Täuschung und Klarheit: Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung 9783666538582, 3525538588, 9783525538586

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Täuschung und Klarheit: Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung
 9783666538582, 3525538588, 9783525538586

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V&R

Meiner Tante Annetta Bernasconi

DARIA PEZZOLI-OLGIATI

Täuschung und Klarheit Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 175. Heft der ganzen Reihe

Mit 3 Abbildungen

Die Deutsche

Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme

Pezzoli-Olgiati, Daria: Täuschungen und Klarheit: zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung / Daria Pezzoli-Olgiati. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1997 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 175) ISBN 3-525-53858-8 NE: GT

© 1997 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Eine Reise beginnt

Die Johannesoffenbarung beschreibt die Etappen einer besonderen Reise, einer Reise durch Fiktionen, einer Reise von der Insel Patmos zum Himmel, durch die Wüste bis zu einem grossen, hohen Berg. Unterwegs erlebt Johannes erschütternde, mitreissende Visionen voller Farben und Bilder. Noch heute kann man die zahlreichen Szenen aus der merkwürdigen Reise des Johannes nacherleben, wenn man die letzten Seiten des Neuen Testaments aufschlägt. In der Auseinandersetzung mit dem Text lassen Leserinnen und Leser aus den schweigsamen Buchstaben die grossartigen Bühnenbilder und die Inszenierungen wieder entstehen, die seit bald zwanzig Jahrhunderten Menschen erschrecken und anziehen. Der Faszination dieser Visionen bin auch ich erlegen. Die zugleich raffinierte und gewaltige Sprache beeindruckte mich tief. Deshalb habe ich mich auf diese Reise durch Fiktionenwelten aufgemacht. Die Metaphorik der Reise eignet sich auch zur Beschreibung mehrerer Ebenen der vorliegenden Untersuchung. Das Gefühl, unterwegs zu sein, entspricht nämlich nicht nur dem Inhalt der Apokalypse. Vielmehr erschien mir die Suche nach einer passenden Auslegungsmethode eine heikle Gratwanderung zwischen gähnenden Abgründen. Bei der Albeit mit der Offenbarung schien mir ein Zugang nötig, der dem Anderssein dieses Werkes auf besondere Weise Rechnung tragen konnte, ein Zugang, der den Text von der fast unwiderstehlichen Tendenz schützen kann, nur das zur Kenntnis zu nehmen, was man sowieso vermutet. Kurz: eine Methode, welche eventuelle Neuentdeckungen nicht von vornherein ausschliessen würde. Ausserdem ist diese Arbeit stark mit den Erinnerungen an tausend Reisen verbunden, die mich von dieser auf die andere Seite des Gotthardmassivs und wieder zurück führten. Diese Seiten wurden auf deutsch verfasst, also in der Sprache der Stadt, in der ich lebe, in der Sprache meines Studiums und der vieler meiner Freunde und Bekannten, jedoch nicht der meiner Wurzeln, meiner Familie und meiner Gedanken. Die sprachliche Ambivalenz, die mein Leben prägt, spiegelt sich auf den folgenden Seiten in ungenauen Formulierungen, ungewohnten Ausdrücken, vermeidbaren Wiederholungen und Neologismen. Wie jede Reise war auch diese eine kostbare, aber kostspielige Erfahrung. In diesem Zusammenhang danke ich dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für seine grosszügige Unterstützung.

6

Vorwort

Der Weg durch die Apokalypse war kein Alleingang — viele haben mich begleitet. Ihnen allen, besonders aber Hans Weder, Daniel Kosch und Stephan Landis danke ich herzlich. Der ausdauerndste Reisegefährte war Valdo Pezzoli, der mich immer wieder zu diesem akademischen Abenteuer ermutigte, vielleicht ohne zu wissen, worauf er sich einliess. Ihm verdanke ich mehr als ich ausdrücken kann.

Zürich, Juni 1996

Daria Pezzoli-Olgiati

Inhalt

I. Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

13

1 Ein persönliches Wort zum Einstieg

13

2 «Forse un mattino andando in un'aria di vetro»: ein möglicher Zugang zur Johannesapokalypse

14

3 Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen: Offb 1,9—12a 3.1 Aufbau 3.2 Johannes 3.3 In Patmos, am Herrentag

16 16 17 22

4 Übergang in die Welt der Visionen

27

5 ' Επιστρέφω: Die Bedingung zum Sehen

28

6 Thema und Ziel der vorliegenden Arbeit

29

Π. Ausgewählte Visionen

33

1 Auswahl der Texte 1.1 Auswählen setzt eine Struktur voraus 1.2 Auf der Suche nach einer möglichen Textgliederung: die Johannesoffenbarang und ihre brieflichen Züge 1.3 ' Εν ττνεύματι: ein zweiter Schritt zur Textgliederung 1.4 Εΐδον als letztes Gliederungskriterium 1.5 Die Textgliederung 1.6 Charakterisierung der Hauptgestalten 1.7 Die ausgewählten Texte

33 34 35 37 38 40 41 44

2 Offb 4,1—11: Der Thron im Himmel 2.1 Aufbau 2.2 Die Tür im Himmel 2.3 Die Stimme 2.4 Der Thron und der Sitzende

45 46 46 49 51

8

Inhalt 2.4.1 Der Thron 2.4.2 Der Sitzende 2.5 Vierundzwanzig Throne und Älteste 2.6 Der Raum um den Thron 2.7 Die vier Wesen 2.8 Die Handlungen um den Thron 2.9 Zusammenfassung

51 52 55 58 62 65 70

3 Offb 5,6—10: Das Lamm 3.1 Aufbau 3.2 Das Lamm 3.2.1 Die Züge des Lammes 3.2.2 Die Handlungen des Lammes Exkurs I: Motivgeschichtliches zum Lamm 3.3 Das neue Lied 3.3.1 Handlungen vor dem Lamm 3.3.2 Das neue Lied 3.4 Zusammenfassung

72 72 73 73 77 78 80 80 81 84

4 Offb 7,9—8,1: Eine schreiende Menschenmenge 4.1 Aufbau 4.2 Eine schreiende Menschenmenge 4.3 Alle Engel 4.4 Ein deutender Dialog 4.4.1 Die Frage 4.4.2 Und die Antwort 4.4.3 Ein Rückblick Exkurs II: Das Blut in der Apokalypse 4.4.4 Gegenwart 4.4.5 Zukunft 4.5 Stille im Himmel 4.6 Zusammenfassung

86 87 87 92 93 93 93 94 95 97 97 100 100

5 Offb 9,1—21: Wesen aus dem Abgrund 5.1 Aufbau 5.2 Die fünfte Posaune oder das erste Wehe 5.2.1 Der Aufstieg der Heuschrecken aus dem Abgrund 5.2.2 Die Macht der Heuschrecken 5.2.3 Folter der Menschen 5.2.4 Beschreibung der Heuschrecken 5.3 Die sechste Posaune oder das zweite Wehe 5.3.1 Die Entfesselung der vier Engel 5.3.2 Beschreibung von Pferden und Reitern 5.3.3 Der Tod eines Drittels der Menschen

102 103 105 105 108 110 111 114 114 116 117

Inhalt 5.3.4 Die Macht der Pferde 5.4 Die Überlebenden 5.5 Zusammenfassung

9 117 118 120

6 Offb 13,1—10: Ein Tier aus dem Meer 6.1 Aufbau 6.2 Das Aussehen des Tieres 6.3 Bewunderung hinter dem Tier 6.4 Die Macht des Tieres 6.5 Die Anbeter des Tieres Exkurs III: εξουσία und ihre Spannung in der Apokalypse 6.6 Eine rätselhafte Aufforderung 6.7 Zusammenfassung

123 124 124 128 130 133 135 137 140

7 Offb 17,3—18: Babylon, eine Hure, eine Stadt 7.1 Aufbau 7.2 Babylon 7.2.1 Eine in rot gekleidete Frau 7.2.2 Babylons Schattenseite Exkurs IV: Babylon — Wurzeln des Motivs im Alten Testament und im Alten Orient 7.3 Bewundem oder verstehen? 7.4 Deutende Worte des Engels 7.4.1 Das Tier und die sieben Häupter 7.4.2 Die zehn Hömer 7.4.3 Die Wasser 7.4.4 Die Vernichtung der Frau 7.4.5 Die Frau 7.5 Zusammenfassung

142 143 144 145 148 148 153 154 154 156 157 157 158 158

8 Offb 21,1—22,5: Jerusalem, eine Braut, eine neue Stadt 8.1 Aufbau 8.2 Ein neuer Himmel und eine neue Erde 8.3 Bedeutung der Stadt 8.3.1 Vorstellung der Stadt 8.3.2 Die Stadt als Ort der Nähe 8.3.3 Die Stadt als Erfüllung 8.3.4 Die Stadt als Erbschaft 8.3.5 Die Ausgeschlossenen 8.4 Beschreibung der Stadt 8.4.1 Ortswechsel 8.4.2 Der ausserordenüiche Glanz der Stadt 8.4.3 Elemente der Stadt 8.4.4 Mass

161 163 164 166 166 167 169 170 170 171 171 172 173 174

10

Inhalt 8.4.5 Materialien 8.4.6 Das Fehlen des Tempels 8.4.7 Licht und Herrlichkeit 8.4.8 Ausgeschlossenes und Ausserwählte 8.5 Die Stadt als Ort der Zuwendung 8.5.1 Lebenswasser und Lebensholz 8.5.2 Transparente Unmittelbarkeit Exkurs V: Altes und Neues in der Beschreibung von Jerusalem 8.6 Zusammenfassung

175 176 176 177 178 178 179 181 184

9 Ergebnis 187 9.1 Herkunft und Verwendung der Motive 187 9.2 Visionen als komplexe Sprachbilder 190 9.2.1 Είδον und die Visionen 190 9.2.2 Ein Versuch, das Verständnis von «Vision» zu bestimmen 191 9.2.3 Komplexität in den Visionen 192 9.2.4 Visionen als Sprachbilder 195 9.2.5 Sprachbilder als kohärente Einheiten einer fiktiven Erzählung.... 196 9.2.6 Sprachbilder und Mehrdimensionalität 198 9.2.7 Visionen und Geschichte 200 9.3 Wesentliche theologische Linien 201 9.3.1 Spiegelbilder 201 9.3.2 Paradoxe Symmetrien und Überwindung der Gegensätze 202 Exkurs VI: Eine bleibende Schwierigkeit 204 9.3.3 Ein weiterer Aspekt der paradoxen Symmetrien 206 9.3.4 Eine Reise durch verschiedene Räume 206 9.3.5 Die Zeiten und ihre Qualitäten 208 9.3.6 Täuschung und Klarheit 211 9.3.7 Klarheit und Trost 212 9.3.8 Sehen und Deuten 212 Ш. Streiflichter zum geschichtlichen Hintergrund der Offenbarung

215

1 Von den Visionen zur Geschichte 1.1 Spuren eines schwerwiegenden Konfliktes 1.1.1 Die Bedrängnis 1.1.2 Die vernichtenden Mächte 1.1.3 Babylon 1.2 Zur Rekonstruktion des historischen Hintergrundes

215 216 216 217 218 219

2 Datierung der Offenbarung 2.1 Hinweise aus der Offenbarung 2.1.1 Die sieben Häupter und die Kaiser

221 221 221

Inhalt 2.1.2 Das sechste Haupt und Domitian 2.1.3 Die Rolle der Nero-Legende 2.1.4 Die sieben Häupter und die sieben Berge 2.1.5 Auswertung 2.2 Frühchristliche Zeugnisse 2.3 In Kleinasien am Ende des ersten Jahrhunderts

И 222 224 226 226 227 228

3 Domitian und der Kaiserkult 3.1 Römische Zeugnisse über Domitian 3.1.1 Tacitus 3.1.2 Plinius der Jüngere 3.1.3 Sueton 3.1.4 Dio Cassius Cocceianus 3.1.5 Eine umstrittene Auswertung 3.2 Der Kaiserkult in den Städten Kleinasiens unter Domitian 3.2.1 Tempel und Altäre, öffentliche Gebäude, Statuen und Bilder 3.2.2 Der Kaiserkult im städtischen Leben 3.3 Zusammenfassung

229 229 229 230 232 233 233 236 237 239 240

4 Ergebnis 4.1 Konflikt der Mächte in der Geschichte 4.2 Gegensätzliche Aspekte des Lebens in der Stadt 4.3 Zur historischen Gestalt der Bedrängnis

242 242 243 244

IV. Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte

247

1 Von der Täuschung in der Geschichte zu den Visionen

247

2 Von der Klarheit der Visionen zur Geschichte

248

3 Ausharren und Deuten: zur ethischen Relevanz der Wechselwirkung ... 249 4 Visionen und Krisenzeiten: ein Ausblick

250

Faszination und Gefahren

253

Verzeichnis der Abbildungen

255

Literaturverzeichnis

257

Stellenregister

267

I. Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

1 Ein persönliches Wort zum Einstieg Die Johannesoffenbarung ist ein farbiges Buch. Sie besteht aus einer unglaublichen Reihe von eigenartigen Wesen und Unwesen, Handlungen, Dialogen, Bildern, Visionen. Sie enthält zarte Szenen, die mit grausamen Beschreibungen abwechseln. Sie fasziniert und verwirrt, manchmal begeistert und öfters schokkiert sie Leserinnen und Leser: Nie gestattet sie ihnen eine Atempause. Die Apokalypse des Johannes übt eine starke Anziehungskraft auf mich aus, denn ich zähle zu den faszinierten und gleichzeitig empörten Leserinnen dieses Schreibens. Die freie Gestaltung der Bilder, die ausdrucksvolle Sprache, die sich nicht scheut, die griechische Grammatik zu strapazieren, um ihre Ziele zu erreichen, und die Charakterisierung der Akteure verleihen diesem Buch den Wert eines Kunstwerkes. Und trotzdem gibt es viele Aspekte, zu denen ich eine ablehnende Haltung einnehme. Vor allem stört mich die schwarzweisse Denkweise der Apokalypse, nach der die Menschheit in zwei Gruppen aufgeteilt ist: auf einer Seite stehen die Guten und auf der anderen die Bösen. Rettung oder Abgrund scheint die einzige Alternative zu sein; für die Verdammten besteht keine Chance. Solche gemischten Gefühle machten mir den Einstieg zur Johannesoffenbarung als einem ganzen, einheitlichen Werk schwer. Das eigentliche Thema dieser Schrift blieb mir unverständlich, und es gelang mir nicht, ihren springenden Punkt zu begreifen.

14

Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

2 «Forse un mattino andando in un'aria di vetro»: ein möglicher Zugang zur Johannesapokalypse Einen Zugang fand ich schliesslich dank einem Gedicht von Eugenio Montale: «Forse un mattino andando in un'aria di vetro».1 Dieses Stück aus der italienischen Literatur unseres Jahrhunderts gehört zur Gedichtsammlung «Ossi di Seppia», die in der Zeitspanne zwischen 1920 und 1927 entstand. Es thematisiert ein Erlebnis, das trotz der kulturellen und zeitlichen Entfernung an den Anfang der Apokalypse des Johannes erinnert. Forse un mattino andando in un'aria di vetro, arida, rivolgendomi, vedrö compirsi il miracolo: il nulla alle mie spalle, il vuoto dietro di me, con un terrore di ubriaco. Poi come s'uno schermo, s'accamperanno di gitto alberi case colli per l'inganno consueto. Ma sarä troppo tardi; ed io me n'andrö zitto tra gli uomini che non si voltano, col mio segreto.2 Ich möchte an dieser Stelle keinen ausführlichen Kommentar des zitierten Gedichtes versuchen. Es geht vielmehr um die Hervorhebung einiger Gedanken, die mir in der Annäherung zur Offenbarung als wichtig erschienen. Die ersten zwei Verse erzählen von einem Wunder, das vielleicht geschehen wird; das anfängliche «forse» versetzt das ganze Gedicht in eine unbestimmte Zeit. Interessant ist die Beschreibung des ausserordentlichen Geschehens. Der Erzähler erfährt dieses Wunder, weil er sich umgedreht hat. Dieses Ereignis stellt ihn vor das Nichts und die Leere. Er empfindet Angst wie ein Betrunkener. Im zweiten Teil geht es um eine Wiederherstellung der Welterscheinung, die als «gewöhnliche Täuschung» beschrieben wird. Nachdem das erzählende Subjekt das Wunder, das Nichts gesehen hat, lässt es sich nicht mehr in die trügerische Erscheinung der Welt verwickeln. Der Erzähler behält das erfahrene Wunder wie ein Geheimnis für sich. Er geht seinen eigenen Weg unter den anderen Menschen weiter. Er unterscheidet 1

Vgl. Montale, Tutte le poesie 61. Ich versuche, dieses Gedicht ins Deutsche zu übersetzen: «Vielleicht, eines Morgens, beim Gehen in einer Luft wie aus Glas und trocken, mich umdrehend, werde ich das Wunder sich erfüllen sehen: das Nichts in meinem Rücken, die Leere hinter mir, mit dem Schrecken eines Betrunkenen. Dann, wie auf einem Bildschirm, werden sich rasch Bäume Häuser Hügel zur gewohnten Täuschung bilden. Doch es wird zu spät sein; und ich werde stillschweigend hingehen unter den Menschen, die sich nicht umdrehen, mit meinem Geheimnis». 2

Einführung

15

sich von ihnen deutlich, jedoch nur durch ein einziges Merkmal: Er hat sich umgedreht, alle anderen nicht. Zwei Aussagen dieses Gedichtes haben mich besonders nachdenklich gemacht: Einerseits wird die Erfahrung der Welt durch die Menschen als ungenügend, trügerisch betrachtet. Um zum Wesentlichen zu gelangen, braucht man eine ausserordentliche Enthüllung der Wirklichkeit. Diese Sehnsucht nach dem Wahren endet im Gedicht von Montale im Nichts. Andererseits stelle ich einen sehr starken Gegensatz zwischen dem Erzähler und den anderen Menschen fest. Indem er sich umgedreht hat, konnte er sich dem trügerischen Dasein entziehen; die anderen Menschen erfahren gar nichts, weil sie diejenigen sind, «welche sich nicht umdrehen». «Forse un mattino andando in un'aria di vetro» bringt Themen zur Sprache wie das Sich-Umdrehen und das Sehen, um zu einer neuen Sicht der Welt zu gelangen. Ich empfinde Montales Gedicht als einen in den Worten unserer Zeit formulierten Ausdruck existentiellen Unbehagens. Die Apokalypse bringt eine andere Weltanschauung zum Ausdruck, ist in antiken Zeiten verfasst worden, stammt aus einer mir weit entfernten Welt. Trotzdem entdecke ich in dieser Schrift, besonders in den Versen 1,9—12a, starke Parallelen zum Gedicht von Eugenio Montale. Auch in Offb 1 wird von einem ausserordentlichen Erlebnis gesprochen, durch welches der Erzähler Einsicht in eine neue Dimension erhält. Ganz ähnlich wie in Montales Versen befindet sich der Seher Johannes plötzlich in einer Situation, in der es ihm möglich ist, Ungewöhnliches zu sehen. Bemerkenswert ist, dass auch in der Apokalypse die einzige aktive Teilnahme des Johannes aus einer spontanen Drehung um 180 Grad nach hinten besteht. Das, was in den zwei Texten gesehen wird, ist radikal verschieden: auf einer Seite das Nichts, auf der anderen 22 Kapitel Visionen. Das Sich-Umdrehen und das Sehen, um Ausserordentliches zu erleben, stellen den Ausgangspunkt der Offenbarung dar. Darüber hinaus lassen die Anspielungen auf die Lebenssituation des Schreibers in Offb 1,9 ahnen, dass diese Schrift ebenfalls mit Lebensschwierigkeiten zu tun hat. Der Vergleich zwischen dem Gedicht von Montale und einigen Versen aus dem ersten Kapitel der Apokalypse stellt für mich eine hilfreiche Brücke dar. Durch sie habe ich einen Zugang zur Johannesapokalypse und ihren Schwierigkeiten gefunden. Ausserdem ermöglicht diese Brücke eine Begegnung zwischen zwei Epochen: meiner und der fernen, fremden Zeit des Verfassers und der ersten Adressaten der Offenbarung.

16

Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

3 Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen: Offb 1,9—12a Offb 1,9—12a stellen das inhaltliche Gegenstück zu «Forse un mattino andando in un'aria di vetro» dar. Schon in diesem einführenden Teil scheint es mir angebracht, durch eine Lektüre dieser Verse den Text zu Wort kommen zu lassen. Dadurch soll einerseits die Gedanken- und Vorstellungswelt, in der sich die ganze Arbeit abspielen wird, in ihren Grundlinien vorgestellt werden. Andererseits werden einige Themen aus der ganzen Johannesapokalypse angedeutet. Offb 1,9—12a beschreibt den Übergang von der Welt des täglichen Lebens zu jener der Visionen. Der Schreiber der Apokalypse formuliert dieses Erlebnis mit folgenden Worten: 9 Ich, Johannes, euer Bruder und Genösse in der Bedrängnis, im Reich und im Ausharren in Jesus, fand mich auf der Insel Patmos wegen des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu. 10 Ich fand mich im Geist am Herrentag und hörte hinter mir eine laute Stimme — wie von einer Posaune — 11 die sagte: «Was du siehst, schreibe in ein Buch und sende es den sieben Gemeinden, nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea». 12 Und ich drehte mich um, um die Stimme zu sehen, die mit mir redete, und indem ich mich umdrehte, sah ich...

3.1 Aufbau Offb 1,9—12a weist eine lineare syntaktische Struktur auf. Diese vier Verse beschreiben zuerst das Subjekt, dann den Zustand, in dem es sich befindet, und zuletzt die Handlungen, die es tut. Schematisch dargestellt, sieht der Textaufbau wie folgt aus: Beschreibung des Subjektes

Beschreibung des Zustandes

έγώ Ιωάννης ο άδίλφός- ΰμών και συγκοινωνός έν τη θλίψει και βασιλείς και υπομονή έν ' Ιησοϋ

1

έγενόμην έν τχί νήσψ τη καλούμενο Πάτμφ δια τον λόγον τοΟ θεοΰ και την μαρτυρίαν ' Ιησοϋ

17

Einführung έγενόμην έν πνεύματι kv τη κυριακη ήμέρ?

Beschreibung der Handlungen

κα1

^κουσα

όπίσω

μεγάλην ως σαλνιγγος

Φ ωνί ι ν ,

λεγουσης...

και епеатрефа βλεπειν την φωνήν туп? έλάλει μετ' έμοΰ και επίστρεφα? eiδον...

3.2 Johannes Offb 1,9—12a beginnt mit einer genauen Beschreibung des Subjektes. Das Personalpronomen έγώ wird durch einen Eigennamen und zwei weitere Substantive erweitert. Der erste Vers unserer Perikope vermittelt eine Schilderung des Subjektes, die sehr viel über dessen Selbstverständnis aussagt. ' Εγώ: Das Personalpronomen im Nominativ dient der Hervorhebung.3 Es handelt sich um einen starken Ausdruck, der im Neuen Testament meistens in bezug auf Gott oder Jesus Christus verwendet wird.4 Im Alten Testament findet man einige Stellen mit einem ähnlichen Gebrauch des Personalpronomens in der ersten Person des Nominativs: als Beispiel erwähne ich Daniel 8,1.15. 5 Schon aus diesen wenigen allgemeinen Beobachtungen kann man entnehmen, dass έγώ für wichtige Subjekte wie Gott, Christus oder einen Propheten steht. Ein Überblick über das Vorkommen von έγώ in Offb bestätigt diese Beobachtung. 19mal kommt das Pronomen in der ersten Person des Singulars nominativisch vor. In 14 Fällen bezieht es sich auf Gott oder Christus, einmal auf einen Engel und zweimal auf Johannes (darunter befindet sich l,9). 6 Eine weitere Stelle (22,18) ist zweideutig, mindestens bei der ersten Lektüre:'Εγώ könnte sowohl Jesus Christus als auch Johannes bezeichnen.7 Man kann somit feststellen, dass έγώ in Beziehung zur göttlichen Sphäre verwendet wird.'Εγώ in Offb 1,9 bezeichnet

3

Vgl. Bl/D/R § 277.1; Moulton, Grammar III, 37. Vgl. Stauffer, ThWNT II 341 ff. 5 An diesen zwei Stellen kommt die Formulierung έγώ Δανιήλ vor. Wie in Offb 1,9 finden wir das Personalpronomen im Nominativ, gefolgt von einem Eigennamen. 6 Die genauen Belege von εγώ sind: Offb 1,8.17; 2,6.23.27; 3,9.10.19.21; 21,6 (zweimal); 22,13.16 (zweimal) für Gott und/oder Christus; 17,7 für den Engel; 1,9 und 22,8 für Johannes. 7 Eine weitere Stelle, Offb 5,4, bezieht sich auf Johannes. Sie ist jedoch textkritisch unsicher. 4

18

Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

Johannes als eine Person, die in einem besonderen Verhältnis zu Gott und Jesus Christus steht.8 Seine autoritative Stellung wird betont. Das redende Subjekt stellt sich mit dem Eigennamen ' Ιωάννη? vor. Die einzigen sicheren Auskünfte über diesen Mann stehen im Text. In unserer Perikope stellt er sich als Bruder und Genösse vor. ' Αδελφό? υμών: mit diesem Ausdruck wird eine Beziehung zu den Lesern hergestellt. In der christlichen Literatur wird αδελφό? meistens im übertragenen Sinn verwendet und bedeutet «Mitchrist». Die Grundbedeutung Bruder schwingt jedoch mit.' Αδελφό? enthält die Stärke und die Intimität, welche die Verwandtschaftsbeziehung unter Kindern gemeinsamer Eltern charakterisieren.9 Johannes gibt somit der Nähe zwischen ihm und seinen Adressaten Ausdruck. Ein Vergleich aller Belege10 von αδελφό? in der Johannesapokalypse enthüllt weitere wichtige Nuancen. Zuerst kann man beobachten, dass die Gestalten, welche sich in diesem gegenseitigen Verhältnis befinden11, in Verbindung mit dem Zeugnis und dem Wort12 stehen. Dass das Zeugnis und das Wort den Mitchristen Leiden verursacht, wird sich in der Folge deutlich zeigen. ' Αδελφό? bezeichnet somit eine starke Beziehung zwischen Christen, d.h. zwischen Leuten, die ihr Leben dem Zeugnis und dem Wort widmen und deshalb dem Leiden und Tod unterworfen sind. Darüber hinaus hebt das Wort αδελφό? die Gleichwertigkeit der Christen hervor. Somit stellt sich Johannes auf die Ebene seiner Adressaten; sie alle sind Geschwister, Mitchristen.13 Weiterhin beschreibt sich Johannes als συγκοινωνό?. Dieses Wort ist eine verstärkte Form des im NT geläufigeren Wortes κοινωνό?. Damit wird der Genösse, der Teilhaber bezeichnet. Κοινωνό? orientiert sich an einer Teilhabe, in

Diesbezüglich sehr interessant ist auch die spannungsvolle Verwendung von έ γ ώ als Über-

8

gang von V.8 zu 9 im ersten Kapitel der Offb. A n der ersten Stelle es ist der Herr, Gott, der spricht; an der zweiten Johannes. 9

V g l . Rocci, Vocabolario 21; Liddell /Scott, Lexicon 20; Von Soden, T h W N T I 144—146.

10

O f f b 1,9; 6,11; 12,10; 19,10; 22,9.

11

Solche Gestalten sind: Johannes und die Adressaten ( O f f b 1,9); «jene, die getötet werden

müssen» (6,11) und die Seelen der Geschlachteten (6,9); diejenigen, die ihr Leben nicht geliebt haben, sondern es bis zum Tod hingegeben haben (12,10), und eine himmlische Stimme (12,10); wiederum Johannes und diejenigen, welche «das Zeugnis Jesu haben» (19,10); Johannes, die Propheten und diejenigen, die sich an die Worte des geschriebenen Buches (die Offenbarung selbst) halten. 12

Für die Bedeutung von μαρτυρία und λόγος vgl. unten 1.3.3. Bei jedem Beleg von

обеХфод bzw. αδελφοί kommt auch die Wortkonstellation μαρτυρία

und λόγος (oder eins

dieser zwei Wörter) vor. V g l . 1,9; 6,9; 12,11; 19,10; 22,9. 13

Der Gleichwertigkeitsaspekt kommt deutlich in O f f b 19,10 und 22,9 zum Vorschein. An

beiden Stellen antwortet ein Engel dem Johannes, der sich vor ihm niedergeworfen hat. In 19,10 sagt der Engel: δρα μη- συ'νδουλό? σου ε ί μ ι και τ ω ν άδ£λφών σου τ ω ν « χ ό ν τ ω ν μαρτυρίαν'Ιησοϋ

την

τ ψ θεψ προσκΰνησον. In 22,9 lautet die Antwort des Engels sehr ähnlich.

Der Engel, Johannes und die Mitchristen stehen alle in der gleichen Stellung als «Mitdiener», συ'νδουλοι, Gottes.

Einführung

19

welcher das Moment der Gemeinschaft zentral ist.14 In Offb 1,9 wird der gemeinschaftliche Charakter durch das Präfix συν besonders unterstrichen.15 Das Umfeld, in dem sich Johannes als Genösse betrachtet, wird mit der folgenden Dreiergruppe bestimmt: ev τη θλίψει και βασιλείς και υπομονή. Die Beschreibung dieses Rahmens ist ausserordentlich wichtig. Er zeigt, wie der Autor der Apokalypse seine Lebenssituation als Christ schildert. Es lohnt sich deshalb, die einzelnen Wörter zu betrachten. Mit θλΐψις- ist die Bedrückung, die Bedrängnis, die Drangsal gemeint. Sie kann von äusseren Umständen verursacht oder die Folge eines geistigen Zustandes sein.16 Sie hat verschiedene Erscheinungsformen; Rom 8,35 enthält eine Auflistung von Bedrängnissen, die neben der θλΐψι? erwähnt werden und sie illustrieren: Angst, Verfolgung, Hunger, Blosse, Gefahr, Schwert. Der darauffolgende Vers zeigt, dass die θλΐψις nicht nur in enger Beziehung zum Leiden, sondern auch zum Tod17 steht: Wer will uns von der Liebe Christi trennen? Bedrängnis (θλΐψι?) oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Nacktheit oder Gefahr oder Schwert? Wie 14

Teilhabe kann auch mit anderen Worten, die jedoch andere Nuancen haben, ausgedrückt werden; so betont z.B. φίλος· die Verbundenheit in Verwandtschaft und Liebe, έταΐροϊ, unter anderem, das gemeinschaftliche Unternehmen, συνεργό? das Mitarbeiten. Zu diesem Problem und zur Bedeutung von συγκοινωνός vgl. Hauck, ThWNT Ш 798ff. Vgl. auch Vanni, Apocalisse 117. Vanni beschreibt die Grundbedeutung von συγκοινωνό^ in bezug auf eine Teilhabe, die sich in der Gemeinschaft realisiert. 15 Um die Bedeutung von συγκοινωνόί zu rekonstruieren, ist ein Vergleich unter den einzigen vier Belegen dieses Wortes im NT aufschlussreich. Ausser in Offb 1,9 finden wir es in IKor 9,23, Phil 1,7 und Rom 11,17. Ich zitiere diesen letzten Vers als Illustration: «Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen worden sind, du aber, der du von einem wilden Ölbaum stammst, unter ihnen eingepfropft worden bist und an der saftreichen Wurzel des Oelbaums mit Anteil (και συγκοινωνό? της ρίζτ\ς) bekommen hast (...)». Das Bild des aufgepfropften Zweiges, der in den neuen Baum so eingebaut wird, dass er mit ihm zu einem einzigen Baum wächst, illustriert sehr gut die Bedeutng von συγκοινωνό?. 16 Vgl. Bauer, Wörterbuch 715 und Schlier, ThWNT Ш 139 ff. Über die möglichen Ursachen der θλϊψις· vgl. 2 Kor 7,5: «Denn als wir nach Mazedonien gekommen waren, hat unser Fleisch keine Ruhe gehabt, sondern wir waren in allem bedrängt (θλιβόμενοι): von aussen Kämpfe, von innen Aengste». 17 Vgl. auch 2 Kor 11,23—27. Obwohl an dieser Stelle das Wort θλΐψις nicht vorkommt, können wir uns eine Vorstellung über die Konkretheit der Bedrängnisse machen: «Diener Christi sind sie? — ich rede wahnwitzig — ich bin's noch mehr: mehr in Mühsalen, mehr in Gefangenschaften, weitaus mehr in Schlägen, oftmals in Todesgefahren; fünfmal habe ich von Juden vierzig Geisseihiebe weniger einen erhalten, dreimal bin ich mit Ruten geschlagen, einmal gesteinigt worden, dreimal habe ich Schiffbruch gelitten, einen Tag und eine Nacht habe ich auf dem tiefen Meer treibend zugebracht; oftmals auf Reisen, in Gefahren durch Flüsse, in Gefahren durch Räuber, in Gefahren vom eigenen Volk, in Gefahren von Heiden, in Gefahren in der Stadt, in Gefahren in der Einöde, in Gefahren auf dem Meer, in Gefahren unter falschen Brüdern, in Mühsal und Beschwerde, oftmals in durchwachten Nächten, in Hunger und Durst, oftmals in Fasten, in Kälte und Blosse...» (Übersetzung aus der Zürcher Bibel).

Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

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geschrieben steht: «Wegen dir werden wir den ganzen Tag getötet, wir sind als Schlachtschafe angesehen worden». Wenn man von diesem und anderen neutestamentlichen Texten18 ausgeht, versteht man die θλϊψι? als eine Grösse, die in der christlichen Existenz unvermeidlich ist; sie gehört zu den harten, negativen Seiten des Lebens. In der Johannesapokalypse wird der Aspekt des Leidens und des Todes mit einer gewissen Beharrlichkeit hervorgehoben. Damit wird die allgemeine Leidenssituation der Glaubenden, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde in der Gesellschaft leiden müssen, beschrieben19. Dieses Leiden kann sich auch bis zum Tod erstrecken20. Βασιλεία bezeichnet die Königsherrschaft und das Königreich. Dieses Wort drückt sowohl die Würde als auch das Gebiet des Königs aus21. In den ersten zwölf Kapiteln der Johannesoffenbarung22 knüpft das Wort βασιλεία an die Bedeutung an, welche uns aus der jesuanischen Rede vertraut ist. βασιλεία bezeichnet die Königsherrschaft Gottes. In diesem ersten Teil der Apokalypse23 wird die βασιλεία als eine Grösse dargestellt, die für das Leben der Christen auf der Erde relevant ist: Einerseits ist sie vorhanden24, anderseits ist sie am Werk25. Sie be18

Vgl. z.B. Joh 16,33. Nach Vanni, Apocalisse 118 bezeichnet θ λ ΐ ψ ΐ ί in der Offenbarung eine stetige Schwierigkeit, welcher der Christ immer wieder in seinem Leben begegnet, denn stets muss er sich seiner Umwelt widersetzen. 20 Vgl. Offb 7,14. θλϊψυ kommt in der Offb fünfmal vor: in 1,9; 2,9; 7,14 und 2,10.22. An den ersten drei Stellen wird dieses Wort mit dem bestimmten Artikel verwendet und beschreibt die allgemeine Leidensstituation des Christen in der Gesellschaft. Im zweiten Kapitel der Apokalypse wird θλΐψυ zweimal ohne Artikel gebraucht und bezeichnet eine bestimmte Art von Leiden; in 2,10 ist von der Gefangenschaft die Rede, in 2,22 vielleicht von einer Krankheit. Interessant ist, dass das Subjekt, welches die Bedrückung verursacht, nicht immer dasselbe ist: in 1,9; 2,9 und 7,14 wird dieses Subjekt nicht explizit genannt; in 2,10 verursacht der Teufel die Notsituation und in 2,22 der Sprechende, die Menschensohngestalt. 21 Vgl. K. L. Schmidt, ThWNT I 579—580. 22 In diesem Teil der Apokalypse kommt βασιλεία fünfmal vor: in 1,6.9; 5,10; 11,15 und 12,10. 23 Die weiteren Belege von βασιλεία (16,10; 17,12.17.18) sprechen von einem grundsätzlich anderen Reich: Es handelt sich um ein Reich, das unter der Herrschaft einer vernichtenden Macht steht. 24 Der Gegenwartsaspekt der Gottesherrschaft in Offb kann an Stellen wie 12,10 und 11,15 festgestellt werden. Dabei bleiben jedoch einige Unsicherheiten; es ist nämlich nich ganz deutlich, welche Zeit wirklich gemeint ist. Beziehen sich diese direkten Reden auf eine vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Dimension? Ist überhaupt die Frage nach der Zeit in einem visionären Kontext angebracht? Dazu s. Π 9.3.5. Wichtig ist auch Offb 1,6. Dort wird innerhalb einer Doxologie gesagt, dass Jesus έττοίησεν ή μ α ϊ βασιλείαυ, ίερεΐ? τφ Betgi και πατρί αύτοΰ. .. Die βασιλεία erscheint als eine schon vorhandene Dimension. Dazu vgl. auch II 3.3.2. 25 Auch diesbezüglich vgl. den oben erwähnten Vers 12,10. Dort erscheinen neben βασιλεία auch die σωτηρία und die δυναμι?. 19

Einführung

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zeichnet den Rahmen, in dem die Christen sich unter der Herrschaft Christi und Gottes befinden.26 Das letzte Wort der Dreiergruppe, υπομονή, bedeutet Ausharren, Geduld, Ausdauer, Standhaftigkeit.27 Das Wort υπομονή hat «einen durchaus aktiven Inhalt. Es schliesst den tätigen und angespannten Widerstand gegen die feindliche Macht ein, ohne dass es zugleich eine Aussage über den Erfolg solchen Widerstandes enthielte»28. In der Apokalypse29, so wie in den anderen Schriften des Neun Testaments, bezeichnet υπομονή das Ausharren des Christen unter den Schwierigkeiten, die das Leben als Christ mit sich bringt.30 θλΐψι?, βασνλεία und υπομονή werden mit έν Ίησοΰ erweitert. Mit diesem Ausdruck wird der Bereich31 beschrieben, in dem Jesus massgebend ist.32 Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob sich έν ' Ιησοϋ auf die ganze Dreiergruppe oder nur auf υπομονή bezieht. Obwohl grammatikalisch beide Auslegungen möglich sind, schliesse ich mich der ersten an33.'Ev Ίησοϋ bezeichnet 26

Vgl. die oben erwähnte Stelle 1,6. Vgl. Bauer, Wörterbuch 1673—1674; Hauck, ThWNT IV 585—593; Spicq, Lexique 1554—1561. 28 Vgl. Hauck, ThWNT IV 585. 29 Zur Verwendung von υπομονή in Offb kann man folgendes beobachten. Das Wort kommt siebenmal vor: in 1,9; 2,2.3.19; 3,10; 13,10 und 14,12. An allen Stellen wird betont, dass die υπομονή das Ergebnis einer aktiven Haltung ist. Oft kommt υπομονή in Auflistungen vor. In 2,2 findet man die Dreiergruppe εργ α, κόπο?, υπομονή ; in 2,19 ερ γα, άγάπη, πίστι?, διακονία, υπομονή. Die Annäherung zwischen εργα, κόπος- und υπομονή lässt erkennen, dass dieses letzte Wort den Charakter eines Werkes hat. Sofort stellt sich die Frage, ob auch άγάπη, π ΐ σ τ υ , διακονία in der Offb diesen Charakter übernehmen. Einen diesbezüglich sehr interessanten Text findet man in 13,10: εΐ τι? είν αϊχμαλωσίαν, ε ΐ ? αϊχμαλωσίαν υπάγει- εϊ Tis έν μαχαίρη άποκτανθήναι αυτόν έν μαχαίρι] άποκτανθήναι/Ωδί έ σ τ ι ν ή υπομονή καΐ ή πίστιν των άγίων. Dazu s. II 6.6. 27

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Vgl. Hauck, ThWNT IV 590. In diesem Artikel wird, unter anderen Stellen, 2 Kor 1,6 als Beispiel angegeben: είτε 6έ θλιβόμεθα, υπέρ την ύμών παρακλήσεων και σωτηρία?- εϊτε παρακαλούμεθα, ΰπέρ την ύμών παρακλήσεων τ ή ϊ ένεργουμε'νην έν υπομονή των αυτών παθημάτων ών και ήμεϊ? πάσχομεν. In diesem Text kommt der aktive Aspekt der υπομονή sehr deutlich zum Ausdruck. 31 Έ ν mit dem Dativ bezeichnet grundsätzlich einen Ort. Dazu vgl. Schwyzer, Grammatik II 457ff; Bl/D/R § 218; Oepke, ThWNT II 534ff. 32 Das ThWNT II 537—539, listet die verschiedenen Bedeutungsnuancen der mit έν'Ιησοΰ verwandten Formeln auf. Ich erwähne die zwei Punkte, die für unsere Stelle relevant sind.' Ev Ίησοϋ bezeichnet die Zugehörigkeit zu Christus und zur Gemeinde; es kann auch eine Tätigkeit oder Lage als christlich charakterisieren. In Offb kommt έν'Ιησοΰ nur in 1,9 vor. In 14,13 findet man έν κυρίψ. Das sind die einzigen Belege dieser Art von Formeln. Dazu vgl. auch Bousset, Offenbarung 191: «έν ΊησοΟ ist wie gewöhnlich im NT zu deuten: in der Lebensgemeinschaft mit Jesus (...)». 33 Das einmalige Vorkommen des Artikels τη unterstützt die erste Möglichkeit. Die zweite hebt hervor, dass das Ausharren in dem Bereich geschieht, in welchem Jesus massgebend ist. Diese Interpretation schlagen vor: Giesen, Johannes-Apokalypse 35; Kraft, Offenbarung 40; Müller, Offenbarung 80; Prigent, Apocalypse 23.

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Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

somit das Umfeld, in welchem die Christen θλϊψι?, βασιλεία und ύπομονη'34 erfahren. Abschliessend kehren wir zur gesamten Dreiergruppe zurück. Johannes bezeichnet sich als Genösse in der Bedrängnis, im Reich und im Ausharren, in einem Umfeld, in dem Jesus massgebend ist. Die Reihenfolge der Begriffe ist bemerkenswert. Die verfolgten, leidenden Christen haben schon Anteil an der Gottesherrschaft. Die Geduld erlaubt ihnen, eine Verbindung zwischen zwei vorhandenen Dimensionen zu schaffen. Einerseits müssen sie geduldig und standhaft Leiden erfahren und ertragen. Andererseits leben sie schon jetzt in der Dimension der kommenden Gottesherrschaft: die Geduld findet hier ihren Platz im Warten auf die Vollendung.35 Vor allem aber brauchen diese Christen Geduld, um die radikale Opposition zwischen der Erfahrung von Leiden und Tod und gleichzeitig der Erfahrung von der Gottesherrschaft zu verkraften. Die befreiende Botschaft und das Leben unter der vernichtenden Macht des Todes zerreissen diese Menschen: Nur das Ausharren erlaubt ihnen, diesen Zwiespalt zu verstehen und fruchtbar zu machen.36 3.3 In Patmos, am Herrentag Auf diese Art und Weise wird der Seher Johannes in Offb 1,9 beschrieben. Im ersten Teil des folgenden Verses steht der Zustand, in welchem sich Johannes befindet, im Mittelpunkt. Die Wiederholung der Verbform έγενόμην37 teilt diese Beschreibung in zwei Momente auf. Zuerst wird etwas über die konkrete, historische Lebenssituation von Johannes gesagt, danach wird eine Lage geschildert, welche ich jetzt nicht mit einem Wort zu definieren vermag.

34 Gegen die vorgeschlagene Interpretation könnte man erwidern, dass die Bedrängnis und das Reich selbstverständlich in bezug auf Jesus erlebt werden. Meiner Meinung nach ist jedoch die explizite Betonung des Umfeldes auch bei diesen typisch christlichen Begriffen wichtig und vielleicht, im Kontext d a Apokalypse, notwendig. In den Anmerkungen 20 und 24 wurde darauf hingewiesen, dass βασιλεία bzw. θ λ ΐ ψ ι ; an einigen Stellen auch eine negative oder mindestens zweideutige Bedeutung übernehmen. Die gewählte Interpretation vetritt auch Hughes, The Book of the Revelation 22ff. 35 Kraft, Offenbarung 40, schreibt: «ΘΧΐψις-, βασιλεία und ύπομονη bezeichnen die Gegenwart, die Zukunft und die Tugend, die in der Gegenwart Hoffnung auf die Zukunft verleiht». Es handelt sich um eine oft vertretene Interpretation, die meiner Meinung nach nur einen Teilaspekt der Aussage erläutert. Ich denke, dass βασιλεία und θλϊψις als in der Gegenwart erfahrbare Grössen dargestellt werden. Das chronologische Schema ist meiner Meinung nach nicht geeignet, die Gleichzeitigkeit dieser Dimensionen auszudrücken. 36 Ein weiteres Argument zur Unterszützung dieser Interpretation: ύπομονη ist Ausdruck einer aktiven Tätigkeit, d.h. einer Tätigkeit, welche vom Subjekt ausgeht, θλϊψι? und βασιλεία bezeichnen zwei Wirklichkeiten, die auf das Subjekt zukommen. 37 Zur Bedeutung von έγενόμην vgl. Bauer, Wörterbuch 313—318. Γίνομαι bezeichnet in der Offb einen gewordenen Zustand. Vgl. Vanni, Apocalisse 120.

Einführung

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Wir erfahren, dass Johannes sich auf Patmos, einer Insel im Dodekanes, befindet.38 Die mit διά eingeführte Ergänzung drückt den Grund des Aufenthaltes in Patmos aus39: wegen des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu. Διά τον λόγον τοΰ 0eoö και την μαρτυρίαν ' Ιησοΰ ist ein Ausdruck, der gleich oder mit geringen Variationen auch an anderen Stellen der Johannesoffenbarung vorkommt.40 Diese Formulierung tritt immer als Begründung von erfahrenem Leiden oder Tod auf.41 Das Wort und das Wort Gottes stellen häufige Begriffe in der Johannesapokalypse dar 42 Mit λόγος bzw. λόγος του θεου43 (das gleiche gilt auch für μαρτυρία' Ιησοΰ) wird meistens eine vorgegebene Grösse bezeichnet: «Die in der Schauung des Johannes gegebene Mitteilung des Herrn will nichts sein als Darlegung, Ausbreitung, Verdeutlichung und Versichtbarung jenes von Gott gesprochenen λόγο? und jener von Jesus abgelegten μαρτυρία, dh. jener der Christenheit gegebenen Gegebenheit»44. An manchen Stellen wird das Wort Gottes mit Jesus identifiziert: Jesus ist das wahre und zuverlässige Wort45; sein Name ist «Wort Gottes».46 Auch die von Johannes geschriebenen Worte werden λόγο? oder λόγοι genannt.47

38 Über die geographische Lage von Patmos vgl. die Landkarte in: Roloff, Offenbarung 42; Melas, Die griechischen Inseln 284—290. 39 Διά mit Akkusativ bezeichnet den Grund oder das Mittel. Meistens ist διά kausal. Vgl. Bornemann/Risch, Grammatik 200. Im NT bezeichnet διά, ausser in einem Fall, den Grund und den Zweck. Ein Vergleich mit ähnlichen Stellen innerhalb der Offb hebt die kausale Bedeutung von διά hervor: vgl. als Beispiel 6,9; 7,15; 20,4. Dazu vgl. auch Charles, Revelation I 22: «διά denotes the ground and not the purpose in this book». 40 Vgl. 6,9 und 20,4 (in umgekehrter Reihenfolge). Darüber hinaus siehe Offb 12,11: καϊ αύτοι ένίκησαν αύτόν διά тЬ αίμα του αρνιού και διά τον λόγον της· μαρτυρίας· αϋτών und Offb 2,3: και ίιπομονήν ε χ « ι ? και έβάστασα? διά το δνομά μου και ού Κ€ΚθπίαΚ€?. 41 Vgl. έσφαγμενων in 6,9; πίπελεκισμενων in 20,4; in 12,11 ist vom Tod die Rede; in 2,3 steht βαστάζω im Mittelpunkt. 42 Das Vorkommen von λόγο? in der Johannesapokalyspe sieht folgendennassen aus. Es gibt 18 Belege. Darunter wird siebenmal λόγο? bzw. λόγοι mit dem Genitiv τοΰ θεοϋ ergänzt (1,2.9; 6,9; 17,17; 19,9.13; 20,4). Einmal kommt λόγο? mit dem Personalpronomen μου vor, welches sich auf das Wesen, das die Briefe an die sieben Gemeinden diktiert, bezieht (3,8). Zweimal ist von λόγοι πιστοί καϊ αληθινοί die Rede (21,5; 22,6; vgl. auch 19,9). Sonst wird λόγο? bzw. λόγοι mit Genitivformen wie τη? προφητεία? (1,3; 22,7.10.18), μαρτυρία? (12,11), του βιβλίου τούτου (22,9 vgl. 22,19), und einmal υπομονή? (3,10) verwendet. 43 Dazu Procksch, ThWNT IV 92: «In jedem gesprochenen Worte soll ein Wahrheitsverhältnis zwischen Wort und Sache und ein Treuverhältnis zwischen Redendem und Hörendem sein ». Dieser Satz hebt den Beziehungscharakter des Begriffes «Wort» hervor. 44 Ibid. 126. 45 Vgl. Offb. 3,14. 46 Vgl. Offb 19,13. 47 Vgl. als Bs. 1,3; 22,7.9.

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Von der geschichtlichen Wirklichkeit zur Welt der Visionen

Man stellt somit fest, dass λόγο? in Offb das vorgegebene Wort Gottes meint. Gleichzeitig kann es auch menschliche Worte bezeichnen, welche Entfaltung und Wiedergabe des einen göttlichen Wortes zum Ausdruck bringen. Das Zeugnis, μαρτυρία48, wird in Offb 1,10 parallel zu λόγο? mit einem Genitiv gebraucht. So wie λόγο? hat dieses Wort eine zweifache Bedeutung: μαρτυρία bezeichnet das Zeugnis, das Jesus Christus abgelegt hat49 oder das Zeugnis, das die Christen für Jesus ablegen.50 Somit stellen wir fest, dass μαρτυρία sowohl das den Christen vorgegebene als auch das von den Gläubigen immer neu entfaltete Zeugnis ist. Innerhalb der Offenbarung übernimmt μαρτυρία öfters einen konkreten Sinn. Die aktive Teilnahme am Zeugnis und die Folgen, welche diese Bereitschaft verursachen, werden plastisch beschrieben.51 Es besteht eine feste Verbindung von μαρτυρία mit Blut und Tod. Das Wort und das Zeugnis sind in der Johannesapokalypse gleichzeitig der Ausgangspunkt und das Ziel eines an Jesus Christus orientierten Lebens.52 Wir kehren zur Stelle in Offb 1,10 zurück. Es bleibt unklar, ob die zwei Genitive subjektive oder objektive Bedeutung haben.53 Meiner Meinung nach ergeben beide Möglichkeiten einen Sinn.54 48 Μαρτυρία bedeutet primär die menschliche Verkündigung von Tatsachen. Darüber hinaus wird das Bezeugen Gottes, des Geistes, der Schrift ausgedrückt. Vgl. dazu Strathmann, ThWNT IV 500 ff; Spicq, Lexique 969—974. Spicq betont den aktiven Charakter des Zeugnisses. 49 Vgl. z.B. Offb 1,5. An dieser Stelle wird Jesus Christus unter anderem als ό μάρτυς gepriesen. 50 Dazu vgl. als Beispiel Offb 1,2 : Johannes bezeugte (έμαρτυ'ρησεν) das Wort Gottes und das Zeugnis (μαρτυρίου) Jesu Christi. Hier ist das Subjekt des Hauptverbes Johannes. Im zweiten Teil des Saztes ist μαρτυρία jedoch wiederum mit einem Genitivus subiektivus konstruiert. 51 Vgl. z.B. Offb 11,7: και όταν τελε'σωσιν την μαρτυρίαν αϋτών, το θηρίον το άναβαΐνον έκ τη? αβύσσου ποιήσει μ«τ1 αυτών πόλεμον και νικήσει αυτού? και άποκτενεϊ αύτου'?. Auch 2,13 und 17,6 assoziieren explizit das Blut und den Tod mit dem Zeugnis. 52 Dazu vgl. auch Offb 19,10: ή γαρ μαρτυρία ΊησοΟ εστίν το πνεύμα τή? προφητείας. 53 Petros Vassiliadis, BiTr 36, 129—134 beschäftigt sich mit der Auswertung des Genitives im Ausdruck μαρτυρία ΊησοΟ bzw. Ίησοϋ Χρίστου. Diese Fragestellung ist sehr wichtig. Zur Auswahl stehen folgende mögliche Übersetzungen: entweder «testimony of Jesus» (Gen. sub.) oder «testimony to Jesus» (Gen. ob.). Nach Vassiliadis kann dieser letzte Ausdruck in der Apokalypse den Märtyrertod bezeichnen. Was Offb 1,10 betrifft, entscheidet sich der Autor für einen Genitivus subiektivus. Wenn man diese Interpretation annimmt, soll man auch den ersten Genitiv (TOÜ θεοΟ) aufgrund des Parallelismus als subjektiv auffassen. 54 Ich möchte die zwei möglichen Übersetzungen noch einmal kurz erläutern. Wenn die Genitive als subjektiv verstanden werden, meint 1,10, dass Johannes sich auf der Insel Patmos wegen des vorgegebenen Wortes Gottes und des von Jesus abgelegten Zeugnisses befindet. Im anderen Fall wird der Aufenthalt als Folge der Tätigkeit des Johannes in der Verkündigung und im Zeugnis über Gott und Jesus verstanden. Ich bin der Auffassung, dass beide Bedeutungen in einem einzigen Ausdruck mitschwingen.

Einführung

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Johannes befindet sich in Patmos, weil er in Beziehung zum Wort Gottes und zum Zeugnis Jesu steht.55 Im zweiten Teil von V.10 wird die Schilderung der Lebenssituation von Johannes erweitert. Während im ersten Teil des Verses die historische Lage des Schreibenden geschildert wurde, verlagert sich der Akzent jetzt auf die Dimension, welche den Übergang von der wahrnehmbaren Welt zur Welt der Visionen ermöglicht. Die Wiederholung von έγενόμην markiert diesen Wechsel innerhalb der Beschreibung des Zustandes. Zwei mit έν konstruierte Ergänzungen vervollständigen das Hauptverb: έν τινεύματι und έν τη κυριακη ήμερ