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Festzustellender Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Informationelle Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Mittelbare Täuschungseffekte . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Evidenzbasierte Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 aa) Demoskopische Befragungen . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Experimentelle Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Ereignisstudien (event studies) . . . . . . . . . . . . . . 206 dd) Wesentlichkeitsschwelle, oder: „Irreführungsquote“ . . 207 c) Erfahrungsgestützte Feststellung . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Alltagspsychologische Beobachtungen . . . . . . . . . 208 bb) Wissenschaftliche Theorien und Hypothesen . . . . . . 209 d) Vor- und Nachteile der Feststellungsarten . . . . . . . . . 209
5. Konstruktiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
a) Abgrenzung zwischen Interpretation und Konstruktion . . 211 aa) „Interpretation“ und „Construction“ im US-Recht . . 211 bb) Konstruktion im Rahmen der Sachverhaltsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Maßfiguren und normative Konstruktion . . . . . . . . . . 214 aa) Maßfiguren als Maßstäbe für eine normative Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Konturen der Maßfiguren: Mikroabwägung . . . . . . 216 c) Pragmatische Täuschung und Irreführungsquote . . . . . . 218 aa) Pragmatische Bedeutungsgehalte . . . . . . . . . . . . 218 bb) Irreführungsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 d) Verhältnis zum interpretativen und effektbasierten Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
II. Feststellung einer Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. An die Manipulation anknüpfende Rechtsregeln . . . . . 221 2. Feststellung einer Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Defizite einer Ex-Post-Regulierung der Manipulation . . 223 a) Heterogenität der Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Wissensproblem der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Eingeschränkte Lernfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 225 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
4. Besonders verwerfliche Manipulation . . . . . . . . . . . 226 III. Fazit zur Sachverhaltsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 227 C. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Transaktionskausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Preiskausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Gütermarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Wettbewerbliche Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 D. Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
XVIII
Inhaltsverzeichnis
1. Rechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
a) Unwirksamkeit nach § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Vorsatznachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
2. Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
a) Verlust des Täuschungs- oder Manipulationsprofits . . . . 242 b) Neue Chance für eine Pareto-Verbesserung . . . . . . . . . 243
II. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Täuschung und Manipulation als Pflichtverletzung . . . 244 a) Vertragliche Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Vorvertragliche Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 c) Deliktische Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Ressourcenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 bb) Vermögen als solches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 cc) Spezialgesetzliche Kapitalmarktpflichten . . . . . . . . 250 dd) Lauterkeitsrechtliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . 251 ee) Mittelbare Schädigungen und Schutzzweckzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
2. Ersatzfähiger Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
a) Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Vertragsabschlussschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Konkurrenzverhältnis von c.i.c. und Anfechtung . . . . 257 bb) Mittelbare Schädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) Entgangener Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 d) „Kleiner Schadensersatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 aa) Wesen und Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 bb) Beispiel: „Dieselskandal“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 cc) Transaktionskausalität erforderlich? . . . . . . . . . . . 262
3. Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Wirtschaftliches Eigeninteresse des Einflussnehmers . . . . 264 aa) Im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 bb) Kapitalmarktinformationshaftung . . . . . . . . . . . . 265 b) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
E. Mitbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Abwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Täuschungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
a) „Durchschnittsverbraucher“ und Mikroabwägung . . . . . 269 b) § 5 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Unwahre Angaben und Täuschungseignung . . . . . . 271 c) §§ 5a, 5b UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) § 5a UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 bb) § 5b UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
2. Manipulationstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
Inhaltsverzeichnis
XIX
3. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . 275 4. Steuerungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) „Naming and Shaming“ im Lauterkeitsrecht? . . . . . . . . 277
II. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. § 9 Abs. 1 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Entgangener Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Marktentwirrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
2. Allgemeines Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 F. Kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 I. Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Exkurs: Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG . . . . . . 283 II. Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 G. Zusammenfassung von § 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 § 8 Ex-ante-Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 A. Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 I. Klassisches Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 II. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 B. Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 C. Offenlegung, Standardisierung, Verhaltensregeln . . . . . . . . . . 293 I. Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Klarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Greenwashing auf dem Finanzmarkt . . . . . . . . . . . . 296 II. Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 1. Warnhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Werbemaßnahmen von Wertpapierfirmen . . . . . . . . . 301 D. „Softe“ Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I. (Regulierte) Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Selbstregulierung mit Steuerungswirkung . . . . . . . . . 303 2. „Comply or Explain“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 II. Naming and Shaming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 E. Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 I. Pigou-Steuer als Steuerungsinstrument . . . . . . . . . . . . . 308 II. Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 F. Zusammenfassung von § 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 § 9 Fallstudie: Digitale Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 A. Manipulation früher und heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 B. Das Phänomen der digitalen Manipulation . . . . . . . . . . . . . . 314 I. Datensammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 II. Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. Profiling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
XX
Inhaltsverzeichnis
2. Algorithmische Identifizierung kognitiver Schwachstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Algorithmen und künstliche Intelligenz . . . . . . . . . . . 318 b) Maschinelle Manipulation: „The End of Theory“ . . . . . . 319
III. Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1. Microtargeting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 2. „Dark Patterns“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 3. Adaptive Entscheidungsarchitektur . . . . . . . . . . . . . 325 4. Vorteile digitaler Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . 325 C. Ethische und ökonomische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . 327 I. Ethische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II. Ökonomische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 D. Regulierungsherausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I. Täuschung oder Manipulation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 II. Abschied vom durchschnittlichen Verbraucher? . . . . . . . . 330 1. Der verletzliche Verbraucher als Regelfall . . . . . . . . . 330 2. Verletzlichkeit als situatives Konzept . . . . . . . . . . . . 332 III. Durchsetzungsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 IV. Nachweis einer Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Feststellung einer Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Evidenzbasierte Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 b) Erfahrungsgestützte Feststellung . . . . . . . . . . . . . . 334
2. Nachweis eines Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . 335 3. Darlegungs- und Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . 335 V. Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Ex-post-Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Bürgerlich-rechtliches Instrumentarium . . . . . . . . . . 337 b) Lauterkeitsrechtliches Instrumentarium . . . . . . . . . . . 338
2. Ex-ante-Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 a) Instrumentarium der DSGVO . . . . . . . . . . . . . . . . 340 aa) Personenbezogene Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 bb) Verbot automatisierter Einzelfallentscheidungen . . . . 341 cc) Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 b) Überprüfung und Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . 342 c) „Comply or Explain“ und „Naming and Shaming“ . . . . . 343 d) Digitalsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 e) Ausblick: Verbot von Microtargeting . . . . . . . . . . . . 345
E. Zusammenfassung von § 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse . . . . . . . . . . 347 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 § 1 Funktionsweise der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 § 2 Typologie der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
Inhaltsverzeichnis
§ 3 § 4 § 5 § 6 § 7 § 8 § 9
XXI
Typologie der Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Ethische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Ökonomische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele . . . . 351 Ex-post-Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Ex-ante-Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Fallstudie: Digitale Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Preisbildung auf dem Gütermarkt Abbildung 2: Preisbildung auf dem Kapitalmarkt Abbildung 3: Einflussnahme auf dem Gütermarkt Abbildung 4: Einflussnahme auf dem Kapitalmarkt Abbildung 5: Spielarten der Regulierungsmittel Abbildung 6: Hase-Ente-Illusion Abbildung 7: Grad der Verbindlichkeit
120 122 130 132 159 192 193
Einführung Nach Machiavelli, dem großen florentinischen Staatsphilosophen des 16. Jahrhunderts, haben „gerade diejenigen Fürsten Großes geleistet […], die Glaubwürdigkeit gering schätzten und die mit Hinterlist den Menschen die Köpfe zu vernebeln wussten“.1 Was für italienische Fürsten galt, hat auch ein halbes Millennium später nicht an Bedeutung verloren. Die Herrschaft des Einzelnen ist abgeschafft, neue Mächte finden sich im Wirtschaftsleben. Der „Machiavellismus“, eine von moralischen Bedenken freie Kunst, bei der der Zweck jedes Mittel heiligt,2 hat Eingang in die Unternehmenskultur gefunden, was zahlreiche US-amerikanische Managementratgeber belegen.3 Man muss nicht über den Atlantik blicken, um die Früchte dieser Strategie zu sehen. Deutschland hatte 2020 seinen eigenen „Enron-Skandal“, als die Bilanzfälschung der Wirecard AG ans Licht kam und infolgedessen über 13 Milliarden Euro an Börsenwert verbrannt wurden. Auch abseits des Börsenparketts nehmen Akteure täglich auf das wirtschaftliche Entscheidungsverhalten anderer Einfluss. Die „Hidden Persuaders“, wie Vance Packard bereits 1957 die Werbeindustrie bezeichnete,4 nutzen die unvollkommene Rationalität der Konsumenten aus, manipulieren ihre Präferenzen und erhöhen so die Nachfrage nach Gütern auf ein künstliches, wohlfahrtsschädliches Niveau. Gegenstand dieser Untersuchung sind die Täuschung, die Manipulation und ihre privatrechtliche Regulierung. Ihr Ziel ist es, die mannigfaltigen Formen strategischer Beeinflussung zwischen Privatrechtssubjekten außerrechtlich zu konzeptualisieren, moralisch und ökonomisch zu bewerten und die gewonnenen Konzepte für die Rechtsanwendung und Rechtsetzung fruchtbar zu machen.
1 Machiavelli, Der Fürst, 2019 (1532), Kapitel XVIII 1, S. 133. Zur Interpretation des Werkes gibt es unzählige Theorien, vgl. hierzu Berlin, Against the Current, 1980, S. 25 ff. 2 S. die Begriffsdefinition bei Groh, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 26. Ed. 2021, „Machiavelli, Niccolò“. 3 Zu den Werken, von denen viele von zweifelhafter Qualität sind, zählen beispielsweise Buskirk, Modern Management and Machiavelli, 1974; Griffin, Machiavelli on Management, 1991; Gunlicks, The Machiavellian Manager’s Handbook for Success, 2000; Borger, The Corporate Prince, 2002. S. kritisch zum Machiavellismus und moderner Unternemehnsführung Galie/ Bopst, 65 J. Bus. Ethics 235, 236 (2006), ebd. in Fn. 9 finden sich Verweise auf weitere Werke. 4 Packard, The Hidden Persuaders, 2007 (1957). Das Buch schließt auf S. 220 mit einer wichtigen Frage: „But when you are manipulating, where do you stop? Who is to fix the point at which manipulative attempts become socially undesirable?“
2
Einführung
A. Ziel, Methode und Grenzen Trotz zahlreicher Schriften in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die die Täuschung und die Manipulation zum Gegenstand haben, fehlt es an einer Gesamtdarstellung, welche die unterschiedlichen Ansätze zusammenführt. Die Untersuchung möchte diese Lücke schließen. Die Rechtswissenschaft eignet sich hierfür im Besonderen, weil sie interdisziplinär sein muss. Es ist nicht möglich, das Rechtssystem ohne Rückgriff auf andere Sozialwissenschaften zu verstehen.5 Rechtsregeln und Dogmen dienen der Wirklichkeit und liefern Strukturen für die Lösung gesellschaftlicher Probleme. 6 Diese Untersuchung versteht das Recht daher funktional und steht im Gegensatz zu formalistischen Ansätzen.7 Dabei sollen die Täuschung, die Manipulation und das damit zusammenhängende „Recht der Einflussnahme“ nicht allein durch das Prisma einer bestimmten Theorie untersucht werden. Für verschiedene Fragen bieten unterschiedliche Disziplinen einen Erkenntnisgewinn. Deshalb ist diese Untersuchung breitgefächert und rezipiert Erwägungen aus der Philosophie, Psychologie, Ökonomik und der Linguistik. Bei einem Experten dieser Disziplinen mag die Analyse dieser Untersuchung mitunter Störgefühle auslösen. Das ist für die Zwecke dieser Untersuchung aber unschädlich. Rechtswissenschaftler unterliegen nicht den selbstauferlegten Grenzen anderer Disziplinen. Man geht über sie hinaus, verbindet sie mit anderen Erkenntnissen und kommt am Ende zu einer unvollkommenen, aber für die Zwecke des Rechts funktionalen Lösung.8 5 Dershowitz, 1 Nw. Interdisc. L. Rev. 3 (2008). Er zieht auch einen passenden Vergleich: „Law without interdisciplinary input is like a beautiful wine decanter without the wine.“, ebd. S. 5. S. auch Calabresi, 55 Stan. L. Rev. 2113, 2120 (2003) „Its strength lay in the fact it could gather together the wisdom (and values) of as many of these fields as were relevant to the issue at hand into one complex and, by tradition, rigorous system.“ 6 Vgl. Dershowitz, 1 Nw. Interdisc. L. Rev. 3 (2008). S. auch Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, S. 20 f.: „Dogmatik ist danach die systeminterne Fassung einer Komplexität, die als Einheit nur vorstellbar wird, wenn man das Rechtssystem auf seine gesellschaftliche Umwelt bezieht.“ 7 S. zum funktionalen Ansatz Pound, An Introduction to the Philosophy of Law, 1922, S. 91: „Attention was turned from the nature of law to its purpose, and a functional attitude, a tendency to measure legal rules and doctrines and institutions by the extent to which they further or achieve the ends for which law exists, began to replace the older method of judging law by criteria drawn from itself.“ Vgl. zu formalistischen Ansätzen Austin, The Province of Jurisprudence Determined, 2001 (1832); Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 1: Die reine Rechtslehre „will die Rechtswissenschaft von allen ihr fremden Elementen befreien.“; Raz, The Authority of Law: Essays on Law and Morality, 1979; Weinrib, The Idea of Private Law, 2012 (1995). Letzterer hat auf S. 6 einen schönen Vergleich zwischen Liebe und Privatrecht gezogen, der die Programmatik des Formalismus beschreibt: „Explaining love in terms of extrinsic ends is necessarily a mistake, because love does not shine in our lives with the borrowed light of an extrinsic end. Love is its own end. My contention is that, in this respect, private law is just like love.“ 8 Dieser Ausspruch stammt von Calabresi, 55 Stan. L. Rev. 2113, 2120 (2003) und lautet im Original: „Because of this, the legal scholar did not need to feel bound by the self-imposed limits of the underlying disciplines, however useful they might be for the practitioners of that discipline. He or she must, instead, follow the insights of these disciplines beyond the points where the economist, sociologist, etc., would go, meld them with those of other disciplines, and come up with
B. Gang der Untersuchung
3
Da es vermessen wäre, in einer Untersuchung sämtliche Problemkreise des Rechts der Einflussnahme darbieten zu wollen, begrenzt sich die Untersuchung auf einen Ausschnitt des Privatrechts und flankierende öffentlich-rechtliche Regulierungsformen. Als Referenzgebiete dienen das Bürgerliche Recht, das Kapitalmarktrecht und das Lauterkeitsrecht. Gewicht wird auf die Analyse der rechtlichen Strukturen und der übergreifenden Prinzipien gelegt, wobei der Blick zwischen dem Recht, „so wie es ist“ und dem Recht, „so wie es sein soll“, hin- und herwandert.9 Obwohl auch Strafen und Sanktionen geeignete Mittel zur Regulierung von Einflussnahmen darstellen, bleiben sie weitgehend außer Betracht. Die analytischen und ökonomisch-philosophischen Erkenntnisse der Untersuchung mögen zwar auch der Strafrechtswissenschaft dienlich sein. Die Eigentümlichkeit des deutschen Strafrechts, das durch verfassungsrechtliche Grundsätze wie lex scripta et certa geprägt wird – deren Wichtigkeit hier nicht in Frage gestellt sein soll –, setzt dieser Untersuchung aber methodische Schranken, die einer gesonderten monographischen Aufarbeitung bedürften. Auch eine verfassungsrechtliche Analyse findet sich in dieser Untersuchung nicht. Weiterhin sei bereits jetzt angemerkt, dass die Untersuchung, obwohl ein Schwerpunkt in der Analyse der Täuschung liegt, keine Antworten auf die Frage nach dem Wesen der Wahrheit geben kann. Wahrheit ist ein undefinierbares Konzept.10 Mehr ist damit gewonnen, mit ihr zusammenhängende Konzepte, vor allem das der „Bedeutung“ und ihrer zwischenmenschlichen Vermittlung, zu beleuchten.11
B. Gang der Untersuchung Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil werden zunächst die Täuschung und die Manipulation außerrechtlich konzeptualisiert. Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine aristotelisch-thomanische Handlungstheorie, die den Wirkmechanismus einer Beeinflussung aufzeigen kann (§ 1). Das gelingt zwar nicht mit naturwissenschaftlicher Präzision. Gleichwohl bietet das Modell, nach einer Anreicherung mit verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen, eine für diese Untersuchung ausreichende Aussagekraft. Die Handlungstheorie dient als Grundlage highly imperfect—but perhaps the best available—guidelines for reforming (or confirming) the legal system in its attempt to serve the current needs of the people.“ 9 Die Formulierungen „so wie es ist“ und „so wie es sein sollte“ stammen aus der reinen Rechtslehre von Kelsen und wurden hier, zugegeben, einer anderen Bedeutung zugeführt. Kelsen wollte damit die Unterschiedlichkeit von Recht und Moral ausdrücken, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960 et passim. 10 Davidson, 93 J. Philos. 263, 265 (1996): „[W]e cannot hope to underpin it with something more transparent or easier to grasp. Truth is, as G. E. Moore, Bertrand Russell, and Gottlob Frege maintained, and Alfred Tarski proved, an indefinable concept. This does not mean we can say nothing revealing about it: we can, by relating it to other concepts like belief, desire, cause, and action. Nor does the indefinability of truth imply that the concept is mysterious, ambiguous, or untrustworthy.“ 11 Vgl. zu dieser Vorgehensweise Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 63.
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Einführung
für die Erarbeitung einer Typologie der Täuschung und der Manipulation. Ludwig Wittgenstein schreibt in seinem Tractatus: „Die Sprache verkleidet den Gedanken.“12 Gedanken sind es, die Menschen durch sprachliche Äußerungen kommunizieren. Wenn Sprache nicht nur Kleid, sondern gar Verkleidung des Gedankens ist, nimmt es nicht wunder, dass sie Quelle aller Missverständnisse ist. Wenn ein Akteur Gedanken bewusst verkleidet, spricht man von einer Täuschung. Die Täuschung, unter die auch die sog. „Irreführung“ fällt, ist so verstanden vor allem13 ein sprachliches Phänomen, weshalb mithilfe der Linguistik und Sprachphilosophie ihr Wesen nachgezeichnet wird (§ 2). Anders verhält es sich mit der Manipulation. Diese nutzt nicht (nur) Sprache als Vehikel. Das kennzeichnende Merkmal der Manipulation liegt darin, dass sie die Vernunft der beeinflussten Person untergräbt und das Irrationale und Affektive anspricht (§ 3). Unter Zugrundelegung kognitionspsychologischer Forschung wird sich zeigen, dass Manipulatoren die Einflussnahme vor allem durch eine Ausnutzung von Heuristiken bewerkstelligen. Die bislang analytische Vorgehensweise der Untersuchung kommt zunächst noch ohne eine normative Bewertung der Täuschung und der Manipulation aus. Diese wird im zweiten Teil der Untersuchung nachgeholt. Zunächst erfolgt eine moralische Bewertung. Ohne sich einem ethischen Ansatz zu verpflichten, werden die neuralgischen Punkte der Täuschung und Manipulation – die Beeinträchtigung der Autonomie und Würde des Adressaten, die Erosion von Vertrauen – einer deontologischen, tugendethischen und konsequentialistischen Kontrolle unterzogen (§ 4). Dem schließt sich eine ökonomische Analyse an, die sich dem Schwerpunkt der Untersuchung nähert: Täuschungen und Manipulationen zwischen Rechtssubjekten im Wirtschaftsleben (§ 5). Die beiden Wirtschaftsnobelpreisträger George A. Akerlof und Robert Shiller haben in ihrem Buch Phishing for Phools erst vor Kurzem auf die zunehmende Gefahr von Täuschungen und Manipulationen in der freien Marktwirtschaft aufmerksam gemacht.14 Die Beeinflussungsstrategien führen zu Wohlfahrtsverlusten, derer auch die Selbstheilungskräfte des Marktes nicht Herr werden können. Der dritte Teil der Untersuchung beschäftigt sich schließlich mit der Regulierung von Täuschungen und Manipulationen im Privatrecht, also mit dem „Recht der Einflussnahme“ (§ 6). Das Recht ist eine institutionelle Verkörperung eines außerrechtlichen Richtigkeitsmaßstabs.15 Seine Aufgabe ist es, das Verhalten der Rechtsunterworfenen so zu steuern, dass die „Krankheitsfälle“,16 die die Rechtsge-
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Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 1922, 4.002. Aber nicht nur. Es existieren auch nicht-sprachliche Täuschungen, vgl. unten S. 71 f. 14 Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015. 15 Frei nach Habermas Ausspruch, das Recht sei eine Verkörperung institutioneller Rationalität, s. Habermas, Überlegungen zum evolutionären Stellenwert des modernen Rechts, in: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, 1976, S. 260 ff. 16 Llewellyn, 49 Yale L. J. 1355, 1375 f. (1940); Rehbinder, Rechtssoziologie, 8. Aufl. 2014, § 6 Rn. 97. 13
C. Vorüberlegungen
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meinschaft durch Täuschungen und Manipulationen erleidet – Eingriffe in die Autonomie und Würde der Adressaten sowie die Senkung der sozialen Wohlfahrt – vermieden werden.17 Diese Steuerungswirkung gelingt dem Recht auf zwei Wegen: einerseits, indem es den Betroffenen Ansprüche gegen den Täuschenden oder Manipulator gewährt, die anhand der Referenzgebiete des Bürgerlichen Rechts, des Kapitalmarktrechts und des Lauterkeitsrechts aufgezeigt werden (§ 7). Diese Regulierung erfolgt ex post, weshalb Gerichte als „Policymaker“ in der ersten Reihe18 zunächst das Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation beurteilen müssen. Hierfür stehen den Gerichten verschiedene Ansätze zur Verfügung, die auf den Erkenntnissen der ersten beiden Teile der Untersuchung fußen. Andererseits ist auch eine Regulierung ex ante möglich, die es unternimmt, bereits der Entstehung von Täuschungen und Manipulationen durch eine geeignete Anreizsetzung entgegenzuwirken (§ 8). Schließlich stellen digitale Formen der Beeinflussung das Recht der Einflussnahme vor neue Herausforderungen. Deshalb werden im Anschluss, anhand einer Fallstudie zur „digitalen Manipulation“, die Forschungsergebnisse überprüft (§ 9). Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse.
C. Vorüberlegungen Gegenstand dieser Untersuchung sind zwei Instrumente aus dem Werkzeugkasten der Beeinflussungsstrategien: die Täuschung und die Manipulation. Bevor die Untersuchung beginnen kann, werden die beiden Strategien zur besseren Orientierung auf dem Kontinuum möglicher Beeinflussungsformen eingeordnet (I.) und erhalten durch eine etymologische Annäherung erste konzeptuelle Konturen (II.). I. Das Kontinuum der Beeinflussung Die Beeinflussung lässt sich als ein Kontinuum verstehen.19 An einem Pol des Kontinuums findet sich der normative Fluchtpunkt unserer Gesprächskultur, das rationale „Überzeugen“. Hierbei führt der Akteur objektive Gründe an, die „für jedermann gültig [sind], sofern er nur Vernunft hat“, 20 d. h. er appelliert an die rationale Seite seines Gegenübers mit dem „zwanglose[n] Zwang des besseren Arguments“.21 17 Der Rechtssoziologe Llewellyn, 49 Yale L. J. 1355, 1376 (1940) spricht hier von „preventive channeling“. 18 Rose-Ackerman, Rethinking the Progressive Agenda, 1993, S. 118: „I now consider [judges] as ‘front-line’ policymaker using the […] law of torts, contracts, and property to influence private behavior.“ 19 Grant, Strings Attached, 2011, S. 49; Fischer, Manipulation, 2017, S. 53. 20 Kant, KrV B, S. 848. 21 Habermas, Wahrheitstheorien, in: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, 1995, S. 127, 144, 161.
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Einführung
Auf der anderen Seite des Kontinuums findet sich der Zwang22 in seinen verschiedenen Erscheinungen: Einschüchterung, Nötigung, Drohung oder Gewalt.23 Anders als die Überzeugung versucht der mit Zwang Handelnde eigene Ziele unabhängig vom Einverständnis des Gegenübers zu erreichen, indem er ihn in seiner Freiheit einschränkt. Zwischen diesen beiden Polen liegen Einflussnahmestrategien, die unter vielen Namen firmieren: Lüge, Irreführung, List, Farce, Finte, Trug, Täuschung, Verführung, Manipulation. Ihnen ist gemein, dass sie nicht in gleicher Weise an die rationalen Fähigkeiten des Gegenübers appellieren wie das Überzeugen. Die Mittel hierfür unterscheiden sich. Es werden unwahre Tatsachen ausgesprochen, Halbwahrheiten geäußert oder mit der Ratio nicht fassbare Affekte des Gegenübers angesteuert. Die Schwelle zum Zwang überschreiten sie nicht, da dem Adressaten – zumindest theoretisch – die freie Wahl erhalten bleibt. II. Grundbegriffe Die Begriffe „Täuschung“ und „Manipulation“ werden sowohl in der Alltagssprache als auch in der Philosophie und Rechtswissenschaft in unterschiedlicher Weise verwendet.24 Sie sind normativ aufgeladen und wecken nicht selten negative Assoziationen.25 Um die Konturen der Täuschung und Manipulation für die spätere ethische, ökonomische und rechtliche Analyse mit einiger Präzision herausarbeiten zu können, sollte man sich zunächst von Vorannahmen und Vorwissen über das Wesen dieser Typen frei machen. So kann man sich gewissermaßen „theorielos“ dem Untersuchungsgegenstand nähern 26 und ihn für die weitere wissenschaftliche Diskussion anschlussfähig machen. Die Täuschung und die Manipulation sind als Beeinflussungsformen soziale Phänomene, die einer naturwissenschaftlichen Beschreibung nicht zugänglich sind. Ihre Beschreibung kann nur typologisch erfolgen.27 Eine Typenbildung ermöglicht es, die Komplexität dieser vielschichtigen Phänomene zu reduzieren, indem sie bestimmte Elemente aus der Wirklichkeit abstrahiert.28 Dadurch lassen sich die Un-
22 Am bekanntesten ist Robert Nozicks Konzeption von Zwang, s. Nozick, in: Morgenbesser/ Suppes/White (Hrsg.), Philosophy, Science, and Method, 1969, S. 440. 23 Fischer, Manipulation, 2017, S. 13. 24 Vgl. zur Manipulation Fischer, Manipulation, 2017, S. 26 ff. 25 Paganini, 52 Communicatio Socialis 67 (2019). 26 „Die Idee sitzt gleichsam als Brille auf unsrer Nase, und was wir ansehen, sehen wir durch sie. Wir kommen gar nicht auf den Gedanken, sie abzunehmen.“, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 2003 (1953), § 103. 27 S. zur Manipulation auch Fischer, Manipulation, 2017, S. 31 ff., der eine nachvollziehbare Taxonomie für die Manipulation entwickelt hat. Auf seine Konzeption wird im Laufe der Untersuchung wiederholt zurückzukommen sein. 28 S. grundlegend zur Typologie Menger, Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Oekonomie insbesondere, 1883.
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terschiede beider Typen aufdecken. Ausgangspunkt für eine solche Explikation, die im Folgenden nur angestoßen wird und im Laufe der Untersuchung immer weiter voranschreitet, ist der allgemeine Sprachgebrauch.29 Hierbei ist zunächst ein Blick auf die Etymologie der Begriffe zu richten (1). Dadurch ergeben sich erste Hinweise auf die Unterscheidungsmerkmale beider Beeinflussungstypen (2). 1. Etymologische Annäherung a) „Täuschung“ Der Begriff „Täuschung“ existierte in seiner Verbform tūschen bereits im Mittelniederdeutschen. Die Herkunft des Begriffs ist jedoch völlig unklar.30 Vom Wortstamm tūschen leitet sich auch „tauschen“ ab, obgleich die Bedeutung „betrügen“, „lügen“ oder „betrügerisch aufschwatzen“ früher bezeugt ist.31 Im Mittelhochdeutschen hat sich dann die Verbform tiuschen und im Spätmittelhochdeutschen das Substantiv teuscherei („Blendwerk“) etabliert.32 Der Begriff „Täuschung“ existiert seit dem 18. Jahrhundert mit der heutigen Bedeutung.33 Die Lexika sprechen hier von jemanden (auch fahrlässig) „irreführen“, eine Person „veranlassen, etwas zu glauben […], was nicht wahr ist“, „einen falschen Eindruck vermitteln“ oder jemanden (unter anderem „mit einer Behauptung“) „zu einer bestimmten Reaktion […] verleiten“, die der Täuschende „dann zum eigenen Vorteil ausnutzt“.34 b) „Manipulation“ Seinen etymologischen Ursprung hat der Begriff „Manipulation“ in den lateinischen Wörtern manus („Hand“) und plere („füllen“), die zusammen manipulus, also „(eine) Handvoll“ bedeuten.35 Im mittelalterlichen Latein umfasste die Semantik der Verbform manipulare auch „handhaben“ und „an der Hand führen“ im Sin-
29 „By the procedure of explication we mean the transformation of an inexact prescientific concept, the explicandum, into a new exact concept, the explicatum. […] The explicandum may belong to everyday language.“, Carnap, Logical Foundations of Probability, 1962, S. 3. 30 Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1989 „tauschen“, S. 723 f. 31 Eine klare Trennung zwischen „täuschen“ und „tauschen“ existiert erst im Neuhochdeutschen, Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1989 „tauschen“, S. 723 f.; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1981, „tauschen“, S. 2570 f. 32 Halbfass, in: Ritter/Gründer/Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017, „Täuschung“; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1981, „täuschen“, S. 2570. 33 Halbfass, in: Ritter/Gründer/Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017, „Täuschung“. 34 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1981, „täuschen“, S. 2570. 35 Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1989 „Manipulation“, S. 459.
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ne einer Hilfeleistung gegenüber Schwächeren.36 Seinen Eingang in die deutsche Sprache hat der Begriff im 18. Jahrhundert durch die französische Form manipulation („Handhabung“) gefunden.37 Gemeint war damit vor allem die geschickte Handhabung im technisch-praktischen Sinne, etwa von Destillateuren und Pharmazeuten.38 Im heutigen Sprachgebrauch hat Manipulation die Bedeutung eines „undurchschaubare[n], geschickte[n] Vorgehen[s], mit dem man sich einen Vorteil verschafft [oder etwas] Begehrtes gewinnt“.39 Sie wird als betrügerisch, geschickt, geheim oder als Kunstgriff charakterisiert.40 Manipulation als Verhaltensbeeinflussung wurde erst in den 1950er-Jahren Teil des Bedeutungsgehalts, nachdem (englischsprachige) Behavioristen wie B. F. Skinner den Begriff im Rahmen der Konditionierung etabliert hatten.41 Die heutige negative Konnotation ist wohl unter dem Eindruck der Frankfurter Schule,42 ihrer Kritik der Massenmedien und der Studierendenproteste der 1960er-Jahre entstanden.43 2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede Die Semantik beider Begriffe weist Überschneidungen auf. Sowohl die Täuschung als auch die Manipulation werden als ein Vorgehen beschrieben, durch das sich eine Person einen Vorteil auf Kosten einer anderen verschafft. Es handelt sich bereits begrifflich um interpersonale Phänomene, die mindestens zwei Beteiligte voraussetzen: Den Täuschenden bzw. den Manipulator und den Getäuschten bzw. den Manipulierten, die auf irgendeine Weise in Kontakt treten. In der Untersuchung wird bei dem Täuschenden und Manipulator allgemein von einem Einflussnehmer, bei dem Getäuschten oder Manipulierten von einem Adressaten die Rede sein. In der Begriffsgenese der Täuschung hat sich ein Kriterium herauskristallisiert, welches bei der Manipulation nicht unmittelbar erscheint. Eine Täuschung vermittelt dem Adressaten eine Vorstellung, die nicht wahr ist bzw. einen falschen Eindruck erweckt. Bei der Täuschung geht es somit um die Übermittlung propositionaler Inhalte. Eine Proposition ist der Inhalt, der durch eine Aussage vermittelt
36 Dahme, in: Ritter/Gründer/Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017, „Manipulation“. 37 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1978, S. 1730; Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, „Manipulation“, S. 459. 38 Fischer, Manipulation, 2017, S. 37. 39 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1978, „Manipulation“, S. 1730; „Manipulation“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/Manipulation. 40 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1978, „Manipulation“, S. 1730. 41 Dahme, in: Ritter/Gründer/Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017, „Manipulation“; Fischer, Manipulation, 2017, S. 38. 42 S. für einen Überblick über die Frankfurter Schule und über die Manipulation durch Massenmedien Petryszak, 27 J. Commun. 32 (1977). 43 Vgl. Dahme, in: Ritter/Gründer/Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017, „Manipulation“; Fischer, Manipulation, 2017, S. 38.
C. Vorüberlegungen
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wird, ein „eingefrorener Gedanke“.44 Die Manipulation erscheint in dieser Hinsicht als weiterfassendes Konzept. Sie beschreibt abstrakt die Art und Weise, wie der Einflussnehmer die Einflussnahme vornimmt. Es ist ein geschicktes und intransparentes Vorgehen, das dem Adressaten nicht bewusst ist. Als ein solches ließe sich wohl auch jede Täuschung auffassen. Schließlich operiert sie mit Unwahrheiten, die dem Adressaten nicht bekannt sind. So gesehen wäre die Täuschung ein Unterfall der Manipulation, eine epistemische Manipulation, die durch die geschickte Vermittlung unwahrer propositionaler Gehalte den Adressaten beeinflusst. Das wird in der (sehr schütteren) philosophischen Literatur zur Manipulation teilweise auch vertreten.45 Gleichwohl soll eine solche Konzeption hier nicht weiterverfolgt werden. Für eine Typenbildung, deren Leistung in einer klaren Abgrenzung verschiedener Einflussformen liegen soll, gilt es scharfe Trennlinien zwischen den unterschiedlichen Typen zu finden. Eine erste liegt in der, noch weiter zu begründenden, Unterscheidung zwischen der Täuschung als Einflussnahme durch unwahre Propositionen und der Manipulation als Einflussnahme durch ein gezieltes Ansprechen der Affekte und Automatismen, die keine propositionalen Inhalte vermittelt. Diese Unterscheidung wird für die spätere rechtliche Analyse nützlich, da der Begriff der Täuschung als terminus technicus im Recht in einer dem allgemeinen Sprach gebrauch nicht unähnlichen Weise verwendet wird und von der Manipulation abzugrenzen ist.
44 Vgl. Arendt, 38 Soc. Res. 417, 431 (1971): „The word house is something like a frozen thought which thinking must unfreeze, defrost as it were, whenever it wants to find out its original meaning.“ S. zu Propositionen im Detail unten S. 52 ff. 45 Wood, in: Coons/Weber (Hrsg.), Manipulation, 2014, S. 17, 31.
Teil I
Das Wesen der Täuschung und der Manipulation Um die Täuschung und die Manipulation rechtlich handhabbar zu machen, gilt es zunächst den Wirkmechanismus einer Beeinflussung offenzulegen (§ 1). Im Anschluss lassen sich die Täuschung (§ 2) und die Manipulation (§ 3) konzeptualisieren.
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme Warum handeln Menschen und was bringt sie dazu? Diesen beiden Fragen ist nachzugehen, wenn man die Täuschung und Manipulation verstehen möchte. Der im Folgenden dargelegten aristotelisch-thomanischen Handlungstheorie (A.) liegt zunächst unausgesprochen das Menschenbild eines rationalen Akteurs zugrunde. Viele Formen der Beeinflussung funktionieren jedoch, indem sie die Rationalität des Adressaten untergraben. Deshalb schließt sich an die Handlungstheorie ein Exkurs zu dem für die weitere Untersuchung maßgeblichen Menschenbild an, das durch die Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften angereichert wird (B.).
A. Aristotelisch-thomanische Handlungstheorie Menschen handeln aus bestimmten Gründen. Sie verfolgen mit ihrem Handeln Ziele. In diesem Kapitel geht es deshalb um die Rekonstruktion zweckgerichteten Handelns. Ausgangspunkt ist der praktische Syllogismus, der von Aristoteles1 begründet und in der Moderne wiederaufgegriffen wurde2 (I.). Führt man den praktischen Syllogismus mit Thomas von Aquins Beschreibung erstrebenswerter Zwecke zusammen, kann man eine Handlungstheorie beschreiben, die die Denkprozesse offenlegt, welche in die Vornahme einer Handlung münden (II.). Erst wenn geklärt ist, warum Menschen handeln, kann man, aufbauend auf dem Modell von Alexander Fischer und Christian Illies,3 in einem zweiten Schritt aufzeigen, wie sich Beeinflussungsstrategien auf den Handlungsantrieb eines Adressaten auswirken (III.). I. Praktischer Syllogismus 1. Praktischer Schluss Warum handeln Menschen auf eine bestimmte Art und Weise? Aristoteles bemerkte, „[j]ede Kunst und jede Untersuchung, wie auch jede Handlung und jedes Vor1 S. Aristoteles, Nikomachische Ethik, VII 5, 1147a5–10, 25–35; ders., De Anima, III 11, 434a15–20; ders., De Motu Animalium, 7, 701a20–25. 2 Namentlich von G. E. M. Anscombe, Donald Davidson und Georg von Wright. S. Anscombe, Intention, 2. Aufl. 2000 (1957), §§ 33 ff., S. 57 ff.; dies., in: Hursthouse/Lawrence/Quinn (Hrsg.), Virtues and Reasons, 1998, S. 7 ff.; Davidson, 60 J. Philos. 685 (1963); ders., Essays on Actions and Events, 2. Aufl. 2001; Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 22 ff., 96 ff. 3 Fischer, Manipulation, 2017, S. 67 ff.; ders./Illies, 6 philinq 25 (2018).
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
haben, scheint nach etwas Gutem zu streben.“4 Wir handeln also, weil wir mit unseren Handlungen einen Erfolg bezwecken, „Ich tue X, um Y zu erreichen.“5 Dieser Denkprozess lässt sich als Syllogismus beschreiben. Der Syllogismus ist eigentlich eine Form des logischen Arguments, bei dem aus zwei (oder mehr) Prämissen ein deduktiver Schluss gezogen wird (und Juristen in Form des Justizsyllogismus nur allzu bekannt ist):6 (1) Alle Menschen sind sterblich. (Obersatz) (2) Sokrates ist ein Mensch. (Untersatz) (3) Sokrates ist sterblich. (Konklusion) Die einzelnen Prämissen haben einen Wahrheitswert. Sind die Propositionen im Obersatz und Untersatz wahr, ist die Konklusion zwingend wahr. Ist auch nur eine unwahr, ist die Konklusion ebenfalls unwahr.7 Der Syllogismus geht auf Aristoteles zurück. Jedoch hat Aristoteles die syllogistische Struktur nicht nur auf theoretische Schlussfolgerungen beschränkt. Vielmehr hat er durch die Beschreibung eines praktischen Syllogismus eine Handlungstheorie begründet: „Ich bedarf einer Umhüllung, ein Mantel ist aber eine Umhüllung; ich bedarf eines Mantels. Wessen ich bedarf, das muß ich anfertigen; ich bedarf eines Mantels, ein Mantel ist anzufertigen. Das heißt, die Schlußfolgerung ‚ein Mantel ist anzufertigen‘ äußert sich in einer Handlung.“8
Die Konklusion des praktischen Syllogismus (der „praktische Schluss“9) liegt entweder in der Vornahme einer Handlung (A vollzieht die Handlung h) oder in einer präskriptiven Konklusion (A sollte h tun). Ein anderes Beispiel für einen praktischen Syllogismus könnte lauten:10
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Aristoteles, Nikomachische Ethik, I 1, 1094a1–3. Gewirth, Reason and Morality, 1981, S. 42: „I will do X for purpose E.“ 6 Aristoteles, Analytica Priora, I 1, 24b18–20: „Ein Syllogismus ist eine Rede, in der, wenn bestimmte (Sachverhalte) gesetzt sind, ein von den gesetzten (Sachverhalten) verschiedener (Sach verhalt) sich mit Notwendigkeit dadurch ergibt, daß die gesetzten (Sachverhalte) vorliegen.“ 7 Kelsen, FORVM 143 (1965), 495, 496. 8 Aristoteles, De Motu Animalium, 7, 701a20–25. S. auch ebd. 701a13–15: „Wenn man die Überlegung anstellt, daß jeder Mensch gehen muß, man selbst aber ein Mensch ist, geht man sofort, wenn (man) aber (die Überlegung anstellt,) daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Mensch gehen darf, man selbst aber ein Mensch ist, verharrt man sofort im Zustand der Ruhe“. S. auch ders., Nikomachische Ethik, VII 5, 1147a5–10: „Wie zum Beispiel: ‚Jedem Menschen ist trockene Nahrung bekömmlich‘ – ‚Man selbst ist ein Mensch‘ oder: ‚Nahrung von solcher Art ist trocken‘.“ 9 Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 96: „practical inference“. 10 Frei nach Aristoteles, Nikomachische Ethik, VII 5, 1147a25–35: „Wenn man z. B. von allem Süßen probieren soll und dieses Süße hier ein solches Einzelnes ist, dann wird notwendigerweise derjenige sofort tätig, der dazu in der Lage ist und durch nichts daran gehindert wird.“; ähnlich auch Fischer, Manipulation, 2017, S. 69. 5
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme
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(1) A möchte etwas Süßes essen. (2) Schokolade ist etwas Süßes. (3) A isst die Schokolade. Hat A die Handlung bereits vollzogen (d. h. er hat die Schokolade gegessen), lässt sich der Syllogismus umdrehen und die Handlung ex post erklären:11 „A hat die Schokolade gegessen, weil er etwas Süßes essen wollte und Schokolade für etwas Süßes hielt.“ Der praktische Syllogismus lässt sich abstrakt formulieren:12 (1) A intendiert, z herbeizuführen. (2) A überlegt, dass er z herbeiführen kann, wenn er die Handlung h ausführt. (3) Deshalb vollzieht A die Handlung h. Der praktische Syllogismus ist ein Erklärungsschema teleologischen Handelns. Ausgangspunkt der Erklärung ist der Obersatz, der das Ziel des Akteurs vorgibt. Dieses erstrebenswerte Ziel wird im folgenden Zweck (z) genannt.13 Die Verfolgung des Zweckes lässt sich als „intendieren“, „abzielen“, „wollen“ und in vielen anderen Weisen umschreiben.14 Verfolgt der Akteur mehrere Zwecke, die einander widersprechen oder nicht gleichzeitig erreichbar sind, wird er dem begehrenswerteren Zweck Vorrang einräumen. Unter Umständen wird er einen anderen Zweck nicht verfolgen („Ich werde die Schokolade nicht essen, weil ich abnehmen möchte.“). Der Untersatz beschreibt eine kontextabhängige Handlungsalternative, die als Mittel zur Erreichung des Zweckes dient. Diese Prämisse lässt sich mit „denken“, „glauben“, oder „wissen“ beschreiben15 („Ich weiß, dass die Schokolade süß ist und esse sie, um diesen Genuss zu verspüren.“). Existieren mehrere Handlungsalternativen, die den Zweck erfüllen, hat der Akteur die freie Wahl. Er wird diejenige Alternative wählen, die (seiner Meinung nach) günstiger, schneller, effektiver oder einfacher z herbeiführen wird.16 2. Logik des praktischen Syllogismus? In dem eben genannten Beispiel erscheint die Konklusion auf den ersten Blick logisch gültig. Wenn A etwas Süßes essen will, sollte er Schokolade essen, da Schokolade etwas Süßes ist. Anders als die Deduktion im theoretischen Syllogismus ist der praktische Schluss aber nicht zwingend.17 Die Prinzipien der Logik sind nur auf 11
Thornton, 91 Mind 57 (1982). Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 96: „A intends to bring about p. A considers that he cannot bring about p unless he does a. Therefore A sets himself to do a.“ Vgl. auch Anscombe, in: Hursthouse/Lawrence/Quinn (Hrsg.), Virtues and Reasons, 1998, S. 7 ff. 13 Wright, Handlung, Norm und Intention, 1976, S. 42. 14 Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 96. 15 Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 96. 16 Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 99. 17 Die Gleichsetzung der Schlussfolgerung vom theoretischen und praktischen Syllogismus hat Anscombe vehement verneint, s. Anscombe, Intention, 2. Aufl. 2000 (1957), § 33, S. vii: „It is a dif12
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
wahrheitskonditionale Aussagen anwendbar.18 Der Obersatz im praktischen Syllogismus ist als „Wollen“ ein Willensakt und kann als solcher nicht wahr oder unwahr sein.19 Auch ist der praktische Schluss, vor Vornahme der Handlung, ein „Sollen“ („A sollte h tun.“) und damit keine wahrheitsfähige Proposition. Es geht im praktischen Syllogismus deshalb nicht um Wahrheit, sondern um Geltung.20 Die Schlussfolgerung im praktischen Syllogismus ist somit keine Ableitung im Sinne eines formalen Beweises.21 Das hat Aristoteles wohl auch nie so gesehen. Er hat lediglich die Ähnlichkeit des psychischen Schlussfolgerungsprozesses herausgestellt.22 Freilich ändert das nichts daran, dass dem praktischen Syllogismus ein analytischer Wert als „Begründungs- oder Erklärungsregel“23 zukommt, 24 weil er den Wirkmechanismus einer zweckgerichteten Handlung transparent macht. Nach welchen Zwecken der Mensch strebt, ist die nächste Frage. II. Zwecktrias („Threefold Division“) Aristoteles sieht das „Gute“ als Ziel jedes menschlichen Handelns („jede Handlung [strebt] nach etwas Gutem“25). Er behandelt in seiner Nikomachischen Ethik die Frage, wie man das höchste Gut, die Glückseligkeit (eudaimonía), erreicht. Hierauf baut Thomas von Aquin in seiner Summa Theologica auf. Er unterscheidet, unter Bezugnahme auf Aristoteles Unterscheidung der drei Arten von Freundschaft und Liebe, 26 drei praktische Zwecke, die Menschen begehren:27 ferent kind of reasoning from that of the proof syllogism“. Vgl. auch Davidson, 60 J. Philos. 685 (1963): „What is the relation between a reason and an action when the reason explains the action by giving the agent’s reason for doing what he did? We may call such explanations rationalizations, and say that the reason rationalizes the action. […] [R]ationalization is a species of ordinary causal explanation“. 18 „Alle Menschen sind sterblich“ ist eine Proposition, die wahr oder unwahr sein kann. 19 So zur ganz ähnlichen Frage nach der Logik im Recht Kelsen, FORVM 142 (1965), 421. 20 Vgl. Kelsen, FORVM 142 (1965), 421, 422. 21 Eine solche Ableitung wäre nichts anderes als eine Form einer deduktiv-nomologischen Erklärung, s. Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 98. 22 Vgl. Anscombe, Intention, 2. Aufl. 2000 (1957), S. 60. 23 Kindhäuser, Intentionale Handlung, 1980, S. 151: „Der praktische Syllogismus ist keine deduktiv-theoretische Beweisform, sondern eine Begründungs- oder Erklärungsregel für eine Handlung.“ 24 Vgl. auch Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 117: „[T]he premises and the conclusion of a practical inference are connected“. 25 Aristoteles, Nikomachische Ethik, I 1, 1094a1–5. 26 Aristoteles, Nikomachische Ethik, VIII 3, 1156a6–15: „Es gibt also drei Arten von Freundschaft, genauso viele Arten von Liebenswertem. […] Diejenigen, die einander des Nutzens wegen lieben, lieben einander nicht als solche, sondern insofern sie voneinander etwas Gutes erhalten. Ebenso verhält es sich bei denen, die es der Lust wegen tun; denn man schätzt die Unterhaltsamen nicht ihrer Eigenschaften wegen, sondern weil sie einem angenehm sind.“ sowie VIII 4, 1156b8– 10: „Vollkommen ist dagegen die Freundschaft zwischen guten und der Tugend nach gleichen Menschen.“ 27 Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 94, a. 2: „Gut ist das, was von allen begehrt wird“, I, q. 5, a. 6: „[E]s [ist] begehrenswert und demgemäß der Zielpunkt der Bewegung des Begehrens“.
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme
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„Das Gute wird zweckmäßig eingeteilt in das Anständige, Nützliche und Ergötzliche. […] So also würde, wenn wir zur Bewegung des Begehrens uns wenden, ‚nützlich‘ genannt werden: der Zwischen-Zielpunkt, oder jenes Gut, welches man nur erstrebt behufs des Besitzes eines anderen. Die Sache aber, welche das ganze Begehren als schließlicher Zielpunkt begrenzt, wäre als ‚anständig‘ oder ‚ehrbar‘ zu bezeichnen. Speciell die Ruhe im Besitze dieser Sache wäre das Ergötzliche.“28
Das „Ergötzliche“, das „Nützliche“ und das „Anständige“ stellen Motive einer jeden Handlung dar. Diese Dreiteilung verwendet Candace Vogler als Ausgangspunkt ihrer Handlungstheorie.29 Menschen verfolgen Zwecke, die sich in eine von drei Kategorien unterteilen lassen („Threefold Division“):30 (1) passende31 Zwecke, die der Akteur um ihrer selbst willen verfolgt, weil sie dem Ideal des Akteurs entsprechen (z. B. Erkenntnis32), (2) nützliche Zwecke, die andere erstrebenswerte Ziele erst ermöglichen (z. B. körperliche Ertüchtigung, die die Gesundheit fördert) und (3) angenehme Zwecke, die Vergnügen oder Genuss versprechen, die den Akteur affektiv ansprechen (z. B. das Naschen der Schokolade). Diese drei Zwecke stehen in einer Handlungserklärung in Form des praktischen Syllogismus im Obersatz.33 Es gibt keine scharfen Trennlinien zwischen den Kategorien. Sie können ineinander übergehen oder gleichzeitig in einem Zweck aufgehen: „Ich möchte Brokkoli essen, weil er mir schmeckt (angenehm), weil er gesund ist (nützlich) und weil es sich gehört (passend).“ Die Wirkmechanismen einer Beeinflussung lassen sich im Folgenden als Einwirkung auf Prämissen im praktischen Syllogismus begreifen. III. Beeinflussung als Einwirkung auf Prämissen Der praktische Syllogismus als Handlungstheorie kann nicht nur das Handeln eines Akteurs erklären. Das Erklärungsschema kann, wie Alexander Fischer und Christian Illies bemerken,34 umgedreht werden, um aufzuzeigen, wie eine Einflussnahme funktioniert. 28 Aquin, Summa Theologica, I, q. 5, a. 6. Er bezieht sich hier ausdrücklich auf Ambrose, De Officiis, I, 9. 29 Vogler, Reasonably Vicious, 2002, S. 30 f. 30 Vogler, Reasonably Vicious, 2002, S. 29 ff. Hierzu auch Fischer, Manipulation, 2017, S. 67 ff.; Fischer/Illies, 6 philinq 25 (2018). 31 Vogler, Reasonably Vicious, 2002, S. 30 spricht hier von „fitting“. Aquin, Summa Theolo gica, I, q. 5, a. 6 spricht noch von „anständigen“, „ehrbaren“ oder tugendhaften (honestum) Zwecken. Das Verständnis von Vogler passt besser für die hiesige Untersuchung. Was für einen Akteur „passend“ ist, bestimmt er für sich allein. Es kommt darauf an, was er für ein „anständiges“ Leben hält und nicht auf einen ethischen Maßstab anderer. Vgl. auch Fischer, Manipulation, 2017, S. 70. 32 Fischer/Illies, 6 philinq 25, 36 (2018): „truth“. 33 Fischer, Manipulation, 2017, S. 69. 34 So das „Pleasurable-Ends-Model“ von Alexander Fischer und Christian Illies, s. Fischer,
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
1. Taxonomie der Einflussnahme Statt zu fragen, warum ein Akteur wie handelt, ist zu fragen, wie man einen Adressaten beeinflussen kann, sodass er auf eine bestimmte Art und Weise handelt.35 Im Schema des praktischen Syllogismus kann man die Handlung, die durch den praktischen Schluss induziert wird, durch eine Änderung der beiden Prämissen modifizieren. Ändert man den Ober- oder den Untersatz, so ändert sich auch der praktische Schluss:36 Präsentiert man dem Adressaten einen neuen Zweck als erstrebenswert, d. h. als angenehm, nützlich oder passend, und nimmt er diesen als neues Handlungsmotiv an, ändert sich der Obersatz und damit auch die Konklusion. Modifiziert man den Untersatz, indem man den Kontext der Handlung verändert, geht entweder die Zweckerreichung fehl (weil der Adressat versucht einen Zweck mit ungeeigneten Mitteln zu erreichen) oder der Adressat wird inzentiviert, einen bereits vorhandenen Zweck mit höherer Wahrscheinlichkeit zu realisieren. Letzteres ist der Fall, weil jeder Adressat eine Vielfalt an Zwecken gleichzeitig verfolgt, ihm aber nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen. Er muss deshalb zwischen der Verfolgung verschiedener Zwecke abwägen. Erscheint ihm ein (bereits vorhandener) Zweck durch Modifizierung des Handlungskontexts leichter erreichbar, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Adressat diese Alternative wählt. Auch hier wirkt man auf den praktischen Schluss des Adressaten ein. Anhand dieser Typologie lässt sich die Einflussnahme taxonomieren. Die Unterteilung erfolgt dabei anhand der unterschiedlichen Ziele im Sinne der von Thomas von Aquin abgeleiteten Zwecktrias und anhand einer Beeinflussung durch den Ober- oder Untersatz:37 a) Passende Zwecke (1) Obersatz: Man kann einen Adressaten beeinflussen, indem man ihm einen Zweck als um seiner selbst willen erstrebenswert aufzeigt. Erkennt der Adressat diesen Zweck als für ihn passend an, wird er seine Handlungen danach richten. Wenn A die B überzeugt, dass Fleischkonsum unethisch ist, macht sich B die Zwecksetzung „Tierschutz“ zu eigen. Dadurch ändert sich der Obersatz ihres Schlussfolgerungsprozesses.38 Keiner ihrer zukünftigen praktischen Schlüsse wird eine Präskription enthalten, Fleisch zu essen.
Manipulation, 2017, S. 67 ff.; ders./Illies, 6 philinq 25 (2018). Zwar konzentriert sich ihr Modell vorrangig auf das Phänomen der Manipulation. Es lässt sich, wie sich zeigen wird, jedoch auch für andere Formen der Einflussnahme fruchtbar machen. 35 Fischer, Manipulation, 2017, S. 71. 36 Fischer, Manipulation, 2017, S. 67 ff.; ders./Illies, 6 philinq 25 (2018). 37 S. Fischer, Manipulation, 2017, S. 71 f.; ders./Illies, 6 philinq 25, 47 f. (2018). 38 Vgl. Fischer, Manipulation, 2017, S. 71.
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(2) Untersatz: Angenommen B ist eine Polizistin und hat den – für sie stereotypisch passenden – Zweck der „Zivilcourage“ (Obersatz). Auch außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit möchte sie Mut beweisen und für das Recht der Schwächeren eintreten. A könnte B auf eine kritische Situation hinweisen, die der B bislang nicht bewusst war („Schau, dort wird jemand bedroht!“). Hierdurch modifiziert A den Handlungskontext der B (Untersatz). Dadurch wird der praktische Schluss der B modifiziert, bzw. in diesem Fall erst evoziert. B wird versuchen, ihrer Zivilcourage Geltung zu verschaffen und der bedrohten Person zu helfen. b) Nützliche Zwecke (1) Obersatz: A kann der B zeigen, wie sie einen anderen, bereits vorhandenen Zweck erreichen kann. Hierfür muss er ihr einen nützlichen Zweck aufzeigen, der diesen anderen Zweck ermöglicht. Hat B einen ausgeprägten Sinn für Sauberkeit, kann A ihr aufzeigen, dass ein bestimmtes Staubsaugermodell eine lohnende Investition wäre. Dadurch ruft er bei B einen neuen nützlichen Zweck (Obersatz: „Kauf des Staubsaugers“) hervor, der der Verfolgung eines dahinterstehenden (hier: passenden) Meta-Zweckes der Sauberkeit dient. (2) Untersatz: Möglicherweise ist B bereits bekannt, dass dieses Staubsaugermodell der Marktführer ist und am besten ihren Sinn für Hygiene befriedigen könnte. Jedoch hat sich noch kein praktischer Schluss gebildet ihn zu kaufen, da B nur über begrenzte finanzielle Ressourcen verfügt (und sie damit lieber andere Zwecke verfolgt). Ein Elek tronikmarkt könnte hier den Handlungskontext und damit den Untersatz der B (und einer Vielzahl anderer potenzieller Käufer) modifizieren, indem er den Preis des Staubsaugers reduziert.39 Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass B den Staubsauger kauft, da ein geringerer Preis eher in ihrem Budget liegt. c) Angenehme Zwecke (1) Obersatz: A könnte der B einen neuen angenehmen Zweck präsentieren, indem er ihr eine Süßigkeit vorstellt.40 Wenn B ein Verlangen nach dem Genuss dieser Süßigkeit entwickelt und diese kauft, hat A der B erfolgreich einen neuen Obersatz untergeschoben und so auf ihren praktischen Schluss eingewirkt. 39 Vgl. 40
Fischer, Manipulation, 2017, S. 72. Fischer, Manipulation, 2017, S. 72.
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
(2) Untersatz: Die Inhaberin eines Süßigkeitengeschäfts kann den Handlungskontext der B modifizieren und die Zweckverfolgung wahrscheinlicher machen, indem sie die Schaufenster angenehm gestaltet (etwa durch eine dekorative Anordnung der Süßigkeiten) oder durch einen gezielten Karamellgeruch im Laden selbst.41 Dadurch wird eine vorbeilaufende B affektiv inzentiviert, ihrem Verlangen nachzugehen und die Süßigkeit zu erwerben. Es wurde bereits angedeutet, dass viele menschliche Handlungen auf mehreren Zwecken gleichzeitig beruhen. Man kann ein begeisterter Gärtner sein, weil die Arbeit im Garten angenehm ist (etwa wegen der Naturnähe), weil es nützlich ist (Anbau von Gemüse), und weil es zum Lebensstil einer umweltbewussten Person passt.42 Diese Zweckvielfalt kommt häufig bei einer Einflussnahme angenehmer Zwecke zum Vorschein, und zwar in zwei Formen:43 Einerseits kann ein passender oder nützlicher Zweck mit einem angenehmen Zweck verbunden werden. Man kann die bittere Medizin durch einen Löffel voll Zucker versüßen und so das Nützliche (Gesundheit) mit dem Angenehmen (Zuckergenuss) verbinden.44 Andererseits kann der Handlungskontext einer passenden oder nützlichen Zweckverfolgung als angenehm präsentiert werden. Das Elektronikgeschäft in b)45 kann B nicht nur durch eine Preissenkung zum Kauf des Staubsaugers anregen. Es kann auch durch das Hervorrufen eines angenehmen Verkaufsklimas die Wahrscheinlichkeit der Transaktion erhöhen. Ein Beispiel hierfür wäre ein „Duftmarketing“,46 etwa durch einen stimulierenden Zitrusduft im Eingangsbereich eines Einkaufszentrums. Neben diesen physiologisch wirkenden Möglichkeiten, einen Adressaten durch Angenehmes zu beeinflussen, kann der Händler auch die „kognitive Leichtigkeit“ des Menschen adressieren. Der Begriff der „kognitiven Leichtigkeit“ (cognitive ease) stammt aus der Kognitionspsychologie und steht stellvertretend für das menschliche Denken, das in der Regel versucht, komplizierte Schlussfolgerungsprozesse zu vermeiden, und unter Rückgriff auf Automatismen und Heuristiken Entscheidungen trifft.47 Hierauf wird noch im Detail zurückzukommen sein.48 Eine Möglichkeit hierfür wäre die Platzierung eines teuren Produkts auf Augenhöhe. Dadurch kann ein Händler die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass es von einem Kunden wahrgenommen und gekauft wird.
41
Fischer, Manipulation, 2017, S. 72. S. das Beispiel bei Vogler, Reasonably Vicious, 2002, S. 81. 43 Vgl. Fischer, Manipulation, 2017, S. 72. 44 Vgl. Fischer/Illies, 6 philinq 25, 38 (2018). 45 S. 19. 46 Zum „Sensory Marketing“ Krishna (Hrsg.), Sensory Marketing, 2010. Diese Phänomene werden teils übergreifend auch als „Neuromarketing“ bezeichnet. Zur „Behavioral Science“ unten S. 27 ff. 47 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 59 ff. 48 S. 27 ff., insb. S. 47. 42
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2. Erste Konturen der Täuschung und Manipulation Das Erklärungsschema des praktischen Syllogismus ist geeignet, verschiedene Formen der Einflussnahme abzubilden. Die hier erarbeitete Taxonomie gibt einen ersten Hinweis auf den Unterschied zwischen Überzeugung, Täuschung und Manipulation. Allgemein zustimmungsfähig ist wohl das Beispiel in 1. a) (1),49 in dem A die B überzeugt hat, dass der Konsum von Fleisch unethisch sei. Es stellt ein Paradebeispiel rationalen Überzeugens dar. A hat auf die rationalen Kapazitäten der B eingewirkt und sie – das unterstellen wir um des Argumentes willen – durch objektiv nachprüfbare Behauptungen von den Vorteilen des Vegetarismus überzeugt. Aber auch Fälle wie die Preissenkung bei dem Staubsaugerkauf in 1. b) (2)50 fallen hierunter.51 Diese Phänomene haben gemein, dass durch sie der Einflussnehmer den Adressaten durch Argumente zu überzeugen versucht. Das Phänomen des Überzeugens lässt sich, gewissermaßen durch ein „Umdrehen der Vorzeichen“, leicht in eine Täuschung abändern. Die direkteste Art der Täuschung ist die Lüge. Eine Lüge ist eine „wissentlich geäußerte Unwahrheit“, mittels derer eine Person eine andere Person zu einer Fehlvorstellung bewegen möchte.52 A, in der Rolle als Verkäufer eines Elektronikgeschäfts, könnte B gegenüber behaupten, der Staubsauger sei das meistverkaufte Produkt vom Marktführer – obwohl er genau weiß, dass das Gerät ein Ladenhüter ist. Eine solche Form der Einflussnahme ist äußerlich im Erklärungsschema des praktischen Syllogismus nicht von einem Überzeugen zu unterscheiden. Das Überzeugen und die Täuschung lassen sich vielmehr nur dadurch abgrenzen, dass im ersten Falle wahre, im zweiten Falle unwahre Tatsachen für die Einwirkung auf den Ober- oder Untersatz verwendet werden. Die getäuschte Person schlussfolgert zwar entsprechend dem praktischen Syllogismus, aber da ihr falsche Prämissen untergeschoben wurden, ist auch ihre Konklusion notwendigerweise fehlerhaft. Von diesen beiden Phänomenen lässt sich die Manipulation unterscheiden. Als Manipulation sollen Fälle gelten, in denen entweder ein Zweck selbst (Obersatz) oder der Handlungskontext einer Zweckverfolgung (Untersatz) als angenehm präsentiert wird.53 Anders als das Überzeugen oder die Täuschung arbeitet die Manipulation nicht mit argumentativen Tatsachenäußerungen, sondern mit angenehmen, d. h. affektiven Mitteln oder durch das Ansprechen der kognitiven Leichtigkeit eines Adressaten. Freilich geht das auch andersherum. Ein Einflussnehmer kann Zwecke als unangenehm darstellen, damit der Adressat diese nicht verfolgt. 49
S. 18. S. 19. 51 Im allgemeinen Sprachgebrauch wird man hier wohl nicht von einem „Überzeugen“, sondern von einem „Überreden“ sprechen. Für die Untersuchung hier wird diese Unterscheidung keine Rolle spielen. 52 S. „Lüge“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/Luege. Vgl. zur „semantischen Täuschung“ unten S. 67 ff. 53 Fischer, Manipulation, 2017, S. 67 ff.; ders./Illies, 6 philinq 25 (2018). 50
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
Die Manipulation spricht somit Emotionen an, erregt die Sinne, oder operiert unterschwellig, unter dem Radar des rationalen Arguments, wie in den Beispielen der Verkaufspsychologie in 1. c) (2).54 Die hier angestoßene Unterscheidung zwischen der Täuschung und der Manipulation erinnert daran, wie John Locke zwischen „madmen“ und „idiots“ differenziert hat: „[H]erein seems to lie the difference between idiots and madmen: that madmen put wrong ideas together, and so make wrong propositions, but argue and reason right from them; but idiots make very few or no propositions, and reason scarce at all.“55
Eine Täuschung macht aus einem Adressaten einen „madman“, der zwar rationale Schlüsse zieht, aber aufgrund falscher Prämissen. Eine Manipulation untergräbt die Fähigkeit des Adressaten rationale Schlüsse zu ziehen, sodass er zu einem „idiot“ wird. Diese erste Annäherung an eine Typologie der Einflussnahme soll vorerst genügen. An späterer Stelle wird hierauf zurückzukommen sein, um der Unterteilung durch eine (sprach-)analytische Untersuchung Konturenschärfe zu verleihen.56 Das nächste Kapitel widmet sich zunächst dem Menschenbild, das der Handlungstheorie zugrunde liegt.
B. Menschenbild der Handlungstheorie Jedem Handlungsmodell liegt ein Menschenbild zugrunde. Ein Menschenbild ist eine Vorstellung über das Wesen und über bestimmte Eigenschaften des Menschen.57 Diese kollektiv geteilten Annahmen über allen Menschen gemeinsame Charakteristika stellen in den Sozialwissenschaften einfache Modellannahmen dar, um soziale Handlungen zu beschreiben. Der Handlungserklärung durch die aristotelisch-thomanische Handlungstheorie liegt implizit die Annahme eines rationalen Verhaltens des Adressaten zugrunde.58 Das ist nicht überraschend, ist doch Vernunft das Grundthema der Philosophie.59 Der praktische Syllogismus ist nur fähig, das Handeln eines Adressaten zu erklären, der quasi-deduktive Schlussfolgerungen zieht. Was rationales Verhalten aber genau ausmacht, gehört zu den Kernfragen der Wissenschaft. Sie universalistisch beantworten zu wollen wäre wohl ein hoffnungsloses Unterfangen. So weit 54
S. 20. Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 1997 (1690), Book II, Ch. XI 13, S. 157. 56 S. zur Täuschung S. 47 ff., zur Manipulation S. 71 ff. 57 Zichy, AfB 56 (2014), 7, 29: „[D]er Begriff Menschenbild [bezeichnet] Annahmen über allen Menschen gemeinsame wichtige Charakteristika, d. h. also eine mentale Repräsentation des Wesens des Menschen.“ 58 Auch wenn durch die Einführung der angenehmen Zwecke freilich die Fassade der Rationalität bereits zu bröckeln begann. 59 S. nur Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 10. Aufl. 2016 (1981), S. 15. 55
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muss man jedoch nicht gehen. Thema der Untersuchung ist die Einflussnahme auf das wirtschaftliche Handeln eines Menschen und die damit verbundenen rechtlichen Fragen. Hierfür ist kein Handlungsmodell vonnöten, welches das ganze Spektrum menschlichen Handelns abbildet. Es genügt ein Ausschnitt, der das zweckrationale Handeln im wirtschaftlichen Kontext erklären kann. In den Wirtschaftswissenschaften dominiert seit einigen Dekaden die neoklassische Theorie, der apriorisch das Menschenbild eines rationalen, nutzenmaximierenden Akteurs zugrunde liegt. Diese Annahmen, die für neoklassische Theorien eine tragende Rolle spielen, firmieren unter der „Rational Choice Theory“ (II.). Auch wenn diese rigiden Annahmen für eine Modellbildung nützlich sind, sind sie doch weit entfernt vom tatsächlichen, nur begrenzt rationalen Handeln des Menschen. Ein so verstandenes zweckrationales Verhalten steht im Mittelpunkt der „Bounded Rationality“ (III.). Das dortige Menschenbild ist realistischer, da es sich nicht mit bloßen Modellannahmen begnügt, sondern Erkenntnisse aus den empirischen Verhaltenswissenschaften rezipiert. Dadurch erhalten die einzelnen Schritte des Erklärungsschemas der Einflussnahme mehr Kontur. Bevor das für diese Untersuchung maßgebliche Menschenbild bestimmt werden kann, widmet sich (I.) einem knappen ideengeschichtlichen Abriss über das „Imperium der Rationalität“60 und seinem Verhältnis zum „Irrationalen“. Auf diese Unterscheidung wird am Ende zurückzukommen sein (IV.). I. Ideengeschichtlicher Kontext Was ist Rationalität? Rationalität leitet sich etymologisch aus dem lateinischen ratio ab und bedeutet so viel wie „Berechnung“ oder „Vernunft“.61 Die Geschichte der Rationalität beginnt spätestens im antiken Griechenland.62 Der Mensch sei, so Aristoteles, ein zoon logon echon (oder in der lateinischen Übersetzung: animal rationale), ein vernunftbegabtes Wesen. 63 Das Vernunftvermögen ist differentia specifica, das Unterscheidungsmerkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet. 64 Ein glückliches Leben kann nur führen, wer ein vernunftgeleitetes Leben führt.65 Dieses Primat der Rationalität zieht sich wie ein roter Faden durch die weitere Ideengeschichte der Menschheit. Spätestens in der Aufklärung wurde dann das „Imperium der Rationalität“66 ausgerufen, indem Kant die Vernunft zum Leitspruch 60
Der Ausdruck stammt von Vietta, Rationalität, 2012, S. 10. Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1989 „Ration“, S. 583. 62 Hierzu Vietta, Rationalität, 2012, S. 49 ff. 63 S. etwa Aristoteles, Nikomachische Ethik, I 6, 1098a5–10: „Wenn nun die Funktion des Menschen in der Tätigkeit der Seele der Vernunft gemäß – oder doch nicht ohne Vernunft – besteht […]“. Der Begriff zoon logon echon selbst geht zwar eindeutig auf Aristoteles zurück, doch findet sich kaum eine griffige Formulierung in seinen Werken. S. hierzu Hahn, Rationalität, 2017, S. 59 Fn. 57. 64 Hahn, Rationalität, 2017, S. 59. 65 Aristoteles, Nikomachische Ethik, I 6, 1098a. 66 Vietta, Rationalität, 2012, S. 10. 61
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erklärt hat („[H]abe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“67). Untrennbar mit der Rationalität verbunden ist auch das Konzept der Freiheit. Frei ist, wer weder inneren Affekten noch äußerem Zwang, sondern einzig der Vernunft unterliegt und seine eigenen Zwecke wählen kann. 68 Genauso lange, wie sich die Geschichte der Rationalität nachzeichnen lässt, grenzt sich die Rationalität von anderen Eigenschaften des Menschen ab. Die Rationalität, mit ihrer klaren und logischen Struktur, steht im Gegensatz zu Affekten, Gefühlen, Sinnlichkeit, dem Unbewussten oder schlicht: dem Irrationalen. 69 Das Irrationale selbst wird erst durch die Abspaltung von der Vernunft begründet: Irrational handelt, wer nicht die Standards rationalen Handelns erfüllt.70 Die Dichotomie von Rationalität und Irrationalität wird in der Moderne immer mehr betont. Was Goethe mit „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“71 beschreibt, greift Nietzsche mit dem Begriffspaar des Apollinischen und des Dionysischen auf.72 Die Dualität mündet schließlich in der Entstehung der Psychologie. Das Imperium der Rationalität beginnt zu wanken, als Freud feststellt, „daß das Ich nicht Herr [ist] im eigenen Haus“.73 Hieran schließt sich die Forschung der modernen Psychologie an. Der kurze Einblick in die Ideengeschichte der Rationalität soll eines zeigen: Rationalität war schon immer die Eigenschaft, die der Mensch als für sich selbst kennzeichnend definiert. Doch das Konzept der Rationalität besteht nur durch seine Abgrenzung zum Irrationalen. Auf diese Dichotomie, die sich nie ganz durchhalten lässt, wird am Ende der Ausführungen zur Rationalität zurückzukommen sein.74 Zunächst soll jedoch das „Imperium der Rationalität“ aus dem Blickwinkel der ökonomischen Forschung beleuchtet werden, in der sich schließlich ein ganz ähnlicher Wandel hin zu den Verhaltenswissenschaften ergeben hat. II. Rational Choice Theory Im Mittelpunkt der neoklassischen Ökonomik steht die „Rational Choice Theory“ mit dem Menschenbild des homo oeconomicus.75 Das Menschenbild beschreibt ei67
Kant, AA VIII, 35.6–7. Dieser Gedankengang stammt von Max Weber: „Je ‚freier‘, d. h. je mehr auf Grund ‚eigener‘, durch ‚äußeren‘ Zwang oder unwiderstehliche ‚Affekte‘ nicht getrübter ‚Erwägungen‘ […]“, Weber, Wissenschaftslehre, 1922, S. 132. Das Verhältnis von Rationalität zu Freiheit wird bei der ethischen Betrachtung der Manipulation näher betrachtet, vgl. S. 93. 69 Vietta, Rationalität, 2012, S. 11. 70 Hahn, Rationalität, 2017, S. 17. 71 Goethe, Faust. Der Tragödie Erster Teil, 1808, Vers 1112. 72 Erstmalig hat er das Begriffspaar verwendet in Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, 1872. S. hierzu auch Kein, Das Apollinische und Dionysische bei Nietzsche und Schelling, 1935. 73 Freud, Imago 5 (1917), 1, 7. 74 S. 45. 75 Weithin gleichbedeutend spricht man im angloamerikanischen Raum auch vom „resourceful, evaluating, maximizing man“ (REMM). Hierzu Brunner/Meckling, 9 JMCB 70, 71 (1977). 68
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nen rational handelnden Akteur, der nur die Maximierung seines eigenen Nutzens bestrebt.76 Der homo oeconomicus ist eine Ausprägung zweckrationalen Handelns, wie es bereits Max Weber, freilich unter Eindruck der politischen Ökonomie von Adam Smith und John Stuart Mill,77 in seiner Typenbildung sozialen Handelns definiert hat: „Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt […].“78
Ein Akteur handelt rational, wenn er mit möglichst geringen Kosten den höchsten Nutzen erzielt.79 Das Handeln geschieht dabei unter dem Eindruck von Ressourcenknappheit. Der Akteur kann nicht jeden seiner Zwecke erreichen. Er muss stets eine Wahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen treffen, die (namensgebende) rational choice.80 Die Wirtschaftswissenschaft hat das Menschenbild des homo oeconomicus auf ihrem Weg zur Fachwissenschaft im 20. Jahrhundert weiterentwickelt. Dem rationalen Akteur werden vor allem drei Charakteristika zugeschrieben, die als Axiome rationalen Handelns gelten:81 (1) Er besitzt ein vollständiges und transitives Präferenzsystem. 82 (2) Er handelt, um seinen eigenen Nutzen zu maximieren. (3) Er verfügt über optimale Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitungskapazitäten.
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Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 107 ff. „It is concerned with him solely as a being who desires to possess wealth, and who is capable of judging of the comparative efficacy of means for obtaining that end.“, Mill, Essays on Some Unsettled Questions of Political Economy, 1844, S. 229, 321. 78 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1921, S. 12–13. 79 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1921, S. 181: „größter Erfolg mit geringstem Aufwand“. Ähnlich auch die moderne (Rechts)Ökonomik, etwa Posner, 50 Stan. L. Rev. 1551 (1997): „choosing the best means to the chooser’s ends.“ 80 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 108. 81 „[A]ll human behavior can be viewed as involving participants who maximize their utility from a stable set of preferences and accumulate an optimal amount of information and other inputs in a variety of markets.“, Becker, The Economic Approach to Human Behavior, 1976, S. 14. 82 Vollständig bedeutet, dass der Akteur in der Lage ist, in einer Entscheidungssituation alle Handlungsalternativen von der erwünschtesten zu der am wenigsten erwünschten zu sortieren, sie also paarweise zu vergleichen und jeweils anzugeben, welches Ergebnis er präferiert (oder indifferent ist). Transitiv bedeutet, dass der Akteur eine Rangordnung der verschiedenen Handlungsalternativen bilden kann, die in sich nicht widersprüchlich ist. Vgl. hierzu Neumann/Morgenstern, Theory of Games and Economic Behavior, 3. Aufl. 1953, S. 26 f.; Laux/Gillenkirch/ Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 8. Aufl. 2012, 42, 149 f.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 110. 77
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Ein Akteur, der über diese Fähigkeiten verfügt, wird seine ausnahmslos logischen Entscheidungen nach der Erwartungsnutzentheorie83 und dem Bayes-Theorem84 treffen. Freilich gehen selbst die schärfsten Verfechter der neoklassischen Ökonomik85 nicht davon aus, dass der echte Mensch stets vollständig rational, bestens informiert und eigennützig handelt. Bereits John Stuart Mill sah das so, lange vor der fachwissenschaftlichen Formalisierung in der Neoklassik: „Not that any political economist was ever so absurd as to suppose that mankind are really thus constituted, but because this is the mode in which science must necessarily proceed.“86
Die Rational Choice Theory ist eine „as-if“-Theorie. 87 Ihre Annahmen sind nicht deskriptiv.88 Das stringente Menschenbild ermöglicht jedoch erst das Aufstellen falsifizierbarer Hypothesen durch mathematisch verfasste Modelle. 89 Der homo oeconomicus muss sich dem menschlichen Entscheider aus Fleisch und Blut nur insoweit nähern, wie es für die Zwecke einer Hypothese erforderlich ist.90 Die Annah83 Nach dieser Entscheidungsregel wird ein Akteur diejenige Handlungsalternative wählen, die ihm den höchsten Erwartungsnutzen verspricht. Der Erwartungsnutzen bestimmt sich durch den wahrscheinlichkeitsgerichteten Durchschnittsnutzen aller möglichen Folgen einer Handlungsalternative. Die Erwartungsnutzentheorie geht zurück auf Daniel Bernoulli und wurde später durch John von Neumann und Oskar Morgenstern axiomatisch begründet. Die Erwartungsnutzentheorie konstatiert eine Regel für Entscheidungen unter Risiko. Leonard J. Savage hat die Theorie schließlich erweitert und eine subjektive Erwartungsnutzentheorie (Subjective Expected Utility) für Entscheidungen unter Ungewissheit formuliert. S. Bernoulli, 5 Comentarii Academiae Scientiarum Imperialis Petropolitanae 175 (1738), übersetzt ins Deutsche: DBW 56 (1996), 733; Neumann/Morgenstern, Theory of Games and Economic Behavior, 3. Aufl. 1953 (1944); Savage, The Foundations of Statistics, 2003 (1954). Hierzu Eisenführ/Weber/Langer, Rationales Entscheiden, 2010, S. 7 ff., 249; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 177 f. 84 Das Bayes-Theorem ist ein mathematischer Satz aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung, der von Thomas Bayes aufgestellt und 1763 posthum veröffentlicht wurde, Bayes, 53 Philosophical Transaction of the Royal Society of London 370 (1763). Seine wichtigste und hier interessierende Aussage ist, dass rationale Akteure ihre zunächst angenommene („a priori“) Erwartung im Lichte neuer Informationen revidieren (Bayesian updating). Dabei wird die A-priori-Wahrscheinlichkeit mit bedingten Wahrscheinlichkeiten aus verschiedensten Quellen zusammengefasst und dadurch ein einziger Wert einer A-posteriori-Wahrscheinlichkeit gebildet. Hierzu Joyce, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Spring 2019 Edition. 85 Das sind zweifelsfrei die Vertreter der Chicago School of Economics. S. für eine Einordnung ihrer Proponenten Reder, 20 JEL 1 (1982). 86 Mill, Essays on Some Unsettled Questions of Political Economy, 1844, S. 229, 322. 87 Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S. 3 ff. 88 Und das geben ihre Vertreter auch ganz offenherzig zu, allen voran Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S. 3 ff. 89 Eine Beschreibung dieser Entwicklung findet sich bei Graupe, AZP 41 (2016), 341. 90 Vgl. nur Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S. 3, 14 f.: „To be important, therefore, a hypothesis must be descriptively false in its assumptions; it takes account of, and accounts for, none of the many other attendant circumstances, since its very success shows them to be irrelevant for the phenomena to be explained. To put this point less paradoxically, the relevant question to ask about the ‘assumptions‘ of a theory is not whether they are descriptively ‘realistic,‘ for they never are, but whether they are sufficiently good approximations for the purpose in hand.“ sowie S. 32: „A theory or its ‘assumptions‘ cannot possibly be thoroughly ‘realistic‘ in the immediate
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men müssen nicht realistisch sein, solange sie nur signifikante Vorhersagen ermöglichen.91 Das dadurch geschaffene Abstraktionsniveau herrscht in der Wirtschaftswissenschaft bis heute vor. Jedoch hat sich in den letzten Dekaden ein neues verhaltenswissenschaftliches und empiristisches Bewusstsein in der ökonomischen Forschung eingestellt. III. Bounded Rationality Das Menschenbild des unbegrenzt rationalen Wesens der Neoklassik geriet ab den 1950er-Jahren unter heftigen Beschuss. Der Sozialwissenschaftler und Nobelpreisträger Herbert Simon hat die Aussagekraft neoklassischer Modelle wegen ihrer apriorischen unbegrenzten Rationalitätsannahme in Frage gestellt. Dabei hat er ein neues Rationalitätsverständnis begründet, das der „Bounded Rationality“.92 Die Bounded Rationality bestimmt heute in verschiedenen Variationen den Mainstream der (Verhaltens-)Ökonomik. Ausgangspunkt ist das wirkliche Entscheidungsverhalten des Menschen. Der Mensch handelt nicht nach der Erwartungsnutzentheorie. Das liegt ganz einfach daran, dass er es nicht kann: „[F]ull rationality is simply too complicated“93. Der Mensch unterliegt zwei Arten von natürlichen Restriktionen: Erstens unterliegt er den Restriktionen seines Verstandes („Mind as the Scarce Resource“94). Er verfügt anders als ein Computer nur über beschränkte kognitive Fähigkeiten und kann manche für eine vollkommen rationale Entscheidung notwendige Überlegung nicht anstellen.95 Zweitens unterliegt er den Restriktionen seiner Umgebung, d. h. er hat keinen Zugriff auf alle für eine Entscheidung notwendigen Informationen, etwa weil die Informationsgewinnung kostspielig ist.96 Simon hat dieses Rationalitätsverständnis des Menschen mit der bekannten Scheren-Metapher umschrieben: „Human rational behavior […] is shaped by a scissors whose two blades are the structure of task environments and the computational capabilities of the actor.“97
descriptive sense so often assigned to this term. […] Any attempt to move very far in achieving this kind of ‘realism‘ is certain to render a theory utterly useless.“ 91 Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S. 3, 9. 92 Simon, 63 Psychol. Rev. 129 (1956). 93 Arrow, in: Augier/March (Hrsg.), Models of a Man, 2004, S. 47, 48. 94 Simon, 68 AER 1, 9 (1978). 95 Simon, Models of Man, 1957, S. 198: „The alternative approach employed in these papers is based on what I shall call the principle of bounded rationality: The capacity of the human mind for formulating and solving complex problems is very small compared with the size of the problems whose solution is required for objectively rational behavior in the real world—or even for a reasonable approximation to such objective rationality.“ 96 Simon, in: McGuire/Radner (Hrsg.), Decision and Organization, 1972, S. 161, 164: „[R]ationality can be bounded by assuming complexity in the cost function or other environmental constraints so great as to prevent the actor from calculating the best course of action.“ 97 Simon, 41 Annu. Rev. Psychol. 1, 7 (1990).
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
Der Mensch adaptiert sein Verhalten unter Eindruck dieser internen und externen Restriktionen. Dadurch handelt er begrenzt rational. Seine getroffenen Entscheidungen sind möglicherweise nicht die besten Entscheidungen im Sinne der Nutzenmaximierung. Jedoch sind es Entscheidungen, die für ihn gut genug sind.98 Simon hat dieses Entscheidungsverhalten als „Satisficing“ bezeichnet.99 Für das Satisficing verwenden Menschen eine Vielzahl von Strategien. Diese bezeichnet man als „Heuristiken“ oder „mentale Abkürzungen“.100 Sie ermöglichen das Entscheiden unter dem Eindruck der internen und externen Restriktionen, sind also ein Ergebnis des Zusammenspiels beider Blätter in der Scheren-Metapher.101 Hierauf bauen die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze unserer Zeit auf.102 Dabei ist insbesondere das „Heuristics and Biases“-Programm herauszustellen, dem sich die Verhaltensökonomik verschrieben hat (1.). Nicht unähnlich ist das Forschungsprogramm der „ökologischen Rationalität“, das sich als Alternative zu dem dominanten „Heuristics and Biases“-Ansatz versteht (2.). Beide Ansätze haben im Ergebnis mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede (3.) und können wertvolle Hinweise für die Untersuchung der Einflussnahme geben (4.). 1. „Heuristics and Biases“ Die Verhaltensökonomik („Behavioral Economics“) unterwirft die Rationalitätsannahmen der Neoklassik einer Wirklichkeitsprüfung. Sie will dabei das neoklassische Modell nicht verwerfen. Das Zerrbild der Rational Choice Theory wird 98 Simon, 63 Psychol. Rev. 129 (1956): „Evidently, organisms adapt well enough to ‘satisfice‘; they do not, in general, ‘optimize.‘“ 99 Simon, 63 Psychol. Rev. 129 (1956). Satisficing ist ein Kofferwort aus den englischen Wörtern satisfying und sufficing, bedeutet also so viel wie sich mit etwas zufriedenzugeben, das gut genug ist. 100 Tversky/Kahneman, in: Kahneman/Slovic/Tversky (Hrsg.), Judgment Under Uncertainty, 1982, S. 3; Korobkin/Ulen, 88 Cal. L. Rev. 1051, 1069 (2000). 101 Gigerenzer, Rationality for Mortals, 2008, S. 7. 102 Nicht nur die durch die „Heuristics and Biases“ geprägte ökonomische Forschung baut auf der Bounded Rationality auf. Eine andere Richtung setzt die Bounded Rationality mit einer „optimization under constraints“, also einer Optimierung unter Randbedingungen, gleich. Sie erfreut sich insbesondere in der Neuen Institutionenökonomik großer Beliebtheit, vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 4. Aufl. 2010, S. 4 f., 192 f. Der Mensch optimiere danach seine Entscheidungen soweit es ihm möglich ist. Dabei befolgt er eine Stoppregel: Er sucht so lange nach einer optimalen Entscheidungsalternative, bis die Grenzkosten der Suche erreicht sind, d. h. die Kosten den erwarteten Nutzen übersteigen. Dadurch fügt sich die Bounded Rationality in das ökonomische Entscheidungsmodell der Neoklassik ein. Freilich führt diese Sichtweise zu einem Paradoxon. Die (rationale) Befolgung der Stoppregel erfordert nicht weniger Ressourcen als die Verhaltensannahmen des homo oeconomicus. Dadurch ist die „optimization under constraints“ letztlich nur die Rationalitätsannahme der Neoklassik in anderem Gewand. Der Nobelpreisträger Arrows hat das zutreffend herausgestellt: „[B]oundedly rational procedures are in fact fully optimal procedures when one takes account of the cost of computation in addition to the benefits and costs inherent in the problem as originally posed.“, Arrow, in: Augier/March (Hrsg.), Models of a Man, 2004, S. 47, 48. Zu dieser Thematik: Gigerenzer, in: ders./Selten (Hrsg.), Bounded Rationality, 2001, S. 37, S. 38 f.; ders., Rationality for Mortals, 2008, S. 5 ff.
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zwar nicht als realistisch, aber als normativ erstrebenswert angesehen.103 Deshalb möchte die Verhaltensökonomik die theoretischen Prinzipien durch empirische Beobachtungen austauschen, um so die wirtschaftswissenschaftlichen Modelle realitätsnäher zu gestalten. Der Schwerpunkt dieses Forschungsprogrammes, das maßgeblich durch die beiden Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky geprägt wurde, liegt daher auf der Erforschung systematischer Abweichungen von den Axiomen rationalen Handelns. Diese Abweichungen werden als „Heuristics and Biases“ bezeichnet. Heuristiken sind, wie bereits angedeutet, Vereinfachungsstrategien des Menschen, die sich evolutionär unter dem Eindruck begrenzter Rationalität entwickelt haben.104 Man spricht bei diesen Heuristiken auch von „gedanklichen Abkürzungen“105 oder „Daumenregeln“106 , die Menschen (zumeist unbewusst) für Entscheidungsprobleme einsetzen. Dadurch treffen sie häufig nutzenmaximierende Entscheidungen.107 Manchmal – und für diese Fälle interessiert sich die verhaltensökonomische Forschung – führt ihr Einsatz aber auch zu systematischen Urteilsfehlern.108 Diese Urteilsfehler, oder „kognitiven Verzerrungen“, werden als biases bezeichnet.109 Häufig wird nicht trennscharf zwischen beiden Begrifflichkeiten unterschieden oder sie werden synonym verwendet.110 Deshalb firmiert der ganze Ansatz unter der Bezeichnung „Heuristics and Biases“. 2. „Fast and Frugal Heuristics“ und ökologische Rationalität Unter Berufung auf Herbert Simons Scheren-Metapher definiert eine evolutionspsychologische Strömung, der namentlich Gerd Gigerenzer angehört, das Konzept der ökologischen Rationalität („Ecological Rationality“) anhand zweier Elemente: der beschränkten kognitiven Ressourcen des Menschen und der Struktur der Umwelt.111 Wie der Name „ökologisch“ bereits andeutet, betont ihr Forschungsansatz die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt.112 So lasse sich Rationalität als „match between mind and environment“ verstehen.113
103 Wofür sie freilich kritisiert wird, insbesondere von Vertretern der „ökologischen Rationalität“, die sich selbst als die „wahren“ Nachfahren der simon‘schen Bounded Rationality sehen. Hierzu sogleich im nächsten Abschnitt. 104 Gigerenzer, Rationality for Mortals, 2008, S. 39. 105 Korobkin/Ulen, 88 Cal. L. Rev. 1051, 1076 (2000); Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, S. 200. 106 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 7; Korobkin/Ulen, 88 Cal. L. Rev. 1051, 1069 (2000): „rules of thumb“. 107 Tversky/Kahneman, in: Kahneman/Slovic/Tversky (Hrsg.), Judgment Under Uncertainty, 1982, S. 3. 108 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 3 f.; Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, S. 23. 109 Vgl. Tversky/Kahneman, 185 Science 1124 (1974). 110 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 179 f. 111 Todd/Gigerenzer, Ecological Rationality, 2012, S. viii. 112 Todd/Gigerenzer, Ecological Rationality, 2012, S. viii. 113 Todd/Gigerenzer, Ecological Rationality, 2012, S. vii.
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Da die Proponenten dieses Ansatzes mehrheitlich aus dem Feld der Evolutionspsychologie stammen, findet sich sein Ausgangspunkt in der Evolutionsgeschichte des Menschen. Die Entwicklung des Menschen fand immer in Beziehung zu seiner Umwelt statt. Um in dieser Umwelt zu überleben, musste er sich anpassen.114 Hierfür habe er sich einen „adaptiven Werkzeugkasten“ (adaptive toolbox) angeeignet.115 Dieser enthält als Werkzeuge verschiedene Heuristiken. Je nach zu lösender Aufgabe nutzt der Mensch die hierfür angepasste Heuristik. Diese Heuristiken erlauben ihm dann schnell („fast“) und mit wenigen Informationen („frugal“) zumeist richtige Entscheidungen zu treffen,116 weshalb der Forschungsansatz auch unter der Bezeichnung „Fast and Frugal Heuristics“117 firmiert. 3. Unterschiede, vor allem aber Gemeinsamkeiten Der „Fast and Frugal Heuristics“-Ansatz stellt den menschlichen Verstand und seinen Hang zu Heuristiken weniger pessimistisch dar als die Proponenten der „Heuristics and Biases“-Schule. Vielmehr noch, die Vertreter des ökologischen Rationalismus werfen dem „Heuristics and Biases“-Programm einen „bias bias“ vor.118 Es habe die Tendenz, Urteilsverzerrungen auch dort zu erkennen, wo es keine gebe.119 Die nachgewiesenen biases lassen sich in der Vielzahl der Fälle darauf zurückführen, dass ihnen künstlich geschaffene Entscheidungsumgebungen zugrundeliegen. An diese habe sich der Mensch nie angepasst. Gestaltet man die Umweltbedingungen der Experimente lebensnäher, verschwinden die Verzerrungen.120 Auch liege ihr Fehler darin, in Heuristiken nur eine zweitbeste Lösung für Probleme zu sehen, die hinter formalen Theorien der Logik, der bayesschen Wahrscheinlichkeitsberechnung und der Erwartungsnutzentheorie zurückstehen. Dadurch greifen ihre Vertreter mittelbar das normative Ideal der Rational Choice Theory an. Zwischen Vertretern beider Positionen kam es zu einem wissenschaftlichen Schlagabtausch, der als „Rationality War“ bezeichnet wird.121 Diese kurze Gegenüberstellung beider Ansätze soll genügen. Es wurde anderorts bereits herausgearbeitet, dass beide Forschungsprogramme mehr miteinander ge114
Gigerenzer, Rationality for Mortals, 2008, S. 7. Gigerenzer, in: ders./Selten (Hrsg.), Bounded Rationality, 2001, S. 37; ders., Rationality for Mortals, 2008, S. 7 f. 116 Gigerenzer, Rationality for Mortals, 2008, S. 7. 117 Gigerenzer, Rationality for Mortals, 2008, S. 20 ff. 118 Brighton/Gigerenzer, 68 J. Bus. Rev. 1772 (2015); Gigerenzer, 5 ROBE 303, 305 (2018). 119 Brighton/Gigerenzer, 68 J. Bus. Rev. 1772 (2015); Gigerenzer, 5 ROBE 303, 305 (2018). S. auch ders., in: ders./Selten (Hrsg.), Bounded Rationality, 2001, S. 37; ders., Rationality for Mortals, 2008; ders., in: Frantz/Marsh (Hrsg.), Minds, Models and Milieux, 2016, S. 34. 120 Gigerenzer, 2 Eur. Rev. Soc. Psychol. 83 (1991). 121 Der Schlagaustausch wurde insbesondere von Gigerenzer initiiert, s. Gigerenzer, 2 Eur. Rev. Soc. Psychol. 83 (1991). Eine Antwort hierauf findet sich bei Kahneman/Tversky, 103 Psychol. Rev. 582 (1996); eine Replik hierauf bei Gigerenzer, 103 Psychol. Rev. 592 (1996). Zum Begriff „Rationality War“ s. Samuels/Stich/Bishop, in: Elio (Hrsg.), Common Sense, Reasoning, and Rationality, 2002, S. 236; Sturm, 55 Inquiry 66 (2012). 115
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mein haben als sie voneinander unterscheidet.122 Festzuhalten ist, dass die experimentellen Befunde, die Nachweise gewisser Urteilsfehler, von keiner Seite bestritten werden. Uneinigkeit besteht darüber, ob die Fehler allein durch die Unzulänglichkeiten des menschlichen Verstandes verursacht oder durch eine künstliche Entscheidungssituation herbeigeführt werden. Letztlich interpretieren beide Ansätze dieselben empirischen Befunde anders. Für eine Untersuchung, in deren Mittelpunkt die Einflussnahme steht, stiften beide Erklärungsansätze einen Nutzen. Ein Manipulator kann Heuristiken eines Adressaten auf zwei Weisen ausnutzen: Entweder nutzt er die von der „Heuristics and Biases“-Forschung angeführten systematisch auftretenden Urteilsverzerrungen eines Adressaten zu seinem Vorteil aus. Hierfür muss er sich über die Wirkmechanismen im Klaren sein, die zu solchen Urteilsverzerrungen führen. Oder er manipuliert die Umweltbedingungen so, dass der Adressat eine Heuristik aus seinem adaptiven Werkzeugkasten nutzt, die für die eigentliche Entscheidungssituation nicht geeignet ist und daher zu Urteilsfehlern führt. Um diese Möglichkeiten der Manipulation später besser aufzeigen zu können, werden im Folgenden einige Heuristiken aufgezeigt. 4. Heuristiken als Werkzeuge der Einflussnahme Der US-amerikanische Sozialpsychologe Robert Cialdini gilt als führender Experte für „Überzeugungsstrategien“.123 Nach jahrelanger Feldforschung unter Verkäufern, Spendensammlern und Werbefachleuten (Cialdini nennt diese Personen „compliance professionals“)124 sowie zahlreichen Experimenten, hat er eine Taxonomie aufgestellt, wonach sich jede Einflussstrategie einer von sechs Prinzipien zuordnen lässt: Reziprozität (reciprocation), Commitment und Konsistenz (commitment and consistency), soziale Bewährtheit (social proof), Sympathie (liking), Autorität (authority) und Knappheit (scarcity).125 Als Sozialpsychologe nutzt Cialdini nicht dieselbe Fachsprache wie seine Kollegen aus der Kognitionspsychologie, beschreibt im Ergebnis aber dasselbe Phänomen: das heuristische Entscheidungsverhalten des Menschen. Er ergänzt seinen Ansatz um die Feststellung, dass sich Dritte die Entscheidungsfehler anderer zunutze machen können, um eigene Ziele zu erreichen. Deshalb eignet sich Cialdinis Einteilung, um für die Einflussnahme relevante Heuristiken aufzuzeigen. Sie werden an geeigneten Stellen um Erkenntnisse der verhaltensökonomischen Forschung durch verwandte Heuristiken und kognitive Verzerrungen ergänzt. 122 Samuels/Stich/Bishop, in: Elio (Hrsg.), Common Sense, Reasoning, and Rationality, 2002, S. 236; Sturm, 55 Inquiry 66 (2012). 123 S. nur sein bekanntestes (populärwissenschaftliches) Werk Cialdini, Influence, 2007. 124 Diese Methode der Feldforschung nennt sich „teilnehmende Beobachtung“, vgl. Hussy/ Schreier/Echterhoff, Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften, 2. Aufl. 2013, S. 240. S. zu der Geschichte Cialdinis die einführenden Worte in Cialdini, Influence, 2007, S. xi ff. 125 Cialdini, Influence, 2007.
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a) Reziprozität aa) Allgemeines Reziprozität ist eine tief im Menschen verankerte soziale Norm. Das zeigt sich nicht nur durch Aussprüche wie „quid pro quo“ oder „do ut des“. Die Spuren der Reziprozität lassen sich evolutionspsychologisch zurückverfolgen. Ohne Kooperation, gegenseitiges Geben und Nehmen, hätte es kein Menschwerden gegeben, „Man becomes human in reciprocity“.126 Ein kleines Geschenk, ein Gefallen oder ein Zugeständnis gehen auf Seiten des Adressaten mit psychologischen Kosten einher. Es entsteht ein „web of indebtedness“,127 weil jeder Gefallen mit dem Bedürfnis verbunden ist, sich zu revanchieren („tit-for-tat heuristic“128). Das gilt selbst für unerbetene Gefälligkeiten.129 Den Hang zur Reziprozität können Einflussnehmer ausnutzen. Werbegeschenke können als Verkaufsförderungsmaßnahmen genutzt werden, um einen „psychischen Kaufzwang“ auszulösen.130 Ein anderes Beispiel ist die „Door-in-the-face“Strategie:131 Zunächst macht der Einflussnehmer dem Adressaten ein bewusst überteuertes Angebot, im Wissen, dass es zurückgewiesen wird. Danach unterbreitet er ihm ein neues, attraktiveres Angebot. Der Adressat wird mit einer höheren Wahrscheinlichkeit das zweite Angebot annehmen. Er fühlt sich durch das „Entgegenkommen“ des Einflussnehmers verpflichtet, ebenfalls ein Zugeständnis zu machen. 126
Becker, Man in Reciprocity, 1956, S. 94. Cialdini, Influence, 2007, S. 18. Der Begriff stammt ursprünglich von Tiger/Fox, The Imperial Animal, 2017 (1971), S. 121. 128 Gigerenzer, 3 Perspect. Psychol. Sci. 20, 25 (2008). 129 Das zeigt ein Experiment von Regan, 7 J. Exp. Soc. Psychol. 627 (1971): Zwei Probanden sollten Kunstwerke bewerten. Einer der Probanden war fingiert und in Wirklichkeit der Assistent des Versuchsleiters. In der Versuchsgruppe verließ der Assistent während des Experiments den Raum und kam kurz darauf mit zwei Flaschen Cola zurück. Eine schenkte er dem Probanden. In der Kontrollgruppe verließ er den Raum und kam mit leeren Händen zurück. Nachdem das vermeintliche Experiment beendet war, fragte der Assistent den Probanden, ob er Lotterielose kaufen möchte. In der Versuchsgruppe kauften doppelt so viele Probanden Lose wie in der Kontrollgruppe. Im Anschluss fragte Regan die Probanden, ob sie den Assistenten mochten. Es stellte sich heraus, dass für diejenigen, die ihm einen Gefallen schuldeten, es keinen großen Unterschied machte, ob sie ihn mochten oder nicht. Sie fühlten sich unabhängig von Sympathie verpflichtet, den Gefallen zu erwidern. 130 Der BGH äußerte mit Blick auf § 4a UWG: „[W]enn der Kunde durch eine unentgeltliche oder annähernd unentgeltliche Zuwendung im Geschäftslokal in eine Situation gebracht wird, in der er den Eindruck gewinnen kann, er könne einem an sich nicht beabsichtigten Geschäftsabschluss nicht ausweichen, weil er, wenn er allein die Vergünstigung in Anspruch nehme, die ihm als Kaufinteressenten entgegengebrachte Wertschätzung verlieren würde“, BGH GRUR 2003, 804, 805 – Foto Aktion. Hierzu (einschränkend) Hasselblatt/Hannamann, in: Gloy/Loschelder/ Danckwerts, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2019, § 53 Rn. 121. 131 Cialdini/Vincent/Lewis et al., 31 J. Pers. Soc. Psychol. 206 (1975). S. auch Felser, Werbeund Konsumentenpsychologie, 4. Aufl. 2015, S. 217: „Dieses Prinzip wird als Tür-ins-GesichtTechnik (Door-in-the-Face-Technik) bezeichnet, weil man sich zunächst die Tür vor der Nase zuschlagen lassen muss, um in der Folge sehr viel bessere Erfolgsaussichten zu haben als ohne die zugeschlagene Tür.“ 127
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bb) Verwandte Heuristiken (1) Kontrasteffekt Die „Door-in-the-face“-Strategie hängt auch mit dem Kontrasteffekt zusammen. Das zunächst unterbreitete Angebot steht zu dem folgenden meist in deutlichem Kontrast, weil beispielsweise der Preis stark variiert. Der Kontrasteffekt führt zu einer intensiveren Wahrnehmung einer Information (oder eines Reizes132), wenn im unmittelbaren Anschluss eine Information dargeboten wird, die sich deutlich unterscheidet.133 Den Kontrasteffekt machen sich Verkäufer auch anderweitig zunutze. Wer etwa auf der Website von Apple ein hochpreisiges Macbook kaufen möchte, wird nach Auswahl des Geräts durch eine Vielzahl von Entscheidungsebenen über mögliche „Upgrades“ geführt.134 Die Erweiterung des Datenspeichers oder des Arbeitsspeichers kostet im Vergleich zum Preis des Geräts nur einen Bruchteil, sodass der Kontrasteffekt eingreift. (2) Verwässerungseffekt Spiegelbildlich zum Kontrasteffekt verhält sich der Verwässerungseffekt (dilution effect). Liegen in einer Entscheidungssituation mehrere Informationen vor und sind diese zum Teil entscheidungserheblich (diagnostic information), teilweise aber auch nicht (nondiagnostic information), neigen Menschen dazu, sich zu wenig auf die diagnostischen Informationen zu verlassen.135 Die nicht-diagnostischen Informationen verwässern den Einfluss der wirklich relevanten Informationen. Wenn der Kunde den Gebrauchtwagenhändler über das Risiko einer baldigen Reparatur eines Wagens befragt, könnte der Verkäufer neben diagnostischen Informationen (Kilometerstand, Vorschäden, Alter) einige nicht-diagnostischen Informationen
132 So zeigten beispielsweise Kenrick/Gutierres, 38 J. Pers. Soc. Psychol. 131 (1980), dass die Einschätzung der Attraktivität einer durchschnittlichen Person deutlich schlechter ausfällt, wenn die bewertende Person zuvor eine äußerst attraktive Person gesehen hat. S. zum Kontrasteffekt bei Reizen auch Raghubir, in: Krishna (Hrsg.), Sensory Marketing, 2010, S. 201, S. 210. 133 Cialdini, Influence, 2007, S. 11 f. S. auch Sherif/Taub/Hovland, 55 J. Exp. Psychol. 150 (1958); vgl. zum Kontrasteffekt, wenn mehrere Informationen nacheinander präsentiert werden Hogarth/Einhorn, 24 Cogn. Psych. 1, 14 (1992). 134 S. zu dieser Methode des „Upselling“ Jameson, „The Weird Economics of Apple Upsell“, One Zero, 21.11.2019, online abrufbar unter https://onezero.medium.com/the-weird-economics-of-apple-upsell-affe4b397f25. 135 Hierzu Nisbett/Zukier/Lemley, 13 Cogn. Psych. 248 (1981); Tetlock/Boettger, 57 J. Pers. Soc. Psychol. 388 (1989); Felser, Werbe- und Konsumentenpsychologie, 4. Aufl. 2015, S. 183 f. In dem Experiment von Zukier, 43 J. Pers. Soc. Psychol. 1163 (1982) sollten Probanden die Durchschnittsnote („GPA“) eines Collegestudenten einschätzen. Probanden in der Kontrollgruppe erhielten nur eine diagnostische Information (z. B. Bill lernt außerhalb des Unterrichts mehr als 31 Stunden). Die andere Gruppe erhielt neben dieser noch eine offensichtlich nicht entscheidungserhebliche Information (z. B. Bill hat drei enge Freunde und einen Hund). Nur durch das Hinzufügen einer nondiagnostic information konnte die Einschätzung des GPA stark verringert, d. h. verwässert werden.
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äußern (Benzinverbrauch, Innenausstattung), welche die Bedeutung der wichtigen Informationen verwässern.136 b) Konsistenz aa) Allgemeines Menschen fühlen sich der Konsistenz verpflichtet. Wir sind „narrative Tiere“,137 verorten uns selbst in unserer Umwelt und stellen, unter Rückgriff auf unseren Erfahrungsschatz, Zusammenhänge zwischen Ereignissen, Handlungen und Entscheidungen her.138 Wir versuchen aus allem, was passiert, ein logisches und kohärentes Narrativ zu bilden, wir haben einen consistency bias.139 Deshalb selektieren und interpretieren wir Informationen so, dass sie unsere eigenen Erwartungen bestätigen. Informationen, die im Widerspruch zur eigenen Vorstellung stehen, schenken wir weniger Beachtung. Diese selbstdienliche Wahrnehmung wird als Bestätigungsfehler (confirmation bias) bezeichnet.140 Es ist eine Strategie, um eine kognitive Dissonanz, einen unangenehmen Spannungszustand bei der Verarbeitung gegenläufiger Informationen, zu vermeiden.141 Sobald wir eine Entscheidung getroffen oder einen Standpunkt eingenommen haben, wird dieser Teil unseres Selbstbildes.142 Das Konsistenzbedürfnis besteht nicht nur im Inneren des Menschen. Wir möchten auch in unserem Verhalten nach außen konsistent erscheinen und schätzen Konsistenz bei anderen Personen.143 Das Streben nach Konsistenz lässt sich im Wirtschaftsverkehr ausnutzen. Die „Foot-in-the-door“-Verkaufstechnik zeigt das eindrucksvoll: Zunächst bittet der Einflussnehmer den Adressaten um einen kleinen Gefallen, den er kaum abschlagen wird. Dadurch fühlt sich der Adressat verpflichtet, eine darauffolgende, thematisch verwandte, größere Bitte zu erfüllen, um nicht dem Vorwurf inkonsistenten Verhaltens ausgesetzt zu werden.144 136
Das Beispiel stammt von Felser, Werbe- und Konsumentenpsychologie, 4. Aufl. 2015, S. 184. Fischer, Manipulation, 2017, S. 123, der den Begriff „erzählende Tiere“ („story-telling animal“) aus dem Roman von Swift, Waterland, 1985, S. 53 übernommen hat. 138 Fischer, Manipulation, 2017, S. 124. 139 Leising, 32 Journal of Individual Differences 137 (2011). 140 Wason, 12 Q. J. Exp. Psychol. 129 (1960); Wason, 20 Q. J. Exp. Psychol. 273 (1968). 141 Vgl. Jermias, 26 Account. Organ. Soc. 141 (2001). Zum Begriff der „kognitiven Dissonanz“ Festinger, A Theory of Cognitive Dissonance, 1957. 142 Vgl. Cialdini, Influence, 2007, S. 57. 143 Vgl. Cialdini, Influence, 2007, S. 57: „[W]e will encounter personal and interpersonal pressures to behave consistently with that commitment.“ 144 In einem Experiment von Freedman/Fraser, 4 J. Pers. Soc. Psychol. 195 (1966) gingen Forscher, die sich als ehrenamtliche Mitarbeiter ausgaben, von Tür zu Tür und baten Hausbesitzer, ein kleines Schild (ca. 20 cm 2) mit der Aufschrift „Be a safe driver“ aufzuhängen. Fast alle Hausbesitzer sagten zu. Zwei Wochen später kamen die Forscher wieder vorbei. Dieses Mal baten sie die Hausbesitzer, die Aufstellung einer Tafel in ihrem Garten zuzulassen. Die Tafel war, in einer unschönen Schrift, mit „Drive Carefully“ beschrieben und hatte eine enorme Größe, sodass es fast das komplette Haus verdecken würde. Während von der Kontrollgruppe, die zwei Wochen 137
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bb) Verwandte Heuristiken (1) Verfügbarkeitsheuristik, Rückschaufehler Konsistenz prägt auch in anderen Bereichen das menschliche Denken. Ist ein vergangenes Ereignis im Gedächtnis präsent, d. h. „verfügbar“, kann es schnell aus der Erinnerung abgerufen werden und sein Eintritt ist leicht vorstellbar (Verfügbarkeitsheuristik).145 Gleiches gilt für Reize, die einfacher und bewusster wahrnehmbar sind. Sie sind für den Entscheider ebenfalls „verfügbarer“ („Salienz“).146 Das führt dazu, dass Menschen die Eintrittswahrscheinlichkeit äußerst seltener Vorkommnisse überschätzen, wenn sie vor Kurzem davon gehört haben, weil ihr Eintritt dann als konsistente Folge erscheint.147 Das nutzen beispielsweise Lotterieanbieter aus, indem sie eindrücklich die Geschichten bisheriger Gewinner publik machen, sodass potenzielle Spieler die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns überschätzen. Auch der Rückschaufehler (hindsight bias)148 ist eine Erscheinungsform dieses Konsistenzbedürfnisses. Menschen überschätzen ex post systematisch die Möglichkeit, dass man ein eingetretenes Ereignis hätte voraussehen können. Es ist kognitiv angenehmer, aus den eingetretenen Ereignissen ein Narrativ zu bilden, und die Gegenwart als logische Folge vergangener Ereignisse fehlzuinterpretieren.149
vorher nicht um das Aufhängen des kleineren Schildes gebeten wurde, weniger als 20 % die Aufstellung der Tafel erlaubten, sagten mehr als 55 % derjenigen zu, die bereits den kleinen Gefallen getan haben. S. auch Cialdini, Influence, 2007, S. 72. 145 Tversky/Kahneman, 5 Cogn. Psych. 207 (1973); dies., 185 Science 1124, 1127 (1974); dies., in: Kahneman/Slovic/Tversky (Hrsg.), Judgment Under Uncertainty, 1982, S. 3, 11 ff.; Sherman/Cialdini/Schwartzman et al., 11 Pers. Soc. Psychol. Bull. 118, 124 (1985). 146 Hierzu Tversky/Kahneman, 5 Cogn. Psych. 207 (1973). 147 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, S. 32; Tversky/Kahneman, 185 Science 1124, 1127 (1974). 148 Fischhoff, 1 J. Exp. Psychol. 288 (1975); Hawkins/Hastie, 107 Psych. Bull. 311 (1990). 149 Ein Beispiel hierfür ist die Causa Wirecard. Das ehemalige DAX-Unternehmen wurde 2018 noch mit einem Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Euro bewertet. Bereits damals gab es Gerüchte um einen möglichen Bilanzfälschungsskandal. Selbsterklärte Marktaufklärer und aktivistische Leerverkäufer veröffentlichten „Enthüllungsberichte“, wonach Wirecard in Wirklichkeit bereits damals wertlos gewesen sei. Diese Berichte wurden von den Medien kritisch gesehen, die BaFin leitete sogar ein Verfahren gegen die betreffenden Analysefirmen wegen Marktmanipulation ein. Bekanntlich stellte sich Mitte 2020 heraus, dass Wirecard die Existenz eines Bankguthabens in Höhe von 1,9 Milliarden Euro nicht nachweisen konnte. In der Folge stellte das Unternehmen einen Insolvenzantrag. Die BaFin und das Bundesministerium für Finanzen gerieten in Verruf, die im Nachhinein „eindeutige“ Beweislage falsch interpretiert zu haben. Der Bundestag setzte einen Untersuchungsausschuss ein, der den Auftrag hatte zu untersuchen, inwiefern die staatlichen Behörden „ihren finanzaufsichtlichen, geldwäscheaufsichtlichen sowie steuerrechtlichen Pflichten im Hinblick auf den Wirecard-Konzern nachgekommen sind.“, s. Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht vom 30.9.2020, Drs. 19/22996, S. 2; Leersch, „Wirecard-Pleite wird untersucht“, Das Parlament Nr. 41 / 05.10.2020, abrufbar unter: https://www. das-parlament.de/2020/41/europa_und_die_welt/796414-796414. Für eine juristische Betrachtung der Frage, ob eine Marktmanipulation durch „Leerverkaufsattacken“ möglich ist, s. Bayram/ Meier, BKR 2018, 55; Schmolke, ZGR 49 (2020), 291.
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(2) Framing, Mental Accounting Zudem kann ein Einflussnehmer durch ein „Framing“ den Entscheidungskontext gestalten, sodass sich ein Adressat mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine Handlungsalternative entscheidet.150 Richard Thaler hat dies mit Blick auf das Konsumentenverhalten näher erforscht.151 Menschen neigen dazu, ihr Vermögen in verschiedene Kategorien aufzuteilen und – vergleichbar mit der betriebswirtschaftlichen Buchführung – auf mentale Konten zu verbuchen (mental accounting). Die Glücksspielerin, die im Casino Roulette spielt, nimmt gewonnenes Geld anders wahr als dasjenige, mit dem sie kam. Sie erachtet es als „Spielgeld“, welches sie sich eher leisten kann zu verlieren und steckt es möglicherweise sogar in eine separate Tasche.152 Das mag ein effektiver Selbstkontrollmechanismus sein, widerspricht aber dem ökonomischen Grundsatz, dass Geld fungibel ist.153 Die „Buchung“ der mentalen Konten erfolgt auch nicht nach den rationalen Regeln kaufmännischer Buchführung, sondern „hedonistisch“, um den subjektiv empfundenen Nutzen zu maximieren.154 Ohne auf die Einzelheiten des Modells einzugehen, das wesentlich auf der „Prospect Theory“ von Tversky und Kahneman aufbaut,155 sind die Implikationen für Einflussnahmen im Wirtschaftsverkehr interessant, die Thaler wie folgt zusammenfasst: „[S]egregate gains and integrate losses. Each principle also has a corollary: segregate ‘silver linings’ (small gains combined with large losses) and integrate (or cancel) losses when combined with larger gains.“156
Daraus folgt etwa, dass jemand, der mit zwei Lotterielosen jeweils 50 EUR und 25 EUR gewinnt, glücklicher ist als jemand, der mit einem einzelnen Los 75 EUR gewinnt („segregate gains“).157 Anbieter nutzen das „Mental Accounting“ der
150 Wird etwa der Behandlungserfolg einer Operation mit „90 % Erfolgswahrscheinlichkeit“ oder mit „10 % Wahrscheinlichkeit von Komplikationen“ beschrieben, bevorzugen signifikant mehr Personen die erste Alternative. Und das, obwohl beide Alternativen denselben Informations- und Erwartungswert aufweisen, womit ein Verstoß gegen das Invarianzkriterium der Rational Choice Theory vorliegt, Tversky/Kahneman, 59 J. Bus. S251, 253 ff. (1986). 151 Thaler, 4 Mark. Sci. 199 (1985); ders., 12 J. Behav. Decis. Mak. 183 (1999). 152 Thaler, 12 J. Behav. Decis. Mak. 183, 198 (1999); ders./Sunstein, Nudge, 2008, S. 50 f. 153 Thaler, 12 J. Behav. Decis. Mak. 183, 185 (1999). 154 S. zu den Details Thaler, 4 Mark. Sci. 199 (1985); ders., 12 J. Behav. Decis. Mak. 183 (1999). 155 Kahneman/Tversky, 47 Econometrica 263 (1979); Tversky/Kahneman, 5 J. Risk Uncertain. 297 (1992). S. auch die knappe Zusammenfassung bei Thaler, 4 Mark. Sci. 199, 201 (1985) sowie Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 8. Aufl. 2012, S. 163 ff. 156 Thaler, 4 Mark. Sci. 199, 208 (1985). Auch wichtig: „Moral: don’t wrap all the Christmas presents in one box.“, ebd. S. 202. 157 Thaler, 12 J. Behav. Decis. Mak. 183, 187 (1999): „[I]f you ask subjects ‘Who is happier, someone who wins two lotteries that pay $50 and $25 respectively, or someone who wins a single lottery paying $75?’ 64 % say the two-time winner is happier. A similar majority shared the intuition of the other three principles.“
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Marktgegenseite durch ein Framing ihres Angebots aus, um den Wert eines Gutes möglichst hoch erscheinen zu lassen.158 Der Kaufpreis für ein Gut ist für den Erwerber ein „Verlust“. Wird dem Verlust ein kleiner Gewinn als „silver lining“ gegenüberstellt, etwa durch gesonderte Ausweisung eines Rabatts (bestenfalls durch ein Durchstreichen des Referenzpreises), schätzen Konsumenten den Nutzen des Gutes höher ein als wenn lediglich der rabattierte Preis wahrgenommen wird.159 Die Abrechnungspraxis von Kreditkartenunternehmen lässt sich ebenfalls in diese Richtung deuten. Eine Kreditkarte bündelt viele kleine Verluste in einen, durch eine monatliche Abrechnung eintretenden, größeren Verlust, wodurch sich der Verlust geringer anfühlt („integrate losses“).160 Schließlich ist auch in der Praxis, Preise knapp unter einer „runden“ Zahl festzusetzen (z. B. 9,99 EUR), die Ausnutzung dieses Framing-Effekts zu erkennen. Erwerber nehmen die runde Zahl als zu zahlenden Preis wahr und kodieren die Differenz von einem Cent als „Gewinn“, wodurch der Erwerb ingesamt als lohnenswerter erscheint als es tatsächlich der Fall ist.161 Das wird besonders bei Benzinpreisen deutlich, bei denen der Preis auf einen Zehntelcent genau fixiert wird.162 (3) Ankereffekt Weiterhin beurteilen Menschen Eintrittswahrscheinlichkeiten, indem sie von einem Ausgangswert („Anker“) ausgehen, der angepasst wird, um zu einem abschließenden Urteil zu gelangen.163 Der Ankereffekt führt zu einem bias, wenn der Ausgangswert nicht angemessen korrigiert wird und die Einschätzung in Richtung Anker verzerrt bleibt.164 In einem Experiment wurden Immobilienmakler gebeten, den Wert eines Hauses einzuschätzen.165 Die Makler besuchten die Immobilie und erhielten eine Broschüre mit Informationen über das Haus, die auch eine Preisvorstellung des Veräußerers enthielt. Die Broschüren waren identisch und unterschieden sich lediglich in einem kleinen Detail: Die Hälfte der Probanden erhielt eine Broschüre mit einer hohen Preisvorstellung, die andere Hälfte mit einer niedrigeren. Immobilienmakler, welche die höhere Preisvorstellung sahen, gaben im Schnitt eine um 41 % höhere Werteinschätzung ab als Makler in der 158
Hierzu auch Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 739 ff. (1999). Bauer/Neumann/Huber, Präferenzschaffung durch preispsychologische Maßnahmen, 2005, S. 12. 160 Thaler, 12 J. Behav. Decis. Mak. 183, 193 (1999). 161 So Schindler/Kirby, 24 J. Consum. Res. 192 (1997). S. hierzu auch Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1441 f. (1999). 162 Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1442 (1999). 163 Tversky/Kahneman, 185 Science 1124, 1128 (1974). 164 Tversky/Kahneman, 185 Science 1124, 1128 (1974). Beispielsweise das Strafmaß, das ein Staatsanwalt fordert und der Richter dann nur geringfügig abweicht, Englich/Mussweiler, 31 J. Appl. Soc. Psychol. 1535 (2001); Englich, 28 Law & Policy 497 (2006). 165 Northcraft/Neale, 39 Organizational Behavior and Human Decision Processes 84 (1987). S. auch Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 124. 159
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Kontrollgruppe.166 Die Probanden wurden nach den Faktoren gefragt, die ihre Einschätzung beeinflussten. Kaum ein Makler gab an, dass die Preisvorstellung des Veräußerers einen Einfluss auf ihre Einschätzungen hatte.167 Sie waren sich des Ankereffekts nicht bewusst. (4) Reihenfolgeeffekt In eine ähnliche Richtung wirkt der Reihenfolgeeffekt. Werden einem Entscheider mehrere Informationen gleichzeitig präsentiert, ergibt sich zwangsläufig eine Reihenfolge, in der er sie wahrnimmt.168 Während der homo oeconomicus blind für die Reihenfolge der Informationen ist,169 legen Erkenntnisse aus der Psychologie nahe, dass die Reihenfolge eine Bedeutung für die Informationsverarbeitung realer Menschen hat. Der auftretende Reihenfolgeeffekt kann entweder die Form eines Primäreffekts, d. h. die zuerst genannte Information bleibt besser im Gedächtnis verhaftet, oder die eines Rezenzeffekts annehmen, sodass die zuletzt genannte Information bei einer anschließenden Entscheidung höher gewichtet wird.170 Robin Hogarth und Hillel Einhorn haben nach Auswertung 60 experimenteller Studien das deskriptive „Belief-Adjustment Model“ vorgeschlagen, das den auftretenden Reihenfolgeeffekt nach Anzahl und Art der Informationen zuverlässig prognostizieren kann.171 Bildet ein Entscheider erst nach Wahrnehmung mehrer Informationen ein Urteil oder handelt es sich um lange Informationssequenzen, dient die anfängliche Information als Anker, der stärker gewichtet wird (Primäreffekt).172 Wenn der Entscheider Informationen schrittweise verarbeitet, d. h. seine Überzeugung nach Wahrnehmung jeder einzelnen Information anpasst, misst er der zuletzt erhaltenen Information größere Bedeutung zu (Rezenzeffekt). Vor dem Reihenfolgeeffekt
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Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 124. Northcraft/Neale, 39 Organizational Behavior and Human Decision Processes 84, 93 f. (1987). 168 Hogarth/Einhorn, 24 Cogn. Psych. 1, 3 (1992): „There are two pieces of evidence, A and B. Some subjects express an opinion after seeing the information in the order A–B; others receive the information in the order B–A. An order effect occurs when opinions after A–B differ from those after B–A.“ 169 Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.), Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 9, 32. 170 Hogarth/Einhorn, 24 Cogn. Psych. 1 (1992). S. aus deutscher Perspektive, mit Blick auf den auftretenden Reihenfolgeeffekt bei (Konzern-)Lageberichten, Theis, Kommunikation zwischen Unternehmen und Kapitalmarkt, 2014, S. 164 ff. 171 Hogarth/Einhorn, 24 Cogn. Psych. 1 (1992). 172 Das ist eine sehr starke Vereinfachung. Der auftretende Effekt hängt von einer Vielzahl von Variablen ab: der Komplexität der Informationen, der Länge der Informationssequenz, dem Antwortmodus (d. h., ob sich der Adressat seine Überzeugung nach Wahrnehmung eines jeden einzelnen Informationselements oder nachdem alle Informationselemente präsentiert wurden bilden soll) sowie dem Verarbeitungsprozess, der Kodierung und der Gewichtung durch den Adressaten. S. zu den Einzelheiten Hogarth/Einhorn, 24 Cogn. Psych. 1 (1992). Eine tabellarische Übersicht über die auftretenden Effekte findet sich ebd. S. 17. 167
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sind selbst Experten nicht gefeit. Wirtschaftsprüfer,173 Steuerberater174 und Buchhalter175 sind gleichermaßen anfällig.176 (5) Repräsentativheuristik Schließlich lässt sich auch die Repräsentativheuristik zur Einflussnahme ausnutzen. Menschen kategorisieren Ereignisse und denken in Stereotypen. Bei der Einschätzung einer Wahrscheinlichkeit wird auf die Ähnlichkeit zu einer bekannten Kategorie Bezug genommen, welche dann als „Repräsentantin“ fungiert. Dabei wird jedoch ihre A-priori-Wahrscheinlichkeit vernachlässigt (base rate neglect).177 Wenn ein Unternehmen ein konsistentes Gewinnwachstum über mehrere Jahre vorzeigen kann, begleitet von enthusiastischen Managementprognosen, schließen viele Anleger daraus, dass die vergangene Performance repräsentativ für das zukünftige Wachstum ist.178 Sie lassen außer Acht, dass ein konstantes Gewinnwachstum unwahrscheinlich ist. c) Soziale Bewährtheit In Momenten der Ungewissheit substituieren Menschen mangelnde Informationen mit einem Blick auf andere Personen. Wenn viele andere Personen etwas tun, wird es schon richtig sein.179 Diese Heuristik180 ist anfällig für manipulative Einflüsse. Bei Sitcoms wird ein Lachen im Anschluss an eine Pointe eingespielt, bei Talkshows klatscht ein Mitarbeiter Beifall.181 Auch wenn uns bewusst ist, dass der Stimulus künstlich ist, können wir uns nicht dem social proof entziehen und lachen 173
Ashton/Ashton, 63 Account. Rev. 623 (1988). Pei/Reckers/Wyndelts, 23 Decis. Sci. 175 (1992). 175 Dillard/Kauffman/Spires, 16 Account. Organ. Soc. 619 (1991). 176 S. für eine Studie über den auftretenden Reihenfolgeeffekt bei der Berichterstattung über Chancen und Risiken im (Konzern-)Lagebericht Theis, Kommunikation zwischen Unternehmen und Kapitalmarkt, 2014, S. 180 ff. 177 S. Tversky/Kahneman, in: Kahneman/Slovic/Tversky (Hrsg.), Judgment under Uncertainty, 1982, S. 153 ff. Ein bekanntes Experiment zum Nachweis der Repräsentativheuristik ist das Linda-Experiment, dies., 90 Psychol. Rev. 293 (1983): Den Probanden wurden Informationen über eine Frau namens Linda präsentiert, die dem Stereotyp einer Feministin entsprachen. Im Anschluss wurden sie gefragt, was wahrscheinlicher ist – „Linda ist eine Bankangestellte“ oder „Linda ist eine Bankangestellte und aktiv in der Frauenrechtsbewegung“. Die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer (87 %) schätzte die Wahrscheinlichkeit, Linda sei eine Bankangestellte und Feministin, höher ein. Sie unterlagen einem Fehlurteil, denn die Wahrscheinlichkeit für das gleichzeitige Auftreten beider Ereignisse kann denknotwendigerweise nicht höher als die Wahrscheinlichkeit eines singulären Auftretens sein. Vgl. hierzu auch Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 156 ff. 178 Shleifer, Inefficient Markets, 2000, S. 129; s. für einen empirischen Nachweis Boussaidi, 81 Procedia Soc. Behav. Sci. 9 (2013). 179 Cialdini, Influence, 2007, S. 116. 180 Vgl. Gigerenzer, Rationality for Mortals, 2008, S. 30 ff.; Todd/Gigerenzer, Ecological Rationality, 2012, S. 339. 181 Vgl. Cialdini, Influence, 2007, S. 115. 174
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oder klatschen ebenfalls. Der Hang zur sozialen Bewährtheit kann so weit gehen, dass Betroffene sich offensichtlich falschen Einschätzungen anderer anschließen.182 Das passiert auch in völlig anonymen Situationen.183 Das führt auf Märkten zu einem „Herdenverhalten“, d. h. dazu, dass die Nachfrage eines Marktakteurs abhängig von der Nachfrage eines anderen ist.184 Wenn eine große Gruppe, die „Schwarmintelligenz“, einstimmig urteilt, wird sie, so die Annahme, Recht haben.185 Die Ausnutzung der sozialen Bewährtheit hat sich auch als Marketingstrategie behauptet. Prominente empfehlen Produkte und erhöhen zusammen mit „Testimonials“ zufriedener Kunden die Glaubwürdigkeit von Werbebotschaften. Man könnte sagen, der gesamte Berufsstand der „Influencer“ baut auf der Ausnutzung sozialer Bewährtheit auf. d) Sympathie Bereits Dale Carnegie hat in seinem 1936 erschienenen Buch „How to Win Friends and Influence People“, das als Blaupause moderner Beeinflussungsstrategien gilt, klargestellt: „Three-fourths of the people you will ever meet are hungering and thirsting for sympathy. Give it to them, and they will love you.“186 Es mag niemanden überraschen, dass wir „ja“ sagen, wenn wir jemanden mögen.187 Der „Heuristics and Biases“-Ansatz spricht hier von der Affektheuristik.188 Das Sympathie-Prinzip können Einflussnehmer auf verschiedene Arten zu ihrem Vorteil ausnutzen. Einflussnehmer können ein Entscheidungsumfeld schaffen, das Adressaten mögen: Entweder, indem sie selbst schmeichelnd, freundlich, attraktiv und dem
182 In einem berühmten Experiment des Sozialpsychologen Solomon Asch platzierte er Probanden in eine Gruppe von sieben bis neun Personen. Bei den anderen Personen handelte es sich, ohne dass die Probanden hiervon Kenntnis hatten, um Vertraute des Versuchsleiters. Der gesamten Gruppe wurde zunächst eine Karte mit einer Linie gezeigt. Dieser wurde eine andere Karte gegenübergestellt, auf der sich drei Linien in unterschiedlicher Länge befanden. Die Gruppe wurde gebeten, einzuschätzen, welche der drei Linien die gleiche Länge wie die Referenzlinie hat. Der Proband sollte die meisten Antworten der anderen hören, bevor er seine eigene Antwort vor der Gruppe äußerste. Die Eingeweihten gaben in einem Großteil der Schätzungen absichtlich falsche Antworten. Die Probanden folgten in einem Drittel der Fälle – aufgrund des sozialen Drucks – der offensichtlich falschen Einschätzung, s. Asch, in: Guetzkow (Hrsg.), Groups, Leadership and Men, 1951, S. 177. 183 Folgeexperimente konnten nachweisen, dass der social proof nicht nur wirkt, wenn sich die Probanden im selben Raum wie andere Personen befinden, sondern auch in völlig anonymen Situationen, s. Deutsch/Gerard, 51 J. Abnorm. Psychol. 629 (1955). 184 Becker, 99 J. Political Econ. 1109 (1991). Das erklärt, warum „restaurants, theaters, publishers, and others do not raise price when demands exceed supply.“, ebd. S. 1116. S. zum Herdenverhalten auf Finanzmärkten Shiller, Irrational Exuberance, 3. Aufl. 2015, S. 148 ff. 185 Shiller, Irrational Exuberance, 3. Aufl. 2015, S. 150. 186 Carnegie, How to Win Friends and Influence People, 1998 (1936), S. 168. 187 Cialdini, Influence, 2007, S. 167. 188 Slovic/Finucane/Peters et al., 177 EJOR 1333 (2007); Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 103.
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Adressaten ähnlich189 auftreten190 oder indem sie die Einflussnahme mittelbar durch Freunde, Verwandte oder Nachbarn des Adressaten ausüben. Paradigma für Letzteres sind die berüchtigten „Tupperware-Partys“,191 oder die sog. „Endless Chain“-Methode, bei der ein Verkäufer einen Kunden bittet, andere Kunden vorzuschlagen, die an den Angeboten des Verkäufers interessiert sind. Ist der Verkäufer mit dem Namen eines Freundes bewaffnet, ist es schwieriger, ihn abzuweisen.192 Auch die Werbestrategie „Sex Sells“ fällt hierunter. Es gibt kaum ein Produkt, das nicht mithilfe erregender Reize oder sexueller Anspielungen vermarktet wird.193 Die Wirkung von Sympathie und Attraktivität geht sogar weiter. Wer eine Person sympathisch oder attraktiv findet, schließt von dieser Einschätzung häufig auf andere Eigenschaften, etwa dass diese Person intelligent ist.194 Dieses Phänomen wird passenderweise als „Halo-Effekt“ bezeichnet195 – halo ist das englische Wort für „Heiligenschein“. Gemeint ist, dass der Schein eines Attributs auf unbekannte Eigenschaften überstrahlt und so zu einem verzerrten Eindruck führt. Das Positive, aber auch das Negative des Attributs überträgt sich so auf andere Bereiche. Der Halo-Effekt tritt nicht nur bei Personen ein. So kann die Marke eines Unternehmens auf seine Produkte überstrahlen196 und das Umsatzwachstum eines Unternehmens sorgt für eine Überbewertung einer Aktie.197
189 Ähnlichkeit ist eine Heuristik, nicht nur wenn es um die Sympathie gegenüber anderen Personen geht, sondern sie erzeugt generell eine angenehme kognitive Leichtigkeit, vgl. Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 61. S. zur kognitiven Leichtigkeit unten S. 47 f. 190 Durch Sympathie wurde der US-Amerikaner Joe Girard zum wohl erfolgreichsten Gebrauchtwagenhändler der Welt. Seine Strategie war simpel: Er sendete jeden Monat an sämtliche Kunden eine Grußkarte. Der Gruß änderte sich von Monat zu Monat, die auf der Vorderseite der Karte gedruckte Botschaft änderte sich jedoch nicht („Ich mag dich.“). Zu seinen Hochzeiten verschickte er mehr als 13.000 Karten monatlich, vgl. Cialdini, Influence, 2007, S. 174 f. 191 Vgl. hierzu auch unten S. 109. 192 Cialdini, Influence, 2007, S. 169. 193 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 738 (1999). 194 Vgl. Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 82. David Landy und Harold Sigall haben das eindrücklich in der passend umschriebenen Studie „Beauty is talent“ gezeigt. Probanden sollten einen Aufsatz einer vermeintlichen Studentin bewerten. Wurden die Probanden glauben gemacht, die Studentin sei äußerst attraktiv, bewerteten sie den Aufsatz bedeutend besser, s. Landy/Sigall, 29 J. Pers. Soc. Psychol. 299 (1974). Der Halo-Effekt ist auch Ausdruck des menschlichen Konsistenzbedürfnisses, weil die Person so homogener wahrgenommen wird, vgl. Felser, Werbe- und Konsumentenpsychologie, 4. Aufl. 2015, S. 143. 195 Erstmalig wurde der Effekt beschrieben von Thorndike, 4 J. Appl. Psychol. 25 (1920). Vgl. zu dem Effekt auch Nisbett/Wilson, 35 J. Pers. Soc. Psychol. 250 (1977); Cialdini, Influence, 2007, S. 171; Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 82; Felser, Werbe- und Konsumentenpsy chologie, 4. Aufl. 2015, S. 143. 196 Hutton, 6 J. Prod. Brand Manag. 428, 433 (1997). 197 Hirshleifer, 56 J. Finance 1533, 1542 (2001); Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 115.
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e) Autorität Autorität ist eine Form der Macht, die nicht als Zwang, sondern legitim erscheint.198 Sie ist ein prägendes Merkmal sozialer Strukturen, die traditionell hierarchisch aufgebaut sind. Früher galt der Vater als Oberhaupt der Familie und der Herrscher als Anführer eines Landes. Die Unterordnung unter eine Autorität war ein Selektionsvorteil, durch den sich der soziale Organismus entwickeln und regulieren konnte.199 Ungehorsam kann die Stabilität dieser sozialen Strukturen untergraben – man denke nur an den Sündenfall, 200 als Adam und Eva von der verbotenen Frucht aßen und damit den Befehl Gottes missachteten.201 Wie erschreckend willfährig Autorität Menschen machen kann, zeigt das „Milgram-Experiment“: Probanden sollten auf Anweisung des Versuchsleiters – einem ernst blickenden Mann in einem Laborkittel – einem anderen Menschen Stromstöße verpassen, wenn dieser bei einer Aufgabe einen Fehler machte. Der Großteil der Probanden folgte der Anweisung des Versuchsleiters auch dann noch, als der Bestrafte vor Schmerzen schrie und darum flehte, aus dem Experiment entlassen zu werden.202 Die Stromschläge waren freilich fingiert. Das vermeintliche Opfer war in Wirklichkeit ein Mitarbeiter des Versuchsleiters. Seine Reaktionen kamen von einem Tonband. Gleichwohl hatte kein Proband diese Täuschung durchschaut. Die Erklärung für die Reaktion der Probanden liegt nicht in einer dem Menschen angeborenen sadistischen Neigung. Es war der blinde Gehorsam, eine „Gedankenlosigkeit“ gegenüber Weisungen einer Autoritätsperson, die Hanna Arendt in Bezug auf Adolf Eichmann bekanntlich als die „Banalität des Bösen“ beschrieb.203 Sie unterlagen einem authority bias. 198 Vgl.
Gebhardt, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, 8. Aufl. 2017, „Autorität“. Milgram, Obedience to Authority, 1974, S. 123 ff. 200 Gen 3,1–24. 201 Cialdini, Influence, 2007, S. 217 f. 202 S. zu der Serie von Experimenten Milgram, Obedience to Authority, 1974, S. 16 ff. Im Detail liefen die Experimente so ab: Probanden sollten andere Versuchsteilnehmer mit Elektroschocks bestrafen, wenn sie bei einer Lernaufgabe einen Fehler machten. Die Schocks wurden bei jeder falschen Antwort stärker und bewegten sich im Bereich von 15 bis 450 Volt. Die Probanden waren räumlich getrennt und kommunizierten über Mikrofone und Lautsprecher. Die Reaktionen der „Lernenden“ auf die Schocks reichten von einem anfänglichen Grunzen, über ein schmerzhaftes Stöhnen, Bitten und Flehen, aus dem Experiment entlassen zu werden, hin zu gequälten Schmerzensschreien und ab 300 Volt hörte man nur noch Schläge an die Wand und Stille. Immer wieder wandten sich die Probanden an den Versuchsleiter, um sich zu versichern, ob sie die Schocks weiter verabreichen sollten. Der Versuchsleiter reagierte nüchtern mit einer Reihe von festgelegten Antworten, die von „Bitte machen Sie weiter“ bis „Sie haben keine andere Wahl, Sie müssen weitermachen“ rangierten. Auch wenn es die Probanden sehr belastete – sie schwitzten, zitterten und stöhnten – brach keiner von ihnen den Versuch ab, bevor sie einen Stromstoß mit 300 Volt gaben. 65 % der Probanden leisteten dem Versuchsleiter auch danach unbedingten Gehorsam und gaben Elektroschocks bis zur maximalen Spannung von 450 Volt. Milgram resümierte: „It is the extreme willingness of adults to go to almost any lengths on the command of an authority that constitutes the chief finding of the study“, Milgram, Obedience to Authority, 1974, S. 5. 203 Arendt, Eichmann in Jerusalem, 2. Aufl. 2007 (1963), S. 57: „Es war gewissermaßen schiere Gedankenlosigkeit – etwas, was mit Dummheit keineswegs identisch ist –, die ihn dafür prädisponierte, zu einem der größten Verbrecher jener Zeit zu werden.“ 199 Hierzu
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Die Macht der Autorität können Einflussnehmer gezielt ausnutzen. In der Werbung verweisen Frauen und Männer in weißen Kitteln auf Statistiken, die zeigen, warum das beworbene Produkt besser sei als das der Mitbewerber. Sie gaukeln dadurch Expertise vor, die mit Glaubwürdigkeit und Seriosität gleichgesetzt wird. Betrüger schmücken sich mit falschen Titeln, andere spiegeln mit Kleidung – etwa einer Uniform – oder einem Sportwagen Macht und Autorität vor, die sie in Wirklichkeit nicht besitzen.204 f) Knappheit aa) Allgemeines Ressourcen sind endlich. Gegenstände, die knapp sind, schränken unsere Wahlfreiheit ein. Dadurch entsteht Reaktanz, ein Gemütszustand, den man am ehesten mit psychischem Druck beschreiben kann.205 Reaktanz beschreibt das Verlangen, die Freiheit erhalten zu wollen und ist daher mit der Verlustaversion verwandt.206 Das führt zu einem gesteigerten Interesse an knappen Gegenständen.207 Einflussnehmer nutzen das Prinzip der Knappheit als Manipulationsstrategie. Cialdini erzählt davon, wie sein Bruder das College finanzierte:208 Jede Woche kaufte er ein gebrauchtes Auto aus den Anzeigen in der Lokalzeitung. Er reinigte es und bot den Wagen kurz darauf wieder zum Kauf an. Er ließ mehrere Kaufinteressenten bewusst zum selben Zeitpunkt erscheinen. Jeder Käufer war sich dann bewusst, dass es mehrere Abnehmer, aber nur ein Auto gab. Dadurch erschien das Fahrzeug attraktiver. Neben der sozialen Bewährtheit nutzte er so die menschliche Reaktion auf Knappheit aus. Allgemein ist es eine gängige Marketingstrategie, den Eindruck begrenzter Verfügbarkeit zu vermitteln, etwa weil nur wenige Exemplare zum Ver204 So gelang es dem Schneidergesellen Wenzel Strapinski in Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“ bekanntlich – trotz eines Lebens in Armut – aufgrund seines Kleidungsstils für einen Grafen gehalten zu werden, vgl. Keller, Kleider machen Leute, 2006 (1874). S. zur Wirkung von Kleidung als Autoritätssymbol insbesondere die Studie von Bickman, 4 J. Appl. Soc. Psychol. 47 (1974) sowie Cialdini, Influence, 2007, S. 226 ff., zu Titeln ebd. S. 222 ff.; zur Außenwirkung von Luxusgegenständen wie Schmuck und Sportautos ebd. S. 228 ff. sowie die Studie von Doob/Gross, 76 J. Soc. Psychol. 213 (1968). 205 Die Reaktanztheorie wurde insbesondere durch Jack W. Brehm geprägt, s. Brehm, A Theory of Psychological Reactance, 1966; Brehm/Brehm, Psychological Reactance, 1981. 206 Vgl. Brehm/Brehm, Psychological Reactance, 1981, S. 4: „Thus, the direct manifestation of reactance is behavior directed toward restoring the freedom in question.“ Auch Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 210, Note 23 setzen Knappheit mit der Verlustaversion gleich. Zur Verlustaversion unten S. 44. 207 Brehm/Brehm, Psychological Reactance, 1981, S. 4: „The individual who discovers that import quotas have been placed on Hondas will exhibit increased motivation to buy a Honda by trying all of the dealers she can locate, and perhaps by purchasing the car from a dealer much further from her home than she would normally like to do. In addition to direct behavioral consequences, reactance affects the subjective attractiveness of potential outcomes. Having learned that Hondas are subject to import quotas, the individual will perceive the Honda to be more attractive or desirable than before receipt of this information.“ 208 Cialdini, Influence, 2007, S. 201 f.
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kauf stehen oder das Angebot nur für einen begrenzten Zeitraum gilt.209 So warnen Hersteller vor Engpässen bei der Herstellung des Produkts oder im Internet zählt auf einem Werbebanner ein Timer nach unten, der anzeigt, wie lange ein spezielles Angebot noch verfügbar sein soll.210 bb) Verwandte Heuristiken Menschen messen Gegenständen in ihrem Besitz einen höheren Wert zu als vergleichbaren Gegenständen, die sich nicht in ihrem Besitz befinden (Besitztumseffekt).211 Im berühmten „Coffee Mug Experiment“ gaben Daniel Kahneman, Jack Knetsch und Richard Thaler der Hälfte der Probanden eine Kaffeetasse, während die andere Hälfte Bargeld erhielt.212 Die Besitzer der Tassen wurden gebeten einen Verkaufspreis für ihre Kaffeetassen festzulegen. Die andere Gruppe sollte den für sie maximal akzeptablen Kaufpreis angeben. Im Durchschnitt war der Verkaufspreis doppelt so hoch wie die Zahlungsbereitschaft. Die Probanden, welche die Tassen erhielten, unterlagen dem Besitztumseffekt und schätzten den Wert der Tasse höher ein, weil sie sich in ihrem Besitz befand. Selbstredend nutzen Einflussnehmer den Besitztumseffekt zur Einflussnahme aus: Eine Geld-zurück-Garantie animiert Konsumenten zum scheinbar risikolosen Kauf. Ist der Erwerbsgegenstand einmal im Besitz des Konsumenten, wird er diesen nur ungern wieder hergeben.213 Eine Erklärung für den Besitztumseffekt ist die Neigung des Menschen, Verluste stärker zu gewichten als Gewinne (Verlustaversion).214 Man ärgert sich mehr darüber 50 EUR zu verlieren als man sich freuen würde 50 EUR zu gewinnen. Die Verlustaversion kann durch ein Framing („loss frame“) hervorgerufen werden. So forderte die US-amerikanische Kreditkartenlobby, dass der Preisunterschied zwischen einer Bezahlung mit einer Kreditkarte und dem Barpreis nicht als Kreditkartenaufschlag, sondern als Bargeldrabatt ausgeschrieben sein soll, um einen „loss frame“ zu vermeiden.215
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Cialdini, Influence, 2007, S. 241 f. Vgl. auch unten S. 329. 211 Im Englischen: endowment effect, Thaler, 1 J. Econ. Behav. Organ. 39, 43 ff. (1980). 212 Kahneman/Knetsch/Thaler, 98 J. Political Econ. 1325 (1990). 213 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 734 (1999). Das mag ein Grund dafür sein, dass sich in Ländern, in denen es anders als in der Europäischen Union kein Widerrufsrecht für Fernabsatzgeschäfte gibt, gleichwohl eine Rückgabemöglichkeit aus „Kulanz“ etabliert hat. 214 Kahneman/Tversky, 47 Econometrica 263 (1979); Kahneman/Knetsch/Thaler, 98 J. Political Econ. 1325, 1326 ff. (1990); dies., 5 J. Econ. Perspect. 193, 194 (1991): „[T]he disutility of giving up an object is greater that the utility associated with acquiring it.“ 215 Tversky/Kahneman, 59 J. Bus. S251, S261 (1986); Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1441 (1999); Felser, Werbe- und Konsumentenpsychologie, 4. Aufl. 2015, S. 402. 210
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme
45
IV. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ Der ideengeschichtliche Abriss216 hat gezeigt, dass die menschliche Natur seit jeher als zwiegespalten aufgefasst wird. Das „Imperium der Rationalität“ stand schon immer den Affekten, Gefühlen, dem Unbewussten oder Irrationalen gegenüber. Diese Dichotomie wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in der Kognitionspsychologie und der verhaltenswissenschaftlichen Forschung aufgegriffen. Dort werden unter der Bezeichnung „Dual Process Theory“ zwei Arten des Denkens beschrieben (1.). Einflussnehmer können die beiden Denksysteme gezielt gegeneinander ausspielen und durch eine „Ego-Depletion“ sowie durch die Ausnutzung „kognitiver Leichtigkeit“ das Entscheidungsverhalten der Adressaten manipulieren (2.). 1. Dual Process Theory Es gibt „höhere“ Denkprozesse, die als langsam, kontrolliert, reflexiv, regelbasiert, ressourcenhungrig, rational, analytisch, logisch, deduktiv und bewusst charakterisiert werden.217 Dieser Denkmodus ist Ausdruck der menschlichen Rationalität, wie sie ideengeschichtlich seit der Philosophie des antiken Griechenlands beschrieben wird. Er macht den Menschen zu einem animal rationale. Es ist der Denkprozess, den man durch einen praktischen Syllogismus wie in der aristotelisch-thomanischen Handlungstheorie schematisiert darstellen kann: Wenn wir vor der Entscheidung stehen, eine Waschmaschine zu kaufen, und zwei Modelle in der engeren Wahl sind, wägen wir durch vernunftgesteuertes Denken ab, welcher Kauf nützlicher ist. Dieser Denkprozess firmiert unter der Bezeichnung „System 2“218 , oder unter der weniger neutralen Bezeichnung „Analytisches System“.219 Diesem Denkmodus stellt man das „System 1“220 gegenüber, oder gleichbedeutend das „Heuristische System“221. Diese Art des Denkens beschreibt kognitive Vorgänge, die schnell, reaktiv, affektiv, automatisch, intuitiv, heuristisch, assoziativ und unbewusst ablaufen.222 System 1 ist der Denkmodus, den sich der Mensch mit 216
Vgl. oben S. 23 f. Stanovich/West, 23 Behav. Brain Sci. 645, 658 (2000); Kahneman/Frederick, in: Gilovich/ Griffin/Kahneman (Hrsg.), Heuristics and Biases, 2002, S. 49, 51; Evans, 7 Trends Cogn. Sci. 454 (2003); Grayot, 11 Rev. Philos. Psychol. 105 (2020). 218 Die Bezeichnung geht zurück auf Stanovich/West, 23 Behav. Brain Sci. 645, 658 (2000). Berühmt wurde die Bezeichnung durch ihre Übernahme im populärwissenschaftlichen Buch von Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012. S. auch bereits ders./Frederick, in: Gilovich/Griffin/ Kahneman (Hrsg.), Heuristics and Biases, 2002, S. 49, 51. S. für eine Übersicht auch die Tabelle in Evans/Stanovich, 8 Perspect. Psychol. Sci. 223, 225 (2013). 219 Stanovich, The Robot’s Rebellion, 2005, S. 44 ff. 220 Stanovich/West, 23 Behav. Brain Sci. 645, 658 (2000); Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 20 f. 221 Stanovich, The Robot’s Rebellion, 2005, S. 34; Evans/Stanovich, 8 Perspect. Psychol. Sci. 223, 225 (2013). 222 Stanovich/West, 23 Behav. Brain Sci. 645, 658 (2000); Kahneman/Frederick, in: Gilovich/ 217
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
Tieren teilt.223 Seine Nutzung erfordert nur wenig kognitive Anstrengung. Wenn wir gedankenverloren auf einer Autobahn fahren, ist das System 1 aktiv.224 Erscheint ein Hindernis und wir müssen im Bruchteil einer Sekunde die Entscheidung treffen, ob wir bremsen oder nicht, steuert ebenfalls das System 1. Diese Tätigkeiten passieren mühelos und intuitiv, fast schon reflexhaft, ohne großes Nachdenken. Da das System 1 so schnell ist, ist es – vom Blickwinkel einer rationalen Nutzenmaximierung aus – fehleranfällig. Diese Zweiteilung des menschlichen Denkens ist freilich nur eine grobe. Gleichwohl gibt es aus der Neurobiologie und -psychologie Anhaltspunkte, dass verschiedene Denkprozesse verschiedene Hirnareale aktivieren. Grob kann man das Gehirn – aus anatomischer Sicht freilich stark vereinfacht – in drei Hirnareale unterteilen.225 Diese drei Areale spiegeln einerseits die evolutionäre Entwicklung wider, andererseits werden mit ihnen spezifische Hirnaktivitäten assoziiert. Evolutionsgeschichtlich am ältesten ist das „Reptiliengehirn“, der Hirnstamm. Es steuert lebensnotwendige Funktionen wie den Herzschlag, die Atmung oder die Nahrungsaufnahme. Daneben existiert das limbische System („Säugergehirn“), das in Verbindung mit emotionaler Erregung, Trieben, Angst und Furcht („Fight or Flight“), vor allem also mit unbewussten mentalen Prozessen steht.226 Und schließlich gibt es den Neocortex, den größten Teil der Großhirnrinde, der beim Menschen besonders ausgeprägt ist.227 Dort ist bei höheren kognitiven Aufgaben vor allem der präfrontale Cortex aktiv.228 Den Neocortex assoziiert man mit System 2, während man System 1 eher dem Hirnstamm zurechnet, vor allem aber dem limbischen System. Bildgebende Verfahren („Neuroimaging“) können auch tatsächlich eine erhöhte Aktivität dieser Areale bei verschiedenen Denkaufgaben sichtbar machen.229 Klar ist aber auch, dass es keine strikte Trennung zwischen System 1 und System 2 gibt. Jeder Denkprozess aktiviert mehrere Hirnareale gleichzeitig.230 Die bildgebenden Verfahren können höchstens eine erhöhte Aktivität in bestimmten Arealen nachweisen. Deshalb sagt auch Daniel Kahneman, der wohl berühmteste Griffin/Kahneman (Hrsg.), Heuristics and Biases, 2002, S. 49, 51; Evans, 7 Trends Cogn. Sci. 454 (2003); Grayot, 11 Rev. Philos. Psychol. 105 (2020). 223 Evans, 7 Trends Cogn. Sci. 454 (2003). 224 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 23, 29. 225 Camerer/Loewenstein/Prelec, 43 JEL 9, 13 (2005). Die Dreiteilung stammt von MacLean, The Triune Brain in Evolution, 1990. Diese Unterteilung mag aus neuropsychologischer Sicht ungenügend sein, für die Zwecke dieser Untersuchung ist sie aber ausreichend. 226 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 301; McClure/Laibson/Loewenstein et al., 306 Science 503 (2004) konnten bei spontanen Entscheidungen eine Aktivität des limbischen Systems feststellen. 227 Es ist auch vom „hominid brain“ die Rede, Camerer/Loewenstein/Prelec, 43 JEL 9, 13, 17 f. (2005). 228 Camerer/Loewenstein/Prelec, 43 JEL 9, 17 f. (2005). Etwa konnte eine gesteigerte Aktivität dieses Hirnareals bei monetären Entscheidungen beobachtet werden, McClure/Laibson/Loewenstein et al., 306 Science 503 (2004). S. auch Goel/Buchel/Frith et al., 12 NeuroImage 504 (2000); Goel/Dolan, 87 Cognition B11 (2003). 229 Vgl. Evans/Stanovich, 8 Perspect. Psychol. Sci. 223, 233 (2013). 230 Vgl. Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 29.
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme
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Vertreter der Dual Process Theory, „there is no one part of the brain that either of the systems would call home.“231 Die Dual Process Theory, der vor allem in der psychologischen und (verhaltens-) ökonomischen Forschung eine besondere Bedeutung zukommt, sollte deshalb nicht als deskriptive Theorie verstanden werden.232 Weder das Gehirn noch das Verhalten des Menschen ist so simpel, um es einem von zwei Bereichen zuschreiben zu können. Beide Systeme handeln nicht autonom, sondern interagieren miteinander.233 Klassischerweise wird diese Interaktion durch eine sequenzielle Beziehung beider Systeme beschrieben: Standardmäßig ist System 1 aktiv, während dem ressourcenhungrigen System 2 eine Überwachungsrolle zukommt und es gegebenenfalls interveniert.234 Auch wenn die dualistische Konzeption keine deskriptive Theorie ist, kommt ihr eine funktionale Rolle zu: Sie kann durch die einfache Beschreibung mentaler Prozesse als Grundlage für philosophische und ökonomische Modelle dienen. 2. Kognitive Leichtigkeit und Ego-Depletion Bewusste, wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen, Pläne aufzustellen und sie auszuführen sowie schwierige (Denk-)Aufgaben zu erledigen ist anstrengend. Der Mensch scheut geistige Anstrengung. Wer als Laie das erste Mal eine schwierige mathematische Formel sieht oder einen Gesetzestext liest, für den stellt sich schnell ein Gefühl geistiger Erschöpfung ein, eine kognitive Schwere. Nimmt er hingegen ein Wort, Konzept oder Muster wahr, das er bereits kennt, empfindet er ein angenehmes Gefühl der Vertrautheit, eine kognitive Leichtigkeit.235 Die kognitive Schwere ist eng verbunden mit Willensstärke. Willensstärke – die man mit dem System 2 assoziiert – ist erschöpflich. Sie ist eine endliche Ressource. Ganz ähnlich wie Energie, die sportliche Aktivitäten aufzehren, führt der Einsatz des Systems 2 zu einer „Ego-Depletion“.236 Sind die geistigen Ressourcen erschöpft, schwindet die Qualität nachfolgender Entscheidungen. Eine Person, die gebeten wird, sich eine Liste von sieben Zahlen für zwei Minuten zu merken und dann vor die Wahl gestellt wird, ob sie einen Schokoladenkuchen oder einen Obstsalat essen möchte, wird signifikant häufiger zu dem verführerischen Kuchen greifen.237 Das affektive System 1 obsiegt dann gegenüber dem ausgeschöpften System 2. Eine Ego-Depleti231
Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 29. Grayot, 11 Rev. Philos. Psychol. 105 (2020). 233 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 24. 234 Andere sehen eine parallele Anordnung beider Systeme, die dann im Wettbewerb um die Kontrolle stehen, s. etwa Pennycook, in: De Neys (Hrsg.), Dual Process Theory 2.0, 2017, S. 13 ff. 235 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 59 ff. 236 Baumeister/Bratslavsky/Muraven et al., 74 J. Pers. Soc. Psychol. 1252 (1998); Baumeister/ Sparks/Stillman et al., 18 J. Consum. Psychol. 4, 8 (2008). 237 S. das Experiment von Shiv/Fedorikhin, 26 J. Consum. Res. 278 (1999); vgl. auch Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 41; Baumeister/Sparks/Stillman et al., 18 J. Consum. Psychol. 4, 9 (2008). 232 Kritisch
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
on führt zu Kontrollverlust, der sich durch Reizbarkeit, Aggressionen, Egoismus, Unkonzentriertheit und, was für diese Untersuchung von besonderer Relevanz ist, durch den Hang zu Impulskäufen äußert.238 Ego-Depletion im wirtschaftlichen Kontext führt einerseits zu einer „Appetitanregung“, sodass Betroffene verstärkt nach Produkten greifen, die ihnen Vergnügen bereiten. Andererseits führt sie zu einer Verminderung der Abwehrkräfte gegenüber diesen Verführungen.239 Deshalb geben mental erschöpfte Konsumenten signifikant mehr Geld für Güter aus als im erholten Zustand.240 Werden Konsumenten mit einer Vielzahl möglicher Entscheidungen konfrontiert – ein Regal im Supermarkt voller verschiedener Produkte, deren Unterschiede man erst mühsam ermitteln müsste –, kann ihre Willensstärke gezielt zur Erschöpfung gebracht werden.
C. Zusammenfassung von § 1 1. Die aristotelisch-thomanische Handlungstheorie kann durch das Schema des praktischen Syllogismus aufzeigen, warum Menschen wie handeln. Gleichzeitig legt das Modell offen, wie man das Handeln einer Person beeinflussen kann: durch ein Einwirken auf die Prämissen des Syllogismus. Der Einflussnehmer modifiziert den Ober- oder Untersatz, indem er dem Adressaten passende, nützliche oder angenehme Zwecke präsentiert oder den Handlungskontext entsprechend gestaltet. Idealiter erfolgt das durch rationale Argumentation. Im Falle der Täuschung ruft der Einflussnehmer bei dem Adressaten eine Fehlvorstellung über passende oder nützliche Zwecke hervor, bei der Manipulation präsentiert er angenehme Zwecke oder gestaltet den Handlungskontext angenehmer. 2. Die Beeinflussung betrifft psychische Vorgänge, die äußerlich nicht wahrnehmbar und nur eingeschränkt überprüfbar sind. Das implizite Menschenbild der Handlungstheorie, das „Imperium der Rationalität“, das Grundlage der neoklassischen Rational Choice Theory ist, bedarf einer Ergänzung durch die Erkenntnisse der modernen Verhaltenswissenschaften. Psychologische Strömungen zeigen auf, dass Menschen nur begrenzt rational handeln. Ihre Proponenten unterteilen das menschliche Denken in das von Heuristiken geprägte, schnelle System 1 und das ressourcenhungrige, vernunftgeleitete System 2. Manipulative Techniken adressieren das System 1 und die „kognitive Leichtigkeit“, sodass der Adressat durch eine Modifikation der Entscheidungsumgebung zu Fehlurteilen verleitet wird. Ein Einflussnehmer kann verschiedene Heuristiken ausnutzen, die man mit Robert Cialdini einer von sechs Kategorien zuordnen kann: Reziprozität, Konsistenz, Soziale Bewährtheit, Sympathie, Autorität und Knappheit. 238 Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 41. S. zu Impulskäufen insbesondere Vohs/ Faber, 33 J. Consum. Res. 537 (2007). 239 Baumeister/Sparks/Stillman et al., 18 J. Consum. Psychol. 4, 9 (2008). 240 Baumeister/Sparks/Stillman et al., 18 J. Consum. Psychol. 4, 9 (2008).
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme
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Mit einem ungefähren Verständnis über den Wirkmechanismus der Einflussnahme lässt sich ein genauerer Blick auf die Typologie der hier interessierenden Erscheinungsformen der Einflussnahme richten.
§ 2 Typologie der Täuschung Die Täuschung ist zuvörderst1 ein sprachliches Phänomen. Deshalb ist zunächst anhand der Linguistik herauszustellen, wie ein Einflussnehmer einen Gedanken durch Sprache „verkleiden“2 und so einen Adressaten täuschen kann (A.). Hieraus lassen sich verschiedene Muster einer Beeinflussung durch unwahre Tatsachen ableiten, die eine Typisierung der Täuschung ermöglichen (B.).
A. Linguistische Grundlagen Anwalt: Haben Sie ein Bankkonto in der Schweiz? Zeuge: Nein. Anwalt: Hatten Sie jemals eines dort? Zeuge: Die Produktionsfirma hatte für etwa sechs Monate ein Bankkonto in Zürich. – Bronston v. United States3 Dieser Austausch stammt aus einem US-amerikanischen Insolvenzverfahren.4 Der Filmproduzent Samuel Bronston wurde als Zeuge unter Eid befragt. Seine Produktionsfirma wurde zwei Jahre zuvor zahlungsunfähig. Der Anwalt der Gläubiger wollte wissen, welche Vermögenswerte die Firma in Übersee besaß. Bronstons Antworten waren für sich genommen wahr. Zur Zeit der Vernehmung hatte er tatsächlich kein Konto in der Schweiz und seine Produktionsfirma hatte in der Vergangenheit eines in Zürich. Der springende Punkt ist: Er selbst hatte fast fünf Jahre lang ein Konto bei einer Bank in Genf. Bronston konnte durch seine zweite Aussage den Anwalt in die Irre führen. Der Zeuge wurde gefragt, ob er jemals ein Konto bei einer Schweizer Bank gehabt habe. Er antwortete, seine Produktionsfirma habe ein solches Konto gehabt. Der Anwalt fragte nicht weiter nach, da er aus dieser Aussage schloss, nur die Produktionsfirma hatte ein Schweizer Bankkonto, nicht aber der Zeuge selbst.
1
Es existieren jedoch auch nicht-sprachliche Täuschungen, vgl. unten S. 71 f. Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 1922, 4.002: „Die Sprache verkleidet den Gedanken“, vgl. oben S. 4. 3 409 U.S. 352, 354 (1973): „Q. Do you have any bank accounts in Swiss banks, Mr. Bronston? A. No, sir. Q. Have you ever? A. The company had an account there for about six months, in Zurich.“ 4 S. zum Sachverhalt Bronston v. United States, 409 U.S. 352, 354 (1973). 2
§ 2 Typologie der Täuschung
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Später, als die Wahrheit ans Licht kam, wurde gegen Bronston ein Strafverfahren wegen Meineides eingeleitet. In der Folge sah sich der Supreme Court mit der Frage konfrontiert, ob eine Aussage, die zwar im wörtlichen Sinne der Wahrheit entspricht, aber indirekt eine Unwahrheit beinhaltet, einen Meineid darstellt.5 Die Richter entschieden einstimmig zugunsten des Angeklagten und begründeten damit die US-amerikanische „literal truth“-Regel: Solange die Aussage des Zeugen wörtlich genommen der Wahrheit entspricht, ist der Straftatbestand des Meineides nicht verwirklicht. In dieser Untersuchung soll es freilich nicht um angloamerikanische Strafrechtsdogmen gehen. Doch der Sachverhalt in Bronston v. United States zeigt anschaulich, auf welche Weise man täuschen kann, obwohl man die Wahrheit sagt. 6 I. Die „Bedeutung“ sprachlicher Ausdrücke 1. Semantik und Pragmatik Die „Bedeutung“ einer Äußerung ist Gegenstand zweier linguistischer Disziplinen: der Semantik und der Pragmatik. Die Grenze (und Schnittmenge) beider Arbeitsfelder ist eine der Grundfragen der modernen Linguistik.7 Nach der klassischen Gegenüberstellung von Paul Grice befasst sich die Semantik mit der Bedeutung des „Gesagten“ („what is said“), während die Pragmatik die Bedeutung des „Implizierten“8 („what is implicated“) untersucht.9 Die Semantik befasst sich mit Wörtern, Sätzen oder Teilen hiervon. Sie untersucht deren kontextunabhängige Bedeutung.10 Sie setzt zunächst an Worten11 als kleinste selbstständige Bedeutungsträger an und ergründet ihre lexikalische Bedeutung.12 Die Pragmatik untersucht die kontextabhängige Bedeutung von sprachlichen Äußerungen,13 also die Beziehung von sprachlichen Ausdrücken zum Sprecher. Hierbei geht es um Bedeutung5 U.S. Supreme Court, 409 U.S. 352, 356 (1973): „[…] an answer containing half of the truth which also constitutes a lie by negative implication, when the answer is intentionally given in place of the responsive answer called for by a proper question, is perjury“. 6 Auf die „literal truth“-Regel hat sich später auch Bill Clinton in der Lewinsky-Affäre berufen. Hierzu aus rechtswissenschaftlicher Sicht Tiersma, 79 Chi.-Kent L. Rev. 927 (2004). S. zu Bronston v. United States aus linguistischer Perspektive Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 207 f.; ders., 4 Annu. Rev. Linguist. 357, 364 (2018); ders., in: ders. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 193, 201; Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 719 (2018). 7 Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 34. 8 Besser: „Implikatierten“. Vgl. hierzu unten S. 56 ff. 9 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22 ff. Vgl. auch Bach, in: Campbell/O’Rourke/Shier (Hrsg.), Meaning and Truth, 2002, S. 21, 22: „[T]he semantic content of a sentence S in a context C is what is said in that context”. Diese Abgrenzung ist nur eine grobe. S. hierzu Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 34. 10 Kroeger, Analyzing Meaning, 2018, S. 4. 11 Teilweise auch an Morphemen und Lexemen, also lexikalischen Elementen einzelner Wörter. 12 Vgl. Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 51. 13 Oder Sprechakten (speech acts). S. hierzu Austin, How to Do Things With Words, 1962; Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969). Diese Untersuchung wird sich vor allem auf die Grice‘sche Pragmatik konzentrieren.
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
saspekte, die zwar nicht semantisch in einer Äußerung „kodiert“, aber dennoch von einem Sprecher gemeint sind und von einem Adressaten auch so verstanden werden. In der Umgangssprache spricht man hier auch vom „Zwischen-den-Zeilen-Lesen“. Einem Sprechakt wohnt sowohl ein semantischer als auch ein pragmatischer Bedeutungsgehalt inne. Es sind zwei Aspekte dessen, was ein Sprecher zu verstehen gibt, die „Sprecherbedeutung“.14 Grob kann man den semantischen Bedeutungsgehalt auch mit dem Expliziten, und die pragmatische Bedeutungskomponente mit dem Impliziten umschreiben. Beide Bedeutungsdimensionen spielen in dem Ausschnitt aus Bronston v. United States eine Rolle: Aus semantischer Perspektive äußerte Bronston nur, dass das Unternehmen in der Vergangenheit ein Konto in der Schweiz hatte. Betrachtet man ausschließlich die Aussage, lässt sich ihr nicht entnehmen, dass er selbst nie ein solches Konto hatte. Stellt man jedoch auf den Kontext der Vernehmung ab – die zuvor vom Anwalt gestellten Fragen und die ausweichenden Antworten des Zeugen – vermittelte diese Aussage die pragmatische Bedeutung, er selbst habe nie ein Bankkonto in der Schweiz gehabt. 2. Propositionale Gehalte Die Basiseinheit der Bedeutung ist die Proposition.15 Eine Proposition ist die kleinste Wissenseinheit, die einen Sachverhalt beschreiben kann.16 Sie ist die Bedeutung, der Gehalt einer sprachlichen Äußerung,17 oder ein „eingefrorener Gedanke“18 als ein mentales Objekt.19 Eine Proposition ist wahrheitskonditional. Sie kann einen Wahrheitswert annehmen, also wahr oder falsch sein.20 Die einfachste Proposition 14
Kroeger, Analyzing Meaning, 2018, S. 167. den philosophische Begriff der „Proposition“ herrscht seit jeher Streit. S. für einen Überblick etwa Lycan, Philosophy of Language, 2. Aufl. 2008, S. 1 ff., 68 ff. 16 Anderson, Cognitive Psychology and Its Implications, 8. Aufl. 2014, S. 104. Passend auch: „A sentence uttered makes a world appear“, Auden, Collected Poems, 1991, „Words“, S. 624. 17 Ehlich, in: Glück/Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon Sprache, 5. Aufl. 2016, „Proposition“, S. 540. 18 Vgl. Arendt, 38 Soc. Res. 417, 431 (1971): „The word house is something like a frozen thought which thinking must unfreeze, defrost as it were, whenever it wants to find out its original meaning.“ 19 Der „Gedanke“ geht zurück auf Gottlob Frege. S. etwa Frege, Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus 2 (1918), 58, 60 f.: „Ohne damit eine Definition geben zu wollen, nenne ich Gedanken etwas, bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. Was falsch ist, rechne ich also ebenso zu den Gedanken, wie das, was wahr ist. Demnach kann ich sagen: der Gedanke ist der Sinn eines Satzes, ohne damit behaupten zu wollen, dass der Sinn jedes Satzes ein Gedanke sei. Der an sich unsinnliche Gedanke kleidet sich in das sinnliche Gewand des Satzes und wird uns damit fassbarer. Wir sagen, der Satz drücke einen Gedanken aus.“ 20 In der Semantik bestimmt die durch einen Satz ausgedrückte Proposition dessen Wahrheitsbedingungen. Dieser klassische Ansatz firmiert unter dem Namen „truth-conditional semantics“, da die semantische Bedeutung einer Behauptung auf ihre Wahrheitsbedingungen reduzierbar ist. S. bereits Frege, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100 (1892), 25, 34: „So werden wir dahin gedrängt, den Wahrheitswert eines Satzes als seine Bedeutung anzuerkennen. Ich verstehe unter dem Wahrheitswerte eines Satzes den Umstand, daß er wahr oder daß er falsch ist.“ Ludwig Wittgenstein, dem die Popularisierung von Wahrheitsbedingungen zugeschrieben 15 Über
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wird durch einen Deklarativsatz vermittelt, der „das Bestehen eines Sachverhaltes“ behauptet, also eine Behauptung.21 Dabei kann man ein und dieselbe Proposition in unterschiedlichen Satzstrukturen ausdrücken:22 (1) A hat ein Schweizer Bankkonto. (2) A ist Inhaber eines Kontos in der Schweiz. Beide Behauptungen beinhalten dieselbe Proposition. Die Proposition ist wahr, wenn A tatsächlich ein Bankkonto in der Schweiz besitzt. Sie ist unwahr, wenn er keines hat. Die Wahrheitsbedingung entspricht der Bedeutung des Satzes und ist empirisch ermittelbar. Betrachtet man nun die Aussage des Zeugen in Bronston v. United States („Die Produktionsfirma hatte für etwa sechs Monate ein Bankkonto in Zürich.“), enthält diese Proposition mehrere Wahrheitsbedingungen: Das Unternehmen hatte ein Bankkonto, das Bankkonto befand sich in Zürich und das Bankkonto bestand für sechs Monate. Seine Behauptung ist wahr, wenn die Proposition mit der Wirklichkeit übereinstimmt, das Unternehmen also tatsächlich für sechs Monate ein Konto in Zürich hatte. Neben dieser semantisch vermittelten Proposition existiert auch eine Proposition auf pragmatischer Bedeutungsebene.23 Schließlich teilte Bronston dem Anwalt implizit mit, dass er selbst nie ein Bankkonto in der Schweiz hatte. Die Aussage des Zeugen beinhaltet somit mehrere Behauptungen: (1) Das Unternehmen hatte für sechs Monate ein Konto in Zürich. (2) Der Zeuge hatte nie ein Konto in der Schweiz. Die Behauptung (1) ist die semantisch vermittelte Bedeutung. Auf diese hat der Supreme Court in seiner Entscheidung abgestellt. Die Behauptung (2) ist der pragmatische Bedeutungsgehalt, der durch die Aussage und ihren Äußerungskontext vermittelt wurde. Die Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik ist jedoch nicht immer so eindeutig wie in diesem Fall. Das zeigt dieses Gespräch:24
wird, schreibt in seinem Tractatus Logico-Philosophicus, 1922, 4.41: „Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze sind die Bedingungen der Wahrheit und Falschheit der Sätze.“ Mit „Elementarsätze“ meint er einfache Behauptungen, vgl. 4.21. 21 Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 1922, 4.21: „Der einfachste Satz, der Elementarsatz, behauptet das Bestehen eines Sachverhaltes.“ 22 Ehlich, in: Glück/Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon Sprache, 5. Aufl. 2016, „Proposition“, S. 540; Cruse, Meaning in Language, 2000, S. 30. S. auch Frege, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100 (1892), 25, 35: „Wenn unsere Vermutung richtig ist, daß die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert ist, so muß dieser unverändert bleiben, wenn ein Satzteil durch einen Ausdruck von derselben Bedeutung, aber anderem Sinne ersetzt wird.“ 23 S. zum Verhältnis von Pragmatik und Wahrheitskonditionalität unten S. 67, Fn. 105. 24 Das Beispiel stammt von Recanati, 25 Linguistics and Philosophy 299, 300 (2002).
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
A: Bist du hungrig? B: (1) Ich hatte ein großes Frühstück. (2) Ich hatte heute ein großes Frühstück. (3) Ich bin gerade nicht hungrig. Angenommen (1) ist das, was B auf die Frage von A erwidert hat. Nimmt man die Aussage wörtlich, entspräche die durch die Behauptung vermittelte Bedeutung nur (1). Die Behauptung wäre bereits dann wahr, wenn sie jemals in ihrem Leben ausgiebig gefrühstückt hätte. Natürlich würde niemand behaupten, das sei das, was B ausgedrückt hat. Vielmehr entspricht der Gehalt auch (2). Diese Proposition ist wahr, wenn sie heute ein ausgiebiges Frühstück hatte. Der Inhalt „heute“ ist eine pragmatische Anreicherung des semantischen Bedeutungsgehalts, die die Wahrheitsbedingungen der Proposition ändert.25 Freilich beschränkt sich das, was B meint, auch nicht auf (2). B meint zudem (3), was allein pragmatisch vermittelt wird. Die Aussage ergibt im Kontext der Frage von A nur Sinn, wenn B damit meint, dass sie nicht hungrig ist.26 Die Proposition in (3) kann man als ein „Hinzudenken“ eines weiteren, nicht ausgesprochenen Satzes umschreiben, der wahr oder falsch sein kann.27 Dieses Beispiel zeigt, dass Menschen vieles nicht explizit kommunizieren. Adressaten kommt dann die Aufgabe zu, aus den Äußerungen zu schließen, was der Äußernde meint. Während ein Adressat, der die Äußerung der B hört, den Gehalt von (1) unmittelbar erfahren kann, muss er die Propositionen (2) und (3) erst aus dem Kontext schlussfolgern. Das Ergebnis dieser Interpretationsaufgabe ist dann eine Implikation, eine Inferenz oder schlicht: ein Schluss. Bevor „falsche Schlüsse“ als Elemente der Täuschung behandelt werden, befasst sich der nächste Abschnitt mit verschiedenen Arten von Schlüssen, die ein Adressat aus einer Äußerung ziehen kann. II. Schlüsse Es lassen sich grob vier Schlüsse unterscheiden, die ein Adressat aus einer Äußerung und dem Kontext ziehen kann: Semantische Implikationen (1.), Präsuppositionen (2.), Explikaturen (3.) und Implikaturen (4.). Die Reihenfolge der Schlüsse entspricht einer sinkenden „illokutionären Kraft“ der Sprechakte des Einflussnehmers (anschließend III.).
25 Diese pragmatischen Anreicherungen nennt man „Explikaturen“, s. Sperber/Wilson, Relevance, 2. Aufl. 1996, S. 182. Hierzu sogleich auf S. 56. 26 Das nennt man eine „Implikatur“, vgl. unten S. 56 ff. 27 Vgl. Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 119.
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§ 2 Typologie der Täuschung
1. Semantische Implikation Eine semantische Implikation ist ein logischer Schluss, der zwingend aus der semantischen Bedeutung einer Äußerung folgt.28 Äußert ein Einflussnehmer eine Behauptung mit der Bedeutung p und aus der Wahrheit (Falschheit) von p folgt zwingend die Wahrheit (Falschheit) von q, dann ist q eine Implikation aus p, 29 kurz: p → q. Die Proposition p „enthält“ also q (weshalb man im Englischen auch von entailment spricht).30 Beispielsweise implizieren hier beide Propositionen p zwingend, dass q:31 (1) Es ist ein Hund.
(p1)
(q1)
Es ist ein Tier.
(2) Sie hat die Wespe getötet.
(p2)
(q2)
Die Wespe ist gestorben.
2. Präsupposition Eine Präsupposition ist eine (stillschweigende) Voraussetzung, die ein Einfluss nehmer mit seiner Äußerung aufstellt.32 Äußert ein Einflussnehmer eine Behauptung mit der Proposition p und folgt aus der Wahrheit (Falschheit) von p zwingend die Wahrheit von q, dann ist q eine Präsupposition von p. Der Unterschied zur Implikation ist, dass die Präsupposition nicht verschwindet, wenn man die Behauptung negiert. Aus der Falschheit von p folgt also nicht die Falschheit von q, kurz: (p → q) & (¬p → q). Das zeigen zwei Beispiele: (1) Der gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze.33 (p1)
Frankreich hat gegenwärtig einen König.
(q1)
(2) Ihre Tochter studiert Rechtswissenschaft.
(p2)
(q2)
Sie hat eine Tochter.
In beiden Beispielen präsupponiert p die Proposition q. Hätte der gegenwärtige König von Frankreich aber keine Glatze, oder würde ihre Tochter nicht Rechtswissenschaft studieren, würde die Aussage immer noch präsupponieren, dass es einen König gibt und sie eine Tochter hat. 28
Cruse, Meaning in Language, 2000, S. 28. Meibauer, Pragmatik, 1999, S. 32; Cruse, Meaning in Language, 2000, S. 28 f.: „To say that proposition P entails proposition Q means that the truth of Q follows logically and inescapably from the truth of P, and the falsity of P follows likewise from the falsity of Q.“ 30 Kroeger, Analyzing Meaning, 2018, S. 36, 38. 31 Die Beispiele stammen von Cruse, Meaning in Language, 2000, S. 28. 32 Meibauer, Pragmatik, 1999, S. 44. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen praesupponere, „voraussetzen“. 33 So das berühmte Beispiel von Bertrand Russel, s. Russel, 14 Mind 479 (1905). Zuvor bereits gleichsinnig Frege, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100 (1892), 25, 40: „Kepler starb im Elend“. 29
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
3. Explikatur Explikaturen sind pragmatische Anreicherungen des semantischen Bedeutungsgehalts.34 Sie vervollständigen eine unterdeterminierte Proposition oder erweitern sie, z. B. bei diesen Sätzen:35 (1) A hat das Buch auf den Tisch gelegt. (2) A hat es auf den Tisch gelegt. (3) A hat es abgelegt. Hier meint der Einflussnehmer in allen drei Fällen dasselbe. Er vermittelt die Proposition, die (1) semantisch wiedergibt. In (2) sind „das Buch“ und (3) „das Buch auf den Tisch“ jeweils Explikaturen, die den propositionalen Gehalt vervollständigen und sich aus dem Kontext der Äußerung ergeben. 4. Implikatur Eine Implikatur ist eine rekonstruierbare Andeutung in einer Äußerung.36 Sie kann eine propositionale Form einnehmen und so ganz eigene Bedeutungsgehalte vermitteln. In Bronston v. United States führte die ausweichende Antwort von Bronston zu einer solchen Implikatur.37 Der ihn vernehmende Anwalt schloss aus der Aussage, dass Bronston ein Schweizer Bankkonto hatte (die Implikatur). Implikaturen eignen sich besonders gut für subtile Täuschungen, weshalb ihr Wesen und ihre Entstehung im Folgenden näher untersucht werden. Der Begriff der Implikatur wurde von Paul Grice im Rahmen seiner pragmatischen Theorie über das Kooperationsprinzip eingeführt (a). Nach dieser Theorie befolgen Konversationsteilnehmer bestimmte Gesprächsmaximen und erwarten vernünftigerweise, dass auch ihr Gegenüber diese befolgt. Freilich werden diese Maximen in Alltagsgesprächen häufig nicht erfüllt (b). Bei einem bewussten Verstoß gegen die Maximen können die hier interessierenden sog. konversationellen Implikaturen entstehen (c). Diese kann man von konventionellen Implikaturen abgrenzen (d).
34 Vgl. Sperber/Wilson, Relevance, 2. Aufl. 1996, S. 182: „An explicature is a combination of linguistically encoded and contextually inferred conceptual features.“ Es existieren auch andere Begriffe oder Konzeptionen des Phänomens, dass der propositionale Gehalt pragmatisch angereichert wird. Etwa „impliciture“ (Bach, 9 Mind Lang. 124 [1994]), „pragmatic intrusion“ (Levinson, Presumptive Meanings, 2000, S. 190 et passim) oder „intuitive content“ (Recanati, Literal Meaning, 2004, S. 82). S. für einen Überblick über diese „underdeterminacy“ Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 36 f. 35 Vgl. Carston, Thoughts and Utterances, 2002, S. 117. 36 Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 185. 37 S. oben S. 50.
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a) Kooperationsprinzip Gespräche bestehen in der Regel nicht aus einer Abfolge von zusammenhanglosen Sätzen. Nach Paul Grice funktioniert Kommunikation, weil die Teilnehmer ein gemeinsames Ziel verfolgen und sich kooperativ verhalten, um dieses zu erreichen.38 Dabei folgen die Kommunikationsteilnehmer einer allgemeinen Regel, die er als Kooperationsprinzip bezeichnet: „Make your contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged.“39
Grice unterteilt diese noch recht allgemeine Regel in vier Konversationsmaximen:40 Maxime der Quantität (1) Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig. (2) Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig. Maxime der Qualität (1) Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist. (2) Sage nichts, was du für falsch hältst. Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen. Maxime der Relation Sei relevant. Maxime der Modalität Sei klar. (1) Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks. (2) Vermeide Mehrdeutigkeit. (3) Sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit). (4) Der Reihe nach! Grice geht davon aus, dass das Kooperationsprinzip einer jeden Konversation zugrunde liegt und seine Befolgung ceteris paribus von allen Gesprächsteilnehmern vernünftigerweise erwartet wird.41 38
Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 26 ff. Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 26. 40 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 26 f. Grice benennt die Konversationsmaximen in Anlehnung an Kants Urteilstafel, vgl. Kant, KrV B, S. 106. Hier sind die Begriffe aus der deutschen Übersetzung übernommen: Grice, in: Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1993, S. 243, 249 f. In der Folge von Grice hat sich eine „Neo-Grice‘sche“ Strömung entwickelt. Am bekanntesten ist hier wohl die Relevanztheorie von Dan Sperber und Deirdre Wilson, s. Sperber/Wilson, Relevance, 2. Aufl. 1996. Sie verzichtet auf das Kooperationsprinzip und reduziert die Maximen auf die der Relevanz. 41 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 26, 29. Bei den 39
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b) Nichterfüllen der Maximen Natürlich ist sich Grice bewusst, dass im Alltag die Konversationsmaximen häufig nicht erfüllt werden. Er unterscheidet vier verschiedene Arten, wie ein Gesprächs teilnehmer eine Maxime nicht erfüllen kann und welche Konsequenzen dies für das Gespräch hat:42 (1) Verletzung einer Maxime. Ein Gesprächsteilnehmer kann „still und undemonstrativ eine Maxime verletzen“43. Die klassische Lüge fällt hierunter: Der Sprecher verstößt gegen die Maxime der Qualität, indem er eine falsche Behauptung aufstellt. Durchschaut der Gesprächspartner den Verstoß nicht und macht sich die Behauptung zu eigen, wird er getäuscht.44 (2) Aussteigen aus der Konversation. Ein Gesprächsteilnehmer kann die Geltung des Konversationsprinzips und seiner Maximen außer Kraft setzen, indem er aus dem Gespräch aussteigt. Ein Aussteigen kann durch das offenkundige Nicht sprechen erfolgen oder durch einen Hinweis hierauf („Ich sage nichts mehr ohne meinen Anwalt!“45). (3) Kollision. In manchen Situationen kann man eine Maxime nur erfüllen, indem man gegen eine andere verstößt. So kann ein Sprecher bei einem Gespräch über ein komplexes Thema möglicherweise nicht alle notwendigen Informationen geben (Maxime der Quantität), da er keine ausreichenden Belege für sie hat (Maxime der Qualität). Wurzeln des Kooperationsprinzips will sich Grice nicht festlegen, sondern deutet vier Begründungsmöglichkeiten an: Seine Befolgung könnte erstens aus deskriptiver Sicht eine empirische Tatsache sein: „[I]t is just a well-recognized empirical fact that people do behave in these ways; they learned to do so in childhood and have not lost the habit of doing so“, ebd. S. 29. Es könnte zweitens eine Art moralische Verpflichtung sein: „Somewhat like moral commandments, these maxims are prevented from being just a disconnected heap of conversational obligations by their dependence on a single supreme Conversational Principle, that of cooperativeness”, ders., Retrospective Epilogue, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 339, 370. Drittens könnte das Kooperationsprinzip eine „quasi-contractual matter“ sein, ders., Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 29. Viertens, und das scheint für Grice der überzeugendste Ansatz zu sein, könnte die Befolgung des Kooperationsprinzips für den Sprecher rational sein, da er durch ein Gespräch ein Ziel verfolgt: „I would like to be able to think of the standard type of conversational practice not merely as something that all or most do in fact follow but as something that it is reasonable for us to follow”, ebd. Zu dieser Thematik Lindblom, in: Brown (Hrsg.), Encyclopedia of Language and Linguistics, 2006, S. 176, 178; Herrlich, Recht zur Sprache gebracht, 2010, S. 163 ff. 42 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 30. Die deutschen Begriffe sind der Übersetzung entnommen: ders., in: Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1993, S. 243, 253. 43 Grice, in: Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1993, S. 243, 253; ders., Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 30: „He may quietly and unostentatiously violate a maxim“. 44 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 30: „[I]n some cases he will be liable to mislead.“ 45 Herrlich, Recht zur Sprache gebracht, 2010, S. 176.
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(4) Verstoß46 gegen eine Maxime. Besondere Aufmerksamkeit widmet Grice dem Verstoß. In dieser Konstellation verfolgt der Sprecher eine oder mehrere Maximen nicht, obwohl er weder aus der Konversation aussteigt, noch eine Maximenkollision vorliegt. Gleichzeitig ist der Verstoß dem Gegenüber bewusst, es liegt also auch keine Verletzung vor. Dadurch wird dem Gesprächspartner klar, dass Gesagtes und Gemeintes auseinanderfallen; es entstehen konversationelle Implikaturen,47 die im folgenden Abschnitt näher betrachtet werden. c) Entstehen einer konversationellen Implikatur Eine konversationelle Implikatur ist ein Bedeutungsgehalt, der nicht explizit geäußert wird. Die Implikatur lässt sich aus einer Äußerung und ihrem Kontext ableiten. Angenommen, A und B unterhalten sich über ihren gemeinsamen Freund C, der bei einer Bank arbeitet.48 A fragt B, wie es bei C in seinem Job läuft. B antwortet: „Es läuft gut, C ist bislang noch nicht ins Gefängnis gekommen“. Hier hat B offenkundig gegen die Maxime der Relation („Sei relevant.“) verstoßen, denn A hat nicht danach gefragt, ob C ein Gefängnisaufenthalt bevorstehe. A könnte sich deshalb folgende Gedanken machen:49 (1) B hat gegen die Relationsmaxime verstoßen, aber ich habe keinen Grund davon auszugehen, dass sie das Kooperationsprinzip nicht einhält. (2) Angesichts dieser Umstände kann ich davon ausgehen, dass ihre Äußerung nur Sinn ergibt, wenn sie C für potenziell unredlich hält. (3) B weiß, dass ich es schaffe, Schritt (2) zu folgern. (4) Also will B mir zu verstehen geben, dass C unredlich ist.
46 Grice spricht im Englischen von „flouting“ und „exploiting“, s. Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 30. Man kann hier insoweit auch, wie die deutsche Übersetzung, vom „Ausbeuten“ einer Maxime sprechen, s. Grice, in: Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1993, S. 243, 254. 47 Grice unterscheidet diese von konventionellen Implikaturen, die aufgrund der konventionellen Bedeutung von Wörtern entstehen, vgl. unten S. 60 f. S. auch ders., Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 25 f., 37 f. Eine allgemeine Darstellung verschiedener Arten von Implikaturen findet sich bei Meibauer, in: Brown (Hrsg.), Encyclopedia of Language and Linguistics, 2006, S. 568 ff. 48 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 24. 49 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 30 f. Abstrakter formuliert: „I am now in a position to characterize the notion of conversational implicature. A man who, by (in, when) saying (or making as if to say) that p has implicated that q, may be said to have conversationally implicated that q, provided that (1) he is to be presumed to be observing the conversational maxims, or at least the Cooperative Principle; (2) the supposition that he is aware that, or thinks that, q is required in order to make his saying or making as if to say p (or doing so in those terms) consistent with this presumption; and (3) the speaker thinks (and would expect the hearer to think that the speaker thinks) that it is within the competence of the hearer to work out, or grasp intuitively, that the supposition mentioned in (2) is required.“, ebd.
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Somit möchte B eine Proposition übermitteln, die sie nicht offen ausdrückt („C ist unredlich“). A wird diesen Bedeutungsgehalt aus dem Kontext der Äußerung ableiten. Hier spricht man von einer Implikatur, einer Bedeutung, die hinter der semantischen Bedeutung der Äußerung steht. Der Begriff ist ein Neologismus, um ihn von der semantischen oder logischen Implikation (des explizit Gesagten) abzugrenzen.50 Implikaturen vermögen mehr Informationen preiszugeben als der rein semantische Bedeutungsgehalt einer Äußerung. Dadurch wird eine Konversation effizienter.51 Sie sind ein allgegenwärtiger Teil unserer täglichen Kommunikation, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind. Die beiden wichtigsten 52 Eigenschaften konversationeller Implikaturen53 sind erstens, dass sie sich durch einen Inferenzprozess rekonstruieren lassen („calculation“54). Die Möglichkeit der Rekonstruktion durch einen Schlussfolgerungsprozess wurde gerade aufgezeigt. Zweitens sind Implikaturen annullierbar („cancelability“55). Ihre Entstehung kann gewissermaßen verhindert werden, entweder durch den Kontext der Äußerung oder explizit („Es läuft gut, C ist bislang noch nicht ins Gefängnis gekommen; das soll aber nicht heißen, dass ich C für unredlich halte“).56 d) Exkurs: Konventionelle Implikaturen Konventionelle Implikaturen entstehen unabhängig von einem Verstoß gegen das Kooperationsprinzip. Ein Adressat schließt sie aus der konventionellen Bedeutung eines geäußerten Satzes.57 Beispielsweise implikatiert der Satz „Sie ist eine Profes50 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 24 f. Die deutsche Übersetzung, übersetzt zwar „Implicature“ mit „Implikatur“, vgl. ders., in: Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1993, S. 243, 246. Jedoch übersetzt sie „to implicate“ mit „implizieren“. Richtigerweise sollte es „implikatieren“ heißen, da die sonst von Grice bezweckte Abgrenzung zur Implikation fehlgeht. 51 Manchmal möchte der Sprecher auch höflich oder witzig sein. Auch Metaphern oder Ironie kann man als Implikaturen beschreiben, vgl. Meibauer, in: Brown (Hrsg.), Encyclopedia of Language and Linguistics, 2006, S. 568, 569. 52 Zu weiteren Eigenschaften Meibauer, in: Brown (Hrsg.), Encyclopedia of Language and Linguistics, 2006, S. 568, 569 f. 53 Diese werden von den sog. konventionellen Implikaturen abgegrenzt, hierzu sogleich im nächsten Abschnitt. 54 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 31: „The presence of a conversational implicature must be capable of being worked out“ sowie S. 39. 55 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 31: „It may be explicitly canceled, by the addition of a clause that states or implies that the speaker has opted out, or it may be contextually canceled, if the form of utterance that usually carries it is used in a context that makes it clear that the speaker is opting out.“ 56 In der verhaltensökonomischen Forschung wird unter dem Stichwort debiasing ganz Ähnliches diskutiert: Kognitive Verzerrungen lassen sich reduzieren, indem auf ihre Existenz und ihre Wirkweise hingewiesen wird. Hierzu Fischhoff, in: Kahneman/Slovic/Tversky (Hrsg.), Judgment under Uncertainty, 1982, S. 422 ff. 57 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 25: „In some cases the conventional meaning of the words used will determine what is implicated, besides helping to determine what is said.“
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sorin, daher ist sie intelligent.“ konventionell, dass alle Professorinnen intelligent sind.58 Das folgt aus der konventionellen Bedeutung des Wortes „daher“. Andere Beispiele für Wörter, die konventionelle Implikaturen auslösen können, sind „und“, „oder“, „obwohl“, „trotzdem“, „dennoch“, „sogar“ oder „doch“.59 Sie sind für Täuschungen weniger geeignet, weshalb der weitere Schwerpunkt auf konversationellen Implikaturen liegen wird. III. Schluss und Grad der Verbindlichkeit 1. Hinführung: Die illokutionäre Kraft Aus einer interpretativen Perspektive geben Äußerungen Hinweise auf die informativen und kommunikativen Absichten des Einflussnehmers. Ein Adressat, der eine Äußerung eines Einflussnehmers wahrnimmt, wird sich fragen, was der Einflussnehmer mit dieser Äußerung bezweckt. Am Zweck einer Äußerung setzt die Sprechakttheorie an. Dieser pragmatische Ansatz wurde durch John L. Austin 60 begründet und durch John Searle61 weiterentwickelt. Grundaussage der Theorie ist, dass wir durch Sprache Handlungen vollziehen, sog. Sprechakte. Ein Teilaspekt eines solchen Sprechakts ist der „illokutionäre Akt“. Der illokutionäre Akt ist der Handlungszweck einer Äußerung. 62 Es ist die spezifische Kraft, durch die eine Äußerung als Behauptung, Warnung, Frage, Versprechen oder Befehl gelten soll. 63 Jede Äußerung hat, neben einem propositionalen Gehalt, eine solche illokutionäre Kraft. 64 Beispielsweise enthält die Aussage „Ich verspreche dir, dass das Auto unfallfrei ist.“ die illokutionäre Kraft eines „Versprechens“ und den propositionalen Gehalt „Das Auto ist unfallfrei“. „Ich verspreche dir“ ist ein Indikator für die illokutionäre Kraft und zeigt an, wie die Proposition zu verstehen ist, oder anders ausgedrückt, welche illokutionäre Kraft die Äußerung haben soll. 65 Der Einflussnehmer könnte mit Verben wie „behaupten“, „aussagen“ oder „beschreiben“ auch eine andere illokutionäre Kraft anzeigen. 66 Häufig ergibt sich die illokutionäre Kraft aus dem Kontext der Äußerung. 67 58 Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 25: „If I say (smugly), He is an Englishman; he is, therefore, brave, l have certainly committed myself, by virtue of the meaning of my words, to its being the case that his being brave is a consequence of (follows from) his being an Englishman.“ 59 Carston, Thoughts and Utterances, 2002, S. 53: „There are numerous other cases of this sort (often labelled devices of ‘conventional implicature’), for instance, ‘although’, ‘however’, ‘nevertheless’, ‘moreover’, ‘anyway’, ‘whereas’, ‘after all’, ‘even’, ‘yet’, ‘still’, ‘besides’, and on certain uses, ‘so’, ‘therefore’, ‘since’, and ‘while’.“ 60 Austin, How to Do Things With Words, 1962. 61 Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969). 62 Ehlich, in: Glück/Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon Sprache, 5. Aufl. 2016, „Illokution“, S. 281. 63 Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969), S. 24. 64 Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969), S. 30. 65 Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969), S. 30. 66 Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969), S. 40. 67 Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969), S. 30.
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Für diese Untersuchung interessant sind vor allem Sprechakte, deren illokutionäre Rolle darin liegt, etwas mitzuteilen, also Behauptungen oder Aussagen. Nach Searles Taxonomie gehören solche illokutionären Akte zur Klasse der „representatives“ (auch Assertive genannt): „The point or purpose of the members of the representative class is to commit the speaker (in varying degrees) to something’s being the case, to the truth of the expressed proposition.“68
Wer eine Behauptung äußert, erhebt also einen Wahrheitsanspruch. 69 Es kann erwartet werden, dass er nur dann eine Behauptung aufstellt, wenn er an die dadurch vermittelte Proposition glaubt oder sich ihres Wahrheitswerts sicher ist.70 Das entspricht auch dem, was Grice mit der Maxime der Qualität meint.71 2. Grad der Verbindlichkeit der Schlüsse Von der illokutionären Kraft aus lässt sich eine Brücke zu den Schlüssen schlagen. Aus Sicht des Adressaten stellt sich die Frage, wofür genau der Einflussnehmer in welchem Maße einstehen will. Will er nur für den semantischen Gehalt, oder auch für semantische Implikationen, Präsuppositionen, Explikaturen oder gar Implikaturen einstehen? Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend. Denn hiervon hängt es ab, wie der Adressat den vermittelten Propositionen begegnet und ob er sie sich zu eigen macht, und, sofern die Proposition falsch ist, auch getäuscht wird. Je nachdem, zu welchem Schluss ein Adressat angeregt wird, wird er in der vermittelten Proposition einen anderen Grad der Verbindlichkeit erkennen.72 Mit „Grad der Verbindlichkeit“73 ist die für den Adressaten als Interpreten einer Äußerung erkennbare Absicht des Einflussnehmers gemeint, für die Wahrheit seiner mit der Äußerung vermittelten Proposition einzustehen. Der Grad der Verbindlichkeit 68 Searle, in: Gunderson (Hrsg.), Language, Mind and Knowledge, 1975, S. 344, 354. Er unterscheidet weiterhin zwischen directives („The illocutionary point of these consists in the fact that they are attempts […] by the speaker to get the hearer to do something.“), commissives („Commissives then are those illocutionary acts whose point is to commit the speaker […] to some future course of action.“), expressives („The illocutionary point of this class is to express the psychological state specified in the sincerity condition about a state of affairs specified in the propositional content.“) und declarations („It is the defining characteristic of this class that the successful performance of one of its members brings about the correspondence between the propositional content and reality“), ebd. S. 354 ff. 69 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 10. Aufl. 2016 (1981), S. 26; gleichsinnig Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 69. 70 Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 182 f., insbesondere Fn. 9. 71 S. zum Kooperationsprinzip und zu den Maximen oben S. 57 ff. 72 Vgl. Moeschler, 48 J. Pragmat. 84, 85 (2013). 73 Der Begriff ist entlehnt aus Searle, Speech Acts, 34. Aufl. 2011 (1969), S. 58: „‘I promise’ and ‘I hereby promise’ are among the strongest illocutionary force indicating devices for commitment provided by the English language. For that reason we often use these expressions in the performance of speech acts which are not strictly speaking promises, but in which we wish to emphasize the degree of our commitment.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Bereits Frege hat mit der „behauptenden Kraft“ ähnliches gemeint, vgl. Frege, Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus 2 (1918), 58, 63.
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einer Äußerung ist eine Funktion ihrer semantischen und pragmatischen Natur.74 Schlüsse semantischer Natur (semantische Implikationen und Präsuppositionen) sind stärker als pragmatische Schlüsse (Explikaturen und Implikaturen).75 Das heißt: Bei einer Äußerung, die semantische Schlüsse zulässt, verpflichtet sich der Einflussnehmer am intensivsten der Wahrheit der vermittelten Proposition. Bei Implikaturen verpflichtet er sich am wenigsten, da diese am stärksten von dem subjektiven Schlussfolgerungsprozess des Adressaten abhängig sind. Der Grad der Verbindlichkeit bei Präsuppositionen und Explikaturen steht zwischen einer semantischen Implikation und einer Implikatur. Der Grad der Verbindlichkeit wird noch bei der späteren rechtlichen Analyse76 relevant werden.
B. Täuschungstypen Wann verlässt eine Äußerung den Bereich der rationalen Überzeugung und schlägt um in eine Täuschung? Die Überzeugung operiert mit Behauptungen, die wahr sind. Auch die Täuschung arbeitet mit Behauptungen. Diese sind aber falsch. Hierauf aufbauend lässt sich zunächst eine allgemeine Definition der Täuschung herausarbeiten (I.). Durch einen Vergleich mit rationaler Überzeugung und Behauptungen lässt sich sodann die semantische Täuschung (II.) von der pragmatischen Täuschung (III.) und von weiteren Sonderfällen, wie der Täuschung durch Unterlassen und der nicht-sprachlichen Täuschung, unterscheiden (IV.). I. Vorüberlegungen 1. Allgemeine Täuschungsdefinition Eine Täuschung liegt vor, wenn ein Einflussnehmer einen Adressaten dazu veranlasst, etwas zu glauben, was nicht wahr ist. Anders ausgedrückt vermittelt ein Einflussnehmer eine unwahre Proposition (p), die sich der Adressat zu eigen macht:77 (1) Einflussnehmer vermittelt p. (2) Adressat wird von p überzeugt. (3) p ist falsch. Die Täuschung besteht also aus drei Bestandteilen. Die Vermittlung einer Proposition (1) ist die Täuschungshandlung. Sie liegt häufig in einer sprachlichen Äußerung, kann aber auch in nicht-sprachlicher Kommunikation, einer Handlung oder einem Unterlassen bestehen. Beispiele für nicht-sprachliche Kommunikation sind die Gebärdensprache, Rauchzeichen sowie ein Nicken bzw. Schütteln mit dem 74
S. hierzu Moeschler, 48 J. Pragmat. 84, 87 ff. (2013). Moeschler, 48 J. Pragmat. 84, 87 f. (2013). 76 S. unten S. 193. 77 Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 716 (2018). 75
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Kopf.78 Nicht-sprachliche Handlungen sind solche, die nicht originär für die Kommunikation gedacht sind, aber dennoch propositionale Gehalte vermitteln können – etwa wenn eine Person ihren Koffer packt, um einem Beobachter vorzuspiegeln, sie gehe auf Reisen.79 Der zweite Bestandteil (2) liegt im Täuschungserfolg. In der Rechtswissenschaft ist hier häufig die Rede vom „Hervorrufen eines Irrtums“. Anders gewendet entwickelt der Adressat aufgrund der Täuschungshandlung eine propositionale Einstellung. Eine propositionale Einstellung80 bezieht sich auf eine Proposition: „Propositions are what we believe, disbelieve, or suspend judgment about. When you fear that you will fail, or hope that you will succeed, when you venture a guess or feel certain about something, the object of your attitude is a proposition.“81
Es geht also um einen epistemischen oder mentalen Zustand, den sich ein Adressat aufgrund der Einflussnahme hinsichtlich eines Sachverhalts zu eigen macht. So kann die Proposition „Das Produkt X weist Eigenschaft Y auf.“ mit unterschiedlichen propositionalen Einstellungen verbunden sein. Der Adressat könnte aufgrund der Einflussnahme wissen, denken, glauben, vermuten oder erwarten, dass X die Eigenschaft Y aufweist.82 Je nach Gewissheitsgrad wird man hier ein anderes Einstellungsprädikat einsetzen können. 83 Das Prädikat „überzeugt“ in (2) dient daher nur als Stellvertreter. Der dritte Bestandteil der Täuschung (3) liegt darin, die vermittelte Proposition am Maßstab der Wahrheit zu messen. Eine Proposition ist wahrheitskonditional, d. h. sie behauptet „das Bestehen eines Sachverhalts“ in der Wirklichkeit.84 Ist sie falsch, ist eine Täuschung gegeben. 2. Unbeabsichtigte Täuschung? Eine mögliche Eigenschaft der Täuschung wurde bislang nicht genannt: die Intention des Einflussnehmers, den Adressaten zu täuschen. Im allgemeinen Sprachgebrauch wohnt dem Wort „täuschen“ etwas Aktives, Bewusstes, Gezieltes inne.85 78 Vgl. auch das weite Verständnis bei Aquin, Summa Theologica, II–II, q. 110, a. 1: „Worte sind die vorzüglichsten Zeichen. Unter dem Ausdrucke ‚falsche Bezeichnung eines Wortes‘ wird also jegliches Zeichen verstanden. Wer mit Winken z. B. Falsches mitteilt, lügt ebenfalls.“ 79 So ein bekanntes Beispiel von Kant, AA XXVII, 447.4–5. 80 „Einstellung des Sprechers zur Proposition“, Ehlich, in: Glück/Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon Sprache, 5. Aufl. 2016, „Propositionale Einstellung“, S. 540. 81 Salmon/Soames, Propositions and Attitudes, 1988, S. I. 82 Vgl. Ehlich, in: Glück/Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon Sprache, 5. Aufl. 2016, „Propositionale Einstellung“, S. 540 f. S. auch bereits Frege, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100 (1892), 25, 37. 83 Vgl. Ehlich, in: Glück/Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon Sprache, 5. Aufl. 2016, „Propositionale Einstellung“, S. 540 f. 84 Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 1922, 4.21: „Der einfachste Satz, der Elementarsatz, behauptet das Bestehen eines Sachverhaltes.“ 85 Vgl. „Täuschung“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/taeuschen: „jemandem absichtlich einen falschen Eindruck vermitteln; jemanden irreführen“.
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Gleichwohl ist auch eine unbeabsichtigte Täuschung vorstellbar. Etwa, wenn ich einen Koffer schließe, um ihn danach in meinem Keller zu verstauen und ein Beobachter fälschlicherweise denkt, ich verreise. Manche würden dies als „Täuschung“ bezeichnen, wenngleich in Form einer „Selbsttäuschung“. Andere würden den Begriff intuitiv vermeiden und es als (versehentliche) Irreführung betiteln. Letztlich ist das Etikett, das man dieser Form der Einflussnahme anheftet, nicht entscheidend. Es kommt auf die Konzeptualisierung der Verhaltensweise an. Im Folgenden wird die Intention des Einflussnehmers nicht als notwendiger Bestandteil einer Täuschung aufgefasst. Ein Einflussnehmer täuscht auch dann, wenn er die Fehlvorstellung des Adressaten nicht bezweckt. Diese Betrachtungsweise steht im Widerspruch zu in Teilen der sprachphilosophischen Literatur vertretenen Ansicht. 86 Das ist hinnehmbar, weil das hiesige Anliegen, die Täuschung zu konzeptualisieren, ein anderes ist. Das Recht reguliert auch fahrlässige Einflussnahmen und nur eine derartige Konzeptualisierung vermag die Erkenntnisse anschlussfähig zu machen. Freilich wird man im Falle einer unbeabsichtigten Täuschung dem Einflussnehmer nicht in allen Fällen einen (moralischen oder rechtlichen) Vorwurf machen können, weil ihm die Täuschung unter Umständen nicht zurechenbar ist. Inwieweit das der Fall ist, ist eine normative Frage und wird in der rechtlichen Analyse näher behandelt.87 3. Exkurs: Behauptungen und das Überzeugen Überzeugt jemand eine andere Person, dann führt er Gründe an. 88 Die Einflussnahme erfolgt so durch den „zwanglose[n] Zwang des besseren Arguments“. 89 Das „Überzeugen“ als Urtyp der Einflussnahme operiert also mit Assertiven.90 Der klassische Fall ist eine Behauptung, die durch einen Deklarativsatz geäußert wird.91 Diese kann eine Feststellung, eine Aussage, ein Bericht, ein Bestreiten oder eine Verneinung sein.92 Natürlich können auch andere Satzstrukturen die illokutionäre Rolle eines Assertivs annehmen, z. B. rhetorische Fragen. Im Folgenden wird allgemein von einer Behauptung gesprochen, die als Platzhalter für eine beliebige dieser Formen stehen soll. Durch eine Behauptung vermittelt der Einflussnehmer dem Adressaten einen wahrheitskonditionalen propositionalen Inhalt (p). Man kann 86 S. für einen Überblick über die Diskussion Mahon, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Winter 2016 Edition, 1.4. Vgl. auch zur Täuschung Carson, Lying and Deception, 2010, S. 47; zur Lüge Chisholm/Feehan, 74 J. Philos. 143 (1977); Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 180. 87 S. unten S. 165 ff. 88 Vgl. zum Überzeugen als rationale Einflussnahme unten S. 77 ff. 89 Habermas, Wahrheitstheorien, in: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, 1995, S. 127, Wahrheitstheorien, S. 127, 144, 161. 90 „Assertive“ ist ein Begriff aus der Sprechakttheorie und steht für illokutive Akte wie Behauptungen, Feststellungen oder Beschreibungen. Vgl. hierzu bereits oben S. 61 f. 91 Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 181 f.; Falkenberg, Lügen, 1982, S. 91. 92 Falkenberg, Lügen, 1982, S. 79.
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eine Behauptung, die ein Einflussnehmer E gegenüber einem Adressaten A äußert, beschreiben als:93 Behauptung E behauptet, dass p (1) E äußert einen Satz mit der Bedeutung p. (2) E präsentiert p als wahr. Die Voraussetzung (2) beschreibt, dass sich der Einflussnehmer der Wahrheit von p verpflichtet.94 Ob eine Person sagt: „Der Himmel ist blau.“, oder: „Es ist wahr, dass der Himmel blau ist.“, spielt keine Rolle.95 Der Zusatz „es ist wahr“ trägt nichts zur Bedeutung des Satzes bei, weil man normalerweise davon ausgeht, dass ein Sprecher die Wahrheit sagt.96 E erhebt für seine Behauptung also einen Wahrheitsanspruch; er präsentiert p als wahr.97 Andernfalls würde er auch gegen die Maxime der Qualität des Kooperationsprinzips verstoßen.98 Normalerweise ist eine Behauptung immer auch ein zweckgerichtetes Handeln. Der Einflussnehmer will, dass der Adressat glaubt (oder weiß), dass p.99 Er möchte im Adressaten ein Urteil wecken, sodass sich dieser bestimmte epistemische Feststellungen zu eigen macht, sprich: dass er eine propositionale Einstellung entwickelt.100 Das Überzeugen gelingt daher, wenn der Adressat den Wahrheitswert von p akzeptiert.101 Selbstverständlich kann man nicht nur mit Behauptungen überzeugen. Die Voraussetzung (1) konzentriert sich auf die semantische Bedeutung einer Äußerung. Ein Einflussnehmer kann eine Proposition, das hat der Abschnitt über die Schlüsse gezeigt,102 aber auch anders vermitteln. Exemplarisch lässt sich das anhand der Implikatur aufzeigen:103 93 Vgl. Falkenberg, Lügen, 1982, S. 82; Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 182; ders., Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 102. Die hier vorgeschlagene Definition verzichtet auf die Intention des Einflussnehmers, im Adressaten ein Urteil zu wecken, vgl. hierzu oben S. 64 f. 94 Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 182. 95 Carson, Lying and Deception, 2010, S. 24. 96 Carson, Lying and Deception, 2010, S. 24. Vgl. auch die „truth-default theory“ unten S. 98. 97 Vgl. oben S. 65. S. auch Searle, Expression and Meaning, 1979, S. 62: „[T]he maker of an assertion commits himself to the truth of the expressed proposition.“; Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 10. Aufl. 2016 (1981), S. 26; gleichsinnig Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 69. 98 Vgl. oben S. 57 ff. 99 Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 182; Falkenberg, Lügen, 1982, S. 81. 100 Vgl. Marty, Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie, 1908, § 86, S. 381. 101 Würde man „Überzeugen“ definieren wollen, so müsste man diesen Erfolg als eine vierte Voraussetzung der Definition der Behauptung hinzufügen. 102 Vgl. oben S. 54 ff. 103 Vgl. Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 121.
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Implikatur E implikatiert, dass q (1) E behauptet, dass p. (2) q lässt sich aus p ableiten. (3) q ist annullierbar. (4) E präsentiert q als wahr. Die Voraussetzungen (2) und (3) beschreiben die bereits angesprochenen Eigenschaften einer Implikatur, die Möglichkeit sie zu rekonstruieren und sie zu annullieren.104 Die Proposition q ist, neben p, eine weitere Proposition, die durch den Einflussnehmer pragmatisch vermittelt wird und wahr oder falsch sein kann.105 II. Semantische Täuschung Eine semantische Täuschung ist eine (erfolgreiche106) Lüge.107 Man kann sie von anderen Täuschungen durch das Erfordernis der Behauptung108 unterscheiden.109 Diese Unterscheidung geht zurück auf Kant. In seiner Vorlesung zur Moralphilosophie beschreibt er die Situation, in der eine Person ihren Koffer packt, um eine andere Person fälschlicherweise glauben zu machen, sie gehe auf Reisen. Das sei keine Lüge, da es an einer Behauptung mangele: „[…] dann habe ich ihn nicht belogen; denn ich habe nicht declarirt, meine Gesinnungen zu äußern […].“110
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Vgl. oben S. 60. Wahrheitswert einer Implikatur: Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 193; Horn, in: Petrust (Hrsg.), Meaning and Analysis, 2010, S. 310, 325; Horn, 1 Int. Rev. Pragmat. 3, 19 (2009): „Whether or not we invoke ‚truth-conditional pragmatics‘ (to adopt Recanati’s term), it must be borne in mind that implicatures – whether conventional or conversational – are propositions that have their own truth conditions”; andeutungsweise bereits Grice, Logic and Conversation, in: Studies in the Way of Words, 1989, S. 22, 39: „Since the truth of a conversational implicatum is not required by the truth of what is said (what is said may be true – what is implicated may be false), the implicature is not carried by what is said, but only by the saying of what is said, or by ‘putting it that way.’”. S. allgemein für diesen Ansatz Recanati, Truth-Conditional Pragmatics, 2010. Diese Ansicht ist in der Sprachphilosophie nicht unbestritten, gilt die Abhängigkeit von Wahrheitsbedingungen doch als klassisches Abgrenzungsmerkmal zwischen Semantik und Pragmatik. Paradigmatisch Gazdar, Pragmatics. Implicature, Presupposition and Logical Form, 1979, S. 2: „pragmatics = meaning – truth conditions.“ 106 Zwar ist eine Lüge auf einen Täuschungserfolg gerichtet. Tritt dieser nicht ein, spricht man gleichwohl von einer „Lüge“. Der Erfolg ist daher kein notwendiger Bestandteil einer Lüge. 107 Zur Lüge als Unterform der Täuschung Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 183. 108 S. zur formalen Beschreibung einer Behauptung oben S. 66. 109 Chisholm/Feehan, 74 J. Philos. 143, 149 f., 152 (1977); Meibauer, 37 J. Pragmat. 1373, 1383 (2005). 110 Kant, AA XXVII, 447.3–4. Es ist zu beachten, dass mitunter behauptet wird, dieses Werk sei keine verlässliche Quelle für Kants Ansichten, s. Schwarz, 83 Ethics 173, 175 (1973). 105 Zum
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Jemand täuscht semantisch, wenn er eine Behauptung aufstellt, obwohl die mit ihr vermittelte Proposition falsch ist. Die semantische Täuschung ist, sofern sie intendiert wird, eine strategische Fehlanwendung der Behauptung zur Verfolgung eigener, verdeckter Ziele; eine „unaufrichtige Behauptung“.111 Die semantische Täuschung lässt sich in drei Unterkategorien unterteilen: Sie kann über den wörtlichen Bedeutungsgehalt täuschen (1.), sie kann zu einer falschen semantischen Implikation führen (2.) oder sie kann eine falsche Präsupposition vermitteln (3.). 1. Wörtliche Falschheit Der einfache Fall einer semantischen Täuschung ist der einer Äußerung, deren sprachliche Zeichen semantisch eine falsche Proposition vermitteln. Täuschungsmittel hierfür sind Worte, Sätze oder ein gesamter Text.112 Beispielsweise ist die Behauptung, „Das Toilettenpapier besteht aus Altpapier“ bereits wörtlich falsch, wenn es in Wirklichkeit nicht aus Altpapier besteht.113 Die Falschheit ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der Bedeutung der Zeichen und der Wirklichkeit. Wörtliche Täuschung E täuscht A wörtlich (1) E behauptet, dass p. (2) A wird von p überzeugt. (3) p ist falsch. 2. Falsche semantische Implikationen Eine semantische Täuschung liegt auch dann vor, wenn aus den verwendeten sprachlichen Zeichen eine logische Implikation folgt und diese falsch ist.114 Nicht gemeint ist damit die Fehlerhaftigkeit des Schlussfolgerungsprozesses (etwa, weil ein Adressat die notwendigen logischen Operationen nicht richtig durchführt), sondern die Falschheit der logisch folgenden Proposition. Mit anderen Worten: Der Einflussnehmer äußert eine Behauptung, die die Proposition p vermittelt, woraus logisch q folgt und q ist falsch. In diesen Fällen ist freilich bereits p falsch (weshalb man auch von einer wörtlichen Falschheit sprechen kann). Entscheidend für die täuschende Wirkung ist jedoch erst die Falschheit von q. Beispielsweise folgt aus 111 Falkenberg, Lügen, 1982, S. 75; Dietz, Der Wert der Lüge, 2002, S. 62; Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 180 f.; ders., Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 102. 112 Hilfswissenschaft zur Feststellung der Bedeutung ist dementsprechend die Wort-, Satzund Textsemantik; insgesamt geht es um eine Äußerungssemantik. Hierzu Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 52. 113 Das Beispiel stammt aus BGH GRUR 1991, 546 – aus Altpapier. 114 Vgl. zur semantischen Implikation oben S. 55.
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der Behauptung „Der Preis des Produkts wurde um 50 % reduziert. Er beträgt nur noch 100 Euro.“ notwendigerweise die Proposition „Der Preis des Produkts betrug vor der Preissenkung 200 Euro.“ Entspricht das nicht der Wahrheit, liegt eine semantische Täuschung in Form einer falschen semantischen Implikation vor. Falsche semantische Implikation E täuscht A durch eine falsche semantische Implikation (1) E behauptet, dass p. (2) p → q. (3) A wird von q überzeugt. (4) q ist falsch. 3. Falsche Präsuppositionen Eine falsche Präsupposition liegt vor, wenn der Einflussnehmer eine Proposition p vermittelt, die – unabhängig davon, ob p wahr oder falsch ist – die Wahrheit einer weiteren Proposition q behauptet (d. h. sie implizit voraussetzt), obwohl q falsch ist.115 Äußert E: „Mein Auto wurde gestohlen.“, präsupponiert er, dass er ein Auto hat(te). Entspricht das nicht der Wahrheit, hat er durch eine falsche Präsupposition darüber getäuscht. Falsche Präsupposition E täuscht A durch eine falsche Präsupposition (1) E behauptet, dass p. (2) (p → q) & (¬p → q). (3) A wird von q überzeugt. (4) q ist falsch. III. Pragmatische Täuschung Die pragmatische Täuschung ist stärker von Schlüssen abhängig, die der Adressat zieht. Diese Schlüsse entstehen, anders als die semantische Täuschung, nur in einem bestimmten Kontext. Hier lassen sich falsche Explikaturen (1.) von falschen Implikaturen (2.) unterscheiden. 1. Falsche Explikaturen Täuschungen durch Explikaturen betreffen Fälle, in denen eine Äußerung (absichtlich) unterdeterminiert ist und der Adressat versucht, die Aussage pragmatisch zu 115 Vgl. zu Präsuppositionen oben S. 55. S. auch Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 137 ff.
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einem propositionalen Gehalt anzureichern und die so entstehende Proposition falsch ist.116 Man nehme an, auf dem Arzneimittelmarkt existierten nur zwei Produkte, die gegen Kopfschmerzen helfen, Arzneimittel A und Arzneimittel B. Behauptet der Hersteller von A: „A ist besser.“, ist die Aussage unterdeterminiert – besser als was? Ein Adressat, dem die Marktstruktur für Arzneimittel für Kopfschmerzen bewusst ist, wird die Proposition pragmatisch vervollständigen: „A ist besser als B“.117 Wenn diese Proposition falsch ist, hat der Hersteller von A pragmatisch getäuscht, indem er eine falsche Explikatur vermittelt hat. Falsche Explikatur E täuscht A durch eine falsche Explikatur (1) E äußert einen unvollständigen Satz. (2) Der Satz wird durch eine naheliegende Ergänzung zu p. (3) E präsentiert p als wahr. (4) A wird von p überzeugt. (5) p ist falsch. 2. Falsche Implikaturen Die bedeutendsten Fälle der pragmatischen Täuschungen sind Äußerungen, durch die falsche Implikaturen entstehen.118 Das zeigt ein Beispiel: „Ein Kapitän und sein Maat haben seit längerem Streit. Der Maat spricht gern dem Rum zu, und der Kapitän will dies nicht länger dulden. Als der Maat wieder mal besoffen [sic] ist, trägt der Kapitän ins Logbuch ein: Heute, 11. Oktober, der Maat ist betrunken. Als der Maat während seiner nächsten Wache diese Eintragung liest, wird er erst wütend, dann überlegt er kurz, schließlich trägt er ins Logbuch ein: Heute, 14. Oktober, der Kapitän ist nicht betrunken.“119
Wörtlich genommen ist der Logbucheintrag des Maats wahr. Der Kapitän war tatsächlich nicht betrunken. Eine semantische Täuschung ist es deshalb nicht. Jemand, der diesen Eintrag liest, würde sich jedoch fragen, warum das im Logbuch steht. In einem Logbuch werden normalerweise nur wichtige Ereignisse dokumentiert. Deshalb verstößt der Maat mit seinem Eintrag gegen die Relationsmaxime („Sei relevant.“).120 Offensichtlich, so wird der Leser des Eintrags schlussfolgern, möchte der Maat mit dem Eintrag etwas anderes ausdrücken: der Kapitän war aus116 Vgl. zu Explikaturen oben S. 56. S. auch Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 140 ff. 117 Vgl. Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 140. 118 Vgl. zu Implikaturen oben S. 56 ff. 119 Das Beispiel stammt von Posner, in: Searle/Kiefer/Bierwisch (Hrsg.), Speech Act Theory and Pragmatics, 1980, S. 169, 179. Die deutsche Übersetzung ist von Meibauer, Zeitschrift für Sprachwissenschaft 34 (2015), 175, 192. 120 Vgl. zum Kooperationsprinzip und zu den Maximen oben S. 57 ff.
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nahmsweise nüchtern, d. h. er ist normalerweise betrunken. Diese Proposition ist eine Implikatur. Da sie nicht der Wahrheit entspricht, kann man von einer falschen Implikatur sprechen.121 Eine Täuschung durch falsches Implikatieren lässt sich formal darstellen: Falsche Implikatur E täuscht A durch eine falsche Implikatur (1) E implikatiert, dass q. (2) A wird von q überzeugt. (3) q ist falsch. IV. Sonderfälle 1. Nicht-sprachliche Täuschung Man kann einen propositionalen Inhalt auch durch nicht-sprachliches Handeln vermitteln. Mark Twain ging sogar so weit zu sagen, „almost all lies are acts, and speech has no part in them.“122 Kants Beispiel,123 in dem eine Person ihren Koffer packt, um eine andere glauben zu machen, sie verreise, stellt eine solche Täuschung ohne sprachliche Mittel dar. Hier vermittelt der Handelnde den propositionalen Inhalt „Ich werde verreisen“. Es handelt sich dabei, wie Kant sagt, nicht um eine Lüge (bzw. semantische Täuschung), da es an einer Behauptung mangelt. Es ist auch keine pragmatische Täuschung, da ihr jegliche sprachliche Äußerung fehlt, aus der sich eine Implikatur ableiten ließe. Diese Form der Täuschung ist nicht-sprachlich und noch stärker von individuellen Schlüssen des Adressaten abhängig als die pragmatische Täuschung. Dennoch gibt es bestimmte Kontexte, in denen Adressaten intersubjektiv bestimmte Bedeutungsgehalte konventionell ableiten.124 Ein eindrückliches Beispiel findet sich in der Natur: Weibchen aus der Glühwürmchengattung Photuris ahmen die Blinksignale der Weibchen einer anderen Gattung (Photinus) nach. Damit locken sie Photinus-Männchen an. Nicht, um sich mit ihnen zu paaren, sondern, um sie zu verspeisen.125 Bei nicht-sprachlichen Handlungen ist es sinnvoll, die von Paul Grice eingeführte Unterscheidung zwischen „natürlicher Bedeutung“ und „nicht-natürlicher Bedeutung“ zu berücksichtigen.126 Die natürliche Bedeutung ist diejenige Bedeutung, die ein Zeichen aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften hat. Beispielsweise kön121 Fasst man auch die falsche Implikatur unter das Konzept der Lüge, kann man hier von „lying while saying the truth“ sprechen, Meibauer, 37 J. Pragmat. 1373, 1380 (2005). 122 Twain, My First Lie and How I Got Out of It, in: The Man That Corrupted Hadleyburg and Other Essays and Stories, 1898, S. 145, 146. 123 Oben S. 67. 124 Vgl. Cohen, 96 Australas. J. Philos. 483, 487 (2018). 125 Lloyd, 149 Science 653 (1965). 126 Grice, 66 Philos. Rev. 377, 378 (1957).
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nen rote Flecken bedeuten, dass eine Person Masern hat127 oder Rauch kann bedeuten, dass es brennt.128 Die nicht-natürliche Bedeutung ist jene, die wir in der Kommunikation verwenden. Sie ist eng verbunden mit der Intention eines Einflussnehmers, etwas zu verstehen zu geben.129 Äußert jemand: „Es brennt!“, will er den Hörer auf die Gegenwart von Feuer hinweisen. Wenn eine Person ihren Koffer packt, um jemandem zu verstehen zu geben, sie verreise, liegt – weil die Person intendiert, dass der Adressat dies erkennt – ebenfalls eine nicht-natürliche Bedeutung vor. Die nicht-natürliche Bedeutung beruht daher nicht auf Naturgesetzen, sondern auf Konventionen, d. h. auf gesellschaftlichen Verabredungen. 2. Täuschung durch Unterlassen Bei der Täuschung durch Unterlassen kann man drei Formen unterscheiden, wobei die letzte keine wirkliche Täuschung ist: das Äußern von Halbwahrheiten, das wegen eines Verstoßes gegen das Kooperationsprinzip zur Entstehung einer Implikatur führt (a.), das reine Unterlassen, das gegen Offenlegungsnormen verstößt (b.) und das reine Unterlassen, das gegen keine solcher Normen verstößt und lediglich zu einer „Selbsttäuschung“ führen kann (c.). a) Verstoß gegen das Kooperationsprinzip (Halbwahrheiten) Eine Halbwahrheit ist eine Aussage, die für sich genommen nicht falsch ist. Ihr propositionaler Gehalt ist wahr. Jedoch gibt die Aussage nicht alle relevanten Informationen wieder.130 Die ausgelassenen Informationen sind solche, von denen der Adressat erwartet, dass sie in der konkreten Situation geäußert werden, würden sie zutreffen. Der Einflussnehmer verstößt gegen die Maxime der Quantität („Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie nötig“).131 Mit anderen Worten vermittelt der Einflussnehmer durch die unterlassene Äußerung eine Proposition in Form einer Implikatur mit dem Gehalt, dass die nicht geäußerte Tatsache nicht zutrifft (dass ¬p).132 Eine Halbwahrheit ist somit keine besondere Form der Täuschung, 127
Grice, 66 Philos. Rev. 377 (1957): „Those spots mean (meant) measles.“ Kroeger, Analyzing Meaning, 2018, S. 8. 129 „‚A meant NN something by x’ is (roughly) equivalent to ‚A intended the utterance of x to produce some effect in an audience by means of the recognition of this intention‘“, Grice, 66 Philos. Rev. 377, 384 (1957). 130 „A half-lie, or half-truth occurs, then, when a speaker gives part of the truth while concealing another part of it – a part, naturally, which he assumes would be relevant to [the hearer]“, Vincent/Castelfranchi, in: Parret/Sbisà/Verschueren (Hrsg.), Possibilities and Limitations of Pragmatics, 1981, S. 749, 762. Vgl. auch Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 28; Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183, 185. 131 Vincent/Castelfranchi, in: Parret/Sbisà/Verschueren (Hrsg.), Possibilities and Limitations of Pragmatics, 1981, S. 749, 762; Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183, 188. 132 Vgl. Vincent/Castelfranchi, in: Parret/Sbisà/Verschueren (Hrsg.), Possibilities and Limitations of Pragmatics, 1981, S. 749, 762. 128
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sondern eine pragmatische Täuschung durch eine falsche Implikatur. Der bereits besprochene Sachverhalt in Bronston v. United States133 beinhaltete eine solche Halbwahrheit. Bronston sagte zwar die Wahrheit, dass seine Produktionsfirma ein Konto in der Schweiz besaß. Gleichzeitig implikatierte er aber, dass er selbst dort keines hatte. b) Verstoß gegen andere Normen (reines Unterlassen) Anders steht es mit einem reinen Unterlassen, also wenn der Einflussnehmer überhaupt nichts äußert. Das kann begrifflich nur eine nicht-sprachliche Täuschung sein. Doch es ginge sicher zu weit, jeden Fall der Nichtäußerung als Täuschung zu erachten. Jemandem etwas nicht zu sagen, lässt diese Person in der Regel in einem Zustand der Unwissenheit über das Thema zurück, nicht im Zustand einer Fehlvorstellung.134 Vielmehr liegt eine nicht-sprachliche Täuschung nur vor, wenn sich das Unterlassen einer Äußerung zu einem propositionalen Gehalt verdichtet, d. h. wenn es kausal dafür ist, dass sich der Adressat bestimmte propositionale Vorstellungen zu eigen macht.135 Ein solches Unterlassen ist dann äquivalent zu der Behauptung, dass die nicht offengelegte Tatsache nicht zutrifft.136 Liegt keine Äußerung des Einflussnehmers vor, kann er zwar nicht gegen das Kooperationsprinzip von Grice verstoßen.137 Aber ein Adressat kann auch außerhalb des Kooperationsprinzips legitime Erwartungen an sein Gegenüber haben, nämlich dann, wenn eine andere Norm ihn verpflichtet, eine Proposition offenzulegen.138 Das betrifft neben Konventionen insbesondere Fälle, in denen eine rechtliche Norm den Einflussnehmer verpflichtet, bestimmte Informationen preiszugeben. c) Kein Verstoß gegen Normen (Selbsttäuschung) Die dritte Variante ist keine Täuschung. Wenn der Einflussnehmer nichts äußert, ihn auch keine Pflicht zur Offenlegung trifft, der Adressat also nicht erwarten kann, dass er einen propositionalen Gehalt vermittelt, wird man nicht mehr von einer Täuschung sprechen können.139 Zwar kann auch in diesen Fällen der Adressat getäuscht werden, etwa weil er unberechtigte Erwartungen an den Einflussnehmer 133 Oben
S. 50. Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183. 135 Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183, 186 f. 136 So die gängige Formulierung im US-amerikanischen Restatement (Second) of Contracts § 161 (1981): „A person’s non-disclosure of a fact known to him is equivalent to an assertation that the fact does not exist“. 137 Vgl. zum Kooperationsprinzip oben S. 57 ff. 138 Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183, 188: „[…] there are other reasons why we might have a legitimate expectation that certain information will be revealed to us.“ 139 Vgl. zu dieser Kategorie Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183, 189 f. 134
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hat. Doch dieses Risiko liegt allein in der Sphäre des Adressaten. In diesen Fällen der unabsichtlichen Täuschung lässt sich nur von einer „Selbsttäuschung“ sprechen.
C. Zusammenfassung von § 2 1. Bei einer Täuschung vermittelt ein Einflussnehmer eine unwahre Proposition, die sich der Adressat zu eigen macht. Die Proposition ist die Basiseinheit der Bedeutung, ein „eingefrorener Gedanke“, der mittels Sprache kommuniziert wird, z. B. durch eine Behauptung. Eine Äußerung hat verschiedene Bedeutungsebenen: Das explizit Gesagte (Semantik) und das implizit Gemeinte (Pragmatik). In beiden Dimensionen können Propositionen vermittelt werden, indem Adressaten Schlüsse ziehen (semantische Implikationen, Präsuppositionen, Explikaturen, Implikaturen). Implikaturen sind implizit vermittelte Bedeutungsgehalte und verdienen besonderes Augenmerk, weil sie in der alltäglichen Kommunikation Legion sind und eine Täuschung durch wahre Aussagen ermöglichen. Sie entstehen durch einen Verstoß gegen eine Konversationsmaxime aus dem Grice’schen Kooperationsprinzip. 2. Die vom Adressaten gezogenen Schlüsse dienen als Weichenstellung für eine typologische Einordnung der Täuschungsformen. Semantische Täuschungen vermitteln wörtlich, durch semantische Implikationen oder durch Präsuppositionen falsche Propositionen. Pragmatische Täuschungen operieren mittels falscher Propositionen, die der Einflussnehmer durch Explikaturen oder Implikaturen vermittelt. Eine Sonderrolle nehmen Täuschungen durch Unterlassen ein: Halbwahrheiten sind besondere Formen einer Implikatur. Das reine Unterlassen ist eine nicht-sprachliche Täuschung, soweit eine konventionelle oder rechtliche Offenlegungspflicht besteht. 3. Der „Grad der Verbindlichkeit“ eines Schlusses gibt einen Hinweis darauf, für welche Bedeutungsgehalte der Einflussnehmer in welchem Maße einstehen will. Von ihr macht es der Adressat abhängig, ob er sich den Wahrheitsgehalt der vermittelten Proposition zu eigen macht. Bei semantisch vermittelten Bedeutungsgehalten verpflichtet sich der Einflussnehmer stärker der Wahrheit als bei pragmatischen Schlüssen, weil letztere in einem größeren Maße von dem subjektiven Schlussfolgerungsprozess des Adressaten abhängig sind.
§ 3 Typologie der Manipulation Der Begriff „Manipulation“ wird unterschiedlich verwendet, sodass seine Bedeutung nur schwer fassbar ist. Handlungen, die wir als manipulativ charakterisieren, haben gewisse Ähnlichkeiten miteinander. Aber es fällt schwer, notwendige und hinreichende Bedingungen für die Manipulation aufzustellen. Deshalb wird sie auch als ein undefinierbares Konzept der „Familienähnlichkeit“1 bezeichnet.2 Bislang wurde als wesensdefinierendes Merkmal der Täuschung die Vermittlung unwahrer propositionaler Gehalte beschrieben,3 während die Manipulation eine Einflussnahme anderer Qualität ist:4 Sie ruft bei dem Adressaten angenehme Zwecke hervor oder lässt andere Zwecke als angenehm erscheinen.5 Das Angenehme wurde durch die verhaltenswissenschaftliche Analyse näher skizziert. Eine manipulative Einflussnahme nutzt die „kognitive Leichtigkeit“, die heuristische Informationsverarbeitung des Systems 1 oder Affekte aus.6 Die Typenbildung der Manipulation ist damit schon recht weit vorangeschritten. Bevor eine weitere typologische Unterteilung verschiedener Manipulationsformen vorgenommen werden kann (B.), sind jedoch zunächst weitere potenzielle Charakteristika der Manipulation zu untersuchen (A.).
A. (Weitere) Charakteristika der Manipulation Lexika beschreiben die Manipulation häufig als heimlichen Kunstgriff, der dem Adressaten nicht bewusst ist.7 In eine ähnliche Richtung geht ein Ansatz in der Philosophie, wonach sich eine interpersonale Manipulation dadurch auszeichne, dass der Einflussnehmer die Rationalität des Adressaten umgehe oder untergrabe 1 Zum Begriff der „Familienähnlichkeit“ s. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 2003 (1953), § 67: „Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren, als durch das Wort ‚Familienähnlichkeiten‘; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc. […]“. 2 Todd, in: LaFollette (Hrsg.), International Encyclopedia of Ethics, 2013, „Manipulation“, S. 4. 3 Vgl. zur Frage, ob eine Manipulation auch mittels unwahrer Propositionen möglich ist, unten S. 80. 4 Zu der Frage, ob die Täuschung nicht nur ein Unterfall der Manipulation ist und eine methodologische Klarstellung hierzu oben S. 8 f. 5 Vgl. oben S. 21 ff. 6 Vgl. oben S. 27 ff. 7 S. zur Semantik der Manipulation oben unter S. 7.
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
(„bypass or subvert“-Ansatz). 8 Deshalb ist zunächst der Frage nachzugehen, ob die Umgehung oder Untergrabung der Rationalität ein notwendiges Charakteristikum der Manipulation ist (I.). Ein weiteres Kriterium könnte sich aus einem Vergleich zur Täuschung ergeben. Die Täuschung zeichnet sich dadurch aus, dass der Einflussnehmer unwahre propositionale Gehalte übermittelt. Deshalb liegt es nahe zu fragen, ob eine Manipulation mittels propositionaler Aussagen möglich ist, oder ob hier ein Abgrenzungskriterium zu erkennen ist (II.). Weiterhin wird gerade in der Alltagssprache mit der Manipulation die Vorstellung verbunden, dass der Manipulator mit ihr seine eigenen egoistischen Ziele auf Kosten des Adressaten verfolgt (III.). Zuletzt ist das Verhältnis der Manipulation zum Zwang zu klären. Wenn Zwang als Abwesenheit von Freiheit definiert wird und sich die Manipulation vom Zwang unterscheidet, liegt es nahe, dass eine Manipulation dem Adressaten trotz ihres Einflusses die freie Wahl erhält (IV.). I. Umgehung oder Untergrabung der Rationalität? Viele Formen der Beeinflussung, die man im alltäglichen Sprachgebrauch als manipulativ bezeichnet, funktionieren gerade, weil sie dem Adressaten nicht bewusst sind oder er nicht versteht, dass und wie sie auf seine Handlungen Einfluss nehmen.9 Deshalb verwundert es nicht, dass als besonderes Merkmal der Manipulation häufig herausgestellt wird, sie umgehe oder untergrabe die Rationalität des Adressaten.10 Bevor man sich der Frage widmen kann, ob jede Manipulation die Rationalität untergräbt, soll dargestellt werden, wodurch sich eine rationale Einflussnahme auszeichnet (1.). Danach lässt sich fragen, inwiefern eine manipulative Einflussnahme die Rationalität des Adressaten umgeht (2.) oder sie zumindest untergräbt (3.). Das Kapitel endet mit einem Fazit (4.), bevor die Untersuchung weiteren Charakteristika der Manipulation nachgeht.
8 Baron, 77 Proceedings and Addresses of the APA 37, 50 (2003); Blumenthal-Barby/Bughs, 12 Am. J. Bioeth. 1, 5 (2012); Cave, 10 Ethical Theory Moral Pract. 129, 133 (2007); Mele, Autonomous Agents: From Self-Control to Autonomy, 2001, S. 166 f.; wohl auch Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 78, 82. A.A. Gorin, 51 Am. Philos. Q. 51 (2014); Gorin, in: Coons/Weber (Hrsg.), Manipulation, 2014, S. 73; Fischer, Manipulation, 2017, S. 52 ff. 9 Vgl. auch die Feststellung von Ware, 11 Br. J. Political Sci. 163, 165 (1981): „B either has no knowledge of, or does not understand, the ways in which A affects his choices.“ 10 Baron, 77 Proceedings and Addresses of the APA 37, 50 (2003); Blumenthal-Barby/Bughs, 12 Am. J. Bioeth. 1, 5 (2012); Cave, 10 Ethical Theory Moral Pract. 129, 133 (2007); Mele, Autonomous Agents: From Self-Control to Autonomy, 2001, S. 166 f.; wohl auch Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 78, 82. A.A. Gorin, 51 Am. Philos. Q. 51 (2014); ders., in: Coons/Weber (Hrsg.), Manipulation, 2014, S. 73; Fischer, Manipulation, 2017, S. 52 ff.
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1. Rationale Einflussnahme a) Überzeugen als Urtyp rationaler Einflussnahme In einer idealen Sprechsituation treten die Gesprächsteilnehmer in einen argumentativen Diskurs. In diesem verständigen sie sich über problematische Geltungsansprüche, etwa über kontroverse Wahrheitsansprüche.11 Eine rationale Einflussnahme, man kann hier auch von einem „Überzeugen“ sprechen,12 erfolgt dann durch den „zwanglose[n] Zwang des besseren Arguments“.13 Sie glückt, wenn der Adressat durch Argumente zur Annahme des Geltungsanspruchs motiviert wird.14 Motiviert wird er durch die Triftigkeit der angeführten Gründe.15 Ob ein Argument stichhaltig ist, kann nur durch ein berechnendes, vernunftgeleitetes Denken bestimmt werden. Wer überzeugt, spricht also die rationalen Fähigkeiten seines Gegenübers an. Mit rationalen Fähigkeiten gemeint ist, wie der Exkurs in das „Imperium der Rationalität“ gezeigt hat,16 das Vermögen des Menschen, nach den grundlegenden Regeln der Logik Entscheidungen zu treffen, die mit den eigenen Präferenzen konform gehen. b) Vergleich: Täuschung und Rationalität Auch eine Täuschung spricht die Rationalität des Adressaten an. Der Erfolg einer Täuschung hängt maßgeblich davon ab, dass der Adressat die unwahren Propositionen in seine Überlegung einbezieht und die vom Täuschenden intendierten Schlüsse zieht. Dadurch gilt der zwanglose Zwang des vermeintlich besseren Arguments, das aber im Falle der Täuschung auf unwahren Tatsachen basiert. Die Täuschung nutzt und missbraucht zugleich die Rationalität des Adressaten. Man kann diesen Wirkmechanismus bildlich beschreiben: Die Rationalität ist wie ein Rechenprogramm, das ein Täuschender mit unrichtigen Daten füttert. Dadurch kommt das Programm zwar zu unrichtigen Ergebnissen, der Verarbeitungsprozess selbst wird aber nicht beeinträchtigt. 11
Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 10. Aufl. 2016 (1981), S. 38. Vgl. zum Überzeugen oben S. 65 ff. 13 Habermas, Wahrheitstheorien, in: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, 1995, S. 127, Wahrheitstheorien, S. 127, 144, 161. 14 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 10. Aufl. 2016 (1981), S. 38; ders., Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, S. 138 f.: „Und ‚rationaler Diskurs‘ soll jeder Versuch der Verständigung über problematische Geltungsansprüche heißen, sofern er unter Kommunikationsbedingungen stattfindet, die innerhalb eines durch illokutionäre Verpflichtungen konstituierten öffentlichen Raums das freie Prozessieren von Themen und Beiträgen, Informationen und Gründen ermöglichen.“ sowie ders., Wahrheitstheorien, in: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, 1995, S. 127, Wahrheitstheorien, S. 127, 130: „Unter dem Stichwort ‚Diskurs‘ führte ich die durch Argumentation gekennzeichnete Form der Kommunikation ein, in der problematisch gewordene Geltungsansprüche zum Thema gemacht und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden.“ Die Konsenstheorie der Wahrheit von Habermas wird in dieser Untersuchung jedoch nicht verfolgt. 15 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 10. Aufl. 2016 (1981), S. 38. 16 Vgl. oben S. 23 ff. 12
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
c) Vorläufiges Fazit Verlässt eine Kommunikation das rationale Überzeugen, indem ein Gesprächsteilnehmer durch strategisches Handeln versucht sein Gegenüber zu manipulieren, geschieht die Einflussnahme nicht über das bessere Argument. Der Einfluss funktioniert, weil es für den Adressaten angenehm ist, bestimmte Feststellungen zu akzeptieren oder bestimmte Zwecke zu verfolgen. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass eine jede manipulative Einflussnahme die Rationalität des Adressaten umgeht. Schließlich wurde die Manipulation bislang auch dadurch typisiert, dass sie gezielt die heuristische Informationsverarbeitung des Menschen ausnutzt – und diese ist, zumindest im Ausgangspunkt, begrenzt rational.17 Deshalb ist im Folgenden die Beziehung der Manipulation zur Rationalität nachzuzeichnen. 2. Umgehung der Rationalität Eine Umgehung der Rationalität bedeutet, dass der Einflussnehmer durch seine Einflussnahme die rationalen Fähigkeiten des Adressaten überhaupt nicht anspricht.18 Ein deutliches Beispiel hierfür bietet ein Gedankenspiel von Harry Frankfurter aus dem Kontext der Willens- und Handlungsfreiheit: „[L]et Black manipulate the minute processes of [Jones’] brain and nervous system in some more direct way, so that causal forces running in and out of his synapses and along the poor man’s nerves determine that he chooses to act and that he does act in the one way and not in any other.“19
Hier ist Black in der Lage, die neurophysiologischen Vorgänge in Jones, d. h. seine mentalen Schlussfolgerungsprozesse und damit letztlich sein Handeln, zu kontrollieren. Das rationale Vermögen des Jones wird nicht nur untergraben, sondern völlig umgangen. Bei diesem Beispiel wird man aber wohl nicht mehr von einer Manipulation sprechen können.20 Die Einflussnahme durch Black ist eher ein Zwang, da dem Adressaten jegliche Entscheidungsfreiheit genommen wird.21 Näher liegt es deshalb, die Manipulation nicht als Umgehung, sondern als Untergrabung der Rationalität zu verstehen. 3. Untergrabung der Rationalität Man kann von einer Untergrabung sprechen, wenn der manipulative Einfluss das ordnungsgemäße Funktionieren der rationalen Fähigkeiten des Adressaten ein17
Vgl. hierzu oben S. 27 ff. Gorin, 51 Am. Philos. Q. 51, 52 (2014). 19 Frankfurt, 66 J. Philos. 829, 835 f. (1969). 20 S. für dieses Beispiel als eine Form der Manipulation aber Gorin, 51 Am. Philos. Q. 51, 52 (2014). 21 Das Verhältnis von Entscheidungsfreiheit und Manipulation sowie die Abgrenzung zu Zwang wird sogleich noch näher beleuchtet, vgl. unten S. 82. 18
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schränkt, aber nicht völlig aushöhlt.22 Die eigentliche Funktion rationalen Denkens liegt darin, eine Person zu einem Handeln zu verleiten, das seinen eigenen Überzeugungen, Emotionen und Präferenzen entspricht. Durch den manipulativen Einfluss wird diese Funktionsweise gestört. In diese Richtung geht auch der Manipulationsbegriff von Robert Noggle: „[T]he manipulator controls his victim by ‘adjusting her psychological levers.’ […] I am suggesting that manipulative action is the attempt to get someone’s beliefs, desires, or emotions […] to fall short of […] ideals.“23
Unter dem Eindruck eines manipulativen Einflusses arbeiten die rationalen Fähigkeiten des Adressaten weiter, aber in einer abgeschwächten Version, die den eigentlichen Präferenzen des Adressaten zuwiderlaufen. Die Manipulation umgeht das rationale Vermögen des Adressaten nicht vollständig, aber untergräbt es in einer gewissen Weise. Das zeigt folgendes Beispiel: Der 90-jährige Patient P wurde wegen mehrerer Erkrankungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Nach dem Urteil von Ärztin A hat P eine Lebenserwartung von weniger als sechs Monaten. Eine seiner Erkrankungen wäre mit einer neuen Therapie jedoch heilbar. A möchte diese jedoch nicht an P durchführen, da sie äußerst kostspielig ist und nur wenige Therapieplätze zur Verfügung stehen. Diesen Platz würde P dann anderen, jüngeren Patienten mit höherer Lebenserwartung wegnehmen. Deshalb beschließt A eine menschliche Heuristik des P auszunutzen: Statt P wahrheitsgemäß zu sagen, dass 90 % der Patienten die Therapie überleben, sagt sie ihm, dass 10 % der Patienten an der Therapie sterben. Nachdem P dies hört, beschließt er, die Behandlung abzulehnen, da sie für ihn zu riskant sei. 24
Hier macht sich A den bereits angesprochenen Framing-Effekt 25 zunutze. Ihr manipulativer Einfluss umgeht nicht die rationalen Fähigkeiten des P. Jedoch untergräbt sie diese, indem sie die Funktionsweise der Heuristik ausnutzt und dadurch eine Urteilsverzerrung hervorruft. P trifft deshalb eine Entscheidung, die er ohne den manipulativen Einfluss nicht getroffen hätte und die seinen Präferenzen zu widerläuft.
22
Gorin, 51 Am. Philos. Q. 51, 53 ff. (2014). Noggle, 33 Am. Philos. Q. 43, 44 (1996). Mit „ideals“ meint Noggle jene „to which we strive to get our beliefs, desires, and emotions to conform. […] To put the point a bit less metaphorically, there are certain norms or ideals that govern beliefs, desires, and emotions.“ Als Beispiel führt er zudem „lever of belief“ an: „Believing what is false is a failing: beliefs are ‘successful’ if they are true. That is one of the ideals for beliefs.“ Noggle sieht die Täuschung damit als einen Unterfall der Manipulation, als einen Einfluss auf den „psychologischen Hebel“ epistemischer Feststellungen. Dieser Taxonomie wird in dieser Untersuchung nicht gefolgt, vgl. bereits oben S. 8 f. In eine ähnliche Richtung geht auch Cass Sunstein, der von einer Manipulation ausgeht, wenn die Einflussnahme „does not sufficiently engage or appeal to their capacity for reflection and deliberation“, Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 82. Damit nimmt er freilich bereits die ethische Bewertung vorweg. 24 Das Beispiel stammt von Gorin, 51 Am. Philos. Q. 51, 54 (2014). 25 Oben S. 36 f. 23
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
4. Fazit Eine manipulative Einflussnahme untergräbt die Rationalität des Adressaten. Doch sie umgeht sie nicht völlig. Sie spricht die begrenzt rationalen, häufig unbewussten Entscheidungsstrategien des Adressaten oder seine Affekte an und nutzt diese aus. Dadurch funktioniert sie in ähnlicher, aber doch anderer Weise als die Täuschung. Der Vergleich mit dem Rechenprogramm 26 lässt sich leicht auf die Manipulation ummünzen: Während eine Täuschung durch den Input unwahrer Inhalte operiert, macht sich die Manipulation das Programm zunutze, indem sie Schwachstellen im Quellcode ausnutzt. Das Programm funktioniert so zwar weiterhin, jedoch verfehlt es den eigentlichen Zweck seiner Programmierung. II. Manipulation mittels propositionaler Aussagen Sowohl das Überzeugen als auch die Täuschung üben ihren Einfluss durch die Äußerung propositionaler Inhalte aus. Als Abgrenzungsmerkmal taugen propositionale Aussagen jedoch nicht, weil auch eine Manipulation durch die Äußerung von Aussagen erfolgen kann. Schließlich können propositionale Aussagen Affekte hervorrufen oder eine heuristische Informationsverarbeitung auslösen. Das gilt unabhängig davon, ob die vermittelten Propositionen wahr oder unwahr sind. Das zeigt ein Experiment des US-amerikanischen Psychologen Solomon Asch, in welchem er zwei Personen beschreibt:27 A wird als „intelligent, fleißig, impulsiv, kritisch, störrisch und neidisch“ beschrieben, B hingegen als „neidisch, störrisch, kritisch, impulsiv, fleißig und intelligent“. Die Probanden bewerteten A tendenziell positiver als B, obwohl beiden Personen dieselben Eigenschaften zugeschrieben wurden. Der einzige Unterschied lag in der dargestellten Reihenfolge der Adjektive. Dies fußt darauf, dass Menschen systematisch davon beeinflusst werden, in welcher Reihenfolge sie propositionale Aussagen wahrnehmen (Reihenfolgeeffekt28). Die heuristische Informationsverarbeitung sorgt in diesem Szenario dafür, dass der Adressat die zuerst genannten Adjektive als wichtiger erachtet. An diesem Beispiel lässt sich abermals erkennen, dass die Rationalität nicht umgangen, sondern untergraben wird:29 Statt der Triftigkeit des Arguments beeinflusst die Reihenfolge der Präsentation den Handlungsantrieb des Adressaten. III. Dient die Manipulation negativen Zwecken? Der Begriff der Manipulation ist in der Umgangssprache negativ konnotiert. Häufig wird mit ihm ein Verhalten bezeichnet, das wir nicht für richtig halten.30 Ver26
Oben S. 77. Asch, 41 J. Abnorm. Psychol. 258 (1946). 28 Oben S. 38 f. 29 Vgl. oben S. 78 f. 30 Fischer, Manipulation, 2017, S. 49. 27
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steht man „Manipulation“ in dieser Weise, entspricht der Begriff mehr einem ethischen Urteil als einer Typenbeschreibung. Diese Untersuchung geht einen anderen Weg: Manipulatives Handeln ist eine Einflussnahme, die auf eine bestimmte Art und Weise operiert. Ob die Manipulation moralisch, ökonomisch oder rechtlich zu missbilligen ist, ist eine andere Frage, der noch nachzugehen sein wird.31 Schließlich ist vorstellbar, dass ein benevolenter Einflussnehmer manipulative Strategien zum Wohle des Adressaten nutzt, weil andere Methoden der Einflussnahme nicht erfolgversprechend sind.32 Manchmal ist ein Adressat für rationale Argumente nicht zugänglich, weil er kognitive Anstrengung scheut oder fälschlicherweise davon ausgeht, der Einflussnehmer möchte ihm schaden. In solchen Fällen kann es der Einflussnehmer für sinnvoll erachten, das Verhalten des Adressaten zu dessen eigenem Wohl zu beeinflussen. Ein bekanntes Beispiel ist das der Schulkantine: Platziert man Obst auf Augenhöhe und Süßigkeiten darunter, kann man den Konsum der ungesunden Nahrungsmittel um bis zu 25 % reduzieren.33 Auch Gesetzgeber nutzen solche manipulativen Techniken. In Österreich sind 99,58 % der Gesamtbevölkerung Organ spender, während es in Deutschland nur 18,8 % sind.34 Der große Unterschied lässt sich dadurch erklären, dass in Österreich eine Widerspruchslösung für die Organspende existiert. Möchte man kein Organspender sein, muss man dem ausdrücklich widersprechen, in der Regel durch einen Eintrag in das Widerspruchsregister. Die „Default-Option“35 ist, Organspender zu sein. In Deutschland verhält es sich genau andersherum. Man muss sich aktiv für eine Organspende entscheiden und seinen Willen dahingehend dokumentieren, was mit kognitivem Aufwand einhergeht. Sowohl das Beispiel in der Schulkantine als auch das der Organspende sind keine Fälle des Zwangs. Die Adressaten werden nicht gezwungen, das Obst zu kaufen oder sich für eine Organspende zu entscheiden. Ihnen bleibt die Freiheit, sich für die Süßigkeiten oder gegen das Spenden ihrer Organe zu entscheiden. Auch sind es keine Fälle der Täuschung, da ihnen keine unwahren Propositionen präsentiert
31
Vgl. der zweite Teil der Untersuchung, unten S. 87 ff. Gorin, in: Coons/Weber (Hrsg.), Manipulation, 2014, S. 73, 83. 33 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, S. 1 ff. 34 S. für Österreich Gesundheit Österreich GmbH, Transplant-Jahresbericht, 2018, online abrufbar unter: https://jasmin.goeg.at/1011/1/Transplant-Jahresbericht%202018.pdf, S. 14. Für Deutschland s. Deutsche Stiftung Organtransplantation, Jahresbericht Organspende und Transplantation in Deutschland, 2019, online abrufbar unter: https://www.dso.de/SiteCollection Documents/DSO-Jahresbericht%202019.pdf, S. 62. Die genannten Prozentzahlen repräsentieren in Österreich denjenigen Bevölkerungsanteil, der nicht in das Widerspruchsregister eingetragen ist. Dadurch nicht erfasst werden Personen, die ihren Widerspruch auf andere Art schriftlich oder mündlich geäußert haben. In Deutschland bezieht sich die Zahl auf diejenigen, die schriftlich den Willen für eine Organspende geäußert haben. Nicht erfasst werden diejenigen, die den Willen mündlich, etwa gegenüber der Familie, geäußert haben. Die angegebenen Zahlen stellen daher nur eine Annäherung dar. Tatsächlich wird die Anzahl der Organspender in Österreich niedriger und in Deutschland höher sein. 35 S. zu „Default-Options“ Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, S. 8 ff. 32
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werden. Es sind Fälle einer benevolenten Manipulation. Diese Form der Manipulation firmiert in der Verhaltensökonomik unter der Bezeichnung „Nudge“: „[T]hey are self-consciously attempting to move people in directions that will make their lives better. They nudge. A nudge […] is any aspect of the choice architecture that alters people’s behavior in a predictable way without forbidding any options or significantly changing their economic incentives. To count as a mere nudge, the intervention must be easy and cheap to avoid.“36
Auch Nudges erfüllen die bislang aufgezeigten Wesensmerkmale einer Manipulation. Sie präsentieren bestimmte Zwecke als angenehm, ohne mit rationalen Argumenten zu überzeugen. Sie sind demnach kein Fall des Überzeugens, sondern manipulative Techniken. IV. Manipulation und die freie Wahl Das Beispiel der Nudges hat gezeigt, dass eine manipulative Einflussnahme dem Adressaten nicht die Entscheidungsfreiheit nimmt, sondern nur einen „Schubs“ in die vom Manipulator intendierte Richtung gibt. Die Erhaltung der freien Wahl erscheint tatsächlich als eine notwendige Eigenschaft einer jeden Manipulation. Andernfalls würde die Manipulation in Zwang umschlagen. Zwang wird häufig negativ definiert als Abwesenheit von (Handlungs-)Freiheit.37 Ein Akteur, der gezwungen wird, eine Handlung zu vollziehen, hat entweder keine andere Wahl oder keine andere akzeptable Wahl.38 Eine manipulative Einflussnahme erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit, dass der Adressat eine bestimmte Handlung vollzieht, indem der Einflussnehmer angenehme Zwecke hervorruft oder andere Zwecksetzungen als angenehm erscheinen lässt. Der Adressat hat aber stets die Möglichkeit, eine andere Handlungsalternative zu wählen.39
B. Typologie der Manipulation Es lassen sich zwei grundlegende Manipulationstypen unterscheiden: die kognitive Manipulation (I.) und die affektive Manipulation (II.). Diese Typologie hat sich bereits bei der Darstellung der Handlungstheorie40 sowie bei den Heuristiken41 angedeutet. Die Übergänge beider Typen sind fließend, schließlich werden auch Affekte
36 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, S. 8. Eng damit verwoben ist die Programmatik des libertären Paternalismus, s. ebd. S. 4 ff. 37 Zur Definition von Zwang s. insbesondere Nozick, in: Morgenbesser/Suppes/White (Hrsg.), Philosophy, Science, and Method, 1969, S. 440 ff. 38 Wood, in: Coons/Weber (Hrsg.), Manipulation, 2014, S. 17. 39 Gleiches gilt für die Täuschung; auch diese zwingt nicht. 40 Vgl. oben S. 13 ff. 41 Vgl. oben S. 27 ff.
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als Heuristiken aufgefasst (Affekt-Heuristik42). Die Unterscheidung wird im Folgenden näher betrachtet und durch Beispiele erläutert. I. Kognitive Manipulation 1. Beschreibung Die kognitive Manipulation beschreibt manipulative Einflussnahmen, die die automatischen, teilweise unbewussten und heuristischen Denkprozesse des Adressaten ansprechen oder ausnutzen. Gemeint ist, im Jargon der Dual Process Theory, der Denkmodus des Systems 1. Ruft man sich nochmals die aristotelisch-thomanische Handlungstheorie ins Bewusstsein,43 versucht der Manipulator bestimmte Zwecke als angenehm darzustellen, indem er bei dem Adressaten eine „kognitive Leichtigkeit“ hervorruft.44 Wenn die kognitive Anspannung zu hoch wird, wechselt der Denkmodus von System 1 zu System 2. Hier wird der Adressat wachsamer, berechnender und dadurch auch misstrauischer. Das wäre einer Manipulation hinderlich. 2. Beispiele Der Besitztumseffekt kann leicht zum Zwecke der Manipulation missbraucht werden. Sobald ein Adressat einen Gegenstand in den Händen hält, schätzt er diesen Gegenstand mehr als zuvor.45 Verkäufer und Hersteller können daher etwa durch Geld-zurück-Garantien oder bei einem Autokauf durch Probefahrten potenziellen Käufern einen ersten Eindruck vom Besitz des Produkts verschaffen und dadurch den Besitztumseffekt auslösen.46 Ein anderes Beispiel findet sich in der Gastronomie. Dort ist es eine Binsenweisheit, dass jede Dessertkarte eine Nachspeise enthalten sollte, die bedeutend mehr als die anderen kostet.47 Die Restaurants rechnen nicht damit, dass jemand dieses
42
Vgl. oben S. 40. Vgl. oben S. 13 ff. 44 S. zur kognitiven Leichtigkeit oben S. 47 f. 45 Vgl. zum Besitztumseffekt (endowment effect) oben S. 44. 46 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 734 (1999); Thaler, 1 J. Econ. Behav. Organ. 39, 46 (1980): „Other marketing strategies can be understood with the use of the endowment effect. Consider the case of a two week trial period with a money back guarantee. At the first decision point the consumer thinks he can lose at most the transactions costs of taking the good home and back. If the transactions costs are less than the value of the utilization of the good for two weeks, then the maximizing consumer pays for the good and takes it home. The second decision point comes two weeks later. If the consumer has fully adapted to the purchase, he views the cost of keeping the good as an opportunity cost. Once this happens the sale is more likely.“ Das stellt eine Schattenseite des europäischen Verbraucherschutzrechts in Bezug auf das Widerrufsrecht dar: Zwar schützt ein Widerrufsrecht den Verbraucher vor dem bekannten buyer‘s remorse und vor unüberlegten Entscheidungen. Gleichzeitig kann es aber auch den Besitztumseffekt schüren, wodurch Verbraucher an andernfalls nicht getätigten ineffizienten Transaktionen festhalten. 47 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 734 (1999). 43
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Dessert bestellt. Sie wollen so den Verwässerungseffekt48 ausnutzen. Dadurch erscheinen andere Nachspeisen weniger teuer.49 Aus dem gleichen Grund präsentieren Autohändler häufig zuerst ein Modell, das eindeutig nicht im Budget des potenziellen Käufers liegt. Durch den Kontrast zwischen diesem Modell und den Fahrzeugen, die dem Kunden danach gezeigt werden, erscheinen die nachfolgenden Fahrzeuge günstiger (Kontrasteffekt50).51 Der Kontrasteffekt kann dann weiter genutzt werden, um den Kunden zusätzliche Extras zu verkaufen – eine Klimaanlage, eine Parkautomatik oder eine HiFi-Anlage.52 Der Preis dieser Extras erscheint im Vergleich zu dem Kaufpreis des Fahrzeugs fast trivial. Auch können Emittenten auf dem Kapitalmarkt Investoren manipulieren, indem sie den Reihenfolgeeffekt53 ausnutzen. Nimmt ein Investor mehrere, gleichzeitig veröffentlichte Informationen über einen Emittenten wahr, tritt ein Reihenfolgeeffekt auf. Je nach Art und Umfang der Informationen tritt entweder ein Primäreffekt auf, d. h. der zuerst wahrgenommenen Information wird eine höhere Bedeutung zugemessen, oder ein Rezenzeffekt, d. h. die zuletzt wahrgenommene Information wird stärker gewichtet.54 II. Affektive Manipulation 1. Beschreibung Ein weiterer Manipulationstyp spricht die Affekte des Adressaten an. Typische Emotionen, die zum Zwecke einer affektiven Manipulation adressiert werden, sind Sympathie, Dankbarkeit, Schuldgefühle und Angst.55 Hierdurch kann der Manipulator angenehme Zwecke beim Adressaten hervorrufen oder Zwecke unangenehmer erscheinen lassen. Diese Art der Manipulation begegnet einem nicht nur in persönlichen Beziehungen, sondern gerade auch im wirtschaftlichen Kontext. Wir sind uns häufig nicht bewusst, dass affektive Reize einen großen Teil unserer wirtschaftlichen Entscheidungen bestimmen. In vielen Fällen denken wir, wir hätten eine rationale Wahl 48
Vgl. oben S. 33 f. auch ein Experiment von Itaamar Simonson und Amos Tversky: Probanden wurden gebeten, eine Mikrowelle auszuwählen. Die Hälfte der Probanden hatte die Wahl zwischen einem preisgünstigen und einem mittelpreisigen Modell. 57 % der Probanden wählten das günstigere Modell. Die andere Hälfte der Probanden hatte die Wahl zwischen den beiden Modellen und einem weiteren, hochpreisigen Modell. Dort wählten 60 % der Probanden das mittelpreisige Modell, Simonson/Tversky, 29 Journal of Marketing Research 281, 286 f. (1992); s. auch Cialdini, Influence, 2007, S. 233 f. 50 Vgl. oben S. 33. 51 Vgl. auch Cialdini, Influence, 2007, S. 13 f. 52 Cialdini, Influence, 2007, S. 15. 53 Vgl. oben S. 38 f. 54 Vgl. oben S. 38 f. 55 Baron, 77 Proceedings and Addresses of the APA 37, 44 (2003); Wood, in: Coons/Weber (Hrsg.), Manipulation, 2014, S. 17, 32. 49 Vgl.
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getroffen, obwohl wir in Wirklichkeit nur hinterher Gründe für die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung „erfinden“: „We sometimes delude ourselves that we proceed in a rational manner and weigh all the pros and cons of the various alternatives. But this is probably seldom the actual case. Quite often ‘I decided in favor of X’ is no more than ‘I liked X.’ Most of the time, information collected about alternatives serves us less for making a decision than for justifying it afterward. […] We buy the cars we ‘like,’ choose the jobs and houses that we find ‘attractive,’ and then justify those choices by various reasons that might appear convincing to others who never fail to ask us, ‘Why this car?’ or ‘Why this house?’ We need not convince ourselves.“56
2. Beispiele Das wohl bekannteste Beispiel zwischenmenschlicher affektiver Manipulation findet sich in Shakespeares „Othello“.57 Die Figur Iago ist ein Meister der Manipulation und ihm gelingt es, in Othello den Zweifel der Eifersucht zu säen. Nach einem Gespräch zwischen Cassio und Desdemona erweckt er bei Othello durch zweideutige Bemerkungen den Eindruck, dessen Ehefrau Desdemona bandele mit Cassio an. Als dann Desdemona ein besticktes Taschentuch verliert, das sie von Othello als Liebespfand erhielt und Othello es schließlich in den Händen Cassios sieht, ist er von Desdemonas Untreue überzeugt und tötet sie. Tatsächlich hat Iago das Tuch dem unwissenden Cassio untergeschoben. Hier beeinflusste Iago auf zwei Wegen: Einerseits durch eine nicht-sprachliche Täuschung, denn das Tuch vermittelt den propositionalen Gehalt, Desdemona habe Ehebruch begangen. Andererseits gelingt diese Täuschung nur durch eine vorhergehende Manipulation. Schließlich rief Iago in Othello durch wiederholte zweideutige Aussagen das unangenehme Gefühl der Eifersucht erst hervor.58 Zahlreiche Beispiele für eine affektive Manipulation im wirtschaftlichen Kontext finden sich in der Werbung. Hersteller und Verkäufer profitieren davon, ihre Produkte in einer „feel good“-Atomsphäre zu präsentieren.59 Uns allen bekannt sind Werbespots, die wenig bis gar keine Informationen über das Produkt enthalten, dafür aber umso mehr überschwängliche Darstellungen von Glück, Reichtum und Schönheit, die angeblich mit dem beworbenen Produkt zusammenhängen. 60 Doch auch negative Emotionen werden ausgenutzt. Paradigmatisch hierfür ist der Werbespot „#heimkommen“ der Edeka-Gruppe, der Ende 2015 im Fernsehen und in 56
Zajonc, 35 Am. Psychol. 151, 155 (1980). Iago aus Shakespeares „Othello“ ist ein häufig verwendetes Beispiel in der Philosophie, um die Manipulation zu beschreiben, s. etwa Noggle, 33 Am. Philos. Q. 43, 45 (1996); BlumenthalBarby, in: Coons/Weber (Hrsg.), Manipulation, 2014, S. 121, 124; Fischer, Manipulation, 2017, S. 214 ff.; Fischer/Illies, 6 philinq 25, 26, 40 (2018). 58 Etwa: „Iago: Ha! I don’t like that. / Othello: What did you say? Iago: Nothing, my lord. / Othello: Wasn’t that Cassio with my wife? / Iago: Cassio, my lord? No, surely he would not sneak away / So guilty-like when he saw you coming. / Othello: I do believe it was he.“, Shakespeare, Othello, 2003 (1622), S. 41 f., Act 3 Scene 2. 59 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 732 (1999). 60 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 732 (1999). 57
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Teil I: Das Wesen der Täuschung und der Manipulation
den Internetmedien ausgestrahlt wurde. 61 Der Werbespot zeigt einen älteren Mann, der auf den Weihnachtsbesuch seiner Familie wartet. Seine Familienangehörigen sagen aus vermeintlich wichtigeren Gründen den Besuch ab. Das darauffolgende Weihnachten lässt er seinen Familienangehörigen eine Karte zukommen, die den Tod des Mannes verkündet. Daraufhin versammeln sich alle Angehörigen im Haus des alten Mannes und erleben eine Überraschung: Er ist nicht tot, sondern hat (natürlich mit Lebensmitteln von Edeka) ein Festmahl für sie zubereitet und empfängt sie mit den Worten: „Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?“ Auch wenn unbekannt ist, ob Edeka durch den Werbespot seinen Umsatz steigern konnte, ging die Werbung jedenfalls in den sozialen Medien „viral“ und wurde millionenfach geteilt.62 Der Erfolg lässt sich auf ein emotionales Ansprechen der Affekte der Adressaten zurückführen. Bei den Zuschauern wurden Schuldgefühle hervorgerufen, da sie sich in den Familienangehörigen wiedererkannten.
C. Zusammenfassung von § 3 1. Ein Einflussnehmer kann auf zwei Arten manipulieren: Er nutzt entweder gezielt die heuristische Informationsverarbeitung des Adressaten aus, sodass dieser Urteilsverzerrungen unterliegt („kognitive Manipulation“), oder er spricht die Affekte des Adressaten an („affektive Manipulation“). In beiden Fällen erhöht der Einflussnehmer so die Attraktivität einer Zweckverfolgung. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Adressat die vom Einflussnehmer intendierte Handlung vornimmt. 2. Die Manipulation umgeht die Rationalität des Adressaten nicht vollständig. Sie wird aber insoweit untergraben, als nicht der zwanglose Zwang des besseren Arguments, sondern kognitive oder affektive Reize die Entscheidungsfindung beeinflussen. Dieses Muster der Einflussnahme besteht unabhängig von den Motiven des Einflussnehmers. Zwar wird er mit einer Manipulation häufig versuchen, egoistische Ziele auf Kosten des Adressaten zu erreichen. Versteht man die Manipulation aber als wertneutrale Beschreibung eines Einflussnahmetyps, fallen hierunter auch für den Adressaten vorteilhafte Manipulationen, die in der verhaltensökonomischen Literatur als „Nudges“ bezeichnet werden. Eine Grenze findet die Typenbeschreibung dann, wenn die Einflussnahme in den Zwang übergeht. Die Manipulation lässt dem Adressaten, anders als der Zwang, die freie Wahl.
61 Der Werbespot findet sich auf dem YouTube-Kanal der Edeka-Gruppe: https://www.you tube.com/watch?v=V6-0kYhqoRo. 62 S. zu diesem Werbespot aus medienkommunikationswissenschaftlicher Perspektive Säwert/ Riempp, Digital Storytelling im Web, 2019, S. 76 f.
Teil II
Ethische und ökonomische Bewertung Die bisherigen Ausführungen waren analytischer Natur. Die Typenbildung hat gezeigt, wodurch sich Täuschungen und Manipulationen auszeichnen und wo ihre differentiae specificae zu sehen sind. Dabei wurde versucht, beiden Typen ohne eine normative Bewertung zu begegnen. Diese wird im Folgenden durch eine ethische Analyse nachgeholt. Die Analyse untergliedert sich in einen moralischen (§ 4) und ökonomischen (§ 5) Teil.
§ 4 Ethische Bewertung Zunächst erfolgt ein kurzer Überblick über die drei großen ethischen Ansätze: die Deontologie, die Tugendethik und den Konsequentialismus (A.). Ihre Unterteilung dient als grobe Richtschnur, um die verschiedenen Formen der Einflussnahme einer geordneten ethischen Bewertung unterziehen zu können (B.). Die Analyse wird zeigen, dass beide Beeinflussungsformen in die Autonomie und Würde des Adressaten eingreifen und das kommunikative Vertrauen erodieren. Gleichwohl bestehen Unterschiede (C.), die eine Täuschung prima facie unmoralischer erscheinen lässt, weil bei manipulativen Einflüssen der Selbstverantwortung des Adressaten eine größere Bedeutung zukommt. Deshalb werden anschließend Kriterien aufgezeigt, mit deren Hilfe man die Grenzen der ethischen Zulässigkeit einzelner Manipulationen abstecken kann (D.). Freilich lassen sich die Einflussnahmetypen abstrakt nur skizzenhaft bewerten; die Ethik ist bekanntlich eine praktische Wissenschaft.1 Jede in der sozialen Realität vorkommende Täuschung und Manipulation stellt einen Einzelfall dar und erfordert eine eigene Analyse.
A. Überblick über ethische Ansätze Die Unterteilung in die Deontologie, die Tugendethik und den Konsequentialismus kann nur eine Annäherung sein. Jeder Ansatz enthält eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Theorien und zahlreiche davon nehmen auch Elemente anderer Ansätze auf. I. Deontologische Ethik Deontologische Ansätze bewerten den moralischen Status einer Handlung nach ihrem intrinsischen Wert.2 Anders als der Konsequentialismus ignorieren deontologische Ansätze mögliche Konsequenzen einer Handlung. Schließlich „ist es doch etwas ganz anderes, aus Pflicht wahrhaft zu sein, als aus Besorgnis der nachtheiligen Folgen“.3 Der moralische Wert wird allein durch die Handlung selbst bestimmt. 1 Die Unterscheidung zwischen theoretischer, praktischer und produktiver Wissenschaft stammt von Aristoteles, Metaphysik, VI 1. 2 Für einen knappen Überblick über deontologische Ansätze s. Larry/Moore, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Winter 2020 Edition; Fahrenbach, in: Ritter/Gründer/ Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017, „Deontologie“. 3 Das Zitat geht weiter mit: „[…] indem im ersten Falle der Begriff der Handlung an sich selbst schon ein Gesetz für mich enthält, im zweiten ich mich allererst anderwärtsher umsehen muß, welche Wirkungen für mich wohl damit verbunden sein möchten.“, Kant, AA IV, 402.31–36.
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Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
Ist eine Handlung intrinsisch schlecht, ist sie moralisch verboten. Sie ist intrinsisch gut, wenn sich der Handelnde mit ihr an einer Pflicht ausrichtet – weshalb man die Deontologie auch als Pflichtethik bezeichnet. Deontologische Ansätze schreiben verschiedene Pflichten fest, die dadurch bestimmte Handlungen ge- oder verbieten. Der prominenteste Repräsentant deontologischer Ethik ist Immanuel Kant. In seinem berühmten Aufsatz „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“ beschreibt er ein Gedankenexperiment, das die deontologische Sichtweise bewusst zuspitzt: Ein Mörder klopft an unsere Tür und fragt, ob sich unser von ihm verfolgter Freund in unser Haus geflüchtet habe.4 Für Kant gebietet es die Pflicht zur Wahrhaftigkeit,5 dem Mörder die Wahrheit zu sagen, dass sich der Freund im Haus befindet. Es sei „ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Convenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot: in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein.“6 Freilich ist Kants Lügenverbot rigoros. Deshalb machen andere Vertreter deontologischer Ansätze in extremen Fällen Einschränkungen. Zwar bestehe an sich eine Pflicht zur Wahrheit. Ein Mörder jedoch verdiene keine Wahrheit, weshalb die Äußerung der Unwahrheit in diesem Fall dann keine Lüge sei.7 II. Tugendethik Tugendethische Ansätze bewerten nicht die Handlungen einer Person, sondern fragen danach, was einen guten, moralischen Charakter ausmacht. 8 Nicht Handlungen oder deren Konsequenzen stehen im Mittelpunkt, sondern Handelnde.9 Ein guter Mensch lasse sich in seinem Handeln nur von Tugenden leiten. Verschiedene 4 Kant, AA VII, 425. Hierbei bezieht er sich auf eine Schrift des französischen Philosophen Benjamin Constant, der schrieb: „Der sittliche Grundsatz: es sei eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen, würde, wenn man ihn unbedingt und vereinzelt nähme, jede Gesellschaft zur Unmöglichkeit machen. Den Beweis davon haben wir in den sehr unmittelbaren Folgerungen, die ein deutscher Philosoph aus diesem Grundsatze gezogen hat, der so weit geht zu behaupten: daß die Lüge gegen einen Mörder, der uns fragte, ob unser von ihm verfolgter Freund sich nicht in unser Haus geflüchtet, ein Verbrechen sein würde […] Es ist eine Pflicht die Wahrheit zu sagen. Der Begriff von Pflicht ist unzertrennbar von dem Begriff des Rechts. Eine Pflicht ist, was bei einem Wesen den Rechten eines anderen entspricht. Da, wo es keine Rechte giebt, giebt es keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist also eine Pflicht; aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat. Kein Mensch aber hat Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet“, zitiert nach Kant, AA VII, 425. 5 „Wahrhaftigkeit in Aussagen, die man nicht umgehen kann, ist formale Pflicht des Menschen gegen jeden, es mag ihm oder einem andern daraus auch noch so großer Nachtheil erwachsen“, Kant, AA VII, 426.14–16. 6 Kant, AA VII, 427.24–26. 7 Hierzu Müller, Die Wahrhaftigkeitspflicht und die Problematik der Lüge, 1962, S. 191 ff.; Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 110 ff., insbesondere S. 119: „The reason why the murderer or even the intrusive questioner does not deserve the truth is that he is no longer in a relation to us which is structured by the normal expectations of trustful exchange.“ 8 Für einen Überblick über tugendethische Ansätze s. Hursthouse/Pettigrove, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Winter 2018 Edition. 9 Slote, Moral from Motives, 2001, S. 4 spricht davon, tugendethische Ansätze seien agent- focused.
§ 4 Ethische Bewertung
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Schattierungen tugendethischer Ansätze stellen dabei verschiedene Tugenden in den Mittelpunkt. Die Tugendethik geht zurück auf Aristoteles und sein bereits angesprochenes Werk Nikomachische Ethik.10 Jeder Mensch strebe nach der Glückseligkeit (eudaimonía). Zu ihrer Erlangung müsse der Mensch tugendhaft handeln, denn „das Glück [ist] eine bestimmte Art von Tätigkeit der Seele gemäß der vollkommenen Tugend“.11 Die vollkommene Tugend besteht für Aristoteles aus sämtlichen Tugenden, den ethischen (etwa Tapferkeit12 und Besonnenheit13) und dianoetischen (intellektuelle Tugenden wie Klugheit14 oder Weisheit15).16 Andere Ansätze („agent-based“) stellen auf die Motivation eines Handelnden ab.17 Danach sei es tugendhaft und gut, wenn man mit seinem Handeln Gutes bezweckt; es sei schlecht, wenn man Schlechtes will. III. Konsequentialistische Ethik Konsequentialisten bewerten Entscheidungen, Handlungen oder Absichten moralisch allein anhand ihrer Folgen.18 Eine konsequentialistische Theorie muss deshalb zunächst die Zustände definieren, die an sich wertvoll sind, um sodann die Folgen einer Handlung daran messen zu können.19 Die verschiedenen Spielarten des Konsequentialismus unterscheiden sich danach, welche Folgen sie als „gut“ oder „schlecht“ bewerten. Die wichtigste konsequentialistische Theorie ist der Utilitarismus. Sein Bewertungsmaßstab ist – wie sein Name schon andeutet – der „Nutzen“. Eine Handlung ist moralisch geboten, wenn sie den aggregierten Nutzen aller in der Handlungssituation Beteiligten (oder aller Gesellschaftsmitglieder) maximiert. Doch was ist „Nutzen“? Der geistige Vater des Utilitarismus,20 Jeremy Bentham, verstand Nut10
Vgl. oben S. 16. Aristoteles, Nikomachische Ethik, I 13, 1102a5–6; s. auch ders., Nikomachische Ethik, I 11, 1100b10–11: „Vielmehr entscheiden die Tätigkeiten gemäß der Tugend über das Glück, die gegenteiligen über das Gegenteil“. 12 Aristoteles, Nikomachische Ethik, III 9, 1115a5–10. 13 Aristoteles, Nikomachische Ethik, III 13, 1117b23–25. 14 Aristoteles, Nikomachische Ethik, VI 5, 1140a24–30. 15 Aristoteles, Nikomachische Ethik, VI 7, 1141a10–15. 16 Aristoteles unterteilt Tugenden in diese zwei Arten, vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, II 1, 1103a15–20. Diese Unterteilung hängt damit zusammen, dass er die Seele in einen vernunftlosen und einen vernunftbegabten Teil unterteilt, vgl. ders., Nikomachische Ethik, I 13, 1102a25– 30. 17 [A]gent-based virtue ethic […] understands rightness in terms of good motivations and wrongness in terms of the having of bad (or insufficiently good) motives.“, Slote, Moral from Motives, 2001, S. 16. 18 Der Begriff „Konsequentialismus“ stammt aus einem Aufsatz von G. E. M. Anscombe zur Tugendethik, die damit vor allem Henry Sidgwick als Vertreter des Utilitarismus kritisierte („[I]t is a shallow philosophy“), s. Anscombe, 33 Philosophy 1, 12 (1958). 19 S. für einen knappen Überblick über konsequentialistische Theorien Sinnott-Armstrong, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Summer 2019 Edition. 20 Weitere klassische Proponenten sind John Stuart Mill, vgl. Mill, Utiliarianism, 1861, S. 203 ff. und Henry Sidgwick, s. Sidgwick, The Methods of Ethics, 7. Aufl. 1962. 11
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Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
zen hedonistisch und sprach vom Streben nach Freude (pleasure) und dem Vermeiden von Schmerz21 (pain): „Nature has placed mankind under the governance of two foreign matters, pain and pleasure. It is for them alone to point out what we ought to do, as well as to determine what we shall do. […] By utility is meant that property in any object, whereby it tends to produce benefit advantage, pleasure, good, or happiness, (all this in the present case comes to the same thing) or (what comes again to the same thing) to prevent the happening of mischief, pain, evil, or unhappiness […]”22
Nach Bentham sollte das Ziel einer jeden Handlung daher sein, „das größte Glück der größten Zahl hervorzubringen“.23 Der moralische Wert einer Handlung lasse sich mithilfe eines hedonistischen Kalküls, das eine Funktion aus Freude und Schmerz bildet, arithmetisch festlegen.24 Neben dieser hedonistischen Einfärbung existieren zahlreiche weitere Spielarten des Utilitarismus. Beispielsweise ist für den Präferenzutilitarismus nicht Freude und Schmerz der Maßstab, um die Folgen einer Handlung zu beurteilen, sondern alle Interessen der betroffenen Personen.25 Weiterhin unterscheiden sich utilitaristische Ansätze darin, wie sie die Folgen bestimmen. Der Aktutilitarismus stellt auf die Folgen einzelner Handlungen ab. Eine Handlung ist dann richtig, wenn es keine andere mögliche Handlungsalternative gibt, die dem Akteur offensteht und zu einem besseren Saldo der guten und schlechten Folgen führt.26 Der Regelutilitarismus konzentriert sich nicht auf einzelne Handlungen, sondern legt Regeln fest, die den Nutzen der Gesellschaft erhöhen.27 Nicht Handlungen, sondern Regeln sollten evaluiert und diejenige gewählt werden, die die besten Folgen mit sich bringen wird.28 21 Als negativer Nutzen. Der „Negative Utilitarismus“ stellt dementsprechend die Vermeidung von Leid in den Mittelpunkt, vgl. Popper, Der Zauber Platons, 4. Aufl. 1975, Anmerkung zu Kapitel 9 S. 323, S. 674: „Statt der größten Glückseligkeit für die größte Zahl sollte man – etwas bescheidener – das kleinste Maß an vermeidbarem Leid für alle fordern […]“. 22 Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, 1907 (1789), Chapter 1, I. und III. 23 Bentham, A Fragment on Government, 1891, S. 93: „[I]t is the greatest happiness of the greatest number that is the measure of right and wrong“. Ähnlich auch Mill, Utiliarianism, 1861, S. 203, 210: „Utility, or the Greatest Happiness Principle, holds that actions are right in proportion as they tend to promote happiness, wrong as they tend to produce the reverse of happiness.“ 24 Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, 1907 (1789), Chapter 4. 25 Sinnott-Armstrong, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Summer 2019 Edition, 6. Sein bekanntester Vertreter war wohl Peter Singer, der sich heute jedoch zum hedonistischen Utilitarismus bekennt, s. Lazari-Radek/Singer, The Point of View of the Universe, 2016. 26 Frey, in: LaFollette/Persson (Hrsg.), The Blackwell Guide to Ethical Theory, 2. Aufl. 2013, S. 221, 222. 27 Hooker, in: LaFollette/Persson (Hrsg.), The Blackwell Guide to Ethical Theory, 2. Aufl. 2013, S. 238. 28 Hooker, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Winter 2016 Edition; Hooker, in: LaFollette/Persson (Hrsg.), The Blackwell Guide to Ethical Theory, 2. Aufl. 2013, S. 238. Der Regelutilitarismus weist damit deontologische Züge auf.
§ 4 Ethische Bewertung
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B. Ansatzpunkte bei der Einflussnahme Mit einem Überblick über die drei großen ethischen Strömungen kann man die gegen die Täuschung und Manipulation vorgebrachten Bedenken besser einordnen. Hierbei lassen sich vor allem zwei moralische Argumentationslinien nachzeichnen: Am nächsten liegt der Einwand, die Täuschung und die Manipulation beeinträchtigen die Autonomie und die Würde des Adressaten (I.). Daneben führen die Beeinflussungsstrategien dazu, dass das kommunikative Vertrauen korrumpiert wird (II.). Autonomie und Würde spielen für die Bewertung der Manipulation eine größere Rolle, das Vertrauen für die Bewertung der Täuschung. Dennoch ergeben sich Überschneidungen, weshalb sich alle Ausführungen auf beide Einflussnahmetypen beziehen. I. Autonomie und Würde Autonomie und Würde sind zwei eng miteinander verwobene Konzepte. Sie stehen im Wechselspiel der Vernunft und der Freiheit. Beides sind Werte, die insbesondere in der deontologischen Tradition eine herausragende Rolle spielen. 1. Autonomie Mit der Autonomie eines Akteurs ist sein freier Wille gemeint.29 Die Willensfreiheit ist von einem anderen Freiheitskonzept zu unterscheiden, der Handlungsfreiheit. Handlungsfreiheit zu haben bedeutet, das tun zu können, was man tun will.30 Die Willensfreiheit geht einen Schritt weiter und beschreibt das Vermögen, bestimmen zu können, was man will. a) Kants Autonomiekonzeption Nach Kant ist die Willensfreiheit eng mit der Vernunft verbunden.31 Er beschreibt Willensfreiheit als das „Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch nothwendig, d. i. als gut, erkennt.“32 Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen kann sich sein eigenes moralisches Gesetz ge29
S. hierzu Frankfurt, 68 J. Philos. 5 (1971). So die klassische Ansicht, s. statt aller Hume, An Enquiry Concerning Human Understanding, 2007 (1748), S. 95: „By liberty, then, we can only mean a power of acting or not acting, according to the determinations of the will; that is, if we choose to remain at rest, we may; if we choose to move, we also may.“; Hobbes, Leviathan, 1651 Reprint, 1909, Part 1 Chapter 14 S. 99: „By Liberty, is understood, according to the proper signification of the word, the absence of externall Impediments“ und Part 2 Chapter 21 S. 161 „Liberty, or Freedome, signifieth (properly) the absence of Opposition“. 31 „[D]er Wille [ist] nichts anders als praktische Vernunft.“, Kant, AA IV, 412.29–30. 32 Kant, AA IV, 412.33–34. 30
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Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
ben und unabhängig von Einflüssen hiernach handeln.33 Dadurch ist der Mensch autonom, genau wie ein Staat autonom ist, der nach den von seinem Volk sich selbst gegebenen Gesetzen handelt.34 Und genau wie ein Staat seine Autonomie verliert, wenn durch Okkupation von außen vorgegebene Gesetze eingeführt werden, verliert der Mensch seine Autonomie, wenn fremdbestimmte Einflüsse auf ihn einwirken. Eine so verstandene Konzeption der Autonomie ist eingängig. Bei Täuschungen liegt der Autonomieeingriff auf der Hand, weil sie verhindern, dass der Mensch seine rationalen Fertigkeiten zur Erreichung seiner selbstgesetzten Ziele nutzen kann.35 Auch lässt sie sich mit der Dual Process Theory36 in Einklang bringen und unterstreicht, dass kognitive Manipulationen, die das bewusste, räsonierende Denken des Systems 2 untergraben, die Autonomie des Adressaten verletzen. Gleichzeitig wirft die Konzeption ein schlechtes Bild auf den echten Menschen: Die moderne Psychologie und Verhaltenswissenschaft haben gezeigt, dass der Mensch nur allzu häufig seinen Instinkten und Impulsen folgt, heuristische Entscheidungsregeln verwendet und dadurch oftmals zutiefst irrational handelt.37 Heißt das, dass der Mensch niemals autonom ist? Harry Frankfurt hat mit seiner eigenen Beschreibung der Willensfreiheit den Bezug zwischen Willensfreiheit und Vernunft etwas gelockert. b) Frankfurts Konzeption der Willensfreiheit Harry Frankfurt hat die Willensfreiheit so erklärt, dass frei ist, wessen Wünsche erster Ordnung mit den Wünschen zweiter Ordnung übereinstimmen.38 Wünsche erster Ordnung sind die Antriebe, die uns zu einer Handlung bewegen39 („Ich möchte das Bier trinken.“). Wünsche zweiter Ordnung sind Wünsche, die sich auf Wünsche erster Ordnung beziehen und durch reflexives Nachdenken gebildet werden40 („Ich möchte nicht, dass ich Bier trinken möchte.“). Der Drogensüchtige, 33 Kant, AA IV, 440.16–20: „Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist. Das Princip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit Begriffen seien.“ 34 Der Begriff „Autonomie“ hat seinen etymologischen Ursprung im griechischen αὐτονόμος oder αὐτονομία, was so viel wie „Selbstgesetzgebung“ bedeutet und im alten Griechenland eine Beschreibung der griechischen Stadtstaaten war, vgl. Pohlmann, in: Ritter/Gründer/Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2017, „Autonomie“. Die Analogie zwischen Kants Autonomiebegriff und der Selbstgesetzgebung eines Staates stammt von Reath, 28 Noûs 435, 453 (1994); s. auch Johnson/Cureton, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Spring 2019 Edition, „Kant ‘s Moral Philosophy“, 10. 35 Strauss, 91 Colum. L. Rev. 334, 354 (1991): „[…] „involve a denial of autonomy in the sense that they interfere with a person‘s control over her own reasoning process.“ Vgl. auch oben S. 77. 36 Vgl. oben S. 45 ff. 37 Vgl. oben S. 27 ff. 38 Frankfurt, 68 J. Philos. 5 (1971). 39 „[S]omeone has a first-order desire when he wants to do or not to do such-and-such“, Frankfurt, 68 J. Philos. 5, 7 (1971). 40 „[H]e has a second-order desire when he wants to have or not to have a certain desire of the
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dessen Wunsch erster Ordnung im Drogenkonsum liegt, sich aber in zweiter Ordnung wünscht davon freizukommen, ist demnach nicht frei.41 Die Reflexion, die der Akteur hierfür aufbringt, erinnert wiederum an das Rationalitätspostulat, das man auch in Kants Autonomiekonzeption findet. Doch hier ist Frankfurts Modell offener, da auch irrationale Wünsche zweiter Ordnung denkbar sind. Für die Willensfreiheit entscheidend ist nur, dass Wünsche erster und zweiter Ordnung konsistent sind. Während Zwang und Verbote vor allem Eingriffe in die Handlungsfreiheit darstellen, liegt bei Täuschungen und Manipulationen eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit und damit der Autonomie der Adressaten näher. Frankfurts Autonomiekonzeption lässt sich mit dem weiter oben beschriebenen aristotelisch-thomanischen Handlungsmodell42 verbinden: Wünsche erster Ordnung sind die handlungsmotivierenden Zwecke, die im praktischen Syllogismus im Obersatz zu finden sind. Wünsche zweiter Ordnung beziehen sich hierauf und müssen mit ihnen kompatibel sein. Sie sind nicht kompatibel, wenn Wünsche erster Ordnung nicht durch den Akteur selbst gebildet, sondern von einem Einflussnehmer induziert werden.43 Bei einer Täuschung schiebt der Einflussnehmer dem Adressaten durch die Mitteilung unwahrer propositionaler Inhalte einen Wunsch erster Ordnung unter, d. h. der Adressat bildet im praktischen Syllogismus einen neuen Obersatz. Dieser stimmt aber nicht mit seinem Wunsch zweiter Ordnung überein. Auch wenn hier von Autonomie die Rede ist und über dieses Vermögen nur Menschen verfügen, lässt sich die Argumentation auch auf wirtschaftliche Entitäten übertragen: Angenommen die Gesellschaft G hat das Ziel, ihren Gewinn zu maximieren. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt sie den nützlichen Zweck, in Anleihen anderer Unternehmen zu investieren. Dadurch verspricht sie sich eine Rendite. Ein Unternehmen als Einflussnehmer könnte unwahre Bilanzangaben machen, um so seine emittierten Anleihen in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Dadurch wird der G der Wunsch erster Ordnung untergeschoben, die Anleihen des Einflussnehmers zu erwerben. Freilich kann sie ihren dahinter liegenden Wunsch zweiter Ordnung, die Gewinnmaximierung, dann nicht erreichen. Die Unwahrheit der Proposition führt also zu einem Konflikt mit den eigentlichen Wünschen des Adressaten, die er dadurch nicht erreichen kann. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn der Einflussnehmer manipulative Techniken verwendet. Eine Manipulation kann dazu führen, dass der first order“, Frankfurt, 68 J. Philos. 5, 7 (1971). Menschen können dank ihrer rationalen Fähigkeiten Wünsche zweiter Ordnung haben; Tiere, so Frankfurt, jedoch nicht. Hier kommt die Ähnlichkeit zur weiter oben beschriebenen Dual Process Theory zum Vorschein (oben S. 45 ff.). Die Wünsche erster Ordnung kann man mit dem System 1 assoziieren, während Wünsche zweiter Ordnung eher mit dem vernunftgeprägten System 2 zusammenhängen. 41 Frankfurt, 68 J. Philos. 5, 12, 15 (1971). 42 Vgl. oben S. 13 ff. 43 Vgl. auch Frankfurt, 68 J. Philos. 5, 13 (1971): „In either case he does something he himself wants to do, and he does it not because of some external influence whose aim happens to coincide with his own but because of his desire to do it.“
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Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
Adressat einen bestimmten Wunsch erster Ordnung verfolgt (wiederum durch einen Obersatz im praktischen Syllogismus, etwa den Kauf eines Produkts), obwohl Wünsche zweiter Ordnung (die wahre Präferenz des Adressaten liegt darin, das Produkt nicht zu erwerben, weil es seinen Preis nicht wert ist) entgegenstehen. Sowohl die Täuschung als auch die Manipulation konfligieren daher mit der Autonomie des Adressaten. Zwar wurde bezüglich der Manipulation dargelegt, dass sie dem Adressaten letztlich die freie Entscheidung erhält, eine Handlung zu vollziehen oder auch nicht.44 Dieses Argument verfängt mit Blick auf die Autonomie des Adressaten jedoch nicht. Die damit angesprochene Handlungsfreiheit (im Sinne eines Wunsches erster Ordnung) mag zwar gewährleistet werden.45 Die Willensfreiheit wird gleichwohl durch das Auseinanderfallen mit den Wünschen zweiter Ordnung beeinträchtigt. Es sind auch Fälle vorstellbar, in denen eine Manipulation die Autonomie des Adressaten nicht beeinträchtigt, sondern ihr vielmehr Geltung verleiht. Das ist bei paternalistischen Einflussnahmen zumindest bezweckt: Die Beeinflussung versucht, die handlungstreibenden Wünsche erster Ordnung mit den dem Adressaten aktuell nicht bewussten Wünschen zweiter Ordnung auf eine Linie zu bringen. Das betrifft vor allem Einflussnahmen, die versuchen, intertemporale Präferenzkonflikte aufzulösen. Hiermit gemeint sind Situationen, in denen eine Person Entscheidungen zwar jetzt trifft, aber aus der Perspektive ihres zukünftigen Selbst nicht treffen würde.46 Etwa versuchen die „Schockbilder“ auf Zigarettenverpackungen (als affektiv-manipulierender Nudge), den Wunsch zweiter Ordnung („Ich möchte nicht rauchen.“) auf den Wunsch erster Ordnung zu übertragen. 2. Würde Eng mit der Autonomie verbunden ist die Würde. Nach Kant haben Menschen Würde, da sie vernunftbegabte Wesen sind – „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“47 Würde zu haben heißt, einen Anspruch auf Achtung haben.48 Wer die Wünsche und Entscheidungen eines anderen nicht akzeptiert, verhindert oder verbietet, achtet diese Würde nicht. Dann 44 Vgl. oben S. 82. S. hierzu auch der gesamte Nudge-Ansatz und der libertäre Paternalismus, die eine besondere Betonung auf die Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit legen, Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. 1159 (2003); Thaler/Sunstein, 93 Am. Econ. Rev. 175 (2003); Thaler/Sunstein, Nudge, 2008; Sunstein, The Ethics of Influence, 2016. 45 Das Kriterium ist nützlich für die Abgrenzung zum Zwang und zu anderen Formen der Einflussnahme, vgl. oben S. 82. 46 S. zu diesem zeitinkonsistenten Verhalten etwa Malkoc/Zauberman, 2 CPR 97 (2019); Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 7, mit Blick auf das Privatrecht Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 63 ff. 47 Kant, AA IV, 436.6–7. S. hierzu auch Rosen, Dignity: Its History and Meaning, 2012, S. 25 ff. 48 Kant, AA VI, 462.10–13. „Achtung, die ich für andere trage, oder die ein Anderer von mir fordern kann […], ist also die Anerkennung einer Würde […] an anderen Menschen, d. i. eines Werths, der keinen Preis hat“.
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betrachtet derjenige den Menschen nicht als Zweck an sich selbst.49 Dabei gebietet der kantische Würdebegriff nicht, dass man eine andere Person überhaupt nicht als Mittel nutzt. Das tun wir im alltäglichen Leben nämlich häufig.50 Entscheidend ist, dass man die andere Person nicht nur als Mittel ansieht, sondern auch als Zweck an sich selbst und ihr den nötigen Respekt zollt.51 Auch Kants Würdekonzeption steht in einem Konnex zur Rationalität. Schließlich billigt er nicht Tieren, sondern nur dem Menschen als vernunftbegabtem Wesen einen Achtungsanspruch zu.52 In der gegenwärtigen philosophischen Diskussion, die an den Würdebegriff Kants anschließt, ist zumeist von „Respekt“ die Rede.53 Dadurch wird versucht, den Achtungsanspruch vom Rationalitätspostulat zu lösen.54 Wenn ein Einflussnehmer einen Adressaten täuscht oder manipuliert, um damit eigene egoistische Ziele zu erreichen, nutzt er ihn als bloßes Mittel. Es ist intuitiv plausibel, dass eine solche Form der Einflussnahme den Adressaten nicht mit dem nötigen Respekt behandelt, sondern ihn für eine Zweckverfolgung instrumentalisiert. Der Einflussnehmer sieht dann nur sich selbst als Zweck an und verfolgt nur seine eigenen Bedürfnisse, ohne die anderer ernst zu nehmen. Bei einer paternalistischen Beeinflussung, die zum Wohle des Adressaten vorgenommen wird, sieht es anders aus. Dann behandelt der Einflussnehmer den Adressaten als Wesen mit eigenem Wert, sorgt sich um ihn, respektiert ihn. Das ist jedoch ein Drahtseilakt: Übermäßige Sorge schlägt leicht in eine Bevormundung um. Eine übermäßige Bevormundung kommt einer Infantilisierung nahe, die mit Kants Konzeption in Konflikt gerät. Dann nimmt der Einflussnehmer den Adressaten nicht ernst, da er ihn nicht für fähig hält, selbst im eigenen Interesse zu handeln. Auch verhindert eine Infantilisierung, dass der Adressat aktiv etwas dazu lernen kann und somit eine tugendhafte Charakterbildung.55
49 S. die zweite Formel des Kategorischen Imperativs: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“, Kant, AA IV, 429.10–12, sowie „Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von Anderen noch sogar von sich selbst) blos als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden“, Kant, AA VI, 462.21–23. 50 Etwa der Taxifahrer, den man als Mittel „benutzt“, damit er einen zu einem anderen Ort befördert, Johnson/Cureton, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Spring 2019 Edition, „Kant ‘s Moral Philosophy“, 6. 51 Johnson/Cureton, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Spring 2019 Edition, „Kant ‘s Moral Philosophy“, 6. 52 Kant vertrat dennoch ein ethisches Verbot der Tierquälerei, das er jedoch anthropozentrisch begründete. Es sei eine „Pflicht des Menschen gegen sich selbst“, Kant, AA VI, 443. 53 Dillon, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Spring 2018 Edition, „Respect“, 2.2. 54 So Fischer, Manipulation, 2017, S. 190 ff., der bei Respekt von einer von allen Personen geteilten minimalmoralischen Forderung ausgeht, die sich konzeptual vom Würde- und auch Autonomiebegriff unterscheiden lasse. Respekt sei so „in einem rationalen Sinne wie auch mit gewisser intuitiver Plausibilität“ Grundlage aller Ethiken, ebd. S. 192. 55 Fischer, Manipulation, 2017, S. 171.
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II. Vertrauen Vertrauen kann man mit berechtigten Erwartungen umschreiben, die eine Person an eine andere hat.56 Es ist mehr als ein bloßes „Wünschen“.57 Vertrauen ist in der Lage, die Komplexität in der Welt zu reduzieren und die Zukunft etwas gewisser zu machen.58 Vertraue ich auf das Wort meines Gegenübers, erwarte ich, dass er mich nicht belügt. Täuschungen sind deshalb Vertrauensbrüche.59 Der Kommunikationspsychologe Timothy Levine, der Begründer der „truth-default theory“, spricht davon, dass wir in der Kommunikation mit anderen Menschen dazu neigen, standardmäßig davon auszugehen, dass das, was die andere Person sagt, grundsätzlich wahr ist. 60 Es bestehe die unausgesprochene Erwartung, dass Menschen wahrhaftig sind. In diese Richtung geht auch das bereits angesprochene Kooperationsprinzip von Paul Grice:61 Konversationen funktionieren, weil alle Gesprächsteilnehmer rationalerweise erwarten dürfen, dass die Gesprächsmaximen eingehalten werden. Zu diesen zählt insbesondere die Maxime der Qualität („Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist. Sage nichts, was du für falsch hältst.“).62 1. Erosion kommunikativen Vertrauens Könnten sich Menschen nicht mehr auf das Wort des anderen verlassen, droht die Kommunikationskultur, die Institution der „Behauptung“ (oder ihre besondere Form, das „Versprechen“), zu erodieren.63 Das hat Kant in Bezug auf das deontologisch begründete Lügenverbot aus der bereits angesprochenen Schrift „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“64 deutlich formuliert: Lügen führen dazu, dass „Aussagen […] überhaupt keinen Glauben finden, mithin auch alle Rechte, die auf Verträgen gegründet werden, wegfallen und ihre Kraft einbüßen; welches ein Unrecht ist, das der Menschheit überhaupt zugefügt wird.“65 Würde die Lüge zum allgemeinen Gesetz, würde keiner mehr auf das Wort des anderen vertrauen. Der Mensch als soziales Wesen ist aber auf die Informationen anderer angewiesen, um sich in der komplexen Welt zurechtzufinden. Das mit einer Lüge verbundene Unrecht betrifft hier, anders als die bisherigen Ausführungen zur Auto56 S. Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 88, der aber von „expectations about the second party‘s motives“ spricht. S. für eine rechtswissenschaftliche Abhandlung über Vertrauen Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1. 57 Ripperger, Ökonomik des Vertrauens, 2. Aufl. 2003, S. 38. 58 Hierzu Luhmann, Vertrauen, 5. Aufl. 2014 (1968), S. 30 ff. 59 Hierzu im Detail Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 84 ff. 60 Levine, 33 J. Lang. Soc. Psychol. 378 (2014). Die Theorie wurde in dem populärwissenschaftlichen Buch Gladwell, Talking to Strangers, 2019 verarbeitet. 61 Vgl. oben S. 57 ff. S. hierzu auch Dietz, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 288, 291 ff. 62 Vgl. oben S. 57. 63 Vgl. hierzu Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 85 f. 64 Vgl. oben S. 90. 65 Kant, AA VIII, 426.21–24.
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nomie und Würde, nicht nur das Fehlverhalten gegenüber einem einzelnen Adressaten. Vielmehr verletzen Lügen eine Pflicht, die man gegenüber der gesamten Gesellschaft hat. Vertrauen in die Wahrheit sprachlicher Äußerungen und Wahrhaftigkeit eines Einflussnehmers ist so verstanden ein kollektives Gut. Freilich war Kant nicht der Erste, der Lügen kategorisch ablehnte. Im Dekalog des Alten Testaments existiert bekanntlich das achte Gebot, das „Falschzeugnisverbot“ („Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“66) und mehrere Passagen, die sich mit Lügen beschäftigen. 67 Hieraus leitete der Kirchenlehrer Augustinus, der sich als Erster systematisch mit der Ethik der Lüge beschäftigte, ein Lügenverbot ab, das so auch im Catechismus Romanus68 zu finden ist. Interessanterweise stellte Augustinus dabei nicht nur auf das Wort Gottes, sondern auch auf den Zweck der Sprache ab:69 „Und doch haben wir fürwahr die Sprache nicht zu dem Zwecke, damit sich die Menschen gegenseitig irreführen, sondern damit einer dem andern seine Gedanken mitteilen kann. Diese Sprache also zur Täuschung zu gebrauchen, ist Sünde; denn das ist ihr Zweck nicht.“70
Auch aus tugendethischer Perspektive bestehen Einwände. Schließlich entsteht der Vertrauensverlust, die Verrohung sprachlicher Konventionen, gerade durch eine Gesellschaft voller moralisch-korrupter Charaktere, voller „Lügner“, „Täuscher“ oder „Manipulatoren“. 2. Konsequentialistische Kritik Ein absolutes Täuschungs- oder Manipulationsverbot wäre dem Utilitarismus fremd. Schließlich können Täuschungen und Manipulationen unter Umständen erlaubt oder gar angezeigt sein. Den Mörder, der an der Türe steht und nach unserem Freund fragt,71 dürfen wir aus aktutilitaristischer Sicht freilich belügen. Im wirtschaftlichen Kontext sind solche Situationen aber selten. Zwar könnte man darauf abstellen, dass der Einflussnehmer durch solche Techniken einen Vorteil erlangt, der die einhergehenden Nachteile des Adressaten überschreitet: „Thus, it would often be expedient, for the purpose of getting over some momentary embarrassment, or attaining some object immediately useful to ourselves or others, to tell a lie.“72 Doch gegen eine solche kurzsichtige Betrachtung hat sich bereits John Stuart 66
Ex 20,16 (Einheitsübersetzung 2016); Dtn 5,20. lässt die Lügner zugrunde gehn“, Ps 5,7 (Einheitsübersetzung 2016). S. zu anderen, strittigeren Passagen Augustinus, De Mendacio, S. 19. 68 Catechismus Romanus, III 9, 3: „Im Sinne der ersten Vorschrift, des Verbotes, wird unter falschem Zeugnis verstanden jede unwahre Behauptung zugunsten oder ungunsten eines andern, sei es vor Gericht oder sonst wo.“ 69 Augustinus war nicht nur Kirchenlehrer, sondern auch Sprachphilosoph. S. nur die Auseinandersetzung von Ludwig Wittgenstein mit dem Sprachverständnis von Augustinus in Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 2003 (1953), § 1. 70 Augustinus, Enchiridion, 7. Kapitel, 22, S. 415. 71 Vgl. zu diesem Beispiel von Kant oben S. 90. 72 Mill, Utiliarianism, 1861, S. 203, 223. 67 „Du
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Mill gewandt. Nach ihm müsse eine utilitaristische Bewertung auch die indirekten Konsequenzen berücksichtigen, die Täuschungen und Manipulationen mit sich bringen. Mill bezog sich lediglich auf Lügen, doch der Gedankengang gilt unter Berücksichtigung der Unterschiede für beide Einflussnahmetypen. Die negativen Folgen sind häufig erst viel später beobachtbar und überwiegen die Vorteile, die solche Techniken auf kurze Sicht bieten: „[A]ny, even unintentional, deviation from truth, does that much towards weakening the trustworthiness of human assertion, which is […] the principal support of all present social well-being“73
Angesprochen ist hiermit, wie bereits angedeutet, die Erosion des Vertrauens, das Menschen in das Wort anderer Menschen haben. Lügen bedeutet „to deprive mankind of the good“, denn sie verletzen die „reliance which they can place in each other’s word“.74 Anders als Kant lehnt Mill aber nicht jedwede Lüge ab.75 Er betont lediglich, dass (legitime) Lügen „the least possible effect in weakening reliance on veracity“ haben sollten.76 3. Bewertung Die Überlegungen Kants sind zunächst nur auf reine Lügen bezogen, d. h. auf semantische Täuschungen.77 Er meint mit Lügen lediglich „Aussagen (Declarationen)“.78 Sein Lügenverbot erfasst keine anderen Formen der Täuschung. Diese scheinen – mit Blick auf das bereits erwähnte Beispiel, in der eine Person einen Koffer packt, um eine andere Person fälschlicherweise glauben zu machen, sie gehe 73
Mill, Utiliarianism, 1861, S. 203, 223. Mill, Utiliarianism, 1861, S. 203, 223. 75 Für einen Mittelweg zwischen Deontologie und Konsequentialismus s. das Konzept der „prima facie duty“ (als die er das Lügenverbot sieht) von Ross, The Right and the Good, 2002, S. 19 ff. 76 Mill, Utiliarianism, 1861, S. 203, 223. Manche sehen in Mills Aussage auch regelutilitaristische Züge, vgl. Brink, in: Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Winter 2018 Edition, 2.8 m. w. N. Mill selbst spricht bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Lüge davon, sie sei eine heilige Regel: „Yet that even this rule, sacred as it is, admits of possible exceptions“, Mill, Utiliarianism, 1861, S. 203, 223. Er spricht auch von „secondary principles“, die er dem utilitaristischen „first principle“ der Nutzenmaximierung gegenüberstellt, ebd. S. 226; vgl. auch ebd. S. 224: „[M]ankind must by this time have acquired positive beliefs as to the effects of some actions on their happiness“. Akteure haben oft nicht die Zeit, mögliche Vor- und Nachteile einer Handlungsalternative im Sinne eines utilitaristischen Kalküls gegeneinander abzuwägen. Deshalb sei es legitim, bestimmten moralische Prinzipien als zweitbeste Lösung zu folgen. Diese „secondary principles“ kann man als Regeln verstehen, womit die Brücke zum Regelutilitarismus geschlagen wird. Eine Regel, die das Lügen verbietet, existiert deshalb nicht aus deontologischen Gründen, sondern weil Lügen typischerweise mehr Nach- als Vorteile mit sich bringen und ihr (grundsätzliches) Verbot dem obersten Ziel, der Nutzenmaximierung, förderlich ist, vgl. hierzu Carson, Lying and Deception, 2010, S. 91 f. 77 Vgl. zur semantischen Täuschung oben S. 67 ff. 78 Kant, AA VIII, 426.21; s. auch ders., AA XXVII, 447.3–4: „[…] dann habe ich ihn nicht belogen; denn ich habe nicht declarirt, meine Gesinnungen zu äußern“. 74
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auf Reisen79 – seiner Meinung nach nicht demselben moralischen Absolutismus zu unterliegen. Ein ähnliches moralisches Muster ist in der theologischen Lehre der Aequivocatio („Zweideutigkeit“) bzw. in der Locutio Ambigua80 zu beobachten. Die Lehre entwickelte sich als Reaktion auf das rigorose christliche Lügenverbot. Danach sei es in (Not-)Situationen, in denen eine Lüge geboten wäre, erlaubt, zweideutig zu sprechen. Dadurch kann man eine andere Person in die Irre führen, ohne gegen das Lügenverbot zu verstoßen. 81 Die moralische Differenzierung zwischen semantischen und pragmatischen Täuschungen ist intuitiv nachvollziehbar. Schließlich gibt jemand, der eine Behauptung äußert, unmittelbar zu verstehen, dass er seine eigene Meinung bekundet.82 Und eine Behauptung ist „meant to be true“. 83 Man nimmt das gesprochene Wort ernster als bloße pragmatische Andeutungen. Bei Letzteren liegt es an unserem Gegenüber, ob es etwa eine Implikatur84 schlussfolgert oder nicht.85 Doch auch wenn sich zwischen der semantischen und der pragmatischen (und erst recht der nicht-sprachlichen) Täuschung eine moralische Abstufung machen lässt, heißt das nicht, dass die anderen Formen der Täuschung zu billigen wären. Genau wie bei einer unaufrichtigen Behauptung führt auch eine pragmatische oder nicht-sprachliche Täuschung dazu, dass sich ein Adressat bestimmte epistemische Feststellungen zu eigen macht. Zudem kann der Adressat berechtigterweise erwarten, dass der Einflussnehmer nur solche Schlüsse zur Entstehung zu bringen versucht, deren propositionalen Gehalt er selbst für wahr hält. Insofern liegt auch hier ein Vertrauensbruch vor. Bernhard Williams hat das pointiert ausgedrückt: „It is better when we can more or less rely on what people imply as well as on what they assert; it is worse when we cannot even rely on what they assert.“86
Zusammenfassend erscheint es richtig, die drei Formen der Täuschung in einer ethischen Bewertung unterschiedlich zu beurteilen. Diese Unterscheidung ist bereits unter dem Topos „Grad der Verbindlichkeit“ angeklungen:87 Die semantische Täuschung ist der intensivste Vertrauensbruch. Sie stellt die größte Gefahr für die Kommunikationskultur dar. Ein Vertrauensbuch besteht auch bei einer pragmatischen Täuschung, wenngleich in geringerer Intensität. Bei nicht-sprachlichen Täuschungen fehlt es an jeglichem sprachlichen Zeichen, weshalb hier eine Erosion kommunikativen Vertrauens ferner liegt. Doch auch hier kann ein Adressat die berechtige Erwartung haben, dass eine andere Person keine Handlungen vor79
Kant, AA XXVII, 447.3–4. Vgl. hierzu bereits oben S. 67. zu dieser Lehre Schockenhoff, in: Schmidt/Domínguez Reboiras (Hrsg.), Von der Suche nach Gott, 1998, S. 489 ff. 81 Vgl. Schockenhoff, in: Schmidt/Domínguez Reboiras (Hrsg.), Von der Suche nach Gott, 1998, S. 489, 500; Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 103 f. 82 Chisholm/Feehan, 74 J. Philos. 143, 149 (1977). 83 Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 105 f. 84 Vgl. zu Implikaturen oben S. 56 ff. 85 Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 107. 86 Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 109. 87 Vgl. oben S. 62 f. 80 S.
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nimmt, die sich zu einem unwahren propositionalen Gehalt verdichten. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass Täuschungen im Einzelfall auch gerechtfertigt sein können – man denke nur an die Frau, die ihren Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft belügt, oder der Elternteil, der sein Kind über die Existenz des Weihnachtsmanns täuscht.
C. Moralischer Unterschied zwischen Täuschung und Manipulation Die ethische Analyse hat angedeutet, dass eine Täuschung intuitiv von anderer moralischer Qualität ist als eine Manipulation. Warum ist das so? Einen Hinweis darauf gibt der Roman „Gulliver’s Travels“ von Jonathan Swift.88 Dort führt Gullivers erste Reise bekanntlich in das Land „Lilliput“, wo zwergenhafte Wesen, die „Lilliputians“ leben. Diese haben ganz eigene Gesetze: „They look upon fraud as a greater crime than theft, and therefore seldom fail to punish it with death; for they allege that care and vigilance, with a very common understanding, may preserve a man’s goods from thieves, but honesty has no fence against superior cunning; and since it is necessary that there should be a perpetual intercourse of buying and selling and dealing upon credit, where fraud is permitted or connived at, or hath no law to punish it, the honest dealer is always undone and the knave gets the advantage.“89
Die „Lilliputians“ werten eine Täuschung schwerer als Diebstahl, weil man sich ihrer nur mit größerem Aufwand erwehren kann. Ähnlich kann man auch das Verhältnis der Täuschung zur Manipulation sehen: Während man sich vor einer Manipulation – zumindest theoretisch – durch gehörige Anspannung der rationalen Fertigkeiten schützen kann, ist man als Adressat gegenüber Täuschungen meist machtlos.90 Eigentlich ist die Frage, ob und inwieweit eine Täuschung moralisch von anderer Qualität als eine Manipulation ist, ein Stellvertreterstreit für eine viel grundlegendere Frage: Wie frei ist der Mensch wirklich?91 Sieht man den Menschen als freies, selbstbestimmtes und vernunftbegabtes Wesen, hat er auch die Verantwortung für sein Handeln zu tragen. Zieht er vermeidbare Schlussfolgerungen, wie bei einer Manipulation, ist er selbst dafür verantwortlich. Die Autonomie eines anderen zu respektieren heißt dann auch, Menschen manchmal schlechte Entscheidungen treffen zu lassen.92 Betont man hingegen, wie die moderne Psychologie,93 die Affekte, Heuristiken und das Unterbewusste, das mit der Räson nur schwer fassbar ist, ist der Unterschied zwischen einer Täuschung und einer Manipulation nicht mehr ganz so groß. 88
Swift, Gulliver’s Travels, 1726. Swift, Gulliver’s Travels, 1726, S. 66. 90 Dieser Gedankengang und Bezug stammt von Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 714 f. (2018). 91 Vgl. hierzu bereis oben S. 22 ff. 92 Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 715 (2018). 93 Vgl. oben S. 27 ff. 89
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D. Manipulation: The Good, the Bad, and the Ugly Die Manipulation hat viele Gesichter. Cass Sunstein spricht passenderweise von den „Fifty Shades of Manipulation“.94 Manche Manipulationen sind gut (I.), manche sind schlecht (II.) und manche sind fragwürdig (III.). Im Folgenden werden Indikatoren vorgeschlagen, um sie voneinander zu unterscheiden. I. „The Good“ Die „guten“ Formen der Manipulation wurden bereits angesprochen: Nudges.95 Hier lenkt der Einflussnehmer das Verhalten des Adressaten durch einen kleinen „Schubs“, d. h. durch ein Ansprechen seiner heuristischen Informationsverarbeitung, in eine für den Adressaten vorteilhafte Richtung. Nudges können die Autonomie des Adressaten stärken, indem sie dessen Wünsche erster und zweiter Ordnung in Einklang bringen.96 Sie können aber auch ethisch zu missbilligen sein. Wenn der Einflussnehmer dem Adressaten seine Vorstellung „guter“ Ziele aufdrängt, obwohl der Adressat selbst doch am besten weiß, was in seinem Interesse ist, wird man schnell in einen übermäßigen Paternalismus verfallen.97 Zwar werden Nudges vor allem aus regulatorischer Perspektive untersucht. Doch auch privatwirtschaftliche Akteure können Adressaten „nudgen“.98 So könnte ein Hersteller von Autoreifen die überlegene Sicherheit der eigenen Produkte durch die bildliche Darstellung von Unfällen bewerben, untertitelt mit: „Mit unseren Reifen wäre das nicht passiert.“99 Solange das der Wahrheit entspricht, ist an einer solchen Einflussnahme grundsätzlich nichts auszusetzen, auch wenn der Einflussnehmer sie freilich nicht aus altruistischen Gründen vornimmt. II. „The Bad“ Demgegenüber stehen manipulative Einflussnahmen, die offensichtlich nicht richtig sein können. Bezweckt der Einflussnehmer ausschließlich dem Adressaten zu schaden, man denke zurück an Iago und Othello,100 wird man einen manipulativen Einfluss kaum rechtfertigen können. Ebenfalls zu missbilligen sind manipulative Reize, die ein Adressat überhaupt nicht wahrnehmen kann, wie bei der berüchtig94 Sunstein, 1 J. Market. Behav. 213 (2015): „[…] manipulation has so many shades, and in a social order that values-free markets and consumer sovereignty, it is exceptionally difficult to regulate manipulation as such.“; Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 78 ff. 95 Vgl. oben S. 80 f f. 96 Vgl. oben S. 94 f f. 97 Hierzu im Detail Sunstein, The Ethics of Influence, 2016. 98 Vgl. hierzu auch Henderson/Rachlinski, 6 RWU L. Rev. 213, 245 (2000); Hanson/Kysar, 6 RWU L. Rev. 259, 324 ff. (2000). 99 Dadurch spricht der Einflussnehmer die Affekte der Adressaten an, sodass es sich um eine affektive Manipulation handelt. 100 Oben S. 85.
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ten „subliminalen Werbung“.101 In diesen Fällen lässt sich die Verantwortung nicht auf den Adressaten schieben, da er sich des Einflusses nicht erwehren kann. Hier bietet sich eine Faustregel an: Stellt man sich vor, der Adressat würde vor der Manipulation gewarnt werden, würde das die Einflussnahme akzeptabel machen?102 Davon wird man wohl weder bei Iago noch bei unterschwelliger Werbung ausgehen können. III. „The Ugly“ Die interessanten Grenzfälle finden sich zumeist in der Werbung. Das Gros der Werbung ist manipulativ: auf Zeitschriften finden sich attraktive Personen, Einkaufszentren spielen angenehme Musik und versprühen wohlriechende Düfte, Websites nutzen ausgeklügelte Designs oder eine Verkaufsperson lächelt uns zu.103 All diese Reize sprechen auf unterschiedliche Weise unser System 1 an. Der Unterschied zur subliminalen Werbung liegt darin, dass der Adressat sie wahrnehmen, wenngleich er ihr nicht immer widerstehen kann. Nur, weil sie dem Grunde nach manipulativ ist, heißt das aber nicht, dass sie in jedem Fall zu missbilligen ist. In einer freien Gesellschaft ist die Manipulation unvermeidlich. Man findet sie in Printmedien, auf Plakaten, im Radio, Fernsehen und Internet.104 Es wäre seltsam, Praktiken zu verurteilen, denen Menschen täglich ausgesetzt sind und gegen die sie wenige oder keine Einwände erheben.105 Sie sind konventioneller Bestandteil unse101 Seit Jahrzehnten geistert die Geschichte einer Studie umher, wonach Kinobesucher mit unterschwelliger Werbung traktiert werden, indem für den Bruchteil einer Sekunde Sätze wie „Drink Coca Cola“ oder „Eat popcorn“ eingeblendet werden. Diese Studie hat sich schnell als Humbug herausgestellt. Die Experimentalpsychologie konnte den Effekt subliminaler Werbung, wenn überhaupt, nur äußerst eingeschränkt nachweisen. So hat die Priming durch einen Markennamen eines Getränkeherstellers nur dann eine Wirkung, wenn die Adressaten bereits durstig waren, s. Strahan/Spencer/Zanna, 38 J. Exp. Soc. Psychol. 556 (2002); Karremans/Stroebe/Claus, 42 J. Exp. Soc. Psychol. 792 (2006). S. allgemein zu subliminaler Werbung m. w. N. Brock/Green, Persuasion, 2. Aufl. 2005, S. 297 ff. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 7 Abs. 3 S. 2 RStV die „unterschwellige[…] Beeinflussung“ in der Werbung und im Teleshopping untersagt. 102 Vgl. Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 104: „Subliminal advertising could itself be preceded by an explicit warning: ‘This movie contains subliminal advertising.’ Subliminal advertising would not become acceptable merely because people were informed about it. If a movie chain announced that its previews would be filled with subliminal advertisements, people could fairly object – certainly on grounds of autonomy, and on plausible assumptions on grounds of welfare as well.“; ders., 1 J. Market. Behav. 213, 231 f. (2015). 103 Sunstein, 32 Yale J. on Reg. 413, 445 (2015). 104 Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 85 f. Passend auch der Schlussantrag der Generalanwältin Verica Trstenjak vom 24. 3. 2010 in der Rechtssache C-540/08 Mediaprint Zei- tungs- und Zeitschriftenverlag GmbH & Co. KG gegen „Österreich“-Zeitungsverlag GmbH, ECLI:EU:C:2010:161: „[…] einem Durchschnittsverbraucher in unserer heutigen Zeit [ist] in der Regel bewusst, dass Werbung und Verkaufsförderung in einer freien Marktwirtschaft nicht allein mit dem Preis und der Qualität einer Ware Kunden zu gewinnen suchen, sondern eine Vielzahl an Zusatznutzen versprechen. Solche können emotionaler Natur sein, wie etwa bei der Werbung mit dem Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, oder Zusatznutzen mit durchaus wirtschaftlichem Nutzen, wie Zugaben.“ 105 So der Ausspruch von Sunstein, 1 J. Market. Behav. 213, 219 (2015): „It would be odd and
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rer Leben. Die Schwierigkeit besteht darin, die Grenze zwischen akzeptablen und unangemessenen Formen der Manipulation abzustecken. Mit Blick auf die Ausführungen zur Autonomie und Würde wird man hier eine Faustregel nutzen können: Je mehr Zweifel an einer freien und damit selbstverantwortbaren Entscheidung bestehen, desto eher ist der manipulative Einfluss ethisch zu missbilligen. Hierfür sind verschiedene Indikatoren denkbar, die der nächste Abschnitt beleuchtet. IV. Indikatoren Die Indikatoren für die ethische Bewertung einer Manipulation lassen sich sinnvollerweise in subjektive und objektive unterteilen. Das Ziel der Einflussnahme und die Beweggründe des Einflussnehmers spielen subjektiv eine besondere Rolle. Strebt er rücksichtslos, um jeden Preis, einen Gewinn auf Kosten des Adressaten an, „benutzt“ er ihn als bloßes Mittel. Gleiches gilt, wenn er sich bewusst ist, dass der Adressat für die manipulative Wirkung besonders empfänglich ist und das ausnutzt. Die objektiven Kriterien lassen sich wiederum in drei Unterkategorien aufteilen. Ein erstes Kriterium ist in der Art und Weise des manipulativen Einflusses zu erkennen. Hier kommen der Transparenz und der Erhaltung der Wahlfreiheit eine besondere Bedeutung zu. Je verdeckter ein manipulativer Reiz ist, desto weniger obliegt es der Selbstverantwortung des Adressaten, ihm zu widerstehen. Deshalb sind subliminale Einflussnahmen besonders verwerflich. Je mehr Druck auf den Adressaten ausgeübt und ihm dadurch die freie Wahl genommen wird, desto eher nimmt die Manipulation die Form eines Zwangs ein und hebt die Willensfreiheit des Adressaten auf. Zweitens ist die Schwere der Folgen, die bei dem Adressaten infolge einer Manipulation eintreten, zu berücksichtigen. Führt eine Manipulation dazu, dass der Adressat enorme körperliche, seelische oder materielle Einbußen erleidet, wird bereits ein geringer Einfluss zu missbilligen sein. Drittens spielt das Entscheidungsumfeld eine herausragende Rolle. Hierunter fällt einerseits die Machtbalance zwischen den Parteien, d. h. wie stark die Imparität zwischen dem Einflussnehmer und dem Adressaten ausgeprägt ist, andererseits das situative Umfeld, in dem die Einflussnahme stattfindet. Die letzten beiden Kriterien, die Machtbalance und das situative Umfeld, sind zunächst etwas konturlos, weshalb ihnen im Folgenden nachgegangen wird. 1. Machtbalancen Für die Bewertung der Manipulation lohnt es sich einen Blick auf die Beziehung zwischen dem Manipulator und dem Adressaten zu werfen.106 Immer, wenn Menperhaps pointless to condemn practices that people encounter daily, and with which they live while mounting little or no objection. Indeed, it would be fussy and stern — even a bit inhuman — to try to excise it.“; Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 86. 106 Fischer, Manipulation, 2017, S. 179 f.
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schen in Beziehung zueinander stehen oder treten, besteht zwischen ihnen eine, wie sie Norbert Elias nannte, Machtbalance: „Bin ich stärker, bist du stärker?“107 Die Machtgewichte sind, sei es durch historische Entwicklungen, durch die angeborene Ausstattung oder das Geschick der Beteiligten, nicht selten ungleich verteilt. Der Begriff „Macht“ hat deshalb, besonders in der politischen Philosophie, eine negative Konnotation.108 Ähnlich wie bei dem Phänomen der Manipulation führt der „üble Beigeschmack, der diesem Begriff dementsprechend anhaftet [… dazu], daß man zwischen dem einfachen Tatbestand und der Bewertung dieses Tatbestands nicht mehr zu unterscheiden vermag.“109 Dabei ist Macht ein integraler Bestandteil einer jeden menschlichen Beziehung.110 Zwischen einem Kind und seinen Eltern besteht eine Machtbalance, bei der auch das Kind eine gewisse Macht über seine Eltern hat – man denke nur an ein schreiendes Baby.111 Die Beziehung zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ist gekennzeichnet von einer Machtbalance, in der der Verbraucher durch seine Präferenzen das Angebot des Unternehmers bestimmt, während andersherum der Unternehmer versucht, durch Werbung die Nachfrage zu steuern. Machtbalancen sind also immer mindestens bipolare Phänomene, in der die Beteiligten in wechselseitiger Abhängigkeit stehen.112 Mit der Zeit kann die Balance fluktuieren oder es stellt sich ein Machtgleichgewicht ein.113 a) Figurationen Norbert Elias nennt das Beziehungsgeflecht zwischen Personen, deren Handlungen interpendent sind, eine Figuration.114 Figurationen können sich durch affektive, berufliche oder interessengeleitete Bindungen bilden.115 Wichtig ist, dass die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Personen nicht nur eine „Interpendenz als Verbündete, sondern auch als Gegner“ ist.116 Von besonderem Interesse sind hier deshalb jene Figurationen, die eine sehr unausgeglichene Machtbalance aufweisen, d. h. 107
Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 84. Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 84 f.: „Der Grund liegt darin, daß im bisherigen Verlauf der Gesellschaftsentwicklung die Machtgewichte oft außerordentlich ungleich verteilt waren und daß Menschen oder Menschengruppen, die gesellschaftlich mit relativ großen Machtchancen ausgestattet sind, diese Machtchancen oft optimal, mit großer Brutalität und Gewissenlosigkeit für ihre Zwecke ausnutzten.“ 109 Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 85. S. auch Fischer, Manipulation, 2017, S. 179 f. 110 „[S]ie ist eine Struktureigentümlichkeit menschlicher Beziehungen – aller menschlichen Beziehungen.“, Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 85. 111 Vgl. Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 85. 112 Zumeist sind sie multipolar, s. Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 85. 113 Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 84 f., 155. 114 Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 154: „Wenn vier Menschen um den Tisch herumsitzen und miteinander Karten spielen, bilden sie eine Figuration. Ihre Handlungen sind interpendent.“ 115 Beispiele sind Liebesbeziehungen, Freundschaften, Familie, Gemeinden, Staaten, Arbeitsoder Austauschbeziehungen. 116 Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 154. 108
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solche, in denen eine Partei einen positiven Machtsaldo hat. Je mehr Macht eine Partei über eine andere hat, umso mehr kann sie deren Handlungen beeinflussen, um eigene Ziele zu erreichen.117 In solchen Konstellationen erscheint eine Manipulation prima facie ungerecht, sofern das Machtgewicht in einer Weise ausgenutzt wird, die die Fähigkeit des Adressaten zum Selbstschutz einschränkt. Figurationen, in denen die Machtbalance unausgeglichen ist, sind z. B. die Beziehung zwischen Eltern und Kind, Lehrer und Schüler, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Arzt und Patient, Älteren und Jüngeren, und, was für den Untersuchungsgegenstand dieser Untersuchung von besonderem Interesse ist, die Beziehung zwischen Unternehmern und Verbrauchern. b) Unternehmer und Verbraucher Es ist offensichtlich, dass zwischen Unternehmern und Verbrauchern eine unausgeglichene Machtbalance besteht. Verbraucher sind strukturell unterlegen, weil sich bei den Unternehmern wirtschaftliche und rechtliche Erfahrung, Wissen, Rationalität und finanzielle Ressourcen konzentrieren.118 Unternehmer nutzen ihr Machtpotenzial seit jeher, um auf Verbraucher Einfluss zu nehmen. Die Werbeindustrie begann in den Printmedien des 19. Jahrhunderts, blühte durch den Rundfunk im 20. Jahrhundert auf und findet ihren vorläufigen Höhepunkt im Zeitalter des Internets.119 Die Machtbalance hat sich dabei immer wieder verschoben. Während früher lokale Geschäfte häufig eine Monopolmacht hatten, können Verbraucher heute durch das Internet einfach und schnell nach Produkttests suchen und Preisvergleiche durchführen, um informiertere Entscheidungen zu treffen.120 Gleichzeitig eröffnet das digitale Zeitalter Unternehmern durch Algorithmen und künstliche Intelligenz bislang nicht denkbare Formen der Einflussnahme.121 Selbstverständlich ist es nicht so, dass Unternehmer Verbraucher nur indoktrinieren. Werbung vermittelt auch Informationen und kann so den Verbraucher zu besseren Entscheidungen verhelfen. Auch genügt der bloße Machtsaldo zugunsten des Unternehmers nicht, um jede Einflussnahme zu missbilligen. Die unausgeglichene Machtbalance eröffnet nur die Möglichkeit, durch Ausnutzung des Machtgewichts unangemessenen Einfluss zu nehmen. Norbert Elias hat zur Beschreibung einer Figuration häufig die Metapher des „Spiels“ benutzt.122 In einem Spiel gibt es verschiedene Spieler mit unterschiedlichen Spielstärken (d. h. Machtgewichten). Halten sich alle Spieler 117 Vgl. Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 106 f. S. auch Grant, Strings Attached, 2011, S. 48: „Power, in general, I take to be the capacity to achieve one’s purposes—including, more specifically, the capacity to affect the actions of others in order to achieve one’s purposes.“ 118 Vgl. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 63 ff. 119 S. für die Geschichte der Werbeindustrie (aus US-amerikanischer Perspektive) Fox, The Mirror Makers, 1984. 120 Vgl. hierzu Koops, 25 Berkeley Tech. L.J. 973 (2010). 121 Zur digitalen Manipulation noch unten S. 312 ff. 122 Elias, Was ist Soziologie?, 12. Aufl. 2014, S. 92 ff.
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an die Regeln, ist zwar ein Spieler immer noch stärker als der andere, aber er handelt nicht illegitim. Diese Spielmetapher lässt sich auf das „Business Game“, das auch zwischen Unternehmern und Verbrauchern gilt, übertragen. Angesprochen ist damit die Ökologie der Entscheidung. 2. Situatives Umfeld: Das „Business Game“ a) Die Spielregeln In dem Spiel des wirtschaftlichen Handelns gelten andere Regeln und ethische Maßstäbe als in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das sagt jedenfalls Albert Z. Carr in seinem mittlerweile über 50 Jahren alten Artikel „Is Business Bluffing Ethical?“,123 der als Klassiker in jedem Lehrbuch zur Wirtschaftsethik zu finden ist.124 Dabei zieht er die Parallele zum Poker:125 Wie auch im Spiel erwartet kein Marktteilnehmer, dass die andere Partei die ganze Wahrheit sagt. Mit Bluffs rechnet jeder. Und „in the long run the winner is the man who plays with steady skill.“126 Denkt man die Poker-Analogie weiter, stellt man fest, dass die Parteien sich in einem Spiel zwar als Gegner gegenüberstehen, die ihren eigenen Nutzen maximieren wollen. Das setzt einen Anreiz für opportunistisches Verhalten wie Täuschung oder Manipulation.127 Nicht umsonst lautet eine Binsenweisheit, man solle niemals auf das Wort eines Gebrauchtwagenhändlers vertrauen.128 Gleichzeitig existieren aber auch Spielregeln.129 Der Gebrauchtwagenhändler darf interessierten Kunden keinen Bären aufbinden und etwa über den Kilometerstand täuschen. Andernfalls verstößt der Händler gegen das Gesetz, was zivilrechtliche und strafrechtliche Folgen haben kann.130
123
Carr, 53 Harv. Bus. Rev. 143 (1968). nur Suchanek, Unternehmensethik, 2015, S. 30 ff.; Shaw, Business Ethics, 9. Aufl. 2016,
124 S.
S. 14 f. 125 Carr, 53 Harv. Bus. Rev. 143, 145 (1968). 126 Carr, 53 Harv. Bus. Rev. 143, 145 (1968). 127 S. zum opportunistischen Verhalten (aus informationsökonomischer Perspektive) Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1985, S. 47: „By opportunism I mean self-interest seeking with guile. This includes but is scarcely limited to more blatant forms, such as lying, stealing, and cheating. Opportunism more often involves subtle forms of deceit.“, vgl. auch unten S. 125 f. 128 Tatsächlich schätzten Befragte in einer Studie des TÜV Rheinland, dass bei fast einem Drittel der angebotenen Gebrauchtwagen eine Tachomanipulation vorgenommen wurde, vgl. TÜV Rheinland, Wie viel Prozent aller derzeit in Deutschland angebotenen Gebrauchtfahrzeuge könnten Ihrer Meinung nach manipuliert sein?, zitiert nach de.statista.com, https://de.statista. com/statistik/daten/studie/477805/umfrage/gebrauchtwagenkauf-ausmass-der-tachomanipula tion. 129 Vgl. zu einem ähnlichen Gedankengang Williams, Truth and Truthfulness, 2002, S. 109, 112. 130 In Deutschland wird die Tachomanipulation durch § 22b StVG („Missbrauch von Weg streckenzählern“) pönalisiert. Unter Umständen kommt auch eine Betrugsstrafbarkeit nach § 263 StGB sowie eine Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts nach § 123 BGB in Betracht.
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b) Das Spielfeld Weiterhin müssen alle Beteiligten wissen, dass sie sich in einem „Spiel“ befinden und in welchem. Wer unbemerkt in ein Spiel geworfen wird, kann sich auch nicht an dessen Regeln halten. Das gilt für Situationen, in denen der Adressat nicht mit einer wirtschaftlichen Manipulation rechnen muss und dementsprechend weniger Vorsicht walten lässt.131 Als Beispiel dienen die berühmten „Tupperware-Partys“.132 Interessierte stellen, für eine Gegenleistung in Form kostenloser Produkte, ihre Wohnung für eine solche „Party“ zur Verfügung. Sie laden ihre Freunde und Bekannte ein, kümmern sich um die Verköstigung und nebenbei präsentiert ein geschulter Firmenvertreter die „Tupperdosen“, die die Gäste dann bestellen können. Zwar mag den Gästen an sich bewusst sein, dass es sich hierbei um eine Verkaufsveranstaltung handelt. Die Situation – Gespräche mit Freunden, Getränke, Lächeln – lässt sie das „Business Game“ aber schnell vergessen. Der Einflussnehmer macht sich das Sympathieprinzip i. S. Cialdinis Taxonomie zunutze.133 In einem solchen Kontext nutzt der Unternehmer sein Machtgewicht in einer Weise aus, die nicht mehr von den Regeln des Spiels gedeckt ist und manipuliert Adressaten affektiv. Entsprechendes gilt bei anderen Beziehungen mit unausgeglichenen Machtbalancen: ein Arzt, der den Wechsel zu einer anderen Krankenkasse nahelegt, mit der er einen Hausarztvertrag abgeschlossen hat;134 eine Arbeitnehmerin, die im häuslichen Krankenbett von ihrem Arbeitgeber zur Unterschrift eines Aufhebungsvertrags „überredet“ wird;135 die Werbeanzeige für ein intransparentes Klingelton-Abo in einer Kinderzeitschrift.136 Überall dort nutzt der Einflussnehmer seine Machtbalance in einer Weise aus, die die Regeln des Spiels aushebelt, den Adressaten regelrecht überrumpelt und einen Druck ausübt, den man als manipulativ bezeichnen kann. Der Einflussnehmer wandelt dann seine Macht in einen Anspruch gegen den Adressaten um und legitimiert damit seine Überlegenheit.137 Carrs Pokeranalogie ist insofern zutreffend: Zwar gehören Bluffs zum Spiel. Gleichzeitig kann man aber erwarten, dass alle Beteiligten die Spielregeln einhalten.138
131 Passend
Bigwood, 16 Oxford J. Legal Stud. 503, 510 (1996): „let down their guard“. Cialdini, Influence, 2007, S. 167 ff. 133 Cialdini, Influence, 2007, S. 168 sowie oben S. 40 f. Daneben kommen auch die Prinzipien der Konsistenz (oben S. 34) und der sozialen Bewährtheit (oben S. 39 f.) zu tragen. 134 Vgl. OLG München WRP 2010, 299. 135 BAG, NJW 2019, 1966. 136 S. BGH GRUR 2006, 776 – Werbung für Klingeltöne. 137 Goodin, Protecting the Vulnerable, 1985, S. 36. 138 Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich, dass auch Fairnesserwägungen, die sich nicht durch Eigennutz allein erklären lassen, im Geschäftsleben ebenfalls eine Rolle spielen können. S. hierzu Shaw, Business Ethics, 9. Aufl. 2016, S. 86 ff.; Kahneman/Knetsch/Thaler, 59 J. Bus. S285 (1986); Kahneman/Knetsch/Thaler, 76 AER 728 (1986). 132 Hierzu
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Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
E. Zusammenfassung von § 4 1. Täuschungen und Manipulationen beeinträchtigen die Autonomie und die Würde des Adressaten. Die Täuschung ist mit größeren moralischen Makeln behaftet: Dem Adressaten wird durch eine Täuschung die Möglichkeit einer informierten Entscheidung genommen, und zwar in einer Weise, derer er sich kaum erwehren kann. Es kommt hinzu, dass das kommunikative Vertrauen der gesamten Gemeinschaft durch Täuschungen erschüttert wird. Der ethische Unwert einer semantischen Täuschung ist grundsätzlich größer als der einer pragmatischen oder nicht-sprachlichen Täuschung. 2. Die Manipulation ist von anderer moralischer Qualität. Auch sie ist in der Lage, die Willensfreiheit des Adressaten auszuhöhlen und ihn als bloßes Mittel zu „benutzen“. Manipulationen sind im alltäglichen Leben jedoch Legion und nicht immer ethisch zu missbilligen, weil der Eigenverantwortlichkeit des Adressaten eine größere Bedeutung zukommt als bei der Täuschung. Es gibt gute, schlechte und fragwürdige Formen der Manipulation. Allgemein kann man sagen, je mehr Zweifel an einer freien und damit selbstverantwortbaren Entscheidung bestehen, desto eher ist der manipulative Einfluss zu missbilligen. Konkret haben sich mehrere Indikatoren für die ethische Bewertung herauskristallisiert: (1) Subjektive Indikatoren Subjektiv spielen das Ziel der Einflussnahme und die Beweggründe des Einflussnehmers eine besondere Rolle. Strebt er rücksichtslos, um jeden Preis, einen Gewinn auf Kosten des Adressaten an, „benutzt“ er ihn als bloßes Mittel. Gleiches gilt, wenn er sich der Anfälligkeit des Adressaten für manipulative Wirkungen bewusst ist. (2) Objektive Indikatoren (a) Art und Weise des manipulativen Einflusses Bei der Art und Weise kommt es auf die Transparenz manipulativer Reize sowie die Erhaltung der Wahlfreiheit an. Je verdeckter ein manipulativer Reiz ist, desto weniger obliegt es der Selbstverantwortung des Adressaten, ihm zu widerstehen. Je mehr Druck auf den Adressaten ausgeübt und ihm dadurch die freie Wahl erschwert wird, desto eher tendiert die Manipulation zu einem Zwang. (b) Schwere der Folgen Je schwerer die Folgen der Manipulation für den Adressaten sind, desto eher ist die Einflussnahme zu missbilligen. Insbesondere wenn der Adressat gesundheitliche oder große materielle Schäden erleidet, ist eine Manipulation inakzeptabel. (c) Entscheidungsumfeld Zu dem Entscheidungsumfeld zählt die Ausprägung einer Machtbalance zwischen dem Einflussnehmer und dem Adressaten, die der Einflussnehmer ausnutzt sowie
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das situative Umfeld, in dem die Einflussnahme zu einer Entscheidung des Adressaten führt, d. h. insbesondere, ob sich der Adressat der „Spielregeln“ bewusst ist. Hiermit ist die ethische Bewertung der Täuschung und der Manipulation aber nur angestoßen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Einflussnahme im wirtschaftlichen Kontext. Dort liegt das Ziel einer Einflussnahme darin, einen Adressaten zu einer Transaktionsentscheidung zu verleiten.139 Ob dieses Ziel legitim ist, hängt von den wohlfahrtsökonomischen Folgen ab. Dem widmet sich das folgende Kapitel.
139 S. Lazear, in: Eatwell/Milgate/Newman (Hrsg.), Allocation, Information and Markets, 1989, S. 152: „[…] how to induce a consumer to buy more of a particular good; that is, how to give him an incentive to purchase.“
§ 5 Ökonomische Bewertung Eine ökonomische Analyse der Täuschung und der Manipulation im Wirtschaftsverkehr hat mit der Beschreibung der Funktionsweise freier Märkte zu beginnen. Wenn freie Märkte optimal funktionieren, treffen alle Marktteilnehmer sinnvolle wirtschaftliche Entscheidungen. In einer solchen idealtypischen Vorstellung existieren keine Täuschungen und Manipulationen. Natürlich ist klar, dass das echte Wirtschaftsleben voller Versuche ist, Marktteilnehmer zu beeinflussen und zu wirtschaftlichen Entscheidungen zu verleiten. Um die Gründe für die Diskrepanz zwischen der Theorie und den realen ökonomischen Gegebenheiten aufzuzeigen, ist zunächst das Augenmerk auf das Gleichgewichtsmodell der Neoklassik und die Kräfte des Wettbewerbs zu richten (A.). In freien Märkten erhöhen Anbieter durch die Verfolgung ihrer Eigeninteressen die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft. Anbieter müssen jedoch profitabel handeln, um im Wettbewerb bestehen zu können. Darauf aufbauend widmet sich der nächste Abschnitt der Frage, wie Anbieter Täuschungen und Manipulationen als Instrumente zur Gewinnmaximierung nutzen (B.). Greifen Anbieter zu solchen Beeinflussungsstrategien, führen die kompetitiven Kräfte nicht zu einem effizienten Marktgleichgewicht, sondern es stellt sich ein Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht ein: Überall dort, wo es für Anbieter rentabel ist zu täuschen und zu manipulieren, werden sie es tun. Tun sie es nicht, drängen die evolutionären Kräfte des Marktes sie aus dem Wettbewerb (C.). Das gilt jedoch nur insoweit, wie die selbstheilenden Kräfte des Marktes und eine Regulierung dem nicht entgegensteuern können. Eine kurze terminologische Klarstellung vorab: Im Folgenden ist, den ökonomischen Gepflogenheiten folgend, statt von „Einflussnehmern“ und „Adressaten“ die Rede von „Anbietern“ und „Nachfragern“. Diese Bezeichnungen werden gewählt, da die Ausführungen für den Güter- und Finanzmarkt gleichermaßen gelten. Auf dem Gütermarkt werden Waren und Dienstleistungen gehandelt. Dort wird klassischerweise von „Produzenten“ (Unternehmen) und „Konsumenten“ (Verbraucher) gesprochen. Auf dem Finanzmarkt werden Finanzinstrumente wie Aktien oder Anleihen gehandelt. Dort spricht man von „Kapitalnehmern“ (Emittenten) und „Kapitalgebern“ (Anlegern). Wenn von „Gütern“ die Rede ist, sind damit nicht nur die Güter auf dem Gütermarkt gemeint, sondern alle fungiblen Handelsgegenstände, also im kapitalmarktlichen Kontext auch Finanzinstrumente.
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A. Marktgleichgewicht und Wettbewerb I. Marktgleichgewicht Warum sind die Warteschlangen an allen Supermarktkassen in etwa gleich lang?1 Weil Kunden sich an derjenigen Schlange anstellen, die am kürzesten ist. Wenn eine neue Kasse öffnet, reihen sich sofort Kunden ein und kurze Zeit später sind wieder alle Schlangen gleich lang. Menschen nutzen jede Chance, um sich selbst besserzustellen. Sie eilen zu neu eröffneten Kassen, um Zeit zu sparen. Die Situation wird sich erst dann beruhigen, wenn die Kunden ihre Position nicht mehr durch den Wechsel der Schlange verbessern können. Dann besteht ein Gleichgewicht. Ganz ähnlich versteht man ein ökonomisches Gleichgewicht: Eine Situation ist in einem Gleichgewicht, wenn kein einzelner Akteur bessergestellt wird, würde er etwas anders tun.2 Seine Wurzeln findet der Gedanke des Marktgleichgewichts in Adam Smiths „Wealth of Nations“.3 Im 8. Kapitel des ersten Buches beschreibt er den „natürlichen Preis“, der ausschließlich die Produktionskosten eines Gutes widerspiegelt.4 Ihm gegenüber stellt er den Marktpreis, der sich durch Angebot und Nachfrage bildet.5 Der natürliche Preis sei das Gravitationszentrum, in dessen Richtung sich der Marktpreis unter idealen Bedingungen, 6 wie von „unsichtbarer Hand“7 gelenkt, entwickele.8 Hierfür verantwortlich ist das Zusammenwirken aller Einzelhandlungen der Marktteilnehmer. Weil jeder Metzger, Brauer oder Bäcker seine eigenen Interessen verfolgt und deshalb jede Chance wahrnimmt, Gewinn zu machen, entstehe ein Gleichgewichtszustand, der den Wohlstand der Gemeinschaft als Ganzer verbessere.9 1 Die Warteschlangen an Supermarktkassen sind ein klassisches Lehrbuchbeispiel zur Verdeutlichung, wie ein Gleichgewicht entsteht. S. nur Krugman/Wells, Microeconomics, 4. Aufl. 2015, S. 13. S. auch Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 1. 2 Krugman/Wells, Microeconomics, 4. Aufl. 2015, S. 13. 3 S. für eine ausführliche, historische Beschreibung der Entwicklung von Gleichgewichts modellen Milgate, in: Vernengo/Caldentey/Rosser (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics, 2020, Equilibrium (Development of the Concept). 4 Smith, The Wealth of Nations, 1776, Book I, Chapter 7, Para. 4: „When the price of any commodity is neither more nor less than what is sufficient to pay the rent of the land, the wages of the labour, and the profits of the stock employed in raising, preparing, and bringing it to market, according to their natural rates, the commodity is then sold for what may be called its natural price.“ 5 Smith, The Wealth of Nations, 1776, Book I, Chapter 7, Para. 7: „The actual price at which any commodity is commonly sold is called its market price. It may either be above, or below, or exactly the same with its natural price.“ 6 Mit idealen Bedingungen meint er vor allem Wettbewerb, weshalb er den natürlichen Preis auch als „price of free competition“ bezeichnet, Smith, The Wealth of Nations, 1776, Book I, Chapter 7, Para. 27. 7 Smith, The Wealth of Nations, 1776, Book IV, Chapter 2, Para. 9. 8 „The natural price, therefore, is, as it were, the central price, to which the prices of all commodities are continually gravitating.“, Smith, The Wealth of Nations, 1776, Book I, Chapter 7, Para. 15. 9 „It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our
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Adam Smiths naturphilosophisch begründetes Marktmodell wurde im 19. und 20. Jahrhundert formalisiert und zu einer „exakten Wissenschaft“ ausgebaut. Aufbauend auf den Arbeiten von Léon Walras10 konnten die späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Kenneth Arrow und Gérard Debreu mathematisch beweisen,11 dass sich unter bestimmten Bedingungen ein Marktgleichgewicht einstellt, das effizient ist, d. h. für eine Pareto-optimale12 Allokation von Gütern sorgt.13 Das bedeutet, dass niemand bessergestellt werden kann, ohne dass nicht gleichzeitig jemand anderes schlechter gestellt wird. Das allgemeine Gleichgewichtsmodell funktioniert aber nur unter der Annahme des vollkommenen Wettbewerbs.14 Gemeint ist damit ein Markt, in dem es viele Anbieter und Nachfrager sowie keine Markteintrittsbarrieren gibt und nur homogene Güter15 gehandelt werden.16 Weiterhin müssen alle Akteure über vollkommene Informationen verfügen und vollkommen rational handeln.17 Freilich ist ein Markt mit einem vollkommenen Wettbewerb in der Realität nur selten anzutreffen.18 dinner, but from their regard to their own interest.“, Smith, The Wealth of Nations, 1776, Book I, Chapter 2, Para. 2. 10 Walras war der Erste, der das Gleichgewichtsmodell mathematisch verfasste, s. Walras, Éléments d’économie politique pure, ou, Théorie de la richesse sociale, 1874; eine englische Übersetzung findet sich unter Walras, Elements of Pure Economics, 1954. 11 Arrow/Debreu, 22 Econometrica 265 (1954). Zeitgleich und unabhängig davon hat auch Lionel W. McKenzie sein Gleichgewichtsmodell vorgestellt, s. McKenzie, 22 Econometrica 147 (1954). 12 Nach dem auf den italienischen Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto zurückgehenden Entscheidungskriterium, das als Pareto-Kriterium bezeichnet wird, ist ein Zustand X einem anderen Zustand Y genau dann vorzuziehen, wenn mindestens eine Person X vorzieht und keine Person Y vorzieht, die anderen Personen also ebenfalls X präferieren oder zwischen X und Y indifferent sind. Der Zustand X wird dann als Pareto-superior bezeichnet. Anders gewandt kann man die Kontrollfrage stellen, ob durch die Entscheidung mindestens eine Person bessergestellt wird, ohne dass sich die Situation einer anderen Person verschlechtert. Ist ein Zustand erreicht, in dem keine Pareto-superioren Entscheidungen mehr getroffen werden können, ist dieser Pareto-optimal. S. Pareto, Manuel d’Économie Politique, 1909, Kap. VI, Nr. 33, Appendice, N° 88, 89; Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 242; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl. 2005, S. 48. 13 Mankiw, Principles of Microeconomics, 8. Aufl. 2016, S. 144 f. 14 S. zu den folgenden Ausführungen Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 59 ff. Detailliert zur Frage des Wettbewerbs auch Eatwell, in: Vernengo/Caldentey/Rosser (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics, 2020, Competition: Classical Conceptions. 15 Homogen heißt, dass die Güter gleichartig sind und es daher keine Präferenzen der Nach frager gibt, bestimmte Güter zu bevorzugen, vgl. Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 60 f. 16 Mankiw, Principles of Microeconomics, 8. Aufl. 2016, S. 66 f. Dann bildet sich ein Marktgleichgewicht: Ein Anbieter kann nicht mehr als den Marktpreis verlangen, da der Nachfrager sonst zu einem anderen Verkäufer gehen würde. Ebenso kann ein einzelner Nachfrager nicht den Preis beeinflussen, da seine Nachfrage nur einen kleinen Teil des Gesamtvolumens am Markt ausmacht. Beide müssen den jeweiligen Marktpreis akzeptieren; sie sind Preisnehmer. In einem Gleichgewicht entspricht die Nachfragemenge genau der Menge, die Anbieter verkaufen wollen. Der Gleichgewichtspreis entspricht dann den Grenzkosten des Anbieters. 17 Vgl. zu den Postulaten der Rational Choice Theory oben S. 25. 18 Mankiw, Principles of Microeconomics, 8. Aufl. 2016, S. 67.
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II. Kräfte des Wettbewerbs Im vollkommenen Wettbewerb muss ein Anbieter seinen Gewinn maximieren, um zu überleben. Schafft er es nicht, drängen ihn andere Mitbewerber aus dem Markt. Er verliert seinen Marktanteil, wird zahlungsunfähig und muss den Markt verlassen. Milton Friedman hat hier eine Analogie zur natürlichen Selektion gebildet: „Whenever […] behavior [is] consistent with rational and informed maximization of returns, the business will prosper and acquire resources with which to expand; whenever it does not, the business will tend to lose resources and can be kept in existence only by the addition of resources from outside. The process of ‘natural selection’ thus helps to validate the hypothesis—or, rather, given natural selection, acceptance of the hypothesis can be based largely on the judgment that it summarizes appropriately the conditions for survival.“19
Diese Betrachtung gilt natürlich nicht nur im vollkommenen Wettbewerb. Jeder Wettbewerb ist ein dynamischer Prozess, in dem die besser angepassten Akteure wachsen, während die weniger angepassten ausscheiden.20 Dieser Prozess muss nicht zu einem statischen Gleichgewicht führen.21 Diese biologisch-dynamische Vorstellung des Wettbewerbs als lernfähiges System kann man auch den Werken von Friedrich Hayek entnehmen. Er bezeichnet den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren.22 Einzelne Marktteilnehmer verfügen nur über begrenztes, subjektives Wissen. Sie müssen Informationen, etwa über die Präferenzen der Nachfrager oder über Produktionsmethoden, in einem evolutionären Trial-and-Error-Prozess herausfinden. Der Wettbewerb verkörpere diesen Prozess. Er sei „ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen […], die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden würden.“23 19 Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S. 3, 22. S. zur „ökonomischen Auslese“ bereits Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 8. Aufl. 1986, Der „Geist“ des Kapitalismus, S. 35. 20 Winter, in: Eatwell/Milgate/Newman (Hrsg.), The World of Economics, 1991, S. 108, 109. Diese ökonomische Strömung wird auch als „Evolutionsökonomik“ bezeichnet. Ihren Ausgang findet sie in den Werken von Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, 2006 (1942); Hayek, Freiburger Studien, 2. Aufl. 1994, S. 249 ff.; Alchian, 58 J. Political Econ. 211 (1950); Nelson/Winter, An Evolutionary Theory of Economic Change, 1982. 21 Nelson/Winter, An Evolutionary Theory of Economic Change, 1982, S. 164; Winter, in: Eatwell/Milgate/Newman (Hrsg.), The World of Economics, 1991, S. 108, 109. 22 Hayek, Freiburger Studien, 2. Aufl. 1994, S. 249 ff. 23 Hayek, Freiburger Studien, 2. Aufl. 1994, S. 249. Er wendet sich damit implizit gegen das formale Gleichgewichtsmodell mit seinen unrealistischen Grundannahmen – konkrete Ergebnisse seien eben nicht vorhersehbar und es wäre eine „Anmaßung von Wissen“, anderes zu behaupten, ders., ORDO 26 (1975), 12. Wüsste man bereits vorher, wer bei einem Wettbewerb gewinnen würde, würde man diesen gar nicht erst veranstalten. Bereits Joseph Schumpeter stellte in seiner Wettbewerbsbetrachtung Innovationen in den Mittelpunkt. Erfindungen und Innovationen seien die wahren Motoren der Wirtschaft. Der Wettbewerb sei so ein „Prozess schöpferischer Zerstörung“, in dem neue Innovationen die Wirtschaft von innen heraus transformieren, vgl. Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, 2006 (1942), S. 83: „The opening up of new markets, foreign or domestic, and the organizational development from the craft shop and factory to such concerns as U.S. Steel illustrate the same process of industrial mutation—if I may use that biological term—that incessantly revolutionizes the economic structure from within, incessantly dest-
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III. Zwischenfazit und die Gefahren der Marktkräfte Im vollkommenen Wettbewerb sorgen die Marktkräfte für ein Marktgleichgewicht, das Güter effizient alloziert. Dieses Gleichgewicht ist in der Realität nicht statisch, sondern dynamisch. Anbieter sind ständig auf Entdeckungssuche. Sie versuchen, durch Innovationen die Präferenzen der Nachfrager zu befriedigen, um dadurch ihren Gewinn zu steigern. Dadurch bilden sich neue Absatzchancen, die den Gleichgewichtszustand temporär stören, bevor die Marktkräfte sich wieder in ein Gleichgewicht einpendeln. Adam Smith und ihm folgende Proponenten der Neoklassik betonen die Vorteile, die freie Märkte (und im Sinne Hayeks das „Entdeckungsverfahren“ des Wettbewerbs) mit sich bringen – das Gewinnstreben des einzelnen Marktteilnehmers führt zum Wohlstand der gesamten Gesellschaft.24 Doch die Marktkräfte führen nicht immer zu wohlstandsfördernden Neuerungen. Ein Beispiel hierfür sind Automaten.25 Warenautomaten kennt man aus Bahnhöfen oder Universitäten. Man wirft eine Münze hinein, die einen Mechanismus im Automaten aktiviert, woraufhin die gewünschte Ware in das Entnahmefach fällt. Hierfür wurden Automaten auch ursprünglich erfunden. Im Jahr 1893 existierten in Deutschland bereits 15.000 Verkaufsautomaten, die Schokolade und Bonbons verkauften.26 Etwa um dieselbe Zeit wurde in New York eine andere Anwendungsmöglichkeit für Automaten entdeckt: das Glücksspiel.27 Innerhalb kürzester Zeit wurden im ganzen Land Glücksspielautomaten aufgestellt. Die Los Angeles Times schrieb im Jahre 1899: „In almost every saloon may be found from one to half a dozen of these machines, which are surrounded by a crowd of players from morning to night. […] Once the habit is acquired it becomes almost a mania. Young men may be seen working these machines for hours at a time. They are sure to be the losers in the end.“28
Unternehmen haben durch einen Trial-and-Error-Prozess – anfangs gab es bei den Glücksspielautomaten noch Süßigkeiten zu gewinnen 29 – eine Innovation erschafroying the old one, incessantly creating a new one. This process of Creative Destruction is the essential fact about capitalism.“ Man denke nur daran, wie das Auto die Kutsche ersetzt hat. Ein modernes Beispiel ist der Computer – hierauf baut auch das Konzept disruptiver Technologien auf, das von Clayton M. Christensen begründet wurde. S. hierzu Christensen, The Clayton M. Christensen Reader, 2016. 24 „It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest.“, Smith, The Wealth of Nations, 1776, Book I, Chapter 2, Para. 2. 25 Das Beispiel stammt von Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. viii f. S. für eine geschichtliche Einordnung von Automaten auch Epple, in: Jessen, Ralph/Langer (Hrsg.), Automatic Trade, 2012, S. 103 ff. 26 Epple, in: Jessen, Ralph/Langer (Hrsg.), Automatic Trade, 2012, S. 103, 109. 27 Der englische Begriff für Glücksspielautomaten, „slot machine“, wurde zu Beginn auch für normale Verkaufsautomaten verwendet, Epple, in: Jessen, Ralph/Langer (Hrsg.), Automatic Trade, 2012, S. 103, 106. 28 „A Crying Evil“, Los Angeles Times, 24.2.1899, S. 8, zitiert nach Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. viii. 29 Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. viii.
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fen, die die Präferenzen von Nachfragern anspricht, indem sie ihre Affekte adressiert: das Ziehen am Hebel des einarmigen Banditen, das mit der Hoffnung auf einen Gewinn verbunden ist, schüttet kurzzeitig Adrenalin aus; der süchtig machende „Kick des Zockens“30 .31 Das entspricht nach der hier vertretenen Typenbildung einer affektiven Manipulation.32 Es sei nur am Rande erwähnt, dass soziale Netzwerke bewusst ähnliche Mechanismen wie Glücksspielautomaten nutzen: Man zieht den „Feed“ am Handy nach unten („pull to refresh“) und manchmal erscheint ein neuer Beitrag, manchmal ein Bild, vor allem aber Werbung.33
B. Täuschungs- und Manipulationsprofit Anbieter können verschiedene Formen der Einflussnahme nutzen, um ihren Gewinn zu maximieren. Um das aufzuzeigen, gilt es zunächst anhand einer klassischen Wohlfahrtsanalyse das Entscheidungsverhalten von Nachfragern und Anbietern im idealtypischen Modell des vollkommenen Wettbewerbs nachzuzeichnen (I.). Die Annahmen dieser Modellvorstellungen müssen unter dem Eindruck von Täuschungen und Manipulationen gelockert werden (II.). Dem kann man dann das tatsächliche Marktverhalten gegenüberstellen, wie es sich unter dem Einfluss von Täuschungen und Manipulationen darstellt (III.). Dabei zeigt sich, dass durch Täuschungen und Manipulationen soziale Kosten entstehen (IV.). I. Neoklassische Wohlfahrtsanalyse 1. Nachfrager Nachfrager verfügen nur über ein begrenztes finanzielles Budget. Sie müssen deshalb die Entscheidung treffen, welche Güter sie erwerben wollen und welche nicht. Die klassische Entscheidungstheorie geht davon aus, dass Nachfrager diejenigen Güter erwerben, die bei der gegebenen Mittelausstattung am ehesten ihren Präferenzen entsprechen – sprich: ihren Nutzen maximieren.34 Die Ökonomik verwendet den Begriff des Nutzens, um die Zufriedenheit des Nachfragers auszudrücken, die er durch Erwerb eines Gutes erlangt.35 Das Konzept Nutzen, das zweifelsfrei 30
Meyer/Bachmann, Spielsucht, 4. Aufl. 2017, S. 83. S. nur Schüll, Addiction by Design, 2014. 32 Vgl. oben S. 84 ff. 33 S. nur ein Interview mit Tristan Harris, einem ehemaligen Mitarbeiter von Google: „Each time you’re swiping down, it’s like a slot machine […] You don’t know what’s coming next. Sometimes it’s a beautiful photo. Sometimes it’s just an ad.“, s. Lewis, „‘Our minds can be hijacked’: the tech insiders who fear a smartphone dystopia“, The Guardian, 6.10.2017, online abrufbar: https://www.theguardian.com/technology/2017/oct/05/smartphone-addiction-silicon-valleydystopia. Zur Manipulation durch soziale Medien existiert ein hervorragender Dokumentarfilm: The Social Dilemma (2020), nach einem Drehbuch von Jeff Orlowski. 34 Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 127. 35 Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 128. 31
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Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
utilitaristische Wurzeln hat (aber keinesfalls mit der hedonistischen Konzeption gleichzusetzen ist 36), ist einer der kontroversesten Aspekte der (Wohlfahrs-)Ökonomik.37 Denn der Nutzen ist nur ein ordinales Konzept, das keine interpersonellen, kardinalen Nutzenvergleiche erlaubt.38 Deshalb begnügen sich Ökonomen zumeist, gewissermaßen als zweitbeste Lösung, mit dem Konzept der Zahlungsbereitschaft.39 Die Zahlungsbereitschaft ist ein Indikator für die tatsächliche, nicht messbare Wertschätzung, die ein wirtschaftlicher Akteur einem Gut beimisst.40 Je mehr ein Akteur bereit ist, für ein bestimmtes Gut zu zahlen, desto mehr – so die Annahme – nützt es ihm. Die Präferenzen eines Nachfragers werden so durch sein Verhalten auf dem Markt offenbart (revealed preferences41).42 Ist der Preis eines Gutes niedriger als die Zahlungsbereitschaft des Nachfragers, entsteht für ihn ein Wohlfahrtsgewinn. Hierfür muss sich der Nachfrager darüber im Klaren sein, was er will. Er muss wissen, wie viel Nutzen er aus dem Erwerb eines Gutes zieht und wie viel er bereit ist, dafür zu bezahlen. Hier greifen die Modellannahmen der Rational Choice Theory:43 Der Nachfrager hat ein vollständiges, transitives Präferenzsystem.44 Er verfügt über alle entscheidungserheblichen Informationen und kann diese auch optimal verarbeiten. Das Gesagte verdeutlicht das Beispiel: Ein Nachfrager möchte einen Gegenstand kaufen. Er weiß genau, wie viel Nutzen (U) er aus dem Kauf des Gegenstands ziehen wird. Er ist deshalb bereit, maximal 70 EUR für den Gegenstand zu zahlen. 36
S. hierzu Posner, 8 J. Legal Stud. 103 (1979). Angestoßen durch Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 2. Aufl. 1945, S. 136 ff. S. zu dieser Diskussion aus rechtsökonomischer Sicht Posner, 8 J. Legal Stud. 103 (1979); Posner, 9 J. Legal Stud. 243 (1980); Dworkin, 9 J. Legal Stud. 191 (1980); Kronman, 9 J. Legal Stud. 227 (1980). 38 Hierzu Robbins, An Essay on the Nature and Significance of Economic Science, 2. Aufl. 1945, S. 136 ff. S. in der Folge insbesondere auch die „Social Choice Theory“ Arrow, 58 J. Political Econ. 328 (1950); ders., Social Choice and Individual Values, 1951; Sen, Collective Choice and Social Welfare, 1970. 39 Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 129. 40 Kritisch hierzu Dworkin, 9 J. Legal Stud. 191 (1980). Letztendlich bestimmt sich dadurch eine effiziente Güterallokation allein durch Zahlungsbereitschaften. Das führt natürlich zu einem „poor-bias“ und zu Problemen mit der Verteilungsgerechtigkeit. Hierzu zusammenfassend Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 244 f. sowie Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl. 2005, S. 273 ff. Die Problematik aktuell in den wissenschaft lichen Fokus rückend Liscow, 123 Yale L. J. 2478 (2013); Liscow, 85 U. Chi. L. Rev. 1649 (2018). 41 Seinen Ausgang findet die „revealed preferences“-Theorie in zwei Artikeln von Paul A. Samuelson: Samuelson, 5 Economica 61 (1938); Samuelson, 5 Economica 353 (1938). Kritisch hierzu Sen, 6 Philos. Public Aff. 317, 322 f. (1977); Sen, 40 Economica 241 (1973). 42 Nicht nur Konsumenten haben Präferenzen. Auch Unternehmen haben Präferenzen, die normalerweise in der Gewinnmaximierung liegen, weshalb die Gleichsetzung von Nutzen und Zahlungsbereitschaften dort keine Probleme bereitet. Freilich können Unternehmen oder Anleger auch andere Präferenzen als Gewinnmaximierung haben. Beispielsweise bevorzugen manche Anleger nachhaltige Investments, vgl. unten S. 296 ff. 43 Vgl. oben S. 24 ff. 44 „Consumers are assumed to know the things they like and dislike and to be able to rank the available alternative combinations of goods and services according to their ability to satisfy the consumer’s preferences.“, Cooter/Ulen, Law and Economics, 6. Aufl. 2014, S. 18. 37
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Diese preisliche Obergrenze ist seine Zahlungsbereitschaft45 und nichts anderes als eine „Übersetzung“ seines Nutzens in eine Geldsumme. Angenommen der Preis (P) für diesen Fernseher liegt bei 50 EUR. Dann erhält er eine Nachfragerrente46 von 20 EUR. Die Nachfragerrente (N) ist der Überschuss der Zahlungsbereitschaft über dem Marktpreis (N = U - P).47 2. Anbieter Der Anbieter möchte seinen Gewinn (G) maximieren.48 Der Gewinn entspricht der Differenz aus Einnahmen (E) und Kosten (C), etwa Produktionskosten, also G = E - C. Man spricht hier auch von der Anbieterrente.49 Angenommen, der Anbieter hat nur einen einzelnen Gegenstand hergestellt. Dann entsprechen seine Einnahmen genau der Höhe des Verkaufspreises. Bei der Herstellung sind Produktionskosten in Höhe von 40 EUR (C) angefallen. Sein Reservationspreis, d. h. der minimale Preis, für den er den Gegenstand verkaufen würde, beträgt dann ebenfalls 40 EUR. Der Gegenstand wird zu einem Preis zwischen der Zahlungsbereitschaft des Nachfragers (70 EUR) und dem Reservationspreis des Anbieters (40 EUR) verkauft. In jedem Fall realisiert sich bei der Transaktion ein gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn („Kooperationsgewinn“) in Höhe von 30 EUR. Der gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtszuwachs entspricht der Summe aus Nachfragerrente und Anbieterrente (N + G). Der konkrete Preis spielt dann nur noch eine Rolle für die Aufteilung des Wohlfahrtsgewinns zwischen dem Anbieter und dem Nachfrager. Wenn der Preis 50 EUR beträgt, erhält der Anbieter einen individuellen Wohlfahrtsgewinn von 10 EUR, der Nachfrager von 20 EUR. Um seinen Gewinn zu maximieren, muss der Anbieter seine Einnahmen steigern und seine Kosten senken. Die Einnahmen sind das Produkt aus der Anzahl der abgesetzten Güter und dem (Verkaufs-)Preis (P). Die Anzahl abgesetzter Güter richtet sich nach der Nachfrage (D). Der Gewinn eines Anbieters ist dann das Produkt aus der Anzahl abgesetzter Güter und dem Preis abzüglich Kosten, also: G = D · (P - C). Steigt die Nachfrage, steigt auch der Umsatz. Um die Nachfrage zu erhöhen, kann ein Produzent – unabhängig von Täuschungen oder Manipulationen – entweder den Nutzen für die Konsumenten erhöhen oder den Preis des Gutes senken.50 Die Nachfrage ist damit eine Funktion aus Nutzen und Preis:
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Oder: „Reservationspreis“. Konsumenten ist hier von „Konsumentenrente“ die Rede, s. Mankiw/Taylor, Grund züge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 226 ff. 47 Thaler, 12 J. Behav. Decis. Mak. 183 (1999) unterscheidet, aufbauend auf der Prospect Theory und verhaltensökonomischen Erkenntnissen, zwischen der acquisition utility (die der hier dargestellten Nachfragerrente entspricht) und der transaction utility (die der Differenz aus dem gezahlten Preis und einem Referenzpreis entspricht). 48 Die Ausführungen orientieren sich an Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 8 ff., 44 f. 49 Oder: „Produzentenrente“. 50 Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 9 f. 46 Bei
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D(U,P).51 Um den Nutzen zu erhöhen, muss der Produzent das Gut verbessern. Hierfür muss er normalerweise höhere Kosten aufwenden. Er kann auch den Preis seiner angebotenen Güter senken. Dadurch reduzieren sich aber auch seine Einnahmen. Der Anbieter wird als rationaler Nutzenmaximierer nur und solange das Gut verbessern und den Preis senken, wie dadurch sein erwarteter Gewinn steigt. 3. Preismechanismus a) Gütermarkt In dem Beispiel existierten bislang nur ein Anbieter und ein Nachfrager. Nehmen wir an, es existiert ein Markt, auf dem es neun Anbieter, neun Nachfrager und nur eine Art von Gut gibt.52 Die Nachfrager schätzen den Nutzen der Güter, wie es auf dem Gütermarkt zumeist der Fall ist, subjektiv ein. Nachfrager1 würde aus dem Erwerb des Gutes einen Nutzen (U1) ziehen, der 10 EUR entspricht, Nachfrager2 einen Nutzen (U2) in Höhe von 20 EUR usw. (Un). Durch den Erwerb eines weiteren Gutes würde kein Nachfrager einen Nutzenzuwachs erfahren (ein intensiver „abnehmender Grenznutzen“). Der Anbieter1 kann ein Gut für 10 EUR herstellen (C1), Anbieter2 für 20 EUR (C 2) etc. (Cn). Auch für die Anbieter besteht kein Anreiz, mehr als ein Gut herzustellen.
Abb. 1: Preisbildung auf dem Gütermarkt 53
51
Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 8 f. Das Beispiel ist entnommen aus Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 82 f. 53 Grafik nach Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 82 f. 52
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Der Preis (P) für das Gut auf diesem Markt beträgt 50 EUR und es werden fünf Güter hergestellt (Q). Nachfrager5,6,7,8,9 werden das Gut erwerben, weil sie mindestens einen Nutzen von 50 EUR aus dem Erwerb ziehen (Nn ≥ 50). Nachfrager9 wird dabei beispielsweise eine individuelle Nachfragerrente von N9 = U9 - P = 40 EUR erhalten, während Nachfrager5 – als Grenznachfrager – eine individuelle Nachfragerrente von N5 = U5 - P = 0 erhält. Anbieter1,2,3,4,5 werden das Gut veräußern, weil sie es für 50 EUR oder weniger herstellen können (Cn < 50). Anbieter1 wird dabei eine individuelle Anbieterrente von G 1 = P - C1 = 40 EUR erhalten, während Anbieter5 – als Grenzanbieter – eine individuelle Anbieterrente von G 5 = P - C 5 = 0 erhält. Zwischen diesen fünf Parteien werden Transaktionen stattfinden und die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt wird maximiert. b) Kapitalmarkt Anders als auf dem Gütermarkt existiert auf einem liquiden Kapitalmarkt keine subjektive Nutzeneinschätzung und auch kein abnehmender Grenznutzen.54 Ein Anleger möchte ein Finanzinstrument nicht deshalb erwerben, weil er es subjektiv für gut befindet („The shares a firm sells are not unique works of art“55), sondern weil es ihm einen finanziellen Ertrag bietet.56 Nach dem Capital Asset Pricing Model bewerten alle Marktteilnehmer ein Finanzinstrument gleich, nämlich anhand seiner erwarteten Rendite und seines Risikos.57 Ohne subjektive Nutzeneinschätzung gibt es auf Kapitalmärkten daher auch keine Nachfragerrente.58 Deshalb hatte der US-amerikanische Richter Easterbrook völlig recht, als er in West v. Prudential Securities behauptete: „There are so many substitutes for any one firm’s stock that the effective demand curve is horizontal. It may shift up or down with new information but is not sloped like the demand curve for physical products.“59
54 Vgl. auch Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 662 (1992); Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 631 (1985); Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 83, 90: „[B]uying more units of the financial good, that is, more shares, does not make additional shares any less desirable […]“. 55 Scholes, 45 J. Bus. 179 (1972). Das Zitat geht weiter mit „[…] but abstract rights to an uncertain income stream for which close counterparts exist […]“. 56 Scholes, 45 J. Bus. 179 (1972). S. auch West v. Prudential Securities, Inc., 282 f.3d 935, 939 (7th Cir. 2002): „Yet investors do not want Jefferson Savings stock (as if they sought to paper their walls with beautiful certificates); they want monetary returns (at given risk levels), returns that are available from many financial instruments.“ Realiter sind Finanzinstrumente aber wohl keine perfekten Substitute. S. hierzu Shleifer, 41 J. Finance 579 (1986); Ilmanen, Expected Returns, 2011, S. 78. 57 Hierzu Ross/Westerfield/Jaffe et al., Corporate Finance, 11. Aufl. 2015, S. 331 ff. 58 Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 632 (1985): „[E]very share of stock is a marginal one, and there can be no capital-market equivalent of consumers’ surplus in other markets.“ S. für hier nicht relevante Ausnahmen ebd. Fn. 28. Vgl. ebd. auch S. 631: „[T]here are no ‘bargains’ in liquid securities markets. People continually search for ‘bargains,’ but the process of search ensures that bargains quickly vanish as prices adjust.“ 59 West v. Prudential Securities, Inc., 282 f.3d 935, 939 (7th Cir. 2002).
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Auf einem effizienten Kapitalmarkt stellt sich eine andere Nachfragekurve ein als auf dem Gütermark. Sie ist nahezu horizontal:60
Abb. 2: Preisbildung auf dem Kapitalmarkt61
Wäre der Preis eines Finanzinstruments P, unendliches Angebot. 62 Wenn die Nachfragekurve keine Steigung aufweist, spielt es keine Rolle, ob das Angebot steigt oder sinkt. Der Preis ist immer derselbe. Einfluss auf den Preis haben nur Informationen, die sich auf die erwartete Rendite oder das Risiko auswirken. 63 Diese Annahmen greifen wie gesagt nur, wenn man Markteffizienz unterstellt. Wäre diese realiter gegeben und würde sich tatsächlich der Preis P einpendeln, würde kein Marktteilnehmer handeln.64
60 Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 84; Shleifer, 41 J. Finance 579 (1986): „Thus the (excess) demand curve for a security is (nearly) horizontal.“ S. auch Ilmanen, Expected Returns, 2011, S. 78: „Arbitrage between assets that are perfect substitutes makes demand curves for specific, non-unique assets flat (horizontal). Thus the CAPM implies virtually flat demand curves for individual stocks because their diversifiable risk can be ignored (investors act as if they were risk neutral with regards to diversifiable risk).“; West v. Prudential Securities, Inc., 282 f.3d 935, 939 (7th Cir. 2002). 61 Grafik nach Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 84. 62 Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 83. 63 Shleifer, 41 J. Finance 579 (1986): „To the extent that stocks have close substitutes, that underlying value is not signifivanlty dependent on supply.“ Vgl. auch West v. Prudential Securities, Inc., 282 f.3d 935, 939 (7th Cir. 2002). 64 Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 83. S. zu diesem Paradoxon Grossman/Stiglitz, 70 AER 393 (1980).
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II. Täuschungs- und Manipulationsprofit Die klassische Entscheidungstheorie baut auf zwei Modellannahmen auf: Die Marktteilnehmer verfügen erstens über alle für eine Entscheidung notwendigen Informationen (vollkommene Information) und handeln zweitens vollkommen rational. 65 In diesem Modell haben Täuschungen und Manipulationen keinen Platz. Eine Täuschung würde dazu führen, dass die getäuschten Nachfrager nicht mehr über alle (wahren) Informationen verfügen. Die Manipulation führt dazu, dass manipulierte Nachfrager durch Ausnutzung ihrer Affekte und ihrer heuristischen Informationsverarbeitung nicht mehr vollkommen rational handeln. Täuschungen und Manipulationen sind aber Teil der wirtschaftlichen Realität. Bevor man sich der Frage widmen kann, wie sich diese Einflussnahmen auf die Wohlfahrtsanalyse auswirken, lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die Informations- und Verhaltensökonomik zu werfen. Diese Disziplinen beschäftigen sich (unter den Schlagwörtern „Informationsasymmetrien“ und „kognitive Verzerrungen“) allgemein mit der Frage, wie man wirtschaftliches Handeln unter dem Eindruck unvollkommener Information und unvollkommener Rationalität beschreiben kann (1.). Versteht man eine Täuschung als Hervorrufung oder Verschärfung einer Informationsasymmetrie und eine Manipulation als Ausnutzung unvollkommener Rationalität (2.), lassen sich hieraus wertvolle Erkenntnisse für die anschließende modifizierte Wohlfahrtsanalyse ableiten (III.). 1. Informationsasymmetrien, biases und Marktversagen Es ist keine Neuigkeit, dass reale Marktteilnehmer weder über alle Informationen verfügen noch perfekt rational handeln. Die Informationsökonomik setzt sich als Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften mit dem Problem auseinander, dass Marktteilnehmer nicht über vollkommene Information verfügen.66 Es bestehen Informationsasymmetrien, da die Akteure unterschiedlich viel wissen. Ein Anbieter kennt sein Gut besser als ein Nachfrager. Er verfügt über verdeckte Informationen („hidden information“). 67 Bestehen Informationsasymmetrien, liegt die Zahlungsbereitschaft des Nachfragers (fälschlicherweise) entweder unter den (Produktions-) Kosten oder darüber.68 Dadurch kommt es zu einer adversen Selektion („race to the bottom“), wodurch das Pareto-Optimum des Gleichgewichtsmodells verfehlt 65
Vgl. zur Rational Choice Theory oben S. 24 ff. Im Übrigen geht sie grundsätzlich aber von den Annahmen der Rational Choice Theory aus, Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 361. Zur Rational Choice Theory vgl. oben S. 24 ff. 67 Hierzu Arrow, in: Pratt/Zeckhauer (Hrsg.), Principals and Agents, 1985, S. 37 ff. 68 Darunter, wenn er nicht über Informationen verfügt, die seine Wertschätzung für das Gut erhöhen würde, also versteckte Informationen über die Qualität des Gutes, wie beispielsweise eine besonders hohe Haltbarkeit. Darüber, wenn er nicht über Informationen verfügt, die seine Wertschätzung verringern würde, wie beispielsweise besondere Gefahren, die der Gebrauch eines Gutes mit sich bringt. Das gilt sowohl auf dem Gütermarkt als auch auf dem Kapitalmarkt. Zu Informationsasymmetrien auf dem Kapitalmarkt Schön, in: ders. (Hrsg.), Rechnungslegung und 66
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wird: Die Wettbewerbskräfte verdrängen Anbieter von Gütern hoher Qualität aus dem Markt („market for lemons“). 69 Es kommt zu einem Marktversagen.70 Es existieren verschiedene Instrumente, um eine adverse Selektion zu vermeiden:71 das Signaling und das Screening.72 Verfügt ein Produzent über verdeckte Informationen, kann er dies potenziellen Käufern signalisieren. Er kann beispielshalber das Signal senden, dass er ein qualitativ hochwertiges Produkt verkauft, indem er (glaubhafte) Werbung schaltet, die Informationen über das Produkt enthält.73 Auch kann der Konsument tätig werden und versuchen, Informationen über das Gut selbst zu erlangen (Screening). Er könnte etwa vor einem Gebrauchtwagenkauf das Fahrzeug von einem Kfz-Mechaniker untersuchen lassen.74 Über Urteilsverzerrungen (biases) wurde zu Beginn der Untersuchung bereits gesprochen.75 Sie entstehen, weil Menschen nur über beschränkte kognitive Fähigkeiten verfügen und daher manche für eine rationale Entscheidung notwendige Überlegung nicht anstellen können. Stattdessen nutzen sie Heuristiken. Diese führen zwar häufig zu richtigen Entscheidungen, manchmal aber eben auch zu solchen, die man nicht mehr als rational bezeichnen kann. Auch Urteilsverzerrungen könWettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2009, S. 563, 578. Detailliert zu der damit zusammenhängenden Frage der Publizität Verrecchia, 32 J. Account. Econ. 97 (2001). 69 Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488 (1970). 70 Klassischerweise werden als Ursachen für ein Marktversagen Externalitäten, öffentliche Güter, Marktmacht, Informationsasymmetrien, und – seit dem Aufkommen der Verhaltensökonomik – Rationalitätsdefizite angeführt. Ein Marktversagen führt zu Wohlfahrtsverlusten. Deshalb legitimiert es den Staat, in das Marktgeschehen einzugreifen. Das gilt jedenfalls, solange die staatliche Intervention das Marktergebnis tatsächlich verbessert und nicht selbst zu einem „Staatsversagen“ führt. Zuerst verwendet wurde der Begriff market failure von Bator, 72 Q. J. Econ. 351 (1958). Der Gedanke des Marktversagens lässt sich aber auf die Schriften von John Stuart Mill und Henry Sidgwick zurückverfolgen. Hierzu Medema, 39 Hist. Political Econ. 331 (2007). S. allgemein zum Marktversagen und seinen Auslösern Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 11, 323 ff.; Samuelson/Nordhaus, Economics, 19. Aufl. 2010, S. 35. 71 Hier hat sich die Neue Institutionenökonomik entwickelt, in deren Mittelpunkt die Prinzipal-Agent-Theorie und die Transaktionskostenökonomik stehen. Hierzu Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 4. Aufl. 2010. 72 Die Begriffe stammen von Spence, 87 Q. J. Econ. 355 (1973). S. allgemein Krugman/Wells, Microeconomics, 4. Aufl. 2015, S. 596 ff.; für einen Literaturüberblick Riley, 39 JEL 432 (2001). Speziell mit Blick auf das Vertragsrecht Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 123 ff. 73 Hierzu Nelson, 82 J. Political Econ. 729 (1974); Riley, 39 JEL 432, 451 (2001); Mankiw/ Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 367. 74 Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 369. Ein anderes, häufiges Beispiel ist das Screening durch Versicherungsunternehmen: Versicherungen bieten verschiedene Versicherungspakete an. Für eine Police, die alle Arten von Schäden deckt, verlangen Versicherungsunternehmen eine hohe Prämie. Für eine andere Police mit geringeren Versicherungsleistungen fordern sie eine niedrigere Prämie, aber einen höheren Selbstbehalt. Fahrer mit einer höheren Unfallwahrscheinlichkeit würden tendenziell die erste Police wählen. Durch die Wahl der jeweiligen Police decken Versicherungsnehmer auf, ob sie eher „sichere“ oder „unsichere“ Fahrer sind. Das Angebot ist damit ein Screening-Instrument. Hierzu Schmolke, in: Towfigh/ Petersen (Hrsg.), Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, S. 131, § 5 Rn. 283 ff. 75 Vgl. oben S. 27 ff.
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nen zu einem Marktversagen führen (behavioral market failure).76 Die Verhaltensökonomik setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich Entscheidungssituationen gestalten lassen, um diese Verzerrungen (künftig) zu vermeiden.77 Vorgeschlagen werden die Offenlegung von Informationen, Lernmechanismen oder Nudges.78 2. Täuschung und Manipulation als opportunistisches Verhalten Täuschungen und Manipulationen fügen sich in die Konzepte der unvollkommenen Information und der unvollkommenen Rationalität ein. Statt Signal-Instrumente zur Beseitigung von Informationsasymmetrien zu verwenden, können Anbieter das Signaling pervertieren, indem sie mittels Täuschungen neue Informationsasymmetrien entstehen lassen oder bereits vorhandene verstärken. Ganz ähnlich verhält es sich bei Manipulationen: Anbieter können die Affekte oder die heuristische Informationsverarbeitung von Nachfragern ausnutzen. Das Problem der unvollkommenen Rationalität wird dadurch verschärft. Anbieter haben auch einen Anreiz, Nachfrager auf diese Weise zu beeinflussen. Die Neue Institutionenökonomik spricht in diesen Fällen allgemein von opportunistischem Verhalten oder, etwas euphemistisch, von einer „strategischen Informationsweitergabe“.79 Oliver E. Williamson definiert Opportunismus nicht umsonst als Verfolgung von Eigeninteressen unter Zuhilfenahme von List: „By opportunism I mean self-interest seeking with guile. This includes but is scarcely limited to more blatant forms, such as lying, stealing, and cheating. Opportunism more often involves subtle forms of deceit.“80
So kann der Anbieter die Nachfrager zu Transaktionen bewegen, die sie andernfalls nicht oder nicht in dieser Form eingegangen wären. Der Anbieter kann so einen Teil der Rente beanspruchen, die (nach dem klassischen Modell) eigentlich dem 76 Der Begriff wurde – soweit ersichtlich – von Oren Bar-Gill geprägt, s. nur Bar-Gill, 98 Nw. U. L. Rev. 1373, 1379 (2003); ders., 92 Minn. L. Rev. 749, 801 (2007); ders., Seduction by Contract, 2012, S. 3, 16 et passim. Früher und in der Sache dasselbe meinend Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 747 (1999): „The behavioralist literature reviewed here makes clear the potential for a new sort of market failure, market manipulation: Because individuals are subject to a host of nonrational yet systematic cognitive phenomena, any party who has control over a decisionmaking context can influence the perceptions of the decisionmaker. When a party to a transaction has the ability to assert this influence, the underlying transaction will not necessarily yield an increase in social welfare.“ S. auch Sunstein, 122 Yale L. J. 1826, 1842 ff. (2013). 77 Zunächst ist die Verhaltensökonomik ein deskriptives Unterfangen, das sich mit der Erforschung von kognitiven Verzerrungen auseinandersetzt. Manche ziehen normative Konsequenzen und versuchen biases zu neutralisieren (debiasing), oder sie gezielt für wünschenswerte Zwecke auszunutzen (Nudges, vgl. oben S. 80 ff.). Vgl. zur Verhaltensökonomik oben S. 27 ff. 78 S. zum debiasing Jolls/Sunstein, 35 J. Legal Stud. 199 (2006); Larrick, in: Koehler/Harvey (Hrsg.), Blackwell Handbook of Judgment and Decision Making, 2004, S. 316 ff.; Arkes, 110 Psych. Bull. 486 (1991). Zu Nudges oben S. 80 ff. 79 Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1985, S. 47; Crawford/Sobel, 50 Econometrica 1431 (1982). 80 Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1985, S. 47. S. auch ders., 14 MDE 97 (1993).
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Nachfrager zugewiesen wäre. Solange der Anbieter dadurch seinen Gewinn maximieren kann, ist es für ihn rational, Nachfrager zu beeinflussen.81 Das bedeutet, dass der Anbieter so lange zu Mitteln wie Täuschungen oder Manipulationen greifen wird, wie er dadurch mehr gewinnt als verliert.82 Kosten kann er beispielsweise durch Reputationseinbußen83 oder Sanktionen84 erfahren, die opportunistisches Verhalten weniger lukrativ machen. 85 Diese Mechanismen bleiben vorerst außer Betracht; es wird aber auf sie zurückzukommen sein. 86 Die Informationsökonomik unterteilt Güter in drei Kategorien, die für die Analyse von Täuschungen und Manipulationen von Interesse sind:87 Bei Suchgütern kann der Nachfrager die Qualität und den Preis vor Erwerb leicht feststellen, etwa bei Schuhen, die mit einem Preisetikett versehen sind und die er zuvor anprobiert. 88 Bei Erfahrungsgütern wird er die Qualität erst nach Erwerb überprüfen können (z. B. das Essen in einem Restaurant) und möglicherweise erhöht sich auch der Preis durch unvorhergesehene Folgekosten (z. B. durch die Reparaturanfälligkeit eines Autos).89 Bei Vertrauensgütern gelingt dies dem Erwerber kaum oder nur mit unverhältnismäßigem Kostenaufwand, etwa bei Medikamenten.90 Im Falle von Suchgütern, bei denen der Nachfrager leicht selbst feststellen kann und wird, ob das Gut seinen Wünschen entspricht, haben Anbieter wenig Anreiz, Nachfrager zu täuschen.91 Lediglich kurzfristige Manipulationen, die zu Impulskäufen führen, sodass aus dem Suchgut mangels vorheriger Inspektion faktisch ein Erfahrungsgut wird, versprechen hier Erfolg. Anders verhält es sich bei Erfahrungsgütern. Hier haben Anbieter jedenfalls dann einen Anreiz, wenn das Gut nicht wiederholt erworben wird, weil sich andernfalls ein Lerneffekt92 einstellen würde.93 Bei Vertrauensgütern verstärkt sich dieser Anreiz, weil Nachfrager die Einflussnahme kaum aufdecken können.94 81 S. für einen Literaturüberblick aus der Neuen Institutionenökonomik über strategische Täuschungen Wanasika/Adler, 23 J. Manag. 364, 367 (2011). 82 Hierfür gibt es auch empirische Hinweise: Clots-Figueras/Hernán-González/Kujal, 9 Front. Behav. Neurosci. 109 (2015). 83 Vgl. hierzu unten S. 144 ff. Auch können Marktteilnehmer von Ihrem Gegenüber einen Risikoabschlag (als Versicherung) für die Gefahr getäuscht oder manipuliert zu werden verlangen, Hill, 15 Acad. Manag. Rev. 500, 504 (1990). 84 Der Frage nach rechtlichen Sanktionen widmet sich der dritte Teil der Untersuchung, vgl. S. 158 ff. 85 Kritisch auch Hill, 15 Acad. Manag. Rev. 500 (1990), der sich dafür ausspricht, dass die „unsichtbare Hand“ dafür sorge, dass auf lange Sicht nur kooperativ handelnde Anbieter auf dem Markt bestehen bleiben. 86 Unten S. 142 ff. 87 Die Unterscheidung Such- und Erfahrungsgüter stammt von Nelson, 78 J. Political Econ. 311 (1970). Vertrauensgüter wurden eingeführt durch Darby/Karni, 16 J.L. & Econ. 67, 68 f. (1973). 88 Nelson, 78 J. Political Econ. 311, 312 (1970). 89 Nelson, 78 J. Political Econ. 311, 312 (1970). 90 Vgl. Darby/Karni, 16 J.L. & Econ. 67, 69 (1973). 91 Jordan/Rubin, 8 J. Legal Stud. 527, 529 (1979). 92 Vgl. unten S. 142 ff. 93 Jordan/Rubin, 8 J. Legal Stud. 527, 529 (1979); Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 721 (1985). 94 Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 721 (1985).
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III. Wohlfahrtsanalyse unter dem Eindruck einer Einflussnahme In der neoklassischen Analyse weiter oben wurde gezeigt, dass der Anbieter durch Erhöhung des Nutzens oder durch Senkung des Preises die Nachfrage nach einem Gut erhöhen kann.95 Neben diesen beiden orthodoxen Wegen kann er auch zwei andere gehen:96 Er kann versuchen, durch Täuschungen oder Manipulationen den vom Nachfrager wahrgenommenen Nutzen (Ū) höher darzustellen, als er tatsächlich (U) ist (1.), was auch durch eine Verringerung des wahrgenommenen Risikos, das ein Gut mit sich bringt, möglich ist (2.).97 Alternativ kann er versuchen den wahrgenommenen Preis (P¯ ) niedriger erscheinen zu lassen, als er tatsächlich (P) ist (3.).98 1. Wahrgenommener Nutzen höher als tatsächlicher Nutzen In dem Beispiel von weiter oben99 könnte sich das so darstellen: Aufgrund einer irreführenden Angabe des Anbieters überschätzt der Nachfrager den Nutzen, den er aus dem Erwerb des Gutes ziehen würde. Deshalb hat er eine Zahlungsbereitschaft von 60 EUR (Ū), was auch dem – durch die Täuschung künstlich erhöhten – Marktpreis (P *) entspricht. Nach Erwerb realisiert er, dass er getäuscht wurde. Tatsächlich ist sein Nutzen weitaus geringer. Für ein solches Gut hätte er nicht mehr als 50 EUR (U) ausgegeben. Er erhält eine (negative) Nachfragerrente (N) in Höhe von -10 EUR, der Differenz zwischen dem tatsächlichen Nutzen und dem beeinflussten Preis (U - P *). Die negative Nachfragerrente ist bislang nur ein individueller Wohlfahrtsverlust des Nachfragers. Ob sich die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt ändert, hängt von dem mit der Transaktion einhergehenden Wohlfahrtsgewinn des Anbieters ab.100 Angenommen die Produktionskosten des Anbieters (C) betragen 50 EUR, was auch dem Marktpreis ohne Einflussnahme entsprochen hätte. Aufgrund der Täuschung erhält der Anbieter aber einen Gewinn von G = P * - C = 10 EUR. Zwar erleidet der Nachfrager in diesem Beispiel einen individuellen Wohlfahrtsverlust. Gesamtgesellschaftlich ändert sich die Wohlfahrt aber nicht (N + G = 0). Es ist ein bloßes „Nullsummenspiel“, ein Wohlfahrtstransfer oder ein „Wohlfahrtsdiebstahl“101 des Anbieters zu Lasten des Nachfragers.102 Das muss aber nicht immer so sein. Schließlich ist die Nutzeneinschätzung subjektiv. Ein Nachfrager könnte einen Nutzen von Ū = 80 EUR wahrnehmen, ob95
Oben S. 119 f. Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 10. 97 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 725 (1999); Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 9. 98 Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 9. 99 Oben S. 118 f. 100 Andere soziale Kosten werden später beleuchtet, s. unten S. 133 ff. 101 Die Parallele zum Diebstahl wird insbesondere im Kartellrecht gezogen, s. nur Tullock, 5 West. Econ. J. 224 (1967). 102 S. hierzu auch Bishop, 2 Oxford J. Legal Stud. 1, 4 (1982). 96
128
Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
wohl sein tatsächlicher Nutzen nur U = 10 EUR beträgt. Dann würde dieser Nachfrager eine negative Rente von -70 EUR erhalten, die durch den Gewinn des Anbieters nur teilweise aufgewogen wird. Auch ist denkbar, dass ein Anbieter nur aufgrund der Einflussnahme überhaupt den Markt betreten konnte. Wären seine Herstellungskosten 51 EUR, hätte er bei einem Marktpreis von 50 EUR nur mit Verlusten handeln können. Durch eine Einflussnahme, die den Preis auf 60 EUR erhöht, kann er trotzdem auf dem Markt bestehen. Unabhängig davon, welche Wohlfahrtsgewinne und -verluste durch eine beeinflusste Transaktionsentscheidung eintreten, entstehen weitere soziale Kosten. Hierzu sogleich.103 Das Beispiel von soeben betrifft eine Einflussnahme auf dem Primärmarkt, d. h. dem Markt, auf dem der Anbieter als Einflussnehmer mit dem Nachfrager als Adressaten eine Transaktion eingeht. Anders stellt sich eine Einflussnahme auf dem Sekundärmarkt dar. Auf dem Kapitalmarkt werden dort bereits emittierte Finanzinstrumente weiterveräußert. Hier fallen Anbieter und Einflussnehmer auseinander. Einfluss nehmen die Emittenten, etwa durch die Veröffentlichung unwahrer Ad-hoc-Mitteilungen. Gehandelt werden die Finanzinstrumente aber zwischen den Anlegern. Der Emittent zieht keinen unmittelbaren Vorteil aus der Transaktion zwischen den Anlegern. Dem Nachteil, um den ein Anleger das Finanzinstrument zu teuer gekauft oder zu billig verkauf hat, steht ein gleichhoher Vorteil eines anderen Anlegers gegenüber. Diese Fälle wird man dann freilich nicht als „Wohlfahrtsdiebstahl“ bezeichnen können. Gleichwohl handelt es sich um eine bloße Umverteilung unter Marktteilnehmern.104 2. Wahrgenommenes Risiko geringer als tatsächliches Risiko Ist das vom Nachfrager wahrgenommene Risiko, das der Erwerb oder die Benutzung eines Produkts mit sich bringt, aufgrund einer Einflussnahme geringer als es tatsächlich ist, wird der wahrgenommene Nutzen ebenfalls erhöht.105 Denn Risiken, die dem Nachfrager bewusst sind, verringern den Nutzengewinn bei Erwerb eines Gutes. Der Nachfrager wird nicht bereit sein, für ein risikobehaftetes Gut denselben Preis zu zahlen wie für ein vergleichbares Gut, das weniger riskant ist. Der Anbieter kann beispielsweise das Risiko eines Gutes durch eine geschickte Gestaltung etwaiger Warnhinweise verharmlosen. Hierfür kann er auf das Wissen über Heuristiken, insbesondere das Framing,106 zurückgreifen und die Hinweise
103 Unten
S. 133 ff. auch Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 632 (1992); Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 118 f. 105 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 724 (1999): „Other things being equal, it is in the manufacturer’s interest for consumers to have the lowest estimate of product risks possible: The lower the consumer’s risk estimate, the more consumers will be willing to pay for the product, leading to greater sales and increased profits for manufacturers.“ 106 Vgl. oben S. 36 f. 104 S.
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auf eine neutrale, belanglose Weise formulieren, die nicht angsteinflösend ist (Risikomanipulation).107 3. Wahrgenommener Preis geringer als tatsächlicher Preis Ein Beispiel für das Auseinanderfallen des wahrgenommenen und des tatsächlichen Preises sind Kreditkartengeschäfte. Hier existiert als wahrgenommener Preis zunächst nur die jährliche Kreditkartengebühr (P¯ ). Neben dieser können noch mindestens108 zwei weitere Posten auf den Karteninhaber zukommen: der geschuldete Zins, falls er den Gesamtbetrag der monatlichen Kreditkartenrechnung nicht unmittelbar begleicht,109 und die Abwicklungsgebühr (Agio). Diese trägt der Karteninhaber zwar nicht unmittelbar, da der Händler sie an den Zahlungsdienstleister abführt. Mittelbar schlägt der Händler die Kosten aber freilich auf den Preis seiner Produkte auf, wodurch die Kosten letztlich doch der Karteninhaber (bzw. die gesamte Marktgegenseite110) trägt.111 Der Kreditkarteninhaber als imperfekt rationaler Mensch mag die Gefahr, in finanzielle Engpässe zu gelangen (oder auch nur seine eigene Vergesslichkeit, die Kreditkartenrechnung monatlich zu begleichen), aufgrund Überoptimismus112 unterschätzen.113 Derartige mittelbare Kosten sind, um sie in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, häufig nicht salient114 genug. Das kann sich ein Einflussnehmer im Rahmen eines manipulativen Einflusses zunutze machen. Dadurch ist der tatsächliche Preis (P) bedeutend höher als der wahrgenommene Preis (P¯ ) der Kreditkartengebühr.
107 Jolls/Sunstein/Thaler, 50 Stan. L. Rev. 1471, 1535 (1998): „The actors subject to the mandate will often have an interest in providing the least scary, most pallid version of the information possible (for example, ‘benzene has been associated with a statistical increase in risk’), while regulators might want the most scary, salient message available (say, ‘exposure to benzene will increase your risk of getting CANCER and other FATAL diseases’).“; Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 636 (1999). 108 Denkbar wäre noch eine Zuschlaggebühr (d. h. eine Gebühr, die man einem Verkäufer bei Zahlung mit einer Kreditkarte entrichtet) oder Straf- bzw. Verspätungsgebühren. In der Europäischen Union bestehen freilich zahlreiche (Verbraucherschutz-)Regelungen, die versuchen, überraschende Gebühren einzudämmen. 109 Hierbei wird von einer sog. Chargekarte ausgegangen. Bei diesen wird der Gesamtbetrag am Ende einer Periode abgebucht. Ausführlich zur Gefahr von Kreditkarten aus verhaltensökonomischer Perspektive Bar-Gill, 98 Nw. U. L. Rev. 1373 (2003); Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 51 ff. 110 Dann mag es zwar so sein, dass die Karteninhaber im Vergleich zu den Nichtkarteninhabern besser stehen, da die Kosten sowieso aufgeschlagen werden. Nichtsdestoweniger führt es zumindest im Aggregat zu Wohlfahrtsverlusten. 111 Vgl. Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 69 f. 112 S. zu diesem bias Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 199 ff. 113 Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 14 f., 78 ff. 114 Vgl. oben S. 35.
130
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4. Preismechanismus Es ist bereits angeklungen, dass Täuschungen und Manipulationen einen Einfluss auf den Preis eines Gutes haben können. Hier ist sinnvollerweise wieder zwischen dem Güter- und dem Kapitalmarkt zu unterscheiden. a) Gütermarkt Auf dem Gütermarkt ist die Nachfrage eine Funktion aus Nutzen und Preis: D(U,P).115 Führt eine Täuschung oder Manipulation dazu, dass Nachfrager den wahrgenommenen Nutzen (Ū) überschätzen oder den wahrgenommenen Preis (P¯ ) unterschätzen, wirkt sich die Fehleinschätzung auf die Nachfrage aus. Es entsteht ¯ (Ū,P¯ ).117 Dadurch wird das Markteine künstlich erhöhte Nachfrage, z. B.116 D gleichgewicht gestört. Nicht mehr das freie Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt den Preis,118 sondern die künstlich erhöhte Nachfrage. Auf dem Gütermarkt aus dem obigen Beispiel119 könnte sich eine Täuschung oder Manipulation wie folgt darstellen:120 Angenommen die Einflussnahme er-
Abb. 3: Einflussnahme auf dem Gütermarkt121 115
Vgl. oben S. 118 f. Freilich kann auch nur der wahrgenommene Nutzen erhöht sein, D ¯ (Ū,P), oder nur der wahrgenommene Preis überschätzt werden, D ¯ (U,P¯ ). 117 Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 10. 118 S. zu den Auswirkungen von erhöhter Nachfrage auf den Preis allgemein Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 7. Aufl. 2018, S. 80 ff. 119 Oben S. 120 f. 120 Das Beispiel ist entlehnt aus Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 85. S. auch Ostrander, 19 Widener L. Rev. 281, 301 (2013). 121 Grafik nach Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 85. 116
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reicht nur die Nachfrager1,2. Sie überschätzen dadurch den Nutzen des Gutes, weshalb sie eine Zahlungsbereitschaft von je Ū = 80 EUR haben. Für einen Preis von 80 EUR würden also die Nachfrager1,2,8,9 das Gut erwerben, für 70 EUR zusätzlich der Nachfrager7 und für 60 EUR auch der Nachfrager6. Insgesamt werden sechs Güter veräußert (¯Q). Die Nachfrage wird künstlich, d. h. täuschungs- bzw. manipulationsbedingt, erhöht (um D ¯ - D), wodurch sich ein Marktpreis (P *) von 60 EUR einstellt. Dieser ist im Vergleich zum Preis ohne Einflussnahme (P) um 10 EUR höher. Hier kann man vier Beobachtungen treffen:122 Erstens wäre die Einflussnahme wirkungslos, wäre sie nur gegenüber den Nachfragern5,6,7,8,9 geglückt. Diese hätten das Gut auch ohne Einflussnahme erworben (U ≥ P). Der Preisbildungsmechanismus wäre dann unbeeinträchtigt. Deshalb ist es entscheidend zu differenzieren, ob und wen eine Einflussnahme tatsächlich beeinflusst. Gerade bei einer Einflussnahme in einer reinen face-to-face-Transaktion ist der Adressatenkreis überschaubar.123 Zweitens führt die künstlich erhöhte Nachfrage nicht nur dazu, dass Nachfrager1,2 ineffiziente Transaktionen eingehen (U1,2 < P), sondern auch dazu, dass der Nachfrager5 das Gut nicht erwirbt, obwohl es effizient wäre (U5 ≥ P). Die Güter wurden also ineffizient alloziert.124 Drittens werden auch diejenigen Nachfrager mittelbar über den Preisbildungsmechanismus geschädigt, die nicht beeinflusst wurden, das Gut aber trotzdem erworben haben. Die Rente der Nachfrager6,7,8,9 wäre ohne die Einflussnahme höher gewesen. Diese Beobachtung wird noch später relevant, wenn es um die rechtliche Kausalität geht.125 Viertens ist die Preiseinwirkung relativ gering. Die Nachfrager1,2 haben ihre Zahlungsbereitschaft um 60 EUR bzw. 70 EUR überschätzt und damit einen entsprechenden individuellen Wohlfahrtsverlust erlitten, während der Preis nur um 10 EUR gestiegen ist. b) Kapitalmarkt Anders wirkt sich eine Einflussnahme auf einem effizienten Kapitalmarkt aus.126 Neue (und im Falle der Täuschung: falsche) Informationen beeinflussen den Preis eines Finanzinstruments:127
122
S. auch Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 85 f. Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 90. 124 Vgl. auch Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 623 (1985); Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 631 (1992); Bishop, 2 Oxford J. Legal Stud. 1, 28 (1982). Vgl. zu der Beeinträchtigung der A llokationseffizienz sogleich unten S. 133. 125 Vgl. unten S. 230 ff. 126 Der rationale Anleger, der auf einem effizienten Markt unterstellt wird, ist für Manipulationen nicht empfänglich. Jedoch kann sich eine Täuschung auf den Preis auswirken. 127 Vgl. oben S. 121 f. 123
132
Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
Abb. 4: Einflussnahme auf dem Kapitalmarkt128
Anleger, die von der Wahrheit der (falschen) Information ausgehen und den Wert des Finanzinstruments dementsprechend einschätzen, werden unmittelbar das Finanzinstrument kaufen, bis zu dem Preis (P *). Andere Anleger, die die Täuschung durchschauen, würden weiterhin nur für den Preis P handeln. Beide Anlegergruppen werden so lange handeln, wie der Preis zwischen P und P* liegt.129 Welcher Marktpreis sich tatsächlich einstellen wird, ist hier nicht ersichtlich. In jedem Fall weicht der Kurs aber von dem Fundamentalwert, dem „inneren Wert“ eines Finanzinstruments, ab. Eine Täuschung hat daher enorme Auswirkungen auf den Kurs eines Finanzinstruments. Anders als face-to-face-Transaktionen auf dem Gütermarkt, die häufig auf einen lokalen Adressatenkreis beschränkt sind, beeinflusst eine Täuschung den Kurs eines Finanzinstruments auf globaler Ebene.130 Der Effekt verschwindet auch langsamer als auf dem Gütermarkt. Dort verlassen beeinflusste Nachfrager den Markt nach einer Transaktion (abnehmender Grenznutzen), weshalb sich eine Fehlbepreisung nicht so einfach perpetuiert. Auf dem Kapitalmarkt hingegen bleibt der Kurseinfluss auch nach dem Austreten der getäuschten Anleger bestehen.131 Die Täuschung (und damit auch die künstliche Preiserhöhung) bleibt so lange aufrechterhalten, bis sie durchschaut wird – der Wirecard-Skandal hat jüngst gezeigt, dass eine vollständige Aufdeckung im Finanzbereich Jahre dauern kann. 128
Grafik nach Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 86. Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 86. 130 Hierzu Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 91: „German and American investors are equally interested in the firm’s valuation because they can all trade shares in the corporation at equal cost. By contrast, a misrepresentation about an impending snowstorm will only influence the demand, and thus price, of snow-removal equipment in the affected area.“ 131 Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 90 f. 129
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IV. Soziale Kosten der Täuschung und Manipulation Aus Sicht der Wohlfahrtsökonomik haben individuelle Wohlfahrtsverluste einzelner Nachfrager nur dann eine Bedeutung, wenn sie nicht lediglich einen Wohlfahrtstransfer darstellen. Es kommt auf die gesamtgesellschaftlichen, d. h. sozialen Kosten an. Hier lassen sich fünf Arten sozialer Kosten differenzieren: Kosten durch Fehlallokationen (1.), entgangene Wohlfahrtsgewinne der Mitbewerber (2.), Kosten der Durchführung der Einflussnahme (3.), Vorsorgekosten der Nachfrager (4.) sowie mittelbare Schäden der Nachfrager (5.). Auch wenn klassische Wohlfahrtsanalysen Probleme mit der Verteilungsgerechtigkeit häufig ausblenden, sollte man berücksichtigen, dass gerade sozial schwächer gestellte Personen besonders empfänglich für Täuschungen und Manipulationen sind (6.). Nicht, weil sie aufgrund angeborener Eigenschaften weniger leistungsfähig sind, sondern weil Armut die kognitiven Fähigkeiten einschränkt.132 1. Fehlallokation Der freie Austausch von Gütern gewährleistet normalerweise positive Wohlstandseffekte in Form eines Kooperationsgewinns.133 Der „Kuchen“ der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt wird größer, wenn die Marktteilnehmer Transaktionen eingehen. Aufgrund von Täuschungen oder Manipulationen kann es aber zu Fehlallokation von Kapital kommen: Die Güter, die unter dem Eindruck einer Einflussnahme veräußert werden, landen in den Händen von Nachfragern, deren tatsäch licher Nutzen geringer als der entsprechende Marktpreis ist; andere Nachfrager, deren Nutzen höher ist, gehen möglicherweise leer aus.134 Der Unternehmung des Anbieters, der täuscht und manipuliert, fließt in sozial unerwünschtem Maße Kapital zu, welches dieser produktionsineffizient investieren könnte.135 Durch den Vertrauensverlust, der nach der Aufdeckung einer Einflussnahme auftritt, können Nachfrager auch den Anreiz zu handeln verlieren.136 Auf dem Sekundärmarkt führt eine Falschbepreisung zu ineffizienten Investitionentscheidungen, die auch Rückwirkung auf den Primärmärkt haben kann.137 Die Allokationseffizienz des Marktes sinkt.138
132
Mani/Mullainathan/Shafir et al., 341 Science 976, 980 (2013). Fornasier, Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht, 2013, S. 25 ff. 134 Mittelbar wirkt sich das auch auf die Arbeitsmärkte aus, Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 133. 135 Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 639 (1985). 136 Hierzu Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 14 ff. 137 Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 133. 138 Vgl. auch Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 623 (1985); Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 631 (1992); Bishop, 2 Oxford J. Legal Stud. 1, 28 (1982); Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 330; Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 686 f. (1985); Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 132 ff. 133 Hierzu
134
Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
2. Mitbewerber Eine Ausprägung von Fehlallokationen sind die Kosten für Mitbewerber, die auch zu Netto-Wohlfahrtsverlusten führen können. Soziale Kosten entstehen, wenn Güter von Mitbewerbern, deren Erwerb durch Nachfrager positive Wohlfahrtseffekte hätte, unveräußert bleiben. Das zeigt ein Beispiel:139 Angenommen auf dem Markt existiert das Gut X (von dem Einflussnehmer) und das Gut Y (von einem Mitbewerber). Die Nachfrager schätzen den tatsächlichen Nutzen beider Güter gleich ein, jedes ist ihnen 50 EUR wert. X kostet in der Herstellung 30 EUR, Y nur 20 EUR. Der Preis beider Produkte beträgt 40 EUR. Die Gesamtwohlfahrt wird maximiert, wenn die Nachfrager Y kaufen. Führt eine Einflussnahme dazu, dass die Nachfrager den Nutzen von X überschätzen, wird Y unveräußert bleiben. Dadurch erhält zwar der Einflussnehmer eine Rente in Höhe seines Gewinns (40 - 30 = 10 EUR je verkauftem Gut). Gleichzeitig entgeht dem Mitbewerber aber ein Wohlfahrtsgewinn in Höhe 40–20 = 20 EUR je verkauftem Gut. Die Fehlallokation schädigt nicht nur den Mitbewerber, sondern führt zu sozialen Kosten, da der Verlust des Mitbewerbers den Gewinn des Einflussnehmers übersteigt. Zudem stellen Signaling-Kosten, etwa Werbung oder Garantieversprechen, die Mitbewerber in Kauf nehmen, um sich von täuschenden oder manipulierenden Marktteilnehmern abzuheben, soziale Kosten dar.140 3. Kosten für die Durchführung der Einflussnahme Die Durchführung von Täuschungen und Manipulationen kann kostenintensiv sein.141 Für manipulative Einflussnahmen betreiben Anbieter Marketingforschung oder beauftragen Werbeagenturen. Bei Täuschungen müssen sie Vorkehrungen treffen, sodass die Wahrheit nicht ans Licht gelangt.142 Für einen Anbieter ist es lohnenswert, solange Kosten für die Einflussnahme aufzuwenden, bis eine Einheit des Aufwands teurer ist als der daraus resultierende Nutzen.143 Wenn es zum Schwur kommt, weil beeinflusste Nachfrager sich rechtlich wehren, müssen sie Rechtsverfolgungskosten aufwenden. Die Kosten in Folge einer Aufdeckung beschränken sich freilich nicht nur auf den Anbieter selbst. Das zeigt wiederum ein Blick auf den Wirecard-Skandal: insolvenzbedingte Arbeitsplatzverluste, behördliche Untersuchungsverfahren und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. All diese Kosten sind ein deadweight loss.
139 Vgl.
Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 684 (1985). Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 137. 141 S. auch Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 330. 142 Vgl. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 623 (1985). 143 Vgl. Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 631 (1992). 140
§ 5 Ökonomische Bewertung
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4. Vorsorgeaufwendungen aufgrund eines Vertrauensverlusts Auf der Marktgegenseite führen Täuschungen und Manipulationen zu einem Vertrauensverlust. Vertrauen verringert eigentlich Transaktionskosten.144 Wenn die Nachfrager erwarten, dass Anbieter sich nicht opportunistisch verhalten, können sie auf Vorsorgeaufwendungen verzichten. Wenn Anbieter aber zu Täuschungen und Manipulationen greifen, müssen sich Nachfrager dagegen wappnen. Hierdurch entstehen Kosten, etwa durch die Verifizierung von Informationen.145 Das Ausmaß der Vorsorgeaufwendungen hängt vom jeweiligen Gut ab. Bei einem Gebrauchtwagenkauf kann der Käufer den Zustand des Fahrzeugs durch eine Kfz-Werkstatt untersuchen lassen. Die Verifikation von Informationen auf dem Kapitalmarkt hingegen ist kostenintensiv oder gar unmöglich.146 Auch Vorsorgeaufwendungen sind soziale Kosten. Das wird deutlich, wenn man Fälle des „Wohlfahrtsdiebstahls“ betrachtet.147 Ähnlich wie bei einem normalen Diebstahl liegt der Wohlfahrtsverlust nicht darin, dass der Anbieter sich auf Kosten der Nachfrager bereichert. Wohlfahrtsschädlich sind die Aufwendungen zur Verhinderung des Diebstahls.148 5. Ressourcenschäden Die bisherigen Ausführungen zu sozialen Kosten haben sich auf reine Vermögensschäden beschränkt. Durch eine Einflussnahme können aber auch Schäden an anderen Ressourcen,149 d. h. an physischen Gütern oder an Leben, Körper und Gesundheit entstehen. Ressourcenschäden sind soziale Kosten, da sie nicht zu einer bloßen Umverteilung der Wohlfahrt führen. Anbieter können beispielsweise durch eine Ausnutzung des Framing-Effekts Nachfrager manipulieren. Ein Produkt, das mit „75 % fettfrei“ beworben wird, wird von Konsumenten positiver eingeschätzt als ein Produkt mit „25 % Fett“.150 Lebensmittel mit einem hohen Fettanteil bergen Gesundheitsrisiken. Durch die Manipulation wird die Risikoeinschätzung der Nachfrager verändert und sie werden möglicherweise zu einem (für sich und die Gesamtgesellschaft) wohlfahrtsschädlichen Aktivitätsniveau bewogen.151
144
Vgl. zum Vertrauen oben S. 98 ff.
145 Vgl. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 623 (1985); Shavell, Foundations of Econo-
mic Analysis of Law, 2004, S. 330. 146 Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 93. 147 Vgl. oben S. 127. 148 Vgl. Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 630 (1992). 149 S. zu dem Begriff „Ressourcenschäden“ im ökonomischen Kontext Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 15; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 363, 368; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 116 f. 150 Levin/Gaeth, 15 J. Consum. Res. 374 (1988); hierauf Bezug nehmend Sutherland, Advertising and the Mind of the Consumer, 3. Aufl. 2008, S. 29; Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1451 f. (1999). 151 Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1451 f. (1999).
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6. Verteilungsgerechtigkeit Täuschungen, vor allem aber Manipulationen, können auch zu Problemen mit der Verteilungsgerechtigkeit führen. Anandi Mani und andere renommierte US-amerikanische Sozialwissenschaftler haben in einem in der Science veröffentlichten Artikel den Einfluss von Armut auf die kognitiven Funktionen von Menschen getestet: „Being poor means coping not just with a shortfall of money, but also with a concurrent shortfall of cognitive resources. The poor, in this view, are less capable not because of inherent traits, but because the very context of poverty imposes load and impedes cognitive capacity.“152
Mittlerweile hat sich ein ganzer Forschungszweig über „Scarcity“ – die Knappheit von Geld, Nahrung, sozialen Kontakten – und den damit einhergehenden kognitiven Bürden gebildet.153 Diese Bürden führen auch dazu, dass von „Scarcity“ betroffene Person anfälliger für Urteilsverzerrungen sind. Produzenten, die ihren Gewinn durch Manipulationen maximieren, werden das vor allem auf Kosten dieser Personengruppe tun.154 Dadurch werden sozioökonomisch schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen gleich doppelt belastet: einerseits durch die Nachteile, die die Knappheit von Ressourcen sowieso mit sich bringen, andererseits durch weitere manipulationsbedingte Wohlfahrtsverluste, die besser gestellte Gruppen nicht in gleichem Maße erleiden – „the poor get poorer, the rich get richer.“155 Unabhängig davon, wie man „Verteilungsgerechtigkeit“ definiert und welchen Wert man ihr zuschreibt,156 entstehen Wohlfahrtsverluste, weil bei Geld ein abnehmender Grenznutzen besteht. Der Nutzen des Einzelnen wächst nicht linear mit seinem Vermögen.157 Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der gleiche Vermögensverlust bei einer armen Person wohlfahrtsökonomisch schwerer wiegt als bei einer reichen.
152
Mani/Mullainathan/Shafir et al., 341 Science 976, 980 (2013). allem ausgehend von der erwähnten Studie von Mani/Mullainathan/Shafir et al., 341 Science 976, 980 (2013) und dem darauf aufbauenden Buch Mullainathan/Sharif, Scarcity, 2013. S. auch Vohs, 341 Science 969 (2013); Schilbach/Schofield/Mullainathan, 106 Am. Econ. Rev. 435 (2016). 154 S. auch Bar-Gill, 92 Minn. L. Rev. 749, 789 (2007); ders., Seduction by Contract, 2012, S. 4, 25 f. 155 Die Urheberschaft der bekannten Floskel wird dem britischen Poeten Percy Bysshe Shelley zugeschrieben. S. Shelley, Essays, Letters from Abroad, Translations and Fragments, Volume I, 1840, „A Defence of Poetry“, S. 1, 42: „The rich have become richer, and the poor have become poorer“. 156 S. für einen Überblick für das Verhältnis von Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl. 2005, S. 273 ff. 157 Pigou, The Economics of Welfare, 4. Aufl. 1932 (1920), Part 1, Chapter VII, § 3, S. 84. Hierzu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl. 2005, S. 43 f., 119 ff. 153 Vor
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C. Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht Der letzte Abschnitt hat gezeigt, dass Anbieter einen Anreiz haben, die Transaktionsentscheidung von Nachfragern durch Täuschungen und Manipulationen zu beeinflussen. Dieser Gedankengang lässt sich weiterführen. Es wurde bereits angesprochen, dass Anbieter ihren Gewinn maximieren müssen, um nicht Opfer der natürlichen Selektion des Wettbewerbs zu werden. Täuschungen und Manipulationen generieren Gewinne. Demnach zwingen die Wettbewerbskräfte Anbieter dazu, Nachfrager zu täuschen und zu manipulieren (I.). In der Folge stellt sich ein Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht ein, da es für keinen Anbieter rational wäre, eine Einflussnahme zu unterlassen (II.). Freilich gilt diese Hypothese nur, solange der Markt nicht über selbstregulierende Kräfte verfügt, die jedenfalls die längerfristige Nutzung der Beeinflussungsstrategien unattraktiv machen (III.). I. Nochmals: Die „natürliche Selektion“ des Wettbewerbs Die Evolutionstheorie geht davon aus, dass Arten, die sich nicht an ihre Umgebung anpassen, aussterben (survival of the fittest).158 Im wirtschaftlichen Kontext ist das Merkmal, welches das Überleben eines Unternehmens sichert, seine Fähigkeit, Profit zu generieren.159 „[T]hose who realize positive profits are the survivors; those who suffer losses disappear“.160 Die „natürliche Selektion“ des Wettbewerbs, wie sie Friedman nennt,161 zwingt Anbieter dazu, profitabel zu handeln. Ein Anbieter muss jede Gelegenheit nutzen, Profit zu ziehen. Tut er es nicht, wird es ein anderer Anbieter tun. Diese Beobachtung gilt auch für die Nutzung von Täuschungen oder Manipulationen.162 Solange diese Formen der Einflussnahme einen Gewinn ver158 Darwin, On the Origin of Species, 1859. Der Ausdruck „survival of the fittest“ selbst wurde nicht durch Darwin, sondern durch Herbert Spencer (freilich in Bezug auf Darwins Werk) geprägt, s. Spencer, Die Principien der Biologie, 1876, III. Theil, Die Entwicklung des Lebens, XII. Cap., § 164 S. 483 ff. (deutsche Übersetzung, dort das „Überleben des Passendsten“). 159 Vgl. oben S. 115. Zur „ökonomischen Auslese“ bereits Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 8. Aufl. 1986, Der „Geist“ des Kapitalismus, S. 35: „Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er zwingt dem einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des Marktes verflochten ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher diesen Normen dauernd entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert, wie der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als Arbeitsloser auf die Straße gesetzt wird. Der heutige, zur Herrschaft im Wirtschaftsleben gelangte Kapitalismus also erzieht und schafft sich im Wege der ökonomischen Auslese die Wirtschaftssubjekte – Unternehmer und Arbeiter – deren er bedarf.“ 160 Alchian, 58 J. Political Econ. 211, 213 (1950). 161 Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S. 3, 22; vgl. auch oben S. 115. 162 S. insbesondere zur Manipulation Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 726, 747 (1999): „Indeed, flipping Friedman’s classic justification of the rational actor model, one might say that the evolutionary forces of the market will force the parties in the dominant position to behave ‘as if’ they know and understand how best to use the teachings of the behavioral literature to manipulate other actors for gain“; Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 16. Für eine ökono-
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sprechen, müssen Anbieter sie rationalerweise nutzen: „If a company can make money by deceiving or manipulating people, someone is going to create such a company, and it will prosper“.163 Nicht, weil Anbieter damit Böses bezwecken, sondern, weil „the hidden hand of market forces requires that they do so in order to remain competitive.“164 Der Wettbewerbsprozess führt so zu einer adversen Selektion.165 Anbieter, die nicht zu Täuschungen oder Manipulationen greifen, werden aus dem Wettbewerb gedrängt. Es kommt zu einem race to the bottom,166 bis sich letztlich ein ineffizientes Gleichgewicht einstellt, das Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht. II. Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht Das Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht beschreibt einen Zustand, in dem es für keinen Anbieter rationalerweise Sinn ergibt, von täuschenden oder manipulativen Praktiken Abstand zu nehmen. Die Idee eines solchen Gleichgewichts ist nicht neu, sondern wurde bereits andeutungsweise von den beiden US-amerikanischen Juristen Jon Hanson und Douglas Kysar beschrieben (1.). Davon unabhängig wurde es Jahre später von den beiden Ökonomen George A. Akerlof und Robert Shiller als „Phishing Equilibrium“ konkretisiert (2.).167 1. Hansons und Kysars „Market Manipulation“ Jon Hanson und Douglas Kysar haben in einer Serie von Artikeln um die Jahrtausendwende den Begriff „market manipulation“ geprägt.168 Damit meinen sie nicht die Marktmanipulation im kapitalmarktrechtlichen Kontext.169 Sie beschreiben damit das Vorgehen von Unternehmen, die systematisch kognitive Verzerrungen von Konsumenten zu ihrem Vorteil ausnutzen. Diesen Gedanken folgern sie aus zwei Überlegungen: Wenn Wissenschaftler die biases in Experimenten nachweisen können, können erst recht Unternehmen die Verzerrungen herausfinden und nutzen.170 mische Analyse S. Spiegler, 1 Theor. Econ. 207 (2006); Spiegler, Bounded Rationality and Industrial Organization, 2011. 163 Sunstein, „Why Free Markets Make Fools of Us“, The New York Review, 22.10.2015, online abrufbar unter: https://www.nybooks.com/articles/2015/10/22/why-free-markets-make-foolsus. Das Zitat geht weiter mit „(unless the law regulates it)“. 164 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 726 (1999). S. auch bereits Alchian, 58 J. Political Econ. 211, 213 f. (1950): „Among all competitors, those whose particular conditions happen to be the most appropriate of those offered to the economic system for testing and adoption will be ‘selected’ as survivors.“ 165 Vgl. oben S. 123 ff. 166 Vgl. oben S. 124. 167 Freilich lassen sich seine Ursprünge auf George A. Akerlofs „The Market for Lemons“ (Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488 [1970]) zurückführen; vgl. oben S. 124. 168 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630 (1999); dies., 112 Harv. L. Rev. 1420 (1999); dies., 6 RWU L. Rev. 259 (2000). 169 Welche in der EU nach Art. 15, 12 MAR verboten ist. 170 Vgl. Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 726 (1999): „[E]ven if the behavioral researchers
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Dieser Ansatz entgeht damit dem Einwand, der der Verhaltensökonomik häufig entgegengehalten wird, dass viele Verzerrungen nur unter Laborbedingungen auftreten und in realen Situationen verschwinden.171 Selbst wenn das so wäre, würden Unternehmen einfach versuchen, die Laborsituation künstlich herbeizuführen.172 Hanson und Kysar gehen sogar so weit zu sagen, dass „[p]erhaps the only difference between manufacturers and behavioral researchers is that manufacturers are operating under much stronger financial incentives and typically have more opportunities to ensure that their efforts succeed.“173
Zudem zwingen die bereits beschriebenen Kräfte des Wettbewerbs Unternehmer dazu, Konsumenten zu manipulieren.174 Für diese Feststellung spinnen Hanson und Kysar die „as-if“-Hypothese von Friedman175 weiter: „[O]ne might say that the evolutionary forces of the market will force the parties in the dominant position to behave as ‘if’ they know and understand how best to use the teachings of the behavioral literature to manipulate other actors for gain. […] Manufacturers, to survive, must behave ‘as if’ they are attempting to manipulate consumer risk perceptions. And in light of the immense power of the market forces driving these attempts, it seems highly doubtful that manufacturer strategies (be they deliberate or accidental) will fail.“176
Zwar beschränken sie sich in ihrer Untersuchung nur auf kognitive Verzerrungen. Doch sie sprechen einen wichtigen Punkt an, der für Täuschungen und Manipulationen in gleichem Maße gilt: Beide Einflussnahmeformen stellen Chancen zur Gewinnmaximierung dar. Anbieter müssen sie nutzen, um mit der Konkurrenz Schritt zu halten. Dadurch tendiert der Markt zu einem Gleichgewichtszustand, in dem nur Anbieter überleben, die täuschende und manipulierende Techniken nutzen.177 2. Akerlofs und Shillers „Phishing Equilibrium“ Der von Hanson und Kysar angedeutete Zustand, in dem nur noch Anbieter existieren, die Täuschungen und Manipulationen nutzen, wurde viele Jahre später von themselves have failed to discover a particular bias, the forces of the market will lead manufacturers to exploit it; that is, manufacturers will behave as if they know the behavioral literature and then some.“ 171 Vgl. oben S. 30. 172 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 744 (1999). 173 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 744 (1999). 174 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 726 (1999); Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 2; Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 1 f.; kritisch (in Bezug auf opportunistisches Verhalten im Allgemeinen) aber die (zumindest theoretische) Gefahr auch sehend Hill, 15 Acad. Manag. Rev. 500, 510 f. (1990). 175 Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, S. 3 ff. Vgl. hierzu bereits oben S. 26 f. 176 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 747 (1999). 177 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 726 (1999): „Cognitive biases present profit-maximizing opportunities that manufacturers must take advantage of in order to stay apace with competition. Whether by design or not, the market will evolve to a state in which only firms that capitalize on consumer cognitive anomalies survive.“
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den beiden Wirtschaftsnobelpreisträgern George A. Akerlof und Robert J. Shiller in aller Deutlichkeit beschrieben. In ihrem Buch „Phishing for Phools“ beschreiben sie das wirtschaftliche Verhalten von Phishers und Phools.178 Die Bezeichnungen sind Homophone aus Fisher und Fool. Der Begriff Phishing ist eigentlich Internet-Jargon und beschreibt den Versuch, durch gefälschte E-Mails an die persönlichen Daten anderer Personen (bspw. deren Kreditkartennummern) zu gelangen.179 Sie nutzen den Begriff als Metapher für ein betrugsähnliches Vorgehen, ganz ähnlich einem Angler, der einen Fisch mit verschiedenen Ködern fängt. Ein Phool ist, wer erfolgreich „gephischt“ wurde.180 Ein Phisher „fängt“ den Phool, indem er ihn beeinflusst und dazu bringt, eine Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung ist zum Vorteil des Phishers, aber zum Nachteil des Phools.181 Damit beschreiben die beiden Autoren in groben Konturen, was diese Untersuchung unter Täuschungen und Manipulationen zwischen einem Einflussnehmer und einem Adressaten versteht.182 Akerlof und Shiller schildern, wie Phisher unser gesamtes wirtschaftliches Leben beeinflussen. Sie führen hierfür zahlreiche Beispiele an, vom Auto- oder Hauskauf, über den Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten, hin zu Finanzmarkttransaktionen. Sie argumentieren, dass sich so ein „Phishing Equilibrium“ einstellt. In diesem sind Unternehmen gezwungen, jede Möglichkeit zu phishen wahrzunehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben: „[I]n the resulting market equilibrium, if there is an opportunity to phish, even firms guided by those with real moral integrity will usually have to do so in order to compete and survive.“183
Der von Adam Smith beschriebene effiziente Gleichgewichtszustand kann sich nicht einstellen, da die tatsächlichen Präferenzen der Marktteilnehmer nicht mit dem Verhalten, das sie auf dem Markt an den Tag legen, übereinstimmen. Akerlof
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Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015. „Phishing“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/Phishing. 180 Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. xi. 181 Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. xi. 182 Freilich versteht diese Untersuchung das Phänomen der Manipulation weiter, weil die hier vertretene Konzeption nicht nur für den Adressaten nachteilige Einflussnahmen erfasst. Davon unabhängig unterscheiden Akerlof und Shiller weiterhin zwischen „Informational Phools“ und „Psychological Phools“, Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. xi. Erstere handeln aufgrund von Informationen, die gezielt angefertigt wurden, um sie irrezuführen. Letztere handeln, weil sie emotionalen Affekten oder kognitiven Verzerrungen unterliegen. Auch diese Unterscheidung fügt sich in diese Untersuchung ein. Täuschungen adressieren „Informational Phools“, während Manipulationen aus den Adressaten „Psychological Phools“ machen. Akerlof und Shiller entwickeln die Konzeptionen beider Einflussnahmetypen leider nicht weiter. 183 „[I]n the resulting market equilibrium, if there is an opportunity to phish, even firms guided by those with real moral integrity will usually have to do so in order to compete and survive.“, Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. xii. S. auch ebd. S. 1 f.: „[I]f we have some weakness or other – some way in which we can be phished for phools for more than the usual profit – in the phishing equilibrium someone will take advantage of it.“ 179
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und Shiller umschreiben die so offenbarten Präferenzen184 (freilich populärwissenschaftlich) als „monkey-on-our-shoulders tastes“: „[I]t will be an equilibrium that is optimal, not in terms of what we really want; but an equilibrium that is optimal, instead, in terms of our monkey-on-our-shoulder tastes. […] Standard economics has ignored this difference because most economists have thought that, for the most part, people do know what they want. That means that there is nothing much to be gained from examining the differences between what we really want and what those monkeys on our shoulders are, instead, telling us. But that ignores the field of psychology, which is, largely, about the effects of those monkeys.“185
3. Fazit: Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht Das klassische Gleichgewichtsmodell baut auf der Prämisse auf, dass Nachfrager nach ihren wahren Präferenzen handeln. Nur dann kann sich durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage ein optimales Gleichgewicht einstellen. Es hat sich aber gezeigt, dass Anbieter durch Einflussnahme auf die Nachfrager den wahrgenommenen Nutzen oder den wahrgenommenen Preis modifizieren können. Nutzen Anbieter dies systematisch aus, wofür sie jeden Anreiz durch den auf sie wirkenden Wettbewerbsdruck haben, stellt sich ein nicht-effizientes Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht ein. Es wäre für keinen Anbieter sinnvoll, vom Paradigma der Täuschung und Manipulation Abstand zu nehmen. Würde ein Anbieter solche Strategien nicht nutzen, würde ein anderer Anbieter seine Rolle einnehmen. Wie im eingangs geschilderten Beispiel der Supermarktkasse186 stellt sich so immer wieder ein Gleichgewichtszustand ein.187 Die natürliche Selektion des Wettbewerbs ist dann eine adverse, in der nur Anbieter überleben, die Nachfrager beeinflussen.188 Diese Sichtweise mutet sehr pessimistisch an. Doch ein solches Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht ist zunächst nur eine Annahme, die in der Wirklichkeit nicht immer zutreffen wird. Es existieren zwei starke Verteidigungslinien, die dieser Entwicklung entgegenwirken können.189 Die erste ist der Wettbewerb selbst. Marktinhärente Lösungen und die „unsichtbare Hand“ können dazu führen, dass Anbieter, die täuschen und manipulieren, nicht lange auf dem Markt bestehen blei184
Vgl. zu den revealed preferences oben S. 118. Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 6. 186 Oben S. 113. 187 Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 1 f. 188 Letztlich ist es das „Lemon Problem“ und das der adversen Selektion in neuem Gewand. Natürlich macht das die Botschaft nicht unbedeutender. George A. Akerlof selbst versuchte über vier Jahre seinen Artikel „The Market for Lemons“ zu publizieren. Zahlreiche Zeitschriften lehnten eine Veröffentlichung ab. Er erinnerte sich insbesondere an eine Ablehnung: „I got a reply from the editor which said that the article was interesting but the American Economic Review did not publish such trivial stuff.“, s. Gans/Shepherd, 8 J. Econ. Perspect. 165, 171 (1994). 189 S. zu dieser Herangehensweise Sunstein, „Why Free Markets Make Fools of Us“, The New York Review, 22. 10. 2015, online abrufbar unter: https://www.nybooks.com/articles/2015/10/ 22/why-free-markets-make-fools-us. 185
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ben. Die zweite Verteidigungslinie ist das Recht. Eine rechtliche Regulierung kann den Nutzen von Täuschungen und Manipulationen durch Ansprüche der Betroffenen verteuern, sodass Anbieter davon absehen werden. Der ersten Verteidigungslinie widmet sich der folgende Abschnitt (III.), der zweiten der daran anschließende dritte Teil der Untersuchung.190 III. Marktlösungen Das bislang Gesagte hat marktinhärente Lösungen ausgeblendet. Es wäre jedoch ein Fehler, die Gefahren von Täuschungen und Manipulationen zu über- und die selbstheilenden Kräfte des Marktes zu unterschätzen. Die kompetitiven Kräfte können dafür sorgen, dass täuschende und manipulierende Anbieter aus dem Wettbewerb gedrängt werden, also eine Positivauslese stattfindet. Ein solches wünschenswertes Gleichgewicht stellt sich aber nur ein, wenn der Markt die dafür passenden Instrumente hat. In Frage kommen hier vor allem Lerneffekte und Erfahrung (1.), Reputationsmechanismen (2.) sowie Aufklärung und (Experten-)Rat (3.). 1. Lerneffekte a) Lernen und (Lebens-)Erfahrung Jeder Mensch hat einen angeboren Regulationsprozess, der verhindert, wiederholt denselben Fehler zu machen – aus Fehlern lernt man. Dieses Vermögen kann ein Gegengewicht zu langanhaltenden, wirksamen Täuschungen und Manipulationen sein.191 Der Nachfrager, der die Kosten seiner Fehler tragen muss, ist schließlich nicht weniger an der Maximierung seines Eigennutzes interessiert als der Anbieter, der täuscht oder manipuliert. Die Bedeutung von Erfahrung zeigt besonders eindrucksvoll eine Studie von Sumit Agarwal et. al.192 Die Autoren untersuchen, wie sich kognitive Fähigkeiten und Erfahrung auf finanzielle Entscheidungen auswirken. Hierbei betrachten sie verschiedene Situationen auf dem Kreditmarkt und das Alter der Probanden. Sie stellen fest, dass schlechte finanzielle Entscheidungen (etwa die übermäßige Nutzung des Kreditrahmens einer Kreditkarte193) weitaus häufiger von jungen Erwachsenen in ihren 20er-Jahren getroffen werden.194 Die Qualität der Entscheidung wird danach immer besser und erreicht ihren Höhepunkt mit 53 Jahren.195 Ab 60 Jahren nimmt die Entscheidungsqualität aber wieder
190 Vgl. unten S. 149 ff. Passend hierzu auch Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 747 (1999): „As a result, the problem of market manipulation seems inescapable in an unregulated consumer product market.“ 191 Vgl. Epstein, 92 Minn. L. Rev. 803, 811 (2007). 192 Agarwal/Driscoll/Gabaix et al., 2009 Brook. Pap. Econ. Act. 51 (2009). 193 Vgl. zu Kreditkarten bereits oben S. 129. 194 Vgl. Agarwal/Driscoll/Gabaix et al., 2009 Brook. Pap. Econ. Act. 51, 69 (2009). 195 Agarwal/Driscoll/Gabaix et al., 2009 Brook. Pap. Econ. Act. 51, 53, 72 (2009).
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rapide ab.196 Diese Studie zeigt, dass der Mensch zwar seine kognitive Höchstleistung mit Anfang 20 erreicht, der danach stattfinde stetige Abbau fluider Intelligenz197 durch die wachsende Erfahrung aber mehr als kompensiert wird.198 Erfahrung spielt also eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, sinnvolle wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen.199 Das betrifft auch solche Entscheidungen, die unter dem gezielten Einfluss eines Anbieters getroffen werden. Bei Manipulationen liegt das auf der Hand: Wenn eine Fehleinschätzung des tatsächlichen Preises bei Darlehensverträgen oder Kreditkarten 200 mit wachsender Erfahrung seltener vorkommt, heißt das auch, dass Nachfrager weniger anfällig für derartige Manipulationen sind. Dann wird sich langfristig kein Gleichgewicht einstellen, in dem alle Anbieter derartige Einflussmittel nutzen. Es ist sogar vorstellbar, dass die kompetitiven Kräfte gerade diejenigen Nachfrager aus dem Markt drängen, die sich täuschen und manipulieren lassen.201 Bei Täuschungen hilft Erfahrung insoweit, als sie es den Betroffenen ermöglicht, die Falschheit von Äußerungen zu durchschauen. b) Grenzen des Lernens Effektives Lernen findet jedoch nur unter bestimmten Bedingungen statt. Zwischen dem durch eine Täuschung oder Manipulation beeinflussten Verhalten und den negativen Folgen muss es ein unmittelbares Feedback geben.202 Nur dann lässt sich aus Fehlern lernen. Mit Bezug auf kognitive Verzerrungen argumentieren Amos Tversky und Daniel Kahneman, dass der Feedbackmechanismus in der Realität häufig nur eingeschränkt greife, weil „[…] (i) outcomes are commonly delayed and not easily attributable to a particular action; (ii) variability in the environment degrades the reliability of the feedback, especially where outcomes of low probability are involved; (iii) there is often no information about what the outcome would have been if another decision had been taken; and (iv) most important decisions are unique and therefore provide little opportunity for learning […]“203
Kognitive Verzerrungen verschwinden also nicht einfach so aus dem Markt. Das gilt gleichermaßen für die Wirkung von Täuschungen und Manipulationen auf die wirtschaftliche Entscheidungsfindung der Nachfrager. Schließt ein Marktteilneh196 Vgl.
Agarwal/Driscoll/Gabaix et al., 2009 Brook. Pap. Econ. Act. 51, 69 (2009). Laut der Studie baut der Mensch ab dem 20. Lebensjahr mit jedem weiteren Jahr ein Prozent an fluider Intelligenz ab, Agarwal/Driscoll/Gabaix et al., 2009 Brook. Pap. Econ. Act. 51, 52 (2009). 198 Agarwal/Driscoll/Gabaix et al., 2009 Brook. Pap. Econ. Act. 51 (2009) et passim. 199 Epstein, 92 Minn. L. Rev. 803, 812 (2007). 200 Vgl. zu Kreditkarten bereits oben S. 129. 201 Hierzu Russell/Thaler, 75 AER 1071 (1985), die jedoch zu dem Schluss kommen, dass das nur in seltenen Fällen passieren wird. Vgl. auch Tversky/Kahneman, 59 J. Bus. S251, S724 (1986); Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 692 (1999). 202 Vgl. Tversky/Kahneman, 59 J. Bus. S251, S274 (1986). 203 Tversky/Kahneman, 59 J. Bus. S251, S274 (1986). S. zu Lerneffekten auch Einhorn/Hogarth, 85 Psychol. Rev. 395 (1978); Burrows, 45 Oxf. Econ. Pap. 542, 547 ff. (1993); Rachlinski, 97 Nw. U. L. Rev. 1165, 1220 ff. (2003). 197
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mer etwa einen Darlehensvertrag für die Finanzierung seines Eigenheims ab, sind Lerneffekte kaum möglich, weil der Abschluss eines solchen Vertrags für die meisten Menschen eine einmalige Sache ist.204 Bei Transaktionen, die häufiger stattfinden, können sich Lerneffekte hingegen schneller einstellen. Doch auch dann fehlt es häufig am Feedback. Wer (häufig unbewusst) durch Werbungen beeinflusst wird, kann seine konkreten Transaktionsentscheidungen selten auf eine bestimmte Werbung rückkoppeln. Selbst wenn es gelingt, fehlt einem dann das Wissen, ob man ohne den Einfluss der Werbung nicht trotzdem dieselbe Entscheidung getroffen hätte. Viele Güter haben auch latente Risiken, die sich selten oder nur nach sehr langer Zeit realisieren, insbesondere Erfahrungs- und Vertrauensgüter.205 Man denke nur an einen explodierenden Handyakku – das kommt selten vor, aber wenn es passiert, hat es erhebliche negative Auswirkungen.206 2. Reputation Reputation ist ein Indikator für Vertrauen. Sie steht für die Erwartung, dass ein Anbieter gegenüber den Nachfragern nicht opportunistisch handeln wird.207 Neben einem Vermögenswert 208 ist die Reputation vor allem auch ein Disziplinierungsmittel.209 Wenn ein Anbieter Nachfrager täuscht oder manipuliert, wird sein Ruf einen Schaden erleiden. Dadurch kann er Marktanteile verlieren, weil sich Nachfrager von ihm ab- und anderen Anbietern zuwenden. Damit Reputation eine solche Wirkung entfalten kann, müssen Nachfrager ihre Erfahrungen mit dem Anbieter anderen Nachfragern mit geringem Aufwand mitteilen können.210 Neben mündlichen Kontakten können Nachfrager über das Internet heute ein viel größeres Forum erreichen als früher. Nachfrager können auch rechtliche Schritte gegen 204 Rachlinski, 97 Nw. U. L. Rev. 1165, 1220 f. (2003); Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 165: „Handelt es sich um einmalige oder zumindest seltene, lebensverändernde oder -determinierende Entscheidungen mit irreversiblen Folgen, bleibt häufig kein Anwendungsfeld für eine nutzbringende Anwendung des aus der Fehlentscheidung Gelernten.“ 205 Vgl. oben S. 126. 206 Eine Manipulation oder Täuschung in diesem Kontext wäre vorstellbar, wenn der Anbieter das vom Nachfrager wahrgenommene Risiko vor Produktkauf möglichst gering darstellt. Dann steigt auch der wahrgenommene Nutzen aus Sicht des Nachfragers, vgl. oben S. 128 f. Passend auch Bar-Gill, 92 Minn. L. Rev. 749, 755 f. (2007): „For example, if a consumer makes toast only once a month and there is a 1/100 chance that the toaster will explode when used, it can take the consumer several years before she learns about the risk of toaster explosion.“ S. auch Hanson/ Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1551 (1999). 207 Vgl. zu Vertrauen und Erwartungen oben S. 98 ff. 208 Hierzu Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689, 691, 693 f. Einer Studie der PR-Beratungsgesellschaft Weber Shandwick zufolge („The Company behind the Brand: In Reputation we trust“, 2012, online abrufbar unter https://www.webershandwick.com/uploads/news/files/InRepWe Trust_ExecutiveSummary.pdf, S. 18) schätzen Führungskräfte, dass Reputation 60 % des Unternehmenswertes ausmache. 209 Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689, 690. Allgemein zum Thema Unternehmensreputation Klein/Leffler, 89 J. Political Econ. 615 (1981); Kreps/Wilson, 27 J. Econ. Theory 253 (1982); Barnett/Pollock, The Oxford Handbook of Corporate Reputation, 2012. 210 Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689, 690; Hill, 15 Acad. Manag. Rev. 500, 505 (1990).
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einen Anbieter einleiten.211 Selbst wenn diese nicht erfolgversprechend sind, kann allein die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens reputationsschädigend wirken.212 Aus diesen Gründen haben Anbieter aus purem Eigeninteresse den Anreiz, Nachfrager nicht zu täuschen oder zu manipulieren. Reputation ist jedoch nur dann ein taugliches Disziplinierungsmittel, wenn die Nachteile, die der Rufverlust verursacht, höher sind als die Vorteile, die opportunistische Verhaltensweisen wie Täuschungen und Manipulationen mit sich bringen.213 Wenn man bedenkt, dass ein Unternehmen wie die Volkswagen AG, dessen Ruf vor 2015 zur Marktspitze zählte,214 trotzdem zu Täuschungen über Abgaswerte greift, erscheint es für viele Anbieter (zumindest ex ante) sinnvoll, zu solchen Formen der Einflussnahme zu greifen. Das Management unterschätzt wohl die Entdeckungswahrscheinlichkeit des opportunistischen Verhaltens. Hier spielt sicherlich auch ein Prinzipal-Agenten-Konflikt hinein, der dazu führt, dass das Management kurzfristige Gewinne auf Kosten der langfristigen Unternehmensreputation realisieren möchte. Das kann so weit gehen, dass Anbieter ihre (hart erarbeitete) Reputation nutzen, um unter ihrem Deckmantel zu täuschen und zu manipulieren.215 Ein Negativbeispiel dafür, wie ein Reputationsmechanismus fehlschlagen kann, ist die Ratingindustrie.216 Reputation war traditionell das Argument für eine wirksame Selbstregulierung der Ratingagenturen.217 Jedoch zeigte spätestens218 die Subprimekrise im Jahre 2007, dass Reputation allein kein Garant für die Integrität der Ratingindustrie ist.219 Ratingagenturen bewerteten hochriskante, in strukturierte Finanzinstrumente gebündelte Hypothekenkredite mit investment grade (oder sogar mit „AAA“220) und hielten ihr Rating auch dann noch aufrecht, als viele Immobilienbesitzer mit den Zahlungen in Verzug kamen.221 Dies löste eine Kettenreaktion aus, die infolge der internationalen Verflechtungen in der Ban211
Hierzu im Detail der dritte Teil der Untersuchung, S. 149 ff. Hill, 15 Acad. Manag. Rev. 500, 505 (1990). 213 Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689, 691 f. 214 S. Reputation Institute, Reputation of the Volkswagen Group from 2011 to 2017, zitiert nach de.statista.com, https://www.statista.com/statistics/516426/volkswagen-reputation. 215 Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 23, die damit Ratingagenturen meinen. 216 Hierzu Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 23 ff. 217 Schwarcz, U. Ill. L. Rev. 1, 26 (2002): „Rating agencies are already motivated to provide accurate and efficient ratings because their profitability is directly tied to reputation.“ Hierzu im Detail Schmolke/D. Meier, in: Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl. 2022, § 29 Rn. 28 ff. 218 Erstmals in Verruf gerieten Ratingagenturen infolge des Bilanzfälschungsskandals des US-amerikanischen Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmens Enron im Jahre 2001. Nur vier Tage bevor Enron Insolvenz anmelden musste, wurde das Unternehmen von den Big Three der Ratingagenturen noch ausnahmslos mit investment grade bewertet worden. Ermittlungen deckten im Nachhinein auf, dass die Ratingagenturen das Unternehmen nicht mit hinreichender Sorgfalt geprüft hatten. Hierzu Schmolke/D. Meier, in: Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl. 2022, § 29 Rn. 11. 219 Schmolke/D. Meier, in: Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl. 2022, § 29 Rn. 13, 29. 220 Investment grade bedeutet, dass das bewertete Finanzinstrument anlagewürdig ist, Schmolke/D. Meier, in: Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl. 2022, § 29 Rn. 5. 221 S. hierzu Schmolke/D. Meier, in: Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl. 2022, § 29 Rn. 13. 212
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Teil II: Ethische und ökonomische Bewertung
kenindustrie auch den Rest der Welt erreichte und in der globalen Finanzkrise mündete.222 3. Aufklärung und Rat Nachfrager sind sich häufig darüber im Klaren, dass Anbieter sie beeinflussen und sie deshalb schlechte Entscheidungen treffen. Daher bedienen sie sich des Wissens anderer.223 Beispielsweise können Anleger in Fonds investieren, weil sie den Fondmanagern mehr Expertise bei der Vermögensanlage als sich selbst zutrauen (und damit auch ihrer Fähigkeit, weniger anfällig für Täuschungen und Manipulationen zu sein).224 Guter Rat muss aber nicht immer teuer sein. Es existieren Verbraucherschutzvereine, die sich der Aufklärung von Verbrauchern verschrieben haben und teilweise selbst gegen täuschende und manipulative Anbieter vorgehen.225 Im Internet existieren zahlreiche Vergleichsplattformen, die Produkte standardisiert bewerten, die Preise verschiedener Anbieter vergleichen und so Informationsasymmetrien abbauen.226 Nicht unbedeutend ist auch der bereits erwähnte Erfahrungsaustausch zwischen den Nachfragern selbst. Dieser findet heute im Internet statt und nicht selten auf den Verkaufsplattformen selbst, etwa bei dem Versandhändler Amazon.227 Auch können Anbieter, die nicht mittels Täuschungen und Manipulationen konkurrieren wollen, Nachfrager über das Verhalten anderer Anbieter aufklären.228 Freilich nutzen Rat und Aufklärung nur, wenn sie von den Nachfragern auch eingeholt oder wahrgenommen werden. Ob und inwieweit Nachfrager Rat bei anderen Personen vor einer Transaktion suchen, hängt von der jeweiligen Transaktion ab. Vor bedeutenden Entscheidungen werden Nachfrager eher Zeit und Kosten aufwenden, um einen Experten zu Rate zu ziehen. Das mag etwa bei einem Haus- oder Fahrzeugkauf der Fall sein. Bei kleineren Entscheidungen wird das jedoch seltener vorkommen.229 Im Aggregat führt eine Vielzahl kleiner, ineffizienter Entscheidungen trotzdem zu enormen Wohlfahrtsverlusten.230 222
Schmolke/D. Meier, in: Fuchs/Zimmermann, WpHG, 3. Aufl. 2022, § 29 Rn. 13. Epstein, 92 Minn. L. Rev. 803, 813 (2007). 224 Epstein, 92 Minn. L. Rev. 803, 813 (2007). Die Fondsmanager mögen zwar in der Theorie mehr Expertise haben, aber dennoch performen aktiv-gemanagte Fonds im Schnitt schlechter als das Marktportfolio oder passiv-gemanagte Fonds, s. nur Malkiel, 50 J. Finance 549 (1995); French, 63 J. Finance 1537 (2008); Fama/French, 65 J. Finance 1915 (2010). 225 Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 28 f.; s. auch Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 136 ff. 226 Vgl. zum Screening oben S. 124. 227 Auf den Plattformen existieren freilich auch viele „gekaufte“ Bewertungen, die häufig nicht von Menschen, sondern von „Bots“ abgegeben werden. Der Informationswert ist dann natürlich gleich null. Ähnliche Probleme entstehen, wenn Anbieter den Experten Produkte unentgeltlich zur Verfügung stehen und sich daraus Interessenkonflikte ergeben. 228 Epstein, 73 U. Chi. L. Rev. 111, 119 f. (2006). Kritisch hierzu Bar-Gill, 92 Minn. L. Rev. 749, 758 ff. (2007). 229 Bar-Gill, 92 Minn. L. Rev. 749, 758 (2007). 230 Bar-Gill, 98 Nw. U. L. Rev. 1373, 1399 (2003); ders., 92 Minn. L. Rev. 749, 758 (2007). 223
§ 5 Ökonomische Bewertung
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D. Zusammenfassung von § 5 1. Die Kräfte freier Märkte führen im Modell zu einem effizienten Gleichgewichtszustand. Dieselben Kräfte, die eigentlich die Wohlfahrt der Gemeinschaft steigern, bringen aber auch Täuschungen und Manipulationen hervor. Die „unsichtbare Hand“ der Marktkräfte zwingt Anbieter solche Beeinflussungsstragien zu ergreifen, weil sie andernfalls den wettbewerblichen Selektionsprozess nicht überstehen. Das führt zu einem „race to the bottom“, das in einem Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht münden kann, in dem es für keinen Anbieter rationalerweise Sinn ergibt, von täuschenden oder manipulativen Strategien Abstand zu nehmen. 2. Täuschungen und Manipulationen führen zu sozialen Kosten, weil Nachfrager den Nutzen eines Gutes überschätzen oder seinen Preis bzw. seine Risiken unterschätzen. Das ist die ökonomische Umschreibung für eine bereits zwei Mal beschriebene Beobachtung. Sie fügt sich einerseits in den praktischen Syllogismus der artisotelisch-thomanischen Handlungstheorie ein. Der Anbieter schiebt dem Nachfrager durch Erhöhung des wahrgenommenen Nutzens entweder einen neuen Obersatz unter (Erwerb des Gutes), oder modifiziert durch eine Senkung des wahrgenommenen Preises bzw. der wahrgenommenen Risiken den Untersatz. Dadurch erhöht er die Wahrscheinlichkeit, dass der Nachfrager das Gut erwerben möchte. Andererseits gliedert sie sich in die Konzeption der Willensfreiheit ein. Der Nachfrager bildet auf Grundlage des wahrgenommenen Nutzens einen handlungstreibenden Wunsch erster Ordnung, der aber nicht dem Wunsch zweiter Ordnung übereinstimmt, der sich durch den tatsächlichen Nutzen definiert. 3. Es existieren marktinhärente Lösungen zur Bewältigung von Täuschungen und Manipulationen. Marktteilnehmer können dazulernen und mit zunehmender Erfahrung weniger anfällig für bestimmte Einflussnahmen werden. Zudem ist Reputation ein Disziplinierungsmittel. Der Einflussnehmer wird rationalerweise nur dann täuschen und beeinflussen, wenn die erwarteten Reputationsschäden geringer als der daraus gezogene Nutzen sind. Das ist, zumindest aus der Ex-ante-Perspektive des Anbieters, aber häufig nicht der Fall, da er die Entdeckungswahrscheinlichkeit seines täuschenden oder manipulativen Handelns unterschätzt. Auch kann der Rat von Experten oder anderen Nachfragern nur punktuell die Wirkung von Einflussnahmen neutralisieren. In vielen Fällen führen die Marktlösungen dazu, dass Täuschungen und Manipulationen nicht vollständig oder nur verzögert aus dem Markt verschwinden. Zur Vermeidung eines Marktversagens ist in diesen Fällen eine rechtliche Intervention angezeigt.
Teil III
Rechtliche Regulierung der Einflussnahme Die ethische und ökonomische Analyse haben deutlich gemacht, dass für zahlreiche Formen der Täuschung und der Manipulation eine rechtliche Intervention angezeigt ist. Im Folgenden wird das „Recht der Einflussnahme“, welches sämtliche Rechtsbereiche erfasst, die sich mit der Regulierung beeinflussender Aktivitäten Privater beschäftigen (§ 6), einer näheren Analyse unterzogen. Die Untersuchung wird zwei Blickwinkel einnehmen. Einerseits geht es um eine Ex-post-Regulierung, d. h. den Rückblick auf den Sachverhalt einer Täuschung oder Manipulation sowie dessen rechtliche Handhabung (§ 7). Diese Regulierung obliegt den Gerichten. Gerichte haben zwar Einzelfälle zu entscheiden, doch auch diesen kommt eine Steuerungswirkung für künftige Fälle zu. In den methodischen Grenzen des Rechts, einer „regulatorischen Dogmatik“,1 können und werden Gerichte regulierend tätig. Andererseits geht es um ein Vorausdenken künftiger Sachverhalte. Der Gesetzgeber kann durch verschiedene Regulierungsinstrumente Täuschungen und Manipulationen ex ante eindämmen (§ 8). Im Anschluss folgt eine Fallstudie über digitale Formen der Manipulation (§ 9). Ihre Regulierung ist im heutigen digitalen Zeitalter besonders dringlich, weshalb sich an ihrem Beispiel die herausgearbeiteten Erkenntnisse messen lassen müssen.
1
Der Begriff stammt von Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 403 ff.
§ 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele Die rechtliche Reaktion auf Täuschungen und Manipulationen lässt sich übergreifend als ein „Recht der Einflussnahme“ verstehen, das die Regulierung beeinflussender Aktivitäten Privater bezweckt (A.). Hierfür lassen sich konkret zwei Regulierungsziele ausmachen: die Gewährleistung der Privatautonomie sowie die Wohlfahrtsmaximierung (B.). Das Kapitel schließt mit einem Überblick über das Regulierungsinstrumentarium (C.). Auf der dort herausgearbeiteten Taxonomie bauen die weiteren Kapitel auf.
A. Das Recht der Einflussnahme als Regulierungsrecht Für Täuschungen und Manipulationen stellen sich in unterschiedlichen Rechtsbereichen verwandte Probleme. Deshalb ist es sinnvoll, die betreffenden Rechtsregeln übergreifend als „Recht der Einflussnahme“ zu betrachten (I.). Hierbei ist vor allem die Steuerungswirkung der jeweiligen Rechtsbereiche herauszustellen (II.). Man kann guten Gewissens behaupten, dass das Recht der Einflussnahme, auch wenn es das Verhältnis Privater regelt, Regulierungsrecht ist (III.). I. Rechtsgebietsübergreifender Blick Die deutsche Privatrechtswissenschaft wirft ihren Blick selten auf den Gesamtkontext einer Transaktion. Zumeist konzentriert sie sich auf die einzelnen Bereiche des Bürgerlichen Rechts, Verbraucherrechts und Wirtschaftsrechts. Diese künstliche Trennung eines einheitlichen Sachverhalts verstellt den Blick auf übergreifende Probleme. Die Einflussnahme durch Täuschungen und Manipulationen evoziert einige solcher Problemkreise. Eine Einflussnahme kann in jedem Bereich, sei es im Vorfeld einer Transaktion durch Werbung, Produktkennzeichnungen, Prospekte, Ad-hoc-Mitteilungen, Rechnungslegungsunterlagen, bei einem Vertragsschluss oder darüber hinaus auftreten. Deshalb stellt der dritte Teil der Untersuchung das Recht der Einflussnahme als rechtsgebietsübergreifende Regelungsmaterie heraus.1
1 Vgl. auch Klass, 100 Geo. L.J. 449 (2012); ders., 89 U. Colo. L. Rev. 707, 711 ff. (2018) der ein übergreifendes „law of deception“ aus US-amerikanischer Perspektive beschreibt.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
II. Methodische Hindernisse? Ein übergreifendes Recht der Täuschung und Manipulation wirft zunächst methodische Fragen auf. Das Verbraucher- und Wirtschaftsrecht ist stark unionsrechtlich geprägt, während das Vertragsrecht zur Domäne des nationalen Privatrechts gehört. Während das Proprium des deutschen Privatrechts traditionell in der Privatautonomie gesehen wurde, haben der Unionsgesetzgeber – und natürlich auch die wirtschaftsrechtliche Wissenschaft – ihren Blick schon früh erweitert. Die Union nutzt das Lauterkeits-, Kapitalgesellschafts-, Kapitalmarkt- und Verbraucherrecht als Steuerungsinstrument, um den Wirtschaftsverkehr im Binnenmarkt zu regulieren.2 Die wirtschaftsrechtliche Wissenschaft ist bereits seit einigen Jahren „[a]uf dem Weg zu einer Theorie [der] Regelsetzung“, die sich vertieft mit Regulierungsstrategien auseinandersetzt.3 Diese Diskrepanz ist jedoch ein Scheinproblem, da auch das BGB, allein durch die verbraucherschützende Unionsgesetzgebung, schon lange ein „Regulierungsprivatrecht“ ist.4 Man kann mit gutem Gewissen behaupten, dass der Formalismus des 19. und 20. Jahrhunderts als überwunden gilt: Die steuernde Wirkung des Privatrechts ist heute nicht weniger bedeutend als die traditionelle Privatautonomie und die ius commutativa.5 III. Begriff und Ziele der Regulierung 1. Regulierungsbegriff Während „regulation“ in der US-amerikanischen Rechtswissenschaft schon seit über einem Jahrhundert ein Topos ist, wurde der Begriff „Regulierung“ in Deutschland vorrangig in den Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften verwendet. 6 Seit einiger Zeit ist er aber auch in der Rechtswissenschaft angelangt.7 Der etymologische Ursprung von „Regulierung“ liegt im lateinischen regula, was „Regel“ 2
S. nur Art. 26, 101 ff., 114 ff., 169 AEUV. Fleischer, ZGR 2007, 500, 503; s. auch Eidenmüller, JZ 2007, 487, 490 f. 4 Das Konzept eines „Regulierungsprivatrechts“ ist vor allem auf die Arbeiten von Hans-Wolfgang Micklitz zurückzuführen, s. für einen Überblick Micklitz, GPR 2009, 254. Dass Regulierung und Privatrecht mittlerweile zum „Mainstream“ gehören, zeigt eine Reihe von Veröffentlichungen der letzten Dekade, beispielsweise Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, 2010; Möslein, Dispositives Recht, 2011; Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, 2012; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012; Fornasier, Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht, 2013; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016; Grundmann, in: FS Canaris, 2017, S. 907; Möslein, Regelsetzung im Privatrecht, 2019. 5 S. statt aller Wagner, AcP 206 (2006), 352. 6 Für einen detaillierten Überblick über den Regulierungsbegriff in verschiedenen Bereichen Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 15 ff. 7 Über das „Regulierungsrecht“ im öffentlichen Recht, das sich mit Telekommunikation und Energiewirtschaft auseinandersetzt (s. zum Regulierungsbegriff aus dieser Perspektive Danwitz, DÖV 2004, 977), über die „Neue Verwaltungswissenschaft“ (s. nur Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, S. 19 ff.) hin zum Wirtschafts- und Privatrecht (vgl. oben Fn. 4). 3
§ 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele
153
bedeutet.8 So soll der Begriff „Regulierung“ auch hier verstanden werden: Regulierung beschreibt eine staatliche Regelsetzung, die das Ausmaß privater Aktivitäten ordnet, um legitime Ziele zu verfolgen.9 2. Regulierungsziele Das Regulierungsziel ist das, was der Gesetzgeber10 mit einer rechtlichen Regelung verfolgt.11 Hiermit nicht gemeint ist die Rechtsfolge einer Regelung, sondern die Verwirklichung dahinterstehender (rechts-)politischer Ziele.12 Ernst Steindorff hat diese Zielsetzung passenderweise mit der „Politik des Gesetzes“ umschrieben;13 teilweise lässt sich auch vom „geschützten Rechtsgut“ sprechen.14 Dem Gesetzgeber kommt bei der Bestimmung, welche Regulierungsziele er verfolgen möchte, ein weites Ermessen zu.15 Im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts findet sich eine Grenze zulässiger Regulierungsziele dort, wo die Regelung in grundrechtlich geschützte Rechte eingreift. Dann bedarf es einer Rechtfertigung, d. h. das Regulierungsziel muss „vernünftige Gründe des Gemeinwohls“16 8 Vgl. Merriam-Webster.com Dictionary, „Regulate“, online abrufbar unter: https://www. merriam-webster.com/dictionary/regulate. 9 Ähnlich wie hier auch Kähler, in: Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht, 2019, S. 185, 188: „Wirklichkeitsveränderung mittels einer Begrenzung individueller Freiheit“. Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 50 bezeichnet Regulierung als „Einsatz von Recht als staatliches Instrument mit einer über den Einzelfall hinausreichenden Steuerungsintention, die auf die Implementierung politischer Allgemeinwohlziele gerichtet ist.“ Ähnlich auch Mitnick, The Political Economy of Regulation: Creating, Designing, and Removing Regulatory Forms, 1980, S. 7: „Regulation is the public administrative policing of a private activity with respect to a rule prescribed in the public interest“. In der hier vertretenen Definition wurden die „Allgemeinwohlziele“ mit „legitimen Zielen“ ersetzt, um neben Gemeinwohlanliegen auch den Grundrechtsschutz anderer, die Privatautonomie sowie die ius commutativa zu erfassen. 10 Auch wenn der Gesetzgeber das Regulierungsziel und rechtliche Regeln vorgibt, obliegt es vor allem auch den Gerichten, das Recht an dem Regulierungsziel ausgerichtet anzuwenden. Vgl. unten S. 163 ff. 11 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 438 ff.; ders., in: Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht, 2019, S. 121, 123. 12 Beispiel: Rechtsfolge der Haftung wegen unerlaubter Handlung aus § 823 Abs. 1 BGB ist die Verpflichtung, Schadensersatz zu leisten. Ziel der Haftung ist der Schadensausgleich und die Verhaltenssteuerung. S. Hellgardt, in: Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht, 2019, S. 121, 123. 13 Steindorff, in: FS Larenz, 1973, S. 217, 235. 14 Der Rechtsgüterschutz ist das klassische Kriterium der Strafbarkeitsbegrenzung. Der Sache nach entspricht die Frage nach dem legitimen geschützten Rechtsgut – aus verfassungsrechtlicher Perspektiver – der Frage nach dem legitimen Zweck im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung. S. hierzu Appel, KritV 82 (1999), 278, insbesondere S. 301 ff. Anders Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 442, der den Rechtsgüterschutz nicht als taugliches Regulierungsziel sieht, da es ein prinzipienbasiertes Konzept sei. 15 Detailliert zur „Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers“, insbesondere zum Begriff und der Verwendung durch das Bundesverfassungsgericht, Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, 2014, S. 128 ff. S. mit Blick auf das Privatrecht Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 302 ff.; ders., in: Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht, 2019, S. 121, 133. 16 BVerfGE 7, 377, 405; 70, 1, 28; 80, 137, 159; 111, 10, 32; 121, 317, 346; 138, 261, 284.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
verfolgen oder dem Schutz kollidierender Grundrechtspositionen Dritter dienen.17 Diese Fälle sind hier relevant, da das Recht der Einflussnahme den Einflussnehmer in seiner Freiheit beschränkt.18
B. Regulierungsziele im Recht der Einflussnahme Für die Bestimmung der Regulierungsziele des Rechts der Einflussnahme lassen sich die Argumentationslinien gegen Täuschungen und Manipulationen aus der ethischen und ökonomischen Analyse im zweiten Teil der Untersuchung fruchtbar machen. Dort ging es um den Konflikt mit der Autonomie und Würde des Adressaten,19 um die Erosion kommunikativen Vertrauens20 und um potenzielle Wohlfahrtsverluste 21. Diese Ansätze lassen sich grob in zwei Regulierungsziele übersetzen: Gewährleistung der Privatautonomie (I.) und Wohlfahrtsmaximierung (II.). Das Vertrauen als Regulierungsziel geht in beiden Konzepten auf.22 Beide Ziele sind im Ergebnis eng miteinander verwoben und ihre Grenzen verschwimmen. I. Gewährleistung der Privatautonomie 1. Von der Willkür des Einzelnen … Nach traditioneller Sicht hat das Privatrecht die „Freiheit zum Prinzip“.23 Privatautonomie ist nach der bekannten Definition von Werner Flume das „Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen.“24 Das heißt, dass Handlungen des Einzelnen zunächst nur seiner eigenen Willkür unterworfen sind.25 „Selbstherrlichkeit“ ist das Motto; stat pro ratione voluntas.26 Das Recht ist, wie Kant es ausdrückte, dann der „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“27 Hierfür stellt das Recht das Institut des Vertrags bereit, wodurch freie und gleiche Individuen in 17
Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104. grundsätzlich fällt jede wirtschaftliche Betätigung in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie der Berufsfreiheit, s. BVerfGE 81, 242, 254; 89, 214, 231. Das BVerfG spricht hier auch von einer „grundsätzlichen Freiheitsvermutung“, BVerfGE 13, 97, 105. S. hierzu auch Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101 ff. 19 Vgl. oben S. 93 ff. 20 Vgl. oben S. 98 ff. 21 Vgl. oben S. 133 ff. 22 Vgl. unten S. 158 f. 23 Zu diesem Ausruf: Kant, AA VI, 340.35: „Freiheit zum Princip“. 24 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, § 1 1, S. 1. 25 Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 54. 26 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, § 1 4, S. 5 f. 27 Kant, AA VI, 230.24–26. 18 Und
§ 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele
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der Lage sind, ihre widerstreitende Willkür zu ordnen.28 In dieser Dimension hat die Privatautonomie eine abwehrrechtliche Funktion. Es besteht eine „Freiheitsvermutung“;29 der Staat darf nur aus legitimen Gründen in die Privatautonomie eingreifen.30 Daneben hat das Privatrecht auch eine Schutzdimension. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Willkürsphären verschiedener Individuen auszutarieren.31 Der Staat darf keine Ansprüche anerkennen und durchsetzen, wenn diese nicht auf eine privatautonome Entscheidung des Betroffenen zurückzuführen sind.32 Andernfalls bedeutet dies für den Betroffenen Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung.33 Deshalb gewährt das Bürgerliche Recht beispielsweise im Falle der Täuschung der getäuschten Partei ein Anfechtungsrecht. Freilich kann ein Konflikt zwischen Willkürsphären auch außerhalb vertraglicher Beziehungen bestehen;34 dann bedarf es einer rechtlichen Lösung in Form eines Interessenausgleichs, d. h. Schadensersatzregelungen oder Abwehransprüche.35 2. … über den Vertrauens- und Verkehrsschutz … Das Privatrecht ist voller Kompromisse, die versuchen, die Autonomie mit dem Vertrauens- und Verkehrsschutz auszutarieren.36 Die individuelle Willkürentfaltung wird häufig begrenzt, ohne dass im konkreten Einzelfall materielle Gerechtigkeitsgehalte verwirklicht werden.37 Das zeigt der Siegeszug der Erklärungstheorie gegenüber der Willenstheorie nur allzu deutlich: Nicht der individuelle Wille, sondern das Vertrauen des Verkehrs auf das geäußerte Wort steht im Vordergrund. Vertrauen sorgt für Verkehrsschutz, der wiederum die „kollektive Willkürentfaltung durch Senkung der Transaktionskosten“38 schützt. 28 Vgl.
Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 55. BVerfGE 13, 97, 105. 30 Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101 ff. 31 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, 440: „Wenn die Rechtsordnung die privatautonome Gestaltungsfreiheit anerkennt, so muß sie daher folgerichtig für einen Ausgleich der damit verbundenen Risiken durch die Statuierung besonderer Rechtspflichten sorgen.“ Vgl. auch Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 58. 32 S. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1998, S. 48; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 442. So hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die „Privatautonomie auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruht, also voraussetzt, daß auch die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich gegeben sind. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung.“, BVerfGE 81, 242, 255 f. 33 BVerfGE 81, 242, 255 f. 34 Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 58. 35 S. zur Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, Vor § 823 Rn. 43 f. 36 Man denke im Bürgerlichen Recht nur an Abgabe, Zugang und Anfechtung von Willenserklärungen, das AGB-Recht sowie an die culpa in contrahendo, Wagner, AcP 206 (2006), 352, 424. 37 Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 60. 38 Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 60. 29
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
3. … zur Steuerungsfunktion der Willkür Vom Verkehrsschutz ist es nur ein Katzensprung zur „Steuerungsfunktion der Willkür“.39 Die autonome Entscheidung ist nicht nur das Herzstück des Privatrechts, sondern auch unserer liberalen Wirtschaftsordnung: „Nur der freie Vertrag, und nicht Tradition oder Zwang, ist der einem solchen Wirtschaftssystem für den Warenaustausch adäquate Mechanismus“.40 Die ökonomische Analyse im zweiten Teil der Untersuchung hat gezeigt, dass Transaktionen stattfinden, weil sie den Nutzen der beteiligten Transaktionspartner erhöhen.41 Dadurch steigern sie nicht nur ihren eigenen Nutzen, sondern im Aggregat auch den Wohlstand der gesamten Gemeinschaft. Die privatautonomen Entscheidungen aller führen so zum Funktionieren des Marktmechanismus.42 Der Privatautonomie kommt so auch eine überindividuelle, ordnungspolitische Dimension zu.43 Besonders deutlich hat dies Ernst Steindorff bereits in den 1970er-Jahren ausgedrückt: „Privatrecht instrumentiert die Freiheit, indem es die Mittel zur Verfügung stellt, die eine Ausnutzung der Freiheit im Wirtschaftsverkehr ermöglichen […] Auch seine Rechtsverbindlichkeit ist als zweckmäßig zu begreifen, denn sie ermöglicht es den Teilnehmern eines komplexen Verkehrs, auf das regelgerechte Verhalten anderer Teilnehmer, also darauf zu vertrauen, daß jeder seine Rolle manuskriptgerecht spielt.“44
Auch wenn man einer solchen Rigorosität, die der Privatautonomie jeglichen intrinsischen Wert raubt, nicht folgen möchte, kann man ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft nicht ausblenden. Deshalb bleibt festzuhalten: Privatautonomie hat neben einer individuellen Komponente auch eine überindividuelle, die für Steuerungszwecke besonders bedeutsam ist. II. Wohlfahrtsmaximierung 1. Allgemeines Das Regulierungsziel der Wohlfahrtsmaximierung knüpft an die freien und präferenzkonformen Entscheidungen Einzelner an.45 Es baut auf den Annahmen der
39 „Die Steuerungsfunktion der Willkür [ist] prägendes Element der Privatautonomie“, Grigoleit, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 54. S. bereits Steindorff, in: FS Raiser, 1974, S. 621 ff. Gegen eine Steuerungsfunktion der Privatautonomie Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 71 f. 40 Kessler, in: FS Wolff, 1952, S. 67, 69. 41 Vgl. oben S. 117 ff. Konzis auch Friedman, Capitalism and Freedom, 40. Aufl. 2002 (1962), S. 13: „Hence, no exchange will take place unless both parties do benefit from it“. 42 S. zum Marktmechanismus bei Täuschungen und Manipulationen oben S. 127 ff. 43 S. auch Fornasier, Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht, 2013, S. 16 ff. 44 Steindorff, in: FS Raiser, 1974, S. 621, 627. 45 Dieses Regulierungsziel entspricht der in der Volkswirtschaftslehre (und auch im US-amerikanischen Wirtschaftsrecht) dominanten „Public Interest Theory“, s. nur Posner, 5 Bell J. Econ. 335 (1974).
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neoklassischen Theorie auf: Unter Idealbedingungen führt der Markt, wie von unsichtbarer Hand gesteuert, zur Maximierung der Wohlfahrt aller.46 Eine Regulierung, die die Wohlstandsmaximierung zum Ziel hat, muss also die Funktionsbedingungen für den Marktmechanismus gewährleisten.47 Hierzu gehört, neben der bereits angesprochenen überindividuellen Dimension der Privatautonomie, die Gewährleistung der Institutionen „Markt“ und „Wettbewerb“ sowie das Vertrauen der einzelnen Marktteilnehmer ineinander und in das System. Wenn der Markt seiner Aufgabe nicht nachkommen kann, spricht man von einem Marktversagen – ein solches ist das im zweiten Teil der Untersuchung beschriebene Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht.48 Dann ist der Staat dazu angehalten, die Marktdefizite mittels effektiver regulatorischer Instrumente zu korrigieren.49 2. Institutionenschutz Der Schutz des Marktes und des Wettbewerbs liegt zahlreichen Wirtschaftsrechtsgebieten als Meta-Ziel zugrunde. Beispielsweise möchte die europäische Finanzmarktregulierung einen „integrierte[n], effiziente[n] und transparente[n] Finanzmarkt“ gewährleisten, der „Wirtschaftswachstum und Wohlstand“ schafft.50 Es geht also nicht um Partikularinteressen, sondern um den Schutz der Institution selbst, von der der Einzelne reflexartig profitiert.51 Ganz ähnlich stellt auch das Lauterkeitsrecht, neben dem Schutz der Mitbewerber und der Marktgegenseite, auf die Gewährleistung der Unverfälschtheit des Wettbewerbs als Schutzzweck ab.52
46
Vgl. oben S. 113 ff. entspricht dem Postulat der ordoliberalen Schule: Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 139: „Der verfassungsmäßige, partiturmäßige, systementsprechende Auftrag an Gesetzgeber und Regierung lautet hier, den Ordnungsrahmen zu schaffen, zu pflegen und zu handhaben, der das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus gewährleistet.“; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. 1990, S. 254 ff. Hierzu auch Fornasier, Freier Markt und zwingendes Vertragsrecht, 2013, S. 62 f.; Grundmann, in: FS Canaris, 2017, S. 907, 913 ff. 48 Vgl. oben S. 137 ff. 49 Entstehen durch die Regulierung höhere Kosten als durch das Marktversagen, sollte der Staat nicht einschreiten. Andernfalls entsteht ein „Staatsversagen“ (regulatory failure), vgl. Ogus, Regulation, 2004 (1994), S. 55 f. 50 Erwägungsgrund 2 MAR. 51 Der Einzelne wird aber nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern im Dienste der Gewährleistung eines effizienten Marktes, s. Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 172; Assmann, ZBB 1989, 49, 61. 52 S. nur § 1 Abs. 1 UWG: „Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Das Reichsgericht hat bereits im Jahre 1930 festgestellt: „Die Unterlassungsklage soll nicht nur den Wettbewerber schützen, sondern, wie das ganze Wettbewerbsgesetz, auch im öffentlichen Interesse den Auswüchsen des Wettbewerbs überhaupt, d. h. auf irgendeinem Gebiet, entgegentreten.“, RGZ 128, 330, 343. 47 Das
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3. Vertrauen im Besonderen Märkte sind von robustem Vertrauen abhängig. Vertrauen ist ein „funktionales Äquivalent zu rationaler Vorhersage“,53 also dann erforderlich, wenn Ungewissheit über die Zukunft existiert.54 Dabei geht der Vertrauende immer eine riskante Vorleistung ein.55 Täuschungen und Manipulationen erschüttern dieses Vertrauen und erhöhen so Transaktionskosten.56 Dass das Vertrauen sowohl für einzelne Marktteilnehmer als auch überindividuell eine bedeutende Rolle hat, zeigt die in der Vertrauensforschung gängige Unterscheidung zwischen personalisiertem Vertrauen und Systemvertrauen.57 Personales Vertrauen ist in bilateralen Verhältnissen entscheidend, da eine Partei auf das Wort der anderen Partei vertraut.58 Systemvertrauen meint im hiesigen Kontext das Vertrauen in das Funktionieren des Marktmechanismus.59 Ein solches Vertrauen ist ein Konglomerat aus „Vertrauen in Regeln, in eine institutionelle Praxis [und] in Exponenten des Systems.“60 Die Bedeutung des Vertrauens wird auf dem Kapitalmarkt besonders deutlich.61 Die dort emittierten und gehandelten Finanzinstrumente stellen Versprechen zukünftiger Zahlungsströme dar. 62 Ihr Wert hängt davon ab, ob der Emittent künftigen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann und will. 63 Diese Bewertung ist vorausschauend und deshalb mit Risiken behaftet. Daher spielt das Vertrauen, ins53
Gilbert, ZfM 2007, 60, 71. Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 10: „Wo kein Risiko besteht, ist auch kein Vertrauen erforderlich […]“. 55 Die Formulierung „Vertrauen als riskante Vorleistung“ stammt von Luhmann, Vertrauen, 5. Aufl. 2014 (1968), S. 27 ff. S. zum Vertrauen als „berechtigte Erwartungen“ bereits oben S. 98 ff. 56 Vgl. oben S. 135. 57 Luhmann, Vertrauen, 5. Aufl. 2014 (1968), S. 26, 47 ff., 59 ff., 88 f.; Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 7 ff.; Grundmann, in: FS Windbichler, 2020, S. 67, 73. 58 Das Vertragsrecht dreht sich um die Einhaltung und Durchsetzung von Versprechen. Nicht umsonst ist statt von Verträgen auch von „Schuldversprechen“, „Leistungsversprechen“ oder „Zahlungsversprechen“ die Rede. Ein Versprechen ist eine Einladung einer Partei, der anderen Partei zu vertrauen. Es handelt sich vor allem um Vertrauen in zukünftige Handlungen, konkret: das Vertrauen darauf, dass die versprochenen Leistungen erfüllt werden. Das Vertragsrecht ermöglicht zwar die zwangsweise, gerichtliche Durchsetzung eines Versprechens. In den meisten Fällen kommt es hierzu aber nicht. Das personale Vertrauen – das freilich durch die Rechtsdurchsetzung stabilisiert wird (Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 13 ff. sprechen hier von „Vertrauen durch Recht“, d. h. dass die staatliche Rechtsdurchsetzung vertrauensstärkend wirkt) – genügt vielmehr als Antrieb, um Transaktionen mit anderen Personen durchzuführen. Das Vertrauen schützt so den Einzelnen vor der Willkür des anderen. Hierzu Fried, Contract as Promise, 2. Aufl. 2015, S. 8 ff. 59 Grundmann, in: FS Windbichler, 2020, S. 67, 76. 60 Grundmann, in: FS Windbichler, 2020, S. 67, 76. 61 Hierzu Sapienza, in: Evanoff/Hartmann/Kaufman (Hrsg.), The First Credit Market Turmoil of the 21st Century, 2009, S. 29, 30; Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 23 ff. 62 Sapienza, in: Evanoff/Hartmann/Kaufman (Hrsg.), The First Credit Market Turmoil of the 21st Century, 2009, S. 29, 30: „Financing is nothing but the exchange of a sum of money today for a promise to return more money in the future.“; Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 24. 63 Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 24. 54
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besondere auf die zutreffende, nicht verfälschte und nicht manipulative Darstellung der Lage des Emittenten, eine maßgebliche Rolle. Selbst wenn die meisten Marktteilnehmer die von einem Emittenten offengelegten Informationen selbst nicht zur Kenntnis nehmen, vertrauen sie – zumindest in gewissem Maße64 – auf die Ordnungsmäßigkeit des Preisbildungsmechanismus. 65
C. Spielarten der Regulierungsinstrumente I. Allgemeines Steven Shavell hat eine sinnvolle Unterscheidung zwischen vier Spielarten von Regulierungsinstrumenten vorgeschlagen. 66 Er unterscheidet Regulierungsmittel, die ex ante versuchen das Verhalten der Rechtsunterworfenen zu lenken, von solchen, die es über eine Abschreckung ex post steuern. Weiterhin unterscheidet er zwischen Regulierungsinstrumenten, die durch Private angestoßen werden und solchen, die durch den Staat initiiert werden. Hieraus ergibt sich folgende Matrix:
Abb. 5: Spielarten der Regulierungsmittel67
Ein Adressat als Privater kann ex ante von dem Einflussnehmer verlangen, nicht beeinflusst zu werden. Dieser Abwehrspruch nimmt dann die Form eines Unterlas64 „[I]t is hard to imagine that there ever is a buyer or seller who does not rely on market integrity. Who would knowingly roll the dice in a crooked crap game?“, Basic, Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224, 246 (1988). Diese Aussage stimmt natürlich nur begrenzt. Es gibt zahlreiche Handelsstrategien, die unabhängig von der zutreffenden Bepreisung eines Finanzinstruments funktionieren, man denke nur an value traders, momentum traders, Portfolio-Investoren oder Index-Fonds. Hierzu Korsmo, 18 Lewis & Clark L. Rev. 827, 866 (2014); Klöhn, ZHR 178 (2014), 671, 677 ff. 65 Das entspricht der US-amerikanischen fraud on the market theory, die durch den Supreme Court in Basic, Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224 (1988) begründet wurde. (Kritisch) hierzu Langevoort, 2009 Wis. L. Rev. 151 (2009); Fisch, 90 Wash. U. L. Rev. 895 (2013); Bebchuk/Ferrell, 69 Bus. Law. 671 (2013); Korsmo, 18 Lewis & Clark L. Rev. 827 (2014). S. hierzu noch unten S. 231 ff. 66 Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 277 ff. 67 Grafik nach Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 278.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
sungsanspruchs an. Er kann den Einflussnehmer auch ex post, d. h. nach einer Täuschung oder Manipulation, in Haftung nehmen oder sich von der eingegangenen Verbindlichkeit lösen. Der Staat kann ex ante Verhaltensanforderungen postulieren, etwa Verbote, Standardisierungen oder Offenlegungspflichten. Er kann aber auch ex post den Einflussnehmer sanktionieren, sei es durch Kriminalstrafen oder durch Bußgelder. Eine negative Strafe (oder Steuer) in Form einer Belohnung für ein rechtstreues Verhalten wäre theoretisch auch denkbar. Die Trennlinien zwischen den Spielarten sind unscharf. Abwehransprüche, allen voran der Unterlassungsanspruch, sind zukunftsgerichtet. 68 Realiter setzen sie aber in den hier interessierenden Fällen an einer bereits vorliegenden Täuschung oder Manipulation (und gegebenenfalls einer Wiederholungsgefahr) an. Deshalb werden sie im Folgenden ausschließlich bei den Ex-post-Regulierungsinstrumenten erörtert. Weiterhin wird die Untersuchung nur in begrenztem Umfang auf Kriminalstrafen und Bußgelder eingehen. Im Übrigen bietet die Unterteilung einen analytischen Mehrwert, der im Folgenden in der gebotenen Kürze anhand der Vor- und Nachteile der verschiedenen Formen dargestellt wird. Eine detailliertere Auseinandersetzung mit einzelnen Regulierungsinstrumenten ist den nachfolgenden Kapiteln vorbehalten. II. Ex-ante- und Ex-post-Regulierung Ex-post-Regulierunginstrumente knüpfen an das Vorliegen einer Täuschung oder einer Manipulation an. Hierfür sind (gerichtliche) Feststellungen erforderlich, namentlich, ob das Verhalten des Einflussnehmers tatsächlich eine solche Einflussnahme darstellt. Zudem müssen, je nach Regulierungsinstrument, weitere Tatbestandsvoraussetzungen wie die Kausalität oder ein Verschulden erfüllt sein. Adressaten können durch überzogene Tatbestandsvoraussetzungen daran gehindert werden, effektiv gegen eine Einflussnahme vorzugehen. 69 Auch Richter können irren. Nehmen sie fehlerhaft das Vorliegen einer Einflussnahme an, können Einflussnehmer übermäßig abgeschreckt werden; vice versa besteht die Gefahr einer Unterabschreckung. Zudem können Gerichtsverfahren kostenintensiv sein, insbesondere wenn Sachverständigengutachten eingeholt werden. Eine Ex-ante-Regulierung kann das Verhalten des Einflussnehmers steuern, ohne dass eine konkrete Einflussnahme nachzuweisen ist, weil sie abstrakt-generelle Regelungen trifft. Das ist insbesondere für Manipulationen von Vorteil. Es wird sich noch zeigen, dass diese in einem gerichtlichen Verfahren nur schwer nachweisbar sind.70 Der Gesetzgeber kann, anders als die Parteien in einem Gerichtsverfahren, in größerem Maße auf evidenzbasierte Forschung zurückgreifen,71 um 68 Auch der Beseitigungsanspruch ist zukunftsgerichtet. Schließlich geht es darum, eine bereits eingetretene, aber fortwirkende Beeinträchtigung zu beseitigen. 69 Vgl. Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 280 f. 70 Vgl. unten S. 223 ff. 71 Vgl. zur evidenzbasierten Forschung unten S. 203 ff.
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typische Situationen zu ermitteln, in denen eine Vielzahl von Adressaten potenziell beeinflusst wird. Damit kann er, losgelöst von einem konkreten Fall, eine Vielzahl von riskanten Verhaltensweisen steuern, indem er Verhaltensanforderungen aufstellt oder die Aktivität besteuert. Das ist aber auch gleichzeitig der Nachteil einer Regulierung ex ante: Manchmal können die betroffenen Personen selbst die Kosten und den Nutzen einer Einflussnahme besser einschätzen, d. h. sie verfügen über bessere Informationen als ein Policymaker ex ante.72 Auch die administrativen Kosten beider Regulierungsformen können sich unterscheiden.73 Für eine Ex-post-Regulierung entstehen Kosten in Höhe der Anzahl der unzulässigen Einflussnahmen multipliziert mit den Rechtsverfolgungskosten – sofern die Betroffenen rechtlich gegen die Täuschungen und Manipulationen vorgehen.74 Aber auch eine Ex-ante-Regulierung verursacht Kosten, weil die Unterhaltung eines Behördenapparats finanziellen Aufwand bedeutet. III. Private und staatliche Initiierung Ein staatliches Einschreiten ist dann sinnvoll, wenn Private keinen Anreiz für eine Rechtsdurchsetzung haben. Ein solches Durchsetzungsdefizit eines „Private Enforcement“ ist dann zu befürchten, wenn die Einflussnahme diffus ist, eine Vielzahl von Adressaten erreicht, für jeden Einzelnen aber nur geringe Beeinträchtigungen mit sich bringt.75 Dann bleibt der Einzelne rational apathisch, weil die R isiken der Rechtsdurchsetzung außer Verhältnis zu dem Begehr stehen.76 Dem gegenüber steht ein potenzieller Informationsvorteil Privater: Als unmittelbar Betroffene sind sie dem Geschehen am nächsten und können Einflussnahmen häufig leichter aufdecken als Behörden.77 Sie verfügen dafür aber über weniger verall gemeinerungsfähige Erfahrungssätze als Behörden, etwa über manipulationsgeneigte Verhaltensweisen, die staatliche Akteure kosteneffektiver durch Studien in Erfahrung bringen und für eine Vielzahl von Sachverhalten nutzen können. Ein Nachteil von Schadensersatzansprüchen liegt darin, dass der Einflussnehmer möglicherweise nicht über die finanziellen Ressourcen verfügt, um für den Schaden aufzukommen.78 Eine staatlich verhängte Strafe kann, soweit sie gegenüber natürlichen Personen verhängt wird, aufgrund der drohenden Inhaftierung ein größeres 72 Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 281: „The homeowner will know the size of his tree, the distance between it and his neighbor’s dwelling, and so forth.“ 73 Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 282. S. hierzu im Detail ders., 11 J. Legal Stud. 333 (1982). 74 Shavell, 13 J. Legal Stud. 357, 364 (1984). 75 Shavell, 13 J. Legal Stud. 357, 363 (1984); ders., Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 283; Rose-Ackerman, Rethinking the Progressive Agenda, 1993, S. 120. 76 Vgl. unten S. 282. 77 Shavell, 13 J. Legal Stud. 357, 359 f. (1984); ders., Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 283. 78 Shavell, 13 J. Legal Stud. 357, 360 f. (1984); ders., Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 279 f.; hierauf aufbauend auch Rose-Ackerman, Rethinking the Progressive Agenda, 1993, S. 120.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Abschreckungspotential entfalten. Wenn der Einflussnehmer eine juristische Person ist und sich Strafen auf Geldzahlungen beschränken, greifen die Vorteile der Strafe freilich nur beschränkt. Sie kann aber auch hier den Einflussnehmer leichter zu rechtstreuem Verhalten inzentivieren, da Bußgelder anders als der Schadensersatz, für den zumindest im deutschen Recht das Bereicherungsverbot aus § 249 BGB gilt, nicht auf die Höhe des tatsächlichen Schadens eines Adressaten beschränkt sind. Staatlich initiierte Regulierungsinstrumente, die ex ante wirken, sind hingegen von dem Vermögen des Einflussnehmers unabhängig.79
D. Zusammenfassung von § 6 1. Das „Recht der Einflussnahme“ erfasst sämtliche Rechtsbereiche, die sich mit der Regulierung beeinflussender Aktivitäten Privater beschäftigen. Seine Regulierungsziele sind der Schutz der Autonomie der Betroffenen sowie die Wohlfahrtsmaximierung der gesamten Gesellschaft. Beide Ziele sind miteinander verwoben, weil der Willkür des Einzelnen eine gesamtgesellschaftliche Steuerungsfunktion zukommt. 2. Zur Erreichung der Regulierungsziele stehen dem Gesetzgeber und den Gerichten verschiedene Regulierungstechniken zur Verfügung. Ex-post-Regulierungsinstrumente knüpfen an das Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation an. Sie entfalten ihre Steuerungswirkung durch Abschreckung. Ex-ante-Regulierungsinstrumente lenken das Verhalten der Rechtsunterworfenen und versuchen Täuschungen und Manipulationen im Ansatz zu unterdrücken.
79
Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 280.
§ 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente Ex-post-Regulierungsinstrumente knüpfen an das Vorliegen einer Einflussnahme an. Sie wirken zeitlich nachdem der Einflussnehmer den Adressaten getäuscht oder manipuliert hat.1 Eine Steuerungswirkung entfalten sie durch Abschreckung. Einflussnehmer haben ex ante keinen Anreiz zu täuschen oder zu manipulieren, wenn sie ex post damit rechnen müssen, ihren aus der Einflussnahme realisierten Gewinn wieder zu verlieren. Zunächst ist auf die ökonomischen Grundlagen der Steuerungswirkung von Ex-post-Regulierungsinstrumenten einzugehen (A.). Ist die Wohlfahrtsmaximierung ein zulässiges Regulierungsziel, sollten Rechtsregeln die sozialen Kosten der Einflussnahme minimieren. Weiterhin bedarf es einer Konkretisierung, wann eine rechtlich relevante Täuschung oder Manipulation vorliegt (B.). Gerichte als „Policymaker“ in der ersten Reihe2 können bereits durch die Beurteilung eines Sachverhalts das Verhalten der Rechtsunterworfenen steuern. Hieran schließt sich eine Betrachtung der Kausalität an (C.). Sie soll gewissermaßen „vor die Klammer“ gezogen werden, da die meisten Regulierungsinstrumente eine Kausalbeziehung zwischen Einflussnahme und Entscheidung oder Schaden voraussetzen. Schließlich ist auf die konkreten Regulierungsinstrumente einzugehen, die das Verhältnis zwischen dem Einflussnehmer und den Adressaten auf der Marktgegenseite (D.) sowie das Verhältnis zwischen dem Einflussnehmer und seinen Mitbewerbern regeln (E.). Eine Sonderrolle nimmt der kollektive Rechtsschutz ein (F.). Er kann bestehende Durchsetzungsdefizite ausgleichen. Außer Betracht bleiben öffentlich-rechtliche Sanktionsinstrumente wie Bußgelder oder Kriminalstrafen.
A. Ökonomische Vorüberlegungen Aus ökonomischer Warte betrachtet dient das Recht der Einflussnahme der Minimierung der sozialen Kosten von Täuschungen und Manipulationen. Eine ideale Rechtsregel schreckt sozial unerwünschtes Verhalten ab, ohne gleichzeitig sozialförderliches Verhalten zu behindern. Das Ziel einer Rechtsregel sollte daher die Minimierung der Summe der Wohlfahrtsverluste aus Unter- und Überabschre1 Nicht immer: Der (lauterkeitsrechtliche) Unterlassungsanspruch (unten S. 275 ff.) setzt nicht notwendigerweise das Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation voraus, sondern knüpft auch an drohende Einflussnahmen an. 2 Rose-Ackerman, Rethinking the Progressive Agenda, 1993, S. 118: „I now consider [judges] as ‘front-line’ policymaker using the […] law of torts, contracts, and property to influence private behavior.“
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ckung sein.3 Deshalb ist der Frage nach einer effizienten Steuerungswirkung der Ex-post-Regulierung aus mehreren Blickwinkeln nachzugehen: Zunächst aus der Perspektive der Abschreckung von Täuschungen und Manipulationen (I.). Da nicht jede Einflussnahme wohlfahrtsschädlich ist, müssen sodann die Grenzen sozial erwünschter und unerwünschter Einflussnahmen abgesteckt (II.) und die dem Einflussnehmer aufzuerlegenden Kosten konkretisiert werden (III.). Der Abschnitt schließt mit einer Zusammenfassung der ökonomischen Leitlinien für die weitere Untersuchung (IV.). I. Abschreckung Unterstellt man dem Einflussnehmer als wirtschaftlichem Akteur, er sei ein rationaler Nutzenmaximierer, wird er nur dann täuschen oder manipulieren, wenn der Nutzen die Kosten der Einflussnahme überwiegt. Auf der Nutzenseite steht der Gewinn (G), den er durch die Einflussnahme realisieren kann. Der Gewinn entspricht regelmäßig der Differenz zwischen dem Preis, für den er ein Gut aufgrund des Einflusses veräußern konnte und dem Preis, für den er es sonst hätte veräußern müssen. Auf der Kostenseite stehen, neben dem Aufwand für die Durchführung der Einflussnahme und potenziellen Reputationseinbußen,4 diejenigen Kosten, die eine Rechtsregel dem Einflussnehmer auferlegt (K). Muss eine Transaktion rückabgewickelt werden oder der Einflussnehmer Schadensersatz leisten, entstehen ihm Kosten.5 Sie fallen aber nur an, wenn die Einflussnahme aufgedeckt wird und der Betroffene die rechtliche Regel erfolgreich durchsetzt. Dementsprechend sind die Kosten zu diskontieren (pK), weil die Entdeckungs- und Durchsetzungswahrscheinlichkeit nicht bei einhundert Prozent liegt. Der Einflussnehmer hat keinen Anreiz zu täuschen oder zu manipulieren, wenn G < pK. Ausgehend von dieser Feststellung stellen sich mehrere Fragen: Welche Höhe sollte K haben, d. h. welche Kosten sollte eine Rechtsregel dem Einflussnehmer auferlegen, um ihn von der Einflussnahme abzuhalten?6 Dem geht die Frage voraus, ob der Einflussnehmer überhaupt „sanktioniert“ werden sollte. Eine Rechtsregel sollte ihm nur Kosten auferlegen, wenn die Einflussnahme sozial unerwünscht ist. Hier gilt es die Grenze zwischen wohlfahrtsförderlichem und wohlfahrtsschädlichem Verhalten zu bestimmen. 3 Vgl. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 612 (1985): „The economics of sanctions starts from the proposition that the objective of a legal rule is to deter certain undesirable behavior without simultaneously deterring (too much) beneficial behavior. We would like to design rules that minimize the sum of the losses from (a) undesirable behavior that the rules permit, (b) desirable behavior that the laws deter, and (c) the costs of enforcing the rules.“ Zu berücksichtigen sind daher auch die Rechtsdurchsetzungskosten, die hier jedoch außer Betracht bleiben. 4 Vgl. zum Reputationsmechanismus oben S. 144 ff. 5 Gegebenenfalls entstehen auch Kosten bei einem Abwehranspruch, vgl. unten S. 275 ff. 6 Dieser Frage widmet sich die Erläuterung der Regulierungsinstrumente unten S. 237 ff.
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II. Wohlfahrtsschädlich oder wohlfahrtsförderlich? Auf den ersten Blick erscheint es befremdlich, bei einer Täuschung oder Manipulation die Grenze zwischen wohlfahrtsförderlichem und -schädlichem Verhalten abstecken zu wollen. Schließlich verursacht eine Einflussnahme für die Adressaten und andere Marktteilnehmer Kosten und der Einflussnehmer könnte das Übel vermeiden, indem er die Einflussnahme schlicht unterlässt.7 Das mag für absichtliche Einflussnahmen zutreffen.8 Ein bedeutender Teil der Täuschungen und Manipulationen im Wirtschaftsverkehr wird von dem Einflussnehmer jedoch nicht intendiert, sondern ist eine unbeabsichtigte Nebenfolge eigentlich nützlicher Informationsbereitstellungen. Sprache ist uneindeutig, jeder Adressat hat ein subjektives Vorverständnis, schlussfolgert in unterschiedlichem Maß propositionale Gehalte aus Äußerungen und ist für kognitive Verzerrungen in verschiedener Weise empfänglich. So kann es – insbesondere bei Massenkommunikationen – sein, dass nur ein Teil der Adressaten getäuscht wird, während ein anderer Teil aus der Aktivität des Einflussnehmers informationelle Vorteile zieht. Derartige Täuschungen oder Manipulationen kann man insoweit mit einem Unfall vergleichen: Es entstehen Schäden, häufig sind diese aber unvermeidliche Nebenprodukte potenziell wohlfahrtsförderlicher Aktivitäten.9 Die Aufgabe des Rechts liegt darin, sozial unerwünschte Einflussnahmen abzuschrecken, ohne gleichzeitig sozialförderliches Verhalten zu behindern. Im Folgenden wird dieses Unterfangen unter dem Topos der „unbeabsichtigten Einflussnahme“ beleuchtet (1.). Einer gänzlich anderen Betrachtung unterliegen absichtliche Täuschungen und Manipulationen (2.). 1. Unbeabsichtigte Einflussnahme Im Falle einer unbeabsichtigten Einflussnahme sollte eine Rechtsregel dem Einflussnehmer nur dann Kosten auferlegen, wenn die einflussnehmende Aktivität sozial unerwünscht ist. Ob das der Fall ist, richtet sich nach ihren Wohlfahrtsauswirkungen. Hier ist es sinnvoll, zwischen Einflussnahmen im Zwei-Personen-Verhältnis (a.) und solchen, die auf eine Vielzahl von Adressaten einwirken (b.), zu unterscheiden. In beiden Szenarien ist eine Kosten-Nutzen-Analyse angezeigt, entweder in Form der „Learned Hand“-Formel oder als eine Mikroabwägung.
7 Vgl.
Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 679 f. (1985). Vgl. zu diesen unten S. 174 f. 9 Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 679 (1985). 8
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
a) Zwei-Personen-Verhältnis Betrachtet man bei einer unbeabsichtigten Einflussnahme im Zwei-Personen-Verhältnis zunächst nur das Verhalten des Einflussnehmers, betragen die erwarteten sozialen Kosten K(e) einer Einflussnahme:10 (1) K(e) = p(e)D + E(e) In dieser Gleichung entspricht p(e) der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit, D den Schäden des Adressaten, e dem Sorgfaltsniveau des Einflussnehmers sowie E(e) seinem Kostenaufwand für die Sorgfalt.11 Der Einflussnehmer kann die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit verringern, indem er mehr Sorgfalt aufwendet.12 Er könnte, bevor er gegenüber dem Adressaten etwas äußert, überlegen, ob seine Äußerung missverstanden werden könnte oder in unangemessener Weise Einfluss auf die heuristische Informationsaufnahme und -verarbeitung des Adressaten ausübt und sie gegebenenfalls neu formulieren. Das optimale Sorgfaltsniveau des Einflussnehmers – nennen wir es e* – liegt vor, wenn die sozialen Kosten der Einflussnahme minimiert werden.13 Hierfür sollte der Einflussnehmer solange Sorgfalt aufwenden, bis eine zusätzliche Einheit an Sorgfaltsaufwand mehr kostet, als sie die erwarteten Schäden des Adressaten reduziert.14 Der Einflussnehmer handelt sorgfaltswidrig, d. h. sein Handeln sollte rechtlich reguliert werden, wenn die Grenzkosten seiner Sorgfalt kleiner als der hieraus resultierende Grenznutzen sind.15 Diese „Learned Hand“-Formel16 entspricht letztlich einer Kosten-Nutzen-Analyse. 10 Vgl. Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 59. Die sozialen Kosten bestehen eigentlich in der Differenz aus dem erwarteten Schaden des Adressaten und dem erwarteten Gewinn des Einflussnehmers. Das ist bei Einflussnahmen, durch die der Adressat zu einer für ihn nachteiligen Transaktion verleitet wird, häufig ein Nullsummenspiel. Der Verlust des Adressaten entspricht dann dem Gewinn des Einflussnehmers. Gleichwohl sollten auch Umverteilungsschäden als reale soziale Kosten gewertet werden, vgl. unten S. 171 ff. Die Ausführungen hier gelten unter den dort genannten Prämissen. 11 Vgl. Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 59 f., 150 f. Fn. 4. 12 Jede zusätzliche Einheit an Sorgfaltsaufwand verringert die Eintrittswahrscheinlichkeit mit abnehmender Intensität, Landes/Posner, 1 Int’l Rev. L. & Econ. 127, 128 (1981). 13 Landes/Posner, 1 Int’l Rev. L. & Econ. 127, 128 (1981). 14 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 202 f. Er wird jedoch nicht mehr Sorgfalt als die erforderliche aufwenden, da ihm zusätzlicher Aufwand kostet, aber nichts nützt. Das Aktivitätsniveau kann ein Verschuldenserfordernis also nicht steuern. 15 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 202 f. Bei der Festlegung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als optimales Sorgfaltsniveau besteht freilich die Gefahr richterlicher Fehler. 16 S. United States v. Carroll Towing Co., 159 f.2d 169, 173 (2d Cir. 1947): „[If] the probability be called P; the injury, L; and the burden [of adequate precautions], B; liability depends upon whether B is less than L multiplied by P: i. e., whether B < PL.“ S. auch Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 179 f.; Wagner, Deliktsrecht, 14. Aufl. 2021, Kap. 4 Rn. 29 f. Hierbei ist eine Grenzbetrachtung vorzunehmen. Auf die Formel (1) gemünzt bedeutet das, dass statt auf den Sorgfaltsaufwand E auf die Grenzkosten der Sorgfalt abzustellen und statt auf p(e)D auf den Grenznutzen –pe (e)D abzustellen ist, d. h. der Einflussnehmer handelt sorgfaltswidrig, wenn Ee < –pe (e)D, vgl. Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 87.
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Erweitert man die Analyse um das Verhalten des Adressaten, ist auch sein Sorgfaltsaufwand A(a) in die Gleichung aufzunehmen. Sind sowohl Einflussnehmer als auch Adressat risikoneutral17 und ihre Nutzenfunktionen entsprechen ihrem Vermögen,18 führt die Minimierung von K(e,a) zu einer Maximierung ihrer kombinierten Wohlfahrt:19 (2) K(e,a) = p(e,a)D + E(e) + A(a) Für eine Minimierung der sozialen Kosten muss auch der Adressat die optimale Sorgfalt a* aufwenden.20 Er kann beispielsweise durch Verifikation der vermittelten Proposition eine Täuschung durchschauen oder durch gehörige Anspannung seiner geistigen Kapazitäten einem manipulativen Einfluss widerstehen. Setzt ein Regulierungsinstrument ein Verschulden voraus (z. B. ein Schadensersatzanspruch), hat der Adressat einen Anreiz, das optimale Sorgfaltsniveau einzuhalten. Er wird antizipieren, dass der Einflussnehmer als rationaler Nutzenmaximierer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt einhalten wird. Der Adressat muss dann damit rechnen, für die entstehenden Nachteile selbst aufkommen zu müssen. Deshalb wird er so lange Sorgfalt aufwenden, bis ihn das mehr kostet, als es ihm nützt, d. h. bis das optimale Sorgfaltsniveau a* erreicht ist.21 Das gilt zumal deshalb, weil eine Rechtsregel niemals zu einer Vollkompensation aller Schäden des Adressaten führt. Schließlich wird weder jeder Rechtsverstoß aufgedeckt und erfolgreich geahndet, noch werden alle immateriellen Schäden ersetzt.22 Ein zusätzlicher Anreiz durch einen Mitverschuldenseinwand ist an sich nicht notwendig, aber auch nicht schädlich.23 17 Sind sie risikoavers oder risikofreudig bedarf es Modifikationen, vgl. hierzu Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 55 ff. 18 Vgl. zur Gleichsetzung von Zahlungsbereitschaft mit Nutzen oben S. 118. 19 Vgl. Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 59. S. auch Calabresi, The Costs of Accidents, 1970. 20 Landes/Posner, 1 Int’l Rev. L. & Econ. 127, 128 (1981). 21 Hierzu Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 14 ff. 22 Vgl. Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 198. 23 Einen Vorteil hat eine Mitverschuldensregel, wenn der Einflussnehmer das optimale Sorgfaltsniveau nicht einhält und der Adressat das weiß. Dann stellt sich das Problem eines moral hazard. Da die Rechtsregel den Einflussnehmer verpflichtet, die dem Adressaten entstandenen Schäden zu ersetzen, hat der Adressat dann keinen Anreiz selbst Sorgfalt aufzuwenden. Diesen fehlerhaften Anreiz kann die Rechtsregel durch ein Mitverschulden ausräumen. Wendet der Adressat selbst nicht die optimale Sorgfalt auf, wird sein Ersatzanspruch gekürzt (comparative negligence) oder ganz ausgeschlossen (contributory negligence), s. hierzu allgemein Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 14 f. Das lässt sich in der Theorie hören, führt im Kontext einer Einflussnahme aber zu erheblichen Problemen. Das optimale Sorgfaltsniveau des Adressaten ist durch ein Gericht kaum feststellbar. Man könnte zwar sagen, dass der Adressat fahrlässig handelt, wenn er weniger Zeit aufwendet, um über die Handlung des Einflussnehmers nachzudenken, als erforderlich – „the costs and benefits of more careful thought“, Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 703 (1985). Wirklich weiter hilft das nicht. Das optimale Niveau an „Überlegungen“ hängt bei jeder einzelnen Person von unzähligen Faktoren ab, von dem Entscheidungsumfeld, von den idiosynkratischen Zügen der Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie von den subjektiven Kapazitäten. Es ist nicht einmal klar, was Kosten oder Nutzen einer „Überlegung“ überhaupt sind. Hierzu Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 703 (1985).
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
b) Masseneinflussnahmen Bei Täuschungen und Manipulationen, die durch Massenkommunikationsmittel eine Vielzahl von Adressaten erreichen, müssen die Wohlfahrtsauswirkungen aller Beteiligten in die Analyse einfließen. Ein und dieselbe Aktivität, beispielsweise eine Informationsbereitstellung, kann für einen Teil der Adressaten täuschend oder manipulativ sein, während der andere Teil informationelle Vorteile erlangt. Würde eine Rechtsregel dem Einflussnehmer verbieten, eine Aktivität vorzunehmen, nur weil eine Person getäuscht oder manipuliert wird, während hundert andere Personen durch die Aktivität Vorteile erlangen, würde sie wohlfahrtsförderliches Verhalten abschrecken. Deshalb muss die Analyse auch die Vor- und Nachteile derjenigen Adressaten einbeziehen, die von der in Frage stehenden Aktivität nicht getäuscht oder manipuliert werden. Hierfür lässt sich eine Risiko-Nutzen-Analyse vornehmen, wie sie im Produkthaftungsrecht gängig ist (aa.), was im Anschluss anhand eines Beispiels veranschaulicht wird (bb.). Diese lässt sich auch in das dogmatische Gefüge des deutschen Rechts einfügen (cc.). aa) Risiko-Nutzen-Analyse: Mikroabwägung Für die Bestimmung der Schwelle, ab der das Recht eingreifen sollte, hilft die „Learned Hand“-Formel in ihrer Reinform nicht weiter. Sie beinhaltet nämlich die implizite Prämisse, dass der Sorgfaltsaufwand des Einflussnehmers keine Auswirkungen auf etwaige Wohlfahrtsvorteile der Adressaten hat.24 Sie greift nicht, wenn die Verhinderung der Täuschung oder Manipulation manchen Adressaten einen Nutzen – etwa einen informationellen Wert – nimmt. Das ist bei unbeabsichtigten Masseneinflussnahmen zumeist der Fall. Hier bietet sich ein Seitenblick auf das Produkthaftungsrecht an. Eine Einflussnahme ist einem (potenziell) gefährlichen Produkt nicht unähnlich: Beide Aktivitäten, das Einflussnehmen sowie das Inverkehrbringen eines Produktes, können nützlich sein, bringen aber auch Risiken mit sich.25 Die Produkthaftung greift ein, wenn ein Produkt einen „Fehler“ hat. Ein Fehler liegt nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG vor, wenn das Produkt „nicht die Sicherheit bietet, die […] berechtigterweise erwartet werden kann“. Der BGH betont richtigerweise, „[e]ine völlige Gefahrlosigkeit kann der Verbraucher nicht erwarten.“26 Vielmehr seien „Art und Umfang der Risiken, [die] Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung und [der] mit dem Produkt verbundene[…] Nutzen[…]“27 für die Bestimmung der Fehlerhaftigkeit entschei24 Schwartz, 97 Yale L. J. 353, 385 f. (1988): „The test rests on the important though often unstated assumption that safety expenditures made in connection with an activity do not affect the benefits consumers derive from the activity.“ 25 Diesen Vergleich für Täuschungen ziehend Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 660 (1985); d ers., 64 S. Cal. L. Rev. 549, 552 (1990). 26 BGH NJW 2009, 1669, 1670 Rn. 12 – Kirschtaler. S. auch Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 3 ProdHaftG Rn. 6 f. 27 BGH NJW 2009, 2952, 2953 Rn. 17.
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dend. Damit nimmt der BGH nichts anderes vor als eine Kosten-Nutzen-Analyse, wie sie im US-amerikanischen Produkthaftungsrecht unter der Bezeichnung risk-utility analysis firmiert.28 Diese hat zwei Spielarten:29 einerseits als „Makroabwägung“,30 in der ein Saldo aus allen erdenklichen Kosten und dem Nutzen des Produkts zu ziehen ist.31 Überwiegen die Kosten den Nutzen, liegt ein „Fehler“ vor. Andererseits als „Mikroabwägung“, die sich auf die Grenzkosten und den Grenznutzen eines alternativen Designs des Produkts beschränkt.32 Letztere ist praxistauglicher, weil Gerichte nur eine Marginal- statt Globalbetrachtung vornehmen müssen. Sie wird nicht nur in den USA, sondern faktisch auch vom BGH genutzt.33 In der Sache handelt es sich hierbei um eine Modifikation der „Learned Hand“- Formel.34 28 Die risk-utility analysis stellt darauf ab, „whether the magnitude of the risk created by the dangerous condition of the product was outweighed by the social utility attained by putting it out in this fashion.“, Wade, 44 Miss. L.J. 825, 835 (1973); s. auch Keeton, 5 St. Mary’s L.J. 30, 37 f. (1973). Knapp aus deutscher Perspektive Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 3 ProdHaftG Rn. 4 4. Auch die Vereinigten Staaten kennen einen consumer expectations test, wie er in § 3 Abs. 1 ProdHaftG angelegt ist. Es liegt ein product design defect vor, wenn das Produkt nicht die Sicherheit erfüllt, „an ordinary consumer would expect when used in an intended or reasonably foreseeable manner.“, Barker v. Lull Eng’g Co., 20 Cal. 3d 413, 427, 573 P.2d 443, 452, 143 Cal. Rptr. 225, 234 (1978). Im Ergebnis wird für diesen Test aber wiederum auf eine Kosten-Nutzen-Abwägung wie bei der risk-utility analysis zurückgegriffen, weshalb sich im Wesentlichen keine Unterschiede ergeben, s. Schwartz, 97 Yale L. J. 353, 385 (1988): „The consumer expectations test in practice, therefore, […] collapses into the other tests“; vgl. auch Craswell, 64 S. Cal. L. Rev. 549, 556 (1990) Fn. 18; Viscusi, 39 American University Law Review 573, 579 (1990) Fn. 26. S. zu dieser Thematik aber auch Kysar, 103 Colum. L. Rev. 1700 (2003). 29 Die Bezeichnungen „macro-balance“ und „micro-balance“ stammen von Owen, 75 Tex. L. Rev. 1661, 1664 (1997). 30 Für die Makroabwägung hat John W. Wade in seinem Pionierbeitrag sieben Faktoren vorgeschlagen: „(1) The usefulness and desirability of the product – its utility to the user and to the public as a whole. (2) The safety aspects of the product – the likelihood that it will cause injury, and the probable seriousness of the injury. (3) The availability of a substitute product which would meet the same need and not be as unsafe. (4) The manufacturer’s ability to eliminate the unsafe character of the product without impairing its usefulness or making it too expensive to maintain its utility. (5) The user’s ability to avoid danger by the exercise of care in the use of the product. (6) The user’s anticipated awareness of the dangers inherent in the product and their avoidability, because of general public knowledge of the obvious condition of the product, or of the existence of suitable warnings or instructions. (7) The feasibility, on the part of the manufacturer, of spreading the loss by setting the price of the product or carrying liability insurance.“, Wade, 44 Miss. L.J. 825, 837 f. (1973). 31 „A design is defective if the product’s risks exceed its utility.“, Owen, 75 Tex. L. Rev. 1661, 1672 (1997). Owen nennt diese Spielart auch „global macro-balancing“. 32 Owen, 75 Tex. L. Rev. 1661, 1688 f. (1997) möchte die Mikroabwägung auch von einer „comparative macro-balance“ unterscheiden, nach der Kosten und Nutzen sowohl des Designs als auch des Alternativdesigns zu vergleichen sind. Seine Konzeption der „micro-balance“ stellt lediglich auf das „particular alternative design feature“ ab und bewertet den dadurch veränderten Nutzen und die veränderten Kosten, vgl. ebd. S. 1664. 33 BGH NJW 2009, 2952, 2953 Rn. 16: „Die Möglichkeit der Gefahrvermeidung ist gegeben, wenn nach gesichertem Fachwissen der einschlägigen Fachkreise praktisch einsatzfähige Lösungen zur Verfügung stehen.“; Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 3 ProdHaftG Rn. 4 4. S. ausführlich zur Mikroabwägung Owen, 75 Tex. L. Rev. 1661 (1997). 34 Owen, 75 Tex. L. Rev. 1661, 1693 ff. (1997).
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Die Risiko-Nutzen-Analyse lässt sich auf das Recht der Einflussnahme übertragen. Würde man eine Makroabwägung vornehmen, müsste man überprüfen, ob die aggregierten Kosten einer einflussnehmenden Aktivität den aggregierten Nutzen übersteigen. Nur dann wäre eine Einflussnahme rechtlich zu missbilligen. Ist das nicht der Fall, läge eine „effiziente“ Täuschung oder Manipulation vor. Eine solche Makroabwägung ist in der Praxis durch Gerichte kaum durchführbar. Vorzugswürdig ist hier eine Abwägung auf Mikroebene: Eine Aktivität des Einflussnehmers, die zwar einen Teil der Adressaten beeinflusst, für einen anderen Teil aber Vorteile bringt, sollte dann als rechtlich relevante Täuschung oder Manipulation gelten, wenn der Grenznutzen einer alternativen Darstellung – die durch eine Reformulierung, durch klarstellende Hinweise oder eine andere Präsentation vorgenommen werden kann – die Grenzkosten ebendieser Darstellung überwiegt (im Folgenden: Mikroabwägung).35 Oder anders gewendet: Eine Rechtsregel sollte eingreifen, wenn der Einflussnehmer die negativen Auswirkungen seiner einflussnehmenden Aktivität kosteneffektiv hätte vermeiden können.36 Die Mikroabwägung ist somit in der Lage festzustellen, ob eine täuschende oder manipulierende Aktivität im Einzelfall rechtlich zu missbilligen ist. Hätte der Einflussnehmer die negativen Auswirkungen seiner einflussnehmenden Aktivität nicht kosteneffektiv verhindern können, heißt das aber nicht notwendigerweise, dass seine Aktivität gesamtgesellschaftlich effizient wäre. Das wäre nur mittels einer Makroabwägung feststellbar, die möglicherweise der Gesetzgeber, aber nicht ein Gericht im Einzelfall durchführen kann. Algebraisch lässt sich die Mikroabwägung folgendermaßen ausdrücken:37 Wenn N für die Anzahl der Adressaten steht, die durch eine Täuschung oder Manipulation einen Schaden in Höhe von durchschnittlich D erleiden, aber einen (informationellen) Nutzen von durchschnittlich U ziehen, ist eine Täuschung oder Manipulation rechtlich zu missbilligen, wenn (3) ∆ (N · D + K) < ∆ (N · U) ∆ (N · D + K) steht für die Grenzkosten einer alternativen Darstellung, d. h. den inkrementellen Zuwachs an Kosten. Hierunter fallen einerseits die (neuen) Schäden 35 Diese Form der Kosten-Nutzen-Analyse wurde im Grundsatz von Richard Craswell in den USA zur Bewältigung der Frage vorgeschlagen, wann eine Werbung deceptive ist, s. Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 678 et passim (1985); ders., 64 S. Cal. L. Rev. 549, 551 ff. (1990). Anders als hier unterscheidet Craswell aber nicht zwischen einer Makro- und Mikroabwägung. In diese Richtung tendieren aber Shafer, 55 U. Cinn. L. Rev. 1, 48 (1986): „Deception then should be defined as those statements for which the cost of prevention would be warranted by the benefits in terms of reduced consumer misapprehension of such prevention.“ sowie Sullivan/Marks, 64 Or. L. Rev. 593, 630 f. (1986): „The efficient or optimal level of deception is achieved by equating the marginal cost of reducing deception and marginal benefit of reducing deception.“ 36 So Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 678 (1985) in Bezug auf Täuschungen: „An advertisement is legally deceptive if and only if it leaves some consumers holding a false belief about a product, and the ad could be cost-effectively changed to reduce the resulting injury.“ 37 Vgl. auch Craswell, 64 S. Cal. L. Rev. 549, 557 (1990), dessen Formel jedoch eher einer komparativen Makroabwägung entspricht.
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N · D, die eine alternative Darstellung hervorruft, andererseits auch der Mehraufwand K, den der Einflussnehmer für eine Änderung seiner einflussnehmenden Aktivität aufwenden muss. ∆ (N · U) steht für den Grenznutzen, d. h. den inkrementellen Nutzenzuwachs, den eine alternative Darstellung mit sich bringen würde, also das Ausmaß der Schadensverringerung, weil weniger Adressaten beeinflusst werden und in der Folge weniger ineffiziente Transaktionen eingegangen werden. Der Mehraufwand des Einflussnehmers wird meist gering sein. Kosten einer alternativen Darstellung entstehen vorrangig dadurch, dass die Alternative den von der ursprünglichen Darstellung nicht beeinflussten Adressaten informationelle Vorteile nimmt und diese deshalb weniger effiziente Entscheidungen treffen.38 Auch kann eine alternative Darstellung zwar eine täuschende oder manipulative Wirkung neutralisieren, gleichzeitig aber eine andere hervorrufen.39 Der bereits angesprochene Reihenfolgeeffekt40 wäre ein Beispiel hierfür. Beschreibt der Einflussnehmer ein Produkt mit mehreren Eigenschaften, werden Adressaten unter Umständen die zuerst wahrgenommene Eigenschaft höher gewichten als die letzte.41 In einer alternativen Darstellung ist irgendeine Reihenfolge zu wählen, die dann zwangsläufig ebenso beeinflusst.42 Gleiches gilt für Warnhinweise, die eigentlich zu einem „Debiasing“ der Adressaten führen sollen, dadurch jedoch ein für die Adressaten bislang kaum bewusstes Risiko salienter machen. Dadurch wird die bisherige Risikounterschätzung mit einer anderen Risikoüberschätzung ausgetauscht; Kosten verursacht beides.43 Ein anderes Beispiel sind klarstellende Informationen. Versucht der Einflussnehmer durch zahlreiche Klarstellungen eine täuschende Wirkung zu verhindern, können Adressaten schnell in einen information overload geraten, der wiederum eine manipulative Wirkung entfaltet.44 Auch kann die Klarstellung zwar die Salienz einer bestimmten Angabe erhöhen, gleichzeitig aber den Informationsgehalt anderer Angaben verwässern.45
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Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 681 (1985). Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 689 (1985). 40 Vgl. oben S. 38 f. 41 Je nach Art und Umfang der Informationen tritt entweder ein Primäreffekt, d. h. der zuerst wahrgenommenen Information wird eine höhere Bedeutung zugemessen, oder ein Rezenzeffekt auf, d. h. die zuletzt wahrgenommene Information wird schwerer gewichtet, vgl. oben S. 38 f. 42 Oder wie es Cass Sunstein auf den Punkt bringt: „[C]hoice architecture and nudges are inevitable, and it is therefore pointless to wish them away“, Sunstein, The Ethics of Influence, 2016, S. 12. 43 Vgl. unten S. 300. 44 Vgl. Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 690 (1985). 45 Vgl. zum Verwässerungseffekt oben S. 33 f. S. auch Craswell, 92 Va. L. Rev. 565, 583 (2006) m. w. N. in Fn. 51. 39 Vgl.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Eine Mikroabwägung bietet sich nicht nur bei aktiven Handlungen an. Auch eine Täuschung durch ein reines Unterlassen46 sollte nur dann rechtlich angreifbar sein, wenn der Grenznutzen der Offenlegung der Informationen die Grenzkosten übersteigt.47 bb) Beispiel Ein Unternehmen verkauft ein „smartes“ Heizkörperthermostat, welches das Ventil automatisch nach der jeweiligen Umgebungstemperatur steuert. Das Unternehmen bewirbt es mit der Angabe, es senke die Heizkosten „um bis zu 51 %“. Die Angabe ist wörtlich genommen wahr. Jedoch ist es eine „bis zu“-Angabe. Eine Ersparnis von 51 % wird nur ein geringer Teil der Käufer realisieren. Der durchschnittliche Käufer kann tatsächlich nur 15 % seiner Heizkosten einsparen.48
Die Rechtsprechung interpretiert die Angabe „um bis zu“ mit einem Interpretationsstandard. Auf das Konzept des Interpretationsstandards wird noch zu sprechen zu kommen sein; gemeint ist damit eine rechtlich verbindliche Auslegung einer Aussage, beruhend auf konventionellen Bedeutungszuschreibungen.49 Hier ist der Standard offenkundig: Im Allgemeinen erwartet der Kunde, dass der Höchstsatz der „bis zu“-Ersparnis nicht nur bei einem unbedeutenden Teil der Kunden erreicht wird.50 So gesehen enthielt die Angabe im Beispiel zwar eine falsche Proposition, d. h. sie ist eine (pragmatische) Täuschung, aber nicht gegenüber allen Adressaten. Manche, wenn auch wenige, können tatsächlich mit einer Kosteneinsparung in Höhe von 51 % rechnen. Würde der Einflussnehmer stattdessen die durchschnitt liche Einsparung von 15 % angeben, würden diese Adressaten möglicherweise vom Kauf absehen, weil sie sich eine höhere Einsparung wünschen. Das führt zu sozialen Kosten, da die Heizkörperthermostate nicht von denjenigen Personen erworben werden, die den höchsten Nutzen aus dem Kauf ziehen. So gesehen existieren zwei mögliche Deutungen: einmal als wahre Aussage gegenüber einem kleinen Teil der Adressaten („bis zu 51 %“), einmal als unwahre Aussage gegenüber dem Groß-
46 Vgl. oben S. 73, dort auch zur Abgrenzung einer Täuschung durch ein reines Unterlassen von einer Täuschung durch Unterlassen mittels Halbwahrheiten. 47 Ähnlich sah das auch die US-amerikanische FTC in International Harvester Co., F.T.C. No. 9147, 3 Trade Reg. Rep. (CCH), 22,217, 23,180 (Dec. 21, 1984). Hierzu Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 729 (1985). 48 Das Beispiel ist dem von Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 674 (1985) nachgebildet, das auf der FTC-Entscheidung Plaskolite, Inc., 101 F.T.C. 344 (1983) basiert. Ein vergleichbarer Sachverhalt war im Urteil des OLG Hamm MMR 2008, 476 gegeben. Dort wurde die Angabe, man könne „bis zu 52 %“ an Telefongebühren (im Vergleich zu einem anderen Anbieter) sparen, für irreführend befunden, weil dieser Höchstsatz nur bei einem unbedeutenden Teil der Dienstleistungen erreicht wurde. 49 Vgl. unten S. 198 ff. 50 OLG Hamm MMR 2008, 476; vgl. auch BGH GRUR 1966, 382, 384 – Jubiläum. S. auch Busche, in: MüKo UWG, Bd. 1, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 446; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 3.124.
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teil der Adressaten („bei einem nicht nur unbedeutenden Teil bis zu 51 %“). Welche ist nun die für eine rechtliche Betrachtung maßgebliche? Angenommen, 100 Adressaten erwerben das Heizkörperthermostat. Nur 20 können mit einer Ersparnis von 51 % rechnen, während die 80 anderen durchschnittlich 6 % einsparen. Für letztere ist es ein schlechtes Geschäft; sie erhalten eine negative Konsumentenrente von durchschnittlich -20 EUR. Es sind zwei alternative Darstellungen denkbar. Einerseits könnte der Einflussnehmer statt der „bis zu“-Angabe schlicht die durchschnittliche Ersparnis von 15 % angeben. Dadurch werden die besonders Sparsamen von einem Erwerb abgehalten, weil sie sich mehr erhoffen. Wohlfahrtsförderliche Transaktionen werden nicht getätigt, wodurch – so die Annahme – ein Schaden von durchschnittlich 90 EUR entsteht. Wendet man hier die Formel der Mikroabwägung an, ergibt sich: 20 · 90 EUR > 80 · 20 EUR.51 Die Grenzkosten der alternativen Darstellung würden den Grenznutzen übersteigen. Wäre das die einzig denkbare alternative Darstellung, handelt es sich bei der ursprünglichen Angabe um keine rechtlich relevante Täuschung. Andererseits könnte der Einflussnehmer die Darstellung um einen klarstellenden Hinweis ergänzen, dass die 51 % Ersparnis nur von dem besonders sparsamen Fünftel der Kunden erwartet werden könne, während der Durchschnitt nur 15 % spart. Angenommen, der Großteil der Adressaten kann seine Sparsamkeit richtig einschätzen. Jedoch zieht die Angabe zehn besonders überoptimistische Kunden an, für die der Erwerb des Produkts eine negative Konsumentenrente von jeweils 40 EUR bringt. Eine hierauf angewendete Mikroabwägung ergibt: 10 · 40 EUR < 80 · 20 EUR. Die Grenzkosten der alternativen Darstellung sind also geringer als der Grenznutzen, weshalb der Einflussnehmer die negativen Auswirkungen seiner einflussnehmenden Aktivität kosteneffektiv hätte vermeiden können. cc) Vorweg: Dogmatische Einkleidung Falls eine alternative Darstellung zu geringeren Kosten führt, wurde bislang von einer „sozial unerwünschten“ Einflussnahme gesprochen. In die rechtliche Terminologie übersetzt lässt sich von einem Fahrlässigkeitsvorwurf sprechen, d. h. der Einflussnehmer hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht eingehalten. Die hier vertretene Mikroabwägung fügt sich daher in jeden Fahrlässigkeitstatbestand ein. Ein Verschuldenserfordernis ist jedoch nicht das einzige dogmatische Zurechnungskonzept. Enthält eine Rechtsregel kein Verschuldenserfordernis (z. B. § 5 UWG52), jedoch andere unbestimmte Rechtsbegriffe (z. B. „Täuschung“, „Irreführung“ oder „Sittenwidrigkeit“), kann man diese Begriffe ebenfalls durch eine Mik51 Hierbei wurde angenommen, dass der Einflussnehmer für die alternative Darstellung keine Kosten aufwenden muss. 52 S. zur Diskussion, inwiefern es zulässig ist, aus einem Tatbestand ohne Verschuldenserfordernis durch eine Mikroabwägung einen (ökonomischen) Verschuldenstatbestand zu machen, unten S. 270.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
roabwägung konkretisieren. Wenn die Grenzkosten einer alternativen Darstellung geringer sind als der mit ihr einhergehende Grenznutzen, ist eine „Täuschung“ oder eine „Irreführung“ gegeben oder es liegt ein „sittenwidriges“ Verhalten vor. Sofern dem Adressaten die Beweislast obliegt, kann er den Nachweis des jeweiligen Merkmals dadurch erbringen, dass er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine alternative Darstellung kosteneffektiv möglich gewesen wäre. 2. Absichtliche Einflussnahme Bei der Analyse absichtlicher Einflussnahmen muss man zunächst klarstellen, was „absichtlich“ bedeutet. Absichtlich wird wohl jedes geschäftliche Handeln eines Einflussnehmers sein, weil er die Marktgegenseite zu einer wirtschaftlichen Entscheidung verleiten möchte. Hier kann es deshalb nur um eine Absicht bezüglich der täuschenden oder manipulativen Wirkung seiner Aktivität gehen. „Absicht“ bedeutet, dass der Einflussnehmer die Täuschung oder Manipulation gezielt vornimmt, um sich auf Kosten der Adressaten zu bereichern.53 Ein Bewusstsein über eine mögliche täuschende oder manipulative Wirkung genügt hierfür ebenso wenig wie ein billigendes in Kauf nehmen. Diese Differenzierung ist notwendig, denn es wird sich zeigen, dass bei geringeren Voraussetzungen an die Intention des Einflussnehmers eine Kosten-Nutzen-Analyse erforderlich sein wird. Zunächst aber zu der absichtlichen Einflussnahme. Absichtliche Einflussnahmen sind nicht nur unmoralischer, sondern führen regelmäßig zu höheren sozialen Kosten. Jemand, der mit Absicht einen anderen täuscht oder manipuliert, wird mit einer größeren Wahrscheinlichkeit einen Schaden herbeiführen.54 Bei der Einflussnahme wird der Einflussnehmer keine Sorgfalt aufwenden. Im Gegenteil: Sein Sorgfaltsaufwand ist negativ, weil er Kosten für die Durchführung der Täuschung oder Manipulation aufwendet, die er sich durch das Unterlassen der Einflussnahme sparen könnte.55 Aus Steuerungsperspektive kommt es auf seinen Sorgfaltsaufwand auch gar nicht an, weil der optimale Sorgfaltsaufwand nur dazu dient, die Trennlinie zwischen sozial erwünschtem und sozial schädlichem Verhalten festzulegen.56 Absichtliches Handeln möchte man unabhängig von seinem Nutzen unterbinden, weil dieses die sozialen Kosten nicht
53 Vgl. auch zur Konzeption einer intentional tort in der ökonomischen Analyse Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 150 ff. 54 Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 151: „To equate ‘intentional’ to ‘highly probable’ may seem to violate both the ordinary and the legal usage of the word ‘intent,’ but in fact the equation was suggested by a philosopher. The inability to peer inside another person’s mind requires that inferences of intent be drawn from behavior. When someone does something that is overwhelmingly likely to produce a specific result, we are properly skeptical when he denies that the result was intended.“ Die Feststellung eines Vorsatzes als innere Tatsache kann sich jedoch als schwierig, kostspielig und fehlerträchtig erweisen, vgl. Zhou, 28 EJLE 83, 93 (2009). 55 Vgl. Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987, S. 153. 56 Hierzu Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 129 ff.
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aufwiegen kann.57 Das gilt jedenfalls, soweit ein Gericht zweifelsfrei feststellen kann, dass der Einflussnehmer absichtlich getäuscht oder manipuliert hat und sein Handeln keinen sozialen Mehrwert bietet. Benevolente Täuschungen und Manipulationen sind im Wirtschaftsverkehr kaum anzutreffen, weshalb diese im Folgenden ausgeblendet bleiben sollen. Das optimale Sorgfaltsniveau des Einflussnehmers, und auch das des Adressaten, läge dann in der Formel (2) 58 zur Einflussnahme in Zwei-Personen-Verhältnissen bei e* = a* = 0 (der Einflussnehmer sollte die Einflussnahme unterlassen), weil dann p(e,a) = 0, d. h. es würde kein Schaden eintreten.59 Eine Rechtsregel sollte dem Einflussnehmer deshalb immer dann Kosten auferlegen, wenn e* = 0. Das Sorgfaltsniveau des Adressaten spielt bei genauerem Hinsehen keine Rolle. Wenn sein optimales Sorgfaltsniveau a* = 0 entspricht, wäre jedweder Sorgfaltsaufwand eine Ressourcenverschwendung. In jedem Fall ist der Einflussnehmer der cheapest cost avoider. 60 Deshalb sollte bei einer absichtlichen Einflussnahme ein Mitverschuldenseinwand nicht in Betracht kommen. 61 Gleiches gilt bei absichtlichen Masseneinflussnahmen. Eine kosteneffektive alternative Darstellung läge darin, schlicht nicht zu täuschen oder zu manipulieren. Eine Mikroabwägung ist nicht notwendig, weil durch die absichtliche Einflussnahme keine Wohlfahrtsgewinne entstehen. 62 Anders verhält es sich, wenn keine absichtliche Einflussnahme vorliegt, sondern die Aktivität des Einflussnehmers zumindest teilweise wohlfahrtsförderlich ist. Das kann der Fall sein, wenn der Einflussnehmer eine Täuschung oder Manipulation eines Teils der Adressaten billigend in Kauf nimmt und man nach juristischem Sprachgebrauch von einem dolus eventualis sprechen würde. Dann bleibt es bei der hier vertretenen Kosten-Nutzen-Analyse. 63 III. Soziale Kosten Bislang hat die Analyse der Grenze wohlfahrtsförderlicher und -schädlicher Einflussnahmen lediglich die Schäden der Adressaten sowie die Sorgfaltsmaßnahmen der Beteiligten betrachtet. Die ökonomische Analyse im zweiten Teil der Untersu-
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Vgl. zu den sozialen Kosten oben S. 133 ff. S. 167. 59 Landes/Posner, 1 Int’l Rev. L. & Econ. 127, 130 (1981). 60 Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 242 f. 61 Landes/Posner, 1 Int’l Rev. L. & Econ. 127, 131 (1981). Für § 826 BGB genügt jedoch ein bedingter Vorsatz, den die Rechtsprechung extensiv auslegt und den eine leichtfertige Begehung indiziert, s. BGHZ 176, 281 Rn. 46; 184, 365 Rn. 39; vgl. auch Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 31 ff. In diesen Fällen wird man nicht umher kommen, auch das Verhalten des Geschädigten zu berücksichtigen, s. ebd. Rn. 59. 62 Vgl. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 621 f. (1985). Zur Unbeachtlichkeit des Wohlfahrtsgewinns des Einflussnehmers sogleich. 63 Die vorzunehmende Kosten-Nutzen-Analyse erfolgt bei Einflussnahmen im Zwei-Personen-Verhältnis anhand der „Learned Hand“-Formel (oben S. 166 f.), bei Masseneinflussnahmen anhand einer Mikroabwägung (oben S. 168 ff.). 58 Oben
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chung hat jedoch gezeigt, dass Täuschungen und Manipulationen mit zahlreichen weiteren sozialen Kosten einhergehen, die durch Fehlallokationen entstehen (1.). Für eine effektive Verhaltenssteuerung sollten auch diese Kosten durch den Einflussnehmer internalisiert werden. Zudem wurden bislang sämtliche Schäden der Adressaten unterschiedslos als soziale Kosten gewertet. In vielen Fällen stellen diese jedoch nur „Umverteilungsschäden“ dar, da der Nachteil eines Adressaten einem Vorteil in gleicher Höhe des Einflussnehmers oder eines anderen Marktteilnehmers gegenübersteht. Der abschließende Abschnitt wird zeigen, dass auch Umverteilungsschäden beachtlich sind (2.). 1. Fehlallokationen und ihre Folgen Täuschungen und Manipulationen können falsche Preissignale erzeugen, die zu Fehlallokationen führen. 64 Durch den Einfluss auf den Preisbildungsmechanismus werden auch Akteure auf der Marktgegenseite beeinträchtigt, die nicht getäuscht oder manipuliert wurden. Der durch Täuschungen und Manipulationen hervorgerufene Vertrauensverlust führt zudem dazu, dass die Marktteilnehmer einen Anreiz haben, sich vor Einflussnahmen zu wappnen und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. 65 Hinzu kommen die Schäden der Mitbewerber, die nur in einem ineffizienten Maße ihre Güter absetzen können oder Signaling-Kosten aufwenden müssen, um sich vom Einflussnehmer abzuheben. 66 Schließlich können die Allokationsineffizienzen auf benachbarte Märkte übergreifen. 67 Für die Frage, ob eine rechtlich relevante Einflussnahme vorliegt, sollten all diese Posten in die (Mikro-)Abwägung einfließen. Nur dann kann eine Rechtsregel den Einflussnehmer zur Internalisierung sämtlicher sozialer Kosten zwingen. Das sich hierbei stellende Problem ist offensichtlich: Die Quantifizierung aller sozialen Kosten ist schwierig. 68 Schäden, die infolge von Allokationsineffizienzen entstehen, lassen sich häufig nur mit finanzökonomischen Gutachten klären; nicht selten wird eine genaue Messung unmöglich sein. Das stellt das Gericht, das entscheiden muss, ob eine Rechtsregel bei einer Einflussnahme des Einflussnehmers eingreifen sollte, vor eine Herkulesaufgabe. Als zweitbeste Lösung kommt dann nur die Internalisierung von Umverteilungsschäden in Betracht, was Gegenstand des nächsten Abschnittes ist.
64
Vgl. oben S. 133. Vgl. oben S. 135. 66 Vgl. oben S. 134. 67 Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 144 f. 68 S. zu dem Messproblem sozialer Kosten zum Zwecke der Haftung im Detail Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 131 ff. 65
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2. Beachtlichkeit von Umverteilungsschäden Wenn die Nachteile der Adressaten Ressourcenschäden darstellen (etwa eine Täuschung bei Arzneimitteln oder eine Risikomanipulation bei Produkten, die jeweils zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen), kann man von sozialen Kosten sprechen, weil die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt sinkt.69 Anders verhält es sich bei reinen Vermögensschäden. Zahlt ein Adressat für ein Produkt aufgrund einer Einflussnahme zu viel, erleidet er zwar einen Verlust, der aber durch einen entsprechenden Gewinn des Einflussnehmers aufgefangen wird. Volkswirtschaftlich ist das ein Nullsummenspiel, ein Umverteilungsschaden, der aus dem Blickwinkel der Wohlfahrtsmaximierung irrelevant sein sollte.70 Nun ist es aber so, dass das Recht auch bei reinen Umverteilungsschäden dem Geschädigten mitunter Rechte zuspricht bzw. den Schädiger sanktioniert. Man denke nur an den Diebstahl: Stiehlt eine Person eine Sache, verleibt sie sich dessen Vermögenswert ein. Ist der Gegenstand sowohl für den Dieb als auch für das Opfer gleich viel wert, liegt eine bloße Umverteilung vor. Niemand käme auf die Idee, das Opfer in diesem Falle nicht zu kompensieren oder den Dieb nicht zu sanktionieren. Freilich könnte man dies durch einen Hinweis auf Gerechtigkeitskriterien begründen. Doch auch ökonomische Erwägungen streiten für eine Ersatzfähigkeit von Umverteilungsschäden. a) Umverteilung zwischen Einflussnehmer und Adressaten Eine Marginalbetrachtung des Verhaltens des Einflussnehmers spricht dafür, Umverteilungsschäden zwischen dem Adressaten und dem Einflussnehmer als soziale Kosten aufzufassen. Das hat Gary Becker in seiner ökonomischen Analyse von „Crime and Punishment“ früh deutlich gemacht und gilt in gleichem Maße für andere Bereiche des Rechts: „Superficially, frauds, thefts, etc., do not involve true social costs but are simply transfers, with the loss to victims being compensated by equal gains to criminals. While these are transfers, their market value is, nevertheless, a first approximation to the direct social cost. If the theft or fraud industry is ‘competitive,’ the sum of the value of the criminals’ time input— including the time of ‘fences’ and prospective time in prison—plus the value of capital input, compensation for risk, etc., would approximately equal the market value of the loss to victims. Consequently, aside from the input of intermediate products, losses can be taken as a measure of the value of the labor and capital input into these crimes, which are true social costs.“71
Ist der Einflussnehmer ein rationaler Nutzenmaximierer, wird er so lange Kosten für die Durchführung einer Einflussnahme aufwenden, wie der daraus erwirt69
Vgl. oben S. 135. oben S. 127. S. mit Blick auf das Deliktsrecht Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 15 f. 71 Becker, 76 J. Political Econ. 169, 171 (1968) in Fn. 3. 70 Vgl.
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schaftete Grenzertrag – der Täuschungs- oder Manipulationsprofit – positiv ist. Die Kosten, die er für die Durchführung der Einflussnahme aufwendet, stellen tatsächliche soziale Kosten dar. Der Aufwand, den der Einflussnehmer (als „effizienter“ Täuscher oder Manipulator) für die Durchführung der Einflussnahme betreibt, entspricht annäherungsweise dem Wohlfahrtstransfer vom Adressaten hin zu dem Einflussnehmer. Im Sinne einer effektiven Verhaltenssteuerung ist es daher sinnvoll, dass der Einflussnehmer die Schäden des Adressaten internalisiert, auch wenn diese lediglich als weithin kongruente Stellvertretergröße für andere soziale Kosten stehen – gewissermaßen als zweitbeste Lösung.72 Diese Erwägung hat zunächst nur Gültigkeit für absichtliche Einflussnahmen. Bei bedingt vorsätzlichen und fahrlässigen Täuschungen und Manipulationen wendet der Einflussnehmer nicht in gleichem Umfang oder überhaupt bewusst und zweckgerichtet Kosten für die Einflussnahme auf. Soziale Kosten entstehen jedoch durch die Vorsorgemaßnahmen der Adressaten, z. B. Informationskosten, die bei der Verifikation von Aussagen des Einflussnehmers anfallen. Die Höhe des Vorsorgeaufwands korreliert zumindest mit den andernfalls zu erwartenden Schäden, sodass eine gewisse Nähe zur Größenordnung der Umverteilungsschäden anzunehmen ist. Bewerkstelligt wird die Beachtlichkeit von Umverteilungsschäden im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse, indem der Gewinn des Einflussnehmers – soweit er sich mit den Schäden der Adressaten deckt – als Rechnungsposten außer Betracht bleibt.73 b) Umverteilung zwischen den Marktteilnehmern Findet die Umverteilung nicht zugunsten des Einflussnehmers, sondern zwischen den Marktteilnehmern statt, verfängt die Argumentation von Becker nicht. Dann sind die individuellen Schäden der Adressaten keine geeignete Stellvertretergröße für die Kosten zur Durchführung der Einflussnahme. Paradigmatisch hierfür sind Täuschungen, die sich auf den Kurs eines Finanzinstruments auf dem Sekundärmarkt auswirken.74 Dem Nachteil, um den ein Anleger das Finanzinstrument zu teuer gekauft oder zu billig verkauft hat, steht ein gleich hoher Vorteil eines anderen Anlegers gegenüber. Der Einflussnehmer selbst profitiert durch die Täuschung nur mittelbar, etwa weil er einen hohen Sekundärmarktpreis für eine Kapitalerhöhung oder für die Emission von Schuldtiteln nutzen kann.75 Der Vorteil des Einflussnehmers ist inkongruent zu den Schäden der Adressaten und damit keine geeignete Stellvertretergröße für die Durchführungskosten der Einflussnahme. Wür72 So auch Tullock, 5 West. Econ. J. 224, 228 ff. (1967); Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 618 (1985); Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 629 f. (1992); Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 117 f. 73 Das wurde in der Formel (3), oben S. 170, auch getan. Andernfalls würde sich der Gewinn des Einflussnehmers mit dem Verlust des Adressaten ausgleichen, d. h. der Umverteilungsschaden würde keine Beachtung finden. 74 Vgl. oben S. 131 ff. 75 Vgl. Klöhn, ZHR 172 (2008), 388, 403; Meier, GRUR 2019, 581, 585.
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den die Umverteilungsschäden in das Kalkül einer Rechtsregel einbezogen und ersatzfähig gestellt werden, bestünde die Gefahr einer Überabschreckung der Einflussnehmer, die ihrerseits mit Wohlfahrtsverlusten verbunden ist. Deshalb sprechen sich vor allem im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht einige Stimmen gegen eine Ersatzfähigkeit von Umverteilungsschäden in der Sekundärmarktinformationshaftung aus.76 Dieser Gefahr der Überabschreckung steht jedoch ein potenzielles Untermaß an Prävention gegenüber, weil andere soziale Kosten – die bereits erwähnten, nicht quantifizierbaren Folgen ineffizienter Allokationen – nicht internalisiert werden.77 Als Remedur könnte man die Umverteilungsschäden zwischen den Marktteilnehmern als Stellvertretergröße für all diese nur schwerlich messbaren Kosten nutzen, d. h. diese beispielsweise durch eine Schadensersatzhaftung ersatzfähig stellen. Diese zweitbeste Lösung ist weniger überzeugend als bei einer Umverteilung zwischen dem Einflussnehmer und dem Adressaten, weil die Umverteilungsschäden keinen unmittelbaren Größenbezug zu den wahren sozialen Kosten aufweisen. Geht man jedoch davon aus, dass die nicht messbaren sozialen Kosten höher sind als die Umverteilungsschäden zwischen den Marktteilnehmern, ist dieser Ansatz trotzdem legitim.78 Ob diese Annahme der höheren Kosten in der Realität zutrifft, kann nur vermutet werden. In jedem Fall spricht aufgrund der Ungewissheit viel dafür, bei der Ersatzfähigkeit solcher Schäden zusätzliche Vorkehrungen – wie eine Begrenzung auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit – einzuführen. IV. Folgerungen Festzuhalten bleibt, dass das Recht der Einflussnahme darauf abzielt, die sozialen Kosten von Täuschungen und Manipulationen zu minimieren. Hierfür sollten Ex-post-Regulierungsinstrumente sozial unerwünschte Einflussnahmen abschrecken, ohne gleichzeitig sozialförderliches Verhalten zu behindern. Die Grenze zwischen akzeptablem und sozialschädlichem Verhalten kann man bei unbeabsichtigten Einflussnahmen durch eine Kosten-Nutzen-Analyse entsprechend der „Learned Hand“-Formel ziehen. Bei Aktivitäten, die eine Vielzahl von Adressaten erreichen („Masseneinflussnahmen“), einen Teil der Adressaten täuschen oder 76 S. statt aller Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623 (1992). Aus deutscher Perspektive zu dieser Frage Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 498; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 119, 463, 542 f. 77 Vgl. vorsichtig Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 119, 463. S. in Bezug auf die US-amerikanische Kapitalmarkthaftung Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 641 (1985): „This is not to say that the optimal damages in aftermarket cases are zero just because most gains and losses net out. There will be the usual net harms of the costs of guarding against and litigating about the wrong, and there will be an allocative efficiency loss if transactions of a particular sort create uncompensated risk. The larger the transfer among investors, the more they will spend guarding against the problem. Even a diversified investor would like to be on the winning side of every transaction.“ 78 Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 119.
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anipulieren, einem anderen Teil aber informationelle Vorteile bietet, ist eine Mim kroabwägung angezeigt, die Anleihen bei der Produkthaftung nimmt. Diese Aktivitäten sollten nur dann rechtliche Relevanz haben, wenn der Grenznutzen einer denkbaren alternativen Darstellung – die durch eine Reformulierung, durch klarstellende Hinweise oder eine andere Präsentation vorgenommen werden kann – die Grenzkosten ebendieser Darstellung überwiegt. Lediglich absichtliche Einflussnahmen sollten in jedem Fall verhindert werden, sodass eine Abwägung der Risiken und des Nutzens, ebenso wie ein Mitverschuldenseinwand auf Adressatenseite, nicht erforderlich ist. Zudem gestaltet sich die Messung aller sozialen Kosten, die eine Täuschung oder eine Manipulation verursachen, schwierig. Vielfach wird man nur die Kosten der unmittelbar beteiligten Parteien bestimmen können. Deshalb sollten als „zweitbeste Lösung“ dem Einflussnehmer auch Umverteilungsschäden, die eigentlich keine sozialen Kosten darstellen, als Stellvertreter für die nicht quantifizierbaren Kosten auferlegt werden. Nur so lässt sich eine unzureichende Abschreckung verhindern. Damit sind die Weichen für eine steuerungstheoretische Analyse der Ex-post-Regulierungsinstrumente gestellt. Bevor auf diese im Einzelnen eingegangen werden kann, muss zunächst noch eine übergeordnete Frage beantwortet werden: Wann liegt eine rechtlich relevante Täuschung oder Manipulation vor und wie kann ein Gericht diese feststellen? Dieser Frage geht der nächste Abschnitt nach.
B. Sachverhaltsbeurteilung: Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation Der Rechtsanwender steht bei der Beurteilung, ob ein Sachverhalt eine „Täuschung“ oder „Manipulation“ verwirklicht, zunächst vor zwei Aufgaben: Er muss den abstrakten Rechtssatz, der die beiden Formen der Einflussnahme reguliert, auslegen, um seine kennzeichnenden Elemente zu erfassen (Auslegung) und er muss einen „Rohsachverhalt“,79 das tatsächliche, sprachlich-begrifflich noch nicht erfasste Phänomen, 80 deuten und ordnen (Sachverhaltsbildung). Dadurch stehen Ober- und Untersatz fest und die abschließende Subsumtion kann erfolgen.81 Das eigentliche Schwergewicht der Rechtsanwendung liegt nicht in der Subsumtion, sondern in der Auslegung und vor allem in der Sachverhaltsbildung. 82 Die Bildung eines Sachverhalts erfolgt im Lichte des Rechtssatzes und nimmt die Subsumtion
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Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 279. Nierwetberg, JZ 1983, 237, 238. 81 Vgl. Hruschka, ARSP 50 (1964), 485, 486. 82 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 283: „In Wahrheit liegt das Schwergewicht der Gesetzesanwendung nicht auf der abschließenden Subsumtion, sondern auf der ihr vorausgehenden Beurteilung der einzelnen Elemente des Sachverhalts als solcher, die den im Tatbestand genannten Merkmalen entsprechen.“; Hruschka, ARSP 50 (1964), 485, 486. 80
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zu einem großen Teil vorweg. 83 Denn der endgültige Sachverhalt wird nur solche Elemente des Geschehens enthalten, die für den jeweiligen Rechtssatz relevant sind. Karl Engisch hat das als das „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“ bezeichnet.84 Recht und Sachverhalt sind „dynamisch aufeinander bezogen, wechselseitig voneinander abhängig und in ihren Grenzen unscharf.“85 In diesem Abschnitt werden drei Ansätze vorgestellt, die Rechtsanwender für die Beurteilung, ob in einem konkreten Sachverhalt eine Täuschung (I.) oder Manipulation (II.) vorliegt, nutzen können. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Recht und Sachverhalt sind diese Ansätze aber nicht nur Instrumente für die Beurteilung eines Sachverhalts. Es handelt sich gleichzeitig um Auslegungsansätze für Tatbestände, die begrifflich oder inhaltlich an eine Täuschung oder Manipulation anknüpfen. Die Auslegung eines Rechtssatzes und die Deutung eines Lebenssachverhalts im Lichte dieses Rechtsgedankens sind „in der Wurzel gleichartige und gleichgerichtete Tätigkeiten.“86 Die Sachverhaltsbildung bleibt beim Einzelfall stehen, während Tatbestandsmerkmale eine „soziologisch-empirisch zusammenfaßbare Gruppe von Lebenssachverhalten“ abstrakt typisierend widerspiegeln.87 In beiden Fällen geht es aber um die Frage, welche Verhaltensweisen eine Täuschung oder eine Manipulation verwirklichen. Es wird sich zeigen, dass Gerichte als „Policymaker“ in der ersten Reihe88 bereits durch die Sachverhaltsbeurteilung das Verhalten der Rechtsunterworfenen steuern können. I. Feststellung einer Täuschung Zahlreiche Rechtsnormen haben eine Täuschung als Tatbestandsvoraussetzung (1.). Das Gericht kann das Vorliegen einer Täuschung durch verschiedene Ansätze beurteilen. Ausgehend von Wilhelm Diltheys Unterscheidung von Verstehen und Erklären (2.) kann es den propositionalen Gehalt einer Äußerung oder eines Verhaltens des Einflussnehmers deuten (interpretativer Ansatz) (3.), oder aber auf die informationellen Effekte auf Seiten der Adressaten abstellen (effektbasierter Ansatz) (4.). Schließlich kann das Gericht eine Täuschung auch normativ feststellen (konstruktiver Ansatz) (5.).
83 Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963 (1943), S. 15; Larenz, ethodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 274; Hruschka, ARSP 50 (1964), 485, 488: M „Die Rechtsidee wirkt als leitende Idee auch in die Sachverhaltsbildung hinein.“ 84 Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963 (1943), S. 15. 85 Hruschka, ARSP 50 (1964), 485, 486. 86 Hruschka, ARSP 50 (1964), 485, 491, der mit dem Zitat die „Bildung von Sachverhalten und die Bildung von Tatbeständen“ meint. 87 Hruschka, ARSP 50 (1964), 485, 491. 88 Rose-Ackerman, Rethinking the Progressive Agenda, 1993, S. 118: „I now consider [judges] as ‘front-line’ policymaker using the […] law of torts, contracts, and property to influence private behavior.“
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1. An die Täuschung anknüpfende Rechtsregeln Die Täuschung ist neben der Drohung und dem Zwang im deutschen und europäischen Recht das Paradigma einer unzulässigen Einflussnahme. So gewährt § 123 BGB im Falle einer arglistigen Täuschung dem Adressaten ein Anfechtungsrecht.89 Auch viele unbestimmte Rechtsbegriffe, wie die vorvertragliche Pflichtverletzung (culpa in contrahendo) oder die „sittenwidrige vorsätzliche Schädigung“ (§ 826 BGB) 90 knüpfen an das Wesen einer Täuschung an und gewähren dem Adressaten einen Schadensersatzanspruch. Täuschungen über Mängel einer Kaufsache können dem Adressaten als Käufer Gewährleistungsansprüche verschaffen. Außerhalb des Bürgerlichen Rechts knüpfen Marktordnungsnormen wie § 5 UWG an „irreführende geschäftliche Handlungen“ an, also solche, die unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben enthalten und erklären diese für unlauter. Eine Täuschung in Form der Veröffentlichung unwahrer Kapitalmarktinformationen (§ 98 WpHG), der Unterlassung von veröffentlichungspflichtigen Ad-hoc-Mitteilungen (§ 97 WpHG), oder fehlerhafter Prospektangaben (§ 9 WpPG) führt zu Schadensersatzansprüchen. Im Wirtschaftsrecht existieren zahlreiche weitere Täuschungsverbote.91 2. Hinführung: Erklären und Verstehen Wilhelm Dilthey hat zwischen Erklären und Verstehen unterschieden und damit gleichzeitig die Naturwissenschaften von den Geisteswissenschaften abgegrenzt: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“92 Das Erkenntnisinteresse der Naturwissenschaften liegt in der Erklärung von Ereignissen aus ihren Ursachen, also in der Explikation eines Phänomens unter Angabe der zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten.93 Die Geisteswissenschaften hingegen gehen hermeneu89 Andere Normen im BGB, die an eine Täuschung anknüpfen, sind die §§ 318 Abs. 2, 438 Abs. 3, 442, 444, 445, 523 Abs. 1, 524, 536b, 536d, 600, 634a Abs. 3, 639, 1314 Abs. 2 Nr. 3, 1760 Abs. 2 lit. c, 2183, 2339 Abs. 1 Nr. 3, 2376 Abs. 2, 2385 BGB. 90 Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine arglistige Täuschung, sofern der Täuschende auch bedingten Schädigungsvorsatz hat, den Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht, s. BGH NJW 1960, 237; 1962, 1196, 1198; WM 1969, 496, 498; ZIP 1984, 439, 441; NJW 1992, 1323, 1325; VersR 2005, 418; NJW 2020, 1962 Rn. 46 ff.; s. hierzu im Detail Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 70 ff. 91 Beispielsweise in § 18 Abs. 2 und § 331 HGB, § 18 Abs. 2 TabakerzG oder § 3 HWG. 92 Dilthey, Gesammelte Schriften V, Die geistige Welt I, 2. Aufl. 1957 (1924), S. 144. S. auch Stegmüller, Erklärung Begründung Kausalität, 2. Aufl. 1983, S. 414 ff.; s. zu „historischen“ und „naturwissenschaftlichen“ Erklärungen ebd. S. 389 ff. 93 Die Grundlagen des hierfür genutzten deduktiv-nomologischen Erklärungsschemas findet sich in den Werken von John Stuart Mill: „An individual fact is said to be explained, by pointing out its cause, that is, by stating the law or laws of causation, of which its production is an instance.“, Mill, System of Logic Ratiocinative and Inductive, 1843, S. 464. Für die moderne Wissenschaft fundamental ist freilich der Explikationsbegriff von Carl Gustav Hempel und Paul Oppenheim, s. Hempel/Oppenheim, 15 Philos. Sci. 135 (1948). Paradigma hierfür ist das Experiment, das mit quantitativen Methoden versucht Kausalbeziehungen „objektiv“ nachzuweisen, vgl. Hussy/
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tisch und sinnverstehend vor und beleuchten den Menschen als Ganzen.94 Es geht nicht darum, die soziale Wirklichkeit durch Regelhaftigkeit auf objektivierbare Ursachen zurückzuführen, sondern um ein Verständnis des subjektiven Sinnes menschlichen Handelns.95 Ausgehend von der Unterscheidung des Verstehens und der Erklärung kann ein Gericht zunächst auf zwei Arten einen Sachverhalt auf das Vorliegen einer Täuschung untersuchen:96 Es kann erstens die Bedeutung einer Äußerung oder einer Handlung durch eine Auslegung verstehen (interpretativer Ansatz).97 Die Bedeutung entspricht der vermittelten Proposition, die im Falle einer Täuschung falsch ist. Zweitens kann das Gericht einen bestimmten Effekt als kausale Folge einer Einflussnahmehandlung erklären (effektbasierter Ansatz).98 Dieser Effekt kann in der informationellen Wirkung einer Äußerung oder Handlung oder in mittelbaren Täuschungseffekten zu sehen sein. Beide Ansätze können bestimmen, ob eine Täuschung vorliegt oder nicht. Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile. Sie konkurrieren aber nicht. Das zeigt ein Vergleich mit der Herangehensweise der Sozialwissenschaften, in der es bei der Frage um das Erklären und Verstehen zu einem langen Methodenstreit kam,99 heute aber Schreier/Echterhoff, Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften, 2. Aufl. 2013, S. 20 ff. Vgl. zu Experimenten unten S. 204 ff. 94 „Denn in der inneren Erfahrung sind auch die Vorgänge des Erwirkens, die Verbindungen der Funktionen als einzelner Glieder des Seelenlebens zu einem Ganzen gegeben.“, Dilthey, Gesammelte Schriften V, Die geistige Welt I, 2. Aufl. 1957 (1924), S. 144. 95 Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 14, 34. Ihre Methoden sind deshalb qualitativ und interpretativ, Hussy/Schreier/Echterhoff, Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften, 2. Aufl. 2013, S. 20 ff. 96 Richard Craswell hat, in Bezug auf Werbung, zwei Methoden knapp angesprochen: „the effects of the advertisement“ und „the characteristics of the advertisement, without explicit reference to the ad’s effect on consumers.“, Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 668 f. (1985). Der hier vorgestellte interpretative und der effektbasierte Ansatz entsprechen dieser Unterscheidung. Jüngst hat Gregory Klass für das „Law of Deception“ mehrere Ansätze vorgeschlagen, Klass, 100 Geo. L.J. 449 (2012); ders., 89 U. Colo. L. Rev. 707 (2018). Konkret unterscheidet Klass zwischen drei Methoden: interpretive laws, purpose-based laws und causal-predictive laws. Interpretative laws verbieten es, Unwahrheiten zu äußern, sie regulieren also misstatements. Purpose-based laws adressieren Handlungen, die mit einer schlechten Absicht vorgenommen werden. Hiermit meint Klass insbesondere die US-amerikanische Rechtsfigur concealment. Nach Restatement (Second) of Torts § 550 (1977) begeht eine Partei eine schadensersatzauslösende fraudulent concealment, wenn sie „intentionally prevents the other from acquiring material information.“ Hierfür muss die Partei mit Vorsatz handeln. Causal-predictive laws nutzen Alltagspsychologie, empirische Studien und kognitionspsychologische Theorien, um die täuschende Wirkung einer Handlung vorherzusagen. S. mit Bezug auf Dilthey auch Klass, Georgetown Law and Economics Research Paper (SSRN: #1123640) 2008, 1, 31 f. 97 Vgl. unten S. 184 ff. Hierzu auch Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 669 (1985) und insbesondere Klass, 100 Geo. L.J. 449, 450, 453 ff. (2012). 98 Vgl. unten S. 201 ff. S. auch Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 668 (1985) und detailliert Klass, 100 Geo. L.J. 449, 450, 466 (2012). Anders als bei Klass Ansatz kann die hier vorgeschlagene Konzeption neben Täuschungen auch Manipulationen erfassen. 99 Der Streit wird mit verschiedenen Begriffspaaren geführt, nicht nur in den Sozialwissenschaften: Erklären und Verstehen; naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Herangehensweise; quantitative und qualitative Forschungsmethoden; Positivismus und kritische Theo-
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ein Konsens besteht: Die wissenschaftlichen Methoden sollten entsprechend den Eigenarten des Untersuchungsgegenstands gewählt werden. Beide Methoden haben ihre Existenzberechtigung, mit beiden Methoden kann menschliches Verhalten untersucht und Erkenntnis gewonnen werden.100 Häufig ergänzen sich beide Herangehensweisen: Um eine Hypothese bestätigen, d. h. ein Phänomen erklären zu können, muss sie zunächst aufgestellt werden, was durch einen verstehenden und deutenden Blick auf den Menschen möglich ist.101 Ganz ähnlich verhält es sich bei der Sachverhaltsbeurteilung. Für manche Untersuchungsgegenstände, etwa der Feststellung einer Täuschung bei Massenkommunikationen, bietet sich der effektbasierte Ansatz an, während das Gericht personale Täuschungssituationen einfacher durch den interpretativen Ansatz feststellen kann. Schließlich sind beide Ansätze auch kombinierbar oder müssen eine normative Kontrolle durch den konstruktiven Ansatz erfahren, der Ziele wie die Wohlfahrtsmaximierung über das Verstehen oder Erklären stellt.102 3. Interpretativer Ansatz Der interpretative Ansatz zur Sachverhaltsbeurteilung besteht aus drei Schritten.103 Das Gericht muss erstens eine Äußerung oder ein Verhalten des Einflussnehmers deuten und so einen propositionalen Gehalt feststellen.104 Es muss zweitens beurteilen, ob die Proposition wahr oder falsch ist. Ist sie falsch, muss drittens die Proposition den Adressaten dazu verleiten, eine Entscheidung zu treffen, d. h. sie muss kausal hierfür sein.
rie; galileische und aristotelische Tradition; Empirie und Normativität; kausale und intentionale Erklärung; Monismus und Dualismus; Leib und Seele; er mündete schließlich auch im sog. Werturteilssteit. S. für einen Überblick über die Geschichte der Soziologie in der Nachkriegszeit Kruse, Geschichte der Soziologie, 3. Aufl. 2018, S. 254 ff.; 129 ff.; s. auch Wright, Explanation and Understanding, 1971, S. 1 ff.; Hussy/Schreier/Echterhoff, Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften, 2. Aufl. 2013, S. 185 f. 100 S. für einen knappen Überblick Hussy/Schreier/Echterhoff, Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenschaften, 2. Aufl. 2013, S. 185 f. 101 „Auf der anderen Seite zeigen diese Beispiele, daß der praktisch-heuristische Wert des ‚Verstehen‘ genannten Kunstgriffs nicht zu unterschätzen ist. Um Hypothesen bestätigen zu können, müssen sie zunächst einmal vorliegen. Und sie sind erst dann ‚da‘, wenn sie einem Fachmann zuvor eingefallen sind. Virtuose Handhabung unserer Operation durch den Psychologen und Historiker kann sich daher für das vorbereitende Abtasten eines Forschungsbereiches aus der menschlichen Sphäre als äußerst fruchtbar erweisen und das Angebot an ernsthaft diskutierbaren Hypothesen wesentlich erhöhen.“, Stegmüller, Erklärung Begründung Kausalität, 2. Aufl. 1983, S. 425 f. 102 Vgl. unten S. 210 ff. 103 Ian Ayres und Gregory Klass sprechen ganz ähnlich von zwei Aufgaben: die „representation inquiry“ (der Richter muss eine Äußerung interpretieren) sowie die „veracity inquiry“ (der Richter muss überprüfen, ob die Äußerung wahr oder unwahr ist). S. Ayres/Klass, Insincere Promises, 2005, S. 19 f. 104 S. zu dieser Kategorie auch Klass, 100 Geo. L.J. 449, 450, 453 ff. (2012); ders., 89 U. Colo. L. Rev. 707, 717 ff. (2018).
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Dieser Abschnitt beschäftigt sich vor allem mit dem ersten Schritt, der Interpretation. Zunächst erfolgt ein knapper Überblick über die Hermeneutik, die „Kunst der Auslegung“ (a.) sowie die möglichen Interpretationsobjekte, d. h. Äußerungen und nicht-sprachliches Verhalten (b.). Für die eigentliche Deutung werden Interpretationsregeln vorgeschlagen, die auf den Erkenntnissen aus der Analyse der Täuschung im Kapitel § 2 aufbauen (c.). Regulierungsgegenstände sind die semantische Täuschung,105 die pragmatische Täuschung106 und die nicht-sprachliche Täuschung107. Hieran schließt sich die regulierungstheoretische Frage an, wann das Gericht (oder auch der Gesetzgeber) welche Regel nutzen sollte (d.). Schließlich existieren auch rechtlich und konventionell geprägte Interpretationsstandards, die eine eigene Steuerungswirkung entfalten (e.). a) Die Kunst der Auslegung Wenn ein Einflussnehmer etwas äußert oder sich verhält, ist nur der äußere Vorgang wahrnehmbar: die Artikulation von Worten, das Niederschreiben von Schriftzeichen oder die Vornahme einer Handlung.108 Der Rechtsanwender muss, um den Sachverhalt zu beurteilen, dieses Verhalten deuten. Eine Deutung ist abhängig vom Standpunkt des betrachtenden Individuums. Zugespitzt könnte man behaupten, „Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen.“109 Eine Interpretation birgt so immer die Gefahr der Beliebigkeit. Um „der Willkür im Feld der Interpretation möglichst vorzubeugen“,110 kann man den Gerichten methodische Anweisungen an die Hand geben. Das erleichtert nicht nur die Rechtsfindung, sondern ermöglicht auch nachvollziehbare Interpretationen, die der Rechtssicherheit förderlich sind und so eine Steuerungswirkung entfalten. Mit der Hermeneutik hat sich eine eigene Disziplin entwickelt, die sich mit den Regeln kunstgemäßen Deutens befasst. Hermeneutik ist „die Kunst, die Rede eines andern richtig zu verstehen“111 oder schlicht die „Kunst der Auslegung“112 .113 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der philosophischen Hermeneutik114 würde den 105
Vgl. oben S. 67 ff. Vgl. oben S. 69 ff. 107 Vgl. oben S. 71 f. 108 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 285. 109 Nietzsche, Werke in drei Bänden, Band 3, 1954, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, S. 902. 110 Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, 2. Aufl. 2001, S. 13. 111 Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (1838), S. 75. 112 Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, 2. Aufl. 2001, S. 13. Schleier macher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (1838), S. 80: „Das Auslegen ist Kunst.“ 113 An dieser Stelle nicht gemeint ist die juristische Spezialhermeneutik mit ihren vier bekannten Auslegungsmethoden, hierzu grundlegend Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 1840, § 33, S. 212 ff. Diese sind zwar für die Auslegung des Gesetzes wichtig. Für die Interpretation eines tatsächlichen Geschehens müssen jedoch andere Regeln gelten. 114 S. nur Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (1838); Gadamer, Gesammelte Werke I, 6. Aufl. 1990; für einen Überblick Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, 2. Aufl. 2001, S. 33 ff. 106
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Sie ist auch nicht erforderlich, weil das hermeneutische Anliegen des interpretativen Ansatzes ein anderes ist.115 Für diese Untersuchung relevant ist nicht eine authentische Interpretation, die die Intention des Urhebers einer Äußerung ergründen möchte. Vielmehr kommt es darauf an, wie ein Adressat die Äußerung versteht. Der Blickwinkel ist also derjenige des Adressaten, der freilich Mutmaßungen über die Intention des Einflussnehmers anstellt.116 Was der Einflussnehmer aber tatsächlich meint, hat für den interpretativen Ansatz keine Bedeutung; es kann lediglich im Rahmen des Vorsatzes Berücksichtigung finden.117 Dabei obliegt es dem Gericht, das Verständnis des Adressaten, oder eines Kreises von Adressaten, festzustellen. Man könnte sagen, es geht damit weniger um eine Bedeutungsfeststellung als um eine Bedeutungsfestsetzung.118 b) Interpretationsobjekt Das Objekt der Interpretation sind Zeichen. Ein Zeichen ist ein Signal, das für andere Dinge steht,119 d. h. ein Träger von Bedeutung.120 Interpretieren heißt also die Bedeutung eines Zeichens zu erkennen.121 Zeichenträger sind vor allem sprachliche Äußerungen, wie Worte oder Sätze, unabhängig davon, ob sie mündlich, schriftlich, digital oder in Zeichensprache geäußert werden.122 Aber auch anderes Verhal115 Freilich hat die philosophische Hermeneutik einen Universalitätsanspruch. Auch Savigny sah große Gemeinsamkeiten zwischen der juristischen Hermeneutik und der Auslegung anderer Gedanken: „Soweit ist die Auslegung der Gesetze von der Auslegung jedes anderen ausgedrückten Gedankens (wie sie z. B. in der Philologie geübt wird) nicht verschieden.“, Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 1840, § 33, S. 213. 116 Namentlich Paul Grice vertritt eine intentionale Theorie der Bedeutung, soweit es um die natürliche Bedeutung (vgl. oben S. 71 f.) geht. Die Bedeutung einer Äußerung beruhe auf der Intention des Sprechers und darauf, dass ein Adressat diese Intention erkennt. Das wurde im ersten Teil der Untersuchung bei der Formulierung einer „Behauptung“ bereits angedeutet: Bei einer Behauptung (1) äußert ein Einflussnehmer einen Satz mit der Bedeutung p, (2) der Einflussnehmer präsentiert p als wahr und (3) er hat die Intention, in dem Adressaten den Glauben zu erzeugen, dass p. Anders gewandt könnte man sagen, der Einflussnehmer meine mit einer Äußerung p, wenn er diese Äußerung mit der Intention vollführt, in dem Adressaten den Glauben zu erwecken, dass p wahr ist. Hierfür muss der Einflussnehmer intendieren, dass der Adressat diese Intention erkennt und, damit die Behauptung glückt, muss der Adressat sie auch tatsächlich erkennen. S. Grice, 66 Philos. Rev. 377, 384 (1957): „‚A meantNN something by x’ is (roughly) equivalent to ‚A intended the utterance of x to produce some effect in an audience by means of the recognition of this intention“. 117 Vgl. unten S. 240. 118 Vgl. Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 15. 119 Vgl. Kjørup, Semiotik, 2009, S. 7. 120 Kjørup, Semiotik, 2009, S. 11. 121 Vgl. Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, 2. Aufl. 2001, S. 87. 122 Man kann anstatt von Äußerungen auch allgemeiner von Ausdrucks- oder Kommunikationsmitteln sprechen, vgl. Kjørup, Semiotik, 2009, S. 11. Vorrangig wird es bei der interpretativen Feststellung um sprachliche Äußerungen, genauer: um eine konkrete Aussage gehen. Die Interpretation einer einzelnen Äußerung ist dabei immer künstlich. Eine einzelne Aussage ist eine Abstraktion, der man so in der Realität nie begegnet. Deshalb fragt Gadamer zurecht: „Gibt es solche reinen Aussagesätze, und wann und wo?“, Sprache und Verstehen (1970), in: Gesammelte
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ten ist interpretationsfähig, soweit es ein Zeichen darstellt, d. h. einen propositionalen Gehalt vermitteln kann.123 Das ist bei nicht-sprachlichen Verhaltensweisen der Fall, wenn man ihnen konventionell eine Bedeutung zuschreibt. Die ausgestreckte Hand zum Handschlag hat eine konventionelle Bedeutung; aber auch das körperliche Gebrechen, das ein Arzt als Symptom einer Krankheit deutet. Beschränkt sich die Interpretation eines Täuschungstatbestands auf ein bestimmtes Interpretationsobjekt, entfaltet sich bereits eine erste Steuerungswirkung. Werden nur sprachliche Äußerungen reguliert, ist den Rechtsunterworfenen klar, dass sie Aussagen so formulieren müssen, dass sie keine täuschende Wirkung aufweisen. Werden auch nicht-sprachliche Handlungen erfasst, erweitert sich der Anwendungsbereich der Täuschungsregulierung immens. Bestehen keine rechtssicheren Konventionen, wann einer nicht-sprachlichen Handlung eine Bedeutung zukommt, kann es leicht zu einer Überabschreckung kommen, sofern die maßgebliche Rechtsregel keine weiteren Vorkehrungen wie etwa ein Vorsatzerfordernis trifft. c) Interpretationsregeln Aufbauend auf der Analyse der Täuschung im Kapitel § 2 kann man semantische (a.) von pragmatischen (b.) Interpretationsregeln unterscheiden. Mit diesen kann der Rechtsanwender eine Äußerung oder ein Verhalten deuten und in eine propositionale Form „übersetzen“.124 Während eine semantische Interpretation zu fast schon „objektiven“ Ergebnissen führt, hängen pragmatische Bedeutungsgehalte stark vom Schlussfolgerungsprozess des Adressaten ab. Das stellt die Rechtsanwendung vor besondere Schwierigkeiten (c.). Jedoch existieren Faustregeln, die auf den bereits erläuterten „Grad der Verbindlichkeit“125 einer Schlussfolgerung abstellen (d.). Werke II, 1993, S. 184, 193. Die „Sprache vollzieht sich […] nicht in Aussagen, sondern als Gespräch“, ders., Grenzen der Sprache (1985), in: Gesammelte Werke VIII, 1999, S. 350, 359. S. auch ders., Was ist Wahrheit? (1957), in: Gesammelte Werke II, 1993, S. 44, 52: „Es gibt keine Aussage, die man allein auf den Inhalt hin, den sie vorlegt, auffassen kann, wenn man sie in ihrer Wahrheit erfassen will. Jede Aussage ist motiviert. Jede Aussage hat Voraussetzungen, die sie nicht aussagt. Nur wer diese Voraussetzungen mitdenkt, kann die Wahrheit einer Aussage wirklich ermessen. Nun behaupte ich: die letzte logische Form solcher Motivation jeder Aussage ist die Frage.“ sowie dort „Die Universalität des hermeneutischen Problems“, S. 219, 226: Es gebe „keine mögliche Aussage […], die nicht als Antwort auf eine Frage verstanden werden kann, und daß sie nur so verstanden werden kann“. Für eine Regulierung bestimmter Äußerungen ist es aber notwendig, diese zu isolieren, um sie rechtlich beherrschbar zu machen (nach Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, 2. Aufl. 2001, S. 165 tue eine solche Isolierung „aber der Sprache Gewalt an.“). Der Kritik der Künstlichkeit kann man entgehen, das wird sich zeigen, wenn nicht nur auf den semantischen Bedeutungsgehalt einer Aussage abstellt, sondern auch den Äußerungskontext miteinbezieht. 123 Das heißt, soweit „es ein Mittel ist, wodurch die Wirklichkeit eines anderen Dinges erkannt werden kann“, Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, 2. Aufl. 2001, S. 87. 124 Der altgriechische Begriff für Hermeneutik, ἑρμηνεύειν, hat neben „auslegen“ und „ausdrücken“ auch die Bedeutung „übersetzen“. S. zum Wortfeld Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik, 2. Aufl. 2001, S. 36. 125 Vgl. oben S. 62 f.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
aa) Semantische Interpretation In § 2 wurde die Typizität einer semantischen Täuschung näher erläutert. Äußert ein Einflussnehmer eine Behauptung (er behauptet, dass p), kann das Gericht die Proposition aus der semantischen Bedeutung der geäußerten Zeichen ableiten und auf seinen Wahrheitsgehalt untersuchen. Die einzelnen Formen semantischer Schlüsse126 kann man so als Interpretationsregeln verstehen: (1) Wörtlichkeit: 127 Bei einer wörtlichen Interpretation legt das Gericht die einzelnen Worte und Sätze128 „auf die Goldwaage“.129 Bezugspunkt sind die verwendeten Worte und ihre lexikalische Bedeutung.130 Der Rechtsanwender kann dabei auf seine eigene Sprachfähigkeit zurückgreifen oder, für eine möglichst „objektive“ Interpretation, Wörterbücher zur Hilfe nehmen.131 Freilich ist auch eine wörtliche Bedeutung niemals völlig objektiv.132 In Wörterbüchern finden sich aber zumindest kollektive 126
Vgl. oben S. 54 ff. Vgl. oben S. 68. 128 Die Bedeutung einzelner Wörter ergibt sich häufig aber erst durch einen Blick auf sein Umfeld: „Der Sinn eines jeden Wortes an der gegebenen Stelle muß bestimmt werden nach seinem Zusammensein mit denen, die es umgeben.“, Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (1838), S. 111. Damit ist nicht der Kontext (im pragmatischen Sinne) gemeint, sondern die Komposition der einzelnen Wörter, Satzteile und Sätze, also die Satz- oder Textsemantik. Erst im Verband entfalten sie ihre kommunikative Wirkung. So kann man, unter Anwendung der Regeln der Sprache, der Syntax und der Grammatik, dann die wörtliche Bedeutung der (Gesamt-)Äußerung feststellen. S. Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 90, 125; Gutzmann, Semantik, 2019, S. 3. 129 Bereits Schleiermacher legte einige Kanones und Regeln zur wörtlichen Interpretation vor – er nannte das die „grammatische Seite“ der Interpretation, Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (1838), S. 101 ff. (daneben kannte er noch eine „psychologische Seite“, dort S. 167 ff.). Objekte der Interpretation sind also Worte oder Sätze. Hilfswissenschaft zur Feststellung der Bedeutung ist dementsprechend die Wort- oder Satzsemantik, vgl. Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 52. S. auch Klass, 100 Geo. L.J. 449, 457 (2012): „Speaker meaning often includes a speech act‘s literal meaning, what the law calls its plain meaning.“ 130 Dem Rechtsanwender stehen bei der Interpretation nicht nur Lexika als Hilfsmittel zur Verfügung. Heute kann er dank Big Data und computergestützter Analysen die Bedeutung einzelner Wörter, aber auch von zusammenhängenden Sätzen, empirisch feststellen. Hierfür lassen sich Anleihen aus der Korpuslinguistik nehmen, deren Nutzen jüngst in den Vereinigten Staaten für die Auslegung der Verfassung entdeckt wurde, s. Phillips/Ortner/Lee, The Yale Law Journal Forum, May 16, 2016 (online unter https://www.yalelawjournal.org/forum/corpus-lingui stics-original-public-meaning); Lee/Phillips, 167 U. Pa. L. Rev. 261 (2019). 131 Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (1838), S. 104. Die „ursprüngliche Aufgabe auch für die Wörterbücher, […] ist die, die wahre vollkommene Einheit des Wortes zu finden.“, ebd. S. 106. 132 So können einzelne Worte vage, unbestimmt oder mehrdeutig sein, zwei Menschen können dasselbe Wort unterschiedlich verwenden (s. nur Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 2003 (1953), § 6 4) oder die Bedeutung einzelner Worte kann sich wandeln. S. kritisch zur „Vagheit“, „Unbestimmtheit“ und „Mehrdeutigkeit“ Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 83 ff. 127
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Stereotype, also gewisse Kernbedeutungen der durch die Worte bezeichneten Objekte.133 (2) Semantische Implikationen: 134 Semantische Implikationen sind propositionale Gehalte, die logisch-zwingend aus einer wörtlichen Bedeutung folgen (p → q). Der Wahrheitswert einer durch einen solchen Schluss gezogenen weiteren Propositionen folgt dem des propositionalen Gehalts, der wörtlich vermittelt wird. Bevor der Rechtsanwender eine Proposition aus einer semantischen Implikation ableiten kann, muss er deshalb die wörtliche Bedeutung feststellen. Behauptet eine Person, sie sei eine „Rechtsanwältin“, so impliziert sie, dass sie die Befähigung zum Richteramt habe.135 Hat sie dies nicht, liegt eine Täuschung durch eine falsche semantische Implikation vor. (3) Präsuppositionen: 136 Präsuppositionen sind stillschweigende Voraussetzungen einer Aussage in propositionaler Form. Sie bauen auch auf der wörtlichen Bedeutung auf. Anders als eine semantische Implikation ist ihr Wahrheitswert von der wörtlichen Äußerung unabhängig, d. h. (p → q) & (¬p → q). Behauptet ein Emittent etwa in einer Ad-hoc-Mitteilung: „Die Verhandlungen über eine Fusion mit der Gesellschaft X sind gescheitert.“, präsupponiert der Emittent die Proposition q: „Es gab Verhandlungen mit der Gesellschaft X über eine mögliche Fusion beider Gesellschaften“. Ist q falsch, d. h. es gab zu keinem Zeitpunkt solche Verhandlungen, hat der Emittent semantisch getäuscht, indem er etwas Falsches präsupponiert hat. bb) Pragmatische Interpretation Jede Äußerung erfolgt in einem Kontext.137 Die Bedeutung kann sich deshalb nicht allein in der Semantik erschöpfen. Für eine effiziente Kommunikation, oder für 133 So die Stereotypensemantik (und auch Prototypensemantik). Nach dieser kann eine Wortbedeutung nicht „objektiv“ angegeben werden. Vielmehr haben Menschen „Stereotypen“ oder „Prototypen“ als Vorstellung von typischen Vertretern des bezeichnenden Wortes. S. zur Stereotypensemantik Putnam, Mind, Language and Reality, 1979, The Meaning of ‘Meaning’, S. 215 ff.; zur Prototypensemantik Rosch, in: Warren (Hrsg.), Studies in Cross-cultural Psychology I, 1977, S. 1, 20 ff. Für einen (kritischen) Überblick über die Stereotypen- und Prototypensemantik Busse, Semantik, 2009, S. 49 ff.; Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 72 ff. 134 Vgl. oben S. 55 und S. 68 f. 135 Oder, dass sie zumindest nach den Sonderregeln für europäische Rechtsanwälte nach dem EuRAG zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wurde. 136 Vgl. oben S. 55 und S. 69. 137 Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, die Vorstellung, die Bedeutung eines einzelnen Wortes eindeutig und einheitlich festzustellen zu können, wäre eine „naive Verkürzung der Vielfalt sprachlich-kommunikativer Möglichkeiten“, so Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 93 unter Bezug auf Heringer, Praktische Semantik, 1974, S. 93.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
eine Irreführung mittels einer pragmatischen Täuschung, vermitteln Äußerungen daher auch implizite Bedeutungsgehalte.138 Hierbei kristallisieren sich, wiederum aufbauend auf den verschiedenen Formen der pragmatischen Schlüsse,139 mehrere Interpretationsregeln heraus: (1) Explikaturen: 140 Explikaturen sind pragmatische Anreicherungen des semantischen Bedeutungsgehalts.141 Durch sie verdichtet sich die Bedeutung einer undeterminierten Äußerung zu einem propositionalen Gehalt oder erweitert diesen. Behauptet ein Einflussnehmer: „Produkt A ist besser.“, wird der Adressat aus dem Kontext möglicherweise schlussfolgern, er meint „[…] besser als Produkt B.“142 (2) Konversationelle Implikaturen: 143 Konversationelle Implikaturen sind (propositionale) Bedeutungsgehalte, die ein Äußernder implizit kommuniziert. Sie entstehen durch einen Verstoß gegen eine Maxime aus dem Grice’schen Kooperationsprinzip.144 Sie können die Form einer eigenen Proposition annehmen, die neben einer explizit geäußerten Proposition steht. Die konversationellen Implikaturen sind bei der Interpretation einer Äußerung die bedeutendsten. Äußert beispielsweise ein Verkäufer, ein Gebrauchtwagen habe einen Frontschaden, wird ein Käufer schlussfolgern, dass das Kfz ansonsten unfallfrei ist.145 Der Käufer kann erwarten, dass der Verkäufer die Maxime der Quantität befolgt und seinen Gesprächsbeitrag so informativ wie nötig macht. Nennt er keine weiteren Schäden, entsteht deshalb der Eindruck, neben den genannten Schäden bestünden keine weiteren. Wichtig ist, dass konversationelle Implikaturen annullierbar sind.146 Der Verkäufer hätte die Entstehung einer Implikatur verhindern können, hätte er gesagt: „Der Gebrauchtwagen hat einen Frontschaden. Das soll aber nicht heißen, dass er ansonsten unfallfrei ist.“
138 Dieses Handlungsgefüge ist das, was Wittgenstein „Sprachspiel“ nennt, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 2003 (1953), § 7 et passim. 139 Vgl. oben S. 56 ff. 140 Vgl. oben S. 56 und S. 69 f. 141 Vgl. Sperber/Wilson, Relevance, 2. Aufl. 1996, S. 182. 142 Vgl. oben S. 69. 143 Vgl. oben S. 56 ff. und S. 70 f. 144 S. zum Kooperationsprinzip von Grice oben S. 57 ff. 145 Vgl. zu ähnlich gelagerten Fällen in der Rechtsprechung OLGR München 1995, 64; KG VersR 2012, 65. 146 Vgl. oben S. 60.
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(3) Unterlassen: 147 Ein propositionaler Gehalt ist bei einem Unterlassen nur durch den Kontext deutungsfähig. Ohne Kontext handelt es sich um ein unbedeutsames Schweigen. Die Untersuchung hat zwischen Halbwahrheiten unterschieden, bei welchen man eine Bedeutung aus dem Verstoß gegen das Kooperationsprinzip als Implikatur deuten kann148 und dem reinen Unterlassen, das nur dann eine Bedeutung hat, wenn eine (konventionelle oder rechtliche) Pflicht zur Offenlegung existiert.149 (4) Nicht-sprachliche Handlungen: 150 Nicht-sprachliche Handlungen kann der Rechtsanwender ebenfalls nur anhand von Konventionen interpretieren. Hier kann man zwei Arten von Bedeutung unterscheiden. Die natürliche Bedeutung ist jene, die sich aus den Eigenschaften von Zeichen ergibt, die nicht menschlichen Ursprungs sind. Beispielsweise vermittelt ein hohes Handelsvolumen auf dem Kapitalmarkt den Eindruck, dass ein bestimmtes Finanzinstrument begehrt ist. Macht sich ein Einflussnehmer das zunutze, indem er durch den Abschluss von Insichgeschäften künstlich ein hohes Handelsvolumen erzeugt (sog. wash trades151), liegt eine Täuschung durch nicht-sprachliche Handlungen vor. Die nicht-natürliche Bedeutung ist eng verbunden mit der Intention eines Einflussnehmers, etwas verstehen geben zu wollen – etwa das Heben der Hand.152 Bei nicht-sprachlichen Handlungen besteht die Gefahr, eine Bedeutung zu erkennen, wo keine ist. Es wäre ein Fehler, Linien im Sand, die rein zufällig wie Buchstaben aussehen, eine Bedeutung zukommen zu lassen.153 cc) Die Gefahr der Hase-Ente-Illusion Eine pragmatische Interpretation führt nicht immer zu klaren Ergebnissen. Häufig kann man bei ein und derselben Äußerung verschiedene Bedeutungsgehalte fest147
Vgl. oben S. 72 ff. Vgl. oben S. 72 f. 149 Vgl. oben S. 73. 150 Vgl. oben S. 71 f. 151 S. hierzu Anhang II Abschnitt 1 Nr. 3 lit. a Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf eine Ausnahme für bestimmte öffentliche Stellen und Zentralbanken von Drittstaaten, die Indikatoren für Marktmanipulation, die Schwellenwerte für die Offenlegung, die zuständige Behörde, der ein Aufschub zu melden ist, die Erlaubnis zum Handel während eines geschlossenen Zeitraums und die Arten meldepflichtiger Eigengeschäfte von Führungskräften, ABl. EU Nr. L 88 v. 5.4.2016, S. 1; Schmolke, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 12 Rn. 117; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, 2020, S. 125. 152 „‚A meant NN something by x’ is (roughly) equivalent to ‚A intended the utterance of x to produce some effect in an audience by means of the recognition of this intention“, Grice, 66 Philos. Rev. 377, 384 (1957). 153 S. zu diesem Beispiel Knapp/Michaels, 8 Critical Inquiry 723, 727 f. (1982). 148
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
stellen. Das Gericht sollte deshalb nicht der „Hase-Ente-Illusion“ verfallen.154 Die Hase-Ente-Illusion wurde berühmt durch Ludwig Wittgenstein155 und geht zurück auf eine Kippfigur des Psychologen Joseph Jastrow,156 die – je nach Betrachtung – den Umriss eines Hasen- und eines Entenkopfes zeigt:
Abb. 6: Hase-Ente-Illusion157
Wittgenstein machte klar, dass man „zwischen dem ‚stetigen Sehen‘ eines Aspekts und dem ‚Aufleuchten‘ eines Aspekts unterscheiden“158 müsse. Auch wenn sich Wittgenstein hierbei auf die Wahrnehmung bezog, lässt sich dieser Gedanke auch auf die interpretative Feststellung einer Proposition übertragen: Der Rechtsanwender sollte nicht der Illusion verfallen, es gebe bei Äußerungen nur eine mögliche Interpretation. Er sollte nicht vorschnell der ersten greifbaren Interpretation nachgeben und diese als allein maßgeblich erachten. Er sollte sich darüber im Klaren sein, dass unterschiedliche Adressaten aus ein und derselben Äußerung verschiedene propositionale Gehalte folgern können. Die Gefahr einer solchen Illusion ist besonders groß bei einer pragmatischen Interpretation, die eine Vielzahl von Adressaten erreicht, d. h. bei Massenkommunikationen. Pragmatische Schlüsse sind stark kontext- und adressatenabhängig und nie gänzlich objektiv feststellbar. Der bereits angesprochene „Grad der Verbindlichkeit“ dient als Richtschnur, die ein Gericht für die Bestimmung des maßgeblichen Bedeutungsgehalts nutzen kann. Hiermit beschäftigt sich der nächste Abschnitt. Daneben kann das Gericht, wenn mehrere Bedeutungsgehalte in Betracht kommen, die Entscheidung nach normativen Grundsätzen treffen. Dies wird noch im Rahmen des „konstruktiven Ansatzes“ näher erläutert.159 154 So in Bezug auf den textualism bei der Auslegung der US-amerikanischen Verfassung jüngst Sunstein, 11 Cal. L. Rev. 463 (2020). 155 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 2003 (1953), Philosophie der Psychologie, § 118. 156 Jastrow selbst gab an, dass das Bild ursprünglich aus dem Magazin „Fliegende Blätter“ stamme, s. Jastrow, 54 Popular Science Monthly 299 (1899). 157 Jastrow, 54 Popular Science Monthly 299 (1899). 158 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 2003 (1953), Philosophie der Psychologie, § 118. 159 Vgl. unten S. 210 ff.
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dd) Grad der Verbindlichkeit Es dürfte klar sein, dass ein Einflussnehmer nicht schon deshalb zur rechtlichen Verantwortung gezogen werden kann, weil ein einzelner Adressat aus einer Aussage einen falschen Schluss zieht. Vielmehr bedarf es Zurechnungskriterien, wann eine Äußerung oder ein Verhalten, aus dem ein Adressat einen falschen Schluss zieht, eine rechtlich relevante Täuschung ist. Im ersten Teil der Untersuchung wurde diese Problematik unter dem Topos „Grad der Verbindlichkeit“ diskutiert.160 Diese Erkenntnisse lassen sich auch für die rechtliche Beurteilung fruchtbar machen:
Abb. 7: Grad der Verbindlichkeit161
Der Einflussnehmer trägt mit einem steigenden Grad der Verbindlichkeit auch eine steigende Verantwortung dafür, dass der Adressat falsche Schlüsse zieht. Je geringer der Grad der Verbindlichkeit ist, desto eher liegt eine Schlussfolgerung falscher Propositionen im Verantwortungsbereich des Adressaten. Daraus folgt, dass bei einem geringen Grad der Verbindlichkeit eine Rechtsregel, die dem Einflussnehmer Kosten auferlegt, übermäßig abschreckend wirken kann. Dann besteht ein Begründungsdefizit für eine rechtliche Reaktion. Dieses Defizit kann durch andere Tatbestandsmerkmale, etwa ein Vorsatzerfordernis, beseitigt werden. Der unterschiedliche Grad der Verbindlichkeit einer semantischen und pragmatischen Interpretation ist jedoch nur eine Faustregel. Je mehr Umstände des Einzelfalls hinzutreten, d. h. je eindeutiger der Kontext einer Äußerungssituation ist, desto eher kann auch eine pragmatische Interpretation zu verbindlichen Schlussfolgerungen führen. d) Wahl der Interpretationsregel Ein Gericht muss für die Deutung einer Äußerung oder eines Verhaltens nicht alle Interpretationsregeln nutzen. Es sprechen gute Gründe dafür, die Wahl der Interpretationsregel abhängig von der bezweckten Steuerungswirkung zu machen. Das kann einerseits das Gericht selbst bei der Rechtsanwendung berücksichtigen, 160 161
Vgl. oben S. 62 f. Grafik nach Moeschler, 48 J. Pragmat. 84, 88 (2013).
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
a ndererseits ist denkbar, dass der Gesetzgeber selbst seinen Willen dahingehend äußert, dass in bestimmten Bereichen eine Interpretationsregel Vorrang hat. Die semantischen und pragmatischen Interpretationsregeln unterscheiden sich aus Sicht des Rechtsanwenders anhand ihrer formalen und materiellen Realisierbarkeit (aa.). Dadurch entfalten sie mit Blick auf die Rechtsunterworfenen eine unterschiedliche Steuerungswirkung (bb.). Schließlich hängt die Wahl der Interpretationsregel auch von der kommunikativen Umgebung der zu interpretierenden Verhaltensweise ab (cc.). aa) Formale und materielle Realisierbarkeit Der Begriff der „formalen Realisierbarkeit“ wurde durch Rudolf von Jhering geprägt. Er verstand darunter „die Leichtigkeit und Sicherheit der Anwendung des abstracten Rechts auf die concreten Fälle.“162 Damit nicht gemeint ist das Verständnis des anzuwendenden Rechtssatzes selbst, sondern seine Anwendung im jeweiligen Einzelfall.163 Die Interpretationsregeln lassen sich anhand ihrer formalen Realisierbarkeit einteilen. Die Aufteilung folgt dem bereits erwähnten „Grad der Verbindlichkeit“.164 Die semantische Interpretation hat eine hohe formale Realisierbarkeit. Sie führt mit geringem Aufwand zu voraussehbaren Ergebnissen.165 Zwar hängt auch viel vom Sprachverständnis des individuellen Rechtsanwenders ab.166 Dennoch ist klar, dass eine semantische Interpretation, losgelöst vom Kontext, eine leichtere und vor allem rechtssichere Feststellung eines propositionalen Gehalts erlaubt als eine Interpretation nach pragmatischen Regeln. Die konventionelle, semantische Bedeutung wird von einem Großteil der Menschen intersubjektiv geteilt. Dem Rechtsanwender stehen mit Lexika Entscheidungshilfen zur Verfügung, anhand derer er eine konkrete Interpretation auch mit Gründen belegen kann.167 Die so festgestellte Bedeutung ist – in gewissen Grenzen168 – objektiv und überindividuell.169 162
Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil I, 1852, S. 42.
163 Vgl. Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil I, 1852, S. 42 f.: „Es ist aber nicht die Leichtig-
keit oder Schwierigkeit des Verständnisses der anzuwendenden Rechtssätze gemeint. Sobald man einen Rechtssatz einmal richtig begriffen hat, ist diese Aufgabe ein für alle Mal gelöst und wiederholt sich nicht bei jedem einzelnen Fall seiner Anwendung. Die Aufgabe hingegen, von deren Schwierigkeit oder Leichtigkeit hier die Rede ist, betrifft die Anwendung des Rechtssatzes, den Umsatz der abstracten Regel in concrete Verhältnisse, und sie ist bei jedem einzelnen Fall von neuem zu lösen.“ 164 Vgl. oben S. 62 f. und S. 193. 165 Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil I, 1852, S. 42: „Je nachdem diese Operation einen geringeren oder höhern Aufwand geistiger Kraft erfordert, und ihr Resultat sicherer oder unsicherer ist, spreche ich von einer höhern oder geringeren formalen Realisirbarkeit.“ 166 Vgl. Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil I, 1852, S. 43: „Es hängt dabei zwar viel von der Geschicklichkeit und dem richtigen Blick des Anwendenden ab“. 167 Vgl. Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 85. 168 Vgl. oben S. 188 f. sowie Fn. 132 und 133. 169 Ein kritischer Überblick zu dieser recht engen Sichtweise auf die Semantik findet sich bei Busse, Sprachverstehen und Textinterpretation, 2015, S. 24 ff.
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Anders verhält es sich mit pragmatischen Interpretationsregeln. Ihre formale Realisierbarkeit ist nicht deshalb gering, weil es dem Rechtsanwender hierfür an Kenntnissen mangelt. Auch wenn ihm linguistische Kategorien wie Implikaturen nicht bekannt sein sollten, ist er doch Teil der Sprachgemeinschaft und kann – mehr natürlich und unbewusst als wissend und berechnend – pragmatische Schlüsse ziehen. Die pragmatischen Interpretationsregeln sind eine methodische Hilfe, seine Interpretation mit Gründen zu belegen. Er könnte etwa die Entstehung einer Implikatur nach den herausgearbeiteten Kriterien, fast schon formal-logisch, beschreiben.170 Dadurch steigt die formale Realisierbarkeit, indem die Anwendung der Regel leichter und sicherer wird. Dennoch bleiben pragmatische Interpretationsregeln hinter der formalen Realisierbarkeit einer semantischen Interpretation zurück. Pragmatische Schlüsse weisen immer idiosynkratische Züge auf: Ein und dieselbe Äußerung kann von mehreren Adressaten verschieden verstanden werden. Das stellt nicht nur das Gericht vor Herausforderungen. Auch den Rechtsunterworfenen ist dann nicht klar, ob ihre Äußerungen oder Verhaltensweisen eine bestimmte Bedeutung aufweisen und damit Täuschungen sind oder nicht. Die geringere formale Realisierbarkeit pragmatischer Interpretationsregeln ist aber nicht notwendigerweise eine Schwäche. Mit ihr geht eine hohe materielle Realisierbarkeit einher.171 Die materielle Realisierbarkeit drückt den Spielraum aus, den ein Rechtsanwender bei einer Interpretationsregel hat.172 Wenn der Rechtsanwender pragmatische Interpretationsregeln nutzt, und sich auch darüber im Klaren ist, dass eine Äußerung oder ein Verhalten, je nach Betrachter, mehrere Bedeutungen gleichzeitig haben kann,173 kann er diejenige Interpretation wählen, die zu dem „besten“ Ergebnis führt. Das beste Ergebnis ist normalerweise dasjenige, welches dem jeweiligen Regulierungsziel am nächsten kommt – sei es der Schutz der Autonomie oder die Wohlfahrtsmaximierung. Pragmatische Interpretationsregeln sind somit nicht nur lebensnäher, weil sie das tatsächliche Sprachverhalten der Menschen berücksichtigen. Sie sind im Allgemeinen auch flexibler und erlauben es dem Rechtsanwender, die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der Preis hierfür ist eine gewisse Einbuße an Rechtssicherheit. Mit dem regulatorischen Spielraum, den eine pragmatische Interpretation eröffnet, wird sich der „konstruktive Ansatz“ noch näher beschäftigen.174
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Vgl. oben S. 67. geringer die formale Realisierbarkeit, desto höher die materielle Realisierbarkeit. S. für eine aktuelle Diskussion von rules und standards, die Parallelen zu der Diskussion hier aufweist, Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 47 ff. in Anschluss an Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1687 ff. (1975). 172 Vgl. Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil I, 1852, S. 42: Materielle Realisierbarkeit sei „die Brauchbarkeit oder Angemessenheit der materiellen Bestimmungen des Rechts. Sie ist natürlich durchaus relativ, bedingt durch die oben bezeichneten Beziehungen des Rechts zum Leben, die Anforderungen dieser Zeit, die Eigenthümlichkeit dieses Volkes, die Gestalt dieses Lebens.“ 173 S. zur „Hase-Ente-Illusion“ oben S. 191 f. 174 Vgl. unten S. 210 ff. 171 Je
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bb) Verhaltenssteuernde Wirkung Die Wahl der Interpretationsregel hat eine Steuerungswirkung auf das Verhalten der Einflussnehmer. Je weiter die Interpretation geht, also je mehr kontextuelle, implizite Bedeutungsgehalte sie miteinbezieht, desto mehr Verhaltensweisen werden von der rechtlichen Regulierung erfasst.175 Je enger sie ist, desto eher ist dem Rechtsunterworfenen klar, was das Gesetz von ihm verlangt. Oder, um die Terminologie von Jhering weiter zu nutzen:176 Die formale Realisierbarkeit erleichtert nicht nur dem Rechtsanwender die Interpretation, sondern zeigt auch dem Rechtsunterworfenen auf, was das Recht von ihm verlangt. Werden nur semantische Täuschungen reguliert, also eine Äußerung wörtlich interpretiert, ist jedem Rechtsunterworfenen bewusst: Du sollst nicht lügen.177 Je weiter das Gesetz oder der Rechtsanwender von diesem Verständnis abweicht, desto unschärfer wird die Grenze.178 Klare Interpretationsregeln, die auch den Rechtsunterworfenen bewusst sind, können diese ermutigen, Äußerungen zu tätigen.179 Der Gesetzgeber oder Rechtsanwender sollte bei der Wahl der Interpretationsregel also berücksichtigen, dass Rechtsunterworfene ihr Verhalten danach richten werden. Andererseits läuft eine enge Regulierung Gefahr, Verhaltensweisen nicht zu erfassen, die eigentlich vom Regulierungszweck gedeckt und deren Abschreckung wünschenswert wäre. Wenn eine Regulierung sich auf eine semantische Interpretation beschränkt, öffnet sie Tür und Tor für vage Äußerungen, die implizite Propositionen vermitteln und daher leicht Adressaten beeinflussen. Eine weite, d. h. pragmatische Interpretationsregel, kann durch ihre hohe materielle Realisierbarkeit flexibler auf solche Gefahren reagieren. Hält das Gericht (oder der Gesetzgeber bei Schaffung der rechtlichen Regel) auch pragmatische Bedeutungsebenen für rechtlich relevant, haben Rechtsunterworfene einen Anreiz, sich nicht vage oder mehrdeutig, sondern präziser auszudrücken. Dadurch kann der Gefahr einer Irreführung von vornherein begegnet werden. Die Wahl einer Interpretationsregel steuert so das Sprachverhalten der Rechtsunterworfenen.180 Sie kann beeinflussen, wie Rechtsunterworfene zukünftig miteinander kommunizieren, weil sie die Interpretationsregel internalisieren. Ist einem Rechtsunterworfenen klar, dass die Aussage eines Gebrauchtwagenhändlers, ein Auto habe nur einen Vorschaden, implikatiert, es habe keinen anderen, und der Händler diese Deutung auch gegen sich gelten lassen muss, dann gibt das dem Adressaten Rechtssicherheit.181 Die regulierende 175 „People will miss fewer trains, the argument goes, if they know the engineer will leave without them rather than delay even a few seconds.“, Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1698 (1975). 176 Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil I, 1852, S. 42 ff. Vgl. oben S. 194. 177 Klass, 100 Geo. L.J. 449, 459 f. (2012). 178 Klass, 100 Geo. L.J. 449, 473 (2012). 179 Vgl. in Bezug auf rules und standards Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1698 (1975): „Finally, rules encourage transaction in general. If an actor knows that the use of a formality guarantees the execution of his intentions, he will do things that he would not do if there were a risk that the intention would be defeated.“ 180 Hierzu Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 723 f. (2018). 181 Vgl. zu diesem Beispiel oben S. 190.
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Wirkung muss sich dabei nicht nur auf das Recht beschränken. Sie kann eine expressive Wirkung haben.182 Werden Interpretationsregeln als soziale Normen internalisiert, können sie auch in außerrechtlichen Kommunikationssituationen Bedeutung erlangen.183 cc) Kommunikative Umgebung Schließlich spielt die kommunikative Umgebung, d. h. das Umfeld, in dem eine Äußerung getroffen wird, eine Rolle für die Wahl der Interpretationsregel.184 Das Kooperationsprinzip von Grice setzt, wie der Name schon sagt, voraus, dass die Gesprächsteilnehmer sich kooperativ verhalten, da sie in einer Konversation ein gemeinsames Ziel verfolgen. Dem liegt vor allem die Vorstellung einer mündlichen Dialogsituation zugrunde. Dass das nicht auf jede Äußerungssituation zutrifft, machen zwei Beispiele deutlich: In dem im ersten Teil der Untersuchung erwähnten Urteil Bronston v. United States185 befand sich der Zeuge Bronston in einer Vernehmung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens.186 Er war nicht nur irgendein Zeuge, sondern der Inhaber des Unternehmens, dessen Insolvenz der eigentliche Gegenstand des Verfahrens war. Vernommen wurde er von einem Anwalt eines Gläubigers des Unternehmens. Eine Vernehmungssituation unterscheidet sich massiv von einem normalen Gespräch. Gespräche vollziehen sich dialektisch, während Vernehmungen einseitig sind. Hier wird man nicht denselben Kommunikationsstandard anlegen können wie in einem Gespräch zwischen Freunden oder Geschäftspartnern.187 Deshalb verwundert es nicht, dass der Supreme Court geurteilt hat, in einer derartigen kommunikativen Umgebung spielen Implikaturen oder andere pragmatische Bedeutungsgehalte keine Rolle. Es komme allein auf die wörtliche Bedeutung der Äußerung an.188 Insbesondere mit Blick auf eine drohende Kriminalstrafe ist eine hohe Bestimmtheit des dem Rechtsunterworfenen auferlegten Verhaltens wünschenswert. Ein anderes Beispiel stellt die Kommunikation in der Werbung dar. Jedem ist bewusst, dass Unternehmen versuchen, Konsumenten durch Werbung zu beein182 S. zur expressiven Wirkung des Rechts Sunstein, 144 U. Pa. L. Rev. 2021 (1996); Cooter, 27 J. Legal Stud. 585, 586 (1998). 183 Cooter, 27 J. Legal Stud. 585, 586 (1998): „In addition, law can change the individual values of rational people. Internalizing a social norm is a moral commitment that attaches a psychological penalty to a forbidden act. A rational person internalizes a norm when commitment conveys an advantage relative to the original preferences and the changed preferences.“ 184 Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 722 (2018). 185 Bronston v. United States, 409 U.S. 352, 354 (1973); vgl. oben S. 50. 186 S. hierzu auch Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 722 f. (2018). 187 Bronston v. United States, 409 U.S. 352, 357: „But we are not dealing with casual conversation […]“. 188 Vgl. oben S. 51. Schließlich hätte der Anwalt in einer solchen Situation auch gezielter fragen können („If a witness evades, it is the lawyer’s responsibility to recognize the evasion and to bring the witness back to the mark, to flush out the whole truth with the tools of adversary examination.“, Bronston v. United States, 409 U.S. 352, 358 f.).
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flussen.189 Auch hier müssen andere Interpretationsregeln Anwendung finden als in einem normalen Gespräch.190 Ganz offensichtlich ist das auf dem klassischen Wochenmarkt. Dort weiß jeder, dass man „Marktschreierei“ nicht für bare Münze nehmen darf.191 Das heißt freilich nicht, dass man Angaben in der Werbung nie für wahr halten darf. Bei bestimmten marktschreierischen Zuspitzungen verbietet sich aber eine wörtliche Interpretation. Bewirbt beispielsweise ein Hersteller von Weizenmehl sein Produkt als „Backwunder“,192 würde eine wörtliche Interpretation zu absurden Ergebnissen führen. Rein semantisch müsste das Produkt dann ein „außergewöhnliches, den Naturgesetzen […] widersprechendes“193 Erlebnis bieten, was es wohl kaum tut – weshalb dann eine semantische Täuschung vorläge.194 e) Interpretationsstandards Neben den Interpretationsregeln existieren auch Interpretationsstandards. Hiermit gemeint ist eine verpflichtende Auslegung einer Äußerung. Interpretationsstandards kann das Recht selbst vorgeben oder ein Gericht kann eine tatsächlich vorgefundene konventionelle Auslegung faktisch rechtlich verpflichtend machen.195 Der Nutzen eines Interpretationsstandards wird deutlich, wenn man sich folgendes Beispiel vor Augen hält:196 Ein Hersteller bewirbt Lebensmittel mit dem Präfix „Bio-“, z. B. „Bio-Milch“. Der Begriff „Bio“ wird auf unterschiedliche Art und Weise verwendet. Manchmal beschreibt er eine natürliche Herstellungsweise, dass etwas unbelastet und naturbelassen ist oder dass es keine Farb- und Konservierungsstoffe oder Geschmacksverstärker enthält.197 Der Zusatz kann auch bedeuten, dass kein chemisches Pflanzenschutzmittel oder synthetischer Dünger verwendet wurde. Bei tierischen Erzeugnissen mag man darunter verstehen, dass die betreffenden Tiere artgerecht gehalten und nicht mit Antibiotika und Wachstumshormonen behandelt wurden. Es existiert also ein ganzes Bedeutungsspektrum für den Begriff „Bio“, das je nach konkretem Lebensmittel variieren kann. Wenn unklar ist, welche Eigenschaften ein Produkt aufweisen muss, um als „Bio“ zu gelten, werden manche Adressaten getäuscht, weil sie unter dem Begriff etwas anderes verstehen als der Einflussnehmer. Wiederum andere mögen dem Wort auf-
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Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 722 (2018). S. hierzu aus ethischer Sicht bereits oben S. 104 ff. Klass, 100 Geo. L.J. 449, 459 (2012). 191 Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.129. 192 Vgl. Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.134. 193 „Wunder“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/Wunder. 194 S. zur semantischen Täuschung oben S. 67 ff. und S. 188 f. 195 Klass, 100 Geo. L.J. 449, 487, 493 f. (2012); ders., 89 U. Colo. L. Rev. 707, 720 f. (2018). 196 Das Beispiel ist angelehnt an Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 692 (1985), der das Wort „natural“ betrachtet. 197 Vgl. „Bio“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/bio. 190 Vgl.
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grund der Unbestimmtheit überhaupt keine Bedeutung zukommen lassen und es als bloße marktschreierische Anpreisung verstehen.198 Ein Interpretationsstandard kann beiden Gruppen helfen, indem er „Bio“ eine spezifische Bedeutung beilegt. Existiert eine verbindliche Auslegung des Begriffs, profitieren einerseits diejenigen Adressaten, deren Verständnis sich bislang vom konventionellen Gebrauch unterscheidet, weil sie die Standardbedeutung internalisieren können und so nicht mehr getäuscht werden. Der andere Teil der Adressaten profitiert, weil er nun informationelle Vorteile aus der Kennzeichnung ziehen kann. Diesen Weg ist die Europäische Union mit der Öko-Verordnung tatsächlich gegangen.199 Die Verordnung legt rechtlich verbindlich fest, was unter „Bio“ zu verstehen ist. Erzeugnisse aus der Landwirtschaft, die diese Bedingungen nicht erfüllen, dürfen nicht als „biologisch“ oder „ökologisch“ gekennzeichnet werden. Die Verordnung enthält somit einen Befehl an den Rechtsanwender, Äußerungen nach diesem Standard zu interpretieren. Erfüllt ein als „Bio“ vertriebenes Erzeugnis die dort statuierten Anforderungen nicht, liegt eine (semantische) Täuschung vor. Die Schwierigkeit bei Festlegung eines Interpretationsstandards liegt darin, die „richtige“ Bedeutung zu wählen.200 Ein Standard sollte auf dem tatsächlich vorgefundenen Sprachgebrauch basieren. Eine kontrafaktische Auslegung, die einer Äußerung ipso iure eine Bedeutung zukommen lässt, die dem konventionellen Sprachgebrauch zuwiderläuft – etwa, wenn unter „Nachhaltigkeit“ auch Atomkraft oder fossiles Gas fielen – würden die Rechtsunterworfenen nur schwer internalisieren können.201 Deshalb bauen Interpretationsstandards sinnvollerweise auf den tatsächlichen, vorgefundenen Erwartungen der Adressaten auf und machen diese durch Gesetz oder durch richterliche Rechtsfortbildung verbindlich.202 Dadurch verleiht das Recht außerrechtlichen Erwägungen eine rechtliche Kraft.203 Freilich werden solche Interpretationsstandards nicht nur durch die Wirklichkeit geprägt, sondern auch durch ein „Hin- und Herwandern des Blicks“, 204 von den realen Erwartungen hin zu den normativen Zielvorstellungen des Rechts(anwenders).205 Beispielsweise ist bei dem Betrugstatbestand nach § 263 StGB anerkannt, 198
Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 692 (1985). Verordnung (EU) 2018/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates, ABl. EU Nr. L 150 v. 14.6.2018, S. 1. 200 Vgl. hierzu auch Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 693 (1985). 201 Das wäre dann eher ein Kunstgriff oder eine Fiktion als ein Interpretationsstandard. Vgl. zu rechtlichen Fiktionen Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktion, 2. Aufl. 1969 (1940), S. 15. Bülow nannte eine rechtliche Fiktion einen Befehl des Gesetzes an den Richter, „etwas, was nicht geschehen ist, als geschehen anzunehmen; er befiehlt, etwas was nicht existiert, als existent zu behandeln.“, Bülow, AcP 62 (1879), 1, 7. 202 Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 721 (2018). 203 S. allgemein zur „legal power“ von außerrechtlichen Normen Raz, Supp. 46 Proceedings of the Aristotelian Society 79, 83 ff. (1972). 204 So bezeichnete Engisch bekanntlich die Subsumtion, Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963 (1943), S. 15. 205 Zu letzterem Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 723 (2018). 199
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dass man durch Eingehung einer Verbindlichkeit signalisiert, man sei leistungsfähig und -bereit.206 Ein anderes Beispiel liefert das Prospekthaftungsrecht. Ein Werturteil und eine zukunftbezogene Information in einem Prospekt gelten nur als „richtig“, wenn sie auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhen.207 Es besteht ein rechtlicher Interpretationsstandard, der dazu führt, dass solchen Äußerungen stets die Bedeutung zugewiesen wird, dass ausreichende Tatsachen existierten, die die angegebene Einschätzung stützen.208 In beiden Fällen entspricht der Standard wohl den tatsächlichen Erwartungen im Verkehr. Wenn ich einen Vertrag mit einer Person schließe, kann ich rationalerweise erwarten, dass sie ihn auch erfüllen kann und will. Auch handelt ein Emittent nur nach der Maxime der Qualität („Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen.“), wenn seine Aussagen auf einer Tatsachenbasis beruhen.209 Gleichzeitig schwingen auch normative Erwägungen mit. Man soll kein Versprechen abgeben, das man nicht halten kann, weil man andernfalls Vertrauen zerstört. Emittenten, die ohnehin zu Überoptimismus neigen,210 sollen in Prospekten nur Aussagen treffen, die auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhen, 211 um die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts nicht zu beeinträchtigen.212 Bei der Konzeptualisierung eines Interpretationsstandards anhand normativer Leitlinien kann der Gesetzgeber oder ein Gericht auf die weiter oben vorgeschlagene Kosten-Nutzen-Analyse213 zurückgreifen.214 Statt festzustellen, ob ein Einflussnehmer eine Äußerung alternativ hätte darstellen können, ist auf die Kosten und den Nutzen verschiedener möglicher Interpretationsstandards abzustellen. Kosten entstehen durch Täuschungen, Nutzen entsteht durch informationelle Vorteile. Derjenige Standard, der den größten positiven Saldo mit sich bringt, sollte rechtlich verfestigt werden. 206 Hefendehl, in: MüKo StGB, Bd. 5, 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 2 23 ff. m. w. N. Wäre das eine echte, richterlich geprägte Fiktion, würde sie wohl in Konflikt mit dem strafrechtlichen Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG treten. S. zum US-amerikanischen Recht Ayres/Klass, Insincere Promises, 2005, S. 20; Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 720 f. (2018). 207 S. zum Prospektrecht Kumpan/Assmann, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch Kapitalanlagerecht, 5. Aufl. 2020, § 5 Rn. 54, 56 m. w. N. Kritisch zu (häufig zu) optimistischen Prognosen im Rahmen von Prospekten Klöhn, WM 2010, 289. 208 Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 721 (2018) nennt als Beispiel ein Urteil des Supreme Court, Omnicare, Inc. v. Laborers Dist. Council Constr. Indus. Pension Fund, 135 S. Ct. 1318 (2015). Ein Emittent hatte in seinem registration statement eine Meinung angegeben. Das Gericht stellte fest, ein reasonable investor „expects not just that the issuer believes the opinion (however irrationally), but that it fairly aligns with the information in the issuer’s possession at the time.“, dort S. 1329. 209 Vgl. auch Klass, 100 Geo. L.J. 449, 494 (2012). 210 Klöhn, WM 2010, 289, 293. 211 Oder in den Worten des BGH: „[…] wenn die diese Erwartung stützenden Tatsachen sorgfältig ermittelt sind und die darauf gestützte Prognose der künftigen Entwicklung aus damaliger Sicht vertretbar ist.“, BGH WM 2009, 2303 Ls. 1. 212 Klöhn, WM 2010, 289, 293. S. auch Sale/Langevoort, 66 Duke L.J. 763, 790 ff. (2016); Klass, 89 U. Colo. L. Rev. 707, 723 (2018). 213 Vgl. oben S. 168 ff. 214 Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 694 (1985).
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4. Effektbasierter Ansatz Gegenstand des effektbasierten Ansatzes für die Beurteilung eines Sachverhalts ist nicht die Interpretation einer Äußerung oder Verhaltensweise, sondern deren Täuschungseffekte. Häufig ist nicht entscheidend, ob eine Äußerung wahr oder falsch ist, sondern ob sich der Adressat falsche Vorstellungen macht oder nicht. Hierbei ist zunächst der festzustellende Effekt näher herauszuarbeiten (a.). Für die Art und Weise der Feststellung kommen zwei Methoden in Betracht: die evidenzbasierte (b.) und die erfahrungsgestützte (c.), die jeweils Vor- und Nachteile aufweisen (d.). a) Festzustellender Effekt Bei der Täuschung liegt der festzustellende Effekt in dem Irrtum des Adressaten, in einer Fehlvorstellung über den Wahrheitsgehalt einer Proposition. Es geht somit um die Feststellung informationeller Effekte (aa.). Daneben kann ein Gericht eine Täuschung auch mittelbar feststellen. Statt auf die einzelnen Adressaten blickt der effektbasierte Ansatz dann auf die Folgen für den Preisbildungsmechanismus, gewissermaßen als Surrogat für einen Irrtum (bb.). aa) Informationelle Effekte Der hier interessierende informationelle Effekt liegt in einer propositionalen Einstellung, die ein Adressat infolge einer Einflussnahme entwickelt. Eine propositionale Einstellung ist, aufbauend auf den Erkenntnissen des Kapitels § 2, ein epistemischer Zustand bezüglich einer Proposition.215 Der Adressat mag, je nach Gewissheitsgrad, wissen, denken, glauben, vermuten oder erwarten, dass eine bestimmte Proposition wahr ist, obwohl sie falsch ist. Ist der Gewissheitsgrad ausreichend hoch, wird er dann aufgrund der Einflussnahme eine (wirtschaftliche) Entscheidung treffen. Die propositionale Einstellung ist damit das, was in der Rechtswissenschaft häufig mit einem „Irrtum“ umschrieben wird. Bei der Feststellung einer propositionalen Einstellung ist eine gewisse Nähe zum interpretativen Ansatz zu erkennen. Durch eine Interpretation ist der propositionale Gehalt einer Äußerung oder eines Verhaltens feststellbar. Der effektbasierte Ansatz interessiert sich aber nicht für den – einigermaßen „objektiv“ durch eine methodische Interpretation feststellbaren – propositionalen Gehalt. Unabhängig davon, ob und welcher propositionale Gehalt eine Äußerung oder Handlung innewohnt, ist nur die tatsächliche propositionale Einstellung entscheidend, die der Adressat entwickelt. Auch dann, wenn das Gericht bezüglich einer Äußerung oder einem Verhalten lege artis, d. h. nach den Interpretationsregeln, keine propositionale Bedeutung feststellen kann, können informationelle Effekte auf Seiten des Adressaten entstehen. Verkürzt kann man den interpretativen Ansatz als Feststellung einer Täuschungshandlung und den effektbasierten Ansatz als Feststellung eines 215
Vgl. oben S. 52 ff.
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Irrtums beschreiben. Die Grenzen sind fließend. Die Interpretation eines propositionalen Gehalts (das „Verstehen“) ist eine andere Herangehensweise als die Feststellung eines Effekts (das „Erklären“),216 beide Ansätze verfolgen jedoch dieselbe Erkenntnis: Liegt eine Täuschung vor? bb) Mittelbare Täuschungseffekte Neben einem informationellen Effekt kann eine Täuschungsregulierung auch auf andere Effekte abstellen, die mittelbar das Vorhandensein einer Täuschung nachweisen. Ein Beispiel hierfür ist der „künstliche Preis“, der sich, wie die ökonomische Analyse gezeigt hat, als Folge einer Täuschung auf einem Markt einstellen kann.217 Er entsteht, weil eine Täuschung eine Vielzahl von Adressaten zu Transaktionsentscheidungen bewegt, die dadurch den Preisbildungsmechanismus beeinflussen. Statt die Vorstellung einzelner Adressaten stellt der effektbasierte Ansatz dann das Ausmaß der Preisbeeinflussung fest. Das hat den Vorteil, dass so auch individuelle Vermögenseinbußen einzelner Marktteilnehmer feststellbar sind, die nicht Adressaten der Täuschung waren, sondern nur mittelbar durch den Eingriff in die Preisbildung geschädigt wurden.218 Ein Beispiel für eine Täuschungsregulierung, die auf die Feststellung eines mittelbaren Täuschungseffekts abstellt, ist das Verbot der Marktmanipulation. Dieses findet sich in Art. 15, 12 der Marktmissbrauchsverordnung219 (MAR). Anders als der Name vermuten lässt, handelt die Marktmanipulation nicht von einer „Manipulation“ im Sinne dieser Untersuchung, sondern stellt verschiedene Handlungen mit Täuschungscharakter220 unter ein Verbot. Die meisten Tatbestandsalternativen setzen „falsche oder irreführende Signale“ voraus. Als Surrogat hierzu bestimmt Art. 12 Abs. 1 lit. a ii) und lit. c MAR, dass bestimmte Handlungen als Marktmanipulation gelten, wenn durch diese ein „künstliches Kursniveau“221 eines Finanz-
216
Vgl. oben S. 182 ff. Vgl. oben S. 130 ff. 218 Vgl. oben S. 131 und unten S. 230 ff. 219 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 1. 220 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass unter die hier vertretene Konzeption der Täuschung auch unbeabsichtigte Täuschungen fallen. Ein Vorsatz ist keine notwendige Voraussetzung für eine Täuschung. Deshalb sind alle Varianten des Art. 12 MAR „Täuschungen“, nicht nur diejenige in Art. 12 Abs. 1 lit. b MAR, die – nach Ansicht der Literatur, vgl. Schmolke, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 12 Rn. 298 – einen Vorsatz voraussetzt, weil dem Wort „Täuschung“ eine intentionale Herangehensweise immanent sei. 221 Die Verordnung spricht von „anormales oder künstliches“ Preisniveau. Anormalität und Künstlichkeit sind jedoch als inhaltsgleiche Synonyme zu verstehen, Schmolke, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 12 Rn. 54; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, 2020, S. 69. 217
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instruments (wahrscheinlich) erzielt wird. Der Surrogationseffekt hier ist die Künstlichkeit des Preises, 222 der anstelle einer Feststellung eines „falschen oder irreführenden“ Signals tritt. Auch wenn der Begriff „Künstlichkeit des Preises“ einige Probleme aufwirft,223 versteht man hierunter die Abweichung des Preises von den legitimen Kräften von Angebot und Nachfrage.224 Um die Täuschung festzustellen, stehen dem Rechtsanwender verschiedene finanzmathematische Methoden zur Kursanalyse zur Verfügung.225 Das Abstellen auf die Künstlichkeit des Preises ergibt auch Sinn vor dem Hintergrund, dass die Funktion der Kapitalmarktregulierung darin liegt, durch Schutz der Marktintegrität die Markttransparenz und Markteffizienz zu gewährleisten.226 Nur bei einem „normalen“ Kurs, der sich möglichst nahe am Fundamentalwert des Finanzinstruments bewegt, ist eine effiziente Allokation von Kapital zu erwarten. b) Evidenzbasierte Feststellung Als Methode zur Feststellung informationeller oder mittelbarer Täuschungseffekte kommt zunächst die evidenzbasierte Feststellung in Betracht. Diese wird das Gericht freilich nur in seltenen Fällen selbst durchführen.227 Normalerweise sind hierfür Sachverständigengutachten einzuholen. Für eine evidenzbasierte Feststellung kommen mehrere Ansätze in Betracht, von denen hier die zwei wichtigsten dargestellt werden: die demoskopische Befragung (a.) und das Experiment (b.). Ersterer ist einfacher durchzuführen, letzterer ist der Goldstandard. Zur Feststellung eines mittelbaren Täuschungseffekts in Form eines künstlichen Preises werden Ereignisstudien genutzt (c.).
222 S. zur Genese des Begriffs Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, 2020, S. 61 ff. 223 S. Schmolke, in: Klöhn, MAR, 2018, Vor Art. 12 Rn. 4; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, 2020, S. 61 ff.; Fischel/Ross, 105 Harv. L. Rev. 503, 507 f. (1991). 224 So die Definition der IOSCO, der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden, s. Technical Committee of the International Organization of Securities Commissions (IOSCO), Investigating and Prosecuting Market Manipulation, May 2000/April 2013, S. 13; „Price artificiality is the divergence of price from the legitimate forces of supply and demand. In order to establish price artificiality, it is therefore necessary to accumulate evidence that prices did not follow legitimate economic forces“. S. hierzu Schmolke, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 12 Rn. 54. 225 Hierzu Schmolke, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 12 Rn. 55 f.; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, 2020, S. 69 ff. 226 Vgl. Erwägungsgründe 2 und 7 der MAR. 227 Es kommt aber durchaus vor, s. nur das Urteil des LG Stuttgart WM 2019, 463: „Der originäre Einzelrichter der Kammer verfügt über die erforderliche Sachkunde als geprüfter Börsenhändler an der Börse München. Zur Schadensschätzung hat die Kammer eine in der US-amerikanischen Rechtspraxis übliche[…], im deutschen Schrifttum befürwortete Ereignisstudie anhand 250 historischer Kursdaten […] erstellt“.
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aa) Demoskopische Befragungen Demoskopische Befragungen sind relativ unkompliziert durchzuführen.228 Hierfür werden zumeist Meinungsforschungsinstitute beauftragt, um die informationellen Effekte festzustellen, die sich durch eine Angabe bei dem adressierten Verkehrskreis229 einstellen. In den meisten Fällen werden die Meinungsforschungsinstitute das Verständnis einer Aussage direkt durch einen Fragebogen abfragen („Welche Vorstellungen verbinden Sie mit dieser Aussage?“230 , „Hier sind einige Meinungen über das hier beworbene Produkt. Welche treffen Ihrer Ansicht nach zu?“231).232 Demoskopische Befragungen sind in der deutschen Gerichtspraxis bei lauterkeitsrechtlichen Verfahren, sofern das Gericht nicht die eigene Sachkunde bejaht, state of the art.233 Ihre Validität ist jedoch eingeschränkt. Einfache Befragungen ohne eine Kontrollgruppe führen leicht zu falschen Schlüssen.234 US-amerikanische Gerichte und die dortigen Regulierungsbehörden sind methodisch weiter. Sie setzen zur Feststellung einer Täuschung bereits seit den 1980er-Jahren auf experimentelle Designs.235 bb) Experimentelle Studien Das Ziel eines Experiments ist die Feststellung, ob eine Einflussnahme bei den Adressaten eine propositionale Feststellung hervorruft.236 Oder allgemeiner formuliert: Es werden die Auswirkungen einer unabhängigen Variable (der Einflussnahme) auf eine abhängige Variable (den festzustellenden Effekt, der, so die Hypothese, abhängig von der Einflussnahme ist) gemessen.237 An einem Experiment beteiligen sich der Versuchsleiter und die Versuchsteilnehmer. Zunächst werden mindes228
S. aber zu den Fallstricken bei Verkehrsbefragungen Pflüger, GRUR 2017, 992. S. zur Auswahl der Befragungspersonen Eichmann, GRUR 1999, 939, 951 f. 230 Bei solchen „offenen Fragen“ besteht freilich die Gefahr, dass die frei formulierten Antworten der Befragten uneindeutig sind, Niedermann, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, S 18 Rn. 38. 231 Niedermann, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, S 18 Rn. 32 f. 232 Allgemein zu den Fragetypen und zur „Formenlehre“ Porst, Fragebogen, 4. Aufl. 2014, S. 53 ff., 119 ff.; Petersen, Der Fragebogen in der Sozialforschung, 2014, S. 87 ff., 171 ff.; zu Fragestrategien ebd. S. 171 ff. S. für einen Überblick Niedermann, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, S 18 Rn. 32 ff.; Eichmann, GRUR 1999, 939, 941 ff. 233 Niedermann, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, S 18 Rn. 52 f. 234 Niedermann, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, S 18 Rn. 5 4; s. auch bereits Rafeé, ZLR 1992, 281, 290, der deshalb experimentelle Designs vorziehen möchte. 235 S. nur Richards/Preston, 11 J. Public Policy Mark. 45 (1992); vgl. auch Niedermann, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, S 18 Rn. 54. 236 Vgl. Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 194, 199: „Das Ziel eines Experiments ist die theoriegestützte Überprüfung kausalen Einflusses einer oder mehrer unabhängiger Variablen auf die Ausprägungen einer oder mehrerer Variablen.“ 237 Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 194, 199: „Die betrachtenden Ursachenfaktoren sind die unabhängigen Variablen, die Wirkungen oder Effekte werden anhand der abhängigen Variablen gemessen.“ 229
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tens238 zwei Gruppen gebildet, denen die Versuchsteilnehmer zugewiesen werden,239 eine Experimentalgruppe und eine Kontrollgruppe.240 Jede Gruppe erfährt eine unterschiedliche Behandlung, d. h. die unabhängige Variable unterscheidet sich bei beiden Gruppen. Beispielsweise wird eine Gruppe der streitgegenständlichen Einflussnahme ausgesetzt, während die andere ihr nicht oder in abgewandelter Form unterliegt.241 Der Versuchsleiter misst dann die in den beiden Gruppen jeweils auftretenden Wirkungen auf die abhängige Variable.242 Es gibt mehrere Methoden und Designs für empirische Studien. Grob kann man diese in zwei Gruppen einteilen: (echte) Experimente und Quasi-Experimente. Bei Experimenten werden die Versuchsteilnehmer zufällig in Gruppen eingeteilt. Bei Quasi-Experimenten findet eine solche Randomisierung nicht statt, weshalb sie eine geringere interne Validität aufweisen.243 Angenommen, es steht in Frage, ob ein Werbebanner Adressaten glauben macht, ein beworbenes Arzneimittel helfe gegen Rückenschmerzen, obwohl es dies in Wahrheit nicht tut. Es ist aber nicht klar, ob die Werbeanzeige diese Fehlvorstellung hervorruft, oder ob auch Personen, die die Anzeige nicht gesehen haben, dieselbe propositionale Einstellung haben. In einem Quasi-Experiment wird die Experimentalgruppe der Werbeanzeige ausgesetzt, während die Kontrollgruppe die Anzeige nicht zu sehen bekommt. Im Anschluss werden die Versuchsteilnehmer beider Gruppen gefragt, ob sie denken, dass das Arzneimittel gegen Rückenschmerzen wirksam ist. Der Wissenschaftler wird hieraus nicht mit Sicherheit schlussfolgern können, dass die Werbeanzeige für die Fehlvorstellung kausal war. Schließlich könnten systematische Unterschiede zwischen den Versuchsteilnehmern beider Gruppen bestehen – z. B. könnten die Probanden der Kontrollgruppe im Schnitt gesünder sein als die der Experimentalgruppe, weshalb sie sich weniger Gedanken über die Wirkung von Arzneimitteln machen. Ein echtes Experiment kann diese Störfaktoren beseitigen.244 Hier werden die Probanden zufällig einer der Gruppen zugewiesen. Ist die Anzahl der Probanden ausreichend hoch, verschwinden systematisch auftretende Unterschiede zwischen beiden Gruppen.245 Gesündere und weniger gesunde Personen haben die gleiche Chance, einer der beiden Gruppen zugewiesen zu werden. So weisen sowohl die
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Es können natürlich auch mehrere Experimentalgruppen gebildet werden. einem echten Experiment erfolgt die Zuteilung zufällig, nicht aber bei Quasi-Experimenten; hierzu sogleich. Typischerweise wird ein „Doppelblind-Versuch“ durchgeführt, bei dem weder der Versuchsleiter noch die Versuchsteilnehmer wissen, welcher Proband welcher Gruppe zugewiesen wurde, Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 198. 240 Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 193, 199. 241 Die empirische Sozialwissenschaft spricht hier auch von der „Manipulation“ der unabhängigen Variable. „Manipulation“ ist hier technisch zu verstehen, d. h. als gezielte Variierung der Variabel. Hierzu Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 193, 199. 242 Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 193, 199. 243 Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 199; Vargas/Duff/Faber, 46 J. Advert. 101, 108 (2017). 244 Vargas/Duff/Faber, 46 J. Advert. 101, 108 (2017). 245 Vargas/Duff/Faber, 46 J. Advert. 101, 108 (2017). 239 Bei
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Experimental- als auch die Kontrollgruppe im Schnitt dieselben Eigenschaften auf. Dadurch erhöht sich die Gültigkeit der festgestellten Ergebnisse. Auch wenn Experimente der Goldstandard sind, erfolgen sie zumeist246 unter „Laborbedingungen“. Diese haben mit der alltäglichen Lebenswelt häufig wenig gemein.247 Dieser Makel besteht natürlich bei allen sozialwissenschaftlichen Labor experimenten und man kann ihn beheben, indem man die Laborbedingungen möglichst alltagsnah gestaltet.248 Doch gerade in den Fällen der Einflussnahme besteht die Gefahr, dass die festgestellten Ergebnisse nicht übertragbar sind. Insbesondere die wirtschaftlichen Entscheidungen von Konsumenten erfolgen in einem Kontext, der nur schwer reproduzierbar ist. Sei es der Ort, an dem der Adressat einer Einflussnahme ausgesetzt ist (z. B. eine Reklame an einer Litfaßsäule oder ein Werbebanner am heimischen PC), der Zeitpunkt (etwa auf der Heimfahrt nach der Arbeit, nachdem die geistigen Ressourcen sowieso schon erschöpft sind), oder das sonstige, individuelle Umfeld. cc) Ereignisstudien (event studies) Die bisherigen Ausführungen zur demoskopischen Befragung und zu experimentellen Studien haben sozialwissenschaftliche Feststellungen betroffen. Zum Nachweis eines künstlichen Preises (als mittelbarer Täuschungseffekt) infolge einer Veröffentlichung unwahrer Tatsachen haben sich Ereignisstudien (event studies) entwickelt.249 Hier beobachtet man die Entwicklung des Kurses vor und nach einer Informationsveröffentlichung, bereinigt die Kursentwicklung von anderen Einflüssen (confounding events) und kann so die Kursveränderung feststellen, die durch die Informationsveröffentlichung verursacht wurde.250 Das gilt jedenfalls,
246 Natürlich gibt es auch Feldexperimente. Diese sind bei der Feststellung der hier interessierenden Effekte aber wohl praktisch nur schwer durchführbar. 247 Diese Form der externen Validität wird auch „ökologische Validität“ genannt, Döring/ Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 198. 248 Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 198. 249 Hierzu im Detail Kothari/Warner, in: Eckbo (Hrsg.), Handbook of Corporate Finance I, 2007, S. 3 ff.; MacKinlay, 35 JEL 13 (1997); Macey/Miller/Mitchell et al., 77 Va. L. Rev. 1017 (1991). S. zu mittelbaren Täuschungseffekten oben S. 202 f. 250 Kothari/Warner, in: Eckbo (Hrsg.), Handbook of Corporate Finance I, 2007, S. 3, S. 7 ff.; MacKinlay, 35 JEL 13, 14 ff. (1997); Macey/Miller/Mitchell et al., 77 Va. L. Rev. 1017, 1029 (1991): „The idea behind event studies is simple. To test whether and how much a stock price has reacted to news, the researcher examines to what extent the return on the stock in the period when the market receives the news (the actual return) differs from what the return would have been without the news (the predicted return). This difference is called the abnormal return, and assuming the researcher has correctly identified the news release date and no other firm specific news reaches the market at that time (called a confounding event), the abnormal return indicates the impact of the news on the stock return. The researcher can statistically test the significance of the abnormal return to determine the likelihood that this abnormal return occurred by chance rather than due to the new information.“
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sofern der Markt ausreichend liquide und effizient im Sinne der halbstrengen Version der Markteffizienzhypothese ist.251 dd) Wesentlichkeitsschwelle, oder: „Irreführungsquote“ Richtet sich eine Täuschung an eine Vielzahl von Adressaten, sei es im Rahmen von Massengeschäften, oder weil sie an die Öffentlichkeit gerichtet ist, muss das Gericht entscheiden, wann ein festgestellter Täuschungseffekt wesentlich ist. Diese Frage betrifft vor allem Marktordnungsnormen wie das Täuschungsverbot in §§ 5 ff. UWG.252 Wesentlich meint hier, dass ein bestimmter, meist prozentualer Anteil der Adressaten durch die Einflussnahme eine bestimmte propositionale Einstellung entwickelt und deshalb eine (wirtschaftliche) Entscheidung trifft. Es wäre in vielen Fällen unverhältnismäßig, eine Handlung mit Täuschungscharakter zu verbieten oder mit einer Schadensersatzzahlung zu belegen, wenn diese nur einen verschwindend geringen Anteil der Adressaten beeinflusst.253 Im deutschen Lauterkeitsrecht spricht man hier von der „Irreführungsquote“, 254 in den Vereinigten Staaten von der „n percent issue“255. Als Richtwert wurde früher ein Quorum von 10 bis 15 % vertreten,256 heute – nachdem weniger der tatsächlich angesprochene Verkehrskreis als der normativ geprägte Durchschnittsverbraucher entscheidend ist 257 – eine höhere Quote, wobei man sich auf einen fixen Wert nicht
251 Die Markteffizienzhypothese stellt den theoretischen Unterbau der Ereignisstudien dar. Auf einem ineffizienten Markt werden Informationen nicht oder nur verzögert in den Kurs eingepreist, weshalb Ereignisstudien nicht weiterhelfen. Die Markteffizienzhypothese wurde maßgeblich von Eugene Fama entwickelt. Nach dieser Hypothese sind Finanzmärkte effizient, wenn die Preise von Finanzinstrumenten sämtliche Informationen reflektieren, die in diesem Markt verfügbar sind. Es wird zwischen drei Formen der Markteffizienzhypothese unterschieden: (1) In seiner „schwachen“ Form sind in gegenwärtigen Kursen alle Informationen vergangener Kursentwicklungen verarbeitet. (2) In der „halbstrengen“ Form sind alle öffentlich verfügbaren Informationen in den Kurs eingepreist. Darunter fallen neben vergangenen Kursentwicklungen auch etwa Finanzberichte und Ad-hoc-Mitteilungen. (3) In der „strengen“ Form reflektiert der Kurs alle Informationen, und zwar auch solche, die nicht der breiten Masse bekannt sind. S. hierzu Fama, 25 J. Finance 383 (1970). 252 Hierzu noch im Detail unten S. 269 ff. 253 Vgl. zum UWG Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.94. 254 Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.94 ff.; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 147 ff.; Tilmann/Ohde, GRUR 1989, 229; Büttner, GRUR 1996, 533. 255 Jacoby/Small, 39 JM 65, 67 (1975); Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 677 (1985). 256 BGH GRUR 1979, 716, 718 – Kontinent Möbel; BGH GRUR 1981, 71, 74 – Lübecker Marzipan; BGH GRUR 1992, 66, 68 – Königl.-Bayerische Weisse; hierzu Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 0.74. 257 Hierzu noch unten S. 214 ff. Der Durchschnittsverbraucher sei durchschnittlich aufmerksam und auch verständig, weshalb, so Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 0.74, „eine generelle, derart niedrig liegende Quote […] nicht mehr in Einklang zu bringen“ sei.
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festlegen möchte.258 Richtigerweise sollte die Wesentlichkeitsschwelle mittels des konstruktiven Ansatzes festgelegt werden. Details hierzu folgen im nächsten Abschnitt.259 c) Erfahrungsgestützte Feststellung Evidenzbasierte Feststellungen haben zwar eine hohe Validität. Sie sind aber teuer, dauern lange und meist können sie nur Experten durchführen. Einfacher gestaltet sich die Feststellung eines Effekts aufgrund von Erfahrungssätzen.260 Hierbei kann das Gericht auf alltagspsychologische Beobachtungen (den „common sense“261 und seine „eigene Sachkunde“) (a.) oder auf wissenschaftliche Theorien und Hypothesen (b.) zurückgreifen. Erfahrungssätze sind letztlich empirische Generalisierung en,262 die auf vergleichbare Fälle übertragbar sind. aa) Alltagspsychologische Beobachtungen Alltagspsychologische Erkenntnisse basieren auf der allgemeinen Lebenserfahrung und auf typischen Geschehensabläufen.263 Beispielsweise geht der BGH bei Beurteilung der Verwechslungsgefahr zweier Marken davon aus, dass „der Verkehr in der Regel dem Wortanfang […] eine gesteigerte Aufmerksamkeit entgegenbringt.“264 Im konkreten Fall ging es um die Frage, ob zwischen den Marken „DKV“ und „OKV“ eine Verwechslungsgefahr besteht. Der BGH verneinte das, da sich beide Marken durch den unterschiedlichen Anfangsbuchstaben (auf dem der Fokus der Adressaten liege) akustisch deutlich unterscheiden.265 Ein anderes Beispiel stellt die Nachahmung eines Produkts durch einen Mitbewerber dar (§ 4 Abs. 3 UWG). Zur 258 Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 0.74. 259 Vgl. unten S. 219. 260 Im Prozessrecht wird unterschieden zwischen zwingenden Erfahrungsgesetzen, die zu notwendigen Schlüssen führen, z. B. dass eine Person nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann, Erfahrungsgrundsätzen, wonach mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, z. B. dass die Nichtbeachtung eines Verkehrszeichen in aller Regel auf dem Verschulden des Fahrers beruht sowie einfachen Erfahrungssätzen, die sich durch eine gewisse schwache Wahrscheinlichkeit auszeichnen und als Indizienbeweis dienen, Prütting, in: MüKo ZPO, Bd. 1, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 59, 60, 62. 261 Klass, 100 Geo. L.J. 449, 466 f. (2012). 262 Krehl, in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 7. S. auch Klass, 100 Geo. L.J. 449, 466 ff. (2012). 263 Vgl. Prütting, in: MüKo ZPO, Bd. 1, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 58. 264 BGH GRUR 2002, 1067, 1070 – DKV/OKV. S. auch OLG Köln GRUR 2002, 264, 266: „[D]er Verkehr [beachtet] im Allgemeinen stärker den Wortanfang als das Wortende“; BPatG BeckRS 2008, 8486 Rn. 15: „Es ist von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr in phonetischer Hinsicht regelmäßig dem Wortanfang eine gesteigerte Aufmerksamkeit entgegenbringt.“ S. hierzu und zu wahrnehmungsbezogenen Erfahrungssätze im Allgemeinen Beutel, euvr 2012, 172, 179. 265 BGH GRUR 2002, 1067, 1070 – DKV/OKV. Solche Erfahrungssätze gelten aber nicht ausnahmslos. Unter Umständen besteht eine Verwechslungsgefahr zweier Marken auch bei einem unterschiedlichen Wortanfang, aber gleichem Wortende, wenn das Ende die längste Silbe des
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Bestimmung, ob eine Nachahmung vorliegt, geht die Rechtsprechung von dem Erfahrungssatz aus, dass der Verkehr die Produkte nicht gleichzeitig wahrnimmt, sondern aufgrund eines Erinnerungseindrucks, der dazu führt, dass Übereinstimmungen deutlicher hervortreten als Unterschiede.266 bb) Wissenschaftliche Theorien und Hypothesen Daneben kann der Rechtsanwender auch Erfahrungssätze aus wissenschaftlichen Theorien und Hypothesen nutzen.267 Hierbei bietet sich ein Rückgriff auf die verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse an, die im Kapitel § 1 erläutert wurden.268 Bewirbt ein Unternehmen seine Getränkedosen mit dem Slogan „Die Dose ist grün“,269 kann man unter Heranziehung der Repräsentativheuristik 270 davon ausgehen, dass die Adressaten anhand ihrer prototypischen Vorstellung über „grüne“ Produkte die Aussage so verstehen, dass die Dosen ökologisch vorteilhaft sind. Hierbei kommt es nicht selten zu Überschneidungen mit alltagspsychologischen Wertungen. Die Beobachtung, dass sich der Fokus eines Adressaten auf den Wortanfang richtet, ist nicht nur Alltagspsychologie, sondern stimmt auch mit dem in den Verhaltenswissenschaften anerkannten Primäreffekt überein.271 Im Bereich des Kapitalmarktrechts bietet sich die Rezeption der Markteffizienzhypothese für die Feststellung mittelbarer Täuschungseffekte bei einem Eingriff in den Preisbildungsmechanismus an. Nach der Markteffizienzhypothese reagiert der Kurs eines Finanzinstruments, welches auf einem effizienten Markt gehandelt wird, in kürzester Zeit auf neue Informationen.272 Der Rechtsanwender kann diese Gesetzmäßigkeit des Preisbildungsmechanismus als wissenschaftliche Hypothese für die Feststellung nutzen, ob eine Täuschung zu einer Kursveränderung geführt hat, d. h. ob sie kausal für einen Preiseinfluss war (sog. Preiskausalität).273 d) Vor- und Nachteile der Feststellungsarten Es ist bereits angeklungen, dass experimentelle Studien die höchste Validität aufweisen. Nur mit ihrer Hilfe lassen sich Kausalnachweise, d. h. das Hervorrufen eines Effekts durch eine Einflussnahme, mit einiger Gewissheit feststellen. DemosWortes darstellt, auf das die Betonung gelegt wird, so das Deutsche Patentamt bei den Marken „Biotherm“ und „Pyrotherm“, GRUR 1954, 75, 76. 266 BGH GRUR 2007, 795, 798 Rn. 34 – Handtaschen; GRUR 2010, 80, 83 Rn. 41 – LIKEaBIKE. Hierzu Wiebe, in: MüKo UWG, Bd. 1, 3. Aufl. 2020, § 4 Nr. 3 Rn. 77. 267 S. auch Klass, 100 Geo. L.J. 449, 468 (2012). 268 Vgl. oben S. 27 ff. 269 Vgl. LG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 446. 270 Vgl. oben S. 39. 271 Vgl. oben S. 38. Der oben beschriebene Reihenfolgeeffekt bezieht sich zwar vor allem auf mehrere Wörter, Sätze oder abstrakter: Informationselemente. Sein Auftreten ist aber auch bei einem einzelnen Wort denkbar. 272 Vgl. hierzu im Detail oben S. 207, Fn. 251. 273 Vgl. oben S. 121 f. und zur Preiskausalität im Detail unten S. 230 ff.
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kopische Befragungen sind weniger valide, aber sicherlich näher an der Realität als eine bloße erfahrungsgestützte Feststellung.274 Die Nachteile der evidenzbasierten Feststellung liegen auf der Hand: Sie sind kostenintensiv und erfordern einen hohen Zeitaufwand.275 Erfahrungssätze sind für den Richter schnell greifbar, weshalb er eine Feststellung aus eigener Sachkunde durchführen kann. Deshalb wundert es nicht, dass die Rechtsprechung sehr schnell die eigene Sachkunde bejaht und im Prozess auf die Erhebung empirischer Daten verzichtet.276 Das Problem einer erfahrungsgestützten Feststellung liegt darin, dass Richter und die von einer Täuschung betroffenen Adressaten häufig einen unterschiedlichen sozialen Hintergrund haben.277 Zwar sind auch Richter Konsumenten, die Werbung ausgesetzt sind. Dennoch unterscheiden sich beide Personengruppen in ihren kognitiven Fähigkeiten, wie der Informationsaufnahme und -verabeitungskapazitäten, und haben, bedingt durch ihren Berufsstand, auch eine andere Sichtweise auf die Dinge. Das kann dazu führen, dass Richter Erfahrungssätze falsch einschätzen. Der US-amerikanische Richter Jerome Frank hat das in einem Sondervotum zu einem Urteil, in dem es um einen Markenrechtsstreit zwischen der Zeitschrift „Seventeen magazine“ und einem Hüftgürtel der Marke „Miss Seventeen“ ging, pointiert ausgedrückt: „As neither the trial judge nor any member of this court is (or resembles) a teen-age girl or the mother or sister of such a girl, our judicial notice apparatus will not work well unless we feed it with information directly obtained from ‘teen-agers’ or from their female relatives accustomed to shop for them.“278
Dieses Problem besteht weniger bei Erfahrungssätzen, die auf wissenschaftlichen Theorien oder Hypothesen basieren, jedoch in erheblichem Maße bei alltagspsychologischen Beobachtungen. 5. Konstruktiver Ansatz Schließlich kann das Gericht eine Bedeutung oder einen Effekt „konstruieren“. Der konstruktive Ansatz ist eine Ergänzung bzw. eine Kontrolle des interpretativen und des effektbasierten Ansatzes. Gemeint ist mit einer „Konstruktion“ eine normative Beurteilung eines Bedeutungsgehalts oder eines (informationellen) Effekts. Letztlich geht es darum, die Täuschung in Bezug auf regulatorische Erwägungen zu konzeptualisieren. 274 Ruess, in: MüKo UWG, Bd. 1, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 266: „Ungeachtet aller Schwierigkeiten und Kosten, die mit der Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens verbunden sind, ist es gleichwohl als bestverfügbares Mittel zur Ermittlung der tatsächlichen Verkehrsauffassung anzusehen.“ Ruess beschränkt sich bei seiner Betrachtung auf demoskopische Gutachten. 275 Ruess, in: MüKo UWG, Bd. 1, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 266; Sosnitza, WRP 2014, 1136, 1139. 276 Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 149 ff.; Sosnitza, WRP 2014, 1136, 1139. 277 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 161 (2020). 278 Triangle Publ’ns, Inc. v. Rohrlich, 167 F.2d 969, 976 (2d Cir. 1948).
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Das Wesen des konstruktiven Ansatzes wird schnell klar, wenn man die Konstruktion der Interpretation gegenüberstellt (a.). Das Recht gibt vielerorts bereits einen Befehl zur Konstruktion durch Maßfiguren wie den „Durchschnittsverbraucher“, den „verständigen Anleger“ oder durch den „objektiven Empfängerhorizont“ (b.). Verbindet man die Maßfiguren mit der ökonomischen Analyse der Ex-Post-Regulierungsinstrumente, verleiht man ihnen eine Kontur, die bislang in der Rechtspraxis fehlt. Eine solche Konzeption kann sowohl bei einer Äußerung, bei der mehrere (pragmatische) Bedeutungen interpretierbar sind, den rechtlich relevanten Gehalt herausdestillieren, als auch die Frage nach der „Irreführungsquote“ im Lauterkeitsrecht beantworten (c.). Der abschließende Abschnitt beschäftigt sich mit der Kombination des konstruktiven Ansatzes mit den beiden anderen vorgestellten Ansätzen (d.). a) Abgrenzung zwischen Interpretation und Konstruktion aa) „Interpretation“ und „Construction“ im US-Recht Die angloamerikanische Rechtswissenschaft unterscheidet bei der Auslegung von Verträgen 279 und von Gesetzen 280 zwischen der Interpretation (interpretation) und der Konstruktion (construction). Diese Unterscheidung wurde 1837 durch Francis Lieber in seinem Aufsatz „On Political Hermeneutics“ eingeführt.281 Interpretation sei die Kunst, die wahre Bedeutung der verwendeten Worte zu erkennen.282 Sie kommt aber schnell an ihre Grenzen. Viele Worte sind mehrdeutig,283 eine bestimmte Auslegung für einen konkreten Fall unpassend, 284 unangemessen 285 oder 279 Corbin, 28 Yale L. J. 739, 740 f. (1919); ders., 3 Corbin on Contracts, 1960, § 534, S. 7 ff.; jüngst Klass, Scholarship @ Georgetown Law (SSRN: #2913228) 2018, 1. 280 Solum, 27 Const. Comment. 95 (2010). 281 Lieber, 18 Am. Jurist & L. Mag. 37 (1837); ders., 16 Cardozo L. Rev. 1883 (1995) (Nachdruck des Buches „Legal and Political Hermeneutics, or Principles of Interpretation and Construction in Law and Politics“ aus dem Jahre 1839). Nach Poscher, in: Glanert/Girard (Hrsg.), Law’s Hermeneutics, 2017, S. 207 lasse sich die Unterscheidung möglicherweise auf Savigny zurückführen, der zwischen der „Interpretation“ und „Fortbildung des Rechts“ unterschieden hat, s. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 1840, § 50 S. 323. Jedenfalls findet sich der Ursprung in den Werken Friedrich Schleiermachers, s. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977 (1838). 282 Die wahre Bedeutung ist nach Lieber jene, die der Urheber gemeint hat, s. Lieber, 18 Am. Jurist & L. Mag. 37, 42 (1837): „Interpretation is the art of finding out the true sense of any form of words (i. e. the sense which their author intended to convey), and of enabling others to derive from them the same idea which the author intended to convey.“ Ebd. S. 39: „Interpretation, in its widest sense, is the discovery and representation of the true meaning of any signs, used to convey certain ideas.“ 283 Lieber, 16 Cardozo L. Rev. 1883, 2002 (1995): „ambiguity“; ebd. S. 1921 in Fn. 1 „contradiction“. 284 Lieber, 16 Cardozo L. Rev. 1883, 1922 (1995): „inadequateness of the text for cases which human wisdom could not foresee“. 285 Lieber, 16 Cardozo L. Rev. 1883, 1922 (1995); ders., 18 Am. Jurist & L. Mag. 37, 53 (1837): „On account of their militating, if applied to certain cases, or in certain parts, with more general and binding rules; whether these latter be constitutional, written and solemnly acknowledged rules, or moral ones, written in the heart of every man.“
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es bestehen planwidrige Regelungslücken 286 . Dann 287 bedarf es einer Konstruktion. Für Lieber war die Konstruktion noch die Entdeckung des „Geistes“ eines Textes, der hinter der Bedeutung der Worte stehe.288 Arthur Corbin hat das Konzept der Konstruktion weiterentwickelt.289 Nach ihm müsse eine Konstruktion mit der ursprünglichen Intention des Autors nichts gemein haben.290 Die Konstruktion ist aus der Perspektive der deutschen Rechtswissenschaft eine ergänzende Vertragsauslegung, eine Rechtsfortbildung praeter legem, oder gar eine Auslegung contra legem.291 Alles, was sich nicht aus der Interpretation einer Äußerung ergibt, ist eine Konstruktion des Rechtsanwenders. Bei der Konstruktion kann der Rechtsanwender normative Erwägungen, wie die des Regulierungsziels, miteinbeziehen: „The question now is, not what is the meaning of words, but what does the welfare of society require in view of these unknown or unanticipated circumstances. To answer this question the court must resort to general rules of law even though they were unknown by the parties, to rules of fairness and morality, to the prevailing mores of the time and place.“292
bb) Konstruktion im Rahmen der Sachverhaltsbeurteilung Das Verständnis von Corbin lässt sich auf die Sachverhaltsbeurteilung übertragen. Eine Konstruktion erfolgt zeitlich nach einer Interpretation. Das Gericht kann durch eine Konstruktion den gebildeten Sachverhalt korrigieren, neu konstruieren, oder, soweit er mehrdeutig ist, den rechtlich relevanten Bedeutungsgehalt festlegen. Ein konstruierter Sachverhalt kann so von der eigentlichen Deutung abweichen. Eine Korrektur findet etwa statt, wenn eine wörtliche Interpretation zu einem ab-
286 Lieber, 16 Cardozo L. Rev. 1883, 1921 (1995): „Construction is likewise our guide, if we are bound to act in cases which have not been foreseen by the framers of those rules“; ders., 18 Am. Jurist & L. Mag. 37, 53 (1837). 287 Und nach Lieber auch nur dann, vgl. Lieber, 18 Am. Jurist & L. Mag. 37, 71 (1837): „interpretation precedes construction“. 288 Lieber, 16 Cardozo L. Rev. 1883, 1921 (1995) „Construction is the drawing of conclusions respecting subjects, that lie beyond the direct expression of the text, from elements known from and given in the text–conclusions which are in the spirit, though not within the letter of the text. […] [C]onstruction signifies generally the supplying of supposed or real imperfections, or insufficiencies of a text, according to proper principles and rules.“; ders., 18 Am. Jurist & L. Mag. 37, 53 f. (1837). 289 Allgemein: „By ‘interpretation of language’ we determine what ideas that language induces in other persons. By ‘construction of the contract,’ as that term will be used here, we determine its legal operations—its effect upon the action of courts and administrative officials.“ Corbin, 3 Corbin on Contracts, 1960, § 534, S. 9. 290 Vgl. Corbin, 3 Corbin on Contracts, 1960, § 534, S. 12 f.: „When a court is filling gaps in the terms of an agreement, with respect to matters that the parties did not have in contemplation and as to which they had no intention to be expressed, the judicial process should not be called interpretation. […] In determining its legal effect, as the court must, the process may be called ‘construction’“. In eine ähnliche Richtung bereits Bülow, Gesetz und Richteramt, 1885, S. 37: „Gewiß: das Gesetz ist oft klüger als sein Urheber, das Gesetzbuch weiser als der Gesetzgeber!“ 291 Vgl. Poscher, in: Glanert/Girard (Hrsg.), Law’s Hermeneutics, 2017, S. 207. 292 Corbin, 28 Yale L. J. 739, 741 (1919).
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surden Ergebnis führt – Red Bull verleiht eben keine Flügel.293 Besondere Bedeutung hat eine Konstruktion für Fälle, in denen eine pragmatische Interpretation unterdeterminiert ist, d. h. wenn eine Äußerung mehrere Bedeutungsgehalte vermittelt. Die Konstruktion ist hier die Bestimmung des rechtlich maßgeblichen Bedeutungskerns, wobei das Gericht regulierungsspezifische Erwägungen einfließen lassen kann. Hierzu werden sogleich noch Kriterien vorgeschlagen.294 Der Gedanke der Konstruktion lässt sich auch auf den effektbasierten Ansatz übertragen. Einen Effekt „konstruieren“ heißt dann, ihn normativ festzulegen. Bei einer normativen Beurteilung, ob eine Täuschung vorliegt, muss der Rechtsanwender zunächst einen normativen Maßstab haben, der die Kriterien für die Feststellung vorgibt. Einen solchen Maßstab bilden Maßfiguren wie der durchschnittliche Verbraucher im Lauterkeitsrecht oder der verständige Anleger im Kapitalmarkt recht.295 Die Konstruktion ist keine Erfindung, sondern Teil der Rechtsrealität, es ist law in action.296 Gerichte deuten Äußerungen oder Verhalten nicht selten ergebnisorientiert, genau wie sie Effekte ergebnisorientiert feststellen.297 Diese Ergebnisorientierung ist freilich nicht willkürlich. Gerichte meinen, dadurch Gerechtigkeitsvorstellungen oder regulatorische Zielvorstellungen zu verwirklichen.298 Ihr Anliegen ist legitim. Gleichwohl sollten die Gerichte offenlegen, warum sie einen Bedeutungsgehalt oder einen Effekt konstruieren. Die transparente Unterscheidung zwischen Interpretation bzw. Effektfeststellung und Konstruktion dient nicht nur der Klarheit der Gedanken, 299 sondern führt auch zu Rechtssicherheit. Die folgenden beiden Abschnitte beschäftigen sich mit der Frage, welche Anliegen eine Konstruktion rechtfertigen. 293 Die Bedeutung lässt sich freilich auch anhand der kommunikativen Umgebung deuten, vgl. oben S. 197 f. In den Vereinigten Staaten kam es wegen des Slogans zu einer class action. Nicht, weil die Adressaten dachten, ihnen wüchsen Flügel, sondern weil es den Eindruck vermittelte, es mache munterer als es dies tatsächlich tut. Red Bull verpflichtete sich in der Folge in einem Vergleich insgesamt $ 13 Millionen zu zahlen. S. hierzu Komljenovic/Komljenovic, 6 Int. J. Social. Scienc. Humanit. 710, 712 f. (2016). 294 Vgl. unten S. 214 ff. 295 Vgl. unten S. 214 ff. 296 Die Unterscheidung vom law in books und law in action stammt von Roscoe Pound, der damit die Diskrepanz zwischen dem geschriebenen oder geltenden Recht und seiner tatsächlichen Handhabe und Wirkung beschreibt, s. Pound, 44 Am. L. Rev. 12 (1910). 297 S. bereits Corbin, 28 Yale L. J. 739, § 534 (1919): „Finding that one interpretation of the words will be followed by the enforcement of certain legal effects, we may back hastily away from that interpretation and substitute another that will lead to a more desirable result.“ Hierzu kurz aus vertragsrechtlicher Perspektive Klass, Scholarship @ Georgetown Law (SSRN: #2913228) 2018, 1, 4 f. 298 S. allgemein zur Problematik, dass rechtliche Regelungen unbestimmt und deshalb immer politisch sind Peller, 73 Cal. L. Rev. 1151 (1985). 299 S. bereits Corbin, 3 Corbin on Contracts, 1960, § 534, S. 7: „The expressions of one whose ideas are themselves confused and uncertain will of necessity be equally confusing to others; but the effort to choose a word that will clearly convey an idea to others is of great assistance in clarifying to oneself the idea that should be conveyed. A clear and definite mind is a rarity; an artist in the use of words is as great rarity.“
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
b) Maßfiguren und normative Konstruktion Das deutsche Recht kennt die Konstruktion eines Bedeutungsgehalts oder eines Effekts. Durch Maßfiguren wie den „Durchschnittsverbraucher“ im Lauterkeitsrecht, den „verständigen Anleger“ im Kapitalmarktrecht oder durch die normative Auslegung von Rechtsgeschäften nach dem objektiven Empfängerhorizont im Bürgerlichen Recht können Gerichte Bedeutungen von Handlungen oder ihre Effekte festlegen. aa) Maßfiguren als Maßstäbe für eine normative Konstruktion Maßfiguren sind fiktive Personen. Innerhalb ihres Anwendungsbereichs sind sie und nicht das tatsächliche Verständnis des Verkehrskreises der Maßstab, an dem sich eine Interpretation oder Effektfeststellung orientieren muss. Der Unterschied zwischen einer Interpretation bzw. Effektfeststellung und einer Konstruktion wird deutlich, wenn man die Entwicklung der Rechtsprechung hinsichtlich des Durchschnittsverbrauchers näher betrachtet. Im Lauterkeitsrecht war lange Zeit ein empirisches Verständnis vorherrschend.300 Für die Beurteilung, welchen propositionalen Gehalt eine Äußerung oder ein Verhalten hat oder welche informationellen Effekte sie hervorrufen, kam es allein darauf an, wie der Adressatenkreis das Verhalten des Einflussnehmers tatsächlich verstanden hat. Das konnte der Richter zumeist durch eigene Erfahrung feststellen. Wenn der Richter hierzu aus eigener Sachkunde nicht fähig war, etwa weil er nicht zum Adressatenkreis gehörte, konnte er Verkehrsbefragungen zu Rate ziehen. Von diesem empirischen Verständnis haben sich die Rechtsprechung und die herrschende Lehre seit längerer Zeit entfernt.301 Zwar wird das faktische Verständnis als Ausgangspunkt gewählt. Maßgeblich ist aber die, gegebenenfalls davon abweichende, Verkehrsauffassung des Durch300
BGH GRUR 1955, 37, 40 – Cupresa-Seide; 1981, 71, 72 – Lübecker Marzipan. Ruess, in: MüKo UWG, Bd. 1, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 257 ff.; Dreyer, in: Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 149 ff.; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 135; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.222 ff. Teilweise ist auch von einem zweistufigen Ansatz die Rede („tatsachengestützte Normativbeurteilung“): „Auf einer ersten Ebene kann man nach der tatsächlichen Verkehrsauffassung fragen und dementsprechend empirisch ermitteln, welche Auffassung bzw Sichtweise die Adressaten einer Aussage wirklich haben. Auf einer zweiten Ebene muss allerdings in jedem Fall die unter Umständen davon abweichende maßgebliche Verkehrsauffassung des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers festgestellt werden und dies erfordert eine wertende Beurteilung durch den Richter und ist daher normativ geprägt.“, Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 135; ders., WRP 2014, 1136, hierzu noch unten S. 220. Der EuGH stellt vor allem auf eine normative Feststellung ab, s. EuGH GRUR-Int. 1998, 795 – Gut Springenheide unter Bezug auf EuGH GRUR-Int. 1990, 955 – GB-INNO-BM; GRUR-Int. 1991, 215 – Pall; GRUR 1993, 747 – Yves Rocher; GRUR 1994, 303 – VSW/Clinique; GRUR-Int. 1995, 906 – Langguth; GRUR-Int. 1995, 804 – Mars. Er hält es aber nicht für ausgeschlossen, „dass ein nationales Gericht zumindest bei Vorliegen besonderer Umstände nach seinem nationalen Recht ein Sachverständigengutachten einholen oder eine Verbraucherbefragung in Auftrag geben kann, um beurteilen zu können, ob eine Werbeaussage irreführen kann“, EuGH GRUR-Int. 1998, 795 – Gut Springenheide. 301
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schnittsverbrauchers, der durchschnittlich informiert sowie verständig ist und der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt.302 Aus den Augen dieser fiktiven Maßfigur hat das Gericht eine Aussage oder ein Verhalten zu interpretieren oder die informationellen Effekte festzustellen. Das Ergebnis ist dann freilich weniger eine Interpretation oder Effektfeststellung als eine Konstruktion anhand des Regulierungsziels. Es kommt weniger auf das „Sein“ als auf das „Sollen“, weniger auf Faktizität als auf Normativität an.303 Die Konstruktion kann eine ganz andere Bedeutung hervorbringen, als sie der Einflussnehmer intendiert oder der Adressat verstanden hat.304 Noch deutlicher wird diese normative Konstruktion im Kapitalmarktrecht. Dort wird auf den verständigen Anleger abgestellt,305 der nach einer vordringenden Ansicht als „Personifikation des Marktes“,306 oder als „Alter Ego eines effizienten Marktes“307 verstanden wird.308 Die „Verkehrsauffassung“, die durch den verständigen Anleger personifiziert wird, wird so zu einer Kunstfigur, die beschreibt, wie ein Adressat eine Äußerung verstehen sollte. Diese Normativierung ist angebracht, wenn so das jeweilige Regulierungsziel – hier die Effizienz des Kapitalmarkts – effektiver erreicht werden kann. Vergleichbar ist die normative Auslegung von Willenserklärungen und Rechtsgeschäften nach dem objektiven Empfängerhorizont. Auch wenn nicht von einer 302 EuGH Slg. 1998, I-4657 = GRUR-Int. 1998, 795 – Gut Springenheide; BGH GRUR 2000, 619, 621 – Orient-Teppichmuster; BGHZ 156, 250, 252 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; GRUR 2003, 626, 627 – Umgekehrte Versteigerung II; GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet; GRUR 2004, 435, 436 – FrühlingsgeFlüge; GRUR 2004, 793, 796 – Sportlernahrung II; GRUR 2019, 631 Rn. 30 – Das beste Netz;. Dieses Verbraucherleitbild ist unionsrechtlich beeinflusst. Früher stellte der BGH noch auf den „flüchtigen Betrachter“ ab, s. etwa BGH GRUR 1959, 365, 366 – Englisch-Lavendel; 1982, 564, 566 – Elsässer Nudeln. S. für eine detaillierte Beschreibung der Rechtsprechungsentwicklung Ruess, in: MüKo UWG, Bd. 1, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 161 ff. 303 Ahrens, WRP 2000, 812, 813; Sosnitza, WRP 2014, 1136, 1138. 304 Vgl. Corbin, 3 Corbin on Contracts, 1960, § 534, S. 13 (in Bezug auf die Auslegung eines Vertrages): „[T]here is no identity nor much similarity between the process of giving a meaning to words, and the determination by the court of their legal operation.“ 305 S. etwa Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 366 ff.; ders., in: ders., MAR, 2018, Art. 7 Rn. 268 ff.; Kumpan/Misterek, in: Schwark/Zimmer, 5. Aufl. 2020, Art. 7 MAR Rn. 128 ff.; dies., ZHR 184 (2020), 180. Welche Eigenschaften der verständige Anleger mit sich bringt, ist eine der ungeklärten Fragen des Kapitalmarktrechts (s. nur Langenbucher, AG 2016, 417). Er wird als börsenkundig beschrieben (BGH NJW 2012, 1800, 1804 Rn. 41 – IKB) und stützt seine Anlageentscheidung auf Informationen, die ihm vorab zur Verfügung stehen und zieht dabei auch ihre voraussichtlichen Auswirkungen in Betracht (so etwa Erwägungsgrund 14 MAR). Im Kapitalmarktrecht ist es wohl unstreitig, dass es sich bei der Bestimmung um eine Rechtsfrage handelt, s. statt aller Klöhn, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 7 Rn. 169. 306 Kumpan/Misterek, in: Schwark/Zimmer, 5. Aufl. 2020, Art. 7 MAR Rn. 138; dies., ZHR 184 (2020), 180, 206 f. 307 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 370 f.; ders., in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 7 Rn. 271. 308 Diese Beobachtung stammt ursprünglich aus dem US-amerikanischen Kapitalmarktrecht, s. Shaw v. Digital Equipment Corp., 82 f. 3d 1194, 1218 (1st Cir. 1996): „[T]he hypothetical ‘reasonable investor,’ by reference to whom materiality is gauged, must be ‘the market’ itself, because it is the market, not any single investor, that determines the price of a publicly traded security.“
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Maßfigur die Rede ist – anders als im angloamerikanischen Recht, welches hier vom reasonable man spricht 309 – ist der objektive Empfängerhorizont in der Sache das Gleiche. Zwar hat im Vertragsrecht grundsätzlich der Wille der Parteien Vorrang. Insofern verbietet sich die normative Konstruktion einer einvernehmlichen rechtsgeschäftlichen Vereinbarung. Eine Täuschung bestimmt den Adressaten jedoch zu einem Willensentschluss, der nicht mehr seiner eigenen „Selbstherrlichkeit“310 entspringt. In einem derartigen Fall muss das Gericht zunächst feststellen, ob tatsächlich eine Täuschung gegeben ist. Hier kann das Gericht den durch den Einflussnehmer vermittelten Bedeutungsgehalt anhand normativer Kriterien festlegen.311 Das entspricht auch der Rechtsprechungspraxis, wenn der BGH auf die „verständige[…] Würdigung aller Umstände“312 abstellt. bb) Konturen der Maßfiguren: Mikroabwägung Über die konkreten Eigenschaften der Maßfiguren hat sich in der Literatur und Rechtsprechung eine bis heute währende Diskussion entwickelt. In den USA, wo es vergleichbare Maßfiguren gibt, hat sich die Debatte derart zugespitzt, dass sogar über das Geschlecht des reasonable investor räsoniert wurde.313 Ein derartiger Diskurs versperrt den Blick auf das Wesentliche. Maßfiguren sind nicht die Durchschnitts- oder die Median-Person und wollen das auch nicht sein. Sie sind normative Konstrukte, deren Inhalt sich allein nach dem Zweck einer Rechtsregel oder eines Regelungsgefüges richten sollte. Nur so können sie ihre Steuerungsfunktion verwirklichen. Im Bereich des Wirtschaftsrechts ragt deshalb eine Eigenschaft heraus, die das Paradigma jeder Maßfigur ist: Verständigkeit. Dem „Durchschnittsverbraucher“ wird zugeschrieben, dass er verständig sei,314 der „verständige Anleger“ trägt diese Eigenschaft bereits im Namen und auch die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont kommt ohne eine „verständige“ Würdigung aller Umstände nicht aus.315
309
Statt aller Holmes, The Common Law, 2009 (1881), S. 86, 99. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, § 1 5, S. 6. 311 Jedenfalls, sofern keine absichtliche Täuschung vorliegt, vgl. zu den dann greifenden Modifikationen oben S. 174 f. 312 BGH NJW 1967, 1222, 1223. Konkret hat der BGH entscheiden: „Darauf, ob ein Erwerber bei verständiger Würdigung aller Umstände auch bei Kenntnis des Unfalls gleichwohl zum selben Preis kaufen würde, kommt es bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) im Gegensatz zur Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB) nicht an.“ Die „verständige Würdigung“ ist demnach nur bei einer fahrlässigen Täuschung entscheidend, während bei der arglistigen Täuschung ein anderer Maßstab gilt. Die unterschiedliche Behandlung der Täuschung liegt daran, dass § 123 BGB einen Vorsatz voraussetzt. Richtigerweise sollte bei einer bedingt vorsätzlichen Täuschung aber Gleiches wie bei der fahrlässigen Täuschung gelten, vgl. oben S. 175. 313 Heminway, 15 Wm. & Mary J. Women & L. 291 (2009). 314 Vgl. oben S. 215. 315 BGH NJW 1967, 1222, 1223. 310
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Verständigkeit bedeutet „mit Verstand begabt“ zu sein.316 Das entspricht der Vorstellung, die die Vernunft, die Rationalität, als differentia specifica des Menschen auffasst und die sich wie ein roter Faden durch die Ideengeschichte der Menschheit zieht.317 Auch wenn reale Menschen nur begrenzt rational318 sind, ist die Zuschreibung vollkommener Rationalität als paradigmatische, erstrebenswerte Eigenschaft einer Maßfigur möglich. Das lateinische ratio bedeutet neben „Vernunft“ auch „Berechnung“.319 Eine verständige Person wird, bevor sie eine Entscheidung trifft, das Für und Wider sorgfältig abwägen, sie ist berechnend. Führt man die weiter oben vorgenommenen ökonomischen Vorüberlegungen mit der Verständigkeit der Maßfiguren zusammen, würde eine solche Kunstfigur den Grenznutzen einer alternativen Darstellung mit den Grenzkosten ebendieser Darstellung abwägen.320 Sind die negativen Auswirkungen der einflussnehmenden Aktivität kosteneffektiv vermeidbar, liegt aus dem Blickwinkel der Maßfigur eine rechtlich relevante Täuschung vor. Würde eine alternative Darstellung mehr Kosten als Nutzen mit sich bringen, würde die Maßfigur die Aktivität des Einflussnehmers nicht als Täuschung auffassen. Es lässt sich festhalten: der „Durchschnittsverbraucher“, der „verständige Anleger“ sowie der objektive Empfängerhorizont321 sind die Personifizierung einer Mikroabwägung. Das Gesagte gilt, solange die Wohlfahrtsmaximierung ein zulässiges Regulierungsziel darstellt – was jedenfalls für das Wirtschaftsrecht unstreitig sein sollte.322 Gegen die Einordnung der Maßfiguren als Personifizierung einer Mikroabwägung spricht auch nicht, dass dadurch reale Marktteilnehmer, die irrational handeln, ungeschützt wären. Die verständige Maßfigur würde auch irrationales Handeln anderer berücksichtigen. Angenommen ein Einflussnehmer, der im Bereich der „Alternativmedizin“ tätig ist, bewirbt ein neuartiges, den Patienten zu injizierendes Serum damit, es könne Krebs heilen. Der „Durchschnittsverbraucher“ als verständige fiktive Person würde die Äußerung als quacksalberhaft und unglaubwürdig auffassen. Gleichwohl würde er auch eine Mikroabwägung vornehmen: Angenommen nur 1 % der Adressaten würde die Aussage des Einflussnehmers für bare Münze nehmen und sich das Serum injizieren lassen und – neben den Kosten für die „Heilbehandlung“ – schwere Gesundheitsschäden davontragen. Dann entstünden trotz der geringen Anzahl getäuschter Adressaten enorme soziale Kosten. Die Vermeidung einer solchen Täuschung ist einfach: Der Einflussnehmer sollte die Behauptung einer Heilwirkung schlicht unterlassen. Etwaige Nutzenverluste durch eine alternative Darstellung sind nicht ersichtlich. Der Einflussnehmer könnte die negativen Auswirkungen seiner einflussnehmenden Aktivität kosteneffektiv ver316
„Verständig“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/verstaendig. Vgl. oben S. 23 ff. 318 Vgl. oben S. 27 ff. 319 Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1989 „Ration“, S. 583. 320 Vgl. auch Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 700 (1985). 321 In Zwei-Personen-Verhältnissen kann auf die „Learned Hand“-Formel abgestellt werden, vgl. oben S. 166 f. 322 Vgl. zu den Regulierungszielen im Recht der Einflussnahme oben S. 154 ff. 317
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
meiden, weshalb aus dem Blickwinkel einer verständigen Maßfigur eine rechtlich relevante Täuschung vorliegt.323 In der Mikroabwägung finden daher grundsätzlich auch irrationale Reaktionen realer Adressaten Berücksichtigung. c) Pragmatische Täuschung und Irreführungsquote Eine Konstruktion ist in der Lage, bei mehreren in Betracht kommenden pragmatischen Bedeutungsgehalten den rechtlich maßgeblichen festzulegen (aa.). Zudem kann sie das Problem der „Irreführungsquote“ im Lauterkeitsrecht lösen (bb.) aa) Pragmatische Bedeutungsgehalte Nicht selten gibt es auf die Frage, ob eine „Täuschung“ vorliegt, keine eindeutige Antwort. Täuschungen können graduell sein.324 Das wurde bereits bei der Darstellung des interpretativen Ansatzes deutlich: Ein und dieselbe Äußerung kann mehrere pragmatische Bedeutungsgehalte vermitteln.325 Dem Gericht obliegt es, bei solchen unterdeterminierten Äußerungen den rechtlich relevanten Bedeutungsgehalt festzulegen. Diese Konstruktion kann es mithilfe der in den Maßfiguren eingebetteten Mikroabwägung vornehmen. Dafür streiten nicht nur die bereits erwähnten ökonomischen Erwägungen.326 Menschliche Kommunikation ist nämlich dem Wesen nach auf Effizienz ausgelegt. Menschen versuchen möglichst viele Informationen mit möglichst geringem Aufwand zu kommunizieren.327 Weil es zu mühsam wäre, alle Inhalte explizit zu äußern, werden viele implizit, d. h. pragmatisch, vermittelt. Diese Beobachtung findet sich auch im Kooperationsprinzip von Grice,328 in dem man andeutungsweise eine Kosten-Nutzen-Analyse erkennen kann: Für die Erfüllung der Maxime der Quantität („Mache deinen Gesprächsbeitrag so infor-
323 Sofern der Einflussnehmer absichtlich handelt, wäre eine Mikroabwägung nicht nötig, vgl. oben S. 174 f. 324 Vgl. Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 679 f. (1985): „Under the traditional view, deceptive advertising is an evil that can be avoided simply by an act of will on the part of the advertiser, with no costs to the rest of society. This view implies that advertisements can be identified as truthful or deceptive by a purely factual inquiry, without any need to balance costs and benefits. It suggests that deception is a ‘yes or no’ question, rather than a question of ‘how far?’ or ‘how much?’“ 325 Vgl. oben S. 191 ff. 326 Vgl. oben S. 168 ff. 327 Craswell, 92 Va. L. Rev. 565, 605 (2006): „Indeed, the Cooperative Principle itself – ‘make your conversational contribution such as is required by the accepted purpose or direction of the talk’ – could be thought of as a commitment to maximizing the expected value of their conversation, just as economists speak of maximizing the expected value of a transaction or of a business enterprise“; ders., 65 B.U. L. Rev. 657, 718 (1985). Sperber/Wilson, Relevance, 2. Aufl. 1996, die als bedeutendsten Vertreter der Neo-Grice’schen Pragmatik gelten, haben die Konversationsmaxime auf die Maxime der Relation („Sei relevant.“) herunter gebrochen und betonen so die Effizienz einer Kommunikation. 328 Vgl. oben S. 57 ff.
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mativ wie für die gegebenen Gesprächszwecke nötig. Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.“) sowie der Relation („Sei relevant.“) hat der Sprecher eine Abwägung vorzunehmen.329 Er muss so viele Informationen kommunizieren, wie es für ein Verstehen des Adressaten nötig ist, ohne ihn gleichzeitig mit Inhalten zu überfrachten. Der Sprecher muss abwägen, welche Inhalte für den Zweck der Konversation relevant sind und die übrigen aussondern. Wenn es um die Ableitung konversationeller Implikaturen geht, muss der Adressat dieselbe Abwägung vornehmen, um die Bedeutung einer Äußerung zu dechiffrieren. Ganz ähnlich funktioniert eine Konstruktion mithilfe der verständigen Maßfigur: Das Gericht muss Kosten und Nutzen der Äußerung und einer möglichen alternativen Darstellung bestimmen, miteinander abwägen, und kann so den rechtlich relevanten pragmatischen Bedeutungsgehalt festlegen. bb) Irreführungsquote Im Rahmen des effektbasierten Ansatzes wurde eine Parallelproblematik unter dem Topos „Irreführungsquote“ angesprochen.330 Die Irreführungsquote beschreibt den prozentualen Anteil aller durch eine Aktivität eines Einflussnehmers beeinflussten Adressaten, bei deren Überschreiten man im Lauterkeitsrecht von einer „Irreführung“ spricht (§§ 5 ff. UWG).331 Nach der hier vertretenen Konzeption kann und darf die Irreführungsquote nicht statisch sein. Die Schwelle, ab der eine rechtlich relevante Täuschung vorliegt, ist vielmehr anhand einer Mikroabwägung zu bestimmen. Hierbei sind Grenzkosten und -nutzen einer denkbaren alternativen Darstellung der täuschenden Handlung zu vergleichen.332 Hätte der Einflussnehmer die negativen Auswirkungen seiner täuschenden Aktivität kosteneffektiv vermeiden können, ist die Wesentlichkeitsschwelle überschritten. Wenn nur eine geringe Anzahl der Adressaten getäuscht wird, aber bedeutende Schäden erleidet – wie in dem Beispiel soeben, in dem die Irreführungsquote nur 1 % betrug333 – kann das bereits für das Überschreiten der Schwelle genügen.334 Im Ergebnis sollte man das Kriterium der „Irreführungsquote“ vollständig ad acta legen und durch eine im Durchschnittsverbraucher eingebettete Kosten-Nutzen-Analyse ersetzen.
329 S. für die „Effizienz“ einer Kommunikation Sperber/Wilson, Relevance, 2. Aufl. 1996, S. 46 ff. S. knapp aus rechtlicher Perspektive Craswell, 92 Va. L. Rev. 565, 605 (2006). 330 Vgl. oben S. 207 f. 331 Vgl. oben S. 207 f. und unten S. 269 ff. 332 Vgl. oben S. 168 ff. 333 Oben S. 217 f. 334 S. Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 698 f. (1985). Vgl. auch Jacoby/Small, 39 JM 65, 67 (1975).
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
d) Verhältnis zum interpretativen und effektbasierten Ansatz Der konstruktive Ansatz ersetzt nicht den interpretativen oder effektbasierten Ansatz. Eine Kombination der Ansätze ist in vielen Fällen angezeigt. Eine vergleichbare Vorgehensweise hat Olaf Sosnitza für die Feststellung der Irreführungsgefahr im Lauterkeitsrecht vorgeschlagen.335 Er spricht hier von einer „tatsachengestützten Normativbeurteilung“.336 In einem ersten Schritt muss man die tatsächliche Frage stellen, welche propositionale Einstellung Adressaten aufgrund einer Einflussnahme entwickeln. Das kann der Rechtsanwender entweder durch den effektbasierten Ansatz evidenzbasiert oder erfahrungsgestützt bestimmen 337 oder durch den interpretativen Ansatz anhand des Grades der Verbindlichkeit einer Schlussfolgerung.338 In einem zweiten Schritt muss der Rechtsanwender den vorgefundenen Effekt einer normativen Kontrolle unterziehen und fragen, wie die verständige Maßfigur das im Streit stehende Verhalten versteht, schließlich erfordert die Durchführung einer Mikroabwägung eine gewisse Tatsachengrundlage. Das Gericht muss wissen, in welchem Umfang die Adressaten getäuscht wurden, um sodann Kosten und Nutzen einer möglichen Alternativdarstellung der einflussnehmenden Aktivität miteinander abzuwägen. II. Feststellung einer Manipulation Die Manipulation findet sich nur selten als ausdrückliche Tatbestandsvoraussetzung von Rechtsregeln, gleichwohl unterfällt der Sachverhalt einer Manipulation vielen unbestimmten Rechtsbegriffen (1.). Für ihre Feststellung kann das Gericht auf den effektbasierten und konstruktiven Ansatz zurückgreifen (2.). Hierbei zeigt sich, dass die Manipulation aufgrund ihrer mannigfaltigen Erscheinungsformen durch eine Ex-post-Regulierung nur schwer zu handhaben ist (3.). Deshalb sollten nur besonders verwerfliche Formen ex post reguliert werden (4.). Im Übrigen ist der Manipulation besser durch eine Ex-ante-Regulierung zu begegnen.
335 Sosnitza, WRP 2014, 1136, 1138 ff.; ders., in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 135; s. auch Fezer, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 3 Rn. 348; Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 149 ff.; Ahrens, WRP 2000, 812; Scherer, GRUR 2000, 273, 274 f. 336 Sosnitza, WRP 2014, 1136, 1138 ff.; ders., in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 135. Kommt es zu einer Diskrepanz zwischen Tatsachengrundlage und normativer Beurteilung, sollte das Gericht eine differenzierende Haltung einnehmen: „Je mehr tatsächliche Indizien für die Gefahr von Fehlvorstellungen vorliegen, desto größer ist die Begründungslast, wenn normativ eine Verwechslungs- bzw. Irreführungsgefahr verneint werden soll“, ders., WRP 2014, 1136, 1139. S. auch bereits Scherer, GRUR 2000, 273, 274 f.: „‚normative Korrektur‘ des empirischen Befundes“. Der EuGH stellt vor allem auf eine normative Feststellung ab, hält das Einholen eines Sachverständigengutachtens aber nicht für ausgeschlossen, vgl. oben S. 214, Fn. 301. 337 Vgl. oben S. 201 ff. 338 Vgl. zum interpretativen Ansatz im Allgemeinen oben S. 184 ff., zum Grad der Verbindlichkeit oben S. 62 f. und S. 193.
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1. An die Manipulation anknüpfende Rechtsregeln Der Begriff der „Manipulation“ findet sich nur vereinzelt in Rechtsvorschriften und nicht in der Bedeutung, wie sie diese Untersuchung herausgearbeitet hat.339 Zwar existiert das Verbot der Marktmanipulation in Art. 15, 12 MAR. Tatsächlich regelt die Vorschrift aber besondere Fälle der Täuschung und ihre Auswirkungen auf den Kurs eines Finanzinstruments.340 Die Typizität einer manipulativen Einflussnahme lässt sich jedoch unter verschiedene wertungsoffene Rechtsbegriffe fassen. Im Lauterkeitsrecht knüpft § 4a Abs. 1 Nr. 3 UWG an eine „unzulässige Beeinflussung“ an. Diese liegt vor, wenn ein Unternehmer seine Machtposition zur Ausübung von Druck ausnutzt, die die Fähigkeit der Marktgegenseite zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt.341 In diese Formulierung fügen sich manipulative Techniken ein, die unter Ausnutzung einer Machtbalance vorgenommen werden, wie sie im Rahmen der ethischen Analyse im Kapitel § 4 beschrieben wurden.342 Derartige Manipulationen unterfallen im angloamerikanischen Vertragsrecht der „Undue Influence“-Doktrin, die mittlerweile auch in das deutsche Bürgerliche Recht Eingang gefunden hat. Teile der Literatur343 und die Rechtsprechung344 wollen dem Adressaten bestimmter manipulativer Einflussnahmen in der vorkonsensualen Phase ein Anfechtungsrecht nach § 123 BGB oder einen Vertragsaufhebungsanspruch aus culpa in contrahendo zubilligen.345 Bei besonders gravierenden Formen der Manipulation kommt auch ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB in Betracht. Insbesondere bei Ressourcenschäden,346 die Folge einer (Risiko-)Manipulation sind, ist auch ein Anspruch aus dem Produkthaftungsgesetz bzw. aus der bürgerlich-rechtlichen Produzentenhaftung denkbar. Das Gewähr339 Im Strafgesetzbuch sprechen §§ 265d, 265e StGB von einer „Manipulation“ berufssport licher Wettbewerbe und meinen damit den Einfluss auf den Verlauf oder das Ergebnis eines Wettbewerbs. Das entspricht nicht einer „Manipulation“ im Sinne dieser Untersuchung. 340 Vgl. oben S. 202. 341 Vgl. § 4a Abs. 1 S. 3 UWG. 342 Vgl. oben S. 105 ff. 343 Zur Anfechtung analog Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S. 123 ff., 278 ff.; vgl. auch Weiler, Die beeinflußte Willenserklärung, 2002, 620 ff. (bei Zeitdruck, Überrumpelung i. e. S. sowie seelischer Zwangslage); Sack, GRUR 2004, 625; Sack, BB 2003, 1073, 1078 f. (Anfechtung analog bei unlauteren geschäftlichen Handlungen); ablehnend Armbrüster, in: MüKo BGB, Bd. 1, 9. Aufl. 2021, § 123 Rn. 138. Eine culpa in contrahendo bejahend Lorenz, JZ 1997, 277; ders., in: FS Canaris I, 2007, S. 777, 784 ff. 344 Das BAG hat jüngst unter dem Topos des „Gebot fairen Verhandelns“ einer Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Loslösung von einem Aufhebungsvertrags aus culpa in contrahendo zugebilligt. Dort suchte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin an ihrem Krankenbett zuhause auf und überredete sie zum Unterschreiben eines Aufhebungsvertrags, s. BAG, NZA 2019, 688. Das Urteil stieß auf gemischte Kritik, vgl. Holler, NJW 2019, 2206; Fischinger, NZA-RR 2020, 516; Kamanabrou, RdA 2020, 201. S. auch bereits BAG NJW 2004, 2401; 2005, 3164. 345 Eine Nichtigkeit nach § 138 BGB käme ebenfalls in Betracht, wenn man davon ausgeht, dass § 138 BGB nicht nur die Inhaltssittenwidrigkeit erfasst, sondern durch eine Umstandssittenwidrigkeit auch eine Einflussnahme in vorkonsensualen Bereich. Kritisch hierzu Sack, BB 2003, 1073, 1078 unter Bezug auf BGHZ 110, 156 ff., 174 f.; s. auch Fezer, WRP 2003, 127, 129; Lorenz, in: FS Canaris I, 2007, S. 777 ff. 346 Zum Begriff oben S. 135.
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leistungsrecht hilft bei Manipulationen typischerweise nicht weiter, da eine Manipulation keine unwahren Propositionen vermittelt und damit nicht zu einer Divergenz zwischen der Ist- und Sollbeschaffenheit führt, sondern der Adressat lediglich den Nutzen eines Produkts fehlerhaft einschätzt.347 2. Feststellung einer Manipulation Eine Manipulation ruft gemäß der im Kapitel § 1 dargestellten Handlungstheorie bei dem Adressaten handlungstreibende angenehme Zwecke hervor oder lässt andere Zwecke als angenehmer erscheinen.348 Ein Einflussnehmer kann auf zwei Arten manipulieren: Er kann die heuristische Informationsverarbeitung des Adressaten ausnutzen (kognitive Manipulation), oder er kann gezielt die Affekte des Adressaten ansprechen (affektive Manipulation). In beiden Fällen steigert der Einflussnehmer so die Attraktivität einer Zweckverfolgung, d. h. die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Adressat die vom Einflussnehmer intendierte Entscheidung trifft.349 Das Gericht kann eine manipulative Wirkung durch die Methoden des effektbasierten Ansatzes feststellen, d. h. durch evidenzbasierte Studien oder aufgrund von Erfahrungssätzen.350 Geht es etwa um den Kauf eines Produkts, bei dem der Einflussnehmer eine Manipulationstechnik eingesetzt hat, kann in einem experimentellen Design eine Gruppe mit dem Produkt einschließlich des manipulativen Einflusses konfrontiert werden, während die Kontrollgruppe nur das Produkt allein sieht.351 Aus der Einschätzung der Probanden stellt man dann fest, ob die Einflussnahme zu signifikanten Unterschieden geführt hat. Ein solches, teures352 Vorgehen bietet sich nur bei Einflussnahmen an, die an eine Vielzahl von Adressaten gerichtet sind. Einfacher ist es, die psychologischen Erkenntnisse über Heuristiken und kog nitive Verzerrungen als Erfahrungssätze einzusetzen. Die sozialwissenschaftliche Forschung konnte durch zahlreiche Studien systematisch auftretende Verhaltensanomalien nachweisen, die ein Gericht bei der Bestimmung der manipulativen Wirkung berücksichtigen kann.353 Ergänzend steht dem Gericht der konstruktive Ansatz offen, um aus dem Blickwinkel einer verständigen Maßfigur eine Manipulation festzustellen.354 In diesen Fällen ist, wie bei der Täuschung, ebenfalls eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen.355
347
Vgl. auch Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, S. 665. vice versa. Vgl. oben S. 17 ff. 349 Freilich geht das auch andersherum. Ein Einflussnehmer kann Zwecke als unangenehm darstellen, damit der Adressat diese nicht verfolgt. 350 Vgl. oben S. 201 ff. 351 Vgl. Becher/Feldman, 38 Cardozo L. Rev. 459, 597 (2016). 352 Vgl. oben S. 209 f. 353 Vgl. oben S. 27 ff. 354 Vgl. oben S. 210 ff. 355 Die vorzunehmende Kosten-Nutzen-Analyse erfolgt bei Einflussnahmen im Zwei-Perso348 Und
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Der interpretative Ansatz ist bei der Manipulation nicht anwendbar, da keine (unwahren) propositionalen Gehalte vermittelt werden.356 Es ist zwar denkbar, dass sich ein Adressat aufgrund einer Manipulation eine falsche propositionale Einstellung zu eigen macht. Dann liegt eine manipulationsbedingte Täuschung vor, ein Hybrid zwischen einer Täuschung und einer Manipulation. Da der Adressat dann eine (falsche) propositionale Vorstellung hat, ist dieser Irrtum vorrangig durch den effektbasierten Ansatz festzustellen. 3. Defizite einer Ex-Post-Regulierung der Manipulation Auch wenn sich eine Manipulation grundsätzlich feststellen lässt, gestaltet sich ihr Nachweis schwieriger als der einer Täuschung. Eine Täuschung führt dazu, dass sich ein Adressat eine falsche propositionale Einstellung zu eigen macht – die Täuschung verursacht also einen Irrtum über Tatsachen –, während eine Manipulation zu einer subjektiv fehlerhaften Einschätzung führt, weil sie die kognitive Leichtigkeit des Systems 1 anspricht, wodurch der Adressat mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Handlung vornimmt.357 Die Unterscheidung zwischen „wahr“ und „unwahr“ ist einfacher zu treffen als zwischen „rational“ und „irrational“.358 Die damit einhergehenden Defizite einer Ex-post-Regulierung der Manipulation werden hier näher betrachtet. a) Heterogenität der Adressaten Aufgrund der Heterogenität der Adressaten kommt die Feststellung einer Manipulation schnell an ihre Grenzen. Auch wenn jeder Mensch Rationalitätsdefiziten unterliegt, sind diese individuell unterschiedlich stark ausgeprägt.359 Selbst wenn ein bias unter einem gegebenen manipulativen Einfluss bei einem Großteil der Menschen auftritt, lässt das keinen sicheren Rückschluss auf den Einzelfall zu.360 Das führt insbesondere bei Rechtsregeln, die dem beeinflussten Adressaten Rechte zusprechen, zu beachtlichen Nachweisschwierigkeiten, denn das deutsche Prozessnen-Verhältnis anhand der „Learned Hand“-Formel (oben S. 166 f.), bei Masseneinflussnahmen anhand einer Mikroabwägung (oben S. 168 ff.). 356 Vgl. oben S. 80. S. auch Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 662 f. (1985) (in Bezug auf Werbung): „These effects of advertising could not deceive consumers […] because they do not cause consumers to form false propositional beliefs. Such advertising could still be criticized on other grounds, however, for ‘unfairly’ or ‘subconsciously’ influencing consumers, or for inducing ‘irrational’ or ‘emotional’ decisions.“ 357 Vgl. auch Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 665 (1985): „The key distinction is that false factual beliefs represent errors of fact, while other forms of influence represent errors, if they can be called that, of evaluation or of normative judgment.“ 358 So Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 666 f. (1985). 359 Rachlinski, 73 U. Chi. L. Rev. 207 (2006); Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1014 (2014); Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 997 (2020). 360 Schwartz, 67 Stan. L. Rev. 1373, 1380 (2015); Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, S. 667.
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recht stellt grundsätzlich auf die volle Überzeugung des Gerichts und nicht auf probabilistische Werte ab.361 Die Marktordnungsnormen des Lauterkeitsrechts können hingegen auf die Adressaten im Aggregat abstellen.362 Hier ist der Rekurs auf die empirischen Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften leichter möglich. Gleichwohl hängt auch hier das Auftreten kognitiver Verzerrungen stark vom jeweiligen Manipulationskontext ab. Ein blinder Bezug auf einzelne Verhaltensverzerrungen ist nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es des Nachweises, dass die manipulativen Reize in ähnlichen Situationen bei einem vergleichbaren Adressatenkreis dazu geeignet sind, das Entscheidungsverhalten der Betroffenen zu beeinflussen. Freilich ließen sich die Anforderungen an den Nachweis einer Manipulation lockern. Würde man jeden im Labor nachgewiesenen, systematisch auftretenden bias, den sich ein Einflussnehmer zunutze macht, für eine rechtliche Intervention als ausreichend erachten, geriete man aber schnell in den Bereich der Überinklu sion.363 Dadurch werden nicht nur Einflussnehmer überabgeschreckt. Handelt es sich um eine Manipulation im Rahmen einer Massenkommunikation, die dann der Einflussnehmer, etwa aufgrund eines Abwehranspruchs, zu unterlassen hat, entstehen Kosten für die übrigen, weniger anfälligen Adressaten, die aus der Handlung möglicherweise einen Informationsnutzen ziehen könnten.364 b) Wissensproblem der Gerichte Die Heterogenität der Adressaten führt zu einem Wissensproblem der Gerichte. Sie kennen weder die Anfälligkeit der Adressaten für manipulative Einflussnahmen noch haben sie Wissen über deren wahre Präferenzen.365 Selbst wenn es gelingt, das Auftreten einer kognitiven Verzerrung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bejahen, heißt das nicht, dass sich der Adressat ohne den Einfluss anders verhalten hätte. Um das bestimmen zu können, müsste das Gericht einen Einblick in die subjektive Nutzeneinschätzung des Adressaten haben. Deshalb kann das G ericht lediglich durch ein „vernünftiges Vermuten“366 von der Schwere des kognitiven Einflusses auf das Entscheidungsverhalten der Adressaten schließen. 361 Vgl. § 286 ZPO; Prütting, in: MüKo ZPO, Bd. 1, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 32 ff.; Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, S. 667. 362 Die Einbeziehung verhaltensökonomischer Erkenntnisse fordert die European Commission, Comission Staff Working Document, Guidance on the Implementation/Application of Directive 2005/29/EC on Unfair Commercial Practices, SEC(2009) 1666 final v. 4.12.2009, S. 31. 363 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 167 f. 364 Vgl. oben S. 168 ff. 365 S. hierzu die Kritik am „Neuen Paternalismus“ bei Rizzo/Whitman, 2009 BYU L. Rev. 905 (2009); Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 237. Zudem sind Richter selbst nicht vor Entscheidungsfehlern gefeit. Ganz im Gegenteil, da sie die Folgen der rechtlichen Intervention nicht selbst zu tragen haben, fehlt ihnen möglicherweise der Anreiz, selbst aus Fehlern zu lernen, vgl. ebd. S. 239. 366 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 9. Aufl. 2019 (1983), S. 287.
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Hierbei kann es auch die Schwere der Folgen der Transaktionsentscheidung berücksichtigen, d. h. welche Schäden bei den Adressaten entstehen. c) Eingeschränkte Lernfähigkeit Eine rechtliche Intervention kann zu Kosten in Form eingeschränkter Lernfähigkeit der Adressaten führen. Adressaten sind auf dem Markt zumeist repeat players. Treffen sie aufgrund eines manipulativen Einflusses eine, wie sich im Nachhinein herausstellt, präferenzwidrige Entscheidung, können sie durch den Feedback-Mechanismus aus ihren Fehlern lernen.367 Das begünstigt für die Zukunft nicht nur wohlfahrtsförderliche Entscheidungen, sondern regt den Adressaten auch zu Selbstverantwortung an. Eine Regulierung dieser manipulativen Einflussnahmen würde Adressaten die Möglichkeit nehmen, an ihren Fehlern zu wachsen. d) Fazit Eine Regulierung der Manipulation ex post durch die Gerichte weist Defizite auf. Die Heterogenität der Adressaten, das Wissensproblem der Gerichte sowie die Unterbindung der Lernfähigkeit erschweren optimale gerichtliche Entscheidungen. Dadurch können die Kosten der Rechtsdurchsetzung den Nutzen übersteigen. Es besteht die Gefahr eines Regulierungsversagens. In diesen Fällen sollten alternative Regulierungsansätze ausgelotet werden. Eine Regulierung durch den Gesetzgeber ex ante kann hier überlegen sein. Zwar steht auch der Gesetzgeber vor einem heteronomen Kreis von Rechtsunterworfenen und hat grundsätzlich das gleiche Wissensproblem wie Gerichte. Ihm stehen jedoch weitaus mehr Ressourcen (z. B. für experimentelle Studien) sowie andere Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die vor allem darauf abzielen, manipulative Techniken bereits im Ansatz zu unterbinden. So können beispielsweise Offenlegungspflichten in Form eines „Debiasing“ die Lernfähigkeit der Adressaten sogar stärken.368 Hierfür bedarf es keiner Feststellung einer Manipulation im Einzelfall, sondern nur Kenntnis von einer in breiten Bevölkerungsteilen bestehenden Empfänglichkeit für manipulative Techniken. Eine solche „großflächige“ Regulierung wird sich eher rentieren als eine fehleranfällige Rechtsprechung. Diese Vorbehalte gegen eine Regulierung ex post müssen aber nicht immer greifen. Manche, zumeist schwere Formen der Manipulation sind eindeutig durch die Gerichte feststellbar und ihre Justiziabilität hindert nicht das Lernvermögen der Adressaten. Für solche Fälle kann eine Regulierung durch die Gerichte effektiver als durch den Gesetzgeber sein, weil Gerichte den Einzelfall besser beurteilen können. Daher erscheint es angebracht, die Ex-Post-Regulierung auf bestimmte,
367
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Vgl. oben S. 142 ff. Vgl. unten S. 293 ff.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
schwere Fälle manipulativer Einflussnahme zu beschränken, deren Grenzen es im folgenden Abschnitt nachzuzeichnen gilt. 4. Besonders verwerfliche Manipulation Eine rechtliche Ex-Post-Intervention ist aus den im vorherigen Abschnitt beschriebenen Gründen sinnvollerweise auf Formen manipulativer Einflussnahmen zu beschränken, denen eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Dieses Kriterium fügt sich auch in den später noch relevanten Haftungstatbestand des § 826 BGB ein, bei dem der BGH ebenfalls eine besondere Verwerflichkeit fordert.369 Auch der Manipulationstatbestand des § 4a UWG setzt eine besonders verwerfliche unzulässige Einflussnahme voraus.370 In der ethischen Analyse im zweiten Teil der Untersuchung haben sich subjektive wie objektive Indikatoren für die Bewertung der Verwerflichkeit einer Manipulation herauskristallisiert.371 Zu den subjektiven Kriterien gehören das Ziel und die Beweggründe des Einflussnehmers. Zu den objektiven Kriterien zählen die Art und Weise der Einflussnahme (Transparenz und Erhaltung der Wahlfreiheit), die Schwere der Folgen (pekuniäre, gesundheitliche oder sonstige materielle Schäden) sowie das Entscheidungsumfeld (unausgeglichene Machtbalance, die „Spielregeln“). Diese Kriterien lassen sich auch für die Bestimmung der Grenzen rechtlicher Interventionsinstrumente fruchtbar machen. Hinzu kommen die beiden soeben angesprochenen Kriterien: die Nachweisbarkeit einer kognitiven Verzerrung sowie die Einschränkung der Lernfähigkeit der Adressaten. Um den Lernmechanismus nicht zu beeinträchtigen, sollte eine rechtliche Intervention vorrangig dann erfolgen, wenn Adressaten aus ihren Fehlern nicht lernen würden.372 Im Rahmen der ökonomischen Analyse wurde bereits angesprochen, dass das der Fall ist bei (1) verdeckten Formen der Manipulation, da ein Adressat seinen Fehler dann nicht auf sie zu369 S. etwa BGH NJW 2004, 2668, 2670; 2017, 250 Rn. 16 ff. S. hierzu auch kritisch Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 11, der die Sittenwidrigkeit funktional interpretieren möchte. Selbst wenn man moralische Erwägungen außen vor lassen möchte, sprechen die hier aufgezeigten ökonomischen Erwägungen ebenfalls dafür, den Tatbestand der Manipulation an weitere Voraussetzungen zu knüpfen. Vgl. auch Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, S. 662: „Zentral erscheint, dass ein besonderes Unwerturteil im Kontext der Ausnutzung kognitiver Verzerrungen für die Eröffnung des Haftungstatbestandes hinzutreten muss, um einer uferlose[n] Ausweitung der Haftung und einer Konturlosigkeit des Tatbestands vorzubeugen.“ 370 Vgl. unten S. 274 f. 371 Vgl. oben S. 105 ff. S. auch Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, S. 663 ff., der in ähnlichen Konstellationen sachlich an entscheidungserhebliche Informationen, quantitativ an die Erheblichkeit der Verzerrung sowie auf eine Ausnutzung abstellt, die sich, unter Bezug auf den Rechtsgedanken des § 138 BGB und des Vertretungsrechts, bereits aus einem Aufdrängen der Vulnerabilität des anderen Teils ergeben kann. 372 Rachlinski, 97 Nw. U. L. Rev. 1165, 1219 (2003): „The real case for paternalism, however, depends upon demonstrating that the costs of either learning to adopt to a superior approach to a choice or relying on others to make a choice exceeds the cost of the paternalistic intervention.“; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 31, 164 f., 244 f.; Burrows, 45 Oxf. Econ. Pap. 542, 547 ff. (1993); Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1551 (1999).
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rückführen kann, (2) bei bedeutenden Rechtsgeschäften, die man nur sehr selten vornimmt und sich deshalb kein Lerneffekt einstellen kann bzw. die Lernkosten zu hoch sind (insbesondere bei Erfahrungs- und Vertrauensgütern 373) sowie (3) bei Entscheidungsfehlern, die zwar nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, dafür aber einen umso größeren Schaden anrichten können (Risikomanipulation374), weil dann der Lernmechanismus zu spät eingreift.375 Die Bewertung, ob eine Manipulation besonders verwerflich ist, obliegt dann dem Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Hierbei sollte das Gericht auch ökonomische Gesichtspunkte bemühen. Das betrifft vor allem Manipulationen mit wettbewerblichem Bezug, die eine Vielzahl von Adressaten erreichen. Kann man dem Einflussnehmer nur Fahrlässigkeit vorwerfen, sollte das Gericht berücksichtigen, dass auch die Vermeidung einer Manipulation Kosten verursacht. Nicht nur für den Einflussnehmer, sondern auch für andere, weniger anfällige Adressaten.376 Insoweit kann ein Gericht zur Beurteilung der besonderen Verwerflichkeit einer Manipulation auch die bereits erläuterte Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen.377 III. Fazit zur Sachverhaltsbeurteilung Der erste Schritt der Rechtsanwendung ist die Beurteilung eines Sachverhalts, auf den die Rechtssätze angewandt werden. Hierfür stehen Gerichten drei Ansätze zur Verfügung: Der interpretative Ansatz dient ausschließlich der Bestimmung einer Täuschung. Das Gericht deutet den propositionalen Gehalt einer Äußerung oder eines Verhaltens mittels Interpretationsregeln und -standards, die von der kommunikativen Umgebung abhängig sind. Bei ambigen Äußerungen dient der „Grad der Verbindlichkeit“ als Faustregel. Der effektbasierte Ansatz ist bei einer Täuschung auf die Feststellung informationeller Effekte (oder mittelbarer Täuschungseffekte), bei einer Manipulation auf die Feststellung von biases gerichtet. Das Gericht kann die Effekte evidenzbasiert, durch demoskopische Gutachten und mittels experimenteller Designs, oder erfahrungsgestützt, durch alltagspsychologische Beobachtungen und wissenschaftliche Theorien feststellen. Der konstruktive Ansatz flankiert die beiden anderen Ansätze normativ. Maßfiguren wie der durchschnittliche Verbraucher, der verständige Anleger oder eine Auslegung nach dem objektiven 373
Vgl. oben S. 126. Vgl. oben S. 128. 375 Vgl. oben S. 142 ff. 376 Vgl. oben S. 168 ff. Ähnlich auch im US-amerikanischen Wettbewerbsrecht 15 U.S.C. Sec. 45(n): „The Commission shall have no authority […] to declare unlawful an act or practice on the grounds that such act or practice is unfair unless the act or practice causes or is likely to cause substantial injury to consumers which is not reasonably avoidable by consumers themselves and not outweighed by countervailing benefits to consumers or to competition.“ 377 Die vorzunehmende Kosten-Nutzen-Analyse erfolgt bei Einflussnahmen im Zwei-Personen-Verhältnis anhand der „Learned Hand“-Formel (oben S. 166 f.), bei Masseneinflussnahmen anhand einer Mikroabwägung (oben S. 168 ff.). 374
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Empfängerhorizont können als Beurteilungsmaßstab für eine Konstruktion von Bedeutung oder von manipulativen Effekten dienen. Hierbei schwingen regulatorische Erwägungen mit, die dem jeweiligen Regulierungsziel förderlich sind. So füllt die Wohlfahrtsmaximierung als Meta-Ziel wirtschaftsrechtlicher Regulierung die Maßfiguren mit Leben. Sie sollten als Personifizierung einer Mikroabwägung verstanden werden. Eng mit der Sachverhaltsbeurteilung verbunden ist die Frage der Kausalität. Eine Einflussnahme liegt nur vor, wenn sich das Verhalten des Einflussnehmers auf die Entscheidungsfindung des Adressaten ausgewirkt hat. Rechtliche Relevanz haben aber verschiedene Kausalitätskonzeptionen, denen im Folgenden nachzugehen sein wird.
C. Kausalität Täuschungen und Manipulationen setzen verschiedene Kausalverläufe in Gang. Auch Rechtsregeln setzen für ihr Eingreifen unterschiedliche Ursache-Wirkung-Beziehungen voraus. Die Kausalität als Tatbestandsvoraussetzung einer Rechtsregel hat eine Filterfunktion. Sie dient der Aussonderung von Beeinträchtigungen, die die Rechtsregel nicht korrigieren möchte und bezweckt damit, eine übermäßige Abschreckung zu verhindern.378 Damit ist sie ein Zurechnungskonzept wie etwa das Verschulden oder der Schutzzweckzusammenhang. Es lassen sich verschiedene Kausalitätskonzepte unterscheiden: Die Transaktionskausalität beschreibt die Kausalbeziehung zwischen der Einflussnahme und der wirtschaftlichen Entscheidung eines Adressaten (I.). Als Preiskausalität wird die Beziehung zwischen einer Einflussnahme und ihrer Auswirkungen auf den Preisbildungsmechanismus, d. h. die entstehenden Preisverzerrungen, bezeichnet (II.). Schließlich existiert im Lauterkeitsrecht die potenzielle Kausalität der wettbewerblichen Relevanz, die auf die Eignung einer Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung der Marktgegenseite abstellt (III.). I. Transaktionskausalität Die Transaktionskausalität beschreibt die Beziehung zwischen einer Täuschung oder Manipulation und der Willensbildung des beeinflussten Adressaten, d. h. ob er durch die Einflussnahme zu einer Entscheidung verleitet wurde. Beispielsweise setzt das Anfechtungsrecht nach § 123 BGB voraus, dass der Adressat durch eine 378 Vgl. etwa BGH NZG 2007, 708, 709 Rn. 16 – ComROAD IV, als der II. Senat Stellung zur fraud on the market theory genommen hat: „Diesem Denkansatz, der zu einer uferlosen Ausweitung des ohnehin offenen Haftungstatbestands der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung auf diesem Gebiet führen würde, ist der Senat in seiner bisherigen kapitalmarktrechtlichen Rechtsprechung zu den fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilungen in Bezug auf die haftungsbegründende Kausalität nicht gefolgt.“ Vgl. auch Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 656 (1992).
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arglistige Täuschung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt wurde. Auch die Vertragsaufhebung im Wege einer culpa in contrahendo knüpft daran an, dass eine Täuschung379 oder (besonders verwerfliche) Manipulation 380 auf die Willensbildung des Adressaten eingewirkt hat. Nicht nur im (vor)vertraglichen Bereich kann es auf eine Transaktionskausalität ankommen. Macht der Adressat beispielsweise einen Vertragsaufhebungsanspruch aus § 826 BGB wegen einer Täuschung gegen den Einflussnehmer geltend, mit dem er keine Sonderverbindung eingegangen ist, muss die Einflussnahme nach der herrschenden Meinung ebenfalls kausal für eine wirtschaftliche Entscheidung des Adressaten gewesen sein.381 Gleiches gilt für die Kapitalmarktinformationshaftung, sofern man, wie die Rechtsprechung, den Vertragsabschlussschaden über § 826 BGB oder §§ 97, 98 WpHG für ersatzfähig hält.382 Die Anforderungen an den Nachweis der Transaktionskausalität sollten nicht zu hoch angesetzt werden. Transaktionsentscheidungen werden selten nur auf Basis einer Tatsache getroffen. Meist liegt ein ganzes Motivbündel vor, das durch Produktangaben, Werbung, Markentreue, Reputation und vielem mehr geprägt wird.383 Eine Einflussnahme ist häufig nur ein Teil des gesamten Bündels. Für die Bestimmung, ob etwa eine Täuschung kausal für eine Transaktionsentscheidung war, lässt sich an den Gegenstand der Täuschung anknüpfen. Bei Täuschungen über den Preis oder die wesentlichen Leistungsmerkmale eines Produkts wird in den allermeisten Fällen die Transaktionskausalität zu bejahen sein. Auch der Grad der Verbindlichkeit kann Rückschlüsse auf die Kausalität geben.384 Täuschungen, die nicht unmittelbar das Produkt betreffen, welches der Adressat letztlich erwirbt, können ebenfalls kausal für eine Transaktionsentscheidung sein: Angenommen ein Supermarkt lockt Kunden in einem Verkaufsprospekt mit der Verfügbarkeit eines besonders preisgünstigen Gutes. Ohne weitere Angaben wird der Adressat davon ausgehen, dass der Supermarkt eine ausreichende Menge vorrätig hält.385 Stellt der Kunde bei Ankunft fest, dass das Gut bereits nach wenigen Minuten ausverkauft war und kauft dann notgedrungen ein verfügbares, vergleichbares, aber auch teureres Gut, ist die Täuschung für diese Entscheidung des Adressaten kausal. Anders ist es, wenn kein vergleichbares Gut vorrätig ist, der Kunde aber dafür seinen Wocheneinkauf erledigt. Dann besteht zwar durch das Lockangebot eine gewisse Kausalverbindung zu den anderen Einkäufen, aber diese genügt nicht für die Bejahung einer Transaktionskausalität. Die Wocheneinkäufe hätte er auch ohne Einflussnahme erledigt, wenn auch zu einem anderen Zeitpunkt und in einem anderen Markt. 379 Über die culpa in contrahendo ist nach h. M. auch eine Vertragsaufhebung infolge einer nur fahrlässigen Täuschung möglich, vgl. unten S. 248 und 256 f. 380 Vgl. zur besonderen Verwerflichkeit der Manipulation oben S. 226 f. Zur Vertragsaufhebung über die culpa in contrahendo unten S. 248 und S. 256 f. 381 Hierzu unten S. 262 f. 382 Vgl. unten S. 250 f. 383 Whitman, 35 Sw. L.J. 741, 765 (1981). 384 Vgl. oben S. 62 f. und S. 193. 385 Das wird man als Interpretationsstandard auffassen können, vgl. oben S. 198 ff.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Bei einer Manipulation ist der Nachweis einer Transaktionskausalität schwieriger.386 Impulsive, irrationale Entscheidungen sind, anders als unwahre Propositionen, weniger leicht feststellbar. Jedoch greifen Ex-post-Regulierungsinstrumente sinnvollerweise nur bei besonders verwerflichen manipulativen Einflussnahmen.387 Dort wird man von der Schwere, d. h. von den Umständen des Einzelfalls, auf die Intensität der Willensbeeinträchtigung und damit auf eine Transaktionskausalität schließen können. II. Preiskausalität Führt eine Täuschung oder Manipulation dazu, dass Adressaten den Nutzen eines Produkts über- oder den Preis bzw. seine Risiken unterschätzen, kann sich die Nachfrage nach dem Produkt erhöhen.388 Diese schlägt sich dann in einem künstlich erhöhten Preis nieder. Preiskausalität besteht demnach, wenn eine Einflussnahme zu einer Preisverzerrung führt. Die Preiskausalität hat dadurch ein anderes Wesen als die Transaktionskausalität. Während die Transaktionskausalität auf den einzelnen Adressaten blickt, hat die Preiskausalität die Marktkräfte im Fokus. Anknüpfungspunkt ist nicht die Willensbildung des Einzelnen, sondern der Preisbildungsmechanismus. Manche Rechtsregeln verzichten auf den Nachweis einer Transaktionskausalität, erfordern dafür aber eine Preiskausalität. Veröffentlicht ein Emittent eine unwahre Ad-hoc-Mitteilung und macht ein Anleger in der Folge einen Schadensersatzanspruch nach § 98 WpHG gerichtet auf den Kursdifferenzschaden geltend, so muss er nach Ansicht der Rechtsprechung und Literatur lediglich nachweisen, dass „der Kurs zum Zeitpunkt seines Kaufs niedriger gewesen wäre“,389 d. h. dass Preiskausalität besteht. Eines Nachweises, dass der Anleger die Mitteilung wahrgenommen und auf die unwahre Information vertraut hat (Transaktionskausalität), bedarf es hingegen nicht. Für die Beurteilung, wann eine Einflussnahme zu einer Preisverzerrung führt, lassen sich die Erkenntnisse aus der ökonomischen Analyse fruchtbar machen.390 Hierbei kann man zwischen Preiseinflüssen auf dem Kapitalmarkt (1.) und auf dem Gütermarkt (2.) unterscheiden.
386
Vgl. oben S. 223 ff. Vgl. oben S. 225 ff. 388 Vgl. oben S. 130 ff. 389 Jedenfalls nach Ansicht des XI. Senats, s. BGH NJW 2012, 1800, 1807 Rz. 67 – IKB. Der zugrundeliegende Sachverhalt bezog sich auf eine unterlassene Kapitalmarktinformation und damit auf einen Anspruch aus § 37b WpHG a. F. (heute: § 97 WPHG). Für § 98 WpHG kann jedoch nichts anderes gelten, vgl. Schmolke, ZBB 2012, 165, 177. Für (weitere) Stimmen aus der Literatur s. statt aller Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 97 WpHG Rn. 125 m. w. N. in Fn. 4. 390 Vgl. oben S. 130 ff. 387
§ 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente
231
1. Kapitalmarkt Nach der halbstrengen Form der Markteffizienzhypothese sind in den Kurs eines Finanzinstruments jederzeit alle öffentlich verfügbaren Informationen eingepreist.391 Unterstellt man ihre Validität, werden auch Täuschungen über kursrelevante Umstände innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne in den Kurs eingearbeitet. Diese Beobachtung, die seit langer Zeit durch die US-amerikanische Rechtsprechung aufgegriffen und auch in Deutschland rezipiert wird, führt jedoch zu Missverständnissen. Die US-amerikanische Kapitalmarktinformationshaftung nach § 10(b) Securities Exchange Act und SEC Rule 10b-5 baut konzeptionell auf dem Common Law-Betrugsdelikt auf, das eigentlich ein Vertrauen (reliance, sprich: Transaktionskausalität) des Geschädigten auf eine Fehlinformation voraussetzt.392 Da das Vertrauenserfordernis bei anonymen Transaktionen wie auf dem Kapitalmarkt nur selten erfüllt ist, hat der Supreme Court die sog. fraud on the market theory etabliert:393 Wird ein Finanzinstrument auf einem effizienten Markt gehandelt, vertrauen Anleger nicht auf einzelne Informationen. Vielmehr bleiben sie rational uninformiert und vertrauen lediglich auf die Unverfälschtheit des Preisbildungsmechanismus, der als „unbezahlter Agent“394 neue Informationen in den Kurs einarbeitet. Diese Vermutung kann die Gegenseite entkräften, wenn sie nachweist, dass der Markt, auf dem das maßgebliche Finanzinstrument gehandelt wurde, nicht effizient war.395 In der Folge wurde die Markteffizienz zum „primary battleground“, auf dem beklagte Emittenten versuchen die Haftung zu Fall zu bringen.396 Ökonomen sind seit jeher skeptisch, ob Märkte tatsächlich effizient sind. Die Markteffizienzhypothese geht von rationalem Verhalten der Marktteilnehmer aus, woran die moderne 391
Vgl. oben S. 207, Fn. 251. Fisch, 90 Wash. U. L. Rev. 895, 896 f. (2013). Aus deutscher Perspektive Klöhn, ZHR 178 (2014), 671, 676, 702 ff. 393 Basic, Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224 (1988). Diese sog. Basic-Vermutung wurde in Halliburton v. Erica P. John Fund, 573 U.S. 258 (2014) bestätigt. Aus deutscher Perspektive hierzu Klöhn, ZHR 178 (2014), 671, 682 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 466 ff. 394 In re LTV Securities Litigation, 88 f.R.D. 134, 143 (N.D. Tex. 1980). 395 Vgl. nur Amgen Inc. v. Conn. Ret. Plans & Trust Funds, 133 S. Ct. 1184, 1190, 1199 (2013): „The fraud-on-the-market premise is that the price of a security traded in an efficient market will reflect all publicly available information about a company; accordingly, a buyer of the security may be presumed to have relied on that information in purchasing the security. Thus, where the market for a security is inefficient […], a plaintiff cannot invoke the fraud-on-the-market presumption.“ Die konkreten Anforderungen an die Effizienz sind unklar, liegen jedoch nicht so hoch wie bei der halbstrengen Version der Markteffizienzhypothese; es genüge vielmehr, dass der Markt „generally efficient“ sei, Halliburton v. Erica P. John Fund, 573 U.S. 258, 279 (2014). 396 Korsmo, 18 Lewis & Clark L. Rev. 827, 863 (2014): „primary battleground at the class certification stage“. Der Supreme Court hatte in Halliburton v. Erica P. John Fund, 573 U.S. 258 (2014) zu entscheiden, ob die Basic-Vermutung weiterhin von der Markteffizienz abhängen solle. Er urteilte, es gäbe kein „kind of fundamental shift in economic theory that could justify overruling“ die Vermutung. Der Supreme Court war aber vorsichtig bei der Beschreibung, was Markteffizienz bedeute. Es genüge, dass der Markt „generally efficient“ sei, s. die vorhergehende Fn. 392
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
behavioral finance zweifelt.397 Robert Shiller, einer der schärfsten Kritiker, erhielt 2013 den Wirtschaftsnobelpreis für seine empirischen Untersuchungen, wonach die Markteffizienzhypothese in der Realität versage.398 Er musste sich den Preis jedoch mit Eugen Fama teilen, dem „Erfinder“ der Markteffizienzhypothese. Das zeigt nicht nur das Gefälle zwischen ökonomischer Theorie und Empirie, sondern auch, dass beide Ansätze gleichwertig nebeneinander stehen. Unabhängig davon, wie man sich in dieser Frage positioniert, besteht in der Rechtswissenschaft ein Missverständnis über die Abhängigkeit der fraud on the market theory (bzw. der Preiskausalität) von der Markteffizienzhypothese. Es beruht auf einer fehlerhaften Vorstellung darüber, welche Eigenschaften ein Markt erfüllen muss, um als „effizient“ zu gelten.399 Die Markteffizienzhypothese umfasst eigentlich zwei Aspekte:400 die Informationseffizienz und die Fundamentalwerteffizienz. Die Informationseffizienz betrifft die Frage, wie schnell öffentlich verfügbare Informationen in den Kurs eingepreist werden. Je schneller, desto informationseffizienter ist der Markt. Sie ist jedoch neutral gegenüber der Frage, ob der innere Wert der Informationen auch zutreffend eingepreist wird. Das ist Sache der Fundamentalwerteffizienz. Der Fundamentalwert ist der „wahre“, inhärente Wert eines Finanzinstruments, der sich nach den erwarteten zukünftigen Netto-Cashflows richtet.401 Ein Markt ist fundamentalwerteffizient, wenn der Gehalt von Informationen zutreffend, d. h. rational eingepreist wird, sodass sich der Kurs in Richtung des inhärenten Werts des Finanzinstruments bewegt. Die Fundamentalwerteffizienz hängt von der Informationseffizienz ab, aber nicht umgekehrt. Ein Markt kann informationseffizient sein, auch wenn der Kurs nicht den wahren Wert der Informationen widerspiegelt. Wenn Ökonomen sich auf die Markteffizienzhypothese beziehen, meinen sie sowohl Informations- als auch Fundamentalwerteffizienz. Nur wenige Ökonomen gehen davon aus, dass entwickelte Märkte fundamentalwerteffizient sind.402 Die Hauptkritik an der Markteffizienzhypothese trifft genau diesen Punkt: Wenn Anleger systematisch irrational agieren, kann der Kurs nicht den Fundamentalwert widerspiegeln. Die meisten Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass Märkte zumindest bis zu einem gewissen Grad informationseffizient sind.403 Selbst der 397
S. zur Verhaltensökonomik oben S. 27 ff. Appelbaum, „Economists Clash on Theory, but Will Still Share the Nobel“, The New York Times, 14.10.2013, online abrufbar unter: https://www.nytimes.com/2013/10/15/business/ 3-american-professors-awarded-nobel-in-economic-sciences.html. Bekannt wurde Shiller auch für sein Buch Irrational Exuberance, in dem er 2000 vor der „dot-com“-Spekulationsblase und in neueren Auflagen auch vor der Finanzkrise 2008/2009 warnte, Shiller, Irrational Exuberance, 3. Aufl. 2015. 399 Fischel, 74 Cornell L. Rev. 907, 912 ff. (1989); Macey/Miller/Mitchell et al., 77 Va. L. Rev. 1017, 1021 (1991); Langevoort, 2009 Wis. L. Rev. 151, 161 (2009). 400 Fischel, 74 Cornell L. Rev. 907, 912 ff. (1989); Fisch, 90 Wash. U. L. Rev. 895, 912 (2013). 401 Fischel, 74 Cornell L. Rev. 907, 913 (1989). 402 S. nur Summers, 41 J. Finance 591 (1986); Fisch, 90 Wash. U. L. Rev. 895, 912 (2013). 403 Fischel, 74 Cornell L. Rev. 907, 913 (1989); Fisch, 90 Wash. U. L. Rev. 895, 912 (2013). 398 S.
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führende Kritiker der Markteffizienzhypothese, Robert Shiller, räumt ein: „[o]f course, prices reflect available information“.404 Allein die Informationseffizienz ist für die Bejahung der Preiskausalität relevant. Anleger werden immer dann geschädigt, wenn eine Täuschung in den Kurs eingearbeitet wird, unabhängig davon, ob der Informationsgehalt irrationalerweise falsch eingeschätzt wird. Selbst auf minimal entwickelten Märkten wirken sich Falschinformationen auf den Preis von Finanzinstrumenten aus.405 Das relevante Prinzip für die Preiskausalität ist also nicht die Markteffizienzhypothese in ihrer Gesamtheit. Der Kurs muss nicht genau, sofort oder schnell auf die Täuschung reagieren.406 Entscheidend ist nur, dass eine irgendwie geartete kausale Verbindung zwischen einer (Fehl-)Information und einem Preiseinfluss existiert.407 Man könnte auch von der schwächsten denkbaren Ausprägung der Markteffizienzhypothese sprechen.408 Das heißt im Ergebnis, dass man bei einer Täuschung auf dem Kapitalmarkt normalerweise davon ausgehen kann, dass diese kausal für eine Preisverzerrung ist. Prozessrechtlich entspricht das einem Anscheinsbeweis.409 Das gilt jedenfalls insoweit, als die Täuschung einen Sachverhalt betrifft, der für die Beurteilung des Wertes eines Finanzinstruments erheblich ist. Im Zweifelsfall lassen sich Preisverzerrungen durch Ereignisstudien feststellen.410 Die genaue Höhe des Preiseinflusses ist keine Frage der Preiskausalität, sondern der Schadenshöhe – in Deutschland unterliegt diese der Beweiserleichterung des § 287 ZPO. Die deutsche Rechtsprechung hat die verfehlte US-amerikanische Konzeption der fraud on the market theory nicht rezipiert. Der BGH fordert bei Geltendmachung des Kursdifferenzschadens lediglich, dass der Geschädigte „darlegen und gegebenenfalls beweisen [muss], dass – wäre die Ad-hoc-Mitteilung rechtzeitig erfolgt – der Kurs zum Zeitpunkt seines Kaufs niedriger gewesen wäre“.411 Das entspricht der Konzeption der Preiskausalität, die nicht von der fundamentalwertbezogenen Markteffizienzhypothese abhängig ist.412
404 Robert Shiller, Sharing Nobel Honors, and Agreeing to Disagree, The New York Times, 26.10.2013, online abrufbar unter https://www.nytimes.com/2013/10/27/business/sharing-nobel-honors-and-agreeing-to-disagree.html. 405 Korsmo, 18 Lewis & Clark L. Rev. 827, 849 (2014). 406 Fisch, 90 Wash. U. L. Rev. 895, 913 (2013). 407 Langevoort, 2009 Wis. L. Rev. 151, 161 (2009): „All we need is reason to believe that there is some causal linkage between the misrepresentation and prevailing prices that investors are using as reference points for their trading decisions.“ 408 Fisch, 90 Wash. U. L. Rev. 895, 913 (2013): „The connection that the Basic decision identified between fraud and stock price depends only on the weakest conception of market efficiency—the premise that information affects securities prices.“ 409 Vgl. auch Klöhn, ZHR 178 (2014), 671, 711 f. m. w. N. 410 Vgl. oben S. 206. 411 BGH NJW 2012, 1800, 1807 Rn. 67 – IKB. 412 Ganz eindeutig waren die Ausführungen des BGH im IKB-Urteil jedoch nicht. Hierzu Klöhn, AG 2012, 345, 356 ff.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
2. Gütermarkt Wenn selbst minimal entwickelte Kapitalmärkte zu einem gewissen Grad informationseffizient sind, ist es denkbar, dass auch auf Gütermärkten Täuschungen oder Manipulationen zu einer Preisverzerrung führen können.413 Schließlich vermitteln Preise Informationen.414 Das trifft insbesondere auf Märkte zu, auf denen vertretbare Sachen gehandelt werden, eine große Anzahl an Anbietern und Nachfragern existiert und die Informations- und Transaktionskosten gering sind.415 Man könnte hier entsprechend der US-amerikanischen fraud on the market theory auf dem Kapitalmarkt von einem fraud on the goods market sprechen. Von dieser Möglichkeit ging die ökonomische Analyse im zweiten Teil der Untersuchung implizit aus.416 Wenn ein Einflussnehmer sein Produkt durch eine Täuschung oder Manipulation besser darstellt als es tatsächlich ist, sei es durch Erhöhung des wahrgenommenen Nutzens oder durch Verringerung des wahrgenommenen Preises, werden manche Adressaten ihre Zahlungsbereitschaft entsprechend erhöhen. Je mehr Adressaten tatsächlich durch das Verhalten des Einflussnehmers beeinflusst werden, desto mehr steigt die Nachfrage und damit auch der Preis. Dann erleiden auch Marktteilnehmer, die der Täuschung oder Manipulation nicht ausgesetzt oder für sie empfänglich waren, mittelbar durch den Preisbildungsmechanismus einen Schaden. Sie erwerben das Gut zu einem zu hohen Preis. Anders als bei Kapitalmarktteilnehmern, die abwechselnd in eine Veräußerer- und Erwerberrolle schlüpfen, befinden sich Verbraucher auf Gütermärkten zumeist in der Erwerberrolle und erleiden deshalb häufiger finanzielle Nachteile.417 Besteht eine Preiskausalität, erscheint es sinnvoll, allen Marktteilnehmern, die das Produkt zu teuer gekauft haben, einen Anspruch gegen den Einflussnehmer zuzusprechen, ohne dass sie eine Transaktionskausalität nachweisen müssen. Andernfalls würde der Einflussnehmer nicht
413 In diese Richtung geht die ökonomische Analyse von Klement/Neeman/Procaccia, 54 Int’l Rev. L. & Econ. 95 (2018), die sich dafür aussprechen, auch auf Gütermärkten das reliance-Erfordernis in der US-amerikanischen misrepresentation-Doktrin aufzugeben. S. zu dieser Frage knapp Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 641 ff. (1992); Miller, 57 Ariz. L. Rev. 61, 66 (2015). Aus deutscher Sicht etwas vorsichtiger Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 523: „Anders als auf entwickelten Wertpapiermärkten darf man dies allerdings nicht als typischen Geschehensablauf unterstellen. Vielmehr ist es eine Frage des Einzelfalls, ob eine Fehlinformation eingepreist wurde oder man annehmen darf, eine pflichtwidrig unterlassene Marktinformation hätte den Marktpreis beeinflusst.“ Tendenziell ablehnend Georgakopoulos, The Logic of Securities Law, 2017, S. 111, weil der Preiseinfluss häufig nur marginal sei. Die US-amerikanische Rechtsprechung lehnt die Anwendung der fraud on the market theory auf Gütermärkten überwiegend ab, s. Strauss v. Long Island Sports, 401 N.YS.2d 233, 237 (N.Y. App. Div. 1978); Sikes v. Teleline, Inc., 281 f.3d 1350, 1363 (11thCir.), cert. denied, 537 U.S. 884 (2002); teilweise wendet sie sie aber auch an, s. Minpeco, S.A. v. Hunt, 718 f. Supp. 168, 175 ff. (S.D.N.Y. 1989). 414 Hayek, 35 AER 519, 526 f. (1945). 415 Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 642 (1992). 416 Vgl. oben S. 130 ff. 417 Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 646 (1992).
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sämtliche sozialen Kosten seines Verhaltens internalisieren und würde daher zu wenig abgeschreckt werden.418 Diese Feststellung unterliegt jedoch Einschränkungen. Es ist kein Automatismus, dass eine Täuschung oder Manipulation auf einem Gütermarkt zu einer Preisverzerrung führt.419 Allein aufgrund der subjektiven Nutzeneinschätzung der Adressaten wird sich die Preisauswirkung einer Einflussnahme schwieriger feststellen lassen.420 Zudem sprechen drei Beobachtungen, die bereits in der ökonomischen Analyse angeklungen sind, gegen einen fraud on the goods market:421 Erstens verschwindet der Preiseinfluss auf Gütermärkten schneller, weil die Nachfrager nach einer Transaktion den Markt (zumindest vorübergehend) verlassen.422 Zweitens ist der Preiseinfluss umso geringer, je weniger Adressaten tatsächlich beeinflusst werden. Einflussnahmen in persönlichen Transaktionen werden kaum die Nachfrage verändern können.423 Drittens beschränken sich Preisverzerrungen auf dem Gütermarkt häufig auf lokale Märkte.424 Während eine Falschinformation über einen Emittenten in den USA auch Auswirkungen auf den Kurs deutscher Börsen hat, wird das bei Einflussnahmen auf lokalen Gütermärkten seltener der Fall sein. Anderseits wird bei Einflussnahmen durch Werbung oder Produktkennzeichnungen ein großes Publikum erreicht. Massenkommunikation beschränkt sich zudem nicht mehr auf lokale Märkte, sondern erreicht über das Internet, das sich ohnehin zum Haupthandelsplatz für alle Arten von Gütern entwickelt hat, fast die gesamte Marktgegenseite. Im Einzelfall ist auch vorstellbar, dass eine Täuschung in einem reinen Zwei-Personen-Verhältnis Auswirkungen auf den Preisbildungsmechanismus hat. Man stelle sich vor, A verkauft sein Grundstück mit einem darauf befindlichen Reihenhaus an B und täuscht über eine angeblich energetisch sanierte Außenwanddämmung.425 Der Kaufpreis beträgt 300.000 EUR; ohne die Dämmung hätte B nicht mehr als 270.000 EUR gezahlt. Kurz darauf verkauft X, der Nachbar, sein Grundstück mit einem vergleichbaren Reihenhaus an Y. Weder X noch Y wissen über die Täuschung des A Bescheid. Bekannt ist nur, dass das Grundstück des A für 300.000 EUR verkauft wurde. Selbstverständlich hat diese Information auch einen Einfluss auf den Kaufpreis im Verhältnis X und Y. Der Marktpreis wird sich an dem vergleichbaren, direkt daneben befindlichen Reihenhaus grob orientieren. Das heißt jedoch nicht, dass in diesem Beispiel Y ein Anspruch gegen A zustehen sollte – hierauf wird unter 418
Klement/Neeman/Procaccia, 54 Int’l Rev. L. & Econ. 95 (2018). S. auch Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 523. 420 Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 661 f. (1992). 421 Vgl. oben S. 130 ff. 422 Georgakopoulos, 49 University of Miami Law Review 671, 687 (1994); ders., The Logic of Securities Law, 2017, S. 88. 423 Georgakopoulos, 49 University of Miami Law Review 671, 689 (1994); ders., The Logic of Securities Law, 2017, S. 90 f. 424 Georgakopoulos, 49 University of Miami Law Review 671, 691 (1994); ders., The Logic of Securities Law, 2017, S. 91 f. 425 Dieses Beispiel ist angelehnt an Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 643 f. (1992). 419
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dem Stichwort „mittelbare Schädigungen und Schutzzweckzusammenhang“ zurückzukommen sein.426 III. Wettbewerbliche Relevanz Im Lauterkeitsrecht existiert keine Kausalität im herkömmlichen Sinne.427 Die hier interessierenden Tatbestände der §§ 4a, 5 ff. UWG setzen jedoch voraus, dass die Einflussnahme geeignet ist, den Adressaten „zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.“428 Hiermit angesprochen ist die wettbewerbliche Relevanz.429 Der BGH bejaht eine wettbewerbliche Relevanz im Falle einer irreführenden Angabe (§ 5 UWG), „wenn sie in dem Punkt und in dem Umfang, in dem sie von der Wahrheit abweicht, bei ungezwungener Auffassung geeignet ist, die Kaufentscheidung des Publikums – im Sinne einer allgemeinen Wertschätzung – zu beeinflussen. […] Es muß nach der Lebenserfahrung naheliegen, daß die beanstandete Werbeaussage für die Kaufentscheidung eines nicht unbeachtlichen Teils des Verkehrs von Bedeutung ist.“430 Übersetzt man dies in die ökonomische Terminologie, muss die Einflussnahme geeignet sein, dass ein nicht unerheblicher Teil der Adressaten den Nutzen eines Produkts über- oder den Preis bzw. seine Risiken unterschätzt. Die Folge mag sein, dass die Einflussnahme eine künstliche Nachfrage provoziert, die mittelbar durch Preisverzerrungen dazu führt, dass der Wettbewerb seiner Allokationsfunktion nicht mehr nachkommen kann und die Marktgegenseite sowie Mitbewerber Wohlfahrtsverluste erleiden. Der Nachweis einer tatsächlichen Preisverzerrung ist jedoch nicht erforderlich. Allein entscheidend ist, ob die Einflussnahme geeignet ist, auf die wirtschaftliche Entscheidungsfindung einer kritischen Masse von Adressaten einzuwirken, d. h. es genügt eine „potenzielle Kausalität“.431 Damit weist die wettbewerbliche Relevanz charakteristische Züge der Preiskausalität auf, ihr Nachweis erfordert aber weniger. Ganz ähnlich verhält es sich im Übrigen auch bei dem
426 Unten
S. 251 ff. Hinsichtlich der §§ 4a, 5 ff. UWG. Die Schadensersatzansprüche in § 9 UWG setzen natürlich eine Kausalität zwischen einer unlauteren Handlung und einem Schaden voraus. 428 So die Formulierung in § 5 Abs. 1 UWG, die sich fast identisch auch in §§ 4a und 5a Abs. 1 Nr. 2 UWG findet. 429 S. Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.171 ff.; Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 331 ff. 430 BGH GRUR 1995, 125, 126 – Editorial. Ständige Rechtsprechung, s. auch BGH GRUR 1995, 610, 611 – Neues Informationssystem; GRUR 1998, 1043, 1044 – GS-Zeichen; GRUR 2001, 239, 241 – Last-Minute-Reise; GRUR 2004, 162, 163 – Mindestverzinsung; GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei; GRUR 2004, 437, 438 – Fortfall einer Herstellerpreisempfehlung; GRUR 2016, 1073 Rn. 27 – Geo-Targeting; GRUR 2018, 431 Rn. 30 – Tiegelgröße; GRUR 2019, 631 Rn. 67 – Das beste Netz. 431 Teils wird auch von einem „konkreten Gefährdungstatbestand“ gesprochen, vgl. Pfeifer/ Obergfell, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 21. 427
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Marktmanipulationsverbot in Art. 15, 12 MAR, bei dem in den meisten Alternativen eine Kursbeeinflussungseignung genügt.432
D. Marktgegenseite Typischerweise steht dem Einflussnehmer als Anbieter der Adressat als Nachfrager gegenüber. Als Regulierungsinstrumente kommen die Rückabwicklung einer Transaktion, zu der der Adressat durch eine Täuschung oder Manipulation verleitet wurde (I.), sowie ein Schadensersatzanspruch in Betracht (II.). I. Rückabwicklung Sieht eine Rechtsregel die Rückabwicklung eines Rechtsgeschäfts als Folge einer Täuschung oder Manipulation vor, hat der Einflussnehmer die von dem Adressaten erhaltene (Geld-)Leistung Zug um Zug gegen Rückgabe des Transaktionsgegenstandes herauszugeben. Zunächst wird knapp auf die geltenden Rechtsregeln und ihre Tauglichkeit für das Recht der Einflussnahme eingegangen (1.). Im Anschluss erfolgt eine Analyse der Steuerungswirkung der Rückabwicklung (2.). Hierbei wird der Anspruch auf Vertragsaufhebung als Inhalt eines Schadensersatzanspruchs ausgeblendet. Seine Steuerungswirkung entspricht zwar einer Rechtsregel, die eine Rückabwicklung anordnet. Da der Anspruch dieselben Voraussetzungen wie andere Schadensersatzansprüche hat, wird er, um Redundanzen zu vermeiden, jedoch erst an späterer Stelle betrachtet.433 1. Rechtsregeln a) Unwirksamkeit nach § 138 BGB Im Kontext einer Einflussnahme kommt eine Unwirksamkeit des aufgrund einer Täuschung oder Manipulation eingegangenen Rechtsgeschäfts nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit in Betracht. § 138 BGB ist eine selbstwirksame Rechtsnorm.434 Ihr Vorteil liegt darin, dass „der Eintritt der Steuerungswirkung nichts weiter voraussetzt als Passivität“ des Betroffenen.435 Kosten für die Rechtsdurchsetzung existieren nicht,436 jedenfalls, soweit das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen
432
Vgl. hierzu Schmolke, in: Klöhn, MAR, 2018, Art. 12 Rn. 234. Vgl. unten S. 256 ff. 434 Zum Begriff: Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 457; s. auch Wagner, AcP 206 (2006), 352, 488. 435 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 488. 436 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 488. 433
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nicht streitig ist. Sie ist so gesehen eine ex ante wirkende Verbotsnorm. Aufgrund ihrer Rechtsfolge – die Rückabwicklung eines unwirksamen Rechtsgeschäfts über das Bereicherungsrecht – soll sie jedoch im Rahmen der Ex-post-Regulierungsinstrumente diskutiert werden. Der Tatbestand des § 138 BGB wird im Kontext einer Einflussnahme nur selten verwirklicht sein. Zwar kann man eine vorsätzliche Täuschung und eine besonders verwerfliche Manipulation als sittenwidrig erachten. Beide Einflussnahmeformen wirken sich zunächst aber nur auf den Willensbildungsprozess des Adressaten aus. Nach überwiegender Sicht betrifft § 138 BGB die Frage der inhaltlichen Sitten widrigkeit eines Rechtsgeschäfts und nicht sein Zustandekommen.437 Zwar berücksichtigt die Rechtsprechung auch Umstandsmomente, zu denen die Art und Weise des Zustandekommens zählen können – diese werden in § 138 Abs. 2 BGB auch ausdrücklich angesprochen –, aber doch nur als ergänzende Voraussetzungen oder Indikatoren und nicht als eine hinreichende Bedingung.438 Paradebeispiel hierfür ist die „strukturell ungleiche Verhandlungsstärke“ im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit ruinöser Angehörigenbürgschaften.439 In den zugrundeliegenden Sachverhalten lässt sich eine affektive Einflussnahme innerhalb einer unausgeglichenen Machtbalance aufgrund familiären Zusammenhalts erkennen. Die bloße Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Adressaten genügt aber nicht.440 Hinzu kommen muss ein inhaltliches Moment, hier in Form der eklatanten finanziellen Überforderung durch die Bürgschaft. Weiterhin ergibt sich die Abgrenzung zwischen einer Abschluss- und Inhaltskontrolle auch durch einen systematischen Vergleich mit dem Anfechtungsrecht.441 § 123 BGB billigt dem arglistig Getäuschten das Recht zur Anfechtung zu. Die bloße Täuschung allein genügt nicht für die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 138 BGB. Das ergibt auch aus ökonomischer Sicht Sinn, weil der Getäuschte dann selbst entscheiden kann, ob er das Rechtsgeschäft rückabwickeln möchte oder nicht.
437 Lorenz, in: FS Canaris I, 2007, S. 777: „Sittenwidrigkeit i. S. v. § 138 Abs. 1 BGB ist also im Ausgangspunkt immer ‚Inhaltssittenwidrigkeit‘.“ Bereits die Motive zum BGB beziehen sich auf ein Rechtsgeschäft, das „eine den guten Sitten widerstreitende Leistung zum Gegenstand hat“, Mot. I S. 211. Als Argument wird häufig auch § 241 Nr. 4 AktG angeführt, der ausdrücklich vorsieht, dass ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig sei, wenn er „durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt“. 438 S. Lorenz, JZ 1997, 277; ders., in: FS Canaris I, 2007, S. 777, jeweils bezogen auf undue influence im deutschen Recht. 439 S. nur BVerfGE 89, 214; BVerfG NJW 1994, 2749; BVerfGE 115, 51; BGH NJW 1994, 1726; NJW 2001, 815; ZIP 2004, 1039; ZIP 2009, 655; NJW 2009, 2671. Vgl. auch der Überblick bei Habersack, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 765 Rn. 24. 440 Ausführlich hierzu auch Lorenz, in: FS Canaris I, 2007, S. 777 ff. 441 Vgl. auch Lorenz, in: FS Canaris I, 2007, S. 777 f.
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b) Anfechtung aa) Allgemeines Das Anfechtungsrecht ist ein klassisches Instrument, um strategische Fehlinformation und andere Formen unzulässiger Einflussnahme einzudämmen.442 Es erlaubt dem Betroffenen, sich nachträglich – aber im deutschen Recht freilich mit Wirkung für die Vergangenheit443 – von einem Vertrag zu lösen und in der Folge bereits erbrachte Leistungen zurückzufordern. Das bürgerliche Recht sieht in § 123 BGB ein Anfechtungsrecht nur für eine arglistige, d. h. vorsätzliche Täuschung vor.444 Hinsichtlich der Beurteilung, ob eine arglistige Täuschung vorliegt, muss man entsprechend der ökonomischen Vorüberlegungen unterscheiden. Handelt der Einflussnehmer absichtlich, erübrigt sich eine Abwägung der Kosten und Nutzen der Sorgfaltsaufwendungen des Einflussnehmers, weil regelmäßig keine abwägungsfähigen Wohlfahrtsgewinne entstehen.445 Der Sorgfaltsaufwand des Einflussnehmers ist negativ, weil er die Täuschung schlicht unterlassen könnte.446 Implizit entspricht das auch der Rechtsprechung des BGH: Die Beurteilung eines täuschungsbedingten Irrtums ist unabhängig von einer „verständige[n] Würdigung aller Umstände“.447 Handelt der Einflussnehmer jedoch lediglich mit dolus eventualis, welcher für die Bejahung der Arglist nach ganz herrschender Meinung genügt,448 wird man um eine Abwägung nach der „Learned Hand“-Formel nicht herumkommen. Hierbei sind die Sorgfaltsaufwendungen des Einflussnehmers und potenzielle Nachteile einer alternativen Formulierung der Aktivität mit dem Nutzen der Täuschungsfreiheit abzuwägen.449 Eine Willenserklärung, die aufgrund einer (schuldhaften) Manipulation oder einer fahrlässigen Täuschung abgegeben wurde, ist hingegen nicht anfechtbar. Zwar wird hier teilweise eine Analogie diskutiert.450 Sinnvollerweise ergibt sich bei solchen Einflussnahmen ein Anspruch auf Vertragsaufhebung aus einer Haftung aus culpa in contrahendo, die funktional ein Surrogat für die Rückabwicklung nach erfolgter Anfechtung ist. Hierauf wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.451
442 Vgl.
Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 156. § 142 Abs. 1 BGB. 444 BGH NJW 1999, 2804, 2806. 445 Vgl. oben S. 174 f. 446 Vgl. oben S. 174 f. 447 BGH NJW 1967, 1222, 1223. Ähnlich Armbrüster, in: MüKo BGB, Bd. 1, 9. Aufl. 2021, § 123 Rn. 2: Es fehle bei § 123 BGB an der „nach § 119 Abs. 1 BGB zu beachtenden Anfechtungsvoraussetzung, dass der Irrtum ‚bei verständiger Würdigung des Falles‘ objektiv erheblich sein muss.“ 448 BGH NJW-RR 1991, 411, 412: „billigende Erkenntnis“; NJW 1992, 1953: „bedingte[r] Vorsatz“, „im Sinne eines (bloßen) ‚Fürmöglichhaltens‘ und ‚Inkaufnehmens‘“, Armbrüster, in: MüKo BGB, Bd. 1, 9. Aufl. 2021, § 123 Rn. 15. 449 Vgl. oben S. 165 ff. 450 So bei Manipulationen Sack, GRUR 2004, 625, 630 ff. 451 Vgl. unten S. 246 ff. und S. 257. 443
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bb) Vorsatznachweis Zum Nachweis eines Täuschungsvorsatzes kann das Gericht auf das Ergebnis des interpretativen Ansatzes zurückgreifen.452 Eine Äußerung oder ein Verhalten selbst kann Rückschlüsse auf die Intention eines Einflussnehmers geben. Die Bedeutung einer Äußerung oder eines Verhaltens beruht auf der Intention, die der Einflussnehmer mit ihr verfolgt und die der Adressat erkennt. Hiermit nicht gemeint ist, dass der Adressat den Täuschungsvorsatz erkennt – wäre das der Fall, würde er nicht getäuscht werden –, sondern, dass der Adressat erkennt, welche (unwahren) propositionalen Schlüsse er aus der Äußerung ziehen soll. Wie diese Intention erkennbar ist, haben die Ausführungen im ersten Teil der Untersuchung und diejenigen zu den Interpretationsregeln im interpretativen Ansatz gezeigt: Ausgehend von dem Wortlaut einer Äußerung zieht ein Adressat semantische und pragmatische Schlüsse.453 Der Grad der Verbindlichkeit454 kann dann als Indiz für den Vorsatz des Einflussnehmers dienen, sofern man davon ausgeht, dass sich der Einflussnehmer der Unwahrheit der vermittelten Proposition bewusst ist. Als Beispiel hierfür lassen sich die berüchtigten Aussagen „ins Blaue hinein“ im Rahmen der Arglistanfechtung nach § 123 BGB anführen. Diese sind willkürliche Behauptungen, die ein Einflussnehmer „aufs Geratewohl“ aufstellt, und sich dann – in den zugrundeliegenden Fällen ergab sich das bereits aus wörtlichen Äußerungen (semantische Täuschung) – als falsch herausstellen. Der BGH interpretiert dann die Intention des Einflussnehmers anhand der Unrichtigkeit einer so vermittelten Proposition und kommt zu dem Schluss, dass der Einflussnehmer mit der Möglichkeit der Unrichtigkeit rechnet und daher bedingt vorsätzlich handelt.455 c) Widerruf Widerrufsrechte gewähren dem Verbraucher eine „Bedenkzeit“456 (cooling off period),457 innerhalb derer die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts grundlos beseitigt werden kann. Durch ein Widerrufsrecht ist ein Adressat vor übereilten Entscheidungen geschützt. Es stellt ein nützliches Instrument für die Bewältigung intertemporaler Präferenzkonflikte458 dar,459 die durch Manipulationen verschärft oder erzeugt werden.460 So könnte der Adressat aufgrund einer manipulativen Einflussnahme den erwarteten Nutzen aus dem Kauf eines Gutes überschätzen und sich 452
Vgl. oben S. 184 ff. Vgl. oben S. 54 ff. und S. 187 ff. 454 Vgl. oben S. 62 f. und S. 193. 455 S. etwa BGHZ 63, 382, 388; BGH NJW 1977, 1055, 1056; 1979, 1886, 1888. S. auch Armbrüster, in: MüKo BGB, Bd. 1, 9. Aufl. 2021, § 123 Rn. 16. 456 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 747. 457 Kronman, 92 Yale L. J. 763, 786 (1983). 458 Vgl. oben S. 96. 459 Vgl. Kronman, 92 Yale L. J. 763, 786 (1983); Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 63 ff., 142. 460 Vgl. oben S. 123 ff. 453
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seines Fehlers erst später bewusst werden. Steht ihm ein Widerrufsrecht zu, kann er diesen Präferenzirrtum aufheben. Das Widerrufsrecht im europäischen und deutschen Verbraucherrecht wird freilich nicht grenzenlos gewährt. Das ist auch gut so, da die grundlose Aufhebung eines Vertrags einen „grundlegende[n] Eingriff in das auch ökonomisch bedeutsame Prinzip der Vertragsbindung (pacta sunt servanda)“461 darstellt. Widerrufsberechtigte haben einen Anreiz, sich opportunistisch zu verhalten, da der Widerruf grundlos möglich ist.462 Deshalb beschränkt der Gesetzgeber das Widerrufsrecht auf Märkte und Transaktionen, die für Präferenzirrtümer anfällig sind.463 Exemplarisch sollen hier die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge („Haustürgeschäfte“), Fernabsatzverträge sowie Verbraucherkredite genannt sein.464 Bei Haustürgeschäften nutzt der Einflussnehmer sein Machtgewicht außerhalb des Spielfelds kommerzieller Aktivität, weshalb Adressaten besonders anfällig für Manipulationen sind.465 Im Rahmen von Fernabsatzverträgen bestehen Informationsasymmetrien, die aus fast jedem Gut ein Erfahrungsgut machen.466 Schließlich besteht gerade bei Kreditverträgen die Gefahr, dass der Einflussnehmer den Überoptimismus des Adressaten ausnutzt, oder die tatsächlichen Preisbestandteile nicht ausreichend salient467 gestaltet. Weiterhin muss der Verbraucher den Widerruf, sofern er korrekt belehrt wurde, innerhalb von 14 Tagen erklären.468 Wird die Einflussnahme erst nach Ablauf der Frist entdeckt, entfaltet das Widerrufsrecht keine Steuerungswirkung. Das betrifft vor allem Erfahrungs- und Vertrauensgüter.469 Werden etwa Kunden bei Kreditkartenverträgen mit einem niedrigen Eingangszinssatz gelockt („Teaser-Angebot“), obwohl danach eine unbegrenzte Phase mit einem hohen Zinssatz folgt, kann man von einer manipulativen Ausnutzung eines present bias und des Überoptimismus der Adressaten sprechen.470 Bis der Adressat sich seines Fehlers bewusst wird, ist die Widerrufsfrist bereits lange abgelaufen. Eine Vielzahl manipulativer Erscheinungsformen sind jedoch situativ, impulsiv und kurzlebig. Hier können 461
Eidenmüller, AcP 210 (2010), 67, 102. Tscherner, in: Möslein (Hrsg.), Regelsetzung im Privatrecht, 2019, S. 303, 315. Allgemein können Widerrufsrechte zu einem crowding out von Fairnessüberlegungen führen, so das Ergebnis einer Studie zu den Wirkungen des Widerrufsrechts, Borges/Irlenbusch, JITE 163 (2007), 84. 463 Becher/Feldman, 38 Cardozo L. Rev. 459, 489 (2016). 464 Daneben existiert ein Widerrufsrecht auch bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen, Versicherungsverträgen, Kapitalanlageverträgen, Fernunterrichtsverträgen sowie Verbraucherbauverträgen. 465 Vgl. oben S. 105 ff. zu Machtbalancen und S. 108 ff. zum „Spielfeld“. 466 Eidenmüller, AcP 210 (2010), 67, 74 ff., 103. 467 Vgl. zur Salienz oben S. 35. 468 Art. 9 Abs. 1 Verbraucherrechte-RL sowie § 355 Abs. 2 S. 1 BGB. Sie ist im internationalen Vergleich relativ lang. In den USA existiert eine vergleichbare cooling off period beispielsweise für door-to-door sales. Dort beträgt sie aber nur drei Tage, vgl. 16 CFR 429. 469 Vgl. oben S. 126. 470 S. hierzu die Studie von Shui/Ausubel, SSRN: #586622 2004, 1; hierzu detailliert aus deutscher Sicht Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, 2017, S. 152 f.; s. auch Bar-Gill, 98 Nw. U. L. Rev. 1373 (2003). 462 S.
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Widerrufsrechte ihre Steuerungswirkung entfalten. Eine längere Frist stünde in Anbetracht der Gefahr opportunistischen Verhaltens bei der Möglichkeit eines grundlosen Widerrufs wohl auch in keinem Verhältnis zum Nutzen. Die Besonderheit des Widerrufs im Vergleich zu den anderen Instrumenten der Vertragslösung liegt darin, dass seine Durchsetzung keine Feststellung einer Täuschung oder Manipulation erfordert. Dadurch kann das Widerrufsrecht auch bei Manipulationen verhaltenssteuernd wirken, die nicht die Schwelle der besonderen Verwerflichkeit überschreiten.471 Einflussnehmer haben dann einen Anreiz, den Adressaten kein Motiv zur Vertragsbeseitigung zu geben.472 d) Rücktritt Zudem kann ein Adressat bei einer Täuschung über die Beschaffenheit des Vertragsgegenstands, der – angenommen es handelt sich um einen Kaufvertrag – zu einem Sachmangel führt, nach Maßgabe der §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB von dem Vertrag zurücktreten. Für manipulative Einflussnahmen hilft das Gewährleistungsrecht nicht weiter, weil Manipulationen keinen unwahren propositionalen Gehalt vermitteln.473 Ein Rücktritt ist gleichwohl bei einer besonders verwerflichen Manipulation über das allgemeine Schuldrecht denkbar (§ 324 BGB). Diesen Weg muss der Adressat jedoch nicht gehen, da ihm dann auch ein Vertragsaufhebungsanspruch aus culpa in contrahendo zustünde, auf den an späterer Stelle eingegangen wird.474 2. Steuerungswirkung Wird ein Adressat durch eine Einflussnahme zu einem Vertrag verleitet, hebt das die in einer freien Marktwirtschaft bestehende Vermutung einer nutzenstiftenden Transaktion auf.475 Eine Rückabwicklung entfaltet Steuerungswirkung, weil der Einflussnehmer damit rechnen muss, seinen einflussbedingten Gewinn zu verlieren (a.) und weil sie eine neue Chance für eine Pareto-Verbesserung ermöglicht (b.). a) Verlust des Täuschungs- oder Manipulationsprofits Die Rückabwicklung eines Rechtsgeschäfts führt dazu, dass der Einflussnehmer den Gewinn, den er durch eine Einflussnahme realisieren konnte, wieder verliert. Würde jeder Adressat die Einflussnahme entdecken und die Rückgängigmachung verlangen, hätte der Einflussnehmer keinerlei Anreiz zu täuschen oder zu manipu471
Vgl. oben S. 225 ff. Vgl. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 461. 473 Vgl. oben S. 8 ff. 474 Vgl. unten S. 246 ff. und S. 256 ff. 475 S. hierzu oben S. 113 ff. und S. 156. Vgl. auch Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 118. 472
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lieren. Die erwarteten Kosten des Einflussnehmers, die er aus der Rückgängigmachung der Transaktion trüge, entsprächen mindestens476 dem Vorteil, den er aus dem Ertrag des Rechtsgeschäfts ziehen würde: der Differenz aus dem Preis, den er aufgrund der Einflussnahme von dem Adressaten fordern konnte und dem tatsächlichen Marktpreis. In der Realität liegt die Entdeckungswahrscheinlichkeit aber nicht bei einhundert Prozent. Auch können der Besitztumseffekt oder Transaktionskosten dazu führen, dass Adressaten unwirksame Geschäfte nicht rückabwickeln wollen: Sobald ein Konsument einen Gegenstand besitzt, neigt er dazu, dessen Wert höher einzuschätzen.477 Außerdem kann der Aufwand, der mit dem Rückgängigmachen des Geschäfts verbunden ist, den Adressaten davon abhalten, seine Rechte wahrzunehmen.478 Deshalb hält die drohende Rückabwicklung allein den Einflussnehmer nicht vollständig von einer Einflussnahme ab. Die Kostenseite kann sich jedoch durch Begleitumstände erhöhen, was der Einflussnehmer in sein Entscheidungskalkül einbeziehen wird. So hat der Einflussnehmer grundsätzlich die Gefahr der zufälligen Verschlechterung des zurückzugewährenden Gegenstands zu tragen.479 Im kapitalmarktrechtlichen Kontext entspricht das dem Risiko der Kursschwankungen.480 Der Einflussnehmer wird dann unfreiwillig in die Rolle eines Versicherers gegen ungünstige Marktentwicklungen getrieben.481 Hier kann die Gefahr einer Überabschreckung auftreten, d. h. eine Eindämmung eigentlich wohlfahrtsförderlichen Verhaltens. Auch ein Widerruf bürdet dem Verkäufer zusätzliche Kosten auf. Erwirbt der Adressat ein Gut über das Internet, packt es aus, überprüft entsprechend der Vorgaben in § 357 Abs. 7 Nr. 1 BGB die Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise und erklärt dann den Widerruf, hat der Adressat keinen Wertersatz für den Wertverlust des Gutes zu zahlen. Der Einflussnehmer als Verkäufer erhält aber ein gebrauchtes Gut zurück, das an Wert verloren hat. b) Neue Chance für eine Pareto-Verbesserung Weiterhin eröffnet eine Rückgängigmachung dem Adressaten und dem Einflussnehmer die Chance, unter geänderten Konditionen einen neuen Vertrag einzugehen, der zu einer Pareto-Verbesserung in Form eines beidseitigen Wohlfahrtsgewinns führt.482 Diese Möglichkeit wird häufig nur theoretischer Natur sein. Die 476
Zu den weiteren Kosten, die durch eine Rückgängigmachung entstehen, sogleich im Text. Vgl. oben S. 44. 478 Becher/Feldman, 38 Cardozo L. Rev. 459, 490 (2016). 479 Vgl. § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB. Diese Wertung überträgt der BGH auch beispielsweise auf die Rückabwicklung als Inhalt eines Schadensersatzanspruchs, s. etwa BGH NJW 2012, 1800, 1806 Rn. 58 – IKB. 480 Vgl. Zhou, 6 ERCL 25, 32 (2010). 481 Vgl. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 634, 636 (1985); Fleischer, DB 2004, 2031, 2035; Fleischer, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch Kapitalanlagerecht, 5. Aufl. 2020, § 6 Rn. 35. 482 Zhou, 6 ERCL 25, 36 (2010). 477
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getäuschte oder manipulierte Partei wird nicht selten aufgrund eines Vertrauensverlusts von einer weiteren Transaktion mit dem Einflussnehmer absehen, oder der Einflussnehmer kann das Gut ohne die Einflussnahme nicht mit Gewinn veräußern. Jedoch kann der Adressat den eigentlich begehrten Vertrag dann mit einer anderen Partei schließen, wodurch ein gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn entstehen kann. Die Loslösung von einem Vertrag hat so gesehen die Wirkung eines efficient breach.483 II. Schadensersatz Das klassische Regulierungsmittel des Privatrechts ist die Schadensersatzpflicht. Hat der Einflussnehmer bei einer Täuschung oder Manipulation zu befürchten, den erlangten Gewinn durch Zahlung eines Schadensersatzes zu verlieren, wird er als rationaler Nutzenmaximierer von einer Einflussnahme absehen. Eine Schadensersatzverpflichtung entfaltet so eine Abschreckungswirkung. Bevor auf die Steuerungswirkung der Schadensersatzhaftung näher eingegangen wird (3.), erfolgt zunächst ein Überblick über die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Schadensersatzhaftung. Das haftungsauslösende Ereignis eines jeden Schadensersatzanspruchs ist die Pflichtverletzung. Es existiert eine vertragliche, vorvertragliche und deliktische Pflicht, andere nicht zu täuschen oder zu manipulieren, das „Täuschungs- und Manipulationsverbot“ (1.). Weiterhin gilt es den bei einer Täuschung oder Manipulation ersatzfähigen Schaden näher herauszuarbeiten (2.). 1. Täuschung und Manipulation als Pflichtverletzung Unsere Rechtsordnung gibt recht deutlich zu verstehen, dass sie unangemessene Einflussnahmen nicht billigt. Paradigmatisch ist das Täuschungsverbot, das im Privatrecht in § 123 BGB seinen Niederschlag findet.484 Die Drohung, als psychischer Zwang, unterliegt dem gleichen Makel. Dem liegt ein freiheitlich-individualistisches Privatrechtsverständnis zugrunde, das durch die Autonomie der Rechtsunterworfenen geprägt ist. Eine unredliche Einwirkung auf die Entscheidung eines Adressaten, so betonte es bereits Friedrich Carl von Savigny, soll das Recht nicht dulden: „Ist nämlich der Irrtum hervorgebracht durch den unredlichen Willen eines Andern, das heißt durch Betrug, so hat dieser Fall eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem des Zwanges. 483 So zum Widerrufsrecht Ben-Shahar/Posner, 40 J. Legal Stud. 115, 118, 122 f. (2011). Hat die widerrufende Partei für eine Verschlechterung des Gegenstandes gesorgt und den Minderwert zu ersetzen, kommt es einem efficient breach mit (aus US-rechtlicher Perspektive) reliance damages gleich. Im deutschen Recht hat der Verbraucher freilich nur unter den Voraussetzungen des § 357 Abs. 7 BGB Wertersatz zu leisten. 484 Weitere Normen, die an Täuschungen Rechtsfolgen knüpfen, sind beispielsweise die §§ 318 Abs. 2, 438 Abs. 3, 442, 444, 445, 523 Abs. 1, 524, 536b, 536d, 600, 634a Abs. 3, 639, 1314 Abs. 2 Nr. 3, 1760 Abs. 2 lit. c, 2183, 2339 Abs. 1 Nr. 3, 2376 Abs. 2, 2385 BGB.
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In beiden Fällen findet sich gleiche Unsittlichkeit in der Einwirkung auf Andere; auch wird in beiden recht eigentlich das Rechtsgebiet durch tiefe Unsittlichkeit gestört. […] Beide also verdienen gleicherweise, durch das positive Recht als Unrecht anerkannt, verfolgt und bekämpft zu werden.“485
Der Adressat hat daher das Recht, nicht in unzulässiger Weise in seiner Autonomie beeinträchtigt zu werden.486 Diesem Recht als Korrelat steht die Pflicht des Einflussnehmers gegenüber, den Adressaten nicht zu täuschen oder zu manipulieren.487 Täuschungen und Manipulationen stellen demnach Pflichtverletzungen dar. Insoweit lässt sich von einem „Täuschungs- und Manipulationsverbot“ sprechen. Nun kann eine Pflicht aber in verschiedenen Rechtsbereichen unterschiedlich ausgestaltet sein, denn sie kann eine vertragliche, vorvertragliche oder deliktische Natur annehmen. Das Täuschungs- und Manipulationsverbot hat in jeder Dimension eine leicht abweichende Erscheinungsform, der hier nachgegangen werden soll. a) Vertragliche Pflicht Ein Vertrag begründet „in freier Selbstherrlichkeit“488 Pflichten. Vertragliche Pflichten sind also Schöpfungen des Willens der Parteien, die durch Angebot und Annahme begründet werden.489 Sinnvollerweise sollte man im Bereich des Vertragsrechts zwei Phasen unterscheiden: die vorkonsensuale Phase, die durch die noch zu erläuternden vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten des § 241 Abs. 2 BGB geprägt ist,490 und die konsensuale Phase, ab der das vertragliche Pflichtenprogramm greift, welches Primär- und gegebenenfalls Sekundärleistungspflichten erfasst und durch Rücksichtnahmepflichten ergänzt wird.491 Die meisten Einflussnahmen wirken bereits in der vorkonsensualen Phase auf den Willen der anderen Partei und verleiten sie so zum Vertragsschluss. So ist eine Täuschung über die Eigenschaften eines Vertragsgegenstandes eine vorvertragliche Pflichtverletzung,492 gleichzeitig gestaltet sie aber auch das vertragliche Pflichtenprogramm, weil die Wahrheit der Aussage zum Vertragsinhalt erhoben wird. Der Gläubiger hat dann 485
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 3, 1840, § 115, S. 115 f. ist, nach der Hohfeldian Konzeption, nicht lediglich eine Freiheit (privilege), sondern ein Recht, dem eine Pflicht gegenübersteht, Hohfeld, 23 Yale L. J. 16, 32 (1913): „In other words, if X has a right against Y that he shall stay off the former’s land, the correlative (and equivalent) is that Y is under a duty toward X to stay off the place.“ 487 Vgl. hierzu Hohfeld, 23 Yale L. J. 16, 30 (1913). 488 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, § 1 5, S. 6. 489 Markovits/Rauterberg, Contracts, 2018, S. 495: „[C]ontracts are creatures of the parties‘ intentions; they are, literally, chosen; or, as one might say, willed into existence.“ 490 Vgl. unten S. 246 ff. 491 Primärleistungspflicht ist die vertraglich versprochene Leistung. Sekundärleistungspflichten sind jene, die bei einer Verletzung der Primärleistungspflicht relevant werden, z. B. die Verpflichtung zum Schadensersatz. Vgl. zur Terminologie Bachmann, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl. 2019, § 241 Rn. 11. Die Rücksichtnahmepflichten ergeben sich auch im vertraglichen Bereich aus § 241 Abs. 2 BGB. 492 Vgl. unten S. 246 ff. 486 Es
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einen Erfüllungsanspruch, der mit der vertraglichen Pflicht des Schuldners zur vereinbarten Leistung korreliert. Kann der Schuldner dieser Leistungspflicht nicht gerecht werden, weil der geleistete Vertragsgegenstand nicht die vorgespiegelten Eigenschaften aufweist oder ein Mangel arglistig verschwiegen wurde493 – das ist die eigentliche vertragliche Pflichtverletzung –, stehen dem Gläubiger Sekundärleistungsansprüche in Form von Gewährleistungsrechten und Schadensersatzansprüchen zu, die anstelle der Primärleistung sein Erfüllungsinteresse befriedigen.494 Dadurch sanktioniert das Vertragsrecht Täuschungen (vertragliches Täuschungsverbot). Hier stellt sich die Frage nach der Konkurrenz zwischen vorvertraglichen und vertraglichen Pflichtverletzungen. Die unzulässige Einwirkung auf den Willen im vorkonsensualen Bereich durchzieht schließlich auch das vertragliche Pflichtenprogramm. Dieselbe Täuschung verletzt eine vorvertragliche Pflicht und begründet eine – jedenfalls, wenn die Wahrheit ans Licht gelangt – zum Scheitern verurteilte vertragliche Pflicht. Das Konkurrenzverhältnis ist seit langem streitig und wird durch die ganz herrschende Meinung durch einen grundsätzlichen Vorrang des vertraglichen Pflichtenprogramms ab Gefahrübergang gelöst, weil andernfalls die Voraussetzungen der Gewährleistungsrechte ausgehöhlt werden.495 Lediglich bei arglistigem Verhalten ist eine Ausnahme zu machen, weil dann keine Regelungen des besonderen Schuldrechts umgangen werden.496 Eine vertragliche Primärleistungspflichtverletzung kann nur bei Täuschungen eingreifen, weil nur propositionale Gehalte den Vertragsinhalt formen können. Eine Manipulation verdichtet sich nicht zu einem (unwahren) propositionalen Gehalt.497 Täuschungen, aber auch Manipulationen, können auch vertragliche Rücksichtnahmepflichten verletzen, etwa wenn ein Einflussnehmer nach Vertragsschluss den Adressaten unangemessen beeinflusst, z. B. wenn er ihn über die Bedienung der Kaufsache täuscht und dem Adressaten dadurch ein Schaden entsteht. Diese Fälle sind selten, meist wird eine Täuschung oder Manipulation bereits im vorkonsensualen Bereich auf den Adressaten einwirken, sodass dieser zum Vertragsschluss erst verleitet wird. b) Vorvertragliche Pflicht Das Institut der culpa in contrahendo erweitert das Pflichtenprogramm in den vorkonsensualen Bereich. Vorvertragliche Pflichten entstehen kraft Gesetzes und 493 Im Kaufrecht erweitert § 434 Abs. 3 Nr. 2 lit. b BGB den Beschaffenheitsbegriff auf Werbeaussagen des Verkäufers oder eines anderen Gliedes der Vertragskette. 494 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, § 27 5, S. 533. 495 BGHZ 180, 205 Rn. 19 ff.; BGH NJW-RR 2011, 462 Rn. 16; NJW 2013, 1671 Rn. 2 2; Emmerich, in: MüKo BGB, Bd. 3, 8. Aufl. 2019, § 311 Rn. 81. 496 BGHZ 180, 205 Rn. 24. 497 Vgl. oben S. 8 f.
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nicht durch den Willen der Parteien.498 Deshalb ist der Inhalt der Pflichten nicht mit Rekurs auf den potenziellen Vertragsinhalt zu bestimmen, sondern er ergibt sich unmittelbar aus der Werteordnung des Gesetzes. Allgemein bestimmt § 241 Abs. 2 BGB, dass jeden Teil Rücksichtnahmepflichten treffen. Der Begriff der Rücksicht ist offen, sodass die grundsätzliche Wertung des § 123 BGB, den der BGH als Sonderform einer culpa in contrahendo versteht,499 einfließen kann:500 Dem Recht zur Anfechtung bei einer Täuschung steht die Pflicht des Einflussnehmers gegenüber, bei Vertragsschluss – also bevor das vertragliche Pflichtenprogramm greift – nicht zu täuschen. Diese vorvertragliche Pflicht kann man um Fälle der besonders verwerflichen Manipulation erweitern, weil sie in einem vergleichbaren Maß auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Adressaten einwirken. Im angloamerikanischen Recht spricht man hier von undue influence.501 Diese Doktrin hat mittlerweile auch in das deutsche Recht Eingang gefunden: Teile der 498 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, § 33 8, S. 617. 499 So ausdrücklich BGH NJW-RR 1987, 59, 60 unter Bezug auf Schubert, AcP 168 (1968), 470, 504. 500 Zum Konkurrenzverhältnis unten S. 257. 501 Das angloamerikanische Recht erlaubt dem von einer unangemessenen Einflussnahme (undue influence) im vorkonsensualen Bereich Betroffenen, sich von einem Vertrag zu lösen (rescission), vgl. nur das US-amerikanische Restatement (Second) of Contracts § 177(2) (1981). Die Doktrin schützt dadurch vor Willensbeeinflussungen, die weder die Form eines Zwangs noch einer Täuschung einnehmen. Undue influence wird verstanden als „[…] unfair persuasion of a party who is under the domination of the person exercising the persuasion or who by virtue of the relation between them is justified in assuming that that person will not act in a manner inconsistent with his welfare.“, Restatement (Second ) of Contracts § 177(1) (1981). Um die Doktrin nicht ausufern zu lassen, beschränkt man sie auf Fälle, in denen eine domination besteht, d. h. eine unausgeglichene Machtbalance zwischen den Parteien. Die Restatements, die auf die bisherige Rechtsprechung aufbauen, nennen als Beispiel das Verhältnis zwischen Eltern und Kind, Ehepartnern, Pfarrer und sich ihm Anvertrauende sowie Arzt und Patienten, s. Restatement (Second ) of Contracts § 177 Comment a. (1981). Eine unangemessene Einflussnahme wurde beispielsweise angenommen bei einer schwangeren Witwe, die einen Tag nach der Beerdigung ihres erschossenen Ehemannes von einem Familienangehörigen aufgesucht wurde, um einen Erbverzicht zu unterzeichnen, Moore v. Moore, 81 Cal. 195, 22 P 589 (1889). Oder bei einem „homosexueller Handlungen verdächtigen“ Lehrer, der, nachdem er 40 Stunden schlaflos in Untersuchungshaft verbrachte, von Vertretern der Schule zuhause aufgesucht und zur Kündigung überredet wurde, Odorizzi v. Bloomfield School District, 246 Cal. App. 2d 123 (1966). In beiden Konstellationen wurden die Affekte bzw. die kognitive Erschöpfung durch den Einflussnehmer ausgenutzt und der jeweilige Adressat zu einer Entscheidung verleitet. In beiden Fällen bestand eine unausgeglichene Machtbalance: die schwangere Witwe, die nach dem Tod ihres Ehemanns nächtelang schlaflos lag, war gegenüber dem rational agierenden Familienangehörigen machtlos. Der Lehrer besaß bereits aufgrund seiner Arbeitnehmereigenschaft ein geringeres Machtgewicht, das durch die Auszehrungen der Untersuchungshaft marginalisiert wurde. Für das Vorliegen eines undue influence werden mehrere Kriterien bemüht, die ganz ähnlich wie die hier herausgearbeiteten Indikatoren auf den Kontext der Einflussnahme abstellen: „(1) discussion of the transaction at an unusual or inappropriate time, (2) consummation of the transaction in an unusual place, (3) insistent demand that the business be finished at once, (4) extreme emphasis on untoward consequences of delay, (5) the use of multiple persuaders by the dominant side against a single servient party, (6) absence of third-party advisers to the servient party, (7) statements that there is no time to consult financial advisers or attorneys.“, Odorizzi v. Bloomfield School District, 246 Cal. App. 2d 123, 133 (1966).
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Literatur502 und das BAG subsumieren derartige Fälle richtigerweise unter die culpa in contrahendo.503 Somit besteht auch im vorkonsensualen Bereich ein Täuschungs- und Manipulationsverbot. Verletzt der Einflussnehmer das vorvertragliche Täuschungs- und Manipulationsverbot, steht dem Adressaten ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB zu. Hierbei handelt es sich um eine Verschuldenshaftung, sodass bereits eine fahrlässige Einflussnahme genügt (§ 276 BGB). Ob eine Täuschung oder Manipulation fahrlässig ist, ist anhand der herausgearbeiteten ökonomischen Erwägungen zu bestimmen. Wenn der Einflussnehmer die negativen Auswirkungen seiner einflussnehmenden Aktivität nicht kosteneffektiv hätte vermeiden können, steht dem Adressaten kein Anspruch auf Vertragsaufhebung zu.504 c) Deliktische Pflicht Schließlich existieren gesetzliche Pflichten, die losgelöst von (vor-)vertraglichen Geschehnissen Rechtsunterworfenen Verpflichtungen auferlegen, die deliktischen Pflichten. Für das Recht der Einflussnahme relevant sind hier vor allem die Pflicht, die in § 823 Abs. 1 BGB genannten absoluten Rechtsgüter nicht zu verletzen (aa.), die Pflicht, das Vermögen eines anderen nicht zu schädigen (bb.), kapitalmarktrechtliche Informationspflichten (cc.) sowie neuerdings lauterkeitsrechtliche Pflichten (dd.). Bei einer Verletzung deliktischer Pflichten stellt sich zudem die Frage, wie „weit entfernt“ Geschädigte von der Einflussnahme stehen dürfen, um bei einer nur mittelbaren Schädigung in den Genuss eines Schadensersatzanspruchs zu kommen (ee.). aa) Ressourcenschäden Führt eine Einflussnahme zu Ressourcenschäden,505 etwa durch Schädigung des Lebens, Körpers oder der Gesundheit des Adressaten, liegt ein Verstoß gegen die in § 823 Abs. 1 BGB (ggf. i. V. m. den Grundsätzen zur Produzentenhaftung) statuierte Pflicht vor, absolute Rechtsgüter anderer nicht zu verletzen. Paradebeispiel hierfür ist eine Manipulation, die dazu führt, dass der Adressat die Gefährlichkeit eines Produkts unterschätzt, wodurch Schäden an Leib, Gesundheit oder Eigentum entstehen (Risikomanipulation).506 Daneben kommt die Produkthaftung nach dem ProdHaftG in Frage. Sie wird häufig als Gefährdungshaftung bezeichnet.507 Ein 502
Lorenz, JZ 1997, 277; ders., in: FS Canaris I, 2007, S. 777, 784 ff. das „Gebot fairen Verhandelns“ in der Rechtsprechung des BAG, NJW 2005, 3164 und jüngst BAG, NZA 2019, 688. Das Urteil stieß im arbeitsrechtlichen Schrifttum auf gemischte Kritik, s. Holler, NJW 2019, 2206; Fischinger, NZA-RR 2020, 516; Kamanabrou, RdA 2020, 201. S. auch bereits BAG NJW 2004, 2401; 2005, 3164. 504 Vgl. oben S. 165 ff. 505 Zum Begriff oben S. 135. 506 Vgl. oben S. 128. 507 S. nur RegE Bt.-Drs. 11/2447, S. 8, 11. 503 S.
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Verschulden ist nicht notwendig. Unbedingt ist sie gleichwohl nicht, weil der Hersteller nur für Produktfehler i. S. d. § 3 ProdHaftG einzustehen hat. Bei der Beurteilung, ob ein solcher vorliegt, findet eine verkappte Sorgfaltsprüfung statt, weshalb der Begriff „Gefährdungshaftung“ unpassend ist.508 Bei der Bestimmung, ob ein Fehler vorliegt, kann und sollte man eine Mikroabwägung vornehmen – sie stammt schließlich aus dem Produkthaftungsrecht.509 bb) Vermögen als solches Interessanter ist die Frage, ob auch ein deliktisches Täuschungs- und Manipulationsverbot bezüglich reiner Vermögensschäden besteht. Verwirklicht der Einflussnehmer durch eine Täuschung gleichzeitig den Betrugstatbestand des § 263 StGB, steht dem Adressaten ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zu. Auch eine Haftung für fahrlässige Täuschungen, die zur Kreditgefährdung führen, sieht das Gesetz in § 824 BGB vor. In anderen Fällen reiner Vermögensschädigungen kommt bekanntlich nur die „kleine deliktische Generalklausel“ des § 826 BGB in Betracht. Ein allgemeines Täuschungs- und Manipulationsverbot besteht daher nur für Einflussnahmen, die eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen. Zum Nachweis des Vorsatzes kann insoweit auf die obigen Ausführungen bei der Arglistanfechtung verwiesen werden.510 Sittenwidrigkeit ist ein offener Begriff, den die Rechtsprechung seit Zeiten des Reichsgerichts mit dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ umschreibt.511 Diese Definition ist nicht weniger offen als der Begriff „Sittenwidrigkeit“ selbst, weshalb damit nur wenig gewonnen ist.512 Der BGH führt weiter aus, die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens sei unter einer Gesamtschau aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen zu beurteilen.513 Die Mittel-Zweck-Relation ist daher das Kriterium, mit dem sich die „erwünschten, durch faires Verhalten zugefügten Vermögensschäden“ – beispielsweise durch lauteren Wettbewerb – „von den rechtswidrigen Schädigungen“ unterscheiden lassen.514 Der BGH betont, dass eine arglistige Täuschung regelmäßig eine Sittenwidrigkeit indiziere.515 Bei Täuschungen auf dem Kapitalmarkt geht der II. Zivilsenat des BGH davon aus, dass zumindest eine 508 Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, Einl. ProdhaftG Rn. 18 ff.; Wagner, Deliktsrecht, 14. Aufl. 2021, Kap. 9 Rn. 11; Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 131. 509 Vgl. oben S. 168 ff. 510 Vgl. oben S. 240. 511 RGZ 48, 114, 124; jüngst BGH NJW 2020, 1962, 1963 Rn. 15. 512 Kritisch auch Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 10: Es handele sich „um eine klassische Leerformel, die dem Rechtsanwender keinerlei Hilfestellung bietet und die maßgeblichen Wertungen verdeckt anstatt sie offen zu legen.“ 513 S. nur BGH NJW 2020, 1962, 1963 Rn. 15: „Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist“. 514 Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 3. 515 BGH NJW 1960, 237; NJW 1962, 1196, 1198; WM 1969, 496, 498; ZIP 1984, 439, 441; NJW 1992, 1323, 1325; VersR 2005, 418; NJW 2020, 1962 Rn. 46 ff.
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„grob unrichtige“ Mitteilung auf Sittenwidrigkeit hindeute.516 Eine Erklärung, wann eine Behauptung „grob unrichtig“ ist, bleibt er schuldig. Hier bietet es sich an, auf den herausgearbeiteten Grad der Verbindlichkeit einer Äußerung zurückzugreifen – semantische Täuschungen sind jedenfalls „gröber unrichtig“ als pragmatische Täuschungen. Auch besonders verwerfliche Manipulationen nach der Konzeption dieser Untersuchung517 werden regelmäßig das Merkmal der Sittenwidrigkeit erfüllen. Im Übrigen lässt sich das Merkmal der Sittenwidrigkeit auch durch eine Kosten-Nutzen-Analyse518 füllen, sodass eine Einflussnahme eine Sittenwidrigkeit indiziert, wenn Kosten und Nutzen evident auseinanderfallen. cc) Spezialgesetzliche Kapitalmarktpflichten Neben dem allgemeinen Täuschungs- und Manipulationsverbot in § 826 BGB sieht das Kapitalmarktrecht bei Verstößen gegen bestimmte Verhaltenspflichten eigene Schadensersatzansprüche vor. Hierbei handelt es sich um spezialgesetzliche Täuschungsverbote, die aus einer Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen resultieren, namentlich die Prospekthaftung und die Sekundärmarktinformationshaftung. Die Prospekthaftung findet sich in verschiedenen Erscheinungsformen in den §§ 9 ff. WpPG, §§ 20 ff. VermAnlG sowie in den §§ 306 f. KAGB. Ein Prospekt stellt die „wichtigste und häufigste Informationsquelle“ für Anleger dar.519 Der Emittent hat die Pflicht, die für die Beurteilung der Wertpapiere wesentlichen Angaben richtig und vollständig wiederzugeben. Verletzt er diese Pflicht durch eine Täuschung, steht Anlegern ein Schadensersatzanspruch nach § 9 WpPG gegen den Emittenten sowie die mitzeichnenden Emissionsbanken zu, sofern sie die Fehlerhaftigkeit gekannt haben oder ihre Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht, was vermutet wird (§ 12 Abs. 1 WpPG). Die spezialgesetzliche Sekundärmarktinformationshaftung (§§ 97, 98 WpHG) baut auf der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Art. 17 MAR auf. Unterlässt ein Emittent die Veröffentlichung einer nach Art. 17 MAR publizitätspflichtigen Insiderinformation oder veröffentlicht er eine unwahre Insiderinformation, ist er Anlegern zum Ersatz des dadurch entstehenden Schadens verpflichtet. Die Haftung ist aus516 BGHZ 160, 149, 157 und BGH WM 2004, 1726, 1730, jeweils in Bezug auf Ad-hoc-Mitteilungen. Später hat der Senat klargestellt, dass dies auch für andere Informationsbereitstellungen gilt, s. BGH NZG 2008, 382, 384; NZG 2008, 384. Der IX. Zivilsenat hat im IKB-Urteil diese Aussage relativiert und, weil es sich dort nicht um eine Ad-hoc-Mitteilung handelte, eine Sittenwidrigkeit verneint, s. BGH NJW 2012, 1800, 1803 Rn. 27 ff. Diese Aussage sollte man jedoch nicht überbewerten, weil sich das Gericht hierbei auf die eine eingeschränkte Prüfung des Berufungsurteils beschränkt hat, s. hierzu Schmolke, ZBB 2012, 165, 170. 517 Vgl. oben S. 226 f. 518 Die vorzunehmende Kosten-Nutzen-Analyse erfolgt bei Einflussnahmen im Zwei-Personen-Verhältnis anhand der „Learned Hand“-Formel (oben S. 166 f.), bei Masseneinflussnahmen anhand einer Mikroabwägung (oben S. 168 ff.). 519 S. nur BGHZ 160, 134, 138 – Infomatec I; BGH NJW 2011, 2719, 2720.
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geschlossen, wenn die Publizitätspflichtverletzung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht, wobei auch hier den Emittenten die Beweislast trifft (§§ 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 WpHG). Die Kapitalmarktinformationshaftung erfasst bereits dem Wortlaut nach („fehlerhaft“, „unrichtig“, „unvollständig“, „falsch“) nur Täuschungen.520 Da kapitalmarktrechtliche Informationspflichtverletzungen eine Vielzahl von Adressaten erreichen, bietet sich auch hier eine in den „verständigen Anleger“ eingebettete Mikroabwägung an.521 Dem Emittenten ist kein (grober) Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen, wenn die Grenzkosten einer alternativen Darstellung höher wären als der damit verbundene Grenznutzen. dd) Lauterkeitsrechtliche Pflichten Durch das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht522 wurde mit Wirkung zum 28.5.2022 in § 9 Abs. 2 UWG ein neuer Schadensersatzanspruch für Verbraucher eingeführt. Danach können Verbraucher, die durch eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung fahrlässig oder vorsätzlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst wurden, die sie andernfalls nicht getroffen hätten, den daraus entstehenden Schaden ersetzt verlangen. Auf die Tatbestandsvoraussetzungen, die beispielsweise in einer aggressiven oder irreführenden geschäftlichen Handlung liegen (lauterkeitsrechtliches Täuschungs- und Manipulationsverbot), wird an späterer Stelle im Detail eingegangen.523 Die im Folgenden geschilderten Ausführungen zum ersatzfähigen Schaden gelten jedoch auch für § 9 Abs. 2 UWG. ee) Mittelbare Schädigungen und Schutzzweckzusammenhang Der Schutzzweckzusammenhang beschreibt die Feststellung, ob das Recht dem Einflussnehmer die Verantwortung für den Eintritt eines Schadens zuweisen möchte. Im Kontext einer Einflussnahme ist danach zu fragen, ob das Täuschungs520 Mit Ausnahme der nicht-sprachlichen Täuschung werden alle Täuschungstypen erfasst, d. h. semantische und pragmatische Täuschungen. Zwar spricht bspw. § 98 Abs. 1 WpHG von einer „unwahren Insiderinformation“ – was eine Beschränkung auf semantische Täuschungen nahelegt. Sinn und Zweck sprechen jedoch auch dafür, dass pragmatische Täuschungen erfasst werden, weil nur so Emittenten von Täuschungen ausreichend abgeschreckt werden. Sähe man das anders, ließe sich der Wortlaut für eine Beschränkung der Haftung auf semantische Täuschungen anführen. Beurteilungsmaßstab der §§ 97, 98 WpHG ist die Maßfigur des verständigen Anlegers (Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 97 WpHG Rn. 99), bei der Prospekthaftung stellt die Rechtsprechung auf den durchschnittlichen Anleger ab. Letzterer muss mit der gebräuchlichen Schlüsselsprache nicht vertraut sein, den Prospekt jedoch nicht nur flüchtig, sondern sorgfältig und eingehend lesen, Assmann/Kumpan, in: Assmann/ Schütze/Buck-Heeb, Handbuch Kapitalanlagerecht, 5. Aufl. 2020, § 5 Rn. 139 ff. 521 Vgl. oben S. 168 ff. 522 Vom 10. August 2021, BGBl. I S. 3504. 523 Vgl. unten S. 269 ff.
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und Manipulationsverbot – als verletzte Verhaltensnorm – auch mittelbar Geschädigten einen Anspruch zubilligen möchte. „Mittelbarkeit“ kann hier zweierlei meinen: Einerseits besteht eine Mittelbarkeit, wenn zwar der Einflussnehmer den Adressaten beeinflusst, der Schaden jedoch durch eine Transaktion zwischen dem Adressaten und einem Dritten entsteht. Paradigmatisch hierfür ist der Fall, in dem ein Hersteller über Produkteigenschaften täuscht, der Adressat das Produkt jedoch von einem Dritten kauft. Erst durch den Kauf entsteht ihm ein Schaden, weshalb sich hier von einer Mittelbarkeit sprechen lässt. Andererseits können durch eine Einflussnahme auch Marktteilnehmer geschädigt werden, die nicht selbst Adressaten der Täuschung oder Manipulation waren. Derartige Schäden entstehen mittelbar, sofern Preiskausalität besteht,524 durch den Einfluss auf den Preisbildungsmechanismus.525 Beispielsweise könnte ein Marktteilnehmer geschädigt werden, weil er ein Produkt zu teuer kauft oder zu billig verkauft. Nach der Rechtsprechung des BGH sind in beiden Konstellationen mittelbar Betroffene nur unter bestimmten Voraussetzungen in den Schutzbereich des § 826 BGB einbezogen. Schutzwürdig seien nur solche Dritte, die „ihren Schaden nicht nur als Reflex des dem unmittelbar Verletzten entstandenen Schadens erlitten haben“.526 Eine nicht nur reflexartige Folge ist die Vermögensschädigung eines mittelbar Verletzten dann, wenn sich die Sittenwidrigkeit des Verhaltens auch auf sie bezieht.527 Man könnte auch anders vorgehen und fragen, warum gerade diese Schäden – trotz der allgemeinen „Diskriminierung“ reiner Vermögensschäden durch die beschränkte Generalklausel – ersatzfähig sein sollten.528 Damit geht es um die Grenze legitimer und illegitimer Vermögensschädigungen. Sieht man die Wohlfahrtsmaximierung als regulatorisches Ziel, sollte man den Schutzzweckzusammenhang funktional interpretieren.529 Der Einflussnehmer sollte dann für mittelbare Schäden einstehen, wenn ihn die drohende Haftung von wohlfahrtsschädlichem Verhalten abschreckt. Deshalb sollten erstens jene Schäden aus dem Schutzzweck herausfallen, die der Einflussnehmer bei seiner Einflussnahme nicht vorhersehen konnte. Nur eine vorhersehbare Haftung kann eine Abschreckungswirkung entfalten.530 Jedoch sollte der Einflussnehmer zweitens jene Schä-
524
Zur Preiskausalität oben S. 230 ff. Vgl. oben S. 130 ff. 526 BGH NJW 1979, 1599, 1600. 527 BGH NJW 1979, 1599, 1600: „[W]enn im Verhältnis zwischen dem Schädiger und [dem Dritten] die Vermögensverletzung ebenfalls sittenwidrig ist.“; BGH NJW 2019, 2164, 2165 Rn. 8: „[D]en Schädiger [muss] das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen [treffen], der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht“. 528 Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 13. 529 S. hierzu Calabresi, 43 U. Chi. L. Rev. 69, 73 ff., 81 ff. (1975). 530 Calabresi, 43 U. Chi. L. Rev. 69, 81 (1975): „What, one may ask, is the use of trying to penalize or deter collectively those acts or activities whose propensity for harm cannot be known at the time the action takes place?“ Zudem kann er nur dann der cheapest cost avoider sein, wenn er weiß, wie er die Schäden vermeiden könnte. Auch hierfür bedarf es der Vorhersehbarkeit, s. ebd. S. 87. Bei einer absichtlichen Einflussnahme wird es auf die Frage des cheapest cost avoider jedoch 525
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den ersetzen, aus denen er mittelbar Vorteile zieht.531 Andernfalls besteht die Gefahr einer Unterabschreckung, weil ihm die Einflussnahme mehr nützt als sie ihn kostet.532 Täuscht beispielsweise ein Hersteller die gesamte Marktgegenseite, profitiert er aus jeder einzelnen, täuschungsbedingt eingegangenen Transaktion mittelbar, ganz egal, mit welchem Händler die Adressaten einen Vertrag schließen. Wären diese Schäden nicht ersatzfähig, hätte der Einflussnehmer keinen Anreiz, die Täuschung zu unterlassen. 2. Ersatzfähiger Schaden Während im Vertragsrecht das positive Interesse ersatzfähig ist, kann der Geschädigte bei einer culpa in contrahendo und bei einer deliktischen Pflichtverletzung nur sein negatives Interesse ersetzt verlangen (a.). Im Kontext einer Einflussnahme kann der Adressat sein negatives Interesse auf unterschiedliche Arten ersetzt verlangen: als Vertragsabschlussschaden (b.), als entgangener Gewinn (c.) und als sog. „kleiner Schadensersatz“ (d.). a) Interesse Nach traditioneller Sicht dient der Schadensersatz der Kompensation von Einbußen, die der Adressat aufgrund der Einflussnahme erlitten hat. Er ist so zu stellen, wie er stünde, wenn sich der Einflussnehmer ordnungsgemäß verhalten hätte (§ 249 Abs. 1 BGB). Man spricht hier vom „Interesse“, das Friedrich Mommsen mit der heute üblichen Differenzhypothese beschrieb: „Unter dem Interesse in seiner technischen Bedeutung verstehen wir nämlich die Differenz zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person, wie der selbe in einem gegebenen Zeitpunkte ist, mit dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft eines bestimmten beschädigenden Ereignisses in dem zur Frage stehenden Zeitpunkt haben würde.“533
Konkret sind zwei Interessen denkbar, die man der im deutschen Recht gebräuchlichen Terminologie folgend als positives Interesse und negatives Interesse bezeichnen kann.534 Im deutschen Recht ist das positive Interesse nur im Rahmen einer
meistens nicht ankommen. Der Einflussnehmer müsste lediglich die Einflussnahme einstellen – das kostet ihn nichts, meistens spart er sich sogar Aufwendungen, vgl. oben S. 174 f. 531 Vgl. hierzu unten S. 264 ff. 532 Vgl. oben S. 164. 533 Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 1855, S. 4. 534 S. hierzu Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 127 ff. Die Bezeichnung stammt von Jhering, JherJ 4 (1861), 1, 16: „[…] ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Contracts, also an der Erfüllung – hier wäre der Käufer in einem Geldäquivalent alles erhalten, was er im Fall der Gültigkeit des Contracts gehabt haben würde – und sodann als ein Interesse am Nichtabschluß des Contracts – hier würde er erhalten, was er haben würde, wenn die äußere Thatsache des Contractsabschlusses gar nicht vorgenommen wäre. Einige Beispiele werden diesen Unter-
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vertraglichen Beziehung ersatzfähig.535 Der Adressat ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vertrags stünde.536 Man spricht hier deshalb auch vom „Erfüllungsinteresse“, oder im angloamerikanischen Rechtskreis passenderweise vom „benefit of the bargain“537. Bei einer Täuschung ist der Adressat so zu stellen, als „wenn die Erklärungen der Vertragsteile auf Wahrheit beruht hätten.“538 Die Höhe entspricht der Differenz zwischen dem Wert, den der Transaktionsgegenstand bei Wahrheit der vermittelten Propositionen hätte und dem tatsächlichen Wert. Bei beiden Wertposten ist auf den jeweiligen Marktpreis abzustellen.539 Das Erfüllungsinteresse eines Adressaten, der durch eine Manipulation zu einem Rechtsgeschäft bewogen wurde, ist schwieriger zu bestimmen. Hier kann das Gericht nicht auf einen Marktpreis abstellen, dem der Wert des Transaktionsgegenstandes bei Wahrheit einer Proposition entspräche, weil die Manipulation von Propositionen unabhängig ist. Für die Bestimmung des positiven Interesses muss das Gericht wissen, welche Erwartung der Adressat aufgrund der Manipulation von dem Vertrag hatte. Das Erfüllungsinteresse kennt, wenn überhaupt, nur der Adressat selbst aufgrund seiner subjektiven Nutzeneinschätzung. In diesen Fällen ist ein Vertragsaufhebungsanspruch vorzugswürdig. Eine Besonderheit besteht auf dem Kapitalmarkt. Auf einem liquiden Kapitalmarkt gibt es kein Erfüllungsinteresse im Sinne eines „benefit of the bargain“.540 Manche Anleger sind zwar auch auf dem Kapitalmarkt auf der Suche nach einem „Schnäppchen“, aber auf einem effizienten Markt gibt es diese nicht.541 Der Kurs spiegelt alle öffentlich bekannten Informationen wider, sodass niemand den Markt schlagen kann. Deshalb entspricht das positive Interesse stets dem negativen:542 der
schied, den ich der Kürze wegen mit positivem und negativem Vertragsinteresse bezeichnen will, klar machen. […]“. 535 In Bezug auf die culpa in contrahendo bereits Jhering, JherJ 4 (1861), 1, 16: „Das Interesse der ersten Art [das positive Interesse] hat die Gültigkeit, das der zweiten [das negative Interesse] die Ungültigkeit des Contracts zur Grundlage.“ 536 Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 128. 537 So definiert das US-amerikanische Restatement (Second) of Contracts (1981) in § 344 lit. a das Erfüllungsinteresse: „‘expectation interest’, which is his interest in having the benefit of his bargain by being put in as good as position as he would have been in had the contract been performed“. 538 So RGZ 59, 155, 157, das nach einer arglistigen Täuschung im Rahmen des § 826 BGB das positive Interesse für ersatzfähig hielt. Davon hat das RG später wieder Abstand genommen und den Schadensersatz auf das negative Interesse beschränkt, s. RGZ 66, 336, 337; 103, 154, 159 f. Hierzu Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 73. 539 Wenn der Schadensersatz die Höhe des Marktpreises hat, könnte der Geschädigte mit dieser Summe eine Ersatzbeschaffung tätigen und so sein positives Interesse befriedigen. 540 Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 631 (1985). 541 Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 631 (1985). 542 Deshalb muss man nicht wie Möllers/Leisch, BKR 2002, 1071, 1072 darauf abstellen, dass es auf dem Sekundärmarkt keine vertragliche Verbindung zwischen dem Emittenten und dem Anleger gibt. S. auch Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 611, 630 f. (1985). S. ferner bereits Eisele, JherJ 25 (1887), 414, 501: 501 „Daraus erhellt, daß im kaufmännischen Verkehr, wo es sich um marktgängige Waaren handelt, daß negatives und positives Vertragsinteresse sich decken […]“.
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Wertdifferenz zwischen dem täuschungsbedingten Kurs und dem, der ohne die Täuschung bestünde. Im Fokus der weiteren Ausführungen wird das negative Interesse stehen. Ersatzfähig ist es bei einer außervertraglichen Haftung, sei es aus culpa in contrahendo oder aus Deliktsrecht. Eine frühe Entscheidung des Reichsgerichts, wonach der arglistig Täuschende durch § 826 BGB auf Erfüllung haften soll, ist ein Einzelfall geblieben.543 Vielmehr ist auf den Zustand abzustellen, der ohne die Einflussnahme bestünde. Es entspricht dem Interesse des Adressaten an der Integrität seiner Rechtsgüter, insbesondere des eigenen Vermögens in seinem Bestand.544 Zwar wird in der Literatur vertreten, die Terminologie „negatives Interesse“ sollte bei deliktischen Schädigungen nicht verwendet werden, weil es mangels Sonderverbindung kein positives Interesse gebe, das begrifflich einen Gegensatz bilden kann.545 Vorzugswürdig seien die Begriffe des „Integritäts-“ oder „Erhaltungsinteresses“.546 Das mag für die meisten außervertraglichen Schädigungen stimmen. Bei einer Täuschung oder einer Manipulation ist eine Differenzierung nach den Kategorien „negativ“ und „positiv“ trotzdem angezeigt. Schließlich geht der Adressat infolge der Beeinflussung eine Transaktion ein, die hinter dem zurückbleibt, was er eigentlich wollte. Dem Erhaltungsinteresse steht damit ein Erfüllungsinteresse gegenüber, auch wenn der Adressat letzteres grundsätzlich nicht über deliktische Anspruchsgrundlagen befriedigen kann. Neben den Kosten, die dem Adressaten im Vertrauen 547 auf die Wahrheit der vermittelten Proposition entstehen (Vertragsschlusskosten, Fahrtkosten, Rückab543 RGZ 59, 155, 157. Davon hat es später wieder Abstand genommen und den Schadensersatz auf das negative Interesse beschränkt, s. RGZ 66, 336, 337; 103, 154, 159 f. Rechtsvergleichend ist bemerkenswert, dass die angloamerikanische Rechtsprechung bei einer fraudulent misrepresentation auch das positive Interesse (expectation interest) für ersatzfähig hält; darüber hinaus kommen dann auch punitive damages in Betracht. Angefangen mit Stiles v. White, 52 Mass. (11 Met.) 356 (1856), über Hallen v. Martin, 167 N.W. 314, 319 (S.D. 1918), wurde es letztlich in den Restatement (Second) of Torts § 549(2) (1977) verankert: „The recipient of a fraudulent misrepresentation in a business transaction is also entitled to recover additional damages sufficient to give him the benefit of his contract […]“. Es ist aber nicht die Regel, sondern eine Ausnahme zum eigentlich nur ersatzfähigen reliance interest. S. für einen Überblick über die Rechtsprechung Monserud, 1996 Colum. Bus. L. Rev. 423 (1996). Anders in England, wo Gerichte im Rahmen der Haftung nach § 2 (1) Misrepresentation Act 1967 zunächst von der Ersatzfähigkeit des positiven Interesses ausgingen, s. Gosling v. Anderson (1972) EGD 709; Jarvis v. Swan’s Tours (1973) QB 233; Watt v. Spence (1976) Ch 165, später aber auf das negative Interesse (reliance interest) übergingen, Royscot Trust Ltd v. Rogerson (1991) 2 QB 297, Sharneyford Supplies Ltd v. Barrington Black and Co (1987) Ch 305, 323. S. hierzu McKendrick, Contract Law, 11. Aufl. 2015, S. 238; vgl. auch Taylor, 45 Mod. L. Rev. 139 (1982). 544 Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 12. 545 Etwa Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 130; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Schuldrecht I, 1987, § 27 II b 4, S. 431. Differenzierend Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 12 ff., insb. S. 14: Es „kann und sollte immer dann, wenn das Interesse des Geschädigten in entgegengesetzten Richtungen weisen kann, zwischen positivem und negativem Interesse unterschieden werden.“ 546 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Schuldrecht I, 1987, § 27 II b 4, S. 431. 547 Deshalb ist bei dem negativen Interesse in diesem Zusammenhang auch vom „Vertrauensinteresse“ die Rede, s. Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 129.
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wicklungskosten, Verwendungen),548 sind verschiedene grundlegende Schadensposten denkbar: die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit („Vertragsabschlussschaden“) (b.), der entgangene Gewinn (c.) und der Differenzschaden, der durch den sog. „kleinen Schadensersatz“ befriedigt wird (d.). b) Vertragsabschlussschaden Hat der Einflussnehmer den Adressaten durch eine Täuschung oder eine Manipulation zu einem Vertragsschluss bewogen, ist in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit ein Schaden zu erkennen.549 Im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) kann der geschädigte Adressat dann die Rückgängigmachung des Vertrags verlangen („Vertragsaufhebungsanspruch“). Das gilt sowohl für Transaktionen auf Produktmärkten als auch auf Kapitalmärkten. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne die Täuschung und Manipulation stünde. War die Einflussnahme transaktionskausal, wäre er die Transaktion nicht eingegangen. Transaktionskausalität ist demnach eine unverzichtbare Voraussetzung für die Geltendmachung des Vertragsabschlussschadens.550 Der Anspruch verjährt nach der regelmäßigen, dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB,551 obgleich Teile der Literatur im Falle der Täuschung die Jahresfrist des § 124 BGB analog anwenden wollen.552 Die Ersatzfähigkeit des Vertragsabschlussschadens führt bei einer culpa in contrahendo im Falle einer Täuschung zu einem Konkurrenzverhältnis zum Anfechtungsrecht (aa.). Bei § 826 BGB besteht die Besonderheit, dass ein Vertragsaufhebungsanspruch auch bei mittelbaren Schädigungen entstehen kann (bb.).
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S. bereits Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, 1855, S. 140. NJW 1972, 36; Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 73. S. bereits Motive II, 1888, S. 20 f.: „Vermöge des Grundsatzes, wonach der Schadensersatz durch Herstellung desjenigen Zustandes zu leisten ist, welcher ohne den zum Ersatze verpflichtenden Umstand vorhanden sein würde, kann z. B. auch der durch Drohung oder Betrug […] Beschädigte geeignetenfalls statt der dinglich wirkenden Anfechtung […] den im Schadensersatzanspruch liegenden obligatorischen Restitutionsanspruch wählen, was für ihn im Hinblick auf die für die Anfechtung gesetzte kurze Präklusivfrist und die längere Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch […] von Interesse sein kann.“ 550 Vgl. zur Transaktionskausalität oben S. 228 ff. 551 Die Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Adressat von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Einflussnehmers Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199 Abs. 1 BGB. S. BGHZ 42, 41; BGH NJW 1962, 1198; NJW-RR 2002, 308, 310; NJW 2013, 1591 Rn. 9. S. auch Mertens, AcP 203 (2003), 818, 845 ff.; Rösler, AcP 207 (2007), 564, 604 f. 552 Zur culpa in contrahendo: Henrich, AcP 162 (1963), 88, 104; Canaris, AcP 200 (2000), 273; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 119 f.; Armbrüster, in: MüKo BGB, Bd. 1, 9. Aufl. 2021, § 123 Rn. 104 (der im Falle einer fahrlässigen Täuschung § 121 BGB analog, im Falle einer vorsätzlichen Täuschung § 124 BGB analog anwenden möchte); Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 137 ff., 153 ff. (der die fahrlässige Täuschung unter § 123 BGB fassen möchte). 549 BGH
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aa) Konkurrenzverhältnis von c.i.c. und Anfechtung Die Vertragsaufhebung im Wege eines Schadensersatzanspruchs führt zur Rückgängigmachung des eingegangenen Rechtsgeschäfts. Hierbei steht die Vertragsaufhebung durch culpa in contrahendo im Falle einer Täuschung in direkter Konkurrenz mit dem Anfechtungsrecht aus § 123 BGB.553 Der Schadensersatzanspruch greift bereits bei Fahrlässigkeit, während die Anfechtung eine vorsätzliche Täuschung voraussetzt. Das Konkurrenzverhältnis war bis zum letzten Jahrhundert streitig, gilt heute aber als geklärt. Nach ganz h. M. sind beide Rechtsinstitute richtigerweise nebeneinander anwendbar.554 Der BGH bemüht zur Abgrenzung beider Rechtsinstitute ihre Schutzgüter: § 123 BGB schütze die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet, während der Ersatzanspruch aus culpa in contrahendo das Vermögen schütze.555 Deshalb müsse der Adressat für einen Vertragsaufhebungsanspruch aus culpa in contrahendo stets einen „Vermögensschaden“ nachweisen.556 Freilich erfordert § 249 Abs. 1 BGB keinen Schaden am Vermögen – eine Naturalrestitution ist schließlich auch bei immateriellen Interessen möglich 557 –, weshalb man auf dieses Erfordernis richtigerweise verzichten sollte.558 bb) Mittelbare Schädigungen Sofern der Schutzzweckzusammenhang gegeben ist,559 kann ein Vertragsaufhebungsanspruch aus § 826 BGB auch einem Adressaten zustehen, der nicht mit dem Einflussnehmer in einer (vor-)vertraglichen Sonderverbindung steht. Hierfür muss der Einflussnehmer dem Adressaten den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des erworbenen Gutes erstatten, selbst wenn zwischen ihnen niemals ein Vertrag geschlossen wurde. Beispielsweise musste die Volkswagen AG im Rahmen des „Dieselskandals“ die Fahrzeuge betroffener Kunden zurücknehmen, obwohl diese die Kaufverträge mit dritten Autohändlern geschlossen hatten.560 Gleiches gilt im Falle der Kapitalmarktinformationshaftung nach § 826 BGB. Macht ein Anleger den Vertragsabschlussschaden geltend, ist die Transaktion des geschädigten Anle553 BGH NJW 1962, 1196, 1198; NJW 1968, 986, 987 NJW 1978, 2145, 2148; NJW 1979, 1983 1769, 1771; NJW 1989; NJW 1993, 2107; NJW 1997, 254; NJW-RR 2004, 628, 630. S. aus der Literatur Henrich, AcP 162 (1963), 88, 104; Armbrüster, in: MüKo BGB, Bd. 1, 9. Aufl. 2021, § 123 Rn. 103; Emmerich, in: MüKo BGB, Bd. 3, 8. Aufl. 2019, § 311 Rn. 77 f. 554 Vgl. nur BGH NJW 1998, 302, 303; Armbrüster, in: MüKo BGB, Bd. 1, 9. Aufl. 2021, § 123 Rn. 103 f. 555 BGH NJW 1998, 302, 303. Dieser Begründungsansatz stammt von Schubert, AcP 168 (1968), 470, 504 f. und ist, worauf Wagner, ZGR 2008, 495, 508 hinweist, wohl eine Reminiszenz an das römische Recht. 556 BGH NJW 1998, 302, 303. 557 Schiemann, in: Staudinger, 2021, § 249 Rn. 195. 558 Hierzu im Detail Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 108 ff.; s. auch Schiemann, in: Staudinger, 2021, § 249 Rn. 195. 559 Vgl. oben S. 251 ff. 560 BGH NJW 2020, 1962 Rn. 12. Gegebenenfalls müssen gezogene Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs angerechnet werden. S. zu dem „Dieselskandal“ noch unten S. 260 ff.
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gers rückgängig zu machen, indem er dem Emittenten die (von einem dritten Marktteilnehmer erworbenen) Finanzinstrumente Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises überträgt.561 Sind sie bereits veräußert worden, tritt der Veräußerungserlös an die Stelle des Finanzinstruments und wird mit dem Kaufpreiserstattungsanspruch saldiert.562 c) Entgangener Gewinn Hätte der Adressat ohne die Einflussnahme den Vertrag zu günstigeren Konditionen mit seinem Vertragspartner oder mit einem Dritten geschlossen, kann auch das dortige – hypothetische – Erfüllungsinteresse als entgangener Gewinn nach § 252 BGB ersatzfähig sein.563 Der Geschädigte hat hierfür, freilich unter den Erleichterungen der § 252 S. 2 BGB und § 287 ZPO,564 darzulegen und zu beweisen, dass der andere Vertrag zu diesen günstigen Konditionen zustande gekommen wäre. Auf einem kompetitiven Markt ist der Anspruch regelmäßig gegeben, weil der Geschädigte jederzeit mit einem anderen Anbieter den Vertrag hätte schließen können.565 d) „Kleiner Schadensersatz“ Im Falle einer Täuschung über Produkteigenschaften kann der Geschädigte auch an dem Vertrag festhalten und den einflussbedingten Minderwert als Schadensposten geltend machen. Dieser entspricht der Wertdifferenz zwischen dem gezahlten Preis und dem tatsächlichen Wert.566 Man bezeichnet ihn im Kapitalmarktrecht passenderweise als „Kursdifferenzschaden“,567 allgemein auch als „kleinen Schadensersatz“.568 Zunächst wird knapp auf sein Wesen und seine dogmatische Grundlage eingegangen (aa.). Am Beispiel des „Dieselskandals“ und der Haftung nach § 826 BGB aufgrund einer arglistigen Täuschung wird seine praktische Bedeutung klar (bb.). Bei Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes ist erneut auf die Frage zurückzukommen, ob Geschädigte den Nachweis einer Transaktionskausalität erbringen müssen (cc.).
561 BGHZ 160, 149, 153 – Infomatec II; BGH NJW 2005, 2450, 2451 – EM.TV; ZIP 2007, 1564 Rn. 10; ZIP 2008, 407 Rn. 10; ZIP 2008, 410 Rn. 10. 562 BGH NJW 2005, 2450, 2451 – EM.TV. 563 Vgl. BGH NJW 1960, 237, 238; Arnold, in: Erman BGB, 16. Aufl. 2020, § 123 Rn. 7; Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 320 ff. 564 Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 321. 565 Vgl. Markovits/Rauterberg, Contracts, 2018, S. 246. S. hierzu grundlegend Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 52 (1936); Fuller/Perdue, 46 Yale L. J. 373 (1937). 566 BGH NJW 2018, 1675, 1676 Rn. 12. S. auch BGHZ 69, 53, 56, 58; BGH NJW 1980, 2408, 2410; NJW 1989, 1793, 1794; NJW-RR 1989, 150, 152; NJW 2001, 2875, 2876 f. NJW 2006, 3139, 3141 Rn. 22. 567 Etwa BGH NJW 2012, 1800, 1807 Rn. 67 – IKB. S. zum Kursdifferenzschaden und der damit zusammenhängenden Frage der Preiskausalität bereits oben S. 230 ff. 568 Etwa BGH NJW 2018, 1675, 1676 Rn. 12.
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aa) Wesen und Dogmatik Der kleine Schadensersatz als Verwirklichung des negativen Interesses ist streng von der vertraglichen Minderung oder dem „kleinen Schadensersatz“ in § 281 Abs. 1 BGB zu unterscheiden, die jeweils das positive Interesse betreffen. Anders als im Vertragsrecht ist der Bezugspunkt für die Berechnung des Minderwerts nicht die Differenz „zwischen dem Wert der empfangenen Leistung und dem Wert, den die Leistung hätte, wenn sie ‚wie geschuldet‘ erbracht worden wäre“.569 Der Minderwert im Rahmen des negativen Interesses berechnet sich aus der Differenz zwischen dem Wert des erhaltenen Gegenstandes und der vom Geschädigten entrichteten Zahlung.570 Die Berechnung erfolgt damit auch anders als die Minderung im Kaufrecht, die nach § 441 Abs. 3 BGB, wie das positive Interesse, auf das Verhältnis zwischen „Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert“ abstellt. Der kleine Schadensersatz ist auch keine Form des entgangenen Gewinns. Es spielt keine Rolle, ob der Geschädigte ohne die Einflussnahme einen Alternativvertrag geschlossen hätte. Der kleine Schadensersatz folgt aus einer Betrachtung der Vermögenslage des Geschädigten vor und nach der Einflussnahme. Der Geschädigte erleidet einen Vermögensverlust, weil er einen Preis für ein Gut zahlt, das den Preis nicht wert ist, er es also zu teuer kauft, oder, im Falle eines Verkaufes, zu billig verkauft. Seine dogmatische Grundlage findet der kleine Schadensersatz nicht unmittelbar in § 249 Abs. 1 BGB. Die eigentliche „Naturalrestitution“ in den hier interessierenden Sachverhalten entspricht einer Vertragsaufhebung, wie sie weiter oben beschrieben wurde.571 Die Konstellation, in der anstelle der Naturalrestitution ein Geldersatz tritt, regelt vielmehr § 251 BGB.572 Entweder sieht man in dem kleinen Schadensersatz eine Möglichkeit der Entschädigung in Geld, weil die Herstellung (Vertragsaufhebung) „nicht genügend ist“ und wendet den § 251 Abs. 1 Alt. 2 BGB direkt an.573 Oder man reduziert den § 251 Abs. 1 Alt. 2 BGB teleologisch,574 weil der kleine Schadensersatz ein aliud zum Vertragsaufhebungsanspruch darstellt und es keinen Anlass gibt, den Geschädigten seiner Dispositionsfreiheit über den geschlossenen Vertrag zu berauben.575 Der BGH äußert sich hierzu nicht, sondern sieht den Schadensposten schlicht als ersatzfähig an.576 569
Ernst, in: MüKo BGB, Bd. 2, 8. Aufl. 2019, § 281 Rn. 135. Vgl. oben S. 255. 571 Vgl. oben S. 256 ff. 572 § 250 BGB betrifft diesen Fall auch, erfordert jedoch eine Fristsetzung. Vgl. zu § 251 BGB im kapitalmarktrechtlichen Kontext Wagner, ZGR 2008, 495, 520. 573 Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, 2001, S. 117 ff.; Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 319. 574 Im Sinne von: Der Geschädigte kann auch dann Schadensersatz in Geld verlangen, wenn die eigentliche Naturalrestitution (Vertragsaufhebung) „genügend“ ist. 575 Vgl. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, 2007, S. 318 ff. 576 Vgl. BGH NJW 2018, 1675, 1676 Rn. 12. S. auch BGHZ 69, 53, 56, 58; BGH NJW 1980, 2408, 2410; NJW 1989, 1793, 1794; NJW-RR 1989, 150, 152; NJW 2001, 2875, 2876 f. NJW 2006, 3139, 3141 Rn. 22. 570
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
bb) Beispiel: „Dieselskandal“ Im Herbst 2015 wurde bekannt, dass die Volkswagen AG aufgrund einer strategischen Unternehmensentscheidung in manchen Motoren sog. Abschalteinrichtungen verbaut hat.577 Dadurch erschlich sich das Unternehmen für diese Fahrzeuge eine Typgenehmigung und täuschte578 Autokäufer darüber, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge auch tatsächlich ihrer Typgenehmigung entsprechen. Der BGH wertete dies als arglistige Täuschung und bejahte eine Haftung wegen einer sittenwidrigen Schädigung aus § 826 BGB.579 Inwiefern hier ein kleiner Schadens-
577
S. für eine knappe Schilderung des Sachverhalts BGH NJW 2020, 1962. „Dieselskandal“ gab es eigentlich zwei Täuschungen: Erstens hat die Volkswagen AG aufgrund einer strategischen Unternehmensentscheidung das Kraftfahrt-Bundesamt getäuscht, BGH NJW 2020, 1962, 1965 Rn. 16. Bei bestimmten Motoren erkannte eine Software, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand steht und schaltete in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus („Abschalteinrichtung“). Die Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 wurde auf Grundlage der auf dem Prüfstand gemessenen Abgaswerte erteilt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands war der Stickoxidausstoß höher, sodass die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm nicht erreicht wurden. Typologisch entspricht das einer nicht-sprachlichen Täuschung. Die auf dem Prüfstand gemessenen Abgaswerte sind Zeichen, die eine „nicht-natürliche Bedeutung“ haben. Die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. EU Nr. L 171 v. 29.6.2007, S. 1 (Fahrzeugemissionen-VO) kategorisiert anhand der emittierten Werte Fahrzeuge in verschiedene Euro-Normen ein, wodurch den Werten konventionell ein Erklärungswert zukommt. Die so vermittelte Proposition („Das Fahrzeug hält die Euro-5-Emissionsgrenzwerte ein.“) war unwahr. Zweitens hat die Volkswagen AG die Marktgegenseite getäuscht, namentlich die Käufer der Fahrzeuge, gleichgültig, ob diese neu oder gebraucht erworben wurden (so ausdrücklich BGH NJW 2020, 1962, 1965 Rn. 25). Als Anknüpfungspunkt kommen zwei Handlungen in Betracht. Einerseits hat die Volkswagen AG, allein schon, weil sie nach der Pkw-EnVKV hierzu verpflichtet ist, in Werbeschriften auf die CO2-Emissionswerte hingewiesen (das betrifft jedoch nur die Angabe der Werte in g/km, nicht jedoch die Emissionsklasse, vgl. §§ 1, 5 Pkw-EnVKV). Hier liegt eine semantische Täuschung vor, weil die angegebenen Werte nicht dem Ausstoß im Normalbetrieb entsprachen. Wenn man hierin keine semantische Täuschung sehen will, weil das Fahrzeug jedenfalls auf dem Prüfstand die Werte einhielt, liegt jedenfalls eine pragmatische Täuschung vor, weil Adressaten diese Angabe konventionell so verstehen, dass hiermit die Werte im Normalbetrieb gemeint sind. Andererseits, und hierauf hat sich der BGH bezogen (BGH NJW 2020, 1962, 1965 Rn. 25), ist in dem Inverkehrbringen der mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge eine Täuschung zu erkennen. Diese Täuschung baut auf der Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts auf. Es besteht auf dem Kfz-Markt die generelle Erwartung (im Strafrecht würde man hier vom „sachgedenklichen Mitbewusstsein“ sprechen, s. Isfen, JA 2016, 1, 3), dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge auch tatsächlich ihrer Typgenehmigung entsprechen, vgl. BGH NJW 2020, 1962, 1965 Rn. 25: „[D]er Käufer eines Fahrzeugs [setzt] die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben arglos als selbstverständlich voraus.“ (in Rn. 26 lässt er jedoch den Erklärungswert des Inverkehrbringens offen). Insofern handelt es sich um eine nicht-sprachliche Täuschung, weil dem Inverkehrbringen konventionell der Erklärungswert zugemessen wird, dass die Fahrzeuge die entsprechenden Vorgaben einhalten. S. für einen Überblick über die vertretenen Anknüpfungspunkte für eine Täuschung auch Spindler, in: BeckOGK Zivilrecht, 2021, § 826 BGB Rn. 175 ff. 579 BGH NJW 2020, 1962. 578 Im
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ersatz im Rahmen des § 826 BGB ersatzfähig ist, zeigt ein hierauf aufbauendes (fiktives) Beispiel: A kaufte, bevor der Abgasskandal publik wurde, ein betroffenes Fahrzeug für 20.000 EUR. Würde der Pkw die Abgaswerte einhalten, entspräche der Wert des Fahrzeugs dem Kaufpreis. Aufgrund der Abschalteinrichtung ist das Fahrzeug jedoch nur 18.000 EUR wert, weil der Markt ein vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug geringer wertschätzt.580
Das positive Interesse des A, das im Rahmen des § 826 BGB nicht ersatzfähig ist, beträgt 2.000 EUR. Das entspricht der Differenz zwischen dem hypothetischen Zustand bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung (als „wenn die Erklärungen der Vertragsteile auf Wahrheit beruht hätten“581) und dem tatsächlichen Wert: 20.000 EUR - 18.000 EUR = 2.000 EUR. Das positive Interesse ist unabhängig vom Kaufpreis. Es ist stets die Differenz zwischen dem, was vertraglich geschuldet ist (ein Pkw, der 20.000 EUR wert ist) und dem tatsächlichen Wert des Fahrzeugs (18.000 EUR). Unabhängig davon, ob A ein gutes Geschäft gemacht und lediglich 19.000 EUR gezahlt oder ein schlechtes Geschäft getätigt und 21.000 EUR gezahlt hätte, sein positives Interesse beträgt 2.000 EUR. Das negative Interesse besteht in gleicher Höhe, in der Wertdifferenz zwischen dem gezahlten Preis und dem tatsächlichen Wert: 20.000 - 18.000 = 2.000 EUR. Das ergibt sich aus einem bloßen Vergleich der Vermögenslage vor der Transaktion (A hatte 20.000 EUR) und nach der Transaktion (A hat ein Fahrzeug im Wert von 18.000 EUR). Das negative Interesse hängt mit dem gezahlten Kaufpreis zusammen (schließlich geht es hier um Integritätsschutz), sodass es bei einem Kaufpreis von 19.000 EUR noch 1.000 EUR betrüge und bei einem Kaufpreis von 21.000 EUR sogar 3.000 EUR. Zu einer unterschiedlichen Höhe kommen beide Interessen nur, wenn A entweder mehr oder weniger zahlt als sein positives Interesse beträgt.582 Obgleich die Ersatzfähigkeit des „kleinen Schadens“ in der Abgasaffäre auf der Hand liegt, verwehrte ein Großteil der Oberlandesgerichte geschädigten Autokäufern die Geltendmachung.583 Das Oberlandesgericht München ging davon aus, dass der kleine Schadensersatz das Erfüllungsinteresse beträfe.584 Andere Gerichte 580 Ist das nicht der Fall, ist – mangels eines Schadens – auch keine Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes möglich. S. für einen Überblick zum merkantilen Minderwert im Abgas skandal Katzenstein, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap 3. Rn. 117. 581 RGZ 59, 155, 157. 582 S. hierzu aus englischer Sicht Taylor, 45 Mod. L. Rev. 139, 140 (1982). 583 OLG Frankfurt BeckRS 2020, 20270 Rn. 50; OLG Karlsruhe NJW-RR 2020, 347 Rn. 19; OLG Hamm NJW-RR 2020, 663, 664 Rn. 18: „Dabei setzt die – grundsätzlich zulässige – Berechnung des Schadens in Form des ‚kleinen Schadensersatzes‘ in Höhe des Minderwertes voraus, dass der Geschädigte bei Unterbleiben der unerlaubten Handlung auch zu einem geringeren Kaufpreis geschlossen hätte.“; OLG München NJW-RR 2020, 342, 344 Rn. 26. 584 OLG München BeckRS 2020, 18878 Rn. 30. Schließlich wird ein weiteres Urteil des BGH angeführt, das tatsächlich einen gegen einen Dritten gerichteten deliktischen Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB) des arglistig getäuschten Käufers betrifft: BGH NJW 2011, 1962, 1963 Rn. 8 ff., vgl. OLG Köln BeckRS 2020, 28459 Rn. 7. Dort hatte der Geschädigte jedoch die Mängelbeseitigungskosten verlangt, mithin tatsächlich das Erfüllungsinteresse
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wollten ihn nur zulassen, wenn der Geschädigte bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung einen Kauf zum Minderwert gewollt hätte. Beide Ansätze gehen ins Leere. Dass der kleine Schadensersatz vom positiven Interesse zu unterscheiden ist, wurde soeben dargelegt.585 Auch eine Einschränkung dahingehend, dass der Käufer nachweisen muss, den Vertrag bei einer hypothetischen Aufklärung vor Vertragsschluss zu günstigeren Konditionen geschlossen zu haben, ist fernliegend.586 Die Gerichte vermischen in unzulässiger Weise die Berechnung des „fiktiven“ Erfüllungsinteresses im Rahmen des entgangenen Gewinns mit der Liquidierung der Differenz aus dem objektiven Wert der Gegenleistung und der Leistung des Geschädigten. Dieser Auffassung hat sich nunmehr auch der BGH angeschlossen und den kleinen Schadensersatz im Dieselskandal für zulässig erklärt.587 Es bleibt festzuhalten: Dem arglistig Getäuschten steht nach § 826 BGB, auch gegen einen Dritten, wahlweise ein Anspruch auf Vertragsaufhebung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder ein kleiner Schadensersatz (§ 251 Abs. 1 Hs. 2 BGB) zu. Auf den kleinen Schadensersatz sind etwaige gezogenen Nutzungen des Käufers nicht im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnen.588 Die Nutzungsanrechnung, die der BGH für den Vertragsaufhebungsanspruch bestätigt hat,589 ergibt nur Sinn, wenn der Betroffene das Fahrzeug zurückgibt. Behält er das Fahrzeug, ist er auch nicht schadensersatzrechtlich bereichert. cc) Transaktionskausalität erforderlich? Die Rechtsprechung setzt für einen Schadensersatz nach § 826 BGB den Nachweis voraus, dass der Adressat den streitgegenständlichen Vertrag ohne die Täuschung nicht geschlossen hätte.590 Das gilt jedenfalls für die Geltendmachung des Vertragsabschlussschadens. Macht der Geschädigte den kleinen Schadensersatz geltend, ergibt das Erfordernis einer Transaktionskausalität keinen Sinn. Ein Differenzschaden entsteht unabhängig von einer Willensbeeinflussung, weil der Geschädigte das Gut zu teuer kauft oder zu billig verkauft. Konsequenterweise verzichtet der BGH bei Geltendmachung des Kursdifferenzschadens im Rahmen der Kapitalmarktinformationshaftung auf den Nachweis einer Transaktionskausalität.591 und nicht lediglich den bloßen Mangelminderwert. Einen Anspruch diesen Inhalts hat der BGH zu Recht verneint. In den hier interessierenden Fällen geht es aber gerade nicht um das positive Interesse, weshalb der Verweis auf diese Rechtsprechung ins Leere führt. 585 Vgl. oben S. 259 f. 586 Auch kann hierfür nicht vorgebracht werden, dass es andernfalls „im Sinne der Differenzhypothese schon an der Darlegung einer entsprechenden hypothetischen Vermögenslage“ fehle, so aber OLG Frankfurt BeckRS 2020, 20270 Rn. 50; OLG München NJW-RR 2020, 342, 344 Rn. 26. Das Vermögen des Geschädigten wird ohne Zweifel verringert, wenn er einen Geldbetrag gegen einen Gegenstand „tauscht“, der weniger als der Geldbetrag wert ist. 587 BGH ZIP 2021, 1763 Rn. 15 ff. 588 Andeutungsweise BGH ZIP 2021, 1763 Rn. 20. 589 BGH NJW 2020, 1962, 1970 Rn. 6 4 ff. 590 S. im „Dieselskandal“ BGH NJW 2020, 1962, 1967 f. Rn. 46. 591 Vgl. oben S. 230.
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Auch auf dem Gütermarkt, das haben die Ausführungen an anderer Stelle gezeigt,592 kann eine Einflussnahme im Einzelfall zu einer Preisverzerrung führen. In diesen Fällen sollte es ebenfalls genügen, dass der Geschädigte darlegt und gegebenenfalls beweist, dass die Täuschung eine Auswirkung auf den Preis des Transaktionsgegenstandes hatte (Preiskausalität).593 Der BGH hat sich hierzu im Rahmen des „Dieselskandals“ nicht verhalten. 3. Steuerungswirkung Dem Schadensersatzrecht kommt eine bedeutende regulatorische Funktion zu.594 Nicht ohne Grund ist es das ursprüngliche Hauptanwendungsgebiet der ökonomischen Analyse des Rechts.595 Eine potenzielle Schadensersatzverpflichtung steuert das Verhalten des Einflussnehmers, weil es die Einflussnahme verteuert, d. h. ihn abschreckt. Auch wenn das deutsche Schadensersatzrecht traditionell auf Kompensation abzielt, ist seine verhaltenssteuernde Wirkung heute nicht mehr streitig.596 Lediglich eine Haftung zum Zwecke der Abschreckung, die über das für eine Kompensation erforderliche hinausgeht, wird weithin abgelehnt.597 An dieser Stelle kann nicht auf die ökonomische Analyse des Haftungsrechts in all ihren Facetten eingegangen werden. Insoweit sei auf die entsprechende Literatur verwiesen.598 Auf die für das Recht der Einflussnahme wichtige Unterscheidung zwischen unbeabsichtigten und absichtlichen Einflussnahmen wurde bereits in den ökonomischen Vorüberlegungen eingegangen;599 diese Wertungen sind auf die Fahrlässigkeits- und Vorsatzhaftung übertragbar. Ergänzend werden in der Folge noch zwei weitere Gesichtspunkte diskutiert: Einerseits sollte eine Fahrlässigkeitshaftung ausscheiden, soweit der Einflussnehmer an der Einflussnahme kein wirt592
Vgl. oben S. 234 f. oben S. 234 f. Wäre eine Ersatzfähigkeit der Schäden Dritter im Einzelfall überabschreckend, könnten Gerichte den Schutzzweckzusammenhang und damit eine Schadensersatzpflicht verneinen, vgl. oben S. 251 ff. 594 S. hierzu kursorisch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 463 ff.; Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, Vor § 823 Rn. 53 ff.; detailliert Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 161 ff.; Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 175 ff.; Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987; Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 191 ff. 595 S. nur der Pionierbeitrag von Calabresi, 70 Yale L. J. 499 (1961) sowie ders., The Costs of Accidents, 1970. 596 S. statt aller Wagner, AcP 206 (2006), 352, 451 ff. 597 Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 8 f.; Flume, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 2021, § 249 Rn. 51; Förster, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 2021, § 823 Rn. 9 ff.; s. für eine umfangreiche Diskussion des „Strafschadensersatzes“ Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, 2006; s. auch ders., AcP 206 (2006), 352, 360 ff. 598 Etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 161 ff.; Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987; Shavell, Foundations of Economic Analysis of Law, 2004, S. 175 ff.; Landes/Posner, The Economic Structure of Tort Law, 1987; Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, S. 191 ff. 599 Vgl. oben S. 165 ff. 593 Vgl.
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schaftliches Eigeninteresse hat (a.). Andererseits ist die Gefährdungshaftung bei Ressourcenschäden näher zu beleuchten (b.). a) Wirtschaftliches Eigeninteresse des Einflussnehmers aa) Im Allgemeinen Im Kontext einer fahrlässigen Täuschung unterliegt die ökonomische Bewertung der Verschuldenshaftung Einschränkungen. Wenn der Einflussnehmer ein Dritter ist, der kein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Handlung hat, die in fahrlässiger Weise einen täuschenden Charakter aufweist, ist eine Verschuldenshaftung ineffizient. Eine Täuschung erfolgt normalerweise mittels Behauptungen, 600 d. h. durch die Bereitstellung von Informationen. Informationen sind ein besonderes wirtschaftliches Gut. 601 Diejenige Person, die eine Information „produziert“, profitiert nicht immer von ihr.602 Wenn eine Rechtsregel einem nicht-profitierenden Einflussnehmer wegen einer fahrlässigen Täuschung Kosten auferlegt, nimmt sie ihm den Anreiz zur Informationssammlung und -veröffentlichung. 603 Das kann wohlfahrtsschädlich sein, wenn andere Marktteilnehmer ein Interesse an den bereitgestellten Informationen haben. Das zeigt ein Beispiel: Einflussnehmer E betreibt eine Website, auf der er unentgeltlich Produkttests bereitstellt. Die Produkttests sind für Konsumenten nützlich, weil sie aufgrund der enthaltenen Informationen präferenzkonformere Transaktionen vornehmen können. Angenommen bei einem Test hat E fahrlässigerweise eine vage Formulierung verwendet, die bei dem Großteil der Leser eine Implikatur hervorruft, sodass sie pragmatisch über eine wesentliche Produkteigenschaft getäuscht wurden. Würde eine Verschuldenshaftung dem E die Kosten der Einflussnahme auferlegen, würde er überabgeschreckt und verlöre den Anreiz, die Produkttests zu veröffentlichen. E zieht aus der Informationsbereitstellung keinen Nutzen, sprich: er hat kein wirtschaftliches Eigeninteresse, gleichzeitig müsste er für die Haftungskosten einstehen. Insoweit ist das deutsche Deliktsrecht hier effizient, weil der in diesen Fällen in Betracht kommende § 826 BGB Vorsatz erfordert. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Verschuldenshaftung – jedenfalls aus dem Blickwinkel wohlfahrtsförderlicher Informationsbereitstellung – dann angemessen ist, wenn der Einflussnehmer ein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Informationsbereitstellung hat.604 Dadurch kann die Haftung die Interessen des Einflussnehmers und der an den Informationen interessierten Adressaten austarieren. 600
Vgl. oben S. 63 ff. S. hierzu Bishop, 96 Law Q. Rev. 360, 363 ff. (1980). 602 Bishop, 96 Law Q. Rev. 360, 364 (1980). 603 Bishop, 96 Law Q. Rev. 360, 365 f. (1980), insbesondere S. 369: Eine Haftung „[…] would indeed be a cure worse than the disease.“ 604 In diese Richtung geht auch § 5a Abs. 4 UWG: Danach ist eine „Influencerwerbung“ nicht unlauter, wenn sie keinen kommerziellen Zweck erfolgt, d. h. der Handelnde kein Entgelt von dem beworbenen Unternehmen erhält. 601
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Ein wirtschaftliches Eigeninteresse besteht bei allen entgeltlichen Sonderverbindungen zwischen dem Einflussnehmer und dem Adressaten, seien sie vertraglicher oder vorvertraglicher Natur. 605 Hier ist eine Haftung angezeigt, allein schon, weil in Sonderverbindungen meist nur Informationen bereitgestellt werden, die für die Parteien, nicht aber für die Allgemeinheit wertvoll sind. 606 Auch Dritte ohne Sonderverbindung können ein wirtschaftliches Eigeninteresse an einer Informationsbereitstellung gegenüber Adressaten haben, etwa der Hersteller eines Produktes. Diese Fälle fallen de lege lata nur unter die Vorsatzhaftung des § 826 BGB. Eine Erweiterung auf eine Haftung für fahrlässige Täuschungen im Deliktsrecht wäre denkbar. 607 Der deutsche Gesetzgeber hat dem jedoch mit der Entscheidung, reine Vermögensschäden durch das Deliktsrecht nur im Rahmen des § 826 BGB zu ersetzen, einen Riegel vorgeschoben – „[u]nterhalb der Schwelle der freiwilligen Vertragsbeziehung oder der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung soll mithin Raum für eine schöpferisch-kreative Freiheitsentfaltung bestehen.“608 bb) Kapitalmarktinformationshaftung Bei einer fahrlässigen Täuschung auf dem Kapitalmarkt bedarf es einer differenzierten Betrachtung. Auf dem Primärmarkt begibt der Emittent Finanzinstrumente und profitiert durch die Beschaffung von Fremdkapital. Eine Haftung für fahrlässige Täuschungen ist deshalb angemessen; das Prospektrecht sieht – um die Attraktivität des deutschen Kapitalmarkts zu erhöhen609 – eine Haftung nur für grobe Fahrlässigkeit vor (§ 12 Abs. 1 WpPG). 610 Auf dem Sekundärmarkt werden bereits begebene Finanzinstrumente von anderen Marktteilnehmern untereinander gehandelt. Der Emittent ist insoweit ein Drit605 Erfolgt eine Informationsbereitstellung nur gegenüber einer einzigen Person, dem Vertragspartner, besteht nicht die Gefahr einer wohlfahrtsschädlichen, übermäßigen Haftung. Die Parteien werden, wenn das Risiko einer fahrlässigen Täuschung besteht, die Haftung (sofern möglich) für ein Premium ausschließen oder, wenn das Premium oder die damit einhergehenden Transaktionskosten teurer als die Haftung wären, nichts tun, vgl. Bishop, 96 Law Q. Rev. 360, 370 (1980). 606 Bishop, 96 Law Q. Rev. 360, 370 (1980). 607 Im angloamerkanischen Rechtskreis existiert die negligent misrepresentation als Delikt. Grundsätzlich jedoch nur, sofern der Einflussnehmer ein pecuniary interest hat oder zwischen den Parteien eine special relationship besteht. S. für die USA Restatement (Third) of Torts, Liability for Economic Harm § 5 (2020) sowie grundlegend Glanzer v. Shepard, 135 N.E. 275 (N.Y. 1922); s. hierzu allgemein Barton, 41 Wm. & Mary L. Rev. 1789, 1812 ff. (2000). Für England Hedley Byrne & Co. Ltd. v. Heller & Partners Ltd., (1964) A.C. 465. S. zu letzterem die ökonomische Analyse bei Bishop, 96 Law Q. Rev. 360, 360 (1980) et passim. 608 Weller, in: FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1341, 1344. 609 S. RegE Bt.-Drs. 13/8933, S. 80: „Eine Verschärfung dieses Haftungsmaßstabs würde insbesondere bei den Emissionsbegleitern Zurückhaltung auslösen und so das mit der Neuregelung verfolgte Ziel der Förderung der Bereitschaft zur Unterstützung von Risikokapital gefährden.“ 610 S. Groß, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, Bd. 2 , 4. Aufl. 2020, § 9 WpPG Rn. 95. Andererseits sehen beispielsweise die Vereinigten Staaten in diesen Fällen eine verschuldensunabhängige Haftung vor.
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ter, der nicht unmittelbar von den Wertpapiergeschäften profitiert. 611 Mittelbar hat er jedoch ein wirtschaftliches Eigeninteresse an steigenden Kursen, da diese Ausdruck wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Unternehmens sind und er hohe Sekundärmarktpreise zu Kapitalerhöhungen oder zur Emission von Schuldtiteln nutzen kann. 612 Deshalb erscheint auch hier eine Verschuldenshaftung, jedenfalls für grobe Fahrlässigkeit, angebracht und existiert so auch bei Verletzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach §§ 97, 98 WpHG. Eine Überabschreckung wohlfahrtsförderlicher Informationsbereitstellungen ist nicht zu befürchten, da die Veröffentlichung gesetzlich verpflichtend ist. Eine einfache Fahrlässigkeitshaftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen hingegen erscheint überabschreckend, weil der Emittent nur mittelbar profitiert. Das gilt im Besonderen für die freiwillige Kapitalmarktkommunikation. Eine Haftungsandrohung würde die eigentlich gewünschte freiwillige Offenlegung von Informationen aus Angst vor einer Haftung hemmen. 613 Beispielsweise könnte sich ein Emittent gehindert fühlen, Managementprognosen zu veröffentlichen, weil er befürchtet, dass ein Gericht im Nachhinein feststellen könnte, er habe nicht über eine ausreichende Tatsachenbasis verfügt, um diese Prognose zu treffen. 614 Das deutsche Recht geht diesen Weg auch nicht. Hier kommt einerseits eine Vorsatzhaftung nach § 826 BGB in Frage, andererseits eine Haftung für (vermutete) grobe Fahrlässigkeit nach § 97b WpHG wegen unterlassener Veröffentlichung einer Insiderinformation, sofern es sich um kursrelevante Umstände handelt. Letztere ergibt sich nach Ansicht des BGH daraus,615 dass die Veröffentlichung einer unwahren kursrelevanten616 Tatsache eine nicht-öffentlich bekannte Information mit dem Inhalt ist, dass die Tatsache nicht zutrifft. 617 Anknüpfungspunkt der Haftung ist nicht die Täuschung, sondern das Unterbleiben einer unverzüglichen Berichtigung nach Art. 17 MAR. Gewissermaßen „durch die Hintertür“ existiert dadurch eine allgemeine Kapitalmarktinformationshaftung, aber eben nur im Falle grober Fahrlässigkeit. 618
611 Im Einzelfall kann natürlich auch der Emittent auf dem Sekundärmarkt auftreten, vgl. § 71 Abs. 1 AktG. 612 Vgl. Klöhn, ZHR 172 (2008), 388, 403; Meier, GRUR 2019, 581, 585. 613 Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 650 ff. (1992). 614 Vgl. Mahoney, 78 Va. L. Rev. 623, 652 (1992); ausführlich aus deutscher Perspektive Fleischer, AG 2006, 2, insb. S. 16. Vgl. zu Interpretationsstandards oben S. 198 ff. 615 Grundlegend BGH (XI. Zivilsenat) NJW 2012, 1800, 1803 Rn. 30 ff. – IKB; bestätigend BGH (II. Zivilsenat) NZG 2021, 377, 385 Rn. 219 ff. – HRE. 616 Erfolgt die Täuschung über nicht-kursrelevante Umstände, besteht auch keine Pflicht zur Berichtigung nach Art. 17 MAR, vgl. Schmolke, ZBB 2012, 165, 168. 617 Schmolke, ZBB 2012, 165, 168; Klöhn, AG 2012, 345, 347: „[M]it jeder Veröffentlichung einer kursrelevanten Falschinformation [entsteht] eine Information mit dem Inhalt […], dass die Falschinformation nicht zutrifft.“ 618 S. hierzu differenzierend Schmolke, ZBB 2012, 165, 168; Klöhn, AG 2012, 345, 347 f.; Hellgardt, DB 2012, 673, 673; Hellgardt, in: Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019, § 97 WpHG Rn. 94.
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b) Gefährdungshaftung Durch eine Risikomanipulation werden Adressaten mehr als die optimale Menge an Produkten nachfragen (weil sie das Produktrisiko unterschätzen) und gleichzeitig werden Hersteller zu geringen Aufwand in die Sicherheit der Produkte investieren (weil sie stattdessen die Risikoeinschätzung der Adressaten manipulieren). 619 Eine Fahrlässigkeitshaftung ist dann ineffizient. Durch die manipulationsbedingt wahrgenommenen geringeren Schadenskosten können die Geschädigten den Grenznutzen der Sorgfalt – selbst wenn sie eigentlich cheapest cost avoider sind – nicht richtig bestimmen, wenden in der Folge zu wenig Sorgfalt auf und haben ein zu hohes Aktivitätsniveau. 620 Weil die Adressaten das Risiko nicht richtig einschätzen, ist der Einflussnehmer als Hersteller der faktische cheapest cost avoider. 621 Er selbst kann einerseits die Risikomanipulation unterlassen und so eine korrekte Risikoeinschätzung der Adressaten wiederherstellen, andererseits weiß er über die Sicherheit seiner eigenen Produkte am besten Bescheid. In einer solchen Situation bietet sich eine Gefährdungshaftung an. Der Hersteller fungiert dann als Versicherer für die mittelbaren Ressourcenschäden der Adressaten (third party insurance). 622 Selbst wenn man in Anbetracht der Sozialversicherungen in Deutschland kein Bedürfnis für eine Versicherungslösung durch die Haftung des Herstellers sieht, kann lediglich eine Gefährdungshaftung auch das Aktivitätsniveau auf ein sozial optimales Maß dämpfen.623 Hat der Hersteller für die mittelbaren Ressourcenschäden aufzukommen, wird er nicht nur von der Risikomanipulation Abstand nehmen (wodurch der Preis steigt, weil die wahren erwarteten Kosten eingepreist werden), sondern er hat auch einen Anreiz, solange Sicherheitsvorkehrungen aufzuwenden, bis eine zusätzliche Einheit an Aufwand mehr kostet als dadurch Schäden verringert werden. Dieser Kostenaufwand schlägt sich im Verkaufspreis des Gutes nieder.624 Hierdurch sinkt die Nachfrage der Marktgegenseite, verstanden als Aktivitätsniveau, auf ein effizienteres Level. Der Preis des Produkts wird so die erwarteten Kosten widerspiegeln, wodurch Nachfrager – ganz ähnlich wie bei einer Warnung – besser über das Risiko informiert werden. 625 Hierbei findet eine gewisse Quersubventionierung statt. Auch jene 619
Vgl. oben S. 128; s. hierzu auch Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1553 (1999). Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 114 f., 144 f. 621 Vgl. Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 128; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6. Aufl. 2014, S. 222. 622 S. zur third party insurance Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 405 f. sowie Wagner, Deliktsrecht, 14. Aufl. 2021, Kap. 4 Rn. 37, Kap. 9 Rn. 10, die insoweit einschränkend auf eine effizientere first party insurance verweist, wie sie in Deutschland durch die Sozialversicherungen verwirklicht wird. 623 Wagner, Deliktsrecht, 14. Aufl. 2021, Kap. 9 Rn. 10. 624 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 6. Aufl. 2020, S. 406; Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 134. 625 Schwartz, 97 Yale L. J. 353, 399 (1988): „[T]he price of [the products] will more accurately reflect their accident costs, thereby better informing consumers of the risk […] (just as a warning would).“ 620
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Marktteilnehmer, die für den manipulativen Einfluss nicht anfällig gewesen wären, müssen – sofern keine Preisdiskriminierung möglich ist – dann den höheren Preis zahlen. Diese Quersubventionierung ist jedoch äußerst gering und daher kein stichhaltiges Argument gegen eine Gefährdungshaftung. 626 Der Begriff der „Gefährdungshaftung“, wie er im deutschen Recht für die Produkthaftung verwendet wird, ist jedoch ungenau. 627 Es wurde bereits angemerkt, dass selbst die Produkthaftung nach dem ProdHaftG nur augenscheinlich auf ein Verschuldenserfordernis verzichtet, weil durch den Fehlerbegriff eine verkappte Sorgfaltsprüfung stattfindet. 628 Eine „richtige“ Gefährdungshaftung würde hierauf verzichten und den Hersteller unbedingt zum Einstand verpflichten. Die Produkthaftung nach geltendem Recht ist gleichwohl effizienter als eine Verschuldenshaftung. Der Hersteller hat einen Anreiz, die Produktsicherheit so weit zu erhöhen bzw. die Manipulation zu unterlassen, bis der Fehlerbegriff nicht mehr erfüllt ist. Für Schäden hat er dann nicht zu haften, weshalb das Aktivitätsniveau immer noch zu hoch sein wird. Es ist aufgrund des erhöhten Preises jedoch geringer als bei einer reinen Verschuldenshaftung. 629 De lege ferenda sollte man darüber nachdenken, ob eine unbedingte Gefährdungshaftung nicht zu einem effizienteren Ergebnis führen würde. 630
E. Mitbewerber Die ökonomische Analyse hat deutlich gemacht, dass Mitbewerber durch Einflussnahmen mittelbar geschädigt werden.631 Täuschungen und Manipulationen führen zu Fehlallokationen, wodurch Mitbewerber ihre Güter nicht mehr absetzen können, obwohl es effizient wäre. Hinzu kommen weitere Kosten für übermäßigen Signaling-Aufwand, etwa für Werbung oder Garantieversprechen, die Mitbewerber in Kauf nehmen, um sich von täuschenden oder manipulierenden Marktteilneh626 S. hierzu Hanson/Logue, 76 Cornell L. Rev. 129, 154 ff. (1990); Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 148; Cooter/Ulen, Law and Economics, 6. Aufl. 2014, S. 258: „Finally, products-liability insurance costs amount to one-quarter of one cent for each dollar of product purchase price— an insignificantly small amount.“ unter Verweis auf Henderson Jr/Eisenberg, 37 UCLA L. Rev. 479 (1989). 627 S. für eine Taxonomie verschiedener Haftungssysteme Croley/Hanson, 91 Mich. L. Rev. 683, 692 ff. (1993). Die Autoren unterscheiden insbesondere strict liability von absolute manufacturer liability. Erstere entspricht im Wesentlichen der Haftung nach dem ProdHaftG, d. h. auch wenn die Haftung verschuldensunabhängig ist, muss der Geschädigte nachweisen, dass ein Produktfehler vorlag und auch das Geschädigtenverhalten spielt eine Rolle (s. ebd. Fn. 35). Letztere ist eine uneingeschränkte Haftung des Herstellers. 628 Vgl. oben S. 248 f. 629 Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 136. 630 Hierzu mit Blick auf die Risikomanipulation Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1553 ff. (1999). Allgemein zur Idee einer „Enterprise Liability“ Croley/Hanson, 91 Mich. L. Rev. 683, 692 ff. (1993); aus deutscher Perspektive Wantzen, Unternehmenshaftung und Enterprise Liability, 2007. 631 Vgl. oben S. 134.
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mern abzuheben. Das Recht billigt daher Mitbewerbern gegen den Einflussnehmer lauterkeitsrechtliche Abwehransprüche (I.) sowie unter Umständen auch Schadensersatzansprüche zu (II.). I. Abwehr Das UWG regelt in §§ 4a, 5, 5a, 5b UWG und in § 3 Abs. 3 i. V. m. Anhang UWG Verhaltenspflichten, die man als Täuschungs- (1.) und Manipulationsverbote (2.) verstehen kann. Eine dagegen verstoßende geschäftliche Handlung ist unlauter und damit gem. § 3 Abs. 1 UWG unzulässig. Mitbewerbern steht dann nach § 8 UWG ein Anspruch auf Beseitigung bzw. Unterlassung der beeinflussenden geschäftlichen Handlungen zu (3.). Sie schützen dadurch nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern verhindern als Advokaten des Wettbewerbs auch ineffiziente Transaktionen der Marktgegenseite (4.). 1. Täuschungstatbestände Für die Beurteilung einer täuschenden Wirkung gilt ein normatives Verkehrsverständnis (a.). § 5 UWG sieht eine Generalklausel für Irreführungen gegenüber Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern vor (b.), die durch §§ 5a, 5b UWG, die die Irreführung durch Unterlassen regeln, flankiert wird (c.). Spezielle Täuschungstatbestände, die in der „Schwarzen Liste“ im Anhang des UWG sowie zum Teil in § 4 UWG zu finden sind, bleiben der Übersichtlichkeit halber außer Betracht. a) „Durchschnittsverbraucher“ und Mikroabwägung Im Lauterkeitsrecht herrscht ein normatives Verkehrsverständnis. Die irreführende Wirkung einer geschäftlichen Handlung ist aus dem Blickwinkel einer fiktiven Maßfigur, des Durchschnittsverbrauchers, zu beurteilen.632 Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Maßfigur als Personifizierung einer Mikroabwägung zu verstehen, durch die das Gericht das Vorliegen einer Täuschung bestimmt.633 Es liegt nur dann eine lauterkeitsrechtlich relevante Täuschung („Irreführung“) vor, wenn der Einflussnehmer die Täuschung kosteneffektiv hätte vermeiden können, d. h. wenn der Grenznutzen einer alternativen Darstellung die Grenzkosten ebendieser Darstellung überwiegt. Um eine „Irreführung“, auf die sogleich noch näher einzugehen ist, zu bejahen, hat der Rechtsanwender also eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen. Das mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, weil man so durch die Hintertür ein 632 Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 159 ff.; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.64 ff., 1.76 ff.; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 47, § 2 Rn. 114 ff. 633 Vgl. oben S. 214 ff.
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(ökonomisches) Verschuldenserfordernis634 in die Täuschungstatbestände der §§ 5 ff. UWG hineinliest. Bei genauerem Hinsehen muss man jedoch konstatieren, dass das im Ergebnis dem Vorgehen der Rechtsprechung und Literatur entspricht: Täuschungen sind graduelle Erscheinungen. Wenn eine geschäftliche Handlung nur einen Teil der Adressaten in die Irre führt, ist zwingend die Entscheidung zu fällen, ob das Verständnis der Getäuschten oder der nicht beeinflussten Adressaten rechtlich maßgeblich ist. Die Rechtsprechung stellt deshalb auf die bereits angesprochene „Irreführungsquote“ ab, 635 die durch eine „Abwägung zwischen dem Interesse der getäuschten Verbraucher am Schutz vor Irreführung, dem der kundigen Verkehrsteile an Information und dem der Allgemeinheit an Erhaltung und Förderung eines funktionsfähigen Wettbewerbs“ zu bestimmen ist. 636 Der Sache nach ist das nichts anderes als eine Kosten-Nutzen-Analyse, wie sie die hier vertretene Mikroabwägung auch vornimmt. Insoweit fügt sich die Identifizierung des „Durchschnittsverbrauchers“ als eine Mikroabwägung in das lauterkeitsrechtliche System ein. Faktisch entsprechen die Irreführungstatbestände des UWG sowohl in der Rechtsprechung als auch nach der hier vertretenen Auffassung einem (ökonomischen) Verschuldensregime, was Gerichten enorme Steuerungsmöglichkeiten eröffnet. 637 b) § 5 UWG aa) Allgemeines Nach § 5 Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine „irreführende geschäftliche Handlung“ vornimmt, die geeignet ist, einen Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Letzterer Halbsatz entspricht der wettbewerblichen Relevanz, die weiter oben beleuchtet wurde. 638 Eine geschäftliche Handlung ist nach § 5 Abs. 2 UWG „irreführend“, wenn sie entweder unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die dort in den Nr. 1 bis 7 aufgezählten Bezugspunkte enthält.639 „Angaben“ sind, wie ein Blick auf die englische Sprachfassung
634
Vgl. auch oben S. 173. Vgl. oben S. 207 und S. 219. 636 Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 150 unter Verweis auf BGH GRUR 1994, 519, 521 – Grand Marnier; GRUR 1996, 910, 913 – Der meistverkaufte Europas; GRUR 2013, 401 Rn. 46 – Biomineralwasser; GRUR 2013, 409 Rn. 29 – Steuerbüro. 637 Vgl. zu der vergleichbaren Thematik um den reasonable listener bei fraudulent statements Craswell, 97 Mich. L. Rev. 2185, 2218 (1999): „This makes each of these doctrines a ‘negligence’ regime, according to the economic definition of that term.“ 638 Vgl. oben S. 236. 639 S. zur sprachlich missglückten Formulierung, dass die geschäftliche Handlung eine Angabe „enthalte“ Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.19. 635
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der UGP-RL640 zeigt, Informationen. 641 Damit handelt es sich bei Angaben um Propositionen, die durch eine Äußerung vermittelt werden und bei Irreführungen um Täuschungen im Sinne dieser Untersuchung. 642 Eine Täuschung durch reines Unterlassen643 unterfällt nicht § 5 UWG, sondern §§ 5a, 5b UWG, weil es an einer „Angabe“ mangelt. 644 Halbwahrheiten werden hingegen erfasst. 645 bb) Unwahre Angaben und Täuschungseignung Die erste Alternative in § 5 Abs. 2 UWG stellt auf unwahre Angaben, die zweite Alternative auf die Täuschungseignung von Angaben ab. In der Literatur herrscht ein Streit über das Verhältnis beider Alternativen. Der Großteil geht davon aus, dass „unwahre Angaben“ ein Unterfall von „zur Täuschung geeignete Angaben“ sei. 646 Neben der objektiven Falschheit müsse deshalb stets eine Täuschungseignung hinzutreten. Andere führen den insoweit eindeutigeren Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 UGP-RL an und gehen von einer Eigenständigkeit beider Alternativen aus.647 Liegt eine unwahre Angabe vor, bedürfe es daher nicht der Prüfung einer Täuschungseignung. Das heißt nicht, dass jedwede unwahre Angabe irreführend ist. Eignet sie sich nicht dazu, die Marktgegenseite zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätte, fehle ihr die wettbewerbliche Relevanz. 648 640 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), ABl. EU Nr. L 149 v. 11.6.2005, S. 22. 641 Vgl. die englische Sprachfassung des Art. 6 Abs. 1 UGP-RL. S. auch Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.19. 642 Vgl. oben S. 8 f. und S. 52 ff. 643 Vgl. oben S. 73. 644 Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5a Rn. 40: „Bloßes Schweigen […] kann keine Angabe […] sein.“ 645 Äußert ein Einflussnehmer Halbwahrheiten, liegt ein Verstoß gegen das Kooperationsprinzip und damit eine pragmatische Täuschung vor, vgl. oben S. 72 f. In der lauterkeitsrechtlichen Literatur wird hier von einer „sprechenden Bedeutung“ gesprochen, vgl. Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5a Rn. 41. 646 Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.52, 1.54; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 158; Sosnitza, WRP 2008, 1014, 1028; Ruess, in: MüKo UWG, Bd. 1, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 161. 647 Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 309 ff., 315 ff.; Peifer/Obergfell, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 234. Art. 6 Abs. 1 UGP-RL lautet: „Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist […]“. 648 Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 316 f.; Peifer/Obergfell, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 234.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Über das Kriterium der wettbewerblichen Relevanz führen beide Ansichten in der Praxis zu denselben Ergebnissen. Eine Angabe, die keine Täuschungseignung aufweist, wird den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer nicht zu einer geschäftlichen Entscheidung verleiten. Der Streit, wie er geführt wird, ist akademischer Natur und wurde deshalb vom BGH auch offengelassen.649 Was die Proponenten beider Lager übersehen, ist die feine Differenzierung, die das Gesetz hier ermöglicht. Bei einer unwahren Angabe handelt es sich um eine semantische Täuschung. Angaben, die zur Täuschung geeignet sind, erfassen dagegen auch pragmatische Täuschungen. Pragmatische Täuschungen setzen keine unwahre Angabe voraus, da sie pragmatisch eine weitere unwahre Proposition als Implikatur vermitteln. 650 Der Exkurs in die Sprachphilosophie hat gezeigt, dass semantischen Bedeutungsgehalten ein höherer „Grad der Verbindlichkeit“ zukommt als pragmatischen. 651 Pragmatische Schlüsse unterliegen einer subjektiven Einfärbung der Adressaten, während semantische Inhalte und Schlüsse „objektiver“652 sind. Weiterhin konnte die ethische Analyse beider Täuschungsformen aufzeigen, dass eine semantische Täuschung einen größeren Vertrauensbruch und eine größere Gefahr für die Kommunikationskultur darstellt als ihr pragmatisches Gegenstück. 653 Wenn der Unionsgesetzgeber zwischen „unwahren Angaben“ und „Täuschungseignung“ differenziert, dann tut er das, weil zwischen der semantischen und pragmatischen Täuschung trotz aller Gemeinsamkeiten auch Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede rechtfertigen es, bei einer unwahren Angabe als semantischer Täuschung prima facie von einer „Irreführung“ auszugehen. Die Formulierung in Art. 6 Abs. 1 UGP-RL bzw. § 5 Abs. 2 UWG lässt sich daher als ein gesetzlich statuierter Anscheinsbeweis verstehen, der dem beweisbelasteten Anspruchsteller zugutekommt. Bei einer pragmatischen Täuschung (Täuschungseignung) bedarf es hingegen eines höheren Begründungsaufwands, warum die geschäftliche Handlung irreführend sein soll. 654 c) §§ 5a, 5b UWG Ein reines Unterlassen stellt keine Angabe dar, weshalb § 5 UWG dem Wortlaut nach nicht einschlägig ist. 655 Deshalb bestimmt § 5a UWG, dass auch die Vorenthaltung einer wesentlichen Information irreführend sein kann. Während § 5a UWG sowohl für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern und sonsti649
BGH GRUR 2019, 1202 Rn. 21 – Identitätsdiebstahl. Vgl. oben S. 69 ff. 651 Vgl. oben S. 62 f. und S. 193. 652 S. einschränkend oben S. 188 f., Fn. 132 und 133. 653 Vgl. oben S. 100 ff. 654 Hier bedarf es dann einer Mikroabwägung, vgl. hierzu oben S. 168 ff., S. 214 ff. und S. 269. 655 Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5a Rn. 40: „Bloßes Schweigen […] kann keine Angabe […] sein.“ 650
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gen Marktteilnehmern gilt, regelt § 5b UWG Besonderheiten bezüglich Handlungen gegenüber Verbrauchern. aa) § 5a UWG § 5a Abs. 1 und 3 UWG statuieren einen Beurteilungsmaßstab, wann die Vorenthaltung einer wesentlichen Information irreführend ist. Der Marktteilnehmer muss sie „nach den jeweiligen Umständen benötig[en] um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen“ (§ 5a Abs. 1 Nr. 1 UWG). Zur Bestimmung der irreführenden Wirkung einer Vorenthaltung ist vor allem der Kontext entscheidend: Der Adressatenkreis erwartet konventionell oder aufgrund einer Aufklärungspflicht, dass eine bestimmte Information geäußert wird.656 Während die Frage nach der Aufklärungspflicht eine reine Rechtsfrage ist, können die berechtigten Erwartungen des Adressatenkreises durch den effektbasierten oder konstruktiven Ansatz festgestellt werden. Den ökonomischen Vorüberlegungen657 folgend sollte eine Täuschung durch reines Unterlassen dann irreführend sein, wenn die Vorteile der Offenlegung der Informationen die Kosten einer Nicht-Offenlegung überwiegen. bb) § 5b UWG Bezüglich Angeboten, die auch an einen durchschnittlichen Verbraucher gerichtet sind, zählt § 5b Abs. 1 UWG einige Informationen auf, die als wesentlich gelten, etwa die Identität und Anschrift des Unternehmers oder das Bestehen eines Rechts zum Rücktritt oder Widerruf. Dadurch statuiert das Gesetz Informationspflichten.658 Durch die Geltung als wesentlich und damit irreführend kommt es nicht darauf an, ob die Adressaten aufgrund der Unterlassung tatsächlich getäuscht werden. 659 Diese Regelungen machen deutlich, dass es im Lauterkeitsrecht für die Beurteilung einer Täuschung nicht auf das Verständnis der tatsächlichen Adressaten ankommt. Beurteilungsmaßstab ist vielmehr die Maßfigur des „Durchschnittsverbrauchers“. 660 Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der normative Durchschnitts656 Vgl. zum „reinen Unterlassen“ oben S. 73. In die gleiche Richtung tendiert die Rechtsprechung: BGH GRUR 2013, 945 Rn. 34 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH WRP 2018, 429 Rn. 38 – Knochenzement II; s. im Übrigen auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5a Rn. 2.4. 657 Vgl. oben S. 172. 658 Vgl. zur a. F. Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5a Rn. 30. 659 Vgl. Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5a Rn. 30: „Irreführend kann in ihrem Anwendungsbereich nicht mehr nur sog. ‚sprechendes Schweigen‘ sein, bei dem die fehlende Information eine konkrete Fehlvorstellung hervorruft […], sondern auch „echtes Schweigen“, dh das bloße Fehlen von Informationen, über die sich der Verkehr überhaupt keine Gedanken macht, bzgl. derer er also auch keiner konkreten Fehlvorstellung unterliegt […]“. 660 Vgl. zum Durchschnittsverbraucher im Rahmen des § 5a UWG Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5a Rn. 35.
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verbraucher durch ein Unterlassen der in § 5b Abs. 1 UWG genannten Informationen getäuscht wird und hat insoweit eine Feststellung der Täuschung nach dem konstruktiven Ansatz vorgegeben. 2. Manipulationstatbestände In § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 S. 1 UWG findet sich ein Manipulationstatbestand.661 Danach ist eine „unzulässige Beeinflussung“ unlauter. Der Tatbestand ist der angloamerikanischen „Undue Influence“-Doktrin nachgezeichnet. 662 Sie beruht auf Art. 8 und 9 UGP-RL, deren englische Fassung auch von undue influence spricht. 663 Nach der Legaldefinition in § 4a Abs. 1 S. 3 UWG liegt eine unzulässige Beeinflussung vor,664 „wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt.“
Unter eine solche Beeinflussung lässt sich eine besonders verwerfliche Manipulation subsumieren, wie sie diese Untersuchung herausgearbeitet hat.665 Die Vorschrift stellt ausdrücklich auf eine Machtposition ab, die zur Ausübung von Druck auch ausgenutzt werden muss. Die bloße Existenz einer unausgeglichenen Machtbalance genügt also nicht, sondern der Einflussnehmer muss sie gezielt ausnutzen. 666 Die Ausübung von Druck sollte, entgegen mancher Literaturmeinung, 667 weit verstanden werden. Die Ausnutzung der schnellen, automatischen Informationsverarbeitung des Systems 1 und sein Hang zu Entscheidungsfehlern baut auf den Adressaten einen kognitiven Druck auf, die bereits angesprochene „kognitive Schwere“,668 dem er in vielen Fällen nicht widerstehen kann. Zudem nennt § 4a Abs. 2 S. 1 UWG verschiedene Kriterien, von denen insbesondere „Zeitpunkt, Ort, Art, oder Dauer der Handlung“ (Nr. 1) sowie die „bewusste Ausnutzung von […] Umständen von solcher Schwere, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers beeinträchtigen, um dessen Entscheidung zu beeinflussen“ (Nr. 3) für die Manipulation von besonderer Bedeutung sind. Zu den Umständen, die nach Nr. 3 zu berücksichtigen sind, gehören gemäß § 4a Abs. 2 S. 2 UWG insbesondere „geistige und körperliche Beeinträchtigungen, das Alter, die geschäftliche Unerfahrenheit, die Leichtgläubigkeit, die Angst 661 Manipulativen Charakter haben auch die in Nr. 25 bis 30, 32 im Anhang des UWG genannten geschäftlichen Handlungen. 662 Vgl. auch oben S. 246 ff. 663 S. Art. 2 lit. j, 8, 9 UGP-RL. 664 Art. 2 lit. j UGP-RL definiert die unzulässige Beeinflussung im Wesentlichen gleich. 665 Vgl. oben S. 226 f. 666 Vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 4a Rn. 1.57. 667 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 4a Rn. 1.59. 668 Vgl. oben S. 47 f.
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und die Zwangslage von Verbrauchern.“ Das betrifft also geschäftliche Handlungen, die sich gezielt an einen besonders vulnerablen Adressatenkreis richten. Auch für die Beurteilung, ob eine Manipulation eine „unzulässige Beeinflussung“ nach § 4a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UWG darstellt, können Gerichte auf die in den Durchschnittsverbraucher eingebettete Mikroabwägung zurückgreifen. 669 3. Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch Nimmt der Einflussnehmer eine geschäftliche Handlung vor, die gegen eines der Täuschungs- oder Manipulationsverbote im UWG verstößt, können Mitbewerber670 ihn nach § 8 UWG auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Vor gerichtlicher Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs soll der Anspruchsberechtigte den Einflussnehmer abmahnen und ihm die Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung beizulegen (§ 13 UWG). 671 Daneben sieht § 12 UWG die in der Praxis bedeutsame Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes vor. Beide Abwehransprüche sind zukunftsgerichtet: Der Beseitigungsanspruch dient der Abwehr einer eingetretenen, aber fortwirkenden Einflussnahme, der Unterlassungsanspruch möchte zukünftige Beeinflussung unterbinden.672 Der Inhalt des Beseitigungsanspruchs richtet sich nach der Art der Beeinträchtigung und kann beispielsweise im Rückruf von Werbematerial liegen. 673 Er gewährt jedoch keine Folgenbeseitigung in Form einer Rückabwicklung eingegangener Transaktionen des Einflussnehmers mit dem Adressatenpublikum.674 Die Unterlassungsvollstre669
Vgl. oben S. 269. Mitbewerber ist jeder Unternehmer, der mit dem Einflussnehmer als Anbieter oder Nachfrager von Produkten in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG). Das gilt jedenfalls, soweit es sich um marktbezogene Verstöße handelt. Richtet sich die Zuwiderhandlung gegen einen bestimmten Mitbewerber, betrifft also nur dessen Interessen, ist nur dieser aktivlegitimiert. S. Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8 Rn. 341 ff., 351 f. 671 Sofern die Geltendmachung des Abwehranspruchs nicht rechtsmissbräuchlich i. S. d. § 8c UWG ist, hat der Einflussnehmer nach § 13 Abs. 3 UWG die Kosten der Abmahnung zu tragen (§ 13 UWG). S. zur Kostentragungsregel auch Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 2017, S. 446 ff. 672 Köhler, WRP 2019, 269. Vgl. auch Art. 11 Abs. 2 UAbs. 3 UGP-RL: „Beseitigung der fortdauernden Wirkung unlauterer Geschäftspraktiken“. 673 Vgl. Fritzsche, in: MüKo UWG, Bd. 2 , 3. Aufl. 2022, § 8 Rn. 217. 674 Anders das OLG Dresden WRP 2019, 347 Rn. 57: „Der Störungszustand, 30 EUR gezahlt zu haben, lässt sich nur auf eine Weise beseitigen – durch Rückzahlung“ (wenngleich das Gericht anschließend nur von der Notwendigkeit eines Berichtigungsschreibens an die Marktgegenseite ausgeht). Das Gericht verkennt jedoch die Reichweite des Beseitigungsanspruchs. Der Anspruch dient der Zukunftssicherung und nicht dem Schadensausgleich. Letzteren können die Adressaten durch das Bürgerliche Recht (oder neuerdings durch § 9 Abs. 2 UWG) bewerkstelligen. Zudem ist die Schutzzweckkonzeption des UWG darauf ausgerichtet, Gefährdungen und nicht Schäden zu beseitigen (Köhler, WRP 2019, 269, 272, 275) – weshalb, wie oben unter S. 236 dargelegt, eine potenzielle Kausalität in Form der wettbewerblichen Relevanz anstelle einer tatsächlichen genügt. Würde man dem Beseitigungsanspruch die Wirkung einer Folgenbeseitigung zusprechen, würde 670
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ckung erfolgt unter Androhung eines Ordnungsgelds und Ordnungshaft für den Fall der Zuwiderhandlung (§ 890 ZPO). Beide Abwehransprüche sind verschuldensunabhängig und werden häufig gleichzeitig geltend gemacht. 675 4. Steuerungswirkung a) Allgemeines Die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs durch Androhung eines Ordnungsgelds oder einer Ordnungshaft geht mit einer erheblichen Abschreckungswirkung einher. Gleiches gilt für die Unterwerfung unter eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Das gilt aber eben auch nur hinsichtlich der einzelnen, dort konkret bezeichneten Verhaltensweise. Im Übrigen entfaltet ein Abwehranspruch nur eine geringe Steuerungswirkung. 676 Zwar kann ein Abwehrspruch im Einzelfall mit empfindlichen Kosten für den Einflussnehmer einhergehen, beispielsweise wenn der Anspruch zu einem Vertriebsverbot führt. 677 Das dürfte bei Täuschungen und Manipulationen aber wohl nicht der Regelfall sein. Zumeist wird sich der Anspruch darauf beschränken, dass der Einflussnehmer die Einflussnahme einzustellen und zu unterlassen hat. Die durch die Einflussnahme erzielten Gewinne bleiben durch den Abwehranspruch unangetastet. 678 Dadurch kann der Einflussnehmer die sozialen Kosten nicht internalisieren und eine Beseitigung von Fehlallokationen findet nicht statt. Der Abwehranspruch verfügt jedoch über eine Besonderheit, die ihn gleichwohl zu einem geeigneten Steuerungsinstrument macht: Die Aktivlegitimation von Mitbewerbern ermöglicht ein effektives Private Enforcement des wettbewerblichen Institutionenschutzes. Rechtswissenschaftler in den USA haben in der Vergangenheit neidisch auf den „deutschen Weg“ lauterkeitsrechtlicher Durchset zung geblickt. 679 Die Vorteile der privatrechtlichen Normdurchsetzung sind beman das (bürgerlich-rechtliche, aber auch § 9 Abs. 2 UWG immanente) Erfordernis der Transaktions- oder Preiskausalität umgehen. Vgl. zu dieser Thematik auch Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 8 Rn. 1.107 ff. 675 Zu letzterem s. BGH GRUR 1972, 558, 560 – Teerspritzmaschinen; 1977, 614, 616 – Gebäudefassade; BGHZ 121, 242, 248 – TRIANGLE; Hofmann, in: Pfeifer (Hrsg.), UWG, 3. Bd., 3. Aufl. 2022, § 8 Rn. 106 f.; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 8 Rn. 1.102: „[D]ann nämlich, wenn die Nichtbeseitigung gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung ist.“ 676 Vgl. aus US-amerikanischer Perspektive zur cease and desist order der Federal Trade Commission Rubin, 10 Cato J. 667, 685 (1990), s. auch Best, 20 Ga. L. Rev. 1, 44 f. (1985). 677 Vgl. Hofmann, JuS 2018, 833, 837: „[D]er Unterlassungsanspruch [kann] schnell pönalen Charakter erhalten.“ sowie Hofmann, in: Pfeifer (Hrsg.), UWG, 3. Bd., 3. Aufl. 2022, § 8 Rn. 13. 678 Freilich kommt auch ein Schadensersatz nach § 9 Abs. 1 UWG (vgl. unten S. 279 ff.) oder eine Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG (vgl. unten S. 283 ff.) in Betracht. 679 Grimes, 84 Harv. L. Rev. 1769, 1800 (1971): „The primary advantage of the German system – its extremely efficient surveillance of advertising practices – grows out of this broad reliance on private enforcement. The surveillance involves little social cost, because advertising necessarily receives the scrutiny of business competitors and the public anyway. For the same reason, the
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kannt:680 Behördliche Verfahren erweisen sich erfahrungsgemäß als langwierig, es stehen nur begrenzte finanzielle, fachlich-personelle und technische Ressourcen zur Verfügung. 681 Die prozessuale Durchsetzung vor den Zivilgerichten ist unkompliziert: Der wettbewerbsrechtliche Abwehranspruch hat geringe Tatbestandsvoraussetzungen und die Konkurrenten haben aufgrund ihrer fachlichen Nähe den nötigen Sachverstand und die personellen und finanziellen Mittel zur Überwachung und Rechtsverfolgung. 682 b) „Naming and Shaming“ im Lauterkeitsrecht? Zudem sieht § 12 Abs. 2 UWG683 im Falle einer Unterlassungsklage vor, dass das Gericht dem obsiegenden Mitbewerber zusprechen kann, das Urteil auf Kosten der unterliegenden Partei öffentlich bekannt zu machen, sofern er ein berechtigtes Interesse darlegt. Das Interesse der Allgemeinheit allein genüge nicht. 684 Nach Ansicht der Literatur zielt die Regelung darauf ab, das Publikum über das Verhalten des Einflussnehmers aufzuklären. 685 Es handele sich inhaltlich um eine erweiterte Störungsbeseitigung. 686 Hierbei wird nicht genügend herausgestellt, dass die Urteilsveröffentlichung unter Nennung des Namens des Einflussnehmers auch ein abschreckendes „Naming and Shaming“ darstellen kann. 687 Vergleichbare Veröffentlichungsbefugnisse existieren in den § 140e PatG, § 24e GebrMG, § 37e SortG, § 9 HalbleiterSchG, § 47 DesignG, § 19c MarkenG und § 103 UrhG. Diese beruhen auf Art. 15 Enforcement-RL,688 der in der Veröffentlichung des Urteils ausweislich
surveillance is complete, extending not only to television advertising but also to deceptive practices in areas like the ghetto where the FTC is rarely to be found.“ Das Private Enforcement durch Mitbewerber ist mittlerweile auch in den USA verbreiteter, vgl. unten S. 278, Fn. 692, und § 19 UWG sieht nunmehr auch ein Public Enforcement vor. 680 S. hierzu Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, 361 ff. m. w. N. 681 Vgl. Doepner, GRUR 2003, 825, 826; Meier, GRUR 2019, 581, 587. 682 Vgl. Doepner, GRUR 2003, 825, 826; Meier, GRUR 2019, 581, 587. Nicht nur Mitbewerber sind im Rahmen des § 8 UWG aktivlegitimiert. Auch Interessenverbände i. S. d. § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 3 UWG können die Irreführungsverbote durchsetzen, vgl. auch unten S. 283. Allein die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hat im Jahr 2019 über 3000 Fälle im Bereich „Irreführung, mangelnde Transparenz und Informationspflichten“ bearbeitet, vgl. Wettbewerbszentrale, Jahresbericht 2019, online abrufbar unter https://www.wettbewerbszentrale.de/de/institution/ jahresberichte. 683 Daneben besteht auch ein materiell-rechtlicher Veröffentlichungsanspruch, hierzu Köhler/ Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 12 Rn. 3.17 ff. 684 Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 12 Rn. 193. 685 Vgl. Retzer/Tolkmitt, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 12 Rn. 551. 686 Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 12 Rn. 3.2; Retzer/Tolkmitt, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 12 Rn. 530, 557. 687 In diese Richtung aber Steigüber, GRUR 2011, 295, 297 f. 688 Richtlinie 2004/85/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. EU Nr. L 157 v. 30.4.2004, S. 45.
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des Erwägungsgrunds 27689 vor allem eine Abschreckungswirkung erreichen möchte. 690 Zwar regt Art. 11 Abs. 2 UAbs. 3 UGP-RL eine solche Regelung auch für unlautere Geschäftspraktiken an, gleichwohl ist der Erlass des § 12 Abs. 2 UWG eine originäre Entscheidung des nationalen Gesetzgebers. Aus regulatorischer Sicht wäre es begrüßenswert, wenn die Dimension des „Naming and Shaming“ auch im Lauterkeitsrecht anerkannt würde. 691 Dass eine öffentliche Berichterstattung eine Wirkung entfaltet, zeigt ein Blick auf das US-amerikanische Lauterkeitsrecht: Leitet die Federal Trade Commission (FTC) ein Verfahren ein,692 berichten Medien wie das Wall Street Journal ausführlich darüber. 693 Das führt nicht nur dazu, dass Konsumenten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der betroffenen Einflussnehmer entwickeln. Es gibt empirische Hinweise darauf, dass auch der Kapitalmarkt unlautere Einflussnahmen abstraft.694 Auf die Regulierungswirkung des „Naming and Shaming“ wird bei den ex ante wirkenden Regulierungsinstrumenten zurückzukommen sein. 695
689 Sein Wortlaut: „Die Entscheidungen in Verfahren wegen Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums sollten veröffentlicht werden, um künftige Verletzer abzuschrecken und zur Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit beizutragen.“ 690 Daneben sieht § 32e Abs. 5 GWB im Falle eines begründeten Verdachts auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinträchtigen, vor, dass das Bundeskartellamt eine Sektoruntersuchung durchführen und in dessen Rahmen einen Abschlussbericht veröffentlichen darf. 691 Tatsächlich erkennen auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages die Bedeutung des § 12 Abs. 2 UWG als Instrument für ein naming and shaming, vgl. Wissenschaft liche Dienste, Kurzinformation, „name and shame“-System bei unlauteren geschäftlichen Handlungen, WD 7 - 3000 - 189/19 (28.11.19). 692 In den USA existieren auf Bundesebene zwei zu den Irreführungsverboten des UWG vergleichbare Rechtsregeln. § 5(a)(I) Federal Trade Commission Act bestimmt, dass „[u]nfair methods of competition in or affecting commerce, and unfair or deceptive acts or practices in or affecting commerce, are hereby declared unlawful“ und ermächtigt die Federal Trade Comission (FTC) in (II) zur Durchsetzung. Daneben existiert im Lanham Act, der primär das Markenrecht reguliert, in § 43(a) eine Regelung („false or misleading representation of fact“), die nach der Rechtsprechung sämtliche Täuschungsformen erfasst, vgl. Scotts Co. v. United Indus. Corp., 315 f.3d 264, 272 (4th Cir. 2002) m. w. N. Sie ermächtigt, anders als der Federal Trade Commission Act, auch Mitbewerber zur Rechtsdurchsetzung. Die Bedeutung des Private Enforcement war äußerst gering und nahm erst Ende des 20. Jahrhunderts zu. Hierzu Grimes, 84 Harv. L. Rev. 1769, 1775 (1971): „The most puzzling feature of section 43(a) private remedies is that they are rare ly used.“; Jordan/Rubin, 8 J. Legal Stud. 527, 547 (1979); Burns, 79 B.U. L. Rev. 807, 816 ff. (1999); Apgar, 76 Fordham L. Rev. 2389, 2399 (2007): „The view that section 43(a) was of minor importance remained true in practice for nearly thirty-five years, as litigants rarely invoked the provision and many courts narrowly interpreted its language as covering only cases of traditional trademark infringement.“ 693 Mathios, 7 Adv. Consum. Interest 28, 29 (1995). 694 Hierzu Peltzman, 24 J.L. & Econ. 403 (1981); Mathios/Plummer, 12 RLE 77 (1989). 695 Vgl. unten S. 306 f.
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II. Schadensersatz 1. § 9 Abs. 1 UWG Mitbewerber können bei einem Verstoß gegen die lauterkeitsrechtlichen Verhaltensanforderungen auch einen Schadensersatzanspruch nach § 9 Abs. 1 UWG geltend machen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Einflussnehmer die Einflussnahme zumindest fahrlässig vorgenommen hat. Das ist bei Vorliegen einer lauterkeitsrechtlich relevanten Täuschung oder Manipulation stets der Fall, soweit diese nach der hier vertretenen Konzeption des Durchschnittsverbrauchers als Personifizierung einer Mikroabwägung verstanden wird. Dann fungiert bereits der Tatbestand einer Irreführung bzw. unzulässigen Einflussnahme als Trennlinie zwischen sozial erwünschtem und sozial schädlichem Verhalten. 696 Der Schadensersatzanspruch kann auf Ersatz des entgangenen Gewinns (a.) oder auf „Marktentwirrung“ (b.) gerichtet sein. Daneben besteht die Möglichkeit der sog. dreifachen Schadensberechnung, 697 die in den hier interessierenden Fällen der Einflussnahme jedoch zumeist nicht in Frage kommt. 698 a) Entgangener Gewinn Die praktische Bedeutung der Geltendmachung entgangenen Gewinns ist gering, weil die geschädigten Mitbewerber einen kausalen Schaden nur schwer nachweisen können. 699 Zwar liegt es auf der Hand, dass Mitbewerber durch Einflussnahmen mittelbar geschädigt werden: Der Einflussnehmer lockt durch die Einflussnahme Adressaten an, die andernfalls mit Mitbewerbern kontrahiert hätten.700 Auch geht die Rechtsprechung von einem Erfahrungssatz dahingehend aus, dass unlauterer Wettbewerb Mitbewerber schädige.701 Trotzdem ist der Nachweis, dass ein Kunde 696
Vgl. oben S. 168 ff., S. 214 ff. und S. 269. Mit der „dreifachen Schadensberechnung“ ist gemeint, dass der Geschädigte ein Wahlrecht zwischen drei Schadensberechnungsarten hat: (1) entgangener Gewinn, (2) Lizenzanalogie oder (3) Abschöpfung des Verletzergewinns. S. hierzu knapp Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 9 Rn. 221 ff. 698 Sie kommt nur bei Verletzung der wie Immaterialgüterrechte geschützten Leistungen sowie bei der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen (nunmehr ausdrücklich geregelt in § 10 Abs. 2 GeschGehG) in Betracht, s. BGH MMR 2010, 786, 789 f. – E-Plus; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.41; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 9 Rn. 232; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 9 Rn. 15. Denkbar wäre die dreifache Schadensberechnung bei einer „Täuschung“ in Form einer Produktnachahmung i. S. d. § 4 Nr. 3 UWG, vgl. BGH GRUR 1993, 55, 57 – Tchibo/Rolex II; GRUR 2007, 431 Rn. 21 – Steckverbindergehäuse. 699 Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 9 Rn. 1; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 9 Rn. 4; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.23, der darauf hinweist, dass es in der Praxis deshalb meist nur um die Feststellung einer Schadensersatzpflicht geht. 700 Vgl. oben S. 134. 701 BGH GRUR 1993, 55, 59 – Tchibo/Rolex II; WRP 2016, 1142 Rn. 21 – Deltamethrin II. Vgl. auch BGH GRUR 1993, 757, 758 f. – Kollektion „Holiday“; GRUR 1995, 349, 351 – Objektive 697
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ohne eine Einflussnahme das Produkt eines konkreten Mitbewerbers erworben hätte, aufgrund der Komplexität des Wirtschaftsgeschehens schwierig.702 Als Faust regel wird man sagen können: je weniger Wettbewerber auf einem sachlich und räumlich abgrenzbaren Markt tätig sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Täuschung oder Manipulation einem bestimmten Mitbewerber zum Nachteil gereicht.703 Je länger eine Einflussnahme anhält, je intensiver ihre Wirkung und je größer der Kreis der Adressaten ist, desto eher entsteht auch ein Schaden eines individuellen Mitbewerbers.704 In der Praxis gelingt der Nachweis meist nur bei mitbewerberbezogenen Wettbewerbsverstößen wie einer Verunglimpfung konkreter Mitbewerber, bei Produktnachahmungen oder bei einer unzulässigen vergleichenden Werbung.705 Das ist aus Steuerungssicht bedenklich, weil Einflussnehmer so nicht alle negativen Auswirkungen ihrer Aktivitäten internalisieren. Dem könnte die Rechtsprechung leicht durch eine großzügige Heranziehung von Beweiserleichterungen (§ 287 ZPO, § 252 S. 2 BGB) entgegentreten.706 b) Marktentwirrung Eine Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verhaltensanforderungen in Form einer Täuschung oder Manipulation kann zu einer publikumsweiten Fehlvorstellung der Marktgegenseite führen und so ihre Transaktionsentscheidungen verzerren.707 Literatur und Rechtsprechung sprechen hier von einer Marktverwirrung.708 Diesem Störungszustand ist primär durch einen Abwehranspruch (§ 8 UWG) zu begegnen.709 Die Rechtsprechung erkennt hier auch einen Schadensersatzanspruch nach § 9 Abs. 1 UWG an, sofern die Interessen eines konkreten Mitbewerbers beeinträchtigt werden („Marktverwirrungsschaden“), etwa wenn der Absatz eigener
Schadensberechnung; GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung: „[…] jede irreführende Angabe eines Wettbewerbers [benachteiligt] die Konkurrenten […]“. 702 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 9 Rn. 114; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.23. Köhler weist darauf hin, dass es in der Praxis deshalb meist nur um die Feststellung einer Schadensersatzpflicht geht. In den USA werden vergleichbare Schadensersatzansprüche der Mitbewerber aus denselben Gründen selten verfolgt, s. Donegan, 37 Food, Drug, Cosmet. L. J. 264, 280 (1982). 703 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 9 Rn. 133. 704 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 9 Rn. 134. 705 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.35. 706 Das Gericht hat im im Wege der Schätzung jedenfalls einen Mindestschaden zu ermitteln. Doch auch hierfür bedarf es Anknüpfungstatsachen, vgl. BGH GRUR 1993, 55, 59 – Tchibo/Rolex II; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.35. 707 Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 648. 708 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.30; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 9 Rn. 198; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 9 Rn. 12; Koos, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 9 Rn. 25; Fritzsche, in: MüKo UWG, Bd. 2, 3. Aufl. 2022, § 9 Rn. 76. 709 BGH GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; GRUR 2001, 841, 845 – Entfernung der Herstellungsnummer II.
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Waren oder das Ansehen beeinträchtigt wird.710 Dann hat der Schädiger gemäß § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herstellen, der ohne den zum Ersatz verpflichtenden Umstand bestünde, d. h. er muss die Marktverwirrung beseitigen. Alternativ können Mitbewerber die Marktentwirrung durch Aufklärungsmaßnahmen, Werbemaßnahmen oder Klarstellungen selbst durchführen und die hierfür erforderlichen Marktentwirrungskosten vom Schädiger über § 249 Abs. 2 S. 1 BGB analog ersetzt verlangen.711 Hierfür verlangt die Literatur, dass sich die wettbewerbliche Maßnahme konkret gegen einen Mitbewerber gerichtet haben muss, weil andernfalls eine übermäßige Inanspruchnahme des Verletzers zu befürchten sei.712 Dadurch wird der Anwendungsbereich stark eingeschränkt, weil geschädigte Mitbewerber vor vergleichbaren Nachweisschwierigkeiten wie bei der Geltendmachung des entgangenen Gewinns stehen. Für eine effektive Steuerung wäre es sinnvoll, auf den Nachweis eines konkreten Vermögensschadens zu verzichten.713 Dafür spricht, dass der Einflussnehmer, wenn er durch eine Täuschung oder Manipulation einen Unlauterkeitstatbestand verwirklicht, stets die Interessen der Mitbewerber verletzt – davon geht auch der BGH als Erfahrungssatz aus714 – und nur die genaue Höhe der Vermögenseinbuße schwer zu beziffern ist. Ferner kann der Mitbewerber aufgrund der eigenen Sachnähe effektiv Maßnahmen für eine Marktentwirrung treffen und so nicht nur seinen eigenen Schaden beheben, sondern als Advokat des Wettbewerbs auch ineffiziente Transaktionen der Marktgegenseite vermeiden.715 Die Beseitigung einer Fehlvorstellung des Publikums erfolgt also nicht nur im Interesse des Mitbewerbers, sondern, wie es auch die Schutztrias 710
BGH GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.32; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 9 Rn. 12; Fritzsche, in: MüKo UWG, Bd. 2, 3. Aufl. 2022, § 9 Rn. 67, 81. In der US-amerikanischen Rechtswissenschaft spricht man hier von reparative advertising, deren Kosten Mitbewerber bei einem Verstoß gegen den Lanham Act geltend machen können, s. Cuisinarts, Inc. v. Robot-Coupe Intern. Corp., 580 f.Supp. 634, 641 (S.D.N.Y. 1984). Vgl. auch Obear-Nester Glass Co. v. United Drug Co., 149 f.2d 671, 674 (8th Cir. 1945); Century Distilling Co. v. Continental Distilling Corp., 86 f.Supp. 503, 505 f. (E.D.Pa. 1949), afrd 205 f.2d 140 (3d Cir. 1953); Taussig v. Wellington Fund, Inc., 187 f.Supp. 179, 221 f. (D.Del. 1960), aff’d 313 f.2d 472 (3d Cir. 1963). Manche Gerichte gehen weiter und billigen dem Mitbewerber auch einen Schadensersatzanspruch in Höhe der Werbekosten des Schädigers zu, s. Avis Rent A Car System, Inc. v. Hertz Corp., 223 U.S.P.Q. 1255, 1256, 226 U.S.P.Q. 95, 96 (E.D.N.Y. 1985). Hierbei können auch hohe Summen in Streit stehen. So ging es in Big O Tire Dealers, Inc. v. Goodyear Tire and Rubber, 408 f.Supp. 1219 (D.Colo. 1976), aff’d as modified, 561 f.2d 1365 (10th Cir. 1977) um 2,8 Mio. USD, bei U-Haul Intern. Inc. v. Jartran, Inc., 793 f.2d 1034 (9th Cir. 1986) um 40 Mio. USD. Ein derartiges Vorgehen wird in Deutschland abgelehnt, vgl. nur OLG München GRUR 1985, 548 und BGH GRUR 1987, 364 – Vier-Streifen-Schuh. 712 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.32: „Insoweit ist daher eine Beschränkung auf die Fälle vorzunehmen, in denen sich die Wettbewerbsmaßnahme unmittelbar gegen einen ganz bestimmten Mitbewerber richtet.“; Fritzsche, in: MüKo UWG, Bd. 2, 3. Aufl. 2022, § 9 Rn. 81: „Deshalb soll der Ersatz nur solchen Mitbewerbern zustehen, die infolge einer Beeinträchtigung ihrer Rechte oder ihres guten Rufes eine Vermögenseinbuße erlitten haben.“ 713 In diese Richtung BGH NJW-RR 2002, 191, 192. 714 Vgl. oben S. 279, Fn. 701. 715 Vgl. Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 649. 711
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des Lauterkeitsrechts in § 1 Abs. 1 UWG vorgibt, im Interesse der Allgemeinheit.716 Diese Erwägung spricht auch dagegen, dem Geschädigten den Ersatz „fiktiver“ Marktentwirrungskosten zuzusprechen.717 Rechnet der Geschädigte fiktiv ab, wird der Markt gerade nicht „entwirrt“.718 2. Allgemeines Deliktsrecht Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den Verhaltensanforderungen aus dem UWG besteht grundsätzlich nicht. Das Lauterkeitsrecht ist Marktordnungsrecht und soll primär die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs gewährleisten.719 Ein Individualschutz wird nur in den im UWG angesiedelten Anspruchsgrundlagen verwirklicht.720 Im Einzelfall kommt ein Anspruch aus § 826 BGB in Betracht, wenn der Einflussnehmer die Täuschung oder Manipulation mit Schädigungsvorsatz vornimmt.
F. Kollektiver Rechtsschutz Bei den bislang diskutierten Ex-post-Regulierungsinstrumenten besteht im Falle einer Einflussnahme, die eine Vielzahl von Adressaten erreicht, jedoch nur geringe individuelle Schäden verursacht („Streuschäden“), ein Durchsetzungsdefizit.721 Der einzelne Adressat mag die gerichtliche Geltendmachung seines Anspruchs scheuen, weil er hierfür Zeit, Mühe und Rechtsverfolgungskosten aufwenden muss, die den Erwartungswert einer riskanten Klage überschreiten. Er bleibt rational apathisch.722 Auf der anderen Seite stehen Einflussnehmer, die nicht selten große 716
Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht, 2010, 279. Den Ersatz „fiktiver“ Marktentwirrungskosten nach dem Vorbild der Erstattungsfähigkeit fiktiver Kfz-Reparaturkosten hält die Literatur weitgehend einhellig für nicht ersatzfähig. Man wolle vermeiden, dass „in verkappter Form Ersatz für – nicht nachgewiesenen – Gewinnentgang begehrt wird“, Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 9 Rn. 1.33; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 9 Rn. 12; Fritzsche, in: MüKo UWG, Bd. 2, 3. Aufl. 2022, § 9 Rn. 83; wohl auch Koos, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 9 Rn. 26; im Ergebnis auch BGH GRUR 1982, 489, 491 – Korrekturflüssigkeit; s. auch Ohly, GRUR 2007, 926, 931. A.A. Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 7 f.; Leisse, GRUR 1988, 88, dort S. 91: „Das bedeutet nicht, daß ihm fiktiver Schaden ersetzt wird. Sein Schaden ist real und bleibt real, auch wenn er ihn nicht behebt. Fiktiv ist nicht der Schaden, der ersetzt wird, fiktiv sind die Schadensbehebungskosten, weil sie ihm zugestanden werden, obwohl er sie nicht zur Schadensbehebung aufwendet.“ 718 S. Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 649. 719 Hierzu im Detail Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 308 ff. 720 Vgl. auch RegBegr. BT-Drs. 15/1487, S. 22. Die lauterkeitsrechtlichen Strafvorschriften in den §§ 16 ff. stellen jedoch Schutzgesetze dar, s. BGH NJW 2006, 830, 838; BGH GRUR 1966, 152, 153 – Nitrolingual. 721 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 465 f. 722 Der Begriff der rationalen Apathie (auch: rationale Ignoranz) stammt aus der Public Choice Theory, wonach es für den Einzelnen rational ist, bei einer Wahl nicht abzustimmen, s. Downs, An Economic Theory of Democracy, 1957. In Bezug auf den kollektiven Rechtsschutz s. statt aller Schäfer, 9 EJLE 183, 184 f. (2000). 717
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Konzerne sind und ihren Täuschungs- und Manipulationsprofit723 einsetzen, um Kanzleien und Gutachter mit der Abwehr von Ansprüchen zu beauftragen.724 Werden Ansprüche nicht durchgesetzt, findet nicht nur keine Kompensation der Betroffenen, sondern auch keine Verhaltenssteuerung in Form von Abschreckung statt.725 Das gilt für die hier besprochenen Referenzgebiete des Verbraucher-, Lauterkeits- und Kapitalmarktrechts gleichermaßen. Als Remedur gegen das Durchsetzungsdefizit hat der Gesetzgeber in den letzten zwei Jahrzehnten die Verbandskage (I.) und das Musterfeststellungsverfahren (II.) eingeführt. I. Verbandsklage 1. Allgemeines Bei einer Verbandsklage findet die Interessenbündelung bereits vor dem gerichtlichen Verfahren statt.726 Nur bestimmte Interessenverbände können eine Verbandsklage, die materiell-rechtlich einen Abwehranspruch durchsetzt,727 in ausgewählten Rechtsbereichen erheben. Anspruchsberechtigt sind bestimmte Verbraucherverbände, Wirtschaftsverbände und öffentlich-rechtliche Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger Interessen (§ 3 Abs. 1 UKlaG, § 8 Abs. 3 UWG). Inhaltlich können die Interessenverbände gegen unwirksame AGB (§ 1 UKlaG), verbraucherschutzwidrige Praktiken (§ 2 UKlaG) sowie lauterkeitsrechtliche Verstöße (§ 8 UWG) vorgehen. § 7 UKlaG sieht daneben eine Veröffentlichungsbefugnis der Urteilsformel mit der Bezeichnung des verurteilten Beklagten auf dessen Kosten im Bundesanzeiger vor. Sie hat die Wirkung eines „Naming and Shaming“.728 2. Exkurs: Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG Im Bereich des UWG besteht weiterhin die Besonderheit, dass aktivlegitimierte Interessenverbände neben einem Abwehranspruch den vorsätzlich handelnden Einflussnehmer, der durch eine unlautere Handlung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt, zur Herausgabe des Täuschungs- und Manipulationsprofits an den Bundeshaushalt in Anspruch nehmen können (§ 10 UWG). Die Literatur beschreibt den Anspruch als ein Rechtsinstitut sui generis zwischen Delikts- und Bereicherungsrecht.729 Die Gewinnabschöpfung zielt, anders als Schadensersatzansprüche, nicht auf eine Kompensation ab. Deshalb steht der Ge723
Vgl. oben S. 123 ff. Rotter, VuR 2019, 283, 288. 725 Schäfer, 9 EJLE 183, 184 (2000); Micklitz/Stadler, 17 EBLR 1473, 1476 (2006). 726 Micklitz/Stadler, 17 EBLR 1473, 1476 (2006). 727 Vgl. §§ 1 bis 2 UKlaG, § 8 Abs. 1 UWG. 728 Vgl. oben S. 277 f. und im Detail unten S. 306 f. 729 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 10 Rn. 5; Micklitz/Stadler, 17 EBLR 1473, 1482 (2006). 724
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winn auch nicht den klagenden Verbänden oder den Verbrauchern zu. Vielmehr dient die Vorschrift dem Einzug von „Unrechtsvermögen“.730 Können Interessenverbände den Gewinnabschöpfungsanspruch effektiv durchsetzen, kann § 10 UWG eine enorme Steuerungswirkung entfalten. Der Einflussnehmer verliert idealerweise im Rahmen eines einzelnen Anspruchs sämtlichen Gewinn, den er durch die Einflussnahme generiert hat. Dann würde er rationalerweise keine unzulässigen Einflussnahmen mehr vornehmen. In der Literatur wird häufig das Argument vorgebracht, die bloße Einziehung des Gewinns sei rechtspolitisch verfehlt, weil dadurch die benachteiligten Akteure auf der Marktgegenseite nicht kompensiert werden.731 Das mag aus einem schadensersatzrechtlichen Blickwinkel, der die Kompensation als maßgebliches Ziel begreift, stimmen. Aus regulatorischer Sicht dient die Vorschrift jedoch der Abschreckung. Die verhaltenssteuernde Wirkung entfaltet sich unabhängig davon, welcher Person das abgeschöpfte Vermögen zugeschlagen wird. Entscheidend ist nur, dass der Einflussnehmer den Gewinn verliert. So effektiv der Anspruch in der Theorie auch klingen mag, so verrufen ist seine konkrete Umsetzung. Er wird betitelt als „Zankapfel der UWG-Reform 2004“,732 als „unausgereift“ und „nicht praktikabel“733 oder als ein „schöner bunter Papiertiger“734. Es werden vor allem drei Kritikpunkte angeführt: Erstens habe die Rechtsregel einen Strafcharakter, der dem deutschen Privatrecht eigentlich fremd ist.735 Dieses Argument ist heute antiquitiert, da nicht die Genugtuung, sondern die Abschreckung im Vordergrund steht, die ein legitimer Zweck auch privatrechtlicher Regelungen ist.736 Zweitens sei der Vorsatznachweis in der Praxis schwer zu erbringen.737 Ein Gesetzesentwurf, wonach der Vorsatz vermutet werden sollte, konnte sich nicht durchsetzen.738 Gleichwohl wird man bei manchen Formen der Täuschung anhand des Grades der Verbindlichkeit leicht auf einen Vorsatz schließen können.739 Eine semantische Täuschung ist ein starkes Indiz dafür, dass der Einflussnehmer vorsätzlich gehandelt hat. Die Gerichte sollten, wie es der BGH bei § 826 BGB tut,740 deshalb von einem leichtfertigen Handeln auf einen bedingten Vorsatz schließen.741 Drittens wird bezweifelt, ob Interessenverbände einen ausreichenden Anreiz haben, den Anspruch prozessual durchzusetzen. Monetäre Vortei730
Alexander, JZ 2006, 890, 892. Alexander, JZ 2006, 890, 893, s. dann aber relativierend S. 895. 732 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 10 Rn. 3. 733 So eine Stellungnahme des Bundesrats, s. BT-Drs. 18/1487, S. 34. 734 Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562. 735 Sack, WRP 2003, 546, 552. 736 Statt aller Wagner, AcP 206 (2006), 352, 360 ff. 737 S. nur LG Bonn GRUR-RR 2006, 111; Braunmühl, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 10 Rn. 287. 738 Vgl. die Stellungnahme des Bundestrates in BRegE, BT-Drs. 18/4535 vom 1.4.2015, S. 19 f. 739 Vgl. oben S. 240. 740 BGHZ 176, 281 Rn. 46; 184, 365 Rn. 39; s. auch Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 826 Rn. 31 ff. 741 Braunmühl, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 10 Rn. 283. 731
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le können sie sich nicht erhoffen, weil das Geld in den Staatshaushalt wandert.742 Im Falle des Obsiegens muss nach den allgemeinen prozessrechtlichen Regeln zwar der Einflussnehmer die Kosten des Verfahrens tragen. Unter Umständen steht den Verbänden nach § 10 Abs. 4 UWG auch ein Aufwandsersatzanspruch gegen den Bund zu. Gleichwohl tragen sie das volle Prozessrisiko. Bestenfalls gewinnen die Verbände also nichts, schlimmstenfalls tragen sie die Rechtsverfolgungskosten. Es wundert daher nicht, dass der Gewinnabschöpfungsanspruch in der Praxis nur eine geringe Rolle spielt.743 Mitunter wird er als „totes Recht“ tituliert.744 De lege ferenda wäre es sinnvoller, den Interessenverbänden den Gewinn zuzusprechen oder dem Bundeskartellamt die Befugnis einzuräumen, den Gewinnabschöpfungsanspruch geltend zu machen.745 Es könnte sein, „dass der ‚bunte Papiertiger‘ dann plötzlich Zähne zeigt.“746 II. Musterfeststellungsverfahren Mit dem KapMuG, das 2005 als Reaktion auf die Klagen von Telekom-Aktionären in Kraft getreten ist,747 wurde erstmals die Möglichkeit einer Interessenbündelung im Zivilprozess geschaffen.748 Sein Anwendungsbereich beschränkt sich auf Massenschäden auf dem Kapitalmarkt.749 Die Idee des Gesetzes ist es, die mehreren Rechtsstreitigkeiten gemeinsamen Tatsachen und Rechtsfragen in nur einem Verfahren zu klären.750 Hierfür kann sowohl der Kläger als auch der Beklagte im ersten Rechtszug die Feststellung des (Nicht-)Vorliegens anspruchsbegründender oder 742 Vgl. auch Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562: „[E]ine Regelung, die nur aus dem Diktat leerer Staatskassen zu erklären ist und bei genauer Betrachtung fast schildbürgerähnlichen Charakter annimmt. Aus gutem Grund findet sich eine solche Regelung, soweit ersichtlich, bei keinem der ausländischen Vorbilder.“; s. auch Micklitz/Stadler, 17 EBLR 1473, 1484 (2006). 743 Gleichsinnig auch Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 10 Rn. 5; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 10 Rn. 3. Weniger kritisch Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 10 Rn. 2. 744 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 10 Rn. 5. 745 S. zu letzterem Vorschlag Köhler, WRP 2018, 519, 523 f. 746 Henning-Bodewig, GRUR 2015, 731, 739. 747 Assmann/Buck-Heeb, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch Kapitalanlagerecht, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 46 f. Die Gültigkeit des Gesetzes war zunächst, zur Überprüfung der Praxistauglichkeit, auf fünf Jahre beschränkt („Sunset-Klausel“), wurde jedoch mehrmals verlängert und tritt nach aktuellem Stand mit Ablauf des 31. 12. 2013 außer Kraft. S. zur gesetzgeberischen Entwicklung Schütze/Reuschle, in: Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch Kapital anlagerecht, 5. Aufl. 2020, § 25 Rn. 57 ff. S. für eine aktuelle Bestandsaufnahme Reuschle, BKR 2020, 605. 748 Lange, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2. Aufl. 2020, Einl. Rn. 1. 749 Konkret ist das Gesetz nach § 1 Abs. 1 KapMuG anwendbar, wenn ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, oder ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, einschließlich eines Anspruchs nach § 39 Abs. 3 S. 3 und 4 des BörsG, beruht, geltend gemacht wird. 750 Vgl. § 2 Abs. 1 KapMuG. S. auch Micklitz/Stadler, 17 EBLR 1473, 1485 (2006).
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-ausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen beantragen, sofern die Feststellungsziele über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten relevant sind.751 Der entsprechende Beschluss wird im Klageregister des Bundesanzeigers öffentlich bekannt gemacht.752 Sofern genügend weitere Anträge bekanntgemacht werden, entscheidet das Oberlandesgericht für die individuellen Verfahren bindend über die Feststellungsziele.753 Während sich das KapMuG auf kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten beschränkt, ist am 1. November 2018, als Reaktion auf den „Dieselskandal“, das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft getreten.754 Die Regelungen finden sich in den §§ 606 ff. ZPO. Auch die Musterfeststellungklage basiert auf einem zweistufigen Rechtsschutzmodell, bestehend aus einem Musterfeststellungsverfahren und anschließenden Individualprozessen.755 Anders als das Verfahren nach dem KapMuG werden Musterfeststellungsverfahren jedoch nicht durch individuelle Klagen, die dann gebündelt werden, eingeleitet. Die Musterfeststellungsklage wird durch bestimmte qualifizierte Einrichtungen erhoben, die kollektive Verbraucherinteressen vertreten.756 Einzelne Verbraucher können ihre Ansprüche dann zur Eintragung in das Klageregister anmelden.757 Die Feststellungen aus dem Musterfeststellungsverfahren entfalten Bindungswirkung für die Individualprozesse.758 Die Musterfeststellungsklage könnte schon bald reformiert werden. Aktuell ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer europäischen Verbandsklage im Gange, die auch eine kollektive Leistungsklage einführen soll.759
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Vgl. § 2 Abs. 1, 3 KapMuG. Die Einzelverfahren werden dann unterbrochen, § 3 Abs. 2, § 5 KapMuG. 753 § 6 Abs. 1 KapMuG. Hierbei bestimmt es nach billigem Ermessen aus den verschiedenen Klägern einen Musterkläger als Repräsentanten, die übrigen werden beigeladen, § 9 Abs. 2, 3 KapMuG. Die Parteien können sich auch auf einen durch das Gericht zu genehmigenden Vergleich einigen, vgl. §§ 16–18 sowie 22 f. KapMuG. 754 Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018, BGBl. I S. 1151. 755 S. hierzu der Überblick bei Lühmann, NJW 2020, 1706. 756 § 606 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG. 757 Die Musterfeststellungsklage ist zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen und zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister wirksam angemeldet haben, § 606 Abs. 3 ZPO. Das Verfahren kann durch Vergleich oder Urteil enden; beides hat Wirkung für und gegen die angemeldeten Verbraucher. 758 § 613 ZPO. 759 S. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, COM(2018) 184 final vom 11.4.2018. Vgl. dort insbesondere Art. 6 („Abhilfemaßnahmen“). 752
§ 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente
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G. Zusammenfassung von § 7 1. Ziel einer Ex-post-Regulierung ist die Minimierung der sozialen Kosten von Täuschungen und Manipulationen, indem Einflussnehmer von sozial unerwünschten Einflussnahmen abgeschreckt werden, ohne sie zugleich in ihrem sozialförderlichen Verhalten zu behindern. Die Grenze zwischen akzeptablem und sozialschädlichem Verhalten kann man bei unbeabsichtigten Einflussnahmen durch eine Kosten-Nutzen-Analyse entsprechend der „Learned Hand“-Formel ziehen. Bei Aktivitäten, die eine Vielzahl von Adressaten erreichen, einen Teil der Adressaten täuschen oder manipulieren, einem anderen Teil aber informationelle Vorteile bieten, ist eine Mikroabwägung angezeigt. Sie sollten nur dann als rechtlich relevante Täuschung oder Manipulation gelten, wenn der Grenznutzen einer denkbaren alternativen Darstellung – die durch eine Reformulierung, durch klarstellende Hinweise oder eine andere Präsentation vorgenommen werden kann – die Grenzkosten ebendieser Darstellung überwiegt. Absichtliche Einflussnahmen sollten hingegen in jedem Fall verhindert werden, sodass eine Abwägung der Risiken und des Nutzens, ebenso wie ein Mitverschuldenseinwand auf Adressatenseite, nicht erforderlich ist. 2. Die Messung aller sozialen Kosten, die eine Täuschung oder Manipulation verursachen und die eine Rechtsregel idealerweise dem Einflussnehmer auferlegen sollte, gestaltet sich schwierig. Vielfach wird man nur die Kosten der unmittelbar beteiligten Parteien bestimmen können. Um eine unzureichende Abschreckung zu verhindern, sollten Rechtsregeln als „zweitbeste Lösung“ dem Einflussnehmer auch Umverteilungsschäden – als Stellvertretergröße für die nicht quantifizierbaren sozialen Kosten – auferlegen. 3. Ex-post-Regulierungsinstrumente reagieren auf das Vorliegen einer Täuschung oder einer Manipulation. Hierzu müssen Gerichte den Lebenssachverhalt deuten und ordnen, d. h. das reale Geschehen in eine rechtlich handhabbare Aussage „übersetzen“. Als „Policymaker“ in der ersten Reihe können Gerichte bereits durch die Sachverhaltsbeurteilung das Verhalten der Rechtsunterworfenen steuern. Gerichten stehen drei Ansätze zur Verfügung, um einen Sachverhalt als Täuschung oder Manipulation zu deuten: – Der interpretative Ansatz dient ausschließlich der Bestimmung einer Täuschung. Das Gericht deutet den propositionalen Gehalt einer Äußerung oder eines Verhaltens des Einflussnehmers mittels Interpretationsregeln und -standards, die von der kommunikativen Umgebung abhängig sind. Bei ambigen Äußerungen dient der „Grad der Verbindlichkeit“ als Richtschnur. – Der effektbasierte Ansatz ist bei einer Täuschung auf die Feststellung informationeller Effekte (oder mittelbarer Täuschungseffekte), bei einer Manipulation auf die Feststellung von Verhaltensanomalien gerichtet. Das Gericht kann die Effekte evidenzbasiert, durch demoskopische Gutachten bzw. mittels experimenteller
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Designs, oder erfahrungsgestützt, durch alltagspsychologische Beobachtungen und wissenschaftliche Theorien feststellen. – Der konstruktive Ansatz flankiert die beiden anderen Ansätze normativ. Maßfiguren wie der durchschnittliche Verbraucher, der verständige Anleger oder eine Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont können als Beurteilungsmaßstab für eine Konstruktion von Bedeutung (Täuschung) oder von manipulativen Effekten dienen. Hierbei schwingen regulatorische Erwägungen mit, die dem jeweiligen Regulierungsziel förderlich sind. So füllt die Wohlfahrtsmaximierung als Meta-Ziel wirtschaftsrechtlicher Regulierung die Maßfiguren mit Leben: Sie sollten als Personifizierung einer Risiko-Nutzen-Analyse verstanden werden. 4. Die Sachverhaltsbeurteilung wird bei einer Manipulation durch die Heterogenität der Adressaten sowie das Wissensproblem der Gerichte über die Präferenzen der Adressaten erschwert. Zudem kann eine Ex-ante-Regulierung der Manipulation die Lernfähigkeit der Adressaten beeinträchtigen. In summa können die Kosten der Rechtsdurchsetzung ihren Nutzen übersteigen, weshalb sich eine Ex-post-Regulierung auf besonders verwerfliche Formen der Manipulation beschränken sollte. Im Übrigen ist eine Regulierung ex ante durch den Gesetzgeber vorzugswürdig. 5. Täuschungen und Manipulationen setzen verschiedene Kausalketten in Gang und Rechtsregeln setzen für ihr Eingreifen unterschiedliche Kausalbeziehungen voraus. Die Transaktionskausalität beschreibt die Kausalbeziehung zwischen der Einflussnahme und der wirtschaftlichen Entscheidung des Adressaten. Sie ist Voraussetzung für Rechtsregeln, die zur Rückabwicklung eines Vertrages führen. Die Preiskausalität ist die Beziehung zwischen einer Einflussnahme und ihrer Auswirkungen auf den Preisbildungsmechanismus. Anknüpfungspunkt ist nicht der Wille des Einzelnen, sondern eine Preisverzerrung, die auf dem Güter- oder Kapitalmarkt auftritt. Das lauterkeitsrechtliche Kriterium der wettbewerblichen Relevanz, das einer potenziellen Kausalität entspricht, stellt auf die Eignung einer Täuschung oder Manipulation ab, die Entscheidungsfindung der Marktgegenseite zu beeinflussen. 6. Verleiten Täuschungen oder Manipulationen den Adressaten zu einem Vertrag, den er andernfalls nicht geschlossen hätte, heben sie die in einer freien Marktwirtschaft bestehende Vermutung einer nutzenstiftenden Transaktion auf. Dem Adressaten stehen mit dem Anfechtungs-, Widerrufs- und Rücktrittsrecht Rechtsinstitute zur Verfügung, die zu einer Beseitigung und Rückabwicklung der einflussbedingten Transaktion führen. Dadurch verliert der Einflussnehmer seinen Täuschungs- oder Manipulationsprofit. Das hält ihn ex ante von einer Einflussnahme ab und ermöglicht ex post neue Pareto-superiore Vertragsschlüsse. 7. Schadensersatzverpflichtungen sind aus regulatorischer Perspektive Sanktionen, die eine Abschreckungswirkung entfalten. Das wichtigste haftungsauslösende Ereignis für eine Schadensersatzhaftung ist ein Verstoß gegen das Täuschungs- und Manipulationsverbot, das im vorkonsensualen, im vertraglichen und im deliktischen Bereich in unterschiedlichen Ausprägungen gilt. Konkret werden Täuschungen und Manipulationen durch eine Haftung wegen culpa in contrahendo, zum Teil
§ 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente
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auch durch vertragliche Anspruchsgrundlagen und schließlich deliktsrechtlich sanktioniert, insbesondere durch § 826 BGB und die spezialgesetzliche Kapitalmarktinformationshaftung. Mittelbare Schäden sollten nur ersatzfähig sein, wenn die drohende Haftung den Einflussnehmer von wohlfahrtsschädlichem Verhalten abhält. Mittelbare Schäden entstehen, wenn ein Einflussnehmer einen Adressaten beeinflusst, der Schaden jedoch durch eine Transaktion mit einem Dritten entsteht oder wenn ein Marktteilnehmer durch Preisverzerrungen geschädigt wird. Aus dem Schutzzweck der Haftung sollten deshalb Schäden fallen, die der Einflussnehmer bei Vornahme seiner täuschenden oder manipulativen Aktivität nicht vorhersehen konnte. Erfasst werden sollten solche, die dem Einflussnehmer mittelbar Vermögensvorteile verschaffen. Eine Fahrlässigkeitshaftung sollte ausscheiden, wenn der Einflussnehmer als mittelbarer Schädiger mit der Täuschung oder Manipulation kein wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgt. Andernfalls nähme die Haftung dem Einflussnehmer den Anreiz zur (wohlfahrtsförderlichen) Informationssammlung und -veröffentlichung. 8. Außerhalb von Sonderverbindungen kann der Adressat sein negatives Interesse auf verschiedene Arten ersetzt verlangen: Die ungewollte Eingehung einer Verbindlichkeit aufgrund einer Einflussnahme stellt einen Schaden dar, sodass eine Naturalrestitution auf Rückgängigmachung des Vertrages gerichtet ist (Vertragsabschlussschaden). Der entgangene Gewinn kann, wenn der Vertrag ohne Beeinflussung zu einem günstigeren Preis geschlossen worden wäre, was auf einem kompetitiven Markt zu vermuten ist, das hypothetische Erfüllungsinteresse dieses nicht-geschlossenen Vertrages erfassen. Schließlich kann der Adressat den kleinen Schadensersatz geltend machen, der der Differenz zwischen dem für das Gut gezahlten Preis und dem tatsächlichen Wert entspricht. Für die Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes bedarf es richtigerweise lediglich des Nachweises einer Preiskausalität. 9. Mitbewerber werden durch Täuschungen und Manipulationen mittelbar geschädigt. Aufgrund der verzerrten Nachfrage und durch Fehlallokationen können sie weniger Güter absetzen und müssen Kosten für übermäßigen Signaling-Aufwand wie Werbung oder Garantieversprechen tätigen. Das Lauterkeitsrecht billigt Mitbewerbern deshalb Abwehr- und Schadensersatzansprüche gegen Einflussnehmer zu, die zu täuschenden (§§ 5 ff. UWG) und manipulativen (§ 4a Abs. 1 Nr. 3 UWG) geschäftlichen Handlungen greifen. Die Steuerungswirkung des Abwehranspruchs ist begrenzt, weil er nur bestehende oder drohende Täuschungen und Manipulationen auf der Marktgegenseite aufhebt. Dafür hat er niedrige Tatbestandsvoraussetzungen und ermöglicht ein effektives Private Enforcement. Als Advokaten des Wettbewerbs schützen Mitbewerber so nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern verhindern auch ineffiziente Transaktionen der Marktgegenseite. § 12 Abs. 2 UWG enthält einen „Naming and Shaming“-Mechanismus, den Gerichte für eine effektive Steuerung häufiger nutzen sollten. Der Schadensersatzanspruch aus § 9 Abs. 1 UWG hat als law in action wegen überzogener Beweisanforderungen der Gerichte nur eine geringe Bedeutung. Dadurch internalisieren Einflussnehmer
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
ein Gros der sozialen Kosten der Einflussnahme nicht. Dem sollten Gerichte durch eine großzügige Heranziehung von Beweiserleichterungen entgegentreten. 10. Eine unwahre Angabe i. S. d. § 5 UWG ist eine semantische Täuschung, eine Angabe mit Täuschungseignung ist eine pragmatische Täuschung. Aufgrund des mit einer semantischen Täuschung verbundenen höheren Grades der Verbindlichkeit kann man bei einer unwahren Angabe prima facie von einer Täuschungswirkung ausgehen. Täuschungen durch Unterlassen werden von §§ 5a, 5b UWG erfasst. Die irreführende Wirkung einer geschäftlichen Handlung ist aus dem Blickwinkel des Durchschnittsverbrauchers als Personifizierung einer Mikroabwägung zu bestimmen. Es liegt nur dann eine „Irreführung“ vor, wenn der Einflussnehmer die Täuschung kosteneffektiv hätte vermeiden können, d. h. wenn der Grenznutzen einer alternativen Darstellung die Grenzkosten ebendieser Darstellung überwiegt. Entsprechendes gilt bei der Beurteilung, ob eine manipulative Technik eine unzulässige Beeinflussung i. S. d. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG darstellt. 11. Ex-post-Regulierungsinstrumente haben Durchsetzungsdefizite. Einzelne Marktteilnehmer scheuen aus rationaler Apathie eine gerichtliche Durchsetzung. Kollektiver Rechtsschutz kann diesen Makel teilweise beheben. Verbraucher- oder Wirtschaftsverbände bündeln die Interessen der Markteilnehmer und können gegen den Einflussnehmer einen Abwehranspruch, im Lauterkeitsrecht auch den bislang „zahnlosen“ Gewinnabschöpfungsanspruch, geltend machen. Ergänzt wird die Verbandsklage durch das Musterfeststellungsverfahren nach dem KapMuG und die Musterfeststellungsklage.
§ 8 Ex-ante-Regulierungsinstrumente Ex-ante-Regulierungsinstrumente sind vorwärtsblickend. Sie versuchen Täuschungen und Manipulationen bereits im Keim zu ersticken. Hierfür kommen neben dem klassischen Verbot (A.) auch ein Zertifizierungsmechanismus (B.), die Offenlegung, Standardisierung, Verhaltensregeln (C.) oder „softe“ Regulierungsinstrumente wie eine regulierte Selbstregulierung bzw. ein „Naming and Shaming“ in Betracht (D.). Schließlich entfalten auch Steuern eine Steuerungswirkung (E.).
A. Verbote Den intensivsten regulatorischen Eingriff, der deshalb am rechtfertigungsbedürftigsten ist, stellt das vollständige Verbot bestimmter täuschungs- und manipulationsgeneigter Aktivitäten dar (I.). Eine Variation hiervon ist ein grundsätzliches Verbot mit einem Erlaubnisvorbehalt (II.). I. Klassisches Verbot Ein Täuschungs- oder Manipulationsverbot ex ante geht zumeist mit einer Sanktion oder einer Unwirksamkeit ex post einher. Das hat sich im Rahmen der Ex-post-Regulierungsinstrumente gezeigt, wonach ein Verstoß eine Rückabwicklung oder Schadensersatzpflicht zur Folge haben kann.1 Die genannten Rechtsregeln adressieren durch unbestimmte Rechtsbegriffe wie „Sittenwidrigkeit“, „Pflichtverletzung“ oder „Täuschung“ Formen der Einflussnahme im Einzelfall. Denkbar wäre auch ein öffentlich-rechtliches Verbot bestimmter täuschungs- oder manipulationsgeneigter Aktivitäten. Ein Beispiel hierfür findet sich in dem umfassenden Tabakwerbeverbot in den §§ 19 ff. TabakerzG.2 Solche konkreten Verhaltensverbote sollten aufgrund der Eingriffsintensität aber ultima ratio bleiben. Unterstellt man Tabakwerbung generell manipulativ zu sein, weil sie die Affekte der Adressaten durch Suchtmittel ansprechen und hält man sich die enormen Schäden, die der Tabakkonsum mit sich bringt, vor Augen, erscheint das Werbeverbot ange-
1
Vgl. oben S. 237 ff. der Vergangenheit erfasste das Verbot nicht die Werbung an Außenflächen. Seit dem 1.1.2022 ist auch dort Tabakwerbung verboten und nur noch an Außen- und Fensterflächen von Geschäftsräumen des Fachhandels erlaubt (bzw. dem 1.1.2023 für Tabakerhitzer und ab dem 1.1.2024 für elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter), vgl. §§ 20a, 47 Abs. 8 TabakerzG. 2 In
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
messen. Mit derselben Begründung ließe sich auch ein Werbeverbot für alkoholische Getränke rechtfertigen.3 II. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Eine andere Herangehensweise stellt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar.4 Eine Handlung mit potenziell täuschendem oder manipulativem Charakter müsste vor ihrer Vornahme von einer Behörde (oder einem beliehenen Privaten, einem Ethikrat oder einer vergleichbaren Institution) gebilligt werden. Damit ein solches Instrument eine sinnvolle Steuerungswirkung entfalten kann, muss der Gesetzgeber zunächst bestimmte Verhaltensweisen bestimmen, bei denen typischerweise das Risiko einer Täuschung oder Manipulation besteht. Es ist wohl kaum denkbar und wäre äußerst ineffizient, wenn eine allgemeine „Täuschungs- und Manipulationspräventionsbehörde“ jegliche Informationsveröffentlichung einer Vorabkontrolle unterziehen würde. Denkbar ist eine solche Vorabkontrolle bei Informationen, zu deren Offenlegung der Einflussnehmer gesetzlich verpflichtet ist. Im Prospektrecht findet sich eine abgeschwächte Version eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt: Vor Veröffentlichung eines Prospekts muss ein Prospektprüfungsverfahren durchlaufen werden.5 Hier prüft die BaFin, ob der Prospekt die Standards der Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohäherenz erfüllt. 6 Zwar überprüft die BaFin nicht die Richtigkeit der Angaben.7 Der Prüfungsumfang erfasst jedoch täuschende oder manipulative Wirkungen, die durch unvollständige, unverständliche oder inkohärente Angaben entstehen. Die Nachteile eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt liegen auf der Hand: Je mehr Erlaubnisverfahren eine Behörde vornehmen muss, desto höhere Kosten entstehen ihr. Der durch die Vermeidung einer Einflussnahme entstehende Nutzen kann diese Kosten wohl nur selten aufwiegen. 3 Im Jahr 2011 waren 27,2 % der Volljährigen Risikotrinker. Der Anteil der 18 bis 29-Jährigen war bedeutend höher: 32,4 % bei Frauen, 44,6 % bei Männern. Das „Rauschtrinken“ war in dieser Altersgruppe besonders hoch bei Männern: 10,5 %. S. Statista-Dossier zum Thema Risikokonsum von Alkohol, online abrufbar: https://de.statista.com/statistik/studie/id/22246/dokument/ risikokonsum-von-alkohol-in-deutschland-statista-dossier, S. 26 ff. Alkoholbedingt kam es beispielsweise im Jahr 2019 zu rund 36.000 Verkehrsunfällen, s. Statistisches Bundesamt, Anzahl der polizeilich erfassten Alkoholunfälle in Deutschland von 1995 bis 2019, zitiert nach de.statista. com, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/459049/umfrage/anzahl-der-alkoholbedingtenverkehrsunfaelle-deutschland. 4 S. auch Becher/Feldman, 38 Cardozo L. Rev. 459, 489 (2016). 5 Art. 20 ff. ProspektVO. 6 Art. 20 Abs. 4 ProspektVO. Die Kriterien werden in den Art. 36 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2019/980 der Kommission vom 14. März 2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Aufmachung, des Inhalts, der Prüfung und der Billigung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission, ABl. EU Nr. L 166 v. 21.6.2019, S. 26 konkretisiert. 7 Groß, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, Bd. 2 , 4. Aufl. 2020, Art. 20 ProspektVO Rn. 9.
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B. Zertifizierung Zudem kann eine Kontrolle der täuschungs- und manipulationsgeneigten Aktivitäten durch eine Zertifizierung stattfinden.8 Die Zertifizierung ist nicht zwingend, andernfalls wäre sie ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Einflussnehmer benötigen dann aber einen Anreiz, ihre potenziell täuschenden oder manipulativen Handlungen zertifizieren zu lassen. Einerseits können sie sich durch eine Zertifizierung, mit der sie werben können, eine gesteigerte Reputation erhoffen.9 Ist dieser Anreiz zu niedrig, ist es vorstellbar, ihnen als „Belohnung“ eine Haftungsimmunität für ihre zertifizierten Verhaltensweisen zuzubilligen.10 Adressaten, die durch eine zertifizierte Aktivität beeinflusst werden, können dann keine Ansprüche gegen den Einflussnehmer geltend machen. Auch hier bedarf es einer Behörde oder einer anderen Institution, die – sinnvollerweise gegen Entgelt – die Zertifizierung vornimmt. Ein Zertifizierungsmechanismus für Aktivitäten, die einen Einfluss auf Adressaten nehmen, ist weniger fernliegend als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Für sozialwissenschaftliche Experimente, die das Entscheidungsverhalten von Menschen erforschen, wird nicht selten eine vorherige Überprüfung der Studie durch eine Ethikkommission vorgesehen.11 Sind derartige Vorkehrungen bei wissenschaftlichen Experimenten angezeigt, wäre eine Zertifizierung beispielsweise von Werbung durch einen Ethikrat zumindest denkbar.12
C. Offenlegung, Standardisierung, Verhaltensregeln Das europäische und deutsche Verbraucher-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht wird seit längerer Zeit durch den Topos „Information“ geprägt. Die Aussage von 8 S. hierzu Becher, 42 U. Mich. JL Reform 747, 750 f. (2009); Becher/Feldman, 38 Cardozo L. Rev. 459, 489 (2016). Zertifizierungssysteme werden zunehmen als Regulierungsinstrument genutzt. Beispielsweise wird eine „Hygieneampel“ diskutiert, die die Prüfergebnisse amtlicher Lebensmittelkontrollen in Gastronomiebetrieben sichtbar machen soll, s. Lebensmittelverband Deutschland, online abrufbar unter https://www.lebensmittelverband.de/de/lebensmittel/sicher heit/ueberwachung/ueberwachungsergebnisse-verbraucherinformation/hygiene-ampel. Hierzu kritisch Kügel/Plaßmann, LMuR 2012, 1. 9 Becher, 42 U. Mich. JL Reform 747, 750 f. (2009); ders./Feldman, 38 Cardozo L. Rev. 459, 489 (2016). 10 Becher/Feldman, 38 Cardozo L. Rev. 459, 489 (2016). 11 Verpflichtend ist diese an deutschen Universitäten in den Sozialwissenschaften aber nicht. In den Vereinigten Staaten muss unter Umständen auch hier von einem Institutional Review Board (IRB) eine Erlaubnis eingeholt werden, s. der Belmont Report, der in den Federal Register übernommen wurde, S. 44 Fed. Reg. 23,192 (Apr. 18, 1979). 12 S. für diesen Gedankengang auch Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1046 (2014): „The researcher must justify her study in advance to an Institutional Review Board (“IRB”) comprised of peers and structured according to specific federal regulations. In contrast, a private company that conducts experiments involving thousands of consumers using the same basic techniques, facilities, and personnel faces no such obligations, even where the purpose is to profit at the expense of the research subject.“
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Louis Loss, Anfang der 1960er-Jahre zum US-amerikanischen Kapitalmarktrecht, würde auch zu unserem Rechtskreis passen: „Then too, there is the recurrent theme throughout these statutes of disclosure, again disclosure, and still more disclosure.“13
Das Informationsmodell substituiert materielle Regelungen durch Offenlegungspflichten.14 Es wird als „softe“ Regulierungsalternative zu der harten „Command-and-Control“-Regulierung gepriesen, die die Kräfte des freien Marktes respektiert.15 Eine Offenlegungsregel verpflichtet den Adressaten dazu, bestimmte Informationen weiterzugeben. Grund dafür ist, dass die Informationen den Marktteilnehmern sowohl auf dem Güter- als auch auf dem Kapitalmarkt in ungleicher Weise zugewiesen sind.16 Die Offenlegung beseitigt Informationsasymmetrien zwischen zwei Parteien, sei es zwischen Verbraucher und Hersteller oder zwischen Anleger und Emittent, sodass die Qualität der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung verbessert wird und Wohlfahrtsgewinne entstehen. Das Informationsmodell ruht daher zunächst auf der neoklassischen Annahme, dass Marktteilnehmer mit vollkommener Information effiziente Entscheidungen treffen.17 Man kann die Offenlegungspflichten in solche unterteilen, die das Gesetz ausdrücklich vorsieht (gesetzliche Offenlegungsregeln) und solche, die mittelbar durch eine Haftungsandrohung statuiert und vor allem durch die Rechtsprechung geformt werden (richterliche Offenlegungsregeln). Beispiele für gesetzliche Offenlegungsregeln finden sich viele: etwa die Registerpublizität,18 die Rechnungslegungspublizität19 oder die Ad-hoc-Publizität 20 . Richterliche Offenlegungsregeln lassen sich in den Aufklärungspflichten im Vertragsrecht 21 oder in den Warnpflichten im Produkthaftungsrecht 22 erkennen. Neben den eigentlichen Publizitätspflichten existieren auch Regeln darüber, in welcher Art und Weise die Informationen offenzulegen sind. Derartige Verhaltens-
13
Loss, Securities Regulation, 2. Aufl. 1961, S. 21. Grundmann, in: FS Lutter, 2004, S. 232; Merkt, Unternehmenspublizität, 2001, S. 29 ff. (insbesondere für die geschichtliche Entwicklung); Grundmann, DStR 2004, 232; Merkt, zfbf 2006, 24; Hopt, in: FS Canaris II, 2007, S. 105, 107 ff.; Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 237. 15 Loewenstein/Sunstein/Golman, 6 Annu. Rev. Econ. 391, 392 (2014). 16 Schön, in: ders. (Hrsg.), Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2009, S. 563, 578: „Der Verkäufer kennt seine Waren besser als der Käufer. Das Management eines Unternehmens kennt seine Geschäftsmöglichkeiten besser als ein potenzieller Investor.“ 17 Vgl. zum Menschenbild der Neoklassik oben S. 24 ff. 18 §§ 8 ff. HGB. 19 § 325 HGB. 20 Art. 17 MAR. 21 Hierzu Bachmann, in: MüKo BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 241 Rn. 121 ff. 22 Warnt ein Hersteller nicht, verletzt er unter Umständen seine Instruktionspflicht, was eine Haftung aus dem Produkthaftungsgesetz oder aus der bürgerlich-rechtlichen Produzentenhaftung zur Folge haben kann. S. zu Warnhinweisen Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 978 ff. 14
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regeln existieren teilweise auch für freiwillige Informationsveröffentlichungen.23 Ihr Zweck liegt darin, durch inhaltliche Ge- und Verbote sowie durch Gestaltungsanforderungen zu verhindern, dass die Adressaten falsche Schlüsse aus der Offenlegung ziehen oder durch sie manipuliert werden. Häufig bezwecken sie auch eine Standardisierung: Durch eine wiederholte Wahrnehmung ähnlicher Strukturen wird die Komplexität reduziert,24 sodass Adressaten Produkte und Finanzinstrumente leichter vergleichen können.25 Für eine Darstellung geeigneter regulatorischer Instrumente ist sinnvollerweise zwischen der Täuschung (I.) und Manipulation (II.) zu unterscheiden. I. Täuschung Es wurde bereits deutlich gemacht, dass Täuschungen und Informationsasymmetrien zusammenhängen.26 Eine Täuschung lässt sich als eine künstliche Erzeugung, Verschärfung oder Aufrechterhaltung einer Informationsasymmetrie beschreiben. Offenlegungspflichten können die (potenziell) täuschende Wirkung einer Aktivität des Einflussnehmers aufheben, d. h. eine Informationsasymmetrie beseitigen. Als Beispiele dienen die Klarstellung bei einer pragmatischen Täuschung (1.) sowie standardisierte Publizitätspflichten zur Vermeidung eines „Greenwashing“ auf dem Finanzmarkt (2.). 1. Klarstellung Eine Offenlegung in Form einer Klarstellung kann eine nicht intendierte, aber auch nicht vermeidbare Unklarheit oder Mehrdeutigkeit neutralisieren. Weiter oben wurde das Beispiel besprochen, in dem ein Unternehmen seine Getränkedosen mit 23
Vgl. unten S. 301 ff. Schwartz, 67 Stan. L. Rev. 1373, 1409 (2015). 25 S. hierzu Hsee/Loewenstein/Blount et al., 125 Psych. Bull. 576 (1999); Loewenstein/ Sunstein/Golman, 6 Annu. Rev. Econ. 391, 406 ff. (2014). Für einen empirischen Nachweis im Kontext von Darlehensverträgen („payday borrowing“) s. Bertrand/Morse, 66 J. Finance 1865 (2011), die nur eine relativ geringe Wirksamkeit feststellten; für die Wahl eines medical drug plans s. Kling/Mullainathan/Shafir et al., 127 Q. J. Econ. 199 (2012). 26 Vgl. oben S. 123 ff. Offenlegungspflichten führen auch dazu, dass bestimmte Formen der Täuschung erst möglich sind: Eine Täuschung durch ein reines Unterlassen, d. h. wenn nicht lediglich Halbwahrheiten geäußert werden, kann nur existieren, wenn aufgrund einer Norm oder einer Konvention eine Offenlegung erwartet werden kann. Das Unterlassen wird sich nur dann zu einem propositionalen Gehalt verdichten, wenn die Nichtäußerung das Äquivalent zu einer Behauptung ist, dass eine bestimmte Proposition wahr ist, vgl. oben S. 73. Derartige Normen und Konventionen werden durch Publizitätspflichten häufig erst begründet. Das zeigt sich eindrücklich in der Sekundärmarktinformationshaftung. Art. 17 MAR verpflichtet Emittenten, sie unmittelbar betreffende Insiderinformationen unverzüglich offenzulegen. Aus der Publizitätspflicht folgt, dass der Nichtoffenlegung ein Erklärungsinhalt zugeschrieben wird, nämlich, dass eine bestimmte Proposition in Form einer Insiderinformation nicht vorliegt (d. h., dass ¬p). Das soll keinesfalls heißen, dass eine Offenlegungspflicht Täuschungen fördert. Im Gegenteil, wird sie ordnungsgemäß befolgt, werden Informationsasymmetrien beseitigt. 24
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dem Slogan „Die Dose ist grün“ bewirbt.27 Adressaten könnten aufgrund ihrer prototypischen Vorstellung über „grüne“ Produkte die Aussage so verstehen, dass die Dosen des Herstellers ökologisch vorteilhaft sind. Wenn das nicht der Wahrheit entspricht, könnte der Hersteller, um nicht dem Verdikt einer unlauteren geschäftlichen Handlung nach § 5 UWG ausgesetzt zu sein, einen klarstellenden Hinweis hinzufügen, ob und inwieweit die Dose umweltfreundliche Eigenschaften aufweist.28 Das entspricht letztlich der Erkenntnis aus der Analyse der Täuschung im zweiten Teil der Untersuchung, wonach sich pragmatische Inferenzprozesse annullieren lassen:29 Sorgt eine Aussage für die Entstehung einer Implikatur auf Adressatenseite, kann man die Entstehung durch Beifügung einer Klarstellung annullieren („[…] das heißt nicht, dass p“). 2. Greenwashing auf dem Finanzmarkt Das Schlagwort sustainable finance dominiert die aktuelle finanzmarktrechtliche Diskussion.30 Für Anleger, die Wert auf nachhaltige Investitionen legen, spielen finanzielle Motive eine geringere Rolle: Sie erwarten eine geringere Rendite, sind weniger sensibel bei einer schlechten Performance und sind bereit, höhere Gebühren zu bezahlen.31 Man hat eine Reihe neuer Finanzinstrumente eingeführt, um die wachsende Nachfrage zu bedienen. Heute werden green bonds emittiert, die umweltfreundliche Aktivitäten finanzieren,32 Wertpapierdienstleistungsunternehmen werben für „grüne Aktien“, d. h. Anteile an Unternehmen, deren Geschäftstätigkeiten einen unmittelbaren Umweltbezug aufweisen, und es existieren zahlreiche green funds sowie grüne Indizes.33 Zunehmend wird in diesem Zusammenhang auf die Gefahr des „Greenwashing“ hingewiesen.34 Greenwashing bezeichnet die Praxis, eine Unternehmung, ein Produkt oder ein Finanzinstrument als umweltfreundlich zu bewerben, obwohl es nicht den grundlegenden Umweltstandards entspricht, um dadurch einen (unfairen) Wettbewerbsvorteil zu erlangen.35 Typischerweise stellen Unternehmen eine Ein27 Vgl. oben S. 209. Der Sachverhalt beruht auf dem Urteil des LG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 446. 28 Vgl. auch Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022; Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 261. 29 Vgl. oben S. 60. 30 Vgl. Bueren, ZGR 2019, 813, 825. 31 S. die Studien von Bollen, 42 J. Financ. Quant. Anal. 683, 703 (2007); Renneboog/ter Horst/ Zhang, 20 J. Financ. Intermed. 562, 563 (2011). Vgl. auch Renneboog/ter Horst/Zhang, 32 JBF 1723, 1739 f. (2008); Riedl/Smeets, 72 J. Finance 2505, 2520 f. (2017); Bueren, ZGR 2019, 813, 825. 32 Hierzu Veil, WM 2020, 1093; Anderson, in: Ramiah/Gregoriou (Hrsg.), Handbook of Environmental and Sustainable Finance, 2016, S. 307, 308. 33 Anderson, in: Ramiah/Gregoriou (Hrsg.), Handbook of Environmental and Sustainable Finance, 2016, S. 307 ff. 34 Ekkenga/Posch, WM 2021, 205, 206. 35 Erwägungsgrund 11 TaxonomieVO, s. auch Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 19/16590 vom 17.1.2020, Frage 1, S. 1.
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zelaussage heraus, die für sich genommen wahr ist – beispielsweise, dass ein neues Herstellungsverfahren einen geringeren CO2-Ausstoß aufweist. Sie vertuschen dabei, dass das Kerngeschäft des Unternehmens nach wie vor eine negative Umweltbilanz aufweist. So vermeiden sie zwar eine semantische Täuschung, gleichwohl werden Adressaten durch Halbwahrheiten pragmatisch getäuscht:36 Die Einzelaussage gibt nicht alle für die Beurteilung der Nachhaltigkeit relevanten Informationen wieder.37 Die ausgelassenen Informationen über das umweltschädliche Hauptgeschäft sind solche, von denen die Adressaten erwarten, dass sie in der konkreten Situation geäußert werden. Der Einflussnehmer verstößt gegen die Maxime der Quantität („Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie nötig“)38 . Mit anderen Worten vermittelt der Einflussnehmer durch die unterlassene Offenlegung der Umweltbilanz eine Proposition in Form einer Implikatur.39 Das Greenwashing auf dem Finanzmarkt ist demnach eine Form der pragmatischen Täuschung, bei der die Adressaten aufgrund der grünen „Färbung“ eines Finanzinstruments davon ausgehen, dass ihr Kapital umweltfreundlichen Unternehmungen zugeführt wird. Da es bislang keine einheitlichen Standards für Nachhaltigkeit gab, konnten Unternehmen diese Marketingstrategie weitgehend ohne Risiko verfolgen.40 Die Gefahren des Greenwashing wurden mittlerweile von der Europäischen Union erkannt. Als Teil des „Green Deal“41 und des Aktionsplans „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“42 hat sie jüngst die TaxonomieVO43 erlassen.44 Die 36
Vgl. oben S. 72 f. „A half-lie, or half-truth occurs, then, when a speaker gives part of the truth while concealing another part of it – a part, naturally, which he assumes would be relevant to [the hearer]“, Vincent/Castelfranchi, in: Parret/Sbisà/Verschueren (Hrsg.), Possibilities and Limitations of Pragmatics, 1981, S. 749, 762. Vgl. auch Meibauer, Lying at the Semantics-Pragmatics Interface, 2014, S. 28; Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183, 185. 38 Vincent/Castelfranchi, in: Parret/Sbisà/Verschueren (Hrsg.), Possibilities and Limitations of Pragmatics, 1981, S. 749, 762; Fallis, in: Meibauer (Hrsg.), The Oxford Handbook of Lying, 2018, S. 183, 188. 39 Vgl. Vincent/Castelfranchi, in: Parret/Sbisà/Verschueren (Hrsg.), Possibilities and Limitations of Pragmatics, 1981, S. 749, 762. 40 Das Problem des Greenwashing besteht schon seit längerem im Rahmen der CSR-Berichterstattung. Unternehmen nutzen den CSR-Bericht als Werbeinstrument, werben mit nachhaltigen Initiativen und Erfolgen und verdecken mit schönfärberischen Ausführungen umweltschädliche Vorgänge, s. Ekkenga/Posch, WM 2021, 205, 206. 41 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Der europäische Grüne Deal, vom 11.12.2019, COM(2019) 640 final. 42 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums, vom 8.3.2018, COM(2018) 97 final. 43 Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.6.2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, ABl. EU Nr. L 198 v. 22.6.2020, S. 13. 44 S. für einen Überblick Bueren, ZGR 2019, 813; Lange, BKR 2020, 216; Lange, BKR 2020, 261; Calliess/Dross, ZUR 2020, 456; Veil, WM 2020, 1093; Ekkenga, WM 2020, 1664; ders./Posch, 37
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TaxonomieVO flankiert die OffenlegungsVO,45 die Transparenzpflichten über Nachhaltigkeitsrisiken und -auswirkungen für den Finanzdienstleistungssektor statuiert.46 Hierfür legt die TaxonomieVO sechs Umweltziele fest, an deren Maßstab rechtsverbindlich bestimmt werden kann, wann eine Wirtschaftstätigkeit nachhaltig ist. Hierdurch sollen nicht nur Kapitalflüsse hin zu nachhaltigen Investitionen gelenkt werden,47 sondern es soll ausweislich des Erwägungsgrunds 11 der OffenlegungsVO auch ein Greenwashing vermieden werden. Regulierungstheoretisch handelt es sich hier um eine Standardisierung, die genau festlegt, was Adressaten von „grünen“ Finanzprodukten erwarten können. Insoweit kann man auch davon sprechen, dass der Unionsgesetzgeber einen Interpretationsstandard festgelegt hat, der Begriffen wie „Nachhaltigkeit“ eine spezifische Bedeutung verleiht.48 Dadurch wird die Vergleichbarkeit der Produkte untereinander verbessert. Auch Halbwahrheiten wird so ein Riegel vorgeschoben: Eine Wirtschaftstätigkeit darf nicht als ökologisch nachhaltig beschrieben werden, wenn sie neben der Leistung eines wesentlichen Beitrags zur Verwirklichung eines Umweltziels gleichzeitig zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines anderen Umweltziels führt.49 II. Manipulation Eine Manipulation wirkt sich subtiler auf den Entscheidungsprozess des Adressaten aus. Da manipulative Einflussnahmen nicht per se verboten sind, haben Einflussnehmer einen Anreiz, die Entscheidungen der Adressaten in die für sie vorteilhafte Richtung zu lenken. In der ökonomischen Analyse wurde bereits dargelegt, dass Hersteller hierfür etwa die Risikoeinschätzung der Adressaten beeinflussen, sodass diese im Ergebnis den Nutzen eines Produkts überschätzen. Dieser Risikomanipulation kann durch Offenlegungspflichten in Form von Warnhinweisen begegnet werden (1.). Daneben zeigen die Verhaltensregeln, die das WpHG Wertpapierfirmen bei der Kommunikation mit (potenziellen) Kunden auferlegt, wie manipulative Einflüsse von vornherein verhindert werden können (2.). WM 2021, 205; Geier/Hombach, BKR 2021, 6. Detailliert zur TaxonomieVO Bueren, WM 2020, 1611; ders., WM 2020, 1659. 45 Verordnung 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, ABl. EU Nr. L 317 v. 9.12.2019, S. 1, zuletzt geändert durch die TaxonomieVO. 46 Die OffenlegungsVO an sich gilt seit dem 10.3.2021. Art. 4 Abs. 6 und 7, Art. 8 Abs. 3, Art. 9 Abs. 5, Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 4 und Art. 13 Abs. 2 OffenlegungsVO gelten seit dem 29.12.2019. Art. 2a, Art. 8 Abs. 4, Art. 9 Abs. 6, Art. 11 Abs. 5 OffenlegungsVO gelten seit dem 12.7.2020. Art. 8 Abs. 2a und Art. 9 Abs. 4a OffenlegungsVO gelten für die in Art. 9 lit. a und b TaxonomieVO genannten Umweltziele seit dem 1.1.2022, für die in Art. 9 lit. c bis f TaxonomieVO genannten Umweltziele ab dem 1. 1. 2023. Art. 11 Abs. 1, 2 und 3 OffenlegungsVO gelten seit dem 1.1.2022. S. Art. 20 OffenlegungsVO. 47 Erwägungsgrund 9 TaxonomieVO. 48 Vgl. hinsichtlich des Zusatzes „natural“ bei Lebensmitteln Craswell, 65 B.U. L. Rev. 657, 692 f. (1985). 49 Vgl. Art. 3 lit. b i. V. m. 17 TaxonomieVO.
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1. Warnhinweise Unterschätzen Adressaten das Risiko eines Produkts, können aufgrund Unachtsamkeit enorme Ressourcenschäden an Rechtsgütern wie Leben, Gesundheit oder Eigentum entstehen. Da der Hersteller am besten über die Risiken des eigenen Produkts Bescheid weiß, ist er verpflichtet, die Marktgegenseite auf besondere Risiken hinzuweisen.50 Produkthinweise können so Informationsasymmetrien zwischen Konsumenten und Herstellern beseitigen. Sie sind ein weniger intensiver Freiheitseingriff als ein Verbot oder konkrete Verhaltensanforderungen an die Produktion und führen auch zu geringeren sozialen Kosten.51 Bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Warnhinweisen wird jedoch häufig nicht zwischen Informationsasymmetrien und unvollkommener Rationalität unterschieden.52 Warnhinweise sind Instrumente des Informationsmodells. Ihre Funktion ruht auf der Vorstellung, dass Menschen Informationen über Risiken wahrnehmen, verarbeiten und auf ihrer Grundlage ihre Präferenzen formen.53 Stellt man dem das verhaltensökonomisch fundierte Modell entgegen, kommen klassische Warnhinweise schnell an ihre Grenzen: Verbraucher werden durch die Komplexität von Warnhinweisen und durch einen information overload schnell kognitiv überlastet,54 vulnerable Adressatengruppen wie Kinder und Jugendliche überlesen Hinweise systematisch,55 und manche Personen verlassen sich übermäßig auf die Belehrung von Intermediären (z. B. auf den Arzt, der vermeintlich über alle Risiken aufklärt, sodass das Lesen der Packungsbeilage eines Arzneimittels
50 Bei mangelnden Warnhinweisen liegt ein Instruktionsfehler vor, wodurch sich Ansprüche aus der Produzenten- oder Produkthaftung ergeben können, s. hierzu Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 978 ff. Zudem verpflichten zahlreiche spezielle Rechtsregeln Hersteller zur Anbringung von Warnhinweisen, beispielsweise § 6 TabakerzG oder § 11 AMG. 51 Bettman/Payne/Staelin, 5 J. Public Policy Mark. 1, 2 (1986). Ein Verbot würde jene Verbraucher mit unnötigen Kosten belasten, die die Risiken korrekt einschätzen, das Produkt aber gleichwohl erwerben würden, weil sie der Meinung sind, dass die Vorteile des Produkts seine Risiken überwiegen. 52 Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193, 1229 ff. (1994); Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1559 (1999). 53 Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193, 1201 (1994): „The central characteristics of this archetypal […] analysis are that it emphasizes consumer choice, not consumer safety, and that it assumes adequate disclosure will enable people to choose whatever risk levels are consistent with their preferences.“ 54 Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193, 1207 f., 1211 f. (1994). Weiterhin gibt es zwischen den Adressaten enorme Unterschiede, s. ebd. S. 1227: „Comprehension of product risks involves complicated interactions of diverse psychological and environmental factors. People’s ability to understand information is influenced by educational backgrounds, personality traits, and motivation levels, by socioeconomic status and group affiliations, and by idiosyncratic personal experiences and prejudices. Consumers have varied information processing capabilities and attitudes; they may organize facts in different ways; they may use different strategies for confronting different types of risks. In short, decisionmaking capacities and proclivities vary greatly among different people and in different settings.“ 55 Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193, 1208 (1994).
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überflüssig erscheint).56 Dabei ist es ex ante kaum vorherzusagen, welcher kognitive Effekt in einem bestimmten Kontext wie stark ausgeprägt sein wird.57 Wird auf die Risiken beispielsweise in einem belebten Werbespot hingewiesen, können manche Adressaten das Risiko leichter internalisieren, andere es aufgrund der Verfügbarkeitsheuristik aber auch überschätzen.58 Was folgt hieraus für die Frage, ob Hinweispflichten geeignet sind, manipulative Einflussnahmen zu verhindern? Ein Warnhinweis dient in diesem Kontext weniger als Mittel für die Beseitigung von Informationsasymmetrien, sondern vielmehr als „Debiasing“-Instrument, das einen durch eine Manipulation hervorgerufenen bias zu neutralisieren versucht. Wenn Hersteller von alkoholischen Getränken, Tabakprodukten und Süßwaren gesunde, dünne und sportliche Personen in ihren Werbekampagnen portraitieren, um die Gesundheitsrisiken ihrer Produkte zu bagatellisieren,59 oder Autohersteller Werbespots veröffentlichen, die zeigen, wie das beworbene Fahrzeug mit hohem Tempo eine Skisprungschanze empor fährt60 um so den – sowieso schon bestehenden61 – Überoptimismus von Autofahrern zu steigern, müssen Warnhinweise geeignet sein, diese Einflüsse zu „neutralisieren“. Ob sie das sind, ist aus zwei Gründen fraglich:62 Erstens ist die Effektivität von Warnhinweisen in Anbetracht der gerade genannten Einsichten aus den Verhaltenswissenschaften ungewiss. Es besteht die Gefahr, dass ein Warnhinweis dazu führt, dass sich das bislang „verdeckte“ Risiko, das sich der Adressat bislang nicht oder kaum bewusst ist, in ein „offenes“ Risiko wandelt, wodurch der Adressat aufgrund der Verfügbarkeitsheuristik das Risiko überschätzt.63 Dadurch wird eine Ineffizienz (Risikounterschätzung) durch eine andere (Risikoüberschätzung) ersetzt. 64 Ein Beispiel hierfür sind die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen. Der US-amerikanische Tabakkonzern R. J. Reynolds Tobacco Co. hat bereits 1973 in einem Strategiepapier, das sich mit den Möglichkeiten des Marketings für Tabakprodukte gegenüber Minderjährige beschäftigt, davon gesprochen, dass „the warning label on the package may be a plus“, weil „if the older’ establishment is preaching against smoking, the anti-establishment sentiment discussed above would 56 Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193, 1209 f. (1994). S. auch Viscusi, 48 Rutgers L. Rev. 625, 630 ff. (1996); Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 700 (1999); dies., 112 Harv. L. Rev. 1420, 1559 (1999). 57 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 722 (1999). 58 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 722 (1999). 59 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 730 (1999). 60 S. der Werbespot von Audi „Ski Jump“ (2011), online abrufbar unter https://www.youtube. com/watch?v=25u80sQkkkM. Vgl. zu einem ähnlichen Beispiel Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 730 (1999). 61 Vgl. nur die Studie von Svenson/Fischhoff/MacGregor, 17 Accid. Anal. Prev. 119 (1985). 62 Nicht unerwähnt soll bleiben, dass eine Regulierung hier auch überabschreckend wirken kann. Sind die Anforderungen an die Warnhinweise zu hoch, haben Hersteller einen Anreiz, über zu viel zu warnen, s. Viscusi, 48 Rutgers L. Rev. 625, 666 (1996). Eine optimale Regulierung muss einen Spagat zwischen über- und unterinklusiven Warnhinweisen einerseits und einem Debiasing andererseits leisten. 63 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 718 (1999). 64 Hanson/Kysar, 74 N.Y.U. L. Rev. 630, 718 (1999).
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cause the young to want to be defiant and smoke.“65 Der Warnhinweis, der zu einem Debiasing der Risikoeinschätzung Erwachsener führen mag, kann für Jugendliche den Reiz der „verbotenen Frucht“ erst begründen. Das führt zum zweiten Punkt: Warnhinweise selbst können Träger manipulativer Wirkungen sein. Tatsächlich haben Hersteller einen Anreiz, die Wirkung von Warnhinweisen so gering zu halten, wie das Recht es ihnen ermöglicht.66 Eine Regulierungswirkung kann nur eintreten, soweit das Recht den Herstellern auferlegt, Warnhinweise so zu gestalten, dass sie auch wirklich wahrgenommen und verarbeitet werden. 67 Sinnvollerweise sollte die Effektivität von Warnhinweisen vor ihrer Nutzung empirisch überprüft werden. 68 Ist ein bestimmtes Design in der Mehrzahl aller Fälle vorteilhaft, sollte das Gesetz das Design als Standard für Warnhinweise festlegen. 69 Beispielsweise müssen Warnhinweise, die auf schwere Gesundheitsrisiken hinweisen, optisch hervorgehoben werden, bestenfalls direkt am Produkt selbst und nicht lediglich auf der Verpackung, und sie dürfen nicht in Gebrauchsinformationen und Werbetexten untergehen.70 Ob eine Regulierung durch standardisierte Hinweispflichten das leisten kann, kann nicht abstrakt geklärt werden. Es streiten letztlich zwei Parteien darum, wer besser beeinflussen kann: Der Gesetzgeber, der Standards für ein effektives Debiasing setzt, oder der Hersteller, der Produkte und Werbungen so gestaltet, dass er möglichst effektiv kognitive Verzerrungen ausnutzen kann.71 2. Werbemaßnahmen von Wertpapierfirmen Rechtsregeln können den Einflussnehmer verpflichten, offenlegungspflichtige, aber auch freiwillige Informationen in einer bestimmten Weise bereitzustellen. Um sich als Remedur gegen eine Einflussnahme zu eignen, sollte die Ausgestaltung der Verhaltensregeln so gewählt werden, dass täuschende oder manipulative Einflüsse
65 Schwartz, „1973 Cigarette Company Memo Proposed New Brands For Teens“, October 4, 1995, The Washington Post, online abrufbar unter: https://www.washingtonpost.com/archive/ local/1995/10/04/1973-cigarette-company-memo-proposed-new-brands-for-teens/eaf664163939-4c5f-9fbf-1db1897673ab. 66 Vgl. auch Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1044 (2014): „The same incentives that lead firms to leverage cognitive bias to disadvantage consumers could lead them to comply with the letter of notice regulations while minimizing its efficacy.“ 67 Hierzu im Detail Viscusi, 48 Rutgers L. Rev. 625, 667 ff. et passim (1996). 68 Viscusi, Reforming Products Liability, 1991, S. 713: „The best practical solution to the problem of competing risks of labelling is pre-testing the warning – its language and its presentation of information – for its ability to accomplish the intended objective.“ 69 Vgl. Viscusi, 48 Rutgers L. Rev. 625, 666 (1996). 70 Wagner, in: MüKo BGB, Bd. 7, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 985; s. auch BGH NJW 1994, 932, 933 – Kindertee II; NJW 1995, 1286, 1287 – Kindertee III; OLG Hamm NZV 1993, 310, 311. 71 Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1559 (1999) kommen hier zu einem klaren Ergebnis: „The market is far more capable of influencing consumer behavior than any regulator devising product warnings, and the market’s incentives are squarely to diminish the effect of warnings.“
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mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auftreten. Sub specie Manipulation geht es um ein „debiasing through law“.72 Ein Beispiel hierfür findet sich in den Verhaltenspflichten, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen in den §§ 63 ff. WpHG auferlegt werden. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist nach § 63 Abs. 1 WpHG verpflichtet, seine Leistungen „redlich und professionell im bestmöglichen Interesse seiner Kunden zu erbringen.“ Hierfür hat es seinen Kunden angemessene Informationen über sein Unternehmen und seine Dienstleistungen sowie über die Finanzinstrumente zur Verfügung zu stellen (§ 63 Abs. 7 S. 1 WpHG). Die bereitgestellten Informationen, einschließlich Marketingmitteilungen, müssen nach § 63 Abs. 6 WpHG „redlich und eindeutig und […] nicht irreführend“ sein. Dadurch soll bezweckt werden, dass die Kunden „nach vernünftigem Ermessen die Art und die Risiken […] verstehen und auf dieser Grundlage ihre Anlageentscheidung treffen können“ (§ 63 Abs. 7 S. 2 WpHG). Das klingt zunächst nach dem Informationsmodell, wonach sich die Entscheidungsfindung durch ein Mehr an Informationen verbessere. Die Regelungen beschränken sich aber nicht hierauf. § 63 Abs. 6 WpHG setzt Art. 24 Abs. 3 MiFID II um und § 63 Abs. 13 Nr. 4 WpHG verweist ausdrücklich auf Art. 44 Delegierte VO (EU) 2017/565, der die Anforderungen an die redlichen, eindeutigen und nicht irreführenden Informationsbereitstellungen konkretisiert. Der Verordnungsgeber ist sich offenkundig bewusst, dass Wertpapierdienstleistungsunternehmen (potenzielle) Kunden zu manipulieren versuchen.73 So müssen Hinweise auf maßgebliche Risiken in einer Schriftgröße aufgeführt werden, die mindestens der auch für alle anderen angegebenen Informationen verwendeten, vorherrschenden Schriftgröße entspricht und es muss sichergestellt werden, dass diese Angaben durch ihre graphische Gestaltung leicht erkennbar sind (Art. 44 Abs. 2 lit. c Delegierte VO (EU) 2017/565). Durch eine ausreichende Schriftgröße und das Design sind die Risiken auffälliger (Salienz74), sodass die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass Adressaten sie auch wahrnehmen.75 Weiterhin dürfen Informationen wichtige Punkte, Aussagen oder Warnungen nicht verschleiern, abschwächen oder unverständlich machen (Art. 44 Abs. 2 lit. d Delegierte VO (EU) 72 So auch der Titel des Pionierbeitrags von Jolls/Sunstein, 35 J. Legal Stud. 199 (2006) zu dieser Thematik. „Debiasing“ setzt dann „bei dem rational defizitären Verhalten selbst an, indem es das Entscheidungsumfeld derart umstrukturiert, dass sich die Wahrnehmung des Entscheidungsproblems ändert, und so dem Entscheider hilft, das Auftreten rational defizitären Verhaltens zu reduzieren oder zu eliminieren.“, Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 229. 73 Brenncke, 19 EBOR 853, 869 (2018): „In the light of the average retail investor being susceptible to behavioural exploitation, the comprehensibility requirement also aims to prevent that advertising material exploits investors’ framing bias and availability bias, in particular the salience bias.“ 74 Vgl. oben S. 35. 75 S. etwa die Studie von Wojdynski/Bang/Keib et al., 17 J. Interact. Advert. 150 (2017): „The findings show that higher disclosure clarity, in the form of increased font size, font weight, text-background contrast, and language explicitness nearly doubled the likelihood that participants saw the disclosure […]“. S. zu dem Problem rund um Salienz im Verbraucherrecht Ayres/ Schwartz, 66 Stan. L. Rev. 545 (2014); Bar-Gill, Seduction by Contract, 2012, S. 17 ff., 91 ff.
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2017/565). Hiermit wird der Verwässerungseffekt adressiert, der dazu führt, dass wichtige Informationen (diagnostic information) unterbewertet werden, wenn sie zusammen mit unwichtigen Informationen (nondiagnostic information), etwa reinen Werbeversprechen, präsentiert werden.76 Enthalten die Informationen einen Hinweis auf die frühere Wertentwicklung eines Finanzinstruments, darf dieser Hinweis bei der Mitteilung nicht im Vordergrund stehen und muss unter anderem eine deutliche Warnung enthalten, dass sich die Zahlenangaben auf die Vergangenheit beziehen und dass die frühere Wertentwicklung kein verlässlicher Indikator für zukünftige Ergebnisse ist (Art. 44 Abs. 4 lit. a, d Delegierte VO (EU) 2017/565). Es ist empirisch belegt, dass private Anleger dazu neigen, der Kursentwicklung in der Vergangenheit übermäßig viel Bedeutung zuzumessen und diese unrealistisch auf die Zukunft zu projizieren.77 Verhaltensökonomisch wird man hier von einer Verfügbarkeitsheuristik sprechen können:78 Anleger beurteilen die wahrscheinliche Kursentwicklung anhand der leicht verfügbaren historischen Daten. Damit Wertpapierdienstleistungsunternehmen diese kognitive Verzerrung nicht ausnutzen, verpflichtet der Verordnungsgeber sie zu einem Hinweis über die beschränkte Aussagekraft historischer Kursdaten, der zu einem Debiasing führen soll.
D. „Softe“ Regulierung Weniger intensive regulatorische Instrumente sind die „regulierte Selbstregulierung“ durch eine Indienstnahme privater Verhaltenskodizes bzw. ein „Comply or Explain“-Mechanismus (I.) oder ein „Naming and Shaming“ (II.). I. (Regulierte) Selbstregulierung 1. Selbstregulierung mit Steuerungswirkung Die reine Selbstregulierung, die nicht von staatlichen Akteuren initiiert wird, ist kein rechtliches Regulierungsinstrument im Sinne dieser Untersuchung. Sie erzeugt keine Rechtswirkungen und bindet weder die Adressaten noch die Gerichte.79 Gleichwohl ist ihr tatsächlicher Nutzen nicht zu verachten. Das soll am Bei76
Vgl. oben S. 33 f. hierzu Hüsser/Wirth, 47 J. Consum. Aff. 219, 220 (2013); Brenncke, 19 EBOR 853, 857 f. (2018); Boussaidi, 81 Procedia Soc. Behav. Sci. 9, 10 (2013). 78 Brenncke, 19 EBOR 853, 874 (2018); Boussaidi, 81 Procedia Soc. Behav. Sci. 9, 10 (2013): „In the stock markets, an investor subject to the representativeness heuristic interprets the past performance of firms as being representative of a general performance that the firm will continue to generate in the future.“; vgl. auch Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 967 (2020). Alternativ könnte man den bias auch unter die Verfügbarkeitsheuristik fassen: Der Anleger ersetzt die schwierige Frage „Wie wird die Kursentwicklung in der Zukunft?“ mit der einfacheren Frage „Wie war die Kursentwicklung in der Vergangenheit?“. Vgl. zu Heuristiken und Urteilsverzerrungen oben S. 31 ff. 79 S. nur BGH GRUR 2011, 431 – FSA-Kodex. 77 S.
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spiel des Deutschen Werberats aufgezeigt werden. Zudem verleiht das Recht Verhaltenskodizes, die von Selbstregulierungsorganisationen aufgestellt werden, teilweise eine regulatorische Wirkung. Der Deutsche Werberat, der 1972 vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft nach US-amerikanischem Vorbild80 gegründet wurde, 81 fungiert als Kontrollgremium über gewerbliche Werbekampagnen in Deutschland und damit als Mittler zwischen Werbenden und Umworbenen. 82 Hierfür hat er einen Werbekodex verfasst, der es unter anderem vorschreibt, dass Werbung die mangelnde Erfahrung oder fehlendes Wissen von Verbrauchern nicht ausnutzen, Kinder und Jugendliche nicht schädigen und Menschen nicht diskriminieren darf.83 Bürger können eine Beschwerde über eine Werbung einreichen, die sie unangemessen finden. Der Werberat leitet dann ein Verfahren ein und überprüft die Beschwerde. Kommt das Gremium zu dem Schluss, dass die Werbung tatsächlich unangemessen ist, teilt sie das dem Werbenden mit. 84 Im Jahr 2020 entschied der Werberat über 498 Fälle, wobei er 372 nicht beanstandete. 85 Die beanstandeten Fällen waren weit überwiegend sexistische und anderweitig diskriminierende Werbungen. In rund 90 % aller eingeleiteten Verfahren folgten Unternehmen dem Votum des Gremiums und stoppten oder änderten ihre Werbung.86 Eine rechtliche Steuerungswirkung erlangen Verhaltenskodizes von Selbstregulierungsorganisationen, wenn Rechtsregeln auf sie Bezug nehmen. Das ist auf zwei Arten denkbar: einerseits durch eine unmittelbare Bezugnahme, wie sie etwa § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG (bzw. Art. 6 Abs. 2 lit. b UGP-RL) vornimmt.87 Danach ist es 80
S. hierzu Edelstein, 43 IDEA 509 (2003). Kreile, in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, Zweiter Teil, Lauterkeitsrechtliche Spezialthemen, Rn. 101 f. Daneben existiert auch der europäische Dachverband European Advertising Standards Alliance (EASA). Auch die Internationale Handelskammer (ICC) hat einen Kodex veröffentlicht, s. ICC, ICC-Kodex zur Werbe- und Marketingkommunikation, 2018 Edition, online abrufbar unter https://iccwbo.org/publication/icc-advertising-and-marketingcommunications-code. 82 Unternehmen können auch Werbemaßnahmen einer Vorprüfung unterziehen lassen, s. https://www.werberat.de/fur-unternehmen. 83 S. Deutscher Werberat, Leitfaden zum Werbekodex, online abrufbar unter https://www. werberat.de/content/leitfaden-zum-werbekodex-des-deutschen-werberats. 84 S. zum Ablauf Deutscher Werberat, Verfahrensordnung, Fassung vom 24.9.1979, online abrufbar unter https://www.werberat.de/sites/default/files/uploads/media/verfahrensordnung_wer berat_deutsch_1.pdf sowie die allgemeine Darstellung unter https://www.werberat.de/beschwer deverfahren. 85 S. Deutscher Werberat, Bilanz 2020, online abrufbar unter https://www.werberat.de/bi lanz-2020. 86 Ebd. 87 „Verhaltenskodex“ wird in § 2 Abs. 1 Nr. 10 UWG definiert als „jede Vereinbarung oder Vorschrift über das Verhalten von Unternehmern, zu welchem diese sich in Bezug auf Wirtschaftszweige oder einzelne geschäftliche Handlungen verpflichtet haben, ohne dass sich solche Verpflichtungen aus Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften ergeben“. Auch ist die unwahre Angabe, zu den Unterzeichnern eines Verhaltenskodexes zu gehören oder die unwahre Angabe, der Kodex sei von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt, eine stets unzulässige geschäftliche Handlung nach § 3 Abs. 3 i. V. m. Anhang Nr. 1, 3 UWG. Der deutsche Gesetzgeber hatte bei der 81 S.
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irreführend, auf die Einhaltung eines Verhaltenskodexes hinzuweisen, auf den sich der Unternehmer verbindlich verpflichtet hat, obwohl er sich nicht daran hält.88 Sofern die Marktgegenseite dadurch zu geschäftlichen Handlungen veranlasst wird, erlangen die Regelungen der Verhaltenskodizes eine lauterkeitsrechtliche Wirkung.89 Andererseits kann das Recht Verhaltenskodizes mittelbar rezipieren. Kodizes spiegeln die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt in einer bestimmten Branche wider,90 weshalb einem Verstoß gegen den Kodex eine Indizwirkung bei einer lauterkeitsrechtlichen Beurteilung zukommen kann.91 2. „Comply or Explain“ Das Paradebeispiel für eine regulierte Selbstregulierung92 durch einen „Comply or Explain“-Mechanismus ist der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK).93 Der Kodex enthält Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen für die Organe börsennotierter Gesellschaften, „die dazu beitragen sollen, dass die Gesellschaft im Unternehmensinteresse geführt wird.“94 Er wurde, unter der Schirmherrschaft des Umsetzung dieser Stelle der UGP-RL vor allem den Deutschen Werberat vor Augen, vgl. RegE BT-Drs. 16/10145, S. 18. 88 Vgl. Dreyer, WRP 2007, 1294, 1300 „Der § 5 Abs. 2 Nr. 6 RefE zu Grunde liegende Unlauterkeitsvorwurf kommt im Wortlaut der Bestimmung nur unzureichend zum Ausdruck. Art. 6 Abs. 2 lit. b Richtlinie unlautere Geschäftspraktiken formuliert insoweit klarer, worauf es ankommt: Irreführend ist es, die Verpflichtungen aus dem Verhaltenskodex nicht einzuhalten, wenn der Unternehmer zuvor gegenüber dem Verbraucher auf seine Bindung an den Kodex hingewiesen hat.“ 89 Vgl. auch Asmussen, Haftung für CSR, 2020, S. 41, der davon ausgeht, dass es sich bei § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG im Ergebnis nicht um ein besonderes Irreführungsverbot handele, weil nicht die Täuschung sanktioniert werde, sondern der Verstoß gegen den Verhaltenskodex: „Kein Abnehmer entscheidet sich für ein bestimmtes Produkt, weil ein Unternehmer verspricht, etwa die Verhaltensregeln des deutschen Werberats einzuhalten. Für die Abnehmer relevant ist vielmehr ein Verstoß gegen dessen Regeln […]“. 90 Vgl. Erwägungsgrund 20 UGP-RL: „Es ist zweckmäßig, die Möglichkeit von Verhaltenskodizes vorzusehen, die es Gewerbetreibenden ermöglichen, die Grundsätze dieser Richtlinie in spezifischen Wirtschaftsbranchen wirksam anzuwenden. In Branchen, in denen es spezifische zwingende Vorschriften gibt, die das Verhalten von Gewerbetreibenden regeln, ist es zweckmäßig, dass aus diesen auch die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt in dieser Branche ersichtlich sind.“; Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 7.2; Dreyer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 1242. 91 S. aber einschränkend BGH GRUR 2011, 431, 432 Rn. 14 – FSA-Kodex: „Im Übrigen kommt auch die Annahme einer (lediglich) indiziellen Bedeutung eines Verstoßes gegen selbst gesetzte Regeln eines Verbands für die Frage der Unlauterkeit nur dann in Betracht, wenn sich die aus dem festgestellten Kodexverstoß abgeleitete Regelwidrigkeit des betreffenden Verhaltens gerade auch als eine wettbewerbsbezogene, d. h. von den Schutzzwecken des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (vgl. § 1 UWG) erfasste Unzulässigkeit erweist.“ S. auch Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 7.3. 92 S. für eine regulierungstheoretische Einordnung Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 489 f. 93 Der DCGK in der Fassung vom 16.12.2019 findet sich in der Bekanntmachung Bundes ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vom 20.3.2020, BAnz AT 20.3.2020 B3. 94 Präambel DCGK.
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Bundesministeriums der Justiz, durch eine unabhängige, mit privaten Wirtschaftsakteuren besetzte Expertenkommission erarbeitet und wird jährlich überprüft und gegebenenfalls aktualisiert.95 Die Besonderheit liegt darin, dass § 161 AktG auf den DCGK Bezug nimmt. Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften müssen jährlich eine Erklärung darüber abgeben, welchen Empfehlungen des Kodex entsprochen wurde, welche Empfehlungen nicht angewendet wurden und warum das nicht geschah. Das entspricht einem „Comply or Explain“-Mechanismus.96 Rechtlich zwingend ist lediglich die Abgabe der Entsprechenserklärung. Die Empfehlungen des DCGK muss aber niemand einhalten. Steuerungswirkung entfaltet das Regulierungsinstrument dadurch, dass eine Abweichung von der Öffentlichkeit – insbesondere dem Anlegerpublikum – als Signal für eine schlechte Unternehmensführung gewertet wird, sodass die Gesellschaft vom Markt „abgestraft“ wird.97 Tatsächlich ist die Akzeptanz der Empfehlungen beträchtlich und wurde für das Jahr 2018 mit knapp 88,7 % angegeben.98 Der DCGK kann als Blaupause für einen „Comply or Explain“-Ansatz im Bereich digitaler Manipulationen dienen.99 So könnte eine unabhängige Kommission einen Kodex für digitale Einflussnahmen erstellen, der Empfehlungen zur Wirkweise von Algorithmen und ihre Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung der Adressaten trifft. Einflussnehmer, die im Internet agieren, haben dann den Empfehlungen des Kodex zu entsprechen oder zu erklären, warum sie dies nicht tun. Das baut psychologischen Druck auf die Einflussnehmer auf und kann die Nutzung der Manipulationstechniken eindämmen. Hierauf wird in der Fallstudie zur digitalen Manipulation im Kapitel § 9 zurückzukommen sein.100 II. Naming and Shaming Machen Aufsichtsbehörden Rechtsverstöße privater Personen und die einhergehende Sanktionierung öffentlich, spricht man von einem „Naming and Shaming“.101 Die öffentliche Zurschaustellung als Delinquent entfaltet eine Abschreckungswir95
S. zur Entwicklung Goette, in: MüKo AktG, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 161 Rn. 3 ff. Goette, in: MüKo AktG, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 161 Rn. 35; s. rechtsgebietsübergreifend Leyens, ZEuP 2016, 388. 97 Goette, in: MüKo AktG, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 161 Rn. 19; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 490. 98 Die Zahlen aus 2018 sind – soweit ersichtlich – die aktuellsten. Bei Anregungen liegt die Akzeptanz bei 74,4 %. Detailliert hierzu Werder/Danilov, DB 2018, 1997; Werder, in: Kremer/ Bachmann/Lutter/v. Werder, DCGK, 8. Aufl. 2021, Teil 4 Rn. 133 ff. 99 S. zu einem solchen Ansatz auch Martini, JZ 2017, 1017, 1022 f. 100 Vgl. unten S. 312 ff. 101 S. zum kriminologischen Konzept des „reintegrative shaming“ Braithwaite, Crime, Shame and Reintegration, 1989, S. 54 ff. (das er vom „disintegrative shaming“ unterscheidet, welches ausschließlich auf Stigmatisierung und Ausschließung aus der Gemeinschaft abzielt). S. zum „corporate shaming“ Skeel, 149 U. Pa. L. Rev. 1811 (2001); zu „shaming white-collar criminals“ Kahan/ Posner, 42 J.L. & Econ. 365 (1999). Aus deutscher Sicht Fleischer, ZGR 2004, 437, 475 ff.; jüngst Irmscher, Öffentlichkeit als Sanktion, 2019; Koch, Naming and Shaming im Kapitalmarktrecht, 2019. 96
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kung, weil die Betroffenen mit Reputationsschäden rechnen müssen.102 Das macht sich insbesondere gegenüber börsennotierten Gesellschaften bezahlt, sind doch ihre Organmitglieder „the most reputationally sensitive people in the world“.103 Die Kosten des Regulierungsinstruments sind vergleichsweise gering, weil die eigentliche Verhaltenssteuerung durch die Ächtung von Stakeholdern erfolgt.104 Beispiele für Naming and Shaming finden sich vor allem im Kapitalmarktrecht. Die BaFin muss nach § 125 WpHG Entscheidungen über Maßnahmen und Sanktionen über Verstöße gegen das Marktmanipulationsverbot in Art. 15 MAR auf ihrer Internetseite bekanntgeben. § 18 Abs. 3 S. 1 WpPG ermächtigt die BaFin zur öffentlichen Bekanntmachung, falls ein Emittent seinen Prospektpflichten nicht oder nur unvollständig nachkommt. Hierfür genügt bereits ein hinreichend begründeter Verdacht.105 Ein derartiges Modell wäre auch bei anderen Formen der Einflussnahmen denkbar. Tatsächlich existieren bereits privat initiierte Internetseiten, die eine „Hall of Shame“ digitaler Manipulationen präsentieren.106
E. Steuern Steuern werden für verschiedene Zwecke erhoben. Allgemein dienen sie der staatlichen Beschaffung von Finanzmitteln, d. h. fiskalischen Zwecken.107 Daneben können sie weitere Sozialzwecke verfolgen, die wirtschafts-, umwelt- oder sozialpolitischer Natur sind.108 Diese Steuerarten nennt man Lenkungssteuern, da ihre Erhebung eine verhaltenssteuernde Wirkung entfaltet.109 Dadurch eignen sich Steuern als Regulierungsinstrument, das auch für die Eindämmung von Täuschungen und Manipulationen zum Einsatz kommen kann. Als denkbarer Anknüpfungspunkt,
102
Fleischer, ZGR 2004, 437, 476. So die Einschätzung des aktivistischen Aktionärs Nell Minow, zitiert nach Skeel, 149 U. Pa. L. Rev. 1811, 1812 (2001); Fleischer, ZGR 2004, 437, 476. Hier spricht man auch von einem „corporate shaming“. 104 Skeel, 149 U. Pa. L. Rev. 1811, 1816 (2001): „Unlike imprisonment, which requires an elaborate administrative apparatus, shaming relies largely on private enforcement.“; Fleischer, ZGR 2004, 437, 476; kritischer dahingehend Kahan/Posner, 42 J.L. & Econ. 365, 372 (1999). 105 Kritisch zu den Verdachtsmitteilungen John, BKR 2020, 335. 106 S. nur die Website von Harry Brignull (der auch der Namensgeber der „dark patterns“ ist) unter https://www.darkpatterns.org/hall-of-shame. 107 Seiler, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 105 Rn. 56. 108 Seiler, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 105 Rn. 56. 109 S. zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit nur BVerfGE 55, 274, 299: „Der verfassungsrechtliche Steuerbegriff muß darüber hinaus dem Funktionszusammenhang der bundesstaat lichen Finanzverfassung ebenso Rechnung tragen, wie der Notwendigkeit, daß die Steuer in der modernen Industriegesellschaft zwangsläufig auch zum zentralen Lenkungsinstrument aktiver staatlicher Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik geworden ist, wobei der Zweck, Einkünfte für die Bestreitung allgemeiner Staatsaufgaben zu erzielen, sogar als Nebenzweck nicht selten völlig in den Hintergrund tritt.“ S. zu den konkreten Anforderungen Kube, in: BeckOK GG, 49. Ed. 2021, Art. 105 Rn. 9. 103
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d. h. als zu besteuernde Aktivität, kommen vor allem Werbemaßnahmen in Betracht. Zunächst sind Lenkungssteuern in Form einer Pigou-Steuer ökonomisch zu beleuchten (I.). Der anschließende Abschnitt gibt Impulse für einen möglichen Einsatz zur Regulierung von Täuschungen und Manipulationen (II.). Die Überlegungen sind skizzenhaft und können nur ein erster Ansatzpunkt für eine Bewertung der Regulierungsfunktion von Steuern im Recht der Einflussnahme sein. I. Pigou-Steuer als Steuerungsinstrument Täuschungen und Manipulationen verursachen soziale Kosten.110 Die Auswirkungen auf die Allokationseffizienz des Marktes stellen negative Externalitäten dar. Um Einflussnehmer von einer Einflussnahme abzuhalten, müssen sie diese sozialen Kosten internalisieren. Zielt eine Lenkungssteuer darauf ab, das durch negative Externalitäten einer Aktivität entstehende Marktversagen zu korrigieren, spricht man in der Ökonomik von einer Pigou-Steuer.111 Eine Pigou-Steuer kann sich effizienter als eine Haftung erweisen.112 Werden täuschungs- und manipulationsgeneigte Aktivitäten besteuert und entspricht die Steuerhöhe den sozialen Kosten der Einflussnahme,113 werden die Einflussnehmer inzentiviert, ihr Aktivitätsniveau auf das sozial gewünschte Niveau zu senken.114 Ein Beispiel für eine Pigou-Steuer in Form einer „Sündensteuer“115 ist die Tabaksteuer.116 Tabakerzeugnisse sind demeritorische Güter, d. h. ihr Nutzen wird von den Verbrauchern überschätzt, sodass diese in sozial unerwünschter Menge konsumiert werden. Die Tabaksteuer, die als indirekte Steuer letztlich die Verbraucher tragen, verteuert den Konsum und senkt so das Kaufniveau von Tabakprodukten. 110
Vgl. oben S. 133 ff. Masur/Posner, 164 U. Pa. L. Rev. 93, 95 (2015): „A Pigouvian tax is a tax equal to the harm that the firm imposes on third parties. For example, if a manufacturer pollutes, and the pollution causes a harm of $100 per unit of pollution to people who live in the area, then the firm should pay a tax of $100 per unit of pollution. This ensures that the manufacturer pollutes only if the value of the pollution-generating activities exceeds the harm, such that the social value of those activities is positive.“ Benannt ist die Steuer nach Arthur Cecil Pigou, der das Konzept negativer Externalitäten begründet hat, Pigou, The Economics of Welfare, 4. Aufl. 1932 (1920). 112 Hierzu im Detail Shavell, 54 J.L. & Econ. S249 (2011). 113 Vgl. Rosen/Gayer, Public Finance, 9. Aufl. 2010, S. 84: „A tax levied on each unit of an externality generator’s output in an amount equal to the marginal damage at the efficient level of output.“ 114 Masur/Posner, 164 U. Pa. L. Rev. 93, 101 (2015); Ogus, Regulation, 2004 (1994), S. 246. 115 So gab es bis 1993 in Deutschland noch eine Zuckersteuer, die jedoch aus Sorge um Wettbewerbsnachteile inländischer Industrie gegenüber der Konkurrenz in den übrigen EG-Mitgliedsstaaten abgeschafft wurde. S. Art. 5 Nr. 3 Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz vom 25. August 1992, BGBl. I S. 1548, 1561, der das Zuckersteuergesetz i. d. F. vom 13. Oktober 1983, BGBl. I S. 1245, aufgehoben hat. Vgl. auch die Begründung zum RegE, BT-Drs. 12/2463 vom 27.4.1992, S. 23. Heute existieren neben der Tabaksteuer noch die Biersteuer, Alkoholsteuer, Schaumweinsteuer und Alkopopsteuer. 116 Negative Externalitäten des Tabakkonsums sind Behandlungskosten, Arbeitsausfälle, etc. 111
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Eine Manipulation führt ebenfalls dazu, dass Güter in einer sozial unerwünschten Menge nachgefragt werden, weil die Adressaten den Nutzen überschätzen oder Risiken bzw. den Preis unterschätzen.117 Die Einflussnahme verleiht dem Gut so einen demeritorischen Charakter. Anders als bei Tabakerzeugnissen sollte die Steuer aber nicht bei den Konsumenten bzw. Adressaten ansetzen. Die sozial unerwünschte Aktivität, die Einflussnahme, wird durch den Einflussnehmer vorgenommen. Seine Aktivität gilt es zu verteuern, weshalb er der Träger der Steuerlast sein sollte. Die Steuereinnahmen könnten z. B. für Verbraucherbildungsmaßnahmen genutzt werden.118 Eine Implementation einer Pigou-Steuer für unzulässige Einflussnahmen geht mit zwei Problemen einher. Einerseits muss die zu besteuernde Aktivität festgelegt werden. Nicht jede Werbemaßnahme oder Kommunikation an die Öffentlichkeit ist eine Täuschung oder eine Manipulation. Eine Pigou-Steuer geht im Grundsatz von der Homogenität der Adressaten aus. Eine Besteuerung, die auch „gute“ Formen der Einflussnahme erfasst, wirkt überabschreckend.119 Andererseits muss der Gesetzgeber den richtigen Steuersatz festlegen.120 Dieser sollte der Höhe der sozialen Kosten entsprechen, sodass die bezweckte Steuerungswirkung eintritt. Hierfür müsste der Gesetzgeber das Ausmaß aller Kosten von Täuschungen und Manipulation kennen. Das Messproblem, das im Rahmen der Ex-post-Regulierungsinstrumente offenkundig wurde,121 besteht auch hier. Anders als die Gerichte verfügt der Gesetzgeber aber über größere Ressourcen, um die Kosten im Wege empirischer Forschung in Erfahrung zu bringen.122 Geht man davon aus, dass Werbung nicht oder nur in geringem Ausmaß Informationsasymmetrien beseitigt, vor allem aber die Präferenzen der Adressaten manipuliert, spricht nichts gegen die Erhebung einer Lenkungssteuer. Ist Werbung hingegen im Grundsatz nützlich und nur im Ausnahmefall manipulativ oder täuschend, verbietet sich eine pauschale Besteuerung aller werbenden Einflussnehmer. Bestehen Zweifel, ob das eine oder das andere der Fall ist, sollte sich der Gesetzgeber, ganz getreu dem Motto „in dubio pro libertate“, mit einer Regulierung durch Lenkungssteuern zurückhalten. Die weiteren Ausführungen können diese Frage nicht beantworten. Gleichwohl wird eine mögliche Umsetzung kurz diskutiert.
117
Vgl. zur Nutzenüberschätzung oben S. 127, zur Risikounterschätzung oben S. 128. Hanson/Kysar, 6 RWU L. Rev. 259, 390 (2000). 119 Vgl. auch Fleischer, 68 Vand. L. Rev. 1673, 1676 (2015): „[A] Pigouvian tax is easy to design – as a uniform excise tax – if one simply assumes uniform marginal social cost across all individuals and firms.“ Vgl. auch Hanson/Logue, 107 Yale L. J. 1163, 1269 (1998). 120 Masur/Posner, 164 U. Pa. L. Rev. 93, 138 (2015): „If the regulator cannot reliably determine the social cost of an activity, it cannot calculate the optimal Pigouvian tax.“; s. auch Hanson/ Logue, 107 Yale L. J. 1163, 1269 (1998). 121 Vgl. oben S. 176. 122 Vgl. auch Masur/Posner, 164 U. Pa. L. Rev. 93, 138 (2015): „Pigouvian taxes will be difficult to calculate in some cases, but this argument would apply equally to any type of regulation where the regulator must calculate social costs, not only Pigouvian taxes.“ 118
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II. Umsetzung Als Steuerpflichtige kommen nach der ökonomischen Analyse nur Unternehmen aus der Werbeindustrie in Betracht, die mit der Erstellung und Durchführung von Werbung beauftragt werden, oder das sie beauftragende Unternehmen, das von der Werbung profitiert. Eine Steuer für Werbung könnte deshalb entweder als Ertragssteuer für die Werbeunternehmen oder als Kostensteuer für die Erbringung der Werbedienstleistungen statuiert werden. Eine alternative Vorgehensweise wäre eine indirekte Besteuerung durch ein Absetzungsverbot von Marketingkosten bei den Betriebsausgaben.123 Nach § 4 Abs. 4 EStG (für natürliche Personen), ggf. i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG (für Körperschaften), können Unternehmer ihre Werbekosten steuerlich als Betriebsausgabe in voller Höhe gewinnmindernd absetzen.124 Denkbar wäre es, Werbekosten mit einem Abzugsverbot zu belegen oder die Abzugsfähigkeit zu begrenzen.125 Dadurch hätten Einflussnehmer einen Anreiz, weniger Kosten für Werbung aufzuwenden, wodurch auch die Gefahr täuschender oder manipulativer Einflussnahmen sänke. Um die Gefahr einer Verringerung wohlfahrtsförderlicher Aktivitäten zu vermeiden, könnte man den Steuertatbestand auf bestimmte Werbemaßnahmen beschränken, beispielsweise auf solche, die Alkohol, Tabak oder Süßigkeiten betreffen126 sowie auf Werbeplatzierungen im Internet.127
F. Zusammenfassung von § 8 1. Der Gesetzgeber kann ex ante durch Verhaltensanforderungen und Steuern täuschendes oder manipulatives Verhalten eindämmen. Ein Rückgriff auf eine Ex-ante-Regulierung ist in besonderem Maße für Manipulationen sinnvoll. Manipulative Einflussnahmen sind ex post nur schwer feststellbar, während der Gesetzgeber ex ante auch weniger intensive Formen der Manipulation regulieren kann. Den intensivsten regulatorischen Eingriff stellt ein vollständiges Verbot täuschungs- und manipulationsgeneigter Aktivitäten dar, wie etwa das Tabakwerbungsverbot. Eine abgeschwächte Variante hiervon ist ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, bei dem eine Behörde oder ein Dritter eine Aktivität vorher billigen muss. Weniger einschneidend und kostenintensiv ist ein Zertifizierungssystem: Täuschungs- und manipulationsgeneigte Aktivitäten können fakultativ und gegen Entgelt durch eine 123 S. aus US-amerikanischer Perspektive für einen solchen Vorschlag Hanson/Kysar, 6 RWU L. Rev. 259, 390 f. (2000). Goodwin/Harris/Nelson et al., Principles of Economics in Context, 2015, S. 211; Fuchs, The Online Advertising Tax as the Foundation of a Public Service Internet, 2018, S. 58. 124 Vgl. hierzu Drüen, in: Blümich, 155. Ergänzungslieferung, 2020, § 4 EStG Rn. 940 „Werbung“. 125 Beispiele für Abzugsverbote finden sich in den §§ 3c Abs. 1, 4 Abs. 5, 4c, 4d, 4h, 4j, 50 Abs. 1 EStG sowie in § 10 KStG. 126 Vgl. Fuchs, The Online Advertising Tax as the Foundation of a Public Service Internet, 2018, S. 58. 127 Vgl. unten S. 344 f.
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zuständige Stelle zertifiziert werden. Einflussnehmer können hierzu angeregt werden, indem ihnen eine Haftungsimmunität für die zertifizierten Aktivitäten gewährt wird. 2. Offenlegungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder durch Rechtsfortbildung geschaffen werden, heben die (potenziell) täuschende Wirkung einer Aktivität des Einflussnehmers auf, indem sie Informationsasymmetrien beseitigen. Eine verpflichtende Klarstellung verhindert, dass Adressaten bei mehrdeutigen Aussagen falsche pragmatische Schlüsse ziehen. Warnhinweise sind geeignet, manipulativen Techniken die Wirkung zu nehmen („Debiasing“), können bei unvorsichtiger Gestaltung jedoch selbst manipulativ wirken. 3. Standardisierte Informationsbereitstellungen reduzieren für Adressaten durch die wiederholte Wahrnehmung ähnlicher Strukturen die Komplexität wirtschaftlicher Entscheidungen. So begründet die TaxonomieVO einen verpflichtenden Interpretationsstandard, der genau festlegt und „standardisiert“, was Adressaten unter umweltfreundlichen Finanzprodukten verstehen dürfen. Das verhindert ein Greenwashing durch pragmatische Täuschungen. Auch die Werbeaktivität von Wertpapierfirmen wird reguliert, indem der Gesetzgeber Vorgaben an die Darstellungen trifft („debiasing through law“), sodass Wertpapierfirmen die für kognitive Verzerrungen anfälligen Anleger nicht manipulieren können. 4. Eine Steuerungswirkung entfalten auch Verhaltenskodizes privater Organisationen. Neben dieser Selbstregulierung spiegeln Kodizes auch die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt in einer bestimmten Branche wider und teilweise verleiht das Gesetz ihnen Rechtswirkungen. Zudem kann ein „Comply or Explain“-Mechanismus psychologischen Druck auf den Einflussnehmer ausüben und Beeinflussungsstrategien eindämmen. Schließlich entfaltet ein „Naming and Shaming“, d. h. die öffentliche Kundgabe von Rechtsverstößen, eine Abschreckungswirkung. 5. Zur Eindämmung täuschender und manipulativer Aktivitäten kann der Staat eine Lenkungssteuer in Form einer Pigou-Steuer erheben, die den Einflussnehmer mit den sozialen Kosten der Einflussnahme belastet. Umgesetzt werden könnte dies, indem Werbekosten – die bislang in voller Höhe als Betriebsausgabe gewinnmindernd abgesetzt werden können – mit einem Abzugsverbot belegt werden oder die Abzugsfähigkeit begrenzt wird. Eine Implementierung läuft jedoch Gefahr auch sozialförderliche Aktivitäten abzuschrecken und sollte daher nur punktuell erfolgen, etwa bei digitaler Werbung oder solcher, die Alkohol, Tabak oder Süßigkeiten betrifft.
§ 9 Fallstudie: Digitale Manipulation Digitale Manipulation ist die Verwendung digitaler Technologie zur Beeinflussung der Entscheidungsfindung eines Adressaten durch gezielte Ausnutzung seiner Heuristiken und Urteilsverzerrungen.1 Sie ist eine Weiterentwicklung traditioneller Manipulationsformen und stellt das Recht der Einflussnahme vor neue regulatorische Herausforderungen. Im Gegensatz zu traditionellen Formen der Manipulation kann eine digitale Manipulation die „kognitiven Schwachstellen“ einzelner Adressaten, d. h. ihre idiosynkratische Empfänglichkeit für bestimmte manipulative Reize, gezielter ansprechen (A.). Um eine digitale Manipulation durchzuführen, muss der Einflussnehmer zunächst Daten sammeln und mithilfe von Algorithmen und „künstlicher Intelligenz“ analysieren, um die Adressaten anhand ihrer kognitiven Schwächen in verschiedene Segmente einteilen zu können (B.). Auch wenn die ökonomische und ethische Analyse aus dem zweiten Teil der Untersuchung im Wesentlichen auf digitale Formen der Manipulation übertragbar ist, ergeben sich bei der digitalen Einflussnahme Besonderheiten (C.). Der anschließende Abschnitt beschäftigt sich mit den konkreten Regulierungsherausforderungen (D.). Diese Fallstudie beleuchtet das Phänomen der digitalen Manipulation aus einer wirtschaftsrechtlichen Perspektive, in der die Manipulation von Verbrauchern im Fokus steht. Die datenschutzrechtliche Problematik soll dabei nicht verharmlost werden. Im Gegenteil, die digitale Manipulation ist nur ein Puzzlestück einer größeren Datenschutzdiskussion.2 Gleichwohl werden datenschutzrechtliche Erwägungen hier nur angesprochen, soweit sie geeignet sind, das wirtschaftliche Phänomen der digitalen Manipulation einzudämmen.
A. Manipulation früher und heute Einflussnehmer gestalten im Wirtschaftsverkehr schon seit langem das Entscheidungsumfeld der Adressaten auf manipulative Weise,3 sei es durch Werbeanzeigen in Printmedien oder im Rundfunk, durch das Produktdesign oder die Gestaltung
1 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 6 (2019): „[I]t is possible to define ‘online manipula tion’ as the use of information technology to covertly influence another person’s decision-making, by targeting and exploiting decision-making vulnerabilities.“ 2 S. Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 1005 (2020). 3 Es sei an dieser Stelle erinnert, dass der Begriff der Manipulation zunächst nur eine Typenbeschreibung ist. Ein ethisches oder rechtliches Unwerturteil ist damit noch nicht verbunden, vgl. oben S. 6 f.
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des Umfelds im Einzelhandel.4 Diese traditionellen Techniken der Einflussnahme erreichen ein breites Publikum. Der Einflussnehmer muss die Einflussnahme strategisch gestalten, um möglichst viele Adressaten zu beeinflussen,5 weil nicht jeder Adressat in gleichem Maße denselben Heuristiken und Verhaltensanomalien unterliegt. Eine auf einen individuellen Adressaten maßgeschneiderte Manipulation war bislang nur in wenigen Fällen denkbar – etwa, wenn der Einflussnehmer die kognitiven Schwächen eines einzelnen Adressaten aufgrund persönlichen Kon taktes kannte. 6 Diese nur beschränkt mögliche Personalisierung der Manipulation ist sicherlich ein Grund dafür, dass manipulative Techniken nur in besonderen Konstellationen einem ethischen und auch rechtlichen Unwerturteil ausgesetzt sind.7 Das digitale Zeitalter führt zu einem Paradigmenwechsel. Nicht nur, weil Einflussnehmer durch das Internet und durch vernetzte Geräte ein viel größeres Publikum erreichen können. Neue Technologien wie maschinelles Lernen, „Deep Learning“ und die Computerlinguistik, die allesamt unter dem Sammelbegriff „künstliche Intelligenz“ zusammengefasst werden, sowie Big Data ermöglichen es Einflussnehmern, in bislang nicht vorstellbarem Ausmaß Adressaten personalisiert anzusprechen. Ein derartiges Microtargeting eröffnet dem Einflussnehmer die Möglichkeit, seine manipulative Einflussnahmetechnik auf einzelne Adressaten zuzuschneiden und gezielt ihr fehlerabhängiges Denksystem 1 zu adressieren. Mitunter wird die digitale Manipulation, oder manche ihrer Erscheinungsformen, als „evil nudges“, 8 „dark nudges“9 oder „sludges“10 bezeichnet.
4 Vgl. oben S. 104 ff. Supermärkte platzieren etwa Produkte wie Milch oder Eier meist auf der hintersten Verkaufsfläche, weil sie die am häufigsten gekauften Güter sind. Die Kunden müssen zunächst mehrere Gänge durchqueren, die mit Produkten in bunten Verpackungen bestückt sind, wovon diejenigen, die den höchsten Umsatz generieren, auf Augenhöhe platziert sind. An der Kasse finden sich neben Süßigkeiten auch Zigaretten; eine hilfreiche Erinnerung an den (ehemaligen) Raucher. S. hierzu auch Akerlof/Shiller, Phishing for Phools, 2015, S. 21; Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1147 ff. (1999); Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1004 (2014); Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 970 f. (2020). 5 Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 967 (2020): „Pricing schemes, terms of service, product packages, and retail environments had to be designed to influence any consumer who came through the door.“ 6 Etwa, wenn ein Verkäufer aufgrund des Auftretens eines Kunden, seiner Kleidung oder Verhaltens, schlussfolgern kann, dass er besonders empfänglich für eine bestimmte manipulative Technik ist, vgl. Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1021 (2014); Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 966 ff. (2020). So könnte ein Verkäufer einem Kunden, der eine teure Uhr trägt, Komplimente hierfür machen und so die Wahrscheinlichkeit eines Kaufs erhöhen, vgl. hierzu die empirische Studie bei Guo/Main, 23 Mark. Lett. 959, 962 (2012). 7 Vgl. oben S. 103 ff. und S. 223 ff. 8 Lavi, 21 Vand. J. Ent. & Tech. L. 1 (2018). 9 Weinzierl, NVwZ – Extra 15/2020, 1, 3. 10 In Anlehnung an Nudges, s. Thaler, 361 Science 431 (2018).
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
B. Das Phänomen der digitalen Manipulation Eine digitale Manipulation vollzieht sich in drei Schritten:11 Datensammlung, Analyse und Einflussnahme. Zunächst muss der Einflussnehmer Daten über (potenzielle) Kunden sammeln oder auf die von anderen Personen gesammelten Daten zugreifen (I.). Die Analyse der Daten ermöglicht eine Marktsegmentierung durch die Erstellung von Nutzerprofilen („Profiling“). Die Profile werden anhand verschiedener Kundentypen erstellt, die besondere Eigenschaften aufweisen, d. h. besonders empfänglich für bestimmte manipulative Techniken sind (II.). Schließlich muss der Einflussnehmer diejenigen Adressaten identifizieren, die dem Nutzerprofil entsprechen. Im Einzelfall ist auch eine Identifizierung individueller Adressaten möglich. Die identifizierten Adressaten kann er personalisiert ansprechen, d. h. mit der erfolgversprechendsten Manipulationstechnik (III.). I. Datensammlung Wir leben in einer postindustriellen Gesellschaft, die man häufig als „Informationsgesellschaft“ bezeichnet. Daten sind das „Öl“ der digitalen Wirtschaft.12 Ihre Anzahl hat eine kaum vorstellbare Größenordnung erreicht. Das Marktforschungsunternehmen IDC schätzte im Jahr 2018 die globale „Datensphäre“ auf 33 Zetta bytes, die sich bis 2025 auf 175 Zettabytes erhöhen soll13 – ein Zetta ist eine Zahl mit 21 Nullen. Kurzum: Big Data. Moderne Informationstechnologien machen das Sammeln von Daten günstig, schnell und einfach.14 Computer, Smartphones und andere „smarte“ Geräte sammeln unzählige Daten passiv, ohne großen Aufwand und zumeist für den Nutzer unbemerkt.15 Sei es durch Suchabfragen auf Suchmaschinen, den Suchverlauf im Browser, Aktivitäten auf sozialen Medien, E-Mails, den Einsatz von Kreditkarten oder durch Sprachassistenten.16 Smartphones zeichnen die Standortdaten des Nutzers unauffällig auf, weil er seine Erlaubnis beispielsweise einer Wetter- oder NewsApp erteilt hat.17 Die Geräte können durch Gyrosensoren die Bewegungen des Nutzers oder den Winkel, in dem er das Gerät hält, dokumentieren, und auch die 11 Vgl.
Ebers, MMR 2018, 423 f.; Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 978 (2020). The Economist, „The world’s most valuable resource is no longer oil, but data“, 6.5.2017, online abrufbar unter https://www.economist.com/leaders/2017/05/06/the-worlds-most-valuab le-resource-is-no-longer-oil-but-data. 13 IDC, Prognose zum Volumen der jährlich generierten digitalen Datenmenge weltweit in den Jahren 2018 und 2025, zitiert nach de.statista.com, https://de.statista.com/statistik/daten/studie /267974/umfrage/prognose-zum-weltweit-generierten-datenvolumen. 14 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 2 (2019). 15 Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 26. 16 Clauser, „Amazon’s Alexa Never Stops Listening to You. Should You Worry?“, Wirecutter, 8.8.2019, online abrufbar unter https://www.nytimes.com/wirecutter/blog/amazons-alexa-neverstops-listening-to-you; s. für einen Überblick Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 123 f. (2020). 17 Thompson/Warzel, „Twelve Million Phones, One Dataset, Zero Privacy“, New York Times, 19.12.2019, online abrufbar unter https://www.nytimes.com/interactive/2019/12/19/opinion/ 12
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Stärke des Drucks auf das Display messen.18 Am Computer können die Mausaktivität, d. h. die Bewegungsgeschwindigkeit und das Bewegungsmuster, das Scrollverhalten, die Tippgeschwindigkeit an der Tastatur oder Tippfehler aufgezeichnet werden.19 Smarte Fernseher protokollieren was Nutzer ansehen, sei es auf Streamingdiensten oder im traditionellen linearen Fernsehen („automatic content recog snition“20). Die Aufzeichnung des Nutzerverhaltens erfolgt auch über mehrere Websites, Apps und Geräte hinweg. Zahlreiche Websitebetreiber arbeiten mit Werbenetzwerken zusammen, sodass sie das Nutzungsverhalten der Nutzer über mehrere Websites hinweg dokumentieren können.21 Die Datensammlung findet jedoch nicht nur online statt.22 Auch der lokale Einzelhandel ist betroffen: Die Supermarktkette Real hatte in über 40 Filialen eine Gesichtserkennung an Werbebildschirmen installiert, die das Geschlecht, das Alter und die Dauer des Blickkontakts speicherte.23 Lautsprecher in Geschäften spielen Ultraschallwellen ab, die Smartphones mit ihren Mikrofonen aufzeichnen und so nicht nur den Besuch des individuellen Nutzers im Geschäft dokumentieren, sondern auch in den dazu gehörigen Apps beispielsweise spezielle Rabatt-Gutscheine anzeigen.24 IBM arbeitet an einem smarten Fußboden, der Berührungen, Gewicht und Formen aufzeichnen kann.25 Die „Lagerkosten“ dieser Daten sind gering, weil Festplattenspeicher so günstig ist, dass viele Unternehmen alle aufgezeichnete Daten in einem „Datengrab“ speilocation-tracking-cell-phone.html. Die Daten werden zumeist von spezialisierten Unternehmen gesammelt, die sie dann an andere Unternehmen weiterverkaufen. 18 S. Sun/Wang/Cao et al., in: Altun/Das/Mielikäinen et al. (Hrsg.), Machine Learning and Knowledge Discovery in Databases, 2017, S. 228 ff. Vgl. auch die Beschreibung des Leistungsspektrums des Unternehmens Biocatch auf https://www.biocatch.com/behavioral-insights. Biocatch hat sich auf die Sicherheit im Bankwesen spezialisiert. Nach eigenen Aussagen nutzen bereits mehrere große Banken in Großbritannien ihre Technologie. S. auch Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 123 f. (2020). 19 Vgl. die Beschreibung des Leistungsspektrums des Unternehmens Biocatch in der vorhergehenden Fn. 20 Fowler, „You watch TV. Your TV watches back.“, The Washington Post, 18.9.2019, online abrufbar unter https://www.washingtonpost.com/technology/2019/09/18/you-watch-tv-yourtv-watches-back. 21 Bennett, 44 J. Marshall L. Rev. 899, 901 (2011). 22 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 6 (2019). 23 S. Netzpolitik.org, „Real-Supermärkte mit Gesichtsanalyse“, 30.5.2017, online abrufbar unter https://netzpolitik.org/2017/real-supermaerkte-bald-mit-gesichtsanalyse. Das Unternehmen hat die Gesichtserkennung nach eigenen Aussagen wieder eingestellt und möchte künftig transparenter mit modernem Marketing umgehen, s. Netzpolitik.org, „Aus Angst vor Image-Schäden: Real beendet Tests mit Gesichts-Scannern“, 28.6.2017, https://netzpolitik.org/2017/aus-angstvor-image-schaeden-real-beendet-tests-mit-gesichts-scannern. 24 S. die Feldstudie von Forschern der Technischen Universität Braunschweig: Arp/Quiring/ Wressnegger et al., in: (Hrsg.), 2017 IEEE European Symposium on Security and Privacy (EuroS&P), 2017, S. 35. 25 S. das Patent Do/Grigsby/Nesbitt/Seacat, Securing premises using surfaced-based computing technology, U.S. Patent No. 8,138,882, 20.3.2012; vgl. hierzu auch Mayer-Schönberger/ Cukier, Big Data, 2014, S. 94.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
chern.26 Dadurch erhalten Daten einen Optionswert: aufgezeichnet wird alles, auch wenn für die Daten bislang kein Nutzen gefunden wurde; vielleicht ändert sich das ja in der Zukunft.27 Zudem werden die gesammelten Daten selten nur einem Unternehmen allein zur Verfügung stehen. Die Daten werden verkauft oder lizensiert.28 II. Analyse Die gesammelten Daten erlauben es Einflussnehmern, Rückschlüsse auf persönliche Merkmale der Nutzer zu ziehen (1.). Auf Basis der Daten können sie die Nutzer in verschiedene Segmente einteilen und auf diese zugeschnittene Manipulationstechniken anwenden („Persuasion Profiling“29). Die Einteilung in verschiedene Nutzerprofile erfolgt mittels einer statistischen Auswertung der Daten durch digitale Technologien wie Algorithmen oder „künstliche Intelligenz“, die in der Lage sind, die kognitiven Schwachstellen der Adressaten zu identifizieren (2.). 1. Profiling Die Auswertung von Big Data ermöglicht es den Unternehmen, Muster zu erkennen, die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Nutzer geben.30 Bevor aufgezeigt wird, wie Algorithmen und „künstliche Intelligenz“ das bewerkstelligen, lohnt sich ein Blick darauf, welche Informationen die Daten über Nutzer preisgeben. Big Data ermöglicht nämlich eine „psychometrische Analyse des Einzelnen“.31 Diese erlaubt Unternehmen eine effektive Kundensegmentierung, d. h. die Unterteilung der Marktgegenseite eines heterogenen Absatzmarktes in kleinere homogene Teile.32 Die Aufteilung erfolgt nach Kriterien wie Kaufverhalten, Alter, Bildungsniveau, sozioökonomischem Status und Anfälligkeit für Verhaltensanomalien.33 Als
26
Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 106. Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 102 ff. 28 Hierzu im Detail Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 104 ff. 29 Kaptein/Eckles, in: Ploug/Hasle/Oinas-Kukkonen (Hrsg.), Persuasive Technology, 2010, S. 82; s. auch Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1017 (2014); Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 978 (2020). 30 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 124 (2020). S. auch Art. 4 Nr. 4 DSGVO, wonach Profiling „jede Art der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten [bezeichnet], die darin besteht, dass diese personenbezogenen Daten verwendet werden, um bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten, insbesondere um Aspekte bezüglich Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel dieser natürlichen Person zu analysieren oder vorherzusagen“. 31 Ebers, MMR 2018, 423. 32 Smith, 21 J. Mark. 3, 6 (1956). 33 Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1561 (1999). 27
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Folge können Einflussnehmer ihre Werbung, Produkte und Preise effektiver gestalten, weil sie ihre Werbemaßnahmen an spezifische Gruppen statt an ein Kollektiv richten können.34 So können die Standortdaten Hinweise auf eine Drogenabhängigkeit geben (wenn ein Nutzer „Hotspots“ oder eine Entzugsklinik besucht), auf Affären oder auf den Besuch einer psychiatrischen Einrichtung.35 Das Tippverhalten auf der Tastatur gibt Hinweise auf den emotionalen Zustand des Nutzers, z. B. ob er selbstbewusst, nervös, traurig oder müde ist.36 Auch von dem Sprachstil, etwa in E-Mails oder auf Posts in sozialen Netzwerken, kann man auf die Persönlichkeit des Nutzers schließen.37 Eine Studie zeigt, dass sich anhand der „Likes“ auf Facebook erstaunlich akkurate Rückschlüsse über sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, religiöse und politische Ansichten, Persönlichkeitsmerkmale, Intelligenz, Zufriedenheit, Sucht, Alter und Geschlecht ziehen lassen und sogar darüber, ob der Nutzer ein Scheidungskind ist.38 Das ist nicht nur eine theoretische Feststellung von Wissenschaftlern: An eine australische Zeitung sind Dokumente durchgesickert, wonach Facebook Unternehmen anbot, gegenüber 6,4 Millionen Nutzern, die sich gerade in einer psychischen Belastungssituation befanden (manche der Nutzer waren erst 14 Jahre alt), gezielt Werbung zu schalten.39 Aufgrund der gesammelten Daten in Posts, hochgeladenen Bildern und Interaktionen konnte Facebook feststellen, wann sich diese Nutzer gestresst, besiegt, unterlegen, ängstlich, nervös, dumm, albern, nutzlos oder wie ein „Versager“ fühlten.40 Die aufgezeichneten Daten sind teilweise so genau, dass man sie „Behavioral Biometrics“ nennt, eine Art digitaler Fingerabdruck, der es mitunter ermöglicht, eine individuelle Person zweifelsfrei zu identifizieren.41
34 Foxall/Goldsmith, Consumer Psychology for Marketing, 1994, S. 9; Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1561 (1999); Ebers, MMR 2018, 423. 35 Thompson/Warzel, „Twelve Million Phones, One Dataset, Zero Privacy“, New York Times, 19.12.2019, online abrufbar unter https://www.nytimes.com/interactive/2019/12/19/opinion/ location-tracking-cell-phone.html. 36 Epp/Lippold/Mandryk, in: ACM (Hrsg.), CHI ‘11: Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, 2011, S. 715; vgl. auch Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 979 (2020). 37 Mairesse/Walker/Mehl et al., 30 J. Artif. Intell. Res. 457 (2007); Golbeck/Robles/Turner, in: ACM (Hrsg.), CHI ‘11 Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems, 2011, S. 253, 256; Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 125 (2020). 38 Kosinski/Stillwell/Graepel, 110 Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 5802 (2013). S. auch die Studie von Golbeck/Robles/Turner, in: ACM (Hrsg.), CHI ‘11 Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems, 2011, S. 253, die neben „Likes“ noch andere von den Nutzern auf sozialen Netzwerken bereitgestellte Informationen ausgewertet haben. 39 Hierzu auch Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 975 (2020). 40 Levin, „Facebook told advertisers it can identify teens feeling ‘insecure’ and ‘worthless’“, The Guardian, 1.5.2017, online abrufbar unter https://www.theguardian.com/technology/2017/ may/01/facebook-advertising-data-insecure-teens. 41 Weiss/Yoneda/Hayajneh, 7 IEEE Access 133190 (2019).
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
2. Algorithmische Identifizierung kognitiver Schwachstellen Wir haben gesehen, was Daten über die Persönlichkeit der Nutzer aussagen können. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich damit, wie Systeme anhand der Daten individuelle Merkmale der Nutzer identifizieren. Hierbei muss vorab klargestellt werden, dass es für Einflussnehmer an sich unerheblich ist, welche genauen Persönlichkeitsmerkmale Nutzer aufweisen. Sie benötigen keine verhaltenswissenschaftliche Theorie darüber, warum Adressaten sich wie verhalten. Relevant ist nur, dass sich der Zustand der Nutzer auf eine Gewinnsteigerung auswirkt, also zu möglichst vielen Transaktionen führt. Demnach geht es um die Identifizierung „kognitiver Schwachstellen“, die der Anknüpfungspunkt für eine digitale Manipulation sind (b.). Zum besseren Verständnis werden zuvor die hierfür notwendigen Werkzeuge in gebotener Kürze beschrieben: Algorithmen und künstliche Intelligenz (a.). a) Algorithmen und künstliche Intelligenz Wenn Big Data die „Zutat“ der digitalen Manipulation ist, sind Algorithmen und künstliche Intelligenz die „Kochrezepte“. Algorithmen sind geschickte mathematische Verfahren zur Problemlösung.42 Das zu lösende „Problem“ besteht bei einer digitalen Einflussnahme darin, möglichst viele Transaktionsentscheidungen herbeizuführen. Computer können heute aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit viele Algorithmen mit komplexen Berechnungen in kürzester Zeit ausführen. Das Begriffspaar „künstliche Intelligenz“ zu definieren ist schwieriger.43 Es findet seinen Ursprung in einer Gegenüberstellung zur menschlichen Intelligenz, die man als das „Potenzial, Informationen zu verarbeiten und Probleme zu lösen“ umschreiben könnte.44 Eine Maschine verfügt daher über eine künstliche Intelligenz, wenn sie sich in einer Weise verhält, die man als intelligent bezeichnen würde, würde man das Verhalten bei einem Menschen beobachten.45 Eine Begriffsdefinition ist schwierig, weil „künstliche Intelligenz“ ein Sammelbegriff für verschiedene Prozesse ist. Von Bedeutung sind hier das „maschinelle Lernen“ (machine learning), das „Deep Learning“ und die Computerlinguistik 42
Vöcking/Alt/Dietzfelbinger et al., Taschenbuch der Algorithmen, 2008, S. V. Kaplan, Artificial Intelligence, 2016, S. 1 ff.; Kaplan/Haenlein, 62 Bus. Horiz. 15 (2019). 44 Nach Gardner, Intelligence Reframed: Multiple Intelligences for the 21st Century, 1999, S. 33 f.: „I now conceptualize an intelligence as a biopsychological potential to process information that can be activated in a cultural setting to solve problems or create products that are of value in a culture.“ 45 Vgl. die berühmte, erstmalige Definition von „artificial intelligence“ bei McCarthy/Minsky/ Rochester/Shannon, A proposal for the Dartmouth summer research project on artificial intelligence, 31.8.1955, online abrufbar unter: https://www-formal.stanford.edu/jmc/history/dartmouth/dartmouth.html: „For the present purpose the artificial intelligence problem is taken to be that of making a machine behave in ways that would be called intelligent if a human were so behaving.“ S. auch Kaplan/Haenlein, 62 Bus. Horiz. 15 (2019): „[A] system’s ability to correctly interpret external data, to learn from such data, and to use those learnings to achieve specific goals and tasks through flexible adaptation.“ 43 Hierzu
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(natural language processing).46 Als maschinelles Lernen bezeichnet man einen Satz von Algorithmen zur Automatisierung von Lösungen komplexer Probleme.47 Das System entwickelt sich selbst durch die Analyse großer Datenmengen weiter und trifft auf Grundlage statistischer Vorhersagen Entscheidungen, ohne explizit darauf programmiert zu sein.48 „Deep Learning“ ist eine Teilmenge des maschinellen Lernens.49 Das System nutzt künstliche neuronale Netze, eine Nachahmung der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns, um in Daten Muster zu erkennen. Die Computerlinguistik basiert auf dem maschinellen Lernen und „Deep Learning“. Durch sie können Computer natürliche Sprache verarbeiten und „verstehen“.50 Künstliche Intelligenz kann so weit gehen, dass sie sich losgelöst von menschlichen Vorgaben selbstständig weiterentwickelt (unsupervised learning).51 b) Maschinelle Manipulation: „The End of Theory“ Wie können Algorithmen und künstliche Intelligenz kognitive Schwachstellen der Adressaten identifizieren? Das wird schnell klar, wenn man die maschinelle Manipulation den bisherigen verhaltenswissenschaftlichen Forschungsmethoden gegenüberstellt:52 Am Anfang stand die Hypothese. So hatten Amos Tversky und Daniel Kahneman, die beiden Hauptprotagonisten des „Heuristics and Biases“-Forschungsansatzes,53 intuitive Ideen darüber, welchen Entscheidungsfehlern Menschen unterliegen.54 Sie wählten einige Probanden aus, eine Stichprobe der Population, und testeten die Auswirkungen einer unabhängigen Variable (der „Behandlung“) auf eine abhängige Variable (den festzustellenden Effekt, der, so die Hypothese, abhängig von der Behandlung ist).55 Die Beschränkung auf eine Stichprobe war nötig, weil sie weder Zugriff auf die gesamte Population noch die Kapazitäten zur Verarbeitung aller Daten hatten.56 Waren die festgestellten Ergebnisse statistisch signifikant, konnte eine Korrelation und damit ein Hinweis auf eine Kausalbeziehung zwischen der Behandlung und der Verhaltensanomalie nachgewiesen werden. Soweit die Stichprobe repräsentativ war, konnte dann auf das Auftreten des bias in der gesamten Population geschlossen werden. Falls eine Korrelation nicht bestand, überarbeiteten sie ihre Hypothese und führten neue Experimente durch („trial and error“). 46
S. für eine eingängige Beschreibung des maschinellen Lernens Bilski/Schmid, NJOZ 2019, 657. Rebala/Ravi/Churiwala, An Introduction to Machine Learning, 2019, S. 1. 48 Vgl. hierzu knapp Kietzmann/Paschen/Treen, 58 J. Advert. Res. 263, 264 (2018). 49 Deng/Yu, 7 Found. Trends Signal Process. 197, 199 f. (2014). 50 S. für einen Überblick Otter/Medina/Kalita, 32 IEEE Trans. Neural Netw. Learn. Syst. 604 (2021). 51 Bilski/Schmid, NJOZ 2019, 657, 658. 52 Vgl. oben S. 28 f.; zur evidenzbasierten Forschung oben S. 203 ff. 53 Vgl. oben S. 29. 54 S. zur „Geschichte“ Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2012, S. 4 ff. 55 Vgl. oben S. 204. 56 „[S]ampling was a shortcut we used because we could not process all the data“, Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 64. 47
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Einflussnehmer, die herausfinden möchten, wann eine digitale Manipulation Erfolg verspricht, gehen genau entgegengesetzt vor.57 Sie benötigen keine Hypothese. Sie setzen ein Ziel – den Abschluss möglichst vieler Transaktionen bzw. eine möglichst hohe conversion rate58 – und arbeiten sich dann rückwärts zu der manipulativen Handlung vor. Dank Big Data, d. h. einer Vielzahl gesammelter, noch nicht verarbeiteter Daten, steht ihnen hierbei einerseits eine viel größere Stichprobe zur Verfügung, bestenfalls die gesamte Population („n = all“59). Andererseits handelt es sich nicht nur um Daten einer einzelnen Behandlung, sodass nur eine abhängige Variable in Frage kommt, sondern die Daten beziehen sich auf eine Vielzahl von Umständen, beispielsweise die weiter oben genannten Standortdaten, den Schreibund Tippstil, Interaktionen auf Websites oder auf dem Display. Algorithmen analysieren diese Daten und können Muster und Korrelationen erkennen, die für den menschlichen Betrachter unerkannt bleiben. Vereinfacht funktioniert das so:60 Das System beginnt mit einer Reihe zufällig erstellter Algorithmen, die es gegen die verfügbaren Daten testet. Es wählt die besten Algorithmen aus, d. h. diejenigen, die sich dem gewünschten Ergebnis annähern und verändert sie zufällig. Das passiert so oft, bis der optimale Algorithmus für die Aufgabe gefunden wird. Forscher von Google Brain, einer Abteilung von Google, die künstliche Intelligenz erforscht, haben ein System programmiert, das 10.000 verschiedene Modelle in der Sekunde testet. 61 Letztlich handelt es sich hierbei um automatisierte Online-Experimente,62 die man auch als A/B-Tests bezeichnet.63 Unternehmen testen hiermit nahezu jeden Faktor ihres digitalen Auftritts, vom Websitedesign über Empfehlungsalgorithmen hin zu Versandmodalitäten. 64 Beispielsweise werden unterschiedlichen Nutzergruppen verschiedene Designvarianten derselben Website oder verschiedene Preise für dasselbe Produkt gezeigt. Anhand der Nutzerreaktionen kann das System analysieren, welches Design oder 57 Vgl. hierzu Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 50 ff. sowie Anderson, „The End of Theory: The Data Deluge Makes the Scientific Method Obsolete“, Wired, 23.6.2008, online abrufbar unter: https://www.wired.com/2008/06/pb-theory. 58 Die conversion rate ist der Quotient aus der Anzahl der abgeschlossenen Transaktionen und der Anzahl der Adressaten, s. hierzu Katsov, Introduction to Algorithmic Marketing, 2017, S. 157. 59 Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 26. 60 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 128 (2020) Fn. 57. 61 Real/Liang/So et al., in: Daumé III, Aarti (Hrsg.), Proceedings of the 37th International Conference on Machine Learning, Volume 119, 2020, S. 8007; hierzu auch Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 128 (2020). Google selbst hat angekündigt, ihre Technologie in die Hände eines jeden Werbetreibers zu geben, s. Google, „Putting machine learning into the hands of every advertiser“, 10.7.2018, online abrufbar unter https://www.blog.google/technology/ads/machine-learninghands-advertisers. 62 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1015 (2014); Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 127 (2020); Weinzierl, NVwZ – Extra 15/2020, 1, 3. 63 Hierzu Kohavi/Longbotham, in: Sammut/Webb (Hrsg.), Encyclopedia of Machine Learning and Data Mining, 2017, S. 922, „Online Controlled Experiments and A/B Testing“; Katsov, Introduction to Algorithmic Marketing, 2017, S. 173 f.; s. auch Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 976 f. (2020). 64 Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 976 f. (2020).
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welcher Preis für welche Nutzergruppe sinnvoll ist. Eine künstliche Intelligenz, die die A/B-Tests durchführt, kann dabei tausende Designs gleichzeitig testen, indem es die Website in Echtzeit an jeden einzelnen Nutzer anpasst.65 Das kann so weit gehen, dass jeder Nutzer eine andere Website sieht. Computer sind nicht nur in der Lage, Websites oder Preise selbstständig anzupassen, sie können auch Werbeanzeigen und sogar Videos von Grund auf selbst erschaffen. 66 Der Einflussnehmer kann so feststellen, welcher Umstand dafür verantwortlich ist, dass Adressaten eine Transaktion eingehen. Warum dieser oder jener manipulative Reiz zu mehr Transaktionsabschlüssen führt, kann das System nicht beantworten. Das spielt für den Einflussnehmer auch keine Rolle. Entscheidend ist nur, dass die Manipulation es tut. 67 So mag es sein, dass Konsumenten kurz vor einem Hurrikan vermehrt Pop-Tarts (ein US-amerikanisches Süßgebäck) mit Erdbeergeschmack kaufen. Den Grund dafür kennt niemand, Walmart macht es sich gleichwohl zunutze und lagert das Produkt vor einem Sturm neben Taschenlampen. 68 Die Daten sprechen für sich selbst.69 Teilweise wird deshalb die algorithmische Analyse von Big Data auch als „The End of Theory“ bezeichnet.70 Es komme nicht mehr auf wissenschaftliche Theorien, Hypothesen oder Kausalnachweise an. Einzig die Korrelation zwischen den Daten und einem Ergebnis spiele eine Rolle. Dieser Ausspruch mag aus wissenschaftlicher Sicht, der ein Erkenntnisinteresse zugrunde liegt, kaum haltbar sein. Für den Bereich der digitalen Manipulation hat er jedoch seine Berechtigung. III. Einflussnahme Die eigentliche digitale Manipulation funktioniert durch eine personalisierte Ansprache des Adressaten (1.). Hierfür nutzen Einflussnehmer häufig Benutzeroberflächen auf Websites oder in Apps, die den Adressaten „austricksen“, indem sie sein heuristisches System 1 ausnutzen (2.), sog. „Dark Patterns“. Algorithmen und künstliche Intelligenz ermöglichen hierbei eine Anpassung der Entscheidungsarchitektur des Adressaten in Echtzeit (3.). Auch wenn manche Formen digitaler Manipulation aus ethischer, ökonomischer und rechtlicher Sicht zu missbilligen sind, 65 Kietzmann/Paschen/Treen, 58 J. Advert. Res. 263, 266 (2018); Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 130 (2020). 66 Vgl. Kietzmann/Paschen/Treen, 58 J. Advert. Res. 263, 264 (2018): „20th Century Fox created a trailer for the science-fiction horror film Morgan using image, speech, and natural language generation.“ 67 Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 8. 68 Die Nachfrage nach dem Gebäck soll um das siebenfache steigen, s. Hays, „What Wal-Mart Knows About Customers’ Habits“, New York Times, 14.11.2004, online abrufbar unter https:// www.nytimes.com/2004/11/14/business/yourmoney/what-walmart-knows-about-customershabits.html. S. auch Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 54. 69 Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 14. 70 Anderson, „The End of Theory: The Data Deluge Makes the Scientific Method Obsolete“, Wired, 23.6.2008, online abrufbar unter: https://www.wired.com/2008/06/pb-theory. Hierzu auch Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 70 ff.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
darf nicht übergangen werden, dass zahlreiche digitale Einflussnahmen auch für den Adressaten vorteilhaft sind (4.). 1. Microtargeting Nachdem der Einflussnehmer aufgrund der gesammelten Daten ein „Persuasion Profiling“ vorgenommen hat, kann er individuelle Adressaten einem Nutzerprofil zuordnen und einer Einflussnahme aussetzen, welche für sie die beste Wirksamkeit verspricht. Dadurch kann der Einflussnehmer effektivere Marketingtechniken gestalten, weil er in der Lage ist, seine Werbemaßnahmen an spezifische Gruppen, idealerweise an eine einzelne Person, zu richten.71 Dieses Vorgehen nennt sich „Mi crotargeting“, die personalisierte Ansprache des Einzelnen aufgrund seines persönlichen Profils, d. h. anhand seiner Vorlieben, Interessen, Bestrebungen und kognitiven Schwachstellen.72 Die Effektivität des Microtargetings steht außer Frage: „Such data-activated marketing based on a person’s real-time needs, interests, and behaviors represents an important part of the new horizon of growth. It can boost total sales by 15 to 20 percent, and digital sales even more […]“73
Die Mittel des Microtargetings sind mannigfaltig. In seiner einfachsten Form schaltet der Einflussnehmer eine personalisierte Werbeanzeige. Beispielsweise zeigt die Studie einer Werbeagentur, dass sich Frauen montagmorgens weniger attraktiv fühlen.74 Sie empfiehlt Unternehmen, gezielt zu dieser Zeit gegenüber Frauen Werbeanzeigen mit Beauty-Produkten zu schalten. In den USA hat der Discounteinzelhändler Target für Schlagzeilen gesorgt, weil er die Einkaufshistorie seiner Kunden analysiert hat, um festzustellen, welche seiner Kundinnen schwanger sind. Das gelang ihm teilweise bevor es die Kundinnen selbst wussten.75 Diesen Adressaten gegenüber hat Target dann gezielt Anzeigen mit Babyprodukten geschaltet.76 Ama71 Foxall/Goldsmith, Consumer Psychology for Marketing, 1994, S. 9; Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1561 (1999). 72 Ebers, MMR 2018, 423; Susser, in: ACM (Hrsg.), AIES ‘19: Proceedings of the 2019 AAAI/ ACM Conference on AI, Ethics, and Society, 2019, S. 403; Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 122 (2020). Auf dem politischen Spielfeld nutzen Akteure diese Kommunikationstechnik schon seit langer Zeit. Gezielte Hausbesuche in Gegenden mit einer hohen Quote von Nicht- oder Wechselwählern gab es bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit dem Auftreten des Internets, vor allem aber seit der Dominanz sozialer Netzwerke, wurde das digitale Microtargeting eine wichtige Wahlkampfstrategie. Hierzu Hill, in: ders./Kugelmann/Martini (Hrsg.), Behavioral Microtargeting, 2018, S. 47; Hill, DÖV 2020, 205; Harker, 40 Leg. Stud. 151 (2020). 73 Boudet/Gregg/Heller/Tufft, „The heartbeat of modern marketing: Data activation and personalization“, 22.3.2017, McKinsey & Company, online abrufbar unter https://www.mckinsey. com/business-functions/marketing-and-sales/our-insights/the-heartbeat-of-modern-marketing. 74 PHD, „New Beauty Study Reveals Days, Times And Occasions When U.S. Women Feel Least Attractive“, Cision PR Newswire, 2.10.2013, online abrufbar unter https://www.prnewswi re.com/news-releases/new-beauty-study-reveals-days-times-and-occasions-when-us-womenfeel-least-attractive-226131921.html. Hierzu auch Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995 (2014). 75 S. hierzu Duhigg, The Power of Habit, 2012, S. 196. 76 Duhigg, „How Companies Learn Your Secrets“, New York Times Magazine, 16.2.2012, online abrufbar unter https://www.nytimes.com/2012/02/19/magazine/shopping-habits.html;
§ 9 Fallstudie: Digitale Manipulation
323
zon hat einen Patentantrag für eine Technologie gestellt, mit der die hauseigenen Sprachassistenten die Stimmung der Nutzer feststellen können (dynamic emotional targeting).77 Hierfür analysieren die Geräte die Tonhöhe und die Lautstärke der Stimme des Nutzers und passen dann ihre Sprachausgabe entsprechend an, mit „highly targeted audio content, such as audio advertisements or promotions.“78 Algorithmen bestimmen in einer Vielzahl von Situationen zunehmend sowohl die Menge der Optionen, aus denen wir wählen, als auch die Art und Weise, wie diese Optionen präsentiert werden (Framing79).80 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass verschiedene Menschen unterschiedlich empfänglich für manipulative Einflüsse sind. Manche Adressaten reagieren auf Knappheit,81 andere auf Autorität 82 oder auf Soziale Bewährtheit 83. Auf einem Internetmarktplatz könnte einem Adressaten ein Buch mit dem Hinweis „Restexemplare, solange der Vorrat reicht“ beworben werden und es zählt ein Timer nach unten, wie lange das Angebot noch verfügbar ist. 84 Einem anderen Adressaten mag dasselbe Buch mit der Information „Literaturempfehlung des Autors X“ angeboten werden. 85 Wieder andere Nutzer erhalten die Mitteilung „Person Y aus deiner Umgebung hat das Buch soeben gekauft“.86 2. „Dark Patterns“ Es existieren ausgeklügelte Designstrategien für Benutzerschnittstellen von Web sites oder Apps, die Verhaltensanomalien der Adressaten ausnutzen und sie so zu Entscheidungen verleiten, die sie andernfalls nicht getroffen hätten, sog. „Dark Patterns“.87 Derartige Designtricks gibt es schon lange, wenn man an die Platzierung Duhigg, The Power of Habit, 2012, S. 182 ff.; hierauf Bezug nehmend auch Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 996 (2014); Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 122 (2020). 77 Fussell, „Alexa Wants to Know How You’re Feeling Today“, The Atlantic, 12.10.2018, online abrufbar unter https://www.theatlantic.com/technology/archive/2018/10/alexa-emotion-detecti on-ai-surveillance/572884; Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 979 (2020). 78 Fussell, „Alexa Wants to Know How You’re Feeling Today“, The Atlantic, 12.10.2018, online abrufbar unter https://www.theatlantic.com/technology/archive/2018/10/alexa-emotion-detecti on-ai-surveillance/572884. 79 Vgl. oben S. 36 f. 80 Susser, in: ACM (Hrsg.), AIES ‘19: Proceedings of the 2019 AAAI/ACM Conference on AI, Ethics, and Society, 2019, S. 403. 81 Vgl. oben S. 43 f. 82 Vgl. oben S. 42 f. 83 Vgl. oben S. 39 f. 84 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 9 (2019). 85 Kaptein/Eckles, in: Ploug/Hasle/Oinas-Kukkonen (Hrsg.), Persuasive Technology, 2010, S. 82 f. Vgl. auch Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1017 (2014). 86 Hurwitz, 22 NCJL & Tech. 57, 69 (2020). 87 Der Begriff „dark patterns“ stammt von Harry Brignull, „Dark Patterns: dirty tricks designers use to make people do stuff“, 90 Percent of Everything, 8.7.2010, online abrufbar unter https://90percentofeverything.com/2010/07/08/dark-patterns-dirty-tricks-designers-use-tomake-people-do-stuff/index.html: „[…] crafted with great attention to detail, and a solid understanding of human psychology, to trick users into do things they wouldn’t otherwise have done.“;
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
von Süßigkeiten an der Kasse denkt. 88 Online verschärft sich die Problematik: Es werden nicht nur unzählige Informationen bereitgestellt, auch ist der Nutzer noch weniger fokussiert, etwa wegen Multitasking, der parallelen Nutzung verschiedener Geräte oder weil er gerade in der U-Bahn sitzt und sein Handy in der Hand hält.89 Nehmen wir Informationen auf einem Bildschirm wahr, folgen unsere Augen einem Muster, das darauf basiert, wo typischerweise wichtige Informationen dargestellt werden.90 Nutzer ignorieren auch Texte in großer Schrift oder Bilder, wenn sie an Stellen erscheinen, an denen typischerweise Werbeanzeigen auftauchen.91 Einflussnehmer können das ausnutzen und wichtige Informationen an diesen Stellen „verstecken“.92 An Stellen, an denen der Nutzer typischerweise (schon fast automatisch) auf „Weiter“ klickt, kann er Werbebanner oder Kaufangebote platzieren oder die Werbeanzeige als „Weiter“-Button gestalten.93 Die Anwendungsfälle sind vielfältig; in der Literatur finden sich verschiedene Vorschläge für eine Kategorisierung anhand der jeweils ausgenutzten Verhaltensanomalien.94 Es gibt keine Zweifel daran, dass Unternehmen derartige Designstrategien nutzen und damit äußerst erfolgreich sind. Eine Studie, die 53.000 verschiedene Produkte auf 11.000 Shopping-Websites überprüft hat, konnte in 1.818 Fällen ein Dark Pattern feststellen.95 Auf der Website von Harry Brignull, der den Begriff „Dark Pattern“ erfunden hat, findet sich eine „Hall of Shame“ mit zahlreichen Beispielen aus der Realität.96 Auch das Dark Pattern Detection Project des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer sammelt Dark Patterns aus der Praxis.97 Bereits relativ milde Dark Patterns können die Anzahl der Transaktionen s. auch Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 7 (2019); Hurwitz, 22 NCJL & Tech. 57, 67 (2020); Weinzierl, NVwZ – Extra 15/2020, 1; Luguri/Strahilevitz, 13 J. L. Anal. 43 (2021): „Dark patterns are user interfaces whose designers knowingly confuse users, make it difficult for users to express their actual preferences, or manipulate users into taking certain actions.“ 88 Hurwitz, 22 NCJL & Tech. 57, 67, 70 (2020). 89 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 134, 136 (2020). 90 Hurwitz, 22 NCJL & Tech. 57, 68 (2020). 91 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 135 (2020). 92 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 138 (2020). 93 S. für ein Beispiel hierzu auf der Website von Harry Brignull unter https://www.darkpat terns.org/types-of-dark-pattern/disguised-ads oder auf der Website des Dark Pattern Detection Project des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer unter https://dapde. de/de/dark-patterns/arten-und-beispiele/irreführung unter „Disguised Ads“. 94 Mathur/Acar/Friedman et al., in: Lampinen/Gergle/Shamma (Hrsg.), Proceedings of the ACM on Human-Computer Interaction, Volume 3, Issue CSCW, 2019, S. 1, S. 12: Sneaking, Urgency, Misdirection, Social Proof, Scarcity, Obstruction, Forced Action, die Autoren nennen dort auch die ausgenutzten Verhaltensanomalien; ähnlich auch Luguri/Strahilevitz, 13 J. L. Anal. 43, 53 (2021): Nagging, Social Proof, Obstruction, Sneaking, Interface Interference, Forced Action, Scarcity, Urgency. Das Dark Pattern Detection Project des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Speyer unterscheidet: Druck, Operativer Zwang, Hindernisse, Erschleichen und Irreführung, s. https://dapde.de/de/dark-patterns/arten-und-beispiele. 95 Mathur/Acar/Friedman et al., in: Lampinen/Gergle/Shamma (Hrsg.), Proceedings of the ACM on Human-Computer Interaction, Volume 3, Issue CSCW, 2019, S. 1. 96 S. https://www.darkpatterns.org/hall-of-shame. 97 S. https://dapde.de/de/dark-patterns/arten-und-beispiele.
§ 9 Fallstudie: Digitale Manipulation
325
im Vergleich zu einem neutralen Interface verdoppeln, aggressive Formen sogar vervierfachen.98 Eine weitere Besonderheit an digitalen Dark Patterns ist, dass Online-Interfaces augenblicklich unendlich viele Formen annehmen können.99 Dadurch kann der Einflussnehmer die Entscheidungsarchitektur an den jeweiligen Adressaten anpassen, wie der nächste Abschnitt zeigt. 3. Adaptive Entscheidungsarchitektur Viele Unternehmen haben nicht nur eine einzelne Website, Werbeanzeige oder App. Sie sind dynamisch: Anhand des Nutzerprofils, dem „Cognitive Style“, d. h. der individuellen Informationsaufnahme und -verarbeitung des Adressaten, verändern sich Websites100 oder Werbebanner101 in Echtzeit („Morphing“).102 Moderne Technologien schaffen so die Möglichkeit einer adaptiven Entscheidungsarchitektur.103 So könnte ein System zählen, wie viele Entscheidungen der Nutzer an einem Tag bereits getroffen hat.104 Die Daten offenbaren, wann Adressaten aufgrund kognitiver Müdigkeit am empfänglichsten für eine Beeinflussung sind (Ego-Depletion105) und wie man sie am effektivsten anspricht.106 Der Erfolg der Techniken wird daran gemessen, wie viele Adressaten sie zu einer Transaktion verleiten.107 Die Entscheidungsarchitektur ist optimiert, wenn die Adressaten auf sie so reagieren, wie es der Einflussnehmer bezweckt hat.108 4. Vorteile digitaler Einflussnahme Nicht jede digitale Einflussnahme muss sich zulasten des Adressaten auswirken. Beispielsweise kann ein „Website Morphing“ völlig unbedenklich sein, wenn die 98
S. die empirischen Nachweise bei Luguri/Strahilevitz, 13 J. L. Anal. 43, 59 ff. (2021). Hurwitz, 22 NCJL & Tech. 57, 68 (2020). 100 Hauser/Urban/Liberali et al., 28 Mark. Sci. 202 (2009); Hauser/Liberali/Urban, 60 Manag. Sci. 1594 (2014). 101 Urban/Liberali/MacDonald et al., 33 Mark. Sci. 27 (2014) berichten über eine Studie, bei der über 100.000 Adressaten 45.000 Werbebanner angezeigt wurden. Das Morphing konnte die Klickrate verdoppeln. 102 Susser, in: ACM (Hrsg.), AIES ‘19: Proceedings of the 2019 AAAI/ACM Conference on AI, Ethics, and Society, 2019, S. 403, 404; Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 121 (2020); Hurwitz, 22 NCJL & Tech. 57, 68 (2020); Hauser/Urban/Liberali et al., 28 Mark. Sci. 202 (2009). S. auch knapp Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1017 f. (2014). 103 Der Begriff stammt von Susser, in: ACM (Hrsg.), AIES ‘19: Proceedings of the 2019 AAAI/ ACM Conference on AI, Ethics, and Society, 2019, S. 403. 104 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 996 (2014); Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 983 (2020). 105 Vgl. oben S. 47. 106 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 2 (2019); Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 978 (2020). 107 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1018 (2014). 108 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 122 (2020). 99
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
Website lediglich die Sprache an die Lokalität des Nutzers anpasst.109 Auch kann eine Anpassung des Designs oder von Warnhinweisen anhand individueller Nutzerprofile einen legitimen Nudge darstellen, um Nutzer besser zu informieren oder zu warnen.110 Nicht ohne Grund wird in der US-amerikanischen regulierungstheoretischen Forschung diskutiert, wie man durch Big Data und künstliche Intelligenz effektive default rules, Warnhinweise und publizitätspflichtige Inhalte gestalten kann.111 Ganz allgemein erlaubt das Sammeln und Verarbeiten von Nutzerinformationen Unternehmen, ihr Angebot zu verbessern, um so die Präferenzen der Nutzer besser befriedigen zu können.112 Der Empfehlungsalgorithmus von Amazon oder Netflix kommt vielen Nutzern zugute, weil sie so Produkte oder Serien entdecken, die ihnen andernfalls unbekannt blieben.113 „Behavioral Biometrics“, die es erlauben Nutzer eindeutig zu identifizieren, nutzt beispielsweise die National Westminster Bank in London, um die Identität ihrer Kunden zu verifizieren und so Missbräuchen vorzubeugen.114 Auch kann eine algorithmische Preisdiskriminierung dazu führen, dass einkommensschwache Verbraucher sich Produkte leisten können, deren Preis ohne Diskriminierung ihre Zahlungsbereitschaft überschreiten würde.115 All diese Vorteile kommen jedoch nur dann zum Vorschein, wenn sie für den Einflussnehmer auch selbst nützlich sind.116 Schließlich hat er, oder seine Hilfspersonen, die Kontrolle über die digitale Einflussnahme. Nur wenn der Einflussnehmer durch sie seinen Gewinn maximieren kann, wird er sie in dieser Form auch vornehmen. Das wird deutlich, wenn man an die automatisierte Manipulation 109
Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1022 (2014). Hanson/Kysar, 112 Harv. L. Rev. 1420, 1562, 1564 (1999). 111 Sunstein, 78 U. Chi. L. Rev. 1349, 1399 (2011); Porat/Strahilevitz, 112 Mich. L. Rev. 1417 (2014). 112 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1005 (2014). 113 Freilich können Empfehlungsalgorithmen auch dazu führen, dass Nutzer in einem „Strudel“ einseitiger Informationen gefangen werden, was insbesondere bei Hate Speech und Verschwörungstheorien auf YouTube passiert, s. Roose, „The Making of a YouTube Radical“, New York Times, 8.6.2019, online abrufbar unter https://www.nytimes.com/interactive/2019/06/08/ technology/youtube-radical.html. 114 S. die Pressemitteilung von BioCatch, „NatWest Deploys BioCatch Behavioral Biometrics Technology“, 16.11.2016, online abrufbar unter https://www.biocatch.com/press-release/natwestdeploys-biocatch-behavioural-biometrics-technology-to-help-combat-fraud-1: „BioCatch’s system captures more than 500 points of behaviour such as hand-eye coordination, pressure, hand tremors, navigation, scrolling and other finger movements amongst other things to create a unique user profile.“ 115 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1031 (2014); Wagner/Eidenmüller, ZfPW 2019, 220, 226. In der Realität schätzen Verbraucher personalisierte Preise jedoch als unfair ein und zwar auch dann, wenn sie zu ihren Gunsten wirken, s. Verbraucherzentrale, Dynamische Preisdifferenzierung im Deutschen Online-Handel, August 2018, S. 12, online abrufbar unter https://www.verbraucher zentrale.de/sites/default/files/2019-09/marktwaechter-untersuchung-dynamische-preisdifferenzierung.pdf; s. auch Tillmann/Vogt, VuR 2018, 447, 448. Darüber hinaus kann auch die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt sinken, hierzu Wagner/Eidenmüller, ZfPW 2019, 220, 225 ff. 116 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 148 (2020): „Businesses do not optimize for consumer enjoyment or satisfaction unless these happen to coincide with conversions.“ 110 Vgl.
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durch Algorithmen und künstliche Intelligenz denkt. Das System sucht selbst eine Strategie, die zu möglichst vielen Transaktionen führt. Der gefundene Weg mag für den Adressaten vorteilhaft sein. Ist die Ausnutzung kognitiver Schwachstellen effektiver, wird das System jedoch diesen Weg gehen. Allein die Anzahl der eingegangenen Transaktionen ist entscheidend.
C. Ethische und ökonomische Besonderheiten Für die ethische und ökonomische Analyse der digitalen Manipulationen gelten die Ausführungen im zweiten Teil der Untersuchung dem Grunde nach entsprechend.117 Im Folgenden wird nur auf die ethischen (I.) und ökonomischen (II.) Besonderheiten eingegangen, die sich bei Manipulationen im digitalen Kontext ergeben. I. Ethische Erwägungen Eine Manipulation findet häufig unter dem Radar der Rationalität statt.118 Digitale Technologien sind ihr idealer Nährboden, denn die Hard- und Software liegt in einer gewissen Weise außerhalb unseres Fokus: Wir nutzen Computer und Smartphones als bloße Mittel, um andere Dinge zu tun, sei es mit Freunden zu kommunizieren, im Internet zu surfen oder online einzukaufen.119 Der manipulative Einfluss findet unmittelbar vor unseren Augen statt, gleichwohl nehmen wir ihn nicht wahr. In der Philosophie des Digitalen nennt man dieses Phänomen die „technologische Transparenz“: „[O]nce we become habituated to a particular technology, the device or interface itself recedes from conscious attention, allowing us to focus on the tasks we are using it to accomplish. […] Philosophers refer to this as ‘technological transparency’—the fact that we see, hear, or otherwise perceive through technologies—as though they were clear, transparent— onto the perceptual objects they convey to us. […] [W]e might more helpfully describe it as ‘invisibility’.“120
Tatsächlich legen Studien nahe, dass Adressaten, die (unbemerkt) Dark Patterns ausgesetzt werden, sich eher frei als unfrei fühlten, eine Entscheidung zu treffen.121 Dadurch erhöht sich das Machtgewicht des Einflussnehmers, weil es an jeglicher Gegenwehr der Adressaten fehlt.122 Ferner wird der Mensch durch die massive Datensammlung und das Profiling lediglich als Summe seiner Verhaltensweisen be-
117
S. die ethische Analyse oben S. 89 ff. sowie die ökonomische Analyse S. 112 ff. Vgl. oben S. 76 ff. 119 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 7 (2019). 120 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 7 (2019). 121 Luguri/Strahilevitz, 13 J. L. Anal. 43, 70 (2021). 122 Vgl. oben S. 105 ff. S. auch Ebers, MMR 2018, 423, 424. 118
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
trachtet.123 Er wird mehr noch als bei Manipulationen im „Offlinebereich“ ein reines Mittel zum Zwecke der Gewinnmaximierung. II. Ökonomische Erwägungen Die Gefahr eines Manipulationsgleichgewichts124 ist bei der digitalen Manipulation erhöht. Ganz ähnlich, wie die Kräfte des Wettbewerbs zu einem Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht führen, entwickeln sich Algorithmen durch künstliche Intelligenz so, dass möglichst viele Adressaten die vom Einflussnehmer intendierte Entscheidung – den Transaktionsabschluss – treffen. Das kann so weit gehen, dass der Einflussnehmer selbst nicht über das manipulative Vorgehen Bescheid weiß, weil er nur den Algorithmus handeln lässt, der sich selbstständig weiterentwickelt.125 Solange der Erfolg eines Algorithmus nur anhand der Anzahl der abgeschlossenen Transaktionen bewertet wird, sind Manipulationen ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen unvermeidbar.126 Ferner entstehen weitere soziale Kosten auf Seiten der Adressaten, wenn diese versuchen, sich vor manipulativen Einflussnahmen zu schützen. Adressaten wenden Zeit und Geld auf, um ihre digitale Identität zu verbergen, etwa durch spezielle Software, Browser oder durch ein angepasstes Nutzungsverhalten.127 Zudem entsteht, neben den in Geld messbaren Wohlfahrtsverlusten, ein privacy harm.128 Adressaten, die sich bewusst sind, dass Unternehmen ihr Konsumverhalten digital und teilweise auch offline nachzeichnen, können sich überwacht fühlen. Sie verspüren Angst oder Scham darüber, dass Unternehmen über ihre Vorlieben Bescheid wissen.129 Die gesammelten Daten können auch in die falschen Hände gelangen, sei es durch illegalen Datenhandel oder durch Datenleaks.130 Die Angst hiervor kann langfristig auch einen chilling effect haben, der dazu führt, dass Verbraucher Onlinemarktplätze meiden.131
123
Hill, in: ders./Kugelmann/Martini (Hrsg.), Behavioral Microtargeting, 2018, S. 47, 54. Vgl. oben S. 137 ff. 125 S. nur, was Lewis/Yarats/Dauphin et al., in: Palmer/Hwa/Riedel (Hrsg.), Proceedings of the 2017 Conference on Empirical Methods in Natural Language Processing, 2017, S. 2443, 2444 berichten: „Our agents have learnt to deceive without any explicit human design, simply by trying to achieve their goals.“ S. auch Chu/Zhmoginov/Sandler, arXiv:1712.02950 (2017), online abrufbar unter https://arxiv.org/abs/1712.02950. 126 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1012 (2014); Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 150 (2020). 127 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1027 (2014). S. bereits Swire, 77 Wash. U. L. Q. 461, 475 (1999): „cloaking costs“. 128 Hierzu im Detail Calo, 86 Ind. L.J. 1131 (2011); knapp ders., 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1028 f. (2014). 129 Calo, 86 Ind. L.J. 1131, 1144 ff. (2011) spricht hier von einem subjective privacy harm. 130 Calo, 86 Ind. L.J. 1131, 1147 ff. (2011) nennt diese Schäden objective privacy harms. Vgl. auch Swire, 77 Wash. U. L. Q. 461, 472 (1999). 131 Swire, 77 Wash. U. L. Q. 461, 473 f. (1999). 124
§ 9 Fallstudie: Digitale Manipulation
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D. Regulierungsherausforderungen Digitale Manipulationen stellen das Recht der Einflussnahme vor neue Regulierungsherausforderungen. Zwar mag man auf den ersten Blick meinen, dass digitale Manipulationen nur eine konsequente Weiterentwicklung traditioneller Einflussnahmetechniken darstellen und deshalb die bisherigen Regulierungsstrategien unverändert Anwendung finden können. Das personalisierte Ansprechen der Adressaten, die algorithmische Identifizierung individueller Schwachstellen und ihre gezielte Ausnutzung rechtfertigen jedoch eine eigene regulatorische Antwort. Zunächst ist die digitale Manipulation von digitalen Formen der Täuschung abzugrenzen, die selbstverständlich auch existieren (I.). Im Fokus steht hier jedoch die digitale Manipulation. Hierbei ist zu konstatieren, dass das Verbraucherleitbild des „durchschnittlichen Verbrauchers“, der normal informiert sowie angemessen aufmerksam und verständig ist, nicht mehr durchweg greifen kann. Wenn der Einflussnehmer den Einzelnen in seinem schwächsten Moment adressiert, ist er schutzbedürftig. Deshalb ist zunächst auf das Konzept des verletzlichen Verbrauchers einzugehen, das situativ und dynamisch verstanden werden sollte (II.). Die Ausnutzung einer situativen Vulnerabilität verschärft das sowieso schon bestehende Durchsetzungsdefizit132 bei massenhaften Bagatellschäden (III.). Weiterhin erschweren digitale Technologien, die für die Betroffenen als eine „Blackbox“ erscheinen, den Nachweis einer Manipulation (IV.). Schließlich stellt sich die Frage, ob das Recht der Einflussnahme auf diese Herausforderungen reagieren kann und welche Regulierungsinstrumente für die Zukunft angedacht werden sollten (V.). I. Täuschung oder Manipulation? Bislang war nur von einer digitalen „Manipulation“ die Rede. Selbstverständlich sind auch digitale Täuschungsformen denkbar. Wenn ein Algorithmus durch ambige Äußerungen oder Halbwahrheiten falsche propositionale Gehalte erzeugt, liegt eine Täuschung nach der hier vertretenen Typologie vor.133 Zählt etwa auf einer Website ein Timer herunter („Schlagen Sie zu, das Angebot gilt nur noch die nächsten 30 Minuten!“), beginnt der elektronische Zeitmesser jedoch mit jedem Neuladen der Website von Neuem, wird man – neben einer Manipulation134 – unproblematisch eine Täuschung bejahen können.135 Die meisten Formen digitaler Einflussnahme operieren jedoch nicht mit unwahren Propositionen, sondern durch die Ausnutzung der heuristischen Informationsverarbeitung und Verhaltensanomalien der Adressaten, stellen also Manipulationen dar. 132
Vgl. oben S. 282 f. Vgl. oben S. 72 f. 134 Vgl. zur „Knappheit“ oben S. 43 f. 135 Mathur/Acar/Friedman et al., in: Lampinen/Gergle/Shamma (Hrsg.), Proceedings of the ACM on Human-Computer Interaction, Volume 3, Issue CSCW, 2019, S. 1, S. 5. 133
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II. Abschied vom durchschnittlichen Verbraucher? Kann die Maßfigur des „durchschnittlichen Verbrauchers“, der normal informiert und verständig ist und der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt,136 in einer digitalen Welt des Microtargetings Bestand haben? Personalisierte Manipulationen sprechen Adressaten in ihren schwächsten Momenten an, weshalb man in diesen Fällen von einem „verletzlichen Verbraucher“ sprechen kann (1.). Das Konzept des verletzlichen Verbrauchers existiert bereits im Unionsrecht, sollte im Angesicht digitaler Manipulationen jedoch situativ statt kategorial verstanden werden (2.). 1. Der verletzliche Verbraucher als Regelfall Das Konzept des „verletzlichen Verbrauchers“ kennt das Unionsrecht bereits seit fast zwei Jahrzehnten.137 Die Gruppe verletzlicher Verbraucher wird auf Unionsebene beschrieben als Personen, „die aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung, ihres Alters oder ihrer Vertrauensseligkeit für besonders schutzbedürftig gehalten werden – z. B. Kinder, Jugendliche, ältere Menschen oder bestimmte aufgrund ihrer sozioökonomischen Lage schutzbedürftige Einzelpersonen“.138 Verrechtlicht wurde der verletzliche Verbraucher zuerst im Zusammenhang mit der Gewährleistung von Energie- und Telekommunikationsleistungen.139 Später hat das Konzept auch punktuellen Eingang in das Lauterkeitsrecht gefunden:140 Nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 UGP-RL und dem ihn umsetzenden § 3 Abs. 4 S. 2 UWG sind geschäftliche Handlungen, die vorhersehbar eine eindeutig identifizierbare Gruppe von Verbrauchern erreichen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit besonders schutzbedürftig sind, aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen. Der verletzliche Verbraucher steht dem „eigenverantwortlichen Verbraucher“ gegenüber, der im Lauterkeitsrecht als „Durchschnittsverbraucher“ firmiert und stark an die Rational Choice Theory angelehnt ist.141 Beide Konzepte stehen nicht im Widerspruch, da Verbraucher keine homogene Gruppe darstellen. Gleichwohl 136 Vgl. oben S. 214. Auch die in dieser Untersuchung vertretene Konzeption des durchschnittlichen Verbrauchers als Personifizierung einer Mikroabwägung fällt hierunter. 137 Vgl. nur Art. 3 Abs. 3 der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG, ABl. EU Nr. L 176 v. 15.7.2003, S. 57. S. hierzu auch Kohte, VuR 2012, 338, 339. 138 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. November 2011 zu einer neuen verbraucherpolitischen Strategie (2011/2149[INI]), 2013/C 153 E/04, 15.11.2011, lit. I. 139 Micklitz/Rott, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 51. EL 2020, H. V. Rn. 83. 140 S. auch Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 8 f. 141 Micklitz/Rott, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 51. EL 2020, H. V. Rn. 82 ff.; Kohte, VuR 2012, 338, 339. Vgl. zur Rational Choice Theory oben S. 24 ff.
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erhält das Konzept des verletzlichen Verbrauchers erst durch eine Abgrenzung zu seinem Gegenstück Kontur: Wer nicht die Rationalitätsanforderungen erfüllt, ist schutzbedürftig. Das wird jedoch nicht im Einzelfall entschieden, sondern es herrscht ein gewisses „Schubladendenken“. Bestimmte Bevölkerungsgruppen werden anhand ihrer Eigenschaften (Beeinträchtigungen, Alter, mentaler Zustand) einer starren Kategorie der Schutzbedürftigkeit zugeteilt.142 Dieses Paradigma ist realiter nur begrenzt zutreffend, weil es Ausreißer gibt. Manche Personen sind trotz Gruppenzugehörigkeit nicht verletzlich (die geistig fitte Rentnerin), andere sind, ohne einer Gruppe zugewiesen zu sein, im Einzelfall vulnerabel (der Adressat, der durch Microtargeting beeinflusst wird). Um letzteren Fall geht es hier. Ein erfolgreiches Microtargeting erreicht den Adressaten in einem Kontext und zu einem Zeitpunkt, in dem er am wahrscheinlichsten die von dem Einflussnehmer intendierte Entscheidung treffen wird.143 Ein Algorithmus könnte beispielsweise temporäre kognitive Schwachstellen feststellen, die durch Ermüdung oder durch eine Alkoholisierung auftreten, etwa anhand des Winkels, in dem der Adressat sein Handy hält, oder wie er tippt.144 Das Werbeunternehmen MediaBrix etwa nutzt eine Technologie, die in Echtzeit die Emotionen von Computerspielern analysiert und in passenden Momenten geeignete Werbung schaltet.145 Der Einflussnehmer kann auch Adressaten adressieren, die Angst empfinden oder depressiv sind, weil diese nachweislich weniger kognitiv leistungsfähig sind,146 oder weniger gebildete Personen, weil sie anfälliger für manipulative Einflüsse sind.147 Gleiches gilt für Adressaten, die vor Kurzem einen Schicksalsschlag erlitten haben, z. B. eine Scheidung, den Tod eines engen Freundes oder eine schwere Erkrankung.148 Mit zunehmendem Alter nehmen Menschen die Ränder eines Bildschirms weniger wahr, was sich Manipulatoren ebenfalls zunutze machen können.149 Einflussnehmer können Schwachstellen der Adressaten sogar selbst erzeugen, beispielsweise ein soziales Netzwerk durch eine Manipulation des „NewsFeed“ (emotional contagion).150 Zudem bietet das digitale Zeitalter Einflussnehmern mehr noch als bisher die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann sie mit 142 Vgl. Luna, 2 Int. J. Fem. Approaches Bioeth. 121, 123 (2009); s. auch Levine/Faden/Grady et al., 4 Am. J. Bioeth. 44, 47 (2004), jeweils im Kontext der Bioethik. 143 Susser/Roessler/Nissenbaum, 8 IPR 1, 6 (2019); Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 118 (2020). 144 S. mit Blick auf das Tippverhalten Gledson/Asfiandy/Mellor et al., in: (Hrsg.), 2016 IEEE International Conference on Healthcare Informatics (ICHI), 2016, S. 139. Vgl. auch Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 143 (2020). 145 Ebers, MMR 2018, 423, 424. 146 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 145 (2020). 147 Luguri/Strahilevitz, 13 J. L. Anal. 43 (2021): „Less educated subjects were significantly more susceptible to mild dark patterns than their well-educated counterparts.“ 148 Anderson, Staff Report of the Bureau of Economics, Federal Trade Commission, October 2019, „Mass-Market Consumer Fraud in the United States: A 2017 Update“, S. vii f., online abrufbar unter https://www.ftc.gov/reports/mass-market-consumer-fraud-united-states-2017-update. 149 Romano Bergstrom/Olmsted-Hawala/Bergstrom, 15 UAIS 261, 267 (2016). 150 Kramer/Guillory/Hancock, 111 Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 8788 (2014); vgl. auch Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 983 f. (2020).
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
einem Adressaten als (potenziellem) Kunden in Kontakt treten.151 Fast jeder besitzt ein Smartphone, zunehmend auch weitere smarte Geräte wie Uhren, die beharrlich Benachrichtigungen von Apps anzeigen. Häufig stammen diese von sozialen Netzwerken, die auf einen neuen Beitrag eines Freundes hinweisen und den Nutzer anreizen, die App zu öffnen, um dann Werbung anzuzeigen. Würde man, wie im Lauterkeitsrecht üblich, bei einer personalisierten digitalen Manipulation auf den durchschnittlichen Verbraucher abstellen, müsste man auf die individuell adressierte Person abstellen – einen „Durchschnitt“ gibt es nicht. Der „durchschnittliche Verbraucher“ ergibt in einer Welt des Microtargetings deshalb keinen Sinn.152 Vielmehr wird der verletzliche Verbraucher zum Regelfall.153 2. Verletzlichkeit als situatives Konzept Verletzlichkeit sollte deshalb als dynamisches und situatives Konzept verstanden werden.154 Vulnerabilität ist keine fixe Eigenschaft eines Menschen, sondern kontextabhängig.155 Jeder Mensch hat kognitive Schwächen, die durch die richtige Technik ausgenutzt werden können. Nicht der Mensch an sich ist vulnerabel, sondern die digitale Manipulation macht ihn verletzlich.156 Man könnte auch von einer „digitalen Vulnerabilität“ sprechen.157 Aus regulatorischer Sicht heißt das nicht, dass die Maßfigur des Durchschnittsverbrauchers keinerlei Anwendungsberechtigung mehr hätte. Sinnvollerweise sollte man „einfache“ Formen der digitalen Manipulation von der personalisierten Ansprache (Microtargeting) unterscheiden. Eine einfache digitale Manipulation setzt – wie bisherige manipulative Techniken – an Schwachstellen an, die systematisch im gesamten Adressatenpublikum auftreten und wird unterschiedslos durchgeführt. Die rechtliche Beurteilung unterscheidet sich hier nicht von traditionellen Formen der Manipulation. Anders verhält es sich mit einem Microtargeting, das individuelle Schwachstellen identifiziert und adressiert. Insoweit ist der Adressat tatsächlich situativ-vulnerabel, weshalb die regulatorische Antwort entsprechend
151
Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1004 f. (2014). Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 157 (2020); Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 5 ff. 153 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1033 (2014); Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 156 f. (2020); Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 10 f. 154 So für den Bereich der Bioethik Luna, 2 Int. J. Fem. Approaches Bioeth. 121, 128 (2009). Ähnlich auch Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 11; Ebers, MMR 2018, 423, 425. 155 Luna, 2 Int. J. Fem. Approaches Bioeth. 121, 129 (2009). 156 Vgl. zur Konzeption der Vulnerabilität Luna, 2 Int. J. Fem. Approaches Bioeth. 121, 129 (2009): „Another way of understanding this proposal is not by thinking that someone is vulnerable, but by considering a particular situation that makes or renders someone vulnerable. If the situation changes, the person may no longer be considered vulnerable.“ 157 So Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 14 ff. 152 Vgl.
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ausfallen sollte. Als Faustregel wird man festhalten können: Je personalisierter eine digitale Manipulation ist, desto eher besteht ein Regulierungsbedürfnis. Personalisierte Manipulationstechniken werden bei den weiteren Ausführungen im Mittelpunkt stehen. III. Durchsetzungsdefizite Rationale Apathie sorgt bei breitflächigen Einflussnahmen für ein Durchsetzungsdefizit rechtlicher Instrumente, weil gering geschädigte Adressaten keinen Anreiz zur Geltendmachung ihrer Ansprüche haben.158 Digitale Manipulationen können das Durchsetzungsdefizit erhöhen. So könnte ein Einflussnehmer gezielt diejenigen Adressaten manipulieren, die sich sowieso schon – auch ohne Einflussnahme – seltener über unlauteres Vorgehen von Unternehmen beschweren.159 Beispielsweise könnte er nur Adressaten einer digitalen Manipulation aussetzen, die aus einer Gegend stammen, in der viele Minderheiten leben, weil diese nachweislich seltener rechtliche Schritte ergreifen.160 IV. Nachweis einer Manipulation Big Data und Microtargeting erschweren die Feststellung einer Manipulation (1.) und den Nachweis eines Verschuldens des Einflussnehmers (2.). Ex-post-Regulierungsinstrumente legen für diese Tatsachen jedoch grundsätzlich dem Adressaten die Darlegungs- und Beweislast auf. Für digitale Manipulationen sollten deshalb Erleichterungen greifen (3.). 1. Feststellung einer Manipulation Algorithmisch gestaltetes Microtargeting erschwert die Feststellung einer Manipulation.161 Eine Website oder eine Anzeige kann bei jedem Nutzer zu einem leicht unterschiedlichen Design „morphen“.162 Beispielsweise konnte Facebooks „Dynamic Creative Ads“ im Jahr 2017 durch künstliche Intelligenz mehr als 6250 verschiedene Versionen einer Werbeanzeige erstellen.163 Selbst ein einzelner Adressat sieht dieselbe Website möglicherweise nicht zweimal.164 Es ist von „Blackbox Algorith-
158
Vgl. oben S. 282 f. S. mit Blick auf Dark Patterns Hurwitz, 22 NCJL & Tech. 57, 68 (2020). Arbel/Shapira, 73 Vand. L. Rev. 929, 960 f. (2020); Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 160 (2020). 160 S. die Studie von Raval, 39 Mark. Sci. 168 (2020). 161 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 117 (2020). 162 Vgl. Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 119 (2020). 163 Peterson, „Facebook’s dynamic creative can generate up to 6,250 versions of an ad“, Marketing Land, 30.7.2017, online abrufbar unter https://marketingland.com/facebooks-dynamic-creative-option-can-automatically-produce-6250-versions-ad-227250. 164 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 134 (2020). 159
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men“ die Rede, die Betroffene kaum verstehen oder erklären können.165 Das stellt eine Ex-post-Regulierung, die an das Vorhandensein einer Manipulation anknüpft, vor neue Herausforderungen. Das wird im Folgenden anhand der Einteilung in eine evidenzbasierte (a.) und eine erfahrungsgestützte (b.) Feststellung aufgezeigt.166 a) Evidenzbasierte Feststellung Für eine empirische Feststellung der Effekte einer digitalen Manipulation müsste zunächst eine Stichprobe, d. h. eine soziodemographisch homogene Gruppe von Probanden aus der Population aller Adressaten einer digitalen Einflussnahme rekrutiert werden.167 Nur dann kann man von einer Validität des Nachweises ausgehen. Hier beginnt die erste Schwierigkeit: Welche ist die maßgebliche Population? Manipulative Einflussnahmen sind durch die adaptive Entscheidungsarchitektur auf konkrete Segmente von Adressaten zugeschnitten. Sie variieren nach dem sie betrachtenden Adressaten. Adressiert die Manipulation beispielsweise gezielt junge Personen, die gerade Stress und Angst empfinden, weil der Algorithmus festgestellt hat, dass diese dann besonders deutlich auf bestimmte Farben oder Anordnungen von Werbebannern reagieren, kann selbst der versierte Sozialwissenschaftler die Population nur schwer bestimmen. Schließlich hat er von der Auswahl der Adressaten durch den Algorithmus keine Kenntnis;168 selbst sein Urheber hat das in Fällen künstlicher Intelligenz nicht immer. Wenn das doch einmal der Fall sein sollte, wird es ihm schwerfallen, eine Stichprobe aus der Population der gerade gestressten und verängstigten Jugendlichen für die Studie zu gewinnen.169 Manchmal besteht die Population auch nur aus einer Person.170 Neben Problemen mit der Populationsvalidität ist es auch fraglich, ob die ökologische Validität171 bei einem Nachweis digitaler Manipulationen gewahrt werden kann. Adressaten werden der Einflussnahme in verschiedensten Situationen ausgesetzt – am heimischen Rechner, am Smartphone, nach einem langen Arbeitstag, mitten in der Nacht –, die unter Laborbedingungen nur schwer reproduzierbar sind. b) Erfahrungsgestützte Feststellung Auch eine erfahrungsgestützte Feststellung gestaltet sich bei personalisierten Formen digitaler Manipulation schwierig. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Richter nicht notwendigerweise im selben Maß anfällig für manipulative Einflüsse sind wie andere Personen und sie sich deshalb nur eingeschränkt in die Adressaten 165
Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 178 ff.; Martini, JZ 2017, 1017, 1019. zur evidenzbasierten Feststellung oben S. 203 ff., zur erfahrungsgestützten Feststellung S. 208 ff. 167 Vgl. Döring/Bortz, Forschungsmethoden und Evaluation, 5. Aufl. 2014, S. 194. 168 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 162, 164 f. (2020). 169 Vgl. Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 164 f. (2020). 170 Und mit dieser ließe sich natürlich keine valide Studie durchführen. 171 Vgl. oben S. 206. 166 Vgl.
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hineinversetzen können.172 Digitale Technologien machen das noch schwieriger. Jeder Mensch nutzt die Bedienungsoberflächen digitaler Geräte unterschiedlich, hat ein eigenes Scroll- oder Klickverhalten.173 Ein Richter mag hier vorschnell einer Art Rückschaufehler174 unterliegen, den gesamten Text auf einer digitalen Oberfläche lesen und eine Einflussnahme als fernliegend erachten, weil er nicht in demselben situativen Umfeld wie der Adressat die Informationen wahrnimmt.175 2. Nachweis eines Verschuldens Ex-post-Regulierungsinstrumente wie Schadensersatzansprüche, die den Nachweis eines Verschuldens erfordern, geraten bei digitalen Manipulationsformen an ihre Grenzen. Computer haben keinen Vorsatz.176 Freilich sind Algorithmen, Websites und Werbeanzeigen einzelnen Einflussnehmern zurechenbar. Doch selbst den Erschaffern eines Algorithmus, der sich durch künstliche Intelligenz weiterentwickelt, ist die Funktionsweise häufig nicht bewusst. Entwickler von Facebook berichten in einem Aufsatz: „Our agents have learnt to deceive without any explicit human design, simply by trying to achieve their goals.“177
Ein Algorithmus, der „blind“ darauf programmiert ist, Adressaten zu möglichst vielen Transaktionen zu verleiten,178 entbindet den Einflussnehmer natürlich nicht von seiner Verantwortlichkeit. Schließlich entscheidet sich der Einflussnehmer bewusst dafür, zum Zwecke der Gewinnmaximierung Algorithmen zu nutzen. Dabei wird er billigend in Kauf nehmen, dass eine künstliche Intelligenz möglicherweise manipulative Techniken entwickeln wird. Die bloße Nutzung eines solchen Algorithmus kann deshalb bereits Rückschlüsse auf den bedingten Vorsatz des Einflussnehmers bieten. Aus Sicht des Adressaten ist die Funktionsweise mangels Einblicks in die Sphäre des Einflussnehmers jedoch eine „Blackbox“, sodass ihm der Nachweis eines auch nur bedingten Vorsatzes schwerfallen wird. 3. Darlegungs- und Beweiserleichterungen Der Adressat einer digitalen Manipulation ist nicht nur in Beweisnot. Meist wird er bereits Schwierigkeiten haben, die den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zugrun172
Vgl. oben S. 210. Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 162 (2020). 174 Vgl. oben S. 35. 175 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 162 (2020). 176 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 118, 157 ff. (2020). 177 Lewis/Yarats/Dauphin et al., in: Palmer/Hwa/Riedel (Hrsg.), Proceedings of the 2017 Conference on Empirical Methods in Natural Language Processing, 2017, S. 2443, 2444. S. auch Chu/Zhmoginov/Sandler, arXiv:1712.02950 (2017), online abrufbar unter https://arxiv.org/abs/ 1712.02950. 178 Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 148 (2020). 173
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deliegenden Tatsachen substantiiert darzulegen. Zwar mag es ihm im Einzelfall gelingen, die Umstände der Einflussnahme vorzutragen. Ob die digitale Einflussnahme jedoch ein Microtargeting war (das den Adressaten vulnerabel und die Einflussnahme besonders verwerflich macht), weiß allenfalls der Einflussnehmer selbst.179 Der Adressat steht außerhalb dieses Geschehensablaufes, er besitzt keine nähere Kenntnis über die Datensammlung und -verarbeitung. Für derartige Fälle wurde im Prozessrecht das Rechtsinstitut der sekundären Darlegungslast entwickelt,180 das sich für die rechtliche Handhabung der digitalen Manipulation fruchtbar machen lässt. Es sollte seitens des Adressaten eine pauschale Behauptung einer digitalen Manipulation genügen. Den Einflussnehmer trifft dann die Obliegenheit darzulegen, inwiefern die streitgegenständliche Einflussnahme eine personalisierte Ansprache ist und welche personenbezogenen Daten oder welches „Persuasion Profiling“ ihr zugrunde liegen. Kommt er dem nicht substantiiert nach, gilt der Vortrag des Adressaten als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).181 Freilich kann die sekundäre Darlegungslast nicht so weit gehen, dass der Einflussnehmer Algorithmen offenlegen muss, da diese ein Geschäftsgeheimnis darstellen.182 Man könnte darüber nachdenken, einen Schritt weiterzugehen und die Beweislast umzukehren. Der Einflussnehmer müsste dann nicht nur substantiiert darlegen, inwiefern es sich bei der Einflussnahme nicht um ein manipulatives Microtargeting handelt, sondern hierfür Beweise anbieten. Eine Beweislastumkehr wird für die Haftung autonomer Systeme in anderen Bereichen vorgeschlagen.183 Auch Art. 82 DSGVO, der eine Haftung für datenschutzrechtliche Pflichtverletzungen vorsieht, sieht in Abs. 3 eine Beweislastumkehr vor.184 Ist der Einflussnehmer beweisbelastet, kann er sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass ihm die Offenlegung der hierfür notwendigen Informationen über die Wirkweise eines Algorithmus unzumutbar ist, weil es sich um ein Geschäftsgeheimnis handele. Deshalb sollte eine Umkehr der Beweislast gut überlegt sein. Möchte der Einflussnehmer die Funktionsweise der Technologie, wie zu erwarten, nicht offenlegen, käme eine Beweislastumkehr einer strikten Haftung sehr nahe. Würde er umgekehrt Algorithmen offenlegen, würden Innovationen gebremst werden.
179
Vgl. auch aus US-amerikanischer Perspektive Willis, 34 Harv. J.L. & Tech. 115, 172 (2020). Fritsche, in: MüKo ZPO, Bd. 1, 6. Aufl. 2020, § 138 Rn. 24 ff. 181 Vgl. Fritsche, in: MüKo ZPO, Bd. 1, 6. Aufl. 2020, § 138 Rn. 24. 182 Algorithmen unterfallen der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie bzw. dem GeschGehG, s. hierzu Scheja, CR 2018, 345; Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, 1. Aufl. 2020, Einl. A. Rn. 1. Gleichwohl stellt eine deliktische oder unlautere Handlung eine „rechtswidrige Handlung“ i. S. d. § 5 GeschGehG dar, weshalb die Offenlegung zur Aufdeckung nicht unter das Verbot des § 4 GeschGehG fallen würde. Für die Frage, ob ein Einflussnehmer die Algorithmen offenlegen muss, spielt das jedoch grundsätzlich keine Rolle. 183 S. etwa Martini, JZ 2017, 1017, 1023 f.; Borges, NJW 2018, 977, 982; Bilski/Schmid, NJOZ 2019, 657, 661; Zech, ZfPW 2019, 198, 218; Gleixner, VuR 2020, 417, 420 (zu personalisierten Preisen); s. allgemein zur Produkthaftung für autonome Systeme Wagner, AcP 217 (2017), 707, 747 f. 184 Spindler/Horváth, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Art. 82 DSGVO Rn. 11 f. 180 S.
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Unabhängig von prozessualen Erleichterungen kann auch die DSGVO dem Adressaten zugutekommen.185 Verarbeiten die Einflussnehmer personenbezogene Daten, steht den betroffenen Adressaten ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO zur Verfügung, der ihnen, flankiert durch die umfangreichen Dokumentationspflichten der DSGVO,186 wertvolle Informationen für die Rechtsverfolgung verschaffen kann. V. Regulierungsinstrumente Eine Regulierung sollte nur dann eingreifen, wenn die Interessen der Einflussnehmer nicht mit denen der Adressaten übereinstimmen,187 allein schon, um die Entwicklung nützlicher Innovationen nicht zu bremsen.188 Auch wurde aufgezeigt, dass die Regulierungsintensität bei personalisierten Formen digitaler Manipulation höher sein sollte.189 Zunächst ist auf die Tauglichkeit von Instrumenten einer Ex-post-Regulierung digitaler Manipulation einzugehen (1.). Diese sollten durch eine angemessene Regulierung ex ante flankiert werden, die den Besonderheiten des digitalen Zeitalters gerecht wird (2.). 1. Ex-post-Regulierung Die Regulierung ex post soll beispielhaft anhand des bürgerlich-rechtlichen (a.) und lauterkeitsrechtlichen (b.) Instrumentariums aufgezeigt werden. Die obigen Ausführungen zu den Nachweisschwierigkeiten gelten insbesondere für sie.190 a) Bürgerlich-rechtliches Instrumentarium Führt eine digitale Manipulation zu einem Vertragsschluss, den der Adressat andernfalls nicht getroffen hätte, kann er im Wege eines Schadensersatzanspruchs aus culpa in contrahendo, über § 826 BGB oder § 9 Abs. 2 UWG die Rückabwicklung des Vertrags verlangen.191 Der Einflussnehmer trägt nach den obigen Erläuterungen192 zumindest die sekundäre Darlegungslast bezüglich des (Nicht-)Vorliegens einer digitalen Manipulation und eines etwaigen Verschuldens. Statt den dornigen Weg einer Vertragsaufhebung als Schadensersatz zu gehen, wäre es de lege ferenda sinnvoller, Verbrauchern in digitalen Kontexten ein Wider-
185 Hierzu
Ebers, MMR 2018, 423, 427. S. zum „Accountability-Prinzip“ Veil, ZD 2018, 9. 187 Vgl. oben S. 325. S. auch Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1022 f. (2014). 188 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1041 f. (2014). 189 Vgl. oben S. 332 f. 190 Vgl. oben S. 333 ff. 191 Vgl. oben S. 256 ff. 192 Vgl. oben S. 335 f. 186
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rufsrecht einzuräumen.193 Dafür spricht die gleiche Erwägung eines situativen Ungleichgewichts, die der Unionsgesetzgeber als Anlass für die Gewährung eines Widerrufsrechts bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen genommen hat:194 Dort „steht der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt“.195 Eine digitale Manipulation, die auf den Einzelnen zugeschnitten ist und seine Vulnerabilität ausnutzt, verschärft in gleichem Maße das Machtungleichgewicht zu Ungunsten des Adressaten, wie dies bei einem Außergeschäftsraumvertrag geschieht. Zwar werden durch das Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge bereits viele digitale Vertragsschlüsse erfasst. Jedoch ist das Widerrufsrecht in vielen Konstellationen ausgeschlossen oder eingeschränkt:196 Nach § 356 Abs. 4 und 5 BGB erlischt es, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat oder bei der Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten mit der Ausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt; freilich jeweils nur bei Zustimmung und hinreichender Belehrung. Viele digitale Dienstleistungen oder Inhalte, etwa der Kauf von Apps, können hierunter fallen. Auch existiert im „Offline-Bereich“ kein Widerrufsrecht, obwohl digitale Technologien auch dort zunehmend ein Microtargeting ermöglichen.197 Gegen eine Erweiterung des Widerrufsrechts wird vorgebracht, dass für eine individualisierte Vertragsanbahnung, wie sie Big Data und Microtargeting ermöglichen, standardisierte Verbraucherschutzinstrumente nicht mehr zeitgemäß seien. Sie führen bei „erfahrenen Verbrauchern […] zu einem hypertrophen Schutz, […] bei besonders schutzbedürftigen Verbrauchern […] zu einer Untersanktionierung“.198 Diese Beobachtung ist richtig, gilt aber natürlich auch für die bisherigen Regelungen zum Widerrufsrecht. Es ist eine Frage des richtigen Austarierens des Schutzes verletzlicher Verbraucher auf der einen und eigenverantwortlicher Verbraucher auf der anderen Seite. Beschränkt man das Widerrufsrecht auf Vertragsschlüsse, denen eine Personalisierung im Sinne eines Microtargetings zugrunde liegt, sodass nicht jedwedes Rechtsgeschäft mit digitalem Bezug erfasst wird, überwiegt wohl der Nutzen für die Verbraucher. Zudem kann die Belehrung über ein Widerrufsrecht gleichzeitig dazu genutzt werden, Adressaten auf das Microtargeting hinzuweisen, was ein Debiasing ermöglicht. b) Lauterkeitsrechtliches Instrumentarium Digitale Manipulationen, die keine täuschende Wirkung haben,199 können den Tatbestand der unzulässigen Beeinflussung nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG erfüllen. 193
Für eine Erweiterung des Widerrufsrechts auch Wagner/Eidenmüller, ZfPW 2019, 220, 233 f. S. Art. 9 Verbraucherrechte-RL sowie § 312b BGB. 195 Erwägungsgrund 21 Verbraucherrechte-RL. 196 Ebers, MMR 2018, 423, 426. 197 Ebers, MMR 2018, 423, 426. 198 Ebers, MMR 2018, 423, 426. 199 Bei einer digitalen Täuschung wären die §§ 5 ff. UWG einschlägig. 194
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Notwendig hierfür ist eine Machtposition des Einflussnehmers, die dieser zur Ausübung von Druck ausnutzt.200 Das „Persuasion Profiling“ erhöht das Machtgewicht des Einflussnehmers, weil er über die Schwächen der Adressaten Bescheid weiß. Die Ausübung von Druck sollte, entgegen mancher Literaturmeinung,201 weit verstanden werden. Die Ausnutzung der schnellen, automatischen Informationsverarbeitung des Systems 1 und sein Hang zu Entscheidungsfehlern baut auf den Adressaten einen kognitiven Druck auf, weil er ihr – mangels Bewusstseins darüber – kaum widerstehen kann. Hält man § 4a UWG mangels „Druck“ für nicht anwendbar, ist ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 Abs. 2 UWG möglich.202 Bei der Beurteilung der Einflussnahme ist, sofern es sich um eine personalisierte Ansprache handelt, nicht das Leitbild des Durchschnittsverbrauchers maßgeblich. Der so adressierte Verbraucher ist, entsprechend der obigen Konzeption, situativ verletzlich.203 Erkennende Gerichte müssen deshalb einen großzügigen Maßstab anlegen, der die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik und die Funktionsweise des Microtargetings berücksichtigt.204 Weiterhin ist auch im Lauterkeitsrecht eine Erleichterung der Darlegungslast angezeigt.205 Zwar erfordert der Abwehranspruch nach § 8 UWG keinerlei Verschulden. Gleichwohl tragen die aktivlegitimierten Verbraucherschutzorganisationen und Mitbewerber die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unlauteren Handlung.206 Den Einflussnehmer sollte bei dem Verdacht eines Microtargetings die sekundäre Darlegungslast treffen, sodass er sich substantiiert über den Sachverhalt äußern muss. Dem steht insbesondere kein Unionsrecht entgegen.207 Ausweislich des Erwägungsgrunds 21 sowie Art. 12 UGP-RL regt der Unionsgesetzgeber im Einzelfall sogar eine Beweislastumkehr an. 2. Ex-ante-Regulierung Die Regulierung digitaler Manipulation ist nicht nur ein wirtschaftsrechtliches Problem, sondern vor allem eines des Datenschutzes.208 Der effektivste Weg, digitale Manipulationen einzudämmen, ist, das Problem an der Wurzel zu packen und die Sammlung personenbezogener Daten einzuschränken.209 Wenn Einflussnehmern weniger Daten zur Verfügung stehen, sinkt automatisch das Aktivitätsniveau 200
Vgl. die Legaldefinition in § 4a Abs. 1 S. 3 UWG. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 4a Rn. 1.59. Mit Blick auf Microtargeting Ebers, MMR 2018, 423, 424. 202 Ebers, MMR 2018, 423, 424 f. 203 Vgl. oben S. 332 f. 204 Ebers, MMR 2018, 423, 425. 205 Vgl. oben S. 335 f. 206 Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 12 Rn. 1.89 ff. 207 Vgl. auch Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 75 ff. 208 Spencer, 2020 U. Ill. L. Rev. 959, 1005 (2020): „[T]he best way to solve the online manipulation problem is to treat it as one piece of the larger data protection puzzle.“ 209 Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1035, 1042 (2014). 201
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
der Einflussnahme. In diese Richtung tendiert die DSGVO, die punktuelle Regelungen vorsieht, die auch eine digitale Einflussnahme steuern können (a.). Auch andere Regulierungsinstrumente, wie eine Überprüfung oder Zertifizierung durch interne oder externe „Algorithmiker“210 nach dem Vorbild eines Wirtschaftsprüfers (b.), „softe“ regulatorische Mittel wie ein „Comply or Explain“-Mechanismus bzw. ein „Naming and Shaming“ (c.) oder eine Digitalsteuer auf Werbeplatzierungen (d.) kommen zur Eindämmung digitaler Manipulationen in Frage. a) Instrumentarium der DSGVO Die DSGVO sieht, sofern personenbezogene Daten verarbeitet werden (aa.), ein Verbot automatisierter Einzelfallentscheidungen (bb.) und Offenlegungspflichten (cc.) vor. aa) Personenbezogene Daten Die DSGVO gilt für die Verarbeitung personenbezogener Daten (Art. 2 Abs. 1 DSGVO). Personenbezogene Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Identifizierbar ist eine Person, wenn man sie mit zumutbarem Aufwand ermitteln kann.211 Auch bei einer Pseudonymisierung ist eine Person identifizierbar, wenn sie unter Heranziehung zusätzlicher Informationen erkennbar ist.212 Anonymisierte Daten fallen nicht unter das Regime der DSGVO. Das führt zu zwei Problemen. Erstens werden viele Daten anonymisiert gesammelt und im Aggregat verarbeitet.213 Das genügt für ein Profiling einzelner Segmente von Adressaten. Dadurch kann der Einflussnehmer zumindest Schwachstellen identifizieren, die im breiten Publikum auftreten. Für eine personalisierte Ansprache genügt es, wenn er weiß, dass ein Nutzer einem Profil entspricht.214 Hierfür bedarf es, wenn überhaupt, nur weniger personenbezogener Daten. Zweitens ist selbst eine augenscheinlich vollständige Anonymisierung von Daten häufig nicht anonym genug:215 Im Jahr 2006 hat Netflix einen Preis für die Verbesserung des unternehmenseigenen 210
Der Begriff stammt von Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 180 ff. Spindler/Dalby, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Art. 4 DSGVO Rn. 7. Art. 4 Nr. 1 DSGVO: „[…] als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann“. 212 Vgl. Erwägungsgrund 26 DSGVO. 213 Hierzu Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 38. 214 Vgl. Calo, 82 Geo. Wash. L. Rev. 995, 1030 (2014). 215 S. hierzu Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 155. 211 Vgl.
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Empfehlungsalgorithmus ausgelobt. Hierfür hat das Unternehmen 100 Millionen Daten über Ausleihen (damals war Netflix noch eine Online-Videothek) anonymisiert zugänglich gemacht. Trotzdem konnten Wissenschaftler der University of Texas einzelne Nutzer anhand der Daten identifizieren, indem sie die Daten mit den Film-Bewertungen der Internet Movie Database (IMDb) verglichen.216 Allgemein konnten sie anhand des Ratings von sechs weniger bekannten Filmen einen Nutzer in 84 % der Fälle identifizieren. Eine Mutter aus dem konservativen Mittleren Westen der USA, die ihre Homosexualität nicht offenlegen wollte, aufgrund der Daten jedoch identifizierbar wurde, verklagte in der Folge Netflix.217 bb) Verbot automatisierter Einzelfallentscheidungen Art. 22 DSGVO verbietet grundsätzlich Entscheidungen mit bestimmten Auswirkungen auf die betroffenen Personen, die ausschließlich auf einer automatisierten Datenverarbeitung – einschließlich Profiling – beruhen. Dem liegt der Gedanke der Autonomie des Einzelnen zugrunde. Die Betroffenen „sollen nicht zu reinen Objekten der Entscheidung einer Softwareanwendung herabgewürdigt werden.“218 Unter eine automatisierte Einzelfallentscheidung kann auch das hier beschriebene Microtargeting fallen.219 Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist gleichwohl begrenzt. Erstens betrifft das Verbot nur automatisierte Einzelfallentscheidungen, die gegenüber der betroffenen Person rechtliche Wirkung entfalten oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigen. Bei einem Microtargeting ist letzterer Halbsatz entscheidend. Man wird von einer erheblichen Beeinträchtigung jedenfalls dann ausgehen können, wenn gleichzeitig ein Unlauterkeitstatbestand des UWG erfüllt ist.220 Das ist nach der hier vertretenen Auffassung bei einer digitalen Manipulation durch Microtargeting regelmäßig der Fall.221 Zweitens fallen hierunter nur Entscheidungen, die ausschließlich durch automatisierte Systeme, ohne jedweden – auch nur unterstützenden – menschlichen Einfluss getroffen werden.222 Werden die Daten lediglich automatisch verarbeitet und vorselektiert (was ein Profiling beinhalten kann), an-
216 Narayanan/Shmatikov, in: IEEE (Hrsg.), 2008 IEEE Symposium on Security and Privacy, 2008, S. 111. 217 Singel, „Netflix Spilled Your Brokeback Mountain Secret, Lawsuit Claims“, Wired, 12.7.2009, online abrufbar unter https://www.wired.com/2009/12/netflix-privacy-lawsuit; Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 155. 218 Martini, JZ 2017, 1017, 1019. 219 Steinrötter, in: BeckOK IT-Recht, 5. Ed. 2021, Art. 2 2 DSGVO Rn. 10; Spindler/Horváth, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Art. 22 DSGVO Rn. 6; s. auch Tillmann/Vogt, VuR 2018, 447, 450. 220 Nach Lewinski, in: BeckOK Datenschutzrecht, 38. Ed. 2021, Art. 2 2 DSGVO Rn. 41 ist „Direktwerbung“ nur dann eine erhebliche Beeinträchtigung, wenn sie gleichzeitig gegen das Wettbewerbsrecht verstößt. 221 Vgl. oben S. 330 ff. 222 Martini, JZ 2017, 1017, 1020.
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
schließend jedoch durch einen Menschen abgesegnet, 223 ist der Anwendungsbereich nicht mehr eröffnet.224 Ein Verstoß gegen Art. 22 DSGVO kann einen Schadensersatzanspruch der betroffenen Person nach Art. 82 DSGVO oder eine Geldbuße nach Art. 83 Abs. 5 lit. b DSGVO nach sich ziehen.225 Auch qualifizierte Einrichtungen können bei Datenschutzverstößen nach § 2 Abs. 1, 2 Nr. 11 UKlaG gegen den Einflussnehmer vor gehen. cc) Offenlegung Findet die Datenverarbeitung in einer „Blackbox“ statt, sind Offenlegungspflichten grundsätzlich taugliche Regulierungsinstrumente, um die Entscheidungsfindung der Adressaten zu verbessern.226 Die DSGVO sieht eine Hinweispflicht bei einer automatisierten Entscheidungsfindung i. S. d. Art. 22 DSGVO in den Art. 13 Abs. 2 lit. f und in Art. 14 Abs. 2 lit. g DSGVO vor. Hier setzt sich jedoch das Problem des nur beschränkten Anwendungsbereichs des Art. 22 DSGVO fort.227 Eine Ausweitung der Kennzeichnungspflicht algorithmischen Microtargetings wäre begrüßenswert.228 Die Möglichkeit, hierfür die Belehrung über ein Widerrufsrecht zu nutzen, wurde bereits angesprochen.229 Weiterhin könnte auch das Design der Hinweise nach dem Stand der verhaltensökonomischen Forschung gestaltet werden, um ein möglichst effektives Debiasing zu gewährleisten.230 Hier könnten Algorithmen und künstliche Intelligenz fruchtbar gemacht werden, indem sie kognitive Schwachstellen identifizieren und – statt zu manipulieren – die Entscheidungsfindung der Adressaten verbessern. b) Überprüfung und Zertifizierung Die Funktionsweise algorithmischer digitaler Manipulation ist für die Betroffenen nicht ersichtlich. Eine interne bzw. externe Überprüfung oder Zertifizierung der 223 Freilich darf sich der menschliche Einfluss nicht auf eine bloße formale Bestätigung ohne inhaltliche Auseinandersetzung beschränken, vgl. Spindler/Horváth, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Art. 22 DSGVO Rn. 6. 224 Hierzu Dreyer/Schulz, The General Data Protection Regulation and Automated Deci sion-making: Will it deliver?, Bertelsmann Stiftung, 2019, S. 18, online abrufbar unter https://doi. org/10.11586/2018018; vgl. auch RegE BT-Drs. 14/4329, S. 37; Steinrötter, in: BeckOK IT-Recht, 5. Ed. 2021, Art. 22 DSGVO Rn. 7; einschränkend bezüglich der automatisierten Vorauswahl Lewinski, in: BeckOK Datenschutzrecht, 38. Ed. 2021, Art. 22 DSGVO Rn. 16. 225 Spindler/Horváth, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, Art. 22 DSGVO Rn. 16. 226 Vgl. Martini, JZ 2017, 1017, 1020. 227 Vgl. oben S. 341. 228 Hierzu Martini, JZ 2017, 1017, 1020. 229 Oben S. 338. 230 S. Helberger/Micklitz/Sax et al., in: BEUC (Hrsg.), EU Consumer Protection 2.0, March 2021, S. 1, 44.
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Technologie kann die Risiken dieser Intransparenz senken. In der DSGVO herrscht bereits das „Accountability-Prinzip“ vor.231 Einflussnehmer, die personenbezogene Daten verarbeiten, müssen die in Art. 5 Abs. 1 DSGVO verankerten Grundsätze einhalten und deren Einhaltung nachweisen können („Rechenschaftspflicht“, Art. 5 Abs. 2 DSGVO). Zudem sind sie bei Verwendung bestimmter neuer Technologien nach Art. 35 DSGVO verpflichtet, eine Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge für den Schutz personenbezogener Daten durchzuführen. Verantwortlich hierfür ist grundsätzlich ein nach Art. 37 DSGVO zu benennender Datenschutzbeauftragter. Der Datenschutzbeauftragte ist weisungsfrei, er darf aufgrund seiner Aufgabenerfüllung nicht diskriminiert werden und ist an die Wahrung der Geheimhaltung gebunden (Art. 38 DSGVO). Daraus ergibt sich, dass er nicht nur im Interesse seines Arbeitgebers handelt, sondern die Einhaltung der Datenschutzvorschriften auch im Interesse der Allgemeinheit zu überprüfen hat.232 Sinnvoller wäre es, Unternehmen zu verpflichten, einen externen Dritten einzuschalten, der die digitalen Technologien des Einflussnehmers überprüft.233 Ähnlich wie Wirtschaftsprüfer könnten Dritte von Unternehmen beauftragt werden, um unparteiisch zu überprüfen, ob Algorithmen in unzulässiger Weise auf die Entscheidungsfindung der Adressaten einwirken.234 Diese „Algorithmiker“ müssten freilich zur Verschwiegenheit verpflichtet sein, eine ausreichende Befähigung und Professionalität aufweisen und bei Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten einer Haftung unterliegen.235 Die externe Überprüfung ließe sich durch eine Zertifizierung der Algorithmen ergänzen, zu welcher der Einflussnehmer durch Vorteile, etwa eine Haftungsimmunität, angereizt werden könnte.236 c) „Comply or Explain“ und „Naming and Shaming“ Auch „softe“ Regulierungsinstrumente wie die (regulierte) Selbstregulierung können digitale Manipulationen eindämmen. Eine reine Selbstregulierung ohne Anreize oder Sanktionen hat jedoch nur eine begrenzte Steuerungswirkung.237 Mario Martini schlägt deshalb vor, nach Vorbild des „Comply or Explain“-Mechanismus in § 161 AktG i. V. m. dem DCGK, 238 Anbieter besonders persönlichkeitssensibler und lernfähiger Softwareanwendungen zu verpflichten, sich zu einem „Algorith-
231 Hierzu
Veil, ZD 2018, 9. S. zu dieser Kategorie der „internen Algorithmiker“ im Allgemeinen Mayer-Schönberger/ Cukier, Big Data, 2014, S. 181 f. 233 S. auch Dreyer/Schulz, The General Data Protection Regulation and Automated Decision-making: Will it deliver?, Bertelsmann Stiftung, 2019, S. 42 f., online abrufbar unter https:// doi.org/10.11586/2018018. 234 Hierzu auch Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 180 f. 235 Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, 2014, S. 180 f. 236 S. zu dieser Regulierungstechnik oben S. 293. 237 Vgl. oben S. 303 ff. 238 Vgl. oben S. 305 f. 232
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Teil III: Rechtliche Regulierung der Einflussnahme
mic Responsibility Codex“ zu erklären.239 In diese Richtung deutet immerhin Art. 36 des Vorschlages für einen Digital Services Act, wonach die Europäische Kommission die Ausarbeitung von (freiwilligen) Verhaltenskodizes für Online-Werbung auf Unionsebene fördern soll.240 Weiterhin wurde bereits darauf hingewiesen, dass privat initiierte Internetseiten existieren, die eine „Hall of Shame“ digitaler Manipulation präsentieren.241 Ein derartiges „Naming and Shaming“ durch staatliche Akteure wäre auch bei digitalen Manipulationen denkbar, insbesondere bei Verstößen gegen die DSGVO. d) Digitalsteuer In Anbetracht der Gefahr einer digitalen Manipulation kommt auch eine Lenkungssteuer in Form einer Digitalsteuer auf den Ertrag aus Werbeplatzierungen in Betracht. Interessanterweise wurde vor Kurzem noch auf europäischer Ebene die Einführung einer Digitalsteuer für Online-Werbung diskutiert. Nach einem Richtlinienvorschlag sollte eine Steuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen erhoben werden.242 Freilich bezweckte der Richtlinienvorschlag vor allem die Befriedigung fiskalischer Interessen der Mitgliedsstaaten. Die Digitalisierung der Wirtschaft führt nämlich dazu, dass der Ort der Besteuerung der Gewinne (Sitz des Unternehmens) von dem Ort der Wertschöpfung (durch die Nutzer in einem anderen Staat) auseinanderfällt. Dadurch werden nationale Vorschriften zur Körperschaftssteuer ausgehöhlt.243 Eine nicht bezweckte Nebenfolge wäre aber auch eine Steuerungswirkung im Sinne dieser Untersuchung gewesen. Ein Steuertatbestand lag nämlich in der „Platzierung von Werbung auf einer digitalen Schnittstelle, die sich an die Nutzer dieser Schnittstelle richtet“.244 Eine Ver239
Martini, JZ 2017, 1017, 1022 f. Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, COM(2020) 825 final vom 15.12.2020. 241 S. nur die Website von Harry Brignull (der auch der Namensgeber der „Dark Patterns“ ist) unter https://www.darkpatterns.org/hall-of-shame. 242 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen, COM(2018) 148 final vom 21.3.2018. Die Regelung sollte als Interimslösung bestehen, bis das Problem der Besteuerung der digitalen Wirtschaft global in Zusammenarbeit mit der OECD gelöst werden kann, vgl. Erwägungsgrund 5 und 6 COM(2018) 148 final. S. für einen Überblick über die Bestrebungen der OECD und der EU Eilers/Oppel, IStR 2018, 361. 243 Vgl. Begründung zum RL-Vorschlag COM(2018) 148 final sowie Erwägungsgründe 1 bis 5 des Vorschlags. 244 S. Art. 3 Abs. 1 lit a bis c RL-Vorschlag COM(2018) 148 final. Mit einer „digitalen Schnittstelle“ war jede Art von Software, Website oder App gemeint (vgl. Art. 2 Nr. 3 RL-Vorschlag), beispielsweise Google oder Facebook (s. zu den betroffenen Geschäftsmodellen Schanz/Sixt, DStR 2018, 1985). Steuerpflichtig waren „Rechtsträger“ (Art. 2 Nr. 1 RL-Vorschlag), deren Erträge für das relevante Geschäftsjahr weltweit 750 Mio. Euro und innerhalb der Union 50 Mio. Euro überschreiten (Art. 4 Abs. 1 RL-Vorschlag). Auf den Sitz des Rechtsträgers kam es nicht an; der Ort der Besteuerung war dort, wo die Nutzer der digitalen Dienstleistung ansässig sind, vgl. Erwägungsgrund 25 und Art. 5 Abs. 1 RL-Vorschlag. Der Steuersatz der Digitalsteuer betrug 3 % 240
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teuerung dieser Aktivität würde so die sozialen Kosten der Einflussnahme senken. Der Richtlinienvorschlag gilt heute aber als gescheitert. Gleichwohl sind die Arbeiten zur Anpassung des Steuersystems an die digitale Wirtschaft erst am Anfang. In dieser Diskussion sollten auch die sozialen Kosten digitaler Manipulationen eine Rolle spielen. e) Ausblick: Verbot von Microtargeting Nach den bisherigen Ausführungen erscheint es sachgerecht, Microtargeting komplett zu verbieten, soweit es die situative Verletzlichkeit einzelner Adressaten ausnutzt. In diese Richtung geht tatsächlich der am 21. April 2021 veröffentlichte Kommissionsvorschlag für einen Artificial Intelligence Act.245 Danach sollen besonders gefährliche Praktiken, die künstliche Intelligenz nutzen, stark reguliert oder verboten werden. Verboten sind nach Art. 5 Abs. 1 des Vorschlags KI-Systeme, die unterschwellige Beeinflussungstechniken nutzen und dadurch Personen physischen oder psychischen Schaden zufügen (lit. a) und KI-Systeme, die gezielt die Schwachstellen bestimmter Personengruppen aufgrund ihres Alters oder einer körperlichen oder geistigen Behinderung ausnutzen (lit. b). Die Kommission hat die Risiken digitaler Manipulationen offenbar erkannt. Gleichwohl bleibt sie in der bisherigen Regulierungsstrategie verhaftet. In der zweiten Alternative wird der verletzliche Verbraucher wieder kategorial statt situativ verstanden.246 Zudem werden durch die erste Alternative nur Manipulationen erfasst, die zu physischen oder psychischen Schäden führen. Auch konnte sich im angedachten Digital Service Act der EU ein Verbot bislang nicht durchsetzen.
E. Zusammenfassung von § 9 1. Digitale Manipulation ist die Verwendung digitaler Technologien zur Beeinflussung der Entscheidungsfindung eines Adressaten. Sie stellt eine Weiterentwicklung traditioneller Einflussnahmen dar. Die Analyse von Big Data ermöglicht Einflussnehmern eine Marktsegmentierung durch die Erstellung von Nutzerprofilen („Profiling“). Die Nutzerprofile unterscheiden sich durch die Empfänglichkeit für bestimmte manipulative Techniken. Schließlich sprechen Einflussnehmer die individuellen Adressaten durch Microtargeting personalisiert in ihren verletzlichsten Momenten an. Durch ausgeklügelte Designstrategien von Benutzerschnittstellen („Dark Patterns“) und der Möglichkeit, das digitale Entscheidungsumfeld in Echtder Bruttoeinkünfte (Art. 8 RL-Vorschlag) aus der Erbringung der regulierten digitalen Dienstleistungen und sollte eine Ergänzung zur echten Ertragssteuer sein, vgl. hierzu auch Eilers/Oppel, IStR 2018, 361, 367. 245 Europäische Kommission, Proposal for a Regulation laying down harmonised rules on artificial intelligence vom 21.4.2021, COM(2021) 206 final. 246 Vgl. oben S. 330 ff.
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zeit anzupassen („Morphing“), verleiten sie Adressaten so zu wirtschaftlichen Entscheidungen. 2. Obgleich manche digitalen Einflussnahmen zum Wohle der Adressaten erfolgen, kann das Gewinnstreben der Einflussnehmer auf dem Markt zu einem wohlfahrtsschädlichen Manipulationsgleichgewicht führen. Durch das Microtargeting und die „technologische Transparenz“ können sich Adressaten weniger als bislang gegen manipulative Einflüsse wehren. Nicht nur die materielle Wohlfahrt der Adressaten erleidet so einen Schaden. Der privacy harm erhöht die sozialen Kosten der digitalen Manipulation. 3. Digitale Manipulationen stellen das Recht der Einflussnahme vor neue regulatorische Herausforderungen. Bei personalisierten Ansprachen heißt es von der Maßfigur des „durchschnittlichen Verbrauchers“ Abschied zu nehmen. Manipulationen machen durch das Ausnutzen individueller kognitiver Schwachstellen jeden Adressaten zu einem situativ verletzlichen Verbraucher. Zudem verschlimmern digitale Einflussnahmen die ohnehin schon bestehenden rechtlichen Durchsetzungsdefizite: Eine digitale Manipulation lässt sich gerichtlich schwer nachweisen. Deshalb sollte man dem Adressaten zumindest Darlegungslasterleicherungen zusprechen. Sinnvollerweise sollte auch das Widerrufsrecht in digitalen Kontexten erweitert werden. Lauterkeitsrechtlich stellt das Microtargeting eine unzulässige Einflussnahme i. S. d. § 4a UWG dar, weil digitale Manipulationen das Machtgewicht der Einflussnehmer ungebührlich erhöhen. 4. Die digitale Manipulation ist ein Schauplatz einer viel größeren Datenschutzproblematik, die durch die DSGVO nur ansatzweise geregelt wird. Andere Ex-ante-Regulierungsinstrumente, wie eine interne oder externe Überprüfung von Algorithmen oder eine Steuerung durch einen „Algorithmic Responsibility Codex“, verbunden mit einem „Comply or Explain“- oder „Naming and Shaming“-Mechanismus, sollten deshalb de lege ferenda angedacht werden. Ebenso sollte die Einführung einer Digitalsteuer, auch in der Funktion als Pigou-Steuer, für die Regulierung digitaler Manipulationen weiterverfolgt werden. Schließlich ist über ein generelles Verbot des Microtargetings nachzudenken, soweit es Adressaten situativ verletzlich macht.
Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse Einführung Die Beeinflussung ist ein Kontinuum.1 An einem Pol findet sich der Fluchtpunkt unserer Gesprächskultur, das rationale „Überzeugen“. Am anderen Pol findet sich der Zwang. Dazwischen liegen die Täuschung und die Manipulation. Beide Beeinflussungsstrategien haben gemein, dass ein Einflussnehmer durch sie versucht, einen Adressaten zu einer Entscheidung zu verleiten.
§ 1 Funktionsweise der Einflussnahme 1. Die aristotelisch-thomanische Handlungstheorie macht durch das Schema des praktischen Syllogismus transparent, warum Menschen wie handeln.2 Gleichzeitig legt sie offen, wie man das Handeln einer anderen Person beeinflussen kann. Ein Einflussnehmer nimmt Einfluss, indem er die Prämissen im praktischen Syllogismus des Adressaten modifiziert, wodurch der handlungsantreibende praktische Schluss in die vom Einflussnehmer intendierte Richtung gelenkt wird.3 Konkret kann er dem Adressaten „passende“, „nützliche“ oder „angenehme“ Zwecke präsentieren oder den Handlungskontext entsprechend modifizieren.4 Idealiter erfolgt das durch rationale Argumentation. Im Falle der Täuschung ruft der Einflussnehmer bei dem Adressaten eine Fehlvorstellung über passende oder nützliche Zwecke hervor, bei der Manipulation präsentiert er angenehme Zwecke oder gestaltet den Handlungskontext angenehmer.5 2. Die Beeinflussung betrifft psychische Vorgänge, die äußerlich nicht wahrnehmbar und nur eingeschränkt überprüfbar sind. Das implizite Menschenbild der Handlungstheorie, das „Imperium der Rationalität“, 6 das Grundlage der neoklassischen Rational Choice Theory ist,7 bedarf einer Ergänzung durch die Erkenntnisse der modernen Verhaltenswissenschaften. Psychologische Strömungen zeigen auf, dass Menschen nur begrenzt rational handeln. 8 Ihre Proponenten unterteilen das menschliche Denken in das von Heuristiken geprägte, schnelle System 1 1
S. 5 ff. S. 13 ff. 3 S. 17 ff. 4 S. 16 f. 5 S. 21 f. 6 S. 23 f. 7 S. 24 ff. 8 S. 27 ff. 2
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Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse
und das ressourcenhungrige, vernunftgeleitete System 2.9 Manipulative Techniken adressieren das System 1 und die „kognitive Leichtigkeit“, sodass der Adressat durch eine Modifikation der Entscheidungsumgebung zu Fehlurteilen verleitet wird. Ein Einflussnehmer kann verschiedene Heuristiken ausnutzen, die man mit Robert Cialdini einer von sechs Kategorien zuordnen kann: Reziprozität, Konsistenz, Soziale Bewährtheit, Sympathie, Autorität und Knappheit.10
§ 2 Typologie der Täuschung 1. Bei einer Täuschung vermittelt ein Einflussnehmer eine unwahre Proposition, die sich der Adressat zu eigen macht. Die Proposition ist die Basiseinheit der Bedeutung, ein „eingefrorener Gedanke“, der mittels Sprache kommuniziert wird, z. B. durch eine Behauptung.11 Eine Äußerung hat verschiedene Bedeutungsebenen: Das explizit Gesagte (Semantik) und das implizit Gemeinte (Pragmatik).12 In beiden Dimensionen können Propositionen vermittelt werden, indem Adressaten Schlüsse ziehen:13 Bei einer semantischen Implikation folgt die Wahrheit einer weiteren Proposition logisch aus einer geäußerten Proposition. Eine Präsupposition ist eine stillschweigende Voraussetzung einer Aussage in propositionaler Form. Explikaturen sind pragmatische Anreicherungen des semantischen Bedeutungsgehalts. Konversationelle Implikaturen sind implizit vermittelte Bedeutungsgehalte. Letztere verdienen besonderes Augenmerk, weil sie in der alltäglichen Kommunikation Legion sind und eine Täuschung durch wahre Aussagen ermöglichen. Sie entstehen durch einen Verstoß gegen eine Konversationsmaxime aus dem Grice’schen Kooperationsprinzip.14 2. Die vom Adressaten gezogenen Schlüsse dienen als Weichenstellung für eine typologische Einordnung der Täuschungsformen. Semantische Täuschungen vermitteln wörtlich, durch semantische Implikationen oder durch Präsuppositionen falsche Propositionen.15 Pragmatische Täuschungen operieren mittels falscher Propositionen, die der Einflussnehmer durch Explikaturen oder Implikaturen vermittelt.16 Eine Sonderrolle nehmen Täuschungen durch Unterlassen ein: Halbwahrheiten sind besondere Formen einer Implikatur. Das reine Unterlassen ist eine nicht-sprachliche Täuschung, soweit eine konventionelle oder rechtliche Offen legungspflicht besteht.17 9
S. 45 ff. S. 31 ff. 11 S. 52 ff. 12 S. 51 f. 13 S. 54 ff. 14 S. 56 ff. 15 S. 67 ff. 16 S. 69 ff. 17 S. 72 ff. 10
Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse
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3. Der „Grad der Verbindlichkeit“ eines Schlusses gibt einen Hinweis darauf, für welche Bedeutungsgehalte der Einflussnehmer in welchem Maße einstehen will.18 Von ihr macht es der Adressat abhängig, ob er sich den Wahrheitsgehalt der vermittelten Proposition zu eigen macht. Bei semantisch vermittelten Bedeutungsgehalten verpflichtet sich der Einflussnehmer stärker der Wahrheit als bei pragmatischen Schlüssen, weil letztere in einem größeren Maße von dem subjektiven Schlussfolgerungsprozess des Adressaten abhängig sind.
§ 3 Typologie der Manipulation 1. Ein Einflussnehmer kann auf zwei Arten manipulieren: Er nutzt entweder gezielt die heuristische Informationsverarbeitung des Adressaten aus, sodass dieser Urteilsverzerrungen unterliegt („kognitive Manipulation“), oder er spricht die Affekte des Adressaten an („affektive Manipulation“).19 In beiden Fällen erhöht der Einflussnehmer so die Attraktivität einer Zweckverfolgung. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Adressat die vom Einflussnehmer intendierte Handlung vornimmt. 2. Die Manipulation umgeht die Rationalität des Adressaten nicht vollständig. Sie wird aber insoweit untergraben, als nicht der zwanglose Zwang des besseren Arguments, sondern kognitive oder affektive Reize die Entscheidungsfindung beeinflussen.20 Dieses Muster der Einflussnahme besteht unabhängig von den Motiven des Einflussnehmers. Zwar wird er mit einer Manipulation häufig versuchen, egoistische Ziele auf Kosten des Adressaten zu erreichen. Versteht man die Manipulation aber als wertneutrale Beschreibung eines Einflussnahmetyps, fallen hierunter auch für den Adressaten vorteilhafte Manipulationen, die in der verhaltensökonomischen Literatur als „Nudges“ bezeichnet werden.21 Eine Grenze findet die Typenbeschreibung dann, wenn die Einflussnahme in den Zwang übergeht. Die Manipulation lässt dem Adressaten, anders als der Zwang, die freie Wahl.22
§ 4 Ethische Bewertung 1. Täuschungen und Manipulationen beeinträchtigen die Autonomie und die Würde des Adressaten.23 Die Täuschung ist mit größeren moralischen Makeln behaftet: Dem Adressaten wird durch eine Täuschung die Möglichkeit einer informierten Entscheidung genommen, und zwar in einer Weise, derer er sich kaum erwehren 18
S. 61 ff. und S. 193. S. 83 f. und S. 84 ff. 20 S. 75 ff. 21 S. 80 ff. 22 S. 82. 23 S. 93 ff. 19
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kann.24 Es kommt hinzu, dass das kommunikative Vertrauen der gesamten Gemeinschaft durch Täuschungen erschüttert wird.25 Der ethische Unwert einer semantischen Täuschung ist grundsätzlich größer als der einer pragmatischen oder nicht-sprachlichen Täuschung.26 2. Die Manipulation ist von anderer moralischer Qualität. Auch sie ist in der Lage, die Willensfreiheit des Adressaten auszuhöhlen und ihn als bloßes Mittel zu „benutzen“.27 Gleichwohl ist nicht jeder manipulative Einfluss zu missbilligen, weil der Eigenverantwortlichkeit des Adressaten eine größere Rolle als bei einer Täuschung zukommt. Es gibt gute, schlechte und fragwürdige Formen der Manipulation.28 Bei der Einordnung helfen die folgenden Kriterien:29 – Subjektiv spielen das Ziel der Einflussnahme und die Beweggründe des Einflussnehmers eine besondere Rolle. Strebt er rücksichtslos einen Gewinn auf Kosten des Adressaten an, „benutzt“ er ihn als bloßes Mittel. Gleiches gilt, wenn er sich der Anfälligkeit des Adressaten für manipulative Wirkungen bewusst ist. – Objektiv ist die Transparenz manipulativer Reize, die Erhaltung der Wahlfreiheit des Adressaten, die Schwere der Folgen einer manipulationsbedingten Entscheidung sowie das Entscheidungsumfeld für die Beurteilung maßgeblich. Je verdeckter ein manipulativer Reiz ist, desto weniger obliegt es der Selbstverantwortung des Adressaten, ihm zu widerstehen. Je mehr Druck auf den Adressaten ausgeübt und ihm dadurch die freie Wahl erschwert wird, desto eher tendiert die Manipulation zu einem Zwang. Je schwerer die Folgen der Manipulation für den Adressaten sind, desto eher ist die Einflussnahme zu missbilligen. Je stärker die Machtgewichte zugunsten des Einflussnehmers verschoben sind und er dies ausnutzt30 und je weniger sich der Adressat der „Spielregeln“ des Entscheidungsumfelds bewusst ist,31 desto unmoralischer ist die Manipulation.
§ 5 Ökonomische Bewertung 1. Die Kräfte freier Märkte führen im Modell zu einem effizienten Gleichgewichtszustand.32 Der Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren, das Innovationen hervorbringt, welche die Präferenzen der Nachfrager befriedigen können und für einen hohen Lebensstandard sorgen.33 Dieselben Kräfte, die eigentlich die Wohlfahrt der Gemeinschaft steigern, bringen aber auch Täuschungen und Manipulationen her24
S. 102. S. 98 ff. 26 S. 100 ff. 27 S. 93 ff. 28 S. 103 ff. 29 S. 105 ff. 30 S. 105 ff. 31 S. 108 f. 32 S. 113 ff. und S. 117 ff. 33 S. 115 f. 25
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vor. Die „unsichtbare Hand“ der Marktkräfte zwingt Anbieter solche Strategien zu ergreifen, weil sie andernfalls den wettbewerblichen Selektionsprozess nicht überstehen.34 Das führt zu einem „race to the bottom“, das in einem Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht mündet, in dem es für keinen Anbieter rationalerweise Sinn ergibt, von täuschenden oder manipulativen Strategien Abstand zu nehmen.35 2. Täuschungen und Manipulationen sind Ausdruck opportunistischen Verhaltens.36 Täuschungen begründen neue Informationsasymmetrien oder verschärfen bereits bestehende. Manipulationen nutzen die unvollkommene Rationalität der Marktteilnehmer aus. Anbieter haben einen Anreiz, ihren Gewinn durch opportunistisches Verhalten zu maximieren, weshalb sie so lange zu Täuschungen und Manipulationen greifen, wie sie dadurch mehr gewinnen als verlieren.37 Die Beeinflussung führt dazu, dass Nachfrager den Nutzen eines Gutes überschätzen oder seinen Preis bzw. seine Risiken unterschätzen.38 Dadurch erhöht sich die Nachfrage nach einem Gut auf ein künstliches und wohlfahrtsschädliches Niveau. Es entstehen soziale Kosten.39 3. Es existieren marktinhärente Lösungen zur Bewältigung von Täuschungen und Manipulationen. Marktteilnehmer können dazulernen und mit zunehmender Erfahrung weniger anfällig für bestimmte Einflussnahmen werden.40 Zudem ist Reputation ein Disziplinierungsmittel.41 Der Einflussnehmer wird rationalerweise nur dann täuschen und beeinflussen, wenn die erwarteten Reputationsschäden geringer als der daraus gezogene Nutzen sind. Das ist, zumindest aus der Ex-ante-Perspektive des Anbieters, aber häufig nicht der Fall, da er die Entdeckungswahrscheinlichkeit seines täuschenden oder manipulativen Handelns unterschätzt. Auch kann der Rat von Experten oder anderen Nachfragern nur punktuell die Wirkung von Einflussnahmen neutralisieren.42 In vielen Fällen führen die Marktlösungen dazu, dass Täuschungen und Manipulationen nicht vollständig oder nur verzögert aus dem Markt verschwinden. Zur Vermeidung eines Marktversagens ist in diesen Fällen eine rechtliche Intervention angezeigt.
§ 6 Das Recht der Einflussnahme und seine Regulierungsziele 1. Das „Recht der Einflussnahme“ erfasst sämtliche Rechtsbereiche, die sich mit der Regulierung beeinflussender Aktivitäten Privater beschäftigen.43 Seine Regulie34
S. 116 ff. S. 137 ff. 36 S. 123 ff. 37 S. 125 f. 38 S. 127 ff. 39 S. 133 ff. 40 S. 142 ff. 41 S. 144 f. 42 S. 146 f. 43 S. 151 ff. 35
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rungsziele sind der Schutz der Autonomie der Betroffenen sowie die Wohlfahrtsmaximierung der gesamten Gesellschaft.44 Beide Ziele sind miteinander verwoben, weil der Willkür des Einzelnen eine gesamtgesellschaftliche Steuerungsfunktion zukommt. 2. Zur Erreichung der Regulierungsziele stehen dem Gesetzgeber und den Gerichten verschiedene Regulierungstechniken zur Verfügung.45 Ex-post-Regulierungsinstrumente knüpfen an das Vorliegen einer Täuschung oder Manipulation an. Sie entfalten ihre Steuerungswirkung durch Abschreckung. Ex-ante-Regulierungsinstrumente lenken das Verhalten der Rechtsunterworfenen und versuchen Täuschungen und Manipulationen im Ansatz zu unterdrücken.
§ 7 Ex-post-Regulierungsinstrumente 1. Ziel einer Ex-post-Regulierung ist die Minimierung der sozialen Kosten von Täuschungen und Manipulationen, indem Einflussnehmer von sozial unerwünschten Einflussnahmen abgeschreckt werden, ohne sie zugleich in ihrem sozialförderlichen Verhalten zu behindern.46 Die Grenze zwischen akzeptablem und sozialschädlichem Verhalten kann man bei unbeabsichtigten Einflussnahmen durch eine Kosten-Nutzen-Analyse entsprechend der „Learned Hand“-Formel ziehen.47 Bei Aktivitäten, die eine Vielzahl von Adressaten erreichen („Masseneinflussnahmen“), einen Teil der Adressaten täuschen oder manipulieren, einem anderen Teil aber informationelle Vorteile bieten, ist eine Mikroabwägung angezeigt, die Anleihen an der Produkthaftung nimmt.48 Sie sollten nur dann als rechtlich relevante Täuschung oder Manipulation gelten, wenn der Grenznutzen einer denkbaren alternativen Darstellung – die durch eine Reformulierung, durch klarstellende Hinweise oder eine andere Präsentation vorgenommen werden kann – die Grenzkosten ebendieser Darstellung überwiegt. Absichtliche Einflussnahmen sollten hingegen in jedem Fall verhindert werden, sodass eine Abwägung der Risiken und des Nutzens, ebenso wie ein Mitverschuldenseinwand auf Adressatenseite, nicht erforderlich ist.49 2. Die Messung aller sozialen Kosten, die eine Täuschung oder Manipulation verursachen und die eine Rechtsregel idealerweise dem Einflussnehmer auferlegen sollte, gestaltet sich schwierig.50 Vielfach wird man nur die Kosten der unmittelbar beteiligten Parteien bestimmen können. Um eine unzureichende Abschreckung zu verhindern, sollten Rechtsregeln als „zweitbeste Lösung“ dem Einflussnehmer
44
S. 154 ff. S. 159 ff. 46 S. 163 f. 47 S. 166 f. 48 S. 168 ff. 49 S. 174 f. 50 S. 176. 45
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auch Umverteilungsschäden – als Stellvertretergröße für die nicht quantifizierbaren sozialen Kosten – auferlegen.51 3. Ex-post-Regulierungsinstrumente reagieren auf das Vorliegen einer Täuschung oder einer Manipulation. Hierzu müssen Gerichte den Lebenssachverhalt deuten und ordnen, d. h. das reale Geschehen in eine rechtlich handhabbare Aussage „übersetzen“.52 Als „Policymaker“ in der ersten Reihe können Gerichte bereits durch die Sachverhaltsbeurteilung das Verhalten der Rechtsunterworfenen steuern. Gerichten stehen drei Ansätze zur Verfügung, um einen Sachverhalt als Täuschung oder Manipulation zu deuten: – Der interpretative Ansatz dient ausschließlich der Bestimmung einer Täuschung.53 Das Gericht deutet den propositionalen Gehalt einer Äußerung oder eines Verhaltens des Einflussnehmers mittels Interpretationsregeln 54 und -standards,55 die von der kommunikativen Umgebung56 abhängig sind. Bei ambigen Äußerungen dient der „Grad der Verbindlichkeit“ als Richtschnur.57 – Der effektbasierte Ansatz ist bei einer Täuschung auf die Feststellung informationeller Effekte (oder mittelbarer Täuschungseffekte), bei einer Manipulation auf die Feststellung von Verhaltensanomalien gerichtet.58 Das Gericht kann die Effekte evidenzbasiert,59 durch demoskopische Gutachten bzw. mittels experimenteller Designs, oder erfahrungsgestützt,60 durch alltagspsychologische Beobachtungen und wissenschaftliche Theorien feststellen. – Der konstruktive Ansatz flankiert die beiden anderen Ansätze normativ. 61 Maßfiguren wie der durchschnittliche Verbraucher, der verständige Anleger oder eine Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont können als Beurteilungsmaßstab für eine Konstruktion von Bedeutung (Täuschung) oder von manipulativen Effekten dienen. Hierbei schwingen regulatorische Erwägungen mit, die dem jeweiligen Regulierungsziel förderlich sind. So füllt die Wohlfahrtsmaximierung als Meta-Ziel wirtschaftsrechtlicher Regulierung die Maßfiguren mit Leben: Sie sollten als Personifizierung einer Risiko-Nutzen-Analyse verstanden werden. 62 4. Die Sachverhaltsbeurteilung wird bei einer Manipulation durch die Heterogenität der Adressaten sowie das Wissensproblem der Gerichte über die Präferenzen der Adressaten erschwert.63 Zudem kann eine Ex-ante-Regulierung der Manipula51
S. 177 ff. S. 180 ff. 53 S. 184 ff. 54 S. 187 ff. 55 S. 198 ff. 56 S. 197 f. 57 S. 191 ff. 58 S. 201 ff. 59 S. 203 ff. 60 S. 208 ff. 61 S. 210 ff. 62 S. 216 ff. 63 S. 222 ff. 52
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tion die Lernfähigkeit der Adressaten beeinträchtigen. In summa können die Kosten der Rechtsdurchsetzung ihren Nutzen übersteigen, weshalb sich eine Ex-post-Regulierung auf besonders verwerfliche Formen der Manipulation beschränken sollte. 64 Im Übrigen ist eine Regulierung ex ante durch den Gesetzgeber vorzugswürdig. 5. Täuschungen und Manipulationen setzen verschiedene Kausalketten in Gang und Rechtsregeln setzen für ihr Eingreifen unterschiedliche Kausalbeziehungen voraus.65 Die Transaktionskausalität beschreibt die Kausalbeziehung zwischen der Einflussnahme und der wirtschaftlichen Entscheidung des Adressaten. 66 Sie ist Voraussetzung für Rechtsregeln, die zur Rückabwicklung eines Vertrages führen. Die Preiskausalität ist die Beziehung zwischen einer Einflussnahme und ihrer Auswirkungen auf den Preisbildungsmechanismus. 67 Anknüpfungspunkt ist nicht der Wille des Einzelnen, sondern eine Preisverzerrung, die auf dem Güteroder Kapitalmarkt auftritt. Das lauterkeitsrechtliche Kriterium der wettbewerblichen Relevanz, das einer potenziellen Kausalität entspricht, stellt auf die Eignung einer Täuschung oder Manipulation ab, die Entscheidungsfindung der Marktgegenseite zu beeinflussen. 68 6. Verleiten Täuschungen oder Manipulationen den Adressaten zu einem Vertrag, den er andernfalls nicht geschlossen hätte, heben sie die in einer freien Marktwirtschaft bestehende Vermutung einer nutzenstiftenden Transaktion auf. Dem Adressaten stehen mit dem Anfechtungs-, Widerrufs- und Rücktrittsrecht Rechtsinstitute zur Verfügung, die zu einer Beseitigung und Rückabwicklung der einflussbedingten Transaktion führen. 69 Dadurch verliert der Einflussnehmer seinen Täuschungs- oder Manipulationsprofit. Das hält ihn ex ante von einer Einflussnahme ab und ermöglicht ex post neue Pareto-superiore Vertragsschlüsse.70 7. Schadensersatzverpflichtungen sind aus regulatorischer Perspektive Sanktionen, die eine Abschreckungswirkung entfalten.71 Das wichtigste haftungsauslösende Ereignis für eine Schadensersatzhaftung ist ein Verstoß gegen das Täuschungs- und Manipulationsverbot, das im vorkonsensualen, im vertraglichen und im deliktischen Bereich in unterschiedlichen Ausprägungen gilt.72 Konkret werden Täuschungen und Manipulationen durch eine Haftung wegen culpa in contrahendo, zum Teil auch durch vertragliche Anspruchsgrundlagen und schließlich deliktsrechtlich sanktioniert, insbesondere durch § 826 BGB und die spezialgesetzliche Kapitalmarktinformationshaftung. Mittelbare Schäden sollten nur ersatzfähig sein, wenn die drohende Haftung den Einflussnehmer von wohlfahrtsschädli64
S. 223 ff. S. 228 ff. 66 S. 228 ff. 67 S. 230 ff. 68 S. 236 f. 69 S. 237 ff. 70 S. 242 ff. 71 S. 263 ff. 72 S. 244 ff. 65
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chem Verhalten abhält.73 Mittelbare Schäden entstehen, wenn ein Einflussnehmer einen Adressaten beeinflusst, der Schaden jedoch durch eine Transaktion mit einem Dritten entsteht oder wenn ein Marktteilnehmer durch Preisverzerrungen geschädigt wird. Aus dem Schutzzweck der Haftung sollten deshalb Schäden fallen, die der Einflussnehmer bei Vornahme seiner täuschenden oder manipulativen Aktivität nicht vorhersehen konnte. Erfasst werden sollten solche, die dem Einflussnehmer mittelbar Vermögensvorteile verschaffen. Eine Fahrlässigkeitshaftung sollte ausscheiden, wenn der Einflussnehmer als mittelbarer Schädiger mit der Täuschung oder Manipulation kein wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgt.74 Andernfalls nähme die Haftung dem Einflussnehmer den Anreiz zur (wohlfahrtsförderlichen) Informationssammlung und -veröffentlichung. 8. Außerhalb von Sonderverbindungen kann der Adressat sein negatives Interesse auf verschiedene Arten ersetzt verlangen: Die ungewollte Eingehung einer Verbindlichkeit aufgrund einer Einflussnahme stellt einen Schaden dar, sodass eine Naturalrestitution auf Rückgängigmachung des Vertrages gerichtet ist (Vertragsabschlussschaden).75 Der entgangene Gewinn kann, wenn der Vertrag ohne Beeinflussung zu einem günstigeren Preis geschlossen worden wäre, was auf einem kompetitiven Markt zu vermuten ist, das hypothetische Erfüllungsinteresse dieses nicht-geschlossenen Vertrages erfassen.76 Schließlich kann der Adressat den kleinen Schadensersatz geltend machen, der der Differenz zwischen dem für das Gut gezahlten Preis und dem tatsächlichen Wert entspricht.77 Für die Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes bedarf es richtigerweise lediglich des Nachweises einer Preiskausalität.78 9. Mitbewerber werden durch Täuschungen und Manipulationen mittelbar geschädigt. Aufgrund der verzerrten Nachfrage und Fehlallokationen können sie weniger Güter absetzen und müssen Kosten für übermäßigen Signaling-Aufwand wie Werbung oder Garantieversprechen tätigen. Das Lauterkeitsrecht billigt Mitbewerbern deshalb Abwehr- und Schadensersatzansprüche gegen Einflussnehmer zu, die zu täuschenden (§§ 5 ff. UWG) und manipulativen (§ 4a Abs. 1 Nr. 3 UWG) geschäftlichen Handlungen greifen.79 Die Steuerungswirkung des Abwehranspruchs ist begrenzt, weil er nur bestehende oder drohende Täuschungen und Manipulationen auf der Marktgegenseite aufhebt.80 Dafür hat er niedrige Tatbestandsvoraussetzungen und ermöglicht ein effektives Private Enforcement. Als Advokaten des Wettbewerbs schützen Mitbewerber so nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern verhindern auch ineffiziente Transaktionen der Marktgegenseite. § 12 Abs. 2 UWG enthält einen „Naming and Shaming“-Mechanismus, den Gerichte für eine 73
S. 251 ff. S. 264 ff. 75 S. 256 ff. 76 S. 258. 77 S. 258 ff. 78 S. 262 f. 79 S. 268 ff. 80 S. 276 f. 74
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effektive Steuerung häufiger nutzen sollten. 81 Der Schadensersatzanspruch aus § 9 Abs. 1 UWG hat als law in action wegen überzogener Beweisanforderungen der Gerichte nur eine geringe Bedeutung. 82 Dadurch internalisieren Einflussnehmer ein Gros der sozialen Kosten der Einflussnahme nicht. Dem sollten Gerichte durch eine großzügige Heranziehung von Beweiserleichterungen entgegentreten. 10. Eine unwahre Angabe i. S. d. § 5 UWG ist eine semantische Täuschung, eine Angabe mit Täuschungseignung ist eine pragmatische Täuschung. 83 Aufgrund des mit einer semantischen Täuschung verbundenen höheren Grades der Verbindlichkeit kann man bei einer unwahren Angabe prima facie von einer Täuschungswirkung ausgehen. 84 Täuschungen durch Unterlassen werden von §§ 5a, 5b UWG erfasst. 85 Die irreführende Wirkung einer geschäftlichen Handlung ist aus dem Blickwinkel des Durchschnittsverbrauchers als Personifizierung einer Mikroabwägung zu bestimmen.86 Es liegt nur dann eine „Irreführung“ vor, wenn der Einflussnehmer die Täuschung kosteneffektiv hätte vermeiden können, d. h. wenn der Grenznutzen einer alternativen Darstellung die Grenzkosten ebendieser Darstellung überwiegt. Entsprechendes gilt bei der Beurteilung, ob eine manipulative Technik eine unzulässige Beeinflussung i. S. d. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG darstellt. 11. Ex-post-Regulierungsinstrumente haben Durchsetzungsdefizite. Einzelne Marktteilnehmer scheuen aus rationaler Apathie eine gerichtliche Durchsetzung. 87 Kollektiver Rechtsschutz kann diesen Makel teilweise beheben. Verbraucher- oder Wirtschaftsverbände bündeln die Interessen der Markteilnehmer und können gegen den Einflussnehmer einen Abwehranspruch, 88 im Lauterkeitsrecht auch den bislang „zahnlosen“ Gewinnabschöpfungsanspruch,89 geltend machen. Ergänzt wird die Verbandsklage durch das Musterfeststellungsverfahren nach dem KapMuG und die Musterfeststellungsklage.90
§ 8 Ex-ante-Regulierungsinstrumente 1. Der Gesetzgeber kann ex ante durch Verhaltensanforderungen und Steuern täuschendes oder manipulatives Verhalten eindämmen. Den intensivsten regulatorischen Eingriff stellt ein vollständiges Verbot täuschungs- und manipulationsgeneigter Aktivitäten dar, wie etwa das Tabakwerbungsverbot.91 Eine abgeschwächte 81
S. 277 f. S. 279 ff. 83 S. 270 f. 84 S. 271 f. 85 S. 272 f. 86 S. 269 f. 87 S. 282 f. 88 S. 283 f. 89 S. 283 ff. 90 S. 285 ff. 91 S. 291 f. 82
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Variante hiervon ist ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, bei dem eine Behörde oder ein Dritter eine Aktivität vorher billigen muss.92 Weniger einschneidend und kostenintensiv ist ein Zertifizierungssystem: Täuschungs- und manipulationsgeneigte Aktivitäten können fakultativ und gegen Entgelt durch eine zuständige Stelle zertifiziert werden.93 Einflussnehmer können hierzu angeregt werden, indem ihnen eine Haftungsimmunität für die zertifizierten Aktivitäten gewährt wird. 2. Offenlegungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder durch Rechtsfortbildung geschaffen werden, heben die (potenziell) täuschende Wirkung einer Aktivität des Einflussnehmers auf, indem sie Informationsasymmetrien beseitigen. Eine verpflichtende Klarstellung verhindert, dass Adressaten bei mehrdeutigen Aussagen falsche pragmatische Schlüsse ziehen.94 Warnhinweise sind geeignet, manipulativen Techniken die Wirkung zu nehmen („Debiasing“), können bei unvorsichtiger Gestaltung jedoch selbst manipulativ wirken.95 3. Standardisierte Informationsbereitstellungen reduzieren für Adressaten durch die wiederholte Wahrnehmung ähnlicher Strukturen die Komplexität wirtschaftlicher Entscheidungen. So begründet die TaxonomieVO einen verpflichtenden Interpretationsstandard, der genau festlegt und „standardisiert“, was Adressaten unter umweltfreundlichen Finanzprodukten verstehen dürfen.96 Das verhindert ein Greenwashing durch pragmatische Täuschungen. Auch die Werbeaktivität von Wertpapierfirmen wird reguliert, indem der Gesetzgeber Vorgaben an die Darstellungen trifft („debiasing through law“), sodass Wertpapierfirmen die für kognitive Verzerrungen anfälligen Anleger nicht manipulieren können.97 4. Eine Steuerungswirkung entfalten auch Verhaltenskodizes privater Organisationen. Neben dieser Selbstregulierung spiegeln Kodizes auch die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt in einer bestimmten Branche wider und teilweise verleiht das Gesetz ihnen Rechtswirkungen.98 Zudem kann ein „Comply or Explain“-Mechanismus psychologischen Druck auf den Einflussnehmer ausüben und Beeinflussungsstrategien eindämmen.99 Schließlich entfaltet ein „Naming and Shaming“, d. h. die öffentliche Kundgabe von Rechtsverstößen, eine Abschreckungswirkung.100 5. Zur Eindämmung täuschender und manipulativer Aktivitäten kann der Staat eine Lenkungssteuer in Form einer Pigou-Steuer erheben, die den Einflussnehmer mit den sozialen Kosten der Einflussnahme belastet.101 Umgesetzt werden könnte dies, indem Werbekosten – die bislang in voller Höhe als Betriebsausgabe gewinn92
S. 292. S. 293. 94 S. 295 f. 95 S. 299 ff. 96 S. 296 ff. 97 S. 301 ff. 98 S. 303 ff. 99 S. 305 f. 100 S. 306 f. 101 S. 307 ff. 93
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mindernd abgesetzt werden können – mit einem Abzugsverbot belegt werden oder die Abzugsfähigkeit begrenzt wird.102 Eine Implementierung läuft jedoch Gefahr auch sozialförderliche Aktivitäten abzuschrecken und sollte daher nur punktuell erfolgen, etwa bei digitaler Werbung oder solcher, die Alkohol, Tabak oder Süßigkeiten betrifft.
§ 9 Fallstudie: Digitale Manipulation 1. Digitale Manipulation ist die Verwendung digitaler Technologien zur Beeinflussung der Entscheidungsfindung eines Adressaten.103 Sie stellt eine Weiterentwicklung traditioneller Einflussnahmen dar. Einflussnehmer nutzen Big Data104 und analysieren die Daten mittels künstlicher Intelligenz.105 Das ermöglicht eine Marktsegmentierung durch die Erstellung von Nutzerprofilen („Profiling“).106 Die Nutzerprofile unterscheiden sich durch die Empfänglichkeit für bestimmte manipulative Techniken. Schließlich sprechen Einflussnehmer die individuellen Adressaten durch Microtargeting personalisiert in ihren verletzlichsten Momenten an.107 Durch ausgeklügelte Designstrategien von Benutzerschnittstellen („Dark Patterns“)108 und der Möglichkeit, das digitale Entscheidungsumfeld in Echtzeit anzupassen („Morphing“),109 verleiten sie Adressaten so zu wirtschaftlichen Entscheidungen. 2. Obgleich manche digitalen Einflussnahmen zum Wohle der Adressaten erfolgen,110 kann das Gewinnstreben der Einflussnehmer auf dem Markt zu einem wohlfahrtsschädlichen Manipulationsgleichgewicht führen. Durch das Microtargeting und die „technologische Transparenz“ können sich Adressaten weniger als bislang gegen manipulative Einflüsse wehren.111 Nicht nur die materielle Wohlfahrt der Adressaten erleidet so einen Schaden. Der privacy harm erhöht die sozialen Kosten der digitalen Manipulation.112 3. Digitale Manipulationen stellen das Recht der Einflussnahme vor neue regulatorische Herausforderungen.113 Bei personalisierten Ansprachen heißt es von der Maßfigur des „durchschnittlichen Verbrauchers“ Abschied zu nehmen.114 Manipulationen machen durch das Ausnutzen individueller kognitiver Schwachstellen 102
S. 310. S. 312 ff. 104 S. 314 ff. 105 S. 318 ff. 106 S. 316 ff. 107 S. 322 ff. 108 S. 323 ff. 109 S. 325. 110 S. 325 ff. 111 S. 327 f. 112 S. 328. 113 S. 329 ff. 114 S. 330 ff. 103
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jeden Adressaten zu einem situativ verletzlichen Verbraucher. Zudem verschlimmern digitale Einflussnahmen die ohnehin schon bestehenden rechtlichen Durchsetzungsdefizite: Eine digitale Manipulation lässt sich gerichtlich schwer nachweisen.115 Deshalb sollte man dem Adressaten zumindest Darlegungslasterleicherungen zusprechen.116 Sinnvollerweise sollte auch das Widerrufsrecht in digitalen Kontexten erweitert werden.117 Lauterkeitsrechtlich stellt das Microtargeting eine unzulässige Einflussnahme i. S. d. § 4a UWG dar, weil digitale Manipulationen das Machtgewicht der Einflussnehmer ungebührlich erhöhen.118 4. Die digitale Manipulation ist ein Schauplatz einer viel größeren Datenschutzproblematik, die durch die DSGVO nur ansatzweise geregelt wird.119 Andere Ex-ante-Regulierungsinstrumente, wie eine interne oder externe Überprüfung von Algorithmen oder eine Steuerung durch einen „Algorithmic Responsibility Codex“, verbunden mit einem „Comply or Explain“- oder „Naming and Shaming“-Mechanismus, sollten deshalb de lege ferenda angedacht werden.120 Ebenso sollte die Einführung einer Digitalsteuer, auch in der Funktion als Pigou-Steuer, für die Regulierung digitaler Manipulationen weiterverfolgt werden.121 Schließlich ist über ein generelles Verbot des Microtargetings nachzudenken, soweit es Adressaten situativ verletzlich macht.122
115
S. 333 ff. S. 335 ff. 117 S. 337 f. 118 S. 338 f. 119 S. 339 ff. 120 S. 342 ff. 121 S. 344 f. 122 S. 345. 116
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Stichwortverzeichnis Abschreckung 164, 179, 243, 263, 266, 283 Absichtliche Einflussnahme 174, 178, 239 A/B-Test 320 Abwehranspruch 159, 269, 275 Ad-hoc-Publizität 128, 182, 189, 230, 233, 250, 266, 294 Adressaten 8 – Heterogenität der 223 Adverse Selektion 124, 138 Affekte 6, 9, 21, 75, 80, 82, 84, 117, 222 – Affektheuristik 40 – affektive Manipulation siehe Manipulation Aktivitätsniveau 135, 267, 308, 339 Algorithmen 318, 326, 334, 335 – Algorithmic Responsibility Codex 344 – Algorithmiker 343 Allokationsineffizienz siehe Fehlallokation Alltagspsychologische Beobachtungen siehe erfahrungsgestützte Feststellung Anbieter 112, 115, 119, 121, 127 – -rente 119, 121 Anfechtung 155, 182, 228, 239, 240, 244, 247, 257 Angaben 271 Angebot und Nachfrage 113, 130 Ankereffekt 37, 38 Aristotelisch-thomanische Handlungstheorie siehe Handlungstheorie Assertiv siehe Behauptung Aufklärung 146, 281 – -spflicht 273, 294 Auslegung 180, 185, 198, 212 siehe auch Interpretation Authority bias siehe Autorität Autonomie 93, 96, 154, 156 Autorität 42, 323 Base rate neglect siehe Repräsentativheuristik Bayes-Theorem 26
Begrenzte Rationalität siehe Bounded Rationality Behauptung 7, 53, 61, 65, 66, 67, 98, 101, 188 Behavioral – biometrics 317, 326 – economics siehe Verhaltensökonomik – market failure 125 Belief-Adjustment Model siehe Reihenfolgeeffekt Belohnung 160, 293 Beseitigungsanspruch siehe Abwehranspruch Besitztumseffekt 44, 83, 243 Besondere Verwerflichkeit 105, 226, 229, 247, 249, 250, 274, 336 Bestätigungsfehler 34 Beweis – -erleichterung 233, 280, 335, 339 – -lastumkehr 336, 339 Biases siehe Heuristics and Biases Big Data 314, 316, 318, 320, 326 siehe auch Daten Bounded Rationality 27, 217 Business Game 108 Capital Asset Pricing Model 121 Cheapest cost avoider 175, 267 Chilling effect 328 Cognitive – ease siehe kognitive Leichtigkeit – style 325 Comply or Explain 305, 343 Computerlinguistik 318 Confirmation bias siehe Bestätigungsfehler Consistency bias siehe Konsistenz Construction 211 Conversion rate 320, 327 Culpa in contrahendo 182, 221, 229, 239, 242, 246, 248, 253, 257, 337
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Stichwortverzeichnis
Dark Patterns 323, 327 Daten siehe auch Big Data – Analyse 316 – anonymisierte 340 – Datengrab 315 – Offline- 315 – Optionswert 316 – personenbezogene siehe dort – -sammlung 314 Deadweight loss siehe soziale Kosten Debiasing 171, 225, 300, 302, 303, 338, 342 Deep Learning 318 Default-Option 81, 326 Demoskopische Befragungen 204 Deontologie 89, 93 Deutscher Corporate Governance Kodex siehe Comply or Explain Deutscher Werberat, 304 Dieselskandal 145, 257, 260, 286 Differentia specifica 23, 217 siehe auch Rationalität Differenzhypothese 253 Digitale Manipulation 312 Dilution effect siehe Verwässerungseffekt Drohung 6, 182, 244 DSGVO 340 Dual Process Theory 45 – System 1 45, 47, 75, 83, 104, 223, 313, 339 – System 2 47, 94 Durchschnittsverbraucher 207, 213, 214, 217, 269, 273, 275, 330 Durchsetzungsdefizit 161, 282, 333 Ecological Rationality siehe ökologische Rationalität Effektbasierter Ansatz 183, 201, 210, 213, 220, 222, 273 Effekte 201 – informationelle 201 – mittelbare 202, 206 Efficient breach 244 Effizienz 114, 215, 218 siehe auch Wohlfahrt – Fundamentalwert- 232 – Informations- 232 Ego-Depletion 47, 325 Eigene Sachkunde 204, 208, 210, 214 Einflussnahme – absichtliche siehe dort
– Funktionsweise 13 – Kontinuum der 5 – Masseneinflussnahme siehe dort – rationale siehe Überzeugen – Taxonomie 18 – unbeabsichtigte 165 siehe auch Fahrlässigkeit Einflussnehmer 8 Emittenten 84, 112, 128, 158, 189, 200, 230, 250, 258, 265, 294, 307 Emotionen 22, 46, 84, 317, 323 siehe auch Affekte Empirie 29, 203, 232 – empirisches Verständnis 214 Endowment effect siehe Besitztumseffekt Entailment siehe semantische Implikation Entdeckungswahrscheinlichkeit 145, 164, 243 Entgangener Gewinn 258, 279 Entscheidungsarchitektur 325 – adaptive 325, 334 – künstliche Entscheidungssituation 31 Ereignisstudien 206, 233 Erfahrung siehe Lerneffekte – -sgestützte Feststellung 208, 210, 334 – -sgüter 126, 144, 227, 241 – -ssatz 222 Erfüllungsinteresse siehe positives Interesse Erhaltungsinteresses siehe negatives Interesse Erwartungsnutzentheorie 26, 27 siehe auch Rational Choice Theory Ethik 87, 327 – Deontologie siehe dort – Konsequentialismus siehe dort – Tugend- siehe dort – Utilitarismus siehe dort Etymologie 7 Event studies siehe Ereignisstudien Evidenzbasierte Feststellung 203, 210, 334 Ex-ante-Regulierung 160, 291, 339 Experimente 30, 204, 209, 222, 293, 319, 334 Explikatur 56, 63, 190 – falsche 69 Ex-post-Regulierung 160, 163, 337 Facebook 317, 333, 335
Stichwortverzeichnis
Fahrlässigkeit 165, 173, 248, 263, 264, 266, 270 Fast and Frugal siehe ökologische Rationalität Fehlallokation 133, 176, 179, 276 Fernabsatzverträge 241 Figurationen 106 Framing 36, 79, 135, 323 – Loss frame 44 Fraud – on the goods market 234 – on the market theory 231 Freiheit 6, 24, 93, 154 – Handlungs- 93 – Willens- 93 Fundamentalwert 132, 232 – -effizienz 232 Gefährdungshaftung 249, 267 Gehirn 46 Geld-zurück-Garantie 83 Gewalt siehe Zwang Gewinn – -abschöpfung 283 – -maximierung 115, 117, 119, 126, 137, 328 Gleichgewicht siehe Marktgleichgewicht Glücksspielautomaten 116 Google 320 Grad der Verbindlichkeit 62, 101, 192, 193, 194, 240, 250, 272 Greenwashing 198, 296 Grenz– -kosten 169 – -nutzen 169 Güter 112 – demeritorische 308 – Erfahrungs- siehe dort – -markt 120, 130, 234 – Such- siehe dort – Vertrauens- siehe dort Haftungsimmunität 293 Halbwahrheiten 6, 72, 191, 271, 297, 298, 329 Halo-Effekt 41 Handlungen siehe nicht-sprachliche Handlungen Handlungstheorie 13, 83, 95
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Hase-Ente-Illusion 191 Haustürgeschäfte 241, 338 Herdenverhalten 40 Hermeneutik 186 Hersteller 252, 267 Heuristics and Biases 28, 31, 75, 80, 123, 136, 138, 139, 222, 223, 300, 316, 319 Heuristiken siehe Heuristics and Biases Hindsight bias siehe Rückschaufehler Homo oeconomicus 25, 38 Illokutionäre Kraft 61 siehe auch Grad der Verbindlichkeit Implikation – falsche semantische 69 – semantische 55, 63 Implikatur 56, 190, 195, 196 – falsche 70, 73 – konventionelle 60 – konversationelle 59, 63, 67, 72, 101, 190, 219 Impulskauf 48, 126 Information 264, 293 – information overload 171, 299 – -sasymmetrien 123, 146, 294, 299, 309 – -seffizienz 232 – -shaftung siehe Kapitalmarktinformationshaftung – -smodell 294 – vollkommene siehe dort – wesentliche -en 273 Institutionenschutz 157 Integritätsinteresse siehe negatives Interesse Intention 186 Interesse 253 – Erhaltungsinteresses siehe negatives Interesse – Integritätsinteresse siehe negatives Interesse – Kapitalmarkt 254 – negatives siehe dort – positives siehe dort Intermediäre 299 Internalisierung 199 Interpretation 194, 211 siehe auch interpretativer Ansatz – Explikatur 190 – konversationelle Implikatur 190 – nicht-sprachliche Handlungen 191
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Stichwortverzeichnis
– pragmatische 189, 191 – Präsupposition 189 – semantische 188 – semantische Implikation 189 – -sobjekt 186 – -sregel 193 – -sregeln 187 – -sstandard 172, 198 – Unterlassen 191 – Verhaltenssteuerung 196 – Wörtlichkeit 188, 198 Interpretativer Ansatz 183, 184, 220, 223 Irrational 24, 223 Irreführung 6, 65, 173, 190, 207, 219, 236, 269, 270, 296 -squote 207, 219 Irrtum 201 Kapitalmarkt 121, 131, 158 – -informationshaftung 179, 229, 231, 249, 250, 257, 262, 265 – -kommunikation 266 – Prospekthaftung siehe dort Kausalität 228 – Gütermarkt 234 – Kapitalmarkt 231 – Nachweis 209 – Preis- siehe dort – Transaktions- siehe dort – wettbewerbliche Relevanz siehe dort Klarstellung 170, 171, 173, 281, 295 Kleiner Schadensersatz 258 Knappheit 43, 323 Kognitive – Leichtigkeit 20, 47, 75, 83, 223, 274 – Manipulation siehe dort – Schwachstellen 322, 331, 332 – Schwere siehe kognitive Leichtigkeit – Verzerrung siehe Heuristics and Biases Kollektiver Rechtsschutz 282 Kommunikative Umgebung 197 Kompensation 263 Konklusion siehe Syllogismus Konsequentialismus 91, 99 siehe auch Utilitarismus Konsistenz 34 Konstruktiver Ansatz 184, 210, 214, 273 Konsumenten siehe Nachfrager, Verbraucher
Konsumentenrente siehe Nachfragerrente Kontrasteffekt 33, 84 Konvention 72 Kooperationsprinzip 57, 98, 197 Kosten – Grenz- siehe dort – -Nutzen-Analyse 166, 169, 200, 218, 227, 250, 269 siehe auch Learned HandFormel – soziale siehe dort Kredit – -karten 129, 142 – -verträge 241 Kundensegmentierung 316, 340 Künstliche – Intelligenz 313, 316, 318, 326, 335 – Nachfrage 130 – -r Preis 202 Kurs – -beeinflussungseignung 237 – -differenzschaden siehe kleiner Schadensersatz – -einfluss 132 Laborbedingungen 206 Law in action 213 Learned Hand-Formel 166, 169, 239 Lenkungssteuern siehe Steuern Lerneffekte 126, 142, 225, 226 – eingeschränkte Lernfähigkeit 225 – Grenzen des Lernens 143 Linguistik 50 Lockangebot 229 Lüge 6, 21, 58, 67, 98, 100, 196 – Falschzeugnisverbot 99 – Not- 101 – -nverbot 90 Machiavellismus 1 Machtbalance 105, 226, 238, 241, 274, 338, 339 Makroabwägung 170 siehe auch KostenNutzen-Analyse Manipulation 75, 298 – affektive 84, 117, 222 – Anfälligkeit für -en 136, 143, 331 – benevolente 81, 97 – besonders verwerfliche siehe besondere Verwerflichkeit
Stichwortverzeichnis
– Charakteristika 75 – digitale siehe dort – epistemische 9 – ethische Beurteilung 103 – Etymologie 7 – Feststellung 220 – freie Wahl 82 – Indikatoren 105 – kognitive 83, 222 – maschinelle 319 – Nachweis 333 – negative Zwecke 80 – Rechtsregeln 221 – Risiko- siehe dort – Sachverhaltsbeurteilung 180 – soziale Kosten siehe dort – Typologie 82 – unzulässige Beeinflussung siehe dort Market for lemons siehe adverse Selektion Markt – Behavioral market failure siehe dort – -effizienz 122, 203, 215, 254 – -effizienzhypothese 207, 209, 231 – -entwirrung 280 – -gleichgewicht 113, 123, 130, 141 – -kräfte siehe Wettbewerbskräfte – -manipulation 202, 237 – Primär- 128 – Sekundär- 128 – -versagen 123, 157, 308 Maschinelles Lernen 318 Masseneinflussnahmen 168 Maßfigur 214 Maxime siehe Kooperationsprinzip, Implikatur – der Modalität 57 – der Qualität 57, 200 – der Quantität 57, 72, 218 – der Relation 219 – der Relevanz 57 – Nichterfüllen 58 – Verstoß 59 Menschenbild 22, 24, 27 Mental Accounting 36 Microtargeting 322, 331, 338, 341 Mikroabwägung 168, 170, 216, 218, 227, 251, 270, 275 Milgram-Experiment 42 Mitbewerber 134, 268
401
Mittelbare Schädigungen 251, 257 Mitverschuldenseinwand 175 Morphing 325, 333 Musterfeststellungsklage 286 Musterfeststellungsverfahren 285 Nachahmung 208 Nachfrager 112, 117 – Grenz- 121 – -rente 119, 121, 127, 131 Naming and Shaming 277, 306, 343 Natural language processing siehe Computerlinguistik Naturalrestitution 259 Natürliche Selektion 115, 137 Negatives Interesse 255, 259, 261 Neue Institutionenökonomik 125 Nicht-sprachliche – Handlungen 64, 191 – Kommunikation 63 Normative Konstruktion siehe konstruktiver Ansatz Nötigung siehe Zwang Nudge 82, 103 – evil 313 Nullsummenspiel siehe Wohlfahrtstransfer Nutzen 25, 117, 119 – abnehmender Grenz- 132 – Grenz- siehe dort – -maximierung 25 siehe auch Gewinnmaximierung – subjektive Einschätzung 121, 127 – tatsächlicher 127 – wahrgenommener 127, 128, 130, 141 Obersatz siehe Syllogismus Objektiver Empfängerhorizont 215 Offenlegung 293, 342 Ökologische Rationalität 29 Ökonomische Analyse 112, 163 siehe auch Learned Hand-Formel, Masseneinflussnahmen, Mikroabwägung, Zwei-Personen-Verhältnis Online-Interface siehe Dark Patterns Opportunistisches Verhalten 125 Optionswert 316 Othello 85, 103 Pareto – -optimal 114
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Stichwortverzeichnis
– -Verbesserung 243 Personenbezogene Daten 336, 340 siehe auch Big Data, Daten Pflicht – deliktische 248 – -verletzung 244 – vertragliche 245 – vorvertragliche 246 Phishing Equilibrium 139 siehe auch Täuschungs- und Manipulationsgleichgewicht Positives Interesse 254, 261 – auf dem Kapitalmarkt 254 Präferenzen 25, 117 Pragmatik 51, 195, 218 siehe auch Implikatur – pragmatische Anreicherung siehe Explikatur – pragmatische Täuschung 69, 250, 272 – Schlüsse siehe dort Praktischer Schluss siehe Syllogismus Prämissen siehe Syllogismus Präsupposition 55, 63, 189 – falsche 69 Preis 119 – -diskriminierung 326 – -einfluss 235 – künstlicher 203 – -mechanismus 120, 130, 209, 231 – -verzerrung 230 – wahrgenommener 129, 141 Preiskausalität 209, 230, 252, 263 – Gütermarkt 234 – Kapitalmarkt 231 Present bias 241 Primär– -effekt siehe Reihenfolgeeffekt – -markt 265 Prinzipal-Agenten-Konflikt 145 Privacy harm 328 Privatautonomie 152, 154 Private Enforcement 161, 276 Produkthaftung 168, 248, 268 Produzenten siehe Anbieter – -rente siehe Anbieterrente Profiling 316, 336, 339, 340 Proposition 8, 52, 63, 80, 187, 192, 214, 271 – -ale Einstellung 64, 66, 201 Prospect Theory 36
Prospekt 292, 307 – -haftung 200, 250 Public Enforcement 161 Publizität siehe Offenlegung Quasi-Experimente siehe Experimente Rabatt 37 Race to the bottom siehe adverse Selektion Rat 146 Ratingindustrie 145 Rational Choice Theory 23, 24, 26, 28, 30, 118, 330 Rationale Apathie 161, 282, 333 Rationalität 23, 76, 77, 114, 123, 217, 223, 330 – Imperium der 23 – Rational Choice Theory siehe dort – Umgehung der 78 – Untergrabung der 78 Reaktanz 43 Realisierbarkeit 194 Recht der Einflussnahme 151, 179 Rechtsverfolgungskosten 134 Referenzpreis siehe Rabatt Regulierung 152, 196, 329 – Ex-ante- siehe dort – Ex-post- siehe dort – ökonomisch fundierte 163 – Selbst- siehe dort – -sinstrumente 159, 160 – softe 294, 303 – -sziel 153, 195, 212, 215, 252 Reihenfolgeeffekt 38, 80, 84, 171, 209 Reliance 231 siehe auch Transaktionskausalität Repräsentativheuristik 39, 209 Reputation 126, 144, 164, 293, 307 Reservationspreis 119 Respekt siehe Würde Ressourcen – -knappheit 25 – -schäden 135, 177, 248, 267 Revealed preferences 118 Rezenzeffekt siehe Reihenfolgeeffekt Reziprozität 32 Risiko – -manipulation 129, 135, 177, 227, 248, 267, 300
Stichwortverzeichnis
– wahrgenommenes 128 Risiko-Nutzen-Analyse siehe KostenNutzen-Analyse Rück– -abwicklung 237, 243 – -schaufehler 35 – -sichtnahmepflichten 245 – -tritt 242 Rule 10b-5 231 Sachverhaltsbeurteilung 180 Salienz 35, 171, 241, 302 Satisficing 28 Schadensersatz 244, 253 – der Mitbewerber 279 – entgangener Gewinn siehe dort – kleiner siehe dort – Vertragsabschlussschaden siehe dort Schlüsse 54, 193, 272 siehe auch Realisierbarkeit Schlussfolgerungsprozess 60 Schutzzweckzusammenhang 251 Screening 124 Segmentierung siehe Kundensegmentierung Sekundär– -e Darlegungslast 336, 339 – -markt 265 – -marktinformationshaftung siehe Kapitalmarktinformationshaftung Selbstregulierung 145 Semantik 51, 194 – semantische Implikation 189 – semantische Täuschung 67, 100, 250, 272 Signaling 124, 134, 176 Sittenwidrigkeit 173, 237, 249, 252, 291 Sludge 313 Social proof siehe soziale Bewährtheit Sorgfaltsaufwand 135, 167, 176, 178, 239 Soziale Bewährtheit 39, 323 Soziale Kosten 133, 134, 175, 178, 308 – Minimierung der 167 – privacy harm siehe dort – Quantifizierung der 176 Soziale Netzwerke 117 – Facebook siehe dort Spiel 107 – -feld 109 – -regeln 108, 111, 226 Sprechakt 52
403
– -theorie 61 Sprecherbedeutung 52 Standardisierung 293, 301 Steuer 307 – Betriebsausgaben 310 – Digital- 344 – Pigou- 308, 344 – Sünden- 308 Steuerungs– -funktion siehe Regulierung – -wirkung 237, 242, 263, 270, 276 Strafrecht 3 Streuschäden 282 Suchgüter 126 Supreme Court 51, 53, 197, 231 Sustainable finance 296 Syllogismus 14, 96 Sympathie 40, 84, 109 System 1 und 2 siehe Dual Process Theory Tatsachengestützte Normativbeurteilung 220 Täuschung 50, 295 – Definition 63 – digitale 329 – durch Unterlassen 72 – Etymologie 7 – fahrlässige 64 – falsche Explikatur siehe dort – falsche Implikatur 70 – falsche Präsupposition 69 – falsche semantische Implikation 69 – gerechtfertige 102 – Halbwahrheiten siehe dort – Irreführung siehe dort – nicht-sprachliche 71 – pragmatische siehe dort – Rationalität 77 – Rechtsregeln 182 – Sachverhaltsbeurteilung 180 – Selbst- 65, 74 – semantische siehe dort – -serfolg 64 – soziale Kosten siehe dort – Typologie 63 – unbeabsichtigte 64 – wörtliche 68 Täuschungs- und Manipulations– -gleichgewicht 137, 141, 157, 328
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Stichwortverzeichnis
– -profit 117, 123, 242 – -verbot 245, 246, 248 Technologische Transparenz 327 Threefold Division siehe Zwecktrias Tit-for-tat heuristic siehe Reziprozität Transaktion – conversion rate 327 siehe dort – face-to-face 132 – -skausalität 228, 234, 256, 262 – -skosten 135, 243 Truth-default theory 98 Tugendethik 90, 99 Tupperware-Partys 41, 109 Typologie 6 – Manipulation 82 – Täuschung 63 Überoptimismus 129, 200, 241 Überzeugen 5, 6, 21, 65, 66, 77, 78 Umverteilung – -sschäden 177 – zwischen Einflussnehmer und Adressaten 177 – zwischen Marktteilnehmer 178 Undue influence siehe unzulässige Beeinflussung Unterlassen 191 – Halbwahrheiten siehe dort – reines 73, 191, 272 Unterlassung – -sanspruch siehe Abwehranspruch – -serklärung 275 Untersatz siehe Syllogismus Unwahre Tatsachen 6, 21 siehe auch Angaben Unzulässige Beeinflussung 221, 236, 274, 338 Urteilsfehler siehe Heuristics and Biases Urteilsverzerrung siehe Heuristics and Biases Utilitarismus 91 Verbandsklage 283 Verbot 238, 291 – automatisierter Einzelfallentscheidungen 341 – mit Erlaubnisvorbehalt 292 – von Microtargeting 345 Verbraucher 107, 112
– Durchschnitts- siehe dort – -schutzvereine 146 – verletzlicher siehe dort Verfügbarkeitsheuristik 35, 303 Verhalten – -skodex 304 – -sökonomik 28, 125 – -sregeln 293 – -ssteuerung 196 Verjährung 256 Verletzlicher Verbraucher 330 – situative Verletzlichkeit 332, 339 Verlustaversion 44 Vermögen als solches 249, 252 Vernunft siehe Rationalität Verschulden – -shaftung siehe Fahrlässigkeit – -snachweis 335 Verständiger Anleger 213, 214, 215, 217, 251 Verteilungsgerechtigkeit 136 Vertrag – -sabschlussschaden 256 – -saufhebung 229, 239, 256 – -saufhebungsanspruch siehe Vertragsabschlussschaden Vertrauen 98, 154, 158 – kommunikatives 98 – -sgüter 126, 144, 227 – -sverlust 135 Verwässerungseffekt 33, 84, 303 Verwechslungsgefahr 208 Vollkommene – Information 25, 114, 123 – Wettbewerb 114 Vorabkontrolle 292 Vorsatznachweis 240 Vorsorge siehe Sorgfaltsaufwand Wahrhaftigkeit 90, 99 Wahrheit 3, 16, 55, 64, 66, 69, 223 – -sgehalt 188, 201 – -skonditional 52 Warnhinweise 128, 171, 299, 326 Werbung 104, 107, 144, 197, 300, 301, 312, 317 – Deutscher Werberat 304 – subliminale 104 – Tabak- 291
Stichwortverzeichnis
– Verbot 292 – von Wertpapierfirmen 301 – Werbeagenturen 134 – Werbekosten 310 Wertpapierfirmen 301 Wesentlichkeitsschwelle siehe Irreführungsquote Wettbewerb 157, 279 – Entdeckungsverfahren 115 – Kräfte 115, 137, 142 – -liche Relevanz 236, 271 – natürliche Selektion 137 – -skräfte 116 – vollkommener siehe dort Widerrufsrecht 240, 243, 338 Wiederholungsgefahr 275 Willensfreiheit 93, 94 Wirecard 1, 132, 134 Wirtschaftliches Eigeninteresse 264 Wissensproblem 224 Wohlfahrt 127 – Kooperationsgewinn 119 – -sanalyse 117, 127
405
– -sgewinn 118 – -smaximierung 156, 252 – -sökonomie 118 – -stransfer 127, 135, 177 – -sverlust 131, 133, 154, 156 – -transfer 128 Wörtlichkeit 68, 188, 198 Würde 96, 154, 327 Zahlungsbereitschaft 118, 119, 131 Zeichen 186 Zertifizierung 293, 342 Zwang 6, 24, 78, 82, 95 Zweck – angenehme -e 17, 19, 75, 82, 83, 84, 222 – nützliche -e 17, 19 – passende -e 17, 18 – -rationales Handeln siehe Rationalität – -trias 16 – -verfolgung siehe Syllogismus Zwei-Personen-Verhältnis 166, 235 Zweitbeste Lösung 30, 118, 178