Treu und Glauben und Effizienz: Das Effizienzprinzip als Mittel zur Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln [1 ed.] 9783428540051, 9783428140053

Für die Entscheidungsfindung mit der ökonomischen Analyse des Rechts und ihrem Effizienzprinzip scheinen, wie auch der B

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Treu und Glauben und Effizienz: Das Effizienzprinzip als Mittel zur Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln [1 ed.]
 9783428540051, 9783428140053

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 432

Treu und Glauben und Effizienz Das Effizienzprinzip als Mittel zur Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln

Von

Christian Lange

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN LANGE

Treu und Glauben und Effizienz

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 432

Treu und Glauben und Effizienz Das Effizienzprinzip als Mittel zur Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln

Von

Christian Lange

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-14005-3 (Print) ISBN 978-3-428-54005-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84005-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2011 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Dezember 2012 berücksichtigt. Ganz besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab, für die Betreuung der Arbeit. Die Jahre an seinem Lehrstuhl, die ich in einer sehr herzlichen und bereichernden Atmosphäre als Mitarbeiter dort verbrachte, werden mir in allerbester Erinnerung bleiben. Zu dieser guten Erinnerung an die Zeit „an der Uni nach der Uni“ haben insbesondere auch Frau Stephanie Meier, Herr Dr. Christian Schmid, Herr Dr. Abbas Samhat, Herr Johannes Hieronymi und Herr Matti Hauer beigetragen. Herrn Univ.-Prof. a. D. Dr. Detlef Leenen danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und dessen zügige Erstellung. Meinen Freunden Frau Mandana Bahrampour, Herrn Etienne Massow und Herrn Andreas Peikert bin ich sehr verbunden, weil sie mich in der Spur halten. Viel ist mir bewusst, dank der Gespräche mit Herrn Johannes Bruckmann. Hervorgehoben sei schließlich Frau Dr. Cornelia Doliwa. Natürlich danke ich meiner (gesamten) Familie. Meine Eltern haben mich vom Anfang meiner Ausbildung an bis jetzt unterstützt. Sie vertrauen insbesondere immer, dass ich das, was ich angehe, auch schaffe. Das war in vielen Momenten wichtiger, als ich zu erkennen gab. Meiner Familie ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im April 2013

Christian Lange

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung

15

A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

B. Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Kapitel 2 Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

22

A. Der homo oeconomicus im Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

B. Maßstäbe für die Messung von Effizienz (Paretoeffizienz und Kaldor-HicksKriterium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

C. Geltungsanspruch der Ökonomischen Analyse des Rechts sowie weitere Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

D. Ziele und Vorteile der Ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . .

33

E. Das Problem der moralisms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Teilproblem 1: Bewertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teilproblem 2: Politische Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 35 36

F. Aktuell der Ökonomischen Analyse durch die Rechtswissenschaft beigemessene Relevanz – Öffnung ja, Unterwerfung nein . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Utilitaristische Ethik versus Pflichtenethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das System betreffende Unterschiede zwischen den USA und Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konsolidierung im Rahmen vorhandener Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 39 43 45

Kapitel 3 Treu und Glauben im BGB

48

A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

B. § 242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. (v. a.) Jüngere Entwicklung; Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Tatbestands- und Rechtsfolgenmerkmale“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schuldner ist verpflichtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 49 51 53

10

Inhaltsverzeichnis 2. . . . die Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. . . . so zu bewirken, wie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkretisierung der Art und Weise der Leistung. . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Funktionskreise (Wirkungsweisen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. . . . Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. . . . mit Rücksicht auf die Verkehrssitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. . . . es erfordern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 56 56 57 59 61 62 63

C. Treu und Glauben in anderen Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 157 – Auslegung von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 162 – Verhinderung oder Herbeiführung des Bedingungseintritts. . . . . III. § 275 Abs. 2 S. 1 – Einrede des grob unverhältnismäßigen Aufwands IV. § 307 Abs. 1 S. 1 – Gegen Treu und Glauben verstoßende, unangemessene Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. § 320 Abs. 2 – Ausnahme vom Recht der vollständigen Verweigerung der Gegenleistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. § 815 2. Alt. – Kondiktionssperre bei Vereitelung des Erfolgseintritts . . 1. Problem: Anforderungen an die Treuwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleich zu Fällen vor Leistungserbringung; Forderungen eines Gleichlaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme für eine Ungleichbehandlung der Sachverhalte. . . . . . a) Größeres Vertrauen nach Leistungserbringung verlangt geringere Anforderungen an die Treuwidrigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallele zum Verhältnis von Bestands- und Erwerbsschutz . . . . .

64 65 67 67 70 73 76 77 78 80 80 81

D. Treu und Glauben als Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

Kapitel 4 Vorläufiges zur Funktionsweise der Generalklauseln

90

A. § 242 als Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

B. Überblick zur Fallgruppenmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

C. Die Präjudizienbindung – Notwendige Flexibilität versus Gesetzesbindung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Meinungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95 95 97

Inhaltsverzeichnis

11

Kapitel 5 Strukturelle Affinität der Generalklauseln für die Verwendung des Effizienzprinzips?

100

A. Grundgedanke – Vorliegen der die Anwendung der Ökonomischen Analyse im Common Law begünstigenden Faktoren bei den Generalklauseln . . . . . . . 100 B. Das I. II. III.

Fallrecht des Common Law und die Fallgruppen der Generalklauseln. . Nochmals: Präjudizienbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anwendung vorhandenen Fallmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiraum bei der Entscheidungsfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101 102 104 107

C. Das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richtern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. In das Gesetz aufgenommene Fallgruppen der Generalklauseln . . . . . . . 1. Beispiele aus § 242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiel Wettbewerbsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Common Law. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Statutory Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Restatements of the law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 111 112 113 114 114 115 116

D. Folgenberücksichtigung im Common Law und bei den Generalklauseln . . . . 118 E. Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Kapitel 6 Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben und Ökonomischer Analyse des Rechts?

124

A. Ausgewählte Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 B. Der vollständige Vertrag – Wesen und Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Verwendung des Modells (cheapest cost avoider, cheapest insurer und superior risk bearer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. § 313 BGB – Effiziente Risikoverteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösungsansatz des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lösung mittels Effizienzkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung – Uneinigkeit im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Würdigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129 129 129 130 130 136 137

D. § 157 BGB – Ergänzende Vertragsauslegung mittels des hypothetischen Willens der homines oeconomici? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Abgrenzung zur Geschäftsgrundlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Probleme einer Ökonomischen Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

12

Inhaltsverzeichnis

E. § 307 Abs. 1, S. 1 BGB – Angemessenheit durch Effizienz? . . . . . . . . . . . . . . I. Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösungsansatz des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lösung mittels Effizienzkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung – Zur Effizienz von AGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143 143 143 144 144 149 151

F. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 G. Der vollständige Vertrag in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Urteil des BGH vom 30.11.2004 – X ZR 133/03 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt und Ergebnis der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152 152 154 155 156 157

H. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Kapitel 7 Generalklauseln und Effizienz? A. Von der Funktion her argumentiert: Generalklauseln und Individualität . . . . . I. Generalklauseln und Individualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der Individualität im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsidee, Recht, Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Individualität im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individualität in der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendung von Generalklauseln und Individualität . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ökonomische Analyse und Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Individuum als Rechengröße – Zum normativen Individualismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Individualität des Nutzenmaximierers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgehen in der Masse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum methodologischen Individualismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berücksichtigung von Individualität durch Behavioral Law and Economics? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 163 163 164 164 165 167 168 170 170 171 171 172 173 175 175 176

B. Von der Methode her argumentiert: Die Konkretisierung von Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Auslegung mit den Mitteln des Auslegungskanons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Konkretisierung bzw. Präzisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Inhaltsverzeichnis

13

1. Zweck der Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze der Konkretisierung von Generalklauseln; die Konkretisierungsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die gesetzlichen Grundwertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die anerkannten rechtsethischen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Regeln der Verkehrssitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die sozialethischen Anschauungen und Bewertungen. . . . . . ee) Die richterliche Eigenwertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Konkretisierungsmittel untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wandelbarkeit des Konkretisierungsmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Identifizierung des Konkretisierungsmaterials durch Auslegung der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konkretisierung als Auslegung oder Rechtsfortbildung? . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzen und Spielräume legitimer Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Konkretisierung contra legem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstand und Stellungnahme; die Berücksichtigung von Wertungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Je ein Beispiel für eine legitime Konkretisierung und eine Entscheidung contra legem; Generalklauseln als „Sollbruchstelle“. . 4. Zwischenergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wertungen und Gerechtigkeit in der Rechtsordnung; die Geltung von Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerechtigkeit als juristisches Argument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwirklichung von Gerechtigkeit im Recht über Prinzipien . . . . . . . a) Prinzipienargument und Werteordnungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begriffe: Prinzipien, Ziele, Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Abgrenzung der Prinzipien von den Regeln . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entscheidungsfindung beim Umgang mit Prinzipien – Notwendigkeit einer Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Berücksichtigung von Abwägungsentscheidungen des Gesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Entscheidungsfindung der Ökonomischen Analyse des Rechts – Effizienzprinzip als absolutes Prinzip. . . . . . . . d) Zwischenergebnis: Unmöglichkeit einer Abwägung bei Annahme eines absoluten Prinzips im Geltungsbereich der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178 179 179 180 180 181 181 182 182 183 184 185 185 187 188 188 189 190 190 192 199 201 202 204 204 207 210 213 214 215 215

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Inhaltsverzeichnis VI. Konkretisierung contra legem durch die Anwendung des Effizienzprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

Endergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Kapitel 1

Einführung Oliver Twist bemerkt bei seinem ersten gemeinsamen Streifzug mit dem Dodger und Charley Bates, dass es sich bei den beiden um Diebe handelt1. Mit der Flucht, die er gleich nach einem vom Dodger und Charley Bates begangenen Diebstahl ergreift, zieht Oliver unfreiwillig die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich und sieht sich sogleich einer rasenden Verfolgung ausgesetzt. „Stop thief!“, „Haltet den Dieb!“, ruft ihm die aufgebrachte Menge hinterher und in diesen Chor stimmen auch die beiden wirklichen Diebe ein, die dadurch unentdeckt bleiben. Das Verhalten der Diebe wird später vom Erzähler ironisierend aufgegriffen: Insoweit, als die Freiheit des Individuums zum größten Stolz eines „true-hearted Englishman“ gehöre, würde dieses Verhalten das Ansehen der beiden bei echten Patrioten nur erhöhen. Schließlich bestätigten die beiden damit nur „the little code of laws which certain profound and sound-judging philosophers have laid down as the mainsprings of all nature’s deeds and actions.“ Dickens veröffentlichte den Roman zwischen 1837 und 1839. Neben der Zurschaustellung der unerträglichen Zustände, die seinerzeit herrschten, ist sein zentrales Thema der self-interest, dieser „little code of laws“, der durch das Handeln aus Eigennutz allein ausgefüllt ist. Dieses Thema beschäftigte aber nicht nur Dickens. Es gehörte vielmehr zu den beherrschenden politischen Themen dieser Zeit in England. Zunächst Jeremy Bentham, der, allen anderen voran, in den angesprochenen Kreis der „profound and sound-judging philosophers“ zu zählen sein wird, und später John Stuart Mill bauten die Idee des auf Eigennutz fußenden Utilitarismus in jener Phase auf und aus. Der Erzähler in Dickens Roman wirft der Orientierung am self-interest nun vor, „any considerations of heart, or generous impulse and feeling“ außer Acht zu lassen. Diesen Vorwurf erhoben damals die Skeptiker des Utilitarismus. Der Vorwurf erfasst aber auch heute noch einen großen Teil der Bedenken, die die Kritiker der auf dem Utilitarismus fußenden Ökono1 Charles Dickens, Oliver Twist, S. 80 ff.; zur Deutung der Umstände durch den Erzähler: S. 102 ff.; zitiert wird in allen entsprechenden Zitaten die Ausgabe der Penguin Popular Classics Reihe, Penguin Books, London, 1994; umfassend zur Deutung als Kritik am Utilitarismus und mit vielen weiteren Beispielen aus dem Roman: Cerny, A General Number One, FS Papajewski, S. 119–156.

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Kap. 1: Einführung

mischen Analyse des Rechts haben. Besonders greifbar ist diese Kritik jedoch nicht. Und als wollten sie ihr gleich von Anfang an den Wind aus den Segeln nehmen, halten die beiden wichtigsten Vertreter der Ökonomischen Analyse des Rechts in Deutschland, Hans-Bernd Schäfer und Claus Ott, denn auch gleich in der Einleitung zu ihrem Standardwerk zum Thema fest, dass es sich bei der mit der Ökonomischen Analyse des Rechts angestrebten Allokationseffizienz nicht um einen Begriff handelt, der mit alltagstheoretischen Assoziationen gefüllt werden könnte2. Solche Assoziationen vermeidet mittlerweile auch die (rechts-)wissenschaftliche Kritik am Utilitarismus und der auf ihm fußenden Ökonomischen Analyse des Rechts. Angemahnt wird vielmehr die mangelnde Berücksichtigung von durchaus konkretisierbaren, im Recht verankerten Werten und Prinzipien.

A. Gegenstand der Untersuchung Das wichtigste Einfallstor, das den Werten in die Rechtsordnung offen steht, bilden die Generalklauseln. Die bedeutendste Generalklausel des deutschen (Zivil-)Rechts bildet § 242 BGB3 mit dem in ihm festgehaltenen Grundsatz von Treu und Glauben. Generalklauseln dienen dem Richter unter anderem dazu, in Fällen, die der Gesetzgeber nicht bedacht hat (und nicht bedacht haben konnte), Anhaltspunkte für die Entscheidung zu finden und die Entscheidung auf eine Norm stützen zu können. Schon weil ihre Anwendungsfälle nicht bedacht wurden, sind Generalklauseln offen; sie enthalten nur wenige konkrete tatbestandliche Vorgaben. Sie sind dazu da, vom Richter ausgefüllt zu werden. Dazu wurden spezielle Methoden vorgeschlagen. Bei der Arbeit an Gerichten, also in der Praxis der Generalklauselanwendung, ist insoweit vor allem die Arbeit mit Fallgruppen relevant. Diese Fallgruppen setzen sich aus Fällen zusammen, die bereits einmal der Generalklausel zugeordnet wurden, und die durch einen Fallvergleich dazu dienen können, einen neuen Fall ebenfalls der Generalklausel unterzuordnen. Trotz mittlerweile sehr ausdifferenzierten Fallgruppen ist es im Einzelnen nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, ob ein neuer Fall der Vorgabe der einschlägigen Generalklausel entspricht oder gegen sie verstößt. Das liegt in der Natur der in den Generalklauseln enthaltenen (und ihnen wesenseigenen) wertausfüllungsbedürftigen Begriffe, wie etwa Treu und Glauben oder die guten Sitten. Wie schwer die Einschätzung sein kann, zeigt sich etwa an zwei Fallgruppen des § 242, die bereits Einzug in das BGB gefunden haben: Wann eine AGB-Klausel den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen 2 3

Schäfer/Ott, S. 6 f. Alle Paragraphen ohne weitere Bezeichnung sind solche des BGB.

A. Gegenstand der Untersuchung

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benachteiligt oder wann etwa die Geschäftsgrundlage gestört ist, gehört trotz zwischenzeitlicher Positivierung zu den viel umstrittenen Fragen des Zivilrechts. Juristische Fragen werden seit ca. 40 Jahren nun auch unter ökonomischen Aspekten beantwortet. Um zu ermitteln, ob ein Schädiger fahrlässig handelte, wird beispielsweise danach gefragt, welchen Aufwand er gehabt hätte, um den tatsächlich eingetretenen Schaden zu vermeiden (Risikovermeidungskosten), und in welchem Verhältnis dieser Aufwand zu dem Schaden und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts (Erwartungswert) stand. Hat der Schädiger Risikovermeidungskosten aufgewendet, die unter dem Erwartungswert liegen, dann wird ihm nach dem dieser Rechnung zugrunde liegenden Prinzip der Effizienz der Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht. Solche Erwägungen stellt mittlerweile auch die Rechtsprechung an. So stützte etwa das OLG Rostock jüngst einen Fahrlässigkeitsvorwurf (auch) auf das eben beschriebene Argument4: Die Klägerin begehrte im entschiedenen Fall von der Beklagten Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1. Der Schaden war ihr entstanden, weil von den Feldern der Beklagten tagsüber ausgebrachte Pflanzenschutzmittel auf die Felder der Klägerin gerieten und dadurch die Vermarktung der Ernte als Bio-Produkte ausgeschlossen wurde. Wäre die Ausbringung der Pflanzenschutzmittel am Abend vollzogen worden, wäre die Belastung der Pflanzen der Klägerin vermieden worden. Das Gericht führte, um den Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der Schädigung im eben beschriebenen Sinne zu bejahen, aus, dass „der mit einer Verlagerung der Spritzarbeiten in die Abendstunden verbundene Aufwand ohne Weiteres als deutlich geringer einzuschätzen [war] als der durch ein Unterlassen dieser Schutzmaßnahme möglicherweise entstehende, in seinem Umfang nicht abschätzbare Schaden auf den Flächen der“ Klägerin. Es war ineffizient, den Schaden nicht zu vermeiden. Und das führt nach dem OLG Rostock zur Ersatzpflicht. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll nun geklärt werden, wie sich eine solche effizienzorientierte Betrachtungsweise im Bereich der Generalklauseln nutzbar machen lässt. Kann ein Kriterium wie das der Effizienz Teil des Wertungsspektrums der Generalklauseln sein oder lässt es die Wertungen, auf die es ankommt, außer Acht? Kann eine Handlung zwar zu einem effizienten Ergebnis führen, aber dadurch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen oder sind die Treu und Glauben zugrunde liegenden Wertungen vielleicht sogar auf eine an Kosten und Nutzen orientierte Abwägung zurückzuführen? Kann man also in einem für die Werte 4 OLG Rostock, Urteil vom 20.7.2006 – 7 U 117/04, NJW 2006, S. 3650 (3653), dort mit explizitem Verweis auf die sogenannte Learned-Hand-Formel, zu dieser: Schäfer/Ott, S. 189 ff.

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Kap. 1: Einführung

der Rechtsordnung so sensiblen Bereich wie den Generalklauseln eine Entscheidung unter Verweis auf die Benutzung eines scheinbar so wertfreien Kriteriums wie dem der Effizienz fällen? Der BGH hat in einer neueren Entscheidung ebendiesen Schluss zugelassen, als er die Frage, ob eine AGB den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen würde, mit Argumenten beantwortet, die terminologisch vollkommen mit dem Repertoire der Ökonomischen Analyse des Rechts übereinstimmen5. In dieser Arbeit sollen nun Aspekte für und wider die Hinzuziehung des Effizienzkriteriums im Bereich der Generalklauseln aufgezeigt werden. Anders als Oliver Twist verfolgt diese Arbeit aber an keiner Stelle das Ziel einer Kritik des der Ökonomischen Analyse des Rechts zugrunde liegenden Utilitarismus oder den aus ihm hervorgegangenen Strömungen. Davon gibt es genug und das auch in wesentlich umfassenderer Art und Weise, als das hier möglich ist. Es soll vielmehr allein untersucht werden, wie sich jener Ansatz mit den Anforderungen der Benutzung einer Generalklausel verträgt. Treu und Glauben spielt deshalb eine so wesentliche Rolle in dieser Arbeit, weil dieser Grundsatz der wichtigsten Generalklausel des BGB innewohnt; die Hinzuziehung dieser Formel wird sich, obwohl viele Aussagen auch für andere Generalklauseln gelten werden, durch die gesamte Untersuchung ziehen. Gerade im Bereich des § 242 wurden Fragen zur Anwendung von Generalklauseln gestellt, die über die Anwendung genau dieser Norm hinaus allgemeine Bedeutung erlangten. Treu und Glauben ist aber nicht nur in dieser Norm verankert. Anhand dieses Grundsatzes wird vor allem im ersten Teil der Arbeit verdeutlicht werden, welchen Schwierigkeiten der Umgang mit Generalklauseln ausgesetzt ist. Im weiteren Verlauf erfolgt eine gewisse Lösung von den Treu und Glauben in Bezug nehmenden Generalklauseln durch die Inbezugnahme der Generalklauseln an sich. Dennoch spielt § 242 auch später noch eine gewichtige Rolle: Fälle, die im Anwendungsbereich seiner Fallgruppen gelöst wurden, werden einer Lösung mittels des Effizienzkriteriums zugeführt, um gegebenenfalls festzustellende Abweichungen von Ergebnissen aufzudecken und so ein gegebenenfalls vorhandenes Konfliktpotential anzuzeigen. Ebenfalls werden es Fälle aus dem Anwendungsbereich von Treu und Glauben sein, die später dazu dienen sollen, Grenzen einer Anwendung des Effizienzkriteriums abzubilden. In ihrer „Einführung in die Rechtsvergleichung“ sprechen Zweigert/Kötz eine Warnung aus: 5 BGH, Urteil vom 30.11.2004 – X ZR 133/03, NJW 2005, S. 422 f.; ausführliche Analyse der Entscheidung unten: S. 154 ff.

A. Gegenstand der Untersuchung

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„So gewiß es ist, daß sich die Stile des juristischen Denkens in den Ländern des Common Law und auf dem Kontinent voneinander unterscheiden, so verfehlt wäre es doch, daraus einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen einer Methode induktiven Problemdenkens einerseits und einer Methode systematischen Begriffdenkens andererseits zu konstruieren. Eine solche Antithese bezeichnet zweifellos Neigungen und Tendenzen, die im Common Law und Civil Law vorherrschen mögen; sie geht aber, absolut genommen, an der Wirklichkeit des Rechtsfindungsprozesses, wie wir ihn heute in den beiden großen Rechtsfamilien beobachten können, in zunehmendem Maße vorbei.“6

„Heute“ ist in diesem Fall immerhin bereits 1996 gewesen, ein Jahr, nachdem die auf dem Bereich der ökonomischen Analyse des deutschen Rechts zum Standardwerk avancierte Arbeit „Effizienz als Rechtsprinzip“ von Horst Eidenmüller zum ersten Mal erschienen ist. Eidenmüller hielt seiner Zeit fest, „[D]ass es kein einziges Urteil eines obersten Bundesgerichts gibt, in dem explizit auf die Methoden und Ableitungen der ökonomischen Analyse zurückgegriffen wird, in dem also explizit die Folgen einer bestimmten Entscheidung mikroökonomisch antizipiert und im Lichte des ökonomischen Effizienzziels bewertet werden“7.

Das ist mittlerweile anders. Der BGH hat in dem schon genannten Urteil vom 30.11.2004 deutlich erkennbar das Modell des vollständigen Vertrags der Ökonomischen Analyse des Rechts verwenden wollen und zur Bestätigung auch auf die entsprechenden Quellen der einschlägigen Literatur verwiesen8. Der aus dem Common Law stammende Ansatz hat also Einzug in die Rechtsprechung eines der Kernländer des Civil Law gehalten; und diese Entwicklung schreitet voran. Es wird damit, zumal die genannte und später noch genauer zu untersuchende Entscheidung auch im Bereich einer Treu und Glauben in Bezug nehmenden Generalklausel gefällt wurde, hier daran sein, zu zeigen, welche Bedingungen für die Anwendung eines solchen Kriteriums eingehalten werden müssen. Die vorliegende Arbeit versteht sich damit nicht als Teil derjenigen Arbeiten, die im Sinne des ersten Zitats von Zweigert/Kötz eine Antithese zwischen Civil Law und Common Law formulieren. Sie soll vielmehr dazu beitragen, die Bedingungen einer Anwendung des besonders im anglo-amerikanischen Recht vorangetriebenen Ansatzes der Economic Analysis of Law im Bereich der Generalklauseln des deutschen Rechts näher zu untersuchen, um – soweit möglich – eine Integration zu erreichen. 6

Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 253; Hervorhebung d. Verf. Eidenmüller, S. 473; siehe dort auch zum Folgenden. 8 BGH, Urteil vom 30.11.2004 – X ZR 133/03, NJW 2005, S. 422 f.; zur Entscheidung unten: S. 154 ff. 7

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Kap. 1: Einführung

B. Gang der Untersuchung Dieser Einführung wird zunächst ein Überblick zur Ökonomischen Analyse des Rechts folgen (Kapitel 2). Sie dient dem Zweck, den Blick dafür zu schärfen, welche Maßstäbe und Gedanken bei der Benutzung des Effizienzkriteriums eine Rolle spielen. Sodann erfolgt eine Annäherung an den Grundsatz von Treu und Glauben (Kapitel 3). Treu und Glauben sind freilich nicht Gegenstand aller Generalklauseln des BGB. Diese Formel wird jedoch regelmäßig als wichtigste Generalklausel genannt. Anhand von verschiedenen Beispielen wird angedeutet, was sich hinter der Formel verbirgt und woraus sich bei ihr und bei anderen Generalklauseln Hürden für eine Anwendung des Effizienzkriteriums ergeben könnten. Die Mehrzahl der Aussagen, die später über das Effizienzkriterium im Anwendungsbereich von Generalklauseln getroffen werden, gelten für alle Generalklauseln und sind nicht beschränkt auf Treu und Glauben. Deshalb folgen in Kapitel 4 einige allgemeine Aussagen zur praktischen Anwendung von Generalklauseln, die vor allem ihre Konkretisierung mittels Fallgruppen und die Bindungswirkung der Präjudizien betreffen. Hier bleibt es (noch) bei einer vorläufigen Beschreibung der Konkretisierung, denn es geht lediglich darum, die Grundlage für den kommenden Abschnitt zu schaffen: Kapitel 5 zeigt sodann, welche gewichtigen Gründe gerade bei der Konkretisierung von Generalklauseln auf eine Benutzung des Effizienzkriteriums drängen und warum sich diese Gründe bereits aus der Struktur der Generalklauseln und ihrer Anwendung mittels Fallgruppen ergeben. Dabei sollen Parallelen zwischen den Besonderheiten des Rechts der Generalklauseln und jenen Faktoren hergestellt werden, die im Bereich des Common Law die starke Rezeption der Ökonomischen Analyse des Rechts begründen. Neben diesen formalen Aspekten wird dabei auch die für den amerikanischen Richter besonders relevante Berücksichtigung von Folgen einer Entscheidung eine Rolle spielen. Während zu diesem Fragenkomplex für die deutsche Rechtsordnung insgesamt Uneinigkeit herrscht, wird gezeigt werden, dass dieser Befund bei besonderem Augenmerk auf die Generalklauseln nicht derselbe bleibt. Im Anschluss an diese eher theoretischen Betrachtungen soll in Kapitel 6 danach gefragt werden, wie sich die Ökonomische Analyse des Rechts bei der Anwendung im Bereich von Generalklauseln tatsächlich verhält. Auch hier werden Entscheidungen bemüht, die sich dem Umfeld von Treu und Glauben befinden. Dabei werden Fragen des mittlerweile eigenständig im BGB geregelten AGB-Rechts und des Rechts der Störung der Geschäfts-

B. Gang der Untersuchung

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grundlage im Mittelpunkt stehen. Besonderes Augenmerk wird hier darauf gelegt werden, ob es zu Unterschieden in den Ergebnissen kommt, wenn auf vom BGH entschiedene Fälle das Prüfschema der Ökonomischen Analyse des Rechts angewendet wird. Sind solche Unterschiede belegt, ist auch ein praktisches Bedürfnis der Klärung des Gewichts des Effizienzkriteriums im Anwendungsbereich der Generalklauseln belegt. Um das praktische Bedürfnis weiter zu begründen, wird schließlich eine Entscheidung des BGH analysiert, in dem dieser, zumindest der Sprache nach, dass Effizienzprinzip konkret anwendet, um eine Frage, die den direkten Anwendungsbereich von Treu und Glauben betrifft, zu entscheiden. In Kapitel 7 soll schließlich beleuchtet werden, welche Berechtigung die Konkretisierung einer Generalklausel mit den Mitteln der Ökonomischen Analyse des Rechts tatsächlich hat. Dabei wird erst von der Funktion der Generalklauseln im Normgefüge her argumentiert. Der zweite Argumentationsstrang wird den Wertbezug der Generalklauseln betreffen. Dafür wird zunächst zu ermitteln sein, auf welche Weise der Prozess der Generalklauselkonkretisierung methodisch korrekt von statten geht. Im Anschluss daran soll es schließlich um die Frage der Vereinbarkeit des Effizienzprinzips mit den in den Generalklauseln wirkenden Prinzipien gehen. Zum einen wird an dieser Stelle mit dem Gehalt der Werteordnung, zum zweiten mit der Art der Anwendung von Prinzipien umgegangen werden müssen. Das schließt die Auseinandersetzung mit dem Prinzipienargument ein, wie es von Dworkin und Alexy wesentlich geprägt wurde.

Kapitel 2

Zur Ökonomischen Analyse des Rechts Die Wurzeln der Ökonomischen Analyse des Rechts gehen auf Forschungen amerikanischer Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler seit Anfang der 1960er Jahre zurück1. Laut Richard Posner, einem ihrer bedeutendsten Vertreter, gilt die „Economic Analysis of Law“ in den USA als ehrgeizigster und einflussreichster Erklärungsansatz juristischer Entscheidungsfindung2. Die Diskussion um die Rezeption einer Ökonomischen Analyse im deutschen Recht ist nicht mehr neu3. Dissertationen4 und Lehrbücher5 zum Thema werden regelmäßig neu aufgelegt und auch in die großen Kommentare6 hat das Thema längst Einzug gehalten. Nach einiger Euphorie7 hat sich Zurückhaltung breit gemacht. Es gilt, soweit scheint sich ein Konsens zu etablieren, den Raum zu definieren, in dem das Effizienzkriterium Verwendung finden kann. Diese Entwicklung wurde wesentlich durch Horst Eidenmüller beeinflusst. Eidenmüller stellte in seiner Dissertation Effizienz als Rechtsprinzip Regeln für eine Rezeption der Ökonomischen Analyse auf, die zur Grundlage vieler späterer Arbeiten wurden8. Die Ansätze der Öko1 Zusammenfassend und mit vielen weiteren Nachweisen: Müller in Buckel/ Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (351 f.); obwohl es längst eine Vielzahl von Veröffentlichungen hierzu gibt, wird die ökonomische Analyse des Rechts vielerorts noch als „neuer Ansatz“ bezeichnet. An vielen Fakultäten werden längst Vorlesungen zu dem Thema angeboten (bspw. in München und Bonn), an einigen gibt es eigene Institute (bspw. in Kassel und Hamburg). Wegen der vorangeschrittenen Etablierung einerseits, der dennoch oft genug zu erkennenden Unbekanntheit andererseits, wird hier – als Mittelweg – eine Beschränkung auf Grundzüge vorgenommen; siehe auch die Nachweise zu Standartwerken in den folgenden Fußnoten. 2 Posner (1990), S. 353. 3 Einer der frühen Beiträge kommt etwa von Horn, AcP 176 (1976), S. 307 ff. 4 Etwa: Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Auflage 2005; Mathis, Effizienz statt Gerechtigkeit, 3. Auflage 2009. 5 Etwa: Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Auflage 2005; auch für die Neuauflage des Standartlehrbuchs Methodenlehre der Rechtswissenschaft von Karl Larenz und Claus-Wilhelm Canaris ist die Einarbeitung vorgesehen: vgl. Vorwort zur 3. Auflage. 6 Vgl. nur: Palandt-Grüneberg, § 276 Rn. 19; Kieninger in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 307 Rn. 38 ff. 7 Etwa: Adams, Jura 1984, S. 337 ff.

A. Der homo oeconomicus im Recht

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nomischen Analyse werden mit der Ökonomischen Analyse des Rechts über den Rand der Wirtschaftswissenschaft hinaus angewendet und auch der Beschreibung gesellschaftlicher Phänomene zugänglich gemacht9. Dabei wendet die Ökonomische Analyse des Rechts mikroökonomische10 Methoden auf die Untersuchung von Rechtsnormen und gerichtlichen Entscheidungen an11. Die Wirkweise des Rechts wird am Maßstab der Effizienz beurteilt12. Im Zentrum der Ökonomischen Analyse steht das Menschenbild des homo oeconomicus13. Deshalb soll zunächst kurz rekapituliert werden, wer dieser homo oeconomicus ist und was ihn ausmacht.

A. Der homo oeconomicus im Recht Der homo oeconomicus ist ein Verhaltensmodell der Mikroökonomie. Er ist ein theoretisches Wesen, ein Wesen, das alle seine Entscheidungen rational auf einen maximalen Nutzen gerichtet trifft. – Alle Entscheidungen? In der Mikroökonomie dient der homo oeconomicus dazu, das Marktverhalten von Unternehmen und Haushalten zu beschreiben. Als Konsument wählt der homo oeconomicus diejenige von mehreren Handlungsalternativen, die am meisten seinen Bedürfnissen entspricht und die dabei von äußeren Handlungsrestriktionen (etwa dem Preis) zugelassen wird14. Eben dieser Ansatz zur (im Vorfeld stattfindenden) Prognose und (späteren) Erklärung des Verhaltens am Markt wird seit einiger Zeit aber auch auf die übrigen Bereiche menschlichen Handelns ausgedehnt. Sollte dies seinen Nutzen maximieren, würde der homo oeconomicus Straftaten begehen oder Verträge brechen15. Aus der Sicht des Juristen rücken deshalb die Restriktionen in den Vordergrund, die solchen Handlungen entgegenstehen können. Soweit sie mit Sanktionen verbunden sind (aber auch nur soweit!), sind Rechtsnormen für den homo oeconomicus Handlungsrestriktionen16. Nachdem er von allen Handlungsalternativen seiner Präferenz entsprechend einige wenige 8 Siehe etwa die Dissertation von Markus J. Friedl, Beweislastverteilung unter Berücksichtigung des Effizienzkriteriums, dort v. a. unter C. 9 Krimphove, Rechtstheorie 2008, S. 105 (119 f.). 10 Die Mikroökonomie hat das wirtschaftliche Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte zum Gegenstand. Analysiert werden einzelwirtschaftliche Entscheidungen und ihre Bestimmungsgründe. Beutel, Mikroökonomie, S. 21. 11 Müller in Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (354). 12 Müller in Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (354). 13 Dazu: Posner (1990), S. 353; Taupitz, AcP 1996, S. 114 (117 f.); Kunz/Mona, S. 232 f. 14 Eidenmüller, S. 28 ff. 15 Hierzu und mit weiteren Beispielen: Posner (1990), S. 353 f. 16 Eidenmüller, S. 35.

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

ausgesiebt hat, wird er mit Rücksicht auf bestehende Restriktionen die Entscheidung unter den verbleibenden danach fällen, welche von ihnen seiner Präferenz unter einem vertretbaren Aufwand am nächsten kommt. Als Preis verteuert die Sanktion die Handlungsalternative „Übertretung der Norm“. Die an Sanktionen geknüpfte Rechtsnorm wirkt sich für den homo oeconomicus also unmittelbar verhaltenssteuernd aus. Den Vertragsbruch lehnt er ab, wenn der dadurch entstehende Vorteil geringer ist, als die Vertragsstrafe. Die Straftat lehnt er ab, wenn der Nachteil der mit ihr verbundenen Strafe höher ist, als der Vorteil ihrer Begehung. Die Kernaussage der Ökonomischen Analyse des Rechts besteht deshalb darin, dem Recht die Aufgabe zukommen zu lassen, das Nutzenstreben des Einzelnen insoweit zu begrenzen oder zu stimulieren, dass das auf diese Weise gelenkte Verhalten aller zur optimalen Nutzung der Ressourcen führt17. Die Ökonomische Analyse des Rechts erfasst deshalb auch nicht nur die Rechtsgebiete mit wirtschaftlichen Zusammenhängen, sondern bezieht sich auf die Rechtsordnung insgesamt18.

B. Maßstäbe für die Messung von Effizienz (Paretoeffizienz und Kaldor-Hicks-Kriterium) Zu klären ist nun, da von Effizienz schon einige Male gesprochen wurde, mit welchen Maßstäben gemessen wird, ob eine Maßnahme denn auch effizient ist. Die theoretische Grundlage der Bewertungsmaßstäbe entnimmt die Ökonomische Analyse der „neuen“ Wohlfahrtsökonomie19. Diese wurde erheblich vom Utilitarismus und dessen Nützlichkeitsprinzip beeinflusst20. Die Wohlfahrtsökonomie untersucht die Auswirkungen von privaten und staatlichen Aktivitäten auf das Gesamteinkommen einer Volkswirtschaft sowie die Verteilung von Einkommen und Vermögen zwischen den Beteiligten. Die Ausgestaltung einer Maßnahme richtet sich an der erzielbaren Erhöhung des gesellschaftlichen Wohlstands, verstanden als Aggregation des Nutzens einzelner Individuen21, aus22. Um Marktsituationen beurteilen zu 17

Taupitz, AcP 1996, S. 114 (118). Müller in Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (353), Taupitz, AcP 1996, S. 114 (118). 19 Horn, AcP 176 (1976), S. 307 (311); Der Begriff „neue“ Wohlfahrtsökonomie beschreibt die vom Gedanken der Mess- und Vergleichbarkeit von persönlichem Nutzen losgelösten wohlfahrtsökonomischen Ansätze einer Mehrheit von Ökonomen, seit den späten 1930er Jahren. Siehe dazu sogleich; ausführlich bei: Bohnen, Utilitaristische Ethik, S. 61 ff.; Backhouse, History, S. 302 ff. 20 Bohnen, Utilitaristische Ethik, S. 3 ff. 21 Zu den Zusammenhängen und der Verwendung der Begriffe „Glück“, „Nutzen“ und „Wohlfahrt“ in der Ökonomie siehe: Rätzel, Wirtschaftsdienst, 2007, 18

B. Maßstäbe für die Messung von Effizienz

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können, werden Verfahren zur Wohlfahrtsmessung und Kriterien für Wohlfahrtsvergleiche entwickelt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Zeit der „alten“ Wohlfahrtsökonomie, wurde zunächst angenommen, dass individueller Nutzen mess- und interpersonal vergleichbar sei (sog. kardinale23 Nutzenmessung)24. Als sich später allerdings die Auffassung durchsetzte, diese Vergleichbarkeit sei methodisch und realwissenschaftlich nicht begründbar25, wurde damit begonnen, ein Kriterium zu entwickeln, dass ohne Addierbarkeit und Vergleichbarkeit von Nutzengrößen verschiedener Individuen auskommen sollte (sog. ordinale Messung)26. Dabei stand zunächst das nach Vilfredo Pareto (1848–1923) benannte Pareto-Kriterium im Vordergrund der Betrachtungen. Nach diesem Kriterium ist ein sozialer Zustand einem anderen vorzuziehen, wenn mindestens ein Individuum diesen Zustand für vorzugswürdig hält, ohne dass ein anderes Individuum den bisherigen Zustand für vorzugswürdig hält. Nach dem Übergang in den neuen Zustand liegt eine Verbesserung vor27 und die Maßnahme, die dazu führte, ist effizient im Sinne Paretos. Paretooptimal ist ein Zustand, in dem die Besserstellung eines Individuums nicht mehr vollzogen werden kann, ohne dass ein anderes Individuum schlechter gestellt wird28. Um effizient im Sinne des Pareto-Kriteriums zu sein, ist es aber auch denkbar, dass Nachteile, die ein anderer erleidet, durch Ausgleichszahlungen kompensiert werden. Das ist in einer Konstellation aus zwei Personen unproblematisch vorstellbar. Anders verhält es sich indes, wenn man berücksichtigt, wie sehr Verwaltungsaufwand und -kosten steigen und die Übersichtlichkeit sinkt, wenn es um umfangreichere, eine Vielzahl von S. 335 (335); zum Zusammenhang von individuellem und Gesellschaftswohl siehe: Bohnen, Utilitaristische Ethik, S. 61. 22 Kunz/Mona, S. 233. 23 Kardinale Messbarkeit meint die Möglichkeit, nicht nur die Rangfolge zweier Werte (so bei der sog. ordinalen Messung), sondern auch den Abstand zwischen zwei Werten beziffern zu können. Nicht dass, sondern wie viel Nutzen erzielt wird, soll so angezeigt werden können. Die „neue“ Wohlfahrtsökonomik bedient sich des ordinalen Nutzenbegriffs. 24 Näher: Eidenmüller, S. 42 ff. 25 Baumol, Analysis, S. 501: „We simply cannot add up the utilities of different individuals, any more than we cannot add up its production of salami and its output of brandy. Even if we were to know how to measure absolute pleasure (utility) for each individual (which ordinalists deny), we certainly would not know how to compare 4 units of individual a’s utility with 6 units of utility for b.“ (Hervorhebung im Original); s. a. Eidenmüller, S. 45 ff. 26 Bohnen, Utilitaristische Ethik, S. 89. 27 Baumol, Analysis, S. 527. 28 Mathis, S. 49.

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

Menschen betreffende Maßnahmen geht. Die Notwendigkeit einer tatsächlichen Kompensation und der damit verbundene Aufwand berauben das Pareto-Kriterium – weil eben niemand schlechter gestellt werden kann – in solchen Fällen der praktischen Verwertbarkeit seiner Ergebnisse29. Denn ohne Kompensation gäbe das Pareto-Kriterium jedem Mitglied der Gesellschaft ein Vetorecht für es belastende Maßnahmen30. Hinzu kommt: „[T]he Pareto criterion works by sidestepping the crucial issue of interpersonal comparison and income distribution, that is, by dealing only with cases where no one is harmed so that the problem does not arise.“31

In gewisser Weise umschifft das Pareto-Kriterium mit den Kompensationszahlungen auch nur das Problem der Unmöglichkeit interpersoneller Vergleiche. Denn soweit es nur auf Fälle anwendbar ist, in denen niemand schlechter gestellt wird, kommt es auf einen Nutzenvergleich zwischen verschiedenen Personen gar nicht erst an. Die größere Bedeutung wird heute deshalb dem Kaldor-Hicks-Kriterium32 beigemessen33. In neun von zehn Fällen, meint Posner, sei es Effizienz im Sinne dieses Kriteriums, die gemeint ist, wenn die Ökonomen der Welt davon sprechen, dass eine Maßnahme, gleich welcher Art, effizient ist34. Eine Wohlfahrtssteigerung liegt danach vor, wenn die Vorteile des einen Individuums (bzw. der einen Gruppe) höher bewertet werden, als die Nachteile eines anderen Individuums (bzw. einer anderen Gruppe)35. Dies eröffnet Entscheidungsalternativen, bei denen Personen schlechter gestellt werden36. Allein das Überwiegen der Vorteile des Bessergestellten entscheidet. Wenn der Preis, den sich der Benachteiligte für seinen Nachteil vom Bevorteilten zahlen ließe geringer ist, als der Vorteil, im Ergebnis dem Bevorteilten also ein Nettogewinn verbliebe, so wäre eine Maßnahme legitim. Unbedingt zu beachten ist, dass die Kompensation nur hypothetisch erfolgen können soll37, denn wenn man eine tatsächliche Kompensation verlangte, so läge bereits eine Effizienzsteigerung im Sinne des Pareto-Kriteriums vor38. 29

Eidenmüller, S. 50 f.; vertiefte Kritik bei Mathis, S. 52 ff. Eidenmüller, S. 49. 31 Baumol, Analysis, S. 527. 32 Nach Nicholas Kaldor (1908–1986) und John Richard Hicks (1904–1989). 33 Eidenmüller, S. 55 ff.; Kunz/Mona, S. 231; vertiefte Kritik auch hierzu bei Mathis, S. 60 ff. 34 Posner, EAL 2007, S. 13; ebenfalls unter Verweis hierauf: Eidenmüller, S. 52, Fn. 92. 35 Baumol, Analysis, S. 529; Eidenmüller, S. 55 ff. 36 Mathis, S. 57. 37 Baumol, Analysis, S. 528 f.; Backhouse, History, S. 303 ff.; Bohnen, Utilitaristische Ethik, S. 92. 30

C. Geltungsanspruch der Ökonomischen Analyse

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Praktisch erfolgt die Bewertung einer Maßnahme nach dem KaldorHicks-Kriterium durch Kosten/Nutzen-Analysen39. Eine unmittelbare Messung der Größe „Nutzen“, also eine kardinale Nutzenmessung, bei der ein Vergleich des Nutzens, den verschiedene Personen ziehen, vorgenommen wird, findet dabei indes nicht statt. Denn die Einheiten, in denen die Analyse misst, sind nicht Nutzen-, sondern Geldeinheiten40. Diese Kosten/Nutzen-Variante des Kaldor-Hicks-Kriteriums ist es, der sich nun auch die Ökonomische Analyse des Rechts bedient, wenn es darum geht, das Recht und seine Bestandteile auf ihre Effizienz hin zu überprüfen und im Zweifel Verbesserungsvorschläge zu machen41. Ist der Saldo positiv, so ist die Maßnahme effizient im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums. Dessen Vorteil gegenüber dem Pareto-Kriterium wirkt gerade im Recht: Denn rechtliche Regelungen, gleich welcher Art, haben in den allermeisten Fällen Auswirkungen auf eine Vielzahl von Individuen. Dass es Regelungen gibt, die dabei keines dieser Individuen benachteiligen, ist schwer vorstellbar. Nur ein Kriterium, das auch Benachteiligungen zulässt, kann dann aber weiterführende Antworten liefern.

C. Geltungsanspruch der Ökonomischen Analyse des Rechts sowie weitere Begrifflichkeiten Die wesentliche, allen Betrachtungen der Ökonomischen Analyse zugrunde gelegte Annahme besteht darin, dass die Ökonomie die universelle Leitwissenschaft der Gesellschaft ist. Sie kann das Verhalten von Menschen nicht nur erklären, sondern auch normativ bestimmen, denn Individuen sind, wie eben gezeigt, orientiert an den eigenen Interessen (self-interest), immer um ökonomisch vernünftiges Handeln zu deren rationaler Maximierung bemüht42. Dabei ist rationale Maximierung nicht zu verwechseln mit bewusster Berechnung43. Vielmehr ist die Rationalität an die kognitiven Fähigkeiten des Menschen gebunden. Auch die Förderung eigener Interessen kann falsch verstanden werden. Gemeint sind nicht zwingend Egoismus oder Selbstsucht. Denn das Glück anderer Personen kann auch Teil eigener Genugtuung sein. Um diesem und vergleichbaren Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, ersetzt die Ökonomie den Begriff des „Eigeninteresses“ durch den des „Nutzens“ (utility). 38 39 40 41 42 43

Mathis, S. 57. Eidenmüller, S. 51. Eidenmüller, S. 51. Eidenmüller, S. 52. Posner, EAL, 2007, S. 3. Posner, EAL, 2007, S. 3 f.

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

Geleitet vom gesamtwirtschaftlichen Nutzen als dem wesentlichen Maßstab der Ökonomie, soll das Recht seine Rationalität ausschließlich aus seiner an ökonomischer Logik orientierten Gestaltung beziehen44. Dabei wird untersucht, wie aus einem bestehenden Zustand unter Veränderung der Verteilung der feststehenden Menge an als zu knapp unterstellten45 Ressourcen der Nutzen aller Beteiligten erhöht werden kann. In den Schlüssen, die sie zieht, ist die Ökonomische Analyse des Rechts folgenorientiert46. Sie versteht sich als normativ insoweit, als dass sie im Zweifel eine Anpassung des Rechts an ein effizientes Ziel verlangt47. Sie zweifelt zwar nicht die Legalität, immerhin aber die Legitimität nicht effizienter Rechtssätze an48. Effizienz ist das Ziel, dass sie anstrebt. Bei der Lösung rechtlicher Fragen ist sie Maßstab und oberstes Prinzip49. Sie fordert, dass das Recht marktkonform ausgestaltet wird, sich also an den Gesetzen des Marktes orientiert.– Aber welche Gesetze sind das? Die wichtigste Antwort hierauf gab der britische Wirtschaftswissenschaftler Ronald H. Coase in seinem richtungweisenden Aufsatz „The problem of social cost“50. Nach dem Ansatz von Coase kann ein effizienter Zustand durch den Markt selbst herbeigeführt werden, indem sogenannte Handlungsrechte durch Verhandlungen optimal verteilt werden. Handlungsrechte sind akzeptierte Verhaltensweisen von Menschen, die aus bestehenden Gütern erwachsen und sich auf ihren Gebrauch beziehen51. Zu diesen Handlungsrechten gehört auch das Recht einen anderen zu schädigen. Wer etwa auf seinem Grundstück ein Haus bauen darf, hat das Recht mit dem Haus einen Schatten auf das Grundstück seines Nachbarn zu werfen. Ein solches Schädigungsrecht korrespondiert mit dem Recht, eine Schädigung abzuwehren (Abwehranspruch). Die wesentliche Annahme besteht nun darin, dass Handlungsrechte über Transaktionen handelbar sind. Damit dieser Handel funktioniert, müssen sie 44

Kunz/Mona, S. 232. Natrop, Mikroökonomie, S. 5; Posner, EAL, 2007, S. 3; S. 5; Baumol, Analysis, S. 496. 46 Eingehend dazu unten S. 118 ff. 47 Müller in Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (360), Taupitz, AcP 1996, S. 114 (123). 48 Müller in Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (360). 49 An dieser Stelle der Arbeit soll noch nicht im Sinne der Terminologie Ronald Dworkins zwischen Prinzipien im engeren Sinne und Zielen unterschieden werden. Diese Unterscheidung wird allerdings relevant werden, wenn es darum geht, den Wirkrahmen für das Effizienzkriterium im Bereich der Generalklauseln genauer zu beschreiben; vgl. S. 201 ff. 50 Coase 1960, S. 1–44; zu den Prämissen des Coase-Theorems: Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 145 ff.; übersichtlich zur Kritik: Roschmann, Gerechtigkeit, S. 112 ff. 51 Schäfer/Ott, S. 98. 45

C. Geltungsanspruch der Ökonomischen Analyse

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jedoch eindeutig zugeordnet sein. Die Aufgabe der Zuordnung kommt der Rechtsordnung zu52. Wenn man überprüfen möchte, ob ein Rechtssystem auf Effizienz ausgerichtet ist, so kann man dies an dem Zustand der Ressourcenverteilung nach Abschluss der Transaktionen erkennen. Hierfür ist die ursprüngliche Verteilung der Handlungsrechte nach Coase irrelevant. Coase nimmt nämlich an, dass in einer Gesellschaft, in der die Handlungsrechte eindeutig verteilt und durch (kostenfreie) Transaktionen übertragbar sind, Verhandlungen am Ende immer zu einer effizienten Verteilung führen. Der eigentliche Anlass seiner Überlegungen war das Problem der externen Kosten. Dazu ein Standardbeispiel53: Eine Fabrik stößt bei einer Produktion, die ihr einen Gewinn von e 1000 verschafft, Rauch aus, der das Eigentum von fünf umliegenden Nachbarn beschädigen könnte (etwa die Kleidung auf der Wäscheleine). Dieser Schaden wäre ein Effekt, der unmittelbar auf die Produktion der Fabrik zurückzuführen ist. Die Fabrik würde ihren Gewinn damit zumindest auch auf Kosten der fünf Nachbarn machen. Die privaten Produktionskosten der Fabrik sind dann geringer, als die der gesamten Volkswirtschaft darüber hinaus entstehenden Kosten (soziale Kosten)54. Diese Kosten werden nicht abgegolten, denn sie laufen nicht über den Markt. Sie werden deshalb negative externe Kosten genannt; die Fabrik muss sie – zumindest bis hierhin – nicht in ihre eigene Kostenrechnung einstellen55. In der Folge produziert die Fabrik mehr, als sie könnte, wenn sie die Kosten der Nachbarn zu tragen hätte. Diese Fehlallokation stellt ein Marktversagen dar, denn die Preise, die entstehen, entsprechen nicht den tatsächlichen Knappheitsverhältnissen der Ressourcen56. Würde man die Kosten der Fabrik auferlegen, so würde sie weniger produzieren. Eine solche Auferlegung wird als Internalisierung externer Kosten bezeichnet. Nur die hierdurch entstehende Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Ressourcen anderer führt zur effizienten Verwendung der gesellschaftlichen Ressourcen. Die von Coase vorgeschlagene Verhandlungslösung für dieses Problem bringt er in klarer Abgrenzung zu dem Vorschlag Pigous57 den externen Effekt durch die Erhebung einer Steuer, die seiner Höhe entspricht, auszuglei52

Schäfer/Ott, S. 98, 101. So: Coase 1960, S. 1; dazu: Mathis, S. 74 unter Bezugnahme auf Polinsky, Introduction, S. 11 ff.; ähnlich: Schumann/Meyer/Ströbele, S. 38; Müller in Buckel/ Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (361 ff.); Schäfer/Ott, S. 102 ff.; Annäherungen an die genannten Darstellungen erfolgen im gesamten Abschnitt. 54 Zum Begriff der externen Effekte vgl.: Schumann/Meyer/Ströbele, S. 38. 55 Diverse Beispiele für positive und negative externe Kosten bei: Schumann/ Meyer/Ströbele, S. 492. 56 Schäfer/Ott, S. 109. 57 Pigou, Economics, S. 124. 53

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

chen58. Damit soll dem Ansatz der staatlichen Regulierung die Idee einer dezentralen Lösung entgegen gesetzt werden. Die Verhandlungslösung berücksichtigt auch die reziproke Natur von Fällen der geschilderten Art. „The question is commonly thought of as one in which A [die Fabrik, d. Verf.] inflicts harm on B [die Nachbarn, d. Verf.] and what has to be decided is: how should we restrain A? But this is wrong. We are dealing with a problem of a reciprocal nature. To avoid harm to B would inflict harm on A.“59

Die Fabrik zur Unterlassung des Ausstoßes von Rauch zu zwingen würde ihr schaden. Dabei sollte nicht vernachlässigt werden, dass dann, wenn draußen keine Wäsche hinge, die Wäsche nicht beschädigt werden könnte. Es sind also beide Parteien, die den Schaden verursachen würden. Dies weist auf ein Hauptmerkmal von Externalitäten hin. Sie können immer nur dann entstehen, wenn zwei Parteien unterschiedliche Interessen hinsichtlich einer Ressource haben. Coase zieht aus dieser Überlegung seinen Schluss auf die eigentlich zu stellende Frage: „The real question that has to be decided is: Should A be allowed to harm B or should B be allowed to harm A? The problem is to avoid the more serious harm.“60

Ob es erlaubt sein soll, dass die Fabrik die Nachbarn schädigt oder ob die Nachbarn ein Recht auf saubere Luft haben, entscheidet sich allein dadurch, welcher Zustand den größeren Schaden vermeidet. Wann aber ruft der eine oder der andere Zustand überhaupt einen größeren Schaden hervor? Coase zeigt, dass es unter bestimmten Umständen keine Rolle spielt, wem ein Recht zugeordnet ist. Hinsichtlich der bereits angesprochenen Handlungsrechte sind (hier in Bezug auf Abwehrrechte) zwei Möglichkeiten denkbar: 1.: Die Nachbarn haben ein Recht auf saubere Luft (und Wäsche) und können deshalb die Unterlassung des Ausstoßes von Rauch verlangen. 2.: Die Nachbarn haben das Recht auf saubere Luft nicht und können deshalb auch nicht die Unterlassung des Ausstoßes von Rauch verlangen. Das wohlfahrtsmaximierende, effizienteste Ergebnis stellt sich nach Coase in beiden Zuständen ein. Die Zuweisung ist, so Coase, für ein effizientes Ergebnis so relevant wie die Augenfarbe des Richters61. Vervollständigen wir das Beispiel, um die Wege zur optimalen Allokation der Ressourcen aufzuzeigen: 58

Coase 1960, S. 28 ff. Coase 1960, S. 2. 60 Coase 1960, S. 2. 61 Coase 1960, S. 15, dort zur Zuweisung eines Rechts durch die „doctrine of lost grant“; siehe zum Problem auch die Beispiele auf S. 8 ff. 59

C. Geltungsanspruch der Ökonomischen Analyse

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Angenommen sei, der Rauch der Fabrik könnte einen Schaden von zusammen e 375 (e 75 je Nachbar) verursachen. Eine Stilllegung könnte diesen Schaden zwar verhindern, doch wäre sie nicht effizient. Denn der durch die Fabrik gewonnene Nutzen (e 1000) übersteigt den Schaden so weit, dass in jedem Fall ein Restnutzen verbliebe. Damit ist der Betrieb des Kraftwerks effizient im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums. Unterstellt sei nun, dass neben seiner Vermeidung durch Abschaltung auch noch zwei weitere Wege der Verhinderung des Schadens existieren. Es seien dies die Anschaffung von fünf Wäschetrocknern zu insgesamt e 250 (je e 50) und der Einbau eines Schornsteinfilters für e 150. Ganz gleich, ob den Nachbarn das Abwehrrecht zusteht: Der Filter wird zur Maximierung des Nutzens eingebaut werden. Hätten sie das Abwehrrecht, so würden sie die Fabrik mit Erfolg zur Unterlassung des Ausstoßes auffordern und dadurch den Einbau des Filters veranlassen. Hätten sie einen äquivalenten Schadensersatzanspruch, so wird die Fabrik als effizienteste Lösung ebenfalls eher den Filter zu e 150 einbauen, als die Trockner für e 250 anzuschaffen oder den bei Ausbleiben seiner Vermeidung entstehenden Schaden in Höhe von e 375 zu ersetzen. Sind die Nachbarn nicht mit dem Abwehranspruch ausgestattet, so werden sie selbst den Filter einbauen, um zu einer Ersparnis gegenüber dem zu erwartenden (und dann hinzunehmenden) Schaden zu kommen. Auf die Einheitlichkeit des Ergebnisses wirkt es sich auch nicht aus, wenn die Vermeidungskosten höher sind als der zu erwartende Schaden. Wenn lediglich ein Schaden von insgesamt e 100 zu erwarten wäre und die Kosten für den Einbau des Filters sowie die Anschaffung der Trockner in der ursprünglichen Höhe verblieben, so würden sowohl der Filter als auch die Trockner in beiden Varianten der Verteilung der Handlungsrechte nicht beschafft werden. Die Nachbarn werden, unterstellt, sie sind nicht mit dem Abwehrrecht ausgestattet, beide Arten der Vermeidung nicht unternehmen, denn ein Schaden von e 100 rechtfertigt den Aufwand von e 150 bzw. e 250 nicht. Haben die Nachbarn das Abwehrrecht doch, so wird die Fabrik es ihnen für einen Preis zwischen e 100 und e 150 abkaufen und den Filter bzw. den Trockner ebenfalls nicht einbauen. Welcher Preis dies genau sein wird, hängt vom Verhandlungsgeschick der Parteien ab.62 Bei jedem Preis innerhalb dieser Spanne entsteht aber ein effizientes Ergebnis, denn die Nachbarn erhalten mehr, als ihnen an Schaden entsteht, und die Fabrik zahlt weniger, als sie es bei Einbau des Filters müsste. Der Vorteil Rauch ausstoßen zu dürfen ist größer als der Nachteil, den die Nachbarn dadurch erleiden. Der Handel führt nicht nur zur gegenseitigen Berücksichtigung ab62

Vgl. Schäfer/Ott, S. 103.

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

weichender Interessen, sondern auch zur automatischen Internalisierung externer Effekte. Dass durch Verhandlungen ein effizientes Ergebnis ermöglicht wird, entspricht der sogenannten Effizienzthese des Coase-Theorems. Dass derselbe Weg, unabhängig davon, wem ein Handlungsrecht zugeteilt ist (oder werden wird), beschritten wird, entspricht der sogenannten Invarianzthese des Coase-Theorems63. Wenn die Handlungsrechte indes nicht von Anfang an effizient verteilt sind, es also offen ist, wem ein Recht zugeordnet werden soll, spielt das Recht die entscheidende Rolle bei der Verteilung. Bisher zeigt das Beispiel, wie in einem idealen Zustand eine dem Juristen nicht unbekannte Konstellation nach dem Effizienzkriterium aufgelöst würde. Zwar führt nach dem bisher Gesehenen eine Entscheidung zwischen zwei Parteien unter bestimmten Umständen zu gleichen Ergebnissen. Um beim Beispiel zu bleiben: Gesamtwirtschaftlich spielt es keine Rolle, ob den Anwohnern das Recht auf saubere Luft zusteht. Denn sowohl die Fabrik als auch die Anwohner würden, wie gesehen, dasselbe tun, um auf die effizienteste Weise den Schaden abzuwehren oder ihn ggf. hinnehmen. Doch wurde der bisherigen Betrachtung ein entscheidender Umstand vorenthalten, der für die effiziente Lösung abseits der Idealwelt in der realen Welt unausweichlich ist: das Bestehen sogenannter Transaktionskosten. Transaktionskosten sind Kosten, die für die Beschaffung von Informationen, für das Aushandeln, das Ausführen, sowie die Kontrolle und Durchsetzung von Verträgen und schließlich auch als investierte Zeit anfallen64. Werden die Transaktionskosten nun doch berücksichtigt, so wird sich zeigen, dass es durchaus eine Rolle spielen kann, wem ein Handlungsrecht zugestanden wird. Die Transaktionskosten der realen Welt machen also Entscheidungsinstanzen zur Schaffung des effizienten Ergebnisses nötig – und diese gibt das Recht (dass sich freilich an der Effizienz orientiert). Zurück zum Beispiel: Fallen im Ausgangsfall (Entstehung eines Schadens von insgesamt e 375) pro Nachbar e 60 Transaktionskosten an, um die gemeinsame Lösung für den Schornsteinfilter auszuhandeln, so kostet diese Lösung insgesamt e 450 (e 150 + 5 × e 60) und nicht mehr nur e 150 für den Schornsteinfilter. Sollte den Nachbarn das Recht auf saubere Luft nicht zugestanden werden, so würden sie nicht den Filter, sondern die Wäschetrockner für insgesamt e 250 wählen, denn einen solchen würde jeder einzelne von ihnen unabhängig von den anderen und damit ohne anfallende Transaktionskosten für nur e 50 bekommen können. Wenn Transaktionskosten hinzukommen, kann die gefundene Lösung also abweichen. Würde ihnen 63 64

Eidenmüller, S. 61. Mathis, S. 69 f.; Polinsky, Introduction, S. 12 ff.

C. Geltungsanspruch der Ökonomischen Analyse

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andererseits das Recht auf saubere Luft doch zugestanden, so bliebe es seitens der Fabrik natürlich beim Einbau des Filters zu e 150. Der Fabrik entstehen nämlich keine die Gesamtkosten erhöhenden Transaktionskosten. Das effizientere Ergebnis entstünde dann, wenn das Handlungsrecht nicht eindeutig zugeordnet ist, also dadurch, es den Nachbarn zuzusprechen. Das Recht auf saubere Luft wäre effizient, eine Gesamtersparnis entsteht. Nun ist es keineswegs so, dass Coase die Transaktionskosten unberücksichtigt gelassen hat. Vielmehr leitet er unter ihrer Berücksichtigung weitere Aufgaben für das Recht ab: „(. . .) as we have seen, the situation is quite different when market transactions are so costly as to make it difficult to change the arrangement of rights established by the law. In such cases, the courts directly influence economic activity. It would therefore seem desirable that the courts should understand the economic consequences of their decisions and should (. . .) take these consequences into account when making their decisions.“65

Wenn die Rechtsordnung bei der Zuteilung von Rechten Lücken gelassen hat, sollen die Gerichte diese Lücken so schließen, dass das effizienteste Ergebnis verbleibt. Die Rechtsordnung soll außerdem dafür sorgen, dass dort, wo die Zuordnung von Rechten bereits gewährt ist, überhaupt ein Handel damit entstehen kann. Konkret beinhaltet dies die Forderung nach der Ausweitung der bereits anerkannten Handelbarkeit von Rechten, wie etwa dem des Eigentums66, auf alle anderen denkbaren Rechte67, wie sogar Persönlichkeitsrechte. Neben dieser Ausweitung der Handelbarkeit soll die Handelbarkeit durch die Minimierung von Transaktionskosten erleichtert werden68. Ein Schritt in diese Richtung ist etwa die Schaffung von Rechtssicherheit durch umfassende Normensysteme zur Verminderung der Ausarbeitung umfassender vertraglicher Regelwerke. Der deutsche (und durchaus auch der europäische) Gesetzgeber geht mit seiner oft nicht nur von Laien, sondern auch von Juristen als solche bezeichneten „Regelwut“ also wenigstens im Sinne des Coase-Theorems und damit aus Sicht der Ökonomen durchaus den richtigen Weg. Mit Hilfe des Ansatzes von Coase können auf diese Weise auch die Auswirkungen zu schaffender oder bereits bestehender rechtlicher Regelungen analysiert werden. Weiter in Richtung des Themas dieser Arbeit rückt eine andere Forderung: Versperren zu hohe Transaktionskosten den Weg zum effizientesten Ergebnis (siehe Beispiel) und ist dies auch nicht zu verhindern, so sollen die Gerichte das hypothe65

Coase 1960, S. 19. Freilich wird der (rechtsgeschäftliche) Erwerb von Eigentum durch Einigung und Übergabe (bzw. ein Surrogat) vollzogen. Dem voran geht üblicherweise das entsprechende Verpflichtungsgeschäft (Trennungsprinzip). 67 Eidenmüller, S. 63. 68 Polinsky, Introduction, S. 13. 66

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

tische Ergebnis, das ohne sie durch Verhandlungen entstanden wäre, konstruieren und durchsetzen69. Das gilt freilich auch dort, wo vollständige Normenordnungen existieren: Fiele etwa ein Rechtsfall in den Anwendungsbereich einer Generalklausel, verlangen die Vertreter der Ökonomischen Analyse des Rechts, dass er anhand der hier beschriebenen Vorgehensweise entschieden wird. Diese Forderung beschränkt sich freilich nicht auf als relativ „weit“ verstandene Normen. Auch etwa für die Fahrlässigkeit des § 27670 oder das Freigabeverfahren gemäß § 246a AktG71 wird das Effizienzkriterium nutzbar gemacht.

D. Ziele und Vorteile der Ökonomischen Analyse des Rechts Was ist es nun, das die Ökonomische Analyse für Juristen attraktiv macht? Die Ökonomische Analyse bedient den Praktiker, denn sie lässt sich auf eine einfache Basistheorie herunter brechen72. Diese Theorie, so scheint es, hat auch noch den Vorteil unpolitisch zu sein73. Sie wird gleichwohl dem Theoretiker gerecht, der seine Annahmen in die Praxis umgesetzt sieht. Mit ihren wenigen grundlegenden Konzepten reduziert sie die für die Beantwortung vieler juristischer Fragen bestehende Komplexität74. Damit vereinfacht sie den Dialog zwischen verschiedenen Disziplinen, was durch die Einführung neuer Grundbegriffe, wie dem der „sozialen Kosten“, die juristisch sowie wirtschafts- aber auch sozialwissenschaftlich verwertbar erscheinen, verstärkt wird75. Die Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodels bei der Prognose der Folgen rechtlicher Regeln macht ihre Aussagen zudem empirisch überprüfbar76.

E. Das Problem der moralisms Es sei an dieser Stelle auf eines der Probleme hingewiesen, dem sich die ökonomische Analyse nicht nur des deutschen Rechts, sondern insgesamt 69

Eidenmüller, S. 66. Palandt-Grüneberg, § 276, Rn. 19. 71 Sauerbruch, Freigabeverfahren; neben diesen zwei Beispielen sind freilich unzählige andere ökonomische Analysen von Rechtsnormen und -problemen veröffentlicht worden, die aufzuzählen kaum möglich ist. 72 Horn, AcP 176 (1976), S. 307 (311). 73 Kennedy, 33 Stanford Law Review, S. 387 (388). 74 Eidenmüller, S. 6. 75 Horn, AcP 176 (1976), S. 307 (311); Eidenmüller, S. 6. 76 Eidenmüller, S. 6. 70

E. Das Problem der moralisms

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zu stellen hat. Als nur eines der Probleme wird es herausgegriffen, weil es im Gegensatz zu vielen anderen Problemen einen direkten Bezug zu dem zweiten Objekt dieser Arbeit, den Generalklauseln, hat. Dabei geht es um die Berücksichtigung des Wertempfindens von Menschen als externe Effekte. Als externe Effekte wurden bisher ausschließlich materielle Beeinträchtigung (positiver wie negativer Art) vorgestellt. Einbußen und Nutzen können aber auch ideeller Art sein. An dieser Stelle können oder besser könnten moralische und ethische Wertungen einen Einfluss auf die Ergebnisse einer ökonomischen Analyse ausüben. Denn prinzipiell sind auch Beeinträchtigungen eines bestimmten Wertempfindens Auswirkungen, die – im Rahmen einer Verhandlungslösung zwischen den Parteien – als externe Effekte Berücksichtigung finden77. Sie werden mit dem Begriff moralisms beschrieben78. Ethische Gesichtspunkte spielen im Anwendungsbereich der Generalklauseln eine wichtige Rolle. Könnten sie zufriedenstellend im Rahmen einer ökonomischen Analyse berücksichtigt werden, wäre ein wichtiger Teil des noch aufzudeckenden Konfliktpotentials genommen. Sowohl der Berücksichtigung als auch der Nichtberücksichtigung von moralisms stehen indes Probleme gegenüber:

I. Teilproblem 1: Bewertung Externe Effekte müssen, um berücksichtigt werden zu können, bewertet werden. Dies ist schon bei einer umfassenden Berücksichtigung materieller Effekte problematisch. Finden nun aber auch die Haltungen und Auffassungen Dritter als psychische Kosten79 Eingang in die Rechnung, so wird die Ergebnisfindung ungleich komplizierter. Welchen Wert hat es etwa, dass die Anwohner der Ruß ausstoßenden Fabrik es verwerflich finden, dass sich der Betreiber des Werkes rücksichtslos verhält? Welchen Wert hat es, das das Mitnehmen einer Person zur Arbeit Neid bei anderen Kollegen hervorruft80? Ginge es nach Mishan/Quah, dann wäre zumindest die zweite Frage klar zu beantworten: Keinen! Mishan/Quah treffen nämlich eine Vorauswahl der zu berücksichtigenden externen Effekte, die dazu führt, dass bestimmte Effekte ausgeschlossen werden: Grundsätzlich könnten danach zwar alle externen Effekte (also auch psychische Kosten) berücksichtigt werden. Doch 77 78 79 80

Kennedy, 33 Stanford Law Review, S. 387 (398). Eidenmüller, S. 145 f. Eidenmüller, S. 147. Nach: Mishan/Quah, Cost-benefit analysis, S. 92; ähnlich: Eidenmüller, S. 147.

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

müssen sie dafür auch „sozial berücksichtigenswert“ sein81. Danach nicht zu beachtende Effekte fließen nicht in die Bewertung ein. Wie das Kriterium ausgefüllt wird, bleibt, anders, als es die Besprechung bei Eidenmüller82 glauben macht, nicht vollkommen offen: Der Entscheidung seien ethische Maßstäbe zugrunde zu legen, an denen der externe Effekt gemessen werden muss. Die Entscheidung über die Erheblichkeit eines Effektes sei damit von der Mehrheit der Gesellschaft zu fällen. Ärger und Neid, Effekte also, denen aus moralischer Sicht kaum zugestimmt werden kann, sind dann nicht zu berücksichtigen83. Es kann auf diese Weise zwar durchaus in einem gewissen Maße deutlicher werden, welche externen Effekte ausgeklammert bleiben können. Schließlich könnten, soweit man sie für beachtlich hält, zur Ermittlung dessen, was als verwerflich angesehen wird, empirische Studien angefertigt werden. Offen bleibt indes nicht nur die Bewertung billigenswerter Effekte, sondern auch die Begründung dafür, warum das gemeinsame moralische Verständnis von einem Effekt einen Einfluss auf seine Erheblichkeit hat. Denn mehr als postuliert wird dies nicht. Dass Neid und dergleichen moralisch zu missbilligen sind und von einer Mehrheit missbilligt wird, ist unzweifelhaft. Dass eine Auffassung moralisch missbilligenswert ist, begründet für sich genommen allerdings nicht ihre Außerachtlassung im Rahmen einer Theorie, die dem Grunde nach alle Wirkungen zu berücksichtigen hat. Aber es besteht noch ein zweites Problem.

II. Teilproblem 2: Politische Entscheidung Sowohl bei der Berücksichtigung aller psychischen Kosten als auch dann, wenn einige von ihnen außen vor gelassen werden, verliert die Ökonomische Analyse einen Teil ihrer „Aura der Objektivität und Werturteilsfreiheit84“ und gibt – ganz im Sinne des Zitats – vielmehr den darunter verborgenen Kern einer ideologisierten oder politischen Debatte preis. Einen bestimmten externen Effekt nicht zu berücksichtigen ist mit einer politischen Wertung verbunden85. Politisch ist aber auch bereits die Entscheidung über seine Zulässigkeit überhaupt zu entscheiden. Denn eine solche Entscheidung kennt die Ökonomische Analyse gerade vor dem Hintergrund der Präferenzautonomie, also der Ausrichtung von Entscheidungen an autonom gebildeten Präferenzen, eigentlich nicht86. Die Entscheidung einiger, diesen 81 82 83 84 85

Mishan/Quah, Cost-Benefit Analysis, S. 92. Eidenmüller, S. 148 f. Mishan/Quah, Cost-Benefit Analysis, S. 92. Eidenmüller, S. 150. Eidenmüller, S. 147 f.

F. Relevanz

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Grundsatz aufzugeben, ist Ausdruck des Willens bestimmten Wertungen Vorrang zu verschaffen. Wird dann zwischen „erwünschten“ und „unerwünschten“ externen Effekten unterschieden, so schlägt sich das politische Element dieser Ausschluss-Entscheidung bis auf das Ergebnis der dann nicht mehr alle Umstände berücksichtigenden Frage nach dem effizienten Zustand durch. Schließlich wäre selbst, wenn man die Bedeutung einer gesellschaftlich konsensfähigen Auffassung anerkennen würde, fraglich, ob die Ökonomen, wie Mishan/Quah meinen, diese fehlerfrei erkennen und anwenden könnten. „Since ethical distinctions of this sort are consistently made and acted by society, the economist is justified in following suit.“87

Aber auch wenn man aufgrund der Zweifel davon absieht, eine „Vorauswahl“ zu treffen, wäre die Entscheidung, wie Eidenmüller herausgearbeitet hat, dann nicht weniger politisch88. Schließlich hätte die Rekonstruktion einer Verhandlungslösung in diesem Fall – neben den noch unmittelbar greifbaren materiellen Kosten – bei der Berücksichtigung der psychischen Kosten letztlich zu berücksichtigen, wie erwünscht bzw. unerwünscht eine Maßnahme ist.

F. Aktuell der Ökonomischen Analyse durch die Rechtswissenschaft beigemessene Relevanz – Öffnung ja, Unterwerfung nein Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde von der Ökonomische Analyse als Heilmittel zur Lösung sämtlicher juristischer Probleme gesprochen89. Adams meinte bereits den Abschied „von alltagstheoretischen Daumenregeln“90 und dem – bis zum Antritt der Ökonomischen Analyse auf dem Parkett des Rechts herrschenden – „methodischen Vakuum“91 ankündigen zu können. Dem gegenüber steht der Vorwurf, dass die Ökonomische Analyse des Rechts klassische Gerechtigkeitskriterien durch die Prinzipien der Effizienz oder der Reichtumsmaximierung ersetzt92. Es bestehen also zwangsläufig 86 Dies bildet freilich nur die normative Bedeutung des Begriffes ab; hierzu und zur positiven Bedeutung: Eidenmüller, S. 326 ff. 87 Mishan/Quah, Cost-Benefit Analysis, S. 92. 88 Eidenmüller, S. 150. 89 Vgl. die Einleitung von Taupitz, AcP 1996, S. 114 (115). 90 Adams, Jura 1984, S. 337 (344). 91 Adams, Jura 1984, S. 337 (337 f.). 92 Kunz/Mona Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 232.

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

Konflikte und damit einher geht die Kritik93: So entsteht etwa das in seiner Tragweite nicht überschätzbare Problem, dass unter alleiniger Orientierung am Effizienzkriterium die Maßstäbe der Gerechtigkeit oder ethische und soziale Grundsätze – verstanden als juristische Zielsetzungen – außer Betracht zu bleiben drohen. Der Grundsatz, vorhandene Ressourcen so ökonomisch wie möglich einzusetzen, könne in eklatanter Weise etwa dem grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsgebot (das im Zweifel nicht-ökonomische Wege zu gehen erfordert) zuwiderlaufen94. Mestmäcker reklamiert: „Wealth maximisation is no substitute for the purpose of law in general.“95 Reichtumsmaximierung soll keinen Ersatz für klassische juristische Gegenstände gewähren können, wie es etwa dann der Fall sein könnte, wenn es gilt, die ratio einer Norm zu Tage zu bringen. Der erste Teil dieser Kritik, der Grundsätze der Gerechtigkeit in Gefahr sieht, lässt außer Acht, dass es eine Vielzahl von Begriffen der Gerechtigkeit gibt; hierunter auch die utilitaristischen96. Diese wären durchaus nicht verletzt, wenn Effizienz als Entscheidungskriterium herangezogen würde. Kein Ersatz für juristische Wertungen wäre Effizienz entgegen dem zweiten Teil der Wertung dann, wenn sie sogar im Kreis juristischer Wertungen wäre. Für die wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe, wie sie in Generalklauseln vorhanden sind, könnte es dann per se auf die Effizienz ankommen97. Daneben muss der hohe normative Anspruch der Ökonomischen Analyse mit Blick auf andere (vorstellbare) Analysen des Rechts infrage gestellt werden. So könnte eine psychologische Analyse des Rechts mit derselben Berechtigung etwa vorschreiben, Zulassungsbeschränkungen an den Universitäten, wie das Numerus-Clausus-Verfahren, zu beseitigen, um Neurosen von Abiturienten vorzubeugen98. Dass die Ökonomische Analyse in der deutschen Rechtsordnung bisher einen (das Ergebnis dieses Abschnitts sei an dieser Stelle vorweg genommen) nicht annähernd so starken Einfluss hat, wie dies etwa für die amerikanische Rechtsordnung konstatiert werden kann, hat verschiedene Ursachen. Einige von ihnen seien, nachdem sie bisher lediglich angerissen wurden, an dieser Stelle näher dargelegt:

93 Müller in Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, S. 351 (353); gegen pauschale Kritik: Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 268 ff. 94 Taupitz, AcP 1996, S. 114 (124). 95 Mestmäcker, Legal Theory, S. 13. 96 Zur Gerechtigkeit und ihrer Rolle siehe ausführlich unten: S. 201 ff. 97 Zu den wertausfüllungsbedürftigen Begriffen siehe unten: S. 90 ff. 98 Zu diesem und weiteren Beispielen: Taupitz, AcP 1996, S. 114 (125).

F. Relevanz

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I. Utilitaristische Ethik versus Pflichtenethik Hier nicht nur genannt sei zunächst ein Hinweis auf die Schranken, die einer umfassenden Rezeption der Ökonomischen Analyse des Rechts innerhalb unserer, wie auch anderer kontinentaleuropäischer Rechtsordnungen – im Gegensatz zu angelsächsischen Systemen – bereits durch rechtsphilosophische Grundlagen gesetzt werden. Er betrifft die ethischen Konzepte, die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen einerseits und angelsächsischen Rechtsordnungen andererseits zugrunde liegen. Beide Seiten werden durch verschiedene Ethiksysteme beeinflusst99. Auf dem europäischen Festland wirkt sich die maßgeblich von Kant beeinflusste Pflichtenethik (Deontologie) besonders aus. In angelsächsischen Rechtsordnungen ist es die Erfolgsethik des Utilitarismus100, der wesentlich durch Bentham und Mill101 entwickelt wurde102. Beide Systeme seien, ihrer Unterschiede und ihrer damit verbundenen Zugänglichkeit für die Ökonomische Analyse wegen, an dieser Stelle kurz skizziert: Ethik beschreibt die Untersuchung dessen, was moralisch gut ist103. Neben der Frage danach, was gut ist, untersucht sie die sich hieran anschließende Frage danach, was getan werden soll. Deontologische Ethiken (deon: das Erforderliche, die Pflicht) beurteilen eine Handlung danach, ob sie einer Pflicht entspricht. Die Pflichten entstehen aus Geboten, deren Hauptgebot in der Lehre Kants die Verpflichtung der Verallgemeinerung (oder Allgemeingültigkeit) ist. Kant nennt dieses Gebot den kategorischen Imperativ und formuliert: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“104 Nach dem kategorischen Imperativ ist eine Handlung gut, wenn sie sich an einer Maxime (einem Grundsatz) orientiert, die verallgemeinerungsfähig ist. Eine Maxime ist verallgemeinerungsfähig, wenn auch andere sie sich zu Eigen machen können105. Dabei ist der Wille Ausgangspunkt der Betrachtungen. Gut ist der Wille nicht erst durch seine Wirkung. Schon das Wollen selbst ist gut. Wenn allein der Wille übrig bliebe, „so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat.“106 Die darüber hinaus gehenden 99

Hierzu: Baumann in RNotZ 2007, S. 297 (302 ff.). Coing, Rechtsphilosophie, S. 85; Lasars, Gerechtigkeit, S. 19. 101 Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873). 102 Zur Einordnung: Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 119 f. 103 Ferber, Grundbegriffe, S. 126. 104 Der kategorische Imperativ wurde auf verschiedene Weise formuliert. Diese Formulierung entstammt der Kritik der praktischen Vernunft, AA Band V, S. 30. 105 Ferber, Grundbegriffe, S. 155. 106 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA Band IV, S. 394. 100

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Folgen einer Handlung können auf die Bewertung einer Handlung schon deshalb keinen Einfluss nehmen, weil sie von Faktoren abhängen, die nicht beeinflussbar sind. Insoweit, als das der Imperativ also nicht an Folgen oder andere Bedingungen geknüpft (also unbedingt) ist, ist er kategorisch. Die Pflicht, an der sich die Handlung orientiert, ist eine individuelle Pflicht, sie entsteht in jedem Menschen selbst, sie ist Teil seiner Vernunft, der ein sittliches Bewusstsein innewohnt107. Die praktische, also die auf das Handeln gerichtete Vernunft des Menschen gibt ihm das Gesetz, an dem er seine Handlung ausrichten muss. Soweit er es von der eigenen Vernunft gegeben bekommt, gibt der Mensch sich sein Sittengesetz daher selbst, also autonom. Eine von außen dem Willen auferlegte (heteronome) Pflicht kann – und das muss mit Blick auf den hier angestellten Vergleich zu den ethischen Prinzipien, die stärker im angloamerikanischen Recht wirken, besonders herausgestellt werden – nicht der entscheidende Maßstab sein. Denn sie ließe dem einzelnen wenigstens die Frage nach dem „Warum“ ihrer Befolgung unbeantwortet. Wenn das Gebot aber nur dann, wenn es vom Menschen selbst kommt, eine Wirkung entfalten kann, dann muss der Mensch auch in der Aufstellung des Gebots frei sein, sich also selbst ein freies Wollen geben können. Unfrei gebildet hat das Sittengesetz keinen Sinn. So verbindet die sittliche Autonomie die Begriffe der Pflicht und der Freiheit, auf denen die Kantsche Ethik und Rechtslehre ruht, miteinander. Im Zusammenhang mit der Vorstellung der sittlichen Autonomie nun steht auch die Vorstellung vom absoluten Wert des Menschen und seiner Würde108. „Autonomie ist also der Grund der Würde des menschlichen und jeder vernünftigen Natur“109. Dieser Zusammenhang ist es auch, in dem die zweite Formulierung des kategorischen Imperativs kommt: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“110. Für die hier zu klärende Frage nach den Ursachen einer unterschiedlich weiten Rezeption der Ökonomischen Analyse wenigstens festzuhalten bleibt damit bis hierhin die zentrale Rolle des handelnden Individuums bei der Bildung der seine Handlung bestimmenden Moral in der Pflichtenethik. Den Gegensatz111 zum autonom von jedem einzelnen gefundenen Sittengesetz bildet eine weniger anspruchsvolle, von außen auferlegte, also hete107

Horn, Einführung, S. 195. Zalten in: Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik, S. 135; Horn, Einführung, S. 197. 109 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA Band IV, S. 436. 110 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA Band IV, S. 429. 111 Zalten in Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik, S. 134; Horn, Einführung, S. 196. 108

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ronom gebildete Moral, wie sie durch die am Gemeinwohl orientierten Nützlichkeitserwägungen der Utilitaristen zustande kommt. Im Utilitarismus (utilitas: Nutzen) hat die Frage nach dem Nutzen, die sich auch die Ökonomische Analyse stellt, ihren Ursprung112. Der Utilitarismus selbst ist eine Position innerhalb der teleologischen Ethiken, der Auffassungen also, die die Qualität einer Handlung an ihren Folgen ausrichten. Das Gute ist dort nicht im menschlichen Willen, sondern als äußerlich existierend zu ermitteln. Die moralische Qualität einer Handlung wird von der Nützlichkeit ihrer Folgen für die von ihr Betroffenen abhängig gemacht. Soweit Kant formulierte, dass es dem Wert einer Handlung „weder etwas zusetzen, noch abnehmen“113 kann, ob sie nützlich ist, halten die Utilitaristen ihm entgegen, dass nach der „Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, (. . .) Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken.“114 Gut ist nach Bentham, was der größtmöglichen Zahl von Menschen das größtmögliche Glück bringt115; gut ist, was das Glück oder den Nutzen maximiert. Wie wenig es den Utilitaristen dabei auf eine vom Handelnden selbst gebildete moralische Erwägung ankommt, belegt das Effizienzkriterium. Indem es nach den Auswirkungen auf den gemeinsamen Nutzen fragt, bewertet es das Verhalten des Einzelnen nämlich aus der Sicht der Gemeinschaft – ohne Rücksicht auf den Handelnden selbst116. Wie sehr die beiden ethischen Ansätze aufeinander prallen können, zeigt beispielsweise die teils erhebliche Kritik117, die an der Utilitarismus-Variante Peter Singers vor allem aus Deutschland ergeht118. Singer, der u. a. in Oxford und Princeton lehrte, legitimiert mit seinem Ethikverständnis (immer orientiert an den Wünschen der Betroffenen) nicht nur die Abtrei112

Horn in FS Luig, S. 45 (48). Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA Band IV, S. 394. 114 Mill, Utilitarismus, S. 13; die Bezugnahme auf das Glück legt die Nähe zum Eudämonismus (eudaimonia: Glück), der die Glückseligkeit als Ziel des Menschen herausstellt und bereits auf Aristoteles zurückgeht, offen. 115 Etwa bei: Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 11 ff. 116 Vgl. Mastronardi in Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik, S. 166. 117 Singer schildert im Anhang von „Praktische Ethik“ (S. 425 ff.) die Notwendigkeit Seminare aufgrund von Störungen abzubrechen oder Tagungen abzusagen, weil die Sicherheit von Dozenten nicht gewährleistet werden konnte. 118 Vertiefte Auseinandersetzung mit der „Praktischen Ethik“ Singers etwa bei: Hruschka in JZ 2001, 261 ff. 113

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bung119, sondern unter bestimmten Umständen etwa auch die Tötung bereits geborenen Lebens. Ermöglicht wird ihm dies durch die Unterscheidung menschlichen Lebens in nur der Spezies homo sapiens zugehörige Wesen und Personen, die sich von diesen durch Kriterien wie Rationalität, Selbstbewusstsein und Empfindungsfähigkeit abheben120. Der Wert des Menschen wird an seine Zugehörigkeit zur einen oder anderen Gruppe geknüpft. Je nach Gruppenzugehörigkeit stellt eine Tötung dann Unrecht dar – oder nicht. Zwar scheint ein sich auf diese Weise weiter entwickelndes ethisches Prinzip in unseren Breiten schlicht unanwendbar. Doch ist diese Kollision eines der Auswüchse des utilitaristischen Ethikverständnisses mit den Grundsätzen deontologischer Ethik nicht gleichbedeutend mit der völligen Unanwendbarkeit von im Lichte des Utilitarismus schlüssig und folgerichtig erscheinenden Methoden wie der Ökonomischen Analyse an sich. Das Beispiel war ein extremes. Der Einfluss des auf die allgemeine und politische Ethik des angelsächsischen Bereichs weiterhin wirkenden121 Utilitarismus öffnet das dortige Recht für den Effizienzgedanken der Ökonomischen Analyse zwar augenscheinlich; dass insoweit (ohne Übertreibung) von einem Siegeszug122 gesprochen werden kann, findet hierin einen wesentlichen Grund. Aus diesen Betrachtungen aber zu folgern, dass Effizienzerwägungen der Entscheidungsfindung unserem, von der Pflichtenethik geprägten Recht vollends vorzuenthalten seien, geht dennoch fehl. Die Gründe, die im angloamerikanischen Raum für eine stärkere Rezeption der ökonomischen Argumente sprechen, sprechen nicht gegen ihre Verwendung in unserem Raum. Sicher ist nach hiesigem ethischem Verständnis zwar, dass ein endgültig handlungsbestimmender Wertevorrang der Effizienz nur schwer zu begründen ist123. Entscheidungen sind deshalb aber eben nur nicht vollständig vom Effizienzkriterium abhängig zu machen. Damit bleibt die Möglichkeit der an ökonomischen Kriterien orientierten Untersuchung der Folgen von Rechtsregeln auch dann, wenn diese auf der Grundlage deontologischer Ethiksysteme erstellt wurden, grundsätzlich offen124. Kehrten ihre Vertreter sich vom Absolutheitsanspruch ab, so könnte die Ökonomische Analyse aus Sicht der Juristen nicht nur in den Dienst utilitaristischer, sondern auch deontologischer Ethik gestellt werden, um dann dabei zu helfen, auch nach hiesigem Verständnis gerechte und solidarische Ziele in rechtlichen Ent119 120 121 122 123 124

Zur „Zerstörung“ von Föten: Singer, Praktische Ethik, S. 197 ff. Zu den Kriterien: Singer, Praktische Ethik, Kapitel 4, insbes. S. 118 ff. Horn, Einführung, S. 189 f. Horn in FS Luig, S. 45 (57). Vgl. Baumann in RNotZ 2007, S. 297 (303). Baumann in RNotZ 2007, S. 297 (303).

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scheidungen effizient zu verwirklichen125. Dass jeder Sachverhalt ökonomisch analysiert werden kann, wird nicht bestritten. Die Frage kann allein sein, welches Gewicht die mittels Ökonomischer Analyse gewonnen Argumente bekommen.

II. Das System betreffende Unterschiede zwischen den USA und Deutschland Neben den verschiedenen philosophischen Hintergründen gibt es eine Reihe weiterer Unterschiede, die dafür sorgen, dass die Ökonomische Analyse des Rechts im angloamerikanischen Recht und dabei insbesondere in den USA schneller in die Rechtspraxis eingehen konnte, als anderswo126. Eidenmüller kehrte hierfür besonders die starke Rolle, die Richter in Amerika einnehmen, hervor127. Kirchner betonte ihre Stellung im System der checks and balances128. Beide Gesichtspunkte stehen als Nährboden für die Ökonomische Analyse miteinander in Verbindung. An dem nun schon mehrmals zitierten Rechtsprofessor und wichtigen Vertreter der Ökonomischen Analyse des Rechts Richard Posner gibt es auch hier kein Vorbeikommen. Neben seiner Tätigkeit an der University of Chicago war Posner bis zum Jahr 2000 nämlich auch Richter am United States Court of Appeals for the Seventh Circuit. Seine Entscheidungen traf Posner, wie viele andere Richter, die als Vertreter der Ökonomischen Analyse auftreten129, immer wieder auch unter Hinzuziehung des Effizienzkriteriums130. Dabei kam ihm das in allen anglo-amerikanischen Rechtsordnungen bestehende System des case law entgegen. Denn in einem solchen Fall125

Mastronardi in: Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik, S. 167. 126 Die folgenden Unterschiede nehmen gewissermaßen gesamte Rechtsordnungen in Bezug. Dass es im Bereich der Generalklauseln gewichtige Übereinstimmungen zu dem, was nun als Unterschied vorgestellt wird, gibt, wird unten S. 100 ff. noch zu zeigen sein. 127 Eidenmüller, S. 404 ff. 128 Kirchner in 11 International Review of Law and Economics, S. 277 (283 ff.). 129 Dazu: Eidenmüller, S. 405 (Fn. 33). 130 Ein vielzitiertes Beispiel ist die Entscheidung United States Fidelity & Guaranty Company v. Plovidba, 683 F2d 1022, indem es um die Haftung eines Schiffseigners für den Tod eines Hafenarbeiters ging. Ob der Eigner fahrlässig handelte, ermittelte das Gericht auf der Grundlage ökonomischer Erwägungen (Die Entscheidung fiel unter Berücksichtigung der Learned-Hand-Formel [vgl. zu ihrer Anwendung im deutschen Recht des § 276 nur: Palandt-Grüneberg, § 276 Rn. 19, wo die Anwendung jedoch auf Sachschäden begrenzt ist]; ausführlich zu Haftungsfragen aus ökonomischer Sicht: Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 141 ff.).

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rechtssystem wird das Recht zu wesentlichen Teilen durch die Gerichte gebildet131. Bei der Entscheidungsfindung eigene Maßstäbe wie das Effizienzkriterium einzubeziehen, wird den Richtern dabei nun insoweit durch ihre Rolle im Gefüge der checks and balances erleichtert, als dass die Judikative bei der Gestaltung der Gesellschaft gleichberechtigt neben der Legislative steht132. Das Effizienzkriterium zu einem Bestandteil der Rechtsordnung werden zu lassen, wäre aber kaum möglich, wenn die Richter nicht auch die Bereitschaft dazu zeigten, die Rechtsordnung für neue Strömungen zu öffnen. Doch ist genau dies im amerikanischen Rechtsraum bei vielen von ihnen der Fall. Das nötige Selbstverständnis dafür, solche rechtspolitischen Erwägungen im Allgemeinen und am Effizienzkriterium orientierte Erwägungen im Besonderen anzustellen, ist auf den anhaltenden Einfluss des Rechtsrealismus zurückrückführbar133. Realisten nämlich sind von der Idee der Funktionalität rechtlicher Institutionen geleitet. Dabei soll das Recht ein Mittel dazu sein, gesellschaftliche Abläufe effizient zu beeinflussen134. Während in Deutschland die Gerichte im Wesentlichen darauf beschränkt sind, die von der Legislative vorgegebenen Normen zu interpretieren, bietet die strukturelle Offenheit des amerikanischen Systems seinen Richtern den Schlüssel dazu, eigene methodische Ansätze einzuführen135. Dass dies einen Unterschied zur Situation in Deutschland darstellt, findet sich auch nicht dadurch widerlegt, dass in Deutschland die Gerichte durchaus zahlreich neue Entwicklungen bedingen. Denn es wird sich regelmäßig feststellen lassen, dass auch die Entwicklungen neuer Institute in den Grenzen bestehender rechtlicher Vorstellungen erfolgen. Würden deutsche Gerichte diese Grenzen sprengen, so wäre es für die Legislative ein Leichtes, dieser Entwicklung mit Gesetzesänderungen entgegenzutreten136 – anders als in den USA. Hier wirkt einem Gesetzgeber, der sich gegenüber bestimmten Strömungen sperren will, nicht nur die eben beschriebene, starke und Ideen gebende Rolle der Richter entgegen. Zwar ist der Gesetzgeber an sich ebenfalls keineswegs daran gehindert, Regeln einzuführen, die sich einer 131 Eidenmüller, S. 405; zur Bedeutung des Fallrechts im Anwendungsbereich von Generalklauseln siehe unten: S. 101 ff. 132 Eidenmüller, S. 409 f. 133 Kirchner in 11 International Review of Law and Economics, S. 282; Eidenmüller, S. 407 ff.; Reimann, US-amerikanisches Privatrecht, S. 9 ff. hebt die Rolle des legal realism für die Zweckorientierung der amerikanischen Rechtsordnung im Allgemeinen und der Etablierung des law and economics-Ansatzes im Speziellen hervor. 134 Kunz/Mona, S. 28 f., 131 ff. 135 Kirchner in 11 International Review of Law and Economics, S. 284. 136 Kirchner in 11 International Review of Law and Economics, S. 284.

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im Richterrecht entwickelten Linie entgegenstellen; auch in den USA ist ein gesetzlich geregelter Bereich durch die gesetzliche Regelung zunächst abschließend geregelt. Doch bedeutet dies im Kontext des Common Law etwas anderes, als im deutschen Recht. Das Gesetz bildet hier nämlich immer lediglich einen schwachen Ausgangspunkt der Rechtsfindung durch den Richter. Hay spricht allgemein bezogen auf Fallrechtssysteme insoweit davon, dass das Fallrecht das Gesetz „überlagert“137. Diese Schwäche beschränkt die Möglichkeiten erheblicher Kurswechsel durch den Gesetzgeber stark. Denn er kann durch die eine Bindungswirkung entfaltende Auslegung der Gesetze durch die Gerichte von letzteren doch auch stets korrigiert werden138.

III. Konsolidierung im Rahmen vorhandener Grenzen Wie gesehen sind die aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Rezeption der Ökonomischen Analyse in Deutschland keine, die gegen ihre Rezeption als solche sprechen. Des verbleibenden Problems, aufgrund ihres Universalitätsanspruchs nicht ernst genommen zu werden139, entledigt sich die Ökonomische Analyse des Rechts, indem sie auf diesen verzichtet und andere Ziele achtet. So stellt sogar Posner am Beispiel verschiedener Straftatbestände fest, dass Effizienz zwar ein wichtiges, nicht aber das alleinige Bewertungskriterium zur Beantwortung juristischer Fragestellungen sein kann: „An effort will be made in this book to explain some of these prohibitions in economic terms, but many cannot be. Evidently there’s more to justice than economics, and this is a point the reader should keep in mind in evaluating normative statements in this book.“140

Dem ökonomischen Ansatz bleibt damit ein Stellenwert erhalten, der ihn immerhin zu einer grundsätzlichen Anerkennung der Verwertbarkeit seiner Ergebnisse führt141. Immer noch auftretenden Unterstellungen, die Ökonomische Analyse sei zu theoretisch und ihre Ergebnisse schwer zu verwenden, wird man mit einem Vergleich Posners zu Newtons Gesetzen der Bewegung, entgegentreten können: Trotzdem an Newtons Theorien kritisiert werden könnte, sie seien unrealistisch, weil Körper zu selten in einem Vakuum fallen, ist unbestritten, welchen Wert sie für das alltägliche Leben ha137 138 139 140 141

Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 19. Zur stare decisis siehe unten S. 102 ff. Taupitz, AcP 1996, S. 114 (126). Posner, EAL, 2007, S. 27. Taupitz, AcP 1996, S. 114 (127).

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Kap. 2: Zur Ökonomischen Analyse des Rechts

ben142. Die diesen Bemerkungen vorangegangene Darstellung der Hintergründe und Funktionsweisen der Ökonomischen Analyse des Rechts hat gezeigt, dass die Rechtsordnung durchaus von ökonomischen Einflussfaktoren bestimmt werden kann. Sie kann an gewissen Punkten durch ökonomische Ansätze sogar gesteuert werden. Deshalb soll das Prinzip der Effizienz auch ein wichtiger Topos in Rechtsetzung und -anwendung werden143. Von einer wertenden Abwägung, die das „more to justice“ im Sinne des letzten Zitats einbezieht, kann sie die Juristen indes nicht befreien. Im deutschen Recht sind es in besonderem Maße die Generalklauseln, die Wertungen zugänglich sind; sie werden auch als besonders offen bezeichnet. Diese Offenheit lässt zwei Schlüsse zu: Zum einen liegt die Verwendung neuer Kriterien, also solcher, die noch nicht als vollständig etabliert gelten, nahe. Zum anderen entsteht automatisch ein Bedürfnis danach, zu zeigen, welche Grenzen es für dem Recht fremde Erwägungen dennoch gibt. Da nun schon in einem frühen Stadium der Untersuchung weder der streng bejahenden, noch der streng verneinenden Auffassung zur Nutzbarkeit der Ökonomischen Analyse des Rechts zugestimmt wurde, kann es im Folgenden nur noch darum gehen, welche Besonderheiten sich aus der Ausfüllungsbedürftigkeit der Generalklauseln ergeben. Dabei scheinen außer der Möglichkeit, für die Generalklauseln dasselbe gelten zu lassen, wie für die gesamte Rechtsordnung, wieder zwei Alternativen an den Rändern dieses Wegs möglich: Die Generalklauseln könnten durch ihre Weite gerade ein Ort sein, um dem Effizienzkriterium besonders viel Spielraum zu geben. Sie könnten durch ihren erheblichen Bezug zum Wertesystem der deutschen Rechtsordnung (Stichwort schon hier: Drittwirkung der Grundrechte) aber auch Anlass dazu geben, den Gebrauch eines vorderhand als wertfrei bezeichneten Kriteriums komplett zu verbieten. Wenn justice schon nach Posner mehr verlangt, als ökonomische Erwägungen liefern können, dann ist zum einen zu klären, auf welche Weise die Gerechtigkeit im Anwendungsbereich der Generalklauseln wirkt und zum anderen, was sie durch ihre Wirkweise in diesem Bereich außer ökonomischen Erwägungen noch zu berücksichtigen verlangt144. Im Folgenden soll zunächst ein Blick auf einige Generalklauseln des BGB geworfen werden. Dabei wird als roter Faden die Inbezugnahme der teilweise selbst als Generalklausel bezeichneten Wortfolge Treu und Glauben dienen. Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass Treu und 142

Posner, EAL, 2007, S. 16. Baumann in RNotZ 2007, S. 297 (305). 144 Siehe dazu unten: S. 177 ff., zur Wirkweise der Gerechtigkeit durch Grundrechte als Prinzipien und den daraus resultierenden Forderungen insbesondere: S. 201 ff. 143

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Glauben, insbesondere der zentrale § 242, auch als die Generalklausel des BGB und sogar der gesamten Rechtsordnung bezeichnet wird. Mit der Einsicht Posners im Hinterkopf, die Gerechtigkeit umfasse mehr als nur ökonomische Erwägungen, soll über die Betrachtung der Treu und Glauben direkt in Bezug nehmenden Normen gedeutet werden, welchen Bezug sie zur Gerechtigkeit aufweisen und inwieweit sich dieser Bezug zur Gerechtigkeit und mit ihr verbundenen Prinzipien des Rechts auf die Anwendung der Normen auswirkt.

Kapitel 3

Treu und Glauben im BGB A. Allgemeines Soweit in Generalklauseln höherrangige Prinzipien einer Rechtsordnung zum Tragen kommen, muss für die Frage nach der Anwendbarkeit ökonomischer Kriterien geklärt werden, was diese Prinzipien ausmacht. Dabei kann auf zwei Weisen vorgegangen werden: Das hier zur Veranschaulichung herangezogene Prinzip von Treu und Glauben kann, wie noch zu sehen sein wird, ohne den Bezug zu einer konkreten Norm, die diese Wortfolge enthält, beschrieben werden. Trotzdem ist es gerade die induktive Methode, raus aus den Normen, rein in den darüber liegenden Gedanken, die hier nicht weniger aufschlussreich ist, als abstrakte Überlegungen (II. und III.). Gerade ein Grundsatz, der als der Rechtsordnung immanent verstanden wird (IV.), wirft bei seiner abstrakten Konkretisierung nämlich Fragen auf, denen vor allem mit der Betrachtung der aus ihm hervorgegangenen und anerkannten Auswüchse begegnet werden kann und muss. Da Treu und Glauben einerseits Eingang in neuere Normen gefunden hat und andererseits einige der in der Rechtsprechung aus ihm entwickelten Fallgruppen in das Gesetz aufgenommen wurden, soll hier, der Übersichtlichkeit und des Umfangs wegen, eine Beschränkung auf jene Ausformungen erfolgen, die das Gesetz wiedergibt. Die Relevanz nicht direkt vom Gesetz wiedergegebener Fallgruppen wird damit nicht infrage gestellt.

B. § 242 Ganz an den Anfang seines zweiten Buches stellt das BGB die Norm des § 242. Dort steht sie durchaus nicht ohne Grund. Schon diese Stellung kann Auskunft über die dem Gehalt der Norm beigemessene Bedeutung geben. Das ist freilich nicht unumstritten. Nicht nur, dass die Stellung der Norm ihre Bedeutung anzeigt, sondern schon, dass der Norm überhaupt noch eine Bedeutung zukommt, wird angezweifelt1. 1 Zur Überflüssigkeit der Existenz der Norm aufgrund der Geltung des Rechtsstaatsprinzips: Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 111.

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I. (v. a.) Jüngere Entwicklung; Bedeutung Für das Verständnis des § 242 ist ein Blick auf seine Entstehung angezeigt. Freilich ist dies an anderer Stelle2 schon umfangreicher und präziser geschehen, als es hier möglich (und nötig) ist. Deshalb beschränkt sich diese Arbeit auf eine Wiedergabe der Punkte, die für ihr Ziel relevant sind. Die historischen Einflüsse auf den heutigen § 242 finden ihre Wurzeln bereits im Römischen Recht. Sowohl die „bona fides“, die, als ethische Grundlage oder Verhaltensanforderung in das Recht einbezogen3, schon dort eine Art „unbestimmten Rechtsbegriff“4 darstellte, als auch die „aequitas“, die als Billigkeitserwägung korrigierend dazu diente, bindende Rechtssätze zu überwinden5 (und insoweit inhaltlich schwer von der „bona fides“ abzugrenzen ist6), dienten den Schaffern des BGB als Vorlage7. Die Entwicklung der Sprachformel Treu und Glauben, die ihrem Inhalt nach ursprünglich von dem der „bona fides“ abwich, heute aber von ihr überlagert ist, lässt sich bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen8. Die inhaltliche Ausweitung des § 242 ist, wie Weber9 zeigte, durch verschiedene, teilweise parallel verlaufende Entwicklungen bedingt: Obwohl sie zur Zeit der Schaffung des BGB und dessen § 242 ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte, hinterließ die Freirechtsbewegung mit ihrem Ansatz, die wahren Quellen der richterlichen Entscheidung seien das Rechtsgefühl und die praktische Vernunft, immerhin den Mut auch unbestimmte Gesetzesbegriffe zu verwenden. Eine hierhin gehende Entwicklung drängte sich keineswegs auf, wie sich zeigt, wenn man sich Äußerungen vor Augen hält, wie sie zuvor noch von Carl Gottlieb Svarez, einem der Köpfe des ALR, gemacht wurden: „Undeutlichkeit und Ungewissheit des Gesetzes sind für den Bürger von Übel. Denn alsbald wird der Richter Gesetzgeber und nichts kann der bürgerlichen Freiheit gefährlicher sein, zumal wenn der Richter ein besoldeter Diener des Staates und das Richteramt lebenswierig ist.“10

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Siehe nur etwa: Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 6 ff. Staudinger/Schmidt (1995) § 242 Rn. 4; vgl. auch etwa: Kaser/Knütel, S. 178 ff. 4 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 11. 5 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 13. 6 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 12. 7 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 7 ff. 8 Weber in Jus 1992, S. 631 (632); dort auch mit Rückschlüssen auf den materiell-rechtlichen Einfluss dieser Wurzeln. 9 Weber in Jus 1992, S. 631 (633 f.). 10 Zitiert nach Weber in Jus 1992, S. 631 (631). 3

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Einmal im BGB verankert, dauerte es indes nicht lange, bis die Gerichte erkennen ließen, welchen Stellenwert sie der neuen Norm einräumten. So formulierte das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Mai 1914, also unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs: „Die §§ 157, 226, 242, 826 erscheinen nur als besondere Ausprägungen eines allgemeinen Prinzips. [. . .] [D]as allgemeine Prinzip beherrscht alle Einzelbestimmungen und muß gerade in ihnen lebendige Wirkung üben, zur Klärung, Erweiterung, Ergänzung oder Beschränkung des vereinzelten Wortlauts.“11

Damit sind zwei wichtige Punkte angesprochen: Zum einen wurde die Bedeutung eines allgemeinen Prinzips hervorgehoben, das nicht nur den genannten, sondern allen Normen innewohnt. Zum anderen war der Weg für die weitere Ausweitung der Anwendung des § 242 vorgezeichnet. Für die mit dem Ersten Weltkrieg einhergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten bot der große Spielraum der Generalklausel die notwendige „Lösungsfreiheit“. In dieser Zeit entstand dann mit der Lehre von der Störung der Geschäftsgrundlage auch eine ihrer wichtigen Ausprägungen12. Im Zuge des sog. „Aufwertungskampfes“ ist ein deutlicher Zuwachs der unter Zuhilfenahme von § 242 entschiedenen Fälle zu verzeichnen13. Die inflationsbedingte Geldentwertung machte es nötig die strikte Geltung des währungsrechtlichen Nominalprinzips („Mark gleich Mark“) zu durchbrechen und damit das gesetzte Recht unter den (damit über dieses gehobenen) Grundsatz von Treu und Glauben zu setzen und diesen gleichsam zur „Superrevisionsnorm“ werden zu lassen14. Dem Versuch der Reichsregierung, dieser Abkehr vom Nominalprinzip mit neuen Gesetzesvorgaben entgegenzutreten, konterkarierten die Richter mit dem unbedingten Verlangen, ihre Rechtsprechung zu berücksichtigen oder anderenfalls einem neuen, ihr entgegenstehenden Gesetz die Gefolgschaft zu verweigern15. Der Grundsatz von Treu und Glauben stehe, so die Richter in ihrer Eingabe, außerhalb der einzelnen Gesetze und eine Norm, die gegen ihn verstoße, sei selbst kein Recht und wäre dementsprechend auch nicht anwendbar. Gerade dieser letzte Hinweis darauf, dass eine Norm unter bestimmten Voraussetzungen schon kein Recht und dann nicht anwenbar sei, weist eine Parallele zu einem später durch Radbruch geprägten Satz auf: Auch er geht von der Möglichkeit aus, dass ein Gesetz kein Recht sein kann. Radbruch hat das Urteil hierüber aber unter den Vorbehalt gestellt, dass das 11

RG, Urteil vom 26.05.1914, RGZ 85, 108 (117), dort zur Aufrechnung. Vgl. nur Krebs AK-BGB § 313 Rn. 4; Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 53 f. 13 Mit Statistiken: Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 56. 14 Weber in Jus 1992, S. 631 (633). 15 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 55 f.; Weber in Jus 1992, S. 631 (633 f.); jeweils mit Abdruck der entsprechenden Stelle der Eingabe des Richtervereins vom 08. Januar 1924. 12

B. § 242

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Gesetz schon gar nicht im Sinn hat, der Gerechtigkeit zu dienen16. Sowohl in der Eingabe der Richter, als auch bei Radbruch findet sich also der Ansatz ein Gesetz nicht anzuwenden, wenn es wider Treu und Glauben (so die Eingabe) oder wider die Gerechtigkeit (Radbruch) wirkt. Wenngleich die Vorzeichen der jeweiligen Aussagen gänzlich verschiedene sind (die Inflation bei der Eingabe und der zweite Weltkrieg bei Radbruch) und schon dies einen Vergleich erschwert, so gibt die Parallelität der Formeln aber einen Anhaltspunkt für den Bezug zwischen der Gerechtigkeit und Treu und Glauben. Jener Anhaltspunkt unterstreicht freilich die Behauptung des Einflusses von (Grund-)Werten auf das Recht gerade bei den Generalklauseln. In der Folge der Eingabe verwendete das Reichsgericht Treu und Glauben immer häufiger als eher vorrechtlichen Maßstab, an dem sich jedes Recht messen lassen müsse17. Schließlich war es das sich festigende Bild von der Aufgabe der Generalklauseln, eine Korrekturwirkung auszuüben, das zur Aufwertung auch des § 242 beitrug18. Die wenig konkrete Fassung des Begriffspaars Treu und Glauben gab dazu Anlass, § 242 als Grundlage für Entscheidungen aus Billigkeitsgründen wahrzunehmen. Damit ist auch ein sehr eindeutiger Bezug zur Gerechtigkeit hergestellt. Denn Billigkeit betrifft die Gerechtigkeit des Einzelfalles, die Berücksichtigung seiner individuellen Umstände, wie sie ein Abweichen von allein an positivem Recht orientierten Lösungsansätzen erfordert19. Bis heute dient diese § 242 zugestandene Korrekturfunktion dazu, in Fällen, die zu einem Treu und Glauben widersprechenden Ergebnis führen würden, gesetzliche Tatbestände im Sinne der zitierten Entscheidung des Reichsgerichts zu klären, zu erweitern, zu ergänzen und ggf. auch zu beschränken.

II. „Tatbestands- und Rechtsfolgenmerkmale“ Einen genaueren Einblick in das weite Feld der ihr zugesprochenen Wirkung verschafft die Betrachtung der einzelnen Bestandteile der Norm. Im Gegensatz zu seiner Bedeutung blieb der Wortlaut des § 242 seit seiner 16

Radbruch, SJZ 1946, S. 105 (107); Lediglich ungerechte Gesetze könnten nach Radbruch durchaus noch zur Anwendung kommen, es sei denn, der Widerspruch zur Gerechtigkeit erreicht ein unerträgliches Maß. Der Widerspruch, den er meint, kann durch die anderen Elemente der Rechtsidee, die Zweckmäßigkeit, vor allem aber die Rechtssicherheit (die aber ihrerseits in gewissem Maße ungerechtes Recht anzuwenden gebieten kann) hervorgerufen werden. 17 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 57. 18 Dazu: Weber in Jus 1992, S. 631 (634). 19 Zur Berücksichtigung der Individualität eines Falles siehe unten: S. 163 ff.; zu Billigkeitserwägungen im Kontext des Europäischen Privatrechts siehe: Rybarz, Billigkeitserwägungen.

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Schaffung bis heute unverändert. In einigen Kommentierungen findet sich daher angedeutet, was Roth besonders deutlich ausspricht: Die Wortlautinterpretation sei danach „für die Erkenntnis und Handhabung des gegenwärtigen Rechts des § 242 nahezu ohne jeden Wert“20. Seinen Schluss zieht Roth aus einer Betrachtung der einzelnen Bestandteile des § 242. Eine solche Betrachtung soll hier, ob dem Ergebnis Roths zugestimmt wird oder nicht, auch vollzogen werden. Denn es kann nichts anderes, als ein Bestandteil der Norm sein, sei es durch seine konkrete Bedeutung, sei es durch seine Ausfüllungsbedürftigkeit, der das Gesetz für die über § 242 in es einfließenden Strömungen öffnet. Die Uneinheitlichkeit im Meinungsspektrum zu einzelnen Teilfragen wird schon von der Verschiedenheit der Überschriften der Abschnitte, die die Bestandteile der Norm behandeln, vorgezeichnet. Looschelders/Olzen etwa diskutieren die einzelnen Bestandteile, weil sie einer eindeutigen Einteilung in Tatbestands- und Rechtsfolgenmerkmale nicht zugänglich seien, unter der Überschrift „Normativer Gehalt“ und weisen in diesem Zusammenhang auf die Formulierung bei Roth, der mit „Wortinterpretation“ überschreibt, hin21. Teichmann unterscheidet hingegen klar zwischen Tatbestand und Rechtsfolge22. Sutschet23 und Heinrichs/Grüneberg24 wiederum besprechen unter der bei beiden gleichlautenden Überschrift „Tatbestandliche Voraussetzungen“ als eine dieser Voraussetzungen auch das Wortpaar Treu und Glauben, das von den zuvor genannten Autoren (auch jenen, die eine eindeutige Trennung der Bereiche für nicht möglich halten) jedenfalls aber in den Bereich der Rechtsfolge geordnet wird. Wie sehr die Grenzen zwischen Tatbestand und Rechtsfolge verschwimmen und dies eine Unterscheidung nötig macht, wird an dieser Stelle dennoch offen gelassen. Denn wenigstens darin herrscht Einklang: Als Generalklausel oder „offene Norm“ enthält § 242 keine – welcher Gruppe man sie zuordnet sei dahingestellt – Tatbestands- oder Rechtsfolgenmerkmale, die der unmittelbaren Subsumtion zugänglich sind25. Ohne eine 20

Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 16; dem stimmte Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 62 in der ersten Auflage noch zu. Mittlerweile erkennt auch er aber gewisse Möglichkeiten zur Deutung des Wortlauts an, siehe: Looschelders, SchuldR-AT, 9. Auflage Rn. 62. 21 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 122; Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 8. 22 Soergel-Teichmann (12. Auflage 1990) § 242, Rn. 29 ff. 23 Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 13 ff. 24 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 3; die Kommentierung wird mittlerweile (seit der 65. Auflage) zwar von Grüneberg fortgeführt, die (beibehaltene) Untergliederung geht aber noch auf Heinrichs zurück, vgl. Palandt-Heinrichs, 64. Auflage, § 242, Rn. 3. 25 Erman/Hohloch (12. Auflage 2008) § 242 Rn. 2; Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 2; Soergel-Teichmann (12. Auflage 1990) § 242, Rn. 5.

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Entscheidung für die eine oder andere Verfahrensweise bei der Unterteilung soll daher vielmehr einfach in der „traditionellen Schrittfolge“26 vorn damit begonnen werden, die Bestandteile auf ihren mitgegebenen und hinzugefügten Gehalt hin zu überprüfen. 1. Der Schuldner ist verpflichtet . . . § 242 stellt mit seinem Gebot, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, strengere Anforderungen als das etwa in § 826 normierte Verbot eines Verstoßes gegen die guten Sitten27. Die guten Sitten sind nämlich eindeutig gegenüber jedermann zu beachten. Uneinheitlich beurteilt wird indes, wo der Maßstab von § 242 Anwendung findet. Soweit dem Wortlaut nach ein Schuldner verpflichtet ist, lässt dies auf das Erfordernis eines Schuldverhältnisses schließen. Der Eindeutigkeit dieses Befundes stehen die mannigfachen Auffassungen zur Weite des Begriffs gegenüber. Umfasst sind – soweit herrscht Einigkeit – rechtsgeschäftliche und gesetzliche Schuldverhältnisse. Das ergebe sich, so etwa Looschelders/Olzen, nicht nur aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung am Anfang des zweiten Buches (Recht der Schuldverhältnisse), sondern auch aus den Gesetzesmaterialien28. Mehr wird dort allerdings nicht zugestanden. Ein weitergehendes Verständnis ließen Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck des § 242 nämlich nicht zu29. Anders sieht dies indes Krebs, der die systematische Stellung allein unter dem Verweis auf eine „allgemein anerkannte Erweiterung des § 242“ genügen lässt, um eine Ausdehnung auf jede Sonderverbindung zu konstatieren30. Sonderverbindungen seien in der Regel als Verhältnisse, in denen keine Leistungs- wohl aber Schutzpflichten bestehen, einzuordnen31. Ebenfalls mit dem Argument der systematischen Stellung bejaht Grüneberg die Geltung für alle Sonderverbindungen32. Er will den Begriff dabei „im weitesten Sinn“ verstanden wissen33. 26

So: Soergel-Teichmann (12. Auflage 1990) § 242, Rn. 29. Sittenwidrigkeit setzt, um „erfüllt“ zu sein, einen groben Verstoß gegen Treu und Glauben voraus: Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 21; vgl. auch: Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 63. 28 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 126 (dort auch zum Verweis in die Gesetzesmaterialien); vgl. zur systematischen Stellung auch Roth in MüKoBGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 8. 29 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 128. 30 Krebs AK-BGB § 242 Rn. 11. 31 Umfassend: Krebs AK-BGB § 241 Rn. 24 unter Verweis auf Canaris, JZ 1965, 475; Palandt-Grüneberg, Einl v § 241 Rn. 4. 32 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 3. 33 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 3. 27

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Nach Werner schließlich soll der Grundsatz von Treu und Glauben „in erster Linie“ im Rahmen von Sonderverbindungen wirken34. Neben Krebs und Grüneberg leistet er damit seinen Beitrag zur immer noch herrschenden Meinung35 von der Erforderlichkeit der Sonderverbindung. Um Eingrenzung des Anwendungsbereichs von § 242 bemüht, wird innerhalb dieser Meinung wiederum differenziert: Krebs unterscheidet für die Reichweite nach den Funktionen der Norm. Diese Funktionen werden von ihm in Gruppen, nämlich die Begründung von Loyalitäts- und Rücksichtnahmepflichten sowie die Billigkeitsfunktion unterteilt. Während Loyalitäts- und Rücksichtnahmepflichten das Bestehen einer Sonderverbindung voraussetzten, sei dies für die Auswirkungen der Billigkeitsfunktion nicht erforderlich36. Ähnlich unterscheidet Teichmann, der ebenfalls am Erfordernis der Sonderverbindung festhält37. Nach dieser Auffassung sei die unmittelbare Anwendbarkeit von Treu und Glauben mit der Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe und Rücksichtnahme nur im Bereich bestehender Sonderverbindungen anzunehmen. Außerhalb von Sonderverbindungen zeige sich ein nur noch (aber immerhin) mittelbarer Einfluss des § 242, denn der gelte insoweit durchaus im „gesamten Rechtsleben“. Allerdings seien dort, wo keine Sonderverbindung existiert, nur die Institute der Unzumutbarkeit und des Rechtsmissbrauchs anwendbar. Gegen solche Beschränkungen regt sich Widerstand. Nicht nur in gewissen Bereichen solcher Differenzierungen, sondern gleich insgesamt will Schmidt auf das Erfordernis einer Sonderverbindung verzichten38. Etwas abgeschwächt formuliert einen solchen Verzicht auch Hohloch39, wenn er anführt, dass „§ 242 die Funktion [hat], in einer (. . .) Rechtsbeziehung zur Anwendung kommen zu können“, die, „unerheblich auf welcher Grundlage, zur Entstehung kommt und zur Heranziehung von § 242 Anlaß gibt“, und dass die Benennung dieser Rechtsbeziehung als Sonderverbindung40 „zu aufwendig und der Funktion [des § 242] nicht angemessen“ ist. Als Argument in diesem Streit wird auch die eingangs bereits angedeutete Grenzziehung zwischen den Anwendungsbereichen der guten Sitten und Treu und Glauben fruchtbar gemacht41. Mittels des Erfordernisses einer Sonderverbindung sei es möglich, so heißt es, klarstellen zu können, wann 34

Erman/Werner (10. Auflage 2000) § 242 Rn. 19. Ferner für das Erfordernis einer Sonderverbindung etwa auch: Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 14; Hk-BGB/Schulze § 242 Rn. 3. 36 Krebs AK-BGB § 242 Rn. 11 f. 37 Soergel-Teichmann (12. Auflage 1990) § 242 Rn. 30 ff.; Teichmann bezeichnet das Schuldverhältnis auch als einzige „Rechtsvoraussetzung“ (Rn. 29). 38 Staudinger/Schmidt (1995) § 242 Rn. 161 ff. 39 Erman/Hohloch (12. Auflage 2008) § 242 Rn. 15. 40 Hohloch selbst spricht von „Sonderbeziehung“. 35

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die Betroffenen die in § 242 verankerten höheren Pflichten treffen und wann sie lediglich ein gewisses ethisches Minimum im Sinne von § 826 zu wahren haben. Ob die Forderung einer Sonderverbindung aber tatsächlich dazu in der Lage ist, das Maß bestehender Pflichten zu bestimmen, wird zu Recht bezweifelt: Die Konkretisierung von Pflichten mit dem Erfordernis der Sonderverbindung zu verfolgen, muss nämlich fehlschlagen, wenn der Begriff der Sonderverbindung selbst entweder gar nicht konkretisiert wird, oder aber seine Konkretisierung eine so weite Fassung erfährt, dass er auch in solchen Bereichen greift, wo zunächst gar kein Verhältnis zwischen den streitenden Personen bestand. Genau dies aber ist dort geschehen, wo § 242 herangezogen wurde, um Schuldverhältnisse überhaupt erst zu begründen (culpa in contrahendo). Unter Beachtung (und Anerkennung) der faktischen Anwendung auf solche Weise wird deutlich, dass es „sachlich (. . .) kaum einen Unterschied“42 bedeutet, ob man auf das Erfordernis einer Sonderverbindung verzichtet oder es, wie diejenigen, die es fordern, so sehr ausweitet, dass es sogar zur dann für die Anwendung von § 242 notwendigen Schaffung von entsprechenden Verhältnissen taugt. Braucht es dann aber heute noch eine Streitentscheidung? Zum einen ist festzuhalten, dass ein wesentlicher Teil dessen, was der Begriff der Sonderverbindung abdecken sollte, nämlich das Verhältnis zwischen den Parteien vor Vertragsschluss und in ähnlichen geschäftlichen Kontakten zu regeln, jetzt in § 311 Abs. 2 und 3 eine gesetzliche Regelung gefunden hat und damit ein von § 242 unmittelbar erfasstes Schuldverhältnis mit den in § 241 Abs. 2 genannten Pflichten bereits durch das Gesetz begründet wird. Zum anderen wollten diejenigen, die eine Sonderverbindung in der Zeit vor Einführung dieser Regelungen forderten, dieselbe „im weitesten Sinn“ verstanden wissen bzw. jeden „irgendwie qualifizierten sozialen Kontakt“43 genügen lassen und damit auch etwa nichtige Rechtsgeschäfte und nachbarliche Gemeinschaftsverhältnisse einbeziehen. Fasst man beide Aspekte zusammen, dann ist von dem Konflikt, den ein Streit üblicherweise in sich birgt, nicht mehr viel übrig. Erstens sind die streitbarsten Fälle mittlerweile im Gesetz geregelt; neben den genannten Fällen werden auch nichtige Rechtsgeschäfte mittlerweile abgedeckt, § 311 Abs. 2 Nr. 344. Zweitens ist eine Einschränkung, sei sie sachlich oder personal, durch das Merkmal unter den geschilderten Umständen ohnehin 41 Vgl. dazu nur: Staudinger/Schmidt (1995) § 242 Rn. 160; Medicus/Lorenz, SchuldR I, Rn. 144. 42 Medicus/Lorenz, SchuldR I, Rn. 144. 43 Vgl. Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 72 ff. 44 Hk-BGB/Schulze, § 311 Rn. 31.

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

nicht gewährt45. Selbst dort, wo eine Sonderverbindung verlangt wird, ist diese auf Grund des weiten Verständnisses des Begriffs kaum mehr eine Hürde dabei, die Anwendbarkeit des § 242 zu bejahen. Diejenigen, die eine Sonderverbindung verlangen, nehmen dort, wo eine solche nicht vorliegt, wie gesehen, eine Abschwächung der Anforderungen, die sich aus § 242 ergeben, vor. Diejenigen, die eine Sonderverbindung nicht für nötig halten, erkennen gleichsam an, dass die Anforderungen an das Verhalten der Beteiligten höher sind, wenn doch eine Sonderverbindung besteht. Damit herrscht ein Konsens, der sich vor allem dann rechtfertigen lässt, wenn man berücksichtigt, dass sowohl die „guten Sitten“ als auch Treu und Glauben als Ausfluss desselben allgemeinen Gerechtigkeitsprinzips verstanden werden46. Dann verliert nämlich auch die Abgrenzung zum Anwendungsbereich anderer Normen wie der des § 826, zu der das Erfordernis der Sonderverbindung genutzt werden sollte, an Relevanz. Es gelangen die Mindermeinung, die auf die Sonderverbindung verzichtet, und die herrschende Meinung, die sie verlangt, dann zu einem vergleichbaren Ergebnis: Je enger der Kontakt zwischen den Beteiligten, desto höher die Anforderungen an ihr Verhalten. Damit kann die Entscheidung für oder gegen das Erfordernis unterbleiben. 2. . . . die Leistung . . . Als nächstes Merkmal nennt § 242 das Erfordernis einer Leistung. Dieses ist, soweit nach greifbaren Aussagen für den Inhalt des § 242 gesucht wird, aber nur als ein Hinweis auf das Erfordernis eines Schuldverhältnisses zu verwerten47. Da über eben jenen Begriff hinaus aber, wie soeben gesehen, schon eine erhebliche Erweiterung stattfand, trägt das Merkmal der Leistung selbst, ganz im Sinne der oben zitierten Einsicht Roths, zu Erkenntnissen über § 242 nichts mehr bei. 3. . . . so zu bewirken, wie . . . a) Konkretisierung der Art und Weise der Leistung Wer eine Leistung so bewirken soll, wie ein bestimmter Rechtsgrundsatz es erfordert, dem wird zunächst erstmal nur auferlegt, die Art und Weise seiner Leistungsbewirkung jenem Grundsatz gemäß zu gestalten. 45 46 47

Weber in Jus 1992, S. 631 (635). Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 64. Vgl. Krebs AK-BGB § 242 Rn. 11.

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Beließe man es dabei, so kann man dem Wortlaut des § 242 bis hierhin zumindest schon einmal die abstrakte Erkenntnis entnehmen, dass Modalitäten („so“, „wie“) einer vorzunehmenden (denn geschuldeten) Handlung („Leistungsbewirkung“) geregelt werden sollen. In die Sprache des Rechts der Schuldverhältnisse zurück übertragen, bedeutet dies nichts anderes als die Konkretisierung einer bereits bestehenden Hauptleistungspflicht, nicht nur, aber auch durch die Begründung von in Zusammenhang mit der Erbringung der Hauptleistungspflicht stehenden Nebenpflichten48. Ganz in diesem Sinne wird diese Funktion des § 242 auch Konkretisierungsfunktion genannt. Doch ist es seit Bestehen der Norm nicht bei dieser Funktion geblieben. Vielmehr wurde ihr eine Vielzahl an weiteren Aufgaben übertragen. Etabliert, wenngleich durchaus nicht überall einheitlich vorgenommen, hat sich eine Kategorisierung mittels der sogenannten Funktionskreise49. b) Weitere Funktionskreise (Wirkungsweisen) Soweit es die Nebenpflichten angeht, können Überschneidungen der Konkretisierungsfunktion mit der sogenannten Ergänzungsfunktion entstehen. Mit der Ergänzungsfunktion wurde § 242 zur Grundlage von leistungsbezogenen Nebenpflichten, wie etwa Aufklärungs-, Beratungs- und Hinweispflichten. Diese können von den Nebenpflichten, die die Konkretisierungsfunktion schon begründet, dadurch abgegrenzt werden, dass sie nicht unmittelbar auf die Erbringung der Leistung bezogen, sondern auf deren Vorbereitung, Unterstützung, Sicherung und Durchführung gerichtet sind50. Insofern ergänzen sie den durch Vertrag und Gesetz vorgegebenen Pflichtenkatalog51. Neben diesen leistungsbezogenen Nebenpflichten wurden aber auch nicht leistungsbezogene Nebenpflichten, also Schutz- oder Verhaltenspflichten, bislang im Bereich dieser Funktion des § 242 verortet52. Umstritten ist nun, ob § 241 Abs. 2 seit der Schuldrechtsreform hier zu einer Änderung führte, in dem er diesen Teil des Funktionskreises abgelöst und in das geschriebene Recht übernommen hat. Genau dies ist nach Hohloch und Roth der Fall53: 48

Jauernig/Mansel § 242 Rn. 16. Vgl.: Erman/Hohloch (12. Auflage 2008) § 242 Rn. 17; Hk-BGB/Schulze § 242 Rn. 2; Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 13; Staudinger/Schmidt (1995) § 242 Rn. 114 ff.; Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 29. 50 Jauernig/Mansel, § 242 Rn 16. 51 Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 75. 52 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 13; Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 14; ausschließlich leistungsbezogene Nebenpflichten einbeziehend: HkBGB/Schulze § 242 Rn. 2. 53 Erman/Hohloch (12. Auflage 2008) § 242 Rn. 18. 49

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Die Herleitung der Nebenpflichten sei seit der Schuldrechtsreform allein aus den jetzigen §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 zu vollziehen. Differenzierend geht Schulze vor, indem er die Schutzpflichten dem Bereich des § 241 Abs. 2 zuordnet und die leistungsbezogenen Nebenpflichten weiterhin im Anwendungsbereich des § 242 belassen will54. Grüneberg hält diesen Erwägungen entgegen, dass nach der Schuldrechtsreform keine Änderung eingetreten sei. Denn vielmehr beschreibe § 241 Abs. 2 die Pflichten lediglich, begründe sie aber nicht55. Looschelders differenziert ebenfalls und meint, dass die nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten nun dem § 241 Abs. 2 zwar zugeordnet worden seien, sich aber aus dem Schuldverhältnis ergeben56. § 242 spiele dennoch für ihre Konkretisierung eine Rolle. Diesen Schluss lässt auch der Wortlaut zu: In seiner eher beschreibenden Weise stellt § 241 Abs. 2 („Das Schuldverhältnis kann [. . .] verpflichten“) keinesfalls zwingend fest, dass die Pflichten ebendort auch ihre Herkunft finden sollen. Diese Meinung ist daher zustimmungswürdig57. Neben der Konkretisierungs- und Ergänzungsfunktion wohnt § 242 mit dem Grundsatz von Treu und Glauben eine allen Rechten und Rechtspositionen immanente Schranke inne58. Zusammengefasst werden die damit verbundenen Aufgaben der Norm als sogenannte Schrankenfunktion. Damit gemeint ist das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung mitsamt seinen Fallgruppen59. Außer dieser Beschränkung vermag es § 242 auch, Rechte und Pflichten umzugestalten. Auf diese Weise soll bei veränderten Umständen eine Anpassung des Inhalts des Schuldverhältnisses ermöglicht werden60. Die wichtigsten Fälle dieses mit „Korrekturfunktion“ umschriebenen Anwendungsbereichs des § 242 sind die Inhaltskontrolle bei AGB, die Anpassung oder Kündigung eines Vertrags bei Störung der Geschäftsgrundlage und das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen. Da diese Fälle in den §§ 307 ff. (AGB), 313 (Geschäftsgrundlage) sowie 314 (Kündigungsrecht) allesamt kodifiziert sind, kann § 242 im Rahmen dieser Funktion ein nur noch geringer Stellenwert beigemessen zu werden. 54

Hk-BGB/Schulze § 242 Rn. 2. Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 13; § 241 Rn. 1. 56 Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 76. 57 Vgl. auch Kramer in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 241 Rn. 1 (Fn. 3); zur Rolle, die das einander entgegengebrachte Vertrauen bei der Begründung von Schutzpflichten spielt, siehe sogleich S. 59, sowie ausführlich: Canaris in JZ 1965, S. 475 (476 ff.). 58 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 14; wortgleich wie dort: Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 32. 59 Zu den Fallgruppen: Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 78 ff. 60 Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 33. 55

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4. . . . Treu und Glauben . . . Das erste Merkmal der von einigen so bezeichneten „Rechtsfolge“ des § 242 bildet das Begriffspaar Treu und Glauben. Seine Bedeutung geht über die seiner zwei Bestandteile hinaus. Trotzdem zunächst zu diesen: „Treue“, darunter versteht man eine äußere und innere Haltung, die auf Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruht61. Diese Haltung soll nicht gegenüber irgendwem, sondern der Person, der sie geschuldet wird, in selbstloser Bereitschaft eingenommen werden62. „Glauben“ korrespondiert mit der „Treue“. Er meint das Vertrauen auf die durch die Treue beschriebene Haltung gegenüber dem, der sie schuldet63. Die aus diesen beiden Begriffen zusammengesetzte Paarformel Treu und Glauben verweist also auf Tugenden, die wie das Worthalten, die Verlässlichkeit und die Loyalität64 direkt auf andere gerichtet sind. Schon insoweit zeigt also ein Blick auf den Wortlaut deutlich, wie sehr hieraus Anhaltspunkte für den Gehalt der Norm gewonnen werden können65. Das wird von der Verwendung der Formel bestätigt. Wie oben bereits gesehen, hat die Formel ihre Wurzeln im Römischen Recht. Sie steht heute, über die Bedeutung ihrer Bestandteile hinaus, „als ein Ganzes“66 verstanden, für ein zuverlässiges, aufrichtiges und rücksichtsvolles Verhalten67. Rücksicht genommen werden soll auf die Interessen des anderen Teils. Damit ist auch das Ziel vom gerechten Interessenausgleich, das der Formel innewohnt, vorgegeben68. Soweit das schon angesprochene, korrespondierende Miteinander von „Treue“ und „Glaube“ das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses indiziert, fordert ihre Verbindung zur Paarformel zur Berücksichtigung des in einem solchen Verhältnis entstehenden (schutzwürdigen) Vertrauens auf. Indem das Vertrauen durch Treu und Glauben also Beachtung findet, ist § 242 auch als der Ort identifiziert worden, an dem aus dem Vertrauen abgeleitete Folgerungen ihren Ursprung finden. Nicht von Parteivereinbarungen, sondern vom einander entgegengebrachten Vertrauen hängt namentlich die Entstehung der soeben bereits angesprochenen Schutzpflichten zwischen den Parteien ab69. 61

Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 4. Soergel-Siebert/Knopp (10. Auflage 1967) § 242, Rn. 6. 63 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 4; Soergel-Siebert/Knopp (10. Auflage 1967) § 242, Rn. 6. 64 Wieacker, Präzisierung, S. 20, Fn. 39. 65 Vgl. Jauernig/Mansel § 242 Rn. 3. 66 Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 157 Rn. 5. 67 Krebs AK-BGB § 242 Rn. 13. 68 Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 66; vgl. auch Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 9. 69 Canaris in JZ 1965, S. 475 (476 ff.). 62

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Wie gleich noch zu zeigen sein wird, spielt die Verkehrssitte eine wesentliche Rolle bei der Konkretisierung von Treu und Glauben. Neben ihr kommt dabei aber vor allem den in der Gemeinschaft anerkannten objektiven Werten und unter diesen in herausragendem Maße den Grundrechten Bedeutung zu70. Auch einfachgesetzliche Grundwertungen können, vor allem soweit sie als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips identifizierbar sind, eine Rolle dabei spielen, die im Rahmen von Treu und Glauben einzubeziehenden Interessen festzustellen71. Schließlich bezieht Treu und Glauben nicht nur rechtliche, sondern darüber hinaus auch außerrechtliche Maßstäbe ein: Treu und Glauben „soll den in der Gemeinschaft herrschenden sozialethischen Wertvorstellungen Eingang in das Recht verschaffen“72 und „Ankerplatz für allgemeine Gerechtigkeitsgebote“73 sein. Die Norm verweist „auf außerrechtliche soziale Gebote“74 und bezieht ihre Maßstäbe auch über ethische Prinzipien, „die im Recht nicht oder nur sporadisch positiviert sind, aber der gesamten Rechtsordnung zugrunde liegen“75. Roth nennt es daher „bezeichnend“76, dass mit den bonae fidei iudicia auch schon im Römischen Recht Klagen auf das, was nach guter Treue geschuldet war, ermöglicht wurden und damit schon dort, auf eine ethische Grundlage gestützt, neue Rechtssätze geschaffen werden konnten77. Freilich kann der Import außerrechtlicher Prinzipien nicht schrankenlos erfolgen. Die Grenzen der Schaffung neuer Rechtssätze werden daher an späterer Stelle noch Gegenstand der Arbeit sein78. Gerade die starke Rolle der zuletzt beschriebenen Wertvorstellungen, Gebote und Prinzipien ist es, die die Richtschnur dieser Arbeit zu bilden hat. So wird die rechtliche Relevanz von Effizienz als Maßstab zu klären und die Frage zu beantworten sein, auf welche Weise genau sich der Weg einer nicht unmittelbar rechtlichen Wertung hinein in das Recht vollzieht.

70 BVerfG, Urteil vom 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, S. 257 (257); s. a. Soergel-Teichmann (12. Auflage 1990) § 242, Rn. 43 ff.; Staudinger/Looschelders/ Olzen (2009) § 242 Rn. 145 ff.; siehe dazu auch unten: S. 179 ff. 71 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 148. 72 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 4. 73 Esser, Schuldrecht, 2. A., S. 99. 74 Wieacker, Präzisierung, S. 20, Fn. 10. 75 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 11. 76 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 11. 77 Kaser/Knütel, S. 178 f.; Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 8. 78 Zur contra legem-Grenze siehe unten S. 188 ff.; je ein Beispiel dafür, wann sie bei der Konkretisierung einer Generalklausel überschritten ist und wann nicht: unten S. 192 ff.

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5. . . . mit Rücksicht auf die Verkehrssitte . . . Die Verkehrssitte liefert keine direkte gesetzgeberische Vorgabe, sondern ein Abbild dessen, was tatsächlich beachtet wird. Das Gesetz gibt mit ihr vor, was tatsächlich passiert. Die Verkehrssitte gibt ein wichtiges Indiz dafür, welches Verhalten Treu und Glauben entspricht, und hilft auf diese Weise das danach geschuldete Verhalten zu definieren79. Die Verkehrssitte fasst die tatsächliche und sozialverbindliche Übung der beteiligten Verkehrskreise zusammen80. Sie bestimmt, worauf in den entscheidenden Kreisen vertraut werden darf81. Sie ist allerdings „nur da zu beachten, wo sie sich mit der Sicherheit des Verkehrs verträgt und nicht als ein Mißbrauch erweist“82. Die allgemeine Überzeugung, eine gewisse Übung bestehe, genügt nicht. Denn soweit von einer tatsächlichen Übung gesprochen wird, erfordert dies, dass im Rechtsverkehr über einen gewissen Zeitraum83 effektiv in einer größeren Zahl von gleichartigen Fällen ein bestimmtes Verhalten nachweisbar ist84. Obschon die Verkehrssitte für sich genommen sich in der Feststellbarkeit ihres Inhalts erschöpft, erfährt sie über ihren Standort in § 242 eine normative Wirkung. Diese Wirkung erstreckt sich auch auf diejenigen Mitglieder der betreffenden Gruppe, die die Rechtsfolgen der dortigen Verkehrssitte nicht kennen. Dasselbe gilt für diejenigen, die die Verkehrssitte zwar kennen aber nicht anerkennen85. In welchem Verhältnis der Grundsatz von Treu und Glauben zur Verkehrssitte steht, weil er laut Norm „mit Rücksicht auf“ sie die Leistung zu bewirken fordert, wird nicht einheitlich beurteilt86. Soweit Treu und Glauben Erwartungen der Parteien an das Verhalten des anderen Teils widerspiegeln, wirkt sich die Verkehrssitte auf das, was unter dem nach Treu und Glauben zu Erwartenden verstanden werden kann, aus. Denn eine Verhaltensweise, die die Kriterien einer Verkehrssitte erfüllt, begründet berechtigte Erwartungen an das Verhalten der anderen87. 79

Erman/Werner (10. Auflage 2000) § 242 Rn. 11. Erman/Armbrüster (12. Auflage 2008) § 157 Rn. 8; Krebs AK-BGB § 242 Rn. 14; Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 160 mwN. 81 Esser, Schuldrecht, 2. A., S. 102. 82 RG, Urteil vom 19.5.1926 – I 309/25, RGZ 114, 9 (13). 83 BGH, Urteil vom 30.03.1990, NJW 1990 1723 (1724); RG, Urteil vom 10.01.1925 – I 106/24, RGZ 110 47 (48). 84 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 161. 85 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 166. 86 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 13. 87 Soergel-Teichmann (12. Auflage 1990) § 242, Rn. 42; Looschelders, SchuldRAT, Rn. 68. 80

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Laut Larenz88 habe die Konkretisierung von Prinzipien wie Treu und Glauben in „Schritten“ vorzugehen, die durch „orientierende Faktoren“, die als „Zwischenglieder“ fungieren, verbunden sind. Ein solcher Faktor sei die vom Gesetz schon angesprochene Verkehrssitte. Diesem Verständnis steht die Auffassung gegenüber, die Verkehrssitte sei im Verhältnis zu Treu und Glauben überflüssig89. Verstünde man die Verkehrssitte ob der Wortverknüpfung „mit Rücksicht auf“ als nachrangig gegenüber Treu und Glauben, so müsste man, wird angeführt, in jedem Fall, da unter die Verkehrssitte zu subsumieren ist, prüfen, ob sie auch Treu und Glauben entspricht. Weil damit aber auch die Pflicht einherginge zu bestimmen, was unter Treu und Glauben zu verstehen ist, wäre die Aufgabe, bei der die Verkehrssitte ja eigentlich Unterstützung geben soll, bereits gelöst. Zu Recht wird von einem Verhältnis der Vor- und Nachrangigkeit der beiden Bestandteile ausgegangen. Auch dass die Verkehrssitte ihrerseits der Forderung grundlegenden sozialethischen Anforderungen nicht zu widersprechen unterliegt, da sie sonst für die Konkretisierung von Treu und Glauben außer Acht bleiben muss, ist anerkannt90. Deshalb aber im Sinne des zuvor Gesagten vollends auf die Verkehrssitte zu verzichten, überzeugt insofern nicht, als dass es praktisch durchaus leichter fällt Treu und Glauben erst dann zu bestimmen, wenn die Verkehrssitte einmal ausgemacht wurde91. Vorzugswürdig erscheint es deshalb, von einer gewissen Interaktion der beiden Bestandteile auszugehen, die den Vorrang von Treu und Glauben einerseits aber auch den praktischen Aufschluss der Verkehrssitte andererseits hinreichend würdigt. 6. . . . es erfordern. § 242 ist eine Kontrollnorm. § 242 fordert die Einhaltung seiner Gebote. Was Treu und Glauben fordert, ergibt sich aus allen in der Rechtsordnung verankerten Wertungen. Als „Grundgebot der Redlichkeit“ ist § 242 auch nicht abdingbar92.

88

Larenz, Richtiges Recht, S. 87. Staudinger/Schmidt (1995) § 242 Rn. 154. 90 Soergel-Teichmann (12. Auflage 1990) § 242, Rn. 42. 91 So: Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 170. 92 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 6; so mit Vorbehalten bereits: Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 337. 89

B. § 242

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7. Fazit Nach diesem ersten Überblick über die Norm erscheint eine Stellungnahme zu der eingangs vorgestellten Aussage Roths93, die Wortinterpretation des § 242 sei für die Erkenntnis und Handhabung des gegenwärtigen Rechts des § 242 nahezu ohne jeden Wert, notwendig. Es hat sich durchaus gezeigt, dass die Bedeutung des Wortlauts an keiner Stelle vollkommen mit dem übereinstimmt, was aus dem jeweiligen Bestandteil der Norm entwickelt wurde. Insbesondere die Ausweitung des Anwendungsbereichs über die Enge eines Schuldverhältnisses hinaus hat mit dem Wortlaut („Der Schuldner . . .“) nicht mehr viel gemein. Auch darüber hinaus gibt der Wortlaut tatsächlich immer nur einen Teil dessen wieder, was Rechtsprechung und Wissenschaft aus ihm gemacht haben. Dieser Teil ist aber nie nur irgendein Teil. Vielmehr hat sich gezeigt, dass der Wortlaut des § 242 regelmäßig wenigstens den Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung dessen, was die Bestandteile der Norm beschreiben, bildete. So wurde etwa deutlich, dass § 242 noch heute eine ganz erhebliche Relevanz dabei zukommt, Nebenpflichten zu begründen. Eine Funktion, die durchaus beim Wortlaut verortet werden konnte. Selbst bei ihrem Kernbestandteil, der Paarformel Treu und Glauben, konnten enge Bezüge der Bedeutung der einzelnen Begriffe Treue und Glauben zu den aus der Formel hervorgegangenen Entwicklungen aufgezeigt werden. Dass die Norm als Generalklausel offen ist, sein soll und sein muss, steht dabei freilich außer Frage. Eine Entwicklung, wie sie im Bereich des § 242 vonstatten ging, ist als solche nichts anderes als die Zusammenfassung oder das Abbild einer Vielzahl einzelner Punkte. Dass der Wortlaut als Ausgangspunkt der in der Norm vollzogenen Entwicklung aber einen Punkt darstellt, der austauschbar oder gar „ohne jeden Wert“ ist, wird nach den aufgezeigten Bezügen der Entwicklung zu ihrem Ausgangspunkt nicht behauptet werden können94. Die Weite, die die Entwicklung des § 242 jedenfalls offenbarte, spricht zunächst nicht gegen, sondern eher für die Anwendung des Effizienzkriteriums in seinem Anwendungsbereich. Denn wo eine Offenheit im gezeigten Maße besteht, liegt auch die Anwendbarkeit eines solchen, relativ neuen 93

Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 16. Nach Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 157 Rn. 5 „erleichtert doch ein Eingehen auf die dabei gebrauchten Worte das Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffes als solchen“; Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 3 meint, der Tatbestand mache Aussagen zu seinen Voraussetzungen immerhin „beschränkt möglich“; Krebs AK-BGB § 242 Rn. 10 bezeichnet den Wortlaut auch als „ersten Orientierungspunkt“; Hk-BGB/Schulze § 242 Rn. 12 räumt ein, der Wortsinn könne „Ausgangspunkt“ sein. 94

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Kriteriums nicht fern. Zweifelhaft ist aber, ob Wirtschaftlichkeitserwägungen ihres Inhalts wegen Aussagen über die Ausfüllung von § 242 im Speziellen und Generalklauseln im Allgemeinen zu entnehmen sein können. Es wurden schon mehrmals Gerechtigkeitsbezüge aufgezeigt, wie sie die Einwirkung von Werten durch Generalklauseln bedingen sollen. Das einzuhaltende Maß an Schutzpflichten etwa lässt sich plausibel im Zusammenhang mit dem Verhältnis, das die Parteien zueinander haben, ihr aufeinander gerichtetes Vertrauen inbegriffen, beschreiben. Ist dies aber etwa auch möglich, indem man fragt, welches Maß an Sorgfalt in einer Gesamtbetrachtung effizient gewesen wäre? Um den Eindruck von den Funktionen und Anwendungsfällen zu ergänzen, soll das Blickfeld auf Normen erweitert werden, die der Gesetzgeber ebenfalls mit einem Bezug zu Treu und Glauben ausgestattet hat.

C. Treu und Glauben in anderen Normen Als Prinzip bedarf Treu und Glauben immerwährender Konkretisierung im positiven Recht wie in der Rechtsanwendung. Daher könnte man annehmen, dass die Konkretisierungen im Gesetz selbst einem Akt des Verstehens über das Prinzip nachzuordnen sind, zum originären Verständnis von Treu und Glauben also nichts mehr beitragen können, sondern lediglich Ausdruck dieses Verständnisses sind. Dem ist indes nicht so, wie die bisherigen Betrachtungen bereits belegten. Anerkennt man außerdem die Unmöglichkeit der endgültigen, vollständigen Erkenntnis über die Rechtsprinzipien, so wird man zu dem Schluss kommen müssen, dass die Konkretisierungen keineswegs Ausdruck einer solchen Vollständigkeit sein können. Die Entscheidungen, die gestützt auf jene Prinzipien gefällt werden, und die Stellen im positiven Recht, die sich auf sie beziehen, können vielmehr in einem Rückschluss selbst Aufschluss zum fortschreitenden Verständnis der Prinzipien geben. Deshalb kann – induktiv – die Beobachtung derjenigen Stellen im Gesetz, die sich unmittelbar auf ein Rechtsprinzip beziehen, das Bild von diesem nur schärfen. Noch eindringlicher fordert dies Larenz: Die Konkretisierungen eines Prinzips des (richtigen) Rechts im positiven Recht „spiegeln“ danach seinen Sinngehalt wider, sie lassen ihn in das positive Recht „durchscheinen“95. Weil sich der Sinngehalt eines Prinzips richtigen Rechts, wie Larenz sagt, unserem Denken „entzieht“, kann es sogar nur über den Umweg seiner Konkretisierungen wahrgenommen werden.

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Larenz, Richtiges Recht, S. 27, 181 f.

C. Treu und Glauben in anderen Normen

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I. § 157 – Auslegung von Verträgen § 157 verlangt Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Damit setzt die Norm die Kriterien Treu und Glauben und „Verkehrssitte“ zueinander in dasselbe Verhältnis wie § 242. Sie gelten hier und dort allerdings in unterschiedlichem Maße. Das hat mit dem jeweiligen Ziel der Normen zu tun. Während § 242 objektive Maßstäbe, die unabhängig vom Willen der Parteien sind, für das Bewirken der Leistung aufstellt, will die einfache (erläuternde) Auslegung nach § 157 den Parteiwillen ermitteln96 und die ergänzende Vertragsauslegung ggf. bestehende Lücken im Vertrag schließen97. Von besonderer Bedeutung ist das Rangverhältnis der beiden Vorschriften: Vorrang genießt die Findung des Parteiwillens98. Erst wenn dieser feststeht, ist zu prüfen, inwieweit § 242 noch wirkt99. Zur Abgrenzung der beiden Vorschriften voneinander formulierte der BGH pointiert: § 157 betrifft das rechtliche Wollen, § 242 das rechtliche Sollen100. Das „rechtliche Wollen“ geht (hier) also dem „rechtlichen Sollen“ vor101, was auch dem Grundsatz der Privatautonomie entspricht102. Im Rahmen der einfachen Auslegung ist zu allererst der Wille der Parteien, wie er sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung ergibt, zu ermitteln. Daraufhin ist das gefundene Ergebnis dahingehend zu überprüfen, ob es mit Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte vereinbar ist. Die Kriterien kommen dabei nur indirekt zur Anwendung. Sie wirken insoweit, als dass unterstellt wird, dass der Wille einer redlichen Partei auf ein Ergebnis hin abzielt, das die Anforderungen von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfüllt103. Aus dem Verweis auf diese beiden Kriterien ergibt sich vor allem, dass die Auslegung die berechtigten Interessen der Parteien berücksichtigen104 und Widersprüche vermeiden soll105. Treu und Glauben sind schließlich jedenfalls erst dann gewahrt, wenn die Auslegung einen sozialethisch positiven Rege-

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Palandt-Ellenberger, § 157 Rn. 2. BGH, Urteil vom 22.04.1953 – II ZR 143/52, NJW 1953, 937 (937). 98 BGH, Urteil vom 01.02.1984 – VIII ZR 54/83, NJW 1984, 1177 (1178). 99 Palandt-Grüneberg, § 242 Rn. 19. 100 BGH, Urteil vom 14.12.1954, BGHZ 16, 4 (8) unter Verweis auf Oertmann: Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 314. 101 Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 34. 102 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 362. 103 Looschelders, SchuldR-AT, Rn. 69. 104 BGH, Versäumnisurteil vom 07.11.2001 – VIII ZR 213/00, NJW 2002, 506 (506); BGH, Urteil vom 29.03.2000 – VIII ZR 297/98, NJW 2000, 2508 (2509). 105 Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 157 Rn. 6. 97

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

lungsgehalt zu erschließen zielt106. Indes bleibt zu beachten, dass eine normative Auslegung der hier beschriebenen Art dann außer Betracht zu bleiben hat, wenn sich der wirkliche, übereinstimmende Wille der Parteien bereits hat feststellen lassen107. Im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung gilt es, nachdem das Bestehen einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke festgestellt wurde, den hypothetischen Parteiwillen zu ermitteln108. Dazu ist darauf abzustellen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten109. Dies geschieht zwar in erster Linie aber nicht ausschließlich über Hinweise, die der Vertrag selbst preisgibt. Denn auch hierbei sind die objektiven Maßstäbe von Treu und Glauben und der Verkehrssitte einzubeziehen110. Vermutet wird, dass die Parteien als redliche Partner unabsehbare Risiken zu gleichen Teilen auf sich nehmen wollen111, dass im Zweifel gewollt ist, was vernünftig ist112 und dass Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis stehen sollen113. Da bei der ergänzenden Vertragsauslegung weniger Anhaltspunkte zur Verfügung stehen, als bei der einfachen Auslegung, kommt Treu und Glauben und der Verkehrssitte hier ein größeres Gewicht zu als dort114. Trotzdem muss den Interessen der Parteien entsprochen werden. Eine gegen den Willen der Parteien oder bereits konkretisierte Inhalte des Vertrages verstoßende Auslegung ist auch hier unzulässig115. Der Struktur und dem Ansatz der Norm nach, ist Treu und Glauben hier also als ein nachrangiges und selbst in diesem hinteren Rang nur korrigierendes Kriterium zu verstehen. Wenn es wirkt, dann gelten, nach den zitierten Entscheidungen Maßstäbe 106

Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 157 Rn. 10. BGH, Urteil vom 26.4.1978 – VIII ZR 236/76, NJW 1978, 1483 (1483); Erman/Armbrüster (11. Auflage 2004) § 157 Rn. 5. 108 Dazu etwa: BGH, Urteil vom 01.02.1984 – VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69 (77); BGH, Urteil vom 30.09.1952 – I ZR 31/52, BGHZ 7, 231 (235). 109 BGH, Urteil vom 17.04.2002 – VIII ZR 297/01, NJW 2002, 2310 (2311). 110 Erman/Armbrüster (11. Auflage 2004) § 157 Rn. 21; Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 157 Rn. 50. 111 BGH, Versäumnisurteil vom 18.02.2000 – V ZR 334/98, NJW-RR 2000, 894 (895). 112 BGH, Urteil vom 10.03.1994 – IX ZR 152/93, NJW 1994, 1537 (1538). 113 BGH, Urteil vom 17.04.2002 – VIII ZR 297/01, NJW 2002, 2310 (2311); BGH, Versäumnisurteil vom 18.02.2000 – V ZR 334/98, NJW-RR 2000, 894 (895). 114 Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 157 Rn. 50. 115 Palandt-Ellenberger, § 157 Rn. 8; Wendtland in Beck-OK BGB (Edition 18) § 157 Rn. 43. 107

C. Treu und Glauben in anderen Normen

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der Vernunft und Kriterien wie die Angemessenheit. Diese Maßstäbe legen relativ deutlich den Wertebezug der Formel Treu und Glauben offen. Gerade die „Angemessenheit“ erscheint dabei nicht als ein Kriterium, in dem nicht auch die Effizienz des Ergebnisses eine tragende Rolle übernehmen könnte.

II. § 162 – Verhinderung oder Herbeiführung des Bedingungseintritts § 162 fingiert den Eintritt (Abs. 1) oder das Ausbleiben (Abs. 2) einer Bedingung im Sinne des § 158, wenn ihr Ausbleiben (Abs. 1) oder ihr Eintritt (Abs. 2) wider Treu und Glauben verhindert bzw. herbeigeführt wurde. Die Norm drückt den allgemeinen Grundsatz aus, aus einem treuwidrig herbeigeführten Ereignis keine Vorteile herleiten zu dürfen116. Dieser Gedanke entstammt dem Bereich der Schrankenfunktion des § 242 und deren Verbot unzulässiger Rechtsausübung117. Die Ausübung eines Rechts ist regelmäßig rechtsmissbräuchlich, wenn der Berechtigte es durch gesetzes-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erworben hat118. Indem sie durch die Fiktion des Eintritts oder Ausfalls der wider Treu und Glauben vereitelten oder herbeigeführten Bedingung die unredliche Einflussnahme korrigiert, konkretisiert die Norm Treu und Glauben und setzt den ursprünglichen Willen der Parteien durch119. Die Durchsetzung des ursprünglichen Willens der Parteien stellt einen Zustand her, auf den die Parteien bei Abschluss des Vertrags durch das (ausdrücklich oder konkludent) Vereinbarte vertrauen durften. Keine Vorteile aus unredlichem Verhalten zu ziehen ist bereits Ausfluss eines allgemeinen Gerechtigkeitsgedankens120. Das deutet erneut auf den Wertbezug hinter der Formel Treu und Glauben.

III. § 275 Abs. 2 S. 1 – Einrede des grob unverhältnismäßigen Aufwands Wenn die Leistung einen Aufwand erfordert, der im groben Missverhältnis zum Interesse des Gläubigers an ihr steht, kann der Schuldner sie verweigern. Im Rahmen der Prüfung, ob ein solches Missverhältnis vorliegt, 116 117 118 119 120

Palandt-Ellenberger, § 162 Rn. 6. Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 68 f. BGH, Urteil vom 26.11.2004 – V ZR 90/04, NJW-RR 2005, 743 (745). Rövekamp in Beck-OK BGB (Edition 18) § 162 Rn. 1. Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 69.

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

ist der Aufwand des Schuldners dem Leistungsinteresse des Gläubigers gegenüberzustellen121. Der der Abwägung zugrunde liegende Gedanke ist bzw. war auch schon anderen Normen zu entnehmen, vgl. §§ 251 Abs. 2 S. 1, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 (633 Abs. 2 S. 3 a. F.), 651c Abs. 2 S. 2122. Der BGH stellte insoweit einen allgemeinen Rechtsgedanken heraus, nach dem „sich das Verlangen nach Herstellung eines an sich gebotenen Zustands dann als rechtsmißbräuchlich (erweist), wenn ihm der in Anspruch Genommene nur unter unverhältnismäßigen Aufwendungen entsprechen könnte“123. Rechtsmissbräuchlich soll, so zeigt der Verweis des § 275 Abs. 2 auf Treu und Glauben es an, auch das Verlangen einer Leistung in den von ihm erfassten Fällen sein124. § 275 Abs. 2 konkretisiert das Rechtsmissbrauchsverbot unter Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip125. Ein Missverhältnis liegt zunächst vor, sobald der Schuldner zur Erbringung der Leistung einen Aufwand betreiben muss, der den (materiellen oder immateriellen) Ertrag des Gläubigers übersteigt. Doch genügt dies nicht. Denn das in § 275 Abs. 2 geforderte Missverhältnis soll grob sein. Diese Vorgabe des Grades des Missverhältnisses sowie die Nennung einer Bezugsgröße (Gläubigerinteresse) unterscheidet die Norm von den zuvor genannten126. Ob das festgestellte Missverhältnis grob ist, ergibt sich dem Wortlaut nach unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses, der Gebote von Treu und Glauben und dem Vertretenmüssen des Schuldners127. Diese drei Prüfsteine können die Hürde zur Bejahung des groben Missverhältnisses in der Abwägung herauf- und herabsetzen. Die Beachtung der Gebote von Treu und Glauben wird freilich wieder uneinheitlich bewertet: Die Aussagen hierüber reichen von der Bezeichnung als „oberste Richtschnur“128 auf der einen Seite bis „weitgehend überflüssig“129 auf der anderen Seite. Die Abwägung geht zunächst vom Gläubigerinteresse aus. Dies entspricht bereits ergangener Rechtsprechung zum treuwidrigen Beharren des Gläubi121

Löhnig in ZGS 2005, S. 459 (460). BT-Drucks 14/6040, S. 130. 123 BGH, Urteil vom 21.6.1974 – V ZR 164/72, BGHZ 62, 388 (391); ähnlich BGH, Urteil vom 02.10.1987 – V ZR 140/86, NJW 1988, 699 (700). 124 Löhnig in ZGS 2005, S. 459 (461). 125 Vgl.: Canaris in JZ 2001, S. 499 (505); Ernst in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 275 Rn. 70; Dauner-Lieb AK-BGB § 275 Rn. 38; Löhnig in ZGS 2005, S. 459 (461); Erman/Westermann (12. Auflage 2008), § 275, Rn. 24. 126 BT-Drucks 14/6040, S. 130. 127 Vgl. Ernst in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 275 Rn. 69. 128 Erman/Westermann (12. Auflage 2008) § 275 Rn. 26. 129 Ernst in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 275 Rn. 88. 122

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gers auf seinen Erfüllungsanspruch130. Konkret vermag es der Verweis auf Treu und Glauben, entgegen der soeben zitierten, skeptischen Ansicht, im Bereich des § 275 Abs. 2 Beiträge der Beteiligten zu würdigen. Ist der Gläubiger für das grobe Missverhältnis zwischen Leistungsaufwand und seinem Interesse an der Leistung mitverantwortlich, so ist die Schwelle zur Bejahung des groben Missverhältnisses herabzusetzen131. Denn die Leistung zu erschweren und sie dennoch zu verlangen ist treuwidrig132. Ebenfalls zu Gunsten des Schuldners zu berücksichtigen ist es, wenn er für die entfallene Leistung einen Ausgleich präsentiert133. Zu Lasten des Schuldners wirkt es sich hingegen aus, wenn der Gläubiger die Übernahme eines Teils des schuldnerischen Aufwands anbietet134. Diese Beispiele weisen einen Bezug der unter Treu und Glauben gefundenen Lösungen zu einem angemessenen Ausgleich, mithin zum Verhältnismäßigkeitsprinzip auf. Die Schwelle zum groben Missverhältnis wird auch dann heraufgesetzt, wenn der Schuldner den Gläubiger in der Annahme bestärkt, er werde trotz gestiegenen Aufwands erfüllen135. Berücksichtigung können auch etwaige Möglichkeiten des Gläubigers finden die Auswirkungen einer ausgebliebenen Erfüllung auf sein Leistungsinteresse etwa durch Beschaffung der Leistung von anderer Stelle zu kompensieren136. Gerade die letzten beiden Beispiele zeigen, dass auch hier das Vertrauen der Parteien eine wesentliche Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt. Wenn das Vertrauen des Gläubigers auf den Erhalt der Leistung durch einen Beitrag des Schuldners hierzu erregt wird, wird der Schuldner daran festgehalten und die Schwelle zur Lösung von der Leistung hinaufgesetzt. Liegen indes Umstände oder Möglichkeiten des Gläubigers vor, die ein Vertrauen des Schuldners darauf, nicht leisten zu müssen, indizieren, so sinkt die Schwelle, und kommt seinem Vertrauen entgegen. Der Inhalt des Schuldverhältnisses wird insoweit relevant, als dass sich das Maß der durch den Gläubiger zu fordernden Leistung aus Abreden mit dem Schuldner ergeben kann137. Der Bezug zum Vertrauen der Parteien ist bei der Berücksichtigung von Abreden offensichtlich. Hat schließlich der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten, 130 BGH, Urteil vom 23.02.1995 – VII ZR 235/93, NJW 1995, S. 1836 (1836 f.); BGH, Urteil vom 04.07.1996 – VII ZR 24/95, NJW 1996, S. 3269 (3269 f.). 131 Ernst in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 275 Rn. 88. 132 Löhnig in ZGS 2005, S. 459 (462). 133 Erman/Westermann (12. Auflage 2008) § 275 Rn. 26. 134 Löhnig in ZGS 2005, S. 459 (462). 135 Staudinger/Löwisch/Caspers (2009) § 275 Rn. 99. 136 Dazu: Staudinger/Löwisch/Caspers (2009) § 275 Rn. 91. 137 Löhnig in ZGS 2005, S. 459 (461); zu der Frage, ob eine Gegenleistung relevant ist, bejahend: Staudinger/Löwisch/Caspers (2009) § 275 Rn. 100, verneinend: Löhnig in ZGS 2005, S. 459 (460); Jauernig/Stadler, § 275 Rn 25.

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

wird die Hürde für die Bejahung des groben Missverhältnisses angehoben. Als für die Störung Verantwortlichem werden ihm „erhöhte Anstrengungen“ zugemutet138.

IV. § 307 Abs. 1 S. 1 – Gegen Treu und Glauben verstoßende, unangemessene Benachteiligung Eine Bestimmung in AGB ist unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die in das Gesetz aufgenommene Formulierung ist hinsichtlich der Rolle, die im Rahmen dieser Abwägung den Geboten von Treu und Glauben zukommt, uneindeutig: Muss eine Benachteiligung unangemessen sein und gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßen? Oder ergibt sich das, was unangemessen ist, unter Einbeziehung dieser Gebote? Im Sinne beider Lesarten formuliert Roloff, dass „der Bezug auf das Gebot von Treu und Glauben (. . .) vor allem eine den Begriff der Unangemessenheit ausfüllende und ergänzende Funktion“ hat139. Andere meinen hingegen, der Verweis sei überflüssig140. Dies erschiene zumindest vom Ansatz her nachvollziehbar, wenn man die Rolle der Norm lediglich als Anknüpfungspunkt zur früher aus § 242 entwickelten Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von AGB141 erkennen würde. Doch ist die Aufgabe, eine solche Verbindung herzustellen, durchaus nicht alles. Vielmehr kommt den Geboten von Treu und Glauben im Rahmen dieser Norm eine eigene, auch jetzt noch wirkende Bedeutung zu: Ob eine Benachteiligung des Klauselgegners vorliegt, ergibt sich zunächst aus einem Vergleich zu seiner Rechtsstellung ohne die fragliche Bestimmung142. Muss die Benachteiligung danach bejaht werden, gilt es zu klären, ob der Klauselgegner nicht nur überhaupt, sondern auch unangemessen benachteiligt worden ist. Ausgehend von der Vorstellung, dass die Parteien im Rahmen einer individuellen und privatautonomen Verhandlung einen „richtigen“, ihren Interessen entsprechenden Ausgleich anstreben143, wird über die Unangemessenheit der Beeinträchtigung mittels einer umfassenden Abwä138

BT-Drucks 14/6040, S. 131. Erman/Roloff (12. Auflage 2008) § 307 Rn. 9. 140 Insgesamt skeptisch: Hk-BGB/Schulze § 307 Rn. 10. 141 Zur Entwicklung der offenen Inhaltskontrolle aus § 242 durch die Rechtsprechung: Staudinger/Coester (2006) Vor § 307–309, Rn. 3. 142 Staudinger/Coester (2006) § 307, Rn. 90. 143 Zur Verknüpfung von Unangemessenheit und Interessenausgleich: Staudinger/ Coester (2006) § 307, Rn. 95. mwN. 139

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gung dieser Interessen entschieden144. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Angemessenheit einer Benachteiligung aus ihrer Erforderlichkeit, Rechtfertigung oder Kompensation ergeben kann145. Der Verweis auf Treu und Glauben ist es nun, der die Beziehung zwischen der Unangemessenheit der Benachteiligung und der Abwägung der Interessen der Parteien verdeutlicht. Seine Inbezugnahme zeigt erstens, wie sehr es für die Unangemessenheit auf das Verhältnis der Parteien und ihrer Interessen zueinander ankommt, und weist zweitens auf die wichtige und hiermit in Zusammenhang stehende Rolle des Vertrauens hin. Der Verweis auf Treu und Glauben stellt zunächst heraus, dass die abzuwägenden Interessen nicht für sich allein stehen146. Das Verhältnis der Interessen zueinander muss bei ihrer Abwägung und damit auch bei der Entscheidung, ob die Klausel unangemessen ist, berücksichtigt werden. Namentlich ist der Verwender (weil seine Interessen im Verhältnis zu jenen des Klauselgegners stehen) dazu verpflichtet, die Gelegenheit zur Dominierung des vertraglichen Inhalts nicht zur einseitigen Verfolgung seiner Interessen auszunutzen147. Und hierauf darf der Klauselgegner auch vertrauen (warum er es auch muss, dazu sogleich). Denn das Vertrauen ist bereits die „innere Rechtfertigung“148 für einen Katalog von Pflichten, dem auch die Pflicht zur Verwendung angemessener AGB unterfällt. Im vorvertraglichen Bereich, in dem die Verwendung von AGB vor allem relevant ist, besteht namentlich die Pflicht zur Rücksichtnahme, deren positiv-rechtliche Grundlage vor der Schuldrechtsreform noch bei Treu und Glauben, nämlich bei § 242, ausgemacht wurde. Die Verwendung angemessener, nicht die Interessen nur eines Teils berücksichtigender AGB ist von eben dieser Pflicht zur Rücksichtnahme umfasst. Die Verwendung unangemessener AGB stellt daher anerkanntermaßen eine Verletzung dieser (sich in dem Vertrauen recht144

Staudinger/Coester (2006) § 307, Rn. 96; vgl.: BT-Drucks 7/5422, S. 6. Staudinger/Coester (2006) § 307, Rn. 96; Zu beachten ist außerdem, dass die Betrachtung der Umstände abstrakt und generalisierend erfolgt, dazu BGH, Urteil vom 21.2.2001 – IV ZR 11/00, NJW 2001, S. 3406 (3407 f.); unterschiedliche Interessenlagen werden insoweit berücksichtigt, als sie verallgemeinerungsfähig und typisierbar sind, siehe BGH, Beschluß vom 8.1.1986 – VIII ARZ 4/85, NJW 1986, S. 2102 (2103). 146 Staudinger/Coester (2006) § 307, Rn. 97. 147 Ständige Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 11.6.1979 – VIII ZR 224/78, BGHZ 74, 383 (390); BGH, Urteil vom 07.10.1981 – VIII ZR 214/80, NJW 1982, 178 (179); BGH, Urteil vom 21.12.1983 – VIII ZR 195/82, NJW 1984, 1182 (1183); BGH, Urteil vom 21.6.1990 – VII ZR 308/89, NJW 1990, 3197 (3198); BGH, Urteil vom 10.4.1990 – IX ZR 177/89, NJW-RR 1990, 1075 (1075); Staudinger/Coester (2006) § 307, Rn. 97; Jauernig/Stadler § 307 Rn. 5. 148 Canaris in JZ 1965, S. 475 (476). 145

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fertigenden!) Pflicht dar und kann deshalb auch zur Begründung eines Schadensersatzanspruchs führen149. Dass die Parteien einander vertrauen, ist aber nicht nur als (in ihnen hervorgerufene) Folge der das Vertrauen erweckenden Umstände im Rahmen des Vertragsschlusses bedeutsam; dieses soeben beschriebene Moment soll als Vertrauendürfen bezeichnet werden. Das Entstehen von Vertrauen ist namentlich nicht allein Ergebnis der Situation einer Vertragsanbahnung und Grundlage verschiedener Pflichten; Vertrauen zu haben, ist auch von außen auferlegte Notwendigkeit und damit Vorausetzung, den Vertrag unter Verwendung von AGB überhaupt abschließen zu können; hier soll daher nun vom Vertrauenmüssen gesprochen werden. Dies ist der zweite, von Treu und Glauben aber nur mittelbar erfasste Aspekt des Vertrauens im Bereich der AGB: Der Klauselgegner darf nicht nur, er muss auch vertrauen. Hier, beim Vertrauenmüssen, ist (auch) der Ansatz einer an Effizienz orientierten Argumentation zu verorten: Wollte man etwa die AGB einer großen Warenhauskette vor Vertragsschluss zur Kenntnis nehmen (geschweige denn einzelne dort geregelte Bestimmungen verhandeln), so wäre dies unter den praktischen Gegebenheiten der dort üblicherweise herrschenden Verkaufssituationen kaum möglich. Obwohl dies die typische Gefahrensituation für den Klauselgegner ist, weil sich der Verwender regelmäßig in einer Situation des Vorteils befindet150, ist aus ökonomischer Sicht eine Überprüfung aber auch gar nicht angebracht. Denn der erforderliche Aufwand einer Absicherung ist im Verhältnis zum davon zu erwartenden Nutzen aus der Erkenntnis zu hoch; günstiger ist, zu vertrauen und das bedeutet aus der fordernden Sicht der Ökonomen: Es muss auf die Angemessenheit vertraut werden151. Nun lässt sich aber nicht nur die Notwendigkeit, aufgrund praktischer Umstände vertrauen zu müssen ökonomisch begründen. Auch die ausschließliche Verwendung von AGB-Klauseln, die einen Ausgleich zwischen Verwender und Klauselgegner suchen, die also angemessen im Sinne des § 307 Abs. 1, S. 1 sind, hat aus Effizienzgesichtspunkten ihren Grund. Die Mechanismen des Marktes würden bei Zulässigkeit von im Sinne der Norm unangemessenen Klauseln nämlich zu einer ineffizienten Verteilung von Risiken führen152. Gerade im Bereich der Prüfung der Unangemessenheit von 149 Eher behauptend: BGH, Urteil vom 28.05.1984 – III ZR 63/83, NJW 1984, 2816 (2817); BGH, Urteil vom 08-10-1987 – VII ZR 358/86, NJW 1988, 197 (198); näher begründend: Brandner, Schadensersatzpflicht, FS-Oppenhoff 1985, S. 11 ff. 150 Schwab, AGB 7. Ergebnis-Recht, S. 11. 151 Ausführlich zu diesem Ansatz unten: S. 144 ff. 152 Zu diesen Marktmechanismen unten S. 146 f.

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AGB-Klauseln liegt, wie später noch zu zeigen sein wird153, die Anwendung einer Kosten-Nutzen-Relation vor diesem Hintergrund auch für die Rechtsprechung besonders nahe.

V. § 320 Abs. 2 – Ausnahme vom Recht der vollständigen Verweigerung der Gegenleistung Die §§ 320 ff. haben den gegenseitigen Vertrag zum Gegenstand. Dessen wesentliches Prinzip besteht darin, dass die Pflicht zur eigenen Hauptleistung übernommen wird, um die Gegenleistung zu erhalten, do ut des154. Gegenseitigkeit im Sinne der §§ 320 ff. meint daher auch Abhängigkeit. Es entsteht ein Synallagma. Das Synallagma hat verschiedene Erscheinungsformen155. § 320 beschreibt das sogenannte funktionelle Synallagma156, also die wechselseitige Abhängigkeit bei der Geltendmachung. Aus den §§ 320–322 ergibt sich, dass jede Partei die Leistung nur dann verlangen kann, wenn sie bereit und in der Lage ist, die von ihr geschuldete Gegenleistung zu erbringen und somit den Leistungsaustausch zu ermöglichen. Verlangt werden kann allein die Leistung Zug-um-Zug, § 322 Abs. 1. § 320 Abs. 1 S. 1 ermöglicht es jeder der Vertragsparteien Druck auf den anderen Teil auszuüben157 und das gemeinsam Vereinbarte um- und durchzusetzen. Das wird von der Rechtsprechung zur Durchsetzung der Nachbesserung im Werkvertragsrecht besonders plastisch wiedergegeben; sie wurde mit § 641 Abs. 3 mittlerweile in das Gesetz übernommen158: Im Werkvertragsrecht wird die Vergütung des Unternehmers mit der Abnahme fällig, § 641 Abs. 1. Das ist auch dann der Fall, wenn das Werk Mängel aufweist159. Um ihm nun ein Druckmittel für die dem Unternehmer oft „läs153 Siehe unten: S. 143 ff. sowie zur Anwendung dieses Ansatzes durch den BGH: unten S. 152 ff. 154 Soergel-Gsell (13. Auflage 2005) Vor § 320, Rn. 3. 155 Emmerich in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § Vor 320 Rn. 17 ff.; SoergelGsell (13. Auflage 2005) Vor § 320, Rn. 14 ff. 156 Emmerich in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § Vor 320 Rn. 20; Soergel-Gsell (13. Auflage 2005) Vor § 320, Rn. 17; Jauernig/Stadler § 320 Rn. 2; Hk-BGB/ Schulze § 320 Rn. 1; freilich wird das funktionelle Synallagma im Falle der Vorleistungspflicht durchbrochen. 157 BGH, Urteil vom 4.7.2002 – I ZR 313/99, NJW 2002, S. 3541 (3542); Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 1; Hk-BGB/Schulze § 320 Rn. 1. 158 Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 641 Rn. 31. 159 BGH, Urteil vom 27.11.2003 – VII ZR 53/03, NJW 2004, S. 502 (505); siehe auch BGH, Urteil vom 4.6.1973 – VII ZR 112/71, NJW 1973, S. 1792 (1792), wonach „das Vorhandensein und selbst die Rüge von Mängeln die Abnahme nicht aus[schließen].“

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tige“160 Nacherfüllung an die Hand zu geben, wurde dem Besteller zunächst ein von der Rechtsprechung aus § 320 abgeleitetes161 und nun durch § 641 Abs. 3 konkretisiertes162 Recht zur Verweigerung der Zahlung zugesprochen. Die Zahlung kann danach zwar nicht vollständig aber auch nicht nur in einer Höhe verweigert werden, die den Kosten der Beseitigung des Mangels entspricht. Vielmehr soll der Besteller, so die Gesetzesbegründungen der letzten beiden Änderungen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung wörtlich, einen „Druckzuschlag“ erheben können, der üblicherweise dem zwei- bis dreifachen der für die Mängelbeseitigung anfallenden Kosten entspricht163. In dieser Konkretisierung der „Angemessenheit“, wie sie das Gesetz für den Einbehalt des Bestellers vorsieht, kommen die beiden verschieden gelagerten Interessen deutlich zum Ausdruck: Einerseits soll dem Unternehmer vom Besteller Druck aufgebaut werden können, andererseits, soll dies dem Besteller auch nicht die Möglichkeit geben, den Unternehmer über Gebühr einer Belastung auszusetzen. Letzteres wird im Allgemeinen, nicht allein den Werkvertrag betreffenden Teil des Schuldrechts, durch § 320 Abs. 2 gesichert: Zwar berechtigt die Einrede des Abs. 1 grundsätzlich zur vollständigen Verweigerung der Gegenleistung164. Dies gilt auch dann, wenn die Leistung nur teilweise ausbleibt165. Sowohl bei teilweisem als auch bei vollständigem Ausbleiben der Leistung kann der Grundsatz von Treu und Glauben indes der Geltendmachung der Einrede entgegenstehen166. Abs. 2 hebt dies als Ausdruck dieses Grundsatzes167 für Teilleistungen ausdrücklich hervor 160 161

Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 641 Rn. 31. BGH, Urteil vom 4.6.1973 – VII ZR 112/71, NJW 1973, S. 1792 (1792 f.)

mwN. 162

BGH, Urteil vom 27.11.2003 – VII ZR 53/03, NJW 2004, S. 502 (505); zum Verhältnis zu § 320: LG Heidelberg, Urteil vom 14.12.2006 – 7 S 31/06, NZBau 2007, S. 793 (793 f.). 163 BT-Drucks. 14/1246 S. 7; § 641 Abs. 3 spricht davon, dass ein angemessener Teil der Vergütung verweigert werden kann. Während die vorletzte Gesetzesänderung aus dem Jahre 2002 noch davon sprach, dass „mindestens [die] Höhe des Dreifachen der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten“ angemessen ist, spricht die Fassung der Norm aus 2009 nun davon, dass „angemessen (. . .) in der Regel das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten“ ist; zu den aus der Praxis vorgetragenen Gründen für eine Herabsetzung: BT-Drucks. 16/511 S. 16. 164 BGH, Urteil vom 13.7.1970 – VII ZR 176/68, BGHZ 54, 244 (249); BGH, Urteil vom 26.3.2003 – XII ZR 167/01, NJW-RR 2003, 873 (874); Soergel-Gsell (13. Auflage 2005) § 320, Rn. 85; Jauernig/Stadler § 320 Rn. 16. 165 Jauernig/Stadler § 320 Rn. 16. 166 Soergel-Gsell (13. Auflage 2005) § 320, Rn. 85; Jauernig/Stadler § 320 Rn. 17. 167 Hk-BGB/Schulze § 320 Rn. 13.

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und schließt insoweit die unverhältnismäßige Ausnutzung einer Rechtsposition aus168. Auf diese Weise kann eine mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Durchsetzung des eigenen Anspruchs verhindert werden169. Nimmt der Gläubiger die Teilleistung an, so hat er zwei Möglichkeiten zur Ausgestaltung seines Verhältnisses zum Schuldner170: Anerkennt er die Teilleistung als Teilerfüllung (§ 362 Abs. 1), so wird das Schuldverhältnis geteilt und er selbst (bei Teilbarkeit seiner Leistung) zur Erbringung seiner Gegenleistung in entsprechendem Umfang verpflichtet. Nimmt er die Teilleistung aber nur unter der Einschränkung auf den übrigen Teil weiterhin zu bestehen an, so bleibt er grundsätzlich berechtigt die gesamte Gegenleistung zu verweigern171. Steht der Grundsatz von Treu und Glauben dem allerdings entgegen, dann kann er, trotzdem er nur eine Teilleistung erhalten hat, zur Erbringung der vollen Leistung verpflichtet sein und nur im Einzelfall die Berechtigung haben, einen dem ausgebliebenen Teil der vereinbarten Leistung entsprechenden Teil seiner eigenen Leistung zurückzubehalten. Die Vorstellung dessen, was nach § 320 Abs. 2 zurückbehalten werden darf und was geleistet werden muss, wird erleichtert, indem seine Aussage (äußerlich) verkürzt und als Forderung formuliert wird: Bis die Verweigerung nicht mehr gegen Treu und Glauben verstößt, muss die Gegenleistung erbracht werden. Wann die Berufung auf die Einrede gegen Treu und Glauben verstößt, wurde allgemeingültig aber noch nicht formuliert172. Die verhältnismäßige Geringfügigkeit ist, obschon sie ausdrücklich genannt ist, jedenfalls nur ein Kriterium173. Daneben besteht Einigkeit174 über die Relevanz einer Vielzahl weiterer Kriterien. Ihre Würdigung verlangt schon der Verweis auf alle Umstände; er macht überdies deutlich, dass die Interessen beider Seiten gegeneinander abzuwägen sind175. Teilweise wird demgemäß auch ausdrücklich von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gesprochen176. Ausschlaggebend sein können etwa die Schwere der Vertragsverletzung, Nachteile und Risiken (sowie ggf. zu erwartende Schäden) durch die feh168

Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 31. Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 50. 170 Nach: Emmerich in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 320 Rn. 51. 171 Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 31. 172 Emmerich in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 320 Rn. 53; Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 38; Soergel-Gsell (13. Auflage 2005) § 320, Rn. 85. 173 Emmerich in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 320 Rn. 53; Erman/Westermann (12. Auflage 2008), § 320, Rn. 11. 174 Viele Beispiele sind zu finden bei: Soergel-Gsell (13. Auflage 2005) § 320, Rn. 85; Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 38; Hk-BGB/Schulze § 320 Rn. 13 sowie Emmerich in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 320 Rn. 48. 175 Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 31. 176 Soergel-Gsell (13. Auflage 2005) § 320, Rn. 86. 169

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lende Teilleistung, ein offensichtliches Missverhältnis der Leistungen und besonders der Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts, wenn seine Art der Zurückbehaltung ausdrücklich widerspricht177. Für einen weiteren wichtigen Ausschlussgrund sei noch einmal an den Zweck der Einrede erinnert, der vor allem darin besteht, Druck auszuüben und damit den von Anfang an beiderseits angestrebten Erfolg herbei zu führen: Wer die Einrede nutzt, gibt somit gleichzeitig darüber Auskunft, am Bestehen des Vertrages interessiert zu sein. Wer indes eigentlich anstrebt eine Lösung vom Vertrag zu erreichen, dem kann die Einrede deshalb nicht zustehen178. Auch hierin zeigt sich das Streben danach, das Vertrauen des anderen Teils in die Wirkung des Vertrags vor Enttäuschung zu bewahren. Schließlich ist die rechtsmissbräuchliche Erhebung der Einrede nach Treu und Glauben unwirksam179. Die Verweigerung der Leistung zu dem Zwecke, dem Vertragspartner weitere Vertragsbedingungen aufzuzwingen, wird insoweit ausgeschlossen180. Das zeigt aber noch ein Weiteres: Wer mit der Erhebung der Einrede wiederum deutlich macht, dass er am Vertrag festhalten und den angestrebten Austausch durchführen will, der weckt nicht nur durch den Vertragsschluss selbst, sondern gerade durch die Erhebung der Einrede das Vertrauen des anderen Teils an ebendieser Durchführung. Damit verursacht die Erhebung der Einrede sogar ein gesteigertes Vertrauen, das nicht zu enttäuschen die Norm verlangt.

VI. § 815 2. Alt. – Kondiktionssperre bei Vereitelung des Erfolgseintritts Den Kondiktionssperren – nicht nur der des § 815 2. Alt. – kommt die Funktion zu, die Kondiktionen dort zu beschränken, wo ihre uneingeschränkte Anwendbarkeit aus rechtsethischen Erwägungen heraus unbillig erscheint181. Der Rechtsgedanke des § 815 2. Alt. entspricht dabei dem auch § 162 Abs. 1 zugrunde liegenden Gedanken182 davon, dass keine Partei die 177

BGH, Urteil vom 27. 02.1974 – VIII ZR 206/72, BB 1974, 671 (672). Ständige Rechtsprechung: RG, Urteil vom 27.5.1904 – VII 3/04, RGZ 58, 173 (176); BGH, Urteil vom 16.5.1968 – VII ZR 40/66, NJW 1968, 1873 (1873); BGH, Urteil vom 4.7.2002 – I ZR 313/99, NJW 2002, 3541 (3542) mwN; Emmerich in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 320 Rn. 49. 179 Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 50. 180 BGB-RGRK/Ballhaus Rn. 26; Staudinger/Otto (2009b) § 320 Rn. 50. 181 Martinek in: jurisPK-BGB, § 815 Rn. 1. 182 PWW/Leupertz, § 815, Rn. 1; Staudinger/S. Lorenz (2007) § 815 Rn. 2; Martinek in: jurisPK-BGB, § 815 Rn. 6; von Sachsen Gessaphe AK-BGB § 815 Rn. 1; Hk-BGB/Schulze § 815 Rn. 1; M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 178

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gemeinsame Erwartung des Erfolgseintritts unredlich zunichte machen soll183. Wer sich treuwidrig verhält, soll aus diesem Verhalten keine Vorteile für sich ableiten. § 815 2. Alt. ist Ausfluss dieses Grundsatzes184; § 815 2. Alt. schließt als eigenständiger Tatbestand185 Bereicherungsansprüche daher aus. Verhindert eine Partei auf treuwidrige Art und Weise den Eintritt des rechtsgeschäftlich verabredeten Erfolgs, so soll sie sich nach dieser Norm zur Rückforderung des einmal Geleisteten gerade auf das Ausbleiben des Erfolgs nicht berufen dürfen (condictio ob rem, § 812 Abs. 1, S. 2, 2. Alt.)186. 1. Problem: Anforderungen an die Treuwidrigkeit Problematisch ist nun, welche Anforderungen an die die Kondiktion ausschließende Treuwidrigkeit zu stellen sind. Wann wurde der Eintritt des Erfolgs treuwidrig verhindert? Sind die Schwellen niedrig oder hoch anzusetzen? Relevant wird die Frage vor allem bei bewusst vorgenommenen187, formnichtigen Grundstücksgeschäften, in deren Rahmen die Parteien ihre Leistungen in der Erwartung beiderseitiger Erfüllungsbereitschaft sowie im Vertrauen darauf erbringen, dass sich der jeweils andere Teil nicht auf die Formnichtigkeit berufen werde188. Das Ziel solcher Vereinbarungen ist es, die Formnichtigkeit durch beiderseitge Leistung zu heilen, § 311b Abs. 1, S. 2. Die Heilung ist der mit der Leistung bezweckte Erfolg. Die nun leistungsunwillig gewordene Partei muss die Rückforderung ihrer Leistung, weil der Eintritt des Erfolgs verhindert wird, also auf § 812 Abs. 1, S. 2, 2. Alt stützen189. Der Empfänger kann dem Verlangen dementsprechend nur den Ausschlussgrund des § 815 2. Alt entgegenhalten. Rn. 2; Palandt-Sprau, § 815 Rn. 3; Wendehorst in Beck-OK BGB (Edition 18) § 815 Rn. 1. 183 Martinek in: jurisPK-BGB, § 815 Rn. 6; BGH, Urteil vom 26.10.1979 – V ZR 88/77, NJW 1980, 451 (451). 184 Wendehorst in Beck-OK BGB (Edition 18) § 815 Rn. 1. 185 M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 2. 186 Singer in WM 1983, 254 (257); von Sachsen Gessaphe AK-BGB § 815 Rn. 1. 187 M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 7. 188 Die Frage wird allerdings nicht nur dort relevant: zum Schuldanerkenntnis: BGH, Urteil vom 23.02.1990 – V ZR 192/88, NJW-RR 1990, S. 827; zu während des Verlöbnisses gemachten Geschenken: BGH, Urteil vom 18.5.1966 – IV ZR 105/65, NJW 1966, S. 1653. 189 Mit zahlreichen Nachweisen: OLG Koblenz, Urteil vom 18.6.2007 – 12 U 1799/05, NZM 2008, 326 (326); M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 8.

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Bei der Berücksichtigung dieses Einwands hat sich in der Rechtsprechung ein (kritisierter190) Wandel vollzogen191: Während zunächst festgehalten wurde, dass die Geltendmachung der Formnichtigkeit durch den Leistenden hinzunehmen sei und die Berufung hierauf nicht gegen Treu und Glauben verstoße192, kommen neuere Urteile zu einem anderen Ergebnis: Treuwidrig handelt schon, wer die Durchführung des formwidrigen Vertrags scheitern lässt, ohne dafür einen „hinreichenden Grund“ zu haben193. Die Forderung nach einem hinreichenden Grund für die Verneinung der Treuwidrigkeit führt dazu, dass die Treuwidrigkeit der Rückforderung leicht bejaht werden kann und auf diese Weise der Verbleib der Leistung gefestigt wird. Das wird noch deutlicher, wenn man besieht, was als wichtiger Grund anerkannt wird: Ein hinreichender Grund, der die Treuwidrigkeit der Rückforderung ausschließt, liegt etwa darin, dass der Leistende, der nun zurückfordert, zuvor arglistig getäuscht wurde194. Die Hürde zur Bejahung der Treuwidrigkeit ist, bei solch hohen Anforderungen an die Begründung der Rückforderung, also relativ niedrig. Die Rückforderung einer schon erbrachten Leistung wird also erschwert. 2. Vergleich zu Fällen vor Leistungserbringung; Forderungen eines Gleichlaufs Vor diesem Hintergrund sind die Anforderungen bemerkenswert, die die Rechtsprechung für einen Verstoß gegen Treu und Glauben aufgestellt hat, wenn derjenige, der sich dem Verlangen nach Leistung aus einem formnichtigen Vertrag ausgesetzt sieht, sich zur Abwehr auf die Formnichtigkeit beruft: Anders als bei § 815 2. Alt, betrifft dies Situationen, in denen es noch nicht zur Leistungserbringung gekommen ist. Die dann zu klärende Frage lautet: Kann ein Leistungsaustausch verlangt werden, trotzdem der zugrunde liegende Vertrag formnichtig ist oder verstößt die Berufung auf die Formnichtigkeit gegen Treu und Glauben? Grundsätzlich gilt natürlich: Ist ein Vertrag formnichtig, dann dürfen sich die Parteien hierauf berufen195. 190 Kanzleiter in DNotZ 1986, 258 (260 ff.); M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 8; zur Kritik siehe sogleich. 191 M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 8. 192 RG, Urteil vom 07.01.1910 – II 191/09, RGZ 72, 342 (343). 193 BGH, Urteil vom 26.10.1979 – V ZR 88/77, NJW 1980, S. 451 (451 f.); BGH, Urteil vom 2.7.1999 – V ZR 167–98, NJW 1999, S. 2892 (2893); OLG München, Urteil vom 26.02.1985 – 9 U 4530/84, DNotZ 1986, S. 293. 194 BGH, Urteil vom 26.10.1979 – V ZR 88/77, NJW 1980, 451 (452); vgl. zu Gründen, die nicht genügen: OLG München, Urteil vom 26.02.1985 – 9 U 4530/84, DNotZ 1986, S. 293. 195 Einsele in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 125 Rn. 56.

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Die Durchführung eines formnichtigen Vertrags und die damit einhergehende Abkehr von der zwingenden Formnichtigkeit wird nur in engen Ausnahmefällen und gestützt auf die Gebote von Treu und Glauben vollzogen196. Der BGH fordert schlechthin untragbare Folgen, um einen Verstoß gegen Treu und Glauben durch Berufung auf die Nichtigkeit anzunehmen und damit die Aufrechterhaltung des Vertrags vorzugeben197. Die Anforderungen an die Treuwidrigkeit der Berufung auf die Nichtigkeit sind vor Leistungsaustausch also sehr hoch. Damit unterscheiden sich die Anforderungen an die Rückabwicklung einer im Rahmen eines formnichtigen Vertrags bereits erbrachten Leistung eklatant zu denen der Aufrechterhaltung formnichtiger Verträge, bei denen die Erbringung der Leistung noch aussteht198. Noch mal: im Fall der bereicherungsrechtlichen Rückforderung einer bereits erbrachten Leistung wird die Treuwidrigkeit schon bejaht, sobald ein über die Formnichtigkeit hinausgehender Grund für die Rückforderung fehlt; ohne einen Grund darzulegen, ist die Kondiktion des Leistenden damit gesperrt. Währenddessen verstößt im Fall noch nicht erbrachter Leistungen die Berufung auf den Formmangel erst dann gegen Treu und Glauben, wenn dadurch schlechthin untragbare Zustände entstünden; sind solche Zustände nicht zu erwarten, kann sich jeder der Vertragspartner unproblematisch auf das Gesetz berufen, §§ 311b Abs. 1 S. 1, 125 S. 1. Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückforderung werden durch das Erfordernis des hinreichenden Grundes also die Anforderungen für die Berufung auf die Nichtigkeit angehoben und damit einhergehend (bei Fehlen des Grundes) die Schwelle zur Bejahung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben abgesenkt. Diese Herabsetzung der Voraussetzungen zur Bejahung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung begegnet folgerichtig der schon angesprochenen Skepsis199. An ihrer statt wird zur Vermeidung eines „inneren Widerspruch[s]“200 gefordert, einen Gleichlauf zu den Anforderungen im Fall vor 196 Ausführlich und anschaulich dazu: Singer in WM 1983, 254 (256 f.); vgl. auch Einsele in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 125 Rn. 57 ff. 197 Etwa: BGH, Urteil vom 10.6.1977 – V ZR 99/75, NJW 1977, S. 2072 (2072 f.); BGH, Urteil vom 27.4.1979 – V ZR 175/77, NJW 1979, S. 1498 (1499); BGH, Urteil vom 25.07.2007 – XII ZR 143/05, BeckRS 2007 14145; Welche verschiedenen Faktoren bei der Bejahung der „schlechthin untragbaren Folgen“ in der Vielzahl ergangener Urteile einer Rolle spielten, fasst Armbrüster in NJW 2007, S. 3317 ff. zusammen. 198 Kanzleiter in DNotZ 1986, 258 (260 ff.); Singer in WM 1983, 254 (256 f.). 199 Kanzleiter in DNotZ 1986, 258; M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 8, Singer in WM 1983, 254. 200 M. Schwab in MüKo-BGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 8.

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Leistungserbringung herzustellen und die Treuwidrigkeit nicht schon bei Fehlen eines „hinreichenden Grundes“ zu bejahen201. 3. Stellungnahme für eine Ungleichbehandlung der Sachverhalte Vor dem Hintergrund des aus der Besprechung anderer Normen in diesem Abschnitt über die Bedeutung von Treu und Glauben Indizierten spricht jedoch einiges dafür, mit der Rechtsprechung zu gehen und nach der Leistungserbringung geringere Voraussetzungen an die Treuwidrigkeit der Rückforderung zu stellen und die Rückforderung damit zu erschweren: a) Größeres Vertrauen nach Leistungserbringung verlangt geringere Anforderungen an die Treuwidrigkeit Die Leistung selbst weckt nämlich ein gesteigertes Moment des gegenseitigen Vertrauens, das ohne bzw. vor Leistung nicht gegeben ist. Stellt man nun auf den Grad des Vertrauens ab, so könnte die Gleichbehandlung der zwei verschiedenen Situationen vor und nach Leistungserbringung ihrerseits einen Widerspruch hervorrufen, den die Ungleichbehandlung aber zu verhindern vermag. Denselben Gedanken, nämlich die Treuwidrigkeit für die Situationen vor und nach Leistungserbringung in Bezug zu nehmen, bedeutet nämlich nicht zwangsläufig, in beiden Fällen dieselben Anforderungen an die Bejahung der Treuwidrigkeit stellen zu müssen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass es sich beim Vertrauen um ein dynamisches Kriterium handelt, das stark und schwach ausgeprägt sein kann, sogar wünschenswert. Das Vertrauen ist es schließlich, das durch die Bewertung des jeweiligen Verhaltens als treuwidrig geschützt werden soll. Eine angemessene (und nicht den tatsächlich vorhandenen Voraussetzungen widersprechende) Entscheidung muss dann auch den Grad des Vertrauens berücksichtigen: Wenn die Treuwidrigkeit über den Ausschluss der Rückforderung entscheiden soll, dann muss dann, wenn ein größeres Maß an Vertrauen durch den Erhalt der Leistung unterstellt werden kann, dieses Vertrauen auch stärker geschützt werden. Dies wiederum gelingt durch geringere Anforderungen an die Bejahung der Treuwidrigkeit der Rückforderung und ihren damit einhergehenden Ausschluss. Weil die Situationen vor und nach Leistungserbringung durch die Erbringung der Leistung klar von einander zu unterscheiden sind, kann schließlich 201 Kanzleiter in DNotZ 1986, 258; Singer in WM 1983, 254; gegen eine Differenzierung auch: Staudinger/S. Lorenz (2007) § 815 Rn. 2; M. Schwab in MüKoBGB (5. Auflage 2009) § 815 Rn. 8.

C. Treu und Glauben in anderen Normen

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auch ein Verlangen nach mehr Rechtssicherheit nicht für ihre Gleichbehandlung streiten. b) Parallele zum Verhältnis von Bestands- und Erwerbsschutz Nach Leistungserbringung einen größeren Schutz zu gewähren als davor, wäre insbesondere dann legitimiert, wenn sich nachweisen ließe, dass es (zumindest dem Ansatz nach) einen Rechtsgedanken gibt, nach dem der Schutz bestehender Rechte grundsätzlich stärker ausgeprägt ist, als der Schutz noch zu erwerbender Rechte. Dass ein solcher Gedanke tatsächlich existiert, soll am Verhältnis zwischen Bestandsschutz (hier mit der Situation nach Leistungserbringung gleichzusetzen) und Erwerbsschutz (hier mit der Situation vor Leistungserbringung gleichzusetzen) angedeutet werden. Schon die Grundrechte lassen erkennen, dass das Reichweite des Schutzes von Bestand und Erwerb voneinander abweicht, wie sich aus einer vergleichenden Betrachtung der Schutzbereiche von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG ergibt. Die prominente Faustformel zum Verhältnis der beiden Artikel lautet, dass Art. 12 GG den Erwerb schützt und Art. 14 GG das Erworbene; zum einen ist also die Betätigung, zum anderen das Ergebnis einer Betätigung erfasst202. Der stets als weit beschriebene Schutz des Erwerbs durch Art. 12 Abs. 1 GG, also der Schutz einer Betätigung, unterliegt zunächst von vornherein einer wichtigen Einschränkung: Er umfasst nur den Erwerb im Rahmen von Betätigungen, die einem Beruf entsprechen. Obwohl dieser Begriff weit203 verstanden wird, schließt er von vornherein eine Vielzahl von Erwerbstatbeständen aus: Jedenfalls nicht erfasst ist der einmalige Erwerb, vielmehr muss der Erwerb regelmäßig erfolgen; auch die Notwendigkeit, mit der Handlung die Lebensgrundlage zu schaffen oder zu unterhalten, beschränkt die Reichweite des Schutzes204. Während von Art. 12 Abs. 1 GG der Erwerb nur insoweit geschützt ist, als die Betätigung über einen Beruf erfolgt, ist der Schutz dessen, was einmal in den Bestand des Erworbenen gelangt ist, also das Ergebnis der Betätigung, durch den Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG umfassend. In seinen Schutzbereich fallen alle vermögenswerten Rechte (also auch etwa Forderungen, Aktien usw.), soweit der Grundrechtsinhaber auf ihren 202 203 204

(397).

Pieroth/Schlink, Rn. 990 mwN. Siehe etwa: Scholz in: Maunz/Dürig GG, Art. 12, Rn. 18 f., 28 ff. BVerfG, Entscheidung vom 11.06.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

Bestand vertrauen kann205. Dies gilt (und zwar insbesondere mit Blick auf die Grenzen, die der Berufsbegriff dem einmaligen Erwerb setzt) auch für Rechte, die nur einmal ausgeübt werden, wie Vorkaufsrechte und Zahlungsansprüche206. Indem er unter geringeren Einschränkungen ausgeprägt ist, erscheint der Schutz des Erworbenen weiter, als der des Erwerbs. Aber nicht nur in Abgrenzung zum Erwerbsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG, sondern auch bei bloßer Betrachtung des Schutzbereichs von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG lässt sich der umfassendere Schutz des bereits Erworbenen gegenüber dem Erwerb zeigen: Denn vom Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sind nach allgemeiner Ansicht bloße Gewinnerwartungen, Chancen oder Erwerbsmöglichkeiten207 nicht umfasst. Sie alle stellen Gegenstände dar, die im Bestand des Erworbenen noch nicht klar verortet sind, auf die also noch nicht vertraut werden darf. Diese Unterscheidung zeichnet sich deutlich beim Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 ab. Seinen generellen Schutz durch Art. 14 GG lässt das Bundesverfassungsgericht zwar nach wie vor ausdrücklich offen208. Fest steht jedoch, dass sich der Schutz jedenfalls nur auf den „konkreten Bestand von Rechten und Gütern“, nicht aber auf Umsatz oder Gewinnchancen, wie sie sich aus der Gesamtheit des Unternehmens ergeben, erstreckt209. Diese Einschränkung des Schutzes des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs schlägt auch auf seine Handhabung als sonstiges Recht im Bereich des § 823 durch: Dem Umstand, dass durch dieses Institut ein (hier) nicht gewollter Vermögensschutz droht, wird entweder dadurch begegnet, dass der Schutz des Gewerbebetriebs vollständig abgelehnt210 wird oder aber die Anforderungen an die Begründung des Anspruchs wenigstens angehoben werden. Dabei wird der Schutz des Erwerbs gegenüber dem Erworbenen konkret durch das Erfordernis der Betriebsbezogenheit des Eingriffs gemindert: Den Erwerb betreffende Folgen, also nur mittelbar entste205 BVerfG, Beschluß vom 7.10.2003 – 1 BvR 1712/01, NVwZ 2004, S. 329 (329) mwN. 206 BVerfG, Beschluß vom 09.01.1991 – 1 BvR 929/89, NJW 1991, S. 1807 (1808) mwN. 207 BVerfG, Beschluß vom 13.6.2002 – 1 BvR 482/02, NVwZ 2002, S. 1232 (1232) mwN. 208 Zuletzt: BVerfG, Beschluss vom 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, S. 3501 (3502) mwN. 209 BVerfG, Beschluß vom 31.10.1984 – 1 BvR 35/82 u. a., NJW 1985, S. 1385 (1389). 210 Canaris, VersR 2005, S. 577 (582); Sack, VersR, 2006, S. 1001 (1003 ff.); kritisch auch: Wagner in Münch-Komm, § 823, Rn. 189 sowie Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 164 f., 429 ff.

D. Treu und Glauben als Rechtsprinzip

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hende Schäden eines Eingriffs am Bestand des Betriebs, werden nämlich nicht berücksichtigt211. Die gezeigten Beispiele zeigen, dass eine Unterscheidung zwischen Bestands- und Erwerbsschutz Rechtsgebiete übergreifend auszumachen ist. Dies spricht dafür, ihr auch im Bereich formnichtiger Verträge Ausdruck zu verleihen. Das vermögen unterschiedliche Maßstäbe bei der Frage, ob eine treuwidrige Berufung auf die Formnichtigkeit vorliegt, zu tun. Deshalb soll, wie soeben gefordert, in diesem Bereich demjenigen, der eine Leistung bereits erhalten hat, die Verweigerung der Rückforderung durch Berufung auf die Treuwidrigkeit einfacher gemacht werden, als demjenigen, der mit Verweis auf einen formnichtigen Vertrag eine noch nicht erbrachte Leistung einfordert. Die Unterscheidung der beiden Situationen ist damit zu rechtfertigen.

D. Treu und Glauben als Rechtsprinzip Bevor ein Fazit aus dem, was zu den einzelnen Normen, die Treu und Glauben zum unmittelbaren Bestandteil haben, gesagt wurde, gezogen wird, soll Treu und Glauben nun noch knapp als abseits jener Normen wirkendes Rechtsprinzip beschrieben werden. Treu und Glauben kommt als Rechtsprinzip eine übergreifende Bedeutung zu. Die Schwierigkeiten, denen die Subsumtion unter die bisher beschriebenen Normen ausgesetzt ist, stehen in engem Zusammenhang mit dem Charakter des Grundsatzes von Treu und Glauben als Prinzip212. Prinzipien sind, wie im hinteren Teil der Arbeit ausführlicher zu beschreiben sein wird, einer unmittelbaren Anwendung nur sehr schwer zugänglich. Das unterscheidet die Prinzipien grundlegend von den subsumtionsfähigen Regeln213 und wirkt sich auch auf die Erfassung der die Prinzipien direkt nennenden Normen aus. Prinzipien sind den Normen nämlich, wie Larenz es formuliert214, die „Anfangsgründe“. Und von den Normen kann daher auch auf sie zurück gegangen werden. Hierin fand 211

Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 429 ff. Vgl. dazu Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 114 ff., die zwischen den Gleichheitstheorien und den Differenzierungstheorien unterscheiden. Während die ersten § 242 eher in die Nähe einer bei Falllösungen zuträglichen Norm rücken, die immerhin einer Konkretisierung zugänglich ist, verstehen letztere § 242 eher im Sinne einer Hilfsfigur oder eines allgemeinen Prinzips. Hier wird freilich, das hat sich schon gezeigt, ein Mittelweg beschritten, der die prinzipielle Wirkung nicht verleugnet und dennoch Beiträge zu konkreten Entscheidung für möglich hält. 213 Zur Abgrenzung der Regeln von den Prinzipien und ihrer Bedeutung siehe unten: S. 201 ff., insbesondere S. 204 ff. 214 Larenz, Richtiges Recht, S. 26. 212

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

schließlich auch die Betrachtung der einzelnen Normen in diesem Abschnitt ihre Rechtfertigung: Diese induktive Herangehensweise kann, wie die folgende Zusammenfassung zu zeigen versucht, durchaus einen Erkenntnisgewinn über das hinter den Normen stehende Prinzip liefern. Treu und Glauben ist ein Prinzip positiven Rechts. Das heißt, dass es gesetzlichen Regelungen zugrunde liegt. Das heißt aber auch, dass es sich durch Rezeption in der Rechtsprechung „geltend macht“215. Als Prinzip des positiven Rechts dient es als Rechtfertigung für Regelungen und (nur) weil das so ist, zeigt sich, dass es auch auf ein Prinzip richtigen Rechts im Sinne der Terminologie Larenz’ verweist. Larenz ordnet das Gebot der Wahrung von Treu und Glauben unter die Prinzipien216 der Individualsphäre. Neben den Prinzipien der Selbstbestimmung und der Selbstbindung sowie dem Äquivalenzprinzip schildert er es als einen Fall des Vertrauensprinzips. Wie sehr diese Einordnung von den hier beschriebenen Normen bestätigt wird, hat der Überblick über in diesem Abschnitt deutlich werden lassen. Das Vertrauensprinzip besagt zunächst, dass in einem anderen erwecktes Vertrauen geschützt wird. Das Vertrauen eines anderen nicht zu enttäuschen, wenn man es einmal erregt hat, ist bereits ein moralisches Gebot217. Dieses moralische Gebot, erwecktes Vertrauen nicht zu enttäuschen, ist in vielen Fällen, keinesfalls in allen, auch ein Gebot der Rechtsordnung. Als Gebot der Rechtsordnung ist es aber durchaus unabhängig von dem moralischen Gebot. Die Rechtsordnung hat nämlich eigene Gründe, Vertrauen zu schützen, denn täte sie es nicht, wäre der Verkehr zwischen Vertragspartnern unmittelbar eingeschränkt. Auch darüber hinaus ist § 242, wie dieses Beispiel für den Einzug eines moralischen Gebots schon andeutet, eines der wesentlichen Einfallstore für die Wirkung der Gebote der Gerechtigkeit im Recht218.

E. Zusammenfassung Die Normen, die Treu und Glauben unmittelbar nennen, weisen mit besonderem Nachdruck auf die Wirkung des Prinzips, das ihnen zugrunde liegt, hin. Wo im positiven Recht auf ein Prinzip hingewiesen wird, gilt das Prinzip in besonderem Maße. Nicht nur im Rahmen dieser Arbeit, sondern ganz generell ist eine abschließende Erkenntnis von einem Prinzip wie Treu 215 216 217 218

Larenz, Richtiges Recht, S. 24. Zu Treu und Glauben als Prinzip vgl.: Larenz, Richtiges Recht, S. 87. Larenz, Richtiges Recht, S. 80. Esser, Schuldrecht, 2. A., S. 99.

E. Zusammenfassung

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und Glauben freilich nicht zu erwarten219. Es kann aber unter Zuhilfenahme einiger das Prinzip betreffender Quellen angedeutet werden, in welche Richtung seine Ausfüllung weist. So wurde gezeigt, dass der Gesetzgeber den Verweis auf die Gebote von Treu und Glauben im positiven Recht gezielt einsetzt, um den Regelungsgehalt der jeweiligen Normen zu gestalten. Bei § 157 ist dies der Fall, um die Orientierung am Idealzustand einer Vertragssituation als Referenz für den zu entscheidenden Fall vorzugeben. Treu und Glauben dient dann als Maßstab, an dem Entscheidungen über Rechte und Pflichten der Parteien ausgerichtet werden. Treu und Glauben wirkt sich dabei auf die Durchführung des Vereinbarten und auf das Vereinbarte selbst aus. Eine Entscheidung über Rechte und Pflichten unter Hinzuziehung von Treu und Glauben zu treffen wird nötig, wenn ein tatsächlich bestehender Zustand die zu einer Entscheidung notwendigen Inhalte nicht hergibt; so etwa, wenn die vertragsschließenden Parteien einen Punkt nicht bedacht haben und es dann im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung gilt, zu ermitteln, was sie gewollt hätten, wenn sie an den Punkt gedacht und eine Vereinbarung getroffen hätten. Es dienen dann die idealisierten Vorstellungen von Treu und Glauben dazu, Lücken, die Hinweise aus dem Vertrag immer noch lassen, zu füllen. Dies geschieht wie gesehen, indem das Bild vom gerechten Ausgleich, den Parteien unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben idealer Weise in ihren Verhandlungen erzielen, vorgehalten wird. In Sinne dieses Ausgleichs wird dann unterstellt, dass die Parteien etwa die Risiken gleichmäßig verteilt und die Leistungen in ein angemessenes Verhältnis zueinander gestellt hätten. Darüber hinaus wurde deutlich, dass der Verweis auf Treu und Glauben sich vor allem im praktischen Vertrauensschutz ausprägt. Das konnte etwa anhand des § 162 gezeigt werden, der einen Vertragspartner schützt, wenn der andere Teil das entgegengebrachte Vertrauen dadurch erschüttert, dass er das Eintreten einer Bedingung verhindert220. Jener Schutz wird immer dann gewährt, wenn die Bedingung einen Zustand absichert, den die Parteien ursprünglich vereinbart, und auf den sie deshalb vertraut haben. Aber auch, wenn sich eine der Parteien dazu aufschwingt, den Inhalt des Vertrags einseitig durch die Vorformulierung von Bedingungen zu gestalten, gibt der in das Gesetz aufgenommene Verweis auf Treu und Glauben auf, 219

Hierauf schließt mit einem Hinweis auf die nicht bestehende Möglichkeit vollständiger Erkenntnis im Allgemeinen Larenz in Richtiges Recht, S. 182 f. Larenz begründet das schon mit dem Scheitern Hegels und seiner Philosophie einer vollständigen Deutung der Wirklichkeit. 220 Gleiches gilt freilich für das hier der Übersichtlichkeit wegen ausgelassene Herbeiführen des Eintritts einer Bedingung, siehe dazu oben: S. 67 ff.

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

dies in einer Weise zu tun, die die Interessen des anderen Teils angemessen berücksichtigt. Wenn dann, anders als bei der ergänzenden Vertragsauslegung, also nicht Inhalte fehlen, sondern existierende Inhalte von AGB unverhältnismäßig sind, greift eine an Treu und Glauben orientierte Korrektur ein. Auch in diesem Fall ist das Leitbild der redlichen Vertragspartner, die über den Vertrag einen Ausgleich anstreben, maßgeblich. Hervorzuheben ist auch hier die Bedeutung des entgegengebrachten Vertrauens. Der Ansatz des Prinzips Treu und Glauben, dieses Vertrauen zu schützen, wird in der Generalklausel des AGB-Rechts unmittelbar verwirklicht. Insoweit wurde davon gesprochen, dass der Klauselgegner vertrauen darf. Hinzukommt aber, dass er auch vertrauen muss; und zwar vor allem aus ökonomischen Gesichtspunkten. Der Grundsatz von Treu und Glauben verlangt damit, dass man vertrauen kann, während das Effizienzprinzip schlicht will, das man es tut. Gerade weil beide Bereiche hier so nahe beieinander liegen, soll im folgenden auch besonders am Beispiel des AGB-Rechts danach gefragt werden, wie sich Effizienzprinzip und Treu und Glauben zueinander verhalten221. Das Bild von der Angemessenheit, der Loyalität und der im Vertrauen gründenden Rücksichtnahme beeinflusst auch die Entscheidung, wenn dem Schuldner die einmal versprochene Leistung erschwert wird. Dann muss unter dem Verweis auf Treu und Glauben ermittelt werden, ob er noch zu leisten hat und ob der im Vertrag vereinbarte Austausch deshalb durchgeführt werden soll. Der Verweis des § 275 Abs. 2, S. 1 zeigt, was von Vertragspartnern, wie sie das BGB seinen Vorstellungen zugrunde legt, erwartet wird und was nicht erwartet werden darf. Hier fand sich der Einfluss des erweckten Vertrauens darin, die vom jeweils anderen Teil unternommenen Handlungen im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen. Besonders stachen dabei die von der einen oder anderen Seite erbrachten Beiträge hervor, die die infrage stehende Leistung erleichtern oder ihre Erbringung gewisser machen sollen und deshalb das Vertrauen in sie erhöhen. Das hierüber hinaus gehende Verdienst des Verweises auf Treu und Glauben, den § 275 Abs. 2, S. 1 enthält, besteht nun darin, deutlich zu zeigen, welchen Bezug Treu und Glauben zu übergeordneten Werten, haben: Denn der Frage danach, wann der zur Erfüllung zu betreibende Aufwand unangemessen ist, ist eine unmittelbare Verknüpfung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip immanent. Jenes Prinzip weist durch den von ihm angestrebten Ausgleich nämlich direkt auf die Forderungen der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit wiederum ist, unterstellt man ihr ein Sollenselement, auch ein moralisches Gebot222. Hierin zeigt sich, dass das Gebot, Vertrauen zu schützen, wie es die Rechtsordnung 221 222

Siehe dazu unten: S. 143 ff. Siehe in Ansätzen zur Gerechtigkeit unten: S. 201 ff.

E. Zusammenfassung

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durch Treu und Glauben aufstellt, sich mit dem moralischen Gebot223 Vertrauen zu schützen, deckt. Wenn ein Vertragspartner das nicht tut, wozu der Vertrag geschlossen wurde, nämlich um zu leisten und daraufhin eine Leistung zu empfangen, dann darf er vom anderen Teil unter Druck gesetzt werden. Ein starkes Mittel dazu gibt das Gesetz dem anderen Teil mit dem Recht, die Gegenleistung so lange zu verweigern, bis geleistet wird. Die Wirkung von Treu und Glauben besteht hier darin, all jene Gründe für die Leistungsverweigerung auszuschließen, die ein redlicher Vertragspartner nicht hätte: Wer nicht im Sinn hat, was das Gesetz bei jenen voraussetzt, denen das Recht zur Leistungsverweigerung dienen sollte, dem wird dieses Recht auch nicht zugestanden. Wer nur verweigert, weil er nicht leisten will, nicht aber, weil er die ihm versprochene Leistung erhalten will, der darf nicht verweigern. Das gilt besonders, wenn vom anderen bereits so viel geleistet wurde, dass der verbleibende Rest einem vernünftigen Vertragspartner nicht mehr als Verweigerungsgrund genügen würde. Wer dann dennoch verweigert, der tut damit etwas, was sein Vertragspartner nicht erwartet hätte. Deshalb wird es ihm verwehrt. Natürlich erschöpft sich die Tragweite von Treu und Glauben in solchen Erkenntnissen nicht. Schon im unmittelbaren Umfeld der Normen, die zuletzt behandelt wurden, ist dies nachweisbar. Eine Klausel, die den Anforderungen des § 307 Abs. 1, S. 1 genügt, kann im Einzelfall trotzdem gegen Treu und Glauben verstoßen224. Aber selbst dann, wenn dies nicht der Fall ist, kann sich im Rahmen einer Ausübungskontrolle herausstellen, dass nicht die Klausel selbst, aber ihre Anwendung missbräuchlich ist und der Verstoß gegen Treu und Glauben hierdurch begründet wird225. Des Weiteren kann die Geltendmachung der Einrede des nicht erfüllten Vertrags nicht nur dann, wenn bereits geleistet wurde, gemäß § 320 Abs. 2 gegen den dort ausdrücklich genannten Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Der Grundsatz gilt darüber hinaus vielmehr auch im Bereich des Abs. 1. Das ist etwa dann der Fall, wenn nach Treu und Glauben eine vereinbarte Vorleistungspflicht erlischt und ein Leisungsverweigerungsrecht entstehen muss, weil der Vertragspartner eindeutig erklärt, nicht leisten zu wollen226. Und trotzdem diese beiden Beispiele bestätigen, dass die Benutzung des Grundsatzes von Treu und Glauben durch den Gesetzgeber seine Reich223

Dazu: Larenz, Richtiges Recht, S. 80 ff. BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 06.7.1988 – VIII ARZ 1/88, BGHZ 105, 71 (88). 225 Staudinger/Coester (2006) § 307, Rn. 35. 226 Staudinger/Otto (2009b) § 320, Rn. 11. 224

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Kap. 3: Treu und Glauben im BGB

weite keineswegs erschöpft, wird durch diesen mithin beschränkten Blick auf seine Anwendung immerhin eines deutlich: Die Anwendungsfelder erfassen Fragen, die am Verständnis schon des oben besprochenen Wortsinnes der Bestandteile des Grundsatzes ansetzen. Insoweit sei noch einmal daran erinnert: Der Begriff der „Treue“ wurde definiert als eine Haltung, die auf Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruht. Unter „Glaube“ wurde das Vertrauen auf eine solche Haltung geordnet. Zuverlässig ist, wer tut, worauf sich das Gegenüber verlässt, weil es dazu veranlasst wurde; die Zuverlässigkeit liegt also inhaltlich sehr nahe beim Vertrauen. Vertrauen und Zuverlässigkeit spielten in jedem der gezeigten Anwendungsfälle eine Rolle. Das Verständnis des Begriffspaars Treu und Glauben, wenigstens das hat der Überblick zu seiner Verwendung im Gesetz gezeigt, entspricht also den Leitgedanken der Wertentscheidungen, die im Anwendungsbereich der Generalklauseln getroffen wurden. Die hier vertretene Auffassung von der nicht vollständigen Wertlosigkeit des Wortlauts wird damit unterstrichen. Das sowohl bei den einzelnen Regeln als auch soeben bei der Rolle von Treu und Glauben als Prinzip schon näher erläuterte Vertrauen spielt in den verschiedenen Bereichen des Zivilrechts227 unterschiedliche Rollen. Die zwei „Komponenten“ des Vertrauensprinzips, der Schutz der Verkehrssicherheit und die rechtsethische Komponente, kommen in den unterschiedlichen Bereichen auch unterschiedlich stark zum Ausdruck228. Im Rahmen der Wahrung der Gebote von Treu und Glauben kommt nun die rechtsethische Komponente des Vertrauensschutzes mehr zum Vorschein229. Sie ist es zunächst, die überhaupt begründet, dass erwecktem Vertrauen entsprochen werden soll. Das zeigt sich etwa in dem von Treu und Glauben wurzelnden Verbot, sich widersprüchlich zu verhalten, das, umformuliert, dafür steht, ein durch ein bestimmtes, einem anderen vorangehendes Verhalten begründetes Vertrauen nicht durch ein dem entstandenen Vertrauen entgegenstehendes anderes Verhalten zu verletzen. Die in Treu und Glauben verankerte rechtsethische Komponente begründet aber auch die Pflicht zur Rücksichtnahme und dies auch bei der Ausübung von bereits als bestehend anerkannten Rechten. Gerade das hat sich sowohl bei der Regelung des § 275 Abs. 2, S. 1 und vor allem in der Generalklausel des AGB-Rechts besonders deutlich gezeigt. Am Beispiel der Generalklauseln des BGB, die Treu und Glauben in Bezug nehmen, konnte damit gezeigt werden, dass die hinter einzelnen Regeln 227 Dass es auch in Bereichen des Straf- und Öffentlichen Rechts eine Rolle spielt, sei selbstverständlich unbenommen. Vgl. hierzu: Larenz, Richtiges Recht, S. 81 ff. 228 Larenz, Richtiges Recht, S. 85. 229 Larenz, Richtiges Recht, S. 85.

E. Zusammenfassung

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stehenden Prinzipien durchaus direkte Auswirkungen auf die Entscheidungen haben. Das gilt freilich für alle Generalklauseln. Die Hinzuziehung eines weiteren Kriteriums wie dem der Effizienz unterliegt dem Erfordernis, ebendiesen geltenden Prinzipien nicht zu widersprechen. Soweit die dargestellten Beispiele zeigen konnten, welchen unmittelbaren Bezug Treu und Glauben zum Vertrauen hat, ist fraglich, ob eine Entscheidung sich überhaupt auf diese Generalklausel stützen lässt, wenn Aspekte des Vertrauens gar keine Rolle mehr spielen. Bei einer reinen Kosten-Nutzen-Rechnung könnte das nämlich der Fall sein230. Bevor anhand von Beispielen gezeigt wird, dass es durchaus zu auseinanderfallenden Ergebnissen kommen kann, wenn nicht bisherige, sondern neue, an Effizienz orientierte Maßstäbe angewandt werden, soll nun kurz gezeigt werden, auf welche Weise Generalklauseln in der Praxis angewendet werden. Dies ist ein notwendiger Zwischenschritt, bevor Gründe gezeigt werden, die formal für eine Anwendung des Effizienzkriteriums bei den Generalklauseln stehen.

230 Gegen die Berufung auf Treu und Glauben bei Fehlen eines Vertrauensbezugs: Müller/Christensen, Methodik, S. 307.

Kapitel 4

Vorläufiges zur Funktionsweise der Generalklauseln Nachdem nun der Nachweis der Aussagekraft der Regeln, die auf Treu und Glauben verweisen, für den Inhalt des Prinzips erbracht wurde, muss im Folgenden die Art und Weise des Umgangs mit dieser Offenheit für Werte und Prinzipien geklärt werden. Der Umgang mit Generalklauseln in der Praxis ist wesentlich pragmatischer, als der Befund über ihre Verbindung zu wenig konkreten, über den einzelnen Rechtssätzen stehenden Prinzipien es vermuten lässt. Dass anhand des Effizienzkriteriums Hinweise für eine Entscheidung gegeben werden können, steht außer Frage. Probleme bereiten indes die Fragen nach der Verwertbarkeit dieser Hinweise und ihrer Verbindlichkeit für eine zu findende Entscheidung. Hiernach soll für den Einzugsbereich von Generalklauseln gefragt werden. Die pragmatische Art der Anwendung von Generalklauseln durch die Praxis darzustellen ist deshalb von Relevanz, weil die Art der Anwendung neben anderen, im Anschluss zu zeigenden Aspekten Implikationen ermöglicht, die vorderhand für eine vollständige Berücksichtigung des Effizienzprinzips sprechen. Dieser Umstand wird freilich, das sei schon vorweggenommen, zu einer gewissen Konfliktsituation zwischen den einerseits nach Verwirklichung drängenden Prinzipien und den andererseits in der Praxis gegebenen Umständen der Konkretisierung von Generalklauseln führen.

A. § 242 als Generalklausel § 242 öffnet als Generalklausel das Recht1. Der Schaffung von Generalklauseln liegt ein Dilemma zugrunde, dem auch § 242 abzuhelfen dient: Einerseits soll das Recht die Besonderheiten jedes einzelnen Falles würdigen können. Andererseits kann der Gesetzgeber nicht jeden dieser Fälle voraussehen und regeln. Um dem Anspruch, auch dem Einzelfall gerecht zu werden, genügen zu können, musste der Gesetzgeber die Aufgabe, solche von ihm nicht vorher1

Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 82 ff.

A. § 242 als Generalklausel

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sehbaren Fälle zu entscheiden, an diejenigen delegieren, die mit ihnen in Berührung kommen: die Richter. Als Mittel dieser Delegierung dienen die Generalklauseln, die als „ein Stück offengelassener Gesetzgebung“2 den Richter befähigen auch dort zu entscheiden, wo eine andere, seinen Fall konkreter regelnde Norm nicht besteht. Einen Fall oder eine Fallgruppe nicht konkret zu erfassen (wie es die sog. kasuistischen Normen tun), sondern nur einen Bereich von Fällen allgemein zu beschreiben, kann deshalb ein Merkmal zur Erkennung einer Generalklausel sein3. Die genaue Formulierung ihres Auftrags an den Richter führen die Generalklauseln in ihrem Wesen mit sich: Generalklauseln haben einen weiten und unscharfen Anwendungsbereich, sie sind wenig bestimmt4. Damit sind auch bereits die Punkte der Berührung und der Abgrenzung mit den unbestimmten Rechtsbegriffen angesprochen5. Während die Generalklauseln mit den unbestimmten Rechtsbegriffen in ihrer Unbestimmtheit noch übereinstimmen, unterscheiden sie sich durch ihre Reichweite. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind Bestandteile von Rechtssätzen, während Generalklauseln selbst vollständige Rechtssätze sind. Letztere haben überdies einen intendierten und nicht nur beiläufigen ethischen Bezug. Dennoch stehen unbestimmte Rechtsbegriffe in einem engen Zusammenhang mit den Generalklauseln: In ihrer Variante der wertausfüllungsbedürftigen Begriffe werden die unbestimmten Rechtsbegriffe teilweise als notwendiger6, wenigstens aber als praktisch immer vorhandener7 Bestandteil der Generalklauseln gesehen. Sie sind es damit auch erst, die eine wertende Entscheidung des Falles unter Verwendung der Generalklausel erzwingen8. Der Zwang entsteht daraus, dass, wie Engisch formulierte, „das normative Volumen dieser Begriffe von Fall zu Fall durch Wertungen ausgefüllt werden muss“9. Zu berücksichtigen ist, dass Unschärfe oder Abstraktion allein durchaus keine Eigenschaften sind, die ausschließlich Generalklauseln betreffen. Auch wesentlich konkretere Normen weisen in den allermeisten Fällen ein „Abstraktionsgefälle“10 zum zu entscheidenden Fall auf. Es ist vielmehr der Verweis der wertausfüllungsbedürftigen Begriffe auf nicht nur innerhalb, 2

Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58. Siehe zur Kritik am Merkmal der nicht-kasuistischen Fassung: Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 662 (667 f.). 4 Nastelski, GRUR 1968, S. 545 (546). 5 Zum Folgenden: Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 662 (664 f.). 6 Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 662 (664 f.). 7 Engisch, Einführung, S. 160. 8 Ohly, AcP 201 (2001), S. 1 (5). 9 Engisch, Einführung, S. 142. 10 Formulierung nach: Ohly, AcP 201 (2001), S. 1 (11); Ausnahmen sind etwa im Bereich von starren Fristenregelungen zu erwarten. 3

92

Kap. 4: Vorläufiges zur Funktionsweise der Generalklauseln

sondern auch außerhalb der Rechtsordnung zu verortende Normen und Werte (sog. Verweisfunktion), die die Generalklauseln von anderen Normen unterscheiden11. Gemein haben die Generalklauseln mit anderen, präziser gefassten Normen indes den unmittelbaren Geltungswillen12. Die mit den wertausfüllungsbedürftigen Begriffen verbundene Unschärfe fordert den Richter dabei zur Präzisierung der durch die Generalklausel vermittelten Anordnung auf: Denn dem Ergebnis ihrer Präzisierung geben die Generalklauseln durch den Wertebezug zwar bereits eine Richtung vor. Doch muss die Vagheit, die trotz der zwei Verweisungen auf innerrechtliche und außerrechtliche Wertungen besteht, als dem Gesetzgeber bekannt vorausgesetzt werden. Deshalb kann die Installation einer Generalklausel auch als positiver Akt der Ermächtigung zu verstehen sein13, zur Entscheidung erforderliche Regeln selbst aufzustellen14.

B. Überblick zur Fallgruppenmethode Die später15 noch genauer zu besprechenden, teilweise sehr differenzierten Schritte der methodisch korrekten Konkretisierung von Generalklauseln scheinen etwas ins Hintertreffen zu geraten, wenn man sich einen Überblick über die praktische Konkretisierungsarbeit an den Gerichten verschafft. Dort wurden unzählige Entscheidungen unter Bezugnahme auf Generalklauseln getroffen, die einzeln und in der Summe ihrerseits die Generalklauseln konkretisieren. Soll eine der Entscheidung vorangehende Konkretisierung der Generalklausel aber nun die Entscheidungen determinieren oder sollen die Entscheidungen, wie es sich durch das gleich zu zeichnende Bild darstellt, die Generalklauseln konkretisieren? Beide Sichtweisen stehen keineswegs in einem Widerspruch zueinander16. Wie noch genauer zu zeigen sein wird17, kann die allgemeine Konkretisierung den endgültigen Bereich, in dem der Richter seine Entscheidung zu fällen hat, zwar durchaus verjüngen, kann aber eben dieser Bereich oft nicht allein durch allgemeine Erwägungen, sondern nur durch die Konkretisierung mittels Entscheidung des Richters abschließend ausgeführt werden18. 11 12 13 14 15 16 17 18

Bydlinski, Methodenlehre, S. 583; vgl. auch Ohly, AcP 201 (2001), S. 1 (11). Bydlinski, Präzisierung, S. 198. In Bezug auf § 242: Esser, Schuldrecht, 2. A., S. 100. Bydlinski, Methodenlehre, S. 583. Siehe zu den einzelnen Konkretisierungsstufen unten: S. 179 ff. Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 68. Siehe unten: S. 179 ff. Vgl.: Bydlinski, Präzisierung, S. 192 f.

B. Überblick zur Fallgruppenmethode

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An den Gerichten hat sich, im Gegensatz zur üblicherweise vorgenommenen Subsumtion unter die jeweils relevante Norm, zum Umgang mit den Generalklauseln ein vergleichendes Verfahren durchgesetzt, nach dem der zu entscheidende Fall mit anderen Fällen, die unter die Generalklausel passen, zu prüfen ist. Das findet sich vor allem in der geringeren Praktikabilität des Subsumtionsverfahrens begründet19, die daraus resultiert, dass für die Subsumtion auch subsumtionsfähige, also konkrete Tatbestandsmerkmale vorhanden sein müssen. Solche konkreten Bestandteile können zwar auch in Generalklauseln vorliegen. Doch ist das entscheidende Merkmal der Generalklausel, der wertausfüllungsbedürftige Begriff, wie oben gesehen, zur konkreten Subsumtion kaum geeignet. Grundsätzlich wird nach dem Verfahren des Fallvergleichs davon ausgegangen, dass allein dann, wenn kein zu vergleichender Fall oder keine einschlägige Fallgruppe besteht, eine Einzelfallentscheidung zu treffen ist. Für diese Fälle besteht freilich in besonderem Maße die Notwendigkeit eines geordneten Verfahrens, das vor Willkür schützt. In herausragendem Maße erforderlich ist, dass die bei der Entscheidungsfindung angelegten Wertungskriterien offengelegt werden. Denn es muss nachgewiesen werden können, dass sie jenen Wertungen entsprechen, die auch der Generalklausel zugrunde liegen. Das Verfahren zur Ermittlung der Wertungen, die einer Generalklausel zugrunde liegen, ist komplex aber klar strukturiert20: Zu allererst ist das normative Umfeld der Generalklausel zu betrachten. Dies ist durchaus mit einer systematischen Auslegung vergleichbar. Hier klar erkennbare Wertungen des Gesetzgebers sind dann in die Entscheidung einzubeziehen; besondere Bedeutung kommt dabei freilich den Wertungen zu, die dem Grundgesetz zu entnehmen sind. Sodann sind rechtsethische Prinzipien, die Regeln der Verkehrssitte und sozialethische Anschauungen, also tatsächlich nachweisbare Standpunkte innerhalb der Gesellschaft heranzuziehen. Erst, wenn dann immer noch keine Entscheidung getroffen werden kann, kommt die richterliche Eigenwertung, soweit sie konsensfähig ist, zum tragen. Diesem komplexen Verfahren und seinen Schwierigkeiten gehen Richter aus dem Weg, sobald Vergleichsfälle vorliegen. Liegen Vergleichsfälle vor, oder sind solche Vergleichsfälle denkbar, so ist aber zu differenzieren: Zum Vergleich ungeeignet sind Fälle, die lediglich unzweifelhaft unter die Generalklausel passen21. Das scheint zunächst einen Widerspruch in sich zu ber19 Dazu: Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (522 f., 526); Westermann/Bydlinski/ Weber, Schuldrecht AT, S. 67. 20 Ausführlicher dazu unten: S. 178 ff. 21 Vgl.: Kamanbrou, AcP 202 (2002), S. 662 (673); Bydlinski, Präzisierung, S. 197 bezweifelt schon die Möglichkeit, solche Fälle überhaupt benennen zu können.

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Kap. 4: Vorläufiges zur Funktionsweise der Generalklauseln

gen: Wenn ein Fall unzweifelhaft der Generalklausel zugeordnet werden kann, dann erscheint er auch zum Vergleich mit einem zu entscheidenden Fall tauglich. Doch ist hierbei Obacht zu geben. Dass der Fall unzweifelhaft unter die Norm fällt (oder das Gegenteil unzweifelhaft der Fall ist), bedeutet nicht, dass hierüber schon einmal entschieden wurde. Solch eine Entscheidung ist aber unter folgendem Gesichtspunkt unbedingt erforderlich: Wer sich eines anderen Falles zum Vergleich bedient, der verlagert die eigene Entscheidung über den von ihm zu entscheidenden Fall in die Prüfung, ob sein Fall mit dem anderen Fall vergleichbar ist. Es wird dann nicht über den zu entscheidenden Fall, sondern über die Vergleichbarkeit entschieden. Legte man diesem Vergleich aber nun einen Fall zugrunde, der noch nicht entschieden wurde, sondern der nur unzweifelhaft der Generalklausel zuzuordnen ist, dann würde eine Entscheidung darüber, ob der zu entscheidende Fall unter die Generalklausel fällt, an keiner Stelle, also auch nicht mittelbar oder vorgelagert, getroffen werden. Der Entscheidende würde unter diesen Umständen seine Pflicht die Wertungen, die der Entscheidung zugrunde liegen, offen zulegen, vernachlässigen. Dass der von ihm zum Vergleich mit dem zu entscheidenden Fall herangezogene Vergleichsfall unzweifelhaft unter die Norm fällt, erschließt sich anderen denkbaren Entscheidenden ggf. nicht so eindeutig wie ihm22. Vor diesem Hintergrund sind Vergleichsfälle, für die bereits entschieden wurde, dass sie unter die Generalklausel fallen, vorzuziehen. Innerhalb dieser Fälle kann eine Ordnung anhand der jeweils zugrunde liegenden Rechtsgedanken herausgebildet werden. Anhand dieser Ordnung können sich Fallgruppen herausbilden. In der Prüfung ist dann, wie soeben schon angedeutet, nicht unmittelbar danach zu fragen, ob der zu entscheidende Fall unter die Generalklausel passt, sondern vielmehr, ob er sich mit einem einzelnen oder einer Gruppe von bereits entschiedenen Fällen vergleichen lässt. Ist dies zu bejahen, passt der Fall auch unter die Generalklausel. Der Begründungsaufwand wird dadurch aber, obwohl das regelmäßig beteuert wird, noch nicht zwangsläufig geringer23. Denn die Begründung wird nur auf einer anderen Ebene vollzogen. Nicht weniger gründlich muss nämlich nachgewiesen werden, dass eine Entsprechung mit einem bereits entschiedenen Fall oder einer Fallgruppe vorliegt24. Insofern ist es auch 22 Bydlinski, Präzisierung, S. 197 geht aber davon aus, dass Fälle, die vollkommen unzweifelhaft einer Generalklausel unterfallen, kaum angebbar sind. 23 So aber: Beater in AcP 194 (1994), S. 82 (85); Bydlinski in JZ 1985, S. 149 (151.), der jedenfalls von einer faktischen „für das Rechtsleben sehr hoch zu veranschlagenden Entlastung“ spricht; siehe auch: Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (530). 24 In diese Richtung: Canaris, ZAS 1970, S. 147 (147); ähnlich auch: Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 72.

C. Die Präjudizienbindung

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kritisch zu bewerten25, wenn die zu einer Gruppe zusammengefassten Fälle ihre Eigenständigkeit verlieren, indem der Gruppe selbst als ein abstraktes Gebilde eine Identität verliehen wird und der zu entscheidende Fall mit diesem Gebilde und nicht den von ihr zusammengefassten Fällen verglichen wird. Das aber ist zu befürchten, wenn die Fälle zu Fallgruppen zusammengezogen und dabei ihrer individuellen Momente benommen werden26. Eine Rückkoppelung an die ursprünglichen Fälle ist zwingend erforderlich, geht aber auf Kosten der Handhabbarkeit. Gegenüber einer Handhabung der Fallgruppen als Ersatztatbestandsmerkmale27 ist sie dennoch stets vorzuziehen.

C. Die Präjudizienbindung – Notwendige Flexibilität versus Gesetzesbindung des Richters Schon dieser Überblick zur Arbeit mit Fallgruppen hat angedeutet, dass auch dieser Bereich einigen Streit zu bergen vermag. Das gilt auch für die eigentliche Bindung an frühere Entscheidungen, die Präjudizien. Es ist dabei durchaus möglich, den Extrempositionen der Befürwortung und Verneinung einer Bindung an vorangegangene Entscheidungen zugleich zu entsprechen. Die Frage nach der Bindung von Präjudizien drängt sich dort geradezu auf, wo, wie in der Praxis der Anwendung von Generalklauseln mithilfe von Fallgruppen, ganz selbstverständlich damit umgegangen wird. Könnte das Postulat der theoretischen Offenheit einer Generalklausel aufrecht erhalten werden, dann könnte die an der Effizienz orientierte Entscheidung eines Richters nicht formal aber immerhin praktisch Bindungswirkung auch für andere Gerichte entfalten und sich somit verbreiten.

I. Problemlage Eine Gerichtsentscheidung ist nicht Recht, sondern kann nur darüber Auskunft geben, was Recht ist. Gesetze werden vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen. Er schafft abstrakte Normen, die der Richter 25 Vgl. Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (530 ff.), Auf S. 554 bezeichnet Weber eine Entscheidung, deren Begründung allein anhand einer Fallgruppe ergangen ist, sogar als eigentlich „begründungslos“. 26 Vgl.: Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 68. 27 Westermann/Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, S. 73 f.; ein weiterer Schritt in diese Richtung bildet die Bildung von Typen. Der Typus entfernt sich noch mehr von den eigentlichen Vergleichsfällen, und vermag insoweit dem Billigkeitsmoment der Generalklausel noch weniger zu entsprechen. Grundlegend zum Typus: Leenen, Typus und Rechtsfindung.

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Kap. 4: Vorläufiges zur Funktionsweise der Generalklauseln

auf einen konkreten Fall anwendet28. Es gibt nur eine Art von Gerichtsentscheidungen, denen (schon dem Gesetz selbst nach!) Gesetzeskraft zukommt29: die Normüberprüfungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG30. Trotz dieses vermeintlich eindeutigen Befundes, der als verneinendes Extrem der Auffassungen über die Bindungswirkung von Präjudizien gekennzeichnet werden kann, werden aber eine Vielzahl von Argumenten zu deren Bejahung angeführt31. Als Präjudizien sind dabei solche Entscheidungen einzuordnen, die zur Findung einer aktuell zu treffenden Entscheidung beitragen können32. Anders als in angloamerikanischen Rechtssystemen sind Richter im deutschen Rechtssystem formal erst einmal nicht an zuvor ergangene Entscheidungen gebunden33. Damit scheidet auch die Bindung an Fallgruppen „theoretisch“ aus34. Nichtsdestotrotz werden früher ergangene Entscheidungen – und zwar nicht nur im Bereich der Verwendung von Fallgruppen – regelmäßig zur Begründung späterer Entscheidungen herangezogen. Ihre faktische Wirkung ist, wie es sich jedem Juristen schon im ersten Jahr der Ausbildung aufdrängt, enorm. Diese tatsächlich bestehende Bindung an Präjudizien ist aus einem Grund besonders im Bereich der Generalklauseln problematisch. Gerichtsentscheidungen werden zu aktuellen Fragen und, soweit sich der Richter der Konkretisierungsmittel im Rahmen einer Generalklausel bedienen will, auch unter aktuellen Wertungen getroffen. Das aber stellt die Orientierung an älteren Entscheidungen generell infrage und muss zur ganz konkreten Notwendigkeit der Außerachtlassung führen, wenn sich die Wertungen, die einer Entscheidung zugrunde liegen, seit vorher dazu ergangenen Entscheidungen gewandelt haben. Hätte etwa ein ökonomisches Kalkül in der Zwischenzeit Einzug in unsere Werteordnung gefunden, dann wären bisherige Konkretisierungsergebnisse infrage zu stellen und von ihnen losgelöste Bemühungen erforderlich.

28

Zum Gewaltenteilungsproblem in diesem Zusammenhang: Lundmark in Jus 2000, S. 546 (546). 29 Zur Reichweite der Bindungswirkung siehe früher: BVerfG, Urteil vom 31.07.1973 – 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, S. 1 (36) und später: BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 – 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, S. 88 (93) mwN. 30 Siehe dazu nur: Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 31 Rn. 122 ff. 31 Zum Stand der Auffassungen bis dahin: Bydlinski in JZ 1985, S. 149 (149 ff.). 32 Vgl.: Lundmark in Jus 2000, S. 546 (546). 33 Siehe: Canaris, Systemdenken, S. 69. 34 Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (544).

C. Die Präjudizienbindung

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II. Meinungen und Stellungnahme Für eine Bindung werden vor allem das Bedürfnis nach Rechtssicherheit35 und der Gleichbehandlungsgrundsatz36 angeführt. Für den Richter kann sich eine Bindung auch aus der angewandten Argumentationsweise eines höheren Gerichts ergeben. Solange untere Gerichte keine überzeugenderen als bisher gefundene Argumente vorbringen können, soll nach der sog. Argumentationslastregel die Argumentation der Obergerichte leitend sein37. Darüber hinaus wird davon gesprochen, dass eine frühere Entscheidung jedenfalls nur dann bindend sein kann, wenn sie rechtsfehlerfrei ermittelt wurde38. Doch ist es unter diesem Gesichtspunkt problematisch überhaupt noch von einer Bindung der Entscheidung zu sprechen. Dem Gesetz zu entsprechen, klingt zunächst zwar wie ein durchaus nötiges und auch selbstverständliches Kriterium für die Präjudizienbindung. Es führt jedoch eigentlich zu deren Überflüssigkeit. Inwiefern eine Einordnung der Wirkung der Präjudizien als „Bindung“ dann, wenn deren Rechtsfehlerfreiheit ermittelt wurde, nämlich überhaupt noch sinnvoll ist, erscheint zweifelhaft: schließlich ist das, was den „späteren“ Richter dann bindet, nur das, was dem geltenden Recht entspricht, mithin nur eben dieses ihn ohnehin bindende, geltende Recht im Gewand einer zuvor ergangenen Entscheidung. Es bindet also, wie sonst und vor allem ohne die frühere Entscheidung auch, dann nur das geltende Recht, dass nun mal auch die Form einer ihm entsprechenden Entscheidung annehmen kann. Mit dem Argument, dass es für die Feststellung der Fehlerfreiheit der vorherigen Entscheidung deren Überprüfung bedarf, dann, wenn die Entscheidung als zutreffend empfunden wird, aber eine eigene (gleichlautende) Entscheidung des späteren Gerichts und keine Bindung an die frühere Entscheidung vorliegt, zweifelt ähnlich wie hier auch Weber39. Speziell bei Generalklauseln kann aber auch ein über die bisherigen Argumente hinausgehendes Bedürfnis nach Bindung durch Präjudizien bestehen. Sie können dann einen Ausschlag geben, wenn die Konkretisierungsbemühungen nach dem unten noch zu schildernden Schema nicht zu einem alle anderen Möglichkeiten 35 So etwa der BGH selbst: BGH, Beschluss vom 04.10.1982 – GSZ 1/82, NJW 1983, S. 228 (228); kritisch: Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (552); vermittelnd: Beater in AcP 194 (1994), S. 82 (89). 36 Kamanbrou, AcP 202 (2002), S. 662 (674); dass auch hierauf die zuvor zitierte Entscheidung des BGH gestützt hätte werden können meint Bydlinski in JZ 1985, S. 149 (154) unter Verweis auf Entscheidungen österreichischer Gerichte. 37 Etwa: Schwintowski, Methodenlehre, S. 82; daran zweifelnd: Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (547). 38 Hierzu: Larenz, S. 429 ff. 39 Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (547).

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Kap. 4: Vorläufiges zur Funktionsweise der Generalklauseln

ausschließenden Ergebnis führen40. In diesem Moment können Präjudizien, wenn sie nicht gerade selbst infrage stehen, die Konkretisierungsbemühungen eingrenzen. Die damit und mit den anderen Argumenten auch hier grundsätzlich bejahte Bindung von Präjudizien wird auch nicht von Bedenken über einen Wertewandel ausgeschlossen. Denn eine Bindung der Präjudizien schließt, anders als es die Schilderungen Webers41 vermuten ließen, die Neukonkretisierung oder einen Funktionswandel im Bereich der Generalklauseln keineswegs aus. Die Bindung ist nach hier vorgezogener, vermittelnder Ansicht zwar als stark genug zu betrachten, um sich gegenüber einer freien Eigenwertung des Richters durchzusetzen. Sie ist aber keinesfalls stark genug, um den darüberhinausgehenden maßgeblichen Anschauungen über den jeweiligen wertausfüllungsbedürftigen Begriff nicht nachzugeben. Die Möglichkeit sich in einer Fallgruppe festzufahren, wie sie im Bereich der Generalklauseln durch das anerkennenswerte Bedürfnis nach Orientierung nahe zu liegen scheint, wird durch die Wandelbarkeit des verwiesenen Konkretisierungsmaterials im selben Atemzug nämlich auch wieder relativiert. Ändern sich Wertvorstellungen maßgeblich, dann können auch auf älteren Wertvorstellungen basierende Entscheidungen keine Relevanz mehr haben. Mit diesem Verständnis einer Entwicklungsoffenheit der Fallgruppen können – vermittelnd – auch angemessen jene Zweifel42 zerstreut werden, nach denen die Verwendung von Fallgruppen der eigentlichen Funktion von Generalklauseln, nämlich dem atypischen Sonderfall gerecht werden zu können, widerspricht. Die aus diesen Zweifeln ableitbare Idee43, dass eine weitere Konkretisierung von Fallgruppen einzustellen sein könnte, weil schon die Schaffung der Fallgruppen, noch mehr ihre Verfestigung, dem Auftrag der Generalklauseln widerspräche, sich wandelndem Konkretisierungsmaterial zu öffnen, kann deshalb ebenfalls verworfen werden. Festzuhalten bleibt daher: Eine einwandfreie Begründbarkeit einer unmittelbaren Präjudizienbindung gibt es schon vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung nach wie vor nicht. Es gibt aber ein Bedürfnis nach Bindung. 40

Siehe unten: S. 177 ff.; Bydlinski in JZ 1985, S. 149 (151). Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (544). 42 Siehe besonders: Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (555 ff.); trotz wiederholter Behauptung (S. 564, 566) sein Ansatz von der vorzuziehenden reinen Wertungsentscheidung des Richters tue dies nicht, nähert Weber sich durchaus der Freirechtsschule an. 43 Siehe zum alternativen Ansatz einer im Kern durch die Wertung des Richters zu findenden Entscheidung Weber in AcP 192 (1992), S. 516 (563) sowie die Kritik (die sich allerdings auf Gegenargumente beschränkt, die Weber zuvor bereits zu entkräften versucht hat) hieran bei Beater in AcP 194 (1994), S. 82 (82 ff.). 41

C. Die Präjudizienbindung

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Dass die Bindung an Präjudizien praktisch vorhanden ist, ist ein Faktum und dieses Faktum ist unter Berücksichtigung der Offenheit der Fallgruppenbildung nicht nur im Sinne der praktischen Notwendigkeit hinnehmbar, sondern auch mit dem vom Gesetzgeber mit der Generalklausel erteilten Auftrag vereinbar. Präjudizien und mit ihnen gebildete Fallgruppen können bei der Entscheidungsfindung helfen. Sie können, wenn sie etwa wegen eines Wertungswandels selbst infrage gestellt werden müssen, aber auch außer Acht gelassen werden.

Kapitel 5

Strukturelle Affinität der Generalklauseln für die Verwendung des Effizienzprinzips? Das nun zur Benutzung der Generalklauseln Gezeigte impliziert, wie gleich verdeutlicht wird, auf verschiedene Weisen eine besondere Affinität der deutschen Generalklauseln für die Ökonomische Analyse des Rechts. Diese Affinität ergibt sich aus einigen Parallelen, die das Recht der Generalklauseln zu solchen Faktoren aufweist, die die Anwendung des Effizienzprinzips im Common Law begünstigen.

A. Grundgedanke – Vorliegen der die Anwendung der Ökonomischen Analyse im Common Law begünstigenden Faktoren bei den Generalklauseln Zunächst sollen die Gründe, die für die voranschreitende Implementierung der Ökonomischen Analyse im Common Law1 verantwortlich sind, rekapituliert werden. Einige von ihnen wurden eingangs schon beschrieben, um zu zeigen, warum sich die Ökonomische Analyse des Rechts in der deutschen Rechtsordnung nicht so selbstverständlich verbreiten konnte, wie etwa in der amerikanischen Rechtsordnung. Das Vergleichsobjekt ist nun freilich ein anderes: Mit den Besonderheiten des Common Law soll nun nicht mehr die gesamte deutsche Rechtsordnung, sondern nur das Recht der Generalklauseln verglichen werden. Als oben2 die Rezeption der Ökonomischen Analyse in Deutschland besprochen und Gründe für deren langsam voranschreitende Etablierung gefunden wurden, wurde noch nichts darüber gesagt, wie es sich mit ihrer Etablierung 1 Gemeint sind Großbritannien, v. a. aber die USA. Zwischen den Rechtsordnungen wird, wenn es nötig ist, unterschieden. Einführend zu den Begrifflichkeiten und der Entwicklung des amerikanischen Rechts aus dem britischen Common Law etwa: Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 13 ff.; Reimann, US-amerikanisches Privatrecht, S. 5 f.; siehe zu Zweifeln an den Begrifflichkeiten auch dort, S. 8; zum Auseinandergehen des kontinentalen und des (zunächst) englischen Rechtsverständnisses vgl: Fikentscher, Methoden II, S. 3 ff.; zu gemeinsam und getrennt verlaufenden Teilen der Entwicklungen: ebd. S. 151 ff. 2 Siehe oben: S. 37 ff.

B. Das Fallrecht des Common Law

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speziell im Bereich der Generalklauseln verhalten könnte. Als daraufhin ein Blick auf die Beschaffenheit der Generalklauseln und die Art und Weise ihrer Anwendung geworfen wurde, konnte festgestellt werden, dass in beiden Bereichen, also Beschaffenheit und Anwendung, erhebliche Unterschiede zur übrigen Rechtsordnung bestehen. Als wesentlicher Grund dafür, warum die Ökonomische Analyse des Rechts in den USA erfolgreicher ist, als in Deutschland, wurde das im Gegensatz zum hiesigen Recht dort herrschende System des Richterrechts genannt3. Dieser Vergleich trägt, soweit er die deutsche Rechtsordnung insgesamt in Bezug nimmt. Das mit diesem Unterschied gebrachte Argument für eine geringere Verbreitung der Ökonomischen Analyse im deutschen Recht wird indes schwächer, wenn man die Generalklauseln, allen voran § 242 besieht. Denn hier herrscht in besonderem Maße ein von Richtern geprägtes Recht. Darauf soll nun fokussiert und ermittelt werden, ob die Rolle des Richters im Bereich der Generalklauseln deshalb vergleichbar ist mit der des Richters im Common Law. Sollte dies zu bejahen sein, wäre zumindest gesagt, dass die äußeren Umstände des Umgangs mit Generalklauseln einer Anwendbarkeit der Ökonomischen Analyse in ihrem Anwendungsbereich nicht entgegenstehen. Was zeichnet nun die Rolle des Richters im Common Law und im Vergleich dazu im deutschen Zivilrecht aus?

B. Das Fallrecht des Common Law und die Fallgruppen der Generalklauseln Das Recht der Generalklauseln zeichnet sich in der Praxis durch die Bildung von Fallgruppen aus4. Zumindest sprachlich besteht deshalb eine gewisse Nähe zu den als Fallrecht beschriebenen amerikanischen und englischen Rechtssystemen5. Im Gegensatz dazu sind indes erhebliche Unterschiede im Bereich der formellen Bindungswirkung bereits entschiedener Fälle festzustellen. Dies ist in diesem Zusammenhang deshalb von Bedeutung, weil die Präjudizienbindung, je nach Stärke, eine der wesentlichen Determinanten bei der Herausbildung und Entwicklung von Fallrecht sein kann. Wie die Präjudizienbindung im Common Law ausgestaltet ist und welche Unterschiede zu der des deutschen Rechts bestehen, gilt es also im Folgenden darzustellen. 3

Siehe oben: S. 43 ff. Siehe oben: S. 92 ff. 5 Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 19; vgl. zum Folgenden: Eidenmüller, S. 404 ff. 4

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

I. Nochmals: Präjudizienbindung In den USA ist es vor allem der Einfluss des Rechtsrealismus, der Richtern das Selbstverständnis dafür geben kann, sich bei der Gestaltung der Gesellschaft einzumischen. Die Bindung an frühere Entscheidung ist im Zusammenspiel hiermit und mit den anderen Faktoren zu sehen, die die Etablierung der Ökonomischen Analyse fördern. Auch die Einführung des Effizienzkriteriums kann ein solcher Gestaltungsakt sein. Gestalten die Richter Gesellschaft also, in dem sie ihre Entscheidungen mit Hilfe des Effizienzkalküls treffen, dann ist es im Anschluss hieran die Bindung an diese Entscheidung, wie sie für gleich geordnete oder untere Gerichte bestehen kann, die dafür sorgt, dass sich die Benutzung des Kalküls etabliert. Damit fördert die Präjudizienbindung zwar nicht unmittelbar inhaltlich die Anwendung der Ökonomischen Analyse. Sie kann aber, wenn erst einmal ökonomisch argumentiert wurde, dafür sorgen, dass dies auch weiterhin getan wird. Durch die Bindung an effizienzorientierte Argumentationsschemata würden die Gerichte dann automatisch zu Förderern der Ökonomischen Analyse. Je stärker die Bindung von Gerichten an Präjudizien (ob formell oder tatsächlich), desto eher kann dieser Faktor die Etablierung des neuen Kriteriums fördern. So die Bindung durchgehalten wird, stellt sie einen der wichtigsten Aspekte des Richterrechts für den diesem zugeschriebenen Einfluss bei der Etablierung der Ökonomischen Analyse dar. Während es nun im deutschen Recht, wie oben gesehen, schon aufgrund des Prinzips der Gewaltenteilung keine tatsächliche, starre Bindung von Gerichten an Entscheidungen anderer Gerichte geben kann, die Gesetze vielmehr allein vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber gemacht werden, ist eine solche Bindung den Fallrechtssystemen unmittelbar immanent6. Ist man deshalb im Bereich des deutschen Rechts dazu gezwungen von einer allein „abstrakten Urteilskraft“7 zu sprechen, wenn man eine Wirkung beschreiben will, die über den Einzelfall hinaus geht, so wird im Bereich der doctrine of stare decisis im Common Law eine tatsächliche Bindung erreicht. Die stare decisis bezeichnet in ihrer Form der vertikalen stare decisis die unmittelbare Bindung von Richtern untergeordneter Gerichte an die Entscheidungen übergeordneter Gerichte8. Auch an eigene Entscheidung können die Gerichte gebunden sein (horizontale stare decisis)9. Der damit zu6

Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 20; Lundmark in Jus 2000, S. 546 (547). So: Gottwald in MüKo-ZPO (3. Auflage 2008) § 322, Rn. 23. 8 Zum Folgenden, insbesondere den Begrifflichkeiten siehe: Lundmark in Jus 2000, S. 546 (547), der auch darauf hinweist, dass diese Bindung verfassungsmäßig nirgendwo im Common-Law-Rechtskreis vorgeschrieben ist; siehe dazu auch: Fikentscher, Methoden II, S. 83 ff. 7

B. Das Fallrecht des Common Law

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nächst gefundene formale Befund einer absoluten Bindung ist allerdings zu relativieren, denn die starren Bindungen der genannten Art haben in der Vergangenheit durchaus eine gewisse Lockerung erfahren10. Dabei ist innerhalb des Common Law zwischen den englischen und den amerikanischen Gerichten zu unterscheiden11: Die im Verhältnis zum englischen Recht schon von vornherein schwächere Bindung, die amerikanische Gerichte an Vorentscheidungen haben, ergibt sich laut Zweigert/Kötz12 bereits daraus, dass sich durch die Umstände der „stürmischen Entwicklung“ der dortigen Verhältnisse und der mit diesen verbundenen, auch die Rechtsordnung betreffenden, Wandelungen nie erst das Gefühl einer absoluten Bindung etablieren konnte. Ein Bedürfnis, ergangene Entscheidungen daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den „Interessen und Bedürfnissen der Gegenwart in Einklang stehen“ sei daher von Anfang an und mittlerweile immer mehr zu verzeichnen. Im amerikanischen aber durchaus auch im englischen Recht, wo man einer starren Bindung grundsätzlich eher verschrieben ist, liegt ein Weg der „Umschiffung“13 von unpassenden Präjudizien darin, das Verständnis der ratio decidendi zu modulieren und gegebenenfalls bestimmte Gegenstände einer Entscheidung im Bereich eines nicht bindenden obiter dictum zu verorten14. Dieser Weg wird deshalb beschritten, weil allein die ratio decidendi tatsächlich Bindungswirkung entfaltet. Die ratio decidendi kann etwa als eine Rechtsregel „mittlerer Abstraktionshöhe“, nämlich unterhalb derer einer kodifizierten Norm und oberhalb der in der konkreten Verhaltensnorm prägnant erfassten relevanten Fakten des zu entscheidenden Falls, verstanden werden15. Sie ist gleichermaßen die den konkreten Fall entscheidende Regel und Norm für spätere, gleich gelagerte Fälle16. Gründe dafür, von einer früheren Entscheidung abzuweichen, werden vor allem darin gesehen, dass dort klare Fehler gemacht wurden17 oder rele9

Zur Aufhebung der Bindung des englischen House of Lords an seine eigenen Entscheidungen siehe: Zweigert/Kötz, § 18 II, S. 255. 10 Überblick: Zweigert/Kötz, § 18 II, S. 254 ff. 11 Andere Rechtsordnungen, die zum Bereich des Common Law gezählt werden (zu nennen sind etwa Kanada, Australien, Neuseeland und mit Vorbehalten Südafrika), müssen hier schon der Übersichtlichkeit und des Umfangs wegen außer Betracht bleiben. 12 Zweigert/Kötz, § 18 II, S. 255. 13 Zu den Möglichkeiten der Gerichte die starre Bindung zu umgehen: Diedrich, Präjudizien, S. 418 ff.; Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 21. 14 Vgl. auch hierzu: Zweigert/Kötz, § 18 II, S. 254 ff. 15 So: Schlüchter, Mittlerfunktion, S. 123. 16 Vgl.: Fikentscher, Methoden II, S. 86 f. 17 Lundmark in Jus 2000, S. 546 (548 f.).

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

vante gesellschaftliche Umstände in der Zwischenzeit einem Wandel unterlagen18. Diese Möglichkeiten gewähren trotz formal stärkerer Bindung an Präjudizien auch im Common Law ein Maß der Abweichung von ihnen, das es im Ergebnis möglich macht, von einer Stärke der Bindung an Präjudizien zu sprechen, die tatsächlich mit der im Civil Law vergleichbar ist19. Soweit gerade die Generalklauseln Raum für ein von früheren Entscheidungen dominiertes Richterrecht in Deutschland geben, sind sie und ihr Fallgruppenrecht es, die die beschriebene Ähnlichkeit der Verbindlichkeit von Präjudizien in beiden Rechtskreisen herstellen. Will man das System des Richterrechts auch aufgrund seiner Stärkung durch die Präjudizienbindung als einen der wesentlichen Faktoren für die Etablierung der Ökonomischen Analyse im Common Law erkennen20, dann wird man nach dem nun Gesehenen zumindest insoweit keinen wesentlichen Unterschied zu den Generalklauseln feststellen können. Damit ist die Ausgangslage, soweit es die Präjudizien angeht, im Common Law und im Bereich der Generalklauseln, verstanden als Domäne des Richterrechts, also vergleichbar. Soweit die Präjudizienbindung als ein Umstand begriffen wird, der als wichtiger Teil des Case Law die Etablierung ökonomieorientierter Argumentationen begünstigt, ist daher festzuhalten, dass zwischen den Generalklauseln und dem Common Law kein wesentlicher Unterschied besteht.

II. Die Anwendung vorhandenen Fallmaterials Als einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Civil Law und Common Law wird das unterschiedliche Vorgehen bei der Entscheidungsfindung beschrieben. Während sich die Richter des Civil Law zur Entscheidungsfindung eines deduktiven Verfahrens bedienen21, gehen Richter im Common Law grundsätzlich induktiv vor22. Der Vorgang bei der Benutzung vorhandenen Fallmaterials im Bereich der Generalklauseln ist jedoch stark mit der Hinzuziehung von Präjudizien im 18 Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 21 (hier wird auch die Möglichkeit einer Abweichung im Rahmen der vertikalen stare decises bejaht); Lundmark in Jus 2000, S. 546 (548 f.), Lundmark beschränkt eine Abweichung auf den Bereich der horizontalen stare decisis und gibt den zusätzlichen Hinweis, dass sich Änderungen der Wertvorstellungen des Gerichts (etwa durch einen Wechsel des Richters) nicht auswirken dürfen. 19 Zu dieser These mwN: Zweigert/Kötz, § 18 II, S. 257. 20 Siehe: Eidenmüller, S. 404 ff. 21 Zum BGB: Säcker in MüKo-BGB (5. Auflage 2006), Einleitung, Rn. 24. 22 Demeyere in SchiedsVZ 2008, S. 279 (282 ff.).

B. Das Fallrecht des Common Law

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Common Law vergleichbar. Die Parallelen sollen hier aufgezeigt werden, um die Ähnlichkeiten der Verfahren bei der Entscheidungsfindung aufzudecken. Die Art und Weise der Benutzung vorhandenen Fallmaterials stellt einen wichtigen Baustein für die Bindungswirkung der Präjudizien dar. Im Civil Law und vor allem im deutschen Recht wird, freilich stark vereinfacht gesagt, zur Lösung eines Falles üblicherweise ein allgemeiner Rechtssatz durch deduktive Subsumtion auf eben den zu entscheidenden Fall angewendet23. Vom Allgemeinen wird also auf das Einzelne geschlossen. Im Common Law ist das anders. In diesem Rechtskreis, der durch bereits entschiedene Fälle geprägt ist, steht, wie soeben gesehen, die Arbeit mit den Fällen im Vordergrund. Bei der Arbeit mit dem Fallmaterial erlangt, anders als im Bereich des Civil Law, die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Sachverhalt des gefundenen Präjudizes besondere Bedeutung24. Wiederholt sei insoweit noch einmal der Unterschied zwischen ratio decidendi und obiter dictum: Bindend ist allein die ratio decidendi und mit ihr jene Rechtsgrundsätze, die auf den spezifischen Sachverhalt zu seiner Entscheidung angewendet wurden. Darüber hinausgehende rechtliche Erwägungen des Gerichts sind nicht verbindlich25. Die Verbindlichkeit ist in verschiedenen Schritten zu ermitteln. Zur Verdeutlichung halte man sich einen zur Entscheidung berufenen Richter vor Augen, der seinen Fall mit einem mittels Effizienzkriterium entschiedenen Fall zu vergleichen hat: Um zu zeigen, dass das im früheren Fall angewendete Kriterium auch auf den zu entscheidenden Fall angewendet werden muss, muss dem Richter dargelegt werden, wie sehr die beiden Sachverhalte übereinstimmen. Dies nachzuweisen, ist Aufgabe der die Vergleichsfälle präsentierenden Anwälte. Hierüber zu befinden ist Aufgabe des Richters. Da ein Fall selten mit einem anderen Fall vollkommen übereinstimmt26, kommt es für die Vergleichbarkeit auch darauf an, zu zeigen, dass vorhandene Unterschiede nicht ausschlaggebend sind, um die Vergleichbarkeit zu verneinen. Außerdem muss freilich gezeigt werden, dass die die Entscheidung tragenden Umstände im alten wie im neuen Fall miteinander 23

Döser in NJW 2000, S. 1451 (1451). Als „stiefmütterlich“ wird die Behandlung des Sachverhalts im Civil Law etwa bei Zweigert/Kötz, § 18 II, S. 258; zur Arbeit mit dem Sachverhalt auch: Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 318 ff.; Zu sehr viel mehr Sorgfalt bei der Berücksichtigung des Sachverhalts mahnen auch Staudinger/Coing/Honsell (2004) Einl. zum BGB, Rn. 235; die Arbeit mit dem Gesetz und dem Sachverhalt in beiden Rechtskreisen stellt Demeyere in SchiedsVZ 2008, S. 279 (283 f.) einander übersichtlich gegenüber. 25 Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 22; dazu auch: Fikentscher, Methoden II, S. 91 ff.; siehe zum Folgenden: Zweigert/Kötz § 18 II, S. 257. 26 Für das Common Law Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 23. 24

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

übereinstimmen. Bevor aber an der Ähnlichkeit der Sachverhalte gezeigt werden kann, dass der zu entscheidende Fall so zu entscheiden ist, wie die Präjudizien, muss auch dargetan werden, wonach sich die früheren Entscheidungen überhaupt richteten, was das diesen Entscheidungen zugrunde liegende Kriterium war: Nachdem die mit dem zu entscheidenden Fall vergleichenden Fälle gefunden wurden, wird hierzu zunächst versucht, in den Vergleichsfällen eine Regel für den aktuell zu entscheidenden Fall zu erkennen, um diese Regel sodann auf diesen anzuwenden27. Dieses Verfahren wird insoweit, als dass die Lösung nicht schon in ein Gesetz gegossen bereitsteht, sondern vom einzelnen Fall her nach ihr gesucht wird, regelmäßig als induktives Verfahren beschrieben28. Die Technik, mit der aus Fällen, die mit dem zu entscheidenden Fall vergleichbar sind, ein übergeordneter Grundsatz erschlossen wird (hier tritt das induktive Element ebenfalls hervor), ist das „reasoning from case to case“29, das wie folgt abläuft: Den vorgelegten Fällen entnimmt der Richter zunächst rules, also die Lösungen des dem jeweiligen Fall zugrunde liegenden Lebensproblems. Auf welche Weise diese rules präzisiert wurden, erfährt der Richter sodann, in dem er sich weitere vergleichbare Fälle ansieht. Aus dem so gewonnenen Bild, leitet der Richter die übergreifende Grundsätze ab, mittels derer er die Lösung des von ihm zu entscheidenden Falles trifft; eine Lösung, die vom zu lösenden Fall ausgehend durch den Fallvergleich erst gefunden wurde. In diesem Zusammenhang lese man das folgende Zitat: „Das Ziel ist [. . .] in aller Regel, die hier auffindbaren Interessenwertungen auf gemeinsame Nenner zu bringen, dh. in induktiver Vorgangsweise Schichten höheren Abstraktionsgrades über der Ebene der konkreten Entscheidungen durchzustrukturieren und die Rechtsfolgen dementsprechend auszuformulieren, wobei man zumeist aus den Entscheidungsgründen bereits die notwendigen – argumentativen und damit normativen – Verallgemeinerungen entnehmen bzw. „herausdestillieren“ kann. [. . .] Der Rechtspraxis ist dann häufig mehr als mit inhaltlich unbestimmten Allgemeinformulierungen mit einem engmaschigen Netz von Kasuistik, also von Fallbeschreibungen auf sehr konkretem Niveau, gedient, innerhalb dessen der zur Entscheidung anstehende Fall an „benachbarte“ Präzedenzien assoziiert werden kann.“

Vor dem Hintergrund des vor dem Zitat zur Rolle eines Fallvergleichs im Common Law Gesagten macht es den Anschein, es liege eine Zusammen27

Döser in NJW 2000, S. 1451 (1452). So etwa bei Demeyere in SchiedsVZ 2008, S. 279 (282 ff.); Döser in NJW 2000, S. 1451 (1452); Zweigert/Kötz § 18 II, S. 253. 29 Zu diesem Absatz: Zweigert/Kötz § 18 II, S. 257. 28

B. Das Fallrecht des Common Law

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fassung der dortigen Vorgänge vor. Tatsächlich handelt es sich um einen Teil der Beschreibung der Aufgabe einer Kommentierung von § 242, wie sie sich nach Roth, also einem seiner führenden Kommentatoren, stellt30. Ähnlich stellt sich bei Larenz der Vorgang beim Umgang mit Präjudizien im deutschen Recht dar. Der Umgang mit Präjudizien wird danach vor allem dort relevant, wo Deduktion nicht taugt und ein induktives Vorgehen gefragt ist. Also im Bereich der Generalklauseln. Gerade wenn der deutsche Richter also mit Präjudizien arbeitet, wird er nach Larenz die entsprechende Entscheidung auslegen und die in ihr enthaltenen Gedanken nachzuvollziehen versuchen31. Die erkannten Gedanken der Entscheidung werden dann hervorgehoben, die Entscheidung wird vom nur „schmückende(n)“ Beiwerk befreit und es werden die die Entscheidung tragenden Gründe freigelegt. Es zeigt sich also – zumindest in der Theorie32 – eine deutliche Parallele zur Entscheidungsfindung im Common Law. Der Vorgang einer „vergleichenden Sachverhaltsanalyse“33, wie Hay den beschriebenen Prozess im Common Law nennt, wurde vergleichbar oben für den Bereich der Generalklauseln beschrieben.

III. Freiraum bei der Entscheidungsfindung Freiraum bei der Entscheidungsfindung bedeutet inhaltlicher Freiraum. Soweit sie auch rechtspolitisch tätig werden können, haben Richter im Common Law viel von diesem Freiraum. Damit stellt sich die Frage, ob 30 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2006), § 242, Rn. 41 ff. (Hervorhebungen im Original). 31 Larenz, S. 358. 32 Nicht verschwiegen werden darf, dass es im deutschen Recht einen frappierenden Unterschied zwischen der Theorie der Arbeit mit vorangegangenen Gerichtsentscheidungen und der tatsächlichen Praxis gibt. Die alleinige Anwendung von Leitsätzen entspricht zwar dem allgemein bekannten und anerkannten (denn auch an den Universitäten in vielen Fällen gelehrten) Bild der Verwendung von Präjudizien. Doch ist sie streng genommen nicht allein haltbar. Weil Richterrecht aus einzelnen Entscheidungen, die je einen bestimmten Sachverhalt zu entscheiden hatten, besteht, ist bei der Hinzuziehung von Präjudizien, wie im Common Law auch, der Sachverhalt und die weiteren für die Entscheidung gegebenenfalls relevanten Umstände immer einzubeziehen. Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 318 f. führt die geringere Qualität der Anwendung des Fallrechts bei deutschen Richtern auf die freilich nicht so sehr am Fallrecht orientierte Ausbildung einerseits und die fehlende Pflicht, vor der Bekleidung des Richteramtes einmal als Anwalt gearbeitet haben zu müssen an. Bei der Sorgfalt der Herausarbeitung der ratio decidendi und dem Maß der Berücksichtigung der zugrunde liegenden Sachverhalte, könnten die Common-Law-Gerichte, wie Ohly zu Recht schließt, deutschen Richtern deshalb durchaus als Vorbild dienen, ebd., S. 323. 33 Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 23.

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

deutsche Richter es etwa ihren amerikanischen Kollegen gleichtun können und, wenigstens im Anwendungsbereich von Generalklauseln, ebenfalls rechtspolitisch tätig werden können. Hat der Richter seine Entscheidungen hier auf bestimmte Kriterien zu stützen? Welche Determinanten beschränken ihn dabei, sein Urteil zu finden und wie groß ist der Raum, in dem er nicht mehr angeleitet wird? Die Untersuchung unterliegt bei diesen Fragen der Notwendigkeit einer Einschränkung auf erste Anhaltspunkte. Wie groß der Freiraum ist, den die Generalklausel dem deutschen Richter in ihrem Anwendungsbereich lässt, wird im Abschnitt über den Konkretisierungsvorgang unten gesondert und in angemessenem Umfang besprochen werden34. In der methodengerechten Konkretisierung liegen nämlich die wichtigsten Hürden einer Rezeption der Ökonomischen Analyse des Rechts bei den Generalklauseln verborgen. Aus dem bisher Gesehenen ergab sich zunächst, dass die Richter im Common Law an Gerichtsentscheidungen ähnlich stark gebunden sind, wie deutsche Richter an das Gesetz. Im Common Law veranlasst diese Bindung die stare decisis, im deutschen Recht ist es vor allem das Prinzip der Gewaltenteilung. Das wirft zunächst die Frage danach auf, welche Rolle das Gesetz für einen Richter im Common Law spielt und wie sehr es seinen Entscheidungsfreiraum begrenzt. Das Verhältnis, das Richter im Common Law zum Gesetz haben, weist deutliche Unterschiede zu dem Verhältnis der deutschen Richter zum Gesetz auf. Anglo-amerikanische Richter erlauben es sich nur selten, die Gesetze zu interpretieren. Sowohl in England35, als auch in den USA36 besteht historisch begründet der unbedingte Drang danach, Freiheit zu verwirklichen und zu sichern. Hierauf wurden auch die Handhabung der Gesetze und die richterliche Entscheidungsgewalt ausgerichtet. Die Gesetze des Common Law werden in weiten Bereichen als Ausnahmeregelungen wahrgenommen37. Deshalb sehen es die dortigen Richter auch noch immer nicht als ihre Aufgabe an, sie zu verengen oder zu erweitern38. Eine praktische Folge, die sich hieraus ergibt, ist die, dass 34

Siehe unten: S. 178 ff. Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 331 f. 36 Fikentscher, Methoden II, S. 151 ff. 37 Zweigert/Kötz, S. 260. 38 Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 333; zur Entwicklung der Auslegung im Common Law siehe: Zweigert/Kötz, S. 260 ff. Hervorzuheben ist die Entwicklung der Berücksichtigung etwa des Zwecks des Gesetzes, wie sie auch im englischen Recht durch die Anwendung von nach Vorgaben der EU erlassener Gesetze vonstatten geht, siehe ebenda sowie zum Wettbewerbsrecht bei Ohly, S. 333 f.; einen Überblick zur Umsetzung etwa der EGRichtlinien geben: Staudinger/Sturm/Sturm (2003) Einl zum IPR Rn. 567; zur größer werdenden Berücksichtigung des Sinnes und des Zwecks in den USA: Farns35

B. Das Fallrecht des Common Law

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Gesetze im Common Law stärker ausdifferenziert sind. Generalklauseln, denen die vom Wortlaut gelöste Anwendung immanent ist, sind im Bereich englischer und amerikanischer Gesetze eher selten. Zwar gibt es auch in wichtigen Gesetzen, wie dem UCC durchaus Normen, die eine mit Treu und Glauben vergleichbare Offenheit bergen39. Wozu diese Offenheit dem Richter dienen kann, ist dort indes noch nicht abschließend geklärt40. Das Verständnis der Gewaltenteilung als ein System der checks and balances41 versetzt amerikanische Richter in eine der Legislative gleichberechtigt gegenüberstehende Lage. Es ist dieses „traditionelle Rollenverständnis“, das es dem Richter im Common Law auferlegt, das „methodische Instrumentarium“, das er bei der Fallbearbeitung gewonnen hat, bei der Anwendung von Gesetzen unbenutzt zu lassen. Auf diese bemerkenswerte Paradoxie hat Ohly aufmerksam gemacht42: Zwar sind Common Law Richter besonders mit der Arbeit mit Fällen und der Herausbildung von Regeln aus ihnen vertraut, doch würden sie diese Fähigkeiten gerade dort, wo sie gefragt sind, nicht anwenden, nämlich bei der Anwendung des Gesetzes. Ihre Freiheit nehmen sich die Richter des Common Law damit vor allem im Fallrecht und zwar in bewusster Abgrenzung zum Gesetzgeber. Das Fallrecht gibt ihnen mit den beschriebenen Einschränkungen durch die rationes decidendi ähnlich gelagerter Entscheidungen die Gelegenheit, Rechtsregeln entstehen und sich etablieren zu lassen und damit dem Begriff des Common Law als „judge-made law“ zu entsprechen43. Das gilt durchaus auch für die nicht mehr nur in geringer Zahl vorhandenen, gesetzlich geregelten Bereiche. Denn weil das Gesetz nur als schwacher Ausgangspunkt einer Rechtsfindung durch den Richter verstanden oder es sogar vom Fallrecht „überlagert“ wird44, kann der Richter sich auch von ihm entfernen. Gerade ein vor diesem Hintergrund gewachsenes Fallrechtssystem ist daher ein denkbar günstiger Ort, um die Etablierung der Ökonomischen Analyse zu bewirken. In Deutschland übernimmt die Aufgabe, Regeln aufzustellen aber der Gesetzgeber. Die Bindung an das Gesetz kann, so scheint es daher, vor allem im Bereich der Generalklauseln eine gewisse Lockerung (keinesfalls eine worth, Legal System, S. 75 ff. (sprachlich insoweit nur mit Reibungsverlusten ins Deutsche zu übertragen ist die Unterscheidung von intention und purpose). 39 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 1161 ff. 40 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 1164. 41 Dazu: Brugger, Recht der USA, S. 212 ff. 42 Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 333. 43 Demeyere in SchiedsVZ 2008, S. 279 (283) mwN. 44 Siehe dazu bereits oben: S. 44 mwN; zum Zitat: Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 19.

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

Unterbrechung!) erfahren, denn hier bekommt der Richter besonders unkonkrete Vorgaben. Diese Lockerung lässt auch für den deutschen Richter den Verdacht einer gewissen Freiheit bei der Entscheidungsfindung aufkeimen. Insoweit, als dass die Stellung deutscher Richter als Anwender gesetzten Rechts eine Besonderheit im Bereich der Generalklauseln erfährt, man die Generalklauseln als „ein Stück offengelassener Gesetzgebung“45 versteht, liegt es nahe, dem in ihrem Anwendungsbereich entscheidenden Richter eine stärkere, eine freiere Rolle beizumessen, als dem, der konkreter normierte Fragen zu entscheiden hat. Wenn es einen Bereich geben sollte, in dem auch der deutsche Richter rechtspolitisch tätig werden kann, dann scheint dies also vornehmlich der der Generalklauseln zu sein. Aus dieser Ausnahmesituation bei den Generalklauseln aber schon den definitiven Schluss zu ziehen, deutsche Richter könnten hier so, wie es Richter im Common Law tun können, vom Effizienzkriterium Gebrauch machen, hieße aber einen voreiligen Schluss zu ziehen. Denn die Methode der Konkretisierung von Generalklauseln im deutschen Recht ist jedenfalls ausdifferenzierter, als es die gebetsmühlenartig wiederholte Formel von der „offengelassenen Gesetzgebung“ vermuten ließe46. Allenfalls – aber immerhin – impliziert die von dieser Methode abweichende Praxis der Anwendung von Generalklauseln47 in vielen Fällen ein Selbstverständnis der Richter für ihre Freiheit, das eher an den Richter des Common Law erinnert als an den deutschen Richter und seine Bindung an das weite Bereiche des Lebens aufgreifende Gesetz. Hiermit angesprochen ist der Vorwurf an die Richter, frei getroffene Entscheidungen nur der Form halber auf eine Generalklausel zu stützen und eine durch den Gesetzgeber determinierte Entscheidung in den betreffenden Fällen schon gar nicht erst zu suchen. Soweit hier von Freiheit gesprochen wird, bekommt dieser Begriff freilich den Beigeschmack einer gewissen Unberechenbarkeit. Der BGH ist in solchen Fällen gezwungen, Entscheidungen der Vorinstanzen, selbst wenn er mit ihnen im Ergebnis übereinstimmt, wenigstens in ihrer wenig greifbaren, denn nur pauschal auf eine Generalklausel gestützten Begründung zu korrigieren48. Teilweise sieht er sich sogar selbst Kritik in dieser Hinsicht ausgesetzt49. Roth50 etwa spricht in solchen 45

Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58. Dazu unten: S. 178 ff. 47 Zur Fallgruppenmethode siehe oben: S. 92 ff. 48 Siehe beispielsweise: BGH, Urteil vom 04.12.1986 – IX ZR 47/86, NJW 1987, S. 844 (844 f.); BGH, Urteil vom 11.04.1957 – VII ZR 280/56, BGHZ 24, S. 91 (95 f.). 49 Siehe zu BGH, Beschluss vom 11.07.1996 – IX ZR 234/95, ZIP 1996, 1426 ff. = NJW 1996, S. 2790 ff. Canaris in ZIP 1996, S. 1577 (1578 ff.). 50 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 26. 46

C. Das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richtern

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Fällen von der „garnierenden Absicherung“ freier und ohne substantielle Begründung ergangener Entscheidungen unter § 242. Ein einfacher Blick auf die Zahlen einer Juris-Recherche deutet an, dass sich der Nährboden für solche Kritik sogar zu mehren scheint51. Während für das Jahr 197052 noch 157 Entscheidungen den § 242 zitieren, sind es 1980 mit 299 Entscheidungen fast doppelt so viele. 1990 sind es dann schon 473, im Jahr 2000 792 und im Jahr 2010 schließlich 933 Entscheidungen, die sich auch auf § 242 stützen. Freilich können solche Zahlen die Auslebung einer besonderen Freiheit durch die Richter nicht begründen, sondern nur unterstellen. Eine detaillierte Analyse der Entscheidungen kann hier nicht geleistet werden. Der Blick auf die Zahlen und die Kritik an der Arbeit mit den Generalklauseln durch die Literatur und den BGH deuten allerdings darauf hin, dass Teile der Richterschaft Generalklauseln als Mittel dafür benutzen, eine ohnehin frei getroffene Entscheidung zu legitimieren oder, umgekehrt, einen Sachverhalt einer Generalklausel zuordnen, um dann auf diese Zuordnung gestützt, eine ungebundene Entscheidung zu treffen. Wenigstens soweit es die tatsächliche Handhabung in der Praxis angeht, wird mit dem Bereich der Generalklauseln deshalb zu Recht eine gewisse Freiheit zu assoziieren sein, die mit jener Freiheit der Richter im Common Law verglichen werden kann, soweit diese durch gesetzliche Vorgaben und rationes decidendi früherer Entscheidungen reicht. Insofern, als dass damit festgehalten wird, dass auch deutsche Richter sich, ob bewusst oder unbewusst, gewisser Freiheiten bedienen, räumt dies auch die Möglichkeit dafür ein, Generalklauseln als Einfallstor rechtspolitischer Erwägungen zu betrachten.

C. Das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richtern I. In das Gesetz aufgenommene Fallgruppen der Generalklauseln Im deutschen Recht ist insbesondere im letzten Jahrzehnt eine Entwicklung zu beobachten, die für die Etablierung einer neuen Wertung im Bereich von Generalklauseln eine wichtige Rolle spielen kann. Gemeint ist die gezielte Aufnahme von gefestigten Fallgruppen der Generalklauseln in das geschriebene Gesetz. 51

Nachvollziehbar jederzeit unter http://www.juris.de; Freilich ist dies nicht als ein Schluss von der Quantität der auf § 242 gestützten Entscheidungen auf ihre Qualität zu verstehen. Weil auch die Gesamtzahl aller ergangenen Entscheidungen als Referenzmarke hier nicht wiedergegeben werden kann, werden die Zahlen nur mit dem Vorbehalt, dass ihnen allenfalls Indizwirkung zukommt, genannt. 52 Gemeint ist jeweils der Zeitraum vom 01.01. bis zum 31.12. des Jahres.

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

Freilich ist jede der in das Gesetz aufgenommenen Fallgruppen über Jahre erprobt und ausdifferenziert worden. Gerade im Bereich der Generalklauseln wird dem deutschen Recht aber eine besondere Entwicklungsoffenheit nachgesagt. Nicht nur, dass eine Entwicklung überhaupt möglich ist, das ist durch die Wertoffenheit belegt, sondern auch, dass sie hier besonders schnell von statten gehen kann, ist dabei von Relevanz. Das Recht der Generalklauseln ist, wie sich besonders auch im Wettbewerbsrecht zeigt, dazu in der Lage, schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und das geltende Recht deshalb an jene Entwicklungen anzupassen. Wenn es gelänge, das Effizienzkriterium in den Bereich der Generalklauseln einzuführen und zu halten, dann erscheint es vor dem Hintergrund der gleich zu zeigenden Beispiele denkbar, dass es auch weiter, als das bisher geschehen ist, in das Gesetz aufgenommen wird. Zu den Beispielen: 1. Beispiele aus § 242 Einige der Fallgruppen des § 242 implementierte der Gesetzgeber in das BGB53. Die wichtigsten unter ihnen sollen kurz gezeigt werden. Numerisch sortiert ist zunächst § 275 Abs. 2 und 3 zu nennen, mit dem die Fallgruppe der Unzumutbarkeit zumindest fast vollständig in das Gesetz aufgenommen wurde54. Fast vollständig deshalb, weil für den Bereich der Unzumutbarkeit bei nicht persönlich zu erbringender Leistung immer noch § 242 bemüht werden muss55. Die Grundsätze der Inhaltskontrolle von AGB, wie sie von Rechtsprechung56 und Literatur entwickelten wurden, haben mit den §§ 9–11 AGBG und später den §§ 307–309 BGB Einzug in das Gesetz gehalten57. Darüber hinaus sind die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage, wie sie in § 313 verankert wurden, zu nennen. Das Institut der Geschäfts53 Dass hierbei in einigen Fällen nur noch „Ordnung geschaffen“ wurde, einige Regelungen also bisher schon in Nebengesetzen vorhanden und nur der Übersichtlichkeit wegen in das BGB aufgenommen wurden, wird gleich gezeigt. 54 Vgl.: BGH, Urteil vom 26.09.1990 – VIII ZR 205/89, NJW-RR 1991, S. 204 (205); BGH, Urteil vom 26.2.1957 – VIII ZR 41/56, NJW 1957, S. 826 (826); in BGH, Urteil vom 20.7.2005 – VIII ZR 342/03, NJW 2005, S. 3284 (3284) wird diese Rechtsprechung in der Begründung unter Anerkennung des Umstands, dass sein Ergebnis nun von § 275 Abs. 2 geregelt ist, übernommen. 55 Vgl. BT-Drucks 14/6040, S. 130 ff.; Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 274 ff. mwN. 56 Vgl. nur: BGH, Urteil vom 29.10.1962 – II ZR 31/61, NJW 1963, S. 99 (100); BGH, Urteil vom 17.2.1964 – II ZR 98/62, NJW 1964, S. 1123 (1123); BGH, Urteil vom 4.6.1970 – VII ZR 187/68, NJW 1970, S. 1596 (1597). 57 Vgl. BT-Drucks 14/6040, S. 153 ff.

C. Das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richtern

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grundlage war auch zur Zeit der Schaffung des BGB längst bekannt, jedoch heftig umstritten58. Insgesamt überwogen seinerzeit die Zweifel über den uneindeutigen Meinungsstand, so dass das Institut dem Gesetz vorenthalten wurde. Nachdem sich die Anerkennung der Geschäftsgrundlage aber etablierte, sollte sie schließlich Gesetzesrang erhalten59. Auch die Möglichkeit einer Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund gemäß § 314 musste erst durch Rechtsprechung60 und Lehre als auch ohne direkte Verankerung im Gesetz geltender Grundsatz entwickelt werden, um dann schließlich doch hierin Aufnahme zu finden. Wie dieses Recht wurde auch die Möglichkeit eines Rücktritts wegen einer Nebenpflichtverletzung, § 324, zunächst aus § 242 abgeleitet61. Auf seinem Weg vom in der Rechtsprechung62 entwickelten und auf § 242 gestützten Institut zur in den §§ 358, 359 BGB manifestierten Regelung war auch der Einwendungsdurchgriff bei verbundenen Verträgen zwischendurch schon in Spezialgesetzen geregelt, § 9 VerbrKrG. 2. Beispiel Wettbewerbsrecht Neben § 242 bietet auch das Wettbewerbsrecht viele Beispiele für die Übernahme von Richterrecht in das Gesetz. Ein Meilenstein hierbei war die UWG-Reform von 2004, mit der wesentliche Fallgruppen der Generalklausel des § 1 UWG aF in die neue Fassung des § 4 UWG Einzug hielten63. Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber den Gerichten die Aufgabe das Recht weiter fortzubilden damit keineswegs abschneiden wollte: Das ergibt sich bereits aus der Überschrift der Norm „Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen“. Vielmehr sind die Gerichte mit der neuen Generalklausel des § 3 UWG auch weiterhin zur Bildung und Etablierung von Fallgruppen aufgefordert64.

58

Zur historischen Entwicklung siehe unten: S. 192 ff. Eingehend zur Entwicklung auch: BT-Drucks 14/6040, S. 174 f. 60 Vgl. nur: BGH, Urteil vom 30.1.1964 – VII ZR 5/63, NJW 1964, S. 1129 (1130); BGH, Urteil vom 11-12-1981 – V ZR 247/80; NJW 1982, S. 820 (821). 61 Staudinger/Looschelders/Olzen (2009) § 242 Rn. 389. 62 Vgl. mit vielen wN nur: BGH, Urteil vom 19.05.2000 – V ZR 322/98, NJW 2000, S. 3065 (3065 ff.); BT-Drucks 14/6040, S. 200 ff. 63 Knapp: Piper/Ohly/Sosnitza UWG, Einf A, Rn. 46, § 4, Rn. 1–4; ausführlicher: Köhler/Bornkamm UWG, Vor § 4, Rn. 0.2; an den Konkretisierungstatbeständen hat sich durch die UWG-Reform 2008 nichts wesentlich geändert, vgl.: Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig UWG, Einl, Rn. 34. 64 Zum Zusammenspiel von § 3 und § 4 siehe: Köhler/Bornkamm UWG, Vor § 4, Rn. 0.2. 59

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

II. Common Law Wie verhält es sich aber mit dem Übergang vom Fallrecht zum Gesetzesrecht im Common-Law-Rechtskreis? 1. Statutory Law In den Vereinigten Staaten nimmt die Bedeutung des Gesetzesrechts stetig zu65; so sehr, dass etwa Farnsworth bemerkt, „it is no easy task to keep up with the avalanche of current legislation“66. Es fehle, so Farnsworth weiter, schlicht an Instrumenten, die die (Lawine der) vorhandenen Gesetze lückenlos verzeichnen67. Eines der wichtigsten amerikanischen Gesetze stellt der Uniform Commercial Code (UCC) dar. Er gilt, mit Ausnahme von Louisiana, das ihn nicht vollständig übernommen hat68, in sämtlichen Staaten69 und regelt unter anderem das Kaufrecht (Art. 2). Der UCC wurde von der National Conference of Comissioners for Uniform State Laws (NCCUSL) und dem American Law Institute (ALI) entwickelt70. Daran ist bemerkenswert, dass zumindest letzteres keine staatliche, sondern eine private Organisation ist. Der Regelungsgehalt des UCC geht, wenngleich er bislang mehrere Änderungen erfahren hat71, in vielen Teilen auf das Common Law zurück72. Detailliert hat dies Minuth am Beispiel der „unconcionability“ (etwa: Un65

Melin, Gesetzesauslegung in den USA und in Deutschland, S. 19. Farnsworth, Legal System, S. 73. 67 Farnsworth, Legal System, S. 74; Anders ist es bei den Gerichtsentscheidungen, dazu sogleich. 68 Der UCC muss von den einzelnen Staaten umgesetzt werden, denn weder der NCCUSL noch dem ALI kommt die Kompetenz, Gesetze zu erlassen zu, vgl. Gabriel, Contracts for the sale of goods, S. 6; Louisiana hat seine Rechtsordnung traditionell am französischen Code Civil orientiert. Zwar hat Louisiana den UCC übernommen, doch hat es den das Kaufrecht regelnden Art. 2 davon ausgenommen, vgl. Zweigert/Kötz, S. 115 f. 69 Vgl. dazu: Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 18; Staudinger/Sturm/Sturm (2003) Einl zum IPR Rn. 355; Zweigert/Kötz, S. 247; welches Einheitsgesetz wo gilt, lässt sich auf www.nccusl.org (zuletzt abgerufen am: 22.06.2010) ermitteln. 70 Vgl. knapp: Cerutti, Das U.S. amerikanische Warenkaufrecht, S. 3; Gabriel, Contracts for the sale of goods, S. 5, sowie ausführlich: Minuth, UCC und deutsches Recht, S. 12 ff. 71 Cerutti, Das U.S. amerikanische Warenkaufrecht, S. 3; Gabriel/Rusch, ABC of UCC, S. 2. 72 Gabriel/Rusch, ABC of UCC, S. 1; ein umfangreicher Überblick zur historischen Entwicklung vom Common Law zum Uniform Sales Act und schließlich zum UCC findet sich bei: Gilmore, The Yale Law Journal, 1948, S. 1341–1358. 66

C. Das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richtern

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billigkeit) und ihrer Aufnahme und Behandlung im Bereich des Art. 2-302 UCC gezeigt73. Aber nicht nur sein Ursprung, sondern auch seine Anwendung, ja sogar schon das schiere Verständnis steht in Rückkoppelung zum Common Law74. Freilich obliegt den Gerichten auch seine Auslegung75. Im Rahmen dieser wirkt dann das vom Common Law geprägte Denken76. Das Case law wird jedenfalls dort von Gesetzen verdrängt, wo beide miteinander kollidieren. Es wirkt dann nur noch insoweit, als es den Regelungsbereich des jeweiligen Gesetzes nicht betrifft77. In den (nicht wenigen) ungeregelten Bereichen gibt der UCC dem Common Law aber sogar unmittelbar Raum, indem er sich von ihm ergänzen lässt, Art. 1-103 UCC. 2. Restatements of the law Die restatements dienen dazu, die Masse der in den USA ergehenden Entscheidungen überblicksartig darzustellen, in dem sie die wesentlichen Prinzipien herausstellen und losgelöst wiedergeben. Sie abstrahieren das Fallrecht und bringen es in die Form von Paragraphen und Absätzen. Restatements sind formal keine Rechtsquellen, sie haben aber eine Wirkung, die derjenigen von Gesetzen gleichzukommen vermag. Dass die restatements wie Gesetze wirken können, liegt auch an der Art ihrer Darstellung78. Die Zusammenstellung erfolgt durch das private American Law Institute, das nach eigener Aussage den Zweck verfolgt, das Fallmaterial zu reflektieren, zu verdeutlichen und zu modernisieren79. Das Institut setzt sich zusammen aus Richtern, Anwälten und Professoren. Über das Maß der Bindung, die sie faktisch (nicht formal!) haben, gehen die Meinungen auseinander: Laut Hay seien einige der restatements sogar so zuverlässig, dass Anwälte und Richter sie direkt zitieren und nicht auf die in ihnen verkörperten Entscheidungen verweisen80. Zweigert/Kötz meinen hingegen, das Gewicht der restatements sei nicht wesentlich höher, als das eines führenden Lehrbuchs81. Diese Aussage muss freilich vor dem Hintergrund verstanden werden, dass den Stimmen aus Forschung und 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Minuth, UCC und deutsches Recht, S. 83 ff., 130 ff. Cerutti, Das U.S. amerikanische Warenkaufrecht, S. 5. Farnsworth, Legal System, S. 75. Cerutti, Das U.S. amerikanische Warenkaufrecht, S. 5. Farnsworth, Legal System, S. 78. Reimann, US-amerikanisches Privatrecht, S. 6. Siehe dazu die Internetseite des Instituts: www.ali.org. Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 32. Zweigert/Kötz, S. 247.

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

Lehre im Common Law, insbesondere in England, eine geringere Bedeutung zukommt, als das im Civil Law der Fall ist82. Wie auch immer man ihre Auswirkungen einordnen mag, die restatements dienen jedenfalls in den vielen Fällen, da ein Problem nicht gesetzlich geregelt ist, als Anhaltspunkt zur Entscheidung von Fällen. Auch wenn eine Regelung besteht, die Auslegung aber Fragen aufwirft, werden sie hinzugezogen83. Hält man sich diesen mittelbaren aber keineswegs unbedeutenden Einfluss der restatements vor Augen, so entsteht, insbesondere weil gerade dem Richter ihre Berücksichtigung ja anheim gestellt ist, durchaus nicht unberechtigt der Eindruck, dass sich die Gerichte ihre Normen selbst setzen. Dabei darf der Raum, den die restatements im Gesamtgefüge des Common Law einnehmen, aber nicht überbewertet werden. Gesetzesrecht ist in vielen Fällen mehr oder weniger durch das Common Law beeinflusst worden. Wo es gilt, können die restatements nur zur Auslegung dienen. Wo Gesetzesrecht nicht gilt, gelten Präjudizien im Rahmen der doctrine of stare decisis ohnehin. Insoweit, als dass die restatements die von den Gerichten angewandten Regeln wiedergeben, stellt eine Orientierung an den restatements nur eine andere, allgemeinere und mittelbarere Form der Erfüllung der Pflichten dar, wie sie sich aus der doctrine of stare decisis ergeben. Dabei unterschätzt werden darf nicht, welche Flut an Entscheidungen in den verschiedenen Staaten ergeht. Weil diese Entscheidungen im Rahmen der stare decisis Verbindlichkeit erlangen können, sie zu überblicken aber kaum möglich ist, kann die Abstraktion ihrer Regelungen in den restatements und die daraus überhaupt erst entstehende Greifbarkeit dessen, was für den Richter verbindlich ist, als Beitrag zur Konsistenz des Common Law verstanden werden. Ein Beitrag, der zwar ordnend wirkt, an Bindungskraft aber, wie es ein Gesetzgeber könnte, kein Mehr liefern kann.

III. Fazit und Schlussfolgerungen Ganz so unmittelbar, wie es sich für den Bereich der Generalklauseln des deutschen Rechts ausnimmt, erfolgt die eindeutige Transformierung von in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen in das Gesetz im Common Law nicht. Das statutory law beinhaltet zwar Prinzipien, die die Rechtsprechung entwickelte. Schon die oberflächliche Lektüre von Materialen zur Schaffung des UCC genügt aber, um zu sehen, wie viele wesentliche, andere Einflüsse 82

Vgl. Fikentscher, Methoden II, S. 47, der die englische Lehre mit einem kleinen Hund vergleicht, „der bellend den großen Spaziergänger der Gerichtspraxis umspringt“. 83 Harrer/Wiegmann in: Assmann/Bungert, S. 65.

C. Das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richtern

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hier maßgeblich wirkten. Die Eindeutigkeit der Übernahme von Rechtsprechung in statutes ist mit der Übernahme von Fallgruppen der Generalklauseln in das deutsche Gesetz nicht vergleichbar. Ähnlich fällt das Urteil bei den restatements aus: Die restatements sind ihrer äußeren Form nach zwar kodifizierte Rechtsprechung; ihrer Wirkung nach sind sie einem Gesetz jedoch nicht gleichzusetzen. Nicht nur, weil sie keinen Gesetzesrang haben, sondern auch, weil sie kein Mehr an Verbindlichkeit gegenüber ohnehin geltenden Entscheidungen mitbringen können. Sie geben wieder, was die Gerichte ohnehin einzuhalten verpflichtet sind. Mit der Bindungswirkung, die ein vom deutschen Gesetzgeber erlassenes Gesetz für eine im Bereich einer Generalklausel etablierten Entwicklung entfaltet, ist die der restatements nicht vergleichbar. Dass es zwischen dem deutschen Recht der Generalklauseln und dem Common Law Unterschiede bei der Übernahme von Richterrecht in das Gesetz gibt, klingt zunächst nach einem gewichtigen Unterschied. Doch darf bei der Bewertung des nun Gesehenen eines nicht unberücksichtigt bleiben: Dass im Common Law kein so eindeutiger Transfer von Rechtsprechung in die Gesetze erfolgt wie im deutschen Recht, ist durchaus folgerichtig. Das Bild dreht sich, wenn man noch einmal die Rolle der Richter im Common Law in den Fokus stellt: Sie sind der eigentliche Normsetzer. Solange der eigentliche Normsetzer (hier: der Gesetzgeber, dort: die Gerichte) die aufgestellten Regeln in Verbindlichkeit erwachsen lassen kann, ist eine Übereinstimmung in beiden Bereichen doch zu bejahen. Genau das ist nicht nur im Common Law, sondern auch durch die steigende Übernahme von Fallgruppen der Generalklauseln in das Gesetz der Fall. Das Ergebnis des Vergleichs zwischen dem Verhältnis von Richterrecht und Gesetzgeber lässt sich, wenn man die Rechtsordnungen insgesamt in Bezug nimmt, als ein umgekehrtes Regel-Ausnahme-Verhältnis beschreiben84. Während die Kompetenz zur Normsetzung im deutschen Recht grundsätzlich dem Gesetzgeber zukommt, liegt sie im angloamerikanischen Rechtskreis grundsätzlich bei den Gerichten. Ebenso wie diese Regeln unterscheiden sich auch die jeweiligen Ausnahmen voneinander: Während die Ausnahmen im deutschen Recht in den Generalklauseln und der mit diesen vermittelten Kompetenz der Richter zur Rechtsentwicklung zu erkennen sind, werden sie im angloamerikanischen Recht von den nur ausnahmsweise geschaffenen Gesetzesvorschriften gebildet. 84 Diese Formulierung nimmt die Beschreibungen des Verhältnisses von Gesetzgeber und Rechtsprechung im Common Law einerseits und im deutschen Zivilrecht andererseits unter der einheitlichen Überschrift „Regel und Ausnahme bei der Normsetzungskompetenz“ bei Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 331 in Bezug.

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

Wenngleich der Unterschied zur Aufnahme von Richterrecht in das Gesetzesrecht zunächst klar gegen eine Übereinstimmung der Umstände bei den Generalklauseln und dem Common Law sprach, zeigt die unterschiedliche Rolle, die das Richterrecht hier und dort erfährt, warum in der Sache doch wenigstens die Entwicklung zu einer Übereinstimmung bejaht werden kann. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Neigung des deutschen Gesetzgebers, in den Generalklauseln entwickelte Fallgruppen in das Gesetz aufzunehmen, ist, freilich sehr mittelbar, tendenziell eine Angleichung der Verbindlichkeit des Richterrechts erkennbar. Das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Richter ist zwar in beiden Bereichen grundverschieden. Der Grad der Verbindlichkeit der Entscheidungen wird aber durch eine zunehmende Bereitschaft des deutschen Gesetzgebers zur Übernahme von Fallgruppen der Generalklauseln in das Gesetzesrecht angenähert.

D. Folgenberücksichtigung im Common Law und bei den Generalklauseln Die formal bestehende Bindung der Gerichte an bereits ergangene Urteile, wie sie im Common Law besteht, hat auch eine Wirkung, die sowohl den Prozess als auch das Ergebnis der Entscheidungsfindung des Richters stark beeinflusst. Gemeint ist die Berücksichtigung von Folgen der Entscheidung, wie sie sich in einem auch bei Demeyere85 gebrachten Zitat von Scalia/Garner86 besonders deutlich zeigt: „Judges are concerned not only with the outcome of your case but also with the outcome of many future cases that will be governed by the rule you are urging the court to adopt. Indeed, in appellate courts – especially those with discretionary jurisdiction – the effect on future cases is their main focus. So it’s an essential part of your argument to show that the rule of law you propose produces fair and reasonable results – not just in the present case – but in all cases to which it applies. If you fail to persuade the court of this, you will lose.“87

Nicht allein das Ergebnis des zur Entscheidung anstehenden Falles, sondern auch die Ergebnisse vieler noch zu entscheidender Fälle seien es, die nach Scalia/Garner den Richter lenken. Die Auswirkung der aus dem Fall zu entnehmenden rule stehe bei höheren Instanzen sogar im Mittelpunkt der Entscheidung. Und das wirkt sich auch auf die Überzeugungsarbeit, die der amerikanische Anwalt leisten muss, aus. Der Stellenwert der Auswirkungen der zu fällenden Entscheidung auf spätere Entscheidungen zeigt sich in dem an Praktiker gerichteten Werk, das übrigens den Untertitel The 85 86 87

Demeyere in SchiedsVZ 2008, S. 279 (283) mwN. Antonin Scalia ist seit 1986 Richter am Supreme Court of the United States. Scalia/Garner, Making Your Case, S. 155.

D. Folgenberücksichtigung im Common Law

119

Art of Persuading Judges, also die Kunst davon, Richter zu überzeugen, trägt, auch schon daran, dass die Berücksichtigung von Folgen als eine der drei wesentlichen Bedingungen dafür einen Richter überzeugen zu können in der Einleitung den weitergehenden Hinweisen vorangeschickt wird: „(3) After hearing the reasons for doing what you are asking, and the reasons for doing other things or doing nothing at all, they (die Richter, der Verf.) must conclude that what you’re asking is best – both in your case and in cases that will follow.“88

Diese Idee der Folgenberücksichtigung findet sich, ungeachtet der dabei auftretenden Probleme89, ausdrücklich in der Theorie der Ökonomischen Analyse des Rechts wieder90 oder deutlicher gesagt: Die Ökonomische Analyse ist folgenorientierte Argumentation91. Auch die Möglichkeit und Nötigkeit der Folgenberücksichtigung im amerikanischen Recht kann daher als ein wesentlicher Grund für die Etablierung der Ökonomischen Analyse im Common Law genannt werden. Einen grundlegenden Unterschied hierzu scheint die Prämisse, allein den konkreten, dem Richter vorliegenden, Fall zu entscheiden, wie sie der Arbeit des deutschen Richters zugrunde liegt92, auszumachen. Doch ist die Folgenberücksichtigung auch dem deutschen Recht keineswegs fremd93. Das gilt nicht nur für die Wissenschaft94, sondern auch für die Rechtsprechung95. Gegen die Berücksichtigung von Folgeerwägungen argumentiert Luhmann mit dem Moment der Einzelfallentscheidung und versucht zu zeigen, 88

Scalia/Garner, Making Your Case, S. XXI. Rafi, Urteil, S. 93 ff.; Teubner, Folgenorientierung, S. 10 ff. 90 Siehe auch oben, S. 27 ff. sowie Eidenmüller, S. 6; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 119; Schäfer/Ott, S. 2, 16, 23 ff., Taupitz, AcP 1996, S. 114 (123); Grundlage der Folgenprognose ist im Wesentlichen das Handlungsmodell des homo oeconomicus. 91 Vgl.: Mengoni, Hermeneutik und Folgenorientierung, S. 129 f. 92 Larenz, S. 348; vgl. zu einer Studie, nach der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, in denen er seine frühere Rechtssprechung revidiert, im Bereich des Zivilrechts zu ca. 30% an den Folgen orientiert sind: Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 94 mwN. zur Studie. 93 Zum Zustand in Italien: Mengoni, Hermeneutik und Folgenorientierung, S. 123 ff. (insbesondere S. 128 ff.). 94 Vielen voran: Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 138 f. sowie etwa: Böhlke/Unterseher in Jus 1980, S. 323 ff. (aus S. 325 mit anschaulicher Zusammenfassung der praktischen Anforderungen, die eine Folgenberücksichtigung für die Arbeit des Richters bedeutete); Koch/Rüssmann, S. 227 ff.; Podlech in AöR 1970, S. 185 ff.; Rottleuthner in ARSP Beiheft N.F. Nr. 13, 1980, S. 97 ff.; die Darstellung des Meinungsstands muss auf die für diese Arbeit wesentlichen Prämissen beschränkt werden. 95 Beispiele bei: Rötzer, Uneigennützigkeit, S. 137 ff. 89

120

Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

dass eine Folgenberücksichtigung etwa dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen müsse96. Weil die Folgen einer Entscheidung situationsabhängig sind, sei Gleichbehandlung im Sinne einer gleichen Entscheidung für gleiche Fälle nicht möglich. Koch/Rüssmann führen dieses Verständnis auf einen Irrtum über die „fallweise“ Frage nach den Folgen, Rottleuthner auf eine falsche Vorstellung (eine der Definitionen des Irrtums) von der Folgenorientierung zurück97. Schon das Gleichbehandlungsgebot selbst spricht nach Koch/Rüssmann dagegen, einen zu entscheidenden Fall allein für sich zu betrachten. Dieses Gebot gibt dem Richter nämlich auf, den Fall nicht als „einzigartiges Ereignis“, sondern als „Exemplar einer Gattung von Fällen gleicher Art zu betrachten“. Kritik an der Folgenberücksichtigung, die davon ausgeht, dass eine auf den Einzelfall bezogene Berücksichtigung von Folgen zu einem Verstoß gegen das Gleichheitsgebot führen könnte, kann demnach schon deshalb nicht zutreffen, weil eine solche „fallweise“ Berücksichtigung der Folgen nicht stattfindet. In diese Richtung tendiert auch der Einwand Rottleuthners: Folgen zu berücksichtigen bedeute nicht „MaßnahmeRechtsprechung“ oder „finale Subsumtion“, sondern erfolge lediglich dort, wo es vom Gesetz vorgegebene Tatbestände und Rechtsfolgen zuließen. Ungleichbehandlungen wird damit bereits vorgebeugt. Absehend von anderen Folgenkategorien sind für den hier zu besprechenden Fragenkreis vor allem die Adaptionsfolgen, also diejenigen Folgen, die als Anpassung des Verhaltens von Menschen an die Geltung rechtlicher Regeln zu verstehen sind, relevant98. Wie sehr die verschiedenen Arten von Folgen im Verfahren der Normkonkretisierung berücksichtigt werden sollen, ist bislang zwar ungeklärt99. Dass Entscheidungen sich mit nahe liegenden Adaptionsfolgen beschäftigen, sei nach Schrotz aber trotzdem „methodisch unerlässlich“100. Jedenfalls zu beachten ist, dass sich der 96 Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 38 f.; Luhmann spricht dort von Wirkungen. 97 Koch/Rüssmann, S. 234; Rottleuthner in ARSP Beiheft N.F. Nr. 13, 1980, S. 97 (114). 98 Hier gemeint sind besonders die Adaptionsfolgen als Teil der Realfolgen. Diese Unterscheidung basiert auf der Abgrenzung von Lübbe-Wolff. Im Anschluss an Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 25, 139 f. wird insoweit häufig erst zwischen Rechts- und Realfolgen und dann innerhalb der Realfolgen zwischen Entscheidungs- und Adaptionsfolgen abgegrenzt. Während Rechtsfolgen sich ganz unmittelbar aus einem Rechtssatz ergeben, der ihren Eintritt für das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einfordert, treten Realfolgen mittelbar dazu ein. Ein Beispiel für die Adaptionsfolgen ist die Generalprävention; siehe auch Schneider/Schrotz in Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), S. 493. 99 Schrotz in Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), S. 368. 100 Schrotz in Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), S. 369.

D. Folgenberücksichtigung im Common Law

121

Richter nicht mit dem Verweis auf die Folgen seiner Entscheidung über das Gesetz hinwegsetzen darf. Folgen können nur dort berücksichtigt werden, wo, wie soeben schon mit der Widergabe Rottleuthners gesagt, das Gesetz Raum dafür gibt101. Während Grimm noch die Frage aufwirft, ob zwischen dem Determinationsgrad von Rechtsnormen und dem Bedürfnis, Folgen zu berücksichtigen, ein Zusammenhang feststellbar ist102, nimmt für Rafi die Bedeutung der Berücksichtigung von Folgen jedenfalls zu, je mehr die Anordnungsdichte des Gesetzes sich verringert103. Auch in dem aus der Literatur zur Ökonomischen Analyse des deutschen Rechts herausragenden Werk von Schäfer/Ott wird der Bereich der Notwendigkeit einer Folgenorientierung vor allem dort gesehen, wo eine eindeutige Entscheidung, wie sie sich aus „Gesetz und Recht“ ergibt, nicht möglich ist. Für den Fall, „in dem ein Gericht sich Gedanken wie ein Gesetzgeber machen muss“104, sei die Entscheidung dann sogar vom Einzelfall zu lösen und eine Lösung zu finden, „die den Interessen der Gemeinschaft als ganzer dient“.105 Begründet wird dies, ohne auf die verschiedenen Arten von Folgen genauer einzugehen, damit, dass die Entscheidungen sich auch auf das künftige Verhalten der Rechtsgemeinschaft auswirken wird, in der bereits notierten Terminologie LübbeWolffs106 also vor allem im Bereich der Adaptionsfolgen. Obgleich diese Zulässigkeit der Folgenberücksichtigung, wie angedeutet, im übrigen Recht insgesamt noch immer stark umstritten ist107, zeigt sich für den Bereich der Generalklauseln, nicht nur durch das zuletzt von den Vertretern der Ökonomischen Analyse Wiedergegebene, ein einheitlicheres Bild: 101

Wie Rottleuthner mit Bezug auf diesen: Koch/Rüssmann, S. 232. Grimm, Argumentationspraxis, S. 140. 103 Rafi, Urteil, S. 98. 104 Schäfer/Ott, S. 16. 105 Ähnlich für den Bereich der Normen, die nicht positiviert sind, sondern ggf. erst durch den Richter geschaffen werden: Rottleuthner in ARSP Beiheft N.F. Nr. 13, 1980, S. 97 (104). 106 Siehe Fn. 98. 107 Siehe den Sammelband: Teubner (Hrsg.), Entscheidungsfolgen als Rechtsgründe, 1995, Baden-Baden sowie die umfangreichen Nachweise im darin enthaltenen Aufsatz von Grimm, Argumentationspraxis, S. 139, Fn. 1; eine gewisse Einigkeit scheint immerhin darin zu bestehen, dass die Berücksichtigung von Folgen zu einer Transparenz der Entscheidung, wie sie ohne diesen Umstand nicht gewährt wäre, führt. Unterstellt man nämlich, Folgen werden, auch ohne dies zuzugeben, berücksichtigt, um eine Entscheidung zu treffen, kann die entstehende Transparenz zu einer Kritik der Entscheidungsfindung führen, die es immerhin ermöglicht, Konsens über den erwünschten oder unerwünschten Zustand zu erlangen. Vgl.: Böhlke/Unterseher in Jus 1980, S. 323 (324); Koch/Rüssmann, S. 230; Podlech in AöR 1970, S. 185 (199); Rottleuthner in ARSP Beiheft N.F. Nr. 13, 1980, S. 97 (116). 102

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Kap. 5: Strukturelle Affinität der Generalklauseln

Die Folgenberücksichtigung sei, meint etwa Mengoni, „unvermeidlich, wenn die Entscheidung [. . .] mit Hilfe einer Generalklausel getroffen werden soll“108. Nach Grimm sind Generalklauseln auch immer als eine Aufforderung zur Folgenberücksichtigung bei der Rechtsanwendung zu verstehen109. Das ergebe sich schon aus ihrer Funktion: Während Normen mit einer konkreten Regelungsanordnung üblicherweise für den Umgang mit typischen Fallkonstellationen geschaffen werden, versagt eine solche Anordnung, wenn eine untypische und vom Gesetzgeber nicht vorhersehbare Konstellation eintrifft. Wenn er für diese Fälle die auf die Modifikation des (strikten) Normprogramms ausgerichteten Generalklauseln schafft, dann ist dies auch als ein Zeichen dafür zu verstehen, dass die Folgen eines strikten Vollzugs von Normen auf diese atypischen Fälle nicht gewollt sein können und auch vom Rechtsanwender im Auge behalten werden sollen. Es entsteht damit ein Bild, das die die Anwendung der Ökonomischen Analyse begünstigende Affinität des Common Law zur Berücksichtigung von Folgen auch für die Generalklauseln zeigt. Damit wäre eine weitere, diesmal sehr starke, Parallele zwischen den Generalklauseln und den Umständen des Common Law, die die Rezeption des Effizienzkalküls bewirken, zu bejahen.

E. Zusammenfassung und Fazit Insbesondere die formale Präjudizienbindung im Recht des Common Law hat sich als ein wichtiger Faktor für die Etablierung des Effizienzprinzips im dortigen Raum erwiesen. Das Maß der Bindung unterscheidet sich, bedingt durch eine gewisse Aufweichung der Strenge, jedoch kaum von der praktischen Berücksichtigung von Präjudizien im Recht der Generalklauseln. Hier wie da kann die Einführung eines neuen Kriteriums wie dem der Effizienz also auf spätere Entscheidungen fortwirken. Insbesondere in den USA wird das Selbstverständnis dafür, sich auch rechtspolitisch zu betätigen, indem etwa neue Maßstäbe eingeführt werden, durch das System der checks and balances sowie das Erbe des Rechtsrealismus vermittelt. Aber auch in England ist, historisch bedingt, ein stärkeres Bild des Richters zu erkennen. Die Vielzahl von Entscheidungen im Bereich des § 242 stärkt ihren Ruf als Alibinorm110. Der damit verbundene 108

Mengoni, Hermeneutik und Folgenorientierung, S. 128. Grimm, Argumentationspraxis, S. 140. 110 Dieser Vorwurf wird auch der Formel von der „Ansicht aller billig und gerecht Denkenden“ gemacht; vgl. dazu: Arzt, Die Ansicht aller billig und gerecht Denkenden, S. 1 ff., 104 f. 109

E. Zusammenfassung und Fazit

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Vorwurf lässt sich auch dahingehend verstehen, dass dem deutschen Richter relativ große Freiheit im Bereich der Generalklauseln zukommt, oder dass er sie sich zumindest nimmt. Nur in einer Gesamtbetrachtung unterscheidet sich die Entscheidungsfindung der beiden Systeme in ein deduktives Verfahren einerseits und ein induktives Verfahren andererseits. Im Bereich der Ausnahme, den die Generalklauseln bilden, ist nämlich festzustellen, dass eine Übereinstimmung mit dem induktiven Verfahren des Common Law besteht. Die fortschreitende Übernahme von aus Generalklauseln gebildeten Fallgruppen führt darüber hinaus zu einer Vergleichbarkeit der Auswirkungen, die Gerichtsentscheidungen im Common Law und aus dem Bereich der Generalklauseln auf die Rechtsordnung haben. Während das Common Law als „judge-made Law“ per se einen unmittelbaren Bezug zu den Entscheidungen aufweist, kommt den durch Gerichte entwickelten Fallgruppen der Generalklauseln mit der Übernahme ins Gesetz ebenfalls eine stärkere Bindung und eine größere Gestaltungswirkung zu. Schließlich wurde gezeigt, dass neben diesen das System betreffenden Aspekten auch inhaltlich eine wichtige Parallele gezogen werden kann: Ein Kernelement des Effizienzkriteriums, die Berücksichtigung von Folgen, ist eines, das der amerikanischen Richter ganz wesentlich vor Augen hat. Vor dem Hintergrund der Berücksichtigung seiner Entscheidung durch gleichgeordnete und untere Gerichte ist es eines seiner Hauptanliegen, die Entscheidung so abzusichern, dass ihre ratio auch in weiteren Fällen trägt. Während die Diskussion über die Berücksichtigung von Folgen in der gesamten deutschen Rechtsordnung alles andere als konsolidiert erscheint, zeigt sich hingegen für den Sonderbereich der Generalklauseln eine größere Übereinstimmung dafür. Je weniger eindeutig die Vorgaben einer Norm sind, desto stärker dürfen Folgen berücksichtigt werden. Ob daraus folgt, dass über die reine Möglichkeit der Folgenberücksichtigung im Recht der Generalklauseln hinaus auch eine Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse in diesem Bereich besteht, gilt es in einem späteren Abschnitt zu klären111.

111 Die zwei wesentlichen Argumente hiergegen werden unten S. 163 ff. sowie S. 177 ff. besprochen.

Kapitel 6

Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben und Ökonomischer Analyse des Rechts? Die Ökonomische Analyse des Rechts gibt neue Maßstäbe für die Bewertung alter Fälle. Das birgt die Gefahr eines Zielkonflikts. Ein Zielkonflikt besteht, wenn zwei verschiedene Ziele angestrebt werden und die Annäherung an das eine Ziel zu einer Entfernung von dem anderen Ziel führt. In diesem und im nächsten Kapitel soll gezeigt werden, dass eine Annäherung an ein effizientes Ergebnis zu einer Entfernung von den Ergebnissen führen kann, die die Rechtsordnung durch die Installation von Generalklauseln anstrebt. Die Erkenntnisse hierüber werden der Forderung nach einem Legitimationsnachweis für die Anwendung des Effizienzkriteriums im Anwendungsbereich der Generalklauseln Nachdruck verleihen. Ein Nachweis, der, soweit ersichtlich, noch nicht erbracht wurde. Weil die Anordnung des Gesetzgebers den Richter bindet, und dies im Bereich der Generalklauseln nicht weniger gilt1, kann die Aufdeckung eines Zielkonflikts sogar zum Zwang des Nachweises einer Legitimation führen, wenn die Entscheidung auf ökonomische Kriterien gestützt werden sollen. Diesen Nachweis wird der Richter dann freilich nur dadurch führen können, dass er nachweist, dass sein Ergebnis mit den Wertungen, die die jeweilige Generalklausel zu berücksichtigen auffordert, übereinstimmt. Das würde eine Vereinfachung des Entscheidungsprozesses durch das Effizienzkriterium aber zunichte machen. Einen Zielkonflikt zu erkennen, setzt freilich voraus, die Ziele, zwischen denen der Konflikt entsteht, zu kennen. Geringe Schwierigkeiten bereitet dabei die Ökonomische Analyse, denn ihr Ziel ist klar: die Effizienz. Oben2 wurde aber bereits deutlich, dass generelle Aussagen über den Gehalt von Treu und Glauben oder die guten Sitten hingegen Gefahr laufen, ins Diffuse abzugleiten. Die Funktion der Generalklauseln besteht, das ist eindeutig, jedenfalls darin, dem einzelnen, nicht konkret geregelten Fall gerecht zu werden3. Ihr „normatives Volumen“4 ist abstrakt jedoch nur schwer zu greifen, 1 Im Einzelnen zur contra legem-Grenze im Bereich der Generalklauseln unten: S. 188 ff. 2 Siehe S. 59 ff. sowie S. 90 ff. 3 Genauer dazu im nächsten Kapitel unten S. 163 ff. 4 Engisch, Einführung, S. 142.

A. Ausgewählte Fallgruppen

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da es durch Wertungen, die sich in der Zeit auch ändern können, in jedem Fall neu zu bestimmen ist. Der Nachweis des Zielkonflikts soll hier deshalb über Indizien geführt werden: Im Folgenden sollen Fälle, die der BGH auf der Grundlage von Treu und Glauben gelöst hat, anhand des ökonomischen Prüfschemas neu gelöst und die Ergebnisse beider Lösungswege miteinander verglichen werden. Fallen die Ergebnisse, wie zu zeigen sein wird, erheblich auseinander, so indiziert dies das Vorliegen eines Zielkonflikts. Das Interesse daran, zu klären, unter welchen Voraussetzungen das Effizienzkriterium bei der Anwendung von Generalklauseln herangezogen werden kann, ist dann aber nicht mehr nur ein theoretisches, sondern auch ein praktisches. Im Anschluss an dieses Kapitel soll deshalb den Ursachen, die für den Zielkonflikt verantwortlich sein können, nachgegangen und danach gefragt werden, inwieweit eine Integration des Effizienzprinzips in die Entscheidungsfindung unter Verwendung einer Generalklausel überhaupt möglich ist.

A. Ausgewählte Fallgruppen Freilich kann nicht jede Entscheidung, ja noch nicht einmal jede Fallgruppe, die unter einer Generalklausel entschieden wurde, zum Gegenstand eines Vergleichs mit einer Lösung anhand es Effizienzprinzips gemacht werden. Das sprengte den Rahmen der Arbeit. Es besteht also die Notwendigkeit der Selektion. Selektiert werden soll hier anhand der Relevanz der Fallgruppen. Das Kriterium der Relevanz soll sich über die Festigung der Fallgruppe, die Differenzierung ihrer Eigenarten und nicht zuletzt ihrer Präsenz auch in der Lehre definieren. Die Darstellung eventueller Unterschiede zwischen der „üblichen“ Behandlung eines Problems und der Lösung mittels Effizienzkriterium verspricht nämlich dort besondere Augenscheinlichkeit, wo die gemeinen Lösungen bekannt und gegebenenfalls abweichende Ergebnisse deshalb besonders einprägsam sein könnten. Wenn von der „üblichen“ Behandlung einer Fallgruppe die Rede ist, dann kann dies gerade im Anwendungsbereich von Generalklauseln nicht bedeuten, dass hierüber Einstimmigkeit besteht. Als Angelpunkt soll hier deshalb vor allem die Rechtsprechung des BGH gelten, soweit sie das Schrifttum in Bezug nimmt. Die Berechtigung anderer Auffassungen und Lösungsansätze wird, mit einer Ausnahme, nicht infrage gestellt. Mit der Ausnahme gemeint ist natürlich eine abweichende Lösung des Falles durch das Effizienzkriterium. Neben der beschriebenen Relevanz der Fallgruppen hat der Bestand des Schrifttums zur ökonomischen Analyse bestimmter Fallgruppen ein hohes Gewicht bei der Auswahl der zu untersuchenden Fälle. Damit fällt der Fokus des Vergleichs vor allem auf zwei Fallgruppen: Die Unwirksamkeit von

126

Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

AGB und die Störung der Geschäftsgrundlage. Beide Fallgruppen wurden im Bereich des § 242 entwickelt. Sie eignen sich, obwohl sie in das Gesetz aufgenommen wurden, besonders, weil die zuvor in der Rechtsprechung und der Literatur zu ihnen entwickelten Grundsätze weiterhin Anwendung finden5. Sie sind vielfach Gegenstand von Besprechungen in Rechtsprechung und Lehre geworden und darüber hinaus je auch ausführlich unter ökonomischen Gesichtspunkten analysiert worden. Die Besprechung eventueller Widersprüche soll um die Zuhilfenahme des viel besprochenen homo oeconomicus im Bereich eines ergänzend auszulegenden Vertrags angereichert werden. Die ergänzende Vertragsauslegung ist freilich keine Fallgruppe des § 242, wie die anderen es sind, sondern in einer eigenständigen Generalklausel zu verorten. Auch kommt § 157 eine grundlegend andere Aufgabe zu als § 242. Allein auch die ergänzende Vertragsauslegung bedient sich – die noch aufzuzeigenden Eigenarten inbegriffen – der Gebote von Treu und Glauben als Maßstab. Sie zu besprechen rechtfertigt sich darüber hinaus aus ihrer Nähe zur Geschäftsgrundlage, die (nicht nur) von den Vertretern der Ökonomischen Analyse zum Anlass genommen wird, beide Institute mit ein und demselben Lösungsansatz zu bearbeiten. Es geht an dieser Stelle also nicht (das kann es nicht) um Vollständigkeit. Wenn etwa für das Beispiel der Geschäftsgrundlage nur eine einzige Entscheidung ausgewählt wird, um zu zeigen, wie der BGH im Gegensatz zu Vertretern der Ökonomischen Analyse einen Fall in ihrem Anwendungsbereich löst, dann erscheint das in Anbetracht der schier unüberschaubaren Masse an Gerichtsentscheidungen zu diesem Institut geradezu fahrlässig, wenn es darum geht allgemeine Aussagen treffen zu wollen. Aber das ist es nicht. Denn die Hypothese, die belegt werden soll, ist nur die, dass es unterschiedliche Entscheidungsmöglichkeiten zwischen den beiden Lagern für ein und denselben Fall geben kann. Ist das auch nur an einem Fall belegt, dann wurde die Notwendigkeit der Klärung der Anwendungsvoraussetzungen der Ökonomischen Analyse im Bereich der Generalklauseln schon nachgewiesen.

B. Der vollständige Vertrag – Wesen und Verwendung Viele der Lösungsansätze, die die Ökonomische Analyse vermittelt, bedienen sich des Modells des vollständigen Vertrags. Dieses Modell wird daher auch in diesem Abschnitt immer wieder dann auftauchen, wenn es da5 BT-Drucks 14/6040, S. 175 für die Geschäftsgrundlage, BT-Drucks 14/6040, S. 153 ff. für die Unwirksamkeit von AGB.

B. Der vollständige Vertrag – Wesen und Verwendung

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rum geht festzustellen, was aus Sicht der Ökonomie die richtige Lösung für einen eine vertragliche Regelung betreffenden Fall ist. Zwar unterliegt die Anwendung dieses Modells im Einzelnen Besonderheiten. Die Grundprinzipien sollen aber an dieser Stelle, zentral, schon einmal vorweggenommen werden.

I. Wesen Ein vollständiger Vertrag, das ist die wichtigste Schlussfolgerung, ist immer effizient6. – Warum ist er das? Der vollständige Vertrag (fully specified oder auch complete contingent contract) wird in einer Welt ohne Transaktionskosten geschlossen. Damit ist er ein Vertrag, bei dessen Abschluss alle relevanten Informationen vorhanden waren. Diese Informationen haben die Parteien genutzt, um jedes infrage kommende Risiko im Vertrag vorher zu verteilen. Der vollständige Vertrag wird zwischen homines oeconomici abgeschlossen. Weil beide Seiten also ihren Nutzen aus dem Vertrag maximieren wollen, ordnen sie jedes Risiko dem zu, der es günstiger tragen kann, denn: Ist das Risiko bei der Partei, die es günstiger tragen kann, stellt sie mit den ihr dadurch entstehenden Kosten (Schadenshöhe multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts) geringere Anforderungen an eine Kompensation (Preisauf- oder -abschlag), als die andere es tun müsste. Der vollständige Vertrag wird immer durchgeführt. Weil jedes Risiko zugeordnet ist, kann es keinen Grund geben, aus dem er aufgelöst oder abgeändert werden muss. In der realen Welt, wo sein Zustandekommen durch vorhandene Transaktionskosten verhindert wird, es also gerade nicht dazu kommen kann, dass alle Risiken verteilt werden können (schon weil sie nicht bekannt sind7), dient der vollständige Vertrag den Ökonomen als Maßstab für die Behandlung dort geschlossener Verträge.

II. Verwendung des Modells (cheapest cost avoider, cheapest insurer und superior risk bearer) Die Ökonomische Analyse des Rechts geht davon aus, dass es die originäre Aufgabe des Vertragsrechts ist, den vollständigen Vertrag zu rekonstruieren8. Es wird also analysiert, welcher der Parteien das verwirklichte Ri6 Polinsky, Introduction, S. 31, dort auch mit Beispiel; Shavell, The Bell Journal of Economics, Bd. 11, Nr. 2 (1980), S. 466 (467). 7 Shavell, The Bell Journal of Economics, Bd. 11, Nr. 2 (1980), S. 466 (469). 8 Schäfer/Ott, S. 403.

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

siko zugewiesen worden wäre, wenn die Parteien von der Möglichkeit seines Eintritts gewusst hätten. Ex post wird also ermittelt und dann bestimmt, was ex ante selbst vereinbart worden wäre. Dabei treten verschiedene Personen auf den Plan: Rationale Parteien hätten im Sinne des zuletzt Gesagten zunächst derjenigen von ihnen das Risiko eines eintretenden Schadens zugeordnet, die den Eintritt am günstigsten hätte verhindern können. Sie ist der cheapest cost avoider. Freilich sind die Parteien nicht immer so ausgestattet, dass eine von ihnen das Risiko vermeiden kann, so etwa, wenn das nicht geregelte Risiko in Gestalt eines Wirbelsturms oder einer Inflation eintritt. Deshalb hat sich eine Prüfungsreihenfolge mit noch weiteren Schritten entwickelt. Gefragt wird dann zunächst danach, welche der Parteien das Risiko am günstigsten versichern kann, sie ist der cheapest insurer9. Um sich gegen ein Risiko versichern zu können, muss es jemanden geben, der einen versichert. Gibt es keinen Versicherer, so wird danach gefragt, welche der Parteien das Risiko besser zu tragen vermag. Sie ist der superior risk bearer. Darunter, ein Risiko besser tragen zu können, sind verschiedene Dinge zu verstehen10: Ein wichtiger Faktor ist die „Größe“ der Parteien. Grund dafür ist jedoch nicht die profane Möglichkeit, größere Kosten zu übernehmen, wenn mehr Kapital vorhanden ist. Es kommt vielmehr darauf an, dass der Vertragspartner, der aufgrund seiner Größe mehrere, vergleichbare Verträge abschließt, sein Risiko auf diese Verträge verteilt. Man argumentiert dann damit, dass er das Gesetz der großen Zahl für sich geltend machen kann. Dieses Gesetz besagt, wiederum stark vereinfacht, dass sich die Häufigkeit des tatsächlichen Eintretens eines Ereignisses der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens annähert, wenn man nur oft genug das es bedingende Verhalten wiederholt. Das Risiko wird gewissermaßen „gestreut“ und könnte in einem fiktiven vollständigen Vertrag von der Partei, die superior risk bearer ist, auch einfacher geschultert werden. Auch Informationen spielen eine Rolle. Der hiermit verkörperte Gedanke spielt gewissermaßen auf die Eigenverantwortlichkeit der Parteien an: Wer eher in der Lage ist, ein Risiko zu erkennen, der kann sich auf die das Geschäft betreffenden typische Risiken besser einstellen und vorbereiten, in dem er etwa Rückstellungen für die Risiken anlegt. Im Beispiel von Schäfer/Ott müsste sich etwa der Importeur, der regelmäßig in ein afrikanisches Land liefert, anders als sein heimischer Zulieferer, auf sprunghafte afrikanische Regierungen einstellen. 9

Freilich versichert ein Risiko nur in voller Höhe, wer risikoavers ist. Zu den Problemen, die im Zusammenhang mit risikoneutralem und risikogeneigtem Verhalten entstehen siehe: Schäfer/Ott, S. 408 ff. 10 Zum Folgenden mit Beispielen: Schäfer/Ott, S. 412 ff.

C. § 313 BGB – Effiziente Risikoverteilung

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Diese Prüfungsschritte werden in den folgenden Beispielen regelmäßig dann auftauchen, wenn es darum geht zu ermitteln, wie ein Fall nicht aus Sicht der Rechtsprechung oder Judikatur, sondern aus ökonomischer Perspektive zu lösen wäre. Dabei wird auch die Kritik an diesem Modell zur Sprache kommen, soweit dies für die hiesigen Zwecke nötig erscheint.

C. § 313 BGB – Effiziente Risikoverteilung Die Regelung des § 313 sucht einen Ausgleich zwischen Bestands- und Erfüllungsinteresse des einen Vertragspartners mit dem Anpassungs- oder Beendigungsinteresse des anderen Vertragspartners zu erreichen11.

I. Sachverhalt Als Beispiel soll eine Entscheidung des BGH vom 23.11.1989 dienen12: Der Kläger, ein Omnibusunternehmer, klagte gegen ein Bundesland auf Erstattung von Stornogebühren für gebuchte Hotelzimmer in Prag sowie Ersatz von Auslagen, die er für beantragte Visa und Reiseliteratur hatte. Das zuständige Ministerium des beklagten Landes hatte zuvor angeordnet, dass eine bei dem Kläger gebuchte Klassenfahrt, für die er alle Leistungen erbringen sollte, nicht durchgeführt werden durfte. Grund: Die Klassenfahrt sollte – eine Woche nach dem Unglück von Tschernobyl – in die damalige CSSR führen. Der BGH sprach dem Kläger die Hälfte der Stornogebühren sowie den Ersatz der Auslagen in voller Höhe zu. Größeren Argumentationsbedarf, als für den Ersatz der Auslagen, gab es bei der Lösungsfindung für den Ersatz der Stornogebühren.

II. Lösungsansatz des BGH Der BGH stimmt zunächst dem Berufungsgericht insoweit zu, als dass es den Ersatz der Stornogebühren verneint hat, soweit er auf §§ 651j Abs. 2, S. 1 iVm. 651e Abs. 3, S. 3 gestützt werden sollte. Nach diesen Normen kann eine Entschädigung für bereits erbrachte Reiseleistungen verlangt werden. Die entstanden Stornokosten beruhten aber, so der BGH, nicht auf den mit dem Beklagten abgeschlossenen Reisevertrag, sondern entstanden allein im Verhältnis zwischen Kläger und Hotel. Sie seien deshalb keine Reiseleistungen. 11 Palandt-Grüneberg, § 313 Rn. 1; siehe einführend zur Geschäftsgrundlage Eidenmüller in Jura 2001, S. 824–832. 12 BGH, Urteil vom 23.11.1989 – VII ZR 60/89, NJW 1990, S. 572 ff.

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

Allerdings seien die in § 651j Abs. 2 verkörperten Gedanken zu beachten. § 651j Abs. 2 enthält verschiedene Regelungen, die einen Ausgleich zwischen den Parteien für den Fall einer Kündigung wegen höherer Gewalt gewähren sollen. Der Gesetzgeber bezweckte mit der Norm eine Sonderregelung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage13. Deshalb gelten die hier entwickelten Grundsätze14. Aus den Regelungen ergebe sich, so der BGH, dass das Risiko von Leistungsstörungen bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht allein vom Reiseveranstalter getragen werden soll. Die Stornokosten seien, wie die in der Norm geregelten Mehrkosten für die Rückbeförderung, für die die Norm eine Teilung zwischen den Parteien fordert, Mehrkosten, die allein durch höhere Gewalt entstanden sind und deshalb nicht von einer Partei allein getragen werden sollen. Die Regelung verlange eine „angemessene“ Verteilung des mit dem Vertrag verbundenen Risikos. Es sei auch „unbillig“, die Kosten der Beklagten allein aufzuerlegen. Soweit bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage (seinerzeit gemäß § 242) der Inhalt des Vertrags den veränderten Umständen angepasst werden soll, kann eine solche Anpassung auch darin bestehen, „daß ein an sich von einer Partei zu tragendes Risiko auf beide Parteien je zur Hälfte verteilt wird“15. Deshalb sei „durch die Anwendung der allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben die gesetzliche Regelung ergänzungsbedürftig“ und eine hälftige Teilung erforderlich. Das sei auch „sach- und interessengerecht“. Fazit: Der BGH kommt über die Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage zu einer Anpassung des Vertrags, die inhaltlich dadurch ausgefüllt wird, dass die entstandenen Kosten aufzuteilen sind, der Kläger also die Hälfte der Stornogebühren ersetzt verlangen kann.

III. Lösung mittels Effizienzkriterium 1. Vorbemerkung – Uneinigkeit im Schrifttum Die in der Darstellung der BGH-Entscheidung zitierten Stichworte zeigen es schon: Die Entscheidung bedient all jene Vorbehalte, die die Vertreter der Ökonomischen Analyse (und andere auch) gegen die uneindeutige und unvorhersehbare Rechtsprechung des BGH sowie das unübersichtliche Meinungsspektrum in der Literatur im Bereich der Geschäftsgrundlage haben und wegen der sie sich so sehr nach Präzision sehnen. So beginnen auch 13 14 15

BT-Drucks 8/786, S. 21. BT-Drucks 8/2343, S. 12. BGH, Urteil vom 23.11.1989 – VII ZR 60/89, NJW 1990, S. 572 (573).

C. § 313 BGB – Effiziente Risikoverteilung

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viele der Ausführungen der Vertreter der Ökonomischen Analyse zur Geschäftsgrundlage mit der Feststellung, dass es die Lehre von der Geschäftsgrundlage nicht gibt und hierunter vielmehr eine diffuse Zahl verschiedener Ansätze zusammengefasst wird16. Diesen Darstellungen folgt der Ruf nach Eindeutigkeit und Präzision. Doch steht diesem Ruf ein ihm durchaus widersprechendes, weil ebenfalls diffuses Bild des Meinungsstandes zur Geschäftsgrundlage gegenüber, das die Literatur zur Ökonomischen Analyse produziert. Die verschiedenen Ansätze sollen kurz dargestellt und der Versuch unternommen werden, einen Lösungsweg zu rechtfertigen17, der die Linien möglichst vieler Vertreter der Ökonomischen Analyse auf sich vereint. Das Meinungsspektrum reicht von einer völligen Ablehnung der Lehre von der Geschäftsgrundlage über differenzierende Auffassungen hin bis zur eindeutigen Zustimmung zum Institut. – Alles begründet mit vermeintlich eindeutigen Argumenten aus der Ökonomie. Brockmeyer18 meint etwa, dass die Regelung der Geschäftsgrundlage nicht prinzipiell dem Effizienzziel widerspreche, denn Parteien um jeden Preis am Vertrag festzuhalten könne jedenfalls dann nicht effizient sein, wenn höhere Kosten als Gewinne dadurch entstünden. Die Geschäftsgrundlage sei daher lediglich ökonomisch zu begrenzen. Das Modell des vollständigen Vertrags sei deshalb dazu geeignet dies zu übernehmen, weil es besser überprüfbare Kriterien als die nicht nachvollziehbare Billigkeitsrechtsprechung enthalte. Ganz und gar unangewandt sehen wollen hingegen Finsinger/Simon die Geschäftsgrundlage. Parteien über dieses Institut von Risiken zu befreien, würde diejenigen bestrafen, die sich sorgfältig auf Risiken einstellen19. Das zur Abgrenzung von Bejahung und Verneinung in vielen anderen ökonomischen Ansätzen herangezogene Kriterium der Vorhersehbarkeit von Risiken lehnen sie ab, weil die Vorhersehbarkeit schon nicht zu definieren sei20. Es solle das Institut der Geschäftsgrundlage gar nicht mehr angewendet werden und sich vielmehr die Erfüllungspflicht in eine immer bestehende Schadensersatzpflicht auf das positive Interesse verwandeln. Nur das sei effizient. Schwartze kritisiert hieran zu Recht, dass eine solche Haftung ähnlich wirkt wie eine Garantie zur Leistungserbringung. Dies aber liefe dem jedem 16 Siehe nur beispielhaft die Darstellungen bei Schäfer/Ott, S. 431 ff. sowie Finsinger/Simon, Vertragsbruch und Schadensersatz, S. 117 ff. 17 Die Lösung des Falls wird dem Ansatz Brockmeyers entsprechen (siehe nächster Abschnitt); warum er hier verwendet wird, soll im Folgenden kurz erläutert sein. 18 Brockmeyer, Geschäftsgrundlage, S. 160. 19 Finsinger/Simon, Vertragsbruch und Schadensersatz, S. 134. 20 Finsinger/Simon, Vertragsbruch und Schadensersatz, S. 127 ff.

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

Vertrag enthaltenen Gedanken zuwider ihn nur unter dem Vorbehalt, dass bestimmte Umstände bestehen bleiben, zu schließen21. Das Ziel, mit der einheitlichen Rechtsfolge des Ersatzes des positiven Interesses Rechtssicherheit zu schaffen, wird auch verfehlt, weil die Faktoren, die zur Berechnung des Haftungsumfangs hinzutreten sollen, ebenfalls auf Unwägbarkeiten hinaus laufen22. Ahrens deckt überdies einige erhebliche Unstimmigkeiten zum Leistungsstörungsrecht auf: So sei es in Abweichung von der dortigen Regel im Ansatz Finsinger/Simons beispielsweise nicht erforderlich, dass der Schuldner die Leistungsstörung zu vertreten hat23. Anders als Finsinger/Simon, kommt Köhler wie zuvor Brockmeyer zu dem Schluss, dass die Möglichkeit der Vertragsanpassung aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist24: Dagegen spreche zwar zunächst, dass ein unerschütterlicher Vertrag beiden Parteien Planungssicherheit geben könnte. Dafür stritten indes zwei andere Argumente: Planungssicherheit ist auch erreichbar, wenn verlässliche Regelungen zur Abänderung von Verträgen bestehen; Verträge würden, wenn sie unabänderbar wären, aus Angst vor unabsehbaren (und dann vom eigenen Schicksal der Vertragsparteien unabwendbaren) Risiken weniger häufig geschlossen. Letzteres Argument gewinnt durch die ökonomische Grundannahme einer Steigerung von Nutzen durch den Abschluss von Verträgen an Gewicht. Nachdem er also für eine Korrekturmöglichkeit votierte, beschreibt Köhler deren Voraussetzungen aus seiner Sicht25. Dabei nennt er zunächst das Erfordernis der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag und verwirft sogleich die von der Rechtsprechung gebrachten Deutungen des Begriffs als Leerformeln. Abstrahiert gesprochen verlangt Köhler, dass nicht äußere Maßstäbe wie ein „mit der Gerechtigkeit nicht vereinbares Ergebnis“, sondern innere, also dem Vertrag selbst entnommene, Maßstäbe über die Unzumutbarkeit dessen, was hinzunehmen ist, entscheiden müssten. Diese Maßstäbe sollen die im Vertrag enthaltenen Regeln über die Risikoverteilung bilden. Sie sind, wenn sie geregelt sind, dem Vertrag unmittelbar zu entnehmen oder, wenn sie nicht geregelt sind, durch Auslegung des Vertrags zu ermitteln. Als typischerweise einer der beiden Vertragsparteien zugeordnetes Risiko nennt Köhler die Aufbringung des Kaufpreises. Es gebe aber auch problematische Fälle, in denen keine 21 Schwartze, Beseitigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, S. 164; zu dem angesprochenen Gedanken (clausula rebus sic stantibus): vgl. unten S. 192 ff. 22 Schwartze, Beseitigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, S. 167; ähnlich: Ahrens, Geschäftsgrundlage, S. 191. 23 Ahrens, Geschäftsgrundlage, S. 193, 198 ff. 24 Köhler, Zur ökonomischen Analyse der Regeln über die Geschäftsgrundlage, S. 150 f. 25 Köhler, Zur ökonomischen Analyse der Regeln über die Geschäftsgrundlage, S. 152.

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scharfe Abgrenzung möglich sei; so etwa im Fall nachträglicher Kostensteigerungen bei Festpreisverträgen. Einfacher zu handhaben seien unter solchen Fällen dann zunächst diejenigen, in denen das Risiko bei Vertragsschluss vorhersehbar war, wenn etwa der Schuldner also eine zukünftige Preissteigerung der von ihm zu liefernden Ware erkennen konnte: Das Risiko sei dann regelmäßig (konkreter wird er nicht) ihm überzuhelfen. Wichtig ist: Es kommt auf die Vorhersehbarkeit an und nicht darauf, ob das Risiko vorhergesehen wurde. Vorhersehbarkeit wird von Köhler dann bejaht, wenn mit zumutbarem26 Aufwand Informationen darüber hätten gewonnen werden können. Dass das Kriterium der Vorhersehbarkeit durch diese Gleichsetzung mit dem zumutbaren Aufwand operationabel und die Haftung des superior risk bearer handhabbar wird, bestätigt in Übereinstimmung mit der hier gefundenen Ansicht, im Gegensatz zu Finsinger/Simon, die sich, wie gesehen, insgesamt ablehnend äußern27, auch Schwartze28. Der Grund dafür, ein Risiko dem zuzuordnen, der es vorhersehen kann, liege darin, dass die Absicherung des vorhersehbaren Risikos (und die Kosten der Informationsgewinnung) dann in die Kalkulation dieser Person einfließen kann. Das Risiko ist dann von ihr beherrschbar. Sie könnte etwa ihre eigenen Preise an die zusätzlich entstehenden Kosten anpassen. Nach diesen Erwägungen zur Risikoverteilung bespricht Köhler das zur Korrektur von lückenhaften Verträgen entwickelte Modell des vollständigen Vertrags. Hiergegen hat er verschiedene Einwände: Es gebe Fälle, in denen die Rekonstruktion nur ergeben könne, dass die Parteien, hätten sie alle Risiken antizipiert, den Vertrag erst gar nicht geschlossen hätten. Das Modell des vollständigen Vertrags sei dann nicht in der Lage, die zwischen Vertragsschluss und Zeitpunkt der Rekonstruktion angefallenen Kosten angemessen zu berücksichtigen. Insoweit, als dass das Modell des vollständigen Vertrags auf die Zuordnung von Risiken beschränkt ist, verdränge es andere sinnvolle Vertragsgestaltungen, etwa die der Umgehung von Risiken. Es gebe Fälle, in denen die Rekonstruktion des vollständigen Vertrags nicht zu einem eindeutigen Ergebnis käme, als Entscheidungskriterium also nicht geeignet sei. So verhalte es sich etwa beim Standardfall der Vermietung eines Balkons aus einem besonderen Anlass. Dass Risiko, dass der Anlass entfällt, kann keine der Parteien besser tragen. Es einer von ihnen zuzumuten ist also nicht möglich. 26 Der Begriff soll inhaltlich durch weitere (bei Köhler an dieser Stelle aber nicht abschließend festgelegte) Kriterien ermittelt werden, siehe Köhler, Zur ökonomischen Analyse der Regeln über die Geschäftsgrundlage, S. 154. 27 Finsinger/Simon, Vertragsbruch und Schadensersatz, S. 129. 28 Schwartze, Beseitigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, S. 167.

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Köhlers Einwände gegen die Figur des vollständigen Vertrags wurden unter anderem auf dem Travemünder Symposium zur Ökonomischen Analyse des Zivilrechts diskutiert; letztlich wird aber nur für den Fall der Balkonvermietung Konsens darüber erzielt, dass der vollständige Vertrag keine befriedigende Antwort liefern könne29. Köhler macht für die Handhabung des vollständigen Vertrags auch Vorschläge, die zu einer aus seiner Sicht angemessenen Korrektur von Verträgen mittels dieses Instruments führen sollen30: Zunächst habe die Betrachtung nicht am Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern dann, wenn sich das nicht beachtete Risiko realisiert, anzusetzen. Dann könnten bis dahin getätigte Aufwendungen Berücksichtigung finden. Vorrangig sein soll die Beibehaltung des Vertrags, denn das vermeidet die Verschwendung von Ressourcen. Die Verteilung des Risikos soll verhältnismäßig sein. Schließlich soll die ursprünglich angestrebte Äquivalenz wiederhergestellt werden. In seinem Korreferat zu Köhler auf dem eben schon angesprochenen Symposium äußert Trimarchi Zweifel daran, dass die Risikozuweisung immer ein geeignetes Mittel ist, um Fälle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu lösen31. Die von ihm vorgebrachten Beispiele, etwa Inflationen oder Naturkatastrophen, sind solche, die in der Geschäftsgrundlagenlehre als große Geschäftsgrundlage bezeichnet wurden32. Solche Ereignisse seien weder voraussehbar, noch versicherbar. Trimarchi zweifelt deshalb daran, dass die Figuren des cheapest cost avoider und des cheapest insurer zur Lösung beitragen können. Der schlichte Umstand, dass Risiken nicht vorstellbar sein können, mache diese Modelle in jenen Fällen unbrauchbar. Das gelte, wenn auch mit anderer Begründung, auch für den superior risk bearer (überlegener Risikoträger). Erfolgreiche und abgesicherte Unternehmen für ihren Status als solche bestrafen zu wollen, sei, und wenigstens soweit besteht Einigkeit mit der Motivation Finsinger/Simons, schließlich kein gangbarer Weg. Aber Trimarchi macht einen eigenen Vorschlag für den Umgang mit solchen Fällen, in denen die genannten Institute nicht weiter führen. Er erläutert ihn am Beispiel eines Käufers und eines zur langfristigen Lieferung zum Festpreis verpflichteten Lieferanten, der nun unter stark gestiegenen Preisen leidet. Nach Trimarchi ist der Unterschied zwischen Festhalten und Lösen vom 29 Siehe die Zusammenfassung der Diskussion auf dem Travemünder Symposium zur ökonomischen Analyse des Zivilrechts 1988 von Werth, abgedruckt in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 168. 30 Köhler, Zur ökonomischen Analyse der Regeln über die Geschäftsgrundlage, S. 159 f. 31 Trimarchi, Der Wegfall der Geschäftsgrundlage aus allokativer Sicht, S. 163 (164 f.). 32 Vgl. nur: Palandt-Grüneberg, § 313, Rn. 5 mwN.

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Vertrag vor allem der: Im Falle des Festhaltens muss der Lieferant die Auswirkungen der Preissteigerung wehrlos auf sich einwirken lassen; er geht im Zweifel pleite. Hingegen kann im Falle einer Lösung vom Vertrag ein Umgang mit dem gestiegenen Preis erreicht werden: Der Käufer habe nämlich die Möglichkeit selbst mehr zu zahlen und den erhöhten Preis an seine Abnehmer weiter zu geben oder er kann das teurere Produkt aus seiner Produktionskette entfernen, indem er die Produktion umstellt. Zwar könne auch der Käufer durch diese Anpassungsprozesse schweren Schaden erleiden und etwa auch zugrunde gehen. Doch wäre dies dann nur die notwendige Folge einer Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Umstände und nicht, wie beim Lieferanten, Folge eines künstlichen Zwangs. Es könnte dann der Markt entscheiden und nicht eine der Marktsituation nicht entsprechende Regel. Ob im Einzelfall Vertragsauflösung oder -anpassung zu erreichen sei, solle nach Trimarchi dann den Parteien nicht aber den Gerichten überlassen werden. Die belastete Partei solle dabei grundsätzlich das Recht haben, die Auflösung des Vertrags zu verlangen, während dem anderen Teil die Möglichkeit gegeben werden soll, den Vertrag aufrecht zu erhalten, indem er ein Angebot zur Anpassung unterbreitet33. Darin, nicht die Gerichte entscheiden zu lassen, stimmt Trimarchi mit Köhler34 überein. Köhler deutet diesbezüglich ein Argument an, das sich gerade vor dem Hintergrund des oben Geschilderten, vom amerikanischen abweichenden Selbstverständnis deutscher Richter im Gefüge der Gewalten aufdrängt: Gäbe man den Richtern die Kompetenz zur Auflösung oder Änderung, würde die Vertragskorrektur ein „Instrument richterlicher Wirtschaftslenkung“, die es unter dem Ziel, der Vertragsfreiheit zu erhalten und die Verfolgung individueller Interessen voranzutreiben, nicht geben sollte. Außerdem könnten Richter nie abschließend alle nötigen Informationen bekommen, um Entscheidungen der genannten Art zu treffen. Als Fazit dieser Übersicht über das Meinungsspektrum ist festzuhalten, dass überwiegend auch von den Vertretern der Ökonomischen Analyse eine Berechtigung für die Existenz des Instituts der Geschäftsgrundlage anerkannt wird. Dabei hat sich das Modell des vollständigen Vertrags mit den oben zusammengefassten Prüfungsschritten durchgesetzt. Die Kritik an Teilaspekten, wie sie etwa von Köhler über den zeitlichen Ansatzpunkt zur Lösungsfindung mit diesem Modell gebracht wurde, hat sich nicht durchgesetzt. Trimarchis Einwänden etwa zur fehlenden Vorhersehbarkeit von Risiken, die weder eine Vermeidung noch eine Versicherung jenes unvorhersehbaren Risikos erlauben, begegnet der vollständige Vertrag mit seinem 33

Trimarchi, Der Wegfall der Geschäftsgrundlage aus allokativer Sicht, S. 167. Köhler, Zur ökonomischen Analyse der Regeln über die Geschäftsgrundlage, S. 160. 34

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

letzten Prüfungsschritt des superior risk bearer selbst. Wenngleich Trimarchi dem auch entgegenhielt, dass dies zu einer Schlechterstellung des gut Organisierten führte, so wird für die Anhänger des vollständigen Vertrags doch sprechen, dass jene Organisation und Solidität freilich nie auf eigene Kosten des superior risk bearers gehen muss. Vielmehr ist er in der Lage, jene Kosten ohnehin zu kompensieren, in dem er sie als Pauschalen auf die eigenen Preise umlegt. Soweit damit die Berechtigung des vollständigen Vertrags als Lösungsinstrument der Wahl für Fragen der Geschäftsgrundlage gegen die Kritik aus den eigenen Reihen verteidigt wurde, soll schließlich gezeigt werden, wie eine Lösung mit seiner Hilfe aussehen kann und ob sie Abweichungen von bestehender Rechtsprechung zu geben vermag. 2. Lösung Zur Erinnerung: Problematisch war, ob der Omnibusunternehmer Stornogebühren von dem Bundesland ersetzt verlangen kann, das entschieden hat, dass eine Klassenfahrt in die CSSR nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl nicht durchgeführt werden dürfe. Andere Auslagen bekam er vom BGH in voller Höhe, die Stornogebühren zur Hälfte zugesprochen. Der Inhalt des Vertrags sei, so der BGH, nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage insoweit anzupassen, als dass das Risiko auf beide Seiten zu gleichen Teilen zu verteilen sei. Unter Anwendung des Effizienzkriteriums sähe eine Lösung des Falles so aus35: Der Lösung zugrunde liegen soll das Modell des vollständigen Vertrags. Es ist daher wie folgt zu prüfen: Zunächst ist freilich fraglich, ob es nicht eine explizite oder implizite Regelung des eingetretenen Risikos im Vertrag gibt. Denn wenn das der Fall wäre, wäre der Zustand, der mit dem vollständigen Vertrag simuliert werden soll, nämlich die Zuweisung eines Risikos durch die Parteien bei Vertragsschluss, ohnehin bereits existent. Aber weder eine explizite noch eine implizite Regelung des Falles ist dem Vertrag zwischen Omnibusunternehmer und Bundesland zu entnehmen. Deshalb ist anschließend nach dem cheapest cost avoider zu fragen. Der cheapest cost avoider ist, wie gesehen, derjenige, der bei Vertragsschluss das Risiko mit geringerem Aufwand vermeiden kann. Ihm wird das Risiko dann zugewiesen. Um einen cheapest cost avoider im vorliegenden Fall ausmachen zu können, hätte eine der Parteien das Risiko eines Reaktor35 Die hier dargestellte Lösung orientiert sich vorrangig am Ansatz Brockmeyers, Geschäftsgrundlage, S. 150 ff.; vgl. zu anderen Fällen der Geschäftsgrundlage die drei Beispiele bei Schäfer/Ott, S. 439 ff.

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unglücks in Tschernobyl beherrschen oder vermeiden können müssen. Natürlich war keine der Parteien in der Lage den Eintritt dieses Risikos zu vermeiden, weshalb eine Zuordnung nicht gelingt. Damit ist im nächsten Schritt zu prüfen, wer das Risiko am günstigsten hätte versichern können, wer also der cheapest insurer ist. Das Risiko eines Unfalls mit Kernenergie ist mit Reise-Rücktrittskostenversicherungen nicht versicherbar, weil Versicherer dies regelmäßig ausschließen36. Dasselbe gilt für Ertragsausfallversicherungen, die Risikosparten dieser Art ebenfalls nicht umfassen37. Es gibt also keinen cheapest insurer. Damit ist schließlich nach dem superior risk bearer zu fragen. Wer aber ist hier der überlegene Risikoträger, wer könnte also das Risiko am besten kompensieren? Unterstellte man, dass es sich um einen großen Omnibusunternehmer handelte, so könnte er der superior risk bearer sein, denn man könnte dann davon ausgehen, dass er viele Verträge abschließt und das Risiko daher streuen kann. Es wäre dann effizient, dem Omnibusunternehmer das Risiko zuzuweisen. Wichtig ist: Es würde ihm dann allein zugewiesen und nicht wie in der Entscheidung des BGH unter den Parteien aufgeteilt. Die Klage des Omnibusunternehmers wäre dann abzuweisen, dem gefundenen Urteil des BGH also zu widersprechen. Ginge man indes davon aus, dass es sich um einen kleinen Reiseveranstalter handelte, der das Risiko nicht streuen konnte, dann kann eine Zuweisung des Risikos nicht vorgenommen werden. Denn keine der Parteien könnte es dann durch Streuung einfacher kompensieren. Wem das Risiko dann zugeteilt würde, wäre gesamtgesellschaftlich gleichgültig. Der Entscheidung des BGH könnte dann sowohl zugestimmt als auch widersprochen werden.

IV. Würdigung Die zwei vorgestellten Lösungswege des Falles können zu verschiedenen Ergebnissen führen. Während einerseits der BGH eine Risikoteilung vornahm und den Anspruch des Omnibusunternehmers zur Hälfte bejahte, konnte man andererseits mit der Ökonomischen Analyse dazu kommen, den Anspruch vollkommen zu verneinen oder ihn, wie der BGH, teilweise zu bejahen. Dieses Abweichen der Ergebnisse voneinander indiziert einen Zielkonflikt zwischen den Prüfprogrammen. Welches Ergebnis mittels Öko36 Vgl. nur die Bedingungen aller großen Versicherer auf deren Internetseiten sowie Brockmeyer, Geschäftsgrundlage, S. 155. 37 Vgl. auch hier die Bedingungen der Versicherer. Die dort genannten (versicherbaren) „zusätzlichen unbenannten Gefahren“ umfassen Unfälle mit Kernenergie ebenfalls nicht.

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nomischer Analyse gefunden wurde, hing von einer Nuance im Sachverhalt ab. Für die Lösung mit dem Programm des vollständigen Vertrags wurde nämlich die Ausstattung der Parteien einbezogen. Damit konnten anders, als es bei der vom BGH gefundenen Lösung des Falles möglich wäre, die Eigenschaften der Parteien unmittelbar das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen: Ob der Unternehmer Geld bekommt oder nicht, hängt von seiner Größe ab. Ein kleines Unternehmen könnte nicht superior risk bearer sein, müsste also nicht das Risiko allein tragen und hätte damit die Chance darauf, Ersatz zu bekommen; ein großes Unternehmen gerät hingegen sehr schnell in die Position des superior risk bearer und muss nach dem ökonomischen Ansatz dann allein seiner Größe wegen auch damit rechnen, das Risiko allein zu tragen – und leer auszugehen38. Eine am starren Prinzip der Effizienz orientierte Lösung mittels des vollständigen Vertrags kann also zu abweichenden Entscheidung gleich gelagerter Fälle allein durch die Veränderungen der Parteiidentität führen; so kann etwa die Rolle des superior risk bearer von einem Fall zum anderen deshalb wechseln, weil die in allen anderen Merkmalen vergleichbare Partei im einen Fall wirtschaftlich potenter ist, als im anderen. Und das ist ein entscheidender Punkt: Der BGH würde mit seiner am Sinn des Normenprogramms orientierten Lösung trotz einer Auswechslung der Parteien zur selben Lösung kommen: Immer würde er das Risiko aufteilen. Dass nicht dasselbe Recht für alle gleich gelten soll, ist in der bisherigen Rechtspraxis deutscher Gerichte, jedenfalls bewusst, nicht möglich. Die Ökonomische Analyse ist hingegen, das zeigte die Lösung, in der Lage, sich einer Sachverhaltsänderung anzupassen, die allein die Ausstattung der Parteien betrifft. Sie findet dann mit dem starren Programm, ein effizientes Ergebnis anzustreben, divergierende Lösungen für vergleichbare Sachverhalte. Dies gilt natürlich nur, wenn man das Prädikat „vergleichbar“ auch dann an zwei Sachverhalte vergeben möchte, wenn die jeweils auf den Plan tretenden Parteien in unterschiedlichem Maße wirtschaftlich potent sind. Genau dies ist im deutschen Recht aber grundsätzlich der Fall. Anerkennt man dies, dann zeigt sich, dass das vermeintlich vereinheitlichende und vereinfachende Kriterium der Effizienz zu unterschiedlichen Lösungen gleich gelagerter Fälle und damit durchaus nicht zu einer Vereinfachung führt. Eine Abweichung von Lösungen, die der BGH gefunden hat, ist nicht nur für den vorliegenden Fall, sondern auch für jede andere denkbare Konstellation möglich. Die Klärung des Gewichts eines an Effizienz orientierten Arguments im Bereich der General38 Dem naheliegenden Einwand Trimarchis, dass es dann zu einer Schlechterstellung des Erfolgreichen kommt, ist entgegenzuhalten, dass er die Möglichkeit hat, die zur Absicherung auch nicht vorhersehbarer Risiken entstehenden Kosten zuvor auf seine Preise umzulegen, siehe soeben S. 136.

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klauseln erscheint wegen des indizierten Zielkonflikts zwischen den Prüfprogrammen damit auch aus praktischer Sicht notwendig. Neben dem für diesen Abschnitt relevanten Ergebnis, dass es von der Lösung des BGH abweichende Entscheidungen geben kann, wenn ökonomische Kriterien zugrunde gelegt werden, enthält die letzte Betrachtung aber durchaus auch bereits einen Hinweis für die Frage, ob es überhaupt möglich sein soll, mit dem Effizienzkriterium im Anwendungsbereich der Generalklauseln zu argumentieren: Oben wurde gezeigt, dass es in der Literatur überwiegend für möglich gehalten wird, insbesondere bei den Generalklauseln Folgen zu berücksichtigen39. Dies wurde als ein Merkmal der Generalklauseln identifiziert, das hier für eine Verwertung der Ergebnisse der Ökonomischen Analyse sprach, denn die Ökonomische Analyse ist folgenorientierte Argumentation. Die Berücksichtigung von Folgen im Bereich der Generalklauseln gilt, wie oben gesehen, aber nur unter der Prämisse, dass es nicht zu einer „fallweisen“ Berücksichtigung von Folgen kommt. Die Anwendung des vollständigen Vertrags läuft nun aber gerade auf eine „Maßnahme-Rechtsprechung“ oder „finale Subsumtion“ hinaus, die aber von jenen, die die Berücksichtigung von Folgen grundsätzlich für möglich halten, ausgeklammert wird. Trotzdem es also im Bereich der Generalklauseln durchaus eine Bereitschaft dafür gibt, Folgen zu berücksichtigen, verstoßen die Instrumente der Ökonomischen Analyse gegen die Bedingungen, die hierfür gesetzt werden. Ob das für den Teilbereich der Geschäftsgrundlage gefundene Ergebnis auch in anderen Bereichen bestätigt werden kann, soll an zwei weiteren Beispielen gezeigt werden.

D. § 157 BGB – Ergänzende Vertragsauslegung mittels des hypothetischen Willens der homines oeconomici? I. Abgrenzung zur Geschäftsgrundlage Die eingangs erwähnte, von vielen behauptete40, Kongruenz von Geschäftsgrundlage und ergänzender Vertragsauslegung ist äußerlich gewiss auch darin begründet, dass beide Institute – einander immer wieder überlappend – zur selben Zeit ausgeprägt wurden41. Jedenfalls findet sich eine 39

Siehe oben S. 118 ff.; dort auch mit Nachweis zu den folgenden Zitaten. Siehe nur: Nicklisch, BB 1980, S. 949 ff. 41 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157, Rn. 105 mwN v. a. aus der frühen Rechtsprechung. 40

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Übereinstimmung darin, den hypothetischen Parteiwillen zu Rate zu ziehen. Überwiegend wird heute aber ein Nebeneinander der beiden Institute angenommen, wobei bei der Art der Differenzierung unterschieden wird. Vielerorts wird von einem Rangverhältnis der Institute ausgegangen42: Insoweit, als dass sich die ergänzende Vertragsauslegung auf das Wollen der Parteien auswirkt, das Institut der Geschäftsgrundlage hingegen deren Sollen betrifft, sei die ergänzende Vertragsauslegung vorrangig, solange das Wollen noch Anhaltspunkte liefert. Das entspricht auch neuerer Rechtsprechung, die davon ausgeht, dass es Ziel der ergänzenden Vertragsauslegung ist, eine Regelungslücke des Vertrags auszufüllen, um den erkennbaren (!) Regelungsplan der Parteien durchzuführen. Die Geschäftsgrundlage greife dagegen, um Unangemessenheiten zu beheben, wenn der Regelungsplan nichts mehr hergibt43. Die Notwendigkeit eines Nachrangs der Geschäftsgrundlage resultiere außerdem aus den ihrem Ziel, nur grobe Unbilligkeiten in Form massiver Störungen der Äquivalenz zu beheben, entsprechenden gesteigerten Anforderungen an ihre Anwendung. Auf der anderen Seite wird – in freilich praktisch kaum zu Unterschieden führender Weise – qualitativ zwischen den Instituten unterschieden und ein generelles Rangverhältnis verneint44. Die ergänzende Vertragsauslegung beseitigt danach Folgen einer Grundlagenstörung, während die Geschäftsgrundlage eine Aufgabe übernimmt, die die Auslegung gar nicht zu leisten vermag: Sie schafft nämlich Regelungen, die dort, wo vereinbarte Regelungen nicht mehr sachgerecht erscheinen, Billigkeitsgesichtpunkten eher entsprechen. Im Bereich der Geschäftsgrundlage stehen gebundene Wertungen, also normierte Elemente im Vordergrund, während es bei der ergänzenden Vertragsauslegung eher um den Parteiwillen geht45. Die Klarheit einer Abgrenzung dieser Art verwischt bei Benutzung ihrer Merkmale freilich umso mehr, je stärker Wertungsgesichtspunkte in die ergänzende Vertragsauslegung einfließen. Fazit: Es sind viele Gemeinsamkeiten zu bejahen, von einer Deckungsgleichheit der Institute ist aber nicht auszugehen. Deshalb soll die ergänzende Vertragsauslegung hier auch losgelöst von der Geschäftsgrundlage besprochen werden.

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Ahrens, Geschäftsgrundlage, S. 179; Staudinger/Roth, § 157, Rn. 9. Siehe Staudinger/Roth, § 157, Rn. 9 unter Verweis auf OLG Hamm, Urteil vom 29.09.1992 – 7 U 41/92, NJW-RR 1993, S. 181 (181), das seinerseits Medicus in Bezug nimmt. 44 Busche in MüKo-BGB (5. Auflage 2006), § 157, Rn. 35. 45 Ahrens, Geschäftsgrundlage, S. 179 f. 43

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II. Probleme einer Ökonomischen Analyse Wie sich sogleich zeigen wird, ist es für den Fall der ergänzenden Vertragsauslegung aber nicht vonnöten einen Vergleich zwischen einem in der Rechtsprechung üblichen Lösungsansatz und einem ökonomischen Lösungsansatz für einen Fall zu ziehen. Die Besprechung soll deshalb auf die hierfür verantwortlichen Umstände beschränkt bleiben. Die ergänzende Vertragsauslegung ist einer der wichtigsten Anwendungsfälle der Ökonomischen Analyse des Rechts46. Das hängt mit der Ähnlichkeit der Fragen zusammen, die die Ökonomische Analyse einerseits und die Gerichte bei der Ermittlung des Parteiwillens andererseits stellen. Worin ähneln sich die Ansätze? Zweck der ergänzenden Vertragsauslegung, wie sie die Gerichte vornehmen, ist es, Lücken im Vertrag zu schließen47. Genau das ist es auch, was mittels des Modells des vollständigen Vertrags durch Ökonomische Analyse passiert. Zur Lückenfüllung im Rahmen des § 157 wird der hypothetische Vertrags- (oder Partei-)wille ermittelt48. Diese Ergänzung dient „der Verwirklichung der beiderseits anerkannten und verfolgten Zwecke“49. Beiderseits anerkannt und verfolgt, dahinter verbirgt sich, dass der Zweck in das Bewusstsein der Parteien vorgedrungen, für richtig befunden und für angestrebt erklärt worden sein muss. Er darf weder abgeändert noch erweitert werden50. Vielmehr kann nur eine Ergänzung des Inhalts insoweit erfolgen, als es für die Durchführung und Aufrechterhaltung des Vertragszwecks notwendig ist. Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte sind als objektives Kriterium neben dem Willen der Parteien anzuwenden, denn nur der Vertragsinhalt und eben nicht der Vertragswille soll ergänzt werden. Ausschließlich objektive Maßstäbe heranzuziehen und den Vertrag abzuändern ist gerade wegen der Notwendigkeit den subjektiven Maßstab einzubeziehen nicht möglich. Die Parteien haben, soweit sie nicht etwa eine sittenwidrige Vereinbarung treffen, ja die Möglichkeit, das zu regeln, was sie regeln wollen51. Wollte man im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung das Modell des vollständigen Vertrags anwenden, so würde man versuchen zu ermitteln, worauf sich die Parteien bei Kenntnis aller Umstände geeinigt hätten. Soweit es um die Kenntnis aller Umstände geht, wird den Parteien damit ein 46 47 48 49 50 51

Siehe zum Abschnitt nur: Eidenmüller, S. 456. Palandt-Ellenberger, § 157, Rn. 2. BGH, Urteil vom 14.10.1977 – V ZR 253/74, NJW 1978, S. 695 (695) mwN. BGH, Urteil vom 14.10.1977 – V ZR 253/74, NJW 1978, S. 695 (696). BGH, Urteil vom 22.4.1953 – II ZR 143/52, NJW 1953, S. 937 (937). BGH, Urteil vom 22.4.1953 – II ZR 143/52, NJW 1953, S. 937 (937 f.).

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

Wissen angedichtet, das sie tatsächlich nicht hatten. Wie Eidenmüller zu Recht hervorgehoben hat52, geht es der Ökonomischen Analyse also nicht um die Parteien des konkreten, infrage stehenden Falles. Abstellend auf den Willen von über das entsprechende Risiko voll informierten Parteien in einer idealen Welt, verlässt der den Vertrag so Beurteilende nämlich diejenigen, um die es tatsächlich geht: Die tatsächlichen Parteien. Um den Willen eine effiziente Regelung finden zu wollen ergänzt, sind die Parteien, die die Vertreter der Ökonomischen Analyse beobachten, homines oeconomici. Es werden also Parteien betrachtet, denen ein effizientes Ergebnis als Zweck des Vertrags unterstellt wird, auch wenn sie diesen Zweck weder im Auge hatten noch verfolgen wollten. Damit wird das neben dem objektiven Element von Treu und Glauben stehende subjektive Element aber ausgeschaltet. Denn wenn der Wille der Parteien durch das Effizienzkriterium ersetzt wird, wird er gleichsam objektiviert. Hierin liegt der Grund, warum an dieser Stelle die Besprechung des § 157 nicht weiter zu verfolgen ist, obwohl sich aus dem zuletzt Gesagten abzeichnet, dass abweichende Ergebnisse zwischen der üblichen Anwendung des § 157 und der Anwendung unter dem Gesichtspunkt der Effizienz naheliegend sind. Der Grund für die abweichenden Ergebnisse liegt im Bereich des § 157 nicht allein in der Ausfüllung von Treu und Glauben mittels des Effizienzkriteriums. Er ist vielmehr auch darin zu erkennen, dass über die Anwendung der Ökonomischen Analyse das neben Treu und Glauben stehende subjektive Element der ergänzenden Vertragsauslegung ausgeblendet wird. Damit, einen Gegenstand, den die Norm berücksichtigt lassen will, außer Acht zu lassen, ist ein Anwendungsprinzip der Norm verletzt, dass gewissermaßen der inhaltlichen Ausfüllung ihrer Bestandteile (Wille [subjektiv] und Treu und Glauben [objektiv]) vorgelagert ist. Die Abweichung der Ergebnisse ist damit bereits hier, bei der Bereitschaft der Außerachtlassung einer ihrer Anforderungen, und nicht erst in der konkreten Ausfüllung von Treu und Glauben zu verorten. Die Folge entspricht gleichsam dem Ziel dieses Abschnitts: Es kann festgehalten werden, dass es auch im Bereich der ergänzenden Vertragsauslegung Klärungsbedarf dafür gibt, ob und mit welcher Legitimation das Effizienzprinzip Einfluss haben darf.

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Eidenmüller, S. 457 mwN zur englischsprachigen Kritik an diesem Punkt.

E. § 307 Abs. 1, S. 1 BGB

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E. § 307 Abs. 1, S. 1 BGB – Angemessenheit durch Effizienz? Auch im Bereich der Generalklausel des AGB-Rechts sind erhebliche Abweichungen von den Ergebnissen des BGH möglich, die das Vorliegen eines Zielkonfliktes zu einer an Effizienz orientierten Lösung indizieren.

I. Sachverhalt Dem Urteil des BGH vom 2. 7. 1973 lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem es um eine AGB-Klausel ging, die aus Sicht des BGH mit den Geboten von Treu und Glauben konform ging, die aber, wie gleich zu zeigen sein wird, durchaus nicht den Kriterien der Effizienz entsprach53. Der Befrachter, eine Exportgesellschaft, beauftragte den Frachtführer damit, eine Ladung Steinsalz zu transportieren. Nach der Verladung gelangte Wasser in den Laderaum, weil das Schiff auf nicht geklärte Art und Weise Grundberührung hatte. Ein Teil der Ladung wurde beschädigt und es ging schließlich um die Frage, ob eine ihn von der Haftung frei zeichnende Klausel des Frachtführers wirksam sein konnte.

II. Lösungsansatz des BGH Der BGH bestätigte in seiner Lösung die Wirksamkeit der Freizeichnungsklausel. Der Ausschluss der Haftung, wie er gemäß § 276 Abs. 354 abgesehen von Vorsatz grundsätzlich möglich ist, ist dann beschränkt, wenn er gegen Treu und Glauben verstößt. Um einen solchen Fall handelte es sich etwa, so der BGH in Bezug auf ein früheres Urteil weiter, wenn die Haftung für die Fahr- und Ladungstüchtigkeit des Schiffes bei Antritt der Reise ausgeschlossen wird55. Ein solcher Ausschluss betrifft nämlich Fragen, die für die Erfüllung des Vertrages Voraussetzung sind und die der Auftraggeber „als selbstverständlich voraussetzt“. Sich von solchen Pflichten frei zu zeichnen, „verstößt aber grundsätzlich gegen Treu und Glauben“56. Aber genau dies ist bei dem Gegenstand der infrage stehenden Aus53 BGH, Urteil vom 2.7.1973 – II ZR 125/71, NJW 1973, 2107 ff., Der Sachverhalt ist vereinfacht wiedergegeben. 54 In der Fassung zum Zeitpunkt der Entscheidung: § 276 Abs. 2. 55 Dazu: BGH, Urteil vom 29.1.1968 – II ZR 18/65, NJW 1968, S. 1567; BGH, Urteil vom 25.6.1973 – II ZR 72/71, NJW 1973, S. 1878. 56 So der BGH im in der hier besprochenen Entscheidung zitierten Urteil vom 25.6.1973 – II ZR 72/71, NJW 1973, S. 1878 (1878).

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

schlussklausel nicht der Fall. Die Grundberührung ist eine Nachlässigkeit, die stets eintreten kann und mit der die Beteiligten durchaus sogar rechneten. Der Ausschluss solcher Umstände ist daher wirksam.

III. Lösung mittels Effizienzkriterium Das hier zugrunde gelegte und das zur Abgrenzung herangezogene Urteil des BGH waren beide auch Gegenstand einer Besprechung von Kötz. Diese Besprechung nachzuvollziehen, eignet sich nicht nur zur Bestätigung der hier aufgestellten These davon, dass die Anwendung des Effizienzkriteriums zwangsläufig zu Abweichungen von der bisherigen Rechtssprechung führen muss und daher ein Legitimationsbedürfnis für seine Anwendung besteht. Sie deckt darüber hinaus auch einige Schwächen der Ökonomischen Analyse auf. 1. Vorbemerkung – Zur Effizienz von AGB (Auch) Im Bereich der ökonomischen Analyse von AGB hat sich Kötz besonders hervorgetan. Dabei geht es ihm zunächst darum, zu zeigen, dass sich die Vertragsfreiheit nicht nur aus der Freiheit des Einzelnen zur Gestaltung seiner Verhältnisse, wie sie üblicherweise angeführt wird, begründen lässt57. Es spreche auch aus der Sicht der Utilitaristen einiges für sie: Die Möglichkeit, mittels Vertrag zu einem freien Austausch zu gelangen, bringt es mit sich, dass die Beteiligten höchstmögliche Befriedigung ihrer Bedürfnisse erfahren. Ausgehend von der schon mehrmals angedeuteten Grundannahme58, dass die vorhandenen Ressourcen knapp sind, kommt es durch den mit der Vertragsfreiheit gesicherten freien Austausch der Dinge und Rechte hin zu demjenigen, der dem jeweiligen Gegenstand einen höheren Wert beimisst, zu einer ständigen Steigerung des gesellschaftlichen Reichtums. Aber auch die Ökonomie kenne, so Kötz, Grenzen der Vertragsfreiheit. Sie finden sich dort, wo eine wohlfahrtssteigernde Wirkung nicht erreicht wird. Kötz beschreibt die ökonomische Begründung von gesetzlichen Regelungen zur Ungültigkeit von AGB-Klauseln so: Zunächst arbeitet er, wie viele andere, denen es um die ökonomische Analyse eines Instituts geht, die Schwächen der herrschenden Lehre heraus. Die herrschende Lehre sehe, so Kötz, den rechtspolitischen Grund der AGB-Kontrolle noch immer im Schutz der (verhandlungs-)schwächeren Partei, also vor allem der Verbrau57 58

Kötz in Jus 2003, S. 209. Natrop, Mikroökonomie, S. 5; Schäfer/Ott, S. 1.

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cher. Dies sei heute nicht mehr haltbar in Anbetracht der Tatsache, dass viele der den gesetzlichen Regelungen vorangegangenen Entscheidungen über AGB aus Streitigkeiten zwischen Unternehmern hervorgingen, und dem Umstand, dass auch die für AGB zwischen Unternehmern eigentlich gemäß § 310 nicht geltenden Regelungen der §§ 308, 309 de facto doch auch dort Auswirkungen hätten59. Gleichsam deutet Kötz an, dass der Grund dafür, dass Kunden AGB nicht diskutieren und ggf. zu ändern wünschen, nicht in der regelmäßig angeführten Unterlegenheit intellektueller Art oder marktmäßiger Macht, sondern eher in anderen Ursachen zu finden sei. Das Ziel, die von der herrschenden Lehre beschriebenen Nachteile des Kunden auszugleichen, müsse also fehlgehen. Kötz behauptet, dass die Hinnahme von AGB durch Kunden damit zu begründen sei, dass sich die Übernahme der mit Verhandlungen, Suche nach Alternativen und anderen Umständen verbundenen Mühen schlicht nicht lohnt60. Das aus bestimmten AGB folgende – gleich noch zu besprechende – Marktversagen finde seinen Grund also „nicht in der monopolistischen Struktur der Verwenderseite, sondern in den prohibitiv hohen Transaktionskosten auf der Kundenseite“61. Adams formuliert das so: „Da einer kontinuierlichen Aufwand-(Kosten-)steigerung beim Versuch zu einem Verständnis der AGB zu gelangen, kein kontinuierlicher Ertrag (Verständnis) gegenübersteht, besteht die kostenminimale Lösung des Kontrollproblems von AGB für den Kunden (. . .) darin, keine Kosten aufzuwenden und ein Verständnis der AGB erst gar nicht zu versuchen.“62

Relevant für die Entstehung eines Marktversagens ist eine zwischen den Parteien bestehende Informationsasymmetrie. Damit gemeint ist der Zustand einer ungleichen Verteilung der Informationen, die für die Parteien für den Vertragsschluss relevant sind. Dieses unterschiedliche Maß an Informationen ist bei der Qualität von AGB von Bedeutung63. Banken, so das Beispiel von Kötz, könnten etwa ermitteln, welche Informationen von Kunden beachtet werden und welche nicht. Aus den gewonnen Daten könnten sie die für Kunden relevanten Daten wie die Höhe der Zinsen hervorheben, besonders anpreisen, ja, um beim Beispiel der Zinsen zu bleiben, sogar erhöhen. Im Gegenzug könnten dann andere, von Kun59 Kötz in Jus 2003, S. 210; vor ihm so auch schon: Adams, Ökonomische Analyse des AGB-Gesetzes, S. 661; im Ergebnis ebenso: Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 104. 60 Kötz in Jus 2003, S. 211; siehe zuvor schon: derselbe, Zur Effizienz von Haftungsausschlussklauseln, S. 191. 61 Kötz, Zur Effizienz von Haftungsausschlussklauseln, S. 192. 62 Adams, Ökonomische Analyse des AGB-Gesetzes, S. 661. 63 Kötz in Jus 2003, S. 213.

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den bei Vertragsschluss nicht wahrgenommene Umstände, wie etwa Risiken, komplett auf diese abgeschoben werden. Andere Banken zögen nach, denn der Wettbewerber würde sie sonst abhängen. Das Resultat sei ein „race to the bottom“ zwischen AGB, die Risiken immer mehr auf Kunden abwälzen64. Das so bei Kötz beschriebene Szenario entspricht dem in der ökonomischen Theorie oft zitierten Modell des Market for Lemons, wie ihn Akerlof in seinem gleichnamigen Aufsatz beschrieben hat65. Stark vereinfacht gesagt, geht es hierbei darum, dass sich ein schlechteres Produkt (die sauere Zitrone) dann am Markt durchsetzt, wenn seine Konsumenten keine Möglichkeit haben, das, was es schlecht macht, zu erkennen. Genau dies aber ist bei dem Umfang von AGB durch die hohen, nicht allein mit ihrer Lektüre, sondern auch dem Vergleich zu anderen AGB verbundenen Kosten der Fall. Weil die Margen desjenigen Anbieters, der eine geringere Qualität anbietet (oder umgemünzt auf AGB: der mehr Risiken abwälzt), höher sind, werden ihm die anderen Marktteilnehmer folgen und am Ende am ganzen Markt nur AGB vorhanden sein, die alle Risiken auf die Kunden verteilen. Hierin liegt das Marktversagen. Versagen deshalb, weil Risiken auch dann auf die Käufer (Bankbeispiel: Kreditnehmer) abgewälzt werden, wenn sie von dem anderen Teil zu geringeren Kosten getragen hätten werden können. Und genau das sei nun der Grund, aus dem eine Qualitätsschwelle wie Treu und Glauben (§ 307), wie sie von AGB eingehalten werden muss, auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist66. Hinzu kommt, dass die Verwendung von AGB natürlich auch Verhandlungskosten einspart67. Kötz versuchte ökonomische Kriterien zu ermitteln, mit denen sich gültige von ungültigen Freizeichnungsklauseln unterscheiden lassen. Der Begriff von Treu und Glauben oder das Verbot einer AGB-Klausel sei nach diesen Kriterien wie folgt inhaltlich auszufüllen: Es komme darauf an, ob die Klausel zum Nachteil des Kunden von einer Regelung abweicht, die er in einer Welt ohne Transaktionskosten ausgehandelt hätte68. Sei dies der Fall, habe sich der Kunde ihr nur wegen der zu 64 Vgl. zu dem Problem, schlecht beobachtbare Risiken in AGB dem Käufer aufzubürden: Schäfer/Ott, S. 344. 65 Akerlof, The Market for Lemons, Quarterly Journal of Economics, Bd. 84, S. 488–500. 66 Kötz in Jus 2003, S. 213; der Begriff der Qualitätsschwelle ist dabei durchaus im Wortsinne zu nehmen und AGB als Produkt, das sich, wenn es besser ist, durchsetzt und das, wenn es schlechter ist, vom Markt verdrängt wird, zu verstehen, vgl.: Adams, Ökonomische Analyse des AGB-Gesetzes, S. 664; Schäfer/Ott, S. 513 f. 67 Kötz, Zur Effizienz von Haftungsausschlussklauseln, S. 193; dazu auch: Schäfer/Ott, S. 426. 68 Kötz in Jus 2003, S. 213 f.

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hohen Verhandlungskosten unterworfen und die Klausel wäre ungültig. Die Welt ohne Transaktionskosten ist deshalb das Maß, weil rationale Parteien dort zu ihrem eigenen Vorteil ein Risiko so verteilen würden, wie es für sie (und die Gesellschaft) am kostengünstigsten wäre. Wäre dies nicht möglich, käme es wieder darauf an, wer das Risiko günstiger versichern könnte. Eine AGB-Klausel, die von dem hiernach gefundenen Ergebnis abwiche, wäre unangemessen und damit dann, wenn man Treu und Glauben mit dem Effizienzprinzip konkretisierte, gemäß § 307 Abs. 1 unwirksam. Die gefundenen Kriterien stellte Kötz auch in einen Vergleich mit der gerichtlichen Praxis. Kötz’ Vergleich zwischen den von der Rechtsprechung gefundenen Lösungen des oben angesprochenen Falls mit den durch eine ökonomische Analyse ermittelten Ergebnissen ergab eine Übereinstimmung. Eine durch AGB laut BGH unwirksam ausgeschlossene „Kardinalpflicht“ (das sind jedenfalls die Hauptpflichten aber durchaus auch weitere, nämlich vertragswesentliche Pflichten69) etwa war auch eine solche, die aus ökonomischer Sicht dem Verwender aufgebürdet hätte werden müssen; der Ausschluss war demnach aus beiden Blickwinkeln gleichermaßen unwirksam. Für diese Arbeit bietet sich das Beispiel damit insoweit besonders an, als dass das genaue Gegenteil, nämlich ein Abweichen im Ergebnis nachgewiesen werden soll. Als „nicht gerade eine Patentlösung“ kritisiert Seidl dieses Konzept Kötz’, den tatsächlich zu entscheidenden Fall mit dem Idealfall der Welt ohne Transaktionskosten abzugleichen70. Denn in der Welt, in der keine Transaktionskosten zu zahlen wären, könne es nur dann nicht zu Problemen kommen, wenn alle Käufer die gleichen Eigenschaften hätten. Als Beispiel für dieses Problem nennt Seidl den Fall, dass ein Verkäufer ein Risiko zu einem geringeren Preis verhindern könnte als alle insoweit infrage kommenden Käufer. Er schlüge die Kosten der Verhinderung auf den Preis auf und übernähme in den (freilich wirksamen) AGB die Haftung. Nähme man indes, so Seidl weiter, an, es gäbe zwei Typen von Käufern, von denen einer das Risiko teurer und der andere günstiger verhindern könnte, als der Verkäufer, dann wäre eine allgemeine Aussage über Inhalt und Wirksamkeit einer Haftungsausschlussklausel in AGB nicht mehr so eindeutig möglich: Es müsste dann nämlich zwei verschiedene Vertragstypen am Markt geben. Einen, in dem der Verkäufer das Risiko trägt (wie im Ausgangsfall dann, wenn er das Risiko günstiger verhindern kann als der Käufer und der Käufer mit dem Aufschlag des Verkäufers für die Übernahme immer noch weniger bezahlt, 69

Vgl. zum Begriff: Kieninger in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 307, Rn. 65 ff. sowie ebenda § 309 Nr. 7 Rn. 26. 70 Seidl in Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 204 f. (Kommentar des davor im selben Werk abgedruckten Beitrags von Kötz).

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als ohne den Aufschlag und eigene Übernahme des Risikos) und einen, in dem der Verkäufer seine Haftung ausschließt, seinen Preis entsprechend verringert und der Käufer das Risiko zu den bei ihm anfallenden geringeren Kosten übernimmt. Weil der eine Typ Käufer diesen, der andere Typ jenen Vertrag in der idealisierten Welt mit dem Verkäufer abschließen würde, sei, so Seidl, mit dem Lösungsansatz Kötz’ unklar, welches der beiden Szenarien als Maßstab für die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Haftungsausschlusses in einem tatsächlichen Fall gelten soll. Eine entsprechende Klausel könnte sowohl wirksam als auch unwirksam sein. Diese Kritik hat weder bei Kötz noch etwa bei Schäfer/Ott Beachtung gefunden. Das mag damit zu tun haben, dass gerade der Punkt, den Seidls Kritik bemängelt, nämlich nur ein Paar von Vertragspartnern und nicht alle vorstellbaren zu beobachten, gerade die etablierte Herangehensweise einer Benutzung des vollständigen Vertrags darstellt71. Nur die Möglichkeiten der Parteien, um die es auch im zu entscheidenden Fall geht, die also der konkrete Sachverhalt hergibt, werden den homines oeconomici, die in der Welt ohne Transaktionskosten beobachtet werden und deren Entscheidung dann Entscheidungsgrundlage für die tatsächliche Welt sein soll, zugrunde gelegt. Zu dem Problem verschieden ausgestatteter Parteitypen kommt es dann nicht. Auch Schäfer/Ott erkennen in ihrem Lehrbuch „gute“ AGB-Klauseln als solche, die im Kötz’schen Sinne dem vollständigen Vertrag zwischen Verwender und Kunden entsprechen72. Sie sind effizient im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums73. Nur noch einmal erwähnt werden, soll schließlich ein weiterer Aspekt, der oben bereits angesprochen wurde und der ebenfalls Zweifel an der Ausfüllung einer Angemessenheitskontrolle mittels Effizienzerwägungen weckt74. Gemeint ist die Unterscheidung zwischen dem Vertrauendürfen und dem Vertrauenmüssen im Bereich von AGB. Beides findet Raum im Bereich von Treu und Glauben; nur letzteres ist aber vom Ansatz einer ökonomischen Analyse erfasst: Der Klauselgegner ist gezwungen, auf die Angemessenheit der AGB zu vertrauen, weil die Kosten, die durch die Überprüfung entstehen, wesentlich über dem zu erwartenden Nutzen durch die Erkenntnis liegen. Dieser ökonomische Zwang zu vertrauen steht aber innerhalb des auf dem Vertrauensprinzip fußenden Grundsatzes von Treu und Glauben hinter dem Vertrauendürfen zurück: Der Grundsatz von Treu und Glauben würdigt, in dem er die Interessen der Parteien zueinander ins Verhältnis setzt, die Beziehung zwischen ihnen, wie sie vor und während der 71 72 73 74

Schäfer/Ott, S. 513 ff. Schäfer/Ott, S. 514. Siehe dazu oben: S. 24 ff. Siehe dazu oben: S. 70 ff.

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Begründung des Vertrags entstehen. Dass die Parteien einander vertrauen dürfen, resultiert, ohne dass diese Aspekte in eine bewusste Abwägung einfließen, aus den Umständen vor und während des Vertragsschlusses und daraus, wie sich die Parteien in diesem Zeitraum gegenüber einander verhalten. Die Folge dieser Differenzierung ist freilich, dass derjenige, der eine Angemessenheitskontrolle durchführt, sich nicht allein auf das Effizienzprinzip stützen darf75; eine Anforderung, die von den Ökonomen, wie gleich zu sehen ist, freilich nicht eingehalten wird. 2. Lösung Die Kernfrage des oben genannten Falles lautete: Ist eine Klausel wirksam, die den Frachtführer freiwerden lässt von der Haftung für Schäden an der Ware, die die Besatzung zu verantworten hat? Der BGH bejahte dies, denn eine Kardinalpflicht wurde nicht verletzt. Auch Kötz kam zur Wirksamkeit der AGB: In der idealen Welt wäre das Risiko, dass der Ladung während der Reise durch Fehler der Schiffbesatzung Schäden zugefügt werden, nicht dem Befrachter zugeordnet worden. Der könne es nämlich nicht abwenden. Gleiches gelte aber, laut Kötz, auch für den Frachtführer, denn seine Möglichkeiten seien ebenfalls begrenzt. Bestenauslese bei der Einstellung, Schulungen und Drohung mit Kündigung könnten Fehler der Besatzung nicht vollkommen verhindern. Es sei deshalb nach dem cheapest insurer zu fragen. Der könne, so Kötz, aber nicht der Frachtführer, sondern nur der Befrachter sein. Denn schließlich kenne nur er die Fracht, die geladen werden soll, genau genug, und wisse insoweit auch allein um den optimalen Versicherungsschutz. Das Risiko, dass der Ladung durch Fehler der Schiffsbesatzung Schäden zugefügt werden, sei also nicht dem Frachtführer, um dessen Mannschaft es geht, sondern dem Befrachter zuzuweisen. Auf der ersten Stufe der Prüfung eine Zuordnung des cheapest risk avoider nicht vornehmen zu können, ist zwar noch ohne weiteres einsichtig. Anders verhält es sich aber auf der Stufe des cheapest insurer. Die dort gefundene Zuordnung ist einiger Kritik zugänglich: Dafür, den Befrachter das Risiko versichern zu lassen spräche nach Kötz, dass seine Transportversicherung die geringsten Kosten verursachte; geringer jedenfalls als eine Haftpflicht- und eine Transportversicherung, die der Frachtführer abschließen müsste. Denn eben nur der Befrachter wisse genau, welcher Art und welchen Wertes die Waren wären und könne deshalb die maßvollste Versicherung beschaffen. 75

Siehe zu den weiteren Anforderungen unten: S. 177 ff.

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Dabei fällt zunächst die enorme Abhängigkeit der Entscheidung von Informationen zum praktischen Fall auf, wie sie wegen ihrer vielen Unwägbarkeiten oft an der Ergebnisfindung der Ökonomischen Analyse kritisiert wird. Ergebnisse können, so die sich regelmäßig einstellende Kritik, nicht vorhersehbarer und damit vor allem aber auch nicht sicherer gefunden werden, als mit juristischer Methode. Ein Beispielfall für diese Kritik liegt auch hier vor. Kötz konnte den Gleichlauf einer Ökomischen Analyse mit der Rechtsprechung des BGH in diesem Fall nur deshalb bejahen, weil seine Lösung bestimmte Informationen aussparte: Unbeachtet bleibt in der Argumentation nämlich, dass der Frachtführer ohnehin längst versichert sein wird – unabhängig davon, ob er die Waren dieses einen Befrachters transportiert oder nicht. Frachtführer in der Binnenschifffahrt sind üblicherweise mit einer Flusskaskoversicherung ausgestattet. Diese umfasst eigene Schäden. Zum Zwecke der Absicherung gegenüber Ladungsschäden und weiteren Schäden anderer werden daher überwiegend sogenannte P&I-Versicherungen (protection & indemnity) eingerichtet. Diese decken die Haftung des Frachtführers weitgehend ab. Der Knackpunkt für den hier angeführten Fall besteht damit hierin: Die P&I-Versicherungen werden für bestimmte Zeiträume (üblicherweise jährlich) abgeschlossen und pauschal berechnet. Ob transportiert wird und was transportiert wird, spielt dann für den Versicherungsschutz keine Rolle mehr. Dass der Befrachter seine Waren genau kennt und eine maßgeschneiderte Versicherung besorgen könnte, ist dann unerheblich. Mit einer P&I-Versicherung des Frachtführers entfällt auch ein weiteres Argument für die Haftung des Befrachters: Laut Kötz spräche für letztere nämlich auch, dass die Feststellung des Versicherungsfalls bei einer Transportversicherung des Befrachters viel geringere Kosten verursache, als die Klärung der Frage, ob der Haftpflichtversicherer des Frachtführers haftet. Ebendiese Prüfung der Haftpflichtfrage ist aber von einer P&I-Versicherung regelmäßig bereits umfasst. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass eine vom Befrachter abgeschlossene Versicherung keinen höheren, in einer Gesamtbetrachtung aber vor allem keinen günstigeren Schutz gewähren könnte. Cheapest insurer kann unter diesen Umständen also nur der Frachtführer und nicht der Befrachter sein. Dem BGH wäre dann (anders als bei Kötz) nach einer ökonomischen Analyse des Falls zu widersprechen, die Ergebnisse fielen auseinander. Wollte man mit dieser Argumentation aber die Rolle des cheapest insurers doch nicht schon dem Frachtführer zuschieben, sondern sich wenigstens auf eine Ungewissheit einigen, so ginge es auf der dritten Stufe schließlich um die Frage des superior risk bearer. Da es, das sei noch einmal klar herausgestellt, um nichts anderes, als die Zuweisung des Risikos, dass die Mitarbeiter des Frachtführers Schäden verursachen, geht, wird sich

F. Zwischenergebnis

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dann aber auch nichts mehr am hier gefundenen Ergebnis ändern: Im Sinne einer Streuung des Risikos, wie sie schon beschrieben wurde, ist aufgrund der Vielzahl an ähnlichen Verträgen, die der Frachtführer abschließt, das Risiko eben viel eher ihm als dem Befrachter zuzumuten. Damit zeigt sich auch für den Bereich von AGB, dass ein nach Effizienzkriterien ermitteltes Ergebnis von bisher gefundenen Lösungen des BGH abweicht.

IV. Würdigung Dass Kötz widersprochen wurde, hatte damit zu tun, dass dem Fall weitergehende Informationen zugrunde gelegt werden konnten, als in seiner Lösung. Was ergibt sich daraus? Zunächst einmal fiele einem objektiven Leser nach der Lektüre der hier vorliegenden und der Lösung Kötz’ auf, dass beide in eine bestimmte Richtung tendieren wollen. Das geschieht hier, um ein Problembewusstsein zu schaffen, indem gezeigt wird, dass es Unterschiede zwischen den mit herkömmlicher Methode gefundenen Ergebnissen und denen der Ökonomischen Analyse des Rechts geben kann. Kötz war es wichtig, das Gegenteil, nämlich Kohärenz im Ergebnis, zu belegen, um nachzuweisen, dass die Ökonomische Analyse zur Entscheidungsbegründung taugt. Zu diesen Zwecken hat sich dort der eingeschränkte, hier der weitergehende Umgang mit Informationen als hilfreich erwiesen und damit aber eine Schwäche der Ökonomischen Analyse bestätigt: Die erhebliche Abhängigkeit ihrer Ergebnisse von der Informationslage. Folgt man aber dem hier für vorzugswürdig gehaltenen Weg, auch die die Versicherbarkeit des Frachtführers betreffenden Informationen einer Falllösung zugrunde zu legen, kann das Ergebnis nicht mehr mit dem des BGH übereinstimmen. Dies vermag nur eine Lösung, die bestimmte Informationen außen vor hält.

F. Zwischenergebnis Das hier verfolgte Ziel, zu verdeutlichen, dass Abweichungen zu einem auf Treu und Glauben beruhenden Ergebnis entstehen und somit ein Zielkonflikt indiziert ist, ist auch mit der Besprechung der zweiten Entscheidung erreicht. Es konnte auch, wie zuvor im Bereich der Störung der Geschäftsgrundlage76, gezeigt werden, dass die Annahme falsch ist, dass Entscheidung, die anhand des Effizienzkriteriums getroffen werden, mit der Rechtsprechung überein stimmen77. Die Annahme eines Zielkonflikts leidet, wie die gebrach76 77

Siehe oben S. 130 ff. Vgl. dazu: Eidenmüller, S. 471 ff.

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ten Beispiele bereits zeigen, auch nicht darunter, dass bei entsprechenden Sachverhaltskonstellationen die Ergebnisse übereinstimmen können. Es wurde auch noch einmal deutlich, wie sehr eine Lösung anhand des Effizienzkriteriums auf die zur Verfügung stehenden Informationen angewiesen ist und wie schnell sich aus einem Wechsel der Informationslage (etwa: Berücksichtigung einer P&I-Versicherung) das Ergebnis in sein Gegenteil verkehren kann. Das lässt freilich den Schluss auf eine gewisse Beliebigkeit des Ergebnisses zu und führt damit die Anhänger der Ökonomischen Analyse selbst in einen Zustand von Unsicherheit und Unwägbarkeit, den sie an der Entscheidungsfindung im Rahmen der Generalklauseln bemängeln. Dies und dass ein effizientes Ergebnis bisher gefundenen Ergebnissen widersprechen kann, stellt für den Richter, der seine Entscheidung auf das Effizienzkriterium stützen will, vor die Herausforderung, diesen Lösungsweg zu legitimieren. Die Legitimation kann sich aber nur daraus ergeben, dass die Entscheidung, was eine weitere Prüfung des Richters erforderlich macht, mit den Wertungen der jeweiligen Generalklausel übereinstimmt.

G. Der vollständige Vertrag in der Rechtsprechung des BGH I. Vorbemerkung Einen Zielkonflikt anzunehmen, also zu behaupten, dass zwischen dem Ziel, ein effizientes Ergebnis erreichen zu wollen und dem Ziel, die Entscheidung auf Treu und Glauben stützen zu wollen ein Konflikt besteht, wäre dann relativiert, wenn es Anhaltspunkte dafür gebe, dass Effizienz ein Teil des Rechts geworden ist. Ein Anzeichen hierfür wäre im durch die Rechtsprechung geprägten Bereich der Generalklauseln darin zu sehen, dass die Richter ihre Entscheidungen bewusst auf das Effizienzkriterium stützen wollen und ihnen dies auch gelingt. Dass dies nicht flächendeckend der Fall ist, ist augenscheinlich. Eindeutig verneint werden kann, wie gleich zu zeigen sein wird, das Aufkommen von eindeutigen Effizienzerwägungen in der Rechtsprechung mittlerweile aber auch von den Gegnern der Ökonomischen Analyse nicht mehr. Ein sich etablierendes richterliches Rechtsprinzip der Effizienz78, wie es bei der bewussten Ausrichtung von Entscheidungen am Effizienzprinzip zu bejahen wäre, sollte gerade im Bereich der sich wandelnden Wertungen gegenüber öffnenden Generalklauseln Berücksichtigung finden. 78

Siehe dazu: Eidenmüller, S. 471 ff.

G. Der vollständige Vertrag in der Rechtsprechung des BGH

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In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Gerichtsentscheidungen des BGH den Falllösungen der Vertreter der Ökonomischen Analyse des Rechts gegenüber gestellt. Vielen Gerichtsentscheidungen wird aber, freilich von Seiten der Vertreter der Ökonomischen Analyse des Rechts, unterstellt, sie bemühten sich längst des ökonomischen Instrumentariums. Der cheapest cost avoider sei es etwa gewesen, so Kieninger79, der bei der Bejahung der Wirksamkeit einer Klausel eine Rolle spielte, nach der ein Krankenhaus seine Haftung für abhanden gekommene Gegenstände der Patienten ausschloss. Letztere könnten die Verwirklichung des Risikos nämlich einfacher verhindern80, die Klausel verstieße also nicht gegen Treu und Glauben. Die Sprache der Ökonomie wird in dieser Entscheidung nicht verwendet. Vielmehr ist von Angemessenheit und Unangemessenheit die Rede. Ob also ökonomische Erwägungen der Entscheidung zugrunde lagen, bleibt Glaubensfrage. Anders verhielt es sich hingegen in einem Fall, in dem der BGH über die Wirksamkeit eines umfassenden Haftungsausschlusses einer Seeschiffswerft auch für solche Schäden, die durch schwerwiegende Nachlässigkeiten und Versehen der dort tätigen Hilfskräfte verursacht wurden, zu entscheiden hatte81. Ein solcher Ausschluss sei aufgrund der Besonderheiten in diesem Bereich wirksam und entspreche den Geboten von Treu und Glauben. Die Besonderheiten seien darin zu erkennen, dass eine Risikobeherrschung auch durch die an Bord befindlichen Mannschaften der Schiffe möglich ist (Idee des cheapest cost avoider) und die Schiffe ohnehin gegen Schäden versichert sind. Dem Werfteigner entstehende Kosten würden auf die Preise umgelegt und insgesamt höhere Kosten entstehen (Idee des superior risk bearer). Ähnlich gelagert war ein Fall, den der BGH am 29.09.1960 entschied82. Hier ging es um die Frage, ob es den Geboten von Treu und Glauben widerspräche, wenn das einen Hafen bewachende Unternehmen seine Haftung für Schäden an den dort liegenden Schiffen – einem Ausschluss gleichkommend – auf nur DM 300 beschränkt. Der BGH verneinte einen Verstoß gegen Treu und Glauben mit dem Argument, dass die Schiffe durch die Eigner ohnehin versichert sind, jedenfalls aber einfacher versichert werden könnten und durch eine Versicherung des Bewachungsunternehmens lediglich zusätzliche Kosten entstünden. 79

Kieninger in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 307, Rn. 46. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.1987 – 6 U 100/87, NJW-RR 1988, S. 884 (887). 81 BGH, Urteil vom 03.03.1988 – X ZR 54/86, NJW 1988, 1785 (1787 ff.). 82 BGH, Urteil vom 29.09.1960 – II ZR 25/59, NJW 1961, S. 212 (213). 80

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

Die hier knapp dargestellten Entscheidungen bringen vor allem eines: relative Unsicherheit. Stets zeigt sich, dass die einmal behauptete Findung einer Entscheidung mit den Werkzeugen der Ökonomischen Analyse erst durch genaue Lektüre der Entscheidung verifiziert werden kann. Diese Lektüre kann, auch wenn die hier gegebenen Beispiele anders stimmen, nicht selten zu dem Ergebnis füshren, dass ein vordergründig an der Effizienz orientierter Entscheidungsmaßstab dann doch ein ganz anderer ist. Selbst wenn nicht ausdrücklich mit dem ökonomischen Instrumentarium argumentiert wird, kann es, so Eidenmüller, dennoch sein, dass der Richter, als ökonomischer Laie, den ökonomischen Kalkül zugrunde legen wollte83. Um von einem „richterlichen Rechtsprinzip“ der ökonomischen Effizienz sprechen zu können, komme es neben der objektiven Erreichung eines effizienten Ergebnisses darauf an, dass der Richter seine Entscheidung auch in diesem Sinne treffen wollte. Allein vom Ergebnis einer Entscheidung könnte man nicht auf diesen Willen schließen. Vielmehr müsste eine „detaillierte Entscheidungsanalyse“ den Nachweis erbringen, dass der Richter eine Kosten/Nutzen-Abwägung vornehmen wollte. Indes, wenn der Richter tatsächlich ökonomisch argumentiert, dann wäre es „gekünstelt“, ihm ein anderes Ziel zu unterstellen. Nur wenn andere, im Sinne des Effizienzprinzips bedeutungslose, Argumente eine Rolle spielen, dann stelle dies einen Hinweis darauf dar, dass der Richter die konsequente Anwendung eines ökonomischen Ansatzes doch nicht wollte. Zur Verdeutlichung dieses Gedankens diene die Darstellung der nächsten Entscheidung. In dieser Entscheidung hat sich der BGH des Modells des vollständigen Vertrags bedienen wollen. Es ist also durchaus nicht mehr so, wie Eidenmüller noch meinte, dass „wir noch weit entfernt“84 davon sind, ein richterliches Rechtsprinzip der Effizienz durch Kenntnis und Willen der Richter vom Einsatz des Effizienzprinzips annehmen zu können. Ob wir aber die Möglichkeit der Annahme eines solchen richterlichen Rechtsprinzips der Effizienz erreicht haben oder ihm nur näher gekommen sind, soll ein Blick auf das genannte Urteil zeigen.

II. Das Urteil des BGH vom 30.11.2004 – X ZR 133/03 Man muss, einmal dem Idiom der Ökonomen verfallen, also in einigen Fällen schon sehr genau hinsehen, um ihrem Argument von der immanenten Orientierung an Effizienz, wie sie allen Entscheidungen, und eben auch 83 84

Eidenmüller, S. 473 ff. Eidenmüller, S. 476.

G. Der vollständige Vertrag in der Rechtsprechung des BGH

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denen des BGH, zugrunde liege, zu widersprechen und damit wenigstens vom Dogma der Ausnahmslosigkeit dieses Umstands abzurücken. Es gibt, wie soeben gesehen – gerade im Bereich der AGB-Rechtsprechung – Entscheidungen, die sich wenigstens der Form nach des Instrumentariums einiger Bausteine der Ökonomischen Analyse bedienen. Besonders erschwert wird es, der Annahme von der Benutzung des Effizienzkriteriums zu widersprechen, wenn die Entscheidungsfindung nicht nur scheinbar unter Heranziehung der Ideen, sondern auch noch der Terminologie der Ökonomischen Analyse geschieht. Vor dem Hintergrund der zuvor gesehenen Möglichkeiten bei gleichem Sachverhalt zu Abweichungen von Entscheidungen kommen zu können, je nach dem, ob die Entscheidung mit herkömmlicher Methode oder mittels des Effizienzkriteriums gefunden wurden, fällt die Argumentation der nun kurz darzustellenden Entscheidung des BGH vom 30.11.2004 auf85. Sie scheint, noch eher als die eben gesehenen Entscheidungen, nämlich ganz auf dem Prüfsystem der Ökonomischen Analyse zu fußen und mit ihm die Begriffe von Treu und Glauben ausfüllen zu wollen. Ein Ergebnis, dass sich bei genauerer Betrachtung als nicht widerspruchsfrei herausstellt. Die Entscheidung sei exemplarisch herangezogen, um zu zeigen, dass sich der Sprache der Ökonomen bedienende Entscheidungen nicht zwangsläufig auf deren Überlegungen beruhen. 1. Sachverhalt und Ergebnis der Entscheidung Der Kläger, Eigentümer eines großen Mercedes, machte den Ersatz eines Schadens am rechten Außenspiegel sowie Teilen der Karosserie geltend. Im Abstand von nur wenigen Tagen wurde gleich zweimal hintereinander der Außenspiegel seines Autos durch eine Fahrt durch die Waschanlage des Beklagten abgerissen und sind jeweils Kratzer in der Nähe des Spiegels entstanden. Die nach der ersten und der zweiten Fahrt durch die Waschanlage entstandenen Schäden ließ der Kläger jeweils reparieren. Die entstandenen Kosten sowie weitere Posten verlangte er nun ersetzt86. Eine Klausel in den AGB der Beklagten beschränkte ihre Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Sie lautete: 85

BGH, Urteil vom 30.11.2004 – X ZR 133/03, NJW 2005, S. 422 f.; siehe dazu auch etwa: Kieninger in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 307, Rn. 118. 86 Der Sachverhalt ist wieder stark vereinfacht. In Ausgangsinstanz und Berufung gab es zusätzliche Probleme bei der Beweiswürdigung, so dass der BGH erst einige nicht zweifelsfrei belegte Tatsachen (Ursächlichkeit des Waschvorgangs für die Beschädigung und Verschulden) unterstellte, um zu seiner Entscheidung zu gelangen und die Sache dann an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die hier dargestellten Argumentationen des BGH sind davon aber nicht betroffen.

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

„Eine Haftung für die Beschädigung der außen an der Karosserie angebrachten Teile, wie zum Beispiel Zierleisten, Spiegel, Antennen, sowie dadurch verursachte Lack- und Schrammschäden, bleibt ausgeschlossen, es sei denn, dass den Waschanlagenunternehmer eine Haftung aus grobem Verschulden trifft.“

Der BGH entschied, konform mit der überwiegenden Meinung in der Literatur, dass die abgebildete Klausel unwirksam war87. 2. Begründung des BGH Die Begründung des BGH liefert die bisher zwei verschiedenen Weisen einen Fall zu lösen, wie sie der Rechtsprechung einerseits und der Ökonomischen Analyse andererseits zugeschrieben wurden, dem ersten Anschein nach verpackt in einem Lösungsansatz, der den Mitteln der Ökonomischen Analyse gewichtige Bedeutung zuzuschreiben scheint. Er sei deshalb im Einzelnen nachvollzogen: Leichte Fahrlässigkeit des Betreibers wurde, das sei vorangeschickt, im Revisionsverfahren unterstellt. Wäre der unter Ausklammerung von grober Fahrlässigkeit und Vorsatz formulierte Haftungsausschluss des Beklagten also wirksam, so würde er trotz leichter Fahrlässigkeit nicht haften. Ob die Klausel wirksam ist, ergibt eine Inhaltskontrolle, § 9 Abs. 1 AGBG, nunmehr § 307 Abs. 1 BGB88. Sie müsste also eine unangemessene Benachteiligung der Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben darstellen, was, so der BGH mit der folgenden Argumentation, zu bejahen sei: Mit etablierten Mitteln89 beschreibt der BGH erst einmal die Unangemessenheit als missbräuchliches Durchsetzen eigener Interessen auf Kosten des Vertragspartners ohne Berücksichtigung seiner Belange und ohne angemessenen Ausgleich. Danach schließt der BGH vom Sinn und Zweck der Inhaltskontrolle auf seine Art der Ausfüllung des Merkmals „unangemessen“. Der Sinn und Zweck sei darin zu sehen, den Umstand, dass ein Aushandeln der vertraglichen Bedingungen „mit dem Ziel der Abänderung der AGB“ nicht stattgefunden hat, zu kompensieren. Unangemessen wäre dann eine Klausel, die von dem Zustand abwiche, der nach einer (fiktiven) Verhandlung durch die Parteien bestanden hätte. 87 BGH, Urteil vom 30.11.2004 – X ZR 133/03, NJW 2005, S. 422 (423); zu den Nachweisen siehe: S. 424. 88 Konkret dazu: BGH, Urteil vom 30.11.2004 – X ZR 133/03, NJW 2005, S. 422 (424). 89 Ständige Rechtsprechung, siehe nur: BGH, Urteil vom 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, NJW 2000, S. 1110 (1112); BGH, Urteil vom 24.3.1999 – IV ZR 90–98, NJW 1999, S. 2279 (2281); BGH, Urteil vom 04.07.1997 – V ZR 405/96, NJW 1997, 3022 (3023); BGH, Urteil vom 04.11.1992 – VIII ZR 235/91, NJW 1993, 326 (329); jeweils mwN.

G. Der vollständige Vertrag in der Rechtsprechung des BGH

157

Weiter argumentiert der BGH, dass der Kunde im vorliegenden Fall ein berechtigtes Vertrauen auf eine die Fahrlässigkeit nicht ausschließende Klausel hat. Mit einem dem ökonomischen Prüfschema entsprechendem Argument rechtfertigt er dieses Vertrauen. Ergäbe sich nämlich, so der BGH, aus der Einbeziehung der Risikobeherrschung, dass der Betreiber das Risiko besser beherrschen kann, als der Kunde, dann könne der Kunde eine auch die Fahrlässigkeit einbeziehende Klausel erwarten.

III. Würdigung Die Enttäuschung des Vertrauens des Kunden durch die AGB des Betreibers wird mit der Unwirksamkeit der Klausel bestraft. Der BGH bringt dabei an zwei Stellen seiner Argumentation Gedanken ins Spiel, die dem ökonomischen Prüfschema entsprechen: Erstens will er die Frage nach der Unangemessenheit, also die Frage nach einer Entsprechung der Klausel mit Treu und Glauben, am Maßstab eines Vertrages messen, der nach einer fiktiven Verhandlung zustande gekommen ist. Dies entspricht dem Modell des vollständigen Vertrags. Zweitens ermittelt er über die Frage, wer ein Risiko einfacher vermeiden könnte, ob der Kunde auf AGB ohne Haftungsausschluss vertrauen darf. Dies entspricht einer Lösung mittels des Prinzips des cheapest cost avoider, einem Prüfungsschritt des vollständigen Vertrags. Die Entscheidung wird von Kieninger im Münchener Kommentar zu § 307 im Abschnitt zur Risikobeherrschung90, die dort wiederum ausdrücklich als Teil des Effizienzkonzepts anerkannt wird91, zitiert. Kieninger fügt seiner an späterer Stelle folgenden Erwähnung der Entscheidung auch an, dass die Versicherung eines solchen Risikos – ganz im Sinne einer Überlegung zum cheapest insurer – besser von der Betriebshaftpflichtversicherung des Betreibers, denn von der Vollkaskoversicherung des Kunden zu tragen sei92. Die Entscheidung scheint dort also als eine wahrgenommen zu werden, die vom Effizienzprinzip getragen wird. Liegt der Entscheidung des BGH aber auch tatsächlich die Anwendung des Effizienzkriteriums zugrunde? Dafür spricht zunächst, dass der BGH seine Bemerkung zur Zugrundelegung einer gedachten Verhandlung über den Gegenstand der streitigen Klausel mit einem Verweis auf Basedow belegt93. In der angegebenen 90

Kieninger in MüKo BGB (5. Auflage 2007), § 307, Rn. 47. Kieninger in MüKo BGB (5. Auflage 2007), § 307, Rn. 38. 92 Kieninger in MüKo BGB (5. Auflage 2007), § 307, Rn. 118. 93 Basedow in MüKo BGB (4. Auflage 2003), § 307, Rn. 36 ff.; Kieninger hat es in diesem Abschnitt im Wesentlichen bei der Vorauflage belassen; insoweit missverständlich: Kappus, LMK 2005, S. 37. 91

158

Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

Quelle, der Vorauflage der vom eben erwähnten Kieninger weitergeführten Kommentierung, ist auch von der rechtsökonomischen Begründung der Inhaltskontrolle die Rede. Deshalb ist davon auszugehen, dass der BGH, obwohl er dies nicht ausdrücklich aussprach, tatsächlich das Modell des vollständigen Vertrags benutzen wollte. Auch den überhaupt erst zum Modell des vollständigen Vertrags führenden Zweck einer AGB-Kontrolle darin zu erkennen, die Projektion eines in der idealen Welt abgeschlossenen Vertrags auf die tatsächliche Welt vornehmen zu müssen, ist ein auf ökonomischen Gedanken fußender Ansatz. Gegen die Zugrundelegung des Effizienzprinzips in der Entscheidung spricht indes, dass die Bemerkung zum vollständigen Vertrag gewissermaßen in den Zusammenhang der übrigen Entscheidung gepresst wirkt. Gepresst deshalb, weil der Rest der Begründung kaum in das übliche Prüfungsschema der Ökonomischen Analyse einordenbar ist, der Verweis auf den vollständigen Vertrag also gewissermaßen aus der Luft gegriffen erscheint94. Und das lässt sich nicht nur behaupten: Dass der BGH zunächst außen vor lässt, dass es sich um eine ideale Welt ohne Transaktionskosten handeln muss, in der die dem Vergleich zugrunde zu legenden Verhandlungen stattzufinden haben, fällt kaum ins Gewicht, denn das erledigt Basedow, auf den der BGH ja verweist. Problematischer ist hingegen, dass der Argumentationskette zwischen dem Punkt, an dem der vollständige Vertrag ins Spiel gebracht wird, bis zu dem Schluss auf die Unwirksamkeit der Klausel ein Glied zu fehlen scheint. Den vollständigen Vertrag als Maßstab zu nehmen, setzt nämlich die Annahme voraus, sagen zu können, was die Parteien vereinbart hätten. Der BGH müsste nach Anhaltspunkten suchen, die auf eine solche fiktive Regelung schließen lassen. In der Ökonomie wird als ein solcher Anhaltspunkt das rationale Verhalten des homo oeconomicus benutzt. Stattdessen „erscheint“ dem BGH, gleich nachdem er den vollständigen Vertrag zum Maßstab nimmt, der Haftungsausschluss deshalb als unangemessen, weil der Kunde zu Recht ein Vertrauen auf eine die Fahrlässigkeit nicht ausschließende Klausel hätte. Der Kunde habe, so der BGH, ein berechtigtes Vertrauen darauf, dass das Auto äußerlich so, wie es vor der Wäsche war, auch wieder aus der Anlage herauskommt oder dass er dementsprechend Schadensersatz erhielte, wenn das Auto auch nur durch leichte Fahrlässigkeit des Betreibers beschädigt würde. In welchem Verhältnis sollen aber das Vertrauen des Kunden und das Ergebnis einer Verhandlung unter idealen Bedingungen stehen? Soweit man 94 Er entspricht auch nicht dem üblichen Bild einer nebenbei mitgegebenen Information oder Rechtsansicht in Form eines obiter dictum.

G. Der vollständige Vertrag in der Rechtsprechung des BGH

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zwischen dem Vertrauen und einer ökonomischen Argumentation – der BGH hat dies nicht näher erläutert – eine Verbindung darüber konstruieren wollte, dass der Kunde aufgrund der Umstände im Massenverkehr auf die Angemessenheit der AGB vertrauen muss, wird dem das Außerachtlassen der Unterscheidung zwischen den zwei Elementen des Vertrauens, wie sie oben95 bereits angesprochen wurden, entgegengehalten werden müssen. Zwar muss der Kunde auf die Angemessenheit der AGB vertrauen, weil eine Kontrolle schlicht zu hohe Kosten im Verhältnis zum Nutzen verursachen würde. Die Ökonomie fordert ein Vertrauen deshalb sogar ein. Doch darf der Kunde durch das Verhältnis, was er zum Vertragspartner hat auch vertrauen. Vertrauen zu dürfen, wird von Treu und Glauben aber in besonderem Maße geschützt. Mit dem Effizienzkalkül hat dies hingegen nichts zu tun. Vom – in den Raum einer effizienzorientierten Lösung gestellten – Vertrauen schlägt der BGH dann (ebenfalls nur scheinbar) eine Brücke zurück zu einem ökonomischen Ansatz, indem er zur Beherrschbarkeit des Risikos, wie sie auch in der Ökonomischen Analyse eine Rolle spielt, kommt. In welchem Verhältnis sich die Risikobeherrschung der Parteien zum Vertrauen befindet, sagt der BGH dabei zwar ebenfalls nicht eindeutig. Was er aber sagt, ist, dass das Ergebnis einer Betrachtung der Risikobeherrschung im vorliegenden Fall das Vertrauen des Kunden rechtfertigt. Während der BGH die Beherrschbarkeit des Risikos durch die Parteien betrachtet, gleichen seine Ausführungen der Ausfüllung des Begriffs des cheapest cost avoiders wiederum sehr. Der Betreiber könne das Risiko einfacher vermeiden als der Kunde, denn es wäre für ihn durch Überwachung, Personalwahl usw. einfacher (sprich aus ökonomischer Sicht: günstiger) Schadensprävention zu betreiben, während der Kunde Vorgänge im Bereich der Anlage nicht (oder nur, würde ein Ökonom argumentieren, zu prohibitiv hohen Kosten) beeinflussen kann. Wie aber kann der Gesichtspunkt der Risikobeherrschung das Vertrauen des Kunden rechtfertigen? Um einen Zusammenhang zwischen den Punkten vollständiger Vertrag (1), Vertrauen des Kunden (2), Rechtfertigung des Vertrauens durch Überlegung zur Risikobeherrschung (3) herzustellen (oder im Bild von eben: eine vollständige Argumentationskette ohne fehlende Glieder zu knüpfen) ist eine sehr komplizierte Überlegung notwendig: Man könnte, wenn man belegen wollte, dass die Idee von der Risikobeherrschung den Gedanken daran, auf etwas Vertrauen zu dürfen – im juristischen Sprachgebrauch – rechtfertigen soll, und sich dies bei Verhandlungen für einen vollständigen Vertrag abgespielt haben soll, fordern, dass derjenige, der vertrauen soll, sich des Rechtfertigungsgrundes für das Vertrauen bewusst geworden 95

Siehe oben: S. 72 ff.

160

Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

ist96. Nur dann, also wenn der Kunde die bessere Risikobeherrschung des Betreibers vor Augen hatte, darf ihm ein Vertrauen darauf, dass der Betreiber das Risiko auch trägt, unterstellt werden. Und nur dann handelte es sich um einen vollständigen Vertrag, dem alle Informationen zugrunde lagen. Die Erforderlichkeit eines subjektiven Elements für die Rechtfertigung des Vertrauens durch die Risikobeherrschung allein stellt also die Fiktion eines auf diese oder jene Weise ausgehandelten vollständigen Vertrags auf die Beine. Nur ist hiervon in der Entscheidung keine Rede. Dass der BGH eine solche Überlegung beim Leser der Entscheidung voraussetzen wollte, muss bezweifelt werden. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Notwendigkeit eines subjektiven Rechtfertigungselementes stark umstritten ist. Von einem Rekurs auf das Modell des vollständigen Vertrags zur Lösung des Falles darf dann aber nicht ausgegangen werden. Als Fazit muss daher festgehalten werden, dass diese Entscheidung trotz ihrer an verschiedenen Stellen durchblickenden Nähe zu effizienzorientierten Argumentationsschemata tatsächlich nicht auf der Grundlage der Ökonomischen Analyse des Rechts gefällt wurde. Tragender Grund war das berechtigte Vertrauen des Kunden, das vom BGH aber nicht plausibel in das ökonomische Prüfschema eingepflanzt wurde. Das Vertrauen der Vertragspartner zu berücksichtigen und nicht zu enttäuschen ist, wie eingangs gezeigt wurde97, originär dem Prinzip Treu und Glauben zuzuordnen. Es steht über diesen Verweis mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung in Verbindung. Deren Verhältnis zur Anwendung des Effizienzprinzips gilt es aber erst noch zu klären. Besonders wichtig an der gezeigten Entscheidung ist die durch die Verweise und das Vokabular deutlich hervortretende Bereitschaft der Rechtsprechung sich auch innerhalb von Generalklauseln, wie hier bei der Konkretisierung von Treu und Glauben, des Effizienzkriteriums zu bedienen; eine Tendenz, die erst seit jüngerer Zeit zu vernehmen ist. Mit der Bereitschaft der Richter, eine Entscheidung am Effizienzkriterium zu orientieren, wächst jenes Prinzip aber näher an die Rechtsordnung heran. Dies kann in der Zukunft, wenn die Orientierung an der Effizienz häufiger werden würde, dazu führen, dass sich der oben beschriebene Zielkonflikt auflöst. Denn wenn Effizienz auch Bestandteil der (auch richterlich geprägten) 96

Diese Überlegung entlehnt den ihr zugrunde liegenden Gedanken dem Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselements für die Bejahung eines Rechtfertigungsgrundes für eine Verletzung. Sie ist im Strafrecht wie im Zivilrecht, wenngleich in den Einzelheiten umstritten, von der hier wie da herrschenden Meinung anerkannt, vgl. für das Strafrecht nur: Lackner/Kühl, Vor § 32, Rn. 6 mwN.; für das Zivilrecht: Palandt-Ellenberger, § 227, Rn. 6 mwN; a. A. etwa: Grothe in MüKoBGB (5. Auflage 2007), § 227, Rn. 18 mwN. 97 Siehe oben: S. 83 ff.

H. Zwischenergebnis

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Rechtsordnung wird, stünden die verschiedenen Ziele nicht mehr in einem strengen Gegenüber zueinander98. Hierbei wäre dann freilich zu berücksichtigen, dass die größer werdende Legitimität, die bei einer Lockerung des Zielkonflikts entstehen würde, auf Entscheidungen gegründet wurde, die im Zeitpunkt des Fehlens dieser Legitimität getroffen wurden.

H. Zwischenergebnis Die Besprechungen dieses Abschnitts haben ergeben, dass es erhebliche Unterschiede in den Ergebnissen geben kann, wenn Entscheidungen, die unter Bezugnahme auf Treu und Glauben gelöst wurden, mittels des Effizienzkriteriums entschieden werden. Diese Unterschiede indizieren einen Konflikt zwischen dem Ziel, eine Lösung zu finden, die den Anforderungen von Treu und Glauben entspricht einerseits und einem effizienten Ergebnis andererseits. Dieser Zielkonflikt deutet ein Legitimationsproblem der Anwendung der Ökonomischen Analyse an, das näher zu beleuchten, daher Aufgabe des kommenden Abschnitts sein muss. Ein weiterer Befund liegt darin, nunmehr sagen zu können, dass der Rationalitätsgewinn, den die Ökonomische Analyse verspricht, auch im Bereich der Generalklauseln kein besonders großer ist. Zu viele verschiedene Entscheidungen für ein und denselben Fall lassen sich auf ökonomische Weise begründen, um vom eindeutigen „Ausrechnen“ des Ergebnisses wirklich noch reden zu können. Wo mit dem Modell des vollständigen Vertrags Lösungen für Fälle einer Störung der Geschäftsgrundlage gesucht wurden, hat die Vorbesprechung jener Lösung dies besonders deutlich gezeigt. Den homo oeconomicus zu benutzen bedeutet in vielen Fällen, tatsächliche Wertungen der Parteien zu verdrängen. Das ist dort, wo es auf die Wertungen der Parteien gerade ankommt, von besonderer Relevanz; nicht nur für die Frage des „Wie“ einer Anwendung des Effizienzmaßstabs, sondern sogar schon für das „Ob“. Abweichungen der Ergebnisse kann eine Lösung mittels Ökonomischer Analyse des Rechts auch im Bereich der Rechtsprechung zur Unangemessenheit von AGB bewirken. Dies ist insbesondere insoweit relevant, als dass es gerade hier besonders häufig Annäherung in Literatur und Rechtsprechung an Effizienzerwägungen gibt. Gezeigt wurde auch, wie stark die Entscheidungsfindung mittels des Effizienzkriteriums von den bekannten Tatsachen abhängig ist. Das gilt freilich auch für Entscheidungen unter anderen Gesichtspunkten. Nur ist die Masse an Informationen, wie sie Fragen über 98 Siehe aber Koller, Risikozurechnung, S. 78 ff. zur Immanenz von Wirtschaftlichkeitsgedanken innerhalb der Zivilrechtsordnung.

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Kap. 6: Zielkonflikt zwischen Treu und Glauben

die Handhabung, Versicherbarkeit und Streumöglichkeiten von Risiken erfordern, um einiges reicher, als dies üblicherweise der Fall ist. Mehr Informationen zu brauchen, wirkt sich auch auf die Wahrscheinlichkeit aus, mangelhafte Informationen einzubeziehen. Die Gefahr einer Fehlentscheidung ergibt sich aber nicht nur aus einem Zuviel, sondern auch aus einem Zuwenig an Informationen, wenn, wie die Besprechung der Lösung des Falles über die Haftung des Frachtführers gezeigt hat99, für eine Lösung mittels des Effizienzkriteriums, nicht alle notwendigen Informationen bereitstehen oder verarbeitet werden. Das erhöht das Risiko von Fehlentscheidungen. Zu alledem hinzu kommt schließlich, dass das Interesse am Bedürfnis einer Klärung der Voraussetzungen für die Konkretisierung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe mit ökonomischen Maßstäben nicht mehr nur ein theoretisches ist. Das zeigte die Besprechung der Entscheidung des BGH vom 30.11.2004. Dass das Gericht auch dem ökonomisch irrelevanten Aspekt des Vertrauendürfens eine Rolle zuschrieb, zeigt zwar, dass es seine Entscheidung nicht konsequent am Effizienzziel ausrichtete. Die Anlehnungen an das Modell des vollständigen Vertrags, sowie die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur, lassen aber eine grundsätzliche Bereitschaft dazu erkennen.

99

Siehe oben: S. 151 ff.

Kapitel 7

Generalklauseln und Effizienz? Die bisherigen Betrachtungen haben die Prämissen gezeigt, die Entscheidungen, die sich des Effizienzkriteriums bedienen, anlegen. Sie haben auch gezeigt, dass Entscheidungen, die unter diesen Prämissen getroffen werden, von Ergebnissen abweichen, die bisher als den Anforderungen von Treu und Glauben genügend, wahrgenommen werden. Der Ökonomischen Analyse könnten im Bereich der Generalklauseln hieraus Schranken erwachsen. Generalklauseln werden nicht im herkömmlichen Sinne ausgelegt, sondern, wie zuvor schon mehrfach erwähnt, durch Konkretisierung interpretiert1. Für die zulässige Konkretisierung von Generalklauseln ist es notwendig, dass die gefundene Lösungsregel sich nicht in Widerspruch zur ratio der Generalklausel sowie zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen stellt2. Bevor das Verfahren der Konkretisierung genauer betrachtet wird, soll über die Ermittlung des Zwecks der Einrichtung von Generalklauseln im Gesetz und ihrer Funktion in der Rechtsordnung danach gefragt werden, welcher Spielraum dem Effizienzkriterium bei der Erfüllung dieses Zwecks und der Verwirklichung ihrer Funktion bleibt.

A. Von der Funktion her argumentiert: Generalklauseln und Individualität I. Generalklauseln und Individualität Die Ökonomische Analyse entfernt sich durch ihr Instrument des vollständigen Vertrags von den Eigenschaften der tatsächlichen Parteien. Fraglich ist daher, ob die Benutzung des vollständigen Vertrags im Bereich von Generalklauseln dem dortigen Erfordernis die Individualität der Parteien und des Sachverhalts zu berücksichtigen, widerspricht. Um dies zu ermitteln, wird nun zunächst gezeigt, welcher Art das Bedürfnis Individualität zu berücksichtigen in den Generalklauseln tatsächlich ist. Anschließend soll ermittelt werden, wie sehr diesem Bedürfnis durch die Methoden der Öko1 2

Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 662 (663). Bydlinski, Präzisierung, S. 196.

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Kap. 7: Generalklauseln und Effizienz?

nomischen Analyse des Rechts entsprochen werden kann. Als Ausgangspunkt einer Betrachtung der Individualität im Recht werden vorderhand Erkenntnisse Henkels dienen3. 1. Begriff der Individualität Die Generalklauseln haben einen unmittelbaren Bezug zur Rechtsidee. Der Begriff Rechtsidee umschreibt die Zusammenfassung von Rechtssicherheit, Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit. Allen Theorien über die Gerechtigkeit wohnt, wie noch genauer zu zeigen sein wird4, ein Element der Gleichbehandlung inne. Der Begriff des Individuellen lässt sich nun in ein qualitatives und ein quantitatives Element aufteilen: Das qualitative Element beschreibt das Einzigartige, an einer Person, einem Umstand oder einer Sache5. Dieses Element des Einzigartigen kann nur einem Einzelnen zukommen6. Das ist auch schon das quantitative Element. Um die Individualität eines Objekts erkennen zu können, ist es in vielen Fällen notwendig, genau hinzusehen, wie sich schon aus der Betrachtung zweier sich nicht nur sprichwörtlich gleichender Eier ergibt. 2. Bedeutung der Individualität im Recht Henkel legt seinen Betrachtungen zur Berücksichtigung von Individualität im Recht ein Zitat Coings zugrunde, in dem dieser behauptet, dass sich die Rechtsordnung für die Individualität nicht interessiere, sondern lediglich das Typische in Bezug nehme7. Ob die individuellen Momente in die juristische Betrachtung eines Falles einbezogen werden müssen, hängt indes von verschiedenen Komponenten ab, die jedenfalls aber der Eindeutigkeit einer solchen Aussage entgegenstehen. Allein eine allgemeine Aussage kann nicht getroffen werden. Es gibt aber durchaus Determinanten, die einen Hinweis zu dem Gewicht, das der Individualität zukommt, möglich machen. 3

Henkel, Recht und Individualität, 1958, Berlin. Siehe unten: S. 206 ff. 5 Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 202. 6 Henkel, Recht und Individualität, S. 1. 7 Henkel, Recht und Individualität, S. 7; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1. Auflage 1950, S. 17; in der aktuellen Auflage ist diese Aussage nicht mehr zu finden; Henkel weist später nach, dass die zunehmende Berücksichtigung der Individualität parallel zu einem Trend dies in Philosophie und Soziologie ebenfalls zu tun, verläuft, siehe S. 87. 4

A. Von der Funktion her argumentiert

165

Die Individualität einer Person oder Situation hat immer dann eine Rolle zu spielen, wenn sie eine Rolle spielt. Hinter dieser nur scheinbar tautologischen, vorweggenommenen Zusammenfassung steht eine differenzierende Betrachtung, die auf die Rolle der Individualität im zugrunde liegenden Sachverhalt und dem dazugehörigen Recht anspielt. Das Recht kann generalisierend regeln, wenn der Mensch in einer Rolle auftritt, die die Betrachtung der ihn von den anderen unterscheidenden Eigenschaften nicht betrifft. Henkel beschreibt dies als Hintersichlassen der Individualität, die eintreten kann, sobald es zum Eintritt in die Sozialwelt kommt8. In dieser Sozialwelt kann es sein, dass der Mensch den anderen gerade soweit angeht, wie der Bezug zu ihm reicht. Man berührt sich also etwa als Käufer oder als Verkäufer, genau in dieser Situation aber nicht als jemand, der gut sehen oder schlecht hören kann9. Letzteres sind persönliche Eigenschaften, die in einem anders gearteten Verhältnis der Parteien zueinander, wie etwa einem Mietvertrag, doch Berücksichtigung finden können. Im Gegensatz zur Ethik, die immer auf das Individuum und seine Individualität eingeht, mache das Recht, so Henkel, dies also nur in bestimmten Fällen nach. Das Recht könne sich ethischen Missbilligungen anschließen, wenn bestimmte Grenzen überschritten sind10. So liege es beispielsweise in der juristisch unangreifbaren, ethisch aber als verwerflich zu bezeichnenden Einforderung einer Schuld von einem armen und befreundeten Schuldner, der seinem Gläubiger soeben das Leben gerettet hat. a) Rechtsidee, Recht, Individualität Die Sozialwelt, von der soeben die Rede war, ist in weiten Teilen geregelt durch das Recht. In dieser Sozialwelt sind verschiedene Bedürfnisse vorhanden, die sich auf die Regelung durch das Recht auswirken. Das Spannungsfeld, in dem diese Regelungen stehen, ist genau das der Rechtsidee. Die Beispiele der Fristenregelung und des Instituts der Rechtskraft11 zeigen das Verhältnis der einzelnen Bestandteile der Rechtsidee (Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit, Rechtssicherheit) zur Individualität besonders offensichtlich. Es sei daran kurz verdeutlicht12. 8

Henkel, Recht und Individualität, S. 8. Solche persönlichen, also individuellen Eigenschaften nimmt namentlich das Zivilrecht (im Gegensatz zum Strafrecht) bei der Betrachtung der Fahrlässigkeitsschuld ausdrücklich nicht in Bezug, siehe dazu Henkel, Recht und Individualität, S. 77. 10 Henkel, Recht und Individualität, S. 14 f. 11 Zu diesem Beispiel: Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 77. 12 Zum Folgenden Henkel, Recht und Individualität, S. 16 ff.; 74. 9

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Kap. 7: Generalklauseln und Effizienz?

Die Rechtssicherheit steht der Berücksichtigung individueller Umstände weitgehend entgegen. Denn Rechtssicherheit zu wollen, heißt Klarheit und Regelmäßigkeit zu fordern und deshalb auf vorhersehbare Ergebnisse zu bauen. Von Fall zu Fall muss hingegen entschieden werden, ob das Ziel, eine zweckmäßige, also an bestehende Interessenrichtungen angepasste rechtliche Lösung zu bekommen, damit, die Individualität zu berücksichtigen, vereinbar ist, oder ob vielmehr das Gegenteil gefordert wird. Individualisierende Zwecksetzungen sind ebenso denkbar, wie verallgemeinernde. Die Eigenart der Parteien und dessen, was sie regeln wollen, gelten zu lassen, ist etwa der individualisierende Zweck des Grundsatzes der Privatautonomie13. Ebenfalls im Gegensatz zur Rechtssicherheit und darin in Übereinstimmung mit der Zweckmäßigkeit kann es im Bereich der Gerechtigkeit sowohl zu einer vermehrten als auch zu einer verminderten Berücksichtigung der Individualität kommen. Das ergibt sich aber schon aus der Unterteilung der Gerechtigkeit in ihre zwei Fälle: Als generalisierende Gerechtigkeit verlangt sie, Gleiches gleich zu behandeln, bildet also Gruppen und drängt damit eher zu einer Vernachlässigung der Individualität. Als individualisierende Gerechtigkeit soll hingegen jeder einzelne Umstand berücksichtigt werden, mithin Ungleiches ungleich behandelt werden. Dieser Konflikt, den die Elemente der Gerechtigkeit miteinander austragen, wird auch von den anderen Bestandteilen der Rechtsidee beeinflusst. Die Rechtssicherheit kann die individualisierende Gerechtigkeit etwa zurückdrängen oder auch selbst von ihr beschränkt werden14. Wie gesehen, können Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit, als Elemente der Rechtsidee, verschiedene Aussagen zur Individualität treffen. Dagegen wird die Rechtssicherheit jener Individualität im Wesentlichen eine Absage erteilen. Einzelfallgerechtigkeit gefährdet die Rechtssicherheit15. Die jeweiligen Anforderungen an die Individualität zu berücksichtigen, wird insoweit erschwert, als dass jeder der Bestandteile der Rechtsidee je nach Materie (Bsp.: Fristenregelung) auch unterschiedlich stark hervorgehoben oder zurückgestellt werden kann. Was beeinflusst nun den Ausschlag hin zu dem einen oder anderen Element der Rechtsidee? Hierüber gibt ein Blick auf die Rolle der Individualität in Gesetz und Rechtsprechung Aufschluss.

13

Henkel, Recht und Individualität, S. 22. Als Konflikt der Gerechtigkeit mit sich selbst beschreibt Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, S. 32 f. dieses Verhältnis; siehe auch ders., SJZ, 1946, S. 105 (107). 15 Hubmann, Wertung und Abwägung, Vorwort V. 14

A. Von der Funktion her argumentiert

167

b) Individualität im Gesetz Wenn eine Rechtsnorm aufgestellt wird, gilt grundsätzlich, dass es sich dabei um einen Akt der Zusammenfassung handelt. Bildet der Gesetzgeber eine Norm, dann legt er summierte und hierzu notwendigerweise in der Vergangenheit befindliche, also bereits vorliegende, Vorgänge und Verhaltensweisen zusammen und ordnet sie in Typen16. Gleiches gilt, wenn er vorausschauend Regeln für die Zukunft zu entwickeln versucht. Indem der Gesetzgeber viele Fälle zu regeln versucht, kann er individuellen Umständen, gleich ob sie zurückliegen oder noch kommen, nur schwerlich Beachtung schenken. Das Problem wird nicht geringer, wenn man die Form, in der Regeln gemacht werden, besieht: Sie sind notwendig in Begriffe und aus diesen gebildete Tatbestände gedrängt. „Die Individualität des Falles“ aber, bringt Henkel es auf den Punkt, „wird durch die Bestimmtheit der Tatbestandsbildung geradezu vergewaltigt“17. Bei dem Versuch, unter eine tatbestandlich enge Norm zu subsumieren, kann dem Bestreben, individuelle Umstände zu berücksichtigen, nicht entsprochen werden18. Das Wort, bemerkt Engisch in diesem Zusammenhang mit einem Zitat Thomas Manns, gleicht einer „Fliegenklatsche (. . .), die niemals trifft“19. Diese Vorwürfe müssen aber nicht in jedem Fall gesetzgeberischer Tätigkeit gemacht werden: Vielmehr zeigt sich, dass der Gesetzgeber dort, wo er meint, dass sich vor allem diejenigen der auftretenden Umstände, die berücksichtigt werden sollen, nicht vorhersehen lassen, die Möglichkeit der Schaffung von Generalklauseln wahrnimmt. Henkel, der die Generalklauseln von den übrigen wertausfüllungsbedürftigen Begriffen dadurch abgrenzt20, dass ihnen ein noch höheres Maß an Unbestimmtheit sowie ein regulativer Charakter innewohnt, stellt deshalb auch zurecht fest, dass gerade hier der Raum für individuelle Betrachtungen durch den Richter zu verorten ist. Darüber hinaus muss betont werden, dass die höhere Eindeutigkeit tatbestandlicher Vorgaben im überwiegenden Teil der Normen dem Erfordernis der Rechtssicherheit gerecht wird, und damit deren wichtiges, stabilisierendes Element wahrt. Dies zu tun vermag ein individualisierendes Element nicht21. 16

Henkel, Recht und Individualität, S. 5, 24. Henkel, Recht und Individualität, S. 27, 35. 18 Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 199. 19 Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 200; das Zitat entstammt dem Roman „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. 20 Henkel, Recht und Individualität, S. 29 ff. 21 Esser, Werte und Wertewandel, S. 7. 17

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Kap. 7: Generalklauseln und Effizienz?

Dem ersten Anschein nach widersprüchlich, bei näherem Hinsehen aber unbedingt folgerichtig zeigt sich damit, dass im Bereich der konkreten Normen mit ihren ausdrücklichen Tatbeständen der Raum für individuelle Betrachtungen sehr gering, im Bereich der Generalklauseln, mit ihren ausfüllungsbedürftigen Begriffen, ebenjener Raum hingegen sehr weit ist. Der erste Platz für die Berücksichtigung der individuellen Umstände des Falles sind also die Generalklauseln. In ihrem Anwendungsbereich geht das individuelle Element der Gerechtigkeit dem generalisierenden vor. Das hat eine gewichtige Folge, denn es indiziert eine die Abwägung zwischen den Bestandteilen der Rechtsidee (Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, Zweckmäßigkeit) betreffende Entscheidung des die Generalklausel erlassenden Gesetzgebers: Indem er die Generalklausel schuf, hat er sich dafür entschieden, den Komponenten Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit im Rahmen ihrer Abwägung mit der Gerechtigkeit das geringere Gewicht zukommen zu lassen. Zwar wurde gesagt, dass die Gerechtigkeit an sich den Bezugspunkt auch der Zweckmäßigkeit und der Rechtssicherheit bildet; doch gilt dies nur dann, wenn man von dem Oberbegriff Gerechtigkeit, wie er die individuelle und die generalisierende Gerechtigkeit umfasst, spricht. Ist indes die Rede nur von der individuellen Gerechtigkeit, so ist, bildlich gesprochen, nicht von einem Ineinander, sondern von einem Gegeneinander von (individueller) Gerechtigkeit einerseits und Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit andererseits auszugehen. Dieses Gegeneinander wurde nun aber, im Bereich der Generalklauseln, zugunsten der individuellen Gerechtigkeit entschieden. Damit sind Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit nicht vollkommen verdrängt aber wesentlich zurückgedrängt. Diese Einschränkung ist vor allem für die Rechtssicherheit zu machen. Denn sie findet sich, wie gleich noch kurz auszuführen sein wird, durchaus in der Praxis der Fallgruppenbildung gesichert. c) Individualität in der Rechtsprechung Laut Henkel hat § 242 von Anfang an die Funktion inne, durch das in ihm enthaltene Individualisierungselement den gesetzlichen Regelungsplan zu vervollständigen und in Normen gesetzte Regeln auch außer Kraft zu setzen und hierdurch dem Billigkeitsrecht zum Durchbruch zu verhelfen22. Unter dem Begriff des Billigkeitsrechts ist die Tendenz innerhalb der Rechtsidee zu verstehen, der es gerade darauf ankommt, der individualisierenden Gerechtigkeitsidee gegenüber den anderen Tendenzen Vorschub zu leisten23. Wenn Henkel aber meint, dass die Konkretisierung einer General22 23

Henkel, Recht und Individualität, S. 32 f. Vgl. Radbruch, Vorschulde der Rechtsphilosophie, S. 25.

A. Von der Funktion her argumentiert

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klausel damit auch contra legem erfolgen dürfe, dann widerspräche dies zumindest dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Jede Konkretisierung muss im entgegenstehenden Wortlaut einer Norm ihre Grenze finden24. Rechtsstaatliche Bedenken gegen eine grenzenlose Individualisierung hat auch Engisch25. Doch lässt sich das, im Vergleich zur Tiefe der übrigen Erwägungen Henkels, fast beiläufig erscheinende Statement durchaus auch mit seiner eigenen Argumentation widerlegen: Denn wenn es jederzeit um den Ausgleich der verschiedenen Tendenzen der Rechtsidee (Rechtssicherheit, Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit) geht, dann wird man mit dem überwiegenden Interesse der Gesellschaft an Rechtssicherheit, das sich jedenfalls darin ausdrückt, an die Wortlautgrenze einer Norm gebunden zu sein, ein Überwiegen dieser Tendenz gegenüber der (individuellen) Gerechtigkeit zumindest in diesem letzten Punkt postulieren dürfen26. Ein solches Verständnis korrespondiert auch mit dem später herausgearbeiteten Verständnis Henkels von der Funktion der Generalklauseln. Danach müsse, so Henkel selbst, Auffassungen entgegengetreten werden, die die Verwendung von Generalklauseln als „laxe“ Durchdringung des Rechts mit Billigkeitsdenken verstehen. Vielmehr sei, im auch hier wiedergegebenen Sinne, anzuerkennen, dass es sich bei der Anwendung von Generalklauseln um eine „in die Tiefe dringende Austragung“ von „Spannungen zwischen der generalisierenden und der individualisierenden Tendenz des Rechts“ handelt27. Der (legitime28) Raum einer Berücksichtigung von Individualität findet sich für die Generalklauseln also dort, wo das Element der Rechtssicherheit wieder zurückstehen kann, weil es nicht mehr gefordert ist; also innerhalb der Wortlautgrenze anderer Normen. Hier müssen Billigkeit und individuelle Gerechtigkeit – wenigstens im Sinne einer Einbeziehung in die Abwägung – aber hervorgehoben werden, soweit dem Gesetzgeber und vor allem aber der Rechtsidee entsprochen werden soll.

24 25

Siehe dazu: G II 4. Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 218; dort in Bezug auf die Rechtsfolgen-

seite. 26 Oder man wird im Zweifel hieran einfach, und das schadet der gleich zu zeigenden Argumentation keineswegs, der individuellen Gerechtigkeit doch den Vorzug geben und die contra legem-Grenze anders als hier und wie Henkel nicht anerkennen. 27 Henkel, Recht und Individualität, S. 42. 28 Zu den Grenzen der Berücksichtigung von Individualität: Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 217; in Bezug auf den entgegenstehenden Wortlaut von Gesetzen: S. 219.

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3. Anwendung von Generalklauseln und Individualität Im Gegensatz zum Gesetzgeber, der eine Vielzahl von Fällen zu typisieren hat, um für eine weitere Vielzahl von Fällen Normen geben zu können, kommt der Richter durch die ihm vorgelegten Fälle unmittelbar mit individuellen Erscheinungen personeller und sachlicher Art in Berührung. Liegt einer dieser Fälle im Anwendungsbereich einer Generalklausel, dann muss der Richter nach dem bisher Gesagten sich dieser Individualität auch stellen. Wie ist unter diesem Gesichtspunkt dann aber die Fallgruppenbildung in Rechtsprechung und Judikatur zu verstehen? Steht das zuvor Gesagte29 zu ihnen in einem Widerspruch, etwa weil es durch die Fallgruppenbildung zu einer Vernachlässigung individueller Momente gleich dem Zustand unter Anwendung einer konkreteren Norm kommt? Von einem solchen Widerspruch wird man, auch wenn er sich zunächst aufzudrängen scheint, nicht ausgehen müssen. Denn wenn die Fallgruppenbildung allein durch ihre Existenz zunächst dem generalisierenden Element gerecht wird, vermag sie es doch der Forderung nach Individualität durch ihre Offenheit gleichermaßen zu entsprechen. Die Verbindlichkeit einer gesetzlichen Norm kann eine Fallgruppe nämlich nicht erlangen30. Und wenngleich der Vorwurf einer ähnlichen Wirkung oft (und kaum zu Unrecht) gemacht wird, so ist er doch zumindest insoweit unberechtigt, als dass er eine mit absoluter Verbindlichkeit der Fallgruppenbildung argumentierende Gegenmeinung für durchdringend hält. Wie sehr die Entwicklung einer Fallgruppe auch ausdifferenziert ist, sie hat keinesfalls die abschließende und verbindliche Wirkung eines vom Gesetzgeber aufgestellten Tatbestandes, sondern ist vielmehr immer auch offen für die Abkehr von ihren „Voraussetzungen“ durch ein besonderes, eben individuelles Moment des Falles31. Die Individualität spricht das „letzte Wort“32. 4. Zwischenergebnis Jeder Fall im Anwendungsbereich einer Generalklausel muss auf die Notwendigkeit seiner individuellen Betrachtung hin überprüft werden. Sollten die Instrumente der Ökonomischen Analyse eine individuelle Betrachtung nicht leisten können, so wäre vor ihrer Anwendung zu klären, ob eine individuelle Betrachtung des Falles vonnöten ist. Fälle, die einer individuellen Betrachtung bedürfen, dürfen nicht übersehen werden. 29 30 31 32

Siehe oben: S. 167 f. Eingehend dazu oben: S. 97 ff. Vgl. dazu ebenfalls: Henkel, Recht und Individualität, S. 44 ff. Henkel, Recht und Individualität, S. 47.

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Nach einer solchen Überprüfung aber ist die gezeigte Pauschalität der Ökonomischen Analyse des Rechts, die allein die versprochene Einfachheit der Ergebnisfindung mit ihr rechtfertigen kann, dahin. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die mit ihr gefundenen Ergebnisse einer generalisierenden Betrachtung (vielleicht sogar überwiegend) auch mit dem von Rechtsidee und Rechtsprinzipien Verlangten überein stimmen. Aber sie muss das auch tun. Um dies abzusichern, kann die Prüfung eines Individualitätserfordernisses nicht umgangen werden. Zu überprüfen, ob die allgemeine Betrachtung der Ökonomischen Analyse genügt oder nähere Betrachtungen erforderlich sind, bedeutete dann aber nichts anderes, als ein Prüfungsprogramm durchzuführen, dass über den Ansatz der Ökonomischen Analyse hinausgeht. Dann sind dieser Ansatz und seine Vorteile aber wirkungslos. Diese Befürchtung bewahrheitet sich indes nur – das war die Prämisse, unter der sie erging – wenn die Ökonomische Analyse und ihre Instrumente den Erfordernissen der Rechtsidee nicht entsprechen. Fraglich ist daher, welche Möglichkeiten, die Individualität entgegen dem bisher Angenommenen doch zu berücksichtigen, für eine ökonomische Analyse bestehen.

II. Ökonomische Analyse und Individualität Die Ökonomische Analyse des Rechts scheint ein Individualitätsbedürfnis gleich zweifach zu befriedigen, wenn man die Überschrift Doppelter Individualismus der ökonomischen Analyse im Standardwerk von Schäfer/Ott liest33. 1. Das Individuum als Rechengröße – Zum normativen Individualismus Der normative Individualismus bezeichnet zunächst den Umstand, dass sich die Ziele, die ein Staat verfolgt, nur aus den Bedürfnissen der Mitglieder seiner Gesellschaft zusammenstellen dürfen. Ziele, die die einzelnen nicht haben, sollen für einen Staat nach der Ökonomischen Analyse des Rechts nicht relevant sein. Der der Ökonomischen Analyse zugrunde liegende Utilitarismus ist der Kategorie der teleologischen Ethiken zuzuordnen. Im Vordergrund der utilitaristischen Betrachtungen stehen insoweit immer die Handlungsfolgen, auch das wurde bereits gezeigt34. Ob eine Handlung für das Erreichen eines 33 Schäfer/Ott, S. 3; zu den Begriffen des normativen und des methodologischen Individualismus siehe ebendort. 34 Siehe oben: S. 118 ff.

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Zieles gut ist oder schlecht, ergibt sich nach diesem Modell aus den Folgen, die sie hat, und insoweit daraus, ob sie nützlich ist oder nicht. Diese konsequentialistische Betrachtungsweise wird – verallgemeinert gesagt – gewissermaßen ausgefüllt durch den Zweck, das menschliche Glück zu mehren35. Das Glück der Menschen definiert der Utilitarismus aber im Sinne des eingangs Gesagten durchaus nicht selbst. Vielmehr wird das als Glück berücksichtigt, was die Menschen dafür halten. Entscheidend ist also ein empiristisches Element, das sich jedoch einigen offensichtlichen Schwierigkeiten gegenüber sieht36. Erfahrungen einer Entscheidung zugrunde zulegen bedeutet nämlich, dass der Entscheidende (hier: der Richter) seine, und damit notwendigerweise unvollständige, Erfahrungen zugrunde legen muss. Aber nichtsdestotrotz: Soweit es Ziel eines (modernen) utilitaristischen Ansatzes ist, individuelle Präferenzen zu berücksichtigen, kann zumindest vorderhand die Anerkennung von Individualität nicht geleugnet werden. Der Möglichkeit der Berücksichtigung individueller Präferenzen soll deshalb genauer nachgegangen werden: a) Die Individualität des Nutzenmaximierers Hegmann beschrieb ausführlich, wie auch der Utilitarismus dem Grunde nach individuelle Betrachtungen anstellen kann. Solange ihm die Präferenzen nicht vorgegeben sind, kann auch der Nutzenmaximierer eines ökonomischen Ansatzes als individuell beschrieben werden. Wenn nämlich nicht festgelegt wird, wie sich der Nutzen einer Person zusammensetzt, sie ihre Präferenzen vielmehr selbst festlegt, kann sie auch in einem ökonomischen Ansatz, zumindest insoweit, individuell berücksichtigt werden. Dasselbe gilt auch für die Kosten, wenn man konsequent annimmt, dass auch sie auf einer individuellen Evaluation beruhen. Die individuellen Präferenzen bestimmen dann die Kosten-/Nutzenrechnung37. Indes führt dies zu tun in genau die Schwierigkeiten, über deren Bewerkstelligung die Ökonomische Analyse heute keine belastbaren Aussagen machen kann. Behielte man, wie gezeigt, und wie es Utilitarismus-theoretisch erforderlich wäre, Nutzen und Kosten frei von einer inhaltlichen Beschrei35 Verallgemeinert deshalb, weil der Wert, mit dem die Handlungsfolgen ausgefüllt werden, durchaus verschieden definiert wird: Bentham legte als Begründer des Utilitarismus etwa noch einen quantitativen Hedonismus zugrunde, während Mill schon zu einem qualitativen Hedonismus griff; vgl. Lasars, Gerechtigkeit, S. 26 ff. 36 Zu den Möglichkeiten der Verwendung von Ergebnissen der Empirie bei der Konkretisierung der „Gute-Sitten-Klauseln“ siehe: Teubner, Standards und Direktiven. 37 Siehe dazu: Hegmann, Ökonomische Effizienz, S. 309 f.

A. Von der Funktion her argumentiert

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bung, dann sind beide, was die individuellen Präferenzen einer Person dazu machen. Weil die individuellen Präferenzen aber nur theoretisch, kaum aber praktisch, bestimmbar sind, würde das Nutzenkriterium für die Berücksichtigung von Individualität unbrauchbar. Legte man die Präferenzen indes als Entscheidender inhaltlich allgemein fest, dann ist wiederum die Berücksichtigung der Individualität dahin. Genau dies tut aber die Ökonomische Analyse des deutschen Rechts, wenn sie, etwa mithilfe des vollständigen Vertrags, Kosten und Nutzen mit dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit inhaltlich reduziert. Aber selbst wenn man die individuellen Präferenzen nicht durch einen einheitlichen Maßstab ersetzte, sondern in eine individuelle Betrachtung einbrächte, ergäben sich Probleme: Könnte diese Anerkennung der individuellen Präferenzen wirklich auch zu ihrer Berücksichtigung führen? Zum einen spricht hiergegen, das wurde soeben angedeutet, dass individuelle Präferenzen überhaupt nur berücksichtigt werden können, wenn das Ziel aufgegeben wird, eine handhabbare Methode zu behalten. Zum zweiten können Kosten und Nutzen, mögen sie nun auch den individuellen Präferenzen gemäß ermittelt worden sein, immer noch nur in eine Gesamtbilanz eingehen. Dann werden sie zwar in einem ersten Schritt, nicht aber final berücksichtigt (dazu sogleich). Zum Dritten kann hier auch wieder das Problem missbilligenswerter Differenzen auftauchen. Sie aber auszuschließen erforderte einen Maßstab, der von der Effizienz selbst nicht mehr bereitgestellt werden kann. b) Aufgehen in der Masse Die Berechnung als Methode des (klassischen) Utilitarismus zur Ermittlung dessen, was gut ist, weil es Nutzen maximiert, soll noch einmal betrachtet werden: Nutzenmehrung von Teilen der Gesellschaft und Nutzenminderung anderer Teile der Gesellschaft werden hier „verrechnet“ oder bilanziert. Fällt das Ergebnis positiv aus, ist die Handlung gut und damit billigenswert. Mit dem Ergebnis gemeint ist das Gesamtergebnis. Auswirkungen auf die einzelnen Bestandteile der Rechnung, die Glieder der Gesellschaft, bleiben für die Bewertung außer Betracht, denn die Summe ist es, die zählt. In der Folge bedeutet dies, dass nicht das Individuum selbst, sondern nur die Gesellschaft als Gesamtheit der Individuen in die Bewertung einer Handlung einbezogen wird. Die Auswirkungen einer Handlung auf das Individuum sind dabei nur eine Rechengröße. Ebendies hielt bereits Rawls, sich dem Utilitarismus mit seiner Theory of Justice entschieden entgegenstellend, fest, als er bemerkte:

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„The most natural way, then of arriving at utilitarianism [. . .] is to adopt for society as a whole the principle of rational choice for one man. [. . .]; it is by this construction, that many persons are fused into one.“38

Schon bei Rawls Betrachtungen findet sich denn auch eine Schlussfolgerung, die hier relevant ist: „Utilitarianism does not take seriously the distinction between persons“39. Der Utilitarismus nimmt die Verschiedenheiten, die Unterschiede der Menschen nicht ernst, er berücksichtigt sie nicht mehr, denn als Rechengröße. Vielmehr wird der Blick, der sonst auf den einzelnen Menschen gerichtet ist, auf die Gesellschaft als Ganze gewandt, und dabei ein Verständnis der Gesellschaft als Verschmelzung der sie bildenden Personen angelegt. „Yet utilitarianism is not individualistic [. . .] in that, by conflating all systems of desires, it applies to society the principle of choice for one man.“40

Indem der Utilitarismus das Entscheidungsprinzip eines einzelnen Menschen, nach seinem Vorteil zu handeln, auf die Gesellschaft anwendet, entsagt er jeder individuellen Betrachtungsweise, denn er enthebt einen individuellen Umstand seines Wertes, wenn er ihn nur gegen andere aufrechnet. Mahlmann meint außerdem, dass der Schluss vom Streben nach dem eigenen Glück auf ein Streben nach dem Glück anderer schon gar nicht möglich sei41. Der Utilitarismus könnte vom tatsächlichen Streben der Menschen nach eigenem Glück damit gar nicht auf die Gesamtheit schließen. Und dem kann nun auch nicht mehr mit dem, was die Vertreter der Ökonomischen Analyse des Rechts mit dem normativen Individualismus bezwecken, entgegengetreten werden. Denn trotzdem es danach die Mitglieder des Staates sein sollen, die dessen Ziele bestimmen, ändert dies nichts daran, dass, wie auch bei Schäfer/Ott ausdrücklich gesagt wird42, es schließlich zu einer Zusammenfassung und Aggregation von einzelnen Präferenzen kommen muss. Das dadurch geschaffene, nicht-individuelle Ganze entgeht, wie dort auch indirekt gesagt wird, der Schaffung eines vereinheitlichten Körpers nur insoweit, als dass für einzelne nicht relevante Ziele ausgeklammert wer38 Rawls, A Theory of Justice, S. 26 f.; Die Gegenüberstellung mit dem Utilitarismus zieht sich durch das gesamte Buch und wird auf S. 22 auch ganz ausdrücklich als Ziel des Werkes ausgesprochen. 39 Rawls, A Theory of Justice, S. 27. 40 Rawls, A Theory of Justice, S. 29; die gesamte Gesellschaft in das Bild eines einzelnen Menschen zusammenzufassen, ist ein Vorgehen, dessen sich bereits Aristoteles, dort bei seiner Besprechung der Demokratie, schon bedient hat, vgl. dazu Adomeit/Hähnchen, S. 80; Rawls’ Ansatz zur Ermittlung von gerechten Prinzipien mit absoluter Gültigkeit liegt ein fiktiver Urzustand zugrunde, in dem die Mitglieder der Gesellschaft die Prinzipien in einem Diskurs festlegen. 41 Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 125. 42 Schäfer/Ott, S. 3.

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den. Für die Berücksichtigung individueller Umstände eines Falles genügt dies indes keineswegs. Von dem hier als normativem Individualismus Verstandenem, ist lediglich ein übergeordnetes Staatsziel betroffen. 2. Zum methodologischen Individualismus Auch hinter dem Begriff des methodologischen Individualismus verbirgt sich nichts, was dem Individualitätsbedürfnis der Generalklauseln gerecht zu werden vermag. Hiermit gemeint ist nämlich allein, dass die einzig bei der Schaffung von Normen relevante Grundannahme die der Maximierung des individuellen Nutzens sein soll. Nur so, nicht aber durch weitere Faktoren, soll das Nutzenkalkül, auf das es ankommt, ausgefüllt werden. 3. Berücksichtigung von Individualität durch Behavioral Law and Economics? Die Annahme, der Mensch handele rational, er stehe in der Nähe des Verhaltensmodells vom homo oeconomicus, wird seit längerem infrage gestellt. Die aus den Verhaltenswissenschaften stammende Kritik wird unter dem Titel Behavioral Law and Economics zusammengefasst43. Sie ist die aktuell am stärksten wirkende Kraft bei der Entwicklung der Law and Economics-Diskussion. Fraglich ist, ob sich unter den Wandelungen, die diese Schule verlangt, Änderungen für die Berücksichtigung individueller Momente ergeben. Hauptmerkmal des neuen Ansatzes ist die „Vermenschlichung“ des Verhaltensmodells des homo oeconomicus. Diese Wandelung geschieht gezielt durch die Einbindung neuerer, gesicherter Erkenntnisse über das menschliche Verhalten. Dabei werden verschiedene Faktoren berücksichtigt44: Zum einen finden die tatsächlichen Schranken, die Menschen bei der Kenntnisnahme von Information haben, Beachtung. Darüber hinaus werden verschiedene Einschränkungen bei der Verarbeitung von Informationen einkalkuliert. Darüber hinaus werden auch Fälle irrationalen Verhaltens anerkannt, wie es beim Altruismus oder der Bestrafung eines unfairen Verhaltens vorliegt45. Insoweit kann der neue Ansatz die ökonomische Theorie tatsächlich weniger grob erscheinen lassen. Er gibt vielmehr Möglichkeiten zur Hand, 43

Kritisch: Englerth, Behavioral Law and Economics, abzurufen unter: http://hdl.handle.net/10419/19893 sowie zusammenfassend Schweizer, Kognitive Täuschungen vor Gericht, § 4, abzurufen unter: http://decisions.ch/dissertation.html (je zuletzt abgerufen am 26.12.2010). 44 Überblick: Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff. sowie Schweizer, Kognitive Täuschungen vor Gericht, Teil II.

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das tatsächliche menschliche Verhalten unter Berücksichtigung nachgewiesener Abweichungen von der vollständigen Rationalität des homo oeconomicus, abzubilden und einzubeziehen. Der zu ziehende Schluss die individuellen Momente, also die Eigenschaften einer Person oder des Sachverhalts betreffend, bleibt dennoch ein anderer: An der mangelnden Berücksichtigung der hier interessierenden Aspekte ändert dieser das Verhalten betreffende Trend nichts. Es wird zwar das menschliche Verhalten genauer einbezogen, als das in der Ökonomie bisher der Fall war. Indes wird damit immer noch nicht von den Personen des tatsächlichen Falles ausgegangen. Wenngleich das menschliche Verhalten näher am Tatsächlichen beschrieben und so ein realistischeres Bild einer Entscheidungen zugrunde gelegt wird, wird damit immer noch das menschliche Verhalten an sich und nicht diejenigen, um die es im zu entscheidenden Fall geht, zu Rate gezogen46.

III. Ergebnis Die Ökonomische Analyse und ihre Instrumente vermögen es nicht, einem Bedürfnis danach gerecht zu werden, individuelle Momente des Sachverhalts bei einer Entscheidung mittels Generalklausel zu berücksichtigen. Dieses Bedürfnis ist freilich nicht immer vorhanden. Vor der Lösung mittels Effizienzkriterium aber danach zu fragen, ob ein Sachverhalt nicht einer verallgemeinernden, sondern einer individualisierenden Lösung zugeführt werden muss, bedeutet gleichzeitig, eine Prüfung durchzuführen, wie sie im Bereich der Generalklauseln üblich ist (sein sollte). Damit werden die Vorteile, die für die Anwendung der Ökonomischen Analyse sprechen, also vor allem eine einfache und praktikable Lösungsfindung zu bekommen, weggewischt. Freilich wohnen diesem Argument materielle Elemente inne, das lässt sich im Bereich der Generalklauseln kaum vermeiden. Individualität zu beachten ist eine Forderung, die dem Wert der Gerechtigkeit entstammt. Dennoch wird, weil hier vor allem vor dem Hintergrund der Funktion der Generalklauseln argumentierte wurde, dieses Argument von dem im Anschluss hieran zu besprechenden weiteren Argument unterschieden.

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Menschen handeln etwa altruistisch (hiergegen kann gesagt werden, dass auch die Anerkennung durch den anderen einen bilanzierfähigen „Wert“ haben kann) oder sie bestrafen das Gegenüber, wie es etwa beim viel besprochenen UltimatumSpiel der Fall ist. Zu letzterem: Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (219). 46 So ist auch Eidenmüller, JZ 2005, S. 216 (221) zu verstehen, wenn er lediglich den Schluss einer Anpassung der ökonomischen Modelle zieht.

B. Von der Methode her argumentiert

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B. Von der Methode her argumentiert: Die Konkretisierung von Generalklauseln Wenn die Generalklauseln „ein Stück offengelassener Gesetzgebung“47 sind, warum soll dann der Richter eine Theorie, von der gezeigt wurde, dass sie nur durch den Gesetzgeber eingeführt werden soll48, gerade in ihrem Anwendungsbereich nicht selbst einführen können? Eine Schranke dazu ist ihm nur auferlegt, wenn die „Gesetzgebung durch den Richter“ in diesem Bereich nur unter Vorbehalten erfolgen soll, so vollkommen „offen“ im Sinne des Zitats also doch nicht ist. Es ist deshalb zu zeigen, welche Grenzen dem Richter bei der Anwendung von Generalklauseln gesetzt sind. Generalklauseln delegieren die Aufgabe, Regeln für Fälle zu finden weiter. Diese Ermächtigung der Richter kann auch als Unterfall der bereits angesprochenen Verweisfunktion eingeordnet werden49. Die Generalklauseln sind also ein Instrument dazu, die kompensierende Flexibilität, die Gerichte gegenüber dem freilich nicht jeden Konflikt vorhersehenden Gesetzgeber auszeichnet, zu bewahren. Welche Besonderheiten birgt ihre Anwendung über die bisher gezeigten hinaus in sich?

I. Auslegung mit den Mitteln des Auslegungskanons Eine nähere Betrachtung des § 242 hat gezeigt, dass der Wortlaut der Norm entgegen einer Vielzahl von Gegenmeinungen durchaus einigen Aufschluss bei seiner Interpretation geben kann50. Dieses Bild lässt sich aber nicht auf alle Generalklauseln übertragen. Die Überzeugung von der (immerhin) geringen Verwertbarkeit der Wortlautauslegung ist die für diesen Normkreis im Allgemeinen zu Recht herrschende51. Und das liegt durchaus nahe: Denn wenn Normen sich gerade dadurch auszeichnen sollen, dass sie mit Unbestimmtheit einen Entscheidungsraum schaffen sollen, dann verwundert es nicht, wenn ihr Wortlaut so gefasst ist, dass er diese Weite nicht wieder beschränkt, sondern nur Leitlinien vorgibt. Größere Relevanz ist der systematischen Auslegung beizumessen: Die Berücksichtigung anderer Normen und des Normensystems kann, wie gleich 47

Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58. Eidenmüller, S. 438. 49 Bydlinski, Präzisierung, S. 199. 50 Siehe oben: S. 48 ff. 51 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 583; Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 662 (670); Ohly, AcP 201 (2001), S. 1 (9 f.); Schmalz, Methodenlehre, Rn. 341; Wank, Grenzen, S. 147. 48

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noch näher beleuchtet wird, die Interpretation von Generalklauseln tatsächlich stützen52. Anderes gilt, wie sich bereits aus einem logischen Schluss ergibt, für die historische Auslegung. Denn wenn die Existenz der Generalklausel Zeugnis dafür ist, dass der Gesetzgeber bestimmte Fälle nicht vorhersehen kann, dann wird man von ihm keine eindeutige Zielsetzung in Bezug auf den zu lösenden Fall erwarten dürfen. Bydlinski hebt insoweit treffend hervor, dass dann, wenn der Gesetzgeber konkretere Vorstellungen gehabt hätte, auch die Normierung präziser erfolgt wäre53. Auch den Zweck von Generalklauseln zu ihrer Interpretation heranzuziehen, verspricht insoweit wenig Ergiebigkeit54; seine Hinzuziehung muss jedenfalls vom Bewusstsein der Möglichkeit verschiedener Deutungen begleitet sein55.

II. Konkretisierung bzw. Präzisierung Weil die Auslegung von Generalklauseln zum Zwecke der Herausarbeitung konkreter Regeln mit den üblichen Auslegungsmethoden wie gesehen nur in wenigen Fällen zu Erfolgen führt, gewinnt die Interpretation mittels Konkretisierung an Bedeutung56. Die Konkretisierung ist dabei nicht als ein aliud zur Auslegung zu begreifen. Vielmehr bedient sie sich, wenn es nötig wird (und möglich ist), der üblichen Auslegungsregeln. Der Auslegungskanon ist auch relevant, wenn das, sogleich darzustellende Konkretisierungsmaterial, auf das jede Generalklausel verweist, eingegrenzt werden soll. 1. Zweck der Konkretisierung Die Entscheidung eines Falles benötigt eine konkrete Vorgabe dessen, was zwischen den beteiligten Personen getan werden soll. Diese Vorgabe sollte dabei möglichst in Form einer Bestimmung vorliegen, die eine einfache Subsumtion erlaubt und Zufallsentscheidungen57 verhindert. Diese 52 Bydlinski, Methodenlehre, S. 583; Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 662 (670); Raisch, Juristische Methoden, S. 166. 53 Bydlinski, Methodenlehre, S. 583. 54 Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 662 (670); Schmalz, Methodenlehre, Rn. 341. 55 Looschelders/Roth, S. 203 f. 56 Vgl. Wank, Grenzen, S. 145 ff. 57 So: Podlech, BB 1968, S. 106 (108).

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Anforderung besteht auch dann, wenn die zur Entscheidung notwendige Norm eine Generalklausel ist. Wenn deduktive Methoden, also solche, die durch Auslegung der und Subsumtion unter die Norm Ergebnisse ableiten, nicht fruchten, muss die Norm durch materielle Wertungen ausgefüllt werden58. Welche Gesichtspunkte dürfen dabei aber eine Rolle spielen, welche nicht? 2. Vorgehensweise „Wie er vorgehen will, bleibt dem Richter weitgehend überlassen“, konstatiert Wank59. Ob die Freiheit des Richters aber wirklich so weitgehend ist, ist fraglich. In den Fokus soll daher die Frage danach rücken, welche Gegenstände einer Konkretisierung zugrunde liegen können und wie eng durch sie der Entscheidungsraum des Richters eigentlich wird. a) Allgemeine Grundsätze der Konkretisierung von Generalklauseln; die Konkretisierungsmittel Die zur Konkretisierung60 von Generalklauseln dienenden Mittel aber auch ihre Reihenfolge hat Bydlinski61 unter Verweis auf die entsprechenden Abhandlungen bei Canaris62 und Teubner63 zusammengefasst. Alle drei Quellen weisen Übereinstimmungen mit der Untersuchung „Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB“ Wieackers64 auf. Als Korrelat zählt Bydlinski die folgenden Konkretisierungshilfen auf und unterlegt sie mit Beispielen. Seine Überlegungen sollen kurz nachvollzogen werden. Die Grundlegungen über die Konkretisierung von Generalklauseln sind gegenüber der praktischen Arbeit mit Fallgruppen aus drei Gründen von Belang: Erstens hat die Rechtsfindung durch den Richter bei der Orientierung an Präjudizien die hier besprochenen Grundsätze der Konkretisierung keineswegs außer Acht zu lassen. Vielmehr taugen sie auch zur Präzisierung bestehenden Präjudizienrechts. 58 59 60 61 62 63

Ohly, AcP 201 (2001), S. 1 (10). Wank, Grenzen, S. 147. Umfassend zum Begriff: Engisch, Idee der Konkretisierung, S. 1 ff. Bydlinski, Präzisierung, S. 199 ff. Canaris, ZAS 1970, S. 147 ff. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, insbesondere II. und

III. 64

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Zweitens öffnet die ausschließliche Orientierung an Präjudizien, wie gesehen65, für sich genommen bereits einen großen Raum für rechtstaatliche Bedenken. Drittens verlieren Präjudizien an Bedeutung, wenn es gilt, ein noch nicht entschiedenes Problem zu lösen. Damit zu den allgemeinen Konkretisierungsmitteln: aa) Die gesetzlichen Grundwertungen Besonders für die Konkretisierung von Generalklauseln hervorzuheben ist die Maßgeblichkeit von Wertungen, die anderen gesetzlichen Regelungen zu entnehmen sind. Zu den wichtigsten gesetzlichen Wertungen, die sich hier auswirken, zählen jene der Grundrechte. Als objektive Werteordnung66 gelten die Grundrechte in allen Bereichen des Rechts, sogenannte Drittwirkung der Grundrechte67. Die Berücksichtigung im Rahmen der Konkretisierung der Generalklauseln gilt als wesentliches Einfallstor dieser Wertungen in das Privatrecht. Weil dies sowohl von den Befürwortern einer unmittelbaren Wirkung der Grundrechte als auch den Vertretern einer mittelbaren Wirkung anerkannt ist, kommt es auf eine Entscheidung zwischen den beiden Standpunkten im hier interessierenden Bereich (aber durchaus auch allgemein) nicht an68. bb) Die anerkannten rechtsethischen Prinzipien Rechtsethische Prinzipien sind solche, die gleichermaßen sozialethisch fundiert und im positiven Recht wirksam sind69. Sie können einzelnen Vorschriften aber auch ganzen Rechtsgebieten zugrunde liegen70 (dies tun sie eher, als dass sie dem Recht innewohnen, wie Armbrüster71 betont). Aus diesem Grunde könnten die rechtsethischen Prinzipien, wollte man die hier übernommene Gliederung komprimieren, auch den gesetzlichen Grundwertungen untergeordnet werden72. Beispielsweise zu nennen sind etwa der in 65

Siehe oben: S. 95 ff. Vgl. dazu unten: S. 207 ff. 67 Umfassend: Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 ff.; übersichtlich: Westermann/ Bydlinski/Weber, Schuldrecht AT, 65 ff. 68 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 53; Säcker in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) Einleitung Rn. 63; Sutschet in Beck-OK BGB (Edition 18) § 242 Rn. 22. 69 Bydlinski, Präzisierung, S. 203. 70 Wendland in Beck-OK BGB (Edition 18) § 138 Rn. 17. 71 Armbrüster in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 138 Rn. 12. 66

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dieser Untersuchung schon mehrmals herausgestellte Vertrauensschutz73 im rechtsgeschäftlichen Verkehr74 oder die Notwendigkeit der Verhinderung der Ausnutzung einer wirtschaftlichen Übermacht durch einen der Vertragspartner75. Schon hier wird deutlich, dass die verschiedenen Konkretisierungsmittel eine unterschiedlich große Nähe zum gesetzten Recht und seinen Instituten aufweisen können. Die Nähe zum Gesetz ist denn auch das Kriterium, das die hier wiedergegebene Rangfolge zwischen den Konkretisierungsmitteln herausbildet (dazu auch sogleich unten). cc) Die Regeln der Verkehrssitte Noch nicht in das Gesetz aufgenommene, im Kreis der Beteiligten aber bereits etablierte Ordnungen stellen die Verkehrssitten dar. Die Verkehrssitten weisen trotz dieser vagen Charakterisierung eine durchaus greifbare Verbindlichkeit auf: Sie liegen als solche nämlich erst vor, wenn Umstände deutlich werden, nach denen das der jeweiligen Verkehrssitte entsprechende Verhalten auch erwartet werden darf76. Wo, wie in § 242, auf die Verkehrssitten verwiesen wird, werden ihre Regeln schließlich rechtlich bedeutsam. Bydlinski weist daher im Rahmen seiner Beispiele auch auf die Funktion der Verkehrssitte als Konturen schärfendes Bindeglied zwischen den Richtlinien, die gesetzliche Wertungen und rechtsethische Prinzipien aufgeben, einerseits und der am Ende der Konkretisierung stehenden Entscheidung des Richters andererseits hin77. dd) Die sozialethischen Anschauungen und Bewertungen Sozialethische Anschauungen werden dort relevant, wo sich mangels Häufigkeit der infrage stehenden Situation eine Verkehrssitte schlicht nicht herausbilden konnte. Weil es bei der Konkretisierung auch auf die Einheit72 Bydlinski, Präzisierung, S. 204; Larenz/Wolf AT, § 41, Rn. 13 ordnen in diesem Sinne auch die hier bei den gesetzlichen Grundwertungen besprochenen Wertungen der Grundrechte als rechtsethische Prinzipien ein. 73 Siehe dazu vor allem die Betrachtung der Wirkung von Treu und Glauben in Normen des BGB oben unter S. 64 ff.; vgl. überdies: Esser, Schuldrecht, 2. A., S. 101. 74 Larenz/Wolf AT, § 41, Rn. 14. 75 Vgl.: Armbrüster in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 138 Rn. 12; Bydlinski, Präzisierung, S. 205 f. 76 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2007) § 242 Rn. 12. 77 Bydlinski, Präzisierung, S. 206.

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lichkeit des Ergebnisses ankommt, können ethische Wertanschauungen nur für solche Fragen Klarheit bringen, die aufgrund ihres außerordentlichen Gegenstands polarisierend genug sind, um Auffassungen aus verschiedenen Standpunkten (einer, wie es momentan allerorts unterstrichen wird, pluralisierten Gesellschaft) auf sich zu vereinen. Für den Begriff der Sittenwidrigkeit müsste eine „unmittelbare Fallbeurteilung vom allgemeinen sozialethischen Standpunkt aus, die klare Anstößigkeit (am Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden78, der Verf.) ergeben“79. Wo empirische Untersuchungen zu den Anschauungen der Menschen fehlen, ist dann aus „dem beobachtbaren äußeren Verhalten möglichst zahlreicher Menschen“ zu schließen80. ee) Die richterliche Eigenwertung An letzter Stelle der Konkretisierung steht die richterliche Eigenwertung. Das ist allerdings nicht in der Weise zu deuten, dass ab diesem Punkt eine Entscheidung des Richters „nach gut dünken“ erlaubt ist. Die Eigenwertung ist, obwohl die Bezeichnung dies vermuten lassen könnte, nicht nach subjektivem Belieben, sondern mit Blick auf die Konsensfähigkeit der Entscheidung an der Möglichkeit weitgehender Zustimmung zu orientieren81. b) Die Konkretisierungsmittel untereinander Die soeben beschriebenen Konkretisierungsmittel weisen unterschiedliche Schwierigkeiten bei der Ermittlung ihrer Inhalte auf. Am ehesten gilt dies für die sozialethischen Anschauungen, am wenigsten für die gesetzlichen Grundwertungen. Eine Abstufung zwischen den Konkretisierungsmitteln ist deshalb dort vorzunehmen, wo eines von ihnen einem anderen in der Beständigkeit seines Ergebnisses nachsteht. Allen voran zu stellen ist damit die Konkretisierung mithilfe der gesetzlichen Grundwertungen. Bydlinski82 führt hierfür vor allem an, dass das Mittel, das gleichmäßigere Ergebnisse schafft, auch das ist, was zu einem gerechteren und siche78 RG, Urteil vom 11.04.1901 – VI 443/00, RGZ 48, S. 114 (124); BGH, Urteil vom 9.7.1953 – IV ZR 242/52, NJW 1953, S. 1665 (1665); BGH, Urteil vom 29.9.1977 – III ZR 164/75, NJW 1977, S. 2356 (2357); BGH, Urteil vom 28.11.1990 – XII ZR 16/90, NJW 1991, S. 913 (914). 79 Beispiel bei: Bydlinski, Präzisierung, S. 207. 80 Zu den Problemen eines Schlusses vom Sein auf das Sollen siehe unten: S. 203. 81 Canaris, ZAS 1970, S. 147 (147). 82 Bydlinski, Präzisierung, S. 209, 212.

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reren Zustand führt83. Weil es im Sinne der Rechtsidee84 gerade um einen solchen Zustand gehen muss, kann auch zu dem dieses Ziel nur weniger sicher erreichenden nächsten Konkretisierungsmittel erst dann übergegangen werden, wenn das ihm vorangehende Mittel keine brauchbaren Ergebnisse liefert. Davor ist die Anwendung nachrangiger Mittel gesperrt. Ob das Ergebnis in diesem Sinne brauchbar ist, kann sich aus einer sog. Begleitkontrolle ergeben. Mit diesem Begriff ist die Überprüfung des Ergebnisses der Anwendung eines Konkretisierungsmittels anhand fundamentaler Rechtsgrundsätze gemeint. Fällt das Kontrollergebnis negativ aus, dann ist das nächst untere Konkretisierungsmittel zu bemühen. Schließlich darf das Konkretisierungsergebnis auch nicht mit konkreten Entscheidungen des Gesetzes brechen. Dies ergibt sich aus der Rechtssetzungsprärogative des Gesetzgebers85 und aus der geschilderten Art der Ermittlung des Ergebnisses: Es beruht auf der Verwendung von Mitteln, die, jedes für sich aber auch in der Summe, einer eindeutigen Anordnung des Gesetzes nachstehen. Denn die Vagheit seiner Ermittlung nimmt dem Ergebnis der Konkretisierung einer Generalklausel die Möglichkeit, sich in Widerspruch zu einer präziseren Regel zu setzen86; als speziellere Regel ginge letztere vor. Wie genau dieser Bereich der Konkretisierung ausgestaltet ist, wird sogleich noch genauer ermittelt, um die hier verborgenen Chancen für neue Wertungen zu zeigen. c) Wandelbarkeit des Konkretisierungsmaterials Vor dem Hintergrund der immerwährenden Aktualität der Fälle, die Richter zu lösen haben, ist eine Eigenschaft der besprochenen Konkretisierungsmittel unbedingt zu betonen: Soweit die Wertungen, auf die Generalklauseln verweisen, sich ändern, können sich auch die von den Generalklauseln aufgestellten Regeln ändern87. Nur dies entspricht auch der soeben schon im Rahmen der Grenzen ihrer Anwendung angesprochenen, und bei der methodischen Erarbeitung des Raumes, in dem sich der Anwender einer General83

Bydlinski, Präzisierung, S. 209, 211 ff. Binder, Rechtsidee, S. 60 nennt diese auch die „apriorische Norm des Rechts“; Bydlinski, Methodenlehre, S. 317 fasst hierunter die „Fundamentalprinzipien“ Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit und stimmt insoweit mit Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 70 ff. überein; Engisch, Gerechtigkeit, S. 190 ff. hebt die Gerechtigkeit als Bestandteil der Rechtsidee hervor und vernachlässigt die Rechtssicherheit ausdrücklich; zum Begriff überdies: Larenz, Richtiges Recht, S. 33 ff., 174 ff.; sowie Henkel, Recht und Individualität, S. 16 ff. 85 Bydlinski, Methodenlehre, S. 584. 86 Bydlinski, Präzisierung, S. 213 f. 87 Bydlinski, Präzisierung, S. 214 ff. 84

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Kap. 7: Generalklauseln und Effizienz?

klausel bewegt, notwendig zugrunde zu legenden Rechtsidee. Soweit man ihre Bestandteile Gerechtigkeit und Rechtssicherheit auseinandersetzt, wird diese Nähe deutlich88: Den Erwartungen der beteiligten Kreise (Rechtssicherheit) kann nämlich nur entsprochen werden, wenn die Regel, die aus der Generalklausel abgeleitet wird, sich auch auf aktuelle Wertungen und Anschauungen (Gerechtigkeit89) stützt. Wie ermittelt sich das für die jeweilige Generalklausel relevante Konkretisierungsmaterial? d) Identifizierung des Konkretisierungsmaterials durch Auslegung der Generalklausel Wenngleich soeben gesagt wurde, dass die Auslegung der Generalklauseln mit den üblichen Auslegungsmitteln zur Ermittlung der Lösung eines in ihren Anwendungsbereich fallenden Falles wenig dienlich ist und ein Ergebnis deshalb mit dem beschriebenen Konkretisierungsmaterial gefunden werden muss, gilt für die Ermittlung des Konkretisierungsmaterials selbst ein anderes: Welche gesetzlichen Wertungen, rechtsethischen Prinzipien, Verkehrsnormen und -Anschauungen die in Frage stehende Generalklausel einbeziehen soll, ist nämlich ihrem Wortlaut, ihrer systematischen Stellung und ihrem Zweck zu entnehmen90. Ihre Begrenzung findet die Wandelbarkeit von Anwendungsergebnissen der Generalklausel, wie sie die Verweisung der Generalklausel zunächst schafft, daher auch im Verweisungsgehalt der Generalklausel selbst. Nochmal: Die Auslegung der Generalklausel zur Ermittlung des Materials, über das sie konkretisiert werden soll, ist nicht mit der Konkretisierung der Generalklausel mithilfe des dann ermittelten Konkretisierungsmaterials zu verwechseln. Ob sich die Konkretisierung von Generalklauseln selbst wiederum als Auslegung oder Rechtsfortbildung ausnimmt, ist, anders als es die relative Einigkeit über die Unanwendbarkeit der üblichen Auslegungskriterien vermuten lässt, stark umstritten91. Die Zweifel, die die Probleme der Anwendung des üblichen Auslegungskanons bereiten, lassen die Meinung zwischen einer Deutung der Konkretisierung als Rechtsfortbildung und als Auslegung schwanken.

88 89 90 91

Zu den Bestandteilen der Rechtsidee siehe oben: S. 165 ff. Zur Gerechtigkeit als juristisches Argument siehe unten: S. 202 ff. Bydlinski, Präzisierung, S. 211. Siehe dazu den folgenden Abschnitt.

B. Von der Methode her argumentiert

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III. Konkretisierung als Auslegung oder Rechtsfortbildung? Mit den Erkenntnissen des zuvor Gesagten drängt sich ein Beitrag zu diesem Streit auf. 1. Meinungen Wank stellt fest, dass Konkretisierung etwas anderes als Auslegung und „stets zugleich Rechtsfortbildung“ ist92. Anders als bei der Auslegung müsse sich der Richter seine Mittel- und Obersätze nämlich erst selbst bilden. Dass eine Norm wertausfüllungsbedürftige Begriffe enthalte, stelle indes, wie Koch/Rüssmann festhalten, keinen Grund für die Annahme einer nicht an das Gesetz gebundenen und deshalb rechtsfortbildenden Entscheidung dar93. Auch dort, wo Wertbegriffe Verwendung finden, sei keine Grenze für die Bindung an den (durch Auslegung zu ermittelnden) semantischen Gehalt des Gesetzes zu erkennen94. Wie bei Wank wird das Verfahren der Konkretisierung von Generalklauseln auch bei Ipsen als etwas anderes als Auslegung beschrieben95. Wo kein Wille des Gesetzes vorhanden ist, könne er auch nicht durch Auslegung ermittelt werden. Bydlinski hingegen geht vom Bestehen einer unmittelbaren und expliziten Geltungsanordnung durch den Gesetzgeber aus96. Der Geltungswille stehe dem einer präziser gefassten Norm in nichts nach. Erst, wenn die in der Generalklausel ausgedrückte Anordnung des Gesetzgebers überschritten werde, liege Rechtsfortbildung vor. Canaris und Engisch haben sich dem Problem über den Lückenbegriff genähert97: Wenn man als Voraussetzung der Rechtsfortbildung eine „Lücke“ im Gesetz annimmt98, dann kann nämlich die Frage danach, ob es 92

Wank, Grenzen, S. 146. Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 204. 94 Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 202; Koch/Rüssmann spalten die wertausfüllungsbedürftigen Begriffe in einen wertenden und einen deskriptiven Teil auf. Eine eigene Wertung habe erst nach Ausschöpfung des vollen Gehalts des deskriptiven Teils zu geschehen, der grundsätzlich unter Berücksichtigung auch der übrigen Auslegungsmethoden zur Entscheidungsfindung genüge. 95 Ipsen, Richterrecht, S. 73. 96 Bydlinski, Präzisierung, S. 198 f. 97 Canaris, Lücken, S. 26 ff.; Engisch, Einführung, S. 176 ff. 98 Bydlinski, Präzisierung, S. 199; Larenz, S. 370 ff. 93

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möglich ist, die in das Konkretisierungsmaterial verweisenden wertausfüllungsbedürftigen Begriffe als Lücke einzuordnen, Aufschluss geben. Eine Lücke setzt voraus, dass keine Regelung vorhanden ist aber vorhanden sein sollte99 und dass dieser Zustand planwidrig eingetreten ist. Sie „ist eine unbefriedigende Unvollständigkeit innerhalb eines Ganzen“100. Dass aber Unvollständigkeit nicht vorliegt, zeige sich daran, dass eine, wenn auch unbestimmte, Regelung ja existiert. Aber auch, wenn man die Unbestimmtheit selbst zur Lücke erklärte, mangelte es doch immer noch an der Planwidrigkeit: Denn insoweit, als dass die Einführung der Generalklauseln von der Einsicht in die Unmöglichkeit eines allumfassenden Normenkatalogs getrieben sei, müsse hierin gerade die Intention der Unbestimmtheit erkannt werden. Wenn bei den Generalklauseln, anders als sonst, darauf verzichtet wurde, detaillierte Entscheidungsmaßstäbe zu schaffen, dann ist dies, wie auch Looschelders/Roth bei ihrer Besprechung der Konkretisierung als Auslegung festhalten, ganz bewusst geschehen101. Planwidrigkeit könne dann nur noch verneint werden; die Konkretisierung sei danach also als Auslegung einzustufen102. Dass diese Einwände nicht überzeugen könnten (und damit Rechtsfortbildung vorliegen muss), heben schließlich Rüthers/Fischer hervor103. Die Geschichte zeige nämlich, so Rüthers/Fischer weiter, dass gerade die Neuschöpfung von Rechtsfiguren auf die Generalklauseln, wie etwa § 242 zurückgehe. In diesen Klauseln seien zwar nicht planwidrige aber immerhin gewollte Lücken zu erkennen. Einen jüngeren Ansatz brachte Kamanabrou in die Diskussion ein104. Danach sei der Wortlaut als Kriterium, nach dem die herrschende Meinung105 Auslegung und Rechtsfortbildung voneinander abgrenzt, abzulehnen, weil er im Rahmen der Generalklauseln selbst unbegrenzt sei und daher keinen Aufschluss geben könne106. Entscheidend sei vielmehr, auf den Inhalt des 99 Larenz, S. 375; danach „kann nicht genug betont werden, daß eine „Lücke“ (. . .) nicht etwa ein „Nichts“ darstellt, sondern das Fehlen einer bestimmten, (. . .) zu erwartenden Regel bedeutet“. 100 Engisch, Einführung, S. 176. 101 Looschelders/Roth, S. 198. 102 Ohne dies an dieser Stelle näher auszuführen bespricht auch Schmalz, Methodenlehre, Rn. 341 die Konkretisierung als (Sonder-)Form der Auslegung. 103 Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, Rn. 836 ff. 104 Kamanbrou, AcP 202 (2002), S. 662 (678 ff.). 105 Vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, NJW 1986, S. 1671 (1672); BVerfG, Beschluss vom 20.10.1992 – 1 BvR 698/89, NJW 1993, S. 1457 (1458); Larenz, S. 322; Zippelius, Methodenlehre, S. 47. 106 Zur Grenze des Wortlautes im Umgang mit Generalklauseln auch: Müller/ Christensen, Methodik, S. 304 ff.

B. Von der Methode her argumentiert

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Gesetzes abzustellen. Dieser sei entweder festzustellen oder, wenn dies nicht möglich ist, durch objektiv teleologische und verfassungskonforme Auslegung festzusetzen. Der Wille des Gesetzgebers stimme mit dem festgestellten Inhalt der Norm zwangsläufig überein. Zum festgesetzten Inhalt verhalte er sich immerhin neutral. Beide Fälle seien Fälle der Auslegung. Um Rechtsfortbildung handele es sich hingegen, wenn der Wille des Gesetzgebers vom Interpretationsergebnis abweicht. 2. Stellungnahme Die Ausführungen zum Vorgehen bei der Konkretisierung haben gezeigt, dass die Anordnungen der Generalklauseln zwar wesentlich weniger konkret sind, als die anderer Normen. Deshalb aber davon zu sprechen, dass keine Regelung und damit eine Lücke vorliegt, geht jedoch fehl, denn auch eine unbestimmte Regelung ist immerhin eine. Da sowohl Befürworter (etwa Canaris) wie auch Gegner (etwa Ipsen)107 der Einordnung der Konkretisierung als Auslegung das Argument der vorhandenen aber unbestimmten Regelung in ihre Begründungen einbeziehen, muss es für die Frage danach, welchen Ausschlag dieses Argument geben soll, darauf ankommen wie, schwer man diesen „inhaltlichen Anknüpfungspunkt“ gewichtet. Inhaltlich gibt die Vorgabe des Gesetzgebers beiderseits unbestritten wenig her. Ebenso unbestritten ist aber die gerade zu bejahende formale Existenz einer inhaltlichen Vorgabe. Da die formale Position eindeutig ist und bei am Inhalt orientierter Herangehensweise zwar nur wenige aber immerhin doch vorhandene Inhalte zugestanden werden müssen, ist das Bestehen einer Regelung zu bejahen. Aber auch eine durch diese Weite etwa anzunehmende gewollte Lücke108 liegt in Gestalt der Generalklauseln nicht vor. Zwar ist das Vorliegen einer gewollten Lücke zu bejahen, wenn der Gesetzgeber Sachverhalte bewusst zur freien Regelung offengelassen hat. Gar keine Bindung besteht aber gerade nicht; Richtlinien sind, wie eben gezeigt, vorgegeben. Überdies: Wenn die Generalklausel dem Richter den Auftrag erteilt, einen Rechtssatz zu bilden, dann muss er dies nicht nur tun, weil ihm zur Entscheidungsfindung nichts anderes übrig bleibt, sondern er soll es auch tun. Weil er etwas tun soll, handelt er, indem er diese Aufgabe erfüllt, im ihm von der Norm vorgegebenen Plan der Norm. Der eine Generalklausel anwendende Gesetzgeber nimmt durch die Wandelbarkeit des Konkretisierungsmaterials, auf das er selbst verweist, von ihm unvorhergesehene Entwicklungen in seinen Plan mit auf. Eine Rechtsfindung, die sich aus dem Konkretisierungsmate107 108

Canaris, Lücken, S. 28; Ipsen, Richterrecht, S. 73. Dazu: Engisch, Einführung, S. 179 f.

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rial ergibt, übersteigt deshalb auch nicht den Willen des Gesetzgebers. Rechtsfortbildung liegt demnach nur vor, wenn der Weg der vorgegebenen Konkretisierungsstufen verlassen wird, wie es etwa im Rahmen der Aufwertungsrechtsprechung109 durchaus der Fall war. Dass unter dem Vorwand, sich auf eine Generalklausel zu stützen, Neuschöpfungen von Rechtsfiguren entstehen, kann also in Anbetracht auch etwa des Rechtsmissbrauchs oder der Verwirkung nicht geleugnet werden. Dennoch spricht dies nicht gegen die generelle Einordnung der Konkretisierung als Auslegung. Zwar kann der Umstand, dass es, vor allem im Bereich des § 242, über den für diese Norm vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus auch zu Fällen der Rechtsfortbildung contra legem kommt, keineswegs bestritten werden. Doch handelt es sich hierbei eben um ein anderes Problem als die Beschreibung der Erfüllung des vom Gesetzgeber vorgesehenen Plans110. Erst einmal als Rechtsfortbildung contra legem qualifiziert, zeigt sich für diese Institute, dass sie, wenngleich rechtspolitisch legitim, so doch nicht im eigentlichen Konkretisierungsbereich der Generalklauseln ermittelt wurden. Daran, dass die legitime Konkretisierung dem Grunde nach Auslegung ist, ändert dies daher nichts. Hiermit stimmt auch das Ergebnis des Ansatzes Kamanbrous überein, nachdem sich für die Konkretisierung von Generalklauseln ebenfalls grundsätzlich die Einordnung als Auslegung ergibt: Denn soweit (aber auch nur soweit!) sich der Gesetzgeber der Vorgabe einer Wertung enthält, kann das Interpretationsergebnis seinem Willen auch nicht widersprechen. Es wird sich neutral zu ihm verhalten und damit als Inhaltsfestsetzung und somit als Auslegung zu klassifizieren sein. Erst wenn die Ergebnisfindung den vom Gesetzgeber zur Konkretisierung der Generalklausel vorgegebenen Raum verlässt, liegt in dieser Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auch nach Kamanbrous Ansatz Rechtsfortbildung vor111.

IV. Grenzen und Spielräume legitimer Konkretisierung 1. Keine Konkretisierung contra legem Regelmäßig wird behauptet, dass mithilfe der Generalklauseln dem Billigkeitsrecht zum Durchbruch durch die Regeln bestehender Normen verholfen werden soll112. Indes ist zwischen zwei verschiedenen Situationen zu 109 110 111 112

S. 32.

Dazu unten: S. 192 ff. Vgl. insoweit: Bydlinski, Präzisierung, S. 227; Canaris, Lücken, S. 29 (Fn. 57). Siehe: Kamanbrou, AcP 202 (2002), S. 662 (680 f.). Siehe nur oben S. 163 ff. sowie umfassend: Henkel, Recht und Individualität,

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unterscheiden113: Es gibt viele (rechtspolitisch richtige!) Entscheidungen, die formal, also insbesondere dem Text der Entscheidungsbegründung nach, auf Generalklauseln gestützt wurden, auf Generalklauseln aber gar nicht gestützt hätten werden können, weil sie contra legem ergingen. Nicht nur dem im Text der Entscheidung verkörperten Willen des Entscheidenden nach, sondern auch der Methode einer legitimen Konkretisierung entsprechend, ergehen nach Bydlinski Entscheidungen nur dann zu Recht auf Generalklauseln gestützt, wenn sie sich nicht gegen eine im Gesetz festgehaltene Wertung stellen. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Warum darf die Konkretisierung nicht contra legem erfolgen und wann erfolgt eine Entscheidung contra legem? Die erste Frage ist leicht zu beantworten: Die Ergebnisfindung bei der Konkretisierung von Generalklauseln darf nicht contra legem erfolgen114, weil eine gesetzgeberische Entscheidung der mit einer Generalklausel gefundenen Regel als speziellere Regel vorginge. Dass dies so sein muss, ergibt sich schon aus der dem Gewaltenteilungsgrundsatz zugeordneten Regelungsprärogative des Gesetzgebers gemäß Art. 20 Abs. 2 GG. Zur zweiten Frage: Wann genau ist die contra legem-Grenze überschritten? 2. Abgrenzung Der neuralgische Punkt bei der Konkretisierung einer Generalklausel ist die Grenze, die das Gesetz setzt. Wenn das Ergebnis einer Konkretisierung nicht mit einer Regel des Gesetzgebers kollidieren darf, dann fragt sich, wann genau diese Ausschlusswirkung eintritt. Dabei ist zwischen im Gesetz verankerten und dort nicht verankerten Wertungen des Gesetzgebers zu unterscheiden. Insbesondere die Einführung neuer Wertungen, wie sie durch die Wandelbarkeit des Konkretisierungsmaterials möglich wird und sich in einem neuen, von bisherigen Ergebnissen abweichenden Konkretisierungsergebnis zeigen kann, birgt durchaus größtes Potenzial dafür, mit bestehenden gesetzgeberischen Wertungen zu kollidieren. Dies wurde bereits durch die oben gezeigte Anwendung des Effizienzkriteriums auf Fälle indiziert, die von der Rechtsprechung zuvor auf § 242 gestützt wurden und deren Lösung mittels des Effizienzkriteriums zu einem stark abweichenden Ergebnis führte. Der Omnibusunternehmer, der vom BGH einen Anspruch auf Zahlung zugesprochen bekam (gestützt auf die 113 114

Bydlinski, Präzisierung, S. 189 ff. Vgl. insoweit nur: Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 255.

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Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage), wäre bei Anwendung des Effizienzkriteriums leer ausgegangen115. Der Flussfrachtführer, dessen Haftungsfreizeichnung einer Klauselkontrolle durch den BGH standhielt, hätte, wenn die der Prüfung zugrunde liegende Generalklausel mit dem Effizienzprinzip konkretisiert worden wäre, zahlen müssen116. Solchen Abweichungen ist die Frage nach ihrer Legitimität immanent. Den Abweichungen liegt ein Konflikt zwischen neuen und alten Wertungen des Gesetzgebers zugrunde. Die neue Wertung ist die, das Effizienzprinzip zu berücksichtigen. Stünde ihr eine dies ausschließende, ältere Wertung des Gesetzgebers entgegen, dann stellte sich die Frage, ob eine Konkretisierung mittels Effizienzprinzips als Überschreitung der contra legemGrenze ausgeschlossen ist. Ob eine Entscheidung erst dann contra legem ergeht, wenn sie einer geschriebenen Wertung des Gesetzgebers widerspricht, oder ob es genügt, dass sie mit ungeschriebenen Wertungen in Konflikt gerät, ist allerdings umstritten. Je nach dem, wie man sich entscheidet, ist die Ausschlusswirkung der contra legem-Grenze größer (Verstoß gegen ungeschriebene Wertung genügt) oder geringer (Verstoß gegen geschriebene Wertung erforderlich). Diese Entscheidung wirkt sich auf die Legitimität jeder Neukonkretisierung aus. Das gilt auch für die gezeigten, von den alten Entscheidungen abweichenden, neuen Entscheidungen. a) Problem Bezöge man neben den Abweichungen von Wertungen, die in das Gesetz aufgenommen wurden, auch solche Abweichungen, die gegen nicht im Gesetz verankerte Wertungen verstoßen, in den Bereich der Rechtsfindung contra legem ein, dann wäre die Ausschlusswirkung dieser Grenze so stark, dass Neukonkretisierungen weitgehend gesperrt wären. Von alten Ergebnissen abweichende, neue Entscheidungen wären damit weitgehend ausgeschlossen. Kommt den nicht im Gesetz formulierten Wertungen aber tatsächlich eine solche Bindungswirkung zu? b) Meinungsstand und Stellungnahme; die Berücksichtigung von Wertungen des Gesetzgebers Wenn der Gesetzgeber bewusst die Entscheidung trifft, einem bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge nicht zuzuordnen (so bei der Frage 115 Siehe dazu oben: S. 129 ff.; im Detail zur Lösung mittels Effizienzkriteriums: S. 136 ff. 116 Siehe dazu oben: S. 143 ff.

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nach der Einführung der Geschäftsgrundlage117), dann ist diese Entscheidung grundsätzlich bindend. Hierin ist ein Beispiel für den Fall zu erkennen, in dem es eine entgegenstehende Wertung des Gesetzgebers gibt, diese aber keinen Ausdruck im Gesetz findet. Eine solche Wertung kann regelmäßig den Gesetzgebungsmaterialien entnommen werden. Die sich hieraus ergebende Bindung kann nach zustimmungswürdiger Ansicht allerdings durchaus eine gewisse Relativierung erfahren. Die Rechtsfindung contra legem beginnt nach dieser Ansicht erst dort, wo sowohl gegen den gewollten als auch gegen den erklärten Inhalt einer Norm entschieden wird118. Diese Erhöhung der Schwelle zur contra legem-Grenze gegenüber jenen Auffassungen, die das reine Bestehen einer entgegenstehenden Wertung genügen lassen, hat einen wichtigen Grund: Nähme man eine absolute Bindung schon der nicht im Gesetz verankerten Wertungen an, dann bestünde kein Unterschied mehr zwischen der Bindungswirkung der ungeschriebenen Wertungen des Gesetzgebers und dem geschriebenen Recht119. Dies entspräche, so Bydlinski, allerdings der Anerkennung eines „allgemeinen negativen Satzes“120. Danach kann eine Rechtsfolge grundsätzlich nur an eine bestehende Regelung geknüpft werden und eine ohne Regelung ergehende Entscheidung stellt immer eine Ausnahme und damit einen Bruch des nach dieser Lehre im Gesetz verankerten negativen Satzes dar. Weil ebenjene Lehre aber nicht mehr vertreten wird, ist es nur folgerichtig, auch an die Rechtsfindung contra legem die Voraussetzung zu knüpfen, gegen einen im Gesetz ausgedrückten Willen des Gesetzgebers verstoßen zu müssen. Allein die Abweichung von im Gesetz nicht ausgesprochenen Wertungen kann daher nicht zwangsweise contra legem erfolgen und ist deshalb auch nicht zwangsweise ausgeschlossen. Die Bindung an im Gesetz verankerte Wertungen ist daher als absolut zu verstehen. Wird ihnen widersprochen, ist die contra legem-Grenze in jedem Fall überschritten. Die Bindung an Wertungen, die nicht im Gesetz verankert sind, ist als immerhin relativ zu verstehen. 117

HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 10. Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 255; vgl. diesbezüglich den Wortlaut von BVerfG, Beschluss vom 23.10.1958 1 BvL 45/56, BVerfGE 8, S. 210 (220 f.) sowie BVerfG, Beschluss vom 19.06.1973 – 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72, BVerfGE 35, S. 263 (280), nach denen eine Interpretation contra legem vorliegt, wenn einem „nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz“ ein anderer Sinn gegeben wird (Hervorhebungen d. Verf.); dort hervorgehoben wird auch das Kompetenzgefüge zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung. 119 Bydlinski, Präzisierung, S. 220 ff. 120 Knapp mit den wichtigen Argumenten hiergegen: Engisch, FS Sauer, S. 94 ff. 118

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Der contra legem-Grenze nähert man sich dort gefährlich, wo es darum geht, neue Wertungen mittels der Verwendung der Generalklausel einzuführen. Eine solche Einführung einer neuen Wertung stellt die Benutzung des Effizienzkriteriums dar. Hier ist auch von Belang, dass der Gesetzgeber durchaus damit begonnen hat, Zeichen zu setzen, die die Geltung des Effizienzkriteriums als von ihm anerkannten Wert stützen121. Zwar wird man noch nicht von einer vollständigen Änderung des „normativen Kontexts“ im Zivilrecht sprechen können, doch ist eine in diese Richtung weisende Entwicklung immerhin angedeutet. Ändert sich der normative Kontext in diesem Sinne, dann kann, wie die zwei folgenden Beispiele verdeutlichen sollen, eine Abkehr von nicht im Gesetz verankerten (relativ bindenden) Wertungen durch ein neues Konkretisierungsergebnis gerechtfertigt sein122. Die contra legem-Grenze ist dann nicht überschritten. Wie gesehen ist die Berücksichtigung der Wertung, einer Entscheidung das Effizienzprinzip zugrunde zu legen, allerdings ausgeschlossen, wenn im Gesetz eine dem entgegenstehende Wertung verankert ist. Zur Illustration folgen zwei Beispiele, die insoweit mit dem hier besprochenen Problem vergleichbar sind, als dass sich bei beiden die Frage danach stellte, ob der Gesetzgeber dem Richter bei der Benutzung eines neuen Prinzips zur Entscheidungsfindung eine Grenze gesetzt hatte: 3. Je ein Beispiel für eine legitime Konkretisierung und eine Entscheidung contra legem; Generalklauseln als „Sollbruchstelle“ Zur (Dis-)Qualifizierung einer Konkretisierung als contra legem kommt es darauf an, dass die neue, ihr zugrunde liegende Wertung gegen bestehende, im Gesetz verankerte Wertungen verstößt. Der Unterschied zu einer noch legitimen Konkretisierung lässt sich an zwei Beispielen verdeutlichen, die Wieacker noch gleichsetzte: In seinem Beitrag „Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242“ spricht Wieacker in Zusammenhang mit Konkretisierungen des § 242 aus dem Bereich der Störung der wirtschaftlichen Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung (u. a. der „Störung der Geschäftsgrundlage“123 und der „Aufwertungsrechtsprechung“, die ein wesentlicher Bestandteil der Ent121

Siehe bspw. Eidenmüller, S. 453 zum Umwelthaftungsgesetz. Siehe: Bydlinski, Präzisierung, S. 222. 123 Hier von diesem Begriff umfasst sind freilich auch die Entscheidungen, die unter dem früher vorgezogenen Begriff des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geführt werden; die Störung der Geschäftsgrundlage ist heute in § 313 geregelt. An der bis dahin geltenden Rechtslage ändert dies nichts, siehe BT-Drucks 14/1640, S. 175. 122

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wicklung des Instituts der Geschäftsgrundlage ist124) einheitlich von „rechtsethischen Durchbrüchen durch das Gesetzesrecht“125. Der Begriff des „Durchbruchs“ gibt dabei nicht nur an, dass sich die Entwicklungen gegen vorhandene Gesetze stellten, sondern auch, dass sie nicht auf dogmatisch zu rechtfertigende Weise zustande gekommen sind. Bydlinski hat allerdings gezeigt, dass dies nicht für jede dieser Konkretisierungen gilt126. Vielmehr könne eine neue Konkretisierung, soweit sie auf der Welle einer sich etablierenden Wertung schwimmt, und keine formalen Gründe entgegenstehen, vollkommen zulässig sein und dabei keinen „Durchbruch durch das Gesetzesrecht“ darstellen. Eine Unterscheidung zwischen der Geschäftsgrundlagenlehre im Allgemeinen und der Aufwertungsrechtsprechung ist, trotzdem die Aufwertung als Teilschritt in der Entwicklung der Geschäftsgrundlagenlehre zu verstehen ist, möglich. Den Fällen der Geschäftsgrundlage und der Aufwertung zunächst gemein ist die Anerkennung127 eines „materialen Äquivalenzprinzips“128. Dieses Prinzip anzuerkennen, ist die neue Wertung, die daraufhin zu überprüfen war, ob sie sich der älteren Wertungen, es nicht zu berücksichtigen, entgegenstellen kann. Äquivalenz bedeutet Leistungsgleichgewicht129. Die Äquivalenz ist gestört, „wenn die objektive Wertproportion zwischen Leistung und Gegenleistung sich nach objektiven Maßstäben nachträglich verändert hat“130. Anhand der Geldentwertung lässt sich eine solche Störung besonders deutlich131 zeigen: Hat der Schuldner seine Leistung in Geld zu erbringen und verliert das Geld nach Vertragsschluss seinen Wert, so entspricht die Zahlung des vereinbarten Betrags ihrem Wert nach nicht mehr der erhaltenen Gegenleistung. Die ursprünglich mit dem Gläubiger vereinbarte Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung ist zu dessen Lasten gestört. 124 HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 23; Wieacker, Irrtum und Clausula rebus sic stantibus, S. 229 (232). 125 Wieacker, Präzisierung, S. 36 ff. 126 Bydlinski, Präzisierung. 127 Vgl. in Bezug auf die Aufwertungsrechtsprechung: Nagel/Köklü, S. 82. 128 Wieacker, Präzisierung, S. 37; zu den Höhen und Tiefen der Anerkennung der Berücksichtigung der Äquivalenz siehe: Emmert, Leistungspflichten, S. 171 ff. Emmert (S. 420, Fn. 8, mwN) kommt bei seinen Betrachtungen auch dazu, dass dem Gedanken der materialen Äquivalenz mittlerweile ein geringeres Gewicht beigemessen wird. Da es hier nur auf die beispielhafte Heranziehung von Geschäftsgrundlage und Aufwertung ankommt, kann dies hier vernachlässigt werden. 129 Wieacker, Irrtum und Clausula rebus sic stantibus, S. 229 (230). 130 Wieacker, Irrtum und Clausula rebus sic stantibus, S. 229 (248). 131 Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 313 Rn. 147 spricht von einem Paradebeispiel.

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Die Anerkennung dieses materialen Äquivalenzprinzips ist es nun, die sich bei der Entwicklung der Geschäftsgrundlage und der mit ihr einhergehenden Aufwertungsrechtsprechung in Widerspruch zu der Wertung des Gesetzgebers setzte, das materiale Äquivalenzprinzip nicht zu berücksichtigen. Die Entwicklung des Instituts der Geschäftsgrundlage setzte schon vor den Krisenjahren während und nach dem Ersten Weltkrieg an132. Sie war anfangs sehr umstritten: Andere als vertraglich vereinbarte Maßstäbe führten zu Rechtsunsicherheit und beschränkten nicht zuletzt die Privatautonomie133, hieß es etwa. Über die schließlich doch erfolgte Anerkennung der Geschäftsgrundlage vermochte es das Reichsgericht, den Gegenstimmen zum Trotz, Schuldnern zu helfen, die die vereinbarte Sache durch die Umstände des Krieges nur noch zu Preisen beschaffen konnten, denen der Kaufpreis kein adäquates Äquivalent mehr war134. Ihnen wurde es nun ermöglicht sich vom Vertrag zu lösen. Die Äquivalenz spielt bei der Geschäftsgrundlage, wie schon die eben genannte Definition offenbarte, als objektive Geschäftsgrundlage eine Rolle135. Die Etablierung der Geschäftsgrundlage erhielt durch die Phase der Aufwertung kriegsbedingt entwerteter Forderungen einen wesentlichen Schub. Schließlich wurde sie sogar im BGB verankert136. 132 Zur Anwendung des Instituts auf die (noch) aktuelle Finanzkrise: Feißel/ Gorn, BB 2009, S. 1138 ff. 133 Zur frühen Kritik siehe: HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 10 ff. 134 RG, Urteil vom 15.10.1918 – III 104/18, RGZ 94, S. 45; RG, Urteil vom 22.10.1918 – II 187/18, RGZ 94, S. 68. 135 Auch in der oben zitierten Definition bei Wieacker, Irrtum und Clausula rebus sic stantibus, S. 229 (248) zeigt sich damit die auf Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 17 ff., 184 ff. zurückgehende Kombination subjektiver und objektiver Theorien zur Geschäftsgrundlage (vgl. dazu: HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 33). Zur objektiven Geschäftsgrundlage zählen danach u. a. die (schweren) Äquivalenzstörungen. Vor Larenz standen sich zwei Lager gegenüber: Während Windscheid und Oertmann (HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 17) noch subjektive Auffassungen vertraten (nach ihren Definitionen kam es auf die „Voraussetzungen“ [Windscheid] bzw. die „Vorstellungen“ [Oertmann], die die Beteiligten hatten, an [zu den Zusammenhängen bei Oertmann und Windscheid: Wieacker, Irrtum und Clausula rebus sic stantibus, S. 229 (237) sowie HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 17], entwickelte sich unter Krückmann und später Locher eine objektivierende Perspektive, nach der sich verändernde Umstände dann Berücksichtigung finden konnten, wenn ihnen wesentliche Bedeutung zukam (dazu: HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 17). Diesem Standpunkt folgte Larenz, Vertrag und Unrecht, Bd. I, 1936, S. 162 ff. hier noch. Das Reichsgericht (etwa: RG, Urteil vom 03.02.1922, RGZ 103, S. 328 [332]) folgte in seinen Entscheidungen zur Aufwertung indes zunächst der Lehre Oertmanns, wie der Übernahme seiner Formulierung von den „Vorstellungen“ zu entnehmen ist, ersetzte sie aber bald durch allgemeine, auf Treu und Glauben basierende, Erwägungen (vgl.: HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 23).

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Zur Aufwertung: Das Reichsgericht stellte sich (unter dem Einfluss der seinerzeit herrschenden desolaten wirtschaftlichen Zustände137) mit seiner Rechtsprechung einer unterlassenen Berücksichtigung des Äquivalenzprinzips durch den Gesetzgeber entgegen, indem es inflationsbedingt entwertete Forderungen aufwertete. Zu dieser freien Aufwertung von Forderungen durch das Reichsgericht führte folgendes Problem: Nach dem Grundsatz „Mark ist gleich Mark“ bleibt der Nominalbetrag einer Geldschuld zwischen ihrer Begründung und Fälligkeit unverändert138. Der Gesetzgeber des BGB machte sich dieses dem Art. 14 § 1 Reichsmünzgesetz von 1873 entnommene Prinzip zunutze, indem er, wie den Motiven139 zu entnehmen ist, dem Wert einer Schuld den Nennwert zugrunde legte140. Am Nominalprinzip festzuhalten war solange unproblematisch, wie die wirtschaftliche Situation stabil war. Doch das blieb sie nicht. Vielmehr führten die katastrophalen wirtschaftlichen Zustände während und nach dem Ersten Weltkrieg zu einer fast vollständigen Entwertung der Währung. Das wirkte sich vor allem in Dauerschuldverhältnissen aus. Während das Reichsgericht sich dem Grundsatz „Mark ist gleich Mark“, schon aus Rechtssicherheitserwägungen heraus141, zunächst nicht entgegenstellte142 und es vielmehr als Aufgabe des Gesetzgebers betrachtete, den auftretenden inflationsbedingten Äquivalenzstörungen zu begegnen, nahm es sich – als die Untätigkeit des Gesetzgebers unerträglich wurde143 – doch der Aufweichung des Nominalprinzips an144. Die Aufwertung sei, wie in einem der wichtigsten Urteile dieser Entwicklung entschieden wurde, dann zulässig, wenn § 242 dies erfordere145. Die136

Dazu: Roth in MüKo-BGB (5. Auflage 2006) § 313 Rn. 1 ff., 17 ff. Vgl.: Eiffler, ZNR 1998, S. 238 (254); Emmert, Leistungspflichten, S. 171 ff.; Wieacker, Irrtum und Clausula rebus sic stantibus, S. 229 (231 f.). 138 Nagel/Köklü, S. 9. 139 Mot. zum Entwurf des BGB, Bd. II, S. 13; die entsprechende Passage gibt das wie folgt wieder: „Für im Inlande zahlbare Geldschulden folgt andererseits schon aus dem eingeführten Währungssysteme, daß der Werth einer in Reichswährung ausgedrückten Schuld der Nennwerth ist und die Zahlung in Geld der Reichswährung zum Nennwerthe genommen werden muß. Aus dem unbedingten Annahmezwang ergiebt sich von selbst die Annahmepflicht zum Nennwerthe (Reichsmünzgesetz vom 13. Juli 1873 Art. 14 § 1).“. 140 Nagel/Köklü, S. 9 f. mwN. 141 So ausdrücklich: RG, Urteil vom 16.04.1921 – V 484/20, RGZ 102, S. 98 (102). 142 RG, Urteil vom 16.04.1921 – V 484/20, RGZ 102, S. 98 (102); RG, Urteil vom 06.06.1921 – VI 85/21, RGZ 102, S. 238 (238 ff.). 143 Zu den Motiven des Gesetzgebers nicht zu handeln vgl.: Nagel/Köklü, S. 85, siehe dort auch die Übersicht zur Rechtsprechung; siehe überdies: Emmert, Leistungspflichten, S. 419. 144 Etwa: RG, Urteil vom 03.02.1922 – II 640/21, RGZ 103, S. 328 (333 f.). 145 RG, Urteil vom 28.11.1923 – V 31/23, RGZ 107, S. 78 (87), hier zur Aufwertung einer hypothekarisch gesicherten Forderung. 137

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ser Forderung des § 242 könne, so das Reichsgericht, auch ein anders lautendes Gesetz nicht entgegenstehen146. Genau hierauf kommt es aber an, wenn abgegrenzt werden soll, ob eine Entscheidung als legitime Konkretisierung einer Generalklausel begriffen werden darf oder ob sie ein „Durchbruch durch das Gesetzesrecht“ im Sinne Wieackers und schließlich auch eine Konkretisierung contra legem ist147. Denn genau in einem solchen Fall, da eine entgegenstehende Wertung des Gesetzgebers im Gesetz abgebildet ist, liegt bei einer von dieser Wertung abweichenden Konkretisierung eine Lösung contra legem vor, die nicht legitime Konkretisierung einer Generalklausel sein kann. Mit dem der Aufwertung „entgegenstehenden Gesetz“ gemeint waren das von dem Grundsatz „Mark ist gleich Mark“ ausgehende Bankgesetz von 1909 und das Gesetz für die Reichskassenscheine vom 04.08.1914148. Ein starres Festhalten an diesen Vorschriften könne, so wieder das Reichsgericht, nicht vorgesehen gewesen sein, weil der Gesetzgeber an die Möglichkeit einer so wesentlichen Entwertung des Geldes nicht gedacht hatte. Dies finde schließlich seine Stütze in vereinzelten Durchbrechungen des Nominalprinzips in vom Gesetzgeber selbst erlassenen Vorschriften149. Mit dem zitierten und anderen Urteilen hatte das Reichsgericht, gestützt auf § 242, ausdrücklich die einschlägigen währungsrechtlichen Vorschriften außer Acht gelassen und sich damit gegen den in ihnen ausgedrückten Grundsatz „Mark ist gleich Mark“ gestellt. Jener dem Nominalprinzip folgende Grundsatz wurde zugunsten der Anerkennung des Äquivalenzprinzips verdrängt. Wieacker schloss, dass „Phänomene“ wie die Aufwertung und die Entwicklung der Geschäftsgrundlage sich der rechtsdogmatischen Erfassung entzögen150. Der Richter müsse diese Entscheidungen in den Grenzen der „richterlichen Standeskunst“ fällen151. Bydlinski152 zeigte indes, dass zwischen der Aufwertung als einem „Durchbruch durch das Gesetzesrecht“ und der generellen Anerkennung der 146 147 148

RG, Urteil vom 28.11.1923 – V 31/23, RGZ 107, S. 78 (87 f.). Siehe soeben: S. 192. RG, Urteil vom 28.11.1923 – V 31/23, RGZ 107, S. 78 (87 f.); Nagel/Köklü,

S. 87. 149

RG, Urteil vom 28.11.1923, RGZ 107, S. 78 (88 ff.) mwN. Wieacker, Präzisierung, S. 39. 151 Wieacker, Präzisierung, S. 42; dabei wird ausdrücklich betont, dass dies keine Ermutigung zur schnellen richterlichen Rechtsneuschöpfung sein soll, siehe S. 43, Fn. 94. 152 Bydlinski, Präzisierung, S. 214 ff. 150

B. Von der Methode her argumentiert

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Geschäftsgrundlage als legitimem Funktionswandel unterschieden werden kann. Hierfür spricht schon das bisher zum Konkretisierungsmaterial Gesagte: Von einem „Durchbruch“ zu sprechen wäre dann vorzugswürdig, wenn das Konkretisierungsergebnis quasi von außen durch bestehende Grenzen in das Recht hinein „bräche“. Ein solcher Vorgang liegt aber nicht vor, wenn die Konkretisierung unter Zuhilfenahme der besprochenen Konkretisierungsmittel sich der gesetzlichen Wertungen bedient. Nicht immer, wenn ein neues Institut geschaffen wird, wird dadurch nämlich eine vom Gesetz aufgestellte Grenze „durchbrochen“; nicht immer wird dann contra legem entschieden. Hier spielt nun die Frage danach eine Rolle, ob eine Wertung, der eine Konkretisierung widerspricht, in das Gesetz aufgenommen wurde. Legitim ist es nämlich durchaus, ältere Wertungen des Gesetzes durch ein Konkretisierungsergebnis zu überkommen, das einen Widerspruch der alten Wertungen zu neueren Wertungen auflöst. Damit gemeint ist der bei Bydlinski153 als legitimer Funktionswandel, bei Larenz als Wandel der Normsituation bezeichnete Vorgang. Die Begriffe beschreiben die Änderung der Anwendungsergebnisse von äußerlich unveränderten154 Normen. Eine solche Änderung kann vor allem bei der Konkretisierung von Generalklauseln vorkommen; sie sind die „Einfallspforte für Veränderungen von Wertvorstellungen“155. Die Generalklauseln sind, um damit zugleich in Anlehnung und Ablehnung zur Terminologie Wieackers zurückzukommen, deshalb gerade als „Sollbruchstellen“ des Gesetzes für die Einkehr neuer Wertungen zu verstehen. Einschränkungen ergeben sich dabei allerdings, wenn die Wertung, gegen die sich die neue Konkretisierung stellt, im Gesetz verankert ist. Die Anerkennung der Geschäftsgrundlage im Allgemeinen einerseits und der Aufwertungsrechtsprechung anderseits belegen diese Unterscheidung156: Um einen echten „Durchbruch“ im Wortsinne handelte es sich bei der Aufwertungsrechtsprechung157. Sie wurde weitgehend an § 242 gelehnt. Die Legitimation der Aufwertung durch die hinteren der fünf Konkretisierungsstufen ist zwar eindeutig: Von einer Verkehrsauffassung, auf die sich die Aufwertungsentscheidungen hätten stützen können, ist gewiss auszugehen. Laut Geyer wurde, Bezug nehmend auf die zitierte Entscheidung vom 28.11.1923, „das Gericht (. . .) überhäuft mit Zuschriften aus der Bevölke153

Bydlinski, Präzisierung, S. 219; Larenz, S. 350 ff. Mayer-Maly, JZ S. 801 (802). 155 Zitat und ein umfassender Beitrag zum Wertungswandel im Bereich der Generalklauseln bei: Mayer-Maly, JZ 1981, S. 801 (803 ff.). 156 Vgl. Bydlinski, Präzisierung, S. 215–229. 157 Bydlinski, Präzisierung, S. 227 ff. 154

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Kap. 7: Generalklauseln und Effizienz?

rung“ und „entstand eine Welle des Protests“, als die Pläne der Reichsregierung zum Erlass einer Notverordnung, die die Folgen der Inflation endgültig zu Lasten der Gläubiger verteilen sollte, bekannt wurden158. Auch wurde einem rechtsethischen Prinzip, nämlich dem der materialen Äquivalenz, entsprochen159. Doch stand all diesen Argumenten für eine Regel wie der gefundenen der (seinerzeit) immerhin ausdrücklich geäußerte Wille des Gesetzgebers entgegen. Die Aufwertung erfolgte contra legem. Insofern, als dass die Konkretisierung mit den Wertungen des Gesetzgebers beginnen muss und auch sogleich beendet ist, wenn sich hier ein eindeutiges Ergebnis ausmachen lässt, kann die Aufwertung nicht als legitime (Neu-)Konkretisierung im Sinne eines Funktionswandels innerhalb des § 242 eingeordnet werden. Wenn eine speziellere Regel des Gesetzgebers tatsächlich existiert, ist diese der durch die Konkretisierung im Rahmen einer Generalklausel gefundenen und deshalb allgemeinen Regel vorzuziehen. Dieses Ergebnis soll die Aufwertung nicht abwerten! Wenngleich es aus dogmatischer Sicht zwar erhebliche Bedenken gegen diese Rechtsprechung gibt, so soll damit nicht aberkannt werden, dass es eine rechtspolitische Notwendigkeit für sie gab. Dass es Voraussetzungen gibt, unter denen die richterliche Rechtsfortbildung legitim auch contra legem erfolgen kann, ist anerkannt160. Doch lässt sich ein solcher Vorgang nicht mehr mit einem Funktionswandel innerhalb einer Generalklausel erklären161. Kein echter „Durchbruch“ hat indes bei Schaffung des Instituts der Geschäftsgrundlage an sich vorgelegen. Zwar gab es eine diesem Institut entgegenstehende Wertung des Gesetzgebers: Dieser hatte sich nämlich ursprünglich dagegen entschieden, eine Regel dieser Art zu installieren162. Doch hatte er dieser negativen Wertung keinen Ausdruck im Gesetz verliehen. Vielmehr fand die Anerkennung der Relevanz sich verändernder Umstände sogar in anderen Normen einen Ausdruck (vgl. etwa die heutigen 158

Geyer, ZNR 1994, S. 349 (349). Vgl.: Emmert, Leistungspflichten, S. 419; zum Nachweis des Prinzips der materialen Äquivalenz: Wieacker, Präzisierung, S. 37; Bydlinski, Präzisierung, S. 217 f.; zur Verankerung desselben im Bewusstsein der Gesellschaft: Bydlinski, Präzisierung, S. 218. 160 Richtungweisend: BVerfG, Beschluss v. 14.02.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, S. 269 – Soraya; siehe weiterhin: Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, § 12 III 4 c; Zippelius, Methodenlehre, S. 82 ff.; kritisch: Hillgruber in: Maunz/Dürig GG, Art. 97, Rn. 63 ff.; ablehnend: Herzog/Grzeszick in: Maunz/Dürig GG, Art. 20, VI, Rn. 88 ff., 146 ff. mwN. 161 Vgl. auch: Kamanbrou, AcP 202 (2002), S. 662 (682). 162 Während das Institut in das BGB erst 2002 Eingang fand, hielt es durch § 78 ZGB der DDR in diesen Teil der deutschen Rechtsordnung bereits 1975 Einzug. 159

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§§ 321, 490, 543, 626163)164. Die Wucherregelung zeigte außerdem, dass es widersprüchliche gesetzliche Grundwertungen zur Berücksichtigung erheblicher vertraglicher Ungleichheiten gab165. Die Anerkennung einer Abhilfe bei starken Benachteiligungen war in den beteiligten Verkehrskreisen vorhanden166, die Anerkennung der Geschäftsgrundlage trotz entgegenstehender aber nicht im Gesetz verankerter Wertung des Gesetzgebers damit zulässig. 4. Zwischenergebnisse Die Konkretisierung einer Generalklausel ist als Auslegung zu qualifizieren. Ihre Grenze findet die legitime Konkretisierung dort, wo sie gegen Wertungen des Gesetzgebers verstößt, die im Gesetz erkennbar sind. Damit sind die geschriebenen Wertungen des Gesetzgebers der Anfang und das Ende der Konkretisierung von Generalklauseln: Dem Richter dienen sie auf der ersten Konkretisierungsstufe dazu, die Generalklausel überhaupt auszufüllen167. Hat er, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der weiteren Konkretisierungsstufen, sein Ergebnis ermittelt, sagen ihm die im Gesetz vorhandenen Wertungen des Gesetzgebers, ob es sich bei dem Ergebnis um eine legitime Auslegung der Generalklausel handelt, oder ob die contra legem-Grenze überschritten ist. Eine Entscheidung, die contra legem ergeht, ist dabei nicht zwangsläufig eine Entscheidung, die nicht getroffen werden darf. Sie ist aber auch keine, die einfach unter dem Vorwand, auf eine Generalklausel gestützt zu sein, ergehen kann. Vielmehr wurde der Anwendungsbereich der Generalklausel in diesem Moment verlassen. Die Lösung von Fällen, die der BGH durch die Anwendung des § 242 entschieden hat, kann anders ausfallen, wenn die Generalklausel anhand des Effizienzprinzips konkretisiert wird168. Die Änderung von Ergebnissen bei der Anwendung derselben Norm ist zulässig, wenn sie Ausdruck eines legitimen Funktionswandels ist. Ein solcher Funktionswandel kann durch die 163 Die Verweise bezeichnen den aktuellen Standort der Normen. § 490 entspricht § 619 aF, § 543 entsprechen die §§ 542, 553, 554a aF, § 626 entsprechen die §§ 123, 124, 133c GewO aF, §§ 71, 72 HGB aF. 164 Bydlinski, Präzisierung, S. 218. 165 Zum Äquivalenzprinzip in der Regelung des Wuchers: Emmert, Leistungspflichten, S. 186 ff. 166 Siehe auch hier: Geyer, ZNR 1994, S. 349 (349). 167 Siehe oben: S. 180. 168 Siehe oben: Beispiel 1 (Geschäftsgrundlage): S. 129 ff. sowie Beispiel 2 (Angemessenheitskontrolle von AGB): S. 143 ff.

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Ablösung alter, ungeschriebener Wertungen des Gesetzgebers durch neue Wertungen legitimiert werden. So ist das Institut der Geschäftsgrundlage ein legitimes Konkretisierungsergebnis des § 242, denn der ungeschriebenen Wertung des Gesetzgebers, die Geschäftsgrundlage nicht zu berücksichtigen, durfte durch die Wertung, ein materiales Äquivalenzprinzip anzuerkennen, widersprochen werden. Soweit sich die Konkretisierung einer Generalklausel danach in Konflikt mit ungeschriebenen Wertungen des Gesetzgebers begeben darf, gilt es für die Konkretisierung mittels Effizienzprinzips im Folgenden zu klären, ob sie nicht bereits mit klar im Gesetz erkennbaren Wertungen des Gesetzgebers in Konflikt steht und deshalb contra legem erfolgt. Wäre dies zu bejahen, so stellte die Anwendung des Effizienzprinzips keine legitime Konkretisierung der Generalklausel mehr dar. Der Blick auf die Entwicklungen im Rahmen des materialen Äquivalenzprinzips zeigte Parallelen zur bisherigen Entwicklung des Effizienzprinzips. Das Effizienzprinzip soll, wie eingangs gesehen, nach Auffassung vieler Stimmen aus der Literatur und mittlerweile auch der Rechtsprechung Raum bei der Entscheidungsfindung bekommen. Bevor dem Äquivalenzprinzip durch die Rechtsprechung zur Anwendung verholfen werden konnte, hatte es dem in nichts nachstehende Debatten auch um die Einführung der Geschäftsgrundlage gegeben169. Debatten wie diese deuten, und darauf kommt es an, Entwicklungen an und solche Entwicklungen können einen Wandel etwa im Bereich der Wertungen beschreiben. Eine bestimmte Entscheidung am Prinzip der Effizienz auszurichten, legt auch eine Wertung offen. Denn gezeigt wird, dass der Effizienz des Ergebnisses Relevanz beigemessen wird. Hier besteht eine nächste Parallele zur Berücksichtigung des Prinzips der Äquivalenz: Denn dass Leistungen in einem Gleichgewicht zueinander stehen sollen ist ebenfalls eine Wertung, der das Attribut, berücksichtigt zu werden, erst verliehen werden musste. Das materiale Äquivalenzprinzip wurde vom Gesetzgeber bewusst nicht im Gesetz berücksichtigt. Trotzdem war es unter Berücksichtigung der genannten Kriterien auf methodisch einwandfreie Weise möglich, dieses Prinzip einzuführen und anzuwenden. Das Effizienzprinzip ist im Schuldrecht nicht offensichtlich vorhanden. Aber im Gegensatz zur Geschäftsgrundlage zeigen die Gesetzesmaterialien auch keine bewusste Außerachtlassung von an Effizienz orientierten Lösungen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass hieran orientierte Lösungen sogar nur unbewusst nicht berücksichtigt wurden. Die Hürden für die Konkretisierung von Generalklauseln 169

Siehe oben: S. 192 ff.

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mittels des Effizienzprinzips erscheinen damit sogar als etwas tiefer gehängt. Einer Konkretisierung dieser Art wäre der Weg allerdings ganz versperrt, wenn es im Gesetz ausgedrückte Wertungen gibt, die sich der Anwendung des Effizienzprinzips entgegenstellen. Wertungen des Gesetzgebers sind nach dem bisher Gesehenen das erste und wichtigste Konkretisierungsmittel bei der Anwendung von Generalklauseln; stünden sie der Anwendung des Effizienzkriteriums entgegen, so erfolgte seine Anwendung contra legem. Nach solchen Wertungen ist deshalb nun zu fragen.

V. Wertungen und Gerechtigkeit in der Rechtsordnung; die Geltung von Prinzipien Wenn es, wie hier, um Wertungen und Werte geht, die in der Rechtsordnung erkennbar werden, dann geht es auch um die Gerechtigkeit und ihre Geltung. Welche Rolle spielt aber die Gerechtigkeit für die Wertungen des Gesetzgebers heute? Die Beispiele zur Geschäftsgrundlage im Allgemeinen und der Aufwertung, an denen die Bedeutung der Wertungen des Gesetzgebers für die Legitimität einer Konkretisierung festgemacht wurde, stammen aus den frühen Jahren des BGB. Die Ereignisse der Zwischenzeit, nicht zuletzt die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, haben den Stellenwert von Werten und also auch der Gerechtigkeit in der Rechtsordnung dabei durchweg beeinflusst. Deshalb soll nun zum ersten gezeigt werden, welche Rolle die Gerechtigkeit momentan in der deutschen Rechtsordnung spielt. Die Diskussion wird damit hin zu den Grundrechten und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassung als Werteordnung führen. Welche Wertungen sich aus der Existenz der Grundrechte und dem Verständnis der Verfassung als Werteordnung ergeben, kann besonders deutlich anhand des sogenannten Prinzipienarguments gezeigt werden. Zum zweiten soll daher das Prinzipienargument als ein neuerer Ansatz für die Wirkweise der Gerechtigkeit und der Werte im Recht wiedergegeben werden. Soweit sich das Prinzipienargument als ein Ansatz zur Verdeutlichung der Wirkweise von Wertungen und Gerechtigkeit im Recht herausstellen wird, ist im Anschluss an seine Vorstellung zu zeigen, wie es einen Widerspruch aktueller Wertungen des Gesetzgebers zur Anwendung des Effizienzkriteriums formuliert, der sich bereits direkt aus der Verfassung ergibt.

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1. Gerechtigkeit als juristisches Argument Mit der Gerechtigkeit zu argumentieren, eine bestimmte Lösung etwa als ungerecht darzustellen, gilt, wie Adomeit/Hähnchen es ausdrücken, unter Juristen als „ungeschickt“, sogar als „naiv“170. Selbst vor dem Hintergrund des schon gesehenen, die Individualität des Falles betreffenden Arguments171: Welchen anderen Befund, als den von Adomeit/Hähnchen will man verteidigen, nachdem man sich einen Überblick zu den unzähligen Lehren zur Gerechtigkeit verschafft hat? Soll ein Gegenstand, den zu bestimmen „die größten Denker verfehlt haben“172, eine Argumentation tragen? Es lassen sich zwar hier und da Übereinstimmungen finden173, doch es kommt nicht weniger oft vor, dass tonangebende Ansätze durch eine Kritik ihrer Grundlegungen auseinander genommen werden174. Als „ungeschickt“ und „naiv“ gilt es, mit der Gerechtigkeit zu argumentieren, laut Adomeit/Hähnchen deshalb, weil es andere Weisen gibt, die jeweiligen Bedenken auszudrücken. Die dann beispielhaft angeführten Formeln (genannt werden u. a. die Formeln „widerspricht den Wertungen des Gesetzes“, „widerstreitet allgemeinen Rechtsprinzipien“, „unbillig“, „[verstößt] gegen Treu und Glauben“) seien aber, wenn die Autoren hier richtig verstanden wurden175, keineswegs solche, die etwas anderes meinen, als Gerechtigkeit. Juristischen Laien (und sicher auch den allermeisten Juristen) erscheint es oft auch völlig selbstverständlich, das Recht mit der Gerechtigkeit in Verbindung zu bringen. So selbstverständlich ist das aber nicht, wie streng positivistische Phasen belegen. Einen Zusammenhang zwischen Recht und Gerechtigkeit behaupten zu können, erfordert nämlich, den Zusammenhang von Recht und Moral zu bejahen. Denn Gerechtigkeit ist, jedenfalls soweit man ihr ein Sollenselement zugesteht, eine moralische Kategorie. Verneint man diesen Zusammenhang von Recht und Moral, dann wird auch der Zusammenhang von Recht und 170

Adomeit/Hähnchen, S. 94. Siehe oben: S. 163 ff. 172 Dies ist der Schluss Hans Kelsens in seiner Abhandlung Was ist Gerechtigkeit, S. 43. 173 So ist einer Vielzahl der Theorien zur Gerechtigkeit das Element der Gleichheit immanent, vgl. nur: Larenz, Richtiges Recht, S. 39. 174 Siehe etwa die Kritik an den Modellen Dworkins bei Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 160 ff. 175 Adomeit/Hähnchen, S. 94 f.; von der ersten bis zur letzten Seite ist das Buch von (manchmal) unauffälligen sarkastischen Spitzen (die seine Lektüre ungemein angenehm machen) durchzogen. Und so ist das hier gebildete Verständnis des Texts, von einer Identität der genannten Formeln mit einem Bezug auf die Gerechtigkeit, auch allein auf die im Gesamtkontext der Sprache des Buches gelesene Beschreibung der Formeln als „technischer klingend“ zurückzuführen (Hervorhebung d. Verf.). 171

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Gerechtigkeit geleugnet, beide werden getrennt betrachtet, das ist die Trennungsthese176. Ihr gegenüber steht die Verbindungsthese, nach der Recht überhaupt erst dann als solches zu bezeichnen ist, wenn es neben den Merkmalen ordnungsgemäßer Setzung und sozialer Wirksamkeit zusätzlich auch Gerechtigkeitselemente enthält177. Das Recht, das danach durch seinen Gerechtigkeitsbezug erst zu einem solchen wird178, sieht sich mithin in der Moral gerechtfertigt und damit aber sogleich einem wichtigen Gegenargument der Positivisten ausgesetzt: Eine einheitliche, eine absolute Moral gibt es nicht179. Die Unsicherheit, die deshalb entsteht, zu verhindern und Rechtsfrieden zu schaffen, wiege, so die Positivisten, schwerer, als gewisse Beeinträchtigungen hinzunehmen, die die einfache Setzung dessen, was Recht sein soll, hervorruft180. Hinnehmen ist aber nur ein Ausweg. Ein anderer besteht darin Farbe zu dem zu bekennen, was dort, wo das Recht, um das es geht, gilt, als Moral aufgefasst wird. Das ist freilich ein relativierender Standpunkt. Er lässt es nur für den Raum einer Rechtsordnung zu, zu entscheiden. Aber wird denn in Rechtsordnungen, die die Existenz anderer Rechtsordnungen anerkennen, etwas anderes verlangt werden können? Naturrechtliche Lehren nehmen, das sei vorab vorangeschickt, an, es gebe hinter dem positiven Recht ein weiteres, ein überpositives Recht. Ob aus der Natur, also tatsächlich vorhandenen, empirisch beweisbaren Umständen (Sein) aber Schlüsse auf Normen (Sollen) gezogen werden dürfen, ist eines der Grundprobleme der Philosophie (u. a. als Sein-Sollen-Problem bezeichnet181). Mit den erheblichen Zweifeln daran, einen solchen Schluss zuzulassen, kam es zu einer vorübergehenden Ablösung des Naturrechts durch einen strengeren Positivismus, der nach der Zäsur, die der zweite Weltkrieg bildete, durch eine regelmäßig als solche bezeichnete „Renaissance“182 naturrechtlicher Anflüge aber wiederum selbst relativiert wurde. 176

Hierzu: Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 128 f. Siehe zu den Elementen des positivistischen Rechtsbegriffs und der (dort als notwendig bezeichneten) Ergänzung um die Gerechtigkeit: Alexy: Begriff und Geltung, S. 39. 178 Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 129. 179 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 65 ff.; Überblick zu verschiedenen Gerechtigkeitstheorien bei: Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 18 ff.; ders. Recht-Moral-Ideologie, S. 180 ff. 180 Dazu: Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 58 f. 181 Übersichtlich zu verschiedenen Begründungsansätzen: Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 67; kritisch: Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 90. 182 Vgl. Isensee in HGR II, § 36, Rn. 67 ff. 177

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In den Jahren danach bis zur Gegenwart scheint sich nun ein Prozess der Konsolidierung zwischen den Lagern einzustellen183; eine Art von Werte anerkennendem positiven Recht. Das hat nicht zuletzt seine Ausprägung in Art. 20 Abs. 3 GG gefunden, wie auch das Bundesverfassungsgericht deutlich machte: Wenn es ausführt, dass das „Recht [. . .] nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch“ ist, „[g]egenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt [. . .] unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen“ kann und dass es im Zusammenspiel von Gesetz und richterlicher Entscheidung darauf ankommen muss, eine gerechte Lösung zu finden184, dann macht das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klar, dass es einen „strengen Positivismus“ ausdrücklich ablehnt. Dem Gesetzgeber müsse es schließlich, führt das Gericht zudem in einer frühen Entscheidung aus, bei der Schaffung eines Gesetzes auch darum gehen, die Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft zu beachten185. 2. Zwischenergebnis Es wurde gezeigt, dass es für die Frage der Zulässigkeit der Konkretisierung einer Generalklausel mit einer neuen Wertung wie der, die Effizienz zu berücksichtigen, darauf ankommt, ob sich diese Wertung mit älteren Wertungen des Gesetzgebers in Konflikt setzt. Werte und Gerechtigkeit spielen auch heute noch für die Wertungen in der deutschen Rechtsordnung eine erhebliche Rolle. Sie konnte als Werte anerkennendes positives Recht identifiziert werden. Jedoch stehen Antworten auf wesentliche Fragen damit immer noch aus. Weitere Probleme entstehen bereits, wenn man genauer danach fragt, was Gerechtigkeit bedeutet, und wenn man versucht zu ergründen, auf welche Weise das Recht und die Gerechtigkeit miteinander verbunden sind. 3. Verwirklichung von Gerechtigkeit im Recht über Prinzipien Auf die erste Frage gibt es seit über 2000 Jahren keine eindeutige186 Antwort, weshalb hier keine Vertiefung stattfinden soll187. Allein es gibt ge183 In diesem Sinne: Coing, Auslegungsmethoden, S. 47 f.; Huber, Gerechtigkeit, S. 102; Kriele, Rechtsgewinnung, S. 174 f.; MacCormick, Recht, Moral und Positivismus, S. 175. 184 BVerfG, Beschluß vom 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 Rn. 38 – Soraya. 185 BVerfG, Urteil vom 16.6.1959 – 1 BvR 71/57, BVerfGE 9, 338 Rn. 33. 186 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 127 ff.; im Anschluss hieran: Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 81 ff.; der Kategorisierung Alexys

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wisse Annäherungen zwischen den Ansätzen. So findet sich das Element der Gleichheit in einer Vielzahl von Gerechtigkeitsbegriffen wieder188. Was Fikentscher189 in diesem Sinne als Gleichgerechtigkeit bezeichnet190, ist das Element der Gerechtigkeit, das verlangt, Gleiches gleich zu behandeln und willkürliche (aber auch nur diese!) Ungleichbehandlung zu vermeiden. Gleichheit als Gegenstand von Gerechtigkeit findet sich bereits bei Aristoteles, wo sie sowohl als Gegenstand der ausgleichenden (die Gegenleistungen betreffenden), als auch der verteilenden (den Erhalt von Leistungen betreffenden) Gerechtigkeit zum tragen kommt191. Weil man Menschen auch gleich schlecht behandeln kann192, wird über die Gleichheit hinaus die Richtigkeit auf den Plan gerufen. Was richtig ist, ist nicht per se vorgegeben. Der Begriff kann formal konkretisiert werden, wie im Utilitarismus durch die Maximierung des Nutzens193. Aber auch eine Konkretisierung durch bestimmte anerkannte Verhaltensweisen sowie schließlich eine prozedurale, also an der Einhaltung eines Entscheidungsverfahrens orientierte Konkretisierung ist möglich194. Fikentscher nennt das Erfordernis der Sachgerechtigkeit, und gibt so auch einen materialen Gehalt, der über die Angemessenheit einer Regelung, die gerechtes Recht verwirklichen soll, Aussagen zulässt. Fikentschers „Summe“195 von Gleichund Sachgerechtigkeit fügt Larenz für eine gerechte Regelung noch das „Ausgewogene“ hinzu: Das Ausgewogene beschreibt er unter Hinzuziehung folgend, ist zwischen der nietzscheanischen Grundposition, deren Theorien die Möglichkeit der Ermittlung von Gerechtigkeit anzweifeln und den drei übrigen Hauptpositionen, die Gerechtigkeit für begründbar halten, zu unterscheiden: die aristotelische einerseits und die hobbesianische und die kantische anderseits; näheres ebenda. 187 Neue Beiträge bei: Osterkamp, Gerechtigkeit (zur juristischen Gerechtigkeit) sowie Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit. 188 Skeptisch zur Gleichheit: Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 390 f. 189 Fikentscher, Methoden IV, S. 188 ff. 190 Nachweise zur aktuellen Methodendiskussion bei Larenz, Richtiges Recht, S. 38 ff.; sowie ders., Methodenlehre, S. 173 ff., Larenz schließt sich der Terminologie Fikentschers an und hebt zuvor selbst hervor, dass dies einen Schnittpunkt der diversen Beiträge darstellt; von Ihering, Der Zweck im Recht, S. 286 hat die Herstellung von Gleichheit denn auch als das praktische Ziel der Gerechtigkeit gedeutet. 191 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Fünftes Buch (1130b); siehe dazu auch: Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 14 ff. 192 Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 60. 193 Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 154. 194 Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 51; zur Abgrenzung der prozeduralen von den normativen Gerechtigkeitstheorien siehe auch: Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 20. 195 So: Fikentscher, Methoden IV, S. 190.

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des Bildes der Waage als den Vorgang, bei dem eine Partei ihr Interesse nicht allein zum Nachteil der anderen durchsetzen und vielmehr „Maß halten“ soll196. Auch Maß zu halten war bei Aristoteles schon Teil des Gerechtigkeitsbegriffs197. Diese Annäherung gibt für das hier Relevante einiges her, denn die ins Bild genommene Waage steht nicht im luftleeren Raum, sondern wiegt ab zwischen Massen, zwischen verschiedenen Gewichten. Wenn im hiesigen Zusammenhang von Maß gesprochen wird, dann ist das Maß zwischen zwei oder mehreren Einflüssen gemeint. Jeweils vorhanden sind dann verschiedene Pole, zwischen denen auszugleichen ist. Dieses Bild, das in verschiedenen Schilderungen zur Gerechtigkeit zu finden ist, weist unmittelbar auf die Wirkung der Gerechtigkeit im Recht, wie sie das Prinzipienargument beschreibt, hin. Das Prinzipienargument knüpft an die oben198 gestellte, zweite Frage nach der Verbindung von Recht und Gerechtigkeit an. Der Zusammenhang von Recht und Moral wird von ihm, gegen hier bereits abgelehnte positivistische Auffassungen, besonders nachdrücklich begründet. Es wurde maßgeblich von Ronald Dworkin entwickelt und von Robert Alexy weiter ausgearbeitet199. Es gibt auch besonders eindrucksvoll Auskunft darüber, inwiefern die Grundrechte als bereits auf der ersten Konkretisierungsstufe relevante Normen einen Ausschluss der Effizienz als alleinigem Entscheidungskriterium fordern. Das Prinzipienargument beinhaltet die Annahme, dass Rechtsordnungen, wie die deutsche, auf die Moral verweisende Prinzipien enthalten und, entsprechend dem bisher Gesagten, durch diese Immanenz ein unmittelbarer Bezug des Rechts zur Moral hergestellt wird200. In seiner deutschen Adaption stellt das Prinzipienargument, wie sogleich zu zeigen sein wird, auch einen unmittelbaren Bezug zu den Grundrechten des Grundgesetzes her. Hiermit schließt sich der Kreis zur ersten der fünf Stufen der Generalklauselkonkretisierung, wie sie oben gezeigt wurden201. Denn es sind gerade 196

Larenz, Richtiges Recht, S. 40 f. Aristoteles, Nikomachische, Fünftes Buch (1131a); Aristoteles spricht dort von „der Mitte“ oder „dem Proportionalen“. 198 Siehe soeben: S. 204. 199 Überblick zum Prinzipienargument selbst und Nachweise zu älteren Formen bei Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 99 ff.; die Wirkung der Prinzipien nimmt denn auch erheblichen Platz in neueren Besprechungen juristischer Gerechtigkeit, wie etwa der gleichnamigen Dissertation Osterkamps ein. Vgl. zum Prinzipienargument: Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen sowie Alexy, Theorie der Grundrechte. 200 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 55; vgl. Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 147. 201 Siehe oben: S. 179 ff. 197

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die Grundrechte, die als gesetzliche Grundwertungen den Richter bei der Konkretisierung einer Generalklausel anleiten. Welche Verbindung zwischen Grundgesetz und Prinzipienmodell besteht, wird nun als erstes gezeigt. Sobald die Verbindung deutlich ist, werden mithilfe des Prinzipienmodells Wertungen des Gesetzgebers offengelegt, die sich aus der Existenz der Grundrechte ergeben. Diese Wertungen werden schließlich als so eindeutig gegen die Anwendung des Effizienzprinzips sprechend identifiziert, dass sich aus einem Verstoß gegen sie auch ein Übertreten der contra legem-Grenze ergibt, wodurch die Legitimität einer Konkretisierung auf diese Weise schließlich auszuschließen sein wird. a) Prinzipienargument und Werteordnungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts In seiner „Theorie der Grundrechte“ hat Alexy nachgewiesen, dass die Aussagegehalte von Prinzipientheorie einerseits und Werteordnungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts andererseits in weiten Bereichen übereinstimmen202. Sein akademischer Lehrer Ralf Dreier spricht sogar davon, dass sich das Bundesverfassungsgericht das Prinzipienargument „der Sache nach zu eigen gemacht“ habe203. Ausgehend vom Lüth-Urteil204 des Bundesverfassungsgerichts, ist es in der Rechtsprechung bis heute vollends etabliert, von einer objektiven Werteordnung205 des Grundgesetzes zu sprechen206. 202 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125 ff.; Alexy bezeichnet die Prinzipientheorie in diesem Sinne als „eine von unhaltbaren Annahmen gereinigte Werttheorie“ (ebd. S. 18). 203 Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 80 f. 204 BVerfG, Urteil vom 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, S. 257 ff.; Nachweise zu früheren Entscheidungen, die die Weichen hierfür stellten bei: Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 81. 205 Ein Überblick zur Kritik findet sich auch bei Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 189 ff., wo dem wichtigsten Vorwurf, das Prinzipienmodell könne Grundrechte in eine Abwägung mit „materiell überhöhten“, „beliebigen Verfassungsvorschriften“ stellen, damit begegnet wird, dass hierfür dann kein Raum sein kann, wenn die besondere Bedeutung der Grundrechte festgelegt wird (ebd. S. 192); Hubmann, Wertung und Abwägung, Vorwort VI kritisiert die mangelnde Herausarbeitung von Grundsätzen für die Abwägung seitens der Rechtsprechung. 206 Siehe bspw.: BGH, Urteil vom 23.6.2009 – VI ZR 196/08, NJW 2009, 2888 (2891); BAG, Urteil vom 19.11.2008 – 10 AZR 658/07, NJW 2009, 1434 (1437); vgl. Isensee, NJW 1977, S. 545 (547), sowie mit vielen wN: Ritter, NJW 2010, 1110 (1111) und schließlich Stein, Werte und Wertewandel, S. 61 ff.; das darf freilich nicht die Möglichkeit einer vollständigen Identität von Verfassung und Moral implizieren. Eine Identität von philosophischem Gerechtigkeitsbegriff und dem Gerechtigkeitsbegriff der Verfassung anzunehmen, schnitte auch die Gerechtigkeit be-

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Spricht man vom Grundgesetz, den Grundrechten und ihrem Charakter, so ist zu unterscheiden207: Als in positive Normen verfasst, gelten die Grundrechte unmittelbar, sind Bundesrecht, wie andere Gesetze. Sie berechtigen den Bürger, als ihren Träger, und verpflichten den Staat, als ihren Adressaten, mit ihren Forderungen. Indes in ihrer Funktion als Werte oder Wertordnung sind sie „flexibler und diffuser“208. Das Grundgesetz bekennt sich mit positivierten Grundrechten gleichsam zum Positivismus und zum Naturrecht209. Dabei ist zuvörderst die Menschenwürde zu nennen, deren naturrechtlicher Gehalt von der Positivierung unberührt bleibt. Schließlich ist die Deutung der Grundrechte als Wertordnung selbst, wie sie durch den umfangreichen Schutz durch den Staat auch gewährleistet wird210, dem naturrechtlichen Bereich der Grundrechte zuzuordnen. Objektive Werteordnung heißt also: Es gibt ein Mehr, als nur Leistungsund Abwehrrechte in den Grundrechten; der Staat muss sich in seinem Ganzen, orientiert an den Werten, auf seine Bürger ausrichten, sie schützen. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Privatrecht im Lüth-Urteil mit den Grundrechten unter Verweis darauf verknüpft, dass das Wertesystem der Grundrechte seinen „Mittelpunkt“ in der Persönlichkeit des Menschen und seiner Würde findet und deshalb in allen Bereichen des Rechts gelten muss211. Dieser Ausspruch scheint einen Hinweis, eine Tendenz gegen die Maßgeblichkeit des Effizienzkriteriums vorzugeben: Denn wenn das Bundesverfassungsgericht den Einzelnen im Mittelpunkt der Werteordnung sieht, dann deutet dies an, das sein Wert-, sein Prinzipienbild, sich an diesem Einzelnen orientiert. Das findet seine Bestätigung im Menschenbild des Grundgesettreffende Argumente außerhalb der Verfassung ab. Eine Identität zu leugnen kann freilich wiederum dann zu Problemen führen, wenn die Kluft zwischen den juristischen Gerechtigkeitsvorstellungen und der Moral zu groß wird, wie das etwa im Falle einer Rechtsordnung wie der des Dritten Reiches war. Zu dem hiervon abweichenden Beispiel des Sklavenhandels, der seinerzeit (freilich nur von jenen, denen Relevanz bei der Bestimmung dessen, was moralisch richtig ist, beigemessen wurde) nicht als ungerecht empfunden wurde: Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 209; Siehe umfassend zu der gewandelten Bewertung des Sklavenhandels als Unrecht: Rottleuthner, Ungerechtigkeiten, S. 22 ff. 207 Vgl. Isensee in HGR II, § 26, Rn. 34 ff. 208 Isensee in HGR II, § 26, Rn. 37; siehe auch: ders. NJW 1977, S. 545 (546 f.). 209 Auf letzteres weist es, wie Isensee in HGR II, § 26, Rn. 73 f. festhält, an einigen Stellen auch noch mal ausdrücklich hin; zu nennen sind etwa der auf das Sittengesetz verweisende Art. 2 Abs. 1 GG sowie das natürliche Recht der Eltern zur Pflege ihrer Kinder. 210 Isensee, NJW 1977, S. 545 (547 f.). 211 BVerfG, Urteil vom 15.1.1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, S. 257 (257).

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zes; weil die in der Werteordnung festgehaltenen Werte ein Menschenbild spiegeln, zeigen die vom Grundgesetz wiedergegebenen Werte auch, welches Menschenbild der Verfassung zugrunde liegt212. Das Menschenbild des Grundgesetzes enthält ein Moment der Achtung des menschlichen Individuums. Allerdings bedeutet dies noch nicht, dass das Menschenbild des Grundgesetzes die Gemeinschaft aus dem Blick verlöre213 und sich damit tatsächlich schon eine Tendenz gegen das die Gesellschaft als Ganzes in den Blick nehmende Effizienzkriterium zeigt. Denn ohne die Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen zu beachten, büßte jeder einzelne seine Würde wiederum ein. „Individuum und Gemeinschaft (. . .) ergänzen einander gegenseitig (. . .) wie zwei Stimmen polyphoner Musik.“214 Deshalb ist nicht das selbstherrliche Individuum, „sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit“ das Menschenbild des Grundgesetzes215. Die Würde des Menschen ist in genau dieser Form der oberste Wert des Grundgesetzes216, hier katalysiert durch greifbare Normativität in Art. 1 Abs. 3 GG, von dem aus sie schließlich auf das gesamte Gebiet des Rechts strahlt und die gesamte Verfassungsordnung zu einem konsistenten Wertesystem macht217. Ein Menschenbild dieser Form stützt damit, den Individual-, wie den Gemeinbezug einbeziehend, die These, dass das Grundgesetz verschiedenen Gerechtigkeitspositionen offen gegenübersteht. Das deckt sich mit dem Postulat des Prinzipienarguments immerhin insoweit, als dass auch dieses von einem Bezug jeder Rechtsordnung zur Gerechtigkeit ausgeht. Die Offenheit des Grundgesetzes hinsichtlich verschiedener Ansätze zur Gerechtigkeit lässt aber auch klare Tendenzen hin zu dem einen oder anderen Begriff der Gerechtigkeit wieder in weite Ferne rücken. Das Grundgesetz als Werteordnung stellt sich dem Inhalt seiner Werte nach (als Konkretisierungsmittel) nicht bereits gegen die Konkretisierung einer Generalklausel durch das Effizienzkriterium. Restriktionen ergeben sich aber, wenn man, die Übereinstimmungen der Aussagen des Prinzipienarguments mit der Werteordnungsrechtsprechung unterstellt, die Anwendung der im Grundgesetz enthaltenen Prinzipien in den Fokus nimmt. 212

Di Fabio in HGR II, § 46, Rn. 24. Rensmann, Wertordnung, S. 41. 214 Stein, Werte und Wertewandel, S. 53. 215 BVerfG, Entscheidung vom 20.12.1960 – 1 BvL 21/60, BVerfGE 12, 45 (51); Di Fabio in HGR II, § 46, Rn. 26. 216 BVerfG, Beschluss vom 17.01.1979 – 1 BvR 241/77, BVerfGE 50, 166 (175); Zu den Zusammenhängen der Schaffung von Art. 1 Abs. 1 GG mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte siehe: Rensmann, Wertordnung, S. 27 ff., 41. 217 Di Fabio in JZ 2004, S. 1 (6). 213

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b) Begriffe: Prinzipien, Ziele, Regeln Um zu beschreiben, wie Prinzipien angewendet werden, sind einige Begriffe voneinander abzugrenzen: Prinzipien sind Normen, die (überwiegend) nicht in das Wenn-dann-Schema rechtlicher Regeln passen und dennoch zum Recht gehören. Die Abgrenzung der Prinzipien von den Regeln ist, wider an prominenter Stelle geäußerter Zweifel daran, Prinzipien überhaupt beschreiben zu können218, Grundelement des Prinzipienarguments. Abgrenzungsfragen stellen sich aber nicht nur zwischen Prinzipien und Regeln. Auch innerhalb der Prinzipien ist zwischen den Prinzipien im engeren Sinne und den Zielen abzugrenzen. Beide Abgrenzungen dienen einem Zweck: Die Abgrenzung der Prinzipien im engeren Sinne von den Zielen dient dazu, die Beschaffenheit dieser beiden Prinzipientypen beschreiben zu können. Sie läuft darauf hinaus, zu zeigen, dass nur die Prinzipien im engeren Sinne einen Bezug zur Gerechtigkeit aufweisen, die Ziele das hingegen nicht tun. Hieraus werden, wie gleich angedeutet werden wird, Folgen für die Entscheidungsfindung des Richters abgeleitet, die jedoch einigen Zweifeln zugänglich sind. Prinzipien im engeren Sinne und Ziele werden als Prinzipien im weiten Sinne zusammengenommen. Die Abgrenzung der Prinzipien im weiten Sinne gegenüber den Regeln dient vor allem dazu, im Anschluss die Art und Weise der Anwendung der Prinzipien beschreiben zu können. Die Anwendung der Prinzipien unterscheidet sich nämlich von jener der Regeln. Hieraus ergeben sich, wie ebenfalls zu zeigen sein wird, berechtigte Zweifel gegen die Anwendung des Effizienzprinzips bei der Konkretisierung von Generalklauseln. Beide Abgrenzungen können dazu dienen, die Möglichkeiten einer Ausrichtung von Entscheidungen am Effizienzkriterium im Anwendungsbereich von Generalklauseln zu beschreiben. Die Unterscheidung der Prinzipien im weiten Sinne von den Regeln tut dies, weil sie Grundsätze für die Anwendung von Prinzipien erkennen lässt, die mit der Anwendung der Ökonomischen Analyse kollidieren. Die Abgrenzung der Prinzipien im engeren Sinne von den Zielen (also die Abgrenzung der Prinzipientypen untereinander) gibt vor allem über den Gehalt und Inhalt der Prinzipien Auskunft. Diese zweite Art der Abgrenzung erscheint damit vorderhand als besonders ertragreich: Prinzipien spiegeln, wie gesagt, auch Wertungen des Grundgesetzes wieder. Insoweit, als dass danach gefragt werden soll, ob dem Grundgesetz Wertungen immanent 218 Esser, Grundsatz und Norm, S. 2; kritisch zum Gegensatz zwischen Regeln und Prinzipien: Ávila, Theorie der Rechtsprinzipien.

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sind, die sich der Wertung, das Effizienzkriterium einer Entscheidung zugrunde zu legen, entgegenstellen, liegt der Schluss nahe, eine Beschreibung des Gehalts der Prinzipien könne hierauf Antworten geben. Dworkin hat einen solchen Schluss gezogen und begründet, warum Gerichte die Argumente für ihre Entscheidungen nicht aus dem Maßstab der Effizienz, sondern aus dem der Gerechtigkeit ziehen müssen. Er argumentiert so219: Ziele sind Maßstäbe, die befolgt werden sollen, weil sie Verbesserungen verlangen. Diese Verbesserungen können sich im sozialen, politischen und im ökonomischen Bereich befinden. Dworkins Ziele sind damit, vereinfachend, als Gebote der Effizienz einzuordnen. Mit einem Ziel zu argumentieren bedeutet, und hierauf kommt es an, mit einem Maßstab, der ein Kollektiv betrifft, zu argumentieren. Prinzipien im engeren Sinne sind ebenfalls Maßstäbe, die befolgt werden sollen. Ihre Gebote resultieren indes nicht aus einem Streben nach Verbesserung, sondern sind moralischer Natur. Sie sind Gebote der Gerechtigkeit220, Garantien individueller Rechte. Nur wer mit Prinzipien argumentiert, bezieht sein Argument aus individuellen Rechten, denn diese sind es, die die Prinzipien gewähren221. Weil der Mensch Träger individueller Rechte ist, soll das (staatliche) Gericht seine Entscheidung an diesen Rechten, und damit an moralischen Prinzipien, und nicht an Zielen ausrichten222. Das schließt die Effizienz als Entscheidungskriterium vollends aus. Dworkin unterscheidet hier streng zwischen den Aufgaben des Richters und jenen des Gesetzgebers223. Seine Forderung, das Effizienzkriterium nicht bei der Entscheidung eines individuellen, einen Menschen betreffenden, Falles zu verwenden, stimmt mit der auf die deutsche Rechtsordnung bezogenen Beobachtung Eidenmüllers überein, das Effizienzkriterium zu verwenden sei gerade für den Gesetzgeber, nicht aber den Richter, durchaus denkbar224. Dem einleuchtenden Ausschluss des Effizienzkriteriums von der juristischen Entscheidung bei Dworkin stehen aber nicht weniger einleuchtende Zweifel gegenüber. Das betrifft zunächst die Prämisse, unter der er Effizienz glaubt ausschließen zu können. Effizienz ist nach Dworkin kein moralisches Gebot; sie kann kein Gebot der Gerechtigkeit sein, sondern steht 219

Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 55, 158 ff. Die Reduzierung als Gebote der Effizienz bzw. der Gerechtigkeit geht auf Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 159 zurück. 221 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 158. 222 Zusammenfassend: Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 160. 223 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 175 ff.; dazu: Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 160. 224 Eidenmüller, S. 438. 220

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den moralischen Geboten gegenüber. Dass das nicht so sein muss, zeigt sich bereits daran, dass Effizienz durchaus, je nachdem welchem Ansatz zur Gerechtigkeit gefolgt wird, Gegenstand eines moralischen Gebotes sein kann und dann auch die Gerechtigkeit beschreibt. Nach Dworkin sollen nun aber nur die moralischen Gebote einer juristischen Entscheidung zugrunde liegen können und Effizienz außen vor bleiben. Indes ist Effizienz gerade all jenen nicht nur eine, sondern die moralische Kategorie, die gut und schlecht am Nutzen ausrichten; den Utilitaristen. Freilich verleugnet Dworkin die Existenz jener moralischen Perspektive nicht. Er versucht jedoch sie zu bekämpfen225. Und genau das wird ihm übel genommen226, denn es wird – zusammengefasst – deutlich, dass die geforderte Abkehr vom Utilitarismus sich nicht aus Dworkins Modell ergibt, sondern ihm schon zugrunde liegt. Effizienz wird aber nicht nur von bekennenden Utilitaristen genutzt, um den Begriff der Gerechtigkeit auszufüllen. Vielmehr wird ein Gegensatz von Effizienz und Gerechtigkeit, wie Dworkin ihn postuliert, auch an anderer Stelle abgelehnt227. Rawls etwa, der den Utilitarismus vehement kritisiert, erkennt die Berechtigung des Kriteriums der Effizienz aus verschiedenen Gründen durchaus an228. Es wird auch vorgeschlagen229, Dworkins Modell insoweit zu modifizieren, als dass die Ausrichtung einer Entscheidung an Effizienz genauso weit zugelassen wird, wie eine auch gerechte Entscheidung dabei entsteht. Wollte man, wie Dworkin, der Gerechtigkeit einen Vorrang gegenüber der Effizienz einräumen, ohne, anders als Dworkin, die Effizienz kategorisch auszuschließen, so könnte man dann schlicht danach fragen, ob ein effizientes Ergebnis auch ein gerechtes ist. Solchen Auffassungen ist, wenn, wie hier, auf dem Utilitarismus fußende Ansätze nicht im Kern kritisiert, sondern lediglich nach Hindernissen ihrer Anwendung gefragt werden soll, freilich zuzustimmen. Das gilt für den hier interessierenden Bereich der Rechtsordnung unter dem Grundgesetz allemal. Denn wie soeben gezeigt, stehen das Grundgesetz und sein Menschenbild durchaus verschiedenen Ansätzen zur Gerechtigkeit gegenüber offen230. Die Frage, ob sich für das Effizienzkriterium im Anwendungsbereich der von den Grundrechten geprägten Generalklauseln eindeutige Einschränkungen ergeben, kann, diese inhaltliche Indifferenz zugrunde gelegt, dann, wenn es nur um die Inhalte 225

Vgl. Dworkin, Law’s Empire, S. 276 ff. Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 162. 227 Apel, Diskurs und Verantwortung, insbes. S. 285 ff.; Apel nimmt hierzu Rawls in Bezug. 228 Rawls, A Theory of Justice, S. 5 f.; dazu: Kühn, Soziale Gerechtigkeit, S. 18 f. 229 Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 163 f. 230 Siehe soeben: S. 207 ff. 226

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geht, freilich nur verneint werden. Das ist anders, wenn es nicht mehr nur um die Inhalte von Prinzipien und Werten geht, sondern auch um die Art und Weise ihrer Anwendung. Hierüber gibt die Abgrenzung der Prinzipien von den Regeln schließlich Aufschluss. Sie birgt auch die Wertung, die der Gesetzgeber einer strengen Anwendung des Effizienzprinzips im Anwendungsbereich von Generalklauseln entgegenhält und aus der sich die contra legem-Grenze für eine Konkretisierung dieser Art formt. c) Die Abgrenzung der Prinzipien von den Regeln Alexy unterscheidet im Anschluss an Dworkin die strikten Regeln, die er als „definitive“, denn Tatbestand und Rechtsfolge klar vorgebende, „Gebote“ bezeichnet, von den Prinzipien, die er als einer Abwägung zugängliche und bedürftige „Optimierungsgebote“ charakterisiert231. Beiden kommt Normcharakter zu232. Die Bezeichnung als Optimierungsgebot bedeutet, dass das Prinzip fordert, dass seine Anwendung zu einem Zustand führt, indem das von dem Prinzip Aufgegebene in möglichst hohem Maße realisiert wird und nicht etwa erfüllt oder nicht erfüllt233. Regeln werden durch Subsumtion, Prinzipien durch Abwägung angewandt. Auf diese Weise zwischen Normtypen und ihrer Anwendung zu unterscheiden, hat, der Kritik daran zum Trotz, zunächst seinen Wert darin zu zeigen, dass es hinter den Regeln keinen „rechtsfreien“ Bereich gibt234 und also auch dort, wo eindeutige Subsumtion gar nicht mehr möglich ist, juristisch argumentiert werden muss235. Das entspricht der Forderung der Generalklauseln. Als Prinzipien des deutschen Rechts wurden etwa das Rechtsstaatsprinzip aber vor allem die Grundrechte ausgemacht236. Allen voran 231 Alexy, Begriff und Geltung, S. 120; Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 103 f. bezeichnet die Begründung der Notwendigkeit einer Abwägung auch als die strukturtheoretische Version des Prinzipienarguments; Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 54. 232 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 72; Alexys These, eine Norm sei entweder eine Regel oder ein Prinzip (ebd. S. 77) wird von Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 157 f. mit dem Argument angezweifelt, es könne auch Normen geben, die als Regeln formuliert aber nur im Wege der Abwägung, also wie Prinzipien, final anwendbar sind. Solche Normen seien dann nur schwer nach der strengen Kategorisierung einordenbar. Dennoch: Auch wenn deshalb nicht von einer eindeutigen, sondern nur von einer graduellen Unterscheidung gesprochen werden kann, ändert sich an dem Erfordernis der Abwägung zur Anwendung der Normen ohne eindeutige Vorgabe von Tatbestand und Rechtsfolge nichts. 233 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. 234 Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 158. 235 Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 104, 113. 236 Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 105.

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werden der Schutz der Menschenwürde, der Freiheit und der Gleichheit genannt. Ihre Installation kann moralische Ideale zu Rechtspflichten erheben. aa) Entscheidungsfindung beim Umgang mit Prinzipien – Notwendigkeit einer Abwägung Die im Grundgesetz enthaltenen Werte oder Prinzipien können miteinander in Konflikt geraten. Nach der Prinzipientheorie gilt es dann, wie oben beschrieben, die widerstreitenden Prinzipien miteinander abzuwägen237 oder, im Duktus der Verfassungsrechtsdogmatik, über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung das Ergebnis zu ermitteln238. Auch eine solche Handlungsanweisung an den Richter ist als Wertung des Gesetzgebers zu erkennen, die unbedingte Berücksichtigung erfordert. Der Unterschied zwischen der Anwendung von Regeln und Prinzipien lässt sich einprägsam mit einem an Dworkin angelehnten239 Wort Alexys beschreiben240: Konflikte zwischen zwei Regeln „spielen sich in der Dimension der Geltung ab, [. . .] Prinzipienkollisionen finden [. . .] in der Dimension des Gewichts statt.“ Prallen zwei Regeln aufeinander, von denen eine etwas erlaubt, was die andere verbietet, so ist der Konflikt nur darüber aufzulösen, dass eine der Regeln für ungültig erklärt oder wenigstens eine Ausnahme von ihr gebildet wird. Dagegen können Prinzipien überhaupt nur kollidieren, wenn beide auch gelten, so dass die Kollision über die Nachrangigkeit eines der beiden Prinzipien aufgelöst wird241. Abwägung und Rangherstellung bedeuten hier, dass es nicht dazu kommt, dass ein Prinzip für ungültig erklärt wird. Sie bedeuten außerdem, dass es keinen generellen Vor- oder Nach-, sondern einen „grundsätzlichen Gleichrang“ gibt, so dass das, was gilt, von der Konstellation im zu entscheidenden (Einzel-)Fall bestimmt wird. Die Vorgabe eines Prinzips, das Sollen, das es aufgibt, ist also keineswegs zwingend, sobald ein Prinzip den zu entscheidenden Fall erfasst242. Das wäre vielmehr allein dann der Fall, wenn das einschlägige Prinzip das einzig überhaupt für den Fall relevante wäre243. Ist dies, wie 237

Andersherum könne aus der „Perspektive eines Teilnehmers“ auch argumentiert werden, dass immer dann, wenn abgewogen wird, der Entscheidung auch ein Prinzip zugrunde liegen muss, siehe Alexy, Begriff und Geltung, S. 122; in diesem Punkt anders aber im Grundsatz vergleichbar: Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 167 f. 238 Dreier, Recht-Staat-Vernunft, S. 83. 239 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 61 f. 240 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 79; dort auch zum Folgenden. 241 Bydlinski spricht von der „Kompromissbedürftigkeit der normativen Hauptgrundsätze“, siehe: Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 131. 242 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 88. 243 Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 122.

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üblich, nicht so, dann „entfalten [die Prinzipien] ihren eigentlichen Sinngehalt erst in einem Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung“244. Es gibt keinen generellen Vorrang eines Prinzips vor einem anderen. Dem Prinzip selbst ist es noch nicht einmal zu entnehmen, wie es sich zu einem gegenläufigen Prinzip verhält; das entscheidet allein der Fall245, weshalb die genaue Ermittlung des Sachverhalts den Ausgangspunkt jeder Abwägung bildet246. bb) Die Berücksichtigung von Abwägungsentscheidungen des Gesetzgebers Grenzen einer Abwägung ergeben sich daraus, dass der Gesetzgeber bereits eine Vielzahl von Abwägungsfragen vorentschieden hat. Diese Entscheidungen sind deshalb Grenzen, weil sie vom Richter berücksichtigt werden müssen – wenn sie bestehen. Dies ist in den der Subsumtion weitgehend unzugänglichen Bereichen der unbestimmten Rechtsbegriffe, wie sie den Generalklauseln innewohnen, in nur sehr zurückgenommenem Maße der Fall. Sie sind also der erste Ort der Anwendung von Prinzipien und „weil diese Prinzipien aber nicht im Singular, sondern im Plural auftreten, sind nun Abwägungen zwischen ihnen unvermeidlich“247. Dieses Abwägungserfordernis ist als eine bestehende Wertung des die Grundrechte installierenden Gesetzgebers zu erkennen. Als Wertung des Gesetzgebers reicht es bis in die Konkretisierung der Generalklauseln hinein. cc) Entscheidungsfindung der Ökonomischen Analyse des Rechts – Effizienzprinzip als absolutes Prinzip Die Ökonomische Analyse kennt eine maßgebliche Regel, die zur Entscheidungsfindung herangezogen und befolgt wird; eine Abwägung findet insoweit nicht statt. Die Beobachtungen Alexys zum Vorgang bei der Abwägung von Prinzipien im Rahmen der Entscheidungsfindung haben plastisch gezeigt, wie sehr sich der Umgang mit Prinzipien, sei es im Rahmen seiner Theorie, sei es im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, von der Annahme einer generellen Vorrangregel des Effizienzkriteriums unterscheidet. 244

Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 52. f. Mit abweichender Terminologie aber der Idee nach vergleichbar: Esser, Werte und Wertewandel, S. 9. 246 So in Abgrenzung zur Rechtsprechung des BGH: Hubmann, Methode der Abwägung, S. 149. 247 Osterkamp, Gerechtigkeit, S. 238. 245

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Soweit dem Prinzipienargument zugestimmt wird, wird dem Verfahren einer Ökonomischen Analyse, soweit es das Selbstverständnis vom Vorrang ihres Entscheidungskriteriums angeht, eindeutig widersprochen. Das schließt für ihre Anwendung im Bereich der Generalklauseln eine konsequente Benutzung aus. Im Rückschluss hieraus lässt sich dementsprechend allein eine ergänzende Funktion des Effizienzkriteriums begründen. Das entspricht auch dem, was über die Geltung der als Prinzipien verstandenen Grundrechte auf der ersten Konkretisierungsstufe gesagt wurde. Das Grundgesetz tendiert inhaltlich nicht gegen einen Ausschluss des Effizienzprinzips. Es gibt formal nur vor, dass seine Anwendung im Rahmen einer Abwägung stattfinden muss, die alle einschlägigen Prinzipien einbezieht. Dies gilt, dem erheblichen Einfluss der gesetzlichen Grundwertung bei der Konkretisierung entsprechend, auch im Bereich der Generalklauseln. Die gesetzliche Wertung, abwägen zu müssen, ist schließlich auch dann nicht zu vernachlässigen, wenn es inhaltlich keinen Widerspruch zwischen dem einer Entscheidung zugrunde liegenden Prinzip und dem mittels Ökonomischer Analyse ermittelten Ergebnis gäbe. Es wird auch in einem solchen Fall den Vorgaben des Verfahrens der Entscheidungsfindung nicht entsprochen, wenn allein mittels Ökonomischer Analyse entschieden würde. Eine absolute Geltung des Effizienzprinzips ist demnach nicht möglich. Als absolutes Prinzip muss das Effizienzprinzip aber zunächst insoweit bezeichnet werden, als ihm von den Vertretern der Ökonomischen Analyse des Rechts unbedingter Vorrang vor anderen Prinzipien eingeräumt wird. So liegt es etwa, wenn Schäfer/Ott Gerechtigkeit für juristisch relevant halten, wenn sie die Effizienz fördert248. Das damit verbundene Problem ist auch nicht schon dann vermieden, wenn festgehalten wird, dass gewisse Rechte akzeptiert werden. Denn dies zu proklamieren, ändert nichts daran, dass in den einschlägigen Falllösungen es eben doch allein das Effizienzkriterium ist, nach dem das Ergebnis ermittelt wird. Das gilt für den Bereich der Lösung anhand von konkreten Normen, sowie für eine an einer Generalklausel orientierten Lösung. Der insoweit keineswegs ausgeräumte Vorrang machte es unmöglich, das Effizienzprinzip im Wege einer Abwägung zu verdrängen. Wenn das Effizienzprinzip absolut gälte, dann würde das bedeuten, dass es in jedem Kollisionsfall von Effizienzprinzip und anderen Prinzipien, die von Grundrechten abgebildet werden, zu einem automatischen Vorrang der Effizienz und also einer vollständigen Verdrängung der Prinzipien hinter das Effizienzprinzip käme. Das wäre, das Abwägungserfordernis zwischen existierenden Prinzipien zugrunde gelegt, aber nur in einer Rechtsordnung möglich, in der das Effizienzprinzip als einziges Prinzip gilt, in der Grund248

Schäfer/Ott, S. 6 f.

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rechte also nicht existieren. Oder auf den Einzelfall gemünzt: Eine Falllösung, die das Effizienzkriterium als entscheidendes Kriterium zugrunde legt, verleugnet damit implizit die Geltung von Grundrechten. Da die Grundrechte des deutschen Rechts aber zweifelsfrei anerkannt sind und auch angewendet werden, kann ein Prinzip, das nur den Schluss auf ihre Abwesenheit zuließe, keinen Bestand haben. d) Zwischenergebnis: Unmöglichkeit einer Abwägung bei Annahme eines absoluten Prinzips im Geltungsbereich der Grundrechte Soweit die Ökonomische Analyse des Rechts sich die Effizienz zum absoluten Prinzip nimmt, ist das unter der Prämisse des nun Gesagten innerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht möglich249: Die Existenz der Grundrechte innerhalb der deutschen Rechtsordnung und ihre allgegenwärtige Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung belegen, dass Effizienz hier keine absolute Wirkung zukommt. Sie kann mit vollem Geltungsanspruch deshalb nicht angewendet werden, wo die Grundrechte gelten. Dieses Argument wird freilich schwächer, wo der Einfluss der Grundrechte verblasst. Es besteht in seiner vehementen Ausschlusswirkung eines Vorrangs der Effizienz aber fort, wo, wie im Bereich der Generalklauseln, den Grundrechten eine besondere Bedeutung zukommt.

VI. Konkretisierung contra legem durch die Anwendung des Effizienzprinzips Das Abwägungserfordernis, das sich aus dem Prinzipienargument ergibt, ist eine Wertung des Gesetzgebers, die den Grundrechten immanent ist. Die Grundrechte wirken auch im Bereich der Generalklauseln, hier sind sie eines der wichtigsten Konkretisierungsmittel. Wird Entscheidungen die Wertung zugrunde gelegt, es komme auf die Effizienz des Ergebnisses an, so stellen sich die Ergebnisse regelmäßig in Konflikt mit alten Ergebnissen, die bei der Anwendung der Generalklausel auf vergleichbare Fälle erzielt wurden. Dies ist nur dann denkbar, wenn es sich dabei um einen legitimen Funktionswandel innerhalb der Generalklausel handelt. Ein solcher Funktionswandel setzt jedoch voraus, dass keine entgegenstehenden, im Gesetz verankerten Wertungen des Gesetzgebers vorhanden sind. Anderenfalls ergeht die Konkretisierung contra legem; die Entscheidung kann dann nicht mehr auf die Generalklausel gestützt werden. 249 Allgemein zum Umgang mit absoluten Prinzipien: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 94.

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Kap. 7: Generalklauseln und Effizienz?

Eine sich in dieser Weise gegen die Anwendung des Effizienzprinzips stellende Wertung ist das Abwägungsgebot, das bereits durch die Existenz der Grundrechte in der Rechtsordnung verankert ist und das auch in der Werteordnungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Anerkennung fand. Ein Konkretisierungsergebnis, das, wie die Ergebnisse, die allein mithilfe des Effizienzprinzips gefunden werden, der Wertung abwägen zu müssen widerspricht, ergeht, schon indem es sich gegen diese Wertung des Gesetzgebers stellt, contra legem und ist damit kein legitimes Konkretisierungsergebnis einer Generalklausel.

VII. Ergebnis Prinzipien stellen die Verbindung zwischen Recht und Gerechtigkeit her. Der Grundrechtskatalog realisiert Prinzipien. Da die Grundrechte auf der ersten Stufe der Generalklauselkonkretisierung stehen, stellen die dort enthaltenen Prinzipien, trotz fehlender Identität des Grundgesetzes mit allen denkbaren Prinzipien, das wichtigste Konkretisierungsmittel dar. Sind verschiedene Prinzipien bei der Entscheidung relevant, so wird die Entscheidung im Rahmen einer Abwägung gefunden. Das gilt für alle Prinzipien, insbesondere auch das überragend wichtige Vertrauensprinzip, das in jeder Norm, die auf Treu und Glauben verweist, eine erhebliche Rolle spielt. Abwägen zu müssen, ist eine Wertung, die der Gesetzgeber bei der Installation der Grundrechte vorgesehen hat. Das ergibt sich bereits daraus, dass einige von ihnen, dem Text nach, schrankenlos gewährleistet sind, damit aber jedenfalls ihre Grenze in anderen Grundrechten finden250. Diese Wertung, abwägen zu müssen, gilt auf der ersten Konkretisierungsstufe der Generalklauseln als gesetzliche Wertung unmittelbar. Abzuwägen ist daher ein von der Methode der Konkretisierung dem Richter vorgegebenes Gebot. Ausschließlich auf das Effizienzprinzip abzustellen, wenn im Anwendungsbereich einer Generalklausel ein Fall zu entscheiden ist, käme der Annahme der Existenz eines absoluten, also jedes andere Prinzip ausschließenden, Prinzips gleich, denn eine Abwägung unterbleibt. Absolut wirkende Prinzipien kann es in einer Rechtsordnung, die Grundrechte beinhaltet, nicht geben, denn absolute Prinzipien gibt es nur dort, wo kein zweites Prinzip gilt. Damit ist die alleinige Ausrichtung einer Entscheidung am Effizienzprinzip, soweit die Entscheidung im Anwendungsbereich einer Generalklausel getroffen wird, nicht möglich, denn von der deutschen Rechtsordnung, die mit dem Gebot der Abwägung eine gegenteilige Wertung enthält, nicht vorgesehen. 250 Das hiermit angesprochene Prinzip der praktischen Konkordanz ist freilich auch bei der Kollision von nicht vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten anwendbar.

Endergebnisse 1. Die Wortlautanalyse der Normen, die auf Treu und Glauben verweisen, sowie die Wortlautanalyse der Paarformel Treu und Glauben selbst, kann – entgegen anderslautender Stimmen – dazu dienen, die durch die jeweilige Generalklausel im Einzelfall aufgestellten Forderungen zu konkretisieren. Dass dies in der Rechtsprechung auch geschieht, hat die Betrachtung der Anwendung der direkt auf Treu und Glauben verweisenden Normen vor allem daran gezeigt, dass dem Vertrauensschutz immer noch ein eklatanter Wert beigemessen wird. Denn damit weist der Blick auf die praktische Anwendung der Norm nach, dass stets nicht nur das hinter der Paarformel stehende Prinzip, sondern bereits der Bedeutungsgehalt ihrer Bestandteile, die Treue und der Glaube, erkannt und in die jeweilige Entscheidung eingebunden wird. Der Wert des Wortlauts der Paarformel zeigt sich auch daran, dass er immer wenigsten als Ausgangspunkt der Entwicklungen von Fallgruppen auszumachen ist1. 2. Die Frage nach der Anwendbarkeit des Effizienzkriteriums im Anwendungsbereich von Generalklauseln würde sich nicht stellen, wenn, wie teilweise behauptet wird, eine Identität zwischen den Wertentscheidungen, die der Gesetzgeber in das Gesetz übernimmt, einerseits und dem Prinzip der Effizienz andererseits, bestünde. Aber diese Identität besteht nicht, wie vor allem die Anwendung des Effizienzkriteriums im Bereich der AGB-Kontrolle zeigt, wo durch die Inbezugnahme des Vertrauens zunächst eine gewisse Nähe der Ansätze suggeriert wird. Die Rückkoppelung von Treu und Glauben an das Vertrauensprinzip zeigt sich im AGB-Recht daran, dass der Klauselgegner auf die Angemessenheit der AGB vertrauen darf, denn es ist schon eine Pflicht des Verwenders, angemessene AGB zu benutzen. Dass es auch vom Standpunkt der effizienten Gestaltung eines Vertrags durch AGB aus auf das Vertrauen ankommt, weist nur scheinbar auf einen Gleichlauf der zwei Ansätze hin: Denn aus ökonomischer Sicht kommt es keineswegs darauf an, dass der Klauselgegner vertrauen darf. Aus ökonomischer Sicht muss der Klauselgegner auf die Angemessenheit ohne vorherige Prüfung der AGB vertrauen, da den Kosten einer Prüfung kein äquivalenter Nutzen gegenübersteht. Zwar nehmen beide Ansätze damit das Vertrauen in Bezug. 1 Zur Paarformel: S. 59 ff.; zusammenfassend zur Verwendung der Paarformel im BGB: S. 84 ff.; zur Wortlautanalyse des § 242: 63 ff.

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Doch tun sie dies vor dem Hintergrund vollkommen verschiedener Grundgedanken2. 3. Der Grundsatz von Treu und Glauben bezieht seine Inhalte maßgeblich aus dem Vertrauensprinzip. Das Vertrauen ist ein flexibles Kriterium, es kann stärker und schwächer ausgeprägt sein. Dementsprechend ist bei der Frage danach, ob das Verhalten eines Teils treuwidrig ist, zu berücksichtigen, wie stark das Vertrauen des anderen Teils ausgeprägt ist. Das Vertrauen darauf, eine erhaltene Leistung behalten zu können, ist durch das selbst Vertrauen stiftende Element des Erhalts schwerer zu gewichten, als das Vertrauen darauf, eine Leistung erst noch zu bekommen. Für die Frage nach den Anforderungen an die Treuwidrigkeit der Rückforderung einer schon erbrachten Leistung (§ 815 Alt. 2; vor allem in den Fällen der Unterverbriefung) hat dies konkrete Folgen: Wegen des durch den Erhalt der Leistung größeren Vertrauens des Empfängers müssen hier geringere Anforderungen an die Treuwidrigkeit gestellt, und die Treuwidrigkeit der Rückforderung daher eher bejaht werden, als dies vor Erbringung der Leistung der Fall ist. Nach Leistungserbringung sind damit vor allem geringere Anforderungen an die Treuwidrigkeit zu stellen, als bei der Frage danach, ob es treuwidrig ist, die noch nicht erbrachte Leistung aufgrund der Formnichtigkeit des Vertrags zu verweigern. Hier wird zur Bejahung der Treuwidrigkeit von der Rechtsprechung verlangt, dass die Verweigerung der Leistung untragbare Zustände schafft; es werden also hohe Anforderungen an die Treuwidrigkeit gestellt. Einer Differenzierung zwischen den Anforderungen an den Treueverstoß, wie sie sich zwischen Entscheidungen zu Fällen vor und nach Leistungserbringung ausmachen lässt, ist wegen des unterschiedlichen Maßes an schutzwürdigem Vertrauen entgegen vieler Stimmen aus der Literatur, die einen Gleichlauf fordern, deshalb zuzustimmen. Die Entscheidung für die Differenzierung findet sich auch dadurch gestützt, dass Bestandsschutz grundsätzlich stärker ausgeprägt ist als Erwerbsschutz3. 4. Eine Bindung des Richters an Präjudizien muss, entgegen der hiervon stark abweichenden Praxis, für die Generalklauseln formal nach wie vor verneint werden. Befürwortet werden kann sie allein insoweit, als dies unter der Anerkennung reiner Orientierungs- und Ordnungsgesichtspunkte nötig ist4. 5. Viele der Faktoren, die die schnelle Etablierung der Ökonomischen Analyse insbesondere im amerikanischen Recht bedingenden, liegen auch im 2 3 4

Hierzu: S. 70 ff. Hierzu: S. 76 ff. Hierzu: S. 102 ff.

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Bereich der Generalklauseln vor. Vorderhand eignen sich Generalklauseln deshalb besonders gut dazu, das Effizienzkriterium in die deutsche Rechtsordnung einzuführen. 6. Die praktische Anwendung der Generalklauseln weist starke Parallelen zur Arbeit der Richter im Common Law auf. Im deutschen Recht wird die Falllösung üblicherweise in einem deduktiven Vorgang ermittelt. Der Sachverhalt wird unter eine bestehende Norm subsumiert. Im Common Law hingegen ist ein induktives Verfahren etabliert, das vom zu entscheidenden Fall und bestehenden Vergleichsfällen zu einer Lösung kommt. Dieses induktive Vorgehen im Common Law stimmt mit der in der Praxis etablierten Rechtsgewinnung im Anwendungsbereich von Generalklauseln weitgehend überein. In beiden Bereichen werden durch eine induktive Vorgehensweise vom zu entscheidenden Fall aus übergeordnete Grundsätze herausgearbeitet, die dann zur Falllösung dienen5. 7. Die Ökonomische Analyse des Rechts ist folgenorientierte Argumentation und die Folgen einer Entscheidung vor Augen zu haben, ist insbesondere im amerikanischen Recht essentieller Bestandteil des Verfahrens6 Im deutschen Recht wird die Folgenberücksichtigung hingegen nur begrenzt bei der Entscheidungsfindung akzeptiert. Eine Ausnahme hiervon bilden allerdings die Generalklauseln, deren tatbestandliche Weite die Berücksichtigung von Folgen durch die Richter aufgrund der veränderten Aufgabenstellung sogar einfordern kann. Für eine Folgenberücksichtigung spricht darüber hinaus die anzuerkennende, tatsächlich vorhandene Bindung an Präjudizien im Recht der Generalklauseln. Der Richter ist, soweit er sich dieser problematischen Umgangsweise mit den Generalklauseln hingibt, angehalten, sich diese Bindung bei der Entscheidungsfindung vor Augen zu halten und zu erkennen, dass seine Entscheidung aufgrund dieser Bindung auch Auswirkungen auf die Lösung späterer Fälle haben wird. 8. Die Befürworter der Folgenberücksichtigung im deutschen Recht stellen die Berücksichtigung von Folgen unter die Bedingung, dass es nicht zu einer „fallweisen“ Berücksichtigung von Folgen kommt7. Die Lösung von Fällen durch die Anwendung des Modells des vollständigen Vertrags kann aber, indem es etwa zu einer Berücksichtigung der finanziellen Ausstattung der Parteien kommt, zu so einer „fallweisen“ Berücksichtigung von Folgen führen. Die konkrete Anwendung der Ökonomischen 5 6 7

Zum Verfahren beim Fallvergleich: S. 106 ff. Hierzu: S. 118 ff. Hierzu: S. 118 ff.

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Analyse setzt sich auf diese Weise über Grenzen hinweg, die der legitimen Berücksichtigung von Folgen im deutschen Recht gesetzt sind8. 9. Die Behauptung, mittels ökonomischer Prinzipien könne eine Vereinfachung der Lösung bestehender juristischer Probleme herbeigeführt und die (ohne ökonomische Kriterien nicht vorhandene) Vorhersehbarkeit einer Entscheidung im Anwendungsbereich der Generalklauseln erhöht werden, trifft nicht zu. So ist etwa der Umgang mit einer Störung der Geschäftsgrundlage in der Literatur zur Ökonomischen Analyse des Rechts nicht weniger umstritten, als dies in der zivilrechtlichen Literatur schon seit der Zeit vor Schaffung des BGB der Fall ist9. Bereits die Meinungen darüber, ob das Institut überhaupt zur Erreichung eines effizienten Zustands tauglich ist, gehen weit auseinander. Die Uneinigkeit setzt sich aber auch unter jenen Vertretern der Ökonomischen Analyse fort, die die Lehre von der Geschäftsgrundlage grundsätzlich für geeignet halten, effiziente Ergebnisse hervorzubringen und die sie dann unter ökonomischen Prämissen anwenden. Schon für die Frage etwa, welche der Parteien überhaupt am Vertrag festgehalten werden oder sich von ihm lösen können soll, werden jeweils anhand von ökonomischen Argumenten gebildete, stark von einander abweichende Meinungen vertreten. 10. Die starke Abhängigkeit einer am Effizienzprinzip orientierten Lösung von den zur Entscheidung notwendigen Informationen macht ihre Ergebnisse nicht weniger unwägbar, als ihre Vertreter dies der Ergebnisfindung durch die herkömmliche Anwendung einer Generalklauseln vorwerfen. 11. Werden Fälle, in denen der BGH seine Lösung auf Treu und Glauben gestützt hat, anhand des ökonomischen Prüfschemas gelöst, so zeigen sich eklatante Abweichungen der Ergebnisse voneinander10. Diese Abweichungen der Ergebnisse indizieren einen Konflikt zwischen den Zielen, die der Gesetzgeber bei der Installation von Generalklauseln im Blick hatte, und den Zielen der Ökonomischen Analyse des Rechts. Ein solcher Zielkonflikt zeigt an, dass die Stützung einer Entscheidung auf das Instrumentarium der Ökonomischen Analyse einer Legitimationspflicht unterliegt: Gezeigt werden muss dann, dass die Entscheidung auch den von der Generalklausel für den Fall in Bezug genommenen Wertungen entspricht. 8

Hierzu: S. 139. Hierzu: S. 130 ff. 10 Beispiel 1 (Geschäftsgrundlage): S. 117 ff.; Beispiel 2 (Angemessenheitskontrolle von AGB): S. 132 ff.; siehe insgesamt: Kapitel 6. 9

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12. Die Entscheidung des BGH vom 30.11.2004 bestätigt, dass nicht nur das Wissen, sondern auch der Wille zur Hinzuziehung des Effizienzkriteriums in den Obergerichten auch des Bundes angekommen sind. Diese und andere zitierte Entscheidungen machen klar, dass es mittlerweile auch im komplexen Anwendungsbereich der Generalklauseln und nicht mehr nur im Bereich unmittelbarer Haftungsfragen, die über konkrete Tatbestände geregelt sind (bspw. die Fahrlässigkeit gemäß § 276 Abs. 2), zur bewussten und nicht mehr nur unterstellten Verwendung der Anwendung des Effizienzkriteriums kommt11. 13. Die Entscheidung des BGH vom 30.11.2004 bedient sich äußerlich des Prüfschemas der Ökonomischen Analyse des Rechts, indem sie die Terminologie des Modells des vollständigen Vertrags und seine Prüfschritte verwendet und unterstellt, die Parteien seien homines oeconomici. Neben dieser objektiven Übereinstimmung mit ökonomischen Kriterien zeigt sich außerdem erstmals eine subjektive Komponente einer allein an der Effizienz orientierten Lösung: Der BGH gibt zu erkennen, dass er allein ökonomisch argumentieren will, indem er auf Fundstellen verweist, die die Anwendung des Effizienzprinzips im Bereich des AGBRechts besprechen,. Tatsächlich ergibt die genaue Analyse jedoch, dass das ökonomische Prüfschema nicht streng durchgehalten wurde12. Die Bedeutung der Entscheidung schmälert dies aber nicht: Die Offenheit und die Selbstverständlichkeit, mit der die Erwägungen zu einer effizienten Lösung des Falles dem Urteil zu Grunde gelegt wurden, stellen ein entscheidendes Ereignis in der Rezeption der Ökonomischen Analyse durch die obergerichtliche Rechtsprechung dar. 14. Die Konkretisierung von Generalklauseln ist entgegen anders lautenden Stimmen als Auslegung und nicht als Rechtsfortbildung einzuordnen13. Zur Bejahung der Rechtsfortbildung mangelt es bereits am Vorliegen einer Lücke. Dass Generalklauseln unbestimmte Regelungen darstellen, genügt formal bereits, um das Bestehen einer Regelung zu bejahen. Auch die Annahme einer gewollten Lücke, für die der Gesetzgeber die von den Generalklauseln erfassten Fälle bewusst hätte offen lassen müssen, trifft nicht zu: Zum einen verweist der Gesetzgeber zur Lösung von Fällen mit einer Generalklausel verbindlich auf seine eigenen Wertungen14. Damit besteht aber schon keine Ungebundenheit des Richters, wie das „Offenlassen“ eines Falles sie zur Folge hätte. Zum anderen enthält jede Generalklausel auch noch eine weitere, sehr konkrete An11 12 13 14

Hierzu: S. 156 f. Hierzu: S. 157 ff. Hierzu: S. 187 ff. Zu den fünf Konkretisierungsstufen im Einzelnen: S. 178 ff.

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weisung an den Richter: Er soll die Generalklausel ausfüllen und handelt also, in dem er dies tut, auch bereits im Rahmen eines vom Gesetzgeber vorgesehenen Plans. 15. Die Bestandteile der jeder Norm zugrunde liegenden Rechtsidee, vor allem die Gerechtigkeit und die Rechtssicherheit, werden in unterschiedlichem Maße vom Gesetzgeber bei der Schaffung einer Norm berücksichtigt. Das Maß der Berücksichtigung dieser Bestandteile findet seine Ausprägung in der Konkretisierung des Tatbestands der Norm. Der Grad der Konkretisierung einer Norm gibt dann Auskunft darüber, wie sehr die Norm verlangt, die Individualität des in ihren Anwendungsbereich fallenden Falles zu berücksichtigen. Je konkreter der Tatbestand einer Norm ist, weil bei ihrer Schaffung die Rechtssicherheit leitend war, desto weniger kommt es darauf an, die Einzelheiten des Falles zu berücksichtigen. Das Gewicht der (Einzelfall-)Gerechtigkeit, wiegt dann weniger schwer. Je weniger konkret eine Norm aber ist, und je mehr die Rechtssicherheit deshalb zurücksteht, desto mehr verlangt die Norm, die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und Bedürfnisse der Rechtssicherheit, mithin kollektive Maßstäbe, zu vernachlässigen15. 16. Die Weite der Generalklauseln zeigt an, dass Fragen der Rechtssicherheit, also Fragen, die über den Einzelfall hinausweisen, zugunsten des Einzelfalls vernachlässigt werden müssen. Eine Methode, die, wie die Ökonomische Analyse des Rechts, ihre Entscheidungen ausschließlich an über dem Einzelfall liegenden Zielen, wie dem gesellschaftlichen Wohl oder ihrem Nutzen orientiert, vernachlässigt die Vorgabe der Generalklauseln, solche Werte zu Gunsten der Individualität unberücksichtigt zu lassen. Der Akt der Implementierung einer Generalklausel in das Gesetz, ist als Absage des Gesetzgebers an die Berücksichtigung von Motiven zu werten, die über den Einzelfall hinausgehen. Die Funktion der Generalklauseln in der Rechtsordnung, die Individualität eines Falles zu würdigen, steht der Berücksichtigung solcher überindividuellen Motive entgegen. Die Generalklauseln verlangen im Einzelnen sogar, die Auswirkungen einer Entscheidung auf andere außer Acht zu lassen. 17. Das Individuum wird von der Ökonomischen Analyse zwar zur Kenntnis genommen. Entscheidungen werden aber nicht an ihm, sondern an einem überindividuellen Ziel ausgerichtet. Das geben schon ihre philosophischen Wurzeln im Utilitarismus vor. Soweit danach die Maximierung des Nutzens auch im Verhältnis zweier Individuen angestrebt 15

Siehe dazu: S. 165 ff.

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wird, geschieht dies nur vor dem Hintergrund der Aggregation zu einer Mehrung des Gesamtnutzens der Gesellschaft16. 18. Das Individuum wird darüber hinaus auf eine weitere Weise durch die Anwendung ökonomischer Kriterien vernachlässigt, indem die individuellen Motivationen und Verhältnisse der Parteien durch jene des homo oeconomicus (und seiner Nachfolger) ersetzt werden. Ob es einem Vertragspartner darauf ankam, den Vertrag effizient zu gestalten oder ob er sich von anderen Motiven leiten ließ, spielt, anders, als es von den Generalklauseln zu berücksichtigen eingefordert wird, für die Ökonomische Analyse keine Rolle. 19. An dem Grundprinzip, eine Gesellschaft in den Blick zu nehmen, ändern auch neuere, kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragende Strömungen der Ökonomischen Analyse (Behavioral Law and Economics) nichts17. Zwar nähern sich diese angepassten Verhaltensmodelle dem Verhalten real existierender Menschen mehr an, als die Urform des homo oeconomicus es konnte. Doch ist es immer noch ein Verhaltensmodell, wenngleich ein an tatsächliches Verhalten angepasstes, das rechtlichen Entscheidungen und Bewertungen zugrunde liegt und nicht das tatsächliche Individuum selbst. Damit verstieße auch eine, diese neuen Erkenntnisse berücksichtigende Anwendung des Ökonomischen Ansatzes gegen die Funktion der Generalklauseln, den tatsächlichen Einzelfall und seine Umstände zu berücksichtigen. 20. Die Generalklauseln erscheinen nicht nur aufgrund der Parallelen ihrer praktischen Anwendung zum Common Law, sondern auch mit Blick auf ihre Wertungsgebundenheit geeignet für eine Konkretisierung mithilfe des Effizienzkriteriums. Die Wertungsgebundenheit ermöglicht nämlich auch die Einbeziehung neuer Werte. Die größer werdende Zahl an Gerichtsentscheidungen, die sich an Effizienz orientieren, kann einen Wertewandel implizieren, der sich auch auf die Konkretisierung von Generalklauseln auswirken kann. 21. Die Konkretisierung einer Generalklausel darf jedoch nicht contra legem erfolgen, denn die Entscheidung des Gesetzgebers ist schon dem Prinzip der Gewaltenteilung entsprechend vom Richter zu berücksichtigen18. Eine konkrete gesetzliche Regelung geht dem Ergebnis der Konkretisierung einer Generalklausel auch bereits wegen des Vorrangs speziellerer Normen vor. Wird eine Entscheidung, die contra legem ergeht, 16 17 18

Siehe dazu: S. 173 ff. Siehe dazu: S. 175 f. Siehe dazu: S. 188.

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dem Text der Entscheidung nach auf eine Generalklausel gestützt, so trifft dies nicht zu. 22. Eine Konkretisierung erfolgt contra legem, wenn sie gegen vorhandene und im Gesetz erkennbare Wertungen des Gesetzgebers verstößt. Eine Konkretisierung ergeht dann nicht contra legem, wenn mit ihr alte, ungeschriebene Wertungen des Gesetzgebers überkommen werden, um neuen Wertungen Geltung zu verschaffen. Dies ist die Situation des legitimen Funktionswandels einer Norm, in der es dazu kommen kann, dass von alten Ergebnissen abweichende, neue Ergebnisse auf Grundlage derselben Norm gefunden werden19. Eine Konkretisierung dieser Art ist kein „Durchbruch durch das Gesetzesrecht“, sondern von der Funktion der Generalklausel als „Sollbruchstelle“ innerhalb des Gesetzes selbst legitimiert. Werden Fälle, deren Lösung der BGH auf Generalklauseln gestützt hat, anhand des Effizienzkriteriums entschieden, so können sich erhebliche Abweichungen der Ergebnisse ergeben (siehe Ergebnis Nr. 11). Für diese Abweichungen besteht Raum, wenn dass Effizienzprinzip eine Wertung ist, die gegen gar keine oder nur gegen im Gesetz nicht ausgedrückte Wertungen des Gesetzgebers verstößt. Anderenfalls erginge die Entscheidung contra legem. Für die Legitimität der Abweichungen neuer Konkretisierungsergebnisse, die mittels des Effizienzprinzips ermittelt werden, kommt es darauf an, ob die Generalklauseln auch auf Normen verweisen, die eine der Anwendung des Effizienzprinzips entgegenstehende Wertung des Gesetzgebers enthalten. Dies ist der Fall. 23. Zu den erkennbaren Wertungen, auf die Generalklauseln auf der ersten Konkretisierungsstufe verweisen, gehören die Grundrechte. Ihren Wertungen darf die Konkretisierung einer Generalklausel mittels Effizienzprinzips deshalb nicht widersprechen, wenn sie nicht contra legem erfolgen soll. Die gesetzlichen Grundwertungen bilden auf der ersten Konkretisierungsstufe den Anfang und, soweit sie im Gesetz ausgedrückt sind, auch das Ende der Konkretisierung einer Generalklausel. 24. Den Grundrechten, verstanden als Prinzipien, ist das zwingende Gebot der Abwägung miteinander immanent20. Das unterscheidet sie von den Regeln. Die Lehre von den Prinzipien stimmt mit der Werteordnungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überein. Nach der Prinzipientheorie besteht ein unmittelbarer Bezug der Rechtsordnung zur Gerechtigkeit, hier vermittelt durch die der Rechtsordnung immanenten Prinzipien, die auf die Gerechtigkeit verweisen. Das Gebot zur Abwä19 20

Siehe hierzu: S. 190 f. Siehe hierzu: S. 201 ff.

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gung erstreckt sich auf den gesamten Anwendungsbereich der Grundrechte. Als gesetzliche Grundwertung wirkt das Abwägungsgebot deshalb auch bei der Konkretisierung von Generalklauseln. Gegen die erkennbare Wertung des Gesetzgebers, Prinzipien miteinander abzuwägen, verstößt die von den Ökonomen geforderte, konsequente Anwendung des Effizienzprinzips insoweit, als dass sie andere Prinzipien zwangsläufig ausschließen muss. Dass die Vertreter der Ökonomischen Analyse die Gerechtigkeit zwar einbeziehen, dies aber nur insoweit tun, als sie die Effizienz fördert, zeigt, dass tatsächlich keine Berücksichtigung dieses Kriteriums stattfindet. Es zeigt sich vielmehr nur der einer Abwägung entsagende Primat der Effizienz. Aufgrund dieses Verstoßes gegen das Abwägungsgebot, das als Wertung des Gesetzgebers erkennbar und zu berücksichtigen ist und das alle einschlägigen Prinzipien umfasst, ergeht eine am Effizienzprinzip ausgerichtete Entscheidung, die im Anwendungsbereich einer Generalklausel ergeht, contra legem. 25. Als ein von den Grundrechten nicht konsequent ausgeschlossenes Prinzip ist das Effizienzprinzip im Rahmen der Abwägung immer zu berücksichtigen, wenn Generalklauseln konkretisiert werden. Im Rahmen der geforderten Abwägung kann es dabei aber lediglich um einen ergänzenden Beitrag gehen. Zulasten seiner Geltung geht zum einen das Abwägungserfordernis an sich, das es zunächst in eine Reihe mit anderen geltenden Prinzipien stellt. Zum zweiten wird die Bedeutung des Effizienzprinzips als kollektiver Maßstab durch die Eigenschaft der Generalklausel, insbesondere individuelle Maßstäbe zu berücksichtigen, geschmälert. 26. Das Effizienzprinzip kann die Entscheidungsfindung im Bereich von Generalklauseln nicht anleiten. Die alleinige Verwendung des Effizienzkriteriums im Anwendungsbereich von Generalklauseln, wie sie auch der BGH neuerdings vorzunehmen beginnt, ist abzulehnen. Das schließt die Einbeziehung des Effizienzkriteriums aber keineswegs aus. Um zu vermeiden, dass eine Entscheidung unter Anwendung eines ökonomischen Kriteriums contra legem ergeht, muss ein solches Kriterium jedoch mit allen einschlägigen Prinzipien abgewogen werden und die Entscheidung diese Abwägung zu erkennen geben. Im Bereich von Treu und Glauben ist in diese Abwägung insbesondere das Vertrauensprinzip einzustellen. Es hat, wie gezeigt werden konnte, in jeder Norm, die auf Treu und Glauben verweist, nach wie vor erhebliches Gewicht21.

21 Siehe zur Wirkung von Treu und Glauben in anderen Normen des BGB als § 242 oben: S. 64 ff.

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Sachwortverzeichnis Abstraktionsgefälle 91 Abwägung 17, 46, 66, 68, 70–71, 149, 154, 168–169, 213–218, 226–227 Abwehrrechte 30, 208 Adaptionsfolgen 120–121 aequitas 49 AGB 16, 18, 20, 58, 70–72, 86, 88, 112, 126, 143–149, 151, 155–159, 161, 219, 223 ALI 114 Allokationseffizienz 16, 134, 147 Altruismus 175 Anfangsgründe 83 Angemessenheit 67, 71–72, 74, 86, 143, 148, 153, 159, 205, 219 Angemessenheitskontrolle 148 Anordnungsdichte des Gesetzes 121 Äquivalenzprinzip 84, 194, 200 Äquivalenzstörungen 195 Argumentationslastregel 97 Aufwand 17, 24, 26, 31, 67–68, 72, 86, 133, 136, 145 Aufwertungsrechtsprechung 188, 192–194, 197 Auslegung, verfassungskonforme 187 Befrachter 143, 149–151 Begleitkontrolle 183 Begriff, wertausfüllungsbedürftiger 185 Behavioral Law and Economics 175, 225 Bereicherungsanspruch 77 Betriebshaftpflichtversicherung 157 Billigkeit 51, 169 Billigkeitserwägung 49

bona fides 49 bonae fidei iudicia 60 Case Law 104 Chancen 82, 183 cheapest cost avoider 127–128, 134, 136, 153, 157 cheapest insurer 127–128, 134, 137, 149, 157 checks and balances 43–44, 109, 122 Coase-Theorem 28, 32–33 Common Law 19–20, 45, 100–110, 114, 116–119, 122–123, 221, 225 contra legem-Grenze 60, 124, 189–192, 199, 207, 213 culpa in contrahendo 55 Dauerschuldverhältnis 58, 113, 195 Deontologie 39 Drittwirkung der Grundrechte 46, 180 Effizienzkriterium 20, 22, 28, 32, 34, 38, 41–42, 44, 46, 105, 110, 112, 124–125, 130, 139, 142, 144, 152, 160, 163, 176, 209–212, 216–217, 221 Effizienzprinzip 21, 86, 142, 147, 149, 152, 157, 190, 192, 200, 215–216, 218, 222, 226–227 Eigenverantwortlichkeit 128 Einwendungsdurchgriff 113 Einzelfallentscheidung 93, 119 Entwicklungsoffenheit 98, 112 Erfolgsethik 39 Erfüllungsanspruch 69 Ergänzungsfunktion 57–58 Ersatztatbestandsmerkmale 95

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Sachwortverzeichnis

Erwerbsmöglichkeiten 82 Ethik 24–26, 39–43, 165, 205 Ethisches Minimum 55 Exportgesellschaft 143 Externalitäten 30 externe Effekte 32 externe Kosten 29 Fahrlässigkeit 34, 155–158, 223 Fallgruppe 91, 93–95, 98, 112, 125–126, 170 Fallgruppenbildung 99, 168, 170 Fallrecht 45, 101, 107, 109, 114–115 Fallvergleich 16, 106 Festpreis 134 Festpreisverträge 133 Flusskaskoversicherung 150 Folgenberücksichtigung 118–123, 221 Formnichtigkeit 77–79, 83, 220 Frachtführer 143, 149–151, 162 Freirechtsbewegung 49 Freizeichnungsklausel 146 Fristenregelung 165–166 Funktionswandel 98, 197–199, 217 Gebot, moralisches 84, 86, 211 Gebote, soziale 60 Gerechtigkeit 22, 28, 38–39, 46–47, 51, 84, 86, 132, 164–166, 168–169, 176, 184, 201–202, 204–206, 209–212, 216, 218, 224, 226 Gerechtigkeit, generalisierende 166, 168 Geschäftsgrundlage, objektive 194 Geschäftsgrundlage, Störung der 21, 50, 58, 112, 126, 151, 161, 190, 192, 222 Gesetz und Recht 121 Gesetzesrecht 114, 116, 118, 193, 196, 226 Gesetzgebung, offengelassene 91, 110, 177

Gewaltenteilung 98, 102, 108, 169, 225 Gewerbebetrieb 82 Gewinnerwartungen 82 Gläubigerinteresse 68 Gleichbehandlung 80–81, 120, 164 Gleichbehandlungsgrundsatz 97, 120 Gleichgerechtigkeit 205 Glück 24, 27, 41, 172, 174 Haftungsausschluss 156–158 Haftungsausschlussklausel 147 Handlungsrecht 28–32 Hauptleistungspflicht 57 Hauptpflichten 147 homo oeconomicus 23, 119, 126, 158, 161, 175, 225 Individualismus, doppelter 171 Individualismus, methodologischer 175 Individualismus, normativer 175 Individualität 51, 163–173, 175–176, 202, 224 Individualitätserfordernis 171 induktive Methode 48 Inflation 51, 128, 198 Informationsasymmetrie 145 Informationsgewinnung 133 Inhaltskontrolle 58, 70, 112, 156, 158 Internalisierung externer Kosten 29 Invarianzthese 32 judge-made Law 123 Kaldor-Hicks-Kriterium 24, 26–27 Kardinalpflicht 147, 149 Kategorischer Imperativ 39 Kondiktion 77, 79 Kondiktionssperre 76 Konkretisierungsfunktion 57 Konkretisierungsmaterial 98, 178, 184, 186, 188, 197

Sachwortverzeichnis Konkretisierungsstufen 92, 188, 197, 199, 223 Konsequentialismus 172 Korrekturfunktion 51, 58 Kündigungsrecht 58 Leistungsaufwand 69 Leistungsaustausch 73, 78 Leistungsstörungen 130 Lücke 185–187, 223 Mark gleich Mark 50 Market for Lemons 146 Marktteilnehmer 146 Marktversagen 29, 145–146 Moral 36, 39, 41, 208 moralisms 34–35 Nachbarn 28–32 Naturkatastrophen 134 Naturrecht 208 NCCUSL 114 Nebenpflichten 57, 63 Nebenpflichtverletzung 113 Nettogewinn 26 Neukonkretisierung 98, 190 Nominalprinzip 50, 195–196 normatives Volumen 124 Normprogramm 122 Nutzen 17, 23–25, 27–28, 31, 35, 41, 72–73, 89, 127, 132, 148, 154, 159, 172–173, 212, 219, 224 Nutzenminderung 173 Nützlichkeit 41 Nützlichkeitsprinzip 24 obiter dictum 103, 105 Ökonomische Analyse des Rechts 20, 23–24, 27–28, 37, 43, 45, 100–101, 124, 127, 171, 217, 221, 224 Omnibusunternehmer 129, 136–137, 189 Optimierungsgebote 213

245

P&I-Versicherung 150, 152 Paretoeffizienz 24 Pflichtenethik 39–40, 42 Planungssicherheit 132 Positivismus 203–204, 208 Präferenzautonomie 36 Präferenzen 36, 172–174 Präjudizien 20, 95–99, 102–104, 106–107, 116, 122, 179–180, 220–221 Präjudizienbindung 95, 97–98, 101–102, 104, 122 Preissteigerung 133, 135 Prinzipien, rechtsethische 180, 184 Prinzipienargument 21, 201, 206–207, 216–217 Prinzipientheorie 207, 214, 226 Privatautonomie 65, 166, 194 race to the bottom 146 ratio decidendi 103, 105, 107 Rechtsanwender 122 Rechtsbegriffe, unbestimmte 91 Rechtsfortbildung 184–186, 188, 198, 223 Rechtsfrieden 203 Rechtsidee 51, 164–166, 168–169, 171, 183–184, 224 Rechtskraft 165 Rechtsmissbrauch 54, 188 Rechtsmissbrauchsverbot 68 Rechtspolitik 107–108, 110, 122, 188–189 Rechtsprinzip 19, 22, 64, 83, 152, 154 Rechtsrealismus 44, 102, 122 Rechtssicherheit 33, 51, 81, 97, 132, 164–169, 184, 224 Redlichkeit 62 Regelungslücke 66, 140 Regelungsprärogative 189 Reichtumsmaximierung 37 Reiseveranstalter 130, 137 Reisevertrag 129

246

Sachwortverzeichnis

Ressourcen 24, 28–30, 38, 134, 144 Ressourcenverteilung 29 Restatements of the law 115 richterliche Eigenwertung 93, 182 Richterrecht 45, 104–105, 107–109, 113, 117–118 Risiko 127–128, 130, 132–134, 136–138, 142, 147, 149, 151, 157, 159–160, 162 Risikobeherrschung 153, 157, 159 Risikoverteilung 129, 132–133 Rückabwicklung 79 Rückforderung 77–80, 83, 220 Rücksichtnahmepflichten 54 Sachgerechtigkeit 205 Sachverhaltsanalyse, vergleichende 107 Schadensprävention 159 Schrankenfunktion 58, 67 Sein-Sollen-Problem 203 self-interest 15, 27 Sollbruchstelle, Generalklauseln als 192, 226 Sonderverbindung 53–55 sozialethischen Anschauungen 181–182 Sozialwelt 165 stare decisis 45, 102, 104, 108, 116 Statutory Law 114 Stornogebühren 129–130, 136 Straftat 24 Subsumtion unter Treu und Glauben 52, 83, 93, 105, 120, 139, 178–179, 213, 215 superior risk bearer 127–128, 133–134, 136–138, 150, 153 Synallagma 73 Tatbestandsbildung 167 Teilleistung 75–76 Theory of Justice 173 Transaktionskosten 32–33, 127, 145–148, 158

Transportversicherung 149–150 Trennungsthese 203 Treue 59–60, 63, 88, 219 Treuwidrigkeit 77–80, 83, 220 Unangemessenheit 70–72, 153, 156–157, 161 Ungleichbehandlung 80, 205 Universalitätsanspruch 45 Unzumutbarkeit 54, 112, 132 Utilitarismus 15, 18, 24, 39, 41–42, 171–174, 205, 212, 224 Verbindungsthese 203 Verhältnismäßigkeitsprinzip 68–69, 86 Verhältnismäßigkeitsprüfung 75, 214 Verhandlungskosten 146–147 Verhandlungslösung 29, 35, 37 Verkehrssitte 60–62, 65–66, 93, 141, 181 Vernunft 39–40, 49, 67, 203–207, 213–214 Vertrag, vollständiger 127, 159 Vertragsanpassung 132 Vertragsauslegung 66, 85–86, 139–142 Vertragsauslegung, ergänzende 65, 126, 140–141 Vertragsfreiheit 135, 144 Vertragskorrektur 135 Vertragsschluss 55, 72, 76, 133, 136, 145–146, 193 Vertragsstrafe 24 Vertragszweck 141 Vertrauen 58–59, 64, 69, 71–72, 76–77, 80, 84–86, 88–89, 157–160, 219–220 Vertrauendürfen 72, 148 Vertrauenmüssen 72, 148 Vertrauensprinzip 84, 148, 218–220, 227 Vertrauensschutz 85, 181, 219 Verweisfunktion 92, 177

Sachwortverzeichnis Volkswirtschaft 24, 29 Vollkaskoversicherung 157 Vorhersehbarkeit 131, 133, 135 Vorrangregel 215 Waschanlage 155 wertausfüllungsbedürftige Begriffe 93, 185 Wertebezug 67, 92 Werteordnung, objektive 180 Werteordnungsrechtsprechung 207, 209, 218, 226

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Wettbewerbsrecht 108, 112–113 Wirtschaftlichkeitserwägungen 64 Wirtschaftslenkung 135 Wohlfahrt 25 Wohlfahrtsökonomie 24–25 Wohlstand 24 Zielkonflikt 124–125, 137, 151–152, 160–161, 222 Zufallsentscheidungen 178 Zweckmäßigkeit 51, 164–166, 168–169