Traumafolgestörungen [5. Aufl.] 978-3-662-58469-9;978-3-662-58470-5

Gewalterfahrungen, Unfälle, Katastrophen oder Todesfälle im nahen Umfeld, extreme Situationen können zu einer posttrauma

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German Pages XIII, 560 [560] Year 2019

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Traumafolgestörungen [5. Aufl.]
 978-3-662-58469-9;978-3-662-58470-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Front Matter ....Pages 1-1
Zur Geschichte der Psychotraumatologie (H.-P. Schmiedebach)....Pages 3-12
Die posttraumatische Belastungsstörung (A. Maercker, M. Augsburger)....Pages 13-45
Komplexe PTBS (A. Maercker)....Pages 47-60
Anhaltende Trauerstörung (C. Killikelly, A. Maercker)....Pages 61-77
Anpassungsstörung (R. Bachem)....Pages 79-93
Neurobiologie (C. Schmahl)....Pages 95-112
Gewalt in der Kindheit und ihre Folgen (A. de Haan, G. Deegener, M. A. Landolt)....Pages 113-128
Diagnostik und Differenzialdiagnostik (J. Schellong, M. Schützwohl, P. Lorenz, S. Trautmann)....Pages 129-156
Begutachtung (U. Frommberger, J. Angenendt, H. Dreßing)....Pages 157-186
Front Matter ....Pages 187-188
Psychologische Frühinterventionen (J. Bengel, K. Becker-Nehring, J. Hillebrecht)....Pages 189-216
Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden (A. Maercker)....Pages 217-227
Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen (L. Wittmann, M. J. Horowitz)....Pages 229-247
Kognitive Verhaltenstherapie (T. Ehring)....Pages 249-274
Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) (O. Schubbe, A. Brink)....Pages 275-297
Niedrigschwellige und innovative Interventionen (A. Maercker)....Pages 299-310
Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie (I. Schäfer, J. Borowski, M. Cloitre)....Pages 311-330
Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS (M. Bohus, K. Priebe)....Pages 331-348
Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie (D. E. Hinton)....Pages 349-364
Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen (M. Bauer, S. Priebe, E. Severus)....Pages 365-378
Therapie der anhaltenden Trauerstörung (R. Rosner, H. Comtesse)....Pages 379-391
Therapie der Anpassungsstörung (H. Baumeister, R. Bachem, M. Domhardt)....Pages 393-408
Front Matter ....Pages 409-409
Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen (R. Steil, R. Rosner)....Pages 411-442
Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und medizinischen Eingriffen (V. Köllner)....Pages 443-459
Militär (K.-H. Biesold, K. Barre, P. Zimmermann)....Pages 461-479
Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete (M. Wenk-Ansohn, N. Stammel, M. Böttche)....Pages 481-509
Gerontopsychotraumatologie (M. Böttche, P. Kuwert, C. Knaevelsrud)....Pages 511-526
Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten (A. Maercker)....Pages 527-544
Back Matter ....Pages 545-560

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Andreas Maercker  Hrsg.

Trauma­ folgestörungen 5. Auflage

Traumafolgestörungen

Andreas Maercker Hrsg.

Traumafolgestörungen 5. Auflage

Hrsg. Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker Abteilung Psychopathologie und Klinische Intervention Universität Zürich Psychologisches Institut Zürich, Schweiz

ISBN 978-3-662-58469-9    ISBN 978-3-662-58470-5 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 1997, 2003, 2009, 2013, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort zur 5. Auflage Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es nun dieses Lehrbuch und Nachschlagewerk zu den psychischen Folgen von traumatischen Erlebnissen. Von Anfang an war es den Betroffenen, den Traumaopfern und -überlebenden, direkt gewidmet, und dies soll auch für die neue Auflage so sein. Sie sind es, um derentwillen spezifische Zugänge zum Verständnis ihrer trauma- und belastungsbedingten Störungen und therapeutisches Wissen benötigt werden, um ihre Leiden zu heilen oder zu lindern. Diese 5. Auflage steht für eine wesentliche internationale Veränderung in den Konzepten und Modellen der zugrunde liegenden Psychotraumatologie. Das Internationale Klassifikationsverzeichnis der Krankheiten und Todesursachen (engl. abgekürzt ICD) der Weltgesundheitsorganisation hat in seiner gerade erschienen 11. Auflage (ICD-11) der „Posttraumatischen Belastungsstörung“ drei weitere Diagnosen zugesellt, die zusammen die „Traumafolgestörungen“ bilden – bzw. in der Fachterminologie des ICD-11 die „Spezifisch belastungsbezogenen Störungen“. Die weiteren Diagnosen dieser Kategorien sind: die „Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung“, die „Anhaltende Trauerstörung“ und die „Anpassungsstörung“. Das vorliegende Buch wurde gegenüber der Vorauflage vollständig neu strukturiert, um dieser Entwicklung angemessen Rechnung zu tragen. Nebenbei: dass die ICD-11 auf den Begriff „Traumastörungen“ als Gruppenbezeichnung verzichtet und stattdessen auf „Belastungsbezogene Störungen“ ausweicht, rührt daher, dass die WHO etwas gegen die von ihr international festgestellte Überkonjunktur des Traumabegriffs unternehmen wollte, welche in Ländern mit wenig ausgebauten Gesundheitsystemen weite Bereiche anderen wichtigen psychopathologischen Wissens in Vergessenheit geraten lässt. Dieses WHO-Anliegen wird inhaltlich auch von den Autoren des vorliegenden Buches unterstützt. Die Neustrukturierung dieser Auflage lässt sich an den jeweils zwei oder mehreren korrespondierenden Kapiteln zu den vier genannten Diagnosen ablesen – zunächst einmal den vier einzelnen Grundlagenkapiteln, gefolgt im zweiten Teil des Buches von den Therapiekapiteln. Der PTBS als prominentester Diagnose sind mehrere neu verfasste Therapiekapitel zugeordnet, u. a. zu den kognitiv-behavioralen, den psychodynamischen und den niederschwelligen Verfahren. Die Therapie der „Komplexen PTBS“ ist in zwei neu verfassten Kapiteln vertreten. Ein weiteres neues Kapitel widmet sich einem kultursensitiven Therapieansatz, der auf diejenigen Patientengruppen abzielt, die aus anderen Kulturkreisen außerhalb der westlichen Weltregionen kommen und für welche neue Zugangswege benötigt werden. Als Herausgeber danke ich allen Mitautorinnen und Mitautoren für ihre Bereitschaft, an der 5. Auflage mitzuwirken. Ein besonderer Dank geht an die in dieser Auflage nicht mehr vertretenen Autorinnen und Autoren für ihre bisherige gute Zusammenarbeit bei der Verbreitung psychotraumatologischen Wissens. Im ehrenden Gedenken möchte ich an den verstorbenen Kapitelautor Günther Deegener erinnern, langjähriger Verantwortlicher im Deutschen Kinderschutzbund e. V., und an den sehr geschätzten Kollegen Lutz

VI

Vorwort zur 5. Auflage

Goldbeck, der ursprünglich an seine Stelle treten wollte und der dann völlig überraschend ebenfalls verstarb. In diesem Buch gibt es wie in den Vorauflagen wieder Originalkapitel von englischsprachigen Erstautoren. Mein Dank gilt Dr. Iara Meili, die hier als Übersetzerin mitwirkte. Im Übrigen bedanke ich mich beim Team des Springer-Verlags, insbesondere bei Frau Renate Scheddin (Buchplanung), bei Frau Anja Herzer (Projektmanagement) und bei der Lektorin Frau Dr. Brigitte Dahmen-Roscher, die auch diese Auflage wieder in freundlicher und ideenreicher Weise voranbrachte. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit in diesem Buch überwiegend das generische Maskulinum verwenden. Dieses impliziert natürlich immer auch die weibliche Form. Teilweise verfahren wir umgekehrt, indem wir das generische Femininum verwenden, das auch die männliche Form impliziert. Sofern die Geschlechtszugehörigkeit von Bedeutung ist, wird selbstverständlich sprachlich differenziert. Es wäre schön, wenn dieses gemeinsame Buchprojekt wieder zum Nutzen der Betroffenen und Patienten beitragen kann. Andreas Maercker

Wissenschaftskolleg zu Berlin, Januar 2019

VII

Inhaltsverzeichnis I Grundlagen 1

Zur Geschichte der Psychotraumatologie���������������������������������������������������������������������   3 H.-P. Schmiedebach

2

Die posttraumatische Belastungsstörung���������������������������������������������������������������������  13 A. Maercker und M. Augsburger

3

Komplexe PTBS�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  47 A. Maercker

4

Anhaltende Trauerstörung �����������������������������������������������������������������������������������������������������  61 C. Killikelly und A. Maercker

5

Anpassungsstörung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  79 R. Bachem

6

Neurobiologie ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  95 C. Schmahl

7

Gewalt in der Kindheit und ihre Folgen ������������������������������������������������������������������������� 113 A. de Haan, G. Deegener und M. A. Landolt

8

Diagnostik und Differenzialdiagnostik��������������������������������������������������������������������������� 129 J. Schellong, M. Schützwohl, P. Lorenz und S. Trautmann

9

Begutachtung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 157 U. Frommberger, J. Angenendt und H. Dreßing

II Therapie 10

Psychologische Frühinterventionen��������������������������������������������������������������������������������� 189 J. Bengel, K. Becker-Nehring und J. Hillebrecht

11

Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden������������������������������������������� 217 A. Maercker

12

Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 229 L. Wittmann und M. J. Horowitz

VIII Inhaltsverzeichnis

13

Kognitive Verhaltenstherapie����������������������������������������������������������������������������������������������� 249 T. Ehring

14

Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) ������������������������������� 275 O. Schubbe und A. Brink

15

Niedrigschwellige und innovative Interventionen ������������������������������������������������� 299 A. Maercker

16

Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie ����������������� 311 I. Schäfer, J. Borowski und M. Cloitre

17

Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS ����������������������������������������� 331 M. Bohus und K. Priebe

18

Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie������������� 349 D. E. Hinton

19

Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen ��������������������������������������� 365 M. Bauer, S. Priebe und E. Severus

20

Therapie der anhaltenden Trauerstörung��������������������������������������������������������������������� 379 R. Rosner und H. Comtesse

21

Therapie der Anpassungsstörung��������������������������������������������������������������������������������������� 393 H. Baumeister, R. Bachem und M. Domhardt

III

Spezielle Aspekte

22

Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen������� 411 R. Steil und R. Rosner

23

Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und medizinischen Eingriffen ������������������������������������������������������������� 443 V. Köllner

24

Militär ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 461 K.-H. Biesold, K. Barre und P. Zimmermann

25

Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete����������������������������������������������������������������� 481 M. Wenk-Ansohn, N. Stammel und M. Böttche

26

Gerontopsychotraumatologie����������������������������������������������������������������������������������������������� 511 M. Böttche, P. Kuwert und C. Knaevelsrud

IX Inhaltsverzeichnis

27

Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 527 A. Maercker

Serviceteil Stichwortverzeichnis��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 547

Autorenverzeichnis J. Angenendt, Dr.

J. Bengel, Prof. Dr. Dr.

Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychotraumatologische Ambulanz Universitätsklinikum Freiburg Freiburg im Breisgau, Deutschland [email protected]

Institut für Psychologie Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Universität Freiburg Freiburg im Breisgau, Deutschland [email protected]

M. Augsburger, Dr. Psychopathologie und Klinische Intervention Universität Zürich Zürich, Schweiz [email protected]

K.-H. Biesold, Dr. Hamburg, Deutschland [email protected]

M. Bohus, Prof. Dr. R. Bachem, Dr. Psychopathologie und Klinische Intervention Universität Zürich Zürich, Schweiz [email protected]

Institut Psychiatrische und Psychosomatische Psychotherapie Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim, Deutschland [email protected]

K. Barre

J. Borowski

Hamburg, Deutschland [email protected]

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Hamburg, Deutschland [email protected]

M. Bauer, Prof. Dr. Dr. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Technische Universität Dresden Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden Dresden, Deutschland [email protected]

H. Baumeister, Prof. Dr. Institut für Psychologie und Pädagogik, Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie Universität Ulm Ulm, Deutschland [email protected]

K. Becker-Nehring, Dr. Staatliches Sonderpädagogisches Bildungsund Beratungszentrum mit Internat, Förderschwerpunkt Hören Stegen, Deutschland [email protected]

M. Böttche, Dr. Behandlungszentrum für Folteropfer, bzfo, Zentrum ÜBERLEBEN gemeinnützige GmbH, Berlin, Deutschland Klinisch-Psychologische Intervention Freie Universität Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

A. Brink Abteilung Psychotraumatologie Unfallkrankenhaus Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

XI Autorenverzeichnis

M. Cloitre, PhD Dr. VA Palo Alto Health Care System National Center for PTSD Menlo Park, USA [email protected]

H. Comtesse, Dr.

Abteilung Psychosomatik und Psychiatrie, Universitäts-Kinderspital Zürich Zürich, Schweiz [email protected]

J. Hillebrecht

Klinische und Biologische Psychologie Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Eichstätt, Deutschland [email protected]

Institut für Psychologie, Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Universität Freiburg Freiburg im Breisgau, Deutschland [email protected]

M. Domhardt

D. E. Hinton, Prof.

Institut für Psychologie und Pädagogik, Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie Universität Ulm, Ulm, Deutschland [email protected]

Mgh Chelsea Health Center Psychiatry-Massachusetts Devon General Hospital Chelsea, USA [email protected]

H. Dreßing, Prof. Dr.

M. J. Horowitz, Prof. M.D.

Zentralinstitut für seelische Gesundheit Bereich Forensische Psychiatrie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Mannheim, Deutschland [email protected]

Department of Psychiatry, Langley Porter Psychiatry Institute (LPPI) University of California San Francisco, USA [email protected]

T. Ehring, Prof. Dr.

C. Killikelly, Dr.

Department Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland [email protected]

Psychopathologie und Klinische Intervention, Universität Zürich Zürich, Schweiz [email protected]

U. Frommberger, PD Dr.

Klinisch-Psychologische Intervention Freie Universität Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Mediclin Klinik an der Lindenhöhe Offenbach, Deutschland [email protected]

A. de Haan Psychologisches Institut – Gesundheitspsychologie des Kindesund Jugendalters Universität Zürich, Zürich, Schweiz

C. Knaevelsrud, Prof. Dr.

V. Köllner, Prof. Dr. Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation Rehazentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung und Charité Universitätsmedizin Berlin Teltow, Deutschland [email protected]

XII Autorenverzeichnis

P. Kuwert, PD Dr.

R. Rosner, Professor Dr.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, HELIOS Hanseklinikum Stralsund Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald Stralsund, Deutschland [email protected]

Klinische und Biologische Psychologie Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Eichstätt, Deutschland [email protected]

I. Schäfer, Prof. Dr. M. A. Landolt, Prof. Dr. Psychologisches Institut – Gesundheitspsychologie des Kindes- und Jugendalters Universität Zürich Zürich, Schweiz Abteilung Psychosomatik und Psychiatrie Universitäts-Kinderspital Zürich Zürich, Schweiz [email protected] [email protected]

P. Lorenz, Prof. Dr. Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik Technische Universität Dresden, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Deutschland [email protected]

A. Maercker, Prof. Dr. Dr. Psychopathologie und Klinische Intervention Universität Zürich Zürich, Schweiz [email protected]

K. Priebe Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus Berlin, Deutschland [email protected]

S. Priebe, Prof. Dr. Unit for Social and Community Psychiatry Newham Centre for Mental Health Queen Mary University of London London, England [email protected]

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Hamburg, Deutschland [email protected]

J. Schellong, Dr. Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik Technische Universität Dresden, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Deutschland [email protected]

C. Schmahl, Prof. Dr. Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Deutschland [email protected]

H.-P. Schmiedebach, Prof. Dr. Campus Charité Benjamin Franklin Institut für Geschichte der Medizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

O. Schubbe Institut für Traumatherapie Berlin, Deutschland [email protected]

M. Schützwohl, Prof. Dr. Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik Technische Universität Dresden Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Deutschland [email protected]

XIII Autorenverzeichnis

E. Severus, PD Dr.

S. Trautmann, Dr.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Technische Universität Dresden Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Deutschland [email protected]

Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie Technische Universität Dresden Dresden, Deutschland [email protected]

N. Stammel, Dr.

M. Wenk-Ansohn, Dr.

Behandlungszentrum für Folteropfer, bzfo Zentrum ÜBERLEBEN gemeinnützige GmbH Berlin, Deutschland [email protected]

Potsdam, Deutschland [email protected]

R. Steil, Dr. Institut für Psychologie, Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie Goethe Universität Frankfurt Frankfurt, Deutschland [email protected]

L. Wittmann, Prof. Dr. International Psychoanalytic University Berlin, Deutschland [email protected]

P. Zimmermann, PD Dr. Bundeswehrkrankenhaus Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

1

Grundlagen Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

 ur Geschichte der Psychotraumatologie – 3 Z H.-P. Schmiedebach

Kapitel 2 Die posttraumatische Belastungsstörung – 13 A. Maercker und M. Augsburger Kapitel 3 Komplexe PTBS – 47 A. Maercker Kapitel 4 Anhaltende Trauerstörung – 61 C. Killikelly und A. Maercker Kapitel 5 Anpassungsstörung – 79 R. Bachem Kapitel 6 Neurobiologie – 95 C. Schmahl Kapitel 7 Gewalt in der Kindheit und ihre Folgen – 113 A. de Haan, G. Deegener und M. A. Landolt Kapitel 8 Diagnostik und Differenzialdiagnostik – 129 J. Schellong, M. Schützwohl, P. Lorenz und S. Trautmann Kapitel 9 Begutachtung – 157 U. Frommberger, J. Angenendt und H. Dreßing

I

3

Zur Geschichte der Psychotraumatologie H.-P. Schmiedebach 1.1

Von der Vielfalt der Diagnosen – 4

1.2

Nervenleiden und Krieg – 7

1.3

Diskussion nach 1945 – 9 Literatur – 11

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_1

1

4

1

H.-P. Schmiedebach

Psychische Reaktionen auf erschütternde Ereignisse sind seit der Antike bekannt. In der Ilias wird erzählt, wie sich Achill nach dem Tod seines Freundes Patroklos auf die Erde warf, die Haare raufte und weinte. Die Mittel zur Überwindung solcher „Nervenzusammenbrüche“ waren eine tröstende Umsorgung der Betroffenen oder eine im Ritual vollzogene gemeinsame Trauer. Die professionelle Auseinandersetzung mit Traumafolgestörungen, die erst im 19.  Jahrhundert begann und mit modernen Lebens- und Arbeitsweisen und der Schaffung neuer Sozial- und Krankenversorgungssysteme verbunden ist, warf Fragen nach den Ursachen für die psychischen Folgeerscheinungen und nach gezielten therapeutischen Interventionen auf. Dominierten zunächst die Ärzte und Psychiater diese Debatten, so beteiligten sich später noch andere Professionen wie Juristen und Psychologen. Die Diskussionen kreisten mehr oder weniger um die zentrale Frage, wie sich im Hinblick auf ein körperliches und/oder psychisches Trauma das Verhältnis von Körper und Psyche gestaltete, welche Mechanismen für die diagnostizierten Symptome verantwortlich und welche individuelle Disposition (Konstitution) möglicherweise gegeben waren. Auch die Bedeutung des Unbewussten und der Wille, nicht zuletzt die Frage der Simulation, spielten eine Rolle. Die im Verlaufe dieser Debatten immer wieder sich ändernden Namen wie z. B. „Railway Spine“, „traumatische Neurose“ oder „posttraumatische Belastungsstörung“ sind Hinweise darauf, wie sich die Ansichten zu Ätiologie, Pathogenese, Therapie etc. änderten und wie sich die sozialen Bewertungen verschoben. Auch die zeitgenössischen unterschiedlichen sozialen, rechtlichen und politischen Bedingungen waren dabei von einem bestimmenden Einfluss. Die Entwicklung der letzten 150 Jahre war dadurch gekennzeichnet, dass sich auf der einen Seite das Spektrum traumatisierender Ursachen sehr stark erweiterte, auf der anderen die Zahl der möglichen Diagnosen immer mehr abnahm, bis sich schließlich der Terminus „posttraumatische Belastungsstörung“ als zentrale Diagnose durchsetzte.

1.1  Von der Vielfalt der Diagnosen

Als einer der ersten brachte der Londoner Chirurg John Eric Erichsen die Persistenz von psychovegetativen Störungen in seiner Schrift „On railway and other injuries of the nervous system“ kausal mit einem Unfall in Verbindung (Erichsen 1866). Obwohl er als Schöpfer des Terminus „Railway Spine“ bezeichnet wird, lehnte er diesen Begriff ab und sprach von einer „concussion of the spine“. Diese Rückenmarkserschütterung sei ein häufiger Effekt von Eisenbahnunfällen und Folge einer Gewalteinwirkung, ohne dass man allerdings genau die „molecular changes“ im Rückenmark beschreiben könne. Sekundär komme es zu entzündlichen Veränderungen des Rückenmarks, die nach einer gewissen Latenz zu Rückenschmerzen, Empfindungs- und Bewegungsstörungen in den Extremitäten, Verstopfung, Funktionsstörungen im Urogenitalbereich etc. führten. Auch die Beteiligung des Gehirns sei durch Gedächtnis-, Denk- und Schlafstörungen gegeben. Die vermehrte Aufmerksamkeit gegenüber diesen Traumafolgestörungen zu diesem Zeitpunkt war von verschiedenen kulturellen, wissenschaftlichen, sozialen und rechtlichen Gegebenheiten bestimmt (Fischer-Homberger 1970, 1975). So stand die Eisenbahn als Produkt der industriellen Revolution für die Überwindung großer Entfernungen in nie da gewesener Schnelligkeit, als ein Symbol für den neuen Rhythmus der Moderne, der Reisen, Güteraustausch und die Erschließung neuer Regionen in ungeahntem Ausmaß möglich zu machen versprach. Doch die zahlreichen Eisenbahnunfälle verwiesen auf die Gefährlichkeit und die damit verbundenen Risiken. Dementsprechend wurde mithilfe von Versicherungen und Schadensersatzansprüchen eine sozialpolitische Versöhnung mit der neuen Innovation angestrebt. In ­England existierte seit 1846 der Fatal Accidents Act, der zum ersten Mal Schadenersatzansprüche möglich machte und 1864, zwei Jahre vor der Publikation von Erichsen, durch einen Zusatzartikel auch die Opfer von Eisenbahnunfällen einbezog. Darüber hinaus

5 Zur Geschichte der Psychotraumatologie

hat auch die neuroanatomische und physiologische Forschung um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihren Arbeiten zu der spinalen Reflexlehre, der Nervenelektrizität (Brazier 1988) und der Gehirnarchitektonik (Hagner 2008) mannigfache Anregungen geboten, um die in Frage stehenden Phänomene mithilfe dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu interpretieren. Auch wenn Erichsen dem Erschrecken und der Angst, die eine akute oder chronische Entzündung bewirken können, (Erichsen 1866, S. 47–48) und damit einer psychischen Reaktion eine gewisse Rolle bei dem Entstehen der Symptome zusprach, so stand dennoch die somatische Grundlage ganz im Vordergrund. Auch Hermann Oppenheim, der in Berlin von 1883 bis zu seiner Publikation 1889 über die traumatische Neurose rund einhundert Fälle zusammengetragen hatte – meistens verunglückte Industriearbeiter, deren Störungen teilweise nach der neu geschaffenen Unfallversicherung zu entschädigen waren  – maß anatomisch-­physiologischen Alterationen eine wichtige Bedeutung bei. Als mögliche Ursachen kam u.  a. ein vermehrter Blutdurchfluss durch das Gehirn ebenso in Frage wie „molekulare“ Veränderungen. Oppenheim lehnte allerdings die Myelitis als Ursache für die Symptome ab und betrachtete das Gehirn als zentralen Ort des Geschehens. Der Versuch, anhand postmortaler Untersuchungen eine Korrelation zwischen der zu Lebzeiten erkennbaren Symptomatik und postmortalen Veränderungen herzustellen, zeigte in Anbetracht der recht wenigen Fälle keine überzeugenden Ergebnisse. Die Beobachtung, dass bestimmte Individuum nach einem Schreckereignis funktionelle Störungen und/oder anatomische Veränderungen aufweisen und andere nicht, führte zu der Frage nach einer besonderen individuellen Beschaffenheit des Nervensystems. Beeinflusst von der Degenerationstheorie und dem Erblichkeitsparadigma wurde eine individuelle Anfälligkeit auf der Basis einer „neuropathischen/psychopathischen Belastung“ angenommen, d.  h. eine Disposition des Nervensystems in Form einer unsichtbaren struk-

1

turellen und materialen Differenz, die auch als Ausdruck einer hereditären „Minderwertigkeit“ galt. Im Laufe der Jahre sprach Oppenheim den psychischen Faktoren als Ursache eine immer wichtigere Rolle zu. Sowohl die erlebte Angst wie auch die Erschütterung der Psyche benannte er als pathogenetische Faktoren und führte aus, dass die körperlichen Verletzungen keine wesentliche Bedeutung gewinnen würden, „wenn nicht die krankhaft alterirte Psyche in ihrer abnormen Reaction auf diese körperlichen Beschwerden die dauernde Krankheit“ schüfe (Oppenheim 1892, S.  178). Diese Verschiebungen in Oppenheims Konzept waren dem Umstand geschuldet, dass er sich verstärkt mit den Theorien Jean-Martin Charcots zur Hysterie (Micale 1990, 2001) auseinandersetzen musste und vor diesem Hintergrund sein Konzept zu überprüfen hatte. Obwohl Oppenheim die traumatische Neurose als eigene Entität begriff und sie nicht unter die Hysterie subsumieren wollte, wie dies Charcot tat, konzidierte er, dass in wenigen Fällen sogar hysterische Formen der psychischen Alteration unter den Traumapatienten beobachtet werden könnten (Oppenheim 1892, S. 130). Als Therapie empfahl er in erster Linie das Fernhalten von Schädlichkeiten und eine nicht beschwerliche Tätigkeit. Der Einhaltung von Ruhe maß er eine hohe Relevanz zu. In einigen Fällen half die Behandlung des Kopfes mit galvanischem Strom gegen Kopfschmerz, Schwindel und Schlaflosigkeit, bei anderen Patienten griff er zu Brompräparaten und verabreichte Sulfonal, Paraldehyd oder in schweren Fällen Chloralhydrat und Morphium (Oppenheim 1892, S. 189–194). Schon in den 1880er-Jahren folgen nicht alle den Vorstellungen Oppenheims. Der Leipziger Neurologe und Psychiater Paul Julius Möbius zählte die traumatische Neurose zur Hysterie (Möbius 1888). Oppenheim selbst trug zu einer Grenzverwischung bei, als er zugestand, dass es Fälle gebe, die man ohne Bedenken als traumatische Hysterie oder traumatische Neurasthenie bezeichnen könne (Oppenheim 1892, S.  9). Die zunehmende

6

1

H.-P. Schmiedebach

Nähe und Überschneidung zwischen traumatischer Neurose, Hysterie und Neurasthenie und die für eine Begutachtung nötige Abgrenzung provozierte eine intensive Debatte unter den Fachleuten. Bei all diesen Diagnosen kam die Frage der individuellen Disposition ins Spiel. Beim Vorliegen einer besonderen Disposition in Form einer hereditären Nervenschwäche bedeutete dies, dass ein körperliches oder psychisches Trauma lediglich eine Triggerfunktion für das Entstehen der Symptome haben konnte, aber eben keine eigene ursächliche Bedeutung. Als im Jahre 1916 im Ersten Weltkrieg die Erörterung der Kriegsneurose einen Höhepunkt erreichte, wurde das Oppenheimsche Konzept endgültig verlassen (Lerner 2001) und vermehrt Hysterie und Neurasthenie diagnostiziert. Die von dem Neurologen George Miller Beard aus New York zwischen 1869 und 1883 immer wieder beschriebene „American Nervousness“ breitete sich unter dem Begriff der Neurasthenie in Europa aus (Gijswijt-Hofstra und Porter 2001). Das Aufkommen der Neurasthenie sollte auch die Bewertung des Traumas bei den psychovegetativen Störungen beeinflussen. Wenn die Verbreitung der Neurasthenie als modernes Leiden an die sich rapide verändernden kulturellen, industriellen und sozialen Neuerungen, besonders in den Städten, im „nervösen Zeitalter“ (Radkau 1998) geknüpft war, dann war auch eine Zunahme unter den Arbeitern wahrscheinlich. Im Auftreten von starken Erschöpfungszuständen, geknüpft an eine permanente psychische Überlastung mit Verlust psychischer Energie aufgrund von lärmenden und beschleunigten Arbeits- und Lebensbedingungen, sah man eine typische Zivilisationskrankheit. Untersuchungen bestätigten die Ausbreitung der Neurasthenie auch unter Arbeitern (Leubuscher und Bibrowicz 1905). Bei Bestehen einer Neurasthenie sprach man dem Trauma nur eine Triggerfunktion zu. Auch eine traumatische Genese von Psychosen kam vereinzelt zur Sprache. Schon 1883 sprach Emil Kraepelin von Psychosen, die sich unter dem Einfluss der kleinen Reize des täg-

lichen Lebens entwickeln würden (Kraepelin 1883, S. 16); 1901 benutzte er den Begriff der „Schreckpsychose“, die z. B. durch chronische körperliche Überanstrengung oder tiefgreifende anhaltende Gemütserregung entstehen könne. Bei diesen Schreckpsychosen bestehe eine tiefgreifende Umwälzung der gesamten Gemütslage, wobei die Störungen nur langsam, unter Umständen überhaupt nicht mehr, weggehen würden (Kraepelin 1901, S.  266). Auch Karl Kleist hielt 1918 echte Psychosen nach psychischen Traumata für möglich, die er ebenfalls als Schreckpsychosen bezeichnete. Er führte diese Zustände nicht auf organische Hirnschädigungen zurück und betonte, dass sie auch ohne psychopathische Veranlagung entstehen könnten (Kleist 1918). Möglicherweise durch die heftige Opposition Bonhoeffers gegen diese Ansicht konnten sich diese vereinzelten Positionen zur traumatischen Genese von Psychosen aber in der Fachwelt nicht durchsetzen. Zwischen 1880 und 1914 förderte zudem ein versicherungsrechtlicher Hintergrund die Erörterung der traumatischen Neurose (Schmiedebach 1999). In Preußen existierte seit 1838 ein Gesetz zur Entschädigung bei Eisenbahnunfällen, das 1871 auf die Beschäftigten in Bergwerken, Steinbrüchen und Fabriken ausgedehnt worden war. In einem mehrjährigen Reformprozess wurde schließlich im Deutschen Reich ein neues Unfallversicherungsgesetz im Juli 1884 verabschiedet, das nach verschiedenen Veränderungen 1911 27  Millionen Personen betraf. In diesem Kontext bestimmte die traumatische Neurose in Abgrenzung zur Hysterie und Neurasthenie mit ihrer auf einen konkreten Unfall bezogenen Ätiologie die ärztliche Begutachtungspraxis. Obwohl die Anzahl derjenigen, die aufgrund einer traumatischen Neurose eine Berentung erhielten, nur 0,26–2 % aller berenteten Industriearbeiter ausmachte (Bleuler 1918, S. 388), gewann bald die Frage der Simulation eine wachsende Bedeutung, die auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter diskutiert wurde (Moser 1991; Neuner 2011). Im Kampf gegen die Simulation blieben politische Stellungnahmen und Angriffe auf

7 Zur Geschichte der Psychotraumatologie

die Sozialdemokratie nicht aus. Einige Sanatorien seien Zentren sozialdemokratischer Aktivitäten, wo Patienten darin trainiert würden, Symptome der traumatischen Neurose vorzugeben (Seeligmüller 1891, S. 981–982). Eine weitere entscheidende Verschiebung hinsichtlich der Pathogenese ergab sich aus der neuen Bedeutung, die der Vorstellung und dem Willen als ursächliche Faktoren zugesprochen wurden. 1891 sprach Möbius von einem durch „ein mit Vorstellung verbundenes Wollen“ und bemühte die Mechanismen der Suggestion, die bei den entsprechenden Personen die Symptomatik hervorrufen würden (Möbius 1891). Durch die Betonung des Willens unterstellte er ein mehr oder weniger vorsätzliches Agieren, was den pathologischen Charakter der Störung relativierte und das Verhalten mit einem Status des Bewusstseins in Verbindung brachte. In diesem Kontext entstand der Begriff der „Begehrungsvorstellung“ (Fischer-­Homberger 1975), hervorgerufen durch eine fragwürdige Versicherungsgesetzgebung. Robert Gaupp, Direktor der Nervenklinik in Tübingen, betonte zudem die starke Rolle der Affekte, benannte die „gefühlsstarken Vorstellungen“ als den Kern der Störung. Damit kennzeichnete er die Vorstellungen und Gefühle der betroffenen Person als pathologisch (Gaupp 1906). Auf der Grundlage dieser Überlegungen sprachen sich viele Ärzte für die Kürzung der Renten oder eine Einmalzahlung aus. Zudem verlangte man Zwangsmaßnamen, um die Patienten zur Arbeit zu zwingen oder sie zur Arbeit zu erziehen (Leppman 1906). Der Wandel vom somatischen zu einem Leiden der individuellen Willens- und Gefühlskonstellation bei besonderer Disposition waren also bereits vor dem Ersten Weltkrieg weitgehend vollzogen (Lengwiler 2000). 1.2  Nervenleiden und Krieg

Unter den Bedingungen des Krieges erfuhren diese bereits vorhandenen Positionen eine Verstärkung (Hofer 2004; Eckart 2005). Zudem entwickelten die Psychiater neue Systeme zur

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effektiven Nutzung der verbleibenden Arbeitskraft der ca. 180.000 betroffenen Soldaten der deutschen Armeen. Dabei blieben die Diagnosen für den posttraumatischen Symptomkomplex mit Lähmungen, Zittern, Sprach- und Sehstörungen etc. unterschiedlich. Von 100 psychisch auffälligen Soldaten an der Berliner Charité, die dort von 1915–1918 stationär aufgenommen worden waren, konstatierten die Ärzte bei 45 eine psychopathische Konstitution, bei 46 eine Hysterie (Linden et al. 2012). Nach den Untersuchungen von Petra Peckl, die sich auf eine Stichprobe von 352 Krankenakten von „Kriegsneurotikern“ aus dem Bestand des Bundesarchiv-Militärarchivs stützte, wurden die sich darbietenden psychischen Störungen nur zu rund 10 % mit dem Begriff der Neurose gefasst. Zum größten Teil stellen die Ärzte die Diagnose Hysterie (rund 39 %) oder Neurasthenie (rund 36  %), wobei die Neurasthenie keineswegs nur den Offiziersdienstgraden vor­ behalten war, sondern auch Mannschaftsdienstgrade betraf. Die Diagnose Hysterie allerdings besaß bei den Ärzten eine häufig feststellbare abwertende Konnotation (Peckl 2014). Da Wille und Vorstellungen im Zen­ trum beim Kampf gegen die Symptome standen, ging es den Ärzten primär um die Umpolung des Willens, was in ca. einem Drittel der Fälle durch radikale und brutale Maßnahmen (Riedesser und Verderber 1996) erreicht werden sollte. In der Therapie der Neurasthenie und der Hysterie zeigten sich Unterschiede. Während die Neurastheniker eher zurückhaltend, insbesondere durch roborierende Kost, Beruhigungsmittel (z. B. Brom, Veronal) und die Verordnung von ausgedehnten Ruhezeiten behandelt wurden, kamen bei rund 43  % der Hysteriker rigide Mittel in Anwendung (Peckl 2014, S. 62). Hierzu zählten z. B. die Applikation von schmerzhaften Strömen, ­Zwangsexerzieren oder die sog. Überrumpelungsmethode, bei der kräftige Wechselströme unter Zuhilfenahme von Wortsuggestion in Befehlsform und Ausnutzung des Subordinationsverhältnisses eine Heilung in nur einer Sitzung erzwingen sollten. Der Patient sollte dem Willen des Arztes in einer Zwangsbehandlung

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unterworfen werden, dem er nicht ausweichen konnte. Darüber hinaus war die Gewöhnung oder Erziehung zur Arbeit voranzutreiben und eine möglichst baldige militärische Verwendung oder Integration in Arbeitszusammenhänge zu erreichen. Dazu entwickelte man ein modernes Managementsystem, bei dem die sich in Rekonvaleszenz befindlichen Soldaten einer mehrstufigen Begutachtung unterzogen wurden, die das Ziel hatte, die einzelne Person entsprechend der individuellen Leistungsmöglichkeit einer Arbeitsstelle oder einer militärischen Aufgabe auch ohne endgültige Heilung zuzuführen. Um die Gewöhnung an die Arbeit und eine unmittelbare Verfügbarkeit der Arbeitskräfte zu nutzen, wurden teilweise Neurotikerstationen in der Nähe von Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben eingerichtet (Lerner 2003). In diesem neu geschaffenen, nach Bedarfsanalysen und zweckbestimmter Ressourcennutzung ausgerichteten System waren die Ärzte in ihrem Zusammenwirken mit Militär, Ministerien und Betrieben in einen „rationellen“ Funktionsablauf eingebunden. Hinsichtlich der Entlassungszahlen gibt es von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedliche Ergebnisse. Etwa ein Viertel der Neurastheniepatienten wurden als kriegsverwendungsfähig eingeschätzt, gut 30  % als garnisonsverwendungsfähig, also als nicht frontdiensttauglich, und 16  % als arbeitsverwendungsfähig. Bei den Hysteriepatienten sahen die Zahlen anders aus. Nur 14  % galten als kriegsverwendungsfähig, 26 % als garnisonsverwendungsfähig; als arbeitsverwendungsfähig wurden rund 24 % eingestuft, jedoch erhielten ca. 22 % eine Klassifizierung als dienstunbrauchbar (Peckl 2014, S. 79). Obwohl es verschiedene Gemeinsamkeiten zwischen den deutschen und den französischen Ärzten im Hinblick auf Genese und Therapie der „Kriegsneurosen“ gibt, so sind doch auch Differenzen erkennbar. So spielte z.  B. die Frage nach den Rentenansprüchen in Frankreich eine weit geringere Rolle, obwohl bei ähnlicher Gesetzeslage auch 1915 der Begriff der „sinistroses de guerre“ in die Debatte eingeführt wurde (Michl 2007, S.  214).

Auch das Konzept der Neurasthenie erzielte weit weniger Resonanz. Grundsätzlich war in Frankreich ein stärkeres Interesse an den psychischen Mechanismen, wie sie in den Unfall- und Kriegsverletzungen auftraten, an der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den mechanischen und seelischen Erschütterungen festzustellen. Eine weit größere Bedeutung wiesen die französischen Ärzte der Angst und den Emotionen zu. Während in Deutschland eine ängstliche-depressive Grundstimmung bei einzelnen Patienten als eine Prädisposition für diverse Erkrankungen angesehen wurde, unternahmen die französischen Ärzte den Versuch, die Kriegsangst in ihren physischen und psychischen Erscheinungsformen zu erfassen und ihre pathologische Wirkung auf den Gesamtorganismus zu bestimmen. Dabei gingen sie davon aus, dass durch die Kriegsaffekte Angst auch erworben werden konnte. Angst stelle eine Brücke zu den Emotionsneurosen her, die bereits vor dem Krieg in der französischen Psychiatrie erörtert wurden und denen durch die Erfahrungen des Krieges ver­ mehrt Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte (Michl 2007, S.  253–259). In England zeigte das „shell-shock treatment“ ein weites Spek­trum, in dem die Applikation von faradischen Strömen, Medikamenten (Brom) und eine ruhebestimmte Erholung in Anwendung kamen, allerdings abhängig vom militärischen Rang wie auch vom Typ des Hospitals, bei dem Peter Leese drei Qualitätsstufen unterscheidet. Die Diagnose der Neurasthenie hat nach seinen Untersuchungen in der englischen Kriegspsychiatrie eine wichtigere Rolle als in Frankreich gespielt (Leese 2001). Auch im Zweiten Weltkrieg wurden in der Wehrmacht kriegsneurotische Symptome ausgemacht, wenngleich auch verstärkte ­ ­Verschiebungen zu psychosomatischen Symp­ tomkomplexen existierten (Kloocke et  al. 2005a). Da es keinen Sanitätsbericht gibt und die Diagnosebezeichnungen nach wie vor sehr unterschiedlich waren, liegen kaum valide Zahlen vor. Im Vergleich der unterschiedlichen Aussagen scheint eine Zahl von 3–5 % aller Lazaretteinweisungen für die Nerven- und Geis-

9 Zur Geschichte der Psychotraumatologie

teskrankheiten wahrscheinlich, wobei diese Zahl auch psychotische Störungen einschließt, also nicht ausschließlich „kriegsneurotische“ Fälle betrifft. Bei dem Versuch, die Verwirrung bei den diagnostischen Benennungen zu überwinden und Begriffe, die einen Zusammenhang zwischen Krieg und psychischen Symp­ tomen herstellten, zu vermeiden, wurde auf der 4.  Tagung der beratenden Fachärzte 1944 entschieden, eine Differenzierung danach vorzunehmen, ob eine somatische Störung vorliege oder nicht. Danach wurde eine abnorme Erlebnisreaktion, die sich nur im psychischen Bereich abspielte und keine Somatisierungen aufwies, von einer psychogenen Funktionsstörung unterschieden. Bei dieser „abnormen seelischen Reaktion“ traten körperliche Erscheinungen wie Zittern, Lähmung, Kontrakturen etc. auf. Hinsichtlich der Therapie griff man auf das Arsenal des Ersten Weltkriegs zurück, allerdings ergänzt durch die Elektrokrampftherapie, die als neue Errungenschaft das Spektrum verstärkte und verschiedentlich zur Anwendung kam. Bei der Versorgung traumatisierter Soldaten kam ein Staffelungssystem zur Anwendung. In einer ersten Stufe wurden die Soldaten zunächst in frontnahe Ruheräume gebracht. Besserten sich die Symp­ tome nach einer gewissen Zeit nicht, so kamen sie ins nächste Feldlazarett. War auch hier kein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen, so verlegte man die Person in ein Kriegslazarett mit einer eigenen Nervenabteilung. Stellte sich auch hier keine nachhaltige Besserung ein, so konnte der Patient entweder in ein Reservelazarett des Ersatzheeres in der Heimat überführt oder im Falle einer „Behandlungsunfähigkeit“ in eine Sonderabteilung des Ersatzheeres abkommandiert werden. In diesen Abteilungen wurde unter Anwendung eines strengen Regimes versucht, den Charakter und die Disziplin des Betroffenen zu stärken, um brauchbare Soldaten für das Feldheer zu erhalten. Schon bei der Einweisung in die Sonderabteilung wurden die Kranken darüber informiert, dass, sollte eine Rückversetzung in die Truppe nicht möglich sein, Kriegsgericht oder eine Überführung in ein Konzentrationslager

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drohe. Einige dieser Wehrmachtsangehörige sind in Vernichtungslagern ermordet worden (Blaßneck 2000, S. 61). 1.3  Diskussion nach 1945

In den deutschsprachigen Lehrbüchern der Psychiatrie wurde das psychische Trauma nach 1945 kaum thematisiert. In den 1970er-Jahren etablierte sich für anhaltende psychotraumatische Störungen der ICD-8-Terminus „abnorme Erlebnisreaktion“. Anfang der 1990erJahre fand die Bezeichnung „posttraumatische Belastungsstörung“ Eingang in die Lehrbücher (Kloocke et  al. 2005b). Bereits zu Beginn der 1960er-Jahre haben in den USA verschiedene Veranstaltungen stattgefunden, bei denen sowohl die Folgen des Holocausts als auch die Folgen von Gewalt bei anderen Katastrophen erörtert und relativ uniforme Symptombilder unabhängig von der Art der Gewalteinwirkung festgestellt wurden (Venzlaff et al. 2004). 1964 publizierten von Baeyer et al. ein umfassendes Werk, das die verschiedenen extremen Belastungssituation im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und die dabei erlittenen Traumatisierungen und ihre Auswirkungen auf Psyche und Persönlichkeit zum Thema machte. Dabei werden die durch Schreck und Angst angestoßenen psychischen Veränderungen in einem komplexen Bezugssystem verortet. So wird bei der Erörterung der traumatischen Neurose z. B. auf die Beteiligung bewusstseinsferner Persönlichkeitsschichten, in denen der Mensch seinen „Komplexen“ preisgegeben ist, verwiesen. Zudem fragen die Autoren, ob nicht überhaupt eine mehr an dem „Sinngehalt des traumatischen Erlebens selbst“ anknüpfende Betrachtungsweise zu einem besseren und wirklichkeitsnäheren Verständnis für abnormes Erleben und Verhalten in und nach extremen Belastungssituationen führen könne. Im Zusammenhang mit der Erörterung des Begriffs des psychischen Traumas werden die erweiterten und komplizierten Zusammenhänge wie u.  a. die „energetisch-­psychodynamische Theorie der Schule Freuds“ und schließlich

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auch „die existential-­ anthropologische Forschung“ genannt. Damit sei das psychische Trauma aus seiner „Isolierung“ herausgetreten; dennoch könne nicht ganz auf den abgenutzten Begriff verzichtet werden, da der Mensch ein verletzliches Wesen sei, bei dem die Läsionen der „seelisch-­ geistigen Gefügeordnung“ nun einmal krankmachende Wirkung entfalten können (von Baeyer et al. 1964, S. 34). Die Autoren setzen sich mit einem breiten Spektrum von Läsionsmöglichkeiten auseinander, zu denen u.  a. Kriegsbelastung, Deportation und Verfolgungsbelastungen, Gefangenschaft, Hunger, Flucht, Zwangssterilisationen, soziale und kulturelle Entwurzelung. gehören. Damit ist spätestens 1964 ein Tableau von bislang in dieser Umfänglichkeit nicht gegebenen Traumatisierungsmöglichkeiten benannt. Die Psychiater schlugen jedoch keine übergeordnete Diagnose für alle diese auf ein Trauma zurückzuführenden Störungen vor. Zur diagnostischen Klassifizierung der erlebnisreaktiven Folgen wurden u.  a. die chronisch-­ reaktive Depression wie paranoide Fehlhaltungen erörtert. In der Folgezeit hat besonders der Vietnamkrieg mit seinen Folgen die Herausbildung einer eigenen Psychotraumatologie sehr unterstützt (Seidler 2013, S. 10). Das Spektrum auslösender Schädigungen erweiterte sich ab den 1960er-Jahren kontinuierlich – u. a. spielte bald die Verletzung einer körperlich-sexuellen Integrität eine wichtige Rolle –, gleichzeitig reduzierte sich die Zahl der diagnostischen Möglichkeiten, bis 1980 eine einzige übergeordnete Diagnose ins DSM III aufgenommen wurde: die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Einer der Psychiater, der in seinen Arbeiten seit 1976 maßgeblich Untersuchungen für die empirische Identifikation der Kriterien für die PTSB publizierte, war Mardi Horowitz (Horowitz 2011). Aktuell werden die Häufigkeiten der PTBS in Abhängigkeit von der Art des Traumas folgendermaßen angegeben: ca. 40  % nach Vergewaltigung, ca. 35 % nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit, ca. 25 % nach anderen Gewaltverbrechen, ca. 25 % bei zivilen Kriegsopfern, ca. 15 % bei ehemaligen Soldaten, ca. 35 % bei Folter- und

Verfolgungsopfern, ca. 10 % bei schweren Verkehrsunfällen (Maercker 2017, S. 31–32). Vor dem Hintergrund dieses erweiterten Ursachenverständnisses konnten in der neueren deutschen Geschichte auch die Traumafolgen der Haft in DDR-Gefängnissen unter dieser Diagnose erforscht werden. Dabei erfolgte aber keine Beschränkung auf die Haftfolgen, sondern es wurden auch die psychischen Auswirkungen der politischen Verfolgungen thematisiert (Spitzer et al. 2007; Freyberger und Spitzer 2014), und in diesem Kontext wurde von politischen Traumatisierungen in der DDR gesprochen (Trobisch-Lütge und Bomberg 2015). Die Übergänge zwischen physischer und psychischer Traumatisierung durch Haft und alltägliche Repression gelten als fließend (Priebe et al. 1996), sodass die Alltagserfahrungen in der DDR traumatische Züge annehmen konnten. Diese Erweiterung des Traumabegriffs auf das Alltagserleben in politischen Diktaturen wird in Deutschland paradigmatisch am Beispiel der DDR erforscht. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass mit den von der „operativen Psychologie“ der DDR-­Staatssicherheit intendierten Zersetzungen einzelner Personen mithilfe der Erkenntnisse der Psychologie (Richter 2001) eine besondere Traumatisierungsursache im Alltag der DDR gegeben war. Die skizzierte Entwicklung macht deutlich, wie sich das Psychische im Kontext einer Traumatisierung, ausgehend von den psychovegetativen Störungen nach Eisenbahnunfällen auf der Basis einer Myelitis, zu einer eigenständigen, den Menschen auszeichnenden Sphäre erweitert hat. Dabei zeigt die mittelweile a­ nerkannte Vielfalt der Traumatisierungsursachen, die unter einer einzigen Diagnose klassifiziert werden, wie sich das Psychische dem Körperlichen, zumindest was die Verletzbarkeit betrifft, gleichberechtigt angenähert hat. Dieser Prozess war sowohl von professionellem Input getragen wie auch von sozialpolitischen Veränderungen, politischen Gegebenheiten, wechselnden anthropologischen Vorstellungen, psychodynamischen Konzepten und differenten Menschenbildern beeinflusst.

11 Zur Geschichte der Psychotraumatologie

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Die posttraumatische Belastungsstörung A. Maercker und M. Augsburger 2.1

Traumadefinition und Traumaarten – 15

2.1.1 2.1.2

T raumadefinition nach ICD-11 und DSM-5 – 15 Klassifikation von Traumata – 16

2.2

Erscheinungsbild der PTBS – 18

2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4

S ymptomtrias der PTBS – 18 Zusatzsymptome – 20 Diagnosevergabe nach ICD-11 und DSM-5 – 21 Dissoziation und emotionale Veränderungen – 23

2.3

 TBS im Rahmen der belastungsbezogenen P Störungen – 24

2.4

Epidemiologie und Verlauf der PTBS – 25

2.4.1 2.4.2

E pidemiologie – 25 Verlauf – 26

2.5

 ie Entstehung der PTBS: ein multifaktorielles D Rahmenmodell – 27

2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5

 isiko- bzw. Schutzfaktoren – 28 R Ereignisfaktoren – 28 Aufrechterhaltungsfaktoren – 29 Ressourcen oder gesundheitsfördernde Faktoren – 29 Posttraumatische Prozesse und Resultate – 30

2.6

Gedächtnismodelle – 30

2.6.1 2.6.2

F urchtstrukturmodell – 31 Duales Gedächtnismodell – 33

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_2

2

2.7

Kognitive Modelle – 34

2.7.1 2.7.2

 eränderte kognitive Schemata – 34 V Kognitives Störungsmodell – 36

2.8

Das sozial-interpersonelle Modell – 37

2.8.1 2.8.2

 ahe Beziehungen und die Gesellschaft – 38 N Empirische Belege zum sozial-interpersonellen Modell – 39

Literatur – 40

2

15 Die posttraumatische Belastungsstörung

Die Beobachtung, dass extreme Ereignisse extreme Reaktionen verursachen, ist schon alt. Doch erst 1980 wurde die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) offiziell als Krankheitsbild definiert und anerkannt. Seit dieser Erstbeschreibung wandelte sich die Beschreibung des Störungsbildes, zuletzt bei der Abfassung der aktuell gültigen internationalen Klassifikationssysteme DSM-5 der American Psychiatric Association (APA) bzw. ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Trotz markanter Unterschiede in der Operationalisierung in den beiden Systemen sind folgende Merkmale ähnlich definiert.

Hauptkriterien der posttraumatischen Belastungsstörung 55 Erlebnis eines Traumas 55 Wiedererleben/Intrusionen (unwillkürliche und belastende Erinnerungen an das Trauma) 55 Vermeidungsverhalten 55 Wahrnehmung einer gegenwärtigen Bedrohung/anhaltendes physiologisches Hyperarousal (Übererregung) 55 Andauern der Symptome über einen gewissen Zeitraum 55 Bedeutsame Funktionseinschränkungen

Diese Kriterien werden in den folgenden Abschnitten genauer beschrieben.

2.1  Traumadefinition und

Traumaarten

2.1.1  Traumadefinition nach

ICD-11 und DSM-5

Das erste der PTBS-Kriterien ist das sog. Traumakriterium.

Traumakriterium 55 Nach ICD-11 sind Traumata definiert als Ereignis oder Serie von Ereignissen von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß (WHO 2018). Neu hinzugekommen ist außerdem eine Traumadefinition für die komplexe Form der PTBS, die das traumatische Ereignis hinsichtlich Zeitdauer und Intensität spezifiziert (für Details 7 Kap. 3). 55 Das amerikanischen DSM-5 beschreibt Traumata folgendermaßen: „Konfrontation mit tatsächlichem oder drohenden Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt“ (A-Kriterium, APA 2013, S. 369).  

Andere Erlebnisse, die umgangssprachlich ebenfalls als persönliches Trauma bezeichnet werden können (z.  B. enttäuschte Erwartungen, Auseinanderbrechen einer Beziehung), entsprechen nicht dem o. g. Traumakriterium, in dessen Mittelpunkt eine Todeskonfrontation oder andere extreme Gefahrensituationen stehen. Im früheren DSM-IV wurde noch zwischen 2 Aspekten des Traumakriteriums unterschieden – einer objektiven Ereigniskonstellation sowie der subjektiven Wahrnehmung von Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (APA 2000). Analog war es auch im ICD-10 notwendig, dass das traumatische Ereignis eine tiefe Verzweiflung auslöst (Weltgesundheitsorganisation; WHO 1994). In den aktuell gültigen Fassungen beider Klassifikationssysteme wurde auf diese Unterscheidung verzichtet. Der Grund lag in dem Auftreten einiger Konstellationen, in denen trotz des Erlebens eines traumatischen Ereignisses das subjektive Empfinden nicht vorlag. Dabei handelt es sich z. B. um (Maercker et al. 2013a): 55 wiederholte oder langandauernde Gewalterfahrungen, 55 Gewalterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen oder trainierten professionellen Einsatzkräften,

16

A. Maercker und M. Augsburger

55 veränderten Bewusstseinszuständen schon während des Traumas.

2

Weiterhin nennt das DSM-5 eine Liste (nicht abschließender) Beispiele traumatischer Ereignisse und 4 mögliche Formen der Traumaexposition. Formen der Exposition nach DSM-5 (APA 2013) 55 Direkte Erfahrung 55 Persönliche Zeugenschaft 55 Erfahren von einem plötzlichen und gewaltsamen Ereignis in der nahen Familie bzw. bei nahen Freunden 55 Wiederholte oder extreme Konfrontation mit aversiven Details eines Ereignisses

2.1.2  Klassifikation von Traumata

Die vielen unterschiedlichen traumatischen Ereignisse, auf die solche Definitionen zutreffen, lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten zusammenstellen bzw. einteilen. Als orientierendes Schema bewährt haben sich Einteilungen in 55 menschlich verursachte vs. zufällige Traumata, 55 kurz-(Typ-I-) vs. langfristige (Typ-II-) Traumata – seit Neuerem erweitert um 55 medizinisch bedingte Traumata (. Tab. 2.1; Erstfassung in Maercker 1998).  

Die Typ-I-Traumata sind meist durch akute Lebensgefahr, Plötzlichkeit und Überraschung gekennzeichnet, während die Typ-Il-Traumata durch Serien verschiedener traumatischer Ein-

..      Tab. 2.1  Schematische Einteilung traumatischer Ereignisse (Weiterentwickelt nach Maercker 1998) Typ-I-Traumata (einmalig/kurzfristig) Akzidentelle Traumata

Interpersonelle Traumata (man made)

Typ-II-Traumata (mehrfach/langfristig)

Schwere Verkehrsunfälle

Medizinisch bedingte Traumataa Akute lebensgefährliche Erkrankungen (z. B. kardiale, pulmonale Notfälle)

Berufsbedingte Traumata (z. B. Polizei, Feuerwehr, Rettungskräfte)

Technische Katastrophen (z. B. Giftgaskatastrophen)

Chronische lebensbedrohliche/schwerste Krankheiten (z. B. Malignome, HIV/Aids, Schizophrenie)

Kurzdauernde Katastrophen (z. B. Wirbelsturm, Brand)

Langdauernde Naturkatastrophen (z. B. Erdbeben, Überschwemmung)

Als notwendig erlebte medizinische Eingriffe (z. B. Defibrillationsbehandlung)

Sexuelle Übergriffe (z. B. Vergewaltigung)

Sexuelle und körperliche Gewalt/Missbrauch in der Kindheit bzw. im Erwachsenenalter

Komplizierter Behandlungsverlauf nach angenommenem Behandlungsfehler

Kriminelle bzw. körperliche Gewalt

Kriegserleben

Ziviles Gewalterleben (z. B. Banküberfall)

Geiselhaft Folter, politische Inhaftierung (z. B. KZ-­Haft)

aDer

Status dieser Eingruppierung ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen

17 Die posttraumatische Belastungsstörung

2

zelereignisse und durch geringe Vorhersagbarkeit des weiteren traumatischen Geschehens gekennzeichnet sind (Terr 1989). Der Status der medizinisch bedingten Traumata ist noch nicht endgültig geklärt. Das DSM-5 begrenzt die Einbeziehung medizinischer Erkrankungen als traumatisches Ereignis, indem betont wird, dass eine medizinische Situation mit einem plötzlichen katastrophenartigen Ausmaß einhergehen müsse, um als traumatisches Ereignis bewertet werden zu können (z. B. Aufwachen während einer Operation, anaphylaktischer Schock; APA 2013). Besonderheiten der PTBS-­Prävalenz und im Verlauf dieser Traumata sind Gründe für eine separate Behandlung (7 Kap. 23) und weiteren Forschungsbedarf für diese Traumakategorie. Seit der Erstbeschreibung der PTBS wurden viele Studien durchgeführt, um zu untersuchen,

ob die verschiedenen traumatischen Auslöserereignisse zum gleichen Störungsbild führen. Bei der Untersuchung großer Gruppen von Betroffenen wurde übereinstimmend bestätigt, dass Symptome aus den Hauptsymptomgruppen der PTBS (7 Abschn.  2.2) bei den verschiedensten Traumaarten gefunden werden, unabhängig davon, ob bei den Betroffenen ein Trauma z. B. durch Naturkatastrophen, Kriminalität, Vergewaltigung oder ein anderes traumatisches Ereignis ausgelöst wurde (Davidson und Foa 1993). . Abb. 2.1 zeigt, dass es ein ähnliches Symp­ tomprofil bei verschiedenen Traumata gibt, was die Annahme eines einheitlichen Störungsbildes stützt. Es hat sich allerdings gezeigt, dass einerseits die willentlich durch Menschen verursachten Traumata und andererseits die zeitlich länger andauernden Typ-Il-Traumata in vielen Fällen

..      Abb. 2.1 Symptomprofile über verschiedene Traumaarten. (Mod. nach Green et al. 1990; Foa et al. 1995; Başoğlu et al. 1994)

Naturkatastrophe a

80



Vergewaltigung b 60

Folter c

40

20

0 lnstrusionen Träume/Aipträume Flashbacks Belastung durch Auslöser Physiologische Reaktionen Gedankenvermeidung Aktivitätsvermeidung Amnesien lnteresseverminderung Entfremdungsgefühl Affekteinschränkung eingeschränkte Zukunft Schlafschwierigkeiten Reizbarkeit Konzentrationsschwierigkeiten Hypervigilanz Schreckreaktion

Häufigkeit in %





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2

A. Maercker und M. Augsburger

zu stärker beeinträchtigenden, komplexen Symp­ tomen und chronischeren psychischen Folgen führen können als die anderen Formen. Basierend auf diesen Befunden wurde das klinische Bild der komplexen PTBS im neuen ICD-11 definiert. Genaueres wird im folgenden Kapitel (7 Kap. 3) beschrieben. Hier sollen dagegen die Symptome der PTBS (auch „klassische PTBS“ genannt) erläutert werden.

nen Freunden ja so leid. Der Kontakt mit mir ist für sie deshalb sehr belastend. Ich ziehe mich deshalb von meinen Freunden zurück.“

2.2.1  Symptomtrias der PTBS



2.2  Erscheinungsbild der PTBS Fallbeispiel: Opfer eines kriminellen Überfalls Ein 60-jähriger Patient berichtet: „Seit dem Überfall bin ich ein völlig anderer Mensch geworden. Abends liege ich im Bett und dann kommen diese Gedanken und Bilder, und dann liege ich ewig wach. Ich habe jetzt einen Punkt erreicht, wo ich merke, es geht einfach nicht mehr weiter … Wenn ich irgendwo bin, und es gibt ein plötz­ liches Geräusch, da zucke ich zusammen. Da ist es wieder. Man kann’s nicht abstellen. Man muss es sich mal so vorstellen: Das ist wie ein elektri­ scher Schlag. Und der geht sofort nach oben und löst bei mir einen Schweißausbruch aus. Ich bin nervlich völlig am Ende … Meine Freunde versuchen immer wieder, mich aufzumuntern. Sie sagen, ich soll das jetzt vergessen und mir doch mal ein schönes Leben machen. Das tut unheimlich weh. Das schmerzt, weil ich mir das gar nicht mehr richtig vorstellen kann … Den Park, in dem der Überfall geschah, kann ich seitdem nicht mehr besuchen. Auch abends oder in der Dunkelheit traue ich mich kaum mehr vor die Tür aus Angst vor einem erneuten Über­ fall … Ich habe keine Hoffnung mehr. Meine Freunde wollen mir ja wirklich helfen, aber das geht ja nicht. Es kann mir ja niemand helfen. Ich muss das selber schaffen. Aber ich muss immer an diesen Sonnabend zurückdenken. Und dann merke ich immer, dass ich diese Belastung jetzt bis zu meinem Tod ertragen muss … Ich tu’ mei­

Im Fallbeispiel beschreibt der Patient Symptome der 3 Hauptsymptomgruppen der PTBS, die unabhängig vom zugrunde liegenden Klassifikationssystem vorhanden sein müssen: 55 Intrusionen/Wiedererleben, 55 Vermeidung, 55 Wahrnehmung gegenwärtiger Bedrohung/ Hyperarousal. 2.2.1.1  Intrusionen/Wiedererleben

Patienten mit PTBS sind durch lebhafte Eindrücke des traumatischen Ereignisses gekennzeichnet, die ungewollt und nicht kontrollierbar in den wachen Bewusstseinszustand wie auch in den Schlaf „eindringen“. Symptome des Widererlebens können jeweils in Form vieler Einzelsymptome bzw. -beschwerden auftreten. . Tab.  2.2 nennt und beschreibt diese Symptome in der Reihenfolge, in der sie im amerikanischen DSM-System aufgelistet sind. Zusätzlich wird markiert, ob diese für eine Diagnose nach ICD-11 bzw. DSM-5 erforderlich sind. Das ICD-11 hat sich aufgrund der besseren klinischen Handhabbarkeit und wissenschaftlicher Befunde dafür entschieden, nur besonders schwere und spezifische Symp­ tome einzubeziehen. Beispielsweise wird das Symptom „Intrusionen/Wiedererleben“ nicht dazugerechnet, weil es auch häufig bei Traumatisierten ohne PTBS-Diagnose auftritt.  

2.2.1.2  Vermeidung

Die Betroffenen versuchen oft mit aller Macht, die sie überflutenden Gedanken „abzuschalten“, d.  h. nicht mehr an das Geschehene zu denken. Trotz dieser intensiven Versuche gelingt dies in den meisten Fällen nicht. Die Einzelsymptome bzw. -beschwerden werden in . Tab. 2.3 genauer beschrieben.  

2

19 Die posttraumatische Belastungsstörung

..      Tab. 2.2  Einzelsymptome der Symptomgruppe Wiedererleben Kurzbezeichnung

Erläuterungen

ICD-­11Diagnose

DSM-­5Diagnose

Intrusionen/Wiedererleben

Ungewollt wiederkehrende und belastende Erinnerungen oder Erinnerungsbruchstücke; treten spontan auf bzw. werden durch Schlüsselreize hervorgerufen

Belastende Träume bzw. Albträume

Wiederkehrende Träume, die Erinnerungen oder Erinnerungsbruchstücke des Traumas beinhalten. In Albträumen können die Erinnerungen sehr verzerrt sein. Verlaufen oft jahrelang nach dem gleichen Muster

x

x

Flashbacks

Erinnerungsattacken, die durch ihre Plötzlichkeit und Lebendigkeit gekennzeichnet sind. Sind meist nur kurzdauernd und gehen mit dem Gefühl einher, das traumatische Ereignis noch einmal zu durchleben. Nähe zu Illusionen, Halluzinationen und dissoziativen Verkennungszuständen. Es kann ein totaler Verlust der Wahrnehmung auftreten

x

x

Emotionale Belastung durch symbolisierende Auslösern

Starke emotionale Reaktion (z. B. Angst, Ärger) mit einhergehender großer psychischer Belastung, wenn Betroffene durch Schlüsselreize (z. B. gleiche Gegenstände, Geräusche, Gerüche) mit dem traumatischen Ereignis konfrontiert werden bzw. sich an das Ereignis erinnern

x

Physiologische Reaktionen bei Erinnerung

Unwillkürliche Körperreaktion wie Schwitzen, Zittern, Atembeschwerden, Herzklopfen oder -rasen, Übelkeit oder Magen-Darm-­Beschwerden beim plötzlichen Konfrontiertwerden mit traumatischen Schlüsselreizen sowie Erinnerungen bzw. Erinnerungsbruchstücken

x

x

..      Tab. 2.3  Einzelsymptome der Symptomgruppe Vermeidung Kurzbezeichnung

Erläuterungen

ICD-­11

DSM-­5

Gedanken- und Gefühlsvermeidung

Bewusstes Vermeiden von Gedanken und Gefühlen, die an das Trauma erinnern (z. B. eigene Gedankenstoppversuche bzw. Selbstkommentare: „Ich mache mich sonst nur selbst verrückt“). Unabhängig vom Erfolg der Vermeidungsbemühungen

x

x

Aktivitäts- oder Situationsvermeidung

Vermeiden von Aktivitäten oder Situationen, die Erinnerungen an das Trauma bewirken (z. B. Ort des Traumas umgehen; nicht mehr aus dem Haus gehen zur Tageszeit, an dem das Trauma passierte). Dies beinhaltet auch das Vermeiden von Personen oder Gesprächen, die in Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis stehen

x

x

20

A. Maercker und M. Augsburger

2.2.1.3  Wahrnehmung

2

gegenwärtiger Bedrohung/ physiologische Übererregung

Der Körper reagiert nach einem Trauma mit, auch wenn die Betroffenen die körperlichen Folgen oftmals nicht im Zusammenhang mit dem Trauma sehen. Die Erregungsschwelle des autonomen Nervensystems senkt sich, d. h. auch kleinere nachfolgende Belastungen führen zu stärkerer Erregung (Hyperarousal). . Tab. 2.4 beschreibt die einzelnen Symptome.  

2.2.2  Zusatzsymptome

Zusätzlich zu den bereits genannten Symp­ tomgruppen formuliert das DSM-5 weitere ty­ pische Symptome, die Veränderungen in Ko­ gnitionen und Stimmungen beschreiben. Diese sind in . Tab.2.5 aufgeführt bzw. erläutert. Im ICD-11 werden diese Symptome überwiegend dem Störungsbild der komplexen PTBS (7 Kap. 3) zugeordnet.  



..      Tab. 2.4  Einzelsymptome der Symptomgruppe Wahrnehmung gegenwärtiger Bedrohung/Übererregung Kurzbezeichnung

Erläuterungen (an DSM-5 angelehnt)

ICD-11

DSM-5

Übermäßige Wachsamkeit

Fachwort Hypervigilanz: ständiges Gefühl des Nicht-Trauen-Könnens. Fortdauerndes und unrealistisches Gefährdungsgefühl. Alltägliche Situationen werden als übermäßig gefährlich empfunden. Dies betrifft sowohl mit dem Trauma assoziierte als auch nicht damit in Zusammenhang stehende Situationen. Kann (nach durch Menschen verursachten Traumata) dazu führen, dass Waffen zur möglichen Verteidigung mitgeführt werden bzw. Überwachungseinrichtungen installiert werden

x

x

Übermäßige Schreckreaktion

Nach dem Trauma vorhandene, sehr leichte Erschreckbarkeit, die schon durch leichte Geräusche und Bewegungen ausgelöst werden kann

x

x

Erhöhte Reizbarkeit/Wutausbrüche

Leichtes „Auf-180-Kommen“, oftmals Wutausbrüche ohne klar ersichtlichen Anlass, wozu vor dem Trauma noch keine Neigung bestand. Kann oft von den Betreffenden selbst schlecht beurteilt werden und ist nur indirekt über die Frage „Würden Ihre Angehörigen das so sehen?“ zu explorieren

x

Selbstzerstörerisches Verhalten

Verhalten, das riskant und damit potenziell selbstschädigend sein kann (z. B. Autofahren mit überhöhter Geschwindigkeit, übermäßiger Drogen- oder Alkoholkonsum, aber auch suizidales oder selbstverletzendes Verhalten). Wurde im Forschungskontext v. a. bei Kriegsveteranen untersucht

x

Konzentrationsschwierigkeiten

Ausgeprägte Schwierigkeiten, sich auf einfache Abläufe zu konzentrieren (z. B. Buch lesen, Film sehen, Formular ausfüllen). Den Betroffenen selbst kann klar oder auch unklar sein, dass sie in solchen Momenten intrusive Erinnerungsschübe haben

x

Ein- und Durchschlafschwierigkeiten

Nach dem Trauma einsetzende Schlafstörungen beider Arten, teilweise – aber nicht notwendigerweise – im Zusammenhang mit Intrusionen bzw. belastenden Träumen oder Albträumen

x

21 Die posttraumatische Belastungsstörung

2

..      Tab. 2.5  Einzelsymptome der Symptomgruppe kognitive Veränderungen und Veränderungen der Stimmung (nur im DSM-5) Kurzbezeichnung

Erläuterungen

(Teil-)Amnesien

Wichtige Elemente des traumatischen Geschehens können nicht mehr erinnert werden (z. B. von Ort x nach Ort y gekommen zu sein). Im Extremfall kann das ganze traumatische Geschehen nicht mehr erinnert werden; es herrschen nur unscharfe Erinnerungen oder Erinnerungsbruchstücke vor. Die Amnesien dürfen nicht durch einfache Vergesslichkeit oder durch organische Ursachen (z. B. Schädel-­Hirn-­Trauma) erklärbar sein

Anhaltende negative Grundüberzeugungen

Sich als Folge der traumatischen Erfahrung entwickelnde globale und anhaltende negative Überzeugungen über sich selbst oder die Welt („Ich kann niemandem mehr trauen“)

Anhaltende verzerrte Kognitionen

Die Ursachen oder Folgen des traumatischen Ereignisses werden dauerhaft kognitiv verzerrt. Dies führt zu Schuldzuweisung sich selber oder unbeteiligten Personen gegenüber

Anhaltender negativer emotionaler Zustand

Dauerhafter negativer Gefühlszustand (z. B. andauernde Schuld, Wut, Furcht, Trauer)

Interessensverminderung

Deutlich vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten des täglichen Lebens oder an individuell vor dem traumatischen Erlebnis gern ausgeführten Aktivitäten (z. B. Karrierebemühungen, Hobbies)

Entfremdungsgefühl

Gefühl der Losgelöstheit oder Fremdheit von anderen Personen, die nicht das gleiche traumatische Ereignis erlebt haben. Subjektiv unüberwindlich empfundene Kluft zwischen den anderen und einem selbst (und entsprechenden Leidensgefährten). Selbst Familienmitgliedern gegenüber herrscht das Entfremdungsgefühl vor

Eingeschränkter positiver Affektspielraum

Empfindung, dass seit dem Trauma keine positiven Gefühle mehr wahrgenommen werden können (z. B. die Fähigkeit jemanden zu lieben, sich zu freuen). Die Betroffenen beklagen eine Beschädigung ihrer Gefühlswelt, alle positiven Gefühle erscheinen ihnen nivelliert. Dieses sog. Numbing (dt.: Abflachung der allgemeinen Reagibilität) bezieht sich seit DSM-5 nur noch auf positive Affekte

kSymptommuster bei Kindern

Für traumatisierte Kinder zeigen sich einige Abweichungen im Symptommuster, was zur Beschreibung einiger Besonderheiten der PTBS im Kindesalter führt. Details sind in 7 Kap. 22 zu finden.  

2.2.3  Diagnosevergabe nach

ICD-11 und DSM-5

Die vorab genannten Tabellen erläutern die Haupt- und Zusatzsymptome, die bei einer

PTBS auftreten. In den beiden Klassifikationssystemen ICD-11 bzw. DSM-5 wurden verschiedene diagnostische Algorithmen entwickelt, die jeweils eine unterschiedliche Anzahl von Symptomen zur Diagnosestellung erfordern. Übereinstimmend betonen beide Klassifikationssysteme die Notwendigkeit bedeutsamer Funktionseinschränkungen zur Diagnosestellung. Außerdem weist das Zeitkriterium darauf hin, dass die zeitlich unmittelbaren psychischen Folgen nach einem traumatischen Ereignis (nach Stunden bzw. einigen

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2

A. Maercker und M. Augsburger

Tagen) nicht als PTBS aufgefasst werden. Sie werden hingegen als akute Belastungsreaktion (Zusatzcode im ICD-11) beschrieben bzw. als akute Belastungsstörung (DSM-5) diagnostiziert. Die folgenden Übersichten zeigen die Kriterien im Detail.

Bedingungen für eine Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung nach dem DSM-5 (ohne Kriterien für Kinder) (APA 2015) A. Ereigniskriterium muss erfüllt sein B. Symptomgruppe: Wiedererleben (1 Symptom, . Tab. 2.2, für Diagnose notwendig) C. Symptomgruppe: Vermeidung (1 Symptom, . Tab. 2.3, für Diagnose notwendig) D. Veränderungen im Gefühlzu­ stand und/oder in Kognitionen (mind. 2 Symptome notwendig) E. Symptomgruppe: chronische Übererregung (2 Symptome, . Tab. 2.4, für Diagnose notwendig) F. Dauer der Beeinträchtigungen (Symp­ tome der Kriterien B, C, D und E) ist länger als 1 Monat G. Die Störung verursacht klinisch bedeutsame Belastungen oder Beeinträchtigungen im sozialen und Berufsbereich sowie anderen wichtigen Funktionsbereichen H. Keine Entstehung durch Substanz (Alkohol, Drogen, Medikamente) oder andere medizinische Ursache (Krankheit)  

Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung nach dem ICD-11 (WHO 2018) 55 Die Betroffenen sind einem extrem bedrohlichen oder katastrophalen Ereignis oder einer Serie von Ereignissen ausgesetzt 55 Wiedererleben des traumatischen Ereignisses oder der Ereignisse in der Form lebhafter intrusiver Erinnerungen, von Flashbacks oder Albträumen, begleitet von starken und überwältigenden Gefühlen wie Angst oder Horror sowie starken physischen Empfindungen oder Gefühlen der Überwältigung oder einem Erleben der gleichen intensiven Gefühle, die während des traumatischen Ereignisses erlebt wurden 55 Vermeidung von Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis oder die Ereignisse oder 55 Vermeidung von Aktivitäten, Situationen oder Personen, die an das traumatische Ereignis oder die traumatischen Ereignisse erinnern 55 Anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten gegenwärtigen Bedrohung, z. B. durch Hypervigilanz oder eine verstärkte Schreckreaktion auf Reize wie unerwarteter Lärm 55 Die Symptome müssen mindestens über mehrere Wochen anhalten und bedeutsame Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, ausbildungsrelevanten, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen verursachen





55 Zusätzliche Einteilung ȤȤ Dissoziativer Subtyp ȤȤ Verzögerter Beginn (mindestens 6 Monate nach dem Ereignis) 55 Hinweis 55 Für die Diagnosestellung für Kinder unter 6 Jahren gelten abweichende Symptombeschreibungen

Im Vergleich der beiden Klassifikationssysteme fällt auf, dass die Kriterien für das DSM-5 ausführlicher und komplexer formuliert sind. Der diagnostische Algorithmus lässt weniger Spielraum zu. Im Gegensatz dazu genügt beim ICD-11 das Vorhandensein von Symptomen aus jeder der drei Hauptgruppen. Sämtliche unspezifische und mit anderen Störungsbil-

2

23 Die posttraumatische Belastungsstörung

dern überlappende Symptome werden nicht in die Diagnosestellung mit einbezogen. Diese Reduktion auf die wesentlichen Symptome stellt ein Aspekt der Grunderneuerungen der diagnostischen Kriterien im ICD-11 dar. Dies soll eine kulturübergreifende Verwendbarkeit und einfache Handhabung gewährleisten mit dem Ziel der größtmöglichen klinischen Nützlichkeit (Maercker et al. 2013a). Weiterhin unterscheidet sich das DSM-5 dadurch, dass es Symptome veränderter Kogni­ tionen und Gefühlszustände auflistet (Symp­ tomgruppe D, vgl.  7 Abschn.  2.1.2). Die Diagnose der komplexen PTBS kennt das DSM-5 nicht, dafür aber die PTBS-­ Untergruppe „PTBS vom dissoziativen Subtyp“. Für den praktischen Alltag ist dies problematisch, wenn dadurch ggf. unterschiedliche Personen mit dem einen, aber nicht mit dem anderen Diagnosesystem eine PTBS-Diagnose erhalten.

bei der Diagnosestellung unbedingt andere Störungen berücksichtigt werden, die ebenfalls gehäuft nach dem Erleben traumatischer Ereignissen auftreten.

zz Übereinstimmung der PTBS-Diagnose nach ICD-11 und DSM-5

2.2.4.1  Dissoziation



Eine Übersichtsarbeit von Brewin et al. (2017) zeigt, dass die Diagnostik, abhängig vom verwendeten Klassifikationssystem, zu erheblichen Unterschieden führt. Bei Erwachsenen sind die PTBS-Raten geringer, wenn nach den neuen ICD-11-Kriterien im Vergleich zu ICD-­10 oder DSM-5 diagnostiziert wird. Zu bedenken ist, dass in diesen Studien auf dem DSM-IV basierende Interviews und Fragbögen eingesetzt wurden. Infolgedessen könnten die Befunde anders aussehen, wenn spezifisch für ICD-11 entwickelte Verfahren eingesetzt werden. Bei Kindern und Jugendlichen hingegen sind die Prävalenzraten nach ICD-11 vergleichbar zu DSM-IV und DSM-5. Weiterhin werden nur nach ICD-11 beeinträchtigte Jugendliche mit einer PTBS klassifiziert, die die Kriterien für eine Diagnose nach DSM nicht erfüllen. Damit scheint es nach diesen ersten Untersuchungen gelungen zu sein, die dia­ gnostischen Kriterien zu vereinfachen und einer inflationären Vergabe der Diagnose PTBS, wie es im ICD-10 kritisiert wurde (vgl. Maercker et al. 2013a), entgegenzuwirken. Doch sollten

Unter der Lupe

Ein konsistentes Ergebnis epidemiologischer Untersuchungen von Traumatisierten ist die hohe Komorbidität mit anderen Diagnosen. Je nach Untersuchung wird angegeben, dass bei 50–100 % der Patienten mit PTBS komorbide Störungen vorliegen. Meist haben Patienten mit PTBS mehr als eine weitere komorbide Störung (Brunello et al. 2001).

2.2.4  Dissoziation und emotionale

Veränderungen

Übereinstimmend wird dissoziativen psychischen Prozessen eine wichtige Rolle innerhalb der PTB-Symptomatik zugeschrieben. Flashbacks können dabei als klassische Dissoziationszustände angesehen werden: Der Realitätsbezug im Hier-und-Jetzt geht verloren, und die Betroffenen fühlen sich in das traumatische Geschehen zurückversetzt. Dabei kommt es zu Fehlwahrnehmungen und Fehldeutungen der Umgebungssituation. Die (Teil-)Amnesien (ein DSM-5-Kriterium) sind weitere dissoziative Phänomene, die sich während der Gesundung wieder bessern können. Im Rahmen der komplexen PTBS bzw. beim dissoziativen Subtyp kommt es zu weiteren dieser Symtome (7 Kap. 3).  

2.2.4.2  Scham und Schuld

Ein sehr häufig zu findender Affekt bei Traumaopfern ist Scham. Die Scham ist dabei ein Gefühls- und Körperzustand von der eigenen Bloßstellung und damit einhergehende Befürchtungen vor der Zurückweisung durch andere. Schamzustände werden sowohl als verbalisierbare wie auch als sensorische Erinnerungen enkodiert.

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2

A. Maercker und M. Augsburger

Schuld bezeichnet das Gefühl, die Verantwortung für das Geschehe zu tragen bzw. nicht alles in seiner Kraft Stehende getan zu haben, aber auch eine „Überlebensschuld“ (z. B. Vorwürfe, den Holocaust überlebt zu haben, „survivor guilt“, vgl. Horowitz 1976, 2011). Scham und Schuld sind sehr häufig als aufrechterhaltende Faktoren der PTBS gefunden worden, unabhängig vom Typ des traumatischen Ereignisses und mit höherer Auftretenswahrscheinlichkeit nach dem Erleben multipler Ereignisse (Andrews et al. 2000; Aakvaag et al. 2016). Unangemessene Schuldgefühle von Traumatisierten sind nachträgliche Reattribuierungsversuche der Betroffenen (z. B. „Ich habe eine große Mitschuld am Vorgefallenen“) im Dienste einer Illusion der Kontrollierbarkeit der Traumaverursachung (z. B. „Wenn ich mich nicht so verhalten hätte, wäre alles nicht passiert“). Die genannten sozialen Gefühle können allerdings auch bei den Personen induziert werden, die dem Traumaopfer nahestehen oder professionell mit ihm zu tun haben (z. B. Schuldgefühle, nicht angemessen auf den Betroffenen eingehen zu können).

zu einem fortgesetzten Hyperarousal führen, was ebenfalls der Traumaverarbeitung entgegensteht. Befunde weisen darauf hin, dass Ärger eine sekundäre Emotion ist, die infolge der Belastung durch die PTBS-Kernsymptomatik entsteht (Orth et  al. 2008). Glück et  al. (2017) konnten mittels Netzwerkanalyse zeigen, dass v.  a. das Grübeln („rumination“) über die eigenen Ärgergefühle eine wichtige Rolle bei der PTBS spielt.

2.2.4.3  Ekel

2.3  PTBS im Rahmen der

Scham geht oft einher mit Ekel. Diese Emotion dominiert häufig bei Patientinnen mit PTBS als Folge sexueller Gewalt (Fairbrother und Rachman 2004) und zwar in Form von Ekelgefühlen in Bezug auf sich selbst sowie gegenüber bestimmten Stimuli (z. B. Nahrungsmittel, deren Geruch, Geschmack oder Konsistenz die Patientinnen an die traumatischen Situationen erinnern). 2.2.4.4  Ärger

Ärger- und Racheaffekte und -gedanken sind ebenfalls häufig bei Traumatisierten beschrieben worden (Olatunji et al. 2010), v. a. bei einer PTBS nach Kriegseinsätzen sowie bei vielen Kriminalitätsopfern (Orth und Wieland 2006). Sie können sich auf die zentralen Akteure während der Traumatisierung (Täter) beziehen oder auch auf Personen, mit denen man nach dem Trauma interagierte (z. B. „Die Einsatzhelfer am Unfallort haben alles schlimmer gemacht  – das waren die reinsten Verbrecher“). Anhaltender Ärger kann

PTBS und erhöhte Aggressionsbereitschaft Wenn Ärger sich durch Handlungsbereitschaft zur Racheintention entwickelt, kann es dazu kommen, dass ein Opfer selbst zum Täter wird (bsp. Vater der Flugzeugunglücksopfer, der einen Fluglotsen ermordete). Ein Zyklus der Gewalt ist auch bei in Kindheit und Jugend traumatisierten späteren Gewalttätern in Einzelfällen klinisch-gutachterlich belegbar. Dies ist ganz besonders in fragilen Weltgegenden bedeutsam, in denen sich eine anhaltende soziale Gewaltspirale entwickeln kann, die nicht nur in erhöhtem Risiko für Übergriffe auf die Familie und die Gemeinschaft resultiert, sondern auch den Friedensprozess nachhaltig behindert. Entsprechende Befunde wurden z.  B. in Burundi und in Südafrika erbracht (Augsburger et al. 2017; Sommer et al. 2017).

belastungsbezogenen Störungen

. Tab.  2.6 zeigt die Nachbardiagnosen der  

PTBS.  Die beiden erstgenannten können nur in der Kindheit diagnostiziert werden und werden klinisch bislang nur bei einer vorausgehenden völligen körperlichen und psychi..      Tab. 2.6  Nachbardiagnosen der PTBS in ICD-11 und DSM-5 ICD-11

DSM-5

- Reaktive Bindungsstörung (Kindesalter) - Enthemmte soziale Interaktionsstörung (Kindesalter) - Komplexe PTBS - Anpassungsstörung - Anhaltende Trauerstörung

- Reaktive Bindungsstörung (Kindesalter) - Beziehungsstörung mit Enthemmung (Kindesalter) - Anpassungsstörung - Akute Belastungsstörung

25 Die posttraumatische Belastungsstörung

schen Vernachlässigung im Säuglings- und Kleinkindalter gestellt (z.  B. nicht versorgte Kriegswaisen oder in Kinderheimen, s. von Klitzing 2009). Die weiteren genannten Störungen des Erwachsenenalters werden in den nachfolgenden Kapiteln dargestellt. In unterversorgten Weltregionen haben sich WHO-Arbeitsgruppen dazu entschieden, alle belastungsbezogenen Störungen gemeinsam als Diagnosekategorie einzusetzen und ggf. erforderliche großmaßstäbige Interventionsprogramme gleichzeitig auf Belastungen, Traumata und Trauer auszurichten (Tol et  al. 2013). Dem kommt entgegen, dass die jeweiligen Hauptsymptome psychopathologisch eng miteinander verwandt sind: 55 PTBS und komplexe PTBS: Wiedererlebenssymptome, 55 Anpassungsstörung: Präokkupationen (gedankliches Verhaftetsein, 7 Kap. 5), 55 anhaltende Trauerstörung: Sehnsucht und Verlangen („yearning and longing“, 7 Kap. 4).  



„Kontinuierlicher“ statt „posttraumatischer“ Stress Einige Forscher und Forscherinnen betonen, der Begriff „posttraumatisch“ sei in vielen Regionen auf der Welt nicht zutreffend. Es handele sich um ein Konzept, dass sich lediglich in friedvollen Gesellschaften anwenden ließe mit klarem Endpunkt der traumatischen Situation. Aufgrund anhaltender Bedrohung in vielen Ländern und des damit verbundenen Risikos, Gewalttaten ausgesetzt zu sein, sei der Begriff des kontinuierlichen Stresses angebrachter (Kaminer et  al. 2013; Stevens et  al. 2013). In ihrem Beitrag weisen Maercker und Augsburger (2017) darauf hin, dass die Aufnahme eines entsprechenden Störungsbildes bei Verabschiedung des ICD-11 diskutiert wurde. Aufgrund zu geringer wissenschaftlicher Beschäftigung mit dieser Konstellation entschied man sich aber zunächst dagegen.

2.4  Epidemiologie und Verlauf

der PTBS

2.4.1  Epidemiologie

ren. Es gibt Regionen mit h ­ äufigeren Naturkatas­ trophen (z. B. auch einige Teile der USA) und Länder, in denen Kriege und politische Verfolgung an der Tagesordnung sind. Bei den epidemiologischen Angaben zu PTBS muss man deshalb auf die regionale Herkunft der Prävalenzraten achten. Außerdem ist zu unterscheiden, ob Daten eine Periodenprävalenz, z.  B. die 1-Jahres-­Prävalenz, oder die Lebenszeitprävalenz wiedergeben  – Letztere umfasst auch die ausgeheilten Fälle und ist in der Regel höher als die 1-Jahres-Prävalenz. Bis heute werden häufig Prävalenzangaben aus den USA zitiert (National Comorbidity Survey; Kessler et  al. 2005), in denen eine Lebenszeitprävalenz von 6,8  % gefunden wurde. Diese ist weit höher als in Europa, für das eine durchschnittliche Lebenszeitprävalenz von 1,9 % gefunden wurde (Alonso et al. 2004). Faktoren, die zusätzlich für die Prävalenzdaten bestimmend sind: 55 Geschlecht: bei Frauen höher als bei Männern, z. B. in Deutschland 2,2 % bei Frauen und 1,0 % bei Männern (z. B. Perkonigg et al. 2000). 55 Altersgruppen: üblicherweise höhere Prävalenzen bei Jüngeren im Vergleich zu Älteren (Kessler et al. 1995), allerdings in Ländern mit Kriegsvergangenheit ein Anstieg für die „Kriegsgeneration“, z. B. in Deutschland in einer Studie aus 2008 bei den über 65-Jährigen mit 3-fach höheren 1-Jahres-Prävalenzen als bei den 14- bis 29-Jährigen (Maercker et al. 2008). 55 Eingesetztes Klassifikationssystem: mit dem ICD-10 und dem DSM-5 höhere Prävalenzen; mit den früheren DSM-­Versionen und dem ICD-11 etwas geringere Prävalenzen (z. B. Stein et al. 2014). So wurde in Deutschland in einer Studie nach ICD-11-Kriterien eine 1-Monats-­ Prävalenz von 1,5  % für die PTBS gefunden (Maercker et al. 2018). Aus . Tab.  2.7 ist ersichtlich, welches die häufigsten Traumata sind und welche Traumata mit der höchsten Wahrscheinlichkeit mit einer PTBS einhergehen. Häufige Traumata sind in den genannten Untersuchungen das Zeuge-Sein von Unfällen  

Die Verbreitung der PTBS hängt auch von der Häufigkeit traumatischer Ereignisse ab. Zumindest für einen Teil der Traumata ist es offensichtlich, dass sie in verschiedenen Weltregionen oder politischen Regionen in ihrer Häufigkeit variie-

2

26

A. Maercker und M. Augsburger

..      Tab. 2.7  Häufigkeiten verschiedener Traumata und 1-Monats-Prävalenz von PTBS nach ICD-11 in einer repräsentativen deutschen Stichprobe. (Adapt. nach Maercker et al. 2018)

2

Art

Traumahäufigkeita [%]

Störungshäufigkeit nach Trauma [%]

Kindesmissbrauch (> Es muss beachtet werden, dass sich aus epidemiologischen Daten immer nur Wahrscheinlichkeitsangaben ergeben. Auch im Falle eines „weniger“ pathogenen Traumas kann sich das volle Symptombild einer PTBS herausbilden.

2.4.2  Verlauf

Nach dem Erlebnis von Traumata kann eine PTBS in jedem Lebensalter auftreten, sowohl in der Kindheit als auch im hohen Lebensalter (Maercker 2015). Bildet sich eine PTBS-­ Symptomatik heraus, kann sich diese spontan in den nächsten Wochen und Monaten wieder zurückbilden. Eine spontane Remissionsrate lässt nach ca. 4 Jahren bei der Hälfte der Fälle feststellen (Morina et al. 2014). Mehrere Langzeitstudien spezifischer Traumatisiertenpopulationen belegen sowohl die Spontanremission als auch Auf- und Ab-Verläufe über mehrere Jahrzehnte, z. B. bei Katastrophenopfern (Holgersen et al. 2011), bei ehemaligen politischen Häftlingen (Maercker et al. 2013b) und bei israelischen Militärveteranen (Solomon und Mikulincer 2006). Diese Studien zeigen, dass der individuelle Verlauf einer PTBS schwierig vorherzusagen ist. Eine Überblicksarbeit fasst zusammen, dass es in seltenen Fällen (ca. 7 %) zu einer ver-

27 Die posttraumatische Belastungsstörung

zögerten Form der PTBS nach symptomfreien Monaten, Jahren oder Jahrzehnten kommen kann (Andrews et al. 2007). Eine Verstärkung der Symptomatik kann nach kritischen Lebensereignissen oder Rollenwechseln in der Biografie (z. B. Berentung) auftreten. Insgesamt gibt es Hinweise darauf, dass im höheren Lebensalter zumindest im deutschsprachigen Raum unbehandelte posttraumatische Symptome in Häufigkeit und Belastungsgrad zunehmen (Maercker et al. 2008). 7 Kap. 26 beschäftigt sich detailliert mit diesen Aspekten.  

erlebt (Liu et al. 2017). Doch von diesen entwickelt nur ein geringer Teil eine PTBS  – bei vielen verhilft Resilienz zu einer Wiederherstellung (Bonanno 2008). In diesem Kapitel werden verschiedene psychologische und soziale Faktoren und Erklärungsmodelle dargestellt, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung der PTBS beteiligt sind. Das Rahmenmodell basiert dabei auf den Befunden aus der Epidemiologie und verschiedenen PTBS-Forschungsansätzen. Es beschreibt folgende 5 ätiologische Faktorengruppen (. Abb. 2.2). 55 Risiko- bzw. Schutzfaktoren (prätraumatisch), 55 Ereignisfaktoren (peritraumatisch), 55 Aufrechterhaltungsfaktoren (posttraumatisch), 55 Ressourcen, gesundheitsfördernde Faktoren (posttraumatisch), 55 posttraumatische Prozesse und Resultate.  

2.5  Die Entstehung der PTBS:

ein multifaktorielles Rahmenmodell

Nach dem World Mental Health Survey haben 70,3  % der an der Studie teilnehmenden Personen mindestens ein traumatisches Ereignis

Aufrechterhaltungsfaktoren

Risiko- bzw. Schutzfaktoren

Ereignisfaktoren

• vermeidender Bewältigungsstil • kognitive Veränderungen

• frühere Traumata

Traumaschwere • Traumadauer • Alter zum • Schadensausmaβ Traumazeitpunkt

2

Posttraumatische Prozesse

• geringere lntelligenz, Bildung lnitiale Reaktion • weibl. Geschlecht • Interpretation (Risiko) • Dissoziation

Gedächtnisveränderungen

• Persönlichkeitsfaktoren

Gesundheitsfördernde faktoren

Resultate Störungsbilder: • PTB • Angststörungen • depressive Störungen • Dissoziative Stör. u. a.

psychosoziale Konsequenzen Neurobiolog. Veränderungen • Ehe u. Partnerschaft • Ausbildung u. Beruf

• Disclosure • soziale Anerkennung als Opfer/Überlebender

..      Abb. 2.2  Rahmenmodell der Ätiologie von Traumafolgen

aber persönliche Reifung möglich

28

A. Maercker und M. Augsburger

2.5.1  Risiko- bzw. Schutzfaktoren

2

In einer Metaanalyse wurden 77 Studien ausgewertet, die folgende prädiktive Faktoren nannten (Brewin et al. 2000): 55 frühere Traumatisierung in der Kindheit (Missbrauch und andere Traumata), 55 jüngeres Alter zum Zeitpunkt der Traumatisierung, 55 geringe Intelligenz bzw. Bildung, 55 weibliches Geschlecht. Es stellte sich heraus, dass diese Faktoren insgesamt einen viel geringeren prädiktiven Faktor hatten (mittlere Korrelationen von r  =  0,06– 0,19) als die Ereignis- und Aufrechterhaltungsfaktoren (mittlere Korrelationen von r = 0,23– 0,40). >> Obwohl in der Literatur oft nur als Risikofaktoren bezeichnet, kann man eine Reihe dieser Faktoren auch als Schutzfaktoren bezeichnen, abhängig davon, ob sie vorhanden sind oder fehlen.

Für die Beziehung zwischen Traumatisierungsalter und PTBS-Risiko fand Maercker (1999) eine U-förmige Beziehung für menschlich verursachte Traumata: Kinder und Jugendliche haben das größte Risiko, junge sowie mittelalte Erwachsene ein vergleichsweise geringeres und ältere Erwachsene wiederum ein erhöhtes Risiko. zz Persönlichkeitseigenschaften

Ob vor dem Trauma bestehende Persönlichkeitseigenschaften ein Risiko für die PTBS-­ Ausbildung darstellen, ist nicht abschließend zu beantworten. Es ist methodisch schwierig, rückwirkend zuverlässige Informationen über Persönlichkeitseigenschaften vor der Einwirkung eines Traumas zu erhalten. Bisher gibt es nur sehr wenige Längsschnittstudien, in denen Personen untersucht wurden, bevor sich ein Trauma ereignete. Diese zeigen heterogene Befunde. So analysierten Lee et  al. (1995) Daten von Jugendlichen, die untersucht worden waren, bevor sie als Soldaten in den Krieg mussten. Es zeigte sich, dass geringere emotionale Reife vor dem Trauma mit der späteren Ausbildung

von PTBS im Zusammenhang stand. Andere ältere Längsschnittstudien fanden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen prätraumatisch gemessenen Persönlichkeitseigenschaften und späteren psychischen Beschwerden (Noelen-Hoeksema und Morrow 1991; Breslau et  al. 1995). Bei den genannten Untersuchungen sind die Erfassungsmethoden allerdings oft mangelhaft (z. T. keine direkte PTBS-Untersuchung), was wahrscheinlich auch die Uneinheitlichkeit der Ergebnisse begründet. 2.5.2  Ereignisfaktoren 2.5.2.1  Traumaschwere

Es kann als empirisch gesichert angesehen werden, dass die durch objektivierbare Parameter messbare Schwere des Traumas (z. B. Traumadauer, Schadensausmaß, Verletzungsgrad, Anzahl von Toten) mit dem Ausmaß der Folgen in einer direkten Beziehung (sog. Dosis-­Wirkungs-­ Beziehung) steht (Brewin et  al. 2000; Kaysen et  al. 2010). Die Größenordnungen dieses Zusammenhangs sind in der Regel vergleichsweise gering (Korrelationen von r  =  0,20–0,30), was darauf hinweist, dass psychologische Faktoren der Ereignisbewertung eine Rolle spielen. In einer Metaanalyse mit 68  Studien ermittelten Ozer et  al. (2003) für den Prädiktor „wahrgenommene Lebensbedrohung“ einen gewichteten Zusammenhang von r = 0,26. 2.5.2.2  Initiale Reaktionen

Verschiedene Formen initialer Reaktionen sind ein wichtiger Prädiktor, ob eine PTBS entsteht oder nicht. Maercker et al. (2000) zeigten, dass Initialreaktionen in höherem Ausmaß die PTBS-Symptomatik vorhersagten als die objektivierbare Traumaschwere. >> Ist das Traumaopfer in der Lage, für sich einen – wie gering auch immer vorhandenen – Spielraum an Einflussmöglichkeiten während des traumatischen Geschehens zu sehen, werden die posttraumatischen Folgen meist nicht so ausgeprägt sein.

29 Die posttraumatische Belastungsstörung

Die Einschätzung (Interpretation) während des Traumas, sich aufzugeben oder nicht, ist bei Vergewaltigungstraumata und ehemals politisch Inhaftierten untersucht worden (Ehlers et  al. 2000). Es zeigte sich, dass bei Patienten mit einer PTBS, die sich während des Traumas ein Gefühl für die eigene Autonomie bewahren konnten (selbst, wenn dieses Gefühl die Lage faktisch kaum oder nicht änderte) und sich nicht selbst aufgaben, bessere Ergebnisse in der psychotherapeutischen Reduktion der Symptome erzielt werden konnten als in einer Kontrollgruppe. Für die psychische Dissoziation während des Traumas (peritraumatische Dissoziation) war zunächst eine schützende Wirkung angenommen worden, doch ist sie ebenfalls ein Prädiktor für das spätere PTBS-Ausmaß (Marmar et al. 1998). Dies konnte die Metaanalyse von Ozer et  al. (2003) mit einer gewichteten Effektstärke von r = 0,35 bestätigen. 2.5.3  Aufrechterhaltungsfaktoren 2.5.3.1  Posttraumatische

Lebensbelastungen

Insgesamt sind sie die einflussreichsten Faktoren für die Existenz chronischer Belastungsstörungen. In einer methodisch exzellenten Studie an über 1600 ehemaligen Vietnamsoldaten fand man, dass die posttraumatischen Einflussfaktoren bei Frauen den größten Teil der PTBS-Störungsvarianz aufklärten (vor Ereignis- und prätraumatischen Faktoren) und bei Männern den zweitgrößten Teil der PTBS-Störungsvarianz nach den Ereignisfaktoren und vor den prätraumatischen Risikofaktoren (King et al. 1999). Dies wurde auch für andere Traumaarten bestätigt (Brewin et al. 2000). Zu diesen posttraumatischen Belastungen gehören Probleme aus dem familiären und beruflichen Bereich (z.  B.  Auseinanderleben von Ehepartnern, Arbeitsunfähigkeit) oder die aufgetretenen medizinisch-körperlichen sowie materiell-­ finanziellen Schäden.

2

2.5.3.2  Kognitiv-emotionale

Veränderungen

Die veränderten Einstellungen von Traumaüberlebenden gegenüber der Welt und sich selbst sind Gegenstand verschiedener psy­ chologischer Theorien und Modelle zur PTBS. Hierbei spielen Schuldgefühle eine besondere Rolle. 2.5.4  Ressourcen oder

gesundheitsfördernde Faktoren

Als Ressourcen oder gesundheitsfördernde Faktoren werden diejenigen bezeichnet, die zu einer Wiedergesundung der Betroffenen nach einer vorübergehend symptomatischen akuten Phase führen. Insgesamt setzen die genannten Faktoren die Betroffenen in die Lage, ihre traumatischen Erlebnisse besser zu integrieren. 2.5.4.1  Kohärenzsinn

Das psychologische Konstrukt des Kohärenzsinns wurde im Zusammenhang mit der Psychotraumatologie von Antonovsky (1987) entwickelt. Es sollte die Fähigkeit erfassen, das Geschehene geistig einordnen, verstehen und ihm einen Sinn geben zu können. Personen mit einem gut ausgebildeten Kohärenzsinn sollen aufgrund ihres Weltverständnisses gute Fähigkeiten zur Vorhersage selbst von schrecklichen Ereignissen haben. Das Konstrukt kann durch eine revidierte Fassung des Kohärenzsinn-­ Fragebogens erfasst werden, die bessere psychometrische Kennwerte aufweist als der mit methodischen Mängeln behaftete Originalfragebogen (Bachem und Maercker 2018; Mc Gee et al. 2017) 2.5.4.2  Interpersonell-­

soziokognitive Faktoren

In der zitierten Metaanalyse von Brewin et  al. (2000) fand sich, dass die soziale Unterstützung  – als zusammengefasster Oberbegriff über verschiedene relevante Prozesse – der ver-

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A. Maercker und M. Augsburger

gleichsweise wichtigste Prädiktor für die Ausprägung der PTBS ist, weit vor den prä-, periund anderen posttraumatischen Faktoren. Die zwischenmenschliche Einbettung (vs. Isolation) der Traumatisierten, ihre Möglichkeiten, über das Erlebte zu kommunizieren (sog. „Disclosure“) sowie die von der Umgebung erfahrene Anerkennung als Traumaopfer sind demnach ganz zentral (7 Abschn. 2.7).  

2.5.5  Posttraumatische Prozesse

und Resultate

Für die unmittelbaren und späteren Traumafolgen sind Gedächtnisveränderungen und neurobiologische Veränderungen von zentraler Wichtigkeit (7 Kap. 6).  

2.5.5.1  Psychosoziale Folgen

Sekundär kommt es in vielen Fällen zu erheblichen psychosozialen Konsequenzen, wie nicht abgeschlossenen Ausbildungen, Arbeitsplatzschwierigkeiten, Karrierebrüchen, häufigen Trennungen oder Scheidungen, Erziehungsproblemen sowie querulatorischen Konflikten mit Vorgesetzten oder Behörden. Sie erfordern Maßnahmen der psychosozialen Reintegration bzw. der praktischen Sozialarbeit (Soyer 2006) 2.5.5.2  Posttraumatische Reifung

Ein wichtiges Phänomen bei vielen Traumatisierten ist, dass sie im Nachhinein meinen, dieses Ereignis habe einen persönlichen Reifungsprozess in Gang gesetzt. Frankl hat als Psychologe, der selbst ein Konzentrationslager überlebt hat, schon früh darauf hingewiesen (Frankl 1973). Viele Traumatisierte berichten – oft allerdings erst, wenn man sie danach fragt –, dass sie die erlebten Erfahrungen und Einsichten für ihr weiteres Leben nicht mehr missen wollen. Posttraumatische Reifung („Posttraumatic Growth“) wurde im letzten Jahrzehnt intensiv untersucht (Zöllner und Maercker 2006; Tedeschi und Calhoun 2004; Calhoun und Tedeschi 2006).

Das Januskopf-Modell der posttraumatischen Reifung Als psychologische Prozesse, die bei der Herausbildung der posttraumatischen Reifung eine Rolle spielen, wurden Konstrukte der Sinnfindung, der Bewältigung, des Wachstums und der Weisheitsentwicklung untersucht. Maercker und Zöllner (2004) haben in ihrem Januskopf-Modell der posttraumatischen Reifung beschrieben, dass die selbstwahrgenommene posttraumatische Reifung neben einer funktionalen Seite („Ich habe wirk­ lich neu erfahren können, wie sehr Freunde und Verwandte mir verbunden sind; das war vorher noch nicht so wichtig in meinem Leben“) auch eine illusorische Seite hat („Wenn es schon passiert ist, dann muss es wenigstens für etwas gut gewesen sein“); hierbei ist der illusorische Gewinn meist nicht anhaltend (vgl. Pat-­Horenczyk et al. 2015).

>> Die eigene posttraumatische Reifung kann neben der Symptomreduktion und Gesundheitsstabilisierung eine wichtige zusätzliche Zielgröße für die psychotherapeutische Behandlung sein.

2.6  Gedächtnismodelle

Als Traumagedächtnismodelle lassen sich verschiedene psychologische Erklärungsansätze zusammenfassen, die der Verankerung der traumatischen Erlebnisse im Gedächtnis die zentrale Rolle für die Entstehung und Aufrechterhaltung der PTBS und anderer Traumafolgestörungen zuschreiben. Hier sind in den letzten Jahren – oft korrespondierend mit neurobiologischer PTBS-Forschung (7 Kap.  6)  – zahlreiche wichtige neue Erkenntnisse entstanden.  

>> Gemein ist den verschiedenen Konzepten der Kerngedanke, dass zentrale Gedächtnisinhalte in ihrer Struktur und Funktion durch das traumatische Erlebnis nachhaltig verändert werden.

Schon 1889 hatte Pierre Janet den Zustand einiger traumatisierter Patienten als Gedächtnisphobie beschrieben. Die Betroffenen ertragen die Konfrontation mit den Erinnerungen und dem Wiedererleben nicht und versuchen deshalb, diese zu vermeiden und zu verdrängen. Daraus entwickelte er Vorstellungen zur Dissoziation bewusster und unbewusster Gedächt-

31 Die posttraumatische Belastungsstörung

nisinhalte und Verhaltensrepräsentanzen, die teilweise heute noch diskutiert werden (van der Hart et al. 2006). In den wegweisenden Modellvorstellungen zu Traumafolgestörungen von Horowitz (1976, 2011) nahm die Dynamik der Inkompatibilität der neuen traumatischen Erfahrungen mit den vorhergehenden Repräsentanzen von Selbst-, Fremd- und Weltkonzepten (bzw. Gedächtnisschemata) einen zentralen Raum ein. Horowitz postulierte basierend auf psychoanalytischen Vorstellungen eine Vervollständigungstendenz („completion tendency“) der Gedächtnisinhalte: Die neue traumatische Erfahrung muss so oft in Form von Intrusionen ins Bewusstsein treten, bis sie ohne erhebliche Belastungen ins Gedächtnis integrierbar ist. Er bettete diese allgemeinen Annahmen in spezifische Vorstellungen zu Schemataarten (z. B. Opfer-, Täterschema) und Persönlichkeitsstilen ein.

2

>> Posttraumatische Furchtstrukturen bilden sich dadurch heraus, dass ein extrem emotional bedeutsamer Stimulus (meist Todesangst) mit einem oder mehreren kognitiven Elementen und mit körperlichen Reaktionen gekoppelt wird.

Diese Kopplung geschieht in Form einer nachhaltigen Aktivierung einer umfassenden Gedächtnisstruktur. Als Ergebnis resultiert eine leicht zu aktivierende Furchtstruktur, die sehr viele Elemente umfasst (z. B. mit dem Trauma nur locker assoziierte Fakten). Die einmal ausgebildete Furchtstruktur ist von allen Elementen aus leicht durch Schlüsselreize (Fakten, Körperreaktionen, Emotionen) zu aktivieren. Je mehr Elemente die Furchtstruktur beinhaltet, desto häufiger wird sie durch die verschiedensten Schlüsselreize aktiviert werden und desto stärker wird die PTBS-­Symptomatik ausgebildet sein. Beispielsweise beruhen die Intrusionssymptome auf der Aktivierung der 2.6.1  Furchtstrukturmodell kognitiven Elemente durch entsprechende Basierend auf lerntheoretischen Erkenntnissen Schlüsselreize. Das Beispiel einer Furchtstruktur nach eibezeichneten Foa und Kozak (1986) die durch das Trauma veränderten Gedächtnisstruktu- ner Vergewaltigung zeigt . Abb. 2.3, wobei auf der linken Seite eine voll ausgebildete pathoren als Furchtstrukturen. Frühere lerntheoretische Vorstellungen logische Furchtstruktur und auf der rechten hatten die PTBS durch das Zwei-Faktoren-­ Seite eine deaktivierte Furchtstruktur (z. B. im Modell der Angstentstehung erklärt (Mowrer Ergebnis einer gelungenen Psychotherapie) ab1960). Dieses besagt, dass ein traumatisches Er- gebildet ist. Der spontane Aufbau einer Furchtstruktur eignis in einer 1. Phase zu einer Kopplung von Angst an ein kognitives Element (Schlüssel- nach dem Erlebnis eines Traumas ist nach Foa reiz) und in einer 2. Phase durch eine operante und Kozak (1986) ein normaler Prozess. Im paKonditionierung zu Vermeidungsverhalten thologischen Fall kommt es allerdings nicht zu führt. Diese einfache Konditionierungstheorie einer spontanen Rückbildung der Furchtstrukkann nicht die Intrusionen als vorherrschende tur in den ersten Tagen oder Wochen nach dem Trauma. Symptome bei PTBS erklären. Die Modifikation anhaltender FurchtEine Furchtstruktur ist nach Foa und Kozak (1986) dadurch gekennzeichnet, dass eine hohe strukturen ist nach den Modellvorstellungen Angst und Aktivierung verschiedene Elemente nur durch eine komplette und umfassende miteinander verbindet. Die Furchtstrukturen gedankliche Konfrontation zu erreichen, in der alle Arten von Elementen (Fakten, Emobestehen aus 3 Arten von Elementen: tionen, Körperreaktionen) therapeutisch akti55 kognitive Elemente (Stimuli; u. a. das viert werden und im Ergebnis eine Habituation Trauma mit seinen Merkmalen), (Rückbildung) der Angstaktivierung eintritt 55 physiologische Reaktionen, (7 Kap. 13). 55 emotionale Bedeutungen.  



32

A. Maercker und M. Augsburger

2

Selbst

Selbst

Einkauf machen

Einkauf machen

Abend

Strabe

Abend

Strabe

dunkel

Mann

dunkel

Mann

Überfall Schweibausbrunch

Überfall Schweibausbrunch

Herzstillstand

Überraschung

Überraschung Ekel / Abscheu

Angst

Ekel / Abscheu

Angst

Todes gefahr

kognitive (Stimulus) Elemente

Herzstillstand

Todes gefahr

physiologische Reaktionen

emotionale Bedeutungen

..      Abb. 2.3  a, b Furchtstruktur nach einem abendlichen Überfall. a ausgeprägte Furchtstruktur bei Vorliegen von PTBS, b deaktivierte Furchtstruktur

bei genesenem Patienten (z. B. nach Expositionstherapie). (Mod. nach Foa und Kozak 1986)

Die bei den meisten Traumatisierten ablaufenden spontanen Teilaktivierungen der Furchtstruktur  – z.  B. durch plötzliche Erinnerungen oder durch Intrusionen  – erreichen keine Rückbildung oder Deaktivierung. Diese spontane Aktivierung von Teilen der Furchtstruktur kann vielmehr zu einer immer ausgeprägteren Vermeidung im Gefolge des Angstanstiegs führen. Es gibt eine Reihe experimenteller Befunde, die für die Gültigkeit der Annahmen des Furchtstrukturmodells sprechen. So fand man, dass Patienten mit einer PTBS im Vergleich zu Personen nach Traumata ohne PTBS und gesunden Kontrollpersonen eine selektive Aufmerksamkeitserhöhung für traumabezogene Stimuli (z. B. Geräusche, Fotos, Begriffe) ausgebildet haben (Litz und Keane 1989). McNally

et  al. (1990) untersuchten Vietnamsoldaten mithilfe von Stroop-Aufgaben (Farbenbenennungsaufgaben). Die Farbe der Schrift, in der die traumaspezifischen Begriffe geschrieben waren, wurde von Patienten mit einer PTBS langsamer herausgefunden als in den Kon­ trollgruppen. Daraus schloss man, dass wahrscheinlich eine größere Furchtstruktur aktiviert wurde und sich dadurch das Umschalten auf die eigentliche Aufgabe, die Benennung der Schriftfarbe, verzögert hatte. Vergleichbare Effekte wurden bei Frauen mit PTBS nach Vergewaltigungen gefunden (Foa et  al. 1991; Cassiday et  al. 1992) sowie in einer aktuellen Studie mit Kriegsveteranen bei dem Erkennen von Begriffen mit Kampfbezug in Relation zu anderen traumarelevanten Begriffen ohne militärischen Bezug (Khanna et al. 2017).

33 Die posttraumatische Belastungsstörung

Es zeigt sich verschiedentlich, dass Furcht oder Angst nicht die einzigen Aktivierungsmöglichkeiten der traumabedingten Gedächtnisstruktur sind. Zwei Erweiterungen des Furchtstrukturmodells wurden deshalb diskutiert: der Einbezug von Ärger und Ekel (Chemtob et al. 1997).

2.6.2  Duales Gedächtnismodell

Brewin hat ein duales Repräsentationsmodell der PTBS postuliert (Brewin 2003; Brewin et al. 1996). Ausgangspunkt dieses Modells ist die Annahme, dass das Gedächtnis über zwei verschiedene Kodierungswege verfügt und dass traumatische Erinnerungen qualitativ anders abgespeichert werden als normale nichttraumatische Erinnerungen. Vor wenigen Jahren wurde das Modell überarbeitet, um es an aktuelle neurowissenschaftliche Befunde anzupassen (Brewin et  al. 2010). Entsprechende Details zu neurobiologischen Befunden sind in 7 Kap. 6 zu finden. Das Modell ist in schematischer Form in . Abb. 2.4 dargestellt.  



Die 2 Verarbeitungssysteme von Gedächtnisinhalten nach Brewin et al. (2010) 55 Repräsentationen im kontextbasierten Gedächtnis (engl.: „contextual memory“; C-reps) ȤȤ Verbal zugängliches System (engl.: „verbally accessible memory“; VAM) ȤȤ Erinnerungen können willkürlich abgerufen und verändert werden; sie sind sprachlich zugänglich ȤȤ Erinnerungen sind in andere autobiografische Gedächtnisinhalte integriert (Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsaspekte): räumlich und zeitliche Aspekte werden gespeichert

2

55 Repräsentationen im empfindungsbasierten Gedächtnis (engl.: „sensation-­ based memory“; S-reps) ȤȤ Situativ zugängliches System (engl.: „situationally accessible memory“; SAM) ȤȤ Speicherung von „low-level“ Information: sensorische (z. B. Geräusche, visuelle Bilder), perzeptuelle (z. B. Veränderungen des Herzschlags, Körpertemperatur und Schmerzen) und affektive Inhalte (z. B. Angst, Ekel) ȤȤ Kein willkürlicher Abruf oder Beschreibung durch Worte möglich ȤȤ Aktivierung nur unwillkürlich durch Triggerreize aus der Umgebung ohne Kontextbezug (z. B. ein körperlich nicht begründbarer Unterleibsschmerz)

Beide Repräsentationen von Erinnerungen finden auch bei gesunden Personen statt. Bei der Enkodierung normaler Gedächtnisinhalte führt eine initiale sensationsbasierte Wahrnehmung und temporäre Speicherung ­ (S-reps) zur langfristigen Kodierung von Gedächtnisinhalten auf höheren Ebenen (C-reps). Mit der Zeit verblassen dann die S-reps und sind kaum noch zugänglich. Wie . Abb.  2.4 verdeutlicht, werden beim Erleben eines traumatischen Ereignisses aufgrund der hohen Erregung S-reps stärker ausgebildet als C-reps. Gleichzeitig sind Verbindungen zwischen den beiden Systemen stark beeinträchtigt. Dies behindert die Integration auf Ebene der C-reps. Flashbacks entstehen durch die Bildung von S-reps ohne dazugehörige C-reps  – eine Integration in das autobiografische Gedächtnis mit entsprechender Kontextinformation findet nicht statt. Die automatische und unkontrollierbare Aktivierung der S-reps führt zu den typischen emotionsgeladenen detailreichen Empfindungen (Jobson et al. 2014; Brewin 2014)  

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A. Maercker und M. Augsburger

2

Verbal zugängliches System

Trauma bezogene Stimuli

hippocampal amygdalagesteuert

Gedanken an das Trauma Grübeln Primäre und sekundäre Emotionen

Bewusstseinsinhalte

Bedeutungsanalyse

Situativ zugängliches System

Dissoziative Flashbacks Wiedererleben Primäre Emotionen

Hemmung ..      Abb. 2.4  Entstehung von Wiedererleben und Flashbacks im erweiterten dualen Repräsentationsmodell. (Mod. nach Brewin et al. 2010)

Die Eingangsprämissen des Modells bestätigen sich in der klaren phänomenologischen Unterscheidung zwischen willkürlich abrufbaren Traumaerinnerungen und den unwillkürlichen Flashbacks (Hellawell und Brewin 2004). Die unterschiedlichen Informationsmengen und Verarbeitungstiefen im VAM/C-reps und im SAM/S-reps lassen sich ebenfalls durch allgemeine gedächtnispsychologische Befunde belegen (Brewin 2003). So verdeutlicht Brewin (2014) in seiner Übersichtsarbeit empirische Unterstützung für die langfristige, aber selektive Speicherung sensorischen Inputs (S-reps). Weiterhin zeigt er, dass sich PTB-Patienten durch ein verbessertes perzeptuelles Gedächtnis, aber Einschränkungen im episodischen Gedächtnis auszeichnen, was für die funktionale Unabhängigkeit der beiden Systeme spricht. Jobson et  al. (2014) konnten zeigen, dass über verschiedene Kulturen hinweg (Studienteilnehmende aus Australien, Großbritannien und dem Iran) konsistent bei Personen mit PTBS im Unterschied zu gesunden Personen Defizite im autobiografischen Gedächtnisabruf vorlagen.

2.7  Kognitive Modelle Kognitive Schemata Kognitive Schemata sind als im Gedächtnis repräsentierte Informationsmuster definiert, die die Wahrnehmung und das Verhalten steuern und organisieren. Klinisch relevante Schemata sind das Selbstschema, das sich wiederum in verschiedene Kompartimente zerlegen lässt (multiple Selbstschemata, Selbstbilder oder Rollen), sowie die Schemata wichtiger Bezugspersonen und die globalen Weltschemata (oder Weltanschauungen).

2.7.1  Veränderte kognitive

Schemata

Verschiedene Autoren stellen die Änderung von Schemata nach Traumata in den Mittelpunkt ihrer ätiologischen Konzepte (Janoff-­ Bulman 1995, 2015; Horowitz 1976, 2011). Die

35 Die posttraumatische Belastungsstörung

Theorien zu veränderten kognitiven Schemata setzen mit ihrer Erklärung insbesondere an folgenden PTBS-Symptomen an. Klassisch geworden sind die von Janoff-Bulman (1995) postulierten „erschütterbaren“ typischen Einstellungen von nichttraumatisierten Personen. Typische Einstellungen nichttraumatisierter Personen 55 Überzeugung von der eigenen Unverletzbarkeit 55 Wahrnehmung der Welt als bedeutungsvoll, verständlich und kontrollierbar 55 Wahrnehmung des Selbst als positiv und wertvoll

Diese Einstellungen werden durch ein traumatisches Ereignis verändert: Eine traumatisierte Person sieht 55 sich selbst als verletzt und zukünftig verletzbar, 55 die Welt als feindlich, unverständlich und ungerecht, 55 sich selbst als beschädigt und wertlos. Beispiel 1: verändertes Weltschema Ein Mensch, der bisher ein großes Maß an Vertrauen in andere Menschen hatte (vertrauensvolles Weltschema), bildet durch einen kriminellen Überfall einen kompletten Vertrauensverlust anderen Menschen gegenüber aus (neue Weltschemata: „Die Welt ist abgrund­ tief schlecht“, „Die Menschen sind abgrundtief schlecht“).

Beispiel 2: verändertes Selbstbild Ein zuvor selbstbewusst agierender Mensch erlebt sich durch das Trauma plötzlich als schwach und erschüttert. Sein Selbstbild nach dem Trauma bleibt für längere Zeit: „Ich bin schwach und verletzlich.“ Dieses Selbstbild steht mit dem noch erinnerten früheren Selbstbild: „Ich bin kompetent und stabil“ in Konflikt.

2

2.7.1.1  Kognitiv-­

psychodynamisches Konzept

Im Erklärungsansatz von Horowitz (1976, 2011) stehen die Veränderungen der Selbstbzw. Rollenschemata im Mittelpunkt. Das Trauma führt danach vorrangig zu einer Veränderung des Selbstbildes bzw. des Gefüges von Rollen der betroffenen Person. Horowitz nimmt an, dass die traumatisch veränderten Schemata so lange im Gedächtnis aktiviert bleiben, bis sie durch weitere Informationsaufnahme und -verarbeitung eine Passfähigkeit mit den früheren und den übrigen Schemata erreicht haben, die neuen Schemata also inte­ griert werden können. Für Beispiel 2 heißt das, dass die traumatisch veränderten Schemata so lange aktiviert bleiben, bis der Betroffene akzeptieren kann, dass er zeitweise ein schwacher und verletzlicher Mensch ist. Details sind in 7 Kap. 13 zu finden. In der Aktivierungsphase der schematischen Repräsentationen und bevor diese integriert worden sind, kommt es zu Intrusionen und zu einer starken emotionalen Belastung. Um diese Belastung zu mindern, wirken nach Horowitz kognitive Kontroll- oder Abwehrprozesse, z. B. in Form von Vermeidung, Verleugnung oder emotionaler Taubheit. Wann immer die kognitive Kontrolle nicht vollständig gelingt, wird das Trauma intrusiv wiedererlebt, was wiederum zu starken emotionalen Belastungen und somit zu erneuter Vermeidung oder Verleugnung führt.  

>> Eine Wiederherstellung der Gesundheit kommt nach Horowitz durch ein intensives Durcharbeiten der traumatisch veränderten kognitiven Schemata zustande.

Dieses Durcharbeiten kann bei einem Patienten im Genesungsprozess selbstständig und spontan passieren, wenn es nicht oder kaum durch Kontrollprozesse gehemmt wird. Sind diese Kontroll- oder Abwehrprozesse stärker ausgeprägt, kann nur eine Psychotherapie den Normalisierungs- bzw. Genesungsprozess her-

36

2

A. Maercker und M. Augsburger

beiführen. Das psychotherapeutisch angeleitete Durcharbeiten hat somit 2 Ansatzpunkte: 55 veränderte kognitive Schemata (Einstellungen, Überzeugungen), 55 Kontrollprozesse (Vermeidungs- und Abwehrtendenzen). 2.7.1.2  Empirische Belege zum

Erklärungsansatz von Horowitz

Von den Bestandteilen der Theorie von Horowitz (Selbstschemataveränderungen, Kontrollprozesse) sind bisher v.  a. die Veränderungen der kognitiven Schemata empirisch belegt worden. In verschiedenen Untersuchungen wurden Indikatoren für typische, posttraumatisch veränderte Selbst- und Weltkognitionen gefunden (Krupnick und Horowitz 1981; Resick und Schnicke 1992; Roth und Lebowitz 1988). In einer Untersuchung von Verkehrsund Kriminalitätsopfern wurden durch Inhaltskategorisierungen von Patientenäußerungen die folgenden selbstrelevanten Themen am häufigsten gefunden (Krupnick und Horowitz 1981): 55 Frustration über die eigene Verletzbarkeit, 55 Selbstbeschuldigungen, 55 Angst vor zukünftigem Kontrollverlust über die eigenen Gefühle. 2.7.2  Kognitives Störungsmodell

Ehlers und Clark (2000) haben aufgrund klinischer Beobachtungen und aufbauend auf früheren Modellen einen Ansatz zur Entstehung und Aufrechterhaltung der chronischen PTBS entwickelt, in dessen Mittelpunkt die Erklärung der fortbestehenden Angstsymptome sowie starker Emotionen wie Ärger, Scham oder Trauer steht. Sie nehmen an, dass sich eine chronische PTBS nur dann entwickelt, wenn die Betroffenen das traumatische Ereignis und/ oder seine Konsequenzen so verarbeiten, dass sie eine schwere gegenwärtige Bedrohung und Beschädigung wahrnehmen, basierend auf einer negativen Interpretation des Traumas, den Spezifika des Traumagedächtnisses sowie einer

anhaltend wahrgenommenen Bedrohung (ausführlich in 7 Kap. 13).  

zz Negative Interpretation des Traumas

Die negative Interpretation des Traumas und seiner Konsequenzen kann zur anhaltenden Wahrnehmung der Bedrohung und Beschädigung führen: Hierzu gehören nicht nur Interpretationen des Eintretens des Traumas (z. B. „Ich bin nirgends sicher“), sondern auch das eigene Erleben und Verhalten während des Traumas (z.  B. „Ich verdiene es, dass mir schlimme Dinge passieren“). Weiterhin werden die anfänglichen Symptome negativ interpretiert (z.  B. „Ich bin innerlich tot“) sowie die Reaktionen anderer nach dem Trauma (z.  B. „Niemand ist für mich da“).

zz Spezifika des Traumagedächtnisses

Die Spezifika des Traumagedächtnisses und seiner Einbettung in andere autobiografische Erinnerungen führen ebenfalls zum anhaltenden Bedrohungsgefühl. Das Traumagedächtnis ist durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet: 55 Das intrusive Wiedererleben geschieht meist in Form von sensorischen Eindrücken, die eine Hier-und-Jetzt-Qualität haben und die kein Vergangenheitsgefühl vermitteln, wie sie normalerweise autobiografische Erinnerungen kennzeichnet. 55 Es gibt Emotionen ohne Erinnerungen, indem Personen mit PTBS körperliche Reaktionen oder Emotionen aus dem Trauma erleben, ohne dass sie dabei eine bewusste Erinnerung an das Trauma haben (z. B. Ekelreaktionen bei sexuell traumatisierten Personen). 55 Das autobiografische Gedächtnis ist bei PTBS für die Erinnerungen an das Trauma ungenügend elaboriert. Autobiografische Erinnerungen sind im Gedächtnis normalerweise in einer geordneten und abstrahierten Weise gespeichert und z. B. nach persönlich relevanten Themen und Zeitperioden geordnet, was ein extrem lebhaftes und emotionales Wiedererleben verhindert. Diese ungenügende Elabora-

37 Die posttraumatische Belastungsstörung

tion und Integration der Traumaerinnerungen steht in Zusammenhang mit einer leichten Abrufbarkeit von sensorischen Eindrücken des Traumas und damit verbundenen Emotionen. zz Anhaltend wahrgenommene Bedrohung

Diese erzeugt eine Reihe von kognitiven Ver­ änderungen und Verhaltensweisen, die wahrgenommene Bedrohung mindern sollen, je­ doch die Störung aufrechterhalten. Ein Beispiel für eine dysfunktionale kognitive Strategie, die die PTBS-Symptome verschlimmert, ist die Gedankenunterdrückung. Wenn Patienten versuchen, ihre ungewollten Gedanken an das Trauma und die Intrusionen mit aller Gewalt aus dem Kopf zu drängen, so hat das den paradoxen Effekt, dass die Häufigkeit der In­ trusionen zunimmt. Ein weiteres typisches Beispiel sind das Sicherheitsverhalten und andere übertriebene Vorsichtsmaßnahmen, die zu erwartendes Unheil verhindern oder abmildern sollen (z. B. ständiges Waffentragen). Dadurch wird allerdings die Überprüfung der Annahme verhindert, dass die Katastrophe eintritt, wenn das Sicherheitsverhalten nicht ausgeführt wird.

zz Empirische Befunde zum kognitiven Modell

In einer Serie von Studien mit verschiedenen Traumaopfergruppen bzw. mit Analogexperimenten konnten die Kernaussagen des Modells belegt werden. Die negative Interpretation der erlebten Intrusionen (z. B. „Die Bilder im Kopf machen mich verrückt“) wurde in Quer- und Längsschnittstudien (3-Jahres-Follow-up) als wesentlicher Entstehungs- und Aufrechterhaltungsfaktor der PTBS gefunden (Mayou et al. 2002; Steil und Ehlers 2000; Ehlers et al. 1998). Das intrusive Wiedererleben scheint als Warnsignal zu wirken, da es überwiegend Erinnerungsbruchstücke dessen enthält, was unmittelbar vor dem traumatischen Ereignis oder kurz vor den Erlebnissen mit der größten emotionalen Wirkung stattfand (Ehlers et al. 2002). Dies würde erklären, warum die Intrusionen von einem anhaltenden Gefährdungsgefühl begleitet sind.

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Als Merkmal des Traumagedächtnisses wurde mit textanalytischen Methoden ein hohes Ausmaß an Gedächtnis-­Unorganisiertheit (z.  B.  Fragmentierung, Sprünge, Wiederholungen) gefunden (Halligan et  al. 2002, 2003). Das Ausmaß an berichteter Dissoziation der Erinnerungen (z.  B. häufige Verwirrung, veränderter Zeitsinn) wurde ebenfalls als Beleg der veränderten Gedächtnissituation herangezogen (Murray et al. 2002). Posttraumatische kognitive Veränderungen wie eine verstärkt genutzte Gedankenunterdrückung sowie anhaltende Überzeugungen vom eigenen Beschädigtsein wurden bei verschiedenen Patientengruppen mit PTBS gefunden (Mayou et al. 2002; Ehlers et al. 2000). Shahar et al. (2013) konnten in einer prospektiven israelischen Studie zeigen, dass sich negative Kognitionen und gesteigerte Symptome der PTBS jeweils wechselseitig über die verschiedenen Messzeitpunkte verstärken und damit eine Art Teufelskreis vorliegt. In Studien, die das Modell zusammenfassend untersuchten, wurden positive Belege gefunden, z.  B., dass die zentralen Modellvariablen spezifisch nur für die PTBS und nicht gleichfalls bei Depressionen und Phobien Traumatisierter zu finden sind (Ehring et  al. 2008). Das Modell von Ehlers und Clark ist allerdings noch nicht im Vergleich zu anderen psychologischen Erklärungsmodellen überprüft worden. 2.8  Das sozial-interpersonelle

Modell

Aufgrund klinischer Erfahrungen über den wichtigen Stellenwert zwischenmenschlicher Faktoren bei der Traumaverarbeitung und begründet durch den Hauptbefund der Metaanalyse von Brewin et al. (2000), die soziale Unterstützung als wichtigsten PTBS-Prädiktor zeigte, wurde das sozial-interpersonelle Modell der PTBS von Maercker und Horn (2013) bzw. Maercker und Hecker (2016) beschrieben. Grundaussage dieses Modells ist, dass soziale bzw. interpersonelle Prozesse auf mehreren Ebenen die Entstehung und den Verlauf der

38

A. Maercker und M. Augsburger

PTBS entscheidend beeinflussen. In . Abb. 2.5 ist das Modell zusammengefasst. Insgesamt beansprucht das Modell nicht, die im engeren Sinne psychologischen oder die neurobiologischen Modelle zu ersetzen, sondern es will diese ergänzen. Jedoch postuliert es, dass die beschriebenen interpersonell-­ sozialkognitiven Prozesse eine sehr hohe Vorhersagekraft für die Entwicklung bzw. Heilung von PTBS besitzen. Seine drei Blöcke sind schematisch zweigeteilt um auszusagen, dass sich nicht nur die Betroffenen verändern, sondern diese auch ihre Umgebung verändern können (z. B. entwickelt sich in ihnen Scham, und gleichzeitig können sie im ungünstigen Fall Scham bei anderen induzieren. Das Modell beginnt im innersten Block mit den sog. sozialen Affekten, also Gefühlen, die sich in der Interaktion mit anderen Menschen manifestieren wie die in 7 Abschn.  2.2.4 be 

2



schriebenen Emotionen Scham, Schuld, Ärger und Rachegefühle. 2.8.1  Nahe Beziehungen und die

Gesellschaft

2.8.1.1  Bedeutung naher

Beziehungen

Eine subjektiv empfundene soziale Anerkennung als Traumaopfer (Maercker und Müller 2004) ist ein protektiver Faktor in der Traumaverarbeitung. Doch die Reaktionen der Umwelt können sich qualitativ und quantitativ voneinander unterscheiden: von größtmöglicher Unterstützung (z. B. hilfsbereite Anwesenheit von Freunden) bis hin zur sozialen Isolation. Wenn Traumatisierte sich anhaltend von Anderen ausgeschlossen fühlen („Seit dieser Sache fühle ich mich von allem ausgeschlossen“;

transformiert

formt Distante soziale Kontexte: Kultur & Gesellschaft • Kollektive Erfahrung des Traumas in der Gruppe • Wahrgenommene Ungerechtigkeit • Gesellschaftliche Wertschätzung

bietet an Traumatische Erlebnisse

interpersonell (man-made) oder Unfall

prägt Nahe Beziehungen • Disclosure • Soz. Unterstützung/negat. Austausch • Empathie

induziert prägt lndividuell: Soziale Affekte • Scham • Schuld • Ärger • Rachegefühle

..      Abb. 2.5  Sozial-interpersonelles Modell der PTBS. (Maercker und Horn 2013)

Outcome

• lndividuum -Symptome/ Wohlbefinden

• Nahe Beziehungen -Beziehungsqualität

• Distante soziale Kontexte -Soziale Integration

39 Die posttraumatische Belastungsstörung

„Meine Geschichte will ja sowieso keiner hören“) vergrößert das ihre Bewältigungsprobleme. Diese Prozesse finden bidirektional statt, d. h. sowohl von den Betroffenen als auch von der Umgebung ausgehend. Im Zeitverlauf nach einem Trauma ändern sich typischerweise die Reaktionen der anderen: zunächst werden Traumatisierte unterstützt, dann lässt die Unterstützung nach und weicht einer forcierten Normalisierung (z.  B. „Das Leben geht weiter. Du solltest nicht mehr daran denken, was geschehen ist“). Auf andere Menschen bezogen ergeben sich manchmal Probleme mit der Empathie (sog. Mitleidsmüdigkeit; Figley 1995, 2002). Beispielsweise: „Die Probleme der anderen sind mir inzwischen völlig egal“).

2.8.1.2  Bedeutung von Gesellschaft

und Kultur

Schon der Fakt, ob ein kollektives (z. B. Kriegseinwirkungen, Naturkatastrophen) oder ein individuelles Trauma (z.  B. sexualisierte bzw. kriminelle Gewalt) erlebt wurde, hat einen Einfluss auf den späteren Verlauf. Nach kollektiv erlebten Traumata ist die Häufigkeit einer nachfolgenden PTBS vergleichsweise geringer. Unter der Lupe: Intergenerationelle Transmission

Gesellschaften können nach Naturkatastrophen oder Kriegen in verschiedener Weise weiter existieren und sind für eine unterschiedlich lange Zeit von den traumatischen Geschehen gekennzeichnet – manchmal für ein oder mehrere Folgegenerationen.

Ein Ungerechtigkeitsempfinden kann eine Verstärkung früherer latenter Einstellungen sein (z.  B. „Die Reichen wurden nach der Katastrophe viel besser versorgt und behandelt als wir Ärmeren“  – nach dem Hurrikan in New Orleans). Auch die Werthaltungen der Gesellschaft beeinflussen die individuelle Verarbeitung. Die Reaktionen der anderen spiegeln deren kulturellen Werte und Normen wider. Die Haltung hinter dem chinesischen Sprichwort „Das

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Leben meistert man lächelnd oder überhaupt nicht“ kann Betroffenen eine Bewältigung erschweren. Werthaltungen, die den individuellen Anspruch auf Wohlergehen betonen, führen zu anderen Konsequenzen als kollektivistische Werthaltungen (z. B. ob das Leben eines Soldaten wichtig oder vernachlässigbar ist). 2.8.1.3  Folgen der Erfahrungen

Im Ergebnis bilden sich Folgen der Traumatisierung auf mehreren Ebenen heraus: Individuell kommt es zur posttraumatischen Symptomatik und/oder zur nachhaltigen Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Die Ebene naher Beziehungen kann durch interpersonelle Komplikationen wie erhöhte Raten von Trennungen von Partnerschaften bzw. Scheidungen und Konflikte am Arbeitsplatz oder in der sozialen Bezugsgruppe gekennzeichnet sein. Auf der distalen sozialen Ebene geht es um die soziale Integration bzw. Konflikthaftigkeit in einer gegebenen Gesellschaft.

2.8.2  Empirische Belege zum

sozial-interpersonellen Modell

2.8.2.1  Einfluss der dyadischen

Interaktion

Es wurde ein Fragebogen zu Disclosure-Stilen (Offenlegung traumatischer Erfahrungen) entwickelt (Müller et al. 2000), der erfasst, wie man selbst nach dem Trauma die Möglichkeiten einschätzt, anderen Menschen von den eigenen Erfahrungen zu berichten. Dieser lässt sich in einer angepassten Version auch für Angehörige von Traumatisierten einsetzen. Studien zu Betroffenen-Angehörigen-­ Dyaden liegen bisher erst wenige vor. Renshaw et  al. (2008) zeigten, dass Ehepartner traumatisierter Soldaten immer dann eine eigene höhere Belastung aufwiesen, wenn sie die Symptombelastung des Partners als höher ansahen, als derjenige sie selbst einschätzte. Das bedeutet, dass die Übereinstimmung beider Partner in der Einschätzung posttraumatischer

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A. Maercker und M. Augsburger

Symptome als Puffer für die Belastung des Angehörigen wirkt. Pielmaier und Maercker (2011) untersuchten die dyadische Interaktion genauer in Bezug auf die Selbstöffnung. Bei Opfern schwerer Unfälle fanden sie, dass signifikante Anteile an der PTBS-Schwere des Opfers durch dysfunktionale Disclosure-Stile (z.  B.  Verschwiegenheit) und die Wechselwirkung zwischen den Disclosure-Stilen beider Partner erklärbar waren. Ein hohes Ausmaß dysfunktionaler Disclosures bei beiden Partnern ließ das PTBS-Ausmaß dramatisch ansteigen. 2.8.2.2  Soziale Einbindung

und kulturelle Wertorientierungen

Konsequenzen sozialen Ausschlusses und Empathiemüdigkeit wurden in experimentellen Studien bei Patienten mit PTBS nachgewiesen (Nietlisbach und Maercker 2009; Nietlisbach et al. 2010). Zur sozialen Anerkennung als Opfer bzw. Überlebender liegt ein Fragebogen vor (Maercker und Müller 2004), um diesen spezifischen Faktor aus Sicht der Betroffenen zu erfassen. Unter anderem konnten Sommer et al. (2017) in einer Therapiestudie mit traumatisierten jungen Straftätern in Südafrika zeigen, dass ein höheres erlebtes generelles Unverständnis (einer Facette der sozialen Anerkennung) eine Verbesserung der PTBS-­Symptomatik behinderte. Soziale Anerkennung und Disclosure-Möglichkeiten wurden bei Kriegsflüchtlingen im Kaukasus als protektive Faktoren bestätigt (Maercker et al. 2009b). Komplexe Zusammenhänge von kulturellen Wertorientierungen der Traumaopfer selbst (traditionelle vs. moderne) wurden in China und Deutschland bei Kriminalitätsopfern vergleichend untersucht, wobei nur moderne Werte positiv mit der sozialen Anerkennung als Traumaopfer und mit geringerer PTBS-Symptomatik in Zusammenhang standen (Maercker et al. 2009a). 2.8.2.3  Rolle der Umwelt

Die Rolle der weiteren Umwelt wurde verschiedentlich untersucht: Die soziale Zurückweisung von traumatisierten Vietnamkriegs-

soldaten haben Fontana und Rosenheck (1994) nachgewiesen. Eine abnehmende Unterstützungsreaktion der Umwelt haben Pennebaker und Harber (1993) bei kalifornischen Erdbebenopfern gezeigt. Für die Rolle der Werteinstellungen vonseiten der nichttraumatisierten Bezugspersonen bzw. der umgebenden Gesellschaft fehlen bisher noch aussagekräftige Studien. >> Von besonderer praktischer Bedeutsamkeit bei den Betroffenen sind die Disclosure-Möglichkeit und die erlebte soziale Anerkennung. Ein Fehlen von Wertschätzung kann zur fortgesetzten Traumafolgen beitragen, wie Studien und klinische Erfahrungen bei verschiedenen Traumatisiertengruppen gezeigt haben.

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47

Komplexe PTBS A. Maercker 3.1

Definitionen, Erscheinungsbild und Symptome – 48

3.1.1 3.1.2 3.1.3

T raumakriterium – 48 Erscheinungsbild – 48 Diagnostische Kriterien der komplexen PTBS – 49

3.2

Historische Entwicklung der Diagnose – 51

3.3

Evidenzen der KPTBS-Diagnose – 52

3.4

Epidemiologie – 53

3.4.1 3.4.2 3.4.3

T raumaarten und KPTBS – 54 Bevölkerungsprävalenz – 54 Prävalenzen in klinischen Populationen – 54

3.5

Differenzialdiagnostik – 54

3.5.1 3.5.2

 orderline-Persönlichkeitsstörung – 54 B Dissoziative Störungen – 55

3.6

Klinische Diagnostik – 55

3.6.1 3.6.2

I nternational Trauma Interview (ITI) – 56 Internationaler Trauma Fragebogen (ITQ) – 56

3.7

Erklärungsmodelle – 56

3.7.1 3.7.2

 isiko- und Schutzfaktoren – 56 R Prämissen eines KPTBS-Störungsmodells – 58

Literatur – 59

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_3

3

48

A. Maercker

3.1  Definitionen,

Erscheinungsbild und Symptome

3

Einige Personen, die traumatische Erfahrungen erleben, entwickeln ein klinisches Bild, das über die PTBS (7 Kap. 2) hinausgeht.  



3.1.2  Erscheinungsbild

3.1.1  Traumakriterium

Typischerweise wird die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (KPTBS) durch länger anhaltende traumatische Erlebnisse, die aus mehreren oder sich wiederholenden traumatischen Ereignissen (7 Kap.  2, . Tab.  2.1) besteht, hervorgerufen. Das ICD-11 führt zusätzlich aus, dass dies in der Regel Ereignisse sind, aus denen ein Entkommen schwierig oder gar unmöglich ist (z. B. Folter, Sklaverei, Genozid-Kampagnen, fortgesetzte häusliche Gewalt, wiederholter sexueller oder physischer Missbrauch in der Kindheit). Die Definition im ICD-11 trifft absichtsvoll nur prototypische Aussagen, sodass 55 auch einmalige traumatische Erlebnisse eine KPTBS hervorrufen können; 55 definitorische Probleme, was als „länger anhaltend“ zu verstehen ist, vermieden werden (z. B. im Fall einer einstündigen Geiselnahme, mehrtägiger Kriegshandlungen), da eine exakte Definition, was von seiner psychologischen Wirkung her als lang oder als kurz einzuschätzen ist, aufgrund der Subjektivität des Zeiterlebens und der verschiedenen Lebenskontexte nicht möglich ist; 55 auch nach länger anhaltenden bzw. wiederholten traumatischen Erlebnissen im pathologischen Fall sich die „klassische“ PTBS und nicht die KPTBS entwickeln kann; 55 die erlebten Traumata prinzipiell in allen Lebensphasen erfolgen können, auch wenn mehrheitlich die in der Kindheit  

oder Jugend erlebten traumatischen Erlebnisse Auslöser für eine KPTBS sind; 55 insbesondere interpersonelle Traumata (auch: man-made oder willentlich versursacht) auslösend für eine KPTBS sein können, im Gegensatz zu akzidentellen Traumata (. Tab. 2.1).



Einige charakteristische Symptome der KPTBS gegenüber der PTBS werden in den folgenden Aussagen von zwei Patienten beschrieben, die entweder in der Kindheit oder im jungen Erwachsenenalter eine Traumatisierung erlebten. Beispiel 1: Erfahrung sexualisierter Gewalt in der Kindheit Bericht einer 23-jährigen Patientin, die im Alter von 9–14  Jahren wiederholter sexualisierter Gewalt ausgesetzt war: „Lange habe ich nicht darüber reden können, was ich damals erlebt habe. Ich hab’s irgendwie nicht zusammenbekommen … Bis heute bin ich mehr auf meine Mutter sauer als auf den M. [ihren Stiefvater]; die [Mutter] hätte mich doch da raus holen müssen. Ich kann bis heute nichts empfinden beim Miteinander-Schlafen. Die ganze Sache ist für mich völlig verkorkst.“ „Ich weiß, andere könnten mich als ‚Nutte‘ bezeichnen, weil ich jetzt so oft in so was rein­ stolpere. Ich weiß auch nicht … An den Tagen danach  – jetzt bin ich völlig neben der Spur, man hat mich schon irgendwo in der Stadt aufgefunden und nach Hause gebracht, und ich weiß von nichts. Völliger Filmriss ohne Alkohol oder Drogen …“ „Ich komme mir so schmutzig vor  – direkt, und deswegen muss ich mich so oft duschen. Aber irgendwie bin ich auch als Mensch völlig schmutzig und verdorben. Ich ziehe die anderen mit in den Dreck. Ja, ich habe damals auch den M., der eigentlich ein guter Mensch war, kaputt gemacht, der hat ja viel geheult wegen mir …“

49 Komplexe PTBS

„Meine Gefühle sind ein Scheißdreck. Ich kann nichts damit anfangen. Ich liege immer falsch damit. Die [Menschen, die] mir gut sind, auf die werd’ ich unglaublich aggressiv und verletzend, da geht’s mir erst gut, wenn’s denen schlecht geht. Und andersrum …“ „Das weiß ja keiner, wie das ist, wenn man sich selber nicht spürt. Ich schau mir meinen Arm an – es ist nicht meiner. Ich habe keinen Körper, jedenfalls fühle ich keinen …“ „Man hat mir gesagt, dass ich begabt bin und aus mir was werden könnte – und ich versuche es auch, aber ich glaube, ich hab’ doch nicht die innere Kraft, dass ich das schaffe. Irgendwie habe ich nichts, worauf ich aufbauen kann …“ (Ergänzungen A. Maercker)

Beispiel 2: politische Haft Ein 45-jähriger Patient, der mit 21 Jahren aus politischen Gründen in der ehemaligen DDR inhaftiert wurde und zweieinhalb Jahre im Gefängnis war, berichtet:. „Ich bin nicht mehr so, ich bin anders geworden. Ich versuche, vieles nicht mehr an mich he­ rankommen zu lassen. Vieles interessiert mich einfach nicht mehr. Aber wenn was rankommt, überreagiere ich, aggressiv zum Teil und intoleranter dadurch. Wenn mich was erwischt, dann muss ich darum kämpfen, hab’ meinen Stolz und meine Ehre. Und das bereitet mir schon Pro­ bleme …“ „Ich habe Probleme mit allem, was so irgendwie an Zwangsmechanismen erinnert. Entweder erstarrt man davor und wagt nicht, sich zu rühren, oder man begehrt dagegen auf und nimmt das absolut nicht ernst. Die Zwischenform, das, was angemessen wäre, das fehlt bei mir. Und das wirkt sich natürlich am Arbeitsplatz aus. Ich bin mehr arbeitslos, als dass ich einen Job habe, weil ich die Hierarchien nicht verinnerlichen kann. Da schaffe ich es irgendwie nicht, die angemessene Reaktion zu finden …“ „Und wenn ich dann wieder sehe, dass die [ehemaligen Täter] es gut haben, das verursacht bei mir so ein massives Bauchgrimmen, dann bin ich zwei, drei Tage nicht ansprechbar, weil ich den Eindruck habe, die haben plötzlich wieder den Sieg …“

3

„Ich bin dann dort hingegangen und habe die Räume vollgesprayt … Das braucht man für die eigene psychische Gesundheit. Man muss doch die Leute auch mal ein bisschen foltern …“ „Solange wie ich lebe, werde ich alles hassen, was mit denen zu tun hat. Ich bin ein Kämpfer und das hat mir wenig Freunde geschaffen …“ „Meiner Frau gegenüber bin ich im Nichtverstehen manchmal sehr böse gekommen, sehr, sehr böse …“ „Man hatte die Opfermentalität, man hat einfach von der Umwelt erwartet, dass man verstanden wird. Aber das war ja nicht vorhanden, da gab es so eine Mauer des Schweigens, eine Mitschuld des Schweigens. Da hat man sich weiter eingeigelt …“ (Ergänzungen A. Maercker)

3.1.3  Diagnostische Kriterien der

komplexen PTBS

Im Folgenden basiert die Darstellung hauptsächlich auf der Grundlage des ICD-11. Da das besonders forschungsrelevante DSM-5 als Pendant zur KPTBS den „Dissoziativen Subtyp der PTBS“ aufführt, wird dieser hier ebenfalls beschrieben. PTBS-Kernsymptome und Störungen der Selbstorganisation Die Störung ist gekennzeichnet durch 55 die PTBS-Kernsymptome Wiedererleben, Vermeidung und Bedrohungsgefühl und 55 weitere Symptome, zusammengefasst als Störungen der Selbstorganisation: ȤȤ Emotionsregulationsprobleme unter Einschluss von Dissoziationsneigung in belasteten Zuständen ȤȤ selbstherabsetzende Überzeugung ȤȤ Schwierigkeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten

50

A. Maercker

ICD-11 Diagnostische Richtlinien zu den Symptomen der KPTBS

3

55 Vorhandensein der Kernsymptome der PTBS (Wiedererleben des Traumas in der Gegenwart, Vermeidung von Erinnerungen an das Trauma, anhaltendes Gefühl der Bedrohung) 55 Nach Beginn des Belastungserlebens und begleitend zur PTBS-Symp­ tomatik Entwicklung anhaltender und tiefgreifender Beeinträchtigungen in der Affektregulation, persistierender Überzeugungen vom eigenen Selbst als minderwertig, unterlegen oder wertlos sowie persistierender Schwierigkeiten, Beziehungen aufrecht zu erhalten, die folgend genauer beschrieben werden: 55 Die Probleme der affektiven Dysregulation sind durch erhöhte emotionale Reaktivität gekennzeichnet, durch Schwierigkeiten, sich von kleineren Belastungen zu erholen, durch heftige Gefühlsäußerungen, selbstgefährdendes oder selbstverletzendes Verhalten sowie durch eine Neigung zu dissoziativen Zuständen in Belastungssituationen. Zusätzlich kann emotionales Betäubtsein auftreten, insbesondere das Fehlen der Fähigkeit, Freude oder positive Gefühle zu erleben. Dies schließt eine erhöhte Dissoziationsneigung ein (s. unten). 55 Die ausgeprägten Überzeugungen von sich selbst als minderwertig, unterlegen und wertlos stehen für ein anhaltend beeinträchtigtes Identitätsgefühl. Dazu kommen ausgeprägte Überzeugungen im Leben etwas falsch gemacht zu haben und ein beschädigtes und wertloses Leben zu führen sowie permanente Schuld- und Schamgefühle.

55 Die Beziehungsschwierigkeiten zeigen sich als Unfähigkeit zur gleichberechtigten partnerschaftlichen Interaktion. Es kommt zu einer Anfälligkeit für überspannte Ansichten und Erwartungen an eine Beziehung sowie der Unfähigkeit, in intime Beziehungen zu vertrauen. 55 Das allgemeine Kriterium für funktionelle Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, Bildungs-, Arbeits- und anderen wichtigen Bereichen ist gegeben.

Zudem ist festzuhalten, dass die 3  PTBS-­ Kernsymptome innerhalb der Gesamtsymptomatik nicht im Vordergrund stehen müssen und ggf. sogar sehr schwierig diagnostisch feststellbar sind, weil sich Probleme aus dem Bereich der gestörten Selbstorganisation vordergründiger präsentieren können. Deshalb wurde in einer epidemiologischen Studie die KPTBS so definiert, dass alle Symptome der gestörten Selbstorganisation vorhanden sein müssen und die drei PTBS-Kernsymptome nur im subsyndromalen Ausmaß (Maercker et al. 2018). In einer Befragungsstudie von Klinikpatienten mit komplexer PTBS zur eigenen Wahrnehmung der Symptome zeigte sich, dass die Patienten die Symptome zunächst als ich-­ synton wahrnahmen, d.  h. überzeugt waren, dass beispielsweise ihre heftigen Gefühlsreaktionen oder dissoziativen Zustände eine unbeeinflussbare Charaktereigenschaft seien und somit zu ihrer Persönlichkeit gehörend (Stadtmann et al. 2018). Wenn sie – angeleitet durch Therapeuten – den Zusammenhang der früheren Traumatisierung zu den danach entstandenen Symptomen erkennen konnten, deren Bestehen sie über Jahre oder Jahrzehnte hingenommen hatten, war es ihnen oftmals möglich, diese als Krankheitssymptome wahrzunehmen. Dadurch fühlten sie sich weniger durch unbeeinflussbare „Kräfte“ oder Automatismen beherrscht.

51 Komplexe PTBS

zz Dissoziativer Subtyp der PTBS (DSM-5)

Beim „Dissoziativen Subtyp“ muss eine PTBS nach DSM-5-Definition (7 Kap. 2) einschließlich der nur dort definierten Symptomgruppe kognitiver Veränderungen und Veränderungen der Stimmung vorhanden sein sowie da­ rüber hinaus, als Reaktion auf das Trauma bzw. die Triggerreize, die an das traumatische Ereignis erinnern, folgende Symptomatik: 55 Depersonalisation: Gefühle der Unwirklichkeit bzw. des Losgelöstseins des eigenen Körpers (z. B. das Gefühl, den Körper von außen zu beobachten) und/oder 55 Derealisation: Wahrnehmung der eigenen Umgebung als unwirklich (z. B. weit entfernt oder verzerrt).

3

die Phänomene der Derealisation und Depersonalisation hinaus.



Einen schematischen Vergleich der ICD-­11und der DSM-5-Definitionen zeigt . Tab. 3.1. In der klinischen Arbeit ist davon auszugehen, dass die beiden Definitionen zur Identifikation ähnlicher Patientengruppen führen. In der Forschung ist dies bisher allerdings noch nicht systematisch untersucht worden. Eine Einzelstudie von Powers et  al. (2017) konnte für afroamerikanische Patientinnen mit KPTBS zeigen, dass diese hohe Werte für dissoziative Symptome aufwiesen und zwar über  

3.2  Historische Entwicklung der

Diagnose

Schon seit geraumer Zeit gab es Formulierungsvorschläge für komplexe Traumafolgestörungen (vgl. Sack et al. 2013). Dazu gehören die 55 andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10), Vorläuferdiagnose der KPTBS (ICD-11); 55 komplexe PTBS nach Herman (1994): ohne die PTBS-Kernsymptome, dafür mit 6 Symptombereichen; 55 Entwicklungstraumastörung nach van der Kolk et al. (2005): ohne die PTBS-­ Kernsymptome, mit 2 Symptombereichen und Beeinträchtigung in funktionellen Bereichen; 55 Disorders of Extreme Stress not Otherwise Specified (DESNOS): Forschungsdiagnose im DSM-IV. Herman (1994) beschrieb sehr früh, dass die Diagnose der PTBS, wie sie bis dato definiert war, die Situation und die Symptome vieler

..      Tab. 3.1  KPTBS (ICD-11) und der dissoziative Subtyp der PTBS (DSM-5) im Vergleich KPTBS

Dissoziativer PTBS-Subtyp

ICD-11

DSM-5

Traumakriterium

Geringfügige Zusatzerläuterungen zum PTBS-­ Traumakriterium

Identisch für PTBS und den Subtyp

Erforderliche Symptombereiche

- Wiedererleben - Vermeidung - Anhaltendes Gefährdungsgefühl - Emotionsregulationsprobleme - Selbstherabsetzende Überzeugungen - Anhaltende Beziehungsprobleme

- Intrusionen/Wiedererleben - Vermeidung - Kognitive und Stimmungs-­ Veränderungen - Anhaltende Übererregung - Dissoziative Depersonalisation und/oder Derealisation

Stellenwert dissoziativer Symptome

Implizit: zählen zu den Emotionsregulationsproblemen. Beinhalten außer Depersonalisation und Derealisation auch dissoziative neurologische Symptome, z. B. Bewegungsstörungen, Stupor, Krampfanfälle

Explizit, aber beschränkt auf nichtneurologische dissoziative Zustände

52

3

A. Maercker

Überlebender von lang andauernden und sich wiederholenden Traumata nicht akkurat abbilde. Die diagnostischen Kriterien der PTBS seien v. a. auf Überlebende von eng umschriebenen traumatischen Ereignissen wie Kriegseinsätzen, Katastrophen oder Vergewaltigungen zugeschnitten. Herman schlug weitere diagnostische Kriterien vor wie Veränderung in der Affektregulation, der Bewusstseinsfunktionen (z.  B. dissoziative Symptome), der Beziehungen mit anderen, der Selbstwahrnehmung und des Wertesystems. Dieses Konzept wurde im deutschen Sprachraum durch Sack et  al. (2013) bekannt und ist in die klinische Praxis vieler Behandlungseinrichtungen implementiert worden. Dieses erweiterte KPTBS-Konzept und seine etwas veränderte Variante von van der Kolk (2005) zur Entwicklungstraumastörung (engl.: „developmental trauma disorder“) wurde im Rahmen des DSM-IV als Diagnose von Störungen infolge von extremem Stress nicht anderweitig spezifiziert (engl. Abkürzung: DESNOS) definiert und getestet. Aufgrund einer als mangelhaft eingeschätzten Bewertung von Experten wurde DESNOS allerdings dann nicht in das DSM-5 übernommen. Die Diagnose „Anhaltende Persönlichkeitsveränderung“ nach Extrembelastung aus dem ICD-10 (Code: F62.0) wurde zwar verschiedentlich im Bereich der Begutachtung eingesetzt, aber in der internationalen Forschungsliteratur kaum genutzt. Die internationale ICD-11-Arbeitsgruppe entschied sich aufgrund von Vorarbeiten von Cloitre (z. B. Cloitre et al. 2011) und des international geäußerten Bedürfnisses von Klinkern aus allen Weltteilen zur wissenschaftlich basierten Einführung der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (Maercker et al. 2013). >> Wichtig erscheint, dass die bisherige PTBS (7 Kap. 2) im Sprachgebrauch des klinischen Alltags im Kontrast zur komplexen PTBS nicht als „einfache PTBS“, sondern als „klassische PTBS“ bezeichnet werden sollte.  

3.3  Evidenzen der

KPTBS-Diagnose

Obwohl die Vorläuferdiagnosen der ICD-11-­ KPTBS schon häufig klinisch benutzt wurden, blieben ihre psychometrischen Qualitätsmerkmale (z. B. interne Konsistenz, Reliabilität) schwach. In einer Studie, in der das Konzept von Herman (1994) in einer Gruppe ehemaliger politischer Inhaftierter überprüft wurde, ergab sich z.  B. eine nur geringe interne Konsistenz von α  = 0,55, zumal erst Werte über 0,80 zufriedenstellend sind (Maercker 1998). Für die KPTBS-Definition des ICD-11 ergab sich  – zusätzlich zu verbesserten Konsistenzwerten –, dass sich Patienten mit „klassischer PTBS“ sowie Patienten mit KPTBS auch differenzialdiagnostisch von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung gut voneinander unterscheiden lassen. Dies ergab eine Latente-Klassen-Analyse von 280 weiblichen Patienten, die alle anamnestisch einen sexuellen Kindesmissbrauch aufwiesen (Cloitre et  al. 2014; . Abb. 3.1). Die Studie weist ebenfalls auf differenzialdiagnostische Unterschiede zwischen KPTBS und Borderline-Persönlichkeitsstörung hin (7 Abschn.  3.5.1): diese lassen sich aus allen Symptomprofilen ableiten, in denen die Symptomatik von KPTBS und Borderline-­ Persönlichkeitsstörung nicht überlappt. In . Abb.  3.1 besteht die einzige Symptomüberlappung für das Einzelsymptom des Gefühls der Leere. Es liegen allerdings auch vereinzelt Studien vor, die PTBS und KPTBS nicht trennscharf voneinander unterscheiden konnten (z.  B.  Wolf et  al. 2015 bei amerikanischen Kriegsveteranen). Hier muss ggf. eine weitere Spezifizierung der beiden Diagnosedefinitionen ansetzen. Mit der statistischen Methode der Netzwerkanalyse von Symptomen haben Knefel et  al. (2018) untersucht, welche Einzelsymptome besonders zentral für die KPTBS sind. Dabei wurden Daten von 1590 Personen mit  





3

53 Komplexe PTBS

Low Symptoms

PTSD

CPTSD

BPD

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% BPD Par. Diss.

BPD Temper

BPD Empty

BPD Instability

BPD Self-harm

BPD Impulsivity

BPD Identity

BPD Relationships

BPD Frantic

lnterp Detached

lnterp Alone

Self Guilty

Self Worthless

Aff Dys Sensitive

Aff Dys Anger

PTSD Startle reaction

PTSD Hyperarousal

PTSD Avd Behavior

PTSD Avd Thoughts

PTSD Dreams

PTSD Flashback

0%

..      Abb. 3.1  Unterschiedliche Symptomprofile der PTBS, KPTBS und Borderline-Persönlichkeitsstörung. (Aus Cloitre et al. 2014; © 2014 Marylène Cloitre et al.)

sehr verschiedenen traumatischen Erlebnissen aus 4  Ländern analysiert. Alle untersuchten 12  KPTBS-Einzelsymptome waren miteinander in einem korrelativen Netzwerk verbunden, d.  h. treten miteinander in Form eines Symptommusters regelhaft auf. Darüber hinaus lassen sich die Symptome bestimmen, die sich durchweg bei allen Patienten zeigten, selbst bei unvollständiger KPTBS-­ Symptomatik. Diese „zentralen Symptome“ sind: 55 Gefühl der Wertlosigkeit (Symptom der selbstherabsetzenden Überzeugungen), 55 erhöhte Schreckhaftigkeit (Symptom des anhaltenden Gefährdungsgefühls). Diese empirisch gefundene Zentralität kann als vielversprechender Ansatzpunkt für die Formulierung von Erklärungsmodellen (7 Abschn. 3.7) genutzt werden, wobei das Wertlosigkeitsgefühl für die nachhaltige Beeinträchtigung der psychologischen Organisation des Selbstkonzepts und die erhöhte Schreckhaftigkeit auf zugrunde  

liegende neurobiologische Prozesse (7 Kap.  6) hinweisen.  

3.4  Epidemiologie

Die Epidemiologie hat in Bezug auf die KPTBS insbesondere folgende Fragen zu beantworten: 55 Nach welchen Traumaarten zeigt sich am häufigsten eine KPTBS? 55 Wie häufig ist die KPTBS in der Bevölkerung? 55 Wie häufig ist die KPTBS in klinischen Populationen – auch im Vergleich zur klassischen PTBS? Bisher gibt es nur eine geringe Datenlage zur KPTBS, sodass die nachfolgenden Aussagen mit Vorsicht zu interpretieren sind. Sie stammen aus den Studien von Ben-Ezra et al. (2018), Maercker et al. (2018) und Perkonigg et al. (2016).

54

3

A. Maercker

3.4.1  Traumaarten und KPTBS

3.5  Differenzialdiagnostik

Aus den vorliegenden Studien ergibt sich, dass die für KPTBS pathogensten Traumaarten die folgenden sind: 55 sexualisierte Gewalterfahrungen, einschließlich sexueller Kindsmissbrauch, 55 körperliche Gewalterlebnisse im Erwachsenenalter, 55 nicht näher bezeichnete andere Extremstresserfahrungen.

Die Folgen schwerer und wiederholter Traumaerfahrungen sind vielfältig und können sich in einem breiten Spektrum an Störungsbildern zeigen, zu denen insbesondere affektive, Angst-, Ess- und Substanzabhängigkeitsstörungen gehören. Besonders relevant für die Differenzialdiagnostik der KPTBS sind 55 die Borderline-Persönlichkeitsstörung (Borderline-PS), 55 dissoziative Störungen, insbesondere die partielle dissoziative Identitätsstörung.

3.4.2  Bevölkerungsprävalenz

Wie bei den entsprechenden Angaben zur PTBS muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Rate dieser Störungen nach der Traumahäufigkeit in der jeweiligen Gesellschaft verändert, d. h., in Ländern mit hoher Gewaltbereitschaft, kriegerischen Handlungen etc. sind die Prävalenzen höher. Zudem sind sog. Punktprävalenzen (bezieht sich auf einen bestimmten Zeitpunkt) geringer als Lebenszeitprävalenzen (bezieht sich auf die gesamte Lebenszeit). 55 Deutschland: 0,5–0,7 % (Punktprävalenz) und 1,8 % (Lebenszeitprävalenz), 55 Israel: 2,6 % (Lebenszeitprävalenz), 55 USA: 1,0–3,3 % (Lebenszeitprävalenz). 3.4.3  Prävalenzen in klinischen

Populationen

In spezialisierten Traumakliniken und -ambulanzen wurden weltweit KPTBS-Prävalenzen von jeweils über 32  % gefunden, ansteigend bis auf bis zu 64 % in einer Klinik in Großbritannien. Dagegen waren in diesen Einrichtungen Patienten mit „klassischer“ PTBS in einer Häufigkeit von 15–43  % vertreten (Überblick bei Brewin et al. 2017). Bei Kriegsflüchtlingen in humanitären Hilfseinrichtungen der Länder, in die sie flüchteten (Libanon, Schweiz, West-Papua), lag das Verhältnis von KPTBS zu PTBS in der Regel bei zwei Drittel KPTBS zu einem Drittel „klassische“ PTBS (z. B. Hyland et al. 2018).

3.5.1  Borderline-

Persönlichkeitsstörung

Bei der Borderline-PS (nach: ICD-11: Persönlichkeitsstörung mit Borderline-Muster) lassen sich in der überwiegenden Mehrheit der Patienten in der Anamnese traumatische Erfahrungen nachweisen (ca. bei 80 %; Sack et al. 2012). Diese Erfahrungen waren häufig sexueller Missbrauch oder anhaltende körperliche Gewalt, dazu kommen aversive Kindheitserlebnisse wie psychische oder körperliche Vernachlässigung. Die Leitsymptome der Borderline-PS sind u.  a. Instabilität der ­persönlichen Beziehungen, Furcht vor dem Verlassenwerden, impulsives sowie selbstschädigendes bzw. -verletzendes Verhalten. Die folgende Übersicht zeigt, dass einige der Symptome sich zwischen beiden Diagnosen unterscheiden: Borderline-PS

Komplexe PTBS

Häufige impulsive Ausbrüche

Triggerbezogene heftige Gefühlsäusserungen

Wechselnde Selbsteinschätzung

Andauerndes negatives Selbstbild

Furcht vor Verlassenwerden

Furcht vor Verlassenwerden ist kein Merkmal

Häufige Suizidalität

Seltene Suizidalität

55 Komplexe PTBS

Als diagnostische Richtlinie hat sich pragmatisch bewährt, dass in Fällen, in denen diese Unterscheidung schwer oder gar nicht zu treffen ist, insbesondere das therapeutische Vorgehen die Reihenfolge der Diagnosevergabe bestimmt. Steht die Psychotherapie der Borderline-­Symptomatik im Vordergrund, wird sich dies in einer entsprechenden Diagnosestellung ausdrücken; wird ein phasenorientiert traumafokussiertes Vorgehen eingeleitet (7 Kap.  16 und  17), steht wiederum die KPTBS-Diagnose im Vordergrund.  

3.5.2  Dissoziative Störungen

Die dissoziative Symptomatik kann, wie beschrieben, zur KPTBS-Symptomatik dazugehören, z. B. in Form von Derealisation, Depersonalisation, dissoziativem Stupor oder Trance. Zusätzlich können alternativ auch komplett eigene Störungsbilder differenzialdiagnostisch erwogen werden (ICD-11-­ Formulierungen, die dissoziative Identitätsstörung und die partielle dissoziative Identitätsstörung. Die sehr seltene dissoziative Identitätsstörung ist dabei, zumindest im Verlauf, eindeutiger von der KPTBS abgrenzbar. Bei ihr stehen die für die Patienten selbst nicht reflexionsfähigen Wechsel der Selbstrepräsentationen im Vordergrund (s. Gast und Wirtz 2016). zz Partielle dissoziative Identitätsstörung (PDI: neu im ICD-11)

Sie ist gekennzeichnet durch „eine Identitätsstörung, in der zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeitszustände (dissoziative Identitäten) mit ausgeprägten Diskontinuitäten im Sinne von Selbst- und Handlungsfähigkeit einhergehen. Jeder Persönlichkeitszustand umfasst sein eigenes Muster des Erlebens, Wahrnehmens, Empfindens und des Sich-in-Beziehung-Nehmens mit sich selbst, dem Körper und der Umwelt. Ein Persönlichkeitszustand ist dominant und funktioniert normalerweise im täglichen Leben, wird jedoch von einem oder mehreren nichtdomi-

3

nanten Persönlichkeitszuständen (dissoziative Intrusionen) beeinflusst. Diese Intrusionen können kognitiv, affektiv, perzeptuell, motorisch oder behavioral sein. Die nichtdominanten Persönlichkeitszustände übernehmen selten die exekutive Kontrolle über das Bewusstsein und das Funktionieren des Individuums, aber es kann gelegentliche, begrenzte und vorübergehende Episoden geben, in denen ein ausgeprägter Persönlichkeitszustand exekutive Kontrolle annimmt. Diese Persönlichkeitszustände äußern sich in (übertragenen) Verhaltensweisen und emotionalen Zuständen, die während des Traumas erlebt wurden, bspw. bei Nachstellungen der traumatischen Erinnerung, sowie in Episoden von Selbstverletzungen (eigene provisorische Übersetzung der ICD-11 Definition; WHO 2018). Die Diagnosevergabe wird sich hier wieder nach den jeweiligen Leitsymptomen richten, wobei bei der traumabedingten PDI insbesondere der Wechsel von erwachsenen und kindlichen Selbstpräsentationen im Vordergrund steht. Die kindlichen Zustände sind dabei anamnestisch mit der Traumatisierung in Verbindung zu bringen (z. B. eine Phase während der Traumatisierung nachstellen). Zusätzlich kann die Diagnosevergabe auch mit der Reihenfolge des therapeutischen ­Vorgehens begründet werden, z. B., wenn zuerst Antidissoziationstechniken (Boon et al. 2013; Priebe et al. 2014) eingesetzt werden. 3.6  Klinische Diagnostik

In 7 Kap.  8 werden die verfügbaren Untersuchungsinstrumente zur KPTBS beschrieben, wobei diese sich auf frühere, breiter angelegte Definitionen wie das DESNOS-Konzept beziehen. In Ergänzung dazu werden hier das neue ICD-11-spezifische Klinische Interview (ITI) und der Fragebogen (ITQ) zu PTBS und KPTBS dargestellt, die sich im Jahr 2018 noch in der Fertigstellung ihrer psychometrischen Entwicklung befinden.  

56

A. Maercker

3.6.1  International Trauma

3.6.2  Internationaler Trauma

Das diagnostische Interview ist nach dem CAPS (Clinician-Administered PTSD Scale; 7 Abschn. 8.2.2.1) gestaltet worden. Das Interview erfasst zunächst Angaben zum traumatischen Geschehen, gefolgt von der Erfassung der PTBS-Merkmale, den Wiedererleben-­in-der-Gegenwart-Symptomen (Albträume, Flashbacks: mit mehreren Teilfragen, schwer belastende Intrusionen), den Vermeidungssymptomen (Gedanken-/Gefühlssowie behaviorale Vermeidung), den beiden Symptomen der anhaltenden Bedrohung (Wachsamkeit, Schreckhaftigkeit) und den Fragen zur symptombedingten Einschränkung des psychosozialen Funktionierens. Die Symptombereiche der gestörten Selbstorganisation werden im Anschluss erfasst: 55 Emotionsregulation in den beiden Varianten von 55 Überaktivierung (z. B. heftige Gefühlsäußerungen, Schwierigkeiten, sich von kleineren Belastungen zu erholen), 55 Deaktivierung (z. B. emotionales Betäubtsein, Derealisation, Depersonalisation), 55 negatives Selbstkonzept (z. B. Gefühle von Wertlosigkeit, Scham), 55 Beziehungsschwierigkeiten (z. B. Vermeiden von Beziehungen, Näheprobleme), 55 abschließende Fragen zur symptombedingten Einschränkung des psychosozialen Funktionierens.

Bis 2018 wurde dieser Fragebogen in längeren Vorversionen zu Forschungszwecken eingesetzt. Die offizielle Version enthält neben dem Erfragen des traumatischen Geschehens (Art, Zeitraum) 18 Fragen: je die Hälfte zur PTBS-­ Kernsymptomatik und zur KPTBS. . Tab.  3.2 nennt seine Items. Der ITI zeigte sehr gute psychometrische Eigenschaften: interne Konsistenz α = 0,79; internale Validität: klare 3-Faktorenlösung. Er ist in mehrere Sprachen übersetzt worden (Karatzias et al. 2017).

Interview (ITI) (Roberts et al. 2016)

3



Das ITI endet mit 9 Fragen zu den Leitsymptomen der Borderline-­Persönlichkeitsstörung, die für die Differenzialdiagnostik bedeutsam sind. Für die psychometrischen Kennwerte des Interviews liegen noch keine publizierten Angaben vor.

Fragebogen (ITQ) (Cloitre et al. 2018)



3.7  Erklärungsmodelle 3.7.1  Risiko- und Schutzfaktoren

Der Wissensbestand zu den Risiko- und Schutzfaktoren der KPTBS erweitert sich stetig, obwohl die Diagnose erst vor kurzer Zeit definiert wurde. Die nachfolgende Darstellung ordnet die Befunde in biopsychosoziale Faktorengruppen. 3.7.1.1

Biologische Faktoren

Ein Teil des umfangreichen Störungswissens für die „klassische PTBS“ lässt sich auch auf die KPTBS übertragen, insbesondere wenn es sich um langanhaltende oder Mehrfachtraumatisierungen handelt. Es betrifft Hirnveränderungen, die Hypothalamus-Hypophysen-­ Nebenn­ ierenrinden-­Achse, die Dissoziation sowie die gestörte Emotionsregulation (7 Kap. 6). Darüber hinaus lenken Irle et al. (2013) den Blick insbesondere auf die mit Bindungs- und Beziehungstraumatisierung verbundenen Faktoren: 55 im Nucleus accumbens wirkendes Dopamin, das die Etablierung sozialer Bindungen fördert,  

3

57 Komplexe PTBS

..      Tab. 3.2  Systematik der 18 Items des International Trauma Questionnaires PTBS-Kriterien

Wiedererleben 1. Aufwühlende Albträume

2. Flash-­ backs

Vermeidung

Anhaltende Bedrohung

3. Gedanken, Gefühle

5. Erhöhte Wachsamkeit

4. Situationen, Handlungen

6. Schreckhaft

Kriterien des psychosozialen Funktionierens (PTBSTeil)

7. in Beziehungen

8. in der Fähigkeit zu arbeiten

9. in anderen wichtigen Gebieten wie Ausbildung, Elternschaft etc.

KPTBS-Kriterien

Emotionsregulation

Negatives Selbstbild

Beziehungsaufrechterhaltung

10. Selbst-­ beruhigungs­ schwierigkeit

12. Versagensgefühl

Kriterien des psychosozialen Funktionierens (KPTBS-Teil)

11. Gefühlstaubheit

16. in Beziehungen

55 frühkindliche Deprivationsfolgen, die sich ebenfalls im Nucleus accumbens durch striatale Hypoaktivität manifestieren, 55 ebensolche Deprivationsfolgen, die zu einer Dysregulation der Kortisolregulation führen. Weitere Faktoren wurden von Marinova und Maercker (2015) zusammengefasst: 55 Für genetische Faktoren gibt es Hinweise, aber noch keinen ausreichenden Nachweis. 55 Für epigenetische Mechanismen, insbesondere die Methylierung der DNS, verdichten sich Evidenzen, bei denen es in der Konsequenz zu Veränderungen der Immunfunktion kommen kann. Zudem scheinen Gene epigenetisch verändert zu sein, die für antioxydative Prozesse, Neurogenese, Gedächtnisbildung u. a. zuständig sind (Marinova et al. 2017).

13. Wertlosig-­ 14. Distanzkeitsgefühl gefühle

17. in der Fähigkeit zu Arbeiten

15. Näheprobleme

18. in anderen wichtigen Gebieten wie Ausbildung, Elternschaft etc.

55 Die Telomere als Schutzproteine der Chromosomen werden als Folge von Kindheitstraumatisierungen kürzer und können sich unter anhaltenden aversiven Bedingungen nicht regenerieren. Dies wurde für Risikopopulationen, z. B. mit sexuellem Kindesmissbrauch, gezeigt, bisher aber noch nicht an Patientengruppen mit KPTBS.

Psychologische Faktoren

3.7.1.2

Zu einem gut begründbaren Rahmenmodell von Risikofaktoren, wie es für die PTBS existiert (7 Abb.  2.2 und 7 Abschn.  2.5), reichen die bisherigen empirischen Befunde noch nicht aus. Plausibel durch klinische Erfahrung und verschiedene Einzeluntersuchungen gestützt (Gilbar et al. 2018: männliche israelische Soldaten; Hecker et  al. 2018: Flüchtlinge; Krammer et  al. 2016: ältere Schweizer nach Kindheitstraumatisierung; Powers et  al. 2017:  



58

3

A. Maercker

weibliche Afroamerikanerinnen eines Krisenzentrums), lassen sich folgende Faktoren zusammenstellen: 55 häufige frühere (Mehrfach-)Traumatisierungen verschiedener Arten, 55 häufiger sexueller Kindesmissbrauch, 55 höhere Raten an Komorbidität mit anderen psychischen Störungen, insbesondere Depressionen und Substanzabhängigkeit, 55 im Berufsleben längerfristige Traumaexposition, z. B. Kampfeinsätze im Militärdienst, 55 anhaltende aktuelle Belastungen und Trauma-Nachwirkungen, sog. Post-­Migrations-­ Probleme wie Isolation, Trennung von Angehörigen, unsichere Zukunft. 3.7.1.3

Soziale Faktoren

Die letztgenannten der psychologischen Faktoren spielen in den sozialen Bereich hinein. Die genannten Studien ergaben weiterhin folgende soziale Faktoren: 55 mangelnde Offenlegungs- und Kommunikationsmöglichkeiten über die traumatischen Erfahrungen, 55 fehlende soziale Unterstützung sowie gesellschaftliche Anerkennung als Opfer. Durch die Etablierung der KPTBS-­Diagnose werden sich bald weitere Befunde zu Risikobzw. Schutzfaktoren ergeben. 3.7.2  Prämissen eines KPTBS-

Störungsmodells

Für die PTBS wurden über die vergangenen Jahre verschiedene Störungsmodelle entwickelt, die insbesondere als Anknüpfungspunkte für das therapeutische Vorgehen dienten (7 Kap. 2). Für die KPTBS liegt bisher kein ausgearbeitetes Störungsmodell vor. Im Folgenden werden hier essenzielle Bestimmungsstücke für ein späteres Störungsmodell zusammengestellt.1  

k1. Entwicklungspsychologie

In einem solchen Modell sind zunächst die dominierenden Muster von Störung der Affektregulation, Beziehungsfähigkeit und Selbstwahrnehmung nach längeren Traumatisierungen und schweren Misshandlungen zu erklären. Die entwicklungspsychologische Grundlagenforschung legt nahe, die Fähigkeiten zur Affektregulation, Beziehungsgestaltung und Selbstwahrnehmung im Konzept der sozial-emotionalen Kompetenzen zusammenzufassen (Malti und Noam 2016). Damit sind Fähigkeiten gemeint, sich als Heranwachsende in der Welt zurechtzufinden und sich selbst zu behaupten, wozu komplexes Denken, Selbstregulation und Empathie gehören. Diese Kompetenzen oder Skills können infolge einer Traumatisierung in der Kindheit oder Jugend nicht aufgebaut werden oder werden durch eine lang anhaltende Traumatisierung (durch Krieg, Flucht oder Verfolgung) im jungen Erwachsenenalter wieder beschädigt. Komplexe Traumatisierung bedeutet, dass die aufgezählten Fähigkeiten entweder gar nicht oder nur teilweise erworben werden können. k2. Bindungstheorie Die Bindungstheorie („attachment theory“)

kann ergänzende Erklärungen präsentieren. Personen mit einer KPTBS haben demnach aufgrund ihrer nachhaltigen psychologischen Beschädigung eine unsichere oder desorganisierte Bindung in ihren Beziehungen zu anderen und zur Welt (Charuvastra und Cloitre 2008). Dies kann dadurch noch potenziert werden, wenn vor der einschneidenden Traumatisierung bereits keine sichere frühkindliche Beziehung aufgebaut werden konnte, was z. B. in gewalttätigen Familienmilieus oder bestimmten krisenhaften Weltregionen zu ungünstigen Dispositionen führt. Therapeutische Konsequenz ist dann, durch die Herstellung von Sicherheit und Vertrauen auf die emotional beschädigte Person zuzugehen (7 Kap. 27). Diese bindungstheoretische Erklärung steht übrigens dem psychoanalytischen Konzept vom „inneren Kind“ nahe (nach C. G. Jung 1951), das bei komplex  

1

Die folgenden drei Punkte sind teilweise wörtlich entnommen aus Maercker 2017, S. 62–66.

59 Komplexe PTBS

Traumatisierten bisher nicht in der Lage gewesen sei, seine Bindungswünsche zu realisieren. k3. Strukturelle Dissoziation

Die beeinträchtigte Selbstwahrnehmung und die Dissoziationsneigung betreffen den in der KPTBS eingebetteten Bereich der Symptome von Flashbacks, Vermeidung und dissoziativem Abdriften. Das Konzept der traumabezogenen strukturellen Dissoziation (Nijenhuis and Matthess 2006) auf der Grundlage von Pierre Janets (2001) Beschreibungen geht davon aus, dass die Integration aller Wahrnehmungen, Impulse und Reaktionen auf die Umwelt an sich schon psychische Leistung ist, die jedoch in verschiedenen Schweregraden beeinträchtigt sein kann. Zum Beispiel erinnern sich einige Traumatisierte spontan oder auf die klinische Befragung hin nicht mehr an die traumatischen Erlebnisse, die ihnen widerfahren sind. Dies kann sich im Verlauf des therapeutischen Prozesses ändern. Zur einer strukturellen Dissoziation passen biologische Forschungsbefunde von Lanius et al. (2010), die bei der klassischen PTSD eine untermodulierte Emotionsregulation auf der Grundlage neuronaler Hemmprozesse im mittleren Frontalhirn und bei der KPTBS eine übermodulierte Emotionsregulation und Enthemmungsprozesse im selben Frontalhirnbereich nachwies. Eine genauere konzeptuelle Zusammenführung dieser Konzepte wird die KPTBS in der Zukunft besser erklärbar und behandelbar machen.

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61

Anhaltende Trauerstörung C. Killikelly und A. Maercker 4.1

Definition – 62

4.2

Entwicklung der Diagnose – 62

4.3

Symptombild – 65

4.4

Abgrenzung zur normalen Trauer – 66

4.5

Trauer als kulturelles Phänomen – 68

4.6

Epidemiologie – 69

4.7

Differenzialdiagnose – 70

4.8

Klinische Diagnostik – 71

4.9

Erklärungsmodelle – 72 Literatur – 73

Wir danken Eva-Maria Stelzer, MSc Psychology, für die Übersetzung dieses Kapitels. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_4

4

62

C. Killikelly und A. Maercker

4.1

4

Definition

Trauer bezeichnet eine natürliche und universelle Reaktion auf den Tod eines geliebten Menschen. Für viele Hinterbliebene kann der Verlust äußerst schmerzhaft und erschütternd sein. Verena Kast beschreibt die Veränderungen, die mit dem Tod einer Bezugsperson einhergehen, wie folgt.

»» Es ist eine Grenzsituation des Lebens, die uns verändern, die uns den Blick für das wirklich Wesentliche frei machen kann, und es ist eine Situation, die uns auch zerbrechen kann. (Kast 2013, S. 15)

Trauerreaktionen sind höchst individuell und daher nur schwer über Personen hinweg zu vereinheitlichen. Während viele Trauernde v. a. in den ersten Monaten nach einem Verlust stark leiden, gelingt es einem Großteil, den Tod zu akzeptieren und diese Verlusterfahrung in ihr Leben zu integrieren. Manchen Trauernden fällt es jedoch besonders schwer, den Verlust zu bewältigen und in ihr normales Leben zurückzufinden. Ab wann eine normale Trauerreaktion als pathologisch beschrieben werden kann, wird seit mehreren Jahren intensiv beforscht. Die neuen Kriterien der elften Version der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bieten einen Referenzrahmen zur Beantwortung dieser Frage. Zum ersten Mal wird im ICD-11 mit der „Anhaltenden Trauerstörung“ eine klinische Diagnose für das Syndrom pathologischer Trauerreaktionen aufgeführt (Killikelly und Maercker 2018; Maercker et al. 2013a). Die neue Definition der anhaltenden Trauerstörung umfasst zwei Kernsymptome (intensive Sehnsucht oder Verlangen nach der verstorbenen Person und/oder gedankliches Verhaftetsein mit der verstorbenen Person), emotionalen Schmerz (z.  B.  Trauer, Schuld, Wut, beeinträchtigtes Identitätsgefühl) sowie eine signifikante funktionelle Beeinträchtigung (. Tab.  4.1). Zudem umfasst die neue Definition ein Kultur-Kriterium, das fordert, dass eine Diagnose nur dann vergeben wird,  

wenn die Trauerreaktion ausgeprägter ist, als gesellschaftliche oder kulturelle Normen erwarten ließen. Die Definition der anhaltenden Trauerstörung stellt die neuste Konzeptualisierung einer pathologischen Trauerreaktion dar, und folgt den neuen Normen der WHO für präzise und klinisch relevante Diagnosen ­(Keeley et  al. 2016a). Die narrative Definition der ICD-11 Kurzdefinition lautet:

»» Die Anhaltende Trauerstörung bezeichnet

eine anhaltende und tiefgreifende Trauerreaktion, welche auf den Tod eines Partners, Elternteils, Kindes oder einer anderen nahestehenden Person folgt. Die Trauerreaktion beinhaltet eine starke Sehnsucht oder ein gedankliches Verhaftetsein mit der verstorbenen Person. Diese Hauptmerkmale gehen häufig mit intensivem emotionalem Schmerz einher (z. B. Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Vermeidung, Vorwürfe, emotionale Benommenheit, Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren, beeinträchtigtes Identitätsgefühl, Unvermögen, positive Stimmung zu erfahren, Schwierigkeiten, am sozialen Leben oder Aktivitäten teilzunehmen). Die Diagnose der Anhaltenden Trauerstörung wird nur für verhältnismäßig lange Trauerreaktionen vergeben (Todesfall liegt mindestens 6 Monate zurück), die nicht im Verhältnis zu sozialen, kulturellen oder religiösen Normen der Trauernden stehen. Länger andauernde Trauerreaktionen, die kulturellen und religiösen Normen der Hinterbliebenen entsprechen, werden als normale Trauer bezeichnet und erhalten keine Diagnose.

4.2

Entwicklung der Diagnose

Bisher wurden für behandlungsbedürftige Trauerzustände oft ersatzweise die Diagnosen einer depressiven Störung oder einer Anpassungsstörung vergeben. Wie weiter unten beschrieben wird, kann eine depressive Episode nach einem Trauerfall von der anhaltenden Trauerstörung unterschieden werden.

63 Anhaltende Trauerstörung

4

..      Tab. 4.1  Merkmale der ICD-11-Kriterien der anhaltenden Trauerstörung. (Adapt. nach Prigerson et al. 2009; WHO 2018) A. Ereigniskriterium

Tod einer nahestehenden Person vor mind. 6 Monaten

B. Mind. eines der folgenden Symptome

- Starke(s) und anhaltende(s) Verlangen und Sehnsucht nach der verstorbenen Person - Starkes und anhaltendes gedankliches Verhaftetsein mit der verstorbenen Person oder den Todesumständen

C. Einige der akzessorischen Symptome*

Begleitet von intensivem emotionalem Schmerz, z. B.: - Traurigkeit - Schuldgefühle - Wut - Vermeidung - Vorwürfe - Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren - Beeinträchtigtes Identitätsgefühl oder Selbst(-konzept) - Unvermögen, positive Stimmung zu erfahren - Emotionale Taubheit - Schwierigkeiten, am sozialen Leben oder Aktivitäten teilzunehmen

D. Zeit- und Beeinträchtigungskriterien

Die anhaltende Trauerreaktion ist ausgeprägter, als gesellschaftliche oder kulturelle Normen dies erwarten lassen (mind. 6 Monate oder länger, abhängig von kulturellen und kontextuellen Faktoren), und führt zu deutlichen Beeinträchtigungen des persönlichen Funktionierens

*Die WHO-Definition

legt die genaue Anzahl erforderlicher Symptome nicht fest.

Die derzeitige Definition einer anhaltenden Trauerstörung ist das Resultat weltweiter Forschungsbemühungen. Drei Forschungsgruppen (Horowitz et al. 1993; Prigerson et al. 1999; Shear et  al. 2011) haben besonders zur Entwicklung der Diagnosekriterien pathologischer Trauer beigetragen. 1974 dokumentierten Horowitz und Kollegen Ähnlichkeiten zwischen Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und intensiven Trau­ erreaktionen, die mit signifikanten Beein­ trächtigungen und Anpassungsproblemen einhergingen (Maercker und Lalor 2012). In der Folge schlug die Arbeitsgruppe um Horowitz die ersten Diagnosekriterien für pathologische Trauer vor. Die Kernsymptome umfassten gedankliches Verhaftetsein mit dem/der Verstorbenen oder den Todesumständen, Vermeidungsverhalten und Anpassungsprobleme. Für dieses Syndrom wurde der Begriff der komplizierten Trauer („complicated grief “) geprägt (Horowitz et  al. 1997). Basierend auf dieser Einordnung der komplizierten Trauer

als Stressreaktion entwickelte die Forschungsgruppe um Prigerson weitere Diagnosekriterien sowie Verfahren zur Erfassung der komplizierten Trauer. Unter anderem veröffentlichte diese Arbeitsgruppe das Selbstbeurteilungsverfahren „Inventory of Complicated Grief “ (ICG) (Lumbeck et al. 2012; Prigerson et al. 1995) zur Erfassung pathologischer Trauerreaktionen (7 Abschn.  4.8). Mithilfe dieses Instruments konnte gezeigt werden, dass sich die komplizierte Trauer von einer Major Depression und Angststörung abgrenzen lässt (Prigerson et al. 1995). Im Jahre 1997 präzisierte die Arbeitsgruppe um Prigerson gemeinsam mit weiteren Experten die Kriterien der komplizierten Trauer. Die resultierenden Symptome wurden in zwei übergeordnete Kategorien eingeordnet: 55 Beeinträchtigungen, die mit der Trennung von der verstorbenen Person assoziiert werden (z. B. gedankliche Verhaftung mit der verstorbenen Person), 55 traumatische Symptombeschwerden (z. B. Unglaube über den Verlust).  

64

C. Killikelly und A. Maercker

..      Tab. 4.2  Die anhaltende Trauerstörung im Forschungsanhang des DSM-5 (APA 2013)

4

A. Ereigniskriterium

Tod einer nahestehenden Person

B. Seit dem Tod und an mehr als der Hälfte der Tage tritt mindestens eines der folgenden Symptome in klinisch bedeutsamer Ausprägung für mindestens 12 Monate auf

- Starke(s) und anhaltende(s) Verlangen und Sehnsucht nach der verstorbenen Person - Intensiver emotionaler Schmerz und starke Trauer als Reaktion auf den Todesfall - Gedankliches Verhaftetsein mit dem/der Verstorbenen - Übermäßige Beschäftigung mit den Umständen des Todesfalles

C. Seit dem Tod und an mehr als der Hälfte der Tage treten mindestens 6 der 12 Symptome in klinisch bedeutsamer Ausprägung für mindestens 12 Monate auf

- Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren - Unglaube oder emotionale Taubheit - Schwierigkeiten, positive Erinnerungen an die verstorbene Person zuzulassen - Bitterkeit oder Ärger über den Verlust - Dysfunktionale Bewertungen der eigenen Person in Bezug auf die verstorbene Person oder den Tod (z. B. Selbstvorwürfe) - Übermäßiges Vermeiden von Erinnerungen an den Verlust - Wunsch zu sterben, um der verstorbenen Person nahe zu sein - Schwierigkeiten, anderen Personen seit dem Verlust zu vertrauen - Gefühl der Einsamkeit oder Distanz gegenüber anderen Personen - Gefühl, dass das Leben ohne die verstorbene Person bedeutungslos -oder leer ist, oder der Glaube, dass man ohne die verstorbene Person nicht funktionieren kann - Verunsicherung über die eigene Rolle im Leben oder vermindertes Identitätsgefühl Schwierigkeiten oder Widerwillen, Interessen nachzugehen oder Pläne für die Zukunft zu verfolgen

D. Beeinträchtigungskriterium

Die Symptome führen zu einer deutlichen Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen Funktionsbereichen oder zu signifikantem Leiden

E. Kongruenz mit soziokulturellen Normen

Die Trauerreaktion ist unverhältnismäßig oder nicht kongruent mit kulturellen, religiösen oder altersentsprechenden Normen

Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Kriterien zur Erfassung pathologischer Trauerreaktionen sowie eine Reihe von Erhebungsverfahren, die auf unterschiedlichen Definitionen von Trauer beruhen. Der fehlende Konsens zeigt sich in der Terminologie und den vielfältigen Begriffen, die zur Beschreibung pathologischer Trauer genutzt werden (z. B. traumatische, abnormale, chronische oder pathologische Trauer (Wagner und Maercker 2010)). Der Begriff der anhaltenden Trauer wurde 2008 erstmals eingeführt, da er eine eindeutigere Unterscheidung zur PTBS ermöglichte als der Begriff der traumatischen Trauer (Prigerson et  al. 2008). 2009 wurde schließlich versucht, mit einem Expertenpanel einen gemeinsam Konsens hinsichtlich der Kriterien für eine anhaltende

Trauerstörung zu finden. Die PGD-2009 Konsenskriterien wurden anhand der Ergebnisse der Yale Bereavement Study, einer Trauerstudie, die eine Stichprobe von 317 Hinterbliebenen umfasste, entwickelt (Prigerson et  al. 2009). Die neuen ICD-11-Kriterien der anhaltenden ­ Trauerstörung basieren auf diesen PGD-2009 Konsenskriterien. Nahezu zeitgleich schlug die Arbeitsgruppe um Shear alternative diagnostische Kriterien für komplizierte Trauer vor (Shear et  al. 2011). Diese Kriterien beruhen auf Daten einer klinischen Stichprobe (d. h. Trauernde, die nach ihrem Verlust professionelle Hilfe in Anspruch genommen haben) (Shear 2015; Shear et  al. 2006, 2011). Die Kriterien der anhaltenden Trauerstörung unterscheiden sich von den Kri-

65 Anhaltende Trauerstörung

terien der komplizierten Trauer in vielerlei Hinsicht. Die Symptome selbst, die Anzahl der Symptome, die vorliegen müssen, um eine Diagnose zu erfüllen, sowie die Stichprobe (klinisch vs. nicht klinisch) und statistischen Analysen, anhand derer die Kriterien abgeleitet wurden (Reynolds et al. 2017). Die persistierende komplexe Trauerstörung („persistent complex bereavement disorder“, PCBD) stellt einen Kompromiss zwischen komplizierter Trauer und anhaltender Trauerstörung dar. Im Appendix der fünften Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals (DSM-5) wurde die persistierende komplexe Trauerstörung als Forschungsdiagnose aufgenommen (Prigerson et al. 2008; Shear et al. 2011; . Tab. 4.2). Die neuen ICD-11-Kriterien der anhaltenden Trauerstörungen basieren auf bestehenden Diagnosekriterien sowie den neuen Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation für das ICD-11. Anstelle einer Priorisierung der klinischen Spezifität und Validität von Störungen legt die WHO in der neuen Version ihr Hauptaugenmerk auf die klinische und globale Anwendbarkeit der Diagnosekriterien (Keeley et  al. 2016a). Klinische Anwendbarkeit soll durch eine Vereinfachung der Diagnosen erreicht werden, sodass diese besser kommuniziert und genutzt werden können, und die Therapieplanung vereinfachen (Keeley et al. 2016a; Reed et al. 2011). Zur weiteren Anwendbarkeit sollen kurze diagnostische Richtlinien dienen, die die Kernmerkmale sowie zusätzliche Symp­ tominformationen beinhalten (z.  B. zeitlicher Verlauf, kulturelle Aspekte) (First et al. 2015). Wie aus . Tab.  4.1 hervorgeht, stellen die Kernmerkmale und wenigen ­Zusatzkriterien sowie die Beachtung kultureller Aspekte präzise und kurz gehaltene Kriterien für eine anhaltende Trauerstörung dar, die die klinische und globale Anwendung verbessern.  



4.3

Symptombild

Allgemein wird Trauer aufgrund zweier Merkmale als pathologisch erachtet (Stroebe et  al. 2008):

4

55 Dauer und Schweregrad trauerspezifischer Symptome und/oder 55 bedeutsame Belastungen oder Beeinträchtigungen in wichtigen Lebensbereichen Qualitativ unterscheidet sich pathologische Trauer jedoch nicht von normaler Trauer (Holland et  al. 2009). Es sind weniger die Symptommerkmale, die einer anhaltenden Trauerstörung zugrunde liegen, als vielmehr die Intensität der Symptomatik, deren klinisch bedeutsame Belastungen oder Beeinträchtigungen sowie die Dauer dieser Beeinträchtigungen (Maercker et al. 2013b). Pathologische Trauerreaktionen umfassen zwei Kernsymptome (Maercker et  al. 2013b; Prigerson et al. 2009): 55 intensive Belastung infolge der (physischen und emotionalen) Trennung von der verstorbenen Person, 55 Schwierigkeiten, den Tod zu akzeptieren Menschen, die unter pathologischer Trauer leiden, sind oftmals in einem Teufelskreis gefangen, der durch eine starke Sehnsucht nach der verstorbenen Person gekennzeichnet ist. Dieses Verlangen führt zu einer intensiven gedanklichen Verhaftung an die/den Verstorbenen, die mit einer Reihe von Beeinträchtigungen einhergehen kann. Die Kernsymptome der anhaltenden Trauerstörung sowie weitere zusätzliche Symptommerkmale wurden statistisch bestätigt (Prigerson et al. 2009). Die Analyse ergab, dass eine Diagnose der anhaltenden Trauerstörung neben dem Kernsymptom der Sehnsucht („yearning“) mindestens 5  weitere emotionale oder kognitive Symptome erfordert. Zusätzliche Symptome umfassen die Vermeidung von Erinnerungen an die verstorbene Person, emotionale Benommenheit, Wut oder Verbitterung über den Verlust, ein beeinträchtigtes Identitätsgefühl sowie ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Dieses Symptommuster wurde zusätzlich durch eine Netzwerkanalyse bestätigt (Robinaugh et al. 2014). Eine Netzwerkanalyse ist ein Verfahren der empirischen Sozialforschung, das es ermöglicht, Verbindungen zwischen verschiedenen Symptomen sowie die Stärke dieser Zu-

C. Killikelly und A. Maercker

..      Abb. 4.1 Veränderungsmuster ausgewählter Trauersymptome in Abhängigkeit der Zeit seit dem Verlust. (Mod. nach Maciejewski et al. 2007)

4

Maximalwert 1.0

Sehnsucht Zorn Unglaube

Trauersymptome Akzeptanz

Depression

0.8 Bewertung

66

0.6 0.4 0.2

Mindestwert 0

0

6

sammenhänge zu erfassen. In der Studie von Robinaugh et  al. (2014) wurden abermals die intensive Sehnsucht nach der verstorbenen Person sowie ein beeinträchtigtes Identitätsgefühl als Kernsymptome identifiziert. Diese Studienergebnisse stützen die neuen ICD-11-Kriterien zur anhaltenden Trauerstörung, die ein starkes Sehnen nach dem Verstorbenen, gedankliche Verhaftung sowie zusätzliche Symptome emotionaler Beeinträchtigung umfassen. Während bei vielen Trauernden die beschriebenen Symptome nach dem Verlust einer geliebten Person auftreten können, nehmen diese akuten Trauersymptome in der Regel innerhalb der ersten 6  Monate ab (. Abb. 4.1). Der genaue zeitliche Verlauf des Übergangs von normativer zu pathologischer Trauer wird derzeit intensiv beforscht (Wakefield 2012). Nach den derzeitigen ICD-11-­ Kriterien zur anhaltenden Trauerstörung soll ein Verlust mindestens ca. 6 Monate zurückliegen, ehe eine Diagnose vergeben wird. Diese Vorgabe stellt jedoch nur einen Referenzpunkt für Kliniker dar, und es liegt im Ermessen des Gesundheitsfachpersonals, welche Symptomdauer im Einzelfall für eine Diagnosestellung als angemessen erachtet wird. Das Kriterium von ca. 6  Monaten wurde nicht beliebig gewählt, sondern basiert auf Studienbefunden: Maciejewski et  al. (2007) fanden, dass die  

12 Monate seit Verlust

18

24

Kernsymptome (Sehnsucht, Wut, depressive Symptome) in den ersten 6 Monaten nach dem Verlust ihren Höchstwert erreichen. Zusätzlich scheinen Symptome das Vorliegen einer anhaltenden Trauerstörung (nach den sog. 2009-Kriterien 13–24 Monate später) dann am besten vorherzusagen, wenn diese ca. 6 Monate nach dem Verlust erfasst werden (Prigerson et  al. 2009). Zudem wurde in einer kulturvergleichenden Studie die Angemessenheit des zeitlichen Referenzpunktes zur Differenzierung anhaltender von normativer Trauer bestätigt (Keeley et al. 2016b). Grundsätzlich scheint die Diagnose einer anhaltenden Trauerstörung nur dann indiziert, wenn Symptome intensiver und länger auftreten (Maciejewski et al. 2016). Das zeitliche Referenzkriterium von 6  Monaten sollte unter Vorbehalt und nur, wenn Trauerreaktionen gesellschaftliche oder kulturelle Normen übersteigen, klinische Anwendung finden. 4.4

 bgrenzung zur normalen A Trauer

80–90 % aller Trauernden entwickeln infolge eines Verlustes keine pathologische Trauerreaktion, sondern eine „normale“ oder normative Trauer (Latham und Prigerson 2004; Prigerson

67 Anhaltende Trauerstörung

2004). Bonanno und Kollegen konnten in einer Längsschnitte zeigen, dass Trauerreaktionen häufig von Resilienz geprägt sind und nur selten zu chronischen Problemen führen (Bonanno 2004; Bonanno et al. 2002). Verschiedene Theorien beschreiben den normalen Trauerprozess. Die wohl bekanntesten Theorien beschreiben Trauer anhand eines Stufenmodells sowie von Aufgaben. Im Stufenmodell wird davon ausgegangen, dass Trauernde eine Reihe emotionaler, kognitiver, und verhaltensbezogener Symptome bewältigen müssen, ehe eine Adaptation möglich ist (Bowlby 1982; Kübler-Ross und Kessler 2005). Aufgabentheorien (Kast 1999, 2013) nehmen an, dass Trauernde aktiv verschiedene Aufgaben (z. B. Verarbeitung des Trauerschmerzes) bewältigen müssen. Das einflussreiche duale Prozessmodell der Trauer („Dual Process Modell“) erweiterte bestehende Theorien durch eine Unterscheidung zweier Bewältigungsstile: verlustorientierte und wiederherstellungsorientierte Bewältigung (Stroebe und Schut 1999). Verlustorientierte Bewältigungsversuche beschreiben die Verarbeitung der trauerbezogenen Emotionen und Kognitionen (z.  B.  Betrachten von Fotos der verstorbenen Person weckt Erinnerung an sie/ihn). Wiederherstellungsorientierte Bewältigung bezieht sich dagegen auf Versuche, das Leben ohne die verstorbene Person zu meistern und einen Weg zurück ins Leben zu finden, indem beispielsweise neue Rollen oder Aufgaben angenommen werden (z. B. Finden neuer Hobbies). Während vorausgehende Theorien v. a. die Bedeutung verlustorientierter Verarbeitung fokussierten, versteht das DPM Trauer als einen dynamischen Prozess, der durch eine Oszillation zwischen beiden Bewältigungsversuchen geprägt ist. Basierend auf den Stufen- und Aufgabentheorien wurde lange Zeit angenommen, dass Trauernde dann pathologische Trauer entwickeln, wenn Stufen oder Aufgaben nicht erfolgreich durchlaufen oder bewältigt werden (Kübler-Ross 1969); siehe auch . Abb.  4.1 (in der Abbildung auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung sind die Trauerphasen von Kübler-Ross als zeitlich aufeinanderfolgende „Symptomspitzen“ erkennbar). Während ein  

4

stufenweiser Trauerverlauf in manchen Studien bestätigt wurde (Chen et al. 2017; Maciejewski et al. 2007), überwiegen jedoch Forschungsbefunde, die einen individuell variierenden Trauerverlauf nahelegen. Demnach durchlaufen viele Trauerende in der Tat die Stufen oder Aufgaben; die Reihenfolge und zeitliche Dauer variieren dabei jedoch stark zwischen Trauernden, und ein nichtlinearer Trauerverlauf wird nicht als Indiz für eine pathologische Trauerreaktion gesehen (Holland und Neimeyer 2010; Maercker et al. 2013a; Prigerson et al. 2009; Rosenzweig et al. 1997; Wakefield 2012, 2013). Viele Kliniker orientieren sich bei der Unterscheidung zwischen normaler und pathologischer Trauer daran, wie lange der Verlust zurückliegt und wie lange die Trauersymptome bereits anhalten. Basierend auf der Trauerlänge identifizierten Stroebe et  al. (2000) verschiedene Trauertypen, verspätete, abwesende, ungelöste und chronische Trauer. Der prädiktive Wert der Trauerlänge zeigte sich auch in einer Studie von Jacob (1993), in der das Vorliegen der wesentlichen Trauerstufen über einen Zeitraum von zwei Jahren untersucht wurde. Während Sehnsucht nach dem/der Verstorbenen das häufigste und intensivste Symptom darstellte, nahmen negative emotionale Symptome in ihrer Häufigkeit während des Studienzeitraums ab. Depressive Verstimmungen, Unglaube und Verlangen wurden während der zwei Jahre weniger, und Wut blieb auf einem relativ niedrigen Niveau. Die Akzeptanz des Verlustes nahm dagegen zu. Dieses Symptommuster wurde von Zhang et al. (2006) repliziert sowie in einer Stichprobe, die keine Personen mit anhaltender Trauerstörung beinhaltete (Maciejewski et  al. 2007). Interessanterweise traten alle Symptome am häufigsten innerhalb der ersten 6 Monate nach dem Verlust auf (Prigerson et al. 2008). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass – unabhängig von normaler oder pathologischer Trauer  – Trauernde ähnliche Symptome und -intensitäten während der ersten 6  Monate verspüren. Während viele Trauernde nach 6 Monaten den Verlust akzeptieren und ihr normales Leben wieder aufnehmen (Prigerson 2004), leiden Personen mit einer pa-

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4

C. Killikelly und A. Maercker

thologischen Trauer auch weiterhin unter intensiven Beeinträchtigungen. Trotz der prä­ diktiven Rolle des zeitlichen Verlaufs von Trauerreaktionen ist dies nicht das einzige Kriterium, das eine Unterscheidung zwischen normaler und pathologischer Trauer ermöglicht. Eine Unterscheidung ist neben dem zeitlichen Verlauf zudem durch Symptome, deren Intensität sowie die funktionelle Beeinträchtigung und Belastung möglich. Zudem kann pathologische Trauer von einer PTBS und einer Major Depression differenziert werden (7 Abschn. 4.7).  

4.5

 rauer als kulturelles T Phänomen

Die Erfahrung und das Verständnis von Trauer muss immer vor dem jeweiligen kulturellen Hintergrund betrachtet werden (Kast 1999, 2013). Obwohl Trauer eine universelle Reaktion auf den Tod eines geliebten Menschen darstellt, bestehen große kulturelle Unterschiede in den spezifischen Trauerreaktionen und -symptomen (Stroebe und Schut 1998). Diese kulturellen Variationen stellen eine He­ rausforderung für die westlichen Vorstellungen, wie pathologisches von normalem Trauern unterschieden werden kann, und derzeitige Diagnosesysteme dar. Ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung kultureller Faktoren im Trauerverständnis zeigt sich in den neuen ICD-11-Kriterien für eine anhaltende Trauerstörung. Die neue Definition verweist auf den kulturellen Kontext und bestärkt Kliniker, nur dann eine Diagnose zu vergeben, wenn die Trauerreaktion ausgeprägter ist, als dies bei gegebenen kulturellen und gesellschaftlichen Normen zu erwarten wäre. Die weltweite Prävalenz pathologischer Trauerreaktionen wurde sowohl in westlichen Ländern (Kersting et  al. 2011; Newson et  al. 2011; Simon et  al. 2007) als auch in Asien (Fujisawa et  al. 2010) bestätigt. Die Erwartungen, wie sich pathologische von normaler Trauer unterscheidet, die Symptome, die Trauerlänge und die funktionelle Beeinträchtigung, sind jedoch kulturspezifisch.

Studien fanden bedeutende Unterschiede in der Einordnung von Trauerreaktionen. In westlichen Ländern wird Trauer oftmals als ein Gefühl oder eine Emotion benannt, die mit Gedanken assoziiert sind. In anderen Kulturen wird Trauer dagegen sowohl als eine Emotion wie auch als ein Gedanke beschrieben, deren Zusammenhang viel stärker ist als in westlichen Kulturen (Rosenblatt 2008; Wikan 1990). In Japan wird Trauer beispielsweise oft durch „ein Loch in meinem Geist und Herzen“ umschrieben or „Kokoro ni ana ga aku“ (Hasada 2002). Trauer scheint hier als ein ganzheitlicher Prozess verstanden zu werden, der sich auf Geist, Gefühle und Körper auswirkt. Kulturelle Unterschiede zeigen sich auch auf emotionaler Ebene. Während in westlichen Ländern Traurigkeit eine der Kernemotionen darstellt, wird in Ruanda der Wunsch nach Vergeltung als angemessen empfunden (Bagilishya 2000; Rosenblatt 2008). Vergleichende Studien zeigen, dass sich Trauernde aus China und der Schweiz hinsichtlich der Zusatzsymptome der anhaltenden Trauerstörung unterscheiden. Nach dem Verlust ihres Kindes berichteten chinesische Eltern vermehrt das Gefühl, dass ihr Leben bedeutungslos und leer ist. Schweizer Eltern litten dagegen häufiger unter einer gedanklichen Verhaftung an ihr verstorbenes Kind. Sowohl chinesische als auch Schweizer Eltern haben eine starke Sehnsucht und ein Verlangen nach ihrem verstorbenen Kind. Das Kernsymptom der Sehnsucht scheint eventuell ein universelles Trauersymptom darzustellen, während Zusatzsymptome wie emotionale Beeinträchtigungen stärker zwischen Kulturen variieren. Killikelly et al. (2018) fanden, dass Flüchtlinge und Hinterbliebene aus Konfliktregionen häufig (68 %) ein starkes Verlangen nach der verstorbenen Person verspüren. Auch bei Flüchtlingen aus Osttimor, Westpapua und Burma (Myanmar) ist das Kernsymptom der anhaltenden Trauerstörung weit verbreitet (Silove et  al. 2017; Tay et al. 2016; Vromans et al. 2012). Akzessorische Symptome wie z. B. Träume von den Verstorbenen bei Flüchtlingen aus Kambodscha oder Verhalten, das das der Verstorbenen nachahmt, bei

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69 Anhaltende Trauerstörung

kurdischen Flüchtlingen waren dagegen kulturspezifisch (Hall et al. 2014; Hinton et al. 2013). Das Ausmaß der durch die Trauer hervorgerufenen funktionellen Beeinträchtigungen lässt sich nur schwer kulturübergreifend abschätzen. In der Zulu-Kultur in Südafrika wird von Witwen beispielsweise erwartet, dass sie sich ein Jahr lang schwarz kleiden und aus der Gesellschaft zurückziehen. Inwieweit diese soziokulturelle Norm zu Belastungen führt oder die funktionellen Beeinträchtigungen ein Resultat der Trauer per se sind, ist unklar. Die Bedeutung kultureller Normen und Erwartungen zeigt sich zudem in den unterschiedlichen Trauerzeiten, die kulturell als angemessen erachtet werden. In Zentraleuropa gilt das „Trauerjahr“ als angemessen. In Bali dagegen gilt der öffentliche Ausdruck von Trauer zu jeder Zeit als pathologisch (Rosenblatt 2008). Diese Beispiele verdeutlichen die weltweite Bedeutung von Kultur in Trauererleben, -ausdruck, -kommunikation und -verständnis. 4.6

Epidemiologie

Bisher fehlen groß angelegte Bevölkerungsstudien, die Aufschluss über die Verbreitung der anhaltenden Trauerstörung nach ICD-11 geben. Frühere epidemiologischen Studien, die die Prävalenzraten pathologischer, traumatischer und komplizierter Trauer untersucht haben, ermöglichen jedoch Schätzungen der Auftretenshäufigkeit der anhaltenden Trauerstörungen. Bestehende groß angelegte Studien schätzen die Verbreitung der anhaltenden Trauerstörung auf ca. 10 % (. Tab. 4.3). In Deutsch 

land wurde eine sog. konditionale Prävalenz der komplizierten Trauer (d. h. nur für diejenigen berechnet, die einen Trauerfall erlebt haben) von 6,7 % gefunden, und eine Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung von 3,7 % (Kersting et  al. 2011). In einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse lag die Bevölkerungsprävalenz der anhaltenden Trauerstörung bei 10 % (Lundorff et al. 2017). Bei epidemiologischen Angaben zu erschwerter Trauer ist darauf zu achten, auf welcher Bevölkerungsgruppe diese Daten basieren. Studien mit unterschiedlichen Stich­ pro­ ben­ gruppen, z.  B. älteren Personen, Witwen und Witwern oder betreuenden Angehörigen, verdeutlichen die Variation in Prävalenzraten (Bonanno et  al. 2002; Forstmeier und Maercker 2007; Nielsen et al. 2017). In einer Studie, die 5741 ältere Menschen umfasste, erfüllten 4,8 % der Allgemeinbevölkerung die Kriterien für komplizierte Trauer (ICG) (Newson et  al. 2011). Zudem scheinen die Prävalenzraten bei klinisch auffälligen Personen, die unter weiteren psychischen Störungen wie beispielsweise einer Major Depression oder bipolaren Erkrankung leiden, um das circa 2-Fache höher zu liegen (Kersting et  al. 2009; Simon et  al. 2007). Auch die Todesumstände spielen eine Rolle. Nach einem gewaltsamen oder traumatischen Tod finden sich häufig weit höhere Prävalenzen von ca.  14–76  % (Kristensen et  al. 2012). Bei Flüchtlingen ist die erschwerte Trauer mit ca. 32 % besonders weit verbreitet (Killikelly et al. 2018). Prävalenzraten variieren zudem in verschiedenen Weltregionen. Ein Großteil der Studien in westlichen Ländern ergaben Prävalenzen von weniger als 10 % (. Tab.  4.3) (He  

..      Tab. 4.3  Prävalenzraten großer Bevölkerungsstudien Studie

Region

Stichprobengröße

Prävalenz

Kersting et al. (2011)

Deutschland

1445

6,7 %

Fujisawa et al. (2010)

Japan

969

2,4 %

He et al. (2014)

China

445

1,8 %

70

C. Killikelly und A. Maercker

..      Tab. 4.4  Abgrenzung der anhaltenden Trauerstörung von der posttraumatischen Belastungsstörung und der Major Depressiona

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Psychisches Störungsbild

Anhaltende Trauerstörung

Posttraumatische Belastungsstörung

Major Depression

Kernsymptome

Gedankliches Verhaftetsein mit dem/der Verstorbenen oder den Todesumständen

Intrusionen, Vermeidung, chronische Übererregung

Interessensverminderung, Aktivitätsvermeidung

Emotionale Symptome

Sehnsucht nach der verstorbenen Person

Angst

Traurigkeit

Ambivalente Emotionen

Negativer Affekt

Suche nach Nähe zur verstorbenen Person

Vermeidungsverhalten

Verhaltenssymptome aDie

hervorgehobenen Symptome ermöglichen eine Differenzierung der Störungen

et  al. 2014; Kersting et  al. 2011). Eine Studie mit chinesischen Trauernden berichtet jedoch eine höhere Prävalenzrate von 1,8 % (He et al. 2014). Ähnlich hohe Prävalenzangaben fanden sich in einer japanischen Studie.  2,4  % der Trauernden erfüllten Kriterien für komplizierte Trauer und 22,7  % für subsyndromale komplizierte Trauer (Fujisawa et al. 2010). Zudem unterscheiden sich die Prävalenzraten der komplizierten Trauer je nach Messinstrument, das in den epidemiologischen Studien zum Einsatz kommt. Forstmeier und Maercker (2007) fanden eine Prävalenz von 4,2  % mit den von Horowitz vorgeschlagenen Kriterien für pathologische Trauer (Horowitz et al. 1997) und eine deutlich geringere Prävalenz von 0,9 %, wenn Trauersymptome mithilfe des Prigerson-Instruments erfasst wurden (Prigerson et  al. 1995). Die präziseren neuen ICD-11-­ Kriterien zur anhaltenden Trauerstörung sollen eine verbesserte Schätzung der Prävalenzraten ermöglichen. 4.7

Rückzug in allen Lebensbereichen

Differenzialdiagnose

In der klinischen Praxis ist die anhaltende Trauerstörung differenzialdiagnostisch von anderen Störungen abzugrenzen. Differenzialdiagnostisch ist die anhaltende Trauerstörung

von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie einer Major Depression zu unterscheiden (. Tab. 4.4). Kriterien einer anhaltenden Trauerstörung überschneiden sich deutlich mit den Kriterien einer PTBS, z. B. Intrusionen der Todesumstände, emotionale Benommenheit und Vermeidung von Erinnerungen an den Verstorbenen oder Dinge, die mit Tod und Sterben assoziiert werden. Bei einer PTBS tritt jedoch zusätzlich eine starke Angst vor dem Wiedererleben belastender Erinnerungen auf. Bei Personen, die unter einer anhaltenden Trauerstörung leiden, stehen dagegen eine starke Traurigkeit sowie ein starkes Verlangen nach der verstorbenen Person und der Wunsch, dieser nahe zu sein, im Vordergrund. Hierzu schwelgen Trauernde beispielsweise ganz bewusst in Erinnerungen an die verstorbene Person (Shear et  al. 2005, 2011). Ein Verhaltensmuster aus Annäherung und Vermeidung kann schließlich mit ambivalenten Erinnerungen und Gefühlen einhergehen (Maercker und Lalor 2012). Symptome, die einer anhaltenden Trauerstörung ähneln, können auch bei einer Major Depression auftreten. Überschneidungen finden sich v.  a. hinsichtlich emotionaler Symptome wie Traurigkeit, Schuldgefühlen sowie dem Gefühl, dass das Leben bedeutungslos ist, und von Verhaltenssymptomen wie dem sozia 

71 Anhaltende Trauerstörung

len Rückzug und Interessensverlust an Aktivitäten, die früher Freude bereiteten. Bei einer Major Depression werden diese Symptome jedoch in unterschiedlichen Lebensbereichen erlebt, während sich die Symptome einer anhaltenden Trauerstörung auf den Verlust beziehen. Trotz der hohen Komorbidität (84,5 %) mit anderen Diagnosen (z.  B.  Major Depression, PTBS, Angststörungen) (Simon et al. 2007) lässt sich die anhaltende Trauerstörung differenzialdiagnostisch von einer Major Depression und PTBS abgrenzen. Studien, die Symptommuster bei Trauernden untersuchen, finden in der Regel drei Gruppen (Djelantik et al. 2017): 55 Trauernde, die vorwiegend unter Symptomen einer anhaltenden Trauerstörung leiden, 55 Trauernde, deren Symptome einer PTBS zugeordnet werden können, 55 Trauernde, die Symptome einer anhaltenden Trauerstörung sowie einer PTBS zeigen. Diese Befunde bestätigen sowohl die Überschneidungen als auch die differenzialdiagnostische Abgrenzung dieser drei Konstrukte. Auch Unterschiede im zeitlichen Verlauf, v. a. dem Beginn einer anhaltenden Trauerstörung und dem einer PTBS bestätigt deren qualitative Unabhängigkeit. In einer Studie von Djelantik et al. (2018) konnten Symptome der anhaltenden Trauerstörung und der PTBS 18 Monate nach dem Verlust durch Symptome vorhergesagt werden, die 6 Monate nach dem Tod erfasst wurden. Zudem ließen sich die Symptome der anhaltenden Trauerstörung auch unabhängig von den ein Jahr später auftretenden PTBS-Symptomen vorhersagen. 4.8

Klinische Diagnostik

Die neuen ICD-11-Kriterien zur anhaltenden Trauerstörung stellen die derzeit aktuellsten klinischen Diagnosekriterien dar (. Tab. 4.1). Die Merkmale basieren auf vorausgehenden Definitionen und Kriterien pathologischer Trauer (Horowitz et  al. 1997; Prigerson et  al.  

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2009; Shear et  al. 2011) sowie der im Forschungsanhang des DSM-5 aufgeführten Dia­ gnose der persistierenden komplexen Trauerstörung (APA 2013). In den vergangenen Jahren wurden verschiedenen Selbstbeurteilungs- sowie klinische Diagnoseverfahren entwickelt, um die Symptomhäufigkeit und -intensität von Trauerreaktionen zu erfassen. Das Inventar Komplizierter Trauer (ICG; ICG-D) galt dabei lange als Goldstandard, um den klinischen Schweregrad von Trauerreaktionen zu beurteilen (Lumbeck et al. 2012; Prigerson et al. 1995). Mit diesem Selbstbeurteilungsverfahren werden anhand von 19  Items die Symptomkriterien einer anhaltenden Trauerstörung abgefragt (z.  B. „Ich sehne mich nach der verstorbenen Person“). Eine erweiterte Version des ICG liegt mit dem ICG-R(evised) vor, das 15  weitere Symptommerkmale umfasst (Prigerson und Jacobs 2001). Eine gekürzte Fassung, die lediglich die aufschlussreichsten Items enthält, besteht in der Prolonged Grief 13 Skala (PG-13) (Prigerson und Maciejewski 2007; Vogel et al. 2016). Zwei neuere klinische Erhebungsverfahren stehen mit dem Traumatic Grief Inventory Self Report Version (Boelen und Smid 2017) sowie dem strukturierten klinischen Interview für komplizierte Trauer (Bui et al. 2015) zur Verfügung. Ersteres stellt ein Selbstbeurteilungsverfahren dar (Boelen und Smid 2017) und basiert vorwiegend auf Kriterien der persistierenden komplexen Trauerstörung, angereichert durch wenige Items der ICD-11-Kriterien für eine anhaltende Trauerstörung. Das strukturierte klinische Interview für komplizierte Trauer (Bui et al. 2015) basiert auf den Kriterien der komplizierten Trauer (Shear et  al. 2011). Mit der internationalen Skala für Anhaltende Trauerstörung (International Prolonged Grief Disorder Scale, IPGDS) wird derzeit ein weiteres Verfahren zur Erfassung der Symptomhäufigkeit und -intensität von Trauerreaktionen entwickelt. Nach einer Bewertung der Items durch Experten werden die psychometrischen Eigenschaften der IPGD anhand von Trauernden in China, Japan und der Schweiz überprüft. Im Vergleich zu bestehenden Verfahren wird die

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C. Killikelly und A. Maercker

IPGDS nur die aufschlussreichsten Items bestehender Erhebungsverfahren enthalten und dadurch ökonomischer sein. Gleichzeitig wird die kulturübergreifende Validierung zur Standardisierung der klinischen- und Forschungsmethoden beitragen. Neben einem Selbstbeurteilungsverfahren soll zudem eine IPGDS Version für Gesundheitsfachpersonal die Diagnostik einer anhaltenden Trauerstörung nach ICD-11 ermöglichen (Killikelly et al. in Vorbereitung). 4.9

Erklärungsmodelle

Unterschiedliche Ansätze versuchen zu erklären, weshalb manche Menschen eine komplizierte Trauersymptomatik entwickeln, während andere Hinterbliebene einen normalen Trauerprozess durchleben. Bereits Sigmund Freud hat sich mit Trauer auseinandergesetzt. Nach Freud bezeichnet Trauer eine Reihe psychologischer Prozesse, wodurch der Trauernde langsam die Verbindung zur verstorbenen Person aufgibt und den Verlust zu akzeptieren lernt. Externe und interne Faktoren können den Trauerverlauf beeinflussen: ein gewaltsamer Tod, die Beziehungsqualität zum Verstorbenen oder psychologische Abwehrmechanismen (Freud 1917). Erfolgt keine Loslösung von der verstorbenen Person, so kann es zu einer Beeinträchtigung des Trauerprozesses kommen. Forschungserkenntnisse widerlegen Freuds Annahme, dass Trauernde ihre Beziehung zur verstorbenen Person aufgeben müssen, um ihre Trauer zu bewältigen; statt einer Loslösung kann die Beziehung zum Verstorbenen in einer veränderten Form weiterbestehen (Neimeyer et al. 2006). Bindungsorientierte Ansätze sehen in einer unzureichenden Internalisierung positiver Beziehungserfahrungen einen Risikofaktor für die Entwicklung pathologischer Trauerreaktionen (Mikulincer und Shaver 2012; Shear et al. 2007). Frühkindliche Bindungserfahrungen und v.  a. Traumatisierung (z.  B.  Missbrauch oder Vernachlässigung) sowie eine unsichere Bindung können das Risiko für die Entwicklung einer anhaltenden Trauerstörung erhöhen

(Silverman et  al. 2001; Vanderwerker et  al. 2006; Boelen 2013). Auch die Beziehung zur verstorbenen Person (z.  B.  Verwandtschaftsverhältnis, Beziehungsqualität, Abhängigkeit) kann die Trauerschwere positiv wie negativ beeinflussen. Der Tod eines Kindes wird beispielsweise häufig als schwerster Verlust angesehen (van Doorn et  al. 1998; Zetumer et  al. 2015; Xiu et al. 2016). Unterschiedliche externe und interne Risiko- und Schutzfaktoren können die Entwicklung und den Verlauf einer anhaltenden Trauerstörung beeinflussen (Znoj 2016). Personenspezifische Faktoren wie geringere Bildung, weibliches Geschlecht oder bestehende psychische Erkrankungen erhöhen das Risiko für eine anhaltende Trauerstörung. Auch Ereignisfaktoren wie ein unnatürlicher, gewaltsamer Tod (z.  B., Mord, Suizid) stellen prädiktive Faktoren dar. Flüchtlinge und Immigranten, die gewaltsamen und traumatischen Verlusten ausgesetzt waren, haben ein erhöhtes Risiko, eine anhaltende Trauerstörung zu entwickeln. Weitere prädiktive Faktoren umfassen unzureichende soziale Unterstützung nach dem Verlust, dysfunktionale kognitive Überzeugungen und ein erhöhtes Stressniveau zum Todeszeitpunkt. Ein hohes Maß an sozialer Unterstützung sowie Vorkehrungen für einen bevorstehenden Tod können dagegen Schutzfaktoren darstellen. Forschungserkenntnisse belegen zudem, dass der Tod eines geliebten Menschen und die damit verbundenen Trauerreaktionen auch neurobiologische und kognitive Auswirkungen haben. Unmittelbar nach dem Verlust ­wurden unterschiedlichste physiologische Veränderungen dokumentiert. Diese umfassen u.  a. ein dysreguliertes Schlafverhalten, Immunsuppression, erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen sowie Veränderungen im Blutdruck und in der Herzfrequenz (Buckley et al. 2012; Stelzer et al. in Vorbereitung). Physiologische Veränderungen tragen womöglich zur Entwicklung oder Aufrechterhaltung einer anhaltenden Trauerstörung bei. So hatten Trauernde, die keine Beeinträchtigungen im Schlafverhalten während ihrer Trauer berich-

73 Anhaltende Trauerstörung

teten, ein geringeres Risiko, zwei Jahre später unter depressiven Symptomen zu leiden. Auch auf kognitiver Eben finden sich Unterschiede zwischen Trauernden mit einem normalen vs. pathologischen Trauerverlauf. Trauernde, die unter pathologischen Trauerreaktionen leiden, verarbeiten trauerbezogene Informationen weniger schnell (Maccallum und Bryant 2010) und erleben eine höhere Interferenz durch trauerbezogene Stimuli, was als Indiz für die starke gedankliche Verhaftung bei anhaltenden Trauerstörungen gewertet werden kann (O’Connor und Arizmendi 2014). Kognitive Modelle stellen maladaptive gedankliche Prozesse in den Mittelpunkt ihrer ätiologischen Erklärungskonzepte. Veränderte kognitive Schemata (Einstellungen, Überzeugungen; z.  B. negatives Selbstbild, Abwertung der Zukunft) in Kombination mit Vermeidungsverhalten tragen zur Aufrechterhaltung der anhaltenden Trauerstörung bei (7 Kap. 20; Znoj 2016). Ein ähnlicher Erklärungsansatz findet sich im kognitiv-behavioralen Trauermodell (Boelen et al. 2006), das annimmt, dass dysfunktionale Kognitionen (z. B. gedankliche Verhaftung) eine Akzeptanz und Integration des Verlustes verhindern. Andere Therapierichtungen legen weitere Erklärungsmodelle zugrunde und erachten bestimmte Aspekte als Risko- oder Schutzfaktoren. Humanistische Ansätze stellen beispielsweise die Suche nach einem Lebenssinn in den Mittelpunkt. Systemische Ansätze zielen auf die Wiederherstellung eines Gleichgewichtes in Beziehungen ab. Die Gestalttherapie fokussiert die Technik des leeren Stuhls als Projektionsfläche. Die neuen ICD-11-Kriterien zur anhaltenden Trauerstörung werden eine intensivere Ausarbeitung bestehender und neuer Erklärungs- und Therapiemodelle anregen.  

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C. Killikelly und A. Maercker

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79

Anpassungsstörung R. Bachem 5.1

Definition – 80

5.2

Evolution der Anpassungsstörung – 80

5.2.1 5.2.2

F rühere Konzepte – 80 Aktuelle Entwicklungen – 81

5.3

Symptombild der Anpassungsstörung – 81

5.3.1 5.3.2

 iagnosekriterien im ICD-11 – 81 D Diagnosekriterien im DSM-5 – 82

5.4

 roblembereiche und Lösungsversuche P der Diagnose – 82

5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4

 npassungsstörung: subklinische oder vollwertige A Diagnose? – 82 Abgrenzung von normaler Stressreaktion – 83 Abgrenzung von anderen psychischen Störungsbildern – 83 Subtypen schlecht validiert – 84

5.5

Erklärungsmodelle – 84

5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4

 npassungsstörung nach Horowitz – 84 A Krisenmodell nach Caplan – 85 Vulnerabilitäts-Stress-Modell der Anpassungsstörung – 86 Biologische Faktoren – 87

5.6

Erfassung von Anpassungsstörungen – 87

5.6.1 5.6.2

 linisches Interview – 87 K Fragebogen – 88

5.7

Epidemiologie, Komorbidität und Verlauf – 88

5.7.1 5.7.2 5.7.3

E pidemiologie – 88 Komorbidität – 89 Verlauf und Prognose – 89

Literatur – 90 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_5

5

80

R. Bachem

5.1  Definition

5

Als Anpassungsstörung werden maladaptive Reaktionen auf kritische, nichttraumatische Lebensereignisse bezeichnet. Solche Lebens­ ereignisse können sowohl einmalige Belas­ tungen wie beispielsweise ein Beziehungsab­ bruch oder Arbeitsplatzverlust sein als auch anhaltende schwere Belastungen wie Armut, Migration oder eine gravierende körperliche Erkrankung. Ein kritisches Lebensereignis (Auslöser von Anpassungsstörung) unter­ scheidet sich von einem traumatischen Er­ eignis (Auslöser von posttraumatischer und komplexer posttraumatischer Belastungsstö­ rung) insbesondere durch die tiefere Inten­ sität des Stressors. Darüber hinaus bestehen verglichen mit der posttraumatischen Belas­ tungsstörung Unterschiede in der Verlaufs­ dynamik und Schwere der syndromalen Ausprägung. Die Symptome der Anpas­ sungsstörung entwickeln sich innerhalb ei­ nes Monats nach dem erstmaligen Auftreten des Stressors und bilden sich in der Regel innerhalb von 6  Monaten nach dessen Been­ digung zurück.

5.2  Evolution der

Anpassungsstörung

5.2.1  Frühere Konzepte

Erstmals erschien die Diagnose Anpassungs­ störung im DSM-III (APA 1980) als eine Art Sammeldiagnose für diejenigen Patienten, die nicht die Kriterien einer spezifischeren Dia­ gnose wie beispielsweise einer Depression oder Angststörung erfüllten. In der 10.  Revision fasste auch die ICD-10 (WHO 1992) den Be­ griff Anpassungsstörung auf. Seit ihren Anfän­ gen wurde die Diagnose kontrovers diskutiert, da Gegner der Anpassungsstörung befürchte­ ten, dass normale Schwierigkeiten des Lebens pathologisiert würden (z.B. Fabrega und Mez­ zich 1987). Andererseits ermöglichte die Ein­ führung der Anpassungsstörung eine breitere Abdeckung und Kostenübernahme von the­ rapeutischen Interventionen durch das Ge­ sundheitssystem. Trotz kleiner Änderungen in weiteren Editionen der Klassifikationssysteme (. Tab. 5.1) ist die Anpassungsstörung bis zum ErscheinendesICD-11primäreineAusschlussdia­gnose geblieben, die nur diagnostiziert wurde,  

..      Tab. 5.1  Evolution der Anpassungsstörung in den Klassifikationssystemen DSM

ICD

DSM-I (1952) + DSM-II (1968): Vorübergehende situationsabhängige (Persönlichkeits-)Störungen

ICD-9 (1978) Psychogene Reaktionen, untergliedert in akute Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen

DSM-III (1980): Anpassungsstörung

ICD-10 (1992): Anpassungsstörungen (Kapitel F43: Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen)

DSM-IIIR (1987): Ätiologisches Kriterium von psychosozialem Belastungsfaktor zu Belastungsfaktor geändert

ICD-11 (2018): Anpassungsstörung (Kapitel 06: Spezifisch belastungsbezogene Störungen)

DSM-5 (2014): Von eigenständiger Diagnosegruppe in das Kapitel der spezifisch belastungsbezogenen Störungen mit eingebunden

81 Anpassungsstörung

sofern die Kriterien für eine vollwertige Dia­ gnose nicht erfüllt waren. Folglich hat sich auch das Forschungsinteresse stärker auf vollwertige Diagnosen wie etwa Depression oder Angst­ störung konzentriert, während den Anpas­ sungsstörungen weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde (Casey 2014). Dies steht in deutlichem Gegensatz zur klinischen Praxis, wo die Anpassungsstörung mit Prävalenzen von bis zu 30 % zu den am häufigsten behan­ delten psychischen Störungen gehört (Casey 2014; Evans et al. 2013). 5.2.2

Aktuelle Entwicklungen

Eine wichtige Neuerung in den aktuellen Di­ agnosesystemen ICD-11 und DSM-5 betrifft die Einführung des neuen Kapitels der spezi­ fisch belastungsbezogenen Störungen. Beide dia­ gnostischen Manuale führen in diesem Kapitel nun auch die Anpassungsstörung auf, wobei sich die inhaltliche Konzeptualisierung der Anpassungsstörung jedoch stark unter­ scheidet. Das ICD-11 hat im Gegenzug zu den Vorgängerversionen einen Paradigmen­ wechsel vorgenommen und definiert die An­ passungsstörung erstmals anhand spezifischer Symptome (Maercker et al. 2013), während das DSM-5 sie weiterhin als Diagnose, die wesent­ lich über Ausschlusskriterien zustande kommt, aufführt. 5.3  Symptombild der

Anpassungsstörung

5.3.1  Diagnosekriterien im ICD-11

Das ICD-11 versteht die Anpassungsstörung erstmals als ein vollwertiges Störungsbild mit eigenem Symptomprofil. Hierbei wird die An­ passungsstörung auf einem Stresskontinuum angesiedelt, ebenso wie die posttraumatische Belastungsstörung und die anhaltende Trauer­ störung. Es wird da­von ausgegangen, dass für

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die Belastungsre­aktion der Anpassungsstörung ähnliche Symp­tome charakteristisch sind wie auch für die posttraumatische Belastungsstö­ rung. Dieses Konzept der Anpassungsstörung als Stressfolge­syndrom wurde ursprünglich von Mardi J. Ho­rowitz (1973) entworfen und steht in Einklang mit der von DSM-5 und ICD-11 getroffenen Entscheidung, alle Störungsbilder, die durch die Konfrontation mit einem psycho­ sozialen Stres­sor ausgelöst werden, in einem eigenen Kapitel zu vereinen. Die Symptome der ICD-11-­ Anpassungs­ störung umfassen Präokkupationen und An­ passungsschwierigkeiten sowie eine Reihe von Zusatzsymptomen, die spezifische Cha­ rakteristika der früheren Subtypen beinhal­ ten (z.  B.  Symptome in Zusammenhang mit Depression, Angst oder Impulskontrollver­ lust). Symptome der Anpassungsstörung 55 Hauptsymptomgruppen: ȤȤ Präokkupation (gedankliches Verhaftetsein) wie übermäßiges Grübeln, wiederkehrende und belastende Gedanken oder anhaltende Sorgen ȤȤ Anpassungsschwierigkeiten zeigen sich in einem Interesse­ verlust gegenüber der Arbeit, dem sozialen Leben, der Beziehung zu anderen und Freizeitaktivitäten. Der/die Betreffende kann Konzentrati­onsbzw. Schlafprobleme zeigen 55 Akzessorische Symptome: ȤȤ mit Angst, Depression, Vermeidung oder Störung des Sozial­ verhaltens

Die Anpassungsstörung ist auch im ICD-­11 weiterhin eine zeitlich befristete Störung, die sich innerhalb eines Monats nach dem Auf­ treten der Belastung entwickelt. Die Symp­

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tome sollten sich typischerweise innerhalb von 6 Monaten zurückbilden, es sei denn, der Stressor bleibt über eine längere Zeit bestehen. Im Gegensatz zu den Vorgängerkonzepten wird die ICD-11-Anpassungsstörung jedoch nicht mehr als Ausschlussdiagnose gehand­ habt, sondern kann in Kombination mit an­ deren psychischen Störungen auftreten, sofern substanzielle, nicht überlappende Symptome bestehen. Dies könnte etwa bei Vorliegen von spezifischen Phobien, Panikstörung oder so­ matischer Belastungsstörung der Fall sein. Ferner müssen bei den beiden komorbiden Er­ krankungen unterschiedliche Störungsverläufe erkennbar sind. Eine separate Diagnose der Anpassungsstörung sollte jedoch nicht verge­ ben werden, wenn kritische Lebensereignisse lediglich zu einer Exazerbation bereits vorhan­ dener Symptome führen. Schließlich betrifft die letzte substanzielle Änderung im ICD-11 die Abschaffung von verschiedenen Subtypen der Anpassungsstörung. 5.3.2

Diagnosekriterien im DSM-5

Analog zum ICD-11 beschreibt das DSM-5 die Anpassungsstörung als eine Reaktion auf ein kritisches Ereignis, wobei sich die Symptoma­ tik innerhalb von 3  Monaten nach dem Auf­ treten des Stressors entwickelt. Die Symptome müssen entweder klinisch signifikant sein (über die Reaktion hinausgehen, die man nor­ malerweise als Reaktion auf den spezifischen Stressor erwarten würde) oder signifikante Be­ einträchtigung im sozialen oder beruflichen Funktionieren verursachen. Sie dürfen nicht durch eine andere psychiatrische Diagnose bedingt sein und nicht auf einen Trauerfall zurückgeführt werden können. Es werden ver­ schiedene Subtypen unterschieden: 55 mit depressiver Stimmung, 55 mit Angst, 55 mit Angst und depressiver Stimmung, 55 mit Störung des Sozialverhaltens, 55 mit Störung von Emotion und Sozialver­ halten.

Es wird keine Mindestanzahl an Symptomen genannt, die zur Vergabe der Diagnose An­ passungsstörung vorliegen müssen. Im DSM-5 wird die Anpassungsstörung weiterhin als Ausschlussdiagnose gehandhabt und findet keine Anwendung, sofern eine komorbide psy­ chische Störung vorliegt. 5.4  Problembereiche und

Lösungsversuche der Diagnose

In einer globalen Studie, die über 5000 Psychi­ ater umfasste, wurde die Anpassungsstörung als siebthäufigste Diagnose angegeben. Gleich­ zeitig wurde sie bezüglich ihrer diagnostischen Anwendungsfreundlichkeit als eine der fünf problematischsten gewertet (Evans et al. 2013; Reed et al. 2011). Die Problembereiche in Zu­ sammenhang mit der Anpassungsstörung um­ fassen die Frage, ob der subklinische Status der Anpassungsstörung gerechtfertigt ist sowie die unklaren Grenzen zwischen pathologischem und normalem Stress und zwischen Anpas­ sungsstörung und anderen Störungsbildern. Weiterhin sind die Subtypen, die zumindest im DSM-5 weiterhin Anwendung finden, schlecht validiert (O’Donnell et al. 2016). 5.4.1

Anpassungsstörung: subklinische oder vollwertige Diagnose?

Aufgrund der Tatsache, dass Anpassungsstö­ rung als eine Ausschlussdiagnose gehandhabt wird, wird sie häufig als diagnostische Rest­ kategorie für jene Patienten genutzt, die nicht die Schwelle einer anderen Diagnose erreichen (Baumeister und Kufner 2009). Klinische Stu­ dien versuchten, die Belastungsschwere bei Patienten mit Anpassungsstörungen und ande­ ren vollwertigen Diagnosen zu untersuchen und berichteten unterschiedliche Resultate. Manche Studien stellten keinen Unterschied in der Symptomschwere zwischen Anpassungs­

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störung und beispielsweise der Depression fest (Casey et al. 2006), während andere Studien die Anpassungsstörung als weniger gravierend ein­ schätzten, jedoch mit einer Symptombelastung im mittleren Bereich (Doherty et  al. 2014; Fernández et  al. 2012). In einer längsschnitt­ lichen Analyse zeigten Patienten mit Anpas­ sungsstörung nach einem schweren Unfall zwar einerseits signifikant tiefere Lebensqualität, mehr depressive- und Angstsymptome als ge­ sunde Personen, andererseits waren sie weniger stark belastet als jene, die unter anderen psychi­ schen Störungen litten (O’Donnell et al. 2016). Besonders aufschlussreich sind jedoch jene Studienergebnisse, die Anpassungsstörung in Zusammenhang mit Suizidalität untersuchen. Es wurde bei Anpassungsstörungspatienten ein bis zu 12-fach erhöhtes Suizidrisiko ge­ funden (Casey et al. 2015; Gradus et al. 2010). Weiterhin wurde festgehalten, dass Anpas­ sungsstörung bei Suizidopfern in manchen Kulturen die häufigste psychische Störung zu sein scheint, sowohl bei Erwachsenen (Ma­ noranjitham et al. 2010) als auch Adoleszen­ ten (Lönnqvist et al. 1995). In ihrer Gesamt­ heit sprechen diese Ergebnisse dafür, dass der Diagnose Anpassungsstörung der Status einer vollwertigen Diagnose zugesprochen wird. 5.4.2

 bgrenzung von normaler A Stressreaktion

Das Kernproblem der Abgrenzbarkeit ist da­ rauf zurückzuführen, dass bis zum Erscheinen des ICD-11 keine spezifischen Symptome de­ finiert waren, wie es für die meisten anderen psychischen Störungen Standard ist. Die dia­ gnostische Schwierigkeit besteht darin, dass kritische Lebensereignisse bei den meisten Be­ troffenen eine Belastungsreaktion auslösen, die jedoch nicht unbedingt das Ausmaß einer psy­ chischen Störung erreicht. Wo die Grenze zwi­ schen normalem und pathologischem Stress liegt, ist für die meisten Lebensbereiche aller­ dings schlecht bestimmbar und somit im Falle der Anpassungsstörung dem klinischen Urteil

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des Diagnostikers überlassen. Als Leitlinien dienten die Kriterien der klinischen Signifi­ kanz und funktionalen Beeinträchtigung, die wiederum vom Kliniker evaluiert werden. Das ICD-11 hat durch das spezifische Symptom­ profil das Problem der mangelnden Abgrenz­ barkeit von normalem Stress aufgegriffen. Erste Feldstudien validieren diesen Entschluss und deuten darauf hin, dass die Reliabilität der ICD-11 Anpassungsstörung im Vergleich zur Vorgängerversion verbessert wurde (Reed et  al. 2018). Im DSM-5 hingegen besteht die Schwierigkeit weiterhin. 5.4.3

 bgrenzung von anderen A psychischen Störungsbildern

Aufgrund der bedeutenden Überschneidung mit anderen subklinischen und klinischen Störungsbildern gerade im Bereich der De­ pressionssymptome wurde die Anpassungs­ störung als „zu umfassend für klinische Nütz­ lichkeit“ bezeichnet (Semprini et  al. 2010). Beispielsweise zeigte sich, dass Personen, die unter einer somatischen Erkrankung leiden und infolgedessen eine Anpassungsstörung entwickeln, häufig diverse weitere Syndrome wie Somatisierung, Demoralisierung und Ale­ xithymie berichten. Diese Syndrome schla­ gen spezifischere psychotherapeutische und psychopharmakologische Interventionen vor, als es die Diagnose Anpassungsstörung zu­ mindest in der früheren ICD-10- und DSM5-­Konzeptualisierung tut (Grassi et  al. 2007). Auch diesem Problem versucht das ICD-11 mit dem neuen Störungskonzept der Anpas­ sungsstörung entgegenzutreten, da die Defini­ tion von spezifischen Symptomen stärker ziel­ gerichtete Interventionen zulässt. Studienergebnisse illustrieren, wie schlecht die älteren Konzepte der Anpassungsstörung von anderen Störungsbildern abgrenzbar sind. Es wurde beispielsweise festgehalten, dass sich die Prävalenz von Anpassungsstörung stark un­ terscheidet, abhängig davon, ob ein klinisches

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oder ein strukturiertes Interview durchgeführt wird. Im klinischen Interview erhielten 31.8 % der Patienten eine Anpassungsstörung, wäh­ rend bei 19,5 % eine Depression diagnostiziert wurde. Ein SKID Interview führte jedoch zu einer Umkehrung der Prävalenzraten mit 7,8 % Anpassungsstörung und 36,4 % Depression. Inwiefern das ICD-11-Konzept die Ab­ grenzbarkeit von anderen Störungsbildern ver­ bessert, wird sich zukünftig in der klinischen Praxis zeigen und sollte in wissenschaftlichen Studien gezielt evaluiert werden. Aufgrund der Entscheidung, das Symptomprofil der Anpassungsstörung konzeptuell näher an die posttraumatische Belastungsstörung heranzu­ rücken, ist die Abgrenzung von der posttrau­ matischen Belastungsstörung von besonderem Interesse. Eine erste Evaluationsstudie fand, dass trotz der konzeptuellen Ähnlichkeit die beiden Diagnosen von Klinikern gut unter­ schieden werden konnten (Keeley et al. 2016). 5.4.4

Subtypen schlecht validiert

Die Subtypen des früheren ICD-10 und des gegenwärtigen DSM-5 gelten als empirisch schlecht validiert und wurden wiederholt kri­ tisiert aufgrund ihrer ungenügenden Reliabili­ tät (Baumeister und Kufner 2009; Strain und Diefenbacher 2008). Der Vorteil in der Be­ stimmung eines Subtyps liegt darin, dass er klinische Informationen enthält, von welchen Interventionen abgeleitet werden können. Dies ist insbesondere bei einer narrativen Diagno­ sebeschreibung ohne spezifische Symptome wichtig. Insofern scheint es wahrscheinlich, dass Therapeuten, die nach DSM-5 arbeiten, im klinischen Alltag von der Existenz der Sub­ typen profitieren. Im ICD-11 hat hingegen die tiefe Validität der Subtypen dazu geführt, dass diese abgeschafft wurden, ein Entschluss, der sich in einer israelischen Bevölkerungsstich­ probe bereits als gerechtfertigt erwiesen hat (Lorenz et  al. 2018a). Darüber hinaus bietet das neue Konzept mit spezifischem Symptom­ profil ebenfalls konkrete Ansatzpunkte für kli­ nische Interventionen.

5.5  Erklärungsmodelle

Es bestehen zurzeit nur wenige theoretische Modelle, die sich der Ätiopathogenese von Anpassungsstörungen widmen. Per Defini­ tion muss ein kausaler Bezug der Sympto­ matik zu einem kritischen Lebensereignis bestehen, was sie von den meisten anderen psychischen Störungen unterscheidet. Drei verschiedene theoretische Modelle (Caplan 1964; Horowitz 1986; Selye 1956) können dazu herangezogen werden, die Anpassungs­ störung im Sinne eines Stressfolgesyndroms zu erklären. Dieser Ansatz steht im Einklang mit der Entscheidung beider diagnostischen Manuale, Anpassungsstörung in einem neuen Kapitel der spezifisch belastungsbezogenen Störungen einzuordnen, deckt sich jedoch insbesondere mit dem ICD-11-Konzept der Anpassungsstörung. 5.5.1

Anpassungsstörung nach Horowitz

Erstmals hat Mardi Horowitz (1986) die An­ passungsstörung als Stressfolgesyndrom kon­ zeptualisiert und ihre Gemeinsamkeiten mit anderen stressorbedingten Störungsbildern wie der posttraumatischen Belastungsstörung, der akuten Belastungsstörung und der kompli­ zierten Trauer betont. Sein Erklärungsmodell betont somit die konzeptuelle Nähe zur post­ traumatischen Belastungsstörung und bildet die Grundlage, auf welcher das ICD-11 mit den beiden Symptomclustern Präokkupatio­ nen und Anpassungsschwierigkeit aufbaut. Das Modell postuliert, dass die Stressre­ aktion in 4 aufeinanderfolgenden Phasen ver­ läuft. In der ersten Phase steht das Realisieren des Geschehenen im Zentrum, begleitet von Emotionen wie Angst, Wut oder Traurigkeit. Darauf folgt eine zweite Phase, in der versucht wird, das Ereignis und dessen Implikationen zu verdrängen. In der dritten Phase führen solche Prozesse dazu, dass Erinnerungen mit intrusivem Charakter wieder ins Bewusstsein dringen. Der Inhalt dieser intrusiven Erinne­

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..      Abb. 5.1 Allgemeines Phasenmodell der Anpassungsstörung nach Horowitz. (Aus Simmen-­Janevska und Maercker 2011; mit freundlicher Genehmigung des Thieme-Verlags)

normale Folgen schwerer Lebensereignisse

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pathologische Folgen

situative Bewältigung

intensive Gefühle

Überwältigung. Dissoziation

Verdrängung/Verleugnung

dysfunktionales Verhalten (z. B. Beruhigungsmittelabusus)

lntrusionen

Verhaftetsein (z. B. kompulsives Wiederholen)

Elaborieren/Durcharbeiten

Angst und depressive Reaktionen, psychophysiologisches Ungleichgewicht

relativer Abschluss

subjektiver „Bruch der Lebenslinie“

rungen ist unvereinbar mit den bestehenden mentalen Schemata und macht deren Anpas­ sung notwendig, was in der vierten Phase des Durcharbeitens geschieht und unterschiedli­ che Konsequenzen haben kann. Der Verarbei­ tungsprozess führt in der Regel dazu, dass die betroffene Person relative Gefühlsstabilisie­ rung erreicht, sich an die veränderte Situation anpasst und schließlich die Bewältigung des Lebensereignisses abschließen kann. Nimmt der Prozess jedoch ein pathologi­ sches Ausmaß an, erfolgt nicht Stabilisierung und Akzeptanz, sondern es bildet sich eine psychische Störung heraus. Geschieht dies, so kann es sich um eine akute Belastungsreaktion, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine kurze psychotische Störung, eine anhaltende Trauerstörung oder eine Anpassungsstörung handeln. Beispielsweise kann die Phase des Verdrängens in dysfunktionalem Vermei­ dungsverhalten resultieren, oder Intrusionen können zu pathologischem gedanklichem Verhaftetsein in der Stresssituation führen.

Probleme in der Phase des Durcharbeitens mögen sich beispielsweise auch als psycho­ somatische oder andere psychopathologische Symptome ausdrücken. Der phasenweise Ab­ lauf der Stressreaktion und potenzieller Fol­ gen der genannten Prozesse ist verdeutlicht in . Abb. 5.1. Es besteht jedoch weiterhin Bedarf, diese Phasen empirisch zu validieren (Creamer et al. 1992).  

5.5.2

Krisenmodell nach Caplan

Das Krisenmodell (Caplan 1964) beschreibt typische Reaktionsverläufe auf belastende und potenziell destabilisierende Ereignisse. Obwohl es nicht spezifisch für die Anpas­ sungsstörung konzipiert wurde, bildet es eine Grundlage, um ätiologische Annahmen zu treffen. Gemäß der Krisentheorie kann die Anpassungsstörung als ein aktuell von der betroffenen Person nicht lösbares Problem verstanden werden, das mit einem kritischen

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Lebensereignis als Auslösersituation für eine Anpassungsstörung gleichgesetzt wird. Die Person wird dadurch in einen Labilisierungs­ zustand versetzt und versucht in einem ersten Schritt, bereits bekannte Coping- und Ab­ wehrmechanismen einzusetzen. Sofern dies zur Lösung des Problems führt, werden keine neuen Verhaltensmuster entwickelt, und es findet keine Veränderung statt. Reichen die bekannten Strategien jedoch nicht aus, so muss das Copingrepertoire erweitert werden, was, sofern eine erfolgreiche Bewältigung er­ folgt, mit persönlichem Wachstum und Rei­ fung der Person einhergeht. Werden jedoch keine flexiblen Verhaltensmuster entwickelt, schlagen die Bewältigungsversuche fehl, und die Person entwickelt psychopathologische Symptome, wie etwa die Symptome der An­ passungsstörung. Welchen Verlauf die Stressre­ aktion nimmt, hängt also von der Flexibi­ lität der vorhandenen Abwehrmechanismen der Person ab. Auch dieses Modell bedarf em­ pirischer Validierung.

5.5.3

Vulnerabilitäts-StressModell der Anpassungsstörung

Ein Erklärungsmodell der Anpassungsstörung im Sinne eines Vulnerabilitäts-Stress-Modells wurde von Forstmeier (2013) präsentiert (. Abb. 5.2). Nach einem kritischen Lebensereignis wird das Ausmaß des erlebten Stresses durch Art, Dauer und Schwere des Ereignisses mit­ bestimmt. Ob sich eine Anpassungsstörung entwickelt oder nicht, kommt jedoch insbe­ sondere auch auf die individuellen Vulnera­ bilitätsfaktoren an, die die Bewältigungsver­ suche mitbestimmen. Besonders relevante Vulnerabilitätsfaktoren für die Anpassungsstö­ rung sind gemäß Forstmeier (2013) kognitive ­Neigungen wie die Intrusions-, Vermeidungs-, Depressions-, Angst- und Aggressionsnei­ gungen. Weiterhin erhöhen komorbide oder frühere psychische Störungen, frühere Erfah­  

Mangelnde Anpassungsfähigkeit - Selbstregulation - Selbstwirksamkeit, Kohärenzsinn - Religiöse Ressourcen Ereignis - Art - Dauer - Schwere + Vulnerabilität - Kognitive Neigungen - Körperlicher Zustand - Komorbide Störungen (inkl. Suizidalität) - Frühere psychische Störungen - Frühere Erfahrungen von Ereignissen - Geschlecht, Alter, Bildung - Persönlichkeit (Extraversion, Neurotizismus, Psychotizismus)

lnitiale Reaktion - Bewertung des Ereignisses: •Bedrohung zentraler Aspekte des Selbst •Kontrollierbark., Vorhersagbark. •Katastrophisierung

Anpassungsstörung - Hauptsymptome - Subtyp

- Dysfunktionale Bewältigungsversuche: •lntrusionen •Vermeidung

Mangelnde soziale Unterstützung - Soziales Netz, Ehestatus... - Disclosure - Soziale Anerkennung

..      Abb. 5.2  Vulnerabiläts-Stress-Modell der Anpassungsstörung. (Aus Forstmeier 2013)

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rungen mit Stressereignissen oder schlechte körperliche Gesundheit das Risiko für Anpas­ sungsstörungen (z.  B.  Anastasia et  al. 2016). Alter, Geschlecht und Zivilstand einer Person (Hund et al. 2016; Yaseen 2017), aber auch Per­ sönlichkeitsmerkmale (Extraversion, Neuroti­ zismus, Psychotizismus) stehen ebenfalls mit dem Anpassungsstörungsrisiko in Verbindung (Forstmeier 2013). Mangelnde Anpassungs­ fähigkeit (z.  B.  Selbstregulation, Selbstwirk­ samkeit, Kohärenzsinn oder religiöse Ressour­ cen) und wenig soziale Unterstützung werden weiterhin als zentrale Vulnerabilitätsfaktoren gesehen, die mitbestimmen, ob eine Person eine Anpassungsstörung entwickelt oder nicht (Ozbay et  al. 2007; Perkonigg 1993). Folglich führt zur Anpassungsstörung die Kombination von Stressoren und Vulnerabilitäten. Aus the­ rapeutischer Sicht lässt sich von einem solchen Vulnerabilitäts-­Stress-Modell ein individuelles Störungsmodell ableiten, das die Grundlage für spezifische Interventionen bieten kann. Eine neuere Studie verwendete das sozial-­ interpersonale Erklärungsmodell der Trauma­ folgestörungen (7 Kap.  2), um entsprechende ätiologische Faktoren der Anpassungsstörung zu identifizieren (Lorenz et al. 2018b). Dieses Rahmenmodell hebt die Bedeutung von in­ trapersonalen sozioaffektiven und interperso­ nalen Prozessen für die Reaktion auf aversive Ereignisse hervor. Es wurden Einsamkeit und dysfunktionale Offenlegung und tiefe Selbst­ wirksamkeit als Risikofaktoren der Anpas­ sungsstörung identifiziert.  

5.5.4

Biologische Faktoren

5

ein Ungleichgewicht zwischen Erregungsund Hemmungsprozessen mit Veränderun­ gen in den HPA-Mechanismen einhergeht. Vielversprechend scheint dieser Ansatz, da HPA-­ Veränderungen auch bei anderen Stö­ rungsbildern wie der posttraumatischen Be­ lastungsstörung oder Depression aufgedeckt worden sind (Jean und Groman 2005; Morris et al. 2012; Yehuda 2009). Zurzeit liegen lediglich einige Befunde zu Stressmarkern von Patienten mit Anpassungs­ störungen vor. Etwa zeigte sich, dass eine ne­ gative Korrelation zwischen dem morgendli­ chen Plasmakortisolspiegel und verschiedenen psychometrischen Parametern bei Mobbing­ opfern mit einer Anpassungsstörung bestand (Rocco et al. 2007). Eine weitere Untersuchung verglich Mobbingopfer und gesunde Personen und fand erhöhte Serumlevel von carbonylier­ ten und nitrolysierten Proteinen, die als biolo­ gische Marker von oxidativem Stress gelten (Di Rosa et  al. 2009). Tripodianakis et  al. (2000) stellten bei Personen mit Anpassungsstörun­ gen, die einen Suizidversuch begangen hat­ ten, eine geringere MAO-­Enzymaktivität und höheres Plasmakortisol fest im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe. Andererseits fand eine weitere Studie, dass nur bei depres­ siven Personen, nicht aber bei jenen mit einer Anpassungsstörung, eine signifikant negative Korrelation zwischen Suizidabsichten und dem Kortisolspiegel nach dem Dexamethason­ test bestand. Insofern glichen in dieser Unter­ suchung Personen mit Anpassungsstörung eher einer gesunden Kontrollgruppe (Lind­ qvist et al. 2008). Folglich sind weitere Unter­ suchungen zu den biologischen Grundlagen der Anpassungsstörung dringend indiziert.

Bisher wurde kaum Forschung spezifisch zur Psychobiologie der Anpassungsstörung be­ trieben. Der biologische Ansatz (Selye 1956), 5.6  Erfassung von Anpassungsstörungen versteht Stress als eine nonspezifische Re­ aktion des Körpers auf Herausforderungen der Umwelt und hebt insbesondere die Be­ 5.6.1  Klinisches Interview deutung der Hypothalamus-Hypophysen-­ Nebennierenrinden-Achse (HPA) in der Die strukturierte Erfassung der Anpassungs­ menschlichen Stressreaktion hervor. Patho­ störung mittels klinischer Interviews ist bisher logische Symptome entwickeln sich, wenn noch schwierig, da die Anpassungsstörung in

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den gängigen diagnostischen Interviews wie etwa dem Composite International Diagnostic Interview (CIDI; dt. Wittchen et al. 1995) gar nicht oder ansonsten nur ungenügend erfasst wird. Beispielsweise wird im Strukturierten Klinischen Interview (SKID; dt. Wittchen et al. 1997), einem der etabliertesten Interviews, die Anpassungsstörung nur erfasst, sofern keine andere psychische Störung vorliegt. Im Mu­ nich Composite Diagnostic International In­ terview (M-CIDI/DIAX; Wittchen und Pfister 1997) ist die Anpassungsstörung zurzeit nicht enthalten, es wurde allerdings eine Zusatzsek­ tion spezifisch für Krebspatienten entwickelt (Hund et  al. 2014). Weiterhin wird gegen­ wärtig auch eine Sektion erarbeitet, anhand derer die Anpassungsstörung gemäß ICD-11 und DSM-5 erfasst werden kann. Das einzige Interview, das explizit für die Erfassung von Anpassungsstörungen entwickelt wurde, ist je­ doch das Diagnostic Interview for Adjustment Disorder (DIAD; Cornelius et  al. 2014), ein 29 Fragen umfassendes Interview zur Identifi­ zierung von kritischen Lebensereignissen und der daraufhin entwickelten psychischen Symp­ tomatik. Das DIAD hat erste zufriedenstel­ lende Ergebnisse hinsichtlich Validität gezeigt, erfasst sie allerdings gemäß DSM-IV (Corne­ lius et al. 2014). 5.6.2

Fragebogen

Gegenwärtig besteht nur ein Fragebogen, der spezifisch zur Erfassung der Anpassungsstö­ rung entwickelt wurde: der Adjustment Disor­ der – New Module (ADNM), der die Störung anhand der ICD-11-Kriterien erfasst. Der ADNM misst Präokkupationen und Fehl­ anpassungssymptome sowie diverse Zusatz­ symptome anhand von 20  Items (ADNM-20; Glaesmer et al. 2015). Weiterhin bestehen eine Kurzversion mit 8  Items (Kazlauskas et  al. 2018) sowie eine Screeningversion mit 4 Items (Ben-Ezra et al. 2018), die nur die Kernsymp­ tombereiche der Präokkupationen und Fehl­ anpassung erheben und ebenfalls eine gute Va­ lidität aufweisen.

Personen mit hohem Risiko für Anpas­ sungsstörung können anhand eines validierten Schwellenwerts des ADNM-20 identifiziert werden (Lorenz et al. 2016). Die verschiedenen Versionen des ADNM-20 sind auf Deutsch ver­ fügbar auf: 7 http://www.­psychologie.­uzh.­ch/  

de/fachrichtungen/psypath/ForschungTools/ Fragebogen.­html

5.7  Epidemiologie, Komorbidität

und Verlauf

5.7.1  Epidemiologie

Die Anpassungsstörung wurde in wenigen epi­ demiologischen Studien erfasst, und aufgrund der unzulänglichen Erfassung im strukturier­ ten Interview mögen die Prävalenzraten unter­ schätzt werden. Darüber hinaus ist es wahr­ scheinlich, dass in zukünftigen Studien die unterschiedlichen Konzepte der Anpassungs­ störung in ICD-11 und DSM-5 in leicht unter­ schiedlichen Prävalenzraten resultieren werden. 5.7.1.1  Gesamtbevölkerung

In der Gesamtbevölkerung wurde anhand des ICD-10 Konzepts eine Prävalenz der Anpas­ sungsstörung in fünf europäischen Ländern (England, Irland, Spanien, Finnland, Nor­ wegen) von 1  % festgestellt (Ayuso-Mateos et  al. 2001). Unter Verwendung des ICD-11-­ Konzepts wurde in einer neueren repräsentati­ ven Stichprobe der deutschen Gesamtbevölke­ rung eine Prävalenz von 1,4 % ermittelt, resp. 0,9 % wenn funktionale Beeinträchtigung vo­ rausgesetzt wurde (Maercker et al. 2012). Die Befragung einer repräsentativen Gruppe älte­ rer Menschen in der Schweiz (65–96 Jahre) re­ sultierte in einer etwas höheren Prävalenz von 2,3 %, was vermutlich mit der größeren Anzahl kritischer Lebensereignisse im höheren Le­ bensalter in Verbindung steht (Maercker et al. 2008). Schließlich fand sich in einer Hochrisi­ kostichprobe von Personen, die in einem ehe­ maligen Konfliktgebieten leben, eine Prävalenz von Anpassungsstörung bei 6–40 % (Dobricki et al. 2010).

89 Anpassungsstörung

5

5.7.1.2  Medizinische Einrichtungen

auftritt (Greenberg et al. 1995; Kryzhanovskaya Anpassungsstörungen treten im Liaison-­ und Canterbury 2001). Das gemeinsame Auf­ Konsular-­Dienst relativ häufig auf. In der Ge­ treten mit Persönlichkeitsstörungen ist eben­ samtpopulation der somatisch Erkrankten falls häufig und wurde in verschiedenen Stu­ wurde die Anpassungsstörung in einer Häufig­ dien in einem Ausmaß zwischen 15 % (Strain keit von 1–2,9  % festgestellt (DSM-IV; Fern­ et al. 1998) und 56 % (Doherty et al. 2014) fest­ ández et al. 2012; Semaan et al. 2001), welche gestellt. Darüber hinaus zeigen Anpassungs­ unter jenen Patienten mit zusätzlichen psy­ störungspatienten ein bis zu 12-fach erhöhtes chischen Beschwerden 9,4  % betrug (Semaan Suizidrisiko im Vergleich zu Personen ohne et  al. 2001). Des Weiteren fasste eine Meta­ Anpassungsstörung (Gradus et al. 2010). Unter Verwendung des ICD-11-Konzepts analyse die Ergebnisse von 70 Studien aus der sowie unter Zulassung aller Komorbiditäten onkologischen und hämatologischen Behand­ wurde aufgezeigt, dass bei 46 % einer Gruppe lung zusammen und fand hohe Prävalenzraten älterer Personen mit Anpassungsstörung eine von 19,4  %. Unter den palliativ Behandelten komorbide psychiatrische Diagnose infrage betrug die Prävalenz in dieser Untersuchung kam (Maercker et  al. 2008). Gemäß ICD-11 15,4 % (Mitchell et al. 2011). Schließlich wurde ist es zwar erstmals möglich, die Anpassungs­ im medizinischen Notfallsetting bei 31,8  % störung zusammen mit anderen psychischen der Patienten, die selbstverletzendes Verhal­ Störungen anzuwenden, jedoch nur sofern de­ ten zeigten, eine klinische Diagnose der An­ ren Symptome nicht durch die andere Störung passungsstörung gestellt (Taggart et al. 2006). vollständig erklärt werden können und einen Zur Prävalenz der Anpassungsstörung gemäß eigenen identifizierbaren zeitlichen Verlauf ICD-11-Konzept liegen im Liaisonsetting noch aufweisen. Zukünftige Forschung sollte die ef­ keine Zahlen vor. fektiven Komorbiditätsraten in der klinischen 5.7.1.3  Psychiatrische Praxis untersuchen.

Einrichtungen

Anpassungsstörungen gehören auch im psychi­ atrischen Setting zu den häufigsten Diagno­ sen. Im ambulanten Therapiesetting betrug die Prävalenz 36 % im klinischen Interview, wäh­ rend Diagnosestellung per SKID eine deutlich tiefere Rate von 11 % ergab (Shear et al. 2000). Es kann angenommen werden, dass der Unter­ schied dadurch entstand, dass im SKID die Anpassungsstörung als Ausschlussdiagnose gehandhabt wird. Eine aktuelle Studie aus dem asiatischen Raum findet ein ähnliches Resultat mit einer Prävalenz von 11,5  % im SKID-In­ terview bei ambulant psychotherapeutisch be­ handelten Patienten (Yaseen 2017). 5.7.2

Komorbidität

Bisher wurden die Komorbiditätsraten der Anpassungsstörung nur selten untersucht. Es zeigte sich jedoch, dass Anpassungsstörung häufig zusammen mit Substanzmissbrauch

5.7.3

Verlauf und Prognose

Per Definition entwickelt sich eine Anpas­ sungsstörung innerhalb von 3  Monaten nach einem Stressereignis und bildet sich innerhalb von 6  Monaten zurück, sofern der Stressor nicht weiterbesteht. Dass Anpassungsstörung eine transiente Störung ist, spiegelt sich in einer hohen Rate an Spontanremissionen wie­ der (z.  B.  Baumeister and Kufner 2009). Eine der wenigen längsschnittlichen Studien zum Verlauf der Anpassungsstörung deutet jedoch darauf hin, dass der Störungsverlauf bei etwa einem Drittel chronisch verläuft (O’Donnell et al. 2016). Darüber hinaus zeigte diese Unter­ suchung, dass Anpassungsstörungspatienten in der Folge relativ häufig eine weitere, schwe­ rere psychische Störung entwickeln (O’Donnell et  al. 2016). Eine weitere Studie untersuchte den natürlichen Verlauf von subklinischen und klinischen Anpassungsstörungssympto­

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R. Bachem

men nach Arbeitsplatzverlust gemäß ICD-11 (Lorenz et al. 2018c). Sie identifizierte drei un­ terschiedliche Verlaufsmuster zwischen dem dritten und neunten Monat: Knapp die Hälfte der Studienteilnehmer zeigte tiefe Symp­ tomausprägung, ein Drittel gab eine mittlere Symptomschwere an und 15  % erlebten hat­ ten eine ausgeprägte Symptomatik, die einer Diagnose entspricht, die innerhalb des unter­ suchten Verlaufs immer weiter zunahm. Nach weiteren 6 Monaten hatten allerdings nur noch 3  Prozent eine Anpassungsstörungsdiagnose (Lorenz und Maercker, in Vorbereitung). Jen­ seits dieser Beobachtungszeiträume finden sich dann Übergänge von der Anpassungsstörung in andere psychische Störungen (insbesondere Angst- und depressive Störungen) sowie eine erhöhte Suizidalität, die die klinische Bedeut­ samkeit dieser Störung unterstreichen (Casey et al. 2015; Gradus et al. 2010).

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95

Neurobiologie C. Schmahl 6.1

Hirnveränderungen – 96

6.2

Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenrindenAchse – 98

6.3

Dissoziation – 99

6.4

 estörte Emotionsregulation: Angst, Ekel G und Scham – 101

6.4.1 6.4.2

S tudienergebnisse zu Angst – 101 Studienergebnisse zu Ekel und Scham – 102

6.5

Konditionierung und Extinktion von Angst – 103

6.6

Tiermodelle für die PTBS – 105

6.7

Integration und Ausblick – 106 Literatur – 107

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_6

6

96

6

C. Schmahl

Eine stetig wachsende Zahl von Untersuchungen hat in den vergangenen Jahren zu einem rasanten Fortschritt im Verständnis der neurobiologischen Grundlagen der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) geführt. Die Faszination, die diese Krankheit auf neurobiologisch orientierte Forscher ausübt, liegt sicherlich neben dem eindrucksvollen klinischen Bild zu einem großen Teil darin, dass sich hier die Stressforschung und die Forschung zu den neuronalen, molekularbiologischen und pharmakologischen Grundlagen der Psychopathologie ergänzen und gegenseitig befruchten. Besonders deutlich wird dies auf den Gebieten des Einflusses von Stress auf Lern- und Gedächtnisprozesse sowie im Bereich der Emotionsregulation. In diesem Kapitel soll an einigen Beispielen diese Interaktion und ihre Bedeutung für das Verständnis der Krankheit und die Therapie der PTBS dargestellt werden. Sicherlich kann in der gebotenen Kürze nicht das inzwischen sehr umfangreiche Gebiet der Neurobiologie der PTBS in seiner gesamten Breite erfasst werden. Stattdessen soll anhand einiger markanter Beispiele der aktuelle Stand der Forschung zu wichtigen Aspekten der Forschung im Bereich Stress, Lernen und Emotionen vorgestellt werden. Zunächst werden morphologische Hirnveränderungen und der mögliche Einfluss von Stress auf diese Veränderungen dargestellt. In engem Zusammenhang damit steht die Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-­Neben­ nierenrinden-­ Achse, die in 7 Abschn.  6.2 behandelt wird. Daran schließt sich die Darstellung neuroanatomischer und neurochemischer Korrelate von zentralen psychopathologischen Aspekten der PTBS an, nämlich der Dissoziation und der Emotionsregulation. Im darauffolgenden Abschnitt wird die Bedeutung von Lern- und insbesondere Extinktionsprozessen für die PTBS-Psychopathologie und ihre Behandlung dargestellt. Zum Abschluss wird kurz auf Tiermodelle für die PTBS eingegangen, die in Zukunft die Möglichkeiten im Bereich der experimentellen Forschung deutlich erweitern dürften.  

6.1  Hirnveränderungen

In den nachfolgenden Abschnitten steht häufig eine bestimmte Hirnregion im Mittelpunkt, so der Hippocampus bei den morphologischen Hirnveränderungen oder die Amygdala bei der Emotionsregulation. In . Abb. 6.1 sind die wichtigsten Hirnregionen, die bei der PTBS eine Rolle spielen, dargestellt. In 7 Kap.  2 wurde der Zusammenhang zwischen traumatischen Lebensereignissen und Gedächtnisveränderungen diskutiert (7 Abschn.  2.6 „Gedächtnismodelle“). Die PTBS ist mit einem breiten Spektrum an Gedächtnisstörungen assoziiert (z.  B.  Bremner 2003). Patienten mit PTBS zeigen Defizite im deklarativen Gedächtnis, eine Störung des impliziten Gedächtnisses (gesteigerte Konditionierbarkeit) und Perseverationsfehler, die möglicherweise mit einer frontalen Dysfunktion assoziiert sind (Elzinga und Bremner 2002). Die Hirnregionen, die mit diesen Gedächtnisdefiziten in Verbindung gebracht werden, sind gleichzeitig auch besonders sensibel gegenüber Stress, wobei hier insbesondere die Hypothalamus-­ Hypophysen-­ Nebennieren­rinden-Achse eine wichtige Rolle spielt (7 Abschn. 6.2). Zu diesen Hirnregionen zählen neben dem (medialen) präfrontalen Kortex insbesondere der Hippocampus und die Amygdala. Die Reduktion des Hippocampusvolumens zählt zu den wichtigsten neurobiologischen Befunden im Zusammenhang mit der PTBS.  Eine Verkleinerung des Hippocampus wurde mittels Magnetresonanz-(MR-)Volumetrie sowohl bei Kriegsveteranen (Bremner et al. 1995; Gilbertson et al. 2002; Gurvits et al. 1996) als auch bei Patienten mit PTBS nach sexuellem Missbrauch (Bremner et  al. 2003b; Stein et  al. 1997) gefunden. In Metaanalysen waren die Hippocampusvolumina bei PTBS-­ Patienten sowie bei traumatisierten Menschen ohne PTBS jeweils beidseits kleiner als bei nichttraumatisierten Menschen. Der Unterschied zwischen den PTBS-Patienten und den traumatisierten Menschen ohne PTBS war nur für den rechten Hippocampus signi 







97 Neurobiologie

6

Gyrus cinguli Septum

Fornix

Bulbus olfactorius Hypothalamus Amygdala Mamillarkörper

Hippocampus

..      Abb. 6.1  Wichtigste betroffene Hirnregionen bei der posttraumatischen Belastungsstörung. (Aus Schmahl und Stiglmayr 2009; mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags)

fikant (Woon et  al. 2010; Calem et  al. 2017); Frauen und Männer unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Hippocampusverkleinerung (Woon und Hedges 2011). Die Datenlage zum Amygdalavolumen ist deutlich schwächer als für den Hippocampus, Metaanalysen, die nur Studien an Erwachsenen einschlossen, fanden für beide Hemisphären keine signifikanten Unterschiede zwischen PTBS-Patienten, traumatisierten und nichttraumatisierten Kon­ trollprobanden (Woon und Hedges 2009; Calem et al. 2017). Die interessante Frage, die diese Befunde aufwerfen, betrifft die Ursache der beschriebenen (Hippocampus-)Verkleinerung. Die zwei wesentlichen Erklärungen beschreiben diese Verkleinerung entweder als 55 genetisch determiniert oder 55 Folge der Traumatisierung. Die Studie von Gilbertson et  al. (2002) ergab, dass auch gesunde eineiige Zwillingsbrüder von

Vietnamveteranen mit PTBS verkleinerte Hippocampi aufwiesen; dies würde für eine genetische Determination der Hippocampusverkleinerung sprechen. Diese Studie wurde mittels der sog. manuellen Volumetrie durchgeführt, d. h. auf den individuellen MR-­Bildern wurden die Hirnregionen markiert und dreidimensional rekonstruiert. Derselbe Datensatz dieser Zwillingsstudie wurde später erneut mittels eines automatisierten Verfahrens (voxelbasierte Morphometrie) analysiert, bei dem der Kontrast zwischen grauer und weißer Hirnsubstanz zur Berechnung von volumetrischen Unterschieden herangezogen wird. Hierbei konnte der oben erwähnte Effekt bei den Zwillingsbrüdern nicht bestätigt werden. Es zeigte sich erneut eine Hippocampusverkleinerung, die jedoch, ebenso wie eine Verkleinerung im ACC, auf die Veteranen mit PTBS beschränkt war und ihre Zwillingsbrüder nicht betraf (Kasai et al. 2008). Es gibt Hinweise für bestimmte sensitive Perioden und eine Spezifität der Art von trau-

98

6

C. Schmahl

matischen Erfahrungen bei der Entwicklung dieser Volumenveränderungen. So war das Hippocampusvolumen am empfindlichsten bei sexuellem Missbrauch im Alter von 3–5 Jahren, während das Volumen des präfrontalen Kortex am stärksten reduziert war, wenn der Missbrauch im Alter von 14–16 Jahren stattfand (Andersen et  al. 2008). Die Sensitivität der Amygdala war am stärksten ausgeprägt bei Missbrauch im Alter von 10–11 Jahren (Pechtel et al. 2014). Missbrauch und Vernachlässigung scheinen unterschiedliche Einflüsse auf Hirnstruktur und -funktion zu haben (Sheridan und McLaughlin 2014). Zusammengefasst bleibt also offen, ob es sich bei der Hippocampusverkleinerung um einen Risikofaktor, eine Folge der Traumatisierung oder einen Marker der Krankheit handelt. Insgesamt deuten die Befunde auf einen deutlichen Einfluss der Traumatisierung auf das Volumen hin. Es gibt erste Hinweise auf sensitive Perioden für den Einfluss von frühem traumatischem Stress sowie auf differenzielle Effekte von Missbrauch und Vernachlässigung.

Achse beitragen. Zwei Studien konnten tatsächlich eine gesteigerte CRH-Konzentration im Liquor von Patienten mit PTBS nachweisen (Baker et al. 1999; Bremner et al. 1997). Da eine HHNA-vermittelte Schädigung von Hippocampusneuronen entweder direkt über Glukokortikoide oder indirekt über eine glukokortikoidbedingte Zunahme der Empfindlichkeit für zytotoxisches Glutamat erfolgen kann (Bremner 2002), spielt insbesondere die Untersuchung von Kortisolspiegeln beim Verständnis der morphologischen Hirnveränderungen eine wichtige Rolle. Akuter Stress führt zur Freisetzung von Kortisol, und bei Patienten mit PTBS konnte eine gesteigerte Kortisolantwort sowohl auf unspezifischen (Bremner et  al. 2003a) als auch durch Traumaerinnerungen ausgelösten Stress (Elzinga et al. 2003) nachgewiesen werden. Einige Studien (z.  B.  Yehuda et  al. 1991, 1996) fanden zunächst erniedrigte Kortisolspiegel. Inzwischen liegt eine Vielzahl einzelner Untersuchungen zur HHN-Achsen-Funktion bei traumatisierten Individuen sowie Patienten mit PTBS vor. Metaanalysen zeigen allerdings 6.2  Hypothalamus-Hypophysenein uneinheitliches Bild: Meewisse et al. (2007) Nebennierenrinden-Achse sowie Klaassens et al. (2012) konnten den vermuteten basalen Hypocortisolismus weder im Bei vielen stressassoziierten psychischen Er- Urin, im Speichel noch im Plasma bestätigen. krankungen wie der Depression oder der PTBS Eine weitere Metaanalyse (Morris et al. 2012), werden Veränderungen der Hypothalamus-­ in der im Gegensatz zu den anderen beiden Hypophysen-­Nebennierenrinden-(HHN-) auch Studien an Kindern und Jugendlichen Achse als Korrelat oder Folge der Krankheit eingeschlossen wurden, fand erniedrigte Kortisolspiegel bei PTBS-Patienten im Vergleich diskutiert. Das Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH) sowohl zu traumatisierten Individuen ohne spielt eine wichtige Rolle bei der Stressreaktion. Im psychiatrische Erkrankung als auch im VerTierexperiment führt chronischer Stress zu einem gleich zu nichttraumatisierten Individuen. AuCRH-Anstieg (Arborelius et al. 1999) und die ßerdem fand sich hier ein Effekt des Abstands Gabe von CRH wiederum zu Verhaltenswei- zum Trauma: Je länger das Trauma her war, sen, die mit Furcht oder Angst in Verbindung desto niedriger die Kortisolspiegel. Dies untergebracht werden, z. B. einem Rückgang explo- stützt die lange gehegte Vermutung eines inirativen Verhaltens, gesteigertem Schreckreflex tialen posttraumatischen Hypercortisolismus, und reduziertem Putzverhalten. Da der Hippo- gefolgt von einem „Blunting“ der HHN-Achse, campus eine wichtige Rolle bei der Hemmung d. h. einem sich langsam entwickelnden Hypoder CRH-Freisetzung aus dem Hypothalamus cortisolismus (Hellhammer und Wade 1993; spielt, könnte eine Hippocampusverkleine- Bremner 2002). Insgesamt bleibt die Datenlage rung indirekt zu einer Überaktivität der HHN- zum Hypocortisolismus also unklar; insbeson-

6

99 Neurobiologie

dere ist nach wie vor offen, ob dieser mit der Traumatisierung oder der Erkrankung PTBS zusammenhängt. Ein weiterer Zusammenhang zwischen der HHN-Achse und der PTBS-Psychopathologie besteht im Einfluss von Glukokortikoiden auf Gedächtnisfunktionen. Stress oder die Behandlung mit Glukokortikoiden verbessert die Gedächtniskonsolidierung und verschlechtert den Abruf von Gedächtnisinhalten; dies konnte im Tierversuch gezeigt werden. De Quervain et  al. (1998) konnten nachweisen, dass Ratten nach einem elektrischen Schock ein Gitter im Wasser schlechter wiederfinden; dieser Effekt konnte durch einen Hemmstoff der Kortisolsynthese (Metapyron) gehemmt und bei nicht gestressten Tieren durch die Gabe von Kortison imitiert werden. Aisa et al. (2007) konnten nachweisen, dass der Glukokortikoidantagonist Mifepriston die Gedächtnisdefizite bei Ratten komplett aufhob, die durch eine täglich 3-stündige Trennung von der Mutter in den ersten 3 Lebenswochen verursacht worden waren. Beim Menschen reduzierte eine einmalige Gabe von Kortison die Zahl der erinnerten Wörter, wenn es eine Stunde vorher gegeben wurde (De Quervain et al. 2000). Eine einwöchige Applikation von 20  mg Hydrocortison führte zu einer signifikanten Abnahme der Genauigkeit beim Wiedererkennen von Gedächtnisinhalten (McAllister-Williams und Rugg 2002). Da die PTBS durch automatisierte traumabezogene Gedächtnisprozesse gekennzeichnet ist, die von den Patienten nur schwer kon­ trolliert werden können, wird debattiert, ob eine reduzierte Kortisolsekretion für eine Enthemmung des Abrufs von Traumaerinnerungen verantwortlich sein könnte (De Quervain 2006). Umgekehrt könnte dann eine externe Gabe von Glukokortikoiden den Abruf von Traumaerinnerungen reduzieren und so möglicherweise zu einer Reduktion des intrusiven Erlebens führen. In einer Pilotstudie (Aerni et al. 2004) wurden Hinweise für die Richtigkeit dieser Vermutung gefunden. Drei Patienten mit chronischer PTBS erhielten über einen

Zeitraum von einem Monat Hydrocortison in einer niedrigen Dosierung von 10  mg/Tag in einem doppelblinden, placebokontrollierten Cross-over-Design. Bei allen 3 Patienten ergab sich unter Hydrocortison eine signifikante Reduktion der täglich abgefragten Traumaerinnerungen. Eine eigene Studie an 30 PTBS-Patienten, in verschiedenen Dosierungen und zu verschiedenen Tageszeiten gegeben, konnte jedoch diesen intrusionsreduzierenden Effekt nicht bestätigen (Ludäscher et al. 2015). Auf neuroanatomischer Ebene kommt dem medialen Temporallappen (MTL) eine wichtige Bedeutung beim Abruf von Gedächtnisinhalten zu (Cabeza und Nyberg 2000). Bei Patienten mit Spinnenphobie wurde der MTL durch einen Film über Spinnen aktiviert; diese Aktivierung war nach erfolgreicher kognitiver Verhaltenstherapie nicht mehr vorhanden (Paquette et al. 2003). Bei Gesunden führte die akute Gabe von Kortison zu einer Reduktion des Blutflusses im MTL während des Gedächtnisabrufs (De Quervain et al. 2003). Experimentell erhöhte Kortisolspiegel könnten also zu einer Reduktion des Abrufs von Gedächtnisinhalten führen, wobei dieser Effekt wahrscheinlich über den MTL vermittelt ist. Eine Studie (Wingenfeld et  al. 2012) zeigte jedoch den gegensinnigen Effekt einer Verbesserung des Gedächtnisabrufs nach der Gabe von 10 mg Hydrocortison. Der Einfluss der HHN-Achse auf die Gedächtnisfunktion bei PTBS-Patienten bedarf also zusammengefasst noch weiterer Forschung, bevor Aussagen über den therapeutischen Nutzen von Glukokortikoiden getroffen werden können. 6.3  Dissoziation

Bislang war im Zusammenhang mit stressassoziierten kognitiven Veränderungen lediglich die Rede vom verstärkten Abruf von Traumaerinnerungen im Sinne von Intrusionen. Allerdings findet sich bei der PTBS noch ein weiteres psychopathologisches Muster, das mit der Traumatisierung in engem Zusammenhang steht, nämlich die Dissoziation (7 Kap. 2).  

100

6

C. Schmahl

In einem Fallbericht beschrieben Lanius et al. (2003) diese beiden Verarbeitungsmodi. Ein Ehepaar (er 48, sie 55  Jahre) war in eine Massenkarambolage verwickelt, bei der sie im Auto eingekeilt waren und ein Kind verbrennen sahen. Der Mann entwickelte Flashbacks und Albträume sowie starke Erregungs­ symptome, die Frau berichtete über Zustände von „freezing“, Taubheit und weitere dissoziative Symptome. Bei der Symptomprovokation durch das Anhören des individuellen Traumaskripts gab der Mann lebhafte Intrusionen an, wobei er auch über eine Fluchtmöglichkeit (Durchbrechen der Windschutzscheibe) nachdachte; währenddessen zeigte sich bei ihm eine Steigerung der Herzfrequenz. Die Frau hingegen berichtete über ein Gefühl der Erstarrung, wobei keine Änderung der Herzfrequenz messbar war. In der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigte der Mann eine deutlich größere Ausbreitung von aktivierten Arealen. Die Remission der Symptomatik im Laufe der Behandlung war beim Mann (mit prominenter Intrusions- und Arousalsymptomatik) deutlich schneller als bei der Frau (mit prominenter dissoziativer Symptomatik). Größere Untersuchungen deuten darauf hin, dass in diesem Zusammenhang insbesondere dem medialen präfrontalen Kortex bzw. dem ACC eine differenzielle Rolle in der Vermittlung traumaassoziierter Symptomatik zukommt. Während sich bei intrusivem Erleben, verbunden mit einer Furchtreaktion, eine Überaktivität der Amygdala und eine reduzierte Aktivität des medialen präfrontalen Kortex findet (7 Abschn.  6.4.1), zeigen Patienten mit dissoziativer Reaktion während Traumaerinnerungen eine gesteigerte Aktivität des medialen präfrontalen Kortex und der Insel (Frewen und Lanius 2006; Lanius et  al. 2002, 2005; Ludäscher et al. 2010). In weiteren Studien (Krause-Utz et  al. 2012, 2018) wurde der Einfluss von Dissoziation auf die emotio­ nal-­ kognitive Verarbeitung bei Borderline-­ Patientinnen mit interpersoneller Traumatisierung untersucht. Die Teilnehmer sollten sich 3  Buchstaben merken und wurden währenddessen mit neutralen und negativen Bil 

dern konfrontiert. Der Grad der Dissoziation hatte keinen Einfluss auf die Reaktionszeiten, aber auf die Signale in der Amygdala, der Insel und dem anterioren zingulären Kortex (ACC): In diesen emotionsverarbeitenden Regionen waren höhere Dissoziationswerte mit einer reduzierten Aktivität korreliert. Patienten mit intrusivem Erleben zeigen außerdem während der Konfrontation mit Traumaerinnerungen eine Zunahme der Herzfrequenz, während Patienten mit dissoziativer Symptomatik eine Konstanz oder leichte Reduktion der Herzfrequenz aufweisen (Lanius et al. 2001, 2002). Insgesamt unterstützen diese Befunde also von neurobiologischer Seite das Vorliegen eines dissoziativen PTBS-Subtyps (Lanius et  al. 2010; Wolf et al. 2012). Neurobiologisch ist zu vermuten, dass den bereits erwähnten, an der Stressreaktion beteiligten Systemen wie der HHN-Achse auch bei der Vermittlung der dissoziativen Symptomatik wichtige Funktionen zukommen. Der Zusammenhang zwischen der HHN-Achse und Dissoziation wurde noch nicht eingehend untersucht. Auch das Opioidsystem scheint in das dissoziative Geschehen involviert zu sein. κ-Opioidrezeptor-Agonisten sind in der Lage, Depersonalisation, Derealisation und Wahrnehmungsveränderungen zu induzieren (z. B. Walsh et al. 2001). Außerdem reduzieren Opioidantagonisten wie Naltrexon und Naloxon dissoziative Symptome bei der Borderline-­ Persönlichkeitsstörung (Bohus et al. 1999; Philipsen et al. 2004; Schmahl et al. 2012) und bei chronischer Depersonalisation (Nuller et  al. 2001). Bei Patienten mit PTBS konnten Pitman et al. (1990) eine Blockade der stressinduzierten Analgesie mit Naloxon nachweisen. Ein weiterer für die Dissoziation wichtiger Neurotransmitter, der bereits im Zusammenhang mit der stressinduzierten Hippocampustoxizität erwähnt wurde, ist Glutamat. Ketamin, das an einem Glutamatrezeptorensubtyp, dem NMDA-Rezeptor, antagonistisch wirkt, induziert Depersonalisation, Derealisation, Wahrnehmungsveränderungen und Gedächtnisstörungen (Krystal et  al. 1994; Newcomer et al. 1998; Oye et al. 1992). Die bei Blockade

101 Neurobiologie

der NMDA-Rezeptoren gesteigerte Übertragung an anderen Glutamatrezeptorensubtypen kann als Korrelat der dissoziativen Symptomatik vermutet werden; damit erklärt sich auch die Wirkung von Lamotrigin auf die dissoziative Symptomatik (Sierra et al. 2001; Aliyev und Aliyev 2011), indem dieses die Glutamatausscheidung blockiert und damit die Aktivierung von Glutamatrezeptoren reduziert. Das Antiepileptikum Phenytoin moduliert die glutamaterge Funktion und blockiert im Tierversuch die Effekte von Stress auf den Hippocampus (Watanabe et al. 1992). In einer Pilotstudie bewirkte Phenytoin eine Abnahme der PTBS-Symptomatik (Bremner et al. 2004) sowie eine Zunahme des Hippocampusvolumens um 5 % (Bremner et al. 2005a). Die dissoziative Symptomatik korreliert mit einer Verkleinerung des Hippocampus bei Frauen mit frühem Missbrauch und PTBS (Bremner et al. 2003b; Stein et al. 1997; . Abb. 6.2). Dissoziative Zustände sind häufig mit einer reduzierten Schmerzempfindlichkeit vergesellschaftet. Eine reduzierte Schmerzsensitivität konnte bei Patienten mit PTBS sowohl unter  

6

Ruhebedingungen (Geuze et al. 2007) als auch nach Konfrontation mit traumaassoziierten Stimuli (Pitman et al. 1990) demonstriert werden. Nach der Induktion von Dissoziation mittels der „script-driven-imagery“-Technik fand sich neben erhöhten subjektiven Dissoziationswerten auch eine reduzierte Schmerzwahrnehmung nach dem Hören des Skripts (Ludäscher et al. 2010). In einer fMRT-­Untersuchung konnte als neuronales Korrelat der reduzierten Schmerzempfindlichkeit eine reduzierte Aktivität in solchen Hirnregionen festgestellt werden, die mit der emotionalen und kognitiven Schmerzverarbeitung beschäftigt sind. Hierzu gehören die Amygdala und der ventrolaterale präfrontale Kortex (Geuze et al. 2007). In einer weiteren Studie fanden sich während Schmerzstimulation eine erhöhte Aktivität in der Insel und im dorsolateralen präfrontalen Kortex sowie eine Abnahme der subjektiven Schmerzempfindung bei wiederholter Schmerzstimulation bei PTBS-Patienten (Strigo et al. 2010). Im Gegensatz zu dem experimentellen Befund einer reduzierten Schmerzsensitivität finden sich jedoch bei Patienten mit PTBS erhöhte subjektive Schmerzangaben (Asmundson et al. 2002).

50

6.4  Gestörte Emotionsregulation:

45

Angst, Ekel und Scham

40 35 30 25 20 15 10 5 0 600

800

1000

1200

1400

..      Abb. 6.2  Negativer Zusammenhang zwischen dem linken Hippocampusvolumen (x-Achse, in mm3) und Dissoziationswerten. y-Achse „Clinician-­ Administered Dissociative States“. Quadrate Patienten mit Missbrauch und PTBS, Rauten Patienten mit Missbrauch ohne PTBS (R2 = 0.30; t = −2.16, df = 1, p  männlich) und der geografischen Lage. Die niedrigsten Angaben zeigten sich in Asien, die höchsten Raten bei weiblichen Befragten in Australien und männlichen Befragten in Afrika (für Geschlechts- und geografische Unterschiede siehe auch Pereda et al. 2009). Auch bei sexueller Gewalt variieren die Studien stark in ihren Prävalenzzahlen. Barth et al. (2013) berichten Zahlen von 8–31 % für Mädchen und 3–17 % für Jungen. Sie führen diese Schwankungen auf methodische Unterschiede zurück. Diesbezüglich verweisen sie darauf, dass insbesondere die Angabe der Häufigkeiten differenziert

nach spezifischen Formen von sexueller Gewalt zu adäquateren Ergebnissen beitragen würde. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (Stadler et  al. 2012) befragte repräsentativ 9175 Erwachsene (16–40 Jahre) zu sexuellen Missbrauchserlebnissen im Kindesalter bis einschließlich 16 Jahren mit einer mindestens 5  Jahre älteren Person. Die Gesamtquote sexuellen Missbrauchs mit Körperkontakt lag bei den weiblichen Befragten bei 7,4  % und bei den männlichen Befragten bei 1,5  %, die Quoten beim Exhibitionismus unterschieden sich ebenfalls mit 5,9 % bei den weiblichen Befragten und 1,5 % bei den männlichen Befragten. Enders (2011) kritisiert die Definition von Missbrauchserlebnissen mit einer mindestens 5  Jahre älteren Person, da dadurch viele Missbrauchs- und Misshandlungserlebnisse von Gleichaltrigen nicht erfasst werden. Das zeigt sich dann auch eindrucksvoll in einer repräsentativen Schweizer Umfrage (Optimus Studie) mit knapp 6800 Jugendlichen. Diese fand ebenfalls einen Geschlechtsunterschied, da 40,2  % der weiblichen Jugendlichen und 17,2 % der männlichen Jugendlichen sexuellen Missbrauch berichteten. In dieser Studie wurde sexuelle Gewalt breit definiert und dazu auch Ereignisse ohne Körperkontakt (Exhibitionismus, Sexting, verbale sexuelle Gewalt usw.) gezählt. Mehr als die Hälfte der von sexueller Gewalt i. w. S. betroffenen Mädchen und über 70 % der Jungen gaben an, dass sie von gleichaltrigen jugendlichen Tätern belästigt oder missbraucht worden waren (Mohler-Kuo et al. 2014). Sexuelle Belästigung über das Internet wurde am häufigsten angegeben (Cyberviktimisierung). Dabei wurde deutlich, dass auch sexuelle Gewalt ohne Kontakt (häufigste Kategorie des Missbrauchs), auch hands-off genannt, einen deutlichen negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen haben kann (Landolt et al. 2016). Auch die Studie von Allroggen et  al. (2017), die sich mit sexueller Gewalt bei Kindern und Jugendlichen in betreuten Wohneinrichtungen und Internaten beschäftigt, beschreibt, dass

119 Gewalt in der Kindheit und ihre Folgen

überwiegend gleichaltrige Jugendliche die Täter waren. In bis zu 11 % der Fälle waren Mitarbeiter der Institutionen die Täter. 7.2.3  Seelische Gewalt

Es gibt deutlich weniger Forschung zu seelischer Gewalt verglichen mit den anderen Misshandlungsarten. Gründe dafür sind u. a., dass seelische Misshandlung lange Zeit als Teil der anderen Misshandlungsarten gesehen wurde und dass es sich oft um langfristige dysfunktionale Interaktionen und keine klar abgrenzbaren Ereignisse handelt (Glaser 2002). Zudem ist es sehr schwierig, seelische Misshandlung konzise zu operationalisieren. Eine globale Metaanalyse von Stoltenborgh et  al. (2012) berichtet, dass im Selbstbericht 36,3 % (95 % Vertrauensintervall 28,1–45,4 %) der Jugendlichen und Erwachsenen von seelischer Misshandlung im Kindesalter betroffen sind. Weder Geschlecht, geografische Lage noch wirtschaftlicher Entwicklungsstand des Landes hatten Einfluss auf die berichteten Prävalenzen. Die zuvor genannte deutsche Forsa-Umfrage von 2011 zeigt, dass 93 % der Eltern in den letzten 12 Monaten laut wurden, 85 % Verbote aussprachen, 47 % eine Auszeit verordneten, 43 % auf den Tisch hauten, 38 % ihr Kind kräftig anfassten oder festhielten, 26 % nicht mehr mit dem Kind redeten oder es ignorierten sowie 19  % ihr Kind niederbrüllten (Forsa 2011). Fallbeispiel: seelische Misshandlung Ein 10-jähriger Junge hat seinen Vater durch einen Herzinfarkt verloren. Die Mutter gibt ihm eine Mitschuld am Tod des Vaters. Sie betont häufig, dass, wenn es das Kind nicht geben würde, der Vater noch am Leben sei. Schon vorher begegnete die Mutter dem Jungen überwiegend feindselig und ablehnend. Neben abwertenden Rückmeldungen zu jeglichen Aussagen und zum Verhalten des Kindes kommt es zu unangemessenen Bestrafungen (z. B. wochenlangem Hausarrest und Fernsehverboten).

7

Neben intrafamiliärer seelischer Misshandlung erleben Kinder und Jugendliche seelische Gewalt auch durch extrafamiliäre Täter wie z. B. Trainer und Lehrer, Fremde beispielsweise durch rassistische Kommentare und besonders im Rahmen von Mobbing auch durch Gleichaltrige. Trotz der erhöhten Nutzung von elek­ tronischen Medien findet Mobbing und Gewalt weiterhin häufiger direkt im Schulkontext statt als online (Bergmann und Baier 2018). Dennoch kommt es aber auch online zu psychologischer und sexueller Gewalt (ebd.). Melzer et  al. (2012) beschreiben einen erfreulichen Trend: Von 2002 zu 2010 nahm in Deutschland der Anteil der Täter und der Täter-Opfer von Mobbing und Gewalt an Schulen substanziell ab. Warum das wichtig ist, wird anhand einer Studie von Lereya et al. (2015) mit knapp 5500 Kindern und Jugendlichen deutlich. Sie berichten, dass Mobbing negative Langzeitfolgen auf die seelische Gesundheit hat (v.  a. Angst, Depression und Selbstverletzung).

7.2.4  Vernachlässigung >> Obwohl Vernachlässigung als eine der häufigsten Misshandlungsarten in der Kindheit gilt und die Folgen vergleichbar mit körperlichem und sexuellem Gewalterleben sind, hat sie bislang deutlich weniger wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit erfahren.

Stoltenborgh et  al. (2013b) berichten in ihrer weltweiten Metaanalyse, dass im Selbstbericht 16,3  % der Jugendlichen und Erwachsenen körperliche Vernachlässigung (95  % Vertrauensintervall 12,1–21,5  %) und 18,4  % (95  % Vertrauensintervall 13,0–25,4  %) emotionale Vernachlässigung in der Kindheit angaben. Es lagen keine Geschlechtsunterschiede vor. Münder et  al. (2000) forderten Fachkräfte von Jugendämtern in Deutschland auf, diejenige Gefährdungslage zu benennen, die im jeweiligen Fall ausschlaggebend zur Einschaltung des Familiengerichts beitrug. In der Hälfte der Fälle wurde Vernachlässigung als zentrale

120

A. de Haan et al.

Gefährdungskategorie angegeben, gefolgt von seelischer Misshandlung, die allerdings nur mit 12,6  % als zentrale Gefährdungskategorie angeführt wurde. Besonders die jüngsten Kinder waren von Vernachlässigung als zentrale Gefährdungskategorie betroffen (35,2 % jünger als 3 Jahre, 20,1 % zwischen 3 und 6 Jahren). Mit steigendem Alter sank der Anteil immer weiter ab, sodass er bei den 15- bis 18-Jährigen nur noch 3,8 % betrug (Münder et al. 2000 in Mutke 2001).

7.2.5  Kinder als Zeugen (von

7

Partnergewalt)

Kinder und Jugendliche können auch als Zeugen indirekt von Gewalt betroffen sein. Im extrafamiliären Umkreis oder bei Fremden kann das eine belastende Erfahrung darstellen. Besonders betroffen sind Kinder aber dann, wenn die Gewalt im engsten Umfeld passiert, z.  B. als Gewalt zwischen Mutter und Vater oder deren jeweiligen Lebensgefährten. Weltweit lebt jedes vierte Kind unter 5 Jahren mit einer Mutter, die Opfer von Partnergewalt ist (UNICEF 2017). Finkelhor et  al. (2013) beschreiben, dass im Jahr 2011 in den USA von 4503 Kindern und Jugendlichen im Alter von 1  Monat bis 17  Jahren im vorherigen Jahr 22,4  % (Lebenszeitprävalenz 39,2  %) als Zeugen irgendeine Form von Gewalt miterlebt hatten. Dabei waren 8,2 % im vorherigen Jahr Zeuge von familienbezogener Gewalt gewesen (Lebenszeitprävalenz 20,8  %). 6,1  % wurden Zeuge von Gewalt zwischen den Elternteilen bzw. deren Lebensgefährten (Lebenszeitprävalenz 17,3 %). Selbst die alleinige Zeugenschaft von Gewalt, insbesondere im engsten Umfeld, hat weitreichende Auswirkungen auf das Kind oder den Jugendlichen (McTavish et al. 2016). Müller und Schröttle (2004) befragten in Deutschland eine repräsentative Stichprobe von Frauen im Alter von 16–85 Jahren nach erlittener Partnergewalt. Dabei berichtete jede vierte Frau, die in einer Partnerschaft gelebt hatte, dass sie körperliche (23 %) oder – zum Teil zusätzlich  – sexuelle Übergriffe (7  %)

durch einen Beziehungspartner erlebt hat. In den meisten Fällen hatten die Kinder die Gewalt der Eltern miterlebt oder gerieten sogar in die tätliche Auseinandersetzung mit hinein (. Tab. 7.3).  

7.2.6  Überlagerungen verschie-

dener Formen von Gewalt in der Kindheit

Kinder erleben oftmals eine Vielzahl an verschiedenen Gewalterlebnissen, was als Polyviktimisierung bezeichnet wird (Finkelhor et  al. 2007a). So tritt beispielsweise sexuelle Gewalt selten isoliert auf, sondern oft in Kombination mit körperlicher Gewalt (UNICEF 2014). Das Erleben von mehreren Arten von Gewalt hängt wiederum mit einem höheren Ausmaß an psychiatrischen und gesundheits-

..      Tab. 7.3  Beteiligung der Kinder am Gewaltgeschehen bei Gewalt in Paarbeziehungen nach Aussagen gewaltbetroffener Frauen. (Adapt. nach Müller und Schröttle 2004; Mehrfachnennungen möglich; Fallbasis: alle gewaltbelasteten Paarbeziehungen mit Kindern im Haushalt, N = 485) Kinder …

[%]

… haben die Situation angehört

57,1

… haben die Situation gesehen

50,0

… gerieten in die Auseinandersetzung mit hinein

20,6

… haben versucht, mich zu verteidigen oder zu schützen

25,0

… haben versucht, meinen Partner zu verteidigen

2,0

… wurden selbst körperlich angegriffen

9,8

… haben nichts mitbekommen

23,0

Man weiß nicht, ob Kinder etwas mitbekommen haben

11,1

Keine Angaben

0,4

121 Gewalt in der Kindheit und ihre Folgen

bezogenen Folgen zusammen (Arata et  al. 2005; Hughes et al. 2017). Dennoch wird diesem multiplen Gewalterleben in der Forschung oftmals zu wenig Rechnung getragen. Das zeigt sich beispielsweise in ungenügenden methodischen Vorüberlegungen und statistischen Auswertungen (siehe Higgins und McCabe 2001). Die verschiedenen Formen von Gewalt können zeitgleich oder nacheinander erlebt werden. Jonson-Reid et al. (2003) untersuchten prospektiv für verschiedene Misshandlungsformen (sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung, Vernachlässigung, emotionale Misshandlung, anderweitige Misshandlung), wie häufig und in welcher Form erneute Misshandlungen der Opfer in einem Zeitraum von 54  Monaten nach der zuerst bekannt gewordenen Misshandlung auftraten. Für die o.  a. Misshandlungsformen ergaben sich in diesem Zeitraum erneute Viktimisierungen in einer Häufigkeit von 10,7–18,7 % (bei Verwendung auch nicht als gesichert angesehener Misshandlungsangaben fanden sich erneute Viktimisierungen von 34,7 %–50,2 %). Fallbeispiel: gemeinsames Auftreten von Misshandlung und Vernachlässigung Die Polizei wird gerufen, weil Anwohner ein dreijähriges Kind zu sich ins Haus geholt haben, das alleine draußen unterwegs gewesen sei. Es ist nur leicht bekleidet, obwohl Schnee liegt und Minusgrade herrschen. Das Kind hat Abdrücke von Schlägen mit einem Gürtel an Rumpf und Beinen. Es gibt an, aus dem Haus gegangen zu sein, weil es daheim seit Tagen nichts zu essen gegeben habe. Damit scheint eine Kombination aus körperlicher Misshandlung und Vernachlässigung vorzuliegen; die Vernachlässigung in Bezug auf eine mangelhafte Versorgung (Essen, Kleidung) sowie den mangelhaften Schutz des Kindes (alleine draußen unterwegs).

Das Erleben von intrafamiliärer Gewalt erhöht aber auch die Wahrscheinlichkeit, extrafamiliäre Gewalt zu erleben (Cook et al. 2003). So kann chronisches kindliches Gewalterleben beispielsweise zu einem höheren Risikoverhal-

7

ten in Bezug auf sexuelle Kontakte, delinquenten Umgang, Suchtmittel etc. im Jugendalter führen, was wiederum erneutes Gewalterleben im Jugendalter wie beispielsweise körperliche Auseinandersetzungen und sexuelle Gewalt begünstigen kann (ebd.). Auch Finkelhor et al. (2007b) beschreiben, dass, unabhängig von der Form der erlebten Gewalt, diese das Risiko erhöhte, innerhalb des nächsten Jahres wieder Gewalt zu erleben (Reviktimisierung). Besonders Kinder, die verschiedene Formen von Gewalt berichteten, waren ein Jahr später einem hohen Risiko ausgesetzt, weiterhin Gewalt zu erleben. Lereya et al. (2015) berichten zudem von einem längsschnittlichen Zusammenhang mit Mobbingerfahrungen: Kinder, die Misshandlung erlebt hatten, wiesen später auch ein höheres Risiko auf, gemobbt zu werden. >> Es zeigt sich, dass Kinder, bei denen eine Misshandlung bekannt wurde, später ein hohes Risiko aufweisen, erneut misshandelt zu werden bzw. gleichzeitig auch andere Formen von Gewalt zu erleben.

7.2.7  Ursachen von

Kindesmisshandlungen

Zu den Ursachen von Kindesmisshandlungen liegen verschiedene Theorien vor. Dabei wird deutlich, dass es sich um ein komplexes biopsychosoziales Ursachengefüge handelt (siehe Bender und Lösel 2005). Biopsychosoziale Belastungen als Ursachen von Kindesmisshandlung 55 Individuelle Ebene (z. B. Merkmale der Biografie und Persönlichkeit der misshandelnden Person, wie z. B. belastete Kindheit, psychische Störungen, Drogen- oder Alkoholmissbrauch, physische Behinderungen, Minderbegabungen verbunden mit mangelnden Fähigkeiten im Umgang mit Stress und bei der Lösung von Konflikten, mangelndes Wissen über die Entwicklung von Kindern)

122

7

A. de Haan et al.

55 Familiäre Ebene (u. a. Partnerkonflikte, gestörte Eltern-Kind-Beziehungen, beengte Wohnverhältnisse) 55 Soziale/kommunale Ebene (z. B. kein sozial unterstützendes Netzwerk der Familie, hohe Kriminalitätsrate in der Gemeinde, sozialer Brennpunkt) 55 Gesellschaftlich-kulturelle Ebene (z. B. hohe Armutsquote, Toleranz gegenüber aggressiven/gewaltförmigen Konfliktlösungen; Machtund Beziehungsgefälle zwischen den Geschlechtern)

Eine Ursache von Kindesmisshandlung, die immer wieder kontrovers diskutiert wird, ist der sog. Cycle of Abuse, der sich darauf bezieht, dass Eltern, die Kindesmisshandlung erlebt haben, später selbst ihre eigenen Kinder misshandeln. Insbesondere bei der Diskussion solcher Ursachen scheint es essenziell zu sein, darauf hinzuweisen, dass in keinem Fall einfache kausale Schlüsse gezogen wer-

personale (biologische) Risiken

familiäre Risiken

soziale Risiken

den können, sondern dass neben möglichen Risiko- immer auch Schutzfaktoren vorliegen können. Spezifische Faktorenkombinationen im Gesamtkontext können letztendlich die Wahrscheinlichkeit von Misshandlungen erhöhen (Risikofaktoren) oder auch reduzieren (Schutzfaktoren, Ressourcen; . Abb.  7.1). Dabei geht es letztlich nicht nur um Kindesmisshandlungen, sondern ganz generell um Kindeswohlgefährdungen bzw. um äußerst komplexe Bedingungsgefüge, die die kindliche Entwicklung in misshandelnden wie auch nichtmisshandelnden Familien negativ bzw. positiv beeinflussen können.  

7.3  Folgen von Gewalt in der

Kindheit

Die Folgen von Gewalt in der Kindheit können individuell äußerst verschieden sein, haben aber oftmals lebenslange Auswirkungen (7 Kap.  6 und  22). Vielfach liegt eine sehr viel breitere Symptomatik vor, als es die diagnostischen Kriterien der gängigen Klassifikationssysteme zu Traumafolgestörungen aufweisen.  

personale (biologische) Ressourcen

risikoerhöhende Belastungsfaktoren

familiäre Ressourcen

risikomildernde Schutzfaktoren

• Bilanzierung/Wechselwirkungen zwischen Belastungen und Ressourcen • Grad der Gefährdung des Kindeswohls • Ausmaß von Entwicklungsstörungen bzw. der psychischen und physischen Gesundheit

..      Abb. 7.1  Biopsychosoziale Modellvorstellungen zu den Risiko- und Schutzfaktoren

soziale Ressourcen

7

123 Gewalt in der Kindheit und ihre Folgen

7.3.1  Allgemeine Folgen von

Gewalt in der Kindheit

Unabhängig davon, welche Form von Kindesmisshandlung erlebt wurde, können laut Moggi (2009, S. 871) folgende Folgen auftreten: zz Emotionale Folgen

Posttraumatische Belastungsstörung, Ängste, Phobien, Depression, niedriger Selbstwert, Suizidalität, Schuld- und Schamgefühle, Ärgerneigung, Feindseligkeit, selbstschädigendes Verhalten (z. B. Selbstverletzungen) und allgemein Störungen der Affektregulation.

zz Kognitive Folgen

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, dysfunktionale Kognitionen (z.  B. negative Attributionsmuster, negative Schemata), Sprach-, Lern- und Schulschwierigkeiten.

zz Somatische und psychosomatische Folgen

Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Ess- und Schlafstörungen sowie Enuresis und Enkopresis.

scher Störungen. Häufig weisen sie komorbide Störungen auf. Neben etablierten Diagnosen besteht zudem die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Begrifflichkeiten/Diagnosekriterien („komplexe posttraumatische Belastungsstörung“; 7 Kap. 3). Eine multizentrische Studie aus Deutschland mit 322 Kindern und Jugendlichen im Alter von 4–17 Jahren, die Misshandlung und Vernachlässigung erlebt hatten, untersuchte die Diagnosen psychischer Störungen nach ICD-10 (Ganser et  al. 2016). Fast ein Drittel der Kinder und Jugendlichen erfüllten die Kriterien einer psychischen Störung. Komorbide Störungen traten dann bei fast 43 % auf. . Tab.  7.4 verdeutlicht die Häufigkeiten psychischen Störungen.  



zz Neuroanatomische und funktionelle Veränderungen

Zudem zeigen sich neurobiolgische und hirn­ struktuelle Änderungen in verschiedenen Bereichen wie beispielsweise Hippocampus, Amygdala, Präfrontalkortex und Corpus callosum (Teicher und Samson 2013, 2016: Ü ­ berblick in Landolt 2012). Auch epigenetische Mechanis-

zz Auffälligkeiten im Sozialverhalten

Bei Trennungen von den misshandelnden Eltern zeigen misshandelte Kinder oft keine Gefühle, während sie zu fremden Personen ein übermäßiges Vertrauen manifestieren. Es finden sich Auffälligkeiten wie Rückzugsverhalten, Fernbleiben vom Unterricht, Hyperaktivität, Appelationshandlungen (z.  B.  Weglaufen von zu Hause), aggressives Verhalten wie mutwilliges Zerstören von Eigentum, physische Angriffe (unter Umständen mit Waffen) und anderes delinquentes Verhalten. Das aggressive Verhalten kann sich dann auch gegen die Eltern richten. Beckmann et  al. (2017) beschreiben, dass körperliche und verbale Gewalt durch die Eltern in der Kindheit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Jugendliche selber gegenüber ihren Eltern körperlich und verbal aggressiv werden.

zz Psychische Störungen

Kinder und Jugendliche, die Gewalt erlebt haben, erfüllen oftmals die Kriterien psychi-

..      Tab. 7.4  Häufigkeiten von psychischen Störungen nach ICD-10 bei Kindern und Jugendlichen nach Misshandlung und Vernachlässigung (N = 322; Ganser et al. 2016) Psychische Störung nach ICD-10

[%]

Posttraumatische Belastungsstörung

25,2

Störungen des Sozialverhaltens

21,4

Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen

16,2

Ausscheidungsstörungen

14,0

Affektive Störungen

10,6

Angststörungen

9,6

Anpassungsstörungen, Belastungsreaktion

4,0

Ticstörungen

2,5

Sonstiges

5,6

124

7

A. de Haan et al.

men werden diskutiert (Cicchetti et  al. 2016). Zudem scheinen das Alter bei den Misshandlungserlebnissen und die Chronizität einen Einfluss auf das neurokognitive Leistungsvermögen zu haben (Cowell et al. 2015). Teicher und Samson (2016) fassen die aktuelle Studienlage folgendermaßen zusammen: 55 Chronische Kindesmisshandlung kann zu hirnstrukturellen und hirnfunktionellen Veränderungen führen. 55 Die Form der Misshandlung führt zu unterschiedlichen Auswirkungen. 55 Das Alter beim Erleben der Misshandlung hat einen Einfluss. 55 Der zeitliche Zusammenhang zwischen Gewalterleben und Veränderungen des Gehirns ist unklar (sensitive Phasen für spezifische Misshandlungsarten und Hirnstrukturen?). 55 Es liegen Geschlechtsunterschiede vor. 55 Veränderungen scheinen auf neuroplastische adaptive Reaktionen zurückzuführen zu sein. 55 Es ist unklar, ob die neurobiologischen Konsequenzen reversibel sind. 55 Die kausalen Mechanismen, wie Gewalt in der Kindheit zu Veränderungen des zentralen Nervensystems führt, sind aktuell noch nicht verstanden. zz Tod durch Gewalterleben

Körperliche Gewalt schließt im Extremfall auch den Tod eines Kindes oder Jugendlichen ein. Laut Daten der WHO aus 2012 (UNICEF 2014) waren fast ein Fünftel aller Mordopfer weltweit jünger als 20  Jahre alt, mehr als die Hälfte davon zwischen 15 und 19 Jahren alt. Für 2016 wurden in den USA mehr als 1447  Todesfälle infolge von Kindesmisshandlung angenommen, wobei besonders jüngere Kinder, v.  a. diejenigen jünger als 1  Jahr alt, betroffen waren (U.S. Department of Health & Human Services 2018). Sie stellten mit 44 % der verstorbenen Kinder die mit Abstand größte Gruppe dar. Von den verstorbenen Kindern hatten 74,6  % Vernachlässigung und 44,2  % körperliche Misshandlung erfahren (entweder ausschließlich oder in Kombination mit einer

weiteren Misshandlungsform; ebd.). Auch in Europa sind besonders Kinder, die jünger als 4  Jahre alt sind, betroffen (WHO 2013). Insgesamt sterben in Europa jährlich mindestens 850 Kinder, die jünger als 15 Jahre alt sind, an Kindesmisshandlung. Besonders betroffen sind Länder mit niedrigem bis mittlerem Einkommen, in denen 71  % der Tötungen regis­triert wurden (ebd.). In Deutschland verstarben im Jahr 2016 133  Kinder nach Misshandlung, bei weiteren 78  Kindern blieb es bei einem Tötungsversuch. Dabei waren 100 der getöteten Kinder jünger als 6 Jahre alt (Deutscher Kinderverein 2017). Banaschak et  al. (2015) versuchten valide Prävalenzen des Kindstodes bei Kindern von der Geburt bis zum Alter von 3  Jahren nach Misshandlung und Vernachlässigung in Deutschland zu erarbeiten. Aufgrund der unvollständigen Datenlage und der vermutlich hohen Dunkelziffer konnten sie letztendlich keine repräsentativen Aussagen machen. 7.3.2  Folgen spezifischer Formen

von Gewalt im Kindesalter

Folgen spezifischer Misshandlungsformen zu nennen ist oft schwierig, da in vielen Fällen nicht nur eine Misshandlungsform verübt wurde und damit auch die Folgen nicht isoliert gesehen werden können. Laut Moggi (2005 in Moggi 2009, S. 870 f.) lassen sich nur einige typische Folgen bzw. Symptome feststellen: kKörperliche Misshandlung

Verletzungen und Organschäden wie Quetschungen, Beulen und Hämatome, Skelett-, Weichteil-, Augen-, Hirn- und Mundverletzungen sowie Verbrennungen und Verbrühungen, die bis zum Tod führen können. kVernachlässigung und psychische Misshandlung im Vorschulalter

Entwicklungsrückstände (z. B. Wachstums- und Sprachstörungen, psychomotorische Entwicklungsverzögerungen) und psychosomatische Symptome (z. B. Einnässen, Hautkrankheiten) sowie Auffälligkeiten im Bindungsverhalten.

125 Gewalt in der Kindheit und ihre Folgen

kSexuelle Kindesmisshandlung

Verletzungen im genitalen, analen und oralen Bereich, Schwangerschaften während der Adoleszenz, Geschlechtskrankheiten sowie nicht dem Alter entsprechendes Sexualverhalten (z. B. exzessive Neugier an Sexualität, frühe sexuelle Beziehungen, offenes Masturbieren oder Exhibitionismus, sexualisiertes Verhalten im Sozialkontakt). 7.4  Behandlungsmöglichkeiten

In Bezug auf Diagnostik und Behandlung von Kindern/Jugendlichen, die Gewalt erlebt haben mit der Ausrichtung auf die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung, sei verwiesen auf den Beitrag von Steil im vorliegenden Buch (7 Kap. 22). Im Hinblick auf verschiedene Methoden der Traumatherapie im Kindes- und Jugendalter gibt es ein Handbuch von Landolt und Hensel (2012), Übersichtsarbeiten von Silverman et  al. (2008) und Dorsey et  al. (2017) sowie das umfassende Werk von Landolt et al. (2017) zu evidenzbasierten Behandlungen.  

Unter der Lupe

Je ausgeprägter und früher bei einem Kind/Jugendlichen multiple bis chronische und sich überlagernde (schwere) Formen der Kindesmisshandlungen vorliegen sowie anderweitige Risikofaktoren zusätzlich die biopsychosoziale Entwicklung beeinträchtigten, desto eher müssen komplexere, tiefgreifende Störungen der kognitiven, emotionalen, sozialen und neurobiologischen Entwicklung erwartet werden. Die Konsequenzen von chronischer Gewalt im Kindesalter können lebenslang sein.

Trotz einer oftmals komplexen Ausgangslage hat sich gezeigt, dass auch Kinder und Jugendliche mit einer komplexen Traumafolgestörung von manualisierten Traumatherapien wie beispielsweise der traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie (Tf-KVT) pro-

7

fitieren können (Sachser et al. 2017). Auch die narrative Expositionstherapie (NET; Schauer et  al. 2011; angepasst an Kinder KIDNET; Schauer et  al. 2017), die speziell für mehrfach traumatisierte Erwachsene und Kinder im Kontext von Krieg und bewaffneten Konflikten entwickelt wurde, zeigte gute und stabile Ergebnisse. Dennoch muss oftmals von einer komplexeren und länger andauernden Therapie ausgegangen werden. Diese muss komorbide Störungen berücksichtigen und behandeln, verschiedene Hilfssysteme inte­ grieren etc. Beeinträchtige Bereiche können sich, wie in diesem Kapitel ausführlich beschrieben, auf ganz verschiedene Bereiche beziehen wie beispielsweise Bindung, Körper, Affektregulation, Dissoziation, Verhaltenskontrolle, Kognition und Selbstkonzept. Das kann bedeuteten, dass neben den klassischen traumafokussierten Elementen weitere Fähigkeiten erlernt und ausgebaut werden müssen. Oftmals handelt es sich deshalb bei einem komplexen Symptomgefüge auch um eine längere Therapiedauer. Zentrale Bedeutung hat in diesem Zusammenhang eine kontinuierliche und verlässliche therapeutische Beziehung. Eine systemische Sichtweise scheint unabdingbar. Bei multiplen, chronisch belasteten Kindern/ Jugendlichen ist es unumgänglich, deren primäre Bezugspersonen, insbesondere in der Anfangszeit, intensiv in die Behandlung einzubeziehen. Sie benötigen Hilfestellungen/ Psychoedukation bezüglich der Ursachen der Störungen des Verhaltens und Erlebens der Kinder/Jugendlichen sowie der angemessenen Reaktionsweisen darauf (z.  B. weniger Reaktion auf das spezifisch störende Verhalten als vielmehr ein Eingehen auf die damit verbundenen Gefühle des Kindes). Einen wichtigen Punkt für die erfolgreiche Unterstützung stellt v. a. die gute Vernetzung/ Abstimmung der Hilfen dar, d. h. häufig auch die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe. Deren Probleme, Aufgaben und Hilfsmöglichkeiten werden umfassend bei Kindler et al. (2006) dargestellt. Die Complex Trauma Task Force des National Child Traumatic Stress Network (Cook

126

7

A. de Haan et al.

et al. 2003) beschreibt 4 zentrale Ziele für die Therapie von komplextraumatisierten Kindern und Jugendlichen: 55 externale Sicherheit erhöhen (Zuhause, in der Schule und der Gemeinde); 55 internale Sicherheit und Kompetenzen entwickeln (Emotionsregulierung und zwischenmenschliche Kompetenzen); 55 Entwicklungspfade in positive, gesundheitsförderliche Richtungen verändern (funktionale Verarbeitung der Gewalterfahrungen mit einer adaptiveren Sicht auf Gegenwart und Zukunft); 55 gesunde primäre Bindungsbeziehungen sowie die Inanspruchnahme anderer sozialer Unterstützungen fördern (Aufbau sozialer Netzwerke).

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129

Diagnostik und Differenzialdiagnostik J. Schellong, M. Schützwohl, P. Lorenz und S. Trautmann 8.1

Ausgangslage – 131

8.2

Strukturierte/standardisierte Interviewdiagnostik – 132

8.2.1 8.2.2 8.2.3

I nterviews für psychische Störungen – 132 Störungsspezifische Interviews – 135 Bewertung der strukturierten oder standardisierten Interviews – 136

8.3

Selbstbeurteilungsverfahren – 137

8.3.1 8.3.2 8.3.3

S ymptomfragebogen – 137 Fragebogen nach Traumaereignissen – 141 Bewertung der Selbstbeurteilungsverfahren – 142

8.4

 eitere stressbezogene Erkrankungen und W Traumafolgestörungen – 142

8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4

 kute Belastungsreaktion/akute Belastungsstörung – 143 A Anhaltende Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung – 143 Anpassungsstörung – 143 Anhaltende Trauerstörung (ATS) – 144

8.5

Differenzialdiagnostik – 144

8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4

 ngststörungen – 145 A Zwangsstörungen – 145 Depressive Störungen – 145 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp – 145 Dissoziative Störungen – 145 Intermittierende explosible Störung – 146

8.5.5 8.5.6

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_8

8

8.5.7 8.5.8 8.5.9 8.5.10

 rtifizielles Vortäuschen – 146 A Simulation – 146 Organische Erkrankungen (z. B. Hirnverletzungen) – 146 Somatoforme Störungen/somatische Belastungsstörungen – 146

8.6

 rfassung ergänzender therapierelevanter E Informationen – 147

8.6.1

E rfassung von aufrechterhaltenden oder den Therapieverlauf bestimmenden Faktoren – 147 Erfassung sekundärer Funktionsbeeinträchtigungen – 149 Erfassung von Ressourcen und Kompetenzen – 149 Therapiebegleitende Diagnostik – 149

8.6.2 8.6.3 8.6.4

Literatur – 150

131 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

8.1  Ausgangslage

Die diagnostische Zuordnung der berichteten und beobachteten Symptomatik ist Grundlage für die Anwendung störungsspezifischer The­ rapieverfahren. Aus ihr ergeben sich konkrete Handlungsanweisungen, die sich in empiri­ schen Überprüfungen als wirksam erwiesen haben. Bei Traumafolgestörungen scheint die Diagnostik allerdings vergleichsweise heraus­ fordernd. Während das Vorliegen traumabezo­ gener Störungen in vielen Fällen noch immer übersehen wird (Ehlers et  al. 2009; Wittchen et al. 2012), wird v. a. die PTBS sowohl im wis­ senschaftlichen als auch im klinischen Kontext teilweise inflationär diagnostiziert (McHugh und Treisman 2007; Dudeck und Freyberger 2011). In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass die Betroffenen nicht fachgerecht behan­ delt werden. Die Ursachen für das Übersehen traumabe­ zogener Störungen wurden vielfach diskutiert. Ein wesentlicher Grund liegt aber wohl v.  a. darin, dass Personen, die an den Folgen ihrer traumatischen Erfahrungen leiden und Unter­ stützung aufsuchen, im Erstkontakt häufig Be­ schwerden schildern, die nicht als Kennzeichen einer posttraumatischen Erkrankung offen­ kundig sind. Sie können z. B. von Ängsten und Freudlosigkeit berichten und allgemein über Nervosität klagen, die Traumatisierung jedoch nicht thematisieren. Oft sehen sie selbst keinen Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und den  – manchmal schon lange zurücklie­ genden – traumatischen Erfahrungen. Darüber hinaus können Erinnerungsverzerrungen so­ wie Vermeidungsverhalten als typische Symp­ tome einer Traumafolgestörung (7 Kap.  2,  3, und  4) davon abhalten, für die Diagnose rele­ vante Informationen vollständig zu berichten. Die Ursachen dafür, dass ein Störungsbild nach einem bekannten traumatischen Ereig­ nis allzu oft im Sinne einer PTBS eingeordnet wird, sind inzwischen ebenfalls umfassend dis­ kutiert. So spielen traumatische Ereignisse bei der Entstehung und Aufrechterhaltung vieler psychischer Störungen eine Rolle, darunter die Borderline-Persönlichkeitsstörung, affektive  

8

Stö­rungen und Angststörungen (Breslau 2009; Asselmann et  al. 2018). Gleichzeitig zählt die PTBS aufgrund der Unspezifität der Symptom­ kriterien zu den Störungskategorien, die v.  a. bei einem sog. Top-down-Vorgehen in der klas­ sifikatorischen Diagnostik besonders häufig falsch positiv diagnostiziert werden (McHugh und Treisman 2007). Auch weisen Depres­ sionen und Anpassungsstörungen sowie die Borderline-Persönlichkeitsstörung und andere Störungen ähnliche Symptome wie eine PTBS auf. Hinzu kommt, dass das Traumakriterium in den Klassifikationsverzeichnissen sehr un­ klar definiert ist und die Störung nicht zuletzt deshalb auch nach sehr häufig vorkommenden und i. Allg. wenig belastenden Ereignissen dia­ gnostiziert wird, die eher zu den Anpassungs­ störungen (7 Kap. 5) gerechnet werden sollten. Für die neue Auflage der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-­11) wur­den umfassende Veränderungen vorgenom­ men. Diagnostische Instrumente für ICD-11 (WHO 2018) befinden sich erst in Entwicklung. Die von der World Psychiatric Association herausgegebenen „Leitlinien zur psychiatri­ schen Diagnostik“ (IGDA Workgroup, WPA 2003) skizzieren professionelles diagnostisches und differenzialdiagnostisches Vorgehen als umfassenden Prozess, der neben einem aus­ führlichen Patienteninterview die Sichtung von verschiedenen Informationsquellen sowie die Anwendung von ergänzenden Erhebungs­ verfahren beinhaltet. Eine naturalistische Stu­ die zur Behandlungspraxis von PTBS konnte zeigen, dass für die Mehrzahl der niederge­ lassenen Psychotherapeuten folgende Aspekte bereits feste Bestandteile des diagnostischen Prozesses sind: 55 Exploration traumatischer Ereignisse, 55 Abklärung der diagnostischen Symptom­ kriterien der PTBS, 55 Erfassung und Abgrenzung von komorbi­ den bzw. anderen traumaassoziierten Störungen und von relevanten psychischen Vorerkrankungen, 55 Informationsaustausch mit Vor- und Mitbehandlern.  

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J. Schellong et al.

Der Einsatz diagnostischer Instrumente hin­ gegen scheint in der ambulanten Praxis bislang weitaus weniger verbreitet zu sein. So werden traumaspezifische Fragebogen nur von jedem vierten niedergelassenen Behandler und trau­ maspezifische Interviews lediglich von 3  % eingesetzt. (Haase und Schützwohl 2011). In diesem Kapitel wird ein umfassendes diagnostisches Vorgehen zunächst zu den Dia­ gnosen der PTBS und der komplexen PTBS dargestellt, gefolgt in 7 Abschn.  8.4 zur anhal­ tenden Trauerstörung und Anpassungsstörung. Die jeweilige Gliederung entspricht dabei wei­ testgehend den Empfehlungen einer Experten­ kommission (Keane et al. 2000): 55 Die Durchführung von strukturierten oder standardisierten Interviews, die ursprüng­ lich zur Sicherung zuverlässiger Diagno­ sen im Bereich der Forschung entwickelt wurden, ist auch in der klinischen Praxis unentbehrlich (7 Abschn. 8.2.1). 55 Symptomhäufigkeit und -intensität sollten ebenso erfasst werden wie die Dauer der Symptombelastung und die daraus resultierenden psychischen Beeinträchti­ gungen aus Patientensicht. Hierzu eignet sich v. a. der Einsatz von reliablen und validen Selbstbeurteilungsverfahren (7 Abschn. 8.3). 55 Nach einem potenziell traumatisierenden Ereignis kann es zu ganz unterschied­ lichen Belastungsreaktionen kommen (7 Abschn. 8.4); vor diesem Hintergrund müssen sowohl in der klinischen Praxis als auch im Rahmen gutachtlicher Tätigkeiten auch Fragen der Differenzialdiagnostik erörtert werden (7 Abschn. 8.5). 55 Zur Therapieplanung ist neben der klassifikatorischen Diagnostik die Er­ fassung weiterer Informationen erfor­ derlich. Von besonderer Relevanz sind die Erfassung aufrechterhaltender Fak­ toren (7 Abschn. 8.6.1) und sekundärer Funktionsbeeinträchtigungen (z. B. im sozialen und im beruflichen Bereich; 7 Abschn. 8.6.2). 55 Die Erfassung von Ressourcen und Kompetenzen ergänzt die Diagnos­

tik im Rahmen der Therapieplanung (7 Abschn. 8.6.3). 55 Zur Qualitätssicherung ist es schließlich sinnvoll, die Durchführung therapeuti­ scher Maßnahmen diagnostisch zu beglei­ ten (7 Abschn. 8.6.4).  



8.2  Strukturierte/standardisierte

Interviewdiagnostik



8













Mit strukturierten Interviews werden dia­ gnostische Kriterien mittels vorformulierter Fragen systematisch erfasst; bei Verständnis­ problemen oder Zweifeln können Fragen um­ formuliert, erklärt oder ergänzt werden. In die Beurteilung kann neben den Angaben der Patienten die Gesamtheit aller zur Verfügung stehender Informationen Eingang finden. Hin­ gegen lassen standardisierte Interviews dem Interviewer keinen Beurteilungsfreiraum, d. h. Fragen werden generell wörtlich vorgelesen und ausschließlich die Antworten der Patien­ ten kodiert. Hier erfolgt lediglich ein Überblick über die wichtigsten Verfahren:

8.2.1  Interviews für psychische

Störungen

8.2.1.1  Strukturiertes klinisches

Interview für DSM-IV (SKID)

Bis zur Fertigstellung der deutschen Version des SKID-5 (englische Version First et  al. 2015) nach DSM-5 (APA 2013) wird auf das „Strukturierte klinische Interview“ (SKID-IV; Wittchen et al. 1997) für DSM-IV (APA 2000) zurückgegriffen, das aktuell sicherlich eines der am häufigsten eingesetzten Interviews ist. Es dient der Erfassung und Diagnostik aus­ gewählter psychischer Störungen, wie sie im DSM-IV definiert werden. Die PTBS-Sek­ tion erlaubt die Erfassung traumabezogener Störungen. Die Möglichkeit zur Erfassung diagnostischer Kriterien einer akuten Belas­ tungsstörung (ABS) bietet das SKID nicht. Im

133 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

Folgenden wird das grundlegende Vorgehen dargestellt, das sich zwischen SKID-4 und SKID-5 nicht unterscheidet. Der Interviewer führt die PTBS-Sektion in der Regel nur durch, wenn aus den zur Ver­ fügung stehenden Informationen ein Hinweis auf das Vorliegen einer PTBS existiert. Die Beurteilung beginnt damit, dass der Interviewer erfragt, ob der Patient jemals ein traumatisches Ereignis erlebt hat. Mit den folgenden Fragen wird dann das Vorliegen einer traumatischen Erfahrung ge­ mäß der Definition nach DSM beurteilt (A-Kriterium) sowie das schlimmste traumati­ sche Ereignis einschließlich des Alters bei Er­ leben ermittelt. Anschließend werden Fragen zu weiteren DSM-Kriterien gestellt. Den Ab­ schluss der Sektion bilden Fragen nach Verlauf und Schweregrad der Störung. Der Interviewer beurteilt das Vorliegen der Symptomatik jeweils mit 55 „?“ = „Informationen sind unzureichend“, 55 „1“ = „nicht vorhanden“, 55 „2“ = „unterschwellig vorhanden“ oder 55 „3“ = „vorhanden“. Sprungregeln nach Komplettierung aller Fra­ gen zu einem bestimmten diagnostischen Kriterium ermöglichen es, die Durchführung der PTBS-Sektion jeweils zu beenden, sobald ein Kriterium als nicht erfüllt beurteilt wird. Im SKID muss der Interviewer dabei das Kri­ terium und nicht unbedingt die Antwort des Patienten kodieren. Dies erfordert, dass der Interviewer ein klinisches Urteil bildet. Die Durchführungszeit für das SKID wird mit ca. 100 min bei stationären und ca. 75 min bei ambulanten Patienten angegeben. Für die PTBS-Sektion, die sich in zahlreichen empi­ rischen Überprüfungen als reliables und vali­ des Modul zur Diagnostik einer PTBS erwie­ sen hat, sind bei traumatisierten Patienten ca. 20 min einzuplanen. Allerdings liefert sie nur ein trichotomes Symptomrating (nicht vorhan­ den – unterschwellig vorhanden – vorhanden) sowie ein trichotomes Rating für den Schwere­ grad einer als vorhanden klassifizierten PTBS (leicht – mittel – schwer).

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8.2.1.2  Diagnostisches Interview

bei psychischen Störungen (DIPS)

Das „Diagnostische Interview bei psychischen Störungen“, (DIPS; Schneider und Margraf 2011) kombiniert die Zielstellung kategoria­ ler Diagnostik mit der Erhebung therapiere­ levanter Information. Das DIPS wurde an das DSM-5 angepasst (DIPS Open Access: Margraf et al. 2017a). Die Durchführungsdauer zur Er­ fassung der wichtigsten Störungskategorien be­ trägt etwa 90–120 min. Aus urheberrechtlichen Gründen sind im neuen DIPS Open Access die DSM-5-Kriterien in paraphrasierter Kurzform in den Protokollbogen integriert. Die Antwor­ ten werden in einem separaten Protokollbogen aufgenommen. Die nach DSM-IV-TR bzw. DSM-5 ermittelten Diagnosen können ein­ fach in ICD-10-Diagnosen überführt werden (WHO 1993; Dilling und Freyberger 2013). Die PTBS-Sektion beginnt mit einer aus­ führlichen Erfassung der potenziellen Trau­ matisierung, Screeningfragen zur aktuellen Symptomatik sowie zur Symptomdauer vor­ liegender posttraumatischer Belastungsreak­ tionen. Neben der dichotomen Erfassung der charakteristischen Kernsymptomatik der PTBS ist für jedes Symptom ein kombiniertes Rating zu Häufigkeit und Schweregrad abzu­ geben, d. h., letztere können nicht unabhängig voneinander beurteilt werden. Die Sektion en­ det mit der Erfassung der erlebten Beeinträch­ tigung sowie detaillierten Fragen zur zeitlichen Einordnung der Symptomatik und zur Lebens­ zeitprävalenz. >> Zusätzlich zur Erfassung einer PTBS erlauben das DIPS sowie das DIPS Open Access die Diagnostik einer aktuell bestehenden akuten Belastungsstörung (ABS), wobei die Symptombeurteilungen auch hier auf der beschriebenen Häufigkeit/Schweregrad-Skala abzugeben sind.

Die Beurteilungsregel im diagnostischen Al­ gorithmus sieht sowohl für die PTBS als auch für die ABS vor, dass ein Symptom dann in diagnostisch relevanter Ausprägung vorliegt,

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8

J. Schellong et al.

wenn es anhaltend (länger als einen Monat für PTBS; Falkai et al. 2015) auftritt. Zur Brauch­ barkeit dieser Regel in verschiedenen Popula­ tionen gibt es leider keinerlei Angaben, ebenso liegen wenige Informationen zu den teststa­ tistischen Gütekriterien der beiden Sektionen vor. Die Interrater-­Reliabilität der PTBS-Sek­ tion des DIPS stellte sich zumindest als gut bis sehr gut heraus (Suppiger et al. 2008). Für den PTBS-Abschnitt der DIPS-Forschungsversion (F-DIPS; Margraf et al. 1996), aus der das DIPS für DSM-IV hervorgegangen ist, erwies sich die Retest-­ Reliabilität als zufriedenstellend. Für das DIPS Open Access werden aktuell Stu­ dien zur Überprüfung der psychometrischen Gütekriterien durchgeführt (Margraf et  al. 2017b). 8.2.1.3  DIA-X-Interview/Composite

International Diagnostic Interview (CIDI)

Das Diagnostische Expertensystem-Interview (DIA-X-Interview; Wittchen und Pfister 1997) ist ein modulares und flexibles diagnostisches Beurteilungssystem, das die Diagnosestellung entsprechend ICD-10 und DSM-IV ermöglicht. Eine gemäß den Kriterien des DSM-5 überarbei­ tete Fassung liegt in deutscher Sprache derzeit als Forschungsinstrument (Composite International Diagnostic Interview, CIDI) vor (Beesdo-Baum et  al., unveröffentlicht). Je nach Fragestellung kann das DIA-X in einer Lebenszeitversion oder einer zeitlich weniger aufwendigen Quer­ schnittsfassung (12  Monate) eingesetzt werden. Es liegt in einer Papier-Bleistift- und einer PC-­ Version vor; deren Anwendung wird nachdrück­ lich empfohlen, da die Interviewauswertung zwingend das DIA-X-­Diagnosenprogramm er­ fordert und die mittels Papier-Bleistift-Version erhobenen Daten dort eingegeben werden müss­ ten (Wittchen und Pfister 1997). Es ist ein stan­ dardisiertes Interview, das die Erfassung der dia­ gnostischen Kriterien einer PTBS erlaubt, nicht aber die der ABS. Der Interviewteil zur PTBS beginnt mit der Erkundigung nach einem oder mehre­ ren potenziell traumatisierenden Lebens­

ereignissen. Hierzu steht dem Interviewer mit der Liste N1  – vergleichbar mit der Listung 7 Abschn.  8.2.1.1  – aus dem Ergänzungsheft ein Hilfsmittel zur Verfügung. Falls unklar, ist anschließend jeweils abzuklären, ob das A-­Kriterium vollständig erfüllt ist und das Er­ eignis mit Angst, Hilflosigkeit oder Schrecken verbunden war. Hat der Patient ein traumatisches Ereig­ nis erlebt, ermittelt der Interviewer unter Ver­ wendung der vollständig vorformulierten und generell wörtlich vorzulesenden Fragen, ob die Kennzeichen der PTBS nach dem traumati­ schen Ereignis (Lebenszeitversion) bzw. in den letzten 12 Monaten (Querschnittsfassung) vor­ lagen, bevor Zeitpunkt und Dauer der Symp­ tomatik genauer abgeklärt werden. Um Infor­ mationen über den Schweregrad zu erhalten, werden abschließend das Bewältigungsver­ halten sowie die Beeinträchtigung alltäglicher Aktivitäten ermittelt.  

>> Das DIA-X-Interview erfordert sowohl bei Verwendung der PC-Version wie auch der Papier-Bleistift-Version ein ausführliches Training, kann aber nach Ansicht der Herausgeber auch bei fehlender klinischer Erfahrung durchgeführt werden – wobei allerdings die Interpretation der ermittelten DIA-X-Diagnosen klinisch erfahrenen Diagnostikern vorbehalten bleiben muss (Wittchen und Pfister 1997).

Die Durchführungsdauer wird mit 75 min bei Anwendung der Lebenszeitversion und 55 min bei Anwendung der Querschnittsfassung an­ gegeben; die Durchführungsdauer für die PTBS-Sektion ist bei traumatisierten Patienten mit 15–20  min anzusetzen. Reliabilität und Validität haben sich in epidemiologischen und klinischen Studien als fast durchgängig sehr hoch erwiesen. Das DIA-X-Interview l­iefert allerdings nur dichotom Aussagen über das Vorhandensein von PTBS-Symptomen und das Vorliegen einer PTBS.  Die Intensität der Belastungsreaktionen lässt sich nicht in konti­ nuierlichen Daten ausdrücken.

135 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

8.2.1.4  Mini International

Neuropsychiatric Interview (M.I.N.I.)

Das „Mini International Neuropsychiatric Inter­ view“ (M.I.N.I. 6.0.0; Sheehan et al. 1998, 2010; dt. Version zum M.I.N.I. 5.0.0 [Sheehan et al. 2005] von Ackenheil et al. 1999) ist ein in der epidemio­ logischen und pharmakologischen Forschung häufig eingesetztes diagnostisches Interview zur Erfassung psychischer Störungen nach DSM-IV und ICD-10. Mit einer auf 15 min veranschlagten Durchführungszeit ist es ein sehr zeitökonomi­ sches Verfahren. Der Abschnitt zur PTBS beginnt mit 2  Eingangsfragen, mit denen das A-Krite­ rium und das B-Kriterium der PTBS abgeklärt werden; es folgen 6 Fragen zum C-Kriterium und 5  Fragen zum D-Kriterium. Abschließend wird das F-Kriterium abgeklärt. Das Interview wird beendet, sobald ein diagnostisches Kriterium nicht erfüllt ist. Dauer, Häufigkeit oder Schwere­ grad werden nicht differenziert erfasst. 8.2.2  Störungsspezifische

Interviews

8.2.2.1  Clinician-Administered PTSD

Scale (CAPS)

Anders als die bisher vorgestellten allgemeinpsy­ chiatrischen Interviewverfahren dient die „Cli­ nician-Administered PTSD Scale“ (CAPS; Blake et al. 1990; dt. Schnyder und Moergeli 2002, CAPS5; Weathers et  al. 2013a; dt. Müller-­Engelmann et al. 2018) ausschließlich der PTBS-Diagnostik. Dabei bietet sie nicht nur die Möglichkeit zur Er­ fassung diagnostisch relevanter Informationen, sondern erlaubt mit ihren insgesamt 30  Fragen auch die Erhebung interessanter Zusatzinforma­ tionen. In der Forschung, aber auch in der gut­ achtlichen Praxis, zählt sie zu den am häufigsten eingesetzten Verfahren zur PTBS-Diagnostik; die Anwendung in wissenschaftlichen Studien wird von einer Expertenkommission ausdrücklich empfohlen (Charney et al. 1998). Der Interviewer erfasst mit der CAPS zu­ nächst Angaben zum traumatischen Ereignis, um dann anhand definierter Kriterien beurteilen zu können, ob das Traumakriterium der PTBS

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nach DSM-5 erfüllt ist. Unter Verwendung vor­ formulierter Fragen zur Symptomatik wird an­ schließend erfragt, in welcher Häufigkeit und mit welcher Intensität die 20 nach DSM-5 (vgl. Kriterien B, C, D und E) diagnostisch relevan­ ten Kennzeichen einer PTBS im letzten Monat auftraten. Um ein möglichst genaues Rating der Häufigkeit und der Intensität auf den getrennten 5-Punkt-­Likert-Skalen zu erhalten, können dem Patienten die Anker beider Skalen  – die Skala der Schweregradbeurteilung ist jeweils spezi­ fisch auf Verhaltensebene definiert – vorgelesen werden. In weiteren Sektionen werden erhoben: 55 der Beginn der Symptomatik und deren Dauer (Kriterium F), 55 die Auswirkungen der Symptombelastung (Kriterium G), 55 Angaben zur globalen Beurteilung der Gesamtintensität der Symptomatik sowie zur Validität der Beurteilungen, 55 Fragen nach Depersonalisation und/oder Derealisation zur Beurteilung, ob disso­ ziative Symptomatik vorliegt (dissoziativer Subtyp der PTBS nach DSM-5). Im Anschluss überprüft der Interviewer, ob die DSM-5-Kriterien einer PTBS aktuell erfüllt sind oder zu einem früheren Zeitpunkt erfüllt waren. Dabei gilt die Bewertungsregel, dass ein Symptom dann verlässlich in diagnostisch re­ levanter Ausprägung vorliegt, wenn die Häu­ figkeit mindestens mit 1 und der Schweregrad mindestens mit 2 beurteilt werden. >> Die CAPS erfordert Interviewer, die klinisch erfahren und mit dem DSM-Konzept der PTBS vertraut sind. Unter diesen Voraussetzungen sind Reliabilität und Validität der Ursprungsversion (Weathers et al. 2001) sowie einer deutschen Version (Schnyder und Moergeli 2002) belegt.

Unter Verwendung der gültigen Bewertungs­ regel wird allerdings der Prozentsatz der Per­ sonen mit PTBS eher überschätzt, weshalb von verschiedenen Autoren entsprechend Alter­ nativregeln vorgeschlagen wurden. Weathers et al. (1999) haben die psychometrischen Eigen­ schaften von 9  unterschiedlichen Bewertungs­

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J. Schellong et al.

regeln empirisch untersucht und hinsichtlich ihrer praktischen Bedeutung diskutiert. Kritisiert wird von manchen Autoren die Anwendungsdauer für das CAPS, die mit 60 min für ein vollständiges Interview und ca. 30  min zur Erfassung allein der diagnostisch relevan­ ten Informationen relativ viel Zeit in Anspruch nimmt (Foa und Tolin 2000). 8.2.2.2  Structured Interview

for Disorders of Extreme Stress (SIDES)

8

Mit dem „Structured Interview for Disorders of Extreme Stress“ (SIDES; Pelcovitz et al. 1997; dt. Version Teegen et al. 1998) liegt ein strukturier­ tes Interview zur Erfassung von Symptomen vor, die zum Symptomkomplex einer komplexen PTBS bzw. einer andauernden Persönlichkeits­ änderung nach Extrembelastung oder Entwick­ lungstraumastörung zählen. Der SIDES-Einsatz ist daher v.  a. bei Patienten zu empfehlen, die Opfer von Typ-II-­Traumata wurden (7 Kap.  3, 7 Abschn. 8.3.1.7). Das Interview besteht aus 48  Fragen, die 27 Symptomen zugeordnet sind und den 7 Symp­ tomkomplexen zugewiesen werden können, die Herman (1993) in ihrer Definition der komple­ xen PTBS benennt (7 Kap.  3). Dies führt dazu, dass im SIDES zu jedem Symptom zwischen 1 und 9 Fragen zum Vorliegen einer bestimmten Problematik gestellt werden müssen. Die Fragen sind jeweils auf einer 3-­stufigen Skala zu beant­ worten (Verhalten oder Emotion leicht  – mä­ ßig  – stark problematisch). Für jedes Symptom sind im SIDES Kriterien definiert, unter welchen Voraussetzungen es als „vorhanden“ gilt. Das SIDES hat sich inzwischen in mehreren empirischen Studien als reliables und valides Verfahren zur Erfassung der genannten Symp­ tomatik erwiesen (Teegen und Vogt 2002).  





8.2.3  Bewertung der

strukturierten oder standardisierten Interviews

Zur zuverlässigen Diagnostik und Störungs­ klassifikation ist es unentbehrlich, ein struk­

turiertes oder ein standardisiertes Interview durchzuführen. In der klinischen Praxis wird die Standar­ disierung von Patienten meist sehr gut akzep­ tiert (Hoyer et  al. 2006). Der Einsatz dieser Verfahren kann demnach durchaus empfohlen werden. Allerdings ist zu beachten, dass eine Standardisierung zwar die Objektivität und die Reliabilität der Klassifikation maximiert, Feh­ lerquellen wie z.  B. falsches Frageverständnis oder Antworttendenzen aber nicht berück­ sichtigt, sodass die Validität der Diagnosen er­ heblich gemindert sein kann. Strukturierte Verfahren unterliegen, wenn sie gemäß ihrer Bestimmung durchgeführt werden, weit weniger der Gefahr von Antwort­ tendenzen (Perkins und Tebes 1984). Dies ist z. B. von besonderem Vorteil, wenn im Rahmen einer gutachtlichen Tätigkeit die Unterschei­ dung zwischen einer artifiziell vorgetäuschten oder einer simulierten PTBS unterschieden werden muss. Die Entscheidung, welches der hier vorge­ stellten Verfahren im Rahmen der eigenen wis­ senschaftlichen oder klinischen Tätigkeit zur Anwendung kommen soll, richtet sich ganz wesentlich nach der Praktikabilität der Ver­ fahren und der Zielsetzung der diagnostischen Erhebung. Zur Erhebung therapierelevanter Infor­ mationen tragen die vorgestellten Interview­ verfahren allerdings nur ungenügend bei. In der Regel erfassen die Verfahren lediglich das Auftreten der zur diagnostischen Zuordnung erforderlichen Symptome, wobei die Aussagen über deren Vorhandensein meist nur katego­ rial dokumentiert werden. Themen, die für die Therapieplanung wesentlich sind, werden überhaupt nicht angesprochen. >> Die durch die Exploration traumatischer Ereignisse entstehenden Belastungen für Patienten sind im Allgemeinen begrenzt (Jaffe et al. 2015). Empfohlen wird die Durchführung durch psychotherapeutisch geschultes Personal, auch um ggf. stressmindernde Techniken einsetzen zu können (Gast et al. 2004).

8

137 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

8.3  Selbstbeurteilungsverfahren

8.3.1  Symptomfragebogen

Selbstbeurteilungsverfahren eignen sich v.  a. zur Erfassung der Symptomhäufigkeit und -intensität sowie der daraus resultierenden psychischen Beeinträchtigungen aus Patien­ tensicht. Die Zahl der Verfahren, die speziell zur Diagnostik posttraumatischer psychischer Störungen konstruiert wurden, ist inzwischen enorm. Die wichtigsten Verfahren zur Erfas­ sung der Symptomatik einer PTBS liegen in deutscher Übersetzung vor.

8.3.1.1  Impact-of-Event-Skala –

Revised

Weiss und Marmar (1996) erweiterten die IES und legten mit der „Impact of Event Scale  – Revised“ (IES-R; dt. Maercker und Schützwohl 1998) ein Verfahren vor, das zusätzlich Items zur Erfassung der posttraumatischen Übererregung (Hyperarousal) berücksichtigt (. Abb.  8.1). In der publizierten deutschen Version wird die Häufigkeit der Belastungsreaktionen dem ur­  

Denken Sie bitte an das Ereignis. Geben Sie im Folgenden an, wie Sie in der vergangenen Woche zu diesem Ereignis gestanden haben, indem Sie für jede der folgenden Reaktionen ankreuzen, wie häufig diese bei Ihnen aufgetreten ist. Subskala Intrusion 1. 3. 6. 9. 14. 16. 20.

Immer wenn ich an das Ereignis erinnert wurde, kehrten die Gefühle wieder. Andere Dinge erinnerten mich immer wieder daran. Auch ohne es zu beabsichtigen, musste ich daran denken. Bilder, die mit dem Ereignis zu tun hatten, kamen mir plötzlich in den Sinn. Ich stellte fest, dass ich handelte oder fühlte, als ob ich in die Zeit des Ereignisses zurückversetzt sei. Es kam vor, dass die Gefühle, die mit dem Ereignis zusammenhingen, plötzlich für kurze Zeit viel heftiger wurden. Ich träumte davon.

Subskala Vermeidung 5. 7. 8. 11. 12. 13. 17. 22.

Ich versuchte mich nicht aufzuregen, wenn ich daran dachte oder daran erinnert wurde. Es kam mir so vor, als ob es gar nicht geschehen wäre oder irgendwie unwirklich war. Ich versuchte, Erinnerungen daran aus dem Weg zu gehen. Ich versuchte, nicht daran zu denken. Ich merkte zwar, dass meine Gefühle durch das Ereignis noch sehr aufgewühlt waren, aber ich beschäftigte mich nicht mit ihnen. Die Gefühle, die das Ereignis in mir auslösten, waren ein bisschen wie abgestumpft. Ich versuchte, das Ereignis aus meiner Erinnerung zu streichen. Ich versuchte, nicht darüber zu sprechen.

Subskala Übererregung 2. 4. 10. 15. 18. 19. 21.

Ich hatte Schwierigkeiten, nachts durchzuschlafen. Ich fühlte mich reizbar und ärgerlich. Ich war leicht reizbar und schreckhaft. Ich konnte nicht einschlafen, weil ich immer dieses Ereignis vor mir sah. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Die Erinnerungen daran lösten bei mir körperliche Reaktionen aus, wie Schwitzen, Atemnot, Schwindel oder Herzklopfen. Ich empfand mich selber als sehr vorsichtig, aufmerksam oder hellhörig.

..      Abb. 8.1  Instruktion und Items der „Impact of Event Scale – Revised“ (IES-R). (Mod. nach Weiss und Marmar 1997; dt. Maercker und Schützwohl 1998)

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sprünglich publizierten Modus und dem Modus der IES entsprechend auf 4-stufigen Likert-Ska­ len erfasst und verrechnet. Die Autoren der amerikanischen Originalversion schlugen aller­ dings später vor, nicht die Häufigkeit, sondern das Ausmaß der aus den Symptomen resultie­ renden Belastung zu erfassen, die Antworten auf einer 5-stufigen Skala zu kodieren und mit den Werten 0, 1, 2, 3 und 4 zu verrechnen (Weiss und Marmar 1997). Auch dieses Vorgehen wird derzeit in der Praxis angewendet. Reliabilität und Validität der Originalversion der IES-R und der deutschen Adaptation sind be­ legt (Maercker und Schützwohl 1998; Weiss und Marmar 1997; Adkins et al. 2008). Da die 22 Items der IES-R nicht mit den 17 DSM-IV-Symptomen korrespondieren, ist es trotz der Erweiterung der IES um die Subskala „Übererregung“ nicht intendiert und nicht möglich, Patienten zuver­ lässig individualdiagnostisch zu klassifizieren  – auch nicht mit der von Maercker und Schütz­ wohl (1998) publizierten diagnostischen Formel. Hingegen konnte gezeigt werden, dass die IES-R auch in der Lage ist, PTSD nach ICD-11 zu er­ fassen (Hyland et al. 2017). Die „Impact of Event Scale“ (IES-ID: Impact of Event Scale Revised for People with Intellec­ tual Disabilities) liegt für Menschen mit intel­ lektuellen Beeinträchtigungen (Hall et al. 2014; Rittmannsberger et  al. 2016) vor. Sie besteht aus 22 Fragen, die aus der IES-R abgeleitet und der Zielgruppe angepasst wurden. 8.3.1.2  PTSD Symptom Scale – Self

Report

Die „PTSD Symptom Scale  – Self Report“ (PSS-SR; Foa et al. 1993; dt. Winter et al. 1992) be­ steht aus 17 Aussagen, die direkt mit den Symp­ tomen der DSM korrespondieren. Die Symp­ tomhäufigkeit wird  – bezogen auf den letzten Monat – auf einer 4-stufigen Skala dokumentiert. Der Schweregrad der Störung wird über den Summenwert der 17  Antworten be­ stimmt. Die Summenwertbildung ist darüber hinaus aus den 5 Erinnerungssymptomen, den 7  ­Vermeidungssymptomen und den 5  Über­ erregungssymptomen möglich. Zur diagnos­ tischen Klassifikation nach DSM werden Ant­

worten mit einem Punktwert von mindestens 1 als diagnostisch relevant bewertet. Die PSS-SR ist damit ein Verfahren, das Informationen sowohl in dichotomer als auch in kontinuier­ licher Ausprägung liefert. Es hat sich auch in der deutschen Version als reliables und vali­ des Instrument erwiesen (Stieglitz et al. 2001; Wohlfahrt et al. 2003). Steil und Ehlers (1992) modifizierten die PSS-SR und legten einen Fragebogen vor, mit dem neben der Symptomhäufigkeit auch die Symptombelastung erfasst werden kann (. Abb. 8.2). Dazu wird auf 2 unabhängig von­ einander zu beurteilenden 4-stufigen Likert-­ Skalen die Häufigkeit eines Symptoms erhoben und wie sehr die Betroffenen unter diesem Symptom litten. Die Reliabilität dieser modifi­ zierten Version der PSS-SR ist belegt (Steil und Ehlers 1992).  

8.3.1.3  Posttraumatic Diagnostic

Scale

Mit der „Posttraumatic Diagnostic Scale“ (PDS) entwickelten Foa und Kollegen (Foa 1995; Foa et al. 1997; dt. Ehlers et al. 1996) ein Selbstbe­ urteilungsverfahren, das in 4  Fragebogenab­ schnitten zunächst die Art der traumatischen Erfahrungen spezifiziert und sich dann bei der Einschätzung der PTBS-Symptomatik auf das als am „schlimmsten“ benannte traumati­ sche Erlebnis bezieht, das zeitlich und situativ einzuordnen ist. Darüber hinaus werden auch die Reaktion der Betroffenen auf das Ereignis und das Vorliegen von durch die Störung ver­ ursachten Beeinträchtigungen in sozialen und beruflichen Funktionsbereichen erfasst. Die Beurteilungen der Patienten, wie häu­ fig sie im letzten Monat von den Symptomen betroffen waren (17 Fragen), erfolgen auf einer 4-stufigen Skala, deren Skalenbeschreibung und Verrechnung weitgehend der Original­ version der PSS-SR entspricht. Der Schwere­ grad der posttraumatischen Belastung wird mit der PDS durch das Aufsummieren der Itemantworten ermittelt; ein Punktwert von 10 deutet auf das Vorliegen einer mittelgradigen, ein Punktwert von 35 auf das Vorliegen einer schweren PTBS hin (Foa 1995).

139 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

8

Im Folgenden finden Sie eine Reihe von Erfahrungen, die Menschen manchmal nach traumatischen Erlebnissen haben. Bitte lesen Sie jede Aussage durch und bestimmen Sie anschließend wie häufig bzw. wie stark die Beschreibung während des letzten Monats auf Sie zutraf. (....) Dabei bedeutet 0 = überhaupt nicht/nie 1 = einmal oder seltener pro Woche/ein bisschen 2 = 2- bis 4-mal pro Woche/stark 3 = 5-mal pro Woche oder öfter/sehr stark Hatten Sie wiederkehrende oder sich Ihnen aufdrängende belastende Gedanken oder Erinnerungen an das Erlebnis? Wenn ja: Wie häufig erlebten Sie dies? nie 5-mal pro Woche oder öfter 0

1

2

3

ja

nein

Wenn ja: Wie sehr litten Sie darunter? überhaupt nicht 0

1

sehr stark

2

3

..      Abb. 8.2  Anleitung und Beispielitem aus der „PTSD Symptom Scale – Self Report“ (PSS-SR). (Mod. nach der dt. Version von Steil und Ehlers 1992)

Untersuchungen mit der Originalversion konnten die Reliabilität und Validität der PDS als außergewöhnlich hoch bestätigen (Foa et al. 1997; Powers et al. 2012). Untersuchun­ gen zu den Gütekriterien der deutschsprachi­ gen Übersetzung der PDS qualifizieren auch diese als ein reliables und valides Instrument zur Erfassung der PTBS (Griesel et al. 2006). 8.3.1.4  PTSD Checklist for DSM-5 Die PTSD Checklist für DSM-5 (PCL-5) er­

fasst in Form einer Selbstbeurteilung in 20 Items die Symptome einer PTBS.  Sie wurde 2013 (. Abb.  8.3) von Weathers und Kollegen (Weathers et al. 2013c) auf Basis der Vorgänger­ varianten für DSM-IV (Weathers et  al. 1994) entwickelt. Eine validierte deutsche Fassung liegt vor (Krüger-Gottschalk et  al. 2017). Die Items beziehen sich retrospektiv auf den letzten Monat, Symptomstärke wird 5-stufig kodiert. Die Auswertungsroutine definiert ein Item als erfüllt, wenn es als 2 oder höher eingestuft  

wurde. Wenn ein Item des Symptomclusters B (Fragen 1–5), ein Item aus Cluster  C (Fragen 6–7), zwei Items aus D (Fragen 8–14) und zwei Items des Clusters  E (Fragen 15–20) erfüllt sind, liegen deutliche Hinweise auf eine PTBS vor. Von den US-amerikanischen Autoren und in der deutschen Validierungsstudie repliziert (Krüger-Gottschalk et  al. 2017) wurde ein Summenscore (0 und 80) von 33 oder mehr als Verdacht auf eine PTBS bewertet. 8.3.1.5  Essener Trauma-Inventar

Mit dem „Essener Trauma-Inventar“ (ETI; Tagay et  al. 2007) steht ein weiteres differen­ ziertes deutschsprachiges Selbstbeurteilungs­ instrument zur Verfügung, das sowohl in Fra­ gebogen- als auch in Interviewform vorliegt und sich aus 58 Items zusammensetzt. Neben der Exploration einer Vielzahl potenzieller traumatischer Ereignisse im ersten Abschnitt wird im Folgenden in enger Orientierung an

140

J. Schellong et al.

PCL-5 Nachfolgend sind Probleme aufgelistet, die Menschen manchmal als Reaktion auf ein sehr belastendes Erlebnis haben. Bitte lesen Sie jedes Problem sorgfältig, denken Sie dabei an Ihr schlimmstes Ereignis, und markieren Sie dann eine der Zahlen auf der rechten Seite um anzugeben, wie stark Sie im letzten Monat durch dieses Problem belastet waren. Im letzten Monat, wie sehr waren Sie belastet durch:

3.

8

Sich plötzlich fühlen oder sich verhalten, als ob das belastende Erlebnis tatsächlich wieder stattfinden würde (als ob Sie tatsächlich wieder dort wären und es wiedererleben würden)?

überhaupt nicht

ein wenig

ziemlich

stark

sehr stark

0

1

2

3

4

..      Abb. 8.3  Anleitung und Beispielitem aus der „Posttraumatic Stress Disorder Checklist“ (PCL-5) für DSM-5. (Mod. nach Krüger-Gottschalk et al. 2017)

den DSM-IV-Kriterien sowohl das Vorliegen der Diagnose einer PTBS als auch einer ABS erfasst. Über diese kategoriale Diagnostik hi­ naus erlaubt der ETI die Messung der Ausprä­ gung der 4  Symptombereiche Intrusion, Ver­ meidung, Hyperarousal und Dissoziation und ermöglicht die Bestimmung des Schweregrads der Symptomatik über einen Summenscore; aus diesem Grund heben die Autoren die Eig­ nung des Instruments für die Verlaufsdiagnos­ tik hervor. Cut-off-Werte sind zur Identifika­ tion klinisch auffälliger Personen angegeben. Die psychometrischen Gütekriterien des ETI haben sich bislang als gut bis sehr gut erwiesen (Hauffa et al. 2010; Tagay et al. 2007). 8.3.1.6  KurzFragebogen

Inzwischen sind auch Screeningverfahren zur Diagnostik von PTBS publiziert und in deut­ schen Versionen eingesetzt worden. Dazu ge­ hören: 55 SPAN („Startle, Physiological arousal, Anger, Numbness“; Davidson 2002; Melt­ zer-Brody et al. 1999; 4 Items), 55 SPRINT („Short Post-Traumatic Stress Disorder Rating Interview“; Connor und Davidson 2001; 8 Items), 55 SSS („Short Screening Scale for DSM-IV Posttraumatic Stress Disorder“; Breslau

et al. 1999; dt. Siegrist und Maercker 2010; 7 Items), 55 PC-PTSD-5 (Primary Care PTSD for DSM-5; Prins et al. 2015; dt. noch in der Validierung begriffen; 5 Items). 8.3.1.7  Selbstbeurteilungsverfah-

ren zur komplexen PTBS

55 Das SIDES (7 Abschn. 8.2.2.2; Pelcovitz et al. 1997) liegt auch als Fragebogenver­ sion „Self-Report Inventory for Disorders of Extreme Stress“ (SIDES-SR; Luxenberg et al. 2001; Spinazzola et al. 2001) vor. Das Inventar setzt sich aus 45 Items zusammen und ist sowohl zur Erfassung der Symp­ tomschwere für jedes der 6 Symptomclus­ ter als auch zur Verlaufsbeobachtung gut geeignet (Luxenberg et al. 2001). Es liegt auch in zwei modifizierten deutschspra­ chigen Versionen vor: 55 DESNOS („Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified“; Hofmann et al. 1999) umfasst in der im Kölner Dokumentationssystem für Psychothe­ rapie und Traumabehandlung veröf­ fentlichten Version 48 Items (Fischer 2000; Kunzke und Güls 2003) und die Beschwerdeliste kPTBS (Teegen et al. 2001) mit 72 Items. Der Fragebogen für  

141 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

die nach ICD-11 geplante Aufteilung in posttraumatische Belastungsstörung und komplexe Traumafolgestörung (Karatzias et al. 2017; Shevlin et al. 2018) ist aktuell nur in Englisch verfügbar. 55 Beim „Revised Trauma Symptom Inventory“ (TSI-2; Briere 2011) handelt es sich um einen Fragebogen zur Er­ fassung komplexer posttraumatischer Belastungsstörung. Er verfügt über 12 klinische Skalen (drei mehr als im TSI-1; Briere 1995), teilweise mit Subskalen, dazu 2 Validitätsskalen (atypisches Antwortverhalten, Ant­ wortniveau) und 8 „kritische Items“, die psychopathologische Auffälligkei­ ten erfassen sollen, die potenziell eine schnelle Intervention erfordern. Die in­ terne Konsistenz der meisten Skalen ist akzeptabel bis sehr gut (0,73 bis 0,95). (Krammer et al. 2017) 8.3.2  Fragebogen nach

Traumaereignissen

Zusätzlich zu den Symptomen der PTBS ist für eine Diagnosestellung das Vorhandensein eines A-Kriteriums, also eines traumatischen Ereignisses, erforderlich. Dieses kann systema­ tisch mittels Traumalisten unterstützt werden. 8.3.2.1  Traumalisten

55 Die „Life Events Checklist for DSM-5“ (LEC-5; Weathers et al. 2013b) kann zu­ sammen mit der PCL-5 (s. oben) genutzt werden. Beim LEC-5 handelt es sich um eine Liste von 17 potenziell traumati­ sierenden Ereignissen, zu denen jeweils Auskunft zum Ausmaß persönlicher Betroffenheit gegeben werden kann (z. B. ob persönlich zugestoßen, Zeugenschaft usw.). Dies kann außerdem um weitere Fragen zur besseren Qualifizierung des A-Kriteriums erweitert werden. 55 Der „Trauma History Questionnaire“ (THQ), im englischsprachigen Original (Green 1996) und in deutscher Sprache

8

(Maercker 2002) vorliegend, listet in 24 Items potenziell traumatische Szena­ rien auf und lässt Betroffene einschätzen, ob ein solches Erlebnis vorlag (ja/nein) und, falls ja, wie oft dies auftrat, ungefähr in welchem Alter, und fordert ggf. zu einer genaueren Beschreibung des Ereig­ nisses auf. 8.3.2.2  Traumatisierung im

Lebensverlauf

55 Das Selbstbeurteilungsinstrument „Child­ hood Trauma Questionnaire“ (CTQ; Bern­ stein und Fink 1998) liegt in deutscher Fassung vor (Wingenfeld et al. 2010) und eignet sich, um fünf Formen von Miss­ brauch und Vernachlässigung in Kindheit und Jugend retrospektiv zu erfassen. Er besteht in der Langform aus 70+3 Items (die zusätzlichen erfassen die Tendenz zum Bagatellisieren), in der Kurzform aus 25+3 Ereignissen, deren Auftretenshäufigkeit als 5-stufige Likert-Skala angegeben wird. Es lassen sich Summenscores über den gesamten Test und über Teilskalen bilden. 55 Der Fragebogen „Belastende Kind­ heitserfahrungen“ (KERF; modifizierte deutsche Version [Isele et al. 2014] des MACE [Teicher und Parigger 2011, 2015]: „Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure“) dient der umfassenden Ermitt­ lung belastender Kindheitserfahrungen, besteht aus 75 Items auf 10 Subskalen (z. B. körperliche Gewalt durch Eltern, emo­ tionale Gewalt durch Gleichaltrige). Eine Besonderheit des KERF ist, dass für jedes Item neben der dichotomen Entscheidung (ja/nein), das Auftreten der Erfahrung für jedes der ersten 18 Lebensjahre erfragt wird (Mehrfachantwort möglich). 55 Es existieren komprimierte Versionen, wie der KERF-40 und der KERF-20, sowie das KERF-Kinderinterview (pedKERF-45-I), die über die Autoren bezogen werden können (Isele et al. 2014). 55 Der ACE-D („Adverse Childhood Expe­ riences“), die deutschsprachige Version (Wingenfeld et al. 2011) des ACE (Felitti

142

8

J. Schellong et al.

et al. 1998), erfasst mittels 10 dichotomer Items Formen früher Traumatisierungen und weiterer belastender Erfahrungen vor dem 18. Geburtstag. 55 Der „Childhood Trauma Screener“ (CTS; Grabe et al. 2012) erlaubt die retrospektive Erfassung von traumatischen Ereignissen in Kindheit und Jugend. Bei seiner Erstellung wurde eine zeitökonomische Befragung angestrebt, weswegen die 5 Items des CTQ (Wingenfeld et al. 2010) ermittelt wurden, die dessen 5 Dimensionen zu Missbrauch und Vernachlässigung am besten abdeckten.

Untersuchungen ausnahmslos als zumindest zufriedenstellend qualifiziert, sodass die Ent­ scheidung für ein bestimmtes Verfahren von dem eigenen diagnostischen Anliegen abhängt. Über den Schweregrad der posttraumati­ schen Belastungsreaktionen informieren die Selbstbeurteilungsverfahren durchweg, sodass sie sowohl im Rahmen wissenschaftlicher Un­ tersuchungen als auch in der klinischen Pra­ xis – hier v. a. auch im Hinblick auf die Erfolgs­ messung einer therapeutischen Behandlung (7 Abschn.  8.6.4.2) – den Einsatz von struktu­ rierten Interviews sinnvoll ergänzen.

8.3.2.3  Gewalterleben

>> Die Selbstbeurteilungsverfahren sind durchweg für die Erfassung des Schweregrads der posttraumatischen Belastungsreaktionen geeignet, Symptomhäufigkeit und -intensität können jedoch nur von wenigen Verfahren getrennt erfasst werden.

55 Das Screening „Partnergewalt“ (PVS) (Nyberg et al. 2008) stellt eine Überset­ zung, Modifikation und Validierung des englischsprachigen PVS, Partner Violence Screen (Feldhaus et al. 1997) dar, der über 3 Items verfügte. In der deutschen Fassung wurde dies auf 5 Fragen erweitert. Es ist somit gut in der Lage, frühzeitig Fälle von häuslicher Gewalt zu identifizieren. 55 Das Screening-Instrument „Index of Spouse Abuse“ (ISA) (Hudson und McIn­ tosh 1981) existiert in deutscher Sprache als „Index Gewalt in der Ehe“ (Nyberg et al. 2008) und verfügt über 30 Items, die jeweils auf einer 5-Punkt-­Likert-Skala das Ausmaß einer eventuellen Gewalterfah­ rung in der Beziehung zum Partner er­ fassen. Strukturell besteht der Fragebogen aus zwei Konstrukten, „nicht-­physische Gewalt“ und „physische Gewalt“, die er­ fasst werden können. 8.3.3  Bewertung der

Selbstbeurteilungsverfahren

Die Selbstbeurteilungsverfahren sind generell einfach zu handhaben, die Daten schnell zu erheben und bequem auszuwerten, weswegen sie den Diagnostiker nur wenig in Anspruch nehmen. Die speziell zur Erfassung posttrau­ matischer Belastungsreaktionen konstruierten Verfahren haben sich zudem in teststatistischen



Ein Nachteil der speziell zur Erfassung der PTBS entwickelten Verfahren ist, dass sie der Gefahr von Antworttendenzen unterliegen; sie sollten daher nur im Rahmen einer multime­ thodalen Diagnostik Anwendung finden. Die Exploration von traumatischen Erleb­ nissen sowie von in der Folge erlebten psychi­ schen Belastungssymptomen kann kurzfristig als belastend erlebt werden. Systematische Forschung zu den Folgen traumabezogener Erhebungen und der damit verbundenen Be­ lastung für die Befragten zeigt jedoch, dass in der Regel langfristig keine negativen Effekte auf die Betroffenen zu erwarten sind (Legerski und Bunnell 2010). Stattdessen überwiegen aus Sicht der Teilnehmer meist die positiven Effekte einer Teilnahme an Studien, in denen sie über traumatische Erlebnisse und die Fol­ gen Auskunft gegeben haben (Jaffe et al. 2015). 8.4  Weitere stressbezogene

Erkrankungen und Traumafolgestörungen

Seit der Aufnahme der PTBS in die Klassi­ fikationssysteme war die posttraumatische Be­ lastungsstörung in der Gruppe der Angster­

8

143 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

krankungen eingeordnet worden. Im DSM-5 genauso wie im zukünftigen ICD-11 wurden die stressbezogenen Erkrankungen als neue Gruppe zusammengefasst. Diese Differenzierung bildet sich auch in der diagnostischen Erfassung ab. 8.4.1  Akute Belastungsreaktion/

akute Belastungsstörung

Die diagnostischen Kriterien der akuten Belas­ tungsreaktion (im DSM-5: akute Belastungs­ störung) unterscheiden sich von der PTBS v. a. durch die Zeitkriterien der Symptomentwick­ lung und -dauer. Belastungsreaktionen begin­ nen früher nach dem Ereignis und sind, v. a. in der Konzeption der ICD-10, von sehr begrenz­ ter Dauer. Es liegen Verfahren zur spezifischen Erfassung der Symptomatik einer ABS nach DSM-IV vor Eine Anpassung der Instrumente gemäß den Kriterien des DSM-5 ist bisher noch nicht erfolgt. 55 Die „Acute Stress Disorder Scale“ (ASDS; Bryant et al. 2000) verfügt über zwei Ein­ gangsfragen (Bitte um Beschreibung des traumatischen Ereignisses sowie ob es den Betroffenen erschreckte), gefolgt von 19 Items zu Symptomen in 5 Abstufungen. Die Evaluation einer deutschsprachigen Variante (Helfricht et al. 2009) liegt vor. 55 Der „Fragebogen zur Posttraumatischen Anpassung“ (in Kröger et al. 2011), die deutsche Version des PAS, „Posttrauma­ tic Adjustment Screen“ (O’Donnell et al. 2008), fragt in 10 Items auf einer 5-Punkt-­ Likert-Skala Aspekte ab, die vor, während oder nach einem traumatischen Erlebnis geschehen sind. Dazu gehören typische Reaktionen, aber auch Begleitumstände. 8.4.2  Anhaltende

Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung

Die Kategorie der „anhaltenden Persönlich­ keitsänderung nach Extrembelastung“ ist nur in der ICD-10 (WHO 1994) definiert und eine

Vorläuferdiagnose der komplexen PTBS.  Die Störung kann diagnostiziert werden, wenn die Persönlichkeitsänderung, die sich symptoma­ tisch z.  B. in einer andauernden feindlichen Haltung „gegenüber der Welt“, sozialem Rück­ zug oder einem andauernden Gefühl der Hoff­ nungslosigkeit äußern kann, seit mindestens 2  Jahren besteht und die Funktionsfähigkeit einschränkt. In ihrer Konzeptualisierung äh­ nelt sie den Konzepten der Entwicklungstrau­ mastörung bzw. der komplexen PTBS. 8.4.3  Anpassungsstörung

Eine Anpassungsstörung ist dann zu diagnos­ tizieren, wenn eine Belastungsreaktion auftritt, die diagnostischen Kriterien der PTBS nicht erfüllt werden oder die Belastungsreaktionen nach einem Ereignis auftreten, das nicht als ein traumatisches bezeichnet werden kann (z.  B.  Kündigung, Trennung oder Arbeits­ losigkeit). In der Forschungsliteratur werden Erscheinungsbilder der erstgenannten Art häufig als partielle oder subsyndromale PTBS bezeichnet. In einer eigenen empirischen Un­ tersuchung hat sich die Nützlichkeit dieser Ka­ tegorienbildung  – bei Verwendung der stren­ geren DSM-IV-Kriterien der PTBS – bestätigt (Schützwohl und Maercker 1999). Klarer definiert wurde im ICD-11 auch die Anpassungsstörung durch die Betonung der Leitsymptome Präokkupationen (gedankliches Verhaftetsein) und Fehlanpassung (Maercker et  al. 2007, 2013). Dazu liegen folgende dia­ gnostische Instrumente vor (7 Kap. 5). 55 Screening: Die Kurzform des „Adjust­ ment Disorder – New Module“ (ADNM-6) mit 6 Items, einer Anpassungsstörungs-­ Screening-­Skala, erfasst in 3 Symptom­ clustern (Präokkupation, Fehlanpassung und Vermeidung) zentrale Elemente der Anpassungsstörung. Sie liegt in deutscher Sprache vor (Boer et al. 2014). 55 Selbstauskunft: Der „Adjustment Disor­ der – New Module“ (ADNM-20; Einsle et al. 2010) besteht aus zwei Teilen. Im ers­ ten Teil ist eine Liste von 16 belastenden  

144

J. Schellong et al.

(sowie Freiraum für zusätzliche) Ereig­ nissen zu bearbeiten und dabei anzugeben, ob und in welchem Zeitraum ein jeweiliges Ereignis innerhalb der letzten zwei Jahre erlebt wurde. Anschließend wird eine Symptomliste aus 20 Items vorgelegt, bei denen jeweils einerseits auf einer 4-Punkt-­ Skala angegeben werden soll, wie oft die jeweilige Aussage zutrifft und zusätzlich, seit wann die entsprechende Reaktion auftritt, indem eine von drei Zeitangaben gewählt wird. 8.4.4  Anhaltende Trauerstörung

(ATS)

8

DSM-5 und ICD-11 schließen in ihre Kapitel stressbezogener Erkrankungen die anhaltende, komplizierte oder prolongierte Trauerreaktion als eigenes Erkrankungsbild unter bestimm­ ten Bedingungen mit ein. Sie bezeichnet dort eine Störung in Folge des Todes eines Partners, Elternteils, Kindes oder einer anderen engen Bezugsperson, die sich in einer persistenten und tiefgreifenden Trauerreaktion äußert, z. B. in ausgeprägter Sehnsucht nach oder immer­ währender gedanklicher Beschäftigung mit dem Verstorbenen in Verbindung mit ausge­ prägtem emotionalen Schmerz (z.  B.  Trauer, Schuldgefühle, Wut, Verleugnung). Die Aus­ prägung der Beeinträchtigung übersteigt dabei die jeweiligen sozialen oder kulturellen Nor­ men einer Trauerreaktion (7 Kap. 4). 55 Die neue Diagnose wird international häufig über das „Inventory of Complicated Grief “ (ICG; Prigerson et al. 1995) erfasst. Auf Basis dessen wurde in einer Validie­ rungsstudie die deutschsprachige Version (ICG-D; Brandstätter et al. 2015) geschaf­ fen. Das angloamerikanische Original be­ steht aus 19 Fragen, die auf einer 5-stufi­ gen Skala zu beantworten sind, als Cut-Off wird ein Summenscore über alle Items von 25 vorgeschlagen (Prigerson et al. 1995). 55 Der „Prolonged Grief-13“ (PG-13; Pri­ gerson und Maciejewski 2008) verfügt im englischsprachigen Original über 13 Items.  

In einer psychometrischen Validierungs­ studie der Kriterien der komplizierten Trauer (Prigerson et al. 2009) konnten die Symptome, die der PG-13 abdeckt, identi­ fiziert werden. Die deutschsprachige Va­ riante PG-13+9 (Vogel et al. 2016) ist eine Übersetzung und Erweiterung. Sie wird als Interview empfohlen, ist allerdings auch als Fragebogen durchführbar. 8.5  Differenzialdiagnostik

In der klinischen Praxis, aber auch im Rahmen gutachtlicher Tätigkeit, ist die PTBS differenzial­ diagnostisch von anderen Störungen abzugren­ zen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Befund, dass Patienten, die an den Folgen einer Trau­ matisierung leiden, im Erstkontakt häufig nicht über ihr Erleben berichten und zudem oft Be­ schwerden schildern, die nicht als Kennzeichen einer PTBS offenkundig sind; zum anderen  – und dies gilt ganz besonders vor dem Hinter­ grund der eingangs angesprochenen Kritik am Top-down-Vorgehen in der klassifikatorischen Diagnostik  – ergibt es sich aus epidemiologi­ schen Befunden, dass die Erfahrung einer oder mehrerer potenzieller Traumatisierungen nicht regelhaft zu einer PTBS führt. Vielmehr ist es ebenfalls möglich, dass keinerlei Symptomatik auftritt oder sich die traumatischen Erfahrungen in der Entwicklung anderer Störungsbilder nie­ derschlagen (Perkonigg et al. 2000). Die PTBS ist daher differenzialdiagnostisch nicht nur von ei­ ner ABR/ABS oder einer andauernden Persön­ lichkeitsänderung nach Extrembelastung bzw. einer komplexen PTBS zu unterscheiden, son­ dern auch von zahlreichen anderen Störungen. Ebenfalls ist die hohe Komorbiditätshäu­ figkeit einer PTBS mit anderen psychischen Störungen zu bedenken (Jacobi et  al. 2014; Perkonigg et al. 2000) Dabei ist zu beachten, dass sich die dia­ gnostischen Kriterien in ICD-10 und DSM-IV bzw. DSM-5 z. T. sehr deutlich unterscheiden, sodass sich je nach verwendetem Klassifikati­ onssystem die Formulierung unterschiedlicher Diagnosen ergeben kann.

145 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

8.5.1  Angststörungen

Nach traumatischen Ereignissen können auch verschiedene Angststörungen (z.  B. Panik­ störung, Agoraphobie, soziale Phobie) auftre­ ten. Ebenso berichten PTBS-Patienten häufig Angstreaktionen (teilweise begleitet von Kör­ persymptomen wie Atemnot, Herzrasen oder Hitzewallungen) und Vermeidungsverhalten, Symptome, die auch Merkmale von Angststö­ rungen darstellen. Das Vorliegen posttraumati­ scher Belastungsreaktionen ist von den anderen Angststörungen dadurch zu unterscheiden, dass die Symptomatik inhaltlich eindeutig in Zusam­ menhang mit der Traumatisierung steht. Hilf­ reich für eine Differenzialdiagnose ist hier v. a. die Erhebung der zentralen Befürchtung des Patienten (siehe Trautmann 2018 für eine Über­ sicht typischer Befürchtungen). 8.5.2  Zwangsstörungen

Im Rahmen einer Zwangsstörung kann es zu wiederkehrenden aufdringlichen Gedanken kommen, die jedoch die Kriterien eines Zwangs erfüllen und in der Regel nicht mit einem trau­ matischen Ereignis im Zusammenhang stehen. Zudem treten bei einer Zwangsstörung keine anderen Symptome einer PTBS oder einer aku­ ten Belastungsreaktion auf. 8.5.3  Depressive Störungen

In der klinischen Praxis klagen Patienten häu­ fig zunächst darüber, dass sie sich depressiv und hoffnungslos fühlen und an ihnen früher wichtigen Aktivitäten nicht mehr interessiert seien. Dies können Kennzeichen einer depres­ siven Störung oder aber Ausdruck einer emo­ tionalen Erstarrung nach einer traumatischen Erfahrung sein. Tatsächlich wird häufig eine erhebliche Überlappung von Symptomen zi­ schen PTBS und depressiven Störungen disku­ tiert (Flory und Yehuda 2015). Allerdings feh­ len in der Regel bei einer depressiven Störung zentrale Kriterien einer PTBS, z. B. Symptome

8

des Wiedererlebens. Häufig sind bei trauma­ tisierten Patienten sowohl die Kriterien einer PTBS als auch die Kriterien einer depressiven Störung erfüllt. In diesem Fall sind die Diagno­ sen unabhängig voneinander zu vergeben. 8.5.4  Emotional instabile

Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp

Die Kriterien der komplexen PTBS, aber auch die primären und häufig zu beobachtenden sekundären Störungen einer PTBS, über­ schneiden sich deutlich mit den Kriterien einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, z.  B.  Im­ pulskontrollstörungen, Ärgerreaktionen, Sui­ zidalität oder Affektinstabilität (Driessen et  al. 2002). Zudem ist es ein allgemein bekannter Befund, dass Personen mit einer Borderline­ störung häufig in ihrer frühen Kindheit trau­ matisiert wurden. Dennoch ist festzuhalten, dass Traumatisierungen nicht kausal mit einer Borderline-­ Persönlichkeitsstörung in Verbin­ dung stehen. Daher ist – wenn die Kriterien bei­ der Störungsbilder erfüllt sind  – dies auch im Sinne einer Komorbidität zu dokumentieren. 8.5.5  Dissoziative Störungen

Dissoziative Symptome können Teil einer posttraumatischen Symptomatik sein oder die Symptomatik komorbide komplizieren. Sie sind durch eine Störung der normalen Inte­ gration von Bewusstsein, Gedächtnis, Identi­ tät, Emotionen, Wahrnehmung, Körperbild, Kontrolle motorischer Funktionen und Ver­ halten gekennzeichnet. Bei gleichzeitigem Vorliegen des Vollbilds einer PTBS sollte die Diagnose einer PTBS mit dissoziativen Symp­ tomen in Betracht gezogen werden (Falkai et al. 2015). Zur Erfassung dissoziativer Symp­ tome liegen vor: 55 strukturierte klinische Interviews: 55 „Strukturiertes Klinisches Interview nach DSM“ (SKID-D; Steinberg 1994; Gast et al. 2000);

146

J. Schellong et al.

55 „Strukturiertes Interview zur Diagnose dissoziativer Störungen“ (SIDDS; Ross et al. 1989; Overkamp 2005); 55 Selbstbeurteilungsverfahren: 55 „Fragebogen zu dissoziativen Symp­ tomen“ (FDS; Freyberger et al. 1999; Spitzer et al. 2014) 55 „Cambridge Depersonalisation Scale“ (CDS; Sierra und Berrios 2000). 8.5.6  Intermittierende explosible

Störung

8

Die intermittierende explosible Störung (IES) ist durch verbale oder körperliche aggressive Ver­ haltensausbrüche gekennzeichnet. Die Ausbrü­ che stehen dabei nicht im Verhältnis zu voraus­ gegangenen psychosozialen Belastungen oder Provokationen und sind nicht geplant (Falkai et al. 2015). Im DSM-5 ist die IES als eigenstän­ dige Diagnose verzeichnet. Im ICD-­10 könnte diese traumaassoziierte Symptomatik am ehes­ ten unter „F63.8 Sonstige abnorme Gewohnhei­ ten und Störungen der Impulskon­trolle“ oder auch, sofern Misstrauen und sozialer Rückzug im Vordergrund stehen, unter F62.0 „Andau­ ernde Persönlichkeitsänderungen nach Extrem­ belastungen“ gefasst werden. Reizbarkeit und Wutausbrüche können auch im Rahmen der Übererregbarkeit bei einer PTBS vorkommen, bei der IES fehlen aber zentrale PTBS-Kriterien wie Wiedererleben und Vermeidung. 8.5.7  Artifizielles Vortäuschen

Die Unterscheidung zwischen artifiziell, meist mit unklarer Motivation vorgetäuschten Be­ lastungsreaktionen und dem Vorliegen „ech­ ter“ posttraumatischer Belastungsreaktionen ist schwierig und erfordert ein diagnostisches Vorgehen auf mehreren Ebenen. Ein differen­ zialdiagnostisches Kriterium ist, dass Patienten mit diesem Verhaltensmuster die Symptomatik anderer Persönlichkeitsstörungen aufweisen. Der Einsatz von Verfahren zur Persönlich­ keitsdiagnostik  – etwa des SKID-II (Wittchen

et al. 1997) oder des „Persönlichkeitsstil- und Störungsinventars“ (Kuhl und Kazén 1997)  – ist daher zu empfehlen, wenn ein Verdacht auf artifizielles Vortäuschen besteht. 8.5.8  Simulation

Die Möglichkeit der Simulation ist dann in Er­ wägung zu ziehen, wenn aus dem Vorliegen posttraumatischer Belastungsreaktionen ein (z. B. finanzieller oder forensischer) Vorteil er­ wartet werden kann. Verhaltensweisen, die auf Simulation hinweisen, sind z. B. unkooperatives oder ausweichendes Verhalten auf das Bitten um ein ausführliches Beschreiben der Symp­ tomatik sowie auch die Idealisierung der prä­ traumatischen gesundheitlichen und sozialen Situation. Simulation in Form der Präsentation nicht vorhandener Beschwerden ist sehr selten; es kommt eher zur Übertreibung tatsächlich be­ stehender Symptomatik (Birck 2002), insbeson­ dere in bestimmten Kontexten der Befragung, z. B. im Arbeitskontext (Goodwin et al. 2013). 8.5.9  Organische Erkrankungen

(z. B. Hirnverletzungen)

Beschwerden, die der PTBS-Symptomatik äh­ neln, können auch bei organischen Erkran­ kungen auftreten. Liegt bei Patienten, die nachweislich einem potenziell traumatisie­ renden Ereignis ausgesetzt waren, ein entspre­ chender Verdacht vor – z. B. vor dem Hinter­ grund bekannter somatischer Erkrankungen oder weiterer z.  B. neuropsychologischer Stö­ rungen – sollten die entsprechenden fachärzt­ lichen Untersuchungen erwogen werden. 8.5.10  Somatoforme

Störungen/somatische Belastungsstörungen

Als somatoforme Störungen werden körper­ liche Beschwerden bezeichnet, die nicht oder nicht hinreichend auf eine organische Erkran­

8

147 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

kung zurückgeführt werden können. Zusam­ menhänge von chronischen Schmerzen und PTBS konnten gezeigt werden (z.  B.  Fishbain et  al. 2017). Bei vorliegender Traumatisierung sind somatoforme Störungen häufig stärker ausgeprägt als bei Patienten ohne traumatische Erfahrungen, und die Belastung durch derartige Symptome steigt mit Zunahme der posttrauma­ tischen Symptome an (Kuwert et al. 2015). 8.6  Erfassung ergänzender

therapierelevanter Informationen

Zur Therapieplanung ist neben der klassifika­ torischen Diagnostik vor Therapiebeginn die Erfassung weiterer Informationen erforder­ lich. Im Rahmen der PTBS-Behandlung be­ trifft dies v. a. die Erfassung aufrechterhalten­ der oder den Therapieverlauf bestimmender Faktoren, möglicher komorbider Störungen sowie sekundärer Funktionsbeeinträchtigun­ gen. Darüber hinaus verdient die Erhebung der prätraumatischen Gesundheit sowie zur Verfügung stehender Ressourcen und Kompe­ tenzen Beachtung. Informationen zu diesen Themen können im anamnestischen Gespräch erhoben werden. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt auf der Vorstellung von Erfassungsverfahren, die darüber hinaus eingesetzt werden können. 8.6.1  Erfassung von

aufrechterhaltenden oder den Therapieverlauf bestimmenden Faktoren

8.6.1.1  Fragebogen zu Gedanken

nach traumatischen Ereignissen und Fragebogen zum Umgang mit traumatischen Erlebnissen

Die PTBS remittiert häufig im ersten Jahr nach der Traumatisierung und nimmt nur bei manchen Betroffenen einen chronischen Ver­

lauf. Zur Aufrechterhaltung tragen vermutlich Interpretationen, Überzeugungen und Ein­ stellungen bei, die das Ausmaß der Belastung beim Wiedererleben steigern und dadurch Flucht- und Vermeidungstendenzen auslösen und verstärken, sodass Habituation nicht statt­ finden kann (Ehlers und Steil 1995). Um ein großes Spektrum solcher Kognitionen zu er­ fassen, eignen sich, in Ergänzung zu offenen explorativen Fragen, der „Fragebogen zu Ge­ danken nach traumatischen Ereignissen“ (dt. Übersetzung des „Posttraumatic Cognitions Inventory“, PTCI, von Foa et  al. 1999; dt. Eh­ lers und Boos 1999) und der „Fragebogen zum Umgang mit traumatischen Erlebnissen“ (Eh­ lers 1999). Der PTCI erfasst mittels 33 Items die Aus­ prägung von 3  Arten traumaspezifischer und partiell dysfunktionaler Kognitionen: 55 negative Gedanken über die eigene Per­ son, 55 negative Gedanken über die Welt, 55 Selbstvorwürfe/-beschuldigungen. Nach Boos (2005) eignet sich der PTCI so­ wohl zur Erfassung als auch zur Verlaufsbe­ obachtung von traumabezogenen Interpreta­ tionen. Der Fragebogen zum Umgang mit trauma­ tischen Erlebnissen besteht aus 3 Abschnitten mit insgesamt 59 Items: 55 Strategien im Umgang mit dem intrusiven Wiedererleben, 55 Vermeidungsverhalten, 55 sog. Sicherheitsverhalten. 8.6.1.2  Fragebogen zu Schuld,

Scham und Ärger

Im Behandlungsverlauf spielen Kognitionen und Emotionen wie Schuld, Scham und Är­ ger eine wichtige Rolle (aber auch dissoziative Symp­tome; 7 Abschn.  8.5.5), weswegen ihrer Erfassung Bedeutung zukommt. Über die wich­ tigsten Erhebungsverfahren, die hierzu ein­ gesetzt werden können, gibt . Tab.  8.1 einen kurzen Überblick. Reliabilität und Validität all dieser Verfahren haben sich als zumindest zu­ friedenstellend erwiesen.  



148

J. Schellong et al.

..      Tab. 8.1  Überblick zu Fragebogenverfahren zur Erfassung von Schuld, Scham und Ärger Verfahren

Inhalt

Auswertung

„Trauma-Related Guilt Inventory“ (TRGI; Kubany et al. 1996)

32 Aussagen zu kognitiven und emotionalen Schuldaspekten, die sich auf ein spezifisches potenziell traumatisierendes Ereignis beziehen (Item bspw.: „Ich habe etwas getan, was ich nicht hätte tun sollen.“)

6 Skalen („Global Guilt“, „Distress“,„Guilt Cognitions“, „Hindsight-Bias“/„Responsibility“, „Wrongdoing“ und „Lack of Justification“)

Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen (FIS; O’Connor et al. 1997; dt. Albani et al. 2002)

Dt. Version: 21 Items zur Erfassung interpersonaler Schuldgefühle/-kognitionen (Item bspw. „Wenn ich etwas bekomme, habe ich oft das Gefühl, es nicht verdient zu haben.“)

3 Skalen (Überlebensschuldgefühl, Trennungsschuldgefühl, Schuldgefühl aus Verantwortung) sowie ein Gesamtscore

„Internalized Shame Scale“ (ISS; Cook 1987, 1994, 2001, dt. Wolfradt und Scharrer 1996)

Dt. Version: 35 Items zu verschiedenen Schamaspekten (Item bspw. „Ich glaube, dass andere meine Unzulänglichkeit bemerken können.“)

Gesamtscore zu Trait-Scham (= Bewusstseinszustand von Unzulänglichkeiten der eigenen Person)

„Experimental Shame Scale“ (ESS; Turner und Waugh 2001; Rüsch et al. 2007)

Dt. Version: 11 Items zu Schamreaktionen, die sich auf körperliche, emotionale und soziale Aspekte von Scham beziehen (Item bspw. „Unter Menschen habe ich das Gefühl: Keiner sieht mich.“ (1) – „Leute sehen mich an.“ (7))

Gesamtscore

„Test of Self Concious Affect 3“ (TOSCA 3; Tangney et al. 2000; Rüsch et al. 2007)

Dt. Version: 11 alltagsnahe Szenarien, in denen eigenes Fehlverhalten beschrieben wird (Item bspw. „Auf der Arbeit verschieben sie die Planung einer wichtigen Aufgabe auf die letzte Minute und alles geht schief.“)

4 Reaktionsmöglichkeiten (Skalen: Scham, Schuld, Externalisierung, emotionale Unberührtheit) je Item einschätzen; 4 Skalenwerte

Dt. Version: 44 Items erfassen situationsbezogenen und dispositionsbezogenen Ärger sowie dispositionelle Aspekte der Ärgerverarbeitung (Item bspw. „Ich koche innerlich, wenn ich unter Druck gesetzt werde.“)

5 Skalen (personenspezifisches Ärgerniveau, Intensität des subjektiven Ärgerzustandes, Abreagieren nach außen, Ärgerunterdrückung und Ärgerkontrolle)

Schuld

8

Scham

Ärger State-Trait-­ Ärgerausdrucks-­Inventar (STAXI, STAXI 2; Spielberger 1988, 1999; dt. Schwenkmezger et al. 1992)

149 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

8.6.2  Erfassung sekundärer Funk-

tionsbeeinträchtigungen

Mit der diagnostischen Klassifikation der psy­ chischen Störungen werden die bei Patienten häufig vorliegenden sekundären Funktionsbe­ einträchtigungen oft nicht vollständig beschrie­ ben. Da sie im Rahmen der Therapieplanung allerdings von z. T. erheblicher Bedeutung sein können, sollten sie im diagnostischen Prozess abgeklärt werden. >> Patienten mit PTBS sind häufig von Arbeitslosigkeit und Partnerschaftskrisen betroffen, nicht selten mangelt es an emotionaler Unterstützung und sozialer Integration.

Zur differenzierten Erfassung eignen sich Ver­ fahren wie die „Groningen Social Disability Schedules“ (GSDS-II; Wiersma et al. 1988) oder das MINI-ICF-APP (Linden et al. 2009). Die meis­ ten Schwierigkeiten und Problemstellungen sind nach dem DSM mit einer sog. V-Kodierung, nach ICD-10 mit einer Kategorie aus Kapitel XXI der ICD-10 (Z-Kodierung) zu verschlüsseln. 8.6.3  Erfassung von Ressourcen

und Kompetenzen

Neben Problemen und Beschwerden sollten im Verlauf des diagnostischen Prozesses auch die Ressourcen und Kompetenzen des Patien­ ten erfasst werden. Der Therapeut kann sich so Verhaltensweisen, Interessen und Fähig­ keiten des Patienten zunutze machen, und die ­Hervorhebung von Ressourcen und Kompe­ tenzen kann das Selbstwertgefühl des Patien­ ten stärken. Patienten mit posttraumatischen Belastungsreaktionen verfügen aufgrund ihrer peri- und posttraumatischen Erfahrungen viel­ fach über neue Kompetenzen und Ressourcen, z.  B. über verbesserte Bewältigungsstrategien oder eine allgemeine Persönlichkeitsreifung. 55 Der „Stressverarbeitungsfragebogen“ (SVF; Erdmann und Janke 2008) kann zur Erfas­ sung situationsunabhängiger, überdauern­ der Bewältigungsmodi eingesetzt werden.

8

55 Der psychometrischen Erfassung der per­ sönlichen Reifung nach einem belastenden Lebensereignis dienen die „Stress-­Related Growth Scale“ (SRGS; Park et al. 1996) sowie das 55 „Post-Traumatic Growth Inventory“ (PTGI; Tedeschi und Calhoun 1996; dt. Maercker und Langner 2001). 55 Der „Fragebogen zur Erfassung von Ressourcen und Selbstmanagementfähig­ keiten“ (FERUS; Jack 2007) erfasst mittels 66 Items Ressourcen und Selbstmanage­ mentfähigkeiten. Die Skalen beinhalten u. a. Veränderungsmotivation, Coping und Selbstwirksamkeit. 55 Der „Fragebogen zur aktuellen Ressour­ cenrealisierung“ (RES; Trösken und Grawe 2002) enthält Items auf 9 Skalen, darunter z. B. Wohlbefinden, Bewältigung von all­ täglichem Stress, persönliche Stärken und Fähigkeiten. Die Anzahl der Items variiert je Skala von 11–21. 55 Der „Resilienzfragebogen“ (RS-13; Leppert et al. 2008) ist die Kurzform des RS-25, die im angloamerikanischen Raum entwickelt (Wagnild und Young 1993) und für den deutschsprachigen Raum validiert (Schu­ macher et al. 2005) wurde. Der RS-13 ver­ fügt über zwei Unterskalen zur Erfassung von Resilienz (Kompetenz und Akzeptanz). 55 Das deutschsprachige Inventar BriefCOPE (Knoll et al. 2005) basiert auf der englisch­ sprachigen Version (Carver 1997) erfasst auf 14 Dimensionen mit je zwei Items ver­ schiedene Copingstrategien im Umgang mit Problemen. 8.6.4  Therapiebegleitende

Diagnostik

Es ist sinnvoll, die Durchführung therapeuti­ scher Maßnahmen durch die Erfassung von In­ formationen über deren Verlauf (Prozess- und Behandlungsevaluation) und Wirkung (Ergeb­ nisevaluation) zu ergänzen. Ein Überblick zur Veränderungsmessung findet sich bei Stieglitz und Hiller (2015).

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J. Schellong et al.

8.6.4.1  Prozess- und

Behandlungsevaluation

8

Die Prozess- und Behandlungsevaluation dient der Erfassung der Prozessqualität der dia­ gnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Nach Schulte (1996) kann die Prozessqualität ökonomisch erfasst werden, indem der The­ rapeut nach jeder Sitzung ein Rating zum Pa­ tientenverhalten vornimmt und auf Skalen von −3 bis +3 Therapienachfrage, Mitarbeit, Selbstöffnung und Erproben bewertet. Grawe und Braun (1994) schlagen vor, zur Erfassung der Prozessqualität Stundenbögen einzusetzen, auf denen Patient und Therapeut unabhängig voneinander die Qualität jeder einzelnen The­ rapiesitzung einschätzen. Da der Therapieerfolg mit der Zufriedenheit der Patienten in engem Zusammenhang steht (ebd.), erlaubt ein konti­ nuierliches Erfassen der Patientenbewertungen ein frühzeitiges Erkennen von Schwierigkeiten. >> Zur individuellen Therapieplanung ist die Erfassung weiterer Informationen unerlässlich. Fragebogen können sich auch in diesem Zusammenhang als nützlich erweisen. Die Erfassung der Prozessqualität und der Therapiewirkung sollten die diagnostischen Maßnahmen im Therapieverlauf vervollständigen.

8.6.4.2  Ergebnisevaluation

Die Erfassung der Therapiewirkungen im Therapieverlauf dient dazu, den erzielten The­ rapieerfolg abzuschätzen und ausbleibenden Behandlungserfolg zu erkennen. Prä-Post-­ Messungen mit den zur Erfassung posttrau­ matischer Belastungsreaktionen entwickelten Selbstbeurteilungsverfahren bieten sich hierzu an. Mit der „Treatment Outcome PTSD Scale“ (TOP-8; Connor und Davidson 1999) liegt zu­ dem ein speziell zur Ergebnisevaluation entwi­ ckeltes Verfahren vor. Der Einsatz der TOP-­8, auch in wissenschaftlichen Untersuchungen, wird von der bereits oben genannten Experten­ kommission empfohlen (Charney et al. 1998). Zur Ergebnisevaluation hat sich auch die Beurteilung durch den Patienten und den The­ rapeuten bewährt. Mit der Zielerreichungs-

skalierung (Roecken 1984; Schulte 1996) kann das Erreichen von im Rahmen der Therapie­ planung festgelegten, konkreten Behandlungs­ zielen beurteilt werden. Interessant ist zudem die Überprüfung, ob sich die im Therapieverlauf erreichten Verän­ derungen auch in Maßen der Lebenszufrieden­ heit und des allgemeinen Funktionsniveaus widerspiegeln. Hierzu liegen eine Reihe von Er­ hebungsverfahren vor, die sich bereits in zahl­ reichen Anwendungen bewährt haben. Zur Erfassung der Lebensqualität können z.  B. der „Manchester Short Assessment of Quality of Life“ (MANSA; Priebe et al. 1999) oder die Kurz­ version des „World Health Organization Qua­ lity of Life“ (WHOQOL-BREF; Angermeyer et al. 2000) herangezogen werden. Zur Einschätzung des allgemeinen Funktionsniveaus haben sich die deutsche Fassung der „Health oft the Nations Outcome Scales“ (HoNOS-D; Andreas et al. 2010) und das „Disability Assessment Schedule“ der WHO (WHODAS 2.0; Üstün et al. 2010) bewährt.

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155 Diagnostik und Differenzialdiagnostik

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157

Begutachtung U. Frommberger, J. Angenendt und H. Dreßing 9.1

Hintergrund – 159

9.2

Rahmenbedingungen – 160

9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4

S oziales Entschädigungsrecht – 160 Privates Unfallrecht (Zivilrecht) – 162 Grundlegende gutachterliche Begriffe – 162 Grundlegende psychotraumatologische Begriffe – 163

9.3

Kausalitätsfeststellung – 166

9.3.1 9.3.2

 ausalitätstheorien (Krasney 2001) – 166 K Schritte der Begutachtung am Beispiel der gesetzlichen Unfallversicherung – 166

9.4

 esonderheiten und Probleme der B Begutachtung psychoreaktiver Störungen und Verhaltensweisen – 168

9.5

Methodik der Begutachtung – 172

9.5.1 9.5.2 9.5.3 9.5.4

 egenübertragung – 173 G Erhebung der Vorgeschichte – 173 Psychopathologie und Klassifikation – 173 Psychometrie/Testdiagnostik – 175

9.6

 egutachtung von Asylbewerbern und nach B politischer Haft – 176

9.7

 nhang: GdS-(früher: MdE-)Bewertungskriterien A und Tabellen – 178

9.7.1 9.7.2 9.7.3 9.7.4

 rundlagen und Bewertungskriterien – 178 G MdE-(GdS-)Tabellen – 179 Vorschläge für die gesetzliche Unfallversicherung – 181 Anhaltswerte für die MdE-Beurteilung in der gesetzlichen Unfallversicherung – 181

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_9

9

9.7.5

9.7.6 9.7.7

E mpfehlungen zur Diagnostik und sozialmedizinischen Bewertung von dienstlich verursachten Psychotraumata bei Polizeibeamten – 182 Empfehlungen/Vorschläge der AG Begutachtung der DeGPT für den GdS im Sozialen Entschädigungsrecht – 182 Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen – 182

Literatur – 184

159 Begutachtung

9.1  Hintergrund

Die Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) hat vielleicht mehr als jede andere psychische Störung die Rechtsprechung beeinflusst und wird von ihr wiederum beeinflusst. Die Diagnose einer PTBS und verschiedene diagnostische Vorläufer (z. B. „traumatische Neurose“) machen deutlich, dass ein äußeres Ereignis kausal eine psychische Störung hervorrufen kann. Reliabilität und Validität dieser Diagnose wurden und werden immer wieder in Zweifel gezogen, gerade wenn unberechtigte Forderungen zu einer Entschädigung führten und ein vermeintlicher Missbrauch der Diagnose deutlich wurde. Diese Diagnose und die damit verbundenen Rechtsfragen beschäftigen zunehmend die Gerichte. Eine oft geäußerte Erwartung der Probanden ist es, im Verfahren Anerkennung für erlittenes Leid und Unrecht zu erhalten. Oftmals werden die Kläger zu einem psychiatrischen oder psychologischen Gutachter bestellt, der diese Folgestörung und die mit ihr verbundenen Folgen beurteilen soll. Eine sorgfältige Prüfung und (Differenzial-)Diagnosestellung, inkl. der präzisen Traumaanamnese, sind daher zwingend notwendig. Traumatische Ereignisse sind häufig: Beispielsweise können (Typ-I-Trauma) bei mehr als 8  Mio. Unfällen/Jahr in Deutschland sowohl physische wie auch psychische Folgen auftreten (Angenendt 2014). Doch nicht nur Typ-I-Traumata wie Unfälle sind Gegenstand der Begutachtung. Zunehmend werden auch Typ-II-Traumata wie Missbrauch in der Kindheit und Jugend begutachtet, die oftmals als komplexe PTBS verstanden werden (7 Kap. 3). In sozialmedizinischen Gutachten spielen psychische Traumatisierungen eine zunehmende Rolle, ebenso als Grund für Berentungen. Ein erheblicher Teil der Asylbewerber gilt als traumatisiert. Jedoch entwickelt nur ein kleinerer Teil der Betroffenen nach Traumatisierungen langfristige psychische Störungen, von denen die PTBS nur eine ist und bei welchen mehrere Differenzialdiagnosen infrage kommen. Der Gutachter ist hier nicht parteilich-einfüh 

9

lend, nicht Therapeut, und muss auch kritisch prüfen, ob bei der oft unterstellten Begehrensvorstellung, z.  B. einer Rente, vielleicht auch Aggravation oder gar Simulation eine Rolle spielen. Der Gutachter ist der Objektivität und Neutralität verpflichtet. Er muss folgende Parameter im Gutachten integrieren: 55 das allgemeine Wissen über die psychischen Störungsbilder, 55 die empirische Studienlage, 55 den psychopathologischen Befund und die biografische Vorgeschichte des zu begutachtenden Individuums, 55 die rechtlichen Rahmenbedingungen. Diese integrierten Kenntnisse müssen auf den Einzelfall des jeweiligen Probanden abgestimmt und kritisch abgewogen werden. Die Aufgabe stellt einerseits hohe Anforderungen an die Sachkenntnis des Gutachters, andererseits aber auch an seine Fähigkeit, vorhandene Sachkenntnisse, Angaben des Probanden und direkte Befunde aus der Exploration unabhängig von persönlichen Haltungen und Meinungen zu integrieren, um der Situation des zu Begutachtenden gerecht zu werden. Bei der sozialrechtlichen Begutachtung gelten für psychische Erkrankungen grundsätzlich keine anderen Maßstäbe als für körperliche Erkrankungen. Die psychischen Störungen werden jetzt häufiger als in früheren Zeiten anerkannt. Hilfreich bei der Begutachtung von Traumafolgestörungen kann die AWMF-Leitlinie 051-029 (AWMF 2012) sein, die im 1. Teil zur Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit und im 2. Teil zur Kausalitätsbegutachtung psychischer Schädigungsfolgen ausführlich Stel­ lung nimmt. Sie dient der Qualitätsverbesserung, setzt Standards und wird gerade überarbeitet. In einem Buchbeitrag kann vieles nicht bzw. nicht ausführlich dargestellt werden. Neben einigen Grundlagen liegt der Fokus auf dem Praktischen und Handlungsrelevanten. Daher kann dieses Kapitel nur Hinweise und Entscheidungshilfen in der Übersicht geben. Sie ersetzen nicht das Studium der im ­Verzeichnis

160

9

U. Frommberger et al.

angegebenen Literatur über typische Traumafolgestörungen (in diesem Buch oder bei Frommberger et al. 2015) und spezifischer Literatur zur Begutachtung, z. B. die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. die seit dem 01.  01.  2009 geltenden „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ nach der Versorgungsmedizinverordnung vom 10. 12. 2008 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2008) oder die o.  g. AWMF Leitlinie. Der Begriff der MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) wurde durch den Begriff der GdS (Grad der Schädigungsfolgen) im sozialen Entschädigungsrecht ersetzt. In diesem Beitrag wird v. a. auf die sozialmedizinische Begutachtung fokussiert. Begutachtungen zur Glaubwürdigkeit und im Strafverfahren sind hier nicht Gegenstand. Diesbezüglich wird auf weiterführende Literatur, z. B. Stang und Sachsse (2014), verwiesen. 9.2  Rahmenbedingungen

Die gutachterliche Beurteilung der psychischen (Prozesse bzw.) Folgen von Traumatisierungen dient v.  a. als Grundlage von Leistungsentscheidungen der Kostenträger/Versorgungsverwaltung oder – im Streitfall – der Gerichte. Der Gutachter muss sich darüber im Klaren sein, dass nicht er über die Anerkennung der Schädigungsfolgen entscheidet, sondern die zu beratenden Institutionen. Daher sind neben den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen und Kriterien auch die juristischen Rahmenbedingungen, Begriffe und Definitionen zu beachten und die gutachterlichen Beurteilungen – soweit möglich – in für medizinische Laien verständlicher Weise abzufassen. Neben der Einordnung der Beschwerden in ein psychiatrisches Klassifikationssystem sind v. a. die funktionellen Beeinträchtigungen und ihre Auswirkungen auf das Erwerbsleben und die private Lebensgestaltung einzuschätzen. Der Gutachter wird immer auch mit seinen Grenzen konfrontiert. Er sollte möglichst

viele Datenquellen nutzen, Informationen zusammentragen und den aktuellen psychischen Befund erheben. Er ist jedoch nicht irrtumsfrei und auch vor möglichen Täuschungen nicht gefeit. Daher sollte er seine Befunde möglichst umfassend erheben, sie präzise beschreiben und diskutieren. Dabei sind nach juristischer Auffassung „Vorgänge im geistig-seelischen Bereich eines Menschen zu beurteilen, … einer präzisen Prüfung weitestgehend verschlossen“ (Loytved 2005, S. 151). Der erfahrene Gutachter kann mit seiner Expertise zur Prüfung und Beurteilung beitragen, auch ohne apparative Objektivierung, jedoch auf der Grundlage der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung und aktuellen Klassifikationen der ICD (WHO) und des US-amerikanischen DSM. >> Der Gutachter kann mitunter nicht alle Fragen des Auftraggebers umfänglich klären oder diesem gar Entscheidungen abnehmen, auch wenn er dazu gedrängt wird. Das sollte er in diesem Fall auch deutlich machen.

9.2.1  Soziales

Entschädigungsrecht

Eine Entschädigungsregelung kann nicht nur der subjektiven, individuellen Sichtweise gerecht werden, sondern muss mit vielen anderen Schädigungsfolgen vergleichen und mögliche Entschädigungen in Relation zueinander setzen. Diese Normierung geben die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (in diesem Kapitel kurz: Anhaltspunkte; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008). Für die Begutachtung im sozialen Entschädigungsrecht (z. B. im Opferentschädigungsgesetz, OEG) oder im Schwerbehindertenrecht haben die Anhaltspunkte daher eine zentrale Bedeutung. Seit dem 01.01.2009 sind sie ersetzt durch die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ nach der Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

161 Begutachtung

Die Anhaltspunkte unterliegen einer steten Revision und wurden zuletzt 2008 neu aufgelegt. Aufgrund neuer rechtlicher Grundlagen werden sie einer systematischen Überarbeitung unterzogen und erhalten damit eine noch stärkere normative Bedeutung. Die Anhaltspunkte enthalten (nach Rösner 2008): 55 praktische Hinweise zur Gutachtenerstattung, 55 Erklärungen der relevanten Grundbegriffe, 55 alle begutachtungsrelevanten Rechtsbegriffe und besonderen Begriffe, 55 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung, 55 eine umfangreiche MdE (jetzt GdS)/ GdB-Tabelle 1). Wichtig ist die Kenntnis einiger grundlegender Tatsachen (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008): 55 „MdE [jetzt Grad der Schädigungsfolgen: GdS] und GdB (Grad der Behinderung) werden nach gleichen Maßstäben bemessen“ (7 Abschn. 9.7). 55 „Die MdE [GdS] ist kausal, d. h. nur auf die Schädigungsfolgen, der GdB final, d. h. auf alle Gesundheitsstörungen – unabhängig von der Ursache – bezogen.“ 55 „MdE [GdS] und GdB sind unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf.“ 55 „In den Tabellen werden zwar Diagnosen und Funktionsbeeinträchtigungen genannt. Wesentlich sind aber ihre Auswirkungen auf die Lebensbereiche.“ 55 „MdE [GdS] und GdB sind Durchschnittswerte, also pauschal, d. h. ohne Berücksichtigung individueller Gegebenheiten“.  

Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit ist zu beachten, dass

»» GdB und MdE [jetzt: GdS] ihrer Natur

nach nur annähernd bestimmt werden können. … [sie] setzen eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung voraus. … [Den] Schwankungen im

9

Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf ist mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008, S. 23, Anmerkungen/Ergänzungen der Autoren)

Subjektive und objektive Bewertungen sind oftmals diskrepant. Daher heißt es weiter:

»» Vergleichsmaßstab kann aber – im Inte­

resse einer gerechten Beurteilung – nicht der Behinderte sein … Beurteilungsgrundlage ist wie immer die allgemeine ärztliche Erfahrung hinsichtlich der regelhaften Auswirkungen. (Ebd., S. 24)

In die GdB-/GdS-Tabellen sind die „üblichen“ seelischen Begleiterscheinungen z. B. von Verletzungen, Beeinträchtigungen oder Entstellungen eingeschlossen. Eine zusätzliche GdB-/ GdS-Bewertung ist erst berechtigt, wenn die zur Beurteilung anstehenden seelischen Beschwerden über das „übliche“ Maß hinausgehen. Hier besteht allerdings keine klare Definition bzw. Operationalisierung, was unter „üblich“ oder „unüblich“ zu verstehen ist. Unter der Lupe

Als Besonderheiten des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) muss der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff unmittelbar zu einer physischen oder psychischen Schädigung geführt haben. Die Unmittelbarkeit zwischen Tat und psychischer Folge ist wesentlich für eine Anerkennung nach dem OEG. Weiter muss die primäre Schädigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gesundheitsstörung von gewisser Dauer bedingt haben (Loytved 2005). Die Schädigung muss auf deutschem Boden (Land, Schiff oder Luftfahrzeug) eingetreten sein. Zur Diskussion dieses Problemfeldes siehe Stang und Sachsse (2014).

162

U. Frommberger et al.

9.2.2  Privates Unfallrecht

(Zivilrecht)

9

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Vorgaben zur Anerkennung psychoreaktiver Unfallfolgen in der privaten Unfallversicherung gegeben. Bisher waren psychoreaktive Unfallfolgen in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen der privaten Unfallversicherung vom Versicherungsschutz ausgenommen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden (sog. Psychoklausel). Krankhafte Stö­ rungen infolge psychischer Reaktionen, gleich welcher Art, fallen nicht unter den Versicherungsschutz (Schröter 2001). Aktuell gilt jedoch, dass die psychische Verarbeitung organischer Schäden oder die physiologische psychische Reaktion nach der Rechtsprechung des BGH nicht unter den Ausschluss fallen (Widder 2016). 9.2.3  Grundlegende

gutachterliche Begriffe

9.2.3.1

Kausalkette

Eine Zusammenhangsbeurteilung im Zivilund Sozialrecht setzt eine von 4 Tatbeständen bestimmte Kausalkette (a–d) voraus (Spellbrink 2013): a. Ist die Situation versichert? (z. B. der Weg zur Arbeit). b. Was ist das schädigende Ereignis? (im Vollbeweis nachzuweisen); (haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Unfall und dem Erstschaden). Der Gutachter muss sich mit der haftungsausfüllenden Kausalität (d. h. dem Zusammenhang zwischen Erstschaden und dem Folgeschaden) beschäftigen: c. Was ist die (primäre) Gesundheitsschädigung? (im Vollbeweis nachzuweisen, der sog. „Erstschaden“). d. Was ist der (bleibende) Gesundheitsschaden? (im Vollbeweis nachzuweisen: „Folgeschaden“ oder „Sekundärschaden“).

Dabei ist von der Verwaltung bzw. Versicherung die haftungsbegründende Kausalität zu klären. Zu prüfen ist auch, ob durch ein schädigendes Ereignis ein Gesundheitsschaden entstanden ist oder ggf. ein vorbestehender verschlimmert wurde. Im Sozialen Entschädigungsrecht und in der Gesetzlichen Unfallversicherung sind die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. 9.2.3.2

Vollbeweis

Krasney (2001) definiert den Vollbeweis folgendermaßen:

»» Alle Tatbestände müssen voll bewiesen

sein, d. h. es muß ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit erreicht sein, daß er der Gewissheit gleichkommt. Wenn für einen der Tatbestände keine eindeutigen Belege zu beschaffen sind, muß der Gutachter zumindest anhand der ermittelten Sachverhalte zu der festen Überzeugung kommen können, daß es so und nicht anders gewesen ist. Demgegenüber genügt es, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen den festgestellten Tatbeständen wahrscheinlich ist, d. h. daß bei kritischer Würdigung des Sachverhalts und aller relevanten medizinisch-­wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht. (Krasney 2001, S. 124)

9.2.3.3

Verschiebung der Wesensgrundlage

Nach Schönberger et al. (2017) ist bei Beurteilung von Störungen, die über längere Zeiträume andauern, auch einzuschätzen, ob sich die Ursache der Symptomatik gegenüber der ursprünglichen nicht geändert hat. Es ist eine Prüfung und Gewichtung der verschiedenen in Frage kommenden (sog. konkurrierenden) Faktoren notwendig (Theorie der wesentlichen Bedingung). Wenn die mit dem Unfall zusam-

163 Begutachtung

menhängenden Ursachen weggefallen sind oder in ihrer quantitativen Bedeutung durch andere ersetzt wurden, wird dies als „Verschiebung der Wesensgrundlage“ bezeichnet. Folgen sind eine Staffelung bzw. Veränderung des MdE. 9.2.3.4

Vorschaden

Einige Probanden haben bereits vor dem Trauma eine psychische Vorerkrankung (psychischer Vorschaden) entwickelt. Es ist daher einzuschätzen, ob es sich bei einer befundeten und diagnostizierten Traumafolgestörung (z. B. nach einem Unfall) um eine Verschlimmerung oder eine eigenständige neue psychische Störung handelt. Auch bei Haft- und Folterfolgen ist die Abgrenzung zwischen psychisch-­reaktiven Störungen als Haft- und Folterfolgen von schädigungsunabhängigen neurotischen Störungen von Bedeutung (Haenel 2002). Die komplexen gutachtlichen Pro­ bleme chronifizierter Folgen kindlichen Missbrauchs in der Beurteilung nach dem OEG beschreiben Stevens und Foerster (2002) und betonen die Zusammenhänge zwischen genetischer Disposition, daraus resultierender Risikoerhöhung psychischer Traumafolgestörungen und der Gewichtung eines schädigenden Ereignisses im Rahmen der Kausalitätsnormen (Stang und Sachsse 2014). 9.2.4  Grundlegende

psychotraumatologische Begriffe

9.2.4.1

Das traumatische Ereignis

Auch nach schwerwiegenden, traumatisierenden Ereignissen entwickeln viele Menschen keine manifesten psychischen Störungen. Daher sind die besonderen Umstände und Zusammenhänge zu explorieren, die objektiven und v. a. auch die subjektiven, die zur Entwicklung einer PTBS beitrugen. Für die Diagnose einer PTBS ist zunächst die Klärung notwendig, ob das Ereignis die

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Traumakriterien der PTBS erfüllt. In den beiden derzeit gültigen internationalen Diagnosesystemen DSM-5 und ICD-10 werden un­ terschiedliche Traumadefinitionen verwendet (7 Kap. 2).  

A-Kriterium gemäß DSM-5 55 A-Kriterium: Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt auf eine (oder mehrere) der folgenden Arten: 1. Direktes Erleben eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse 2. Persönliches Erleben … bei anderen Personen 3. Erfahren, dass einem nahen Familienmitglied oder einem engen Freund … zugestoßen ist 4. Die Erfahrung wiederholter oder extremer Konfrontation mit aversiven Details von … (Näheres 7 Kap. 2) 55 Das bisherige A2-Kriterium Reaktion in der peritraumatischen Situation mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen des DSM-IV wurde nicht mehr in das DSM-5 übernommen.  

Die ICD-10 führt als dafür qualifizierende Ereignisse Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophen an, eine Kampfhandlung, einen schweren Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen zu sein. Im DSM-5 werden außerdem körperlicher Angriff, Raubüberfall, Straßenüberfall oder schwere Verkehrsunfälle als Beispiele genannt. Zudem werden körperliche Misshandlung in der Kindheit, drohende oder tatsächliche sexuelle Gewalt, Entführung, Geiselnahme, Kriegsgefangenschaft als Ereignisse angeführt.

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U. Frommberger et al.

Zusätzlich sind jetzt auch akute medizinische Vorfälle, die die Kriterien eines traumatischen Ereignisses erfüllen, einbezogen (plötzlich auftretende katastrophale Ereignisse wie z. B. Aufwachen während einer Operation, anaphylaktischer Schock, lebensbedrohliche Blutung). Es wird auch betont, dass traumatische Erfahrungen nicht auf die aufgeführten Erlebnisse begrenzt sein müssen. Für den Gutachter wird es durch die ­Entscheidung für eine der beiden Definitionen nicht einfacher. Es empfiehlt sich, mögliche Unterschiede und Abweichungen bei der Beurteilung einzubeziehen und kritisch zu diskutieren. In der Praxis zeigt sich, dass die Einordnung eines Ereignisses als Trauma i. S. der PTBS durchaus zwischen Gutachtern differieren kann.

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Einordnung eines traumatischen Ereignisses 55 Das Ereignis kann ȤȤ eine physische Verletzung (z. B. Amputation an Kreissäge, stumpfes Bauchtrauma, SchädelHirn-Trauma) oder ȤȤ eine ausschließlich psychische Verletzung hervorrufen (z. B. Erleben eines Raubüberfalls als Kassiererin oder eines Eisenbahnsuizides als Zugführer) 55 Die psychischen Folgen können sich entwickeln ȤȤ unmittelbar oder kurz nach dem Ereignis oder ȤȤ mit zeitlicher Verzögerung auf das Ereignis (z. B. wenn die initialen körperlichen Unfallfolgen behandelt und in ihren überdauernden Folgen erkennbar werden) ȤȤ verzögert nach erneuter Extrembelastung oder (kumulativer) Traumatisierung 55 Es ist zu unterscheiden, ob ȤȤ ein einzelnes Ereignis (z. B. Trauma Typ I) oder

ȤȤ mehrere Ereignisse (z. B. Trauma Typ II) die Symptomatik bedingen und ȤȤ welche Bedeutung jedem einzelnen Ereignis zukommt bzw. welches für die zu beurteilende Symptomatik das wesentliche Ereignis ist 55 Es ist zu beurteilen, welche Gewichtung den einzelnen Faktoren/ Bedingungen einer psychischen Symptomentstehung und Aufrechterhaltung zukommt, z. B. ȤȤ dem Ereignis selbst (z. B. PTBS-A-­ Kriterium erfüllt?) ȤȤ der prämorbiden Persönlichkeit und ihren Bewältigungsstrategien (z. B. abhängige Persönlichkeit? regressives Verhalten?) ȤȤ dem sozialen Umfeld (z. B. Unzufriedenheit mit der Arbeitsstelle, schwierige finanzielle Situation?) ȤȤ subjektiven Erwartungen (z. B. negative Zukunftsperspektive; sind alle dem Ereignis subjektiv zugeschriebenen Folgen entschädigungspflichtig? Forderung nach Gerechtigkeit?) oder ȤȤ subjektiven Bewertungen (z. B. der Arbeitgeber/die Gesellschaft ist schuld und soll zahlen?)

Die Folgen des DSM-5 für die Begutachtung von Traumafolgestörungen diskutieren Widder (2016) für die gesetzliche Unfallversicherung und Denis et  al. (2014) auch für das ­soziale Entschädigungsrecht. 9.2.4.2

I nitiale Reaktion auf ein Ereignis

Bei der Beurteilung von psychischen Reaktionen auf Arbeitsunfälle wird von Gerichten häufig auf das umfangreiche Werk von Schönberger et  al. (2017) zurückgegriffen, das u.  a. die Literatur von Psychiatern, Gerichtsurteilen und Kommentaren zusammenstellt. Die Be-

165 Begutachtung

griffe Schreck, Erschrecken und Schock werden bei Beschreibungen des Erlebens immer wieder gebraucht und oft synonym verwendet. Die Begriffe sind jedoch zu unterscheiden und werden an dieser Stelle nach Schönberger et al. zitiert:

»» … dem Schreck (unmittelbare psychische

Reaktion), der sich zur Angst verhält wie die Überraschung zur Erwartung, ist eigen die Plötzlichkeit des Einbruchs in die Psyche. Er wird durch überraschend auftretende intensive und meist als bedrohlich erlebte Sinnesreize ausgelöst (lauter Knall, heller Blitz, unerwarteter Bruch in der Erlebniskontinuität: z. B. ‚man verliert plötzlich den Boden unter den Füßen oder spürt unerwartet eine Hand auf der Schulter‘). Im Regelfall tritt als unmittelbare Reaktion auf den Schreck eine kurze Anfangsstarre mit motorischer Hemmung, Denkblockierung und Emotionslähmung auf. Die Zeit scheint kurz stillzustehen. Die gleichzeitige Reizung vegetativer und zentralnervöser Funktionen führt mit nur geringer Verzögerung zu meist sehr heftigen motorischen Abwehrbewegungen (d. h. durch die Hirnrinde gesteuerte willkürliche, aktive Muskelbewegungen). Dabei handelt es sich um Erregungszustände mit oft blinden Bewegungsstürmen und panikartigen Flucht-, Verteidigungs- und Angriffsreaktionen. Sie verlängern die Abklingphase des Schrecks über das Schreckerlebnis hinaus. Schrecken ist weitergehend als Schreck und enthält zugleich die Wesenszüge des Grauens, Entsetzens, der Verzweiflung und Panik. Noch ist es eine allgemeine biologische Reaktion; auch beim stärkeren Erschrecken liegt ein normaler psychosomatischer Vorgang mit körperlicher Rückwirkung auf seelische Einflüsse vor, der vom Gesunden ohne Weiteres vertragen wird. Heftiges Erschrecken allein ist somit noch keine Gesundheitsschädigung, sondern eine im

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Rahmen der Norm liegende, individuell sehr unterschiedlich stark ausgeprägte vitale Reaktion. Sie wird unfallrechtlich beachtlich, wenn dadurch eine Krankheit herbeigeführt wird. Die Rechtsprechung erkannte Schreck in Verbindung mit Überanstrengung als Arbeitsunfall. Die Schock-Wirkung spielt sich im Bereich des vegetativen Nervensystems ab (körperlich-vegetative Reaktion) und stellt die organisch-materielle Wechselbeziehung des Schreckerlebnisses dar. Während beim Erschrecken Bewusstsein zum Zustandekommen der Reaktion notwendig ist, kann der echte Unfallschock (akute Kreislaufinsuffizienz) auch ohne Bewusstsein eintreten. (Schönberger et al. 2009, S. 221; Hervorh. im Orig.)

Nach Schönberger et al. (2009) erfasst der Unfallbegriff auch rein psychische Gesundheitsstörungen als unmittelbare Reaktion auf ein äußeres Ereignis. Die plötzliche psychische Belastung könne die individuelle Erlebnisverarbeitung überfordern und unmittelbar über ein bloßes Erschrecken zu einer psychischen Störung, ggf. mit begleitenden somatischen Befunden führen. Dabei sei auch die psychovegetative Verfassung des Versicherten zum Zeitpunkt des Ereignisses zu berücksichtigen. Das Erschrecken selbst müsse bewiesen und ein dadurch herbeigeführter Gesundheitsschaden hinreichend wahrscheinlich sein. Ein Erschrecken auch stärkerer Art sei hingegen ein normaler psychosomatischer Vorgang. Daher sei die ernsthaft schädigende und unfallrechtlich relevante Wirkung des heftigen Erschreckens auf ganz seltene Fälle beschränkt. Unter der Lupe

Der Gutachter muss klären, auf welchen rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen seine Beurteilungen beruhen. Die Rechtsbegriffe und Beurteilungskriterien sind unterschiedlich je nach rechtlichem Bezugssystem.

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U. Frommberger et al.

ȤȤ Als ein prinzipielles Problem stößt der Gutachter immer wieder auf Diskrepanzen zwischen dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, den juristischen und formalen Regelungen und den voneinander abweichenden Definitionen. ȤȤ Der Gutachter sieht sich außerdem immer wieder damit konfrontiert, dass seine Auffassung und Beurteilung von anderer Seite nicht oder nur partiell geteilt wird. Auch operationalisierte diagnostische Kriterien unterliegen unterschiedlicher Einschätzung und Interpretation. ȤȤ Der Gutachter muss dann für seine Bewertung/Beurteilung entsprechend transparent und überzeugend argumentieren.

9.3  Kausalitätsfeststellung

Der naturwissenschaftliche Kausalitätsbegriff entstammt der klassischen Mechanik, ist an die experimentelle Situation gebunden und damit komplexitätsreduzierend (In-vitro-Situation). Für die komplexe klinisch-gutachterliche Situation ist er eher nicht angemessen. Diese Komplexität muss mit dem rechtlich-normativen Kausalitätsbegriff in Beziehung gesetzt werden (Leonhardt 2002). 9.3.1  Kausalitätstheorien (Krasney

2001)

„Die Adäquanztheorie gilt im Zivilrecht, speziell in 55 der privaten Unfallversicherung 55 Haftpflichtversicherung 55 der Wiedergutmachung nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Ursache ist hier nur die Conditio sine qua non, die mit dem eingetretenen Erfolg in einem adäquaten Zusammenhang steht. Der Zusam-

menhang ist zu bejahen, wenn eine Tatsache im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet war“ (Krasney 2001, S. 124). „Die Theorie der wesentlichen Bedingung gilt im Sozialrecht, speziell in 55 der gesetzlichen Unfallversicherung 55 dem sozialen Entschädigungsrecht 55 der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Ursachen im Rechtssinne sind hier die Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Wenn mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen haben, gelten sie als nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände eine überragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne“ (Krasney 2001, S. 124; Hervorhebungen fett und kursiv im Original). In der gutachterlichen Praxis kommen trotz der Unterschiede in den beiden Kausalitätsnormen Gutachter bei gleichen Sachverhalten nach beiden Theorien meist zu gleichen Beurteilungen.

9.3.2  Schritte der Begutachtung

am Beispiel der gesetzlichen Unfallversicherung

Am Beispiel der gesetzlichen Unfallversicherung sollen im Folgenden wesentliche Schritte der Begutachtung erläutert werden. Grundlage ist ein Urteil des Bundessozialgerichts 2. Senat vom 09.05.2006 (B2U1/05R), aus dem im Folgenden zitiert wird: 55 Die Verrichtung des Versicherten muss zur Zeit des Unfalles eine versicherte Tätigkeit gewesen sein. 55 Diese Verrichtung hat zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper

167 Begutachtung

einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt (Unfallkausalität). 55 Das Unfallereignis hat einen Gesundheitserstschaden oder gar den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität). 55 Dieser Ursachenzusammenhang muss festgestellt werden. Es genügt eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“. … Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die „reine Möglichkeit genügt nicht“ (Bundessozialgericht 2006, Abschn. 20). (Ergänzung: nach Schönberger et  al. (2009) stellen sich die Fragen: War die Stresssituation belastend genug, um eine individuelle Stressreaktion hervorzurufen? Schönberger et al. stellen heraus, dass es nicht auf ein bestimmtes schweres Ausmaß der Stresseinwirkung von außen ankommt, sondern  – den Grundsätzen bei der Feststellung der Kausalität entsprechend  – auf die subjektive individuelle Stressreaktion infolge der äußeren Belastung.) 55 Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens ist Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente (haftungsausfüllende Kausalität). Eine enge zeitliche Verbindung zwischen Einwirkung und Zusammenbruch wird gefordert. Sie ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente. 55 „Diese Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen“… „denn auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden.“ … „Psychische Gesundheitsstörungen können nach einem Arbeitsunfall in vielfältiger Weise auftreten:“ … „sie können sich in Folge der Behandlung des gesundheitlichen Erstschadens erst

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herausbilden“ (Bundessozialgericht 2006, Abschn. 21; Spellbrink 2013). 55 Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente ist nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VII, dass ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. 55 Im Sozialrecht gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (Zitate aus dem Urteil des 2. Senats des BSG vom 09.05.2006, Nr. 14). 55 „Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben“. Es ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (Conditio sine qua non; naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie). Es ist dann eine Prüfung notwendig, welche der möglichen Ursachen die rechtlich erhebliche ist. 55 Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das (Unfall-)Ereignis wesentlich war, die Gesundheitsschäden hervorzurufen. 55 Es ist nicht relevant, ob der Verletzte selbst oder wer auch immer den Unfall verschuldet hat, da verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt. 55 Abzugrenzen gegenüber der wesentlichen Ursache ist die Gelegenheitsursache (Ist „die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar“ …, „dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte“) (ebd., Abschn. 15). 55 Die besondere Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg (Gesundheitsschaden) sind das Ereignis an

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U. Frommberger et al.

sich, möglicherweise konkurrierende Ursachen, der zeitliche Ablauf des Geschehens, Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. 55 Eine Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des anerkannten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen (Unfall) und der Entstehung bestimmter Krankheiten (PTBS, Depression etc.) zu erfolgen. Diese Beurteilung muss auf den individuellen, konkreten Fall bezogen sein, eine generalisierende Betrachtung reicht nicht aus. Es muss dazu nicht unbedingt eine statistisch-­ epidemiologische Forschung geben. Wenn dazu keine Daten vorliegen, kann auch „einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden“ (ebd., Abschn. 18). 55 Jeder Teil der Ursachenkette muss nach den obigen Maßstäben herausgearbeitet und festgestellt werden. Der Ursachenzusammenhang muss positiv festgestellt werden. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhanges genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Die reine Möglichkeit genügt nicht. 55 Die Basis der Beurteilung ist die einzelfallbezogene Bewertung: ȤȤ der konkrete Versicherte, ȤȤ mit seinem Unfallereignis, dem individuellen Ausmaß seiner Beeinträchtigungen („aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist“; ebd., Abschn. 19). Wunschbedingte Vorstellungen vermögen einen wesentlichen Ursachenzusammenhang nicht zu begründen und

ȤȤ mit seinen Vorerkrankungen und Vorschäden (z. B. „schließt eine ‚abnorme seelische Bereitschaft‘ die Annahme einer psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus“; ebd., Abschn. 37). Eine in diesem Zusammenhang häufig benutzte Formulierung ist, dass der Versicherte so geschützt ist, wie er die Arbeit antritt.

9.4  Besonderheiten und

Probleme der Begutachtung psychoreaktiver Störungen und Verhaltensweisen

Der Gutachter ist zum einen einer kritischen, objektiven und neutralen Haltung verpflichtet. Zum anderen muss er in Beziehung zum Probanden treten, um die an ihn gestellten Fragen beantworten zu können. Die gutachterliche Situation ist daher eine sehr komplexe, die viele Komponenten beeinflussen, wie z. B. die Beziehung und Interaktion oder die Informationsgewinnung (Haenel et al. 2016). >> Eine interessierte, nicht (ab)wertende und nicht offenkundig misstrauische Grundhaltung des Gutachters kann manche interaktionelle Schwierigkeiten abmildern und die Qualität des Gutachtens verbessern. Zeit, ruhige Rahmenbedingungen der Untersuchung und Geduld spielen hier eine wichtige Rolle.

Zunächst sind offene Fragen sinnvoll, um sich die Beschreibungen aus Sicht des Probanden entwickeln zu lassen und die kommunizierbaren spontan berichteten Informationen zu erhalten. Bei Traumatisierten muss man jedoch auch direkt und detailliert nachfragen, um wichtige Informationen zu erhalten. Vermeidungsverhalten, lückenhafte bzw. fehlende Gedächtnisinhalte, wie z.  B.  Amnesien traumatischer Erfahrungen und Störungen, spielen hier ebenso eine Rolle wie die häufig eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit.

169 Begutachtung

>> Nur offen berichten zu lassen ist nicht angemessen und wird Traumatisierten mit psychischen Traumafolgestörungen nicht gerecht. Es muss detailliert nachgefragt und systematisch exploriert werden.

Eine ausführliche Übersicht über die Zusammenhänge von Psychopathologie nach Traumatisierung, aktueller Forschung und gutachterlichen Problemen geben Haenel und Wenk-Ansohn (2005) mit Schwerpunkt auf die Begutachtung in aufenthaltsrechtlichen Verfahren. zz Misstrauen

Wer massive interpersonelle Gewalt oder Vernachlässigung erlebt hat, ist häufig nicht nur im Alltag in seiner Interaktion beeinträchtigt, sondern auch in der besonderen gutachterlichen Situation. Wenn es nicht gelingt, Misstrauen abzubauen, wird die Information geringer und unschärfer sein. Traumatisierte Asylbewerber sind aus psychischen Gründen teilweise nicht in der Lage, einen erlebnisnahen und detaillierten Vortrag ihrer Asylgründe zu geben. Probanden, die bereits mehrere Begutachtungen hinter sich haben, können einem erneuten Gutachter mit Misstrauen begegnen, insbesondere wenn sie der Auffassung sind, in der Vergangenheit nicht angemessen zitiert oder gar falsch verstanden worden zu sein.

zz Erwartungen und Enttäuschungen

Manche Probanden sind u.  a. enttäuscht von Versicherungen, Vorgesetzten, Behandlern und auch von Gutachtern. Sie fühlen sich falsch oder nicht verstanden, in ihrer Bedürftigkeit nicht gesehen, abgewertet durch Bemerkungen oder den nonverbalen Umgang mit ihnen. Sie erwarten unbedingte Gerechtigkeit, Anerkennung und ggf. auch finanzielle Kompensation. Häufig überwiegt der Wunsch nach Anerkennung des subjektiven Leides den der materiellen Entschädigung.

zz Wiedererleben und Übererregung

Bei der Begutachtung soll der Proband über Situationen berichten, die nicht nur mit tief-

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greifenden Gefühlen von Angst, Scham oder Schuld besetzt sind, sondern auch oftmals vermiedene Erinnerungen hervorrufen, die mit starkem psychischem und physischem Unwohlsein verbunden sein können. So kommt es, dass lieber nicht oder nur begrenzt darüber berichtet wird, trotz des Bewusstseins der negativen Konsequenzen für die gutachterliche Beurteilung. Dass diese Form von Vermeidungsverhalten Teil einer Störung (z. B. PTBS) sein kann, sollte dem Gutachter bewusst sein. zz Scham und Schuld

Traumatische Situationen ereignen sich zumeist in sehr kurzer Zeit und lassen oft keinen Spielraum für reflektierte und abgewogene Entscheidungen und Handlungen. Das eigene Verhalten und Reagieren können im Nachhi­ nein Gegenstand kritischer Hinterfragung bzw. Anklage durch den Betroffenen selbst sein. Tiefgreifende Gefühle wie Scham und Schuld können mit traumatischen Situationen assoziiert sein. Vieles wird daher nicht angesprochen bzw. vermieden, sodass der Gutachter vielleicht wesentliche Aspekte nicht erfährt, wenn der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung in der gutachterlichen Situation nicht ausreichend gelingt. zz Dissoziation

Während der Exploration erstarren manche Probanden plötzlich, andere wirken wie abwesend, der Gesprächskontakt scheint unterbrochen, der Blickkontakt geht verloren, und die Antworten können erst verzögert oder gar nicht erfolgen. Die Dauer solcher Reaktionen kann sehr kurz sein, aber auch mehrere Minuten anhalten. Mitunter sind dissoziative Zustände nur sehr schwer als solche zu erkennen und können fälschlicherweise als Unaufmerksamkeit interpretiert werden. Tritt während einer Begutachtung ein dissoziativer Zustand ein, so ist der Proband zumeist durch die Exploration oder andere Auslösereize wieder mit intensiven Erinnerungen an ein Trauma konfrontiert. Eine geordnete Exploration ist dann zunächst nicht mehr möglich; vielmehr sind antidissoziative Techniken zur Unterbrechung

170

U. Frommberger et al.

des Zustands anzuwenden. Dissoziative Symp­ tome sind als wegweisende Indikatoren für eine bestehende posttraumatische Beeinträchtigung bzw. Störung zu bewerten. zz Schmerzen

Nach schweren Unfällen und anderen Traumatisierungen kann es zur Entwicklung langwieriger, therapieresistenter Schmerzsyndrome kommen. Die Begutachtung von Schmerzen zählt zu den besonders schwierigen Kapiteln ärztlicher Begutachtung. Praktische Hinweise gibt Foerster (2002). Eine Expertenkommission hat sich dieses Problems angenommen und Leitlinien zur Begutachtung chronischer Schmerzsyndrome erarbeitet (AWMF 2017). Weitere Literatur bei Egle et  al. (2014). Zum Zusammenhang von PTBS und Schmerzen s. auch Frommberger (2016).

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zz Kombination schwerer körperlicher und psychischer Traumafolgen

Treten schwere körperliche und psychische Beeinträchtigungen, z.  B. nach schweren Verkehrsunfällen, Vergewaltigung, Überfällen oder anderen Gewalttaten auf, stehen die Folgen körperlicher Verletzungen und deren Behandlung zunächst häufig im Vordergrund. Dabei wird mitunter übersehen, dass die Schwere und insbesondere der Verlauf der körperlichen Symptomatik auch durch die Schwere der psychischen Symptomatik mit bedingt werden und in Wechselwirkung stehen. Von den Betroffenen werden häufig die körperlichen Beeinträchtigungen bereitwilliger und offener thematisiert als bedrückende oder schambesetzte Erinnerungen. Auf die hohe Zahl von komorbiden psychischen Krankheitsbildern in der Begutachtung zusätzlich zu den Traumafolgestörungen i. e. Sinne verweist Philipp (2018). zz Kultureller Hintergrund

Bei Probanden mit Migrationshintergrund sind die unterschiedlichen kulturellen Denkund Verhaltensweisen zu berücksichtigen, z. B. in Hinblick auf Wertvorstellungen, Bildung, Sprachprobleme, sozioökonomische Verhält-

nisse, Rollenerwartungen und Geschlechternormen, Bedeutung der (Groß-)Familie/sozialen Gruppe, Ausdrucksweisen durch Symp­tomatik. Hausotter (2002) empfiehlt daher im psychiatrischen Gutachten einen eigenen Passus zu transkulturellen und migrationsspezifischen Überlegungen sowie die genaue Exploration der Umstände der Migration und ihrer Folgen. Die Sprachkenntnisse des Probanden müssen überprüft werden, wenn die Exploration nicht in der Muttersprache durchgeführt wird. Sollten Zweifel an ausreichenden Sprachkenntnissen bestehen bleiben, muss ein professioneller Dolmetscher hinzugezogen werden. zz Aggravation und Simulation

Die Aggravation stellt Handlungen dar, die die Schwere der subjektiven und der möglicherweise geringfügigeren objektiven Symp­ tome unterstreichen sollen. Die Simulation ist dagegen eine bewusste Falschaussage (7 Abschn. 8.5.8). Nach Foerster (2002) kann der Gedanke an eine Simulation entstehen, wenn in der Darstellung der Symptome das Gefühl des Unechten, des Falschen entsteht und dominiert. „Diese Probanden können im Sachverständigen Ärger, Zorn, persönliches Gekränktsein, oder auch einmal Belustigung auslösen, stets verbunden mit einem Gefühl des Unpassenden und einer ‚falschen‘ Darstellung“ (Foerster 2002, S. 153). Hinweise für eine Simulation können vorliegen, wenn u. a. 55 eine auffallende Diskrepanz zwischen subjektiver Beschwerdeschilderung und beobachtbarem Verhalten in der Untersuchungssituation besteht, 55 die Intensität der Beschwerdeschilderung kontrastiert zur Vagheit der Beschwerden, 55 Angaben zum Verlauf der Krankheit nicht präzisierbar sind, 55 sich zwischen den Angaben des Probanden und fremdanamnestischen Informationen erhebliche Diskrepanzen ergeben, 55 das Ausmaß der geschilderten Beschwerden nicht in Übereinstimmung steht mit einer Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe.  

171 Begutachtung

9

Während reine Simulation selten auftritt, wird Aggravation häufiger beobachtet (Hausotter 2016). Die Problematik von Aggravation und Simulation im aufenthaltsrechtlichen Verfahren beschreibt Birck (2004). Eine zusätzliche psychometrische Untersuchung kann auf Widersprüche hinweisen, z. B., wenn die Angaben in den verschiedenen Fragebogen oder Untersuchungssituationen nicht konsistent sind (7 Abschn. 8.5.8). Psychometrische Versuche, eine Aggravation oder Simulation aufzuspüren, sind der „Strukturierte Fragebogen simulierter Symptome“ (SFSS) und auch Untertests im „Eysencks Personality Inventory“ (EPI), „Minnesota Multiphasic Personality Inventory“ (MMPI) (Lehrl 2001). Stevens und Merten (2007) rechnen damit, dass in der Hälfte aller Fälle mit Entschädigungsanspruch Beschwerden übertrieben oder ausgeweitet werden. Diese Auffassung deckt sich nicht unbedingt mit der vieler Traumaexperten, die diese Zahl als wesentlich niedriger einschätzen. Merten (2004) fordert für die Beurteilung neuropsychologischer Fragestellung den Einsatz spezieller Symptomvalidierungstests. In der AWMF-Leitlinie zur Begutachtung chronischer Schmerzen wird dies kritisch diskutiert (2017). Mayou (1995, S.  796  f.; Übersetzung und Ergänzungen in Klammern durch den Autor) stellte nach zahlreichen Untersuchungen und Studien zu Verkehrsunfallverletzten fest: 55 „… die Evidenz für willentliche Übertreibung der [Unfall-]Folgen, für Simulation oder für unverhältnismäßige Forderungen ist bemerkenswert niedrig in einer Studie von nahezu 200 Probanden …“. 55 [Nur] „ein kleiner Anteil an Personen erfindet die Belastungen und Behinderungen und andere übertreiben willentlich.“ 55 „Begriffe wie Übertreibung oder Simulation sind selten angemessen.“ 55 „… eine große Zahl von Menschen erhält relativ wenig Aufmerksamkeit und ist unterversorgt durch die Ärzte und zu wenig beachtet durch das Entschädigungssystem.“

Simulation und Aggravation und gibt Hinweise für ein tieferes Verstehen dieser Phänomene. Philipp (2016) fand in einer Stichprobe an mehr als 110 Gutachten, dass Aggravation ein häufigeres Phänomen war, Simulation jedoch in keinem Fall gefunden wurde. Weitere spezielle Beiträge zu dieser Thematik finden sich bei Freytag et al. (2012).

Darüber hinaus reflektiert Mundt (2007) die Funktionalität und komplexen Prozesse von

Schönberger et  al. (2009) gehen davon aus, dass beim Vorliegen vorbestehender Konflikte



zz Krankheitsgewinn aus der Diagnose PTBS

Nach Meermann et  al. (2008) lässt sich die Diagnose PTBS aufgrund ihrer ätiologischen Komponente auch dazu „nutzen“, sich i.  S. eines primären Krankheitsgewinns (opfer-) identitätsstiftend zu mystifizieren oder i. S. eines sekundären Krankheitsgewinnes finanziell gewinnbringend zu instrumentalisieren. Beispiel: Halswirbelsäulen-(HWS-)Beschle­ unigungstrauma Stevens (2006) und Eisenmenger (2008) berichten kritisch über die Geschichte des Begriffes HWS-Distorsion und die Problematik dieser sehr umstrittenen Diagnose. Kausalität, Pathophysiologie und Diagnose seien beim größten Teil der Klagen höchst umstritten. Oft mangele es an Validität, Reliabilität und Objektivität (Poeck 2001). „Fast ausnahmslos“ misslinge der klinische, neurologische und radiologische Verletzungsnachweis (Schröter 2008). Er beschreibt eingehend die Methodik der Begutachtung. Stevens sieht das Syndrom nicht als nosologisch valides Konstrukt an, rechnet mit einer hohen Prävalenz von Aggravation und ordnet es am ehesten unter die somatoformen Störungen ein. Die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF-Leitlinie; AWMF 2012) zu dem Beschleunigungstrauma der HWS geben ein differenzierteres Bild wieder, das an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden kann.

zz Vorbestehende Konflikte und Persönlichkeitszüge

172

9

U. Frommberger et al.

ein traumatisches Ereignis einen spezifischen Reiz i.  S. einer Versuchungs- und Versagenssituation darstellen könne. Als Folge davon werde der vorbestehende Konflikt auf das Trauma „verschoben“. Das Unfallereignis treffe auf eine latent vorhandene neurotische Struktur, sei letzter Anlass (=  „Auslösung“) zur Manifestation neurotischer Symptome. Eine solche Bewertung im Einzelfall erfordere den Nachweis, dass bestehende Symptomatik und prätraumatische Struktur sich entsprechen. Sie setzt aber auch den positiven Nachweis prätraumatischer Konflikte oder Persönlichkeitszüge voraus. Hypothetische, angenommene und nicht nachgewiesene Konflikte dürfen in der Begutachtung nicht dazu führen, dass Probanden eine manifeste Traumafolgestörung abgesprochen wird. Die alleinige Annahme von ereignisunabhängigen Konflikten oder prämorbiden Persönlichkeitszügen reicht nicht. Auch für diese möglichen konkurrierenden Faktoren wäre ein gutachterlicher Nachweis im Sinne des Vollbeweises zu erbringen. zz Schmerzensgeld

Das Leistungsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung sieht kein Schmerzensgeld vor. Um in die (MdE/GdS einzufließen, muss sich ein unfallbedingter seelischer Gesundheitsschaden nachteilig auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken (Schönberger et al. 2009).

zz Verlauf

„Rentenverfahren sind möglichst rasch durchzuführen; Verzögerung hat antitherapeutischen Effekt“ (Foerster 1985 zit. nach Schönberger et al. 2017, S. 264).

zz Veränderung durch Therapieerfolge

Wehking et al. (2004) berichten aus einer Katamnese von Unfallpatienten eines stationären Heilverfahrens. Die günstigsten Therapieergebnisse seien im stationären Heilverfahren vor Ablauf des ersten Unfalljahres erreicht worden. Sie fanden Belege, dass psychische Störungen nach Unfallereignissen auch im Chronifizierungsstadium durch konsequente, anlassbezogene (stationäre) Heilbehandlungs-

maßnahmen gebessert werden können. Psychische Vorerkrankungen bestanden in der untersuchten Stichprobe bei 60 % der Patienten. Eine US-amerikanische Studie fand keinen bedeutsamen Unterschied im symptomatischen Ansprechen auf eine stationäre Therapie zwischen Veteranen, die eine höhere Ausgleichszahlung erwarteten, vs. denjenigen mit stabilen Ausgleichszahlungen (Belsher et  al. 2012). Eine Psychotherapie oder die Einnahme von Psychopharmaka kann anhaltend eine Symptomreduktion und Verbesserung der Leis­ tungsfähigkeit bewirken. Diese anhaltende Besserung wirkt sich dann auf die Höhe der GdS aus, z. B. in einer Verringerung des GdS. zz Zeitaufwand und Vergütung

Der Zeitaufwand für ein eingehendes Gutachten, das die hier genannten Aspekte und Anforderungen berücksichtigt, ist oft erheblich. Leider ist die Vergütung für eine qualitativ hochwertige Arbeit trotz Anpassung nicht unbedingt adäquat. Manche Kostenträger zahlen nur sehr unbefriedigende Vergütungen. 9.5  Methodik der Begutachtung

Zu Beginn einer Begutachtung können Hinweise wertvoll sein, dass 55 Testergebnisse nur bei optimaler Mitarbeit gut zu verwerten sind, 55 die Anstrengungsbereitschaft auch geprüft werden kann, 55 da hier keine Therapie stattfände, hinterher eine passagere Verschlechterung der Symptomatik auftreten könne, 55 alle Angaben im Rahmen des Gutachtenauftrags an den Auftraggeber weitergegeben werden, 55 affektive und physiologische Reaktionen während der Begutachtung beobachtet werden können. Es besteht die Auffassung von Fabra (2006), dass sich bei der Exploration des Traumas als

173 Begutachtung

einzig valides Kriterium für eine PTBS eine PTBS-typische psychophysiologische Reaktion zeigen müsse. Während zum einen diese Forderung zumindest die leichten von den schweren Fällen differenzieren könnte, besteht ein klinischer Konsens, dass sich auch bei nachgewiesener schwerer Störung die PTBS-­typische psychophysiologische Reaktion nicht unbedingt einstellt, wenn z. B. 55 die Probanden versuchen, „Haltung zu bewahren“ und es ihnen eher peinlich ist, Gefühle und körperliche Reaktionen zuzulassen und zu zeigen und/oder 55 die Angst vor affektiver Überflutung zu groß und existenziell bedrohlich wird, sodass die Affekte als Selbstschutz abgewehrt werden müssen (Affektisolierung/affektive Abstumpfung/Numbing/Dissoziation), 55 die Betreffenden sich im Rahmen traumafokussierter Psychotherapien wiederholt mit den traumatischen Erinnerungen konfrontiert haben. Die Validität der o. g. Forderung von Fabra ist daher fraglich, und nach unserem Kenntnisstand fehlen dafür jegliche empirische Nachweise. Wenn eine solche psychophysiologische Reaktion bei der Exploration jedoch auftritt, ist sie hilfreich im Sinne eines deutlichen Hinweises auf das Bestehen einer PTBS. 9.5.1  Gegenübertragung

Wenn es auf der einen Seite die reaktiven psychischen Symptome selbst sind, die einer objektiven gutachterlichen Beurteilung im Wege stehen können, so kann es auf der anderen Seite die Einstellung des Gutachters zum Überlebenden und dessen Geschichte sein, die die Objektivität der gutachterlichen Beurteilung beeinflusst. Gerade bei Trauma- und Folteropfern können Beziehungsaspekte zwischen Gutachter und den zu Untersuchenden wesentliche, nicht zu unterschätzende Einflüsse auf das gutachterliche Ergebnis haben. Denn ebenso wie in der therapeutischen Beziehung mit Folteropfern können sich auch beim Gutachter

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in seiner Beziehung zum zu Begutachtenden schnell extreme Gegenübertragungspositionen mit entweder zu großer Distanz und fehlender Empathie oder zu geringer Distanz mit der Gefahr der Überidentifizierung und sogar der persönlichen, empathischen Verstrickung einstellen (Haenel 2000; Haenel et al. 2016). 9.5.2  Erhebung der Vorgeschichte

Dazu gehört die Exploration der 55 allgemeinen Vorgeschichte inkl. psychia­ trischer und somatischer Vorerkrankungen, 55 speziellen Vorgeschichte (z. B. Unfall- und Behandlungsanamnese) inkl. der jetzigen Beschwerden, ihres Zeitverlaufs und ihrer Dauer sowie 55 biografischen Anamnese inkl. möglicher prämorbider Konflikte, die für die Symptombildung relevant sein könnten. Damit soll sich der Gutachter ein Bild über die prämorbide Leistungsfähigkeit und Persönlichkeit des Probanden verschaffen. Zur objektiven Abbildung der Vorerkrankungen und des Krankheitsverhaltens kann der Kostenträger dem Gutachter das Leistungsverzeichnis der Krankenkasse bereitstellen. Wegen der zentralen Bedeutung der Krankheitsauswirkungen für soziale Leistungsempfehlungen kommt der „International Classification of Functioning, Disabilities and Health“ (ICF) in sozialmedizinischer Hinsicht eine besondere Bedeutung zu (Hagen 2008). Die ICF ermöglicht eine systematische Erfassung und Beschreibung der Gesundheit auf den Ebenen der Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten und Teilhabe unter Berücksichtigung der personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren. 9.5.3  Psychopathologie und

Klassifikation

In den psychopathologischen Befund (AMDP 2013; Scharfetter 2017) werden objektive, be-

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U. Frommberger et al.

obachtbare Phänomene (z. B. Verlangsamung) wie auch subjektive oder anamnestisch zu erhebende Symptome (z.  B.  Schlafstörungen, Albträume) eingeschlossen. Damit sind Symp­ tome eingeschlossen, die man nicht in der Untersuchungssituation herausfinden kann. Der Gutachter ist hier durch einen zweckgerichteten und eingeübten Beschwerdevortrag prinzipiell täuschbar.

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logisch zu bewerten und einzuordnen. Dies ist oft nicht leicht, da der Verlauf der Exploration u. a. abhängig ist von der Kooperation des Probanden, seiner Psychopathologie und seinen intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten. Nach besonders schweren Traumatisierungen kann es neben der PTBS zu komplexen chronischen Störungsbildern kommen. Die ICD-10 kennzeichnet ein Störungsbild als andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (F62.0). Diese DiaUnter der Lupe: Exploration des Traumas gnose ist auf bestimmte Extrembelastungen beschränkt, wie Konzentrationslagerhaft, FolDie Beurteilung einer psychischen Trauter oder Geiselnahme. Für die Begutachtung mafolgestörung setzt die Exploration nach dem sozialen Entschädigungsrecht kann des Traumas voraus. Die psychischen diese Diagnose von Bedeutung sein. Weitere Reaktionen auf das Trauma können in Störungsbilder können die dissoziativen Stöder gutachterlichen Exploration sichtbar rungen (F44) sein. Die komplexe PTBS wird werden und sind ein Validitätskriterium erst mit der ICD-11 in ein Klassifikationssysfür die diagnostische Zuordnung wie tem aufgenommen und kann bis dato unter auch ggf. für die Schwere der Beeindie F43.1 subsumiert werden, wenn die Proträchtigung. Daher ist die detaillierte banden die Kriterien für eine „klassische“ Exploration unverzichtbar, auch wenn PTBS erfüllen. Im DSM-5 wurde eine Erweitepsychopathologische Symptomatik und rung des PTBS-Konzepts mit Integration von Vermeidungsverhalten dem entgegenz. B. Schuld- und Schamgefühlen wie auch des stehen können. Der Proband sollte Wertesystems vorgenommen, wie sie typisch vorher darauf aufmerksam gemacht für die „komplexe“ PTBS sind. werden, dass die Exploration keine Die Einordnung von Symptomen in ein Therapie ist und die Symptomatik sich Störungsbild nach den Vorgaben eines Klassifipassager verschlechtern kann. Ein kationssystems ist ein erster Schritt, der jedoch bloßer Verdacht oder Rückschlüsse über noch keine Aussagen über die im Einzelfall Symptome oder Verhalten reichen nicht vorliegenden störungsbedingten Funktionsbeaus, um den Gesundheitsschaden mit einträchtigungen und die daraus resultierenden rechtlichen Kriterien eines sog. Vollden Einschränkungen des erwerbsrelevanten beweises festzustellen. Leistungsvermögens trifft. Die störungsbedingten Beeinträchtigungen für das ErwerbsleKlassifikatorisch können neben dem wis- ben können auf 3 Ebenen beschrieben werden senschaftlich am besten untersuchten PTBS-­ (Foerster et al. 2007): Bild zahlreiche weitere Störungen auftreten, 55 psychisch-emotionale Beeinträchtigung, sowohl als einzige Störung wie auch komorbid, 55 sozial-kommunikative Beeinträchtigung, gleichzeitig oder auch nachfolgend (7 Kap.  2). 55 körperlich-funktionelle Beeinträchtigung. Daher ist eine differenzierte psychopathologische Exploration notwendig, mit der Einord- Diese Beeinträchtigungen sind detailliert zu nung der Symptome in Syndrome und Stö- explorieren und zu beschreiben. Der GdS errungskategorien eines gültigen psychiatrischen gibt sich aus der Gesamtheit der einzelnen BeKlassifikationssystems. Die vom Probanden einträchtigungen. geschilderten Beschwerden sind nicht einAusgangsbasis der klassifikatorischen Diafach zu übernehmen, sondern psychopatho- gnostik und Bewertung sind:  

175 Begutachtung

55 eines der üblichen Diagnosesysteme (ICD10, -11 (zukünftig), DSM-5), 55 Fachbücher und Standardwerke, 55 AWMF-Leitlinien sowie ergänzend 55 weitere Veröffentlichungen (z. B. in der Zeitschrift Der Medizinische Sachverständige).

55 Unterstützt und fundiert die klinischen Aussagen. 55 Relativiert und regt zur Selbstkritik gegenüber eigenen Befunden und Annahmen an. In Studien zur PTBS gelten Fremdbeurteilungsinstrumente als der beste Weg, eine PTBS zu diagnostizieren (7 Kap. 8). Sie stellen die bisher höchste Validität für die Diagnose der PTBS und anderer Traumafolgestörungen dar und gelten als der „goldene Standard“ in der Diagnostik dieser Störungen. Bei ihrer Anwendung muss der Untersucher neben dem strukturierten Fragen die einzelnen Fragen auch nach seinem klinischen Urteil bewerten. Da während des strukturierten Interviews detailliert das traumatische Ereignis und die nachfolgende Symptomatik exploriert werden, können die psychophysiologischen Reaktionen bei Schilderung der Erlebnisse beobachtbar werden. Damit kann ein strukturiertes Interview wie die CAPS die von Fabra (2006) erhobenen o. g. Forderungen begünstigen. Selbstbeurteilungsskalen bilden lediglich die subjektive Wirklichkeit und das Verständnis des Probanden von den jeweiligen Fragen ab (7 Kap.  8). Sie sind damit Abbilder von Beschwerden, aber noch keine objektiven Befunde und für eine gutachterliche Diagnosestellung alleine untauglich. Da z. B. Intrusionen häufig missverstanden werden, können die Selbstbeurteilungsinstrumente bei einer Begutachtung lediglich als Screening eingesetzt werden. Patienten mit PTBS klagen häufig über Probleme von Gedächtnis, Konzentration und Leistungsfähigkeit. Zur Objektivierung der Leistungsfähigkeit wird häufig der Aufmerksamkeitsbelastungstest d2 (Brickenkamp 2002) eingesetzt, bei dem der Patient über einen längeren Zeitraum Aufgaben lösen muss. Bei diesen Tests ist die Mitarbeit des Patienten notwendig, und es sind mögliche tendenziöse Verhaltensweisen zu berücksichtigen. Krahl (2012) beschreibt in seinem Beitrag über „psychologische Verfahren im Rahmen von Begutachtungen“ eine Reihe der häufig verwendeten neuropsychologische Verfahren für unter 

Ein verzögerter Beginn der PTBS, im DSM-5 als mindestens 6  Monate nach dem Trauma definiert, ist oft Gegenstand kontroverser Diskussion. Die häufig dafür geforderten sog. Brückensymptome können sich z.  B. als unspezifische, subsyndromale depressive oder Angstsymptome darstellen, aber auch als subsyndromale oder partielle PTBS. Selten sind keine Brückensymptome festzustellen. Die Häufigkeiten dieses noch sehr unzureichend untersuchten Subtyps schwanken je nach Studie erheblich. In zwei Metaanalysen (Smid et  al. 2009; Utzon-Frank et  al. 2014) wurde die Quote verzögerter PTBS in den verschiedenen Studien mit durchschnittlich 25 % angegeben. 9.5.4  Psychometrie/Testdiagnostik

Dreßing und Gass (2004) weisen darauf hin, dass der verstärkte Einsatz einer standardisierten Persönlichkeitsdiagnostik hilfreich sei. Die Realität der Begutachtung zeigt jedoch ein anderes Bild: nur etwa 20 % der sozialmedizinischen Gutachten von niedergelassenen Psychiatern und Neurologen beziehen psychometrische Tests mit ein (Lehrl 2001). Dabei gibt es einige Vorteile: 55 Der Vergleich mit einer Normstichprobe. 55 Systematische Erfassung von Merkmalen (z. B. Symptomen). Dies unterstützt die Kohärenz von klinischer Diagnose und diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme. 55 Zahlenmaterial, überprüfbar, vergleichbar und wiederholbar. 55 Bessere Dokumentation, auch für Verlaufsuntersuchungen. 55 Höhere Vollständigkeit der Daten.

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U. Frommberger et al.

schiedliche Funktionen. Um tendenziöse Antworttendenzen oder mangelnde Mitarbeit zu erkennen, fordert Merten (2004) die Anwendung von Symptomvalidierungstests (SVT). Deren Aussagekraft ist jedoch sehr kritisch zu bewerten (Dreßing et  al. 2009; Dreßing und Foerster 2012). Zur Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen kann als Screeninginstrument der SCID-II Selbstbeurteilungsfragebogen dienen, der bei positivem Hinweis auf eine oder mehrere Persönlichkeitsstörungen durch das strukturierte klinische Interview des SCID-II ergänzt bzw. validiert werden kann. Ausschließlich testpsychologisch erhobene Persönlichkeitsstörungsdiagnosen zeigen eine geringe Reliabilität. Nur der Einsatz eines strukturierten Interviews sichert eine ausreichend reliable Diagnose und ist deshalb als State-of-the-Art anzusehen.

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zz Argumente gegen Psychometrie/Testdiagnostik

Fabra (2006) setzt sich mit dem gravierenden Problem der Objektivität einer PTBS-Dia­ gnose bei der Begutachtung auseinander, um letztlich einen „Vollbeweis“ zu erbringen. Er ist der Auffassung, ausschließlich der „in einem ausführlichen gutachtlichen Interview erhobene psychische Querschnittsbefund“ sei objektiv, in dem sich „einem tiefenpsychologischen Verstehenskonzept folgend, bei geeigneter Vorgehensweise des Untersuchers die einen Menschen in seinem täglichen Leben beeinträchtigenden Erlebens- und Verhaltensmuster unmittelbar abbilden“ lassen (Fabra 2006, S. 13). Demnach sei die alleinige Befragung des Probanden ungeeignet, und auch Fragebogen und strukturierte Interviews würden das Problem nicht lösen, da sie lediglich die subjektive Sicht des Probanden wiedergeben würden, ohne jedoch eine Objektivierung des Schadens i.  S. eines versicherungsrechtlich geforderten Vollbeweises zu erbringen. Notwendig für einen Vollbeweis sei die Objektivierung von Befunden, die von der bewussten, dem Willen unterworfenen Darstellung unabhängig sind. Strukturiertes Interview und psychopathologischer Querschnittsbefund sind jedoch kein

Widerspruch. Es stellt sich die außerdem die Frage, wie objektiv ein „tiefenpsychologisches Verstehenskonzept“ ist. Es ist sehr fraglich, ob es den Ansprüchen eines Vollbeweises genügen kann. Offen ist außerdem die Anwendbarkeit bei nicht tiefenpsychologisch ausgebildeten Gutachtern und dem Zeit- und Kostendruck. Kritisch und eher ablehnend sehen Stevens und Merten (2007) den Wert einer psychome­ trischen Evaluation bei psychischen Traumafolgestörungen. Diese Sichtweise ist jedoch unter Traumaexperten sehr umstritten. Beim Fehlen sicherer objektiver Parameter für den Nachweis einer PTBS, z.  B. eindeutiger psychophysiologischer Untersuchungsmethoden, kann die psychometrische Evaluation die klinische Diagnostik unterstützen, sofern man nicht den Fehler macht, sich unkritisch allein auf testdiagnostische Befunde zu verlassen. Abwägend beschreibt Denis Nutzen und Problematik einer standardisierten Diagnostik im aufenthaltsrechtlichen Verfahren (2004) und im sozialen Entschädigungsrecht sowie in der gesetzlichen Unfallversicherung (Denis et al. 2014). Weitere aktuelle Diskussion vgl. AWMF (2012). 9.6  Begutachtung von

Asylbewerbern und nach politischer Haft

Die Begutachtung von Migranten nach dem Aufenthaltsrecht wird sehr kontrovers diskutiert. Behörden erkennen ärztliche Gutachten bzw. gutachterliche Stellungnahmen nicht an und unterstellen den Gutachtern, dass sie Betroffene vor einer Abschiebung schützen möchten. Die Kenntnis von Sachbearbeitern über Traumatisierungen scheint oft sehr begrenzt bzw. unzureichend zu sein. Allerdings haben Gutachter mit zu kurzen, nicht nachvollziehbaren Stellungnahmen das Misstrauen der Behörden gefördert. Daher wurden Standards für die Begutachtung traumatisierter Migranten und Flüchtlinge entwickelt und institutionell abgestimmt. Ärztekammern veranstalten Cur-

177 Begutachtung

ricula, um einen Standard zu etablieren. Neben den speziellen psychiatrisch-psychotraumatologischen Kenntnissen ist eine Kenntnis der Lage im jeweiligen (Krisen-)Gebiet erforderlich, aus dem die Betroffenen geflohen sind. Von der Politik ist zu beantworten, ob und unter welchen Bedingungen ein Aufenthaltsrecht für Traumatisierte in Deutschland zu gewähren ist. In aufenthaltsrechtlichen Verfahren geht es zum einen darum, ob psychische und/oder physische Gesundheitsstörungen vorliegen, die das Asylbegehren unterstützen. Zum anderen muss die Frage beurteilt werden, ob sich psychische Traumafolgen bei einer Rückführung in das Herkunftsland tiefgreifend verschlechtern und lebensbedrohliche Ausmaße (z.  B. Suizidalität) annehmen können. ­Lebensbedrohliche Folgen kann auch eine Abschiebung in ein Land bedeuten, in dem der Betroffene keine Sicherheit erwarten kann und in dem weiter gefoltert wird, auch wenn dies von interessierten Institutionen aus politischen Gründen in Frage gestellt wird. Bei der Frage nach einer erfolgreichen Psychotherapie und danach zu erwartender Abschiebung werden Grundbedingungen psychotherapeutischer Ar­ beit wie Vertrauen und Offenheit infrage gestellt. In einer solchen Konstellation sind die Erfolgsaussichten einer Therapie als nur gering anzusehen. Wenn ein Trauma i.  S. des A-Kriteriums der PTBS (DSM-Definition) geltend gemacht wird, so muss es auch nachgewiesen werden. Dies ist in Asylverfahren oft schwierig und strittig. Den Nachweis des behaupteten Traumas muss das Gericht führen. Nach Leonhardt und Foerster (2003) sei der objektive Ereignisaspekt nicht Gegenstand der gutachtlichen Untersuchung. Mit psychiatrisch-­ psychotherapeutischen Mitteln könne nicht sicher erschlossen werden, ob tatsächlich in der Vorgeschichte ein Ereignis vorlag und wie dieses geartet war. Die Diagnose einer PTBS kann daher vom Gutachter nur unter der Prämisse gestellt werden, dass das traumatische Ereignis vom Gericht auch als nachgewiesen bzw. wahrscheinlich beurteilt wird (Ebert und Kindt

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2004). Der Gutachter kann aber dazu Stellung nehmen, ob die Symptomatik typisch für eine PTBS ist. Der Frage, ob psychische Folter das Eingangskriterium einer PTBS erfüllt, gehen Ebbinghaus et al. (2016a) nach. Dies gilt auch für geltend gemachte fehlende oder falsche Erinnerungen. Erinnerungslücken für nicht unmittelbar mit dem Trauma in Verbindung stehende Ereignisse sind untypisch für eine PTBS. Jedoch können übergenaue Erinnerungen und unscharfe oder fehlende Details nebeneinander bestehen. Der Gutachter sollte die Schilderungen des Asylbewerbers nach allgemeinen Kriterien wie Detailreichtum, Individualität, Verflechtung mit objektiven Umständen, Konstanz, Strukturgleichheit bewerten. Vom Asylbewerber wird eine solche Darstellung seiner Verfolgungsgeschichte nach diesen allgemeinen Kriterien erwartet. Auch Fragen nach Raum, Ort und Zeit der Haft, Details der Haftzeit bzw. der eigentlichen Folter sowie weitere Angaben zur Vor- und Nachgeschichte sollte der Asylbewerber beantworten können (Ebert und Kindt 2004). Hierzu aber sind Asylbewerber mit PTBS störungsbedingt teilweise nicht in der Lage (Birck 2002; Haenel 2004). Psychopathologisch ist wesentlich, die für eine PTBS-Diagnose erforderlichen ungewollten, eindringlichen (intrusiven) und angstvoll erlebten Wiedererinnerungen an das Trauma zu explorieren. Diese Intrusionen oder gar Flashbacks können gerade auch in Ruhe auftreten, nicht nur unter Belastung. Hinweisreize, die an die Traumatisierung erinnern, können eine erhebliche psychophysiologische Symptomatik auslösen. Tritt eine intensive psychophysiologische Symptomatik während der Begutachtung auf, ist dies als deutlicher Hinweis auf das Vorliegen einer Traumatisierung zu werten und zu beschreiben. Diese Erinnerungen sind zu unterscheiden von der Furcht verfolgt zu werden (hier oder im Heimatland) oder sich aufdrängenden Vorstellungen, wie eine (erneute) Verfolgung aussehen könnte. Die letzteren entsprechen keiner PTBS.  Die Herausarbeitung der Inhalte der Ängste und

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U. Frommberger et al.

ihre diagnostische Zuordnung sind somit Teil der gutachterlichen Bewertung. Der Gutachter muss auch dem Gericht gegenüber transparent vergegenwärtigen, dass es für ihn keine sicheren Beweise gibt, sondern dass es sich um Indizien und Hinweise handelt, aus denen er seine Schlussfolgerungen zieht. Es muss weiterhin berücksichtigt werden, dass neben einer PTBS andere Erklärungen für das Beschwerdebild, d.  h. andere psychische Erkrankungen, möglich sind, z. B. Depressionen, Angststörungen oder Psychosen sowie hirnorganische Psychosyndrome. Für die Prognose ist zu beschreiben, dass auch nach einer erfolgreichen Therapie ein erhöhtes Rezidivrisiko besteht. Allein Auslösereize und die Umgebung der früheren Traumatisierung nach einer Abschiebung können angstauslösend wirken, unabhängig vom aktuellen Fortbestehen des Vollbildes einer PTBS. >> Die Abschätzung des Suizidrisikos ist sehr schwierig, da ein Gutachter nicht wirklich wissen kann, ob die Suizidandrohung bei einer Abschiebung lediglich eine Drohung ist oder ein fester Entschluss, der auch in die Tat umgesetzt wird. Auf jeden Fall ist eine Suiziddrohung ein ernst zu nehmender Risikofaktor, insbesondere wenn gleichzeitig eine psychische Störung vorliegt, die die freie Willensbildung gravierend einschränken kann (z. B. eine schwere Depression).

Da der Rahmen dieses Beitrages begrenzt ist, sei auf das Buch von Haenel und Wenk-­Ansohn (2005) verwiesen, das bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren u.  a. zu Gedächtnisstörungen, Einsatz von Dolmetschern, frauenspezifischen Fragen, Übertragung und Gegenübertragung sowie Standards der Begutachtung Stellung nimmt. Ein Themenheft der Zeitschrift Trauma & Gewalt behandelt vertiefend die Beziehungen von PTBS und Sozialem Entschädigungsrecht (Ebbinghaus et al. 2016b), die PTBS als Berufskrankheit (Flatten et al. 2016), die gutachterliche Exploration und ihre Hindernisse (Haenel et al. 2016) sowie psychische Folter als Eingangskriterium einer PTBS (Ebbinghaus et al. 2016a).

9.7  Anhang: GdS-(früher: MdE-)

Bewertungskriterien und Tabellen

9.7.1  Grundlagen und

Bewertungskriterien

9.7.1.1

Grundbegriffe

Schädigungsfolge Als Schädigungsfolge wird im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die mit einer nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigenden Schädigung in ursächlichem Zusammenhang steht. Die Auswirkungen der Schädigungsfolge werden mit dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bemessen. Zu den Schädigungsfolgen gehören auch Abweichungen vom Gesundheitszustand, die keine MdE bedingen (z. B. funktionell bedeutungslose Narben, Verlust von Zähnen) (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008, S. 20).

MdE, GdB MdE und GdB werden nach gleichen Grundsätzen bemessen. Beide Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass die MdE kausal (nur auf die Schädigungsfolgen) und die GdB final (auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache) bezogen sind. Beide Begriffe haben die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zu Inhalt. MdE und GdB sind ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008, S. 20).

179 Begutachtung

GdB und MdE setzen stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008, S. 21). Nach Foerster et  al. (2007) geben die MdE-­ Werte für organische Gesundheitsschäden Anhaltspunkte für die MdE-Einschätzung von psychischen Störungen mit wesentlichen k­ örperlichen Auswirkungen. Da bei den körperlich-­organischen Unfallfolgen auch die „üblichen“ (Anhaltspunkte; ebd., S.  23) psychischen Reaktionen miterfasst sind, sind nur die das übliche Maß erheblich übersteigenden Störungen eigenständig zu bewerten. Von Vorgaben und Empfehlungen kann im Einzelfall abgewichen werden. Dies ist aber eingehend zu begründen. Eine PTBS gehört nicht zu den „üblichen“ psychischen Reaktionen, sondern tritt nur in der Minderheit der Fälle auf. 9.7.1.2

Kausalitätsbeurteilung in den „Anhaltspunkten“ des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (2008)

„Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach langdauernden psychischen Belastungen (z. B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurzdauernden Belastungen (z.  B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren“ (S.  205). Es ist nicht nur das Ereignis selbst zu bewerten, sondern auch, wie sich die Belastungen bei dem Betroffenen „nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben“ (S. 205). Eine MdE ist nicht abstrakt für eine Störung, sondern für den konkreten Patienten zu ermitteln. 9.7.1.3

 aßstäbe für die M MdE-­Grade

Foerster et  al. (2007): Die Höhe der MdE bestimmt sich generell nach dem (individuell) verbliebenen Leistungsvermögen im Erwerbsleben.

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In der gesetzlichen Unfallversicherung besteht nach Schönberger et al. (2009) ein strenger Bezug auf Beeinträchtigungen im Erwerbsleben. Für die Höhe der MdE seien nicht der erhobene Befund oder die Diagnose maßgebend, sondern der Umfang der durch psychopathologische Symptome bedingten, konkreten Beeinträchtigung des Leistungsvermögens. Zur Vertiefung der Problematik siehe auch Schmidt (2018) und Stevens und Grüner (2017). >> Der Gutachter muss berücksichtigen, dass Krankheit und Diagnose noch keine Leistungsbeeinträchtigung an sich bedeuten.

9.7.2  MdE-(GdS-)Tabellen

Die Problematik der MdE-Einschätzung bei psychischen Störungen fassen Foerster et  al. (2007, S. 52) so zusammen:

»» … anders als in vielen somatischen Fä-

chern haben sich bislang für die psychischen Störungen keine differenzierten, allgemein anerkannten Erfahrungswerte bzw. Anhaltspunkte zur MdE-Beurteilung entwickelt.

Auf die Anhaltspunkte bei Unfällen zurückzugreifen, sei weder normativ noch sachlich korrekt. Für die Unfallbegutachtung legten Mehrhoff et al. (2005) einen ersten Vorschlag vor, der sich aus Erfahrungswerten erfahrener Gutachter zusammensetzte. Foerster et  al. (2007) formulierten „Vorschläge zur MdE-­ Einschätzung bei psychoreaktiven Störungen in der gesetzlichen Unfallversicherung“ aus einer interdisziplinären Arbeitsgruppe auf Anregung der Berufsgenossenschaften. Die folgenden Tabellen geben zumeist lediglich die MdE-Sätze für Belastungsstörungen/PTBS wieder. Auf weitergehende Darstellungen, z. B. von MdE-Sätzen von Angststörungen, Depressionen, somatoformen (Schmerz-)Störungen, Persönlichkeitsstörungen, dissoziativen Störungen wurde hier weitgehend verzichtet, und es wird auf die im Literaturverzeichnis erwähnte Originalliteratur verwiesen.

180

U. Frommberger et al.

Bei den Tabellen ist der unterschiedliche Bezugsrahmen zu berücksichtigen, d. h. 55 soziales Entschädigungsrecht, 55 gesetzliche Unfallversicherung, 55 Beamtenrecht. 9.7.2.1

Aus den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“

In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008) findet sich eine Auflistung psychiatrischer Krankheitsbilder, denen die entsprechenden MdE-/GdB-Grade zugeordnet sind (. Tab. 9.1). Es wird eine unterschiedliche Dauer unterschieden:  

9

..      Tab. 9.1  MdE-/GdB-Grad psychiatrischer Diagnosen (2008). (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008) Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumata

MdE-/ GdB-­ Grad

Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen

0–20

Stärker behindernde Störungen (mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen)

30–40

55 kurzfristig: bis zu ca. 2 Jahren, z. B. bei PTBS; 55 längerfristig: Chronifizierung mit „Persönlichkeitsänderung (früher: „erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel“) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung … Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus“ (ebd., S. 205). Bei chronisch verlaufenden Störungen sollte geprüft werden, „ob die Schädigungsfaktoren fortwirken oder schädigungsunabhängige Faktoren für die Chronifizierung verantwortlich sind (‚Verschiebung der Wesensgrundlage‘)“ (ebd., S.  205). Diese Verschiebung der Wesensgrundlage wird in den Anhaltspunkten definiert als „bei gleich bleibendem Erscheinungsbild kann eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse vorliegen, wenn sich die schädigungsbedingte Störung, die dem Erscheinungsbild zunächst zugrunde lag, gebessert oder ganz zurückgebildet hat, das Leidensbild jedoch aufgrund neuer Ursachen bestehen geblieben ist“ (ebd., S. 46). Auch die Auswirkungen psychischer Traumata im Kindesalter werden als Traumata anerkannt. Abzugrenzen sind „Wunsch- und Zweckreaktionen“ als „… selbstständige, auf der Persönlichkeit beruhende, tendenziöse seelische Äußerungen“. Sie „sind nicht Schädigungsfolge“ (ebd., S. 205). 9.7.2.2

Schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit)

 nhaltswerte für psychische A Gesundheitsschäden

Mehrhoff et  al. (2005) erstellten eine MdE-­ Tabelle (. Tab.  9.2) für psychische Gesundheitsschäden nach Unfällen. Sie orientierten sich an MdE-Sätzen, „von denen auch erfahrene Gutachter ausgehen“ (ebd., S. 258). Sie geben auch MdE-Tabellen für Phobien, Ängste, Depressionen, somatoforme Störungsbilder sowie Persönlichkeitsänderungen an.  

- mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten

50–70

- mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten

80–100

9

181 Begutachtung

..      Tab. 9.2  Psychische Gesundheitsschäden nach Unfällen. (Adapt. nach Mehrhoff et al. 2005) Belastungsstörungen mit emotionaler Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit

MdE [%]

In geringerem Ausmaß: allgemeiner Leidensdruck, auch mit leichteren vegetativen Beschwerden, ohne wesentliche soziale Anpassungsschwierigkeiten

bis 10

In stärkerem Ausmaß: insbesondere mit sozial-kommunikativer Beeinträchtigung

10–20

In erheblichem Ausmaß: insbesondere mit starker sozial-kommunikativer Beeinträchtigung, auch angstbestimmten Verhaltensweisen

20–30

In schwerem Ausmaß: insbesondere mit starker sozial-kommunikativer Beeinträchtigung, Angstzuständen und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten, Antriebsminderung, vegetativer Übererregtheit (u. U. auch mit körperlicher Symptomatik)

30–50

55 generalisierte Angststörung, 55 Angst- und depressive Störung gemischt, 55 Agoraphobie, 55 soziale Phobie, 55 spezifische Phobie, 55 dissoziative Störung. 9.7.4  Anhaltswerte für die MdE-

Beurteilung in der gesetzlichen Unfallversicherung

Schönberger et al. (2009) gaben Anhaltswerte für die MdE-Beurteilung in der gesetzlichen Unfallversicherung (. Tab.  9.4). „Wegen des strengen Bezugs auf Beeinträchtigungen im Erwerbsleben können die in den ‚Anhaltspunkten …‘ enthaltenen MdE-(GdB-)Sätze für Neurosen und abnorme Persönlichkeitsentwicklungen im Recht der ges. UV nicht angewendet werden“ (Schönberger et  al. 2009, S. 265).  

9.7.3  Vorschläge für die gesetzli-

che Unfallversicherung

Foerster et  al. (2007) unterbreiten Vorschläge für eine MdE-Bemessung in der gesetzlichen Unfallversicherung (. Tab. 9.3). Foerster et al. (2007) haben auch weitere Traumafolgestörungen in ihrer MdE eingeschätzt. Die MdE-Einschätzungen von folgenden Krankheitsbildern sind dort nachzulesen: 55 akute Belastungsstörungen, 55 Anpassungsstörungen, 55 depressive Episoden, 55 anhaltende affektive Störungen, 55 somatoforme Störungen, 55 somatoforme Schmerzstörung, 55 Panikstörung,  

..      Tab. 9.3  Vorschläge für eine MdE-­ Einteilung für die gesetzliche Unfallversicherung. (Adapt. nach Foerster et al. 2007) Für die PTBS

MdE [%]

Unvollständig ausgeprägtes Störungsbild (Teil- oder Restsymptomatik)

bis 20

Üblicherweise zu beobachtendes Störungsbild, geprägt durch starke emotional und durch Ängste bestimmte Verhaltensweisen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und gleichzeitig größere sozialkommunikative Beeinträchtigungen

bis 30

Schwerer Fall, gekennzeichnet durch massive Schlafstörungen mit Albträumen, häufige Erinnerungseinbrüche, Angstzustände, die auch tagsüber auftreten können, und ausgeprägtes Vermeidungsverhalten

bis 50

182

U. Frommberger et al.

..      Tab. 9.4  Anhaltswerte für die MdE-­ Beurteilung in der gesetzlichen Unfallversicherung. (Adapt. nach Schönberger et al. 2009)

9

MdE [%]

Symptome

0–10

Abnorme Persönlichkeitsentwicklungen, akute Belastungsreaktionen, Anpassungsbeeinträchtigungen, psychoreaktive Störungen mit finaler Ausrichtung (Sog.) leichtere neurotische Störungen (oft mit vegetativer Symptomatik verbunden, sog. psychovegetatives Syndrom)

20–40

Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. manche Phobien, pathologische Entwicklungsstörungen)

50–100

Schwere Störungen mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (z. B. nach schwerer Zwangskrankheit)

9.7.5  Empfehlungen zur

Diagnostik und sozialmedizinischen Bewertung von dienstlich verursachten Psychotraumata bei Polizeibeamten

In der Bad Pyrmonter Klassifikation von psychischen Traumafolgen erarbeiteten Meermann et  al. (2008) mit ca. 40  Polizeiärzten Anhaltspunkte für die sozialmedizinische Bewertung von dienstlich verursachten Psychotraumata, d.  h. Dienstunfällen, bei Polizeibeamten (. Tab. 9.5). Sie sollen eine Hilfestellung sein und zur Vereinheitlichung der gutachterlichen Einschätzung eines Grads der Schädigungsfolgen (GdS) bei einer PTBS dienen. Für die Beurteilung der Dienstfähigkeit sind die Gesetze des Bundes bzw. der Länder zu beachten. Die Theorie der wesentlichen Bedingung gilt für die Anerkennung als Dienstunfall.  

Die Autoren sind der Auffassung, dass, bis auf wenige Ausnahmen, wegen der grundsätzlich guten Prognose keine GdS-Einstufung auf Dauer vorzunehmen ist. Sollte eine zeitlich befristete Anerkennung einer GdS notwendig sein, sei wegen der Krankheitsverarbeitung eine Nachbegutachtung nach spätestens 1–2 Jahren dringend erforderlich. Zwei neue Vorschläge zu Bewertungstabellen liegen vor, die die Lücken und Inkonsistenzen der bisherigen Tabellen und Bewertungen zu überwinden versuchen. 9.7.6  Empfehlungen/Vorschläge

der AG Begutachtung der DeGPT für den GdS im Sozialen Entschädigungsrecht

Ebbinghaus et  al. (2016b) unterbreiten einen Vorschlag, der a) der Diagnostik, b) dem Ausmaß der Ausprägung des Störungsbildes sowie c) der Funktionseinschränkung Rechnung trägt. Darüber hinaus werden die sozialen Anpassungsschwierigkeiten sowie der Therapiebedarf und der bisherige Therapieverlauf berücksichtigt. 9.7.7  Vorschlag zur

diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen

Der Vorschlag von Philipp (2015) versucht, die Inkonsistenzen in der Einschätzung der MdE zu überwinden. Er ermittelt einheitlich und diagnoseunabhängig für alle relevanten unfallbedingten psychischen Störungen die MdE auf der Grundlage der 3  Dimensionen psychisch-emotional, sozial-kommunikative und körperlich-funktionell und von 5 Schwergraden (keine bis vollständige Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit).

Die uneingeschränkte Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst ist gegeben Möglicherweise eingeschränkte Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst

Die Erinnerung an das Ereignis/Trauma wird als belastend erlebt. Vereinzelte Albträume, die das Ereignis wiedererleben lassen, kommen nach dem Trauma vor. Die Entspannungsfähigkeit ist nicht eingeschränkt. Es besteht kein nennenswertes Vermeidungsverhalten. Es bestehen langfristig keine deutlichen Einschränkungen im Beruf, in Partnerschaft und Familie, im Sozial- und Vermeidungsverhalten.

Die Erinnerung an das Ereignis/Trauma taucht bei verschiedenen äußeren Anlässen (Triggerreizen) als Flashback auf, es kommt dabei auch zu einer kurzen Schreckreaktion. Regelmäßig mindestens einmal pro Woche kommt es zu traumabezogenen Albträumen. Es besteht eine dauerhafte übermäßige vegetative Anspannung. Es tritt eine stärkere Anspannung beim Aufsuchen des Ortes des Traumas und ein deutliches Vermeidungsverhalten auf. Weitere psychosomatische Symptome können vorkommen. In Partnerschaft, Familie, Sozialkontakten und im Freizeitbereich kommt es zu einer zeitweisen, für die Umgebung nicht einfühlbaren Gereiztheit und Schwierigkeiten, sich zu entspannen. Eine ambulante Richtlinienpsychotherapie ist/war indiziert.

Es kommt regelmäßig zu häufigen quälenden Erinnerungen an das Trauma bei äußeren Anlässen (Triggersituationen) oder auch Gedanken hieran, häufigen Flashbacks sowie häufigen Albträumen mit andauernden Schlafstörungen. Es findet sich fortgesetztes Grübeln über das Erlebte, u. U. auch mit quälenden Schuldgefühlen und/oder dem Erleben versagt zu haben. Zusätzlich finden sich depressive Symptome oder eine Angststörung. Es besteht ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten vor Orten/Situationen, die mit dem Trauma zu tun haben. Die Partnerschaft wurde durch die Traumafolgen sehr belastet, Trennungsgedanken stehen im Raum. Es besteht ein reduziertes Freizeitverhalten mit sozialem Rückzug. Teilweise werden z. B. aggressive Sportarten und/oder ausgedehnte sportliche Aktivitäten (oft alleine, wie z. B. Laufen) statt der sozialen Kontakte gesucht. Es ist/war primär eine stationäre Psychotherapie indiziert – u. U. nachdem eine ambulante Psychotherapie erfolglos versucht worden war.

Das gesamte Denken und Fühlen ist auf das Trauma und die Traumafolgen eingeengt. Bedingt wird diese Einengung durch häufige Flashbacks, wiederholte nächtliche Albträume mehrfach pro Woche mit Wiedererleben der traumatischen Situation sowie unüberwindliches Vermeidungsverhalten. Oft besteht eine erhebliche Angst, einem weiteren Trauma ausgesetzt zu sein, sowie ein hohes Kontrollbedürfnis mit ständiger Wachsamkeit. Entspannung und Schlaf gelingen kaum mehr. Der Tagesablauf kann durch starke Anspannung, süchtiges oder selbstschädigendes Verhalten und Versuche, zur Ruhe zu kommen, geprägt sein. Das Selbstbild wird bestimmt durch das Erleben, trotz eines zunehmenden zeitlichen Abstandes, ausschließlich ein Traumaopfer zu sein. Für die Umgebung entsteht der Eindruck emotionaler Abstumpfung und mangelnder Erreichbarkeit. Zwischenzeitlich können auch massive aggressive Ausbrüche auftreten, die sich für die Umgebung nicht einfühlen lassen. Der tiefere Kontakt zu anderen Menschen wird fast völlig gemieden. Die Stabilität von Partnerschaft und Familie steht nachhaltig infrage oder sie sind oft schon zerbrochen. Es besteht eine latente Suizidalität. Wiederholte (mindestens zwei) stationäre Psychotherapien, auch wegen komorbider Ängste, Depressionen oder zur Krisenintervention, können erforderlich geworden sein

0–20

30–40

50–70

80–100

Weder Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst noch Dienstfähigkeit i. Allg. Verwaltungsdienst sind gegeben

Die Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst ist im Allgemeinen nicht mehr gegeben

Kommentar

Symptome

GdS [%]

..      Tab. 9.5  Empfehlungen zur Diagnostik und sozialmedizinischen Bewertung von dienstlich verursachten Psychotraumata bei Polizeibeamten. (Adapt. nach Meermann et al. 2008)

Begutachtung 183

9

184

U. Frommberger et al.

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185 Begutachtung

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187

Therapie Inhaltsverzeichnis Kapitel 10

 sychologische Frühinterventionen – 189 P J. Bengel, K. Becker-Nehring und J. Hillebrecht

Kapitel 11 Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden – 217 A. Maercker Kapitel 12 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen – 229 L. Wittmann und M. J. Horowitz Kapitel 13 Kognitive Verhaltenstherapie – 249 T. Ehring Kapitel 14 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) – 275 O. Schubbe und A. Brink Kapitel 15 Niedrigschwellige und innovative Interventionen – 299 A. Maercker Kapitel 16 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/ Narrative Therapie – 311 I. Schäfer, J. Borowski und M. Cloitre Kapitel 17 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS – 331 M. Bohus und K. Priebe

II

188

Kapitel 18 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie – 349 D. E. Hinton Kapitel 19 Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen – 365 M. Bauer, S. Priebe und E. Severus Kapitel 20 Therapie der anhaltenden Trauerstörung – 379 R. Rosner und H. Comtesse Kapitel 21

Therapie der Anpassungsstörung – 393 H. Baumeister, R. Bachem und M. Domhardt

189

Psychologische Frühinterventionen J. Bengel, K. Becker-Nehring und J. Hillebrecht 10.1

Primäre Prävention – 191

10.1.1 10.1.2

 ontrolle der Exposition und strukturelle Prävention – 191 K Vorbereitung und Aus- und Fortbildung – 191

10.2

Schutz- und Risikofaktoren und Risikosymptome – 192

10.2.1 10.2.2

S chutz- und Risikofaktoren – 193 Akute Belastungsreaktion und akute Belastungsstörung – 194

10.3

Versorgung akut traumatisierter Menschen – 196

10.3.1 10.3.2

10.3.4 10.3.5

 sychosoziale Akuthilfen – 197 P Praktische und soziale Unterstützung sowie Mitversorgung von Bezugspersonen – 198 Screening, Monitoring und Indikationsstellung zu weiterführender Versorgung – 199 Psychoedukation – 199 Spezifische Frühinterventionen – 200

10.4

Psychosoziale Notfallversorgung – 205

10.5

Ausblick – 207

10.3.3

Literatur – 208

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_10

10

190

10

J. Bengel et al.

Das Erleben eines Notfalls, eines schweren Unfalls, akuter und lebensbedrohender medizinischer Erkrankungen, eines Missbrauchs, von Gewalt, von bedrohlichen Formen des Stalkings, einer Entführung oder Geiselnahme, eines Terroranschlags, eines Kriegsereignisses, von Folter oder einer Naturkatastrophe ist immer mit einer psychischen Belastung und einer Anpassungsreaktion verbunden. Dies kann auch Augenzeugen, Angehörige, Hinterbliebene, Helfer und Einsatzkräfte betreffen. Die auf ein solches Ereignis folgende Reaktion kann sich in einer akuten Belastungsreaktion (ICD-10) bzw. akuten Stressreaktion (ICD-11), einer akuten Belastungsstörung (DSM) und/ oder mittel- und langfristig in einer chronischen Belastungsstörung oder einer anderen psychischen Störung äußern. Früh einsetzende psychologische Versorgungsangebote sollen dazu beitragen, dass die mittel- und langfristigen psychischen Folgen traumatischer Ereignisse gemildert oder verhindert werden (Hobfoll et  al. 2007; North und Pfefferbaum 2013; Peterson et al. 1991; Tol et al. 2013). Die Terminologie für diese Interventionen ist uneinheitlich. Begriffe wie Frühintervention, notfallpsychologische Maßnahme, Notfallpsychotherapie, psychologische Nachsorge, psychologische Nachbereitung, psychosoziale Notfallversorgung, psychosoziale Unterstützung und psychische erste Hilfe werden verwendet. In der nationalen und internationalen Forschung wird von „early (psychological) interventions“ bzw. (psychologischen) Frühinterventionen gesprochen. In der Regel werden Maßnahmen in einem Zeitraum bis maximal 3 Monate nach dem Ereignis als Frühinterventionen bezeichnet. Psychologische Frühintervention Die ersten psychologischen Maßnahmen zur Betreuung und Versorgung von Menschen nach traumatischen Ereignissen werden als psychologische Frühintervention bezeichnet. Zur Abgrenzung gegenüber mittel- und langfristigen Maßnahmen bietet sich das Zeitkriterium bei der Diagnose der (akuten)

posttraumatischen Belastungsstörung an: Alle Maßnahmen, die innerhalb der ersten 3 Monate nach dem traumatischen Ereignis erfolgen, sind danach Frühinterventionen.

Die Häufigkeit von traumatischen Ereignissen und die Prävalenz von Traumafolgestörungen, aber auch die akuten psychosozialen Belastungen der Betroffenen begründen präventive und frühe Maßnahmen. Allerdings ist noch weitgehend offen, für welche Personen bzw. Personengruppen, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Qualität, Form und Intensität und durch wen interveniert werden soll. Für viele der vorliegenden Konzepte und vorgeschlagenen Maßnahmen liegen bisher keine empirisch fundierten Indikationskriterien vor, und sie sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht ausreichend evaluiert (7 Abschn.  10.4; Australian Centre for Posttraumatic Mental Health, ACPMH 2013; Agorastos et al. 2011; Dyregrov und Regel 2012; Flatten et  al. 2011; Hobfoll et  al. 2007; National Institute of Clinical Excellence, NICE 2005; International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, IFRC 2016). Auf der anderen Seite besteht hoher Handlungsdruck aufseiten der verantwortlichen staatlichen Einrichtungen und der Hilfsorganisationen, insbesondere bei Katastrophen und größeren Schadensereignissen. Nicht nur die Öffentlichkeit und die Medien sind für das Thema der frühen und unmittelbaren Versorgung der Opfer sensibilisiert, auch die Frage der Krankheitskosten und der Fürsorgepflicht für spezifische Personengruppen, wie z. B. Rettungs- und Einsatzkräfte, hat zu einer wachsenden Bedeutung von psychologischen Frühinterventionen geführt. Unterschieden werden können eine (primär-)präventive Perspektive und eine Perspektive der frühen Intervention nach einem traumatischen Ereignis. Unter der Annahme, dass das Auftreten kritischer Ereignisse nur bedingt beeinflusst werden kann, konzentrieren sich präventive Maßnahmen einerseits auf die Vorbereitung von Personen- bzw. Berufsgruppen  

191 Psychologische Frühinterventionen

mit einer besonderen Gefährdung bzw. erhöhten Wahrscheinlichkeit, traumatische Ereignisse zu erleben. Daher werden zunächst Aspekte der primären Prävention behandelt (7 Abschn.  10.1). Neben dem traumatischen Stressor sind Risikound Schutzfaktoren und frühe klinische Symptome von Bedeutung für den posttraumatischen Verlauf (7 Abschn.  10.2). Danach wird auf die eingesetzten und untersuchten psychologischen Frühinterventionen eingegangen; die Darstellung orientiert sich am Forschungsstand und den internationalen Leitlinien (7 Abschn. 10.3). Psychosoziale Notfallversorgung dient als Ober­ begriff für alle Maßnahmen, die unmittelbar nach kritischen Ereignissen durchgeführt werden und dokumentiert, dass die einzelnen Maßnahmen in einem Gesamtkonzept der Versorgung eingebettet und begründet werden; dies gilt insbesondere bei Großschadenslagen, aber auch im Rahmen der Krisenintervention nach Verkehrsunfällen und Gewalttaten (7 Abschn. 10.4).  







10.1  Primäre Prävention

Primäre Prävention umfasst Maßnahmen zur Kontrolle der Exposition, insbesondere auch durch strukturelle Vorgaben. Ferner zählen zur Prävention auch Maßnahmen zur psychologischen Vorbereitung auf mögliche traumatische Ereignisse und resilienzsteigernde Programme (Beerlage 2015; O’Brien 1998; Skeffington et al. 2013; Sorenson 2002). 10.1.1  Kontrolle der Exposition

und strukturelle Prävention

Maßnahmen, die zu einer geringeren Unfallgefahr im Verkehr und im Alltag insgesamt sowie zu einem Schutz vor Überfällen und Gewalterfahrungen beitragen, reduzieren die Wahrscheinlichkeit für traumatische Ereignisse (universale Prävention). Verbesserte Verkehrsführung und Fahrzeugsicherheit, Frühwarnsysteme für Naturkatastrophen und Programme zur Gewaltprävention, z. B. hinsichtlich sexuel-

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ler (Casey und Lindhorst 2009) oder schulbezogener Gewalt (Miller 2008), zählen zu den strukturellen Maßnahmen. Die Kontrolle der Exposition bezieht sich auf Personengruppen, die von einer potenziell traumatisierenden Situation ferngehalten werden können (sekundäre Traumatisierung); dies betrifft in erster Linie Zuschauer von Unfällen oder größeren Schadenslagen (Fiedler et al. 2004). Eine Information der Bevölkerung im Sinne einer präventiven Psychoedukation über Belastungsfolgen bei traumatischen Ereignissen – z. B. Unfällen, größeren Schadenslagen, aber auch bei der Mitteilung schwerwiegender Krankheitsdiagnosen  – kann dazu beitragen, dass Symptome besser verstanden und eingeordnet werden (7 Abschn.  10.3.4). Eine Aufklärung und Vorbereitung der Bevölkerung kann durch die Medien mittels Informationsmaterial erfolgen. Zu beachten ist allerdings, dass Sensationsmeldungen in den Medien z. B. bei Terroranschlägen auch negative psychische Reaktionen auslösen können (ACPMH 2013). Alle präventiven Maßnahmen, die das Risiko von psychischen Störungen insgesamt verringern, tragen ferner auch dazu bei, die Wahrscheinlichkeit von Traumafolgestörungen und störungswertigen Belastungsfolgen zu verringern (u. a. Programme zur Steigerung der Resilienz und zur Stärkung von Schutzfaktoren, siehe Bengel und Lyssenko 2012).  

10.1.2  Vorbereitung und Aus-

und Fortbildung

Psychologische Maßnahmen zur Vorbereitung auf das Erleben belastender und traumatischer Situationen sind insbesondere für Berufsgruppen mit erhöhtem Risiko wie z.  B.  Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute, Rettungsassistenten oder Lokführer beschrieben (selektive Prävention). Zu den vorbereitenden Maßnahmen zählen: 55 (kognitive) Vorbereitung auf Einsätze und belastende Situationen, 55 Simulation von Gefahren- und Notfallsituationen,

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55 Psychoedukation mit und ohne Skillstraining, 55 Automatisierung von Handlungen und Abläufen, 55 Stressbewältigung und Stressimpfung. Bei vielen Hilfsorganisationen, der Feuerwehr, der Polizei und dem Militär gehören psychologische Module inzwischen zum Aus- und Fortbildungscurriculum (Cornum et al. 2011). Eine Einsatznachbereitung ist in vielen Organisationen national wie international inzwischen Standard (7 Abschn. 10.4). Ferner können auch allgemeine und unspezifische Maßnahmen wie z.  B. die Verbesserung der Arbeits- und Organisationsstrukturen, die Bereitstellung psychosozialer Ansprechpartner, die Schaffung eines guten Arbeitsklimas und eine Steigerung der Arbeitszufriedenheit sowie die Förderung einer fürsorglichen Haltung gegenüber der eigenen körperlichen und psychischen Gesundheit, v. a. durch adäquate Ernährung, Kontrolle des Alkoholkonsums und körperliche Fitness, die Bewältigung von traumatischen Erfahrungen unterstützen (Bengel und Heinrichs 2004; North et  al. 2002); Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe; BBK 2012). Zur selektiven Prävention kann auch die Personalauswahl und einsatzspezifische Auswahl nicht vulnerabler Personen gezählt werden. Danach sollten z.  B.  Einsatzkräfte oder Helfer mit Risikofaktoren für psychische Störungen nicht für potenziell belastende Einsätze eingeteilt werden. Ein Beispiel für Resilienzförderung im Bereich der primärpräventiven zielgruppenspezifischen Maßnahmen ist das „Trauma Resilience Training“ von Arnetz und Kollegen (Arnetz et al. 2009). Dieses Programm ist ein mehrwöchiges Imaginations- und Fertigkeitentraining zum Umgang mit traumatischen Situationen für Polizeianwärter. Wesentliche Elemente sind 55 das Erlernen von Entspannungstechniken, 55 angeleitete Imaginationen von traumatischen Ereignissen, 55 der Erwerb adaptiver Copingstrategien bei der Konfrontation mit diesen Ereignissen.  

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Ein vergleichbares Programm für Hochrisikogruppen wie Einsatzkräfte der Polizei, des Rettungsdienstes oder der Feuerwehr legen Wagner et al. (2001) vor. Wahrscheinlich sind Programme mit höherer Intensität und zeitlicher Dauer im Vorteil. Ein Mehrebenenprogramm zur Prävention von Einsatzfolgen und insbesondere von PTBS wurde von der US-amerikanischen Armee entwickelt („Comprehensive soldier fitness“, CFS; Bates et  al. 2010; Casey und Lindhorst 2009; Rees 2011). Die Grundkomponenten sehen eine Resilienzförderung auf der Ebene der Gesamtorganisation, der Befehlshaber einzelner Einheiten und der einzelnen Soldaten und Soldatinnen sowie zur „Familienresilienz“ und Stärkung sozialer Netzwerke vor (Cacioppo et al. 2011; Cornum et al. 2011; Gottman et al. 2011). Die Programmelemente sind vergleichbar mit denen, die in anderen großen Organisationen zur Resilienzsteigerung angeboten werden. Hourani et al. (2011) bemängeln, dass die Effekte des Programms bisher nicht aus unabhängiger Perspektive untersucht worden sind, geringere PTBS-Raten sind ebenfalls bisher nicht belegt (Quick 2011; Steenkamp et al. 2013); ethische Aspekte wie Verpflichtung zur Teilnahme und mögliche unerwünschte Nebeneffekte sind bisher noch wenig diskutiert. 10.2  Schutz- und Risikofaktoren

und Risikosymptome

Die Entwicklung einer PTBS und wahrscheinlich auch anderer Traumafolgestörungen beruht auf einer Interaktion zwischen dem Genotyp, früheren insbesondere belastenden Erfahrungen, der Art und der Intensität der traumatischen Erfahrung sowie der Reaktion der betroffenen Person und des Umfeldes auf das traumatische Ereignis. Auch wenn einige Schutz- und Risikofaktoren untersucht und diskutiert werden, ist insgesamt noch wenig bekannt, in welcher Weise die biologischen Faktoren, die Umweltfaktoren und die psychologischen Faktoren interagieren (Becker-­ Nehring et  al. 2012; Brewin et  al. 2000; Ozer

193 Psychologische Frühinterventionen

et  al. 2003; Trickey et  al. 2012). Schutzfaktoren können sehr wahrscheinlich eine erhöhte Vulnerabilität puffern (7 Abschn.  10.2.1). Eine akute Belastungsreaktion und insbesondere eine akute Belastungsstörung wurden häufig als Prädiktor für Traumafolgestörungen und als Indikation für eine Frühintervention bezeichnet, daher werden sie in einem eigenen Abschnitt besprochen (7 Abschn. 10.2.2).

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2000; Yehuda et  al. 2010). Gewalt- und Missbrauchserfahrungen im Kindesalter können u.  a. zu physiologischen und biochemischen Veränderungen führen (7 Kap.  6). Biomarker für eine erhöhte Vulnerabilität sind eine Dysfunktion der HPA-Achse, eine geringe GABA-­ Konzentration (γ-Aminobuttersäure) im ZNS und Veränderungen in bestimmten kortikalen und limbischen Gehirnregionen wie z.  B. ein verringertes Hippocampusvolumen (Schmidt et  al. 2015). Die Ansprechbarkeit auf präventive und therapeutische Maßnahmen hängt 10.2.1  Schutz- und Risikofaktoren von der genetischen und psychobiologischen Schutz- und Risikofaktoren werden zumeist in Ausstattung ab; die psychobiologische und prätraumatische, peritraumatische und post- genetische Forschung lässt erwarten, dass sie traumatische Faktoren unterschieden. Ent- künftig zumindest einen Teil der differenzielgegen früherer Annahmen zeigen prätrauma- len Vulnerabilität erklären wird können. Auch niedriger sozioökonomischer Status tische und biografische Aspekte weniger große Zusammenhänge mit der späteren Entwick- und niedrige Intelligenz stellen Risikofaktoren lung von Traumafolgestörungen als peri- und dar. Die prädiktive Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen dagegen ist bisher nur unzuv. a. als posttraumatische Einflüsse. Psychische Störungen in der Familie sind reichend untersucht; die vorliegenden Studien mit einem erhöhten Risiko für Traumafolge- lassen aufgrund methodischer Probleme keine störungen assoziiert. Dies legt eine geneti- eindeutigen Aussagen zu, ausgenommen Desche Vulnerabilität nahe (Boscarino et  al. pressivität als Indikator für generelle psychi2013; Klengel et al. 2013; Nievergelt et al. 2015; sche Belastung (Maercker und Bengel 2017). Bei den peritraumatischen Risikofaktoren Pitman et  al. 2012; van Zuiden et  al. 2012). Ferner werden Gene analysiert, die mit der sind erwartungsgemäß Art und Schwere des Furchtkonditionierung oder der Gedächtnis- Ereignisses bedeutsam, die subjektive Wahrbildung in Verbindung stehen (z.  B.  KIBRA; nehmung der Bedrohung ist entscheidend (BeWilker et  al. 2013). Für Frauen findet sich in cker-Nehring et al. 2012). Vor allem von Menvielen, wenn auch nicht allen Studien, ein hö- schenhand verursachte Gewalterfahrungen und heres Risiko für die Entwicklung einer Trau- die wahrgenommene Lebensbedrohung sind mafolgestörung. Es gibt Hinweise, dass Ge- von höherem Risiko. Eine starke emotionale schlechtsunterschiede in der neuroendokrinen Reaktion wie Angst, Hilflosigkeit, Entsetzen, Stressreaktion (Hypothalamus-Hypophysen-­ Schuld und Scham während des traumatischen Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse), Se- Ereignisses oder unmittelbar danach gilt als xualhormone) dafür verantwortlich sind. Für Risikofaktor. Die Frage nach der peritraumatidas Lebensalter zeigen sich keine konsisten- schen Dissoziation als Schutz- oder Risikofakten Befunde, was an einem kurvilinearen Zu- tor ist aufgrund konzeptioneller und methodisammenhang und dem Einfluss von Entwick- scher Fragen weiterhin offen. Van der Velden lungsphasen mit erhöhter Vulnerabilität liegen und Wittmann (2008) ­argumentieren in ihrer Metaanalyse, dass Dissoziation kein unabhängikönnte (7 Kap. 6). Traumatischer Stress wirkt auch auf die ger Risikofaktor ist und dass initiale psychische Psychobiologie und die Gene. Der Einfluss Probleme ein besserer Prädiktor für PTBS sind. Die posttraumatischen Faktoren lassen sich früher Traumatisierungen – erfahrungsabhängige Neuroplastizität  – auf das gesamte psy- nicht immer eindeutig von den peritraumatichobiologische System ist belegt (Heim et  al. schen Faktoren trennen. Eine akute Belastungs 







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störung (ABS), aber auch depressive und Angstsymptome sowie eine hohe generelle psychische Belastung sind prädiktiv für eine Traumafolgestörung (Bryant 2011; 7 Abschn.  10.2.2). Viele Betroffene entwickeln jedoch eine Traumafolgestörung, ohne vorher Symptome einer ABS gezeigt zu haben. Kognitive Faktoren wie z. B. Rumination, Gedankenunterdrückung und ver­ meidendes Coping scheinen ein Risikofaktor für spätere psychische Störungen zu sein (Ehring et al. 2008; Kleim et al. 2007; Littleton et al. 2007). Assoziiert sind die negative Bewertung des Ereignisses und seiner Folgen: Selbstvorwürfe, geringe Selbstwirksamkeitserwartung, wahrgenommene Verantwortung und depressive Symptome. Die Reaktion des Umfeldes spielt eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung der traumatischen Erfahrung: Schuldzuweisung, finanzielle Probleme und Schadenersatzforderungen, ­ Schwierigkeiten mit Ämtern und Behörden. Zum Beispiel sind für Geflüchtete die Qualität eines Flüchtlingslagers, Verzögerungen der Bearbeitung von Asylanträgen, Schwierigkeiten im Umgang mit Einwanderungsbehörden, illegaler Aufenthaltsstatus, Hindernisse für Beschäftigung, Diskriminierung sowie Einsamkeit und Langeweile von Bedeutung (sog. Postmigrationsstressoren) (7 Kap.  25). Sicherheit und Schutz sind für alle Traumaopfer in der posttraumatischen Phase zentral. Schutzfaktoren sind weniger gut untersucht (Bengel und Lyssenko 2012). Soziale Unterstützung wird als protektiver Faktor definiert, in manchen Studien gilt ihre Abwesenheit als Risikofaktor (7 Abschn.  10.3.2). Die größeren Effekte bei längerem zeitlichem Abstand vom traumatischen Ereignis sprechen dafür, dass soziale Unterstützung v.  a. vor der Aufrechterhaltung von Symptomen schützt, weniger vor der Entstehung akuter Symptomatik, oder dass die Effekte sozialer Unterstützung mit der Zeit kumulieren. Es wird angenommen, dass posttraumatische soziale Unterstützung das Vermeidungsverhalten beeinflusst und darüber Einfluss auf die Emotionsregulation nimmt; d.  h., durch soziale Unterstützung haben von traumatischen Ereignissen Betroffene mehr Kapazität,  

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sich traumabezogenen Emotionen auszusetzen und diese zu verarbeiten (vgl. Charuvastra und Cloitre 2008). Zudem gibt es Hinweise, dass ein hohes Ausmaß peritraumatischer sozialer Unterstützung den Effekt der unmittelbaren emotionalen Reaktion moderiert (Neria et al. 2010). Für Persönlichkeitsfaktoren wie Optimismus, Kohärenzsinn und Religiosität liegen Hinweise auf protektive Valenz vor, jedoch überwiegend aus korrelativen und nicht prospektiven Studien (Maercker und Bengel 2017). Die Übersicht zeigt, dass einige der Faktoren durch Frühinterventionen adressiert werden können (z.  B. soziale Unterstützung), andere wie genetische Dispositionen nicht. Auch sind manche Faktoren diagnostisch erfassbar, andere nicht, bzw. nicht im Kontext einer frühen Versorgung nach dem traumatischen Ereignis. Nachfolgend werden nun die akute Belastungsreaktion und die akute Belastungsstörung besprochen, die lange Zeit und in vielen Studien als zentrale Indikation für eine Frühintervention galten. 10.2.2  Akute Belastungsreaktion

und akute Belastungsstörung





Umgangssprachlich benutzte Bezeichnungen für die akute Reaktion auf eine besondere Belastungssituation sind psychischer Schockzustand oder Krisenzustand. Das Klassifikationssystem ICD vermeidet den Begriff „Störung“ und bezeichnet sie als „Akute Belastungsreaktion“ (ICD-10; ABR; F43.0 bzw. künftig im ICD-11 nicht mehr als Diagnose, sondern als „gesundheitsrelevanter Faktor“). Die Reaktion beginnt innerhalb weniger Minuten, wenn nicht sofort nach dem Ereignis, und klingt häufig innerhalb von Stunden oder Tagen ab. Meist sind bereits nach 1 bis 2 Tagen die Symptome nur noch gering vorhanden. Es liegt ein unmittelbarer und klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen einer ungewöhnlichen Belastung und dem Beginn der Symptome vor. Die ABR zeichnet sich durch ein gemischtes und auch wechselndes Bild von depressiven Symptomen, Angst,

195 Psychologische Frühinterventionen

Verzweiflung, Ärger, Rückzug und Hyperaktivität aus. Kein Symptom ist längere Zeit vorherrschend, die Symptome sind rasch rückläufig und klingen längstens innerhalb von wenigen Stunden ab, wenn eine Entfernung aus der belastenden Umgebung möglich ist (Bengel und Hubert 2010; Kröger 2013). Die Bezeichnung Reaktion soll darauf hinweisen, dass es sich (zunächst noch) um eine normale physiologische bzw. psychologische Reaktion auf das traumatische Ereignis handelt. Die Abgrenzung zwischen normaler (d. h. bei den meisten Betroffenen zu erwartender) Belastungsreaktion und einer Belastungsreaktion mit Störungswert ist schwierig. Die Diagnoseeinheit ABS („Acute Stress Disorder“, ASD) wurde 1994 in das amerikanische Klassifikationssystem psychischer Störungen aufgenommen; diese bezieht sich auf eine Dauer von 3 Tagen bis 1 Monat (Falkai et al. 2015). Akute Belastungsreaktion und akute Belastungsstörung

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sozialen Rückzugs und des Stupors relevant (s. Kriterien für die PTBS, 7 Kap.  2). Zusätzlich wird für die ABS gefordert, dass die Person während oder nach dem extrem belastenden Ereignis mindestens 3  dissoziative Symptome zeigt.  

Diagnostik der ABS Dissoziative Symptome, von denen mindestens 3 bei einer ABS auftreten müssen: 55 Subjektives Gefühl von emotionaler Taubheit, von Losgelöstsein oder Fehlen emotionaler Reaktionsfähigkeit 55 Beeinträchtigung der bewussten Wahrnehmung der Umwelt (z. B. „wie betäubt sein“) 55 Derealisationserleben 55 Depersonalisationserleben 55 Dissoziative Amnesie (z. B. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern)

55 Das Klassifikationssystem der Weltge-

sundheitsorganisation (ICD-10, künftig ICD-11) spricht von einer akuten Belastungsreaktion, die innerhalb weniger Minuten auftritt und bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. 55 Nach DSM-5 wird eine akute Belastungsstörung (308.3) diagnostiziert, wenn nach einer Dauer von mindestens 3 Tagen und höchstens einem Monat nach einem traumatischen Ereignis Symptome einer Belastungsstörung auftreten.

Für die Diagnose einer ABS sind neben dem Zeitkriterium das Kriterium des Stressors und die Symptome des Wiedererlebens, der Vermeidung, der Angst (z. B. Tachykardie, Schwitzen, Hitzewallungen) bzw. des erhöhten Arousals, der Benommenheit, der Traurigkeit, des Ärgers, der Hoffnungslosigkeit, der Hyperaktivität, des

Ausgeschlossen werden muss, dass die Symp­ tome auf die Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder auf einen medizinischen Krankheitsfaktor zurückgehen. Ebenso dürfen die Symptome nicht besser durch eine kurze psychotische Störung erklärt werden (DSM-5; APA 2013). Diagnostisch abzugrenzen sind neben der PTBS und der Anpassungsstörung kurzdauernde depressive Reaktionen, Panikstörungen, dissoziative Störungen und Zwangsstörungen. Die Einführung der Diagnose ABS war v. a. auch wegen der Assoziation zur PTBS klinisch sinnvoll; sie ermöglicht Betroffenen den Zugang zur Versorgung. Der positive Vorhersagewert der ABS-Diagnose (Anteil der Personen mit ABS, die später eine PTBS entwickeln) ist akzeptabel, die Sensitivität jedoch gering; d.  h., die Mehrheit der Personen, die später eine PTBS entwickeln, werden durch die ABRoder ABS-Diagnose nicht adäquat identifiziert (Bryant 2011). Einige Autoren argumentieren, dass prä-, peri- und posttraumatische Schutz-

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und Risikofaktoren besser geeignet sind, um Traumafolgestörungen vorherzusagen (BeckerNehring et al. 2012; Bryant et al. 2011). Die Diagnostik einer ABS kann über Anamnese und Exploration, Fragebogenverfahren und standardisierte klinische Interviews erfolgen. Es werden der psychische Befund, die äußere Sicherheit und die verfügbaren Ressourcen erhoben. Der Stanford Acute Stress Reaction Questionnaire (SASRQ; Cardeña et al. 2000), die Acute Stress Disorder Scale (ASDS; Bryant et al. 2000; dt. Helfricht et al. 2009) und das Acute Stress Disorder Interview (ASDI; Bryant et al. 1998a; dt. Übersetzung in Kröger et al. 2011) wurden speziell zur Erfassung der frühen Belastungsfolgen entwickelt. Das Essener Trauma Inventar (ETI; Tagay und Senf 2014) dient der Identifikation von ABS und PTBS.  Verschiedene Instrumente geben diagnostische Hinweise zum Vorliegen von PTBS-Symptomen gemäß DSM-III-R bzw. DSM-IV und wurden in verschiedenen Studien in den ersten Monaten nach traumatischen Ereignissen eingesetzt, erfassen allerdings keine dissoziativen Symptome (7 Kap.  8). Um kurz nach traumatischen Ereignissen andere als ABS- bzw. PTBS-Symptome zu erfassen, setzen einzelne Studien den Peritraumatic Emotions Questionnaire ein; dieser erfasst die 4  Subskalen Furcht, Hilflosigkeit, Schuld/Scham und Ärger (Ehring et al. 2006; Halligan et al. 2003). Bei Großschadenslagen ist aufgrund der hohen Zahl potenziell Betroffener eine umfassende und fachlich adäquate Diagnostik meist nicht zu realisieren. Zudem führt die Erfassung von Symptomen direkt nach dem Ereignis häufig zu vielen falsch positiven. Persistierende Symptome und Leidensdruck über Tage und v. a. Wochen nach der traumatischen Erfahrung sind hingegen Prädiktoren für eine andauernde Belastung und störungswertige Symptome (Gray und Litz 2005; NICE 2005). Die Leitlinien der International Society for Traumatic Stress Studies (ISTSS) weisen darauf hin, dass ein Screening nach traumatischen Ereignissen auch Risikofaktoren für Traumafolgestörungen umfassen sollte (Balaban 2008). Es existieren einige englischsprachige Instrumente, die gut untersuchte Schutz- und Risikofaktoren  

berücksichtigen, sehr ökonomisch sind und eine bessere Sensitivität als die ABS-Diagnose aufweisen. Die Posttraumatic Adjustment Scale (PAS; O’Donnell et al. 2008, 2012) wurde zur Vorhersage späterer PTBS (PAS-P) und Depression (PAS-D) bei verletzten Patienten entwickelt. Sie besteht aus 10  Items, wurde kreuzvalidiert und weist gute prädiktive Validität auf. Es existiert ein weiterer Screener für Verletzte, der noch ökonomischer ist, allerdings nicht kreuzvalidiert wurde (Richmond et al. 2011). Mit dem Freiburger Screeningfragebogen (FSQ; Angenendt et al. 2012; Stieglitz et al. 2002; s. auch Schneider et al. 2011), der für Unfallopfer entwickelt wurde, dem Kölner-Risiko-Index (KRI; Bering et  al. 2005; Dunker 2009), der für verschiedene Stichproben vorliegt, und dem Screeningfragebogen zu Risiko- und Schutzfaktoren nach traumatischen Ereignissen (S-RUST; Becker-Nehring 2014) existieren drei deutschsprachige Instrumente, die zur Risikoabschätzung nach traumatischen Ereignissen konzipiert wurden. Der aktuelle Forschungsstand lässt allerdings keine abschließende Beurteilung zu, inwiefern diese Instrumente zur validen und ökonomischen Vorhersage von Traumafolgestörungen geeignet sind. 10.3  Versorgung akut

traumatisierter Menschen

Die eingesetzten psychologischen Frühinterventionen weisen eine große Bandbreite auf, ihre Wirksamkeit ist empirisch noch nicht ­ausreichend und vollständig untersucht (siehe Agorastos et  al. 2011; Dyregrov und Regel 2012; Kröger 2013; Rosenberg 2011; Whybrow et  al. 2015). Zentrales Problem für eine Effektivitätsbewertung sind die methodischen Einschränkungen der meisten Studien. Randomisiert-kontrollierte Studien zur Wirksamkeitsprüfung von Frühinterventionen sind dringend erforderlich. Eine Nichtbehandlung bzw. Nichtversorgung traumatisierter Personen als Kontrollgruppe ist jedoch ethisch problematisch. Ferner sind die Studien aufgrund ihrer Heterogenität kaum zu vergleichen, da sie sich hinsichtlich Traumadefinition, Art und

197 Psychologische Frühinterventionen

Schwere des Traumas (z.  B.  Waldbrand, Erdbeben, Gewalterfahrung), zugrunde liegender Symptomatologie, Form der Intervention bzw. der Durchführungsbedingungen, Messzeitpunkte und Erfolgskriterien (meist PTBS-Dia­ gnose) unterscheiden. Häufig liegen keine Informationen zu vorbestehenden Belastungen und Risikofaktoren, zum zwischenzeitlichen Geschehen und zur Selektion in den Stichproben in Abhängigkeit vom Befragungszeitpunkt vor. Für jede psychologische Frühintervention ist dennoch eine begründete Indikationsstellung zu fordern, immer verbunden mit der Frage, ob negative Auswirkungen einer Maßnahme zu befürchten sind. Ein schwerwiegendes Ereignis stellt grundsätzlich eine Indikation für eine frühe psychologische Intervention dar. Jedoch darf nicht von einer direkten Proportionalität zwischen Ereignisschwere und Interventionsbedarf ausgegangen werden. Die aktuelle kognitive Verarbeitung, z. B. die Schwere der wahrgenommenen Bedrohung und eine Schuldzuschreibung auf die eigene Person, sowie die soziale Unterstützung sind besonders zu berücksichtigen. Die Orientierung allein am Vorliegen einer ABS ist wie oben gezeigt nicht möglich, da ihre Variabilität im zeitlichen Verlauf groß und ihr prädiktiver Wert umstritten ist. Viele Betroffene entwickeln in den ersten Tagen und Wochen Symptome einer Belastungsstörung, die sich jedoch häufig innerhalb der ersten Wochen zurückbilden. Mittel- und langfristige Traumafolgestörungen können auch ohne vorhergehende klinische Symptome auftreten (Bryant 2011). Den beschriebenen Schutz- und Risikofaktoren kommt große Bedeutung zu. 10.3.1  Psychosoziale Akuthilfen

Im Folgenden werden Interventionen für die ersten Tage und Wochen nach traumatischen Ereignissen beschrieben. Die allgemeinen Maßnahmen nach kritischen Ereignissen gehen auf die Prinzipien der Krisenintervention und der präventiven psychiatrischen Interventionen nach Caplan (1964) zurück und beruhen auf folgenden Zielen und Prinzipien:

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Ziele und Prinzipien der psychologischen Frühintervention bzw. Prävention von Belastungsfolgen 55 Schutz und Sicherheit geben und aktuelle Bedürfnisse befriedigen 55 Dosiert und annehmbar über die Ereignisse informieren und Möglichkeit zum Austausch anbieten 55 Dosiert über mögliche Belastungsfolgen und Bewältigungsstrategien informieren 55 Selbstwirksamkeit fördern 55 Soziales Netz aktivieren und Zugang zu professioneller Versorgung ermöglichen

Diese Prinzipien gehören zum Standard klinisch-psychologischer und psychiatrischer Ver­ sorgung. Es ist jedoch nicht belegt, dass mit diesen Maßnahmen das Auftreten von Traumafolgestörungen verhindert werden kann. Das Ziel dieser Maßnahmen ist, dem Betroffenen einen Perspektivenwechsel vom hilflosen Opfer zum aktiven Bewältiger zu vermitteln. Unmittelbare Maßnahmen nach traumatischen Ereignissen wurden schon vor über 50  Jahren als „psychological first aid“ bzw. psychische Erste Hilfe bezeichnet (Drayer et al. 1954) und seither überarbeitet (Australian Psychological Society 2011; Ruzek et  al. 2007; Young 2006). Auf der Basis von Interviews mit Einsatzkräften und Unfallopfern haben Lasogga und Gasch (2006, S. 103 ff.) Regeln für die sog. psychische erste Hilfe bei Unfallopfern vorgelegt (siehe auch Lasogga und Gasch 2011).

Basisregeln für Laienhelfer am Unfallort (nach Lasogga und Gasch 2006) 55 Sage, dass du da bist und dass etwas geschieht! 55 Schirme den Verletzten vor Zuschauern ab! 55 Suche vorsichtigen Körperkontakt! 55 Sprich und höre zu!

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Regeln für professionelle Helfer (u. a. Rettungspersonal) am Unfallort (nach Lasogga und Gasch 2006, S. 103 ff.)

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55 Vergegenwärtigen Sie sich auf der Fahrt zum Einsatzort, was Sie erwartet und in welcher Reihenfolge Sie die einzelnen Handlungen absolvieren wollen 55 Verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick 55 Sagen Sie dem Opfer, wer Sie sind und dass etwas zu seiner Hilfe geschieht 55 Suchen Sie vorsichtigen Körperkontakt 55 Geben Sie Informationen über die Art der Verletzungen sowie die eingeleiteten Maßnahmen 55 Kompetenz im fachlichen Bereich beruhigt 55 Stärken Sie die Selbstkompetenz des Patienten, indem Sie ihn zu einfachen Aufgaben mit heranziehen 55 Halten Sie das Gespräch mit dem Betroffenen aufrecht. Hören Sie „aktiv“ zu, wenn der Betroffene spricht 55 Sagen Sie dem Patienten, wenn Sie ihn verlassen müssen, und sorgen Sie für „psychischen Ersatz“ 55 Beachten Sie die Angehörigen 55 Schirmen Sie Verletzte vor Zuschauern ab 55 Belastende Erlebnisse des Helfers sollten durch Entspannungstechniken, Einzel- und Gruppengespräche aufgearbeitet werden

Diese Regeln sind aus der supportiven Psychotherapie abgeleitet. Wesentliche Merkmale sind die emotionale Präsenz, das Zulassen von Gefühlen und die Vermittlung von Sicherheit. Die Inanspruchnahme psychischer erster Hilfe soll freiwillig und an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst sein. Betroffene sollen insbesondere nicht gedrängt werden, direkt nach dem traumatischen Ereignis über emotionale Reak-

tionen zu sprechen (ACPMH 2013; Forbes et al. 2011; Gray und Litz 2005). Im Falle von personellen Engpässen sind vorrangig diejenigen Personen zu versorgen, die nicht in ein stabiles soziales Netz entlassen werden können. Eine Befragung von Helfern nach Hurrikanen (Allen et  al. 2010) ergab, dass die Helfer psychische Erste Hilfe (gemäß dem Psychological First Aid Field Operations Guide von Brymer et al. 2006) nicht als nachteilig für Betroffene, sondern als angemessene Intervention wahrnahmen. Die TENTS-Leitlinie (Bisson et  al. 2010b) spricht sich jedoch gegen den frühen Einsatz formaler Interventionen für alle Betroffenen nach Kata­ strophen aus und äußert auch Skepsis gegenüber psychischer Erster Hilfe. 10.3.2  Praktische und soziale

Unterstützung sowie Mitversorgung von Bezugspersonen

Wahrgenommene soziale und praktische Unterstützung ist generell gesundheitlich protektiv. Auch nach traumatischen Ereignissen erwies sich soziale Unterstützung in vielen Studien als bedeutsamer Schutzfaktor (Ozer et al. 2003) bzw. ihre Abwesenheit als Risikofaktor (Brewin et al. 2000; Trickey et al. 2012). Negative und positive soziale Reaktionen werden als distinkte Prozesse diskutiert, wobei v. a. das Fehlen von Unterstützung und negative Interaktionen wie Schuldvorwürfe einen Einfluss auf spätere Traumafolgestörungen haben (Becker-Nehring et  al. 2012; Glynn et  al. 2007). Zudem scheint die Wahrnehmung oder Erfahrung von sozialen Interaktionen als hilfreich oder nicht hilfreich (funktionale Unterstützung) bedeutsamer zu sein als die Größe und Komplexität des Netzwerkes (strukturelle Unterstützung) und die peri- und posttraumatische Unterstützung bedeutsamer als die prätraumatische (Hepp et al. 2008; O’Donnell et  al. 2010). Die Auswirkungen des traumatischen Ereignisses auf Angehörige müssen abgeklärt werden. Diese sollten mit Zustimmung der Betroffenen ebenfalls umfassende Infor-

199 Psychologische Frühinterventionen

mationen über übliche Reaktionen nach traumatischen Erfahrungen sowie über Symptome, Verlauf und Behandlung von Traumafolgestörungen erhalten (NICE 2005). 10.3.3  Screening, Monitoring und

Indikationsstellung zu weiterführender Versorgung

In der Akutphase nach traumatischen Ereignissen ist zunächst die Erfassung von Schutz- und Risikofaktoren, wie z.  B. peritraumatisches Erleben, posttraumatische Kognitionen oder unzureichende soziale Unterstützung Ziel eines Screenings, nicht die Erfassung von Symptomen einer Belastungsstörung. Dabei sollen die Betroffenen vor der Durchführung über Zweck und Ablauf informiert und nicht zur Teilnahme gedrängt werden (Gray und Litz 2005). Die Erfassung von Symptomen direkt nach dem Ereignis führt häufig zu falsch positiven und kann von Betroffenen als belastend oder zumindest unangebracht erlebt werden. Eine signifikante, nicht nachlassende Belastung über mehrere Wochen nach dem traumatischen Ereignis ist ein Prädiktor für andauernde Belastung bzw. Chronifizierung (Gray und Litz 2005). Bei leichten Symptomen in den ersten vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis wird „watchful waiting“ empfohlen, wobei ein Follow-up-Kontakt innerhalb eines Monats vereinbart werden sollte (NICE 2005). Monitoring, das nicht nur der Indikationsstellung dient, kann auch eine Symptomverbesserung erzielen (Foa et al. 2006). Im Rahmen eines Screenings oder Monitorings kann Bedarf für weiterführende Versorgung deutlich werden. Somit ist Screening nach Schutz- und Risikofaktoren oder Symptomen ein wesentlicher Bestandteil von Screen-and-treat- bzw. Screen-­ and-­ referAnsätzen (7 Abschn.  10.4). Zu berücksichtigen ist die vermeidende Haltung, mit der viele Betroffene einer Psychotherapie gegenüberstehen. Deshalb ist es wichtig, Betroffenen nachzugehen, die vorgesehene Termine versäumen (NICE 2005). Da eine ABS, insbesondere bei guter so 

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zialer Einbindung, häufig günstig verläuft, ist immer auch zu bedenken, dass eine zu intensive professionelle Versorgung auch negative Auswirkungen haben kann. Ein Cochrane-Review zeigt, dass posttraumatische Symptome durch psychologische Frühinterventionen mit mehreren Sitzungen für alle Betroffenen, d. h. ohne Begrenzung auf Risikopersonen, nicht gesenkt werden (Roberts et  al. 2009). Psychologische Interventionen mit mehreren Sitzungen, die sich an alle potenziell traumatisierten Personen richten, sollten nicht grundsätzlich vorgesehen werden. 10.3.4  Psychoedukation

Psychoedukation ist von anderen Interventionen nicht eindeutig abzugrenzen, da sie Bestandteil fast aller spezifischen Maßnahmen nach traumatischen Ereignissen ist. Einige Leitlinien empfehlen, Betroffene über die üblichen Reaktionen nach traumatischen Ereignissen zu informieren, u.  a. über typische posttraumatische Symptome, über Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten von PTBS und anderen Traumafolgestörungen sowie über mögliche Hilfsangebote und Anlaufstellen. Dabei können schriftliche psychoedukative Materialien hilfreich sein (Gray und Litz 2005; NICE 2005), die als Selbsthilfematerial an Betroffene ausgegeben werden können. Die Psychotherapeutenkammer Niedersachsen stellt zum Beispiel Materialien in verschiedenen Sprachen online zur Verfügung (7 http://www.­pknds.­de/ index.­php?id=139&L=0). Einige Studien sprechen allerdings gegen den Einsatz psychoedukativer Materialien. Obwohl verletzte Patienten Selbsthilfebroschüren als sinnvoll einschätzten, hatten diese keinen Einfluss auf PTBS-, Angstund depressive Symptome sowie die Lebensqualität (Ehlers et al. 2003; Resnick et al. 2007; Scholes et al. 2007) oder führten sogar im Vergleich zur Kontrollgruppe zu mehr depressiven Symptomen 6  Monate nach dem traumatischen Ereignis (Turpin et al. 2005). Die Empfehlung von Psychoedukation beruht weniger auf empirisch gesicherten Befunden als viel 

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mehr auf einer Reihe von Annahmen (Wessely et al. 2008): 55 Nach vorhergehender Information seien Symptome weniger beängstigend. 55 Darstellung der physiologischen bzw. psychologischen Reaktionen als normal vermittle ein Gefühl von Sicherheit. 55 Psychoedukation führe zum frühzeitigen Aufsuchen professioneller Hilfe. 55 Dysfunktionale Schemata bezüglich des traumatischen Ereignisses, der eigenen Person oder der Zukunft könnten durch Psychoedukation modifiziert werden.

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Wessely et al. (2008) vermuten, dass die in einigen Studien gefundene geringe oder sogar negative Wirkung von Psychoedukation durch eine Sensibilisierung der Betroffenen und durch die Entwicklung selbsterfüllender Prophezeiungen, die die normale Erholung stören, bedingt ist. Die ISTSS-Leitlinien (Litz und Bryant 2008) leiten aus diesen Befunden ab, dass ausreichend Evidenz vorliege, um Informationsbroschüren als Frühintervention nicht zu empfehlen. Informationsmaterial über PTBS, das auch entstigmatisierende Erwartungen zu Frühinterventionen sowie Informationen zu Hilfsangeboten umfasst, solle aber in Settings, in denen Kontakt mit Betroffenen möglich ist, verbreitet werden. Noch wenig empirisch untersucht ist die Frage nach differenziellen Effekten in Abhängigkeit vom Inhalt der Materialien (Beatty et al. 2010; Kenardy et  al. 2008). Ebenso steht die Bewertung von internetbasierten Interventionen noch aus (Cox et al. 2010; Freyth et al. 2010; Marsac et al. 2013; Ruggiero et al. 2006). 10.3.5  Spezifische

Frühinterventionen

Die beschriebenen allgemeinen und unterstützenden Maßnahmen werden von der Mehrheit der Autoren und Leitlinien befürwortet. Sie werden jedoch insbesondere beim Vorliegen von Symptomen und Risikofaktoren als nicht ausreichend eingeschätzt (Bryant et al. 1998b; Hobfoll et  al. 2007; Kilpatrick und Veronen

1983; Raphael und Wilson 2000). Im Folgenden werden drei spezifische Frühinterventionen vorgestellt und Formen des Debriefings sowie psychodynamische Ansätze erwähnt. 10.3.5.1  Kognitiv-­

verhaltenstherapeutische Frühintervention

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) wurde auch auf den Bereich der Prävention bzw. Frühintervention übertragen (Foa et  al. 1995; 7 Kap.  13). Kurzzeitinterventionen mit traumafokussierter KVT (TF-KVT) wurden zunächst für Personen nach Gewalterfahrungen bzw. Vergewaltigung (Foa et al. 1995) und für Personen mit ABS nach Verkehrsunfällen (Bryant et al. 1998b, 2003) entwickelt. Die Behandlung umfasst normalerweise 5 bis 10 Sitzungen mit den üblichen Behandlungskomponenten Psychoedukation, Exposition in sensu und meistens auch in vivo, kognitive Umstrukturierung und Angstbewältigung (zumeist Entspannungs- und Atemtechniken). Die Wirksamkeit der TF-KVT als Frühintervention ist v. a. für Personen nach Unfällen gut belegt, etwas weniger gut auch für Personen mit körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen. Für die genannten Patientengruppen muss die TF-KVT als die zurzeit wirksamste Frühintervention gelten. Foa et  al. (2005) gehen davon aus, dass sie auch bei anderen Stressoren und traumatischen Ereignissen wirksam ist. Es liegen randomisiert-­kontrollierte Studien von verschiedenen Forschergruppen (Bisson et al. 2004; Bryant et al. 1998b, 1999, 2003, 2005, 2008; Echeburúa et al. 1996; Ehlers et al. 2003; Foa et al. 2006; Johnson et al. 2011; Shalev et al. 2012; Sijbrandij et al. 2008) und drei Metaanalysen vor (Kliem und Kröger 2013; Kornør et  al. 2008; Roberts et  al. 2010). Die evaluierten Interventionen schwanken sowohl hinsichtlich ihres Umfangs, ca. 3–15 Stunden bzw. nur eine Sitzung bei Başoğlu et al. (2005), als auch in der Schwerpunktlegung auf Expositions- (z. B. Bisson et al. 2004) vs. kognitive Techniken (z. B. Ehlers et al. 2003) sowie hinsichtlich des zeitlichen Abstands zum traumatischen Ereignis. Eine höhere Sitzungsanzahl  

201 Psychologische Frühinterventionen

war mit einer Verbesserung der PTBS-Symptomratings assoziiert, was für einen Dosiseffekt spricht (Kliem und Kröger 2013). Es gibt metaanalytische Belege für die Wirksamkeit bei Personen mit ABS innerhalb des ersten Monats nach einem traumatischen Ereignis (z.  B.  Bryant et  al. 1999; Roberts et  al. 2009, 2010), bei Personen mit starken Symptomen nach einem Monat (z. B. Bisson et al. 2004) und bei Personen mit Symptomen 1–3 Monate nach dem Ereignis (z.  B.  Ehlers et  al. 2003). Größere Effekte wurden außerdem bei kurzen Follow-up-Zeiträumen erfasst  – die wenigen Studien mit längerem Follow-up sprechen dafür, dass die Überlegenheit der TF-­KVT gegenüber anderen Interventionen mit der Zeit nachlässt (Kornør et al. 2008; Roberts et al. 2010). Kliem und Kröger (2013) finden in ihrer Metaanalyse außerdem, dass Verkehrsunfallopfer  – im Vergleich zu Betroffenen anderer traumatischer Ereignisse – besonders von früh eingesetzter TFKVT profitieren, gemessen an der PTBS-Dia­ gnose zum ersten Katemnesezeitpunkt. Betroffenen anderer traumatischer Ereignisse empfehlen die Autoren modifizierte Expositionstechniken bzgl. Angst, Ekel und Scham. Diese Interventionen sollten außerdem von kognitiver Umstrukturierung begleitet werden. Die Kombination von TF-KVT mit Hypnose (in Form von hypnotherapeutischer Induktion vor der Exposition in sensu), führte zu schnellerer Verbesserung, hatte aber nach 6 Monaten keinen besseren Effekt als TF-KVT alleine (Bryant et al. 2005). Auch zusätzliches Angstmanagement verbesserte die Intervention nicht (Bryant et  al. 1999). Pilotstudien weisen darauf hin, dass Verhaltensaktivierung ein effektiver Behandlungsbaustein sein könnte (Acierno et  al. 2012; Wagner et  al. 2007). In einer Studie erwies sich kognitive Umstrukturierung als weniger effektiv als Exposition in sensu oder vivo (Bryant et al. 2008), eine andere Studie fand hingegen keinen signifikanten Unterschied (Shalev et al. 2012); Unterschiede in den Drop-out-Raten zeigten sich nicht. In einer Studie wurden Patienten im Durchschnitt rund 11–12 Stunden nach dem traumatischen Ereignis randomisiert zugewiesen.

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In der Kontrollgruppe erfolgte ein Assessment, in der Interventionsgruppe erhielten die Patienten 3 Sitzungen einer modifizierten prolongierten Exposition. Die Intervention enthielt imaginative Exposition der Traumaerinnerungen, Verarbeitung traumatischen Materials in sensu und in  vivo sowie imaginative Exposition als Hausaufgabe. Die Interventionsgruppe zeigte einen Monat und 3 Monate später signifikant geringere posttraumatische Stress- und depressive Reaktionen als Patienten der Kon­ trollgruppe (Rothbaum et al. 2012). Auch im Bereich der Präventionen werden zunehmend internetgestützte Interventionen erprobt, die zumeist auf kognitiv-­ verhaltenstherapeutischen Prinzipien beruhen (Amstadter et al. 2009; Sander et al. 2017). Für psychologische Frühinterventionen nach traumatischen Ereignissen ist die Datenlage bislang jedoch unzureichend. Das internetgestützte Trauma-TIPS-­Präventionsprogramm beinhaltet Psychoedukation, Stressmanagement, kognitive Umstrukturierung und Exposition; es setzt interaktive Elemente sowie visuelle und auditive Materialien ein (Sijbrandij et al. 2008). Eine Pilotstudie fand Hinweise auf die Akzeptanz des Programms durch die Probanden (Mouthaan et  al. 2011c). Eine randomisiert-kontrollierte Studie (Mouthaan et al. 2011a, b) spricht ebenfalls für die Durchführbarkeit der Intervention, findet aber eine sehr geringe Nutzung der optionalen Module durch die Betroffenen und keine Gruppenunterschiede hinsichtlich PTBS-­Symptomen, Lebensqualität und Kosten. In einer randomisierten Studie zu einem TF-­ KVT-basierten Programm ergaben sich keine Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppe (Mouthaan et al. 2013). In einer Subgruppenanalyse zeigte sich bei den Teilnehmern mit ausgeprägter Symptomatik eine Symp­tomreduktion; zwei Drittel der Teilnehmer in der Interventionsgruppe hatten sich gar nicht oder nur einmal eingeloggt. Für eine wissenschaftliche Evaluation der Effektivität ist eine Standardisierung auf 5–10 Sitzungen sicher günstig. Meist zeigt sich jedoch erst im Behandlungsverlauf, ob diese Stundenzahl ausreicht. Es ist anzunehmen,

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dass die Intervention zumindest am Schwe55 Phase 3 und 4: Prozessieren (Einregrad und am Verlauf der Symptomatik, an schätzung und Neuverarbeitung dem Ausmaß der Komorbidität und an den verschiedener Episoden des trauUmfeldbedingungen orientiert werden muss. matischen Ereignisses bzw. des anDie KVT findet ihre Begrenzung in der Erschließenden Zeitraums mit äußereichbarkeit bzw. Behandlungsbereitschaft der rer Stimulierung und Veränderung Betroffenen (Bisson et al. 2010a; Wagner et al. der Bedeutung des Ereignisses) 2007). Aufgrund der hohen Drop-out-Raten 55 Phase 5: Verankerung einer positiin bestehenden Studien empfehlen die ISTSS-­ ven Kognition Leitlinien, aktive Behandlungsbausteine zu 55 Phase 6: Körpertest (Test, ob Restvermeiden, bis Compliance und Motivation belastung auf körperlicher Ebene thematisiert wurden (Litz und Bryant 2008). besteht) Zudem ist weitere Forschung nötig, um TF-­ 55 Phase 7: Abschluss der Sitzung KVT für Betroffene akzeptabler zu machen. 55 Phase 8: Nachbefragung Verschiedene Autoren schlussfolgern u.  a. in Metaanalysen, dass TF-KVT als Frühintervention nur Risikopersonen empfohlen werden sollte, d. h., der routinemäßige Einsatz für Zur mittel- und längerfristigen Wirksamkeit als alle Personen wird empirisch nicht unterstützt Frühintervention liegen keine Studien mit adäquatem Design vor. Eine kleine randomisiert-­ (Litz und Bryant 2008; Roberts et al. 2010). kontrollierte Studie, die nach einem Erdbeben in Mexiko durchgeführt wurde, fand im An10.3.5.2  Eye Movement schluss an die Intervention einen größeren Desensitization Rückgang posttraumatischer Symptome nach and Reprocessing Eye Movement Desensitization and Reproces- einer Sitzung EMDR im Vergleich zu einer sing (EMDR; 7 Kap.  14) wird sowohl für die Wartekontrollgruppe – über die Stabilität dieBehandlung der PTBS als auch für die Früh- ses Effekts liegen allerdings keine Daten vor intervention nach traumatischen Ereignissen (Jarero et  al. 2011). In einer deutschen Studie empfohlen bzw. eingesetzt (Hofmann 2006; wurde EMDR verglichen mit der mehrdimenShapiro 2009). Es wird angenommen, dass die sionalen psychodynamischen Traumatherapie Erinnerung an ein kürzlich erlebtes Trauma (MPTT) und einer Kontrollbedingung (Grothe sich von der an ein länger zurückliegendes un- et al. 2003). Einzelne der angegebenen Befunde terscheidet, indem sie fragmentierter, desorga- sprechen für eine Wirksamkeit von MPTT und nisierter und weniger in ein kohärentes Narra- EMDR gegenüber der Kontrollgruppe. Eintiv integriert ist. Deshalb liegen für den Einsatz schränkend sind methodische Mängel anzuvon EMDR als Frühintervention verschiedene merken sowie ein für Frühinterventionen sehr Modifikationen vor, z. B. das Recent Traumatic weit gefasstes Zeitkriterium: Die traumatischen Erlebnisse der Probanden lagen bis zu 4 Monate Episode Protocol (Shapiro und Laub 2008). zurück. Das Zeitkriterium ist auch bei einer EMDR-­Studie nach den Terroranschlägen vom 11.  September 2001 problematisch: Die InterDie 8 Phasen des Recent Traumatic vention fand 2–48 Wochen nach dem Ereignis Episode Protocol (R-TEP; Shapiro und statt (Silver et al. 2005). Es wird allerdings auch Laub 2008) ein Symptomrückgang für eine Teilgruppe 55 Phase 1: Erfassung der Vorgevon 12  Betroffenen berichtet, die innerhalb schichte der ersten 10  Wochen behandelt wurde. Wei55 Phase 2: Stabilisierung und Vorbetere Fallberichte und unkontrollierte Studien reitung auf die Exposition berichten positive Resultate zu verschiedenen  

203 Psychologische Frühinterventionen

EMDR-Protokollen, nach verschiedenen traumatischen Ereignissen sowie im Einzel- und Gruppensetting (z.  B.  Fernandez et  al. 2004; Jarero und Artigas 2010; Kutz et al. 2008; Russell 2006; Wesson und Gould 2009). Inwieweit EMDR als Frühintervention geeignet und indiziert ist, lässt sich bei der derzeitigen Datenlage noch nicht beurteilen. 10.3.5.3  Psychopharmakologische

Intervention

Im Regelfall ist eine medikamentöse Behandlung nach traumatischen Ereignissen nicht notwendig (7 Kap. 19). Reviews (Amos et al. 2014; Morgan et al. 2003; Pitman und Delahanty 2005; Kearns et  al. 2012), und Leitlinien (ACPMH 2013; APA 2004; NICE 2005) dokumentieren keine Belege für eine Verhinderung von Traumafolgestörungen. Nur für Hydrocortison finden sich schwach positive Befunde (Amos et al. 2014; Delahanty et al. 2013; Schelling et al. 2001, 2004, 2006; Weis et al. 2006; Zohar et al. 2011), können aber derzeit keine Empfehlung für den klinischen Alltag sein; die Kontraindikationen schränken den Einsatz zusätzlich ein. Die für die Behandlung der PTBS zugelassenen SSRI Sertralin (USA) und Paroxetin (D, USA) sind weder bei der Prävention von Traumafolgestörungen noch bei der Behandlung der ABS systematisch untersucht. Andere SSRIs wie Escitalopram erwiesen sich als nicht wirksam in der Verhinderung einer PTBS im Vergleich zu Placebo (Shalev et al. 2012; Suliman et al. 2015). Katzman et  al. (2014) konstatieren, dass sich keine Substanz in kontrollierten Studien als wirksam hinsichtlich der Verhinderung posttraumatischer Folgestörungen erwiesen hat und zuverlässig eingesetzt werden kann. Außer bei akuter Suizidalität sollten Psychopharmaka nach traumatischen Ereignissen nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Eine psychopharmakologische Therapie orientiert sich an der Schwere der akuten posttraumatischen Symptomatik: Bei starken Angstsymptomen, Übererregbarkeit und Schlafstörungen können sedierende Antidepressiva eingesetzt werden. Benzodiazepine sind Mittel der ersten Wahl bei akuter Suizidalität und zunehmenden  

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Suizidgedanken, sollten jedoch nicht länger als eine Woche verabreicht werden (Flatten et al. 2011; Gelpin et al. 1996). Neuere Studien untersuchen die Prävention von Traumafolgestörungen durch eine pharmakologische Einflussnahme auf die Konsolidierung traumatischer Erinnerungen sowie auf initiale Furchtreaktionen bzw. Furchtkonditionierung. Die meisten Studien sind allerdings unkontrollierte Post-hoc-Analysen. Erste Hinweise liegen zur Schmerzmedikation vor: Sowohl bei verletzten Zivilisten (Bryant et al. 2009), Patienten eines niederländischen Traumazentrums (körperliche Verletzung) (Mouthaan et al. 2015), als auch bei Soldaten (Holbrook et al. 2010) wurden Zusammenhänge zwischen der Gabe bzw. Dosis von Opiaten und PTBS-Symptomen gefunden. Erste Hinweise gibt es auch für die präventive Wirkung eines Bronchospasmolytikums (Salbutamol), das in den ersten Stunden nach einem Verkehrsunfall verabreicht wurde (Kobayashi et al. 2011) sowie von Omega-­3-­Fettsäuren, die nach Verkehrsunfällen 12 Wochen lang gegeben wurden (Matsuoka et al. 2010). Die Befunde zu Betablockern (Propranolol) sind uneindeutig (McGhee et  al. 2009; Pitman et  al. 2002; Stein et  al. 2007; Vaiva et  al. 2003). Die Gabe eines Antikonvulsivums erwies sich ebenfalls nicht als effektiv (Stein et al. 2007). Bei psychopharmakologischen Interventionen ist es besonders wichtig, die Risiken einer frühen Behandlung zu bedenken. Das Ziel psychopharmakologischer Frühinterventionen ist die Prävention pathologischer ­ Reaktionen, nicht die Beseitigung normaler und zu erwartender psychischer Reaktionen. Psychopharmaka könnten auch der Erholung, die in den meisten Fällen nach traumatischen Ereignissen ohne professionelle Unterstützung erfolgt, entgegenstehen. So könnten Psychopharmaka, die das Arousal senken, die Integration traumabezogener Erinnerungen stören (Fletcher et al. 2010). Vor einer psychopharmakologischen Therapie müssen somatische Erkrankungen exploriert und bekannt sein. Eine körperliche Erkrankung schließt nicht notwendigerweise eine psychopharmakologische Medikation aus, jedoch müssen Wechselwirkungen zwischen

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J. Bengel et al.

Erkrankung und Medikation beachtet werden (Pajonk et al. 2006). 10.3.5.4  Weitere spezifische

Interventionen

zz Formen des Debriefings

Das psychologische Debriefing (im Folgenden als Debriefing bezeichnet) hat seinen Ursprung im militärischen Bereich. Soldaten im 1. und 2. Weltkrieg wurden psychologisch beraten, um ihre Gefechtsbereitschaft zu erhalten (7 Kap.  24). Die Teilnehmer werden zeitnah nach dem traumatischen Ereignis angeleitet, über ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen zu berichten (Dyregrov 1989; Mitchell und Everly 2001; Raphael 1986; Raphael und Wilson 2000; Rose et  al. 2006). Das Erinnern und Besprechen der emotionalen und kognitiven Reaktionen auf das traumatische Ereignis soll zur Entlastung und zur Erleichterung führen. Die Informationsvermittlung dient der kognitiven Reorganisation und Vermeidung von Fehlinterpretationen. Die akuten psychischen Belastungen der Betroffenen sollen im Verlauf des Debriefings diagnostiziert werden. Debrie­ fing ist in verschiedenen Formen beschrieben; das ursprünglich für Gruppen entwickelte Konzept wird auch im Einzelsetting angewendet. Akzeptanz und Zufriedenheit sind bei Teilnehmern häufig hoch. Die Zufriedenheit der Teilnehmer korreliert jedoch nicht zwangsläufig mit der Symptomatik und Maßen der psychischen Gesundheit. Einzelne Elemente des Debriefings (z.  B.  Psychoedukation, soziale Unterstützung, Weitervermittlung) sind Standardmaßnahmen (7 Abschn. 10.3.2, 10.3.3 und 10.3.4). Debriefings können nicht als Frühintervention für primär Betroffene empfohlen werden. Bisher konnten Studien und Metaanalysen keine Symptomreduktion bzw. kein vermindertes Risiko für eine Traumafolgestörung durch ein unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis durchgeführtes Debriefing nachweisen. Ein großer Teil der Studien und die Metaanalysen zeigen keinen eindeutig positiven Effekt bzw. keinen signifikanten Effekt für die Prävention von Traumafolgestörungen (z. B. Antony 2010; Paterson et al. 2015; Rose  

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et al. 2006; Tuckey und Scott 2014; Whitecross et al. 2013; Wu et al. 2012; Young 2012; Zehnder et al. 2010). Die Diskussion um die Effektivität von Debriefings dreht sich um Fragen des Zeitpunktes der Intervention, der Zielgruppe, der standardisierten Vorgehensweise, der nur einmaligen Intervention und der verwendeten Effektmaße (Deahl et  al. 2001; Devilly et  al. 2006; Gist und Woodall 2000; Litz et al. 2002). Diskutiert wird eine Unterscheidung förderlicher (Psychoedukation, Gruppenzusammenhalt) und potenziell schädlicher (Überschwemmung mit traumatischen Eindrücken, Aufschaukeln negativer Affekte) Aspekte des Debriefings (Brauchle et al. 2005). Debriefings werden als Nachbesprechung von Einsätzen in Rettungs- und Katastrophenschutzdiensten, den Feuerwehren, der Polizei und anderen Behörden mit Sicherheitsauftrag sowie der Bundeswehr eingesetzt (siehe Critical Incident Stress Debriefing [CISD; Mitchell 1983, 1998] sowie Critical Incident Stress Management [CISM; Everly und Mitchell 2000; Mitchell 1998; Mitchell und Everly 2001; dt. Hunt et  al. 2013; Müller-Lange 2005]). Dabei stehen je nach Organisationsform die Belastungen der Einsatzkräfte, aber auch einsatztaktische Fragen und der Abschluss des Einsatzes im Zentrum. Solche N ­ achbesprechungen sind auf jeden Fall sinnvoll und werden von den Einsatzkräften positiv bewertet. zz Psychodynamische Ansätze

Spezifische Frühinterventionen auf der Basis tiefenpsychologischer Therapie liegen kaum vor. Die psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT; Reddemann 2004; 7 Kap.  12) integriert Elemente aus der Psychoanalyse und aus der KVT sowie imaginative Verfahren und Prinzipien der Achtsamkeitsmeditation. Sie wurde v.  a. zur Behandlung von komplexer PTBS, dissoziativen Störungen und Persönlichkeitsstörungen entwickelt. Sie wird klinisch auch bei Personen mit ABS eingesetzt, hierzu liegen allerdings bislang keine kontrollierten Wirksamkeitsstudien vor. Mehrdimensionale psychodynamische Traumatherapie (MPTT; Fischer 2000) ist eine manualisierte Version der  

205 Psychologische Frühinterventionen

tiefenpsychologisch fundierten und analytischen Psychotherapie, die zur Behandlung nach traumatischen Ereignissen adaptiert wurde. Als Fokaltherapie fokussiert sie auf die individuelle Erfahrung einer traumatischen Situation und beinhaltet sowohl psychoedukative Anteile als auch Übungselemente; diese werden in psychodynamische Prinzipien der Beziehungsgestaltung und Therapieführung integriert. Auch für die MPTT liegen keine Studien mit adäquatem Design vor, die ihre Wirksamkeit als Frühintervention untersuchen. 10.4  Psychosoziale

Notfallversorgung

Der gegenwärtige Forschungsstand macht deutlich, dass für die Frage nach der geeigneten und praktikablen Frühintervention neben der differenziellen Indikation und der Wirksamkeit von Frühinterventionen auch die Art des Notfalls, die Rahmenbedingungen und die Zahl der Betroffenen berücksichtigt werden müssen. Eine psychologische Frühintervention sollte stets in ein Gesamtkonzept einer organisierten psychologischen Betreuung und Nachsorge eingebettet sein. Opfer „alltäglicher“ traumatischer Ereignisse, wie z.  B. Verkehrsunfälle, sollten bei Bedarf eine psychologische Frühintervention im System der Krisenintervention erhalten. Eine Großschadenslage dagegen erfordert ein komplexes und zentral gesteuertes Angebot für verschiedene Zielgruppen. In Deutschland wird hierfür häufig der Begriff „Psychosoziale Notfallversorgung“ (PSNV) verwendet, und es wurden Standards für die psychosoziale Versorgung von Notfallopfern, Angehörigen und Zeugen sowie Einsatzkräften nach schweren Unglücksfällen und Katastrophen formuliert (BBK 2012). Bei Großschadenslagen und Katastrophen mit einer größeren Anzahl von traumatisierten Personen sind der Aufbau und die Organisation der psychologischen Hilfeleistungen entscheidend. Qualitätssicherung und qualifizierte Ausbildung der Fachkräfte sind gerade in der Frühintervention und v. a.

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auch bei der psychosozialen Versorgung von primären und sekundären Opfern bei Großschadenslagen wichtig. Die Möglichkeit einer mittel- und langfristigen Weiterbetreuung hat dabei zentralen Stellenwert. Verschiedene Leitlinien (Bisson et al. 2010b; Flatten et al. 2011; NICE 2005) und eine Metaanalyse (Kliem und Kröger 2013) empfehlen insbesondere bei Großschadenslagen Stufenprogramme (Screen-and-treat-­Ansätze) zur Prävention von PTBS und weiteren Traumafolgestörungen. Im Rahmen von Stufenprogrammen wird zumeist TF-KVT als Intervention untersucht, z. T. wurden aber auch unspezifische Interventionen bzw. psychosoziale Akuthilfen (7 Abschn. 10.3.1) eingesetzt. Zunächst werden alle Betroffenen nach Schutz- und Risikofaktoren und/oder Symptomen gescreent. Für Personen mit erhöhtem Risiko folgen ausführliche Diagnostik und Indikationsstellung. Bei beeinträchtigten Personen folgt darauf das Angebot einer Frühintervention (screen-and-treat) oder die Überweisung an einen Therapeuten bzw. eine therapeutische Einrichtung (screen-andrefer). Studien, die verschiedene Stichproben ­untersuchten und unterschiedliche Symptomscreener überwiegend mit TF-KVT-basierten Interventionen kombinierten, sprechen für die Durchführbarkeit und Effektivität von Stufenprogrammen nach traumatischen Ereignissen (Berkowitz et al. 2011; Brewin et al. 2008, 2010; O’Donnell et al. 2012; Zatzick et al. 2004, 2011). Andere Studien mit unspezifischen Interventionen durch Krankenschwestern und Sozialarbeiter (Kassam-Adams et  al. 2011), Psychopharmaka (Nugent et al. 2010) bzw. eine Mitteilung an die Verwaltung der Unfallversicherung inkl. Empfehlungen zur weiteren Heilverfahrenssteuerung nach schweren Arbeitsunfällen fanden nur geringe oder keine Effekte (Angenendt et al. 2012). Bei Großschadenslagen ist eine Vor-Ort-­ Präsenz („On Scene Support Service“) von Psychologen und psychotraumatologisch geschulten Fachkräften indiziert (Bengel 2001, 2004; Helmerichs 2011; Jacobs 1995; Lueger-­Schuster et al. 2006). Die Fachkräfte müssen dabei ABS, Überforderungen, Erschöpfungszustände und  

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weitere Belastungsfolgen erkennen können. Eine zentrale und effektive Organisation umfasst die Abschirmung der Betroffenen, die Koordination der psychologischen Helfer, die Einbeziehung der sekundären Opfer wie Angehörige und Zeugen, die psychologische Betreuung der Einsatzkräfte sowie die Mitwirkung an der Informations- und Pressearbeit. Große Bedeutung besitzen die Feldkenntnis der Fachkräfte, die Einordnung in die Führungs- und Organisationsstruktur und die Akzeptanz bei den Betroffenen. Beim Angebot von Frühinterventionen muss die unterschiedliche Kompetenz von psychotraumatologisch geschulten Psychologen und Psychotherapeuten, psychologisch geschulten Nichtpsychologen und Helfern ohne psychologische Fortbildung berücksichtigt werden. Im Kontext der psychologischen Hilfeleistung und Versorgung bei Katastrophen und größeren Notfällen sind Dokumentationen entstanden, die – auch wenn in der Regel keine randomisierten Studien zur Effektivität von Frühinterventionen möglich waren  – die Erfahrungsbasis erweitern (z.  B.  Bengel 2001 zum ICE-Unglück in Eschede 1998; Helmerichs et al. 2002 zum Amoklauf in Erfurt 2002). Ein Beispiel für eine etablierte PSNV ist das Nationale Netzwerk Psychologischer Nothilfe (NNPN) in der Schweiz. Das NNPN ist eine Fachgruppe für psychologische Nothilfe, die die Koordination für Bundesorganisationen und Partner des Koordinierten Sanitätsdienstes (KSD) übernimmt. Die Maßnahmen richten sich an direkt Betroffene traumatischer Ereignisse sowie an Einsatzkräfte; Abläufe und die Ausbildung des Care Teams sind geregelt (NNPN 2013; 7 https://www.­notfallseelsorge.­ch/nnpn). Eine Differenzierung zwischen den Betroffenengruppen  – primäre Opfer, Zuschauer, Angehörige, Einsatzkräfte  – ist sinnvoll und notwendig. Bei Großschadenslagen sind gemeindepsychologische Maßnahmen wie Aufklärung über Belastungsfolgen z. B. über lokale oder nationale Medien, aufsuchende Beratung und die Aktivierung sozialer und kommunaler Ressourcen notwendig (7 Abschn.  10.3.5). Der Schutz vor Sekundärproblemen, wie z. B. der exzessiven Medienberichterstattung, kann  



ebenso wichtig sein wie die Durchführung der individuellen Maßnahmen. In der Versorgung von Geflüchteten (7 Kap. 25) stellen sich besondere Herausforderungen: Kommunikationsprobleme, kulturelle Normen, abweichende Krankheitskonzepte und -verläufe, Postmigrationsstressoren. Hier liegen verschiedene Materialien online vor (z.  B.  Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf [7 http://www.­wiki.­psz-­duesseldorf.­de/NAWA]; Psychotherapeutenkammer Niedersachsen [Psychosoziale Notfallversorgung, 7 https://www.­ pknds.­de/index.­php?id=139]). Die mehrsprachigen Materialien richten sich an unterschiedliche Altersgruppen und sowohl direkt an Betroffene wie auch an Helfer und das soziale Umfeld. Mehrsprachige Informationsvideos finden sich z. B. hier: 7 http://www.­drk-gesundheitsfilme.­de. Ein Beispiel für präventive Maßnahmen über das Medium des Internet stammt vom BBK und von der Flutkatastrophe 2004/2005 und zeigt eine Auswahl der möglichen FAQ („frequently asked questions“). NOAH ist die zentrale Stelle zur Koordination von Nachbetreuungsmaßnahmen, Opfer- und Angehörigen-­Hilfe für von schweren Unglücksfällen oder Terroranschlägen im Ausland betroffenen Deutschen.  







Beispiel: FAQ und adäquate Antworten 55 „Woran erkenne ich, dass ich traumatisiert bin?“ 55 „Welches sind typische Probleme nach solchen einschneidenden Erlebnissen?“ Antworten: 55 Merkmale und Symptome einer Belastungsstörung können sehr vielfältig und unterschiedlich sein. Nicht immer treten alle der folgenden Symptome auf: Schlafstörungen, Albträume, Konzentrationsschwäche, körperliche Beschwerden, Schwierigkeit, wie bisher zu fühlen oder Dinge in der Umgebung richtig wahrzunehmen, wie betäubt sein. 55 Das Ereignis kann spontan in der Vorstellung wiedererlebt werden. Man fühlt sich so, als ob man sich noch immer in der bedrohlichen Situation befindet. 55 Die Lebensfreude kann verringert sein, der Kontakt mit anderen Menschen, Freunden

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unter Experten, aber (noch) nicht ausreichend empirisch fundiert. Der komplexe Einfluss prä-, peri- und posttraumatischer Schutz- und Risikofaktoren auf die Entwicklung von Traumafolgestörungen erschwert die Indikation Meer et al. (2017) haben eine der ersten Validi- einer psychologischen Frühintervention. Auch tätsstudien einer webbasierten Screening-­App die Art der Intervention und der Zeitpunkt durchgeführt. Es wurde die webbasierte App sind derzeit nicht durch ein Modell und die „Smart Assessment on your Mobile“ (SAM) Studienlage eindeutig zu begründen. Eine einals einfach zugängliches Screening für trau- malige Intervention wird bei schwer traumatimabezogene Symptome entwickelt. In einer sierten Personen mit mehreren Risikofaktoren Studie wurden 89  Polizisten im Durchschnitt in der Regel keine positive Wirkung zeigen. einen Monat nach dem traumatischen Ereignis Die TF-KVT ist die bisher am besten unterin einem Interview gescreent (Clinician-Ad- suchte und wirksamste Form der Frühinterministered PTSD Scale for DSM-5 [CAPS-5] vention. Da sie v.  a. nach Verkehrsunfällen und Strukturiertes Klinisches Interview für wirksam ist, während die Befunde bei GewaltDSM-IV [SKID-I/P]), zuvor nutzen sie das opfern weniger überzeugend sind, ist zu unterScreening der SAM App (PTSD Checklist for suchen, ob nach verschiedenen traumatischen Diagnostic and Statistical Manual of Mental Ereignissen unterschiedliche Gewichtungen Disorders DSM-5 [PCL-5] und die Depression der Module notwendig sind. Offen ist auch, Anxiety and Stress Scale [DASS-21]). Die Er- ob die KVT-Intervention modifiziert werden gebnisse zeigen eine große Übereinstimmung muss, wenn nicht ABS-Symptome, sondern zwischen SAM und dem diagnostischen In- andere akute Symptome und Belastungsfakterview. SAM könnte der erste Schritt eines toren im Vordergrund stehen. Ferner sollten Stepped-Care-Modells sein, um Traumaüber- Frühinterventionen verstärkt auch Elemente lebende zu screenen und diejenigen zu iden- zur Stärkung der Schutzfaktoren wie soziale tifizieren, die weiterführende Hilfe benötigen. Unterstützung und Selbstwirksamkeit und zur Eine hohe Antwortrate und Abschlussrate Reduktion von Risikofaktoren enthalten. lassen auf eine einfache Handhabbarkeit und Eine psychologische Intervention alleine hohe Akzeptanz schließen. Für Einsatzkräfte wird allerdings in der Regel nicht ausreichen, wurde eine kostenlose PSNV  App entwickelt Frühinterventionen müssen in ein Konzept der ( 7 http://www.­k risenintervention-psnv.­d e/ Traumabewältigung integriert werden. Kompsnv-app/). Diese App stellt den Einsatzkräf- plexe und versorgungsnahe Programme wie ten Checklisten und Arbeitshilfen zur Verfü- Screen-and-treat-Ansätze sind weiter zu entwigung (Nikendei 2017). Weiterhin findet sich ckeln und zu evaluieren. Dabei sind allgemeine auf der Homepage Krisenintervention eine Frühinterventionen (Screening, Monitoring) Auflistung von regionalen PSNV-Diensten an den jeweiligen Kontext anzupassen und und Ansprechpartnern in Deutschland, in spezifische diagnostische Instrumente für den der Schweiz und in Österreich (7 http://www.­ Akutzeitraum zu entwickeln und zu validieren. krisenintervention-­psnv.­de/psnv-dienste/). Ein Stufenprogramm muss differenziert auf die Erfordernisse der Zielgruppen abgestimmt sein und mit Eingangs- und Verlaufsdiagnostik ab10.5  Ausblick gesichert werden. Eine große Bedeutung haben das Screening und die frühe Identifizierung Nationale und internationale Leitlinien und hoch belasteter Personen. Die Problematik der Empfehlungen sowie Metanalysen und Über- Erreichbarkeit und der Teilnahmequote spricht blicksarbeiten zu Frühinterventionen liegen zudem für eine Verstärkung der Forschung zu vor. Viele der Empfehlungen sind Konsens internetbasierten und Online-Programmen. oder mit dem Partner kann beeinträchtigt sein. Manche Menschen ziehen sich zurück, verschließen sich, wirken teilnahmslos, können nicht über das Erlebte sprechen.





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Die hohe Komplexität und die Vielzahl der Einflussfaktoren, aber auch die z. T. wenig spezifischen Maßnahmen erschweren eine systematische Interventionsforschung. Eine Verbesserung der Datenlage ist wie in anderen Bereichen der Wirksamkeitsforschung nur durch randomisierte Studiendesigns mit standardisierter Intervention und sichergestellter Qualität der Behandlung zu erreichen. Der Veränderungsprozess im Rahmen und in der Folge von Frühinterventionen muss ebenso wie der optimale Zeitpunkt einer Intervention zum Gegenstand von Studien gemacht werden. Berichte zu den Erfahrungen mit der psychosozialen Versorgung nach Notfällen und Schadenslagen stellen hilfreiche Ergänzungen dar, die insbesondere Informationen zur Organisation der PSNV bei Großschadenslagen, aber auch in der alltäglichen Krisenintervention geben können.

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217

Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden A. Maercker 11.1

Klinische Gesichtspunkte – 218

11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5

E inzel- (Typ-I-) vs. multiple (Typ-II-)Traumata – 218 Klassische vs. komplexe PTBS – 218 Traumaart – 218 Alter – 219 Komorbidität – 219

11.2

Systematische Gesichtspunkte – 219

11.2.1 11.2.2

11.2.4

 eitliche Abfolge von Therapieelementen – 219 Z Traumafokussierung vs. breites therapeutisches Vorgehen – 220 Sprachliche und kulturelle Anpassung für Patienten anderer Länder und Kulturen – 221 Therapieschulen und Traumatherapien – 222

11.3

Wirksamkeitsnachweise – 223

11.4

Ausblick: nichttherapeutische Interventionen – 224

11.2.3

Literatur – 225

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_11

11

218

A. Maercker

Mittlerweile existieren ein breites Angebot an Psychotherapieformen für die Traumafolgestörungen und eine breite Wissensbasis über wirksame Therapieansätze. Nachfolgend präsentiert werden systematische Gesichtspunkte zu den wichtigsten psychotherapeutischen Interventionen. Eine Zusammenfassung zur empirischen Wirksamkeitsforschung schließt sich an. Der Kenntnisstand zur medikamentösen Therapie wird in 7 Kap.  19 beschrieben. Die genaue Darstellung der psychotherapeutischen Vorgehensweisen erfolgt in den Kapiteln zu einzelnen Therapiemethoden und zu den spezifischen Traumagruppen. Dieses Kapitel soll Praktikern eine Orientierung dafür geben, welche Therapieformen für welche Patienten geeignet sind.  

11.1  Klinische Gesichtspunkte 11.1.1  Einzel- (Typ-I-) vs. multiple

(Typ-II-)Traumata

11

Die Art der Verursachung durch ein einmaliges oder Typ-I-Trauma (z. B. Unfall, Katastrophe, einzelner sexueller Übergriff) oder ein mehrmaliges oder Typ-II-Trauma (z.  B. sexueller Kindesmissbrauch, Kriegseinwirkungen) ist für die klinische Präsentation der Symptome und die Komplexität und Schwere der Symp­ tomatik von großer Wichtigkeit. Bisher gibt es allerdings noch keine gesicherten Aussagen darüber, ob sich die Therapiegestaltung bei Einzel- oder multiplen Traumata unterscheiden sollte, da Therapiestudien fehlen, in denen diese Patientengruppen verglichen wurden. Bis heute wurden die meisten der vorliegenden Therapiestudien bei Patienten mit mehrmaligen Traumata durchgeführt (weibliche Opfer sexueller Gewalt, Soldaten nach Kriegseinsätzen [sog. Veteranen]). Einige Studien wurden dagegen nach Einzeltraumata durchgeführt (Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle), wobei in diesen Studien die nicht wenigen Patienten mit früheren traumatischen Erfahrungen ausgeschlossen werden mussten.

11.1.2  Klassische vs. komplexe

PTBS

Der Unterschied zwischen einmaliger vs. multipler Traumatisierung wird landläufig als Hauptgrund für eine entweder klassische PTBS (bei einmaligem Trauma) oder komplexe PTBS angesehen (7 Kap. 2 und 3). Durch die Entwicklung des ICD-11 wird die Unterscheidung allerdings auch in den offiziellen Klassifikationsverzeichnissen vorgenommen. Für diese Unterscheidung gibt es erst langsam Ergebnisse in der Therapieforschung (Karatzias et al., 2019). Zunehmend wird die Unterscheidung zwischen der klassischen und der komplexen PTBS allerdings in der Praxis für die Wahl der therapeutischen Vorgehensweise herangezogen (s. neueste AWMF-­Leitlinien: Schäfer et al., im Druck). Nach diesem Aspekt können zusätzlich das Alter zur Zeit der Traumatisierung(en) und das gleichzeitige Auftreten komorbider Störungen wie Sucht-, affektive, Angst-, Persönlichkeitsstörungen, für die die Therapiemethodenauswahl berücksichtigt werden (s. unten).  

11.1.3  Traumaart

Bis heute lässt sich schwer beantworten, ob die Traumaart einen signifikanten Einfluss auf die grundsätzliche Gestaltung der Therapieform und ihre Wirksamkeit hat. Die PTBS-­ Symptomatik ist im Wesentlichen über alle Therapiearten hin gleich, und vergleichende Metaanalysen finden keine signifikanten Wirk­ samkeitsunterschiede nach der Traumaart (Phillips 2015). Wiederholt wurde allerdings in Studien festgestellt, dass Patienten mit PTBS nach sexuellen Gewalterfahrungen und Ex-Soldaten (Veteranen) mit PTBS die höchsten Symptombelastungen haben. Die Therapiewirksamkeit bei den Veteranen zeigte sich in den meisten Therapiestudien geringer als bei den anderen Traumagruppen, wobei die meisten Therapien an US-Soldaten durchgeführt wurden (z.  B.  Schwartze et  al. 2017).

11

219 Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden

Einzelne Studien aus anderen Ländern (Israel, Europa) zeigen inzwischen, dass die Therapie von Ex-Soldaten nicht schlechter wirkt als die bei Zivilpersonen. In genaueren Analysen bestimmt die Traumaart allerdings das Symptomprofil. PTBS nach sexuellen Gewalterfahrungen geht häufig mit höheren Symptomen der bewussten Vermeidung und unbewusster Vermeidungsformen (z. B. Amnesien, Numbing, d. h. Betäubtheitsgefühl) einher, während bei PTBS nach körperlichen Übergriffen häufig Schuldgefühle (Fremd- und Selbstbeschuldigung) auftreten (Guina et al. 2018). Generell gilt daher, dass für die Traumaart die Unterscheidung nach menschlich verursachten (interpersonellen, intendierten) vs. zufälligen (akzidentellen) Traumata (7 Abschn.  2.1) nach klinischem Gesichtspunkt wichtig ist. Patienten, die eine absichtsvolle Traumatisierung durch eine andere Person erlebt haben, zeigen meist ein höheres Ausmaß an Einstellungs- und Schemaveränderungen gegenüber sich selbst und anderen als Menschen, die während ihrer Traumatisierung nicht gleichzeitig die Destruktivität anderer Menschen erlebt haben.  

11.1.4  Alter

Altersbezogenen Fragen sind in zweifacher Hinsicht wichtig: 55 Spielt das Alter, in dem die Traumatisierung stattfand (Traumatisierungsalter) für die Therapie eine Rolle? 55 In welchem Alter wird die Therapie durchgeführt? Beide Fragen sind bisher nicht systematisch untersucht worden. Als Zusammenfassung bisheriger unsystematischer Erfahrungen wurde von Maercker (2006) ein orientierendes Schema für die Traumafolgenambulanz der Universität Zürich erstellt, nach dem entsprechende Patienten bestimmten Therapieformen zugeordnet werden (. Abb. 11.1).  

11.1.5  Komorbidität

Bei Patienten mit PTBS ist das Vorliegen von Komorbidität die Regel und nicht die Ausnahme. Epidemiologische Studien zeigen, dass bis zu 80 % dieser Patienten (Lebenszeitdiagnose) weitere depressive, Angst-, somatoforme oder Abhängigkeitsstörungen haben (7 Kap.  2). Diese Tatsache ist für den klinischen Alltag von größter Bedeutung, denn die zu wählenden Therapiestrategien für einen einzelnen Patienten sollten immer das Gesamtbild berücksichtigen und zum Ausgangspunkt der konkreten Therapieplanung machen. Bisher wurden nur wenige systematische Studien durchgeführt, die Kombinationstherapien bei Komorbidität untersuchten. Dies trifft insbesondere für die Kombination von Psychound Pharmakotherapie (7 Kap. 19) zu. Für die Therapie komorbider Störungen muss in der nächsten Zeit mehr Forschung unternommen werden. Diese muss sowohl gleichzeitige (simultane) als auch zeitlich aufeinanderfolgende (sequenzielle) Behandlungsstrategien berücksichtigen. Am weitesten sind bisher die Studien zur Behandlung komorbider Suchtstörungen entwickelt worden. Hier deuten mehrere Studien darauf hin, dass die integrierte simultane Therapie von PTBS und Suchtstörung die besten Ergebnisse zeigt (Roberts et al. 2015).  



11.2  Systematische

Gesichtspunkte

11.2.1  Zeitliche Abfolge von

Therapieelementen

In der Nachfolge der wegweisenden Publikation von Herman (1993) wurde die folgende Einteilung von Therapiephasen bei PTBS populär: 55 Sicherheit/Vertrauen: insbesondere Stabilisierung und Affektregulation, 55 Traumasynthese/Traumaexposition, 55 Integration und Neuorientierung.

220

A. Maercker

..      Abb. 11.1 Orientierungsschema zur Berücksichtigung von Traumatisierungsund Behandlungsalter bei der Auswahl spezifischer Therapiemethoden

Trauma

Kindheit Jugend Trauma Erwachsene

Trauma

Imaginative Exposition & kognitive Therapie

Höheres Alter

11

Diese Phaseneinteilung wurde  – weitgehend unabhängig von Therapieschulen  – v.  a. im deutschen Sprachraum insbesondere für stationäre Therapieeinrichtungen genutzt. In anderen Ländern wird dagegen weder in der Praxis noch in der Forschung diese Phaseneinteilung explizit angewendet. Darum erstaunt es nicht, wenn Überblicke über die weltweit verfügbaren empirischen Studien keine Notwendigkeit für diese Phasenabfolge aufzeigen (Neuner 2008). Diese Einschätzung ändert sich allerdings, wenn die neue Diagnose der komplexen PTBS für die Therapieplanung zugrunde gelegt wird. International hat sich für die KPTBS ein phasenorientiertes Vorgehen in den entsprechenden Leitlinien durchgesetzt (Cloitre et al. 2015), obwohl die Studienlage dafür noch unzureichend ist (Maercker et al. 2019). Deshalb bleibt es zweifelhaft, ob die drei genannten Phasen für die PTBS und die KPTBS und verschiedene Settingformen (stationär vs. ambulant) relevant bleiben. Zudem ist fraglich, ob die Phasen unbedingt nacheinander stattfinden müssen, oder ob eine parallele therapeutische Arbeit an den drei Themenbereichen von Sicherheit/Vertrauen, Traumasynthese/ Traumaexosition und Integration/Neuorientierung genauso wirksam ist. Eine pragmatische zeitliche Einteilung einer Therapie wird anerkennen, dass zumindest die ersten Therapiestunden (mit Anamnese, Störungsdiagnostik, Ressourcendiagnostik, Thera-

Trauma

»Imagery Rescripting« nach Smucker

Strukturierte Life-ReviewTherapie

piezielfestlegung) wie auch die letzten Therapiestunden (mit Zusammenfassungen, Ausblicken, Rückfallprophylaxe-Maßnahmen) sich von den mittleren Therapiestunden (therapeutische Arbeit) unterscheiden. In den nachfolgenden Kapiteln zur Therapie wird für die PTBS auf explizite Phaseneinteilungen verzichtet (7 Kap. 13 und 14). Für die komplexe PTBS wird jeweils ein phasenbezogenes Vorgehen dargestellt (7 Kap. 16 und 17).  



11.2.2  Traumafokussierung vs.

breites therapeutisches Vorgehen

Als traumafokussierte Verfahren (bzw. traumaadaptierte Verfahren) werden im engeren Sinne diejenigen bezeichnet, bei denen die Reduktion der PTBS-Symptomatik im Mittelpunkt des Therapieansatzes steht. Dazu gehören u. a. das EMDR (7 Kap.  14) sowie prolongierte Exposition und kognitive Therapien (7 Kap. 13). Die Traumafokussierung von Verfahren lässt sich wiederum einteilen in: 55 Expositionsfokussierte Therapien:Hier wird das Nacherleben und Nacherzählen des traumatischen Geschehens in den Mittelpunkt gestellt (. Abb. 11.2). 55 Kognitionsfokussierte Therapien: Hier wird auf die veränderten Einstellungen zu  





221 Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden

sich selbst, zu anderen und zur Umwelt fokussiert. 55 Niederschwellige Interventionen: Diese erfolgen mittels ganz verschiedener Settings (z. B. Psychoedukations- bzw. Peergruppen) und Medien (z. B. Online-, App- oder Schreibprogramme; 7 Kap. 15).

Nachfolgend werden in 7 Abschn.  11.3 die Ergebnisse verschiedener Wirksamkeitsmetaanalysen dargestellt.  

11.2.3  Sprachliche und kulturelle

Anpassung für Patienten anderer Länder und Kulturen



Ein breites therapeutisches Vorgehen hat dagegen zum Ziel, die Patienten nicht nur in Bezug auf die PTBS-Symptomatik, sondern auch in Hinblick auf weitere Therapieziele zu behandeln, wozu die Orientierung auf assoziierte Symp­ tombereiche wie Depressionen, Ärger, Scham, Schuldgefühle und Borderline-­ Symptomatik gehört. Aber auch die Stärkung individueller Ressourcen, bis hin zu Sinngebungs- und spirituellen Neuorientierungen, steht im Mittelpunkt (Wagner et al. 2007; Zöllner et al. 2008). In die breiter vorgehenden Ansätze lassen sich meist auch einordnen: 55 psychodynamische Therapien (7 Kap. 12), 55 stationäre Behandlungskonzepte (Wirtz und Frommberger 2013), 55 komplementärtherapeutische Ansätze (Kunst-, Bewegungs- und Kreativtherapien), 55 die sog. gegenwartsorientierte Therapie (Shea et al. 2003).  

Affektive Intensität hoch

Therapien werden zunehmend mit Patienten aus anderen Ländern und Kulturen durchgeführt. Seit längerem liegt eine informative Literatur zur PTBS-Therapie unter Einsatz von Übersetzern vor, die insbesondere auf deren spezifische Auswahl für diese Tätigkeit sowie die Vor- und Nachbesprechungen der Therapiesitzungen eingeht (7 Kap. 25; Abdallah-­Steinkopf 2017). Zudem gibt es eine anwachsende Literatur über Therapien, die in der jeweiligen Muttersprache der Patienten mit Therapeuten mit eigenem Migrationshintergrund durchgeführt werden (z. B. Kizilhan 2010). Die neuen Leitbegriffe der „kultursensiblen“ oder „kulturell zurückhaltenden“ (von engl. „cultural humility“) therapeutischen Haltung drücken aus, dass es, über die sprachliche Anpassung der Therapieverfahren hinaus, um mehr geht und umfassendere Selbstreflexio 

Varianten der Traumaexposition

Prolongierte Exposition nach Foa ( Kap. 12) in-vivo-Exposition (selten indiziert;

Kap. 12, 29)

»Imagery Rescripting« nach Traumatisierung in der Kindheit ( Kap. 22) Hot-spot-Narration im Rahmen der kognitiven Therapie ( Kap. 13) »Eye Movement Desensitization Reprocessing« ( Kap. 17) Imaginationstechniken: Screen- oder Bildschirmtechnik ( Kap. 15, 28) geringer

11

Narrative Exposition bzw. Online-Schreibaufträge ( Kap. 18)

..      Abb. 11.2  Verschiedene Expositionsformen nach ihrer affektiven Intensität

222

A. Maercker

nen über das therapeutische Vorgehen geboten sind (Maercker et al. 2019). Das „Bernal-Schema“ (Bernal et  al. 2009) beinhaltet mehrere Dimensionen der kulturellen Anpassung von Therapieverfahren, die sich international als richtungsweisend erwiesen haben: 55 Sprache, 55 persönliche Beziehung, 55 lokale Krankheits-/Störungskonzepte, 55 Inhalte, 55 Therapieziele, 55 Metaphern: Gebrauch und Reflexion, 55 Methoden/Setting, 55 Kontexte/soziale und politische Bedingungen.

11

Für den Fortschritt der Heilkunde auch auf dem Gebiet der Therapie von Traumafolgestörungen bleibt diese Schulenorientierung unbefriedigend, da sie neue Entwicklungen, deren praktische Anwendungen und deren Finanzierung im Rahmen der Gesundheitssysteme hemmt. Die Psychotraumatologie wird dennoch mehr als andere Psychotherapiebereiche als integrativ gesehen, da Therapeuten bzw. Behandlungseinrichtungen vereinzelt schon verschiedene Therapieformen kombinieren. Beispielsweise werden imaginative Stabilisierungstechniken mit kognitiver Therapie und ggf. Traumaexposition kombiniert (Müller et al. 2007). Zu dieser integrativen Potenz der Psychotraumatologie trugen verschiedene Faktoren bei: (genauere Erläuterungen z.  B. in Heim et  al. 55 klinische Schwere und Komplexität der 2019) Störungspräsentationen, die neue LösunDie Anwendung des Bernal-Schemas in gen erforderte, einer Studie zur vergleichenden Wirksamkeit 55 klinische Wirksamkeit imaginativer Theravon e-Health-Interventionen zeigte, dass der pietechniken, erreichte Wirksamkeitsgrad von Therapiever- 55 Kombinierbarkeit von Kurzzeittechniken fahren in einem direkten Zusammenhang mit (z. B. EMDR) mit Langzeittechniken (z. B. dem Ausmaß der berücksichtigten „Bernal-­ psychodynamische oder kognitive VerFaktoren“ stand. Die wenigen Therapieprohaltenstherapie). jekte, bei denen 5 oder gar 7 der Faktoren berücksichtigt wurden, waren in der Anwendung für Menschen anderer Kulturen am wirksamsTherapieschulen mit spezifischen ten (Harper Shehadeh et al. 2016). Therapieverfahren für die PTBS-­ Ein umfassend kulturell-adaptierter TheTherapie rapieansatz für Patienten mit Traumafolgestö55 Psychodynamik/Psychoanalyse: rungen wird in 7 Kap. 18 vorgestellt.  

11.2.4  Therapieschulen und

Traumatherapien

Die Realität der Anwendung verschiedener Psychotherapien wird immer noch durch die Therapieschulorientierung der einzelnen Therapeuten oder ganzer Behandlungseinrichtungen diktiert. Der Einsatz passfähiger Therapieformen in Hinblick auf die klinische Problematik der Patienten geschieht bisher noch nicht durch flexibles Erfahrungswissen („best practice“) oder die Orientierung an evidenzbasierten Leitlinien (wobei letztere nicht durch wissenschaftliche Moden unbeeinflusst sind).

u. a. psychodynamische Traumatherapie nach Horowitz, imaginativ psychodynamische Therapie nach Reddemann und Brief Ecclectic Therapy (7 Kap. 12) 55 Kognitive Verhaltenstherapie: u. a. prolongierte Exposition nach Foa, kognitive Therapie nach Ehlers & Clark, kognitive Verarbeitungstherapie nach Resick, narrative Expositionstherapie nach Schauer, Elbert & Neuner (7 Kap. 13) 55 Hypnotherapie: Diese spielte insbesondere in der Entstehung von Traumatherapien eine große Rolle (Brom et al. 1989)  



223 Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden

55 Humanistisch-existenzielle Therapien: In fast allen Orientierungen wurden therapeutische Ansätze entwickelt, aber kaum systematisch untersucht, z. B. in den gestaltherapeutischen Schulen (Rosner und Henkel 2010) und in der Existenz-/ Logotherapie (Gebler und Maercker 2007) 55 Kombinierte Methoden: Genuin für die Therapie von Traumafolgestörungen entwickelt wurde die EMDR („Eye movement desensitization and reprocessing“) nach Shapiro (7 Kap. 14) 55 Körperbezogene Therapien: Allgemein anerkannt ist die komplementäre Körpertherapie als Zusatz zur traumafokussierten Psychotherapie (Keuk 2006) und zur kulturell angepassten Therapie (7 Kap. 18); dagegen sind rein körperbezogene Traumatherapieansätze (z. B. „Somatic Experiencing“; Levine 2016) bisher noch umstritten (Metcalf et al. 2016)

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Schäfer et al., in Vorbereitung; Schwartze et al. 2017; Tol et al. 2014). Grundlage solcher Datenzusammenfassungen sind Studien mit hohen methodischen Standards. Üblicherweise sind dies die 7 folgenden Standards. Sieben Standards zur Datenzusammenfassung 55 Klar definierte Zielsymptomatik 55 Reliable und valide Messverfahren 55 Einsatz blinder Rater (d. h. diagnostischer Beurteiler, die nicht wissen, welcher Therapiebedingung die Patienten zugeordnet waren) 55 Training der diagnostischen Beurteiler 55 Manualisierte, replizierbare und ­spezifische Therapieprotokolle (Therapieprogramme) 55 Zufällige Zuordnung zu den Therapiebedingungen 55 Einhaltung des Therapieprotokolls („adherence“)





. Tab. 11.1 stützt sich auf mehrere der neueren  

Die verschiedenen niederschwelligen Verfahren der Traumafolgentherapie (7 Kap.  15) entstammen verschiedenen Therapieschulen und ihre Existenz und Anwendung belegt, dass schulenübergreifende Neuentwicklungen gut möglich sind.  

11.3  Wirksamkeitsnachweise

Die Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen kann als Vorreiter der empirischen Überprüfung der Wirksamkeit von Psychotherapie gelten, da in diesem Bereich seit Jahren eine größere Anzahl an kontrollierten Therapiestudien vorliegt als für andere Störungen. In mehreren Metaanalysen und Reviews wurden die Ergebnisse der Einzelstudien zusammengefasst (u. a. Cusack et al. 2016; Ehring et al. 2014; Kuester et al. 2016; Lee et al. 2016;

Metaanalysen für die „klassische“ PTBS; für die komplexe PTBS reicht – wie oben beschrieben – der gegenwärtige Forschungsstand noch nicht für abgesicherte Aussagen. Wenn Verfahrenstypen nicht in der Tabelle aufgeführt sind, heißt das, dass diese aufgrund fehlender oder zu weniger randomisierter Kontrollgruppenstudien nicht beurteilbar sind (gilt z. B. für die psychodynamische Therapie nach Reddemann). Die Metaanalyse zeigt, dass eine Reihe von psychotherapeutischen Verfahren nachgewiesene Wirksamkeit für sich beanspruchen können. Effektstärken werden in der Forschung üblicherweise eingeteilt als: >0.20 gering; >0.50 mittel; >0.80 hoch; >1.20 sehr hoch. Die Evidenzgradeinschätzung wurde nach US-­Gesundheitsbehördenstandards aufgrund verschiedener Parameter zum Ausmaß und der Qualität der vorhandenen Studien eingeschätzt. Wichtig ist, dass ein direkter Vergleich der Effektstärken zwischen den Verfahren auf-

224

A. Maercker

..      Tab. 11.1  Wirksamkeit von PTBS-Therapien im Erwachsenenalter. (Adapt. nach Cusack et al. 2016; Lee et al. 2016; ergänzt durch Schwartze et al. 2017; Kuester et al. 2016) Effektstärken

Evidenzgrad-­ Einschätzunga

[d bzw. g]

11

Zu Therapieende (im Vgl. zu psychologischer Placebobedingung

6-Monats-Katamnese (im Vgl. zu psychologischer Placebobedingung)

Expositionstherapie

1.01–1.27

0.80

hoch

Kogn. Verarbeitungstherapie

1.08–1.40

0.57

mittelhoch

Kognitive Therapien

1.33

EMDR

0.87

Narrative Expositionstherapie (NET)

1.25

mittelhoch

Brief Ecclectic Therapy (BEP)

0.35b

gering

Gruppentherapien (meist kognitiv-­ behavioral)c

0.70

(nicht verfügbar)

Internettherapiend

0.66–0.83

(nicht verfügbar)

mittelhoch 1.12 (nicht signifikant)

gering

aaus Cusack et al. 2016, bezogen auf die Reduzierung der PTBS-Symptome (eingeschätzt nach AHRQ-Standards: Owens et al. 2010) bin Cusack et al. 2016, verbal angegeben als „kleine bis mittlere Effektstärke“, daher Mittelwert von 0.20 und 0.50 caus Schwartze et al. 2017 daus Kuester et al. 2016

grund der Angaben in . Tab.  11.1 aus methodischen Gründen nicht möglich ist. In Cusack et al. (2016) gibt es dazu weitere Angaben. Die Anwendung einer spezifischen Therapiemethode bei einem Patienten sollte von den früher in diesem Kapitel genannten Gesichtspunkten abhängen (Typ des Traumas, klassische oder komplexe PTBS, Alter, Komorbiditäten, sprachlich/kulturell sensibler Einsatz).  

11.4  Ausblick: nichttherapeuti-

sche Interventionen

Traumatische Erfahrungen können nicht nur Ursache für psychische Störungen sein, sondern auch für Veränderungen in der Biografie der Betroffenen. Die verschiedenen Therapieformen (einschließlich psychopharmakologischer) versuchen zwar das individuelle Leiden zu reduzieren. Davon unabhängig werden die Betroffenen aber mit den Erinnerungen an das Trauma weiterleben sowie oftmals mit auf die Dauer neuorientierten Einstellungen und Werthaltungen. Daraus ergeben sich weitere

225 Systematik und Wirksamkeit der Therapiemethoden

Aspekte, die für den Umgang mit traumatisierten Menschen wichtig sind. zz „Zeugnis ablegen“

Viele Traumaopfer haben den Wunsch, ihre Erfahrungen während des Traumas anderen Menschen kundzugeben und damit beizutragen, dass solche Katastrophen oder Verbrechen, wie sie sie erlebt haben, nie wieder stattfinden. Dieser Wunsch, Zeugnis (engl.: „testimony“) zu geben, ist allgemein bei Opfern zwischenmenschlicher Gewalt und insbesondere bei Opfern staatlicher Gewalt, Repression und Folter verbreitet. Chilenische Therapeuten hatten noch in der Militärdiktatur in den 1980er-Jahren die Testimony-Methode entwickelt, in der die therapeutischen Berichte über das Trauma gleichzeitig z.  B. als Zeugnisse für internationale Organisationen und für spätere Strafverfolgungen genutzt wurden (unter Pseudonym publiziert: Cienfuegos und Monelli 1983). Die narrative Traumaexposition (Schauer et al. 2011) wurde aus dieser Idee heraus entwickelt und erarbeitet ebenfalls ein Dokument, das ggf. zur Strafverfolgung benutzt werden kann.

zz „Finding a Mission“

Einige Traumaopfer engagieren sich in einem karitativen oder sozialen Verein. Dies wird oft von dem Wunsch motiviert, dass die mögliche Traumatisierung anderer Menschen verhindert werden soll. Hier seien drei Beispiele genannt. 55 Opfer krimineller Taten arbeiten bei der Opferhilfeorganisation „Weißer Ring e. V.“ als Berater für neue Kriminalitätsopfer mit. 55 Mütter von in Verkehrsunfällen gestorbenen Kindern gründeten in den USA die Gesellschaft „Mothers Against Drunken Drivers“ („Mütter gegen betrunkene Fahrer“), die Aufklärungsmaterial herausgibt und versucht, auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. 55 Ehemals politisch Verfolgte arbeiten bei „Amnesty International“ zugunsten politischer Gefangener in anderen Ländern mit.

11

zz Errichten von Gedenkorten

Über individuelle Therapiemaßnahmen hinaus geht die Mitwirkung von Therapeuten an der Errichtung von Gedenkstätten oder -orten für die Opfer von Traumata. Hierbei ist es wichtig, 55 die Überlebenden bzw. die trauernden überlebenden Familienangehörigen bei der Planung des Ortes einzubeziehen sowie 55 die Opfer einzeln namentlich zu erwähnen, um dem Gerechtigkeitsgefühl beim Gedenken zu genügen. Beeindruckende Beispiele dieser Gedenkkultur sind die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem mit ihren Namenslisten, das „Vietnam War Memorial“ in Washington sowie das Denkmal an der Stelle des Flugzeugabsturzes in ein Hochhaus in Bijlmermeer bei Amsterdam. Diese Gedenkorte werden von Überlebenden und trauernden Familienangehörigen häufig aufgesucht.

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229

Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen L. Wittmann und M. J. Horowitz 12.1

 spekte eines psychodynamischen A Traumaverständnisses – 230

12.2

Integrative psychodynamisch-kognitive Psychotherapie – 230

12.2.1 12.2.2

12.2.4 12.2.5 12.2.6

 rototypisches Fallbeispiel – 233 P Exkurs: Beschreibung und Entwicklung eines narzisstischen Persönlichkeitsstils – 235 Gedanken- und Gefühlskontrolle bei narzisstischen Persönlichkeitsstilen – 235 Therapietechnik: Umstrukturieren und Stabilisieren – 237 Beziehungsaspekte bei narzisstischen Patienten – 238 Empirische Evidenz – 239

12.3

Psychodynamisch imaginative Traumatherapie – 240

12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5

E inleitungsphase – 241 Stabilisierungsphase – 241 Traumakonfrontation – 243 Integration – 243 Evidenz – 244

12.4

„Manual psychodynamische Traumatherapie“ – 244

12.5

Zusammenfassung – 246

12.2.3

Literatur – 246

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_12

12

230

L. Wittmann und M. J. Horowitz

Bereits in der Entwicklung der Psychoanalyse spielte die Behandlung von Menschen mit traumatischen Erfahrungen eine zentrale Rolle. Beim Vorgehen in der Therapie der unter dem Begriff der „traumatischen Hysterie“ zusammengefassten Symptome lassen sich Ähnlichkeiten mit heutigen expositionsbasierten Ansätzen (Gersons et al. 2011; Nijdam et al. 2012) nicht übersehen.

»» Wir fanden nämlich, anfangs zu unserer

größten Überraschung, dass die einzelnen hysterischen Symptome sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn es gelungen war, die Erinnerung an den veranlassenden Vorgang zu voller Helligkeit zu erwecken, damit auch den begleitenden Affekt wachzurufen, und wenn dann der Kranke den Vorgang in möglichst ausführlicher Weise schilderte und dem Affekt Worte gab. (Freud und Breuer 11895, 1987, S. 9–10)

12

Wenn Abraham auf dem V. Internationalen Psychoanalytischen Kongress 1918 in Budapest erklärt, dass ein Teil der Wirkung der Kriegstraumata mit dem Verlust des illusionären Glaubens an die eigene Unverletzlichkeit zu erklären sei, dann lässt sich unschwer ein Vorläufer von Konstrukten wie „shattered assumptions“ (Janoff-Bulman 1992) oder „posttraumatic cognitions“ (Foa et al. 1999) erkennen. Wie in anderen Therapieschulen auch, haben sich Theorie und Praxis in der Psychoanalyse stetig weiterentwickelt. Das vorliegende Kapitel stellt 3 ausgewählte aktuelle Ansätze psychodynamischen Arbeitens mit Traumaopfern vor. Zunächst sollen jedoch einige grundlegende Aspekte eines psychodynamischen Traumaverständnisses betont werden, um die spezifischen behandlungstechnischen Zugänge besser einordnen zu können. 12.1  Aspekte eines

psychodynamischen Traumaverständnisses

Psychodynamische Traumatheorien betonen ebenso den subjektiven wie den prozesshaften Charakter traumatischer Erfahrungen (Nijdam

und Wittmann 2015). Dabei mögen die einem traumatischen Ereignis vorausgehenden wie nachfolgenden Erfahrungen ebenso bedeutsam für das Verständnis einer blockierten Verarbeitung sein wie das Ereignis selber (Becker 1995, 2007; Keilson 2005). Aufgrund des zentralen Stellenwerts, der der individuellen Persönlichkeit der Betroffenen beigemessen wird, sehen psychodynamische Therapiemanuale in der Regel davon ab, auf eine allzu starke Vereinheitlichung des therapeutischen Arbeitens hinzuwirken, und leiten in der Regel stattdessen zum flexiblen Einsatz therapeutischer Prinzipien und Techniken an. Dem Menschenbild der Psychoanalyse entsprechend, gemäß dem sich die Persönlichkeit in sozialen Interaktionen entwickelt (z. B. Clarkin et al. 2006), spielen frühere wie aktuelle zwischenmenschliche Erfahrungen und daraus resultierende Beziehungsmuster eine wichtige Rolle für Verständnis und Bearbeitung traumatischer Erfahrungen. 12.2  Integrative

psychodynamisch-kognitive Psychotherapie

Mit der Beschreibung und dem Verständnis der Belastungsreaktionssyndrome lieferte dieser Ansatz (Horowitz (11976, 2011)) entscheidende Beiträge zur Aufnahme der posttraumatischen Belastungsstörung ins DSM-III (APA 1980). In ihm sind 5 Phasen beschrieben (hier in der Formulierung von Fischer und Riedesser 2009, S.  97–98), die von Traumaopfern prototypisch  – allerdings keineswegs immer linear – durchlaufen werden: 55 peritraumatische Expositionsphase, 55 Verleugnungsphase, 55 Phase des Eindringens von Gedanken und Erinnerungsbildern, 55 Phase bzw. Erlebniszustand des Durcharbeitens, 55 relativer Abschluss. Für jede dieser Phasen lassen sich normale Reaktionen beschreiben, aber auch pathologische Extreme oder Chronifizierungen beobachten. Im Fokus steht dabei insbeson-

231 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

dere die Pendelbewegung zwischen intrusiven Symptomen auf der einen und Abwehrreaktionen wie Vermeidung, Verleugnung oder emotionaler Betäubung auf der anderen Seite. Eine detaillierte Übersicht über konkrete Merkmale dieser beiden gegenläufigen Prozesse auf unterschiedlichen Erlebens- und Verhaltensebenen findet sich bei Horowitz (11976, 2011). Die psychodynamisch-kognitive Theorie ersetzt Freuds ursprüngliche Konzeption einer energetischen Überlastung des psychischen Apparates infolge eines Traumas (Freud 1920) durch ein Konzept der Informationsüberlastung (Horowitz 11976, 2011; Horowitz und Becker 1972; Lazarus 1966). Informationen sind dabei sowohl Kognitionen innerer und äußerer Verursachung als auch Emotionen. Unter der Lupe: Konzept der Informationsüber­lastung

Bei der Informationsüberlastung verweilen die Personen in einem Zustand ständiger Belastung oder sind für wiederkehrende Belastungszustände anfällig, solange die Informationen noch nicht verarbeitet sind. Die Informationen werden sowohl abgewehrt als auch zwanghaft wiederholt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Verarbeitung weitestgehend abgeschlossen ist. Die Emotionen, denen im Zusammenhang mit Belastungsfolgesyndromen eine große Bedeutung zukommt, werden als Antworten auf kognitive Konflikte und als Motive für Abwehr-, Kontroll- und Bewältigungsverhalten angesehen.

Der Behandlungsansatz von Horowitz (2003), für den die Bedeutung individueller Fallfor­ mulierungen hervorgehoben wird, ist in Phasen konzipiert. Es wird allerdings betont, dass diese Phasen sich typischerweise überlappen und eher aus didaktischen Zwecken in einer Abfolge angeordnet werden. Beispielsweise wird die Behandlungsplanung fortlaufend an-

12

hand neuer Einsichten überprüft und aktualisiert. . Tab.  12.1 gibt eine Übersicht über die einzelnen Behandlungsschritte. Eine detaillierte Beschreibung von patienten- wie therapeutenseitigen Aktivitäten sowie Aspekten der therapeutischen Beziehung für jede Phase findet sich bei Horowitz (2003). Wie beschrieben ist die Berücksichtigung vorbestehender Persönlichkeitsmerkmale ein Grundprinzip vieler psychodynamischer traumafokussierter Ansätze. Die Konzeptualisierung von Horowitz (11976, 2011) bietet konkrete Ansatzpunkte, wie die Behandlungsdurchführung an beobachtbare Persönlichkeitsakzentuierungen angepasst werden kann.  

Unter der Lupe: Berücksichtigung der Persönlichkeit

Die psychodynamisch-kognitive Psychotherapie verfolgt nicht das Ziel, umfassende Änderungen der Persönlichkeit herbeizuführen. Allerdings zeigen Personen mit unterschiedlicher Persönlichkeitsstruktur verschiedene Arten von Widerstand und Beziehungsgestaltung während dieser Prozesse. Die allgemeinen Techniken werden deshalb, abhängig von den Persönlichkeitsdispositionen des Patienten, in verschiedenen technischen Nuancen abgewandelt und eingesetzt.

Natürlich sind gewisse Persönlichkeitsakzentuierungen (z.  B. narzisstische Überzeugungen oder histrionische oder zwanghafte Einstellungen) in einem gewissen Maße Bestandteil eines jeden Persönlichkeitstyps, und einige der dargestellten Behandlungstechniken können jederzeit auch in anderen Therapien relevant sein. Die Beschreibung der Anpassung des therapeutischen Vorgehens an prototypische Persönlichkeitsausprägungen soll deshalb keine starre Kategorienbildung implizieren. Im Folgenden sei der therapeutische Ansatz anhand eines Fallbeispiels veranschaulicht.

232

L. Wittmann und M. J. Horowitz

..      Tab. 12.1  Phasen der Behandlung von Belastungsreaktionssyndromen Phase

Beschreibung

Evaluation

Auf Grundlage einer umfassenden Anamnese wird die Behandlung geplant. Hierbei kommt eine Konfigurationsanalyse zum Einsatz (Horowitz 1997), welche in 5 Schritten erarbeitet, was passiert ist, welche Ursachen es hierfür gibt und was verändert werden muss, um den Zustand des Patienten zu verbessern. Dabei werden aktuelle Symptome und Probleme sowie deren Fluktuieren in von Abwehr bzw. Intrusionen dominierten Phasen beschrieben. Zusätzlich werden ungelöste Themen, maladaptive Überzeugungssysteme und relevante Abwehrprozesse fokussiert und Annahmen über sich und andere thematisiert, die das Identitätsgefühl und Beziehungsmuster prägen. Schließlich wird ein Behandlungsplan entwickelt, der einerseits die eruierten Aspekte in Beziehung setzt, und anderseits zu einer Fokussierung und damit zeitlichen Eingrenzung der Behandlung führt.

Unterstützung

Biologische Unterstützung: Berücksichtigung der Grundbedürfnisse Sicherheit, Versorgung und Schlaf. Thematisierung der Risiken von Substanzkonsum im Sinne einer Selbstmedikation und Prüfung des Bedarfs an psychopharmakotherapeutischen Interventionen. Soziale Unterstützung: Bedarfsentsprechende Unterstützung von Patienten bei Etablierung von Zeitstruktur und Kommunikationsmöglichkeiten. In Bezug auf Copingbemühungen, Aktivitätsentwicklung und Arbeitssituation ist auf phasenspezifisch angemessene Dosierung zu achten. Psychologische Unterstützung: Begleitung beim weiteren Berichten der Traumageschichte; Psychoedukation und Hilfe bei Strukturierung von Aufgaben; Entwicklung der therapeutischen Beziehung unter Berücksichtigung von Gegenübertragungsreaktionen.

Exploration von Bedeutungen

Einerseits werden in dieser Behandlungsphase die Auswirkungen der traumatischen Ereignisse auf die Selbst- und Weltsicht der Patienten sowie die Einschätzung ihrer Copingmöglichkeiten betrachtet. Anderseits werden Bedeutungen betrachtet, die sich aus der Interaktion der traumatischen Ereignisse mit vorbestehenden ungelösten Themen der Patienten ergeben. Bei diesen Explorationen sind Emotionstoleranz und -ausdruck der Patienten zu fördern.

Verbesserung des Copings

Unter Berücksichtigung ihrer individuellen Abwehrstrategien werden Patienten beim Abbau von Vermeidungsverhalten unterstützt. Hierbei kann eine große Bandbreite an Techniken zum Einsatz kommen, die von Interpretationen über die Ermutigung und Einübung einer konfrontierenderen Haltung bis hin zur Unterstützung der Fähigkeit zu rationalen Entscheidungen reicht.

Durcharbeiten

Aufgrund des bisherigen Behandlungsverlaufs kann der Therapeut nun entscheiden, welche Themen weiter fokussiert werden sollen. Dabei kann der zeitliche Fokus auf die Lebensgeschichte des Patienten, seine aktuelle Lebenssituation oder auch die Therapiesituation gelegt werden. Mit dem Behandlungsziel der Herstellung eines optimalen Funktionsniveaus wird im Rahmen dieses Ansatzes dabei nicht tiefer als notwendig gearbeitet. Inhaltlich bieten sich in dieser Phase insbesondere die Themen an, in denen Aspekte der traumatischen Erfahrung mit solchen der Persönlichkeit vermengt sind.

Behandlungsabschluss

In dieser Phase, die von Beginn an gemeinsam mit den Patienten konzeptualisiert wird, können der therapeutische Prozess evaluiert und Themen betreffend der Zukunft des Patienten erörtert werden. Zugleich kann die Erfahrung des Abschieds genutzt werden, um beispielsweise Verlusterfahrungen im Rahmen der therapeutischen Beziehung (in der Übertragung) durchzuarbeiten.

Ergebnisevaluation

Horowitz (2003) schlägt eine Reihe von Instrumenten zur therapiebegleitenden Verlaufsevaluation vor, darunter die Impact of Event Scale (Maercker und Schützwohl 1998; Weiss und Marmar 1996).

12

233 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

12.2.1  Prototypisches Fallbeispiel

Harry ist ein 40-jähriger Dispatcher. Er hatte sich in einer kleinen Lieferfirma hochgearbeitet. Eines Nachts fuhr er aus Personalmangel selbst einen alten LKW, in dem sich eine Ladung Stahlrohre befand. Dieses ungeeignete Fahrzeug besaß zwar eine Panzerung zwischen dem Laderaum und der Fahrerkabine, diese schützte jedoch den Beifahrerbereich nicht vollständig. Spät in der Nacht fuhr Harry an einer attraktiven Frau vorbei, die auf einem verlassenen Autobahnabschnitt per Anhalter fahren wollte. In einer spontanen Entscheidung, das Verbot des Unternehmens zur Mitnahme jeglicher Beifahrer zu missachten, ließ er sie einsteigen, da sie ein ahnungsloser Hippy zu sein schien und womöglich vergewaltigt werden könnte. Kurze Zeit später überfuhr ein Auto die Mittellinie und kam auf seine Fahrbahn, sodass ein Frontalzusammenstoß drohte. Er lenkte den LKW über den Seitenstreifen hinaus und kam auf einem Kieshaufen ins Schlingern. Die Rohre verrutschten, drangen auf der Beifahrerseite in die Fahrerkabine ein und spießten die Frau auf. Harry flog auf das Lenkrad und in die Windschutzscheibe und war kurzzeitig bewusstlos. Als er wieder zu Bewusstsein kam, nahm er den grausigen Anblick seiner toten Begleiterin wahr. Harry wurde im Krankenwagen zur Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht. Man entdeckte keine Brüche, seine Schnittverletzungen wurden genäht, und er wurde zur Beobachtung über Nacht auf der Station belassen. Am ersten Tag war er verängstigt und benommen, wobei er nur bruchstückhaft von den Ereignissen berichtete. Am nächsten Tag wurde er entlassen. Entgegen den Wünschen seiner Frau und den Empfehlungen des Arztes, sich auszuruhen, kehrte er zur Arbeit zurück. Von da an ging er mehrere Tage lang seiner üblichen Arbeit nach, als sei nichts geschehen. Es fand sofort ein Treffen mit seinen Vorgesetzten statt. Im Ergebnis erhielt er einen Verweis, weil er gegen

12

die Vorschrift zur Mitnahme von Beifahrern verstoßen hatte. Gleichzeitig wurde ihm aber versichert, dass der Unfall nicht sein Verschulden war und er deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werde. Während dieser Phase der Benommenheit und Abwehr (Verleugnungsphase) dachte Harry zwar ab und zu an den Unfall, war dabei aber überrascht, dass der Vorfall so wenig emotionale Wirkung bei ihm hinterlassen zu haben schien. Er war verantwortungsbewusst und korrekt in seiner Arbeit, seine Frau berichtete jedoch, dass er sich beim Schlafen im Bett herumwarf und mit den Zähnen knirschte, außerdem erscheine er angespannter und gereizter als gewöhnlich. Vier Wochen nach dem Unfall hatte er einen Albtraum (Phase des Eindringens von Gedanken und Erinnerungsbildern), in dem verstümmelte Körper auftauchten. Er erwachte mit einem Angstanfall. Während der folgenden Tage sah er wiederkehrende, intensive und sich aufdrängende Bilder des Frauenkörpers in seiner Vorstellung. Diese Bilder und das gleichzeitige Nachsinnen über die Frau wurden von Angstattacken zunehmender Stärke begleitet. Er entwickelte eine Phobie gegenüber dem Fahren zur und von der Arbeit. Er erlebte Wutausbrüche bereits bei kleinen Ärgernissen, hatte Konzentrationsprobleme bei der Arbeit und sogar beim Fernsehen. Harry bemühte sich erfolglos, seine Grübeleien über Schuldgefühle im Zusammenhang mit dem Unfall zu unterdrücken. Besorgt über Harrys Klagen über Schlaflosigkeit, Gereiztheit und seinen zunehmenden Alkoholgenuss überwies ihn sein Arzt in psychiatrische Behandlung. Harry weigerte sich zu Beginn der psychiatrischen Diagnostik, von den Details des Unfalls zu berichten. Dieser Widerstand ließ relativ schnell nach, und er berichtete von wiederkehrenden, sich aufdrängenden Bildern des Frauenkörpers in seinen Vorstellungen. Während der folgenden psychotherapeutischen Behandlung bearbeitete Harry verschiedene Vorstellungs- und Gefühlsbereiche, die

234

L. Wittmann und M. J. Horowitz

assoziativ mit dem Unfall und den sich aufdrängenden Bildern verknüpft waren. Die auftauchenden Konfliktthemen umfassten Schuldgefühle, den Tod der Frau verursacht zu haben, Schuldgefühle über die sexuellen Fantasien, die er über sie vor dem Unfall hatte, Schuldgefühle, dass er froh war, noch am Leben zu sein, während sie gestorben war, und Angst und Ärger, dass er in einen Unfall und ihren Tod verwickelt worden war. In geringem Ausmaß existierte auch eine abergläubische Überzeugung, dass die Frau per Anhalter gefahren war und dadurch den Unfall „verursacht“ hatte. Mit dieser Auffassung war Wut auf die Frau verbunden, die wiederum die verschiedenen Schuldgefühle verstärkte. kProblemthemen

Sechs Problemthemen aus Harrys späterer Psychotherapie sollen als kognitiv-emotionale Strukturen in schematischer Form betrachtet werden. In . Tab.  12.2 ist jedes Thema einem Konfliktbereich und einem resultierenden Gefühl gegenübergestellt. Die drei ersten Themen („Täterthemen“: T1–T3) lassen sich dadurch  

12

zusammenfassen, dass Harry sich selbst als Täter und die Frau als Opfer sieht. In den folgenden drei Themen („Opferthemen“: O1–O3) betrachtet Harry sich selbst als das Opfer. Alle 6  Themen können durch den Unfall aktiviert werden. Bei verschiedenen „Harrys“ mit verschiedenen Persönlichkeitsstilen werden typischerweise unterschiedliche Themen besonders wichtig bzw. konflikthaft. Bei einem histrionischen Harry könnte beispielsweise das Thema der sexuellen Schuld vorherrschen (T3), während bei einem zwanghaften Harry möglicherweise das Thema der Schuld wegen aggressiver Impulse (T2), der Sorgen um die Pflichtverletzung (O2) und das Bild von sich selbst als unschuldigem Opfer (O3) dominieren könnten. Zur Darstellung der Anpassung der therapeutischen Technik an den Persönlichkeitsstil wird hier eine narzisstische Persönlichkeitsvariante zugrunde gelegt (Beispiele für andere Persönlichkeitsstile finden sich bei Horowitz 11976, 2011). Als Referenzpunkt wird dabei zunächst ein Exkurs zum Thema narzisstischer Persönlichkeitsstil vorangestellt.

..      Tab. 12.2  Themen, die durch einen Unfall aktiviert wurden. In den ersten 3 Themen (T1–T3) sieht sich der Patient als Täter, in den letzten 3 Themen (O1–O3) als Opfer Thema (momentane Vorstellung)

Im Konflikt mit …

Resultiert in …

T1 Erleichterung, dass sie und nicht er das Opfer war

… moralischen Vorstellungen

Schuldgefühl (Überlebensschuld)

T2 Aggressionen ihr gegenüber (da sie seine Probleme verursachte)

… moralischen Vorstellungen

Schuldgefühl

T3 Sexuelle Vorstellungen über sie

… moralischen Vorstellungen

Schuldgefühl

O1 Ihre Körperverletzung hätte ihm widerfahren können

Vorstellung vom unverwundbaren Selbst

Angst (vor Tod und Verletzung)

O2 Er hat gegen Regeln verstoßen

Verantwortung gegenüber dem Unternehmen

Angst (vor Anschuldigungen)

O3 Das Trampen hat die Situation herbeigeführt

Allgemeine Unschuldigkeitsvorstellungen („die Schuld liegt außerhalb“)

Wut

Selbst als Täter

Selbst als Opfer

235 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

12.2.2  Exkurs: Beschreibung und

Entwicklung eines narzisstischen Persönlichkeitsstils

Bei den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen wird eine große Selbstliebe, Grandiosität oder Idealisierung anderer Personen beobachtet, der eine extreme Verletzlichkeit des eigenen Selbstkonzepts zugrunde liegt. In psychoanalytischen Theorien wurde die Verletzlichkeit des Selbst auf Schwierigkeiten während der Phase der Differenzierung des Selbstkonzepts in Rollenbeziehungen mit der Mutter oder anderen frühen Bezugspersonen zurückgeführt (Kernberg 1975; Kohut 1971). Auch das Vorherrschen narzisstischer Charaktereigenschaften in einem oder beiden Elternteilen kann ein Kind für Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines stabilen und unabhängigen Selbstkonzepts anfällig machen, da die Eltern das Kind möglicherweise so behandeln, als wäre es eine ihrer eigenen Funktionen und nicht eine selbständige Existenz (also ein Selbstobjekt der Eltern). Wenn die habituellen narzisstischen Befriedigungen, die daraus gezogen werden, geliebt zu werden, besondere Behandlung zu erfahren und das Selbst zu bewundern, zerstört sind, können daraus Depression, Hypochondrie, Angst, Scham, Selbstzerstörung oder Wut gegenüber jeder anderen Person, die für die schlechte Situation verantwortlich gemacht werden kann, resultieren. Kohut (1971) hat 3  nebeneinander existierende, aber abgespaltene Selbstkonzepte be­ schrieben, die häufig bei narzisstischen Persönlichkeiten vorliegen. Abgespaltene Selbstkonzepte bei narzisstischem Persönlichkeitsstil nach Kohut (1971) 55 Grandioses Selbst, bestehend aus einem aufgeblasenen, übertriebenen, exhibitionistischen Selbstbild 55 Geringgeschätztes, beschämtes und schutzloses Selbstbild

12

55 Gefährlich chaotisches, zerstörtes, unstimmiges Selbstbild

Es werden Ersatzbilder für (imaginierte) Eltern aufrechterhalten, die das eigene Selbstbild unterstützen, den Selbstwert anheben, Zurückweisungen verhindern und als ein Spiegel dienen, indem sich das grandiose Selbst bewundern kann. Die Selbst- und Objektrepräsentationen sind stark egozentrisch, und zwischenmenschliche Beziehungen finden sich mehr in Form von „Ich-Es“- als von „Ich-Du“-Beziehungen, die Buber (1959) beschrieb. Themen von Macht und Kontrolle treten in zwischenmenschlichen Beziehungen in den Vordergrund. Der narzisstischen Persönlichkeit geht es dabei um den Besitz von Macht zur Steigerung ihres eigenen Gefühls von Kompetenz und Kontrolle bzw. die Selbsterhöhung durch Anschluss an eine mächtige Person. Kern dieses Wunsches ist die Verwendung der Bewunderung oder Nähe für die Erhaltung des Selbstwertes. 12.2.3  Gedanken- und

Gefühlskontrolle bei narzisstischen Persönlichkeitsstilen

Tritt ein belastendes Ereignis von größerer Bedeutung ein, soll ein Abweichen von der Kenntnis der Realität den potenziell katastrophalen Zustand verhindern. Dieser potenzielle Verlust des Selbstgefühls wäre mit intensiv erlebten Emotionen und einem qualvoll erlebten Gefühl der Hilflosigkeit und Desorientierung assoziiert. Um diesen Zustand zu verhindern, verschiebt die narzisstische Persönlichkeit die Bedeutungen von Ereignissen, um das Selbst in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Jene Qualitäten, die gut sind, werden dem Selbst zugeordnet (Internalisierung). Jene, die unerwünscht sind, werden vom Selbst durch Verleugnen ihrer Existenz, Abwerten damit

236

12

L. Wittmann und M. J. Horowitz

verbundener Eigenschaften, Externalisierung und Negieren früherer Selbstdarstellungen ausgeschlossen (Externalisierung). Solche Formen fließender Bedeutungsverschiebungen erlauben es der narzisstischen Persönlichkeit, eine scheinbare Konsistenz aufrechtzuerhalten. Die verzerrten Bedeutungen erzwingen jedoch weitere Verzerrungen, um bestehen zu können. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten verleihen den kognitiv-­ emotionalen Strukturen eine subjektiv erlebte Unsicherheit. Während Belastungszuständen kön­ nen Lücken in der Vermeidung bedrohlicher Vorstellungen auftreten. Dadurch können Wut oder paranoide Zustände genauso wie Episoden von Panik, Scham oder Depersonalisierung vorkommen. Selbstzerstörerische Handlungen können motiviert sein durch Wünsche, solche Belastungen zu beenden. Ebenso kann ein Verlangen nach sekundärem Gewinn wie Sympathie auftreten oder das Spielen einer Rolle als „verletzter Held“. Diese verschiedenen Muster einer prototypischen narzisstischen Persönlichkeit können wie folgt dargestellt werden, je nachdem ob sie Eigenschaften des Informationsverarbeitungsstils, Persönlichkeitseigenschaften oder überdauernde Muster zwischenmenschlicher Beziehungen sind. Typische Muster bei narzisstischen Patienten 55 Informationsverarbeitungsstil (beobachtbar in kurzen Zeitausschnitten) ȤȤ Verschiebt Bedeutungen von Informationen, die das Selbstkonzept beschädigen könnten ȤȤ Setzt Verleugnung, Entwertung und Negierung zum Schutz des Selbstkonzeptes ein ȤȤ Aufmerksamkeit wird auf Quellen von Lob und Kritik gerichtet ȤȤ Externalisierung schlechter Eigenschaften, Internalisierung guter Eigenschaften ȤȤ Zeitweilige Aufrechterhaltung miteinander unvereinbarer psychi-

scher Einstellungen in separaten Clustern (multiple Selbstbilder) 55 Persönlichkeitseigenschaften (beobachtbar in mittelfristigen Zeitausschnitten, z. B. Gesprächen) ȤȤ Selbstzentriert ȤȤ Überhöhung oder Unterschätzung des Selbst und anderer ȤȤ Selbsterhöhung (oder Pseudo-Demut) bei realen und fantasierten Leistungen, in der Art sich zu kleiden oder im Auftreten ȤȤ Vermeidung selbsterniedrigender Situationen ȤȤ Variabler Einsatz von Verhaltensweisen in Abhängigkeit vom Zustand des Selbstwerts und dem Kontext in Form von ȤȤ Charme, Verführungsqualitäten, Bemühungen um Kontrolle oder Charisma ȤȤ Überlegenheit, Überheblichkeit, Kälte oder Rückzug ȤȤ Schamgefühl, Panik, Hilflosigkeit, hypochondrisches Verhalten, Depersonalisierung oder Selbstdestruktivität ȤȤ Neid, Wut, Paranoia oder Forderungen 55 Zwischenmenschliche Beziehungen (beobachtbar in Langzeitmustern der Patientenbiografie) ȤȤ Verarmte Zwischenmenschlichkeit, Machtorientierung oder Kontrollintentionen über andere, die nur Zubehör darstellen ȤȤ Abwesenheit von „Ich-Du“-Gefühlen ȤȤ Sozialer Aufstieg oder Benutzung anderer Menschen zur positiven Spiegelung ȤȤ Vermeidung von Selbstkritik durch Anstachelung anderer zu unfairer Kritik ȤȤ Fallenlassen und Abwertung von Personen, die nicht mehr nützlich sind

237 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

Für den Fall eines narzisstischen Harry soll im Folgenden das Thema O1 betrachtet werden, in dem Harry von seinen aufdringlichen Bildern des Frauenkörpers in Verbindung mit Vorstellungen von seiner eigenen Anfälligkeit für den Tod berichtet. Die Vorstellung von seinem möglichen Tod ist unvereinbar mit Harrys Wunschvorstellung von Unverletzbarkeit. Die Gefahr, die diese unvereinbaren Vorstellungen mit sich bringen, ist für eine narzisstische Persönlichkeit besonders groß, da sie ein unversehrtes ideales – tatsächlich aber ja empfindlich-­zerbrechliches  – Selbstbild aufrechterhalten will. Um zu verhindern, dass diese unerträglichen Emotionen andauern, werden Kontrollen eingeführt. Für diese Kontrollen bestehen zwei Gründe: 55 Verhinderung der bedrohlichen Angstgefühlszustände und 55 Vermeidung der Angstkognitionen, denn zuzugeben, dass er Angst hat, wäre für Harry ebenfalls eine „narzisstische Kränkung“. Diese „doppelte Gefährdung“ der narzisstischen Persönlichkeit gestaltet die Therapie besonders schwierig, wie in Kürze diskutiert werden soll. Beide Ängste motivieren Abwehrmanöver. Die Vorstellung, dass „jemand“ stirbt, ist dabei ein weniger beängstigendes Konzept, als dass man selbst umkommt. Das Thema „Sterbenmüssen“ wird nun von seiner Bedeutung, selbst sterben zu müssen, zu persönlicher Unsterblichkeit verschoben. Statt Angst ermöglicht die Bedeutungsverschiebung nun ein Gefühl des Triumphes. Dasselbe Bild, das zuvor Angst hervorrief, führt nun, aufgrund einer leichten Irrationalisierung, zu einem eher positiven emotionalen Erlebnis. Durch seine Abwehrnatur ist dieser Zustand allerdings instabil, und Harry wird dazu tendieren, seinen Angstzustand wiederholt zu erleben. Dieses Leugnen der eigenen Sterblichkeit verdient nähere Beachtung. Der narzisstische Harry befreit sich selbst von den Gegebenheiten des Menschseins, indem er denkt: „Sie ist Vertreterin der Art, die stirbt. Ich bin von an-

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derer Art.“ Unter Verwendung dieser Form der narzisstischen Abwehr klassifiziert sich Harry als Ausnahme. Das bedeutet weiterhin, dass er als Ausnahme etwas Besonderes ist. Diese Art der Bedeutungsverschiebung ist mit einem positiven Affekt verbunden: die Dinge sind besser als angenommen. Indem Bedeutungen verschoben und ungeschehen gemacht und tödliche Gefahren wie Sterbenmüssen und Verletzlichkeit externalisiert wurden, konnte eine komplette Umkehrung der Emotionen erreicht werden. >> Bei der narzisstischen Persönlichkeit liegt ein doppeltes Problem vor: Bedrohung durch vermiedene Vorstellungen und Erlebnisse wie auch Vermeidung des Zugebens, dass etwas vermieden wird.

12.2.4  Therapietechnik:

Umstrukturieren und Stabilisieren

Wie kann ein Psychotherapeut mit solchen fließenden Bedeutungsverschiebungen umgehen? Hinsichtlich der kognitiv-emotionalen Verarbeitung ist eine neubewertende Umstrukturierung ein nützliches Mittel in der Therapie. kLangsames Vorgehen

Der Prozess sollte langsam durchgeführt werden; so langsam wie notwendig, um Harry zu helfen, sich einer Bedrohung zu öffnen, die stark genug wäre, ihn in einen Zustand der Selbstzersplitterung zu werfen. Während dieses langsamen Prozesses werden dann die Anstrengungen unternommen, die Ereignisse und ihre verschiedenen Deutungsmöglichkeiten neu zu bewerten. kTaktgefühl

Hinsichtlich der therapeutischen Beziehung spielt das Taktgefühl eine wichtige Rolle. Taktgefühl ist unerlässlich, da die narzisstische Persönlichkeit stärker auf den Therapeuten als auf die thematischen Bedeutungen konzentriert ist. Der Therapeut stellt eine wichtige aktuelle Quelle für Lob oder Kritik dar. Die realistischen

238

L. Wittmann und M. J. Horowitz

oder verzerrten Beobachtungen des Patienten, wie stark das Interesse oder Desinteresse des Therapeuten ausgeprägt ist, beeinflussen das allgemeine Gleichgewicht des Patienten. kRealistische Situationserfassung

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Während der Rekonstruktion sollte der Therapeut besonderen Wert darauf legen, gemeinsam mit Harry realistische Verantwortungszuschreibungen zu allen Ereignisaspekten zu erarbeiten. Sowohl Therapeut als auch Patient sollten versuchen zu klären, wie stark der Patient bei jedem Aspekt der Handlung beteiligt war, d.  h., was wirklich in seiner Verantwortung lag und was durch äußere Umstände hervorgerufen wurde. Diese Klärung beinhaltet, zwischen Realem, Wahrscheinlichem und Fantasien zu unterscheiden. Beim Klären und Umstrukturieren werden einige der Externalisierungen wieder rückgängig gemacht. Angenommen, ein narzisstischer Harry drückt z. B. Wut auf den anderen Fahrer aus, der ihn dazu zwang, die Straße zu verlassen. Diese Externalisierung eigener Verantwortungsanteile stellt einen Versuch dar, das Verschulden für den Tod der Frau nicht bei sich selbst, sondern allein beim Fahrer der Gegenrichtung zu suchen. Dem liegen nicht nur ängstliche Vorstellungen von eigenen Fehlern zugrunde, sondern auch Angst vor potenziellen unrealistischen Anschuldigungen. kVerantwortungen herausarbeiten

Die Umstrukturierung bezieht jedes mögliche Element der Verantwortung ein: seine Verantwortung, die Frau mitgenommen zu haben; seine Verantwortung für die anderen Autos, die fast zusammengestoßen wären; dafür, das Auto auf seine Weise von der Straße herunter gelenkt zu haben; seine Verantwortung für seine Handlungen nach dem Unfall – das alles muss jetzt neu bewertet werden. Für jedes Thema wird bei der Umstrukturierung ein Endpunkt erreicht, an dem eine realistische Entscheidung über die Bewertung der Verantwortungsfrage erfolgt, die Harry von unrealistischen Schuldkomponenten befreit. Die Überprüfung und Neubewertung durch den Therapeuten ermög-

licht es Harry, eine bewusste Entscheidung über sein Ausmaß an Verantwortung zu erzielen. Außerdem kann er die Erfahrung machen, vom Therapeuten nicht mit Kritik angegriffen zu werden. Der Therapeut vermeidet solche Angriffe, obgleich er durch die krassen Externalisierungen des Patienten dazu angestachelt werden kann (Gegenübertragung). kEingehen auf Persönlichkeitsentwicklung

Umstrukturierungen und Überprüfungen schlie­ ßen das angstauslösende Thema, z.  B. der Sterblichkeit (O1), mit ein. Für den narzisstischen Harry ist es besonders schwierig, dieses Thema durchzuarbeiten. Realistische ­Bedrohungen seines Selbstbildes stellen seine Achillesferse dar, die aus der narzisstischen Persönlichkeitsentwicklung herrührt. Wird ersichtlich, dass frühere Erinnerungen und Fantasien wachgerufen wurden, benötigen diese ebenfalls eine Umstrukturierung im Licht der Gegenwart. Diese Umstrukturierungen bei narzisstischen Patienten erfordern besonders ausgedehnte Anstrengungen, um die Unterscheidung von Selbst und Anderen hinsichtlich ihrer Motive, Handlungen und Empfindungen zu klären. 12.2.5  Beziehungsaspekte bei

narzisstischen Patienten

Die Behandlung narzisstischer Persönlichkeiten ist für den Therapeuten häufig schwierig, da der narzisstische Patient den Therapeuten eher benutzt, als dass er eine Beziehung mit ihm eingeht. Obwohl sich der Therapeut als wirkliche Person unwichtig vorkommen und als Reaktion darauf z.  B. selbst Desinteresse empfinden kann (vgl. die empirischen Ergebnisse von Betan et  al. 2005), muss er verstehen, was gerade abläuft, und dem Patienten sachlich näherkommen. Der Therapeut muss eine Zeitlang unterstützend wirken. Beim narzisstischen Patienten können Unterstützung und Nähe weniger eine Frage der Wärme als der Akzeptanz seiner Externalisierungen sein.

239 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

Dies geschieht jedoch nicht ohne Konsequenzen, da es zu einem späteren Therapiezeitpunkt notwendig sein kann, solche Externalisierungen zu entmutigen. Unter der Lupe: „Quasi-Beziehungen“ bei narzisstischem Persönlichkeitsstil

Die narzisstische Persönlichkeit verschafft sich durch zwei Formen einer „Quasi-Beziehung“ das Sicherheitsgefühl, das notwendig ist, um ihre normalerweise vermiedenen Vorstellungen und Gefühle zu erleben und auszudrücken. Eine Form ist durch persönliche Großartigkeit, verbunden mit der Erwartung, bewundert zu werden, charakterisiert. Die andere besteht in der Idealisierung des Therapeuten, dessen „Licht“ wiederum auf den Patienten zurückfällt.

Die großartige Quasi-Beziehung tritt meist entweder zu Beginn einer Behandlung auf oder in der Genesungsphase direkt nach einem erfolgreich überwundenen anfänglichen Belastungszustand. Prahlerei und Selbstlob treten in subtilen oder stärkeren Formen auf und bewirken, dass die Therapiezeit von belastungsrelevanten Themen abgezogen wird. Das Taktgefühl, wie an früherer Stelle betont wurde, lässt diese Bemühungen auch zu, um das Selbstwertgefühl wiederherzustellen, anstatt darauf zu bestehen, bei zentralen Konflikten zu bleiben, oder die großartigen Bemühungen als Kompensation zu interpretieren. Dieses Taktgefühl oder diese Zurückhaltung können für solche Therapeuten besonders schwer sein, die es gewöhnt sind, sich auf die positive therapeutische Beziehung zu verlassen, um dem Patienten über Perioden harter Arbeit an bedrohlichen Vorstellungen hinwegzuhelfen. Es ist schwierig, daran zu denken, dass die Beziehung mit narzisstischen Patienten nicht stabil ist und dass ihr Bedürfnis oft gebieterisch und nicht mit der üblichen Anteilnahme verbunden ist.

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Die zweite Form von Quasi-Beziehung, die Idealisierung des Therapeuten, zielt auf die Wiedergutmachung des Schadens dadurch ab, dass der Patient sich einbildet, er werde erneut durch eine mächtige oder attraktive Bezugsperson beschützt und als wertvoll erachtet. Das Belastungsreaktionssyndrom wird zur Eintrittskarte für diese Art der Selbstwertverbesserung. Abermals ist zu Beginn der Behandlung, wenn der Patient noch teilweise vom Belastungsfolgesyndrom überwältigt ist, taktvolle Toleranz erforderlich. Die glorifizierenden Aussagen über den Therapeuten weisen auf eine Idealisierung hin, die den Schaden, der dem Selbst zugefügt wurde, vorübergehend wiedergutmacht. In diesem Fall muss auf einen sichereren Zeitabschnitt gewartet werden, in dem an der Umstrukturierung und Integration der belastenden Ereignisse ­gearbeitet werden kann. Auch die Externalisierungen können einem Patienten helfen, zu belastenden Themen ausreichenden emotionalen Abstand zu gewinnen, sodass er es ertragen kann, über sie nachzudenken. Wird beispielsweise ein Gefühl des Ekels gegenüber dem Tod auf den Therapeuten projiziert, besteht die entscheidende Methode darin, den Patienten zu bitten, mehr über das augenblickliche vermutete Empfinden des Therapeuten zu sprechen. Dadurch wird dem Patienten ermöglicht, die eigenen Gefühlspfade so zu begehen, als wären es die Wege des Therapeuten. Eine direkte Intervention, etwa in der Form: „Sie fühlen sich vom Tod angeekelt“, sollte erst später geschehen. 12.2.6  Empirische Evidenz

Im Rahmen einer randomisiert-kontrollier­ ten Studie (Brom et  al. 1989) wurde die Wirksamkeit des vorgestellten Ansatzes mit mehreren Vergleichsbedingungen (Trauma-­ Desensitivierung, Hypnotherapie, Wartegruppe) verglichen. Mit einer Prä-post-Effektstärke von 1.14 und den stärksten Effekten aller Verfahren während des 3-monatigen Beobachtungszeitraums nach Therapieende stellte der

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L. Wittmann und M. J. Horowitz

Ansatz seine Wirksamkeit eindrücklich unter Beweis. 12.3  Psychodynamisch imagina-

tive Traumatherapie

Die 11. Revision der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (aktuelle 10. Revision: WHO 2004) stellt dem Konzept der posttraumatischen Belastungsstörungen die Diagnose der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung zur Seite (Maercker et  al. 2013). Dieses auf Judith Herman (Herman 1992) zurückgehende Konzept berücksichtigt spezifische Phänomene, wie sie häufig bei Opfern langandauernder Traumatisierungen, insb. während der Kindheit, zu beobachten sind (7 Kap.  3). Beispiele hierfür sind Schwierigkeiten in Emotionsregulation und Beziehungsgestaltung oder veränderte Selbst- oder Täterwahrnehmung. Während traumaspezifische Behandlungsansätze bei nichtkomplexen klinischen Bildern eine deutliche Überlegenheit (Effektstärke .87) gegen unspezifischen Interventionen aufweisen, geht dieser Unterschied bei komplexen klinischen Problemen weitestgehend verloren (Effektstärke .23; Gerger et  al. 2014). So ist verständlich, dass eigene Behandlungsansätze für Menschen, die an komplexen Traumafolgestörungen leiden, entwickelt wurden. Ein solcher Ansatz ist die psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT) von Luise Reddemann. Vor einer Darstellung zentraler Aspekte des Therapieablaufs sei die bemerkenswerte Position der Autorin in Bezug auf ihr Konzept von therapeutischer Haltung und menschlicher Begegnung betont. Wenn sie dazu rät, „ …  jedem neuen Patienten so zu begegnen, als betrete man neues unbekanntes Land mit einer recht ungenauen Landkarte“ (Reddemann 2004, S. 21), wird die Relativierung der Bedeutung vermeintlicher therapeutischer Expertise gegenüber einer forschenden Haltung deutlich.  

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Unter der Lupe: Primat der therapeutischen Beziehung vor der Technik

Im Rahmen dieser für komplex – und damit in aller Regel im Rahmen von Beziehungen – traumatisierte Menschen konzipierten Behandlungsform gilt ein klares Primat der therapeutischen Beziehung vor der Technik: „Es geht immer um die Behandlung des ganzen Menschen. Und es geht um die Wirksamkeit einer Beziehung“ (Reddemann 2004, S. 43). Konkret erfordert dies seitens der Therapeuten „ … Takt, Zugewandtheit, die Bereitschaft, neue Erfahrungen zu ermöglichen, und die Bereitschaft, eigene Fehler einzugestehen und sich, wenn nötig, dafür auch zu entschuldigen“ (Reddemann 2004, S. 48).

Erwähnenswert ist hier ebenfalls Reddemanns (2004, S.  73) Postulat, dass PITT-­ Therapeuten die von ihnen vertretenen Prinzipien auch selbst leben sollen: „Ressourcenorientierte Psychotherapie braucht Ressourcenorientierung lebende TherapeutInnen!“. Trotz aller erfreulichen Erfolge in der Traumatherapie zeigt die empirische Forschung doch auch die Grenzen therapeutischen Wirkens in Anbetracht der oft chronischen und manchmal irreversiblen Folgen traumatischer Ereignisse auf (Wittmann und Schnyder 2014). Wenn Reddemann (2004, S.  19) von „Heilung mit Narben“ spricht und betont, dass die therapeutische Arbeit bei traumabedingten Persönlichkeitsveränderungen mehr Zeit in Anspruch nimmt  – ein zentrales im PITT-Manual verwendetes Fallbeispiel umfasst etwa 240  Sitzungen während drei Jahren – dann tritt sie ebenso offensiv für eine illusionsfreie Realitätswahrnehmung wie für eine angemessene Versorgung schwer traumatisierter Menschen ein. PITT ist einerseits ein methodenintegratives Verfahren. So lassen sich Einflüsse aus Ego-State-Therapy, Hypnotherapy, achtsamkeitsbasierter Psychotherapie und vielen wei-

241 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

teren Ansätzen erkennen. Anderseits werden solche Elemente nicht unreflektiert kopiert, sondern in einen psychodynamischen Rahmen intergiert. Reddemann (2004, S.  66  ff.) veranschaulicht dieses Prinzip am Beispiel einer kognitiven Arbeit an der Selbstwahrnehmung einer Patientin. Dabei bleibt PITT nicht bei der kognitiven Widerlegung eines Selbstschemas – etwa im Rahmen eines sokratischen Dialogs – stehen, sondern ergänzt den kognitiven Aspekt um die Ebenen der emotionalen Bedeutung und der beziehungsregulierenden Funktion solcher Schemata. Der Ablauf einer PITT lässt sich in den Phasen der Einleitung, Stabilisierung, Traumakonfrontation und Integration beschreiben. Dabei ist jedoch  – wie auch beim ersten in diesem Kapitel vorgestellten Ansatz – keine starre, sondern eine flexible Phasenabfolge impliziert, bei der darauf vertraut wird, dass der Patient die Weisheit besitzt zu entscheiden, was er zu einem gegebenen Zeitpunkt benötigt. 12.3.1  Einleitungsphase

Möglichst früh erfolgt im Rahmen von PITT die explizite Auftrags-und Zielklärung für die Behandlung, wobei letztere auf Grundlage der Lebensziele der Patienten erarbeitet werden kann. Für die Anamneseerhebung gilt, dass diese nicht durch einseitige Fokussierung oder Betonung schwieriger Aspekte den Charakter einer Probekonfrontation erhalten soll. Dies gilt nicht nur, aber insbesondere auch für das Berichten traumatischer Erfahrungen. In diesem Zusammenhang deutet sich bereits eine mögliche Überschneidung mit Distanzierungs- oder ressourcenorientierten Techniken der Stabilisierungsphase an. Dabei können Interventionen, die die Selbstbeobachtungsfähigkeit oder den Umgang mit Krisen unterstützen, in den Therapiestunden oder im Rahmen von Hausaufgaben eingesetzt werden. Auch psychoedukatives Arbeiten in der Erklärung des therapeutischen Vorgehens und der verwendeten Konzepte findet hier Platz.

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12.3.2  Stabilisierungsphase

Die Herstellung äußerer Sicherheit kann als Voraussetzung für die Entwicklung eines Gefühls innerer Sicherheit gelten. Wenn Täterkontakt besteht, sollten Patienten in der Entwicklung der notwendigen Distanzierung unterstützt werden, wobei die zu ergreifenden Maßnahmen an die zum Täterkontakt beitragenden Faktoren anzupassen sind. Dies mag in einem Fall die Klärung sein, welcher Anteil des Patienten aufgrund welcher Bedürfnisstruktur den Kontakt zum Täter aufrechterhalten möchte, im anderen Fall wird es sozialpsychiatrische Interventionen erfordern. Psychoedukativ-­normalisierende Aufklärung zu Traumatisierungen, ihren Folgen und dem Umgang damit können die Selbstakzeptanz von Patienten fördern. Für diese Phase wird ein großer Reichtum technischer Varianten beschrieben, die von imaginations- und achtsamkeitsbasierten Verfahren über den Einsatz themenspezifischer Geschichten oder Bilder zu Übungen zur Körperwahrnehmung reichen. >> Grundprinzip ist dabei eine konsequente Ressourcenaktivierung: der angemessenen Würdigung der bestehenden Pro­ bleme wird die Fokussierung vorhandener und zu entwickelnder Kompetenzen oder positiver Aspekte zur Seite gestellt.

Im Folgenden seien einige zentrale Techniken kurz angeführt (für eine ausführliche Beschreibung siehe Reddemann 2010). kSicherer Ort

Dabei begibt sich die Person in der Vorstellung an einen vorgestellten Ort, der höchste Sicherheit und Wohlbefinden repräsentiert. Dieser Ort wird so ausgestaltet, dass diese Eigenschaften mit Vorstellungen in allen Sinnesdimensionen wahrgenommen werden. Durch regelmäßige Vorstellungsreisen an diesen Ort erlernt die Person, sich in schwierigen Situationen beruhigen und regenerieren zu können.

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kInnere hilfreiche Wesen

Es werden Vorstellungen von Wesen entwickelt, wie sie etwa aus Märchen bekannt sind, die Trost, Ermutigung, Rat oder Geborgenheit repräsentieren. Diese können zur Unterstützung an den sicheren Ort eingeladen werden. kInneres Team

Hierzu begibt sich der Patient in der Vorstellung in einen sicheren Raum und lädt Personen zu sich ein, die die eigene Person in unterschiedlichen früheren und späteren Lebensphasen repräsentieren. Indem diese in einem inneren Dialog um ihre Meinung oder ihren Rat gebeten werden, eröffnet sich der Patient Zugang zu seiner inneren Weisheit. kTresorübung

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Diese ist eine ergänzende, gewissermaßen mit einer entgegengesetzten Vorstellung arbeitende Vorstellungsübung und dient der vorübergehenden Befreiung von belastendem Material. Dazu werden z.  B. noch nicht bearbeitbare Erinnerungen oder Bilder in einem vorgestellten Tresor – oder bei Bedarf in mehreren Tresoren – weggeschlossen. Wie sich bereits in der Arbeit mit dem inneren Team angedeutet hat, greift PITT ausgiebig auf die Arbeit mit Ego-States zurück. Reddemann vertritt dabei einen pragmatischen Zugang zum Konzept der unterschiedlichen Ich-Anteile: „ …  selbstverständlich leben in der Patientin nicht verschiedene Menschen. …  Der Wert des Konzeptes liegt in seiner klinischen Stimmigkeit, Handhabbarkeit und Einfachheit“ (Reddemann 2004, S.  118). Hierzu erleichtert eine Beschreibung des verwandten Konzepts des inneren Kindes das Verständnis:

»» Nach unserem Konzept handelt es sich

in den allermeisten Fällen von heftigen Gefühlen, die nicht zu dem Verhalten einer erwachsenen Person zu passen scheinen, um unaufgelöste Konflikte, Verletzungen oder Traumata aus der Vergangenheit, meist der Kindheit. Die Arbeit mit kindlichen verletzten Anteilen erscheint uns

daher als ein sehr wirksames Instrument, die erwachsene Person von heute in ihrer Funktionsfähigkeit zu stärken … . (Reddemann 2010, S. 72)

Um das Funktionsniveau der erwachsenen Patientin in ihrem heutigen Leben und der aktuellen Therapiesituation aufrecht zu erhalten, begegnet bei der Ego-States-Arbeit das erwachsene Ich den kindlichen Anteilen, was sich als eine durch die imaginative Technik eingegrenzte Regression bezeichnen ließe. Während der Stabilisierungsphase dient die Ego-States-Arbeit nicht der Traumakonfrontation, sondern der sichereren Unterbringungen und Tröstung des inneren Kindes. Wenn das erwachsene Ich noch nicht stabil genug ist, um sich um das innere Kind zu kümmern, können hierzu beispielsweise innere helfende Wesen herangezogen werden. kArbeit mit Täterintrojekten

Ehlert-Balzer (1996) hat detailliert beschrieben, wie die Psychodynamik der traumatischen Situation dazu führen kann, dass selbst erwachsene Traumaopfer Aspekte des Traumas oder Täters wie einen Fremdkörper in ihrem eigenen Ich verankern können. Dies kann sich etwa in der Übernahme der Schuldzuweisung durch den Täter äußern. Da hierbei die Übermacht des Täters eine entscheidende Rolle spielt, liegt die Annahme nahe, dass die Ausbildung von Täterintrojekten bei Traumatisierungen im Kindesalter häufiger und ausgeprägter vorkommen dürfte. In PITT erfolgt die Arbeit an Täterintrojekten entweder im Rahmen der Ego-States-Arbeit. Dafür bietet sich naheliegenderweise die Übung des inneren Teams an, bei der ich-syntone wie ich-dystone Anteile repräsentiert werden können. Eine als „Drachentötermodell“ bezeichnete Alternative zielt darauf ab, dass die Patientin das in symbolischer Gestalt repräsentierte Täterintrojekt unschädlich macht. So wie der Drache im Mythos stets einen Schatz hütet, betont Reddemann (2004, S. 135) die Wichtigkeit, nicht bei der Drachentötung stehen zu bleiben, sondern die Patientin in ihrer Imagination einen Schatz finden zu lassen.

243 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

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12.3.3  Traumakonfrontation

Vor wiederholter Konfrontation ist eine ausreichende Restabilisierung sicherzustellen. WähLange Zeit galt es als kaum hinterfragbare rend der Konfrontation wird darauf geachtet, Tatsache, dass Traumakonfrontation (Exposi- dass die Ebenen Verhalten, Gefühle, Körpererletion) der zentrale wirksame und deshalb un- ben und Gedanken (Braun 1988) in Bezug auf verzichtbare Bestandteil einer Traumatherapie das traumatische Erleben dissoziationsfrei einist, ja dass darüber hinausgehende Elemente bezogen werden. Dabei entscheiden Patient und wie Stabilisierungstechniken überflüssig wenn Therapeut gemeinsam, mit welchen Techniken nicht gar schädlich sein könnten (Neuner sie hierbei arbeiten. An dieser Stelle sei ledig2008). Inzwischen zeigt eine randomisiert-­ lich ein weiterer Ansatz angeführt, der in Komkontrollierte Studie zur interpersonellen Psy- bination mit bereits in der Stabilisierungsphase chotherapie (Markowitz et  al. 2015)  – von erlernten Übungen zum Einsatz kommen kann. einigen Autoren ebenfalls als psychodynamisches Verfahren eingeordnet (Kudler et al. kBeobachtertechnik 2009) –, dass sich posttraumatische Belas- Die therapeutische Nutzung der Aufspaltung tungsstörungen auch ohne Exposition er- in einen erlebenden und einen beobachtenden folgreich behandeln lassen. Bei Patienten Anteil  – die therapeutische Ich-Spaltung  – ist mit komorbider Depression erzeugte dieser frühzeitig beschrieben worden (Sterba 1934). Ansatz sogar 9-mal weniger Therapieabbrü- Wenn alle am Trauma beteiligten Ego-States, che als eine expositionsbasierte Vergleichs- sowie auch der aktuelle erlebende Anteil, am bedingung („Prolonged Exposure“). Somit sicheren Ort untergebracht sind, betrachtet der lässt sich Reddemanns klinische Erfahrung, beobachtende Teil des Patienten das Traumagedass komplex traumatisierte Patienten, die schehen. Durch diese gewissermaßen dissoziadie Stabilisierungsphase durchlaufen haben, tive Übung kann eine Distanzierung und damit oft „keine Traumakonfrontation mehr wollen eine Reduktion der Belastung und des Leidens oder brauchen“ (Reddemann 2004, S.  145), erreicht werden. Weiter kann entschieden werdurchaus in einen Zusammenhang mit aktuel- den, ob der traumatisierte Ich-Anteil (z. B. das len Befunden der „evidence based medicine“ kindliche Ich) vom sicheren Ort aus mit dem stellen. Lediglich in Bezug auf einfache post- beobachtenden Anteil in Verbindung steht oder traumatische Belastungsstörungen infolge ei- ob er dies dem erwachsenen Ich-­Anteil übernes Monotraumas erkennt sie ein Primat der lassen will. In Bezug auf die aufkommenden Expositionskomponente an (vgl. die oben an- Gefühle wird zwischen traumaassoziierten und geführten Ergebnisse von Gerger et al. 2014). traumaverarbeitenden Gefühlen unterschieden (Reddemann 2004): die traumaassoziierten Gefühle werden eingegrenzt, indem sie nur Unter der Lupe: Traumakonfrontation vom beobachtenden Anteil wahrgenommen werden; traumaverarbeitende Gefühle wie Wut Als Voraussetzungen für Traumakonoder Trauer werden, sofern sie nicht zu überfrontation gelten in der PITT äußere Siflutend sind, auch von den erlebenden Ich-Ancherheit, eine tragfähige therapeutische teilen erfahren. Auch nach Abschluss der KonBeziehung und psychische Stabilität. frontation geht die Arbeit mit den Ego-States Letzteres impliziert eine ausreichende weiter, beispielsweise in der Fürsorge und im Affektregulationsfähigkeit, um emoTrost für das damalige und das heutige Ich. tionale Belastungen dissoziationsfrei aushalten und sich selbst beruhigen zu können. Die Traumakonfrontation wird dabei im Kontrast zu vielen am Habituationsparadigma orientierten Verfahren so schonend wie möglich durchgeführt.

12.3.4  Integration

Betrauern und Integrieren des Geschehenen und seiner Konsequenzen sind ein Teil dieser

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abschließenden Phase, die zugleich einen Neubeginn für Patienten symbolisiert. Auch hier wird der therapeutische Prozess mit imaginativen Techniken unterstützt. Zentrale Themen sind beispielsweise Visionen für die Zukunft, selbstwertbezogene Themen, die Nutzung von Ressourcen auf dem weiteren Weg oder Sinnfragen und spirituelles Erleben. 12.3.5  Evidenz

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Beispiele nichtrandomisierter Studien, bei den die Wirkung von PITT bei stationären Psychotherapiepatienten mit Wartelistenpatienten verglichen wurde, finden sich bei Lampe et al. (2008) und Bebermeier (2014). Die Dauer der hier evaluierten stationären Aufenthalte wird mit 6 bzw. ca. 10 Wochen beschrieben, zumindest substanzielle Anteile der in beiden Studien beschriebenen Patienten lassen sich als schwer oder komplex traumatisiert bezeichnen. Dabei wiesen die mit PITT behandelten Patienten bei Behandlungsende sowie z.  T. auch noch 6  Monate später verbesserte Werte in psychopathologischen (z. B. Schweregrad von Depressionen, Ängstlichkeit oder Somatisierung) wie ressourcenorientierten (z.  B.  Achtsamkeit, Selbstberuhigung) Maßen auf. In beiden Studien ließ sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungs- und Kontrollpatienten in Bezug auf den Verlauf des PTSD-­Schweregrads feststellen. Es obliegt somit zukünftigen Studien, insb. im ambulanten Setting, deren Design auch die Aussagen Reddemanns zur notwendigen Dauer der Behandlung komplex traumatisierter Menschen ernst nimmt, zu prüfen, ab wann eine Reduktion von PTBS-Symptomen beobachtet werden kann. 12.4  „Manual psychodynamische

Traumatherapie“

Besonders beim zuletzt vorgestellten Ansatz fällt das stark integrative Vorgehen auf, etwa in Bezug auf imaginative oder achtsamkeits-

basierte Elemente. In anderen Beispielen werden psychodynamische Komponenten explizit in einen eklektischen Rahmen aufgenommen, so bei der Brief Ecclectic Psychotherapy (BEP; Gersons et  al. 2011). All diesen Ansätzen ist des Weiteren gemeinsam, dass sie einem störungsspezifischen Paradigma verpflichtet sind. In jüngerer Zeit gewinnen jedoch auch Stimmen, die distinkte diagnostische Kategorien bei Annahme getrennter ätiologischer Faktoren, unterschiedlicher Biomarker und der Notwendigkeit störungsspezifischer Behandlungsprotokolle hinterfragen, im Lichte empirischer Forschungsergebnisse an ­Plausibilität (z. B. Caspi et al. 2014; Markowitz et al. 2015). Aus den zahlreichen weiteren möglichen Beispielen (z.  B.  Grothe et  al. 2003; Lindy 1993; Marmar 1991; Vitriol et al. 2009; Wöller et al. 2012) sei deshalb abschließend eine jüngere Entwicklung zur Darstellung ausgewählt, die in dieser Hinsicht einen alternativen Ansatz darstellt. Auf der „15. European Conference on Traumatic Stress“ in Odense, Dänemark stellten Wittmann et al. (2017) ein neu entwickeltes Behandlungsmanual vor. Unter der Lupe

Das Manual von Wittmann et al. (2017) beschreibt, wie klassische störungsübergreifende psychodynamische Interventionen im Rahmen der Arbeit mit traumatisierten Menschen an deren jeweils individuellen Bedarf angepasst werden können. Dabei wird die Annahme, dass hier grundsätzlich anders als mit anderen Patienten gearbeitet werden oder dass das verfügbare Spektrum an Interventionen integrativ erweitert werden müsste, vermieden.

Um die aus psychodynamischer Per­ spektive notwendige Flexibilisierung der Behandlung zu gewährleisten, bedient sich das Manual des Prinzips von Parametern. Statt

245 Psychodynamische Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen

vorzugeben, mit welcher Technik zu arbeiten ist, werden Entscheidungskriterien vermittelt, ob und in welcher Ausgestaltung spezifische psychodynamische Interventionsformen angewendet werden könnten. Wenn eine zeitliche Einengung der Behandlung in Anbetracht von Ausgangssituation und Behandlungszielen als realistisch eingestuft wird, kann diese über eine fokussierende Behandlungsformulierung erreicht werden. Dabei wird das von Malan (1965) beschriebene Vorgehen angepasst, indem die folgenden 4  Ebenen in Form eines Quadrats aufeinander bezogen werden: 55 die traumatische Erfahrung und ihre Folgen, 55 wichtige Beziehungserfahrungen in der Gegenwart, 55 prägende Beziehungserfahrungen in der Entwicklungsgeschichte, 55 die aktuelle therapeutische Beziehung. Dies veranschaulicht die zentrale Bedeutung, die dieser Ansatz interpersonellen Erfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung, für ein Verständnis der subjektiven traumatischen Erfahrung und für Schwierigkeiten beim Durcharbeiten der traumatischen Erfahrung zuspricht. Die jeweils aktuelle therapeutische Arbeit kann jeden der 4 Eckpunkte des Traumaquadrats zum Ausgangspunkt nehmen, wobei Bedeutungen erzeugt werden, indem 2 oder mehr Eckpunkte miteinander verbunden werden. Dies sei an einem Beispiel der Arbeit am Übertragungsgeschehen innerhalb der therapeutischen Beziehung veranschaulicht: Fallbeispiel: komplex traumatisierter Patient Ein komplex traumatisierter Patient kommt in dissoziiertem Zustand zur zweiten Therapiestunde. Er erklärt, dass die S-Bahn zur Zeit des Berufsverkehrs so voll sei und ihn dies sehr verängstigt habe. Auf Nachfrage beschreibt er, dass er bereits bei der Terminvereinbarung geahnt habe, dass der vom Therapeuten vorgeschlagene Zeitpunkt deshalb ungünstig sein könnte. Der Therapeut entscheidet sich dagegen, mit dem Patienten die Details der

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angstauslösenden Anreiseumstände zu präzisieren, was möglicherweise in einen Fokus auf die traumatische Situation und deren Hinweisreize resultiert hätte. Stattdessen spricht er das Übertragungsgeschehen bei der Terminvereinbarung an. Er bringt die Arbeitshypothese ein, dass der Patient dabei die vermuteten Bedürfnisse des Therapeuten in Bezug auf die Terminvereinbarung über seine eigenen gestellt haben könnte, für die es offenbar keinerlei Raum gegeben habe (der Patient hatte dem Terminvorschlag ohne erkennbare Ambivalenz zugestimmt). Nun konnte das Einbringen und Verteidigen eigener Bedürfnisse als ein zentrales Thema des Patienten erkannt werden. Von dieser Beobachtung innerhalb der therapeutischen Beziehung aus ergaben sich im Sinne der Arbeit mit dem Traumaquadrat Assoziationen zur Familien­ geschichte des Patienten, zu den Folgen der Traumatisierung während der Kindheit für die Persönlichkeitsentwicklung sowie dem Aspekt der heutigen Beziehungsgestaltung und Retraumatisierungsgefahr.

So wie die 4 Ecken des Traumaquadrats als gleichwertig betrachtet werden, so wird auch die Arbeit mit Wiedererleben und Vermeidung als gleichwertig betrachtet. Wie von Horowitz (11976, 2011) beschrieben, ist das Oszillieren zwischen beiden Zuständen auch in den therapeutischen Sitzungen beobachtbar. Entsprechend dem Prinzip, den Rhythmus des Patienten zu respektieren und das, was sich aktuell manifestiert, als Ausgangspunkt für das gemeinsame Arbeiten zu nutzen, würden beispielsweise Hinweise auf Vermeidung nicht als Anlass zu direktiv-konfrontierenden Interventionen genommen, sondern zur Klärungen des Vermeidungsbedarfs und seiner Bezüge zu früheren oder aktuellen zwischenmenschlichen Erfahrungen genutzt. Eine Reduktion des Vermeidungsbedürfnisses kann dann ein spontanes, nichtdirektives Durcharbeiten der traumatischen Erfahrung ermöglichen. Eine mehrstufige Phase der Evaluation dieses Manuals befindet sich derzeit in Vorbereitung.

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12.5  Zusammenfassung

12

Psychodynamisch orientierte Wissenschaftler und Kliniker haben wesentliche Beiträge zur Entwicklung der heutigen Psychotraumatologie geleistet. Dabei wurden einerseits zahlreiche therapeutische Ansätze für die Arbeit mit traumatisierten Menschen entwickelt, anderseits haben sich spannende Möglichkeiten der Kombination mit anderen Verfahren herausgebildet. Obwohl diverse Ansätze erste ermutigende empirische Daten vorgelegt haben, liegt das zentrale Manko aus Perspektive der evidenzbasierten Medizin jedoch in der geringen Anzahl randomisiert-­ kontrollierter Studien. Während in Bezug auf andere Störungsbilder eine Zunahme an entsprechend kontrollierten empirischen Wirksamkeitsnachweisen für psychodynamische Verfahren festzustellen ist (z.  B.  Review von Leichsenring et  al. 2015), bildet sich diese erfreuliche Entwicklung noch nicht ausreichend im Feld der psychodynamischen Traumatherapie ab. Dies ist auch deshalb bedauerlich, da gerade solche psychodynamischen Ansätze, die sich in ihrem Vorgehen deutlich von bereits als evidenzbasiert geltenden Verfahren unterscheiden, wichtige Beiträge zur Frage der differenziellen Indikationsstellung leisten könnten. Dieses Manko kann als zentrale Herausforderung für traumafokussierte psychodynamische Behandlungsansätze gelten.

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249

Kognitive Verhaltenstherapie T. Ehring 13.1

Einleitung – 250

13.2

Überblick – 250

13.2.1 13.2.2

 ehandlungsansätze – 250 B Beispiele für evidenzbasierte kognitivverhaltenstherapeutische Therapieprogramme – 250

13.3

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Störungsmodelle – 251

13.3.1 13.3.2 13.3.3

 esonderheiten des Traumagedächtnisses – 251 B Exzessive negative Bewertungen des Traumas und/oder seiner Konsequenzen – 253 Dysfunktionale Bewältigungstrategien – 254

13.4

Wichtige Therapiebausteine – 256

13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4 13.4.5 13.4.6 13.4.7

 iagnostik und Therapieplanung – 256 D Vorbereitung auf die traumafokussierte Therapie – 256 Modifikation des Traumagedächtnisses – 258 Kognitive Interventionen – 267 Veränderung aufrechterhaltender Strategien – 270 Bearbeitung weiterer Problembereiche – 272 Therapieabschluss und Booster-Sitzungen – 272

13.5

Zusammenfassung und Ausblick – 273 Literatur – 273

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich im weiteren Kapitel auf die parallele Nennung der weiblichen und männlichen Form. Stattdessen werde ich durchgängig die weibliche Form für Patientinnen, Therapeutinnen, Forscherinnen und Leserinnen verwenden. Dabei sind jedoch ausdrücklich immer weibliche und männliche Personen gleichermaßen gemeint. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_13

13

250

T. Ehring

13.1  Einleitung

In der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) spielt die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) eine zentrale Rolle. Es existieren eine Reihe verschiedener evidenzbasierter Behandlungsmanuale auf KVT-­Grundlage, die insgesamt in mehr als 120 randomisierten kontrollierten Therapiestudien überprüft worden sind (Ehring et al. im Druck). Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über die traumafokussierte KVT der PTBS zu geben. Aufgrund der Vielzahl bestehender Behandlungsmanuale können dabei aus Platzgründen nicht alle spezifischen Ansätze im Detail dargestellt werden. Stattdessen wird nach einem kurzen Überblick der Schwerpunkt auf grundlegenden Prinzipien, theoretischen Modellvorstellungen und wichtigen Therapiebausteinen liegen, die über einzelne Behandlungskonzepte hinweg eine Rolle spielen. Interessierte Leserinnen und Leser werden für Details zu den spezifischen Ansätzen auf die zahlreich vorliegenden Manuale verwiesen.

pie wirksamer ist als nicht traumafokussierte Ansätze (z. B. Bisson et al. 2007; Ehring et al. 2014). Leitlinien empfehlen bei Vorliegen einer PTBS übereinstimmend die traumafokussierte KVT (sowie EMDR; 7 Kap. 14) als Behandlung erster Wahl (ACPMH 2007; American Psychological Association [APA 2017]; National Collaborating Centre for Mental Health [NCCMH 2005]; Schäfer et al. im Druck).  

>> Bei der Behandlung der PTBS sollte der Schwerpunkt auf traumafokussierten Interventionen liegen.

Bei Vorliegen einer komplexen PTBS wird häufig eine phasenbasierte Therapie angeboten, bei der vor der traumafokussierten Therapie Interventionen zur Verbesserung der Emotionsregulation, Reduktion von Dissoziation oder Reduktion interpersoneller Probleme durchgeführt werden (7 Kap.  16 und  17). Bei der Diagnose einer (nicht komplexen) PTBS ist dies jedoch in der Regel nicht notwendig.  

13.2.2  Beispiele für 13.2  Überblick 13.2.1  Behandlungsansätze

13

Innerhalb der KVT für PTBS lassen sich traumafokussierte und nicht traumafokussierte Ansätze unterscheiden. Traumafokussierte Psychotherapie ist definiert als ein Behand­ lungsansatz, bei dem der Schwerpunkt auf der Verarbeitung der Erinnerung an das trauma­ tische Ereignis und/oder seiner Bedeutung liegt. Bei nicht traumafokussierten Interven­ tionen spielt die Beschäftigung mit dem Trauma keine zentrale Rolle, stattdessen liegt der Fokus meist auf „stabilisierenden Interventionen“ wie der Vermittlung von Fertigkeiten der Emotionsregulation, Erwerb von Strategien zur Bewältigung von PTBS-Symptomen oder Unterstützung bei der Lösung aktueller Probleme. Ergebnisse der Therapieforschung zeigen übereinstimmend, dass zur Behandlung der PTBS die traumafokussierte Psychothera-

evidenzbasierte kognitivverhaltenstherapeutische Therapieprogramme

kProlongierte Exposition

Eine der am besten untersuchten Formen der PTBS-Therapie ist die prolongierte Exposition (engl.: Prolonged Exposure) (Manual: Foa et al. 2014). Im Zentrum dieser Behandlung steht die imaginative Konfrontation mit der Traumaerinnerung, häufig in Kombination mit Exposition in vivo in Bezug auf vermiedene Situationen. kKognitive Verarbeitungstherapie

Im Fokus der kognitiven Verarbeitungstherapie (engl.: Cognitive Processing Therapy, CPT) steht die Modifikation dysfunktionaler Bewertungen und Überzeugungen mithilfe klassischer kognitiver Techniken (Manual: König et  al. 2012). Ebenso findet eine Auseinandersetzung mit der Traumaerinnerung in Form von Schreibaufgaben statt.

251 Kognitive Verhaltenstherapie

kKognitive Therapie

Die kognitive Therapie integriert basierend auf einem einflussreichen theoretischen Modell (Ehlers und Clark 2000) kognitive Interventionen, Expositionselemente und behaviorale Strategien (Manual: Ehlers 1999). kNarrative Expositionstherapie

Diese wurde für die Behandlung von Überlebenden politischer Gewalt, Vertreibung und Krieg entwickelt (Manual: Schauer et al. 2011). Die Therapie beinhaltet eine Konfrontation mit traumatischen Erinnerungen und eine Reorganisation dieser Erinnerungen in einem kohärenten Narrativ. In den letzten Jahren wurden zudem eine Reihe neuerer KVT-Behandlungen entwickelt, die in ersten Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt haben, jedoch noch nicht als evidenzbasierte Behandlungen im strengen Sinne gelten können. Dazu gehören u. a. das Imagery Rescripting and Reprocessing (Schmucker und Köster 2014) bzw. Imagery Rescripting (Arntz 2015) sowie die metakognitive Therapie (Wells und Sembi 2004). >> Zur Behandlung der PTBS stehen mehrere evidenzbasierte kognitiv-­ verhaltenstherapeutische Behandlungen zur Verfügung, die sich u. a. in ihrer Schwerpunktsetzung auf expositionsorientierte vs. kognitive Interventionen unterscheiden. Bisher wurden keine systematischen Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen diesen spezifischen Ansätzen gefunden.

13

überlebende mit PTBS eine aktuelle Bedrohung wahrnehmen, obwohl die eigentliche Bedrohung (das Trauma) bereits in der Vergangenheit liegt. Dies bedeutet, dass Menschen mit PTBS sich selbst in sicheren Situationen häufig so fühlen und/oder verhalten, als wären sie aktuell noch bedroht; dies geschieht v.  a. dann, wenn gegenwärtige Situationen sie an das Trauma erinnern. Die Schwierigkeit, das Trauma als ein abgeschlossenes und in der Vergangenheit liegendes Ereignis zu erleben, stellt nach diesem Modell eines der Kernmerkmale dar, in dem sich Personen mit PTBS von Traumaüberlebenden ohne diese Störung unterscheiden. >> Traumaüberlebende mit PTBS erleben eine aktuelle Bedrohung. Ein wichtiges Ziel der traumafokussierten Therapie ist es daher, das Trauma so zu verarbeiten, dass es als ein abgeschlossenes Ereignis wahrgenommen und damit das Gefühl aktueller Bedrohung reduziert wird.

Die Wahrnehmung einer aktuellen Bedrohung wird nach Ehlers und Clark (2000) aus zwei Quellen gespeist, nämlich 55 Art und Weise, in der das Trauma im Gedächtnis repräsentiert ist und abgerufen wird, 55 Bewertung des Trauma und/oder seiner Konsequenzen durch die Überlebenden. Auf beide Prozesse werden wir im Folgenden genauer eingehen. 13.3.1  Besonderheiten des

13.3  Kognitiv-

verhaltenstherapeutische Störungsmodelle

Die evidenzbasierten Behandlungsansätze beruhen jeweils auf spezifischen Störungsmodellen. Beispielhaft wird in diesem Abschnitt Ehlers und Clarks (2000) kognitives Modell genauer dargestellt. Ausgangspunkt dieser Theorie ist die Beobachtung, dass Trauma-

Traumagedächtnisses

Ein Kernmerkmal der PTBS ist das ungewollte Wiedererleben des Traumas in Form von in­ trusiven Erinnerungen, Albträumen und/oder dissoziativen Flashbacks. Das Wiederleben weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die es von Erinnerungen an nichttraumatische Ereignisse unterscheidet. Diese Merkmale des Wiedererlebens tragen wesentlich zum Gefühl der aktuellen Bedrohung bei.

252

T. Ehring

Merkmale des Wiedererlebens bei PTBS 55 Dominanz sensorischer Eindrücke 55 „Hier-und-Jetzt-Qualität“: Sensorische Eindrücke werden zu einem gewissen Grad so erlebt, als würden sie in diesem Moment stattfinden und nicht als Erinnerung an ein vergangenes Ereignis 55 Erinnerungen werden von starken emotionalen und körperlichen Reaktionen begleitet, die jenen während des Traumas ähneln. 55 Erinnerungen enthalten die ursprünglichen Bewertungen, selbst dann, wenn später zusätzliche Informationen erhalten wurden, die diesen widersprechen. 55 Erinnerungen werden durch vielfältige Reize ausgelöst, die zeitlich mit dem Trauma assoziiert waren (z. B. bestimmte Gegenstände, Farben, Geräusche, Gerüche, Stimmungen, Personenmerkmale, emotionale Zustände).

13

Nach Ehlers und Clark (2000) sind die folgenden Prozesse für diese besondere Art und Weise, in der Menschen mit PTBS das Trauma wiedererleben, verantwortlich: zz Merkmale der peritraumatischen Verarbeitung

Intrusives Wiedererleben entsteht v.  a. dann, wenn während des Traumas eine starke Enkodierung perzeptueller Informationen bei gleichzeitiger schwacher Enkodierung kontexueller bzw. bedeutungshaltiger Informationen stattfindet. Die Autorinnen sprechen hier auch von der Dominanz einer datengeleiteten gegenüber der konzeptuellen Verarbeitung (für eine ähnliche Hypothese vgl. Brewin et al. 2010). Zudem soll eine reduzierte selbstbezogene Verarbeitung während des Traumas verhindern, dass das Ereignis in den Kontext autobiografischer Erinnerungen eingebettet werden

kann; stattdessen wird es als eine relativ isolierte Gedächtnisspur abgespeichert. Schließlich begünstigt mentales Sichaufgeben während des Traumas (d.  h. wahrgenommener Verlust jeglicher Autonomie; Gefühl, kein Mensch mehr zu sein) die Entstehung einer PTBS. Zusammenfassend ist es nach Ehlers und Clark (2000) prädiktiv für die Entstehung intrusiven Wiedererlebens, wenn während des Traumas die folgenden Phänomene vorhanden sind: 55 eine starke perzeptuelle bei geringer kontextueller Verarbeitung, 55 eine reduzierte selbstbezogene Verarbeitung, 55 mentales Sichaufgeben. Diese Prozesse zeigen eine gewisse Überschneidung mit dem Konzept der peritraumatischen Dissoziation. zz Mangelhafte Elaboration und Kontextualisierung des Traumagedächtnisses

Als Folge der beschriebenen peritraumatischen Prozesse unterscheidet sich die konsolidierte Gedächtnisrepräsentation des Traumas in zwei wesentlichen Aspekten von alltäglichen Erinnerungen sowie von den Traumaerinnerungen von Personen ohne PTBS: 55 Auch bei den konsolidierten Gedächtnisinhalten dominieren perzeptuelle Informationen sowie die ursprünglichen Bewertungen, die während des Traumas vorlagen. 55 Die Traumaerinnerung ist nur mangelhaft mit anderen autobiografischen Erinnerungen verbunden; in der Gedächtnisrepräsentation fehlt sozusagen der autobiografische Kontext. Eine wichtige Annahme des Modells ist jedoch, dass diese Merkmale sich nicht auf die gesamte Gedächtnisrepräsentation des Traumas beziehen, sondern spezifisch sind für die Hotspots, d. h. die schlimmsten Momente während des Traumas. Fallbeispiel: Traumagedächtnis Während ihres Autounfalls erlebt Frau R. den Moment als Hotspot, in dem sie die Scheinwerfer des anderen Autos auf sich zurasen

253 Kognitive Verhaltenstherapie

sah. In diesem Moment war sie davon überzeugt, gleich zu sterben, und hatte Todesangst. Noch Jahre nach dem Unfall erlebt Frau R.  Intrusionen von diesem Moment, die hauptsächlich aus Sinneseindrücken bestehen (Licht der Scheinwerfer, quietschende Reifen); ebenso kehrt während der Intrusionen die ursprüngliche Bewertung dieses Moments („Ich werde gleich sterben“) wieder. Dieser Teil des Traumagedächtnisses wurde offensichtlich nicht durch die korrektive Information, dass Frau R. überlebt hat, aktualisiert.

zz Starke assoziative Verbindungen und Priming

Die häufige und automatische Auslösung in­ trusiver Erinnerungen durch eine Vielzahl von Hinweisreizen erklärt das Modell erstens durch ein starkes perzeptuelles Priming (eine Form des impliziten Gedächtnisses) für traumabezogene Reize, was die Wahrnehmungsschwelle für diese Reize senkt. Zweitens postulieren die Autorinnen, dass bei PTBS besonders starke konditionierte Verbindungen von Reizen, die zeitlich mit dem Trauma assoziiert waren, mit dem Inhalt des Traumas vorliegen, sowie ebenfalls eine starke Generalisierung dieser gelernten Assoziationen. 13.3.2  Exzessive negative

Bewertungen des Traumas und/oder seiner Konsequenzen

Als zweite Quelle für die Wahrnehmung einer aktuellen Bedrohung nennen Ehlers und Clark (2000) die Art und Weise, in der Traumaüberlebende mit PTBS das Ereignis, seine Ursachen und/oder Konsequenzen interpretieren. Die genauen Inhalte dieser Bewertungen können sehr unterschiedlich sein; ihre Gemeinsamkeit besteht jedoch darin, dass Überlebende das Trauma nicht als ein abgeschlossenes Ereignis aus der Vergangenheit wahrnehmen können. Die Bewertungen beziehen sich dabei häufig nicht nur auf das Trauma selbst, sondern auch auf die Situation nach dem Trauma. So hat sich

13

gezeigt, dass PTBS-Symptome (z. B. intrusive Erinnerungen, Albträume, Schlafstörungen) in den ersten Tagen nach einem Trauma sehr häufig sind und daher als eine normale Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis betrachtet werden können. Traumaüberlebende, die diese Symptome jedoch auf eine katastrophisierende Weise interpretieren (z. B. „Meine Intrusionen zeigen mir, dass ich verrückt werde.“; „Wenn ich weiterhin so schlecht schlafe, lande ich noch in der Psychiatrie.“), haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer (chronischen) PTBS. Beispiele: exzessiv negative Bewertungen bei PTBS 55 Tatsache, dass das Trauma mir passiert ist 55 „Ich bin nirgendwo sicher“ 55 „Ich ziehe Unglück an.“ 55 „Es ist meine Schuld, dass es passiert ist.“ 55 „Wenn ich mich anders verhalten hätte, wäre es nicht passiert“ 55 Anfängliche PTBS-Symptome 55 „Ich habe mich für immer verändert.“ 55 „Ich werde verrückt.“ 55 „Ich habe mich als Person zum Schlechten verändert.“ 55 „Ich kann mir selbst nicht mehr über den Weg trauen.“ 55 Reaktionen anderer Menschen 55 „Niemand ist für mich da.“ 55 „Ich kann mich auf niemanden verlassen.“ 55 „Andere halten mich für schwach.“

zz Integration der traumatischen Erfahrung durch Akkommodation und Assimilation

Die Entwicklerinnen der kognitiven Verarbeitungstherapie (CPT) betonen in ihrem theoretischen Modell die Tatsache, dass traumatische Erlebnisse häufig inkompatibel sind mit der Sichtweise, die Personen auf sich selbst, andere und die Welt haben (Resick und Schnicke 1993). Die Integration des Traumas in das bestehende System von Grundüberzeugungen

254

T. Ehring

oder Schemata kann dabei durch zwei verschiedene Prozesse geschehen. Als Assimilation wird der Prozess beschrieben, durch den Ereignisse so wahrgenommen oder interpretiert werden, dass sie in bereits bestehende Schemata passen. Dies kann dann problematisch sein, wenn das Trauma bereits bestehende negative Schemata bestätigt (z.  B. „Ich bin eine schlechter Mensch, und daher passieren mir schlechte Dinge.“) oder wenn das Trauma auf sehr verzerrte Weise wahrgenommen oder interpretiert wird (z. B. „Ich bin selbst schuld, dass ich vergewaltigt wurde.“, um Überzeugungen in Bezug auf Vertrauen in andere Menschen aufrechtzuerhalten. Demgegenüber steht der Mechanismus der Akkommodation, im Rahmen dessen Menschen ihre Überzeugungen/Schemata vor dem Hintergrund der neuen Erfahrungen verändern. Dies ist v. a. dann problematisch, wenn Traumaüberlebende ihre Überzeugungen im Sinne einer Über-Akkommodation auf sehr extreme Weise verändern, was häufig auch als eine Form der Übergeneralisierung bezeichnet werden kann (z.  B. „Ich kann niemandem vertrauen.“; „Ich bin nirgendwo sicher“).

diese Strategien jedoch gemeinsam, dass sie Veränderungen in den Gedächtnisprozessen und Bewertungen verhindern und damit die PTBS aufrechterhalten. Wichtige Beispiele sind der Versuch, intrusive Traumaerinnerungen zu unterdrücken sowie Gedanken und Gespräche über das Trauma zu vermeiden. Dies wird häufig durch katastrophisierende Bewertungen der PTBS-Symptome motiviert („Wenn ich meine Erinnerungen nicht kontrolliere, werde ich verrückt“), d.  h. Patientinnen versuchen, sich auf diese Weise zu schützen. Es konnte jedoch gezeigt, werden, dass die Unterdrückung von Gedanken und Erinnerungen deren Auftretenshäufigkeit nicht reduziert, sondern im Gegenteil verstärkt. Zudem verhindert die Vermeidung von Erinnerungen, Gesprächen und Gedanken über das Trauma eine Aktualisierung der Traumaerinnerung und/oder eine Veränderung der exzessiv negativen Bewertungen. Häufige dysfunktionale Bewältigungsstrategien bei PTBS 55 Vermeidung (Erinnerungen, Gedanken, Gespräche, Situationen) 55 Gedankenunterdrückung 55 Exzessives Grübeln 55 Sicherheitsverhalten 55 Alkohol- oder Drogengebrauch zur Bewältigung der Intrusionen 55 Exzessives Rückversicherungsverhalten 55 Sozialer Rückzug 55 Dysfunktionales Schlafverhalten (z. B. zu spät zu Bett gehen; bei Licht schlafen; Alkoholkonsum vor dem Schlafengehen)

13.3.3  Dysfunktionale

13

Bewältigungstrategien

PTBS-Symptome sind in der ersten Zeit nach einem Trauma sehr häufig. Während die meisten Traumaüberlebenden sich auch ohne Behandlung von dem Trauma erholen, bleiben Symptome bei anderen Betroffenen bestehen, sodass sich eine (chronische) PTBS entwickelt. Wie lässt sich aus theoretischer Sicht erklären, dass sich die oben beschriebenen Merkmale des Traumagedächtnisses sowie die dysfunktionalen Bewertungen des Traumas bei einigen spontan normalisieren, bei anderen jedoch unverändert bestehen bleiben? Das kognitive Modell postuliert, dass Traumaüberlebende mit PTBS eine Reihe von Bewältigungsstrategien einsetzen, mit denen sie versuchen, die wahrgenommene Bedrohung sowie ihre Symptome zu kontrollieren; paradoxerweise haben

. Abb.  13.1 gibt einen Überblick über die zentralen Bausteine der kognitiven Theorie der PTBS (Ehlers und Clark 2000) und macht deutlich, an welchen Prozessen die im folgenden Abschnitt beschriebenen Interventionen ansetzen.  

Wahrnehmung aktueller Bedrohung

Exzessive negative Bewertungen des Traumas und/oder seiner Konsequenzen

z.B. Vermeidung, Sicherheitsverhalten, exzessives Grübeln, sozialer Rückzug, Alkohol- oder Drogengebrauch

Dysfunktionale Bewältigungsstrategien

- mangelhafte Elaboration und Kontextualisierung - starke assoziative Verbindungen und Priming

Merkmale des Traumagedächtnisses

Veränderung aufrechterhaltender Strategien

Kognitive Interventionen

..      Abb. 13.1  Kognitives Modell der PTBS und Ansatzpunkte von Interventionen im Rahmen evidenzbasierter KVT für PTBS. (Mod. nach Ehlers und Clark 2000)

Weitere Interventionen, z. B. narrative Integration, Imagery Rescripting

Aktualisierung des Traumagedächtnisses

Imaginative Exposition

Peritraumatische kognitive Verarbeitung

Diskrimination von Auslösern intrusiven Wiedererlebens

Kognitive Verhaltenstherapie 255

13

256

T. Ehring

13.4  Wichtige Therapiebausteine 13.4.1  Diagnostik und

Therapieplanung

Kennzeichnend für die KVT ist eine individuelle Therapieplanung vor dem Hintergrund ausführlicher Diagnostik. Die Eingangsdiagnostik sollte dabei sowohl standardisierte Verfahren zur Erfassung der Diagnosen sowie der Symp­ tomschwere (d.  h. Fragebogen, strukturierte Interviews) beinhalten als auch eine individualisierte Problem- und Zielanalyse (7 Kap. 8). Evidenzbasierte KVT für PTBS beinhaltet zudem üblicherweise auch eine therapiebegleitende Verlaufsdiagnostik. Diese besteht in der Regel darin, dass Patientinnen wöchentlich (z. B. direkt vor jeder Sitzung) einen standardisierten Fragebogen ausfüllen, der die aktuelle PTBS-Symptomatik erfasst. Obwohl die Effekte der Verlaufsdiagnostik bisher nicht systematisch untersucht worden sind, ist davon auszugehen, dass die regelmäßige Erfassung der PTBS-Symptomatik und die gemeinsame Betrachtung des Symptomverlaufs am Beginn jeder Sitzung einen nicht zu vernachlässigenden Wirkfaktor der PTBS-Therapie ausmachen. So können Veränderungen in der Symptomatik direkt besprochen und in der Therapie berücksichtigt werden.  

13

Fallbeispiel: Behandlung einer PTBS nach Vergewaltigung In der Woche nach einer Expositionssitzung, in der Frau S. zum ersten Mal von den Details der Vergewaltigung berichtet hatte, erlebte die Patientin einen Anstieg der PTBS-Symptome. Sie machte sich Sorgen darüber, dass die Therapie ihr schaden könne. Die Verschlechterung der Symptomatik zeigte sich auch in den Verlaufsmessungen mittels Fragebogen. Gemeinsam mit ihrer Therapeutin analysierte Frau S. zu Beginn der nächsten Sitzung den bisherigen Verlauf. Dabei zeigte sich, dass die Symptomschwere zwar in der vergangenen Woche angestiegen war, jedoch immer noch deutlich niedriger lag als zu Anfang der Behandlung. Die Therapeutin nahm sich zudem Zeit, den

Anstieg der Symptomatik zu normalisieren und deutlich zu machen, dass dieser keine Gefahr für die Patientin bedeutet, sondern im Gegenteil zeigt, dass ein Verarbeitungsprozess angestoßen wurde. Frau S. fühlte sich erleichtert und war bereit, sich auch in dieser Sitzung wieder auf eine Exposition einzulassen. >> Zur KVT der PTBS gehört auch Verlaufsdiagnostik. PTBS-Symptome sollten im Verlauf der Therapie regelmäßig (z. B. vor jeder Sitzung) erfasst und am Beginn der Sitzung gemeinsam besprochen werden.

13.4.2  Vorbereitung auf die

traumafokussierte Therapie

13.4.2.1

Psychoedukation

Ziel der Psychoedukation ist es, die Symptomatik zu normalisieren und verstehbar zu machen. Dies geschieht meist in 2 Schritten: 55 Normalisierung der Symptomatik, 55 Vermittlung eines Erklärungsmodells für die Störung. zz Normalisierung der Symptomatik

Viele Patientinnen mit PTBS haben katastrophisierende Überzeugungen in Bezug auf die erlebten Symptome (7 Abschn. 13.3.2). Zur Normalisierung der Symptome ist es häufig hilfreich, die folgenden Informationen zu vermitteln.  

Hilfreiche Informationen zu den Symptomen 55 „Die Symptome sind häufig. Sie sind damit nicht alleine.“ 55 „PTBS-Symptome sind eine normale Reaktion auf ein anormales Ereignis. Sie bedeuten nicht, dass etwas mit Ihnen als Person nicht stimmt.“ 55 „Das, was Sie erleben, hat einen Namen in der Fachliteratur, posttraumatische Belastungsstörung, und es gibt definierte Kriterien (ICD/DSM).“ 55 „Die Symptome sind verstehbar und behandelbar.“

257 Kognitive Verhaltenstherapie

zz Vermittlung eines Erklärungsmodells für die Störung

Das mit der Patientin erarbeitete Störungsmodell sollte u. a. die im Folgenden aufgeführten Aspekte für die Patientin verstehbar machen. Wichtige Bestandteile der Vermittlung eines Störungsmodells 55 Entstehungsmodell: „Warum habe ich diese Störung?“ 55 Aufrechterhaltungsmodell: „Warum gehen die Symptome nicht von alleine wieder weg?“ 55 Veränderungsmodell: „Wie kann mir die Therapie helfen, das Trauma zu verarbeiten und meine Symptome loszuwerden?“

Für detaillierte Anleitungen zur Durchfüh­ rung der Psychoedukation sind die in 7 Abschn.  13.2.2 zitierten Behandlungsmanuale zu empfehlen. Patientinnen erleben es außerdem häufig als hilfreich, wenn sie sich zwischen den Sitzungen weiter durch Lektüre mit dem Thema auseinandersetzen können. Zu diesem Zweck können auch Patientenratgeber eingesetzt werden (z.  B.  Ehring und Ehlers 2018; Herbert und Wetmore 2005).  

zz Verwendung von Metaphern bei der Vermittlung des Störungsmodells

Bei der Vermittlung des Störungsmodells ist es wichtig, die Informationen so aufzubereiten, dass die Patientin sie versteht und als hilfreiche Erklärung für ihr eigenes Erleben annehmen kann. Dazu empfiehlt es sich zum einen, das Modell im Stil eines sokratischen Dialogs zu entwickeln (vgl. auch 7 Abschn.  13.4.2.2). So wird sichergestellt, dass die Patientin aktiv am Prozess beteiligt ist, prüft, ob das Modell zu ihrem individuellen Erleben passt, und die zentralen Schlussfolgerungen des Modells selbst ziehen kann. Zum anderen empfiehlt es sich, Metaphern zu verwenden, um z.  B. die Merkmale des Traumagedächtnisses zu verdeutlichen.  

13

Beispiel: Schrankmetapher (für eine ausführliche Sammlung weiterer Metaphern s. Priebe und Dyer 2014): Im Rahmen dieser Metapher wird das Gedächtnis mit einem Kleiderschrank verglichen, um ein Erklärungsmodell für das in­ trusive Wiedererleben zu entwickeln und im zweiten Schritt Schlussfolgerungen für die Therapie zu ziehen. Dabei bieten sich folgende Schritte an (für eine genauere Anleitung s. Ehring 2014): Schritte zur Erarbeitung der Schrankmetapher 55 Gemeinsames Erarbeiten von Unterschieden zwischen der Traumaerinnerung und alltäglichen Erinnerungen (z. B. Wiedererleben im „Hier-undJetzt“; Dominanz von Sinneseindrücken; intensive Gefühle wie damals; Auslösung durch vielfältige Reize) 55 Einführung der Schrankmetapher: ȤȤ Vergleich des Gedächtnisses mit einem Kleiderschrank (Funktion: Einordnen von Erinnerungen) ȤȤ Erinnerungen an alltägliche Ereignisse werden in ein passenden Fach e ­ ingeordnet; Effekt: kann bewusst hervorgeholt werden, aber fällt nur selten ungewollt heraus ȤȤ Während eines Traumas gelingt das nicht (passiert sehr schnell, ist neu, hohe Erregung); Effekt: Kleidungsstücke haben keinen Platz im Schrank, fallen immer wieder heraus, wenn Schranktüre geöffnet wird. 55 Exploration, wie Patientin bisher mit Traumaerinnerungen umgegangen ist; Erklärung anhand der Schrankmetapher, warum dies nicht geholfen hat (z. B. Vermeidung/Unterdrückung: Kleidungsstücke werden schnell wieder in den Schrank geworfen, Tür zugehalten; dadurch haben diese immer noch keinen Platz gefunden und fallen immer wieder heraus)

258

T. Ehring

55 Ableitung der Implikationen für die Therapie: Kleiderschrank muss bewusst geöffnet werden, Kleidungsstücke herausgenommen, genau angeschaut, aufgefaltet und in den Schrank einsortiert werden. Übertragen auf die Traumerinnerung bedeutet dies: in der Therapie bewusste Konfrontation mit der Erinnerung mit dem Ziel der Verarbeitung

13.4.2.2  Schaffung günstiger

Ausgangsbedingungen

13

Traumafokussierte Therapie ist zeitintensiv, kann emotional belastend sein und erfordert eine Beschäftigung mit den Therapieinhalten auch zwischen den Sitzungen (Hausaufgaben). Daher ist es wichtig, vor Beginn der traumafokussierten Interventionen günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Aus Sicht der meisten Expertinnen sollte eine traumafokussierte Therapie nur dann begonnen werden, wenn keine aktuelle Bedrohung (z. B. häusliche Gewalt; regelmäßiger Kontakt mit einem nach wie vor gefährlichen Täter) vorliegt. Es ist daher von zentraler Bedeutung, diese Voraussetzung zu klären und – falls notwendig – zunächst an der Herstellung von Sicherheit zu arbeiten. Zudem kann eine gründliche Planung helfen, Therapieabbrüche oder Verzögerungen im Therapieablauf (z.  B. häufiges Ausfallen von Sitzungen) zu verhindern. So sollte die traumafokussierte Therapie erst dann beginnen, wenn die Patientin genügend Zeit hat, regelmäßig Therapiesitzungen zu besuchen und zwischen den Sitzungen Hausaufgaben durchzuführen. Außerdem kann es wichtig sein, praktische Aspekte zu klären, z.  B.  Kinderbetreuung, Urlaubsplanung von Therapeutin und Patientin oder Absprachen auf der Arbeitsstelle. Bei Patientinnen mit geringer Tagesstruktur oder Problemen der Emotionsregulation ist darüber hinaus zu empfehlen, gemeinsam zu planen, wie die Patientin die Zeit unmittelbar nach den Sitzungen gestalten kann (z.  B.  Ablenkung und/oder soziale Unterstützung).

13.4.3  Modifikation des

Traumagedächtnisses

Ein zentraler Bestandteil der meisten evidenzbasierten Behandlungsansätze der PTBS sind Strategien zur Modifikation des Traumagedächtnisses (. Abb. 13.1). Im Folgenden werden 2 Varianten dieses Therapiebausteins genauer vorgestellt: 55 die imaginative Exposition nach Foa et al. (2014), 55 die Aktualisierung der Traumaerinnerung im Rahmen der kognitiven Therapie (Ehlers 1999).  

13.4.3.1  Imaginative Exposition

Das Grundprinzip der imaginativen Exposition besteht darin, dass die Therapeutin die Patientin darin anleitet, sich mit geschlossenen Augen in der Vorstellung mit dem Trauma zu konfrontieren. Die Patientin soll dabei chronologisch die Erlebnisse vor dem inneren Auge passieren lassen und diese beschreiben. Dabei ist es wichtig, alle Aspekte der Traumas sowie der eigenen Reaktion darauf einzubeziehen, d.  h. das objektive Geschehen, Sinneseindrücke in allen Modalitäten, Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und das eigene Verhalten. Um das Erleben und die Verarbeitung zu intensivieren, wird die Patientin instruiert, das Erlebnis im Präsens und in der ersten Person Singular zu beschreiben. Für die Verarbeitung ist es wichtig, dass während der Exposition keine Vermeidung und kein Sicherheitsverhalten stattfindet, die Patientin also gerade auch die Aspekte der Traumaerinnerung mit einbezieht, die für sie besonders belastend oder schambesetzt sind. Ziele der imaginativen Exposition nach Foa et al. (2014) 55 Habituation innerhalb der Sitzung 55 Habituation zwischen den Sitzungen 55 Elaboration der Traumaerinnerung: Erstellen eines kohärenten Narrativs 55 Veränderung traumabezogener Bewertungen (geschieht spontan während der Exposition sowie in der Nachbesprechung)

259 Kognitive Verhaltenstherapie

Die imaginative Exposition nach Foa et  al. (2014) dauert in den ersten Therapiesitzungen etwas 45–60 min, in späteren Sitzungen dann 30–45  min. Falls ein Durchgang wesentlich kürzer dauert, soll die Exposition mit derselben Situation möglichst in der betreffenden Sitzung noch einmal wiederholt werden, sodass die oben beschriebene Gesamtdauer erreicht wird. Es sollten daher Therapiesitzungen von 90–100  min eingeplant werden, sodass noch genügend Zeit für die Vor- und Nachbesprechung bleibt. Die imaginative Exposition wird wiederholt in den Therapiesitzungen durchgeführt. Wenn mehrere traumatische Erlebnisse vorliegen, sollten zunächst mehrere Sitzungen mit der ersten Traumaerinnerung durchgeführt werden. Erst wenn eine deutliche Habituation zwischen den Sitzungen stattgefunden hat und die Traumaerinnerung keine hohe Belastung mehr auslöst, startet die Verarbeitung der nächsten Traumaerinnerung. Foa et al. (2014) schlagen zudem vor, nach den ersten 1–2 Expositionsdurchgängen mit der kompletten Traumaerinnerung die imaginative Konfrontation in der Folge auf die Hotspots zu beschränken, d. h. auf die schlimmsten Momente innerhalb der Traumaerinnerung, die häufig genau mit jenen Abschnitten des Traumas korrespondieren, die als Intrusionen, Albträume oder Flashbacks wiedererlebt werden. Dabei wird zunächst der erste Hotspot besonders detailliert (und evtl. sogar in Zeitlupe) nacherlebt und beschrieben; dies wird so lange wiederholt, bis Habituation eintritt. Danach wenden sich Therapeutin und Patientin dem nächsten Hotspot zu, bis alle relevanten Hotspots auf diese Art bearbeitet wurden. Im Folgenden wird der Ablauf einer Expositionsbehandlung dargestelltVorbereitung der ersten Expositionssitzung (vgl. auch 7 Abschn. 13.4.2)  

55 Motivation klären 55 Günstige Ausgangsbedingungen schaffen 55 Störungsmodell vermitteln

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55 Bei mehreren Traumata: Auswahl der Situation für erste Exposition, mögliche Kriterien: ȤȤ Vorrangige Bearbeitung von Erlebnissen, die häufig im Alltag wiedererlebt werden ȤȤ Hohe Position in einer erstellten Belastungshierarchie ȤȤ Thematische Gruppierung der Traumata und Auswahl der relevantesten Kategorie ȤȤ Bearbeiten des ersten und/oder schlimmsten Erlebnisses)

Ablauf der ersten Expositionssitzung 55 Erinnerung an Störungsmodell 55 Prinzip erläutern ȤȤ Augen geschlossen ȤȤ Erlebnis vor dem inneren Auge hervorholen und von Beginn (kurz bevor Bedrohung auftrat) bis Ende (wenn Bedrohung vorbei ist) beschreiben ȤȤ Beschreibung in 1. Person Singular (Ich-Form) und Präsens („Als würde es jetzt geschehen“) ȤȤ Einbezug aller Aspekte (Handlungen/Geschehnisse, Gedanken, Gefühle, Sinneseindrücke, Körperempfindungen, Handlungsimpulse) ȤȤ Wichtig, alles zuzulassen, Gedanken und Gefühle nicht zu unterdrücken 55 Fragen und Befürchtungen klären 55 Einführung der Belastungsratings (SUD = subjective units of distress) und Lebhaftigkeitsratings (jeweils 0–100) 55 Aufnahmegerät starten (für spätere Hausaufgaben) 55 Durchführung der imaginativen Exposition, dabei ȤȤ Unterstützung der Patientin ȤȤ „Das machen Sie sehr gut!“ ȤȤ „Bleiben Sie dran.“ ȤȤ „Ich merke, dass es Ihnen schwer fällt, aber Sie machen das sehr gut.“

260

T. Ehring

ȤȤ „Hier sind Sie sicher. Denken Sie daran, dass Erinnerungen nicht gefährlich sind.“ ȤȤ Leitende Fragen ȤȤ „Was passiert jetzt?“ ȤȤ „Was denken Sie?“ ȤȤ „Was können Sie sehen, hören, riechen, schmecken? Wie sieht das aus? Beschreiben Sie es genau.“ ȤȤ „Was fühlen Sie?“ ȤȤ „Was empfinden Sie in Ihrem Körper? Wo in Ihrem Körper spüren Sie das?“ ȤȤ Ratings der Lebhaftigkeit und Belastung (SUDs) einholen (0–100) 55 Nachbesprechung ȤȤ Positives Feedback geben, Patientin verstärken ȤȤ Falls notwendig: Unterstützung oder Beruhigung; Patientin helfen, sich von der Erinnerung zu lösen ȤȤ Gedanken und Gefühle zu der Expositionssitzung explorieren; falls notwendig: normalisieren ȤȤ Explorieren, ob Habituation stattgefunden hat ȤȤ Hotspots identifizieren (für spätere Durchgänge)

13

Weiteres Vorgehen 55 Hausaufgabe: Aufnahme der Sitzung mehrfach anhören (falls notwendig: gemeinsame Planung, wann und wo) 55 In den folgenden Sitzungen: Wiederholung der imaginativen Exposition, zunächst mit demselben Ereignis. Nach 1–2 regulären Expositionssitzungen evtl. Konzentration auf die Hotpots.

13.4.3.2  Aktualisierung des

Traumagedächtnisses

In der kognitiven Therapie (Ehlers 1999) werden ebenfalls imaginative Methoden zur Modifikation der Traumaerinnerung eingesetzt.

Im Gegensatz zur prolongierten Exposition steht hier jedoch nicht die Habituation im Vordergrund. Basierend auf dem kognitiven Störungsmodell nach Ehlers und Clark (2000) (7 Abschn.  13.3.1 und . Abb.  13.1) geht es stattdessen um die Aktualisierung und Kontextualisierung der Traumagedächtnisses sowie die emotional wirksame Veränderung dysfunktionaler peritraumatischer Bewertungen.  



Ziele der Aktualisierung des Traumagedächtnisses in der kognitiven Therapie 55 Aktualisierung der Traumagedächtnisses durch Integration neuer Information 55 Kontextualisierung des Traumagedächtnisses durch Verknüpfung mit anderen autobiografischen Erlebnissen und/oder Verdeutlichung der Unterschiede zwischen damals und heute 55 Emotional wirksame Veränderung dysfunktionaler Bewertungen

Um zunächst einen Überblick über den Ablauf des Traumas zu bekommen und die relevanten Hotspots zu identifizieren, wird in der kognitiven Therapie zunächst 1–2 Mal eine komplette imaginative Exposition durchgeführt. In der Nachbesprechung explorieren Therapeutin und Patientin dann gemeinsam die relevanten Hotspots sowie die darin enthaltenen Bewertungen und Emotionen. Im nächsten Schritt werden die in dem Hotspot repräsentierten dysfunktionalen Bewertungen zunächst mit Hilfe kognitiver Techniken disputiert und neue hilfreichere Bewertungen e­rarbeitet. Danach überlegen Therapeutin und Patientin gemeinsam, wie die Traumaerinnerung vor dem Hintergrund dieser neuen Bewertung aktualisiert werden kann. Im letzten Schritt wird der zu bearbeitende Hotspot mit Hilfe der imaginativen Exposition aktiviert, um dann die geplante Intervention zur Aktualisierung der Traumaerinnerung umzusetzen. Wie bei der prolon-

261 Kognitive Verhaltenstherapie

gierten Exposition wird auch hier die Sitzung aufgezeichnet, sodass die Patientin sich diese als Hausaufgabe noch einmal anhören kann. Zudem wird die Übung so häufig wiederholt, bis sich eine deutliche Veränderung der Bewertung sowie der damit verbundenen Emotionen einstellt. Aktualisierung des Traumagedächtnisses: Ablauf 55 1–2 Durchgänge der imaginativen Exposition 55 In der Nachbesprechung: Identifikation der Hotspots (inkl. zentraler Bewertung und damit verbundener Emotionen) 55 Kognitive Umstrukturierung der Bewertung außerhalb der Imagination 55 Gemeinsame Planung, wie Traumagedächtnis aktualisiert werden kann 55 Aktivierung des Hotspots und Verknüpfung mit der aktualisierenden Information

Wenn in Schritt 5 der Hotspot aktiviert wurde, kann die Aktualisierung auf verschiedene Weise geschehen. So kann die Patientin sich nach Aktivierung des Hotspots verbal an wichtige korrektive Informationen erinnern (z.  B. „Ich weiß jetzt, dass ich nicht gestorben bin“; „Ich weiß jetzt, dass es nicht meine Schuld war“). Die Therapeutin kann die Patientin darin unterstützen, indem sie die verbale kognitive Umstrukturierung des Hotspots während der Imagination durch sokratisches Fragen unterstützt (z.  B. „Sie machen sich Vorwürfe, dass es Ihre Schuld war. Was wissen Sie jetzt? Was hat alles dazu beigetragen, dass es passiert ist?“) (für eine ausführliche Beschreibung dieser Strategie mit Praxisbeispielen vgl. Grey et al. 2002). Alternativ kann die Patientin nach Aktivierung des Hotspots Handlungen ausführen, die den Erfahrungen des Traumas entgegenstehen (z. B. aufstehen, sich bewegen) oder die ihr sensorische Evidenz liefern, die den Bewertungen

13

widerspricht (z.  B.  Körperstellen abtasten, die verletzt waren und zwischenzeitlich geheilt sind; ein Foto von sich mit anderen Personen anschauen, das nach dem Trauma entstanden ist). Ebenso ist es möglich, korrektive Information durch direkte Veränderung der Vorstellungsbilder in die Traumaerinnerung einzubauen (z.  B. andere Personen in die Szene eintreten lassen, die mit dem Opfer interagieren; sich den Täter im Gefängnis vorstellen). Fallbeispiel: Unfallüberlebende Frau R. Frau R., die einen schweren Verkehrsunfall erlebt hat (Fallbeispiel aus 7 Abschn.  13.3.1), berichtet als Hotspot den Moment, in dem die Scheinwerfer des anderen Autos auf sie zurasen (zentrale Bewertung: „Ich werde sterben“; zentrale Emotion: Todesangst). Dieser Hotspot kehrt fast täglich als intrusive Erinnerung wieder; dabei erlebt Frau R. jedes Mal wieder ein Gefühl der Todesangst, und die Bewertung „Ich werde gleich sterben“ ist wieder präsent. Nach einem einmaligen Durchgang der imaginativen Exposition planen Therapeutin und Patientin gemeinsam die Aktualisierung des Hotspots. Ziel ist es dabei, die korrektive Information („Ich habe überlebt; ich werde nicht sterben.“) mit dem Traumagedächtnis zu verbinden. Die folgende Sitzung startet mit einer kurzen imaginativen Exposition zur Aktivierung des Hotspots. Sobald die mit dem Hotspot verbundenen Sinneseindrücke, Bewertungen und Emotionen aktiviert sind, hilft die Therapeutin der Patientin mit leitenden Fragen („Sie denken, dass Sie gleich sterben werden. Was wissen Sie jetzt? Welche Beweise haben Sie, dass Sie überlebt haben?“) sich bewusst an die aktualisierende Information zu erinnern („Ich bin nicht gestorben“; „Ich habe seit dem Unfall geheiratet, ein Kind bekommen und bin umgezogen“).  

kAnmerkungen

Wenn  – wie in diesem Fallbeispiel  – die korrektive Information/Bewertung eindeutig ist, kann Schritt 3 (kognitive Umstrukturierung außerhalb der Imagination) übersprungen

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T. Ehring

werden. Alternative Möglichkeiten der Aktualisierung in diesem Fall wären z. B., 55 dass die Patientin nach Aktualisierung des Hotspots ein Foto anschaut, in dem sie und ihre Familie in dem neuen Haus zu sehen sind, 55 dass sie aufsteht und im Raum herumgeht, um sich bewusst zu machen, dass sie unversehrt ist, oder 55 die Szene imaginativ umzuschreiben (z. B. jemanden in die Szene eintreten lassen, der sie aus der Situation rettet). Fallbeispiel 2: Fluchterleben

13

Herr A. ist als Geflüchteter nach Deutschland gekommen, nachdem er in seinem Heimatland als Zivilist einen Bürgerkrieg erlebt hat. In der Therapie bearbeitet er zunächst die Erinnerung an eine Situation, in der sein Bruder erschossen wurde. Als zentralen Hotspot gibt Herr A. den Moment an, in dem er seinen Bruder mit einer Kopfverletzung in einer Blutlache liegen sieht, bevor dieser stirbt (Bewertung: „Mein Bruder leidet unvorstellbare Qualen“; „Meinem Bruder wurde jede Würde genommen“; Emotionen: Angst, Ekel). Im Rahmen der kognitiven Bearbeitung außerhalb der Imagination untersucht die Therapeutin mit Herrn A. die peritraumatischen Bewertungen zunächst genauer. Dabei zeigt sich, dass Herr A. immer dann, wenn er im Alltag an seinen Bruder denken muss, das Gefühl hatte, dass dieser immer noch unvorstellbare Qualen leide. Eine wichtige korrektive Information besteht darin, sich bewusst zu machen, dass dieser bald nach dem Schuss bereits verstorben ist und seitdem keine Schmerzen mehr erleidet. In der Folge kommt Herr A. zu der Überzeugung, dass sein Bruder ein guter Mensch war, der nun sicher im Paradies sei, wo ihn die würdelosen Umstände seines Todes nicht mehr beeinträchtigen. Zur Integration dieser neuen Bewertungen in das Traumagedächtnis beschließt Herr A. gemeinsam mit seiner Therapeutin, das Trauma in der Imagination zu Ende zu führen. Nach Aktivierung des Hotspots und der damit verbundenen Bewertungen und Gefühle geht er zu Vorstellungsbildern über, in denen er seinen

Bruder nach Hause bringt, ihm die letzte Ehre erweist, ihn wäscht, ankleidet und beerdigt und sich am Grab von seinem Bruder verabschiedet. Die Imagination endet damit, dass Herr A. sich vorstellt, wie sein Bruder ihm noch einmal gegenübertritt und ihm mitteilt, dass er sich keine Sorgen um ihn zu machen brauche, da er jetzt an einem besseren Ort sei und es ihm gut gehe.

13.4.3.3  Weitere Varianten des

Therapiebausteins Modifikation der Traumaerinnerung

zz Schreiben über das traumatische Ereignis

Im Rahmen der kognitiven Verarbeitungstherapie (König et  al. 2012), der strukturierten Schreibtherapie (Sloan et al. 2011; van Emmerik et  al. 2008) sowie webbasierter Varianten der traumafokussierten KVT (7 Kap.  15) werden Patientinnen mit PTBS darin angeleitet, über ihr Trauma zu schreiben. Auch Ehlers und Clark (2000) empfehlen neben den beschriebenen imaginativen Methoden die Erstellung eines schriftlichen Traumaberichts im Rahmen der Therapie.  

zz Narrative Integration des Traumas in die Autobiografie

Die narrative Expositionstherapie (Schauer et  al. 2011) zeichnet sich dadurch aus, dass keine punktuelle Bearbeitung einzelner traumatischer Erlebnisse stattfindet, sondern statt­ dessen durch eine Rekonstruktion der gesamten Lebensspanne in einem narrativen Prozess die Integration der traumatischen Erlebnisse in ihren autobiografischen Kontext angestrebt wird. Die Behandlung beginnt mit der Erfassung relevanter Lebensereignisse und deren chronologischer Einordnung anhand einer Lebenslinie. Der Kern der Therapie besteht dann aus der chronologischen Erzählung der Lebensgeschichte, wobei bedeutsame und traumatische Lebensereignisse im Sinne einer Konfrontation vertieft bearbeitet werden. Die Narration wird niedergeschrieben und in der nächsten Sitzung noch einmal vorgelesen und evtl. korrigiert oder ergänzt.

263 Kognitive Verhaltenstherapie

zz Imagery Rescripting

Wie bereits dargestellt, wird die direkte Veränderung von traumabezogenen Vorstellungsbildern in der kognitiven Therapie (Ehlers 1999) als ein Baustein eingesetzt, um das Traumagedächtnis zu aktualisieren. Im Rahmen einiger neuerer Ansätze macht diese Strategie den Kern der Behandlung aus. Imagery Rescripting and Reprocessing (IRRT) (Schmucker und Köster 2014) 55 Ziele: Reduktion des intrusiven Wiedererlebens, Veränderung negativer Schemata als Folge früher Traumatisierung (insbesondere sexuelle und/oder körperliche Gewalt in der Kindheit) 55 Drei Phasen (nacheinander innerhalb einer Sitzung zu durchlaufen) ȤȤ Imaginative Exposition (7 Abschn. 13.4.3.1). ȤȤ Imagery Rescripting I: Entmachtung des Täters. Wiederholung der Exposition bis zum relevanten Hotspot, dann Beginn des Rescripting. Die Therapeutin leitet die Patientin darin an, sich vorzustellen, wie sie als heutige Erwachsene die Szene betritt und mit dem Täter (sowie später dem Kind) interagiert. In Phase 2 ist das Ziel des Rescripting, den Täter zu entmachten oder zumindest zu neutralisieren und das Kind in Sicherheit zu bringen. Auf diese Weise sollen den traumatischen Erinnerungen, die von Ohnmacht und Hilfslosigkeit geprägt sind, neue Vorstellungsbilder entgegengesetzt werden, in denen die Patientin sich als wirksam und stark erlebt. Die Patientin kann dabei selbst entscheiden, welche Schritte sie unternehmen möchte (z. B. verbale oder körperliche Konfrontation mit dem Täter; Verhaftung durch die Polizei; Hinzunehmen von realen oder imaginären Hilfspersonen; Androhung oder Ausübung von Waffengewalt).  

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ȤȤ Imagery Rescripting II: Selbstberuhigung und Tröstung. Nach erfolgreicher Entmachtung des Täters folgt eine weitere Phase des Rescripting, die zum Ziel hat, in der Imagination eine heilsame Interaktion zwischen der Patientin als heutige Erwachsene und dem traumatisierten Kind herbeizuführen. Die Patientin kann dabei als Erwachsene für die Bedürfnisse des Kindes sorgen (z. B. es in den Arm nehmen und trösten; ihm erklären, was passiert ist). Auch ambivalente oder negative Gefühle gegenüber dem traumatisierten Kind in Form von Selbstablehnung, Selbstvorwürfen oder Ekel können in dieser Phase bearbeitet werden.

Imagery Rescripting (Arntz 2015) Arntz (2015) hat eine Variante des Imagery Rescripting entwickelt, die sich u. a. in folgenden Aspekten vom IRRT-Ansatz unterscheidet: 55 Nach den Rescriptingphasen, in denen die Patientin als heutige Erwachsene die Szene betritt und Veränderungen herbeiführt, schließt sich eine weitere Phase an, in der diese Veränderungen noch einmal aus Sicht des traumatisierten Kindes nacherlebt werden. Ziel dieser zusätzlichen Phase ist es, eine nachhaltigere Veränderung der dysfunktionalen traumabezogenen Schemata zu erreichen. 55 Patientinnen, die sich damit überfordert fühlen, sich selbst als Erwachsene mit dem Täter zu konfrontieren, können dadurch Unterstützung bekommen, dass die Therapeutin ebenfalls in der Imagination die Szene betritt und als Modell fungiert. Dies ist bei der IRRT-Methode ausgeschlossen.

264

T. Ehring

Imagery-Rehearsal-Therapie (IRT) für Albträume (Thünker und Pietrowsky 2011) 55 IRT wird zur Behandlung wiederkehrender belastender Albträume eingesetzt. 55 Dabei wird zunächst der Inhalt eines Albtraums exploriert, und Therapeutin und Patientin entwickeln gemeinsam ein Szenario für ein alternatives Ende des Traumes. Dieses Ende wird dann mit Hilfe imaginativer Verfahren wiederholt eingeübt.

zz Identifikation und Diskrimination von Auslösern des intrusiven Wiedererlebens

Die bisher beschriebenen Interventionen haben zum Ziel, die Inhalte des Traumagedächtnisses zu verändern und/oder die Einbettung der Traumaerinnerung in das autobiografische Gedächtnis zu fördern. Eine weitere Strategie im Rahmen der kognitiven Therapie (Ehlers 1999) zielt demgegenüber auf eine Veränderung der Prozesse ab, die zu einer häufigen Auslösung des intrusiven Wiedererlebens führen.

Diskriminationstraining (Ehlers 1999) 55 Psychoedukation über Gedächtnisprozesse, die zu häufiger Auslösung von intrusiven Erinnerungen führen (7 Abschn. 13.4.2) 55 Identifikation von Auslösern für intrusives Wiedererleben (z. B. durch Einsatz von Tagebüchern); dies erfordert häufig „Detektivarbeit“, da Auslöser nicht immer einen bedeutungshaltigen Zusammenhang mit dem Trauma zeigen, sondern oft sensorische Eindrücke sind, die lediglich zeitlich mit dem Trauma assoziiert waren 55 Bewusste Diskrimination zwischen „damals“ und „heute“ ȤȤ Beispiel: PTBS nach Vergewaltigung ȤȤ Auslöser der intrusiven Erinnerung: Umarmung durch den Partner (. Tab. 13.1) 55 Häufige Wiederholung: bewusste Herbeiführung von Auslösereizen, dann Diskriminationsübung (damals vs. heute)  



13 ..      Tab. 13.1  Auslöser der intrusiven Erinnerung: Umarmung durch den Partner Damals

Heute

Wärme eines anderen Körpers an meinem Körper

Wärme eines anderen Körpers an meinem Körper

- Wer?

Fremder Mann/Täter

Person, die ich liebe/mein Mann

- Wie?

Aufgezwungen/ich konnte nicht weg

Freiwillig/ich kann mich jederzeit loslösen

- Wo?

Auf der Straße

In meiner Wohnung

- Wetter?

Sommer, heißes Wetter

Herbst, kühl und windig

- Ziel der anderen Person

Mich dominieren

Mir seine Zuneigung zeigen

- Bedeutung

Gefahr

Keine Gefahr

Gemeinsamkeit Unterschiede:

265 Kognitive Verhaltenstherapie

13.4.3.4  Schwierigkeiten und

Lösungsansätze

Bei der Durchführung von Interventionen zur Modifikation des Traumagedächtnisses (z.  B. imaginative Exposition) können besondere Herausforderungen auftreten. Im Folgenden sollen einige Lösungsansätze für diese Schwierigkeiten skizziert werden. zz Vermeidung

Zu den Kernsymptomen der PTBS gehört die Vermeidung von Traumaerinnerungen. Im Rahmen der imaginativen Exposition ist jedoch eine intensive Beschäftigung mit den Erinnerungen an das Trauma sowie den damit einhergehenden Gefühlen notwendig. Der Abbau von Vermeidung ist daher eine wichtige Herausforderung für die Behandlung. Dabei spielen die Vermittlung eines plausiblen Rationals (7 Abschn.  13.4.2) ebenso eine Rolle wie die motivationale Klärung, z. B. in Form einer detaillierten Exploration der Vor- und Nachteile von Vermeidung mit Hilfe eines 4-Felder-­ Schemas. Auch Therapeutinnen können Angst und Vermeidungsverhalten in Bezug auf die imaginative Exposition zeigen und daher den Beginn dieser Intervention zu lange hinauszögern. Therapeutinnen, die bisher nur wenig ­Erfahrung in der Durchführung traumafokussierter Interventionen haben, berichten ebenfalls häufig, dass sie bei auftretenden Schwierigkeiten (z.  B. kurzfristige Verschlechterung der Symptomatik, Dissoziation, Ambivalenz aufseiten der Patientin) unsicher werden, ob sie die traumafokussierte Therapie weiterführen sollen. Diese Unsicherheit ist verständlich. Allerdings ist es für den Therapieerfolg gerade auch in diesen Situationen wichtig, die traumafokussierten Interventionen (z.  B. imaginative Exposition) weiterzuführen. Es ist daher zu empfehlen, dass sich Therapeutinnen in diesen Situationen supervisorische Unterstützung durch erfahrene Kolleginnen suchen.  

13

Zentrale Überlegungen 55 Obwohl traumafokussierte Interventionen die Behandlung erster Wahl für die PTBS sind, werden diese nur seltener angewandt, als es eigentlich indiziert ist. Dabei können sowohl Angst und Vermeidung aufseiten der Patientinnen als auch aufseiten der Therapeutinnen eine Rolle spielen. 55 Für Therapeutinnen ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Behandlungen wie z. B. die imaginative Exposition oder die kognitive Therapie wirksame und sichere Verfahren mit einer guten Evidenzbasis sind. 55 Approbierte Verhaltenstherapeutinnen mit einer Fachkunde in kognitiver Verhaltenstherapie verfügen über alle Voraussetzungen, um diese Interventionen durchzuführen. Allerdings kann es sinnvoll sein, die ersten Behandlungen durch erfahren Kolleginnen supervisorisch begleiten zu lassen.

zz Niedrige Lebhaftigkeit und/oder Emotionalität

Die Wirksamkeit imaginativer Strategien (ima­ ginative Exposition; Aktualisierung des Traumagedächtnisses; Imagery Rescripting) kann eingeschränkt sein, wenn es der Patientin nicht gelingt, lebhafte Vorstellungsbilder zu entwickeln, und/oder wenn nur sehr schwache Emotionen erlebt werden. Nicht immer ist den Patientinnen von außen anzumerken, wie stark Lebhaftigkeit und Emotionalität der Imagination gerade ausgeprägt sind; aus diesem Grund empfiehlt es sich, während der Imagination wiederholt Lebhaftigkeit (0–100) und Belastung (0–100) einschätzen zu lassen. Zur Intensivierung der Lebhaftigkeit kann es helfen, den Prozess zu verlangsamen und die Aufmerksamkeit der Patientin v.  a. auf Sin-

266

T. Ehring

neseindrücke in allen relevanten Modalitäten sowie Körperempfindungen zu lenken. Wenn das Problem jedoch bestehen bleibt, sollte die Therapeutin explorieren, ob dies ein Ausdruck von Vermeidung aufseiten der Patientin sein könnte. In diesem Fall sollten zunächst mögliche Befürchtungen der Patientin exploriert und disputiert werden, die sie davon abhalten, sich auf die Intervention einzulassen. Auch eine Wiederholung des Störungsmodells und/ oder eine motivationale Klärung können notwendig sein. zz Dissoziation

13

Bei einigen Patientinnen treten während der Imagination der traumatischen Erlebnisse leichte dissoziative Symptome auf, z. B. leichte Gefühle der Unwirklichkeit, eine veränderte Zeitwahrnehmung oder eine starke „Hier-­ und-­Jetzt“-Qualität der Erinnerung. Dies ist in der Regel unbedenklich. Es kann jedoch hilfreich sein, dass die Therapeutin diese Symptome normalisiert und durch Psychoedukation verstehbar macht, sodass sie nicht als bedrohlich erlebt werden. Demgegenüber können starke dissoziative Symptome während der traumafokussierten Therapie die Durchführung und Wirksamkeit der Intervention beeinträchtigen. Ein Beispiel dafür kann sein, dass die Patientin den Kontakt zum „Hier-und-Jetzt“ verloren hat und nur noch wenig oder gar nicht mehr auf Ansprache durch die Therapeutin reagiert. In diesem Fall ist es unbedingt notwendig, Strategien zur Kontrolle der Dissoziation einzusetzen, sodass die traumafokussierte Therapie weitergeführt werden kann. Es ist dabei jedoch wichtig, sich klarzumachen, dass das Auftreten dissoziativer Symptome keine Kontraindikation für imaginative Exposition oder andere traumafokussierte Verfahren ist. Auch Patientinnen mit starken dissoziativen Symptomen profitieren stärker von traumafokussierten Behandlungen mit einem konfrontativen Element als von reinen stabilisierenden Interventionen (Ehring et al. 2014; Resick et al. 2012).

Wenn Dissoziation auftritt, sollte die traumafokussierte Therapie daher nicht beendet oder länger unterbrochen werden, sondern  – in modifizierter Form – möglichst direkt weitergeführt werden. Umgang mit Dissoziation 55 Kurzfristig: Umgang mit starker Dissoziation während der Exposition ȤȤ Ziel: Patientin helfen, sich wieder in Raum und Zeit zu orientieren ȤȤ Strategien (Beispiele): ȤȤ Mit Namen ansprechen ȤȤ Lautes Sprechen und/oder laute Geräusche (z. B. in die Hände klatschen) ȤȤ Patientin auffordern, die Augen zu öffnen, aufzustehen, im Raum herumzugehen ȤȤ Aufmerksamkeit der Patientin auf Sinneseindrücke lenken (z. B. visuell, akustisch) und diese beschreiben lassen. 55 Langfristig: Modifikation der imaginativen Strategien bei starken dissoziativen Symptomen ȤȤ Ziel: Weiterführung der traumafokussierten Therapie auf eine Art und Weise, dass die Patientin in Raum und Zeit orientiert bleibt und ansprechbar ist ȤȤ Strategien (Beispiele): ȤȤ Stärker graduiertes Vorgehen ȤȤ Imagination mit geöffneten Augen ȤȤ Grounding-Techniken: Ausei­ nandersetzung mit sensorischen Reizen während der Imagination, z. B. bestimmte Gegenstände in der Hand halten, bestimmte Gerüche ȤȤ Einsatz von Skills während der Imagination (7 Kap. 17, DBTPTSD).  

13

267 Kognitive Verhaltenstherapie

13.4.4  Kognitive Interventionen 13.4.4.1 Überblick über kognitive

Varianten der KVT bei PTBS

Mit der der kognitiven Verarbeitungstherapie und der kognitiven Therapie nach Ehlers und Clark (2000) liegen zwei evidenzbasierte Therapien der PTBS vor, bei denen kognitive Interventionen eine zentrale Rolle spielen. In diesem Abschnitt sollen kurz die wichtigsten Prinzipien dieser Therapieansätze skizziert werde. Ausgangspunkt der kognitiven Verarbeitungstherapie (engl.: Cognitive Processing Therapy, CPT) (König et  al. 2012) ist die Annahme, dass traumatische Erlebnisse zu rigiden Sichtweisen führen können (für eine genauere Darstellung der Prozesse der Assimilation und [Über-]Akkommodation 7 Abschn.  13.3.2). Vor dem Hintergrund dieser Modellvorstellung hat die CPT zum Ziel, ein ausgewogenes System von Überzeugungen über sich selbst, andere Menschen und die Welt zu fördern, was wiederum zur Reduktion der PTBS-Symptomatik sowie dem Aufbau von Gefühlen der Sicherheit und Kontrolle führen soll. Die CPT folgt einem sehr strukturierten Vorgehen, bei dem ein Schwerpunkt auf der Bearbeitung von Arbeitsblättern in den Sitzungen und im Rahmen von Hausaufgaben liegt. Das übliche Setting der CPT ist die einzeltherapeutische Behandlung mit wöchentlichen Sitzungen; allerdings wurden auch gruppentherapeutische Varianten entwickelt und validiert.  

Ablauf der kognitiven Verarbeitungstherapie (CPT) 55 Einführung und Psychoedukation 55 Therapieziele und Einführung des Konzepts der „Hängepunkte“ (dysfunktionale Überzeugungen) 55 Bericht über Bedeutung und Auswirkungen des Traumas 55 Identifikation von Gedanken und Gefühlen (ABC-Blätter) 55 Schriftlicher Traumabericht 55 Identifikation der „Hängepunkte“

55 Auseinandersetzung mit hilfreichen Fragen zur Disputation 55 Problematische Denkmuster 55 Thema Sicherheit 55 Thema Vertrauen 55 Thema Macht und Kontrolle 55 Thema Wertschätzung 55 Thema Intimität und Selbstfürsorge 55 Reflexion und Abschluss

Die kognitive Therapie (Ehlers 1999) basiert auf dem kognitiven Modell der PTBS nach Ehlers und Clark (2000) (7 Abschn.  13.3). Darin schlagen die Autorinnen u. a. vor, dass exzessive negative Überzeugungen bezüglich des Traumas und/oder seiner Konsequenzen, die die Wahrnehmung einer aktuellen Gefahr erhöhen, zur Aufrechterhaltung der PTBS beitragen. Eine wichtige Unterscheidung betrifft dabei die Differenzierung zwischen peritraumatischen und posttraumatischen Bewertungen. Bei peritraumatischen Bewertungen handelt es sich um Interpretationen, die Traumaüberlebende bereits während des Ereignisses hatten und die sich seitdem – häufig trotz vorliegender neuer Informationen – nicht aktualisiert haben. Zur Veränderung dieser peritraumatischen Bewertungen sind die bereits in 7 Abschn. 13.4.3.2 beschriebenen Strategien zur Aktualisierung des Traumagedächtnisses geeignet. Posttraumatische Bewertungen hingegen sind Interpretation, die die Betroffenen später in Bezug auf das Trauma und/oder seine Folgen entwickelt haben, und die mit tra­ ditionellen kognitiven Interventionen bearbeitet werden sollen. Dazu schlagen Ehlers und Clark eine Vielzahl kognitiver Techniken vor, die nachfolgend genauer dargestellt werden.  



>> Nach Ehlers (1999) sollen problematische posttraumatische Bewertungen mit traditionellen kognitiven Interventionen, dysfunktionale peritraumatische Bewertungen hingegen mit Strategien zur Aktualisierung des Traumagedächtnisses bearbeitet werden.

268

T. Ehring

13.4.4.2  Wichtige Techniken

Grundsätzlich können in der Therapie mit PTBS-Patientinnen alle kognitiven Strategien und Techniken zum Einsatz kommen, die zur Veränderung dysfunktionaler Bewertungen hilfreich erscheinen. Während die CPT – analog zur kognitiven Therapie der Depression  – ein sehr strukturiertes Vorgehen mit Bearbeitung einer Folge von Arbeitsblättern vorschlägt, legen Ehlers und Clark einen stärkeren Schwerpunkt auf Maßnahmen der ko­ gnitiven Umstrukturierung im Dialog zwischen Therapeutin und Patientin sowie auf Verhaltensexperimente. Beide Vorgehensweisen haben sich als hochwirksam erwiesen. Im Folgenden sollen einige Techniken und Strategien kurz dargestellt werden.

tungen, die im Laufe der Therapie auftauchen, notiert und nacheinander bearbeitet werden. Auch bei der Nachbesprechung der imaginativen Exposition (oder anderer Interventionen zur Modifikation des Traumagedächtnisses) äußern Patientinnen häufig Bewertungen des Traumas oder seiner Folgen, die sich für eine spätere Bearbeitung anbieten. Eine weitere Möglichkeit der Identifikation dysfunktionaler Bewertungen ist der Einsatz eines Fragebogens mit häufigen posttraumatischen Kognitionen, z.  B. dem Posttraumatic Cognitions Inventory (PTCI) (Foa et  al. 1999; deutsche Übersetzung in Ehlers 1999). Schließlich eignen sich Gedankentagebücher, z.  B. in Form von ABC-­ ­ Arbeitsblättern, zur Identifikation der Bewertungen, die belastende Gefühle in Alltagssituationen auslösen (. Abb. 13.2). Bevor die Therapeutin mit der Disputation dysfunktionaler Bewertungen beginnt, ist es notwendig, die alte Sichtweise der Patientin zunächst verstanden zu haben (Was genau ist die Überzeugung der Patientin? Was führt sie zu dieser Überzeugung? Welche Gründe/Beweise sieht sie dafür? Bietet die Überzeugung eine Erklärung für die Gefühle der Patientin?). Ebenso ist für viele Patientinnen die Erfahrung wichtig, dass die Therapeutin ihre alte Sichtweise versteht und validiert, bevor sie bereit sind, diese zu hinterfragen.  

zz Identifikation dysfunktionaler Bewertungen und Überzeugungen

13

Problematische Bewertungen des Traumas und/oder seine Konsequenzen, die in der Therapie bearbeitet werden sollen, können auf verschiedene Weise identifiziert werden. Häufig treten sie in spontanen Äußerungen der Patientinnen in der Sitzung zutage (z.  B. Übergeneralisierung von Gefahr; Schuldkognitionen; negative Bewertung der eigenen Person) und sollten dann für eine spätere Bearbeitung bereits festhalten werden. Im Rahmen der CPT wird eine Hängepunkte-Liste geführt, auf der alle dysfunktionalen Bewer-

Datum/ Uhrzeit

>> Daher: erst verstehen – dann verändern!

A. Auslösendes Ereignis

B. Gedanke/Überzeugung

C. Konsequenz

Etwas ist passiert

Ich sage zu mir selbst

Ich fühle mich.../ ich mache...

Montag, 13.08.

..      Abb. 13.2  Beispiel für ein ABC-Arbeitsblatt

269 Kognitive Verhaltenstherapie

zz Sokratische Gesprächsführung

Bei der Disputation dysfunktionaler Bewertungen hat sich die sokratische Gesprächsführung als ein hilfreicher Gesprächsstil bewährt. Die Therapeutin hilft dabei der Patientin, ihre alte Sichtweise zu reflektieren, selbst Widersprüche oder Mängel zu identifizieren und alternative Sichtweisen und neue Erkenntnisse zu erarbeiten. Die Therapeutin nimmt dabei eine nicht wissende, naiv-­fragende und um Verständnis bemühte Haltung ein. Dabei ist wichtig, dass der Prozess ergebnisoffen ist und die Antworten auf die aufgeworfenen Fragen sowie die neuen Sichtweisen nicht von der Therapeutin vorgegeben, sondern von der Patientin selbst entwickelt werden. zz Empirische Disputation

Ein häufiges Vorgehen bei der Disputation dysfunktionaler Überzeugungen besteht darin, Argumente und/oder Beweise für und gegen die Überzeugung zu sammeln, und dann vor dem Hintergrund der gesamten Evidenz alternative Sichtweisen zu entwickeln. Ablauf empirische Disputation 55 Dysfunktionale Überzeugung konkret ausformulieren und schriftlich festhalten 55 Grad der Überzeugung einschätzen lassen (0–100 %) 55 Alle Argumente und Beweise sammeln, die für die Überzeugung sprechen und notieren 55 Alle Argumente und Beweise sammeln, die gegen die Überzeugung sprechen und notieren sowie Gültigkeit der Belege für die Überzeugung prüfen 55 Alternative Überzeugung konkret ausformulieren und schriftlich festhalten 55 Grad der ursprünglichen Überzeugung sowie der neuen alternativen Überzeugung erneut einschätzen lassen (0–100 %)

13

zz Hedonistische Disputation

Während bei der empirischen Disputation die Frage untersucht wird, ob ein Gedanke bzw. eine Überzeugung wahr ist, steht bei der hedonistischen Disputation die Frage im Vordergrund, ob es für die Patientin hilfreich ist, diesen Gedanken zu haben. Auf diese Weise sollen alternative Gedanken entwickeln werden, die der Patientin besser helfen, ihre persönlichen Ziele zu erreichen und/oder das Trauma hinter sich zu lassen. >> Manchmal haben dysfunktionale Überzeugungen auch eine Funktionalität, die bei der Disputation berücksichtigt werden muss.

Fallbeispiel: PTBS nach einer Vergewaltigung Frau S. wurde vor einem Jahr durch einen Fremden in einem Park vergewaltigt. Seitdem wird sie von starken Schuldkognitionen geplagt („Ich hätte es verhindern müssen“; „Es ist nur passiert, weil ich so aufreizend angezogen war“). Diese Schuldkognitionen erwiesen sich in der Disputation als sehr änderungsresistent. Im Verlauf der Therapie zeigte sich, dass die Schuldkognitionen die Funktion hatten, Gefühle der Hilflosigkeit sowie die dazu gehörenden Bewertungen („Ich war ihm hilflos ausgeliefert“) zu vermeiden.

zz Analyse problematischer Denkmuster

Im Rahmen der CPT spielt Psychoedukation über problematische Denkmuster (manchmal auch als Denkfehler oder kognitive Fehler bezeichnet) eine wichtige Rolle. Darunter werden automatisch ablaufende Muster des Denkens oder Schlussfolgerns verstanden, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung dysfunktionaler Überzeugungen beitragen. Beispiele problematischer Denkmuster 55 Willkürliches oder selektives Schlussfolgern 55 Über- oder Untertreibung 55 Schwarz-Weiß-Denken 55 Katastrophisierung 55 Gedankenlesen 55 Emotionales Schlussfolgern

270

T. Ehring

zz Verhaltensexperimente

Ziel von Verhaltensexperimenten ist es, dysfunktionale Überzeugungen dadurch zu verändern, dass die Patientinnen neue Erfahrungen machen, die den Überzeugungen widersprechen. Dazu ist es wichtig, die dysfunktionalen Überzeugungen als Vorhersagen zu formulieren und dann Situationen herzustellen, in denen diese Vorhersagen getestet werden können. Verhaltensexperimente führen oft zu schnelleren und dauerhafteren emotionalen Veränderungen als reine verbale Disputation.

13.4.4.3  Häufige Themen

In . Tab.  13.2 werden exemplarisch häufige Überzeugungen von Traumaüberlebenden mit PTBS dargestellt sowie mögliche kognitive Interventionen kurz skizziert.  

13.4.5  Veränderung

aufrechterhaltender Strategien

Traumaüberlebende mit PTBS führen häufig dysfunktionale Bewältigungsstrategien aus, mit denen sie versuchen, die wahrgenommene aktuelle Bedrohung und ihre Symptome zu kontrollieren (7 Abschn.  13.3.3). Einige dieser Strategien werden im Rahmen der bereits beschriebenen Interventionsbausteine automatisch modifiziert (z. B. Abbau der Vermeidung von Traumaerinnerungen durch imaginative Exposition). In anderen Fällen kann es notwendig sein, direkte Interventionen zur Veränderung der dysfunktionalen Strategien anzuwenden.  

..      Tab. 13.2  Dysfunktionale Überzeugungen und mögliche Interventionen Thema

Überzeugungen (Beispiele)

Interventionen (Beispiele)

Schuld

Ich bin schuld an den Übergriffen. Ich hätte die Gewalt stoppen müssen. Ich hätte wissen müssen, dass es so weit kommen würde. Ich habe die Gewalt durch mein Verhalten provoziert.

Psychoedukation über - den Entwicklungsstand von Kindern (bei Kindheitstraumata), - Verhalten in traumatischen Situationen, - rechtliche Aspekte

13

Rekonstruktion der damaligen Situation: - Was waren damals Ihre Gründe? - Welche Umstände haben damals zu Ihrem Verhalten beigetragen? - Was haben Sie damals gewusst/erwartet? Modifikation des Rückschaufehlers Umfragen: Wie denken andere darüber?

Übergeneralisierung von Gefahr

Ich bin nirgendwo sicher. Ich kann niemandem vertrauen. Ich werde bald einen neuen Unfall/Überfall erleben. Ich ziehe Unglück an.

Psychoedukation über - Merkmale des Traumagedächtnisses, - selektive Aufmerksamkeit Berechnung von Wahrscheinlichkeiten Identifikation von Denkfehlern: - Emotionales Schlussfolgern („Ich fühle mich ängstlich, daher muss Gefahr drohen“) - Übergeneralisierung - Selektive Aufmerksamkeit auf andere Unglücke Verhaltensexperimente: Was passiert, wenn ich mich Situationen aussetze, in denen ich Gefahr vermute?

271 Kognitive Verhaltenstherapie

13

..      Tab. 13.2 (Fortsetzung) Thema

Überzeugungen (Beispiele)

Interventionen (Beispiele)

Scham

Wenn andere erfahren, was mir passiert ist, wollen sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Mein Verhalten während des Traumas zeigt, dass ich schwach bin. Ich bin ein schlechter Mensch, da ich die Aufmerksamkeit des Täters genossen habe.

Rekonstruktion der damaligen Situation: - Was waren damals Ihre Gründe? - Welche Umstände haben damals zu Ihrem Verhalten beigetragen? - Was haben Sie damals gewusst/erwartet?

Ungerechtigkeit/Ärger

Die Welt ist ungerecht. Mir wurde Unrecht getan, und niemand interessiert sich dafür. Der Unfallverursacher hat das mit Absicht getan/wollte mir schaden.

Wichtig: Empathie und Validierung Kontext explorieren, Personalisierung der Erklärung reduzieren Annahmen über Intentionen der anderen Seite disputieren/Perspektivwechsel Hedonistische Disputation („Wer gewinnt, wenn ich ärgerlich bin?“) Konstruktive Auseinandersetzung statt Rache

zz Vermeidungsverhalten und Sicherheitsverhalten

Traumaüberlebende vermeiden oft Situati­ onen, die sie an das Ereignis erinnern. Dies kann die Lebensqualität stark einschränken. In diesen Fällen ist Exposition in  vivo als Intervention angezeigt. Dazu wird zunächst eine Hierarchie vermiedener Situationen aufgestellt, die nacheinander auf graduierte Weise bearbeitet werden sollen. Wenn möglich, empfiehlt es sich, dass Therapeutin und Patientin schwierige Situationen gemeinsam aufsuchen. Exposition in vivo kann auf verschiedene Weisen durchgeführt werden, die sich in Bezug auf ihre Zielsetzung unterscheiden. Exposition in vivo 55 In der prolongierten Exposition nach Foa et al. (2014) stehen der Abbau von Vermeidung sowie die Habituationserfahrung im Vordergrund. Die Patientin sollte nach diesem Vorgehen

so lange in der Situation bleiben, bis Habituation eingetreten ist. Zudem sollten Vermeidung und Sicherheitsverhalten während der Exposition verhindert werden. 55 Exposition in vivo kann ebenfalls als Verhaltensexperiment durchgeführt werden, das zum Ziel hat, die Befürchtungen der Patientin zu testen (z. B. „Wenn ich nicht ständig aufpasse, passiert wieder ein Unfall“: Autofahren ohne exzessives Kontrollieren des Rückspiegels; „Andere wollen nichts mehr mit mir zu tun haben, wenn sie erfahren, was mir passiert ist“: Anderen von dem Trauma erzählen und Rückmeldung einholen). 55 Im Rahmen der kognitiven Therapie (Ehlers 1999) wird Exposition in vivo auch mit dem Ziel angewandt, die Diskrimination zwischen „damals“ und „heute“ zu fördern (7 Abschn. 13.3.3).  

272

T. Ehring

zz Rückzugsverhalten

Traumaüberlebende mit PTBS ziehen sich häufig von anderen Menschen zurück und/ oder geben Aktivitäten auf, die ihnen vorher wichtig waren. Dies kann das Gefühl verstärken, dass das Trauma das Leben zerstört hat; überdies werden Patientinnen auf diese Weise von wichtigen Ressourcen abgeschnitten. In der kognitiven Therapie (Ehlers 1999) werden Patientinnen daher systematisch darin angeleitet, ihr Leben zurückzuerobern. Dazu erstellen Therapeutin und Patientin eine Liste von Aktivitäten und Kontakten, die der Patientin vor dem Trauma wichtig waren (bzw. erarbeiten realistische Alternativen, wenn diese nicht mehr zur Verfügung stehen). Dann wird in kleinen Schritten die Wiederaufnahme dieser Aktivitäten geplant und von der Patientin als Hausaufgabe umgesetzt. Der Fortschritt sowie die Effekte dieser Verhaltensänderung werden zu Beginn jeder Sitzung evaluiert, bevor ein neuer Plan für die kommende Woche erarbeitet wird. zz Weitere Beispiele

13

Als weitere dysfunktionale Verhaltensweisen sind unter anderem exzessives Grübeln über traumabezogene Themen, Hypervigilanz sowie Überbehütung von Kindern/Angehörigen, übermäßiger Substanzkonsum und dysfunktionale Schlafmuster zu nennen. Interventionsbausteine zur Modifikation aufrechterhaltender Verhaltensweisen 55 Identifikation dysfunktionaler Verhaltensweisen sowie ihrer Funktionalität durch Verhaltensanalysen (SORKC-Modell) 55 Psychoedukation über die Effekte dieser Verhaltensweisen 55 Kognitive Interventionen in Bezug auf zugrunde liegende Überzeugungen 55 Kosten-Nutzen-Analyse dieser Strategien

55 Verhaltensexperimente: Was passiert, wenn ich diese Strategie durch etwas anderes ersetze oder weglasse? 55 Training alternativer Verhaltensweisen (z. B. Schlafhygiene, Emotionsregulationsskills, sozial kompetentes Verhalten)

13.4.6  Bearbeitung weiterer

Problembereiche

Viele Patientinnen leiden neben einer PTBS unter komorbiden Störungen oder psychosozialen Problemen. In den meisten Fällen ist nach erfolgreicher Behandlung der PTBS auch eine Reduktion komorbider Symptomatik sowie einer Verbesserung des Funktionsniveaus zu beobachten. Es empfiehlt sich daher, nach der PTBS-Behandlung zunächst zu evaluieren, in welchen Problembereichen bereits eine ausreichende Besserung erreicht wurde und ob noch Symptome oder Pro­ bleme vorliegen, für die eine weitere Behandlung indiziert ist. >> Für einige Patientinnen ist nach erfolgreicher Reduktion der PTBS-Symptomatik die Behandlung noch nicht abgeschlossen. Es sollte daher zu diesem Zeitpunkt eine gründliche Diagnostik durchgeführt werden, um den Bedarf an weiteren Interventionen zu erheben.

13.4.7  Therapieabschluss und

Booster-Sitzungen

Die meisten evidenzbasierten Behandlungsansätze beinhalten nach Abschluss der regelmäßigen (meist wöchentlichen) Therapiesitzungen noch sog. Booster-Sitzungen, mithilfe derer die Therapie langsam ausgeschlichen wird. Diese können z. B. in sich schrittweise erhöhendem Abstand von 2 Wochen, 4 Wochen

273 Kognitive Verhaltenstherapie

und 3 Monaten stattfinden. Ziel der Booster-­ Sitzungen ist die Unterstützung der Patientin bei der Umsetzung der erlernten Strategien im Alltag. 13.5  Zusammenfassung und

Ausblick

Das Kapitel hatte zum Ziel, einen Überblick über evidenzbasierte kognitiv-­verhaltensthera­ peutische Behandlungsansätze für PTBS zu geben. Ergebnisse der Therapieforschung zeigen, dass traumafokussierte Therapien die Behandlung erster Wahl bei PTBS sind. Es liegen einige evidenzbasierte Behandlungsprotokolle vor, die – bei unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen  – in der Regel folgende Bausteine enthalten: 55 zur Modifikation des Traumagedächtnisses, 55 zur Veränderung dysfunktionaler Bewertungen/Überzeugungen sowie 55 zur Modifikation dysfunktionalen Aufrechterhaltungsverhaltens. Diese Strategien wurden in Grundzügen dargestellt. Für Details sind interessierte Leserinnen auf die Originalmanuale der verschiedenen Ansätze verwiesen. Das Kapitel stellt den aktuellen Stand evidenzbasierter kognitiver Verhaltensthe­ rapie bei PTBS dar. In den letzten Jahren ist jedoch eine starke Forschungsaktivität zu verzeichnen, die zum Ziel hat, Wirkfaktoren der traumafokussierten PTBS-Behandlung besser zu verstehen, Wirksamkeit und Verträglichkeit traumafokussierter Interventionen zu verbessern und Behandlungen zu entwickeln, die auf neuen Wirkprinzipien basieren. In den kommenden Jahren sind daher weitere Fortschritte in der Behandlung der PTBS zu erwarten.

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275

Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) O. Schubbe und A. Brink 14.1

Einführung – 276

14.2

Die 8 Phasen von EMDR – 277

14.2.1

14.2.4 14.2.5 14.2.6 14.2.7 14.2.8

 hase 1: Erhebung der Vorgeschichte und P Behandlungsplanung – 277 Phase 2: Stabilisierung und Vorbereitung auf EMDR – 280 Phase 3: Einschätzung der belastenden Ausgangssituation – 284 Phase 4: Neuverarbeitung mit äußerer Stimulierung – 285 Phase 5: Verankerung – 286 Phase 6: Körpertest – 288 Phase 7: Abschluss der Sitzung – 289 Phase 8: Nachbefragung und Reintegration – 289

14.3

Wie wirkt EMDR? – 290

14.4

Effektivitätsstudien – 290

14.5

Auf EMDR basierende Weiterentwicklungen – 292

14.2.2 14.2.3

Literatur – 293

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_14

14

276

O. Schubbe und A. Brink

14.1  Einführung

EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“. Dieses achtphasige Behandlungskonzept beschreibt den gesamten Verlauf einer Traumatherapie. Wie 1889 erstmals von Janet (11889, 1973) beschrieben und in den heutigen Behandlungsstandards der AWMF für die PTBS (Flatten et  al. 2001) empfohlen, beginnt eine EMDR-Behandlung mit einer traumaspezifischen Anamnese, Behandlungsplanung und Stabilisierung. Erst nach ausreichender Stabilisierung kommt die Traumabearbeitung mit den für EMDR charakteristischen konfrontierenden und prozessierenden Phasen zur Anwendung. Für jede prozessierende Sitzung wird eine belastende Erinnerung ausgewählt und in 5 Phasen integriert: Einschätzung, Neuverarbeitung, Verankerung, Körpertest und Abschluss. Die Therapie endet im besten Fall damit, dass die traumatischen Erinnerungen ihre belastende Qualität verloren haben und sich die Lebensqualität spürbar verbessert hat. Zur Geschichte

14

EMDR wurde von Francine Shapiro empirisch entwickelt, indem sie mit dem Einsatz von Augenbewegungen zur Bearbeitung traumatischer Erinnerungen experimentierte. 1985 veröffentlichte sie zur Bedeutung von Augenbewegungen beim Verankern positiver Ich-Zustände (Shapiro 1985). 1988 prüfte sie die Effektivität ihres Ansatzes in ihrer Dissertation (Shapiro 1988). Die Grundstruktur von EMDR basiert auf dem Phasenmodell der Traumatherapie: Stabilisierung, Traumaverarbeitung und Reintegration (Janet 11889, 1973). Im Austausch mit ihrem damaligen Praktikanten Mark C. Russels entwickelte sie ihr Konzept von „Reprocessing“ und daraus später ein Theoriemodell, das „Adaptive Information Processing“-Modell. Ihre Meditationslehrer Ondrea und Stephen Levine prägten ihr Verständnis dessen, was beim Prozessieren von Erinnerungen geschieht. Im Rahmen der Vipassana-­Meditation erlernte sie die „Lichtstrahlmethode“, die sie zur Behandlung körperlicher Restbelastung in ihr Lehrbuch aufnahm. Dort finden sich auch zahlreiche Einflüsse aus der Hypnotherapie nach Milton Erickson und von dessen Schülern. Am bekanntesten hierzu sind das VAKOG-System von Milton Erickson, das sich in der zentralen Imaginationstechnik „Sicherer Ort“ wiederfindet, sowie Studien von John Grinder zur Wirksamkeit von Augenbewegungen bei Traumafolgestörungen. Zur Messung des Belastungsgrades und zum Vorher-­ nachher-­ Vergleich wird die SUD-Skala (1–10) nach Joseph Wolpe eingesetzt.

EMDR entwickelt sich seitdem dynamisch weiter. Zum einen schlagen sich Entwicklungen in der Traumatherapie in der Ausgestaltung der 8 EMDR-Phasen nieder. Zum anderen findet EMDR immer breitere Anwendung. Im Verständnis, dass mit EMDR dysfunktionale Gedächtnisinhalte bearbeitet werden können, liegt die Möglichkeit, EMDR auch jenseits der PTBS-Diagnose zum Einsatz zu bringen. So kann EMDR auch zur Verarbeitung subtraumatischer Ursprungserfahrungen eingesetzt werden, die z.  B. zu dysfunktionalen Überzeugungen oder einer Phobie geführt haben. Entsprechend entstehen ständig neue Anwendungsgebiete. Mit dem Ziel, die Akzeptanz bei Patienten zu erhöhen, wurden mehr Ressourcen in den zentralen EMDR-Prozess eingeführt und sanfte Übergänge zwischen Ressourcenarbeit und Traumabearbeitung geschaffen. Wie bei empirischen Verfahren zu erwarten, werden theoretische Überlegungen zu den Wirkfaktoren und Modellvorstellungen zur Funktionsweise der EMDR-Therapie als Ganzem sowie im Teilaspekt der spezifischen Traumaverarbeitung (EMDR-Prozess) immer wieder neu entsprechend der fortschreitenden Kenntnisse im traumatherapeutischen Bereich aufgestellt – und auch verworfen. Shapiro selbst stellte ein recht sparsames und in seiner informationstheoretischen Begrifflichkeit technisch anmutendes Wirkmodell auf, das AIP-Modell (Shapiro 2001, 2018). Bei näherer Betrachtung spiegelt sich in diesem jedoch der humanistische Ansatz wider, nach dem sich ein Mensch unter guten Bedingungen selbst entfaltet, zutiefst eigene Lösungsansätze und Heilungswege entwickelt. Der Kern des EMDR ist ein Prozess, der so eingeleitet und begleitet wird, dass er nach Shapiro optimale Verarbeitungsbedingungen bietet. Es lohnt, das Modell in einen größeren Kontext zu stellen, um es in seiner Tiefe ausloten zu können. 2015 wurde EMDR in Deutschland in den Kanon der Richtlinienverfahren aufgenommen, nachdem der Unterausschuss Psychotherapie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA 2015) eine eigene Metaanalyse zur Effektivität von EMDR durchgeführt hatte. In

277 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

dieser Metaanalyse zeigte EMDR gegenüber Kontrollgruppen nach Abschluss der Therapie eine statistisch signifikante Überlegenheit. Die vorgesehene Verschränkung der Traumatherapie mit den bisherigen Richtlinienverfahren ist für EMDR-Therapeuten gut möglich. Für tiefenpsychologische und analytische Kollegen ist die gemeinsame Basis mit EMDR das Vordringen in die „Tiefe des Unbewussten“ und die „Tiefe der Zeit“ (Kornbichler 2006). Erst die Bearbeitung früherer Erfahrungen kann Veränderungen in der gegenwärtigen Belastungssituation bewirken. Zudem bedeutet der spezifische EMDR-Prozess ein Öffnen für freies Assoziieren zum traumatischen Thema (Wöller und Kruse 2014). EMDR ist kompatibel mit den Grundsätzen der Verhaltenstherapie, die ebenfalls größten Wert auf Ressourceneinbettung, Lösungsorientierung und fokussiertes Arbeiten an vereinbarten Therapiethemen legt. Als Ausgangspunkt werden im Alltag aufgefundene Traumafolgen und mit diesen in Zusammenhang stehende Störungen der Patienten gewählt. Vor jeder Konfrontation werden die „Hotspots“, im EMDR „schlimmste Momente“ genannt, festgestellt. Jede Traumatherapie mit EMDR hat als Kernstück die EMDR-­Traumakonfrontation (in sensu). Im Anschluss an eine EMDR-Traumakonfrontation ist es oft sinnvoll, eine Traumakonfrontation in vivo durchzuführen, um eine konkrete Erprobung zu erreichen (Linden und Hautzinger 2011).

14

die anstehende Phase des EMDR-Prozesses zu sammeln, insbesondere alle individuellen Ressourcen, die auch im therapeutischen Kontext zuverlässig wirken, sowie alle Belastungen und Traumata, die in dieser Phase mit aktualisiert werden könnten. Auf diese Weise passt EMDR zu einer schonenden Traumatherapie (Sack 2010), in der die Arbeit an Belastungen immer in ein mindestens ebenso großes Maß an Ressourcen eingebettet ist. Die Phasen 1, 2 und 7, 8 entsprechen dem Behandlungsstandard. EMDR-spezifisch sind die Phasen 3 bis 6 (Schubbe und Gruyters 2018).

EMDR als Verfahren in 8 Phasen (nach Shapiro) 55 P  hase 1: Erhebung der Vorgeschichte und Behandlungsplanung 55 Phase 2: Stabilisierung und Vorbereitung auf EMDR 55 Phase 3: Einschätzung der belastenden Ausgangssituation 55 Phase 4: Neuverarbeitung mit äußerer Stimulierung 55 Phase 5: Verankerung 55 Phase 6: Körpertest 55 Phase 7: Abschluss der Sitzung 55 Phase 8: Nachbefragung in einer späteren Sitzung

14.2.1  Phase 1: Erhebung der 14.2  Die 8 Phasen von EMDR

Im EMDR erfüllt jede Sitzung zwei Ziele: erstens findet eine phasenspezifische Traumatherapie statt, in deren Rahmen zunehmende Stabilität und Lebensqualität des Patienten die Leitschnur bildet. Zweitens bereitet jede Sitzung darauf vor, dass die Traumakonfrontation und das Reprozessieren im Rahmen des spezifischen EMDR-Prozesses so ressourceneingebettet und zeitgerecht wie möglich durchgeführt werden kann. Hierzu ist es sinnvoll, von der ersten Sitzung an alle Informationen für

Vorgeschichte und Behandlungsplanung

14.2.1.1

Erstgespräch

Wie jede andere Einzeltherapie beginnt EMDR mit dem Erstgespräch. Dieses dient der ersten Kontaktaufnahme und kann im besten Fall bereits dem Aufbau einer therapeutischen Beziehung und Vertrauensbasis dienen. Wie üblich ist zu erfragen, warum der Patient gerade jetzt in welchen Lebensumständen mit welcher Fragestellung in die Therapie kommt. Zudem ist zu erfragen, ob er bereits Vorerfahrungen mit

278

14

O. Schubbe und A. Brink

Psychotherapie hat, bereits einen umschriebenen Therapieauftrag mitbringt oder dieser erst erarbeitet werden soll, ob er selbst Motivation und Leidensdruck hat oder ob es in seinem systemischen Umfeld Anregung oder gar Druck auf ihn gab, sich einer Therapie zu unterziehen. Die Betonung von eigenem Wunsch, eigener Motivation und einem umschriebenen Therapieziel gibt bereits die Richtung der folgenden Therapiegestaltung vor. Im EMDR werden bereits jetzt die wichtigsten Symptome sowie der biografische Kontext erfragt, in dem die Probleme und damit verbundenen Überzeugungen entstanden sein könnten. Die Kunst dabei ist, mögliche Ursprungssituationen zwar bereits zu erheben, aber nicht in eine ausführliche Besprechung zu verfallen. Wichtig ist ebenfalls, Zusammenhänge als mögliche Hypothesen zu akzeptieren, aber weder als gegebene Kausalitäten zu bestätigen noch eigene Hypothesen zu benennen. So ist es beispielsweise obsolet, Hypothesen über mögliche Traumatisierungen zu nennen. Die Hypothese kann ebenso gut falsch sein, zudem wäre die Mitteilung manipulativ und übergriffig. Im Rahmen einer Therapie nach Monotrauma können die Symptome dagegen sehr direkt in den Kontext der Monotraumatisierung gestellt und in ihrer Funktionalität im Rahmen des Traumas psychoedukativ beschrieben werden. Insbesondere sollte dabei eine Normalisierung der Symptome erreicht werden nach dem Grundsatz: „Sie reagieren normal auf ein unnormales Ereignis.“ Insgesamt sollte das therapeutische Beziehungsangebot ausnahmslos annehmend und wertschätzend gestaltet sein. Weder ist die Schwere der Traumatisierung zu werten noch die Symptomatik; bestenfalls wird diese auch bei deutlicher Dysfunktionalität als bislang bestmöglicher Kompensationsversuch verstanden und vermittelt. Während immer häufiger Patienten von Anfang an nach einer EMDR-Therapie fragen, findet oftmals auch ein traumatherapeutisches Erstgespräch erst nach einer allgemeinen Phase der Psychotherapie statt. Nicht immer besteht gleich der Verdacht auf eine PTBS; häufig sind

komorbide Störungen therapieführend. So ist z.  B. eine Suchttherapie stets zunächst nach den hierfür geltenden Regeln einzuleiten, erst nach ausreichender Suchttherapie und Stabilität des Patienten kann dann das Erstgespräch zu EMDR und Traumatherapie stattfinden. Dabei ist der Patient dahingehend aufzuklären, dass er womöglich im Sinne eines Selbstversuchs der Traumakompensation mit missbräuchlichem Konsum reagiert hat und sich daher eine Traumatherapiephase reibungslos anschließen kann. Dies gilt entsprechend für alle vorbehandelten Komorbiditäten. Bereits im Erstgespräch können erste Informationen zu EMDR gegeben, der Phasenverlauf der anstehenden Therapie skizziert und der therapeutischen Überzeugung Ausdruck verliehen werden, dass auch schwerwiegende Ereignisse verarbeitet werden können und die damit zusammenhängende Symptomatik gemildert oder ganz aufgelöst werden kann. 14.2.1.2  Diagnostik

Während in der Therapie nach Monotrauma bereits in der ersten Sitzung traumabezogene Kurzfragebogen zur Selbsteinschätzung eingesetzt werden können, ist die Diagnostik bei komplextraumatisierten Menschen gut vorzubereiten. Sehr sinnvoll ist es zu prüfen, ob diese Patienten bereits die Fähigkeit haben, nach Darbietung der Diagnostik die in der Regel deutlich ansteigende Belastung eigenständig wieder herunter zu regulieren. Andernfalls ist der Diagnostikphase eine Phase der Vermittlung von Strategien zur Affektregulation voranzustellen. In dieser können Methoden zur Gegenwartsorientierung, zum Containment oder hypnotherapeutische Methoden zur Regulierung von Gefühlen zum Einsatz kommen. Zudem kann in diesem Fall eine dosierte Diagnostik in mehrere aufeinanderfolgende, ansonsten ressourcenorientierte Sitzungen eingebettet werden. Prinzipiell sollte traumabezogene Dia­ gnostik nie zum Selbstausfüllen mitgegeben werden. Stets ist eine aktive, im Bedarfsfall für ein entlastendes Gespräch sowie zur Anleitung von Affektregulation zur Verfügung stehende therapeutische Begleitung vorzusehen.

279 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

Unter der Lupe

Die erste Phase legt das Fundament für die therapeutische Arbeit, denn die Beziehung hat größten Einfluss auf den Zeitpunkt, an dem der traumatisierte Patient später genug Vertrauen und Sicherheit empfinden wird, um seine schambesetzten, tabuisierten und in jedem Fall belastenden traumatischen Erinnerungen mit EMDR bearbeiten zu können.

14.2.1.3  Erhebung der

Vorgeschichte – Traumaanamnese

In Hinblick auf die Behandlungsplanung ist es günstig, gleich zu Beginn der Therapie in der Anamnese nach belastenden Ereignissen wie Trennungen, Todesfällen, Vernachlässigung, körperlicher und sexueller Gewalt zu fragen. Allerdings setzt eine intensive Konfrontation mit traumatischen Erinnerungen eine ausreichende Stabilisierung voraus. Deshalb sollte die spezielle Traumaanamnese zu diesem frühen Zeitpunkt sehr strukturiert, zügig und in einem sachlich-distanzierten Stil durchgeführt werden. Noch in derselben Sitzung  – im Anschluss oder im Wechsel – sollte eine Ressourcenanamnese durchgeführt werden. Zwei Methoden empfehlen wir hierzu besonders: das Anlegen einer Liste und die Arbeit mit der Timeline. Beim Anlegen einer Liste ist es ratsam, in jeder Zeile nur ein Stichwort für das Ereignis und eine Zahl für das entsprechende Alter zu notieren. Abschließend wird am Ende jeder Zeile eine Zahl von 0–10 für den Belastungsgrad angefügt, d. h. für den Grad der gefühlten Belastung beim Erinnern in der Gegenwart. Eine solche Liste macht ggf. auch amnestische Lebensabschnitte erkennbar (. Tab. 14.1). Zur Stabilisierung nach der Traumaanamnese haben sich Copingfragen und Stabilisierungsübungen bewährt. Auch die anschließende Ressourcenanamnese kann in Form einer Liste erhoben werden. Die Liste positiver Lebenserfahrungen soll die  

14

..      Tab. 14.1  Spezielle Traumaanamnese (Beispiel) Ereignis

Alter

Belastungsgrad

Trennung der Eltern

10

2

Trennung vom ersten Freund

17

6

Skiunfall

28

5

Motorradunfall

37

9

Aufmerksamkeit des Patienten nach der Traumaanamnese wieder auf positive Inhalte lenken und dient – vorbereitend für EMDR – der systematischen Information des Therapeuten über die vorhandenen Ressourcen. Der Vorteil der Arbeit mit Listen ist, dass dies die Arbeit in Stichwörtern unterstützt und vor Überflutung mit traumatischem Material schützt. Zudem kann die Ressourcenliste in den folgenden Sitzungen offen auf dem Tisch liegen und es kann Ziel der Stabilisierungsphase sein, diese Liste sinnvoll zu vertiefen und um fehlende Aspekte zu ergänzen (7 Abschn. 14.2.2). Die Arbeit mit der Timeline bietet eine weitere Möglichkeit der spezifischen Anamneseerhebung. Da die Lebenslinie im Therapieraum ausgelegt wird (z. B. mit einem Seil), unterstützt sie die Bildung einer „Draufsicht“ von oben, eines Überblicks vom heutigen Standpunkt aus und somit das Erkennen von Zusammenhängen, z.  B. von belastender Lebensphase und Entwicklung besonderer Ressourcen. Bei der Arbeit mit der Timeline können nach dem „Stones and flowers“-Prinzip auf der einen Seite der Lebenslinie mit Steinen die Traumata und Belastungen, auf der anderen Seite mit Blümchen oder Sternchen die Ressourcen entlang der Lebenslinie angeordnet werden. Neuere Entwicklungen im EMDR beginnen bereits in dieser Phase mit der Einführung bilateraler Stimulierung, allerdings ausschließlich zur Vertiefung und Verankerung positiver Ressourcen (Rost 2016).  

280

O. Schubbe und A. Brink

14.2.1.4  Behandlungsplanung

14

Aus der Anamnesearbeit ergibt sich die nachfolgende Behandlungsplanung. Diese umfasst die Abschätzung, welche und wie viel Stabilisierungsarbeit mit der Vertiefung vorhandener und Entwicklung neuer Ressourcen notwendig ist. Zudem können aus der Liste bzw. Menge erhobener Stones Themen für die EMDR-prozessierende Arbeit ausgewählt werden. Eine typische EMDR-Prozess-Sitzung beginnt mit der Fokussierung eines sorgfältig gewählten Ausgangsthemas. Bei Monotraumata liegt die Wahl dieses Ausgangsthemas auf der Hand. Allerdings muss auch hier geprüft werden, ob nicht ein affektiv ähnlich geladenes früheres Ereignis in der Biografie vorliegt. Das frühere Hintergrundereignis wäre dann vor dem späteren Monotrauma zu bearbeiten. Bei komplex traumatisierten Patienten liegen unterschiedliche traumatische Erinnerungen und verschiedene Ausgangsthemen  – und diese oft in erheblicher Fülle – vor, die auf mehrere Sitzungen verteilt bearbeitet werden sollten. Die Planung des EMDR-Prozesses wird dadurch zu einem wesentlichen Schritt innerhalb der Gesamtbehandlung und sollte sehr sorgsam und in enger Abstimmung mit den Patienten erfolgen. Shapiro stellt als wichtigste Regel die Chronologieregel auf. Merksätze wie „First things first“ oder „Vergangenheit  – Gegenwart  – Zukunft“ bestimmen das sog. Standardprotokoll. Sie erinnern daran, frühe traumatische Erinnerungen vor späteren zu bearbeiten. Früh im Leben erlebte traumatische Erinnerungen können zur Verarbeitung aktualisiert werden, ohne gleichzeitig spätere Erinnerungen zu triggern, aber nicht umgekehrt. Mit den frühesten Erinnerungen zu beginnen hat außerdem den Vorteil, dass sich dabei die Belastung durch spätere Ereignisse von allein reduziert, während eine solche Generalisierung umgekehrt nicht zu beobachten ist (Greenwald und Schmitt 2008). Allerdings fand Shapiro Grenzen dieser Methodik bei komplex traumatisierten Patienten mit einer Fülle von zu bearbeitenden Themen. Das ausführlichste Konzept zur EMDR-Behandlungsplanung bei komplex traumatisierten Patienten stammt von Kitchur (2005). Es ermöglicht, nach verschiedenen

Kriterien Themenblöcke zu bilden und in eine Reihenfolge der Bearbeitung zu bringen. Dabei sollten die Behandlungsthemen so gewählt werden, dass sie affektiv zugänglich sind, aber die Fähigkeit zur Affektregulation nicht überfordern (Affektregel). Vollständig vorhandene Erinnerungen sollten vor fragmentierten oder teilamnestischen Erinnerungen bearbeitet werden (Kohärenzregel), um den Patienten nicht schon am Anfang mit neu ins Bewusstsein tretenden Erinnerungsfragmenten zu überraschen und zu überfordern. In Kitchurs Konzeption wird die Chronologieregel nachgeordnet. >> Eine frühe Planung der Behandlungsund somit Ausgangsthemen für den EMDR-Prozess führt zu einem transparenten, gut strukturierten Therapieverlauf. Zudem bildet sie die Grundlage für die folgende Phase der Stabilisierung.

14.2.2  Phase 2: Stabilisierung und

Vorbereitung auf EMDR

Die Stabilisierungsphase nimmt im EMDR einen individuell angepassten Raum ein. Bei psychisch stabilen, als Erwachsene monotraumatisch belasteten Patienten (z.  B. der Motorradfahrer nach Unfall, dessen Traumaanamneseliste in . Tab.  14.1 zu finden ist), ist keine umfängliche Stabilisierungsphase vonnöten. Hier ist ausreichend, die Stabilisierungsarbeit als direkte  Vorbereitung der EMDR-prozessie­ renden Arbeit zu konzipieren und lediglich eine Methode zum sicheren Umschalten in einen ressourcenvollen Zustand sowie eine weitere zur inneren Distanzierung und/oder zum Containment belastender Erfahrungen einzuüben. Auch Patienten mit sehr belasteter Biografie, die ein äußerst kreatives und ressourcenvolles Leben entwickeln konnten (z. B. Künstler oder Musiker, die in ihrer Kreativität auch einen Ausdruck für ihre Traumatisierung gefunden haben), benötigen keine umfängliche Stabilisierungsphase. Bei ressourcenschwachen Patienten dagegen ist dies der wesentliche und zeitlich umfangreichste Therapieschritt im EMDR.  

281 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

Als Vorbereitung auf die EMDR-konfrontative Arbeit ist zu bedenken, dass diese solange nicht durchgeführt werden sollte, wie unverarbeitete Gedächtnisinhalte nicht mit den zur Verarbeitung nötigen Ressourcen verbunden werden können. In dem Maße, in dem die traumatischen Gedächtnisinhalte im Alltag gemieden und dissoziiert werden, sind die im Alltag vorhandenen Ressourcen während der Verarbeitung traumatischer Gedächtnisinhalte assoziativ schwer zugänglich. Unter der Lupe

In der 2. Phase des EMDR gehört es zum Konzept, den assoziativen Zugang zu den inneren Ressourcen systematisch zu unterstützen und den Patienten in Kontakt mit der Gegenwart und möglichen Lösungen zu bringen. Die Wirkung von EMDR kann dahingehend erklärt werden, dass im Prozess der Traumaverarbeitung neue assoziative Verbindungen zwischen traumatischen Inhalten und Ressourcen entstehen.

14.2.2.1  Stabilisierung

Der Patient sollte lernen, den Grundpegel der inneren Anspannung zu reduzieren. Hierzu eignen sich häufig bewegungsorientierte Verfahren besser als ruhige Entspannungsverfahren. So sind Elemente aus Qi Gong, Tài Chi, Yoga, Abzittern, expressive Atemübungen mit forcierter Ausatmung sowie jede Form von Ausdauersport zum Spannungs- und Stressabbau zu empfehlen. Erst wenn diese expressiven und bewegungsorientierten Verfahren fruchten, können Entspannungsverfahren wie progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Malen, Musizieren, Musikhören, Entspannungs-CDs oder angenehme manuelle Tätigkeiten eine die Entspannung vertiefende Wirkung entfalten. Außerdem soll der Patient Strategien zum Umgang mit intrusiven Erinnerungen, Albträumen und psychischen Krisen erlernen. Inzwischen existieren zahlreiche Strategien und Übungen, die sich als effektiv erwiesen haben. Neben Methoden zur Gegenwartsorientierung in Raum

14

und Zeit sei beispielhaft auf die Imaginationsübung eines Bildschirms verwiesen, mit der Patienten lernen, ihre Intrusionen zu projizieren und sie dann mittels Fernbedienung zu kontrollieren (Brink 2014). Auch die Methode der episodischen Kontextualisierung (Ehlers 2010) hat sich sehr bewährt. Hierbei werden Patienten darin geschult, die aufkommenden Splitter der Erinnerung in Intrusion oder Albtraum chronologisch so einzubetten, dass eine gute Erinnerung vorangestellt wird und ein gute spätere Erinnerung in den Anschluss. Derart ressourcenvoll eingebettet gelingt das Abschalten leichter, und oftmals nimmt die Häufigkeit von Intrusionen und Albträumen deutlich ab. Zum Umgang mit anfangs oft als unerklärlich erlebten Krisen ist es in der Traumatherapie mit EMDR üblich, eine Liste möglicher Trigger anzulegen und dem Patienten zu helfen, diese nach und nach zu identifizieren. Für jeden Trigger soll überlegt werden, ob und wie er vermieden oder wie mit ihm am besten umgegangen werden kann. Die Arbeit mit einer solchen Liste verbessert die Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge und hilft, schädliche Vermeidungsstrategien wie Sucht oder Selbstschädigung systematisch zu ersetzen. Unter der Lupe: Vorhalten eines „Notfallkoffers“

Für instabile und komplextraumatisierte Patienten wird ein sog. Notfallkoffer mit abgestuften Strategien zum Spannungsabbau angelegt: 55 Gut eingeübte Reorientierungstechniken 55 Techniken zur Distanzierung von belastenden Gedanken und Gefühlen wie die Filmstopptechnik oder die Tresorübung 55 Ausgesuchte positiv besetzte Gegenstände, Lieblingsmusik, Selbsthilfeliteratur 55 Adressen und Telefonnummern von Freunden 55 (ggf.) Medikamente 55 Telefonnummer einer vorher sorgfältig ausgewählten Klinik

282

O. Schubbe und A. Brink

14.2.2.2  Indikation und

Gegenindikation

14

Mit den ersten Phasen von EMDR kann begonnen werden, ohne irgendwelche Gegenindikationen über die normale Patientenaufklärung hinaus zu beachten. Diese Aufklärung sollte enthalten, dass Psychotherapie zu Veränderungen und Nebenwirkungen führen kann und auch Phasen mit einer Verschlechterung des subjektiven Befindens auftreten können. Erst bei Planung der konfrontierenden EMDR-Phasen sind weitere Überlegungen zur Indikation bzw. Kontraindikation notwendig. Diese betreffen die Wahl des Zeitpunkts, den generellen Einsatz eines traumakonfrontierenden Verfahrens und EMDR-spezifische Kriterien. Zur Vorbereitung des EMDR-Prozesses ist es sowohl für die zu bearbeitenden Themen als auch für die Methode wichtig, den therapeutischen Auftrag zu prüfen. Wenn dieser Auftrag mit Ambivalenzen verbunden ist, haben die Symptome in den meisten Fällen noch eine wichtige Funktion für das innere Gleichgewicht. Dann müssen zu den Symptomen alternative Strategien erarbeitet werden, um dieses innere Gleichgewicht mindestens ebenso zuverlässig herstellen zu können. Es kann auch sein, dass die Ambivalenz gegenüber dem Auftrag Ausdruck der Vermeidungssymptomatik ist. Dann ist es günstig, den Patienten beim Umgang mit dieser Angst zuerst mit anderen Methoden zu unterstützen, ihn geduldig zu EMDR zu motivieren und Befürchtungen durch geeignete Erklärungen zu reduzieren. Für die Indikation von EMDR ist die Wahl des Zeitpunktes entscheidend, und es sind die allgemeinen und EMDR-spezifischen Kriterien einer Traumakonfrontation zu berücksichtigen. zz Wahl des Zeitpunkts

Um einschätzen zu können, ob der „Ressourcenmix“ bereits für die anstehende Traumabearbeitung ausreicht und passgenau stimmt, sollte der Therapeut prüfen, ob der Patient inzwischen 55 seinen Alltag aktuell selbstständig bewältigen kann (Alltagstest), 55 eine innere Vorstellung von einem sicheren Ort hat (Sicherer-Ort-Test) und

55 sich nach einem intensiven Gespräch über traumatische Erinnerungen selbst beruhigen kann (Gesprächstest), 55 Grenzen der Belastbarkeit klar benennen kann (Prüfung der Selbstwahrnehmung sowie der therapeutischen Vertrauensbasis). Als Vorbereitung auf die EMDR-­prozessierende Arbeit ist zu bedenken, dass diese solange nicht durchgeführt werden sollte, wie unverarbeitete Gedächtnisinhalte nicht mit den zur Verarbeitung nötigen Ressourcen verbunden werden können. Hierzu ist zu prüfen, ob in der ersten Therapiephase ausreichende und individuell passende Ressourcen (re-)aktiviert werden konnten, um die innere Stabilität des Patienten ausreichend zu fördern. Er sollte in der Lage sein, den Alltag selbstständig zu meistern und mit auftauchenden traumatischen Erinnerungen umzugehen. Dazu gehört, sich bei überflutenden Affekten selbst beruhigen und Grenzen zur Dissoziation wahrnehmen und in der Therapie si­ gnalisieren zu können. zz Gegenindikationen für ­traumakonfrontierende Verfahren

Kontraindiziert ist eine EMDR-Traumakonfrontation in allen Fällen, in denen eine zu geringe psychische, soziale oder medizinische Stabilität grundsätzlich gegen eine Traumaexposition spricht. Dies können alle Zustände akuter psychischer Instabilität und mangelnder Zugänglichkeit im therapeutischen Kontakt sein: psychotische Tendenzen, akute Suizidgefahr, Einfluss von Drogen, Alkohol oder sedierende Medikamente. In medizinischen Risikosituationen wie bei instabiler Herzerkrankung oder Risikoschwangerschaft sollte EMDR ausschließlich in einem sicheren medizinischen Setting durchgeführt werden. Bei Patienten, die an epileptischen, pseudoepileptischen oder Asthmaanfällen leiden, sollte nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt besprochen werden, was Psychotherapeut und Patient bei einem Anfall tun können. Intelligenzminderung und neurologische Störungen können die Wirksamkeit einschränken, stellen aber kein Risiko dar. Eine Traumakonfrontation sollte in der Regel auch

283 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

nicht bei fortbestehendem Täterkontakt durchgeführt werden. Bei dissoziativen Symptomen ist EMDR nur in dem Maße indiziert, in dem es während der Traumaverarbeitung möglich ist, den Patienten in einem assoziierten Zustand zu halten oder rasch in die Gegenwart zurück zu orientieren. Dissoziative Symptome sollten mit dem FDS-Fragebogen (Freyberger et al. 2005) erhoben werden. Bei Kindern sind der familiäre Kontext und bestehende Redeverbote zu beachten. Vor der Traumakonfrontation ist eine sehr sorgsame und das ganze System einbeziehende Vorarbeit notwendig. Als Faustregel kann gelten, dass keine EMDR-Bearbeitungsthemen gewählt werden sollten, die in der Familie tabuisiert sind. Redeverbote sollten vor einer Traumaexposition im Familiengespräch aufgelöst werden, es sei denn, ein Kind hätte es in der Therapie von sich aus angesprochen: Dann ist es auch richtig, darauf einzugehen und lediglich den Loyalitätskonflikt im Auge zu behalten. zz EMDR-spezifische Gegenindikationen

Der EMDR-Prozess setzt voraus, dass sich Therapeut und Patient gemeinsam auf einen sich selbst organisierenden Prozess einlassen können. Ein überstarkes Kontrollbedürfnis, starke Versagensängste sowie phobische Ängste, sich einer nicht von vornherein komplett planbaren Situation auszusetzen, sind auf Patientenseite große Hemmnisse und sollten vom Therapeuten sehr ernst genommen werden. Eine feinfühlige Vorbereitung, Selbstbestimmtheit und größtmögliche Wahl- und Kontrollmöglichkeit erleichtern es Patienten, sich auf den unbekannten Prozess einzulassen. Es kann spielerisch eingeübt werden, dass auf das Stoppsignal ein sofortiges Beenden seitens des Therapeuten erfolgt: nein heißt nein, die Grenzen werden stets gewürdigt. Zudem können Metaphern dem Patienten helfen, sich anzuvertrauen (7 Abschn. 14.2.3). EMDR kann mit verschiedenen bilateralen Stimulierungen durchgeführt werden. Daher sind Augenprobleme oder optosensitive Epilepsie bei taktiler oder akustischer Stimulierung kein Hindernis.  

14

Checkliste zur Arbeit mit EMDR 55 Besteht eine stabile, vertrauensvolle Arbeitsbeziehung? 55 Bin ich bereit, den gesamten Prozess zu begleiten? 55 Sind die Belastungen objektiv gesehen vorbei? 55 Erzeugen die Belastungen eine emotionale und sinnliche Resonanz? 55 Kann eine ausreichende körperliche Belastbarkeit angenommen werden? 55 Bestehen eine ausreichende psychische Stabilität und Fähigkeit zur Selbstregulation? 55 Steht im Alltag genügend Energie für tiefgreifende emotionale Prozesse zur Verfügung? 55 Kann ein Symptomgewinn ausgeschlossen werden? 55 Wurden die EMDR-Ausgangsthemen festgelegt? 55 Steht ausreichend Zeit zur Verfügung, um die Sitzung gut abzuschließen? 55 (Muss eine der Fragen mit Nein beantwortet werden, ist dieser Punkt noch zu klären.) Aussagen vor Gericht Bei laufenden Gerichtsverfahren ist zu bedenken, dass die Aussagen der Patienten vor Gericht manchmal aufgrund der Behandlung in Frage gestellt werden. Wir empfehlen, Opferzeugen, Zeugen und Polizisten erst nach Beendigung der Zeugenaussage mit EMDR zu behandeln, es sei denn, es konnten vorab Vereinbarungen mit dem Richter getroffen werden. Diese könnten z. B. im schriftlichen Fixieren einer Aussage des Patienten vor EMDR-Therapie und Aushändigen der Therapiemitschriften bestehen. Obwohl es keinerlei Hinweise auf eine Verzerrung von Zeugenaussagen durch EMDR gibt, ist ein solches Argument gegen die Glaubwürdigkeit des Patienten nicht ausgeschlossen. Besteht dieses Risiko nicht, kann EMDR sehr sinnvoll eingesetzt werden, um Patienten auf Gerichtsverfahren vorzubereiten. Das häufigste Argument gegen eine EMDR-Therapie vor Gerichtsprozess verweist auf den eklatanten – und therapeutisch gewünschten – Unterschied von intrusiven Bildern und verarbeiteten Erinnerungen. Während ein Flashback- bzw. intrusives Bild relativ viele und zuverlässige optische Details enthält, die es z. B. ermöglichen, nachträglich die Zahl der Fenster eines Hauses zu

284

O. Schubbe und A. Brink

zählen, kann das Erinnerungsbild bei der Verarbeitung mit EMDR verblassen, unscharf werden oder zugunsten einer narrativen Erinnerung verschwinden.

Stimulierung hat die Funktion eines Gaspedals, das die Verarbeitung beschleunigt und hilft, das belastende Stück Strecke hinter sich zu lassen.“

14.2.2.3  Erklärung von EMDR

und spezifische Psychoedukation

In jedem Fall sollte EMDR erklärt werden, damit Patienten wissen, wofür sie ihre Zustimmung erteilen. Während manche Patienten eine ausführliche Information und ggf. Hinweise auf Literatur und gut geführte Informationsseiten im Internet benötigen, können für andere kurze prägnante Erläuterungen ausreichen. Die Erklärung könnte dann z. B. folgendermaßen lauten. Beispiel: erklärendes Gespräch 55 T: „Wenn ein Trauma geschieht, wird die Gedächt­ nisinformation im Nervensystem sozusagen ein­ geschlossen, verbunden mit den ursprünglichen Bildern, Gedanken, Gefühlen und Körperreaktio­ nen. Die eingeschlossene Erinnerung ist von der biografisch passenden Lösung getrennt, äußere Reize können aber z. B. entsprechende Gefühle unkontrollierbar auslösen. EMDR scheint die eingeschlossene Information wieder der Verarbei­ tung zugänglich zu machen, sodass die Erinne­ rung innerlich besser eingeordnet und dafür von außen weniger leicht ausgelöst werden kann.“

14

Damit sich der Patient mit der bilateralen Stimulierung vertraut machen kann, ist es günstig, verschiedene optische, akustische und taktile Varianten ausprobieren zu lassen und Wahlmöglichkeiten zu vermitteln. Am häufigsten wird die optische Stimulierung durch horizontale Handbewegungen des Therapeuten oder ein leichtes Tappen des Therapeuten auf die Handrücken der Patienten gewählt. Zudem ist ein eindeutiges Stoppsignal zu vereinbaren. Um dem Patienten einen Eindruck vom EMDR-Prozess zu geben und ihn an die Sicherheit in der Gegenwart zu erinnern, empfiehlt Shapiro die Tunnel-, Zug- oder Videometapher: 55 T: „Es ist wie eine Fahrt mit dem Auto durch einen Tunnel, insofern wir auch da den Fuß auf dem Gaspedal halten, bis wir wieder draußen sind. Die

14.2.3  Phase 3: Einschätzung

der belastenden Ausgangssituation

Anamnese, Behandlungsplan und Indikation für EMDR liegen inzwischen vor. Dem Patienten wurde EMDR bereits erklärt, und er hat seine Zustimmung erteilt. Er kennt die Übung „Sicherer Ort“ und ein Stoppsignal. Die Sitzposition und die Form der bilateralen Stimulation sind gut abgestimmt. Jetzt erst beginnt die typische EMDR-Sitzung, in der die charakteristischen Phasen 3–6 zur Anwendung ­kommen. In Phase 3 wird zur ausgewählten Ausgangssituation der schlimmste Moment (Hotspot) aufgesucht und auf mehreren Ebenen eingeschätzt. Dies aktualisiert das dysfunktional gespeicherte Gedächtnismaterial auf mehreren Ebenen der inneren Wahrnehmung. Zudem dient es der Verlaufsdiagnose, um am Ende der Sitzung und in der Katamnese Änderungen des Verarbeitungszustands erfassen zu können. Ebenen der inneren Wahrnehmung 55 Narrativ der Situation 55 Innere Sinneswahrnehmung (meist ein Bild) 55 Generalisierte Überzeugung über die eigene Person 55 ausgelöste Emotionen (oft mehrere) 55 Körperkorrelate dieser Emotionen.

Verwendete Skalen 55 Die „Subjective Units of Disturbance“ (SUD) zur Einschätzung der wahrgenommenen Belastung 55 Die „Validity of Cognition“ (VoC) zur Beurteilung der Gültigkeit der gewünschten Überzeugung über die eigene Person

285 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

Beispiel: Phase 3 55 T: „Sind Sie damit einverstanden, heute an der Erinnerung vom Hubschrauberabsturz zu arbei­ ten?“ 55 P: „Ja.“ 55 T: „Welches Bild repräsentiert den schlimmsten Teil dieses Vorfalls?“ 55 P: „Die Flammen.“ 55 T: „Die Flammen, okay. Welche belastende Über­ zeugung über Sie selbst löst dieses Bild heute aus?“ 55 P: „Ich bin ausgeliefert.“ 55 T: „Wenn Sie sich die Flammen vorstellen, was würden Sie heute lieber über sich denken?“ 55 P: „Wie meinen Sie das?“ 55 T: „Wenn Sie aus heutiger Sicht auf Ihre Er­ innerung mit den Flammen schauen – gibt es bereits etwas Positives, das Sie über sich denken können?“ 55 P: „Ich kann mich schützen.“ 55 T: „Wenn Sie sich die Flammen vorstellen, wie richtig fühlt sich der Satz ‚Ich kann mich schüt­ zen‘ im Moment auf einer Skala von 1–7 an, wobei 1 für völlig falsch und 7 für völlig wahr steht?“ 55 P: „Zwei.“ 55 T: „Wenn Sie sich die Flammen vorstellen und die Worte ‚Ich bin ausgeliefert‘ sagen, welche Emo­ tionen bemerken Sie dabei jetzt?“ 55 P: „Ohnmacht und Todesangst.“ 55 T: „Auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 0 für neu­ tral und 10 für die höchste vorstellbare Belastung steht, wie belastend fühlt es sich jetzt für Sie an?“ 55 P: „Neun.“ 55 T: „Woran spüren Sie das in Ihrem Körper? Wo können Sie das lokalisieren?“ 55 P: „Enge im Hals.“ 55 T: „Sie haben das sehr gut gemacht, wir haben nun alles, was wichtig ist, um den EMDR-Prozess zu starten, beieinander. Bitte stellen Sie sich jetzt erneut die Flammen vor, denken Sie ‚Ich bin ausgeliefert‘, spüren Sie die Enge im Hals und be­ obachten Sie, was auch immer jetzt auftaucht. Alles darf auftauchen, Sie beobachten einfach, was es ist. Sind Sie bereit?“ 55 P: „Ok.“ 55 T: „Gut!“

14

14.2.4  Phase 4: Neuverarbeitung

mit äußerer Stimulierung

Unter der Lupe

Die Phase der Neuverarbeitung wird auch als Prozessieren, EMDR-Prozess oder EMDR-Konfrontation bezeichnet. Der Therapeut führt den Patienten in emotionalen Kontakt mit dem schlimmsten erinnerten Ausgangsbild, der negativen Kognition und der belastenden Körpersensation und beginnt dann mit einer Serie bilateraler Stimulierungen.

Der Therapeut sorgt dafür, dass der Patient seine Aufmerksamkeit sowohl auf die äußere bilaterale Stimulierung als auch auf die unverarbeiteten Inhalte richtet, dabei aber auch die zur Lösung notwendigen Ressourcen erreichbar bleiben. Es werden so viele Stimulierungsserien durchgeführt wie benötigt werden, um die Belastung deutlich zu reduzieren. Eine Serie dauert so lange, bis der Patient Anzeichen von Entspannung zeigt. Danach fragt der Therapeut nach der letzten Assoziation, also welche Gedächtnisinhalte zuletzt ins Bewusstsein getreten sind. Umgekehrt kann er auch dazu auffordern, alles bisher Aufgetauchte auszublenden und zu beobachten, was nun auftaucht. Während der Stimulierung ermutigt der Therapeut den Patienten weiterzugehen (Genau! Sie machen das sehr gut! – Beobachten Sie weiter! – Gehen Sie damit nun weiter!). Bei hoher Affektladung kann er zwischen den Stimulierungen kleine Entlastungspausen mit gemeinsamem Atmen, Ermutigung und Unterstützung einbauen (Blenden Sie aus  – atmen Sie einmal tief aus – was ist da jetzt?) Nach einer Schätzung von Shapiro (2001) verlaufen 30 % aller EMDR-Prozesse auf diese Weise als hervorragender Selbstentfaltungsund Bearbeitungsprozess von der Belastung ausgehend zu einem individuell stimmigen ressourcenvollen und entlasteten Zustand.

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Etwa 70  % der Prozesse dagegen brauchen kleine Impulse von außen durch den Therapeuten. Eine gelingende Verarbeitung setzt voraus, dass sich Patienten im Toleranzfenster befinden, also in einem Zustand, in dem traumatische Erinnerungen ohne Affektüberflutung oder dissoziative Reaktion aktualisiert werden können. Das Toleranzfenster erkennt der Therapeut daran, dass 55 zur traumatischen Erinnerung auftauchende Bilder, Gefühle, Sinneseindrücke und Körperempfindungen beobachtbar und beschreibbar sind, 55 die Gegenwart mit therapeutischem Kontakt und Sicherheit ebenfalls spürbar ist, 55 der Prozess von allein assoziativ verläuft.

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Nicht immer bleibt der Prozess im Fluss. Nicht immer bleibt die Belastung im Toleranzfenster. Blockierungen im Prozess, kognitiv-­ emotionale Endlosschleifen und Überflutung versus dissoziative Symptome treten auf. Bei Bedarf werden hierzu Zusatzstrategien eingesetzt, um immer wieder einen optimalen Ressourcenmix für die Traumaverarbeitung herzustellen. Das von Shapiro (2018) so genannte therapeutische Einweben ermöglicht dem Therapeuten, von außen Inhalte oder Informationen in den inneren Verarbeitungsprozess des Patienten einfließen zu lassen. Hierbei kann der Therapeut auf verschiedenste Strategien zur Ressourcenanreicherung, emotionalen Distanzierung und Stärkung der Unterschiedsbildung zwischen dem ressourcenvolleren Ist-Zustand und dem Zustand bei Traumaerinnerung zurückgreifen. Beispiel: Einwebtechnik 55 Bilaterale Stimulierung 55 P: „Ich sehe immer noch diese riesigen Pran­ ken um meinen Hals – es ist immer noch da, ich halt das nicht mehr aus!“ 55 T: „Herr A., machen Sie sich bitte noch ein­ mal klar, dass Sie diese Erinnerung an das, was Ihnen als Kind zugestoßen ist, heute als Erwachsener beobachten. Lassen Sie die Erinnerung an sich vorbeiziehen“.

55 Bilaterale Stimulierung 55 P: „Okay, das geht etwas besser, aber ich sehe immer noch diese riesigen Pranken um meinen Hals.“ 55 T: „Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären jetzt als Erwachsener anstelle des Kindes, das Sie waren, dort. Geht das? Lassen Sie einmal dieses Bild zu und gehen damit weiter.“ 55 Bilaterale Stimulierung 55 P: „Wow, ich hab ihm einen Faustschlag ver­ passt und mich befreit. Ich bin frei!“ 55 Bilaterale Stimulierung 55 T: „Nehmen Sie diese Erfahrung mit in Ihren Prozess und lassen Sie alles auftauchen, was jetzt auftaucht“. Unter der Lupe: Methoden des kognitiven Einwebens im EMDR Prozess

Das therapeutische Einweben ist effektiv, sollte aber ausschließlich bei Blockaden im Prozess verwendet werden, da Veränderungen, die vom Patienten in einem fließenden, sich selbst organisierenden Prozess ausgehen, mehr zum Erleben von Selbstwirksamkeit beitragen und zielgenauer die Belastung auflösen. Jeder Einsatz des therapeutischen Einwebens sollte zudem sehr sparsam als kleiner Impuls in den Prozess hineingegeben werden, um lediglich als Anregung für den Patienten, nicht aber als von außen kommende „Lösung“ zu fungieren.

In . Tab.  14.2 sind verschiedene Kategorien des therapeutischen Einwebens mit Beispielen aufgeführt.  

14.2.5  Phase 5: Verankerung

Wenn die Intensität der Belastung auf den optimalen Wert (im besten Fall Null auf der SUD-Skala von 0–10) zurückgegangen und die positive Kognition passend und stimmig ist, wird mit der Verankerung begonnen.

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..      Tab. 14.2  Therapeutisches Einweben Form des Einwebens

Beispiel

Mechanisch: Eigenschaften und Art der Stimulation verändern

Eine Frau hat bzgl. der Besuche ihrer Mutter sehr ambivalente Gefühle. Sie stellt die beiden Seiten auf zwei Zeichnungen dar. Bei EMDR bewegt sie die Augen zwischen den beiden an der Wand hängenden Zeichnungen hin und her.

Wahrnehmungsebene: Wechsel der Modalität der inneren Wahrnehmung

Ein Sportler erlebt im EMDR-Prozess für ihn unverständliche Körpersensationen. Ich bitte ihn, sich vorzustellen, sein Körper würde mit ihm sprechen – welcher Dialog könnte sich dann entwickeln?

Fokussierend: Zum Ausgangsthema zurückbringen

Eine Studentin denkt bei einer EMDR-Sitzung über eine Gewalterfahrung durch ihren Vater an eine bevorstehende Prüfung. Beim Einweben wird sie aufgefordert: „Beobachte, was die Prüfung mit der Situation mit deinem Vater zu tun hat.“

Affektbrücke: Hintergrunderfahrungen erfragen

Eine Lehrerin fühlt sich bei der Vorstellung ohnmächtig, sich gegen ihre Mutter abzugrenzen. Ich bitte sie, mit dem Gefühl der Ohnmacht innerlich zu der frühesten Erinnerung zurückzugehen, die ihr dazu einfällt.

Distanzierend: Einsatz therapeutischer Distanzierungstechniken

Ein Mann wird unruhig und beginnt abzulenken. T: „Stell dir vor, das ist jetzt nur ein alter Film von früher, und auf dem Schoß deiner Mutter hier bist du ganz sicher.“

Entwicklungsorientiert: Nachholen von Entwicklungssituationen

Eine Frau misstraut ihrer Wut auf ihren Vater, die sie plötzlich entdeckt. Ich frage: „Wenn Sie als kleines Kind wütend wurden, wie wäre es gewesen, von Ihrem Vater liebevoll klare Grenzen gesetzt zu bekommen?“

Unterstützend: Ermutigen, Erlaubnis erteilen, Anerkennung

Ein junger Mann hat Angst, wie die EMDR-Sitzung wohl ausgeht. Er wird wiederholt ermutigt: „Gut so, ja … das machst du sehr gut … ja, das machst du großartig … das ist in Ordnung … ja, genau richtig.“

Körperressource: Aktivieren einer zuvor verankerten Ressource auf Körperebene

Wiederholt erlebt eine Frau Kopfschmerzen, wenn sie sich an ihren trinkenden Vater erinnert. Ich bitte sie, ihre Hand auf die Stelle des Körpers zu legen, die im Vergleich zum Kopf am wenigsten weh tut, und ihre Aufmerksamkeit dort zu lassen.

Kognitiv: Sokratische Frage, Erwachsenenperspektive, Zukunftsperspektive

Eine Patientin fühlt sich ohnmächtig, ihrer Wut auf den Vater Ausdruck zu geben, weil sie auch vor ihm Angst hat. Ich frage: „Wenn Sie heute in die damalige Szene treten könnten, welche Erlaubnis würden Sie dem Kind, dass Sie damals waren, gern geben?“

Imaginativ: Imagination einer Ressource

Ein Patient war als Kind Gewalt ausgeliefert. „Stell’ dir mal vor, jetzt kommt ein Erwachsener, den du gut kennst. Der kann dir helfen. Beobachte, was dann passiert.“

Mit Teilearbeit: Ressourcenvolle innere Anteile werden aktiviert

Ein Bankangestellter schämt sich fortwährend, als Kind gestohlen zu haben. Der Therapeut sagt: „Wenn auf dem Stuhl da drüben das Kind sitzen würde, das Sie damals waren, was könnten Sie ihm heute sagen?“

Symbolisch: Symbolisieren konkreter Inhalte, z. B. als Tiere

Ein Mann fühlt sich Impulsen ausgeliefert, sich zu kratzen. Der Therapeut sagt: „Wenn es ein böses Tier wäre, das Sie immer wieder so blutig kratzt, welches Tier könnte es sein?“

Humorvoll: Überraschung und Witz als Ressource einsetzen

Eine Frau bleibt dabei, sie sei eine schlechte Mutter. Der Therapeut zeichnet ihr ein Comicbild von einer bösen Mutter und fordert sie auf, das nächste Bild des Comics zu zeichnen.

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Unter der Lupe

In Phase 5 erinnert der Therapeut den Patienten noch einmal an die Ausgangssituation der Sitzung und wiederholt die positive Kognition. Während sich der Patient diese Kombination vergegenwärtigt, leitet der Therapeut durch eine weitere Serie bilateraler Stimulierung.

Diese Stimulierungsserie sollte beendet werden, wenn die positive Kognition dem Patienten voll und ganz in die Ausgangssituation zu passen scheint. Beispiel: Phase 5

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55 T: „Wenn Sie jetzt an den Hubschrauberabsturz denken, wie hoch ist die erlebte Belastung jetzt, wobei 0 für neutral und 10 für die höchste Be­ lastung steht?“ 55 P: „Null.“ 55 T: „Ist der Satz ‚Ich kann mich schützen‘ noch optimal für Sie? Oder ist jetzt ein anderer Satz besser?“ 55 P: „Inzwischen finde ich den Satz ‚Ich lebe‘ pas­ sender. Wir können uns nicht immer schützen und überleben manchmal doch.“ 55 T: „Und wie zutreffend fühlt sich der Satz ‚Ich lebe‘ im Moment an, wobei 1 für völlig falsch und 7 für völlig wahr steht?“ 5 5 P: „Sieben, ganz ohne jeden Zweifel: Ich lebe!“ 55 T: „Dann denken Sie bitte an den Hubschrauber­ absturz, sagen Sie sich den Satz ‚Ich lebe‘ und folgen Sie bitte mit den Augen noch mal meiner Hand.“

14.2.6  Phase 6: Körpertest

Wenn die Ausgangssituation mit positiven Gedanken und angenehmen Körperempfindungen assoziiert wird, dann hat sie wirklich ihren Schrecken verloren. Der Körpertest erlaubt, dies am Ende der Sitzung zu prüfen. Im

Anschluss an die Verankerung wird zunächst überprüft, ob die positive Kognition angesichts der Ausgangssituation schon voll zutrifft. Trifft sie nicht vollständig zu, wird die Differenz mit einer Serie bilateraler Stimulationen bearbeitet. Nur wenn sowohl der Belastungsgrad als auch die Stimmigkeit der positiven Kognition vollständig die angestrebten Werte erreicht haben, wird überprüft, ob auf körperlicher Ebene noch eine Restbelastung vorhanden ist oder nicht. Unter der Lupe

Zum Körpertest erinnert der Therapeut den Patienten noch einmal an die Ausgangssituation der Sitzung und wiederholt die positive Kognition. Während sich der Patient diese Kombination vergegenwärtigt, wird er – ohne Stimulierung – angeleitet, mit der Aufmerksamkeit langsam von oben nach unten durch den Körper zu wandern und alle auftretenden Wahrnehmungen zu schildern.

Beispiel: Phase 6 55 T: „Sehr gut, ich möchte jetzt mit Ihnen prüfen, ob es noch Belastungen auf körperlicher Ebene gibt.“ 55 P: „Gut.“ 55 T: „Dann denken Sie bitte an den Hubschrau­ berabsturz, sagen Sie sich den Satz ‚Ich lebe’ und überprüfen Sie Ihre körperlichen Empfin­ dungen langsam. Vom Kopf …bis … bis zu den Füßen.“ 55 P: „Jetzt fühlt sich der Körper ganz lebendig an, warm und entspannt.“

Sollte der Patient nach dem Körpertest noch belastende Körperempfindungen nennen, werden diese mit einer weiteren Serie bilateraler Stimulierungen bearbeitet. Der Körpertest ist beendet, wenn im Körper nur noch positive oder neutrale Empfindungen auftauchen.

289 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

14.2.7  Phase 7: Abschluss der

Sitzung

Unter der Lupe

Der Patient sollte die Sitzung in einem stabileren Zustand verlassen als jenem, in dem er gekommen ist. Meistens führt die Traumaverarbeitung direkt in einen entspannt-ausgeglichenen Zustand. Falls die Verarbeitung nicht vollständig abgeschlossen werden konnte, empfiehlt Shapiro, die Sitzung mit vertikalen Augenbewegungen, der erneuten Visualisierung des „Sicheren Ortes“, der Tresortechnik oder einer anderen Entspannungs- und Distanzierungsübung abzuschließen und dem Patienten derartige Methoden zur Selbstanwendung mitzugeben. Um auch körperliche Restsymptome aufzulösen, empfiehlt sie die Lichtstromübung aus der Vipassana-­Meditation.

Die übliche therapeutische Erklärung, dass der Verarbeitungsprozess in den Tagen nach der Sitzung normalerweise weitergeht, hilft dem Patienten ebenso wie die therapeutische Empfehlung, auftauchende Inhalte zur Bearbeitung in der nächsten Sitzung schriftlich zu notieren. So kann er sich leichter auf die nächste Sitzung einstellen und ist über assoziativ zum Thema auftauchende Inhalte weniger beunruhigt oder erschrocken. Am Ende der Sitzung sollte sich der Therapeut davon überzeugen, dass der Patient vollständig in der Gegenwart orientiert ist. – Der Patient sollte nach der Sitzung einen kleinen Spaziergang machen oder eine Ruhepause einlegen, anstatt sofort ins Auto zu steigen. 14.2.8  Phase 8: Nachbefragung

und Reintegration

Nach konfrontativen Sitzungen gehört es zu den ersten Fragen einer Folgesitzung, ob seit der EMDR-Sitzung bzgl. des Ausgangsthemas noch etwas Neues aufgetaucht ist.

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Der Therapeut sollte das Ausgangsthema der letzten Sitzung nennen und noch einmal nach dem Grad der subjektiven Belastung fragen. Auf diese Weise wird überprüft, ob das Ausgangsthema der letzten Sitzung ganz verarbeitet wurde und das Thema abgeschlossen oder neues Erinnerungsmaterial dazu aufgetaucht ist. Gelegentlich berichten Patienten nach EMDR-Sitzungen von besonders lebhaften Träumen, die dann meist sehr wertvolle Hinweise auf noch zu bearbeitende Themen und der Verarbeitung dienliche Symbolisierungen enthalten. Was kann mit EMDR bearbeitet werden? 55 Belastende Gedächtnisinhalte – Erinnerungen, die dem Patienten in der Gegenwart präsent sind und die sich nach seinem Empfinden auf seinen Alltag auswirken 55 Zu diesen Erinnerungen während des EMDR-Prozesses zusätzlich aufgetauchte Erinnerungen: Während des Prozessierens scheinen assoziativ verbundene, häufig über eine Affektbrücke miteinander verknüpfte Erinnerungen wieder zugänglich zu werden, unabhängig davon, ob sie zuvor erinnerlich waren oder nicht. Wichtige belastende Erinnerungen, die spontan auftauchen, können zum Ausgangsthema einer weiteren EMDR-Sitzung werden. 55 Träume/Albträume: Trauminhalte eignen sich ganz besonders, um einen bereits eingeleiteten EMDR-Prozess in einer der Folgesitzungen zu vertiefen. Auch in diesem Fall wird der schlimmste Moment erfragt, die negative Kognition bei Erinnerung an den Traum, das Gefühl sowie die Körperempfindung; die Stimmigkeit der positiven Kognition sowie der Belastungsgrad geben deutlichen Aufschluss über den Zustand des Patienten relativ zu seinem Traum bzw. Albtraum.

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14.3  Wie wirkt EMDR?

14.4  Effektivitätsstudien

Mit dem AIP-Modell (Adaptive Information Processing Model) liegt ein einfaches Theoriemodell vor. Shapiro (2001) geht von einer angeborenen Fähigkeit zur Verarbeitung trau­ matischer Gedächtnisinhalte aus. Die mit dem Trauma verbundene Information muss zur Verarbeitung vom Traumanetzwerk in ­adaptive Netzwerke übertragen und dort verknüpft werden. Vergleichbar mit den Konzepten von Assimilation und Akkommodation nach Piaget (1947), versuchen die Betroffenen, neue Erfahrungen in bestehende Schemata einzuordnen (Assimilation) oder vorhandene Schemata entsprechend zu erweitern (Akkomodation). Traumatische Situationen lassen sich kaum einordnen, weil sie alles Vorstellbare übersteigen. Es bleiben unverarbeitete Netzwerke zurück. Sie enthalten generalisierte Überzeugungen, sinnesnah unverarbeitete Erinnerungsbilder, belastende Emotionen und Körperkorrelate, die als Symptome in Erscheinung treten. Die Symptome werden nicht als Ursache von Störungen, sondern als Folgen dysfunktional gespeicherter Information betrachtet. Das AIP-Modell kann Dissoziation besser erklären als das frühere Furchtstrukturmodell (Maercker und Rosner 2006). Zur Behandlung mit EMDR wird die dysfunktional gespeicherte Information identifiziert, aktualisiert und der Informationsverarbeitung erneut zugänglich gemacht. Die Gedächtnisinformation wird integriert, und in der Folge stellen sich adaptive Änderungen von Ich-Zuständen, Kognitionen und Verhaltensmustern ein. Es gibt zudem verschiedene lerntheoretische, behaviorale und neurologische Hypothesen zur Wirkung von EMDR. Sie versuchen zu erklären, wodurch EMDR den Verarbeitungsprozess anregt. Vermutlich spielen dabei die Begrenzung der Übererregung durch Aufmerksamkeitsteilung, die Synchronisation der Hirnaktivität, der Orientierungsreflex und ein dem Traumschlaf ähnlicher Integrationsprozess eine Rolle.

Die Wirksamkeit von EMDR wurde bereits in vielen randomisiert-kontrollierten Studien quantitativ untersucht und selten auch qualitativ. Edmond et  al. (2004) analysierten den Inhalt der Aussagen von 59 durch sexualisierte Gewalt traumatisierten Frauen. Verglichen wurde die mit EMDR behandelte Gruppe mit einer Kontrollgruppe, die eine gängige Form methodenintegrativer Psy­ chotherapie erhielt. Nach der integrativen Therapie beschrieben diese Frauen eine bessere Fähigkeit, mit den Traumafolgen umgehen zu können: „Ich habe jetzt Hilfsmittel gesammelt. Ich habe gelernt, wie ich mich besser fühlen kann; Dinge, die ich tun kann, bevor ich die Therapeutin wieder sehe.“ Oder: „Die Panik ist weg, und ich spüre noch Angst und Aufruhr, aber keine, die mich lähmt. Jetzt weiß ich, dass ich für mich entscheiden kann.“ Nach EMDR wurden von den Patientinnen tiefergreifende Veränderungen beschrieben: „Statt wie bei herkömmlichen Psychotherapien von den äußeren Schalen einer Zwiebel zum Kern vorzudringen, erlaubt EMDR, geradewegs an den Kern zu gehen, das Thema zu lösen, und die Veränderungen dringen dann durch alle Schichten wieder bis zur äußersten Schale empor.“ Eine andere Patientin formulierte es so: „Ich glaube, es geht direkt auf die Zellebene … für mich geht es tiefer als darüber zu reden, es geht direkt ins Zentrum und gibt es frei … für mich war es, wie wenn ich alles ausschaben und entfernen würde, weil es da nicht mehr hingehört.“ >> Die Aussagen der Patientinnen mit EMDR weisen darauf hin, dass EMDR eine vollständigere Auflösung der Traumatisierung erzielt.

Auch die quantitativen Studien zeigen signifikante Verbesserungen bei der Behandlung von traumatisierten Patienten mit EMDR. Die vorliegenden Forschungsergebnisse wurden von Münker-Kramer (2017) und in verschiedenen

291 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

Metaanalysen zusammengefasst, zum ersten Mal von Davidson und Parker (2001). Watts et al. (2013) sowie Rothbaum et al. (2005) und Bisson und Andrew (2007) konnten zeigen, dass EMDR eine der effektivsten Behandlungsformen von PTBS ist – neben Expositionstraining und kognitiver Verhaltenstherapie (KVT). Die Metaanalyse von Bisson et  al. (2013) bestätigte, dass EMDR und KVT auch noch 4 Monate nach Ende der Behandlung eine bessere Wirkung zeigten als andere Therapieverfahren. In mehreren Studien wirkt EMDR nicht nur ebenso gut, sondern die Wirkung tritt auch schneller ein (Ironson et al. 2002; Marcus et al. 1997, 2004; Power et al. 2002). Ein solches Ergebnis erbrachten sogar Studien, in denen mit der Expositionsbehandlung Hausaufgaben verbunden waren, mit EMDR aber nicht (Lee et al. 2002; Power et al. 2002). Ähnliche Ergebnisse erzielte eine Metaanalyse, die die Effektivität von EMDR bei Kindern untersuchte (Rodenburg et  al. 2009). EMDR und KVT zeigten sich als die effektivsten Behandlungsmethoden bei traumatisierten Kindern. Die Behandlung von Kindern mit PTBS durch EMDR wurde auch von Ahmad et  al. (2007) und Diehle et  al. (2015) geprüft. Auch hier erwies sich EMDR jeweils als effektiv, sogar bei Kindern, die zuvor nicht auf die Behandlungen reagiert hatten (Chemtob et al. 2002). Bei der Behandlung von PTBS mit komorbiden Störungen ist EMDR ebenfalls wirksam. In einem Review (Valiente-Gómez et al. 2017) wird detailliert auf diese Komorbiditäten eingegangen. EMDR zeigte sich des Weiteren wirksam bei der Behandlung von Patienten mit PTBS und psychotischen Störungen (van den Berg et  al. 2015), PTBS und Borderlinestörung (Brown und Shapiro 2006; Mosquera et al. 2014), PTBS und pseudoepileptischen Anfällen (Chemalie und Meadows 2004; Kelley und Benbadis 2007), PTBS und suchtartigem Sexualverhalten (Cox und Howard 2007), PTBS in Verbindung mit Panikstörung, verbunden mit Agoraphobie (Fernandez und Faretta 2007), PTBS mit generalisierter Angststörung (Triscari et  al. 2015) und PTBS und Depression (Hase et  al. 2015;

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Gauhar 2016). Broad und Wheeler (2006) erzielten bei Patienten mit PTBS in Verbindung mit ADHS und Depression eine deutliche Verbesserung der Symptomatik. Auch eine von PTBS ausgelöste Substanzabhängigkeit konnte wirksam mit EMDR behandelt werden (Hase et al. 2008; Kullack und Laugharne 2016). Van der Kolk et al. (2007) verglichen EMDR mit einem gängigen Antidepressivum (Fluoxe­ tin) und einem Placebo. Fluoxetin ist ein selektiver Serotonin-­Wiederaufnahmehemmer (SSRI), der die Wirkung des Serotonins verlängert, indem er nach der Signalübertragung den Rücktransport in die Speicherplätze verhindert. Während der Anwendung gab es keine signifikanten Unterschiede bzgl. der Wirkung. Sechs Monate nach der Behandlung konnten jedoch in der EMDR-Gruppe 59  % als symptomfrei gelten, in den anderen Gruppen dagegen niemand. Dieses Ergebnis bestätigt, dass es bei sehr starken PTBS-Symptomen sinnvoll sein kann, Psychopharmaka zu Beginn einer Psychotherapie ergänzend einzusetzen (Bauer und Priebe 1997). Bei Frauen, die infolge häuslicher Gewalt unter PTBS litten, konnte durch die Behandlung mit EMDR eine deutliche Minderung ihrer Symptome erreicht werden (Stapleton et  al. 2007). Feuerwehrleute (Kitchener 2004) und Soldaten (Russell 2006; Russell et al. 2007; Zimmermann et al. 2005) konnten nach einer Behandlung mit EMDR wieder in ihren Alltag zurückkehren. Eine kontrollierte und randomisierte Studie belegt den Effekt von EMDR auf traumatisierte Soldaten (Carlson et  al. 1998). Hier konnte die PTBS-Diagnose nach dem Einsatz von EMDR bei 77  % der untersuchten Soldaten nicht mehr gestellt werden. In Stockholm erfüllten 8 von 13 untersuchten Mitarbeitern der öffentlichen Verkehrsbetriebe nach der EMDR-Behandlung nicht mehr die Diagnose PTBS (Högberg et al. 2007). Eine Folgestudie bestätigt dieses Ergebnis 3 Jahre nach Ende der Behandlung (Högberg et al. 2008). Akut traumatisierte Menschen wurden nach einer Explosion in Mexiko mit EMDR behandelt und zeigten daraufhin signifikante Verbesserungen der Symptome (Jarero et al. 2015).

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Auch die später behandelte Vergleichsgruppe profitierte ähnlich stark von EMDR.  Silver et al. (2005) und Konuk et al. (2006) kamen in anderen Kontexten zu vergleichbaren Ergebnissen. Die Wirksamkeit von EMDR scheint also nicht direkt davon abzuhängen, wie zeitnah die Behandlung durchgeführt wird. Unter der Lupe

Insgesamt hat sich EMDR im Vergleich zu anderen Verfahren als gleich oder stärker wirksam erwiesen, wobei die Wirkung meist in weniger Sitzungen erreicht wird und die Akzeptanz durch Patienten sehr hoch ist. Der größte Nachteil von EMDR ist vermutlich, dass eine eigene Ausbildung erforderlich ist. Je originalgetreuer EMDR durchgeführt wird, desto besser sind die Ergebnisse (Maxfield und Hyer 2002).

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Ein Forschungsüberblick von Seidler und Wagner (2006) war in Deutschland die Basis für den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP), EMDR als Therapieverfahren zur Behandlung der PTBS bei Erwachsenen anzuerkennen. Bei einem Bewertungsverfahren (2015) des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) zeigte sich EMDR bei Untersuchungen signifikant besser als eine Standardbehandlung und als verschiedene indikationsspezifische Behandlungen. Laut des G-BA (2015) „lässt sich damit ein deutlicher Hinweis auf einen Nutzen der EMDR gegenüber einer unspezifischen und spezifischen Therapie ableiten“ (ebd., S. 67). Die solide Befundlage hat dazu geführt, dass EMDR weltweit zur Behandlung traumatisierter Personen empfohlen wird. Seit 2013 gilt EMDR auch als eines von zwei empfohlenen PTBS Behandlungsverfahren der WHO. Unter anderem wird es auch von der „International Society for Traumatic Stress Studies“ (ISTSS) und der American Psychology Association (APA) empfohlen. Bisher wurde noch wenig untersucht, welche Teile des EMDR-Vorgehens an der Wirkung

beteiligt oder für den Therapieerfolg notwendig sind. Das am besten untersuchte Wirkelement sind die für EMDR typischen Augenbewegungen, jedoch mit kontroversen Ergebnissen: Während es Hinweise auf einen eigenen Wirkmechanismus der Augenbewegungen gibt (Stickgold 2002, 2008), beziehen sich andere Studien auch auf die Wirkung bilateraler Berührungen oder akustischer Reize. Sack et al. (2016) fanden, dass Augenbewegungen keinen größeren Effekt als ein ruhender Außenfokus hatten und das EMDR-­Vorgehen auch noch ohne jeglichen Außenfokus eine signifikante Wirkung zeigte. Die Diskussion über die Bedeutung anderer Bausteine ist weiterhin unentschieden. Wann ist deren Reihenfolge wichtig, wann sind Änderungen von Bedeutung? Einerseits war das EMDR-Vorgehen der Gegenstand der Wirksamkeitsstudien; andererseits zeigen Erfahrungen bei früh und komplex traumatisierten Menschen sowie grundsätzliche Erkenntnisse der Psychotherapieforschung die Bedeutsamkeit einer individualisierten Vorgehensweise. 14.5  Auf EMDR basierende

Weiterentwicklungen

Weiterentwicklungen gibt es im Rahmen der EMDR-Sonderprotokolle, in Form ressourcenorientierter Protokolle wie dem „Ressource Development and Installation“ (RDI; Leeds und Korn 2002) oder dem „Brainspotting“. Sie lassen sich in 6 Bereiche aufteilen: k1.

EMDR fand Eingang in die Behandlung von Kindern und Jugendlichen (Tinker und Wilson 2000; Greenwald 2001; Schubbe 2002; Hensel 2007, 2014; Dieffenbach 2007). k2.

EMDR wurde auf andere Traumafolgestörungen ausgeweitet, die zusammen mit einer PTBS auftreten können: spezifische Phobien (de Jongh und ten Broeke 2006; Rost 2009), Depression

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(Hase et  al. 2015; Lehnung et  al. 2016), Sucht (Hase 2006; Popky 2005; Vogelmann-­Sine 1998; Lüdecke et al. 2013), Essstörungen (Plassmann 2014), dissoziative Störungen (Hofmann 2004b; Burkhardt 2016), Zwangsstörungen (Böhm 2015), chronische Schmerzstörung (Erdmann 2009; Tesarz et  al. 2015; Wicking et  al. 2017) und somatoforme Störungen, Psychosomatik (Saint Paul 2008; Lehnung 2016). EMDR wurde auch bei Phantomschmerz (Tinker und Wilson 2005), Allergien (Erdmann 2006), Zustand nach Infarkt (Urzt 2015) sowie Hörsturz und Tinnitus (Zengin 2009) eingesetzt. k3.

EMDR wird für ein immer breiteres Spektrum verschiedener Opfergruppen modifiziert. Ausgewählte Beispiele sind traumatisierte Flüchtlinge (Schouler-Ocak 2017), Flüchtlingskinder (Freiha et al. 2015), kriegstraumatisierte deutsche Soldaten (Alliger-Horn et al. 2015), Opfer häuslicher Gewalt (Tarquinio et al. 2012), Vergewaltigungsopfer (Tarquinio et al. 2012) und EMDR-Gruppenangebote für Opfer in Großschadenslagen (Jarero und Artigas 2012). k4.

EMDR wird nicht nur psychotherapeutisch, sondern auch in Beratung und Einzelcoaching eingesetzt (Foster und Lendl 1995, 1996; Augustin und Schubbe 2003; Münker-Kramer 2017). k5.

Ressourcen-EMDR: Immer mehr EMDR-­ Methoden zielen auf einen Einsatz der bilateralen Stimulierung und weiterer EMDR-Elemente außerhalb der Traumakonfrontation, z. B. zur besseren Verankerung und Erhöhung des Impacts von Stabilisierungsübungen. Hierzu gibt Rost (2016) einen umfassenden Überblick. Die bekanntesten Verfahren sind die „Absorptionstechnik“ (Hofmann 2004a) und „Ressource Development and Installation“ (RDI; Leeds und Korn 2002). Zusammengefasst liegt diesen Verfahren die Idee zugrunde, die Verarbeitung durch die bessere Zugänglichkeit von Ressourcen anzuregen.

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k6.

Aus der EMDR-Tradition heraus wurden neue Methoden entwickelt. Brainspotting entstand aus Somatic Experiencing und EMDR in Verbindung mit einer von David Grand (2003) definierten Methode zur Steuerung der Aufmerksamkeit über die Blickrichtung. Aufmerksamkeit und Blickrichtung hängen eng miteinander zusammen  – bis hin zu gemeinsamen funktionellen Arealen im Parietal-, Frontal-, und Temporallappen (Corbetta et al. 1998).

Literatur Ahmad, A., Larsson, B., & Sundelin-Wahlsten, V. (2007). EMDR treatment for children with PTSD: Results of a randomized controlled trial. Nordic Journal of Psy­ chiatry, 61, 349–354. Alliger-Horn, C., Zimmermann, P., & Mitte, K. (2015). Vergleichende Wirksamkeit von IRRT und EMDR bei kriegstraumatisierten deutschen Soldaten. Trauma & Gewalt, 9(3), 204–215. Augustin, J., & Schubbe, O. (2003). Coaching und EMDR.  In S.  M. Schmitz-Buhl, M.  Faulhammer, C. Rauen, et al. (Hrsg.), Coaching: Zukunft der Bran­ che – Branche der Zukunft. Beiträge zur Wirtschafts­ psychologie (S. 9–15). Wiesbaden: Decker. Bauer, M., & Priebe, S. (1997). Psychopharmakotherapie. In A. Maercker (Hrsg.), Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen (S. 179–190). Berlin: Springer. van den Berg, D., de Bont, P., van der Vleugel, B., de Roos, C., de Jongh, A., Van Minnen, A., & van der Gaag, M. (2015). Prolonged exposure vs eye movement desensitization and reprocessing vs waiting list for posttraumatic stress disorder in patients with a psychotic disordera randomized clinical trial. JAMA Psychiatry, 72(3), 259–267. Bisson, J., & Andrew, M. (2007). Psychological treatment of post-traumatic stress disorder (PTSD). Cochrane Database of Systematic Reviews, (3), CD003388. Bisson, J.  I., Roberts, N.  P., Andrew, M., Cooper, R., & Lewis, C. (2013). Psychological therapies for chronic post-traumatic stress disorder (PTSD) in adults. Coch­ rane Database of Systematic Reviews, (12), CD003388. Böhm, K. (2015). Obsessive compulsive disorder and EMDR, Kap.  13. In M.  Luber (Hrsg.), Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) therapy scripted protocols and summery sheets: Treating trauma, anxiety and mood-related conditions (2. Aufl.). New York: Springer. Brink, A. (2014). Selbstkontrolle und emotionale Distanz gewinnen – Die Nutzung von Bildschirm und Fernbedienung. In K. Priebe & A. Dyer (Hrsg.), Meta­

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299

Niedrigschwellige und innovative Interventionen A. Maercker 15.1

Einleitung – 300

15.2

Gestufte Versorgung und Psychoedukation – 300

15.3

Positiv-psychologische Interventionen – 302

15.3.1 15.3.2

 esilienz und psychische Fitness – 302 R Vergebungsinterventionen – 303

15.4

Webbasierte Interventionen und Serious Games – 304

15.5

Gemeindenahe Programme und Peerprogramme – 306

15.6

Angeleitetes autobiografisches Schreiben – 307 Literatur – 309

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_15

15

300

A. Maercker

15.1  Einleitung

Neben den herkömmlichen psychotherapeu­ tischen Verfahren wurden in den letzten Jahr­ zehnten im internationalen Rahmen weitere Möglichkeiten entwickelt, um traumatisierten Betroffenen zu helfen. In diesem Kapitel werden diese Interventionen als niedrigschwellige Verfahren zusammengefasst, die so definiert sind, dass die Hilfesuchenden sich diese in der Regel außerhalb des etablierten Gesundheitssystems selbst suchen (wobei es auch Überschneidun­ gen mit neueren Ansätzen innerhalb der Ge­ sundheitsversorgung gibt; 7 Abschn.  15.2). Damit verbunden ist auch, dass die Inanspruch­ nahme einer Intervention nicht vom Vorliegen einer Diagnose abhängig ist. Die Betroffenen können auch sog. subsyndromale Leiden ha­ ben (d. h., nicht alle für eine Diagnose nötigen Symptome sind vollständig vorhanden), oder es geht um individuelle Prävention einschließlich einer besseren Verarbeitung des Erlebten. Die niedrigschwelligen Interventionen ent­ stammen meist direkt der Forschung und Gesundheitsversorgung für Risikogruppen, beispielsweise wenn sie von Institutionen wie dem Militär entwickelt werden (Resilienzpro­ gramme), mit höheren Investitionskosten ver­ bunden sind (webbasierte Interventionen oder durch Hilfsorganisationen verbreitet werden (gemeindenahe Programme). Wie im Folgen­ den gezeigt werden wird, besitzen sie meist nachgewiesene gute Wirksamkeitsgrade, die meist denjenigen entspricht, die die herkömm­ lichen Verfahren aufweisen. Da sie in die offizi­ elle gesetzliche Gesundheitsfürsorge allerdings kaum oder gar nicht eingebunden sind und da zudem ihre jeweilige ökonomische Nachhal­ tigkeit problematisch ist, bleiben viele der An­ gebote nur kurzlebig – was allerdings nicht alle der nachfolgenden Interventionsarten betrifft.  

15

15.2  Gestufte Versorgung und

Psychoedukation

Die gestufte Versorgung („stepped care“) hat sich für sog. Volkskrankheiten, wie z. B. Diabe­

tes und depressive Störungen, schon sehr weit etabliert. Der Ansatz der gestuften Versorgung geht zunächst von verschiedenen Schweregra­ den des klinischen Bildes aus; meist werden diese in „leicht“, „mittelschwer“, „schwer“ und „lebensbedrohlich“ unterschieden. Alternativ werden auch Akutheitsgrade wie frühes, mitt­ leres, chronisches und eskalierendes Stadium differenziert. Zum Stepped-Care-Ansatz gehören fol­ gende Voraussetzungen (van Straten et  al. 2015): 55 Es stehen evidenzbasierte Behandlungs­ verfahren unterschiedlicher Intensität zur Verfügung. 55 Es erfolgt eine adäquate Diagnostik als Basis für die Behandlungsauswahl. 55 Es erfolgt eine systematische Verlaufs- und Ergebnisbeurteilung. Die therapeutischen Interventionen des Step­ ped-Care-Ansatzes sind allgemein wie folgt gekennzeichnet: 55 Beginn mit einer Behandlungsoption der geringsten Intensität bei gleichzeitig guter Prognose für den Patienten, davon zu profitieren. 55 Möglichkeit, mit angepassten Behand­ lungsoptionen einen „Schritt aufwärts“ bzw. einen „Schritt abwärts“ zu tun. . Tab.  15.1 zeigt die für gestufte Versorgung zur Verfügung stehenden evidenzbasierten Behandlungsoptionen, die zum Teil in diesem Kapitel beschrieben werden. Für die Psychoedukation gibt es gut eta­ blierte und wirksame Programme. Auf Deutsch ist das Manual aus dem Berliner Zentrum Über­ leben (früher: Zentrum für Folteropfer) von Liedl et al. (2013) bekannt geworden (7 Kap. 25). Das hochstrukturierte Manual umfasst 17 Inhalts- bzw. Zusatzmodule, z. B. die Module: 55 „Sie können verändern und dürfen ent­ scheiden – gemeinsam sind wir stärker“ (über die Gruppe als Ort der Bereicherung und Entlastung); 55 „Posttraumatische Belastungsstörung I: eine normale Reaktion auf ein abnormes  



301 Niedrigschwellige und innovative Interventionen

..      Tab. 15.1  Evidenzbasierte Behandlungs­ optionen Schwere- bzw. Akutheitsgrade

Beispiele für evidenzbasierte Behandlungsoptionen

Leicht/frühes Stadium

Psychoedukation, Lektüre von Selbsthilfematerialien (gedruckt, online), Kurse für (sekundäre) Prävention

Mittelschwer/ mittleres Stadium

Onlineinterventionen, Peerprogramme

Schwer/chronisch

Ambulante und stationäre Therapieformen

Lebensbedrohlich/ eskalierend

Krisenintervention, stationäre Therapieformen

Ereignis“ (Symptome erläutern anhand verschiedener Übungen); 55 „Dissoziation – bleiben Sie im Hier und Jetzt“ (u. a. Erarbeiten von Hilfsstrategien im Alltag); 55 „Lassen Sie sich helfen, helfen Sie sich selbst“ (Behandlungsmöglichkeiten und Selbstfürsorge). Das Psychoedukationsprogramm kann im Einzel- oder Gruppensetting unter der Anlei­ tung von Fachpersonen durchgeführt werden, wozu auch die Berufsgruppen der Komple­ mentärtherapeuten (z. B. Kunst-, Bewegungs­ therapeuten) gehören. Das Manual umfasst ausführliche Hinweise für Therapeuten mit Beispielformulierungen, in denen auf mög­ liche Schwierigkeiten und Herausforderungen während der (Gruppen-)Durchführung ein­ gegangen wird. Es ist zudem auf Patienten mit anderen muttersprachlichen Hintergründen ausgerichtet, für die deutschsprachige Inhalte zunächst häufig schwer verständlich bleiben. Im Sinne des Ansatzes der gestuften Versor­ gung kann die Teilnahme an dieser Psycho­ eduktion bei einigen Patienten ausreichen; bei

15

anderen folgen danach intensivere Phasen von (Einzel-)Psychotherapie. kEvaluationen

Im internationalen Maßstab von Ansätzen zur gestuften Versorgung bei Traumatisierten ha­ ben bisher zwei Gesamtevaluationen stattgefun­ den, die beide eine weitestgehende Äquivalenz der gestuften Programme gegenüber der allei­ nigen und längerfristigen Anwendung trauma­ fokussierter Psychotherapien belegen konnten: im Kinderbereich (Salloum et al. 2017) und bei Unfallopfern während und nach der trauma­ chirurgischen Versorgung (Zatzick et al. 2018). kZusatzinterventionen (engl.: „add-on“ oder „blended treatments“)

Im Zusammenhang mit gestuften oder alterna­ tiven Versorgungsmodellen werden internati­ onal zunehmend Zusatzinterventionen entwi­ ckelt, die parallel zu primären Behandlungen genutzt werden. Diese Zusätze sind meist kom­ pakte, zeitlich begrenzte „Therapiepakete“, z. B. eine EMDR-Mitbehandlung während ei­ ner psychodynamischen Psychotherapie oder eine online- oder appbasierte Intervention (7 Abschn.  15.4). Das bedeutet, dass die Pa­ tienten in dieser Zeit mindestens mit zwei the­ rapeutischen/interventiven Ansprechpartnern arbeiten und erfordert von allen Seiten eine transparente Durchführung und ein Grund­ wissen über das jeweils parallele Vorgehen. Für Depressionsbehandlungen, in denen Zusatzinterventionen international am häu­ figsten eingesetzt werden, liegen inzwischen aus Evaluationen einige wichtige Ergebnisse und Hinweise vor: 55 Zusatzinterventionen verbessern den Heilungsfortschritt insgesamt signifikant (Kooistra et al. 2016). 55 die Mehrheit der Therapeuten eines Grundverfahrens zögert, ihre Patienten auf eine Zusatzinterventionen hinzuwei­ sen und diese zu empfehlen (Berger et al. 2017). 55 Zusatzinterventionen sind auch neben einer stationären Therapie indiziert (Kordy et al. 2016).  

302

A. Maercker

15.3  Positiv-psychologische

Interventionen

Die hier dargestellten Interventionsprogramme stammen aus der Zusammenarbeit zwischen der „positiven Psychologie“  – einem Bereich der humanistischen Psychologie  – und der Psychotraumatologie. Im Mittelpunkt steht die Anknüpfung der Interventionen an die Res­ sourcen der Zielpersonen. Häufig lassen sich diese Interventionen auch dem Präventionsbe­ reich zuordnen, wobei es hier insbesondere um die sekundäre Prävention geht, d.  h., sie setzt im Frühstadium der Störung oder bei erhöhter Risikoexposition an. Personengruppen mit be­ sonderer Risikoexposition sind Notfallhelfer, Einsatzkräfte und Militärs  – weshalb solche Interventionen für diese Bereiche besonders intensiv entwickelt wurden (7 Kap. 11 und  24; vgl. auch Maercker und Bengel 2017).  

15.3.1  Resilienz und psychische

Fitness

Psychische Fitness (engl.: „psychological fit­ ness“) ist ein Begriff, der zum Zweck der bes­ seren Akzeptanz bestimmter niederschwelliger Programme für Einsatzkräfte und Militärs ge­ prägt wurde. Dieser Akzeptanzaspekt hat da­ mit zu tun, dass Männer aus solchen Berufs­ gruppen sich sehr schwer auf „unmännlich“ erlebte psychologische Interventionen oder Psychotherapien einlassen (7 Abschn.  15.5; vgl. Pieper und Maercker 1999). Auch psychi­ sche Fitness gilt wissenschaftlich als schlecht definierbar, denn üblicherweise wird es als Sy­ nonym für das Gesamtgebiet der psychischen Gesundheit gebraucht. Resilienz- und psychische Fitnesstrainings sind in der Regel multimodal aufgebaut als Kombinationen von Übungen z.  B. der ko­ gnitiven Verhaltenstherapie und Achtsamkeit. Direkt aus der positiven Psychologie stammt der Bezug auf Stärken und Tugenden der Per­ son (Seligman 2004) und damit auf psychische Ressourcen, an denen in der Intervention an­ geknüpft wird. Als gut strukturiertes Beispiel einer auf die Stärken bezogenen Resilienzinter­ vention wird in . Tab. 15.2 das Vier-Schritte-­ Programm von Padesky und Mooney (2012) dargestellt. Für sog. Einsatzkräfte (Militär, Polizei, Sa­ nitäter) wurde das „Trauma Resilience Trai­ ning“ von Arnetz et al. (2009) am bekanntes­ ten. Dieses moduläre Programm dient dem Umgang mit potenziell traumatischen Situa­ tionen. In 10 wöchentlichen Sitzungen à zwei Stunden stehen im Mittelpunkt: 55 das Erlernen von Entspannungstechniken, 55 angeleitete Imaginationen von potenziell traumatischen Ereignissen, 55 der Erwerb adaptiver Copingstrategien bei der Konfrontation mit diesen Ereignissen.  



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Die Zielkonzepte der „Resilienz“ und der „psychischen Fitness“ sind eng miteinander verwandt und haben sich auseinander heraus entwickelt. „Resilienz“ ist trotz seines hohen Ansehens im öffentlichen Diskurs ein aus wis­ senschaftlicher Sicht bisher schlecht definierter Begriff, da sehr viele verschiedene, miteinan­ der nicht kompatible Definitionen existieren, sodass es viele Kritiken zu diesem Konzept gibt (z. B. Stamm und Halberkann 2015). An­ nähernd kann man Resilienz definieren als:

»» … die Aufrechterhaltung einer normalen, d. h. bisherigen psychischen Funktionsfähigkeit, selbst nach Konfrontation mit extremen Stressbedingungen oder potenziell traumatischen Ereignissen, ohne dass sich psychische Erkrankungen oder Einschränkungen hinsichtlich des Funktionsniveaus manifestieren, welche das Wohlbefinden des jeweiligen Individuums stark beeinträchtigen. (Kleim und Kalisch 2018, S. 754)

Die positiven Evaluationsergebnisse weisen im Vergleich zu anderen, meist viel kürzeren Pro­ grammen darauf hin, dass solche Programme am wirkungsvollsten mit wiederholten Sit­ zungen arbeiten, um einen besseren Effekt zu erzielen, da diese psychologischen Gewöh­ nungs-/Habituationsprozesse traumarelevante Reize bewirken können.

303 Niedrigschwellige und innovative Interventionen

15

..      Tab. 15.2  Aufbau einer Resilienz-­Intervention von Padesky und Mooney (2012). (Aus Lehr et al. 2018. Es ist bisher noch nicht empirisch evaluiert worden) Schritt

Vorgehen

1. Suche nach Stärken im Alltag

Exploration von „Talentbereichen“, d. h. Aktivitäten, die im Alltag regelmäßig, idealerweise mit Leidenschaft, unternommen werden Exploration von Hindernissen, die der Ausführung der Aktivitäten im Wege stehen, mit dem Ziel, die persönlichen Stärken herauszuarbeiten, die helfen, die Aktivitäten trotz Widerständen auszuführen Resilienz zeigt sich dort, wo die Aktivitäten trotz Hindernissen weiter ausgeübt werden, d. h. resilientes Verhalten wird als widerstandsfähiges Verhalten verstanden Erstellung einer Stärkenliste

2. Entwicklung eines Resilienzmodells auf Basis der Stärken

Identifikation konkreter Verhaltensweisen, die beim Umgang mit diesen Hindernissen genutzt werden und den identifizierten Stärken zugrunde liegen Umformulierung des konkreten Verhaltens in allgemeine Verhaltensstrategien, die auch in anderen Situationen hilfreich sein können Formulierung der Verhaltensstrategien in den Worten des Klienten und Verknüpfung mit bildlicher Vorstellung oder Metapher. Dies wird als persönliches Resilienzmodell bezeichnet

3. Übertragung des Resilienzmodells auf neue Anforderungen

Auswählen einer neuen Anforderungssituation, in der resilientes Verhalten nützlich wäre

4. Erprobung des Resilienzmodells

Entwicklung von Verhaltensexperimenten für die Erprobung des Resilienzmodells in der neuen Anforderungssituation

Auswählen von Stärken und Verhaltensstrategien des persönlichen Resilienzmodells, die im Umgang mit der Anforderung hilfreich sein können

Das Ausprobieren, sich der Anforderung zu stellen, wird verstärkt, nicht eine erfolgreiche Lösung eines Problems Modifikation des Resilienzmodells nach der Erprobung

Ein weiteres modulares Programm, das US-amerikanische „Comprehensive Soldier Fitness“-Programm, war noch umfassender konzipiert (Seligman und Fowler 2011). Im Mittelpunkt stand die individuelle Resilienz­ förderung, dazu kamen die Förderung von „Familienresilienz“, die Pflege des sozialen Netzwerks sowie Organisationsveränderungen für Befehlshaber. Keine der Evaluationsstudien konnte allerdings anhaltende Effekte nachwei­ sen, was u. a. damit begründet wurde, dass es zu universell eingesetzt wurde, d.  h. nicht auf die jeweiligen Ausgangslagen und Bedürfnisse

der einzelnen Teilnehmer zugeschnitten war (Steenkamp et al. 2013). 15.3.2  Vergebungsinterventionen

Vergeben und Verzeihen bedeutet, als Op­ fer oder Betroffener auf einen Schuldvorwurf gegenüber dem Täter oder den Tätern zu ver­ zichten. Vergebung kann als positive Coping­ strategie beschrieben werden, mit der eine traumatisierte oder geschädigte Person die belastenden Folgen des Erlittenen bewältigen

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A. Maercker

kann. Eine erste Kurzintervention wurde dazu von Enright (2006) entwickelt, in der 4 Phasen durchlaufen werden: 55 Aufdecken der negativen Gefühle, 55 Entscheidung zur Vergebung einer kon­ kreten Gewalthandlung, 55 Bearbeiten in Richtung eines Verständnis­ ses für den Täter, 55 Entdecken der unerwarteten positiven Folgen für einen selbst.

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Programme nach Enright bzw. weiteren Auto­ ren wurden seitdem für Betroffene von häus­ licher Gewalt, politischer Gewalt und weiteren Problemen zwischenmenschlicher Konflikte, z.  B. denen von Suchtpatienten, angewandt. Onlineformen von Vergebungsinterventionen wurden ebenfalls entwickelt (Stammel und Knaevelsrud 2009). Die Evaluationen von Vergebungsinter­ ventionen zeigen, dass die meisten dieser Pro­ gramme bisher mit nicht im engeren Sinne traumatisierten Personen (sondern Menschen, die Widrigkeiten erlebt hatten) durchgeführt wurden und dass eine Reduktion der PTBS-­ Symptomatik fast nie untersucht wurde. Da­ her sind die Ergebnisse nur mit Vorsicht auf Traumapatienten anzuwenden. Im einzelnen zeigte sich, dass sich depressive Symptome durch die Therapie im geringen bis mittlerem Ausmaß veränderten (Effektstärken von 0.37), Programme über 12 Sitzungen besser als kür­ zere sowie Individual- besser als Gruppenpro­ gramme wirkten (Akhtar und Barlow 2018). In einem evaluierten Onlineprogramm für eine gemischte Betroffenengruppe fand sich keine Depressionsbesserung (PTBS nicht unter­ sucht) (Nation et al. 2018). Unter der Lupe

Insgesamt lässt sich festhalten, dass, so sehr die Ansatzpunkte der positiven Psychologie für Interventionsprogramme auch faszinierend erscheinen, es kaum Anhalt für deren erfolgreiche Anwendung im Bereich der Traumafolgestörungen gibt.

Ein grundsätzliches Problem scheint zu sein, dass Traumatisierte (und anhaltend Trauernde) ein Bedürfnis haben, dass auf ihre negativen Gefühle und Befindlichkeiten eingegangen wird, bevor die Themen von Stärken und Widerstandskraft thematisiert werden.

15.4  Webbasierte Interventionen

und Serious Games

Für die im Folgenden dargestellten Interventio­ nen haben sich viele Begriffe etabliert: online-, internet-, E-Mental-Health-, telepsychiatrische, virtual reality- bzw. appbasierte Interventionen sowie „computerized cognitive behavioral the­ rapie“. Allen diesen Programmen ist gemeinsam, dass sie die Möglichkeiten der neuen digitalen Technologien für Maßnahmen der Gesund­ heitsförderung nutzen. Serious Games (ernst­ hafte Spiele) sind dagegen ursprünglich aus der digitalen Unterhaltungsindustrie und aus Lern­ spielen heraus entstanden, die dann auch für den Gesundheitsbereich eingesetzt wurden. Der Datenschutz spielt für die webbasier­ ten Interventionen eine besondere Rolle. Aus diesem Grund ist die Anwendung dieser Pro­ gramme im Gesundheitswesen stark geregelt. Wichtig ist, dass personenbezogene Daten technologisch am bestmöglichsten geschützt werden, z. B. durch Firewalls und Filtertechno­ logien, für die die Anbieter verantwortlich sind. Ein anderes Problem ist die Nachhaltig­ keit der Entwicklungen. Im E-Mental-Health-­ Bereich entstanden teilweise in schneller Folge immer neue Angebote, die häufig aber nur für ihre Projektphase finanziert waren und danach auch im Fall positiver Wirksamkeitsnachweise nicht verstetigt wurden. Das hat mit Einrich­ tungs- und Lizenzgebühren zu tun, die in ihrer Größenordnung durchaus mit der Anschaf­ fung medizinischer Großgeräte vergleichbar sind (Maercker et al. 2015). Daher werden im Folgenden nur wenige Beispiele genannt, die jeweils über längere Zeit bis heute verfügbar blieben.

305 Niedrigschwellige und innovative Interventionen

zz CoachPTBS-App

Die CoachPTBS-App (kostenlos als And­ roid- und iOS-Version) gibt Informationen zu Traumafolgestörungen und Einsatzfolgen. Sie besteht aus Modulen zur Information, Selbsteinschätzung und bietet verschiedene Übungen wie „Notfallkoffer“ (im Fall einer Symptomzuspitzung), Entspannungsübungen, „eigener Stärkungsspruch“ u.  a. Die deutsche App-Version ist eine modifizierte Übersetzung der englischsprachigen aus dem US-Militär (Kuhn et  al. 2018). Für die Benutzung dieser englischsprachigen App konnten in Evalua­ tionsstudien in den USA gezeigt werden: 55 eine Reduktion der PTBS- und anderer Symptomatik nach einem und 3 Monaten, 55 ein Nutzungsintensitäts-Wirkungs-­ Zusammenhang, 55 die Wirksamkeit als Zusatzintervention zu herkömmlicher Traumatherapie in den US-Militärkrankenhäusern (zusammen­ gefasst bei Kuhn et al. 2018).

zz MyTraumaRecovery

MyTraumaRecovery (MTR) ist ein Selbsthil­ feprogramm in englischer und chinesischer Sprache, das von den Klienten selbstständig ohne Therapeutenkontakt bearbeitet wird (Steinmetz et al. 2012; Wang et al. 2013). Es be­ ginnt mit einem einführenden und erklärenden Video. Das Programm besteht aus mehreren Modulen, die nacheinander oder parallel bear­ beitet werden können, wobei empfohlen wird, insgesamt pro Sitzung mindestens 30  min, aber nicht länger als 60 min am Programm zu arbeiten. Im Gegensatz zur üblichen trauma­ fokussierten Therapie (7 Kap.  11 und  13), steht an erster Stelle des Programms das Mo­ dul zur gegenseitigen sozialen Unterstützung, und es wird im gesamten Programm auf die Traumakonfrontation verzichtet. Die anderen Module sind: Entspannung, Selbstgespräch, Umgang mit Auslösern („trigger“), problema­ tische Bewältigung sowie Hinzuziehen profes­ sioneller Hilfe. Jedes der Module beginnt mit einem Selbsttest, bei dem das Anfangsniveau der Fertigkeiten in diesem Bereich untersucht  

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wird. Dem folgen strukturierte Pläne zu einzel­ nen Aspekten des Moduls, in welchem die Teil­ nehmer den persönlichen Nutzen der neuen Verhaltensweisen, Hindernisse und Mittel zu deren Überwindung eintragen können. Das Programm wirkt insbesondere durch die vie­ len automatisch generierten Feedbacks, die dem Klient individualisierte Rückmeldungen zum Stand seines Fortschritts und zu seinen verbleibenden Problemen geben. MTR wurde in mehreren Studien über­ prüft und dabei sowohl in den USA als auch in China (dort u. a. auch an Personen mit sehr geringem Bildungsniveau) überprüft, und es wurde gezeigt, dass es genauso wirksam ist in Bezug auf die PTBS-Symptomreduktion wie übliche Sprechzimmertherapien. Außerdem war MTR sogar leicht überlegen in Bezug auf das Ausmaß der erlangten Selbstwirksamkeits­ überzeugung bei den Nutzern (Steinmetz et al. 2012; Wang et al. 2013). zz Interapy

Interapy ist das am längsten existierende web­ basierte Verfahren im PTBS-Bereich (seit 1995: 7 http://www.­interapy.­nl), entwickelt vom nie­ derländischen Psychotherapeuten Alfred Lange. Seit 2005 besteht dieses Angebot als „Online-Psy­ chotherapie für Trauma- und Trauerfolgen“ auch in deutscher Sprache (7 http://www.­onlinepsychotherapie.­uzh.ch). Die Therapie beruht auf einem kognitiv-­verhaltenstherapeutischen An­ satz und ist zeitlich begrenzt auf 5 Wochen mit 10 Patient-­Therapeut-­Kontakten. Die Behand­ lung findet vollständig im Rahmen einer stark strukturierten Website statt. Niederschwellig ist dieses Angebot insbesondere durch seine Nut­ zung von zuhause aus, seine Anonymität nach außen hin (der Therapeut erwartet allerdings den regulären Namen des Klienten zu erfahren und benutzt diesen während der Therapie) so­ wie die größere zeitliche Flexibilität für die Kli­ enten, wann eine der Schreibaufgaben durchge­ führt wird (genauere Beschreibung in Maercker et al. 2015, S. 3 ff.). Die Intervention besteht aus 3 Phasen, der jeweils eine ausführliche Psychoedukation vo­ rausgeht. Am Anfang jeder Phase planen Pa­  



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A. Maercker

tient und Therapeut, an welchen Tagen und zu welcher Uhrzeit die Patienten die Schreib­ aufgaben (Essays) erledigen werden, wobei die Therapeuten dem Patienten nach spätestens einem Werktag antworten. Die Therapie glie­ dert sich in die 3 Phasen: 55 Selbstkonfrontation mit den schmerzhaf­ testen Erinnerungen, Gedanken und Ge­ fühlen: Diese Phase besteht aus insgesamt 4 Essays, für die jeweils ein Zeitaufwand von 45–60 min vereinbart wird. In dieser Phase wird der Patient angehalten, mög­ lichst frei, ohne Rücksicht auf Formulie­ rungen und Grammatik zu schreiben. 55 Kognitive Umstrukturierung: Der Patient arbeitet seine Erfahrungen nochmals in der Form eines unterstützenden Briefes an einen fiktiven Freund auf, dem das Gleiche widerfahren ist wie dem Patienten. Diese Phase beinhaltet ebenfalls 4 Essays. 55 „Social Sharing“ (Andere teilhaben las­ sen): in einem fiktiven Abschlussbrief an eine nahestehende Person beschreibt der Patient, wie er sich vorstellt, vom Trauma-/ Trauerthema immer mehr Abstand zu nehmen. In diesem Brief drückt er auch aus, was er anderen Menschen über seine veränderten Erfahrungen während der Therapie mitteilen kann. Diese Phase be­ steht aus 2 Essays. Hier wird der Patient angeleitet, auf Formulierungen und Gram­ matik zu achten.

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Die Orignal- und die deutschsprachige Inter­ apy-Versionen erzielten in mehreren rando­ misierten Kontrollgruppen- und Praxisstudien hohe Wirksamkeiten für die Reduktion der PTBS-Symptome und die allgemeine Befind­ lichkeitsverbesserung. Die Abbruchraten in dieser Therapieform liegen mit 17–24 % nicht höher als in herkömmlichen Sprechzimmer­ therapien (Knaevelsrud und Maercker 2010; Ruwaard et al. 2012). zz Serious Games

Serious Games sind Computerspiele, die zu Lern- oder therapeutischen Zwecken ein­ gesetzt werden. In deutscher Sprache wurde

bisher nur das im Rahmen der Bundeswehr entwickelte Computerprogramm „CHARLY“ erprobt (7 Kap.  24; Wesemann et  al. 2016). Es versteht sich als Bestandteil eines Blended-­ Learning-­Ansatzes; seine Verwendung ist bis­ her auf die Deutsche Bundeswehr beschränkt. Der Einsatz des seit den 1980er-Jahren exis­ tierenden Computerspiels TETRIS in der Aku­ tintenvention gleich nach erlebten Traumata gehört ebenfalls in diesen Bereich. Die kogni­ tiv und perzeptuell anspruchsvolle Puzzleauf­ gabe scheint in Konkurrenz mit den Kapazi­ täten zur Konsolidierung der Traumainhalte im Gedächtnis zu treten. Im Ergebnis zeigten Personen auf Unfallstationen, die innerhalb von 6 Stunden nach dem Unfall 20 min Tetris spielten, nachfolgend weniger Intrusionen und Flashbacks als eine Vergleichsgruppe (Hage­ naars et al. 2017).  

15.5  Gemeindenahe Programme

und Peerprogramme

Durch die Sachlage bedingt, dass das Ausmaß und die Dauer von Traumafolgen entschei­ dend durch soziale und interpersonelle Fakto­ ren bestimmt werden (s. sozial-interpersonelles Modell in 7 Kap.  2), haben sich international viele Angebote entwickelt, in denen nicht die Sprechzimmertherapie im Einzelsetting von Patient und Therapeut im Mittelpunkt steht, sondern ein großmaßstäblicher Einsatz der Interventionsprogramme. Im Folgenden wird ­ zwischen gemeindenahen Programmen und Peerprogrammen unterschieden. Gemeinde­ nahe Programme im Zusammenhang mit Trau­ mafolgen dienen der Verbesserung verschiede­ ner psychosozialer Parameter, z. B. Aggressivität, Demoralisierung, Vereinzelung, hilflose Inak­ tivität. Peerprogramme beruhen auf Mitarbeit von Laien, meist gleichartig Betroffenen, und sind auf die Verbesserung von individuellen und Gruppenbefindlichkeiten gerichtet. Beispielhaft genannt werden internationale Programme: 55 Psychosoziale Programme nach Natur­ katastrophen: Es existieren Programme zur Förderung des Zusammenhalts in der  

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betroffenen Bevölkerung nach Naturkatas­ trophen wie Überschwemmungen, Hurri­ kans oder Vulkanausbrüchen (z. B. Chan­ drasekhar 2012; Norris et al. 2002). 55 Psychosoziale Programme für Nach­ kriegsgemeinschaften (z. B. Ajduković und Ajduković 2003; Somasundaram und Sivayokan 2013). 55 Gemeindenahe Programme in gewalttäti­ gen sozialen Kontexten: Diese werden für Gemeinschaften entwickelt, in denen es durch hohe Gewaltraten zu anhaltenden Traumaisierungen kommt, z. B. in den USA in Stadtvierteln der Black Commu­ nity oder in Südafrika (z. B. Kim et al. 2009; Laborde et al. 2013). 55 Längerfristige bewusstseinsbildende („awareness raising“) Programme für internationale Gemeinschaften nach Not­ falleinsätzen (Epping-Jordan et al. 2015; Humayun et al. 2017). Programme mit Peer- oder Laienmithilfe gibt es für Interventionen nach berufsbezoge­ ner Traumatisierung sowie für traumatisierte Flüchtlinge. Pieper und Maercker (1999) be­ schrieben Ansatzpunkte für Peerinterventio­ nen bei berufsbedingten Traumata in männer­ typischen Berufsbereichen (z.  B.  Feuerwehr, Justizvollzug): 55 Motivierung zu einem veränderten Rollen­ verständnis: Eingehen auf verstärkten Alkoholkonsum als spontanem Bewälti­ gungsverhalten; 55 Thematisieren einer erhöhten Suizidge­ fährung infolge extremer Hilflosigkeit und des Fehlens adaptiver Bewältigungs­ formen; 55 Berücksichtigen des Rollenstereotyps/ Idealbilds als „starker Mann“, das eine psychosoziale Vulnerabiltätskonstellation darstellt; 55 soziales Lernen durch Berufskollegen, die von ihren eigenen Schwierigkeiten und Möglichkeiten ihrer Überwindung spre­ chen – anstelle eines Gesprächs mit einem Psychotherapeuten, das als zu hochschwel­ lig erlebt wird;

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55 betont sachlich angebotene Psychoeduka­ tion (Einzeln oder in der Gruppe), in der Fallbeispiele zur Identifizierung einladen; 55 nach einem dramatischen Vorfall: Ange­ sprochenwerden durch einen Kollegen, der sich prinzipiell dafür bereithält. Die Laienhilfe bei therapeutischen Interventio­ nen ist insbesondere im Feld der humanitären Arbeit relevant. Für die narrative Expositions­ therapie (7 Kap. 14; Schauer et al. 2011) ist der Einbezug von trainierten Laien ein regelmäßi­ ger Bestandteil, wenn diese Therapie vor Ort in Krisenregionen und Flüchtlingslagern durch­ geführt wird (während die Durchführung im deutschen Sprachraum aufgrund besserer Hin­ tergrundbedingungen durch Fachpersonen angeleitet wird). Den Laien wird in Workshops beigebracht, wie sie die Klienten anleiten kön­ nen, ihre Lebensgeschichte chronologisch zu erzählen und wie sie dabei den traumatischen Lebensereignissen im Sinne einer schonenden therapeutischen Konfrontation ausreichend Raum geben. Abschließend wird den Klienten eine schriftliche Version ihrer Autobiografie überreicht (Neuner et al. 2008). Seit der Flüchtlingskrise in den Jahren ab 2015 wurden durch verschiedene psychoso­ ziale Zentren ebenfalls Trainings- und Mitar­ beitsmöglichkeiten für Laien angeboten (Lein­ berger und Loew 2016; van Keuk und Wolf 2017). Deren Evaluationen stehen ­allerdings noch aus.  

15.6  Angeleitetes

autobiografisches Schreiben

Sehr viele traumatisierte Menschen verspüren ein Bedürfnis, Zeugnis darüber abzulegen, was sie an traumatischen Geschehen erleiden mussten (7 Kap.  11). Dieses Bedürfnis wird in Programmen des angeleiteten autobiografi­ schen Schreibens genutzt. Im Bereich der psychischen Gesundheit hat als erster der amerikanische Gesundheits­ psychologe James Pennebaker systematisch angeleitetes Schreiben über Traumata ein­  

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A. Maercker

gesetzt, das von ihm „expressive writing“ ge­ nannt wurde. Er entwickelte diese Methode als experimentalpsychologische Anordnung, um die Annahme zu überprüfen, dass das schrift­ liche Ausdrücken belastender Erfahrungen einen allgemein gesundheitsfördernden Effekt hat (zunächst gemessen an der durchschnitt­ lichen Anzahl von Arztbesuchen im nachfol­ genden Jahr). Die Instruktion für die Schreibübung war: „Sie haben sich für ein Experiment angemel­ det, in dem Sie an 4 aufeinanderfolgenden Ta­ gen jeweils 30  Minuten schreiben werden. … dies wird vertraulich behandelt. Beim Schrei­ ben bitte wirklich ‚loslassen‘ und Ihren tiefsten Gedanken und Gefühlen nachgehen …“ (Pen­ nebaker 2010, S.  45). Die Methode erbrachte die vermuteten gesundheitsfördernden Effekte. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Versuchsgruppen fast ausschliesslich Stu­ dierende waren und in der Instruktion der Be­ griff „Trauma“ alltagssprachlich gemeint war. Praktisch bedeutete dies, dass fast alle Studien­ teilnehmer von großen Enttäuschungen und Negativerlebnissen, kaum aber jemand über Traumata im engeren Sinne (7 Kap. 2) schrie­ ben. Bis heute ist der „Expressive-Writing“Ansatz fast ausschließlich Themen außerhalb traumatischer Belastungen im engeren, fach­ sprachlichen Sinne vorbehalten geblieben. Aus der Alternsforschung kam der zweite Ansatz, der strukturierte Lebensrückblick, durch den ältere Menschen weniger Depres­ sivität, Einsamkeit und Erinnerungsprobleme erreichen sollten (Maercker 2002; Maercker und Forstmeier 2013). In einer dem Vorgehen bei depressiven Patienten entlehnten Struktur werden die Teilnehmer gebeten, ausgewählte Episoden aus wichtigen Phasen ihres Lebens genauer in vielen Details darzustellen und zu­ sätzlich zu berichten, 55 was ihnen dabei misslang, 55 was ihnen gut gelang und 55 was sie daraus für ihr Leben lernen konn­ ten.  

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Bei der Auswahl der Episoden wird darauf ge­ achtet, dass sie auch eine oder mehrere ihrer

traumatischen Lebensereignissen in diese bio­ grafische Ereigniskette mit einbeziehen. Zwei inzwischen systematisch untersuchte Interventionsformen gründen – zumindest teil­ weise – auf diesem Vorgehen: die narrative Expo­ sitionstherapie (7 Kap. 14 und 7 Abschn. 15.5 ) und die integrative Testimonial Therapie (Knae­ velsrud et al. 2013). Letztere ist eine webbasierte Schreibintervention, die in 7 Kap.  26 ausführ­ licher dargestellt wird. Schreibinterventionen bilden schon einen Übergangsbereich zu den üblichen Psychotherapieverfahren. Einerseits ist dies durch die Intensität ihrer therapeutischen Anleitung bedingt, die der einer regulären The­ rapie entsprechen kann, und andererseits er­ reicht ihre therapeutischen Wirksamkeit eben­ falls die Werte von regulären Therapien. Kürzlich wurde eine neue traumabezogene Intervention zum angeleiteten Schreiben pu­ bliziert, die durch ihre einfache Zugänglichkeit und Gestaltung für einen großumfänglichen Einsatz („scalable intervention“) entwickelt wurde: WIRED (Warriors Internet Recovery und Education; Krupnick et  al. 2017). In ihr werden 3 leicht modifizierte Phasen der In­ terapy (7 Abschn.  15.4), durchgeführt, wobei in der ersten Phase wiederum das angeleitete, mehrmalige Beschreiben des traumatischen Er­ lebnisses im Mittelpunkt steht. Diese Interven­ tion kann als Zusatzintervention zur ü ­ blichen Sprechzimmertherapie eingesetzt werden. Nach einer ermutigenden Erstevaluation wurde vorgeschlagen, dies in den Routineeinsatz bei traumatisierten ehemaligen Soldaten im Sinne einer gestuften Versorgung einzubeziehen. In allen genannten Bereichen der nieder­ schwelligen Interventionen sind in den nächs­ ten Jahren weitere Innovationen zu erwarten. Wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, sind viele dieser Verfahren sehr vielversprechend. In der Regel werden sie von den interessierten Pati­ enten und Klienten auch gern genutzt, weil sie Alternativen zur üblichen Therapie im Sprech­ zimmer oder im Krankenhaus darstellen. Die öffentlichen Gesundheitssysteme werden im Zuge ihrer Modernisierungen auf die neuen Möglichkeiten, die mit diesen Verfahren ver­ bunden sind, gern zurückgreifen.  







309 Niedrigschwellige und innovative Interventionen

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A. Maercker

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311

Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie I. Schäfer, J. Borowski und M. Cloitre 16.1

 edeutung von Emotionsregulation und B interpersonellen Kompetenzen – 312

16.2

Interpersonale Entwicklung – 313

16.3

Überblick über das Behandlungsprogramm – 315

16.3.1 16.3.2

 odul 1: Emotionsregulation und interpersonelle M Fertigkeiten – 315 Modul 2: Erstellung von Narrativen – 317

16.4

Durchführung von STAIR im Gruppenformat – 320

16.4.1 16.4.2 16.4.3 16.4.4 16.4.5

E rweiterung der Konzepte zur Emotionsregulation – 320 Konzept des Mitgefühls für sich und andere – 321 Prozesse in der Gruppe – 322 Umgang mit Sicherheit, Vertrauen und Kontrolle – 322 Umgang mit Scham – 323

16.5

Anwendung bei Jugendlichen – 324

16.5.1 16.5.2

 npassung der Interventionen – 324 A Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Aspekte – 324

16.6

Forschungsbefunde zu STAIR/NT – 326

16.7

Ausblick und weitere Entwicklungen – 327 Literatur – 329

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_16

16

312

I. Schäfer et al.

Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), die sexueller, körperlicher oder emotionaler Gewalt in der Kindheit ausgesetzt waren, weisen oft ein breites Spektrum von Beschwerden auf. Häufig handelt es sich dabei um Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen und im Bereich der Emotionen. So kann es Betroffenen schwerfallen, Vertrauen aufzubauen, Intimität zuzulassen, mit Kritik durch andere umzugehen oder in angemessener Form für die eigenen Bedürfnisse einzutreten. Nicht selten neigen sie dazu, berufliche oder private Beziehungen abrupt zu beenden, und es kann zu wiederholten Opfererfahrungen kommen. Weiter haben Betroffene oft Schwierigkeiten damit, Emotionen angemessen wahrzunehmen und zu differenzieren. Sie leiden unter starken, negativen emotionalen Reaktionen und haben Schwierigkeiten, die emotionale Balance zu finden. Die Beobachtung, dass diese Beschwerden in demselben Maße zur Belastung von Patienten beitragen und zu ähnlichen Einschränkungen in ihrem Alltag führen wie die PTBS-­ Symptomatik, bildete den Ausgangspunkt für das hier vorgestellte zweiphasige Behandlungsprogramm. >> Bei Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach sexueller oder körperlicher Gewalt in der Kindheit tragen Probleme im Bereich der Emotionen und der interpersonellen Beziehungen oft in demselben Maße zu ihrer Belastung im Alltag bei wie die Symptome der PTBS.

16

um wiederholte oder anhaltende Erlebnisse, etwa in Kriegs- und Krisengebieten handelt, sich nachhaltig auf die Emotionsregulation und den interpersonellen Bereich auswirken können. Umgekehrt stellen Kompetenzen im Bereich der Emotionsregulation und der sozialen Interaktionen wichtige Ressourcen dar. Sie erleichtern es, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten und sind generell für eine gesunde Lebensführung von Bedeutung. Die Interventionen von STAIR zielen darauf ab, dem Verlust an Ressourcen, der letztlich immer mit traumatischen Erfahrungen verbunden ist, entgegenzuwirken und so zur Genesung Betroffener beizutragen. In seiner Struktur und seinen Interventionen strebt STAIR/NT dabei eine Balance zwischen der Bearbeitung von traumatischen Erlebnissen in der Vergangenheit und der Arbeit an aktuellen Bedarfen an, im Sinne einer Stärkung wichtiger emotionaler und sozialer Kompetenzen. >> Die phasenorientierte Behandlung mit STAIR/NT legt Wert auf eine Balance zwischen der Arbeit an zurückliegenden traumatischen Erlebnissen und den damit verknüpften aktuellen Bedarfen.

16.1  Bedeutung von

Emotionsregulation und interpersonellen Kompetenzen

Die oben beschriebenen Symptome stimmen mit dem überein, was Studien zum Einfluss Mit den beiden Modulen „Skills-Training früher Belastungen auf die Entwicklung nahezur affektiven und interpersonellen Regula- legen, nämlich dass Erlebnisse körperlicher, tion“ (STAIR) und „Narrative Therapie“ (NT) sexueller oder emotionaler Gewalt im Kindesadressiert STAIR/NT nicht nur die PTBS-­ und Jugendalter dazu führen können, dass Symptomatik, sondern auch das oben darge- zentrale Entwicklungsaufgaben im sozioemostellte Spektrum zusätzlicher Symptome bei tionalen Bereich nicht oder nicht vollständig komplexer PTBS (Cloitre et  al. 2006, 2014). bewältigt werden. Die dadurch beeinträchtigUrsprünglich wurde STAIR/NT für Patienten ten Kompetenzen haben oft einen negativen entwickelt, die in ihrer Kindheit wiederholten Einfluss auf das Selbstvertrauen Betroffener, Erfahrungen sexueller und körperlicher Ge- darauf, ob sie ihrer eigenen Wahrnehmung walt ausgesetzt waren. Die klinische Erfah- trauen und ob sie sich und andere adäquat rung zeigt jedoch, dass auch Traumatisierun- ­einschätzen können. Dabei ist die Tatsache, gen im Erwachsenenalter, v.  a. wenn es sich dass die Übergriffe fast immer durch elterliche

313 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

Bezugspersonen erfolgen, vermutlich besonders bedeutsam. Sie werden dadurch ihrer eigentlichen Rolle nicht gerecht, die Entwicklung des Kindes zu unterstützen und zu fördern. Fürsorgliche Eltern verstehen es, Erregungszustände bei ihren Kindern durch angemessene Beruhigung und Ablenkung zu mildern (Stern 1985). Dadurch kann das Kind lernen, wie es sich selbst beruhigen kann, es lernt, zwischen sich selbst und anderen zu unterscheiden, aber auch zwischen unterschiedlichen emotionalen Qualitäten und unterschiedlichen Möglichkeiten, sich dazu auszutauschen (Gergely und Watson 1996; Nichols et al. 2001). Im Verlauf der Entwicklung wird die Kompetenz, sich selbst zu beruhigen und zwischen Emotionen differenzieren zu können, zunächst durch die Modulationen der Stimme der Bezugspersonen unterstützt und später mit sprachlichen Mitteln fortgesetzt. Eltern unterstützen eine gesunde emotionale Entwicklung ihres Kindes dadurch, dass sie dessen Gefühle benennen. Beispielsweise könnte eine Mutter zu ihrem bedrückt wirkenden Kind sagen: „Du bist traurig, weil du dein Spielzeug verloren hast“. Damit benennt sie das Gefühl, beschreibt, was ihr Kind erlebt, und erklärt idealerweise die Entstehung des Gefühls. Die Erfahrungsberichte von Patienten beinhalten typischerweise Szenen, in denen sie misshandelt werden und anschließend gesagt bekommen: „Das hat doch nicht wehgetan!“ Das Kind muss also mit einer Diskrepanz zwischen der eigenen Erfahrung und der Aussage der Bezugsperson umgehen. Dies kann dazu führen, dass es seiner eigenen Wahrnehmung misstraut und eine eingeschränkte Fähigkeit entwickelt, Gefühlszustände zu beschreiben und verlässlich einzuordnen. Weiter verfügen übergriffige Eltern oft selbst über eingeschränkte Fähigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren, und können ihre Kinder deshalb oft nur wenig dabei unterstützen, dies zu erlernen. Verglichen mit den Eltern von Kindern ohne Missbrauchserfahrungen leiden sie häufiger unter Alkohol- oder Drogenproblemen und zahlreichen weiteren Belastungen. In Bezug auf eine effektive Emotionsregulation sind sie deshalb eher ungünstige Rollenmodelle.

16

>> Störungen der Emotionsregulation lassen sich häufig auf ungünstige elterliche Interaktionsmuster zurückführen.

Defizite in der Emotionsregulation sind bei Betroffenen oft bereits im Kleinkind- und Vorschulalter nachweisbar (z.  B.  Cicchetti und White 1990; Shields und Cicchetti 1998). In der vorpubertären und pubertären Phase finden sich bei ihnen häufiger impulsives sexuelles Verhalten, Drogenkonsum und aggressive Reaktionsweisen (Kilpatrick et  al. 2003). Im Erwachsenenalter stehen schließlich Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation im Vordergrund, die einer der Hauptgründe dafür sind, dass Betroffene psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen (Levitt und Cloitre 2005). Auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit bildet sich durch interpersonelle Erfahrungen heraus, besonders durch die Zuwendung einer wohlwollenden Bezugsperson, die das verfolgt und unterstützt, was ein Kind tut und darauf in passender Weise eingeht. Missbrauchserfahrungen untergraben solche positiven Erfahrungen. Sie demonstrieren die Macht des Täters unabhängig vom Willen und von den Bedürfnissen des Kindes zu handeln. Im Erwachsenenalter berichten Betroffene oft, dass sie in konflikthaften Situationen das Gefühl haben, sich „aufzulösen“, was darauf zurückzuführen sein kann, dass ihre Gefühl von Selbstwirksamkeit nicht gefördert und ihre Autonomie in der Kindheit anhaltend verletzt wurde. Es überrascht daher nicht, dass Betroffene besondere Schwierigkeiten damit haben, mit Machtdynamiken in zwischenmenschlichen Beziehungen umzugehen. Sie können sich in entsprechenden Situationen zu abhängig und passiv fühlen und dann stark darum bemüht sein, in Beziehungen „alles unter Kontrolle“ zu haben. 16.2  Interpersonale Entwicklung

Eltern, Geschwister und andere wichtige Bezugspersonen in der Kindheit stellen auch die ersten Modelle für interpersonelle Beziehungen dar. Diese frühen Beziehungserfahrungen dienen als Schablonen für künftige Beziehun-

314

16

I. Schäfer et al.

gen und beeinflussen maßgeblich das eigene Verhalten und die Erwartungen an interpersonelle Beziehungen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Kinder auf ihre Bezugspersonen als Quelle der Sicherheit und Fürsorge angewiesen sind. Wenn es in diesen zentralen frühen Beziehungen zu Missbrauchserfahrungen kommt, kann sich die Grundannahme herausbilden, dass Beziehungen grundlegend feindselig sind, dass Verletzlichkeit zu Ausbeutung führt und Intimität zu Leiden und Verrat. Erwachsene Betroffene berichten in der Folge oft von gravierenden interpersonellen Schwierigkeiten, etwa mit Kritik umzugehen, die Meinung anderer zu akzeptieren und für die eigenen Bedürfnisse einzutreten. So fand sich in einer Untersuchung bei betroffenen Frauen in Behandlung, dass die Mehrheit deutliche Schwierigkeiten damit hatte, Intimität zu leben, dass sie sich entweder als zu kontrollierend oder zu unterwürfig erlebten, oder dass es ihnen schwer fiel, Kontakte zu anderen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten (Cloitre et  al. 1997). Solche Probleme können auch dazu beitragen, dass Betroffene sowohl Arbeitsverhältnisse als auch persönliche Beziehungen immer wieder abrupt beenden. Interpersonelle Schemata, die sich durch Misshandlungserfahrungen in frühen Beziehungen herausgebildet haben, können dann besonders deutlich hervortreten, wenn in emotional aufgeladenen Situationen die Fähigkeit gefordert ist, Konflikte zu handhaben oder ein Gleichgewicht in Beziehungen zu finden. Die interpersonellen Schemata Betroffener können dann zu der Erwartung führen, dass andere sich ihnen gegenüber kalt, kontrollierend oder distanziert verhalten werden (Cloitre et  al. 2002). Im Sinne einer Vorwärtsverteidigung kann es dann zu Verhaltensweisen kommen, deren Ziel es ist, die negativen Interaktionen, die Betroffene befürchten, zu vermeiden, oder es handelt sich um eine Reinszenierung interpersoneller Rollen aus ihrer Herkunftsfamilie. Betroffene verfügen insgesamt über eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Schemata, die sie eher unflexibel in unterschiedlichen Situationen und auf unterschiedliche Interaktionspartner

anwenden. Wurden Betroffene etwa mit hypothetischen Situationen konfrontiert, in denen ein wohlwollendes Verhalten anderer Personen am wahrscheinlichsten war, erwarteten sie dennoch kühle, feindselige und kontrollierende Verhaltensweisen von anderen (Cloitre et al. 2002). >> Probleme in interpersonalen Beziehungen hängen häufig mit Schemata zusammen, die sich durch frühe negative Beziehungserfahrungen gebildet haben. Sie prägen die Erwartungen Betroffener an interpersonelle Beziehungen und ihr Verhalten darin.

Weiter schien die Art der Beziehung keinen Einfluss auf die Erwartungen der Betroffenen zu haben. Unabhängig davon, ob es sich um Mutter, Vater, andere familiäre Bezugspersonen oder die beste Freundin handelte, reagierten Betroffene ähnlich und ohne dass diese Reaktionen der jeweiligen Person und Situation angemessen gewesen wären. Dies kann dadurch erklärt werden, dass sich soziale Kompetenzen im Verlauf der Entwicklung in Abhängigkeit vom Kontext und den beteiligten Personen herausbilden. Ein Kind lernt im Rahmen seiner Entwicklung zu unterscheiden, wo aggressives Verhalten angemessen ist (z. B. beim Toben auf dem Spielplatz) und wo nicht (z. B. beim Spiel mit einem kleinen Geschwisterchen), oder wann Gehorsam einem Erwachsenen gegenüber angemessen ist (z. B. gegenüber einem Lehrer in der Schule) und wann nicht (z.  B. gegenüber einem Fremden im Park). Eltern helfen ihren Kindern dabei, diese spezifischen Kenntnisse zu entwickeln, indem sie immer wieder auf die Unterschiede in den interpersonellen Erwartungen innerhalb und außerhalb der Familie hinweisen und es Kindern ermöglichen, ihre emotionalen Reaktionen in solchen unterschiedlichen interpersonellen Situationen zu erkunden. Auch die Fähigkeit in unterschiedlichen interpersonellen Situationen differenziert zu reagieren, kann deshalb bei Personen, die sich aufgrund von Missbrauchserfahrungen in Behandlung begeben, unzureichend entwickelt sein.

315 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

In STAIR/NT wird ein starker Fokus darauf gerichtet, dass Patienten die interpersonellen Schemata, die ihnen zu Verfügung stehen, erweitern und sie variabler nutzen können. Dies wird auch durch die Therapeut-Patient-­Interaktion während der Behandlung gefördert, und Betroffene sollen dafür sensibilisiert werden, dass solche Interaktionsmodelle kontextabhängig sind. Unterschiedliche Arten von Beziehungen (z. B. bei der Arbeit, in einer intimen Beziehung oder in der Eltern-Kind-­Beziehung) erfordern unterschiedliche Erwartungen, Verhaltensweisen und Reaktionen. Ein wichtiges Ziel der Behandlung ist es also, dass die Patienten die Möglichkeit haben, Beziehungserfahrungen zu machen, die sich von den Erfahrungen in Missbrauchsbeziehungen unterscheiden, und dabei mehr Sensibilität für die unterschiedlichen Arten und Kontexte von Beziehungen entwickeln.

16.3  Überblick über das

Behandlungsprogramm

Bei STAIR/Narrative Therapie handelt es sich um ein Behandlungsprogramm, das aus 16 Sitzungen besteht, Das erste Modul (STAIR) besteht aus den Sitzungen 1–8 und fokussiert auf Veränderungen in den Bereichen Emotionsregulation und interpersonelle Fertigkeiten. Das zweite Modul (narrative Therapie) besteht aus den Sitzungen 9–16 und hat die Bearbeitung traumatischer Erfahrungen mithilfe von Traumanarrativen zum Inhalt, wobei auch während dieser Therapiephase das Skillstraining bezogen auf noch bestehende Alltagsprobleme der Patienten fortgesetzt wird. 16.3.1  Modul 1: Emotionsregulation

und interpersonelle Fertigkeiten

Zum Aufbau des Moduls 1 . Tab. 16.1. In den ersten Sitzungen des STAIR-Moduls stehen emotionale Kompetenzen im Vordergrund, also die Fähigkeiten, Gefühle zu er 

16

kennen, zu differenzieren und so regulieren zu können, dass sie übergeordneten Bedürfnissen dienen. Im STAIR-Modul werden dafür 3 Kernbereiche von emotionalen ­Kompetenzen unterschieden: 55 bewusste Wahrnehmung von Emotionen, 55 Emotionsregulation, 55 Einsatz von Emotionen für persönlich bedeutsame Ziele. Zu den ersten Interventionen von STAIR gehört es, systematisch zu erkunden, wie Gefühle benannt werden können, welche Intensität sie haben und in welchem Kontext sie auftreten. Während der Behandlung Gefühle immer wieder auszudrücken und einzuordnen ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Klient im Verlauf der Therapie ein schlüssiges Narrativ seiner persönlichen Lebensgeschichte entwickeln kann. Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation werden auf die ihr zugrunde liegenden körperlichen, kognitiven und verhaltensbezogenen Systeme zurückgeführt. Dies macht zugleich deutlich, welche Zugänge für das Training emotionaler Fertigkeiten gewählt werden können. Zugänge zur Arbeit an Emotionen 55 Körperliche Strategien (z. B. Atemübungen, körperliche Aktivität) 55 Kognitive Strategien (z. B. veränderte innere Dialoge, geleitete Aufmerksamkeit) 55 Verhaltensstrategien, v. a. im Bereich sozialer Kontakte (z. B. Freunde um Hilfe bitten, mit anderen über Gefühle sprechen)

Dazu werden die Bewältigungsstrategien, über die Patienten auf jeder Ebene bereits verfügen, gesammelt, mit dem Ziel, sie zu stärken und weiter auszubauen. Das übergeordnete Ziel besteht darin, dass sie sich eine Auswahl an Bewältigungsstrategien zusammenstellen, die diese drei Bereiche widerspiegeln, sodass körperliche Empfindungen, Gedanken und Handeln

316

I. Schäfer et al.

..      Tab. 16.1  Modul 1 (STAIR)

16

Thema der Sitzung

Inhalt der Sitzung

Sitzung 1 Einführung in die Behandlung

Überblick über den Ablauf und die Ziele beider Module (STAIR und narrative Therapie); Bewusstes Atmen als erster Skill und therapeutischer Beziehungsaufbau

Sitzung 2 Emotionswahrnehmung

Bewusstes Wahrnehmen von Emotionen. Psychoedukation dazu, wie sich Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit auf die Emotionsregulation auswirken; Bedeutung der Wahrnehmung und Differenzierung von Emotionen; Anleitung dabei und erste Versuche, Gefühle zu benennen; Selbstbeobachtung trainieren

Sitzung 3 Emotionsregulation

Fokus auf Zusammenhänge zwischen Gefühlen, Gedanken und Verhalten; Stärken und Schwächen in Bezug auf die eigene Emotionsregulation erkennen; individuelle Skills zur Bewältigung von Gefühlen identifizieren und einüben; positive Aktivitäten identifizieren

Sitzung 4 Leben im Kontakt mit den eigenen Emotionen

Akzeptanz von Gefühlen und Belastungstoleranz; Vor- und Nachteile davon abwägen, emotionale Belastung zu tolerieren; positive Gefühle wahrnehmen und dazu nutzen, eigene Ziele zu identifizieren

Sitzung 5 Beziehungsmuster verstehen

Einführung zu interpersonellen Schemata und zum Zusammenhang zwischen Gefühlen und interpersonellen Zielen; Informationen zum Arbeitsblatt zu interpersonellen Schemata

Sitzung 6 Beziehungsmuster verändern

Die Arbeit mit Rollenspielen wird eingeführt, um alternative Verhaltensweisen in relevanten interpersonellen Situationen einzuüben. Arbeit an alternativen interpersonellen Schemata

Sitzung 7 Handlungsfähigkeit in Beziehungen

Psychoedukation zu selbstsicherem Handeln; Diskussion von alternativen Schemata und Verhaltensreaktionen; Rollenspiele zu selbstsicherem Handeln; Wiederholung und Erweiterung von alternativen Schemata

Sitzung 8 Flexibilität in Beziehungen

Fokus auf Flexibilität in interpersonellen Beziehungen; Fortsetzung der Rollenspiele zu interpersonellen Situationen anhand von individuellen Beispielen; den Übergang von Phase 1 zu Phase 2 der Behandlung diskutieren

sich gegenseitig positiv beeinflussen und zu besser modulierten emotionalen Erfahrungen beitragen. Weiter werden das Konzept der Belastungstoleranz und die dazugehörigen Skills in der Behandlung adressiert, um es Patienten zu ermöglichen, persönlich bedeutsame Ziele besser zu verfolgen. Wenn Patienten im Verlauf der Behandlung besser in der Lage sind, ihre emotionalen Reaktionen zu identifizieren und mit ihnen umzugehen, können sie es sich erlauben, auch belastende Gefühle gut dosiert zu erleben, die einem wichtigen Zweck oder einem persönlichen Ziel dienen oder die einfach unvermeidbar mit bestimmten Lebens-

erfahrungen verknüpft sind. Sie lernen, das angestrebte Ziel und die voraussichtlich damit verbundene emotionale Belastung sowie die eigenen Fähigkeiten, damit umzugehen, abzuwägen und zu entscheiden, ob sie sich dem Ziel trotz der zu erwartenden Belastung zuwenden wollen. In den darauffolgenden Sitzungen besteht eine zentrale Intervention darin, interpersonelle Schemata zu identifizieren und zu verändern. Interpersonelle Schemata entstehen in frühen Lebensphasen in der Interaktion mit wichti­ gen Bezugspersonen. Sie spiegeln Vorstellungen von der eigenen Person und anderen wider wie

317 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

auch Annahmen davon, wie Beziehungen funktionieren. Typische Beispiele für solche Annahmen sind „Wenn ich tue, was mir gesagt wird, werde ich geliebt“ oder „Wenn ich um die Befriedigung meiner Bedürfnisse bitte, werden ich zurückgewiesen“. Interpersonelle Schemata, die in der Kindheit angemessen waren, führen im Erwachsenenalter möglicherweise zu Problemen und können dazu führen, dass sich negative Beziehungsmuster unbeabsichtigt wiederholen. Im Verlauf der Behandlung werden solche interpersonellen Schemata anhand von entsprechenden Arbeitsmaterialien systematisch identifiziert. Fragen zur Identifikation von Schemata 55 Was ist in dieser Situation passiert? Wer war beteiligt? 55 Was habe ich gefühlt und über mich gedacht? 55 Was habe ich vermutet, wie die andere Person denkt/fühlt/auf mich reagiert? 55 Was habe ich gemacht? Was war das Ergebnis?

Im nächsten Schritt werden alternative Schemata geprüft und im schützenden Rahmen der Therapie erprobt (z. B. „Wenn ich nicht darum bitte, dass auf meine Bedürfnisse eingegangen wird, werden meine Freunde nie wissen, was ich möchte“). Ob sich diese Schemata konsolidieren können, hängt häufig mit den erreichten Verbesserungen im Bereich der Emotionsregulation zusammen und mit den Veränderungen der Gefühle, die durch die alternativen Schemata hervorgerufen werden. Fragen zur Modifikation von Schemata 55 Was sind meine Ziele in dieser Situation? 55 Was könnte ich noch fühlen und über mich denken?

16

55 Was könnte ich noch über die andere Person annehmen? Wie könnte sie denken, fühlen oder reagieren? 55 Was könnte ich sonst noch machen?

16.3.2  Modul 2: Erstellung von

Narrativen

Die Arbeit im zweiten Modul (narrative Therapie) basiert auf einer modifizierten Version der prolongierten Exposition (PE). Sie dient dazu, Narrative von den traumatischen Erfahrungen zu erstellen (. Tab. 16.2). Sowohl der Begriff des „Narrativs“ als auch der Prozess, der damit verbunden ist, lassen deutlich werden, dass zu einer Lebensgeschichte eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft gehören. Dies erlaubt es, die Traumatisierungen der Vergangenheit zuzuordnen, aber regt auch dazu an, die Gegenwart zu betrachten und sich der eigenen Zukunft zuzuwenden. Es ist ein Ziel der narrativen Arbeit, dass die Betroffenen lernen, Gefühle, die mit dem Trauma zusammenhängen, umfassend zu erleben und gleichzeitig kontrollieren zu können. Wie bei der prolongierten Exposition wird eine Hierarchie traumatischer Erlebnisse erstellt. Die Auswahl der ersten Erinnerung, mit der gearbeitet wird, richtet sich danach, welche subjektive Relevanz und welche Bedeutung für die aktuellen Beeinträchtigungen sie hat. Sie sollte ein gewisses Maß an Belastung auslösen, aber der Klient sollte das Empfinden haben, damit umgehen zu können. In der Regel werden etwa drei bis sechs traumatische Erfahrungen im Verlauf der Behandlung bearbeitet, wobei mit jeder einzelnen davon von einer Sitzung bis zu 3 Sitzungen gearbeitet wird, bis die damit verbundene Belastung sich deutlich reduziert hat. Während der Sitzungen wird vom jeweiligen Narrativ eine Tonaufnahme gemacht, die während der Sitzung nochmals gemeinsam angehört wird. Nach der Sitzung sollten die Patienten sie sich mindestens einmal am Tag anhören, um eine weitere Habituation v. a. in Bezug auf die angst 

318

I. Schäfer et al.

..      Tab. 16.2  Modul 2 (narrative Therapie)

16

Thema der Sitzung

Inhalt der Sitzung

Sitzung 9 Einführung in die Arbeit mit Narrativen

Planung und Motivationsaufbau; Informationen zum Sinn der Arbeit an Erinnerungen, Beschreibung des Vorgehens; Erstellen einer Erinnerungshierarchie

Sitzung 10 Narrativ von der ersten Erinnerung

Wiederholung der Informationen zum Sinn der narrativen Arbeit; mit neutraler Erinnerung üben; erstes Narrativ zu einer Traumaerinnerung aufzeichnen und gemeinsam anhören; Annahmen zu sich selbst und anderen, die darin enthalten sind, untersuchen; Validierung und Unterstützung der Lernprozesse durch den Therapeuten

Sitzung 11 Fortsetzung der Arbeit an Erinnerungen

Emotionale Befindlichkeit explorieren; Auswertung der Arbeit an der letzten Erinnerung; Narrativ durchführen (derselben oder einer anderen Erinnerung); darin enthaltene Schemata identifizieren und Arbeit daran fortsetzen; Rollenspiele in Bezug auf alternative Schemata durchführen

Sitzung 12-15 Bearbeitung weiterer emotionaler Bereiche

Mit der Auswahl passender Erinnerungen fortfahren und dabei emotionale Bereiche die über Angst hinausgehen adressieren (z. B. Scham, Trauer und Verlust); Schemata, die mit Scham und Verlust verbunden sind identifizieren und bearbeiten; dabei klare, wertschätzende Rückmeldungen geben

Sitzung 16 Abschluss

Zusammenfassung der Fortschritte in Bezug auf Skills und Schemata von sich selbst und anderen; Rückfallrisiken besprechen; nächste Schritte planen, Ressourcen und Empfehlungen dazu anbieten

auslösenden Aspekte der Narrative zu erreichen. Oftmals besteht Unsicherheit über den „richtigen Zeitpunkt“ des Wechsels zur narrativen Arbeit oder darüber, ob die Patienten ausreichend „stabil“ dafür sind. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass es bei den meisten Betroffenen keinen „richtigen Zeitpunkt“ gibt, um mit der narrativen Arbeit zu beginnen, weil es in ihrem Leben immer wieder zu Krisen kommt. Darauf zu warten, dass sich „erstmal alles etwas beruhigt“, ist wenig hilfreich, da ein wesentlicher Teil der „Unruhe“ auf die anhaltenden PTBS-Symp­ tome zurückzuführen ist. Parallel zur narrativen Arbeit sollten die bereits erlernten Bewältigungsstrategien wiederholt werden, die sich die Patienten im Laufe der Behandlung erarbeitet haben. Sie sollten dazu ermutigt werden, ihre Skills weiter anzuwenden und zu üben. Hilfreich ist zu diesem Zeitpunkt, auch noch einmal auf das Konzept der Belastungstoleranz zurückzukommen, also auf den Gedanken, sich zu entscheiden, Belastung zu tolerieren, um ein bestimmtes übergeordnetes Ziel zu erreichen.

Dies ist eine weitere effektive Möglichkeit, um die bevorstehende Arbeit zu erleichtern. Während der Narrative wird nicht nur auf sensorische Details und Wahrnehmungen geachtet, sondern auch auf die Gefühle während der Ereignisse. Häufig treten dabei übergeordnete Themen oder Emotionen hervor, die in allen Erinnerungen auftauchen, etwa Scham oder Schuld. Sie lassen oft Grundüberzeugungen des Klienten über sich selbst und sein Verhältnis zur Welt deutlich werden, die im Verlauf der narrativen Arbeit systematisch identifiziert und bearbeitet werden. Nachdem das Traumanarrativ abgeschlossen wurde, identifizieren Klient und Therapeut gemeinsam die darin enthaltenen interpersonellen Schemata. Die adaptive Bedeutung der Schemata während der traumatischen Situation wird ebenso herausgearbeitet wie ihr Stellenwert in der Gegenwart und ihre aktuelle Funktion. Typischerweise finden sich dabei Schemata, die auch bereits in der ersten Behandlungsphase identifiziert wurden, aber sie fühlen sich im Kontext der Narrative noch stimmiger an und

319 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

besitzen eine stärkere emotionale Kraft. Diesen Schemata werden neue, alternative Einstellungen gegenübergestellt, die oft bereits in der ersten Phase der Behandlung herausgearbeitet wurden. Die Schemata werden dabei so miteinander verglichen, dass sowohl die alten als auch die neuen Einstellungen validiert werden. Dies erlaubt es, die alten, traumabezogenen Schemata zu respektieren, aber auch Raum für alternative interpersonelle Einstellungen in einem neuen sozialen Kontext zu schaffen. Während der Sitzungen wird vom jeweiligen Narrativ eine Tonaufnahme gemacht, die während der Sitzung nochmals gemeinsam angehört werden kann. Nach der Sitzung sollte der Klient sie sich mindestens einmal am Tag anhören, um eine weitere Habituation zu erreichen, v. a. in Bezug auf die angstauslösenden Aspekte der Narrative. Das übergeordnete Ziel auch dieses Behandlungsabschnittes ist es, dass die Klienten mehr Flexibilität im Denken, Fühlen und Handeln entwickeln, dadurch im Alltag funktionaler werden und die traumatischen Kontexte hinter sich lassen können.

Vorgehen bei der narrativen Therapie 55 Das Erstellen von Narrativen anhand einer neutralen Erinnerung üben (Anfang, Mittelteil, Ende) 55 Erstes Narrativ zu einer traumatischen Erinnerung erarbeiten 55 Erinnerung so lebhaft wie möglich abrufen 55 Erinnerung in erster Person und Gegenwartsform beschreiben 55 Alle Ebenen des Erlebens einbeziehen: Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen 55 Aufzeichnung gemeinsam anhören und dadurch ausgelöste Gefühle sowie Überzeugungen über sich selbst und andere identifizieren 55 Gegenüberstellung mit Überzeugungen im Hier und Jetzt 55 Neue Schemata verstärken: korrigierende Erfahrungen planen

16

Einigen Patienten fällt es schwer, sich in der Beschreibung ihrer Erinnerung zu begrenzen. In dem Fall sollten Therapeuten darum bemüht sein, sie behutsam dahin zu lenken, weniger ausführlich über die Ereignisse zu sprechen. Andere Patienten haben dagegen Schwierigkeiten damit, überhaupt genaue Informationen zu ihren Erinnerungen zu berichten und finden nur knappe oder vage Fragmente. Es ist dann wichtig, ihnen zurückzumelden, dass es sich dabei um ein häufiges Phänomen handelt und dass es sie nicht daran hindern wird, von der narrativen Arbeit zu profitieren. Viele Betroffene haben eine lange und komplizierte Traumavorgeschichte, die es erschweren kann, eine Auswahl von Erinnerungen zu treffen. Patienten können sich dadurch schnell überfordert fühlen. In diesem Fall sollten sie durch die Therapeuten entlastet werden, und diese sollten ihnen erklären, dass nicht jede Erinnerung berücksichtigt werden muss, sondern diejenigen, die für die Gegenwart als am bedeutsamsten erlebt werden. Wenn die narrative Arbeit sich zunehmend mit den Erinnerungen befasst, die für die Patienten die größte Belastung darstellen, kann es zu entsprechenden Reaktionen einschließlich dissoziativer Phänomene kommen. Wenn eine Neigung zu dissoziativen Reaktionen besteht, sollten konkrete Strategien für den Umgang damit festgelegt werden. Eine Möglichkeit besteht z. B. darin, Signale zu vereinbaren, mit denen die Patienten mitteilen können, wenn sie ihre Frühwarnzeichen wahrnehmen. Diese Signale können dann dazu genutzt werden, die emotionale Intensität des Narrativs zu reduzieren oder mehr Abstand zu dem gerade bearbeiteten Material zu bekommen und somit im „Toleranzfenster“ zu bleiben. Zusätzlich können gängige Skills zur Reorientierung eingesetzt werden. Ein Grundprinzip der narrativen Arbeit besteht darin, die emotionale Intensität so zu dosieren, dass die Patienten stets im Hier und Jetzt bleiben und die Kontrolle über den Prozess behalten. Dadurch soll auch für sie erfahrbar werden, dass sie zwar die traumatischen Erlebnisse nicht verhindern konnten, aber jetzt die Kontrolle über ihre Erinnerung und ihr emotionales Erleben zurückgewinnen können.

320

I. Schäfer et al.

16.4  Durchführung von STAIR

im Gruppenformat

Inzwischen liegt das STAIR-Modul von STAIR/ NT auch in einer erweiterten Gruppenversion vor. Entsprechend der einzeltherapeutischen Behandlung sind die Ziele der Gruppenbehandlung mit STAIR, einen Umgang mit negativen und belastenden Gefühlen zu erlernen sowie zwischenmenschliche Fertigkeiten und somit eigene Beziehungen zu verbessern. Patienten sollen in dieser Phase darin unterstützt werden, eigene Gefühle erkennen und benennen zu können und den eigenen Einfluss auf ihre Gefühle zu erleben. Außerdem werden sie dazu angeleitet, früh erlernte Beziehungsmuster zu erkennen und so zu verändern, dass sie ihre Beziehungen so gestalten können, wie sie es sich wünschen. Im Rahmen der Gruppenbehandlung finden in ihrer ursprünglichen Form über einen Zeitraum von 12 Wochen einmal in der Woche 2-stündige Sitzungen statt. Nachdem in Sitzung 1 die Inhalte, die Struktur und die Rahmenbedingungen der Gruppe (wie etwa der Behandlungsvertrag und die Gruppenregeln) mit den Patienten besprochen wurden, folgen 5 Sitzungen zur Emotionsregulation und 5 Sitzungen zur Arbeit an zwischenmenschlichen Fertigkeiten. Die 12. Sitzung ist für Bilanz und Abschied vorgesehen. Wie bei der Einzelbehandlung kann die Gesamtlänge der Durchführung flexibel an unterschiedliche Settings und Bedarfe angepasst werden und über die Anzahl von 12 Sitzungen hinausgehen.

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Struktur der Gruppensitzungen 55 Überblick über die aktuelle Sitzung („Fahrplan“) und Wiederholung der Gruppenregeln 55 Nachbesprechung der Übungen zwischen den Sitzungen 55 Kurze Zusammenfassung der vergangenen Sitzung und Wiederholung besprochener Strategien 55 Einführung in das neue Thema und Vorstellung neuer Strategien

55 Vorbesprechung der Übungen zwischen den Sitzungen

16.4.1  Erweiterung der Konzepte

zur Emotionsregulation

Neben dem Erlernen von Fertigkeiten zur Wahrnehmung und Modulation von Emotionen werden im Rahmen des Gruppenkonzeptes zwei weitere wichtige Aspekte der Emotionsregulation mit einbezogen: zum einen die Akzeptanz von Gefühlen (Skill „Emotionssurfen“) und zum anderen das Erkennen der Bedürfnisse, die dahinterstehen können (Skill „Gefühle als Boten von Nachrichten“). Beim Skill „Emotionssurfen“ geht es darum, achtsamer mit seinen Gefühlen umzugehen. Die Patienten werden dazu angeleitet, ihre Aufmerksamkeit auf ihr Erleben im aktuellen Augenblick zu lenken und sich dafür auf die 3 verschiedenen Ebenen des Erlebens zu konzentrieren.

Ebenen beim Emotionssurfen 55 Wahrnehmung der Körperebene („Wo genau spüre ich das Gefühl?“) 55 Wahrnehmung der Gedankenebene („Was denke ich gerade?“) 55 Wahrnehmung der Verhaltensebene („Was tue ich gerade?“)

Ist das Gefühl achtsam wahrgenommen, geht es in den darauf folgenden Schritten darum, sich und das gerade erlebte Gefühl anzunehmen ohne es zu bewerten und ohne es verändern zu müssen. Die Patienten werden dazu ermutigt, sich selbst dieses Gefühl zu erlauben. Ziel des Emotionssurfens ist es, dass sie wahrnehmen, dass Gefühle eine „Spitze“ und einen „Wendepunkt“ haben, also einer ganz natürlichen Veränderung unterliegen, ohne dass sie mit ihnen „in den Kampf gehen“.

321 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

>> Der Skill „Emotionssurfen“ hilft den Patienten, Gefühle als das anzunehmen, was sie sind – nämlich nur Gefühle und keine Tatsachen.

Der Skill „Gefühle als Boten von Nachrichten“ fokussiert sich zusätzlich auf das tiefere

Verständnis von Gefühlen und die dahinterstehenden Funktionen. Gefühle stellen eine wichtige Ressource da, wir benötigen sie für ein wirkungsvolles Leben. Gelingt es uns, unsere Gefühle zu verstehen, helfen sie uns z. B. dabei, Entscheidungen zu treffen oder in eine bestimmte Richtung zu handeln. Infolge von Traumatisierung werden Gefühle häufig „abgeschaltet“ oder als übermäßig und überwältigend erlebt. Die Denk- und Handlungsfähigkeit wird dadurch eingeschränkt und unsere Wahrnehmung von uns selbst und den anderen verzerrt. Betroffenen fällt es deshalb häufig sehr schwer, ihren Gefühlen zu vertrauen  – diese Fähigkeit soll mit diesem Skill wiedererlangt werden. Patienten können lernen, welche Informationen uns unsere Gefühle mitteilen und was sie uns ­zurückmelden über unsere Wünsche, Ziele, Vorlieben und Abneigungen. >> Der Skill „Gefühle als Boten von Nachrichten“ hilft Patienten, ihren Gefühlen wieder zu vertrauen und Bedürfnisse zu erkennen, die hinter ihren Gefühlen stehen.

16.4.2  Konzept des Mitgefühls für

sich und andere

Um einen insgesamt wohlwollenden Umgang mit sich selbst, den eigenen Gefühlen, aber auch mit anderen in Beziehungen zu erlangen, ist außerdem das Konzept des (Selbst-)Mitgefühls mit in die Gruppenbehandlung aufgenommen worden. In dieser Therapiephase soll den Betroffenen deutlich gemacht werden, wie viel leichter das Leben mit sich und anderen wird, wenn sie es schaffen, eine wertschätzende Haltung einzunehmen, Erwartungen und Ansprüche zu reduzieren und sich und anderen mehr zu „erlauben“.

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Nach einer theoretischen Einführung in das Konzept des Mitgefühls findet anhand von Arbeitsblättern in der Gruppe ein Austausch darüber statt, was die Patienten sich selbst und anderen erlauben und wo das Empfinden von Mitgefühl noch schwierig ist. Anhand von entsprechenden Materialien wird dies in relevanten Bereiche wie etwa „Fehler machen“, „Hilfe annehmen“, „Sich selbst etwas Gutes tun“, „Unsicher sein“ oder „Stolz sein“ herausgearbeitet. Anschließend werden die Gruppenteilnehmer dazu ermutigt, sich vorzustellen, wie es wäre, mit sich selbst bzw. mit anderen mehr Mitgefühl zu haben und welche Wirkung das auf ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen haben könnte. >> Vielen Patienten fällt insbesondere das Mitgefühl mit sich selbst sehr schwer. An dieser Stelle können erneut die entsprechenden Schemata herausgearbeitet werden (z. B. „Wenn ich mir erlaube, nach Hilfe zu fragen, dann …“).

Anknüpfend daran wird eine Meditation zum Selbstmitgefühl durchgeführt, um die Wahrnehmung damit einhergehender Gefühle, Gedanken und Körperreaktionen zu unterstützen und sich in der Selbstzuwendung zu üben. Beispiel: Meditation zum Selbstmitgefühl 55 „Konzentrieren Sie sich für einige Minuten auf Ihren Atem. Schließen Sie Ihre Augen und nehmen nur Ihren Atem wahr. Nehmen Sie langsam einen tiefen Atemzug. Halten Sie ihn. Atmen Sie langsam wieder aus, erlauben Sie dabei der ganzen Luft, Ihren Lungen zu entweichen. Wiederholen Sie dies für ein paar Minuten: Einatmen, Atemzug halten, langsam Ausatmen. 55 Nun lassen Sie in Ihrer Vorstellung ein Bild von sich selbst entstehen. Schauen Sie sich selbst gut und genau an. Fokussieren Sie sich auf die positiven Anteile Ihres Selbst, wie etwa Zufriedenheit, Freude, lustvolle Gefühle, positive Überzeugungen, schöne Erfahrungen und Erinnerungen.

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55 Was nehmen Sie wahr?“ 55 „Nun fokussieren Sie sich auf die Anteile, mit denen Sie Negatives verbinden, wie etwa emotionalen Schmerz, Ängste, Trauer, negative Überzeugungen, traumatische Erfahrungen. 55 Was nehmen Sie wahr?“ 55 „Nun stellen Sie sich vor, dass diese beiden Teile in Ihnen miteinander kämpfen. Es ist ein langer und sehr anstrengender Kampf, der jeden Tag aufs Neue beginnt und schon viele Jahre anhält. 55 Was nehmen Sie wahr?“ 55 „Nun stellen Sie sich vor, dass Sie den positiven und negativen Teilen Ihres Selbst erlauben, mit dem Kämpfen aufzuhören und stattdessen nebeneinander zu existieren. 55 Was nehmen Sie wahr?“ 55 „Fokussieren Sie sich darauf, wie sich diese Vorstellung für Sie anfühlt.“ 55 „Betrachten Sie all Ihre Anteile, so, wie sie da sind, ohne sie zu bewerten.“

Ziel dieses Behandlungsbausteins ist es, eine realistischere Einschätzung hinsichtlich eigener Schwierigkeiten, Belastungsgrenzen und Herausforderungen zu bekommen, aber auch eigene Fortschritte und Erfolge, wie z.  B. den Kompetenzzuwachs innerhalb der Gruppe besser annehmen zu können. 16.4.3  Prozesse in der Gruppe

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Die positiven Wirkfaktoren von Gruppentherapien lassen sich insbesondere hinsichtlich des Trainings von Fertigkeiten gut nutzen. Die Patienten können sich dabei gegenseitige Unterstützung geben, etwa damit für sich einzuschätzen, in welchen Situationen welche Art von Skill sinnvoll eingesetzt werden kann. Darüber hinaus bietet die Gruppe einen geschützten „Übungsrahmen“, um spezielle Fertigkeiten direkt ausprobieren und einüben zu können. Dies kann durch angeleitete Rollenspiele stattfinden, aber auch durch die sich innerhalb der Gruppe entwickelnde Dynamik,

die durch den Therapeuten aufgegriffen und für die Arbeit an Skills nutzbar gemacht werden kann. >> Für die Arbeit mit dem STAIR-Modul erweisen sich verschiedenen Aspekte des Gruppensettings als günstig, etwa die Möglichkeit unmittelbare Rückmeldungen von anderen Teilnehmenden zu erhalten und das Lernen am Modell.

Durch den validierenden Umgang mit Schwierigkeiten eines jeden Einzelnen in der Gruppe erleben die Patienten direkt korrigierende Erfahrungen, die wiederum die neuen, heilenden Schemata stärken können (z. B. „Wenn ich mich öffne und Schwäche zeige, bekomme ich Verständnis und Unterstützung“ oder „Wenn ich um Hilfe bitte, werde ich ernst genommen und meine Probleme lassen sich leichter lösen“). Diese Art der korrigierenden Interaktion trägt in der Regel zur Gruppenkohäsion bei, macht neue Beziehungs- und Bindungserfahrungen für die Teilnehmer möglich, und es kann ein unmittelbares Erlernen zwischenmenschlicher Kompetenzen stattfinden. Gleichzeitig kann die Arbeit in der Gruppe vor dem Hintergrund der interpersonellen Schemata der Patienten auch besondere Herausforderungen mit sich bringen. Unsicherheiten, Ängste vor Vertrauen und Kontrollverlust sowie Gefühle von Scham sollten dabei besondere Beachtung finden. 16.4.4  Umgang mit Sicherheit,

Vertrauen und Kontrolle

Für viele Betroffene stellt es eine große Herausforderung da, sich anderen Menschen gegenüber überhaupt mitzuteilen. Viele von ihnen haben die Erfahrung gemacht, ignoriert, abgelehnt oder bestraft zu werden, sobald sie sich und ihre Bedürfnisse offenbaren. Es fällt ihnen schwer, über ihre Erfahrungen zu berichten, z. B. aus Angst vor unkontrollierbaren und bedrohlichen Konsequenzen.

323 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

Fallbeispiel: Einfluss interpersoneller Sche­ mata auf das Kontrollerleben in der Gruppe Frau P. wurde das STAIR-Behandlungskonzept vorgestellt. Aufgrund ihrer posttraumatischen Beschwerden sowie ihrer Schwierigkeiten im Umgang mit eigenen Gefühlen (v.  a. Angst und Hilflosigkeit) und Hemmungen in sozialen Interaktionen (v. a. darin, eigene Wünsche und Rechte ausdrücken) zeigte sie zwar großes Interesse an dem Verfahren, äußerte jedoch auch Unsicherheiten hinsichtlich einer Teilnahme an der Gruppe. 55 Frau P.: „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das was für mich ist. Irgendwie bin ich ins Zweifeln gekommen ob ich wirklich an so einer Gruppe teilnehmen möchte.“ 55 T.: „Das kann ich gut verstehen, das ist ja auch komplett neu für Sie. Was befürchten Sie denn, wenn Sie an die Gruppenteilnahme denken?“ 55 Frau P.: „Ich habe Angst davor, dass ich mich total blamiere – zum Beispiel anfangen muss zu weinen oder so …“ 55 T.: „In Ordnung. Was meinen Sie denn, was passieren würde, wenn Sie anfangen würden zu weinen?“ 55 Frau P.: „Dann würde ich mich nicht mehr einkriegen, alles würde komplett aus dem Ruder laufen … ich würde die Kontrolle verlieren, einfach unkontrollierbar weinen.“ 55 T.: „… und was würde dann passieren? Was meinen Sie, wie wir und die anderen Teilnehmenden darauf reagieren würden?“ 55 Frau P.: „Ich weiß, dass das vermutlich nicht so sein wird, aber … ich habe Angst, dass Sie und die anderen mich dann ablehnen und total bescheuert finden.“ 55 T.: „Okay, das ist also Ihre Befürchtung: ‚Wenn ich meine Traurigkeit zeige, dann werde ich abgelehnt und alles gerät außer Kontrolle‘?“ 55 Frau P.: „Ja, genau.“ 55 T.: „Das ist gut nachvollziehbar, dass Sie davor so eine Angst haben … oft genug mussten Sie ja genau diese Erfahrung machen, als Sie ein kleines Mädchen waren. Richtig?“ 55 Frau P.: „Das stimmt.“

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55 T.: „Sie sagten eben selbst, dass ‚das vermutlich nicht so sein wird‘ – was meinen Sie, wie würde es vermutlich sein?“ 55 Frau P.: „Wahrscheinlich würden Sie und die anderen Teilnehmer mir zuhören, mich vielleicht trösten.“ 55 T.: „Genau. Und wie wäre das für Sie?“ 55 Frau P.: „Keine Ahnung, etwas komisch vielleicht. Aber ich kann es mir jetzt besser vorstellen und habe nicht mehr so große Angst davor – was ist aber, wenn ich mich wirklich nicht mehr kontrolliert bekomme und dann einfach weg möchte?“ 55 T.: „Dann dürfen Sie das. Sollte es wirklich dazu kommen, schauen wir, was Sie dann brauchen. Sie dürfen auch jederzeit für einen Moment aus dem Gruppenraum raus, um sich zu beruhigen  – mit einem von uns zusammen oder auch allein, wenn Sie das möchten“ 55 Frau P.: „Okay, dann versuche ich das mal mit der Teilnahme.“

Indem also ein entsprechender Rahmen gegeben und fortlaufend an den interpersonellen Schemata gearbeitet wird, können Patienten direkt im Prozess erleben, dass sie Einflussmöglichkeiten haben und keiner Gefahr ausgesetzt sind, wenn sie sich in ihren neuen Verhaltens- und Beziehungsmustern üben. 16.4.5  Umgang mit Scham

In der therapeutischen Arbeit mit traumatisierten Menschen spielen immer wieder auch verschiedene Formen von Schamgefühlen eine Rolle. Internalisierte Schamgefühle („sich schämen“), äußern sich oftmals in massiven Abwertungen der eigenen Person. Externalisierte Schamgefühle („beschämt werden“) zeigen sich dagegen in der Überzeugung, von anderen abgewertet zu werden, etwa in dem Moment, wenn Betroffene über ihre biografischen Erfahrungen berichten. Es ist dementsprechend wichtig, auch schambezogene Schemata aufzugreifen, zu bearbeiten und die Bedeutung

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des Traumas für den Wert der eigenen Person zu modifizieren. Zusätzlich können natürlich auch hier die zuvor erlernten Strategien zur Emotionsregulation eingesetzt werden (z.  B. Emotionssurfen, Selbstmitgefühl o. a.). >> Schamgefühle sind bei Betroffenen häufig und müssen auch im Gruppensetting explizit Berücksichtigung finden, z. B. indem zugrunde liegende Schemata disputiert werden.

Darüber hinaus sollte der Therapeut stets seine eigene Wertschätzung für die Patienten zum Ausdruck bringen und ihnen in der Gruppe ermöglichen, Kompetenzen zu erweitern und gleichzeitig positive Erfahrungen mit ihren Mitmenschen zu machen.

Beispiel: Kommunikationsstrategien 55 „Deine Klassenkameradin Anna sagt gemeine Dinge über Nora. Nora ist eine deiner besten Freundinnen seit der ersten Klasse  – wie könntest du auf Anna reagieren? Was könntest du sagen?“ 55 „Du triffst dich nach der Schule mit Robert und Maria. Sie planen gerade eine Party für das kommende Wochenende. Maria bittet dich, die Einladungen zu machen, den Partyraum zu dekorieren und das ganze Essen zu besorgen – wie könntest du auf Marias Forderung reagieren? Was könntest du zu ihr sagen?“

Insgesamt wird im Vergleich zum Vorgehen bei erwachsenen Patienten ein größerer Fokus auf konkrete Veränderung auf der VerhaltensJugendlichen ebene gelegt. Die Jugendlichen werden darin Das Behandlungskonzept für Jugendliche äh- unterstützt, zu jedem Behandlungsbaustein nelt im Aufbau der Erwachsenenversion. Es handfeste Ziele zu formulieren, wie z. B.: „Ich handelt sich ebenfalls um ein 12-Wochen-­ möchte es schaffen, mein Zimmer sauberer zu Gruppenprogramm zur Förderung emotio- halten“, „Ich möchte seltener zu spät zur Schule naler und sozialer Kompetenzen. Inhaltlich kommen“, „Ich möchte weniger Wutanfälle bewerden ebenfalls Strategien zum Umgang mit kommen, wenn ich mich mit meiner Schwester Gefühlen vorgestellt und im zweiten Schritt streite“ etc. Eine große Hilfestellung ist dabei auch der die Fertigkeiten für die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen vermittelt. Im vorgesehene Einbezug von Bezugspersonen. Folgenden wird insbesondere auf die Unter- Um das Erleben und Verhalten der Jugendschiede zur Erwachsenenversion eingegangen. lichen besser verstehen und damit im Sinne der Behandlung umgehen zu können, werden Eltern, Betreuer oder andere Bezugspersonen zu gesonderten Sitzungen eingeladen, in denen 16.5.1  Anpassung der neben psychoedukativen Elementen auch entInterventionen sprechende Bewältigungsstrategien vermittelt Die Therapiematerialien des STAIR-A sind werden. altersgerecht verändert. Die Darstellung von Konzepten und Aufgaben sind so angepasst, dass sie für Jugendliche greifbarer sind und 16.5.2  Berücksichtigung entwicklungspsychologischer ihrem Lebensumfeld entsprechen. Es werAspekte den typische Situationen aus dem Alltag von Jugendlichen aufgegriffen, in denen es zu Schwierigkeiten kommen kann, wie z. B. in der Im Hinblick auf die Entwicklung emotionaSchule, zu Hause mit den Eltern oder inner- ler und sozialer Kompetenzen handelt es sich halb der Peergruppe. Auf den Arbeitsblättern bei der Adoleszenz um eine sehr bedeutsame 16.5  Anwendung bei

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zu angemessenen Kommunikationsstrategien finden sich etwa folgende ganz konkrete Beispielsituationen:

325 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

Lebensphase. Sowohl das Erlernen angemessener Strategien im Umgang mit den eigenen Gefühlszuständen als auch der Ausbau von ­Fähigkeiten, um Beziehungen einzugehen und zu gestalten, sind wichtige Entwicklungsaufgaben im Jugendalter. Traumatische Erfahrungen vor und während dieser Zeit können diese Entwicklungsaufgaben unmittelbar untergraben und die Entstehung assertiver Kompetenzen stark beeinträchtigen. In der Folge fällt es betroffenen Jugendlichen oft schwer, angemessen auf Lebensereignissen zu reagieren oder belastende Erfahrungen zu bewältigen. Ein Fokus auf der Förderung von Resilienz ist daher ein wichtiger Bestandteil in der psychotherapeutischen Arbeit mit Jugendlichen. Es von großer Bedeutung, sie bei ihrer Alltagsbewältigung effizient zu unterstützen und ihnen so dabei zu helfen, eine angemessene Funktionsfähigkeit zu erlangen. STAIR-A legt genau darauf einen Schwerpunkt. Emotionale und soziale Fertigkeiten dienen als Schutzfaktoren und erleichtern Jugendlichen den Zugang zu äußeren und inneren Ressourcen (Beziehungen nutzen, sich selbst beruhigen können u. a.). Sie lernen eigene Ziele zu identifizieren und diese mit entsprechenden Problemlösestrategien und Skills zur Belastungstoleranz auch zu erreichen. >> Resilienz im Sinne der Fähigkeit, Krisen mithilfe innerer und äußerer Ressourcen zu bewältigen und an ihnen zu wachsen, ist ein zentraler Schutzfaktor gegenüber den Folgen aktueller wie zukünftiger kritischer Lebensereignisse.

Der Glaube an sich selbst und an positive Bewältigungsstrategien hat einen großen Einfluss auf die Entwicklung von Selbstwirksamkeit. Das Erleben von Selbstwirksamkeit bestimmt, inwieweit eine Person davon überzeugt ist, die notwendigen Fähigkeiten und Strategien zu besitzen, um eine Herausforderung gut meistern zu können. Viele Jugendliche, die traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren oder sind, nehmen an, dass äußere Faktoren, etwa „Schicksal“, „Glück“, „Zufall“ oder der Einfluss anderer Personen

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darüber bestimmen, was (mit ihnen) passiert. Oftmals gehen damit Gefühle von Hilflosigkeit, Trauer oder Wut einher und der Einsatz von maladaptiven Bewältigungsstrategien. Ein weiterer Schwerpunkt liegt deshalb auf der Förderung von Selbstwirksamkeit. Den Jugendlichen werden dazu im Rahmen der Gruppenbehandlung korrigierende Erfahrungen ermöglicht. Sie erleben, bestimmten Aufgaben gewachsen zu sein, erhalten Unterstützung von den anderen Patienten und beobachten sie bei der erfolgreichen Bewältigung eigener Ziele. Die Therapeuten sollten dabei stets darauf achten, schon kleine Veränderungen positiv zu markieren und zu validieren. Analog dazu fokussiert sich die Arbeit an den interpersonellen Schemata insbesondere auf die Modifikation von Kontrollüberzeugungen der Jugendlichen, also der Überzeugungen, in Bezug auf sich, das Leben und die eigene Zukunft Einfluss zu haben und etwas ausrichten zu können. So könnten die Kontrollüberzeugungen eines 13-jährigen Jungen vor und nach der Modifikation durch die Schemaarbeit lauten: „Wenn ich mich schwach zeige, dann nutzen die anderen das, um mich zu verletzten oder mir zu schaden“ (vorher), bzw. „Ich kann entscheiden, wem gegenüber ich mich schwach zeige, und es gibt Menschen, die mich dann trotzdem mögen und mich sogar unterstützen“ (nachher). >> Die Förderung internaler Kontrollüberzeugungen im Rahmen der Schemaarbeit fördert die Wahrnehmung eigener Einflussmöglichkeiten in Bezug auf die persönlichen Ziele sowie auf zukünftige Herausforderungen und Krisen.

Das Behandlungskonzept von STAIR-A konzentriert sich also nicht nur auf die Reduktion der PTBS-Symptome oder der depressiven und ängstlichen Symptomatik, sondern v.  a. auf die Entwicklung von persönlicher Stärke und dem Glauben an sich selbst, was Heranwachsende dabei unterstützt, aktuelle und auch zukünftige Schwierigkeiten bewältigen zu können.

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16.6  Forschungsbefunde

zu STAIR/NT

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Zur Effektivität des Behandlungsprogrammes liegen Untersuchungen bei unterschiedlichen Patientengruppen vor. Zwei Studien wurden bei erwachsene Patienten mit Gewalterfahrungen in der Kindheit durchgeführt (Cloitre et  al. 2002, 2010), eine Studie bei Überlebenden der Terroranschläge vom 11.  September (Levitt et al. 2007) und eine weitere bei Patienten mit PTBS und chronischen psychischen Erkrankungen (Trappler und Newville 2007). Die Ergebnisse sprechen für die Effektivität des Programms in Bezug auf eine Reduktion der PTBS-Symptomatik und Verbesserungen des emotionalen und sozialen Funktionsniveaus. Zwei weitere Studien wurden bei Jugendlichen durchgeführt, davon eine offene Studie im stationären Setting (Gudino et al. 2014) und eine Vergleichsstudie zur Gruppenversion im schulischen Kontext (Gudino et al. 2016). In beiden Studien zeigten sich eine Symptomreduktion und signifikante Verbesserungen in Bezug auf Copingstrategien. In einer ersten randomisierten kontrollierten Studie wurde STAIR/NT mit einer Wartelistenkontrollgruppe verglichen (Cloitre et  al. 2002). Im Vergleich zur der Kontrollgruppe fand sich bei Patienten der STAIR/NT-Gruppe eine signifikante Verbesserung in Bezug auf die PTBS-Symptomatik, die Emotionsregulation, interpersonelle Probleme, die erlebte soziale Unterstützung und das globale Funktionsniveau im Alltag. Diese Verbesserungen blieben auch 3 und 9 Monate nach Abschluss der Therapie erhalten. Die Tragfähigkeit der therapeutischen Beziehung und Verbesserungen in Bezug auf den Umgang mit negativen Gefühlen waren dabei prädiktiv in Bezug auf den Erfolg der narrativen Behandlung im Sinne einer Reduktion der PTBS-Symptomatik (Cloitre et al. 2004). Die therapeutische Beziehung und die Arbeit an Skills tragen demnach zum effektiven Einsatz der narrativen Arbeit bei. In einer Komponentenstudie (Cloitre et al. 2010) konnte der differenzielle Beitrag des STAIR-Moduls und des NT-Moduls herausge-

arbeitet werden. In dieser kontrollierten Studie wurden 104 Patientinnen mit einer PTBS in der Folge von sexueller oder körperlicher Gewalt in der Kindheit in eine von 3  Behandlungsgruppen randomisiert. Sie erhielten entweder die Standardtherapie mit konsekutiver Durchführung beider Module, oder es wurde je ein Modul (STAIR oder NT) mit einer unspezifischen Intervention kombiniert, die in unterstützenden Beratungsgesprächen bestand. Die Anzahl der Sitzungen und die Behandlungsdauer wurden dabei kontrolliert. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass bei Patientinnen in der STAIR/NT-Gruppe mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Vollremission der PTBS erreicht wurde verglichen mit Patientinnen der beiden Kontrollgruppen. Weiter fanden sich in dieser Gruppe größere Verbesserungen in Bezug auf die Emotionsregulation, die erlebte soziale Unterstützung und interpersonelle Pro­ bleme als bei Patientinnen der Kontrollgruppen. Die Effekte der STAIR/NT-Behandlung zeigten sich dabei insbesondere zu den Katamnesezeitpunkten nach 3 und 9 Monaten. Dieser Befund könnte dahingehend interpretiert werden, dass die nach der Behandlung noch zunehmenden Verbesserungen sich durch den erfolgreichen Einsatz von Skills beim Umgang mit Alltagsstressoren ergaben, einschließlich solcher Situationen, die zuvor Symptome der PTBS getriggert hatten. Der erfolgreiche Umgang mit solchen Triggern könnte die Effekte der traumafokussierten Behandlung noch verstärken, sodass er für Patienten erfahrbar macht, dass traumatische Erlebnisse wirklich der Vergangenheit angehören. In einer dritten Studie wurde der flexible Einsatz von STAIR/NT bei Überlebenden der Terroranschläge vom 11.  September untersucht (Levitt et  al. 2007). Dabei hatten die Therapeuten die Möglichkeit, einzelne Sitzungen zu wiederholen oder zu überspringen, je nachdem welche therapeutischen Bedarfe bei den Patienten bestanden, und auch die Länge der Behandlung danach zu richten. Generell bestand eine größere Freiheit in der Durchführung. So konnten zusätzliche Sit­ zungen integriert werden, etwa zu aktuellen

327 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

Lebensproblemen. Die Länge der Behandlung variierte von 12–25 Sitzungen. Auch die Vorerfahrungen der Therapeuten mit kognitiv-­ verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen war sehr unterschiedlich. Auch in dieser Studie zeigten sich signifikante Verbesserungen in den Bereichen PTBS, depressive Symptomatik und interpersonelle Probleme, die mit denen der ersten randomisierten kontrollierten Studie vergleichbar waren (Cloitre et al. 2002). Zudem zeigten sich Effekte auf die eingesetzten Copingstrategien. So nahm der Gebrauch von Alkohol oder Drogen signifikant ab, während das Inanspruchnehmen sozialer Unterstützung als Copingstrategie signifikant zunahm. >> Die Effektivität von STAIR/NT in diesem flexiblen Format legt nahe, dass das Programm an unterschiedliche Zielgruppen von traumatisierten Patienten und verschiedene klinische Settings adaptiert werden kann.

In einer Pilotstudie bei Veteraninnen, die sexuellen Übergriffen im Rahmen ihres Militärdienstes ausgesetzt waren, wurde die Machbarkeit, Akzeptanz und Effektivität eines telemedizinischen Einsatzes von STAIR untersucht (Weiss et al. 2018). Bei den 10 Teilnehmerinnen, die wöchentliche Einzelsitzungen erhielten, fanden sich eine hohe Zufriedenheit sowie signifikante Effekte in Bezug auf das soziale Funktionsniveau, die PTBS-­Symptomatik, die depressive Symptomatik und die Emotionsregulation. In einer weiteren Untersuchung wurde das STAIR-Modul im Gruppenformat bei Patienten mit der Diagnose einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis und einer komorbiden PTBS in Zusammenhang mit unterschiedlichen Formen traumatischer Ereignisse eingesetzt (Trappler und Newville 2007). Dazu wurden jeweils 24  Patienten in die Interventionsgruppe und in eine Kontrollgruppe randomisiert, die die Regelbehandlung erhielt. Bei den Patienten der STAIR-Gruppe fanden sich signifikante Verbesserungen in Bezug auf die PTBS, die psychotische Symptomatik und Strategien zur Affektregulation.

16

16.7  Ausblick und weitere

Entwicklungen

Eine wichtige Forschungsfrage wäre die Untersuchung von STAIR als eigenständiger Behandlungsmethode für die PTBS-Symptomatik. STAIR fokussiert v. a. auf die aktuellen Schwierigkeiten in der Lebens- und Alltagsbewältigung. Gleichzeitig adressiert das Skillstraining aber auch indirekt traumatische Erfahrungen in der Vergangenheit, indem es den Patienten dabei hilft, die Folgen von Traumatisierung zu verstehen, in Bezug auf emotionale und zwischenmenschliche Fertigkeiten, aber auch in Bezug auf Überzeugungen über sich selbst und andere. STAIR bietet dabei alternative Denk- und Verhaltensweisen für korrigierende Erfahrungen an. Die bislang vorliegende Evidenz zeigt, dass STAIR alleine die PTBS-­Symptomatik bereits signifikant reduzieren kann. Eine interessante und wichtige Frage ist jedoch, ob STAIR als eigenständiges Verfahren neben anderen „nicht traumafokussierten“ Vorgehensweisen dabei genau so effektiv sein kann wie traumafokussierte Behandlungen, etwa die prolongierte Exposition (PE) oder die Cognitive Processing Therapy (CPT). Denkbar wären hier randomisierte kontrollierte Nichtunterlegenheitsstudien. Im Rahmen einer Studie, in der die interpersonelle Therapie (IPT) mit der prolongierten Exposition (PE) verglichen wurde, gibt es bereits Untersuchungsergebnisse, die auf eine solche Gleichwertigkeit hinweisen (Markowitz et  al. 2015). Effektive nicht traumafokussierte Therapien für die Behandlung von Traumafolgestörungen würden dazu beitragen, mehr Wahlmöglichkeiten in der Behandlung von traumatisierten Patienten zu schaffen. Weiter wäre wichtig, ihre Effektivität auch in Bezug auf andere Outcomes als die PTBS-­Symptomatik zu überprüfen. So könnte es die Motivation und das Commitment von Patienten weiter steigern, wenn neben der PTBS-­ Symptomatik weitere Bereiche abgedeckt werden, die sie möglicherweise ebenso oder sogar mehr beeinträchtigen, etwa interpersonelle Probleme oder Schwierigkeiten, mit Ärger umzugehen.

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Eine sich anschließende Frage ist die nach den Wirkfaktoren bei der Behandlung der PTBS.  Welche Mechanismen sind es genau, die verschiedenen Verfahren effektiv machen? Gibt es bestimmte Faktoren in der PTBS-­ Behandlung, die unabhängig von der therapeutischen Vorgehensweise wirken? Beispielsweise könnte es sein, dass eine Veränderung von Denk- und Bewertungsmustern stattfindet, unabhängig davon, ob wir in der Therapie gegenwärtige Erfahrungen (STAIR) oder vergangene Erlebnisse (PE) in den Fokus der Behandlung rücken. Im Fall von STAIR führen die Verbesserung der Emotionsregulation sowie die Förderung interpersoneller Kompetenzen zu eben dieser Veränderung bei den Betroffenen und zwar durch die Erfahrung, dass sie Einfluss auf ihre Emotionen haben, zunehmend besser auf Stressoren reagieren können und in der Lage sind, ihre Beziehungen besser zu gestalten. Im Fall von PE führen die direkte Konfrontation mit den traumatischen Erlebnissen und die damit einhergehende Erfahrung, diese erfolgreich bewältigen zu können, ebenso zu einer Modifikation der Überzeugungen und der eigenen Selbstwirksamkeit. Die Erhebung der Symptomatik und möglicher Mediatoren im zeitlichen Verlauf könnte dazu beitragen, konkrete Wirkfaktoren herauszuarbeiten. Würde es gelingen, solche zentralen Mediatoren und Wirkfaktoren he­ rauszuarbeiten, könnte dies dazu beitragen, bereits bestehende Verfahren zu verbessern und neue Ansätze zu entwickeln, um die Behandlung von Traumafolgestörungen noch effektiver und effizienter zu gestalten. Ein weiterer wesentlicher Aspekt wäre es, mögliche Vorteile einer flexiblen Anwendung spezifischer Interventionen und Behandlungskomponenten zu untersuchen. Dabei werden verschiedene Bausteine mit den jeweils typischen Interventionen (etwa zum Umgang mit Emotionen, zum Aufbau assertiver Fertigkeiten oder zur kognitiven Umstrukturierung) individuell und orientiert an den konkreten Bedarfen der Patienten ausgewählt. Bei dieser sehr patientenzentrierten Vorgehensweise arbeiten Therapeuten gemeinsam mit den Be-

troffenen deren individuelle Schwierigkeiten heraus, um zu entscheiden, welche Interventionen in welcher Kombination und Reihenfolge eingesetzt werden sollen. So entsteht ein hochindividualisierter Behandlungsplan. Wie erfolgreich dieses Modell sein kann, haben bereits verschiedene Studien zur Behandlung von psychiatrischen Störungen im Kindes- und Jugendalter gezeigt. In diesem Bereich finden sich oft sehr heterogene Symptomprofile, ähnlich wie bei erwachsenen Patienten mit Traumafolgestörungen. Dabei zeigten sich solche Modelle sowohl gegenüber der Anwendung von vollständigen Behandlungsmanualen zu einzelnen Störungsbilder überlegen (Daleiden et al. 2006) als auch gegenüber der Durchführung verschiedener Behandlungsmanuale für unterschiedliche Störungsbilder hintereinander (Weisz et  al. 2012). Zusätzlich zeigte sich eine höhere Zufriedenheit bei den Behandlern, was die Dissemination von Therapieansätzen in der Praxis erleichtern könnte (Chorpita et al. 2015). Ähnlich anwendungsbezogene Designs sind für STAIR geplant. Das Konzept der klassischen 10–12 Sitzungen könnte dabei mit einem Konzept verglichen werden, das weniger Sitzungen umfasst, dafür jedoch ausschließlich auf den Patienten zugeschnittene Interventionen. In einer aktuellen Studie erwies sich eine solche flexible, auf 5 Sitzungen begrenzte Anwendung von STAIR-­Interventionen bei Veteranen mit Depression oder PTBS der Standardbehandlung überlegen (Cloitre et al. 2016), was für die Umsetzbarkeit dieses Ansatzes spricht. Schließlich wäre es von großem Interesse, solche flexiblen, patientenorientierten Behandlungsmodelle in Bezug auf traumafokussierte und nicht traumafokussierte Interventionen zu untersuchen. Während bei den meisten ­Verfahren mit dem Aufbau von Bewältigungsstrategien begonnen wird und dann die Phase der Traumaverarbeitung folgt, könnte denkbar sein, dass für einige Patienten die umgekehrte Reihenfolge sinnvoll ist. Art und Stärke der Behandlungseffekte könnten am Ende der jeweiligen Module geprüft werden. So könnte erhoben werden, was sich genau für die Patienten positiv verändert, ob die Reihenfolge der

329 Behandlung der komplexen PTBS mit STAIR/Narrative Therapie

Behandlungsphasen einen Unterschied macht und oder ob sie (unabhängig davon, mit welchen Modul begonnen wurde) überhaupt noch weiter von den folgenden Modulen profitieren. Die Behandlungsverläufe könnten sich dabei je nach Komplexität der Beschwerden, der Motivation und entsprechend den persönlichen Zielen der Patienten unterscheiden. Die Implementierung solcher flexiblen Modelle könnte nicht nur die Behandlungszufriedenheit der Patienten verbessern, sondern auch die therapeutische Beziehung, da die Behandlungsziele und -inhalte noch expliziter gemeinsam erarbeitet werden. In den zurückliegenden 20 Jahren hat es signifikante Fortschritte in Bezug auf die Entwicklung psychotherapeutischer Behandlungsverfahren für traumatisierte Patienten gegeben. In der kommenden Dekade wird es zunehmend darum gehen, ihre Effektivität und Effizienz weiter zu steigern und sie noch schneller und erfolgreicher zu disseminieren. Dies kann v. a. dadurch erreicht werden, dass wir als klinisch und wissenschaftlich Tätige im engen Dialog mit unseren Patienten bleiben und uns systematisch an den von ihnen angestrebten Ergebnissen und Behandlungsformen orientieren.

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331

Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS M. Bohus und K. Priebe 17.1

Entwicklung und Quellen der DBT-PTSD – 332

17.2

Modellannahmen – 333

17.3

 herapeutische Konsequenzen der T Modellannahmen – 335

17.4

Therapeutische Haltung – 337

17.5

Struktur der Behandlung – 340

17.5.1 17.5.2 17.5.3 17.5.4 17.5.5 17.5.6

 . Phase: Commitment – 340 1 2. Phase: Traumamodell und Motivation – 341 3. Phase: Skills und kognitive Elemente – 341 4. Phase: Skillsbasierte Exposition – 342 5. Phase: „Seinen Frieden machen“ – 344 6. Phase: „Entfaltung des Lebens“ – 344

17.6

Allgemeine Behandlungsstrategien – 345

17.7

Wirksamkeitsnachweis – 346 Literatur – 347

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_17

17

332

M. Bohus und K. Priebe

17.1  Entwicklung und Quellen der

DBT-PTSD

Die DBT-PTSD wurde als ein störungsspezifisches Behandlungskonzept entwickelt für Menschen, die an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach sexualisierter oder körperlicher Gewalterfahrung in Kindheit und Jugend leiden. Die Wirksamkeit konnte in zwei randomisiert-­kontrollierten Studien im stationären und ambulanten Bereich nachgewiesen werden: Beide Studien zeigten hohe Akzeptanz, Sicherheit und große Effektstärken, auch bei Patienten mit schwerer komorbider Borderline-Persönlichkeitsstörung (Bohus et al. 2013; Bohus et al. 2019). In diese Studien wurden auch Patienten mit ausgeprägter dissoziativer Symptomatik, aktuellem selbstverletzenden Verhalten und chronischer Suizidalität eingeschlossen und hoch wirksam behandelt. Das Programm ist modular aufgebaut, d.  h., es setzt sich aus verschiedenen Behandlungskomponenten zusammen, die je nach Symptomatik der Patienten oder entsprechend sonstiger Erfordernisse angewendet und kombiniert werden können. Wie alle modernen Psychotherapieprogramme beinhaltet DBTPTSD eine Vielzahl von Prinzipien, Regeln und Interventionen, die weitgehend aus anderen etablierten Therapieverfahren stammen. Dennoch handelt es sich keinesfalls um ein „eklektizistisches Programm“, da klare Behandlungsalgorithmen vorliegen.

17

>> Die DBT-PTSD ist ein multimodulares Behandlungsprogramm. Behandlungsalgorithmen geben vor, welche Interventionen bei welcher Symptomatik zu welchem Zeitpunkt eingesetzt werden sollten.

Persönlichkeitsstörungen evaluierte Konzept beinhaltet klare Strukturen und dynamische Hierarchisierung der Behandlungsfoci. Die DBT schafft damit einen stabilen Rahmen für die Behandlung von Patienten mit schweren Störungen von Emotionsregulation, Selbstkonzept und Beziehungsgestaltung. Ein weiteres wesentliches Element der DBT ist die Vermittlung von sog. Skills. Dies sind einfache Selbstinstruktionen und Handlungsanweisungen, die darauf zielen, automatisierte intrapsychische Verarbeitung und Verhaltensmuster zu unterbrechen und zu modifizieren. Die Skills können eingesetzt werden, um extreme Zustände von Anspannung und Belastung ohne problematische Verhaltensweisen zu bewältigen, Emotionen zu modulieren und automatisierte Kognitionen zu verändern. All dies spielt für die erfolgreiche Behandlung der komplexen PTBS eine wichtige Rolle. Da in der Standard-DBT traumaspezifische Interventionen nicht näher ausgeführt sind, ergänzten wir diese entsprechend um traumaspezifische kognitive (Ehlers 1999) und expositionsbasierte Techniken (Foa et al. 2014). Die Erfahrungen mit Betroffenen von sexualisierter und körperlicher Gewalt in der Kindheit haben gezeigt, dass früh ausgebildete kognitiv-­affektive Schemata oft nicht komplett zu ändern sind. Daher ist es wichtig, dass die Betroffenen einen besseren Umgang mit diesen automatisierten Prozessen erlernen und wichtige Lebensziele trotz Ängsten oder störender Gedanken umsetzen. Hier bietet die Akzeptanz- und Commitment­ therapie (ACT; Hayes et  al. 2014) wertvolle Interventionen. Darüber hinaus beinhaltet die ACT für das Erkennen und Umsetzen von Werten und damit für die Verbesserung der Lebensqualität viele hilfreiche Interventionen. >> Neben der Veränderung von Kognitionen

Die Basis des Therapieprogramms, d.  h. die und Emotionen fördert die DBT-PTSD die Prinzipien und Regeln sowie die meisten Inkognitive Distanzierung und Akzeptanz terventionen und insbesondere der „Spirit“  – von Kognitionen und Emotionen sowie also die wohlwollend fordernde, „dialektische“ das Handeln trotz störender Kognitionen Grundhaltung entstammen der dialektisch-­ und Emotionen. behavioralen Therapie (DBT) (Bohus 2002; Linehan 1996, 2016). Dieses ursprünglich für Gerade weil das Selbstkonzept oft durch trauchronisch suizidale Patienten mit Borderline-­ mabezogene Emotionen wie Scham oder

333 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

Schuld, Ekel und Selbsthass geprägt ist, haben viele Patienten mit komplexer PTBS große Schwierigkeiten, wohlwollend und wert­ schätzend mit sich selbst umzugehen  – was sich häufig auch in Problemen im zwischenmenschlichen Bereich widerspiegelt. In der Compassion Focused Therapy (CFT; Gilbert 2013) werden diese Schwierigkeiten durch das Training einer mitfühlenden Perspektive sich selbst und anderen Menschen gegenüber adressiert. Mitgefühl wird hier definiert als „Empfindsamkeit gegenüber dem eigenen Leid und dem anderer Menschen, mit einer tiefen Hingabe, dieses zu lindern“ und umfasst also sowohl eine empathische, fürsorgliche, als auch eine zielorientierte, kraftvolle Komponente. . Abb.  17.1 gibt eine Übersicht zu den Quellen der DBT-PTSD. Sowohl die DBT als auch ACT und CFT sind in den Prinzipien der Achtsamkeit verankert (Bohus 2006). Da viele traumatisierte Patienten längere Achtsamkeitsmeditationen zumindest zu Beginn der Behandlung als unangenehm und belastend erleben, wird in der DBT-PTSD skillsbasierte Achtsamkeit vermittelt. Hierbei  

17

werden die psychologischen Wirkprinzipien der Achtsamkeit in einzelne alltagstaugliche Fertigkeiten und kürzere Achtsamkeitsübungen portioniert, ohne dabei auf formelle Meditation als notwendige Erfahrung zurückzugreifen. >> Da Achtsamkeitsübungen ihre Wirkung erst durch das regelmäßige Üben entfalten, wird Achtsamkeit modulübergreifend in jeder Therapiestunde eingesetzt und von den Patienten zu Hause geübt.

17.2  Modellannahmen

Etwas vereinfacht gliedert sich die Symptomatik der komplexen PTBS in 4 Domänen: 55 Störungen des Traumagedächtnisses (Intrusionen, Albträume, emotionale und physiologische Reaktionen bei traumaassoziierten Reizen), 55 Störungen der Emotionsregulation (affektive Instabilität, hohe emotionale Sensitivität, starke emotionale Auslenkung, Dissoziation),

..      Abb. 17.1 Quellen der DBT-PTSD

Traumafokussierende kognitive und expositionsbasierte Interventionen

Dialektisch Behaviorale Therapie

Elemente der Acceptance and Commitment Therapy

Elemente der Compassion Focused Therapy

DBT-PTSD

DBT-PTSD stationär: 12-wöchiges Behandlungsprogramm DBT-PTSD ambulant: 45 Therapieeinheiten

334

M. Bohus und K. Priebe

55 Störungen des Selbstkonzepts (intensive Scham, Schuld, Selbsthass, Ekel gegenüber der Person und dem Körper), 55 Störungen der sozialen Interaktion (Misstrauen, Angst vor sozialer Zurückweisung, Einsamkeit auch in Anwesenheit anderer).

17

Entwicklungstheoretisch gehen wir davon aus, dass Kinder und Jugendliche, die anhaltender intra- oder parafamiliärer Gewalt ausgesetzt sind, eine Reihe von altersspezifischen Bewältigungsstrategien anwenden: Zum einen, um zu überleben, zum anderen, um die emotionale Bindung zu den primären Bezugspersonen aufrechtzuerhalten. Letztere gehören häufig entweder zum Täterkreis oder liefern die Kinder diesem aus und gewähren keine Unterstützung. Die basale Bewältigungsstrategie besteht zunächst darin, sich das Geschehen zu erklären – also Regelhaftigkeiten und Sinn zu erkennen. Da eine Einsicht in die Psyche des Täters verwehrt ist, bleibt den Kindern meist nichts anderes übrig, als sich selbst die Verantwortung am Geschehen zuzuweisen („Ich habe irgendetwas getan, das diese Ereignisse hervorruft“). Die Konsequenz ist ein diffuses und pervasives Schuldgefühl, das sich in das wachsende Selbstkonzept integriert, dabei aber immerhin das Gefühl der Ohnmacht und Unkontrollierbarkeit reduziert. Neben Schuld spielen Scham und Selbstekel sowie Selbsthass- und Verachtung eine wichtige Rolle im Selbstkonzept. Die Bedeutung von Selbstekel ist einfach zu verstehen, wenn man b ­ erücksichtigt, dass oraler Missbrauch und Sperma auf dem Körper von Kindern und Jugendlichen starke Ekelgefühle auslösen. Da Kinder kaum zwischen Körper und „Selbst“ differenzieren, bezieht sich dieses Gefühl rasch auf das ganze Selbst. Und wenn man sich selbst ekelhaft findet, ist der Weg zu Selbstverachtung und Selbsthass nicht weit. Das Konzept der Scham ist facettenreicher. Wir gehen davon aus, dass Scham, also die Wahrnehmung, dass man selbst oder Nahestehende anders und schlechter sind, als sie sein sollten, zum einen die direkte Folge von erfahrener Demütigung ist. Zum anderen kann Scham auch aus der Bewertung des

schuldhaften Verhaltens resultieren („Ich bin eine Person, die sich so verhalten hat“). Darüber hinaus kann Scham als Folge von Alienation entstehen, also immer dann, wenn die soziale Synchronisierung – das Teilen und Verstehen von starken Emotionen  – nicht gewährleistet ist. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von traumatischer Invalidierung, also von der Unmöglichkeit, sozialen Rückhalt  – etwa bei der Mutter – zu erhalten, wenn von einer traumatischen Erfahrung berichtet wird. Um dies etwas konkreter zu formulieren: Stellen Sie sich vor, ein 8-jähriges Kind kommt nach sexuellem Missbrauch durch den Großvater zur Mutter nach Hause und versucht anzudeuten, was es erlebt hat. Die Mutter aber signalisiert sehr rasch, dass sie davon nichts hören möchte, das Kind sich das einbildet und der Großvater ein lieber Mann ist. Das Kind wird nicht nur bitter enttäuscht sein, sondern sich als zutiefst verlassen und unwürdig erleben. Dieses Gefühl des Verlassenseins berichten viele unserer Patienten. Nicht wenige von ihnen betonen, dass diese Erfahrung der sozialen Zurückweisung als schwerwiegender erlebt wurde als die sexualisierte oder körperliche Gewalt selbst. Auch Verlassenheit bedarf, wie jedes starke aversive Gefühl, um ertragen zu werden der Erklärung: „Das muss an mir liegen. Ich bin anders als alle anderen. Ich habe es nicht verdient, dass man mich mag. Ich bin im Kern schlecht.“ Die Folge ist ein diffuses und pervasives Gefühl der Scham, die sich in das Selbstkonzept integriert. Die Störungen der sozialen Interaktion erklären sich dann folgerichtig: Wenn man davon ausgeht, dass diese beschriebenen kognitiv-­ emotionalen Konzepte die soziale Kooperation steuern, ist es schier unmöglich, vertrauensvolle Nähe zuzulassen. >> Sekundäre Emotionen wie Schuld, Scham und Selbstverachtung werden als Bewältigungsstrategien verstanden, die ursprünglich dazu dienten, den traumatischen Ereignissen ihre primäre Unkontrollierbarkeit zu nehmen und die familiären Bindungen aufrecht zu erhalten.

335 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

Erwachsene Betroffene mit komplexer PTBS können infolge von Reizgeneralisierung durch eine Fülle an äußeren und inneren Stimuli an die traumatischen Erfahrungen erinnert werden. Die Stimuli aktivieren ein implizites Traumanetzwerk mit sensorischen Erinnerungen, Kognitionen sowie Emotionen. Das innere Erleben ist nicht nur geprägt von Intrusionen, Kognitionen, Emotionen und Körperreaktionen, die während der Traumatisierung eine Rolle gespielt haben, sondern auch von den oben beschriebenen sekundären Emotionen wie Schuld, Scham, Ekel oder Selbsthass. Diese innerpsychischen Prozesse sind häufig so dominant, dass die sensorische Verarbeitung realer Informationen eingeschränkt ist. Der stark aversive Charakter des Traumanetzwerks drängt die Patienten zu gelernten Escapestrategien. Dies kann sowohl die Handlungsebene als auch die mentale Ebene betreffen. Zu den häufigsten Escapeverhaltensweisen zählen Selbstverletzungen, Hochrisikoverhalten, Substanzmissbrauch und aggressive Durchbrüche. Beispiele für mentales Escape sind Dissoziation, Rumination, Bagatellisieren oder auch Suizidgedanken. Darüber hinaus bemühen sich die Betroffenen, typische Auslöser von traumaassoziierten Erinnerungen und Emotionen weitgehend zu vermeiden. Diese Meidungsstrategien können das soziale Leben vollständig dominieren, da in der Regel zwischenmenschliche Aspekte wie Nähe, Vertrautheit, körperliche Berührungen, sexuelle Erregung, Männer und vieles mehr gemieden werden müssen. Da bleibt nicht viel Lebensspielraum. Meidungs- und Escapestrategien sind zwar kurzfristig entlastend, langfristig aber halten sie die Symptomatik aufrecht. Im Sinne eines Reboundeffektes verstärkt sich der intrusive Charakter des Traumanetzwerkes. Viele der Escapestrategien wie Selbstverletzungen oder Substanzkonsum haben auch an sich langfristig negative Folgen und verstärken selbstabwertende Gedanken. Meidungsstrategien verhindern korrigierende Erfahrungen und einen Abgleich der Erwartungen mit der Realität („Nicht alle Männer sind gefährlich, manche sind zugewandt und nett“).

17

In der DBT-Terminologie beschreiben die Meidung- und Escapestrategien den Alten Weg. Das Verhalten ist von der kurzfristigen „Weg-von“-Motivation geprägt. Betroffene wollen Erinnerungen, schmerzliche Emotionen und Kognitionen rasch beenden und setzen dazu Strategien ein, die langfristig dysfunktional sind. Ein „Hin-zu“-Verhalten mit der Ausrichtung an langfristigen Zielen, d.  h. werteorientiertes Denken, Planen und Handeln ist kaum möglich. In der Therapie soll dies auf dem Neuen Weg gestärkt werden. . Abb.  17.2 skizziert das Modell der DBTPTSD, wie es den Patienten im Rahmen der Psychoedukation vermittelt wird. Dabei wird ein 4-Felder-Schema genutzt. Innere Prozesse liegen auf der linken Seite einer vertikalen Linie, während die sensorisch wahrnehmbare Außenwelt auf der rechten Seite der Linie dargestellt wird. Eine horizontale Linie trennt alle langfristig dysfunktionalen mentalen Prozesse und Verhaltensweisen des Alten Weges (unterhalb der horizontalen Linie) von den an langfristigen Zielen orientierten inneren Prozessen und Verhaltensweisen des Neuen Weges (oberhalb der horizontalen Linie).  

>> Das zentrale Problem der komplexen PTBS besteht in der häufigen Aktivierung des Traumanetzwerkes durch eine Fülle von Reizen, den dadurch ausgelösten primären und sekundären traumabezogenen Emotionen und den dann folgenden mentalen und verhaltensbasierten Escape- und Meidungsstrategien.

17.3  Therapeutische

Konsequenzen der Modellannahmen

In der Behandlung der komplexen PTBS geht es uns zunächst darum, die vom Traumanetzwerk aktivierten mentalen und verhaltensbezogenen Escapestrategien zu reduzieren. Die Betroffenen lernen, Skills anstelle von schädlichem Escapeverhalten einzusetzen. Darüber hinaus werden Fertigkeiten der Emotionsregu-

336

M. Bohus und K. Priebe

Neuer Weg: Hin zu Werte- und zielorientiertes Handeln

Werte- und zielorientiertes Denken und Planen Sinnliches Wiedererleben Intrapsychisch

Außen wahrnehmbar

Trauma-Netzwerk

Gedanken

Gefühle

Escape und Vermeidungsverhalten

Mentales Escape und Meidung

Alter Weg: Weg von

..      Abb. 17.2  Störungsmodell der DBT-PTSD

17

lation trainiert. Zudem werden dysfunktionale Kognitionen und sekundäre Emotionen mit kognitiven Interventionen verändert. Doch rein kognitive Interventionen stoßen bei den Betroffenen mit komplexer PTBS meist an ihre Grenzen. Wir gehen wie beschrieben davon aus, dass die zentralen kognitiv-­affektiven Automatismen, also Schuld, Scham, Selbsthass und Selbstverachtung, entwicklungspsychologisch als Bewältigungsstrategien verstanden werden müssen, um einerseits die Erfahrung von Ohnmacht und Unkontrollierbarkeit zu reduzieren, und andererseits die Beziehung zur Familie aufrechtzuerhalten. So erklären sich die Schwierigkeiten, die bei primär kognitiven Interventionen entstehen: Selbst wenn die Patienten rational verstehen, dass sie keine Verantwortung trifft, so sind sie doch selten in der Lage, diese Annahmen aufzugeben, da sie fürchten, a) von Ohnmacht überwältigt zu werden und b) die ambivalente, oft sehnsuchtsbesetzte Beziehung zur Familie zu verlieren. DBT-PTSD trägt dem Rechnung, indem ein Schwerpunkt auf der Exposition gegenüber den traumaassoziierten primären Emotionen (Ohn-

macht, Ausgeliefertsein, Angst, Demütigung, Ekel) liegt, andererseits der Bearbeitung der ambivalenten Täterbeziehung Raum gegeben wird. Durch die kognitiven und expositionsbasierten Interventionen werden Aktivierbarkeit und Intensität des Traumanetzwerkes wesentlich reduziert – und dennoch werden das Traumanetzwerk und die über viele Jahre gelernten kognitiv-affektiven Schemata nicht vollständig aufgelöst. Daher werden Interventionen eingesetzt, die es den Betroffenen ermöglichen, ihre automatisierten Kognitionen und Emotionen zu registrieren, als ich-­dyston zu kategorisieren (metakognitive Kompetenz) und trotz aktiviertem Traumanetzwerk zielorientiertes Handeln entsprechend einem Neuen Weg einzuleiten. In . Abb.  17.3 wird das Behandlungsmodell der DBT-PTSD dargestellt. Zunächst sollen die inneren Prozesse und die Verhaltensweisen des Alten Weges unterhalb der horizontalen Linie reduziert werden. Durch Exposion wird das Traumanetzwerk abgeschwächt. Zur Ableitung des entsprechenden Rationals nutzen wir oft die „Wasserballmetapher“ (Priebe 2014).  

337 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

17

Neuer Weg: Hin zu Werte- und zielorientiertes Handeln

Werte- und zielorientiertes Denken und Planen

Intrapsychisch

Traumanetzwerk

Außen wahrnehmbar

Escape und Vermeidungsverhalten

Mentales Escape und Meidung

Alter Weg: Weg von

..      Abb. 17.3  Behandlungsmodell der DBT-PTSD

Schließlich soll entgegensetzt zu den alten Kognitionen und Emotionen gedacht und gehandelt werden – und somit werteorientiertes Verhalten entsprechend des Neuen Weges oberhalb der horizontalen Linie gefördert werden. Unter der Lupe: Wasserballmetapher

In der Wasserballmetapher werden die Erinnerungen und die traumaassoziierten Kognitionen und Emotionen durch einen Wasserball symbolisiert. Mentale und verhaltensbezogene Escapestrategien können den Wasserball kurzfristig wegdrücken, bewirken jedoch, dass dieser später unkontrolliert und mit viel Kraft hochkommt. Im Rahmen der Exposition darf der Wasserball langsam und dosiert mit therapeutischer Unterstützung auftauchen. In der Exposition wird das Ventil des Wasserballs geöffnet und etwas der alten Luft (heutige nicht mehr angemessene Gefühle) kann abgelassen werden. Der Wasserball wird jedoch immer als eine Erinnerung bestehen bleiben.

Während er an einigen Tagen nicht sichtbar ist, wird er an anderen Tagen sehr nah sein. Dementsprechend werden die Erinnerungen und assoziierte Gefühle an einigen Tagen keine Rolle spielen, an anderen Tagen im Vergleich zu heute in abgeschwächter Form präsent sein. Aus einem unkontrollierbaren Hochkommen (Wiedererleben) soll ein Wahrnehmen und Beobachten (Erinnern) des Wasserballs werden.

In der DBT-PTSD sollen die Aktivierbarkeit und die Intensität des Traumanetzwerkes abgeschwächt und situationsadäquates, zielorientiertes Denken, Planen und Handeln verbessert werden. 17.4  Therapeutische Haltung

Eine gute therapeutische Arbeitsbeziehung  – ist ein zentraler, allgemeiner Wirkfaktor der Psychotherapie. In der DBT-PTSD wird die

338

M. Bohus und K. Priebe

therapeutische Beziehung wie in der klassischen DBT sehr aktiv und bewusst gestaltet und für eine Vielzahl von Veränderungsprozessen durch gezielte therapeutische Verhaltensweisen genutzt. Grundlage einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung ist eine therapeutische Haltung, die in der DBT-PTSD auf gemeinsamen Grundannahmen des Behandlerteams beruht. Wir gehen davon aus, dass die folgenden Grundannahmen bei der Arbeit mit Betroffenen von sexualisierter und körperlicher Gewalt in Kindheit und Jugend, die an einer komplexen PTBS leiden, zutreffen und hilfreich sind: Grundannahmen der therapeutischen Arbeit

17

1. Traumatisierte Patienten, die an einer komplexen PTBS leiden, wollen ihr Erleben und Verhalten grundsätzlich verbessern. 2. Patienten mit komplexer PTBS müssen sich stärker anstrengen, härter arbeiten und mehr Motivation aufbringen, um sich zu verändern, als andere, und dies ist ungerecht. 3. Traumatisierte Patienten sind durch die Hölle gegangen und verdienen all unser Mitgefühl. Dennoch bleiben sie in der Hölle sitzen, wenn wir sie nicht dazu motivieren, ihre Veränderung selbst in die Hand zu nehmen. 4. Traumatisierte Patienten verdienen – wie alle anderen auch – eine mitfühlend-unterstützende Haltung seitens der Therapeuten, des Teams und ihrer selbst. 5. Traumatisierte Patienten müssen neues Verhalten in vielfältigen sozialen Zusammenhängen erlernen. 6. Der therapeutische Kontext sollte so gestaltet sein, dass dysfunktionales Verhalten gelöscht und funktionales Verhalten verstärkt wird. 7. Patienten können in der DBT-PTSD nicht versagen. 8. Therapeuten, die mit Missbrauchsopfern arbeiten, brauchen Unter-

stützung – auch hinsichtlich ihrer eigenen Psychohygiene. 9. Die Supervisionsgruppe hilft den Therapeuten und den Patienten, gemeinsam die Behandlungsziele zu definieren und diese auch zu erreichen.

Die Annahmen 1 und 2, so banal sie klingen, vergegenwärtigen den Therapeuten, den Angehörigen und dem Behandlungsteam die grundsätzliche Willensbereitschaft der Patienten, ihre Situation zu verbessern. >> Wenn Patienten sich optimaler verhalten könnten, so würden sie dies tun.

Es liegt im Aufgabenfeld der Therapeuten oder des Behandlungsteams, die aufrechterhaltenden Bedingungen für dysfunktionales Verhalten herauszuarbeiten. Zudem sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass viele dysfunktionale Erlebens- und Verhaltensmuster von neurobiologischen Mechanismen geprägt sind, die therapeutische Lernprozesse deutlich erschweren. Andererseits wurden viele der dysfunktionalen Bewertungsprozesse und Handlungsautomatismen ursprünglich entwickelt, um unter sehr schwierigen familiären Bedingungen körperlich und emotional zu überleben. Sie sind daher entsprechend fest verankert. Veränderungen sind deswegen auch immer mit Unsicherheit und Angst besetzt und bedürfen entsprechender Unterstützung. Die Therapeuten sollten also alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die Patienten bei ihren schwierigen und langwierigen Veränderungsprozessen zu unterstützen. Die 3. Annahme, dass die Patienten ihre Probleme in der Regel nicht verursacht haben, es dennoch allein in ihrer Hand liegt, Veränderungen herbeizuführen, beschreibt einen häufigen und leider oft sehr hinderlichen Standpunkt der Betroffenen: „Warum soll ich kämpfen, um meine Ziele zu erreichen, obwohl mir dies alles angetan wurde?“ Man sollte diese Problematik in ihren Auswirkungen auf die Motivation der Betroffenen nicht unterschätzen, und immer wieder im Verlauf der Therapie ansprechen. In Vorweg-

339 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

nahme dieser Problematik hat sich folgende Metapher als hilfreich erwiesen: „Stellen Sie sich vor, ein Mann ist auf dem Heimweg von der Arbeit, der ihn an einem Fluss entlang führt. Plötzlich, aus heiterem Himmel, wird er überfallen und in den Fluss gestoßen. Nun, da der Mann ja wirklich nicht freiwillig in den Fluss gesprungen ist – bedeutet dies, dass er nicht selbst an Land schwimmen muss?“ Die 4. Annahme bezieht sich zum einen auf die therapeutische Haltung und beinhaltet neben einer warmen, mitfühlenden und empathischen Komponente auch den Willen, die Patienten kraftvoll und zielorientiert darin zu unterstützen, ihr Leben und Erleben zu verändern. Zum anderen beinhaltet diese Annahme den Umgang der Betroffenen mit sich selbst. Gerade Betroffene mit komplexer PTBS nach sexualisierter Gewalt weisen zu Beginn der Behandlung einen ausgeprägten Selbsthass auf, der sich in vielfältiger Weise im Umgang mit sich selbst und dem eigenen Körper niederschlägt. Die 5. Annahme („Traumatisierte Patientinnen und Patienten müssen neues Verhalten im relevanten Kontext erlernen“), verdeutlicht die Notwendigkeit, neu erlernte Fertigkeiten (Skills) nicht nur unter „Ruhebedingungen“, also während emotionaler Balance oder im Rahmen der therapeutischen Beziehung, zu trainieren, sondern diese auch unter emotionaler Belastung und starkem Stress anzuwenden. Krisensituationen sollten also immer als Chance genutzt werden, die Fertigkeiten zu vertiefen. Um stationäre Aufnahmen zu verhindern, gestalten die Therapeuten die Arbeit dann engmaschiger und „coachen“ die Patienten durch die Krise. Die 6. Grundannahme („Der therapeutische Kontext sollte so gestaltet sein, dass dysfunktionales Verhalten gelöscht und funktionales Verhalten verstärkt wird“) betont die Bedeutung des Kontingenzmanagements in der therapeutischen Beziehung und im Setting. Jede Form von therapeutischer Aufmerksamkeit und Zuwendung (oder das Fehlen derselben) beeinflusst das Verhalten von Patienten. Einerseits kann ein Übermaß an Trost und Hilfe dysfunktionale Verhaltensweisen wie Passivität oder auch Selbstverletzungen verstärken. Andererseits bestätigt die Nichtbeachtung von emotionaler Not häufig die Vorurteile

17

der Betroffenen und kann ebenfalls zur demons­ trativen Intensivierung von dysfunktionalem Verhalten führen. Es gilt also die Balance zu halten zwischen notwendiger Zuwendung und Vermeidung von unnötiger Verstärkung. Die 7. Grundannahme („Patienten können in der DBT-PTSD nicht versagen“) verdeutlicht eine eigentlich selbstverständliche therapeutische Position: Niemand wird auf die Idee kommen, das Versagen einer Chemotherapie einem an Krebs leidenden Menschen anzulasten. Falls die Therapie stagniert oder es zu Therapieabbrüchen kommt, so ist die „Schuld“ in dem angewandten therapeutischen Konzept, den eigenen Ressourcen, der Supervision oder der mangelhaften Ausbildung der Therapeuten zu suchen – und nicht in einem Versagen des Patienten. Das sollte man den Betroffenen auch so mitteilen. Schließlich formuliert die 8. Grundannahme die Notwendigkeit einer fachlichen und emotionalen Unterstützung für die Therapeuten. Die Arbeit mit frühen Traumata birgt immer eine besondere Belastung für den psychischen Verarbeitungsprozess der Therapeuten. Gerade junge Therapeuten werden hier oft erstmals mit der gesamten Wucht menschlicher Grausamkeit konfrontiert. Marsha Linehan mahnt hier: „Don’t fall into the pool.“ Also: Fallen Sie nicht in den Sumpf. Denn wenn Sie selbst im Sumpf feststecken, können Sie nicht mehr helfen. Die Behandler sollten sich immer wieder bewusst machen: Der Patient hat überlebt, und die Erfahrungen gehören der Vergangenheit an. Die 9. Grundannahme der DBT-PTSD gibt die Funktion der Supervisionsgruppe vor. Die Supervisionsgruppe hat die Fallführung: Sie steuert die Behandlung und hilft den Therapeuten und den Patienten, gemeinsam die definierten Therapieziele zu erreichen. Damit unterscheidet sich die Supervision dieser Therapieform deutlich von den meisten Supervisionen. Dies hat Vor- und Nachteile: Zunächst stellt es eine große Entlastung dar. Die Verantwortung für Schlüsselentscheidungen (z. B. etwaige stationäre Aufenthalte) wird immer von der Supervisionsgruppe getragen. Andererseits können die Therapeuten nicht einfach tun, was sie wollen. Die Supervisionsgruppe wird sich das Recht nehmen, in die Therapie einzugreifen.

340

M. Bohus und K. Priebe

Ereignisgesteuerte Foki

Behandlungsphasen

1. Schwerwiegendes krisengenerierendes Verhalten 2. Therapiezerstörendes Verhalten

1

Commitment

2

Traumamodell und Motivation

3

Skills und kognitive Elemente

4

Exposition

5

Seinen Frieden machen

6

Entfaltung des Lebens

3. Therapiebehinderndes Verhalten

Beispiel Behandlungsmodule

• Belastungstoleranz (o) • Gefühlsregulation (o) • Umgang mit Dissoziation (f) • Bearbeitung von Schuld und Scham (f ) • Bearbeitung von Wut (f ) • Vorbereitung der Exposition (o)

..      Abb. 17.4  Modulare DBT-PTSD mit dynamischer Behandlungshierarchie. o obligatorisches Behandlungsmodul, f fakultatives Behandlungsmodul

17.5  Struktur der Behandlung

Die DBT-PTSD gliedert sich in 6 thematische Behandlungsphasen (. Abb.  17.4), die sich im stationären Rahmen über 12 Wochen erstrecken und ambulant bis zu 45 Therapiesitzungen umfassen. Jede Behandlungsphase beinhaltet obligatorische und fakultative Behandlungsmodule. Letztere erlauben es, auf die vielen unterschiedlichen Symptomkon­ stellationen bei komplexer PTBS individuell einzugehen. Hinsichtlich der fakultativen Module helfen „Wenn-dann-Regeln“ dem Therapeuten zu entscheiden, ob das entsprechende Modul im Einzelfall zur Anwendung kommt. Dies betrifft insbesondere S­chwierigkeiten und Symptome, die bei PTBS nach sexualisierter und körperlicher Gewalt in Kindheit und Jugend häufig, aber nicht immer auftreten, wie z.  B. starke Dissoziationen, Gefühle von Wut und Schuld, Albträume oder sexuelle Störungen. Zudem leiden die Patienten in unterschiedlichem Ausmaß unter Emotionsregulationsstörungen, die mit spezifischen Skills adressiert werden.  

17

Vor Aufnahme der Behandlung (Pre-Treat­ ment-­Phase) erfolgt Diagnostik, Indikations-

stellung, Aufklärung über das Behandlungskonzept und die wissenschaftliche Datenlage (80 % der Patientinnen erfüllen zum Behandlungsende nicht mehr die diagnostischen Kriterien der PTBS; Bohus et al. 2019). Erscheint der Patient ausreichend motiviert, sollte bereits vor Behandlungsbeginn ein sog. Non-Suizid-Vertrag abgeschlossen werden. Das heißt, die Betroffenen sichern zu, dass sie während des Behandlungsverlaufes unter keinen Umständen einen Suizidversuch unternehmen werden. Im Gegenzug wird ihnen Krisenintervention per Telefon zugesichert. 17.5.1  1. Phase: Commitment

Zunächst wird die Anamnese erhoben, einschließlich Informationen zu Vorbehandlungen, Therapieabbrüchen und Suizidversuchen. Ein knappes, strukturiertes Interview erfasst derzeit aktive dysfunktionale Verhaltensmuster. Therapeut und Patient schließen einen Behandlungs-

341 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

vertrag ab und erarbeiten einen Krisen- und Notfallplan. Darüber hinaus erfolgt eine kurze Einführung in das Skillskonzept und hier insbesondere in die Achtsamkeit. Eine Besonderheit liegt in der Entwicklung eines imaginativen Verständnisses für ein „mitfühlend-unterstützendes Selbst“ (Compassionate Mindfulness). Die Patienten entwickeln dieses Verständnis, indem sie über einen längeren Zeitrahmen täglich imaginative Selbstinstruktionen hören, die von ihren Therapeuten aufgenommen wurden. Bereits in dieser Commitment-Phase sollte eine grobe Orientierung über Zeitpunkt, Art und Häufigkeit der traumatischen Erfahrungen erarbeitet werden, einschließlich der Bedrohungen, der sich das Kind ausgesetzt sah, für den Fall, dass es über das Trauma berichten würde: („Wir kennen es, dass nahezu alle Opfer von Missbrauch und Gewalt von den Tätern bedroht wurden, dass schreckliche Dinge geschehen würden, falls sie jemandem von den Ereignissen erzählen würden. Wie war das denn bei Ihnen? Das ist deshalb wichtig, weil diese alten Ängste oft immer noch aktiv sind und ihre Kraft entfalten können, wenn Sie nun im Rahmen der Therapie darüber sprechen werden? Wie wahrscheinlich ist es, dass diese alten Drohungen wahr werden?“) 17.5.2  2. Phase: Traumamodell

und Motivation

In der zweiten Phase liegt der Schwerpunkt darauf, ein schlüssiges Modell zu erarbeiten, wie PTBS entsteht und aufrechterhalten wird und wie sie behandelt werden kann. Dazu wird das Modell des Alten und Neuen Weges mit Traumanetzwerk sowie mentalen und verhaltensbezogenen Meidungs- und Escapestrategien erarbeitet. Die Patienten sollen verstehen, wie stark die PTBS ihr Leben beeinflusst und wie die ursprünglich mal durchaus sinnvollen automatischen Gedanken und Emotionen sie daran hindern, ein sinnerfülltes Leben zu entwickeln. Die Patienten lernen ihre typischen Escape- und Vermeidungsstrategien kennen und deren kurz- und langfristige Konsequenzen. Zudem erwerben sie ein gewisses Verständnis für Mechanismen und Wirksamkeit von expositionsbasierten Interventionen (das Ge-

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hirn muss lernen, Vergangenheit und Gegenwart zu unterscheiden). Darauf aufbauend entwickeln Therapeut und Patient operationalisierte, realistische und messbare Behandlungsziele, die für das individuelle Wertesystem bedeutsam sind. Gerade weil viele Patienten mit komplexer PTBS schwerwiegende Enttäuschungen seitens primärer Bezugspersonen erlebt haben, sollten wir davon ausgehen, dass sich diese zwischenmenschlichen Erfahrungen in der therapeutischen Beziehung im Rahmen von Übertragungsprozessen wiederholen und damit die gemeinsame Arbeit behindern. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, haben wir eine Idee von McCullough et al. (2015) aufgegriffen, und schalten eine Analyse der Erfahrung mit den wichtigsten prägenden Bezugspersonen („significant others“) und deren potenziellen Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung voraus. Die zweite Behandlungsphase wird komplettiert durch eine Analyse von potenziell störungsaufrechterhaltenden Bedingungen und individuellen Befürchtungen bezüglich der Therapie. Nach Abschluss dieser zweiten Behandlungsphase sollte die Motivation zur Behandlung ausreichend aufgebaut sein. Die Betroffenen und ihre Therapeuten stellen dann – soweit dies möglich ist  – die Behandlungsplanung gemeinsam der Supervisionsgruppe vor, diskutieren gemeinsam die Erfolgsaussichten sowie eine möglicherweise erforderliche Unterstützung und erwirken die Erlaubnis, in die dritte Therapiephase einzutreten – und damit die Vorbereitung für die Expositionsphase beginnen zu dürfen. Auch wenn dieses stufenweise Vorgehen auf den ersten Blick etwas übersteuert erscheinen mag  – wir haben mit dieser Methodik ausgezeichnete Erfahrungen gemacht: Die Patienten können sich mit den Mitgliedern der Supervisionsgruppe bekannt machen, spüren deren Unterstützung und erfahren, dass die Expositionsbehandlung eine aktive Teilnahme ihrerseits erfordert. 17.5.3  3. Phase: Skills und

kognitive Elemente

In dieser Phase analysieren die Therapeuten verhaltensbezogene (z.  B. Selbstverletzung)

342

M. Bohus und K. Priebe

und emotionale (z.  B. Schuld, Dissoziation) Escapestrategien und vermitteln die entsprechenden funktionalen Fertigkeiten (Skills; s. Bohus und Wolf 2012). Die Patienten lernen, innere Anspannung und beginnende dissoziative Zustände frühzeitig zu erkennen und durch starke sensorische Reize oder physiologische Distraktion zu reduzieren (Eispäckchen, Ammoniak, Chili, Jonglieren, Augenbewegungen, Balancieren). Sie lernen weiterhin die grundlegende evolutionäre Bedeutung von Emotionen wie Schuld, Scham, Verachtung und Ekel kennen und wissen, wie sie zu starke Emotionen erkennen und dämpfen können. 17.5.4  4. Phase: Skillsbasierte

Exposition

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Im Zentrum steht hier die expositionsbasierte Bearbeitung von traumaassoziierten Emotionen und Erinnerungen. Um die Belastung in einem tolerierbaren Bereich zu halten und dissoziativen Symptomen vorzubeugen, erfolgt die Exposition nach dem Prinzip der „skills-­assisted exposure“. Dabei wird durch Einsatz von Skills eine Balance zwischen Aktivierung traumaassoziierter Gefühle und Gegenwartsbezug hergestellt. Wie oben bereits ausgeführt, ist das Ziel dieser Intervention nicht so sehr die Entwicklung eines zusammenhängenden Narrativs, sondern die Exposition gegenüber den traumaassoziierten primären Emotionen wie Ohnmacht, Ekel, Angst und Schmerzen. Entsprechend dem inhibitorischen Lernen kommt es zu einer Reduktion dieser heute nicht situationsadäquaten Gefühle. Zudem kommt es im Sinne eines Verhaltensexperimentes zur Korrektur unrealistischer Befürchtungen (z. B. „Ich werde verrückt, wenn ich diese Erinnerung zulasse“). Methodisch geht die DBT-PTSD folgendermaßen vor: Zunächst legen die Therapeuten und die Patienten gemeinsam das sog. Indextrauma fest. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, hier dasjenige Ereignis zu wählen, das gegenwärtig mit den unangenehmsten und am stärksten belastenden Intrusionen und Albträumen verbunden ist und das am schwierigsten zu berichten ist. Das Rationale ist einfach: Würde man ein

geringer belastendes Ereignis als ersten Fokus wählen (was wir ausreichend versucht haben), so werden während der Exposition automatisch die stärker belastenden Ereignisse assoziiert. Im weiteren Verlauf können dann weitere belastende Erinnerungen fokussiert werden. Im zweiten Schritt werden die wichtigsten Befürchtungen und Bedenken gegenüber Exposition bearbeitet: „Wenn ich es ausspreche, wird es wirklich“, „Ich werde verrückt werden“, „Ich werde das nicht überleben.“ Diese Befürchtungen werden zunächst konkretisiert und im sokratischen Dialog hinterfragt. Die eigentliche Expositionsphase beginnt damit, dass die Patienten das Ereignis zunächst aufschreiben. Dabei können sie eine distanzierte Schreibweise verwenden, d. h. in der dritten Person und Vergangenheit formulieren. Dieses Skript wird in der Therapiestunde zunächst vorgelesen. Anschließend erfolgt die wiederholte In-sensu-Exposition. Dabei sind die Therapeuten grundsätzlich bestrebt, eine hohe emotionale Aktivierung zu erzielen und dissoziative Zustände aktiv zu unterbrechen. Prototypisch berichtet der Patient die traumatische Erfahrung während der Exposition in der ersten Person, der Gegenwart, mit geschlossenen Augen. Intermittierend wird die Exposition von den Therapeuten unterbrochen, um den sensorischen Realitätsbezug herzustellen: 55 „Was ist der Unterschied zwischen damals und heute?“ 55 „Wie sehen Sie das, wie spüren Sie das?“ In aller Regel erleben die Patienten bereits gegen Ende der ersten Expositionssitzung eine deutliche Erleichterung. Zwischen den Therapiesitzungen hören sie die akustischen Aufzeichnungen der Exposition täglich zu Hause. Wir haben eine App entwickelt und evaluiert (Görg et al. 2016), mit deren Hilfe dissoziative Symptome während der Exposition gut verhindert werden und zudem die Verläufe der Emotionen (Abnahme von Schuld, Scham, Ekel, Belastung usw.) gemonitort werden können (7 https://morpheus.­deuschel-­ schueller.­de/). In den meisten Fällen stellt sich eine signifikante Symptomreduktion (Abnahme der Häufigkeit und Belastung von Intrusionen und Flashbacks; Revision von Schuld und Scham) innerhalb von 5–6 Expositionssitzun 

343 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

gen ein. Dann können weitere Ereignisse in den Fokus genommen werden, deren Behandlung in aller Regel weniger Zeit und Energie erfordern. Skillsbasierte Exposition Die Exposition gegenüber den belastenden Erinnerungen verfolgt drei zentrale Ziele. Zum ersten sollen primäre, also während des Traumas erlebte Emotionen, die ansonsten vermieden werden, in dem sicheren therapeutischen Rahmen aktiviert werden. Entsprechend dem inhibitorischen Lernen kommt es im neuen Kontext zu einer Inhibierung, d. h. zu einer Reduktion dieser heute nicht situationsadäquaten Gefühle. Zum zweiten sollen unrealistische Befürchtungen bezüglich des Zulassens von Erinnerungen und des Erlebens von Emotionen im Sinne eines Verhaltensexperimentes überprüft und korrigiert werden. Zum dritten soll durch das Erleben und Vergegenwärtigen der tatsächlichen damaligen Geschehnisse und Erlebensweisen eine Revision der sekundären Emotionen und Kognitionen erfolgen. Inhibitorisches Lernen setzt voraus, dass die abgespeicherten Informationen reaktiviert und die neuen aktuellen Umgebungsvariablen wahrgenommen und gespeichert werden. Zudem sollte dieser Prozess mehrmals wiederholt und zur Förderung von Generalisierung in unterschiedlichen Kontexten stattfinden. Die Reaktivierung der Informationen geschieht über das imaginative Nacherleben der traumatischen Ereignisse. Um die neuen Umgebungsvariablen aktiv wahrzunehmen, müssen dissoziative Prozesse unterbrochen werden und es muss immer wieder Bezug auf die Gegenwart genommen werden. Generell lässt sich sagen, dass alle Reize, die auf der körperlichen, sensorischen, kognitiven und emotionalen Ebene dem Trauma entsprechen, die Aktivierung verstärken (z. B. damalige Körperposition, Erfragen und Darbieten damaliger Sinnesreize). Alle Reize, die auf der körperlichen, sensorischen, kognitiven und emotionalen Ebene dem Trauma widersprechen, stärken den Gegenwartsbezug (z. B. Erinnern, dass es sich um eine Erinnerung handelt, Erfragen von heutigen Sinnesreizen, Darbieten von Unterscheidungsreizen). Die Wiederholungen geschehen im therapeutischen Setting und auch im Rahmen des wiederholten Hörens während der Hausaufgaben. Für eine Generalisierung der Lernerfahrung nehmen die selbstgesteuerten Expositionen eine zentrale Rolle ein. Zur Korrektur der Befürchtungen erfolgt eine kognitive Nachbearbeitung im Anschluss an die Exposition. Dabei werden der tatsächliche Verlauf und das Erleben der Exposition mit der vorher formulierten Befürchtung abgeglichen (z. B.: „Vorher habe ich die Befürchtung gehabt, dass ich verrückt werde, wenn ich die Erinnerung erzähle und die Gefühle zulasse. Tatsächlich war es belastend, aber weniger belastend als vermutet, und ich bin nicht verrückt geworden.“). Für die Revision der sekundären Emotionen, beispielsweise für die Reduktion von Schuldgefühlen, ist es hilfreich, dass sich die Betroffenen während der

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Exposition noch einmal vergegenwärtigen, warum sie sich zum damaligen Zeitpunkt so verhalten haben, wie sie sich verhalten haben. Selbst wenn die Betroffenen nicht komplett hilflos in der Situation waren, hilft das Erkennen der damaligen Handlungsgründe häufig dabei, gnädiger und verständnisvoller mit sich selbst zu sein. In der kognitiven Nachbearbeitung werden diese Aspekte aufgegriffen und vertieft.]

Zum Abschluss der jeweiligen Exposition erfolgt eine finale Sitzung aus der Perspektive des „mitfühlenden Selbst“ („Compassionate Self “). Ziel ist, eine verständnisvolle Perspektive für die Not und das Leid zu entwickeln, denen die Betroffenen als Kind oder Jugendliche ausgesetzt waren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist in dieser abschließenden Phase die Auseinandersetzung mit Segmenten, die evtl. mit Einverständnis oder unter aktiver Beteiligung der Patienten erfolgten. Auch hierfür gibt es gute Gründe, die aus der Perspektive des „mitfühlenden Selbst“ besser bearbeitet werden können. Compassionate Self Wie oben ausgeführt, leiden die meisten Patienten mit komplexer PTBS nicht nur an traumaassoziierten Erinnerungen und Vermeidung der entsprechenden Emotionen, sondern an den Folgen von einst sinnvollen kognitiv-emotionalen Erklärungs- und Bewältigungsstrategien. Die Grundüberzeugung, Schuld zu haben an dem, was passiert ist, die Scham, dass dies geschehen ist, der Ekel, der damit einherging – als dies amalgamiert zu einem ausgesprochen negativen Selbstkonzept, das durchzogen ist von emotionalen Spuren wie Selbsthass, Ekel gegenüber dem eigenen Körper, aber auch einem sehr starken und durchdringenden Gefühl der Selbstverachtung – einer sehr starken, sehr destruk­ tiven Komponente. Therapeuten bekommen diese bisweilen zu spüren, wenn sie versuchen, nur wohlwollend unterstützend und „haltend“ auf ihre Patienten einzuwirken – was oft unerträgliche Störungen der inneren Konsistenz der Betroffenen nach sich zieht, dies mit den entsprechenden Verhaltenskonsequenzen. Was tun? DBT-PTSD setzt auf kontinuierliche imaginative Übungen zur Entwicklung eines wohlwollend-­ unterstützenden („compassionate“) Selbstkonzeptes: Bereits in den ersten Stunden des Programms versuchen sich die Patienten eine imaginative Gestalt („wohlwollender Begleiter“) vorzustellen, die einfühlend, verständnisvoll und unterstützend mit ihnen umgeht. Die meisten Patienten können sich dabei kaum auf reale Personen beziehen, entwickeln zudem sekundäre Gedanken und Gefühle wie: „Das habe ich nicht verdient, ich hatte niemals so jemanden, das ist fürch-

344

M. Bohus und K. Priebe

terlich traurig“ etc. Im Sinne der metakognitiven Interventionen lernen die Patienten diese Gedanken und Gefühle kurz zu beobachten und ziehen zu lassen, wie Wolken. Manche Patienten entwickeln abstrakte Gestalten, manche bevorzugen Tiere oder einen Buddha oder auch den Therapeuten). Diese vom Therapeuten geleiteten Imaginationsübungen werden auf MP3 aufgenommen und möglichst täglich 10  min gehört. Im zweiten Schritt erfolgt die Versöhnung mit dem „inneren Kritiker“. Hier liegt der Schwerpunkt im Erkennen, dass diese kritischen Gedanken („little monsters“) ursprünglich dazu dienten, die Betroffenen zu schützen und Dinge zu verstehen, die für das Kind nur bedingt zu verstehen waren. Auch hierzu dienen Imaginationsübungen, so wie die klassischen „Stühletechniken“. Weitere Aspekte: Mitgefühl für andere und Entwicklung von emotionaler Verbundenheit mit anderen. Erfahrungsgemäß benötigen die Patienten einige Wochen, um sich an diese neue Sichtweise zu gewöhnen, ein neues Bild von sich und der Welt zuzulassen. Aber sie erfahren auch, wie angenehm es sich anfühlen kann, wenn man dieser Perspektive langsam Raum geben kann. Ist dieses wohlwollende Begleiter etabliert, so können sehr viele Prozesse (etwa die letzten Expositionssitzungen, die Einleitung der Trauerarbeit oder der Neue Weg aus dieser Perspektive entwickelt werden: „Vielleicht schließen Sie die Augen und nehmen die Perspektive Ihres wohlwollenden Begleiters ein … lassen Sie sich Zeit, schicken Sie Ihren Atem zu dieser Gestalt und spüren Sie, wie diese sich langsam ausbreiten kann … Führen Sie sich jetzt die Szene der Vergewaltigung noch einmal vor Augen. Was sieht der wohlwollende Begleiter, was spürt er? Was für Gefühle hegt er für dieses Kind damals? Wie äußert er sich heute, zu Ihnen, als erwachsene Person? Wie fühlt sich das an? Vielleich sagen Sie diese Sätze noch einmal laut zu sich selbst, mit einer wohlwollenden, angenehmen Stimme.“

17.5.5  5. Phase: „Seinen Frieden

machen“

17

An die Expositionsphase schließt die fünfte Phase mit Übungen zu Akzeptanz und Annehmen des Erlebten an. Die meisten Patienten hadern auch nach der Expositionsphase mit ihrer Vergangenheit und haben ausgeprägte Schwierigkeiten, diese als unveränderbar und geschehen anzunehmen. Bedenken, Akzeptanz könnte bedeuten, dass die Ereignisse gar nicht so schlimm oder gar gerechtfertigt waren, mögen eine Rolle spielen, aber auch emotionale Schwierigkeiten, sich von alten Illusionen zu verabschieden: „Wenn ich mich nur

entsprechend verhalten hätte, wäre das nicht geschehen, und ich hätte eine sorgsame liebevolle Beziehung zu meinem Vater/Mutter erreicht.“ Es geht in dieser Phase also auch darum, die kindlich illusionäre Beziehung zu den Eltern zu beenden und einer erwachsenen, revidierten und realistischen Betrachtung Raum zu geben. Annehmen des Erlebten eröffnet Raum für Trauer, die ihre Zeit benötigt. 17.5.6  6. Phase: „Entfaltung

des Lebens“

In der abschließenden Phase erschließen sich die Patienten neue Lebensbereiche bzw. suchen aktiv nach Verbesserungen, denjenigen Faktoren, die einem sinnerfülltem Leben im Wege stehen. Bei Betroffenen von sexualisierter Gewalt sind Themen wie Partnerschaft, Körpererleben und Sexualität, aber auch Änderungen im Berufsleben fast immer wichtig. Gerade weil bei diesem Therapieprogramm mit sehr starken Veränderungen nicht nur des traumaassoziierten Erlebens und Verhaltens, sondern des gesamten Selbstkonzeptes zu rechnen ist, brauchen die Patienten in dieser Phase strukturierte Unterstützung, ein neues Lebenskonzept zu entwickeln. Methodisch wird in dieser Phase auf das Modell des „Alten und Neuen Weges“ zurückgegriffen. . Abb.  17.5 zeigt ein Beispiel eines ausgefüllten Arbeitsblattes. Zunächst soll der Neue Weg (oberhalb der horizontalen Linie) erarbeitet werden. Dazu schreiben die Betroffenen ihr werteorientiertes Ziel (z.  B. „Ich möchte als Erzieherin arbeiten“) und konkrete Verhaltensschritte zur Erreichung dieses Ziels (z. B. ein Praktikum machen, über den Beruf lesen, mich beim Arbeitsamt informieren) auf. Anschließend sollen Gedanken und Gefühle notiert werden, die für die Umsetzung motivieren und hilfreich sein können (z.  B. „Ich bin gern mit Kindern zusammen“). Danach soll notiert werden, welche alten Ängste und selbstabwertenden Gedanken bei Schritten der Umsetzung auftauchen (z.  B. „Das schaffe ich eh nicht“) und zu welchen Verhalten diese motivieren könnten (z. B. sich nicht informieren).  

345 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

17

Neuer Weg: Hin zu Ziel: als Erzieherin arbeiten Ich bin gern mit Kindern zusammen. Das Arbeitsamt hat mir Unterstützung zugesagt. Ich war immer gut in der Schule.

Intrapsychisch

Skills

für Praktikum bewerben über den Beruf lesen mit anderen Erzieherinnen sprechen mich beim Arbeitsamt informieren

Entgegengesetzt handeln Orientierung an Zielen

Das schaffe ich eh nicht. Ich bin nicht gut genug für Kinder. Die anderen werden sehen, wie verrückt ich bin.

Außen wahrnehmbar

im Bett liegen bleiben Termine nicht wahrnehmen Cannabis rauchen mich selbst verletzen

Alter Weg: Weg von

..      Abb. 17.5  Beispiel eines ausgefüllten Arbeitsblattes „Neuer Weg“

Viele unserer Patienten erleben es als hilfreich, diese alten Denk- und Gefühlsgewohnheiten als „Monster“ zu bezeichnen. In der weiteren Therapie und dem weiteren Leben geht darum, trotz dieser Monster den Neuen Weg zu gehen und bei Rückschlägen und Schwierigkeiten eine mitfühlende und gleichzeitig motivierende Perspektive einzunehmen. 17.6  Allgemeine

Behandlungsstrategien

Die ausgeprägten Störungen der Emotionsregulation von Patienten mit sexualisierter und körperlicher Gewalt in Kindheit und Jugend führen manchmal zu schweren Krisen oder zu Verhalten, das die Wirksamkeit der Therapie behindern kann. Neben dem oben geschilderten zeitlich organisierten Behandlungsablauf orientiert sich die DBT-PTSD daher zusätzlich an der dynamischen Behandlungshierarchie, wie sie auch die klassische DBT vorgibt: Wann immer vorhanden,

haben hier lebensbedrohliche oder krisengenerierende oder therapiestörende Verhaltensweisen Vorrang. Diese werden über die Tagebuchkarte erfasst. Treten im Laufe einer Woche mehrere Ereignisse gleichzeitig auf, werden diese in der folgenden Reihenfolge behandelt: 1. Verhaltensweisen oder Situationen haben Vorrang, die potenziell lebensbedrohlich sind oder Therapiesitzungen unmöglich machen; gefolgt von 2. Situationen oder Verhalten, die die Aufrechterhaltung der Therapie gefährden und als dritte Ebene 3. Situationen und Verhalten, die die Wirksamkeit der Interventionen für die PTBS massiv beeinträchtigen. Wann immer eine höherrangige Problemsituation oder ein Problemverhalten erneut auftritt, werden diese auch erneut in den Fokus genommen. Die entsprechenden Interventionen basieren auf hochauflösenden Situations- und Bedingungsanalysen.

346

M. Bohus und K. Priebe

Ereignisgesteuerte Foci

17

1. Schwerwiegende krisenerzeugende Situationen oder Verhalten a. Drängende Suizidpläne b. Schwerwiegende, lebensgefährliche Selbstverletzungen c. Lebensgefährdung durch gewalttätiges Umfeld (Ex-Täter; Zuhälter; Drogendealer) d. Lebensgefährliches Hochrisikoverhalten e. Schwerwiegende Alkohol- oder Drogen-­Intoxikationen f. Gefährliche Fremdaggression 2. Situationen oder Verhalten, die die Aufrechterhaltung der Therapie gefährden a. Verhalten, das Gefängnisstrafen mit sich bringt b. Bedrohung oder schwerwiegende Verunsicherung des Therapeuten c. Ausgeprägte Störungen der Therapie durch den Partner d. Bedrohung oder Gefährdung von anderen Patienten e. Vernachlässigung von körperlichen Erkrankungen, die eine stationäre Behandlung erfordern f. Regelhaftes Versäumen von Therapien 3. Situationen und Verhalten, die die Wirksamkeit der Interventionen für die PTBS massiv beeinträchtigen a. Schwere dissoziative Symptomatik b. Körperliche und sexuelle Gewalt in der Partnerschaft c. Sexuelle Gewalterfahrung etwa durch unkontrolliertes Dating oder Ex-Täter d. Schwere Störungen des Essens und Trinkens e. Schwere Schlafstörungen f. Benzodiazepinabusus g. Alkohol- und Drogenmissbrauch (auch massiver Cannabisabusus)

h. Therapieaufgaben werden nicht durchgeführt i. Vermeidung von Exposition etc. j. Andere schwerwiegende psychosoziale Probleme (drohende Obdachlosigkeit; ernste Probleme mit dem Jugendamt)

17.7  Wirksamkeitsnachweis

In einer ersten Prä-Post-Studie an 29 stationär behandelten Frauen mit PTBS nach sexualisierter Gewalt in der Kindheit fanden sich eine Effektstärke von 1.22 für die posttraumatische Symptomatik und keine Therapieabbrüche (Steil et al. 2011). In einer randomisiert-kontrollierten, DFG-­ geförderten Studie mit 74 Patientinnen mit PTBS nach sexualisierter Gewalt in der Kindheit zeigte sich eine signifikante Überlegenheit der stationären DBT-PTSD im Vergleich zu einer Wartebedingung, in der gewöhnliche Behandlung in Anspruch genommen werden durfte (Treatment-as-usual) auch 3 Monate nach Entlassung (Bohus et al. 2013). Die Zwischengruppen-Effektstärke für die posttraumatische Symp­ tomatik lag bei 1.35 (Intention to treat) bzw. 1.6 (Completer). Nur 5 % der Patientinnen (2 von 36) brachen die Behandlung vorzeitig ab. Weder Schweregrad der BPS noch die Anzahl der Selbstverletzungen zu Beginn der Behandlung beeinflussten das Therapieergebnis (Krüger et al. 2014). Auch während der Expositionsphase wurde keine Zunahme an selbstverletzendem Verhalten oder an Suizidgedanken beobachtet. Für die ambulante DBT-PTSD fanden sich in einer ersten unkontrollierten Pilotstudie vielversprechende Ergebnisse (Steil et  al. 2018). Insgesamt 81 % beendeten die Therapie regulär und 65  % erfüllten nach der Behandlung nicht mehr die PTBS-Diagnose. Es fanden sich sowohl in der Gesamtstichprobe als auch bei den Patientinnen, die die Therapie regulär beendeten, große Effekte auf selbst- und fremdbewertete posttraumatische Symptomatik, Depressivität, Dissoziation und Borderline-Symptomatik.

347 Dialektisch-behaviorale Therapie für komplexe PTBS

Im Rahmen einer multizentrischen BMBF-­ geförderten Therapiestudie (RELEASE-­Projekt) untersuchten wir die Durchführbarkeit, Akzeptanz und Effektivität der ambulanten DBTPTSD im Rahmen einer multizentrischen randomisiert-kontrollierten Studie. Die Abbruchquoten der DBT-PTSD lagen höher als im stationären Setting (26 %), die Responsera­ ten bei 60–80  % und die Remissionsraten bei 55–80  %. Zudem zeigten sich auch unter ambulanten Bedingungen große Effekte auf die posttraumatische Symptomatik (Prä-Post-­ Effektstärke = 1.8). Die Details der randomisiert-­ kontrollierten Studie sind bei Drucklegung dieses Bandes noch nicht publiziert. Neben den klassichen Outcomemaßen (e. g. Reduktion von Intrusionen) zeigt dieses Programm auch spezifische starke Effekte hinsichtlich Reduktion von dysfunktionalen traumabezogenen Emotionen wie Schuld, Scham und Ekel: ca. 75 % der behandelten Patientinnen erreichen nach 3-monatiger stationärer Therapie das Niveau von gesunden Kontrollen. Zusammenfassend können wir festhalten, dass DBT-PTSD sowohl unter stationären als auch unter ambulanten Bedingungen hohe Akzeptanz, Sicherheit und Wirksamkeit aufweist. Das stationäre Modell wurde mittlerweile in Kliniken in Holland (Leuwarden), Berlin, Hamburg und Bad Tölz erfolgreich übernommen. Auch das ambulante Modell wird nun international eingesetzt (McLean Hospital, Harvard Medical School, Peking University). Die Ausbildung in Deutschland organisiert die AWP Freiburg: 7 http://www.­awpfreiburg.­de.  

zz Nachbemerkung

Erlauben Sie noch eine persönliche Nachbemerkung. Wir haben DBT-PTSD über lange Jahre konzipiert und entwickelt. Das nun vorliegende Programm ist eine Struktur, ein Algorithmus, der mit großer Wahrscheinlichkeit seine hohe Wirksamkeit entfaltet, wenn man den entsprechenden Anweisungen folgt. Und gerade weil die Methoden dieser Therapie so wirksam sind, so birgt dies doch auch eine Ge-

17

fahr: Das Programm kann seine Wirksamkeit entfalten, auch ohne dem Menschen in seiner tieferen Wesenheit zu begegnen. Und dies wäre ein Verlust. Es wird nur wenige Chancen im Leben ihrer Patienten geben, das Gefühl von mitmenschlicher Berührtheit zu erleben. Eine dieser Chancen sind Sie. Als Mensch. Qua Ihres Berufes erhalten Sie ein tiefes Privileg, in die sprachlich kaum fassbaren Zonen menschlicher Verletztheit und Verzweiflung einzutauchen – aus sicherer Position, teilnehmend und dennoch nicht wirklich beteiligt. Wir würden uns wünschen, dass Sie als Therapeut und Therapeutin sich dieser Verantwortung stellen und sich tatsächlich berühren lassen. Nicht nur anrühren – sondern berühren. Das sind wir – bei aller Demut  – unseren Patienten und Patientinnen schuldig.

Literatur Bohus, M. (2002). Borderline-Störungen. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe. Bohus, M. (2006). Achtsamkeitsbasierte Psychotherapie  – Die dritte Welle in der Evolution der Verhaltenstherapie? Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 54, 229. Bohus, M., & Wolf, M. (2012). Interaktives Skills-Training für Borderline-Patienten. Die CD-ROM für Betroffene. Stuttgart: Schattauer. Bohus, M., Dyer, A., Priebe, K., Krüger, A., Kleindienst, N., Schmahl, C., Niedtfeld, I., & Steil, R. (2013). Dialectical behaviour therapy for posttraumatic stress disorder after childhood sexual abuse in patients with and without borderline personality disorder: A randomized controlled trial. Psychotherapy and Psychosomatics, 22, 221–233. Bohus, M., Schmahl, C., Fydrich, T., Steil, R., Müller-Engelmann, M., Herzog, J., Priebe, K., et al. (2019). A research programme to evaluate DBT-PTSD, a modular treatment approach for Complex PTSD after childhood abuse. Borderline Personality Disorder Emotion Dysregulation, 6(1), e7. Ehlers, A. (1999). Posttraumatische Belastungsstörung. Göttingen: Hogrefe. Foa, E.  B., Hembree, E.  A., & Rothbaum, B.  O. (2014). Handbuch der prolongierten Exposition. Basiskonzepte und Anwendung. Lichtenau: GP Probst. Gilbert, P. (2013). Compassion focussed therapy. Paderborn: Junfermann. Hayes, S., Strosahl, K., & Wilson, K. (2014). Akzeptanz- & Commitment-Therapie: Achtsamkeitsbasierte Verän-

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M. Bohus und K. Priebe

derungen in Theorie und Praxis. Paderborn: Junfertem of Psychotherapy: Chronische Depressionen efmann. fektiv behandeln. Paderborn: Junferman. Krüger, A., Kleindienst, N., Priebe, K., Dyer, A., Steil, R., Priebe, K. (2014). Wasserball-Metapher. In K.  Priebe & Schmahl, C., & Bohus, M. (2014). Non-suicidal self-­ A.  Dyer (Hrsg.), Metaphern, Geschichten und Syminjury during an exposure-based treatment in pabole in der Traumatherapie. Göttingen: Hogrefe. tients with posttraumatic stress disorder and bord- Steil, R., Dyer, A., Priebe, K., Kleindienst, N., & Bohus, erline features. Behavior Research and Therapy, 61, M. (2011). Dialectical behavior therapy for post136–141. traumatic stress disorder related to childhood seLinehan, M.  M. (1996). Dialektisch-Behaviorale Therapie xual abuse: A pilot study of an intensive residential der Borderline-Persönlichkeitsstörung. München: CIP treatment program. Journal of Traumatic Stress, 24, Medien. 102–106. Linehan, M.  M. (2016). Handbuch der Dialektisch-­ Steil, R., Dittmann, C., Müller-Engelmann, M., Dyer, A., Behavioralen Therapie (DBT): Bd.  1: DBT Skills TraiMaasch, A. M., & Priebe, K. (2018). Dialectical bening Manual und Bd.  2: DBT Arbeitsbuch, Handouts haviour therapy for posttraumatic stress disorder und Arbeitsblätter. München: CIP Medien. related to childhood sexual abuse: A pilot study in McCullough, J., Schramm, E., Penberthy, K., & Plata, G. an outpatient treatment setting. European Journal (2015). CBASP  – Cognitive Behavioral Analysis Sysof Psychotraumatology, 9(1), e1423832.

17

349

Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie D. E. Hinton 18.1

Einführung – 350

18.2

Leitideen der KA-KVT – 350

18.2.1 18.2.2 18.2.3 18.2.4

 ulturell-angepasste Traumaexposition – 350 K Multiplex-Modell und Emotionsexposition – 352 Techniken zur Emotionsregulation – 354 Einbeziehen kultureller oder religiöser Heiltraditionen der Patienten – 357 18.2.5 Interorezeptive Exposition als kulturell angepasste KVT-Technik – 358 18.2.6 Sorgen und generalisierte Angststörung – 359 18.2.7 Bewältigung katastrophisierender Überzeugungen – 359 18.2.8 Berücksichtigung kulturgebundener Syndrome – 360 18.2.9 Somatische Symptome – 360 18.2.10 Behandlung von schlafbezogenen Problemen – 360 18.2.11 Kulturell bedeutsame Übergangsrituale – 362

18.3

Fazit – 362

18.4

Anhang – 362 Literatur – 363

Der Autor dankt Frau Dr. Iara Meili für die Übersetzung und Bearbeitung des Kapitels und dem Herausgeber Herrn Professor Andreas Maercker für die redaktionelle Mitarbeit. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_18

18

350

D. E. Hinton

18.1  Einführung

tome wie z. B. Sorgen und Panikattacken behandelt, die Reduktion von Ärger und Wut Dieses Kapitel beschreibt zwölf Leitideen einer angestrebt sowie komorbide Angststörungen kultursensitiven kognitiven Verhaltenstherapie mitbehandelt. Um diese Behandlungsziele zu für traumatisierte Personen aus nicht westli- erreichen, verwendet die KA-KVT im Gegenchen Kulturen. Dazu wurde ein spezifisches satz zu anderen Behandlungsansätzen eine speVorgehen entwickelt, das als „kulturell ange- zifisch entwickelte Emotionsexposition und passte kognitive Verhaltenstherapie“ (KA-­ Techniken zur Emotionsregulation wie z.  B. ähnliches Stretching. KVT) bezeichnet wird (Hinton et al. 2012). Die Meditation und Yoga-­ Dadurch soll längerfristig eine verbesserte Schwerpunkte liegen dabei auf ganz verschiepsychologische Flexibilität ( 7 Abschn.  18.2.3) denen Formen der Körperwahrnehmung und erreicht werden. Die KA-KVT hat zum Ziel, Pader Emotionsregulation. Um den Prozess der tienten eine Vielfalt von neuen, adaptiven Verkulturellen Anpassung dieses Ansatzes nacharbeitungsweisen zur Verfügung zu stellen, die vollziehbar zu machen, werden im Verlauf sich von ihrem bisherigen Umgang mit dem dieses Kapitels auch die zugrunde liegenden Modellvorstellungen erwähnt, die für diese Gefühl von Bedrohung unterscheiden. Dazu gehören u. a. die achtsame Wahrnehmung des geBehandlungsform grundlegend sind: 55 das Multiplex-Modell der vielen Modalitä- genwärtigen Augenblicks und das Erleben der Umgebung mit allen Sinnesmodalitäten. ten der PTBS-Entstehung, 55 das multisystemische Netzwerkmodell des zz Themen und Bestandteile der Therapieemotionalen Zustands, sitzungen 55 das Konzept der psychologischen FlexibiliDie zwölf Leitideen des Kapiteltexts enthalten Motät, dellvorstellungen, Begründungen und Durchfüh55 das Modell der Erregungstriade. rungshinweise für diesen Ablaufplan (. Tab. 18.1). Bisher wurde die KA-KVT durch das Team des Autors für Patienten lateinamerikanischer und asiatischer Herkunft eingesetzt (Hinton et  al. 18.2  Leitideen der KA-KVT 2004, 2005a, 2009b, 2011). Des Weiteren wurde die KA-KVT in weltweiten Kooperationsprojek- 18.2.1  Kulturell-angepasste Traumaexposition ten, z.  B. bei afghanischen Geflüchteten in Deutschland sowie mit ägyptischen, türkischen und indigen-­südafrikanischen Patienten genutzt Die Expositionsverfahren nehmen bei der PTBS (Acarturk et al. 2018; Jalal et al. 2017, 2018; Ka- als wiederholte Konfrontationen mit traumatischen Erinnerungen einen wichtigen Stellenwert nanian et al. 2017). Die KA-KVT unterscheidet sich in verschie- ein (7 Kap.  12 und  14). Dabei geht es meist denen Aspekten von gängigen KVT-Behand- hauptsächlich um das wiederholte Hervorrufen lungsansätzen (7 Kap.  13 und  15), um den der traumatischen Erinnerungen mit allen SinHerausforderungen der kulturell diversen Pati­ nesmodalitäten mittels plastischem Wiedererleentengruppen gerecht zu werden. Ihre Inhalte ben und einer damit verbundenen hohen emotiwerden in einfach verständlicher Sprache prä- onalen Aktivierung. Diese Art der Exposition ist sentiert, damit sie auch von Personen mit mini- unter Umständen aus verschiedenen Gründen malem Bildungsstand und Sprachkenntnissen nicht ideal für Traumatisierte aus nicht westliverstanden werden. Die KA-KVT beinhaltet chen Kulturkreisen. Erstens wurde mehrfach das verschiedene angepasste Formen der Exposi- Risiko einer Verschlechterung der Symptomatik tion, die jeweils mehr oder weniger die Fokus- beschrieben, die zu Therapieabbruch führen sierung auf Körperempfindungen ein­schließen. kann (Lester et al. 2010). Zweitens haben sich die Außerdem werden der PTBS verwandte Symp- theoretischen Annahmen bezüglich der Wir 







18

18

351 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie

..      Tab. 18.1  Ablauf der KA-CBT Sitzungen. (Erläuterungen dazu in den verschiedenen Kernpunkten des KA-KVT-Ansatzes) Sitzungsnummer

Thema der Sitzung

Expositionsform gefolgt von der Übung des indizierten Protokolls

Stretching-­ Übung zu Ende der Sitzung

AchtsamkeitsÜbung zu Ende der Sitzung

1

Aufklärung über Traumafolgestörung

Emotion (z. B. Angst)

X

X

2

Muskelrelaxation und Dehnung mithilfe einer Visualisierung

Emotion (z. B. Angst)

X

X

3

Angewandtes Stretching mit Visualisierungsprotokoll

Emotion (z. B. Angst)

X

X

4

Flashback-Protokoll

Emotion (z. B. Angst)

X

X

5

Aufklärung über Traumafolgestörung und zu den veränderbaren katastrophisierenden Annahmen

Emotion und Trauma

X

X

6

Interozeptive Exposition I: Kreisende Kopfbewegung

Emotion und Trauma

X

X

7

Interozeptive Exposition II: Hyperventilation

Emotion und Trauma

X

X

8

Aufklärung über Atmung und deren Nutzung für die Entspannung

Emotion und Trauma

X

X

9

Schlafstörung

Emotion und Trauma

X

X

10

Generalisierte Angststörung

Emotion und Trauma

X

X

11

Ärger/Wut

Emotion und insbesondere Ärger/Wut

X

X

12

Nacken-, schulter- und kopfschmerzbezogene Dysphorie und Panik

Emotion und insbesondere Ärger/Wut

X

X

13

Andere somatische Symptome und die damit verbundene Panik

Emotion und insbesondere Ärger/Wut

X

X

14

Kulturgebundene Syndrome im Zusammenhang mit traumabezogenen Emotionen: Abschluss

Emotion und insbesondere Angst

X

X

kungsweise der Exposition verändert. Frühere Annahmen sahen die Wirkungsweise der Exposition in der einfachen Tatsache, dass die Konfrontation mit den traumatischen Gedächtnisin-

halten deren Automatizität und Aktivierbarkeit reduziert, wohingegen jetzt eher angenommen wird, dass die Exposition neue, nicht bedrohliche Assoziationen zur traumatischen Erinne-

352

D. E. Hinton

rung sowie neue verbale Verbindungen und neue mentale Repräsentationen der Erinnerung schafft, wodurch deren Unkontrollierbarkeit entschärft wird (Craske et  al. 2008; Hofmann 2008). Drittens ist man in den Therapieprogrammen zunehmend dazu übergegangen, Patienten vor der Durchführung der Expositionen geeignete Techniken zur Emotionsregulation zu vermitteln, um deren Erregungsniveau zu reduzieren, da sonst die Exposition für sie schwer erträglich wird (7 Kap. 16 und 17). Dazu kommt, dass die Exposition nicht nur für traumatische Ereignisse (und die zugehörigen Gedanken und Gefühle), sondern auch für Körperempfindungen durchgeführt werden sollte (Hinton et  al. 2008; Otto und Hinton 2006; Wald und Taylor 2007, 2008). Eine solche interozeptive Exposition ist besonders wichtig für Patienten mit 55 auffälligen somatischen Beschwerden, 55 dazu gehörenden katastrophisierenden Annahmen bezüglich dieser Beschwerden, 55 ausgeprägten Assoziationen zwischen Trauma und Körperempfindungen (d. h., das Trauma wurde anhand einer Körperempfindung abgespeichert) sowie 55 vielen komorbiden Angststörungen.  

Alle diese Voraussetzungen sind bei Patienten aus unterschiedlichen kulturellen Umfeldern oft gegeben (Barlow 2002; Craske et  al. 2009; Wald und Taylor 2007, 2008). Aus diesen Vorüberlegungen ergaben sich folgende Merkmale für die Durchführung:

18

Phasenhaftes Vorgehen  Unter Berücksichtigung dieser theoretischen Annahmen werden in der KA-KVT zunächst Fertigkeiten zur Emotionsregulation vermittelt, wie z. B. Muskelrelaxation, Stretching (d.  h. Muskeldehnungen) und Meditation, bevor mit der Exposition begonnen wird. Die ersten drei Sitzungen, die der Exposition vorangehen, und die Techniken zur Emotionsregulation, sind in . Tab. 18.1 dargestellt.  

Technik des indizierten Protokolls  In jeder Sitzung wird ein Protokoll erarbeitet, das das zentrale Thema und die angewandten Techni-

ken beinhaltet (z. B. Achtsamkeit, Trauma-, interorezeptive oder Emotionsexposition, Stretching), am besten in visualisierter Form. Interozeptive Exposition  Hierfür werden bestimmte Körperwahrnehmungen (z. B. Schwindel) genutzt und diese werden mit neuen positiven Assoziationen verbunden, die die Assoziation mit dem Trauma sowie die kata­ strophisierenden Annahmen ersetzen sollen. Die Herstellung solcher positiven neuen Assoziationen erhöht die Akzeptanz und die Wirksamkeit der Intervention (7 Abschn. 18.2.5).  

18.2.2  Multiplex-Modell und

Emotionsexposition

Traumapatienten aus unterschiedlichen Kulturen erleben außer Angst und Scham auch häufig Ärger, generelle Ängstlichkeit und Sorgen (Hinton et  al. 2009c, 2010). Das Multiplex-­ Modell der vielen Modalitäten der PTBS-Entstehung stellt dar (. Abb.  18.1), dass diese Emotionen häufig Anspannung, Erregung, Flashbacks und katastrophisierende Annahmen auslösen, die im Sinne eines Teufelskreises zu einer Zustandsverschlechterung führen. Dieses Modell illustriert, wie verschiedene Trigger (z. B. emotionale Zustände, Stress, hypervigilantes Überwachen des Körpers auf syndrombezogene Symptome) somatische Symp­ tome, Erregung, und Panik induzieren und verschiedene Teufelskreise in Gang setzen, die zur Aufrechterhaltung und Aggravierung der PTBS beitragen. Die Trigger (z. B. Albträume) können somatische Symptome hervorrufen, die wiederum Trauma-Wiedererleben und katastrophisierende Gedanken auslösen. Der Trigger (z. B. ein Albtraum) kann das Wiedererleben des Traumas (z. B. Assoziationen zwischen Trauminhalten und dem traumatischen Erlebnis) bzw. katastrophisierende Annahmen (z. B. die Furcht, dass der Traum einen Hinweis auf eine gefährliche spirituelle Auszehrung liefert) auch direkt auslösen. Trauma-Wiedererleben und katastrophisierende Gedanken lösen wiederum Erregung und somatische  

353 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie

18

Fähigkeit zur Emotionsregulation

Trigger für Erregung, Körpersymptome und Panik • • • • • • •

• • • •



Angst Furcht Sorgen Ärger Schreckhaftigkeit Stress Trauma-Wiedererleben (z. B. einen Täter sehen oder eine mit dem Trauma assoziierte somatische Symptome erleben) Konzentrationsschwierigkeiten Schlafbezogene Phänomene (Albträume, Schlaflähmung, nächtliche Panik) Metaphergeleitete Somatisierung Hypervigilantes Überwachen des Körpers auf der Suche nach syndrombezogenen Symptomen (z. B. „schwach“ sein aufgrund von Ängsten) Verschiedene Trigger für Panik, die typisch sind für eine bestimmte Gruppe, z. B. bei kambodschanischen Geflüchteten Aufstehen, Übelkeit beim Autofahren, agoraphobieähnliche Symptome (engl. people sickness), Empfindungen im Nacken

PTBS (PTBS erhöht nicht nur die Anzahl Trigger für Erregung, Körpersymptome und Panik, sondern auch die Erregbarkeit [engl. arousal inducibility] per se)

TraumaWiedererleben

Erregung, somatische Symptome und Panik

Katastrophisierende Annahmen Metaphorische Assoziationen zu Körpersymptomen

..      Abb. 18.1  Multiplex-Modell zur Entstehung der PTBS

Symptome aus. Wir sprechen der Emotionsregulation eine prominente Position im Modell zu, weil sie die meisten Prozesse beeinflusst: Wenn Patienten über eine gute Emotionsregulationsfähigkeit verfügen, werden sie in der Lage sein, sich schnell zu beruhigen und die Anspannung zu reduzieren. Abgeleitete Bedeutung für die Emotionsexposition  Die Konfrontation mit intensiven Emo-

tionen ist ein wichtiges Behandlungselement, durch das Patienten lernen, Emotionen auszuhalten und adaptivere Strategien im Umgang mit diesen Emotionen anzuwenden. Die Emotionsexposition ist in diversen Kulturkreisen ein-

fach durchführbar, insbesondere wenn sie kombiniert wird mit Übungen zur Verbesserung der Emotionsregulation. Unter Emotionsexposition wird dabei sowohl die Konfrontation mit negativen Emotionen verstanden als auch die Förderung und das Erleben von positiven Emotionen wie Mitgefühl und liebende Güte (Elemente der Achtsamkeit; siehe Singer und Bolz 2013). Emotionsexposition  In der KA-KVT werden bestimmte Emotionen in möglichst lebhafter Weise hervorgerufen. Ein Teil dieser Emotionen wird während des bewussten Abrufs der traumatischen Erinnerungen zu Beginn der Sitzungen induziert. Andere Emotionen, d. h. Angst, Ärger und Sorgen,

354

D. E. Hinton

werden ausgelöst, indem Patienten nach Erfahrungen mit einer in letzter Zeit aufgetretenen, bestimmten Emotion gefragt werden. Dabei wird insbesondere erfragt, welche Ereignisse die Emotion ausgelöst haben und welche Körperwahrnehmungen mit dieser Emotion assoziiert waren. Nachdem eine Emotion während einer KA-KVT-Sitzung auf diese Weise hervorgerufen wird, kommen Übungen zur Emotionsregulation zur Anwendung, wodurch die Patienten eine Veränderung ihres emotionalen Zustandes bewusst erleben (. Tab. 18.1).  

Durchführung in der KA-KVT  Nahezu jede Sitzung der KA-KVT beginnt mit der Frage nach in der vorhergehenden Woche aufgetretenen Angstzuständen, gefolgt von einer Anwendung des indizierten Protokolls, z. B. mit einem Fokus auf die individuellen Angsterfahrungen. Das bietet sich insbesondere für die Sitzungen 1–4 an (. Tab.  18.1). In den folgenden Sitzungen 5–10 kann auf kombinierte Expositionen einerseits mit Angst und andererseits mit dem Trauma übergegangen werden, gefolgt von der Erarbeitung stundenbezogener indizierter Protokolle. Spätere Sitzungen (Hinton 2008; Hinton und Kirmayer 2017; Hinton und Lewis-Fernández 2010a, b) fokussieren stärker auf Auslöser für Wut oder Ärger, wenn dies bei den Patienten im Vordergrund steht – dies würde dann durch indizierte Ärger/Wut-­ Protokolle schriftlich ­notiert.  

Therapeutische Ziele  Ziele sind, dass Patien-

18

ten zunehmend in die Lage versetzt werden, Techniken zur Emotionsregulation und Akzeptanz anzuwenden. Diese Techniken können immer dann zur Anwendung kommen, wenn das Trauma erinnert wird oder andere dysphorische Zustände erlebt werden. Durch das schriftlich festgehaltene induzierte Protokoll verbinden Patienten neue und adaptive Erfahrungen mit der Traumaerinnerung (z. B. die eigene Handlungsfähigkeit, Selbstvertrauen, unbeteiligtes Beobachten, liebende Güte, Mitgefühl). Dysfunktionale Modi wie z.  B. Grübeln oder Ruminieren um Probleme wandeln sich beispielsweise in den Modus der Achtsamkeit (z.  B. auf aktuell auftretende Eindrücke wie sich im Wind bewe-

gende Blätter, die Farbe der Wolken, das Gefühl, dass sich der Körper durch den Raum bewegt oder den Atemfluss achten). 18.2.3  Techniken zur

Emotionsregulation

Die Emotionsexposition zur Angst wird zu Beginn der meisten Sitzungen durchgeführt, nachdem die Patienten eine kürzlich erlebte Situation beschreiben, in der sie Angst erlebt haben. Das indizierte Protokoll dazu kann immer dann angewendet werden, wenn Patienten Angst oder andere Formen der Belastung wahrnehmen. Das indizierte Protokoll hilft nicht nur, Emotionen zu regulieren, sondern dient auch der interorezeptiven Exposition. Zum Beispiel kann durch die Konfrontation mit Schwindel eine positive Reassoziation mit diesem Gefühl erreicht werden (für Patienten südostasiatischer Herkunft kann z.  B.  Schwindel mit dem Bild der Lotusblüte [kulturelle Bedeutung 7 Abschn.  18.2.3.2] assoziiert werden, was Bilder eines körperlichen Katastrophenzustands ersetzen könnte). Wenn diese Ersetzung gelingt, kann dies im Sinne einer psychologischen Flexibilität (hier: visuellen Flexibilität) verstanden werden.  

18.2.3.1

Psychologische Flexibilität – Grundlagen

Psychologische Flexibilität  – definiert als die Fähigkeit, sich von aktuellen Denkweisen zu distanzieren und alternative Denkweisen zu erwägen (Kashdan 2010)  – ist eine Verarbeitungsweise auf der Metaebene, die KA-KVT als Standardverarbeitungsweise zu etablieren versucht. Psychologische Flexibilität schafft gegenüber der vorher bestehenden Psychopathologie eine neue adaptive Verarbeitungsweise, die das Gefühl der Bedrohung ersetzt und damit eine von den Traumafolgen abgekoppelte Emotionsregulation ermöglicht (Hinton und Kirmayer 2017; Hinton et  al. 2013; Kashdan 2010; Kok und Fredrickson 2010). Zudem ist die psychologische Flexibilität eine wichtige Fähigkeit für Menschen aus verschiedenen Kulturen, die mit einer Vielzahl von

355 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie

Anpassungen konfrontiert sind und von denen erwartet wird, dass sie ihre eigene und die neue Kultur in Einklang bringen und sich eine neue Sprache aneignen. Dazu gibt es in der heutigen Kulturtheorie die Begriffe der „postkolonialen Hybridität“ und der „Bricolage“, die den schwierigen Zustand von Immigranten ausdrückt, um Identität zu konstruieren (vgl. Bhabha 2000). Die KA-KVT zielt darauf ab, die psychologische Flexibilität in vielerlei Hinsicht zu steigern. Dies wird zum einen durch das Lehren von emotionaler Distanzierung, einem Hauptaspekt emotionaler Flexibilität, und durch das Üben der Benennung und Distanzierung von Affekten erreicht. Zum anderen wird die Flexibilität durch die Emotions- und Traumaexposition gesteigert, indem sich Patienten von einem Affekt distanzieren und einen anderen annehmen („Emotionsswitch“). In gleicher Richtung wirken Visualisierungsübungen, die Muskelrelaxation und neu erlernte Selbstaussagen zur eigenen Flexibilität. Zu den Grundlagen der KA-KVT gehört das „multisystemische Netzwerkmodell“, dass die beteiligten Prozesse der psychologischen Flexibilität zusammenfasst und das in . Abb. 18.2 dargestellt ist. Es nimmt Bezug auf das von Teasdale (1996) entwickelte Modell der „interagierenden kognitiven Subsysteme“ (engl.: „interacting cognitive subsystems“), das ebenfalls auf die Interaktion zwischen Körperzustand und Stimmungslage fokussiert (zur weiteren Erörterung der Wirksamkeit solcher körperbasierter Flexibilitätstechniken s. Hinton 2008; Hinton und Kirmayer 2017)  

18.2.3.2

Übungen

Stretching und Lotusvisualisierung  Im ersten

Teil der Emotions- bzw. Angstexposition benutzen Patienten die Yoga-ähnliche Stretching­ technik (bzw. „Faszien-Yoga“), um mögliche Verspannungen zu lösen. Stretching und Muskelrelaxation (z. B. progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen) werden danach mit einem speziellen Fokus auf die Schultern durchgeführt. Der zweite Teil wird anhand eines Bildes angeleitet, das zum kulturellen Hintergrund der Patienten passt. Die Patienten werden gebeten, die Wirbel-

18

säule zu strecken, indem die Bauchmuskeln angespannt werden. Dies wird begleitet von kreisenden Kopfbewegungen. In der Arbeit mit südostasiatischen Patienten wird diese Übung angeleitet durch die Vorstellung einer Lotusblume, die im Wind auf ihrem Schaft kreist. Dabei wird die Wirbelsäule mit dem Schaft und der Kopf mit der Blüte verglichen. Gleichzeitig werden Patienten gebeten, folgende Aussage zur eigenen Flexibilität zu wiederholen: „Ich kann mich flexibel jeder Situation anpassen, so, wie sich die Lotusblüte jeder neuen Brise anzupassen vermag“ (engl.: „May I flexibly adjust to each situation just as the lotus flower is able to adjust to each new breeze“). Für Patienten anderer Herkunft kann entsprechend das Bild einer Palme oder eines Baumes am Strand verwendet werden, mit einem langen Stamm und Palmen- oder anderen Blättern, die sich im Wind bewegen. Liebende Güte-Meditation  Später in der Therapie (in der 3. Phase, . Tab.  18.1) wird zudem eine Liebende Güte-­ Meditation durchgeführt, um Ärger zu reduzieren (Hofmann et al. 2011). Auch hier wird das begleitende Bild der kulturellen Gruppe angepasst. Südostasiatische Patienten werden gebeten sich vorzustellen, wie sich Liebe wie kühles Wasser in alle Richtungen ausbreitet, da Wasser im Buddhismus mit positiven Wertvorstellungen von Liebe, Güte, Nächstenliebe, Pflege und dem Erwerben von spirituellen Verdiensten assoziiert wird, d. h. mit guten Taten wie Spenden für die Armen oder für den Tempel.  

Wann immer der Buddha einen „Verdienst“ erwarb, indem er z. B. den Armen einen Gegenstand gab, goss er Wasser auf den Boden, um diese Verdienste zu symbolisieren. Um Mara und dessen Armee von Dämonen zu besiegen, bat Buddha die Erdgöttin, Zeugnis von seinem früheren Verdienst zu geben, und sie wrang sich die Haare aus, um eine Flut von Wasser herbeizuführen, die alle verdienstvollen Taten des Buddha in früheren Leben symbolisierte.

In vielen buddhistischen Ritualen wird Wasser in eine Schale gegossen, um den Verdienst zu symbolisieren, der durch die Teilnahme am Ritus entsteht, was auch die „kühlende“ Wirkung des Verdienstes der Toten und Lebenden symbolisiert. Patienten, z.  B. mit lateinamerikanischer Herkunft, werden gebeten, sich die Liebe

356

D. E. Hinton

Aktivierung des biologisch assoziierten Zustandes des ZNS (Zentralen Nervensystems): erhöhter Vagustonus und erhöhte HFV (Herzfrequenzvariabilität), die die Fähigkeit, sich von Denkweisen zu entfernen und andere Denkweisen zu erwägen erhöhen Verarbeitungsmodus: Aufmerksamkeit auf das sensorische Erleben des gegenwärtigen Augenblicks Die damit assoziierte psychologische Beurteilung: das Gefühl für neue Möglichkeiten, für viele Handlungsoptionen, der Anpassungsfähigkeit an Herausforderungen, der Hoffnung; der Entspannung und des Nichtüberfordertseins Assoziierte Handlungsprädisposition: prosoziales, aktives Engagement Assoziierte Metaphern: Flexibilität, Handlungsoptionen, Lockerheit; das Gefühl von Möglichkeit, mehrere Bewegungen Assoziierte Selbstaussagen: Ich bin entspannt; ich kann mich anpassen; ich kann mit Dingen umgehen.

18

Aktivierung des biologisch assoziierten Zustandes des VNS (Vegetativen Nervensystems): warme Extremitäten, verlangsamte Atmung, etc....

Aktivierung einer Stimmungslage: Entspannung, Euphorie

Somatischer Zustand: Muskelrelaxation und Beweglichkeit der Gelenke

Assoziiertes biographisches Gedächtnis: Erinnerung an positive Ereignisse, die durch Muskelrelaxation und körperliche Flexibilität hervorgerufen werden

Zugehörige Bilder: (1) Naturbilder: ein biegsamer Zweig; ein Blatt, das sich im Wind bewegt; symbolträchtige Ebenbilder zu Reis, der wie die Hand als gelenkig betrachtet wird; (2) von Menschen gemachte Umweltbilder: eine Kerzenflamme oder ein Weihrauch, der sich im Wind bewegt; (3) Art der Begrüßung: Hände in Lotusform, gefolgt von einer Verbiegung; (4) rituelle Handlung: Verbeugung im Tempel; (5) Tanzformen: Tanz, der flexible Bewegungen von Händen und Fingern und die Wölbung von Fingern und Armen hervorhebt; Anweisung an Tänzer, eine "weiche Hand" zu haben, die durch das Biegen der Hand in einen Bogen, das Knicken der Knöchel und das Aufsetzen der Hand in den Morgentau erlangt wird, insbesondere jenen, derauf Zitronengras (eine Pflanze mit gewölbten Blättern) liegt; (6) Kleidung: Kopfschmuck von Tänzern (z.B. Angkor Wat Tänzer); Quasten; andere Kleidungstücke; (7) ästhetische Ideale: man sollte weich und flexibel sein (tduen phluen); und (8) moralische Vorstellungen in der Bildsprache: Notwendigkeit, flexibel zu sein (tduen phluen) und nicht "starr" (rung), wie im Sprichwort "aufrecht und starr wie der Reisstiel ohne Korn, gebogen wie der mit Korn beladene Reisstiel" (ngeuy sko, aon da kroeup).

..      Abb. 18.2  Multisystemisches Netzwerkmodell. An diesem Knoten-Netzwerk-Modell (d. h. alle sprachlich markierten Felder an den Strichen werden als Knoten betrachtet) aus der kambodschanischen Kultur zeigt sich, dass, wenn sich ein Knoten in eine andere Stimmungslage verschiebt, alle anderen Knoten dazu

neigen, sich zu verändern. Das Netzwerk kann von jedem der Knoten aktiviert werden. Es werden die mit der Flexibilität der kambodschanischen Kultur assoziierten kulturellen Bilder detailliert beschrieben; diese Bilder und die damit assoziierten Handlungen aktivieren auch das gesamte Netzwerk.

als Wärme und Licht vorzustellen, die sich von Herz und Körper in alle Richtungen ausbreitet. Dabei wird auf das Bild des „Heiligen Herz Jesu“ (span.: „Sagrado Corazón de Jesús“) verwiesen, das eines der bekanntesten Bilder der christlichen Ikonografie darstellt. In diesem Bild zeigt Christus mit dem Finger auf sein von Flammen

umkreistes Herz, welches Licht ausstrahlt; oft ist das Herz von einem Dornenkranz umgeben, was sinnbildlich für die Überwindung von Schwierigkeiten steht. In der Ethnopsychologie und Ikonografie steht Wär­me für Liebe und Zuneigung und hat weitreichende positive symbolische Bedeutungen (vgl. Hinton 2000).

357 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie

Zugehörige Traumaexposition mit Meditationen  Die kulturell adaptierte Traumaexposition

unterscheidet sich ebenfalls nach der jeweiligen kulturellen Gruppe. Das indizierte Traumaprotokoll beginnt mit einer Übung zur Akzeptanz, in der man sich vergegenwärtigt, das Trauma erlebt zu haben, gefolgt von auf einer Übung zum Mitgefühl, das auf sich selbst und andere bezogen wird, geht weiter mit einer Übung zur liebenden Güte und endet mit einer Achtsamkeitsmeditation. Danach wird eine Technik eingesetzt, in der wieder die Flexibilität im Mittelpunkt steht, diesmal eine „mehrfache Verkörperung von Flexibilität“ (engl.: „multi-channel embodying of flexibility“). Diese Übung verbindet ein körperliches Vergegenwärtigen (oder eine Repräsentationen) von Flexibilität mithilfe von Dehnungs- und Drehbewegungen, Selbstaussagen zur eigenen Flexibilität (siehe oben: die sich biegende Lotusblüte) und musikalische Analogien bzw. akustische Bilder von Flexibilität.

18.2.3.3

Psychologische Flexibilität in der Therapie

Beispiel für ein mehrstufiges Flexibilitätsprotokoll 1. Stretching: Die Patienten dehnen jeden verspannten Bereich. 2. Armdehnung, die die Flexibilität symbolisiert: Die Patienten dehnen die Arme und die Gelenke, indem sie die Arme ausstrecken und mit den nach hinten gebeugten Handgelenken drehen und dabei die Finger strecken und bewegen. 3. Akustisches Symbolbild der Flexibilität: Dazu haben die Armstreckbewegungen einen tänzerischen Charakter, insbesondere die kreisende Bewegung der Handgelenke und das Bewegen der Finger. Dies soll Patienten dazu verleiten, an Musik zu denken, die für ihren kulturellen Hintergrund angemessen ist. Patienten südostasiatischer Herkunft werden angeleitet sich vorzustellen, die Arme zu den Liedern eines meditativen Sängers/einer Sängerin zu bewegen; die tänzerischen Bewegungen können auf

18

der Ebene des ganzen Arms, des Unterarms, des Handgelenks oder der Finger stattfinden (dies unterstreicht die hohe Flexibilität des menschlichen Körpers). Patienten aus der Karibik wird beispielsweise empfohlen, sich Salsa oder Bachata vorzustellen. Im Salsa-Beispiel werden Patienten angeleitet, sich den Rhythmus der Stimme des Sängers und den der Conga-Trommel, Bongos, Timbales, Hörner, Kuhglocken, Klavier und Maracas vorzustellen. 4. Verkörperung des akustischen Symbolbilds der Flexibilität: Jede Melodie- oder Klangebene wird in einem kommentierenden Dialog von Patient und Therapeut beschrieben und dabei besprochen, dass Patienten selber wählen, zu welcher Melodie- oder Klangebene sie tanzen könnten, und dass die Bewegungen dabei flexibel angepasst werden können. 5. Sich selber im Zusammenhang mit der Musik als flexibel wahrnehmen: Die Übung wird mit der Bemerkung abgeschlossen, dass verschiedene Musiken eine Erinnerung daran sind, flexibel zu bleiben und damit zu spüren, wie man sich jeweils neu einstellen kann.

Ein Nebeneffekt des dargestellten Flexibilitätsprotokolls ist, dass es den kulturellen Stolz mit einbeziehen oder wiederaufbauen kann, weil eine kulturell den Patienten gut vertraute Musik präsentiert wird. Wichtig ist auch, dass die Musik dieser Übung wie ein positiver Trigger wirken kann, der die Patienten daran erinnert, flexibel zu sein – eine Aufforderung, die im Alltag oft nützlich sein kann. 18.2.4  Einbeziehen kultureller

oder religiöser Heiltraditionen der Patienten

Um die Behandlung kulturell anzupassen und die Wirksamkeit zu verbessern, wird versucht, weitere Emotionsregulationstechniken aus der jewei-

358

D. E. Hinton

ligen Kultur zu nutzen und gängige Techniken in Bezug auf diese lokal bekannten Emotionsregulationstechniken abzuändern. In der KA-KVT werden die Techniken zur Emotionsregulation in der entsprechenden kulturellen Gruppe ermittelt, die in der Behandlung eingesetzt werden können: Beispielsweise rezitieren einige islamische Kulturkreise in einem Ritual namens „dhikr“ wiederholt den Namen Allahs, um einen friedlichen Geisteszustand herbeizuführen. Die Behandlung beinhaltet die Anwendung vieler buddhistischer Übungen, sodass im Falle von buddhistischen Patienten die Behandlung bereits einen wichtigen Aspekt ihrer religiösen Tradition mit einschließt. Die Behandlung enthält Liebevolle Güte („metta“) und viele Meditationstechniken, wobei am Ende jeder Sitzung eine neue Achtsamkeitsübung zur Verfügung gestellt wird (. Tab. 18.1). Das wesentliche buddhistische Prinzip „Gelassenheit“ („upekkha“) ist ebenfalls Teil der Behandlung und steht für die Praxis, sich von Emotionen und geistigem Inhalt zu distanzieren und sie wie Wolken am Himmel zu betrachten. Für buddhistische Patienten können diese Praktiken mit den in seiner Tradition verwendeten Begriffen bezeichnet werden, indem betont wird, dass die Ausführung dieser Praktiken „verdienstvoll“ ist und dass dieser „Verdienst“ mit sich selbst und anderen geteilt werden kann. Dieses Verständnis des Verdienstes kann den Sinn für Handlungskompetenz fördern und Suizidalität und Depressionen erheblich reduzieren. Wenn Patienten eine Überlebensschuld empfinden, können sie an die kulturell bedingte Pflicht erinnert werden, sich mindestens einmal im Jahr für die Person, für die sie sich schuldig fühlen, einzusetzen, um eine gute Wiedergeburt und geistige Gesundheit des Verstorbenen zu gewährleisten. Um die psychologische Flexibilität bei christlichen Patienten aus Lateinamerika zu fördern, wird das Bild der Flamme einer Opferkerze in der Brise genutzt, und es wird betont, dass diese Bewegung eine Erinnerung daran ist, flexibel zu bleiben. Wie oben angedeutet werden christliche Bilder in der Liebenden Güte-Meditation verwendet. Darüber hi­  

18

naus wird empfohlen, dass christliche Patienten aus Lateinamerika andere religiöse Techniken der Emotionsregulation verwenden, wie z.  B. das zufällige Öffnen der Bibel, um einen Abschnitt zu lesen oder das Rezitieren eines Rosenkranzgebetes (falls die Patienten katholisch sind). Bei Patienten aus sog. Pfingstgemeinden kann das Zungenreden mit seinen verschiedenen Stimmlagen als E ­ rinnerung dienen und aufzeigen, dass es viele Wege zu Gott gibt und somit viele Arten zu handeln und zu fühlen. Der Einsatz von kulturell-geprägten Sprichwörtern kann die Bewältigung negativer Affekte erleichtern. Im Ärgerexpositionsteil der Behandlung (3. Phase, . Tab.  18.1) kann ein kambodschanisches Sprichwort verwendet werden, um die Beherrschung von Wutausbrüchen zu lehren: „Wenn du einmal deine Wut unter Kontrolle hast, bekommst du hundert Tage Glück.“ Es wird gezielt danach gefragt, wie Patienten mit Angst, Ärger und belastenden Traumaflashbacks umgehen, um die für die Patienten typische Art und Weise des Umgangs mit Leiden zu ermitteln. Auch Heilungsrituale aus der entsprechenden Kultur können dazu dienen, die Emotionsregulation zu verbessern: bei buddhistischen Patienten z. B. das Einreiben von Lustralwasser oder das Hören von buddhistischer Musik; bei amerikanisch-indigenen Gruppen kann die Teilnahme an traditionellen Zeremonien wie der Schwitzhütte hilfreich sein. Idealerweise sollten therapeutische Metaphern, Kausalerklärungen (z.  B. „historisches Trauma“), das Verständnis von Heilung und Vorstellungen über die Ontologie (d. h. die Natur des Seins) aus der entsprechenden kulturellen Tradition in die Behandlung integriert werden. Für weitere Diskussionen über die Einbeziehung traditioneller Heilung in die Behandlungen wird verwiesen auf Gone (2009, 2010).  

18.2.5  Interorezeptive Exposition

als kulturell angepasste KVT-Technik

Bei der interozeptiven Exposition einer KA-­ KVT werden positive Neuassoziationen von

359 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie

Körperwahrnehmungen zu kulturell passenden Bildern vorgenommen. Kambodschanische Patienten können bei einer Übung mit kreisenden Kopfbewegung in­ struiert werden, sich verschiedene traditionelle „Spiele“ vorzustellen: dies beinhaltet z.  B. eine Übung, bei der eine Person aufgefordert wird, im Kreis zu laufen, während sie einen Schal hält („lea geunsaeng“), oder eine andere Übung, bei der die Person summend einem Stock nachläuft, der in die Ferne geworfen wurde, was das Atmen verunmöglicht. Lateinamerikanische Patienten werden aufgefordert, sich traditionelle Übungen vorzustellen, die Schwindel auslösen: das „Piñata“-Spiel, bei dem die Augen verbunden werden, oder das Spiel „galliñita ciega“. Bei diesen Übungen wird die Person gedreht, bis ihr schwindelig wird. Der durch das Trauma negativ wahrgenommene Schwindel wird bei diesen Übungen mit den neu konnotierten, positiven Erinnerungen an das traditionelle Spiel reassoziiert. 18.2.6  Sorgen und generalisierte

Angststörung

Die Reduktion unkontrollierbarer Sorgen ist ein zentrales Behandlungsziel bei Patienten aus unterschiedlichen Kulturen. Geflüchtete und Menschen aus ethnischen Minoritäten machen sich oft Sorgen um ihre Lebensumstände (sie leben in gefährlichen Gegenden und sind häufig mit finanziellen Problemen und anderen Belastungen konfrontiert). Traumaopfer neigen oftmals dazu, sich nur schwer von ihren Sorgen lösen zu können und tendieren zur Übererregung, was nicht selten in Panikattacken übergeht. Diese Tendenz kann als „Erregungsinduzierbarkeit“ bezeichnet werden, was der allgemein gesteigerten Belastungsempfindlichkeit entspricht, die oft bei Traumapatienten vorliegt (Harkness et al. 2015). Die durch Sorgen hervorgerufene Erregung kann zu katastrophisierenden Annahmen und zum Wiederlerleben des Traumas führen. Besorgnis verursacht zudem einen Zustand der übermäßigen Wachsamkeit gegenüber allen möglichen Bedrohungen. In der KA-KVT werden besorgniserregende Themen aufgegriffen,

18

katastrophisierende ­Annahmen über die negativen Auswirkungen der Sorgen angesprochen, und es wird festgestellt, ob die Besorgnis ein Wiedererleben des Traumas oder eine Panikattacke auslöst. Das Kennenlernen der beängstigenden Themen der Patienten stärkt die empathische Verbindung zwischen Patienten und Therapeuten und verbessert damit die therapeutische Beziehung. Im Rahmen der KA-KVT können weitere spezielle Techniken zur Sorgenreduktion durchgeführt werden, wie z.  B.  Meditation, die sich bei der generalisierten Angststörung (Roemer et al. 2008) und bei PTBS als wirksam erwiesen haben (Follette et al. 2006). 18.2.7  Bewältigung

katastrophisierender Überzeugungen

In . Abb.  18.1 zum Multiplex-Modell ist die Rolle katastrophisierender Überzeugungen von Patienten bei der Entstehung von PTBS, allgemeiner Erregbarkeit und somatischen Symptomen dargestellt. In der KA-KVT werden Patienten zum einen nach ihrem Verständnis darüber befragt, was die Angstsymptomatik hervorruft, einschließlich ihrer Vorstellung darüber, wie die Symptome körperlich erzeugt werden. Zum anderen werden Patienten nach ihren Ängsten über die von diesen Symptomen ausgehende Gefahr befragt. Patienten kambodschanischen Hintergrunds befürchten oft, dass Schwindel den Beginn ei­ ner „Khyâl“-Attacke andeutet (kulturgebundenes Stresssyndrom, wörtl. „Wind-­Attacke“) (Hinton et al. 2010). Lateinamerikanische Patienten berichten, dass Wackeligkeit der Gliedmaßen oder rasende Gedanken auf ein Problem ihrer „Nervios“ oder auf einen drohenden „Ataque de Nervios“ hinweisen könnten (kulturgebundene Stresssyndrome mit psychophysischen Dekompensationen). Jedes PTBS-Symptom, z. B. Albträume oder Schreckhaftigkeit, kann zu solchen katastrophisierenden Annahmen führen. Personen aus vielen Kulturkreisen befürchten, dass das Wiedererleben von Traumas mit drohendem „Wahnsinn“ einhergeht. Andere befürchten, dass das Wieder 

360

D. E. Hinton

erleben von Traumas aus der Verfolgung durch gefährliche Geister der Toten hervorgeht. Schreckhaftigkeit  Menschen aus manchen Kulturkreisen betrachten die Schreckhaftigkeit als eine Macht, um Seelen vertreiben zu können und Tod oder schwere Krankheiten zu verursachen (z. B. lateinamerikanische und südostasiatische Bevölkerungsgruppen; für ein Review siehe Hinton und Lewis-Fernández 2010a, b). Wiederum andere Kulturkreise sind der Ansicht, dass Schreckhaftigkeit auf eine gefährliche „Schwäche“ des Herzens hindeutet, die eine allgemeine kardiale Hyperreaktivität hervorruft, die zum Tod führt.

18.2.8  Berücksichtigung

kulturgebundener Syndrome

18

Meist wird die letzte Therapiesitzung der Bewertung und Behandlung von Angst- und PTBS-­bezogenen „kulturgebundenen Syndromen“ (Konzept aus der transkulturellen Psychiatrie) gewidmet. Die Patienten schreiben, bevor sie in die Therapie kommen, häufig ihre PTBSund Angstsymptome einem kulturgebundenen Syndrom zu, wie die im vorigen Abschnitt erwähnten Khyâl- oder Nervios-Attacken. Die Berücksichtigung kulturgebundener Syndrome erlaubt Therapeuten ein besseres Verständnis für das Erleben von Angst und PTBS aus Sicht der Patienten, sowie für deren Auswirkungen auf die Lebenswelt und Beziehungen der Patienten. Ebenso ermöglicht es Therapeuten, wichtige katastrophisierende Annahmen einzuordnen und spezifisch mit ihnen zu arbeiten. Zudem erhöht die Berücksichtigung kulturgebundener Syndrome die Mitwirkung und das Festhalten an der Therapie, da einige der wichtigsten Anliegen der Patienten angesprochen werden. Bei der Behandlung von kambodschanischsprachigen Patienten kann beispielsweise nachgefragt werden, ob die Patienten befürchten, eine Khyâl-Attacke zu haben, wie Episoden dieser kulturgebundenen Syndrome ge-

wöhnlich behandelt werden und welche Ängste diesbezüglich vorliegen (s. Hinton und Lewis-Fernández 2010a, 2010b). 18.2.9  Somatische Symptome

Die klinischen Erfahrungen und viele Studien zeigen, dass somatische Beschwerden bei vielen traumatisierten nicht englischsprachigen Patienten besonders ausgeprägt sind. Das Multiplex-Modell der PTBS-Entstehung veranschaulicht, wie somatische Symptome entstehen und die PTBS verschlechtern können. Nach diesem Multiplex-Modell können mehrere Auslöser  – Ärger, Sorge, Angst, Erregung, orthostatischer Schwindel bis hin zu einer agoraphobischen Reaktion  – somatische Symptome hervorrufen. Ein somatisches Symptom kann damit einen Teufelskreis auslösen, der weitere somatische Symptome hervorruft und die PTBS verschlimmert (. Abb. 18.1). Im Anhang ist in . Tab. 18.2 dargestellt, wie mit einer KA-KVT somatische Beschwerden behandelt werden können.  



18.2.10  Behandlung von

schlafbezogenen Problemen

In der KA-KVT behandelt eine Sitzung speziell schlafbezogene Probleme, darunter Albträume, Schlaflähmung und nächtliche Panik. Schlaflähmung (bzw. Schlafparalyse oder -starre) tritt beim Einschlafen oder Erwachen auf. Die betroffene Person kann sich trotz Wachheit plötzlich weder bewegen noch sprechen und sieht oft einen schwarzen Schatten, der sich dem Körper nähert. Bei der nächtlichen Panik erwacht die Person in Panikstimmung, kann sich aber bewegen und kann sich nicht an einen Albtraum erinnern. Die Bedeutung von Albträumen wird je nach Patient unterschiedlich beurteilt. In vielen kulturellen Kontexten werden Albträume als Besuch verstorbener Personen oder als Hinweis darauf verstanden, dass sich die träumende Person in einem körperlich und geistig

361 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie

18

..      Tab. 18.2  Wie die KA-KVT somatische Symptome reduziert Behandlungsziel

Techniken zur Erreichung des Behandlungsziels

Reduzieren der Auslöser somatischer Empfindungen

Reduzieren von Störungen, die somatische Empfindungen hervorrufen: Sorgen/GAS (z. B. durch Meditation), Angst (das Angstprotokoll), Ärger (das Ärgerprotokoll) und PTBS (z. B. durch Traumaexposition, gekoppelt mit Übung zur Emotionsregulation) Unterrichten von verschiedenen Techniken, um das allgemeine Erregungsniveau grundlegend zu senken: Muskelrelaxation, Dehnungsübungen, Meditation und Übungen zur Emotionsbenennung und Distanzierung Unterrichten von verschiedenen Techniken, die in einem erregten Zustand anwendbar sind

Erregungstriade ansprechen

Mehrere Interventionen werden eingesetzt, um Sorgen und Panikattacken zu behandeln, da diese jeweils die Erregung erhöhen und somatische Symptome hervorrufen. Diese Störungen interagieren mit PTSD, wodurch die Erregungstriade entsteht (. Abb. 18.3)  

Beibringen, wie man somatische Symptome direkt lindert

Bestimmte Symptome direkt lindern: Muskelverspannungen, Kopfschmerzen und kalte Extremitäten durch angewandte Muskelrelaxation und angewandte Dehnung, sowie Engegefühl in der Brust, Schwindel und kalte Extremitäten durch Training der Zwerchfellatmung

Katastrophiserende Annahmen über somatische Empfindungen modifizieren

Ansprechen des ethnophysiologischen und ethnopsychologischen Verständnisses der Symptome und der kulturellen Syndrome, auf die die somatischen Symptome hinweisen sollen

Traumaassoziationen mit somatischen Empfindungen ansprechen

Patienten über Traumaassoziationen mit somatischen Empfindungen aufklären

Patienten darüber aufklären, wie Erregung somatische Symptome verursacht, was normal und ungefährlich ist

Traumaexposition, gefolgt von der Anwendung eines indizierten Traumaprotokolls. Dies geschieht zu Beginn mehrerer Sitzungen (Sitzungen 5–10). Interozeptive Exposition und positive Reassoziation von somatischen Empfindungen

Trigger auf somatische Empfindungen ansprechen

Metaphorische Assoziationen und konditionierte Angstreaktionen auf somatische Empfindungen sammeln und besprechen Interozeptive Exposition von somatischen Empfindungen (z. B. kreisende Kopfbewegung zur Herbeiführung von Schwindel, Hyperventilation etc.) und positive Reassoziation von somatischen Empfindungen

Speziell auf störende somatische Empfindungen eingehen

Z. B. Kopfschmerzen: Bestimmung von Auslösern und den damit verbundenen Gedanken (z. B. katastrophisierende Annahmen und Traumaassoziationen) und anderen somatischen Symptomen (z. B. um festzustellen, ob der Kopfschmerz Teil einer Panikattacke ist) Lehrmethoden (hauptsächlich die Anwendung von Techniken aus früheren Sitzungen, z. B. Stretching), um das Symptom zu verhindern und es zu lindern, wenn es auftritt

362

D. E. Hinton

gefährdeten Zustand befindet (Hinton et  al. 2009a). In der Therapie wird gezielt nach der Schlaflähmung und ihrer Bedeutung gefragt, da diese oftmals durch Angst und PTBS verursacht wird und beides wiederum intensivieren kann. In bestimmten Kulturkreisen wird die Schlaflähmung ausführlich beschrieben und ist weit verbreitet (Hinton et al. 2005b). Notleidende kambodschanische Geflüchtete berichten oftmals von Schlaflähmungen, die subjektiv meist auf den Besuch eines bösartigen Geistes oder auf gefährliche physiologische Probleme zurückzuführen sind. Personen aus afroamerikanischen Kulturkreisen leiden ebenfalls oft an Schlaflähmungen und schätzen diese häufig als katastrophale Situationen ein (Hinton et  al. 2005b). Die nächtliche Panik und deren Interpretation wird ebenfalls behandelt. Um den Schlaf zu verbessern, werden Patienten aufgefordert, vor dem Schlafengehen eine Yoga-­ähnliche Dehnung durchzuführen, um Krämpfe zu vermeiden und die Erregung zu senken (Patra und Telles 2009). Deshalb werden die Yoga-ähnlichen Dehnungsmethoden am Ende jeder Sitzung trainiert (. Tab. 18.1).

Dampfbad-Ritual werden oft Duftstoffe und symbolische Gegenstände verwendet, die mit den somatischen Empfindungen in Verbindung gebracht werden. Diese Art der Heilung vermittelt bestimmte Empfindungen, d. h. schafft neue positive Empfindungsassoziationen.

18.2.11  Kulturell bedeutsame

18.4  Anhang

Gewisse Kulturkreise praktizieren „Reinigungs-“ oder Übergangsrituale wie z.  B. das Dampfbad-Ritual unter südostasiatischen Menschen oder in bestimmten indigenen Kulturen (Silver und Wilson 1988). Am Ende einer KA-KVT können Patienten aus den entsprechenden Kulturkreisen ermutigt werden, diese Rituale auszuführen, falls sie sich damit identifizieren. Dies kann ein Gefühl der Abgeschlossenheit und der positiven Transformation erzeugen. Das Dampfbad-Ritual induziert z. B. einen somatischen Zustand, der einem Angstzustand ähnlich ist: Kurzatmigkeit und ein Gefühl starker Hitze. Das Ritual wirkt wie eine Exposition gegenüber diesen Empfindungen und kann eine positive Neuinterpretation ermöglichen. Im

Erregungstriade  . Abb. 18.3 zeigt drei zen­trale Störungen bei traumatisierten Patienten, die alle Erregung, Panik und somatische Symptome auslösen. Dieses Modell kann bei einigen Patienten als sinnvolle Ergänzung eingesetzt werden. Aufgrund der katastrophisierenden Ü ­ berzeugungen über die negativen körperlichen und psychischen Auswirkungen von Sorgen und die Gefahren, die von somatischen und psychischen Angstsymptomen ausgehen, scheint die Erregungstriade bei Geflüchteten und ethnischen Minoritäten besonders ausgeprägt zu sein. Häufig entstehen diese Symptome durch kulturgebundene Syndrome (z. B. Khyâl-­Attacken in kambodschanischen Populationen; Neurasthenie in chinesischen Populationen; Nervios und Ataque de Nervios in lateinamerikanischen Populationen).



Übergangsrituale

18.3  Fazit

In diesem Kapitel wurde veranschaulicht, wie KVT für Patienten aus unterschiedlichen Kulturen angepasst werden kann und dazu viele Beispiele angegeben. Es wurden die verschiedenen Leitideen für die kultursensitive Behandlung dieser traumatisierten Populationen vorgestellt und mehrere grundlegende Modelle beschrieben, die zur Gestaltung der Behandlung herangezogen werden können. Aus diesen Materialien wurden die eingangs beschriebenen konkreten Behandlungsmanuale für Geflüchtete und ethnische Minoritäten aus ganz verschiedenen Kulturkreisen dann konkret zusammengestellt, die – wie oben berichtet – eine gute Wirksamkeit und geringe Therapieabbruchraten ermöglichten.



18

363 Ansätze der kulturell angepassten kognitiven Verhaltenstherapie

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365

Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen M. Bauer, S. Priebe und E. Severus 19.1

Rolle der Psychopharmakotherapie bei der PTBS – 366

19.2

I ndikationen und praktische Leitlinien zur Psychopharmakotherapie – 366

19.2.1 19.2.2

 ielsymptomatik – 367 Z Praktische Durchführung – 367

19.3

Empirische Evidenz – 368

19.3.1 19.3.2 19.3.3 19.3.4 19.3.5

 ntidepressiva – 368 A Tranquilizer/Anxiolytika – 371 Antikonvulsiva und Lithium – 372 Antipsychotika – 373 Alternativen – 373

19.4

Psychopharmakotherapie weiterer Traumafolgestörungen – 374

19.5

Abschließende Betrachtung – 375 Literatur – 376

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_19

19

366

M. Bauer et al.

19.1  Rolle der Psychopharmako-

therapie bei der PTBS

Die Psychopharmakotherapie besitzt in der Behandlung der posttraumatischen Belas­ tungsstörung (PTBS) als klinisch relevantester Traumafolgestörung in der Literatur und klini­ schen Praxis eine im Vergleich zu psychothera­ peutischen Verfahren nachgeordnete Rolle. Verglichen mit der relativ großen Zahl an Publi­ kationen über posttraumatische Störungen und ihrer psychotherapeutischen Behandlung gibt es vergleichsweise wenige Studien über den therapeutischen Einsatz von psychotropen Substanzen (Ebbinghaus et al. 1996; Ipser und Stein 2012; Hoskins et al. 2015). Unter der Lupe

In Deutschland ist derzeit das Antidepressivum Paroxetin aus der Gruppe der selektiven Serotonin-­Wiederaufnahmehemmer (SSRI) als einziger Wirkstoff zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung zugelassen. Die derzeitige Studienlage zeigt jedoch auch Hinweise für die Wirksamkeit anderer Pharmaka, v. a. aus der Gruppe der SSRI. In den USA ist aus dieser Gruppe auch Sertralin zur Behandlung der PTBS zugelassen.

19

Obwohl die Diagnose der posttraumati­ schen Belastungsstörung (PTBS) bereits 1980 als eigene diagnostische Kategorie in das „Dia­ gnostische und Statistische Manual Psychi­ scher Störungen“ (DSM-III; American Psy­ chiatric Association 1980) aufgenommen wurde (Gersons und Denis 1996), erschienen die ers­ ten kontrollierten Studien über den Einsatz von Psychopharmaka bei PTBS erst gegen Ende der 1980er-Jahre. Ein Grund für den bis­ herigen zögerlichen Einsatz von Psychophar­ maka mag darin liegen, dass erst in den letzten Jahren vermehrt biologische Modelle zur Ätio­ logie posttraumatischer Störungen entwickelt wurden (Bonne et  al. 2004; Charney et  al. 1993). Allerdings wurden in den vergangenen

15 Jahren mithilfe placebokontrollierter Stu­ dien Fortschritte erzielt, effizientere pharma­ kotherapeutische Behandlungen für PTBS zu etablieren (Hageman et  al. 2001; Berger et  al. 2009; Ipser und Stein 2012; Watts et  al. 2013; Villarreal et al. 2016). So wurden mittlerweile Paroxetin in Deutschland und Paroxetin und Sertralin in den USA für die Behandlung der PTBS zugelassen, und auch für andere Wirk­ stoffe aus der Gruppe der SSRI sind inzwischen zahlreiche randomisierte placebokontrollierte Studien publiziert worden, die eine Wirksam­ keit zeigen (Stein et  al. 2006; Ipser und Stein 2012). Neuere Metaanalysen kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass die Effektstärken (Aus­ maß der Wirkung) für Antidepressiva in dieser Indikation eher klein sind ( Hoskins et al. 2015; Cipriani et al. 2017). Dennoch kann die phar­ makologische Therapie bei der PTBS effektiv sein und als Teil der Behandlung in Betracht gezogen werden. 19.2  Indikationen und

praktische Leitlinien zur Psychopharmakotherapie

Neuere Erkenntnisse legen nahe, dass eine Pharmakotherapie die Entstehung von Dys­ funktionen im Rahmen einer PTBS verhin­ dern oder rückgängig machen könnte (Bonne et al. 2004; Charney et al. 1993). Zunächst stellt sich die Frage, bei welcher Symptomatik und zu welchem Zeitpunkt der Behandlung eines Patienten mit PTBS an eine Pharmakotherapie gedacht werden sollte: 55 Der Einsatz von Psychopharmaka sollte v. a. bei PTBS-Syndromen mit ausgepräg­ ter klinischer Symptomatik in Betracht gezogen werden. 55 Eine bereits initial zu Behandlungsbeginn durchgeführte Pharmakotherapie könnte von Vorteil sein, um einen psychothera­ peutischen Zugang für den Patienten zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. 55 Eine Indikation für eine medikamentöse Therapie kann auch dann bestehen, wenn

367 Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen

psychotherapeutische Bemühungen erfolglos geblieben sind oder wenn Patien­ ten einer Behandlung mit Psychopharmaka besonders positiv gegenüberstehen, während sie andere Ansätze eher ablehnen. Bevor mit einer medikamentösen Therapie be­ gonnen wird, ist eine sorgfältige diagnostische Beurteilung des Patienten erforderlich. Mögli­ cherweise begleitende psychische Erkrankun­ gen (Komorbidität) müssen identifiziert wer­ den (7 Kap.  11). Wenn gleichzeitig andere wesentliche psychische Störungen vorliegen, müssen diese bei einer Psychopharmakothera­ pie berücksichtigt werden – in der Regel sollte eine direkte und ggf. auch primäre Behandlung dieser Begleiterkrankungen in Betracht gezo­ gen werden. Darüber hinaus ist stets zu prüfen, ob und mit welchem Effekt der Patient bereits Medikamente wegen der PTBS-Symptomatik eingenommen hat bzw. derzeit einnimmt. Dabei werden sowohl frei verkäufliche als auch verschreibungspflichtige Beruhigungs- und Schlafmittel häufig als Eigen­ medikation eingenommen (7 Abschn.  19.3.2), oft in Verbindung mit oder als Alternative zu Al­ kohol (Brady et al. 2000). Grundsätzlich sollte vor Beginn jeder Psy­ chopharmakotherapie von Patienten mit PTBS, die psychotrope Substanzen einnehmen, ein medikamentenfreies Intervall liegen, um Aus­ gangssymptome sowie spätere Wirkungen und Nebenwirkungen besser beurteilen zu können. Von primären Kombinationsbehandlungen, die erfahrungsgemäß bei Patienten mit PTBS häu­ fig durchgeführt werden, ist im Einzelfall abzu­ raten.  



>> Obwohl Patienten mit PTBS häufig eine vielgestaltige Symptomatik aufweisen, ist jede medikamentöse Behandlung vorzugsweise als Monotherapie zu beginnen. Im späteren Behandlungsverlauf und bei unzureichendem Ansprechen auf eine Monotherapie ist eine gleichzeitige Behandlung mit mehreren Psychopharmaka in Erwägung zu ziehen.

19

19.2.1  Zielsymptomatik

Die heute vorliegende Literatur legt nahe, dass die Pharmakotherapie gegen die 3 Symptom­ gruppen der PTBS wirksam ist. Hierzu gehören: 55 Erinnerungsdruck (Intrusionen, Alb­ träume, Nachhallerlebnisse, Belastung durch Auslöser, physiologische Reaktionen bei Erinnerung); 55 Vermeidung/emotionale Taubheit (Gedan­ ken- und Gefühlsvermeidung, Aktivitätsoder Situationsvermeidung, Amnesien, Interessenverminderung, Entfremdungs­ gefühl, eingeschränkter Affektspielraum, eingeschränkte Zukunft); 55 chronische Übererregung (Ein- und Durchschlafstörungen, erhöhte Reizbar­ keit, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz, übermäßige Schreckreak­ tion). Darüber hinaus zeigt die Pharmakotherapie eine gute Wirksamkeit bei den folgenden häu­ fig auftretenden komorbiden Störungen: 55 Depressionen, 55 Panikattacken, Angstzustände, 55 psychotisches Erleben (Wahn, Wahrneh­ mungsstörungen, Halluzinationen). 19.2.2  Praktische Durchführung

Bei Patienten, die keine spezielle psychiatrische Komorbidität (z. B. psychotische Erkrankung) aufweisen, ist zunächst ein Therapieversuch mit dem für die Behandlung der PTBS in Deutschland zugelassenem Wirkstoff Paroxe­ tin indiziert. Falls eine Kontraindikation gegen die Gabe von Paroxetin vorliegt, sollte ein an­ deres Antidepressivum aus der SSRI-Gruppe gewählt werden. Welches Medikament aus der großen Gruppe der Antidepressiva gewählt wird, kann im Einzelfall von zahlreichen Fak­ toren abhängen, zu denen auch die Erfahrung des verantwortlichen Arztes in der Behandlung mit den jeweiligen Substanzen und evtl. spezi­ fische Vorerfahrungen des Patienten gehören.

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M. Bauer et al.

>> In erster Linie bieten sich Antidepressiva vom Typ der SSRI an, da für diese Gruppe der Antidepressiva die Wirksamkeit bei PTBS am besten belegt ist (Ipser und Stein 2012; Cipriani et al. 2017). Zudem weisen SSRI ein günstigeres Nebenwirkungsprofil auf als die trizyklischen und tetrazyklischen Antidepressiva.

Für die Behandlung mit Antidepressiva gilt ge­ nerell, dass ein Therapieversuch mindestens 8–12 Wochen dauern sollte, bevor ein Behand­ lungserfolg beurteilt werden kann. Es sollte stets eine niedrige Startdosis gewählt werden und langsam bis zur benötigten Maximaldosis hoch­ titriert werden, um das Risiko für Nebenwir­ kungen zu minimieren. Bei einer erfolgreichen Therapie sollte die Medikation für mindestens 1 Jahr fortgeführt werden, um ein Wiederauftre­ ten der Symptomatik zu verhindern (Davidson 2006). In . Tab.  19.1 sind einige wichtige Leit­ linien zur Pharmakotherapie bei posttraumati­ schen Störungen zusammengefasst. Benzodiazepine sollten wegen der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung äußerst zu­ rückhaltend eingesetzt und – wenn überhaupt – nur zur kurzfristigen Anwendung (4–8 Wo­ chen) kommen. Neuroleptika haben dann einen Stellenwert in der Pharmakotherapie, wenn Pa­ tienten über starke, nicht anders beherrschbare Schlafstörungen klagen, fremd- oder autoag­ gressiv sind sowie psychotisches Erleben zeigen.  

19.3  Empirische Evidenz

19

Es gibt eine Reihe von offenen unkontrollierten Studien über den Einsatz verschiedener psycho­ troper Substanzen bei Patienten mit PTBS, die über zumeist gute Therapieerfolge berichten (Da­ vidson 2006; van der Kolk und Greenberg 1987). Die Zahl systematischer, kontrollierter pharma­ kologischer Studien ist angesichts der relativ ho­ hen Prävalenz dieses Krankheitsbildes jedoch vergleichsweise gering (Stein et al. 2006). Bei den kontrollierten Studien wurden fast ausschließlich Antidepressiva verschiedener Substanzgruppen (SSRI, Noradrenalin-­Wiederaufnahmehemmer, trizyklische Antidepressiva, MAO-Hemmer) ge­

prüft. Die beste Datenlage existiert für die Gruppe der SSRI. Hier konnte eine Wirksamkeit für die Substanzen Sertralin, Paroxetin und Fluoxetin sowohl in Kurzzeitstudien (6–12 Wochen) als auch in Langzeitstudien (6–12 Monate) belegt werden (Asnis et al. 2004). Für Antidepressiva an­ derer Substanzklassen wie Venlafaxin, Mirtaza­ pin und Duloxetin existieren nur wenige kontrol­ lierte Studien, diese zeigen jedoch ebenfalls gute Ergebnisse bzgl. ihrer Wirksamkeit. Widersprüch­ liche Ergebnisse finden sich bei Nefazodon, trizy­ klischen Antidepressiva und MAO-Hemmern. Die teilweise negativen Studienergebnisse haben möglicherweise ihre Ursache in zu niedrigen Do­ sierungen und in zu kurzen Untersuchungsdau­ ern, da die Studien mit längerer Prüfzeit günsti­ gere Ergebnisse zeigten. Allen placebokontrollierten Studien war gemein, dass sich die Symptome bei den Pati­ enten der Placebogruppe praktisch nicht bes­ serten; dies kann als ein Hinweis auf die Betei­ ligung biologischer Prozesse bei PTBS bewertet werden. 19.3.1  Antidepressiva

Die Medikamentengruppe der Antidepressiva ist zur Behandlung vieler unterschiedlicher psychi­ atrischer Störungen von Nutzen. Die Behand­ lung depressiver Störungen ist jedoch die Haupt­ indikation für Antidepressiva, worin sie sich seit nunmehr über 40 Jahren bewährt haben. Andere Indikationen für den Einsatz von Antidepressiva sind z. B. Angst- und Paniksyndrome, Zwangs­ störungen und Schmerzsyndrome. 19.3.1.1  SSRI und andere

serotonerge Antidepressiva

Die SSRI sind eine Gruppe von Antidepressiva, die in den vergangenen Jahren große Bedeu­ tung in der Behandlung depressiver Erkrankun­ gen erlangt haben und mittlerweile weltweit die am häufigsten verordneten Antidepressiva dar­ stellen (Bauer et al. 2013). Darüber hinaus wer­ den SSRI auch bei Zwangs- und Angststörun­ gen mit Erfolg eingesetzt, insbesondere wenn eine Komorbidität von Depression und Angst

369 Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen

..      Tab. 19.1  Leitlinien für den Einsatz von Psychopharmaka bei posttraumatischen Störungen Substanzgruppe

Beispiele (Generika)

Tagesdosis, Therapiedauer

Spezielle Indikationen

Paroxetin

20–50mg

Sertralin

50–200 mg mindestens 8–12 Wochen

PTBS, Depression, Panikattacken, Angst

Citalopram

10–40 mg

Fluoxetin

20–80 mg mindestens 8–12 Wochen

Venlafaxin

75–225 mg

Duloxetin

30–120 mg mindestens 8–12 Wochen

NaSSa

Mirtazapin

30–45 mg mindestens 8–12 Wochen

Depression, ­Panikattacken, Angst

Trizyklika

Amitriptylin, Clomipramin, Doxepin

100–250 mg mindestens 8–12 Wochen

Depression

MAO-­ Hemmer

Moclobemid, ­Tranylcypromin

10–40 mg mindestens 8–12 Wochen

Depression, ­Panikattacken, Angst

Lamotrigin

200–400 mg

Topiramat

25–500 mg mindestens 8–12 Wochen

Depression, ­Panikattacken, Angst

Valproat, Carbamazepin

Dosierung nach Serumspiegel mindestens 8–12 Wochen

Depression, ­Panikattacken, Angst

Antidepressiva SSRI

SSNRI

Depression, ­Panikattacken, Angst

Depression, ­Panikattacken, Angst

Antikonvulsiva

Tranquilizer/Anxiolytika Benzodiazepine

Alprazolam, Lorazepam

1–4 mg nur kurzzeitige Anwendung, 4–8 Wochen

Panikattacken, ­Schlafstörungen

Azapirone

Buspiron

15–60 mg mindestens 6–8 Wochen

Panikattacken, Angst

Risperidon

1–4 mg

Psychotische Symptome

Olanzapin

2,5–20 mg mindestens 6–8 Wochen

Neuroleptika

19

370

M. Bauer et al.

bzw. Zwang vorliegt. Ihre weite Verbreitung ver­ danken die SSRI auch der Tatsache, dass sie we­ niger Nebenwirkungen als trizyklische Antide­ pressiva und MAO-Hemmer verursachen (Bauer et  al. 2013). Was das Indikationsspek­ trum und die Verträglichkeit angeht, sind wei­ tere primär serotonerg wirksame Antidepres­ siva zu nennen, wie Mirtazapin und Nefazodon und die kombinierten selektiven Serotoninund Noradrenalin-­Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin und Duloxetin. Heute werden daher in erster Linie SSRI und andere serotonerg wirksame Antidepres­ siva zur Behandlung der PTBS eingesetzt (Ste­ ckler und Risbrough 2012). Eine Umfrage unter 57 amerikanischen Pharmakotherapieexperten, die auch Erfahrung in der Behandlung der PTBS besitzen, bestätigte, dass SSRI und andere serotonerg wirksame Antidepressiva zu den am häufigsten verordneten Medikamenten in der Behandlung der PTBS gehören (Foa et al. 1999). Tatsächlich wurde die Wirksamkeit von SSRI (Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin) bei PTBS in den vergangenen Jahren wiederholt in großen, placebokontrollierten Doppelblindstudien mit Erfolg geprüft (Stein et al. 2006). In diesen Stu­ dien besserte sich die PTBS-Symptomatik in allen Symptomkategorien; die Verträglichkeit der SSRI war in diesen Studien gut. In den USA sind die beiden Wirkstoffe Sertralin und Paro­ xetin, in Deutschland der Wirkstoff Paroxetin in der Behandlung der PTBS zugelassen.

einer begleitenden schweren Depression bzw. bei Therapieresistenz auf die antidepressive Therapie sei auf die weiterführende Literatur verwiesen (Bauer und Berghöfer 1997; Bauer et al. 2013). Bei Patienten mit PTBS wurden 2 randomi­ sierte placebokontrollierte Doppelblindstudien mit trizyklischen Antidepressiva publiziert. In einer 4-wöchigen Studie verglichen Reist et  al. (1989) Desipramin (mittlere Tagesdosis 165 mg) mit Placebo bei 18 Vietnamkriegsveteranen. Da­ bei zeigte sich in der Desipramingruppe nur bei einigen Depressionssymptomen eine leichte Ver­ besserung; sonst hatte das Antidepressivum kei­ nen Einfluss auf die PTBS-Symptomatik. Patien­ ten der Placebogruppe zeigten ebenfalls keine Besserung. Davidson et al. (1990) fanden in ihrer 8-wöchigen Studie bei 46 amerikanischen Kriegsveteranen (2. Weltkrieg, Korea, Vietnam), dass die Werte auf den Hamilton-­Depressionsund Angstskalen bereits nach 4 Wochen in der Amitriptylingruppe (Dosis bis zu 300 mg/Tag je nach individueller Verträglichkeit) signifikant gesenkt wurden. Darüber hinaus wurden nach 8 Wochen auch solche PTBS-Symptome verbes­ sert, die der anhaltenden Vermeidung von Sti­ muli dienen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen (Vermeidungssymptome; 7 Kap. 2). Kei­ nen Effekt zeigte Amitriptylin hingegen auf die Symptome des Wiedererlebens des Traumas (in­ trusive Symptome). Auch hier ergab sich für Pa­ tienten der Placebogruppe auf keiner Skala eine Symptomverbesserung.

19.3.1.2  Trizyklische Antidepressiva

19.3.1.3  MAO-Hemmer

Trizyklische Antidepressiva (. Tab.  19.1) gehö­ ren zu den bewährtesten Medikamenten in der Depressionsbehandlung. Das generelle Prinzip adäquater Dosierung (Tagesdosis 150  mg) und adäquater Therapiedauer (8–12 Wochen) sollte auch in der Behandlung der PTBS beibehalten werden, bevor der Therapieerfolg beurteilt wer­ den kann. Kommt es darunter zu keiner Besse­ rung, kann der Versuch einer Höherdosierung (Tagesdosis bis 300  mg) unternommen werden. Dabei ist dann mit einer Zunahme der typischen Nebenwirkungen der trizyklischen Antidepres­ siva zu rechnen (z. B. Mundtrockenheit, Verstop­ fung, Blasenentleerungsstörungen, Verschwom­ mensehen). Zum weiteren Vorgehen bei Vorliegen

Die MAO-Hemmer (Monoaminoxidase-Hemm­ stoffe) gehören zur Gruppe der Antidepressiva, die sich insbesondere bei sog. atypischen (Unter­ gruppe depressiver Störungen) und therapiere­ fraktären Depressionen, aber auch bei Panikstö­ rungen bewährt haben. Sie zeichnen sich durch eine relativ gute Verträglichkeit aus, sofern die entsprechenden Diätvorschriften eingehalten werden. Überprüft wurde die Wirksamkeit eines MAO-­Hemmers bei PTBS in der ersten placebo­ kontrollierten Studie bei 13 israelischen Patien­ ten (Shestatzky et  al. 1988). Sie verwendeten Phenelzin – ein in Deutschland derzeit nicht auf dem Markt befindlicher MAO-­ Hemmer, der eine vergleichbare Wirksamkeit mit dem in



19



371 Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen

Deutschland erhältlichen Tranylcypromin auf­ weist  – in einer Tagesdosis von 45–75  mg. Bei den Patienten, die ganz unterschiedliche Trau­ mata aufwiesen (z. B. Kriegserlebnisse, Bomben­ anschlag, Flugzeugabsturz), besserte sich die Symptomatik während der 4-wöchigen Studien­ dauer in beiden Gruppen nur geringfügig. Kos­ ten et  al. (1991) verglichen bei 60 Vietnam­ kriegsveteranen die Wirkung von Phenelzin (mittlere Tagesdosis 68  mg) mit dem trizykli­ schen Antidepressivum Imipramin (mittlere Ta­ gesdosis 225  mg) sowie mit Placebo. Beide Gruppen verbesserten sich während der 8-wö­ chigen Studiendauer in der PTBS-Symptomatik signifikant. Dies traf v.  a. auf die sog. aufdrän­ genden Erinnerungen zu; die Vermeidungssymp­ tome besserten sich jedoch nicht. Auch in dieser Studie fand sich keine Symptomreduktion in der Placebogruppe. In einer aktuellen Metaanalyse zeigten sich in der Gruppe der Antidepressiva die höchsten Wirksamkeitseffekte für Phenelzin (Cipriani et al. 2017). Die neueren, reversiblen Monoaminoxi­ dase-­A-Hemmstoffe (RIMA) haben gegenüber den älteren MAO-­Hemmstoffen den Vorteil, dass keine Diätvorschriften eingehalten werden müssen. Allerdings gilt diese Substanzgruppe in der klinischen Praxis der medikamentösen Depressionstherapie als wirksamkeitsschwä­ cher im Vergleich mit den irreversiblen MAOHemmstoffen wie z. B. Tranylcypromin. In ei­ ner offenen Studie mit Moclobemid zeigte sich eine deutliche Wirksamkeit in der Behand­ lung der PTBS (Neal et al. 1997). Bei einer mul­ tizentrischen Doppelblindstudie in den USA wurde hingegen im Vergleich mit Placebo keine Wirksamkeit des RIMA-­ Antidepressivums Brofaromin, das in Deutschland nicht auf dem Markt ist, festgestellt (Baker et al. 1995). 19.3.2  Tranquilizer/Anxiolytika 19.3.2.1

Benzodiazepine

Benzodiazepine gehören zu den am häufigsten eingesetzten Psychopharmaka. Hauptindikati­ onen sind die Behandlung von Angst-, Span­ nungs- und Erregungszuständen sowie die Be­

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handlung von Schlafstörungen. Die Vorteile dieser Substanzklasse sind (Hollweg und Soyka 1996): 55 relativ große therapeutische Breite, 55 sehr gute Verträglichkeit, 55 fehlende Arzneimittelinteraktionen. Nachteilig ist das relativ hohe Abhängigkeits­ potenzial, weswegen die Zahl der Verordnun­ gen in den vergangenen Jahren deutlich zu­ rückgegangen ist. Wegen des Risikos der Entwicklung einer Abhängigkeit sollten Benzodiazepine daher in der Regel nicht länger als durchgehend 4–8 Wochen verordnet werden. Von einigen Auto­ ren wird vor dem Gebrauch von Benzodiazepi­ nen bei PTBS gewarnt oder sogar prinzipiell abgeraten (Friedman 1988). Der Grund hier­ für liegt nicht nur in den Risiken einer Abhän­ gigkeitsentwicklung, sondern auch in den ne­ gativen Ergebnissen kontrollierter Studien. So konnte in einer randomisierten Doppelblind­ studie bei Patienten mit chronischer PTBS kein signifikanter Unterschied zwischen Alprazo­ lam und Placebo festgestellt werden (Braun et al. 1990). In einer anderen prospektiven Stu­ die waren unmittelbar nach einem Trauma we­ der Alprazolam noch Clonazepam besser als Placebo (Gelpin et  al. 1996). Andere Autoren lehnen Benzodiazepine nicht generell ab und empfehlen die Hinzugabe von Benzodiazepi­ nen zu einem Antidepressivum z.  B. dann, wenn frei flottierende Angst persistiert (David­ son 1992; van der Kolk und Greenberg 1987) oder die Behandlung mit Antidepressiva zu keinem Erfolg geführt hat (Foa et al. 1999). >> Auf keinen Fall sollten Patienten mit Benzodiazepinen behandelt werden, die gegenwärtig oder in der Vorgeschichte einen Substanzmissbrauch oder eine Substanzabhängigkeit aufweisen oder zu einer Risikogruppe für Abhängigkeitsentwicklungen gehören (z. B. Alkoholoder Drogenabhängigkeit in der Familie).

Unverzichtbar vor Therapiebeginn mit Benzo­ diazepinen ist die ärztliche Aufklärung des Pati­ enten über Abhängigkeitsrisiken und Entzugs­

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M. Bauer et al.

erscheinungen bei längerfristiger Einnahme. Manche Patienten mit einem Missbrauch oder einer Abhängigkeit von Benzodiazepinen be­ richten hierüber spontan nur ungern oder gar nicht. Eine gezielte Exploration und eine Beach­ tung möglicher Benzodiazepineffekte (insbe­ sondere starke Sedierung) sind deshalb uner­ lässlich. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Benzodiazepine zwar rezeptpflichtig sind, von einigen Ärzten aber immer noch relativ leicht­ fertig verschrieben werden und daher auch leicht beschafft werden können. Falls bei abhän­ gigkeitsgefährdeten Patienten mit PTBS eine pharmakologische Behandlung indiziert ist, sollten Antidepressiva verordnet werden. 19.3.2.2  Buspiron

Buspiron, ein Anxiolytikum aus der Stoffgruppe der Azapirone mit serotoninagonistischen Ei­ genschaften, wird primär zur Behandlung der generalisierten Angststörung eingesetzt und ist inzwischen in Nordamerika das am häufigsten verordnete Anxiolytikum. Auch bei Patienten mit PTBS wird es häufig eingesetzt, z. B. als Zu­ satzmedikation zu einem Antidepressivum (Foa et al. 1999). Da bei Buspiron bislang keine Abhängigkeitsentwicklungen bekannt gewor­ den sind, kann es im Gegensatz zu Benzo­ diazepinen bei PTBS ohne Befürchtung einer möglichen Abhängigkeit eingesetzt werden. Empirische Studien zu Buspiron in der Behand­ lung von Patienten mit PTBS gibt es jedoch nur wenige: In einer kleinen 8-wöchigen placebo­ kontrollierten Studie zeigte es keine signifikante Verbesserung der PTBS-Symptomatik im Ver­ gleich zum Placebo (Becker et al. 2007).

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55 in der prophylaktischen Behandlung von affektiven Erkrankungen – insbesondere bei manisch-depressiven (bipolaren) Störungen und rezidivierenden depressi­ ven Störungen – sowie 55 in der Behandlung der akuten Manie – neben den bewährten Lithiumsalzen. Antikonvulsiva und Lithium werden heute in der internationalen Literatur bevorzugt als die Gruppe der „Mood Stabilizer“ zusammenge­ fasst. Die Dosierung dieser Substanzen erfolgt – mit Ausnahme von Lamotrigin  – nicht nach einem festen Regime, sondern in Abhängigkeit vom Medikamentenspiegel im Blut. Dieser ist deshalb regelmäßig und bei Lithium, wegen der geringen therapeutischen Breite, besonders engmaschig zu bestimmen. Anzustreben sind Serumspiegel von 0,5–0,8 mmol/l für Lithium, 5–12 mg/l für Carbamazepin und 50–100 mg/l für Valproat. Als mögliche Nebenwirkungen können nach Bauer et al. (2015) auftreten: 55 bei Lithium hauptsächlich Tremor, häufiges Wasserlassen und Gewichtszu­ nahme, 55 bei Carbamazepin am häufigsten Übelkeit, Hautausschläge und Schwindel, 55 bei Valproat v. a. Übelkeit, 55 bei Lamotrigin v. a. Hautausschläge, Schwindel und Kopfschmerzen.

Der Gebrauch von Antikonvulsiva wurde von theoretischen Überlegungen abgeleitet, wo­ nach das sog. „Kindling“ als pathophysiologi­ scher Prozess der PTBS-Symptomatik zu­ grunde liegen könnte (van der Kolk und Greenberg 1987). Das Modell des „Kindling“ 19.3.3  Antikonvulsiva und Lithium beinhaltet die Hypothese, dass die wiederholte Präsentation unterschwelliger Reize das limbi­ Antikonvulsiva sind Medikamente, die ihre sche System sensibilisiert und es dadurch Hauptindikation in der Behandlung von Epi­ zu erniedrigter neuronaler Aktivität kommt. lepsien haben. Aus dieser Gruppe haben 3 Demnach würden Substanzen mit bekannter Substanzen (Carbamazepin, Valproat und La­ Anti-Kindling-Wirkung wie Carbamazepin motrigin) in den vergangenen Jahren zuneh­ und Valproat eine durch wiederholte Stresso­ mend an Bedeutung gewonnen (Müller-­ ren verursachte abnorme Aktivität limbischer Neurone dämpfen (Post und Weiss 1989). Oerlinghausen et al. 2002):

373 Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen

Antikonvulsive Substanzen wie Lamotrigin, Topiramat und Tiagabin wurden bisher in pla­ cebokontrollierten Studien mit unterschiedli­ chem Erfolg geprüft. Andere Substanzen aus der Gruppe der Antikonvulsiva (Carbamaze­ pin, Gabapentin, Vigabatrin, Phenytoin, Leveti­ racetam und Valproat) wie auch Lithium wur­ den bei Patienten mit PTBS bisher nur in offenen, unkontrollierten Studien untersucht. Lamotrigin und Topiramat wurden in relativ kleinen placebokontrollierten Studien als Mo­ notherapie bei PTBS mit Erfolg geprüft. Lamo­ trigin war bei den Hauptsymptomgruppen „Er­ innerungsdruck“ und „Vermeidung/emotionale Taubheit“ dem Placebo signifikant überlegen, Topiramat nur bei der Hauptsymptomgruppe „Erinnerungsdruck“ (Berlin 2007; Berger et al. 2009). Einige Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse auch bei anderen Substanzen dieser Klasse, allerdings haben alle bisher veröffent­ lichten Studien mit Antikonvulsiva sehr kleine Patientenzahlen, sehr heterogene Patienten­ gruppen und hohe Komorbiditätsraten. Trotz dieser geringen Wirksamkeitsevidenz belegen neuere Daten bei US-amerikanischen Kriegs­ veteranen mit PTBS, dass Antikonvulsiva bei dieser Patientengruppe sehr häufig eingesetzt werden (Shiner et  al. 2017). Die Autoren ver­ muten, dass dieser weit verbreitete Einsatz (>50 %) auf die hohen Komorbiditätsraten (ins­ besondere Kopf- und andere Schmerzsyn­ drome) zurückzuführen ist. 19.3.4  Antipsychotika

Der Einsatz von Antipsychotika (Gruppe von antipsychotisch wirksamen Substanzen, auch als Neuroleptika bezeichnet) bei Patienten mit PTBS wurde traditionell in der Literatur auf­ grund der Studienlage eher zurückhaltend be­ urteilt (Davidson 1992; Friedman 1988). Die heutige weite Verbreitung dieser Substanz­ gruppe, insbesondere die der sog. atypischen Antipsychotika, auch außerhalb der traditio­ nellen antipsychotischen Indikationen (be­ gründet aufgrund relativ guter Verträglichkeit im Vergleich zu klassischen Neuroleptika und

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Wirksamkeit bei depressiven und Angstsyn­ dromen sowie Schlafstörungen), hat dazu ge­ führt, dass ihr Einsatz bei Kriegsveteranen mit PTBS relativ weite Verbreitung, insbesondere in den USA, gefunden hat (Nobles et  al. 2017). Eine neue 12-wöchige placebokontrollierte Stu­ die bei US-amerikanischen Kriegsveteranen mit PTBS zeigte statistisch signifikante Effekte von Quetiapin (Monotherapie; mittlere Studi­ endosis ca. 250 mg) auf die Kernsymptomatik der Störung (Villarreal et  al. 2016). Mit den Atypika Risperidon und Olanzapin wurden ebenfalls placebokontrollierte Studien publi­ ziert, davon nur einzelne unter Verwendung der Wirkstoffe in Monotherapie. Beide Wirk­ stoffe zeigten im Vergleich zu den Placebogrup­ pen signifikante Besserungen in den spezifi­ schen Skalen, was v.  a. auf die Besserung der Symptome Intrusionen und Hypervigilanz zu­ rückzuführen war (Pae et al. 2008; Berger et al. 2009; Ahearn et al. 2011). Zu anderen Wirkstof­ fen aus der Gruppe der atypischen Neurolep­ tika wie Aripiprazol und Ziprasidon gibt es bis­ her nur offene Studien und Einzelfallberichte. Indikationen zur Verordnung von Antipsy­ chotika sind v.  a. gegeben, wenn psychotische Symptome (z. B. Paranoia, visuelle und auditive Halluzinationen von den traumatischen Erleb­ nissen) oder aggressives Verhalten auftreten. Hierbei bieten sich aufgrund des Nebenwir­ kungsprofils die neueren, relativ gut verträgli­ chen atypischen Antipsychotika (z.  B.  Aripi­ prazol, Olanzapin, Risperidon, Quetiapin) an. Besonders wichtig ist jedoch bei dieser Wirk­ stoffklasse das Monitoring der potenziellen Nebenwirkungen, v.  a. was metabolische Ef­ fekte (u. a. Gewichtszunahme) betrifft. 19.3.5  Alternativen

Prazosin, Propanolol, Guanfacine und Cloni­ din sind Wirkstoffe, die aufgrund ihrer anti­ adrenergen Wirkung in einigen wenigen klei­ nen Studien bei Patienten mit PTBS untersucht wurden. Dabei zeigte v. a. Prazosin gute Effekte bezüglich einer Verbesserung von Schlafstö­ rungen und Albträumen (Berger et  al. 2009;

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M. Bauer et al.

Steckler und Risbrough 2012). Theoretischer Hintergrund ist die Annahme einer noradre­ nergen Überstimulation im Rahmen der PTBS als Ursache von Symptomatik. Eine große ran­ domisierte, placebokontrollierte Studie (n = 304) zeigte allerdings keine signifikanten Ef­ fekte für Prazosin bei den Hauptzielsymptomen Albträume und Schlafstörungen bei US-Kriegs­ veteranen mit PTBS (Raskind et al. 2018). Die Anwendung von Opioidantagonisten wie Nalmefen und Naltrexon zeigte bisher wi­ dersprüchliche Ergebnisse (Berger et al. 2009). Zum Teil werden auch primär/prospektive (vor einem Trauma) und ­sekundär/retrospek­ tive (nach einem Trauma, jedoch vor Manifes­ tation der PTBS) präventive pharmakologische Ansätze verfolgt. Untersucht wurde bisher v. a. die Gabe von Hydrocortison bei Hochrisiko­ populationen (z. B. Patienten auf Intensivstati­ onen; Steckler und Risbrough 2012). 19.4  Psychopharmakotherapie

weiterer Traumafolgestörungen

19

Neben der posttraumatischen Belastungsstö­ rung (PTBS) finden sich in den aktuellen Dia­ gnosekriterien (ICD-10, DSM-5) noch weitere Störungen, die mehr oder weniger direkt einem Trauma folgen können. Zu erwähnen ist hier als direkte Traumafolgestörung insbesondere die „akute Belastungsreaktion“, die sich von der PTBS dadurch unterscheidet, dass das Symp­ tommuster, das vergleichbar dem einer PTBS ist, zumeist direkt nach dem Trauma auftritt, mindestens 3 Tage andauern und binnen eines Monats nach dem Trauma remittiert sein muss  – anderenfalls muss die Diagnose einer akuten Belastungsreaktion in die einer PTBS geändert werden – sofern neben dem Zeitkrite­ rium auch deren weitere Kriterien erfüllt sind. Vor dem Hintergrund der Datenlage emp­ fehlen die „Guidelines for the Management of Conditions Specifically Related to Stress“ der WHO von 2013, dass weder Benzodiazepine noch Antidepressiva während des ersten Mo­ nats nach einem potenziell traumatischen Er­

eignis Kindern, Jugendlichen oder Erwachse­ nen angeboten werden sollten, um die Symp-­ tome einer akuten Belastungsreaktion zu lin­ dern, (auch) wenn diese mit signifikanter Beeinträchtigung im täglichen Leben assozi­ iert sind (WHO 2013). Trotz niedriger Evi­ denzqualität ist die diesbezügliche Empfehlung der WHO in Bezug auf Benzodiazepine ein­ deutig („Strength of recommendation: strong“) und gilt auch für eine im Zusammenhang mit einem Trauma sich entwickelt habende Insom­ nie. Diese Empfehlung ist im Einklang mit ei­ ner Cochrane Analyse (Amos et al. 2014), die keinen Nutzen von Propranolol, Escitalopram, Temazepam oder Gabapentin bzgl. der Prä­ vention einer PTBS finden konnte, jedoch ge­ nauso wie eine weitere Metaanalyse (Sijbrandij et al. 2015) Anhaltspunkte für eine Wirksam­ keit von Hydrocortison bzgl. der Entwicklung einer PTBS fand. Eine aktuelle randomisierte kontrollierte Studie fand zudem Anhalts­ punkte für die Wirksamkeit von intranasal ver­ abreichtem Oxytocin bzgl. der Prävention ei­ ner PTBS in der Untergruppe von Patienten mit einer hohen PTBS-Symptomlast in der Clinician-­Administered PTBS Scale (CAPS), wohingegen sich in der gesamten Patienten­ population kein signifikanter Unterschied zeigte (van Zuiden et al. 2017). Wie sollte angesichts der oben dargestellten (schmalen) Datenlage im klinischen Alltag vor­ gegangen werden, wenn Symptome einer akuten Belastungsreaktion wie beispielsweise Durchschlafstörungen mit wiederkehrenden belastenden traumaassoziierten Träumen vor­ handen und mit signifikanter Beeinträchtigung vergesellschaftet sind, sowie von dem Betroffe­ nen eine medikamentöse Hilfe erbeten wird? Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, atypi­ sche Antipsychotika wie Olanzapin (Carey et al. 2012), die sich in der PTBS-­Behandlung hin­ sichtlich dieser Symptomatik bewährt haben, off-label einzusetzen und diese dann abhängig von der klinischen Symptomatik zeitnah wie­ der schrittweise reduzierend auszuschleichen, bevor oftmals anzutreffende beeinträchtigende Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme kli­ nisch relevant werden. Auch ist zu diskutieren,

375 Psychopharmakotherapie von Traumafolgestörungen

ob zugelassene Behandlungsoptionen wie Ser­ tralin oder Paroxetin bei absehbarem Übergang in eine PTBS nicht doch auch schon während der akuten Belastungsreaktion zum Einsatz kommen sollten, wenn absehbar ist, dass die Symptomatik binnen eines Monates nach dem Trauma nicht remittiert sein wird. Auch könnte ein solches Vorgehen in den Fällen zu diskutie­ ren sein, in denen die Symptomatik der akuten Belastungsreaktion teilweise über den Zeit­ raum eines Monats nach dem Trauma weiter fortbesteht und in signifikanter Form beein­ trächtigend ist, die vollständigen Kriterien ei­ ner PTBS jedoch nicht erfüllt sind, sodass hier die Diagnose einer Anpassungsstörung zu ver­ geben ist. In einem solchen Fall wäre dann der Einsatz der für die PTBS zugelassenen Medika­ mente Sertralin und Paroxetin allerdings off-la­ bel – es sei denn, die Kriterien für eine depres­ sive Episode, mit einem Trauma als einem Risikofaktor hierfür, wären gleichzeitig erfüllt. Neben der akuten Belastungsreaktion so­ wie der PTBS ist des Weiteren die „Anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelas­ tung“ im Kontext von direkten Traumafolge­ störungen zu nennen (ICD-10: F62.0). Im ICD-10 besteht hierbei eine „andauernde, we­ nigstens über zwei Jahre bestehende Persön­ lichkeitsänderung“ nach „einer Belastung ka­ tastrophalen Ausmaßes“. Hierbei wird gefordert, dass die Belastung „extrem sein muss“, so „dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss.“ Charakterisiert ist die Störung „durch eine feindliche oder misstrauische Hal­ tung gegenüber der Welt, durch sozialen Rück­ zug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosig­ keit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfrem­ dungsgefühl“. Eine PTBS (ICD-10: F43.1) kann hierbei der Persönlichkeitsänderung vo­ rausgehen. Im ICD-11 taucht diese Störung allerdings nicht mehr auf, sondern wird über­ führt in das Konzept der „komplexen posttraumatischen Belastungsstörung“ (Giourou et  al. 2018). Für die Diagnosestellung ist hierbei erforderlich, dass die Diagnosekrite­

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rien der PTBS im Verlauf einmal vorgelegen haben müssen; zudem ist die Störung jedoch gekennzeichnet durch schwere und tiefgrei­ fende Probleme der Affektregulation, eine tief­ greifende Überzeugung, dass eigene Selbst sei minderwertig, beschädigt oder wertlos sowie durch anhaltende Schwierigkeiten in der Auf­ rechterhaltung von Beziehungen und dem Ge­ fühl, anderen nahe zu sein (Maercker und Augsburger 2017). Evidenzbasierte auf klini­ schen Studien basierende Empfehlungen so­ wohl bzgl. der Psychopharmakotherapie der anhaltenden Persönlichkeitsstörung nach Ex­ trembelastung als auch der komplexen post­ traumatischen Belastungsstörung existieren nicht bzw. noch nicht. Aktuell ist jedoch auch hier ein symptomorientiertes, sich an der Be­ handlung der PTBS orientierendes Vorgehen zu empfehlen. 19.5  Abschließende Betrachtung

Die PTBS wie auch die weiteren oben darge­ stellten Traumafolgestörungen sind pharma­ kotherapeutisch schwierig zu behandelnde Er­ krankungen. Weitere Studien zu Ätiologie und Pathophysiologie dieser Störungen bringen möglicherweise neue Erkenntnisse für die Be­ handlung. Nach dem gegenwärtigen Kenntnis­ stand stellt die Psychopharmakotherapie jedoch eine sinnvolle Ergänzung im Gesamtbehand­ lungsplan posttraumatischer Störungen dar, die insbesondere bei schweren PTBS-Syndromen mit Übererregbarkeit, Panikattacken und de­ pressiver Symptomatik möglichst in Kombina­ tion mit Psychotherapie indiziert ist. Medika­ mente der 1. Wahl bei der posttraumatischen Belastungsstörung sind Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI (z.  B.  Sertralin, Paroxetin) oder pharmakologisch ähnliche Substanzen (z.  B.  Mirtazapin, Venlafaxin, Duloxetin). Sie zeigen eine gute Wirksamkeit bzgl. aller 3 Symp­ tomcluster bei guter Verträglichkeit. Bei Un­ wirksamkeit oder Unverträglichkeit dieser Medikamente ist an den Einsatz anderer Anti­ depressivaklassen (trizyklische Antidepressiva oder MAO-­Hemmstoffe) zu denken. „Mood

376

M. Bauer et al.

Stabilizer“ (Lithium, Antikonvulsiva) stellen eine weitere Alternative dar, die auch in Kom­ bination mit einem Antidepressivum i. S. der Augmentation verordnet werden können. Bei besonders schweren Verläufen oder Auftreten von psychotischen Symptomen sollte auch der Einsatz eines atypischen Neuroleptikums in Er­ wägung gezogen werden. Ein pharmakothe­ rapeutischer Behandlungsversuch sollte sich über mindestens 8–12 Wochen erstrecken (. Tab.  19.1) und bei Therapieerfolg für min­ destens ein Jahr weitergeführt werden.  

>> Abschließend ist auf den wesentlichen Umstand hinzuweisen, dass gerade wegen des noch begrenzten Wissens über die möglichen Effekte unterschiedlicher Psychopharmakotherapien bei Patienten mit PTBS eine solche Behandlung stets von einem Arzt durchgeführt werden sollte, der sowohl allgemein mit der Psychopharmakotherapie gut vertraut ist als auch speziell mit der jeweils eingesetzten Substanz über entsprechende Erfahrungen verfügt.

Wenn psychopharmakologisch (mit-)behandelt wird, wird es im Einzelfall dazu führen, dass mehrere Behandler für den gleichen Patienten zuständig sind (z. B. Hausarzt, Psychotherapeut und psychiatrischer Facharzt). Eine solche Kon­ stellation muss ggf. in Kauf genommen werden, um dem Patienten eine kompetente Therapie anbieten zu können; sie erfordert jedoch klare Absprachen und entsprechende Rückmeldun­ gen der beteiligten Therapeuten/Ärzte.

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379

Therapie der anhaltenden Trauerstörung R. Rosner und H. Comtesse 20.1

Systematik – 380

20.2

Therapieansätze – 380

20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4 20.2.5 20.2.6

 omplicated Grief Treatment – 382 C Kognitive Verhaltenstherapie – 383 Kognitive Therapie mit Konfrontation – 384 Integrative kognitive Verhaltenstherapie – 384 Internetbasierte kognitive Verhaltenstherapie – 387 Weitere Therapieansätze bei anhaltender Trauerstörung – 388

20.3

Wirksamkeit – 389 Literatur – 390

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_20

20

380

R. Rosner und H. Comtesse

20.1  Systematik

Psychotherapeutische Interventionen bei anhaltender Trauerstörung (ATS) sind von unspezifischen Interventionen bei normal Trauernden zu unterscheiden. Unspezifische Interventionen sind an alle Hinterbliebenen (universelle Prävention) oder Hochrisikogruppen (z.  B. verwaiste Eltern) für die Entwicklung einer ATS (indizierte Prävention) gerichtet und finden in ersten Wochen und Monaten, vereinzelt aber auch mehrere Jahre nach dem Verlust statt. Metaanalysen zu Interventionen bei Trauer zeigen allerdings, dass unspezifische Interventionen für Trauerende ohne entsprechende Indikation maximal kleine Effekte erzielen oder sogar negative Effekte auf den normalen Trauerprozess haben (Currier et al. 2008; Wittouck et al. 2011). Demnach sind psychotherapeutische Interventionen nur bei Vorliegen einer ATS angezeigt. Insbesondere kognitiv-­verhaltenstherapeutische Ansätze zur Behandlung der ATS wurden in den letzten Jahren in mehreren Zentren entwickelt. Sie zielen auf eine Reduktion von trauerbezogenen dysfunktionalen Gedanken, Intrusionen und Vermeidungsverhalten ab (z. B. Boelen et  al. 2007). Entsprechend erzielen die Ansätze v. a. dann eine Reduktion dieser Trauersymptomatik, wenn sie Techniken zur Konfrontation mit vermiedenen Erinnerungen oder Situationen sowie zur kognitiven Arbeit an trauerbezogenen dysfunktionalen Kognitionen oder Schuldbefühlen beinhalten. Zur Orientierung bietet es sich an, die Behandlungsansätze anhand der jeweils verwendeten therapeutischen Methoden einzuordnen (. Tab. 20.1). Zugleich ist eine aktuelle Entwicklung von Therapiemethoden festzustellen, die bewährte therapeutische Ansätze für Trauer adaptieren (z.  B.  Verhaltensaktivierung zur Reduktion von sozialem Rückzug; Papa et al. 2013; metakognitive Ansätze; Wenn et al. 2015; Present Centered Therapy; Nocon und Rosner 2017). Weiterhin konnten manche Therapieansätze zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörungen auch eine kleine bis moderate Reduktion einer komorbiden Trauersymptomatik im Sinne einer sekundären Ergebnisvariab 

20

len erreichen. Da eine ausführliche Darstellung solcher traumafokussierter Ansätze den Rahmen dieses Kapitels überschreiten würde, werden hier nur spezifische Ansätze zur Behandlung der ATS vorgestellt, die auf die Trauersymptomatik als primäre Ergebnisvariable abzielen und das Vorliegen der ATS als Ein­ gangskriterium für die Behandlung voraussetzen. 20.2  Therapieansätze

Grundsätzlich sollte eine Therapie der ATS auf einer ausführlichen Diagnostik unter Einsatz strukturierter Interviews aufbauen, denn eine Therapie ist nur bei Vorliegen einer ATS, also frühestens 6 Monate nach dem Verlust indiziert. Weiterhin sollte bekannt sein, welche Bedingungen die Trauersymptomatik aufrechterhaltenden. Zu Beginn der Trauertherapie stehen Beziehungsgestaltung und Informationsvermittlung im Vordergrund. Viele Patienten haben die Befürchtung, die verstorbene Person durch die Therapie zu vergessen oder die Bedeutsamkeit der verstorbenen Person nicht mehr würdigen zu können. Deshalb sollte der Vorstellung und Wertschätzung der verstorbenen Person und des erlebten Verlusts anfangs ausreichend Zeit eingeräumt werden. In Anlehnung an die Bindungstheorie (Bowlby 1980) und das duale Prozessmodell (Stroebe und Schut 1999) zielen Trauerinterventionen auf die Veränderung der Beziehung zur verstorbenen Person („continuing bonds“), nicht aber deren Abbruch. Es geht somit sowohl um die emotionale Trauerverarbeitung als auch um die Anpassung der Hinterbliebenen an ihre neue Lebenssituation. Anschließend wird der Unterschied zwischen normaler und anhaltender Trauer erläutert, und es werden auf Basis eines individuellen Störungsmodells konkrete Ziele für das weitere Vorgehen festgelegt. Daneben ist zu berücksichtigen, dass häufig komorbide psychische Störungen vorliegen. Ko­ gnitive Interventionen dienen der Modifikation dysfunktionaler trauerbezogener Kognitionen

381 Therapie der anhaltenden Trauerstörung

20

..      Tab. 20.1  Schematische Einteilung kognitiv-verhaltenstherapeutischer Therapieansätze bei anhaltender Trauerstörung Therapiemethoden Therapieansatz

Trauerkonfrontation

Kognitive Umstrukturierung

Weitere therapeutische Methoden

Complicated Grief Treatment (Shear et al. 2001)

+



Techniken der interpersonellen Therapie

Kognitive Verhaltenstherapie (Boelen et al. 2007)

+

+

Verhaltensaktivierung

Kognitive Therapie mit Konfrontation (Bryant et al. 2014)

+

+



Integrative kognitive Verhaltenstherapie (Rosner et al. 2015b)

+

+

Techniken der systemischen Therapie und Gestalttherapie

Internetbasierte kognitive Verhaltenstherapie (Wagner et al. 2005)

+

+

Social Sharing

(z. B. „Wenn ich weniger stark trauere als jetzt, dann verrate ich sie“, „Ich kann nie wieder glücklich sein“) oder Schuldgefühle (z. B. „Hätte ich das getan, wäre sie noch hier“). In einer Exposition werden bisher vermiedene schmerzhafte Aspekte des Verlusts (z.  B.  Erhalt der Todesnachricht) oder verlustbezogene Situationen oder Aktivitäten, die mit der verstorbenen Person oder den Todesumständen in Zusammenhang stehen, herausgearbeitet und kognitiv nachbearbeitet. Am Ende der Therapie stehen der Aufbau positiver und tröstender Erinnerungen an die verstorbene Person, die Entwicklung von Lebenszielen oder Aufnahme neuer Aktivitäten und die Rückfallprophylaxe im Vordergrund. Behandlungsgrundsätze 55 Vor Beginn einer Intervention steht eine strukturierte Diagnostik. Bei einem freien klinischen Interview besteht die Gefahr der Überschätzung einer Trauersymptomatik. 55 Nur bei Vorliegen einer anhaltenden Trauersymptomatik ist eine

Intervention angezeigt – und damit frühestens 6 Monate nach dem Todesfall. 55 Pharmakotherapie hat kaum Effekte auf die Trauersymptomatik und ist nur bei starker komorbider depressiver Symptomatik angezeigt (7 Abschn. 20.3). 55 Explizite Wertschätzung des Verstorbenen und des erlebten Verlusts ist die Grundlage für die nötige Veränderungsmotivation. 55 In der Psychoedukation wird ein plausibles individuelles Störungsmodell erarbeitet. 55 Aus dem Störungsmodell ergeben sich kognitive Interventionen (Umstrukturierung), um flexibleres Coping zu erreichen. 55 In einer Exposition (meist in sensu) werden vermiedene Aspekte des Verlusts herausgearbeitet und kognitiv nachbearbeitet. 55 Etablierung oder Wiederaufnahme von Zielen und Aktivitäten fördern die Anpassung an die neue Lebenssituation.  

382

R. Rosner und H. Comtesse

20.2.1  Complicated Grief

Treatment

Der Ansatz des „Complicated Grief Treatment“ (CGT) stützt sich auf die Bindungstheorie und das duale Prozessmodell (Stroebe und Schut 1999) und verfolgt 3 Ziele (Shear et al. 2001): 55 Akzeptanz des Verlustes, 55 Reorganisation der Bindung zur verstorbenen Person, 55 neue Lebensziele.

20

Dazu werden Techniken der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung nach Foa und Rothbaum (2001) mit Elementen der interpersonellen Therapie (IPT) kombiniert. Insgesamt besteht das CGT aus 4 Therapiephasen mit insgesamt 14–18 Doppelstunden (Shear et  al. 2001, 2005). In Phase 1 werden zunächst die Beziehung zur verstorbenen Person, Todesumstände und Trauersymptomatik umfangreich beschrieben. Weiterhin werden zusammen mit dem Patienten individuelle Ziele und Wege zur Zie­ lerreichung entwickelt. Die Autoren (Shear et al. 2011) betonen, dass sich manche Hinterbliebene nur ungern in Therapie begeben und daher ungern dem Behandlungsrational folgen. Aus diesem Grund werden Aspekte der motivationsfördernden Interviewmethoden verwendet, um eine mögliche Ambivalenz aufzudecken und aufzulösen. Diese Vorgehensweise wird während der gesamten Therapie beibehalten. Da sich Patienten mit ATS häufig von Freunden und Verwandten isoliert haben, wird in einer der Sitzungen eine nahestehende Person hinzugezogen, die auch an einigen der Expositionsübungen teilnimmt. Dieses Vorgehen dient der Stärkung oder Wiederherstellung des sozialen Unterstützungssystems. Die 2. Phase der CGT dauert ca. 6 Sitzungen und enthält die eigentliche aktive Behandlung der Kernsymptome der ATS. Dabei wird eine Exposition in sensu verwendet (angelehnt an Foa und Rothbaum 2001), die sich zumeist auf den eigentlichen Verlust (z. B. Vorstellungen dazu, wie der Unfall abgelaufen sein

könnte, wie der Verstorbene kurz vor dem Tod gelitten hat) oder die Todesumstände bezieht (z.  B.  Eingang der Todesnachricht, Beerdigung). Die einzelnen Expositionen werden innerhalb kurzer Zeit immer wieder wiederholt, solange, bis die emotionale Intensität des Erlebens nachlässt (vgl. Foa und Rothbaum 2001). Während die ersten Expositionen für den Patienten sehr schmerzhaft sind, verringert sich die Belastung meist relativ schnell, und die Exposition wird nur noch für die am intensivsten erlebten Gedanken und Erinnerungen wiederholt. Weiterhin wird diese Exposition mit einer Intervention zur Verhaltensänderung kombiniert, die ähnlich einer Konfrontation in vivo durchgeführt wird und auf Vermeidungsverhalten im Hinblick auf verlustbezogene Situationen oder Aktivitäten fokussiert. Mit der erfolgreichen Exposition kommt es zu einer kohärenteren und vollständigeren Narration des Verlustereignisses. Dies führt wiederum zu einer Verringerung der Verwirrung über den Tod und letztlich zur Akzeptanz des Geschehens. Schuld, Scham und andere für den Patienten unangenehme Emotionen und Kognitionen, die während der Exposition auftauchen, werden dadurch neu bewertet. Eine andere Problematik ist die übermäßige Beschäftigung mit den Begleitumständen des Verlusts und Erinnerungen an die verstorbene Person. Dieses Verhalten schützt zwar vor schmerzhaften Verlustgefühlen, verhindert aber, dass sich die Patienten wieder auf soziale Aktivitäten und Beziehungen einlassen. In diesem Fall zielen die Expositionsübungen auf die Anerkennung der Realität des Verlustes, Trennungsängste und Schuldgefühle ab. Ein weiteres Ziel der Behandlung ist der Aufbau von positiven und tröstlichen Erinnerungen an die verstorbene Person, um eine Neubewertung des Verlustes zu erreichen. Manchmal entwickeln sich diese positiven Erinnerungen nach den Expositionsübungen spontan, manchmal müssen diese therapeutisch stimuliert werden. Im letzteren Falle bittet der Therapeut den Patienten, Bilder des Verstorbenen mitzubringen. Erinnerungen werden besprochen, und der Therapeut betont positive und tröstliche Aspekte.

383 Therapie der anhaltenden Trauerstörung

In Phase 3 werden die bisher erreichten Therapieziele bilanziert, und in Phase 4 wird weiter mit Exposition gearbeitet, oder es werden IPT-Interventionen bezogen auf Rollenübergänge verwendet. In einer ersten Wirksamkeitsstudie nutzen Shear et  al. (2005) die IPT als Kontrollbedingung. 95 Personen wurden in die CGT- oder IPT-Bedingung randomisiert. Beim Vergleich der beiden Therapieformen zeigten sich hohe Abbruchraten (um die 26  % in beiden Bedingungen). In der Completer-Analyse zeigte sich eine Überlegenheit der CGT.  Allerdings profitierten nur 51 % der Teilnehmer von der Intervention. Mit dem gleichen Versuchsaufbau wurde die CGT für hinterbliebene Senioren evaluiert (Shear et  al. 2014). Die Ergebnisse zeigten auch in dieser spezifischen Trauergruppe eine signifikante Reduktion der Trauersymptomatik. In einer weiteren kontrollierten Studie wurde die Wirksamkeit der CGT in Kombination mit einer pharmakologischen Behandlung geprüft (Shear et al. 2016). Dabei wurden 395 Patienten in 4 Bedingungen randomisiert: Citalopram, Placebo, CGT + Citalopram und CGT + Placebo. Dabei zeigte sich CGT + Placebo der reinen Placebobedingung überlegen. Die Kombination CGT und Citalopram war der reinen CGT-Bedingung nicht überlegen. Citalopram war der Placebobedingung nicht überlegen. Nur komorbide depressive Symptome verbesserten sich signifikant, wenn die Psychotherapie mit Citalopram kombiniert wurde. Supiano und Luptak (2013) haben die CGT für ein Gruppensetting adaptiert. 39 Personen wurden entweder in die CGT-­Gruppe (CGGT) oder eine supportive Gruppentherapie randomisiert. CGGT war im kontrollierten Vergleich überlegen (d  =  1.34). Die Abbruchrate der CGGT lag bei 51 % und die in der supportiven Gruppe bei 25 %. Als mögliche Mediatoren des Behandlungserfolgs des CGT werden die Reduktion von Schuldgefühlen, der negativen Zukunftsbewertung und des Vermeidungsverhaltens diskutiert, wobei der Abbau des letzteren als Mediator identifiziert werden konnte (Glickman et  al. 2017). Insgesamt ist die CGT derzeit das am besten untersuchte Therapiever-

20

fahren. Allerdings wurde in den meisten Studien dieser Arbeitsgruppe ein von den anderen Studien abweichendes Interviewmaß verwendet (Clinical Global Impressions Scale; Shear et al. 2005), sodass die Vergleichbarkeit mit der Effektivität anderer Interventionen erschwert ist. 20.2.2  Kognitive

Verhaltenstherapie

Boelen et al. (2006) formulieren ein kognitives Modell der ATS, wonach 3 Prozesse als zentral für die Entstehung und Aufrechterhaltung angenommen werden: 55 niedrige Elaboration und Integration des Verlusts in das autobiografische Gedächtnis; 55 negative Bewertungen der eigenen Trauerreaktion oder dysfunktionale Überzeugungen (z. B. ein negatives Bild der Zukunft ohne die verstorbene Person); 55 ängstliche (z. B. in Bezug auf Situationen, die an den Verlust erinnern) und depressive Vermeidungsstile (z. B. soziale Isolation). Daraus leiten Boelen et al. (2007) die Ziele für ihre kognitive Verhaltenstherapie der ATS ab. Zentral sind dabei die drei oben genannten Prozesse, die im Rahmen der Therapie bearbeitet werden müssen: Elaboration und Integration des Verlustes, dysfunktionale Überzeugungen und/oder Interpretationen sowie ängstliches und/oder depressives Vermeidungsverhalten. Am Anfang der Therapie werden eine Reihe trauerspezifischer Informationen erhoben, wie etwa, ob der Verlust als vorübergehend oder als dauerhaft empfunden wird, welche Charakteristika die Intrusionen haben, oder welche maladaptiven Kognitionen vorliegen. Zudem erfolgt eine Psychoedukation und Normalisierung der Trauersymptome. Dabei ist es für die Behandlung wichtig zu erfassen, welche der drei Prozesse wie ausgeprägt sind, und wie diese die Trauersymptomatik aufrechterhalten. Als Behandlungsfokus wird der Prozess gewählt, der den größten Beitrag zur Aufrechterhaltung der Symptomatik liefert. Um eine mangelnde Integration in das autobiografische Gedächtnis zu bearbeiten, wählen die

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R. Rosner und H. Comtesse

Autoren Exposition in sensu (ähnlich Foa und Rothbaum 2001). Um eine emotionale Überflutung zu vermeiden, gehen die Therapeuten graduiert vor und verwenden auch Schreibaufgaben. Im Fall von ängstlichem Vermeidungsverhalten wird eine Exposition in vivo durchgeführt. Sollte eine übermäßige Beschäftigung mit dem Verlust vorliegen (z.  B. ausgeprägtes Grübeln über die Gründe oder Umstände des Verlusts), was eine Akzeptanz der Realität des Verlustes verhindert, wird eine Exposition mit Reaktionsverhinderung angewendet. Eine Verhaltensaktivierung wird eingesetzt, um depressives Vermeidungsverhalten zu reduzieren. Stehen dysfunktionale Überzeugungen im Vordergrund, werden die üblichen Methoden einer kognitiven U ­ mstrukturierung nach Beck (1979) verwendet. Boelen et al. (2007) untersuchten ihre Intervention in einer randomisiert-­ kontrollierten Studie an 54 trauernden Personen. Diese wurden entweder einer kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) oder einer supportiven Therapie zugeordnet. Innerhalb der KVT gab es nochmals 2 unterschiedliche Behandlungsabfolgen: eine Gruppe erhielt 6 Stunden kognitive Umstrukturierung gefolgt von 6 Stunden Exposition, und eine zweite Gruppe erhielt zuerst die Exposition und dann die Umstrukturierung. Beide KVT-Interventionen waren der supportiven Therapie überlegen – sowohl in Bezug auf die Trauersymp­ tome als auch bezüglich der allgemeinen psychischen Belastung. Innerhalb der KVT zeigte sich die Kombination aus Exposition und KVT (d = 1.29) der umgekehrten Reihenfolge überlegen (d = 0.59). Auch im Katamnesezeitraum von 6 Monaten schnitt die Kombination aus Exposition und KVT besser ab (d = 1.25) als KVT und Exposition (d = 0.87). Zudem lag die Abbruchrate der Kombination aus Exposition und KVT bei 20 % und die der Kombination aus KVT und Exposition bei ca. 30 %. 20.2.3  Kognitive Therapie mit

Konfrontation

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Bryant et al. (2014) entwickelten ebenfalls eine kognitive Verhaltenstherapie mit Konfrontati-

onsanteilen. Diese wird mit Ausnahme von 4 Konfrontationssitzungen im Einzelsetting über 10 Wochen in doppelstündigen Gruppensitzungen durchgeführt. In den ersten beiden Gruppensitzungen werden den Patienten Informationen zu Trauer und ein Veränderungsmodell vermittelt. Anschließend folgen 4 individuelle Konfrontationssitzungen zur Exposition in sensu im Hinblick auf die schmerzhaftesten Aspekte des Verlustes. In den Gruppensitzungen 3–7 bilden dysfunktionale Gedanken und Grübeln den Behandlungsfokus, der mit Methoden einer kognitiven Umstrukturierung und Schreibaufgaben bearbeitet wird. Ab Gruppensitzung 8 wird der Fokus auf die Umbewertung des Geschehens und den Aufbau positiver Erinnerungen gelegt. In Gruppensitzung 9 werden neue Lebensziele erarbeitet. Die letzte Gruppensitzung dient der Rückfallprophylaxe. In einer ersten Wirksamkeitsstudie wurden 80 Patienten in 2 Bedingungen randomisiert: KVT und KVT + Exposition (Bryant et  al. 2014). Dabei zeigte sich in der Completer-­ Analyse die KVT + Exposition gegenüber der KVT überlegen. Nach Behandlungsende lag noch bei 19 % aus der KVT + Exposition und bei 43 % aus der CBT Bedingung eine ATS vor. Die Abbruchraten waren in beiden Bedingungen ähnlich (ca. 23  % in jeder Bedingung). Auch 2 Jahre nach Behandlungsende war die KVT + Exposition der reinen KVT überlegen (d = 1.15; Bryant et al. 2017). 20.2.4  Integrative kognitive

Verhaltenstherapie

Die integrative kognitive Verhaltenstherapie der ATS (PG-CBT; Rosner et  al. 2015b) liegt sowohl als ambulante Einzel- als auch als stationäre Gruppentherapie vor, mit zum Teil unterschiedlichen Schwerpunkten. Während unter stationären Bedingungen Komorbiditäten in anderen Gruppen bzw. Einzelinterventionen behandelt werden, muss im ambulanten Manual die Komorbidität in der eigentlichen Trauertherapie explizit berücksichtigt werden. Das

385 Therapie der anhaltenden Trauerstörung

stationäre Manual enthält zusätzlich zur KVT kunsttherapeutische Elemente und entspricht insgesamt 9 Doppelstunden, wobei die Expositionsübungen in Einzelsitzungen durchgeführt werden. Das ambulante Manual integriert systemische und gestalttherapeutische Interventionen und umfasst 20 Sitzungen, die durch 5 optionale Sitzungen (z.  B. eine Paarsitzung, Jahrestage) ergänzt werden können. Beide Manuale lassen sich in 3 Phasen unterteilen. In Phase 1 wird intensiv an einem Be­ ziehungsaufbau bzw. der Gruppenkohäsion gearbeitet und der Stellenwert einer möglicherweise vorliegenden Ambivalenz gegenüber einer Veränderung wird geklärt. Um die Beziehung zu verbessern, werden neben den bekannten Methoden auch Bilder und Gegenstände, die an die verstorbene Person erinnern, gemeinsam betrachtet. Gleichzeitig wird der Verlust aktualisiert, indem von Anfang an in der Vergangenheit über den Verstorbenen gesprochen wird. Ähnlich wie Shear et al. (2011) konnten auch die Autorinnen feststellen, dass die Veränderungsmotivation bei vielen Patienten gering ist. Dabei können verschiedene Befürchtungen auftreten. Beispielsweise wird befürchtet, dass die Beziehung zur verstorbenen Person entwertet wird, oder es wird erwartet, dass der Schmerz des Verlustes erst durch die Therapie wirklich spürbar wird. Eine mögliche Ambivalenz kann hier mit motivationsfördernden Interviewmethoden aufgedeckt und bearbeitet werden. Auch Genogramme können hier eingesetzt werden, wenn es Familienaufträge zum Umgang mit Trauer gibt. Individuelle Symptome der ATS werden mithilfe des Regelkreismodells eingeordnet und entsprechende Interventionen aus dem Modell abgeleitet. Das Regelkreismodell (. Abb.  20.1) beschreibt die Verstärkung anfänglicher Symptome durch die Art der Bewältigung  – einerseits durch Vermeidung, aber auch durch die andauernde Beschäftigung mit dem Verstorbenen; letzteres dient ebenfalls der Vermeidung: Der Trauernde vermeidet, sich daran zu erinnern, dass die Bezugsperson gestorben ist. Sowohl Vermeidung als auch übermäßige Auseinandersetzung führen kurzfristig dazu,  

20

sich weniger einsam zu fühlen und Schmerz und Sehnsucht weniger intensiv zu erleben. Langfristig führt dies aber zu einer Reihe emotionaler und funktionaler Einschränkungen. Letztendlich ist das komplette Ausblenden des Verlusts allerdings unmöglich: Externe (z.  B. die leere Wohnung, Fernsehberichte) oder interne Trigger (z. B. Erinnerungen an die Todesumstände) lösen Gefühle der Hoffnungs- und Hilflosigkeit aus, die schließlich wiederum dazu führen, dass die Symptome der anhaltenden Trauer erneut erlebt werden. Je nachdem welche Aspekte am meisten zur Aufrechterhaltung der Trauersymptomatik beitragen und welche Ziele vereinbart wurden, können in Phase 2 unterschiedliche Behandlungsschwerpunkte gesetzt werden. Es ergeben sich 4 mögliche Schwerpunkte: 55 Bearbeitung von Schuldgefühlen, 55 Anpassung an veränderte Lebensbedingungen, 55 Funktion der Trauer als Mittel zur Aufrechterhaltung der Bindung zum Verstorbenen, 55 Erklärung und Bearbeitung der Vermeidungssymptomatik. Je nach Schwerpunkt kommen unterschiedliche Interventionen zum Einsatz. Schuldgefühle werden etwa mit gängigen kognitiven Methoden bearbeitet (z.  B.  Erstellen eines Schuldkuchens; Ehlers 1999). In jedem Falle wird eine Exposition in sensu (ähnlich wie bei Ehlers 1999) bezüglich der schmerzhaftesten Aspekte des Verlusts durchgeführt. Dies sind häufig Aspekte, die mit den Todesumständen zusammenhängen (z. B. Abwesenheit des Patienten beim Versterben, Beerdigung). Die kognitive Umbewertung des Verlusts hat zum Ziel, belastende Erinnerungsszenen durch positive oder tröstliche Erinnerungen zu ersetzen. Weitere Themen können aktiver Abschied, Zeit mit dem Toten oder anderes Verhalten bei der Beerdigung sein. Alternativ oder ergänzend können auch strukturierte Schreibaufgaben durchgeführt werden, die dann zum Inhalt haben können, was man dem Verstorbenen noch mitteilen wollte oder welche Ratschläge man für

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R. Rosner und H. Comtesse

Tod ... eines nahestehenden Menschen Intensives Verlangen / Sehnsucht Nichtakzeptanz des Todes Überwältigender emotionaler Schmerz Identitätsverlust

Übermäßige Auseinandersetzung/ Beschäftigung

Vermeidung

Symptomreduktion: Weniger Einsamkeit Weniger Sehnsucht Weniger Schmerz Emotionale Einschränkungen Extemer Auslöser (Trigger)

Funktionale Einschränkungen

Erinnerung an Tod und Verlust (Interner Trigger)

Extemer Auslöser (Trigger)

Hoffnungslosigkeit/ Hilflosigkeit

..      Abb. 20.1  Modell anhaltender Trauer. (Aus Rosner et al. 2015b; mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe-Verlags)

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fiktive Personen formulieren würde, die genau das Gleiche erlebt haben. Mithilfe einer gestalttherapeutischen Stuhlarbeit kann ein Gespräch mit dem Verstorbenen geführt werden, in dem Botschaften ausgetauscht werden und ein Abschluss gefunden werden kann. Eine Exposition in vivo in Bezug auf Erinnerungstrigger wie Situationen, die mit Todesgeschehen zusammenhängen, wird analog zu den Empfehlungen von Shear et al. (2005) durchgeführt. In der 3. Phase stehen die veränderte Beziehung zur verstorbenen Person und eine Neuorientierung auf ein Leben ohne die verstorbene Person im Vordergrund. Themen sind hierbei, wie die Beziehung aufrechterhalten werden kann (z.  B. einen Baum pflanzen, Kerzen zu bestimmten Zeiten anzünden) und welche Eigenschaften oder Botschaften des Verstorbenen der Patient leben möchte (z.  B. auf die eigenen Interessen besser zu achten, Mitgefühl für schwierige Personen zu entwickeln). Solche Rituale und Symbole weisen der

verstorbenen Person weiterhin einen Platz im Leben der Patienten zu. Je nach Bedarf können Auffrischungssitzungen, etwa kurz vor dem Todestag, vereinbart werden. Im ambulanten Setting wurde die Wirksamkeit der PG-CBT mit 51 Personen geprüft, die in die PG-CBT oder eine Wartelistenbedingung randomisiert wurden (Rosner et al. 2014). In der Intent-to-treat-Analyse ergab sich im kontrollierten Vergleich ein großer Effekt der PG-CBT (d = 1.32). Die Abbruchrate der PGCBT lag bei 21 % und die der Wartelistebedingung bei ca. 11 %. Auch im Katamnesezeitraum von 1,5 Jahren erzielte die PG-CBT einen großen Effekt (d = 1.24; Rosner et al. 2015a). Fallbeispiel: Verlust des Ehemannes Frau A., 54 Jahre alt, betrauert den Verlust ihres Ehemannes, der vor 3 Jahren an Krebs verstorben ist. Ihr Wert im Inventory of Compolcated Grief (ICG) liegt bei 45, und im Interview erfüllt sie alle Kriterien der ATS. Das Paar war seit 30

387 Therapie der anhaltenden Trauerstörung

Jahren verheiratet und hat 3 erwachsene Kinder. Frau A.s Ehemann verstarb ca. ein halbes Jahr nach der Diagnosestellung. In der Zeit zwischen der Krebsdiagnose und dem Tod ihres Mannes hatten sich beide auf die Behandlung konzentriert und auch alternative Methoden versucht. Die vorsichtigen Andeutungen des Arztes dahingehend, dass es sich hier um einen sehr aggressiven Krebs handele, nahmen sie und ihr Mann nicht wahr. In den letzten beiden Wochen vor seinem Tod verbrachte Frau A. Tag und Nacht im Krankenhaus an der Seite ihres Mannes. Nach einer kurzen Besserung ging Frau A. eines Abends müde nachhause und schlief zum ersten Mal seit Wochen die ganze Nacht. Als sie am Morgen ins Krankenhaus kam, war ihr Mann verstorben. Frau A. kommt auf Drängen ihrer Kinder in die Therapie. Sie selbst ist höchst ambivalent gegenüber einer Psychotherapie, da sie ja „nicht verrückt, sondern traurig“ sei. Beim Erstgespräch holt sie bereits ein kleines Fotoalbum hervor und zeigt Bilder ihres Mannes und des vergangenen gemeinsamen Lebens. Sie weint fast durchgehend. In der Psychoedukation kann sie gut erkennen, dass ihr Befinden eher der ATS als der normalen Trauer ähnelt. Dies macht sie zum einen neugierig, andererseits aber auch kritisch. In der Motivationsphase der Therapie wird ihre Ambivalenz sehr deutlich. Sie hat große Sorge, dass sich in der Therapie die innere Nähe, die zu ihrem Mann spürt, verflüchtigen würde. Andererseits ist ihr bewusst, dass sie sich sozial isoliert hat, mit ihren Kindern häufig Meinungsverschiedenheiten hat und seit dem Tod ihres Mannes wohl nicht mehr aus vollem Herzen gelacht hat. Nach langem Abwägen entscheidet sich Frau A. aber doch, sich auf die Therapie einzulassen. Während der kognitiven Umstrukturierung werden eine Reihe von Themen deutlich: Frau A. glaubt, dass sie mitschuldigam Tode ihres sehr lebenslustigen Mannes ist, weil sie nicht verhindert habe, dass er rauchte und übergewichtig war. Sie schaffte es auch nicht, ihn zu Arztbesuchen zu überreden. Weiterhin war sie bei seinem Tod nicht anwesend, sondern

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schlief, was sie als Hinweis nimmt, dass sie eine schlechte Partnerin war. Sie hätte spüren müssen, dass er stirbt. Weiterhin ist sie extrem wütend auf das Krankenhaus, das sie nicht in der Nacht benachrichtigt hatte und ist sich sicher, dass das Krankenhaus die Hauptschuld am Tod ihres Mannes hat. Im Rahmen der Umstrukturierung konnte Frau A. erkennen, dass sie ausreichend oft versucht hatte, ihren Mann von einem besseren Gesundheitsverhalten zu überzeugen, er dies als autonomer E­rwachsener aber einfach ablehnte. Auch ihre anderen dysfunktionalen Gedanken und Verhaltensweisen konnten in ausreichendem Maß bearbeitet werden. In einer für die Patientin hochemotionalen gestalttherapeutischen Stuhlarbeit konnte die Patientin einen guten Abschied von ­ ihrem Mann finden und war danach deutlich ruhiger und optimistischer. In der Abschlussdiagnostik erfüllte Frau A. die ATS-Diagnose nicht mehr und der ICG Wert war auf 12 gesunken.

20.2.5  Internetbasierte kognitive

Verhaltenstherapie

In den letzten Jahren ist eine Zunahme an internetbasierten psychotherapeutischen Interventionen zu verzeichnen. Für die posttraumatische Belastungsstörung wurde von Lange et  al. (2003) auf Basis eines kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansatzes die „Interapy“ entwickelt, die eine gute Behandlungswirksamkeit aufweist. Darauf aufbauend konzipierten Wagner et  al. (2005) die internetbasierte Therapie für ATS. Die Kommunikation zwischen Patient und Therapeut erfolgt ausschließlich per E-Mail. Das Therapiemanual besteht aus 3 Phasen. 55 Die 1. Phase umfasst Selbstkonfrontationsübungen mit verlustbezogenen Aspekten. 55 In Phase 2 erfolgt eine kognitive Umstrukturierung. Dabei werden Schuldgefühle bearbeitet, und die Patienten schreiben einen supportiven Brief an einen Freund, der genau das Gleiche erlebt hat wie sie. Ein weiterer Inhalt ist die Etablierung von

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R. Rosner und H. Comtesse

Ritualen, um der verstorbenen Person zu gedenken. 55 Phase 3 (Social Sharing) fokussiert den Abstand von der traumatischen Erfahrung und die Entwicklung einer Zukunftsper­ spektive. In einer randomisierten Kontrollgruppenstudie untersuchten Wagner et al. (2005) 55 Personen mit ATS nach einem im Durchschnitt rund 5 Jahre zurückliegenden Verlust. Die Personen wurden der internetbasierten Therapie oder der Wartelistenbedingung zugeteilt. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Reduktion der Trauersymptomatik, die auch in einer Follow-up-Messung nach 1,5 Jahren (Wagner und Maercker 2007) aufrechterhalten werden konnte. In einer weiteren Studie wurde die internetbasierte Therapie für ATS für Eltern nach pränatalem Verlust evaluiert (Kersting et al. 2013). 228 Personen wurden in der internetbasierten Therapie und Wartelistenbedingung randomisiert zugeteilt. In der Intent-to-treat-Analyse ergab sich im kontrollierten Vergleich ein moderater Effekt der internetbasierten Therapie (d  =  0.56). Die Verbesserung der Trauersymptomatik war im Prä-­post-­Vergleich auch ein Jahr nach der internetbasierten Behandlung stabil (d = 1.63). Eisma et al. (2015) überprüften die Wirksamkeit von Therapiemethoden für ATS, die internetbasiert durchgeführt wurden. Dazu wurden 47 ältere Personen in 3 Bedingungen randomisiert: 55 Trauerkonfrontation (nach Boelen et al. 2007), 55 Verhaltensaktivierung (vgl. Lejuez et al. 2011) und 55 Wartelistebedingung.

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Trauerkonfrontation und Verhaltensaktivierung umfassten insgesamt 6 Hausaufgaben, die sich über einen Zeitraum von 6–8 Wochen erstreckten. Zu diesen Hausaufgaben gaben Therapeuten per E-Mail ein individuelles Feedback. Beide aktiven Therapiebedingungen waren der Warteliste in Bezug auf die Trauersymptomatik und allgemeine psychische Belastung überlegen. In der Intent-to-treat-Analyse zeigten sich

keine Unterschiede zwischen den beiden aktiven Therapiebedingungen. Auch zur Follow-up-Messung nach 3 Monaten erzielten die beiden Therapiebedingungen vergleichbare Effekte: Im Katamnesevergleich erreichten Trauerkonfrontation (d  =  0.6) und Verhaltensak­ tivierung (d  =  0.9) moderate bis große Effektstärken. Allerdings lag die Abbruchrate der Verhaltensaktivierung bei 59  %, wohingegen die der Trauerkonfrontation bei 33 % und die der Wartelistenbedingung bei 17 % lag. Das Angebot einer internetbasierten Therapie ist weitgehend orts- und zeitunabhängig. Zudem sprechen die Befunde dafür, dass konfrontative Interventionen auch über das Internet effektiv eingesetzt werden können (Eisma et  al. 2015; Kersting et al. 2013; Wagner et al. 2006). Demgegenüber erscheint der Einsatz von internetbasierten Verhaltensaktivierungen schwieriger zu sein (vgl. Abbruchrate bei Eisma et al. 2015). 20.2.6  Weitere Therapieansätze

bei anhaltender Trauerstörung

In der letzten Zeit wurden kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapiemethoden, die sich bei der Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung und Depression bewährt haben, auch für Patienten mit ATS adaptiert. In ihrer kontrollierten Studie haben Papa et  al. (2013) untersucht, ob die unspezifische Verhaltensaktivierung eine wirksame Therapiemethode zur Behandlung der ATS ist. Personen mit anhaltender Trauer fehlt es häufig an positiven Erfahrungen im sozialen oder beruflichen Bereich (Verstärkerverlust). Die Personen erleben ein Übermaß an negativen, belastenden Erfahrungen. Daher soll der Wiederaufbau positiver Aktivitäten Erfolgserlebnisse verschaffen, die verhaltensverstärkend wirken und zu einer Stimmungsaufhellung führen sowie eine Neubewertung negativer Kognitionen ermöglichen. Die Behandlung umfasst 12–14 Sitzungen und erstreckt sich über einen Zeitraum von 12 Wochen. Ähnlich wie bei der Depression, besteht die Behandlung aus 5 Phasen (vgl. Martell et al. 2001):

389 Therapie der anhaltenden Trauerstörung

55 Psychoedukation, 55 Protokollierung von Aktivitäten, 55 funktionelles Assessment, 55 Signale für Erkennen von Aktivität und Einüben der Aktivität, 55 Reflexion der Therapie und Rückfallprophylaxe.

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dien untersucht (Currier et al. 2008; Wittouck et  al. 2011). Im Bereich der Trauer sind kon­ trollierte Studien unerlässlich, da die Intensität der Trauer im ersten Jahr nach dem Verlust kontinuierlich abnimmt. Die in die Metaanalysen eingeschlossenen Studien umfassten neben psychotherapeutischen Interventionen auch unspezifische Interventionsprogramme. In der Studie wurden 25 Personen der Verhal- Insgesamt wurden universelle und indizierte tensaktivierung oder Wartelistenbedingung Präventionsprogramme, Familienprogramme, randomisiert zugeteilt. In der Intent-to-treat-­ internetbasierte Therapien sowie kognitive Analyse erzielte die Verhaltensaktivierung im Verhaltenstherapien berücksichtigt. kontrollierten Vergleich große Effektstärken In die Metaanalyse von Currier et al. (2008) im Hinblick auf die Reduktion der Trauersymp­ wurden 61 kontrollierte Studien eingeschlostomatik sowie depressiver und posttraumati- sen, die sowohl Personen mit anhaltender scher Symptome. Die Abbruchrate der Verhal- Trauer als auch normal Trauerende untersucht tensaktivierung lag bei 20 %. haben. Über alle Studien hinweg ergab sich nur Eine trauerfokussierte narrative Konfronta- eine kleine Effektstärke (d = 0.16). Die Autoren tion wurde von Barbosa et al. (2014) an älteren identifizierten die Trauerpopulation als Modeverwitweten Personen evaluiert. Die Therapie ba- ratorvariable, die einen Einfluss auf die Wirksiert auf der kognitiven narrativen Therapie samkeit der Intervention hatte. So zeigten sich (Gonçalves 1994) und umfasst 4 Sitzungen, die in für Interventionen bei entsprechender Indikaeinen Zeitraum von 4 Wochen durchgeführt wer- tion moderate Effektstärken nach Behandlungsden. In der ersten Sitzung wird die am meisten ende (d = 0.53, k = 5) und im Katamnesezeitbelastende Erinnerungsszene während des Todes raum (d = 0.58, k = 2), wohingegen unspezifische oder Verlusts bestimmt, die in der nächsten Sit- Interventionen bei normal Trauerenden keine zung vom Patienten als Erzähler samt aktivierter oder sogar negative Effekte erzielten. IntervenGefühle und Gedanken genau beschrieben wird. tionsprogramme für Risikogruppen erzielten Anschließend wird eine Metapher für die Szene kleine bis gar keine Effekte in der Post- (d = 0.14) gewählt, und es werden alternative Handlungsge- und Follow-up-­Messung (d = 0.03). schehen generiert, um positive Erinnerungen Wittouck et  al. (2011) betrachteten in ihrer aufzubauen. In der Wirksamkeitsstudie wurden Metaanalyse nur Interventionen bei anhaltender 40 Personen in die narrative Konfrontations- und Trauersymptomatik. Die Autoren schlossen 14 Wartelistenbedingung randomisiert. Die narra- kontrollierte Studien ein und differenzierten tive Konfrontation erzielte im kontrollierten zwischen psychotherapeutischen Interventionen Vergleich großen Effekt in Bezug auf die Trau­ (k  =  5) und Präventionsprogrammen (k  =  9). ersymp­tomatik. Die Abbruchrate der narrativen Auch hier erzielten unspezifische Interventionen Konfrontation lag bei 5 %; in der Wartelistenbe- keinen Effekt (d = 0.03). Für therapeutische Indingung gab es keine Abbrüche. terventionen ergab sich ebenfalls eine moderate Effektstärke nach Behandlungsende (d  =  0.53). Vier der 5 Therapiestudien erzielten eine signifikante Reduktion der anhaltenden Trauersymp20.3  Wirksamkeit tomatik. Alle 4 Studien beruhten auf einem In den letzten Jahren war ein Anstieg von kognitiv-­verhaltenstherapeutischen Ansatz. Zusammengenommen ergeben die vorgeWirksamkeitsstudien für Trauerinterventionen zu verzeichnen. Die beiden aktuellsten Meta- stellten Metaanalysen ein einheitliches Bild: Das analysen haben die Wirksamkeit von Interven- Vorliegen einer anhaltenden Trauersymptomationen bei Trauer anhand kontrollierter Stu- tik ist für den Behandlungserfolg entscheidend.

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R. Rosner und H. Comtesse

So erzielten neuere randomisiert-kontrollierte Studien zur Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Interventionen sogar große Effekte (Boelen et al. 2007; Bryant et al. 2014; Papa et al. 2013; Rosner et al. 2014; Shear et al. 2005, 2014), die auch längerfristig aufrechterhalten werden (Boelen et al. 2007; Bryant et al. 2017; Rosner et al. 2015a). Da die ATS häufig komorbid auftritt (Simon et al. 2007), berücksichtigen die meisten Studien depressive, posttraumatische oder ängstliche Symptome als sekundäre Ergebnisvariablen (z. B. Boelen et al. 2007; Bryant et al. 2014; Kersting et al., 2013). Allerdings sind die gefundenen Effekte zur Reduktion komorbider Symptomatik meist niedriger (z.  B. Boelen et al. 2007; Bryant et al. 2014; Rosner et al. 2014; Shear et al. 2005). Für die pharmakologische Behandlung der ATS ist die Evidenzlage gering und wenig vielversprechend (Übersicht bei Bui et  al. 2012). Die bislang vorliegenden Studien deuten an, dass die Gabe von Antidepressiva womöglich nur eine geringe Wirksamkeit für Trauersymptome, jedoch einen kleinen Effekt auf komorbide depressive Symptome hat (O’Connor 2012). Letzteres wurde in einer neuen Studie von Shear et  al. (2016) bestätigt, in der in einem vierarmigen Design Citalopram in Kombination mit Placebo und Psychotherapie überprüft wurde (Details zu dieser Studie finden sich in 7 Abschn. 20.2.1). Allgemein leidet die Effektivitätsforschung zur ATS unter der bisherigen Begriffsvielfalt und mangelnden Differenzierung zwischen normaler und anhaltender Trauer. Der Einsatz einheitlicher Diagnosekriterien und strukturierter klinischer Interviews (Prigerson et al. 2009) ist für die Indikationsstellung und Bewertung des Behandlungserfolgs unerlässlich. Bisher berücksichtigten aber nur wenige Wirksamkeitsstudien das Vorliegen der ATS als Eingangskriterium.  

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393

Therapie der Anpassungsstörung H. Baumeister, R. Bachem und M. Domhardt 21.1

Störungsmodelle der Anpassungsstörung – 394

21.2

Indikation – 394

21.3

Übergreifende therapeutische Strategien – 394

21.4

Gestufter Versorgungsansatz (Stepped Care) – 395

21.5

 sychologische Interventionen mit niedriger P Intensität – 396

21.5.1 21.5.2 21.5.3 21.5.4 21.5.5

S elbsthilfe und Bibliotherapie – 397 Selbsthilfegruppen und Gruppentherapie – 397 Achtsamkeit, Meditation und Entspannung – 397 Internetbasierte Interventionen – 398 Verhaltensaktivierung – 398

21.6

Psychotherapeutische Verfahren – 399

21.6.1 21.6.2 21.6.3 21.6.4 21.6.5

 ognitive Verhaltenstherapie (KVT) – 400 K Psychodynamische Psychotherapien – 400 Klientenzentrierte Therapie – 401 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) – 401 Weitere psychotherapeutische Verfahren – 401

21.7

Psychopharmakologische Interventionen – 402

21.7.1 21.7.2 21.7.3

 flanzliche Heilmittel – 402 P Benzodiazepine und Anxiolytika – 402 Antidepressiva – 403

21.8

Ausblick – 403 Literatur – 404

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_21

21

394

21

H. Baumeister et al.

Die Anpassungsstörung gehört gemeinsam mit anderen Traumafolge- und Belastungsfolgestörungen zu den am häufigsten diagnostizierten psychischen Störungen weltweit (Evans et  al. 2013; Reed et al. 2011) und verursacht erhebliches persönliches Leid sowie gesundheitsökonomische Kosten (Arends et  al. 2012; Carta et al. 2009). Wie in 7 Kap.  5 beschrieben, war die wissenschaftliche Anerkennung und Auseinandersetzung mit dieser Diagnose dennoch nur gering. Die Neufassung der Diagnose im ICD-11 dürfte zu einer Intensivierung der Forschungsbemühungen und damit einhergehend zu einer verbesserten Evidenzbasierung führen.  

21.1  Störungsmodelle der

Anpassungsstörung

Per Definition steht die Anpassungsstörung mit einem kritischen Lebensereignis, einer Serie von belastenden oder potenziell traumatischen Erlebnissen in Verbindung. Obgleich davon auszugehen ist, dass die mit einer Anpassungsstörung assoziierten Stressoren in ihrer Intensität schwächer ausfallen als die einer posttraumatischen Belastungsstörung vorangehenden traumatischen Ereignisse, gibt es einzelne Hinweise darauf, dass derartige Ereignisse eine Anpassungsstörung auslösen können (Casey 2009; Casey 2014). Dabei wird angenommen, dass die Beziehung zwischen einem Stressor (auslösende kritische Ereignisse wie z. B. Verlust des Arbeitsplatzes, Ehestreit oder Wohnungseinbruch) und dem Schweregrad der Symptomatologie nicht linear verläuft, da verschiedene Moderatoren wie Vulnerabilität, Persönlichkeitsfaktoren, genetische Prädisposition oder subjektive Bewertungen diesen Zusammenhang beeinflussen können (Baumeister et  al. 2009). Demnach kann das Auftreten von Symptomen in der Folge eines auslösenden Stressors als Interaktion von stressorbezogenen Variablen mit Persönlichkeits-, Umwelt- und biologischen Faktoren im Sinne eines Diathese-Stress-­Modells betrachtet werden (Baumeister et al. 2009; Casey und Bailey 2011) (7 Kap. 5).  

Von verschiedenen Störungsmodellen ausgehend, unterscheiden sich die Diagnosekriterien einer Anpassungsstörung nach DSM-5 von den Vorschlägen der diagnostischen Kriterien für die kommende ICD-11 aktuell erheblich (7 Kap.  5). Sowohl die Diagnoseinstrumente wie auch die therapeutischen Ansätze variieren folglich je nach Modell und ggf. dem Subtyp der Anpassungsstörung beträchtlich.  

21.2  Indikation

In der Praxis werden Anpassungsstörungen zumeist nach dem klinischen Urteil des Behandlers vergeben. Wird ein Stressereignis erkannt, mit welchem die psychische Symptomatik in ursächlichem Zusammenhang steht und liegen Symptome in den Bereichen Präokkupationen und Fehlanpassung vor, so soll gemäss der kommenden ICD-11 eine Anpassungsstörung in Betracht gezogen werden (7 Kap. 5).  

21.3  Übergreifende

therapeutische Strategien

Die meisten psychologischen und psychotherapeutischen Interventionen für Anpassungsstörungen teilen 3 wesentliche Gemeinsamkeiten (Casey 2009; Strain und Diefenbacher 2008): 55 Beseitigung oder Abschwächung des Stressors, 55 Verbesserung der Copingstrategien und Adaptation, 55 Symptomreduktion und Verhaltensänderung. kBeseitigung oder Abschwächung des Stressors

Die psychologischen Interventionen zielen da­ rauf ab, die Betroffenen dabei zu u ­ nterstützen, die Auswirkungen des Stressors zu reduzieren oder nach Möglichkeit das auslösende Ereignis und seine Folgen umfassend zu beseitigen. Beispielsweise würden sich die negativen Auswirkungen eines Arbeitsplatzverlusts auflösen, wenn die betroffene Person eine neue Arbeitsstelle findet. Falls jedoch ein Stressor anhaltend und nicht

395 Therapie der Anpassungsstörung

v­ eränderlich ist (wie bspw. im Falle einer progedienten Tumorerkrankung), sollten Maßnahmen anvisiert werden, die die Auswirkungen des Stressors abmildern sowie das Funktionsniveau und die Lebensqualität verbessern können  – etwa die Sicherstellung sozialer Unterstützung. kVerbesserung der Copingstrategien und Adaptation

Psychologische Interventionen zielen weiterhin darauf ab, die Bewältigungsstrategien der Betroffenen zu verbessern und die Adaptation zu vergrößern; z. B. umfassen kognitive Verfahren die Identifikation von dysfunktionalen Gedanken und die Entwicklung hilfreicher Gedanken. Auf Verhaltensebene können die Betroffenen zur Aufnahme (positiver) Aktivitäten angeleitet und dadurch bei dem Aufbau von Selbstwirksamkeitserfahrungen unterstützt werden. kSymptomreduktion und Verhaltensänderung

Um das Belastungsniveau zu senken und das Funktionsniveau langfristig zu verbessern, sollten eine Symptomreduktion und der Aufbau funktionaler Verhaltensweisen als weitere wichtige Therapieziele berücksichtigt werden. Dabei werden die erforderlichen therapeutischen Strategien in diesem Bereich variieren, je nachdem welches ätiologische/nosologische Modell zugrunde liegt. Bei einer Konzeptualisierung von Anpassungsstörung im Sinne einer subklinischen Form von PTBS werden bspw. Expositions- und Bewältigungsverfahren eine Rolle spielen, um intrusive Gedanken und Bilder bearbeiten zu können (vgl. 7 Kap.  13). Bei einer Anpassungsstörung mit Depression und Angst gemischt (APA 2013) würden entsprechend evidenzbasierte Behandlungsansätze zu diesen beiden Störungsbildern Bestandteil der Intervention sein.  

21.4  Gestufter Versorgungsansatz

(Stepped Care)

Es besteht weitgehend Konsens, dass die Behandlung der ersten Wahl von Anpassungsstörungen in psychologischen (Kurzzeit-)Inter-

21

ventionen oder Psychotherapie bestehen sollte (Carta et al. 2009; Casey 2014; Domhardt und Baumeister 2018; Strain und Diefenbacher 2008). Diese klinische Empfehlung bezieht sich auf die potenziell flüchtige Natur dieser Störung sowie auf Kosten-Nutzen-­Abwägungen invasiverer Behandlungsmethoden für psychische Störungen, die mit der Zeit auch häufig ohne Intervention remittieren. Dementsprechend haben Bower und Gilbody (2005) einen gestuften Behandlungsansatz („stepped care“) für (sub)klinische Störungen auf dem Kontinuum zwischen normaler Stressreaktion und psychischer Störung vorgeschlagen. Solch ein Versorgungsansatz stellt am ehesten sicher, dass die betroffenen Personen, die am wenigsten invasive, aber dennoch ausreichend unterstützende Intervention erhalten, um Leidensdruck zu lindern und das Funktionsniveau zu verbessern. Als potenziell transientes Störungsbild  – das DSM-5 beschreibt eine Auflösung der Symptome innerhalb von 6 Monaten nach Auflösung des Stressors oder seiner Folgen (APA 2013) – kann für einige Betroffene beobachtendes Abwarten („watchful waiting“) als alleinige Behandlungsstrategie ausreichend sein (Stufe 1.). Wenn man jedoch die Komplexität und den Verlauf, das Risiko der Chronifizierung sowie die Progredienz verschiedener psychischer Störungen in Betracht zieht, und weiterhin bedenkt, dass manche Stressoren und ihre Auswirkungen nicht vollständig sistieren, wird deutlich, dass weitere Behandlungsschritte in solch einem gestuften Versorgungsansatz erforderlich sein können (. Abb. 21.1). In der 2. Stufe werden psychologische Interventionen mit geringer Intensität und einem günstigen Risiko-Nutzen-Verhältnis wie Bibliotherapie, Verhaltensaktivierung oder internetbasierte Interventionen vorgeschlagen (Baumeister 2012; van Straten et  al. 2015). Dabei kann sich „wenig intensiv“ sowohl auf die begrenzt erforderlichen Ressourcen des Gesundheitssystems und/oder Expertise im Bereich psychischer Gesundheit (d.  h. begrenzte Zeitund Arbeitsaufwand für Gesundheitsdienstleister; Interventionen können ggf. auch durch weniger qualifizierte Menschen angeboten werden)  

396

H. Baumeister et al.

21

Stufe 4 Stationäre Behandlung Stufe 3 Psychotherapie und/ oder Pharmakotherapie Stufe 1 Beobachtendes Abwarten (Watchful waiting) z. B. Supervision durch Hausärztin/arzt

Stufe 2 Niederfrequente/ wenig intensive psychologische Interventionen z. B. Bibliotherapie, Verhaltensaktivierung oder internetbasierte Interventionen

z. B. kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische Therapien

z. B. psychosomatische oder psychiatrische Klinik

..      Abb. 21.1  Gestufter Versorgungsansatz (Stepped Care) für Anpassungsstörung

sowie auf begrenzte Kosten auf Patientenseite beziehen (in Bezug auf Zeit, Finanzen, Nebenwirkungen oder unerwünschte Ereignisse). Für Patienten, die nicht ausreichend auf die Behandlungsangebote der ersten beiden Stufen ansprechen, sind in einer 3. Stufe weitere Behandlungsmöglichkeiten in Form von ambulanter Psychotherapie und/oder Psychopharmakotherapie erforderlich. Bei schwer erkrankten Patienten (bspw. mit akuter Suizidalität) sind in einem 4. Schritt stationäre psycho- und pharmakotherapeutische Behandlungsangebote in dem gestuften Versorgungsansatz für Anpassungsstörung vorgesehen. Der folgende Überblick über die Evidenz von psychologischen und psychotherapeutischen Interventionen für Anpassungsstörung folgt der Kategorisierung von wenig intensiven bis hin zu intensiven Interventionen innerhalb dieses gestuften Versorgungsansatzes. Da sich das vorgestellte gestufte Versorgungsangebot auf Forschung zu anderen psychischen Störungen bezieht (Bower und Gilbody 2005; van Straten et  al. 2015) und bislang nicht explizit für die Anpassungsstörung validiert wurde, sollte es allein als Heuristik zur Einteilung verschiedener psychologischer und pharmakotherapeutischer Interventionen angesehen werden. Ein elaboriertes Stepped-Care-Modell würde allemal detaillierte Informationen zu je-

der Stufe, Regeln für das Auf- oder Absteigen zwischen den verschiedenen Stufen und Differenzierungen hinsichtlich Zielpopulationen und klinischen Verläufen erfordern. 21.5  Psychologische

Interventionen mit niedriger Intensität

Aus gesundheitspolitischer Perspektive bieten psychologische Interventionen mit niedriger Intensität und Komplexität verschiedene Vorteile. Erstens benötigen diese Interventionen geringere Ressourcen, da sie weniger therapeutische Zeit erfordern und ggf. sogar von weniger spezialisierten Gesundheitsdienstleistern umgesetzt werden können (Baumeister 2017; Richards et  al. 2016). Zweitens erweisen sich manche dieser Interventionen als ähnlich effektiv wie intensivere Behandlungsverfahren, so wie bspw. durch Laien angebotene Verhaltensaktivierungsansätze (Richards et  al. 2016) und geleitete Onlineinterventionen (Andersson et al. 2014) einer Behandlung depressiver Störungen mittels kognitiver Verhaltenstherapie nicht unterlegen zu sein scheinen. Anzumerken ist hierbei jedoch, dass sich die Studienlage ausschließlich auf die Symptomverbesserung durch weniger intensive Ansätze bezieht, während die

397 Therapie der Anpassungsstörung

Evidenz zu potenziell adversen Events derartig simplifizierter Interventionen unzureichend ist. Drittens bieten niedrigschwellige psychologische Interventionen die Option, durch ihre Skalierbarkeit und potenziell hohe Reichweite die Lücke zwischen dem Behandlungsbedarf und dem Mangel an evidenzbasierten Behandlungsangeboten zu schließen. Dies könnte gerade in Bezug auf die Anpassungsstörung besonders bedeutsam sein, da diese Belastungsfolgestörungen in manchen Entwicklungsländern am häufigsten mit vollendeten Suiziden zusammenhängen (Manoranjitham et al. 2010). 21.5.1  Selbsthilfe und

Bibliotherapie

Maercker und Kollegen haben eine Selbsthilfeintervention für Anpassungsstörung auf Basis des Traumafolgestörungskonzepts für die ICD-11 entwickelt, die zum einen als Bibliotherapie (Bachem und Maercker 2016) wie auch in einer internetbasierten Intervention (Maercker et  al. 2015) umgesetzt werden kann. Das verhaltenstherapeutisch orientierte Selbsthilfemanual wurde speziell für Opfer von Wohnungseinbrüchen ausgelegt und umfasst verschiedene Module (Screening, Psychoedukation, Indikationsstellung für Psychotherapie vor Ort, Selbstwahrnehmung, Coping, Aktivierung und Genesung), die nach evidenzbasierten Interventionen für PTBS, Angststörungen und Depression konzipiert sind (Maercker et  al. 2015). Die Effektivität dieser 4-wöchigen Selbsthilfeintervention wurde in einer randomisiert-kontrollierten Studie mit Wohnungseinbruchsopfern mit klinischen oder subklinischen Symptomen eine Anpassungsstörung erfolgreich gegen eine Wartelistenkontrollgruppe überprüft (Bachem und Maercker 2016). Damit steht diese Untersuchung im Einklang mit der Evidenz zu Bibliotherapie/Selbsthilfe bei anderen psychischen Störungen (Gregory et al. 2004) und weist auf das Potenzial von Bibliotherapie/Selbsthilfe als erste aktive Behandlungsstufe nach beobachtendem Abwarten für Patienten mit Anpassungsstörungen hin.

21

21.5.2  Selbsthilfegruppen und

Gruppentherapie

Eine metaanalytische Übersichtsarbeit konnte zeigen, dass die Prävalenzrate von Anpassungsstörungen unter Patienten mit Krebserkrankungen bei 19,4  % liegt (Mitchell et  al. 2011). Da der Nutzen von Selbsthilfegruppen und Gruppentherapie für Krebspatienten gut belegt ist (Spiegel et  al. 2007; Spiegel 2012), könnten diese Interventionen möglicherweise auch für Patienten mit körperlichen Erkrankungen und komorbider Anpassungsstörung hilfreich sein. Tatsächlich konnten Rüsch et al. (2017) zeigen, dass eine spezielle kognitiv-verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Gruppentherapie für Patienten mit somatischer Erkrankung und komorbider depressiver Störung oder Anpassungsstörung zu geringeren Symptomen von Depression und einer höheren Lebensqualität führt. Darüber hinaus kann der positive Einfluss von Peersupport/Selbsthilfegruppen auf die psychische Gesundheit und das Wohlergehen von Patienten als gut dokumentiert angesehen werden (Davidson et al. 2012; Mahlke et al. 2014). 21.5.3  Achtsamkeit, Meditation

und Entspannung

Als generischer und störungsübergreifender Ansatz können Entspannungsverfahren in den verschiedenen Subtypen von Anpassungsstörungen gleichermaßen eingesetzt werden, obzwar sie v. a. bei dem Subtyp der Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik relevant sein könnten, worauf eine Übersichtsarbeit zuletzt hindeutete (Shah et  al. 2014). Bos et  al. (2014) konnten zeigen, dass ein individuelles Achtsamkeitstraining mit einer Symptomverbesserung und einer gestiegenen Lebensqualität bei Patienten mit Anpassungsstörungen verbunden war. Positive Effekte eines Achtsamkeitstrainings konnten auch im Gruppenformat gefunden werden (Sundquist et  al. 2015). Ebenso konnten Srivastava et al. (2011) zeigen, dass Yoga-­Meditationstechniken effektiv Symp-

398

21

H. Baumeister et al.

tome einer Anpassungsstörung mit Angst oder Depression reduzieren können. Zusätzlich evaluierten Jojic und Leposavic (2005a, b) die Effektivität von autogenem Training bei Jugendlichen und Erwachsenen mit Anpassungsstörung und fanden, dass dieses Entspannungsverfahren signifikant physiologische Maße zu Interventionsende und zu einem 6-Monats-­ Follow-Up positiv beeinflussen konnte. 21.5.4  Internetbasierte

Interventionen

Die Wirksamkeit von internet- und mobilebasierten Interventionen für verschiedene psychische Störungen ist mittlerweile gut belegt (Domhardt et al. 2018). Zudem werden diesen onlinegestützten Interventionen verschiedene Vorzüge wie bspw. ihre Kosteneffektivität (Paganini et al. 2018) und hohe Zugänglichkeit zuerkannt (Domhardt et al. 2018). Aufgrund des klaren ätiologischen Bezugs zu einem belastenden Lebensereignis/Stressor, ihrer potenziell flüchtigen/transienten Natur und ihrem subklinischen/unterschwelligen Status könnten sich internetbasierte Interventionen besonders nützlich in der Behandlung von Anpassungsstörungen erweisen (Maercker et al. 2015). Die erste onlinebasierte Intervention, die speziell für Anpassungsstörungen entwickelt wurde, basiert auf dem Virtual Reality Programm „EMMA’s world“ (Botella et al. 2006). In diesem Blended-Therapy-Ansatz wurden Virtual-Reality-Komponenten aus der PTBS-­ Therapie und positiven Psychologie mit Psychotherapiesitzungen vor Ort kombiniert. Erste Ergebnisse einer Fallstudie deuten auf die Anwendbarkeit und Nützlichkeit dieser Intervention hin (Andreu-Mateu et al. 2012). Dieselbe Arbeitsgruppe hat die Möglichkeiten von Virtual-Reality-Interventionen auch auf onlinebasierte personalisierte Hausaufgabenmaterialien speziell für Anpassungsstörungen weiterentwickelt (Quero et  al. 2012). Skruibis et al. (2016) haben eine internetbasierte Intervention für die Anpassungsstörung auf Basis des Traumafolgestörungskonzepts entwickelt,

die sich in 4 Module gliedert: Entspannung, Zeitmanagement, Achtsamkeit und Beziehungen. Diese BADI genannte Intervention (Brief Adjustment Disorder Intervention) wird aktuell in einem RCT evaluiert. Die bislang umgesetzten internetbasierten Interventionen variieren erheblich hinsichtlich ihrer Zielpopulation, technischen Umsetzungen und begleitenden therapeutischen Unterstützung. Daher wird die Frage, wie viel begleitende therapeutische Unterstützung („guidance“ ) erforderlich ist, eine wichtige Aufgabenstellung künftiger Forschungsbemühungen sein. In einer Übersichtsarbeit konnten erste Hinweise darauf gefunden werden, dass Selbsthilfeinterventionen mit begleitender therapeutischer Unterstützung wirksamer sind als unbegleitete Interventionen (Baumeister et al. 2014). Aus gesundheitsökonomischer und -politischer Sicht könnten jedoch unbegleitete, „reine“ Selbsthilfeinterventionen angesichts der geringeren Interventionskosten im Falle von begrenzten Gesundheitsressourcen eine bedeutsame kosteneffektive zweite Behandlungsoption in einem gestuften Versorgungsansatz sein (Baumeister et al. 2014). 21.5.5  Verhaltensaktivierung

Verhaltensaktivierung hat sich als effektive Behandlungsmethode für depressive Störungen erwiesen (Ekers et al. 2014), mit einem Potenzial hinsichtlich der vorteilhaften Kosteneffektivität im direkten Vergleich zu kognitiver Verhaltenstherapie (Richards et al. 2016). Mit einiger symp­ tomatischer Überschneidung zwischen Anpassungsstörung und Depression (Casey 2001) könnten Verhaltensaktivierungsansätze ebenso eine vielversprechende Behandlungsoption bei Anpassungsstörungen sein, um dysfunktionale Copingstrategien und sozialen Rückzug zu durchbrechen und positive Verstärkungen in der Umwelt zu erlangen. In einem Cochrane Review (Arends et al. 2012) konnte gezeigt werden, dass knapp die Hälfte der Behandlungsansätze zur Rückkehr von Anpassungsstörungspatienten an ihren Arbeitsplatz Verhaltensaktivierungskomponenten aufweisen. Van der Klink et al. (2003)

399 Therapie der Anpassungsstörung

bspw. integrierten erfolgreich Verhaltensaktivierungskomponenten neben verhaltenstherapeutischen Techniken in ihrem Behandlungsansatz zur Reduktion von Krankheitsfehltagen aufgrund von A ­ npassungsstörung. Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass es einige Evidenz für die Wirksamkeit von psychologischen Interventionen für Anpassungsstörung mit niedriger Intensität gibt. Weitere Forsch­ung muss jedoch zeigen, ob der angenommene Vorteil hinsichtlich Kosteneffektivität und höherer Reichweite dieser niederschwelligen Interventionen für Anpassungsstörung tatsächlich zutrifft (Baumeister 2014; Proctor et al. 2009). 21.6  Psychotherapeutische

Verfahren

Psychotherapeutische Verfahren sollten nach dem zugrunde liegenden nosologischen Modell von Anpassungsstörungen ausgerichtet sein, da die jeweilige Symptomatik zwischen den Subtypen erheblich variieren kann. In einem modularen Behandlungsansatz können Elemente aus evidenzbasierten psychotherapeutischen Verfahren für Depression, Angststörungen oder PTBS zentraler Bestandteil dieser Interventionen sein (Bengel und Hubert 2010), die dann um stress(or)bezogene Interventionen erweitert werden. Bei Anpassungsstörung mit depressiver Stimmung können relevante therapeutische Strategien aus der kognitiven Ver­haltenstherapie oder interpersonellen Therapie abgeleitet werden, so wie sie in der S3-Leitlinie/nationalen Versorgungsleitlinie für Unipolare Depression empfohlen werden (DGPPN et  al. 2015). Verhaltensaktivierung, Aufbau von unterstützenden sozialen Kontakten und kognitive Umstrukturierung von dysfunktionalen Überzeugungen können ebenfalls bedeutsam bei Anpassungsstörung mit depressiven Symp­ tomen sein. Bei verschiedenen Angststörungen haben sich expositions- (Olatunji et  al. 2010) und entspannungstherapeutische Verfahren (Manzoni et  al. 2008) als wirksam erwiesen. Daher erscheint es angesichts der symptomatischen Überschneidung angebracht, verhaltens-

21

therapeutische Expositions- und Entspannungsverfahren als zentralen Bestandteil psychotherapeutischer Interventionen für Anpassungsstörung mit Angst zu integrieren. Diese können um Strategien ergänzt werden, die darauf abzielen, therapeutische Veränderungen in Denk- und Verhaltensmustern (wie bspw. dem Auflösen von Vermeidungsverhalten) zu erreichen. Bei einer Konzeptualisierung als subklinische Form der PTBS (Maercker et al. 2007, 2013), sollten psychotherapeutische Interventionen die Adressierung von zentralen Symptomen wie Intrusionen/intrusive Präokkupation mit dem Stressor und Unfähigkeit zur Adaptation anvisieren. Intrusionen können durch imaginative Exposition behandelt werden; die Adaptationsschwierigkeiten/Fehlanpassungen können mit Behandlungsstrategien angegangen werden, die speziell auf das jeweilige vorhandene Problem (wie Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten oder einen herabgesetzten Selbstwert) angepasst sind (Bachem und Maercker 2016). Bei dem Subtyp einer Anpassungsstörung mit Störung des Sozialverhaltens, der vorrangig bei Kindern und Jugendlichen auftritt, können Elterntraining und Problemlösetraining bedeutsame Behandlungsbestandteile sein, analog zu evidenzbasierten Interventionen für Störungen des Sozialverhaltens im Kindes- und Jugendalter (Kazdin 2016). Weitere generische therapeutische Strategien bei Anpassungsstörungen können je nach Indikation darin bestehen, das Risiko für suizidales Erleben und Verhalten sowie selbstverletzende Verhaltensweisen zu senken, den Einsatz von Ressourcen sicherzustellen sowie verbesserte Emotionsregulationsstrategien und Pro­ blemlösekompetenzen aufzubauen (Bengel und Hubert 2010; Casey 2009; Strain und Diefenbacher 2008). Zusätzlich können in allen idiosynkratischen Manifestationen von Anpassungsstörungen, wie weiter oben erwähnt, die Eliminierung oder  – falls dies nicht möglich ist – Abschwächung des Stressors ein zentraler Bestandteil der Psychotherapie sein. Darüber hinaus kann die Thematisierung der subjektiven Bewertung des Stressors von Patienten eine bedeutende Rolle in der Psychotherapie von

400

21

H. Baumeister et al.

­ npassungsstörungen einnehmen, gerade dann, A wenn die Stressoren dauerhaft (oder gar progredient) sind wie bei chronischen körperlichen Erkrankungen. 21.6.1  Kognitive

Verhaltenstherapie (KVT)

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hat das übergeordnete Therapieziel, die Verbesserung des Funktionsniveaus sowie die Reduktion oder Remission von Symptomen verschiedener psychischer Störungen zu erreichen (Hofmann et  al. 2012). Dabei greift die KVT auf eine Reihe von verschiedenen kognitiven, behavioralen und emotionsfokussierten Techniken zurück, die allesamt dazu beitragen, den Patienten (im Sinne des Selbstmanagements) bei der Modifikation von dysfunktionalen Kognitionen und maladaptiven Verhaltensmustern zu unterstützen (Hofmann et  al. 2012). Momentan richten sich die KVT-­spezifischen Ansätze zur Behandlung von Anpassungsstörung an eine Reihe von verschiedenen Stressoren wie Krebserkrankungen (Cluver et al. 2005; Schuyler 2004) oder Wohnungseinbrüche (Bachem und Maercker 2016) und wurden erfolgreich in unterschiedlichen Populationen wie Militärdienstanwärtern (Nardi et  al. 1994) oder geriatrischen Patienten evaluiert (Frankel 2001). Die modulare Gestaltung verschiedener KVT-Manuale, die speziell für die Anpassungsstörung entwickelt wurden, eignen sich oft für den Einsatz im Einzel- oder Gruppensetting gleichermaßen (z. B. Reschke 2011). In dem bereits weiter oben angesprochenen Cochrane Review von Arends et  al. (2012) wurden insgesamt 9 RCTs eingeschlossen (Bakker et al. 2007; Blonk et al. 2006; Brouwers et al. 2006; Rebergen et al. 2009; Stenlund et al. 2009; van der Klink et al. 2003; van Oostrom et al. 2010; de Vente et al. 2008; Willert et al. 2011), die die Wirksamkeit von Interventionen zur Rückkehr an den Arbeitsplatz bei Anpassungsstörung evaluierten. Die Autoren dieser systematischen Übersichtsarbeit kamen zu der Einschätzung, dass die speziellen kognitiv-­

behavioralen Interventionen die Zeit bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz nicht signifikant reduzierten (Arends et  al. 2012). Dahingegen konnten problemlöseorientierte therapeutische Ansätze signifikant die Zeit bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz in Teilzeit, nicht jedoch in Vollzeit zum Zeitpunkt des 1-Jahres-­Follow-Ups reduzieren (Arends et al. 2012). Drei dieser Problemlösetherapien waren um Verhaltensaktivierungskomponenten erweitert (Brouwers et al. 2006; Rebergen et al. 2009; van der Klink et al. 2003) sowie zusätzlich um KVT-Komponenten angereichert (Rebergen et al. 2009), sodass es gerechtfertigt erscheint, diese problemlöseorientierten Ansätze gemeinsam mit KVT als intensivere psychotherapeutische Intervention zu gruppieren. Gleichwohl werden alleinständige Problemlöseansätze in anderen Kontexten zumeist als Intervention mit niedriger Intensität betrachtet (van Straten et al. 2015). Bislang kann die Evidenz zur Wirksamkeit von kognitiv-behavioraler Psychotherapie speziell für Anpassungsstörung nicht mit der starken empirischen Evidenzbasierung von KVT für andere psychische Störungen Schritt halten (z.  B.  Hofmann et  al. 2012). Aktuell durchgeführte RCTs werden jedoch zu einer Verbesserung der Evidenzlage für kognitiv-­ verhaltenstherapeutische Interventionen für Anpassungsstörung beitragen (Maercker et al. 2015; Skruibis et al. 2016). 21.6.2  Psychodynamische

Psychotherapien

Psychodynamische Ansätze operieren auf einem Kontinuum von Interpretation/Deutung und therapeutischer Unterstützung/Support und umfassen eine Reihe von manualisierten Psychotherapien (Leichsenring et al. 2015). Interpretativ-deutende Interventionen haben das Ziel, die Patienteneinsicht in Wünsche, Affekte, Objektbeziehungen und Abwehrmechanismen zu verbessern (Leichsenring et  al. 2015). Supportive Interventionen werden unter anderem dazu eingesetzt, die therapeutische Beziehung zu stärken, Ziele zu vereinbaren und psychosoziale Fertig-

401 Therapie der Anpassungsstörung

keiten zu verbessern (Leichsenring et al. 2015). Insgesamt konnten psychodynamische Kurzzeittherapien in vier verschiedenen Studien mit Patienten mit Anpassungsstörung ihre Wirksamkeit belegen (Ben-Itzhak et al. 2012; Kramer et al. 2010, 2015; Maina et al. 2005). 21.6.3  Klientenzentrierte Therapie

Altenhöfer et al. (2007) überprüften die Wirksamkeit einer klientenzentrierten Kurzzeittherapie (12 Sitzungen) für Anpassungsstörung im ambulanten Setting mit 50 Patienten, die entweder den Verlust einer nahestehenden Person oder ernsthafte negative Erlebnisse auf der Arbeit oder der Universität erfahren hatten. Die Ergebnisse dieser nichtrandomisierten Studie weisen darauf hin, dass es zu einer signifikanten Verbesserung sowohl zu Behandlungsende (Altenhöfer et  al. 2007) als auch zu einem 2-Jahres-Follow-Up kam (Gorschenek et al. 2008). 21.6.4  Eye Movement

Desensitization and Reprocessing (EMDR)

Legt man die aktuelle Konzeptualisierung der Anpassungsstörung als Belastungsfolgestörung zugrunde, erscheint es als vielversprechender Ansatz, die Symptomatologie von Anpassungsstörung (insbesondere den Symptombereich der Intrusion/intrusiven Präokkupation durch den Stressor) in ähnlicher Weise anzugehen, wie dies bei der posttraumatischen Belastungsstörung verfolgt wird, bspw. in Form von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing; 7 Kap.  14). So untersuchte Mihelich (2000) in einer seriellen Fallstudie die Auswirkungen von 2 Behandlungssitzungen EMDR verglichen mit 2 Expositionssitzungen bei 9 Patienten mit Anpassungsstörung. In dieser Studie zeigte sich, dass Patienten mit Anpassungsstörung und Angst oder Angst und depressiver Stimmung gemischt von EMDR klinisch signifikant profitierten, wohingegen Patienten mit Anpassungsstörung und depres 

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siver Stimmung nicht von der EMDR-­ Be­ handlung profitierten (Mihelich 2000). In einer randomisiert-kontrollierten Studie mit 90 Studierenden ohne psychische Erkrankung ­ konnte Cvetek (2008) zeigen, dass 3 Behandlungsstunden einer EMDR-Intervention zu si­ gnifikant geringeren Werten auf der Impact of Event Scale führten, verglichen mit einer aktiven Kontrollbedingung (active listening) wie auch Wartekontrollbedingung. 21.6.5  Weitere

psychotherapeutische Verfahren

Eine Anpassungsstörung tritt häufig bei Patienten mit körperlichen Erkrankungen auf (Mitchell et al. 2011). Behandlungsansätze, die darauf abzielen, die körperliche Erkrankung zu heilen oder deren Symptome zu lindern (und damit gleichzeitig den auslösenden Stressor der Anpassungsstörung zum Gegenstand der Behandlung haben), sollten auch zu einer positiven Beeinflussung der mit der Anpassungsstörung verbundenen Symptomatologie führen. So evaluierten GonzálezJaimes und Turnbull-Plaza (2003) in einem quasi-­ experimentellen Design ihre speziell für Herz­ infarktpatienten mit Anpassungsstörung entwickelte Intervention „mirror therapy“, ein Ansatz, der verschiedene Techniken (psychosomatische Introspektion und Achtsamkeit, Akzeptanz und Selbstwert, neurolinguistische Techniken sowie Spiegelkonfrontationsübungen und Selbstfürsorge) ganzheitlich zu integrieren sucht. Zu Behandlungsende dieser Studie zeigten die Patienten in der Interventionsgruppe signifikant weniger Symptome der Anpassungsstörung verglichen mit 3 u ­ nterschiedlichen Kontrollbedingungen. Nach einem halben Jahr hatten Patienten der „Mirror-­ therapy“-Gruppe weniger Anpassungsstörungssymptomatik als Patienten der Warteliste, wiesen jedoch im Vergleich zu den beiden aktiven Kontrollbedingungen keine verbesserten Werte auf. Ein psychotherapeutischer Ansatz („Body-mind-spirit (BMS) therapy“) von Chan (2001) integriert Ansätze der westlichen Medizin mit Konzepten und Verfahren der tradi-

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tionellen chinesischen Medizin und der fernöstlichen Philosophie. In einer Studie konnten Hsiao et al. (2014) zeigen, dass diese BMS-Therapie zu einer positiven Veränderung des Kortisolspiegels wie auch zu einer Abnahme von suizidalen Gedanken bei Patienten mit Anpassungsstörung und depressiver Stimmung führte. Insgesamt erscheint die Evidenzbasierung für psychologische und psychotherapeutische Interventionen für Anpassungsstörungen begrenzt, gerade wenn man den empirischen Kenntnisstand bei anderen bedeutenden psychischen Störungen vergleichend anlegt (Fonagy 2015; z. B. Hofmann et al. 2012). Bislang weisen kognitive Verhaltenstherapie, Problemlösetherapie, Entspannungsverfahren und psychodynamische Kurzzeittherapie die umfassendste empirische Unterstützung auf. Die Wirksamkeit von EMDR und „Body-­mind-­spirit“-Therapie wird jeweils mit einer RCT-Studie unterstützt. Einschränkend muss man erwähnen, dass einige der vorgestellten Studien erhebliche methodische Schwächen aufweisen (u. a. heterogene Patientengruppen, keine Randomisierung oder kleine Stichprobengrößen) und daher nur eingeschränkt interpretierbar sind. 21.7  Psychopharmakologische

Interventionen

Psychotherapie gilt bei der Behandlung der Anpassungsstörung als die Methode der Wahl (Strain und Friedman 2015). Nichtsdestotrotz werden Psychopharmaka in der klinischen Praxis mit ansteigender Häufigkeit eingesetzt. Eine US-amerikanische Studie ergab, dass, während im Jahr 1996 22 % der Patienten mit Anpassungsstörung ein Antidepressiva verschrieben bekamen, es im Jahr 2005 39 % der Patienten waren (Olfson und Marcus 2009). In deutlichem Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass randomisiert-kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von Psychopharmaka bei Anpassungsstörung ausgesprochen rar sind. So gibt es beispielsweise keine Empfehlungen, was die Dosierung oder die Dauer des Einsatzes von Psychopharmaka betrifft (Casey et  al. 2013). Dies mag damit in Zusammen-

hang stehen, dass die Auslöser von Anpassungsstörungen sehr heterogen sind, sowohl hinsichtlich ihrer Qualität als auch des Schweregrades und der Dauer. Daher ist es schwierig, eine homogene Zielgruppe zu definieren und gleichzeitig generelle Aussagen zur Wirksamkeit von Psychopharmaka zu treffen. Zur Psychobiologie der Anpassungsstörung ist wenig bekannt und somit ist auch das Rational zum Einsatz von Psychopharmaka unklar (Casey et al. 2013). Auf der syndromalen Ebene der Anpassungsstörung, etwa wenn Depressions- oder Angstsymptome vorliegen, kann jedoch bei verschiedenen Substanzen ein potenzieller Nutzen bestehen. Eine psychopharmakologische Behandlung ist ggf. dann sinnvoll, wenn die psychotherapeutische Intervention keine Symptomreduktion zu erzielen vermochte (Bachem und Casey 2017). 21.7.1  Pflanzliche Heilmittel

Verschiedene Studien untersuchten die Wirksamkeit von pflanzlichen Beruhigungsmitteln in der Behandlung der Anpassungsstörung. Es zeigte sich beispielsweise, dass bei Patienten mit ausgeprägten Angstsymptomen der Einsatz von Kava Kava (Volz und Kieser 1997), Gingko Bilboa (Woelk et  al. 2007) und Baldrian (Bourin et  al. 1997) einer Placebobehandlung überlegen waren. 21.7.2  Benzodiazepine und

Anxiolytika

Unter den Psychopharmaka besteht die beste empirische Evidenz für den Einsatz von Etifoxin, einem Non-Benzodiazepin-­Anxiolytikum, das sich in zwei doppelblinden randomisiert-kontrollierten Studien mit Anpassungsstörungspatienten vom ängstlichen Subtyp den Benzodiazepinen Lorazepam und Alprazolam als gleichwertig erwiesen hat (Nguyen et  al. 2006; Stein 2015). Etifoxin verfügt jedoch darüber hinaus über den wichtigen klinischen Vorteil, dass weniger Nebenwirkungen auftreten. Eine ältere Studie zeigte, dass das Benzodiazepin Lormetazepam einer Placebokontroll-

403 Therapie der Anpassungsstörung

bedingung überlegen war (Leo 1989). Des Weiteren erwiesen sich Alprazolam (Ansseau et  al. 1996) und Lorazepam (Nguyen et  al. 2006) als wirksam. Schließlich ergaben 2 weitere Studien mit randomisiert-kontrolliertem Design, dass Trazodon effektiver war als Clorazepat bei Anpassungsstörungspatienten mit einer Krebsdiagnose (Razavi et  al. 1999) und HIV-positiven Patienten mit Anpassungsstörung (de Wit et al. 1999). 21.7.3  Antidepressiva

Interessanterweise bestehen zurzeit noch keine Studien, die explizit die Wirksamkeit von Antidepressiva bei Anpassungsstörung mit depressivem Symptombild untersuchten (Casey et al. 2013). In einer retrospektiven Fallstudie mit Hausarztpatienten, die entweder eine Depression oder Anpassungsstörung hatten, zeigte sich, dass SSRIs zu einer klinisch bedeutsamen Reduktion der Symptome führten (Hameed et  al. 2005). Kein bestimmtes Antidepressivum war dabei den anderen überlegen. Patienten mit Anpassungsstörung sprachen im Vergleich zu depressiven Patienten gemäß der Studie doppelt so häufig auf das Medikament an, wobei jedoch zu bedenken ist, dass es bei der Anpassungsstörung auch häufiger zu Spontanremissionen kommt und es sich hierbei um eine fehlgeleitete Kausalattribution der beobachteten Symptomverbesserung handelt. 21.8  Ausblick

In Anbetracht der begrenzten empirischen Evidenz ergibt sich der Bedarf für weitere Wirksamkeits- und Replikationsstudien zu psy­ chologischen und psychotherapeutischen Interventionen, die spezifisch für die Anpassungsstörung entwickelt wurden und mithilfe von homogenen Patientenkohorten evaluiert werden. Künftige Studien sollten sich zusätzlich auch mit Interventionen für Kinder und Jugendliche befassen, angesichts der hohen Aufretenshäufigkeit von Anpassungsstörungen

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in dieser Altersgruppe (Casey und Bailey 2011) und bis dato nur einer uns bekannten publizierten Untersuchung (Jojic und Leposavic 2005a). Longitudinale Studiendesigns könnten weiterhin dazu beitragen, Veränderungsmuster von einzelnen Stressoren zu identifizieren, Resilienz- und Remissionsraten sowie Übergänge zu anderen psychischen Störungen über den Zeitverlauf aufzudecken (Domhardt et  al. 2015), da eine Anpassungsstörung bekanntermaßen einen bedeutenden Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen darstellt, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen (Andreasen und Hoenk 1982). Psychotherapieforschung von Anpassungsstörung als transientes Störungsbild ist besonders herausfordernd, da positive Veränderungen in Interventionsstudien ohne Wartelistenkon­ trollgruppe allein auf Spontanremission oder den erwartbaren Verlauf zurückzuführen sind, gerade dann wenn der Stressor nicht mehr wirksam ist. Demzufolge sollte Prozessforschung in diesem Feld besonders darauf achten, eine direkte und unmittelbare Verbindung zwischen therapeutischem Wirkfaktor und Symptomveränderung zu evaluieren, da gerade ein tieferes Verständnis über die zugrunde liegenden therapeutischen Veränderungsmechanismen essenziell für die Weiterentwicklung von künftigen Behandlungsansätzen ist (Kazdin 2007). Dabei sollten künftige Studien aktuelle Empfehlungen für Forschung zu den Veränderungsmechanismen beachten (Lemmens et al. 2016) und theoretisch abgeleitete therapeutische Techniken untersuchen, die zentral für den jeweiligen Therapieansatz sind. Forschungsbestrebungen in diesem Feld haben lange unter dem Mangel an einem konzisen Modell der Anpassungsstörung und den darauf aufbauenden Diagnoseinstrumenten gelitten. Die Konzeptualisierungen des ICD-11 werden aller Voraussicht nach zu einer höheren diskriminanten Validität der Störungskategorie führen, besonders in der Abgrenzung zu depressiven Störungen (Maercker et  al. 2015). Neuere Diagnoseinstrumente für Anpassungsstörung wie das „Adjustment Disorder – New Module“ (ADNM; Einsle et al. 2010; Lorenz et al. 2016)

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zur Selbstauskunft wird es kommender Forschung erlauben, homogenere Patientenstichproben mit Anpassungsstörung zu bilden, was die Reliabilität epidemiologischer Untersuchungen steigen lassen dürfte (Baumeister et al. 2009). In Bezug auf die aktuelle klinische Praxis in der Behandlung von Anpassungsstörung wären dringend Informationen aus der Gesundheitsversorgung erforderlich, um abschätzen zu können, inwieweit es zu einer Unter-, Überoder Fehlversorgung von Gesundheitsleistungen für Patienten mit Anpassungsstörung kommt. So steht die häufige Verschreibung von Psychopharmaka als initiale Behandlungspraxis für Patienten mit subklinischen oder geringfügig ausgeprägten psychischen Störungen in Frage (Baumeister 2012). In einer Studie konnten Fernández et  al. (2012) zeigen, dass diese Fragestellung auch im Bereich der Anpassungsstörung relevant sein dürfte, da in 37  % der Fälle Patienten mit einer Anpassungsstörung eine psychiatrische Medikation durch ihren Hausarzt verschrieben bekamen. Angesichts der limitierten Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von evidenzbasierten Behandlungsangeboten in den meisten Ländern weltweit, dürfte die Frage, wie die Versorgungssituation insgesamt verbessert werden kann, allerdings drängender sein. Wie weiter oben aufgezeigt, könnten niederschwellige psychologische Interventionen wie Bibliotherapie oder internetbasierte Interventionen mit ihrem Potenzial an Skalierbarkeit dazu beitragen, die Kluft zwischen Behandlungsbedarf und -angebot zu verringern. Dabei sollten künftige Untersuchungen die (Kosten-) Effektivität von gestuften Versorgungsangeboten evaluieren und kulturelle wie ethnische Gesichtspunkte berücksichtigen.

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409

Spezielle Aspekte Inhaltsverzeichnis Kapitel 22 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen – 411 R. Steil und R. Rosner Kapitel 23 Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und medizinischen Eingriffen – 443 V. Köllner Kapitel 24

Militär – 461 K.-H. Biesold, K. Barre und P. Zimmermann

Kapitel 25

Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete – 481 M. Wenk-Ansohn, N. Stammel und M. Böttche

Kapitel 26

Gerontopsychotraumatologie – 511 M. Böttche, P. Kuwert und C. Knaevelsrud

Kapitel 27 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten – 527 A. Maercker

III

411

Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen R. Steil und R. Rosner 22.1

 esonderheiten der Symptomatik der PTBS bei Kindern B und Jugendlichen – 413

22.1.1

 ngemessenheit der diagnostischen Kriterien der PTBS für A Kinder – 413 Verlauf der PTBS im Kindes- und Jugendalter – 414 Differenzialdiagnostik – 414 Prävalenz der PTBS im Kindes- und Jugendalter – 415 Bedeutung von Geschlecht, Alter und Art der Traumatisierung – 415 Komorbide Störungen – 416

22.1.2 22.1.3 22.1.4 22.1.5 22.1.6

22.2

 sychologische Modelle und Hypothesen zu den P Besonderheiten einer Traumatisierung im frühen Lebensalter – 417

22.2.1 22.2.2

 as kognitive Modell nach Ehlers und Clark – 417 D Psychobiologische und neuroendokrinologische Modelle – 418 Das entwicklungspsychopathologische Modell nach Pynoos – 418

22.2.3

22.3

Rolle der Eltern – 419

22.4

Risikofaktoren – 420

22.5

Diagnostik der PTBS im Kindes- und Jugendalter – 421

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_22

22

22.6

Interventionen – 425

22.6.1 22.6.2

 irksamkeit – 425 W Überblick zu überprüften psychotherapeutischen Interventionsmethoden – 433 Einbeziehen der Eltern in die Behandlung – 437

22.6.3

Literatur – 437

413 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

22.1  Besonderheiten der

Symptomatik der PTBS bei Kindern und Jugendlichen

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine gravierende psychische Störung, die bei Kindern und Jugendlichen nach besonders belastenden Erlebnissen wie z.  B.  Naturkata­ strophen, Unfällen sowie dem Erleben sexuel­ ler oder nichtsexueller Gewalt auftreten kann (Steil und Rosner 2008). Auch die verbale Vermittlung eines solchen Ereignisses scheint bei Jugendlichen und Kindern eine PTBS auslö­ sen zu können (z. B. die Nachricht/Fotografien vom gewaltsamen Tod eines Familienmitglieds; Giaconia et al. 1995). Vermutet wird, dass Kin­ der ab 3 Jahren von PTBS betroffen sein können (Drell et al. 1993; Scheeringa et al. 1995). Zu den grundlegenden Dimensionen der Symptomatik und den einzelnen Symptomen sei auf die ent­ sprechenden Kapitel dieses Buches verwiesen. Besonderheiten der PTBS-­ Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen Symptome äußern sich bei Kindern 55 in einem wenig lustvollen und wiederholten Nachspielen der traumatischen Situationen, 55 mit körperlichen Symptomen oder Erregung, 55 mit anklammerndem, regressivem (Verlust prätraumatisch schon erworbener Fähigkeiten in den Bereichen Sprache oder Kontinenz) oder aggressivem Verhalten, 55 mit neuer Angst vor der Dunkelheit, Monstern oder dem Alleinesein, 55 mit selbstschädigendem Verhalten wie z. B. Drogenmissbrauch oder auch Automutilation i. S. einer Selbstmedikation bzw. eines Spannungsabbaus ähnlich wie bei der Borderline-­ Persönlichkeitsstörung, 55 möglicherweise mit einer verkürzten Zukunftsperspektive („Ich werde

22

sowieso nie die Schule beenden, nie eine Partnerschaft haben, nie heiraten, nie Kinder bekommen …“ etc.).

Die posttraumatische Symptomatik führt zu erheblicher Beeinträchtigung in Sozialkontak­ ten, Familie und Schule. Häufig folgen auch sekundäre und andauernde Stressoren (wie der Verlust von Angehörigen, schmerzhafte medizinische Behandlungen, körperliche Ent­ stellung, Umzug und Verlust der vertrauten Umgebung). 22.1.1  Angemessenheit der

diagnostischen Kriterien der PTBS für Kinder

Die PTBS-Kriterien wurden auf der Basis der Symptomatik Erwachsener entwickelt  – spie­ geln sie in angemessener Weise die komple­ xen Reaktionen im Kindes- und Jugendalter wider? Im 2013 erschienenen Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störun­ gen (DSM-5; American Psychiatric Associa­ tion, APA 2013) wird den Besonderheiten der PTBS-Symptomatik bei Kindern und Jugend­ lichen erstmalig Rechnung getragen, indem altersspezifische Kennzeichen als Ergänzungen aufgenommen wurden. Die Neuauflage des DSM benennt speziell auch separate Diagnose­ kriterien für Vorschulkinder, also im Alter von 6 Jahren und jünger. Folgende Änderungen im Vergleich zur Diagnose der PTBS bei älteren Patienten wurden hier eingeführt: Auch Trau­ matisierungen, die eine primäre Bezugsperson erlebt hat, gelten als Auslöser der Störung. Bei Kleinkindern kann sich die Belastung u. a. in spielerischen Reinszenierungen, in einer Dys­ regulation des Essens, des Schlafens oder des Sozialverhaltens und in einem dauerhaft ver­ minderten Ausdruck von positiven Emotionen manifestieren (APA 2015; vgl. auch Bingham und Harmon 1996). Im Symptomcluster „Ne­ gative Veränderungen in Kognitionen und Stimmung“ werden von außen beobachtbare Verhaltensweisen beschrieben wie z.  B. ver­

414

22

R. Steil und R. Rosner

mindertes Interesse an Dingen oder sozialer Rückzug. Die Anzahl der Kriterien, die erfüllt sein müssen, um die Diagnose zu vergeben, ist geringer (4 anstatt 6 Kriterien). Aufgrund der neuen DSM-5-Kriterien für Kinder unter 6 Jahren ist das Problem der mangelnden Passung der Kriterien für diese Altersgruppe gelöst  – es bleibt aber für die Altersgruppe von 6–14 Jahren erhalten. Hier kann weiterhin angenommen werden, dass diese Kinder und Jugendlichen unterdiagnos­ tiziert bleiben. In den Psychotherapiestudien zur Behandlung der PTBS wird dies meist dadurch abgefangen, dass der funktionellen Beeinträchtigung eine stärkere Bedeutung ge­ geben wird und dass dafür eines der Symptom­ cluster nicht vollständig erfüllt sein muss. Unter der Lupe

Man geht davon aus, dass die Kriterien der ICD-10 bisher zu einem Überdiagnostizieren der Störung geführt haben. Erste Studien zum Vergleich der Prävalenzraten legen nahe, dass die restriktiver formulierten Kriterien der ICD-11 zu einer bedeutsam geringeren Anzahl an PTBS-Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen führen werden, verglichen mit einer Einschätzung gemäß der überarbeiteten DSM-IV bzw. ICD-10 Kriterien (Sachser und Goldbeck 2016).

stabil niedrige Symptome, eine zweite Gruppe zeigte eine starke Rückentwicklung von Symp­ tomen (21 %), eine dritte Gruppe zeigte zuneh­ mend mehr Symptome (18 %) und eine vierte Gruppe zeigte stabil hohe Symptome (9  %). Während die Gesamtsymptomschwere der kompletten Stichprobe stabil blieb, veränder­ ten sich die Verläufe von 39 % der Befragten, wobei insgesamt 27  % hohe PTBS-Symptome nach 4 Jahren zeigten. Diese unterschiedlichen Verläufe verdeutlichen die Notwendigkeit der Beobachtung traumatisierter Kinder, auch wenn diese kurz nach dem Trauma unauffällig hinsichtlich einer PTBS sind. 22.1.3  Differenzialdiagnostik

Differenzialdiagnostisch muss die PTBS unter­ schieden werden von anderen Störungsbil­ dern, die ebenfalls in der Folge eines Traumas auftreten können (7 Kap. 8). Beispiele sind 55 affektive Störungen, 55 andere Angststörungen (wie z. B. die Tren­ nungsangst), 55 psychotische Störungen, 55 die Borderline-Persönlichkeitsstörung.  

Auch muss man sie unterscheiden von der An­ passungsstörung und den Folgen von Kopfver­ letzungen (hiernach lang anhaltende Symp­ tome wie Irritabilität, Angst etc. sollten jedoch auf eine psychische Verursachung hin über­ prüft werden). Unterschieden werden muss die PTBS auch von anhaltender Trauer, für die 22.1.2  Verlauf der PTBS im Kindes- allerdings noch keine definierten Kriterien für und Jugendalter das Kindesalter vorliegen (7 Kap. 20). Einige der Übererregungssymptome wie Längsschnittuntersuchungen zum unbehan­ Reizbarkeit, Wutausbrüche und Konzentra­ delten Verlauf der PTBS sind selten, deuten tionsstörungen können fälschlicherweise zur aber zumindest für eine Teilgruppe eine hohe Diagnose einer Störung aus der Gruppe der Stabilität der Symptomatik an. Neuere Studien hyperkinetischen oder aggressiven Störungen formulieren Trajektorien, die verschiedene Ver­ führen, starke traumabezogene Intrusionen läufe charakterisieren: So fanden Osofsky et al. oder schwere Dissoziationen fälschlicherweise (2015) in der Folge von Naturkatastrophen als psychotische Symptome gewertet werden, (Hurrikan, Ölkatastrophe) vier Trajektorien eine durch starke traumabezogene Ekelgefühle im Verlauf von 4 Jahren: 52  % der mehr als verursachte Vermeidung bestimmter Nahrungs­ 4000 untersuchten Kinder (3–12 Jahre) zeigten mittel als Essstörung.  

415 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

>> Es ist unabdingbar, in der Anamnese den Beginn der Symptomatik und einen möglichen Zusammenhang mit Traumafolgen zu klären.

22.1.4  Prävalenz der PTBS im

Kindes- und Jugendalter

Zunächst ist anzumerken, dass es nur wenig ver­ lässliche epidemiologische Daten für Kinder un­ ter 12 Jahren gibt. Die Wahrscheinlichkeit, bereits als Kind oder Jugendlicher ein potenziell trau­ matisierendes Ereignis zu erleben, ist regional unterschiedlich und in Regionen mit häufigen Naturkatastrophen und sozialen oder politischen Konflikten besonders hoch (7 Kap. 1 und 2). In einer aktuellen Metaanalyse, in die aber auch nichtrepräsentative Studien eingingen (n = 3563), lag die Inzidenzrate für PTBS nach Traumatisierung bei Kindern und Jugend­ lichen im Alter von 2–18 Jahren bei 15,9  %. Dabei wurden die höchsten Prävalenzraten nach interpersonellen traumatischen Ereig­ nissen gefunden (25,2  %), bei nicht interper­ sonellen Traumatisierungen entwickelte sich bei 9,7  % der Befragten eine PTBS (Alisic et  al. 2014). Bei interpersonell traumatisier­ ten Mädchen war die Inzidenzrate am höchs­ ten (32,9 %). Eine repräsentative Erhebung an US-­amerikanischen Jugendlichen im Alter von 13–17 Jahren ergab, dass 62  % der Jugendli­ chen ein traumatisches Ereignis erlebt hatten, und fand eine Lebenszeitprävalenz für eine PTBS von 4,7  % (McLaughlin et  al. 2013). In einer Schweizer Studie (Landolt et al. 2013) be­ richteten 56 % der befragten Schüler im Alter von 14–16 Jahren, traumatische Ereignisse er­ lebt zu haben. Die Kriterien für eine aktuelle PTBS nach DSM-IV-Kriterien erfüllten 4,2 % aller Befragten. Mädchen waren in allen 3 Stu­ dien im Vergleich zu Jungen mehr als doppelt so häufig von einer PTBS betroffen.  

>> Unter psychiatrischen stationären adoleszenten Patienten scheint die Prävalenz einer Traumatisierung besonders hoch zu sein.

22

So fanden Lipschitz et al. (1999) dass von 74 in einer psychiatrischen Klinik hospitalisierten Jugendlichen 93  % zumindest ein traumati­ sches Ereignis berichteten. 32  % erfüllten die Kriterien einer PTBS nach DSM-III-­ R.  Zu­ sammenfassend kann die PTBS im Jugendalter als im Vergleich zu anderen psychischen Stö­ rungen häufige Erkrankung bewertet werden. Unter der Lupe

Kinder mit einer bestimmten prätraumatischen Psychopathologie haben ein erhöhtes Traumatisierungsrisiko: So kann z. B. angenommen werden, dass Kinder mit ADHD (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung), mit Störungen des Sozialverhaltens oder Substanzabusus mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein potenziell traumatisches Ereignis erleben als Kinder und Jugendliche ohne diese Störung. Damit stimmt die mit 30 % sehr hohe Lebenszeitprävalenz von PTBS bei einer Gruppe von 15- bis 19-Jährigen mit Substanzabhängigkeit überein (Deykin und Buka 1997).

22.1.5  Bedeutung von Geschlecht,

Alter und Art der Traumatisierung

Geschlecht  Das Risiko, ein potenziell trau­

matisches Ereignis zu erleben, ist, insbesondere im Bereich sexualisierte Gewalt, für Mädchen erhöht, sowie auch das Risiko, eine PTBS zu entwickeln. So zeigte sich in einer Metaanalyse mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen von 2–18 Jahren, dass 20,8 % der traumatisier­ ten Mädchen eine PTBS- Symptomatik ent­ wickelten, bei Jungen waren es 11,1  % (Alisic et  al. 2014). Mädchen die ein interpersonelles Trauma erlebt hatten, wiesen das höchste Risiko für die Entwicklung einer PTBS auf (32,9  %), wohingegen bei Jungen nach einem nichtinter­ personellen Trauma das geringste Risiko vorlag (8,4 %) (Alisic et al. 2014).

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R. Steil und R. Rosner

Unter der Lupe

22

Sowohl bei der Lebenszeitprävalenz als auch der Inzidenz der PTBS finden sich deutliche Geschlechterunterschiede. Repräsentative epidemiologische Studien fanden, dass Mädchen häufiger eine PTBS in der Folge eines traumatischen Ereignisses entwickeln als Jungen. Deutlich mehr Mädchen als Jungen bzw. Frauen als Männer wiesen die Lebenszeitdiagnose PTBS auf (z. B. Landolt et al. 2013).

Alter  Das Erkrankungsrisiko nahm sowohl bei

Studien an Erwachsenen als auch bei Studien an Jugendlichen und Kindern mit steigendem Lebensalter bei der Traumatisierung ab (Ellis et al. 1998; Essau et al. 1999; Kessler et al. 1995; Trickey et al. 2012). Ein jüngeres Alter wird ge­ nerell als Risikofaktor für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung genannt, wobei systematische Studien bei Kindern unter 6 Jahren noch ausstehen (Trickey et al. 2012).

Art der Traumatisierung  Das Erleben sexuel­ ler Gewalt birgt generell ein gegenüber ande­ ren Formen der Traumatisierung 6- bis 7-fach höheres PTBS-Risiko: 80  % bzw. 50  % aller betroffenen älteren Jugendlichen oder jungen Erwachsenen erkrankten nach dem Erleben se­ xueller Gewalt an PTBS (Cuffe et al. 1998; Gia­ conia et al. 1995; 7 Kap. 7). Korrespondierende Befunde berichten Alisic et  al. (2014) in ihrer Metaanalyse: Das geringste Risiko, eine PTBS zu entwickeln, zeigten Jungen nach nicht interper­ soneller Traumatisierung (8,4  %), das höchste Mädchen, die interpersoneller Traumatisierung ausgesetzt waren (32,9  %). Eine relativ geringe Wahrscheinlichkeit, eine PTBS zu entwickeln, zeigt sich nach Unfällen oder Todesfällen in der Familie (Elklit 2002). Physischer Angriff oder sehen, wie jemand getötet oder verletzt wird (23 % bzw. 24 % der Betroffenen entwickelten hier eine PTBS; Gia­ conia et al. 1995), barg ebenfalls ein hohes Er­ krankungsrisiko.  

>> Multiple Traumatisierung erhöht bei Kindern das Risiko der Ausbildung einer PTBS (Deykin und Buka 1997). Mit der Intensität der Traumatisierung steigt das Risiko, an PTBS zu erkranken.

22.1.6  Komorbide Störungen

Komorbide tritt eine PTBS bei Kindern auf mit (Essau et  al. 1999; Giaconia et  al. 1995; ­Goenjian et al. 1995) 55 internalisierenden und externalisierenden Verhaltensproblemen, 55 schlechterer schulischer Leistung, 55 Suizidgedanken und Suizidversuchen, 55 interpersonellen Schwierigkeiten, 55 körperlichen Beschwerden. Depression, Drogenmissbrauch und somato­ forme Störungen bestehen bei ca. 20–30 % der betroffenen Kinder und Jugendlichen komor­ bid zur PTBS und verursachen ihrerseits er­ hebliche Belastung (Essau et al. 1999). Giaconia et al. (1995) fanden retrospektiv, dass 30 % der Jugendlichen mit der Lebenszeit­ diagnose PTBS im letzten Jahr vor der Befra­ gung an einer Major Depression und 38 % an einer Alkoholabhängigkeit litten. Unter der Lupe

Die Befunde implizieren, dass Drogenmissbrauch sowohl eine Risikovariable für Traumatisierung und Entwicklung einer PTBS darstellt als auch infolge einer Traumatisierung als Selbstmedikation auftritt.

Eine Major Depression entwickelte sich in einer Längsschnittstudie an kindlichen Erdbe­ benopfern in den meisten Fällen (70  %) zeit­ gleich mit bzw. folgend auf eine PTBS (Giaco­ nia et al. 1995). >> Die PTBS wurde als Risikofaktor für das Einsetzen einer sekundären Depression identifiziert (Goenjian et al. 1995).

417 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

Auch eine erhöhte Inzidenz körperlicher Krankheiten kann sich infolge einer Traumati­ sierung bzw. komorbid zu einer PTBS einstel­ len (vgl. z.  B. die Übersicht von Mellon et  al. 2018). Allerdings sind die Befunde zu soma­ tischen Korrelaten der PTBS bei Kindern und Jugendlichen noch rar. Große und repräsenta­ tive Studien zu Komorbiditätsmustern bei Kin­ dern unter 12 Jahren fehlen. 22.2  Psychologische Modelle

und Hypothesen zu den Besonderheiten einer Traumatisierung im frühen Lebensalter

Generelle Modelle der Psychopathologie der PTBS sind in anderen Kapiteln dieses Buches beschrieben: In behavioralen Modellen wird die PTBS als klassisch konditionierte emotio­ nale Reaktion betrachtet, die durch negative Verstärkung (Vermeidung) aufrechterhalten bleibt. In kognitiven Modellen wird die Be­ deutung und Interpretation der traumatischen Geschehnisse in den Mittelpunkt gestellt. Dys­ funktionale Schemata bilden sich durch das Trauma aus, prätraumatisch existierende un­ angemessene Schemata werden konsolidiert. Unter der Lupe

Bei Kindern und Jugendlichen hat in der Phase der Bildung wichtiger kognitiver Schemata (über persönliche Sicherheit, interpersonelles Vertrauen etc.) eine Traumatisierung möglicherweise besonders maligne Folgen (Pynoos et al. 1995, 1996). Dies könnte die hohe Vulnerabilität im Kindes- und Jugendalter für die Entwicklung einer PTBS erklären.

Die mit den Intrusionen auftretende Belas­ tung beantworten die Patienten üblicherweise mit dem Einsatz von Strategien zur Beendi­ gung oder Kontrolle der Erinnerungen wie

22

z.  B. Gedankenunterdrückung oder Grübeln, die ihrerseits wiederum in einer Art Teufels­ kreis zur Aufrechterhaltung der Symptomatik beitragen (7 Kap. 13). Diese kognitiven Fakto­ ren prädizieren auch bei Kindern die Schwere der PTBS-Symptomatik (Pynoos et  al. 1987; Schwartz und Kowalski 1991; Yule und Wil­ liams 1990). Steil et al. (2001) fanden z. B. in einer prospektiven Untersuchung an 24 Kin­ dern, die einen Verkehrsunfall erlitten hat­ ten, dass das Ausmaß kognitiver Vermeidung beim Kind und das Ausmaß der dysfunktio­ nalen Bewertung des Geschehenen die spätere PTBS-Symptomatik des Kindes gut vorhersa­ gen konnten.  

22.2.1  Das kognitive Modell nach

Ehlers und Clark

Ehlers und Clark (2000) vermuten, dass eine persistierende PTBS entsteht, wenn die trau­ matische Erinnerung nur ungenügend elabo­ riert und in einen autobiografischen Kontext eingeordnet wird. Eine unangemessene Verar­ beitung ist umso wahrscheinlicher, je weniger der Betroffene in der Lage ist, zu konzeptuali­ sieren und zu verstehen, was passiert (vgl. Us­ her und Neisser 1993; Brewin et al. 1993). Auf diese Weise lässt sich möglicherweise die ne­ gative Assoziation zwischen Alter und Risiko der Entwicklung einer PTBS nach Traumati­ sierung erklären. Die Fähigkeit, vollständige und akkurate Narrationen über positive oder negative Ereignisse zu geben, deren Grundlage eine angemessene, konzeptgesteuerte Daten­ verarbeitung sein wird, wächst ja erst mit der Entwicklung von Sprache, kausalem und zeitli­ chem Verständnis, Wahrnehmung und Selbst­ wahrnehmung (vgl. Pillemer 1998). Obwohl das Modell für Erwachsene for­ muliert wurde, lässt es sich mit wenigen inhalt­ lichen Veränderungen auf Kinder übertragen. Neben der bereits erwähnten Bedeutung der elterlichen Bewertung ist auch die Bewertung des Kindes selbst von zentraler Bedeutung. Die Bewertung kann jedoch begründet durch

418

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den kognitiven Entwicklungsstand des Kindes aus Erwachsenensicht deutlich „unlogischer“ sein (z. B. eine dysfunktionale „magische“ Ver­ knüpfung). So kann ein 6-jähriger Junge etwa glauben, dass seine Mutter an Kopfweh starb, weil er in der Woche vorher einen heftigen Streit mit seiner Mutter hatte und er ein „bö­ ses“ Kind war. Unter der Lupe

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Kinder aufgrund der fehlenden langzeitlichen Perspektive mögliche Konsequenzen des Traumas noch stärker katastrophisieren und die eigene Symptomatik als dauerhafte Beschädigung missdeuten. So erwarten manche traumatisierten Kinder gar nicht mehr, überhaupt erwachsen zu werden.

Zur Bewältigung des Gefühls der anhal­ tenden Bedrohung wiederum stehen weniger Strategien zur Verfügung als bei Erwachsenen, ebenso wie zur Modulation der damit verbun­ denen Erregung. 22.2.2  Psychobiologische und

neuroendokrinologische Modelle

Für die PTBS bei Erwachsenen wurden eine Fülle psychobiologischer, neuroendokrinolo­ gischer und struktureller Korrelate gefunden (7 Kap. 6). Psychobiologische und neuroendo­ krinologische Modelle (Southwick et al. 1997) beruhen auf Befunden zu Dysregulationen in glutamatergen, noradrenergen, serotonergen und neuroendokrinen Systemen. Diese biolo­ gischen Veränderungen führen zu dauerhaften strukturellen und funktionalen Abnormalitä­ ten im biologischen Stresssystem, die sich in den Symptomen der PTBS manifestieren. In welcher Weise sich die besondere neuroendo­ krinologische Situation während und infolge von Traumatisierung auf die kindliche biolo­  

gische Entwicklung auswirken kann, wurde in vergleichsweise wenigen Studien untersucht – eine sehr gute Übersicht über den Stand der Forschung geben DeBellis und Zisk (2014). Das sich entwickelnde Gehirn ist vulnerabler bzgl. Umwelteinflüssen. Zwar erreicht das Hirn mit 3 Jahren 90  % seiner endgültigen Größe, der größte Teil seiner Differenzierung (= die Formation, Stabilisation oder auch Eliminie­ rung von Synapsen) findet jedoch in Kindheit und Jugend statt. Traumatisierung in Kindheit und Jugend beeinflusst die kognitive Entwick­ lung und die Hirnentwicklung dauerhaft un­ günstig. 22.2.3  Das entwicklungspsycho-

pathologische Modell nach Pynoos

Pynoos et  al. (1995, 1996) kritisierten zu Recht, dass die Interaktion zwischen E ­ ntwick lung und Traumatisierung bislang in den all­ gemeinen Modellen der PTBS nicht genü­ gend Beachtung findet. Sie bedenken in einem ­entwicklungspsychologischen Modell (Pynoos et  al. 1995, 1999) eine Fülle von Vulnerabili­ täts- und Schutzfaktoren bzgl. posttraumati­ scher Symptomatik bei Heranwachsenden. Es berücksichtigt 55 die Interaktion zwischen intrinsischen Faktoren (Alter, Geschlecht, Persönlich­ keit) und extrinsischen Faktoren (elterliche Psychopathologie, elterliche Traumatisie­ rung und posttraumatische Symptomatik, Erziehungsstil, Familienklima, Peers, sozioökonomischer Status etc.), die zu verschiedenen Zeiten der Entwicklung ein hohes oder niedriges Traumatisierungs­ risiko des Kindes bedingen wie auch die Anpassung des Heranwachsenden nach singulärer Traumatisierung beeinflussen können (Rind et al. [1998] kommen z. B in einer vieldiskutierten Metaanalyse zu den Folgen sexuellen Kindesmissbrauchs bei Collegestudierenden zu der Schlussfol­ gerung, dass das jeweilige Familienklima einen großen Teil der Varianz psychischer

419 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

Symptomatik in der Folge des Missbrauchs erkläre); 55 die Interaktion zwischen verschiedenen Stadien der kognitiven und emotionalen Entwicklung, der Entwicklung der Moral sowie der interpersonellen Beziehungen des Heranwachsenden und der Wahrneh­ mung und Interpretation traumatischer Geschehnisse; 55 sekundäre Stressoren gesellschaftlicher, familiärer oder individueller Art, die sich aus der Traumatisierung ergeben. Detailliert wird die Bedeutung dieser Faktoren in verschiedenen Entwicklungsstadien ausge­ führt. Wiederum integrieren die Autoren aber nicht die allgemeinen Hypothesen und Be­ funde zur PTBS  – umfassende entwicklungs­ psychopathologische Modelle stehen noch aus. 22.3  Rolle der Eltern Unter der Lupe

Eltern und Pflegepersonen spielen als wichtige Interaktionspartner und Modelle für adaptives oder dysfunktionales Coping bei der posttraumatischen Anpassung Heranwachsender eine entscheidende Rolle (Alisic et al. 2011).

So leiten Kinder z. B. die Interpretation des traumatischen Geschehens und seiner Folgen auch aus den Reaktionen der nahen Bezugs­ personen ab. Die Eltern vermitteln dem Kind emotionale Sicherheit und strukturelle Sta­ bilität. Sind z.  B. die Eltern eines Kindes, das sexuellen Missbrauch erlebt hat, nicht in der Lage, mit dem Kind darüber zu kommuni­ zieren, so fühlt das Kind sich möglicherweise abgelehnt und herabgewürdigt. Kompensieren die Eltern dagegen nach einem Verkehrsunfall ihr eigenes Schuldgefühl dadurch, dass sie das Kind verwöhnen, so fühlt das Kind sich mög­ licherweise inkompetent und „krank“, obwohl es eine gute Anpassung an das Trauma zeigt.

22

Unter der Lupe

Eltern können hilfreiche und schädliche Strategien des Kindes im Umgang mit der traumatischen Erinnerung systematisch verstärken. In einer aktuellen Metaanalyse von Williamson et al. (2017) bei 9- bis 16-Jährigen trug das elterlichen Verhalten gegenüber dem Kind (Überbehütung; Feindseligkeit; Unterstützung; Wärme) wesentlich zur Aufklärung der Varianz der Schwere der PTBS- Symptomatik bei.

Über ungünstiges Modelllernen bzw. an­ dere von den Eltern ausgehende ungünstige Lernstrategien können z. T. (neben genetischen Hypothesen) Befunde zur Assoziation elter­ licher und kindlicher Psychopathologie nach einem Trauma erklärt werden. Deblinger et al. (1997b, 1999b) fanden z. B. bei Kindern, die se­ xuellen Missbrauch erlebt hatten, dass mütterli­ che Ratings zu externalisierenden Symptomen des Kindes und die kindliche PTBS-Sympto­ matik um so höher waren, je stärker die Mütter eigene allgemeine psychopathologische Symp­ tome (besonders Depressivität) erlebten. Vom Kind erlebte mütterliche Zurückweisung war mit der Schwere depressiver Symptome beim Kind verknüpft. Generell bedeutsam sind aktu­ elle und vorausgehende psychische Erkrankun­ gen der Eltern. Steil et al. (2001) fanden z. B. in einer prospektiven Studie an 7- bis 16-jährigen Opfern von Verkehrsunfällen, dass eine dem Trauma vorausgehende psychische Störung des Elternteils, der am meisten Zeit mit dem Kind verbrachte, den diagnostischen Status des Kin­ des 2 Monate nach dem Trauma prädizierte. Unter der Lupe

Hinreichend empirisch gesichert ist, dass der Einsatz von Strategien zur Kontrolle der Intrusionen wie z. B. Grübeln oder Gedankenunterdrückung (Ehlers und Steil 1995; Steil 1997; Steil und Ehlers 2000) die Symptome der PTBS direkt verschlimmern kann (Gedankenunterdrückung z. B. erhöht

420

22

R. Steil und R. Rosner

die Auftretenswahrscheinlichkeit der unerwünschten Gedanken) bzw. die Auseinandersetzung mit dem Trauma unterbindet.

Zu erwarten ist, dass dysfunktionale Ko­ gnitionen der Eltern zum Trauma, zu seinen Folgen und zu seiner Bewältigung für die Entwicklung posttraumatischer Symptomatik beim Heranwachsenden von Bedeutung sind. Ellis et al. (1998) fanden bei 40 % der von ih­ nen untersuchten 45 Kinder nach einem Ver­ kehrsunfall, dass die Eltern eine erhöhte Pro­ tektivität gegenüber dem Kind zeigten. Wollen die Eltern z. B. das Kind vor den belastenden Erinnerungen oder auf übersteigerte Weise vor erneuter Gefährdung schützen, tragen sie u. U. zur Aufrechterhaltung der dysfunktionalen Ver­ meidung traumarelevanter Reize bei (Wil­ liamson et al. 2017). In verschiedenen Studien waren elterliche Symptomatik bzgl. Vermei­ dungsverhalten und ungünstige Kognitionen in Bezug auf das Trauma mit einer erhöhten PTBS-Symptomatik beim Kind assoziiert (vgl. z. B. Deblinger et al. 1999b; Laor et al. 1997). Unter der Lupe

Haben Eltern und Kinder gemeinsam eine Traumatisierung erlebt, scheinen die Eltern, die selbst eine PTBS entwickeln, ihre Kinder weniger erfolgreich bei der Bewältigung der Folgen unterstützen zu können (Laor et al. 1997; Rossman et al. 1997). Eine Metaanalyse von Alisic et al. (2011) fand, dass eine PTBS der Eltern einen wesentlichen Risikofaktor für das Entwickeln einer PTBS beim Kind darstellte.

Das Alter des Kindes könnte dabei den Zu­ sammenhang zwischen mütterlicher und kind­ licher Psychopathologie in der Folge einer Trau­ matisierung moderieren. Wolmer et  al. (2000) fanden bei einer prospektiven Studie zu den Folgen von Angriffen mit SCUD-Raketen auf die israelische Bevölkerung während des Golf­ kriegs eine Assoziation zwischen der kindli­

chen PTBS-Symptomatik und der mütterlichen Psychopathologie, die besonders hoch war bei 6-jährigen Kindern, geringer bei 7-jährigen und nicht mehr statistisch bedeutsam bei 8-jährigen. Möglicherweise nimmt der Kommunika­ tionsstil der Eltern mit dem Kind Einfluss auf das kindliche autobiografische Gedächtnis (Tessler und Nelson 1994): So könnten (sobald das Kind die dafür notwendigen sprachlichen Fähigkeiten erworben hat) ein elterlicher elaborierter Kom­ munikationsstil und aktive Anstrengungen, das traumatische Geschehen für das Kind verstehbar zu machen, die Einbettung stressvoller Ereignisse in das autobiografische Gedächtnis bzw. eine konzeptgesteuerte Datenverarbeitung fördern. 22.4  Risikofaktoren

Steil und Rosner (2008) geben einen Überblick über Risikofaktoren und -gruppen. Kultalahti und Rosner (2008) fassten in einer Literatur­ übersicht ca. 60 Studien zusammen, die Risiko­ faktoren bei Kindern nach einmaligen trauma­ tischen Ereignissen untersuchten. Als besonders bedeutsame Risikofaktoren zeigten sich hier 55 prätraumatische psychische Morbidität, 55 Stressorschwere, 55 wahrgenommene Lebensgefahr, 55 Ressourcenverlust in der Familie (wie z. B. die Zerstörung des Hauses), 55 Ausbildung einer akuten Belastungsstörung, 55 dysfunktionale Bewältigungsstrategien, 55 mangelnde soziale Unterstützung, 55 weitere, der Traumatisierung nachfolgende belastende Lebensereignisse. JüngeresAlterbeiTraumatisierungundweibliches Geschlecht gelten ebenfalls als Risikofaktoren. Als Erklärung für den Geschlechterunterschied werden biologische Unterschiede, unterschied liche Rollenerwartungen, unterschiedliche kognitive Bewertungen des Traumas und möglicherweise auch Unterschiede im Be­ ­ richten von Symptomen diskutiert (Gavranidou und Rosner 2003; Kruczek und Salsman 2006). Bei der Bewertung des besonders stabilen und konsistenten Risikofaktors prätraumati­

421 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

sche psychische Morbidität muss bedacht wer­ den, dass diese evtl. auch mit einem höheren Risiko der Traumatisierung einhergeht: So er­ leben Kinder mit ADHD, Störungen des Sozi­ alverhaltens oder Substanzabusus möglicher­ weise häufiger Traumata als gesunde Kinder. In einer Metaanalyse (N = 64 Studien) über insgesamt 32.238 Probanden wurden Risiko­ faktoren für die Ausbildung einer PTBS nach einer Traumatisierung bei Jugendlichen im Al­ ter von 6–18 Jahren untersucht (Trickey et al. 2012). Folgende Risikofaktoren für die Ent­ wicklung einer posttraumatischen Belastungs­ störung konnten identifiziert werden: 55 weibliches Geschlecht, 55 jüngeres Alter, 55 Zugehörigkeit zu einer ethnischen Min­ derheit, 55 geringe Intelligenz und ein niedriger so­ zioökonomischer Status, 55 komorbide Angststörungen, komorbide Depression. Ebenfalls erhöhten kritische Lebensereignisse und Probleme vor dem traumatischen Ereig­ nis, Probleme der Eltern, geringe soziale Un­ terstützung, ein geringes Funktionsniveau in der Familie und sozialer Rückzug das Risiko einer PTBS. 22.5  Diagnostik der PTBS im

Kindes- und Jugendalter

Bei der Diagnostik der Folgen einer Trauma­ tisierung beim Kind gilt es, 3 Bereiche zu be­ rücksichtigen: 55 prätraumatisches Funktionsniveau des Kindes, 55 traumatisches Ereignis selbst, 55 dessen Folgen für das Kind und seine Umwelt. Alle verfügbaren Informationsquellen sol­ len hierbei genutzt werden: Kind und Eltern, Lehrer, Verhaltensbeobachtung in Schule oder häuslichem Umfeld, medizinische Akten und Informationen sowie Berichte von Zeugen

22

(Thornton 2000). Zur Klärung der Diagnose PTBS wird bei Kindern generell der Einsatz von strukturierten Interviews (Steil und Ros­ ner 2008) empfohlen. Symptome wie Intru­ sionen können nur aus der subjektiven Sicht des Kindes erfasst werden, besser objektivier­ bare Symptome wie erhöhte Irritabilität oder Aggressivität, Ängstlichkeit oder regressives Verhalten sind auch einer Fremdbeurteilung durch Eltern, Lehrer oder den Diagnostiker zugänglich. >> Eltern und Lehrer neigten in empirischen Studien dazu, die Belastung der Kinder im Vergleich zu deren eigenen Angaben grob zu unterschätzen (Korol et al. 1999; Sack et al. 1994).

Kinder scheinen mehr internalisierende Pro­ bleme zu berichten als ihre Eltern, die Eltern mehr externalisierende Probleme als das Kind. Bei sexueller Gewalt spielt offensichtlich auch die von den Eltern eingeschätzte Glaub­ würdigkeit des Kindes eine Rolle: Mütter gaben die PTBS-Symptomatik des Kindes als umso höher an, je glaubwürdiger sie die Äußerungen des Kindes fanden (Deblinger et  al. 1997b). Dies zeigt, wie wichtig eine umfassende Anam­ nese bei Kind und Eltern und die Befragung des Kindes selbst ist (7 Kap. 7). Problematisch ist auch, dass Kinder es sehr schwierig finden können, über das Erlebte und ihre psychischen Symptome zu sprechen – sie wollen die Eltern oder die Familie nicht besorgt stimmen (Perrin et al. 2000; Deblinger et al. 1997a).  

Unter der Lupe

Probleme bereitet die Diagnostik von Traumatisierung in der frühen Kindheit. Zwar gibt es empirische Belege für das nonverbale Erinnern bezogen auf traumatische Ereignisse vor dem Alter von 2 Jahren, die frühesten verbal zugänglichen autobiografischen Erinnerungen findet man im Schnitt jedoch erst für das Alter ab ca. 3 Jahren und nur in fragmentarischer Weise (Pillemer 1998).

422

22

R. Steil und R. Rosner

Das autobiografische Gedächtnis von Kin­ dern scheint anfällig für Verzerrungen und Suggestion zu sein (Eisen et  al. 2007). Auch speziell trainierte Psychologen konnten nicht reliabel trennen zwischen Narrationen von Kindern, die auf wahren Erlebnissen und sol­ chen, die auf vorausgehender Suggestion be­ ruhten (Ceci et al. 1994). >> Vorsichtige Zurückhaltung sowie verantwortungsvolle Interviewtechniken (offene Fragen statt Informationen vorgebende Suggestivfragen) sind bei der Diagnostik von Traumatisierung im Kindesalter dringend geboten.

Es empfiehlt sich, Eltern und Kinder getrennt zu befragen und die Informationen von bei­ den zu erfassen. Einen umfassenden Über­ blick über gebräuchliche Diagnoseinstrumente liefern Steil und Rosner (2008). Für Kinder ab 6 Jahren und Jugendliche liegen störungsspezi­ fische deutschsprachige Selbst- und Fremdbe­ urteilungsinstrumente vor, mit deren Hilfe das Vorliegen einer PTBS und deren Schweregrad erfasst werden können. Einen Überblick gibt . Tab. 22.1. In Anlehnung an Thornton (2000) ergibt sich folgender Diagnoseleitfaden:  

Diagnoseleitfaden Erhebung ausschließlich beim Kind

Zentrale Aspekte 

55 Gegenwärtige und frühere Diagnose(n) des Kindes nach DSM oder ICD (einschließ­ lich PTBS) 55 Gegenwärtige allgemeine psychopatholo­ gische Symptomatologie 55 Bestimmung des Schweregrads durch Selbsteinschätzung des Kindes 55 Objektive/subjektive Merkmale des Trau­ mas 55 Trauer über Familienmitglieder/Freunde 55 Kognitives Leistungsniveau Periphere Aspekte 

55 Selbstbild 55 Interesse 55 Soziale Fertigkeiten

Erhebung ausschließlich bei Eltern/Pflegepersonen Zentrale Aspekte 

55 Gegenwärtige und frühere Diagnose(n) des Kindes und der Eltern nach DSM oder ICD 55 Gegenwärtige allgemeine psychopatholo­ gisch Symptomatologie 55 Bestimmung des Schweregrads durch Ein­ schätzung der Eltern 55 Demografische Informationen 55 Medizinische Anamnese 55 Verhalten und Entwicklung des Kindes auf motorischem, kognitivem, sozialem und emotionalem Gebiet Periphere Aspekte 

55 Elterliche Sicht der Traumatisierung Erhebung ausschließlich aus anderen Quellen Zentrale Aspekte 

55 Medizinische Anamnese 55 Verhalten und Entwicklung des Kindes auf motorischem, kognitivem, sozialem und emotionalem Gebiet Periphere Aspekte 

55 Soziale Unterstützung, die das Kind erhält 55 Soziale Fertigkeiten des Kindes Erhebungen bei Kindern und Eltern/Pflegepersonen Zentrale Aspekte 

55 Veränderungen in motorischen, kognitiven und sonstigen Leistungen mit der Trauma­ tisierung 55 Funktionsniveau des Kindes (Schule, Familie, Sozialkontakte) 55 Frühere Traumatisierungen bei Kind und Eltern/Pflegepersonen 55 Stimuli, die Erinnerungen an das Trauma auslösen können 55 Mit dem Trauma und seinen Folgen asso­ ziierte sekundäre Emotionen und dysfunk­ tionale Kognitionen

Name des Instruments

Interviews zu Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (IBS-KJ) (Amerikanisches Original: Clinician Administered PTSD Scale for Children and Adolescents (CAPS-CA)

Child and Adolescent Trauma Screen (CATS)

Steil und Füchsel 2006 (Original von Nader et al. 1994)

Sachser et al. 2016a

7–17

8

6

Einsetzbar ab [in Jahren]

Schneider et al. 2009

Diagnostisches Interview für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter (Kinder-DIPS)

6

Strukturierte Interviews mit dem Kind/Jugendlichen und Eltern

Child Post-traumatic Stress Disorder Reaction Index (CPTSD-RI)

Landolt et al. 2003 (Original von Nader et al. 1990) Als Interview und Fragebogen zu verwenden, dt. Version als Interview untersucht

Strukturierte Interviews mit dem Kind/Jugendlichen

Autoren

(Fortsetzung)

An DSM-IV und ICD-10 orientiert; 2 parallele Versionen für Kind und Elternteil

Selbst- und Fremdeinschätzung

Reliabilität: Cronbachs α = 0, 88–0,94

Keine Gütekriterien zur Diagnostik der PTB

An DSM-IV orientiert, Diagnosestellung und Schweregraderfassung von Häufigkeit und Intensität der Symptome, Erfassung des Einflusses der Symptomatik auf verschiedene Entwicklungsbereiche

Nicht an ICD oder DSM angelehnt, einige der dort beschriebenen Symp­ tome werden nicht erfasst

Bemerkungen

Reliabilität der Skalen der dt. Version: Cronbachs α = 0,92 bzw. 0,91 für die Gesamtschweregrade

Reliabilität der engl. Version: Cronbachs α = 0,83, Übereinstimmung mit der Diagnose PTBS: r = 0,91

Psychometrische Kennwerte

..      Tab. 22.1  Deutschsprachige Diagnoseinstrumente der PTBS im Kindes- und Jugendalter

Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen 423

22

Name des Instruments



Trauma Symptom Checkliste für Kinder und Jugendliche (TSC-C)

University of California at Los Angeles Child/Adolescent PTSD Reaction Index for DSM-5 (UCLA-PTSD-RI

Briere 1996; dt. Version von Spranz et al. 2018

Steinberg et al. 2004, 2013; Elhai et al. 2013; dt. Version von Landolt 2012

childrenandwar.­org

Children’s Impact of Event Scale

7–12 13–18

8–21

6–15

Einsetzbar ab [in Jahren]

Weder an ICD noch DSM orientiert, Erfassung des Schweregrades von Intrusion, Vermeidung und Übererregung Erfasst breites Spektrum an Symptomen nach Traumaexposition

Getrennte Versionen für Kinder, Jugendliche und Eltern

Reliabilität: Cronbachs α = 0,80 bzw. 0,86 in normativen Stichproben Cronbachs α = 0,72–0,87 für klinische Stichprobe Reliabilität: Cronbachs α = 0,90

Bemerkungen

Keine Angaben zur dt. Version

Psychometrische Kennwerte

22

Dyregrov et al. 1996 In dt. Übersetzung erhältlich unter 7 http://www.­

Fragebogen für das Kind/den Jugendlichen

Strukturierte Interviews mit dem Kind/Jugendlichen

Autoren

..      Tab. 22.1 (Fortsetzung)

424 R. Steil und R. Rosner

22

425 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

55 Strategien kognitiver Vermeidung der traumatischen Erinnerungen 55 Selbstschädigendes Verhalten beim Kind, Drogenkonsum, Suizidalität 55 Elterliche Reaktionen auf die Symptomatik des Kindes Periphere Aspekte 

55 Wichtige Lebensereignisse vor und nach der Traumatisierung 55 Erziehungsstil der Eltern und soziale Unterstützung, die das Kind erhält Erhebungen Eltern/Pflegepersonen und anderen Quellen Zentrale Aspekte 

55 Objektive Merkmale des Traumas (Ablauf der Geschehnisse, Verletzungen etc.) Als internationaler Standard können die Interviews zu Belastungsstörungen im Kindesund Jugendalter gelten (IBS-KJ; Steil und Füch­ sel 2006), eine modifizierte deutsche Überset­ zung der „Clinician Administered PTSD Scale for Children and Adolescents“ (CAPS-CA). Dieses Instrument liefert 55 Information zum Vorliegen der Diagnosen PTBS und akute Belastungsstörung, 55 Summenscores zu Häufigkeit und Intensi­ tät posttraumatischer Symptome, 55 Berechnungen zu Häufigkeit und Intensi­ tät für die einzelnen Symptomcluster. Die Diagnostik möglicher komorbider Stö­ rungen kann mit einschlägigen I­nstrumenten erfolgen. Eine deutschsprachige und an die Kriterien des DSM-5 angepasste Version die­ ses Interviews ist durch eine Arbeitsgruppe um Cedric Sachser in Vorbereitung. >> Bei der Darstellung der traumatischen Ereignisse sollte das Kind zunächst Gelegenheit haben, selbst zu erzählen, bevor der Therapeut detaillierte Fragen zu den Geschehnissen stellt.

Bei jüngeren Kindern können die traumati­ schen Erfahrungen erfasst werden, indem man das Kind bittet, ein Bild zu malen, zu dem es

eine Geschichte erzählen kann, oder die Ge­ schehnisse mit Puppen nachzuspielen (Per­ rin et  al. 2000; Thornton 2000). Diagramme, Pläne oder Zeichnungen können hilfreich sein (z.  B. bei Traumatisierung im Klassenzimmer ein Plan, wer wo saß etc.). Während das Kind erzählt, sollte der Therapeut verbale Prompts benutzen („Was ist als nächstes passiert?“, „Wie fühltest du dich dabei?“, „Was kam dann?“). The­ rapierelevant ist neben der Erfassung der Psy­ chopathologie auch die möglicher dysfunktio­ naler Kognitionen und kognitiver Vermeidung. Instrumente und Vorgehensweisen hierzu wer­ den in 7 Abschn. 22.6 dargestellt.  

22.6  Interventionen 22.6.1  Wirksamkeit

Aus den ätiologischen Modellen der PTBS wurden Empfehlungen zur Behandlung abge­ leitet. Diese beinhalten als 2 wichtige Säulen: 55 Konfrontation in sensu (7 Kap. 13) mit den traumatischen Erinnerungen (mit dem Ziel der Habituation an die bedrohli­ chen Erinnerungen, der besseren Elabo­ ration der traumatischen Geschehnisse und der Integration neuer, korrigierender Erfahrungen), 55 kognitive Interventionstechniken (7 Kap. 13) mit dem Ziel der Identifikation und gezielten Veränderung negativer Ko­ gnitionen zum Trauma und seinen Folgen; Steil 2000).  



Diese kognitiv-behaviorale Therapie (KBT) gilt bei Erwachsenen  – zusammen mit einer Be­ handlung mit „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ (EMDR; 7 Kap. 14) – inter­ national als Behandlung der Wahl, ihre Wirk­ samkeit gilt als empirisch nachgewiesen (siehe die entsprechenden Kapitel in diesem Buch). Auch bei Kindern und Jugendlichen erzielte sie in kontrollierten und randomisierten Studien sehr erfolgversprechende Ergebnisse und kann nach heutigem Erkenntnisstand als Methode der Wahl gelten. Es liegt eine beeindruckende Zahl  

426

R. Steil und R. Rosner

von kontrollierten und randomisierten Studien zur KBT bei den Folgen von Traumatisierung im Kindesalter vor. . Tab. 22.2 gibt einen Über­ blick über die Fülle und Breite der Studien zur Behandlung von Kindern mit einem mittleren Lebensalter von unter 14 Jahren  – allerdings erhebt sie keinen Anspruch auf Vollständig­ keit (für eine Übersicht zur Wirksamkeit vgl. die Metaanalysen von Gutermann et  al. 2016, Gutermann et al. 2017 und Morina et al. 2016). In den meisten dieser Studien wurden Op­ fer der  – wie epidemiologische Studien zei­ gen  – schwersten Form von Traumatisierung, nämlich des sexuellen Missbrauchs, behandelt. Nicht alle behandelten Kinder litten am Vollbild einer PTBS, nicht immer war dies Eingangskri­ terium. Neben der PTBS-Symptomatik wurden hier Maße der Psychopathologie ebenfalls als Erfolgsmaße gewählt. Die langfristige Wirk­ samkeit der Interventionen scheint gesichert zu sein, bei Katamnesen von bis zu 24 Monaten (z. B. bei Deblinger et al. 1999a). Das bislang einflussreichste Manual der traumafokussierten kognitiven Verhaltens­ therapie (Tf-KVT) der Arbeitsgruppe um Deblinger (Cohen et al. 2009) zeigt exzellente Wirksamkeit bei der Überprüfung durch ver­ schiedene Arbeitsgruppen in mehr als 13 randomisiert kontrollierten Studien (Sachser et al. 2016b). Eine dieser Studien wurde in acht deutschen Versorgungseinrichtungen durch­ geführt und verglich TF-KVT mit einer Warte­ kontrolle (Goldbeck et al. 2016). Hier ergaben sich mittlere Effektstärken für posttraumati­ sche Belastungssymptome, dysfunktionale Ko­ gnitionen sowie internale und externale Ver­ haltenssymptome. Wirksamkeitsnachweise finden sich aller­ dings auch für eine jugendspezifische Adap­ tation der prolongierten Exposition nach Foa (vgl. Foa et al. 2013) oder die kognitive Thera­ pie der PTBS nach Ehlers und Clark (2000; vgl. Smith et  al. 2007). Bemerkenswert erscheint, dass auch eine kognitive Intervention ohne Expositionselemente sehr gute Wirksamkeit zeigte (vgl. Nixon et al. 2012). TF-KVT zeigte sich effektiv sowohl mit Kin­ dersoldaten im Kongo (McMullen et  al. 2013)  

22

als auch sexuell ausgebeuteten Mädchen im Kongo (O’Callaghan et al. 2013). Eine Übersicht zu interkulturellen Aspekten geben Murray et al. (2006). Eine erste Studie mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zeigte vielverspre­ chende Ergebnisse für die TF-KVT für diese Zielgruppe (Unterhitzenberger et al. 2015). Auch die klinische Signifikanz der KBT bei PTBS ist mit den bislang vorliegenden Studien zu belegen. In einer Untersuchung der KBT mit dem Kind allein bzw. mit Kind und Familie bei kindlichen Patienten mit PTBS nach sexu­ ellem Missbrauch erfüllten im Follow-up nach 12 Wochen 67 % der Kinder in den beiden be­ handelten Gruppen nicht mehr die Diagnose einer PTBS vs. nur 20  % der Kinder in einer Wartelistenkontrollgruppe (King et al. 2000). Eventuell zeichnet sich  – ähnlich wie bei Erwachsenen  – ab, dass eine PTBS nach se­ xualisierter Gewalterfahrung in der Kindheit schwieriger zu behandeln ist als PTBS nach anderen Formen der Traumatisierung. Mac­ donald et al. (2012) fanden in einer Cochrane-­ Metaanalyse für randomisierte und kontrol­ lierte Behandlungsstudien einen m ­ oderaten Effekt von .44 für die kognitiv-­behaviorale Be­ handlung der PTBS nach sexualisierter Gewalt im Kindesalter, basierend auf 6 Studien. Cohen und Mannarino (1998, 2000) fan­ den, dass der Behandlungserfolg bei 7- bis 14-jährigen Kindern, die sexuellen Missbrauch erlebt hatten, negativ mit ungünstigen Attribu­ tionen zum Missbrauch und positiv mit dem Ausmaß elterlicher Unterstützung assoziiert war. In einer anderen Studie derselben Autoren an Kindern im Vorschulalter nach sexuellem Missbrauch prädizierte das Ausmaß elterlicher Psychopathologie den Behandlungserfolg: Er war umso geringer, je depressiver und emo­ tional belasteter die Eltern sich fühlten (Cohen und Mannarino 1996b). Neben der Wirksamkeit der KBT wur­ den auch Behandlungsformen, die verwandte Elemente besitzen, beforscht. EMDR („Eye Movement Desensitization and Reprocessing“; Greenwald 1998; Hensel und Meusers 2006; Muris und Merckelbach 1999) wurde in einer Studie im kontrollierten und randomisierten

Trauma

Sexuelle Ausbeutung; keine Angabe über Zeit seit dem Trauma

Sexuelle Ausbeutung; Missbrauch liegt zwischen 1–26 Monate zurück

Naturkatastrophe; 2 Jahre danach

Studie

Berliner und Saunders 1996

Celano et al. 1996

Chemtob et al. 2002

N = 214 152 Mädchen, 97 Jungen Alter: 6–12 Jahre M = 8,2 Jahre

N = 32 Mädchen Alter: 8–13 Jahre M = 10,5 Jahre

N = 80 9 Jungen, 71 Mädchen Alter: 4–13 Jahre M = 8,0 Jahre

Stichprobe

Kind: Allgemeine Belastung, PTBS-Symptome Mutter: Unterstützung und Attribution

PTBS-­ Symptomatik

KBT-Gruppenintervention vs. KBT-individuelle Intervention vs. Wartekontrollgruppe 4 Sitzungen in 4 Wochen

Allgemeine Belastung, Depression PTBS-Symptome

Untersuchte Variablen

Individuelle supportive Therapie in Kombination mit Behandlung der weiblichen Bezugsperson vs. kognitive Intervention (basierend auf Finkelhor-Modell) in Kombination mit Behandlung der weiblichen Bezugsperson 8 Sitzungen über 8 Wochen

Gruppentherapie mit spezifischen auf Angst und Furcht abzielenden Therapieelementen: Stressimpfungstraining + graduierte Exposition vs. Standard-Gruppentherapie 10 Sitzungen über 10 Wochen

Anzahl der Sitzungen

Behandlungsbedingungen

..      Tab. 22.2  Übersicht über Effektivitätsstudien zur KBT bei PTBS im Kindesalter

(Fortsetzung)

Individuelle KBT = Gruppenintervention KBT > Wartekontrollgruppe

Verbesserung in beiden Gruppen; kein Unterschied zwischen den Gruppen

Verbesserung in beiden Gruppen; kein Unterschied zwischen den Gruppen

Ergebnisse

Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen 427

22

Trauma

Sexuelle Ausbeutung und bei 90 % der Kinder weitere Ereignisse; im Mittel 12 Monate nach letztem Missbrauch

Sexuelle Ausbeutung nicht länger als 6 Monate seit Traumaende

Sexuelle Ausbeutung; innerhalb von 6 Monaten nach letztem Ereignis

Sexuelle Ausbeutung; Zeit nicht berichtet

Cohen et al. 2004; Deblinger et al. 2006

Cohen und Mannarino 1996a, 1997

Cohen und Mannarino 1998

Cohen et al. 2005

N = 82 56 Mädchen, 26 Jungen Alter: 8–15 Jahre M = 11,4 Jahre

N = 49 15 Jungen, 34 Mädchen Alter: 7–14 Jahre M = 11,1 Jahre

N = 67 42 % Jungen, 58 % Mädchen Alter: 2–7 Jahre M = 4,7 Jahre

N = 203 Kinder N = 189 Bezugspersonen Alter: 8–14 Jahre M = 10,8 Jahre

Stichprobe

KBT vs. kindzentrierte unterstützende Therapie 12 Sitzungen

KBT-Kind und Eltern vs. nondirektive unterstützende Behandlung 12 Sitzungen

KBT bei Kind und Elternteil vs. nondirektive unterstützende Behandlung 12 Sitzungen

KBT vs. kindzentrierte Therapie 12 Doppelstunden (je eine für Kind, eine für Bezugsperson)

Anzahl der Sitzungen

Behandlungsbedingungen

PTBS-Symptome, Depression, Angst, sexualisiertes Verhalten

Allgemeine Belastung, PTBS-Symptome

Allgemeine Belastung, PTBS-Symptome

Kinder: PTBS-Symptome, Depression, allgemeine Belastung Eltern: Depression, emotionale Reaktion, Erziehungsstil

Untersuchte Variablen

KBT > kindzentrierte unterstützende Intervention

KBT > nondirektive unterstützende Behandlung

KBT > nondirektive unterstützende Behandlung

KBT > kindzentrierte Therapie

Ergebnisse

22

Studie

..      Tab. 22.2 (Fortsetzung)

428 R. Steil und R. Rosner

Sexuelle Ausbeutung; bei 66 % Missbrauch beendet innerhalb der letzten 6 Monate

Sexuelle Ausbeutung; 54 Monate seit Traumaende

Gewalt; keine Info zu Zeitabstand

Singuläre Traumatisierung (Unfälle, Gewalterfahrung); 8,6 Monate seit Trauma

Deblinger et al. 1996, 1999a

King et al. 2000

Stein et al. 2003

Smith et al. 2007

N = 24 12 Jungen, 12 Mädchen Alter: M = 13,89 Jahre

N = 126 71 Mädchen, 55 Jungen Alter: M = 11 Jahre

N = 36 31 % Jungen, 69 % Mädchen Alter: 5–17 Jahre M = 11,5 Jahre

N = 90 17 % Jungen, 83 % Mädchen Alter: 7–13 Jahre M = 9,84 Jahre

KBT (nach Ehlers und Clark 2000) vs. Warteliste

KBT in Gruppe vs. Wartekontrollgruppe 10 Sitzungen schulbasiert

KBT bei Kind vs. KBT bei Kind und Mutter vs. Warteliste 20 Sitzungen

KBT bei Eltern vs. KBT bei Kind vs. KBT bei Eltern und Kind vs. Standardberatung

PTBS-Symptome, Depression

PTBS-Symptome, Depression Eltern: psychosoziale Probleme Lehrer: Schulprobleme

PTBS-Symptome, Angst

PTBS-Symptome, Depression, allgemeine Belastung

(Fortsetzung)

KBT > Wartegruppe

KBT > Wartegruppe

KBT bei Kind = KBT bei Eltern und Kind > Warteliste

KBT bei Eltern = KBT bei Kind = KBT bei Eltern und Kind > Standardberatung

Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen 429

22

Trauma

Singuläre Traumatisierung (Unfälle, sexuelle bzw. physische Gewalterfahrung); 18,5 Monate seit Trauma

Gewalt von Partner gegenüber Mutter; keine Info zu Zeitabstand

Singuläres Traumata (Explosion); 6 Monate seit Trauma

Sowohl multiple als auch singuläre Traumatisierung (Unfälle, Tod einer nahestehenden Person, Krankheit, sexuelle bzw. physische Gewalterfahrung); keine Info zu Zeitabstand

Singuläre Traumata; 20 Monate seit Trauma

Kriegstraumatisierung; keine Info zu Zeitabstand

Gilboa-­ Schechtman et al. 2010

Cohen et al. 2011

de Roos et al. 2011

Scheeringa et al. 2011

Nixon et al. 2012

Schottelkorb et al. 2012

N = 31 Alter: 6–13 Jahre

N = 33 Alter: M = 11 Jahre

N = 31 33,8 % Mädchen Alter: 3–6 Jahre M = 5,3 Jahre

N = 40 44,23 % Mädchen Alter: 14–18 Jahre

N = 124 61 Jungen, 63 Mädchen Alter: M = 9,6 Jahre

N = 38 24 Mädchen, 14 Jungen Alter: M = 14,05 Jahre

Stichprobe

KBT vs. Spieltherapie je 17 Sitzungen

KBT vs. KT ohne Exposition je 9 Sitzungen

TF-KBT vs. Warteliste 12 Sitzungen

KBT vs. EMDR je 4 Sitzungen

KBT vs. Behandlung wie üblich (treatment as usual) 8 Sitzungen

Entwicklungsangepasste Prolongierte Exposition (PE) vs. Psychodynamische Therapie (PT)

Anzahl der Sitzungen

Behandlungsbedingungen

PTBS-Symptome

PTBS-Symptome, Depression, Angst

PTBS-Symptome, Depression, Angst

PTBS-Symptome, Angst, Depression

PTBS-Symptome, Angst, Depression

PTBS-Symptome, Depression, globales Funktionsniveau

Untersuchte Variablen

KBT = Spieltherapie

KBT = KT

KBT> Warteliste

KBT = EMDR

KBT > Behandlung wie üblich

PE > PT

Ergebnisse

22

Studie

..      Tab. 22.2 (Fortsetzung)

430 R. Steil und R. Rosner

Sowohl multiple als auch singuläre Traumatisierung (Unfälle, Tod einer nahestehenden Person, Krankheit, sexuelle bzw. physische Gewalterfahrung); keine Info zu Zeitabstand

Sowohl multiple als auch singuläre Traumatisierung (Unfälle, Krankheit, sexuelle bzw. physische Gewalterfahrung); keine Info zu Zeitabstand

Kriegstraumatisierung

Jensen et al. 2014

Diehle et al. 2015

O’Callaghan et al. 2015

N = 50 Alter: 8–17 Jahre M = 14 Jahre

N = 48 18 Jungen, 30 Mädchen Alter: 8–18 Jahre M = 12,9 Jahre)

N = 156 124 Mädchen, 32 Jungen Alter: M = 15 Jahre

N = 48 Nur Jungen Alter: 13–17 Jahre M = 15,8 Jahre

KBT vs. Psychosoziale Intervention je 9 Sitzungen

TF-KBT vs. EMDR je 12 Sitzungen

TF-KBT vs. Behandlung wie üblich (treatment as usual) 12–15 Sitzungen

TF-KBT vs. Warteliste 17 Sitzungen

PTBS

PTBS-Symptome, Depression, Angst

PTBS-Symptome, Depression, Angst

PTBS-Symptome, Depression, Angst

KBT = psychosoziale Intervention

KBT = EMDR

KBT > Behandlung wie üblich

KBT > Warteliste

KBT kognitiv-behaviorale Therapie, PTBS posttraumatische Belastungsstörungen, KT kognitive Therapie, EMDR Eye Movement Desensitization and Reprocessing

Kriegstraumatisierung; keine Info zu Zeitabstand

McMullen et al. 2013

Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen 431

22

432

22

R. Steil und R. Rosner

Design untersucht (Ahmad et al. 2007), die Er­ gebnisse sind positiv. Zur narrativen Expositi­ onstherapie (NET; Neuner et al. 2008) wurden in den letzten Jahren viele positive Befunde vorgelegt, sodass diese als vielversprechendes Verfahren gelten kann. Für die Wirksamkeit einer psychodynamischen Behandlung der PTBS im Kindes- und Jugendalter finden sich bisher nur wenige Belege (Trowell et al. 2002). Für die Wirksamkeit einiger in der Praxis im deutschsprachigen Raum häufig verwendeter Verfahren (wie spieltherapeutische Methoden) stehen bisher empirische Belege aus. Überprüfte Manuale zum Vorgehen bei Kindern unter 7 Jahren sind sehr selten. Als das derzeit am besten untersuchte und beschrie­ bene Manual kann das Vorgehen nach Lieber­ man und Horn (2005) gelten. Hier handelt es sich um ein eklektisches Manual, das folgende Sichtweisen kombiniert (wobei eine randomi­ sierte kontrollierte Untersuchung aussteht): 55 bindungstheoretische Aspekte, 55 verhaltenstherapeutische Aspekte, 55 psychodynamische Aspekte. Unter der Lupe

Aktuelle Metaanalysen zeigen, dass Psychotherapie allgemein wirksam in der Behandlung von PTBS-Symptomen bei Kindern und Jugendlichen ist, wobei die Effektstärken im mittleren bis großen Effektstärkenbereich liegen (Gutermann et al. 2016; Morina et al. 2016). Auch häufig komorbid vorliegende Angst- und Depressionssymptome lassen sich durch Psychotherapie lindern. Dabei konnte die KBT als die am meisten erforschte und auch effektivste Therapie herausgearbeitet werden, die in randomisierten und kontrollierten Studien insgesamt mittlere bis große Effektstärken zeigte (Gutermann et al. 2016: Hedge’s g = 0,79; Morina et al. 2016: g = 0,66–1,44). Die Traumabehandlung mit EMDR zeigte in unkontrollierten Studien große Effekte, in randomisiert kontrollierten

Studien hingegen nur einen kleinen Effekt auf die Symptomatik nach Therapieende (Gutermann et al. 2016: Hedge’s g = 0,49). Untersucht man Einflussfaktoren auf den Therapieeffekt, so fanden sich bei älteren Probanden größere Behandlungseffekte. Dies könnte darauf hindeuten, dass ältere Patienten, möglicherweise aufgrund ihrer gereiften kognitiven Fähigkeiten, besser von einer Therapie profitieren können als jüngere Patienten (Gutermann et al. 2016). Bei der gemeinsamen Untersuchung von kontrollierten und unkon­ trollierten Studien erwiesen sich außerdem solche Behandlungen als effektiver, bei denen die Bezugspersonen mit in die Therapie eingebunden wurden (Gutermann et al. 2016). In der Metaanalyse von Morina et al. (2016) fand sich dieser Einflussfaktor jedoch nicht.

Pharmakotherapie  Aktuell liegen ausreichend

Studien zur Pharmakotherapie der PTBS nur für Erwachsene vor. Generell zeigt sich in der Behandlung erwachsener Patienten, dass die Effektstärken der Phamakotherapie denen der Psychotherapie unterlegen sind. Zur pharma­ kotherapeutischen Behandlung der PTBS im Kindes- und Jugendalter liegen bislang nur we­ nige kontrollierte und randomisierte Studien vor: Cohen et al. (2007) verglichen eine Kombi­ nationsbehandlung von KBT und Sertralin mit KBT und Placebo. Dabei zeigte sich nur eine marginale Überlegenheit der Kombinations­ behandlung mit Sertralin gegenüber der KBT allein. Robbs et  al. (2010) verglichen in einer großen randomisierten und kontrollierten Stu­ die die Wirksamkeit von Sertralin bei 131 Kin­ dern oder Jugendlichen von 6–17 Jahren mit der eines Placebos. Im Vergleich zum Placebo zeigte sich in dieser großen Studie keine Überlegenheit des SSRIs. Expertenrichtlinien empfehlen, Kin­ der und Jugendliche, die an einer PTBS leiden, zunächst psychotherapeutisch zu behandeln. Antidepressiva sind bei Kindern in Deutschland

433 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

nur im Heilversuch zugelassen. Bedacht werden muss bei ihrer Gabe, dass diese das Risiko der Suizidalität erhöhen können (Hammad et  al. 2006). Die 2018  in überarbeiteter Form erschei­ nenden deutschen AWMF-Leitlinien empfeh­ len, dass jedem Kind und Jugendlichen mit PTBS eine traumfokussierte Psychotherapie angeboten werden soll, die TF-KVT wird auf­ grund der Vielzahl der empirischen Belege und ihrer Wirksamkeit als Behandlung der Wahl empfohlen. Aufgrund des Mangels an empiri­ scher Evidenz wird empfohlen, dass Psycho­ pharmaka in der Behandlung der PTBS bei Kin­ dern und Jugendlichen nicht eingesetzt werden sollen. Eltern oder Bezugspersonen sollten in die Behandlung mit einbezogen werden. >> Bei der PTBS des Kindes- und Jugendalters ist die traumafokussierte Psychotherapie die Behandlungsmethode der Wahl."

22.6.2  Überblick zu überprüften

psychotherapeutischen Interventionsmethoden

Nur ein geringer Teil der von PTBS betroffe­ nen Kinder und Jugendlichen scheint psycho­ logische oder psychiatrische Hilfe zu erhalten (z. B. nur 24 % der Jugendlichen mit PTBS in der Studie von Essau et  al. 1999). Möglicher­ weise nehmen weder sie noch ihre Eltern die typischen Symptome als behandlungsbedürf­ tige Folgen des traumatischen Erlebnisses wahr. Daher wird vorgeschlagen (z. B. im Rah­ men der Versorgung der körperlichen Verlet­ zungen oder im Rahmen der Betreuung durch andere Stellen), Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern aktiv Behandlungsangebote zu machen. >> Bei kindlichen Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten sollte immer auch eine mögliche Traumatisierung als Ursache der Symptomatik in Betracht gezogen werden.

22

22.6.2.1  Interventionen in der

Akutphase

Unter der Lupe

In der Phase direkt nach einer Traumatisierung wird empfohlen, Kinder und Jugendliche aufmerksam zu beobachten, um eine angemessene Intervention einleiten zu können, falls sich eine Symptomatik nicht zurückbildet oder verzögert ausbildet.

In dieser Beobachtungsphase direkt nach dem Ereignis sind allgemein supportive Interven­ tionen durchaus sinnvoll und werden von den Betroffenen und ihren Familien gut angenom­ men. Dabei handelt es sich z. B. um: 55 soziale Unterstützung, 55 Aufklärung und 55 Psychohygiene. >> Günstig für Kinder und Jugendliche ist alles, was Sicherheit vermittelt, also z. B. 55 Herstellen des Kontaktes zu Bezugspersonen, 55 Wiederaufnehmen alltäglicher Routinen (z. B. Zähne putzen, Geschichte lesen und gemeinsames Kuscheln vor dem Schlafen gehen), 55 Berücksichtigen grundlegender Bedürfnisse nach Nahrung und Schlaf.

Ein traumatisches Ereignis aktiviert immer das Bindungssystem, und fürsorgliche Verhaltens­ weisen der Bezugspersonen sind daher immer notwendig. Für den Behandler empfiehlt es sich daher, Eltern und andere Bezugsperso­ nen auf diese Bedürfnisse hinzuweisen und sie möglichst in der Umsetzung zu unterstüt­ zen. Falls bereits eine akute Belastungsstörung (ABS) vorliegt, empfiehlt sich der Einsatz ei­ nes der bewährten KBT-Manuale. Bezüglich der Überprüfung von psychotherapeutischen Interventionen zur Behandlung der akuten Belastungsstörung bei Kindern und Jugend­ lichen besteht bis heute eine Forschungslücke,

434

22

R. Steil und R. Rosner

daher wird auch vom Einsatz des „Critical In­ cident Stress Debriefing“ oder „Psychological Debriefing“ bei Kindern und Jugendlichen mit akuter Belastungsstörung abgeraten. 22.6.2.2  Interventionen bei einer

diagnostizierten PTBS

Exemplarisch sei hier das Manual der Arbeits­ gruppe um Cohen et  al. (2009) beschrieben, das alle Elemente der bewährten traumafo­ kussierten kognitiven Verhaltenstherapie ent­ hält. Für dieses Manual steht ein kostenfreies deutschsprachiges Lernprogramm für (ange­ hende) Kinder- und Jugendlichenpsychothera­ peuten zur Verfügung (7 https://tfkvt.­ku.­de/), das mit Beispielvideos und Arbeitsblättern zu den jeweiligen Themen angereichert ist. Das Manual fokussiert auf die Folgen von sexualisierter Gewalt und besteht aus den fol­ genden Komponenten: 55 Psychoedukation und Fördern der Erzie­ hungskompetenzen der Eltern, 55 Entspannung, 55 Affektregulation, 55 Identifikation und Bearbeitung dys­ funktionaler Kognitionen (angemessene Interpretation und Einordnung des Ge­ schehens), 55 Entwickeln eines Traumanarrativs (imaginatives Nacherleben – In-sensu-­ Exposition), 55 Konfrontation in vivo mit den symptom­ auslösenden Stimuli (Traumatriggern), 55 gemeinsame Eltern-Kind-Sitzungen (Ein­ bindung der Eltern als Kotherapeuten), 55 Fördern künftiger Sicherheit.  

(2006) gehen dabei von etwa 12–16 Sitzungen für das Gesamtprogramm aus. >> Grundlage der Intervention ist die Herstellung einer guten Therapiebeziehung.

Empathie und aktives Zuhören gehören ebenso dazu wie die Bereitschaft, sehr belastende oder gar grausame Inhalte anzuhören und dem Kind/Jugendlichen zu signalisieren, dass der Therapeut die ganze Geschichte „aushalten“ kann. Hintergrund ist hier, dass die Eltern traumatisierter Kinder häufig selbst traumati­ siert sind (z. B. durch gemeinsames Erleben des Ereignisses oder etwa aufgrund von Schuldge­ fühlen bzgl. der Fehleinschätzung einer Situa­ tion) und das Kind/der Jugendliche spürt, dass die Bezugsperson mit einer Offenlegung aller Details möglicherweise überfordert ist. Psychoedukation Unter der Lupe

In der Psychoedukation werden zu Beginn der Therapie Informationen zu Häufigkeiten, Formen und Folgen sexuellen Missbrauchs gegeben.

Psychoedukation hilft gegen Mythenbil­ dung. Die Familie „lernt“, dass sie nicht die einzige Familie ist, der dieses Ereignis passiert ist. Weiterhin werden Informationen zu mögli­ chen Symptomen gegeben. Diese dienen dazu, die eigenen Reaktionen zu normalisieren. Auch die Behandlung wird detailliert beschrie­ ben und erklärt. Auch Eltern mit guten Erziehungskompe­ tenzen können nach einem traumatischen Er­ Das Kind und eine Bezugsperson (selbstver­ eignis Schwierigkeiten haben, diese aufrechtzu­ ständlich ein „Nichttäter“) nehmen an den erhalten. Ein traumatisches Ereignis unterbricht Komponenten zunächst in getrennten Sitzun­ alltägliche Routinen und macht es notwendig, gen teil; erst gegen Ende der Therapie sind ge­ 55 einerseits flexibel auf die Veränderungen zu reagieren und meinsame Sitzungen vorgesehen. Obwohl sich alle Komponenten direkt auf die Behandlung 55 andererseits weiterhin einen konsistenten Erziehungsstil umzusetzen. einer posttraumatischen Symptomatik bezie­ hen, lassen sich das Traumanarrativ und die  In-vivo-Exposition deutlich als Phase der Falls die Erziehungskompetenzen bereits vor­ Traumabearbeitung erkennen. Cohen et  al. her eingeschränkt waren, ist es insbesondere

435 Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen

22

dann, wenn Kinder und Jugendliche mit ag­ gressivem Verhalten und Wutanfällen auf das Ereignis reagieren, besonders schwierig, neue Verhaltensweisen zu entwickeln. Als hilfreich hat sich hier das Vermitteln grundlegender Kompetenzen für die Bezugs­ person in ihren konkreten Anwendungen auf das betroffene Kind gezeigt. Zentral ist dabei der Einsatz von: 55 Lob und Belohnung, aber auch 55 selektiver Aufmerksamkeit und Time-out.

mit Gefühlen besprochen und insbesondere wird deren eigene Gefühlsbearbeitung unter­ stützt. Weiterhin werden vorgestellt und geübt: 55 Strategien der Gedankenunterbrechung, 55 positive Vorstellungen, 55 positive Selbstgespräche.

zz Entspannung

Im nächsten Schritt werden dann Problemlöseund soziale Fertigkeiten mit dem Kind geübt.

Weiterhin lernen die Kinder und Jugendli­ chen sich zu entspannen, um insbesondere die Übererregungssymptome abzuschwächen. Als mögliche Entspannungsverfahren empfehlen sich dabei: 55 kontrolliertes Atmen, 55 Meditation, 55 Achtsamkeit, 55 autogenes Training, 55 progressive Muskelentspannung.

Zusammen mit der Bezugsperson wird an Si­ cherheitsgefühlen gearbeitet, in folgendem Sinne: 55 Wie kann man Sicherheit herstellen? 55 Wer kann helfen?

zz Identifikation und Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen

Im nächsten Behandlungsschritt steht die Identifikation und Bearbeitung dysfunktio­ naler Kognitionen im Vordergrund. In einem ersten Schritt wird das „kognitive Dreieck“ aus Gedanken, Gefühlen und Verhalten anhand alltäglicher Aktionen erklärt. In vielen kleinen Übungen werden alternative Bewertungen zu Besonders unterstützend für die Eltern-­Kind-­ alltäglichen Situationen bearbeitet und typi­ Beziehung und für einen Kompetenzgewinn sche „nicht-so-hilfreiche“ Gedanken identifi­ des Kindes kann dabei die Aufforderung sein, ziert. Dieses Modul wird auch mit den Eltern dass das Kind dem Elternteil die jeweilige Ent­ durchgeführt. Die Erfahrungen aus den bishe­ rigen Modulen fließen dann in die Arbeit mit spannungsmethode beibringt. dem eigentlichen Traumanarrativ ein.

zz Affektregulation

Nach einem traumatischen Ereignis erleben viele Kinder und Jugendliche schmerzhafte Gefühle und/oder Affektdysregulation.

>> Affektbenennung und Techniken der Affektregulation können den Kindern im Umgang mit starken Gefühlen helfen und reduzieren so den Einsatz von dysfunktionalen Vermeidungsstrategien.

Je nach Alter werden mit den Kindern spie­ lerisch Gefühle beschrieben, die dann zuneh­ mend zur Vertrautheit mit bestimmten Ge­ fühlen führen und die deutlich machen, dass es keine „schlechten/bösen“ Gefühle gibt. Die Gefühle in der traumatischen Situation stehen früh in der Therapie noch nicht im Vorder­ grund. Auch mit den Eltern wird der Umgang

zz Entwickeln eines Traumanarrativs

Cohen et  al. (2009) erarbeiten das Trauma­ narrativ über mehrere Sitzungen hinweg, wo­ bei vor dem Beginn dem Kind der Sinn dieses Vorgehens erklärt wird, indem auf Analogien zurückgegriffen wird, wie etwa auf das Säubern einer Wunde nach einem Sturz vom Fahrrad oder das Aufräumen eines Schranks. Dann be­ ginnen Therapeut und Kind mit dem Erstellen eines Büchleins, das die „Geschichte vom trau­ matischen Ereignis“ enthält. In dieser Phase kann es auch hilfreich sein, vorher zusammen andere Bücher zu lesen, um das Kind mit der Struktur einer Erzählung vertraut zu machen. Für Jugendliche können entsprechend ange­ passte Modifikationen vorgenommen werden. So malte etwa eine 14-Jährige ihre Geschichte

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in Form eines Manga-Comics. Üblicherweise beginnt das erste Kapitel mit einer Selbstbe­ schreibung, in der das Kind etwa von seinen Hobbys erzählt, ein positives Ereignis berichtet oder Schulfreunde und bevorzugte Spiele be­ schreibt. Es kann auch der Tag vor dem Ereig­ nis erzählt werden. Im nächsten Kapitel wird dann das Ereignis beschrieben, und Kind und Therapeut beginnen mit dem Aufschreiben (bzw. das Kind diktiert dem Therapeuten). Am Ende jedes Teilstücks wird das Aufgeschrie­ bene laut vorgelesen. Wenn das Ereignis ein­ mal aufgeschrieben ist, soll das Kind die ganze Geschichte noch einmal lesen und Gedanken und Gefühle ergänzen, die es während des Ge­ schehens hatte. Im Prozess der Erstellung des Büchleins wird das Kind nach den schlimms­ ten Aspekten des Ereignisses gefragt. Auch diese werden dann elaboriert, indem etwa ein Bild dazu gemalt wird. Danach werden kogni­ tive Interventionen verwendet, um mögliche kognitive Verzerrungen und Fehldeutungen aufzuzeigen und zu korrigieren. Während des ganzen Prozesses wird das Kind häufig für sein mutiges Vorgehen gelobt. Sollte das Kind von Erinnerungen überwältigt werden, werden die zuvor eingeübten Methoden der Entspannung oder Ablenkung eingesetzt. zz Konfrontation in vivo der symptomauslösenden Stimuli

Nach dieser Arbeit kann es, insbesondere wenn es eine intensive Vermeidung von trau­ marelatierten Reizen gibt, notwendig werden, Konfrontationen in vivo durchzuführen. zz Fördern künftiger Sicherheit

Abgeschlossen wird dieses Behandlungsma­ nual durch Interventionen zur Rückfallpro­ phylaxe und zur Verhinderung erneuter Trau­ matisierung. Dazu kann insbesondere über Strategien im Umgang mit gefürchteten Situ­ ationen gesprochen werden, und diese können auch vorbereitet und geübt werden (z.  B.  Be­ fragung der Feuerwehr über Verhaltensweisen, wenn man als erster ein Feuer entdeckt; Liste von Personen, die einem helfen, wenn man Sor­ gen hat; Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs

etc.). Kinder und Jugendliche, die chronische interpersonelle Gewalt erlebt haben, vertrauen manchmal ihren eigenen „Bauchgefühlen“ nicht und müssen sowohl im Erkennen dieser Gefühle als auch der Umsetzung in Handlung unterstützt werden. Der Einbezug der Bezugs­ person ist hier unabdinglich. 22.6.2.3  Interventionen bei

schwerer und komplexer Traumafolgestörung

Zur Behandlung der komplexen PTBS laut ICD-11-Vorschlag (Maercker et  al. 2013) empfehlen die deutschen AWMF-Leitlinien, dass ein Schwerpunkt der Behandlung auf Techniken zur Emotionsregulation und zur Verbesserung von Bindungsproblemen liegen soll. Bei schwersten Traumafolgestörungen, bei denen über die PTBS-Symptomatik hinaus z. B. Selbstverletzung, immer wiederkehrende Suizidalität, schwere Dissoziation oder eine komorbide Borderline-Persönlichkeitsstörung vorliegen, können therapeutische Strategien aus der dialektisch-behavioralen Therapie zum Einsatz kommen. Für deren Wirksamkeit im Einsatz bei Jugendlichen liegen vielverspre­ chende Befunde vor (Fleischhaker et al. 2006; Rathus und Miller 2002). Bei PTBS mit ko­ morbidem Drogenabusus wurden für ein von Najavits beschriebenes Manual („Seeking Sa­ fety“) positive Befunde beim Einsatz bei ado­ leszenten Patienten berichtet (Najavits 2002). Speziell für Jugendliche und junge Erwachsene mit posttraumatischer Belastungsstörung nach Gewalterfahrungen in der Kindheit wurde ein Behandlungsmanual entwickelt, dass nicht nur Elemente der dialektisch-behavioralen Therapie aufgreift, sondern insbesondere auch die Entwicklungsaufgaben dieser Patienten­ gruppe berücksichtigt: die entwicklungsan­ gepasste kognitive Verhaltenstherapie (engl.: Developmentally Adapted Cognitive Proces­ sing Therapy, D-CPT; Matulis et  al. 2014; Rosner et  al. 2019). Die Wirksamkeit der D-CPT konnte Studien belegt werden (Ma­ tulis et al. 2014; Rosner et al. eingereicht). Es zeigte sich auch ein erstaunlich hoher Effekt

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auf komorbide Probleme wie Symptome ei­ ner Borderline-­ Persönlichkeitsstörung und Dissoziation. Den Kern der D-CPT stellt eine Adaptation der Cognitive Processing Therapy (CPT, kogni­ tive Verarbeitungstherapie) dar. CPT ist eine im Erwachsenenbereich sehr erfolgreich evaluierte Intervention, die ursprünglich zur Behandlung einer PTBS nach Vergewaltigung entwickelt wurde (Resick und Schnicke 1992, 1993). Das ins Deutsche übersetzte CPT-­Manual (König et  al. 2012) wurde von der E-KVT-Arbeits­ gruppe an die speziellen Bedürfnisse miss­ brauchter Jugendlicher angepasst (Matulis et al. 2014; Rosner et al. 2014). Neben Sprachanpas­ sungen und einer Vereinfachung der Arbeits­ blätter wird die kognitive Arbeit (CPT-Phase) in hoher Intensität – ungefähr 15 Sitzungen in 4 Wochen  – durchgeführt, um die Therapie­ dauer zu verkürzen und damit die Motivation der Jugendlichen zu erhöhen. Zur Stärkung der bei den Jugendlichen zu Beginn oft recht schwankenden Therapiemotivation wird der CPT-Intensivphase eine Commitment-­ Phase vorangestellt, in der die Jugendlichen den nöti­ gen Raum bekommen, um eine Beziehung zum Therapeuten aufzubauen und sich auf die The­ rapie einschließlich aller Rahmenbedingungen einzulassen. Danach folgt ein kurzes Emo­ tionsregulationstraining angelehnt an DBT-­ Techniken, in dem die Jugendlichen lernen, starken Stress zu erkennen und zu regulieren. Nach der CPT-Phase werden Entwicklungs­ aufgaben, die für missbrauchte Jugendliche häufig schwer zu bewältigen sind, thematisiert. Hier wird z. B. das erhöhte Risiko thematisiert, die Schule oder Ausbildung abzubrechen, sich einen misshandelnden Partner zu suchen oder erneut Opfer von Gewalt zu werden. 22.6.3  Einbeziehen der Eltern

in die Behandlung

Die Einbindung der Eltern bzw. eines Eltern­ teils in die Behandlung ist aus den oben schon ausgeführten Gründen vorteilhaft, muss aber an das Entwicklungsalter angepasst werden.

22

Die Bedeutung der Teilnahme eines Eltern­ teils an der Behandlung untersuchten auf ein­ drucksvolle Weise in einer großen Studie De­ blinger et  al. (1996, 1999a). Auch in neuen Metaanalysen konnte der Einbezug der Eltern als ein bedeutsamer Wirkfaktor in der Thera­ pieeffektivität bei traumatisierten Kindern und Jugendlichen gefunden werden (Gutermann et al. 2016). So zeigten Interventionsstudien, bei denen die Eltern mit in die Behandlung einbe­ zogen wurden, größere Behandlungseffekte als solche, bei denen nur das Kind im Fokus der Behandlung war (Gutermann et al. 2016) >> Neuen Studienergebnissen zufolge erscheint die Einbindung der Eltern bzw. eines Elterntrainings in die Behandlung als absolut empfehlenswert.

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443

Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen und medizinischen Eingriffen V. Köllner 23.1

 örperliche Erkrankungen als traumatisches K Ereignis – 444

23.2

Differenzialdiagnose – 445

23.3

Epidemiologie, Prädiktoren und Verlauf – 446

23.3.1 23.3.2 23.3.3

E pidemiologie – 446 Prädiktoren für das Auftreten einer PTBS – 447 Verlauf – 449

23.4

Somatische Krankheitsbilder – 449

23.4.1 23.4.2 23.4.3 23.4.4 23.4.5 23.4.6

T ransplantations- und Intensivmedizin – 449 Wechselwirkungen zwischen PTBS und Herzerkrankungen – 451 Tumorerkrankungen – 451 Chronischer Schmerz – 452 Frauenheilkunde und Geburtshilfe – 453 Angehörige lebensbedrohlich Erkrankter – 454

23.5

Therapie – 455 Literatur – 456

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_23

23

444

V. Köllner

23.1  Körperliche Erkrankungen

als traumatisches Ereignis

23

Durch die Einführung einer revidierten Traumadefinition des DSM-IV (APA 1994; 7 Kap.  2) erweiterten sich Kategorien potenziell traumatischer Erlebnisse, und es wurde ausdrücklich ermöglicht, eine schwere körperliche Erkrankung als potenziell traumatisches Ereignis in Betracht zu ziehen. In der Folge entstanden in der 2 Hälfte der 1990er-Jahre die ersten Forschungsarbeiten zu Traumafolgestörungen v. a. in der Transplantations- und Intensivmedizin, der Kardiologie und der Onkologie. Mit einiger Verzögerung fand auch die psychische Belastung der Angehörigen dieser Patienten Beachtung. In den neuen Klassifikationssystemen DSM-5 und ICD-11 wird körperliche Krankheit nicht mehr ausdrücklich als Beispiel für ein traumatisches Ereignis genannt, aber auch nicht ausgeschlossen. Ein bedeutender Unterschied gegenüber dem DSM-IV-­Definition ist der Wegfall des A2-Kriteriums in der Traumadefinition, also der subjektiven Wahrnehmung von Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (7 Kap.  2). Die ICD-11 definiert ein Trauma als Ereignis oder Serie von Ereignissen von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß (WHO 2018), während das DSM-5 „Konfrontation mit tatsächlichem oder drohenden Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt“ (APA 2015) fordert. Dies impliziert, dass auch schwere körperliche Erkrankungen nicht in jedem Fall die Traumakriterien von ICD-11 und DSM-5 erfüllen, sondern nur, wenn im Verlauf dramatische Episoden mit realer Todesbedrohung auftreten. Dies ist allerdings bei zahlreichen Krankheitsbildern, wie Krebs oder Herzerkrankungen, häufig der Fall. Bisher wurden Studien zur Prävalenz der PTBS nach körperlichen Erkrankungen weitgehend nach DSM-IV-Kriterien durchgeführt. Studien zur Prävalenz nach den neuen Systemen fehlen noch weitgehend. Eine Studie von  



Andrykowski et  al. (2015), die DSM-IV mit DSM-5 bei Patienten mit Bronchialkarzinom verglich, fand eine höhere Prävalenz nach den DSM-5-Kriterien (57  % vs. 37  %). Mit der ICD-11 wurde eine neue Störungskategorie „Disorders related to stress“ eingeführt, die ein Kontinuum von Reaktionen auf belastende und traumatische Lebensereignisse von der normalen Belastungsreaktion über zeitlich limitierte Störungsbilder wie die Anpassungsstörung bis hin zur PTBS und der komplexen PTBS beschreibt. Bisher wurde bei Studien zu körperlichen Krankheitsbildern dieses differenzialdiagnostische Spektrum zu wenig beachtet, und es stand meist die PTBS alleine im Fokus. Für Krebspatienten wurde darauf hingewiesen, dass gerade die Anpassungsstörung bisher in der Forschung zu wenig beachtet wurde, obwohl dieses Störungsbild hier klinisch eine große Rolle spielt (Mehnert und Koch 2007; Kangas 2013). >> Die Neufassung der Traumadefinition im DSM-IV ermöglichte es, eine schwere körperliche Erkrankung als traumatisches Ereignis anzusehen. Auch nach DSM-5 und ICD-11 ist dies möglich. Zusätzlich sind die weiteren Krankheitsbilder aus dem Spektrum der stressbezogenen Störungen zu berücksichtigen. Klinisch ist v. a. die Anpassungsstörung bedeutsam.

Maercker (2009) führte in seiner schematischen Einteilung traumatischer Ereignisse medizinisch bedingte Traumata neben Typ-I- und Typ-II-Traumata als eigenständige Kategorie ein und formulierte weiteren Forschungsbedarf für diese Traumakategorie . Tab. 2.1. Ein Konzept, das die Unterschiede zwischen medizinischen und anderen Traumata herausarbeitet, ist das Modell der „enduring somatic threat“ (EST) von Edmondson (2014). Dieses Konzept beschreibt folgende konzeptuell und klinisch relevanten Besonderheiten medizinischer Traumata: 55 Während das Trauma bei der PTBS außerhalb der betroffenen Person zu verorten  

445 Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen…

ist, liegt bei einer durch Krankheit verursachten PTBS das traumatische Ereignis meist im Körperinneren. 55 Während Traumata normalerweise in der Vergangenheit liegen (und das Ende der realen Bedrohung eine Voraussetzung für den Beginn einer Traumakonfrontation ist), dauert die Bedrohung bei einer Traumatisierung durch eine körperliche Krankheit in der Regel an, da der pathophysiologische Grundprozeß im Körper weiter virulent ist (z. B. Arteriosklerose) oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (z. B. die Anwesenheit maligner Zellen im Körper). In den meisten Fällen stellt das traumatische Ereignis eine akute Exarzebation einer chronischen Krankheit dar. Die Angst der Betroffenen ist folglich auf die Zukunft gerichtet. 55 Wesentliche Unterschiede gibt es auch in der Art und den Konsequenzen von Vermeidungsverhalten und Hyperarousal-­ Symptomen. Die internalen Stimuli der Erkrankung (z. B. Herzklopfen) werden durch Hyperarousal verstärkt und können in der Regel nicht vollständig vermieden werden. Vermieden werden hingegen häufig an die Krankheit erinnernde Behandlungsmaßnahmen, wie z. B. Untersuchungstermine oder die Einnahme von Medikamenten. Dies führt ebenso wie die physiologischen Auswirkungen von Hyperarouesal im ungünstigsten Fall zu einem tatsächlichen Anstieg der Mortalität, also zu einer erneuten realen Bedrohung. Das EST-Modell erscheint als vielversprechendes Rahmenkonzept, um die Entstehungsbedingungen, den Verlauf und die Behandlung von stressassoziierten Erkrankungen im Verlauf körperlicher Erkrankungen erforschen zu können. So konnte bereits ein Zusammenhang zwischen einer als Folge der Herzerkrankung ausgelösten PTBS und der Angst vor einem Progress der Erkrankung nachgewiesen werden (Fait et al. 2018).

23

Unter der Lupe

Körperliche Erkrankungen haben als Traumata einige besondere Merkmale, die das Konzept der „Enduring somatic threat“ (EST) beschreibt. So liegt die Quelle der Bedrohung internal und nicht external und die Angst bezieht sich zumindest teilweise auf Ereignisse in der Zukunft (z. B. bevorstehende Operation, Progression der Erkrankung, Rezidiv). Die Symptome der PTBS, v. a. Vermeidung und Hyperarousal, können den Verlauf der somatischen Erkrankung verschlechtern – bis hin zu erhöhter Mortalität.

23.2  Differenzialdiagnose

Die akute Belastungsreaktion nach ICD-10 (F43.0) beinhaltet Intrusionen, Vermeidungsverhalten, vegetative Übererregung und Angst­ symptome. Die akute Belastungsstörung nach DSM-5 betont zusätzlich dissoziative Symptome wie Derealisation und Depersonalisation. So beschreiben Patienten nach der Mitteilung einer Krebsdiagnose nicht selten, sie wären sich vorgekommen wie in einem Film: „Das war nicht ich, der gerade gesagt wurde, dass sie Krebs hat.“ Die Symptomatik tritt unmittelbar nach der traumatischen Situation auf und klingt meist nach Stunden oder Tagen wieder ab. Wegen dieser Flüchtigkeit der Symptome und da sie als normale Reaktion auf ein traumatisches Ereignis aufgefasst werden kann, ist sie in der ICD-11 nicht mehr enthalten. Da eine akute Belastungsreaktion und insbesondere dissoziative Symptome mit einem erhöhten Risiko für eine PTBS einhergehen (Flatten et al. 2003; Kangas et al. 2005), sollten entsprechende Symptome erfasst und die Betroffenen nachbeobachtet werden, um ggf. rechtzeitig Therapie anbieten zu können. Im wissenschaftlichen Kontext ist die akute Belastungsstörung relevant, da eine Latenz von einem Monat nach dem traumatischen Ereig-

446

23

V. Köllner

nis abgewartet werden muss, um die Diagnose einer PTBS vergeben zu dürfen. Andernfalls besteht die Gefahr, durch das Mitzählen akuter Belastungsreaktionen falsch hohe PTBS-­ Prävalenzen zu erheben (Mehnert und Koch 2007). Akute Belastungsreaktionen sind allerdings ein Prädiktor für das spätere Auftreten einer PTBS, d.  h., die betroffenen Patienten sollten diesbezüglich nachbeobachtet werden. Das in 7 Kap.  8 dargestellte Vorgehen zur Diagnosestellung einer PTBS (F43.1) gilt ebenso für Patienten im medizinischen Kontext. Nicht selten tritt eine PTBS mit verzögertem Beginn auf, d.  h., die Symptomatik wird erst nach Abschluss der medizinischen Akutbehandlung und Rehabilitation manifest, wenn der Patient wieder in seinem häuslichen Umfeld ist. Zur Diagnosesicherung ist ein strukturiertes Interview (z.  B.  SKID) zu fordern (Einsle et al. 2012), während sich Fragebogen sowohl zum Screening als auch zur Verlaufsmessung eignen. In der Literatur wird gerade bei Patienten mit schweren körperlichen Erkrankungen zunehmend über das Störungsbild einer subsyndromalen PTBS berichtet (Krauseneck et  al. 2005). Hierbei liegen wesentliche Symptome einer PTBS vor, die diagnostischen Kriterien werden jedoch nicht voll erfüllt. Auch für diese subsyndromalen Störungsbilder ist ein negativer Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen nachweisbar (Köllner et al. 2007; Shelby et  al. 2008). Diagnostisch sollten sie als Anpassungsstörung (F43.2) klassifiziert werden (Schroth und Köllner 2018). Die Neuformulierung des Konzepts der Anpassungsstörung in der ICD-11 (Maercker et al. 2013; Bachem und Casey 2017) gibt die Möglichkeit, stressbezogene Symptome infolge körperlicher Krankheiten, die unter der Schwelle einer PTBS liegen, diagnostisch besser zu fassen, nicht zuletzt, weil es u. a. an einer Stichprobe körperlich Kranker (Maercker et al. 2007) entwickelt wurde. Neu eingeführt wurden zwei Kernsymptome: Präokkupation und Fehlanpassung, die beide sehr gut geeignet sind, um Belastungsreaktionen bei körperlichen Erkrankungen zusätzlich zu depressiven  

und Angstsymptomen zu beschreiben. Zum Screening auf Anpassungsstörung nach ICD11 liegt mit dem ADNM-20 inzwischen ein Fragebogen vor, der allerdings noch an Patienten mit körperlichen Erkrankungen validiert werden muss (Lorenz et al. 2016). Unter der Lupe

Gerade im medizinischen Kontext berichten Patienten nur selten spontan von ihren PTBS-Symptomen. Selbst bei Patienten, die aus dem psychosomatischen Konsildienst bekannt waren, förderte manchmal erst die systematische Erhebung im Rahmen einer Studie eine klinisch relevante PTBS zu Tage. Bei Patienten mit potenziell traumatischen Ereignissen im Rahmen ihres Krankheitsverlaufes sollte daher systematisch nach dem Vorliegen einer Anpassungsstörung oder PTBS gescreent werden.

23.3  Epidemiologie, Prädiktoren

und Verlauf

23.3.1  Epidemiologie

Zur Prävalenz akuter Belastungsreaktionen bei körperlichen Erkrankungen gibt es nur wenige Studien. Für Tumorpatienten werden Prävalenzen zwischen 2,4  % (Mehnert und Koch 2007) und 25 % (Flatten et al. 2003) angegeben. Nach akutem Myokardinfarkt fanden Roberge et al. (2008) bei 4 % der Betroffenen eine akute Belastungsreaktion, nach akutem Lungenversagen (ARDS) mit Langzeitbeatmung wurden bis zu 44  % beschrieben (Davydow et  al. 2008a). In einem systematischen Review über 64 Originalarbeiten, das sehr sorgfältig zwischen PTBS und akuter Belastungsreaktion unterschied, fanden Mehnert et al. (2013) eine adjustierte Punktprävalenz für die akute Belastungsreaktion von 4,8 %. Problematisch ist, dass nicht alle S­ tudien einen genauen Erhebungszeitpunkt a­ngeben

447 Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen…

und nicht exakt zwischen Belastungsreaktion und PTBS trennen. Eine solche Unterscheidung ist allerdings nicht immer ­ einfach, da im Verlauf einer chronischen Erkrankung multiple traumatische Situationen auftreten können. So können z. B. künstliche Beatmung und Aufenthalt auf einer Intensivstation (ITS) bei ARDS mehrere Monate dauern, oder bei einer Tumorerkrankung können sowohl die Mitteilung der Erstdiagnose als auch die Nachricht von Metastasen dissoziative Symptome oder Intrusionen auslösen. Es ist also nicht immer möglich, Beginn und Ende der traumatischen Erfahrung genau zu definieren. Hinzu kommt bei Operationen oder anderen medizinischen Interventionen, dass das traumatische Ereignis meist mit Vor­ ankündigung erfolgt. Während man von einem Verbrechen oder einer Naturkatastrophe in der Regel überraschend betroffen wird, ist der Termin einer Operation mehrere Wochen im Voraus bekannt. >> In Verlaufsstudien konnte gezeigt werden, dass die Belastung durch Intrusion oder Hyperarousal vor einem operativen Eingriff am höchsten ist, um nach überstandener Operation abzufallen und im Langzeitverlauf bei den meisten Patienten niedrig zu bleiben (Köllner et al. 2002, 2004b; Jacobs et al. 2015). . Tab. 23.1 zeigt die Häufigkeit von PTBS und  

(sofern erfasst) Anpassungsstörung bei verschiedenen Krankheitsbildern oder medizinischen Prozeduren. Bei Betrachtung der Studien zeigen sich folgende Zusammenhänge: 55 Studien, die nur Fragebogen einsetzten, berichten höhere Prävalenzen als Studien, die die Diagnose mit einem strukturierten Interview absicherten. 55 Studien, die zwischen einer auf die somatische Grunderkrankung bezogenen und einer durch andere Lebensereignisse verursachten PTBS unterschieden, berichteten niedrige Werte für die krankheitsbezogene PTBS. 55 Nicht in allen Studien wird die Zeit seit der Erkrankung/dem Eingriff angegeben,

23

sodass teilweise Symptome einer akuten Belastungsreaktion miterfasst wurden. 55 Nicht in allen Studien wird zwischen dem Vollbild und einer subsyndromalen PTBS unterschieden. Um verlässliche Daten zur Prävalenz zu gewinnen, sind Studien notwendig, die die diagnostischen Kriterien in einem strukturierten Interview getrennt nach Symptomen und bezogen auf die somatische Erkrankung und andere Lebensereignisse erfassen (Einsle et al. 2012). Dabei sollte ein Abstand von mindestens 3 Monaten nach dem Ereignis eingehalten werden, Vollbild und subsyndromale PTBS sollten getrennt dokumentiert werden. Miterfasst werden sollten auch Anpassungsstörungen und ihr Verlauf. 23.3.2  Prädiktoren für das

Auftreten einer PTBS

Für Patientinnen nach Brustkrebs zeigte sich, dass geringe soziale Unterstützung, fortgeschrittenes Krankheitsstadium, kurze Zeit seit der Diagnosestellung und eine höhere Anzahl traumatischer Ereignisse in der Vorgeschichte Prädiktoren für das Auftreten einer PTBS bzw. einer hohen Ausprägung stressbezogener Symptome darstellen (Mehnert et  al. 2013). Cordova et  al. (2017) beschreiben in ihrem Review bei Patienten mit Krebs Traumatisierung, PTBS und andere psychische Störungen, niedrigen sozioökonomischen Status, geringe soziale Unterstützung bzw. zwischenmenschliche Belastungen im Umfeld sowie ein junges Erkrankungsalter, ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium und invasive Behandlungsmaßnahmen als Risikofaktoren für das Auftreten einer PTBS. Posttraumatische Reifung scheint die negative Auswirkung einer PTBS auf die Lebensqualität abmildern zu können (Morrill et al. 2008). Bei Patienten nach Myokardinfarkt erwiesen sich ebenfalls geringe soziale Unterstützung und frühere traumatische Ereignisse und psychische Störungen als Risikofaktoren für

448

V. Köllner

..      Tab. 23.1  Häufigkeit der PTBS und (sofern erfasst) Anpassungsstörung nach verschiedenen Krankheitsbildern oder medizinischen Prozeduren

23

Krankheit/medizinische Prozedur

Prävalenz

Studie

Patienten nach Aufenthalt auf der Intensivstation wegen kritischer Erkrankung (v. a. Langzeitbeatmung)

5–65 % PTBS

Jackson et al. 2007

Patienten mit Herzerkrankung

0–38 % PTBS

Spindler und Pedersen 2005

Patienten nach Infarktereignis (Metaanalyse über 24 Studien)

12 % (0–32 %) auf die Herzerkrankung bezogene PTBS

Edmondson et al. 2012

Patienten 5,5 (1–10) Jahre nach operativem Ersatz des Aortenbogens (OP in tiefer Hypothermie)

14,3 % PTBS und 22,2 % Anpassungsstörung bei OP unter Notfallbedingungen

Schurig et al. 2008

Patienten nach Organtransplantation (Tx, Syst. Review über 23 Studien)

PTBS insgesamt: Fragebogenerhebung: 0–46 %, klin. Interview: 1–16 %

6,2 %/7,6 % bei OP unter elektiven Bedingungen Davydow et al. 2015

Auf die Tx bezogene PTBS im klin. Interview: 10–17 % Patienten 3 Jahre nach Herztransplantation

20,8 % Anpassungsstörung 17,0 % PTBS (jeweils auf Tx bezogen)

Dew et al. 2001

Patienten vor und nach Lungentransplantation

Warteliste: 25 % PTBS

Patienten mit Tumorerkrankung (syst. Review über 64 Originalarbeiten, die strukt. Interviews verwendeten)

Punktprävalenz: PTBS 2,6 %

Metanalyse über 25 Studien (21 davon zu Brustkrebs) zu auf die Krebserkrankung bezogener PTBS

Fragebogenerhebungen: 7,3–13,8 %

Frauen 1 Jahr nach vaginaler Entbindung

4,2 % PTBS

Sentilhes et al. 2017

3 % PTBS

Söderquist et al. 2006

38 % PTBS-Verdacht nach Fragebogenerhebung (PDS) gegenüber 0 % PTBS in der Kontrollgruppe ohne Fehlgeburt.

Farren et al. 2016

Frauen 3 Monate nach Fehlgeburt, prospektive kontrollierte Studie

Nach Tx: 6,25 % PTBS

Anpassungsstörung 12,5 %

Jacobs et al. 2015 Mehnert et al. 2013 Abbey et al. 2015

Studien mit strukturierten Interviews: 12,6 % Lebenszeit- und 6,4 % Punktprävalenz PTBS

eine PTBS. Weitere Prädiktoren waren jüngeres Alter, weibliches Geschlecht, Herzinfarkte oder psychische Erkrankungen in der Vorgeschichte, Sedierung sowie das Erleben von

Todesangst und quälenden Schmerzen während des Infarkts (Spindler und Pedersen 2005; Wiedemar et  al. 2008). Bei Patienten nach ITS-Behandlung hatten psychische Erkran-

449 Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen…

kungen in der Vorgeschichte, Sedierung mit Benzodiazepinen, angstbesetzte Erinnerungen an den Aufenthalt sowie eine organische Psychose (Durchgangssyndrom) einen stärkeren prädiktiven Wert als weibliches Geschlecht und jüngeres Alter, während die Krankheitsschwere keinen prädiktiven Wert hatte (Davydow et al. 2008b). Krankheitsübergreifend sagen eine akute Belastungsreaktion und dissoziative Symptome das Auftreten einer PTBS voraus (Spindler und Pedersen 2005; Kangas et al. 2005). In Studien, die sowohl Fragebogen als auch strukturierte Interviews einsetzten, zeigte sich, dass Patienten, bei denen sich die PTBS-Diagnose im Interview bestätigte, über mindestens ein Ereignis berichteten, bei dem die A1- und A2-Traumakriterien erfüllt waren, während Patienten, die nur in Fragebogen auffällig waren, eher über langanhaltende Belastungen unterhalb der Traumaschwelle berichteten (Einsle et al. 2012). Unter der Lupe

Allgemeine Prädiktoren für das Auftreten einer PTBS sind Traumatisierungen und psychische Erkrankungen in der Vorgeschichte, junges Erkrankungsalter, niedriger sozioökonomischer Status und fehlende soziale Unterstützung. Hinzu kommen dramatische oder mit Kontrollverlust verbundene Situationen im Verlauf der somatischen Erkrankung und eine hierauf folgende akute Belastungsreaktion oder dissoziative Symptome. Nach einer Traumatisierung in der Vorgeschichte sollte im medizinischen Kontext auch gefragt werden, um bestimmten Situationen (z. B. gynäkologische Untersuchung) so gestalten zu können, dass einer ­Retraumatisierung vorgebeugt wird.

23.3.3  Verlauf

Es gibt nur wenige Langzeitstudien, die den Verlauf der PTBS-Symptomatik nach einem

23

medizinischen Eingriff verfolgen. Dew et  al. (2001) fanden bei der Untersuchung von 191 Patienten 7 Monate sowie 1 Jahr und 3 Jahre nach Herztransplantation PTBS-Prävalenzen von 9,6  %, 15,5  % und 17,0  %. Bei Patienten nach akutem Lungenversagen und künstlicher Beatmung lag die Prävalenz bei Entlassung bei 44 %, nach 5 Jahren bei 25 % und nach 8 Jahren bei 24 % (Davydow et al. 2008a). Diese Daten zeigen, dass innerhalb des ersten Jahres eine erhebliche Varianz des Spontanverlaufs besteht, möglicherweise aufgrund von Veränderungen im Verlauf der somatischen Erkrankung. Danach ist eher eine Konstanz der Symptomatik wahrscheinlich, wenn keine Behandlung erfolgt. Diese Hypothese wird durch Querschnittstudien bei Patienten mit Herz- Kreislauf-Erkrankungen untermauert, wo sich bei bis zu 10-jähriger Katamnesedauer kein Effekt der seit der Erkrankungen bzw. des Eingriffs vergangenen Zeit auf die PTBS-­ Symptomatik feststellen ließ (Jones et al. 2007; Schurig et al. 2008). Cordova et al. (2017) beschreiben in ihrem Review über PTBS bei Patienten mit Krebs, dass zuverlässige Daten zum Verlauf der PTBS in dieser Patientengruppe bisher noch fehlen und zitieren einige wenige Studien, die entweder einen Rückgang der Symptome bei einem Teil der Patienten oder einen Anstieg zeigen.

23.4  Somatische Krankheitsbilder 23.4.1  Transplantations- und

Intensivmedizin

Transplantationen finden in der Regel nach einer längeren Wartezeit statt. Sie wurden deshalb auch als „geplantes Trauma“ (Supelana et  al. 2016) bezeichnet, was die besondere Möglichkeit bietet, Strategien zur Prävention und Frühintervention einer PTBS zu entwickeln. Richtungweisend für die Erforschung der Bedeutung der PTBS in der Organmedizin waren die Studien der Arbeitsgruppe um Amanda Dew und Arthur Stukkas aus Pittsburgh (Dew et al. 1999, 2001, 2004).

450

V. Köllner

zz Klinische Studie zur PTBS nach Herztransplantation

23

Untersucht wurden 191 Patienten im Langzeitverlauf nach Herztransplantation auf psychische Komorbidität und deren Auswirkung auf das Operationsergebnis. Alle Diagnosen wurden mit strukturierten Interviews gesichert. Bereits in den ersten Interviews nach 2 und 7 Monaten zeigte sich ein vergleichsweise hoher Anteil an Patienten mit PTBS.  Diese erwies sich nach Depression und Anpassungsstörung mit einer Prävalenz von 17  % nach 3 Jahren als dritthäufigste psychische Störung. Patienten mit einer PTBS hatten ein um das 14-Fache erhöhtes Mortalitätsrisiko, verursacht durch eine Abstoßungsreaktion. Eine PTBS war somit stärkster Prädiktor für Mortalität im ersten Jahr nach der Transplantation. Als möglichen Ursachen wurden Noncompliance bei Kontrolluntersuchungen und Medikamenteneinnahme als Folge des PTBS-­bedingten Vermeidungsverhaltens angenommen. Die PTBS trat so gut wie immer im ersten Jahr nach der Transplantation auf und verlief meist chronisch. Risikofaktoren waren weibliches Geschlecht, psychische Vorerkrankungen und geringe soziale Unterstützung. Als traumatisches Ereignis wurden v. a. bedrohliche Episoden während der oft mehrjährigen Wartezeit auf ein Spenderherz angegeben (Dew et  al. 1999, 2001). Auch bei einer Untersuchung an Patienten vor und nach Lungentransplantation stammten die traumatischen Ereignisse mehrheitlich aus der Wartezeit und bezogen sich nur selten auf die als rettend erlebte Transplantation (Jacobs et al. 2015). Lediglich 12 % der Patienten mit PTBS hatten psychotherapeutische Unterstützung erhalten. In einer neueren Studie fanden Favaro et al. (2011) mit 12 % eine vergleichbar hohe Prävalenz der PTBS wie Dew et al. Ein Risikofaktor für die Entwicklung einer PTBS waren hier depressive Episoden in der Vorgeschichte. Zur Häufigkeit einer PTBS nach anderen Transplantationsarten sind weniger belastbare Daten vorhanden; zumindest bei der Lungentransplantation kann von ähnlich hohen Prävalen-

zen ausgegangen werden. Hierbei fanden die Traumatisierungen (z.  B.  Anfälle von Luftnot und Todesangst, Fehlalarme zur Transplantation) allerdings meist während der Wartezeit statt, und Patienten nach der Transplantation zeigten eine geringere Belastung mit PTBS-­ Symptomen als Wartelistenpatienten (Jacobs et  al. 2015). Sowohl eine voll ausgebildete als auch eine subsyndromale PTBS wirken sich negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen aus (Köllner et al. 2003). Unter der Lupe

Eine PTBS tritt bei etwa 15 % der Patienten nach Herztransplantation auf. Sie führt nicht nur zu einer schlechteren Lebensqualität, sondern ist auch mit einer deutlich erhöhten Mortalität verbunden. Die meisten der in Studien gefundenen Fälle waren bisher nicht diagnostiziert und unbehandelt. Der Früherkennung im Rahmen eines psychotherapeutischen Screenings kommt daher eine besondere Bedeutung zu.

Sowohl in der Transplantations- als auch in der Intensivmedizin sind vorübergehende organische Psychosen (Durchgangssyndrome) nicht selten, wobei sich im Nachhinein Erinnerungen an die reale Situation und erschreckende halluzinierte Bilder vermischen können. Einen Erfahrungsbericht gibt z.  B.  Claussen (1996). Auch solche Bilder können Inhalt intrusiven Wiedererlebens sein. Invasive Therapiemaßnahmen wie das Einsetzen eines Kunstherzens zur Überbrückung der Wartezeit auf eine Transplantation scheinen von den Patienten nicht als traumatisch erlebt zu werden (Bunzel et  al. 2007), wenn eine kognitive Bewertung als hilfreich oder lebensrettend möglich ist. Eine Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit durch Sedierung oder ein Durchgangssyndrom scheint diese Fähigkeit einzuschränken und somit das Risiko für ein traumatisierendes Erleben der Situation zu erhöhen.

23

451 Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen…

23.4.2  Wechselwirkungen

tio, eine koronare Herzerkrankung zu bekommen, für Patienten mit gegenüber ohne PTBS zwischen PTBS und (unabhängig von der Art des Traumas) 1,55 Herzerkrankungen betrug. Wenn bezogen auf den Effekt einer koBei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und PTBS morbiden Depression adjustiert wurde, sank gibt es eine wechselseitige Beeinflussung: Ei- die HR auf 1,27 (95 % CI 1,08–1,49), blieb aber nerseits können lebensbedrohliche kardiale immer noch signifikant (Edmondson et  al. Ereignisse, wie ein Herzinfarkt oder Schock- 2013). Wurde nur eine auf die Herzerkrankung serien durch einen implantierten Kardioverter-­ bezogene PTBS betrachtet, lag die Risk Ratio Defibrillator (AICD), eine PTBS auslösen, aber bei 2,00 (95 % CI 1,69–2,37) (Edmondson andererseits gibt es zunehmend Belege dafür, et  al. 2012). Dieser Unterschied verdeutlicht dass eine PTBS das Risiko für Herzkrank- die wechselseitige Beeinflussung von KHK und heiten (speziell koronare Herzkrankheit und PTBS.  Während das kardiale Risiko bei einer Herzrhythmusstörungen) vergrößert und zu PTBS insgesamt wahrscheinlich v.  a. durch einer erhöhten kardial bedingten Sterblichkeit die psychophysiologische Aktivierung und führt (Edmondson und von Känel 2017). Zu- ein schlechteres Gesundheitsverhalten steigt, nächst konnte gezeigt werden, dass bei Viet- kommt bei einer auf die Herzerkrankung ausnamveteranen eine PTBS mit höheren Choles- gelösten PTBS das Risiko durch spezifisches terinwerten als Risikofaktor für eine koronare Vermeidungsverhalten (z.  B.  MedikamentenHerzkrankheit (KHK) einherging (Kagan et al. einnahme; Husain et al. 2018) hinzu. Insofern 1999). In der Folge konnte auch in einer pros- sollte eine „Cardiac-­disease-­induced-PTSD pektiven Studie nachgewiesen werden, dass es (CDI-PTSD)“ als eigene Entität diagnostiziert bei Veteranen mit PTBS zum gehäuften Auftre- und erforscht werden (Vilchinsky et al. 2017). ten tödlicher und nichttödlicher Herzinfarkte kam (Kubzansky et al. 2007). Felitti et al. (1998) Unter der Lupe fanden in der „Adverse Childhood ExperienTraumatische Ereignisse im Verlauf ces (ACE) Study“, dass Traumatisierung in einer KHK und schwere Herzrhythmusder Kindheit mit einem schlechteren Gesundstörungen können eine PTBS auslösen, heitsverhalten im Erwachsenenalter und einer die wiederum den Verlauf der Grunderhöhten Prävalenz von KHK, chronisch ob­ erkrankung ungünstig beeinflusst – bis struktiver Lungenerkrankung (COPD), Bronhin zu erhöhter Mortalität. Als Ursachen chialkarzinom und anderen chronischen Erwerden sowohl schlechtere Compliance krankungen, auf die das Gesundheitsverhalten durch Vermeidungsverhalten als auch einen starken Einfluss hat, einherging. In einer psychophysiologische Veränderungen bevölkerungsbasierten Studie zeigte sich, dass als Folge von Hyperarousal und Indas Risiko für eine Herzerkrankung bei einer trusionen angenommen. Dieser Effekt Traumatisierung in der Vorgeschichte bereits ist besonders stark ausgeprägt bei einer gering erhöht war, beim Vorliegen einer PTBS durch die Herzerkrankung ausgelösten aber deutlich stieg (Spitzer et al. 2009). Bei PatiPTBS (CDI-PTSD). enten mit einem AICD zeigte eine prospektive Studie über 5 Jahre, dass eine auf die Erkrankung bezogene PTBS mit einer deutlich erhöhten Mortalität einhergeht, die Hazard-­Ratio be- 23.4.3  Tumorerkrankungen trug unabhängig von anderen Risikofaktoren 3,45 (1,57–7,60, p = 0,002; Ladwig et al. 2008). Die mit Abstand am besten hinsichtlich PTBS In einer Metaanalyse über 6 Studien mit untersuchte Gruppe von Karzinompatienten zusammen 402.274 eingeschlossenen Patien- sind Frauen mit Brustkrebs. Die wesentlichen ten konnte gezeigt werden, dass die Hazard Ra- Befunde wurden bereits unter 7 Abschn.  23.2  

452

23

V. Köllner

und 23.3 dargestellt. Einen transgenerationalen Zusammenhang zwischen Traumatisierung und psychischer Belastung durch Krebs fanden Baider et al. (2006): Israelische Brustkrebspatientinnen, deren Eltern Holocaustüberlebende waren, zeigten als Folge der Krebserkrankung eine stärkere Belastung durch Depression und psychischen Stress als Patientinnen ohne eine entsprechende familiäre Vorbelastung. Insgesamt werden eher niedrige Prävalenzraten (7,3–13,8 %; Cordova et al. 2017) einer PTBS gefunden als bei Patienten mit Herzerkrankungen. Ein Grund hierfür könnte es sein, dass es im Verlauf einer Krebserkrankung weniger dramatische und akut lebensbedrohliche Ereignisse gibt als bei Herzerkrankungen. Eine weitere Rolle könnte über die Zeit ressourcenorientiertes Coping im Sinne der posttraumatischen Reifung spielen (Koutrouli et al. 2012). Im Gegensatz zu Herzerkrankten und Patienten nach Organtransplantation konnte in der Psychoonkologie eine erhöhte Mortalität durch die komorbide PTBS bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden. Das traumatische Ereignis ist bei Krebserkrankungen nicht selten die Überbringung der Diagnose oder eines Befundes, der bedeutet, dass die Krankheit nicht mehr heilbar ist. Cordova et  al. (2017) sprechen daher auch von einem informationellen Trauma. Bei 110 Patienten nach Stammzelltransplantation zur Behandlung einer Leukämie oder eines Lymphoms waren mit Fragebogen (PTSS-10 23,4 %, IES-R 7,2 %) deutlich höhere PTBS-Prävalenzen nachweisbar als im strukturierten Interview (2,7 %). Patienten, die nur in Fragebogen auffällig waren, schienen eher an einer Anpassungsstörung als Folge unspezifischer Belastung zu leiden (die sich ebenfalls negativ auf die Lebensqualität auswirkte), während eine PTBS im Interview nur bei Patienten nachweisbar war, die klar abgrenzbare traumatische Ereignisse berichteten (Einsle et  al. 2012). Diese Befunde entsprechen der Metaanalyse von Mehnert et al. (2013), die ebenfalls eine deutlich höhere Prävalenz von Anpassungsstörungen fanden und darauf hinweisen, dass in reinen Fragebogenuntersuchungen nur

schwer zwischen Anpassungsstörungen und PTBS unterschieden werden kann. Eine weitere gut untersuchte Gruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene nach Krebs­ erkrankung in der Kindheit. Rourke et  al. (2007) konnten bei nahezu 16 % dieser Gruppe mittels strukturiertem Interview eine PTBS nachweisen. Prädiktor schien eher die subjektive Bewertung der Krankheit als objektive Faktoren des Krankheitsverlaufs zu sein. Beim Vergleich von Jugendlichen nach Krebserkrankung mit einer gesunden Vergleichsgruppe zeigte sich, dass stressbezogene Syndrome (Anpassungsstörung, PTBS) mit 18,6 % gegenüber 7,3  % signifikant häufiger nachweisbar waren (Schrag et al. 2008). Prädiktoren waren hier die Art des Krebses und der Behandlung, das Erkrankungsalter und psychische Störungen vor der Krebserkrankung. 23.4.4  Chronischer Schmerz

Chronische Schmerzen sind ein häufiges Symp­ tom im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Bei Folteropfern mit PTBS konnte eine Prävalenz von bis zu 75  % nachgewiesen werden. Die Schmerzen können im Zusammenhang mit einer durch das Trauma ausgelösten Nerven- oder Gewebeschädigung stehen, häufiger treten sie aber unabhängig davon auf. Sie können als Ganzkörperschmerz (z. B. Fibromyalgiesyndrom; Häuser et al. 2013) oder lokalisiert mit Bezug auf das Trauma vorkommen. Sie können kurzfristig – dann oft im Zusammenhang mit Intrusionen  – oder als Dauerschmerz vorkommen (Übersicht bei Bischoff et al. 2016). Die Wechselwirkung zwischen chronischem Schmerz und PTBS ist Gegenstand intensiverer Forschung. Liedl und Knaevelsrud (2008) beschreiben den Zusammenhang zwischen Schmerz und PTBS mit dem „perpetual avoidance model“ (. Abb.  23.1), das den Zusammenhang v. a. über Vermeidungsverhalten und Hyperarousal beschreibt. Dementsprechend entwickeln sie ein verhaltenstherapeutisches Behandlungskonzept, das Biofeedback  

453 Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen…

TRAUMA

Dysfunktionaler Kognitionsstil/ Wiedererinnern PTBSKreislauf Vermeidung/ Inaktivität

Übererregung/ Anspannung

SchmerzKreislauf Katastrophisierungsgedanken/ Fear-Avoidance Beliefs

Schmerzempfinden

..      Abb. 23.1  Das „perpetual avoidance model“ zum Zusammenhang von chronischem Schmerz und PTBS. (Aus Liedl und Knaevelsrud 2008)

zur Reduktion des Hyperarousals und körperliche Aktivierung zum Abbau von Vermeidungsverhalten einschließt. Schmerzen, die an das Trauma erinnern, können Intrusionen auslösen, umgekehrt können sie aber auch Symptom der Intrusion sein. Stressbelastung in der (frühen) Biografie kann unabhängig vom Vollbild einer PTBS zu einer erhöhten Schmerzsensibilität führen, die als schmerzinduzierte Hyperalgesie bezeichnet wird und die auch tierexperimentell nachweisbar ist (Egloff et  al. 2014).Eine komorbide PTBS ist bei chronischen Schmerzpatienten mit einer höheren Beeinträchtigung durch den Schmerz und einem höheren Opiatgebrauch verbunden (Phifer et al. 2011). Ein Beispiel für die Bedeutung einer PTBS bei der Chronifizierung von Schmerzen und einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit sind chronische Schmerzsyndrome nach einem Beschleunigungstrauma der H ­ alswirbelsäule (v.  a. nach Auffahrunfällen). Stressbezogene Symptome im Sinne einer ­akuten Belastungs-

23

reaktion waren in 13 % der Betroffenen nachweisbar und im Langzeitverlauf mit chronischem Schmerz und schlechterer beruflicher Rehabilitation verknüpft (Kongsted et al. 2008). Es zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen einem schlechten Rehabilitationsergebnis und der Entwicklung einer Angststörung oder PTBS (Sterling et al. 2011). Dunne et al. (2012) konnten zeigen, dass eine PTBS-spezifische kognitive Verhaltenstherapie auch zu einer Reduktion der Beeinträchtigung durch den Schmerz und zu einer Verbesserung der Funktionsfähigkeit führte. Leider wird die Komorbidität von Schmerz und PTBS immer noch häufig übersehen, wenn Schmerztherapeuten nicht nach Traumatisierung fragen und/oder Psychotherapeuten den Schmerz eher für eine Domäne der somatischen Behandler halten. Dies ist ungünstig, weil PTSD-Patienten mit chronischen Schmerzen besser von kombinierten Behandlungsansätzen profitieren, die zusätzlich zur Traumakonfrontation aktivierende körperorientierte Therapie mit Wechsel zwischen Aktivierung und Entspannung der Muskulatur sowie Biofeedback beinhaltet (Bischoff et al. 2016). Unter der Lupe

Chronische Schmerzen sind ein häufiges Symptom im Rahmen einer PTBS, das in einem Gesamtbehandlungsplan berücksichtigt werden sollte. Hilfreich sind bei diesen Patienten zusätzlich zur Traumakonfrontation Sport- und Bewegungstherapie, Entspannungstraining und Biofeedback sowie ggf. zusätzlich Psychoedukation zu chronischem Schmerz und Verfahren der Schmerzpsychotherapie.

23.4.5  Frauenheilkunde und

Geburtshilfe

Neben Brustkrebs wurde eine kompliziert verlaufende Geburt als möglicher Auslöser einer PTBS diskutiert. Söderquist et al. (2006)

454

23

V. Köllner

fanden in einer Längsschnittstudie bei 1640 Frauen in 3  % der Fälle eine auf die Geburt bezogene PTBS, die im Zeitverlauf über 11 Monate meist stabil blieb. Prädiktoren waren erhöhte Angst und intrusive Vorstellungsbilder bereits vor der Geburt, vorangegangene psychische Erkrankungen und geburtshilfliche Komplikationen, eine vaginale Geburt mit instrumenteller Unterstützung oder eine notfallmäßig durchgeführte Sektio sowie Berichte über eine negative Beziehung zum geburtshilflichen Personal. Sentilhes et al. (2017) kamen mit 4,4  % auf eine vergleichbare Prävalenz, wobei die am 2. Tag postpartum gestellte Frage nach schlechten Erinnerungen an die Geburt einen hohen prädiktiven Wert hatte. Auch wenn die Prävalenz einer PTBS nach einer Geburt eher niedrig ist, so erscheint angesichts der erheblichen negativen Konsequenzen für die Mutter und die Beziehung zum Kind ein regelmäßiges Screening sinnvoll, um rechtzeitig therapeutische Unterstützung anbieten zu können. Vier Monate nach Schwangerschaftsabbruch wegen fetaler Anomalien litten 44  % von 217 untersuchten Müttern und 22 % von 169 Vätern unter auffällig erhöhter Belastung durch PTBS-Symptome. Prädiktoren waren u.  a. ausgeprägter Zweifel während der Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch, inadäquate Unterstützung durch den Partner, geringes Alter, fortgeschrittene Schwangerschaft und Religiosität (Korenromp et al. 2007). 23.4.6  Angehörige

lebensbedrohlich Erkrankter

(„caregiver“) der oben beschriebenen Stichprobe herztransplantierter Patienten 22,5  % PTBS und 34,5  % Anpassungsstörungen. Auch im Langzeitverlauf nach Stammzelltransplantation zeigte sich eine höhere Symp­ tombelastung bei den Partnern als bei den Patienten (Lautenschläger et al. 2003). Bunzel et  al. (2007) fanden bei keinem der untersuchten Patienten (männlich 36, weiblich 2), denen ein Kunstherz eingesetzt worden war, aber bei 27 % der Partner (weiblich 26, männlich 1) eine PTBS.  Eine mögliche Erklärung für diese Befunde ist, dass die Patienten eher Männer und die Angehörigen Frauen sind, die eine höhere Vulnerabilität hinsichtlich PTBS haben. Ein anderer Erklärungsansatz ist, dass Bilder von dem Eingriff und der Situation des Patienten danach eher von den Angehörigen wahrgenommen werden als vom Patienten selbst, der möglicherweise die aktuelle Bedrohung verdrängt und eher die unterstützenden Aspekte des Eingriffs wahrnimmt. Hinzu kommt, dass soziale Unterstützung v.  a. dem Patienten und weniger den Angehörigen angeboten wird. Hoch belastet sind auch Eltern krebskranker Kinder (Bruce 2006; Cordova et al. 2017). Yalug et al. (2008) fanden eine im SKID gesicherte PTBS bei 34,6 % von 104 untersuchten Eltern, wobei Mütter häufiger betroffen waren als Väter. Weitere Prädiktoren waren der vorangegangene Verlust eines Familienmitglieds, eine schlechtere Prognose und invasivere Behandlung des Kindes, psychische Erkrankungen in der Vorgeschichte und ein höherer Bildungsstand. Erhöhte PTBS-Raten fanden sich auch bei Kindern krebskranker Eltern und Geschwistern krebskranker Kinder (Übersicht in Cordova et al. 2017).

Während zunächst nur die Patienten im Fo- >> Angehörige von Patienten mit lebensbekus des wissenschaftlichen Interesses standrohlichen Erkrankungen oder invasiven den, zeigte sich in den letzten Jahren, dass Interventionen scheinen mindestens insbesondere nach sehr invasiven Prozeduebenso häufig an einer PTBS zu leiden ren im Bereich der Hightech-Medizin Anwie die Patienten selbst. Sie sollten in gehörige höhere Belastungswerte und PTBS-­ entsprechende Betreuungsprogramme Prävalenzen aufwiesen als die Patienten selbst. einbezogen werden und bei Bedarf So fanden Dew et al. (2004) bei Angehörigen Unterstützung angeboten bekommen.

455 Posttraumatische Belastungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen…

23.5  Therapie

Obwohl es inzwischen weit über 100 Studien zur Prävalenz von PTBS und Anpassungsstörung bei körperlichen Krankheiten gibt und ihre ungünstigen Auswirkungen auf Krankheitsverlauf, Mortalität und Lebensqualität klar nachgewiesen wurde, gibt es bisher nur sehr wenige Studien zur Therapie bei dieser Patientengruppe, allerdings mit deutlich steigender Tendenz in den letzten Jahren. Von Känel et  al. (2018) konnten in einer randomisierten Studie an 190 Patienten, die während eines akuten Koronarsyndroms hohen Distress erlebten, zeigen, dass ein frühes psychosomatisches Counseling von einer Stunde in den ersten zwei Tagen zu einer Re­ duktion der PTBS-Rate im Langzeitverlauf zu führen scheint. Entgegen der Ausgangshypothese erwies sich hierbei aber ein traumafokussiertes Vorgehen einem eher psychoedukativ ausgerichteten allgemeinen „Stress-Counseling“ nicht als überlegen. Die Autoren leiten hieraus den Schluss ab, das analog zum Vorgehen bei der akuten Belastungsreaktion insgesamt psychotherapeutische Unterstützung und Edukation angeboten werden sollten, raten aber von einem traumafokussierten Vorgehen ab. Ein ähnliches Ergebnis fanden Kangas et al. (2013) bei einer 7-stündigen CBT bei 35 psychisch hoch belasteten Patienten kurz nach Diagnosestellung einer Krebserkrankung im HNO-Bereich. Auch hier war die CBT der aktiven Kontrolle nicht überlegen, es fand sich in der kleinen Stichprobe aber eine Tendenz zu weniger Patienten mit klinisch relevanter PTBS nach CBT. Duncan et  al. (2007) konnten in einer kleinen, nicht kontrollierten Pilotstudie einen positiven Effekt therapeutischen Schreibens („guided written disclosure“) auf PTBS-­Symp­ tome  – nicht aber auf Depressivität  – bei ­Eltern von Kindern mit Krebs nachweisen. In einer kontrollierten, randomisierten Studie bei Patienten mit einer PTBS 1–3 Jahre nach Stammzelltransplantation führte eine telefonisch durchgeführte CBT über 10 Sitzungen

23

im Vergleich zur onkologischen Standardtherapie zu einer signifikanten Reduktion von auf die Erkrankung bezogenen Intrusionen, Vermeidungsverhalten und Depressivität (DuHamel et al. 2010). Bei Patienten mit Herzerkrankungen besteht auch bei Therapeuten häufig eine Hemmung, Exposition anzuwenden aus der Sorge heraus, durch die hiermit verbundene Belastung ein akutes kardiales Ereignis auszulösen. Shemesh et  al. (2011) konnten in einer randomisierten Studie (Vergleich zwischen Konfrontation in sensu und Psychoedukation) jedoch nachweisen, dass Traumakonfrontation weder zu relevanten Puls- oder Blutdruckanstiegen während der Sitzungen (im Durchschnitt nur 0,5  mmHg mehr als in der Kontrollbedingung, im 95  %-Konfidenzintervall maximal 7,1  mmHg Differenz, was ebenfalls klinisch unbedenklich ist) noch zu vermehrten kardialen Ereignissen oder gar Todesfällen im Langzeitverlauf führte. Es fand sich aber eine signifikante Verbesserung der PTBS-Symptome in der Subgruppe der hoch belasteten Patienten. Die Ergebnisse dieser Studien und die klinische Erfahrung sprechen dafür, dass zur Behandlung von Patienten im medizinischen Kontext die gleichen Verfahren wirksam sind und eingesetzt werden sollten, für die eine Evidenz hinsichtlich Wirksamkeit bei der PTBS insgesamt vorliegt. Allerdings besteht nach wie vor dringender Forschungsbedarf v.  a. zu der Frage, ob sich durch die Therapie der PTBS deren negative Folgen auf den somatischen Krankheitsverlauf abmildern lassen. Ebenso fehlen Studien zur Effektivität der Therapie krankheitsbezogener Anpassungsstörungen. Da sich krankheitsübergreifend geringe soziale Unterstützung als starker Prädiktor für die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer PTBS erwies, könnten therapeutische Gruppen hilfreich sein, da sie die Möglichkeit von sozialer Unterstützung und Disclosure miteinander verbinden (Köllner et  al. 2004a). Vielen Patienten fällt es leichter, in einer Gruppe gleichermaßen Betroffener über traumatische Erlebnisse zu berichten als in ihrem persönli-

456

23

V. Köllner

chen Umfeld. Sinnvoll scheint es auch, Selbsthilfegruppen einzubeziehen, da Betroffene oft nichts über dieses Störungsbild wissen und in den Kliniken kein routinemäßiges Screening erfolgt. Ein Beispiel für gute Information der Betroffenen und den Aufbau eines thera­ peutischen Netzwerkes ist der Bundesverband der Organtransplantierten (7 http://www.­bdo-­ ev.­de).

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461

Militär Soldaten in militärischen Einsätzen K.-H. Biesold, K. Barre und P. Zimmermann 24.1

Hintergrund – 462

24.1.1 24.1.2

E rweitertes Aufgabenspektrum der Bundeswehr – 462 Herausforderungen für die Einsatzmedizin – 462

24.2

Historie der Kriegstraumatisierungen – 463

24.2.1 24.2.2

E in Überblick – 463 Wandel der Erscheinungsformen – 463

24.3

Belastungsreaktionen im militärischen Umfeld – 465

24.3.1 24.3.2

E insatzformen – national/international – 465 Epidemiologie und Pathogenese – 466

24.4

Prävention – 467

24.5

Therapie im Rahmen der Bundeswehr – 470

24.5.1

T herapeutische Einrichtungen in  Bundeswehrkrankenhäusern – 470 Traumatherapie im Bundeswehrkrankenhaus anhand von Fallbeispielen – 471

24.5.2

24.6

Versorgungsrecht für Soldaten der Bundeswehr – 476

24.6.1 24.6.2 24.6.3 24.6.4

Wehrdienstbeschädigung– 476 Einsatzversorgungsgesetz– 477 Einsatz-Weiterverwendungsgesetz– 477 Begutachtung von Wehrdienstbeschädigungen – 477

Literatur – 478

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_24

24

462

K.-H. Biesold et al.

24.1  Hintergrund 24.1.1  Erweitertes

Aufgabenspektrum der Bundeswehr

24

Mit Beendigung des „Kalten Krieges“ Ende der 1980er-Jahre änderte sich die weltpolitische Lage grundlegend, und infolgedessen kam es nach der deutschen Wiedervereinigung zu dem politischen Entschluss, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen. Dies führte zu erheblichen Veränderungen im außen- und sicherheitspolitischen Raum und damit auch im militärischen Alltag der Soldaten. Die Bundeswehr nimmt nun seit Anfang der 1990er-Jahre im Rahmen ihres erweiterten Aufgabenspektrums an internationalen friedenssichernden, militärischen Einsätzen und UN-Beobachtermissionen teil. Begonnen haben die Auslandsmissionen mit dem für die Bundeswehr rein sanitätsdienstlichen UNEinsatz in Kambodscha 1992/1993 (United ­ ations Transitional Authority in Cambodia, N UNTAC), wo ein Feldhospital für die insgesamt

ca. 20.000 im Land eingesetzten UN-Soldaten und UN-Mitarbeiter in der Hauptstadt Pnom Penh betrieben und auch die einheimische Zivilbevölkerung mitversorgt wurde. Es folgte von März 1993 bis März 1994 der Einsatz zur Unterstützung der friedenschaffenden und -sichernden UN-Operation UNOSOM in Somalia. Von 1994–2008 stellte die Bundeswehr auch ein kleines Kontingent für eine UN-Beobachtermission in Georgien (UNOMIG). Der im Dezember 1996 begonnene Einsatz in Bosnien-Herzegowina (SFOR/EUFOR) ging 2012 zu Ende. Im Kosovo (KFOR) – einem seit Juni 1999 laufenden Einsatz  – sind derzeit (Stand Dezember 2017) noch 456 Soldaten eingesetzt. Den Schwerpunkt des militärischen Engagements im Ausland bildet seit Dezember 2001 der Afghanistan-Einsatz (ISAF) mit derzeit noch ca. 1100 Soldaten im Rahmen der Mission „Resolute Support“. Weitere Soldaten sind in Mali (MINUSMA, 1100 Soldaten), In Jordanien (Counter DAESH), im Sudan (UNMISS/ UNAMID), auf See vor dem Libanon (UNIFIL),

im Rahmen der Flüchtlingshilfe im Mittelmeer (Operation SOPHIA) und am Horn von Afrika (OAE/Atalanta) zur Sicherung der Seewege eingesetzt. Insgesamt befinden sich Ende 2017 ca. 3700 deutsche Soldaten im Auslandseinsatz, davon rund 300 Frauen (BMVg 2000, 2004). 24.1.2  Herausforderungen für die

Einsatzmedizin

Bedingt durch die Aufgaben, die im Transformationsprozess der Streitkräfte aus den neuen Einsatzgrundsätzen für die Bundeswehr folgen, wurden auch Veränderungen in der sanitätsdienstlichen Organisation und der medizinischen Versorgung erforderlich. In der modernen Wehrmedizin des 21. Jahrhunderts sind es 3 große Themenbereiche, die die Einsatzmedizin dominieren: 55 Notfallmedizin und Einsatzchirurgie mit der Optimierung schneller lebensrettender Maßnahmen in den „Platin-10-minutes“ und der „golden hour“ bis hin zu den modernen Entwicklungen der „damage-­ control-­surgery“ und der „medical evacuation“ mit einer optimierten Rettungskette vom Einsatzort bis ins Heimatland. 55 Hygiene und Infektiologie mit Erforschung weltweiter Gesundheitsrisiken durch „medical intelligence“ und der Anwendung aktueller tropenmedzinischer Diagnose- und Therapiestandards. 55 Psychotraumatologie mit präventiven, diagnostischen und therapeutischen Strategien zum Erhalt oder zur Wiederherstellung der seelischen Gesundheit nach militärischen Einsätzen. Während Notfallmedizin, Einsatzchirurgie und Infektiologie in erster Linie der Verhütung von Gesundheitsschäden bzw. der optimalen Behandlung von Verletzungen während des Einsatzes dienen, kommen die psychischen Auswirkungen nach dem Erleben extremer Belastungen nicht selten erst nach dem Ende der Einsätze, manchmal mit monate- und jahrelanger Latenz zur Erscheinung.

463 Militär

Körperliche Traumatisierungen sind in der Regel unmittelbar sichtbar und meist auch rasch in ihren Ausmaßen überschaubar. Unter der Lupe

Die Folgen seelischer Verletzungen werden von den Betroffenen nicht selten zunächst gar nicht registriert oder aufgrund von Stigmatisierungsängsten nicht akzeptiert und von Vorgesetzten, Kameraden und auch von den behandelnden Ärzten noch zu wenig wahrgenommen. Dies erschwert die Erfassung der Erkrankten und verhindert mitunter die rechtzeitige, adäquate therapeutische Hilfestellung.

24

tisierungen infolge von Kriegserlebnissen bei Soldaten stammen aus der Zeit der Sezessionskriege Ende des 19. Jahrhunderts. Da Costa beschrieb 1871 einen psychosomatischen Symptomenkomplex mit Herzschmerzen, Herz­rasen, Müdigkeit, Schwindel, Atemnot, den er bei den Soldaten des amerikanischen Bürgerkrieges beobachtete und der später nach ihm benannt wurde (Da-Costa-­ Syndrom). In diesem Zusammenhang wurden auch andere Begriffe wie „soldier‘s heart“, „irritable heart“ und „effort syndrome“ geprägt. 24.2.2.2  Kriegszitterer, „shell

shock“, Schützengrabenneurose

Nach anfänglicher Kriegsbegeisterung kam es bei den Soldaten im 1. Weltkrieg durch die Konfrontation mit der grausamen Wirklich24.2  Historie der keit des Krieges rasch zum Auftreten einer groKriegstraumatisierungen ßen Zahl seelischer Traumatisierungen. In den Stellungskriegen an der Westfront gab es un24.2.1  Ein Überblick zählige Gefallene, und mit dem Einsatz neuer Waffen wie Maschinengewehre und Giftgas Die Geschichte der Psychotraumatologie ist eng traten zunehmend folgende Beschwerden auf: verknüpft mit der Geschichte militärischer Aus- 55 psychogene Bewegungsstörungen einandersetzungen. Seit Jahrhunderten haben („Kriegszitterer“), Kriege stets großes Leid über die Menschen – 55 Lähmungen und Amnesien, Zivilbevölkerung und Soldaten – gebracht und 55 Dämmerzustände, zu vielfältigen seelischen Schäden geführt. 55 Verwirrtheiten, Die psychosozialen Folgen von Kriegserleb- 55 Sprachstörungen, nissen sind zwar seit Jahrhunderten bekannt, 55 Blindheit, jedoch ist wie auch bei anderen psychisch-­ 55 Taubheit. psychosomatischen Krankheitsbildern im Laufe der Jahrzehnte ein Symptomwandel bzw. eine Man führte diese Symptome zunächst ursächVeränderung der Erscheinungsform zu ver- lich auf die Wirkung des Granatbeschusses zuzeichnen. Manchmal entsteht gar der Ein- rück und bezeichnete sie als „shell-­shock“. Die druck, dass jede Epoche, jeder Krieg ein neues, „Kriegsneurotiker“ wurden in Deutschland jesein eigenes „Syndrom“ produziert. doch nicht als Kranke anerkannt, sondern man hielt sie für erblich vorbelastet und konstitutionell minderbelastbar. Die Behandlungsme24.2.2  Wandel der Erscheinungsthoden (elektrische Schläge, „Kaufmann-Kur“, formen Eiswasserbäder, Gewalt, Isolierung) waren z. T. grausam und dienten dazu, die Soldaten wie24.2.2.1 Da-Costa-Syndrom der an die Front zurückzutreiben. In England, Die ersten medizinwissenschaftlichen Veröf­ Frankreich und den USA versuchte man durch fentlichungen über die psychosozialen und Selektion die geeigneten Männer für die Front gesundheitlichen Folgen seelischer Trauma- auszusuchen und behandelte psychogene Stö-

464

K.-H. Biesold et al.

rungen entweder frontnah oder man führte die Soldaten in die Heimat zurück und behandelte sie in speziellen Einrichtungen (Shephard 2000). 24.2.2.3  Psychogene

Körperstörungen, „combat fatigue“

24

Während im 1. Weltkrieg dissoziative Krankheitsbilder dominierten, kam es im 2. Weltkrieg bei den deutschen Soldaten als Reaktion auf die Kriegserlebnisse zu einem Symptomwandel. Das Krankheitsbild der Kriegszitterer trat kaum noch auf. Die psychisch traumatisierten Soldaten wiesen überwiegend somatoforme und psychosomatische Krankheitsbilder auf, bei denen v.  a. gastrointestinale Symptome zu verzeichnen waren wie 55 Übelkeit, 55 Erbrechen, 55 Oberbauchbeschwerden. Wegen der hohen Anzahl an Erkrankten wurden gegen Kriegsende in der Deutschen Wehrmacht sogar ca. 50 „Magenbataillone“ aufgestellt. Kriegsmüdigkeit, d.  h. Erschöpfungszuständen, versuchte man anfänglich durch Früherkennung und vorübergehenden Rückzug in Ruheräume zu begegnen. Im Laufe des Krieges nahmen „Nerven- und Geisteskrankheiten“ zu, und es wurden Therapiemethoden aus dem 1. Weltkrieg („galvanische Rolle“) wieder eingeführt (Zimmermann et al. 2005). Unter der Lupe

Eine „psychische Reaktion“ auf die Auswirkungen des Krieges offen zu benennen, war unter dem nationalsozialistischen Regime des sog. Dritten Reiches aus gesellschaftlichen und politischen Gründen praktisch unmöglich und wäre als Feigheit oder Verrat angesehen worden.

So gibt es keine verlässlichen Daten darüber, wie hoch die Prävalenz psychogener Krankheitsbilder in Deutschland war, wie viele der

Soldaten aus Verzweiflung Fahnenflucht begingen, sich selbst verstümmelten oder suizidierten. Die amerikanischen Streitkräfte ­entließen während des 2. Weltkrieges insgesamt ca. 500.000 Soldaten aus psychiatrischen Gründen wegen Kampferschöpfung („combat fatigue“) aus dem Militärdienst. Die britischen Streitkräfte führten Gefechtspausen ein und vertraten im Übrigen das Konzept einer unmittelbaren, frontnahen Behandlung, die auch gute Erfolge zeigte. 24.2.2.4  Posttraumatische

Belastungsstörung

Während des Koreakrieges (1950–1953) mussten 3 % der amerikanischen Soldaten psychia­ trisch behandelt werden, während des Vietnamkrieges nur noch 1,2 %. Es wurde versucht, die Stressfaktoren für die Soldaten durch begrenzte Einsatzzeiten und u.  a. durch ein gut funktionierendes Sanitätssystem zu reduzieren. Die Problematik der Kriegstraumatisierungen trat erst nach Ende des Krieges an das Tageslicht. 1988 wurde eine Studie veröffentlicht, die belegte, dass ca. 500.000 Veteranen, das entsprach 15 % der eingesetzten amerikanischen Soldaten, an den Folgen des Krieges in Form einer PTBS litten. Spätere Studien des National Centre for Post Traumatic Stress Disorder

(NCPTSD), erstellt für das United States Department of Veterans’ Affairs (USDVA), gaben an, dass die PTBS-­ Prävalenzzahlen deutlich höher lagen (30,9  bei männlichen, 26,9 % bei weiblichen Vietnamveteranen). Die Anzahl chronifizierter Fälle blieb hoch, und viele der PTBS-Erkrankten bekamen Suchtprobleme, wurden strafrechtlich belangt oder obdachlos (Kulka et al. 1990). Als Folge der Erfahrungen aus dem Viet­ namkrieg hat das USDVA zahlreiche Behandlungszentren für Patienten mit PTBS eingerichtet, betreibt in eigenen Forschungseinrichtungen umfangreiche wissenschaftli che Recherchen, hat Informationsmaterial für ­Betroffene, Angehörige und Behandler entwickelt, betreibt Internetforen, entwickelt Therapiekonzepte etc.

465 Militär

24.2.2.5  Gefechtsstress, „combat

stress reaction“

Nachdem in Israel in den Kriegen 1948, 1956 und 1967 keine nennenswerten psychischen Ausfälle zu verzeichnen waren, machten im Yom-Kippur-Krieg 1973 psychische Erkrankungen 30  % aller Ausfälle aus. Nach Untersuchungen wurde einerseits ein Krankheitsbild als akute Gefechts- oder Stressreaktion („combat stress reaction“, CSR) beschrieben und andererseits ein zweites als verzögerte Kampfreaktion beobachtet. Auch in Israel bevorzugte man zunächst eine möglichst frontnahe Behandlung der akuten Symptomatik. Falls diese nicht erfolgreich war, wurde die Therapie in einer Combat Fitness Readiness Unit (CFRU) fortgesetzt. Bei einer Follow-up-Studie nach 3 Jahren zeigte sich, dass die Soldaten mit einer CSR signifikant häufiger unter chronischen PTBS-Symptomen litten als die Vergleichsgruppe (Shlosberg und Strous 2005). 24.2.2.6  Golfkriegssyndrom

Nach Beendigung des Zweiten Golfkrieges 1991 (Kuwait und Irak) beklagten viele der Soldaten das Auftreten zahlreicher unspezifischer körperlicher Symptome wie 55 Gelenk- und Muskelschmerzen, 55 ungewöhnliche Müdigkeit und Erschöpfungszustände, 55 Gedächtnisprobleme, 55 Depressionen, 55 Störungen der kognitiven und emotionalen Funktionen. Ärzte fassten diese Symptome 1994 unter dem Begriff „Golfkriegssyndrom“ („gulf-war -­ syndrome“) zusammen. Die Ursache war unklar, und als Auslöser wurden u. a. die zahlreichen vorbereitenden Impfungen, Nervengasexpositionen, Einnahme von Insek­ tenschutzmitteln, Giftgasfreisetzungen durch brennende Ölquellen oder Uranmunition verdächtigt. Bewiesen werden konnten diese Hypothesen zur Genese nur teilweise, und man nimmt eine Teilverursachung der Erkrankung durch exogene Faktoren an. Es wird jedoch darüber hinaus kontrovers diskutiert, ob und in-

24

wieweit auch hier psychogene Reaktionen auf die Kriegserlebnisse mit überwiegend somatoformer und psychosomatischer Reaktionsbildung vorliegen (King’s Centre for Military Health Research 2006). 24.2.2.7  Traumatisierungen

in russischen Streitkräften

Über psychische Erkrankungen der russischen Teilnehmer am Krieg in Afghanistan (1988) und Tschetschenien (1994/95) ist offiziell nicht viel bekannt. Es gibt jedoch Berichte über psychosoziale Anpassungsschwierigkeiten, Störungen der Reintegration in Familie und Gesellschaft nach der Rückkehr sowie über Alkohol- und Drogenmissbrauch auch bereits während des Krieges. Bei der fehlenden Verarbeitung der Kriegserlebnisse haben, wie auch beim Vietnamkrieg, die begrenzte öffentliche Unterstützung, unklare Kriegsziele, das jugendliche Alter vieler Kämpfer und die hohe Kampfintensität eine bedeutende Rolle gespielt. 24.3  Belastungsreaktionen im

militärischen Umfeld

24.3.1  Einsatzformen – national/

international

Die Soldaten der NATO-Streitkräfte sind heutzutage nicht nur in bewaffneten militärischen Konflikten eingesetzt, sondern häufig auch in internationalen friedensichernden, friedenerhaltenden und friedenschaffenden Einsätzen unter UN-Mandat und z. B. unter Führung der NATO oder der EU. Wie die jüngste Geschichte allerdings gezeigt hat, sind die Grenzen zwischen den verschiedenen militärischen Einsatzformen nicht scharf und verschwinden bisweilen. Die amerikanische Regierung erklärte bereits nach wenigen Wochen im April 2003 den Irakkrieg für beendet, nachdem die Invasion abgeschlossen war, die irakische Armee kapituliert hatte und das Regime Saddam Husseins gestürzt war. Die größte Anzahl verwundeter und getöte-

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K.-H. Biesold et al.

ter Soldaten haben die US-Streitkräfte aber in der „Stabilisierungsphase“ der nachfolgenden Jahre hinnehmen müssen. Unter der Lupe

24

Auch die rein „friedensichernden“ Einsätze können an Brisanz gewinnen und für die Soldaten durch erzwungene Passivität zu extremen psychischen Belastungen führen, wie dies der Bosnien-Herzegowina-Einsatz der Niederlande in Srebrenica im Juli 1995 gezeigt hat, wo die Soldaten tatenlos den ethnischen Säuberungsaktionen der serbischen Milizen an der muslimischen Bevölkerung zusehen mussten, weil die „rules of engagement“ (politische Vorgaben durch die Vereinten Nationen) ein Einschreiten nicht erlaubten. Ein ähnliches Desaster musste der kanadische General Romeo Dallaire 1994 in Ruanda erleben, als Hundertausende Tutsi von Hutu-Milizen umgebracht wurden und er als Kommandeur der UN-Schutztruppe nicht eingreifen konnte/durfte (Dallaire 2003).

Im politischen Szenario sind „harmlose“ Friedensmissionen nicht mehr scharf von eindeutig bewaffneten Auseinandersetzungen trennbar. Dies und die Strategie der asymmetrischen Kriegsführung mit zunehmenden terroristi­ schen Aktionen wie Selbstmordattentaten, Angriffen gegen einheimische Zivilisten und Soldaten, ausländische Truppen und internationale Hilfsorganisationen erschweren die Orientierung für die Soldaten und auch die ­betroffene Zivilbevölkerung. 24.3.2  Epidemiologie und

Pathogenese

Beim Erleben kurzfristiger oder länger dauernder Extremsituationen wird die Fähigkeit der Soldaten zur Verarbeitung der Belastungen und

zur Wiederanpassung an die Gegebenheiten im Heimatland oft überfordert. Derart intensive, überwältigende und desorganisierende Erfahrungen bzw. Erlebnisse zerstören bisweilen Orientierung und Halt gebende Selbst- und Weltbilder. In der Folge kommt es unter Umständen zur Entwicklung einer psychischen Störung, die sich schleichend (bei Dauerbelastung) oder akut (bei Extremerlebnissen) entwickeln kann. >> Eine psychische Störung tritt nicht selten verzögert auf und entfaltet ihre schädigende Wirkung oft erst dann, wenn der Einsatz oder das schädigende Ereignis längst vorbei ist oder die Betroffenen eventuell schon lange keine Soldaten mehr sind (Biesold und Barre 2002).

Die Erkrankungsrate der eingesetzten Soldaten an PTBS nach friedenschaffenden (UN-) Einsätzen liegt nach internationalen Untersuchungsergebnissen zwischen 3  % und 8  %, je nach Einsatzland und Einsatzbelastungen. Sie kann bei spezifischen Belastungen merklich höher liegen – z. B. bei den niederländischen UN-Soldaten, die im Juli 1995  in Srebrenica/ Bosnien-Herzegowina untätig bei dem Massaker zusehen mussten, erfuhren 8 % PTBS und 29 % partielle PTBS (Teilsymptome). In den letzten Jahren ist durch das Psychotraumazentrum der Bundeswehr in Berlin und seine Kooperationspartner eine solide Datenbasis zu einsatzbezogenen psychischen Erkrankungen von Bundeswehrsoldaten und ihren Prädiktoren geschaffen worden. Epidemiologische Untersuchungen von 2009–2013, die an Einsatzsoldaten in Afghanistan sowie an einer Kontrollgruppe ohne Einsatz durchgeführt wurden („Dunkelzifferstudie“), erbrachten erste aussagekräftige Ergebnisse. Mehr als 20 % aller Soldaten mit und ohne Einsatz litten unter einer psychischen Erkrankung (Soldaten mit Auslandseinsatz: affektive Erkrankungen 7,8  %, PTBS 2,9  %, Angststörungen 10,8  %, somatoforme Störungen 2,5  %, Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit 3,6 %). Im Vergleich zu nicht im Einsatz befindlichen Soldaten hatten sie eine signifikant höhere 12-Monats-Prävalenz von PTBS (OR: 2,4), Angst (OR: 1,4)

467 Militär

und Alkoholkonsum (OR: 1,9). Vorbestehende psychische Störungen, fehlende soziale Unterstützung und Schwierigkeiten in der Emotionsregulation steigerten das Risiko signifikant (Wittchen et al. 2012, 2013). Auch die bundesdeutsche Zivilbevölkerung leidet nach aktuellen Surveys unter einer erheblichen psychiatrischen Krankheitslast. Die auftretenden Erkrankungen sind jedoch im Vergleich zum Militär unterschiedlich (Trautmann et al. 2016). Zu beachten ist zudem, dass die Anforderungen an Soldaten im Hinblick auf psychische Stabilität angesichts des beanspruchenden Aufgabenspektrums besonders hoch sein müssen. Die Prävalenz bei Soldaten ohne Einsatz ist niedriger als bei Zivilisten. Signifikante Unterschiede zwischen militärischem Personal und Zivilpersonen zeigten sich mit niedrigeren Werten für Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Bei Einsatzsoldaten mit hoher Kampfbelastung traten im Vergleich zu Zivilpersonen erhöhte Raten von Panik und Agoraphobie sowie der PTBS auf (Trautmann et al. 2015). Auch in den Einsätzen selbst wurden Erhebungen zur Inanspruchnahme der dort bis 2014 tätigen Psychiater durchgeführt. Dabei zeigte sich von 2009 bis 2012 ein Wandel der diagnostizierten Erkrankungen. Passend zu abnehmenden Kampfhandlungen verringerte sich auch der Anteil akuter Belastungsreaktionen und posttraumatischer Belastungsstörungen zugunsten von Anpassungsstörungen, die auf dienstliche und private Konflikte zurückzuführen waren (Ungerer et al. 2013). In einer noch aktuelleren prospektiven Untersuchung bestätigte sich dieser Trend: Im Einsatzverlauf waren signifikante Anstiege an depressiver Symptomatik sowie von Schlafstörungen, nicht jedoch der PTBS, zu verzeichnen (Danker-Hopfe et al. 2017). Zudem haben offenbar persönliche Wertorientierungen und das Moralempfinden  von Soldaten einen Einfluss auf Häufigkeit und  Schweregrad psychischer Erkrankungen im militärischen Kontext. Im Rahmen von Auslandseinsätzen kann es zu Erfahrungen ­ kommen, die zu verinnerlichten Werten und Normen im Widerspruch stehen. Eine Quer-

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schnittstudie an Einsatzrückkehrern zeigte, dass bestimmte Wertorientierungen von Soldaten (v. a. Hedonismus, Benevolenz und Universalismus) einen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit und Schwere der PTBS und anderer psychischer Symptome nach einem Auslandseinsatz haben. Diese Ergebnisse könnten einen Einfluss auf die Weiterentwicklung von Therapien im militärischen Kontext haben (Zimmermann et al. 2014, 2015a). Unter der Lupe

Ähnlich bedeutsam wirken sich offenbar moralische Verletzungen aus. Moralisch fragwürdige Einsatzerlebnisse in Zusammenhang mit der Zivilbevölkerung (z. B. ethnische Gewalttaten, Übergriffe gegen Frauen und Kinder etc.) scheinen eine besonders starke Auswirkung auf psychische Erkrankungen bei Bundeswehrsoldaten zu haben. Der Effekt wird offenbar zu erheblichen Anteilen über das Konstrukt moralischer Verletzungen vermittelt (Hellenthal et al. 2017).

24.4  Prävention

Damit Soldaten neben den Belastungen und Risiken eines Einsatzes nicht auch noch die Bürde einer chronifizierten psychischen Störung tragen müssen, hat die Bundeswehr im Rückgriff auf die Erfahrungen befreundeter Streitkräfte ein Präventions- und Behandlungskonzept entwickelt, das die organisatorische Grundlage für eine effektive psychosoziale Unterstützung im Grundbetrieb und bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr bildet: 55 das „Rahmenkonzept zur Bewältigung psychischer Belastungen von Soldaten“, 55 das „Medizinisch-psychologisches Stresskonzept der Bundeswehr“ (MedPsychStressKonBw). Im Rahmenkonzept (BMVg 2000) wird aufgeführt, dass neben mentalen und physischen Anforderungen sowie sicherem Beherrschen

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K.-H. Biesold et al.

soldatischer Handlungsabläufe die psychische Stabilität und Belastbarkeit der Soldaten als ein wesentliches und bestimmendes Merkmal der Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit zu begreifen ist.

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dort nicht zur Verfügung steht oder nur über Fernkommunikationsmedien eingeschränkt erreichbar ist. Sie spielt aber auch in der Einsatzvor- und -nachbereitung eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Ungewissheit über das Kommende und der Reintegration in >> Bei den Maßnahmen zur Erhaltung der den nicht mehr gewohnten Alltag zu Hause. psychischen Stabilität wird der PrävenVerschiedene innovative Ansätze der letztion der Vorzug vor der Rehabilitation ten Jahre ergänzen das geschilderte Basiskongegeben. zept der Prävention. Diese setzen an verschiedenen Stellen in der Versorgungslandschaft an: zz Das Drei-Phasen-Drei-Ebenen-Konzept ein breites Routinescreening psychischer Symp­ der Stressbewältigung tomatik kann vor einer möglichen Belastung Die tragenden Säulen des Konzeptes sind das zu einer Sensibilisierung potenziell Betroffener Drei-Phasen-Modell und das Drei-Ebenen-­ beitragen und Ausgangspunkt weiterer MaßKonzept der Stressbewältigung (. Abb.  24.1). nahmen der Primärprävention sein. Screening Das Drei-Phasen-Modell beschreibt die 3 Sta- kann aber auch nach erfolgter Exposition eine dien (= Phasen) des Einsatzes: Einsatzvorberei- Früherkennung von Erkrankungen erleichtern tung, Einsatzdurchführung und Einsatznachbe- und die potenziell Betroffenen motivieren, reitung. Das Drei-Ebenen-­Konzept glie­dert sich zeitnah eine therapeutische Behandlung aufin die Stufen (= Ebenen) der psychosozialen zunehmen. Es sollte jedoch nicht verwendet Unterstützung, die je nach Art und Ausmaß werden, um belastete Soldaten zu selektieren der belastenden Ereignisse zur Anwendung bzw. von Auslandseinsätzen auszuschließen. kommt. Anderenfalls wäre mit einer hohen Rate von Der Interventionsebene 1 (besonders der Abwehr und Dissimulation zu rechnen (WeseHilfe durch Kameraden und Vorgesetzte) mann et al. 2018). kommt im Einsatzgeschehen eine größere BeIn der Bundeswehr wurde die Bedeutung deutung zu als in der Vor- und Nachbereitung, derartiger Maßnahmen in den letzten Jahren da die alltägliche psychosoziale Unterstützung zunehmend erkannt und unter Federführung durch Partner, Familie, Freunde und Bekannte des psychologischen Dienstes mit einer Im 

..      Abb. 24.1 DreiPhasen-Drei-Ebenen-Konzept

Phase 1 Einsatzvorbereitung

Phase 2 Einsatzdurchführung

Phase 3 Einsatznachbereitung

Ebene 1 Selbst- und Kameradenhilfe, Hilfe durch Vorgesetzte, Peers Ebene 2 Truppenarzt, Truppenpsychologe (unterstützt von MilPfr, SozArb, Peers) Ebene 3 Psychiater, Ärztlicher/Psychologischer Psychotherapeut

469 Militär

plementierung begonnen. Für einen geplanten Beginn im Jahr 2018 wurde ein psychologisches Screening konzipiert, das perspektivisch jeder Soldat bereits bei seiner Einstellung und dann wiederholt im Laufe seiner Dienstzeit erhalten soll, insbesondere vor und nach Auslandseinsätzen. Bei Verdachtsmomenten auf psychische Belastungen von Soldaten, die sich im Rahmen eines Screenings ergeben, aber auch bei bevorstehenden Stressoren wie Auslandseinsätzen, arbeitet die Bundeswehr verstärkt an der Entwicklung wirksamer primärer Präventionsmaßnahmen. Dabei spielt Aufklärung (Psychoedukation) bei der Primärprävention der Bundeswehr eine zentrale Rolle. Diese wird im Wesentlichen durch die in größeren Verbänden tätigen „Truppenpsychologen“ vermittelt. Dazu kommen weitere Elemente, deren Wirksamkeit ­bislang aber nur wenig untersucht wurde. Am ehesten geeignet erscheinen Maßnahmen der Stressvorbereitung durch virtuelle Übungen, gekoppelt mit Verfahren der aktiven Entspannung sowie die Verbesserung sozialer Kompetenzen, um auch im Falle einer Belastung soziale Bezugssysteme gut nutzen zu können. Ein stützendes soziales Umfeld hat sich in zahlreichen Studien als wesentliches Element der Krankheitsprävention erwiesen. Unter der Lupe

Ein geeigneter Ansatz, um Prävention standardisiert und unter lerntheoretischen Gesichtspunkten effektiv und motivationssteigernd anzubieten, scheint die Nutzung moderner Medien zu sein. Der psychologische Dienst der Bundeswehr hat dafür in Kooperation mit zivilen Partnern die computerbasierte Blended-learning-Plattform CHARLY entwickelt. In einem anderthalbtägigen Gruppenseminar werden den Teilnehmern die o. g. präventiven Elemente multimedial und spielerisch vermittelt. In Zusammenarbeit mit dem PTZ wurde

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eine Wirksamkeitsstudie bei Sanitätspersonal durchgeführt. Der Vergleich mit einer Routine-Stressausbildung erbrachte dabei in einem randomisierten, kontrollierten longitudinalen Design eine signifikant geringere Symptombelastung der CHARLY-Gruppe nach einem Einsatz in Afghanistan (Wesemann et al. 2016).

Nach Exposition mit belastenden Ereignissen können Verfahren der Sekundärprävention auf den Prozess der Verarbeitung bzw. Krankheitsentstehung einwirken. Auch hier scheint wiederum Psychoedukation von großer Bedeutung. Diese sollte niederschwellig und ggf. auch anonymisiert angeboten werden, da ­insbesondere in hierarchischen Systemen wie dem Militär Schamgefühle den Krankheitsprozess begleiten, zu Stigmatisierungsängsten führen und dadurch die Kontaktaufnahme mit dem Hilfesystem erschweren und verzögern. Somit bieten sich auch bei der Sekundärprävention wiederum die neuen Medien als erste Kontaktoption an. Diese werden ergänzt durch persönliche Beratungsangebote wie die 24/7-Telefonhotline des Psychotraumazentrums (08005887957) (Zimmermann et al. 2013). Seit Mitte 2016 kann, insbesondere auch für jüngere Betroffene, eine Smartphone-App („Coach PTBS“) die o. g. Präventionselemente in leicht zugänglicher Form vermitteln. Sie wurde vom PTZ und der TU Dresden inhaltlich entwickelt und bereits im Jahr der Freischaltung mehrere tausend Mal heruntergeladen. Großer Beliebtheit erfreuen sich auch intensivierte und verlängerte Formate für die Sekundärprävention, v. a. die 2- bis 3-­wöchigen Präventivkuren. Diese können nach dem verstärkten Auftreten von Einsatzstressoren unbürokratisch beantragt und auf Kosten der Bundeswehr in zivilen Kliniken durchgeführt werden. Sie erheben keinen Anspruch auf fachgerechte Psychotherapie, können aber zu einer Ressourcenstärkung und damit Krankheitsverhütung beitragen. Sie vermitteln den teilnehmenden Soldaten zudem Anerkennung und

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K.-H. Biesold et al.

Wertschätzung seitens ihres Dienstherrn und haben dementsprechend eine hohe Akzeptanz. Insbesondere sport- und bewegungsbezogene Angebote werden von den Teilnehmern als wichtig und hilfreich bewertet (Zimmermann et al. 2015b).

24

24.5  Therapie im Rahmen der

Bundeswehr

24.5.1  Therapeutische

Einrichtungen in Bundeswehrkrankenhäusern

Die jahrelangen Erfahrungen in der Therapie von Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Störungen haben gezeigt, dass Soldaten oft eine Versorgung in Bundeswehreinrichtungen präferieren, da dort spezifische Kenntnisse über die militärischen Alltagsanforderungen, Einsatzbelastungen und -traumatisierungen vorhanden sind. Allerdings verfügt die Bundeswehr derzeit nur noch über 4 Bundeswehrkrankenhäuser, in denen stationäre Trau­ matherapie angeboten werden kann (Berlin, Hamburg, Koblenz, Ulm). Aus diesem Grund werden regelmäßig auch ambulante, teilstationäre und stationäre Angebote der zivilen Versorgungslandschaft genutzt. Unter der Lupe

Eine engmaschige regionalisierte Versorgung, die gleichzeitig auch ein profundes Erfahrungswissen des militärischen Lebensfeldes einbringen kann, steht nicht zur Verfügung. Wegen mangelnder Erfahrung mit kriegstraumatisierten Soldaten im zivilen Bereich ist eine intensive therapeutische und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit militärischen Kompetenzträgern notwendig.

In den letzten Jahren haben sich in der Bundeswehr ambulante und stationäre Behandlungssettings entwickelt, die sich in besonderer

Weise auf die Bedürfnisse und spezifischen Besonderheiten militärischer Patienten eingerichtet haben (Zimmermann et  al. 2016). Um eine dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Behandlungsqualität zu dokumentieren, war es notwendig, diese Settings im Hinblick auf ihre Ergebnisqualität zu evaluieren. Das traumatherapeutische Verfahren EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) hat sich dabei für Soldaten als besonders geeignet und wirksam erwiesen: in kontrollierten Studien ergaben sich hohe Effektstärken (Alliger-Horn et  al. 2015; Köhler et  al. 2017). Die Therapieergebnisse variierten allerdings aufgrund verschiedener Einflussfaktoren, die seitdem vermehrt bei der Planung therapeutischer Prozesse berücksichtigt werden. Im Vordergrund stehen die Anzahl der erlebten Traumatisierungen und das Ausmaß von Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) (Alliger-­ Horn et al. 2014, 2015). In einem erweiterten Sinne sind in diesem Zusammenhang auch persönliche Wertorientierungen sowie moralische Verletzungen im Kontext der traumatischen Situation zu berücksichtigen, deren Einfluss auf Symptomschwere und -ausgestaltung bereits beschrieben wurde. In einer kürzlich publizierten Studie zum Verlauf eines qualifizierten Entzuges bei alkoholabhängigen Soldaten trug beispielsweise eine starke Ausprägung des Wertes „Tradition“, der einen hohen Stellenwert traditioneller gesellschaftlicher Normen und Gewohnheiten kennzeichnet, zu einem signifikant verbesserten Therapieergebnis bei (Zimmermann et al. 2015a). Um diesen Beobachtungen angemessen therapeutisch zu begegnen, wurde im Psychotraumazentrum der Bundeswehr ein 3-wöchiges Gruppenprogramm eingeführt, das speziell für Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Erkrankungen sowie moralischen Verletzungen konzipiert wurde. Dieses beinhaltet klassische Elemente der psychosozialen Stabilisierung, daneben aber auch Thematiken wie Selbstfürsorge und Self-Compassion. Darauf aufbauend werden Wertorientierungen und deren Wandel im Kontext der Einsatzerfahrun-

471 Militär

gen reflektiert. Die dabei erlebten Verletzungen moralischer Standards durch andere (z. B. Vorgesetzte) oder auch die Patienten selbst werden im Gruppenrahmen besprochen, Gruppenkohäsion und gegenseitiges Verständnis stellen dabei einen Schutz vor zu starken Schuldgefühlen oder Scham dar. Den Abschluss bildet ein soziales Kompetenztraining, bei dem v.  a. die Verbalisierung der Einsatzerfahrungen im sozialen Umfeld im Vordergrund steht. Eine erste Pilotevaluation an 20 Teilnehmern ergab, dass das Phänomen Scham, das bei dieser Personengruppe oft erheblich zum Leidensdruck beiträgt und zu Verzögerungen im therapeutischen Prozess führen kann, signifikant positiv beeinflussbar ist. Dies wirkt sich v.  a. auf die Dimensionen von Aggressivität gegenüber sich selbst und anderen sowie eines sozialen Rückzugs als Folge von Scham aus (Alliger-Horn et al. 2018). Unter der Lupe

Die Einbeziehung von Angehörigen in den Behandlungsprozess ist von großer Bedeutung für den Heilungserfolg. Zahlreiche Studien haben Hinweise erbracht, dass soziale Unterstützung ein zentraler Einflussfaktor für das psychische Wohlbefinden von Menschen unter Belastung darstellt, auch und insbesondere im militärischen Kontext. Eine systematische Literaturanalyse ergab, dass soziale Unterstützung durch das gesellschaftliche Umfeld militärischer Streitkräfte, durch den Kameradenkreis, aber auch das familiäre Bezugssystem einen signifikant protektiven Einfluss auf den Verlauf einsatzbedingter psychischer Traumafolgestörungen bei Soldaten haben (Waltereit et al. 2013).

In den Bundeswehrkrankenhäusern wird Angehörigenarbeit als ambulante offene Gruppe oder als mehrtägige Blockveranstaltung angeboten. Thematisch wird dabei supportiv gearbeitet und auf Psychoeduktion und Kommunikationsstrukturen innerhalb der Familie fokussiert.

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Durch das Seelsorgeprojekt des Evangelischen Kirchenamtes (ASEM) sowie die Soldaten- und Veteranenstiftung des Deutschen Bundeswehrverbandes werden 3-tägige bis einwöchige Veranstaltungen finanziell, personell und inhaltlich unterstützt. Insbesondere für die Angehörigen reduzierte sich dadurch in einer aktuellen Studie die psychische Belastung, zudem wurden die Lebensqualität sowie das gegenseitige Unterstützungsgefühl gestärkt (Wesemann et al. 2015). Unter der Lupe

Einen innovativen therapeutischen Ansatz stellt die Unterstützung von Angehörigenarbeit durch pferdegestützte Interventionen nach der EAGALA-Methode dar. Eine offene Pilotstudie des Psychotraumazentrums erbrachte Hinweise, dass sich diese Seminare bei Paaren mit posttraumatischer Erkrankung signifikant positiv auf die psychische Befindlichkeit auswirken (Köhler et al. 2017).

24.5.2  Traumatherapie im Bundes-

wehrkrankenhaus anhand von Fallbeispielen

24.5.2.1

Rahmenbedingungen

Die Behandlung von Patienten mit traumatischen Störungen erfolgt nach den Leitlinien der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF-­Leitlinien). Das Stufenmodell von Janet wird dabei allgemein als gültiger Standard akzeptiert. Danach verläuft die Therapie in 3 Phasen (detailliert 7 Abschn. 24.5.2.3): 55 Stabilisierungsphase (Beziehungsaufbau und Stabilisierung), 55 Verarbeitungsphase (Traumabearbeitung), 55 Integrationsphase (Integration und Neuorientierung).  

Die Meidung der Traumaerfahrung soll aufgehoben und durch Bewältigungserfahrungen ersetzt werden.

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Die Tatsache, dass dies im militärischen Umfeld stattfindet, hat vielfältige Implikationen: 55 Die dislozierte Herkunft der Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet schränkt den Kontakt zum persönlichen Umfeld der Patienten ein. 55 Die Dauer des Aufenthalts ist oft länger, da ein dienstgerechtes Funktionsniveau wiederhergestellt werden soll. Andererseits kann die häufig positive Ressourcenlage der militärischen Patienten (stabiles psychosoziales Umfeld etc.) ein zügiges therapeutisches Vorgehen begünstigen. 55 Die Versorgung findet in einem „betriebsärztlichen“ System statt, mit entsprechenden Vor- und Nachteilen in der Beziehungsgestaltung. Auf der einen Seite schätzen Patienten die System- und Einsatzkenntnis der Therapeuten, auf der anderen Seite sind als Teil des Behandlungsprozesses auch immer wieder gutachterliche Enschätzungen erforderlich, beispielsweise bzgl. der Notwendigkeit einer heimatnahen Versetzung, einer erneuten Einsatzteilnahme etc. In manchen Fällen ist eine Trennung therapeutischer und gutachterlicher Funktionen erforderlich. 55 In vielen Fällen ist eine Intervalltherapie erforderlich. Dies wird durch angemessene Zwischenentlassungen und Wiederaufnahme erreicht. 24.5.2.2  Aufnahmebedingungen

Zur stationären Traumatherapie werden überwiegend Soldaten mit einsatzbedingtem oder dienstlichem Trauma aufgenommen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Patienten mit Störungen, die den Typ-I-Traumata zuzuordnen sind. Allerdings kann auch nach intensiver diagnostischer Vorphase nicht ausgeschlossen werden, dass im therapeutischen Prozess frühere Traumatisierungen offenbar werden, die dann einen deutlich höheren therapeutischen Aufwand in allen Dimensionen erfordern. Nach den Erfahrungen ist dies gehäuft bei weiblichen Soldaten der Fall, die z. B. frühere Intimitätstraumata aufweisen. Meist werden Patienten mit komplexem Trauma, das nicht

dienstlich bedingt ist, in eine externe ambulante oder stationäre Behandlung überwiesen. Bei Akuttraumata wird nach den gängigen Richtlinien entschieden, ob eine Akuttraumatherapie sinnvoll ist oder ob nach der Krisenintervention und Beratung im weiteren Verlauf der Selbstheilungsprozess abzuwarten ist, um dann zu gegebenem Zeitpunkt eine begründete Entscheidung über das weitere Prozedere zu fällen (Barre und Biesold 2001). 24.5.2.3  Therapeutisches Vorgehen

Das therapeutische Vorgehen umfasst 3 Phasen: 55 Stabilisierungsphase, 55 Verarbeitungsphase, 55 Integrationsphase. zz 1. Stabilisierungsphase

Die psychische Traumatisierung entsteht durch das vitale Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individu­ ellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht. Besonders Angehörige von Hochrisikoberufen mit ihrem an Funktionalität und Belastbarkeit orientierten Selbstbild empfinden dies als beunruhigenden Verlust der Kontrolle über sich selbst und ihre Lebenssituation. Sie verlieren das Vertrauen in die Fähigkeit, Kontrolle zu behalten und leben daher oft in der Befürchtung, Vorgesetzte und Kameraden könnten ihren labilen Zustand bemerken und die Achtung vor ihnen verlieren. Viel Energie wird darauf verwendet, die Fassade der „Normalität“ aufrechtzuerhalten. In einem Teufelskreis fehlgeschlagener Bewältigungsversuche geraten viele Betroffene immer tiefer in einen Symptomstrudel, aus dem sie sich allein nicht mehr zu befreien vermögen. Das folgende Beispiel beleuchtet dies plastisch. Fallbeispiel: einsatztraumatisierte Sanitäts­ soldatin

„Ich wusste, dass es schwierig wird, einen Lehrgang zu überstehen.  – Aber so  – zu hören wie jemand die Symptome der PTBS beschreibt – und

473 Militär

zu spüren, wie jedes dieser Symptome langsam anfängt. – Die Angst – das Herzrasen – der Druck im Ohr – die Übelkeit – der Schwindel – das taube Gefühl in den Händen  – wenn so was passiert, lenke ich mich ab, indem ich mich ignoriere  – aber wie soll das funktionieren, wenn man alles, was man gerade fühlt, bis ins Kleinste beschrieben bekommt – und dann der Satz: ‚Nach einem Jahr wird es chronisch.‘ Das war es – weiter kam ich nicht. – Ist das so? … Das darf einfach nicht sein. – So kann es nicht bleiben. Wenn nicht einmal ich so mit mir leben will – wie kann ich das von jemand anders erwarten? Und über allem der Satz: ‚Reden ist Gold.‘ … Genau, super Idee  – seit ich geredet habe, schauen alle meine Rettungsassistenten auf mich herab: – ‚Die soll erstmal wieder laufen lernen. – Was will die mir denn erzählen, ist ja selber nicht mal in der Lage, ihre Arbeit zu machen.‘ Hat richtig was gebracht!“ Unter der Lupe

Die Stabilisierung muss der Traumabearbeitung vorausgehen, wenn die Schwere des Traumas die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten überfordert und die Durcharbeitung als zu belastend erscheinen lässt. In dieser Phase sollten auch militärspezifische Konflikte (bspw. mit hierarchischen Systemstrukturen) und Übertragungsreaktionen bearbeitet werden.

Imaginative und Entspannungsverfahren sind integraler Bestandteil der Stabilisierungsarbeit. Sie haben das Ziel, die Verarbeitungskapazität der Patienten zu verbessern. Hierzu gehören Techniken zur Erregungskontrolle ­(autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Lichtstromtechnik, Selbstinstruktionstechniken etc.), sowie Ressourcenaufbau durch imaginative Übungen. Bei leichteren Trauma-I-Fällen kann die Stabilisierungsphase abgekürzt werden. Ein zu langes Hinausschieben der Traumadurcharbeitung kann das Meidungsverhalten des Patienten verstärken und sich kontraproduktiv auswirken (Neuner 2008).

24

Zur Stabilisierung werden u. a. eingesetzt: 55 Entspannungsverfahren, 55 Sport, 55 Physio- und Ergotherapie und Soziotherapie, 55 Aromatherapie, Akupunktur, 55 Meditation, Yoga, QiGong, 55 ggf. symptombezogene Medikation. kVertrauens- und Beziehungsaufbau

Dem Beziehungsaufbau kommt im militärischen Umfeld eine besondere Bedeutung zu, um die Compliance der Betroffenen zu gewinnen und sie zur Therapieaufnahme zu ermutigen bzw. um Therapieabbrüche zu vermeiden. Die Beziehungsgestaltung orientiert sich an dem Modell einer „parteilichen Abstinenz“ (Reddemann 2003). Dabei wird dem Patienten ein aktiver Part in der Therapie überlassen. Schon zu Beginn, möglichst in der ersten Stunde, wird der Patient daher auf seine Stärken und Kompetenzen angesprochen und diese werden als positive Voraussetzung in Verbindung mit der Besonderheit seines Berufes gebracht. Es hat sich in der Arbeit mit Soldaten insbesondere in ihrer Rolle als Helfer als günstig erwiesen hervorzuheben, dass der Betroffene seine Traumatisierung gerade deshalb erfahren hat, weil er standhält und handelt, wo viele andere Menschen gelähmt reagieren. Oft führt dies allein schon zu einer spontanen Entlastung, weil es die quälende Störung in einen positiven Kontext einbindet, mit dem sich die Patienten identifizieren und der zu ihrer „corporate identity“ gehört. Treffende Metaphern können zu Beginn Scham- und Selbstunwertgefühle lindern und damit die Schwelle weiter verringern. So wird der Vergleich mit einem Lkw-Fahrer, der beim Rückwärtsrangieren einen Einweiser beizieht, nicht weil der besser fahren kann, sondern weil er einen anderen Blickwinkel hat, von den Betroffenen schnell verstanden. Der Vergleich mit einem Seenotrettungskreuzer, der hinausfährt, um zu retten, wenn alle anderen Schiffe im Hafen bleiben, ist ein Bild, das von Helfern ebenfalls gern und erleichtert angenommen

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K.-H. Biesold et al.

wird. Transparenz über die therapeutische Beziehung innerhalb eines „betriebsärztlichen Systems“ gleich zu Beginn der Arbeit unterstützt den Aufbau einer Vertrauensbeziehung auf der Basis eines informierten Konsenses. kNormalisierung und Psychoedukation

24

Dem Betroffenen wird vermittelt, dass es sich bei seiner Störung um eine normale Reaktion einer normalen Person auf eine unnormale, d. h. pathogene Situation handelt (Mitchell und Everly 1996). Die Zusammenhänge zwischen Extremsituation und Stressreaktion werden auch unter Zuhilfenahme hirnphysiologischer Modelle adressatengerecht vermittelt. Dies ist ein unverzichtbarer Schritt, der oft schon eine Entlastung bewirkt. kWürdigen der Bewältigungsversuche

Bisherige Bewältigungsversuche werden gewürdigt, auch wenn sie von außen als misslungen erscheinen und die Therapie als gemeinsame Anstrengung eingeordnet wird, tragfähigere Lösungen zu suchen und eine neue Homöostase zu etablieren.

55 imaginative Ressourceninstallation und Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy (IRRT). Inzwischen hat sich in kontrollierten Studien des Psychotraumazentrums eine signifikante Wirksamkeit dieser Verfahren gezeigt (Alliger-Horn et al. 2015; Köhler et al. 2017). Unter der Lupe

In der Verarbeitungsphase kommt es darauf an, auf der Basis einer durch Ressourceninstallation gestärkten inneren Stabilität eine Konfrontation und Durcharbeitung mit den am stärksten belastenden Aspekten der traumatischen Erfahrung zu ermöglichen, die Vermeidung zu überwinden und das Erlebte in eine adaptive und rationale Perspektive zu rücken. Diese sollte auch die Besonderheiten des peritraumatischen Einsatzumfeldes berücksichtigen (kulturfremder Raum, Rollenbilder im Einsatz als Helfer und Kämpfer etc.).

kÄußere Belastungsfaktoren

Hilfestellung bei äußeren Belastungsfaktoren, die in der Stabilisierungsphase viel seelische Energie beanspruchen würden (Beerdigung, anstehende Gerichtsverfahren, ­Straferwartung, finanzielle Not, unversorgte Angehörige etc.) macht die Einschaltung von Sozialdiensten und Militärseelsorge erforderlich. zz 2. Verarbeitungsphase

In der Verarbeitungsphase findet die Traumabearbeitung statt, die in den Bundeswehrkrankenhäusern ausschließlich in Einzeltherapie erfolgt. Dabei kommen folgende Therapieverfahren zur Anwendung: 55 „Eye movement Desensitization and Reprocessing“ (EMDR; Shapiro 1998; 7 Kap. 14), 55 Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie (Heiland und Maercker 2000; 7 Kap. 13),  



zz 3. Integrationsphase

In der letzten Phase der Therapie wird das Ziel angestrebt, die Bedeutung des Traumas für das Selbst- und Weltbild zu überdenken, um da­ raus neue Zukunftsperspektiven zu entwickeln (Traumaintegration). Unter Umständen müssen neue Berufs- und Lebensperspektiven entwickelt werden, wenn z. B. eine Weiterverwendung als Soldat aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Besonders in solchen Fällen kann die Traumatherapie auf schwer zu überwindende Widerstände stoßen. Soldaten vertrauen darauf, dass sie von ihrem Dienstherrn unterstützt werden, wenn sie bei der Ausübung des Dienstes Schaden nehmen. Wird diese Erwartung enttäuscht, z.  B. weil durch eine einsatzbedingte PTBS mit entsprechender Verschlechterung des Funktionsniveaus eine erhoffte Übernahme als Berufssoldat nicht erfolgt,

475 Militär

kann dies zu tiefer Verbitterung führen, die eine Chronifizierung der PTBS bewirken kann. Der Betroffene empfindet seinen Einsatz und damit seine Person besonders gegenüber Kameraden, die nicht im Einsatz waren, entwertet. Er reagiert mit Depression, Hass und psychosomatischen Störungen. Zu der Belastung der traumatisierenden Situation addiert sich das bittere Gefühl, betrogen worden zu sein (Shay 1998). Unter der Lupe

In der Integrationsphase muss der Patient unterstützt werden, die Trauer zu opfern, Verluste zu akzeptieren, ohne zu resignieren, Vergebung und Selbstverzeihung zuzulassen, um so „traumatischem Wachstum“ Raum zu geben.

In dieser Phase, allerdings in enger Verzahnung mit der Traumakonfrontation, spielt auch die Bearbeitung von persönlichen Wertorientierungen und ihrem Wandel im Verlauf des Einsatzes sowie etwaiger moralischer Verletzungen eine wichtige Rolle. Fallbeispiel: Veränderung von Wertorientierungen und Entwicklung moralischer Verletzungen Ein 35-jähriger Hauptfeldwebel und Berufssoldat hat während seines Auslandseinsatzes an Kampfhandlungen teilgenommen und ist bei seinen Patrouillenfahrten durch Afghanistan mehrfach Zeuge von Misshandlungen afghanischer Frauen und Kinder geworden. Aus Sicherheitsgründen ist ihm seitens der Einsatzzentrale ein Einschreiten stets untersagt worden. Nach der Rückkehr zeigt er die Symp­ tome einer posttraumatischen Belastungsstörung angesichts der eigenen Lebensbedrohung. Gleichzeitig entwickelt er aber auch Schuldgefühle, da er während der Kämpfe Menschen verletzt und/oder getötet hat. Zudem empfindet er Zorn gegenüber seinen Vorgesetzten, da sie ihn nicht gegen das erlebte Unrecht (Misshandlungen) hätten einschreiten

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lassen. Dadurch gerät er nun auch im Inland zunehmend in Konflikte, da er militärische Autoritäten nicht mehr ernstnehme. In der Gruppentherapie, die v. a. auf die moralischen Verletzungen fokussiert, lernt er, auch durch den Austausch mit seinen ebenfalls betroffenen Kameraden, das Verhalten seiner Vorgesetzten differenzierter und verständnisvoller zu bewerten und seinen Zorn als einen Mechanismus zu begreifen, der v. a. ihm selbst schadet. Er kann dieses Verständnis auch gegenüber sich selbst und nachfolgend weniger strenge Bewertungen vermeintlicher eigener Verfehlungen entwickeln. Gleichzeitig kann er zunehmend auch positive Veränderungen seines Erlebens durch den Einsatz wahrnehmen und auch wertschätzen, beispielsweise einen deutlich höheren Stellenwert zwischenmenschlicher und familiärer Bindungen.

Fallbeispiel: Ablauf einer Traumatherapie Anlass zur Vorstellung: Der Soldat, 26 Jahre, wird vorgestellt, weil er nach seiner Rückkehr aus dem Einsatz zuhause mit Weinkrämpfen zusammengebrochen sei. Er habe panische Angst geäußert, zur Kaserne zu fahren. Bis dahin war der Patient ein gut motivierter und gut beurteilter Soldat. Außergewöhnliche Vorbelastungen und Erkrankungen ließen sich nicht eruieren. Der Patient war in einer Nachschubeinheit eingesetzt. In seiner Funktion hatte er viel Kontakt zum Feldlazarett. Traumatisierendes Ereignis: In der 4. Einsatzwoche habe er den Auftrag gehabt, die Bereitschaftsplanung bei der Notaufnahme abzugeben. Gerade zu diesem Zeitpunkt sei ein Krankenwagen mit hohem Tempo vorgefahren und habe einen kleinen Jungen auf einer Trage liegend gebracht, dem, vermutlich bei einem Minenunfall, beide Beine abgerissen worden waren. Dabei kam es zu einer Begegnung, bei der sich der Blick des Kindes mit dem des Soldaten traf. Der Junge habe ihn verzweifelt angeschaut und hilfesu-

476

K.-H. Biesold et al.

chend beide Hände nach ihm ausgestreckt. Der Junge wurde dann durch die „Schleuse“ weggetragen.

24

Erlebnisverarbeitung: Der Patient hatte das Gefühl, versagt und den Jungen „im Stich gelassen“ zu haben. „Ich hätte irgendetwas tun müssen“, war die selbstvorwurfsvolle Haltung, die er daraus entwickelte. Er versuchte, sich in der Folgezeit abzulenken und trank, obwohl er bis dahin kaum Alkohol getrunken hatte, jetzt bis zu 10 Flaschen Bier und 1/2 Flasche Whisky pro Tag. Um Hilfe vor Ort hatte er sich aus Angst, repatriiert zu werden, nicht bemüht! Therapie: Nach einer vorbereitenden Sitzung, auf ­Stabilisierungsmaßnahmen konnte in diesem Fall weitgehend verzichtet werden, wurde die Störung in der nächsten Stunde in einer EMDR-­ Sitzung bearbeitet. Dabei fokussierte der Patient auf die Vorstellung von dem kleinen Jungen und die ausgestreckten Arme. Damit verbunden wurde die negative Vorstellung: „Ich hätte etwas tun müssen.“ Als positive Ko­ gnition (Zielvorstellung) wurde die Vorstellung gewählt: „Ich habe getan, was ich konnte“. In der Bearbeitung kam es zu einer deutlichen, gefühlsgeladenen Abreaktion (Weinkrämpfe), der jedoch eine Komplettierung der Erinnerung folgte. Die vor Ort befindliche Hilfe, die dem Kind zuteilwurde, trat in den Vordergrund. Dies war verbunden mit einer Distanzierung seitens des Patienten, die er so ausdrückte: „Das Kind tut mir leid …, dass ihm dies Unglück geschehen ist. Aber ich bin nicht schuld und ich hätte auch nichts tun können. Es waren viel kompetentere Helfer vor Ort.“ Der Patient fühlte sich erleichtert: „Ich fühle mich befreit und kann wieder herzhaft lachen. Wenn ich über das Erlebnis spreche, spüre ich keine belastenden Körpersymptome mehr. Die Bilder sind irgendwie verändert, weiter weg.“ In der „Impact of Event Scale  – R“ (IES-R) ergab sich vor der Behandlung ein Summenwert von 70 Punkten, der nach der Behandlung auf einen Wert von 3 Punkten sank.

Katamnese In der ambulanten Untersuchung 5 Monate später zeigt sich das Therapieergebnis stabil. Darüber hinaus hat der Patient das Verhältnis zu seiner Verlobten verbessern können und neue Lebensentscheidungen getroffen. Ein neuer Einsatz war geplant. Der Patient fühlte sich weiterhin unbeschwert und symptomfrei. Der Punktwert in der IES-R war auf 0 gesunken. Er stand dem neuen Einsatz positiv gegenüber.

24.6  Versorgungsrecht für

Soldaten der Bundeswehr

24.6.1  Wehrdienstbeschädigung

Bundeswehrsoldaten, die während ihrer Dienst­ zeit eine Gesundheitsschädigung erleiden, können eine Wehrdienstbeschädigung (WDB) geltend machen, sofern ein nicht nur vorübergehender Grad der Schädigung (GdS) um wenigstens 25  % vorliegt. Nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses können sie wegen der WDB-Folgen auf Antrag Versorgung, einschließlich Heilbehandlung, erhalten. >> Entscheidend für einen reibungslosen Ablauf des Antragsverfahrens und für eine spätere Zuerkennung von Versorgungsleistungen ist die frühzeitige Vorstellung aktiver und auch ehemaliger Soldaten beim Sozialdienst der Bundeswehr (http://7 www.­personal.­ bundeswehr.­de ), sobald sich der Verdacht auf ein einsatzbedingte psychische Erkrankung ergibt.  

Soldatenversorgungsgesetz (SVG) Die Wehrdienstbeschädigung (WDB) ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81(1) SVG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung ­ genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusam­ men hangs. Wenn die zur Anerkennung einer

477 Militär

Gesundheits­ störung als Folge einer Wehrdienst­ beschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 81(6) SVG).

24.6.2  Einsatzversorgungsgesetz

Durch das Gesetz zur Regelung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen

(Einsatz­ versorgungsgesetz, EinsatzVG) vom Dezember 2004 und das Einsatzversorgungs-­ Verbesserungsgesetz (EinsatzVVerbG) vom Dezember 2011 wurde das Versorgungsrecht an die neuen Anforderungen der Auslandseinsätze angepasst. Kernpunkt der Gesetze ist der Begriff des „Einsatzunfalls“. Dieser umfasst jede gesundheitliche Schädigung, die ein Soldat in den militärischen Auslandseinsätzen („besondere Verwendung im Ausland“) aufgrund eines Dienstunfalls oder der besonderen Verhältnisse im Einsatzgebiet erleidet. Führt dieser Einsatzunfall zu einem GdS von mindestens 50  %, greift nach dem Ausscheiden aus dem Dienst die Einsatzversorgung. Die Leistungen, die eine angemessene finanzielle Versorgung sicherstellen sollen, sind im Soldatenversorgungsgesetz in einem Katalog aufgeführt. 24.6.3  Einsatz-Weiterverwen-

dungsgesetz

Betroffene, die eine schwere Schädigung davongetragen haben und weiter am Erwerbsleben teilnehmen wollen, erhalten durch das Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen (Einsatz-­Wei­

terverwendungsgesetz, EinsatzWVG) vom Dezember 2007 einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung bzw. auf Wiedereinstellung in ein „Wehrdienstverhältnis besonderer Art“ bei bereits entlassenen Soldaten. Dieses Gesetz gilt nicht nur für Soldaten, sondern auch für Rich-

24

ter, Beamte und Angestellte des Bundes sowie Helfer des Technischen Hilfswerkes, deren Erwerbsfähigkeit durch eine Verletzung während eines Auslandseinsatzes um mindestens 30  % gemindert wurde. In einer Schutzzeit zur gesundheitlichen Wiederherstellung können die Einsatzgeschädigten weder gegen ihren Willen entlassen noch in den Ruhestand versetzt werden. Um eine Weiterbeschäftigung beim Bund oder die Eingliederung in das Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern, erhalten sie die erforderliche berufliche Qualifizierung. Das Gesetz gilt rückwirkend für alle Einsatzgeschädigten, die ihre Verletzung nach 1992 erlitten haben. 24.6.4  Begutachtung von

Wehrdienstbeschädigungen

Der medizinische Gutachter hat zunächst die Aufgabe festzustellen, welche (psychischen) Erkrankungen bei dem Probanden vorliegen und ob diese Gesundheitsstörungen in Zusammenhang stehen mit dem Wehrdienst (Kausalitätsfrage; 7 Kap.  9). Kann dies bejaht werden, so liegt eine WDB vor und gemäß den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht erfolgt wie auch bei anderen Gesundheitsstörungen eine Einschätzung des GdS. Die Kausalitätsfrage ist jedoch auch bei Einsatztraumatisierungen nicht immer einfach zu beantworten. Bei den Opfern von Attentaten, Minenunfällen, Geiselnahmen, Opferidentifizierungen oder anderen dienstlich (offiziell) bekannt gewordenen Vorfällen ist meist das Nachvollziehen des Erlebens eines potenziell traumatischen Ereignisses nicht schwer. Häufig erleben die Soldaten aber Traumatisierungen im alltäglichen Dienstbetrieb des Einsatzes, auf Patrouillen, an Unfallstellen, durch Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung, sodass die psychischen Belastungen durch diese Erlebnisse zunächst auch von ihnen als normal eingestuft werden und erst viel später ihre Pathogenität offenbar wird. Die frühzeitige Dokumentation möglicher psychischer „Brückensymptome“ ist daher auch in der all 

478

K.-H. Biesold et al.

gemeinmedizinischen Versorgung von besonderer Bedeutung.

24

arbeitung von Gewalterfahrungen. Psychotherapie im Dialog, 1, 21–28. Hellenthal, A., Zimmermann, P., Willmund, G., Lovinusz, A., Fiebig, R., Maercker, A., & Alliger-Horn, C. (2017). >> Es darf nicht vergessen werden, dass Einsatzerlebnisse, Moralische Verletzungen, Werte die PTBS nicht die einzige mögliche und psychische Erkrankungen bei Einsatzsoldaten Traumafolgeerkrankung ist und z. B. der Bundeswehr. Verhaltenstherapie, 27(4), 244–252. traumaverursachte Angsterkrankungen, King’s Centre for Military Health Research. (2006). A ten Depressionen somatoforme Störungen year report. London: University of London. Köhler, K., Eggert, P., Lorenz, S., Herr, K., Willmund, G., oder Suchtentwicklungen eine ebenfalls Zimmermann, P., & Alliger-Horn, C. (2017). Effecmögliche Folge sein können. tiveness of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) in German armed forces soldiers with posttraumatic stress disorder (PTSD) Literatur under routine in-patient care conditions. Military Medicine, 182(5), 1672–1680. Alliger-Horn, C., Zimmermann, P., & Mitte, K. (2014). Kulka, R. A., Schlenger, W. E., Fairbank, J. A., et al. (1990). Trauma and the Vietnam war generation: Report of Prädiktoren für den Behandlungsverlauf kognifindings from the National Vietnam Veterans Readtiv-behavioraler Gruppentherapie einsatzbedingjustment Study. New York: Brunner & Mazel. ter Erkrankungen deutscher Bundeswehrsoldaten. Mitchell, J. T., & Everly, J. S. (1996). Critical incident stress Verhaltenstherapie, 24(4), 244–251. debriefing: An operations manual for the prevention Alliger-Horn, C., Mitte, K., & Zimmermann, P. (2015). Verof traumatic stress among emergency services and gleichende Wirksamkeit von IRRT und EMDR bei disaster personnel. Elliott City: Chevron. kriegstraumatisierten deutschen Soldaten. Trauma Neuner, F. (2008). Stabilisierung in der Traumatheraund Gewalt, 9(3), 204–215. pie – Grundregel oder Mythos? Verhaltenstherapie, Alliger-Horn, C., Hessenbruch, I., Fischer, C., Thiel, T., 18, 109–118. Varn, A., Willmund, G., & Zimmermann, P. (2018). „Moral injury“ bei kriegstraumatisierten deutschen Reddemann, L. (2003). Imagination als heilsame Kraft. Hamburg: Klett-Cotta. Bundeswehrsoldaten. Psychotherapeut, 4, 53–59. Barre, K.  M., & Biesold, K.-H. (2001). Medizinisch-­ Shapiro, F. (1998). EMDR: Grundlage und Praxis. Paderborn: Junfermann. psychologische Behandlung von posttraumati­ schen Belastungsstörungen im Bundeswehrkran­ Shay, J. (1998). Achill in Vietnam: Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust. Hamburg: Hamburger Edition. kenhaus Hamburg. In K. Puzicha (Hrsg.), Psychologie für Notfall und Einsatz (S. 369–382). Bonn: Bernd & Shephard, B. (2000). A war of nerves, soldiers and psychiatrists 1914–1994. London: Pimlico. Graef. Biesold, K.-H., & Barre, K. (2002). Auswirkungen von Shlosberg, A., & Strous, R.  D. (2005). Long-term follow-­up (32 years) of PTSD in Israeli Yom Kippur Stress und Traumatisierungen bei Soldaten der War Veterans. The Journal of Nervous and Mental Bundeswehr. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Disease, 193, 693–696. Rehabilitation, 57, 43–46. BMVg (Bundesministerium der Verteidigung). (2000). Trautmann, S., Schoenfeld, S., Heinrich, A., Schafer, J., Zimmermann, P., & Wittchen, H. (2015). Risk factors FüS I Rahmenkonzept zur Bewältigung psychischer for common mental disorders in the context of miBelastungen von Soldaten. (1. Änderung mit 1. Erlitary deployment: A longitudinal study. European gänzung vom 22.03.2004). Bonn. Psychiatry, 30, 303. https://doi.org/10.1016/S0924BMVg (Bundesministerium der Verteidigung). (2004). 9338(15)30244-3. FüSan I 1 – Az 42-13-40/PSZ III Az 6-66-01-10 vom 20.12.2004, Medizinisch-Psychologisches Stress- Trautmann, S., Goodwin, L., Höfler, M., Jacobi, F., Strehle, J., Zimmermann, P., & Wittchen, H. (2016). Prevakonzept der Bundeswehr. lence and severity of mental disorders in military Dallaire, R. (2003). Shake hands with the devil: The failure personnel: A standardised comparison with civiliof humanity in Rwanda. Canada: Knopf. ans. Epidemiology and Psychiatric Sciences, 18, 1–10. Danker-Hopfe, H., Sauter, C., Kowalski, J.  T., Kropp, https://doi.org/10.1017/S204579601600024X. S., Ströhle, A., Wesemann, U., & Zimmermann, P. (2017). Sleep quality of German soldiers before, Ungerer, J., Weeke, A., Zimmermann, P., Jenuwein, M., Petermann, F., & Kowalski, J. (2013). Akute psychiduring and after deployment in Afghanistan-a prosche Störungen deutscher Soldatinnen und Solspective study. Journal of Sleep Research. https:// daten in Afghanistan. Zeitschrift für Psychiatrie, Psydoi.org/10.1111/jsr.12522. chologie und Psychotherapie, 61, 273–277. https:// Heiland, T., & Maercker, A. (2000). Konfrontation und doi.org/10.1024/1661-4747/a000170. kognitive Umstrukturierung. Kognitive VT in Ver-

479 Militär

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24

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481

Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete M. Wenk-Ansohn, N. Stammel und M. Böttche 25.1

 pidemiologische Aspekte und Formen der E Traumatisierung – 482

25.1.1 25.1.2 25.1.3

F olter – 482 Kriegstraumata – 484 Belastungen durch Flucht und anhaltenden Stress in den Aufnahmeländern – 484

25.2

 sychische Folgen von Traumatisierung P und Flucht – 485

25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4

 osttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – 485 P Komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) – 485 Anhaltende Trauerstörung (ATS) – 486 Anpassungsstörung – 486

25.3

 edarf an psychosozialer und therapeutischer B Versorgung – 486

25.4

 sychotherapie mit Folteropfern und geflüchteten P Menschen – 488

25.4.1

S chritte der traumaorientierten Behandlung bei Folteropfern – 489

25.5

 herapeutische Arbeit im transkulturellen T Setting – 500

25.5.1 25.5.2 25.5.3 25.5.4

T ranskulturelle Begegnung in der Psychotherapie – 500 Kommunikation durch Sprachmittlung – 501 Therapeut-Patient-Beziehung – 503 Stellvertretende Traumatisierung – 503

25.6

Abschließende Bemerkungen – 504 Literatur – 504

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_25

25

482

M. Wenk-Ansohn et al.

25.1  Epidemiologische Aspekte

und Formen der Traumatisierung

25

Trotz internationaler Bemühungen um die Einhaltung der Menschenrechte nehmen organisierte staatliche Verfolgung und systematische Folterungen weltweit zu, ebenso schwere Traumatisierungen der Zivilbevölkerung in (Bürger-)Kriegen. Der Großteil der Menschen, die ihre Herkunftsländer aufgrund von Verfolgung und Krieg verlassen, sind Binnenflüchtlinge oder fliehen in die jeweiligen Nachbarländer. Nur ein Bruchteil dieser Menschen erreichen als Geflüchtete die Exilländer Europas, Nordamerikas oder Australien. In internationalen epidemiologischen Stu­ dien variieren die Prävalenzraten für die posttraumatische Belastungsstörung bei Folteropfern und geflüchteten Menschen stark von 10  % (Review: Fazel et  al. 2005) bis 31  % (Metaanalyse: Steel et  al. 2009). Neuere repräsentative internationale Studien, die die Population von Folteropfern und geflüchteten Menschen erfassen, berichten Prävalenzzahlen von 8–37  % für die PTBS (Alpak et  al. 2015; Slewa-Younan et  al. 2015) sowie von 28–75 % für Depression (Gammouh et al. 2015; Slewa-Younan et al. 2015). In Deutschland zeigen Studien eine PTBS-Prävalenz von 7–77 % in institutsbasierten Stichproben und 16–55  % in populationsbasierten Studien (Bozorgmehr et al. 2016), jedoch liegen bisher keine repräsentativen Studien vor. In einer älteren Untersuchung von Asylbewerbern kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland wurde bei 40  % eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) festgestellt (Gäbel et  al. 2006), in einer Untersuchung in einer Erstaufnahmeeinrichtung waren es 27   % (Butollo und Maragkos 2012). 25.1.1  Folter

In der Antifolterkonvention (Vereinte Nationen 1984) ist Folter wie folgt definiert.

Folter „… jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich schwere körperliche oder geistig-­seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie für eine von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder eine andere auf Diskriminierung gleich welcher Art beruhende Absicht zu verfolgen, sofern solche Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung, mit deren Zustimmung oder mit deren stillschweigendem Einverständnis vorgenommen wird …“ (Vereinte Nationen 1984, S. 246).

Folter ist unter den „man-made disasters“ eine der schädlichsten Formen absichtsvoller und zumeist planmäßiger Grenzverletzungen. Obwohl von 197  Ländern inzwischen 162  Länder die Antifolterkonvention ratifiziert haben (Stand Januar 2018, OHCHR) wurde auch 2015  in 122  Ländern der Erde Folter praktiziert (Amnesty International 2016). Auch einige moderne Rechtsstaaten scheuen nicht vor Folter zurück, im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“ wurde z. B. im Irak im Gefängnis Abu Ghraib oder in Guantanamo, USA, gefoltert. Miles (2006) konnte nachweisen, dass der Einsatz von psychischen Foltermethoden, der „harsh interrogations“, in den USA systematisch erforscht und von Ärzten und Psychologen verfeinert wurde. Ebenso wurden mit systematisch durchgeführten Maßnahmen „psy­chischer Zersetzung“ Regimegegner in der ehemaligen DDR gefoltert (Behnke und Fuchs 2010; Maercker et al. 2013). Bei systematischer Folter sind körperliche (z.  B.  Aufhängungen, Zwangshaltungen, Elektrofolter, Waterboarding) und psychische Folterungen (z. B. Scheinhinrichtungen, Reiz-

483 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

überflutung oder -entzug, Isolation) i.  d.  R. miteinander verschränkt. Es werden regelhaft auch solche Formen der Demütigung und Gewalthandlung eingesetzt, die in der jeweiligen Kultur der Opfer besonders tabuisiert und entehrend sind, z. B. sexualisierte Gewalt und Folter an Frauen aus traditionellen und muslimisch geprägten Gesellschaften (Wenk-Ansohn 2002). Weibliche und männliche Opfer von sexualisierter Gewalt findet man unter Überlebenden von Folter und Gewalt in Kriegen und Bürgerkriegen aus allen Herkunftsgebieten, da diese Form der Gewalt in allen Kulturen die demütigendste Form der Erniedrigung und Entehrung darstellt (Gurris 1995). In einer Untersuchung (N  =  154) von Busch et  al. (2015) wurde sexualisierte Folter bei 78  % der untersuchten Frauen und 25  % der Männer beschrieben, aufgrund der besonderen Tabuisierung sind epidemiologische Daten hierzu jedoch kaum zu erheben. Wenn die Gefolterten unter den Torturen sterben, werden sie gegenüber der Öffentlichkeit zumeist als „verschwunden“ bezeichnet, womit sich staatliche Organe der Verantwortung entziehen. Für die Hinterbliebenen wird dadurch endlose psychische Belastung geschaffen (Heeke und Knaevelsrud 2015; Preitler 2006), da diese den Angehörigen weder bestatten noch den Verlust betrauern können. Systematische Folter hat im Vergleich zu anderen Formen von Traumatisierungen spezielle Aspekte (Gurris 2003b). Spezielle Aspekte systematischer Folter 55 Durch Menschenhand mit Plan und Absicht 55 Vitale Bedrohung 55 Extreme Erniedrigung 55 Andauernde und wiederholte Exposition über längere Zeiträume 55 Handlungsunfähigkeit, Hilflosigkeit und Abhängigkeit 55 Möglicher Verrat von Gefährten, existenzielle Bedrohung von Fami-

55

55

55 55

55 55 55

25

lienangehörigen oder politischen Freunden Schuldgefühle (insbesondere bei Zeugenschaft von Folter Anderer, Tod von Mithäftlingen, Einbeziehung Familienangehöriger in die Verfolgungsmaßnahmen) Tiefe Schamgefühle (aufgrund von Erniedrigung und Verlust von Kon­ trolle, besonders nach sexualisierter Folter) Soziokulturelle Entwurzelung und Entfremdung Fortdauernder Stress durch anhaltende Verfolgung, „Untertauchen“ oder Flucht- und Exilsituation Überdauernde Erschütterung von Selbst-, Fremd- und Weltvertrauen Verlust von Kohärenzgefühl Verlust von Selbstwirksamkeitsgefühl

„Das betroffene Individuum gerät durch Folter in eine Situation von extremer Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein, die über kurz oder lang dazu führt, dass wichtige emotionale, kognitive oder behaviorale Funktionen zusammenbrechen“ (Fischer und Gurris 2000, S.  468). Die traumatisierende Wirkung ergibt sich nicht nur aus der traumatischen Situation selbst und der unmittelbar damit verbundenen peritraumatischen Reaktion, sondern auch aus deren nachhaltiger Bedeutung für das Individuum in seinem persönlichen, sozialen, historischen und politischen Kontext sowie aus den resultierenden sozialen und materiellen Konsequenzen (Gurris und Wenk-Ansohn 2013). >> Folter ist eine plan- und absichtsvolle Beschädigung der Persönlichkeit der Opfer und zielt letztlich auf die Beschädigung des Kerns der Persönlichkeit (Drozdek und Wilson 2004; Maier und Schnyder 2007).

Sie bedeutet eine tief in die Persönlichkeitsstruktur und in die sozialen Beziehungen ein-

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25

M. Wenk-Ansohn et al.

greifende Erniedrigung und Entwürdigung, sie beeinflusst Familie, Gesellschaft und Folgegenerationen (Kira 2002; Weierstall et al. 2011). Untersuchungen über die 2. und 3. Generation von Überlebenden des Holocaust (Kellermann 2001), im Irak (Fritzemeyer 2017) sowie mit Geflüchteten aus dem Irak und Libanon (Daud et  al. 2005) zeigen, dass Folter eine Mehrgenerationenproblematik schaffen kann. Neben den individuellen Folgen sind daher Auswirkungen einer Traumatisierung im sozialen System, insbesondere in der Familie, zu beachten. Kinder können parentifiziert und überlastet sein, Eltern können Kinder infolge von eigenen Ängsten eng an sich binden und in ihrem Bewegungsradius einengen oder aggressive Durch­ brüche zeigen.

befinden sich im Aufnahmeland zunächst in anhaltender Belastungssituation. Diese sequentiellen Traumatisierungen haben einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung von Traumafolgestörungen. Das Modell der sequentiellen Traumatisierung (Keilson 1979) ist für das Verständnis des Störungsverlaufs bei Folteropfern und traumatisierten Geflüchteten nach wie vor hilfreich. Keilson unterscheidet 3 traumatische Sequenzen: 55 1. Sequenz: Beginn der Verfolgung, die durch zunehmende Repression oder Kriegssituation gekennzeichnet ist; 55 2. Sequenz: Zeit der Verfolgung bis zur Flucht, d. h. eine Phase mit hohem Risiko von traumatischen Ereignissen; 55 3. Sequenz: Phase nach Beendigung der eigentlichen Verfolgungssituation.

25.1.2  Kriegstraumata

Es zeigte sich, dass die 3.  Sequenz entscheidend für den Verlauf psychischer Störungen ist. Das Krankheitsgeschehen ist in hohem Maße abhängig von Kontextfaktoren nach den traumatischen Erlebnissen. Bei den traumatisierten Flüchtlingen ist das die Phase im Exil. In dieser Phase haben sog. Postmigrationsstressoren erheblichen Einfluss auf die Psychopathologie (Porter und Haslam 2005). Aufgrund der politischen Lage in vielen Ländern der EU (z. B. Dublin-Verfahren) sehen sich geflüchtete Menschen mit immer langfristigeren und gravierenden Postmigrationsstressoren konfrontiert. So führten z.  B. in Deutschland (vgl. BAMF 2018) die seit 2016 verschärften Asylgesetze zur vermehrten Vergabe von Aufenthaltstiteln mit eingeschränkten Rechten (z. B. subsidiärer Schutz) sowie zu höheren Ablehnungsquoten, woraus längere Asylklageprozesse resultieren. Diese Entscheidungen haben Auswirkungen auf die Lebenssituation der geflüchteten Menschen in Bezug auf die soziale Situation (z.  B. eingeschränkter Fa­ miliennachzug, längere Heimunterbringung). Die Zukunftsperspektive bleibt ungewiss, es entsteht ein Gefühl anhaltender Abhängigkeit. Es konnte gezeigt werden, dass Postmigrationsstressoren wie Unsicherheit in Bezug auf den Aufenthalt (Nickerson et al. 2011b), Angst

Geflüchtete Menschen haben oftmals lang anhaltende und wiederholte Traumatisierungen erlebt, die von Menschen verursacht worden sind. Dieser „Typ“ von traumatischen Ereignissen (s. Spezifizierung traumatischer Ereignisse nach Maercker 2009) ist assoziiert mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, eine Traumafolgestörung zu entwickeln. Es wurde ein „Doseres­ponse Effekt“ gefunden, der zeigt, dass eine höhere Anzahl an Kriegstraumatisierungen mit erhöhtem Distress und einer höheren Diagnosewahrscheinlichkeit von Traumafolgestörungen einhergeht (Steel et  al. 2009). Kriegstraumatisierungen umfassen häufig nicht nur das Erleben von Bombardierungen und Angriffen mit Waffen, sondern auch folterähnliche systematische Gewalt  – oft auch in Form von sexualisierter Gewalt. 25.1.3  Belastungen durch Flucht

und anhaltenden Stress in den Aufnahmeländern

Geflüchtete Menschen haben in den meisten Fällen nicht nur Traumata im Herkunftsland, sondern auch während der Flucht erlebt und

485 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

vor Abschiebung (Herlihy et  al. 2002) sowie der Anhörungsprozess an sich (Schock et  al. 2015) mit einem Anstieg der PTBS-Symptomatik verbunden sind. Dabei ist anzumerken, dass es erste Hinweise dazu gibt, dass erneute Traumatisierungen und Postmigrationsstressoren im Aufnahmeland einen vergleichbaren Einfluss auf den Anstieg der Psychopathologie haben (Schock et al. 2016). Retraumatisierende Erfahrungen (7 Abschn.  25.4.1.7) tragen dazu bei, dass ein Verarbeitungs- oder Erholungsprozess schwierig ist (Brandmaier und Ahrndt 2012; Carswell et.al. 2011; Herlihy und Turner 2007) und ein Chronifizierungsprozess von traumareaktiven Störungen begünstigt wird (Laban et al. 2004, 2008).  

25.2  Psychische Folgen von

Traumatisierung und Flucht

(z.  B.  Silvesterknaller, Keller, enge Korridore, Uniformen). Die Ausprägung des Vollbildes einer PTBS tritt in vielen Fällen noch nicht während der Flucht auf, sondern zeigt sich oftmals mit verzögertem Beginn („delayed onset“) nach Ankunft im Aufnahmeland. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die Symptome aufgrund des noch anhaltenden (Überlebens-)Stresses vorher unterdrückt oder auch noch nicht wahrgenommen werden. 25.2.2  Komplexe posttraumatische

Belastungsstörung (kPTBS)

Für Menschen, die wiederholt bzw. über längere Zeit durch Menschen verursachten Traumatisierungen ausgesetzt waren, hat Herman (1992) den Begriff „Complex PTSD“ geformt (7 Kap.  3). Die komplexen und chronischen psychischen Traumafolgen (Cloitre et al. 2011; Herman 1992) bei Folteropfern und geflüchteten Menschen umfassen Störungen der Regulierung des affektiven Erregungsniveaus, Störungen der Beziehungen zu anderen Menschen, Veränderung der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins, psychosomatische Störungen und Veränderungen der Persönlichkeit und ihrer Bedeutungssysteme. Diese wurden im DSM-IV als „Störungen durch extremen Stress, nicht anderweitig spezifiziert“ (DESNOS, American Psychiatric Association, APA 1996) aufgelistet, finden sich jedoch im aktuellen DSM-5 nicht mehr wieder. Nach lang andauernden traumareaktiven Störungsprozessen kann bei Folteropfern und geflüchteten Menschen eine Symptomatik vorherrschen, die im ICD-10 noch als Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0; Dilling et  al. 2011) eingestuft wurde, im ICD-­11 jedoch nicht mehr verwendet wird. Im ICD-11 wird die komplexe PTBS als eigenständige Diagnose aufgenommen und soll eine Geschwisterdiagnose zur PTBS darstellen. Die komplexe PTBS (kPTBS) soll, neben den „klassischen“ PTBS-Symptomen, Symptome aus drei weiteren Bereichen umfassen (Schwierigkeiten in  

Häufig sind bei Folteropfern und geflüchteten Menschen aus Kriegsgebieten komplexe posttraumatische psychische Folgen und hohe Komorbiditäten (v.  a. Depressionen mit ausgeprägter Suizidalität; Angst- und Zwangsstörungen; schwere dissoziative Störungen; Impulskontrollstörungen; Substanzmissbrauch; somatoforme Störungen, Schmerzstörungen) festzustellen. Nachfolgend sollen die belastungsbezogenen psychischen Störungen, die aufgrund eines Stressors oder Traumas entstehen können, mit Blick auf die Gruppe der Folteropfer und geflüchteten Personen kurz beschrieben werden. 25.2.1  Posttraumatische

Belastungsstörung (PTBS)

Die PTBS-Symptomatik bei Folteropfern und geflüchteten Menschen zeichnet sich in der Regel durch eine hohe Symptomschwere aus (Spiller et  al. 2016; Stammel et  al. 2017). Dabei rekurrieren die geschilderten Intrusionen zumeist auf die bedrohlichsten und emotional belastendsten Sequenzen. Trigger dieser In­ trusionen nehmen Bezug auf diese Sequenzen

25

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M. Wenk-Ansohn et al.

der Emotionsregulation, negatives Selbstkonzept, interpersonelle Schwierigkeiten). Daten zur Auftretenswahrscheinlichkeit der kPTBS bei Folteropfern und geflüchteten Menschen sind bis dato rar. Aktuelle Prävalenzahlen laut ICD-11-Diagnose schwanken von 3 % (Silove et al. 2017; Tay et al. 2015) bis 33 % (Nickerson et al. 2016).

25

25.2.3  Anhaltende Trauerstörung

(ATS)

Menschen, die im Herkunftsland oder auf der Flucht eine oder mehrere nahestehende Personen verloren haben, zeigen häufig eine klinisch-signifikante Symptomatik. Bisher war die Kodierung einer anhaltenden Trauerstörung lediglich mit Behelfsdiagnosen möglich (z. B. Anpassungsstörung F43.2 oder sonstige Reaktion auf schwere Belastung F43.8). Im ICD-11 wird es jedoch voraussichtlich eine eigenständige Diagnose für dieses Störungsbild geben, die gekennzeichnet ist durch ein anhaltendes gedankliches Verhaftetsein (bzw. anhaltende Sehnsucht) in Bezug auf die nahestehende verstorbene Person sowie ein tiefes emotionales Leiden. Die Dauer dieser Trauer geht über die jeweilige kulturelle oder religiös akzeptierte Trauerphase hinaus, erstreckt sich dabei mindestens über einen Zeitraum von 6  Monaten. Genaue Zahlen zur Auftretenswahrscheinlichkeit der ATS (nach ICD-11) bei geflüchteten Menschen fehlen noch. Ältere Studien weisen jedoch darauf hin, dass dieses Störungsbild häufig auftritt (31–54  %; Craig et al. 2008; Momartin et al. 2004). 25.2.4  Anpassungsstörung

gnose wird im ICD-11 neu und klarer definiert sein (7 Kap. 5). Dabei wird die dysfunktionale Symptomatik aufgrund des Vorhandenseins eines psychosozialen Stressors (bzw. Ressourcenverlust) ausgelöst. Für die Kohorte der Folteropfer und geflüchteten Menschen besteht dieser Ressourcenwegfall in vielfältiger und gravierender Hinsicht (u.  a. Wegfall sozialer Gefüge, Verlust der Familie, Wegfall des finanziellen und gesellschaftlichen Status). So kann bei geflüchteten Menschen im Aufnahmeland die Symptomatik einer Anpassungsstörung auftreten, mit Symptomen von Angst und Depression und des gedanklichen Verhaftetseins sowie Schwierigkeiten, eine neue Situation zu meistern, mit oder ohne eine PTBS auf dem Boden von erlebten Traumata. Prävalenzzahlen zur Anpassungsstörung bei geflüchteten Menschen und Folteropfern sind kaum vorhanden. Eine ältere Studie zeigt Prävalenzzahlen von 6–40 % bei geflüchteten Menschen in Postkonfliktregionen (Dobricki et al. 2010).  

25.3  Bedarf an psychosozialer

und therapeutischer Versorgung

Aufgrund der starken psychischen Belastung durch traumatische Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht sowie aufgrund der häufig anhaltenden Belastung durch gravierende Postmigrationsstressoren, ist ein frühestmöglicher Zugang zu adäquater gesundheitlicher Versorgung auf verschiedenen Ebenen (d.  h. sozial, medizinisch, psychologisch) empfehlenswert. Die therapeutischen Angebote sollten dabei angepasst sein an die Bedarfslage in den jeweiligen rechtlichen und sozialen Kontextbedingungen und Phasen des Migrationsprozesses. . Abb.  25.1 zeigt verschiedene gesundheitliche Versorgungsebenen, angelehnt an die Interventionspyramide für humanitäre Katastrophen – IASC Guidelines (Inter-Agency Standing Committee 2007), ein vom UNHCR empfohlenes abgestuftes Vorgehen im Bereich Mental Health and Psychological Support, hier angepasst an die Bedingungen in einem Land mit einem entwi 

Differenzialdiagnostisch ist bei geflüchteten Menschen, die eine belastende Lebensphase im Heimatland sowie auf der Flucht durchlebt haben und sich gleichzeitig in der Phase der Adaptation im Exil (Sluzki 1979) befinden, auch eine Anpassungsstörung (ICD-10 F 43.2, Dilling et  al. 2011) zu erwägen. Diese häufig als „Restekategorie“ verwendete Dia­

487 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

Erforderlich : vernetztes Arbeiten der Professionen, therapiebegleitende Sozialarbeit

Psychotherapy

25

Voraussetzung : Finanzierung u. Pool speziell fortgebildeter Dolmetscher /innen

Psychiatrische Behandlung

Psychosoziale Beratung u. Unterstützung Niederschwellige Angebote:

psychosoziales Counselling, alltagspraktische Hilfen, adäquate Unterbringung,Gruppenangebote, integrationfördernde soziale Aktivitäten, Deutschkurse, Zugang zu Beschäftigung, Bildung u. Arbeit, Monitoring des Wohls der Kinder

Psychiatrische/psychotherapeutische Diagnostik u.Indikationsstellung Ermittlung besonderer Bedarfe und b.Bedarf Bericht für asylrechtliche Belange

Somatische Grundversorgung und Hinweisaufnahme zur psychosozialen Gesundheit Bei Hinweis auf Gewalterfahrung oder psychische Symptomatik: Zugang zu gesundheitlicher und psychosozialer Versorgung

..      Abb. 25.1  Elemente einer adäquaten gesundheitlichen Versorgung Geflüchteter (vgl. Wenk-­Ansohn 2017)

ckelten Gesundheitssystem (Wenk-Ansohn 2017). Bei dem Modell der Versorgungsebenen ist wichtig, dass bei Bedarf eine Zuweisung von einer Versorgungsebene in die andere erfolgen kann im Sinne eines „stepped care-modells“ (NICE-Guidelines , NICE 2009), oft sind auch parallele, aufeinander abgestimmte Angebote auf den v­ erschiedenen Ebenen sinnvoll. Es ist hervorzuheben, dass eine adäquate materielle und soziale Grundversorgung, d.  h. die Abdeckung der „basic needs“, die Grundvoraussetzung für das Greifen von medizinischen und psychotherapeutischen Maßnahmen ist. >> Das Erreichen einer sicheren Lebenssituation ist Voraussetzung für eine psychische Stabilisierung nach traumatischen Erlebnissen

Für die Bewältigung traumatischer Erfahrungen sind folgende Rahmenbedingungen zentral: 55 Sicherheit, 55 ausreichende materielle Bedingungen, 55 soziale Anerkennung, 55 Möglichkeit von sozialem Kontakt und autonomem Handeln, 55 Hoffnung und Zukunftsperspektiven.

Die meisten traumatisierten Geflüchteten haben bei Aufnahme zur Behandlung  – und oft über Jahre  – noch keinen gesicherten Aufenthalt. Traumatisierte Flüchtlinge sind aufgrund ihrer psychischen Symptomatik häu­ fig nicht fähig, ihr Verfolgungsschicksal „lückenlos, widerspruchsfrei, detailliert und plastisch“, wie im Asylverfahren seitens der Behörden gefordert, darzulegen (Birck 2002). Bislang findet in Deutschland auch nur in einzelnen Regionen eine frühe Identifikation vulnerabler Gruppen durch unabhängige speziell geschulte Heilberufler statt, wie es für die Umsetzung der EU-Aufnahmericht­ linie (Europäische Union 2013) eigentlich flächendeckend gefordert ist. Insgesamt wird ein großer Anteil besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge im Asylerstverfahren oder seitens des Gesundheitssystems nicht ermittelt. Diese befinden sich dann oftmals über Jahre mit unsicherer Zukunftsperspektive im Klageverfahren. Angesichts dieser Situation kommt der qualifizierten fachlichen Begutachtung von traumareaktiven und anderen psychischen Erkrankungen bei Geflüchteten bzw. der Erarbeitung einer Stellungnahme für sich in Be-

488

25

M. Wenk-Ansohn et al.

handlung befindende Geflüchtete eine hohe Bedeutung zu. Die Diagnose von Traumafolgestörungen kann die Aussagen zu einer politischen Vorverfolgung ggf. stützen, Behandlungsbedarf beschreiben und, wenn schwere gesundheitliche Risiken bei einer zwangsweisen Rückkehr zu erwarten sind, die Anerkennung von Abschiebungshindernissen unterstützen (Haenel und Wenk-Ansohn 2004; Wenk-Ansohn et al. 2013; Scheef-Maier und Haenel 2017). In 2003 gab die Bundesärztekammer auf der Grundlage des Istanbul-Protokolls der Vereinten Nationen (United Nations 2001; in dt. Übersetzung: Frewer et  al. 2009) und den Vorschlägen der Arbeitsgruppe „Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren“ (Gierlichs et al. 2012) Standards für die Begutachtung zusammen mit einer entsprechenden zertifizierten curriculären Fortbildung heraus. Die Fortbildung und weitere Anforderungen an Gutachter wurden auch von der Psychotherapeutenkammer sowie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie übernommen (s.  Homepage DeGPT). Es handelt sich um eine komplexe Thematik mit rechtlichen Fragestellungen einerseits und fachlichen Anforderungen andererseits. Auch kürzere Berichte nach Mindestnormen können hilfreich sein. In 2007 hat es ein Grundsatzurteil gegeben (Urteil BVerwG vom 11.09.2007), wodurch festgelegt wurde, welche Mindestanforderungen an die „substantiierte Darlegung einer behaupteten PTBS-Erkrankung“ zu stellen sind, um weitere Sachaufklärungspflichten der Gerichte auszulösen (Deutscher Anwaltsverein 2008). 25.4  Psychotherapie mit Folterop-

fern und geflüchteten Menschen

>> Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete aus Kriegsregionen benötigen eine Behandlung, die sowohl den spezifischen Traumatisierungen als auch den Belastungen im Exil Rechnung trägt.

Die Anforderungen an ein Behandlungskonzept für Folteropfer und Kriegstraumatisierte, die unter Exilbedingungen leben, sind vielfältig. Sie bestehen u.  a. in traumatherapeutischem Fachwissen, einem multiprofessionellen und methodisch breit angelegten Behandlungs- und Unterstützungsangebot, interdisziplinärer Zusammenarbeit, Kultursensibilität sowie dem Einsatz von Sprachmittelnden (Maier und Schnyder 2007; Gurris und Wenk-Ansohn 2013). Ziel eines solchen multidimensionalen Behandlungskonzeptes ist es, individuell angepasste therapeutische Zugänge sowie Rehabilitationsmaßnahmen unter Berücksichtigung der jeweiligen Störungsbilder, Einschränkungen der Alltagsfunktion, Kontextbedingungen und der kulturellen Prägungen sowie des Bildungsniveaus zu eröffnen. Ziel eines Behandlungsprozesses ist letztlich nicht nur die Linderung der Symptomatik, sondern auch die Unterstützung im Rehabilitationsprozess und die größtmögliche Teilhabe in der Aufnahmegesellschaft. Die meisten Behandlungen werden in psychosozialen Zentren und Behandlungszentren für Geflüchtete durchgeführt, die ein inte­ griertes mehrprofessionelles Vorgehen anbieten (7 http://www.­baff-zentren.­org). Im Bereich der ambulanten Regelversorgung sowie von Institutsambulanzen ist ein so umfassendes und integriert auf die verschiedenen Problemlagen eingehendes Versorgungsangebot i.  d.  R. nicht möglich. Dennoch kann im Rahmen von Netzwerkarbeit ein sinnvolles Vorgehen erreicht werden. Eine enge Zusammenarbeit mit rechtlichen und sozialen Beratungsstellen ist notwendig, um aufenthaltsrechtliche und soziale Belange zu erkennen, die auf die aktuelle Bedarfs- und Motivationslage Einfluss haben. Traumafokussierende Behandlung ist in hochgradig instabilen Situationen nicht indiziert. Hier ist zunächst eine Stabilisierung der äußeren Rahmensituation erforderlich ist und – neben sozialer Arbeit – psychiatrische oder psychotherapeutische Krisenintervention und Stützung. In ihrer Komplementarität gewährleisten verschiedene Therapieformen ein variables und lebendiges Setting und erlauben das Nutzen von Ausdrucks- und Bearbeitungsformen auf  

489 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

verschiedenen Ebenen sowie das Anpassen des Vorgehens an unterschiedliche individuelle und kulturelle Prägungen und Bildungsniveaus. In der praktischen Arbeit bewähren sich kognitiv-behaviorale oder psychodynamische Grundformen der Therapie, die z. B. durch methodische Aspekte der systemischen Therapie (Hanswille und Kissenbeck 2008) oder imaginative Methoden (Reddemann 2004) ergänzt werden können. Traumaspezifische Techniken und Module werden je nach Ausbildungshintergrund des Therapeuten und Eignung für den spezielle Patienten in den therapeutischen Prozess integriert, wie etwa die narrative Expositionstherapie (NET) (Schauer et  al. 2005), Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) (Hofmann 2009; 7 Kap.  14) oder die Screentechnik (beschrieben in Gurris und Wenk-Ansohn 2013). Weitere sinnvolle Komponenten einer multimodalen Traumatherapie sind der Erfahrung nach körperorientierte und kreative Therapieformen, wie z.  B.  Physiotherapie, Schmerztherapie mit Biofeedback (Liedl et  al. 2011), konzentrative Bewegungstherapie (Karcher 2004), Musiktherapie oder Kunst- und Gestaltungstherapie. In wissenschaftlichen Studien konnte gezeigt werden, dass diese multimodalen Ansätze zu signifikanten Symptomreduktionen führen (Stammel et al. 2017; van Wyk und Schweitzer 2014), es fehlen hierbei jedoch noch Aussagen über den Beitrag einzelner Komponenten auf die Reduktion der Symptomatik. Dabei scheint die Wirksamkeit von Behandlungsansätzen für geflüchtete Menschen zudem von der aktuellen Lebenssituation beeinflusst zu sein. In Ländern, in denen die geflüchteten Menschen mit Komplikationen in Bezug auf kulturelle und sprachliche Aspekte sowie einem erhöhten Risiko von sozialer Marginalisierung konfrontiert sind, haben die­se Komplikationen Einfluss auf den Verlauf der Behandlung (Sandhu et al. 2013). Behandlungsstudien mit geflüchteten Menschen im europäischen und US-amerikanischen Raum (Metaanalyse, Nosè et  al. 2017) zeigten eine Wirksamkeit der narrativen Expositionstherapie (NET) in Bezug auf die Reduktion von PTBS und depressive Symptome. Dies stützt  

25

ältere Metaanalysen, die zeigten, dass die NET auch in anderen Settings in der Behandlung von geflüchteten Menschen (Crumlish und O’Rourke 2010; Gwozdziewycz und Mehl-­ Madrona 2013), sowie für die Behandlung von Folteropfern wirksam ist (Patel et al. 2014). In weltweiten Studien konnten generell traumafokussierte Therapiemethoden als wirksam gezeigt werden (Nickerson et al. 2011a). Während Psychoedukation, Skillstraining, Ressourcenarbeit, Sport und Entspannungsund Achtsamkeitstraining sowie Arbeit mit kreativen Medien oder Fokusgruppen, z. B. zu Fragen des Lebens im Exil und interpersonellen Kompetenzen, sehr gut in der Gruppe stattfinden können, erfolgt erfahrungsgemäß die traumazentrierte Arbeit besser im Einzelsetting, da die Erlebnisse von Folter und Gewalt und damit verbundene Emotionen zumeist extrem schambesetzt sind. Das therapeutische Vorgehen sollte flexibel auf den individuellen Verlauf des traumatischen Prozesses und der Traumaverarbeitung, die spezielle Symptomkonstellation (Cloitre et al. 2011), die aktuelle soziale Lebenssituation und die kulturell geprägten Möglichkeiten  – Ressourcen und evtl. Einschränkungen  – angepasst sein. Die Anwendung starrer, manualisierter Techniken greift in der Regel zu kurz (Ottomeyer 2011) und wird den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht. Zentral sind ein kultursensitives Vorgehen, Transparenz und die Berücksichtigung der Kontrollbedürfnisse traumatisierter Menschen sowie eine stabile therapeutische Beziehung, die im Verlauf regelmäßig durch Supervision und Intervision reflektiert werden sollte. 25.4.1  Schritte der traumaorien-

tierten Behandlung bei Folteropfern

Ein Vorgehen, das phasenhaft im Verlauf bestimmte Schwerpunkte der Behandlung anbietet (Cloitre et al. 2011; Kruse et al. 2009), hat sich in der Praxis der Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten bewährt (. Abb. 25.2).  

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M. Wenk-Ansohn et al.

Phase 1 Orientierung/ Basismaßnahmen

Phase 2 Stabilisierung

Phase 3 Fokus auf Vergangenheit

Phase 4 Fokus auf Zukunft

Phase 5 Abschied

Vertrauensbildung

Ressourcen (biografisch u. aktuell)

Trigger Albträume

Selbstwert

Integration

Umgang mit Konflikten

Arbeit

Diagnostik Biografie Bericht/Stellungnahme

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Information Ziele klären

Diagnostische Phase

Information/ Psychoedukation

Narrativ traumatischer Sequenz

Symptomkontrolle/ Skills

Vertiefte Traumabearbeitung

Alltagsbewältigung

Transformation

evtl. Medikation

Trauerarbeit

Soziale Beziehungen Handlungsmöglichkeiten Zukunftsperspektiven

Therapeutische Phase

Rückfallprophylaxe Rückblick Nachsorge Krisenintervention

Nachsorge

Begleitende klinische Sozialarbeit Aufbau einer tragfähigen Beziehung Sozialanamnese Situation der Kinder Basisinterventionen (Rechtsanwalt, Unterbringung Mobilität)

Begleitung aufenthaltsrechtliches Verfahren Einleiten sozialer Hilfen Stärkung persönlicher und sozialer Ressourcen Unterstützung des Familiensystems Deutschkurs

Integrationskurs Berufliche Möglichkeiten

Integration Arbeit

Weiterbildung

Nachsorge

Zukunftsperspektiven

Krisen intervention

ggf. weiterhin Begleitung aufenthalts rechtliches Verfahren

..      Abb. 25.2  Therapiephasen – Bestandteile der traumaorientierten Behandlung (Phasenmodell). (Mod. nach Meichenbaum 1994; Drozdek und Wilson 2004)

Das Phasenmodell ist nicht starr anzuwenden, vielmehr sind in jeder Phase auch Elemente anderer Phasen sinnvoll. Insbesondere sind wegen zwischenzeitlicher Krisen, z.  B. in der Folge von Schwierigkeiten im aufenthaltsrechtlichen Verfahren, immer wieder auch stabilisierende therapeutische und sozialarbeiterische Maßnahmen notwendig. Die therapeutischen Schritte und Module sollten an den individuellen Verlauf des posttraumatischen Prozesses, den Copingstil sowie an die Anforderungen der Lebensbewältigung in den aktuellen Kontextbedingungen angepasst werden (Wenk-Ansohn 2017).

25.4.1.1  Erstgespräch

Ein ausführliches sprachmittlergestütztes Erstgespräch (Wenk-Ansohn 2017) ist zu empfehlen, um mit dem Patienten gemeinsam zu entscheiden, ob eine psychotherapeutische Behandlung voraussichtlich zielführend ist für den speziellen Bedarf. Erstgespräch – Setting mit professionellem Sprachmittler 55 Beschwerden 55 Biografische Eckdaten – potenziell traumatischer Hintergrund

491 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

55 Aktuelle Belastungen 55 Soziale Situationen/Aufenthaltssituation; Anwalt vorhanden 55 Motivation des Kommens; Vorinformation 55 Bisherige Diagnostik/Behandlungen 55 Verdachtsdiagnose – keine Dia­ gnose – anderes Problem? 55 Instabile Lebenssituation oder andere äußerer Faktoren im Vordergrund 55 Therapiemotivation 55 Behandlungsindikation (allgemein – aktuell) 55 Welche Art Maßnahmen/Behandlung ist voraussichtlich indiziert? Welche Maßnahmen kann ich leisten und welche nicht? Ggf. auch abschließende Beratung und Weiterleitung 55 Handelt es sich um den Bedarf einer Akutversorgung oder einer langfristigen psychotherapeutischen Behandlung und Begleitung des Rehabilitationsprozesses?

Das Ergebnis eines psychotherapeutischen Erst­ gespräches kann dann die Indikation verschiedener Maßnahmen seitens des Psychotherapeuten selbst oder seitens des Netzwerkes sein. Indizierte Maßnahmen 55 Durchführen einer diagnostischen Phase und – bei substanziellen Ergebnissen – Erarbeitung einer Stellungnahme im aufenthaltsrechtlichen Verfahren 55 Überweisung zu ärztlicher Diagnostik und Versorgung; ggf. Überweisung zur Dokumentation von Verletzungsspuren bei forensisch bzw. nach dem Istanbul-­Protokoll (United Nations High Commissioner for Refugees 2001) fortgebildeten Ärzten

55 Überweisung zu psychiatrischer Differenzialdiagnostik und evtl. Behandlung; bei Suizidalität, schwerer Depression oder erheblicher dissoziativer oder psychotischer Symptomatik evtl. stationäre Einweisung 55 Nach Diagnostik und Erarbeitung einer ggf. erforderlichen Stellungnahme: weitere psychosoziale Betreuung durch niederschwellige Beratungs- und Gruppenangebote oder praktische Unterstützung durch (ggf. ehrenamtlich) Helfende 55 Kriseninterventionen oder vorwiegend stabilisierungsorientierte Kurzzeitpsychotherapie sowie evtl. Pharmakotherapie zur Linderung von Beschwerden in noch andauernder Belastungssituation (z.  B. erheblich instabile Aufenthaltssituation) 55 Bei schwerer chronischer Symptomatik und evtl. gleichzeitiger eingeschränkter Fähigkeit bzw. Motivation zur Selbstreflexion: längerfristige (niederfrequente) stützende psychotherapeutische, psychiatrische oder sozialtherapeutische Behandlung, ggf. Installation einer Einzelfallhilfe. Eine tagesklinische Behandlung oder engmaschige soziale Betreuung mit integrierter Psychotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe wäre hier evtl. effektiver, bislang stehen solche (sprachmittlergestützten) Angebote für Migranten jedoch kaum zur Verfügung 55 Traumaorientierte Psychotherapie (i.  d.  R. Langzeittherapieprozess im Einzelsetting plus ggf. Gruppensetting) 55 Begleitend zu psychotherapeutischen Maßnahmen ist i. d. R. autonomiefördernde Sozialarbeit sinnvoll für die Bereiche: Aufenthalt, Unterbringung und materielle

25

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25

M. Wenk-Ansohn et al.

Situation, Zugang zu sozialen Aktivitäten, Deutsch- und berufsorientierenden Kursen; Monitoring des eventuellen Hilfebedarfes von mit eingereisten Kindern. Es empfiehlt sich, mit Kindern eingereiste erwachsene Patienten nach dem Kindeswohl zu fragen und bei Bedarf Elternberatungen, Diagnostik bei entsprechenden Fachpersonen oder Hilfen durch die Jugendämter zu vermitteln

Fallbeispiel: Herr S., geflüchteter Syrer Herr S., ein 29-jähriger Syrer, seit eineinhalb Jahren in Deutschland, wurde von einem im Wohnheim tätigen Sozialarbeiter in der Behandlungseinrichtung für Folteropfer und ­traumatisierte Kriegsflüchtlinge angemeldet. Im Erstgespräch wirkt er kontrolliert und zurückhaltend. Zur Vorgeschichte berichtet er von Bombardierungen. Nach Beschwerden befragt berichtet er, dass er sich im Deutschkurs kaum konzentrieren könne, er sei unruhig, reizbar, könne stundenlang nicht einschlafen und wache dann immer wieder schweißgebadet auf. Gefragt nach schlechten Träumen bejaht er und erwähnt, dass immer wieder die gleichen schrecklichen Inhalte vorkämen. Auch tagsüber kämen manchmal „diese Bilder“, „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich noch in Syrien bin“. Gefragt nach Auslösern für Erinnerungen: wenn er Fluglärm höre oder auch wenn es laut knalle, wenn er Polizei sehe. Vor kurzem, als er beim Sozialamt in einem langen Gang gestanden habe, „plötzlich diese Enge“ (geht aus dem Blickkontakt, ist für eine Minute wie erstarrt, kommt auf Ansprache dann wieder in Kontakt). Auf Nachfrage bestätigt er, dass er inhaftiert gewesen sei und Folter erlebt habe. Seither habe er Albträume gehabt. Zur aktuellen Situation berichtet er, dass er im Asylklageverfahren sei, nachdem er nur subsidiären Schutz erhalten habe. Ein großes Pro­

blem sei, dass er keinen Internationalen Flüchtlingsschutz bekommen habe und nun evtl. auf Jahre seine Familie nicht nachholen könne.

25.4.1.2  Akutbehandlung versus

Langzeitbehandlung

Der Behandlungsbedarf und damit das therapeutische Vorgehen unterscheiden sich je nach Phase der Migration und den damit verbundenen im Vordergrund stehenden Belastungen. Die Erfahrung in den letzten Jahren hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, neu eingereisten bzw. noch in einer sehr instabilen sozialen und aufenthaltsrechtlichen Situation lebenden Geflüchteten zunächst eine Akut- bzw. Kurzzeittherapie (Dauer ca. 6–9 Monate) anzubieten (Wenk-Ansohn 2017). Unter Beachtung notfallpsychologischer und traumatherapeutischer Aspekte bietet eine solche Behandlung psychotherapeutische Soforthilfe, die bei Bedarf kombiniert wird mit psychiatrischer medikamentöser Behandlung und sozialarbeiterischer Unterstützung. Die psychotherapeutischen Interventionen fokussieren i. d. R. nach einer diagnostischen Phase, in der auch überblickshaft ein erstes Narrativ der Biografie erarbeitet wird, auf den Umgang mit aktuellen Belastungen und traumaassoziierten Triggern sowie den Umgang mit Symptomen mit psychoedukativen (Liedl et  al. 2010) und skills­ orientierten Elementen (Koch et al. 2017). Bei Bedarf wird nach der diagnostischen Phase eine Stellungnahme im aufenthaltsrechtlichen Verfahren erarbeitet, um eine möglichst zeitnahe Stabilisierung der äußeren Situation zu unterstützen. Einzelsitzungen können bei der Akutbehandlung mit Gruppensitzungen kombiniert werden. Eine solche Akutbehandlung kann bewirken, dass eine psychosoziale Stabilisierung erreicht wird und ein Erholungsprozess einsetzen kann. Die Chronifizierung psychisch reaktiver Symptome wird eingedämmt, und es werden Wege hin zu Rehabilitation und Inte­gration in die Aufnahmegesellschaft ermöglicht. Eine Verlaufsstudie mit Patienten in einem Akutprogramm zeigt eine deutliche Besserung der Symptomatik im Bereich PTBS, Angst und Depression (Wenk-Ansohn et al. 2018). Am Ende

493 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

der Akutbehandlung kann mit den Patienten abgeklärt werden, ob eine weitere traumafokussierende Behandlung indiziert und zum aktuellen Zeitpunkt des Migrationsprozesses gewünscht ist oder ob andere Schritte im Vordergrund stehen, wie z.  B.  Teilnahme an berufsvorbereitenden Maßnahmen. Bei chronisch komplex Traumatisierten und bei bereits relativ stabilen Aufenthaltsbedingungen ist von Beginn an eher ein Langzeitpsychotherapieprozess zu intendieren, der ebenfalls nach einer Eingangshase der Vertrauensbildung und Stabilisierung darauf abzielt, die Traumata so weit wie möglich zu verarbeiten, Copingstrategien zu entwickeln und neue Perspektiven zu eröffnen. Besonders bei gewaltsamem Verlust oder dem Verschwinden naher Angehöriger, nach sexualisierter Folter oder Kriegsgewalt (Wenk-Ansohn 2002) oder auch bei Auseinandersetzung mit Täteranteilen ist die Behandlung oft langwierig. Auch im Falle prätraumatischer psychischer Probleme ist oftmals eine längere psychotherapeutische Behandlung not­ wendig (Wenk-Ansohn 2017). 25.4.1.3  Diagnostik und Basismaß-

nahmen

Bestandteile der diagnostischen Phase (5–10 Sitzungen) nach Aufnahme 55 Klinische psychologische und bei Bedarf psychiatrische Diagnostik 55 Bei Bedarf allgemeinmedizinische Diagnostik und Dokumentation körperlicher Folterspuren 55 Psychologische Testdiagnostik 55 Sozialanamnese 55 Einleiten erster sozialarbeiterischer Interventionen 55 Wenn nötig und bei substanziellen Erkenntnissen: Erarbeitung einer Stellungnahme oder eines Kurzberichtes für das aufenthaltsrechtliche Verfahren 55 Gemeinsame Entscheidungsfindung mit demPatienten über die Behandlungsplanung

25

Neben der klinischen Diagnostik umfasst dieser erste Behandlungsabschnitt die Erhebung des bisherigen Beschwerdeverlaufs sowie die psychologische Testdiagnostik. Ebenso sollte in dieser Phase die Rekonstruktion der Biografie einschließlich der traumatischen Ereignisse erarbeitet werden, soweit dies zu diesem Zeitpunkt möglich und ethisch vertretbar und für eine eventuelle Stellungnahme notwendig ist. Dieses Vorgehen setzt einen achtsamen Umgang voraus (Pielmaier und Maercker 2012) sowie Sicherheit im frühzeitigen Erkennen und im Umgang mit dissoziativen Reaktionen und muss von ersten therapeutisch stützenden und psychoedukativen Interventionen begleitet werden. Der Druck, sog. Parteigutachten (Stellungnahmen) zur Vorlage bei Behörden fertigen zu müssen, ist für die frühe Phase der Begegnung und die therapeutische Beziehung problematisch und mit fachlichen und ethischen Pro­ blemen verbunden (Gurris 2003c). Gleichzeitig bietet sich hier aber auch die Möglichkeit einer ersten Verbalisierung („first disclosure“) und damit eines wichtigen Schrittes für die Behandlung (Gangsei und Deutsch 2007; Gurris und Wenk-­Ansohn 2013). Gelingt es dem Patienten, seine Vermeidung zu überwinden, werden im Rahmen der diagnostischen Phase oft zum ersten Mal traumatische Erlebnisse verbalisiert. und es beginnt ein Prozess des Einordnens von traumatischen Fragmenten in die Gesamtbiografie. Es entsteht ein Narrativ, das schriftlich festgehalten wird (vgl. Testimonial Therapy; Cienfuegos und Monelli 1983; Jørgensen et al. 2015). Das Material kann dann Teil der Stellungnahme im Asylverfahren und zugleich eine Dokumentation für den Patienten sein. Fortsetzung des Fallbeispiels Herr S. In der diagnostischen Phase bestätigt sich die Verdachtsdiagnose PTBS, begleitet von depressiven Symptomen. Im Gespräch ist Herr S. eingeengt auf negative Gedanken zu sich selbst und zur Zukunft. Herr S. habe eine gute Kindheit gehabt, nach der Schulzeit als Handwerker gearbeitet, mit 22 Jahren geheiratet, er habe eine 5-jährige Tochter. 2012 sei er verhaftet worden unter dem Vorwurf, die Opposition zu unterstützen. Zu Folterungen berichtet er

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M. Wenk-Ansohn et al.

u.  a. von Schlägen, Stromstößen, Aufhängungen. Einige seiner Freunde seien in Haft umgekommen, noch heute höre er die Schreie der Gefolterten im Traum, wache davon auf. Er selbst sei nach 3 Monaten freigekauft worden. In der Folgezeit sei er immer wieder an Kontrollpunkten festgehalten und aufgefordert worden, mit dem Regime kollaborieren.

25

Sein Haus sei bombardiert worden, sein Bruder sei dabei umgekommen (weint, entschuldigt sich). Er sei mit der Hoffnung geflohen, seine Familie möglichst rasch auf sicherem Wege nachholen zu können. Aktuell habe er große Angst um seine Frau und seine Tochter, seine Stadt würde erneut bombardiert. Er habe aktuell keine Telefonverbindung zu ihnen (weint). Manchmal denke er daran, nach Syrien zurück zu gehen. Gefragt, ob er von seiner Haft bei der Anhörung im Asylverfahren beim Bundesamt berichtet hätte, sagt er, dass er das erwähnt habe, dass aber in dem Bescheid stehe, dass ihm das nicht geglaubt worden sei. Am Ende der diagnostischen Phase wird eine Stellungnahme für das aufenthaltsrechtliche Verfahren geschrieben.

25.4.1.4  Psychologische

Testdiagnostik

Die Anwendung von Fragebogen und/oder standardisierten und strukturierten Interviews zur Erfassung der psychischen Gesundheit ist bei Folteropfern und traumatisierten geflüchteten Menschen mit Herausforderungen verbunden, jedoch prinzipiell möglich und empfehlenswert. Dabei soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Erhebung und Gewinnung von Informationen in Bezug auf psychische Symptome unterschiedliche Ziele verfolgen kann (z. B. Erfassung momentaner Symptome, Verlaufsdiagnostik, Unterstützung bei der Diagnosestellung). Für die Operationalisierung des jeweiligen Ziels werden unterschiedliche Instrumente eingesetzt (Selbstbeurteilungsfra­ gebogen, Fremdbeurteilungsskalen, Interviews, Verhaltensbeobachtungen). Die Herausforderungen in der Testdia­ gnostik bei Folteropfern und traumatisierten

geflüchteten Menschen lassen sich primär in 2 Kategorien einteilen: kSprache

Eine adäquate Erfassung und Exploration der Symptomatik durch psychodiagnostische Verfahren erfordert den Einsatz von qualifizierten Sprachmittlern bzw. den Einsatz von Instrumenten, die bereits übersetzt in der Sprache des Patienten vorliegen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass auf eine Ad-hoc-­Übersetzung während der Diagnostik möglichst verzichtet werden sollte, da es hier zu ungenauen Übersetzungen kommen kann und spezifische Konzepte möglicherweise fehlerhaft übersetzt werden können, was zu Validitätseinbußen führt. kKultur

Wahrnehmung und Erleben von psychischen Symptomen sind auch geprägt vom kulturellen Hintergrund der Person. Dabei ist jedoch zu konstatieren, dass die „Kultur“ keine stereotypen Symptomausprägungen hervorbringt, sondern diese Symptomausprägungen vielmehr durch individuelle Varianzen geprägt sind (z.  B.  Geschlecht, Alter, Bildung). Die Herausforderung ist daher, die Diagnostik als offenen Explorationsprozess zu verstehen. An das Konzept „Kultur“ anknüpfend stellen die diagnostischen Instrumente per se eine He­ rausforderung im transkulturellen Setting dar, da diese an westlichen Krankheitskonzepten entwickelt und ebenso an westlichen Stichproben validiert wurden. Für die adäquate Anwendung in nichtwestlichen Kontexten bedarf es zuallererst einer sprachlichen Anpassung (d.  h. unabhängige Hin- und Rückübersetzung) und im zweiten Schritt einer Validierung und ggf. kulturellen Anpassung. Aktuell liegen jedoch kaum ausreichend validierte Fragebogen in den verschiedenen Sprachvarianten vor. Die Entwicklung, Validierung und freie Zurverfügungstellung solcher Instrumente für Praktizierende ist wünschenswert und wird aktuell angestrebt. In der praktischen Umsetzung der Psychodiagnostik lassen sich ebenso Besonderheiten und Herausforderungen finden, die an dieser

495 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

Stelle lediglich aufgelistet werden sollen (für einen detaillierteren Überblick siehe Stammel und Böttche 2017; Böttche und Stammel 2018). zz Vorbereitung

Die diagnostische Sitzung sollte rechtzeitig angekündigt werden. Dazu gehört zum einen die Informationsvermittlung über den Ablauf der Sitzung, d. h. die Dauer (i. d. R. 50–100 min) und die inhaltliche Gestaltung. Da das Einholen von Informationen an Verhöre während der Folter oder Anhörungen während oder nach der Flucht (z. B. an Grenzen, ­Asylanhörung) erinnern kann, ist es zum anderen wichtig, vorher klar und verständlich den Sinn der Diagnostik zu erklären. Auch sollte der Alphabetisierungsgrad in Erfahrung gebracht werden. Besonders beim Beantworten von Fragen mithilfe von Ratingskalen (d. h. mehrstufigen Antwortskalen etwa „nie“, „oft“, „manchmal“, „meist“, „immer“) fällt es nicht alphabetisierten Personen häufig schwer, ihre Symptomatik einzuordnen. Hier helfen oftmals visualisierte Ratingskalen in Form von unterschiedlich großen Kreisen oder anderen geometrischen Formen. Abhängig vom Alphabetisierungsgrad (und vom Vorhandensein von übersetzten Instrumenten) sind auch die Anwesenheit und die Involviertheit des Sprachmittlers notwendig.

zz Testdiagnostiksitzung

Während der Diagnostiksitzung kann es, wie auch bei anderen Patienten, zu verschiedenen Problemen kommen, die entsprechende allgemeingültige psychotherapeutische Vorgehensweisen erfordern: 55 kurzfristige starke Belastung bis zur Dekompensation oder dissoziativen Zuständen; 55 Items werden nicht verstanden; 55 Grübelphänomene werden als intrusives Erleben eingeordnet; 55 Antworten zu ausführlich, Eingrenzung des Patienten ist notwendig; 55 Antworten werden nur in Extremen gegeben (Motivationslage?, kulturelle Sprachgewohnheit?); 55 unterschiedliche Angaben bei klinischer Anamnese und Testdiagnostik.

25

25.4.1.5  Stabilisierung und

Ressourcenarbeit

In der Eingangsphase der Therapie (und wiederholt auch im Verlauf) hat es sich bewährt, emotionsregulierende, kontrollrestrukturierende und desensibilisierende sowie ressourcenaktivierende Interventionen in den Vordergrund zu stellen. Bewährte stabilisierende Behandlungsschritte 55 Alltagsstrukturierung und Aktivitätsförderung, Förderung der Selbstfürsorge 55 Psychoedukation im Einzel- oder Gruppensetting (Knaevelsrud und Liedl 2007) 55 Identifikation von symptomauslösenden Bedingungen in Alltagssituationen, Umgang mit Triggern 55 Skillstraining (Koch et al. 2017; Sendera und Sendera 2007), Achtsamkeitstraining 55 Einübung von Verfahren der Selbstberuhigung (z. B. verschiedene Formen der Entspannung, stabilisierende Körperarbeit [Karcher 2004]), körperliche Aktivierung 55 Schlafhygiene und evtl. schlafanstoßende antidepressive Medikation 55 Symptomorientierte Verfahren der Schmerzkontrolle und -bewältigung (Gurris 2003a) 55 Stärkung der Ich-Funktionen bei der Bearbeitung aktueller Alltagskonflikte, Selbstmanagement 55 Unterstützung selbstbestimmten Handelns im sozialen Umfeld, „Em­ powerment“ 55 Wiederbelebung und Ankerung prätraumatischer Ressourcen, z. B. durch Biografiearbeit, geleitete Fantasiereisen und Innenbildtechniken (Gurris 2005; Reddemann 2004), Ressourcenarbeit mit EMDR (Korn und Leeds 2002; Rost 2008)

496

M. Wenk-Ansohn et al.

55 Würdigung und therapeutische Nutzung von eingebrachten Metaphern, Erkundung von traditionellen Riten 55 Würdigen von Gefühlen der Trauer, z. B. zu Verlust von Heimat, Familienstrukturen, kulturellem Umfeld, Besitz etc.

25

Fortsetzung des Fallbeispiels Herr S. Der Psychiater verschreibt Herrn S. eine schlafanstoßende antidepressive Medikation mit Mirtazapin, die er über mehrere Monate einnimmt. Neben der Einzeltherapie nimmt Herr S. über 12  Sitzungen an einer psychoedukativen Gruppe teil, in der auch progressive Muskelrelaxation geübt wird. In der Gruppe taut er allmählich auf. Der Sozialarbeiter motiviert Herrn  S., erneut an einem Deutschkurs teilzunehmen. In der Einzeltherapie sind in den ersten 10 Sitzungen folgende Inhalte Schwerpunkt: Aufbau einer therapeutischen Arbeitsbeziehung; Alltagsstrukturierung, Schlafhygiene (z.  B. abendliche Spaziergänge, abends kein Angucken von Bildern aus der Heimat im Internet); Umgang mit traumaassoziierten Triggern, Reorientierungsübungen; Ressourcenarbeit, Validierung von Fähigkeiten, Evozieren und Ankern positiver Kindheitserinnerungen anhand der Lebenslinie (manualisiert in Schauer et al. 2005); Trauer über den Verlust des Bruders sowie um das Verlassen der Familie. Nachrichten über Bombardierungen in seinem Heimatgebiet führen immer wieder zu Krisen, in denen er das Zentrum teilweise auch ohne Termin aufsucht, um Sorgen mitzuteilen, einen Menschen zu finden, dem er sich mitteilen kann und der ihm in all der Angst Halt vermittelt.

25.4.1.6  Traumafokussierte

Behandlung

Therapieschulenübergreifend wird die Notwendigkeit der Integration der extremen traumatischen Ereignisse in das Lebensskript der Betroffenen betont. Dies bedeutet, dass Vermeidungen und Abspaltungen, soweit wie im jeweiligen Fall möglich, aufgelöst werden sollten zugunsten der allmählichen Befähigung, sich den traumatischen Bildern und Erinnerungen bewusst und kontrolliert auszusetzen. Die dazugehörigen Empfindungen sollten in erträglicher Form zugelassen und verbalisiert und eine neue Position in Bezug auf das Erlebte erarbeitet werden. Die traumakonfrontierende Arbeit wird erst dann begonnen, wenn Patient und Therapeut sicher sind, dass hinreichend starke Ressourcen „geankert“ wurden. >> Traumaexposition bei Folteropfern und schwer traumatisierten Kriegsopfern sollte nur erfolgen, wenn ausreichende Stabilität der äußeren und inneren Situation sowie das Einverständnis des Patienten besteht und die Therapeut-­ Patient-­Beziehung tragfähig ist. Sie darf nicht in psychosenahen Zuständen oder bei Suizidalität erfolgen.

Je nach therapeutischem Hintergrund werden unterschiedliche Formen der traumafokussierenden Arbeit eingesetzt. Hat man in der diagnostischen Phase bei der Rekonstruktion der Biografie mit einem die Lebenslinie symbolisierenden Seil gearbeitet, kann diese Arbeit im späteren Verlauf der Therapie wieder aufgegriffen werden für die Traumaexposition im Rahmen eines an die narrative Expositionstherapie (Schauer et al. 2005; 7 Kap. 16) angelehnten Vorgehens. Neben der narrativen Bearbeitung ist die „Bildschirmarbeit“ bzw. „Screentechnik“ (Sachsse 2008; Putnam 1989) eine bewährte Möglichkeit der traumafokussierenden Arbeit. Dabei werden traumatische Ereignisse wie in einem Film betrachtet und es entsteht zugleich ein Narrativ. Die von Gurris (2003b)  

497 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

weiterentwickelte Bildschirm- bzw. Screenarbeit als mehrdimensionaler imaginativ-narrativer Expositionsprozess ist an Putnam (1989) angelehnt. Sie ist im Kern eine flexible imaginative Approximations-/Distanzierungsform, die auf wechselnden Ebenen des Erlebens und Verhaltens imaginativ und gleichzeitig narrativ-­ bedeutungsfindend durchgeführt wird. Während die Patienten ermutigt werden, sich imaginativ (auf eine gedachte Leinwand projizierend) den Traumaszenen detailliert und fortschreitend zu nähern, können sie sich gleichzeitig verschiedener zuvor gelernter Distanzierungstechniken bedienen, die kontrolliertes Entlasten ermöglichen und ein Überfluten verhindern – z. B. Verkleinern des Bildschirmes, Umschalten auf ein dynamisches Ressourcenbild. Imaginativ-narrative traumafokussierte Verfahren, die Nähe und Distanz zu den schmerzhaften Ereignissen und Bildern für die Betroffenen selbst regulierbar und kontrollierbar machen, ermöglichen eine vorsichtige, vom Therapeuten unterstützte und vertiefte Rekonstruktion von Erinnerungen unter Einbezug verschiedener Wahrnehmungskanäle und allmählicher Aufhebung von Dissoziationen sowie die Bearbeitung traumaverbundener emotionaler und kognitiver Schemata. Im Ergebnis sollten eine Zusammensetzung traumatischer Fragmente und das Ausdrücken verbundener Gefühle durch Verbalisierung erfolgen. Fortsetzung des Fallbeispiels Herr S. In der Einzeltherapie von weiteren 15 Sitzungen berichtet Herr S. zunehmend von Inhalten seiner Albträume, in denen sich die besonders traumatischen Momente abbilden. Er verbalisiert Details vom Tod seines Bruders und von dem Gefühl von Hilflosigkeit, als er die schwere Blutung nicht stillen konnte. Seine Mutter habe den Tod nicht verwinden können, sei anschließend sehr krank geworden. Da in den Albträumen immer wieder Szenen der Haft vorkommen, ist er nach anfänglichen Vermeidungsreaktionen bereit, sich den Erinnerun-

25

gen an seine Verhaftung und Folter detailliert zu stellen. Er kann sein Schamgefühl überwinden und auch mitteilen, wie er eine äußerst erniedrigende und schmerzhafte anale Vergewaltigung erlebte, woraus sich ein Dialog über Ehrgefühl und Männlichkeit entwickelt. Als besonders belastend schildert er zudem die Schreie von Mitgefangenen, die in den Nachbarzellen gefoltert wurden und von denen einige im Gefängnis starben. Das verbindende Element, das die Erinnerungen offenbar nicht zur Ruhe kommen lässt, sind Überlebensschuldgefühle, an welchen wir dann über mehrere Sitzungen arbeiten  – bis er sagen kann: „Es lag nicht in meiner Hand. Ich habe getan, was ich konnte“. Dies gibt Raum für Trauer um die Verlorenen. In der Folgezeit nehmen die Albträume deutlich ab, Herr S. kann sich im Deutschkurs besser konzentrieren.

Traumafokussierte Arbeit ist in vielen Fällen nicht als hintereinander Durcharbeiten der gesamten traumatischen Erinnerungen möglich. Oftmals lassen sich jedoch Elemente („Hotspots“) und verschiedene Ebenen der traumatischen Sequenz und ihrer Bedeutung zu verschiedenen Zeitpunkten des therapeutischen Prozesses fokussieren. Traumafokussierende Arbeit bzw. Traumaexposition ist nicht isoliert zu sehen, sondern als Teil eines Behandlungsprozesses, der insgesamt die Funktionseinbußen auf den verschiedenen Ebenen der komplexen Traumafolgestörung und die soziale Rehabilitation im Auge hat (Cloitre et al. 2011). 25.4.1.7  Arbeit an symptomstabili-

sierenden kognitiven und emotionalen Schemata

Als symptomstabilisierende Schemata werden hier psychodynamisch wirksame und kognitive Muster bezeichnet, die die Verarbeitung und Bewältigung der traumatischen Erfahrung behindern können. Je nach prätraumatis­ cher Persönlichkeit, kultureller Gebundenheit,

498

25

M. Wenk-Ansohn et al.

Konstellation der traumatischen Situation, Bedeutungsattribuierung, Reaktionen der Um­ welt, sozialen Konsequenzen und anderen Einflussfaktoren sind die zentral wirksamen symptomstabilisierenden Schemata unterschiedlich gelagert (vgl. psychodynamische Spannungspunkte des Prozessverlaufs; Bering 2011). Sowohl bei der kognitiven als auch bei der psychodynamischen Therapie ist die Arbeit an symptomstabilisierenden Schemata ein wirksamer Bestandteil, der auch angewendet werden kann, wenn eine detaillierte Exposition mit den traumatischen Erlebnissen selbst nicht möglich oder nicht gewünscht ist oder wenn nach der Konfrontation mit den traumatischen Erinnerungen Symptome persistieren. Äußere symptomstabilisierende Faktoren entziehen sich dem Einfluss durch Therapie, evtl. kann der Patient sich jedoch eine neue Haltung dazu erarbeiten. Innere symptomaufrechterhaltende Schemata, wie z. B. Scham und Schuld (vgl. Boos 2005; Kröger et  al. 2012), können in der Therapie bearbeitet und in ihrer

s­ymptomstabilisierenden Wirkung reduziert werden (. Abb. 25.3). Die symptomstabilisierenden inneren Sche­ mata bilden sich ab im Verhalten in der therapeutischen Beziehung bzw. im sozialen Umfeld sowie in Form von wiederholten szenisch oder symbolisch mit dem Trauma verbundenen Inhalten von belastenden Träumen. Die Interaktion in der therapeutischen Beziehung, Alltagskonflikte oder in die Therapie eingebrachte Trauminhalte können als Anlass und Zugang für die Bearbeitung genutzt werden. Manche Muster und Konflikte sind schwer veränderbar, zumal wenn sie durch innerlich verwurzelte kulturelle Prägung und Wechselbeziehungen im aktuellen sozialen Umfeld beeinflusst sind. Der Therapeut kann evtl. eine Brücke sein für die Erarbeitung von Neuinterpretationen unter Einbeziehung von Sichtweisen der Exilgesellschaft, z.  B. bedeutet erlebte sexuelle Gewalt nicht Verlust von Ehre. Eingehender Dialog zu Bedeutungen, Grenzen und Möglichkeiten für Veränderung von Selbstsicht, Interaktions-

Scham Schuldgefühle



Internalisiertes Schweigegebot, Ehrkonzept Krankheitsgewinn, z.B. im Familiensystem bzgl. Aufenthalt, Entschädigung

Vermeidung Symptomatik Anklagendes Leiden (Seagull u. Seagull 1991) Erschütterte Grundannahmen (Janoff-Bulman 1992)

Fehlende Anerkennung des Unrechts Straffreiheit der Täter Anhaltende Rachegefühle

Krisen im Heimatland Angehörigen geht es schlecht oder sie sind vermisst Unsicherer Aufenthalt, Perspektivlosigkeit

..      Abb. 25.3  Symptomstabilisierende Faktoren. (Rechtecke äußere Faktoren, Ovale innere Schemata)

499 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

mustern und Handlungsoptionen ist erforderlich. >> Die Arbeit am individuellen dysfunktionalen Verarbeitungsmodus wirkt sich reduzierend auf die persistierende oder immer wiederkehrende PTBS-Symptomatik sowie die komorbiden Störungen aus. Sie steuert einem sich ansonsten in der Persönlichkeit vertiefenden traumatischen Prozess entgegen.

Auch in den Fällen, in denen das Vermeidungsverhalten dominiert, zeigt die bisherige klinische Erfahrung, dass durch eine Bearbeitung symptomstabilisierender Kognitionen, psychoedukative, kontrollfokussierende sowie ressourcenorientierte, aktivierende und die soziale Integration fördernde therapeutische Interventionen eine Stabilisierung und Reduktion der PTBS-Symptomatik erreicht werden kann (Kruse et al. 2009). Bei dominierendem Vermeidungsverhalten fällt eine Tendenz zu persistierenden belastenden Träumen, anhaltendem depressiven Verarbeitungsmodus und Somatisierung auf (Huijts et  al. 2012; Wenk-­ Ansohn 2002). 25.4.1.8  Umgang mit

Reaktualisierung und Retraumatisierung

Während laufender Therapien muss mit Hindernissen und Krisen gerechnet werden, wenn z.  B. in der Folge von negativen Nachrichten aus der Heimat oder Belastungen im asylrechtlichen Verfahren eine erneute Verschlechterung eintritt, mit Reaktualisierung traumatischer Inhalte oder/und Verschlechterung von depressiven Symptomen. Bei schweren Verschlechterungen bzw. Retraumatisierungen (Schock et  al. 2010; Wenk-Ansohn und Schock 2008) werden notfallpsychologische Interventionen notwendig. Entlastende sowie selbstkontrollfördernde Maßnahmen stehen dann im Vordergrund, evtl. ist vorübergehend eine Medikation hilfreich. Wenn es auch um die Wiederherstellung der äußeren Sicherheit geht, sind zudem sozialarbeiterische und/oder rechtsberatende Interventionen notwendig.

25

25.4.1.9  Phase der Integration

Anhand der Arbeit an Konflikten der gegenwärtigen Lebens- und Beziehungsrealität geht es um Auswirkungen der Traumatisierung auf die Persönlichkeit und das Selbstbewusstsein, die Erarbeitung neuer Perspektiven sowie von erneut mehr Handlungs- und Beziehungsfähigkeit. Der therapeutische Raum der Einzelund Gruppentherapie kann hier als Ort dienen, neuen Handlungsspielraum zu gewinnen und zu erproben. In der letzten Phase der Therapie ist die therapeutische Begleitung des Integrationsprozesses im Exil zentrales Thema mit den folgenden Schwerpunkten.

Schwerpunkte therapeutischer Begleitung 55 Aufnahme sozialer Beziehungen 55 Bearbeitung von durch Trauma und Fluchterfahrung geprägten ­Beziehungsmustern 55 Förderung von Autonomie und Kompetenzentwicklung durch begleitende Maßnahmen wie Deutschkurse oder berufsvorbereitende Kurse 55 Schrittweise Integration in den Arbeitsprozess, angepasst an den Gesundheitszustand des Patienten (Wenk-Ansohn 2007) 55 Bearbeitung von Rückschlägen, Erarbeitung von Strategien für neuerliche Belastungssituationen

In dieser Phase ist sozialarbeiterische Gruppenarbeit hilfreich. Auch wird die Zusam­ menarbeit mit dem Netzwerk von Organisationen empfohlen, die integrative Maßnahmen für geflüchtete Menschen anbieten. Die Beendigung der Therapie sollte gut vorbereitet werden, damit diese nicht als Beziehungsabbruch verarbeitet wird, zumal traumatisierte geflüchtete Menschen im Vorfeld der Flucht traumatische Beziehungsabbrüche erlebt haben.

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M. Wenk-Ansohn et al.

Fortsetzung des Fallbeispiels Herr S.

25

Nachdem die Stellungnahme dem Richter vorgelegt worden war, wurde das Bundesamt gebeten, seine Entscheidung zu revidieren, da ausreichend Belege für eine persönliche Vorverfolgung vorlägen. Herr S. bekommt einen Flüchtlingsschutz nach Genfer Flüchtlingskonvention und kann die Familienzusammenführung beantragen. Herr S. kann wieder Hoffnung und Freude empfinden. Allerdings kommt es mehrfach zu Einbrüchen, wenn er von Bombardierungen im Heimatgebiet hört. Bei solchen Nachrichten kommt es zur Reaktualisierung von Angst und traumatischen Inhalten, sodass Elemente aus der Stabilisierungsphase erneut geübt werden, dabei stellen wir einen „Notfallkoffer“ zusammen. Auch ist im Rahmen dieser Therapiephase eine Selbstwertproblematik zu bearbeiten, die darauf fußt, dass Herr  S. sich unter Druck setzt, seiner Familie hier ein gutes Leben zu bieten, er aber ohne ausreichende Deutschkenntnisse und formale Ausbildung nicht in seinem bisherigen Beruf arbeiten kann. Parallel zu psychotherapeutischen Einzelsitzungen tritt zunehmend autonomiefördernde Begleitung durch klinische Sozialarbeit in den Vordergrund. Der Sozialarbeiter vermittelt einen berufsvorbereitenden Kurs. Nach Abschluss der regelmäßigen Therapie (mit diagnostischer Phase insgesamt 50  Sitzungen über eineinhalb Jahre) nimmt Herr  S. im Rahmen der Nachsorge einzelne Sitzungen wahr, um aktuelle Belastungen und Konflikte zu besprechen. Sechs Monaten nach Beendigung stellt er uns strahlend seine Frau und seine kleine Tochter vor, die stolz ist, dass sie schon in eine Willkommensklasse geht. >> Der Abschiedsprozess ist von besonderer Bedeutung. Die Möglichkeit der Nachsorge im Sinne weiterer punktueller Unterstützung bei neuerlichen Belastungen, z. B. bei Konflikten beim Aufbau des Lebens im Exil, sollte eingeräumt werden.

25.5  Therapeutische Arbeit im

transkulturellen Setting

25.5.1  Transkulturelle Begegnung

in der Psychotherapie

Wahrnehmung, Fühlen, Denken und Äußerungsformen sind kultur- und kontextgeprägt. Der kulturelle Hintergrund von Individuen ist dabei nicht nur von der geografischen Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit geprägt, sondern wird von vielen Faktoren beeinflusst (z. B. Bildungsniveau, Geschlecht). Werte, soziale Normen, die Stellung des Individuums zu anderen Mitgliedern der Gruppe sowie Muster des Denkens und Handelns werden in der Interaktion der Gruppe tradiert, verändern sich im historischen und gesellschaftlichen Kontext über die Generationen und bilden internalisierte „Landkarten der Bedeutungen“ (Clarke et al. 1979). In einer traumatischen Situation ­beeinflussen die kulturspezifischen Bedeutungssysteme die Bewertung des Geschehens und Interpretationen des Traumas und seiner Konsequenzen (Afana et  al. 2010). Die kulturell geprägte tatsächliche oder antizipierte Reaktion des sozialen Umfeldes wirkt sich wesentlich auf den Verlauf der Traumareaktionen und Bewältigungsmöglichkeiten aus. Bei Frauen aus traditionellen Gesellschaften, in denen Ehre und Scham eine zentrale Rolle für die Regulierung der sozialen Stellung und Bezüge darstellen, findet man nach Vergewaltigungen oder anderen Formen sexualisierter Gewalt besonders häufig komplexe traumareaktive Störungen (Wenk-Ansohn 2002) mit Chronifizierungsprozessen, die durch kollektiv-­dysfunktionale Kognitionen (Kizilhan und Utz 2013) unterhalten werden. Die Tendenz zum Verschweigen der Erlebnisse bewirkt, dass Behandlung oft spät und unter großem Druck, z.  B. bei einer drohenden Abschiebung, aufgesucht wird. Bei Diagnostik und therapeutischen Interventionen müssen die den Interpretationen zugrunde liegenden Bedeutungssysteme sowie

501 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

Denk- und Verhaltensschemata erforscht und mit kultureller Anpassung berücksichtigt werden (Heim und Maercker 2017; Kizilhan und Utz 2013). Auch Symptome und begleitende Verhaltensmuster sind u.  U. unterschiedlich ausgeprägt. Wenn auch Symptomcluster der PTBS kulturübergreifend vorkommen, so kann deren Ausdrucksform, die Interpretation von Beschwerden, deren Zuordnung, und das Verständnis von Krankheit in verschiedenen Kulturen unterschiedlich sein (7 Kap. 18). Psychotherapie mit geflüchteten Menschen bedeutet eine Begegnung mit Menschen, die Offenheit zur Reflexion eigener Referenzsysteme, das Bewusstsein der eigenen Kultur- und Kontextgebundenheit sowie Flexibilität für Perspektivenwechsel fordert. Zum einen sollten psychologische Modelle aus westlichen Kontexten nicht ohne Überprüfung und Anpassung stattfinden (Gurris 2012; Schnyder et al. 2016). In systemischer Perspektive ist auch der gesellschaftliche, historisch-politische sowie der aktuelle soziale Kontext einzubeziehen. Zum anderen sollte aber der Therapeut nicht den Blick auf den individuellen Patienten verlieren. Hier hat sich eine Haltung respektvoller Neugier und engagierter Neutralität mithilfe zirkulären Fragens bewährt (Oesterreich 2004). Die Beachtung nonverbaler Kommunikation ermöglicht es, Missverständnisse zu reduzieren und miteinander in einen direkten, lebendigen Kontakt zu treten (von Lersner und Kizilhan 2017).  

Hilfreiches in der interkulturellen Kommunikation 55 Offenheit und Respekt 55 Beachten von Höflichkeitsregeln 55 Achtsamer Umgang mit Scham und tabuisierten Themen 55 Achten auf potenziell kulturell divergierende Kommunikationsstile/Sprachkulturen und indirekte Äußerungen 55 Bedeutungen von Wörtern, Redewendungen, Metaphern erfragen

25

55 Zirkuläres Fragen, Annähern aus verschiedenen Perspektiven 55 Missverständnisse klären und zu Rückfragen ermuntern 55 Reflexion und Transparentmachen der eigenen Kultur/des eigenen kulturgebundenen Verhaltens 55 Dialog über potenzielle Differenzen der Herkunfts- und Exilkultur 55 Transparentmachen der professionellen Rolle und des therapeutischen Vorgehens 55 Wiederholt eigene Schweigepflicht (und des Sprachmittlersr) betonen (auch gegenüber Angehörigen und Freunden des Patienten) 55 Einfallsreichtum und Mut zur Improvisation (z. B. zeichnen lassen, symbolisierende Gegenstände) 55 Achten auf nonverbale Kommunikation.

25.5.2  Kommunikation durch

Sprachmittlung

>> Neben der Ermöglichung der sprachlichen Kommunikation zwischen Patient und Therapeut kommt den Sprachmittelnden bei der Klärung kultur- und kommunikationsspezifischer Fragen eine wesentliche Rolle zu – eine Ressource, die im Rahmen des kurzen Nachgespräches nach den Sitzungen genutzt werden kann.

Die notwendige Schulung von Sprachmittelnden für den Einsatz im therapeutischen Kontext beinhaltet die Vermittlung von Grundlagen zu 55 psychopathologischen Zustandsbildern bei Traumatisierten, 55 Grundlagen von therapeutischem Handeln und therapeutischer Beziehung, 55 Inhalten von speziellen medizinischen/ psychologischen Terminologien

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M. Wenk-Ansohn et al.

55 Begrifflichkeiten, die mit der Alltagsrealität von Asylbewerbern zusammenhängen 55 Übungen zur wortgetreuen Übersetzung im therapeutischen Setting

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Die Schulung sollte ebenfalls Methoden der Prävention stellvertretender Traumatisierung und von Burnout umfassen. Psychotherapie unter Einbeziehung von Sprachmittlern setzt grundsätzlich eine klar strukturierte Kooperation mit eindeutig definierter Tätigkeits- und Rollenbeschreibung voraus (Abdallah-Steinkopf 2017). Der Therapeut trägt die Verantwortung für die Strukturierung der Kommunikation, den Gesprächsverlauf und den therapeutischen Prozess und hat den Schutz des Sprachmittlers im Auge. Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen finden in einer Triade statt (Patient  – Sprachmittelnder  – Therapeut; Haenel 2001). Die ständige Aufmerksamkeit des Therapeuten für dieses Geschehen sowie die gemeinsame Reflexion darüber mit dem Sprachmittler ist notwendig. Um das gesamte Geschehen in der Triade im Blick zu haben, hat sich eine Sitzordnung im Dreieck bewährt, diese verdeutlicht auch den Aspekt von Partnerschaft für eine gelungene Kommunikation. Regeln für die Kommunikation 55 Allgemeine Regeln ȤȤ Vorgespräch vor dem ersten Einsatz ȤȤ Professionelle und speziell fortgebildete Sprachmittelnde ȤȤ Keine Angehörigen/Bekannte als Sprachmittelnde ȤȤ Schweigepflicht (schriftlich fixieren) ȤȤ Keine privaten Kontakte, keine Herausgabe der Telefonnummer der Sprachmittler an die Patienten ȤȤ Vorstellung der Sprachmittler und Patientenaufklärung über Regelungen für die Sprachmittlung

55 Regeln für die Sprachmittler ȤȤ Übersetzen in Ich-Form/direkte Rede ȤȤ Möglichst wortgetreue Übersetzung ȤȤ Alles im Raum Gesprochene wird übersetzt (außerhalb der Therapie Gesprochenes wird den Therapeuten mitgeteilt) ȤȤ Im Allgemeinen konsekutive Übersetzung ȤȤ Inanspruchnahme regelmäßiger Supervision und Weiterbildung 55 Regeln für Therapeuten: ȤȤ Achten auf den Redefluss der Patienten ȤȤ Ausdrucksweise dem Bildungsniveau und Abstraktionsvermögen der Patienten anpassen ȤȤ Kurze Sätze und Vermeidung abstrakter oder Fachausdrücke; ȤȤ Höfliches Stoppen, wenn das Gesprochene zu lang wird ȤȤ Sprachmittelnden anbieten zu unterbrechen und rückzufragen ȤȤ Bemühen um direkte Ansprache und Blickkontakt mit Patienten und Achten auf nonverbale Kommunikation ȤȤ Nachgespräch mit dem Ziel der Entlastung der Sprachmittler durch Klärung von Missverständnissen, Besonderheiten, methodischen Herangehensweisen, triadischen Beziehungsaspekten

Werden die Regelungen der Kommunikation beachtet, ist die Therapie im ­transkulturellen Setting mit Sprachmittelnden nicht weniger effektiv als im muttersprachlichen Setting. In einer Metaanalyse, in der 13 Studien mit Geflüchteten ausgewertet wurden, fanden sich keine behandlungserfolgsbezogenen Unterschiede zwischen Studien, in denen Sprachmittelnde eingesetzt wurden, vs. denjenigen, bei denen dies nicht der Fall war (Lambert und Alhassoon 2015).

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503 Folteropfer und traumatisierte Geflüchtete

25.5.3  Therapeut-Patient-

Beziehung

>> Zentral in der therapeutischen Beziehung ist, dass sie von aufrichtigem und im Gegenüber erkennbarem Respekt getragen ist, denn das Wiedererlangen des Gefühls von Würde ist zentral für Opfer von Folter und erniedrigender Gewalt.

In der Therapie mit Folteropfern und Kriegstraumatisierten kommt es auffällig häufig zu extrem gegensätzlichen Haltungen. Einerseits kann eine zu große Distanz des Therapeuten mit fehlender Empathie zum Sichverschließen des Patienten bis hin zum Therapieabbruch führen. Andererseits werden häufig fehlende Distanz und zu große Empathie mit Überidentifikation bis hin zur persönlichen Verstrickung beobachtet (Haenel 1998; Wilson und Lindy 1994). Der Erfahrung nach ist in der Therapie mit traumatisierten Menschen ein kontrolliertes Abrücken von der sonst üblichen therapeutischen Abstinenz zu empfehlen (Maier und Schnyder 2007; Wenk-Ansohn 2002). Von zentraler Bedeutung ist ein hohes Maß an Transparenz der therapeutischen Arbeit. Darüber hinaus erfordert die therapeutische Haltung gegenüber Folteropfern und geflüchteten Menschen aber auch Parteilichkeit in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte und Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen. >> Bei Foltertraumatisierten kann eine Haltung der Überfürsorglichkeit dazu führen, dass Betroffene ausschließlich in der Opferrolle wahrgenommen werden, mit dem subjektiven Motiv, sie zu schonen und ihnen unangenehme Realitäten vorzuenthalten. Damit werden sie letztlich weiter entmündigt und in ihrer Opferrolle fixiert.

Im therapeutischen Raum entsteht eine Begegnung, in der der Patient sich als gleichberechtigter Mensch in seiner grundsätzlichen menschlichen Würde erkennen kann. Fischer und Riedesser (1998) beschreiben die Übertragungsbeziehung in der Traumatherapie als

einen Prozess der Wiederaufnahme von Beziehungen („re-bonding“). Bei Traumata durch Menschenhand sind hier v.  a. die Überwindung von Misstrauen und das Wiederfinden der Fundamente des kommunikativen Realitätsprinzips erforderlich. Überlebende von Folter tendieren dazu, Täteraspekte auf die soziale Umwelt zu übertragen (Comas-Diaz und Padilla 1991; Wilson und Lindy 1994). Allein das Setting in Dia­ gnostik und Therapie kann heftige Reaktualisierungen der Traumata mit Flashbacks bzw. dissoziativen Zustände auslösen. Aufseiten der Traumatisierten entsteht eine assoziative Verknüpfung mit erlebten Verhörsituationen oder psychischen Torturen. Können diese Prozesse nicht angemessen bearbeitet und aufgelöst werden, ist nicht nur die weitere Behandlung blockiert, sondern es kann auch zu Retraumatisierungen kommen. Andererseits kann die Angst vor der Täterübertragung den Therapeuten dazu bewegen, Klärungen und Konfrontationen zu vermeiden, sodass therapeutische Chancen nicht genutzt werden. Die im Verlauf der Behandlung wiederholte Reflexion der therapeutischen Beziehung in der Supervision ist daher Grundvoraussetzung (Lansen 2002). 25.5.4  Stellvertretende

Traumatisierung

Die möglichen psychischen Konsequenzen für Helfende in der Arbeit mit Traumatisierten sind vielfach beschrieben worden (7 Kap.  27). Die besonderen Belastungen für Therapeuten in Zentren für Folteropfer und Kriegstraumatisierte und die Auswirkungen von traumaverbundenen Mustern auf die Interaktion von Teams wurden untersucht (Pross 2006), ebenso institutionelle burnoutfördernde Faktoren (Pross 2009). Eine veränderte Weltsicht kann das Befinden der Helfenden grundlegend beeinflussen, findet doch die Behandlung in einem Lebenskontext statt (Ghaderi und van Keuk 2017), der von gewaltvollen Konflikten in der Welt sowie von den oft restriktiven Bedingungen im Aufnahmeland beeinflusst ist.  

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Gurris (2005) sowie Deighton et al. (2007) fanden in einer Untersuchung in Behandlungszentren für traumatisierte Flüchtlinge zu den 3  Skalen des ProQOL R-III („Compassion Satisfaction“, „Burnout“ und „Compassion Fatigue“; Stamm 2010) für Therapeuten von Folterüberlebenden ungünstigere Werte im Vergleich zu anderen helfenden Berufen. Es zeigte sich v. a., dass die Therapeuten durch die unsichere Aufenthaltssituation ihrer Patienten dauerhaft belastet waren. Rund 50 % der Stichprobe zeigten starke Gefühle der Erschöpfung, Ohnmacht, Hilflosigkeit sowie Ärger und Wut. Bei rund einem Drittel der Therapeuten konnte von einer teilweisen Erfüllung der Kriterien einer PTBS ausgegangen werden. Notwendig ist daher eine gute Arbeitsstrukturierung und Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen in der Institution. Die Therapeuten sollten über gut fundierte psychotherapeutische Ausbildungen verfügen und zur Psychotraumatherapie fortgebildet sein. Regelmäßige Supervision, stetige Arbeit an der therapeutischen Rolle und Haltung sowie eine ausreichende Selbstfürsorge (Schneck 2017) sowie vernetztes Arbeiten sind Voraussetzung für ein positives Management der Belastungen. Gleichzeitig bedeutet die Arbeit eine Bereicherung durch ihre Vielfältigkeit sowie intensive Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen. 25.6  Abschließende

Bemerkungen

Die Behandlung traumatisierter Geflüchteter und Folteropfer bringt besondere Anforderungen mit sich: Arbeiten zumeist im interkulturellen Setting, unter Einbeziehung von Sprachmittelnden sowie die Behandlung ex­ trem traumatisierter, meist an komplexen Störungen leidender Menschen. Gleichzeitig befinden sich die Patienten durch Entwurzelung und Belastungen im Exil in einem von vielen Faktoren determinierten Bewältigungs- und Anpassungsprozess.

>> Eine schematische Anwendung von Traumatherapiemodulen greift in der Behandlung traumatisierter Geflüchteter und Folteropfer oftmals nicht, auch wenn diese Module wichtige Bestandteile der traumaorientierten Behandlung darstellen können.

Es bedarf der Anpassung der Behandlungsform an die besondere Situation der geflüchteten Menschen. Sozialarbeiterische und nie­ derschwellige Angebote sowie bei Bedarf psychiatrische oder psychosomatisch orientierte ärztliche Behandlung können eine sinnvolle Ergänzung der psychotherapeutischen Arbeit sein. Hierfür sind transparente Kooperationen und Vernetzungen notwendig. >> Therapiebegleitende Sozialarbeit ist in der Regel erforderlich, damit die psychotherapeutische Arbeit greifen kann.

Die Behandlung von Folteropfern und traumatisierten Geflüchteten erfordert einen biopsychosozialen Ansatz und beinhaltet neben traumaorientierter Psychotherapie zugleich die Förderung der Integration in die Aufnahmegesellschaft und eines Rehabilitationsprozesses im Sinne des Artikel  14 der Antifolterkonvention (vgl. UN-Committee against Torture 2011). zz Danksagung

Die Autorinnen danken Prof. Dr. Norbert Gurris, der in den vorangehenden Auflagen gemeinsam mit Dr. Mechthild Wenk-Ansohn Autor dieses Kapitels war. Der Text in dieser Auflage fußt auf diesen Vorarbeiten und hat einzelne Abschnitte und Abbildungen übernommen. Neue Teile und Aktualisierungen sind hinzugekommen.

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511

Gerontopsychotraumatologie M. Böttche, P. Kuwert und C. Knaevelsrud 26.1

Epidemiologie – 513

26.1.1 26.1.2 26.1.3 26.1.4

 hronische PTBS – 514 C Verzögert auftretende PTBS – 515 Aktuelle Traumata und PTBS – 515 Komorbidität – 516

26.2

Diagnostische Besonderheiten – 516

26.3

Traumatherapie bei Älteren – 517

26.3.1

 ugänglichkeit und Inanspruchnahme von Z Psychotherapie – 517 Gerontopsychotherapeutische Grundlagen – 518 Gerontopsychotherapeutische Ansätze der PTBS-Therapie – 518 Indikationen – 522

26.3.2 26.3.3 26.3.4

Literatur – 523

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26

512

26

M. Böttche et al.

Während Traumafolgestörungen bei jüngeren Menschen in den letzten Jahrzehnten zuneh­ mend Fokus klinischen und wissenschaftlichen Interesses geworden sind, ist das Wissen über Ausmaß und Konsequenzen von Traumatisie­ rungen Älterer weiterhin gering ausgeprägt. Die meisten psychotraumatologischen Studien haben bislang entweder nicht genügend ältere Menschen eingeschlossen, um Alterseffekte beurteilen zu können, oder konzentrierten sich ausschließlich auf jüngere Studienteilnehmer. Dies ist insofern problematisch, als der bishe­ rige Wissensstand darauf hindeutet, dass so­ wohl altersspezifische Entwicklungsaufgaben bzw. Stressoren als auch kollektive, generatio­ nentypische Traumatisierungen zu einer spe­ zifischen Ausprägung und Verarbeitung von Traumafolgestörungen und speziell der post­ traumatischen Belastungsstörung (PTBS) im höheren Lebensalter beitragen (Cook 2001). Die folgende Übersicht gibt typische Stresso­ ren wieder, die ältere Menschen in sehr unter­ schiedlichem Ausmaß belasten können. Potenzielle Stressoren im höheren Lebensalter 55 55 55 55 55 55 55 55 55 55

Körperliche Erkrankungen Geringer werdende Mobilität Geringere sensorische Kapazität Kognitive Störungen Multiple Medikamente mit Wechselund Nebenwirkungen Verwitwung Berentung als Statusverlust Finanzielle Probleme Umzug in betreute Wohnformen Verlust von sozialen Kontakten

Traumafolgestörungen können mit diesen Stressoren im Sinne eines Teufelskreises ne­ gativ interagieren und die körperliche sowie psychosoziale Lebensqualität erheblich be­ einträchtigen. Allerdings fehlen bisher kon­ trollierte Studien, die den Zusammenhang

zwischen PTBS und spezifischen Altersbelas­ tungen untersuchen. Unklar ist, ob die PTBS sich bei Älteren unterschiedlich manifestiert bzw. traumatische Ereignisse unterschiedlich verarbeitet werden. Bisherige Forschung legt nahe, dass das Symptomprofil auch im höhe­ ren Alter stabil bleibt. Fallbeispiel 1: älterer Patient mit eingeschränktem Bewegungsradius Aufgrund einer progredienten Herzinsuffizienz ist der Bewegungsradius von Herrn M. zunehmend eingeschränkt. Deswegen kann er Hobbys, wie die regelmäßigen Treffen mit Skatfreunden, kaum noch wahrnehmen, eine Tagesstrukturierung fällt schwer. Vermehrt tauchen traumatische Kindheitserinnerungen an die Vertreibung aus Ostpreußen nach Ende des 2. Weltkrieges auf, verbunden mit Albträumen und erheblichen Schlafstörungen. Seine Frau, ebenfalls vertrieben, möchte er damit nicht belasten, denn diese nehme schon Medikamente gegen Bluthochdruck. Er habe Angst, dass es ihr dann noch schlechter gehe und sie womöglich noch kränker werde. Beide schieben die anstehende Entscheidung über den Umzug in ein Altenheim hinaus. Sie werden dann das Haus verlassen müssen, das sie sich als „neue Heimat“ nach dem Krieg gebaut hatten. Herr M. erlebt sich mit seinen Symptomen nicht als psychisch krank: „Das geht doch allen so, die den Krieg er­ lebt haben. Viele hat es doch viel härter als mich getroffen.“

Fallbeispiel 2: Opfer eines Raubes Frau V. ist Opfer eines Raubes geworden. Sie hat sich an eine Hilfsorganisation gewandt, wo ihr u. a. empfohlen wurde, den Gang in die Fußgängerzone (dem Ort des Überfalls) nicht zu vermeiden. Diese meidet Frau V. nämlich ebenso stark wie unübersichtliche Straßen und das Rausgehen am Abend. Alles erinnere sie dann an den Raub selbst. Aufgrund der Tatsache, dass Frau V. verwitwet ist und ihre Kinder in anderen Städten wohnen, hat sie kaum

513 Gerontopsychotraumatologie

soziale Kontakte, die mit ihr in die Fußgängerzone gehen. Frau V. zieht sich daher zurück, der Gang „nach draußen“ wird zu einem subjektiv unüberwindbaren Hindernis. Eine Psychotherapie will sie nicht beginnen, da sie „nicht verrückt“ sei.

Es gilt zu bedenken, dass die heutige ältere Generation mit einem hohen Grad an Stigma­ tisierung psychischer Probleme aufgewach­ sen ist. Zusätzlich wird im ersten Fallbeispiel deutlich, dass generationsspezifische kollektive Traumata (beispielhaft in Europa der 2. Welt­ krieg) zu einem Verkennen individuellen Lei­ des zugunsten gefühlter Normalität („Das war damals so!“) führen können. Somit scheint der Gang zum Psychiater bzw. Psychotherapeuten für diese Alterskohorte häufig eine kaum über­ windbare Hürde zu sein, was adäquate Dia­ gnostik und Therapie verhindert. Gleichzeitig betonen heutige Altersbilder auch individuelle Entwicklungsmöglichkei­ ten und Ressourcen in dieser Lebensphase: Als mögliche psychologische Gewinne des Altersprozesses können Reife, Lebenswissen, Weisheit, die Fähigkeit zur Wohlbefindensre­ gulation und effektive Bewältigungskompe­ tenzen gesehen werden, sodass frühere De­ fizitmodelle oder unrealistisch idealisierende Altersbilder insgesamt von einer multidimen­ sionalen Gewinn-Verlust-Perspektive auf den Altersprozess abgelöst wurden (Forstmeier und Maercker 2008). Ebenso sind protektive Variablen in ihrer Bedeutung für das „erfolg­ reiche Altern“ erkannt worden: Faktoren wie beispielsweise Resilienz, Optimismus, Selbst­ wirksamkeit, Weisheit, Spiritualität und eine positive Einstellung gegenüber dem eigenen Alterungsprozess scheinen mit weniger psy­ chischer Belastung einherzugehen und z.  T. auch positive Auswirkungen auf körperliche Krankheitsprozesse bzw. Mortalität auszuüben (Vahia et al. 2011). Diese Ressourcen bzw. Schutzfaktoren müssen psychotraumatologischen Modellen

26

zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Traumafolgestörungen Rechnung tragen. 26.1  Epidemiologie

Epidemiologische Daten zur Prävalenz von Traumatisierungen und der PTBS liegen nun auch für die Altersgruppe der über 60-Jährigen vor. Dabei zeigt sich, das diese Alterskohorte eine erhöhte Traumaprävalenz (d. h. das Erle­ ben eines traumatischen Ereignisses) im Ver­ gleich zu Erwachsenen jungen und mittleren Alters haben. Diese variiert jedoch zwischen den einzelnen Studien sehr stark: 47,4–96,1 % (DeVriess und Olff 2009; Maercker et al. 2008; Spitzer et al. 2008). Eine niedrigere Traumaprä­ valenz bei älteren Menschen im Vergleich zu jüngeren zeigte bisher nur eine Studie (73,7 %; Frans et al. 2005). In Bezug auf die PTBS-Prävalenz zeigt sich ein gegenteiliges Bild. Studien weisen fast über­ einstimmend eine geringere PTBS-­Prävalenz bei älteren Menschen aus im Vergleich zu jün­ geren. Jedoch zeigt sich auch hier eine Varianz zwischen den Studien: 2,5–6,5  % (DeVriess und Olff 2009; Frans et al. 2005; Kessler et al. 2005; Pietrzak et al. 2011; Spitzer et al. 2008). Hier bildet die Ausnahme eine repräsentative Studie aus Deutschland, bei der eine höhere PTBS-Prävalenz (3,4 %) in der Kohorte der äl­ teren Menschen ausgemacht werden konnte im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen (1,4–1,9 %, Maercker et al. 2008). Eine mögliche Erklärung könnte der hohe Anteil von Kriegstraumatisie­ rungen in dieser Altersgruppe sein, auch wenn dieser Einfluss abschließend nicht aufgeklärt werden konnte, da eine weitere deutsche Studie mit ähnlicher Zusammensetzung diese erhöhte Prävalenz nicht aufzeigen konnte (Spitzer et al. 2008). Es besteht an dieser Stelle jedoch weiterer Bedarf an epidemiologischen Untersuchun­ gen, die potenziell mediierende Variablen ein­ beziehen, um solche Effekte zu erklären.

514

M. Böttche et al.

Phänotyp der PTBS im Alter

26

Die Definition des Phänotyps der PTBS im Alter ist derzeit noch ungeklärt, d. h. es ist nicht klar, ob die bestehenden Symptomcluster der PTBS im ICD-10/11 (d. h. Wiedererleben, Vermeidung, Arousal) sich auch bei älteren Menschen in dieser Form abbilden lassen und ob die Symptomschwere der PTBS ebenso vergleichbar ist mit anderen Alterskohorten (Böttche und Knaevelsrud 2017). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die subsyndromale PTBS bei älteren Menschen deutlich höhere Prävalenzraten aufweist (5,5–13,1 %; Glaesmer et al. 2010; Pietrzak et al. 2012; van Zelst et al. 2003). Auch konnte gezeigt werden, dass die PTBS-Prävalenz in dieser Alterskohorte signifikant von der ICD-10 zur ICD-11 abnimmt. Die Ursache scheint in der Änderung des Clusters „Wiedererleben“ begründet zu sein (Glück et al. 2016).

Zusammenfassend ist die PTBS mit den oben genannten Prävalenzen eine durchaus häufige Erkrankung im höheren Lebensalter, insbe­ sondere in den Ländern, in denen kollektive Traumaerfahrungen entsprechende Kohorten­ effekte verursachen. Dieser Effekt wird durch Schweizer Studienergebnisse unterstützt, die mit 0,7  % weitaus geringere PTBS-Prävalen­ zen bei Älteren fanden (Maercker et al. 2008). In diesem Kontext besonders relevante Risi­ kopopulationen sind Holocaustüberlebende, Kriegstraumatisierte und geflüchtete bzw. ver­ triebene Menschen. Für eine nähere Betrachtung erscheint es sinnvoll, die 3 folgenden Prägnanztypen einer PTBS bei Älteren lebensspannenbezogen zu differenzieren (Maercker 2002): 55 chronische PTBS aufgrund von Traumati­ sierungen in frühen Lebensphasen, 55 verzögert auftretende PTBS im höheren Lebensalter aufgrund von Traumatisierung

aus früheren Lebensphasen („delayed onset“), 55 aktuelle (bzw. chronische) PTBS aufgrund von Traumatisierung im höheren Lebens­ alter. 26.1.1  Chronische PTBS

Eine chronische PTBS beruht auf Traumatisie­ rungen, die in vergangenen Lebensabschnitten liegen. Als altersspezifischer Kohorteneffekt sind in der Generation der über 65-Jährigen insbesondere die Auswirkungen kollektiver Extremtraumatisierungen zu bedenken, wobei nationalsozialistische Verbrechen und der 2. Weltkrieg im Europäischen Raum eine heraus­ ragende Stellung einnehmen. Dabei ist hier beachtenswert, ob die chro­ nische PTBS einen charakteristischen Verlauf über die Lebensspanne hinweg aufweist, d. h. ob die Symptome und die Schwere der PTBS in den vergangenen Lebensphasen gleichbleibend oder Veränderungen unterworfen waren. Die meisten Langzeitstudien weisen darauf hin, dass die Prävalenzraten der chronischen PTBS über die Zeit hin abnehmen (z. B. Yehuda et al. 2009; Shlosberg und Strous 2005). Dabei ist v.  a. interessant, dass sich hier eine Verände­ rung in den Symptomclustern zeigt, d. h. eine Abnahme von Symptomen des Wiedererlebens und eine Zunahme von Vermeidungssympto­ men (Böttche et al. 2011). Auswirkungen des 2. Weltkriegs in der älteren Bevölkerung in Deutschland Kriegsereignisse führen zu komplexen und sequenziellen Traumatisierungen, die körperliche Verletzungen, Todesängste, gewaltsamen Tod von Bezugspersonen, emotionale Vernachlässigung und Mangelerleben (Hunger, Armut) beinhalten können. Speziell die damaligen Kriegskinder stellen eine verletzliche Untergruppe dar. Aus der Perspektive einer psychohistorischen Traumaforschung gelingt es erst in den letzten Jahrzehnten beginnend, die individuellen Auswirkungen des 2. Weltkrieges im Hinblick auf PTBS-Prävalenzen und andere Traumafolgestörungen in der jetzt älteren

515 Gerontopsychotraumatologie

deutschen Generation zu untersuchen, ohne dabei in den Verdacht der Bagatellisierung des systematischen Massenmordes durch deutsche SS- und Wehrmachtsangehörige zu geraten (z. B. Beutel et al. 2007; Fischer et al. 2006; Heuft et al. 2007; Maercker und Herrle 2003; Kuwert et al. 2007, 2008). Veröffentlichungen beschäftigen sich v.  a. mit distinkten Untergruppen aus dieser Zeit, wie etwa Frontkrankenschwestern (Teegen und Handwerk 2006) oder Frauen, die sexuelle Kriegsgewalt erlebt haben. Hier finden sich PTBS-Prävalenzen von 4–11 % (Kuwert et al. 2010, 2012b; Eichhorn et  al. 2012). Menschen, die vertrieben wurden, scheinen eine besonders belastete Untergruppe der Kriegstraumatisierten darzustellen (Teegen und Meister 2000; Fischer et  al. 2006; Kuwert et  al. 2007), wobei über posttraumatische Symptome hinaus eine erhöhte Ängstlichkeit und verminderte Lebensqualität bzw. Resilienz in einer repräsentativen Erhebung belegt werden konnten (Kuwert et al. 2009). In einer weiteren populationsbasierten Untersuchung prädizierte die Zahl der erlittenen Traumatisierungen während der Vertreibung das Ausmaß an Somatisierung der heute älteren Studienteilnehmenden (Kuwert et al. 2012a).

26.1.2  Verzögert auftretende PTBS

Ein Phänomen in der PTBS-Diagnostik Äl­ terer ist die Selbstbeobachtung Betroffener, dass nach Jahrzehnten der Störungsfreiheit im Alter vermehrt posttraumatische Symptome auftreten (Maercker 2002). In retrospektiven Untersuchungen konnte das vermehrte Anflu­ ten posttraumatischer Symptome im Rahmen des Altersprozesses aufgezeigt werden (Solo­ mon und Ginzburg 1999; Kruse und Schmitt 1999; Port et al. 2001). Dabei ist festzuhalten, dass es sich bei der verzögerten PTBS eher um eine Verschlechterung oder Reaktivierung von bereits früher vorhandenen (subsyndromalen) PTBS-Symptomen handelt und nicht um eine Entwicklung aus einer vollständigen Symp­ tomfreiheit (Andrews et al. 2007). Hier scheint es sich um ein Resultat verschiedener Einfluss­ faktoren zu handeln, wobei die vermehrte Zeit zur Reflexion über die eigene Biografie, ver­ gleichbare/ähnliche historische/gesellschaft­ liche Ereignisse (z.  B.  Kriege; Solomon und Mikulincer 2006), aber auch die in der obigen

26

Übersicht genannten potenziellen Stressoren im Rahmen des Altersprozesses eine Rolle spielen könnten. Für diese Kategorie fehlen prospektive Studien, sodass das Wissen hierzu unzureichend ist. 26.1.3  Aktuelle Traumata und

PTBS

Mit Blick auf die Symptomschwere und die phänotypische Ausprägung der PTBS nach einer aktuellen Traumatisierung stellt sich die Frage nach der Vergleichbarkeit zwischen jungen und älteren PTBS-Patienten. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass äl­ tere Menschen nach Naturkatastrophen (d. h. aktuellen Traumatisierungen) mit einer höhe­ ren Wahrscheinlichkeit PTBS-Symptome ent­ wickeln im Vergleich zu jüngeren Menschen (Parker et al. 2016). In Bezug auf die Entwick­ lung von Angstsymptomen und Depressionen gab es keinen Unterschied zwischen älteren und jüngeren Menschen, ebenso nicht im sub­ jektiven Wohlbefinden (Parker et al. 2016). Altersspezifische Akuttraumatisierungen (z.  B.  Gewalt gegen Pflegebedürftige, Verwit­ wung) und deren Folgestörungen sind em­ pirisch weniger untersucht. Ein besonderes Thema stellt dabei der Missbrauch älterer Pfle­ gebedürftiger dar, sowohl i.  S. von Gewaltan­ wendungen als auch von Vernachlässigung. Eine Langzeitstudie konnte hier zeigen, dass Gewalt gegen ältere Menschen das Risiko für die Entwicklung von psychischen Störungen (z.  B.  PTBS) 8 Jahre nach der Gewalterfah­ rung bedeutsam erhöht (Acierno et  al. 2017). An dieser Stelle besteht auch methodischer Forschungsbedarf, da es an adäquaten Instru­ menten fehlt, um schwerer erkrankte und z. T. kognitiv beeinträchtigte Menschen im Hinblick auf posttraumatische Symptome zu untersu­ chen. In Hinblick auf den plötzlichen Verlust eines geliebten Menschen (häufig des Partners) als Aktualtrauma scheint es eine temporale Verbindung zwischen PTBS und prolongierter

516

M. Böttche et al.

Trauer (7 Kap.  20) zu geben, wobei Symptome der prolongierten Trauer nach einem Todesfall zu PTBS-Symptomen im Langzeitverlauf bei äl­ teren Menschen führen (O’Connor et al. 2015).  

26.1.4  Komorbidität

26

Im höheren Lebensalter ebenso wie in anderen Altersstufen tritt die PTBS häufig nicht als sin­ guläre Erkrankung auf, sondern mit anderen psychischen (Pietrzak et  al. 2012) und soma­ tischen (El-Gabalawy et al. 2014) Erkrankun­ gen sowie mit kognitiven Funktionsstörungen (Schultevoerder et al. 2013). Als altersspezifische psychische Komorbidi­ tät sind in erster Linie demenzielle Störungen unterschiedlichen Schweregrades zu berücksich­ tigen. Dabei hat sich gezeigt, dass das Vorhan­ densein einer PTBS im Alter das Risiko erhöht, an einer demenziellen Störung zu erkranken (Flatt et al. 2018). Aber auch störungsunspezifi­ sche Beeinträchtigungen (z. B. Mobilität, Selbst­ fürsorge, Alltagsgestaltung) sind verbunden mit dem Vorhandensein von PTBS.  So zeigt sich, dass diese Beeinträchtigungen viel gravierender bei älteren Menschen mit PTBS sind als bei äl­ teren Menschen ohne PTBS (Byers et al. 2014). In Hinblick auf das Altern an sich konnten Hin­ weise darauf gefunden werden, dass das Vorhan­ densein einer PTBS zu einem beschleunigten Alterungsprozess führt, ebenso zu einer frühe­ ren Mortalität (Lohr et al. 2015). 26.2  Diagnostische

Besonderheiten

Eine retrospektive Erhebung traumatischer Ereignisse in früheren Lebensphasen heute äl­ terer Patienten ist erschwert. Trotzdem sollte sie integraler Bestandteil der Anamnese sein. Viele ältere Menschen sprechen eigene trau­ matische Erfahrungen nicht von sich aus an. Häufig auch, weil das Bewusstsein für einen möglichen Zusammenhang zwischen den traumatischen Erfahrungen und der aktuellen Psychopathologie nicht ausgeprägt ist.

Grundsätzlich können im Rahmen der PTBS-­Diagnostik älterer Menschen die übli­ chen Instrumente Anwendung finden, deren Vor- und Nachteile in 7 Kap.  8 differenziert dargestellt sind. Hierbei ist jedoch zu beach­ ten, dass es abschließend noch nicht geklärt ist, ob die bestehenden Grenzwerte (d. h. „Cutoffs“) für die Einteilung von Schweregraden bzw. zum Hinweis auf das Vorliegen einer Dia­ gnose auch für ältere Menschen reliabel und valide sind. Bisher zeigt sich, dass es eine ver­ gleichbare Einteilung des Schweregrades der PTBS-­ Symptomatik in „gering“, „moderat“ und „hoch“ über alle Altersgruppen hinweg gibt (Böttche und Knaevelsrud 2017). Auch ist altersspezifisch zu beachten, dass Messin­ strumente teilweise mehrere Fragen zu körper­ lichen Symptomen beinhalten und somit eine Unterscheidung zwischen psychischer und körperlicher Ursache der Symptomatik er­ schwert sein kann. Hier wird auf die Verände­ rungen in der ICD-11 hingewiesen, die diese störungsübergreifenden körperlichen Symp­ tome aus der PTBS-Definition gestrichen hat. Bei der differenzierten Bewertung der Test­ ergebnisse sollten die folgenden Faktoren eine spezifische Berücksichtigung finden (Cook und O’Donnell 2005).  

Bewertung der Testergebnisse Älterer 55 Ältere Menschen verschweigen bzw. dissimulieren häufiger posttraumatische Symptome, da sie sich aufgrund ihrer Sozialisation eher schämen, unter psychischen Beeinträchtigungen zu leiden. Generell kann als Kohorteneffekt beobachtet werden, dass Selbstöffnung weniger positiv bewertet wird als bei Jüngeren. 55 Im Rahmen der Gender Studies konnte gezeigt werden, dass insbesondere ältere Männer ein Rollenbild gelernt haben, das psychische Belastung mit Schwäche gleich-

517 Gerontopsychotraumatologie

setzt. („… zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl …“). 55 Auch muss Berücksichtigung finden, dass die „psychotraumatologische Perspektive“ auf gesellschaftshistorische Ereignisse in den prägenden Jahren der heute älteren Menschen noch nicht entwickelt war: Der Begriff „posttraumatische Belastungsstörung“ wurde erst 1980 in die diagnostische Nomenklatur eingeführt. Dies kann auch aus Unkenntnis zu einer Bagatellisierung eigener traumatischer Erfahrungen führen. 55 Die größere Lebensspanne älterer Menschen führt zu einer höheren Prävalenz multipler, zeitlich distinkter Traumatisierungen. Deswegen muss die Anamneseerhebung über aktuelle Traumatisierungen hinaus auch zurückliegende Traumata erfassen.

26.3  Traumatherapie bei Älteren 26.3.1  Zugänglichkeit und

Inanspruchnahme von Psychotherapie

Trotz der bedeutsamen Prävalenzraten von Traumafolgestörungen bei älteren Menschen sind diese in der ambulanten psychotherapeu­ tischen Versorgung deutlich unterrepräsentiert (Byers et  al. 2012; Kruse und Herzog 2012; Troller et  al. 2007). Die niedrige Rate der In­ anspruchnahme psychotherapeutischer Unter­ stützung durch Ältere ist dabei verschiedenen Aspekten geschuldet, die sowohl aufseiten des Therapeuten als auch aufseiten des Patienten zu finden sind. So finden sich erst in den letzten Jahren entsprechende gerontopsychiatrische/-psycho­ therapeutische Fachliteratur ebenso wie ver­ einzelte altersspezifische Fort- und Weiterbil­

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dungen für Fachpersonal. Dabei mangelt es noch an evidenzbasierten verbreiteten spezifi­ schen Konzepten für die psychotherapeutische Behandlung älterer Menschen. Bestehende gesellschaftliche Altersbilder tragen dazu bei, dass ältere Patienten verhältnismäßig selten in eine ambulante Psychotherapie aufgenommen werden, z. B.: 55 die Annahme, dass Ältere in geringerem Maße von Psychotherapien profitieren (Remmers und Walter 2012), 55 die Unterstellung von Veränderungsresis­ tenz, 55 die Annahme von altersspezifischem Verhalten (z. B. sozialer Rückzug, Schlaf­ störungen), 55 die Gleichsetzung von Alter mit Senilität, 55 Haltung des Psychotherapeuten gegenüber älteren Patienten (Peters et al. 2013). Andererseits hegen häufig nicht nur Therapeu­ ten, sondern auch ältere Menschen selbst be­ stimmte Vorurteile bzw. verfügen über eigene Altersbilder, die eine Inanspruchnahme von Psychotherapie verhindern (Übersicht siehe Kammerer et al. 2015). So nehmen ältere Men­ schen mit einem positiven Altersbild vermehrt psychotherapeutische/psychosoziale Versor­ gungsleistungen in Anspruch als Menschen mit negativem Altersbild (Kessler et al. 2015). Auch die Tatsachen, dass ältere Menschen eine weniger ausgeprägte Tendenz haben, den Be­ darf an psychologischen Hilfen wahrzuneh­ men (Mackenzie et  al. 2010) und sie die psy­ chische Hilfebedürftigkeit weniger zugeben (Maercker et  al. 2005), stellen bedeutsame Hürden für eine Inanspruchnahme dar, zu­ sätzlich zu eher offensichtlichen Hindernissen wie eingeschränkte Mobilität oder die bereits genannte Angst vor Stigmatisierung (Arean et al. 2012). Stereotypen dieser Art können nicht nur zu selbsterfüllenden Prophezeiungen, sondern auch zu Fehldiagnosen und unangemessen ne­ gativen Heilungsprognosen führen (American Psychological Association, APA 2004).

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M. Böttche et al.

26.3.2  Gerontopsychotherapeuti-

Besonderheiten der Gerontopsychotherapie

sche Grundlagen

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Zur Spezifik der Alterspsychotherapie gehört ein fundiertes Wissen über körperliche Er­ krankungen im Alter und deren Behandlungs­ standards. Aufgrund der erwähnten paralle­ len körperlichen und potenziell auch sozialen Probleme ist eine enge Vernetzung des Unter­ stützungsnetzwerkes (Hausarzt, Fachärzte etc.) hilfreich (APA 2004). Wissen über lebensge­ schichtliche Zusammenhänge, Normen und Werte verschiedener Altersgruppen können dazu beitragen, Hürden zu überwinden. Eine Auseinandersetzung mit eigenen Ängsten, Vorstellungen von Alter, Tod und Sterben so­ wie der Umgang mit der begrenzten Lebenszeit dieser Patientengruppe helfen, auf therapeuti­ scher Seite Berührungsängste abzubauen. Eine altersbedingte Abnahme fluider In­ telligenz, langsamere Lernprozesse und sen­ sorische Beeinträchtigungen bedingen not­ wendigerweise ein reduziertes Arbeitstempo, häufigere Wiederholungen und das Einbezie­ hen verschiedener Medien (z.  B. schriftliche Materialien). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die meisten altersbezogenen kognitiven Veränderungen (u. a. längere Reaktionszeiten, Verlangsamung bzgl. der Informationsver­ arbeitung) moderat sind und keine signifikan­ ten Beeinträchtigungen im Alltag verursachen (APA 2004). Die Exploration bestehender sozialer Kon­ takte bzw. ggf. die Initiierung und Stärkung sozialer Unterstützungsmöglichkeiten hilft, Behandlungseffekte zu vertiefen. Angehörige sollten so früh wie möglich in den therapeuti­ schen Prozess eingebunden werden. Die soziale Reintegration ist v. a. vor dem Hintergrund der empfundenen Isolation und Einsamkeit sowie des Unverständnisses ein wichtiger Bestand­ teil. Die Reaktionen des sozialen Umfeldes (Bagatellisierung: „Es ist doch schon so lange her“; Vorwürfe: „Warum habt ihr/haben eure Eltern damals nicht früher reagiert“; peinliche Betroffenheit) beeinflussen die Bewältigung der traumatischen Erfahrung maßgeblich.

55 Berücksichtigung komorbider psychischer und somatischer Symp­ tome 55 Wissen über lebensgeschichtliche Zusammenhänge, Normen und Werte verschiedener Altersgruppen 55 Anpassung an langsamere Lernprozesse und sensorische Beeinträchtigungen 55 Enge Vernetzung des Unterstützungsnetzwerkes 55 Soziale (Re)integration 55 Auseinandersetzung mit eigenen Ängsten, eigenen Vorstellungen von Alter, Tod und Sterben und dem Umgang mit der begrenzten Lebenszeit dieser Patientengruppe

26.3.3  Gerontopsychotherapeuti-

sche Ansätze der PTBSTherapie

Grundsätzlich finden die evidenzbasierten The­ rapieverfahren der Expositionstherapie (7 Kap. 13), der kognitiven Therapie (7 Kap. 13), EMDR (7 Kap. 14) und der narra­ tiven Verfahren (7 Kap. 16) auch in der PTBSTherapie älterer Menschen Verwendung. Für die Therapie der PTBS in Erwach­ senenpopulationen gibt es mittlerweile eine Reihe empirisch gut evaluierter und wirksamer kognitiv-behavioraler Behandlungsansätze. Watts et al. (2013) fanden in ihrer Metaanalyse eine Durchschnittseffektstärke von d = 1.26 für kognitiv-behaviorale Interventionen. Anzu­ merken ist hier, dass die meisten inkludierten Studien dieser Metaanalyse nicht auf Altersef­ fekte eingegangen sind, da die Stichprobe der über 65-Jährigen vorher exkludiert wurde oder zu gering war, um Aussagen über die Evidenz treffen zu können. Zu Behandlungsansätzen bei älteren Pa­ tienten mit PTBS gibt es bisher kaum adäquate  







519 Gerontopsychotraumatologie

psychotherapeutische oder psychopharmako­ logische Interventionsstudien. Konzepte zur Behandlung älterer Traumaüberlebender wur­ den bisher mehrheitlich in Form von Fallstu­ dien und unkontrollierten Studien veröffent­ licht. Dabei wurden meistens Konzepte aus der allgemeinen PTBS-Intervention übernommen, allerdings ohne ausreichende empirische Basis (Böttche und Knaevelsrud 2017). So zeigen erste Pilotstudien, dass die Traumakonfrontation zu einer signifikanten Reduktion der PTBS-Symptome bei älteren Menschen führt (Thorp et al. 2012; Yoder et al. 2013), und somit diese Behandlungsmethode, die in der nationalen Leitlinie (S3-Leitlinie PTBS, Flatten et  al. 2011) als Methode der Wahl ausgewiesen ist, auch bei älteren Men­ schen mit PTBS anwendbar zu sein scheint. Randomisiert-kontrollierte Studien in der Behandlung der PTBS bei älteren Menschen gibt es momentan für die narrativen Verfah­ ren, die eine Kombination aus Lebensrückblick und Traumakonfrontation darstellen. Hier gibt es zwei Studien, die die Wirksamkeit dieses Therapieansatzes, d.  h. einen signifikanten Rückgang der PTBS-Symptomatik für diese Alterskohorte, zeigen konnten (Bichescu et al. 2007; Knaevelsrud et al. 2017). Dabei handelt es sich jeweils um Kohorten, deren Traumati­ sierung in früheren Lebensphasen zu verorten ist und die im hohen Alter aufgrund dieser Traumatisierung eine PTBS-­Symptomatik auf­ weisen. Nach dem Wissen der Autoren bestehen keine randomisiert-kontrollierten PTBS-Phar­ makostudien, die spezifisch auf ältere Patien­ ten mit PTBS ausgerichtet ist. Klinisch gelten die üblichen Empfehlungen der Geronto­ pharmakologie, also eine niedrigere Anfangs­ dosis und langsamere Aufdosierung der in 7 Kap.  19 ausführlich beschriebenen Sub­ stanzen.  

26.3.3.1  Lebensrückblicktherapie

Die Lebensrückblicktherapie (LRT; „Life-re­ view-­ therapy“) bietet eine Erweiterung the­ rapeutischer Ansätze speziell für das höhere

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Lebensalter. In der LRT wird die Lebensge­ schichte in einem therapeutisch angeleiteten Prozess chronologisch erinnert, strukturiert und bewertet. Die LRT, die ebenfalls zu den narrativen Therapien zählt (für eine ausführli­ che Beschreibung der narrativen Therapie wird auf 7 Kap.  16 verwiesen), wurde bereits in der Behandlung von älteren depressiven Patienten als wirksam erachtet (Metaanalyse von Bohl­ meijer et  al. 2003) und fand durch Maercker (2002) eine Anpassung an ältere Menschen mit PTBS-Symptomatik. Hier wird neben der all­ gemeinen biografischen Arbeit der Fokus auf die Bearbeitung des Traumas gelegt. Neben der Erarbeitung einer kohärenten Lebensge­ schichte soll die Integration des belastenden Erlebnisses in die Lebensgeschichte des älte­ ren Menschen erfolgen. Das wesentliche Ziel der Lebensrückblicktherapie besteht darin, früheren Lebensabschnitten eine veränderte Bedeutung beizumessen, sodass die negati­ ven traumabezogenen Erinnerungen nicht die positiven biografischen Erinnerungen domi­ nieren. Ziel dieses Ansatzes sind 55 Symptomreduktion, 55 Förderung von Wohlbefinden, 55 Vergangenheitsbewältigung, 55 Wiederherstellung des Selbstwertgefühls, 55 Trauerarbeit, 55 bessere Lebensqualität und -bewältigung.  

Damit wird die LRT dem Bedürfnis gerecht, das eigene Leben zu bilanzieren und darin ei­ nen Sinn zu finden (Maercker 2002). In der LRT wird das traumatische Erlebnis wiedererzählt und nicht in sensu wiedererlebt. Dies trägt einerseits der Tatsache Rechnung, dass das Erstellen eines kohärenten Narrativs und nicht primär das sensorische Wieder­ erleben als zentrales therapeutisches Agens gilt. Andererseits kann die Gesundheit älterer Patienten bereits eingeschränkt sein, und es muss von einer erhöhten komorbiden respira­ torischen bzw. kardiologischen Vulnerabilität ausgegangen werden. An dieser Stelle ist eine somatische Abklärung wichtig. Jedoch zeigen

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M. Böttche et al.

erste Pilotstudien, dass eine Traumakonfron­ tation bei älteren Menschen mit PTBS durch­ führbar und wirksam zu sein scheint (Thorp et al. 2012; Yoder et al. 2013). Für eine ausführ­ liche Beschreibung zum Vorgehen und zu der Wirkweise der LRT bei traumatisierten älteren Menschen wird auf Knaevelsrud et  al. (2012) verwiesen. 26.3.3.2  Integrative Testimonial

Therapy

26

Exemplarisch soll hier ein Projekt vorgestellt werden, in dem traumatisierte Kriegskinder, die im Alter unter den psychischen Folgen ihrer Erlebnisse leiden, behandelt werden. Aufbauend auf den Fallstudien von Maercker (2002) und der narrativen Expositionsthera­ pie (Schauer et  al. 2005) wurde die integra­ tive Testimonial Therapie ([ITT]; Knaevels­ rud et al. 2011, 2017) entwickelt. Die ITT ist eine internetgestützte Schreibtherapie, die biografische Ansätze mit denen der Zeug­ nistherapie kombiniert und zusätzlich auf traumabezogene dysfunktionale Kognitionen fokussiert. Ähnlich wie in der narrativen Ex­ positionstherapie geht es einerseits um eine raumzeitliche Verortung der traumatischen Erlebnisse in der frühen Vergangenheit durch eine chronologische Rekonstruktion der Le­ bensgeschichte. Darüber hinaus werden per­ sistierende dysfunktionale Kognitionen expli­ zit bearbeitet. Ziel der ITT sind 55 Einordnung der traumatischen Erinnerun­ gen in das autobiografische Gedächtnis, 55 Veränderung von problematischen Inter­ pretationen und Bewertungen der trauma­ tischen Erfahrungen und deren Konse­ quenzen, 55 Verbesserung der Lebensqualität in den werteorientierten Bereichen. Die Therapie findet über das Internet statt. In 6 Behandlungswochen schreiben Patienten in jeweils 45  min insgesamt 11 Texte. In der persönlichen Rückmeldung des Therapeuten erhalten die Patienten Instruktionen für die darauffolgenden Texte.

Vorteile von internetbasierten Therapien Die Wirksamkeit von internetbasierten Therapien zur Behandlung der PTBS bei Erwachsenen konnte bereits nachgewiesen werden (Küster et al. 2016). Die Integration neuer Medien bietet sich auch besonders in dem Kontext der Gerontopsychotherapie an. Einige bereits genannte Hürden für die Inanspruchnahme einer Psychotherapie bei älteren Menschen können durch internetbasierte Angebote überwunden werden. So kann durch die geografische Unabhängigkeit die Hürde der eingeschränkten Mobilität entkräftet werden. Die Angst vor Stigmatisierung kann durch die nichtvisuelle Anonymität reduziert werden. Auch scheinen die Öffnung und das Mitteilen von angst-, scham- und schuldbesetzten Themen im nichtvisuellen Kontext leichter zu sein. Mit ca. 15,9 Millionen aktiven Nutzern im Internet über 60 Jahren in Deutschland hat dieses Medium bereits jetzt eine hohe Reichweite (Koch und Frees 2017)

In insgesamt 7 Texten werden die einzelnen Lebensphasen betrachtet und chronologisch niedergeschrieben. Allen Schreibanleitungen wird eine Aufstellung charakteristischer Le­ bensereignisse und -erfahrungen, die mit die­ ser Lebensphase einhergehen bzw. historisch in dieser Lebensphase aufgetreten sind, beige­ fügt (z. B. Bau der Mauer, Fall der Mauer). Be­ vor die Lebensphase beschrieben wird, in der das Trauma stattgefunden hat, beschreiben die Patienten in 2 Texten dieses vergangene trau­ matische Ereignis. In diesen 2 Texten wird das Erlebte mit allen sensorischen Details, körper­ lichen und emotionalen Reaktionen beschrie­ ben. In der abschließenden Phase verfassen die Patienten einen Brief an das damalige Kind, das sie zum Zeitpunkt der traumatischen Er­ fahrung waren. Negative Überzeugungen und Selbstvorwürfe als Folge des traumatischen Er­ eignisses stellen sich häufig als zentrale hand­ lungsweisende Schemata heraus. Mithilfe der Erarbeitung und Bewusstwerdung eigener Fä­ higkeiten und Kompetenzen werden persistie­ rende dysfunktionale Kognitionen bearbeitet. Fallbeispiel aus der ITT – Bearbeitung von Kriegserlebnissen Bei einem Bombardement der Alliierten auf seine Heimatstadt im Jahr 1943 befand sich der heute 79-jährige Herr H. mit seiner Familie

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im Luftschutzkeller. Das Haus stürzte aufgrund einer einschlagenden Bombe zusammen. Herr H. und seine Familie lagen für mehrere Stunden verschüttet unter den Trümmern. Herr H., damals 4-jährig, berichtet von Schreien von Menschen, die Angst gehabt hätten zu ersticken und panisch versucht hätten, mit ihren Händen einen Weg freizugraben. Das Gefühl der Enge und der Luftknappheit spüre er noch heute in beklemmenden Situationen oder in geschlossenen Räumen. Häufig erlebe er die Stunden im Keller wieder und sehe die „erstarrten Gesichter“. Er leide unter Schlafstörungen, da die Erlebnisse immer wieder in seinen Träumen auftauchten.

zz 1. Phase – Traumanarrativ (gemäßigte Exposition)

Die ITT betrachtet sowohl die Biografie von Herrn H. als auch sein Trauma zum Zeitpunkt der entsprechenden Lebensphase. Um eine Einbettung des Traumas zu erleichtern, wer­ den die Texte zum Trauma, hier der Verschüt­ tung, vor der entsprechenden Lebensphase geschrieben. Daher beginnt Herr H. mit dem Traumanarrativ. Fortsetzung des Fallbeispiels Herr H.: Traumanarrativ T: „Die Beschreibung des Traumas ist ein wich­ tiger Bestandteil für dessen Verarbeitung. Doch weil die Erinnerungen an das Gesche­ hene sehr belastend sind, werden sie häufig weggeschoben und verdrängt … Versuchen Sie sich daher intensiv auf die damalige Situ­ ation zu konzentrieren. Ziel ist, das trauma­ tische Ereignis so detailliert wie möglich, mit allen Wahrnehmungen zu beschreiben … Versuchen Sie, sich beim Schreiben auf die für Sie am belastendsten Erinnerungen zu kon­ zentrieren, an die Szenen, die Ihnen immer wieder in den Kopf kommen.“ P: „Ein Geräusch ist zu hören, es kommt näher. Ein dumpfer Schlag, ich kann nichts mehr hören. Alles wackelt, alle schreien. Ich kann

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nichts mehr sehen. Wieder laute und ganz schlimme Schreie. Ich will das nicht hören. Ich will nicht. Ich weiß nicht, ob ich schreie oder ganz stumm bin … Das Atmen wird schwerer, meine Mama versucht mich zu be­ ruhigen, aber ich weiß, dass sie am liebsten auch schreien möchte …“

zz 2. Phase – Biografiearbeit

Nachdem Herr H. die Bombardierung be­ schrieben hat, beginnt er, seine Biografie nie­ derzuschreiben. Dabei erhält er genaue An­ haltspunkte zu den einzelnen Lebensphasen, die ihm helfen sollen, sein Leben zu erinnern und die Ereignisse in seiner Biografie zu ord­ nen. Es stehen aber nicht nur die bloßen Er­ eignisse im Vordergrund, sondern auch seine Gefühle und Gedanken in den jeweiligen Si­ tuationen. Herr H. ging nach dem Krieg zur Schule und machte seinen Abschluss. Im Alter von 25 Jahren hat er geheiratet und zusammen mit seiner Frau 2 Söhne bekommen. Er arbei­ tete als Schlosser in einem großen Betrieb und blieb dort bis zur Berentung. Er lebt mit seiner Frau zusammen in einer kleinen Wohnung. Seine beiden Söhne leben mit ihren Familien in der Nähe, sodass er seine Enkelkinder oft sehen kann. Die Symptome, die er nach dem Angriff entwickelt hatte, begleiteten ihn in unter­ schiedlicher Intensität kontinuierlich in sei­ nem Leben. In den letzten Jahren nach der Berentung nahmen seine Schlafstörungen und auch das Wiedererleben stark an Intensität zu. Fortsetzung des Fallbeispiels Herr H.: Biografiearbeit T: „In den kommenden Wochen geht es darum, Ihre Biografie anhand einzelner Lebenspha­ sen zu rekonstruieren. Das Ziel dieser Arbeit ist, die teilweise bruchstückhaften Erinnerun­ gen und Ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und in Ihre Biografie einbetten zu können … In der jetzigen Lebensphase haben Sie sich entschieden, eine Therapie anzufangen. Wie geht es Ihnen dabei? Was waren Ihre Hoffnungen? …“

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M. Böttche et al.

P: „In diesem Jahr bin ich viel mit meinen Enkel­ kindern unterwegs. Wir fahren oft zusammen ins Grüne. Ich liebe meine Enkelkinder … Ich möchte wieder ein ganz normaler Opa für meine Enkelkinder sein. Ich möchte mit ihnen Verstecken und Fangen spielen können, ohne Angst zu haben und ohne Beklemmungen zu bekommen.“

zz 3. Phase – kognitive Restrukturierung

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Herr H. ist mit seiner Biografie in der Gegen­ wart angekommen. Er hat sein Leben mit allen für ihn wichtigen und prägenden Ereignissen niedergeschrieben  – zusammen mit seinen Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen. In der jetzigen Phase geht es darum, einen würdigen Abschluss zu finden. Diese Texte sollen einen Brief bilden, in dem Herr H. aus seiner jetzigen Sicht, mit all seinen Erlebnissen und Erfahrungen, aufbauende und unterstüt­ zende Worte für das Kind von damals findet, das mit solch schrecklichen Erlebnissen kon­ frontiert war. Fortsetzung des Fallbeispiels Herr H.: Abschluss T: „Um Ihre Gedanken und Gefühle, wie Schuld und Hilflosigkeit, besser einordnen zu können, geht es in Ihren beiden folgenden Texten da­ rum, einen Brief zu schreiben, in dem Sie Ihre Verschüttung aus einer anderen Perspektive betrachten…. Verfassen Sie aus Ihrer heuti­ gen Sicht einen aufbauenden Brief an sich selbst, als das damalige Kind. … Dieser Brief soll dem Kind Rat geben in seinem Umgang mit dem Bombenangriff und mit seinen Ge­ fühlen, die es währenddessen hatte. … Bevor Sie den Brief beenden, bitte ich Sie, für sich zu überlegen, wie Sie den Bombenangriff jetzt in Ihrem Leben einordnen. Wie Sie Ihre Gefühle und Gedanken jetzt beschreiben würden und wie Sie zukünftig damit umgehen wollen.“

P: „Lieber M., die Verschüttung in deiner Kindheit hat dich dein ganzes Leben lang begleitet. Du hast die Angst und die Hilflosigkeit immer in dir gespürt, sie hat dich immer begleitet und

immer beeinflusst. Du hast überlebt, weil du dich damals richtig verhalten hast  – hast ge­ wartet, gehofft und warst ganz starr und steif – eingewickelt in Tüchern, sodass kein Staub zu dir durchdringen konnte. … Das alles hat dich stark gemacht. Diese Stärke hast du in deinem ganzen Leben immer wieder bewiesen. Auch wenn es schwer war und du ganz verzweifelt warst, wie damals unter all dem Schutt, hast du gekämpft. Darauf kannst du stolz sein. Danke.“

Ein wichtiger therapeutischer Aspekt ist neben der biografischen Aufarbeitung der trauma­ tischen Erfahrung das Dokumentieren und Niederschreiben des Erlebten. Cienfuegos und Monelli (1983) haben die Relevanz der Zeugenschaft im Rahmen der von ihnen ent­ wickelten „Testimony Therapy“ nachgewiesen. Die Transkripte der Therapien, die von dem Pa­ tienten und dem Therapeuten unterschrieben wurden, konnten je nach Bedarf des Patienten veröffentlicht und an Menschenrechtsorgani­ sationen, Familie oder Freunde weitergegeben werden. Auch bei der ITT spielt dieser Aspekt eine wichtige Rolle. Patienten können sich am Ende der Therapie ihre Lebensgeschichte aus­ drucken und entscheiden, ob sie diese mit ih­ ren Angehörigen teilen wollen. 26.3.4  Indikationen

Die Indikation für eine spezifische Form der psychotraumatologischen Alterspsychothera­ pie ist u.  a. abhängig von folgenden Faktoren (Cook et al. 2005): 55 primäre und sekundäre manifeste klini­ sche Störungen, 55 Schwere und Dauer der Störung (akute vs. chronische PTBS), 55 kognitive Leistungsfähigkeit/Einschrän­ kungen, 55 bestehende Bewältigungskompetenzen, 55 motivationale und kulturelle Vorausset­ zungen. Hinzu kommen bisherige Psychotherapie­ erfahrungen und -reaktionen. Für den the­

523 Gerontopsychotraumatologie

rapeutischen Ansatz ist eine Differenzierung bzgl. des Zeitpunktes des traumatischen Ereig­ nisses hilfreich. Ein traumatisches Ereignis in den frühen Lebensjahren, dessen psychische Folgen entweder chronisch oder nach zeitli­ cher Verzögerung auftreten, bedarf eines eher biografisch orientierten Ansatzes. Ein Trauma, das erst im hohen Alter eintritt bzw. erlebt wird (z. B. Erleben eines Herzinfarktes, Über­ fall etc.) kann auch ohne eine biografische Auf­ arbeitung gut behandelt werden. >> Die Zahl der Patienten mit PTBS wird aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmen. Es ist daher ethisch unabdingbar, sowohl eine adäquate Traumaanamnese durchzuführen, um Traumafolgestörungen zu erkennen und einordnen zu können, als auch entsprechende wirksame evidenzbasierte Therapieansätze anzuwenden.

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527

Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten A. Maercker 27.1

Unterschiedliche Therapieanlässe – 528

27.2

 esonderheiten und Schwierigkeiten von B Patientenseite – 529

27.2.1 27.2.2

I nanspruchnahmeverhalten von Patienten – 529 Abbruchraten bei PTBS-Therapien – 531

27.3

Schwierigkeiten von Therapeutenseite – 532

27.3.1 27.3.2

 elastende Traumaschilderungen – 532 B Reaktionsformen von Therapeuten gegenüber Traumapatienten – 533 Parteilichkeit für den Patienten – 535 Negative gesellschaftliche Grundstimmung gegenüber Traumatisierten – 535

27.3.3 27.3.4

27.4

 herapeutische Beziehung und therapeutisches T Vorgehen – 536

27.4.1 27.4.2

 ufbau einer vertrauensvollen Beziehung – 536 A Therapieziele und Planung einer Therapie – 538

27.5

Selbstfürsorge für Therapeuten – 541

27.5.1 27.5.2

S ekundäre Traumatisierung – 541 Was ist zu tun? – 542

Literatur – 543

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5_27

27

528

27

A. Maercker

Nicht jeder Therapeut hält sich für geeignet und bereit, mit der schwierigen Gruppe von Trauma­ patienten zu arbeiten. Die Schrecken, Verluste und Beschädigungen, mit denen man als The­ rapeut konfrontiert ist, können zu Belastungs­ zuständen („sekundäres Trauma“ oder Zeugen­ trauma) führen, die ein gesondertes Kapitel zur Bewältigung dieser Herausforderungen rechtfer­ tigen. Einen wichtigen Stellenwert nehmen daher die besonderen Schwierigkeiten von Patienten ein, die insbesondere Opfer zwischenmenschli­ cher Gewalt waren. Die aversiven interpersonel­ len Folgen von Traumatisierungen manifestieren sich auch im therapeutischen Kontakt und kön­ nen den Therapieerfolg erheblich beeinträchti­ gen, falls die damit verbundenen Probleme nicht adäquat reflektiert werden. 27.1  Unterschiedliche

Therapieanlässe

Es sind unterschiedliche traumatische Erleb­ nisse und Behandlungsmotive, die Betroffene dazu führen, einen Therapeuten aufzusuchen. Verschiedene Patientengruppen haben unter­ schiedliche Vorstellungen (subjektive Theorien) von den Traumawirkungen und ihrem jetzigen Zustand. Die am häufigsten anzutref­ fenden Therapiesuchenden sind dabei: 55 Menschen nach Traumata, die sie vor sehr kurzer Zeit (d. h. einige Tagen oder wenige Wochen) erlebt haben. Die Betroffenen – oder die für sie Sorge tragenden Angehöri­ gen – suchen primär nach einer aktuellen Betreuung und nicht nach einer länger dauernden Psychotherapie. Diagnostisch kann eine akute Belastungsreaktion (ICD: F43.0) vorliegen; die Interventionen wer­ den in 7 Kap. 10 dargestellt. 55 Menschen nach vor Kurzem erlebten Traumata, die eine Beratung oder Psycho­ therapie suchen. Insbesondere für diese Konstellation sind die vorgestellten Thera­ pien in diesem Buch indiziert. 55 Menschen, die vor Jahren oder Jahrzehnten ein Trauma durchgemacht haben, an das sie sich genau erinnern können, dessentwegen sie aber früher keine psychotherapeutische  

Hilfe aufsuchten. Beispiele sind: Misshand­ lungen oder sexueller Missbrauch in der Kindheit, Kriegserlebnisse, miterlebte dra­ matische Todesfälle. Auch für diese chroni­ schen posttraumatischen Verläufe sind die Therapien in diesem Buch dargestellt. 55 Menschen, die (wie in den beiden vorge­ nannten Gruppen) ein Trauma vor Kurzem oder Längerem erlebt haben, die aber nicht wegen der Traumafolgen in Behandlung kommen, sondern wegen anderer psychi­ scher oder körperlicher Probleme. Dieses ist bis heute die häufigste Konstellation bei Patienten mit PTBS. Die traumatischen Erlebnisse werden erst im Verlaufe der be­ gonnenen Therapie berichtet und erfordern meist eine Umstellung des Behandlungs­ plans auf eine traumafokussierte Therapie. 55 Menschen, die unfreiwillig in eine Be­ ratung oder Therapie kommen, bei denen aber eine Traumaanamnese offensichtlich ist (z. B. Straftäter, Suchtkranke). Diese wachsende Gruppe von Menschen würde von einer traumafokussierten Therapie profitieren; zunächst müssen aber die dies­ bezüglichen motivationalen Probleme mit ihnen geklärt werden. 55 Menschen, die eine psychotherapeutische Be­ handlung aufnehmen wollen, um eine Klä­ rung über ein mögliches früheres Trauma zu erreichen, das ihnen selbst entweder gar nicht mehr oder nur bruchstückhaft erinnerlich ist. Insbesondere liegen bei diesen Patienten Vermutungen über Vergewaltigungen oder sexuellen Missbrauch in der Kindheit vor. Diese seltene Konstellation kann allerdings besonders schwierig sein (Stichwort: „recovered memories“; für einen Überblick: Da­ vies und Dalgleisch 2001). In der folgenden Übersicht sind einige Hinweise zum Umgang mit diesem Anliegen aufgelistet. Hinweise für den Umgang mit ­Patienten, die eine Klärung über ein mögliches früheres Trauma ­erreichen wollen 55 Es ist sinnvoll, nach externen, unabhängigen Belegen für eine frühere

529 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

Traumatisierung zu suchen. Gibt es z. B. Aussagen anderer „glaubwürdiger“ Personen, Belege aus medizinischen oder juristischen Dokumenten oder andere Materialien (z. B. Schulaktenvermerke), die die Aussage des Patienten belegen? 55 Der Therapeut kann nicht die Rolle eines Detektivs oder Untersuchungsrichters übernehmen. Die Kontakte zu anderen Personen sollten mit dem Patienten im Voraus abgesprochen werden. Juristische Befragungsstrategien (z. B. Konfrontation mit eigenen früheren Aussagen) verbieten sich im therapeutischen Kontext. 55 Ein suggestives diagnostisches oder therapeutisches Vorgehen vonseiten des Therapeuten verbietet sich, z. B. die Behauptung: „Bei anderen Patienten mit Ihrer Symptomatik lag in der Vergangenheit meist ein Missbrauchstrauma vor“. 55 Die Betroffenen sind in ihrem Leidensdruck, der sie zur Therapie geführt hat, ernst zu nehmen, und ggf. ist die Behandlung darauf auszurichten. Dies ist unabhängig von der Wahrscheinlichkeit, dass das angegebene oder vermutete Trauma real stattgefunden hat.

27

27.2.1  Inanspruchnahmeverhalten

von Patienten

Um die Kaskade möglicher Schwierigkeiten systematisch untersuchbar zu machen, haben Schreiber et al. (2009) ein schematisches Modell des Inanspruchnahmeverhaltens von Patienten mit PTBS entwickelt (. Abb.  27.1). Dieses Mo­ dell geht von mehreren Stufen der Behandlungs­ inanspruchnahme aus, bevor die Betroffenen tat­ sächlich eine Therapie beginnen. Aus dem abgebildeten Modell sollen im Fol­ genden ausgewählte Aspekte genauer erläutert werden. Dabei wird auf auch darauf eingegangen, dass diese Besonderheiten nicht nur vor Beginn einer Therapie, sondern auch in der ersten Phase des Therapieverlaufs deutlich werden können.  

27.2.1.1  Wissen über Traumatisie-

rung und Symptomatik

Die eigenen posttraumatischen Symptome (z. B. Alpträume, Schreckreaktionen, Phobien) werden zwar wahrgenommen und verursachen ausge­ prägtes Leiden, aber es besteht kein Wissen da­ rüber, dass diese Symptome zu einem kohärenten Störungsbild gehören, das auch behandelbar ist. Im Vergleich zum Alltagswissen über Depres­ sionen und Angststörungen ist das Alltagswissen über posttraumatische Belastungsreaktionen sehr gering ausgebildet, was natürlich das aktive Hilfe­ suchen der Betroffenen erschwert. 27.2.1.2  Reaktionen des sozialen

27.2  Besonderheiten und Schwie-

rigkeiten von Patientenseite

Dass Patienten mit Traumafolgestörungen spät, gar nicht oder mit großen Vorbehalten eine Therapie beginnen, hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Dazu gehören Besonderheiten der Symptomatik, der damit verbundenen zwi­ schenmenschlichen Probleme sowie – ähnlich wie bei anderen psychischen oder medizini­ schen Problemen  – individuelle Motivations­ probleme (Leiner et al. 2012) bzw. strukturelle Voraussetzungen des Gesundheitssystems.

Umfeldes und soziale Unterstützung

Die Symptomatik der posttraumatischen Belas­ tungsstörung (PTBS) hat unmittelbare Folgen für die zwischenmenschliche B ­ eziehungsgestaltung der Betroffenen. So werden Partnerschaftskon­ flikte und Probleme im sozialen Umfeld explizit als Symptome der PTBS im DSM-5 und bei der komplexen PTBS im ICD-11 genannt. Umgekehrt – in Richtung vom Umfeld auf die Betroffenen – erleben die Traumatisierten häufig eine Aufforderung von ihren Bezugs­ personen, endlich Schluss mit dem Gedanken an das Geschehene zu machen. Hierbei fallen

530

A. Maercker

..      Abb. 27.1 Modellvorstellung der Probleme des Therapieinanspruchnahmeverhaltens von Traumapatienten. (Mod. nach Schreiber et al. 2009)

Basismodell

Beeinflussende Variablen

Traumatisierung Wissen über Traumatisierung und Symptomatik Reaktion des sozialen Umfeldes Problembewusstsein Soziale Unterstützung Selbstwertprobleme Einstellung zum Hilfesuchen Posttraumatische Vermeidung Erschüttertes Vertrauen

27

Behandlungsbereitschaft Praktische Durchführbarkeit Erwarteter Therapieerfolg Scham und Schuldgefühle Opfer-Täter-Beziehung Behandlungsabsicht

Erlebte strukturelle Barrieren (Gesundheitswesen) Kenntnis über Abläufe im Gesundheitswesen Eingreifen/Vermittlung Anderer

Tatsächliche Inanspruchnahme

Äußerungen wie „Das Leben geht doch wei­ ter“ und „Du solltest einfach nicht mehr daran denken“ (7 Abschn. 2.5.4.2).  

27.2.1.3  Selbstwertprobleme

Das Erfahren von absoluter Ohnmacht während des Traumas erschüttert das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl auf massive Art und Weise. Menschen, die wiederholt und chronisch trauma­ tisiert worden sind, leiden häufig an kognitiven Verzerrungen ihrer Selbstsicht und ihres Selbst­ wertgefühls sowie der Motivationen und Beweg­ gründe, die sie ihren Mitmenschen unterstellen (Pearlman und Courtois 2005). Diese dysfunktio­ nalen Kognitionen werden verstärkt, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt Enttäuschungen und weitere missbräuchliche Situationen wiederholen.

27.2.1.4  Einstellung zum Hilfesu-

chen und posttraumatische Vermeidung

Traumaopfer haben oft an sich selbst die Erwar­ tung, dass sie das Erlebte aus eigener Kraft „weg­ stecken“ müssten. Der eigene Leidensdruck wird zumindest teilweise externalisiert. Viele Betrof­ fene bleiben bei dem Gedanken stehen, dass es für das Trauma eine äußere Ursache bzw. einen Täter (oder Unfallverursacher) gibt. Die erlebten psychischen Beeinträchtigungen werden als von außen kommende Beschädigungen erlebt. Dazu kommen ausprägte Tendenzen, sich nicht den eigenen traumatischen Erinnerungen zu stellen, die als PTBS-Symptome der Gedan­ ken- und Gefühlsvermeidung gewertet werden können. Viele Betroffene haben die dysfunk­

531 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

tionale Einstellung, ein „gelungener Gedanken­ stopp“ wäre das beste Hilfsmittel. Dagegen würde jedes An-das-Trauma-­Denken, einschließlich des Darüberredens gegenüber anderen und des Si­ chorganisierens von professioneller Hilfe, den eigenen Zustand nur verschlimmern. 27.2.1.5  Erschüttertes Vertrauen

Insbesondere Man-made-Traumata haben häu­ fig eine massive Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses zur Folge. Das Vertrauen in stabile menschliche Beziehungen wird durch die Erfahrung eines beabsichtigt zugefügten Trau­ mas oft zerstört. Die sichere Basis der Betroffe­ nen wird auf existenzielle Art und Weise infrage gestellt. Überlebende beschreiben häufig das Gefühl, sich zu der ehemals vertrauten Umge­ bung nicht mehr zugehörig zu fühlen. Herman (1993) weist in diesem Zusammenhang auf die als singulär erfahrene Tod-oder-Leben-Qualität des traumatischen Ereignisses hin, die bei Er­ fahrungen nichttraumatisierter Menschen in dieser Form nicht zu finden ist. Nicht selten reagieren Traumatisierte auf Menschen, die versuchen, sich ihrer Erlebnis­ welt zu nähern, mit Überempfindlichkeit. Das führt dazu, dass Traumaopfer ihre Umwelt und Mitmenschen sehr genau beobachten und sich schon bei geringsten Missverständnissen in ih­ ren Fremdheitsgefühlen bestätigt sehen. Es ent­ steht Angst vor Intimität verbunden mit einem hohen Maß an Verletzlichkeit bei sozialen Inter­ aktionen (Bleiberg und Markowitz 2005). Daraus entstehende Überreaktionen führen nicht selten tatsächlich zu einer Abwendung der Umgebung.

27

sind assoziiert mit einem niedrigen Selbstwert­ gefühl und Selbstvorwürfen (Andrews 1998). Ziel sollte also die Herstellung einer therapeu­ tischen Umgebung sein, in der Schamgefühle und Aggression in einem sicheren therapeu­ tischen Setting untersucht werden können. Durch Fokussierung der Therapie auf die mal­ adaptiven Überzeugungen des Patienten soll das Selbstwertgefühl wieder aufgebaut werden. Eine Möglichkeit Scham- und Schuldge­ fühle zu reduzieren, bieten Kontakte zu Men­ schen mit vergleichbaren Erfahrungen. Litera­ tur von anderen Betroffenen und Internetseiten, auf denen sich Patienten untereinander austau­ schen, können hierbei nützliche Dienste erwei­ sen. Im Vordergrund steht dabei die Erfahrung, dass andere Betroffene unter ähnlichen Folgen leiden, wodurch sich das Gefühl der Entfrem­ dung und Andersartigkeit reduzieren soll. 27.2.1.7  Erwarteter Therapieerfolg

Die empfundene emotionale Entfremdung der Betroffen wandelt sich folglich in eine reale Isolation. Solche Erfahrungen führen häufig dazu, dass Patienten mit PTBS aus Angst vor Unverständnis und weiteren Enttäuschungen zunächst vor einer Psychotherapie zurück­ schrecken. Vor allem zu Beginn bestehen meist ausgeprägte Zweifel an dem möglichen Nut­ zen einer Therapie. Dem Patienten fällt es oft schwer, dem Therapeuten zu vertrauen, wo­ durch sich die Phase, in der der Therapeut „auf die Probe gestellt wird“, über einen längeren Zeitraum ausdehnen kann.

27.2.1.6  Scham- und Schuldgefühle

27.2.2  Abbruchraten bei PTBS-

Chronisches Grübeln, warum sie das Ereig­ nis nicht verhindern konnten, und die Über­ zeugung, dass sie versagt haben, sind bei den Opfern mit Scham- und Schuldgefühlen asso­ ziiert. Typisch ist das Schuldgefühl, während oder nach dem Trauma etwas falsch gemacht zu haben bzw. dadurch das Unglück herbeigeführt bzw. nicht abgewendet zu haben. Von Schamge­ fühlen berichten in ganz besonderem Ausmaß die Patienten, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Sowohl Scham- als auch Schuldgefühle

Klinische Erfahrungen zeigen, dass bei nicht traumafokussierter Therapie die Patienten mit PTBS häufig mit der Therapie unzufrieden sind und diese frühzeitig beenden. Sehr hohe Ab­ bruchraten wurden ebenfalls für Pharmakothe­ rapien der PTBS berichtet, z. B. von über 60 % bei Fluoxetin und über 40 % bei Paroxetin (Lee et al. 2016). Die Abbruchraten bei spezifischen Traumatherapien sind dagegen vergleichbar mit

Therapien

532

27

A. Maercker

Abbruchraten bei anderen Diagnosegruppen, z. B. 20 % bei traumafokussierter Therapie (Lee et al. 2016). Insbesondere soll hierbei daraufhin hingewiesen werden, dass dies auch für Exposi­ tionsverfahren gilt. In der Literatur wird immer wieder angemerkt, dass Expositionsverfahren mit besonders hoher Belastung für Patienten einhergehen und in der Folge mit höheren Ab­ bruchraten verbunden sind. Hembree et  al. (2003) untersuchten 25  kontrollierte Studien zu kognitiven Verhaltenstherapien und zeigten, dass kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Drop-out-Rate zwischen Expositionsthe­ rapie, kognitiver Therapie, Stressimpfungstrai­ ning und EMDR („Eye movement desensitiza­ tion and reprocessing“) gefunden wurde. >> In den Reaktionen des Therapeuten auf den Patienten liegt eine wesentliche Ursache für Misserfolge in der Therapie mit Traumaopfern. Zentral für die Patient-Therapeut-Beziehung während der Erstkontakte ist die Fähigkeit für empathisches Nachfragen nach dem Erlittenen. Schwierigkeiten dabei gefährden nicht nur die therapeutische Beziehung, sondern auch den therapeutischen Prozess als Ganzes.

27.3  Schwierigkeiten von

Therapeutenseite

27.3.1  Belastende

Traumaschilderungen

Aufseiten des Therapeuten löst die Behand­ lung von Traumaopfern häufig starke Emotio­ nen aus. Traumaschilderungen sind oft bizarr, grausam und sadistisch. Beispiel 1: 27-jähriger Überlebender eines Flugschauunglücks Herr N. berichtet: Er stand mit seiner Frau K. zwischen den Zuschauern der Flugschau, als ein Flugzeug explodierte und niederstürzte. „Ich habe nur einen dumpfen Schlag ge­ spürt, dann sah ich einen riesigen Feuerball auf

mich zukommen. Es wurde furchtbar heiß, aber nur für eine Sekunde. … Dann habe ich mich im Kreis gedreht und im Radius von 20 Metern lagen Leute, die noch gelebt haben, aber nicht mehr sehr lange. Die waren furchtbar verbrannt oder verstümmelt. Überall lagen Menschenteile. Leute lagen herum, die noch gezuckt oder geschrien haben. Ich habe nur gesucht nach meiner K. Bin überall hingelaufen und habe mir das ganz ge­ nau angeschaut, weil ich die Leute ja nicht mehr erkannt habe. Ich wollte unbedingt meine  K. finden. Ich habe mir hinterher unheimliche Vor­ würfe gemacht, weil die Leute da so herumlagen und starben. Die haben einem nachgeschaut, und ich habe nur gedacht: Eine davon ist die K. … Und als man wieder an der gleichen Stelle vor­ beigelaufen war, lagen die Leute tot. Die Augen haben sich nicht mehr bewegt. Als ich mich auf die Suche gemacht habe, um die K. zu finden, bin ich auf einen Mann gestoßen, dem war ein Lkw auf die Beine gefallen, der war unten ganz zer­ quetscht. Von der Wand des Lkw lief brennendes Benzin, und der Mann hat lichterloh gebrannt, und ich habe gedacht: ‚Na, der brennt. Es ist nicht die K.‘ Ein halber Kopf lag vor mir; das war nur die Hinterseite von dem Kopf. Ich habe das Gesicht nicht gesehen und wollte ihn rumdrehen, aber ich habe es doch nicht fertiggebracht. Es hat ja um einen herum keiner mehr gelebt.“ Frau N. starb bei dem Unglück. Ihre Leiche konnte erst Tage später identifiziert werden. (In ZDF-Magazin „Kontakte“, Mai 2001).

Beispiel 2: 37-jährige Frau aus Bosnien Frau U. berichtet: Die Szene spielt in der Heimatstadt von Frau U. Es ist früher Abend, und sie befindet sich mit ihrem Mann und den beiden kleinen Kindern in ihrer Wohnung. Serbische Tschetniks stürmen das Haus, holen die Bewohner auf die Straße. Dort stehen schon viele Männer, Frauen und Kinder entlang einer Mauer aufgereiht. In den folgenden Stunden werden alle Männer getötet. Unter den Tschetniks befinden sich auch zwei ca. 17-jährige junge Frauen, die sich besonders grausam zeigen. Eine von ihnen ist die Tochter einer Arbeitskollegin von Frau  U.  Sie haben Messer und eine Art langstielige Sichel mit Drahtzug

533 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

als Mordinstrument. Den Männern werden die Glieder abgeschnitten und auf Draht zu „Ketten“ aufgezogen. Für diese Beute bekommen die Mörder viel Geld von ihren Anführern, sagt Frau U. Den Männern werden die Zungen herausgeschnitten, Kreuze in die Haut eingebrannt, die Kehlen aufgeschlitzt. Viel Blut fließt, überall ist Blut. Es sind keine Schreie des Entsetzens zu hören, kein Wimmern der Kinder. Nur die Geräusche des Tötens und Sterbens zerschneiden die Stille. Frau U. versucht, ihre Kinder vor diesem Anblick zu schützen, versteckt sie unter ihrem Rock. Immer wieder fällt sie in Ohnmacht. Am Ende des Massakers werden alle Frauen und Kinder abgeführt, die Toten bleiben liegen. Am nächsten Tag folgt ein langer Fußmarsch der gefangenen Frauen und Kinder bis zur nächsten Stadt. In einer Moschee werden viele der Frauen vergewaltigt, auch Frau U. … (Behandlungszentrum für Folteropfer 1994).

Die Beschreibungen lösen bei vielen Zuhören Entsetzen und Horror aus, teilweise aber auch Unwillen, sich solche Details anhören zu müs­ sen. Der Therapeut muss sich selbst mit der Existenz des Bösen und Tragischen in der Welt konfrontieren und sich dabei kontinuierlich mit seiner eigenen Verletzlichkeit auseinander­ setzen (Coleman et  al. 2018). Auch erfahrene Therapeuten sind häufig überwältigt von der Wucht der Berichte und haben Schwierigkei­ ten, auf diese Schilderungen professionell zu reagieren. Die therapeutischen Reaktionen können durch verschiedene Aspekte beeinflusst wer­ den, wie z. B. die Natur des Traumas, die per­ sönlichen Überzeugungen und E ­ instellungen des Therapeuten, die demografischen Eigen­ schaften des Patienten, Persönlichkeitseigen­ schaften der Haltung gegenüber traumatisier­ ten Patienten und institutionelle Ressourcen. Bei speziellen traumatisierten Gruppen (wie Kriegstraumatisierten oder Folterüberleben­ den) beziehen sich die Therapeutenreaktionen auf einen breiteren sozialen Kontext und wer­ den zusätzlich durch gesellschaftlich vorherr­ schende Einstellungen beeinflusst.

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Im Fall von Man-made-Traumata muss sich der Therapeut mit der bedrohlichen Seite der Menschheit konfrontieren, was man als „existential shame“ beschreiben kann, d. h. die Scham, dass so etwas Schreckliches überhaupt passieren kann (Danieli 1988). Zentrale Aufgabe des Therapeuten ist hierbei, die eigenen Gefühle der Traurigkeit, des Entsetzens und des Horrors auszuhalten und gleichzeitig der Frustration und dem Zynismus des Patienten über eine schreckliche Welt zu begegnen, ohne dabei die Hoffnungslosigkeit des Patienten zu verstärken. 27.3.2  Reaktionsformen von

Therapeuten gegenüber Traumapatienten

In Erstgesprächs- oder Therapiesituationen kann es dazu kommen, mit einer von zwei Ex­ trempositionen zu reagieren (s. folgende Über­ sicht). Wilson und Lindy (1994) haben ein Mo­ dell für extreme Therapeutenreaktionen (oder „Gegenübertragungen“) vorgeschlagen, in dem sie die Reaktionsformen entweder als vermei­ dend oder als überidentifizierend klassifizieren. Extreme Reaktionsstile von Therapeuten (nach Wilson und Lindy 1994) 55 Abwehr, Abwertung ȤȤ Abweisender Gesichtsausdruck ȤȤ Unwillen oder Unfähigkeit, die Traumageschichte zu hören, zu glauben oder zu verarbeiten ȤȤ Übermäßige Distanzierung ȤȤ Folgen ȤȤ Defensivität: nicht nachfragen ȤȤ Teilnahme an der „Verschwörung des Schweigens“ 55 Überidentifizierung ȤȤ Unkontrollierte eigene Affekte ȤȤ Rächer- oder Retterfantasien ȤȤ Rolle als Leidens- oder Kampfgenosse ȤȤ Folgen

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A. Maercker

ȤȤ „Hochspannung“ im therapeutischen Setting ȤȤ Grenzverlust ȤȤ Überlastungssymptome (Burnout)

27.3.2.1  Abwehr oder Abwertung

27

Eine vermeidende Reaktion des Therapeuten impliziert eine abwehrende und abwertende Haltung. Den Erzählungen des Patienten wird kein Glauben geschenkt, oder die Erlebnisse werden bagatellisiert. Auch fehlendes Nach­ fragen oder rasche Wechsel zu einem anderen Thema können Ausdruck einer solchen Haltung sein. Für die Patienten sind dies häufig vertraute Reaktionen. Vergleichbare Reaktionen beobach­ tete Danieli (1988) unter Psychotherapeuten, in Familien und der Gesellschaft auf Überlebende des Holocaust und fasste dieses Phänomen als „Verschwörung des Schweigens“ zusammen. Aus dem therapeutischen Kontext berichtete Dalenberg (2004), dass Patienten das Bagatellisie­ ren und Minimieren des traumatischen Erlebnis­ ses als Verrat seitens des Therapeuten wahrnah­ men. Problematisch ist auch eine möglicherweise gut gemeinte Überweisung zu einem „Spezialis­ ten“, nachdem der Patient von seiner Geschichte berichtet hat. Der Patient fühlt sich dadurch in seiner Angst bestätigt, er sei nicht zumutbar und würde fallengelassen, sobald er sich öffnet. 27.3.2.2  Überidentifikation

Gleichzeitig zeigt sich in der Behandlung von Traumatisierten auch eine Tendenz der Über­ identifikation. Das Zuviel an Empathie mit dem Patienten kann zu Überschreitung der therapeutischen Grenzen führen, wie z.  B. der V ­ ergabe der Privatnummer, Vergabe von außerordentlichen Terminen oder Überenga­ gement hinsichtlich der Belange des Patienten. Zum einen besteht hierbei die Gefahr, dass Hilfsmaßnahmen eher dem Wunsch des The­ rapeuten als dem des Patienten entsprechen. Zum anderen kann eine übermäßig direktive und versorgende Haltung des Therapeuten zu

einem verstärkten Hilflosigkeitserleben und damit einer ungünstigen Selbstwahrnehmung des Patienten führen. Somit wird eine inten­ sive Abhängigkeit vom Therapeuten gefördert und der Patient implizit aufgefordert, die Ver­ antwortung an den Therapeuten abzugeben. Letztlich führen diese Grenzüberschreitungen auch zu Erschöpfung, Überforderung und In­ effizienz des Therapeuten (Wilson und Lindy 1994). In einem solchen Zustand droht das Überengagement sich in Abwehr und Aggres­ sion zu verwandeln. 27.3.2.3  Unsichere Reaktionen

Die genannten Positionen sind sicher Extreme. Zwischen den Extremen gibt es viele Arten von Unsicherheiten, wie man als Therapeut auf traumatisierte Patienten reagiert. >> Ein wichtiger Grund für die Unsicherheit sind die Scheu bzw. Befürchtungen des Therapeuten, Inhalte und Details zu erfragen, die den Patienten in noch schwerere Belastungen hineinversetzten. Hier kann die Angst des Therapeuten eine Rolle spielen, der Patient könnte retraumatisiert werden.

Ein Teil der Unsicherheit kann aus Scham­ gefühlen der Therapeuten herrühren. Dies ist insbesondere bei sexuellen Traumata der Fall. Der scheinbare Ausweg für Therapeuten, den beschriebenen Unsicherheiten zu ent­ gehen, kann darin bestehen, sich am Zögern des Patienten „festzuhalten“, seine trauma­ tischen Erlebnisse nicht berichten zu wollen (z.  B. wenn der Patient äußert: „Es fällt mir schwer, zu erzählen, was damals passierte“). Patienten sagen solche zögernden Sätze oft­ mals aus einer ambivalenten Einstellung he­ raus. Einerseits fällt es ihnen schwer, von der Traumatisierung zu berichten. Andererseits erhoffen sie vom Therapeuten ein Nachfragen nach ihren Erlebnissen und Befürchtungen, die sie oftmals bisher niemand anderem be­ richtet haben. >> Ein Therapeut, der sich scheut, genau nachzufragen, wird Schwierigkeiten ha-

535 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

ben, einen Zugang zur Gefühls- und Gedankenwelt des Patienten zu bekommen und seine Möglichkeiten für die spätere therapeutische Arbeit beeinträchtigen.

27.3.3  Parteilichkeit für den

Patienten

Im Umgang mit traumatisierten Patienten stellt sich häufig das Problem der Parteilichkeit.

»» Wer psychische Traumata untersucht, muß

über furchtbare Ereignisse berichten. Bei Naturkatastrophen und oder Ereignissen, die auf höhere Gewalt zurückzuführen sind, ist es für den Berichterstatter leicht, Mitleid für das Opfer zu empfinden. Ist das traumatische Ereignis jedoch Ergebnis menschlichen Handelns, ist der Berichterstatter im Konflikt zwischen Opfer und Täter gefangen. Es ist moralisch unmöglich, in diesem Konflikt neutral zu bleiben, der Zuschauer muß Stellung beziehen. (Herman 1993, S. 4)

Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine klare Positionierung für den Patienten. Wenn es einen Täter gibt, sollte dieser deutlich als Tä­ ter benannt werden. Das bedeutet auch, dass die Schuld klar zugewiesen wird. Dennoch ist es hilfreich, v. a. zu Beginn der Therapie harte Äußerungen über den Täter zu vermeiden, da die Gefühle der Patienten häufig von Ambiva­ lenz geprägt sind. Die Parteilichkeit für den Patienten spielt auch bei der Kompensation eine wichtige Rolle. Ein spezielles Thema in der Therapie mit Traumatisierten ist die gesetzliche und fi­ nanzielle Kompensation (7 Kap.  9). Viele Pa­ tienten erhoffen sich durch die rechtliche oder finanzielle Entschädigung eine Besserung ihres Gesundheitszustandes. Der Versuch der Symp­ tomreduktion durch die Wiederherstellung von Gerechtigkeit scheitert allerdings häufig und führt nicht selten zu einer erneuten Be­ lastung. Besonders bei Gerichtsverhandlungen sollte die zusätzliche Belastung, die mit der  

27

Zeugenaussage verbunden ist, nicht unter­ schätzt werden. Fällt das Ergebnis eines solchen Prozesses nicht i. S. des Patienten aus, kann da­ durch der therapeutische Prozess negativ be­ einflusst werden. Für Therapeuten ist es daher angebracht, zurückhaltend zu sein und nicht aus einer Art „Rächer-Retter-Impuls“ den Pati­ enten unter Druck zu setzen, solche Schritte zu unternehmen. In manchen Fällen werden Psy­ chologen nur aufgesucht, um Gutachten oder andere Formen der Unterstützung in einem Rechtsstreit zu erlangen. Besteht eine solche Vermutung, sollte dies offen angesprochen und Möglichkeiten und Grenzen des Therapeuten sollten klar definiert werden. 27.3.4  Negative gesellschaftliche

Grundstimmung gegenüber Traumatisierten

In den 2010er-Jahren hat sich die gesellschaft­ liche Stimmung gegenüber Flüchtlingen und Migranten spürbar verschlechtert. Dies betrifft auch diejenigen von ihnen, die traumatisiert sind. Als Therapeut ist man dieser veränderten negativen Grundstimmung in der Öffentlich­ keit und in sozialen Medien ebenfalls ausge­ setzt. Bemak und Chung (2017) haben unter dem Begriff „politische Gegenübertragung“ das Problem beschrieben, dass sich auch The­ rapeuten nicht von negativen Stereotypen frei machen können, z. B. was Patienten aus mus­ limischen oder terroraffinen Ländern betrifft, vor denen man als Therapeut ängstliche Be­ fürchtungen der Fremdartigkeit haben kann. Dazu kann die Verschiedenartigkeit der Kultu­ ren beitragen, aus denen auf der einen Seite die Patienten, auf der anderen Seite die Therapeu­ ten kommen. Bemak und Chung (2017) schla­ gen vor, sich in der eigenen Weiterbildung und der Supervision diesen Problemen zu stellen. Hilfreich ist auch, Kontakte zu einem Behand­ lungszentrum für Flüchtlinge und Migranten aufzubauen, um diese Probleme zu reflektieren und für das eigene Vorgehen praktische Hin­ weise zu erhalten.

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A. Maercker

27.4  Therapeutische Beziehung

und therapeutisches Vorgehen

27

Wie in jeder Psychotherapie, so ist in besonde­ rer Weise im therapeutischen Kontakt mit Trau­ matisierten der Aufbau einer tragfähigen und sicheren Beziehung die Grundvoraussetzung dafür, dass der Patient sich traut, über seine traumatischen Erlebnisse zu berichten, und letztlich in der Lage ist, diese Erfahrungen zu integrieren. Empathisches und verständnisvol­ les Zuhören ohne Wertung bietet die Grundlage hierfür. Darüber hinaus beinhaltet die Bezie­ hungsgestaltung mit Traumatisierten eine Reihe von Besonderheiten und Herausforderungen, die in der therapeutischen Arbeit von zentra­ ler Bedeutung sind und nicht per se zum All­ gemeingut der therapeutischen Praxis gehören. Wichtige Aspekte in der Gestaltung der therapeutischen Beziehung von Traumaopfern und Therapeuten 55 Geduldiges Herangehen und Respekt vor dem möglichen Vertrauensverlust der Patienten 55 Erhöhte Sensibilität in Bezug auf „Formalitäten der Therapiedurchführung“ (keine standardisierte/ automatisierte Diagnostik vor dem persönlichen Gespräch über traumatische Erfahrungen) 55 Angepasster Gesprächsstil: Ermutigung zum Sichöffnen über traumatische Erfahrungen bzw. Signalisierung, dass der Patient sich erst später zu öffnen braucht 55 Abklärung der interpersonellen Unterstützungsressourcen des Patienten 55 Ggf. Unterstützung bei der Herausnahme aus anhaltenden Gefahrenumständen (z. B. bei häuslicher Gewalt) 55 Schaffung sicherer Umgebungsbedingungen für die Patienten (z. B. Türen offen lassen) 55 Adäquates Eingehen auf Rituale, um das Sicherheitsbedürfnis von Patienten zu achten

55 Psychischen Beschwerden einen Namen geben und diese erläutern (Psychoedukation) 55 Gemeinsames Besprechen konkreter Therapieziele, der Reihenfolge des therapeutischen Vorgehens und Erläutern der wichtigen Therapiebestandteile (z. B. Selbstbeobachtungen und Protokolle, Traumaexposition oder Vorgehen bei EMDR) 55 Ggf. vor Psychotherapiebeginn Absetzen bzw. Ausschleichen von Medikamenten, damit die Patienten mögliche Therapieerfolge auf die psychotherapeutische Intervention attribuieren können.

27.4.1  Aufbau einer

vertrauensvollen Beziehung

Aufgrund des generell erschütterten Vertrau­ ens vieler Traumaopfer (s. oben) kann man in der ersten Zeit der Therapie mit Traumati­ sierten nicht von einem tragfähigen Vertrau­ ensverhältnis ausgehen; die therapeutische Beziehung befindet sich vielmehr „auf dem Prüfstand“. Patienten können prüfendes Ver­ halten z. B. zeigen, indem sie einzelne trauma­ tische Erlebnisse „probeweise“ in das Gespräch einwerfen und die Reaktion des Therapeuten daraufhin bewerten, ob dieser auf die Erzäh­ lung angemessen reagiert oder nicht. Beispiel: politische Haft Ein 32-jähriger Patient, der aus politischen Gründen für ca. 2  Jahre inhaftiert war, deutet kurz an, dass kriminelle Mitgefangenen ihn schikaniert haben. Mehrfach wird genauer nachgefragt. Erst in einem späteren Gespräch erzählt der Patient, dass er verschiedene Formen sexuellen Missbrauchs erlebt hat.

In anderen Fällen kann das Testverhalten auch dadurch ausgelöst sein, dass die Patienten er­ warten, dass kein Gegenüber, auch nicht ein Therapeut, die Entsetzlichkeiten der Erzählun­

537 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

gen aushalten kann. Sie nehmen dann eine pa­ radoxe, vorwegnehmende Schonhaltung dem Therapeuten gegenüber ein, den sie nicht mit ihrer Geschichte überfordern wollen. 27.4.1.1  Langsamer

Vertrauensaufbau

Der Aufbau von Vertrauen zwischen Patient und Therapeut ist ein Prozess, der Zeit braucht. Versuche des Therapeuten, die eigene Vertrau­ enswürdigkeit zu rechtfertigen oder unter Be­ weis zu stellen, erweisen sich dabei als unnütz. Vielmehr werden Äußerungen, die Respekt vor der Schwierigkeit erkennen lassen, angesichts des Erlittenen zu vertrauen, vom Patienten als einfühlsame Antwort wahrgenommen. Der Therapeut kann erklären, dass er nicht grenzenloses Vertrauen vonseiten des Patienten erwartet und dass ihm klar ist, dass sich der Pati­ ent zunächst nicht sicher fühlt. Es gibt auch keinen Anlass, den Therapeuten von Anfang an als ver­ trauenswürdig zu sehen. Der Therapeut wird sich bemühen, das Vertrauen erst zu verdienen, auch wenn das einige Zeit in Anspruch nehmen wird. >> Für die Schaffung eines vertrauensvollen Patient-Therapeut-Verhältnisses ist es wichtig, mögliche Reihenfolgeprobleme zu beachten.

Die formalisierte Eingangsdiagnostik (z. B. mit Fragebogen) sollte nicht vor dem Gespräch stattfinden, in dem erstmals über das Trauma geredet wird. Die Patienten können sich davon abgestoßen fühlen, ihre traumatischen Erfah­ rungen erst in schriftlichen Fragebogen oder Tests zu offenbaren, bevor sie ein Gespräch darüber führen. Deshalb sollte der Zeitpunkt der Eingangsdiagnostik ggf. auf einen späteren Termin verschoben werden. Zum Vertrauensaufbau gehört es, mögliche Schwierigkeiten mit den finanziellen Erstat­ tungen der Krankenversicherungsträger vor­ wegnehmend aufzugreifen. Es kann sonst zu weiteren Vertrauensenttäuschungen kommen, wenn der Krankenversicherungsträger in der Mitte der Therapie Probleme macht, die weite­ ren Therapiesitzungen zu bezahlen.

27

27.4.1.2  Eingehen auf das

Sicherheitsbedürfnis von Traumaopfern

Die ersten Kontakte zwischen Patient und The­ rapeut sind auch dazu da, sichere Umgebungs­ bedingungen für den Patienten zu schaffen. Schwer traumatisierte Patienten sind durch viele Schlüsselreize (die sie an ihr Trauma er­ innern) irritier- und störbar. Der Therapeut sollte sich der prüfenden Prozesse bewusst sein, die sofort beginnen, wenn der Patient den Therapieraum betritt: 55 Muss die Tür offen bleiben oder geschlos­ sen werden? 55 Lässt der Raum Geräusche nach außen dringen oder ist er schalldicht? 55 Stößt der Bildschmuck des Raumes den Patienten ab, weil er damit ungünstige Er­ innerungen verbindet? Schwer traumatisierte Patienten haben nicht selten Rituale ausgebildet (z.  B. ständiges Of­ fenhalten von Fenster oder Türen), um ihre Ängste zu kanalisieren. Der Therapeut sollte aufgeschlossen und verständnisvoll darauf re­ agieren. Anders als bei Ritualen von Patienten mit anderen Angststörungen (z.  B.  Patienten mit Panik oder Agoraphobie) brauchen diese Rituale im Verlauf der Therapie nicht unbe­ dingt abgebaut werden, wenn sie nicht ein weiterbestehendes dysfunktionales Gefähr­ dungsgefühl ausdrücken (Ehlers 2002) oder die Lebensqualität beeinträchtigen. 27.4.1.3  Gefährliche Patienten

Es gibt Patienten, die Waffen bei sich tragen (z. B. Messer, Pistolen). Sie haben sich dies an­ gewöhnt, um sich nötigenfalls besser schützen zu können. Das Waffentragen ist allerdings problematisch  – und auch für den Therapeu­ ten nicht ohne Bedrohung – da viele Trauma­ opfer in der Fähigkeit beeinträchtigt sind, ihre Affekte zu regulieren (7 Kap. 3). Aufgrund der Eigen- und Fremdgefährdung kann der Ver­ zicht auf das Tragen von Waffen zum eigenen (Teil-)Therapieziel werden.  

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A. Maercker

27.4.1.4  Herausnahme aus

Gefahrenkontexten

27

Ganz grundsätzlich sollte der Therapeut über das therapeutische Setting hinaus ausloten, wie sicher sich der Patient in seiner Wohn­ umwelt fühlt und ob es dort tatsächlichen Anlass für wiederkehrende Gefahren gibt. Es sollte besprochen werden, welches die Anlässe für diese Unsicherheitsgefühle sind. Wenn im entsprechenden Fall weitere Gefahren (z.  B. häusliche Gewalt) zu befürchten sind, sollten Maßnahmen abgesprochen werden, diese zu minimieren oder auszuschalten. Dazu können weitere Personen und Institutionen (z. B. Sozi­ alarbeiter, Frauenhäuser) einbezogen werden. 27.4.2  Therapieziele und Planung

einer Therapie

Es ist eine allgemein akzeptierte Grundlage psychotherapeutischen Handelns, dass die Ge­ staltung der therapeutischen Beziehung Hand in Hand mit den Inhalten geht, die ab dem Erst­ gespräch den Patienten vermittelt werden, damit diese eine Orientierung über das Angebot und die fachliche Kompetenz des Therapeuten erhal­ ten. Neben der dargestellten Schaffung von ver­ trauensvollen und sicheren Umgebungsbedin­ gungen gibt es einige wichtige Ziele schon für die frühen Phasen der therapeutischen Kontakte: 55 Beschwerden des Patienten einen Namen geben (Psychoedukation), 55 gemeinsames Besprechen von Therapie­ zielen, 55 Planung der Therapie (ggf. der Reihenfolge der Therapieschritte), 55 Erläutern der wichtigsten Therapiebe­ standteile (Therapierationale vermitteln). 27.4.2.1  Beschwerden benennen

(Psychoedukation)

Traumatisierte Patienten haben oft ein un­ klares Bild von den Veränderungen, die das Trauma in ihnen ausgelöst haben könnte. Im Rahmen der Psychoedukation sollen die ver­ schiedenen vom Patienten wahrgenommenen

Veränderungen und erlebten Belastungen in einem kohärenten Konzept zusammengefasst und benennbar gemacht werden. Später kann darauf aufgebaut werden, und Therapieziele, -planung und -rationale aus diesen Inhalten können abgeleitet werden. Viele Patienten reagieren auf die Psychoedukation mit Er­ leichterung, da sie endlich einen subjektiven Zusammenhang zwischen den einzelnen Ver­ änderungen herstellen können. Die Psychoedukation setzt an der Problem­ konstellation des Patienten sowie seinem Vor­ wissen an. Eingebettet in ein implizites oder explizites biopsychosoziales Modell der betref­ fenden Störung können variable Schwerpunkte gesetzt werden. Für die Psychoedukation zur PTBS bieten sich Metaphernbegriffe wie „seelische Ver­ wundung“ oder „eingebrannte Wunde“ an. Diese Metaphern können auf seelische und körperliche Veränderungen bezogen werden, wie dies in . Abb. 27.2 gezeigt ist. In der Beschreibung der Symptome, die in das Erklärungsmodell einbezogen werden, sind die Patienten selbst die Experten und können alle Veränderungen aufzählen, die sie an sich wahrgenommen haben. Dabei kann der Therapeut aus dem Wissen über das Stö­ rungsbild heraus gezielte Nachfragen stellen (z.  B.  Nachfrage nach Flashbacks: „Haben Sie in manchen Momenten auch den Eindruck, wieder vollständig in der Situation drin zu sein?“). Es ist nützlich, die interaktive Vermittlung des Erklärungsmodells mit weiteren Vorge­ hensweisen zu kombinieren:  

Psychoedukative Kommunikation 55 Nachvollziehbarkeit der erlebten Beeinträchtigungen. Hier kann sinngemäß der Satz eingesetzt werden, dass die „posttraumatische Belastungsstörung eine normale Reaktion auf eine extrem unnormale Situation“ ist. 55 Es kann vermittelt werden, dass insbesondere die körperlichen Reaktionen (z. B. leichtere Erregbarkeit) zu automa-

27

539 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

..      Abb. 27.2 Erklärungsmodell für posttraumatische Belastungsstörungen. (Beispielsätze mit dem Patienten gemeinsam bearbeiten)

Trauma

Psychische Folgen

Biologische Folgen

„Die Bilder kommen weider”

Schreck und Stresshormone verändern Ruhelage des Körpers Æ „Ich bin leicht erregbar geworden”

Missglückte Bewältigungsversuche „Nicht mehr daran denken”

tischen Schutzreaktionen des Körpers gehören und damit eine bestimmte„Weisheit des Körpers“ ausdrücken, der für zukünftige Gefahren besser geschützt sein will und Flucht- oder Kampfreaktionen durch die Übererregung möglich machen will. 55 Informationen über allgegenwärtige Triggerreize: Alle möglichen Orte, Situationen, Aktivitäten und andere Reize dienen als Hinweise vor dem scheinbaren Neuauftauchen der Gefahren. Diese Triggerreize führen allerdings zu einer Symptomverstärkung. Die Erläuterung dieser Zusammenhänge soll erreichen, dass die Symptomatik ihren oft überraschenden Charakter verliert. 55 Informationen über spezielle Themen geben, wie schwer selbst wahrzunehmende und erklärende Symptome (z. B. Flashbacks, gefühlsmäßiges Betäubtsein, Panikanfälle). Die Informationen können

sich an Symptombeschreibungen orientierten (7 Kap. 3) 55 Informationen darüber, dass in der Zeit der Psychotherapie die Symptome stärker werden können, bevor sie sich in der Therapie bessern.  

27.4.2.2  Therapieziele, -planung

und -rationale

Viele Patienten mit PTBS konfrontieren den Therapeuten mit dem Wunsch nach einem totalen Vergessen des Erlebten („Können Sie irgendetwas machen, damit ich die ganzen Erlebnisse vergessen kann?“). Dieser verständliche Wunsch sollte in einer geeigneten Form der Gesprächsführung in realistische Ziele gewan­ delt werden, z. B. „… dass mich die Erinnerungen nicht mehr überall und immerzu überfallen“, „… dass ich diese Erinnerungen zurückdrängen kann“, „… dass ich den Geruch nicht immerzu in der Nase haben muss“ etc. Eine Orientierung für die Therapieplanung kann das zeitliche Abfolgeschema der Trau­ matherapien nach Herman (7 Abschn.  11.2)  

540

A. Maercker

bieten: Stabilisierung, Traumasynthese oder Traumaexposition sowie Neuorientierung. Die jeweiligen Therapiebestandteile können dabei insoweit erläutert werden, wie der Patient dies aufgrund seines Vorwissens integrieren kann. Da wirksamen Therapieverfahren expli­ zit das Trauma  – in der einen oder anderen Form  – thematisieren (7 Kap.  11), müssen auch besonders angstvolle bzw. verdrängende/ vermeidende Patienten ermutigt werden, sich im Rahmen ihrer Therapie bewusst den trau­ matischen Erinnerungen zu stellen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die the­ rapeutische bzw. Selbstkonfrontation mit dem Trauma dem Patienten gegenüber zu begründen: 55 Gebrauch von Metaphern, 55 Erarbeiten elaborierter Erklärungen.  

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zz Metapherngebrauch Gebrochene Knochen richten (Hammond 1990, S. 346)

„Die Arbeit, die wir in den nächsten Stunden tun müssen, hat viel mit dem gemeinsam, was pas­ siert, wenn ein Kind ein Bein gebrochen hat oder ein Erwachsener eine schmerzhafte und infizierte Wunde hat, die aufgeschnitten werden muss. Der Arzt will keinen Schmerz beim Patienten verursa­ chen. Aber er/sie weiß, dass wenn er/sie nicht den Knochen richtet oder die Wunde reinigt, der Pa­ tient viel länger Schmerzen haben wird, dass er/sie behindert bleiben und wohl niemals wieder richtig genesen wird. Es ist hart und schmerzhaft für den Arzt die notwendigen Behandlungen durchzufüh­ ren und Schmerzen durch das Richten des Beins oder das Reinigen der Wunden auszulösen. Aber die notwendigen Handlungen sind ein Ausdruck der Sorgfalt, die eine Heilung erst ermöglicht“.

kWunde reinigen (Hammond 1990, S. 346)

„Auch das Wiederdurchleben der quälenden Erinnerungen und Gefühle wird für eine kurze Zeit ein schmerzhafter Prozess sein, genauso wie das Reinigen einer Wunde. Aber danach wird der Schmerz geringer und die Heilung wird eintreten können.“

kSchrankmetapher (Ehlers 2002; 7 Kap. 13).  

„Sie können sich das wie bei einem Schrank vorstellen, in den man viele Dinge ganz schnell hineingeworfen hat, so dass man die Tür nicht ganz schließen kann. Irgendwann wird die Tür von allein aufgehen und etwas fällt he­raus. Was muss man tun, damit die Dinge nicht herausfallen? Man muss die Dinge herausneh­ men, ansehen, sortieren und dann geordnet in den Schrank räumen. Genauso ist das Ge­ dächtnis für ein traumatisches Erlebnis. Leider kann auch da die Tür nicht einfach zugemacht werden, ohne dass man vorher alles, was pas­ siert ist, ansieht und nach der Bedeutung, die es für einen hat, ordnet. Damit es Vergangen­ heit wird, muss es betrachtet und eingeordnet werden.“ zz Erarbeitung elaborierter Erklärungen

Im Rahmen eines sokratischen Dialogs zwi­ schen Patient und Therapeut kann gemeinsam mit dem Patient ein Teufelskreismodell er­ arbeitet werden. Beispiel zum „Teufelskreismodell“ (. Abb. 27.3)  

Ein Patient hatte berichtet, dass „die Bilder vom Erlebnis immer wiederkommen“. Therapeut: „Wie reagieren Sie in einem solchen Moment darauf, dass die Bilder immer wiederkommen?“. Die Antwort des Patienten: „Ich versuche nicht mehr daran zu denken“, könnte vom Therapeuten weitergeführt werden mit der Frage: „Was pas­ siert in solchen Momenten; sind Ihre Versuche, die Bilder zu verdrängen, erfolgreich?“ Auf der Suche nach einer Veränderungsidee kann gefragt werden: „Wann geht es Ihnen bes­ ser mit der Erinnerungsflut? Gibt es Situationen, in denen die Belastung nicht so stark ist?“ Auf diese Frage kann der Patient möglicherweise antworten, dass es ihm besser geht, wenn er mit anderen darüber geredet hat. Der Therapeut kann anschließend den Begriff des Durcharbeitens der Erinnerungen einführen, der den Teufelskreis von Intrusionen und Vermeidung zu unterbrechen hilft.

541 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

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..      Abb. 27.3 Gemeinsames Erarbeiten eines Teufelskreises der Traumaerinnerungen und der Therapie als Weg, der hinausführt

Intrusionen „die Bilder kommen wieder”

Vermeidung „nicht mehr daran denken”

Darüber reden, Durcharbeiten

Wie schon oben im Kontext ungünstiger Reak­ tionsformen von Therapeuten erläutert wurde, gibt es einen Zusammenhang zwischen thera­ peutischer Beziehung bzw. Therapieerfolg ei­ nerseits und den Reaktionen des Therapeuten andererseits: 55 Der empathische Therapeut ermuntert den Patienten zu Erzählungen über schreckli­ che Ereignisse, ohne vom Thema abzulen­ ken oder auf Nebengleise zu führen, ohne ihn erstaunt oder erschrocken anzustarren oder selbst eine vollständige Schockreak­ tion zu zeigen. 55 Wenn der Therapeut die Bedeutung spon­ tan geäußerter Themen herunterspielt und das therapeutische Gespräch auf Bereiche lenkt, die nicht im Mittelpunkt der traumabedingten Ängste stehen, be­ kommt der Patient das Gefühl, dass die existenzielle Schwere des Erlebten für die Behandlung als irrelevant angesehen wird, und er wird sich weiterhin unverstanden fühlen. Allerdings ist es naheliegend, dass man als Therapeut selbst belastet wird durch die Ge­ schichten der Patienten und den massiven Horror, dessen indirekter Zeuge man dabei werden kann.

27.5  Selbstfürsorge für

Therapeuten

27.5.1  Sekundäre Traumatisierung

Die Behandlung von traumatisierten Patienten fordert oft einen hohen psychischen Tribut von den Therapeuten. Es wäre auch unnatürlich, die Wucht eines Traumas einfühlsam besprechen und bearbeiten zu können, ohne dabei emotio­ nal und kognitiv unberührt zu bleiben. Durch Patienten mittelbarer Zeuge von Verbrechen, Unglücksfällen oder anderen unmenschlichen Erlebnissen zu sein, kann für Therapeuten selbst leicht zu PTBS-ähnlichen Veränderun­ gen führen. Dieses Phänomen wurde als „stell­ vertretende Traumatisierung“ oder „sekundäre PTBS“ beschrieben (Daniels 2008). Sekundäre PTBS Sekundäre PTBS ist ein Resultat wiederholter Belastungen durch traumatische Berichte der Patienten. Sie kann auftreten als Mischung einer direkten PTBS (z. B. in Form von Intrusionen, Albträumen, Entfremdung, Schlafstörungen) sowie Burnout-Phänomenen (z. B. Niedergeschlagenheit, somatische Beschwerden, Zynismus).

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A. Maercker

Die Mischung von PTBS- und Burnout-­ Phänomenen kann mit einem Fragebogen er­ fasst werden (Reinhard und Maercker 2004, nach Motta und Joseph 1997), der neben der eigenen PTBS-Symptomatik die Faktoren Be­ troffenheit und emotionale Erschöpfung er­ fasst. Emotional überlastete Therapeuten haben auch ein höheres Risiko für somatische Pro­ bleme. Persönliche und berufliche Unausge­ glichenheit äußert sich in Müdigkeit, Schlaf­ problemen, Übererregung und unachtsamem, unkontrolliertem emotionalem Ausdruck (Wilson und Lindy 1994). Darüber hinaus gibt es die Gefahr, dass sich Therapeuten, die (zu) viele Traumaopfer behandeln, von an­ deren (Kollegen) als zunehmend isoliert, zu­ rückgewiesen und unverstanden empfinden. Dies wurde insbesondere für Therapeuten be­ schrieben, die gehäuft Opfer sexuellen Miss­ brauchs behandeln. Rückzug und Zynismus kann weiterhin zu einem Zustand führen, für den Figley (1995) den Begriff Mitleidsmüdig­ keit prägte. >> Die zunehmende Spezialisierung von Behandlungseinrichtungen bzw. Schwerpunktpraxen kann Ursache einer erhöhten psychischen und physischen Morbidität bei Therapeuten sein. Deshalb ist ein ausschließlich therapeutisches Arbeiten mit Traumapatienten nicht empfehlenswert (Reddemann und Maercker 2008).

27.5.2  Was ist zu tun?

Auf mehreren Ebenen können die Bemühun­ gen ansetzen, dass es auf Therapeutenseite nicht zu einer anhaltenden sekundären Trau­ matisierung kommt (Stamm 2002): 55 in professionellen Einstellungen, 55 in der Arbeitsorganisation, 55 in der Alltags- bzw. Freizeitgestaltung, 55 in grundsätzlichen (philosophischen) Lebenseinstellungen.

27.5.2.1  Professionelle Einstellun-

gen

Das spontane Auftreten von (Teilen der) PTBS-­ Symptomatik nach der Arbeit mit einem oder mehreren Traumapatienten kann zunächst auch bei einem selbst als „eine normale Reaktion auf eine extrem unnormale Situation“ angesehen werden (7 Abschn.  27.4.2.1). Weiterhin helfen i.  S. einer Selbstfürsorge verschiedene Techni­ ken der Selbstbeobachtung und des Selbstschut­ zes:  

Techniken der Selbstbeobachtung und des Selbstschutzes 55 Erkennen der eigenen Reaktionen ȤȤ Selbstaufmerksamkeit für körperliche Signale entwickeln, z. B. für Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Schwitzen ȤȤ Versuche, Worte für die eigenen Erfahrungen und Gefühle zu finden 55 Eigene Reaktionen bewältigen lernen ȤȤ Das eigene Niveau von Behaglichkeit finden, um Offenheit, Toleranz und die Bereitschaft, alles zu hören, zuzulassen ȤȤ Wissen, dass jedes Gefühl einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat ȤȤ Lernen, überwältigende Gefühle zu vermindern, ohne in Verdrängung abzugleiten ȤȤ Wenn die Gefühle verwundet sind, sich Zeit dafür nehmen, sie genau wahrzunehmen, sie zu beruhigen und ausheilen zu lassen, bevor man weiterarbeitet

27.5.2.2  Arbeitsorganisation

Es ist hilfreich, Entspannungsmöglichkeiten in den Arbeitsalltag einbauen (z. B. Pausen, Nach­ reflexionszeiten allein und mit anderen). Eine

543 Besonderheiten bei der Behandlung und Selbstfürsorge für Traumatherapeuten

wichtige Selbstfürsorge ist durch die Super­ vision bei kompetenten, vertrauenswürdigen und erfahrenen Therapeuten gewährleistet. Schon Herman (1993) stellte fest, dass nie­ mand allein auf sich gestellt mit Traumaopfern arbeiten kann. Erst durch kollegiale Unter­ stützung gelingt es, die nötigen Kräfte für die Behandlung von traumatisierten Patienten zu behalten. Dafür kann das Aufbauen von pro­ fessionellen Netzwerken von Therapeuten, die Traumatherapie durchführen, hilfreich sein. 27.5.2.3  Alltags- und

Freizeitgestaltung

Der existenzielle Druck, sich mit dem Trauma­ thema zu beschäftigen, weil es hier um Leben und Tod, Gewalt und Verbrechen geht, kann zu einer Beschäftigung ad  infinitum mit die­ ser Thematik führen. Alltagsbeispiele dafür sind, sich immer wieder erneut Berichte in den Medien zu einem Traumathema anzuschauen (z. B. zum sexuellen Kindesmissbrauch). Trau­ maexperten und -therapeuten sollten das Recht für sich in Anspruch nehmen, Beruf und Freizeit zu trennen. In diesem Sinne kön­ nen Weiterbildungsseminare und -wochen­ enden kein Teil der Freizeit sein, sondern des Berufs. Der eigenen Resilienz wird durch die Nutzung und den Ausbau eigener Entspan­ nungs- und Freizeitmöglichkeiten am besten gedient (Brockhouse et  al. 2011; Reddemann und Maercker 2008). 27.5.2.4  Grundsätzliche (philoso-

phische) Lebenseinstellung

Die Konfrontation mit traumatischen Ereig­ nissen kann auch bei Therapeuten zu Ände­ rungen der Lebenseinstellungen führen. Dies beinhaltet das Anerkennen des „Bösen in der Welt“ und seiner vielen Äußerungsformen sowie das Akzeptieren von Unwiederbringli­ chem. Auch eine bewusst gestaltete posttrau­ matische Reifung (7 Kap.  2) mit ihren Berei­ chen: neue Prioritätensetzungen, Besinnung auf eigene Stärken, Wertschätzung Anderer und/oder spirituelle Orientierung, kann für Therapeuten Wege aus den Belastungen ihres Berufs weisen.  

27

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544

A. Maercker

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545

Serviceteil Stichwortverzeichnis – 547

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Maercker (Hrsg.), Traumafolgestörungen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58470-5

547

A

Stichwortverzeichnis

A Abbruchrate –– bei Pharmakotherapie  531 –– bei Psychotherapie  383, 384, 389, 531 ABR. Siehe akute Belastungsreaktion ABS. Siehe akute Belastungsstörung Abschiebung  176, 485 Absorptionstechnik 293 Abstinenz, parteiliche  473 Abwehr  232, 237 –– Bedeutungsverschiebung 237 –– Externalisierung 238 –– Leugnen 237 Abwehrprozess 35 Achtsamkeit  333, 341, 354 –– skillsbasierte 333 Achtsamkeitsintervention –– achtsamkeitsbasierte Psychotherapie 240 –– Achtsamkeitsmeditation 357 –– bei Anpassungsstörung  397 –– Folteropfer und Geflüchtete  489 Acute Stress Disorder –– Interview (ASDI)  196 –– Scale (ASDS)  143, 196 Adäquanztheorie 166 ADHD. Siehe Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung Adjustment Disorder –– New Module (ADNM)  88, 143, 403 –– New Module (ADNM-6) (Kurzform) 143 ADNM-20. Siehe Adjustment Disorder–New Module Adverse Childhood Experiences (ACE-D) 141 Ältere –– Exploration 518 –– Gewalt gegen  515 –– Inanspruchnahme psychotherapeutischer Unterstützung  517 –– kognitive Veränderungen  518 –– Messinstrumente 516 –– Mortalität bei PTBS  516 –– PTBS-Prävalenz 513 –– Stigmatisierung psychischer Probleme 513 –– Traumaprävalenz 513 –– Vulnerabilität 519 Ärger  24, 33, 36, 147, 271, 352

Affektregulation 375 –– Dysregulation 50 –– Kinder und Jugendliche  435 Afghanistankrieg 465 Aggravation 170 Agoraphobie 145 AIP-Modell  276, 290 Akkommodation  254, 290 A-Kriterium  15, 163 akute Belastungsreaktion  194 akute Belastungsstörung  195 Akutes Atemnotsyndrom (ARDS)  446 Akuthilfe, psychosoziale  197 Akzeptanz –– bei Trauer  382 –– und Annehmen–Übungen  344 Akzeptanz-und Commitmenttherapie 332 Albtraum  19, 251, 281, 333, 340, 342, 352, 359, 367 –– EMDR 289 –– Folteropfer und Geflüchtete  497 –– kultureller Kontext  360 –– Therapie 264 Algorithmus, diagnostischer  133 Alkoholabhängigkeit bei Jugendlichen 416 Alprazolam  369, 402 Altersbild 513 Alterspsychotherapie 518 American Nervousness  6 Amitriptylin 369 –– bei Veteranen  370 Amnesie  21, 23 Amygdala  96, 100–104 –– bei misshandelten Kindern  123 –– Datenlage zum Volumen  97 Anerkennung, soziale  40 Angehörige –– als Therapiesuchende  528 –– Angehörigenarbeit in Bundeswehrkrankenhäusern 471 –– Fragebogen 39 –– Gerontopsychiatrie 518 –– somatisch Erkrankter  454 –– Unterstützung 198 Angst  169, 193, 195, 352 –– Neurobiologie  101, 103 –– Psychopharmaka 367 –– traumafokussierte KVT  201 Angstaktivierung 31 Angstreduktion –– Zykloserin 105

Angststörung 145 –– generalisierte–EMDR 291 Anhaltende Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung –– Diagnostik 143 Anhaltende Trauerstörung (ATS)  64, 380, 382 –– Citalopram 383 –– Complicated Grief Treatment  382 –– Definition 63 –– DSM-5 64 –– Ereignisfaktoren 72 –– Geflüchtete 486 –– Gestalttherapie 381 –– ICD-11  63, 71 –– internetbasierte kognitive Verhaltenstherapie 387 –– interpersonelle Therapie  381 –– kognitive Verhaltenstherapie  383 –– personenspezifische Faktoren  72 –– Pharmakotherapie 390 –– Social Sharing  388 –– supportive Therapie  384 –– systemische Therapie  381 –– Tod eines Kindes  72 –– und Major Depression  70 –– und PTBS  70 –– Verbreitung 69 –– zeitliches Referenzkriterium  66 Anonymität nach außen  305 Anpassungsschwierigkeit 81 Anpassungsstörung 131 –– Abgrenzbarkeit 83 –– als Stressfolgesyndrom  84 –– bei somatischen Erkrankungen  446, 450 –– biologische Faktoren  87 –– Definition 80 –– in der Gesamtbevölkerung  88 –– Diagnostik 143 –– DSM-5 81 –– EMDR 401 –– in Entwicklungsländern  397 –– Folteropfer und Geflüchtete  486 –– generische therapeutische Strategien 399 –– Häufigkeit 81 –– ICD-11 81 –– im psychiatrischen Setting  89 –– klientenzentrierte Kurzzeittherapie 401 –– kognitive Verhaltenstherapie  400 –– Krebserkrankungen  397, 400

548 Stichwortverzeichnis

Anpassungsstörung (cont.) –– Krisenmodell 85 –– in medizinischen Einrichtungen  89 –– mit Angst  399, 401 –– Phasenmodell 85 –– Problemlösetherapie 400 –– psychodynamische Psychotherapien 400 –– Psychopharmaka  375, 402 –– psychotherapeutische Verfahren 399 –– Spontanremission 89 –– und Depression  82, 84 –– und Persönlichkeitsstörungen  89 –– und Stress  83 –– und Substanzmissbrauch  89 –– und Suizidalität  83, 89 –– Vulnerabilitäts-Stress-Modell 86 –– Wohnungseinbrüche  397, 400 Anteriorer zingulärer Kortex (ACC) 100 Antidepressiva 368 –– bei Anpassungsstörung  403 –– Kinder 432 –– MAO-Hemmer (Monoaminoxidase-­ Hemmstoffe 370 –– selektive Serotonin-­ Wiederaufnahmehemmer (SSRI)  366, 370 –– trizyklische 370 Antikonvulsiva  369, 372 –– Carbamazepin 372 –– Lamotrigin 372 –– Valproat 372 Antipsychotika, atypische  373 Anxiolytika 369 –– bei Anpassungsstörung  402 –– Benzodiazepine 371 –– Buspiron 372 Arbeitsplatzschwierigkeit 30 Arbeitsunfall 164 ARDS. Siehe akutes Atemnotsyndrom Arteriosklerose 445 Assimilation  254, 290 Assoziation 285 –– gelernte 253 Asylbewerber 176 –– Traumatisierung 159 Asylerstverfahren 487 Asylgesetze 484 Asylverfahren 177 Atmen, kontrolliertes  435 ATS. Siehe anhaltende Trauerstörung Aufenthaltsrecht 176 Aufmerksamkeitsbelastungstest  d2 175 Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung  415, 421

Ausbeutung –– in Beziehungen  314 –– sexuelle 427 Autonomiegefühl 29 Autonomieverlust 252 awareness raising  307 AWMF-Leitlinie 171

B Bagatellisieren 335 Baldrian 402 Beatmung, künstliche  449 Bedeutungsverschiebung 237 Bedrohung –– anhaltend wahrgenommene  37 –– Erleben einer aktuellen  251 Begehrensvorstellung  7, 159 Begleiter, wohlwollender  343 Begutachtung –– Exploration 173 –– Folteropfer und Geflüchtete  488 –– Gegenübertragung 173 –– Migrationshintergrund 170 –– sozialmedizinische 160 –– sozialrechtliche 159 –– Testdiagnostik 175 Behandlungsalter 220 Behandlungsevaluation 150 Behandlungshierarchie, dynamische 345 Behandlungsmotiv 528 Belastende Kindheitserfahrungen (KERF) 141 Belastungsreaktion, akute  22, 190, 195, 445, 528 –– Diagnostik 143 –– Prävalenz bei somatischen Erkrankungen 446 –– Psychopharmaka 374 Belastungsstörung –– akute  133, 190, 194–195, 445 –– chronische 190 –– Diagnostik 143 –– Kinder und Jugendliche  433 –– traumafokussierte KVT  201 –– Verlauf 199 Belastungstoleranz, Konzept der –– STAIR/narrative Therapie  316 Benzodiazepine  368, 371, 449 –– bei Anpassungsstörung  402 Beobachtertechnik 243 Berentung  159, 172 Bernal-Schema 222 Beruf mit erhöhtem Risiko  191 Beschädigtsein, eigenes  37 Beschleunigungstrauma der HWS  453

Beschwerdeliste kPTBS  140 Betäubtsein, emotionales 50. Siehe auch Numbing Bewältigungsstrategie 336 –– altersspezifische 334 –– sekundäre 334 –– STAIR/narrative Therapie  315 Bewältigungsstrategie, dysfunktionale 270 Bewertung –– dysfunktionale  254, 268 –– peritraumatische 267 –– posttraumatische 267 –– Veränderung 260 Beziehungsaufbau 385 –– im militärischen Umfeld  473 Beziehung, therapeutische  238–240, 338, 536 Bibliotherapie  395, 397 Bindungstheorie  58, 380, 382 Biofeedback 453 Biografiearbeit 521 Blended-Learning-Ansatz 306 Blended Therapy  398 Body-mind-spirit (BMS) therapy  401 Booster-Sitzung 272 Borderline-Persönlichkeitsstörung 52, 54, 56, 131, 145, 291, 332 –– Kinder und Jugendliche  414, 436 –– Neurobiologie  100, 103 Brainspotting 292 Bricolage 355 BriefCOPE 149 Brief Ecclectic Psychotherapy  244 Brofaromin 371 Bronchialkarzinom 444 Brückensymptom 175 Brustkrebs  447, 451 Bundessozialgericht 166 Bundeswehr –– Auslandseinsätze 462 –– Behandlungssettings 470 –– Bundeswehrkrankenhäuser 470 –– Konzepte der Stressbewältigung 468 –– Nutzung moderner Medien  469 –– psychologisches Screening  468 Burnout  533, 541 Buspiron  369, 372

C Cambridge Depersonalisation Scale (CDS) 146 CAPS 175 Carbamazepin  369, 372 Cardiac-disease-induced-PTSD 451

549 Stichwortverzeichnis

CDI-PTSD. Siehe Cardiac-disease-­ induced-PTSD CGT. Siehe Complicated Grief Treatment CHARLY  306, 469 Child –– and Adolescent Trauma Screen (CATS) 423 –– Post-traumatic Stress Disorder Reaction Index (CPTSD-RI)  423 Childhood Trauma –– Questionnaire (CTQ)  141 –– Screener (CTS)  142 Children’s Impact of Event Scale  424 Chronologieregel 280 Citalopram 369 –– bei ATS  383, 390 Clinician-Administered PTSD Scale (CAPS)  135, 374 Clinician Administered PTSD Scale for Children and Adolescents (CAPS-CA) 423 Clinician-Administered PTSD Scale for DSM-5 (CAPS-5)  207 Clomipramin 369 Clonidin 373 Clorazepat 403 CoachPTBS-App 305 Combat Fatigue  464 Combat Stress Reaction  465 Compassion –– Fatigue bei Folteropfern und Geflüchteten 504 –– Focused Therapy (CFT)  333 Compassionate –– Mindfulness 340 –– Self 343 Completion Tendency  31 Complicated Grief  63 –– Abbruchraten des Treatments  383 –– Treatment (CGT)  382 –– Gruppensetting 383 Composite International Diagnostic Interview (CIDI)  88, 134 Comprehensive Soldier Fitness  303 Computerized Cognitive Behavioral Therapie 304 Contextual Memory (C-reps)  33 Coping –– Verbesserung 232 –– vermeidendes 194 Corpus callosum bei misshandelten Kindern 123 Critical Incident Stress Debriefing bei Kindern und Jugendlichen  434 Cyberviktimisierung 118 Cycle of Abuse  122

D Da-Costa-Syndrom 463 Datenschutz bei internetbasierten Interventionen 304 DBT-PTSD –– Behandlungsphasen 339 –– Wirksamkeit 332 –– Wirksamkeitsnachweis 346 DDR-Staatssicherheit 10 Debriefing, psychologisches  204 delayed onset –– PTBS bei Älteren  514 Demenz 516 Demütigung 334 Denkfehler 269 Depersonalisation  51, 55, 195, 236 –– bei somatischen Erkrankungen 445 –– Neurobiologie 100 Depression 131 –– Anxiety and Stress Scale (DASS-­21)  207 –– bei somatischen Erkrankungen 450 –– Folteropfer 482 –– Geflüchtete 482 –– Interventionen 301 –– Kinder und Jugendliche  416 –– Psychopharmaka  367, 371 –– strukturierter Lebensrückblick  308 Deprivation, frühkindliche  57 Derealisation  51, 55, 195 –– bei somatischen Erkrankungen 445 –– Neurobiologie 100 DESNOS (Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified)  140 Developmentally Adapted Cognitive Processing Therapy (D-CPT)  436 Diagnoseleitfaden für Kinder und Jugendliche 422 Diagnostic Interview for Adjustment Disorder (DIAD)  88 Diagnostik, transkulturelle  493 Diagnostisches Expertensystem-­ Interview (DIA-X-Interview)  134 Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (DIPS)  133 Diagnostisches Interview für psychische Störungen im Kindes-und Jugendalter (Kinder-DIPS) 423 Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) 332 –– Kinder und Jugendliche  436 Dialog, sokratischer  257, 269, 540

A–E

Diathese-Stress-Modell 394 DIA-X-Interview 134 Dienstunfall bei Polizeibeamten  182 Disability Assessment Schedule (WHODAS) 150 Disclosure  30, 40 Diskrimination  264, 271 Disorder –– of Extreme Stress Not Otherwise Specified (DESNOS)  140 –– related to stress  444 Disposition 7 Disputation –– empirische 269 –– hedonistische 269 Dissoziation  23, 30, 50, 140, 145, 169, 195, 266, 283, 286, 290, 333, 335, 340, 342 –– bei somatischen Erkrankungen  445, 449 –– der Erinnerungen  37 –– HHN-Achse 100 –– Kinder und Jugendliche  414, 436 –– Neurobiologie  96, 99 –– Opioidsystem 100 –– peritraumatische  29, 193 –– reduzierte Schmerzsensitivität  101 –– traumabezogene strukturelle  59 –– Umgang mit  266 Dolmetscher 501. Siehe auch Sprachmittler Dopamin 56 Doxepin 369 Drei-Ebenen-Konzept der Stressbewältigung bei der Bundeswehr 468 Drei-Phasen-Modell der Stressbewältigung bei der Bundeswehr 468 Drogenmissbrauch –– Jugendliche 436 –– Kinder und Jugendliche  416 Duales Prozessmodell  380, 382 Duales Prozessmodell der Trauer  67 Duloxetin 369 Durcharbeiten  35, 85, 232, 245, 540 Durchgangssyndrom  449, 450

E Ego-State-Therapy  240, 242 Eigenmedikation 367 Einleitungsphase 241 Einsatzkraft 291 –– bewusstseinsbildende Programme 307 –– niederschwellige Programme  302

550 Stichwortverzeichnis

Einsatzmedizin 462 Einsatznachbereitung 192 Einsatzunfall 477 Einsatzversorgungsgesetz 477 Einsatz-­Weiterverwendungsgesetz  477 Einweben –– kognitives 286 –– therapeutisches 286 Einweben, therapeutisches  286 –– Affektbrücke 287 –– Körperressource 287 Einwebtechnik 286 Ekel  24, 33, 36, 333, 343 –– gegenüber dem Tod  239 –– Kinder und Jugendliche  414 –– Neurobiologie 102 –– traumafokussierte KVT  201 Elaboration und Integration der Traumaerinnerungen 36 Elektrokrampftherapie 9 Eltern –– als Kotherapeuten  434, 437 –– krebskranker Kinder  454 Elternrolle 419 Elterntraining 437 –– bei Anpassungsstörung  399 Eltern, verwaiste  380 EMDR –– bei Älteren  518 –– bei Anpassungsstörung  401 –– bei Kindern  283, 291 –– bei militärischen Patienten  470, 474 –– in der Frühintervention  202 –– Effektivitätsstudien 290 –– Erstgespräch 277 –– Folteropfer und Geflüchtete  489 –– Gerichtsverfahren 283 –– Kinder und Jugendliche  425, 432 –– Kontraindikationen 282 –– Nachbefragung 289 –– Neuverarbeitung 285 –– Phasen 277 –– Ressourcen-EMDR 293 –– Stabilisierungsphase 280 –– Verankerung 286 –– Wirkmechanismen 290 E-Mental-Health-Bereich 304 Emotionalität, niedrige  265 Emotion, sekundäre  336, 343 Emotionsexposition  350, 353 –– Techniken 354 Emotionsregulation  316, 320, 332, 333, 335, 345, 350 –– Defizite 313 –– kulturell angepasste Techniken  357 –– Neurobiologie  96, 101 –– religiöse Techniken  358

Emotionssurfen  320, 324 Emotionsswitch 355 Empathie  536, 540 Empathiemüdigkeit  39, 40 –– Folteropfer und Geflüchtete  504 enduring somatic threat  444 Entfremdungsgefühl 21 Entmachtung des Täters  263 Entschädigungsanspruch 171 Entschädigungsrecht, soziales  160, 182 Entschädigungsregelung 160 Entspannungsverfahren 397 –– Kinder und Jugendliche  435 Ereignis, traumatisches  163, 164 Ergebnisevaluation  150, 232 Erinnerung, aufdrängende 371. Siehe auch Intrusion Erkrankung –– chronische 447 –– Gruppentherapie bei somatischer 397 –– Kinder und Jugendliche mit somatischer 417 –– körperliche, Anpassungsstörung 401 –– somatische  146, 444 Erlebnisreaktion, abnorme  9 Erregungskontrolle 473 Erregungstriade  350, 362 Erschrecken 165 Erste Hilfe, psychische  197 Erster Weltkrieg  7, 204, 463 Erstgespräch 538 –– EMDR 277 –– Folteropfer und Geflüchtete  490 Erziehungsmethode, gewalttätige 117 Escape, mentales  335 Escapestrategie  335, 337, 341, 342 Escitalopram 203 Essener Trauma-Inventar (ETI)  139, 196 Ethnopsychologie 356 Etifoxin 402 Evaluation 232 Exhibitionismus 118 Exploration –– Ältere 518 –– Begutachtung 173 –– von Bedeutungen  232 Exposition  230, 243, 337, 342 –– interozeptive  352, 358, 361 –– kulturell angepasste  350 –– prolongierte 317 –– prolongierte bei Jugendlichen  426 –– selbstgesteuerte 343

–– in sensu  342, 382, 434 –– in vivo  384 Exposition, imaginative  258 Exposition in sensu 434 –– bei ATS  382, 384, 385 Exposition in vivo 271, 384 –– bei ATS  384, 386 Exposition, prolongierte 250 Expositionstherapie –– bei Älteren  518 –– narrative bei Kindern und Jugendlichen 432 –– Zykloserin 105 Expositionstherapie, narrative  251, 262, 520 –– bei Kindern und Jugendlichen (KIDNET) 125 –– Folteropfer und Geflüchtete  489, 496 Expressive Writing  308 Externalisierung  236, 238, 239 Extinktion  103, 104 Eye Movement Desensitization and Reprocessing 401. Siehe auch EMDR Eysencks Personality Inventory (EPI) 171

F Fallführung 339 Familienresilienz 303 Faszien-Yoga 355 Fatal Accidents Act  4 Fehlanpassung 394 –– bei körperlichen Erkrankungen 446 Fehler, kognitiver  269 Fehlwahrnehmung 23 Feuerwehr  192, 204 Fibromyalgiesyndrom 452 Finding a Mission  225 Fitness, psychische  302 Flashback  19, 23, 33, 251, 306, 538 –– Folteropfer und Geflüchtete  503 Flexibilität –– akustisches Symbolbild  357 –– psychologische  350, 354 –– visuelle 354 Flexibilitätsprotokoll 357 Flüchtling 535. Siehe auch Geflüchterer Fluoxetin  291, 369, 531 Follow-up-Kontakt 199 Folter –– Begutachtung 177 –– Definition 482 –– Mehrgenerationenproblematik 484

551 Stichwortverzeichnis

–– sexualisierte 483 –– systematische 483 –– Vorkommen 482 Folteropfer –– Anpassungsstörung 486 –– Begutachtung 173 –– chronische Schmerzen  452 –– komplexe PTBS  485 –– multimodaler Behandlungsansatz 489 –– Phasenmodell 490 –– Prävalenzraten 482 –– PTBS 485 –– Testdiagnostik 494 –– traumafokussierte Behandlung 496 Folteropfer und Geflüchtete –– Compassion Fatigue  504 Fragebogen –– zu dissoziativen Symptomen (FDS) 146 –– zu Gedanken nach traumatischen Ereignissen 147 –– zum Umgang mit traumatischen Erlebnissen 147 –– zur aktuellen Ressourcenrealisierung (RES)  149 –– zur Erfassung von Ressourcen und Selbstmanagementfähigkeiten (FERUS) 149 –– zur Posttraumatischen Anpassung 143 –– zu Schuld, Scham, Ärger  148 Fragen, sokratisches  261 Freezing 106 Freiburger Screeningfragebogen (FSQ) 196 Fremdbeurteilungsinstrument –– Begutachtung 175 Fremdgefährdung 537 Frontalhirn 59 Frühintervention –– Opiate 203 –– psychologische 190 –– Effektivitätsbewertung 196 –– Indikationsstellung 197 –– kognitiv-­ verhaltenstherapeutische 200 –– Psychoedukation 199 –– Psychopharmaka 203 Frühintervention, psychologische –– Eye Movement Desensitization and Reprocessing 202 –– Hypnose 201 Furchtkonditionierung –– genetische Faktoren  193 Furchtstrukturmodell  31, 290

G Gammaaminobuttersäure 193 GdB (Grad der Behinderung)  161, 178 GdS (Grad der Schädigungsfolgen)  160, 178 Geburt, kompliziert verlaufende  453 Gedächtnis –– autobiografisches  422, 520 –– autobiografisches von Kindern  422 –– deklaratives 103 –– episodisches 34 –– Glukokortikoide 99 –– implizites  96, 253 –– Neurobiologie 100 –– perzeptuelles 34 Gedächtnisbildung –– genetische Faktoren  193 Gedächtnismodell, duales  33 Gedächtnisstörung bei PTBS  96 Gedanke, dysfunktionaler –– bei ATS  380, 384 Gedankenunterdrückung  37, 194, 254, 417 –– Kinder und Jugendliche  419 Gedenkort 225 Gefährdungsgefühl  51, 53 Geflüchteter  262, 307, 350, 362, 535 –– anhaltende Trauerstörung  68, 72, 486 –– Anpassungsstörung 486 –– EMDR 293 –– Flüchtlingskrise 307 –– komplexe PTBS  485 –– Kurzzeittherapie 492 –– Langzeitpsychotherapie 493 –– minderjähriger 426 –– multimodaler Behandlungsansatz 489 –– niederschwellige Angebote  504 –– Notfallversorgung 206 –– Prävalenzraten 482 –– PTBS 485 –– Risikofaktoren 194 –– Testdiagnostik 494 –– traumafokussierte Behandlung  496 –– Versorgungsebenen 486 Gegenübertragung  238, 533 –– Begutachtung 173 gegenwartsorientierte Therapie  221 Gegenwartsorientierung 281 Gelegenheitsursache 167 gemeindenahes Programm  306 genetische Vulnerabilität  193 Genogramm 385 Gerichtsverfahren –– EMDR 283

E–G

Gerichtsverhandlung 535 Gerontopsychotherapie –– Integration neuer Medien  520 gesetzliche Unfallversicherung  166, 179, 181 Gesetz zur Entschädigung bei Eisenbahnunfällen 6 Gesprächstest 282 Gestalttherapie –– bei ATS  381 –– Trauertherapie 73 Gestaltung der therapeutischen Beziehung 536 Gewalt –– in der Ehe, Screening-­ Instrument 142 –– in der Kindheit  114 –– in der Kindheit, Behandlung  125 –– emotionale 312 –– Folgen in der Kindheit  122 –– gegen Pflegebedürftige  515 –– häusliche  118, 291, 293 –– häusliche, EMDR  291 –– körperliche  114, 116, 312, 326, 332 –– körperliche in Kindheit und Jugend  332, 338 –– Partnergewalt 120 –– Prävalenz der seelischen  119 –– an Schulen  119 –– seelische 114 –– sexualisierte  332, 344, 483, 500 –– sexualisierte, EMDR  290 –– sexualisierte in Kindheit und Jugend  48, 332, 337, 415 –– sexuelle  114, 118, 163, 256, 269, 312, 326, 416, 421 –– sexuelle im 2. Weltkrieg  515 –– verbale  117, 118 Gewalterleben –– in der Kindheit  114 –– in der pränatalen Phase  115 –– multiples 121 –– Veränderungen des Gehirns  124 –– ziviles 16 Gewalt, sexuelle –– in Institutionen  118 Gingko Bilboa  402 Glutamat 101 –– zytotoxisches 98 Golfkriegssyndrom 465 Groningen Social Disability Schedules (GSDS-II) 149 Großschadenslage 205 Grounding-Technik 266 Grübeln  24, 354, 417 –– bei ATS  384 Grundüberzeugung, negative  21

552 Stichwortverzeichnis

Gruppenarbeit, sozialarbeiterische –– Folteropfer und Geflüchtete  499 Gruppentherapie –– bei Krebserkrankungen  397 –– bei STAIR/narrativer Therapie  322 Guanfacine 373 Guidance 398 Gutachten, sozialmedizinisches  159 Gutachtenwunsch 535 Gutachtertätigkeit, ärztliche  160

H Habituation  258, 271, 317 Haft, politische  10, 49, 536 –– Begutachtung 179 Halswirbelsäulen-(HWS-)Beschleunigungstrauma 171 Haltung –– kultursensible 221 –– therapeutische 221 –– therapeutische bei Folteropfern und Geflüchteten  503 hands-off 118 Hausarzt 376 Hausaufgaben –– bei ATS  388 –– onlinebasierte personalisierte  398 Health oft the Nations Outcome Scales (HoNOS-D)  150 Heilungsritual 358 Heilung, traditionelle  358 Herzerkrankung, akute  455 Herzkrankheit, koronare  451 Herzrhythmusstörung 451 Herztransplantation  449, 450 HHN-Achse 87. Siehe auch Hypothalamus-Hypophysen-­ Nebennierenrinden-Achse Hilflosigkeit 193 Hippocampus 96 –– misshandelte Kinder  123 Hippocampusvolumen  96, 193 –– im Tiermodell  106 –– Phenytoin 101 Holocaust  9, 24, 452, 484, 534 Hotspot  252, 259, 277, 284, 497 HPA-Achse 87. Siehe auch Hypothalamus-Hypophysen-­ Nebennierenrinden-Achse Humor als Ressource  287 HWS-Distorsion 171 Hybridität, postkoloniale  355 Hydrocortison  99, 374 Hyperalgesie, schmerzinduzierte  453 Hyperarousal  20, 24, 51, 106, 137, 140, 195, 367

–– bei somatischen Erkrankungen  445, 452 –– präoperativ 447 Hypercortisolismus 98 Hypervigilanz 20 Hypnose in der Frühintervention 201 Hypnotherapie  222, 240 Hypocortisolismus 98 Hypothalamus-Hypophysen-­ Nebennierenrinden-­Achse  56, 87, 96, 98, 100, 193 Hysterie 5–7 –– traumatische  5, 230

I ICD-10 163 ICD-11 –– akute Belastungsreaktion  195 –– anhaltende Trauerstörung  62 –– Anpassungsstörung  80, 394 –– Behandlung der komplexen PTBS 436 –– Diagnostik 131 –– Folteropfer und Geflüchtete  485 –– körperliche Krankheit  444 –– PTBS 15 –– PTBS bei Kindern und Jugendlichen 414 –– Traumakriterium 48 ICG-R(evised) 71 Ich-Spaltung, therapeutische  243 Idealisierung des Therapeuten  239 Identitätsstörung –– partielle dissoziative  55 Identitätsstörung, dissoziative  55 Imagery Rescripting  251, 293 –– and Reprocessing  251, 263 Impact of Event Scale Revised for People with Intellectual Disabilities (IES-ID) 138 Impact of Event Scale–Revised (IES-R) 137 Implicit Association Test  103 Inanspruchnahmeverhalten 529 Index –– Gewalt in der Ehe  142 –– of Spouse Abuse (ISA)  142 Indextrauma 342 Informationsüberlastung 231 Insel  100, 103 In-sensu-Exposition 342 Integration 243 –– des Traumas  253 –– im Exil  499 integrative Testimonial Therapie  520

Intensivmedizin  447, 450 Interapy  305, 387 Interessensverminderung 21 Intermittierende explosible Störung (IES) 146 Internalisierung 235 International –– Classification of Functioning, Disabilities and Health (ICF)  173 –– Prolonged Grief Disorder Scale (IPGDS) 71 –– Trauma Interview (ITI)  56 Internationaler Trauma Fragebogen (ITQ) 56 Internetbasierte Intervention  300, 304, 395, 397 –– Datenschutz 304 –– Kosteneffektivität 398 Internetbasierte Therapie –– bei Älteren  520 –– bei ATS  387 Interpretation des Traumas, negative 36 Intervention –– appbasierte  301, 304 –– bei Trauer  380 –– Brief Adjustment Disorder Intervention 398 –– intergestützte 201 –– internetbasierte  300, 304, 395, 397, 398 –– kognitive 336 –– mobilebasierte 398 –– niederschwellige  221, 300, 396 –– pferdegestützte 471 –– psychologische 396 –– Selbsthilfeintervention 397 –– supportive 400 –– Vergebungsintervention 303 –– Virtual-Reality-Interventionen 398 –– webbasierte 300 (Siehe auch internetbasierte Intervention) Intervention, onlinegestützte 398. Siehe auch Intervention, internetbasierte Interview –– diagnostisches 133 –– strukturiertes  132, 175 Interviews zu Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen (IBS-KJ) 423 Intrusion  18, 36, 51, 140, 232, 251, 253, 264, 281, 306, 333, 342, 367, 399, 414 –– bei ATS  380 –– Folteropfer und Geflüchtete  485 –– Kinder 421

553 Stichwortverzeichnis

–– Neurobiologie 99 –– postoperativ 450 –– präoperativ 447 –– Psychopharmaka  371, 373 Invalidierung, traumatische  334 Inventar Komplizierter Trauer (ICG, ICG-D) 71 Inventory of Complicated Grief (ICG)  63, 144 Irakkrieg 465 ITT. Siehe integrative Testimonial Therapie

J Januskopf-Modell der posttraumatischen Reifung  30 Jugendliche –– Förderung von Resilienz  325 –– Kommunikationsstrategien 324 –– Modifikation von Kontrollüberzeugungen 325 –– Psychoedukation 324 –– STAIR/narrative Therapie  324 –– Tumorerkrankung in der Kindheit 452

K Kampfhandlung 163 Kardioverter-Defibrillator (AICD)  451 Katastrophenopfer 306 –– EMDR 291 Katastrophe, von Menschen verursachte 163 Katastrophisierung  254, 269, 352, 359, 361 –– Kinder 418 Kausalität, haftungsbegründende 167 Kausalität, haftungsbegründete  162 Kausalitätstheorie 166 Kausalkette 162 Kava Kava  402 KERF (Belastende Kindheitserfahrungen) 141 Ketamin 100 Kinder –– als Zeugen  120 –– autobiografisches Gedächtnis  422 –– Diagnoseleitfaden 422 –– kognitiver Entwicklungsstand  418 –– Narrationen 422 –– prätraumatische Psychopathologie 415 Kindersoldat 426

Kinder und Jugendliche –– Drogenmissbrauch 416 –– entwicklungspsychopathologisches Modell  418 –– Inzidenzrate für PTBS  415 –– Inzidenz somatischer Erkrankungen 417 –– kognitive Interventionstechniken 425 –– kognitive Schemata  417 –– kognitives Modell  417 –– Konfrontation in sensu  425 –– Längsschnittuntersuchungen 414 –– Neurobiologie 418 –– Psychopharmakotherapie 432 Kindesmissbrauch –– Gutachten 163 –– sexueller  52, 57, 418 Kindesmisshandlung 163 –– Definition 114 –– Gehirnveränderungen 124 –– Prävalenzen 116 –– Todesfälle 124 –– Ursachen 121 Kindeswohlgefährdung 122 Kindheitstraumatisierung und Schutzproteine der Chromosomen 57 Kindling 372 Klärung über ein mögliches früheres Trauma 528 Knoten-Netzwerk-Modell 362 Kölner-Risiko-Index (KRI)  196 Körpertest 288 Körperwahrnehmung 350 Kognition, dysfunktionale  336 –– der Eltern  420 –– Kinder und Jugendliche  435 Kognition, verzerrte  21 Kognitiv-behaviorale Therapie (KBT) 425 Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)  200, 222, 250, 384, 400 –– entwicklungsangepasste 436 –– integrative 384 –– internetbasierte 387 –– mit Konfrontation  384 –– kultursensitive 350 –– traumafokussierte 262 Kohärenzregel 280 Kohärenzsinn 29 Kommunikation –– durch Sprachmittlung  502 –– interkulturelle 501 Kommunikationsstil –– der Eltern  420 –– kulturell divergierender  501

G–K

Komorbidität 219 Kompensation, finanzielle  535 Kompetenz, metakognitive  336 Konditionierbarkeit, gesteigerte  96 Konditionierung 253 –– klassische 103 –– operante 31 Konfrontation 353 –– Selbstkonfrontation 306 Konfrontation, imaginative  250 Konfrontation in sensu –– bei Herzerkrankungen  455 –– Kinder und Jugendliche  425 Konfrontation in vivo –– bei ATS  382 –– Kinder und Jugendliche  436 Konsequenz, psychosoziale  30 Kontext-Konditionierung 104 Kontrollprozess, kognitiver  35 Kontrollüberzeugung, internale –– bei Jugendlichen  325 Konzentrationsschwierigkeit 20 Koreakrieg 464 Koronare Herzkrankheit (KHK)  451 Koronarsyndrom, akutes  455 Kortex –– anteriorer zingulärer  100, 104 –– dorsaler medialer präfrontaler 102 –– medialer frontaler  102 –– medialer präfrontaler  102, 103 –– präfrontaler  98, 100, 101 –– ventromedialer präfrontaler  102, 104 Kortex, präfrontaler –– misshandelte Kinder  123 Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH) 98 Kortisolspiegel 98 –– bei Anpassungsstörung  87 –– Body-mind-spirit (BMS) therapy 402 –– Krankheit, körperliche 417. Siehe auch somatische Erkrankung Krankheitsgewinn 171 Krebsdiagnose –– Depersonalisation 445 Krebserkrankung –– Anpassungsstörung  397, 400 Kriegsangst 8 Kriegsgefangenschaft 163 –– Begutachtung 179 Kriegshandlung 26 Kriegsmüdigkeit 464 Kriegsneurose  6–8, 463 Kriegsopfer  307, 312, 520, 532 –– Kinder 420

554 Stichwortverzeichnis

Kriegstraumatisierung 484 –– bei Älteren  513 –– Combat Fatigue  464 –– Da-Costa-Syndrom 463 –– Geschichte 463 –– Shell Shock  463 Kriegsveteran 172. Siehe auch Soldat nach Kriegseinsätzen Kriegszitterer 463 Krisenintervention 197 Krisenmodell 85 Kritiker, innerer  344 Kulturkreis –– islamischer 358 –– kambodschanischer  359, 362 –– karibischer 357 –– lateinamerikanischer  355, 358, 359 –– südostasiatischer 357 Kulturkreis, afroamerikanischer  362 Kulturkreis, buddhistischer  355, 358 Kultursensibilität 488 Kurzzeittherapie, klientenzentrierte –– bei Anpassungsstörung  401 KVT. Siehe kognitive Verhaltenstherapie

L Laienhilfe 307 Lamotrigin  101, 369, 372 Lebenseinstellung, philosophische 543 Lebensereignis, kritisches  394 Lebenslinie  262, 279, 496 Lebensrückblick, strukturierter  308 Lebensrückblicktherapie (LRT)  519 Lebenszeitprävalenz 25 Lebhaftigkeit, niedrige  265 Leeregefühl 52 Leistungsfähigkeit –– Objektivierung 175 Lernen –– inhibitorisches  104, 342, 343 –– Modelllernen 419 Leugnen 237 Liebende Güte-Meditation  355 Liebesentzug 114 Life Events Checklist for DSM-5 (LEC-5) 141 Life-review-therapy 519 Limbisches System  372 Lithium 372 Lorazepam  369, 403 Lormetazepam 402 Lotusvisualisierung 355 Lungentransplantation 450 Lungenversagen, akutes  446, 449

M MACE (Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure)  141 Magnetresonanz-(MR-)Volumetrie 96 Magnetresonanztomografie, funktionelle (fMRT)  100 Major Depression  70 –– Kinder 416 Malen eines Manga-Comics  436 Maltreatment and Abuse Chronology of Exposure (MACE)  141 Manchester Short Assessment of Quality of Life (MANSA)  150 Manga-Comic 436 MAO-Hemmer  369, 370 MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit)  160, 178 MdE-Tabellen 180 Medialer Temporallappen (MTL)  99 Medizinisch-psychologisches Stresskonzept der Bundeswehr 467 Metapher  257, 358, 473, 538, 540 –– interkulturelle Kommunikation  501 Methodenintegration 240 Mifepriston 99 Migrant  176, 535 Militär  7, 32, 52, 57, 97, 192, 204, 218, 291, 302, 305, 306, 308, 370, 373, 462 –– Kindersoldaten 426 –– KVT 400 –– Resilienzprogramme 300 –– sexuelle Übergriffe an Veteraninnen 327 Minderung der Erwerbsfähigkeit  178 MINI-ICF-APP 149 Mini International Neuropsychiatric Interview (M.I.N.I. 6.0.0)  135 Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI)  171 Mirtazapin  369, 496 Missbrauch älterer Pflegebedürftiger 515 Missbrauchserfahrung  313, 314 Missbrauch, sexueller  118, 334, 426, 536 –– Geschlechtsunterschiede 118 –– Hippocampusvolumen 96 –– Neurobiologie 104 –– Prävalenz 115 Misshandlung –– körperliche 116 –– seelische 119 Misshandlungsformen, spezifische –– Folgen 124 Misstrauen  146, 334 –– Begutachtung 169

Mitgefühl  333, 341, 353 –– für andere  344 –– mit anderen  321 –– mit sich selbst  321 Mitleidsmüdigkeit 39. Siehe auch Empathiemüdigkeit Mobbing  114, 121 –– an Schulen  119 Moclobemid 369 Modell, entwicklungspsychopathologisches 418 Modell, interpersonell-­ soziokognitives 37 Modell, kognitives –– Kinder 417 Modelllernen 419 Modifikation der Überzeugungen  328 Mood Stabilizer  372 moralische Verletzung  475 Morbidität von Therapeuten  542 Morphometrie, voxelbasierte  97 Mortalität –– Kardioverter-Defibrillator 451 –– nach Transplantation  450 Münchhausen by Proxy-Syndrom  114 Multiple Traumatisierung bei Kindern 416 Multiplex-Modell der PTBS-­ Entstehung 360 Munich Composite Diagnostic International Interview (M-CIDI/ DIAX) 88 Muskelrelaxation 355 Myokardinfarkt  446, 447 Mythenbildung 434 MyTraumaRecovery (MTR)  305

N Nalmefen 374 Naloxon 100 Naltrexon  100, 374 Narration –– bei ATS  382 –– von Kindern  422 Narrativ 317 Nationalsozialismus 9 Naturereignis 163 Naturkatastrophe 25 –– PTBS Älterer  515 –– traumatisierte Kinder  414, 415 Netzwerkmodell, multisystemisches 355 Netzwerk, professionelles von Therapeuten 543 Neurasthenie 6–8 –– traumatische 5

555 Stichwortverzeichnis

Neurobiologie –– Kinder und Jugendliche  418 Neuroleptika  368, 373 Neuroleptika, atypische 373. Siehe auch atypische Antipsychotika Neurose, traumatische  5, 6, 9 Noncompliance 450 Non-Suizid-Vertrag 340 Noradrenalin-­ Wiederaufnahmehemmer 368 Notfallhelfer 302 Notfallkoffer  281, 305, 500 Notfallversorgung, psychosoziale  205 Nucleus accumbens  56 Numbing  21, 35, 50, 63, 64, 106, 195 –– Psychopharmaka  367, 373

O Olanzapin  369, 374 Online-Psychotherapie für Trauma-­ und Trauerfolgen  305 On Scene Support Service  205 Operante Konditionierung  31 Opferentschädigungsgesetz (OEG)  160, 161 Opfererfahrung, wiederholte  312 Opioidantagonisten  100, 374 Opioidsystem –– Dissoziation 100 Orientierung, spirituelle  542 Ort, sicherer  241

P Panik –– nächtliche 360 –– Psychopharmaka 367 Panikstörung 145 Paroxetin  203, 366, 367, 375, 531 Parteilichkeit des Therapeuten  535 Partnergewalt –– Prävalenz 120 Partner Violence Screen (PVS)  142 Patient, gefährlicher  537 Peerintervention 307 Peersupport 397 Peritraumatic Emotions Questionnaire 196 Perpetual Avoidance Model  452 Persistent Complex Bereavement Disorder (PCBD)  65 Persönlichkeit  230, 231 –– Kinder und Jugendliche  418 –– narzisstische  235, 239 –– Umstrukturierung 238

Persönlichkeitsänderung, anhaltende –– nach Extrembelastung  143 Persönlichkeitseigenschaft 28 Persönlichkeitstil 234 Persönlichkeitsveränderung 180 –– andauernde, nach Extrembelastung 174 Perspektivenwechsel 197 Pferdegestützte Intervention nach der EAGALA-Methode 471 Pflanzliche Heilmittel bei Anpassungsstörung 402 Pharmakotherapie –– Abbruchrate 531 –– bei ATS  390 –– in der Neurobiologie  107 –– Leitlinien 368 Phenelzin 370 Phenytoin 101 Phobie, soziale  145 –– Zykloserin 105 Polizei  192, 204, 302 –– Begutachtung von Dienstunfällen 182 Polyviktimisierung bei Kindern  120 Postmigrationsstressor  194, 484 Posttraumatic Adjustment Scale (PAS)  143, 196 Posttraumatic Cognitions  230 Posttraumatic Cognitions Inventory (PTCI) 147 Posttraumatic Diagnostic Scale (PDS) 138 Posttraumatic Growth  30 Post-Traumatic Growth Inventory (PTGI) 149 Posttraumatische Belastungsstörung –– Geschichte des Begriffs  4 Präokkupation  81, 84, 394 –– bei körperlichen Erkrankungen 446 Präokkupation, intrusive  399 Prävention –– primäre 191 –– selektive 191 –– strukturelle 191 –– universale 191 Prazosin 373 Primärprävention –– bei der Bundeswehr  469 Priming, perzeptuelles  253 Problemlösetherapie bei Anpassungsstörung 400 Prolonged Exposure  243 Prolonged Grief-13 (PG-13)  71, 144 Propanolol  105, 373 Protokoll, indiziertes  352

K–P

Psychiatrie, transkulturelle  360 Psychobiologie 193 Psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT)  204, 240 Psychoedukation  199, 241, 256, 300, 316, 335, 434, 538, 539 –– bei ATS  383 –– bei der Bundeswehr  469 –– Jugendliche 324 –– spezifische 284 Psychological Debriefing –– Kinder und Jugendliche  434 Psychologie –– Ethnopsychologie 356 –– humanistische 302 –– operative 10 –– positive  302, 304 psychologische Unterstützung  232 Psychoonkologie 452 Psychopathologie 96 –– elterliche 426 –– mütterliche 420 –– posttraumatische 169 –– prätraumatische 354 –– prätraumatische bei Kindern  415 Psychopharmakotherapie –– bei Anpassungsstörung  402 –– bei Kindern und Jugendlichen  432 –– Indikationen 366 –– Studien  366, 368 Psychose 6 –– EMDR 291 –– organische  449, 450 –– Psychopharmaka  367, 373 –– STAIR/narrative Therapie  327 Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) 205 Psychotherapie –– Abbruchraten 531 –– integrative psychodynamisch-­ kognitive 230 –– interpersonelle 243 –– interpersonelle bei ATS  381 –– kognitive 241 –– kognitive bei Älteren  518 –– psychodynamische bei Folteropfern und Geflüchteten  489 –– psychodynmaische bei bei Anpassungsstörung 400 –– supportive 198 –– supportive bei ATS  384 –– transkulturelle 500 –– traumafokussierte 250 –– Wirksamkeitsnachweis 223 Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen –– Effektstärken 432

556 Stichwortverzeichnis

Psychotraumatologie 222 –– in der Bundeswehr  462 PTBS –– Arbeitslosigkeit 149 –– Art der Traumatisierung  416 –– artifizielles Vortäuschen  146 –– Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen 413 –– chronische Schmerzen  453 –– in der Rechtsprechung  159 –– Differenzialdiagnostik 144 –– dissoziativer Subtyp  51 –– Epidemiologie 25 –– Folteropfer und Geflüchtete  485 –– Fragebogen 147 –– Geschlechterunterschiede 416 –– klassische  52, 174, 218 –– komplexe  174, 218, 220 –– komplexe, Folteropfer und Geflüchtete 485 –– komplexe, Therapie  250 –– Mortalität bei Älteren  516 –– nach Transplantationen  450 –– partielle  143, 175 –– Partnerschaftskrisen 149 –– Phänotyp im Alter  514 –– Prävalenz bei Älteren  513 –– Ressourcen und Kompetenzen  149 –– sekundäre 541 –– subsyndromale  143, 175, 446, 447, 450, 515 –– Tiermodelle 105 –– Traumakriterien 163 –– verzögerte 27 –– verzögerte bei Älteren  515 –– verzögerter Beginn  175 PTBS, komplexe 240 –– Bevölkerungsprävalenz 54 –– biologische Faktoren  56 –– Diagnostik 49 –– Differenzialdiagnostik 54 –– Epidemiologie 53 –– Ursachen 48 PTSD Checklist für DSM-5 (PCL-5)  139 PTSD Symptom Scale–Self Report (PSS-SR) 138

Q Querschnittsbefund, psychopathologischer 176

R Railway Spine  4 Reaktion, initiale  28 Recovered Memories  528

Regression 242 Reifung, posttraumatische  30, 447 Reizbarkeit 20 Reiz-Reaktions-Muster 104 Resilienz  27, 302, 303 –– Familienresilienz 303 Resilienzförderung 192 –– bei Jugendlichen  325 Resilienzfragebogen (RS-13)  149 Ressource  29, 312 –– Erfassung 149 –– Imagination 287 –– psychische 302 Ressource Development and Installation (RDI)  293 Ressourcenaktivierung 241 Ressourcen-EMDR 293 Retraumatisierung –– Folteropfer und Geflüchtete  499 Reviktimisierung im Kindesalter  121 Revised Trauma Symptom Inventory (TSI-2) 141 Risikofaktor –– Akutphase 199 –– Kinder und Jugendliche  420 –– peritraumatischer 193 –– posttraumatischer 193 –– prätraumatischer  27, 193 Risikoverhalten 335 –– im Jugendalter  121 –– mütterliches 115 Risperidon 369 Rollenspiel  316, 318, 322 Rückfallprophylaxe –– Kinder und Jugendliche  436 Rückzugsverhalten 272 Rumination  24, 194, 335, 354

S Salbutamol 203 Sanitäter 302 Schädigungsfolge 178 Scham  23, 36, 50, 147, 169, 193, 236, 271, 318, 332, 334, 343, 352, 531 –– auf Therapeutenseite  534 –– bei Soldaten  469, 471 –– Folteropfer und Geflüchtete  483 –– interkulturelle Kommunikation 501 –– Linderung durch Metaphern  473 –– Neurobiologie 103 –– Schemata 318 –– traumafokussierte KVT  201 Schamgefühl –– externalisiertes 323 –– internalisiertes 323

Scheidung  30, 39 Schema –– alternatives 318 –– dysfunktionales 417 –– inneres 498 –– interpersonelles  314, 318 –– interpersonelles, Identifikation 316 –– kognitiv-affektives 336 –– kognitives 35 –– kognitives bei Kindern und Jugendlichen 417 –– symptomstabilisierendes 498 –– traumabezogenes 319 –– traumatisch verändertes  35 Schemaarbeit bei Jugendlichen  325 Schema, interpersonelles –– Identifikation 318 –– Modifikation 317 Schemaveränderung 219 Schlaflähmung 360 Schlafstörung 20 Schlafverhalten, dysfunktionales  254, 272 Schlüsselreiz 19. Siehe auch Trigger Schmerz 170 –– chronischer 452 Schmerz, chronischer –– Folteropfer 452 –– Therapieverfahren 453 Schmerzempfindlichkeit, reduzierte 101 Schmerzensgeld 172 Schock 165 Schreck 165 Schreckhaftigkeit –– erhöhte  53, 106 –– kultureller Hintergrund  360 Schreckpsychose 6 Schreckreaktion 367 Schreckreaktion, übermäßige  20, 98 Schreiben, autobiografisches  307 Schreibtherapie –– strukturierte 262 Schreibtherapie, internetgestützte bei Älteren 520 Schuld 24, 531. Siehe auch Schuldgefühl Schuldgefühl  29, 50, 62, 147, 169, 193, 233, 269, 270, 318, 333, 334, 340, 342, 531 –– bei Trauer  381, 385, 387 –– Reduzierung 343 –– Soldat nach Kriegseinsätzen  475 Schutzfaktor 194 –– Akutphase 199 –– prätraumatischer 27 Schutz, subsidiärer  484

557 Stichwortverzeichnis

Schwangerschaft –– Risikoverhalten 115 Schwangerschaftsabbruch 454 Schwerbehindertengesetz 160 Screen-and-refer-Ansatz  199, 205 Screen-and-treat-Ansatz  199, 205 Screeningfragebogen zu Risiko-und Schutzfaktoren nach traumatischen Ereignissen (S-RUST)  196 Screeningverfahren 140 Screentechnik –– Folteropfer und Geflüchtete  489, 496 Sehnsucht, anhaltende  486 Sehnsucht nach der verstorbenen Person  62, 65, 70 Selbstaufmerksamkeit 542 Selbstbeurteilungsskalen –– Begutachtung 175 Selbstbeurteilungsverfahren 137 –– Bewertung 142 Selbstbild, verändertes  35 Selbstdestruktivität 236 Selbstekel 334 Selbstfürsorge  281, 504 Selbsthass  333, 334 Selbsthilfegruppe 397 –– bei somatischen Erkrankungen 456 Selbsthilfeintervention 397 Selbsthilfematerial –– Frühintervention 199 Selbstinstruktion, imaginative  341 Selbstkonfrontation 306 Selbstkonzept  235, 332, 343 Selbstmitgefühl  321, 324 Selbstorganisation, gestörte  50 Selbstschema 34 Selbstverletzung  55, 335, 341 Selbstwirksamkeit  313, 328 –– Förderung bei Jugendlichen  325 Self-Report Inventory for Disorders of Extreme Stress (SIDES-SR)  140 Sensation-based Memory (S-reps)  33 Serious Games  306 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 366 Sertralin  203, 366, 369, 375, 432 Setting, transkulturelles  502 Sexting 118 Sexualverhalten, suchtartiges –– EMDR 291 sexuelle Gewalt  118, 163 –– in Institutionen  118 sexueller Missbrauch 118. Siehe auch Missbrauch, sexueller shattered assumptions  230

shell-shock 463 –– shell-shock treatment  8 sicherer Ort  276 Sicherer-Ort-Test 282 Sicherheitsbedürfnis 537 SIDES (Structured Interview for Disorders of Extreme Stress)  136 significant others  341 Simulation  6, 146, 170 Situationally Accessible Memory (SAM) 33 Skill 342 skills-assisted exposure  342, 343 Skillstraining 332 Skillstraining in der Gruppe –– STAIR/narrative Therapie  322 Smart Assessment on your Mobile (SAM) 207 Social Sharing  306 –– bei ATS  388 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) 476 Soldatin –– einsatztraumatisierte 472 –– Intimitätstraumata 472 Soldat mit hoher Kampfbelastung 467 Soldat nach Kriegseinsätzen  20, 29, 32, 40, 52, 57, 172, 192, 204, 218, 308, 463 –– Angehörigenarbeit 471 –– Behandlungssettings 470 –– EMDR  291, 293 –– Hippocampusvolumen 97 –– KHK 451 –– Psychopharmaka 373 –– PTBS-Prävalenz bei Vietnamveteranen 464 –– Schuldgefühle 475 –– trizyklische Antidepressiva  370 Somatic Experiencing  223 Soziales Entschädigungsrecht  182 sozialmedizinisches Gutachten  159 sozialrechtliche Begutachtung  159 Sozialverhalten, auffälliges –– misshandelter Kinder  123 Spinnenphobie –– medialer Temporallappen  99 –– Zykloserin 105 Spontanremission 26 Sprachmittler 494 –– Regeln für die Kommunikation  502 –– Schulung 501 –– Schutz des Sprachmittlers  502 –– Schweigepflicht 501 Sprichwort, kulturell geprägtes  358 Srebrenica 466

P–S

SSNRI 369 SSRI  291, 368 Stabilisierung  237, 241 Stärkenliste 303 Stammzelltransplantation  452, 455 Stanford Acute Stress Reaction Questionnaire (SASRQ)  196 Stepped Care  300, 395 Stigmatisierung psychischer Probleme  513, 520 Stigmatisierungsangst bei Soldaten  469 Stimulierung, bilaterale  279, 283, 285 Störung –– Begutachtung bei psychoreaktiver 168 –– depressive 145 –– somatoforme 146 Störungsmodell 257 Störungsmodell, kognitives  36 Stress –– kontinuierlicher 25 –– traumatischer und neurobiologische Folgen  193 Stressfolgesyndrom  81, 84 Stressor 394 –– sekundärer für Kinder und Jugendliche 419 Stressormodell –– im Tiermodell  105 Stressreaktion –– akute 190 –– Begutachtung 167 –– Kortikotropin-Releasing-­ Hormon 98 –– neuroendokrine 193 Stressreaktion, akute 195 Stressreaktion, neuroendokrine –– Geschlechtsunterschiede 193 Stress-Related Growth Scale (SRGS) 149 Stressverarbeitungsfragebogen (SVF) 149 Stretching  355, 357 Structured Interview for Disorders of Extreme Stress (SIDES)  136 Strukturierter Fragebogen simulierter Symptome (SFSS)  171 Strukturiertes Interview zur Diagnose dissoziativer Störungen (SIDDS) 146 Strukturiertes Klinisches Interview für DSM‐IV  88, 207 Strukturiertes Klinisches Interview für komplizierte Trauer  71 Stuhl, leerer und Trauertherapie  73 Stupor 195 –– dissoziativer 55

558 Stichwortverzeichnis

Subjective Units of Disturbance (SUD) 284 Substanzmissbrauch 335 Subsyndromale PTBS  515 Subtyp, dissoziativer der PTBS  51 Suizidalität  332, 335, 396, 399 –– bei Anpassungsstörung  83, 89 –– bei Kindern  416 –– Body-mind-spirit (BMS) therapy 402 –– drohende Abschiebung  177, 178 –– Entwicklungsländer 397 –– Folteropfer und Geflüchtete  485 –– Kinder und Jugendliche  436 –– Peerinterventionen bei Einsatzkräften 307 Supervision  504, 543 Supervisionsgruppe 341 survivor guilt  24 System –– situativ zugängliches  33

T Täter –– Entmachtung 263 –– imaginative Konfrontation  263 Täterintrojekt 242 Täterkontakt  241, 283 Taktgefühl  237, 239 Taubheit, emotionale 63. Siehe auch Numbing Team, inneres  242 Technik –– religiöse 358 Temporallappen –– medialer 99 Terroranschläge vom 11. September 326 Test –– Begutachtung bei psychometrischen 175 Testdiagnostik –– Begutachtung 175 –– Folteropfer und Geflüchtete  494 Testimonial-Therapie, integrative  308, 520 Testimony Therapy  522 TETRIS-Intervention 306 Teufelskreismodell 540 Theorie der wesentlichen Bedingung  166, 167 Therapeutenreaktion 533 Therapie –– Evidenzbasierung der kognitiv-­behavioralen  400 –– expositionsfokussierte 220

–– humanistisch-existenzielle 223 –– imaginative bei Folteropfern und Geflüchteten 489 –– körperbezogene 223 –– kognitionsfokussierte 220 –– kognitiv narrative bei ATS  389 –– metakognitive 251 –– narrative 312 –– narrative bei Älteren  518 –– narrativ-kognitive 389 –– systemische bei ATS  381 –– systemische bei Folteropfern und Geflüchteten 489 Therapieabbruch 347 Therapiebeziehung 434 Therapie, kognitiv-behaviorale –– Folteropfer und Gefüchtete  489 Therapieplanung 539 Tiermodell –– PTBS 105 Tod durch Gewalterleben in der Kindheit 124 Toleranzfenster 286 Topiramat 369 Training, autogenes –– bei Anpassungsstörung  398 Trance 55 Tranquilizer 369 translationale Forschung  105, 106 Tranylcypromin 369 Trauer 36 –– abwesende 67 –– anhaltende  64, 380 –– Bewältigungsstile 67 –– chronische 67 –– Folteropfer und Geflüchtete  496 –– Intensität 65 –– komplizierte 63 –– kulturelle Unterschiede  68 –– normale  65, 66, 380 –– pathologische  63, 65 –– Schuldgefühle  381, 387 –– Stufenmodell der normalen  67 –– traumatische 64 –– ungelöste 67 –– verspätete 67 Trauer, erschwerte –– bei Flüchtlingen  69 Trauerintervention –– Wirksamkeitsstudien 389 Trauermodell, kognitiv-­ behaviorales 73 Trauerreaktion 62 –– Neurobiologie 72 Trauerstörung, persistierende komplexe 65 Trauertherapie –– Vorgehen 380

Trauerverarbeitung, emotionale  380 Trauma –– akzidentelles  16, 219 –– historisches 358 –– individuelles 39 –– informationelles 452 –– interpersonelles  16, 219 –– Klassifikation 16 –– kollektives  39, 513 –– medizinisch bedingtes  16 –– persönliches 15 –– Typ-I 16 –– Typ-II 16 Traumaanamnese 279 Traumabericht 262 Traumadefinition –– DSM-5 15 –– ICD-11 15 Traumaerinnerung  250, 318, 319, 343, 353 –– Hotspots 259 –– Neurobiologie 99 Traumaexposition –– DSM-5 16 –– Folteropfer 496 –– kulturell angepasste  356 Traumaexposition, narrative  225 Traumafokussierte KVT (Tf-KVT)  200, 250, 262 –– bei Kindern und Jugendlichen 125 Traumafolgestörung –– Begutachtung 159 Traumaforschung, ­psychohistorische  514 Traumagedächtnis  30, 36, 251, 254, 257, 267, 333 –– Aktualisierung 260 –– Modifikation  258, 265 Trauma History Questionnaire (THQ) 141 Trauma, interpersonelles (man made)  16, 219 Traumakonfrontation 243 –– bei Älteren  519 Traumakriterium 163 Traumanarrativ –– Kinder und Jugendliche  435 –– Kriegserlebnis 521 Traumanetzwerk  335, 341 –– implizites 335 Trauma Resilience Training  302 Traumaschwere 28 Trauma Symptom Checkliste für Kinder und Jugendliche (TSC-­C)  424 Traumatheorie, psychodynamische 230

559 Stichwortverzeichnis

Traumatherapie im Bundeswehrkrankenhaus 471 Traumatherapie, psychodynamische  222, 244 Traumatic Grief Inventory Self Report Version 71 Trauma-TIPS-Präventionsprogramm, internetgestütztes 201 Traumatisierung –– elterliche 418 –– interpersonelle bei Kinder und Jugendliche 416 –– multiple 416 –– sekundäre 541 –– sequentielle 484 –– stellvertretende  503, 541 Traumatisierung in der Kindheit –– Risiko für somatische Erkrankungen 451 Traumatisierung, multiple –– bei Kindern  416 Traumatisierungsalter  28, 219 Trauma Typ  I 164 Trauma Typ  II 164 Trazodon 403 Treatment Outcome PTSD Scale (TOP-8) 150 Tresorübung 242 Trigger  19, 305, 352, 361, 385, 539 –– Folteropfer und Geflüchtete  485 Triggerreiz  252, 281 Trizyklische Antidepressiva  369, 370 Tschetschenienkrieg 465 Tumorerkrankung  447, 451, 455 –– in der Kindheit  452 Typ-II-Trauma  16, 218 Typ-I-Trauma  16, 218

U Über-Akkommodation 254 Übererregung 51. Siehe auch Hyperarousal Überflutung 286 Übergangsritual 362 Überidentifikation des Therapeuten 534 Überlebensschuld  24, 358 Übertragung 245 Übertragungsprozess 341 Überzeugung, dysfunktionale  269, 270 –– bei ATS  383 Umstrukturierung 237 Umstrukturierung, kognitive  306, 522 –– bei Trauer  387

Unfall –– Begutachtung  163, 167, 171, 172, 182 –– Schmerzsyndrome 170 Unfallbegriff 165 Unfallkausalität 167 Unfallopfer  205, 252, 261, 280, 288, 532 –– gestufte Versorgung  301 –– Kinder 417 –– Kinder und Jugendliche  419 –– präventive Medikation  203 –– TETRIS 306 –– traumafokussierte KVT  201 Unfallrecht, privates  162 Unfallversicherung, gesetzliche  166, 179, 181 Unfallversicherungsgesetz von  1884 6 University of California at Los Angeles Child/Adolescent PTSD Reaction Index for DSM-5 (UCLA-PTSD-­RI)  424 Unterstützung –– biologische 232 –– psychologische 232 –– soziale 232 Unterstützung, soziale  29, 529 –– als Schutzfaktor  194, 198 Unverletzbarkeit 35 –– Wunsch nach  237

V Validity of Cognition (VoC)  284 Valproat  369, 372 VAM 34 Venlafaxin 369 Verantwortungsattribution 238 Verarbeitung, peritraumatische  252 Verarbeitungstherapie, kognitive  250, 253 Verbalisierung –– Folteropfer und Geflüchtete  493 Verbally Accessible Memory (VAM) 33 Verfahren, traumafokussiertes  220 Verfolgung, politische  10, 483 Vergebungsintervention 303 Vergewaltigung  31, 256, 269, 293, 437, 500 Verhalten –– selbstverletzendes  50, 399 –– selbtszerstörerisches 20 –– sexuell-impulsives 313 Verhalten, elterliches  419 Verhaltensaktivierung  395, 398 –– bei ATS  388 –– Kosteneffektivität 398

S–V

Verhaltensstrategie 303 Verknüpfung, magische bei Kindern 418 Verletztenrente 167 Verletzung, moralische –– nach Kriegseinsätzen 470, 475 Verleugnung 35 Verlust –– des Ehemannes  386 –– pränataler 388 –– Schemata 318 Vermeidung  19, 22, 35, 51, 63, 84, 140, 195, 237, 254, 265, 271, 282, 335, 343, 474 –– Abbau 232 –– bei Trauer  385 –– Psychopharmaka  367, 373 Vermeidung, kognitive –– beim Kind  417 Vermeidungsstrategie 341 Vermeidungsverhalten –– bei ATS  380 –– bei somatischen Erkrankungen  445, 451, 452 –– dysfunktionales 85 –– elterliches 420 –– Folteropfer und Geflüchtete  493, 499 Vernachlässigung  114, 119, 124 –– Neurobiologie 98 –– Prävalenz 115 Verschiebung der Wesensgrundlage 162 Verschwörung des Schweigens  534 Versorgung, gestufte  300 Versorgungsansatz, gestufter  395 Versorgungsrecht für Soldaten  476 –– Einsatzversorgungsgesetz 477 –– Einsatz-­ Weiterverwendungsgesetz 477 –– Soldatenversorgungsgesetz (SVG) 476 –– Wehrdienstbeschädigung 476 Verstärkerverlust 388 Vertrauen, erschüttertes  531 Vertreibung im 2. Weltkrieg  515 Verwitwung 515 Vietnamkrieg  10, 29, 32, 40, 97, 370, 464 Viktimisierung –– Cyberviktimisierung 118 –– erneute 121 –– Polyviktimisierung bei Kindern 120 Vipassana-Meditation 289 Virtual-Reality-Intervention 398 Visualisierungsübung 355

560 Stichwortverzeichnis

Vollbeweis –– Definition 162 Vorschaden 163 Vorschulkinder –– Diagnosekriterien 413 Vulnerabilität 394 –– Biomarker 193 –– genetische 193 –– im Kindes-und Jugendalter  417 –– kindliches Gehirn  418 –– somatische 519 Vulnerabilitäts-Stress-Modell der Anpassungsstörung 86

Wasserballmetapher 336 Watchful Waiting  199, 395 Wehrdienstbeschädigung 476 –– Begutachtung 477 Wertorientierung  40, 341, 475 Wesen, innere hilfreiche  242 Wiedererleben  51, 352 Wohnungseinbruch 397 –– Anpassungsstörung 400 World Health Organization Quality of Life (WHOQOL-BREF)  150 Wunsch-und Zweckreaktionen 180

W

Y

Wachsamkeit, übermäßige  20 Warriors Internet Recovery und Education (WIRED)  308

Yearning 65 Yom-Kippur-Krieg 465

Z Zeuge –– Kinder als  120 Zeugenschaft 522 Zeugnis ablegen  225 Zeugnistherapie bei Älteren  520 Zielerreichungsskalierung 150 Züchtigung von Kindern  116 Zurückweisung, mütterliche  419 Zusammenhangsbeurteilung 162 Zwangsstörung 145 –– Zykloserin 105 Zwei-Faktoren-Modell der Angstentstehung 31 Zweiter Weltkrieg  8, 204, 464, 513, 514, 520 Zykloserin 105 Zyklus der Gewalt  24 Cycle of Abuse  122